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Volume 102
ISBN 978-3-525-59359-2
ISBN 978-3-647-59359-3 (e-book)
Preface . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Samuel Vollenweider
„Archetyp der Vollkommenheit“. Die Lebenswende des Paulus nach
der patristischen Lektüre von Phil 3 (Augustin und Johannes
Chrysostomos) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Martin Meiser
Überwindung, Bekehrung oder Berufung – Apg 9; 22; 26 in
altkirchlicher Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Hans-Ulrich Weidemann
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13). Bekehrung und
Indienstnahme des Paulus in den Pastoralbriefen . . . . . . . . . . . . 59
Matthias Konradt
Bekehrung – Berufung – Lebenswende. Perspektiven auf das
Damaskusgeschehen in der neueren Paulusforschung . . . . . . . . . . 96
Tobias Nicklas
Gute Werke, rechter Glaube: Paulusrezeption in der Apokalypse des
Paulus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
Jürgen Wehnert
Antipaulinismus in den Pseudoklementinen . . . . . . . . . . . . . . . 170
6 Contents
Judith L. Kovacs
Grace and Works: Clement of Alexandria’s Response to Valentinian
Exegesis of Paul . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Giancarlo Pani
Die antiken Wurzeln der Paulusexegese Luthers . . . . . . . . . . . . . 211
Andreas Lindemann
Christusglaube und „Werke des Gesetzes“ bei Paulus. Exegetische
Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
James Dunn
Paul, Grace and ERGA NOMOU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
Francesca Coccini
Paul and the Destiny of Israel in Origen’s Commentary on the Letter to
the Romans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Michael Theobald
Israel- und Jerusalem-Vergessenheit im Corpus Pastorale? Zur
Rezeption des Römerbriefs im Titus- sowie im 1. und 2.
Timotheusbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Contributors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428
Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438
Preface
In the past decades research on the theology and, in this connexion, also the
biography of Paul, the second-most crucial figure in earliest Christianity, has
seen a paradigm shift that is largely connected with the concept and the
approach of the New Perspective on Paul as these have been developed by
James Dunn. At first the new approach was received only by few and with some
scepticism, but its major theses have in the meantime taken centre stage in the
exegetical discussion on the figure of the apostle and his ministry and have
become common topics also in the most recent handbooks on Paul. The
discussion is far from being decided or closed, but some results at least should
be mentioned. The New Perspective has opened the way for a renewed
reflection on the concept and identity of early Judaism, on the Jewish identity
of Paul himself, and on the identity of earliest Christianity as a movement that
is fundamentally rooted in this Jewish tradition. These elements will continue
to constitute the framework also for future research on Paul and his mission.
The essays that have been collected in this volume should be regarded as
contributions to this discussion. They build on some of the crucial concepts of
the New Perspective, but have introduced also a dimension that so far has been
largely neglected in this debate: the reception of Paul, his mission, and his
theology, in the ancient Church – hence bringing in the Ancient Perspectives.
This extra dimension offers the possibility to enrich the discussion with
questions about (a) the limits and borders of any historical research and (b)
the roots and background of the current debate on Paul and of the wider
tradition of Pauline exegesis in general. In order somewhat to focus the
approach, the editors asked the contributors to deal above all with core topics,
such as Paul’s call (or “conversion”), his views on the relationship between
faith and “good works”, his theology of the future of Israel, which have marked
much of the modern as well as of the ancient discussion on Paul.
A number of the essays in this volume were originally presented at the
annual conference of the Novum Testamentum Patristicum, which was held in
Regensburg from 27 – 29 October 2010. The editors wish to thank the
contributors for their patience in preparing this volume for publication. Our
thanks go also to all who have contributed, in various ways, in organising the
conference and in producing the volume. Special thanks go to the
Universitätsstiftung Vielberth and the Armin-Schmitt-Stiftung for their
financial support. Thanks also to Christina Decker, who took care of finalising
8 Preface
the manuscript, and to Mr. Michael Sommer, who compiled the index. The
cooperation with the editors of the series Novum Testamentum et Orbis
Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments and with the
collaborators of Vandenhoeck & Ruprecht, above all Jörg Persch and
Christoph Spill, was, as before, excellent.
Tobias Nicklas
Andreas Merkt
Joseph Verheyden
Samuel Vollenweider
1 Vgl. zur historischen Verhältnisbestimmung St. Westerholm, Perspectives Old and New on
Paul. The „Lutheran“ Paul and his Critics, Grand Rapids 2004, hier besonders zu Augustin: 3 – 21.
2 Ch. Gerber, Blicke auf Paulus. Die New Perspective on Paul in der jüngeren Diskussion, VF 55,
2010, 45 – 60, hier: 46.
3 Zur Diskussionslage vgl. den Sammelband von M. Bachmann (Hg.), Lutherische und Neue
Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Dis-
kussion, WUNT 182, Tübingen 2005; ferner : M. Bachmann, J.D.G. Dunn und die Neue Pau-
lusperspektive, in: ders., Von Paulus zur Apokalypse – und weiter. Exegetische und rezepti-
onsgeschichtliche Studien zum Neuen Testament, NTOA 91, Göttingen 2011, 161 – 179.
4 Vgl. die Problemanzeigen durch W. Hrle, Paulus und Luther. Ein kritischer Blick auf die „New
Perspective“, ZThK, 103, 2006, 362 – 393; Ch. Landmesser, Umstrittener Paulus. Die gegen-
wärtige Diskussion um die paulinische Theologie, ZThK 105, 2008, 387 – 410.
12 Samuel Vollenweider
5 Vgl. dazu meinen Aufsatz: Paulus zwischen Exegese und Wirkungsgeschichte, in: M. Mayor-
domo (Hg.), Die prägende Kraft der Texte. Hermeneutik und Wirkungsgeschichte des Neuen
Testaments, SBS 199, Stuttgart 2005, 142 – 159; M. Meiser, Vom Nutzen der patristischen Exe-
gese, in: D.C. Bienert u. a. (Hg.), Paulus und die antike Welt, FRLANT 222, Göttingen 2008, 189 –
209; sodann exemplarisch zum Philipperbrief M. Bockmuehl, A Commentator’s Approach to
the ,Effective History‘ of Philippians, JSNT 60, 1995, 57 – 88.
6 Dabei ist die Ancient Perspective zu unterscheiden von der Old Perspective. Diese stellt die
negative Folie dar, die die New Perspective als ihr Gegenüber konstruiert und mit normativen
Werturteilen versehen hat. Demgegenüber handelt es sich bei der Ancient Perspective um eine
absichtlich unscharf gehaltene deskriptive Sammelkategorie.
7 Vgl. zur Paulusrezeption in der Alten Kirche die Hinweise in: M.F. Wiles, The Divine Apostle.
The Interpretation of St Paul’s Epistles in the Early Church, Cambridge 1967; E. Dassmann, Der
Stachel im Fleisch. Paulus in der frühchristlichen Literatur bis Irenäus, Münster 1979; S. Vol-
lenweider, Art. Paulus, RGG4 6, 2003, 1035 – 1065, hier: 1054 – 1065; W. Wischmeyer, Die
Rezeption des Paulus in der Geschichte der Kirche, in: O. Wischmeyer (Hg.), Paulus. Leben –
Umwelt – Werk – Briefe, UTB, Tübingen u. a. 22012, 398 – 408.
Archetyp der Vollkommenheit 13
Wir halten uns an den Archegeten der New Perspective, an James D.G. Dunn.10
Er stellt zu Recht das Folgende fest: Die Kontroversen rund um die New
Perspective haben sich v. a. auf den Römer- und Galaterbrief bezogen, weil
diese von der Rechtfertigungsthematik sowie der Verhältnisbestimmung von
Juden und Heiden dominiert werden. Phil 3 hat demgegenüber weit weniger
Beachtung gefunden. Das ist bedauerlich, weil gerade dieser Text erlaubt,
bestimmte Polarisierungen zu unterlaufen und vermeintlich inkonsistente
Tendenzen der paulinischen Theologie aufeinander zu beziehen.
Für die Exegese von Phil 3, genauer für die Schilderung der Wende im Leben
des Briefverfassers, hat der schottische Exeget namentlich zwei Punkte her-
ausgearbeitet, die für die New Perspective charakteristisch sind:
1. Die „alte Perspektive“ hat vor allem auf die Selbstgerechtigkeit des Men-
schen fokussiert, also auf die selbst gemachte Gerechtigkeit. Das zeigt sich
namentlich in der Gewichtung der Vorzüglichkeit, die Paulus im ersten Teil
des Kapitels in einer überlegten Abfolge zur Sprache bringt (V. 4 – 11). Die
New Perspective stellt hingegen heraus, dass sich Paulus’ Rühmen ent-
scheidend dreht um seinen Status als Teilhaber am jüdischen Volk, dem
Bund, Tora und Gerechtigkeit von Gott zugeeignet worden sind. Sie legt das
8 N.T. Wright, What Saint Paul Really Said, Grand Rapids 1997, 120.
9 M. Hengel, Der vorchristliche Paulus, in: ders., Paulus und Jakobus, Kleine Schriften Bd. 3,
WUNT 141, Tübingen 2002, 68 – 192: hier 181.
10 J.D.G. Dunn, Philippians 3.2 – 14 and the New Perspective on Paul, in: ders., The New Per-
spective on Paul. Collected Essays, revised Edition, Grand Rapids 2008, 469 – 490. Vgl. ders., The
Justice of God. A renewed Perspective on Justification by Faith, aaO. 193 – 212.
14 Samuel Vollenweider
Gewicht also auf V. 4 – 6 und deutet von da her die Gerechtigkeit im Gesetz.
Um es anders zu formulieren: Der Akzent ruht hiernach auf dem identi-
tätsstiftenden „Haben“ (samt der Verweigerung des Teilens), nicht auf dem
„Machen“; es geht um Status, nicht um Leistung.
2. Die New Perspective hat die Frage nach dem Charakter der Bekehrung des
Paulus neu aufgeworfen.11 Wir beschränken uns auf den Hinweis, dass
Dunn verschiedene Optionen anbietet und demontiert, darunter die Mo-
delle der Konversion vom Judentum zum Christentum, vom Gesetz zum
Evangelium und schließlich von der Eigengerechtigkeit zur Gottesgerech-
tigkeit.
Wir werden diese beiden Fragestellungen im Blick haben, wenn wir uns nun
den Ancient Perspectives auf Phil 3 zuwenden.12 Sie werden durch zwei her-
ausragende und exegetisch versierte Lehrer der Kirche repräsentiert, durch
den Griechen Johannes Chrysostomos und den Lateiner Augustin.
11 Vgl. dazu in diesem Band den Beitrag von M. Konradt; sodann speziell J.D.G. Dunn, Paul’s
Conversion. A Light to Twentieth Century Disputes, in: ders., New Perspective (s. Anm. 10),
347 – 365.
12 Die These von V. Koperski, The Knowledge of Christ Jesus My Lord. The High Christology of
Philippians 3:7 – 11, CBET 16, Kampen 1996, 5 f, wonach sich die älteste Rezeption von Phil 3,8 –
11 im Neuen Testament selber, in 2Petr 3,17 f, finde, ist nicht haltbar.
13 Zum zeitgeschichtlichen Hintergrund vgl. R. Brndle, Johannes Chrysostomus. Bischof –
Reformer – Märtyrer, Stuttgart 1999, 57 – 120; spezifisch zur Predigttätigkeit in Konstantinopel
C. Tiersch, Johannes Chrysostomus in Konstantinopel (398 – 404). Weltsicht und Wirken eines
Bischofs in der Hauptstadt des Oströmischen Reiches, STAC 6, Tübingen 2002, 65 – 71; zur
Entstehungszeit der Homilien zu Phil s. J.N.D. Kelly, Golden Mouth: The Story of John
Chrysostom. Ascetic, Preacher, Bishop, Ithaca, N.Y. 1995, 132 f. Für die Frühdatierung in An-
tiochia votiert Ch. Baur, Der heilige Johannes Chrysostomus und seine Zeit, Bd. 1, München
1929, 250. – Zitiert werden die Homilien zum Phil nach Spalten und Abschnitten der alten
Benediktiner-Ausgabe (Bd. 11, auch bei de Montfaucon [Bd. 11] und Migne [PG 62] abge-
druckt – zu unterscheiden von den Migne-Spalten, die etwa der elektronische TLG bietet!). Der
griechische Text folgt der Ausgabe von F. Field (Oxford 1855), die Übersetzung orientiert sich
meist an derjenigen von W. Stoderl, BKV2 I/ Bd. 45, München 1924. – Noch nicht greifbar war
für mich: A. Heiser, Die Paulusinszenierung des Johannes Chrysostomus mittels Epitheta,
STAC 70, Tübingen 2012.
Archetyp der Vollkommenheit 15
nen.14 Das ist etwa im Hinblick auf den bekannten Tonwechsel am Anfang von
Phil 3 von Interesse.15
Unsere Aufmerksamkeit gilt jetzt aber einem anderen Komplex, nämlich
der Behandlung des Katalogs von Vorzügen in V. 4 – 6 durch den Kirchen-
lehrer. Johannes stellt klar heraus, dass zunächst die Rede ist von der edlen
Herkunft des Paulus, seiner eqc´meia, die er kraft seiner Teilhabe am jüdischen
Volk genießt.16 Paulus ist auch nicht ein Proselyt oder Abkömmling von
Proselyten, sondern erweist sich als Träger bester Abstammung, zumal als
Zweig des Stamms Benjamin und mit seiner Beschneidung am achten Tag. Der
Stellenwert, den Johannes Paulus als Glied des jüdischen Ethnos beimisst,
schlägt mühelos eine Brücke zur New Perspective.17
Dies ist aber nur die eine Tafel. Die andere Tafel weist nun die Eigenleistung
des Paulus auf, für die der Grieche Chrysostomos ein waches Auge hat.18 Der
Eugeneia, der Herkunft, stellt sich der Bereich der Prohairesis zur Seite, d. h.
der freien Selbstbestimmung des Menschen als einem Vernunftträger.19 Be-
grifflich variiert: Dem wesentlich ethnisch vermittelten Tropos gesellt sich der
individuelle Bios hinzu.
„,Wenn ich demnach‘, will er sagen, ,an Adel der Herkunft, an freudigem Eifer, an
Sitten und Lebenswandel alle übertraf: weshalb sollte ich auf diese Vorzüge verzichtet
haben, – weshalb anders, als weil ich die Vorzüge des Christusglaubens grösser, und
zwar um vieles grösser gefunden habe?‘“20
20 AaO. 278 A (eQ to¸mum ja· eqceme¸ar 6mejem, ja· pqohul¸ar, ja· tqºpou, ja· b¸ou p²mtym 1jq²toum,
t¸mor 6mejem t± selm± 1je?ma eUasa, vgs¸m, !kk( C di± t¹ le¸foma er(qe?m t± toO WqistoO, ja·
pokk` le¸foma).
21 AaO. (277F: 5qwetai eQr t± t/r pqoaiq´seyr, fpou t¹ ,l÷kkºm’ [V. 4 fin.] 1sti).
22 AaO. 11,3 – 5 (278B–282E). – Zu den sozialreformerischen Impulsen, die auf die Antiochenische
Zeit zurückgehen, vgl. Brndle, Johannes (s. Anm. 13) 48 – 51; A.M. Ritter, John Chrysostom
as an Interpreter of Pauline Social Ethics, in: W.S. Babcock (Hg.), Paul and the Legacies of Paul,
Dallas 1990, 183 – 192; J. Tloka, Griechische Christen – christliche Griechen. Plausibilisie-
rungsstrategien des antiken Christentums bei Origenes und Johannes Chrysostomos, STAC 30,
Tübingen 2005, 144; 246.
23 Johannes deutet die kognitive Wende in Phil 3,7 („was mir Gewinn war, das halte ich nun um
Christi willen für einen Schaden“) auf die Verlagerung vom vermeintlichen Gut, d. h. dem
Reichtum, zum wirklichen Gewinn, d. h. zur Armut, 11,4 (280E). Es geht also wieder um den
Umgang mit dem „Haben“, nicht um das „Leisten“. Entscheidend ist der Bezug dessen, was wir
haben, auf Gott als Schöpfer und Geber (280E–281E); diese Güter reichen von körperlichen
Archetyp der Vollkommenheit 17
Wir wenden uns nun der nächsten Homilie zu Phil 3 zu. Der Beginn
summiert noch einmal die beiden Vorzugstafeln, die gerade zusammenge-
hören:24
„Nachdem Paulus alle Vorzüge, deren er sich als Jude von Seiten der Natur wie von
Seiten des freien Willens rühmen konnte, aufgezählt hatte (jatak´nar p²mta t± jau-
w¶lata t± Youdazj², t± !p¹ v¼seyr, t± !p¹ pqoaiq´seyr), setzte er hinzu: ,Aber was
mir Gewinn war, …‘“
„Denn da es unmöglich war, aus der tiefen Niedrigkeit sich emporzuschwingen, ist
das Gesetz zur Leiter geworden. Wer emporgestiegen ist, bedarf der Leiter nicht
mehr ; doch verachtet er sie darum nicht, sondern weiss ihr sogar Dank (oq lµm aqtµm
rpeqoqø, !kk± ja· w²qim aqt0 oWdem). Denn sie versetzte ihn in die Lage, dass er ihrer
nicht mehr bedarf; und dennoch gerade dafür, dass er sie nicht mehr braucht, muss er
ihr entsprechend dankbar sein; denn (ohne sie) wäre er nicht hinaufgekommen.“
Mehr noch: Die Rede von Schaden und Nutzen wird konsequent relational
ausgelegt. Dies entspricht dem Text und wird in den altkirchlichen Interpre-
tationen vielfach herausgestellt: Ein „Schaden“ ist das Gesetz bzw. die „Ge-
rechtigkeit im Gesetz“ allein aufgrund der überfließenden Christusgnade.
Diese ist Gold, jenes aber Silber. Allein weil es von Christus trennt, ist es als
negativ zu erachten. Wir sind damit gar nicht fern von jener bekannten Be-
merkung eines anderen Archegeten der New Perspective, von E.P. Sanders, das
Organen über Güter bis zum Meer und seinen Perlen. Immer geht es gut stoisch darum, sich von
falschen Werturteilen (rpºkgxir) zu befreien.
24 AaO. hom. 12,1 in Phil (283C).
25 Vgl. z. B. Tert., adv. Marc. 5,20:6 und unten bei Anm. 53.
26 AaO. 284 A/B. Während die Häretiker das Gesetz mit „Schaden“ und „Dreck“ identifizieren,
spricht sich der Apostel für das Gesetz aus (283F/ 284 A).
18 Samuel Vollenweider
Negative am Judentum sei laut Paulus allein, dass es nicht Christentum sei.27
Chrysostomos kann in der Folge Christus als Erfüllung und Ziel des Gesetzes
bezeichnen (Röm 13,10; 10,4).28
Die heikle Passage, wo vom „Dreck“ die Rede ist (V. 8), wird mit Hilfe von
relationalen Figuren behandelt:29
„Am hellen Tag beim Lampenlicht sitzen bleiben, das ist Schaden. Der Schaden
entsteht also durch die Vergleichung, durch das Übertreffen. Siehst du, dass er einen
Vergleich anstellt?“
27 E.P. Sanders, Paulus und das palästinische Judentum. Ein Vergleich zweier Religionsstruktu-
ren, dt. Übs., StUNT 17, Göttingen 1985, 513 („Was Paulus am Judentum für falsch hält, ist, auf
eine Kurzformel gebracht, dass es kein Christentum ist“), vgl. xiii.
28 Mindestens hier und in hom. 18,1 in Rom (622 A–D) empfiehlt sich m. E. bei der Auslegung von
Röm 10,4 (t´kor mºlou) klar die Übs. „Ziel“ (s. besonders die Analogisierung: ja· c±q t´kor
Qatqij/r rce¸a, 622B).
29 AaO. 284E (¦ste !p¹ t/r paqabok/r B fgl¸a c¸metai, !p¹ toO rpeq´womtor. bqør fti s¼cjqisim
poie?tai;).
30 Vgl. z. B. Greg. Naz., or. 24,15 (SC 284, 74: Hindernisse auf dem Weg); Greg. Nyss., virg. 4,1 (SC
119, 303: Ehe-Chaos!); Ambros., ep. 2,26 (PL 16, 866C/D); Paul. Nol., ep. 25,1 (CSEL 29, 230);
vgl. 38,1 (324); Ps.-Eucher., exhort. mon. 2 (PL 50, 866C); Valerius, de vana saeculi sapientia 8;
14 (PL 87, 426C; 430C).
31 Noch stärker deutet z. B. Ambrosius in seiner Allegorese des Feigenbaum-Gleichnisses (Lk
13,6 – 9) um (in Luc. 7, 168 [CCL 14, 272]): Die grosse Kraft des stercus als Dünger bzw. als
apostolischer sermo kann selbst die Juden zu Christus führen. Die Brücke wird auch zu Hi 2,8 (in
stercore) und zu Ps 113,7 geschlagen.
32 AaO. 285 A/B.
33 Vgl. J. H. Moulton / G. Milligan, Vocabulary of the Greek Testament, London 1930 (= Grand
Rapids 1982) 579b unter Berufung auf zwei Papyrus-Belege: „The word is found in the more
general sense of ,leavings‘, ,gleanings‘.“
34 Vgl. Dunn, Philippians 3.2 – 14 (s. Anm. 10) 481: „The sharpness of the contrast is not so much
to denigrate what he had previously counted as gain, as to enhance to the highest degree the
value he now attributes to Christ, to the knowledge of Christ, and to the prospect of gaining
Christ.“
Archetyp der Vollkommenheit 19
„die durch Mühen und Schweiß erworben“ wird, nimmt dann aber auch
diejenige, die durch die Gnade erwirkt wird, als „meine“ in Anspruch:35
„Treffend nennt er sie ,meine Gerechtigkeit‘, d. h. nicht diejenige, die ich mir durch
Mühe und Schweiß erworben, sondern diejenige, die ich durch die Gnade gefunden
habe.“
Johannes legt damit den Fokus auf die Leistung, also den Bereich der jatoq-
h¾lata. Die Eigenleistung, zu der der Grieche Chrysostomos ein zunächst
unbefangenes Verhältnis hat, wird aber wiederum massiv überholt durch die
Gerechtigkeit, die Gott schenkt:36
„Gottes Gnadengeschenke aber gehen über das bescheidene Maß der Tugendwerke,
die wir durch unsere Bemühung zustande bringen, weit hinaus.“
Paulus’ Reden vom „Ergriffenwerden“ in Phil 3,12 gibt dem Prediger die
Plattform zu einem groß angelegten Bild des Fliehens vor Gott, das wir
Menschen unablässig vollziehen, bereichert durch das Bildfeld des Gleich-
nisses vom verlorenen Sohn (Lk 15,11 – 32).37 Deutlich ist wiederum, wie die
Konversion des Paulus transparent ist für die Situation der Adressaten, also
der Gottesdienstbesucher. Der negative Bereich, den der Apostel verlassen hat,
wird dabei zweifach bestimmt: sowohl als der präbaptismale Status wie als der
gegenwärtige Zustand, die Verweigerung der Umkehr zu Gott.
Die 13. Homilie zum Philipperbrief beschäftigt sich mit dem Nichtzu-
rückblicken des Apostels. Wie nicht anders zu erwarten wird die Agon-Me-
taphorik amplifiziert. Interessant ist die Warnung davor, auf gute Werke zu-
rückzublicken:38
„Nichts raubt so sehr unseren Tugendwerken Verdienst und Wert, als wenn wir des
Guten, das wir getan, selbstgefällig gedenken. Dies erzeugt nämlich zweierlei Übel: Es
macht uns einmal nachlässiger, sodann führt es uns zu hochmütiger Selbstüberhe-
bung.“
Die Erinnerung an getanes Gutes weckt sowohl das Laster der Nachlässigkeit
wie der Arroganz. Christen sollten ihre Leistungen (jatoqh¾lata) vielmehr
vergessen. Auch der Läufer zählt nur die Runden, die noch vor ihm liegen
(291D). Wie es der paulinische Text selber intendiert, fungiert der Apostel als
herausragendes Paradigma christlichen Verhaltens. Mit der Behandlung von
35 AaO. 12,2 (285C: jak_r eWpem ,1lµm dijaios¼mgm‘, oqw Dm di± pºmym ja· Rdq¾tym 1jtgs²lgm, !kk±
tµm !p¹ t/r w²qitor, vgs¸m), Text nach Field.
36 AaO. 285E (t± d³ toO heoO d_qa pokk` t` l´tq\ rpeqba¸mei tµm eqt´keiam t_m jatoqhyl²tym
t_m di± t/r Blet´qar spoud/r cimol´mym [Text nach de Montfaucon]).
37 AaO. 12,3 f (288 A–C). Neben dem grossen Sünden- und Krankheitsspiegel erzeugt das
Gleichnis vom verlorenen Sohn ein weiteres impressives Bild: „Der Himmelskönig, der auf dem
Thron des Vaters sitzt, verliess den väterlichen Thron und kam zu uns“ (289B/C).
38 AaO. 13,1 (290E: oud³m ovty jemo? jatoqh¾lata ja· !povusø, ¢r lm¶lg t_m eQqcasl´mym B(l?m
!cah_m. d¼o c±q t¸jtei t± jaj², Nôhulot´qour te 1qc²fetai, ja· eQr !pºmoiam aUqei).
20 Samuel Vollenweider
V. 17 wird die Mimesis zwischen Paulus und den Glaubenden, die geradezu ein
Leitmotiv der Exegese von Phil 3 darstellt, erneut herausgestellt. Die Figur ist
meist steigernd, a maiore ad minus: ,Wenn sogar Paulus …, um wie viel mehr
wir.‘ Dies gilt insbesondere vom Bekenntnis des Apostels zu seiner Nicht-
Vollkommenheit und zu seiner Heilsungewissheit. Gerade darin erscheint
Paulus als herausragender Träger der Vortrefflichkeit, der Arete:39
„Überall erwies er seine edle Gesinnung und seine Kunst (di± p²mtym t¹ vqºmgla t¹
cemma?om ja· tµm t´wmgm 1pede¸fato).“
Die Predigt gerät zu einem gewaltigen Lob der Arete inmitten von widrigen
Peristasen (296B–297B).
Die 14. Homilie schließlich enthält den Abschluss unserer Kapitelausle-
gung. Die „Feinde des Kreuzes“ geben Anlass zu einer kleinen kreuzestheo-
logischen Passage,40 die die Hauptstädter besonders vor Geruhsamkeit und
Wohlleben warnt. Die Kreuzesfeinde ortet der Prediger dabei nicht primär bei
den seinerzeitigen Paulusgegnern, den jüdischen „Hunden“ von 3,2, sondern
mitten in der Gegenwart.41 Das schließt eine scharfe Polemik gegen die Ty-
rannei des Bauchs ein. Die Homilie schwingt sich schließlich in ihrem letzten
Teil zu einem großen Gemälde des himmlischen Kommens Jesu auf (Phil
3,20 f), scharf kontrastiert mit dem Schrecken des Nicht-Teilhabens an jener
Herrlichkeit, also der schlimmsten Hölle.42
Unser Rundgang durch die vier Homilien des Johannes Chrysostomos zu
Phil 3 erlaubt uns im Blick auf unsere Leitfragen die folgenden beiden Fest-
stellungen:
1. Der Kirchenlehrer ordnet beide Vorzugstafeln, die Vorzüge der Herkunft
und die Vorzüge der Eigenleistung, einander zu. Zwar baut Paulus seiner
Sicht zufolge eine fortlaufende Steigerung auf, aber das inhaltliche Gewicht
liegt doch deutlich auf dem Ersteren, auf dem identitätsstiftenden
„Haben“. Die negative Wertung von beidem verdankt sich der Kompara-
tion: Die überfließende und überragende Christuswirklichkeit macht al-
lererst das Überkommene zu „Schaden“ und „Unrat“.
39 AaO. 13,4 (296 A). Wie alle verlässlichen Lehrer verbindet der Apostel Wort und Tat (293E;
294 A), fungiert als !qw´tupom, paq²deicla und als mºloi 5lxuwoi (293F).
40 AaO. 14,1 (297E–298D). Für die Tragweite der Botschaft vom Kreuz bei Johannes vgl. besonders
laud. Paul. 4,7; 4,9; 7,1 (SC 300, 196; 200; 292).
41 Johannes appliziert die Beschimpfung mit „Schande“ und „Bauch“ rhetorisch geschickt un-
mittelbar auf seine Zuhörerschaft (14,1 [299 A]: „Ich wollte, ja sehnlichst wollte ich, dass nichts
davon auf uns Bezug hätte, und dass ich von keinem wüsste, der der angeführten Verfehlungen
schuldig wäre – aber ich fürchte, diese Worte passen auf die Gegenwart noch mehr als auf die
damalige Zeit [pq¹r Bl÷r l÷kkom C to»r tºte k´cgtai]“).
42 AaO. 14,4 (301E–304 A).
Archetyp der Vollkommenheit 21
Phil 3 hat v. a. in der Debatte des älteren Augustin gegen die Pelagianer eine
bedeutsame Rolle gespielt.45 Wir orientieren uns an drei wiederum exempla-
rischen Texten, zum einen an einer Predigt, zum anderen an zwei Widerle-
gungen pelagianischer Theologie.
Die Predigt aus Anlass des Märtyrerfests Cyprians, die die Passage Phil 3,3 –
16 auslegt,46 identifiziert zunächst die geistliche Beschneidung unseres Texts
(V. 3) mit der Gerechtigkeit, die von Gott kommt und die im späteren Teil von
Phil 3 thematisiert wird. Es finden sich gleich hier schon charakteristische
Antithesen:47
„Wir sind die Gerechtigkeit – es ist aber nicht unsere eigene, sondern diejenige Gottes;
von ihm empfangen, nicht von uns genommen; gewährt, nicht angemaßt, geschenkt,
nicht errafft.“
Die Anspielung auf Phil 2,6 signalisiert die grundlegende Konstellation, die die
gesamte Auslegung unseres Textes organisiert: der Kontrast von Demut und
Hochmut, einer für Augustin zentralen theologischen Figur, die ihm vom
Christuslob 2,5 – 11 vermittelt wird.48 Was bei Johannes Chrysostomos ein
Nebenmotiv bildet,49 steht hier im Vordergrund.
Der Vorzugskatalog von Phil 3,5 f wird angemessen als nobilitas Iudaica
herausgestellt. Dies entspricht dem Befund, den Chrysostomos zeigt, ebenso
der Hinweis auf die Differenz zu Proselyten bzw. Neulingen und die besondere
Stellung von Benjamin, nämlich der Bezug zum Tempel. Sehr schnell, und das
ist für unsere Fragestellung aufschlussreich, spielt Augustin die merita sua ein,
zu denen bereits der Eifer, die aemulatio, zu zählen ist. Die jüdische nobilitas
kommt so der christlichen humilitas gegenüber zu stehen:50
„Dies gilt bei den Juden als Vorzüglichkeit – bei den Christen aber wird Niedrigkeit
(Demut) verlangt. So ist dieser dort Saulus, hier aber Paulus.“
In diesem Zusammenhang taucht die m.W. vor Augustin nur peripher be-
gegnende Figur des Wechsels von Saulus zu Paulus auf: Saul überragte alle
(1Sam 9,2), Paulus’ Name aber bedeutet der Kleine, also der Geringe.51
Mit der Untadeligkeit des Apostels, soweit es die Gesetzesgerechtigkeit
betrifft, geraten wir in eine markante Debatte zwischen den Pelagianern und
ihren Gegnern. Pelagius zufolge gibt es eine irdisch erschwingliche Voll-
kommenheit; als biblische Zeugen fungieren etwa Zacharias und Elisabeth,
assumpta; impertita, non usurpata; donata, non rapta). Am Anfang korreliert Augustin 2Kor
5,21 (ut nos simus iustitia dei in ipso) mit Phil 3,3 (nos sumus circumcisio).
48 Zum enormen Stellenwert, den das Christuslob Phil 2,5 – 11 in Augustins Theologie hat, vgl. A.
Verwilghen, Christologie et spiritualit selon s. Augustin. L’hymne aux Philippiens, ThH 72,
Paris 1985 (hier 261 f mit dem Hinweis auf serm. 169); ders., Le Christ mdiateur selon Ph 2,6 – 7
dans l’ œuvre de s. Augustin, Aug. (L) 41, 1991, 469 – 482; V.H. Drecoll, Der Christus humilis
(Der demütige Christus), in: ders. (Hg.), Augustin Handbuch (s. Anm. 45), 438 – 445.
49 S. oben bei Anm. 38.
50 AaO. 5 (917: haec apud Iudaeos nobilitas, sed apud Christum quaeritur humilitas. Ideo ibi iste
Saulus, hic Paulus).
51 AaO. 5 (917/918: non fuit sic Paulus, sed factus Paulus. Paulus enim parvus, ideo Paulus mo-
dicus). Vgl. conf. 8,9; en. Ps. 72,4 (CCL 39, 989: Saulus, postea Paulus; id est, primo superbus,
postea humilis); spir. et litt. 12 (CSEL 60, 164: Paulus apostolus – qui cum Saulus prius vocaretur
non ob aliud, quantum mihi videtur, hoc nomen elegit, nisi ut se ostenderet parvum tamquam
minimum apostolorum – multum contra superbos et arrogantes et de suis operibus praesu-
mentes); ep. Io. tr. 8,2 (PL 35, 2037); usw. Die Kontrastierung zwischen ungläubigem Saulus und
bekehrtem Paulus begegnet bereits Ambrst., comm. Rom. 1,1 (CSEL, 81/1, 9); Max. Taur.,
serm. 35,2 (CCL 23, 137). Auch Joh. Chrys. beschäftigt sich mit dem Namenswechsel, teilweise in
grösserem biblischem Kontext (hom. 1,6 in Act 9,1 [106E ff = PG 51, 123ff]); vgl. laudatio Pauli
lin. 16 f p. 126 Uthemann: „Paulus ist nämlich nicht Paulus allein, sondern auch Saulus. Nicht
nur Apostel, sondern auch Verfolger ; nicht nur Christi Diener, sondern zuvor auch Feind.“
Archetyp der Vollkommenheit 23
die beide gerecht und tadellos waren.52 Augustin bestreitet das, unter anderem
mit dem Hinweis auf den Tempelkult, den Zacharias betreibt. Vor allem aber
ist das Bekenntnis des Paulus ausschlaggebend. Zwar ist auch Saulus tadellos.
Aber von Christus her wird diese Gerechtigkeit problematisiert. Wir stoßen in
der Folge ähnlich wie bei Chrysostomos auf die subtile Unterscheidung des
malum, als das die Untadeligkeit kraft der Gesetzesgerechtigkeit gilt, vom
Gesetz selber, das von Gott ist (hier wird auf Röm 7,12 verwiesen) und deshalb
kein malum ist, wiederum gegen die Häretiker formuliert.53
Im Folgenden stellt Augustin heraus, dass das Gesetz zwar gut ist, aber mit
der Angst vor Strafe operiert, nicht mit der, wie man heute formulieren würde,
intrinsischen Liebe. Übertragen auf Saulus: Er ist blind und agiert bestimmt
vom Geschwulst des Hochmuts, also auf dem Plateau seiner eigenen Ge-
rechtigkeit. „Eigen“ heißt: aus eigenen Kräften, von Furcht statt von Liebe
getrieben, von Hochmut erfüllt.54 Die Predigt greift nun auf die Passage Röm
9,32–10,4 aus, einen klassischen Paralleltext zu Phil 3, und kombiniert sie mit
der Bekehrungserzählung von Apg 9. Der hochmütige Saulus stößt sich am
Stein des Anstoßes, an Christus, liegt nun darnieder am Boden, demütig
werdend, und vernimmt Christi Stimme. Augustin identifiziert in der Be-
kehrung des Saulus die für ihn so fundamentale theologische Figur, die Dia-
lektik von superbia und humilitas.55 Jene gerät ihm nun zum „Schaden“, jetzt,
wo er im Dreck liegt. Er erzittert vor seiner eigenen Gerechtigkeit:56
„So erschrak der Apostel, verwirrt und niedergeworfen, aufgerichtet und instand-
gesetzt. […] So erschrak er vor seiner eigenen Gerechtigkeit, in der er gewiss ohne
Tadel war, lobenswert, großartig, gleichsam glänzend bei den Juden. Für Schaden
erachtete er es, für Verlust, für Dreck, auf dass er erfunden ward in Jenem, nicht im
Besitz seiner eigenen Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz ist, sondern jener, die durch
den Glauben an Christus ist, die, so sagt er, aus Gott ist.“
Bis heute ziehen es die Juden vor, so im Dreck zu liegen, indem sie ihre eigene
Gerechtigkeit aufrichten wollen.57
Im Fortgang der Predigt wird neben manch anderem herausgestellt, dass
sogar Paulus, der ausgezeichnete Tugendträger, mangelhaft war und noch
52 AaO. 6 (918: ecce hoc erat et Paulus noster quando Saulus erat). Sine querela bildet die Brücke
zwischen Phil 3,6 und Lk 1,6.
53 AaO. 6 – 9 (918 – 920).
54 AaO. 9 (920: quid est ,de tumore superbiae‘? quasi de iustitia sua. ex lege quidem, sed sua. quid
est ,ex lege‘? quia in mandatis legis. quid est ,de sua‘? tamquam viribus suis. amor deerat, amor
iustitiae, amor caritatis Christi).
55 Vgl. oben bei Anm. 48.
56 AaO. 10 (921: Horruit ergo apostolo, percusso et prostrato, erecto et instructo. […] Sic pro-
stratus horruit iustitiam suam, in qua erat certe sine querela, laudabilis, magnus, quasi glo-
riosus apud Iudaeos: detrimenta existimavit, damna credidit, stercora deputavit, ut inveniretur
in illo non habens suam iustitiam, quae ex lege est, sed eam quae per fidem est Christi, quae est,
inquit, ex deo).
57 Ebd.
24 Samuel Vollenweider
nicht im Status der Vollendung ruhte. Vollkommenheit in dieser Welt ist ge-
rade die Anerkennung eigener Unvollkommenheit. Augustin legt größtes
Gewicht auf den Status der Christen als Wanderer, die nicht Gefallen finden an
sich selbst, sondern alles lassen, „vergessen“ und weiterziehen:58
„Wohin wir gelangt sind (V. 16), darin wollen wir nicht bleiben, sondern darin
wandeln. Ihr seht, dass wir Wanderer sind.“
„die aus Gott ist: Dies ist also die Gerechtigkeit Gottes, die die Stolzen verkennen, weil
sie ihre eigene aufrichten wollen. Nicht deshalb wird sie Gerechtigkeit Gottes ge-
nannt, weil Gott durch sie gerecht ist, sondern weil sie dem Menschen aus Gott
zukommt.“
Wir stoßen erneut auf die Figur, das Anhängen an die Gesetzesgerechtigkeit als
Vertrauen auf die eigenen Kräfte und als Hochmut zu akzentuieren. In
Wirklichkeit wird laut Augustin das Gesetz von niemandem erfüllt. Erst die
Gnade befreit den Willen zur Freiheit:62
„Die Gerechtigkeit des Gesetzes wird nicht erfüllt, wenn das Gesetz befiehlt und der
Mensch gleichsam mit eigenen Kräften handelt, sondern wenn der Geist unterstützt
58 AaO. 18 (926: in quo pervenimus, non in eo remaneamus, sed in eo ambulemus. Videtis quia
viatores sumus).
59 AaO. 18 (926); vgl. zum Kontrast von Phil 3,12 und Gen 19,26 Aug., en. Ps. 69,9 (CCL 39, 939);
Ambros., fug. saec. 1,7 (CSEL 32/2, 164); Quodv., cant. nov. 4 (PL 40, 681).
60 Aug., c. ep. Pel. 3,19 – 23 (CSEL 60, 508 – 515), verfasst ca. 420/21. Ich orientiere mich an der Übs.
von D. Morick, in: A. Zumkeller (Hg.), Aurelius Augustinus. Schriften gegen die Pelagianer,
Bd. 3, Würzburg 1977, 356 – 363. Zur Rekonstruktion der Theologie des Pelagius vgl. V.H.
Drecoll, Das Verhältnis zwischen Pelagius und Augustin und das theologische Anliegen des
Pelagius, in: ders., Augustin Handbuch (s. Anm. 45), 190 – 197.
61 AaO. 3,20 (511: quae est ex deo. ipsa est ergo iustitia dei, quam superbi ignorantes suam volunt
constituere. non enim propterea iustitia dei dicitur, quoniam deus ea iustus est, sed quia homini
ex deo est.).
62 AaO. 3,20 (510: iustitiam legis non inpleri, cum lex iubet et homo quasi suis viribus facit, sed
cum spiritus adiuvat et hominis non libera, sed dei gratia liberata voluntas facit).
Archetyp der Vollkommenheit 25
und nicht der freie Wille des Menschen, sondern der durch Gottes Gnade befreite
Wille handelt.“
Auch dieser Text bestimmt christliches Sein als Wanderschaft, über der das
„noch nicht“ steht.63
Die antipelagianische Schrift „Strafe und Nachlassung der Sünden“, ent-
standen um 411/12, rundet das Bild ab.64 Keine Menschen sind vor Gott ge-
recht, auch nicht Elisabeth und Zacharias trotz ihrer Gerechtigkeit und Ta-
dellosigkeit (Lk 1,6). Dasselbe gilt vom vorchristlichen Paulus und seiner
Gerechtigkeit im Gesetz (Phil 3,6). Auch als Bekehrter bleibt er Wanderer auf
dem Weg zur Vollkommenheit, und gerade darin besteht seine Vollkom-
menheit in dieser Welt:65
„Dieses Wandeln (Phil 3,15 f) geschieht nicht mit den Füssen des Körpers, sondern
mit dem Verlangen des Geistes und der guten Lebensführung, damit diejenigen
vollkommene Besitzer der Gerechtigkeit sein können, die auf dem rechten Weg des
Glaubens in ihrer Erneuerung Tag für Tag fortschreiten (2Kor 4,16) als schon voll-
endete Wanderer zu eben dieser Gerechtigkeit.“66
63 AaO. 3,22 (513: hoc iste volens adprehendere tamquam in via constitutus sequi se dixit ad
palmam supernae vocationis dei in Christo Iesu), mit dem Verweis auf das „eine, das notwendig
ist“ von Lk 10,41 f.
64 Aug., pecc. mer. 2,20 (CSEL 60, 92 f); vgl. die Übs. von R. Habitzky, in: A. Zumkeller (Hg.),
Aurelius Augustinus. Schriften gegen die Pelagianer, Bd. 1, Würzburg 1971, 196 – 200. Zur
Schrift vgl. Drecoll, in: ders., Augustin Handbuch (s. Anm. 45) 323 – 328.
65 AaO. 93 (quamvis iam esset perfectus viator, etsi nondum erat ipsius itineris perfectione per-
ventor). Interessant ist der Rückgriff auf Phil 3,12 – 15 gegen einen gnostischen Vollkommen-
heitsanspruch bei Clem., paed. 1,52:2.
66 Ebd. (ambulatio ista non corporis pedibus, sed mentis affectibus et vitae moribus geritur, ut
possint esse perfecti iustitiae possessores, qui recto itinere fidei de die in diem sua renovatione
proficientes iam perfecti facti sunt eiusdem iustitiae viatores).
26 Samuel Vollenweider
67 Aug., serm. 154,4 (PL 38, 835); verbunden mit den Belegen für die infirmitas in 2Kor 4,7; 12,7;
vgl. Mitchell, Trumpet (s. Anm. 14), 420 f.
68 Vgl. Mitchell, Trumpet (s. Anm. 14) 411 – 423, speziell die Kontrastierung zwischen Chry-
sostomos und dem späten Augustin.
69 Vgl. zur Problematik R. Brndle, „Gott wird nicht allein durch richtige Dogmen, sondern auch
durch einen guten Lebenswandel verherrlicht.“ Zur Verhältnisbestimmung von Glaube und
Werken bei Johannes Chrysostomus, in: ders., Studien zur Alten Kirche, Stuttgart 1999, 165 –
179; ferner Wiles, Apostle (s. Anm. 7) 135 – 139.
70 So Dunn, Philippians 3.2 – 14 (s. Anm. 10), 490: „His righteousness from God and his being in
Christ were two sides of the same coin, fully integrated in his own understanding of God’s saving
righteousness. Any attempt to play off one against another or to play up one over the other would
have almost certainly have been sharply contested by Paul himself.”
Archetyp der Vollkommenheit 27
übergestellt. Ambivalent nimmt sich der Status der ersteren aus, da die
paulinische Begrifflichkeit in sich selber spannungsvoll ist. Handelt es sich
um eine ethnisch vermittelte Vortrefflichkeit, worauf die New Perspective
Gewicht legt, oder um die Eigenleistung, die für die von der Reformation
herkommende Paulusauslegung im Zentrum steht? Phil 3,4 – 6 bietet in
heutiger Sicht eine Plattform für beide Perspektiven. V.5 f stellt zweierlei
Vorzüge heraus: solche, die aus der Herkunft resultieren, formuliert mit 1j
(V. 5a–d), und solche, die durch das eigene Verhalten erzeugt wurden (V.
5e/6a/b), wobei V. 6b zugleich das Ganze summiert („tadellos nach dem
Maßstab der Gerechtigkeit im Geltungsbereich des Gesetzes“) und in V. 9
wieder aufgenommen wird.71 Das „Haben“ (vgl. Röm 9,3 – 5; 11,1) wird
durch das „Leisten“ (vgl. Gal 1,14; Röm 4,4 f; 9,16a) gleichsam bestätigt
und verifiziert. Während der griechische Prediger die Balance beider As-
pekte der sarkischen Existenz (V. 4) wahrt, kippt die Wertung bei Augustin
ganz auf die Seite der Eigenleistung, der Produktivität. Dies hat nicht nur
mit der lateinischen, stärker vom Recht her bestimmten Konfiguration zu
tun, die für den Westen charakteristisch ist, sondern auch mit der spezi-
fischen Problematik der Debatten um Pelagius, bei denen sich für den
Kirchenvater der Akzent ganz auf Gottes Alleinwirksamkeit verschiebt.
Dazu kommt die für ihn fundamentale Dialektik von Hochmut und Demut,
von Erhöhung und Erniedrigung. Es bildet sich bei Augustin eine Kon-
stellation heraus, die Jahrhunderte später zur reformatorischen Paulus-
auslegung mutiert und sich im 20. Jh. schließlich in der Gestalt der dia-
lektischen Theologie zur Geltung bringt – eben die Old Perspective, gegen
die die New Perspective Stellung bezieht. Zugleich ist hervorzuheben, dass
beide Paulusausleger der Figur der Komparation („dank der überragenden
Erkenntnis Jesu Christi, meines Herrn“), die allererst den Geltungsan-
spruch des Gesetzes ins Negative verkehrt („Schaden“, „Dreck“), hinrei-
chend Beachtung schenken.
3. Die Bekehrung des Paulus wird bei beiden altkirchlichen Exegeten in erster
Linie prototypisch, ja geradezu archetypisch für die christliche Existenz
ausgelegt, also gleichsam „hagiographisch“. Dies gilt generell für die
christliche Antike und darüber hinaus für die gesamte vorneuzeitliche
Auslegung. Ich vermute, dass es überhaupt erst im Gefolge der Aufklärung
möglich geworden ist, die Konversion des Paulus explizit als Religions-
wechsel, als Konversion von einer Religion zu einer anderen Religion, zu
beschreiben. In der Vormoderne dominiert demgegenüber mit der Kon-
71 Vgl. M. Theobald, Paulus und Polykarp an die Philipper. Schlaglichter auf die frühe Rezeption
des Basissatzes von der Rechtfertigung, in: Bachmann, Paulusperspektive (s. Anm. 3), 349 –
388, hier: 366 – 369 (es ist „klar, dass er die Bewahrung der identitätsstiftenden Merkmale der
Tora […] mit dem Toragehorsam insgesamt eng zusammen sah“, 366), mit der zustimmenden
Response von J.D.G. Dunn, The Dialogue Processes, aaO. 389 – 430, hier: 426 f. Mit Polykarps
Briefzeugnis schlägt Theobald auch die Brücke zur Rezeptionsgeschichte paulinischer Theo-
logie, vielleicht sogar des Philipperbriefs selber.
28 Samuel Vollenweider
72 Vgl. J. Reumann, Philippians, AncYB 33B, New Haven 2008, 506 f; 566; 583 f; 590; 601.
73 Bereits bei Clemens zeichnen sich viele typische Bezugnahmen ab, u. a. in der Diskussion mit
gnostischen (strom. 3,95:2; vgl. exc. Thdt. 54,3) und platonischen (strom. 4,12:6) Konzeptio-
nen. Vgl. ferner J. Doignon, Comment Hilaire de Poitiers a-t-il lu et compris le verset de Paul,
Philippiens 3,21?, VigChr 43 (1989) 127 – 137. – Zu Phil 3,20 als Exempel einer wirkungsge-
schichtlichen Hermeneutik vgl. Bockmuehl, Approach (s. Anm. 5), 83 – 87.
74 Greg. Nyss., v. Mos. praef 5 (SC 1, 48); hom. 11 in Cant. (GNO 6, 326); u. ö. Vgl. K. Doi, The
Knowledge of God and epectasis, Tokio 1998 (japan., mit Summary 9 – 22).
75 Zur Diskussion der diesbezüglichen These von E. Mhlenberg, Die Unendlichkeit Gottes bei
Gregor von Nyssa. Gregors Kritik am Gottesbegriff der klassischen Metaphysik, FKD 16, Göt-
tingen 1966, vgl. Ph. Clayton, Das Gottesproblem, Bd. 1: Gott und Unendlichkeit in der
neuzeitlichen Philosophie, dt. Übs., Paderborn u. a. 1996, 132 f; Th. Bçhm, Theoria, Unend-
lichkeit, Aufstieg. Philons Implikationen zu De vita Moysis von Gregor von Nyssa, VC.S 35,
Amsterdam 1996, 47 – 49.
Archetyp der Vollkommenheit 29
„hoc ergo sapiamus ut noverimus tutiorem esse affectum vera quaerendi quam in-
cognita pro cognitis praesumendi. sic ergo quaeramus tamquam inventuri, et sic
inveniamus tamquam quaesituri.“
76 Aug., trin. 9,1 (CCL 50, 292 f); die distentio (di²stasir) stammt aus der Plotinlektüre
(enn. 3,7,11:41), vgl. G.J.P. O‘Daly, Time as Distentio and St. Augustine’s Exegesis of Philippians
3,12 – 14, REAug 23, 1977, 265 – 271; P. Agasse/J. Moingt, Œuvres de s. Augustin 16: La
Trinit, Bd. 2, EAug, Paris 21991, 589 f.
77 V. 13 f: unum autem, quae retro oblitus, in ea quae ante sunt extentus secundum intentionem
sequor.
78 Vgl. E.A. Schmidt, Zeit und Geschichte bei Augustin, SHAW.PH 1985, 41 – 47 (Augustin zitiert
Phil 3,12 – 14 „zur Vorstellung der Aufhebung der menschlichen Zeit“, 44 f); G.F.D. Locher, Die
Beziehung der Zeit zur Ewigkeit bei Augustin, ThZ 44, 1988, 147 – 167, hier: 159; J.J. O’Donnell,
Augustine, Confessions. A Text and Commentary, Oxford 1992, Bd. 3, 295 f (auch elektronisch
unter : http://www.stoa.org/hippo/); K. Flasch, Was ist Zeit? Augustinus von Hippo, das XI.
Buch der Confessiones, Frankfurt a.M. 22004, 397 – 399.
79 So im Ostia-Gespräch, conf. 9,23.
80 Aug., trin. 9,1 (CCL 50, 293): „So also wollen wir denken, auf dass wir erkennen, dass sicherer ist
die Neigung, die Wahrheit zu suchen, als das Unerkannte für Erkanntes vorwegzunehmen. So
also wollen wir suchen: als solche, die finden werden, und so wollen wir finden; als solche, die
suchen werden“; Übs. nach M. Schmaus, BKV2 II/ Bd. 14, München 1936.
Martin Meiser
Fulgentius von Ruspe stellt gegen Ende einer Predigt über das Martyrium
des Stephanus und die conuersio des Paulus in Form einer Synkrisis die Tu-
genden beider Glaubensheroen einander wie folgt gegenüber :1
Von der Liebe Christi getrieben, ermahnen wir also die Guten, im Guten zu verharren,
und bestürmen die Bösen, vom Bösen abzulassen, besonders, da in jenen beiden
Heiligen (scil. Stephanus und Paulus) uns ein doppeltes Beispiel des Heiles gezeigt
wird, so dass der Gute die standhafte Liebe in Stephanus nachahmen, der Schlechte
aber dem Beispiel der Bekehrung (conuersio) bei Paulus nachfolgen soll; der Gute soll
seine Gerechtigkeit bis zum Ende festhalten, der Schlechte aber so schnell wie
möglich von seiner Bosheit ablassen … Der Gute fürchte sich zu fallen, der Schlechte
versuche, sich zu erheben. Wer also böse ist mit Paulus, beuge sich im Bösen zur Erde
nieder, um mit ihm im Guten sich zu erheben; denn auch jener fiel als Sünder nieder
und erhob sich als Heiliger. Niedergeworfen wurde ein Ungerechter, es erhob sich ein
Gerechter ; nieder fiel ein wütender Verfolger, es erhob sich ein Lehrer der Wahrheit.
Beim Niederfallen verlor der Ungerechte das Licht des Lebens (lumen corporis), beim
Aufstehen erhielt der Gerechte das Licht des Herzens (lumen cordis). Er wurde also
mit Stephanus vereinigt, aus einem Wolf wurde ein Lamm.
Der Text lässt deutlich die altkirchlich auch gar nicht anders zu erwartende
Zusammenschau dessen erkennen, was heutige neutestamentliche Wissen-
schaft voneinander differenzierend abhebt: Die Lebenswende des Paulus wird
analog zu 1Tim 1,15 f; Apg 22,16 als Bekehrung des Sünders wahrgenommen
und als Beispiel, dem die in Sünde geratenen Gläubigen folgen sollen; pauli-
nischen Originalaussagen wie Gal 1,13 f; 1Kor 15,8 – 11 entspricht der Hinweis
auf den wütenden Verfolger und nachmaligen Lehrer der Wahrheit; aus Apg 9
ist schließlich das Motiv der kurzzeitigen Blindheit des Paulus entnommen.
Schließlich kann die Bezeichnung des vorchristlichen Paulus als Wolf allge-
mein als Metapher für die Grausamkeit der Verfolgung verstanden, sie kann
aber auch auf alttestamentlichem Hintergrund gedeutet werden: Seit Ter-
tullian wird die Aussage aus dem Jakobssegen Gen 49,27 „Benjamin ist ein
reißender Wolf“ auf den Benjaminiten und Christenverfolger Paulus bezogen.2
gratia dei = Caesarius von Arles, serm. 226,3 (CCL 104, 894); Asterius Amasenus, hom. 8
(PG 40, 284 C; 285 B); Prudentius, tit. 47 (CCL 126, 399). Hieronymus, in Es. IV; XVIII (CCL
73, 151; CCL 73 A, 767), kann die Gemeinschaft zwischen Saulus einerseits, Ananias und Petrus
andererseits deshalb sogar als Erfüllung von Jes 11,6 – 8 auffassen. Dass Gal 2,11 – 14 unbe-
rücksichtigt bleibt, wundert nicht, gilt doch der sog. antiochenische Zwischenfall dem Strido-
nier als vereinbartes Scheingefecht (Hieronymus, in Gal. [CCL 77 A, 52 – 55]). Gennadius, fr.
Gen. (PG 85, 1661 C – 1664 B), favorisiert hingegen die Auslegung auf den Stamm Benjamin als
Ganzen (Ri 19; 21).
3 Theodoret von Kyros, in 1Tim (PG 82, 793 BC).
4 Zur Diskussion darüber, ob 2Kor 4,6 – 12 mit der Lebenswende des Apostels in Verbindung
gebracht werden darf, vgl. die Auflistung der Positionen bei C. Strecker, Die liminale Theo-
logie des Paulus. Zugänge zur paulinischen Theologie aus kulturanthropologischer Perspektive,
(FRLANT 185), Göttingen 1999, 137 Anm. 281. Strecker selbst nimmt 2Kor 4,6 zu den ein-
schlägigen Aussagen des Paulus, seine Lebenswende betreffend, als indirekten Beleg hinzu
(S. 137 – 147). Aus altkirchlicher Auslegung hat einen solchen Bezug lediglich Cassiodor, in 2
Cor (PL 68, 562 D: Qui illuxit in cordibus nostris. Primo per Christum, ut per nos alios illumi-
naret) vorgenommen. Keinen Bezug auf die Lebenswende des Paulus sehen Pelagius, in 2 Cor
(Souter, 252); Kyrill von Alexandria, in 2 Cor (PG 74, 933 C – 936 B); Theodoret von
Kyros, in 2 Cor (PG 82, 401 B); Johannes Damascenus, in 2 Cor (PG 95, 725 B); Ambrosi-
aster, in 2 Cor (CSEL 81/2, 222 f, bei vorausgesetzter Lesart Bl_m) und naturgemäß (wegen der
Lesart rl_m) Johannes Chrysostomus, in 2 Cor (PG 61, 457).
5 Ein Bezug bei 2Kor 12,4 wird hergestellt bei Johannes Chrysostomus, in illud, Saulus adhuc
spirans 6 (PG 51, 122), aber nicht bei Ambrosiaster, in 2 Cor (CSEL 81/2, 300); Pelagius, in 2
Cor (Souter, 298); Theodoret von Kyros, in 2 Cor (PG 82, 448 B – D, auch unter der Erwägung,
dass der Apostel gar nicht von sich selbst rede. Johannes Damascenus, in 2 Cor (PG 95, 768 A);
Johannes Chrysostomus, in 2 Cor (PG 61, 575 f, unter der Vorentscheidung, dass Paulus in der
Tat von sich selbst spricht).
6 Origenes, Homiliae in Acta Apostolorum (PG 14, 829 C – 832 B; das Fragment enthält einen
einzigen Text zu Apg 1,16).
7 Euthalius Diaconus, Editio Actuum Apostolorum (PG 85, 627 A – 664 D).
8 Eusebius von Emesa, Editio Actuum Apostolorum (PG 86, 557 A – 562 D; das Fragment enthält
Ausführungen zu Apg 7,20 f.31).
9 Ephraem, commentarii in acta Apostolorum, im armen. Text hrsg. v. N. W. Akinian, Wien 1921.
10 Didymus von Alexandria, Expositio in Actus Apostolorum (PG 39, 1653 D – 1678 C).
32 Martin Meiser
407),11 Theodor von Mopsuestia (ca. 354 – 428),12 Theodot von Ankara
(ca. 381 – 438/446),13 Kyrill von Alexandria (†444),14 Hesychius von Je-
rusalem (†ca. 450),15 Ammonius von Alexandria (2. Hälfte 5. Jahrhun-
dert),16 Cassiodor (ca. 485 – 580),17 Beda Venerabilis (ca. 672/673 – 735)18
und Ps.-Oecumenius;19 ein literarischer Sonderfall ist der Kommentar in
Hexametern von Arator, einem Dichter in der Mitte des 6. Jahrhunderts.20
Die Kommentare sind sehr unterschiedlich in Anlage und Ausführlichkeit:
Euthalius bietet einen mehrfachen, aber stets kurz gehaltenen Durchgang;
Didymus wie Ammonius und Beda enthalten einzelne Ausführungen zu
einzelnen Stellen, Johannes Chrysostomus hat das umfangreichste Werk
geschrieben und kommentiert die Apostelgeschichte durchgehend, ebenso
Ps.-Oecumenius; Cassiodor enthält kurze Paraphrasen. Die Kommentare
von Origenes, Eusebius von Emesa, Didymus, Theodor, Kyrill und
Hesychius von Jerusalem sind nur fragmentarisch erhalten.
Zu den uns interessierenden Texten findet sich bei Origenes, Eusebius
von Emesa, Kyrill und Theodor nichts. Euthalius erfasst die Texte i.W.
unter dem Stichwort der Berufung zum Apostel, für Apg 26 tritt noch das
Stichwort der heomºlor hqgsje¸a hinzu. Johannes Chrysostomus lässt
unter der Decke seines homiletischen Anliegens21 als typische Fragehaltung
antiker Philologie die Frage nach der inneren Ursache dessen erkennen, dass
der Text so lautet, wie er lautet, und so fragt der Prediger : Warum geschah das
alles überhaupt erst nach Ostern? Warum geschah das Ereignis nicht in der
Stadt, sondern davor? Warum sagt der Herr nicht „Glaube!“, sondern „Saul,
Saul, was verfolgst Du mich?“ etc.22 In der Wiedergabe von Apg 22 erscheint
16; 26,12 – 20 sagen müssen, dass die Quantität dieser Textmenge im lukani-
schen Doppelwerk sich bei den altkirchlichen Kommentatoren nicht ent-
sprechend widerspiegelt. Dass die Frage nicht interessiert, warum in der
Apostelgeschichte dreimal von demselben Ereignis erzählt wird, leuchtet ein:
Apg 22; 26 sind ja Berichte des Paulus über das in Apg 9 auktorial berichtete
Geschehen und werden natürlich als historisch glaubwürdig verbürgt vor-
ausgesetzt. Auch die Differenzen im Einzelnen sind nur gelegentlich einer
Erörterung wert. In der von mir bisher durchgesehenen Quaestionenliteratur
sind die Berufungsberichte der Apostelgeschichte nur ein einziges Mal um
ihrer selbst willen Gegenstand der Betrachtung, wo es um widersprüchliche
Angaben der Details der Vision bzw. Audition in Apg 9,7; 22,9 geht (s. o.).
Bei den antiken Christentumskritikern Porphyrius und Julian Aposta-
ta31 werden aus der Apostelgeschichte moralische Probleme in Apg 5,1 – 1132
und 12,1933 erörtert sowie Widersprüche innerhalb der Apostelgeschichte
selbst34 und Widersprüche zu anderen biblischen Aussagen;35 Apg 9; 22; 26
sind in dem, was uns von den Christentumskritikern erhalten ist, nicht Ge-
genstand der Betrachtung, obwohl man auch da manche Selbstwidersprüche
hätte finden können.
31 Bei Celsus ist keine Kritik an den Ausführungen der Apostelgeschichte bekannt.
32 Porphyrius, Frgm. 25 Harnack (S. 35).
33 Porphyrius, Frgm. 26 Harnack (S. 56).
34 Porphyrius, Frgm. 28 Harnack (S. 57) thematisiert den Widerspruch zwischen den Angaben,
Paulus sei jüdischer (Apg 22,3) wie römischer (Apg 22,25) Bürger ; noch Ps.-Oecumenius, in
Act. 32 (PG 118, 269 D – 273 C) geht auf das Problem ein.
35 Porphyrius spießt den Widerspruch zwischen Apg 16,3 und Gal 5,12 auf (Porphyrius,
Frgm. 27 Harnack [S. 57]), Julian Apostata, bei Kyrill von Alexandria, c. Jln. IX (PG 76,
984 B–D), den Widerspruch zwischen Apg 10,15 f und Lev 11; Julian Apostata, bei Kyrill
von Alexandria, c. Jln. IX (PG 76, 1000 CD), den Widerspruch zwischen Apg 15,28 und der
Thora als Ganzer.
36 H. Räisänen, Galatians 2.16 and Paul’s Break with Judaism, NTS 31 (1985) 543 – 553 (549).
37 O. Wischmeyer, Das Gebot der Nächstenliebe bei Paulus. Eine traditionsgeschichtliche Un-
tersuchung, in: BZ NF 30 (1986) 161 – 187.
38 K.-W. Niebuhr, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Dar-
stellung in seinen Briefen (WUNT 65), Tübingen 1992, 179; vgl. auch M.D. Hooker, Paul and
Covenantal Nomism, in: M.D. Hooker and S.G. Wilson (ed.), Paul and Paulinism (FS C.K.
Barrett), London 1982, 47 – 56 (56).
Überwindung, Bekehrung oder Berufung 35
1. Neutestamentliche Vorgaben
Die Lebenswende des Paulus wird in seinen Selbstaussagen mit den Verben
jak´y (1Kor 1,1; Gal 1,15)42 und !vyq¸fy (Gal 1,15; Röm 1,1) sowie mit der
Wendung di± hek¶lator heoO (1Kor 1,1; 2Kor 1,1) beschrieben. Das erste
Verbum und die Wendung di± hek¶lator heoO begegnen auch in den frühen
Deuteropaulinen (Kol 1,1; Eph 1,1). Lukas verwendet das Substantiv 1jkoc¶
(Apg 9,15 in der Wendung sjeOor 1jkoc/r), das Verbum !post´kky (Apg
26,17) und die Wendung oqj 1cemºlgm !peihµr t0 oqqam¸\ aptas¸ô (Apg
26,19). In den Pastoralbriefen finden sich 1pitac¶ (1Tim 1,1; Tit 1,3), 1ke´y
und s]fy (1Tim 1,15 f), letzteres nur an dieser einen Stelle, in der die Vor-
bildhaftigkeit der Lebenswende des Paulus für die Bekehrung der Heiden43
zum Ausdruck kommt. Das die Aktivität des Menschen betonende Verbum
39 Bereits U. Wilckens, Die Bekehrung des Paulus als religionsgeschichtliches Problem, in: ders.,
Rechtfertigung als Freiheit. Paulusstudien, Gütersloh 1974, 11 – 32, stellt fest, dass Paulus seine
Lebenswende „vorzüglich nicht so sehr als seine eigene, individuelle Bekehrung zum christli-
chen Glauben, sondern vielmehr als Berufung zum Apostel versteht“ (12; Kursivsetzung U.W.).
40 Strecker, Die liminale Theologie des Paulus, 156.
41 Die Lebenswende des Paulus kann in der Alten Kirche gewiss auch als Bekehrung vom Judentum
zum Christentum verstanden werden (Petrus Chrysologus, serm. 176,8 [CCL 24 B, 1072];
Maximus von Turin, serm. 35,2 [CCL 23, 137]), aber das ist eben nicht das einzige.
42 jak´y steht in den Evangelien auch für die Berufung der Jünger (Mk 1,20).
43 Dafür steht s]fy in Eph 2,8; Tit 3,5; 1Tim 1,15.
36 Martin Meiser
44 1Thess 1,9; Apg 11,21; 14,15 u. ö.; 1Petr 2,25. Das Verbum steht im Neuen Testament allerdings
nur, wenn von der Bekehrung weg vom Götzendienst die Rede ist.
45 Den Selbstanspruch der Philosophie haben christliche Autoren vertreten; nichtchristliche
Gegner haben es ihnen nur selten zugestanden, noch am ehesten in dem Gedanken, das
Christentum sei der Philosophie keineswegs überlegen (vgl. Tertullian, apol. 46,2 [CCL 1,
160]).
46 !post´kky begegnet bei Epiktet, Diss. I 24,6; III, 22, 23.46; jatap´lpy begegnet bei Epiktet,
Diss. III 22,56.59.
47 Epiktet, Diss. IV 9,18.
Überwindung, Bekehrung oder Berufung 37
Paulus ist für viele Autoren der Apostel schlechthin, der „Lehrer der Völker“
(1Tim 2,7),48 und schon in Ersten Clemensbrief und im Polykarpbrief beginnt
die Tendenz der verherrlichenden Zusätze, wenn Paulus als laj²qior bzw. als
laj²qior und 5mdonor gepriesen wird.49 Von daher wird es für altkirchliche
Autoren schlicht unnötig, den Beleg Apg 26,17 für das Verbum !post´kky
eigens zu kommentieren, wie auch das neuzeitliche Insistieren darauf, dass
der Verfasser der Apostelgeschichte dem Haupthelden des zweiten Teiles bis
auf Apg 14,4.14 den Aposteltitel vorenthält, erwartungsgemäß keine Ent-
sprechung in altkirchlicher Exegese hat.50
1napost´kkeim begegnet in Ez 2,3 LXX von der Beauftragung des Propheten
Ezechiel, !post´kky Ex 3,14b von der Beauftragung Moses. Das führt aber
nicht zwingend dazu, dass in altkirchlichen Kommentaren zu den Büchern
Exodus51 und Ezechiel52 automatisch eine Verbindung zu Paulus gezogen wird.
Auch bei den Berufungsberichten in den Büchern Jeremia53 und Amos54 sind
Bezugnahmen zur Berufung des Völkerapostels eher selten.
Die Auserwählung des Paulus wird dem Duktus des Textes gemäß zumeist als
Auserwählung zum Dienst in der Heidenmission55 oder der Mission allge-
mein56 verstanden, vielleicht noch ergänzt wie bei Sophronius von Jeru-
salem als Erweis für die Allmacht Gottes, die aus dem Ton Werkzeuge zu
schaffen vermag und der kein Wille widerstehen kann.57 Seltener ist, dass mit
der Wendung allgemein die Konversion nach 1Tim 1,16 bezeichnet wird.58
Zur Wendung sjeOor 1jkoc/r s. u.
Die Bezeichnung des Gottesknechtes als 1jkejtºr lou in Jes 42,1 regt na-
türlich zur Frage an, ob in der Kommentierung der Prophetenstelle auf Paulus
Bezug genommen wird. Ein solcher Bezug liegt vor bei Cassiodor,59 aber
nicht bei Hieronymus60 und anderen Jesaja-Auslegern. Die Rezeption von Jes
42 in Mt 12,18 – 21 sowie die Rezeption von Jes 53,7 f in Apg 8,32 f führt
naheliegenderweise eher dazu, dass der Gottesknecht von Jes 42,1;61 49,162 auf
Christus hin gedeutet wird.
Mit diesen Begriffen wird in altkirchlicher Literatur die Berufung zum Ver-
kündiger63 und zum Apostel64 bezeichnet. Das Stichwort benennt, soweit ich
bisher sehen konnte, nur selten die Lebenswende des Paulus im allgemeinen
Sinn.65
55 Irenaeus, haer. III 15,1 (FC 8/3, 178); Cassiodor, Complexiones in Actus Apostolorum 55 (PL
70, 1400 BC).
56 Quodvultdeus, prom. I 34,47 (CCL 60, 56).
57 Sophronius von Jerusalem, hom. 8,2 (PG 87/3, 3357 AB).
58 Ambrosiaster, in Eph. 2,3 (CSEL 81/3, 80); Theodor von Mopsuestia, in 1Tim (Swete II 80).
59 Cassiodor, in Rom. (PL 68, 416 D).
60 Hieronymus, in Es. XIII, 42,1 (CCL 73 A, 478 – 480). Er verweist nur kurz auf die Rezeption in
Mt 12.
61 Jes 42,1 – 4 wird wegen Mt 12 auf Christus gedeutet bei Theodoret von Kyros, in Jes. (SC 295,
432 – 434).
62 Hieronymus, in Es. XIII 49,1 (CCL 73 A, 533 – 536), stellt ad vocem ab utero uocauit me, de
uentre matris meae … einen Bezug zur Jungfrauengeburt Jesu her, ähnlich Kyrill von
Alexandria, in Es. (PG 70, 1036 C – 1037 B); Theodoret von Kyros, in Jes. (SC 315, 72 – 74);
Prokop von Gaza, in Is. (PG 87/2, 2464 A).
63 Kyrill von Jerusalem, catech. 17,26 (Rupp 282); Ambrosiaster, in Rom. 1,1 (CSEL 81/1,
10 f); Euthalius, Ac., (PG 85, 656 A).
64 Eusebius von Caesarea, h.e. II 1 (GCS 9/1, 108); Euthalius, Ac. (PG 85, 660 C).
65 Marius Victorinus, in Gal. 1,15 (CSEL 83/2, 108), dem Duktus von Gal 1,15 f folgend und (wie
bei ihm in der Regel auch sonst) ohne Berufung auf den sonstigen neutestamentlichen
Sprachgebrauch.
Überwindung, Bekehrung oder Berufung 39
66 Ersteres Vita Melaniae 11 (SC 90, 146), letzteres Vita Melaniae 27 (SC 90, 180).
67 Origenes, Cels. I 63 (SC 132, 252: Passiv).
68 Eusebius von Caesarea, Is. I 32 (GCS 56, 27). Ohne Näherbestimmung begegnet das äqui-
valente Substantiv conuersio bei Julian von Toledo, !mtijeil´mym libri II 57 (PL 96, 690 D).
69 Johannes Chrysostomus, in illud, Saulus adhuc spirans 5 (PG 51, 121, neben letatih´mai);
ders., in illud, Saulus adhuc spirans 6 (PG 51, 122); ders., mut. nom. III 4 (PG 51, 139); ders., in
Ac. 20,1 (PG 60, 159). Bei Ps.-Basilius, in Is. 107 (PG 30, 289 D), steht das Verbum c¸cmeshai für
den Übergang vom Verfolger zum Diener Christi.
70 Augustinus, en. in psalm. 36, s. II 5 (CCL 38, 350: Gott als Subjekt); Cassiodor, Complexiones
in Actus Apostolorum 20 (PL 70, 1388 A); Gregor d. Gr., dial. III 17,9 (SC 260, 342: Passiv);
Beda Venerabilis, retract. in Ac. (CCL 121, 134: Passiv).
71 Johannes Chrysostomus, mut. nom. III 3 (PG 51, 137).
72 Augustinus, s. V.T. 24,7 (CCL 41, 333). Quodvultdeus, de tempore Barbarico I 8,10, = s. 10
(CCL 60, 436); Prosper von Aquitanien, exp. psalm. 147,17.(CCL 68 A, 205). Noch nicht ganz
so durchstilisiert begegnet es bei Augustinus, Simpl. 1,2,22 (CCL 44, 55). Daneben begegnet
aber auch die Dreierreihe Vide mihi Paulum hesterno persequentem, hodie credentem, die
crastino praedicantem (Ambrosius, Lc. X 32 [CCL 14, 354]).
73 Augustinus, qu. Simpl. I 2,22 (CCL 44,55). Beide Verben stehen im Passiv.
74 Cassiodor, Complexiones in Actus Apostolorum 20 (PL 70, 1388 A).
75 Gregor d. Gr., hom. in evang. 30,8 (SC 522, 242).
76 Petrus Chrysologus, serm. 61,1 (CCL 24, 341).
40 Martin Meiser
Heiden wie Juden, ihren Unglauben rechtfertigen –; der Prediger geht dann
aber wieder zu jak´y über.77
Als Fazit kann gelten, dass die Wahrnehmung der Lebenswende des
Apostels Paulus keinesfalls einseitig unter dem Stichwort der Bekehrung be-
schrieben werden kann. Weniger in Predigten als vor allem in den Kom-
mentaren haben die Texte im gewissen Sinne trotz aller harmonisierenden
Zusammenschau auch ihr Eigenleben bewahrt.
Selten wird der Name Saulus78 verwendet,79 zumeist wie selbstverständlich
der Name Paulus.80 Auch zu Apg 13,9 wird der Namenswechsel längst nicht
immer kommentiert,81 oder der Namenswechsel wird mit dem o. a. Wortspiel
persecutor – praedicator verbunden.82 Er ist bei Origenes an einer Stelle
Zeichen der Wandlung seiner Eigenschaften;83 an anderer Stelle wird – von
Origenes oder von Rufin84 – festgehalten, dass, anders als etwa bei Petrus,
ein göttlicher Auftrag zum Namenswechsel nicht vorliegt.85 Die Meinung ei-
niger, Paulus habe sich den Namen des Prokonsuls Sergius Paulus zugelegt,
wird als wenig zutreffend bezeichnet, weil Apg 13,9 nicht an eine neue Na-
mensgebung denken lässt; vielleicht hat er, wie manche Hebräer (z. B. Thad-
däus / Lebbäus) zwei Namen getragen; vielleicht wurde er in der vorchristli-
chen Zeit Saulus genannt, dann aber im Missionsdienst unter Nichtjuden
Paulus.86 Johannes Chrysostomus vermerkt in seinen Acta-Homilien eher
beiläufig, der Namenswechsel sei let± t/r weiqotom¸ar, nach der Handaufle-
gung erfolgt, ähnlich wie bei Petrus,87 diskutiert aber ausführlich das Problem
in vier anderen Homilien, die alle dem Thema Namenswechsel gewidmet
sind.88 Gegen die These, der Name Saul verweise auf die Erschütterung der
Selbstvorstellung in den Paulusbriefen immer anhand des Namens Paulus erfolge, als Analogie
auf den Namenswechsel des Kephas, der Zebedaiden (Mk 3,16 f), Abrahams und Saras.
89 Johannes Chrysostomus, mut. nom. II 2 (PG 51, 126 f).
90 Johannes Chrysostomus, mut. nom. III 3 (PG 51, 137).
91 Beda Venerabilis, expos. in Ac. (CCL 121, 61).
92 Beda Venerabilis, retract. in Ac. (CCL 121, 145); Primasius von Hadrumetum, in Apc. I
(CCL 92,13).
93 H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte (HNT 5), Tübingen 1963, 59; J. Roloff, Die Apos-
telgeschichte (NTD 5), Göttingen 1981, 145, der aber auch darauf verweist, dass bestimmte Züge
von Apg 9 in 2Makk 3 keine Entsprechung haben. Auf das analoge Motiv des Sturzes hat auch G.
Schille, Die Apostelgeschichte (ThHK NT 5), Berlin 1983, 220, verwiesen. Zur Kritik an einer
Überschätzung des Einflusses von 2Makk 3 vgl. A. Weiser, Die Apostelgeschichte, Kapitel 1 – 12
(ÖTK 5/1, GTB 507), Gütersloh/Würzburg 1981, 217 f; R. Pesch, Die Apostelgeschichte, 1.
Teilband Apg 1 – 12 (EKK V/1), Zürich/ Einsiedeln/Köln/Neukirchen 1986, 300.
94 EpAp 33/44 (Schneemelcher I 224).
95 Kyrill von Jerusalem, catech. 10,17 (Reischl 282).
96 Johannes Chrysostomus, in illud, Saulus adhuc spirans 3 (PG 51, 117); ders., hom. in Ac. 19,3
(PG 60, 153). Asterius Amasenus, hom. 8 (PG 40, 285 A), kann regelrecht von einer Bestrafung
sprechen.
97 Cassiodor, Complexiones in Actus Apostolorum 19 (PL 70, 1387 CD). Als eine unter mehreren
Facetten trifft dies auch für Augustinus zu, vgl. Augustinus, en. in psalm. 69,3 (CCL 39, 933).
42 Martin Meiser
Grosse99 sowie bei Alexander von Zypern100 und Arator.101 Auf die Le-
benswende des Paulus wird, was hier nur punktuell vorgeführt werden kann,
nahe liegender Weise in Kommentaren zu alttestamentlichen Aussagen über
die Feinde Gottes und deren Überwindung verwiesen.102
Im Fall der Epistula Apostolorum halte ich mit Ernst Dassmann103 gegen
Andrew Gregory104 daran fest, dass der Verfasser dieser Schrift die Apos-
telgeschichte wohl gekannt hat, andernfalls müsste man die Wendung sjeOor
1jkoc/r in EpAp 31/42 als unbewusste Übernahme gemeinkirchlicher Sprache
erklären. Für das genannte Verständnis bei Johannes Chrysostomus spricht
die Bemerkung, Paulus sei wie ein Beutestück, wie eines der Gefäße des Teufels
nach Damaskus hineingeführt worden.105 Bei Cassiodor wird diese Inter-
pretationslinie eigentlich zur einzigen in der Auslegung zu Apg 9. Alexander
von Zypern verschärft wohl unter Benutzung einer apokryphen Beschrei-
bung der Reisen des Barnabas die Dramatik gegenüber der Vorlage: Über Apg
8,1; 26,19 f hinausgehend wird Saulus zum Urheber der Tötung des Steph-
anus106 und der in Apg 8,1 – 3 geschilderten Verfolgung der Jerusalemer Ge-
meinde; Barnabas stellt ihn, bevor er ihn nach Apg 9,27 in der christlichen
Gemeinde zu Jerusalem einführt, mit scharfen Worten zur Rede – Wie lange,
Saul, willst Du Saul sein – worauf hin Paulus ein Bekenntnis im Sinne der
Orthodoxie Alexanders vorlegt und ihm dann anhand von Apg 9 von seiner
Lebenswende erzählt – unter ausschmückendem Verweis auf die göttliche
süße Stimme und unter biblischen Bezügen auf 1Tim 1,13 (Sünder) und 1Kor
15,8 (Fehlgeburt). Schließlich mahnt dann Barnabas die Gemeinde, das neue
Mitglied nicht zu meiden, Paulus als Hirten und nicht als Wolf zu betrach-
ten.107
Natürlich sind auch die anderen Aspekte der Lebenswende des Paulus vi-
rulent. Johannes Chrysostomus betrachtet in einer seiner Taufkatechesen
Paulus als das Vorbild der Neugetauften.108 Die plötzliche und unerwartete
conuersio des Paulus vom Verfolger zum Apostel wird für Ambrosius zum
Erweis dessen, dass, wie das Gebet des Stephanus zeigt, die Fürbitte für eine
Sünde, die nicht zum Tode gereicht, sinnvoll ist109, für Petrus Chrysologus
als Anlass der Hoffnung auf sittlicher Verwandlung auch seiner Zuhörer.110
Johannes Chrysostomus verteidigt die Lehre von der Willensfreiheit
gegen den Einwand, Gott habe so mit Nötigung (!m²cjg) an dem nachmaligen
Apostel gehandelt, dass dieser gar nicht anders als glauben konnte, was von
Heiden wie Juden zur Rechtfertigung ihres Unglaubens vorgebracht werden –
gemeint ist offenbar, dass das Geschehen der Berufung des Paulus ein au-
ßergewöhnliches Geschehen war, das nicht jedem zuteil wurde. Der Kir-
chenlehrer antwortet: Wenn Gott mit Nötigung handelt, müsste auch der
Kritiker zum Glauben kommen; wenn aber dieser nicht zum Glauben komme,
sei erwiesen, dass auch Paulus aus freiem Willen gehandelt habe.111
In Bedas Expositio wird als Gesamtlinie die Mahnung zur Demut und die
totale Lebenswende des Apostels betont: Die Mahnung zur Demut ergibt sich
aus der Selbstvorstellung des erhöhten Herrn mit dem Namen „Jesus“, gegen
die superbia des Paulus gewandt – hier zeigt sich der Einfluss von 1Tim 1,13 ad
vocem rbq¸stgr, die Betonung der Lebenswende aus der allegorisch ausge-
legten Blindheit des Paulus trotz offener Augen nach Apg 9,8 f.112
Gamaliel113 gilt den altkirchlichen Auslegern durchaus als äußerst klug, doch
gilt: Wenn schon Paulus, der durch einen so klugen Mann im Gesetz erzogen
wurde, von Gesetz Abstand nahm, um wie viel mehr sollten sich diejenigen,
die schon bisher außerhalb des Gesetztes standen, ihm nicht unterwerfen!114
Augustinus betont zu Ps 147,17 die Härte des durch die Erziehung bei
Gamaliel am Gesetz gewachsenen Paulus, dessen Härte sich schon bei der
Hinrichtung des Stephanus zeigt: Er bewahrte die Kleider aller an der Stei-
nigung Beteiligten auf, dass er mit den Händen ihrer aller ihn steinige.115
Apg 9,1 f werden exegetische wie dogmatische Motive entnommen, wie auch
von einer polemischen Applikation zu sprechen ist. Der im Folgenden zu
referierende Rezeptionsvorgang bei Origenes spiegelt deutlich die Notwen-
digkeit wider, dass der Alexandriner die Redeweise der Heiligen Schrift gegen
Vorbehalte verteidigen muss, die letztlich den platonischen Grundsätzen der
Güte und Unveränderlichkeit Gottes entstammen: Die Christenverfolgung des
Paulus gilt Origenes als Sünde, von der ihn der Herr abgebracht hat. Deshalb
kann der Herr auch zu Recht „Stein des Anstoßes“ und „Fels des Ärgernisses“
heißen, obwohl man auf ihn eigentlich nur gute Eigenschaften übertragen
sollte.116 Intertextuelle Bezüge werden von späteren Auslegern ebenfalls ge-
wonnen: Die Aussage des Paulus in Apg 26,9 f „Zwar meinte auch ich selbst,
ich müsste dem Namen Jesu von Nazaret viel Schaden zufügen“ bestätigt die
Voraussage Jesu in Joh 16,2, „es kommt die Zeit, dass jeder, der euch tötet,
meinen wird, Gott damit einen Dienst zu tun“,117 und ist insofern implizit ein
Autoritätsaufweis zugunsten Jesu Christi.
Nach Eusebius von Emesa ist es der Eifer118 des Paulus, der es möglich
werden lässt, dass Gott ihn, nach Korrektur der falschen Zielrichtung dieses
Eifers, zur Verkündigung des Evangeliums beruft. So wird die Lehre von der
Willensfreiheit des Menschen verteidigt.119 Johannes Chrysostomus wendet
das Motiv des Eifers antijüdisch: Paulus habe im wahren Eifer die Kirche
verfolgt; der Juden Eifern hat nur ihre eigene Ehre zum Ziel. Im weiteren
Verlauf fragt der Prediger, warum es nicht genug war, dass Paulus den Irdi-
schen nicht kannte, sondern es soweit gehen musste, dass Paulus die Christen
verfolgte, und gibt zwei Antworten: Zum einen verweist er auf die Kraft
Christi, zum anderen wehrt er dem Verdacht, Paulus habe geheuchelt.120 Die
erste Antwort lässt die genannte Frage letztlich als Frage nach der Sinnhaf-
tigkeit des Geschehens und damit als Problem der Theodizee erscheinen, die
andere berührt – wiederum auch gegenüber Christentumskritikern – die
Glaubwürdigkeit des Verhaltens, die Voraussetzung dafür ist, dass Paulus uns
zum Vorbild werden kann.
Die angekündigte polemische Applikation bietet Lucifer von Cagliari,
ganz in seinem Element verbleibend: Er vergleicht das Verhalten seines
Gegners, des Kaisers Constantius II., mit den Christenverfolgungen des
Paulus.121
In dem syrischen Liber Graduum wird gemahnt, sich des Gerichtes gegen die
Sünder zu enthalten, denn entweder verfallen sie dem weltlichen Gericht, oder
„wenn nicht, so wird an ihnen vielleicht unser Herr handeln wie an Paulus oder
wie an dem Zöllner oder an der Sünderin.“122
In antipaulinischer Polemik kann Apg 9,3 f mit den Einzelheiten der Visi-
onsschilderung dazu dienen, Paulus gegenüber Petrus herabzusetzen, der
nicht durch eine – vielleicht vom Teufel her verursachte Vision, sondern durch
irdische Berufung und Belehrung zum Jünger Jesu geworden war.126
Die lukanische Bemerkung zum Licht gibt Tertullian Anlass zu einer
Bemerkung, die auf die Unterscheidung von Gott Vater und Sohn zielt: Paulus
hat schon den Sohn, der ihm in einem zugänglichen Licht erschien, nur unter
Gefahr für das Augenlicht sehen können; um wieviel größer wäre die Gefahr,
wenn er Gott den Vater selbst gesehen hätte.127 Umgekehrt hält Gregor von
Nyssa die Bemerkung vom Licht, das Paulus umleuchtet und in dem dieser
Jesus wahrgenommen hat, zusammen mit Ex 3,2; Joh 1,9 für eines unter vielen
geeigneten biblischen Beweismitteln für die Gottgleichheit Jesu.128 Ps.-
Oecumenius sieht in der Formulierung „heller als der Glanz der Sonne“ in
Apg 26,13 die Unvergleichlichkeit Jesu zum Ausdruck gebracht.129
Johannes Chrysostomus fragt, warum erst vom Licht und dann von der
Stimme die Rede ist. Seine Antwort: Das Licht bewirkte, dass Paulus in innerer
Ruhe und ohne Trübung der Sinne die Stimme vernehmen konnte.130
Beide Vorgänge sind auf der Ebene realen Geschehens nicht sonderlich be-
deutsam, veranlassen also zur Allegorisierung, sei es zur Bezeichnung der
Lebenswende des Paulus wie bei Augustinus,131 Petrus Chrysologus,132
Quodvultdeus133 und Arnobius d.J.,134 sei es zur Mahnung zur Tugend wie
bei Fulgentius (s. o.), sei es zur Einsicht in die Weise, wie der Herr manchmal
heilt,135 sei es zur Mahnung, für die Bekehrung von Sündern intensiv zu beten,
wie bei Apponius.136
möglicht die regula144 Apg 9,4, dass wir als Christen, weil wir mit dem Haupt
Christus verbunden sind (Kol 1,18), uns diejenigen biblischen Aussagen zu
eigen machen können,145 die anderweitig als Christusaussagen gelten, etwa die
Präfigurationen Christi in David, speziell die Leidens-146 und Gebetsaussa-
gen;147 so ist auch das bereits in alexandrinischer Homerphilologie formu-
lierte Anliegen prosopographischer Exegese148 erfüllt, einer redenden Person
nur die zu ihr passenden Aussagen zuzuschreiben.149 Apologetisch kann
Augustinus das Verhalten Jesu nach Joh 7,10 (Aufenthalt in Jerusalem nur im
Verborgenen) mit dem Gedanken rechtfertigen, dass er, das Haupt, das Ver-
halten seiner Glieder vorabbildet, sich in Verfolgungszeiten zu verbergen (vgl.
Mt 10,23).150 Mit größerer Verve wird Apg 9,4 von Ps.-Augustinus trini-
tätstheologisch verwendet, nämlich wider die Inanspruchnahme von 1Kor
15,28 und Mk 13,32 gegen die Gottgleichheit Christi: Die endzeitliche Un-
terwerfung des Sohnes ist die endzeitliche Unterwerfung der Kirche unter
Gott, wenn alle Menschen im Glauben Unterworfene des Herrn sind.151
Paränetisch kann Caesarius von Arles in Aufnahme Augustins aus Apg 9,4
folgern, Christus leide mit, wenn seine Glieder leiden – der Prediger verweist
auf Mt 25,43 und 1Kor 12,26a –; das sei verpflichtendes Vorbild für die von uns
geforderte Liebe zu den Brüdern.152
Johannes Chrysostomus nimmt keinen Bezug auf dieses Problem. Jesu
Frage will dem nachmaligen Apostel die Unsinnigkeit seines antichristlichen
uns? Bewundert ihn, freut euch, wir sind zu Christus geworden; Augustinus, Io. ev. tract. 21,8
[CCL 36, 216]).
144 So die Bezeichnung von Apg 9,4 bei Augustinus, en. in psalm. 140,7 (CCL 40, 2030).
145 Nicht verschwiegen werden soll die gelegentliche antijüdische Polemik: Im Gegensatz zu den
Juden, auf die Jes 29,13 appliziert wird, sind die Christen dem Haupt Christus nahe, weil sie
glauben, hoffen, lieben und Christus als seine Glieder verbunden sind, so Augustinus, en. in
psalm. 148,17 (CCL 40, 2177).
146 Augustinus, en. in psalm. 54,3; 55,3; 69,3; 87,15 (CCL 39, 656.679.932.1218); Primasius von
Hadrumetum, in Apc. IV; V (CCL 92, 222; 266).
147 Augustinus, en. in psalm. 108,28 (CCL 40, 1599); Prosper von Aquitanien, exp.
psalm. 140,3 (CCL 68 A, 178).
148 Zwei Beispiele müssen genügen. Zenodot kritisiert die Bemerkung in Il. 4,88 als unange-
messen, Athene habe Pandaros „suchen“ müssen: das passt nicht zu einer Gottheit; vgl.
Helmut van Thiel, Der Homertext in Alexandria, ZPE 115 (1997) 13 – 36 (13). In Il. 15,81 f ist
es die Göttin Iris, die auf die Statusüberlegenheit des Zeus gegenüber Poseidon hinweist. Die
beiden Verse werden umgestellt und in die Rede des Zeus hineinverlegt: Nur ihm selbst, und
nicht Iris steht es zu, über solche Statusfragen zu befinden (Hartmut Erbse [ed.], Scholia
Graeca in Homeri Iliadem [Scholia Vetera] IV, Berlin 1975, 46).
149 Augustinus, en. in psalm. 138,2 (CCL 40, 1991): Quidquid igitur Dominus loquitur ex persona
susceptae carnis, et ad illud caput pertinet quod iam adscendit in caelum …. („was folglich der
Herr aus der Person des angenommenen Fleisches spricht, das bezieht sich auch auf jenes
Haupt, das bereits in den Himmel aufgestiegen ist“), vgl. ders., en. in psalm. 37,6 (CCL 38, 386).
150 Augustinus, Io. ev. tract. 28,1 (CCL 36, 277).
151 Ps.-Augustinus, solutiones diversarum quaestionum ab haereticis obiectarum 89 f (CCL 90,
219.221).
152 Caesarius von Arles, serm. 24,3 (CCL 103, 109).
Überwindung, Bekehrung oder Berufung 49
Handelns deutlich machen, zeigt aber auch: Christus duldete dieses Handeln
nicht aus Schwäche, sondern aus Menschenfreundlichkeit, ebenso wie das
dramatische Geschehen der Berufung ein Zeichen nicht seiner Grausamkeit,
sondern seiner Vorsehung sei. Die Worte „ich bin Jesus, den du verfolgst“
sollen den Apostel in seiner Seele erschüttern.153
Apg 9,6 v.l.: „… Herr, was willst du, dass ich tun soll?“
Ambrosius zufolge schaute Paulus, der das Augenlicht verlor, mit dem Ver-
stand; sonst hätte er Christus nicht als „Herrn“ tituliert und nicht gefragt „was
willst du, dass ich tun soll“, wenn er nicht Christi Herrschaft über sich selbst
vorausgesehen hätte.154 Für Augustinus illustriert die Aussage die Wahrheit
von Ps 45,6 („scharf sind deine Pfeile“) und von Ps 57,8 LXX + Vg intendit
arcum suum, donec infirmentur („er spannt seinen Bogen, bis sie schwach
werden“).155 Die Anrede „Herr“ ist das Bekenntnis „des Innersten des Men-
schen“ von Ps 76 (LXX: 75),11a, das als Bekenntnis der eigenen Sündhaftigkeit
zu verstehen ist.156
allgemein das Sündigen,163 steht aber auch etwas konkreter für das Handeln
wider das Gesetz Gottes, wodurch man Gott zum Feind wird, man aber nicht
ihn, sondern nur sich selbst schädigt.164 An anderer Stelle warnt Augustinus
mit dieser Wendung davor, im Falle einer nicht gewährten Gebetserhörung
sich gegen Gottes Fügung zu stellen.165 Bei Quodvultdeus kann die Stelle
aber auch zum zeitgeschichtlichen Kommentar werden: Die antiheidnischen
Maßnahmen des Honorius zeigen, dass das Agieren des Symmachus im Streit
um den Victoria-Altar in Rom sowie die Vernachlässigung des Christentums
unter dem Historiker Eutropius (gest. ca. 390) ein verfehltes „Löcken wider
den Stachel“ war.166 Auf das Gebiet des Politischen wird die Wendung auch von
Isaak von Konstantinopel angewandt, wenn er den Kaiser Valens, Förderer
der Arianer, dazu auffordert, seinen Widerstand gegen die Orthodoxie auf-
zugeben, und ihn vom Feldzug gegen die Goten abhalten will.167
Die Stelle fungiert als Hilfsargument für die Gottheit des Heiligen Geistes,
denn der Heilige Geist redet (Apg 13,1 f), ähnlich wie Christus redet.168 Ein
ähnliches Argument trägt Ambrosiaster ad vocem jak´y vor.169
Augustinus hält das in Apg 9,3 – 8 Mitgeteilte für eine der beiden Möglich-
keiten der Deutung von Ps 68(67),28 LXX + Vg „Dort ist Benjamin, der
Jüngere, in Begeisterung“; die andere Möglichkeit ist das Geschehen von 2Kor
12,4. Der Zusatz „der Jüngere“ verweist natürlich auf die nachösterliche Be-
rufung des Paulus nach der Berufung der anderen Apostel.170
In der auktorialen Aussage Apg 9,7 heißt es: seine Gefährten hörten zwar die
Stimme, aber sahen niemanden. Der lukanische Paulus hingegen berichtet
nach Apg 22,9: Meine Gefährten aber sahen das Licht, hörten aber die Stimme
nicht, die zu mir sprach. Dieser Widerspruch wird in den Kommentaren und
einmal auch in der Quaestionenliteratur bedacht. Apg 9,7 bezieht sich, so
Johannes Chrysostomus171 und teilweise auch Maximus Confessor, auf
die Stimme des Paulus, nicht auf die des Herrn. Die Aussage „sie sahen nie-
manden“ in Apg 9,7 bezieht sich nicht auf das Sehen, sondern auf das, dass sie
nichts hörten, und in Apg 9,7 ist nicht von dem Licht die Rede.172 Außerdem
gebührte es sich, dass nur jener der Stimme gewürdigt wurde; wenn seine
Gefährten auch gehört hätten, wäre das Wunder nicht so groß. Anders
Eucherius von Lyon und Beda: Die Gefährten haben nur den Klang einer
verwirrten Stimme, aber nicht den Unterschied der Worte gehört.173
Aus heutiger Sicht scheinen diese Details belanglos, doch verweist die
einleitende Feststellung bei Johannes Chrysostomus (oqj 5sti toOto 1mam-
t¸om: „das ist kein Widerspruch“)174 darauf, dass solche altkirchliche Ausle-
gung methodisch der alexandrinischen Homerphilologie verpflichtet ist, die
durchaus scharfsichtig problematische Stellen bei Homer aufspürte. Für die
Christen war solche Art der Auslegung deshalb von Bedeutung, weil Chris-
tentumskritiker wie Porphyrius und Julian auch solche innerbiblischen
Widersprüche zum Thema ihrer Kritik gemacht haben.
Exegetisch gelehrt ist die Indienstnahme von Apg 9,8 für die in Ps 4,2 genannte
tribulatio bei Ambrosius;175 eher erbaulich ist die Auslegung des Johannes
Chrysostomus, die Blindheit des Paulus bewirkte Erleuchtung für die Welt.176
Ernster zu nehmen ist die Frage bei Eusebius von Emesa, warum Paulus
erblinden musste; unschwer steht Platons Axiom der Güte Gottes dahinter.
Der Exeget antwortet unter Zuhilfenahme stoischer Lehre von der sinnlichen
Wahrnehmung: Paulus wurde blind, dass er nicht aus vieler pqºkgxir heraus
sage, es sei eine vamtas¸a erfolgt, und er habe vielleicht die Stimme falsch
gehört, und wie soll sie von oben gerufen haben, den er doch auf Erden
171 Johannes Chrysostomus, hom. in Ac. 47,2 (PG 60, 328 f).
172 Soweit auch Maximus Confessor, qu. 119 (CCG 10, 87), der explizit auf Johannes Chry-
sostomus verweist.
173 Eucherius von Lyon, instr. 1, Ac. 4 (CSEL 31, 136); Beda Venerabilis, expos. in Ac. (CCL
121, 88). – Allgemein verweist Hieronymus, in Dan. III (CCL 75 A, 892), darauf, dass ähnlich
wie in Dan 10,7, so auch in Apg 9 nur der Prophet bzw. der nachmalige Apostel die Vision
geschaut hat.
174 Johannes Chrysostomus, hom. in Ac. 47,2 (PG 60, 328).
175 Ambrosius, in Ps. 43,94 (CSEL 64, 328).
176 Johannes Chrysostomus, laud. Paul. IV 1 (SC 300, 182); ähnlich Arator, De actibus Apo-
stolorum I 719 – 721 (CSEL 72, 55). Vgl. Hieronymus, in Ez. VIII (CCL 75, 373): oculos carnis
amisit ut mentis acciperet.
52 Martin Meiser
gesehen hatte.177 Eher apologetisch zugunsten des Paulus orientiert ist der
Vermerk bei Beda Venerabilis, die Zeit der Blindheit nach Apg 9,9 sei die
Zeit gewesen, in der Paulus über das Mysterium der evangelischen Heilsge-
schichte belehrt wurde. Damit wird die Wahrheit der Worte aus Gal 1,11 f
bewiesen, er habe das Evangelium nicht von einem Menschen übernommen
noch von einem Menschen gelernt.178 Ps.-Oecumenius entnimmt diesem
Detail, dass nur Paulus erblindete, die Vorstellung, nur er und nicht auch seine
Begleiter seien zum Glauben gekommen; das sei aber sinnvoll, so seien sie von
dem Verdacht frei, nur im Sinne einer Gefälligkeit Zeugnis von dem Geschehen
abzulegen.179
In Apg 26,19 sagt der lukanische Paulus von sich, er sei der himmlischen
Erscheinung nicht ungehorsam gewesen; dies veranlasst für Julian von Ec-
lanum die Mahnung zur Demut,180 für Ammonius von Alexandria die
Mahnung auch an den Hörer, es ihm gleichzutun und ebenfalls zu glauben.181
Apg 9,10 – 19: Die Rolle und das Verhalten des Ananias
Apg 9,10 – 19 regt, was die Beteiligung und das Verhalten des Ananias betrifft,
zu zwei Fragen an: 1. Warum wird Ananias überhaupt in das Geschehen
einbezogen?182 2. Wie ist seine Äußerung gegenüber der Christuserscheinung
Apg 9,13 f zu werten? Beide Fragen ermöglichen eine generelle Sicht auf alt-
kirchliche Textbetrachtung: Im ersten Fall wird faktisch gefragt, warum der
Text genau so dasteht, wie er da steht – dass antike Homerphilologie und
jüdische Exegese ähnlich fragen, ist hinlänglich bekannt –, im zweiten Fall geht
es um die Verteidigung gegen den möglichen Vorwurf eines Fehlverhaltens,
gegen unverständige Gläubige wie gegen Christentumskritiker gleichermaßen
von Belang.
1. Für Ambrosius beweist der Einbezug des Ananias in das Geschehen die
Wahrheit des Satzes „ihr werdet größere Werke tun als diese“ (Joh 14,12);
177 Eusebius von Emesa (Cramer, Katenen III 154 = PG 86/1, 561 B).
178 Beda Venerabilis, retract. in Ac. (CCL 121, 137).
179 Ps.-Oecumenius, in Act. 13 (PG 118, 168 B).
180 Julian von Eclanum, Am. 2,7,14 – 16 (CCL 88, 310). Hieronymus zieht hingegen von Am
7,14 eine Linie zu Apg 5,29 (Hieronymus, in Am. III 7,14 – 17 [CCL 76, 323]). Bei Kyrill von
Alexandria, in Am. (PG 71, 541 A – 544 B) werden solche Verbindungslinien überhaupt nicht
gezogen.
181 Ammonius von Alexandria, in Ac. (PG 85, 1597 B).
182 In der Epistula Apostolorum wird Paulus nicht durch Ananias, sondern durch die Urapostel
selbst von seiner Blindheit befreit und in die christliche Botschaft eingeführt. So soll er „in die
Phalanx der Rechtgläubigkeit einbezogen“ werden (E. Dassmann, Der Stachel im Fleisch,
266).
Überwindung, Bekehrung oder Berufung 53
Die Wendung sjeOor 1jkoc/r wird wie das lateinische Äquivalent uas elec-
tionis geradezu zum Ehrentitel für den Völkerapostel,193 gelegentlich auch für
einen Märtyrer oder einen Heiligen194 oder, unter Einfluss von Röm 9,22
(„Gefäße des Zorns, die zur Vernichtung bestimmt sind“), allgemein als
Ausdruck göttlicher Erwählung und Bestimmung des Christen.195 Daneben ist
er Autoritätsaufweis, sei es zugunsten des Paulus selbst,196 sei es zugunsten der
beanspruchten Orthodoxie eines altkirchlichen Theologen.197 Doch wird im-
merhin gefragt, wie Paulus zum uas electionis werden kann. Die Frage ist
bekanntlich keineswegs rein akademischer Natur, denn an der Lebenswende
des Paulus wurde immer auch das Problem der menschlichen Willensfreiheit
abgearbeitet. Didymus von Alexandria bietet hier die intensivste Diskus-
sion. Ihm zufolge haben einige aus dem Präsens 1st¸m in dem Satzteil sjeOor
1jkocor 1st¸m loi oxtor geschlossen, Paulus sei als geistlicher Mensch zum
Schlechten unfähig gewesen, und sich für ihre These darauf gestützt, dass es
eben nicht 5stai heißt. Didymus antwortet zum einen mit der Erwägung, dass
198 Origenes, comm. in Rom. (frgm. 1 Ramsbotham; FC 2/6, 34 – 42); ders., comm. in Rom. 1,3
(FC 2/1, 86), mit Bezug auf 1Kor 15,10; 2Kor 11,27; 1Kor 9,26 f; Ambrosiaster, in Rom. 9,14,
Rez. a, b: bonus; rec. c: fidelis (CSEL 81/1, 318 f); Theodor von Mopsuestia, in Gal. (Swete
13); Ps.-Oecumenius in Act. (PG 118, 169 CD). Nahegelegt wird dies durch Jer 1,5.
199 Eusebius von Emesa, hom. 1,1.7 (Buytaert 13.17 f); Ambrosiaster, in Gal. 1,16,1 (CSEL
81/3, 14).
200 Didymus von Alexandria, in Ac. (PG 39, 1672 C – 1673 A).
201 Johannes Chrysostomus, hom. in Ac. 20,2 (PG 60, 159); Ammonius von Alexandria, in
Ac. (PG 85, 1533 C).
202 Cassiodor, Complexiones in Actus Apostolorum 19 (PL 70, 1387 D). Auch nach Johannes
Chrysostomus, hom. in Ac. 52,1 (PG 60, 360), ist die Wende vom Verfolger zum Verkündiger
und Lehrer Ergebnis der göttlichen vikamhqyp¸a.
203 Johannes Chrysostomus, comm. in Gal. (PG 61, 627 f). Für diese Mahnung zur Demut
aufgrund der Gegenüberstellung mit 1Kor 15,9 vgl. auch Ambrosius, in psalm 118, 20,16
(CSEL 62, 453).
204 Ambrosius, in Luc. 8,32 (CCL 14, 309). Eine ähnliche Mahnung zur Demut bietet ders., in.
ps. 36,17 (CSEL 64, 83). Auf Phil 3,12 und 1Kor 15,9 verweist im selben Sinne Augustinus, util.
ieiun. 1,1 (CCL 46, 231): Wer von uns sollte es wagen, sich mit Paulus zu vergleichen?
56 Martin Meiser
Apg 9,16: „Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss …“
Die Leiden des Apostels für Christus können als Strafe für seine vorange-
gangene Verfolgertätigkeit208 oder wenigstens als Entsprechung dazu, aber
auch als Heilung dafür gelten.209 Paulus Orosius versteht Apg 9,16 ähnlich
wie Lk 19,9 und 2 Sam 1,13 im Kontext der nachfolgenden Wirren um Davids
Thron als Beweis für die Wahrheit des Satzes, dass der Sünder, der über seine
Sünde seufzt, deswegen noch nicht gleich frei ist von ihr.210
Apg 22,16: Die „Taufe unter Anrufung des Namens des Herrn“
205 Ambrosius, in psalm 118, 14,24 (CSEL 62, 314), in der Auslegung von Ps 118,107 f („humiliatus
sum mitis … uoluntaria oris mei conproba“).
206 Ambrosius, in psalm 118, 3,17 f (CSEL 62, 50).
207 Johannes Cassianus, conl. 2,15 (SC 42, 131).
208 Augustinus, in Gal. 64,6 (CSEL 84, 141). Dass die Leiden des Apostels um Christi willen die
Leiden der Gläubigen in seiner Verfolgerzeit überbieten, dafür vgl. ders., cat. rud. 23,43 (CCL
46, 167)
209 Ersteres Gregor d. Gr., moral. XI 16 (SC 212, 64), letzteres ders., moral. XII 21 (SC 212, 178, in
der Auslegung zu Hi 14,17: signasti quasi in sacculo delicta mea, sed curasti iniquitatem).
210 Paulus Orosius, apol. 14 (CSEL 5, 662 f).
211 Johannes Chrysostomus, hom. in Ac. 47,3 (PG 60, 329).
212 Johannes Chrysostomus, in illud, Saulus adhuc spirans 4 (PG 51, 119).
213 Ammonius von Alexandria, in Ac. (PG 85, 1585 BC).
Überwindung, Bekehrung oder Berufung 57
IV. Schluss
Die beiden ersten Teile dieses Beitrages haben m. E. gezeigt, dass trotz aller
harmonisierenden Tendenzen altkirchlicher Schriftauslegung die einzelnen
Texte ihr gewisses Eigenleben bewahrt haben. Die neutestamentliche Termi-
nologie wird zumeist nicht wahllos promiscue verwendet; der Gebrauch
mancher neutestamentlicher Termini auch zur Bezeichnung der allgemeinen
Hinwendung zum Christentum hat nicht dazu geführt, dass 1Tim 1,13 – 16
einseitig die Rezeption gesteuert hätte; 1pistq´veim begegnet deshalb nicht,
weil der lukanische Bericht das Plötzliche und Unvermutete dieser Lebens-
wende der kirchlichen Erinnerung bleibend eingestiftet hat und weil die
Aussage Gal 1,11 f, Paulus habe sein Evangelium nicht von Menschen, dem
zusätzlich entgegensteht. Was Apg 9; 22; 26 sowie Gal 1,11 – 16 nicht vorgeben,
wird auch in altkirchlicher Exegese dieser Stellen nicht geäußert, nämlich der
Hinweis auf selbstzerfleischende Sündenqualen des nachmaligen Apostels. Ob
Luthers Sicht des Damaskuserlebnisses schon altkirchliche Vorgänger hat,
wäre am ehesten an der altkirchlichen Rezeption von Röm 7 zu prüfen, aber
das war nicht Aufgabe dieses Beitrages.
Dessen letzter Teil hat einiges an Applikationen geboten, wo wir eher die
schriftstellerische Leistung des Lukas oder auch seine Tendenz der dramati-
schen Gestaltung, um nicht zu sagen, der Fabulierlust, in Rechnung stellen als
die Historizität des Erzählten. Allerdings stehen hinter mancher dieser und
anderer Applikationen bestimmte Fragen, die durch ein Mehrfaches ge-
kennzeichnet sein können:
1. Methodisch ist eine Nähe zur alexandrinischen Homerphilologie wie zur
zeitgenössischen jüdischen Exegese zu beobachten. Altkirchliche Exegese
ist demzufolge trotz der Einbindung in ihren hermeneutischen Rahmen
durchaus nicht selten als wissenschaftliche Leistung auf der Höhe ihrer Zeit
zu würdigen.
2. In manchen Fällen handelt es sich um Fragen, welche Christentumsgegner
gestellt haben oder nach Auffassung der altkirchlichen Exegeten stellen
könnten. Altkirchliche Exegese diente in solchen Fällen nie nur der Hebung
erbaulicher Frömmigkeit im binnenkirchlichen Raum. Die Auseinander-
setzung wissenschaftlicher Theologie mit christentumskritischen Aussa-
gen ist auch heute eine bleibende Aufgabe. Hier wäre vielleicht auch
manches an Relevanz der biblischen Exegese für die anderen theologischen
Disziplinen wieder zu gewinnen.
3. Bei anderen Fragen wurde zwischen verschiedenen christlichen Gruppen
wenigstens teilweise Klärungsbedarf empfunden. Wir werden uns das
meiste an innerchristlicher Polemik nicht zu eigen machen, von der anti-
jüdischen Polemik ganz zu schweigen, die theologisch eine ungebrochene
58 Martin Meiser
Dass das sog. „Damaskuserlebnis“ des Paulus nicht allein in seinen authen-
tischen Briefen1, sondern auch in den späten, pseudepigraphischen Pasto-
ralbriefen2 seine Spuren hinterlassen hat, ist unbestritten. Wissenschaftlichen
Darstellungen der Lebenswende des Paulus ist in der Regel eine Diskussion
der Quellenlage vorgeschaltet, in der neben den entsprechenden Passagen der
authentischen Paulusbriefe und dem Zeugnis der Apostelgeschichte auch
1Tim 1,(11.)12 – 16 verhandelt wird. Hier beschreibt der pastorale Paulus in
Form einer Danksagung an Christus seine Lebenswende als Betrauung (1pi-
ste¼hgm) mit dem Evangelium und Einsetzung in den apostolischen Dienst
(h´lemor eQr diajom¸am). Zu diesem Vorgang der „Amtseinsetzung“ gehört
sozusagen als Korrelat das Erbarmen Christi über den einstigen Lästerer,
Verfolger und Gewalttäter. Eben Paulus, den „Ersten der Sünder“, überwältigte
die Gnade des Herrn.
Dass der Verfasser des 1Tim mit diesem zweifach akzentuierten Geschehen
1 Vgl. dazu nun ausführlich I. Broer, Die Erscheinung des Auferstandenen vor Paulus bei Da-
maskus, in: M. Bachmann/B. Kollmann (Hg.), Umstrittener Galaterbrief (BThS 106), Neukirchen
2010, 57 – 94. Unbestritten sind 1Kor 9,1; 15,3 – 11; Gal 1,13 – 23; hinzuzunehmen sind auch 2Kor
4,6 sowie Phil 3,2 – 21, da Paulus in letzterem Text seine Vergangenheit seiner Gegenwart „in
Christus“ gegenüberstellt.
2 Die folgenden Kommentare zu den Pastoralbriefen werden nur mit Autorennamen zitiert: N.
Brox, Die Pastoralbriefe (RNT), Regensburg 51989; R.F. Collins, I & II Timothy and Titus (The
New Testament Library), Louisville, Ky. 2002; M. Dibelius/H. Conzelmann, Die Pastoralbriefe
(HNT 13), Tübingen 1966; V. Hasler, Die Briefe an Timotheus und Titus (ZBK.NT 12), Zürich
1978; G. Holtz, Die Pastoralbriefe (ThHK 13), Berlin 1980; H.J. Holtzmann, Die Pastoralbriefe
kritisch und exegetisch behandelt, Leipzig 1880; J. Jeremias, Die Briefe an Timotheus und Titus
(NTD 9), Göttingen 111975; L.T. Johnson, The First and Second Letters to Timothy (AB 35 A),
New York u. a. 2001; I.H. Marshall/Ph.H. Towner, A Critical and Exegetical Commentary on
the Pastoral Epistles (ICC), Edinburgh 1999; H. Merkel, Die Pastoralbriefe (NTD 9/1), Göt-
tingen 1991; L. Oberlinner, Die Pastoralbriefe I – III (HThK XI/2,1 – 3), Freiburg u. a.
1994.1995.1996; J.D. Quinn, The Letter to Titus (AB 35), New York etc. 1990; J.D. Quinn/W.C.
Wacker, The First and Second Letters to Timothy, Grand Rapids/Cambridge 2000; J. Roloff,
Der erste Brief an Timotheus (EKK XV), Neukirchen/Zürich 1988; A. Schlatter, Die Kirche der
Griechen im Urteil des Paulus. Eine Auslegung seiner Briefe an Timotheus und Titus, Stuttgart
2
1958; C. Spicq, Les ptres pastorales I – II (EtB), Paris 41969; A. Weiser, Der zweite Brief an
Timotheus (EKK XVI,1), Zürich/Neukirchen-Vluyn 2003.
60 Hans-Ulrich Weidemann
auf das aus den authentischen Paulusbriefen wie der Apostelgeschichte be-
kannte „Damaskusgeschehen“ anspielt, ist offensichtlich. Um aber für eine
historische Rekonstruktion desselben ausgewertet zu werden, hat diese Pas-
sage aus dem ersten Timotheusbrief im Unterschied zu den lukanischen
Zeugnissen schlechte Karten, schon aufgrund ihres „relativ jungen Datums“3,
aber auch aufgrund der hier sichtbaren Paradigmatisierung und Typisierung
der Lebenswende des Apostels. Denn an diesem habe Christus nicht nur seine
ganze Langmut aufgezeigt, sondern ihn auch zum Ur- und Vorbild (rpot¼-
pysir) all jener gemacht, die zum Glauben an ihn kommen sollten (1Tim 1,16).
Der Text falle daher für eine Rekonstruktion des paulinischen „Damaskus-
erlebnisses“ aus, er gehöre vielmehr „in die Geschichte des späteren Paulus-
bildes“.4
Doch stellt sich dann die Frage, ob der Autor des 1Tim bei der Abfassung
des Textes auf literarische Vorlagen zurückgriff oder nicht, und wenn ja, auf
welche. Zwei Vorschläge hierzu seien exemplarisch genannt: (1.) Für J. Becker
sind sowohl die Apostelgeschichte als auch der 1Tim „unabhängig von den
echten Paulusbriefen von der Pauluslegende bestimmt“, einer Pauluslegende,
die schon bald nach der Wende im Leben des Apostels entstanden sei und
dann unabhängig von den paulinischen Selbstzeugnissen eine eigene Wir-
kungsgeschichte entfaltet habe.5 Dem entgegengesetzt optiert (2.) P. Trummer,
laut dem sich die Paulusanamnese von 1Tim 1,12 – 17 „eindeutig“ an den
literarischen Vorbildern der echten Paulinen, genauer : den autobiographi-
schen Passagen (1Kor 15,8ff; Phil 3,1b–4,1; Gal 1,13 – 16), orientierten.6
Beide Antworten bleiben letztlich unbefriedigend, ebenso die salomoni-
sche Vermittlung zwischen ihnen.7 Zwar ist die Existenz einer „Pauluslegende“
nicht zu bestreiten, doch bleibt ihr prägender Einfluss auf 1Tim 1,12 – 17 rein
hypothetisch. Und gegenüber Trummer ist festzuhalten, dass zu den auto-
3 J. Becker, Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 21992, 61, dies gelte auch für die in 1Tim
1,12 – 17 rezipierte Tradition.
4 Becker, Paulus 62.
5 Becker, Paulus 60 f. Diese urchristliche Pauluslegende sei strukturell vom Kontrastschema „einst
– jetzt“ bestimmt, beide Phasen seines Lebens würden wesentlich durch sein jeweiliges Verhältnis
zur Ekklesia („vom Verfolger zum Mitglied“) geprägt. Paulus selbst greife diese Legende in Gal
1,23 f auf, setze also voraus, dass man auch in Galatien von ihr Kenntnis hatte. Becker macht das
insbesondere am Stichwort „vernichten“ (Imperfekt de conatu 1pºqhei bzw. 1pºqhoum) fest, das
Paulus nur im Gal 1,23 f und, davon abhängig, dann auch im Selbstzeugnis 1,13 benutze. Ebd. 64
spricht Becker von Gal 1,23 f als „nebenpaulinischer Tradition“, die dann in der Bekehrungsle-
gende, die den Grundstock von Apg 9,1 – 9 bildete, narrativ entfaltet wurde. Laut Roloff 85
wirkten die paulinischen Passagen keineswegs als „literarische Vorbilder“, der aber tatsächlich
bestehende Zusammenhang mit den paulinischen Stellen sei „nicht literarisch, sondern tradi-
tionsgeschichtlich vermittelt“.
6 P. Trummer, Die Paulustradition der Pastoralbriefe (BET 8), Frankfurt a.M. etc. 1978, 117.
7 Laut Oberlinner, 1Tim 49, konnte sich der Verfasser des 1Tim am literarischen Zeugnis des
Apostels orientieren, folgte aber zugleich einer mündlich weitergegebenen Paulustradition. Den
Verfasser der Past leite dabei die Absicht, „das Leben des Paulus insgesamt, einschließlich seiner
Bekehrung, paränetischer Auswertung zugänglich zu machen“.
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 61
8 T. Glaser, Paulus als Briefroman erzählt. Studien zum antiken Briefroman und seiner christli-
chen Rezeption in den Pastoralbriefen (NTOA 76), Göttingen 2009, 211: „Die um die Paulus-
biographie Wissenden können dahinter bereits einen Hinweis auf das Damaskuserlebnis er-
kennen“.
9 Anders Kol und Eph, aber auch 2Thess, die sich wie alle erhaltenen authentischen Paulusbriefe an
Ekklesien richten (dies gilt sogar für den Phlm, vgl. Phlm 1 – 2!). Mit diesem Vorgehen will der
Verfasser der Past sicherstellen, „dass die Verbindlichkeit und Verallgemeinerungsfähigkeit ihrer
kirchenleitenden und allgemein paränetischen Anordnungen erheblich höher einzuschätzen
sind als vergleichbare Anweisungen in Briefen an Einzelgemeinden“ (A. Merz, Die fiktive
Selbstauslegung des Paulus. Intertextuelle Studien zur Intention und Rezeption der Pastoral-
briefe (NTOA 52), Göttingen/Fribourg 2004, 239, analog Dies., Amore Pauli: Das Corpus Pas-
torale und das Ringen um die Interpretationshoheit bezüglich des paulinischen Erbes, in: ThQ
187 [2007], 274 – 294, 284 – 286).
62 Hans-Ulrich Weidemann
2. Exegesen
Wir beginnen unseren Durchgang mit dem Titusbrief, der vielleicht ur-
sprünglich am Anfang der Sammlung gestanden hat.13 Dafür spricht insbe-
sondere, dass das Präskript des Titusbriefes (Tit 1,1 – 4) offensichtlich das
Präskript des Römerbriefes (Röm 1,1 – 7) voraussetzt, während dessen
Proömium, v. a. die Danksagung und die propositio (Röm 1,8 – 17), dann im
Briefeingang des 2Tim verarbeitet sind.14 Der Briefeingang des Römerbriefes
(Röm 1,1 – 17) bildet also die direkte Vorlage der Briefeingänge der beiden
kleineren Pastoralbriefe. Der Briefeingang des 1Tim dagegen, der die wich-
tigste „autobiographische Passage“ des Corpus Pastorale enthält, greift auf
andere Partien des Römerbriefes zurück.15
10 Merz, Selbstauslegung 242 f: „Es handelt sich also um eine Form der Paulusfortschreibung und
Paulus-Exegese, die sich als solche nicht direkt zu erkennen gibt, vielmehr aus der behaupteten
Verfasseridentität zu den echten Paulinen nicht nur eine unhinterfragbare Autorität ableitet,
sondern sogar die Möglichkeit gewinnt, im Namen des Paulus authentische Aussagen des Paulus
zu korrigieren, zu modifizieren, in ihrer Geltungsweise einzuschränken oder auszudehnen etc.“
Zur konstitutiven Bezogenheit der Pastoralbriefe auf die Paulinen als Prätextcorpus vgl. auch
Merz, Amore Pauli 278 – 280.
11 Zu analogen Ergebnissen kommt – wenn auch unter einer anderen Fragestellung – Michael
Theobald im vorliegenden Band.
12 Vgl. dazu v. a. den Briefeingang Röm 1,1 – 15 (insbesondere V. 1.5.9.14), außerdem im Kontext
der Israel-Kapitel 11,13 sowie nochmals in 15,15 f (keitouqc¹r WqistoO YgsoO eQr t± 5hmg).
13 Anders G. Hfner, Die Pastoralbriefe, in: M. Ebner/S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue
Testament, Stuttgart 2008, 450 – 473, 457 f.
14 Die Begründungen im Detail finden sich bei den Einzelexegesen.
15 So finden sich im Briefeingang des 1Tim Anspielungen auf Passagen aus Röm 9 – 11, aber auch
aus Röm 5 und 7, vgl. dazu unten.
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 63
2.1 Titusbrief
Das ausführliche Präskript des Titusbriefes nimmt für das Verständnis der
Pastoralbriefe eine Schlüsselrolle ein. Dies gilt insbesondere dann, wenn man
mit einer ganzen Reihe von Exegeten davon ausgeht, dass der Titusbrief das
Corpus Pastorale einst eröffnet hat und dieses – wie Michael Theobald im
vorliegenden Band zeigt – auf den Römerbrief folgte.
Vermutlich ist das auch der Grund dafür, dass in der superscriptio des Tit
die superscriptio des Röm aufgenommen und transformiert wird.16 Die
Transformation wird insbesondere an zwei Aspekten greifbar : (1.) Während
Gott laut Röm 1,2 das Evangelium durch seine Propheten in heiligen Schriften
vorherverheißen hat, hat er laut Tit 1,2 das ewige Leben vor ewigen Zeiten
verheißen; nicht gesagt wird aber, wo diese Verheißung manifest wurde.17
Damit verschiebt sich nun (2.) die gesamte Statik der Aussagenreihe: Denn
während nach Röm 1,1 f die in prophetischen Schriften Israels formulierte
Verheißung des Evangeliums mit der Aussonderung des Paulus zu seiner
Verkündigung bereits erfüllt ist, steht die Erfüllung der Verheißung ewigen
Lebens laut dem Tituspräskript noch aus, wenngleich sie durch die Offenba-
rung des Gotteswortes im Kerygma des Apostels bestätigt und als untrüglich
erwiesen ist (s. u.). Weitere Anspielungen v. a. auf den Römerbrief sind im
Tituspräskript zu greifen.18
Das Präskript des Titusbriefes ist nach dem auch in den übrigen Paulusbriefen
verwendeten zweigliedrigen „orientalischen“ Briefformular gestaltet, aller-
dings umfasst es durch die Einfügung eines eigenen Satzes (V. 3) zwischen
superscriptio (V. 1 f) und adscriptio (V. 4a) faktisch drei Satzgefüge.19 In An-
16 Die wichtigsten Parallelen sind: die Selbstvorstellung als doOkor (Röm 1,1: doOkor WqistoO
YgsoO / Tit 1,1: doOkor heoO, vgl. Phil 1,1) und als !pºstokor, die Rede von Gottes Verheißen
(Röm 1,2: [t¹ eqacc´kiom heoO,] d pqoepgcce¸kato… / Tit 1,2: [fyµ aQ¾mior,] Dm 1pgcce¸kato b
!xeudµr heºr), außerdem die p¸stir als Ziel des paulinischen Apostolats (Röm 1,5: eQr rpajyµm
p¸steyr / Tit 1,1: jat± p¸stim). Vgl. dazu auch G. Lohfink, Paulinische Theologie in der Re-
zeption der Pastoralbriefe, in: K. Kertelge, (Hg.), Paulus in den neutestamentlichen Spät-
schriften (QD 89), Freiburg u. a. 1981, 70 – 121, 74.
17 Anders in Röm 1,2: durch Propheten in heiligen Schriften. Schlatter 177 vermutet, der
Verfasser des Tit denke an die Beschreibung des Paradieses in Gen 2.
18 Schlatter 175 und 177 notiert in den Anm. die folgenden: jat± p¸stim 1jkejt_m heoO ent-
spricht Röm 8,33 (jat± 1jkejt_m heoO, auch hier fehlt der Artikel); zu 1p( 1kp¸di vgl. Röm 4,18;
5,2; 8,20 sowie 1Kor 9,10; zu b !xeudµr heºr vgl. Röm 3,4; zu pq¹ wqºmym aQym¸ym, 1vam´qysem
d´ vgl. Röm 16,25.
19 Nämlich (1.) den aus Adressaten- und Absenderangabe bestehenden Nominalsatz 1,1 – 2a.4a mit
dem von fyµ aQ¾mior abhängigen Relativsatz 2b, (2.) das anakoluthisch angeschlossene Satz-
gefüge 1,3, das aus einem Haupt- und dem von j¶qucla abhängigen Relativsatz besteht, sowie
(3.) die salutatio 1,4b, ebenfalls ein Nominalsatz.
64 Hans-Ulrich Weidemann
lehnung an das Präskript des Römerbriefes ist also die superscriptio (1,1 – 3)
stark ausgebaut: Der pastorale Paulus stellt sich als doOkor heoO und als
!pºstokor YgsoO WqistoO vor.20 Auf den Aposteltitel folgt eine dreifache
Spezifizierung, wobei das Achtergewicht durch den Relativsatz 2b auf der
letzten liegt:
Paulus ist Apostel Jesu Christi
1. für (jat²21) den Glauben der Erwählten Gottes,
2. indem er (ja¸22) für die Erkenntnis der der Gottesfurcht23 entsprechenden
Wahrheit sorgt.
3. Insbesondere aber ist er Apostel Jesu Christi im Hinblick auf die Hoffnung
auf ewiges Leben24, welches Gott, der nicht lügt, verheißen hat vor ewigen
Zeiten. Der Apostolat des Paulus wird daher schon im Präskript des Ti-
tusbriefes auf die „Hoffnung auf ewiges Leben“ hingeordnet.
Mit dem Anakoluth in 1,3 unterstreicht der Verfasser diesen Aspekt noch.25 Zu
den dafür bestimmten Zeiten26 hat Gott sein Wort im Kerygma geoffenbart,
das dem Paulus anvertraut wurde. Die Offenbarung (vameqoOm) erfolgt also im
Kerygma, nicht (direkt) im Christusereignis. Mit dem „Kerygma“ ist in Tit 1,3
dasselbe gemeint wie mit dem „Martyrium“ in 1Tim 2,7 und dem „Evange-
lium“ in 1Tim 1,11 und 2Tim 1,10 f.27 Gott ist laut Tit 1,1 – 3 also dreifach tätig:
(1.) Er hat vor ewigen Zeiten den Glaubenden das ewige Leben verheißen
(1pgcce¸kato), diese Verheißung dann (2.) als kºcor im Kerygma zu den dafür
bestimmten Zeiten geoffenbart (1vam´qysem) und sie damit als zwar noch
ausstehend, aber als untrüglich bevorstehend erwiesen.28 Dieses Kerygma
20 Die Prädikation als Apostel Jesu Christi ist mit d´ angeschlossen, das hier nicht adversativ,
sondern weiterführend zu verstehen ist.
21 jat² c. acc. bezeichnet hier wie in 1,4 das Ziel bzw. den Zweck („zum Zweck, für“), so auch W.
Bauer/K. u. B. Aland, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testa-
ments und der frühchristlichen Literatur, Berlin-New York 61988, 826 (sie halten allerdings auch
die Bedeutung „entsprechend, nach, gemäß“ für möglich); M. Wolter, Die Pastoralbriefe als
Paulustradition (FRLANT 146), Göttingen 1988, 82 f; B. Mutschler, Glaube in den Pastoral-
briefen. Pistis als Mitte christlicher Existenz (WUNT 256), Tübingen 2010, 126 – 131, kommt
nach erschöpfender Diskussion zum selben Ergebnis. Dafür spricht auch die wohl vorausge-
setzte Wendung Röm 1,5: (!postokµ) eQr rpajyµm p¸steyr, was zumeist übersehen wird.
22 Explikatives ja¸, so auch Marshall/Towner 121 sowie Mutschler, Glaube 141.
23 Zu eqs´beia vgl. Mutschler, Glaube 145 – 153. Laut Schlatter 176 ist „die eqs´beia allen
anderen religiösen Vorgängen übergeordnet und zum Ziel der ganzen Arbeit des Apostels und
der Kirche gemacht“.
24 1p¸ c. dat. hier entweder ebenfalls das Ziel bzw. den Zweck oder zur Bezeichnung der Grundlage
(so Bauer/Aland 581 f, ebenso Marshall/Towner 124). Die Wendung bezieht sich wie die
jat²- und die ja¸-Wendung auf den Aposteltitel zurück (mit Marshall/Towner 122 f).
25 Der Neueinsatz wird zusätzlich mit d´ markiert. Der Hauptsatz hat mit t¹m kºcom aqtoO ein
neues Objekt, allerdings ist aus dem Kontext ersichtlich, dass damit sachlich nur das Verhei-
ßungswort von 2ab gemeint sein kann.
26 Laut Oberlinner, Tit 10, handelt es sich um die Zeit der Verkündigung, nicht um Jesu Zeit.
27 So auch Wolter, Pastoralbriefe 87.
28 Der Duktus des Textes zeigt eindeutig, dass die fyµ aQ¾mior sowohl Inhalt der Verheißung (1,2)
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 65
wiederum ist (3.) dem Paulus auf Befehl (jat( 1pitac¶m) Gottes anvertraut. In
ihm offenbart Gott sein Wort zur gegebenen Zeit.
Vermutlich spielt der Verfasser mit dem passiven Aorist 1piste¼hgm in 1,3
indirekt auf das Damaskuserlebnis an,29 doch liegt der Akzent hier auf der
autoritativen Betrauung des Paulus mit dem Kerygma und nicht auf seiner
Lebenswende, die nur indirekt vorausgesetzt ist. K. Löning hat mit Recht
darauf hingewiesen, dass die Aussage über den apostolischen Verkündi-
gungsauftrag des Paulus in Tit 1,3 „ätiologische Funktion“ hat: sie erkläre,
„auf welchem Vermittlungsweg die eschatologische Offenbarung Gottes zur
Wahrheitserkenntnis der Glaubenden geworden ist“.30 Die Betrauung des
pastoralen Paulus mit dem Kerygma wird damit zum integralen Bestandteil
des Heilsgeschehens selbst.31 Die Aufgabe des Paulus besteht also darin, das
ewige Leben als noch ausstehend, aber durch das Christusereignis als von
Gott, der nicht lügt, endgültig verbürgt zu verkünden. Und in dieser Ver-
kündigung des Apostels ereignet sich Gottes Offenbarung.
Die für das Tituspräskript zentrale Wendung 1kp¸r fy/r aQym¸ou wird in 3,7
wieder aufgenommen. Offensichtlich sollen Tit 1,1 – 4 und 3,3 – 7 aufeinander
bezogen werden.32 In beiden Fällen spricht der Verfasser vom noch ausste-
henden, durch das Heilsgeschehen aber unverlierbar zugesagten ewigen
Leben. Während aber im Präskript des Titusbriefes der (einzigartige) pauli-
nische Apostolat mit dem ewigen Leben in Beziehung gesetzt wurde, so ge-
schieht dasselbe in Tit 3,3 – 7 im Hinblick auf die (allen gemeinsame) Taufe.
In Tit 3,3 – 7 redet der pastorale Paulus in der 1. Person Plural (Ble?r) von
der Taufe, die „unser“ Leben „einst“ (3,3: pot´) radikal beendet und uns
„Wiedergeburt“ und „Erneuerung im Heiligen Geist“ geschenkt hat.33 Vom
Glauben (p¸stir) ist nicht die Rede, daher findet sich hier auch kein Bezug zum
Evangelium oder zur Einsetzung des Paulus. Sicherlich ist hier nicht das
Damaskuserlebnis als individuelles Ereignis angezielt, auffällig ist aber doch,
wie auch – als Verheißung – Inhalt des Logos Gottes ist, der im dem Paulus anvertrauten
Kerygma geoffenbart ist.
29 So auch Glaser, Paulus 204. Wie in Gal 1,15 ist die Initiative Gottes betont.
30 K. Lçning, „Von ihnen bin ich der Erste“ (1Tim 1,15). Paulus als soteriologische Schlüsselfigur
in den Pastoralbriefen, in: Th. Schmeller (Hg.), Neutestamentliche Exegese im 21. Jahrhundert.
Grenzüberschreitungen (FS J. Gnilka), Freiburg u. a. 2008, 131 – 150 133.
31 Wolter, Pastoralbriefe 91.
32 Hinzu kommt die Wendung von „unserem Rettergott (sytµq Bl_m heºr)“ in Tit 1,3 und 3,4
(außerdem in 2,10).
33 Der Hauptsatz des komplexen Satzgefüges 3,4 – 7 steht in 3,5c: 5sysem Bl÷r, ihm ist ein tem-
poraler Nebensatz 3,4 (fte) und außerdem die adverbiale Ergänzung (oqj … !kk² …) voran-
gestellt, es folgen die Angaben zum Medium der Rettung (3,5: di²) sowie zu ihrem Zweck (3,7:
Vma).
66 Hans-Ulrich Weidemann
dass der Verfasser seinen Paulus – anders als es z. B. in 1Kor 6,11 der Fall ist –
sich mit seinem Adressaten zusammenschließen lässt („wir“). Wie Paulus
selbst kann auch sein pastoraler Enkel seine Lebenswende mit der seiner
Adressaten fusionieren und damit auch eine eigene Taufe andeuten.34 In Tit 3
wird die Lebenswende des Paulus also im Hinblick auf seine Taufe, die er mit
allen Christen gemeinsam hat, greifbar und nicht im Hinblick auf seine
„Amtseinsetzung“ oder seine Lebenswende.
Wichtig ist aber, dass in 3,3 – 7 nicht zwei, sondern drei Zeitebenen zu
unterscheiden sind: zu Vergangenheit (3,3) und Heilsgegenwart kommt die
intensive „Zukunftsorientierung“:35 Gott rettete „uns“ (5sysem Bl÷r) gemäß
seinem Erbarmen (jat± t¹ aqtoO 5keor) durch das Bad der Wiedergeburt und
der Erneuerung durch den Hl. Geist, den Jesus Christus, unser Retter, über
„uns“ ausgegossen hat, mit dem Ziel (3,7: Vma), dass „wir, indem wir (in der
Taufe) gerecht gemacht“, zugleich zu Erben wurden36 bezüglich der Hoffnung
auf ewiges Leben.
Schon in 3,1 – 2 fallen die engen Bezüge zum Römerbrief auf37, noch mehr in der
folgenden Passage 3,3 – 7, was schwerlich ein Zufall ist.38 Das gilt gerade für die
Übernahme des Begriffs jkgqomºloi aus Röm 8,17 (vgl. Gal 3,29; 4,7): Durch die
Taufe, in der auch die Rechtfertigung verortet wird, werden „wir“ zu Erben gemäß der
Hoffnung auf ewiges Leben. Hier ist die für die Pastoralbriefe grundlegende Variante
des „eschatologischen Vorbehalts“ greifbar: Während Rettung und Gerechtwerdung
bereits durch die Taufe geschehen sind, steht das (von Gott von Ewigkeit her ver-
heißene) ewige Leben noch aus39 – ist uns aber durch die Taufe und insbesondere
34 Vorbild für dieses Vorgehen ist z. B. Röm 5,6 – 11. Von der Taufe spricht Paulus selbst auch in
1Kor 12,13 und in Röm 6,3 – 8 in der 1. Person Plural.
35 Richtig Brox 309.
36 Richtig Marshall/Towner 323: „The aorist participle dijaiyh´mter is coincident in time with
the main verb ,become heirs‘“.
37 Vgl. v. a. Tit 3,1 (rpol¸lm,sje aqto»r !qwa?r 1nous¸air rpot²sseshai, peihaqwe?m …) mit Röm
12,17 – 13,7, v. a. 13,1 (p÷sa xuwµ 1nous¸air rpeqewo¼sair rpotass´shy), aber auch Tit 3,1 (pq¹r
p÷m 5qcom !cahºm) mit Röm 13,3 (t¹ !cah¹m 5qcom).
38 Zu !mºgtoi vgl. Röm 1,14 und Gal 3,1, zu douke¼omter 1pihul¸air vgl. Röm 6,6, zu stucgto¸ vgl.
Röm 1,30. Die Wendung B wqgstºtgr toO heoO (Tit 3,4) lehnt sich eng an Röm 2,4 (toO pko¼tou
t/r wqgstºtgtor aqtoO) und 11,22 (wqgstºtgta heoO) an, überhaupt stammen wichtige Stich-
worte in Tit 3,3 – 7 (pot´, !peihe?r, 5keor) aus Röm 11,30 – 32 (dazu Weidemann, Titus 50 f).
Außerdem vgl. Tit 3,5 mit Röm 3,28 (wyq·r 5qcym mºlou) und Gal 2,16, aber auch Röm 9,12.32;
11,6. Zur Rettung aufgrund göttlichen Erbarmens in Tit 3,5 vgl. noch Röm 9,15 f.18.23; 11,30 – 32
sowie 15,9. !maja¸mysir erscheint in Tit 3,5 und in Röm 12,2 (vgl. 6,4: 1m jaimºtgti fy/r). Weiter
vgl. Tit 3,6 (1n´weem) mit Röm 5,5 (1jj´wutai), dann v. a. Tit 3,7 (dijaiyh´mter t0 1je¸mou w²qiti)
mit Röm 3,24 (dijaio¼lemoi dyqe±m t0 aqtoO w²qiti), außerdem stammt jkgqomºloi in Tit 3,7
aus Röm 8,17. Ferner werden in Tit 3,7 wie in Röm 8,30 jeweils s]feim und dijaioOm als bereits
erfolgt ausgesagt.
39 Quinn, Tit 229: „The final clause summarizes the content of the eschatological hope of believers,
a hope of eternal life that involves bodily ressurection“. Oberlinner, Tit 177, bemerkt mit
Recht, dass die Past hier auf eine noch ausstehende Vollendung ausblicken. Dass aber der
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 67
durch das Evangelium des Paulus fest verbürgt, was der Begriff jkgqomºlor auf den
Punkt bringt.40
Zugleich wird aus 3,3 – 7 klar, dass die Taufe der Realgrund für die Hoffnung
der Glaubenden ist, denn durch die Taufe „wurden wir gerettet“. In der Ver-
kündigung des Paulus wird demnach das kognitiv erschlossen, was in der
Taufe real vollzogen wurde. Der in der Taufe gerettete und gerechtgemachte
Mensch erfährt mit Tit 3,7 aber auch, dass er durch die Taufe zum Erben
ewigen Lebens gemacht wurde. In ihrer Ausrichtung auf das ewige Leben und
zugleich als dessen Verbürgung treten Taufe und Kerygma sozusagen Seit’ an
Seit’. Genauer : es ist das (ps.-)paulinische Kerygma, das die Wahrheit dessen
enthüllt, was in der Taufe real am Täufling geschehen ist: nämlich Rettung und
Gerechtwerdung. Setzt man voraus, dass die Frontstellung der drei Pastoral-
briefe dieselbe ist, dann kann man im Hinblick auf 2Tim 2,18 ergänzen: Die
Taufe macht zu Erben im Hinblick auf die Hoffnung auf ewiges Leben, kei-
neswegs erfolgt jedoch in der Taufe bereits die Auferstehung, wie Hymenaios
und Philetos behaupten.41
Bemerkenswert ist, dass der Autor des Titusbriefes trotz mehrfacher Anspielungen
auf den Römerbrief gerade nicht auf die Taufaussagen von Röm 6 rekurriert. Die dort
vorgenommene Parallelisierung des Taufvorgangs mit Christi Sterben, Begraben-
werden und Auferstehen (vgl. Röm 6,3 f mit 1Kor 15,3 f) war für den Verfasser des
Titusbriefes offenbar keine Option. Obwohl es Paulus in Röm 6 vermeidet, von einem
„Mitauferstehen“ der Getauften in der Taufe zu sprechen (anders Kol 2,12; 3,1; Eph
2,6), weil die !pok¼tqysir toO s¾lator Bl_m (Röm 8,23, vgl. 6,12; 8,11) noch aus-
steht, betont der Apostel gerade hier die „Partizipation der Gläubigen an dem Auf-
erstehungsleben Christi“.42 Offenbar in Abwehr der Hymenaios und Philetos zuge-
schriebenen Position, wonach die Auferstehung (doch wohl in der Taufe) schon
geschehen sei, entscheidet sich der Verfasser des Titusbriefes für eine Doppelstra-
tegie: Für die Deutung der Taufe greift er auf ein an (Neu-)Geburt und Abwaschung
orientiertes Modell zurück (vgl. nur 1Kor 6,11; Joh 3,3.5; 1Petr 1,3.23) und ignoriert
das an Tod, Grab und Auferstehung Christi orientierte Modell aus Röm 6. Die in Röm
6,8 im Hinblick auf die Taufe formulierte Aussage vom Sterben und Leben mit
Hauptakzent „nicht im Ausblick auf eine erst noch zu verwirklichende Heilssituation und
Heilszeit“, sondern auf der Gegenwart liegt, vermag ich nicht zu erkennen.
40 Marshall/Towner 324: „The heir has a right to future possession and is already in a sense
partaker of it.“
41 Gegen Marshall/Towner 325 ist 3,7 durchaus polemisch gemeint (richtig Spicq 656).
42 Mit Recht betont von H.J. Eckstein, Auferstehung und gegenwärtiges Leben nach Röm 6,1 – 11.
Präsentische Eschatologie bei Paulus?, in: ders., Der aus Glauben Gerechte wird leben. Beiträge
zur Theologie des Neuen Testaments (BVB 5), Münster 2003, 36 – 54, 51. Die Futurformen
1sºleha und suf¶sylem in Röm 6,5.8 versteht Eckstein ebd. als Futura der logischen Konse-
quenz. Eine Frontstellung gegen eine enthusiastische Tauflehre ist in Röm 6 nicht erkennbar, so
auch G. Sellin, „Die Auferstehung ist schon geschehen“. Zur Spiritualisierung apokalyptischer
Terminologie, in: ders., Studien zu Paulus und zum Epheserbrief (hg. v. D. Sänger) (FRLANT
229), Göttingen 2009, 37 – 52, 44 f.
68 Hans-Ulrich Weidemann
Christus integriert er statt dessen in 2Tim 2,11 „in einen martyrologischen und auf
die Leidensnachfolge ausgerichteten Kontext (…), der ein auf die Taufe bezogenes
Verständnis des Mit-Christus-Sterbens und -Lebens ausschließt“.43 Deswegen fällt in
2Tim 2,11 auch das „Mitbegrabenwerden“ mit Christus aus.
Fazit: Der Titusbrief betont die Betrauung des Paulus mit dem Kerygma.
Demgegenüber ist seine individuelle Lebenswende ganz in der 1. Person Plural
aufgegangen, mit der er in 3,3 – 7 die Lebenswende eines jeden Christen durch
die Taufe beschreibt (pot´ / fte). Beides, das dem Apostel exklusiv anvertraute
Kerygma wie auch die durch die Taufe allen Christen verbürgte Rettung und
Gerechtwerdung, zielen auf die – durch Kerygma und Taufe wiederum fest
verbürgte – Hoffnung auf ewiges Leben, das aber noch aussteht. Bemerkens-
wert ist, dass der Titusbrief zwar seine Gegner explizit als (auch) aus dem
Judentum stammend charakterisiert (Tit 1,10.14; 3,9), seinen Paulus aber
keineswegs auf seine innerjüdische Vergangenheit (Pharisäer, Judaismos)
rekurrieren lässt (s. u.).
Der Briefeingang des 1Tim ist der zentrale Text für unsere Fragestellung, denn
der Verfasser nutzt ihn zu einer umfassenden Selbstvorstellung, im Zuge derer
er auch auf das sog. Damaskuserlebnis zu sprechen kommt.
Wichtig ist die Struktur des Briefeingangs. Das Präskript (1,1 – 2) ist im Ver-
gleich zum Tituspräskript deutlich knapper gehalten, hat mit diesem aber
zentrale Formulierungen gemeinsam.44 Direkt im Anschluss daran erinnert
der pastorale Paulus seinen Adressaten schriftlich an die einstige (mündliche)
Beauftragung mit der paqaccek¸a, also daran, zu welchem Zweck er ihn damals
in Ephesus zurückließ. Wie Paulus selbst im Gal, so kommt also auch der
pastorale Paulus in 1Tim 1,3 – 7 direkt im Anschluss an das Präskript sogleich
auf die Krise zu sprechen (vgl. Gal 1,6ff). 1Tim orientiert sich demnach
43 Merz. Amore Pauli 291 f. Anders Oberlinner, 2Tim 83 – 85. Laut Weiser, 2Tim 172, ist der
Gedanke an die Taufe wie an das Martyrium „mitgemeint“, was sich am aus Röm 6,8 über-
nommenen Aorist zeige. Ähnlich Marshall/Towner 739: „the reference is to a past death to
self which may involve readiness even for martyrdom“.
44 So stellt sich Paulus in 1Tim 1,1 als Apostel Christi Jesu jat( 1pitacµm heoO syt/qor Bl_m ja·
WqistoO YgsoO t/r 1kp¸dor Bl_m vor. Zwar wird die Wendung „auf Befehl unseres Rettergottes“
in Tit 1,3 direkt auf die Betrauung des Apostels mit dem Kerygma (und also auf die Verbal-
handlung) bezogen, doch zeigt 1Tim 1,1, dass dies nur Variationen desselben Sachverhaltes
sind. Der Apostolat Pauli und die Betrauung mit dem Kerygma gehören wesentlich zusammen.
Hinzu kommt das Stichwort 1kp¸r (Tit 1,2; 1Tim 1).
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 69
45 Wie in Gal 1,11 – 24 steht auch in 1Tim eine biographische Selbstvorstellung am Anfang des
Briefes.
46 Vgl. Wolter, Pastoralbriefe 63, zur Form des literarischen Dankhymnus.
47 Gemeinsame Stichworte: t´jmom Tilºheor (1,2/18); gemeinsames Wortfeld paqaccek¸a jtk.
(1,3.5/18); p¸stir (1,4.5/19), sume¸dgsir (1,5/19).
48 L.Th. Johnson, First Timothy 1,1 – 20: The Shape of the Struggle, in: K.P. Donfried (Ed.), 1
Timothy Reconsidered (Colloquium Oecumenicum Paulinum 18), Leuven 2008, 19 – 40, 27:
„they appear to be completely within the range of Paul’s and his delegate’s authority“.
49 Vgl. v. a. 1Tim 1,8 (oUdalem d³ fti jak¹r b mºlor) mit Röm 7,14 (oUdalem c±q fti b mºlor
pmeulatijºr 1stim) und 7,16 (s¼lvgli t` mºl\ fti jakºr), zur Güte des Gesetzes außerdem Röm
7,7 (b mºlor "laqt¸a; lµ c´moito) und 7,12 (¦ste b l³m mºlor ûcior ja· B 1mtokµ "c¸a ja· dija¸a
ja· !cah¶). Zur Freiheit des Glaubenden vom mºlor vgl. 1Tim 1,9 mit Röm 7,1 – 6, außerdem
Röm 3,19.21.28 und 10,4. 1Tim 1,8 – 11 zeigt erneut, dass der Römerbrief den Hauptbezugstext
der Pastoralbriefe bildet, andere Aussagen des Apostels über das Gesetz (z. B. aus dem Gala-
terbrief) werden nicht reaktiviert.
50 Nach Roloff 72 Anm. 92, ist das formelhafte oUdalem d³ fti eine „bewusste Stilimitation“ des
paulinischen Sprachgebrauchs, nach Merz, Selbstauslegung 237, sogar eine „deutlich markierte
Referenz“ auf Röm 7.
51 So auch Johnson, Shape 30. Allerdings ist dies im 1Tim anders als im Gal und im Phil
durchgeführt (s. u.).
70 Hans-Ulrich Weidemann
An den Exkurs zum Thema Gesetz schließt sich die Danksagung 1,12 – 17 an.
Literarisches Vorbild dafür dürfte der Übergang von Röm 7 zu Röm 8 mittels
der Danksagung Röm 7,25a gewesen sein,52 da dem Verfasser bei der Kon-
zeption von 1Tim 1,8 – 11 sowieso Röm 7 vor Augen stand.
Für 1Tim stammt „unser“ Wissen über den rechten Gebrauch des Gesetzes
aus dem Evangelium, mit dem Paulus selbst betraut wurde.53 Pointiert for-
muliert L.T. Johnson: „Paul’s statement about the law and his own conversion
are seen as interconnected“.54 Abschließend (1,18 – 20) macht der pastorale
Paulus nochmals deutlich, dass der „Feldzug“ gegen die Irrlehrer zu den
zentralen Aufgaben des Timotheus in Ephesus gehört, ein Feldzug, den er
selbst bei seinem Aufenthalt im Falle des Hymenaios und Alexandros schon
exemplarisch geführt hatte – allerdings ohne Erfolg, wie dann 2Tim 2,17 f und
4,14 zeigen.
Der pastorale Paulus spricht also von seiner „Bekehrung“ in Form einer
Danksagung (1,12: w²qim 5wy55), die sich an die Erwähnung des ihm anver-
trauten Evangeliums anschließt. Die Danksagung erläutert den Relativsatz d
1piste¼hgm 1c¾ (V. 11), der wiederum von t¹ eqacc´kiom abhängt. Das nach-
gestellt emphatische 1c¾ gibt also sozusagen den Auftakt für die Selbstvor-
stellung des Apostels. Das pointierte d 1piste¼hgm 1c¾ (V. 11, vgl. 1Thess 2,4)
wird in V. 12 direkt wiederaufgenommen durch die Wendung pistºm (!) le
Bc¶sato h´lemor eQr diajom¸am. Paulus reagiert mit Dank für die Ausstattung
mit Kraft durch Jesus Christus, da ihn dieser für treu (pistºm) erachtet hat.56
Falls bereits mit dem Stichwort 1mdumaloOm auf das Damaskusgeschehen an-
gespielt sein sollte,57 dann zielt das ganze Geschehen auf die Einsetzung des
Paulus in die diajom¸a. Subjekt des Passivs ist laut 1,12 – 17 Christus selbst, die
Verse sind strikt christologisch formuliert.
Wichtig für das Verständnis der Danksagung ist die strukturelle Beobachtung,
dass Paulus faktisch zweimal auf seine Lebenswende anspielt. Dies ist am
52 Vgl. 1Tim 1,12 (w²qim 5wy t` 1mdumal¾samt¸ le Wqist` YgsoO t` juq¸\ Bl_m) mit Röm 7,25a
(w²qir d³ t` he` di± YgsoO WqistoO toO juq¸ou Bl_m). Gemeinsam ist beiden Wendungen der
Christusnahme sowie die Stichworte w²qir und b juq¸or Bl_m.
53 Oberlinner, 1Tim 32: „Die Gemeinschaft der Gläubigen, die in dem ,Wir‘ mitaufgenommen
ist, muss sich nach Meinung des Verfassers auf das ,Ich‘ des Apostels berufen können“.
54 Johnson, Shape 33.
55 Offenbar wird hier das paulinische eqwaqist_ (Röm 1,8) durch einen Latinismus (gratiam
habere) ersetzt (Trummer, Paulustradition 119, im Anschluss an Spicq 393 f), die Anregung
dazu kommt vermutlich aus Röm 7,25a (s. o.).
56 Wolter, Pastoralbriefe 41 f: Amtseinsetzung aufgrund von Zuverlässigkeit (Spannung zu S. 40:
keine vorgängige Qualität der Person) und – trotz 1mdumaloOm – kein pneumatisches Geschehen.
57 Diskussion bei Wolter, Pastoralbriefe 38.45. Die Wendung w²qim 5wy t` 1mdumal¾samt¸ le
stammt wohl aus Phil 4,13 (p²mta Qsw¼y 1m t` 1mdumaloOmt¸ le).
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 71
zweimaligen !kk± A(ke¶hgm (V. 13b/16a) zu ersehen, dem jeweils der Rekurs
auf die „Vergangenheit“ Pauli voransteht (13a/15e): Der, der in die diajom¸a
eingesetzt wurde, war zuvor ein Lästerer, Verfolger und Gewalttäter, der al-
lerdings aufgrund seines Unglaubens in Unwissenheit handelte – er war „der
erste der Sünder“.58 Die Erbarmens-Aussage ist im ersten Durchgang kausal
(fti), im zweiten dann final (Vma – pqºr) weitergeführt.
I II
V. 13c (fti): Grund für das Erbarmen: V. 16b (Vma): Ziel des Erbarmens:
Unwissenheit in Unglaube Erzeigen der Langmut Christi
58 Zu den beiden möglichen Aspekten von pq_tor vgl. Roloff 96: „Der Aspekt der Rangfolge und
der zeitliche Aspekt liegen hier ineinander, wobei der zweite, wie V. 16 zeigt, das Übergewicht
hat.“ Vgl. auch Wolter, Pastoralbriefe 61: Zeitliche Priorität des Apostels und prototypischer
Charakter seines Geschicks.
59 pqºr c. acc. hier vom Ziel, vom Zweck, von der Bestimmung, genauer: von der sich ergebenden
Folge (Bauer/Aland 1422): Paulus erfuhr Christi Erbarmen mit der Folge, dass er zum „Urbild“
der zukünftigen Glaubenden wurde.
60 Dies bezieht sich offensichtlich auf V. 13a zurück: Er tat das, was seinem früheren Wesen als
Lästerer, Verfolger und Gewalttäter entsprach.
61 Richtig Marshall/Towner 394: in V. 14 geht es darum „to emphasise the thought of the
superiority of the power of grace to that of sin“. Das Kompositum rpeqpkeom²feim „expresses a
comparative idea: grace abounded even more than sin“.
72 Hans-Ulrich Weidemann
62 Vgl. 1Tim 4,9; ferner 1Tim 3,1; 2Tim 2,11; Tit 3,8.
63 Dazu Brox 112 f. Roloff 90: „Die Formel verweist auf in der Tradition verwurzelte Aussagen
kerygmatischer (1,15b; 4,10; Tit 3,4 – 7), gottesdienstlich-hymnischer (2Tim 2,11b–13), aber
auch ordnungsmäßig-rechtlicher (1Tim 3,2ff) Natur“.
64 Vgl. Lk 19,10, aber auch Mk 2,17 par Mt 9,13 (laut Roloff 90 stellt 1Tim 2,15 eine „direkte
Transformation“ dieses Gkhom-Spruches dar).
65 Wolter, Pastoralbriefe 92.
66 Dazu Wolter, Pastoralbriefe 58 f.
67 Lçning, „Von ihnen bin ich der Erste“ 135.
68 Wolter, Pastoralbriefe 53.
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 73
fassung seiner Lehre, sondern verbindet den Kernsatz seines Evangeliums mit
seiner eigenen Person, genauer : mit seiner Lebenswende, dem „Damaskus-
geschehen“. Als erster der Sünder, die zu retten Christus in die Welt gekom-
men ist, verkörpert Paulus demnach das Evangelium; an ihm demonstriert
Christus die Langmut, die er jedem Sünder entgegenbringt.69
69 Vgl. dazu Lçning, „Von ihnen bin ich der Erste“ 135.
70 Holtzmann 110.
71 Vgl. neben den Anmerkungen die Liste wörtlicher Berührungen bei Schlatter 15.
72 Ferner 2Kor 4,1 sowie 1Kor 7,25, vgl. Schlatter 57 Anm. 2.
73 V.a. Röm 9,15 f (Ex 33,19 LXX) sowie 9,18. Vgl. außerdem 15,9. In 9,22 f stellt Paulus die sje¼g
1k´our den sje¼g aqc/r gegenüber.
74 Noch deutlicher ist allerdings der Bezug zu 2Kor 4,1, da hier analog zu 1Tim 1,12 diajom¸a in
Verbindung mit passivem Ake¶hglem steht; ferner 2Kor 5,18; 6,3. Roloff 92 übersieht den
Bezug zu Röm 11,13. Gegen Wolter, Pastoralbriefe 40, der mit Burchard von einem nivellie-
renden Begriff spricht.
74 Hans-Ulrich Weidemann
laut Röm 9,22 die zum Untergang bestimmten Gefäße des Zornes in großer
Langmut erträgt, obwohl er seinen Zorn erweisen wollte. Aus Röm 9,22 f
konnte der Verfasser des 1Tim also entnehmen, dass die göttliche lajqohul¸a
die Vernichtung der Zornesgefäße verhindert, obwohl75 Gott seinen Zorn er-
weisen wollte. Laut 1Tim erweist Christus (!) das ganze Ausmaß seiner
lajqohul¸a darin, dass er sich gerade über Paulus, seinen Feind, erbarmt und
diesen (so) zum Urbild des geretteten Sünders macht.
Nicht zu vergessen schließlich ist das Zitat aus Röm 9,1 in 1Tim 2,7 (!k¶-
heiam k´cy, oq xe¼dolai).76
Vor allem aber wird zumeist übersehen, dass die „Selbstbezeichnung“ des
pastoralen Paulus als „erster der Sünder“ (1Tim 1,15 f) an Röm 5 anknüpft, wo
Paulus (im Plural) von „uns“ als „Sündern“ (5,8) und „Feinden (Gottes)“
(5,10), ja sogar als „Gottlosen“ spricht, für die Christus gestorben ist.77 Die in
1Tim 1,15 greifbare Anspielung auf Röm 5,12 verstärkt diese Bezüge noch.78
Insofern ist es zwar richtig, dass Paulus sich selbst in seinen individuell-
autobiographischen Passagen nie als Typus des gottlosen Menschen
schlechthin und seine Lebenswende nicht als Umkehr von Gottlosigkeit und
frevlerischer Haltung zu wahrer Frömmigkeit darstellt.79 Allerdings kann er
sich in Röm 5 – und zwar „als existentiell Betroffener“80 – durchaus unter den
Labeln „Sünder“, „Gottloser“ und „Gottesfeind“ im Plural mit seinen primär
heidenchristlichen Adressaten zusammenschließen. Analoge Begriffe er-
scheinen aber in Röm 11 im Hinblick auf das nichtchristusgläubige Israel!81
Man kann die Paulusanamnese 1Tim 1,13 also als (Re-)Individualisierung und
(Re-)Biographisierung der in Röm 5,6 – 11 im Hinblick auf „uns“ sowie in
75 Oder weil? Die Deutung von eQ d³ h´kym ist umstritten. E. Ksemann, An die Römer (HNT 8a),
Tübingen 41980, 261: kausal oder modal; Denn V. 22 entspricht V. 17 (dort ebenfalls 1mde¸nylai
sowie Gottes d¼malir bzw. dumatºm). Es geht darum, Gottes Feinde ihrer Schuld und ihrem Trotz
anheimzugeben, zum Aufweis von Gottes Zorn.
76 Schlatter 15. 80 Anm. 2.
77 Röm 5,8: 5ti "laqtyk_m emtym Bl_m, sowie 5,10: 1whqo· emter (dazu dann 11,28 über die
nichtchristusgläubigen Juden: jat± l³m t¹ eqacc´kiom 1whqo· di’ rl÷r), vgl. außerdem 5,6: emtym
Bl_m !shem_m. Laut demselben Vers ist Christus für Gottlose (rp³q !seb_m) gestorben, womit
laut 5,8 eben „wir“ gemeint sind, die wir „Sünder waren“. Für „uns“ Sünder starb Christus (rp³q
Bl_m). Vgl. ferner in der 1. Person Singular Röm 3,7 (t· 5ti j!c½ ¢r "laqyk¹r jq¸molai) und
dann 3,9 (p²mtar rv ( "laqt¸am eWmai) und 3,23.
78 Der Bezug von 1Tim 1,15 (Gkhem eQr t¹m jºslom) auf Röm 5,12 (eQr t¹m jºslom eQs/khem) wird
notiert von Schlatter 61, Anm. 1.
79 So Roloff 93.
80 M. Theobald, Der Römerbrief I (SKK.NT 6/1), Stuttgart 1992, 141.
81 Vgl. Röm 11,26: !s´beia (der vom Zion kommende Retter wird alle Gottlosigkeit von „Jakob“
abwenden); 11,27: "laqt¸a (Gott wird dann „ihre Sünden“ wegnehmen); 11,28: 1whqo¸ (be-
züglich des Evangeliums: Feinde um euretwillen). Von Juden und Heiden unter der Sünde
spricht Paulus in Röm 3,9 – 20 und 3,22.
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 75
Laut M. Wolter ist 1Tim 2,7 „konsequenter End- bzw. Zielpunkt der voraus-
gegangenen, von 1,15 f ausgegangenen soteriologischen Argumentation“.83
Zugleich beginnt mit 2,1 das auf die Briefeinleitung folgende Briefkorpus.
Vermutlich deswegen kommt „Paulus“ nun erneut auf seine „Amtseinset-
zung“ zu sprechen (2,7). Denn es hat sich der (fiktive) Adressatenkreis der
Anweisungen verschoben: Begann der Brief mit der Erinnerung an die bei der
Abreise aus Ephesus ergangene Anweisung gegen die Irrlehrer (1,3 – 7: jah½r
paqej²kes² se / 1,18 – 20), so folgt nun die Anweisung an die ganze Ekklesia
(paqajak_ owm).84 Mit ihr werden die konkreten Ausführungen darüber er-
öffnet, „wie man im Haushalt Gottes leben muss“ (3,15). Die paulinischen
Anweisungen konstituieren sozusagen die Hausordnung der Ekklesia.85
Da mit 2,1 also ein neuer Abschnitt beginnt, wendet der pastorale Paulus die
bereits in 1,11 – 17 festgestellte Strategie an und betont erneut seine Amts-
einsetzung (2,7) in Verbindung mit einer knappen inhaltlichen Entfaltung
seines Evangeliums (2,5 f; hier : „Zeugnis“).
Das Briefkorpus des 1Tim beginnt mit der Gebetsparänese. Vor allen anderen
Dingen (pq_tom p²mtym!) ordnet „Paulus“ an, Gebete für alle Menschen (rp³q
p²mtym !mhq¾pym) zu verrichten.86 Gebete – und also der Gottesdienst (2,1 –
15) – sind für den pastoralen Paulus „a first priority“.87
Die Bemerkung zu den Gebeten für Könige und Obrigkeit, die ein ruhiges und stilles
Leben in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit ermöglichen sollen88, konkretisiert das
82 Ein Signal dafür ist vielleicht auch die von Schlatter 59 Anm. 1 notierte Anspielung auf Röm
5,20 (rpeqepeq¸sseusem B w²qir) in 1Tim 1,14 (rpeqepkeºmasem d³ B w²qir toO juq¸ou Bl_m).
83 Wolter, Pastoralbriefe 77.
84 Laut Oberlinner, 1Tim 65, richtet sich der Blick des Apostels nun auf eben diese Gemeinde
und die ihr aufgrund ihres Glaubens übertragene Aufgabe. Roloff 107: 2,1 – 3,6 enthält un-
mittelbare Anordnungen, 4,1 – 6,2 dagegen vermittelte Anordnungen („ordne du an“).
85 Lohfink, Theologie 108.
86 Die Wendung lehnt sich wohl an Phil 4,6 an (Schlatter 71, Anm. 1). Zum Pleonasmus 2,1
treffend Roloff 113: „Es gibt keinen Bereich des Betens, der von dem universalen Ausblick auf
,alle Menschen‘ befreit sein darf“. Collins 53: Das schließe auch die Gegner ein, gegen die
Paulus laut 1,18 – 20 vorging und gegen die Timotheus vorgehen soll.
87 M. Mitchell, Corrective Composition, Corrective Exegesis: The Teaching on Prayer in 1Tim
2,1 – 15, in: K.P. Donfried (Ed.), 1 Timothy Reconsidered (Colloquium Oecumenicum Paulinum
18), Leuven 2008, 41 – 62, 48. Vgl. ebd. 56: „Paul as in line with ,imperial values‘“.
88 Mitchell, Composition 56. Parallel zum Gebet für die Herrscher: Zurücktreten der „politi-
schen“ Begrifflichkeit und Verlagerung auf die Sphäre des Hauses? Merz, Amore Pauli 286: Der
Text sei ein Beleg für das Anliegen der Past, die paulinische Lehre in einer Form zu präsentieren,
76 Hans-Ulrich Weidemann
zunächst genannte Gebet für alle Menschen.89 Dennoch bleibt der Akzent auf der
universalen Ausrichtung auf „alle Menschen“, wie die Fortsetzung zeigt.90
Begründet (2,5: c²q) wird die Anweisung zur universalen Fürbitte mit dem
Zeugnis, das dem Paulus als seinem Herold, Apostel und Lehrer der Heiden
anvertraut wurde: Wie schon in 1Tim 1,15 das „Evangelium“ so fasst der Autor
auch in 1Tim 2,5 f das „Zeugnis“, für das Paulus eingesetzt wurde, prägnant
zusammen: „Einer ist Gott,91 einer auch Mittler zwischen Gott und den
Menschen, der Mensch Jesus Christus, der sich selbst gab als Lösegeld für alle
(rp³q p²mtym)“.92 Paulus bezeugt demnach die Einheit Gottes und seinen
universalen Rettungswillen, der sich in der Selbsthingabe des Mittlers Jesus
Christus „zugunsten aller“ erwies.93 Weil das dem Paulus anvertraute Zeugnis
eben die alle Menschen umfassende Rettungstat Gottes enthält, deswegen ist
die Ekklesia zum Gebet für alle Menschen verpflichtet. Durch das Gebet „für
alle Menschen“ ahmt die Ekklesia faktisch Gott nach, der will, dass alle
Menschen gerettet werden.94
Laut 2,4 will Gott, dass alle Menschen gerettet werden, indem95 sie zur
Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Die Wendung 1p¸cmysir !kghe¸ar ist
selbstreferentiell gemeint: „Mit !k¶heia wird ja das bezeichnet, was der fiktiv
schreibende Paulus seinen Gemeinden verkündet“.96 Diese Erkenntnis der
Wahrheit ist wiederum nur möglich durch das Zeugnis,97 für das Paulus zum
Herold, Apostel und Lehrer der Heiden eingesetzt wurde: „Was Gott ,will‘
(2,4), hat er durch die ,Einsetzung‘ des Apostels (2,7) ins Werk gesetzt“.98
„die sie loyal gegenüber dem Staat und den ihn gemäß der herrschenden Ideologie stützenden
Institutionen, v. a. der patriarchalen Familie und der alle Menschen einigenden Religion, er-
scheinen lässt“.
89 Mitchell, Composition 53: die Konkretisierung zu „archetypical figures“ des Imperiums zeige
auch, dass insbesondere „Gentile unbelievers“ im Blick sind. Roloff 108: Besonders expo-
niertes Beispiel. Collins 53: Gebete für die Obrigkeit schließen Gebete zum Kaiser aus.
90 Richtig Roloff 108.
91 Vgl. Röm 3,30 (und Gal 3,20)! Vielleicht korrespondiert die Voranstellung der eXr-Heºr-Formel
mit dem Titel did²sjakor 1hm_m, den sich Paulus am Ende beilegt. Demnach führt die „Lehre“
des Apostels Heiden zur Akklamation des einen Gottes Israels.
92 Offenbar steht eine Kombination aus dem Shema Israel Dtn 6,4 mit der Selbsthingabeformel Mk
10,45 par Mt 20,28 (vgl. Lk 22,27) im Hintergrund, allerdings „übersetzt“: Menschensohn =
Mensch; „für Viele“ = für alle. Mitchell, Composition 54, sieht in 1Tim 2,5 ein „deliberate
rewriting of 1 Cor 8,6“, was sich im „shift from p²mta to p²mter“ zeige. Vgl. aber auch Röm 8,32!
93 Die Frontstellung der Passage bleibt umstritten: Jeremias 20: im Gegensatz zur Synagoge
(ähnlich Roloff 115), dagegen Oberlinner, 1Tim 70 f: Antignostische Spitze.
94 Mitchell, Composition 49, spricht mit Recht von „imitatio dei“.
95 ja¸ explicativum, vgl. Mutschler, Glaube 251. Zum Zusammenhang von p¸stir und !k¶heia
vgl. H. v. Lips, Glaube – Gemeinde – Amt. Zum Verständnis der Ordination in den Pastoral-
briefen (FRLANT 122), Göttingen 1979, 35 – 38.
96 Oberlinner, 1Tim 73. Vgl. dazu v. a. 2Tim 2,15: b kºcor t/r !kghe¸ar!
97 Trummer, Paulustradition 120: Die Funktion des Paulus bestehe in der Verlängerung des
Zeugnisses Jesu.
98 Treffend Mutschler, Glaube 250.
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 77
Inhaltlich bezeugt der Apostel die Selbsthingabe des Mittlers zwischen dem
einen Gott und den Menschen, nämlich die Hingabe des Menschen Jesus
Christus als Lösegeld für alle. Die Selbsthingabe des Menschen Jesus Christus
ist Inhalt des Zeugnisses, mit dem der Apostel betraut wurde. Dieses wie-
derum ist die Voraussetzung der rettenden Erkenntnis der Wahrheit. Damit
wird die Einsetzung des Paulus „konstitutiver Bestandteil der Realisierung des
in V. 4 formulierten universalen Heilswillens Gottes“.99
Wie in Tit 3 die Taufe, so wird in 1Tim 2 die „universale“ Gebetspraxis der Ekklesia
ebenfalls in den Dienst der Legitimation des (ps.)paulinischen Evangeliums ge-
stellt.100 Der pastorale Paulus verkündet den universalen Heilswillen Gottes und
ordnet in der Brieffiktion damit sowohl die Fürbitte der Ekklesia an, als er auch die
wahre Bedeutung der Taufe erklärt. Das zeigt der Gebrauch des Stichwortes „retten
(s]feim)“, das 1Tim 2,4 mit Tit 3,4 verbindet.
Wenn sich der pastorale Paulus in 1Tim 2,7 betont101 als „Lehrer der Heiden/
Völker in Glaube und Wahrheit“ (did²sjakor 1hm_m 1m p¸stei ja· !kghe¸ô)
darstellt, dann knüpft er damit eindeutig an Röm 1,5 und 11,13 an (vgl. noch
Gal 1,16; 2,6 – 10.).102 Allerdings ist in den Pastoralbriefen von Paulus nirgends
als dem Heidenapostel die Rede, das Genitivattribut 1hm_m ist hier in 1Tim 2,7
auf den Begriff did²sjakor verlagert. Der Grund hierfür liegt im „exklusiven
Paulinismus“ der Pastoralbriefe, der sich insbesondere in der Verwendung des
Aposteltitels zeigt. Paulus ist nicht nur der einzige und wahre Lehrer,103 er ist
auch der Apostel, „der eine maßgebliche Apostel schlechthin“,104 andere
Apostel kommen überhaupt nicht mehr in den Blick.105 Wenn dies aber so ist,
dann entfällt auch jede Notwendigkeit (ja geradezu jede Möglichkeit), den
einen Apostel durch ein Genitivattribut wie 1hm_m von anderen zu unter-
99 Wolter, Pastoralbriefe 77. Vgl. O. Hofius, Die Ordination zum Amt in der Kirche und die
apostolische Sukzession nach dem Zeugnis der Pastoralbriefe, in: ZThK 107 (2010), 261 – 284,
283: „Dass das Evangelium laut wird, ist demnach die notwendige Bedingung dafür, dass
Menschen im Glauben an Christus das Heil empfangen“. Das Heil der Menschen hänge
demnach von der Bezeugung des Evangeliums ab.
100 Die apostolischen Anordnungen plausibilisieren das paulinische Evangelium und damit zu-
gleich den damit untrennbar verbundenen paulinischen Apostolat.
101 Die in 1Tim 2,7 gebrauchte Wendung did²sjakor 1hm_m wird durch die aus Röm 9,1 stam-
mende Schwurformel sowie durch das Attribut „in Glaube und Wahrheit“ betont und bildet
eindeutig die Klimax der Trias j/qun – !pºstokor – did²sjakor.
102 Laut Röm 1,5 hat Paulus Gnade und Apostelamt durch den Herrn Jesus Christus empfangen,
„um Glaubensgehorsam (aufzurichten) unter allen Heiden (1m p÷sim to?r 5hmgsim) für seinen
Namen“. Und in 11,3 formuliert Paulus prägnant: 1c¾ eQli 1hm_m !pºstokor, und preist diese
seine diajom¸a. Vgl. außerdem Röm 1,13 f (der Begriff 5hmg wird hier mit GEkkgsim te ja·
baqb²qoir ausgefaltet); 10,16; 15,18.
103 Lohfink, Theologie 71.
104 Roloff 56.
105 Dazu Brox 73. Anders z. B. Gal 1,17.19; 2,8; 1Kor 9,5; 15,7.9, aber auch Röm 16,7, polemisch in
2Kor 11,5, gesteigert in 11,13.
78 Hans-Ulrich Weidemann
Fazit: Die Lebenswende des Paulus begründet in 1Tim 1,11 durch die Be-
trauung mit dem Evangelium seine einzigartige und singuläre diajom¸a, diese
umfasst aber nicht nur die Verkündigung der soteriologischen Kernbotschaft,
sondern auch ihre Verkörperung: „Paulus ist als ,Erster‘ der gerechtfertigten
Sünder das bevorzugte Lehrmittel (,Musterbeispiel‘) im didaktischen Reper-
toire Christi“.107 Tatsächlich vermeidet der Verfasser bei der Schilderung der
vorchristlichen Existenz des Paulus alle individuellen und einzigartigen Züge.
Indem er das Damaskuserlebnis zweimal mit Ake¶hgm (1,13/16) beschreibt,
nimmt er auch diesem jeden individuellen Zug. Das Singuläre des paulini-
schen Apostolats besteht also nicht in erster Linie in der einzigartigen und
unwiederholbaren Weise seiner Begegnung mit dem auferstandenen Christus,
sondern darin, dass ihm – und nur ihm – das Evangelium anvertraut wurde
(1Tim 1,11), er für das Evangelium (2Tim 1,10 f), für das Zeugnis (1Tim 2,7),
für das Kerygma (Tit 1,3) eingesetzt wurde. Im Hinblick auf die „Rettung“ ist
er tatsächlich „nur der Prototyp“,108 zugleich aber der Herold, Apostel und
Lehrer der Heiden (2,7), der eben mit der Verkündigung – mehr noch: mit der
Verkörperung – dessen beauftragt ist, was sich an ihm exemplarisch vollzogen
hat.
Der pastorale Paulus redet in 1Tim 1,12 – 17 von seiner Lebenswende als
Erbarmen in Aufnahme von Textpassagen aus Röm 9 – 11, ohne im Entfern-
testen die dort entwickelte Israel-Thematik oder auch nur die dortigen au-
tobiographischen Passagen aufzunehmen. Statt dessen spricht er in Verlän-
gerung von Röm 5,6 – 11 von sich als einstigem „Sünder“. Liest man 1Tim
1,12 – 17 auf dem Hintergrund von Röm 11,30 – 32 (Holtzmann), dann wird
der pastorale Paulus in eine Reihe mit den ungehorsamen Heiden gestellt, über
die sich Gott bereits erbarmt hat (Röm 11,30: mOm d³ Ake¶hgte). Das in Röm 11
ausgesagte Geschick der christusglaubenden Heiden hat sich demnach an
Paulus prototypisch vollzogen.
Paulus bezeichnet sich im Kontext von Röm 9 – 11 als Apostel der Heiden
(11,13) und sieht sich zugleich – weil er selbst Israelit aus dem Samen Abra-
hams und dem Stamm Benjamin ist (Röm 11,1) – „als den Prototyp des dem
Evangelium gegenüber verschlossenen und des von dem erwählenden Gott
nicht preisgegebenen Israel“.109 Ihm stellt 1Tim 1,12 – 17 seinen Paulus als die
106 Wie dies bei der „Aufteilung der Missionsbereiche“ in Gal 2,7 – 10 ja geschieht! Anders als noch
bei Paulus selbst ist der Apostolat des pastoralen Paulus nicht auf einen bestimmten Bereich
(mit Gal 2,8: die !jqobust¸a und nicht die peqitol¶) eingegrenzt.
107 Pointiert Lçning, „Von ihnen bin ich der Erste“ 136.
108 Lçning, „Von ihnen bin ich der Erste“ 140.
109 So O. Hofius, Das Evangelium und Israel. Erwägungen zu Röm 9 – 11, in: ders., Paulusstudien
(WUNT 51), Tübingen 21994, 175 – 202, 198: „Israel kommt auf die gleiche Weise zum Glauben
wie Paulus selbst! Wie Paulus, der in strenger Tora-Observanz die dijaios¼mg 1j mºlou gesucht
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 79
rpot¼pysir der Sünder, die Christi Erbarmen finden und zum Glauben an ihn
kommen, an die Seite. Hatte Paulus selbst in Röm 9 – 11 seine Lebenswende
indirekt als Vorbild der „Rettung ganz Israels“ gezeichnet, so inszeniert 1Tim
1,12 – 17 seine Lebenswende als Urbild der Rettung eines jeden Menschen –
faktisch von Heiden. Der Preis, den die Pastoralbriefe dafür zu zahlen bereit
sind, ist das Verblassen jeder jüdischen Kontur des Apostels (s. u.).110
Die beiden Briefeinleitungen des 1Tim und des 2Tim sind bei allen Unter-
schieden im Detail offensichtlich aufeinander abgestimmt.111
Laut dem Präskript des 2Tim gründet der Aposteltitel allerdings in dem
Willen (h´kgla) Gottes.112 Vermutlich ist ein Bezug zu 1Tim 2,4 intendiert: auf
Gottes Willen, dass alle Menschen gerettet werden, indem sie zur Erkenntnis
der Wahrheit gelangen, gründet der paulinische Apostolat.
Wichtiger ist aber, dass nun auch der Zweck113 des paulinischen Apostolats
angegeben wird: Paulus ist Apostel jat( 1paccek¸am fy/r t/r 1m Wqist` YgsoO.
Es ist hier dieselbe Grundstruktur zu erkennen wie im 1Tim und im Tit: Das
Apostelamt des Paulus steht im Dienst der Verkündigung der (noch ausste-
henden, aber in Christus endgültig bestätigten) Verheißung ewigen Lebens.
Gott, der dieses ewige Leben verheißen hat, hat Paulus zum Apostel eingesetzt,
um sowohl diese Verheißung zu offenbaren, als auch durch die Person und die
Lebenswende des Paulus als „Urbild“ für alle zukünftig Glaubenden die si-
chere Erfüllung dieser Verheißung zu garantieren.
und als ein Feind des Evangeliums die Gemeinde des Gekreuzigten verfolgt hat (Gal 1,13 f; Phil
3,4ff), durch die Begegnung mit dem auferstandenen und erhöhten Kyrios überwunden wurde,
so wird es auch mit ,ganz Israel‘ geschehen“. Vgl. ebd. 197: „,Ganz Israel‘ kommt nicht durch
die Predigt des Evangeliums zum Heil. Das bedeutet jedoch keineswegs einen ,Sonderweg‘ am
Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei!“
110 Vgl. dazu in diesem Band den Aufsatz von Michael Theobald.
111 Die Präskripte sind bis auf kleine Unterschiede ganz analog (vgl. die Synopse bei Marshall/
Towner 683). Weitere Stichwortverbindungen: w²qim 5wy (1Tim 1,12 = 2Tim 1,3, allerdings in
1Tim christologisch, in 2Tim theozentrisch); rpot¼pysir (1Tim 1,16/2Tim 1,13); eqacc´kiom
(1Tim 1,11; 1Tim 1,8.10 f); w²qir (1Tim 1,14; 2Tim 1,9) die Wortfelder d¼malir (1Tim 1,12/
2Tim 1,8.12); s])üneim sowie „Gesundheit“ (1Tim 1,10; 2Tim 1,13).
112 Anders 1Tim 1,1: jat( 1pitacµm heoO. Wolter 149 – 152 betont die Unterschiede zwischen
beiden Wendungen, dagegen aber Marshall/Towner 685.
113 jat² c. acc. hier zur Angabe des Zwecks („um … willen, wegen, nach, auf, zu“). Richtig ergänzt
daher Jeremias 48: „zur (Verkündigung der) Verheißung des Lebens, (das uns) in Jesus
Christus (geschenkt wird)“.
80 Hans-Ulrich Weidemann
Dies wird dann in 2Tim 1,8 – 12 weiter ausgefaltet. Zunächst aber folgt auf das
Präskript die Danksagung (1,3 – 5): Der pastorale Paulus sagt Gott Dank, dem
er von den Vorfahren her mit reinem Gewissen dient. Der Dank wird motiviert
durch das Gedenken114 an Timotheus in den unablässigen Gebeten des
Apostels. Dieser wird also wie in Röm 1,9 f in quasi priesterlicher Funktion
gezeichnet: Das katqe¼eim Gottes vollzieht sich insbesondere im fürbittenden
Gebet zu Gott, innerhalb dessen Paulus der Römer bzw. des Timotheus ge-
denkt.115 Überhaupt fallen die engen Bezüge von 2Tim 1,3 – 5 zu Röm 1,8 – 13
ins Auge, so dass man davon auszugehen hat, dass die Danksagung des 2Tim
nach dem Vorbild der Danksagung des Römerbriefes gestaltet ist.116 Umso
auffälliger ist dann der in der Danksagung des Römerbriefs fehlende Verweis
auf die ebenfalls den einen Gott verehrenden Vorfahren des Paulus. Damit
setzt der Verfasser des 2Tim einen eigenen Akzent.
Zwischen dieser Bemerkung in 2Tim 1,3 und der Darstellung der Vergangenheit des
Paulus in 1Tim 1,12 – 17 besteht auf den ersten Blick ein großer Unterschied, wenn
nicht ein Widerspruch.117 Allerdings ist zu beachten, dass 2Tim 1,3 theozentrisch,
1Tim 1,12 – 16 dagegen christozentisch formuliert ist. T. Glaser weist zudem mit Recht
darauf hin, dass der Spannung zwischen 1Tim 1,13 (vgl. Tit 3,3) und 2Tim 1,3 die
Unausgewogenheit der paulinischen Zeugnisse entspricht.118 Hinzu kommt, dass die
„im Rückblick sich darbietende Rechenschaft über das eigene Leben“ zur Gattung
des literarischen Testaments bzw. des Abschiedsbriefes gehört, der der 2Tim im
Unterschied zum 1Tim verpflichtet ist.119 Überein kommen beide Stellen darin, dass
114 Dazu Lips, Glaube 168 f: „Pls erinnert sich an Tim und erinnert Tim an das, was beide
miteinander verbindet und was Tim von Pls hat“.
115 E. Peterson, Der Brief an die Römer (AS 6), Würzburg 1997, 20 f. Treffend formuliert Hasler
56: „Die Fürbitte im Kerker wird zur priesterlichen Liturgie des vor seiner Vollendung ste-
henden Heiligen im Heiligtum“.
116 Die wichtigsten dieser Bezüge: è katqe¼y 1m t` pme¼lat¸ lou (Röm 1,9) entspricht è katqe¼y
!p¹ pqocºmym 1m jahaqø sumeid¶sei (2Tim 1,3). Außerdem das ununterbrochene Gedenken: ¢r
!diake¸ptyr lme¸am rl_m poioOlai (Röm 1,9) und !di²keiptom 5wy tµm peq· soO lme¸am 1m pa?r
de¶ses¸m lou (2Tim 1,3). Analog formuliert ist auch der Wunsch nach einem baldigen Treffen:
1pipoh_ c±q Qde?m rl÷r (Röm 1,11) und 1pipoh_m se Qde?m (2Tim 1,4). In beiden Proömien ist
von unablässigen Gebeten die Rede (Röm 1,10: p²mtote 1p· t_m pqoseuw_m lou deºlemor … /
2Tim 1,3: 1m ta?r de¶ses¸m lou mujt¹r ja· Bl´qar). Ferner wird jeweils die p¸stir der Adres-
saten genannt (Röm 1,8, vgl. V. 12 / 2Tim 1,5). Formal entsprechen sich die Eingangswen-
dungen der Dankssagung: eqwaqist_ t` he` (Röm 1,8) und w²qim 5wy t` he` (2Tim 1,3).
Schwerlich zufällig ist auch, dass in beiden Proömien von w²qisla (Röm 1,11 / 2Tim 1,6) die
Rede ist, wenngleich der Begriff je unterschiedliche semantische Konnotationen besitzt (vgl.
auch Röm 6,23: w²qisla toO heoO). Die Wendung Vma waq÷r pkgqyh_ (2Tim 1,4) schließt an
Röm 15,13 (vgl. Phil 2,2) an.
117 Oberlinner, 2Tim 15 f: Unübersehbare Spannung, Erklärung ebd. 16.
118 Glaser, Paulus 216 f.
119 Dazu Weiser 39 f, der noch dazu auf „das Element der generationenübergreifenden Weiter-
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 81
die Vergangenheit des Paulus mit keiner Silbe ausdrücklich als jüdisch gekenn-
zeichnet wird.
Die Aussage über die Vorfahren des Paulus in 1,3 ist sichtlich auf die Aussage
über die Herkunft des Timotheus in 1,5 abgezweckt. Dabei ist in beiden Fällen
nicht die jeweils jüdische Herkunft der Protagonisten im Blick,120 sondern in V.
5 wird die (erfolgreiche) Glaubensvermittlung durch Frauen, genauer : Mütter
angezielt. Ob es im Falle des Timotheus um den jüdischen Gottesglauben oder
bereits um den Glauben an Jesus Christus geht, bleibt letztlich offen, auch
wenn das hier (im Unterschied zu 1,3) gebrauchte Stichwort p¸stir auf Letz-
teres hindeuten dürfte.121 Zu dieser Glaubensvermittlung gehört laut 3,14 – 17
auch die Einführung in die biblischen Schriften!
Dieser Rekurs auf die Herkunft der p¸stir von der mütterlichen Seite des
Timotheus her ist bemerkenswert. Auch wenn diese Informationen auf bio-
graphisches Wissen zurückgehen dürften,122 so ist dieses „Erinnerungsbild“
doch offenbar auf die sonstigen Aussagen der Past über Frauen abgezweckt.
Denn laut dem hier vertretenen Idealbild bekommen Frauen Kinder, anstatt
ehelos zu bleiben (vgl. 1Tim 2,15; 5,14; Tit 2,4). Diese Kinder erziehen sie gut
(vgl. 1Tim 5,10), insbesondere lehren ältere Frauen den jüngeren Gutes (Tit
2,3). Des Timotheus Großmutter Lois und seine Mutter Eunike sind ganz
entsprechend diesem Idealbild geschildert: Sie sind Mütter, und Lois hat ihrer
Tochter ebenso wie Eunike ihrem Sohn den Glauben vermittelt. Durch ihr
Wirken wohnt der Glaube nun „in dir“ (1,5: 1m so¸).
Neben diese „matriarchale“ Linie tritt in 2Tim 1,6 f dann aber die von
Paulus zu Timotheus als dessen „rechtmäßigem“ bzw. „geliebtem Kind“ lau-
fende Linie. Durch die Handauflegung des Apostels wird Timotheus zum
Nachfolger des Paulus designiert,123 vor allem aber vermittelt Paulus dem
Timotheus das Charisma124 und damit auch pmeOla.125 Das dreifache „in Dir“
gabe des Überlieferungsgutes“ verweist. Laut Weiser ist der 2Tim ein testamentarisches
Mahnschreiben in Form eines Freundschaftsbriefes.
120 Weiser 89, spricht treffend von „religionssoziologischer Unschärfe“.
121 So auch Mutschler, Glaube 345, laut dem die Analogie zu den Vorfahren also strukturell
gegeben, aber inhaltlich verschieden gefüllt ist.
122 So Mutschler, Glaube 345 (mit Recht gegen Weiser 96 f), sowie Marschall/Towner 695.
Laut Apg 16,1 – 3 war Timotheus der Sohn einer jüdischen (christus?)gläubigen Frau (uR¹r
cumaij¹r Youda¸ar pist/r) und eines nichtjüdischen (griechischen) Vaters (patq¹r d³
GEkkgmor).
123 Laut Wolter, Pastoralbriefe 219 – 222, ist die Handauflegung hier anders als in 1Tim 4,14 als
Sukzessionsritus verstanden (unter Berufung auf Num 27,18.23; Dtn 34,9).
124 Oberlinner, 2Tim 29: Paulus ist exklusiver Mittler des Charismas. Hasler 57: Charisma ist
hier „die besondere Ausrüstung des durch Ordination zum Gottesmann geweihten Amtsträ-
gers“. Nach Hofius, Ordination 266, kennen die Past nur ein einziges durch die Ordination
übertragenes Amt: das des 1p¸sjopor, dem der Dienst der Verkündigung und Lehre übertragen
ist. Zur Handauflegung als effektiver Handlung, nicht aber als Weitergabe eines Charismas vom
Ordinator auf den Ordinanden ebd. 273.
125 Zur Wendung pmeOla deik¸ar vgl. Röm 8,15 (pmeOla douke¸ar).
82 Hans-Ulrich Weidemann
(1m so¸) in 1,5.6 ist signifikant: „In“ Timotheus ist sowohl die p¸stir, nämlich
von Mutter und Großmutter her (1,5), als auch das w²qisla toO heoO, nämlich
durch die Auflegung der Hände des Paulus (1,6).126 Letzteres muss allerdings
„angefacht“ werden, bedarf also zu seiner Wirksamkeit der ständigen Akti-
vierung.127
Geht man von der Einheit der Pastoralbriefe aus, dann kann man in 2Tim 1,1 – 7 eine
doppelte Polemik gegen die „Irrlehrer“ erkennen, die gegen Heirat sind (1Tim 4,3)
und die sagen, die Auferstehung sei schon geschehen (2Tim 2,17 f).
Auch in der folgenden Passage 2Tim 1,8 – 12 sind die Bezüge auf den Rö-
merbrief, konkret auf dessen propositio 1,16 f128, aber auch auf andere Passa-
gen dieses Briefes129 überdeutlich. Mit Bausteinen aus dieser propositio ge-
staltet der Autor 2Tim 1,8 und 1,12 und rahmt damit den Mittelteil 1,9 – 10. Die
entscheidenden Stichworte aus Röm 1,16 f (1paisw¼meshai, d¼malir heoO,
eqacc´kiom) bilden also eine Inclusio.130 Um diese legt sich mit 1,6 f und 1,13 f
eine zweite Inclusio (pmeOla, !c²pg131). Wenn dem so ist, dann fällt auf, dass
der Verfasser mit dem Stichwort p²sweim (1,8/12) einen Akzent setzt, der in
Röm 1,16 f noch fehlt. Timotheus wird aufgefordert, sich nicht nur nicht des
Zeugnisses unseres Herrn und Pauli, seines Gefangenen, zu schämen, sondern
für das Evangelium mitzuleiden (1,8: sucjajop²hgsom t` eqaccek¸\), um
dessentwillen auch Paulus selbst „dies leidet“ (1,12: taOta p²swy). Die Ein-
setzung als Herold, Apostel und Lehrer wird im 2Tim also weitergeführt durch
126 Dazu Lçning, „Von ihnen bin ich der Erste“ 149: Glaube als etwas Gesichertes, Stabiles (an das
sich Paulus – intransitiv – erinnert), Charisma als Veränderliches, Ungesichertes, Erlöschendes
(an das Paulus – transitiv – Timotheus erinnert).
127 Hofius, Ordination 274.
128 Vor allem die folgenden drei klaren Stichwortbezüge: oqj bzw. lµ 1paisw¼molai (in 2Tim
allerdings mit doppeltem Objekt), eqacc´kiom sowie d¼malir heoO (dazu noch 2Tim 1,12:
dumatºr 1stim). Außerdem die Wortfelder sytgq¸a (Röm 1,16), s]feim (2Tim 1,9), syt¶q (2Tim
1,10) und p¸stir (Röm 1,17), piste¼eim (Röm 1,16; 2Tim 1,12). Vgl. ferner di’ Dm aQt¸am in 1,6/12.
129 Zu pqºhesir in 2Tim 1,9 vgl. Röm 8,28 (to?r jat± pqºhesim jkgto?r)! Die Wendung oWda (…) ja·
p´peislai in 2Tim 1,12 stammt aus Röm 14,14, die vom „in uns wohnenden Geist“ in 2Tim 1,14
(di± pme¼lator "c¸ou toO 1moijoOmtor 1m rl?m) aus Röm 8,11 (di± toO 1moijoOmtor aqtoO
pme¼lator 1m rl?m). Zu !vhaqs¸a in 2Tim 1,10 vgl. außerdem 1Kor 15,42.53.54.
130 Oberlinner, 2Tim 26: die Rahmentexte sind durch das bekenntnishafte Zwischenstück ei-
nerseits getrennt, andererseits übergreifend miteinander verknüpft. A. Stçger, Die Wurzel
priesterlichen Lebens. 2Tim 1,6 – 14, in: ThPQ 136 (1988), 252 – 257, 252 f: ein Kern und zwei
Schalen.
131 Vgl. auch die Immanenzaussage über das Charisma Gottes in 1,6 (t¹ w²qisla toO heoO 1m so¸)
mit jener über den Heiligen Geist in 1,14 (toO 1moijoOmtor 1m Bl?m).
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 83
den Aspekt des Leidens aufgrund des Evangeliums (2Tim 1,12: di’ Dm aQt¸am ja·
taOta p²swy), außerdem um den Aspekt der Schande/Scham (1,8/12).132
Im Mittelstück 1,9 f wird – wie in 1Tim 1,15 – das Evangelium inhaltlich
entfaltet. Dieses ist wieder exklusiv an Paulus als seinen Herold, Apostel und
Lehrer gebunden. Die Struktur der Aussage ist schon bekannt: Der von Gott
vor ewigen Zeiten gnadenhaft gefasste Vorsatz ist in der Epiphanie Jesu Christi
erschienen, der den Tod vernichtet und uns gerettet hat. Diesen präsentischen,
auf die Taufe bezogenen Aussagen,133 die mit dem Hinweis auf die „Werke“
erläutert werden, steht nun allerdings diejenige in 1,10 an der Seite, wonach
„Leben und (zwar im Sinne von)134 Unverweslichkeit“ durch das Evangelium
ans Licht gebracht (vyt¸samtor) sind, aber noch ausstehen.135 Nur im von
Paulus verkündigten und von ihm verkörperten Evangelium leuchten Leben
und Unverweslichkeit auf: Indem Paulus Jesu Tod und Auferstehung (sc. die
Vernichtung des Todes) verkündigt, kommen Leben und Unsterblichkeit (als
den Glaubenden verheißene Heilsgüter) ans Licht. Das Evangelium ist dem-
nach das Medium, durch das sich die Offenbarung von Leben und Unver-
weslichkeit vollzieht (vyt¸samtor … di² …).136 Der Apostolat wie das Evan-
gelium des Paulus sind also auf die Verheißung des eschatologischen Heils
hingeordnet. Damit wird Paulus selbst zum unverzichtbaren Offenbarungs-
mittler.
Es ist daher fraglich, ob in 1Tim 1,9 f wirklich eine andere Konzeption vorliegt als in
Tit 1,1 – 3.137 Tatsächlich fehlt in 2Tim 1,9 f die Kategorie der Verheißung, diese er-
scheint aber schon in 1,1 (1paccek¸a fy/r). Die beiden Verse sind im Sinne von Tit
1,1 – 3 zusammenzunehmen:138 Das verheißene Leben (samt Unverweslichkeit) wird
im Evangelium „ans Licht gebracht“, also durch den Herold Paulus verkündigt, steht
aber noch aus. Darauf deutet auch das Stichwort !vhaqs¸a hin, mit dem die fy¶
weitergeführt wird und die eindeutig auf die zukünftige Heilsvollendung hinweist.
Während also die in der Taufe vollzogene Rettung und Gerechtmachung be-
reits feststehende „Heilstatsachen“ sind, steht die Erfüllung der Verheißung
des ewigen Lebens – im Sinne der Unverweslichkeit – noch aus. Die Front-
stellung dieser Konzeption gegen die in 2Tim 2,18 zitierte Grundposition der
„Irrlehrer“ ist deutlich. Der pastorale Paulus zieht eine scharfe Grenzlinie
132 Zum Thema des Leidens im zweiten Timotheusbrief vgl. noch 2Tim 1,16; 2,1 – 3; 2,8 – 13; 3,10 –
12; 4,6 – 8; 4,14.
133 Vgl. zur „Rettung“ durch die Taufe Tit 3,5 (5sysem Bl÷r di± koutq¹m pakiccemes¸ar ja· !ma-
jaim¾seyr pme¼lator "c¸ou), zum Bezug von jake?m auf die Taufe 1Tim 6,12.
134 Explikatives ja¸.
135 Mittels einer l´m-d´-Konstruktion werden die Vernichtung des Todes und das Sichtbarwerden
des Lebens und der Unverweslichkeit einander gegenübergestellt.
136 Lçning, „Von ihnen bin ich der Erste“ 144: „Die Verkündigung durch das Evangelium ge-
schieht also nicht nachträglich zum Ereignis selbst, sondern ist das Ereignis als Offenbarung
Gottes an die Menschen“.
137 So aber Wolter, Pastoralbriefe 83 f.
138 In diese Richtung auch Lohfink, Theologie 75.
84 Hans-Ulrich Weidemann
Fazit: Im 2Tim ist die Einsetzung des Paulus als Verkünder, Apostel und
Lehrer des Evangeliums durch die Leidensthematik ergänzt: Für das Evan-
gelium, durch das Gott Leben und (also) Unvergänglichkeit ans Licht gebracht
hat, muss Paulus leiden. Dies umfasst insbesondere das Leiden, das dem
Apostel vonseiten seiner eigenen (ehemaligen) Gemeindeglieder widerfährt
(vgl. 2Tim 1,15; 2,17 f; 4,10.14 f). Aber nicht nur die „Amtseinsetzung“ erfährt
gegenüber Tit und 1Tim eine Modifikation. Im als Abschiedsbrief konzi-
pierten 2Tim blickt Paulus, den nahen Tod vor Augen (2Tim 4,6 f), unter dem
Vorzeichen der Kontinuität auf sein Leben zurück, von einer Lebenswende ist
keine Rede mehr, weder individuell noch generalisierend. Allerdings sind die
dezidiert jüdische Herkunft und Lebensführung des Paulus ebenso abge-
blendet wie das „Damaskuserlebnis“.
Zweimal wird in den Past die „vorchristliche“ Zeit des Paulus direkt thema-
tisiert, in 1Tim 1,13 und 2Tim 1,3. In 1Tim 1,13 sagt der pastorale Paulus von
sich, dass er „zuerst ein Lästerer und Verfolger und Gewalttäter“ war, fügt aber
hinzu, er habe „unwissend im Unglauben“ gehandelt. Diese Charakterisierung
wird in der Selbstbezeichung, er sei (der erste der) „Sünder“ zusammenge-
fasst. In 2Tim 1,3 redet er dagegen von seinem von den Vorfahren herkom-
menden Gottesdienst.
Der Vergleich mit den paulinischen autobiographischen Passagen ist
lehrreich. Die von Paulus selbst in Gal 1, 1Kor 9,1; 15 und Phil 3 zur Dar-
stellung seiner Lebenswende in Dienst genommenen „Modelle“ bzw. Typo-
logien werden in 1Tim nicht reaktiviert: Weder die Prophetenberufung aus Gal
139 Wolter, Pastoralbriefe 88 f, pointiert: Paulus selbst wird zum Garanten des eschatologischen
Heils.
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 85
1140, noch Topoi aus Ökonomie und Sport aus Phil 3141 noch das Modell der
Osterzeugen aus 1Kor 15142 spielen in den Pastoralbriefen im Kontext der
Lebenswende und der Amtseinsetzung des Apostels eine Rolle. Dass Paulus
eine Vision des erhöhten Christus zuteil wurde (1Kor 9,1; 15,8), wird nicht
angedeutet.
Statt dessen ist zunächst die hier vorgenommene Generalisierung deutlich:
So fehlt in 1Tim 1,13 die Angabe, wen oder was Paulus verfolgt haben soll.143
Auch die anderen Selbstbezeichnungen (bk²svglor ja· … rbqist¶r) bleiben
objektlos und damit inhaltlich unbestimmt: hat Paulus Gott oder Christus
gelästert144, hat er die Ekklesia Gottes verleumdet, hat er Gewalt gegen chris-
tusgläubige Juden angewendet oder gegen Gott gefrevelt? Dies alles bleibt
undeutlich.
Dazu passen die Bezüge zwischen 1Tim 1,13 und Tit 3: Als „Lästerer“ hat Paulus einst
so gehandelt, wie die Gläubigen jetzt nicht mehr handeln sollen (Tit 3,2), die Läs-
terung ist – wie K. Löning richtig beobachtet – „nur als Variante der allgemeinen
Misanthropie“, die laut Tit 3,3 den Wandel aller Glaubenden „einst“ geprägt hat.145
Dasselbe gilt für die Unwissenheit und den Unglauben (1,13).
140 Vgl. Gal 1,15 mit Jes 49,1, außerdem Jes 49,5 und Jer 1,5.
141 Vgl. Phil 3,7 f (Gewinn/Verlust) sowie 3,12 – 14 (Agon-Motivik) und dazu Ph. Esler, Paul and
the Agon: Understanding a Pauline Motif in Its Cultural and Visual Context, in: A. Weis-
senrieder u. a. (Eds.), Iconography and the New Testament (WUNT 2/193), Tübingen 2005,
356 – 384.
142 Vgl. 1Kor 9,1 ((IgsoOm t¹m j¼qiom Bl_m 2¾qaja) mit Joh 20,18 (2¾qaja t¹m j¼qiom).25
(2yq²jalem t¹m j¼qiom) sowie 1Kor 15,8 (¥vhg j!lo¸) mit 15,5 – 7 (¥vhg Jghø … ¥vhg
Yaj¾b\ …) und Lk 24,34 (b j¼qior … ¥vhg S¸lymi).
143 Gegen Johnson, Shape 38, besteht hier gerade ein Unterschied zu Gal 1,13!
144 Vgl. Apg 26,11 und dazu K. Haacker, Paulus, der Apostel. Wie er wurde, was er war, Stuttgart
2
2009, 66 f.
145 Lçning, „Von ihnen bin ich der Erste“ 140.
146 Verbal in 1Kor 15,9; Gal 1,13.23 und Phil 3,6.
147 Grundlegend M. Wolter, Paulus, der bekehrte Gottesfeind. Zum Verständnis von 1Tim 1,13,
in: Ders, Theologie und Ethos im frühen Christentum (WUNT 236), Tübingen 2009, 241 – 257
passim, Belege ebd. 245 – 250, das Zitat ebd. 250. Schlatter 57 Anm. 1, verweist noch auf
1Thess 2,2 (rbqish´mter 1m Vik¸ppoir).
86 Hans-Ulrich Weidemann
Dies wird insbesondere an der Vermeidung der Begriffe f/kor und fgkyt¶r in den Past
deutlich. Mit ihnen beschreibt Paulus in Phil 3,6 und Gal 1,14 seinen (gewalttätigen)
„Eifer“ für das mosaische Gesetz148 und stellt sich so in eine innerjüdische Ahnenreihe,
die auf biblische Vorbilder wie Pinchas, einen Enkel Aarons, aber auch Judas Mattathias
zurückgeht.149 Wichtig ist, dass diese Bereitschaft zu v. a. innerjüdischer Gewaltanwen-
dung grundsätzlich positiv gesehen wird. Paulus selbst beurteilt in der Rückschau nicht
seinen Eifer für die Heiligkeit Israels, sondern primär das damalige Fehlen der „Er-
kenntnis Jesu Christi meines Herrn“ (Phil 3,8) als negativ. Das zeigt sich auch in Röm
10,3 f, wo er jenem Teil Israels, der „dem Evangelium ungehorsam ist“, also nicht zum
Glauben an Christus kommt, bezeugt,150 Eifer für Gott zu haben – aber eben nicht
aufgrund von Erkenntnis, da sie die Gottesgerechtigkeit nicht erkennen.151 Hier identi-
fiziert Paulus die Frömmigkeit der Mehrheit Israels, die dem Evangelium ablehnend
gegenübersteht, mit seiner eigenen einstigen Haltung.152
Ebenfalls in diesem Kontext belegt ist das Motiv des Erbarmens über den
Gottesfeind – und sei es als verweigertes Erbarmen.153 Paulus findet laut 1Tim
1,13 deswegen (fti) Erbarmen, weil er unwissend aufgrund von Unglauben
gehandelt hat.154 Allerdings ist zu bedenken, dass der Verfasser der Past das
Motiv des Erbarmens auch in der Taufpassage Tit 3,3 – 7 einsetzt. Laut diesem
Text „rettete uns Gott nach seinem eigenen Erbarmen“ (3,5), „uns“, die wir
zuvor zuallererst „Unwissende (!mºgtoi)“ und „Ungehorsame (!peihe?r)“
waren (3,3). Auch in Tit 3 begegnet daher der von M. Wolter in 1Tim 1,13
festgestellte Zusammenhang von „Unwissenheit“ und Erbarmen.155 Über
Wolter hinaus wird man aber auch Röm 11,28 – 32 im Hintergrund sehen
(s. o.), das zeigt die Verbindung von Ungehorsam und Erbarmen.156 Die nicht
an Christus glaubenden Juden, denen es laut Röm 10,2 f an Erkenntnis man-
148 Vgl. Apg 22,3 f. Hinzu kommt das Verb poqhe?m (Gal 1,13.23): Paulus versuchte, die Ekklesia
Gottes zu vernichten.
149 Num 25,6 – 13; Ps 106,30 f; Sir 45,28 – 30; 1Makk 2,26.54; 4Makk 18,12 und dazu Haacker,
Paulus 65 – 75, sowie K. Haacker, Der Brief des Paulus an die Römer (ThHKNT 6), Leipzig
3
2006, 229; vgl. auch Wolter, Paulus 253 f.
150 Röm 10,2: laqtuq_ aqto?r ist dativus commodi!
151 Haacker, Röm 228 f, spricht hier mit Recht von einem „Lob für Israels Frömmigkeit“, deren
Mangel laut Paulus nicht in einer verkehrten inneren Einstellung, sondern in einem „Er-
kenntnisdefizit“ bestehe.
152 Haacker, Röm 229, und weiter : „Was ihm selbst einmal als höchste Verwirklichung des
Judenseins erschien (vgl. Gal 1,13 f), gilt ihm auch jetzt noch als Kern und Krönung jüdischer
Frömmigkeit.“
153 Der in 2Makk 9,28 als !mdqovºmor ja· bk²svglor und in 7,19 mit dem Verb heolawe?m cha-
rakterisierte Gottesfeind Antiochus IV findet laut 9,13 gerade kein Erbarmen (guweto d³ b
liaq¹r pq¹r t¹m oqj´ti aqt¹m 1ke¶somta despºtgm). Wolter, Paulus 251 Anm. 43 verweist auf
Prov 3,34; Sir 16,8 und Philo, SpecLeg III 7, wonach die Hybris kein Erbarmen findet.
154 Anlog TestJud 19,3 (bei Wolter, Paulus 252).
155 Vgl. auch seine Bemerkung ebd. Anm. 45, wonach 1kee?m und !cmoe?m „also schon traditionell
aufeinander bezogen sind“ (Belege ebd.).
156 Vgl. H.–U. Weidemann, Titus, der getaufte Heide, in: ders./W. Eisele, Ein Meisterschüler. Titus
und sein Brief (SBS 214), Stuttgart 2008, 31 – 54, 50 – 53, zustimmend Mutschler, Glaube 218.
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 87
gelt, sind laut Röm 11,28 „im Hinblick auf das Evangelium Feinde (!) um
euretwillen“; über die einst unwissenden und ungehorsamen Heiden hat sich
Gott erbarmt, wie über Paulus „als erstem der Sünder“.157
Das vom Verfasser der Past herangezogene „Modell“ zur Beschreibung des
„Damaskuserlebnisses“ ist demnach mit Elementen aus Röm 5 und Röm 11 als
Erbarmen Gottes über den Sünder, Feind und Gottlosen und dessen Betrauung
mit der diajom¸a konstruiert.
Vor allem im Gal und im Phil zeichnet Paulus angesichts der Bedrohung durch
„judaistische“ Gegner seine eigene Vergangenheit so, dass seine Adressaten
darin eine Art Portrait der aktuellen Gegner wiederfinden können158 – aller-
dings betont Paulus in beiden Briefen zugleich, dass er, nach „jüdischen
Maßstäben gemessen“, anderen Juden weit überlegen war.159 Die judaisie-
renden Gegner des Gal und des Phil sollen allein dadurch disqualifiziert
werden, dass Paulus ihnen schon vor seiner Begegnung mit dem auferstan-
denen Herrn deutlich „überlegen“ war.
Besonders auffällig ist nun aber das Verhältnis von Vergangenheitsschil-
derung und Gegnerpolemik in den Pastoralbriefen. Obwohl die Gegner in den
Past an mehreren Stellen dezidiert jüdisch gezeichnet sind,160 greift der Ver-
fasser nicht auf die in Gal und Phil von Paulus selbst gewählte Strategie zurück,
die Vergangenheit des Apostels als jüdische zu thematisieren. Dies ist weniger
ein Beleg für „Israelvergessenheit“, sondern hängt mit der Polemik gegen
seine Gegner zusammen.
157 Rettung durch Erbarmen im Römerbrief: Röm 1,16 f – 10,1 – 11,14 – 11,26 – 11,30 – 32.
158 Johnson, Shape 38: „Paul was once like them – and he persecuted the church!“
159 Deutlich wird diese Strategie der Überbietung v. a. in Gal 1,14 (ja· pqo´joptom 1m t` Youdazsl`
rp³q pokko»r sumgkiji¾tar 1m t` c´mei lou, peqissot´qyr fgkytµr rp²qwym t_m patqij_m lou
paqadºseym.) und in Phil 3,4 (1c½ l÷kkom).6 (%lelptor). Im 1Kor erscheint ein einziger Aspekt
aus der Vergangenheit des Paulus, die Verfolgung der Ekklesia Gottes (15,9). Mit ihr begründet
der Apostel, warum er „der geringste unter den Aposteln“ (aber eben doch Apostel wie die
anderen!) sei und warum er „nicht geeignet sei, Apostel genannt zu werden“ (es aber sehr wohl
ist). Der Aspekt der Überbietung findet sich auch hier, nun allerdings im Vergleich mit den
anderen Aposteln: peqissºteqom aqt_m p²mtym 1jop¸asa (15,10). In den Korintherbriefen
reagiert Paulus auf Anfragen an sein Apostolat, doch da diese nicht von einer judaistischen
Position aus formuliert werden, thematisiert er seine eigene Vergangenheit in diesem Kontext
nicht – was wiederum lehrreich für die Beurteilung der Pastoralbriefe ist! Vielmehr formuliert
er (nur) hier sein Damaskuserlebnis unter Aufnahme von Osterterminologie, um es mit den
Ostererscheinungen der anderen Osterzeugen auf eine Stufe zu stellen.
160 Explizit in Tit 1,10 (oR 1j t/r peqitol/r).14 ((Ioudazjo?r l¼hoir) und 3,9, deutlich auch in 1Tim
1,7 (molodid²sjakoi).
88 Hans-Ulrich Weidemann
Die Frage nach dem theologischen und religionsgeschichtlichen Profil der von den
Pastoralbriefen anvisierten Gegner ist hoch umstritten und kann hier nicht weiter
thematisiert werden. Hier nur eine knappe Skizze des Textbefundes:
Einerseits erhält man in den drei Briefen jeweils verschiedene Informationen über die
Gegner, die sich offenbar komplementär ergänzen sollen, zumal sie sich teilweise
überlappen: Im Brief an den Heidenchristen Titus wird mehrfach die „jüdische“
Herkunft zumindest eines Teils der Gegner explizit genannt,161 doch findet sich eine
Anspielung darauf auch im 1 Tim.162 Im ersten Timotheusbrief dagegen erfährt der
Leser, dass die Gegner verbieten zu heiraten und den Verzicht auf bestimmte Speisen
fordern.163 Im zweiten Timotheusbrief, der als Abschiedsbrief des in den Tod ge-
henden, leidenden Paulus stilisiert ist und vermutlich das Ende der Sammlung bilden
sollte, zitiert der Autor dann schließlich die Auffassung des Hymenäus und des
Philetus, dass die Auferstehung schon geschehen sei (2Tim 2,18).164
Andererseits: gemeinsam ist allen drei Briefen die polemische Charakterisierung der
gegnerischen Aktivitäten als „Mythen“ (l¼hoi: 1Tim 1,4; 4,7; 2Tim 4,4; Tit 1,14), „Ge-
nealogien“ (cemeakoc¸ai: 1Tim 1,4; Tit 3,9), „Untersuchungen“ ([1j]fgt¶seir: 1Tim 1,4;
6,4; 2Tim 2,23; Tit 3,9), „Geschwätz“ (lataiokoc¸a: 1Tim 1,6; vgl. Tit 1,10 vgl. 1Tim 5,13:
vk¼aqoi), „Wortgefechte“ (kocolaw¸ai: 1Tim 6,4; vgl. 2Tim 2,14), „Streitereien“ (dia-
paqatqiba¸: 1Tim 6,5; vgl. 2Tim 2,23; Tit 3,9: l²wai), „leeres Gerede“ (jemovom¸a: 1Tim
6,20; 2Tim 2,16), „Antithesen“ (!mtih´seir: 1Tim 6,20; vgl. Tit 1,9: oR !mtik´comter),
ununterbrochenes Lernen ohne Erkenntnis (2Tim 3,7), Ohrenkitzel (2Tim 4,3) usw.
Vielleicht deutet dies auf den intellektualistisch-spekulativen „Stil“ der angegriffenen
Gruppe hin. In jedem Fall geht es bei dem Konflikt grundsätzlich um die Regulierung und
Kontrolle des Redens (i. S. des Lehrens) in der Ekklesia.165
Nun stellen auch die Pastoralbriefe erkennbare Bezüge zwischen der Geg-
nerpolemik und der Darstellung der „vorchristlichen“ Vergangenheit des
Paulus her.
(1.) In 1Tim 1,13 sagt der pastorale Paulus von sich selbst, er sei „zuvor ein
Lästerer“ gewesen (t¹ pqºteqom emta bk²svglom). Wenn er kurz danach be-
161 Dazu v. a. Tit 1,10 (l²kista oR 1j t/r peqitol/r); 1,14 ((Ioudazjo?r l¼hoir) sowie 3,9 (l²war
molij²r), außerdem 1,15 f.
162 Vgl. 1Tim 1,7 (h´komter eWmai molodid²sjakoi).
163 Vgl. 1Tim 4,1 – 5. Entsprechend plädiert der Autor für Heirat und Kinderkriegen (2,9 – 15; 5,14,
vgl. Tit 2,4 f) und geht auch von verheirateten Episkopen und Diakonen mit Kindern als
Normalfall aus (3,2.4 f.12), dasselbe gilt laut dem Titusbrief für die Presbyter (Tit 1,6). Gegen
die Enthaltung von Speisen argumentiert der Autor in 1Tim 4,3 – 5, außerdem fordert „Paulus“
seinen Adressaten auf, nicht – nur Wasser, sondern – der Gesundheit wegen – auch Wein zu
trinken (5,23).
164 Oberlinner, Tit 54, schließt sich Schlarb u. a. an, wonach diese Glaubensaussage den Kernsatz
der Auseinandersetzung darstellt.
165 Vgl. dazu G. Corrington Streete, Askesis and Restistance in the Pastoral Letters, in: L.E.
Vaage / V.L. Wimbush (Eds.), Asceticism and the New Testament, New York–London 1999,
299 – 317, 305: „Where speech is allowed in the Pastoral Epistles, it is regulated and disciplined,
proceeding from a single source; it is institutionalized, not charismatic“.
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 89
richtet, er habe Hymenaios und Alexander dem Satan übergeben, damit sie
erzogen würden, „nicht zu lästern“ (Vma paideuh_sim lµ bkasvgle?m), dann
stellt er damit „sein Leben in der Zeit vor der Bekehrung und Berufung auf eine
Stufe mit den Falschlehrern“.166 Laut 1Tim 6,3 f erwächst die Blasphemie aus
den Untersuchungen und Wortgefechten, die die Gegner betreiben, anstatt
sich an die gesunden Worte des Herrn Jesus Christus und an die der Fröm-
migkeit entsprechende Lehre zu halten. Deswegen verbietet der Verfasser in
Tit 3,2 auch das bkasvgle?m,167 und nach 2Tim 1 f ist das Auftreten von bka-
svglo¸ Hinweis auf den Anbruch der „letzten Tage“.
(2.) Wenn der pastorale Paulus in 1,13 seine Vergangenheit mit dem
Stichwort !pist¸a beschreibt168, dann stellt er damit ebenfalls eine Analogie zu
den attackierten „Gesetzeslehrern“ her, die sich laut 1,5 f vom „ungeheu-
chelten Glauben“ losgesagt haben, um sich nichtigem Gerede zuzuwenden.
Leute wie Hymenaios und Alexander haben sogar hinsichtlich des Glaubens
Schiffbruch erlitten (1,19).169 In Tit 1,15 werden die im Kontext explizit jüdisch
gezeichneten Gegner dann als %pistoi bezeichnet. Hier liegt eine gewisse
Verbindung zu 1Tim 1,13 vor, die aber nicht ausgebaut wird. Paulus selbst
kann von jüdischer wie heidnischer !pist¸a sprechen.170
(3.) Der pastorale Paulus redet von sich in der Zeit vor seinem Damas-
kuserlebnis als „Unwissender“ (1Tim 1,13: !cmo_m). Grund für dieses Un-
wissen ist die eben genannte !pist¸a. Dem entspricht, dass in Tit 3,3 in der
generalisierenden Aufzählung dessen, was „auch wir einstmals waren“, die
Bezeichnung !mºgtoi an erster Stelle steht. Auch auf Seiten der Gegner ver-
zeichnet der Briefautor neben dem Mangel an der p¸stir insbesondere ein
kognitives Defizit, denn diese wollen zwar Gesetzeslehrer sein, verstehen aber
nicht (1Tim 1,7: lµ mooOmter), was sie reden noch worüber sie feste Behaup-
tungen aufstellen.
Fazit: der „vorchristliche“ Paulus wird in 1Tim 1,12 – 17 mit Farben gezeichnet,
die auch bei der Ausmalung der Gegner Anwendung finden, auch wenn die
Bezüge nicht so plakativ hergestellt werden, wie wir das von Paulus im Kontext
seiner Auseinandersetzungen um die Beschneidung von Heidenchristen ge-
wohnt sind. Außerdem finden sich für einige der Prädikationen des vorchrist-
lichen Paulus keine Analogien bei den Gegnern und umgekehrt. Weder deren
Kernforderungen (Ehelosigkeit und Nahrungsmittelaskese) noch ihre Be-
schäftigung mit „Mythen und Genealogien“ noch ihre jüdische Kontur können
mit der vorchristlichen Zeit des Paulus kurzgeschlossen werden.
Aus Tit 1,2 f geht – wie M. Wolter überzeugend herausgestellt hat – hervor, dass
das Verheißene und Erhoffte – das ewige Leben – nicht mit dem jetzt Geoffen-
barten – „seinem Wort im Kerygma“ – identisch ist und seine Erfüllung also
noch aussteht und der eschatologischen Zukunft vorbehalten bleibt: „Das, was
jetzt offenbart wird, ist nicht das, was verheißen ist“.173 Diese zu Beginn des
171 Laut Marshall/Towner 51 haben die Gegner das Gesetz allegorisch ausgelegt.
172 Dazu Schlatter 118: „Nach 1Kor 7 hat nie ein Pauliner und erst recht nicht Paulus ein den
Verzicht auf die Ehe scheltendes Wort gesagt, und nie hat er nach Röm 14 die als ungläubig
verurteilt, die aus irgendeinem Grunde auf Fleisch verzichten und sich ausschließlich an die
pflanzliche Nahrung hielten“. Zum ganzen nun H.-U. Weidemann, „Engelsgleiche, Abstinente
– und ein moderater Weintrinker: Asketische Sinnproduktion als literarische Technik im
Lukasevangelium und im 1. Timotheusbrief“, in: ders. (Hg.), Ascetism and Exegesis in Eaqrly
Christianity : The Reception of New Testament Texts in Ancient Ascetic Discourses
(NTOA 101), Freiburg – Göttingen 2013, 21 – 68.
173 Grundlegend Wolter, Pastoralbriefe 83 f, der als „spezifische Korrelation, die das Proprium
des Textes ausmacht“, treffend herausstellt, dass „dem Spannungsbogen von protologischer
Verheißung und eschatologischer Realisierung des ewigen Lebens die Offenbarung des kºcor
im Kergyma, das Paulus anvertraut wurde, zwischengeordnet“ ist.
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 91
Laut Tit 2,13 richtet sich die Erwartung der mittels der Gnade „trainierten“
(paide¼ousa) und nun besonnen, gerecht und fromm im jetzigen Äon lebenden
Christen „auf die selige Hoffnung und das Erscheinen der Herrlichkeit des
großen Gottes und unseres Retters Jesus Christus“.174 Diese Zukunftsaussage
balanciert die massiv präsentischen Aussagen in 2,11 f und 2,14 aus, wonach die
Selbsthingabe „unseres Retters“ Jesus Christus mit dem Ziel (Vma) erfolgte, „uns
von aller Ungesetzlichkeit freizukaufen“ und für sich zum Eigentum ein aus-
erlesenes Gottesvolk zu reinigen175, das in guten Werken eifert.176
Dieselbe Statik herrscht auch in der kurz darauf folgenden Passage Tit
3,3 – 7, die mittels der Taufe zunächst einen kräftigen Akzent auf die bereits
vollzogene Rettung setzt: Gott hat „uns“ gerettet und gerechtfertigt aus Er-
barmen durch die Taufe, das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung durch
den heiligen Geist. Der soteriologische Terminus s]feim ist hier eindeutig mit
der Taufe verbunden, die „die Fülle und das zentrale Geschehen der Zuwen-
dung des ,Erbarmens‘ Gottes (V. 5) selbst“ ist.177 Diesen präsentischen Aus-
sagen ist 2Tim 1,9 an die Seite zu stellen, ein Text, der sich offensichtlich an Tit
3,5 anlehnt und ebenfalls auf die Taufe zu beziehen ist.178
Da Wolter die Taufe stark unterbelichtet,179 fehlt dieser Aspekt in seiner „polaren“
Zuordnung von Verheißung/Hoffnung und Offenbarung.
Aufgrund der Taufe werden wir gerettet und damit zugleich „Erben gemäß der
Hoffnung auf ewiges Leben“ (3,7). Mittels des (aus Röm 8,17 stammenden)
Begriffsfeldes jkgqomºloi werden die tauftheologischen Aussagen mit dem
Ausblick auf eine noch ausstehende Vollendung180 ausbalanciert.181
174 Brox 299: „Das Leben in der Welt ist für den Christen also ein einziges Ausstrecken in der
,Erwartung auf Hoffnung‘, wie es pleonastisch heißt“.
175 Die beiden Glieder des Vma-Satzes bilden einen synthetischen Parallelismus, was auf eine
(semitisierende) Überlieferung hindeuten könnte (Collins 353).
176 Vgl. Collins 352: „They are people who live in expectation. (…) Again, the Pastor’s com-
munity lives between epiphanies. The beneficary of a saving appearance in the past, the church
awaits the appearance of the graet God, our Savior, in the future. (…) the Pastor’s community
lives as a redeemed, purified, and chosen people. This is their condition between the appea-
rances during the present age“.
177 Brox 309.
178 Richtig Marshall/Towner 704: „The aorist expresses God’s saving of us as a complete act in
the past (Tit 3,5; Eph 2,5.8).“
179 Wolter, Pastoralbriefe, nennt sie kursorisch nur in 66 f und 87 f.
180 Vgl. Oberlinner, Tit 177, der den „Hauptakzent“ allerdings auf der Gegenwart sieht: „Das
92 Hans-Ulrich Weidemann
Das in diesen Passagen genannte, noch ausstehende, zumeist mit dem Begriff (ewi-
ges) Leben bezeichnete endgültige Heilsgut wird durch das Stichwort „Verheißung“
in der Vergangenheit verankert: Laut Tit 1,2 hat Gott, der nicht lügt, diese vor ewigen
Zeiten verheißen (s. o. zu Tit 1,1 – 4). Die Hoffnung auf ewiges Leben gründet sich also
auf den „präexistenten Heilswillen Gottes“.183
,Erbe sein‘ steht noch aus; durch die Zusage Gottes ist das ,ewige Leben‘ aber schon gegen-
wärtig in der Hoffnung, in der Christen leben“.
181 Präzise Collins 366 zu 3,7b: „An inheritance is something that a person will receive in the
future. Baptism is the guarantee that there will be an inheritance in the future. This inheritance
is ,eternal life‘, a cipher for eschatological salvation in the Pastor’s circles“.
182 So mit Recht Brox 244 zu „mitleben“ und „mitherrschen“ in 2,11 f.
183 Brox 230: „Der göttliche Heilsratschluss ist präexistent, ,ewig‘, vorweltlich und war als solcher
verborgen“. Jeremias 50; Weiser 120: Der in der Ewigkeit getroffene Heilsratschluss Gottes
schloss bereits die Sendung Christi mit ein, durch die er geoffenbart wurde.
184 Diesen Begriff prägte Erik Peterson, vgl. dazu Peterson, Röm 185.
185 Nur in 1Tim 4,7 f wird die „körperliche Ertüchtigung“ (sylatijµ culmas¸a) gegenüber der
eqs´beia abgewertet, in der man sich ertüchtigen soll.
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 93
den Past ist also offenbar der bei Paulus noch vorherrschenden somatischen
Dimension entkleidet. Wenn man mit G. Sellin hier von einer Reapokalypti-
sierung spricht,186 dann erfolgt diese ohne eine explizite Rückkehr zur pau-
linischen Vorstellung der Auferstehung der Leiber. Die Auseinandersetzung
hat sich offenbar ganz auf die Frage nach der Zukunftserwartung verlagert.187
Fazit: Die Past unterscheiden demnach (1.) die (vor ewigen Zeiten gegebene)
Verheißung ewigen Lebens (also den präexistenten Heilsratschluss Gottes)
und deren noch ausstehende Erfüllung (2.) von der Offenbarung dieses
Heilsratschlusses sowie (3.) von der im Christusgeschehen als Epiphanie er-
folgten und in der Taufe den Glaubenden konkret zugeeigneten Errettung. Der
paulinische Apostolat wird nun in diesen tripolaren Kontext ein- und in die-
sem Gefüge der Offenbarung zugeordnet. Denn laut 2Tim 1,10 sind Leben und
Unvergänglichkeit durch das Evangelium ans Licht gebracht,188 zu dem Paulus
eingesetzt wurde. Im Evangelium wird demnach kognitiv vermittelt, was Gott
durch die Epiphanie unseres Retters Jesus Christus getan hat.
Wenn Gott die Menschen (so) rettet, indem er sie zur Erkenntnis der
Wahrheit führt (1Tim 2,4), dann erhält jene Instanz, die die Erkenntnis der
Wahrheit vermittelt – eben das paulinische Evangelium189 – die grundlegende
Rolle in diesem Rettungsprozess. Gottes Epiphanie wird zum „mitgeteilten
Ereignis“ und somit zum rettenden Wissen.190 Dazu passt, dass insbesondere
die Unwissenheit das Grundproblem auf Seiten des Menschen ist.191
Paulus ist dazu eingesetzt, als Herold, Apostel und Lehrer, den durch die
Epiphanie des Retters Jesus Christus beglaubigten Heilsratschluss Gottes zu
verkünden. Im Kerygma, das dem Apostel laut Tit 1,3 anvertraut ist, hat Gott,
der nicht lügt, seinen kºcor geoffenbart. Bereits vor der Erfüllung der Ver-
heißung ewigen Lebens hat Gott sein Verheißungswort geoffenbart und als
wahr erwiesen.192 Durch das Evangelium wird die Verheißung ewigen Lebens –
als Verheißung! – dem menschlichen Erkennen zugänglich. Durch die Ver-
nichtung des Todes wird die Verheißung des ewigen Lebens und der Unver-
gänglichkeit für alle Menschen als Wahrheit des wahrhaftigen Gottes erwiesen
und ihre Erfüllung verbürgt. Dieses Wissen wird ausschließlich im paulini-
schen Evangelium erschlossen.
Damit muss das paulinische Evangelium zur Taufe, in der ja die Rettung des
Menschen vollzogen wird, hinzutreten, denn nur durch das paulinische
Evangelium wird dem Menschen erschlossen, dass Leben und Unvergäng-
lichkeit noch ausstehen – wenngleich sie fest verbürgt sind. Durch die Taufe
werden wir zu Erben ewigen Lebens. Vermutlich war es also gerade die Be-
rufung auf die Taufe, die der Verfasser der Pastoralbriefe seinen Gegnern
streitig machen wollte!
4. Ergebnis
Sowohl die Einzelanalyse als auch der Vergleich mit den autobiographischen
Texten der authentischen Paulusbriefe zeigt, dass gerade die „autobiogra-
phischen“ Passagen der Pastoralbriefe in enger Anlehnung an wichtige Partien
aus dem Römerbrief formuliert sind. Offensichtlich knüpft der Verfasser an
diesen und nicht etwa an die eigentlich naheliegenden Passagen des Philipper-
und des Galaterbriefes, aber auch der beiden Korintherbriefe, an. Auch die
Hypothese einer von der Apostelgeschichte wie den echten Paulinen unab-
hängigen „Pauluslegende“ im Hintergrund dieser Passagen hat sich nicht
bewährt. Die Anspielungen auf das „Damaskusereignis“ sind in den Pasto-
ralbriefen also Teil der übergeordneten literarischen Strategie, sich an ein
bereits vorausgesetztes Corpus Paulinum anzuhängen und sich quasi in dieses
einzuschreiben. Der Römerbrief ist dabei der Hauptbezugstext.
Wie schon bei Paulus selbst hat die literarische Präsentation des „Damas-
kusereignisses“ in den Pastoralbriefen zwei Aspekte, die unlösbar miteinan-
der verbunden, aber dennoch deutlich unterscheidbar sind: Den Aspekt der
Bekehrung des „einstigen Lästerers, Verfolgers und Frevlers“, des „ersten der
Sünder“, und den seiner Indienstnahme für das Evangelium, seiner „Amts-
einsetzung“.
Was die Bekehrung des Sünders angeht, stehen wir am Ende unseres
Durchgangs durch die Texte vor dem überraschenden Sachverhalt, dass die
zentrale, von Paulus selbst in Röm 5,6 – 11 kollektiv formulierte soteriologi-
sche Aussage, wonach Jesus Christus für „uns“ Sünder, Gottlose und Feinde
gestorben ist, in 1Tim 1,12 – 17 re-individualisiert und re-biographisiert wird,
ohne ihre kollektiven Obertöne zu verlieren. Faktisch macht der Verfasser der
Pastoralbriefe nichts anderes als die erste Person Plural von Röm 5,6 – 11, aber
auch die Aussagen in Röm 11,28 – 30 über die Heiden, derer sich Gott erbarmt
hat, in die erste Person Singular einer Paulusbiographie zu übersetzen. Indem
er sich auch in anderen Passagen der Pastoralbriefe eng an Partien aus dem
Römerbrief anlehnt, verleiht er seinen Briefen nicht nur das Siegel der Au-
„Jedoch, ich fand Erbarmen …“ (1Tim 1,13) 95
1. Zur Problemstellung
(man müsste dann Paulus’ kurzen Verweis auf seinen Aufenthalt in Arabien in
Gal 1,17 entsprechend deuten6), ob er seine missionarische Sendung von
Anfang an als Apostolat bezeichnete7 oder ob er sich wirklich sogleich
schwerpunktmäßig an „Heiden“ wandte und wie er sich die Integration von
Menschen aus den Völkern in die christusgläubige Bewegung zu Beginn
konkret dachte.
Auch über sein Wirken vor seiner Lebenswende ist Paulus in seinen Briefen
eher wortkarg und formelhaft als detailversessen (s. Gal 1,13 f; Phil 3,5 f; 1Kor
15,9, vgl. ferner noch Gal 1,23). Die beiden wichtigsten Rückblicke auf die Zeit
vor Damaskus in Gal 1,13 f und Phil 3,5 f sind zudem in stark konfrontativ
geprägte Zusammenhänge eingebunden, in denen Paulus sich polemisch mit
Gegnern auseinandersetzt: Paulus rekurriert auf seine Vergangenheit mit dem
Interesse, sie abzuwerten, mit der Intention, die als wesentliche Kennzeichen
seiner Vergangenheit dargestellten Aspekte als schädlich oder bestenfalls ir-
relevant darzustellen,8 weil andere diesen Aspekten eine große Bedeutung
zuschreiben.
Diese pragmatische Dimension der Rekurse gilt es mutatis mutandis auch
für die Bezugnahmen auf die Christusepiphanie vor Damaskus zu beachten.
Im Galaterbrief wie in der Korintherkorrespondenz dienen sie Paulus dazu,
seinen umstrittenen apostolischen Rang zu verteidigen. Nicht zuletzt ist die
Möglichkeit in Rechnung zu stellen, dass Paulus bei seiner holzschnittartigen
Zeichnung seiner Lebenswende längere Entwicklungen retrospektiv zu einem
geradezu punktuellen Umbruch verdichtet hat9 und überhaupt spätere Er-
kenntnisse in die Darstellung des Damaskusgeschehens eingeflossen sind.10
Keine erhaltene Aussage von Paulus reicht näher als gut zwanzig Jahre an das
Geschehen heran. Kurzum: Mit dem zeitlichen Abstand und den pragmati-
schen Interessen der Rekurse sind gleich zwei gewichtige Unschärfefaktoren
in Rechnung zu stellen.
In der Apostelgeschichte kommt bekanntlich keinem anderen Ereignis
außer dem Damaskusgeschehen die Ehre zu, dass es gleich dreimal relativ
6 So z. B. Hengel/Schwemer, Damaskus, 174 – 194. Siehe auch Hengel, Arabien, 193 – 212.
7 Siehe dazu unten Anm. 82.
8 In der Auflistung in Phil 3,5 f begegnen zum einen durch die Herkunft gegebene Charakteris-
tika, die Paulus empfangen hat – wie seine Zugehörigkeit zu Israel und genauer noch zum
Stamm Benjamin und die Beschneidung am achten Tag. Diese hält er nach Damaskus für
irrelevant. Zum anderen wird auch sein eigenes Verhalten benannt: seine Gerechtigkeit auf-
grund seiner Befolgung des Gesetzes (nach pharisäischer Auslegung) und vor allem seine
Verfolgung der ecclesia. Insbesondere Letzteres gehört für Paulus nach Damaskus in die Ka-
tegorie „schädlich“. – Das Fehlen des Gesetzesaspektes in 2Kor 11,22 zeigt, dass die Darstel-
lungen auf die jeweiligen Problemlagen zugeschnitten sind.
9 Vgl. dazu zuletzt die These von Theissen, Bekehrung, 10 – 24, dass Paulus’ Lebenswende nicht
als eine plötzliche Bekehrung, sondern als eine über einen längeren Zeitraum hin sich voll-
ziehende Umorientierung zu begreifen sei.
10 Vgl. Fredriksen, Paul, 28 f.33 f.
98 Matthias Konradt
ausführlich geschildert wird (Apg 9,3 – 19; 22,6 – 16; 26,12 – 18),11 doch wird
die Quellenlage dadurch in historischer Hinsicht kaum und im Blick auf die
von Paulus bei Damaskus gewonnenen theologischen Erkenntnisse im Grunde
gar nicht aufgebessert. Zwar bietet die lukanische Darstellung in Apg 9,3 – 19
zweifelsohne einige historisch zutreffende Reminiszenzen – grundlegend die
Verbindung des Geschehens mit Damaskus, die durch Gal 1,17 indirekt be-
stätigt wird, ferner die Einkehr in das Haus eines gewissen Judas, das in einer
„Gerade“ genannten Straße lag, schließlich auch den Aspekt, dass ein an-
sonsten unbekannter Hananias im Kontext der Lebenswende von Paulus eine
Rolle spielte.12 Das Ganze ist aber durch legendarische Züge überformt: Lukas
erzählt eine „Bekehrungslegende“.13 Noch weniger helfen in historischer
Hinsicht die Rekurse auf das Damaskusgeschehen, die Lukas seiner Haupt-
person Paulus in dessen Verteidigungsreden in 22,6 – 16; 26,12 – 18 in den
Mund gelegt hat. Denn während man bei Apg 9 wenigstens noch davon aus-
gehen kann, dass hier eine vorlukanische Tradition zugrunde liegt, ist in 22
und 26 die schriftstellerische Freiheit von Lukas noch höher zu veranschlagen.
Nicht zuletzt ist ferner daran zu erinnern, dass sich aus den lukanischen
Texten nicht einmal eine sachlich kohärente Darstellung ergibt.14 Kurzum:
Eine entscheidende Hilfestellung bei der Rekonstruktion des Damaskusge-
schehens ist von der Apostelgeschichte nicht zu erwarten.
Angesichts dieser Quellenlage ist die Gefahr zirkulärer Argumentation
evident. Wer etwa – wie Udo Schnelle – im Gesetzesverständnis mit signifi-
kanten postdamaszenischen Entwicklungen bei Paulus rechnet, sucht die
Antithese von „meiner Gerechtigkeit aus dem Gesetz“ und der Gerechtigkeit
durch den Glauben an Christus in Phil 3,9 als eine auf späterer Reflexion
beruhende Parenthese zu werten,15 oder er kann eben überhaupt auf den nicht
unerheblichen, immerhin eben gut zwanzig Jahre betragenden zeitlichen
Abstand zwischen dem Damaskusgeschehen und Paulus’ Rekursen auf dieses
hinweisen und kritisch anmerken, dass Letztere mehr über Paulus’ theologi-
sche Überzeugungen und Anliegen zur Zeit der Abfassung der jeweiligen
Briefe aussagen als über das Damaskusgeschehen selbst.16 Wo hingegen im
Damaskusgeschehen der Einheit stiftende Ursprungsort der (zentralen Ba-
sisüberzeugungen) pln Theologie gesehen wird, werden – wie z. B. in der
Monographie von Seyoon Kim „The Origin of Paul’s Gospel“17 – in zuweilen
11 Zu den lukanischen Texten s. exemplarisch Heininger, Visionär, 211 – 234. Für eine narrato-
logische Analyse s. Marguerat, Conversion, 127 – 155.
12 Vgl. Roloff, Apostelgeschichte, 147.
13 Roloff, Apostelgeschichte, 146.
14 Um nur das Wichtigste zu nennen: Nach Apg 9,7 hörten die Begleiter die Stimme, sahen aber
niemanden, während nach Apg 22,9 die Begleiter zwar das Licht sahen, aber die Stimme nicht
hörten.
15 So Räisänen, Experience, 72 f; Schnelle, Verfolger, 306.
16 Vgl. oben Anm. 10.
17 Siehe oben Anm. 4.
Bekehrung – Berufung – Lebenswende 99
geradezu unkritischer Weise Aussagen aus den Briefen auf Damaskus proji-
ziert, ohne die zeitliche Distanz zu beachten und die situativen Kontexte und
pragmatischen Anliegen der Briefe zu bedenken.18 Dazwischen lassen sich
differenzierende Mittelpositionen beziehen, auf die man von beiden Polen her
zusteuern kann. Auf der einen Seite wird der Akzent darauf gelegt, dass Da-
maskus grundlegende Weichenstellungen brachte, auch wenn Paulus seine
Erkenntnis noch nicht genau so wie in den späteren Briefen formuliert haben
mag. Auf der anderen Seite kann hervorgehoben werden, dass mit Damaskus
zwar Grundlagen gegeben sind, ihre Auskonzipierung – nicht nur ihre Aus-
formulierung – aber erst später sukzessive erfolgte und durch die Heraus-
forderungen, mit denen sich Paulus konfrontiert sah, inspiriert und wesent-
lich beeinflusst wurde. Werden hier mit Damaskus verbundene Grundent-
scheidungen betont, so werden dort die späteren Entwicklungsräume her-
ausgestellt.
Offenkundig ist, dass ein adäquater Versuch, Paulus’ Lebenswende ver-
stehend zu durchdringen, nicht ohne Einbeziehung ihrer Vor- und Nachge-
schichte erfolgen kann, also ein komplexer Gesamtzusammenhang zu erör-
tern ist. Denn es liegt nahe, dass die Folgerungen, die Paulus aus der Da-
maskuserfahrung zog, durch die Motive für seine vorangehende Verfolgung
der Christusgläubigen mitbestimmt sind. Es ergibt sich also ein ganzes Fra-
genbündel:
1. Zu Paulus’ Verfolgung der Christusgläubigen: Wo, wie lange und vor
allem eben warum hat Paulus (welche) Christusgläubige(n) verfolgt? Begann
er damit in Damaskus oder ist die Apostelgeschichte im Recht, dass Paulus
zuvor in Jerusalem gegen die Christusgläubigen vorgegangen war? Was hat
ihn so stark gegen die Bewegung aufgebracht, dass er sie, wie er schreibt, „zu
zerstören suchte“ (Gal 1,13)?
2. Das Geschehen selbst: Was passierte in oder, nach der Darstellung der
Apostelgeschichte, vor Damaskus? Wie ist das, was Paulus als Christusepi-
phanie begreift, phänomenologisch zu erklären? Gab es etwas äußerlich
Wahrnehmbares oder handelte es sich allein um innerseelische Vorgänge, die
man mit psychologischen Modellen nicht nur aufhellen, sondern vollum-
18 Kim kommt dabei zugleich zu einer großzügigen Ausweitung des Quellenmaterials, das für das
Damaskusgeschehen in Anspruch genommen wird. So integriert Kim z. B. auch 2Kor 5,16(ff) in
den Textbestand (Origin, 13 – 20). – Siehe neben Kim z. B. O’Brien, Was Paul converted?, 361 –
391, der zunächst zwar Phil 3,1 – 11 als ein Zeugnis von Paulus einführt, das Aufschluss gibt,
„what he thinks at the time of his writing to the Philippians about the dramatic change that
occurred years before on the Damascus road“ (371), dann aber diesen Zeitraum von mehr als
zwanzig Jahren übergeht und am Ende festhält: „The most natural way […] of understanding his
testimony in Philippians 3:2 – 11 is that on the Damascus road he personally experienced the
truth about God’s righteousness in Christ, and rejected his own human righteousness, even if it
was achieved by obeying God’s law“ (374). – Für eine kritische Auseinandersetzung mit Kim s.
Räisänen, Experience.
100 Matthias Konradt
fänglich erklären kann? Hat Paulus nur etwas gesehen oder war die Vision, wie
die Apostelgeschichte das Geschehen schildert, von einer Audition begleitet?
3. Die Konsequenzen: Welche theologischen und persönlichen Konse-
quenzen zog Paulus wann aus dem Geschehen? Ist seine spätere Theologie, wie
sie in den Briefen entgegentritt, in nuce schon durch die erste Reflexion des
Damaskusgeschehens angelegt oder ist sie das Produkt einer längeren Ent-
wicklung? Und inwiefern reicht Paulus’ Selbstverständnis als Völkerapostel
bis nach Damaskus zurück?
Bezieht man auf diese Weise die Vor- und die unmittelbare Nachgeschichte
des Damaskusgeschehens mit ein, verschärft sich freilich das skizzierte
Quellenproblem noch insofern, als auch die Aussagen über Paulus’ Leben
direkt nach seiner Lebenswende spärlich fließen. Zugleich besteht hier aber
ein Ansatzpunkt, die Quellenlage dadurch aufzubessern, dass Paulus’ Leben
vor und nach Damaskus an einzelnen Kontaktstellen mit anderen Daten der
Entwicklungsgeschichte des entstehenden Christentums in Verbindung ge-
setzt wird. So kann man versuchen, Paulus’ Selbstaussagen über seine Ver-
folgungstätigkeit mit dem zu verbinden, was sich über die von ihm Verfolgten
und deren Verkündigung ausmachen lässt. Und die Erörterung der Konse-
quenzen, die sich für Paulus aus der Christusepiphanie ergaben, lässt sich
damit in Beziehung setzen, dass erstens Paulus innerhalb der christusgläu-
bigen Bewegung offenbar längere Zeit nicht so negativ auffiel, dass es unter
den Christusgläubigen gegen ihn vehemente Proteste gab, und dass zweitens
es immerhin ca. anderthalb Jahrzehnte dauerte, bis die Klärung der Frage der
beschneidungsfreien Völkermission so dringend geworden war, dass sie ca. im
Jahre 48 in Jerusalem auf einem Aposteltreffen verhandelt wurde (Gal 2,1 – 10;
Apg 15) und 3. Paulus nur für die späte Phase seines Wirkens, in der er Kopf
eines eigenen Missionsteams war, als Briefschreiber greifbar wird und er sich
genau in dieser Phase bzw. präziser noch: offenbar erst nach ca. 52 mit einer
wachsenden massiven Opposition gegen seine Mission auseinandersetzen
musste.19 Wenn sich die Haltung zu Paulus in der Jerusalemer Gemeinde
zwischen dem Apostelkonvent und dem doch wohl gescheiterten Versuch der
Kollektenübergabe ca. 56 n. Chr.20 bedeutsam verändert hat, lag das sicher
nicht nur an einem möglichen konservativen Trend in Jerusalem.
Ich werde im Folgenden zunächst verschiedene Interpretationstypen der
neueren Forschung diskutieren, warum Paulus die Christusgläubigen ver-
folgte und welche theologischen Erkenntnisse für ihn vor diesem Hintergrund
unmittelbar aus dem Damaskusgeschehen folgten (2). Im Anschluss daran
gehe ich der Frage nach, was sich phänomenologisch über das Damaskusge-
schehen sagen lässt (3). Schließlich ist danach zu fragen, wie das Geschehen
adäquat zu benennen ist: als Bekehrung oder als Berufung oder noch anders
(4)?
In einem recht breiten Strom der Paulusforschung wird Damaskus als der
Ursprungsort für die paulinische Antithese von Christus und Gesetz aufge-
fasst. So entnimmt Ulrich Wilckens Gal 1 und Phil 3, dass Paulus das Chris-
tusevangelium bereits durch Damaskus in antinomistischer Zuspitzung
empfangen habe.22 Die Aussage von Röm 10,4, dass Christus das Ende des
Gesetzes sei – die Frage, ob Röm 10,4 hier richtig verstanden ist, ist m. E. zu
verneinen –,23 habe ihren Ursprung im Damaskusgeschehen.24 Durch Da-
maskus sei Christus soteriologisch an die zentrale Stelle getreten, die zuvor
dem Gesetz zukam.
So geschlossen und eingängig dies erscheinen mag, so wenig vermag diese psycho-
logisierende Deutung m. E. zu überzeugen. Hier werden Aspekte gesetzeskritischer
Debatten, wie sie im antiken Judentum hier und da geführt worden sein mögen, in die
Gestalt des vorchristlichen Paulus hineinprojiziert, ohne dass es dafür einen hin-
reichenden Anhalt in den Quellen gibt. Es bleibt vielmehr dabei, dass dort, wo Paulus
explizit über seine vorchristliche Vergangenheit spricht, in keiner Weise die sote-
riologisch angefeuerte Angst eines Scheiterns am Gesetz aufleuchtet, sondern, um die
bekannte Wendung Krister Stendahls aufzunehmen, ein robustes Gewissen zutage
tritt50. Im Übrigen: Wenn Röm 7 den Erkenntnis- und Reflexionsstand des chris-
tusgläubigen Paulus über sein Leben vor Damaskus spiegeln würde, wirft dies die
Frage auf, warum Paulus dennoch nach Damaskus zugleich von seinem früheren
Leben sagen kann, er sei nach der durch das Gesetz definierten Gerechtigkeit unta-
delig gewesen – statt distanzierend zu sagen, er habe damals gemeint, dass er unta-
delig war. Kurzum: Röm 7 und Phil 3 lassen sich schwerlich in der von Theißen
vorgeschlagenen Weise zusammenbringen.
Udo Schnelle verweist für seinen Ansatz darauf, dass Paulus in Gal 1,16 allein
den „,Gottessohn‘“ als Inhalt der ihm „zuteil gewordenen Offenbarung“
namhaft macht,52 was in Phil 3 in der Beschreibung des Damaskusgeschehens
als „Erkenntnis Jesu Christi, meines Herrn“ (V. 8) ein Pendant finde. Dem tritt
zur Seite, dass Paulus seine Berufung zum Apostel mit der ihm zuteil ge-
wordenen Christusepiphanie verbindet.53 Nicht nur Gal 1 lässt dies zutage
treten, sondern auch 1Kor 9,1 und 15,8 – 11, wo Paulus jeweils sein – bei den
Adressaten umstrittenes – Apostolat mit einem Hinweis eben auf seine
Christusepiphanie verteidigt.
Nun ist geradezu evident, dass die Veränderung der Einstellung zu Jesus
bzw. zur christusgläubigen Verkündigung des Gekreuzigten als des Aufer-
weckten im Zentrum der Damaskuserkenntnis steht. Nicht von selbst versteht
es sich aber, die Damaskuserkenntnis darin mehr oder weniger aufgehen zu
lassen und insbesondere gesetzestheologische Implikationen abzuwehren.
Der umfassendere Interpretationsrahmen für diese reduktionistische Sicht ist
die These, dass es deutlich wahrnehmbare Wandlungen im paulinischen
Denken in den Bereichen der Eschatologie, des Gesetzesverständnisses sowie
der Israeltheologie gibt. Die Konzentration von Damaskus auf die christolo-
gische Erkenntnis schafft Raum für diese Wandlungen. Schnelle konzediert
zwar, dass die christologische Erkenntnis „wohl Kollision mit dem Gesetz“
bedeutete, „nicht aber Antinomismus und schon gar nicht ein neues durch-
reflektiertes Gesetzesverständnis“.54 Dieses entstand erst allmählich. Schnelle
wendet sich damit, negativ formuliert, gegen die vom vorangehenden Inter-
pretationstyp vorgebrachte Grundthese, dass Damaskus als der Ursprungsort
einer im Ganzen einheitlichen, zumindest in den Grundlagen bereits in Da-
maskus vorhandenen, später nur noch ausformulierten paulinischen Theo-
logie zu begreifen sei und damit auch die paulinische Rechtfertigungslehre als
gesetzeskritische Grundüberzeugung des Apostels hier grundgelegt sei.
Im Blick auf die Motive für Paulus’ Verfolgung der Christusgläubigen
korrespondiert dieser exklusiv christologischen Bestimmung des Inhalts des
Damaskusgeschehens bei Schnelle die Zurückweisung der These, dass Paulus
an der gesetzeskritischen Haltung der Christusgläubigen Anstoß genommen
habe, wie sie ihm im Stephanuskreis entgegengetreten sei. Schnelle kritisiert
diese Deutung an ihrer Wurzel; er bestreitet eine gesetzeskritische Ausrich-
tung des Stephanus und seines Kreises, so dass Paulus dann natürlich auch
keine gesetzeskritische Position von ihnen übernommen haben kann. Anzu-
nehmen sei „vielmehr, daß das exklusiv christologische Bekenntnis der frühen
Gemeinde in Verbindung mit einer sich entwickelnden organisatorischen
Selbständigkeit und Missionspraxis zu der Verfolgung (auch durch Paulus)
geführt hat“.55 Konkreter : Paulus habe sich an der Verkündigung eines Ge-
kreuzigten als Messias gestoßen: „Die Vorstellung eines gekreuzigten Messias
musste Paulus nicht nur absurd vorkommen, sondern stellte in seinen Augen
auch eine Lästerung und Infragestellung des jüdischen Glaubens dar“.56
Schnelle nimmt in diesem Zusammenhang die weit verbreitete These auf, dass
der Zitation von Dtn 21,23 in Gal 3,13 ein älterer Rekurs auf diesen Vers im
Kontext der Polemik gegen die Verehrung Jesu als Messias zugrunde liege: Ein
Gekreuzigter sei ein von Gott Verfluchter.57
Schnelle hat m. E. mit Recht von den Texten nicht gedeckte Prämissen des
ersten Interpretationstyps kritisiert. Dennoch vermag der Versuch, die Ge-
setzesfrage aus dem Zentrum der Damaskuserkenntnis hinauszudrängen,
m. E. nicht zu überzeugen. Denn auch wenn die Hellenisten selbst keine
prinzipiell gesetzeskritische Position bezogen haben, ist davon die Frage zu
Allen voran James Dunn60 hat vorgebracht, dass sich die von Paulus aus dem
Damaskusgeschehen gefolgerte Sendung zu den Völkern nicht geradlinig aus
der christologischen Erkenntnis an sich ableiten lasse.61 Vielmehr wird die
Bedeutung der Tora für die Bestimmung der Identität des Gottesvolkes ein-
bezogen. Dunn weist, m. E. mit vollem Recht, zurück, dass Paulus schon bei
den Hellenisten der soteriologischen Alternative „Heil durch Christus oder
durch das Gesetz“ begegnete, denn eine solche frühe Antithese und die damit
verbundene Abwertung des Gesetzes ließen es unnachvollziehbar werden,
wieso es erst wesentlich später zu den in Gal 2,1 – 10.11 – 14 geschilderten
Konflikten gekommen ist.62 Im Kern drehe sich die Problematik vielmehr um
die Zugehörigkeit zum Gottesvolk und dessen Identität.63
Die Gottesvolkthematik ist ferner z. B. von Jürgen Becker und Wolfgang
Kraus als wesentliches Element vorgebracht worden. Ein wichtiges Moment
der Opposition von Paulus gegen die Hellenisten war nach Becker, dass deren
Haltung zur Tora mit einer für den eifernden Pharisäer Paulus bedenklichen
Aufweichung der Grenze zwischen Israel und den Völkern einherging. Paulus’
Verfolgertätigkeit sei „Folge der kompromißlosen Einstellung zum Gesetz. Im
Gesetz die alles bestimmende Lebensnorm zu sehen, das bedeutet u. a., zwi-
schen dem auserwählten Volk Gottes und den sündigen Völkern zu klassifi-
zieren und unverrückbare Grenzen aufzurichten“.64 Das Christusbekenntnis
an sich erkläre nicht den „Totalkonflikt, wie Paulus ihn austrägt“.65 Vielmehr
müsse „der eigentliche Konflikt […] in der paulinischen Diagnose bestanden
haben, daß die Christen das Gesetz in Frage stellten“.66 Ganz ähnlich urteilt
Wolfgang Kraus, dass das Damaskusgeschehen für Paulus bedeutete, dass
„jener Jesus, den er bisher als Urheber einer gefährlichen häretischen Gruppe
angesehen hatte, die die Integrität des Gottesvolkes bedrohte, von Gott ins
Recht gesetzt worden war“.67 Positiv bedeutete dies, dass Paulus die Öffnung
des Gottesvolkes für „Heiden“ als Gottes Willen und als Gebot der eschato-
logischen Stunde erkannte.
M.E. ist hier Richtiges gesehen. Man kann also die Gesetzesthematik nicht
so dezidiert aus dem Damaskusgeschehen ausklammern, wie dies bei Schnelle
angelegt ist. Zugleich geht es aber noch nicht zentral um die soteriologische
Frage, die Paulus später in dem rechtfertigungstheologischen Hauptsatz
ausformuliert hat, ein Mensch werde ohne Werke des Gesetzes durch Glauben
62 Dunn, Light, 255.263. – Siehe neben den im Folgenden Genannten ferner z. B. Räisänen, Call,
65.72; Wolter, Paulus, 27 – 29.
63 Auch Dunn nimmt den Bezug auf Dtn 21,23 in Gal 3,13 für die Erklärung des Damaskusge-
schehens in Anspruch – Paulus habe in Jesus auf der Basis von Dtn 21,23 einen von Gott
Verfluchten gesehen –, doch wendet er diesen Aspekt dahingehend, dass der Verfluchte au-
ßerhalb des Bundes stehe, wo sich auch die „Heiden“ befinden (Dunn, Light, 264). Damaskus
bedeute entsprechend, dass Paulus die außerhalb des Bundes stehenden Sünder annehme,
woraus Paulus unmittelbar die Konsequenz der Sendung zu den Völkern ziehen konnte. Diese
Konstruktion steht freilich auf tönernen Füßen. Denn wenn Dtn 21,23 in Paulus’ Opposition
gegen die Christusgläubigen eine Rolle spielte, wird ihm durch Damaskus doch eher die
Grundlage für die Applikation des Fluchwortes entzogen worden sein: Er erkannte sein Urteil,
dass Jesus ein von Gott verfluchter Sünder ist, als falsch.
64 Becker, Paulus, 71.
65 Becker, Paulus, 72.
66 Becker, Paulus, 72.
67 Kraus, Jerusalem, 97.
Bekehrung – Berufung – Lebenswende 109
gerechtfertigt (Röm 3,28), sondern um die soziale Funktion der Tora. Hier ist
durch die „new perspective“ bleibend Gültiges gesehen worden.
Ich komme zu einem Zwischenfazit, in dem ich zusammenfasse, was sich mir
vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussionslage vorläufig als
wahrscheinlichste Interpretation darstellt. Der eine oder andere Aspekt sei
dabei noch ergänzt:
Es ist evident, dass die Umkehrung des Urteils über Jesus von Nazareth im
Zentrum der Damaskuserfahrung steht: Der gekreuzigte Jesus wurde Paulus
als Auferstandener offenbar. Das Damaskusgeschehen lässt sich aber nicht
darauf reduzieren. Gal 1,13 f wie Phil 3,5 f zeigen vielmehr, dass Paulus’ Ver-
folgungstätigkeit direkt mit seinem Eifer für die väterlichen Überlieferungen,
also für die Tora im pharisäischen Verständnis zu tun hatte. Ich gehe des
Näheren davon aus, dass Paulus Christusgläubige in Jerusalem verfolgt hat,
und zwar die sog. Hellenisten, die in den griechischsprachigen Synagogen, in
denen auch Paulus anzutreffen war, auftraten, um für den Christusglauben zu
werben.68 Diese Hellenisten vertraten schwerlich eine offene Gesetzeskritik.
Hier wurden eher die Konflikte weitergeführt, die schon bei Jesus selbst mit
den Pharisäern zu beobachten sind. Bei den Hellenisten stieß Jesu liberale
Haltung gegenüber rituellen Bestimmungen zugunsten der Betonung sozial-
ethischer Gebote auf positive Resonanz; ferner dürften sie durch Kritik am
Jerusalemer Tempel (vgl. Apg 6,13 f; 7,47 – 53) den für die väterlichen Über-
lieferungen eifernden Pharisäer Paulus auf den Plan gerufen haben.69 Als die
Hellenisten aus Jerusalem fliehen mussten, ebnete ihnen ihr Gesetzesver-
ständnis den Weg zu einer offenen Haltung gegenüber den Gottesfürchtigen,
die sie in die christusgläubigen jüdischen Gemeinschaften vollgültig inte-
grierten. Gegen diese Aufweichung der Grenze zwischen Israel und Völkerwelt
ist Paulus in seinem Eifer vorgegangen. Dazu passt auch seine Selbststilisie-
rung in den Farben des Eiferers Pinchas (Num 25, vgl. Sir 45,23 f; 1Makk 2,54;
4Makk 18,12) in Gal 1,13 f. Sah er sich durch die Christusepiphanie vor Da-
maskus in seinem Eifer für die Tora als Instrument zur Heiligung des Got-
tesvolkes Israel, zur Sicherung seiner Identität in Abgrenzung von den Völ-
kern widerlegt, so konnte er daraus den Schluss ziehen, dass die Öffnung auf
die Völker hin tatsächlich der Wille Gottes und das missionarische Gebot der
eschatologischen Stunde war.
Im Blick auf die Tora verband sich für Paulus mit dem Damaskusgeschehen
die Erkenntnis, dass er sich gerade mit seinem Eifer für die väterlichen
Überlieferungen gegen Gott gestellt hatte. Offenkundig musste daraus eine
14) gewesen sein. Vermutlich sind hier erstmals im Rahmen der antiocheni-
schen Mission heidenchristliche Gruppen ohne vorangehenden Kontakt mit
und ohne Anbindung an Synagogengemeinschaften entstanden; der Status
dieser Gruppen warf Fragen auf. Kurzum: Es ist m. E. davon auszugehen, dass
Paulus sich zu dem profilierten „Heidenapostel“, als welcher er im Rahmen
seiner eigenständigen Mission nach dem Jerusalemer Konvent hervortritt, erst
allmählich entwickelt hat.73 Ist das richtig, dann sagt Gal 1,16 tatsächlich mehr
über den Paulus zur Zeit der Abfassung des Gal als zur Zeit des Damaskus-
geschehens aus. Das heißt nicht, dass Paulus sich nicht schon in Damaskus an
der Verkündigung beteiligte. Aber er dürfte sich dabei zunächst einfach der
Praxis derer angeschlossen haben, die er zuvor verfolgt hatte.
Aus der eingangs knapp skizzierten Quellenlage ergibt sich zwingend, dass
man zur Beantwortung dieser Frage nicht einfach auf die lukanische Dar-
stellung in Apg 9,3 – 19 verweisen kann. Die knappen paulinischen Rekurse auf
das Damaskusgeschehen, an die man sich primär zu halten hat, sind aller-
dings, wie eingangs angedeutet, im Blick auf die genannte Frage alles andere
als auskunftsfreudig. Paulus ist nicht an einer Schilderung des Geschehens
selbst interessiert, sondern an dessen Ergebnis. Aus allen seinen Äußerungen
(1Kor 9,1; 15,8; Gal 1,16) geht nicht mehr hervor, als dass er den Herrn Jesus
gesehen hat. Die in der Apostelgeschichte zum festen Inventar der Darstel-
lungen gehörende Himmelsstimme erwähnt Paulus nie. Wenn man noch 2Kor
4,6 trotz der generalisierenden Züge des Textes und trotz seines traditionell
geprägten Vorstellungsgehalts als Reflex des Damaskusgeschehens einbezieht,
ändert sich an dem dargelegten Befund nichts. Bei Paulus hat das Damas-
kusgeschehen stets allein ein visionäres Moment.
Die Rede von der „Berufung“, vom jake?m, in Gal 1,15, aus der Udo Schnelle
zumindest die Möglichkeit eines auditiven Moments ableiten möchte, bietet
kein belastbares gegenteiliges Indiz. Denn es ist hier nicht nur darauf zu
verweisen, dass es bei der Rede von seiner Berufung um die theologische
Deutung des Geschehens geht, sondern auch darauf, dass Paulus das Verb
vielfach an anderer Stelle verwendet,74 unter anderem auch allgemein zur
Interpretation der Konversion der Christusgläubigen. Ein auditives Moment
lässt sich des Näheren auch nicht durch den Verweis auf das Wortelement in
73 Vgl. Segal, Paul, 8 sowie zuletzt auch die Erwägungen von Broer, Erscheinung, 84 – 86.
74 Siehe z. B. 1Thess 2,12; 4,7; 5,24; 1Kor 1,9; 7,15 – 24; Gal 1,6; 5,8.13; Röm 8,30; 9,12.24.
112 Matthias Konradt
75 Anders Dietzfelbinger, Berufung, 51: Paulus versteht „das Damaskuserleben als Beru-
fungsgeschehen, das durch das berufende Wort, also durch eine Audition, mitkonstituiert wird
(vgl. nur Jes 6)“, sowie a. a. O., 64: „Die Berufung zu einem bestimmten Tun, nach Gal 1,16 zur
Verkündigung unter den Völkern, ist ohne Audition kaum denkbar. Die von Paulus behauptete
Parallelität seiner Berufung zu alttestamentlichen Berufungen […], die durch Auditionen ge-
prägt sind, führt zur gleichen Annahme.“
76 Skeptisch an dieser Stelle auch Rau, Kyrioskult, 159.
77 Vgl. Dietzfelbinger, Berufung, 54 – 60.
78 Mt 28,9 f.16 – 20; Lk 24,13 – 35.36 – 49; Joh 20,11 – 18.19 – 23.24 – 29; 21,1 – 23.
79 Die theologische Agenda wird deutlich, wenn z. B. Dietzfelbinger, Berufung, 52 die Frage
aufwirft, „wieweit in einer Vision wie der des Paulus wirkliche Erkenntnis sich darstellen,
Wahrheit sich äußern kann, die verbindlich ist nicht nur für den Visionär, sondern auch für
andere, für alle.“
80 Becker, Paulus, 80.
Bekehrung – Berufung – Lebenswende 113
ereignete: Sie traf ja den Gesetzeseiferer, der die Lehre und Praxis der da-
maszenischen Christen angriff“.81
Wird dieser Ansatz durch eine nüchterne Bewertung der Quellenlage nahe
gelegt, so lässt sich dies gut mit dem eben formulierten Ergebnis verbinden:
Paulus konnte der Vision sogleich entnehmen, dass er in seinem bisherigen
Eifer ins Unrecht gesetzt war ; er konnte ferner sogleich zu der Erkenntnis
kommen, dass der Gekreuzigte lebte. Aber was des Weiteren positiv zu folgern
war, erschloss sich Paulus erst sukzessiv. An die Stelle des erschütterten alten
Denkgebäudes ist nicht sogleich ein vollendeter Neubau oder auch nur ein
fertiger Rohbau getreten. Damaskus ist Lebenswende, aber nicht schon die
Geburtsstunde des im Röm entfalteten theologischen Ansatzes. Oder anders:
Paulus dürfte sich erst einmal tatsächlich an denen orientiert haben, die er
zuvor verfolgt hatte. Auch die Prägnanz, mit der er in Gal 1,16 Damaskus mit
seiner Berufung zum Apostel unter den Völkern verbindet, dürfte ihm erst mit
der Zeit zuteil geworden sein.82
Die Möglichkeit, Damaskus als ein Offenbarungsgeschehen zu deuten, ist
mit der Reduktion des Geschehens auf eine (Licht-)Vision – dies sei aus-
drücklich festgehalten – nicht grundsätzlich verstellt. Die alternative Option
einer rein immanenten Deutung versucht das Geschehen durch psychologi-
sche Hypothesen aufzuhellen.83 In der jüngeren Forschung ist die psycholo-
gische Deutung von Damaskus allen voran mit dem Auferstehungsbuch von
Gerd Lüdemann verbunden.84 Die verhärteten Fronten der Diskussion um
Lüdemanns Buch haben die gebotene Form der Prüfung und Auseinander-
setzung mit dieser Deutungsoption, die wie andere kritisch, sine ira et studio,
diskutiert zu werden verdient, zweifelsohne behindert. Es bliebe unbefriedi-
gend, der psychologischen Deutung allein durch das Gegenpostulat zu be-
gegnen, dass eine Berufung zwar „auch psychologische Dimensionen [be-
inhaltet], die aber nur als Reaktion auf das vorausgehende Handeln Gottes
verstanden werden können“.85 Pistologische bzw. weltanschauliche Voraus-
setzungen werden – das sollte allerdings auch die rein immanente Deutung
zugeben – unausweichlich hier wie dort gemacht. Immerhin kann man die
psychologischen Deutungen auf ihre innere Stimmigkeit und ihren Anhalt an
den Quellen prüfen.
Zum Schluss bleibt die Frage, mit welchem Begriff das Damaskusgeschehen
treffend zu charakterisieren ist.
mutandis auch den Terminus „Konversion“ betrifft,98 wird durch eine miss-
liche Übersetzung von Youdazslºr in Gal 1,13.14 mit, „Judaism“, „Judentum“
etc. Vorschub geleistet,99 weil dadurch als Negativfolie der Hinwendung zum
Christusglauben die Abkehr vom Judentum erscheint, während Paulus tat-
sächlich mit seiner Rede von seinem Wandel einst im Youdazslºr (1,13) bzw.
seinen exzeptionellen Fortschritten im Youdazslºr (1,14) auf seine besonders
entschiedene und strenge, auf Abgrenzung bedachte Art jüdischer Lebens-
weise verweist. Schon dies legt nahe, Gal 1 so zu verstehen, dass Paulus in-
nerhalb des Judentums die Richtung gewechselt hat: weg von einem strengen
pharisäischen Judentum, hin zum christusgläubigen Judentum. Historisch ist
ohnehin anzumerken, dass zur Zeit des Damaskusgeschehens von der Exis-
tenz des Christentums als Größe neben dem Judentum noch gar nicht die Rede
sein kann.
Dies vorausgeschickt, kann man allerdings tatsächlich von einer Bekehrung
oder von einer Konversion reden: Paulus’ Urteil über Jesus von Nazareth wird
umgekehrt. Der Begriff Bekehrung/Konversion begegnet daher in der neueren
Forschung auch dort wieder, wo die Vorstellung eines Religionswechsels vom
Judentum zum Christentum als anachronistische und überhaupt unzutref-
fende Denkfigur erkannt und zugunsten einer innerjüdischen Neuorientie-
rung aufgegeben ist.100 Da beide Begriffe, „Bekehrung“ wie „Berufung“, be-
deutende Aspekte des Damaskusgeschehens einzufangen vermögen, ohne
dieses je für sich suffizient bezeichnen zu können, ist verschiedentlich eine
vermittelnde Position vorgebracht worden, in der die beiden Begriffe nicht
alternativ, sondern komplementär verstanden werden.101 Das macht durchaus
Sinn.
Sucht man dann einen Oberbegriff, bietet sich die semantisch relativ offene
Bezeichnung „Lebenswende“ an. Freilich kann man dem terminologischen
Problem auch in einer eher resignativen Weise begegnen und nüchtern fest-
halten: Weil sich das Damaskusgeschehen einer präzisen historischen Erfas-
98 Vgl. die Ausführungen von Fredriksen, Paul, 15 zum englischen „conversion“: „Conversion
usually refers to movement between religions“ (Hervorhebung im Original).
99 Zur spezifischeren Bedeutung des wohl im 2. Jh. v. Chr. als Analogiebildung und in Abgrenzung
zu „Hellenismus“ entstandenen Terminus (s. 2Makk 2,21; 8,1; 14,38 sowie 4Makk 4,26, ferner
inschriftlich CIJ I 537 und I 694) s. Amir, Youdazslºr, 101 – 113; Dunn, Conversion, 86 – 88;
Konradt, Wandel, 39 f.
100 Siehe z. B. Haacker, Werdegang, 99 – 101 sowie Gaventa, Darkness, 8 – 14.40, die freilich
konkretisiert, Paulus habe nicht „a pendulum-like conversion“ erfahren, sondern eine Kon-
version im Sinne einer „transformation“ (40), die sie wie folgt definiert: „transformation is
also a radical change, but one in which an altered perception reinterprets both present and
past“ (12).
101 So z. B. Haacker, Paulus, 99 – 101, der als Fazit formuliert: „Alles in allem: Für die treffende
Bezeichnung der Lebenswende des Paulus kann auf das Nebeneinander der Begriffe ,Bekeh-
rung‘ und ,Berufung‘ nicht verzichtet werden“ (101). Siehe ferner z. B. Dunn, Conversion, 91;
Hurtado, Convert, 284, zuletzt auch Wolter, Paulus, 23(–30).
Bekehrung – Berufung – Lebenswende 117
sung und damit einer präzisen begrifflichen Festlegung entzieht, ist ein eher
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120 Matthias Konradt
followers of James in order to correct or rebut him or them.6 (iii) Paul agreed
with James but sought “to prevent a mischievous use” of his words, which the
apostle “thought likely to be perverted by the Judaisers who were corrupting
the Gospel of Christ.”7 (iv) James responded to Paul in a polemical fashion.8 (v)
James responded to Paul but sought to clarify his teaching, not confute it.9 A
6 So Friedrich Spitta, Zur Geschichte und Litteratur des Urchristentums, Zweiter Band: Der Brief des
Jakobus; Studien zum Hirten des Hermas (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1896) 202 – 224;
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Robinson, Redating the New Testament (Philadelphia: Westminster, 1976) 126 – 28.
7 So R. W. Dale, The Epistle of James and Other Discussions (London: Hodder and Stoughton, 1900)
75, 77. Related opinions in Theodor Zahn, Introduction to the New Testament, vol. 1 (Edinburgh:
T. & T. Clark, 1909) 124 – 28; Gerald H. Rendall, The Epistle of St James and Judaic Christianity
(Cambridge: Cambridge University Press, 1927) 78 – 87 (“when Paul was writing to the Romans,
the words of our Epistle were fresh in his mind”); H. P. Harman, “Faith and Works: Paul and
James,” LTJ 9 (1975) 33 – 41.
8 E.g. Ferdinand Christian Baur, Paul the Apostle of Jesus Christ, vol. 2 (London/Edinburgh: Wil-
liams and Norgate, 1876) 309; Ernst Kühl, Die Stellung des Jakobusbriefes zum alttestamentlichen
Gesetz und zur Paulinischen Rechtfertigungslehre (Königsberg: Koch, 1905) 46 – 68; Gerhard
Kittel, “Der geschichtliche Ort des Jakobusbriefes,” ZNW 41 (1942) 98 – 102 (James the brother of
Jesus wrote against Paul before meeting him); Andreas Lindemann, Paulus im ältesten Chri-
stentum: Das Bild des Apostels und die Rezeption der paulinischen Theologie in der früh-
christlichen Literatur bis Marcion (BHT 58; Tübingen: Mohr Siebeck, 1979) 250 – 52; Martin
Hengel, “Der Jakobsbrief als antipaulinische Polemik,” in Paulus und Jakobus: Kleine Schriften III
(Tübingen: Mohr Siebeck, 2002) 511 – 48; M. Lautenschlager, “Der Gegenstand des Glaubens im
Jakobusbrief,” ZTK 87 (1990) 163 – 84; Manabu Tsuji, Glaube zwischen Vollkommenheit und
Verweltlichung: Eine Untersuchung zur literarischen Gestalt und zur inhaltlichen Kohärenz des
Jakobusbriefes (WUNT 2/93; Tübingen: Mohr Siebeck, 1997) 189 – 93; Martina Ludwig, Wort als
Gesetz: Eine Untersuchung zum Verständnis von “Wort” und “Gesetz” in israelitisch-früh-
jüdischen und neutestamentlichen Schriften; gleichzeitig ein Beitrag zur Theologie des Jakobus-
briefes (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXIII, Theologie 502; Frankfurt a.M./New
York: P. Lang, 1994) 187 – 91; Vasiliki Limberis, “The Provenance of the Caliphate Church: James
2.17 – 26 and Galatians 3 Reconsidered,” in C. A. Evans and J. A. Sanders (eds.), Early Christian
Interpretation of the Scriptures of Israel (JSNTSS 148; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1997)
397 – 420 (James of Jerusalem was directly responding to reports about the letter to the Galatians
and attempting to give diaspora Christians the correct understanding of Abraham and the law);
Matt A. Jackson-McCabe, Logos and Law in the Letter of James: The Law of Nature, the Law of
Moses, and the Law of Freedom (NovTSup 100; Leiden: Brill, 2001) 243 – 53; Friedrich Avemarie,
“Die Werke des Gesetzes im Spiegel des Jakobusbriefs,” ZTK 98 (2001) 282 – 309; K. Jason Coker,
“Nativism in James 2.14 – 26: A Post-Colonial Reading,” in Robert L. Webb and John S. Klop-
penborg (eds.), Reading James with New Eyes: Methodological Reassessments of the Letter of
James (LNTS 342; London/New York: T. & T. Clark Intl., 2007) 27 – 48.
9 So Bede Ep. cath. ad Jas 2.20 – 21 CCSL 121 ed. Hurst 198 – 99; M. Chemnitz, Loci theologici
(Wittenberg: Clementis Bergeri, & Zachariæ Schüreri Bibliop, 1616) 259; Edward Wells, An Help
for the More Easy and Clear Understanding of the Holy Scriptures, being the Epistles of St. James,
St. Peter, St. John, and St. Jude (Oxford: James Knapton, 1715) 14; John Wesley, Explanatory Notes
upon the New Testament (London: Epworth, 1950) 861. This seems to be the position of Scot
McKnight, The Letter of James (NICNT; Grand Rapids, MI/Cambridge, UK: Eerdmans, 2010)
261 – 63, who argues that Paul and James are “more complementary than … contradictory,” and
that “James is responding either to Paul in the flesh or, which is slightly more likely, to the early
Paul or to early followers of Paul who had embraced his message and driven it to some distor-
tion.”
Jas 2:14 – 26: Polemic against Paul 125
10 Margaret M. Mitchell, “The Letter of James as a Document of Paulinism,” in Webb and Klop-
penborg, Reading James with New Eyes, 75 – 98; David R. Nienhuis, Not By Paul Alone: The
Formation of the Catholic Epistle Collection and the Christian Canon (Waco, TX: Baylor Uni-
versity Press, 2007) 215 – 24. According to the latter, our author “wanted to create a canonical
collection of letters that would position James and Paul as equal authorities in creative, cano-
nical tension with one another. He does not want to banish Paul, but he also knows what sort of
distortions can result when believers rely on Paul alone.” Yet why then is James’ discussion not
more nuanced, and why does he favor formulations that are literally antithetical to Paul? Cf. Jas
2:21 (“Was not Abraham our father justified by works?”) with Rom 4:2 (Paul rejects the pos-
sibility that “Abraham was justified by works”) and Jas 2:24 (“a man is justified by works and
not by faith alone”) with Gal 2:16 (“a man is not justified by works of the law but through faith in
Jesus Christ, even we have believed in Christ Jesus, in order to be justified by faith in Christ, and
not by works of the law, because by works of the law shall no one be justified”).
11 So Augustine En. Ps 31.2.2 – 3 CCSL 38 ed. Dekkers and Fraipont 225 – 27; Johann Albrecht
Bengel, Gnomon Novi Testamenti, vol. 2 (Tübingen/London: Ludov. Frid. Fues, 1850) 494;
George Bull, Harmonia apostolica (Oxford: J. H. Parker, 1842); James Hardy Ropes, A Critical
and Exegetical Commentary on the Epistle of St. James (ICC; Edinburgh: T. & T. Clark, 1916) 35;
Martin Dibelius, James: A Commentary on the Epistle of James, rev. by H. Greeven (Hermeneia;
Philadelphia, 1976) 179 – 80; Franz Mußner, Der Jakobusbrief (2nd ed.; HTKNT 13.1; Freiburg/
Basel/Vienna: Herder, 1967) 18 – 22, 130; Rudolf Hoppe, Der theologische Hintergrund des
Jakobusbriefes (FB 28; Würzburg: Echter, 1977) 67 – 70; Wiard Popkes, Adressaten, Situation
und Form des Jakobusbriefes (SBS 125/126; Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 1986) 63 – 91.
126 Dale C. Allison, Jr.
But by having been taken out of James’ context and read over against Paul, James’
argument has been lost and these verses distorted.12
These words, I submit, beg the question. Why is it that all the commentators
have, seemingly from the beginning, interpreted James with Paul in mind? The
undeniable answer is that our book almost inevitably moves anyone acquainted
with Romans or Galatians to think of passages in those epistles. Indeed, one
wonders whether any informed readers of the New Testament have ever read Jas
2:14 – 26 wholly on its own terms, without thinking about Paul.13
This matters because it is a sensible principle of those who hunt for literary
allusions that the history of interpretation can be a fairly reliable guide to
discerning deliberate intertextuality. The more that text A has reminded
readers of text B, the more likely it is that text A was in fact designed to do just
that.14 This is indeed nothing more than common sense – as one realizes by
contemplating the obverse: If text A has historically failed to remind
numerous readers of text B, then one may hold an initial prejudice against the
proposition that the former was designed to recall the latter.
The point to emphasize with regard to James and Paul is simply this. The
constant reading of the former in terms of the latter is exactly what one would
expect if the author of James intended his writing to move auditors to think
about Pauline theology. To complain that readers too often and too readily turn
to Paul may be akin to complaining that Heb 13:2 – “Do not neglect to show
hospitality to strangers, for thereby some have entertained angels unawares” –
regularly puts readers in mind of Genesis 18, where Abraham hosts three
mysterious visitors. Heb 13:2 is supposed to prod an intertextual exchange, to
move informed readers to go back to Genesis. Maybe, in like fashion, Jas 2:14 –
26 is also a deliberately allusive text: it wants us to recall Paul.
12 Luke Timothy Johnson, The Letter of James (AB 37 A; New York: Doubleday, 1995) 247.
13 Likewise commentators on Romans and Galatians have regularly been reminded of Jas 2:14 – 26;
note from early times Origen Rom 4.1 FC 2.2 ed. Heither 164; Pelagius Rom. ad 3:28 TS 9.2 ed.
Souter 34; Cyril of Alexandria Frag. Rom ad 4.2 ed. Pusey 180.
14 Cf. Richard B. Hays, The Faith of Jesus Christ: The Narrative Substructure of Galatians 3:1 – 4:11
(2nd ed.; Grand Rapids, MI: Eerdmans, 2002) xlvii–lii.
Jas 2:14 – 26: Polemic against Paul 127
Galatians.15 Thus, even though the construction also appears in Matt 12:37,
it is characteristic of the apostle. The expression shows up in three verses in
James: 2:21, 24, 25.16
– 1n 5qcym is only meagerly attested prior to Paul, appearing once in Hesiod,
once in Homer, once in the LXX, and never in the Pseudepigrapha, Philo,
or Josephus.17 But Paul likes it: he uses it not once or twice but repeatedly.18
Before later church fathers such as Origen and John Chrysostom, the only
comparable density is in James, where 1n 5qcym appears three times: 2:21
(1n 5qcym 1dijai¾hg), 24 (1n 5qcym dijaioOtai), 25 (1n 5qcym 1dijai¾hg).
– James employs dijaiºy only three times, all in connection with 1n 5qcym;
and with the exception of our letter, 1n 5qcym is linked to dijaiºy only in
Pauline literature or texts influenced by Paul and/or James.19 Indeed, Jas
2:21 ((Abqa±l … oqj 1n 5qcym 1dijai¾hg) sounds like a direct response to
Rom 4:2 (eQ c±q )bqa±l 1n 5qcym 1dijai¾hg).
– The dijaioOtai %mhqypor of Jas 2:24 has its exact parallel in Gal 2:16
(dijaioOtai %mhqypor) and also reminds one of Rom 3:28 (dijaioOshai
p¸stei %mhqypom).20 Although %mhqypor is ubiquitous as the subject of a
sentence, %mhqypor + a passive form of dijaiºy is confined to Paul, James,
and later Christian literature familiar with the NT writings.
– Aside from Jas 2:24 and before the latter half of the second century, 1j
p¸steyr occurs once in the LXX (Hab 2:4), once in Hebrews (10:38, quoting
Hab 2:4), and once in Justin Martyr (Dial. 135.6), and, by contrast, twenty
one times in Paul (all in Romans and Galatians).21 So the rarely attested
expression is, just like 1n 5qcym, characteristic of the apostle.
– wyq·r (t_m) 5qcym is another Pauline expression present in James. Although
wyq·r 5qcou appears in Philo Mos. 1.318, the noun is there in the singular ;
and if we look instead for the plural, wyq·r (t_m) 5qcym, this is confined, in
Jewish and Christian literature, to Paul (Rom 3:28; 4:6), to James (2:18, 20,
26), and to Christian theologians from Origen on.
This is a remarkable series of linguistic correlations. One would be hard
pressed to find a similar concatenation of rare expressions in two texts that are
not directly related.
The point is reinforced, I suggest, when one compares and contrasts the
relationship of James to Paul with the relationship of James to the Jesus
tradition. More than a few texts in our epistle have moved numerous
commentators, ancient, medieval, and modern, to recall passages in the
synoptic gospels. Indeed, many have supposed that, at points, James draws
directly upon sayings that circulated under the name of Jesus. Most recent
scholars who have addressed the issue seem to concur, although, as one would
expect, they disagree over the extent of the dependence.22
For our purposes it is noteworthy that, with the exception of Jas 5:12 = Matt
5:34 – 37, the verbal overlap between our letter and the Jesus tradition is
typically minimal. James is wont not to quote Jesus word for word but to
rewrite the tradition. Probably the best explanation for this comes from John
Kloppenborg.23 He sees James as a practitioner of the ancient rhetorical
practice of aemulatio, by which old maxims were revised for new rhetorical
situations. Using the Jesus tradition as a resource for his own performance,
James “transformed the Jesus sayings grammatically and in application, and,
typical of the practice of aemulatio, represented the product as his own.”24
Those of us who find Kloppenborg persuasive or who, with the vast
majority of exegetes, otherwise see a number of sayings of Jesus refracted in
James confront a question. Can we reasonably conclude that several Jamesian
texts depend upon the Jesus tradition and yet deny that Jas 2:14 – 26 engages
Paul? Leaving aside the saying about oaths in 5:12, none of the relevant lines in
James shares with its synoptic counterpart the number of distinctive and
extensive parallels that the section on faith and works shares with Romans and
Galatians. How, then, is it that some scholars, such as Johnson, can argue that
22 Dean B. Deppe, The Sayings of Jesus in the Epistle of James (Chelsea, MI: Bookcrafters, 1989),
remains the standard work. Also important is Patrick J. Hartin, James and the Q Sayings of Jesus
(JSNTSS 47; Sheffield: JSOT Press, 1991).
23 John S. Kloppenborg, “The Reception of the Jesus Tradition in James,” in J. Schlosser (ed.), The
Catholic Epistles and the Tradition (BETL 176; Leuven: Leuven University Press/Uitgeverij
Peeters, 2004) 93 – 141; idem, “The Emulation of the Jesus Tradition in the Letter of James,” in ed.
Robert L. Webb and John S. Kloppenborg (eds.), Reading James with New Eyes: Methodological
Reassessments of the Letter of James (London/New York: Continuum, 2007) 121 – 50. The former
study also appears in Karl-Wilhelm Niebuhr and Robert W. Wall (eds.), The Catholic Epistles and
Apostolic Tradition (Waco, TX: Baylor University Press, 2009) 71 – 100.
24 Kloppenborg, “Reception,” 141. Kloppenborg argues that Jas 1:2 and 12 rework Q 6:22 – 23, that
Jas 1:5 and 4:2 – 3 rework Q 11:9 – 13, that Jas 2.5 reworks Q 6:20b, that Jas 4:3 – 4 reworks Q
16:13, and that Jas 5:1 – 3 reworks Q 6:24 and 12:33 – 34.
Jas 2:14 – 26: Polemic against Paul 129
James freely employed the Jesus tradition on multiple occasions and yet
contend that he did not know Paul?25 On both verbal and thematic grounds, the
parallels with Paul are much more impressive.
One might take another lesson from James’ use of the Jesus tradition. None of
the reworked sayings of Jesus is attributed to him. That is, despite the clear
dependence, not once does James say “remembering the words of the Lord Jesus”
(Acts 20:35) or “I give this command–not I but the Lord” (1 Cor 7:20) or “the Lord
commanded” (1 Cor 9:14) or some such. The question of why this should be the
case is well worth pursuing; yet all that matters for the moment is that we have in
this circumstance proof that James could rework materials without naming his
source. Some have affirmed that James is not likely to be responding to Paul if Paul
is not named. But our epistle on half a dozen or more occasions makes use of the
Jesus tradition without saying so. This perhaps lessens a bit the protest that our
author must be explicit about what exactly he is doing.26
Further Considerations
The points made so far do not stand alone. Several additional observations
strongly bolster the conclusion to which they naturally lead:
(i) The linguistic parallels catalogued in the previous section all appear, in
both Paul and James, within or near discussions of Abraham and whether he
was justified by faith or by works. They also occur near citations of Gen 15:6
(which does not have dijaiºy): Rom 4:3 (cf. 4:9, 22); Gal 3:6; Jas 2:23.27 Does
this not disincline one to think in terms of coincidence?
(ii) Jas 2:14 – 26 is not unrelated to its literary context. Its reflections on
ineffectual faith line up well with the demand that James’ readers be not just
hearers but doers who act (1:22 – 25; 2:12), and they reinforce his contention
that true religion is service to others, especially the unfortunate (1:26 – 29;
2:1 – 7). They further harmonize with the requirement to love one’s neighbor
25 Johnson, James, 57, affirms that “James makes use of sayings traditions that are otherwise
identified as being from Jesus.”
26 One should also keep in mind that there are many examples of writers not naming opponents.
Paul, for instance, does not name any of the so-called “superlative apostles” in 2 Cor 11:5; 12:11
nor any of “those from James” in Gal 2:12. Furthermore, several ancient texts that attack Paul do
not do so by name. In the Epistula Petri, Peter calls him “the man who is my enemy” (2:3). The
Ascents of James refers to him as “a certain hostile man.” Other portions of the Pseudo-Cle-
mentines identify him with “Simon Magnus”. And if David C. Sim, The Gospel of Matthew and
Christian Judaism (Edinburgh: T. & T. Clark, 1998), is justified in finding anti-Pauline polemic in
the First Gospel, then it goes without saying that he is not named therein.
27 As Jas 2:23 and Rom 4:3 agree at two points against the LXX (d´ for ja¸ and an added a in
)bq²l), some have suggested a literary link here; so e. g. Gerd Lüdemann, Opposition to Paul in
Jewish Christianity (Minneapolis: Fortress, 1989), 143; Ludwig, Wort, 190 – 91. But Philo
Mut. 177; Rom 4:3; 1 Clem. 10:6; and Justin Dial. 92.3 also agree exactly with James, so we
plausibly have here a non-LXX reading.
130 Dale C. Allison, Jr.
(2:8).28 For James, religion is walking, not talking; it is halakah, a way of life,
not dogma.
Nothing before or after 2:14 – 26, however, tackles the issues of integrity,
love, and selfless service in terms of “faith” and “works”. Why, for a few verses,
does this way of speaking become dominant? p¸stir occurs eleven times in this
section, 5qca twelve times, and the two nouns are consistently set over against
each other, as though one could claim to have faith without works or works
without faith.
The manner of argument is unexpected. James distinguishes faith from
works precisely in order to contend that they cannot be separated. What
explains this? Surely he did not come across their severance in Judaism. We
know of no Jewish teacher who promoted the notion that faith and works
might somehow be divorced.29 Beyond that, although the rabbis often
contemplate the relationship of deeds to study or learning,30 they left no
discussions on the relationship between “faith” (hnwma) and “works” (~yX[m).
Nor is there much evidence that others did before them.
Commentators on Jas 2:14 – 26 nonetheless regularly call attention to a few
Jewish texts that they find relevant, among them Sib. Or. 3:584 – 86, which
implies that those with faith do not do deceitful deeds, and 4:152 – 55, which
correlates a lack of faith with a deficiency of good deeds.31 They are further
wont to cite 4 Ezra 9:7, which speaks of those who will be saved on account
either of their deeds or faith, as well as 13:23, which has God, in the latter days,
protecting those who have deeds and faith.32 Texts such as these, however, are
very few in number, and their assertions remain undeveloped. Certainly none
of them dwells upon the subject of faith or the subject of works at any length or
undertakes to discuss the relationship of those two things. Nor do these Jewish
sources raise the possibility that someone might have faith but not works.
To the extent of our knowledge, it was Paul who, in response to issues arising
from the Gentile mission, first turned the relationship of faith to works into a
28 See further Ralph P. Martin, James (WBC; Waco, TX: Word, 1988) 78 – 79; Frankemölle, Brief,
421 – 25, 436 – 37; Johnson, James, 245 – 46. Christoph Burchard, Der Jakobusbrief (HNT 15.1;
Tübingen: Mohr Siebeck, 2000) 110, even dubs 2:14 – 16 an “excursus” on 2:12 – 13.
29 The command to “do” or “perform” Torah is, it goes without saying, all over the Pentateuch: Lev
19:37; 20:8; Num 15:35; Deut 5.1; etc.
30 Sifre Deut 41, 48; m. ‘Abot 3:10; ARN A 24; b. ‘Abod. Zar. 17b; etc.
31 Sib. Or. 3:584 – 86: “For to them alone did the great God give wise counsel and faith and excellent
understanding in their breasts. They do not honor with empty deceits works of men”; 4.152 – 55:
“But when faith in piety perishes from among men, and justice is hidden in the world, un-
trustworthy men, living for unholy deeds, will commit outrage, wicked and evil deeds.”
32 4 Ezra 9:7 – 8: “It shall be that all who will be saved and will be able to escape on account of their
works, or on account of the faith by which they have believed, will survive the dangers that have
been predicted”; 13:23: “The one who brings the peril at that time will protect those who fall into
peril, who have works and faith toward the Almighty.” According to Michael E. Stone, Fourth
Ezra (Hermeneia; Minneapolis, MN: Fortress, 1990) 296, “works” and “faith” are, in 4 Ezra, “not
very clearly differentiated and are used interchangeably.”
Jas 2:14 – 26: Polemic against Paul 131
topic for discussion; and it was also Paul who first declared that people are
justified by the former apart from the latter. Is it not then natural to see Pauline
ideas or slogans as somehow informing James – or rather unnatural not to see
such?33
(iii) The thesis that Jas 2:14 – 26 is a negative response to Paul coheres with
what we learn from Paul’s own epistles: the apostle had opponents, and his
teaching about justification by faith in particular was controversial. We also
know, from Paul’s self-defense in Galatians and from his more balanced
presentation in Romans, that Abraham and Gen 15:6 were for him keys to the
debate in which he found himself. So when we find another early Christian
writer citing Gen 15:6 and then arguing for a position that, at least on the
surface, seems to be the exact opposite of Paul’s position – “You see that a man
is justified by works and not by faith alone” (Jas 2:24) – thoughts naturally
tend in a certain direction.
(iv) Our letter is attributed to “James” – presumably, as the vast majority of
readers has supposed, James of Jerusalem, the brother of Jesus. Now Paul, in
Gal 2:12, declares with some bitterness that, “before certain men came from
James”, Peter “ate with the Gentiles; but when they came he drew back and
separated himself, fearing the circumcision party.” This is the proof that,
whatever James himself thought of Paul,34 some people who professed
33 Cf. Syreeni, “Legacy,” 406: “Had not Paul contrasted faith and works, it would hardly have
occurred to the author of Jas to do that so vehemently ; for obviously the whole thrust of the letter
is that these two cannot be separated from each other.”
34 The most natural reading of Galatians is that of J. Louis Martyn, Galatians: A New Translation
and Commentary (AB; New York: Doubleday, 1977) 233, 240: “Although Paul uses a colorless
expression, ‘some persons from James’, the ensuing course of events shows that they constituted
an official delegation, empowered by James to journey to Antioch and to deliver a message to
Peter”; and “it would seem quite probable that, when James’s messengers returned to the
Jerusalem church with their report, James himself was pleased, insofar as the report included an
assurance of Peter’s compliance with the request that he not enter into close association with
persons failing to keep the food laws. James may have regretted the breach with Paul, but, like
Peter and the Jewish members of the Antioch church, he surely held Paul responsible for it.
There is, moreover, no indication that he did anything to curb the False Brothers.” We have no
testimony from James himself about Paul; and Paul’s version of events, which has him reaching
some sort of accord with James and Peter (Gal 2:1 – 10), is not objective description. One doubts
that an account from James would leave the same impression. It is, in addition, clear that,
whatever agreement Paul and Peter might have reached at one point, it later broke down, so who
is to say it was not the same with James? Acts, which tries its best to keep its key players,
including James and Paul, in harmony, does not help us here. James all but disappears after the
so-called council in chapter 15. His only subsequent appearance is in chapter 21, where he
advises Paul to take a vow and assist with the purification of others in order to prove to people in
Jerusalem that he “observes and guards the law” (21:23 – 25). Even if this is historical – many
suspect it is not – we are still in the dark. Cf. C. K. Barrett, Acts 15 – 28 (ICC; London/New York: T.
& T. Clark, 1998) 1001: “Had James ulterior motives? Did he hope to discredit Paul in the
estimation of Jewish Christians? Did he even hope to ensnare him into the Temple and provoke
the riot that ensued – in which, as in the whole legal process that followed, there is no indication
132 Dale C. Allison, Jr.
Alternative Explanations
Those who suppose that James does not respond to Paul have necessarily
forwarded other scenarios to explain 2:14 – 26. Maybe, they have suggested,
James counters lax or antinomian Jewish Christians.38 Or maybe he opposes an
that the Christians of Jerusalem made any move to aid the apostle of the Gentiles? We have no
means of answering these questions.”
35 For the text and introductory issues see Johannes Irmscher and Georg Strecker, “The Pseudo-
Clementines,” in New Testament Apocrypha II; Writings Related to the Apostles, Apocalypses,
and Related Subjects (rev. ed.; Cambridge, UK/Louisville: James Clarke & Co./Westminster John
Knox, 2003) 483 – 94; also Georg Strecker, Das Judenchristentum in den Pseudoklementinen (TU
70; rev. ed.; Berlin: Akademie-Verlag, 1981) 58 – 62.
36 See esp. Robert E. Van Voorst, The Ascents of James: History and Theology of a Jewish-Christian
Community (SBLDS 112; Atlanta: Scholars Press, 1989).
37 I concur with those who think of James as a pseudepigraphon of the late first or early second
century. See Frankemölle, Brief, 45 – 62; Ferdinand Hahn and P. Müller, “Der Jakobusbrief,” ThR
63 (1998) 1 – 73; Wiard Popkes, Der Brief des Jakobus (THNT 14; Leipzig: Evangelische Ver-
lagsanstalt, 2001) 59 – 69.
38 Cf. George Benson, A Paraphrase and Notes on the Seven (Commonly Called) Catholic Epistles
(London: J. Waugh and W. Fenner, 1756) 61; Augustus Neander, The Epistle of James (New York:
Jas 2:14 – 26: Polemic against Paul 133
Lewis Colby, 1852) 80 – 82; James MacKnight, A New Literal Translation from the Original Greek,
of all the Apostolical Epistles (Edinburgh: P. Elmsly, 1795), 590; A. T. Robertson, Studies in the
Epistle of James (New York: George H. Doran, 1915) 128; Adolf Schlatter, Der Brief des Jakobus
(Stuttgart: Calwer, 1956) 184 – 88.
39 So Bo Reicke, The Epistles of James, Peter, and Jude (AB; Garden City, NY, 1964) 33. Cf. Peter H.
Davids, The Epistle of James (NIGTC; Grand Rapids, MI, 1982) 21: “a Jewish Christian attempt to
minimize the demands of the gospel.”
40 This thesis is associated esp. with Hermann Schammberger, Die Einheitlichkeit des jacobus-
briefes im antignostischen Kampf (Gotha: L. Klotz, 1936). H. J. Schoeps, Die Theologie und
Geschichte des Judenchristentums (Tübingen: Mohr-Siebeck, 1949) 343 – 45, follows Schamm-
berger. E.C. Blackman, The Epistle of James (London: SCM, 1957), 90, envisages a sort of Gnostic
spirituality, akin to “some forms of mysticism and pietism which have adopted a distinction
between ‘spiritual’ exercises and practical Christian living.”
41 A suggestion of K. Haacker, “Justification, salut et foi,” ETR 73 (1998) 177 – 88.
42 Lüdemann, Paul, 145.
43 Burchard, Jakobusbrief, 113, observing that a “weak Christian” might find the rigoristic ethic of
James too difficult. Cf. Calvin, Inst. 3.17.11; Ropes, James, 204.
134 Dale C. Allison, Jr.
in the topic of “justification” (he ignores it outside of 2:21 – 24) and without
naming Abraham.44 Burchard’s thesis fails to explain precisely why James
links his discussion of faith and works with the patriarch and with
justification, fails to clarify why he uses p¸stir in 2:14 – 26 in a way that he
does not use the word elsewhere,45 and fails to elucidate why James discusses
Gen 15:6 in particular, a text the New Testament quotes only in Romans,
Galatians, and James. If, however, Paul is in the background, a straightforward
explanation offers itself.
This is all the more so as Jas 2:14 – 26 is more denial than affirmation, and
less commandment than clarification. Not only does James here directly
address someone with an opposing point of view, but the section, although
preceded by an imperative (2:12: kake?te, poie?te) and followed by an
imperative (3:1: lµ c¸meshe), is itself bereft of moral exhortations. This
differentiates it from every other portion of the letter. It appears that, in
2:14 – 26, James is trying less to change behavior than to refute a faulty
opinion.
In line with this, although James wishes to stress the importance of works,
not the value of faith, he quotes a text, Gen 15:6, that mentions only belief:
“Abraham believed and it was reckoned to him as righteousness.” Nothing is
here said of works. Near to hand is the inference that James turns his attention
to Gen 15:6 precisely because someone before him has drawn from that
Scripture a conclusion – Abraham was justified by faith, not works – with
which he disagrees. It very much looks as though James is saying: No, contrary
to what someone else has taught, Gen 15:6 does not demonstrate justification
by faith apart from works, because Abraham’s faith did not exist without
deeds: “faith co-operated with his deeds and … through deeds, faith was
perfected” (2:22). As others have observed, “one gets the impression that
James refers to Gn 156 only because he anticipates this text as an objection to
his argument.”46 And, once more, we have sufficient explanation for this in
Paul, who uses Gen 15:6 to support his belief in justification by faith rather
than works.
Those who see things otherwise regularly emphasize that Judaism was
much interested in Gen 15:6,47 and that Philo connects the verse to Abraham’s
deeds (Abr. 262).48 Beyond that, 1 Macc 2:52, which applies Gen 15:6 to the
44 Cf. Wiard Popkes, “Two Interpretations of ‘Justification’ in the New Testament: Reflections on
Galatians 2:15 – 21 and James 2:21 – 25,” ST 59 (2005) 129 – 46.
45 For this point see Avemarie, “Werke,” 295 – 96.
46 T. Lorenzen, “Faith without Works does not count before God! James 2 14 – 26,” ExpT 89 (1978)
232.
47 Note e. g. 1 Macc 2 :52 ; Jub 14 :6 ; 4Q225 frag. 2 1.7 – 8 ; Philo Leg. 3.228 ; Migr. 44 ; Abr. 262 ;
Her. 90, 94 ; Mut. 177, 186 ; Mek. on Exod 14 :15, 31; Tanh. Buber Metsora’ 5. Allusions
include Philo Deus 4 ; Her. 101; Virt. 216 ; Rom 4 :9 ; Heb 11:2 ; Barn. 13 :7; Justin
Dial. 23.4.
48 Cf. Cyril of Alexandria, Jn 10.2 ed. Pusey, 579: Abraham’s faith was shown in his obedience when
Jas 2:14 – 26: Polemic against Paul 135
patriarch having been found faithful in testing (1m peiqasl` erq´hg pistºr ; cf.
LXX Gen 22:1: b he¹r 1pe¸qafem t¹m )bqa²l), probably shows us that Gen 15:6
was commonly connected with the Aqedah; and the same may be said of
Jub. 17:15 – 16 (Mastema proposed the sacrifice of Isaac as a challenge to
Abraham being ‘faithful in everything’; cf. 4Q225 frag. 2 2.8; 4Q226 frag. 7 1);
18:16 (after the attempted sacrifice: ‘I have made known to all that you are
faithful to me in everything’); Eccles 44:20 (1m peiqasl` erq´hg pistºr); Philo
Deus 4 (an account of Abraham offering Isaac is followed by this: “for in this
[in the unwavering steadfastness of the Existent] we are told that he had put his
trust,” pepisteuj´mai); Heb 11:17 (Abraham offered Isaac “by faith”); and 1
Clem. 10:6 – 7 (this quotes Gen 15.6 and passes immediately to the Aqedah).
All this, however, is still is a long way from James and Paul. Our NT authors
stand apart from the Jewish and Christian texts just cited insofar as not one of
the latter intimates that faith might exist without works.49 James and Paul
further distinguish themselves because they share the verbal expressions
catalogued above. For example, dijaiºy + 1n 5qcym or a Semitic equivalent
fails to show up in Jubilees, 1 Maccabees, Ecclesiasticus, or Philo, and the same
is true of dijaiºy + 1n 1qc_m. It follows that the Jewish parallels do not explain
James nearly as effectively as the Pauline parallels do.
To sum up the argument so far : the evidence that Jas 2:14 – 26 is a negative
response to Paul is considerable. Indeed, that James “addresses a position
which claims its roots in Paul’s teaching” is a view that I, along with Wiard
Popkes, have come to think not just probable but “obvious”.50
Literary Dependence?
This result inevitably leads to a question. Does James respond to oral reports
or rumors about Pauline theology or rather to Romans and/or Galatians in
particular?51 That is, has James read or heard one or more of Paul’s letters, or
are his relevant opinions derived from some other source? The query has
he left his country to go to the promised land (Gen 12.1). See further the argument in Todd C.
Penner, The Epistle of James and Eschatology: Re-reading an Ancient Christian Letter (JSNTSS
121; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1996), 63 – 65.
49 Note also Lüdemann, Paul, 143: “Prior to Paul no one had ever advocated that Abraham was not
justified by works.”
50 Popkes, “Justification,” 135. Cf. Schoeps, Theologie, 346: “Es unterliegt keinem Zweifel, dass
dieser Beweis für die dijaios¼mg 1n 5qcym eine scharf antipaulinische Polemik darstellt.”
51 For the view that James knew some of Paul’s letters see M. Zimmer, “Das schriftstellerische
Verhältnis des Jacobusbriefes zur paulinischen Literatur,” ZWT 36 (1893) 481 – 503; Lüdemann,
Paul, 145; Syreeni, “Legacy,” 401 (“The reluctance of many scholars to see a literary dependence
here is stunning”); Avemarie, “Werke,” 293.
136 Dale C. Allison, Jr.
52 See Andrew F. Gregory, “1 Clement and the Writings that later formed the New Testament,” in
Andrew Gregory and Christopher Tuckett (eds.), The Reception of the New Testament in the
Apostolic Fathers (Oxford: Oxford University Press, 2005) 129 – 57.
53 See Paul Foster, “The Epistles of Ignatius of Antioch and the Writings that later formed the New
Testament,” in Gregory and Tuckett (eds.), Reception, 159 – 86.
54 See Michael W. Holmes, “Polycarp’s Letter to the Philippians and the Writings that later formed
the New Testament,” in Gregory and Tuckett (eds.), Reception, 187 – 227. Some have also argued
that Luke knew some of Paul’s correspondence; so e. g. Michael D. Goulder, Luke: A New
Paradigm, vol. 1 (JSNTSS 20; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1989) 129 – 46; Heikki Leppä,
Luke’s Critical Use of Galatians (Academic Dissertation, University of Helsinki, 2002).
55 Cf. James D. G. Dunn, Romans 1 – 8 (WBC; Nashville: Thomas Nelson, 1988) 187: in Rom 3:28,
“as in 3:20, the train of thought comes so close to that of Paul’s argument in Galatians that the
phrasing of the earlier letter [see esp. Gal 2:16] is closely reproduced … Since it was also Gal 2:16
which was paralleled in 3:20, and since Paul was hardly writing Romans with a copy of Galatians
to hand, the obvious conclusion is that the theological assertions formulation in Gal 2:16 were a
fundamental part of Paul’s understanding of the gospel, and fundamental in these terms.”
56 Cf. Rom 4:3; Gal 3:6. This incidentally reinforces the case that James is responding to Paul: the
striking overlap is with a generalizing statement that occurs in both Galatians and Romans, a
statement that was near the heart of Paul’s theology, and one for which he was probably well-
known.
Jas 2:14 – 26: Polemic against Paul 137
because Romans 1 – 4 and Galatians, just like Jas 2:14 – 26, feature the second
person direct address (“you”) and employ condescending vocatives – §
%mhqype: Rom 2:1, 3; 9:20; § amºgtoi Cak²tai: Gal 3:1 – but also because
Paul’s arguments about justification and faith are presented, at least in
Romans, amid obvious elements from diatribe.57 Would it not be entirely
appropriate for an author to respond to an opponent by mimicking that
opponent’s style? One recalls an observation of Marion Soards: whereas
James, in contrast to Paul, generally favors the article with nouns, his style
changes in 2:14 – 26: here there are several anarthrous nouns.58 So maybe
James does indeed imitate the rhetorical poses of his opponent even as he
turns his phrases and arguments upside down; and would not knowledge of
Romans and/or Galatians be the best explanation of that?
(ii) Jas 2:14 – 26 and its immediate context share three “minor agreements”
with Romans. (a) Jas 2:21 speaks of Abraham as b patµq Bl_m. Although the
expression is common enough,59 one notes that Rom 4:1 and 12 designate
Abraham as, respectively t¹m pqop²toqa Bl_m and toO patq¹r Bl_m.
(b) Jas 2:19 observes that James’ opponent does well to believe that God is
one (eXr 1stim b heºr), although the demons believe the same. This intrigues
because the discussion of Abraham, faith, deeds, and justification in Romans 4
is preceded by reference to God’s oneness or unity (3:30: eXr b heºr) while the
discussion of those themes in Galatians 3 is followed by the remark that “God
is one” (3:20: b d³ he¹r eXr 1stim). Does James cite Deut 6:4 in its discussion of
faith and works because of an association to hand in Paul’s letters?60
(c) Jas 2:12 contains this phrase: ¢r di± mºlou 1keuheq¸ar l´kkomter jq¸-
meshai. Although Eccles 46:14 (1m mºl\ juq¸ou 5jqimem); John 7:51 (b mºlor …
jqime?); 18:31 (jat± t¹m mºlom … jq¸mate); Acts 23:13 (jq¸mym … jat± t¹m
mºlom); and Demosthenes, Arist. 2 (jat± to»r mºlour jq?mai) supply partial
parallels, and although di± toO mºlou appears in the LXX,61 di± mºlou without
the article occurs first in extant Greek literature in Paul. Moreover, given that
he uses the expression six times and that, in Rom 2:12, he follows it with
jqih¶somtai, one must wonder about the influence of Romans here.
(iii) Jas 2:18 is an expositor’s nightmare. One cannot resolve with any
confidence whether the speaker is friend or foe or determine to whom the
pronouns refer or decide how far the quoted material extends or answer any
57 Stanley Kent Stowers, The Diatribe and Paul’s Letter to the Romans (SBLDS 57; Chico, CA:
Scholars Press, 1981); Thomas Schmeller, Paulus und die ‘Diatribe’: Eine vergleichende Sti-
linterpretation (NTAbh 19; Münster : Aschendorff, 1987).
58 Marion Soards, “The Early Christian Interpretation of Abraham and the Place of James within
that Context,” IBS 9 (1087) 24. For (indecisive) criticism see Penner, Eschatology, 66 – 67.
59 Cf. 4 Macc 16:20; T. Levi 6:9; 8:15; Luke 1:73; John 8:53; Acts 7:2; Rom 4:12; 1 Clem. 31:2; Gk
Apoc. Ezra 2:6; 3:10; m. Ned. 3.11; m. Qidd. 4.14; m. ‘Abot 3.12; 5.3; t. Ber. 6.12; t. Hag. 2.1; b.
Ned. 32a; etc.
60 Cf. Tsuji, Glaube, 192.
61 2 Macc 2:18; Ecclus prol. 1; cf. Let. Aris. 122.
138 Dale C. Allison, Jr.
number of other issues crucial for interpretation. My own view is that nobody
has yet successfully explained this verse, and I have reluctantly concluded that
the text is corrupt, the original beyond recovery,62 or that James expressed
himself so poorly that we cannot offer any clear exposition of his thought.
One thing, however, is undeniable. The phrase, s» p¸stim 5weir j!c½ 5qca
5wy, has reminded many of 1 Cor 12:8 – 9. In the latter, different individuals
have different gifts. One of those gifts is faith, another a gift that features the
eqc-root: 2t´q\ p¸stir … %kk\ d³ 1meqc¶lata dum²leym. It is very tempting to
suppose that Ropes saw the truth here: James had heard of Paul’s ideas about
diversity in the church.63 Might one go beyond that and entertain the
possibility that James knew 1 Corinthians in particular?
(iv) Margaret Mitchell has recently returned a positive answer to this
question. She has compiled a long list of parallels between James and 1
Corinthians64 – common phrases,65 similar sentences,66 shared terms for
factionalism,67 and identical topoi.68
62 If one judges James to oppose Paul, then it is just possible – I do not say likely, because there is no
evidence – that our text originally named the apostle and that later theological sensibility
removed his name and otherwise tampered with his text.
63 James Hardy Ropes, “’Thou Hast Faith and I Have Works’ (James II. 18),” Expositor 7th series 5
(1908) 553, 555.
64 Mitchell, “Document,” 89 – 92.
65 eU tir doje? + eWmai (Jas 1:26; 1 Cor 3:18; 11:16; 14:37); t¸ t¹ evekor (Jas 2:14, 16; 1 Cor 15:32); lµ
pkam÷she (Jas 1:16; 1 Cor 6:9; 15:33).
66 (i) “Such a one has stood the test and will receive the crown (dºjilor cemºlemor k¶lxetai t¹m
st´vamom) of life that the Lord has promised to those who love him (!cap_sim aqtºm)” (Jas 1:12);
cf. “Athletes exercise self-control in all things; they do it to receive a perishable crown (st´vamom
k²bysim), but we an imperishable one … But I punish my body and enslave it, so that after
proclaiming to others I myself should not be disqualified” (!dºjilor c´mylai; 1 Cor 9:25 – 27);
“God has prepared for those who love him (!cap_sim aqtºm)” (1 Cor 2:9); (ii) “Has not God
chosen (b he¹r 1nek´nato) the poor in the world (t` jºsl\) to be rich in faith and to be heirs of
the kingdom (jkgqomºlour t/r basike¸ar) that he has promised to those who love him (!ca-
p_sim aqtºm)?” (Jas 2:5); cf. “But God chose what is foolish in the world (toO jºslou 1nek´nato b
heºr) to shame the wise; God chose what is weak in the world (toO jºslou 1nek´nato b heºr) to
shame the strong; God chose what is low and despised in the world (toO jºslou … 1nek´nato b
heºr), things that are not, to reduce to nothing things that are, so that no one might boast in the
presence of God” (1 Cor 1:27 – 28); “Do you not know that wrongdoers will not inherit the
kingdom of God (basike¸am oq jkgqomol¶sousim)?” (1 Cor 6:9); “God has prepared for those
who love him (!cap_sim aqtºm)” (1 Cor 2:9); (iii) “Such wisdom does not come down from
above, but is earthly, unspiritual (xuwij¶), devilish. For where there is envy and selfish ambition
(fpou c±q f/kor ja· 1qihe¸a), there will also be disorder (!jatastas¸a) and wickedness of every
kind” (Jas 3:15 – 16); cf. “The unspiritual (xuwijºr) man does not receive the gifts of God’s
Spirit, for they are foolishness to him, and he is unable to understand … For you are still of the
flesh. For as long as there is jealousy and quarrelling among you (fpou c±q 1m rl?m f/kor ja·
5qir), are you not of the flesh, and behaving according to human inclinations?” (1 Cor
2:14 – 3:3); “God is a God not of disorder (!jatastas¸ar) but of peace” (1 Cor 14:33).
67 !jatastas¸a / !jat²stasor (1 Cor 14:33; Jas 1:8; 3:16); f/kor conjoined with 5qir / 1qihe¸a (1
Cor 3:3; Jas 3:14, 16); fgkoOshai (1 Cor 13:4; cf. 12:31; 14:1, 39; Jas 4:2); xuwijºr (1 Cor 2:14;
15:44, 46; Jas 3:15); l´kor (1 Cor 6:5; 12:12, 14, 18, 19, 20, 22, 25, 26, 27; Jas 3:5, 6; 4:1);
Jas 2:14 – 26: Polemic against Paul 139
Mitchell also observes that the !jatastas¸a of Jas 3:15 – 16 has its parallel in 1
Cor 14:33, to which one may add: in both places it stands in antithesis to
eQq¶mg.
Where does all this lead? The evidence does not enable one to affirm with
confidence that James knew Romans, Galatians, or 1 Corinthians.74 And yet the
case for literary dependence cannot be dismissed. If this writer were forced to
bet on the issue, he would come down on the side of James having known an
early Pauline collection; but the amount wagered would be small. The
(jata)jauw÷shai (1 Cor 1:29, 31; 3:21; 4:7; 13:3; Jas 1:9; 2:13; 3:14; 4:16); jem¶ (1 Cor 15:14, of
p¸stir ; Jas 2:20 of a man with idle p¸stir).
68 The human body and its members used for individuals and the corporate entity, one member or
the other singled out for its relation to the health of the whole (1 Cor 6:15 – 20; 12:12 – 13; Jas
3:5 – 6; 4:1); factional strife related to the wisdom of “this world,” which is the antithesis of
spiritual wisdom (1 Cor 1:18 – 4:21; Jas 3:13 – 4:12); criticism of bad boasts (1 Cor 5:6; Jas 4:16;
etc.); importance of keeping eyes on eschatological reward (1 Cor 9:24 – 27; Jas 1:12; 3:1; 5:1 – 8);
judging leads to strife; cognizance of the eschatological judgement will reduce strife (1 Cor
4:1 – 5; Jas 4:11 – 12).
69 Epictetus Diatr. 1.4.16; 1.6.4, 1.25.29; 2.17.20, 34; 3.1.30; 3.7.31; 3.10.7; 3.24.51, 75; 4.1.94; 4.4.4;
4.8.7; Ench. 24.5. Cf. Aristotle E.N. 1155 A; Polybius 3.7.5; Dio Chrysostom 38.29; 48.9; Lucian
Ind. 2.3; Iamblichus Protr. 25.29; etc.
70 Philo Leg. 1.79; 3.41, 121; Post. 86, 87; Deus 152; Agr. 134; Migr. 55; Abr. 73; Mos. 1.235;
Spec. 3.203; Flacc. 186; Legat. 337, 357; Justin Martyr Dial. 4.5; 14.1; Acts John 20:8.
71 Gen 37:26; Ps 30:9; Mal 3:13. Cf. also the Aramaic !wmm hm in Tg. Ps.-J. Gen 37:26 and tl[wt hm in b.
Pesah. 108b.
72 Cf. Epictetus Diatr. 4.6.23; Ignatius Eph. 16.1; Phil. 3.3; note also LXX Isa 44:8 v.l.
73 1 Cor 3:18; 11:16; 14:37; Jas 1:26.
74 I cannot here review other parallels that might be explained in terms of literary dependence.
These include Jas 1:2 – 4 and Rom 5:3 – 5; Jas 1:22 – 25 and Rom 2:13, and of Jas 2:10 to Gal 5:3.
140 Dale C. Allison, Jr.
hypothesis, although far from compelling assent, does help us account for
some striking facts and parallels which must otherwise be credited to chance
or attributed to that vague old standby, “common tradition.”75
Turning from the issue of how James might have learned of Paul’s teaching to
what he thought of it, one has no trouble grasping why the one found the other
problematic. The answer lies in Paul’s own correspondence, where he several
times insists that he is not, in effect, an antinomian:
– Rom 3:8: “And why not do evil that good may come? – as some people
slanderously charge us with saying.”
– Rom 6:1 – 2: “What shall we say then? Are we to continue in sin that grace
may abound? By no means!”
– Rom 6:15: “What then? Are we to sin because we are not under law but
under grace? By no means!”
– 1 Cor 6:12: “‘All things are lawful for me,’ but not all things are beneficial.
‘All things are lawful for me,’ but I will not be dominated by anything.”
– 1 Cor 10:23: “‘All things are lawful,’ but not all things are helpful. ‘All things
are lawful,’ but not all things build up.”
– Gal 5:13: “you were called to freedom, brothers; only do not use your
freedom as an opportunity for the flesh, but through love be servants of one
another.”
Particularly instructive is Rom 3:8. Some, Paul says, accuse him of teaching
that one can do evil that good may come. This is all the evidence we need to
establish that, whatever Paul himself believed or taught, some perceived him –
for reasons we ought to understand76 – as teaching a dangerous lawlessness.77
Rom 3:8 is of further interest because it belongs to Paul’s discussion of
justification by faith. The same is true of Rom 6:1 – 2, another denial of
75 Another possibility is that it was not James but a source that knew Paul first-hand. Given how
much of James is revised tradition, 2:14 – 26 could conceivably be in part a traditional anti-
Pauline fragment or argument.
76 See K. Haacker, “Der ‘Antinomismus’ des Paulus im Kontext antiker Gesetzestheorie,” in Hubert
Cancik, Hermann Lichtenberger, and Peter Schäfer (eds.), Geschichte–Tradition–Reflexion,
vol. 3: Frühes Christentum (Tübingen: Mohr Siebeck, 1996) 387 – 404.
77 One recalls that Luther coined the word “antionomian” for people he opposed, some of whom—
e. g. Johann Agricola—thought of themselves as only carrying forward Luther’s own ideas. See
Steffen Kjeldgaard-Pedersen, Gesetz, Evangelium und Busse: Theologiegeschichtliche Studien
zum Verhältnis zwischen dem jungen Johann Agricola (Eisleben) und Martin Luther (Acta
Theologica Danica 16; Leiden: Brill, 1983).
Jas 2:14 – 26: Polemic against Paul 141
antinomianism,78 from which it seems to follow that some who accused Paul of
lawlessness did so precisely in connection with his claims about justification
by faith.79
Discussions of James and Paul sometimes go awry here. Many Christian
theologians and commentators have insisted, rightly, that Paul was not a
libertine, from which they have inferred, wrongly, that James can hardly be
attacking him for such. The implicit premise is that James must have
understood Paul aright. But what reason, apart from theological reverence for
a canonical author, do we have for supposing that James had plumbed the
depths of Pauline theology and accurately understood it?80 Even the author of
Acts, in which Paul is a hero, did not get everything right. Paul is a very difficult
thinker, his arguments sometimes dense, his ideas not always pellucid. Some
understandably still wonder whether his teaching about faith and works is
really coherent.81 Whatever the resolution of that matter, Paul had the habit of
formulating stark and provocative antinomies, such as “justified by faith in
Christ, and not by works of the law” (Gal 2:16). It would not be at all
remarkable if the author of James, as a representative of some sort of Jewish
Christianity,82 and as one who was so keen on the integrity of word and deed,
was troubled by Paul’s apparent denigration of “works” – whether he
understood Paul to be disparaging “works of the law” or “good works” in
general.83
The correct understanding of Paul is here beside the point, because we
know that the apostle’s self-understanding did not correlate with the
perceptions of everyone else; and if some of his contemporaries found his
teaching about justification by faith to be implicitly antinomian, why not also
the author of our epistle? The recurrent observation that, if James is answering
Paul, he misunderstands him and so does not hit the target, may be
theologically pertinent, even consoling; but it is beside the historical point,
78 One might even urge that Romans 6 – 8 in its entirety is largely driven by the specter of anti-
nomianism.
79 Lüdemann, Paul, 147 – 48, observes that 1 Clement 32 – 33 shows the same transition—from
teaching justification by faith to repudiating antinomianism.
80 Even intelligent people of goodwill often misunderstand what they read, as any author who has
published enough books knows all too well.
81 See esp. Heikki Räisänen, Paul and the Law (WUNT 29; 2nd ed.; Tübingen: Mohr Siebeck, 1983).
82 The very fact that “James” is the chosen pseudonym likely points in this direction.
83 Beginning with Origen, many have tried to harmonize Paul and James and/or deny that the latter
is responding to the former by observing that whereas “works of the law” occurs in Paul, that
expression is absent from James, where the topic is rather “(good) works” in general. The protest
fails. (i) Paul uses the unqualified “works” more often than “works of the law.” (ii) Writings in
the Pauline school or tradition often speak simply of “works” instead of “works of the law” (e. g.
Eph 2:9 – 10; 2Tim 1:9; Polycarp 1.3). (iii) For a Jew such as James, benevolent works would be
works of the law and vice versa. See further Avemarie, “Werke”, 302 – 303, who contends that
“works” in James and “works of the law” in Paul are functionally equivalent.
142 Dale C. Allison, Jr.
which is that polemic by its nature is typically less than fair.84 Does Matthew 23
accurately portray the scribes and Pharisees? Do we trust Irenaeus and
Epiphanius to be invariably spot on when they depict this or that heretic? Did
Roman Catholic theologians never caricature the Protestants’ sola fide?85 Did
John Henry Newman correctly present what Luther and Calvin had to say
about justification? The questions answer themselves. “It is the nature of
disagreements that opponents do not understand each other.”86 More than that,
opponents often misrepresent each other deliberately.87
Consider, in this connection, what Porphyry, one unsympathetic ancient
reader of Paul, uncovered:
Does Paul not erase the law for the sake of the Galatians when he says, “Who
bewitched you? How is it that you do not obey the truth,” which is the gospel [Gal
3:1]? And as if to press the point and make it an offense for anyone to heed the law he
says, “Those who are under law are under a curse” [Gal 3:10]. The same man who
writes, “The law is spiritual” to the Romans, and “The law is holy and the
commandment holy and just” now puts a curse upon those who obey what is holy!
Then, as if to confuse the point further, he turns everything around and throws up a
fog so dense that anyone trying to follow him inevitably gets lost, bumping up against
the gospel on the one side, against the law on the other, stumbling over the law and
tripping over the gospel – all because the guide who leads them by the hand has no
idea where he is headed!88
84 Note F. W. Farrar, The Early Days of Christianity (New York: Funk & Wagnalls, 1883) 353: “the
teaching of St. Paul was intensely original. It was not easy for any one to grasp its full meaning;
and it was quite impossible for any hostile and prejudiced person to understand it at all.”
85 Cf. Karl Lehmann and Wolfhart Pannenberg, The Condemnations of the Reformation Era: Do
They Still Divide? (Minneapolis: Fortress, 1990) 56: “in the sixteenth century, mutual con-
demnations could be pronounced in a number of cases only because the two sides did not listen
carefully enough to each other.” Such failure has spanned the recent centuries; note W. H. van de
Pol, The Christian Dilemma: Catholic Church – Reformation (New York: Philosophical Library,
1953) 33, regarding later Catholic and Protestant relations: “The greatest grievance either party
has is exactly this: that the other side persists in attacking points of view that are merely
imaginary, and in imputing motives that have been distorted out of all recognition.”
86 Limberis, “Provenance,” 410. Cf. E.L. Allen, “Controversy in the New Testament,” NTS 1 (1954 –
55) 144: “One would have thought that the history of theological discussion shows clearly that
no limits whatsoever can be set a priori to the possibilities of misunderstanding. There are
reputable theologians today who have unquestionably read Barth or Bultmann, but whose
criticisms betray such crass misunderstanding as might lead a historian of theology fifty years
hence to argue that they cannot have done so.” One learns the same lesson from much con-
temporary political discourse.
87 Cf. Udo Schnelle, Theology of the New Testament (Grand Rapids, MI: Baker Academic, 2009)
625: “James could have intentionally misrepresented the Pauline position or simply mi-
sunderstood it.”
88 From R. Joseph Hoffmann (ed.), Porphyry’s Against the Christians: The Literary Remains
(Amherst, NY: Prometheus Books, 1994) 62.
Jas 2:14 – 26: Polemic against Paul 143
One may wish to quarrel with this hostile estimate, but one can hardly
maintain that its author, an accomplished philosopher who had studied Paul’s
epistles, was unacquainted with the apostle’s thought.
All we require for a plausible reading of James is the knowledge that some
Jewish Christians in the ancient world found Paul’s formulations about faith
and works problematic and implicitly antinomian. And that knowledge we
have, in Paul’s own writings.
E. P. Sanders has famously contended that obedience to Torah was not, for
“common Judaism” at the turn of the era, fundamental to soteriology.89 His
work has persuaded many, who now insist that Jews generally held
eschatological salvation to derive from the grace of election, in response to
which observance of the Torah was taken for granted. On this view, deeds
became soteriologically relevant only when individuals exited the covenant of
grace by forsaking Torah and doing wicked deeds.
But matters were probably not so clear cut, as Simon Gathercole and others
have argued.90 In the words of Gathercole, “obedience as a condition of and
basis for final vindication and salvation at the eschaton” was “fundamental to
Jewish thought.”91 Not a few Jewish texts envisage deeds being weighed in the
final judgment, rewards being bestowed for fitting conduct, and punishment
being meted out for sinful behavior.92 As Tg Ps.-Jn. Gen 3:29 has it, the garden
of Eden is for those who keep the precepts of the law and fulfil the
commandments whereas Gehenna is for those who do not do so.
Yet however one evaluates the Jewish evidence, what surely matters above
all for James is that the Jesus tradition, to which he paid some heed, recurrently
emphasizes the eschatological consequences of one’s behavior. In Matt 7:24 –
27 = Luke 6:47 – 49 (Q), the one who does what Jesus demands weathers the
eschatological storm while the one who behaves otherwise comes to ruin. In
Matt 10:32 – 33 = Luke 12:8 – 9 (Q), those who confess Jesus win salvation
while those who deny him lose salvation. In Mark 10:17 – 22, a rich man learns
that, in order to enter life, he must not only perform the commandments but
also give up his possessions and literally follow Jesus. In Matt 12:37, the right
words will justify their speakers at the end just as the wrong words will
condemn those who uttered them.93 And in Matt 25:31 – 46, entering into life is
contingent upon showing kindness to the unfortunate whereas the sentence of
darkness falls upon those not showing such kindness. In sum, to do evil is to
receive condemnation at the end; to do good is to receive reward at the end.94
What do such texts, which do not obviously promote “covenantal nomism”,
have to do with James and Paul? Commentators since Origen have knit their
brows over the presence in Paul’s letters of justification by faith and judgment
by works.95 Many have indeed detected here a “contradiction”, others a
“paradox”.96 They have done so because they understand Paul’s teaching
about justification to sit uneasily beside a soteriological role for works.97 Now
whether or not this is a fair evaluation of Paul does not matter for us. The point
is rather this. If one believed, because of Jewish heritage or because of
immersion in the Jesus tradition, that salvation is not independent of how one
behaves, and if one further failed to see how Paul’s ideas about justification
harmonize with the prospect of an eschatological judgment according to
works, would one not almost inevitably find the apostle highly problematic?
“If you confess with your lips that Jesus is Lord and believe in your heart
that God raised him from the dead, you will be saved. For a person believes
with his heart and so is justified, and he confesses with his lips and so is saved”.
These are Paul’s words in Rom 10:9 – 10. It takes little imagination to envision a
non-Pauline Christian wondering about them.98 How do they comport with the
Tanak’s repeated injunctions to do Torah? And how can they possibly
93 1j c±q t_m kºcym sou dijaiyh¶s,; cf. Jas 2:21, 24, 25.
94 See further Alan P. Stanley, Did Jesus Teach Salvation by Works? The Role of Works in Salvation in
the Synoptic Gospels (Eugene, OR: Pickwick, 2006). Although a strong theological agenda drives
this book, it rightly sees the fundamental soteriological significance of works in the Jesus
tradition.
95 See Kent L. Yinger, Paul, Judaism, and Judgment according to Deeds (SNTSMS 105; Cambridge:
Cambridge University Press, 1999) 6 – 15.
96 Note e. g. Rudolf Bultmann, Theology of the New Testament (2 vols.; New York: Charles Scrib-
ner’s Sons, 1951, 1955) 1.75 (“It is noteworthy and indicative of the extent to which Paul keeps
within the framework of general Christian preaching, that he does not hesitate, in at least
seeming contradiction to his doctrine of justification by faith alone, to speak of judgment
according to one’s works”), and H. A. A. Kennedy, St. Paul’s Conceptions of the Last Things
(London: Hodder & Stoughton, 1904) 201 (Paul’s invocation of the last judgment is part of a
“profound paradox”).
97 Cf. the famous assertion of Albert Schweitzer, The Mysticism of Paul the Apostle (New York:
Seabury, 1968) 225, that there is no pathway from Paul’s theory of justification by faith to ethics.
98 See Thomas Rees, The Racovian Catechism: with notes and illustrations, translated from the
Latin; to which is prefixed a sketch of the history of Unitarianism in Poland and the adjacent
countries (London: Longman, Hurst, Rees, Orme, and Brown, 1818) 322 – 23, and the discussion
of Nienhuis, Paul, 222 – 23.
Jas 2:14 – 26: Polemic against Paul 145
harmonize with the texts from the Jesus tradition cited above? Paul apparently
avows that confession and belief suffice for salvation. But was not Jesus
remembered as having said just the opposite, that confession does not suffice?
Calling Jesus “Lord, Lord” without doing what he asks will not, according to
Matt 7:21 – 23, save (cf. Luke 6:46). Maybe it is only because Jesus and Paul now
appear side by side in the New Testament canon, and because we have such a
long history of reading the one amicably in the light of the other, that we fail to
see how easy it must have been for some early Christians to find what Paul
taught to be at odds with what Jesus taught.99
James opens his letter with this: Y²jybor heoO ja· juq¸ou YgsoO WqistoO
doOkor ta?r d¾deja vuka?r ta?r 1m t0 diaspoqø wa¸qeim (1:1). Most
contemporary scholars construe these words to mean that James wrote to
Jewish Christians or to Christians in general. That is, they give the title
metaphorical sense. If, however, one spends time in the commentaries written
before the last century and a half, one discovers that a host of earlier readers
took the first line of James at face value: James addresses itself to the Jewish
diaspora, not Jewish Christians, or at least not Jewish Christians exclusively.100
I have come to think that this is the correct interpretation.
Although 1:1 characterizes the author as a Christian, it does not so
characterize the readers. There is no “our” with “Jesus Christ” in 1:1. Further,
if there is no Christian salutation, there is no Christian benediction, and James
fails to characterize overtly his auditors as Christian anywhere else, the single
exception being in 2:1, a verse that, in part because of its grammatical
peculiarities, should be reckoned corrupt.101 In accord with this, commenta-
tors have again and again judged that some parts of our epistle sound as
though they address themselves to outsiders or non-Christians.102 Further-
more, James is notorious for its lack of explicitly Christian theological
themes.103 Indeed, its Christianity is so quiescent that a few scholars have been
99 There is another relevant consideration, although I lay no emphasis upon it because of its
controversial nature. Unlike most exegetes of James, I suspect that its author, like the evangelist
Matthew (cf. 5:17 – 20), reckoned the entire Torah to be yet in force. If so, then it goes without
saying that such a conviction would have required opposition to Pauline theology, which
regards the law as, in fundamental respects, pass.
100 For documentation see my article, “The Fiction of James and Its Sitz im Leben,” RB 108 (2001)
529 – 70.
101 On Bl_m YgsoO WqistoO as an interpolation – something for which Mayor, James, p. cxciii,
thought a “strong case” could be made – see Allison, “Fiction,” 541 – 43.
102 Some think of 4:1 – 5:6 as so addressed, others of 4:13 – 5:6, still others of 5:1 – 6. See Allison,
“Fiction.”
103 Cf. Bultmann, Theology 2.143 (“That which is specifically Christian is surprisingly thin”), and
146 Dale C. Allison, Jr.
able to argue that it was originally a Jewish document, and that its present form
has undergone only minimal Christian revision.104 While this thesis has been
rightly been laid to rest, the idiosyncratic nature of James remains to be
explained.
My view is that our book poses as an address to the Jewish diaspora in its
entirety, a group that would include Jewish Christians but not Jewish
Christians exclusively. Furthermore, while one can hardly identify the
indicated audience with the real audience – the named recipients of
pseudepigrapha are typically as fictional as the named writers – our author,
whoever he was, must have had good reason for addressing his book as he
does, a reason congruent with what he hoped his work would accomplish. My
suggestion, inferred from the character of James as a whole, is that its author
wished his writing to find an audience beyond the church, wished it to be
heard not just by Christians but also by Jews who did not follow Jesus, Jews
whose sympathy he hoped to win or maintain.
The suggestion that a Christian might hope to gain an audience outside the
walls of the church does not beggar belief. The Greek apologists of the second
century – not far removed from James in time – are proof enough. It is also not
incredible that a Christian might choose in some circumstances not to wear his
Christianity on his sleeve. Origen tells us in one place that, when in
conversation with prejudiced pagans, he would hide his Christian faith as long
as possible, propounding authentically Christian teaching but not speaking of
“Christ” or “Christians” until he had his listener’s respect and attention.105
Only then would he declare his affiliation and the source of his wisdom.106
One finds something similar in the Sentences of Sextus. This collection of
sayings is clearly Christian; yet, as Jerome observed, “there is no mention of
the prophets, the patriarchs, the apostles, or Christ.”107 Here again we see the
attempt of a Christian to communicate by consciously putting aside explicitly
Christian assertions.
Now why exactly the author of James might have wished to shelve certain
Christian themes and idioms is a large and fascinating question. The answer I
prefer is this. James likely emerged from a Jewish-Christian group that was still
in the synagogue (cf. 2:2) and so still striving to maintain irenic relations with
Werner George Kümmel, Introduction to the New Testament (rev. ed.; Nashville/New York:
Abingdon, 1975) 416 (there is a “lack of any distinctive Christian message in James”).
104 E.g. L. Massebieau, “L’ptre de Jacques est-elle l’oevre d’un chrtien?,” RHR 32 (1895) 249 –
83; Spitta, Geschichte; and Arnold Meyer, Das Rätsel des Jacobusbriefes (BZNW 10; Gießen: A.
Töpelmann, 1930).
105 One may compare those Pseudepigrapha, such as 4 Ezra 1 – 2, 15 – 16, the Lives of the Prophets
according to Codex Marchalianus, and the Testament of Jacob, in which Christian authors seek
to speak as much as possible as pre-Christian Jews.
106 Origen Hom. Jer. 20.5 SC 238 ed. Nautin 274.
107 Jerome Ep. 133.3 CSEL 56 ed. Hilberg 247.
Jas 2:14 – 26: Polemic against Paul 147
108 For the possibility of this sort of Jewish Christianity and its connection with James see tienne
Nodet and Justin Taylor, The Origins of Christianity: An Exploration (Collegeville, MN: Li-
turgical Press, 1998) esp. 205 – 349.
109 Maurice Hogan, “The Law in the Epistle of James,” SNTU A 22 (1997) 91.
110 John S. Kloppenborg, during discussion at the 2010 SBL seminar on the Letters of James, Peter,
and Jude, remarked that this take on James has a parallel in modern Judaism. Some of the
literature of the Chabad that is designed to attract other Jews to the sect avoids specifically
sectarian doctrines, instead making common cause by discussing matters that all orthodox
Jews might agree upon. Similarly, James H. Moulton, “Synoptic Studies. II. The Epistle of James
and the Sayings of Jesus,” Expositor series 7/4 (1907) 45 – 55, called attention to a modern
Christian parallel: in nineteenth-century India, a Christian missionary published a tract
consisting of nothing but material from the Mahābhārata, material that the missionary found
congruent with Christian belief. The purpose was to make Hindus more open to the appeal of
the Christian message. Moulton suggested: “The Epistle of James was a composition of this
class, a Christian’s appeal to non-Christians, which veils Christian terms and names in order to
insinuate Christian truth into prejudiced minds” (49 – 50).
148 Dale C. Allison, Jr.
about Christians in general.111 Do not the followers of Jesus, some must have
asserted, exalt belief at the expense of doing? But James argues to the contrary.
Whatever readers may have heard, our author contends that his religious
group does not disparage works.
2:14 – 26, when read by non-Christian Jews, would function neither as
exhortation nor as polemic but rather as apologetics.112 For Torah-observant
outsiders, the passage would be a strong statement that Christians, or at least
those James speaks for, do not, despite the rumors, exalt belief at the expense
of works. The upshot would not be refutation of Paul – about whom they may
have known or cared little or nothing – but proper perception of and
sympathetic appreciation for the Jewish Christianity of James.
The manner of James’ argument is more than consistent with this proposal.
It is remarkable that whereas Paul, when he reasons about Abraham,
justification, and works, appeals to specifically Christian themes – the
crucifixion or Jesus’ resurrection, for instance, or the faith of Gentiles113 –
James, in reacting to Paul, somehow manages to avoid such themes
altogether.114 Contrast these two sentences:
– Gal 2:26: “A man is not justified by works of the law but through faith in
Jesus Christ, even we have believed in Christ Jesus, in order to be justified by
faith in Christ, and not by works of the law, because by works of the law shall
no one be justified.”
– Jas 2:24: “You see that a man is justified by works and not by faith alone.”
Unlike the man he implicitly criticizes, James conducts his argument in purely
Jewish terms, not making use of a single distinctively Christian idea. He cites
Genesis and refers to Abraham (vv. 21 – 23). He names Rahab and summarizes
her story in Joshua (v. 25). And he writes of demons trembling not in response
to a Christian theologoumenon but to the substance of the Shema’, the closest
thing to an ancient Jewish creed (eXr 1stim b h´or, v. 19).
This last fact is particularly striking. James uses piste¼y+fti in v. 19. Now
the idiom in other sources can introduce properly Christian confessions,115
and it would have been easy enough for our author, like some later exegetes,116
111 For later evidence see b. Šabb. 116a–b and the discussion of this in Holger Michael Zelletin,
Rabbinic Parodies of Jewish and Christian Literature (TSAJ 139; Tübingen: Mohr Siebeck,
2011) 159 – 62.
112 My thesis here bears some resemblance to that of Gerd Theißen, “Die pseudepigraphe In-
tention des Jakobusbriefes: Ein Beitrag zu seinen Einleitungsfragen,” in Petra von Gemünden,
Matthias Konradt, and Gerd Theißen (eds.), Der Jakobusbrief: Beiträge zur Rehabilitierung der
“strohernen Epistel” (Münster : Lit Verlag, 2003) 54 – 82. For Theißen, Jas 2.14 – 26 is as an
apology for Jewish Christianity, not polemic against Paul.
113 Rom 3:21 – 26; 4:9 – 12, 24 – 25; Gal 3:1, 8 – 9, 13 – 14, 16.
114 He also, unlike Paul, “does not use Abraham in any way to issue a specifically Christian critique
of Judaism”; so J. Siker, Disinheriting the Jews (Louisville: Westminster/John Knox, 1991) 101.
115 E.g. John 11:42; 8:24; 20:31; 1Thess 4:14; 1 John 5:1, 5.
116 Theophylact, Expositio in Epistolam catholica S. Jacobi ad loc. PG 125.1157B; Edward Leigh,
Jas 2:14 – 26: Polemic against Paul 149
to include a Christian statement of faith, such as that Jesus is Lord or that Jesus
rose from the dead.117 Certainly the argument would work just as well. Why
then does our Christian writer not refer here to a distinctively Christian belief ?
Or why does he not appeal to Jesus as the great exemplar of faith and works (cf.
Heb 12:1 – 3)? We have our answer if we take Jas 1:1 seriously. Even when
countering the thoroughly Christian argument of Paul, James makes his case
without appeal to Christian beliefs, because he hopes or expects that his letter
will fall into the hands of people who do not share such beliefs, and he wants
his argument to commend itself to them.
Annotations upon all the New Testament (London: Printed by W.W. and E. G. for William Lee,
1650) 370 – 71; Thomas Manton, An Exposition of the Epistle of James (Carlise, PA: Sovereign
Grace, 1983 [1693]) 241; etc.
117 The lack of a Christian confession puzzles some commentators. Oesterley, 446, citing 1 Cor 8:6
(“there is one God, the Father … and one Lord, Jesus Christ”), wrote: a christological addition
“might well have been expected in the verse before us; its omission must perhaps be accounted
for owing to the very pronounced Judaistic character of the writer.”
Tobias Nicklas
1. Einführende Überlegungen
Seit einiger Zeit ist bekannt, dass die frühe Kirche zumindest zwei verschie-
dene Linien entwickelte, um die häufig zur Herausforderung werdenden wie
auch manches Mal wechselnden, weil auf konkrete Probleme reagierenden
Gedanken des Apostels Paulus annehmbarer bzw. eindeutiger zu machen (und
dabei häufig auch zu entschärfen): Dabei wird gerne die „kanonisch gewor-
dene“, heute gerne kritisierte Position der Pastoralbriefe derjenigen der
apokryphen Paulusakten – häufig mit einem Schwerpunkt auf den Akten des
Paulus und der Thekla – kontrastiert.1
Dabei sind interessante Entdeckungen möglich – gleichzeitig aber sind mit
den Paulusakten längst nicht alle Linien apokrypher Fortschreibungen von
Paulustraditionen beschrieben. Wenig gesagt ist bisher über den „gnostisch“
verstandenen Paulus,2 den Paulus judenchristlicher Traditionen3 oder den
Mystiker bzw. Ekstatiker Paulus, der in 2Kor 12,2 – 4 in geheimnisvollen
Worten von sich selbst behauptet, in den dritten Himmel entrückt worden zu
sein. In der ursprünglich griechischen, dann in nahezu alle Sprachen der
späten Antike übersetzten und in ihrer lateinischen Version als Visio Pauli bis
ins hohe Mittelalter hinein verbreiteten Apokalypse des Paulus liegt uns die
sicherlich bekannteste und bedeutendste apokryphe Rezeption des letzteren
Textes vor.
1 Hierzu vgl. z. B. D.R. MacDonald, The Legend and the Apostle: The Battle for Paul in Story and
Canon, Philadelphia 1983, zur Paulusrezeption der Pastoralbriefe einschlägig ist A. Merz, Die
fiktive Selbstauslegung des Paulus: Intertextuelle Studien zur Intention und Rezeption der Pas-
toralbriefe (NTOA 52), Göttingen 2004.
2 Interessant in diesem Zusammenhang z. B. der Paulus der Paulusapokalypse aus Nag Hammadi
(NHC V,2), wo sich „gnostische“ und apokalyptische Elemente miteinander verbinden. Hierzu
weiterführend M. Kaler, Flora Tells a Story : The Apocalypse of Paul and Its Contexts (ESCJ),
Waterloo, Ont. 2008.
3 Vgl. den Beitrag von J. Wehnert im vorliegenden Band sowie L. Cirillo, L’antipaolinismo nelle
Pseudoclementine, in: R. Penna (Hg.), Antipaolinismo: Reazoni a Paulo tra il I e il II Secolo: Atto
del 2. Convegno nazionale di studi neotestamentari (Bressanone, 10.12 settembre 1987) (RStB 1/
2), Bologna 1989, 121 – 137, sowie ders., L’antipaolonismo nelle Pseudoclementine: Un riesame
della questione: in: G. Filoramo/P. Gianotto (Hg.), Verus Israel: Nuove prospettive sul giu-
deocristianesimo. Atti del Colloquio di Torino (4 – 5 novembre 1999) (BCR 65), Brescia 2001, 280 –
303.
Gute Werke, rechter Glaube: Paulusrezeption in der Apokalypse des Paulus? 151
4 Th. Silverstein/A. Hilhorst (Hg.), Apocalypse of Paul: A New Critical Edition of Three Long
Latin Versions (Cahiers d’Orientalisme XXI), Genve 1997.
5 K. Von Tischendorf, Apocalypses Apocryphae Mosis, Esdrae, Pauli, Iohannis, item Mariae
dormitio, additis Evangeliorum et actuum Apocryphorum supplementis, Leipzig 1866 (Ndr.
Hildesheim 1966). – Eine wohl spätere griechische Kurzfassung wurde inzwischen von B. Bou-
vier/F. Bovon, Prire et Apocalypse de Paul: Un fragment indit conserv au Sina . Introduction,
texte, traduction et notes, in: Apocrypha 15 (2004), 9 – 30, vorgelegt.
6 Ausführliche kodikologische Informationen bei T. Silverstein/A. Hilhorst, Apocalypse of
Paul, 23 – 39.
7 Ausführlich hierzu L. Jirouskovµ, Die Visio Pauli: Wege und Wandlungen einer orientalischen
Apokryphe im lateinischen Mittelalter (Mittellateinische Studien und Texte), Leiden – Boston
2006, sowie knapper P. Dinzelbacher, La ,Visio S. Pauli’: circulation et influence d’un apo-
cryphe eschatologique, in: Apocrypha 2 (1991), 165 – 80 und A. Hilhorst, The Apocalypse of
Paul: Previous history and afterlife, in: J. Bremmer/I. Czachesz (Hg.), The Visio Pauli and the
Gnostic Apocalypse of Paul (Studies on Early Christian Apocrypha 9), Leuven 2007, 1 – 22.
152 Tobias Nicklas
Nomokanon 7,9) trauen darf, dann kannte bereits Origenes den Text, vielleicht
lassen sich hierzu auch Parallelen zwischen Origenes, hom. in Psalm. 36 und
Kapiteln 13 – 15 des vorliegenden Textes stark machen.8 Andererseits sind die
beiden ersten Kapitel des heute vorliegenden Textes mit der Wiederauffin-
dungslegende in das Konsulat des „Theodosius Augustus [des Jüngeren]“
sowie des Quinegius (P) datiert. Will man der Rekonstruktion von M. Erbetta
folgen und Quinegius als „Constantius“ lesen, dann kann nur Constantius III.
(gest. 421) gemeint sein, was dann zusammen mit Theodosius II. auf das Jahr
420 n. Chr. schließen ließe.9 Wahrscheinlicher aber erscheint eine Identifika-
tion mit Maternus Cynegius (gest. 388), der im Jahr 388 n. Chr. gemeinsam mit
Theodosius dem Großen das Konsulat bekleidete.10 Dann ist zumindest der
vorliegende Text frühestens an das Ende des 4. Jahrhunderts zu datieren.
Vielleicht aber kann die weiterhin kontrovers diskutierte Frage nach einer
bereits ins 2. Jahrhundert zurückgehenden Vorform des Textes11 aufgrund der
Argumente von P. Piovanelli, der die Entstehung der ApkPaul nach ausführ-
licher Diskussion der bisherigen Forschung erst frühestens ans Ende des 4.
Jahrhunderts – nach dem Tode Theodosius I. (395 n. Chr.) – einordnen will,
bald ganz ad acta gelegt werden.12
Wenn die Paulusapokalypse in der bisherigen Forschung in die antike
Paulusrezeption eingeordnet wurde, dann stand dabei im Grunde immer 2Kor
12,2 – 4, das ja auch am Beginn des Textes bewusst zitiert wird, im Vorder-
grund.13 Da sich darüber hinaus kaum erkennbare Zitate und Anspielungen
auf paulinische Texte erkennen lassen, ist dagegen die Frage, inwiefern unser
Text auch auf anderen Ebenen mit paulinischem Gedankengut umgeht, m.W.
bisher nicht gestellt worden.14 Mit anderen Worten: Wie „paulinisch“ ist die
Apokalypse des Paulus? Oder besser : Inwiefern begegnen Gedanken und Ideen,
die wir auch im Corpus Paulinum finden? Wie sind sie aufgenommen und
weiterentwickelt?
Da der Text sich ganz zentral der Frage nach dem Schicksal des Menschen nach
seinem Tode bzw. damit zusammenhängend dem Verhältnis von Glauben und
guten Werken (bzw. paulinisch „Werken des Gesetzes“15) stellt, ergeben sich
weiter noch konkretere Fragen:
Inwiefern sind die in vielen Punkten gegenüber dem, was Paulus selbst vertrat,
deutlich veränderten Antworten der Paulusapokalypse nun auch veränderten
historischen Kontexten zu verdanken?
2. Beobachtungen am Text
Auch wenn die Paulusapokalypse sich als Ganzes klar als Rezeption der ge-
heimnisvollen Selbstaussagen des Paulus in 2Kor 12,2 – 4 über ein Jahre zu-
109), Leiden – Boston 2003, 327 – 339, J.R. Harrison, In Quest of the Third Heaven: Paul and his
Apocalyptic Imitators, in: VigChr 58 (2004), 24 – 55, hier 32 – 36, 47 – 55, und R. Roukema,
Paul’s Rapture into Paradise in Early Christian Literature, in: A. Hilhorst/G.H. Van Kooten
(Hg.), The Wisdom of Egypt: Jewish, Early Christian and Gnostic Essays in Honour of Gerard P.
Luttikhuizen (AJEC 59), Leiden – Boston 2005, 267 – 83, hier 279 – 81.
14 Einzige Ausnahme ist der Beitrag von E. Dassmann, Paulus in der ,Visio Sancti Pauli‘, in:
Jenseitsvorstellungen in Antike und Christentum. Gedenkschrift für Alfred Stuiber (JAC.E 9),
Münster 1982, 117 – 28, der zumindest kurz (S. 124 – 28) auf die Frage eingeht, was denn die
Jenseitsbeschreibungen der ApkPaul mit Paulus zu tun hätten und dabei deutlich macht, wie
„farblos“ (S. 124) das entstehende Paulusbild ist.
15 Zur Diskussion vgl. die Beiträge von A. Lindemann und J.D.G. Dunn im vorliegenden Band.
16 Zu diesem Problem vgl. weiterführend die verschiedenen Beiträge in T. Nicklas/J. Verheyden/
E.M.M. Eynikel & F. García Martínez (Hg.), Other Worlds and Their Relation to This World
(JSJ.S 143), Leiden – Boston 2010.
154 Tobias Nicklas
2.1 ApkPaul 3 – 10
17 E. Dassmann, Paulus, 125 f, erkennt Bezüge alleine auf Röm 8,18; 1Kor 15,12; 2Thess 1,10 und
2Tim 4,7.
Gute Werke, rechter Glaube: Paulusrezeption in der Apokalypse des Paulus? 155
Obwohl der Text tatsächlich vor allem im Schlussteil ab Kapitel 48 einige krass
antijüdische Passagen enthält, geht es ihm aber offenbar doch um die Sünden
der gesamten Menschheit, die sich als einziger Teil der gesamten Schöpfung
gegen Gott auflehnt. Auch die Tatsache, dass Gott als Schöpfer – und damit
absoluter Herrscher über alle Geschöpfe – angesehen wird, gehört zu den
immer wiederkehrenden Gedanken der ApkPaul, die zwischen der Idee der
allgemeinen „Sündigkeit“ der Menschheit bzw. ihrer „Sünde“ und der Vor-
stellung von Sünden als einzelnen Werken, in Kapitel 3 konkret „Werken des
Teufels“, hin und her springen kann. Das in Kapitel 3 thematisierte Sündigen
der Menschheit wird an Kapitel 4 in einer Reihe von Anklagen von Teilen der
Schöpfung gegen die Menschheit wieder aufgenommen. Dabei bleibt etwas
unklar, ob das ab Kapitel 4 Erzählte weiterhin als „Wort des Herrn“ (Kapitel 3)
anzusehen ist.
Die in den Kapiteln 4 – 6 folgenden Abschnitte wiederum sind parallel
zueinander aufgebaut:
(1) Ein Teil der Schöpfung Gottes erhebt bei Gott Anklage gegen die
Menschheit. Nach der Sonne (Kapitel 4) folgen Mond und Sterne (Kapitel 5):
Während die Sonne die Sünden der Menschen am Tage sieht, haben Mond und
Sterne „Macht über die Nacht“ (tµm 1nous¸am t/r mujtºr ; potestatem noctis;
nach Jer 31,35). In Kapitel 6 wiederum folgen das Meer, die Wasser, also of-
fensichtlich Flüsse und Seen, und schließlich die Erde, deren Anklage si-
cherlich das Achtergewicht des Abschnitts bildet.
(2) Aufgezählt werden dabei in direkter Rede verschiedene Sünden der
Menschheit. Dabei bietet jeder Text unterschiedliche Lasterkataloge:18
Sonne: Gottlosigkeiten und Ungerechtigkeiten
(impietates et iniusticias)
Mond und Sterne: Gottlosigkeiten, Fälle von Unzucht und Morde
(impietates et fornicaciones et homicidia)
Meer : Blasphemie (Befleckung des Gottesnamens)
(intaminauerunt … sanctum nomen tuum …)
Wasser : Blasphemie (Befleckung des Gottesnamens)
(contaminauerunt … sanctum nomen tuum)
Achtergewicht bildet die Erde, die Fälle von Unzucht, Ehebruch, Mord,
Diebstahl, Meineid, Magie und Zauberei, jede Art von Bosheiten, Streit zwi-
schen Sohn und Vater und unter Fremden und Inzest aufzählt.
Sehr deutlich wird dabei einerseits das allgemeine Interesse, die Abwen-
dung des Menschen von Gott als Grundübel darzustellen; damit verbunden ist
andererseits sicherlich auch ein Schwerpunkt auf sexuellen Vergehen er-
kennbar.
(3) Die jeweils sprechenden Teile der Schöpfung bitten zumindest in den
lateinischen Fassungen mit kleinen Variationen Gott um Erlaubnis, gemäß
Soweit ich sehe, bietet der gesamte Abschnitt an keiner Stelle irgendein Zitat
oder auch nur eine deutlich erkennbare Anspielung auf einen konkreten Text
des Corpus Paulinum. Trotzdem würde ich hier zumindest eine Parallele zu
paulinischem Denken vermuten: Dass auch Paulus selbst ein überaus nega-
tives Bild von der Situation der Menschheit entwickeln kann, ja offensichtlich
eine grundsätzlich überaus pessimistische Anthropologie vertritt,19 zeigt sich
besonders deutlich in den ersten Kapiteln des Römerbriefs (Röm 1,18 – 3,20).
Interessanterweise bietet vor allem Röm 1,18 – 32 zumindest einige struktu-
relle Parallelen zu dem, was Kapitel 3 – 6 der ApkPaul über die Situation der
Menschheit gesagt ist:
(1) Obwohl die Menschheit Gott erkennen könnte (Röm 1,19: t¹ cmyst¹m
toO heoO vameqºm 1stim 1m aqto?r), handelt sie ungerecht und gottlos. Laut
ApkPaul ist das Ziel jeder Anfrage an Gott eine angemessene Gotteserkenntnis
der Menschen (cognoscere).
(2) Nicht nur für Kap. 3 – 6 der ApkPaul, sondern auch für das Argument in
Röm 1,18 – 32 spielt die Schöpfung Gottes eine entscheidende Rolle. Zwar ist
nicht davon die Rede, dass die Schöpfung den Menschen anklagt; die in Röm
1,19 f begegnende Idee aber, dass der Mensch, obwohl Gott seit Erschaffung
des Kosmos (!p¹ jt¸seyr jºslou) an seinen Werken (poi¶lasim), d. h. Werken
der Schöpfung, erkannt werden kann, diesem nicht die schuldige Ehre erweist
und deswegen „ohne Entschuldigung“ (!mapokoc¶tor ; Röm 1,20) sind, bietet
dazu doch eine recht deutliche Parallele.
(3) Die damit verbundene Abkehr von Gott wiederum wird in beiden
Texten mit konkreten Sünden in Verbindung gebracht. Dass diese nicht einfach
einander deckungsgleich sind, zeigt, dass wir es in ApkPaul 3 – 6 nicht einfach
mit einer sklavisch an einer Vorlage orientierten Verarbeitung von Röm 1,18 –
32 zu tun haben. Jedoch ist wohl wie auch in ApkPaul die Abwendung von Gott
der entscheidende Punkt (Röm 1,23.25), dem alles andere folgt. Nur auf den
ersten Blick geringere Rolle als in Röm 1,26 f spielen in den Vorwürfen von
ApkPaul 3 – 6 sexuelle Verfehlungen: Immerhin bilden diese bei den Vor-
würfen der „Erde“ (Kap. 6) einen klaren Schwerpunkt, ja „rahmen“ diesen
Videte, filii hominum. Subdita creatura deo est, humanum autem genus solum
peccat. Propterea ergo, filii hominum, benedicite dominum deum incessabiliter
omnibus horis et omnibus diebus, magis autem cum occiderit sol.
Seht, Menschensöhne, die Schöpfung ist Gott unterworfen, das menschliche Ge-
schlecht allein aber sündigt. Deshalb also, Menschensöhne, preist Gott, den Herrn,
ohne Unterbrechung zu allen Stunden und an allen Tagen, besonders aber, wenn die
Sonne untergeht.
An die Rede vom „Sonnenuntergang“ knüpft sich nämlich nun ein Abschnitt
an, wo davon die Rede ist, wie die verschiedenen Engel, die die Menschen
offensichtlich „bewohnen“ (Kap. 7), vor Gott tägliche Rechenschaft über die
entsprechenden Werke des Menschen (t± 5qca t_m !mhq¾pym; opera homi-
num) ablegen. Die ApkPaul geht davon aus, dass eine solche Rechenschaft
über die menschlichen Taten regelmäßig an jedem Tag und in jeder Nacht
erfolgt. Dies geht in einigen Fällen so weit, dass nun – ähnlich den Teilen der
Schöpfung – einige Engel Beschwerden über die ihnen zugewiesenen Men-
schen einlegen und ihnen nicht mehr dienen wollen (Kap. 10). Auch ihnen
gegenüber ergeht die gleiche Antwort wie den Teilen der Schöpfung: „Es ist
158 Tobias Nicklas
nötig ihnen zu dienen, bis sie umkehren und Buße leisten: wenn sie aber nicht
zu mir umkehren, werde ich sie richten.“ (Ende Kap. 10; übersetzt nach P).
nung genommen hat (vgl. auch 1Kor 6,19 oder 2Kor 6,16). Erneut ist der Bezug
zwischen ApkPaul 9 und paulinischem Gedankengut nicht so eindeutig, dass
sichere literarische Abhängigkeit festgestellt werden kann. Die Gedanken aber
sind einander so nah, dass sie den Vergleich zulassen – und dieser Vergleich
zeigt eine deutliche Entwicklung: Was Paulus allen Gläubigen zuspricht,
nämlich Wohnung Christi bzw. des Gottesgeistes zu sein, kommt nach Apk-
Paul nur einer bestimmten, (wohl extrem) asketisch orientierten Elite zu.
Dieser Zuspruch, dass Christus selbst bei ihnen Wohnung nimmt, wiederum
kommt von Gott selbst, allerdings erst aufgrund der Voraussetzung, ein der-
artiges Leben zu leben. Dies bedeutet natürlich eine enorme Verschiebung,
deren Grundtendenz sich aber durchaus auch bei anderen Autoren des 2. und
3. Jahrhunderts beobachten lässt, welche die Frage stellen, unter welchen
Voraussetzungen der Mensch denn Wohnung des Gottesgeistes werden
könne.20 So kann etwa Clemens von Alexandrien, str. 4,131,4, 2Kor 6,16 zum
Grund der Forderung an den Menschen machen, zur Vollendung zu streben
oder taucht die Forderung nach einem angemessenen Verhalten der Christen,
wenn sie Wohnung Gottes sein wollten, auch in der Auslegung des Vaterunsers
durch Cyprian von Karthago (De dominica oratione 11) auf. Besonders gerne
aber wird die Vorstellung, dass Gott, Christus oder der Gottesgeist in den
Christen Wohnung nimmt, mit der Forderung einer absolut keuschen Le-
bensführung in Verbindung gebracht: Beispiele finden sich etwa in Tertullians
Argumentation gegen die Heirat zwischen Christen und Heiden, weil der
Sexualverkehr mit Heiden den „Tempel Gottes“ unrein mache (uxor. 2,3,1)
oder – näher an unserem Text – bei Origenes, Cels. 4,26, im Kontext des
grundsätzlichen Gedankens, dass alleine sexuelle Enthaltsamkeit Gemein-
schaft mit Gott ermögliche, da durch „unerlaubten Geschlechtsverkehr der
Tempel Gottes zerstört wird“ (vgl. 1Kor 3,17). Dies sind keine ganz vollkom-
menen Parallelen zu ApkPaul 9, der Text ist damit aber doch als in einem Trend
liegend aufgewiesen, der ab der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert erkennbar
wird.
2.2 ApkPaul 11 – 18
Mit Kapitel 11 scheint ein erneuter Einschnitt erreicht. Erst jetzt ist von der in
2Kor 12 angedeuteten Entrückung des Paulus in den dritten Himmel die Rede.
Kapitel 11 – 18 wiederum können als eine eigene Einheit angesehen werden, in
der es, bevor Paulus ab Kapitel 19 die Orte der Gerechten und der Sünder
gezeigt werden, um das Sterben Gerechter und Ungerechter geht. Die für
Paulus so wichtige Frage nach dem Zueinander von „Werken“ (des Gesetzes),
20 Vgl. hierzu ausführlicher T. Nicklas, Altkirchliche Diskurse um das ,Wohnen Gottes‘: Eine
Spurensuche bis zur Zeit der Konstantinischen Wende, in: B. Janowski/E.E. Popkes (Hg.),
Schekhina (WUNT), Tübingen 2013 [im Druck]. Die folgenden Beispiele sind in ähnlicher
Weise auch in diesem Beitrag angeführt.
160 Tobias Nicklas
gemacht hat.22 Das Erbarmen Gottes schließlich hängt für Kapitel 14 (wie auch
Kapitel 16) einzig an der Vorleistung des Menschen.
(2.2) So sehr die Beschreibung der Lebenseinstellung des Gottlosen in
Kapitel 15 an 1Kor 15,32 erinnert – „ich esse und trinke und genieße, was in
der Welt ist“ (vgl. aber auch Jes 22,13; Weish 2,1 – 9; Lk 12,19 f) – und damit
gleichzeitig die asketische Tendenz der Trägergruppe unseres Textes betont, so
sehr entscheidet sich das jenseitige Schicksal auch hier an den „bösen Werken“
des Menschen bzw. der jeweiligen Seele.
(2.3) Bereits diese Gedanken zeigen, wie wenig paulinisch das in hier er-
kennbare Bild menschlicher Werkgerechtigkeit und das damit korrespon-
dierende Bild Gottes ist. Der entscheidende Unterschied aber besteht m. E. vor
allem darin, dass in ApkPaul 14 – 18 an keiner Stelle die Christusbeziehung als
dasjenige Element des menschlichen Lebens aufscheint, das rettend wird. Das
geht so weit, dass man im Grunde sagen könnte, dass die hier vorausgesetzte
Lehre von Heil und Unheil des Menschen keine Verankerung im Christuser-
eignis mehr zeigt. Gerecht ist der Mensch nur aufgrund seiner Werke und
seines Strebens. In Tod und Sterben des Menschen spielen Heerscharen von
Engeln eine Rolle, die um die Seele ringen,23 es kommt aber zu keiner Chris-
tusbegegnung, sondern nur zu einem Erscheinen vor dem Thron Gottes, der
zwar als barmherziger und gerechter Richter beschrieben wird, welcher eine
„Zeit der Reue“ zulässt, diese aber mit dem Tode des Menschen abgelaufen
sein lässt (Kapitel 16). Die in Kapitel 16 nur angedeutete Möglichkeit der Reue
wird in Kapitel 17 zum entscheidenden Thema, das in der Aussage gipfelt, dass
Gott wegen der Bekehrung eines Jahres die Übeltaten des gesamten Men-
schenlebens vergessen und der Seele Erlass ihrer Sünden gewähren würde.
Eine Verbindung zwischen „Bekehrung“ und „Christusbeziehung“ aber
scheint auch hier nicht auf.
bereits in dem Gedanken, dass nur die wenigsten – selbst unter größten Mühen
(Kapitel 20) – an den Verheißungen Gottes teilhaben werden.24
Die ab Kapitel 22 folgenden Beschreibungen des Landes, in dem die Ge-
rechten nach ihrem Tode leben, wie auch der Stadt Christi zeigen nun nicht
nur kaum einen Einfluss paulinischen Denkens über das Verhältnis von
Christusglauben, Werken des Gesetzes und Rechtfertigung des Menschen; sie
lassen interessanterweise aber die Gründe für diese Entwicklung erkennen:
Das hier beschriebene Jenseits ist klar hierarchisch gegliedert.25 Die Kriterien
dieser Hierarchisierung wieder zeigen sich deutlich an asketisch-mönchi-
schen Idealen orientiert.26 So sehr das in Kapitel 22 geschaute Land paradie-
sische Züge zeigt, so deutlich wird auch betont, dass dies nur ein kleiner Teil
der von Gott gewährten Verheißungen ist (Kapitel 22). Dieser wiederum sei
denen gewährt, die sich als Verheiratete jeglichen Sexualverkehrs enthielten.
Um ein Siebenfaches größere Dinge dagegen seien denjenigen vorbehalten,
die „jungfräulich sind und die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit und
sich wegen des Namens des Herrn Schaden zufügen“ (P Kapitel 22; vgl. auch
entsprechende Aussagen in Kapitel 26).
Die nächste Stufe der Hierarchie ist in der Stadt Christi erreicht, die ab
Kapitel 23 beschrieben wird. Besonders eindrucksvoll (und aufschlussreich)
ist etwa die Beschreibung derer, die, obwohl sie offensichtlich ein Leben als
Mönche geführt haben, wegen ihres Stolzes und Hochmuts inmitten sich
immer neu neigender und wieder aufrichtender Bäume auf Einlass warten
müssen, der ihnen erst beim Einzug Christi aufgrund der Fürbitte der Heiligen
in Aussicht gestellt ist (Kapitel 24). Aber auch innerhalb der Stadt, die von
zwölf Mauerringen umgeben ist, sind Hierarchien erkennbar : Wie durch den
Angelus interpres erklärt, bedeutet jede Mauer eine weitere Stufe der Voll-
kommenheit – jede auch nur kleine Sünde kann das Eintreten in den nächsten
Kreis verhindern (Kapitel 29).
Immer deutlicher wird also, dass der Text sich wohl in erster Linie parä-
netisch nach innen an asketisch-mönchische Adressaten richtet. So sehr sich
diese anderen Christen – vor allem denjenigen, die in Familien leben und
Kinder haben – überlegen fühlen, so sehr werden auch sie vor jeder Form von
Eitelkeit, Stolz und Hochmut gewarnt, die ihnen einen entsprechenden Platz
in der Hierarchie der Stadt Christi sichern könnte. Eine paulinische Ethik der
Rechtfertigung des Menschen alleine aufgrund seines Christusglaubens, die
24 P: plures non percipiunt ea, sed per multas labores uix unes et unus ingreditur in ea loca. – Arn:
pauci sund qui intrabunt in loca ista.
25 Weiterführend zum folgenden Abschnitt der Beitrag von K.B. Copeland, ,The Holy Contest‘:
Competition for the Best Afterlife in the Apocalypse of Paul and Late Antique Egypt, in: T.
Nicklas/J. Verheyden/E.M.M. Eynikel/F. García Martínez (Hg.), Other Worlds and Their
Relation to This World: Early Jewish and Ancient Christian Traditions (JSJ.S 143), Leiden –
Boston 2010, 369 – 89, dem sich die wichtigsten Gedanken in diesem Abschnitt verdanken.
26 Als Orientierung zum antiken christlichen Mönchtum vgl. A. Merkt (Hg.), Das frühe christliche
Mönchtum: Quellen und Dokumente von den Anfängen bis Benedikt, Darmstadt 2008.
Gute Werke, rechter Glaube: Paulusrezeption in der Apokalypse des Paulus? 163
ganz der Gnade Gottes entfließt, ist in einem solchen Milieu kontraproduktiv :
Wo es darum geht, Ideale asketischer Spitzenleistungen zu verfolgen, kann
eine alle Christusglaubenden letztlich auf eine gleiche Stufe stellende Ethik
sich nicht durchsetzen. Dies wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass
paulinische Ethik sich aus einem Bild von Kirche speist, deren Glieder als
gleich bedeutsame Teile des Leibes Christi – des Gekreuzigten! – verstanden
sind (vgl. 1Kor 10,17; 12,12 – 31; Röm 12,4 – 5). Auch eine Orientierung aller
Glaubender an der für 1Kor wichtigen „Gesinnung Christi“ (1Kor 2,16b)27 als
des Gekreuzigten deckt sich nicht voll mit den Bedürfnissen einer an Fort-
schritten in der eigenen asketischen Vollendung orientierten Gruppen. Der
entscheidende Unterschied aber scheint also darin zu bestehen, dass die in
ApkPaul angesprochene Gruppe sich selbst für eine Elite hält, die in ihrem
eigenen Streben nach Vervollkommnung Stufen des Fortschreitens zu er-
kennen meint und dabei gleichzeitig Gefahren und Risiken auf diesem Weg
begegnen muss, dass Paulus aber, wie etwa in 1Kor 1,2.9 betont, alle Glau-
benden als von Gott in besonderer Weise Erwählte ansprechen kann. Dieser
Unterschied mag sich bereits der Entwicklung unterschiedlicher Lebensfor-
men innerhalb der christlichen Bewegung verdanken, die Folgen aber sind
paulinischem Denken entgegen gesetzt.28
Im Zusammenhang mit dem eben Beschriebenen kann die Vision der Un-
terwelt, die ebenfalls in Ansätzen hierarchisch gegliedert ist, etwas knapper
behandelt werden.29 Einige Beobachtungen scheinen aber noch einmal etwas
weiterzuführen.
(1) Wie sehr der Text nach innen gerichtet daran interessiert ist, eine vor-
gegebene Ordnung aufrecht zu erhalten und dabei besonders von unter-
schiedlichen kirchlichen Amtsträgern ein bestimmtes Ethos zu erwarten,
zeigen die Abschnitte, in denen Strafen unwürdiger Presbyter, Bischöfe,
Diakone und Lektoren (Kapitel 34 – 36) beschrieben werden.30 Damit ist der
Text natürlich von den Problemen der Gemeinden des Paulus, in denen von
„Ämtern“ höchstens im übertragenen Sinne die Rede sein sollte, weit ent-
27 Zu diesem Gedanken weiterführend vgl. C.W. Strüder, Paulus und die Gesinnung Christi:
Identität und Entscheidungsfindung aus der Mitte von 1Kor 1 – 4 (BEThL 190), Leuven 2005.
28 Dies gilt sicherlich auch für die extrem enkratitische Tendenz des Textes selbst, die weniger bei
Paulus selbst als in manchen Richtungen der Paulusrezeption – v. a. den Akten des Paulus und
der Thekla – ihren Anhalt findet.
29 Diese Hierarchie zeigt sich besonders deutlich – fast wie in einer Karikatur – an Kap. 31, wo
beschrieben ist, wie verschiedene Sünder unterschiedlich tief in einem feurigen Fluss stehen.
30 Hierzu auch T. Nicklas, Als die Hölle christlich wurde. Metamorphosen einer Jenseitsvor-
stellung, in: Blick in die Wissenschaft 21 (2009), 35 – 40.
164 Tobias Nicklas
fernt.31 Der Text zeigt höchstens vage Anklänge an das in den Pastoralbriefen
erkennbar werdende Bild kirchlicher „Ämter“, bietet aber keinen erkennba-
ren literarischen Bezug.
(2) Kapitel 41 und 42 wiederum sind besonders interessant, weil sie be-
sondere Strafen für „Häretiker“ oder vielleicht in unserem Zusammenhang
besser – in nicht angemessener Weise Glaubende – beschreiben. In Kapitel 41
sind dies diejenigen, die nicht bekannt haben „dass Christus im Fleisch ge-
kommen ist und dass ihn Maria, die Jungfrau, geboren hat,“ diejenigen, die
nicht bekennen, „dass das Brot der Eucharistie und der Kelch des Segens Leib
und Blut Christi seien“ (nach P), in Kapitel 42 geht es um diejenigen, „die
sagen, dass Christus nicht von den Toten auferstanden ist und dass dieses
Fleisch nicht aufersteht“ (nach P). Auch wenn man vielleicht unter der in
Kapitel 41 als erstes angesprochenen Gruppe Doketen vermuten könnte, sind
hier keine Spuren wichtiger theologischer wie christologischer Auseinan-
dersetzungen der ersten Jahrhunderte erkennbar.32 Höchst interessant aber ist
die dem Text zugrunde liegende Verschiebung gegenüber paulinischem
Glaubensverständnis: Von der Vorstellung des Glaubens als tiefer, das Leben
tragender Christusbeziehung ist hier kaum mehr etwas zu spüren, Glauben
richtet sich nun an Inhalten aus, die zu bekennen sind. Damit wiederum ist es
gleichzeitig möglich, das, was sich als „Rechtgläubigkeit“ herauskristallisiert,
von „Häresie“ abzugrenzen.
(3) Auch in den Kapitel 31 – 42 ist vom Christusereignis, das für die
Theologie des Paulus so wichtig ist, im Grunde nicht oder bestenfalls indirekt
im Zusammenhang mit einigen Sünden die Rede. Dies ändert sich erst, als
Paulus am Ende des 42. Kapitels erneut (nach Kapitel 33) in ein Wehklagen
über die Situation der Sünder ausbricht.33 Dies wird zum Auslöser einer all-
gemeinen Klage offenbar aller Sünder, die in eine Bitte um Erbarmen zunächst
an Gott, dann den Erzengel Michael und schließlich Christus mündet: „Er-
barme dich unser, Sohn Gottes!“ Diese wird auch von Paulus unterstützt
(Kapitel 43). Darauf steigt Christus, bezeichnet als der „Sohn Gottes“, vom
31 Zur Diskussion um das Ämterverständnis in paulinischen Gemeinden (und den Gemeinden der
Pastoralbriefe) vgl. T. Nicklas, Ämter? Auf-Gaben, Autorität und Ethos im frühen Christen-
tum: Ein Blick in die paulinischen Gemeinden, in: W. Homolka/H.-G. Schçttler (Hg.), Rabbi
– Pastor – Priest: Their Roles and Profiles Through the Ages (Studia Judaica 64), Berlin – New
York 2012 [im Druck], sowie die entsprechenden Beiträge in T. Schmeller/M. Ebner/R.
Hoppe (Hg.), Neutestamentliche Ämtermodelle im Kontext (QD 239), Freiburg et al. 2010.
32 Eine interessante Ausnahme bietet die Differenz zwischen den in Kapitel 41 wohl ursprüngli-
chen Worten quia genuit eum Maria virgo zum Text der St. Gallener Handschrift quia genuit
eum Maria uerum deum, eine doch recht deutliche Anspielung auf die Haltung des Redaktors im
nestorianischen Streit um die Frage, ob Maria als Gottesgebärerin zu bezeichnen sei.
33 Zu diesem Motiv, das sich in einer Reihe von apokalyptischen Texten findet, und sich meist mit
einer Interzession des Sehers für die Verdammten verbindet, vgl. R. Bauckham, The Conflict of
Justice and Mercy : Attitudes to the Damned in Apocalyptic Literature, in: ders., The Fate of the
Dead: Studies on the Jewish and Christian Apocalypses (NT.S 93), Leiden – Boston 1998, 132 – 48,
hier 136 – 42.
Gute Werke, rechter Glaube: Paulusrezeption in der Apokalypse des Paulus? 165
Himmelsthron herab. Die auf die erneute Bitte der Verdammten folgende
soteriologische Aussage ist gerade in ihrer Blassheit aufschlussreich: Zwar
spielt auch im theologischen System der ApkPaul das Christusereignis eine
Rolle – der Text aber hat letztlich nichts anderes zu sagen, als dass Leiden und
Kreuzestod Christi „um euretwillen“ (propter uos) erfolgt sei (Kapitel 44).
Verglichen aber etwa mit Spitzenaussagen des Paulus, der etwa in Röm 8,31 –
39 die Gläubigen als untrennbar mit der Liebe Christi verbunden sieht, ist das
in ApkPaul 44 Gebotene geradezu erschreckend: Der einzige soteriologische
Effekt des Kreuzestodes Christi wird offenbar in der Möglichkeit der Buße
gesehen, die von den Verdammten nicht wahrgenommen wurde. Und auch die
Auferstehung Christi spielt nun endlich eine Rolle: in erster Linie auf Fürbitte
des Paulus hin gewährt der gekrönte Gottessohn den Verdammten von nun an
jedem Sonntag – dem Tag der Auferstehung – eine Art von „Amnestie“: „eine
Nacht und einen Tag Erquickung für immer“ (noctem et diem refrigerium in
perpetuum; Kapitel 44 [P]).34 Von paulinischer Christologie und Soteriologie
ist in dieser Vorstellungswelt im Grunde nichts mehr erhalten. Der Christus
der ApkPaul gehabt sich als antiker Herrscher, der am Gedenktag seines Tri-
umphes seinen Gefangenen Hafterleichterung gewährt und dies gleichzeitig
als übergroße Gnade und Erbarmen propagiert.
Kapitel 46 P). Paulus wird damit zu einer großen Heiligenfigur stilisiert, dabei
an das pure Faktum seiner Verkündigung erinnert, seine theologische Be-
deutung aber auf ein Minimum reduziert.
(2) In ähnlicher Weise verlaufen die weiteren Gespräche: In der Rede
Abrahams, Isaaks und Jakobs (Kapitel 47) könnte mit der Seligpreisung des-
sen, der „um des Herrn willen Gewalt erträgt“, eventuell ein Hinweis auf die
besonders in 2Kor 11,16 – 33 beschriebenen Leiden des Apostels enthalten
sein, vielleicht aber auch – in Durchbrechung der zeitlichen Perspektive des
Textes – an sein Martyrium erinnert werden. Den Inhalt der Predigt des Paulus
fasst Abraham wiederum folgendermaßen zusammen. Paulus verkünde den
Menschen, „dass sie erben können das Reich Gottes durch Arbeit, Entsagung
und Heiligung, durch Niedrigkeit, Liebe, Sanftmut und den rechten Glauben
an den Herrn“ (ut possint hereditare regnum dei per labore, abrenunciacione et
sanctificacione et humilitate et caritate et mansuetudine et recta fide ad do-
minum, Kapitel 47 P).35 Dass dies kaum etwas mit dem zu tun hat, was wir in
den Briefen des Apostels erkennen können, braucht nicht eigens diskutiert zu
werden. Der „Glaube an den Herrn“ ist hier zum Teil einer Reihe gleichbe-
rechtigter Glieder degradiert; vor allem aber ist erneut vom rechten Glauben
die Rede: Es geht weniger um die Gnade der Christusbeziehung als um das aus
Sicht des Textes angemessene Verhältnis zwischen Orthopraxie und Ortho-
doxie, für die Paulus als Autorität in Anspruch genommen wird.36
(3) Ein weiterer Zug des im Text zugrunde liegenden Paulusbildes wird in
Kapitel 48 und 49, der Begegnung mit Mose und den Propheten, erkennbar :
Mose wie auch später die Propheten klagen vor Paulus darüber, dass all ihre
Mühen um Israel umsonst gewesen seien. Wiederholt wird die Kreuzigung
Jesu ganz Israel zugeschrieben, welches „in die Verheißungen Gottes nicht
eingetreten“ (in repromissa dei … non est ingressus; Kapitel 48 P) sei. Selig zu
preisen sei deshalb Paulus und „die Generation und das Volk, welches deinem
Wort geglaubt hat“ (Kapitel 48 und 49 P), ein Satz, der nun auch im Munde
weiterer Gestalten der Heilsgeschichte (Lot, Hiob, Noah, Elija) begegnen wird.
Paulus wird nun immer wieder als „Geliebtester Gottes“ (dilectissimus dei)
bezeichnet. Seine eigene jüdische Herkunft dagegen rückt ebenso in den
Hintergrund wie seine Spitzenaussagen über das Schicksal Israels (Röm
11,25 – 36); als Heidenapostel wird er so zum Gegenbild Mose stilisiert, dessen
eigene Verkündigung fruchtlos geblieben sei.
35 Vgl. auch noch einmal etwas blasser die Rede Adams in Kapitel 51, wo nur noch vom „Glauben
an Gott“ und der „Reue“ die Rede ist.
36 Im Ansatz sind derartige Entwicklungen sicherlich schon in den Pastoralbriefen zu beobachten.
Gute Werke, rechter Glaube: Paulusrezeption in der Apokalypse des Paulus? 167
3. Fazit
Die Frage, ob und inwiefern die ApkPaul sich tatsächlich der Rezeption pau-
linischen Denkens verstehen lässt, ist somit differenziert zu beantworten.
3.1 Die ApkPaul setzt bei einem überaus negativen Menschenbild an: Als
einziger Teil der Schöpfung sündige die Menschheit gegen Gott, diese Sünde
wird die gesamte Welt umgreifend verstanden. Die Übereinstimmungen mit
paulinischen Gedanken gehen hier so weit, dass man so weit gehen könnte,
ApkPaul 3 – 10 als narrative Umsetzung von Gedanken zu verstehen, wie sie
sich auch in den ersten Kapiteln des Römerbriefs finden. Doch während
Paulus so radikal ist, dass er ohne die Initiative Gottes die ganze Menschheit
als verloren ansehen müsste, sieht die ApkPaul zumindest für eine kleine Elite
die Möglichkeit mit Hilfe entsprechender „Werke“, „Neigungen“ und
„Dienste“, in deren Zusammenhang v. a. asketisch-enkratitische Praktiken
eine entscheidende Rolle spielen, Heil zu erwerben. Dazu ist regelmäßige Buße
und Umkehr nötig, die die Voraussetzung für die weiterhin nötige Barmher-
zigkeit Gottes ist.
Die damit in Ansätzen beschriebene Ethik der ApkPaul ist somit geradezu
als anti-paulinisch zu beschreiben. Dies soll nicht heißen, dass das Tun des
Gotteswillens nicht auch für Paulus entscheidend wäre, dieser aber geht die
entscheidende glaubende Annahme des Christusereignisses immer voraus.
Christologie wie auch eine mit dem Christusereignis verbundene Soteriologie
tritt dagegen in der ApkPaul sehr weit zurück – Christus wird als Herr-
schergestalt gesehen, die in Passion und Kreuz um der Menschheit willen
gelitten hat. Konkret bedeutet dies nicht mehr als eine erweiterte Möglichkeit
von Buße und Umkehr. Die Auferstehung wiederum wird zum vergangenen
Triumph über den Tod, in dessen Gedenken den Verdammten eine allsonn-
tägliche Hafterleichterung gewährt wird. Das Christusereignis bleibt so zwar
als Glaubensinhalt bedeutsam, dieser aber steht nur äußerst lose verbunden
neben einer Eschatologie, die einerseits vom Ausbleiben der Parusie und
andererseits von der eben beschriebenen Werkgerechtigkeit beeinflusst ist,
der Lohn und Strafe in geradezu hierarchisch gegliederter Ordnung entspre-
chen. In der damit einher gehenden Vorstellung des „Glaubens“ fehlt der
paulinische Gedanke der alles entscheidenden Christusbeziehung nahezu
vollkommen, „Glauben“ wird zum „rechten Glauben“, der durch Inhalte be-
stimmt ist, von denen abzuweichen bedeutet, „Häretiker“ zu sein (und ent-
sprechende Strafen erwarten zu müssen). Der paulinische Gedanke, dass
Christus bzw. der Geist Gottes in den Glaubenden Wohnung genommen hat,
taucht wenigstens an einer Stelle auf (ApkPaul 9), allerdings in verwandelter
Form: Erst eine entsprechende asketische Lebenspraxis wird zur Vorausset-
zung, dass Menschen zur Wohnung Christi werden können.
3.2 All diese Verschiebungen, die paulinisches Denken nur noch in Frag-
menten erahnen lassen, haben natürlich mit einer gegenüber den Anfängen
168 Tobias Nicklas
enorm veränderten Situation der Trägergruppe des Textes zu tun: Die ApkPaul
ist zunächst einmal Dokument einer Zeit, in der die ursprüngliche, noch für
Paulus so wichtige Hoffnung auf Naherwartung mehr oder minder verloren
ist, in der den Glaubenden aber weiterhin die bleibende Gültigkeit der Predigt
vom göttlichen Gericht und den Konsequenzen des eigenen Tuns für die
Existenz nach dem Tode eingeschärft werden muss.37 Will man den Text
aufgrund von Kapitel 1 (und mit Piovanelli) ernsthaft als Dokument verste-
hen, das in die veränderte kirchliche Situation am Ende des 4. bzw. am Beginn
des 5. Jahrhunderts hinein schreibt, dann ist auch an die Situation der in der
Zeit nach Theodosius dem Großen mehr und mehr bestehenden „Volkskir-
che“ zu denken. Dann kommt dem Text auch eine Pragmatik nach außen zu:
In einer Welt, in der es keine große Herausforderung mehr bedeutet, Christ zu
sein, sondern häufig einfach bereits aus Opportunismus en vogue wird, Christ
zu sein (oder man einfach Christ ist, weil alle Christen sind), muss ein deutlich
stärkerer Wert auf die Bedeutung eines ethisch angemessenen Verhaltens aller
Christen gelegt werden. Dann zeigt der Text – ohne dass er deshalb schon als
pelagianisch einzustufen wäre – in seiner Pragmatik nach außen Interessen,
die denjenigen des Pelagius und seiner Anhänger nahe kommen.38
Mit der veränderten kirchlichen Situation erklärt sich dann auch ein wei-
terer Unterschied: In 1Kor kann Paulus noch alle Christen als in ganz be-
sonderer Weise Auserwählte ansprechen und ein Kirchenbild entwerfen, in
dem – am Leib des gekreuzigten Christus orientiert (1Kor 12,12 – 31) – letzt-
lich allen gleiche Würde „in Christus“ zukommt. Dies ist in einer Zeit, in der
die Christen eine verschwindend kleine Minderheit ausmachen, noch gut
nachvollziehbar. Dagegen scheint die Trägergruppe der ApkPaul sich selbst als
eine Elite nicht nur innerhalb der Menschheit, sondern auch innerhalb des
Christentums zu verstehen. Als solche stellt sie besondere, z. T. extreme An-
forderungen an sich, die sich ganz besonders in der Übung asketischer
Praktiken und der Ablehnung jeder Form menschlicher Sexualität zeigen. Ein
Denken wie das des Paulus, in dem die Christusbeziehung letztlich alle Un-
terschiede zwischen den Glaubenden nichtig macht (Gal 3,26 – 29), ist für eine
solche Gruppe natürlich nicht tragbar, würde damit doch die entscheidende
Differenz, die die eigene Identität gegenüber allen anderen ausmacht, ver-
wischt. So muss der Text zweierlei pragmatische Richtungen entwickeln: Ei-
nerseits wird die Richtigkeit des eigenen Wegs mit Hilfe der Autorität des
Paulus (und der Vielzahl der in der ApkPaul zitierten weiteren Autoritäten der
Heilsgeschichte) bestätigt und die Differenz zur christlichen wie nichtchrist-
lichen Umwelt betont, andererseits nach innen eingeschärft, dass diese Dif-
39 Ähnlich E. Dassmann, Paulus, 125: Paulus ist „dilectissimus; durch ihn wurde Jesu Name in der
Welt verherrlicht (vgl. Act. 9,15); er hat geringe und große Werke übernommen, Christus ver-
kündigt und durch die Kraft und Süße seiner Predigt viele ins Gottesreich geführt. D.h., es wird
das Bild des unermüdlichen Missionars beschworen ohne einen Hinweis auf das Charakteris-
tische seiner Verkündigung.“
40 Ich bin den Kollegen Andreas Merkt und Joseph Verheyden für Kritik und wichtige Impulse
zu Dank verpflichtet.
Jürgen Wehnert
1 So fußt z. B. Ferdinand Christian Baurs bekannte These von der Entstehung des Katholizismus
aus Paulinismus und Petrinismus auf der Beschäftigung mit den PsKl, die Baur als Quelle für ein
petrinisches Christentum auswertete; s. F.C. Baur, Die Christuspartei in der korinthischen Ge-
meinde, der Gegensatz des petrinischen und paulinischen Christenthums in der ältesten Kirche,
der Apostel Petrus in Rom, TZTh 1831, 61 – 206 (Reprint in: Ferdinand Christian Baur. Ausge-
wählte Werke in Einzelausgaben I, hg. von K. Scholder, Stuttgart-Bad Cannstadt 1963, 1 – 146),
und Ders., Paulus, der Apostel Jesu Christi. Sein Leben und Wirken, seine Briefe und seine Lehre.
Ein Beitrag zu einer kritischen Geschichte des Urchristenthums, Stuttgart 1845.
2 Hinweise auf die Forschungsliteratur kann ich dank der vorzüglich orientierenden Darstellung von J.
Verheyden, The Demonization of the Opponent in Early Christian Literature: The Case of the Pseudo-
Clementines, in: T.L. Hettema/A. van der Kooij (Hg.), Religious Polemics in Context. Papers Presented
to the Second International Conference of the Leiden Institute for the Study of Religions (LISOR) held
at Leiden, 27 –28 April 2000, Studies in Theology and Religion 11, Assen 2004, 330–359, auf die im
Folgenden mehrfach verwiesen wird, auf das Nötigste beschränken. Besondere Beachtung verdienen
die Beiträge von Luigi Cirillo.
Antipaulinismus in den Pseudoklementinen 171
PsKl entwickelt hat, ist daher die Geschichte des Werkes notwendigerweise in
die Betrachtung einzubeziehen.3
Aus diesen Vorbemerkungen ergibt sich die Gliederung des Beitrags: Nach
einem Blick auf die Geschichte und Erforschung des pseudoklementinischen
(nachfolgend: pskl.) Antipaulinismus werde ich die Entstehung der PsKl, wie
sie sich mir darstellt, und den Inhalt ihrer Literarschichten skizzieren, um
anschließend die antipaulinischen Passagen des Werkes in chronologischer
Reihenfolge untersuchen zu können. So wird es am Ende möglich sein, einige
Aussagen über die Entwicklung des pskl. Antipaulinismus und seine Motive zu
treffen.
9 R.A. Lipsius, Die Quellen der römischen Petrus-Sage kritisch untersucht, Kiel 1872, 13 – 46.
10 Offerhaus’ Bericht über Erträge der PsKl-Forschung des 19. Jh. ist auch heute noch lesenswert
(Paulus in de Clementinen, Diss. theol. Leiden 1894, Groningen 1894, 1 – 32).
11 S. den ausführlichen Forschungsbericht von Verheyden, Demonization (Anm. 2), 347 – 354.
12 G. Strecker, Das Judenchristentum in den Pseudoklementinen, TU 70, Berlin 21981, 137 – 220,
zur Datierung: 219. Zustimmung fand diese Hypothese zuletzt bei Verheyden, Demonization
(Anm. 2), 357.
13 Strecker, Judenchristentum (Anm. 12), 137 f.
14 Dazu J. Wehnert, Literarkritik und Sprachanalyse. Kritische Anmerkungen zum gegenwär-
tigen Stand der Pseudoklementinenforschung, ZNW 74, 1983, 268 – 301.
15 B. Rehm, Zur Entstehung der pseudoclementinischen Schriften, ZNW 37, 1938, 77 – 184, hier:
139 – 155, Zitat: 154.
16 Verheyden, Demonization (Anm. 2), 347 f mit Anm. 52.
174 Jürgen Wehnert
Die beiden heute vorliegenden Fassungen des pskl. Romans – die Homilien
(„Predigten“) und die Rekognitionen („Wiedererkennungen“) – wurden in
griechischer Sprache verfasst. Die Rekognitionen sind allerdings in der Ori-
ginalsprache bis auf wenige Zitate verschollen und heute nur in lateinischer
(im Folgenden: L) und teilweise in syrischer Übersetzung (im Folgenden: S)
zugänglich.19 Durch den Übersetzungsvorgang sind zwangsläufig Verände-
rungen des Ausgangstextes entstanden, die den für die Untersuchung der PsKl
beständig notwendigen synoptischen Vergleich von H mit R (= L und S) nicht
wenig erschweren.20
H und R sind zwei Bearbeitungen desselben Romans, der, wie markante
Widersprüche in der Erzähltechnik erkennen lassen, seinerseits eine lange
literarische Vorgeschichte hat:
a) Älteste Schicht der PsKl ist eine Novelle, die den Kampf um die wahre
Lehre zwischen dem Apostel Petrus und seinem Widersacher, dem Zauberer
Simon Magus, schildert (vgl. Apg 8,9 – 24). Die Auseinandersetzung der bei-
den Kontrahenten vollzieht sich in drei Teilen: Der erste schildert eine Dis-
putation im judäischen Cäsarea, die mit der Flucht des Magiers endet. Der
zweite Teil beschreibt eine Verfolgungsjagd von Cäsarea bis in die syrische
Hauptstadt Antiochien. Petrus heftet sich an die Fersen seines Gegenspielers,
der die Bewohner verschiedener phönizischer Küstenstädte gegen den Apostel
spätestens aus dem Anfang des 4. Jh. Die dafür verantwortlichen Redaktoren
haben den Stoff unabhängig voneinander nochmals bearbeitet. Dabei haben
die 20 Bücher von H die Vorlage oft besser bewahrt als die zehn Bücher von R.
In R wurde vieles gestrichen oder entschärft, was in großkirchlichen Kreisen
Häresieverdacht hätte erregen können. Dazu gehören vor allem Traditionen,
die in die älteste Schicht der PsKl, die Petrus/Simon-Novelle, eingebettet
waren. Andererseits wurde im ersten Buch von R (Kapitel 27 – 71) eine z. T. um
den Herrenbruder Jakobus kreisende Sonderquelle aus der Zeit um 200 n. Chr.
eingearbeitet, die manche Berührungen mit der Theologie der Petrus/Simon-
Novelle aufweist. Im jetzigen Kontext wirkt diese Einfügung befremdlich, weil
Jakobus, dem Adressaten des Werks, nun Ereignisse aus seinem eigenen Leben
berichtet werden. Andererseits dürfte die Aufnahme des Stückes gerade durch
die R vorausgehende ,Jakobus-Redaktion’ motiviert worden sein.
Bei den fünf pskl. Textpassagen, die von der Forschung in breiter Überein-
stimmung als antipaulinisch erkannt wurden, handelt es sich um EpP 1 f; H
2.17 f; H 11.35 par. R 4.34 f; H 17.13 – 19 und R 1.70 f. Wenn grundsätzlich
davon ausgegangen werden darf, dass die einzelnen Abschnitte zu derjenigen
Erzählschicht gehören, in die sie eingebettet sind, ergibt sich aufgrund der
eben skizzierten Entstehungsgeschichte des Romans folgendes Bild: a) H
2.17 f und 17.13 – 19 sind Teil der Petrus/Simon-Novelle (um 200 n. Chr.), b) R
1.70 f zählt zur Sonderquelle in R 1 (um 200), c) EpP 1 f und H 11.35 par. R
4.34 f gehen auf die ,Jakobus-Redaktion‘ zurück (zweite Hälfte 3. Jh.). Damit
lässt sich als Zwischenergebnis festhalten, dass der Antipaulinismus nicht
punktuell in die PsKl eingetragen wurde, sondern eine Tradition darstellt, die
in den Trägerkreisen des Werkes lange Zeit lebendig war. Nebenbei erklärt die
hier vorgeschlagene literarkritische Unterscheidung der Antipaulinismus-
Belege den zunächst irritierenden Sachverhalt, warum Paulus in einigen
Textpassagen mit dem Magier Simon identifiziert wird und in anderen nicht:
Nur in der Novelle, wo Simon als schillernder Allround-Häretiker agierte,
übernahm er nach Bedarf auch die Rolle des Paulus, während die späteren
Bearbeiter ihre Paulusgegnerschaft auch ohne Umweg über die Figur des
Magiers in das Werk eintrugen. Die fünf antipaulinischen Passagen der PsKl
sollen nun in der mutmaßlichen Chronologie ihrer Entstehung genauer un-
tersucht werden.
21 Vgl. die Behandlung derselben Textabschnitte bei Lüdemann, Paulus II (Anm. 5), 228 – 257,
und Verheyden, Demonization (Anm. 2), 332 – 347 (mit ausführlichen Hinweisen auf die
Forschungsliteratur).
Antipaulinismus in den Pseudoklementinen 177
Der erste der beiden antipaulinischen Abschnitte, die auf die Petrus/Simon-
Novelle zurückgehen, findet sich im Rahmen einer Belehrung des Petrus über
wahre und falsche Prophetie (H 2.15,1 – 18,2). Grundgedanke dieser Lehre ist,
dass es eine negative „weibliche“ Prophetie gibt, die das Gegenstück zur
wahren („männlichen“) Prophetie darstellt. Beide Prophetien inkarnieren
sich regelmäßig in der Geschichte, und zwar in beiden Linien fast gleichzeitig
(erst die „weibliche“, dann die „männliche“). Ein vom Satan entbotener
„weiblicher“ Prophet bildet daher stets mit seinem von Gott gesandten
„männlichen“ Pendant, dessen Verkündigung er zu untergraben sucht, ein
„Paar“ oder „Joch“ (griech. sufuc¸a). Diese in (gnostisch-)dualistischem
Denken wurzelnde Theorie, die in der PsKl mehrfach begegnet, wird daher
meist als „Syzygienlehre“ bezeichnet.22
Nach der Vorstellung von sechs „Jochen“ (Kain/Abel bis Johannes der
Täufer/Jesus) in H 2.16,3 – 17,2 fährt Petrus fort:23 „Wenn man sich von dieser
Reihenfolge leiten lässt, könnte man erkennen, woher Simon stammt, der vor
mir als erster zu den Heiden kam, und woher ich stamme, der nach ihm
gekommen ist und hinzukam wie Licht zur Finsternis, wie Wissen zur Un-
kenntnis, wie Heilung zur Krankheit. Auf diese Weise nämlich muss, wie der
wahre Prophet uns gesagt hat, zuerst das falsche Evangelium von einem
Verführer kommen, und anschließend, nach der Zerstörung des heiligen
Ortes, das wahre Evangelium heimlich zur Berichtigung der zukünftigen
Häresien ausgebreitet werden.“ (H 2.17,3 f)24
Da Simon in den PsKl nie die Rolle eines christlichen Heidenmissionars
spielt, liegt der Verdacht nahe, dass hier in Wahrheit Paulus und das von ihm
verkündete Evangelium mit Petrus und dessen Evangelium kontrastiert wer-
den.25 In schroffer dualistischer Manier, die die Existenz weiterer Missionare
ausblendet, wird die Verkündigung des Paulus als satanischer Akt der Ver-
führung und Keimzelle aller späteren „Häresien“ charakterisiert, in ihrer
Wirkung einer tödlichen „Krankheit“ vergleichbar, die erst durch die an-
schließende Verkündigung des „wahren Evangeliums“ durch Petrus geheilt
werden kann. Warum das Paulus-Evangelium „falsch“ ist, wird an dieser Stelle
mittels der Syzygienlehre sehr formal begründet: Das wahre Evangelium kann
22 Detailliert dazu Strecker, Judenchristentum (Anm. 12), 154 – 162. 188 – 191.
23 Das folgende Zitat aus H stammt wie alle weiteren aus Wehnert, Pseudoklementinische Ho-
milien (Anm. 18).
24 In stark abgekürzter Form findet sich die Syzygien-Liste auch in R 3.61,1 f; ihre antipaulinische
Tendenz ist dort unkenntlich gemacht.
25 Das „Joch“ Simon/Petrus begegnet, unter ausdrücklichem Hinweis auf die Syzygienlehre, auch
in H 3.59,2 (vgl. R 3.65,3), doch ist diese Notiz samt ihrer Fortsetzung zu unspezifisch, um sie,
mit Teilen der älteren Forschung (z. B. Offerhaus, Paulus [Anm. 10], 27), zu den gesicherten
Antipaulinismus-Belegen zählen zu können.
178 Jürgen Wehnert
erst nach dem Auftreten eines Verführers verkündet werden und nur von
jemandem, der in der Linie der wahren Prophetie steht. Ist aber Paulus vor
Petrus zu den Heiden gegangen, gehört er in die Reihe der Verführer, während
der Jesus-Schüler Petrus eine Verkörperung des wahren Propheten ist. Simon
Magus, in den PsKl Vertreter aller möglicher „häretischer“ Lehren, kann
deshalb mühelos auch die Züge des Paulus annehmen, weil jede Lehre, die
nicht die des Petrus ist, per definitionem falsch ist (ähnlich wie in Gal 1,6 – 9,
nur mit umgekehrten Vorzeichen).
Zwei Aspekte dieses Abschnitts verdienen besondere Beachtung: a) Paulus
wird hier konzediert, vor Petrus Mission unter den Heiden betrieben zu haben
(vgl. unten zu H 11.35,5). Diese historische Erinnerung wird in den PsKl sonst
dadurch verdrängt, dass Petrus als einziger Verkünder des Evangeliums unter
den Heiden auftritt. b) Die anachronistische Notiz, dass das petrinische
Evangelium erst nach der Zerstörung Jerusalems „heimlich“ zur Bekämpfung
von „Häresien“ verbreitet worden sei, spiegelt die historische Situation der
Verfasser des Textes wider. Ihr Evangelium, das sie auf Petrus zurückführen,
wird im Schatten der Großkirche verbreitet – gegen deren paulinisches
Evangelium, das vom Satan gestiftet ist.
Petrus schließt daher seinen Lehrvortrag mit einer flammenden Warnung
vor Simon/Paulus: „Da nun (…) manche die Regel der Syzygie nicht kennen,
wissen sie folglich nicht, wer Simon ist, der mir vorausgeht. Wenn man ihn
nämlich erkennen würde, würde man ihm nicht glauben. Doch weil man ihn
gegenwärtig nicht erkennt, findet er zu Unrecht Glauben. Obwohl er die
(Werke) von Hassenden tut, wird er geliebt – der Feind (b 1whqºr) ist wie ein
Freund empfangen worden. Obwohl er der Tod ist, sehnt man sich nach ihm
als Retter. Obwohl er Feuer ist, hält man ihn für Licht. Obwohl er ein Verführer
ist, schenkt man ihm als Künder der Wahrheit Gehör.“ (H 2.18,1 f)
Die Bezeichnung des Paulus als „der Feind“ bzw. „der feindliche Mensch“
zieht sich als roter Faden durch die antipaulinischen Passagen der PsKl. Sie
bringt nicht nur neidvolle Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass Paulus
jene Zuneigung und Anerkennung findet, die eigentlich Petrus gebühren.
Tatsächlich dürfte der „Feind“-Begriff auf eine Keimzelle der Syzygienlehre
verweisen, nämlich auf das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen und
dessen allegorische Deutung in Mt 13,24 – 30.36 – 43. Hier ist „der Feind“
(13,25.39) bzw. der „feindliche Mensch“ (13,28) Gegenspieler des Men-
schensohns und wird als „der Böse“ bzw. „der Teufel“ (13,38 f) identifiziert.
Das „Joch“ Satan/Christus mag den Anstoß gegeben haben, nach analogen
„Jochen“ in der Geschichte Ausschau zu halten. Mit dem Prädikat „der Feind“
wird Paulus folglich als eine Inkarnation des Satans charakterisiert, dessen
Lehre die Menschen ins Verderben reißt.
Antipaulinismus in den Pseudoklementinen 179
26 Die Behandlung dieses Textabschnitts folgt meinem Beitrag J. Wehnert, Petrus versus Paulus
in den pseudoklementinischen Homilien 17, in: J. Zangenberg/M. Labahn (Hg.): Christians as a
Religious Minority in a Multicultural City. Modes of Interaction and Identity Formation in Early
Imperial Rome. Studies on the Basis of a Seminar at the Second Conference of the European
Association for Biblical Studies (EABS) from July 8 – 12, 2001, in Rome, JSNT.S 243, London,
New York 2004, 175 – 185.
27 Baur, Christuspartei (Anm. 1), 126 ff.
28 Vgl. die Zusammenstellungen solcher Anspielungen bei H. Waitz, Die Pseudoklementinen.
Homilien und Recognitionen. Eine quellenkritische Untersuchung, TU 25.4, Leipzig 1904, 138 f,
und H.J. Schoeps, Theologie und Geschichte des Judenchristentums, Tübingen 1949 (Reprint:
Gesammelte Schriften 2, Hildesheim usw. 1998), 424 – 426.
29 Vgl. R 2.61,4 – 6; 65,5 – 7, wo die Entrückung in die oberste Himmelsregion ausführlich be-
schrieben wird. Bei den R-Parallelen (hierzu gehört auch 3.29 f.44) handelt es sich um eine
verharmlosende Bearbeitung des in H vorliegenden Textes, durch die „all taint of its original
180 Jürgen Wehnert
Theologumena wie die Gottessohnschaft Jesu (17.16,4.6; 17,4) und die To-
tenauferstehung der Gerechten, bei der sie eine nicht-sarkische, engelgleiche
Natur erhalten (17.16,5), spiegeln paulinisches Denken wider und finden sich
in den PsKl sonst nicht. Am Ende des Disputs findet sich, unter Anspielung auf
Gal 2,11, der Vorwurf, Simon (= Paulus) stelle sich Petrus, dem wahren
Apostel Jesu, entgegen und habe ihn „verurteilt“ genannt (17.19,4 – 6).
Da die Thematik des Streitgesprächs in den PsKl ohne Parallele ist, steht zu
vermuten, dass es nicht vom Verfasser der Petrus/Simon-Novelle geschaffen
wurde.30 Er hat es vermutlich vorgefunden und in seinen Text integriert, indem
er den Namen des Paulus durch den seiner Simon-Figur ersetzte. Ebenfalls auf
das Konto des Novellisten dürfte die Einführung eines rationalen Offenba-
rungsbegriffs in 17.17,5b–18,3 zu setzen sein, der die Debatte sprengt31 und sie
mit der antimarkionitischen Diskussion in H 18 verklammern soll, sowie die
Schlussnotiz 17.20,1 f, in der Simon die Paulusrolle als nur vorgetäuscht
wieder ablegt. Der nach Abzug dieser Eingriffe verbleibende Text reflektiert
die kritische Auseinandersetzung eines sich auf Petrus zurückführenden
Christentums mit dem Wahrheitsanspruch des paulinischen Evangeliums.
Sehr optimistisch hat die ältere Forschung in der Frage geurteilt, ob die im
Disput verarbeiteten Argumente bis in die Zeit des historischen Paulus und
Petrus zurückreichen. Hier ist Skepsis angebracht, zumal der Disput keine
Einheit darstellt, sondern aus zwei Teilen wohl unterschiedlichen Alters be-
steht: a) Am Anfang steht eine breite Erörterung der Frage, ob die Erfah-
rungen in einer Vision oder die Unterweisungen durch einen Lehrer höheren
Erkenntniswert besitzen (17.13,1 – 19,1). b) Den Schluss bildet ein zorniger
Monolog: Petrus, der sich nun selbst als Offenbarungsempfänger bezeichnet,
zieht die von Paulus in Anspruch genommene Christuserscheinung in Zweifel,
und klagt seinen Kontrahenten wegen der Vorwürfe an, die dieser beim an-
tiochenischen Zwischenfall gegen ihn zu erheben gewagt hatte (17.19,2 – 7).
virus has been neutralized“ (C. Bigg, The Clementine Homilies, SBEc 2, 1890, 157 – 193, Zitat:
177).
30 Die unbestrittene Sonderstellung des Disputs wird in der Forschungsliteratur – wie in Teil 1.
generalisierend beschrieben – sehr unterschiedlich erklärt: Rehm, Entstehung (Anm. 15), 152 –
154, hält H 17.13 – 20 für eine der von ihm postulierten ebionitischen Interpolationen in H (vgl.
J. Rius-Camps, Las Pseudoclementinas. Bases filol
gicas para una nueva interpretaci
n, RCaT
1, 1976, 79 – 158, hier: 157), doch scheitert diese Annahme an den Parallelen in R 2 f (Anm. 29).
Schoeps, Theologie (Anm. 28), 54. 384. 418 – 434, A. Salles, La diatribe anti-paulinienne dans
le „Le Roman pseudo-clmentin“ et l’origine des „Krygmes de Pierre“, RB 64, 1957, 516 – 551,
hier 518 – 525, Strecker, Judenchristentum (Anm. 12), 191 – 194, und andere möchten den
Abschnitt einer frühen Quellenschrift der PsKl zuordnen. Obwohl diese Quellenpostulate nicht
plausibel abzusichern sind, betonen diese Autoren zu Recht das hohe Alter des Stückes.
31 Der Offenbarungsbegriff in H 17.17,5b–18,3 sowie in den damit zusammenhängenden For-
mulierungen von 17.18,4; 19,1.4.6 steht in Spannung zu 17.18,5 – 19,7, wonach Wissen allein
durch persönliche Belehrung Jesu bzw. des „wahren“ Propheten vermittelt wird. Der Passus
durchbricht zudem die Kette der alttestamentlichen Beweise in 17.17,1 – 4; 18,5 f.
Antipaulinismus in den Pseudoklementinen 181
Die einleitende Debatte will die Frage, ob Paulus durch eine Christusvision
zum Völkermissionar legitimiert worden sein kann, auf theoretischer Ebene
klären. Simon/Paulus eröffnet den Schlagabtausch mit den Behauptungen,
dass eine Vision bzw. Audition göttlichen Ursprungs ist und folglich jeder
menschlichen Rede überlegen (17.5,6; 13,2) und dass nur gerechte Menschen
wahre göttliche Visionen empfangen (17.15,4). Petrus weist das mit drei Ar-
gumenten zurück: a) Der göttliche Ursprung einer Vision ist zweifelhaft. Es
kann sich auch um „Teufelswerk“32 handeln, nämlich um die Erscheinung
eines Dämons, der sich als jemand anderes ausgibt (17.14,4 f; 16,6). b) Kein
Mensch kann in einer Vision den Vater oder den Sohn sehen, weil er von ihrer
göttlichen Lichtfülle getötet würde (17.16,2 – 4). c) Eine Kette alttestamentli-
cher Zitate beweist, dass Visionen nicht gerechten, sondern nur ungerechten
Menschen widerfahren und Ausdruck des göttlichen Zorns sind (17.18,4 – 6).
Daraus ergibt sich als Fazit: Selbst wenn Paulus, gegen jede Wahrscheinlich-
keit, eine Christusvision gehabt haben sollte, ist ihm Jesus darin als einem
Feind im Zorn erschienen.
Eine Würdigung der einzelnen Argumente ist hier nicht erforderlich. Es
genügt die Feststellung, dass keines mit dem historischen Petrus in Zusam-
menhang stehen kann. Da dieser seine führende Stellung im frühen Chris-
tentum seinerseits durch eine Christuserscheinung erlangt hat (1Kor 15,5; Lk
24,34), kann er den göttlichen Ursprung einer solchen Vision nicht in Frage
gestellt haben – egal, wem sie widerfahren ist. Die Behauptung, dass Gott zum
„Feind“ in Visionen spricht, zum „Freund“ aber „von Angesicht zu Angesicht“
(H 17.18,6), rückt den Disput vielmehr in die Nähe der oben beschriebenen
Syzygienlehre. Der Abschnitt 17.13,1 – 19,1 ist daher als historisierende Po-
lemik des 2. Jh. einzustufen, die dem Offenbarungsanspruch der paulinischen
Lehre in mehreren Beweisgängen die Grundlage entziehen will.
Anders verhält es sich mit dem petrinischen Schlusswort in 17.19,2 – 7. Es
soll deshalb vollständig zitiert werden: „Ob aber jemand aufgrund einer Er-
scheinung zur Lehre befähigt werden kann? Und wenn du sagst: Es ist mög-
lich, warum blieb der Lehrer ein ganzes Jahr bei wachen (Schülern) und redete
mit ihnen? Selbst dass er dir erschienen ist – wie sollen wir dir das glauben?
Wie kann er dir denn überhaupt erschienen sein, wenn du denkst, was im
Widerspruch zu seiner Lehre steht? Wenn du aber von ihm eine Stunde lang
mit einer Erscheinung bedacht und belehrt worden bist und sein Apostel
wurdest, verkündige seine Aussprüche, lege seine (Worte) aus, liebe seine
Apostel, kämpfe nicht mit mir, seinem Schüler! Denn gegen mich, den festen
Fels, den Grundstein der Kirche, trittst du als Gegner auf. Wenn du nicht
(mein) Widersacher wärst, würdest du mich nicht in Verruf bringen und die
Verkündigung von mir nicht verleumden, damit man mir nicht glaubt, wenn
ich sage, was ich vom Herrn mit eigenen Ohren gehört habe, so als sei ich
verurteilt worden, während du in gutem Ruf stehst. Wenn du mich verurteilt
nennst, klagst du Gott an, der mir den Christus offenbarte, und setzt den
herab, der mich wegen dieser Offenbarung seligpries. Wenn du jedoch wirk-
lich am (Werk) der Wahrheit mitarbeiten willst, lerne zuerst von uns, was wir
von ihm gelernt haben, und wenn du ein Jünger der Wahrheit geworden bist,
werde unser Mitarbeiter!“
Die Argumentation dieser Rede unterscheidet sich deutlich von der des
vorangehenden Abschnitts: Petrus erklärt, selbst eine Christusoffenbarung
empfangen zu haben (Mt 16,16 f), und bestreitet mit Hilfe eines logischen
Arguments, dass Paulus dieselbe Erfahrung gemacht haben kann: Wäre ihm
Jesus erschienen, würde er dasselbe lehren wie der Jesus-Schüler Petrus. Das
tut Paulus jedoch nicht, sondern tritt Petrus sogar als Widersacher entgegen
(Gal 2,11).
Offenbar ist diese Argumentation der Versuch, den historischen Konflikt
zwischen beiden Aposteln aus der Perspektive eines sich auf Petrus berufen-
den Christentums zu kommentieren. Was Petrus auf die paulinischen Aus-
führungen in Gal 1 f hätte erwidern können, wird hier nachgetragen – ein
Schlusswort im Streit, wie es auch Paulus in Gal 2,14 formuliert. Diese Er-
widerung knüpft an den historischen Sachverhalt an, dass die Apostelwürde
des Paulus von jüdisch-christlicher Seite bestritten wurde (vgl. besonders
1Kor 9,1ff; 2Kor 11,5; 12,11) – angesichts der in Apg 1,21 f definierten An-
forderungen an einen Apostel liegt nahe, dass man die von Paulus zur Be-
gründung seines Apostolats in Anspruch genommene „Offenbarung Jesu
Christi“ (Gal 1,12) als unzureichend ansah. Das Alter der Petrusrede H
17.19,2 – 7 wird man dennoch nicht überschätzen dürfen. Sie setzt eine Be-
schäftigung mit Matthäusevangelium und Galaterbrief voraus (vgl. zu EpP
1 f), ist also eher im 2. als im 1. Jh. entstanden. Da sie jedoch keine Spuren der
Syzygienlehre enthält und keine Verteufelung des Apostels betreibt (s. im
Gegenteil die abschließende, in den PsKl singuläre Einladung des Paulus zur
Mitarbeit), ist diese Rede mit einiger Sicherheit der älteste antipaulinische
Abschnitt der PsKl. Sie mag als Verbindungsglied zwischen der Pauluskritik
des 1. Jh. und dem vehementen Antipaulinismus des 2. Jh. zu bewerten sein.
Hauptgrund für die Pauluskritik in H 17.19,2 – 7 sind Lehrdifferenzen zu
Petrus. Worin sie bestehen, wird nur pauschal gesagt: Petrus ist, anders als
Paulus, ein Schüler Jesu und setzt dessen Predigt fort. Weil aber nach Über-
zeugung des Verfassers Jesu Lehre das Maß aller Verkündigung ist, erscheint
ihm die paulinische Christuspredigt als ergänzungsbedürftig. Es wird daher
noch genauer zu fragen sein, welche angeblichen Lehrdefizite des Paulus die
massive pskl. Kritik an ihm provozierten.
Antipaulinismus in den Pseudoklementinen 183
33 Die letzte ausführliche Untersuchung stammt von F.S. Jones, An Ancient Jewish Christian
Source on the History of Christianity. Pseudo-Clementine Recognitions 1.27 – 71, SBL.TT 37 =
SBL.CA 2, Atlanta, GA 1995 (22001). Den von ihm auf ca. 200 n. Chr. datierten Text (166) bietet
Jones in einer synoptischen englischen Übersetzung von S und L (51 – 109).
34 Einzelheiten bei Lüdemann, Paulus II (Anm. 5), 231 – 237.
184 Jürgen Wehnert
indem er den „wie tot“ (statt „tot“) daliegenden Jakobus (1.70,8) forttragen
ließ: So stand dieser für den Fortgang von R weiter zur Verfügung.
Tatsächlich dürfte der R-Bearbeiter die antipaulinische Tendenz seiner
Quelle unterschätzt haben: a) Die Verwendung des Terminus „der feindliche
Mensch“ (L 1.70,1.8; 71,3; als redaktioneller Rückbezug auch in L/S 1.73,4)
bzw. „der Feind“ (S 1.70,1.8; 71,3) weist darauf hin, dass die R 1-Quelle den-
selben mit Hilfe der Syzygienlehre35 begründeten Antipaulinismus vertritt, der
auch in der etwa zeitgleich entstandenen Petrus/Simon-Novelle begegnet. b)
Die R 1-Quelle verarbeitet Nachrichten der Apg zu einer die Geschichte ver-
drehenden Polemik gegen Paulus: Der Christenverfolger Paulus (Apg 9,1 f.21)
wird – vermutlich vermittelt durch den Bericht über seine Teilnahme an der
Steinigung des Stephanus (Apg 7,58 – 8,1) – als Mörder des Jakobus dargestellt.
Tatsächlich fand die Verurteilung und Steinigung des Herrenbruders laut
Josephus (Ant 20,200) 62 n. Chr. statt, also vielleicht schon nach dem Tod des
Paulus. In diese Zeit führt auch die Notiz in R 1.71,2, wonach die Jerusalemer
Gemeinde („ca. 5000 Mann“) die Stadt in Richtung Jericho verließ, da sie mit
der von Euseb und Epiphanius überlieferten Nachricht in Zusammenhang
stehen dürfte, dass die Jerusalemer Christen vor dem Jüdischen Krieg nach
Pella ausgewandert sind.36 Soll mit der Behauptung, Paulus habe den Tod des
Jakobus herbeigeführt, angedeutet werden, dass Paulus für dessen Hinrich-
tung mitverantwortlich gewesen sei, etwa weil er den Herrenbruder bei seinem
letzten Jerusalemaufenthalt gedrängt hatte, die von Heidenchristen gesam-
melte Kollekte anzunehmen, wodurch Jakobus bei nationalistischen Juden in
den Verdacht der Illoyalität geriet? Die R 1-Quelle sagt darüber nichts und hat
am tatsächlichen Verlauf der Geschichte schwerlich ein Interesse. Indem sie
Ereignisse der dreißiger Jahre mit denen der siebziger Jahre des 1. Jh. ver-
mengt, bringt sie vielmehr ihren Antipaulinismus offen zum Ausdruck: Der
vorchristliche Paulus war für die wahrhaft Glaubenden eine ebenso tödliche
Gefahr wie der spätere Eiferer unter den Heiden!
Der Brief des Petrus an Jakobus (EpP) sowie das darauf Bezug nehmende
feierliche Gelübde (Contestatio) ist Teil der Rahmung, durch die die PsKl ihre
von H und R vorgefundene briefliche Form erhalten haben. Die Hauptfunk-
tion des Briefes und seines Anhangs liegt darin, dem Leser durch die aus-
führliche Beschreibung geheimer Beschwörungsriten zu suggerieren, dass er
bei der Lektüre der PsKl Einblick in streng vertrauliche Predigten des Petrus
35 Der Einfluss der Syzygienlehre auf die R 1-Quelle wird auch in R 1.60,4 deutlich, wo das aus H
2.23,1 u. ö. bekannte „Joch“ Johannes der Täufer/Jesus begegnet.
36 Hierzu J. Wehnert, Die Auswanderung der Jerusalemer Christen nach Pella – historisches
Faktum oder theologische Konstruktion?, ZKG 102, 1991, 231 – 255.
Antipaulinismus in den Pseudoklementinen 185
erhalten werde, deren Verrat er mit dem Tod bezahlen müsse. Zu den seltsa-
men Blüten der PsKl-Forschung gehört, dass diese Fiktion für bare Münze
genommen und die Petruspredigten („Kerygmata Petrou“) als eine Quellen-
schrift des Romans rekonstruiert wurden.37 Warum diese Predigten (die der
Apostel im weiteren Verlauf des Romans in aller Öffentlichkeit hält) unter
Verschluss zu halten seien, begründet Petrus mit bereits geschehenen und
noch zu erwartenden Verfälschungen seiner Lehre, für die er „den feindlichen
Menschen“ (EpP 2,3) verantwortlich macht. Weil der ahnungslose Leser nicht
wissen kann, dass damit die antipaulinische Terminologie der Petrus/Simon-
Novelle aufgegriffen wird (s. o. 3.1. und 3.2.), erhält der Brief Hinweise, die ihn
auf die richtige Spur führen können:
Die Kritik dieses Abschnitts gilt offensichtlich Paulus, der dem Petrus durch
seine gesetzlose Lehre heidnische Hörer abspenstig gemacht und dessen ge-
setzliche Verkündigung so entstellt habe, dass das Gerücht entstehen konnte,
auch Petrus habe die Auflösung des Gesetzes gepredigt. Konkret wendet sich
die EpP gegen die „mächtig enervierenden Schriften“ (1,3), die zwar keinen
Tora-treuen Juden irritieren können, wohl aber die Christen. Gemeint sind die
Paulusbriefe, die sich zumindest an einer Stelle überaus kritisch mit Petrus
auseinandersetzen und seine Gesetzestreue in Zweifel ziehen: In Gal 2,11 – 1439
Auf ähnlichem Niveau und nur in scheinbar sanfterem Ton setzt sich die
Paulusschelte der ,Jakobus-Redaktion‘ in der Abschiedsrede des Petrus an die
Ältesten der Gemeinde von Tripolis fort. Die Anklänge an die Abschiedsrede
des Paulus in Milet (s. besonders Apg 20,28 – 31) sind gewiss nicht zufällig – sie
bot willkommene Gelegenheit, vor Paulus mit dessen eigenen Worten warnen
zu können:
„Unser Herr und Prophet, der uns gesandt hat, erzählte uns Folgendes:
Nachdem der Böse vierzig Tage mit ihm disputiert und nichts gegen ihn
vermocht hatte, kündigte er an, dass er aus (der Schar) seiner Hörigen Apostel
zur Verführung (der Gläubigen) senden werde. Gebt daher vor allem acht,
keinen Apostel oder Lehrer oder Propheten aufzunehmen, der nicht zuvor
seine Predigt dem Jakobus vorgelegt hat – dem so genannten Bruder meines
Herrn, dem in Jerusalem die Leitung der Gemeinde der Hebräer anvertraut ist
– und der nicht mit Zeugen40 zu euch gekommen ist, damit nicht die Bosheit,
die mit dem Herrn vierzig Tage disputiert und nichts vermocht hat, später wie
ein Blitz, der vom Himmel auf die Erde fällt, einen Boten gegen euch aussende,
wie sie jetzt den Simon gegen uns angestiftet hat, der unter dem Anschein der
Wahrheit im Namen unseres Herrn predigt, aber Verirrung sät. Deshalb hat
der, der uns gesandt hat, gesagt: ,Viele werden zu mir kommen im Gewand von
40 In L 4,35.1 heißt es: „mit Zeugnissen (sc. des Jakobus)“ – vermutlich ist diese Lesart vorzu-
ziehen.
Antipaulinismus in den Pseudoklementinen 187
Schafen, innen aber sind sie reißende Wölfe; an ihren Früchten sollt ihr sie
erkennen.‘“ (H 11.35,3 – 6)
Das Stück findet sich ähnlich in R 4.34,5 – 35,2 als Teil einer Rede des Petrus
an die Tripolitaner, doch ist dort der Hinweis auf Simon und das abschlie-
ßende Zitat von Mt 7,15 f gestrichen. Damit wird der antipaulinische Cha-
rakter des Abschnitts gemildert, wie es der Redaktion von R entspricht,
während H in 11.35,5 deutlich zu erkennen gibt, dass der angegriffene Simon
in Wahrheit Paulus ist: Nirgends sonst beansprucht der pskl. Magier, „im
Namen unseres Herrn“ zu predigen, wie es Paulus nach Apg 9,27 f tut.41
Die Abschiedsrede in H verbindet das aus der Syzygienlehre bekannte
Motiv vom Propheten-„Joch“ Paulus/Petrus (s. o. 3.1.) mit dem von der ,Ja-
kobus-Redaktion‘ eingetragenen Gedanken einer strengen Überwachung der
wahren Lehre durch den „Oberbischof“ (EpCl 1,1) Jakobus (s. o. 3.4.). So wird
die Stärke der Negativzeichnung des Paulus verdoppelt: Zum einen ist er
Repräsentant der vom Teufel (s. die Anspielungen auf Mt 4,1 und Lk 10,18)
gestifteten „weiblichen“ Prophetie und zum anderen kein von Jakobus legi-
timierter „Apostel oder Lehrer oder Prophet“ (H 11.35,4). Worin die „Verir-
rung“ besteht, die er mit seiner Lehre sät (11.35,5), wird nicht diskutiert – der
Vorwurf scheint zur antipaulinischen Floskel erstarrt zu sein.
Die PsKl sind insgesamt von einem latenten Antipaulinismus geprägt – Name
und Apostelwürde des Paulus werden verschwiegen, eine Zitation von Pau-
lusbriefen findet nicht statt. Beides fällt dem Anspruch zum Opfer, dass Petrus
der einzige legitime Heidenapostel gewesen sei.
Mehrere Textabschnitte, die Literarschichten des 2. und 3. Jh. n. Chr. zu-
zuordnen sind, bringen die Ablehnung des Paulus auch unverblümt zur
Sprache. Die Untersuchung dieser fünf Passagen lässt eine Steigerung des
Antipaulinismus erkennen: In H 17.19,2 – 7, dem vermutlich ältesten paulus-
kritischen Beleg der PsKl, gründet er in behaupteten Lehrunterschieden
zwischen Paulus und Jesus bzw. dessen Schülern sowie in der (Gal 2,11 – 14
festgehaltenen) paulinischen Beschuldigung, Petrus verhalte sich gegenüber
der Tora widersprüchlich. Diese Aufzählung konkreter Sachverhalte schließt
mit der Einladung an Paulus, er solle von den Schülern Jesu lernen und ihr
Mitarbeiter werden. In den jüngeren pauluskritischen Abschnitten ist der Ton
deutlich schärfer. Mittels einer dualistischen Metatheorie, der Syzygienlehre,
wird Paulus zum negativen Pendant des Petrus erklärt. Gehört jener, wie Jesus,
zu den Inkarnationen der wahren „männlichen“ Prophetie, so Paulus zu den
Verkörperungen der vom Satan gestifteten „weiblichen“ Prophetie, die die
Christen umzingelt sehen: die katholische Großkirche. Sie ist es, die durch den
extremen Paulushass getroffen und durch eine Gegenmission zu Fall gebracht
werden soll.
Ironischerweise haben die PsKl als literarisches Vermächtnis ihrer unter-
gegangenen jüdisch-christlichen Trägergruppe nur dadurch überlebt, dass der
explizite Antipaulinismus in R, der jüngsten Bearbeitung des Stoffes, getilgt
wurde. R konnte dadurch im großkirchlichen Raum weite Verbreitung finden,
während die den Antipaulinismus weiter tragende H-Version nur in zwei
mittelalterlichen Handschriften, die auf eine einzige zurückgehen dürften,
überlebt hat und alle früheren Fassungen des Stoffes verlorengegangen sind.
Abschließend ist auf die Frage zurückzukommen, welche sachlichen
Gründe dafür verantwortlich waren, dass der alle überragende frühchristliche
Missionar Paulus im 2./3. Jh. in die Rolle des Erzfeindes der pskl. Gruppe
geriet. Obwohl die PsKl auch in ihren ältesten Schichten (Petrus/Simon-No-
velle, R 1-Quelle) keine von Apg und paulinischen Briefen unabhängige
Kenntnis der historischen Kontroversen zwischen Paulus, Petrus und Jakobus
verraten, scheinen sie in ihren Paulusverdikten doch an die Auseinanderset-
zungen des 1. Jh. über die Verbindlichkeit der Tora für heidnische Konvertiten
anzuknüpfen, wie H 17.19 und von ferne auch die EpP zu erkennen geben. Die
PsKl stehen in der Tradition eines frühen Christentums, das an der Gültigkeit
ritualgesetzlicher Bestimmungen als unaufgebbares väterliches Erbe festhielt.
Das wohl auf Jakobus zurückgehende so genannte Aposteldekret (Apg
15,20.29; 21,25) hat deshalb in den PsKl deutliche Spuren hinterlassen.46 Die
Haltung des Paulus, der den Heiden zum Heiden wurde, um sie für Christus zu
gewinnen (1Kor 9,21), stieß in diesen christlichen Kreisen auf kein Ver-
ständnis. Im Streit um die Notwendigkeit einer Tora-Observanz von Hei-
denchristen wurde das Band des gemeinsamen Christusglaubens zerschnitten
– eine erbitterte Gegnerschaft entstand, die in jüdisch-christlichen Kreisen
weitertradiert wurde. Die monströse Verteufelung des Paulus durch die pskl.
Christen ist eine späte, theologisch kaum noch reflektierte Frucht dieses
Erbes.
Paradoxerweise war die Tora-Treue der pskl. Christen viel laxer, als ihr
Paulushass und die betonte Gesetzlichkeit ihrer Lehre erkennen lassen: Die
Beschneidung war bei ihnen zugunsten der Taufe aufgegeben,47 und eine so
genannte Falsche-Perikopen-Lehre, wonach die mündliche Tora im Zuge ihrer
Verschriftlichung verfälscht worden sei, erlaubte ihnen fast nach Belieben,
Missliebiges aus der jüdischen Tradition auszuscheiden.48 Woran aber die
Gruppe der pskl. Christen – im Gegensatz zu Paulus und der sich auf ihn
49 Vgl. z. B. H 13.4,3 – 5 par. R 7.29,3 – 5: Klemens darf nicht gemeinsam mit seiner soeben wieder
aufgefundenen, aber noch ungetauften Mutter essen.
50 D.h. die Bestimmungen über die Menstruation Lev 15,19 – 30.
Judith L. Kovacs
Introduction
and exegesis on his writings, I would argue, extends well beyond these
passages; his works contain many implicit debates in which he takes issue with
Valentinian ideas without naming his opponents.3 Many of these debates
concern the exegesis of passages from the Pauline letters.4 Clement under-
stands Valentinian interpretation of Paul as a criticism the Christian group
with which he identifies, probably the majority church.5 He seeks to counter
their exegesis and defend the teaching of his church, but in the course of this he
takes over much Valentinian interpretation, subtly reshaping it and reapply-
ing their terminology. If we take into account not only the explicit references to
Valentinian teaching but also the implicit debates, it becomes clear that
Clement, despite his polemical stance, is an important source for under-
standing Valentinian theology and exegesis – a source whose value has not
been entirely realised.
In recent decades, Christoph Markschies, Einar Thomassen, Ismo Dunder-
berg, and others have explored the diversity among texts attributed to
Valentinian authors as well as points of common teaching.6 In this paper I will
consider two related themes found in several but not all accounts of
Valentinian teaching.7 Both reflect exegesis of texts from Paul. I begin with a
brief consideration of Valentinian interpretation of 1 Corinthians 2:13 – 15,
3 I have discussed some of these implicit debates in “Echoes of Valentinian Exegesis in Clement of
Alexandria and Origen: The Interpretation of 1 Cor 3.1 – 3”, in L. Perrone, (ed.), Origeniana
Octava (Leuven: Peeters, 2004), 317 – 29; “Concealment and Gnostic Exegesis: Clement of Ale-
xandria’s Interpretation of the Tabernacle”, SP 31 (1997) 414 – 37; and “Clement of Alexandria
and Valentinian Exegesis in the Excerpts from Theodotus”, SP 41 (2006), 187 – 200.
4 For the second-century exegetes discussed in this paper the writings of Paul are not limited to the
seven-letter corpus generally accepted by twenty-first-century interpreters. Clement assumes a
Pauline corpus of fourteen letters, including Hebrews and the Pastorals. The Valentinian authors I
cite make significant use of Colossians and Ephesians, if not the Pastorals.
5 We have no clear information about the relationships among, or the relative strength of, different
groups of Christians in Alexandria during Clement’s time. But it seems likely that the Christian
group with which Clement identifies was in the majority. Clement usually refers to this group
simply as “we”; in one passage he identifies it with “the ancient and universal (jahokij¶m)
church” and “the true church” (Strom. 7.16.107.3; cf. 7.16.106.3).
6 C. Markschies, Valentinus Gnosticus?; idem, “Valentinian Gnosticism: Toward the Anatomy of a
School”, in. J. D. Turner/A. McGuire (ed.), The Nag Hammadi Library after Fifty Years (Leiden:
Brill, 1997) 401 – 38; E. Thomassen, The Spiritual Seed. The Church of the “Valentinians” (Leiden:
Brill, 2006); I. Dunderberg, Beyond Gnosticism; idem, “The School of Valentinus,” in A. Marja-
nen/P. Luomanen (ed.), A Companion to Second-Century Christian “Heretics” (Leiden: Brill,
2005), 64 – 99.
7 Most of the sources cited here reflect what scholars have called the “western school” of Valen-
tinian teaching. On the distinction of two Valentinian schools, see Hippolutus, Ref. 6.35.5 – 7 and
Tertullian, Carn. 15 and the longer title of Clement’s work: Excerpts from the Works of Theodotus
and from the So-Called “Oriental” School from the Period of Valentinus. See discussion in Dun-
derberg, Beyond Gnosticism, on pp. 1 – 31; Thomassen, Spiritual Seed, on pp. 39 – 45; 80 – 81. I will
also make reference to the Tripartite Tractate, which Thomassen (Spiritual Seed, on p. 57) regards
as a witness to “eastern” Valentinian teaching.
Clement of Alexandria’s Response to Valentinian Exegesis of Paul 193
where Paul contrasts the xuwijºr or “soulish”8 person with the “spiritual” one
(pmeulatijºr). The bulk of this essay will then be devoted to how Clement and
his Valentinian dialogue partners interpret what Paul says about grace and
“works” in Romans and Galatians.
And we speak of these things in words not taught by human wisdom but taught by the
Spirit, interpreting spiritual things to those who are spiritual. Those who are soulish
do not receive the gifts of God’s Spirit, for they are foolishness to them, and they are
unable to understand them because they are discerned spiritually. Those who are
spiritual discern all things, and they are themselves subject to no one else’s scrutiny.
(1 Corinthians 2:13 – 15)
Clement reports that Valentinus is said to be a pupil of Theudas, who was an
associate of Paul (Strom. 7.17.106.4), and his explicit and implicit discussions
of the ideas of Valentinian theologians often involve questions of Pauline
exegesis. His first explicit reference to Valentinian teachers in book 2 of his
Stromateis alludes to their interpretation of 1 Corinthians 2:13 – 15:
The followers of Valentinus (oR !p¹ Oqakemt¸mou) allot faith to us, the “simple” but
gnosis to themselves, who are saved in virtue of their nature (to?r v¼sei s\fol´moir).
They claim that gnosis dwells in them through the advantage of a superior seed (jat±
tµm toO diav´qomtor pkeomen¸am sp´qlator), and that it is as far distant from faith as
the spiritual (t¹ pmeulatij¹m) is from the soulish (toO xuwijoO) (Strom. 2.3.10.2).9
Clement refers here to a Valentinian interpretation of the terms pmeulatijºr
and xuwijºr from 1 Cor 2:13 – 15, a point he takes up a number of times in his
Paidagogos and Stromateis.10 One source he has for this teaching is the third
section of his Excerpts from Theodotus (#43.2 – 65), which parallels closely
Irenaeus, Haer. 1.4.5 – 7.5.11 In Exc. 56.3 Clement quotes the following:
8 I render xuwijºr with the rather awkward English word “soulish” to make clear its connection
with the Greek word xuw¶4 “soul.” Another possible translation is “unspiritual” (so NRSV).
“Psychic” is unsatisfactory because it has a very different meaning in English.
9 Texts from Clement are cited after the GCS edition: O. Stählin/L. Früchtel/U. Treu (ed.), Stromata
I – VI (4.ed; Berlin: Akademie, 1985); O. Stählin/L. Früchtel, Stromata VII and VIII, Excerpta ex
Theodoto (2.ed.; Berlin: Akademie, 1970). Irenaeus is cited from A. Rousseau/L. Doutreleau
(ed.), (SC 264; Paris: Du Cerf, 1979). Except for Biblical quotations, which follow the NRSV, all
translations are my own.
10 See especially the sixth chapter of Paidagogos 1, discussed in Kovacs, “Echoes”, on pp. 320 – 3.
This whole chapter is devoted to a refutation of Valentinian exegesis of 1 Corinthians 2 and 3,
although Clement does not name his dialogue partners.
11 That the third section of the Excerpts (#43.2 – 65) parallels the report in Irenaeus Haer. 1.4.5 – 7.5
was first pointed out by G. Heinrici, Die Valentinianische Gnosis und die Heilige Schrift (Berlin:
194 Judith L. Kovacs
Now what is spiritual is saved in virtue of its nature (t¹ pmeulatij¹m v¼sei s\fºle-
mom) but that which is soulish (t¹ xuwijºm) has free will (aqteno¼siom em), and has the
capacity for both faith and incorruptibility, as well as for unbelief and corruption,
according to its own choice; but the material perishes by virtue of its nature.
The Valentinian author then goes on to interpret the two olive trees of Rom
11:15 – 32 and the two sons of Abraham in Gal 4:21 – 31:
When, therefore, the soulish elements (t± xuwij±) are engrafted into the “cultivated
olive tree” (Rom 11:24), into faith and incorruptibility, and when they share in the
“richness of the olive tree” (Rom 11:17) and when “the gentiles come in” (Rom 11:25),
then “so shall all Israel be saved” (Rom 11:26). But “Israel” is a symbol (!kkgco-
qe?tai) for the spiritual person (b pmeulatijºr) who will see God – the genuine son of
the faithful Abraam “of the free woman” and not “according to the flesh” like the son
of the Egyptian slavewoman (Gal 4:23). Therefore of the three types [of people] what
takes place is, on the one hand, a formation of the spiritual one (toO pmeulatijoO),
and on the other hand a transference of the soulish one (toO xuwijoO) from slavery to
freedom. (Exc. 56.4 – 57).
This passage provides evidence that the phrase v¼sei s\fºlemor, which
Clement ascribes to followers of Valentinus in Strom. 2.3.10.2 (quoted above)
and in several other discussions of Valentinian teaching,12 was in fact used by
at least one Valentinian teacher.13 The philosophically-minded Clement judges
such language in the context of debates about determinism versus free will. It
seems likely, however, that the roots of this expression, and of references to
“natures” in other Valentinian texts, are to be found not in philosophical
debate but in the language of election and kinship found in the New Testament.
A full argument for this assumption exceeds the scope of this paper.14 My
interest here is in how Valentinians interpret the terms xuwijºr and pmeula-
Wiegandt & Grieben, 1871), 92. There are, however, some significant variations in the two
accounts.
12 Strom. 2.20.115.1; 4.13.89.4; 5.1.3.3; 5.1.3.4. In one passage, Strom. 3.1.3.2 – 3, Clement uses this
phrase to describe the teaching of certain followers of Basilides. Markschies (Valentinus Gno-
sticus?, on pp. 146 – 49) finds no clear evidence that Valentinus used the phrase v¼sei s\fºlemor.
He thinks it likely that in Strom. 4.13.89.4, where Clement uses the phrase in his commentary on
a quotation from Valentinus, he has taken it from followers of the master, who may already have
misunderstood what their teacher taught. See also Markschies’s comments on Strom. 2.20.115
on pp. 80 – 83.
13 Compare, Haer. 1.6.2 (discussed below), where Irenaeus says that followers of the Valentinian
Ptolemy claim that “they will most certainly be saved … because they are by nature spiritual (di±
t¹ v¼sei pmeulatijo»r eWmai).”
14 I discuss Valentinian use of images of election and kinship in the Pauline epistles and other New
Testament texts in “The Language of Grace: Valentinian Reflection on New Testament Imagery,”
in Z. Bennett and D.B. Gowler (ed.), Radical Christian Voices and Practice: Essays in Honour of
Christopher Rowland (Oxford: OUP, 2011), 69 – 85. Markschies, Valentinus Gnosticus?, on
148 – 9, suggests that the phrase “saved in virtue of nature” has some relationshp with the
“predestinarian elements” in the letters of Paul.
Clement of Alexandria’s Response to Valentinian Exegesis of Paul 195
tijºr from 1 Corinthians 2:13 – 15. The passage just cited from Exc. 56 – 7
illustrates how certain Valentinian exegetes understand these terms to refer
two types of Christians: the “spiritual ones” are the Valentinian elect and the
“soulish ones” are ordinary Christians.15 As other passages I will examine in
this essay corroborate, Clement is arguing against Valentinians who main-
tained that soulish and spiritual Christians experience salvation in quite
different ways. This teaching represents both an accommodation of the
majority church and a criticism of it. While ordinary Christians are presented
as xuwijo¸ whose knowledge and grasp of the gospel is inferior to that of the
pmeulatijo¸, these soulish ones are still regarded as Christians who can be
saved. In addition to 1 Cor 2:13 – 15, Exc. 56 – 7 also alludes to Romans 11 and
Galatians 4. This suggests that Paul’s letters are important sources for such
Valentinan soteriology – an assumption that is strengthened when we examine
Clement’s response.
We know that a person is justified not by the works of the law but through faith in
Jesus Christ … I do not nullify the grace of God; for if justification comes through the
law, then Christ died for nothing. (Galatians 2:16, 21)
I turn now to another Pauline theme and its interpretation by Clement and his
Valentinian dialogue partners: the contrast Paul makes in Romans and
Galatians between salvation by divine grace, appropriated by faith, and
reliance on one’s own works. This contrast is often represented by later
interpreters in shorthand form as “faith” versus “works”. For Clement and his
Valentinian opponents the opposite term to “works” is “grace” – and grace is
frequently equated with gnosis, or knowledge of God.
Clement’s writings contain many quotations from Paul’s letters, often
presented as the capstone of an argument. In addition to these explicit
citations, his works are full of allusions to Paul – sometimes by means of a
phrase or even a single word. One prominent example of the latter is his
repeated insistence on the importance of what he calls “works” (5qca). The
following passage is an example:
15 The distinction between the “soulish” and the “spiritual” also figures in Hippolytus’s account of
Valentinian teaching (Ref. 6.24 – 50), and it plays a major role in one Valentinian text from Nag
Hammadi, the Tripartite Tractate. This work portrays soulish people as experiencing the sa-
viour’s work in a different way from the spiritual ones, and it maintains that the salvation of the
spiritual is assured, whereas the soulish only have hope of salvation (118.37 – 122.12). But in this
text the difference of the soulish from the spiritual is not explained by reference to the contrast
Paul makes between works and grace but instead by reflection on another Pauline theme, the
image of the church as the “body of Christ”. See Thomassen, Spiritual Seed, on pp. 46 – 58 and
166 – 187.
196 Judith L. Kovacs
Since among the things that lead us to the perfection of salvation there turn out to be
two ways, works (5qca) and gnosis (cm_sir), [the Lord] calls the “pure in heart blessed
because they will see God” (Matt 5:8). And if we really examine the truth of the matter,
gnosis, by which the ruling faculty of the soul is purified, is also a good action
(1m´qcei² 1stim !cah¶). (Strom. 4.6.39.1 – 2)
This passage has received much attention. It has furnished the title for a two-
part article on Clement’s ethics called “The Twofold Way”16 as well as headings
for the two main parts of Walter Völker’s classic book on Clement: “Die
Gnosis” and “Das tätige Leben”.17 My interest is in two aspects of the text that
have not been noted: 1) that Clement here alludes to passages in Romans and
Galatians in which Paul speaks of “works of the law”, and 2) that the passage
has a polemical edge.
There are dozens of other passages in which Clement seeks to demonstrate
the importance of “works” – the word 5qcom takes up one and a half columns in
Stählin’s index, and this is not a complete list. Clement uses the plural 5qca to
refer to observing the biblical commandments and also, more generally, for
living a virtuous life. Again and again he argues that “works” are essential at all
stages of the Christian life, and, further, that they are inextricably linked with
divine grace and with knowledge of God, which is the Christian’s ultimate
goal. The following texts illustrate the frequency of this theme, and also how
closely Clement associates grace and gnosis:
For [the Gnostic = the perfected Christian] perceives that he has become worthy to
obtain the gracious gift (t/r dyqe÷r, cf. Rom 3:24) he has received, and when he has
been transferred from slavery to sonship (letatehe·r 1j douke¸ar eQr uRohes¸am; Rom
8:15; Gal 4:5), he accomplishes the things that follow from knowledge … and exhibits
actions that are worthy of the grace he has received. For works follow gnosis, as the
shadow follows the body. (Strom. 7.13.82.7)
“For by grace we are saved” (cf. Eph 2:5), not however without good works, but having a
natural aptitude (pevujºtar) for the good, we must acquire a certain zeal in relation to
it. And we must have a healthy mind that is unswerving in its pursuit of the good, and
for this we have special need of divine grace, and of correct teaching and holy passion
and of the Father’s drawing us to himself (John 6:44). (Strom. 5.1.7.2 – 3)
Now the same work has a different quality if it is done out of fear (cf. Rom 8:15) or if it
is accomplished out of love – and also the quality differs if is done from faith or in a
“gnostic” way. And it is fitting that their rewards are different. That prepared for the
Gnostic is “what eye has not seen nor ear heard nor has it entered the heart of man”
(1 Cor 2:9), but for the simple believer [Christ] promises a “hundredfold” of that
16 J. Wytzes, “The twofold way (I): Platonic influences in the work of Clement of Alexandria,”
VigChr 11 (1957); 226 – 45; “The twofold way (II): Platonic influences in the work of Clement of
Alexandria,” VigChr 14 (1960), 129 – 53.
17 W. Völker, Der wahre Gnostiker nach Clemens Alexandrinus (Berlin: Akademie, 1952).
Clement of Alexandria’s Response to Valentinian Exegesis of Paul 197
which he has given up (Mark 10:30), a promise that actually falls within human
comprehension. (Strom. 4.18:113.6 – 114.1)
In these passages and many others, I would argue, Clement is responding to
Valentinian exegesis of texts from Romans and Galatians. Understanding this
interpretation as a criticism of his church, he seeks to defend its teaching and
offer a different construal of Paul’s words.
For “no human being will be justified in his sight” (Psa 143:2) by works of the law18
for through the law comes the knowledge of sin. But now, apart from law, the
righteousness of God has been disclosed … the righteousness of God through faith in
Jesus Christ for all who believe. … since all have sinned and fall short of the glory of
God; they are now justified by his grace as a gift, through the redemption that is in
Christ Jesus … For we hold that a person is justified by faith apart from works of the
law. (Romans 3:20 – 24, 28)
We know that a person is justified not by the works of the law but through faith in
Jesus Christ … I do not nullify the grace of God; for if justification comes through the
law, then Christ died for nothing. … You who want to be justified by the law have cut
yourselves off from Christ; you have fallen away from grace. (Galatians 2:16, 21; 5:4)
These verses illustrate how Paul juxtaposes grace and faith to law and “works”.
His words are echoed in Irenaeus’s report on the soteriology of certain
disciples of the Valentinian Ptolemy :
The soulish (t¹ xuwijºm) substance, which they also call “right”, inasmuch as it is
midway between the spiritual and the material, moves towards one or the other,
according to its inclination. … The consummation will take place when all that is
spiritual (t¹ pmeulatijºm) is formed and perfected through knowledge (cm¾sei), that
is the spiritual ones (oR pmeulatijo· %mhqypoi) who have perfect knowledge
concerning God and have been initiated in the mysteries of Achamoth. The soulish
ones (oR xuwijo· %mhqypoi), however, who are established through works (bebaio¼-
lemoi dQ 5qcym) and through mere faith (p¸steyr xik/r), and who lack perfect
knowledge, have received an education in soulish things (t± xuwij²; cf. 1 Cor 2:14).
These, they say, are we, who are of the church. For this reason they assert that good
conduct is necessary for us (for otherwise we cannot be saved), but they hold that
they will most certainly be saved, not because of their conduct, but because they are
by nature spiritual (di± t¹ v¼sei pmeulaitjo»r eWmai). … They criticize us … as
contemptible people who understand nothing, but they exalt themselves, calling
themselves “perfect ones” (t´keioi; see 1 Cor 2:6) and “elect seed” (sp´qlata 1jko-
c/r). For they declare that we merely receive grace for use … but that they themselves
have grace as their own special possession. (Haer 1.6.1 – 4)19
Here Irenaeus mentions five contrasts that one group of Valentinans made
between themselves and ordinary Christians:
1. xuwijºr / pmeulatijºr
2. mere faith / gnosis
3. salvation (education) by works/ salvation by gnosis
4. different experiences of divine grace
5. different eschatological rewards
This text has much in common with Clement’s presentation of Valentinian
teaching in Exc. 56.3 – 57 (quoted above). Both passages contrast the salvation
of ordinary Christians with that of the Valentinian elect. According to
Irenaeus, Valentinian teachers posit two ways of Christian salvation which
differ in both means and final goal. Ordinary Christians, as xuwijo¸, lack
“perfect knowledge”, but they can achieve salvation through the performance
of good works and through “mere” faith. Valentinians, as pmeulatijo¸, are not
saved by their works; they are “formed” and “perfected” by gnosis – which
term must include knowledge of the true God and their relationship to him.
This text goes on to say that those xuwijo¸ who achieve salvation receive the
reward for their good works in the “Intermediate Place” – the final resting
place also of the demiurge (the creator god of the Old Testament) – while the
pmeulatijo¸, whose salvation is assured, will enter the higher divine sphere
called the pleroma.20
One feature prominent in Irenaeus’ account but not mentioned in
Exc. 56 – 7 is the importance of “works” for the salvation of the ordinary
Christian. Tertullian also mentions this teaching. The Valentinians, he says,
distinguish three types of people (earthy, soulish, and spiritual), typified
respectively by Cain, Abel, and Seth (Val. 29). While the spiritual person is
“preordained for salvation” (certae saluti praeiudicatum) the soulish
(animale) one is “assigned to an indeterminate destiny” (mediae spei
deliberatum). His report continues:
19 Cited from A. Rousseau/L. Doutreleau (ed.) (SC 264; Paris, Du Cerf, 1979). My translation of the
Greek text.
20 E. Pagels, in “Conflicting Versions of Valentinian Eschatology : Irenaeus’ Treatise Vs. the Ex-
cerpts from Theodotus”, HTR 67 (1974); 35 – 53, questions the accuracy of this presentation of
Valentinian eschatology, which she contrasts with the report in Exc. 63 – 5. J. F. McCue, in
“Conflicting Versions of Valentinianism? Irenaeus and the Excerpta ex Theodoto”, in Bentley
Layton, (ed.), Rediscovering Gnosticism (2 vols.; Leiden: Brill, 1980), 2:404 – 16, disputes this
interpretation, arguing that the two accounts are in agreement.
Clement of Alexandria’s Response to Valentinian Exegesis of Paul 199
That is why they neither regard works as necessary for themselves nor observe any of
the duties [our] teaching imposes, and they also elude the requirement of martyrdom
on any pretext they like. For this requirement, they claim, is enjoined upon the soulish
offpring (animali semini) in order that the salvation, which we do not possess by
virtue of our condition (status), we may work out by our choice of action (Val. 30).21
Tertullian says that this teaching is a pretext for leading a dissolute life.
Irenaeus makes similar charges against the followers of Ptolemy in Haer. 1.6.3,
elaborating on this point with some relish. But later on Irenaeus concedes that
some Valentinians he knows insisted on good conduct for spiritual Christians
(Haer. 3.15.2). On the basis this later passage and Ptolemy’s Letter to Flora,
Dunderberg disputes the assumption “that Valentinians were not at all
interested in the moral improvement of the spiritual Christians.”22 I would add
to this that the main point of Valentinian teaching about “works” is not
practical morality but rather the interpretation of Pauline theology, with its
strong empasis on salvation by divine grace.23
While the theme of “works” is not mentioned in the Excerpts from
Theodotus, it may be echoed in a description of the demiurge, who here as in
other Valentinian texts is associated with what is soulish:24
And since [the demiurge] did not know her [Sophia] who acted through him, he
thought he created by his own power, for he was naturally fond of working (vikeqc¹r
£m v¼sei). This is why the apostle said: “He was subjected to the vanity of the world,
not willingly, but because of him who subjected it, in hope that he, too, will be set free”
(Rom 8:20)25 when the seeds of God are gathered. (Exc. 49.1)
Also related to the notion that spiritual Christians have no need of “works” is
the contrast of the “spiritual” Seth, who does not toil but “produces a child”,
with the “soulish” and “righteous” Abel, who tills the soil, and the “earthly”
Cain, who tends his flocks (Exc. 54.1 – 3).
21 Text cited from J.-C. Fredouille, Tertullian Contre les Valentiniens (SC 280; Paris: Du Cerf, 1980).
22 Dunderberg, Beyond Gnosticism, on p. 135. Dunderberg draws attention to the moral exhor-
tation in various Valentinian texts; see pp. 134 – 46 and pp. 77 and 94.
23 This is not to deny that some Valentinians lived dissolute lives or refused martyrdom or that
they may have used Paul’s criticism of reliance on “works” as a justification. Tertullian asso-
ciates Valentinian denial of the importance of “works” for “spiritual ones” with their refusal of
martyrdom; see also Irenaeus, Haer. 4.33.9 and Clement, Strom. 4.16.3, which speak of “here-
tics” who reject literal martyrdom. Clement’s quotation from Heracleon in Strom. 4.71.2 – 72.4,
however, indicates that he does not totally reject physical martyrdom.
24 See, e. g. Exc. 47.3; 50.2 – 51.1; 62.1; 63.1; Hercleon, in Origen, Comm. Jo. 13.60.416 – 26 (=fr. 40),
discussed below.
25 Note that this is a variant reading of Rom 8:20, with the demiurge, not the “creation” subjected to
futility. This section of the Excerpts alludes to several other Pauline texts: Rom 7:23 (Exc. 52.1);
1 Cor 15:47 (Exc. 55.1); Gal 3:19 (Exc. 53.2), Phil 3:20 and Col 3:1 – 2 (Exc. 54.3); Rom 11:24 – 26
(Exc. 56.4), Gal 4:23 (Exc. 56.5); Rom 6:17 – 18 (Exc. 57); 2 Cor 3:7 (Exc. 58.1); Rom 11:16
(Exc. 58.2),
200 Judith L. Kovacs
God is spirit, and those who worship him must worship in spirit and truth. (John
4:24)
Then Jesus said to him, “Unless you see signs and wonders you will not believe.”
(John 4:48)
26 The fragments of Heracleon have attracted considerable scholarly attention. A number of in-
fluential studies have argued against the assumption that Heracleon distinguishes the salvation
and eschatological fate of soulish and spiritual ones, questioning the accuracy of Origen’s
report. See especially : Y. Janssens, “Hraclon: Commentaire sur l’ Evangile selon Saint Jean”,
Muson 72 (1959), 101 – 151; 277 – 299; H. Langerbeck, “Die Anthropologie der alexan-
drinischen Gnosis. Interpretation zu den Fragmenten des Basilides und Valentinus und ihrer
Schulen bei Clemens von Alexandrien und Origenes”, in Aufsätze zur Gnosis (AAWG. PH 69;
Göttingen, 1967), 38 – 82; E. Mühlenberg, “Wieviele Erlösungen kennt der Gnostiker Hera-
kleon?”, ZNW 66 (1975), 177 – 193; B. Aland, “Erwählungstheologie und Menschenklassenlehre.
Die Theologie des Herakleon als Schlüssel zum Verständnis der christlichen Gnosis”, in M.
Krause (ed.). Gnosis and Gnosticism (NHS 8; Leiden, Brill, 1977), 148 – 169; D. Devoti, “An-
thropologia e la storia della salvezza in Heracleone”, in Mem. Accad. Scienze Torino 5 (1978), 3 –
83. The interpretation I present here is in essential agreement with that of M. Simonetti, “Era-
cleone, Gli Psichici e il Trattato Tripartito”, in Orthodossia ed Eresia tra I e II Secolo (Messina:
Rubbettino, 1994) 205 – 44 (here 208 – 28). Simonetti has responded to the aforementioned
studies with a persuasive demonstration that Heracleon does in fact distinguish three classes of
people and teach that the soulish ones have free choice for salvation or damnation, while the fate
of material and spiritual ones is determined. This view is also supported in Simonetti, “XUWG e
XUWIJOS nella gnosi valentiniana”, Orthodossia, 141 – 203; M. Desjardins, Sin in Valentinia-
nism (Atlanta: Scholars Press,1990), 48 – 62; and J. Holzhausen, “Die Seelenlehre des Gnostikers
Herakleon,” in Seele anima, J. Holzhausen (ed.), (Stuttgart: Teubner, 1998), 278 – 300. For an
opposing point of view and discussion of other literature, see A. Wucherpfennig, Heracleon
Philologus. Gnostische Johannesexegese im zweiten Jahrhundert (WUNT 142; Tübingen: Mohr
Siebeck, 2002), especially 247 – 331; Dunderberg, Beyond Gnosticism, 141 – 146.
27 For example, Heracleon interprets Jerusalem in John 2:13 as “the soulish place” (in 10.33.210 –
211 = fr. 13) and “the third day” in John 2:19 as “the spiritual day” (10.37.248 = fr. 15). He
speaks of oR xuwijo¸ in 10.33.210 – 211 = fr. 13 and 13.51.341 = fr. 37 and of oR pmeulatijo¸ in
2.21.137 = fr. 2 and 13.16.95 – 97 = fr. 20 (cited below). In his commentary on Heracleon’s
words, Origen uses xuwijo¸ in 10.37.250 = fr. 15 and 20.20.170 = fr. 44 and pmeulatijo¸ in
10.33.210 – 211 = fr. 13 (cited below). Note that all references to the fragments of Heracleon are
to books, chapters, and sections in Origen’s Commentary on John.
Clement of Alexandria’s Response to Valentinian Exegesis of Paul 201
Israel and then to all who believe in Jesus Christ.28 But Heracleon uses these
words as a contrasting pair, apparently reading Paul’s election language in
light of a verse in Matthew: “Many are called but few are chosen” (Matt 22:14).
For Heracleon, as for the author of Exc. 58, “calling” (jk/sir) refers
communally to soulish ones, or ordinary Christians, while “election”
(1jkoc¶) designates the Valentinian elect, also called the “spiritual church”.29
He interprets Jesus’ ascent to Jerusalem in John 2:13 as “the ascent of the Lord
from the realm of the material to the soulish” and says that the various parts of
the temple indicate the difference between soulish and spiritual ones:
[Heracleon] claims that “the sanctuary” (t¹ Reqºm) is the holy of holies, into which
only the high priest enters, into which – I think he means – the spiritual ones (to»r
pmeulatijo¼r) go. The temple forecourt, where the levites also are, is a symbol of the
soulish ones (t_m xuwij_m) who attain salvation outside the pleroma. (In Origen,
Comm. Jo. 10.33.210 – 211 = fr. 13)30
In John 4 Jesus speaks with a Samaritan woman and then heals the son of a
royal official. For Heracleon these stories symbolize the differing ways the
Savior redeems the spiritual person and the soulish one. That the Samaritan
woman symbolises the spiritual person is indicated in his paraphrase of Jesus’
words to the woman in John 4:21: “You as spiritual ones (oRome· oR pmeulatijo¸)
will worship neither the creation nor the demiurge, but the father of truth”
(13.16.97 = fr. 20). When Jesus promises her “living water” (John 4:10) – i. e.
the gift of divine grace that cannot be taken away – she responds with
immediate faith, which “corresponds to her “nature” (13.10.57 – 66 = fr. 17).
She is rescued from ignorance of God the Father, to whom she is akin (t¹
oQje?om) (13.20.120 = fr. 23). Jesus tells her to call her husband (John 4:16) in
order to reveal to her that her true partner comes from the divine realm, the
pleroma (13.11.67 – 68 = fr. 18).
On Heracleon’s reading, the healing of the royal official’s son pictures a
different kind of salvation. Origen reports:
Heracleon seems to say that the royal official is the demiurge, since he too ruled those
under him … And he interprets his son in Capernaum as one who is in the lower part
28 See, e. g., Rom 8:28 – 30, 33: Rom 9:11 – 12; 11:28; Eph 1:4. For discussion of Paul’s election
language and its interpretation in Valentinian texts, see Kovacs, “Language of Grace”.
29 Heracleon refers to the “calling” in his comments on John 2:13 – 16 (10.33.211 = fr. 13), on John
4:28 (13.31.187 = fr. 27) and on John 4:39 (13.51.341 = fr. 37). The word “election” appears in
his comments on John 4:39, where it is equated with the “spiritual church” (13.51.341 = fr. 37).
Exc. 58 describes Christ as lifting up two elements of the “church”, one “elect” and “spiritual”
and the other “called” and “soulish”; see also Exc. 39. In Tri. Trac. 122.12 – 32 the “election” is
described as “consubstantial with the Savior and of one body with him”.
30 The interpretation of this passage I adopt here assumes that Origen here infers correctly what
Heracleon means. Right before this sentence Heracleon says that Jesus enters the holy of holies
to show that the “mere calling” does not receive help “apart from the spirit”. I take this to mean
that soulish Christians are linked to spiritual ones, and need their help.
202 Judith L. Kovacs
of the middle region, which is near the sea, that is, which is mixed with matter.
Further he says that [the demiurge’s] own man (b Udior aqtoO %mhqypor) was sick,
that is, was not in his natural condition (oq jat± v¼sim 5wym) but was living in
ignorance and sins … And to the statement “Unless you see signs and wonders you
will not believe” (John 4:48): Heracleon says this is spoken appropriately to a person
such as this whose nature is determined by works (pq¹r t¹ toioOtom pqºsypom dQ
5qcym v¼sim 5wom) and who is persuaded by sense perception and does not believe the
word. And he thinks the plea “Come down before my child dies” (John 4:49) is said
because death is the goal of the law that destroys through sins (Rom 7:4 – 5).
Therefore, Heracleon says, the father needs the only Savior to help his son, that is,
such a nature (t0 toiøde v¼sei), before he is completely put to death through sins …
Further he says of the seventh hour (John 4:52) that the nature (B v¼sir) of the one
healed is characterized by the hour. In addition, he interprets the verse, “He and his
whole household believed” (John 4:53) to refer to the order of angels and men who
are especially akin (!mhq¾pym t_m oQjeiot´qym) to him. (13.60.416 – 424 = fr. 40).
For Heracleon the royal official is a symbol of the demiurge, the inferior god of
the Old Testament, and the son of the royal official is the soulish Christian, who
is particularly “akin” to the demiurge.31 On the other hand, the Samaritan
woman, who symbolises the spiritual Christian, shares the “nature” of God the
Father : “Those who are of the same nature with the Father (t/r aqt/r v¼seyr)
are themselves also spirit (pmeOla), and worship in truth and not in error”
(13.25.148 = fr. 24). One type of Christian worships the Father “in spirit and
truth”, while the other worships the inferior demiurge. Origen reports
Heracleon’s comments on John 4:39 (“Many Samaritans out of that city
believed in him because of the woman’s testimony.”):
Heracleon has interpreted the words “out of the city” as meaning “out of the world”;
and the phrase “because of the woman’s testimony” to mean “because of the spiritual
church”. And to the word “many” he says: Because there are many soulish ones
(xuwijo¸). But the one [woman], in his view, is the imperishable nature of the election
(1jkoc/r), which is uniform and unique. (13.51.341 = fr. 37)
It is, I think, significant that Heracleon uses the Pauline term 5qca in
describing the salvation of the official’s son:
The statement “Unless you see signs and wonders you will not believe” (John 4:48), is
properly made to a person such as this whose nature is determined by works (pq¹r t¹
toioOtom pqºsypom dQ 5qcym v¼sim 5wom). (13.60.419 = fr. 40).
31 On this point I disagree with Dunderberg, who argues: “The affirmation [that the son is in
“ignorance and sins”] suggests that the sick child denotes all humans whom the creator God had
created and who have been wrapped in ignorance and sins before the arrival of the Savior”
(Beyond Gnosticism, on p.143). Although Heracleon does not explicitly identify the official’s son
as xuwijºr, he implies this when he portrays the son as “particularly “akin” to the demiurge
Origen makes this identification explicit in his comment on Heracleon’s words in 13.60.431.
Clement of Alexandria’s Response to Valentinian Exegesis of Paul 203
For the demiurge, and the kind of person who is akin to him, salvation requires
the evidence of the senses – for example seeing miracles – and also the
performance of “works”. This is in contrast to the Samaritan woman, the
spiritual Christian who receives grace as pure gift and responds with
immediate faith. That the word 5qca has Pauline overtones is confirmed in the
next paragraph, where Heracleon says that the royal official’s son is about to
die: “because death is the goal of the law that destroys through sins,” a clear
allusion to Pauline texts such as Romans 7:4 – 5.
“Abraham believed God, and it was reckoned to him as righteousness.” (Rom 4:3)
32 I follow Stählin’s emendation of the manuscript reading pmr to patqºr, which is confirmed by what
follows, since Clement speaks repeatedly of Father and Son but makes no mention of the Spirit.
33 The basic meaning of the verb !pocq²veshai in the middle is “to enter in a list”; in this context it
seems to mean something like “to store up in our account”; Stählin, Clemens Alexandrius, vol. 4:
Register (Leipzig: J.C. Hinrichs, 1936), 259, translates: “für sich eintragen lassen.”
34 Note that Clement’s dialogue partners in this passage and in 2.3.10.2 use the word p¸stir in a
204 Judith L. Kovacs
Now Abraham, who believed the voice he heard under the oak at Mamre, which
promised “to you and to your seed I will give this land” (Gen 17:8; 18:1) was he elect
or not? If he was not, how did he believe at once as if the act were natural to him? But if
he was elect, their theory is refuted, since elect ones are found to exist before the
coming of the Lord, and even to obtain salvation. “For it was reckoned to him for
righteousness” (Rom 4:3). For if someone, following Marcion, should boldly assert
that the demiurge saves the person who believes in him with his own salvation (tµm
Qd¸am sytgq¸am), then he will have to admit that the power of the good being is
surpassed … And if the two gods have different spheres, and if the dwelling place of
the almighty is inferior to that of the good god, still his will in saving is not inferior to
that of the good being, since it comes before. (Strom. 5.1.4.1 – 4)
different way from Heracleon, for whom it has a wholly positive sense, designating the quick
assent of the spiritual Samaritan woman to the words of Jesus (13.10.63 = fr. 17).
35 Although Clement also mentions Basilides in 5.3.2 – 3 and Marcion in 5.4.2.
36 In addition to Heracleon’s use of these word, see, for 1jkejtºr : Exc. 33.1; 39; 58.1; 2.1 and
Clement’s response to Valentinian use of the term in Exc. 1.3; note also 1jkoc¶ in Exc. 21.1 and
1jk´cy in Exc. 41.2. For v¼sir see: Exc. 30.1; 46.2; 48.1; 49.1; 54.1; 56.3; 71.2; 81.1.
37 Clement reads the verb in the first plural; the best attested reading has second plural.
38 The third reference to “works” in this section is in 5.5.3.4: “But if they should say that the
Saviour’s [earthly] stay is necessary, then the properties of nature disappear from them, since
the elect are saved by instruction, and purification, and the doing of good works.”
Clement of Alexandria’s Response to Valentinian Exegesis of Paul 205
The spiritual race, being like light from light and like spirit from spirit, when its head
appeared, it ran toward him immediately. It immediately became a body of its head. It
suddenly received knowledge in the revelation. The psychic race is like light from a
fire, since it hesitated to accept knowledge of him who appeared to it. (It hesitated)
even more to run toward him in faith. (118.27 – 119.2)39
While we were living in the flesh, our sinful passions, aroused by the law, were at work
in our members to bear fruit for death. But now we are discharged from the law, dead
to that which held us captive, so that we are slaves not under the old written code but
in the new life of the Spirit … There is therefore now no condemnation for those who
are in Christ Jesus. For the law of the Spirit of life in Christ Jesus has set you free from
the law of sin and of death (Romans 7:5 – 6; 8:1 – 2)
The plea “Come down before my child dies” (John 4:49) is made because death is the
goal of the law that destroys through sins (cf. Rom 7:4 – 5; 10:4). Therefore,
[Heracleon] says, the father needs the only Saviour to help the son, that is, such a
nature (t0 toiøde v¼sei), before he is permanently put to death through sins.
(13.60.419 – 20 = fr. 40)
39 Translation by H.W. Attridge and E.H. Pagels, in H.W. Attridge, (ed.), Nag Hammadi Codex I
(The Jung Codex). Introductions, Texts, Translations, Indices (Leiden: Brill 1985), 307. This
Coptic text uses the Greek words pmeulatijºr and xuwijºr, the latter translated by Attridge and
Pagels as “psychic”.
206 Judith L. Kovacs
A similar view of the law and its works is expressed in Exc. 58, which follows
the description of soulish and spiritual salvation in Exc. 56 – 7 (discussed
above). Concerning the earthly ministry of Jesus Christ, this Valentinian
author says:
Therefore after the great kingdom of death (tµm ham²tou lec²kgm basike¸am) which
made a great and seductive promise but nonetheless became a “ministry of death”
(diajom¸am ham²tou; 2 Cor 3:7), Jesus Christ the great champion, after every
principality and divinity had refused, assumed by his own power the church, that is
the elect and the called (tµm 1jjkgs¸am … t¹ 1jkejt¹m ja· t¹ jkgtºm) the former,
spiritual element (t¹ pmeulatijºm) from the mother [Sophia] the latter soulish
element (t¹ xuwijºm) from the economy (1j t/r oQjomol¸ar). And he saved and led
aloft what he had assumed and through them what was of a nature similar to them
(bloisoOsa). For “if the part of the dough offered as first fruits is holy, then the whole
batch is holy ; and if the root is holy, then the branches also are holy” (Rom 11:16).
(Exc. 58,1 – 2)
Like Heracleon, this author has paid attention to what Paul says about the Old
Testament law: that instead of bringing salvation it has become a source of sin
and death. He quotes a phrase from 2 Cor 3:7, where Paul describes the law as a
“ministry of death”. What Valentinian authors say about “works”, I would
suggest, is to be understood in this context. A criticism certain Valentinians
have of ordinary Christians is that they are not able to understand the good
news of pure grace; instead they practice a religion of “works” similar to what
Paul condemns. They continue to worship the demiurge – the lawgiver and
judge – and are ignorant of the good Father, who is superior to him. Unlike
spiritual Christians, who accept divine grace and live in the freedom of the
gospel, they are still enslaved to a system of law, judgment, punishment and
reward. They can be saved, but only if they prove themselves “righteous” by
performing good works in order to escape the condemnation of the
demiurge.40
Although Clement shows some awareness of the Pauline texts on which
such a view is based,41 they have not engaged his imagination. For Clement
“works” and “law” both have strongly positive connotations. Fulfilling the Old
Testament moral law and carrying out virtuous “works” are not an alternative
to being saved by divine grace but a crucial part of the one way of Christian
salvation, a step on the way to perfection.
40 That Romans 5 – 8 engaged the attention of Valentinian exegetes is further attested by two texts
from Nag Hammadi, the Tripartite Tractate and the Gospel of Philip, which allude to, and reflect
on, passages such as Rom 5:12 – 20 and Rom 7:7 – 11 See, e. g., Tri. Trac. 108:5 – 12; 117.3 – 8,23 –
37; Gosp. Phil. 73.27 – 74.12; 83.18 – 30.
41 In Strom. 4.13.89.5, for example, in a commentary on two quotations from Valentinus, Clement
reports Valentinus’s view that the “origin of death is the creator of the world” (citing Exod 32:20,
not Paul), and in #93.3 he argues against the assertion that sin is a “work of God [the demiurge].”
Clement of Alexandria’s Response to Valentinian Exegesis of Paul 207
There is therefore now no condemnation for those who are in Christ Jesus. For the law
of the Spirit of life in Christ Jesus has set you free from the law of sin and of death. …
For all who are led by the Spirit of God are sons of God. For you did not receive a spirit
of slavery to fall back into fear, but you have received a spirit of adoption.
(Rom 8:1 – 2, 14 – 15)
Tell me, you who desire to be subject to the law, will you not listen to the law? For it is
written that Abraham had two sons … One, the child of the slave, was born according
to the flesh; the other, the child of the free woman, was born through the promise.
Now this is an allegory : these women are two covenants. One woman, in fact, is
Hagar, from Mount Sinai, bearing children for slavery … But the other woman
corresponds to the Jerusalem above; she is free, and she is our mother. (Gal 4:21 – 26)
If Clement does not seriously engage with Paul’s claim in Rom 5 – 8 that the law
brings about sin and death, he does follow Valentinian exegetes in attending to
another part of Paul’s letter : the imagery of slavery and freedom in Rom 8 and
Gal 4.42 This is evident in a passage from the Stromateis that I quoted at the
beginning of this essay, where Clement describes the perfected Christian:
For [the Gnostic] perceives that he has become worthy to obtain the gracious gift (t/r
dyqe÷r, cf. Rom 3:24) he has received, and when he has been transferred from slavery
to sonship (letatehe·r 1j douke¸ar eQr uRohes¸am; cf. Rom 8:15; Gal 4:5), he
accomplishes the things that follow from knowledge … and exhibits actions that are
worthy of the grace he has received. For works follow gnosis, as the shadow follows the
body. (Strom. 7.13.82.7)
This passage echoes Exc. Th. 56 – 7 where the Valentinian author uses Paul’s
contrast of slavery and freedom to describe the difference between the xuwijºr
and the pmeulatijºr :
But “Israel” [in Rom 11:26] is a symbol for the spiritual person (b pmeulatijºr) who
will see God – the genuine son of the faithful Abraam (Rom 9:7 – 8) “of the free
woman” and not “according to the flesh” as the son of the Egyptian slavewoman (Gal
4:23). Therefore of the three types [of people] what takes place is, on the one hand, a
formation of the spiritual one, and on the other hand a transference of the soulish one
from slavery to freedom (toO d³ let²hesir toO xuwijoO 1j douke¸ar eQr 1keuheq¸am).
(Exc. 56.5 – 57).43
42 Both Valentinian exegetes and Clement associate these two Pauline passages with John 15:12 –
17, where Jesus describes his disciples as “friends” who serve him out of love, no longer “slaves”
motivated by fear.
43 Valentinian attention to Paul’s contrasting pairs “slave/son” and “slave/free” is also evident in
the Gospel of Philip see, e. g., 52.2 – 5; 60.1 – 6 (drawing on Rom 6:1 – 4); 69.1 – 4 (slave/free);
72.17 – 22 (slave/free); 77.15 – 25 (citing John 8:34); 78.14 – 18; 80.23 – 81.14 (slaves/children);
208 Judith L. Kovacs
In this exegesis of Paul, the spiritual person is the “genuine son of Abraham”
and the “true Israel”, while the soulish person is a slave, who is in the thrall of
the demiurge and his law. But the slave does have hope of becoming free. The
text does not explain the nature of this freedom. Perhaps it refers to becoming
free from the condemnation of the demiurge, who judges according to one’s
performance of works, i. e. avoiding the judgment of death and attaining
immortal life. This is suggested by the context which states that the soulish
person has the capacity “for faith and incorruptibility and (also) for unbelief
and corruption” (Exc. 56.3). Heracleon also speaks of the second possibility
for transformation. Commenting on John 8:44 (“You are of your father the
devil”), he says: “These words were not spoken to the earthly people (to»r
woijo¼r) but to the soulish ones (to?r xuwijo¸r) who become sons of the devil
by adoption (20.13.212 = fr. 45).
Responding polemically to such exegesis of Paul, Clement adopts the
Valentinian language of “transference from slavery” and puts it to use in his
defense of those his opponents call xuwijo¸ and of their “works”. He counters
Valentinian interpretation of Rom 8 and Gal 4 by developing an alternative
exegesis. In this interpretation the contrasting images of slave/ free and slave/
son – as well as Paul’s words “election”, “calling” – signify not two radically
different ways of Christian salvation but rather two different kinds of “works”.
Clement argues that these two types of works – which he also calls degrees of
righteousness – belong to two stages of the one way of Christian salvation. One
type, he says, refraining from evil deeds, is characteristic of the simple
believer. Quite different are the “works” of the perfect Christian. These involve
imitation of the active beneficence of the supreme God. This exegesis is
evident for example in Strom. 4.18.113.6 – 114.1 quoted above and in
Strom. 6.7.60.2 – 3 where Clement uses imagery from Rom 8 – 11 to describe
two kinds of “righteousness”:
The first purification of the soul while it is in the body is this: refraining from evil
deeds (B !powµ t_m jaj_m, cf. Exc. 52.2), which some consider to be perfection – and,
to speak generally, this is perfection for the ordinary believer “for both the Jew and
the Greek” (1 Cor 1:24). But the righteousness of the Gnostic, going beyond that
which is considered to be perfection by others, advances to active beneficence
(1m´qceiam eqpoi¸ar). And everyone whose growing righteousness has advanced to
active good deeds (!cahopoi¸am) has enduring perfection in an unchanging state of
beneficence, in the likeness of God (Gen 1:26). For those who are the “seed of
Abraham” (cf. Rom 9:7 – 8) but are still slaves of God (Rom 8:14 – 15; Gal 4:1 – 7),
these are the “called” (cf. Matt 22:14; Rom 11:29). But the sons of Jacob (cf. Rom 9:13)
are his “elect” (Matt 22.14; cf. Rom 11:28), who have tripped up the work of evil.
85.28 – 29 (slaves/free). This gospel does not, however, make a distinction of spiritual and
soulish people or identify the latter with the scriptural “slaves”.
Clement of Alexandria’s Response to Valentinian Exegesis of Paul 209
The starting point for this study was the observation that Clement makes
frequent use of the word “works” (5qca), and that he often does so in polemical
contexts in which the word seems to have some special sense. I have sought to
illuminate these discussions by showing that they presuppose two levels of
earlier Christian reflection on “works”. The first is the letters of Paul, who in
Romans and Galatians contrasted salvation by divine grace, accepted by faith,
with an attempt to secure one’s salvation by accomplishing “works of the law”.
The second is an exegesis of these Pauline texts by certain followers of
Valentinus who interpreted Paul’s contrast between grace and “works” in light
of another contrast he makes in 1 Corinthians, between the “soulish” person
and the “spiritual” one. These early exegetes, applying Paul’s words to
Christians in their own time, see in them a distinction between two ways of
Christian salvation. Most Christians, they maintain, are merely soulish; they
worship an inferior creator god and are subject to his law of punishment and
reward. They can, however, be saved by doing the good works this god
demands. The spiritual few –the Valentinians –know that they are saved by
divine grace alone – a grace evident in their origins as God’s “elect”44 and
revealed to them by the Saviour. Clement understands this exegesis as a
criticism of the church with which he identifies and seeks to combat it by
defending the unity of God and the unity of grace and works.
This essay has suggested three more general conclusions. The first is that
there is more to be learned about Valentinian teaching from the writings of
Clement of Alexandria, not only his valuable Excerpts from Theodotus but also
his Stromateis, where the fourteen explicit references to Valentinians are far
outnumbered by implicit debates in which he disputes their ideas, or adapts
them. Like other church fathers, Clement is not an impartial reporter ; there is
evidence of his bias or misunderstanding on certain points – as when he uses a
saying about “being saved by nature” from his Excerpts to interpret the
teaching of Valentinus. So caution is in order. On the other hand we should not
forget that the church fathers knew more early Valentinian texts than we do.45
This is particularly true of Clement the omnivorous reader and collector of
texts, who despite his polemical stance is able to quote both Valentinus and
Heracleon with appreciation.46
44 See Kovacs, “Language of Grace” on Valentinian reflection on texts such as Eph 1:4: “chosen
before the foundation of the world.”
45 And some of them had personal acquaintance with Valentinian theologians. This is certainly the
case for Irenaeus and probably for Clement as well.
46 In Strom. 6.6.52.3 – 4 and 4.9.71.1 – 72.4; note also his positive comment on Valentinian views on
marriage in Strom. 3.1.1.
210 Judith L. Kovacs
The second general conclusion is the great importance of Paul’s letters for
Valentinian theologians,47 and the third is how much their exegesis has
engaged Clement’s attention. Clement is contending with these earlier
exegetes for the legacy of Paul. This paper has focused mainly on passages
where Clement disagrees with Valentinian exegetes, but several of the texts
considered here also illustrate the extent to which Valentinian interpretation
has influenced the way he reads the letters of Paul.48 Clement has considerable
admiration for Valentinian exegetes. Among other things, they have drawn his
attention to a series of contrasting pairs in Paul’s letters: soulish/ spiritual,
works/grace; slave/free; slave/son; fear/love. These contrasts play a prominent
role in Clement’s understanding of Paul – and his understanding of the
Christian life. On Clement’s reading, Paul challenges all Christians to progress
from faith to gnosis, to be transformed from slaves who perform good works
out of fear into true children of God, who serve him in freedom and love.
47 This point has been argued on quite different grounds by Mark Edwards, “Pauline Platonism”,
SP 35 (2001) 205 – 221; see also E.Pagels, The Gnostic Paul (Philadelphia: Fortress, 1975).
48 This is apparent also in the Excerpts from Theodotus, where Clement quotes several Valentinian
passages that interpret the Pauline image “the body of Christ” and in his comments in the early
chapters of the work develops his own interpretation in response. See discussion in Kovacs,
“Clement of Alexandria and Valentinian Exegesis”.
Giancarlo Pani
Im Herbst des Jahres 1515 an der Universität in Wittenberg: Der junge Pro-
fessor und Augustinermönch Martin Luther wählte, nachdem er seinen Cursus
über die Psalmen beendet hatte, als Thema für seine Vorlesungen ein Buch des
NT: Den Römerbrief. Warum gerade das NT und ausgerechnet den Römer-
brief ? Welche Gründe hatten ihn zu einer solchen Entscheidung geführt?
Mit der Suche nach den ältesten Wurzeln, welche die Neigung Luthers zum
Apostel Paulus begründen, kann man bei seinen Vorlesungen über den Rö-
merbrief (1515 – 16), den Galaterbrief (1517) und den Hebräerbrief (1518)
anfangen. Diese Frage wird von Forschern des Römerbriefs untersucht, aber es
scheint noch keine endgültige Lösung gefunden zu sein.1
Es ist deutlich, weshalb Luther 1513 die Psalmen für seinen erste exegeti-
sche Lehrveranstaltung gewählt hat: Luther ist ein Mönch, und betet also
täglich im Stundengebeten die Psalmen. Daher erwächst die Notwendigkeit
eines Kommentars, damit die Mönche die Psalmen besser verstehen und zu
einem lebendigeren Gebet kommen. Luther ist ein Augustiner, Angehöriger
des Ordens, der den Bischof von Hippo, Autor der Enarrationes in Psalmos, als
geistigen Führer und Lehrer der Theologie annimmt.
Aber die Gründe, den Römerbrief zu wählen, sind nicht so selbstver-
ständlich, und die Forschung schenkt ihnen auch nicht viel Aufmerksamkeit.
Es wird betont, daß Luther Paulus kommentiert, nachdem er seine exegetische
Methode verfeinert hatte,2 man unterstreicht die kritische Art, die er durch
seine ersten Vorlesungen vervollkommet hatte,3 man merkt seine deutliche
Reaktion gegen die Scholastik;4 es wird behauptet, daß Luther niemals ein
Reformator hätte werden können ohne Exegese des Corpus Paulinum;5 die
1 Vgl. M. Brecht, Martin Luther. I. Sein Weg zur Reformation. 1483 – 1521, Stuttgart 1981, 130 – 137;
H.C. Oswald, Luther’s Works, 25, Lectures on Romans. Glosses and Scholia, Saint Louis, Missouri
1972, ix–xi; R.H. Esnault, Introduction in Martin Luther Œuvres, 11/1, Commentaires de l’ptre
aux Romains, Genve 1983, 7 – 12; J. Wolff, [Luthers] Vorlesungen, in: A. Beutel (Hg.), Luther
Handbuch, Tübingen 2005, 322 – 324.
2 Wolff, [Luthers] Vorlesungen, 322.
3 Brecht, Martin Luther, 172.
4 O. Scheel, Martin Luther. Vom Katholizismus zur Reformation, I. Im Kloster, Tübingen 1917, 330.
5 Wolff, [Luthers] Vorlesungen, 322 – 323.
212 Giancarlo Pani
Originalität bei der Auslegung ist auffallend;6 man unterstreicht die Bedeu-
tung des Augustinus für den jungen Luther als Wegweiser zur Theologie des
Apostels Paulus;7 man sagt, daß die paulinische Exegese Luthers die Ge-
schichte des XVI. Jahrhunderts geprägt hat.8 Gewiß, diese Bewertungen be-
sagen viel über die Bedeutung des Werkes, kommen aber nicht zum Kern der
hier am Anfang gestellten Frage.
Die Wurzeln der paulinischen Exegese Luthers muß man vor den Römer-
briefvorlesungen suchen; da er aber die Vorlesungen in seinen Kommentaren
zum Römerbrief anhand der Psalmen prüft und dabei einige Überlegungen
einfließen läßt,9 müssen wir zu einer früheren Zeit zurückgehen, also zu seinen
handschriftlichen Randbemerkungen von 1509 – 10 zu den Schriften des
Augustinus und den Sentenzen des Petrus Lombardus.10
In den Randbemerkungen treten seine künftigen Entscheidungen noch
nicht in Erscheinung, man kann aber einige Überlegungen anstellen, um die
paulinischen Wurzeln zu entdecken: Zuerst die Rückbeziehung auf die Kir-
chenväter und zweitens auf die biblischen Zitate.11
Zahlreich sind die zitierten Väter,12 aber mit besonderem Nachdruck, in der
Kommentierung oder in der Kritik der Sentenzen,13 wirkt die Autorität des
Augustinus. Die am häufigsten zitierten Werke sind De trinitate,14 Enchiridi-
on,15 In Genesim;16 es fehlen aber nicht De libero arbitrio,17 der Traktat In
6 F. Hahn, Luthers Paulusverständnis, in: P. Manns (Hg.), Martin Luther: Reformator und Vater
im Glauben, Wiesbaden, Stuttgart 1985, 134 – 153: 139.
7 B. Lohse, Die Bedeutung Augustins für den jungen Luther, in: Ders., Evangelium in der Ge-
schichte. Studien zu Luther und der Reformation, Göttingen 1988, 28 – 29.
8 P. Stuhlmacher, Paulus und Luther, E. Grässer, O. Merk (Hg.), Glaube und Eschatologie (Fest-
schrift für W. G. Kümmel), Tübingen 1985, 285; 301.
9 Brief an Spalatin (9/9/1516): WABr 1, 56,8 – 10; einen Monat später schreibt er : „Lector [sum]
Pauli, collector Psalterii“ (72,9 – 10).
10 Jetzt, in der kritischen Ausgabe: Luthers Randbemerkungen zu Augustini opuscula (WA 9, 4 –
15), zu de trinitate und de civitate dei (15 – 27), zu den Sentenzen des Petrus Lombardus (28 –
94), zu Taulers Predigten (95 – 104), zu Anselmi opuscula (105 – 114).
11 B. Lohse, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen
Zusammenhang, Göttingen 1995, 61.
12 Ambrosius, Hieronymus, Hilarius, Johannes Damascenus, Gregorius Magnus, Dionysios
Areopagita, Bernardus; dabei sind auch Ockham und Scotus.
13 WA 9, 52,21.
14 WA 9, 18,19 – 22; 30,21.23; 31,6. 29; 33,2 – 12.32 – 36; 35,26 – 29; 41,3.25.
15 WA 9, 60,33 – 37; 61,1.12. 14 – 16; 62,27; 63,22; 70,23 – 32; ecc.
16 WA 9, 62,30; 64,24; 65,7 – 8.29; 66,10.17.26; 67,38.40; 68,1; 81,35.
17 WA 9, 61,9; 88,35.
Die antiken Wurzeln der Paulusexegese Luthers 213
gratia nostra et santificatio nostra.30 Es ist wichtig, Christus fides nostra und
justitia et santificatio nostra zu beachten. Hier kündigen sich bereits künftige
Entwicklungen an.31
Ein weiterer Verweis auf den 1. Korintherbrief behandelt die Allmacht
Gottes: Der Mensch kann die Allmacht Gottes nicht verstehen, wenn er mit
dem Maßstab der menschlichen Weisheit argumentiert, da er dann über Dinge
sprechen würde, die er nicht verstehen kann. Gott nämlich rettet nicht mit der
weltlichen Weisheit, sondern mit jener Torheit, die der weltlichen Weisheit
widerspricht32 und die man aus der Wahrheit der heiligen Schrift und aus dem
Glauben schöpfen kann.33
Der Glaube taucht in den Randbemerkungen zu Lombardus immer wieder
auf. Man beachte den Unterschied zwischen fides acquisita oder informis und
die fides charitate formata, denen er eine Erörterung über den wahren Glau-
ben vorausschickt mit einem Verweis auf Röm 1,17: Iustitia dei revelabitur de
fide in fidem. Luther bringt die Auslegung Lyras und anderer Autoren in
Erinnerung, ohne ihnen jedoch besondere Aufmerksamkeit zu schenken, und
vielleicht hat er sie sogar beanstandet, aber er beruft sich auf Hebr 11,1: der
Glaube ist „Substanz der erhofften Dinge“, d. h. „kuntschafft, signum. […]
Argumentum non apparentium“.34 Die biblische Definition, wenn auch mit
einem metaphorischen Charakter zusammen verbunden, kann nicht als
physica vel logica, sed theologica Erläuterung verstanden werden.35 Die
„kuntschafft“ besteht in der Tatsache, daß Christus in seiner Menschheit vita
nostra, iustitia nostra resurrectio nostra ist: Luther verweist auf den 1. Ko-
rintherbrief: Gott hat für die Welt gewählt, was töricht ist, um die Weisen zu
verwirren.36 Die Erläuterung schließt über den Wert der Verdienste: Er sagt,
daß die Grundlage jeglichen Verdienstes der Glaube ist und keiner ohne ihn
hoffen oder richtig handeln kann, da Gott in uns seine eigenen Geschenke
vergilt. Dieser Ausdruck ist sinnbildlich: In seinem Verweis auf die heilige
Schrift merkt Luther nicht – oder er weiß es nur zu gut – daß er dabei ist, eine
wiederkehrende Stelle aus den Werken des Augustinus zu zitieren: Nil deus in
nobis praeter sua dona coronat.37
30 WA 9, 43,1 – 2. Cf 1 Cor 1,30; P. Vignaux, Luther commentateur des Sentences (Livre I, Dist.
XVII), EPhM 21, Paris 1934, 42; B. Ulianich, La chiesa in Lutero, Bologna 1967, 46 – 47.
31 Vgl. L. Grane, Contra Gabrielem. Luthers Auseinandersetzung mit Gabriel Biel in der Disputatio
contra scholasticam theologiam 1517, AThD 4, Gyldendal 1962, 305.
32 WA 9, 56,31 – 33, Sent. I, Dist. 37: „Igitur loquimur quod non intelligimus. Ergo fatui sumus?
Utique, quoniam placuit deo per stultitiam salvos facere credentes, ut stultam faciat sapientiam
mundi“ (1Kor 1,30).
33 WA 9, 45,6 – 7: „Quod non potest intelligere natura, potest attingere veritas scripturae et fidei“.
34 WA 9, 91,15.21.
35 Ebd. 22 – 23.
36 1Kor 1,30. Vgl. Ulianich, La chiesa in Lutero, 39 – 45.
37 WA 9, 72,26 – 27. Es handelt sich um einen berühmten Vers der Carmina Burana 40,1; das
Distichon ist von augustinianischer Herkunft (A. Hilka, O. Schumann, Carmina Burana, I,
Heidelberg 1930, 65; II, Heidelberg 1961, 69) und kommt wieder vor in den Glossen zu Tauler
Die antiken Wurzeln der Paulusexegese Luthers 215
(WA 9, 99,27 – 28). vgl. Aug., De gratia et libero arbitrio 6,15: PL 44, 890 – 891; Io. ev. tr. 3,10: CCL
36, 25; Enarr. in Ps. 70, 2,5; 98,8; 102,7: CCL 39, 964;1384; CCL 40, 1457; C. Mayer, Donum,
Augustinus-Lexicon II, Basel, 2002, 660 – 666; Zur Mühlen, Nos extra nos, 15.
38 In den Randbemerkungen wird die Frage der imago dei wieder behandelt in WA 9, 67,14 – 18 zur
De vera religione des Augustinus (ebd., 13,35 – 14,8); man findet sie auch im Sermo, der
gleichzeitig mit dem zitierten Passus entstanden sein könnte (WA 4, 599,18 – 35). Für die Da-
tierung der Predigt vgl. E. Vogelsang, Zur Datierung der frühesten Lutherpredigten, ZKG 50,
1931, 113 – 116.
39 WA 9, 46,16 – 20. Vgl. K. Bauer, Die wittenberger Universitätstheologie und die Anfänge der
Deutschen Reformation, Tübingen 1928, 14.
40 Scheel, Martin Luther, II, Tübingen 19303, 409.
41 Vorher schreibt er : „Major est enim hujus scripturae authoritas quam omnis humani ingenii
capacitas“ (WA 9, 66,9 – 10, Sent. II, Dist. 14).
42 Vgl. WA 2, 463,24 – 464,6 (Galatervorlesung, 1519); WA 8, 414,1 – 2; 418,24 – 25 (De abroganda
missa privata, 1521); WA 50, 653,6 – 7 (Von den Konziliis und Kirchen, 1539).
43 Vgl. Ulianich, La chiesa in Lutero, 52 – 55; Brecht, Martin Luther, 100.
216 Giancarlo Pani
sondern der Theologie galt. Und er präzisiert so: Jene Theologie, die den Kern
der Nuß, das Mark des Weizens und das Knochenmark ergreift.44
Was will Luther damit sagen? Will er vielleicht seine Abneigung gegen die
Philosophie ausdrücken? Gewiß, da in einer der Randbemerkungen der
Ausdruck rancidus philosophus auf Aristoteles gemünzt erscheint.45 Oder will
er mit seinem Unmut über eine gewisse Art, Philosophie zu betreiben, die
Notwendigkeit einer biblischen Theologie begründen?46 Oder vielleicht mehr
Treue gegenüber der Lehre der Väter?47 Oder will er gar die Wichtigkeit der
Rechtfertigungslehre betonen?48
Nach Meinung von Vignaux handelt es sich eher um einen Wunsch, sich mit
Theologie als „scientia salutis“ zu beschäftigen.49 Auf jeden Fall ist es wichtig
festzustellen, daß die allmählich auftretenden Fragen die Rechtfertigung und
das Heil berühren.50
44 „Si statum meum nosse desideres, bene habeo Dei gratia, nisi quod violentum est studium,
maxime philosophiae, quam ego ab initio libentissime mutarim theologia, ea inquam theologia,
quae nucleum nucis et medullam tritici et medullam ossium scrutatur“ (WABr 1, 17,40 – 44. Vgl.
im kritischen Apparat die Bedeutung von „violentum studium“, ein erzwungenes Studium, auf
das er gern verzichten würde). In der Römerbriefvorlesung wird er schreiben: „Credo me debere
Domino hoc obsequium latrandi contra philosophiam et suadendi ad Sacram Scripturam. […]
Tempus est enim, vt aliis studiis mancipemur et Ihesum Christum discamus ,et hunc crucifixum’
(1Kor 2,2)“ (WA 56, 371,17 – 27; vgl. G. Ebeling, Luther. Einführung in sein Denken, Tübingen
1964, 80 – 82.).
45 WA 9, 43,5.
46 Meissinger, Der katholische Luther, 42.
47 Scheel, Martin Luther, II, 406.
48 K. Holl, Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, I. Luther, Tübingen 1948, 191 – 192. Der
Ausdruck wird in den Dictata [zum Ps. 50] wiederholt, im Zusammenhang mit der Rechtfer-
tigungslehre: „Hec sunt medulla Scripturae et adeps frumenti coelestis“ (WA 3, 291,4).
49 Vignaux, Luther, 5.
50 Lohse, Luthers Theologie, 48 – 49.
51 Ebd. 56.
52 WA 9, 18,19 – 22; vgl. De trin. 4, 3,6: CCL 50, 166,49 – 169,112; E. Iserloh, Sacramentum et
exemplum. Ein augustinisches Thema lutherischer Theologie, in: Ders., Kirche – Ereignis und
Die antiken Wurzeln der Paulusexegese Luthers 217
Man muß auch hinzufügen, daß Luther schon während seiner Studienzeit in
Erfurt eine erhebliche Kenntnis der Werke des Augustins hatte.54 Er konnte
sogar den Stil erkennen. Das beweist auch, daß er beim Lesen der Opuscula des
Augustins sofort merkte, daß drei von ihnen in einer Sprache formuliert sind,
die nicht auf Augustinus zurückgehen kann. Diese seine Haltung ruft die
Mißstimmung seiner Kollegen hervor, das Urteil der Historiker wird ihm recht
geben.55
Man sollte auch das persönliche Interesse während seiner Ausbildung er-
wähnen, in der er sich derart auf die Lektüre der Werke des Augustinus
konzentriert, daß er sie sogar auswendig lernt. Aus einem Brief an Spalatin im
Jahre 1516 erfahren wir, daß er damals den achten Band der Werke Augustins
las, die Amerbach 1506 verlegt hatte,56 der auch die Werke mit der antipela-
gianischen Polemik herausgab.57 Da die Bücher nicht einzeln verkauft wurden,
hatte man in der Bibliothek zu Wittenberg auch die anderen Bände: Das war
seit der Erfindung des Buchdrucks das erste Mal, daß die gesamten Werke
Augustins zusammen und in chronologischer Ordnung herausgegeben wur-
den. Dadurch war es jetzt möglich, eine tiefe Einsicht in seine komplizierte
Entwicklung zu gewinnen: historisch, philosophisch, theologisch, exegetisch,
was alles vorher nur bruchstückhaft aus den einzelnen Werken bekannt war.
Das Studium des Augustinus zeigt einige der möglichen Anknüpfungs-
punkte an Paulus. Augustinus ist einer der genialsten Ausleger der paulini-
schen Briefe, wie verschiedene Werke bezeugen: Expositio quarundam pro-
positionum ex Epistula ad Romanos, Epistulae ad Romanos inchoata expositio,
Expositio epistulae ad Galatas, De diversis questionibus ad Simplicianum.
Institution. Aufsätze und Vorträge. II: Geschichte und Theologie der Reformation, RGST
Suppl. 3/I.II, Münster 1985, 107 – 124; Lohse, Luthers Theologie, 58.
53 Das Thema wird in der Römerbriefvorlesung wiederholt: WA 56, 321,23 – 322,9; G. Pani, Martin
Lutero. Lezioni sulla Lettera ai Romani (1515 – 1516). I riferimenti ad Agostino. La giustific-
azione, Roma 1983, 133 – 135.
54 Melanchton schreibt im Vorwort zu Luthers Opera omnia, II (1546): “Tunc [a Erfurt] et Au-
gustini libros legere coepit, ubi et in Psalmorum enarratione, et in libro de spiritu et litera,
multas perspicuas sententias reperit, quae confirmabant hanc de fide doctrinam et consola-
tionem, quae in ipsius pectore accensa erat. […] Omnia Augustini monumenta et saepe legerat
et optime meminerat. Hoc acerrimum studium inchohavit Erphordiae” (CR 6, 159).
55 De cognitione verae vitae (WA 9, 6,9); De spiritu et anima (14,22 – 26); De deffinitionibus
orthodoxae fidei (14,27 – 29). Am Rand des ersten der Hefte liest man: „Hic liber nullo modo est
beati Augustini, ut patet ex stilo et modo quia verbosus est“ (6,10 – 11); Brecht, Martin Luther,
101.
56 G. Pani, L’Opera omnia di sant’Agostino in Lutero, in: Ders., Paolo, Agostino, Lutero: alle origini
del mondo moderno, Soveria Mannelli 2005, 77 – 114.
57 „Si legerit Augustinum in eis libris, quos contra Pelagianos scripsit, praesertim de spiritu et
litera, item de peccatorum meritis et remissione […] qui omnes in parte operum octava fere
habentur, videritque, quam nihil ex suo sensu, sed praestantissimorum patrum Cypriani, Na-
zianzeni, Rheticii, Irenaei, Hilarii, Olympii, Innocentii, Ambrosii sensu sapiat, erit forte, ut non
tantum recte apostolum intelligat, sed maiore etiam opinione dignum arbitraturus sit Augus-
tinum quam hucusque credidit“ (WABr 1, 70,12 – 16).
218 Giancarlo Pani
Darüber hinaus sind die Schriften der pelagianischen Polemik und auch die
Verweise auf den Apostel, insbesondere auf den Römerbrief, sehr häufig. In
seinem Brief an Spalatin lobt Luther die augustinianische Theologie als un-
entbehrlich für das Verständnis des paulinischen Epistulars.58 Es ist gerade die
Kenntnis der exegetischen und theologischen Gedanken Augustins, die ihn zu
Paulus führt. Aber das ist nicht der einzige Grund.
3. Luther in Wittenberg
Nach 1510 prägen verschiedene Ereignisse das Leben Luthers: die Reise nach
Rom, die aber vorerst keine große Bedeutung hat,59 der Umzug von Erfurt
nach Wittenberg und der Doktortitel in der heiligen Theologie oder – wie er
selbst es mehrmals gesagt hat – in der heiligen Schrift,60 was ihm sehr wichtig
ist. Mehrmals hat Luther betont, daß nicht er den Titel gewollt habe, sondern
daß er sich dem Wunsch der Oberen fügte: „Ich habe nicht nur eine solche
Aufgabe nicht angestrebt, sondern ich habe den Oberen fast bis zur Re-
spektlosigkeit Widerstand geleistet: ich wurde durch den Gehorsam ge-
zwungen“.61 Es handelt sich nicht um eine formale Bescheidenheit, weil er sich
tatsächlich einer solchen Ehrenstellung,62 die der Unterricht in der heiligen
Schrift mit sich bringt, für unwürdig hält.63 Im Oktober 1512 bekam er den
Doktortitel, nachdem er der Kirche Gehorsam gelobt hatte. Es wurde ihm als
Zeichen seines Lehrauftrags eine geschlossene Bibel überreicht, die er wäh-
rend der Zeremonie feierlich öffnete. Dann bekam er den Doktorring und das
akademische Barett.64 Er wird den Ring, der symbolisch seinen Ehebund mit
dem Wort Gottes zeigt, mit Stolz aufbewahren: Dies ist die Sendung in der
Kirche, für die er sich verantwortlich fühlen wird.65
Auf diese Weise wurde er Mitglied des akademischen Senats der Universität
Wittenberg, einer von Friedrich dem Weisen im Jahre 1502 gegründeten
58 Vgl. die vorige Anm. Auch Luther bemerkt, daß Erasmus Paulus nicht gut auslegt.
59 Brecht, Martin Luther,103 – 110.
60 Meissinger, Der katholische Luther, 64.
61 „Cum non solum non ambirem, sed et usque ad offensionem autoritati resisterem […] coactus
sum cedere oboedientiae“ (WABr 1, 30,27 – 30; Brief vom 21/12/1514 an den Dekan zu Erfurt).
62 „Omitto meam mei ipsius […] insufficientiam, ne etiam ex humilitate superbiam aut laudem
quaerere videar“ (WABr 1, 18,9 – 10; Brief vom 22/9/1512, an den Prior zu Erfurt).
63 „Munus declarandi Scripturas“: es handelt sich um eine Tradition, die auf Augustinus, Cassi-
odorus, Gratian zurückgeht und dann von Ockham und sogar von Erasmus übernommen
wurde, der wegen der Exegese der Bibel auf seine Doktorwürde berief. Vgl. A. Renaudet, tudes
rasmiennes (1521 – 1529), Paris 1539,138 – 140; G. Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung,
Darmstadt 19622, 324 – 332.
64 Brecht, Martin Luther, I, 126 – 128.
65 Ulianich, La chiesa in Lutero, 58.
Die antiken Wurzeln der Paulusexegese Luthers 219
Einrichtung, die 1508 die ersten Statuten erhalten hatte.66 Diese kennzeichnen
das kulturelle Klima, das Luther in Wittenberg finden wird:67 Sie proklamieren
den hl. Augustin zum Patron der Universität und den Apostel Paulus zum
Beschützer der theologischen Fakultät.68 Sie bekräftigen die Vortrefflichkeit
der Theologie gegenüber den anderen Fakultäten mit dem Hinweis auf die
Würde der heiligen Schrift.69
Selbst der Name des Bischofs von Hippo weist gleich auf das Wort Gottes hin;
es handelte sich also nicht um die Verehrung eines Heiligen, sondern drückte
eine theologische Haltung und eine Ermahnung zur „elucidatio sacre scrip-
ture in vera ipsius exposicione“ aus.70
Auch der Name Paulus, Patron der theologischen Fakultät, verweist auf die
Verbindung mit der Bibel „Divus Paulus, tuba evangelii“. Die Aufmerksamkeit
gegenüber dem Apostel fußt also auf der Verkündigung der Heilsbotschaft.
Solche Neuigkeiten waren dem ersten Dekan der Theologie, Johann von
Staupitz, dem Generalvikar des Reformierten Zweigs der Sächsischen Provinz,
der Augustinereremiten zu verdanken. Er hat sich als ein Theologe mit Nei-
gungen zur Erneuerung ausgezeichnet.71 Er hat sich für eine stärkere Vertie-
fung der heiligen Schrift, insbesondere des paulinischen Epistolars und der
Werke Augustins, eingesetzt.72 Es schien also selbstverständlich, dass Staupitz,
ein Augustinermönch, bei der Wahl des Universitätspatrons seine Vorliebe für
Augustin geltend machte. Auch die Entscheidung für Paulus weist in dieselbe
Richtung, Voraussetzung für die spirituelle und theologische Kontinuität, die
von diesem zu Augustin führt.
Luther, jetzt lector in Biblia, war berufen, Staupitz als Lektor für die heilige
Schrift zu ersetzen.
Die erste akademische Aufgabe 1513 war eine Vorlesung über die Psalmen. Es
handelt sich hier um das erste Zeugnis seiner exegetischen Arbeit. Dieser Text
dem „gekreuzigten Christus“ gipfelt.83 Dieser wird als der clavis David vor-
gestellt: Das ist die Heiligkeit und die Wahrheit, die die Bedeutung der Psal-
men erschließt und das Geheimnis des Wortes offenbart, das öffnen und
schließen kann, wie die Offenbarung erklärt.84
Die kritische Ausgabe fokussiert die Quellen Luthers und verweist darauf,
daß die zwei Zitate aus Johannes und Paulus in den traditionellen Psalmen-
kommentaren keine Bestätigung finden.85 Wenn Luther sich auch von früheren
Kommentatoren inspirieren läßt, so bringt er etwas Eigenes und Neues.
Christus ist der zentrale Punkt im AT und NT und ist deshalb das Heil, das als
der gekreuzigte Christus durch Paulus verkündet wird: Hier erscheint am
Horizont die Theologia crucis.86 Außerdem erwähnt Luther in der Randbe-
merkung, daß man das AT auch ohne das Neue auslegen könnte, aber eine
solche Exegese nicht ausreichend ist, weil „Christus umsonst gestorben wäre“,
wenn das alte Gesetz allein zum Heil genügen würde.87 Der weitere Verweis auf
den Galaterbrief hebt Christus und den gekreuzigten Christus als Mittelpunkt
hervor. Hier ist für Luther der Führer, die Richtschnur, das filum directorium,
in jenem Labyrinth „heilig, aber dunkel“ wie die Exegese der Psalmen.88
Die kritische Ausgabe erklärt, daß der Verweis auf „clavis David“ mit dem
Zitat aus der Offenbarung von Faber übernommen ist.89 Luther hat also das
Psalterium von Stapulensis vor Augen.
Die Schlußfolgerung der Erläuterung zu Psalm 1 ist aufklärend, weil sie ein
Lob der Lehre des Apostels einschließt: Luther meint, daß die Gerechtigkeit
Gottes den Menschen nicht erfüllt, wenn dieser nicht zuerst seine eigene
Gerechtigkeit zerstört; sonst würde man die Gerechtigkeit Gottes verhöhnen
und Christus wäre vergeblich gestorben. Das ist der tiefe Sinn der Exegese des
Paulus, welcher leider den Theologen jener Zeit ganz unbekannt war. Paulus
will mit seinen Briefen beibringen, wie man die Gerechtigkeit Gottes „ver-
herrlichen“ soll.90
83 Ebd. 19 – 20; cf. 1 Cor 2,2: „Non iudicaui me scire aliquid inter vos nisi Ihesum Chistum et hunc
crucifixum“.
84 „Haec dicit: Sanctus et verus qui habet clauem Dauid, qui aperit et nemo claudit, qui claudit et
nemo aperit [Off 3,7]“ (WA 55/I, 6,5 – 7).
85 Ebeling, Luthers Psalterdruck, 117; Ulianich, La chiesa in Lutero, 80.
86 J. E. Vercruysse, Gesetz und Liebe. Die Struktur der „Heidelberger Disputation“ Luthers, LuJ 48,
1981, 7 – 43.
87 WA 55/I, 26 – 28: Randglosse zur Praefatio; vgl. Gal 2,21.
88 „Ex quibus tale educitur filum directorium in hoc caliginoso et sacro labyrintho“ (WA 55/I,
6,21 – 23).
89 Quincuplex Psalterium, Praefatio, fol. Aijv ; das Zitat aus Off 3,7 ist aus dem Tit. zu dem Ps 1,1
entnommen (fol. b1r).
90 „Non erit [nec] oritur in nobis Iustitia Dei, nisi prius omnino cadat Iustitia et pereat Iustitia
nostra. […] Alioquin irrideretur Iustitia Dei et frustra Christus mortuus esset [Gal 2,21]. Et hec
est disputatio profundissimi theologi Pauli Apostoli, nostris hodie theologis, an speculatiue
nescio, practice Scio quod ignotissima. Sic enim ipse optat Inueniri in Christo non habens
Iustitiam suam [Phil 3,9]. Sic ipse dicit se primum omnium peccatorum [1 Tm 1,15], que est
magna et felix superbia. […] Apostolus ibi velit docere, quomodo magnificetur Iustitia Dei, Scil.
222 Giancarlo Pani
Die Forscher diskutieren über die Datierung des Passus des Abschnittes, ob
er auf 1516 nach der Römerbriefvorlesung zurückgehen soll oder auf den
Anfang der Dictata von 1513. Die Polemik gegen die Theologen, die die Ge-
rechtigkeit Gottes nicht verstehen, sollte später sein, aber das ist nicht einfach
zu beweisen.91 Die Frage berührt das Datum der reformatorischen Entdeckung
Luthers. Der Abschluß des Psalm 1 und das Beharren auf dem Thema der
Psalmen 35,7; 39,10 – 11; 70,15 – 19 offenbaren, daß Luther dabei war, die neue
Bedeutung der „Justitia Dei“ zu entdecken.92 Der Übergang von der Psalmen-
zur Römerbriefvorlesung stellt die logische Fortsetzung der Themen dar, die
Luther in der Exegese der Psalmen behandelt. Es interessiert uns, hier die
massive Gegenwart des Paulus festzustellen, die unser Problem von Grund auf
hervorhebt: Woher kann er eine solche Anregung aufgenommen haben?
Aus diesen heben sich Augustinus und Faber besonders hervor. Über
Augustinus haben wir schon einiges gesagt. Es muß auch erwähnt werden, daß
per magnificationem Iniustitiae nostre et abundantiam peccati [Röm 5,20; 3,8]“ (WA 55/II,
36,17 – 37,1).
91 Sowohl E. Hirsch, Initium theologiae Lutheri, in: Ders., Lutherstudien II, Gütersloh 1954, 23
Anm. 8, als auch E. Vogelsang, Die Anfänge von Luthers Christologie nach der ersten Psalm-
vorlesung, AKG 15, Leipzig, 1929, 122, Anm. 3; 133, Anm. 3, datieren auf Herbst 1516; H.
Wendorf, Der Durchbruch der neuen Erkenntnis Luthers im Lichte der hanschriftlichen
Überlieferung, HV 27, 1932, 299 – 302, nimmt stattdessen 1513 an, weil die Entdeckung der
Iustitia Dei auf den Kommentar des Psalms zurückgehe; H. Bornkamm, Iustitia dei in der
Scholastik und bei Luther, ARG 39, 1942,1 – 46; Ders., Luther. Gestalt und Wirkungen. Ge-
sammelte Aufsätze, SVRG 188, Gütersloh 1975, 120 – 123.
92 WA 55/I, 314; 344; 504 – 506.
93 Unter seinem Namen wird auch das Breviarium des Pseudo-Hieronymus angegeben, welches
nach Augustinus kommt (vgl. WA 55/I, S.xxv, Anm. 3).
94 Ebeling, Luthers Auslegung des 44. (45.) Psalms, in: Ders., Lutherstudien I, 210, Anm. 46. Der
Name Perez erscheint nie in den Dictata, aber er gehört demselben Orden wie Luther an und hat
Centum ac quinquaginta psalmi davidici (1512) geschrieben. Die neue Ausgabe der Dictata
belegt die Verwendung.
Die antiken Wurzeln der Paulusexegese Luthers 223
95 Der Text beinhaltet sowohl die Kommentare als auch die Homilien: M. Simonetti, E. Prinzivalli,
Letteratura cristiana antica, III, Casale Monferrato 1996, 336.
96 Lohse, Luthers Theologie, 61 – 62.
97 Vgl. das biblische Register der Kritischen Ausgabe: Aug., Enarrationes in Psalmos, CCSL 40,
Turnholti 1956: 2221 – 2800; es sind ca. 2800 Zitate der Evangelien. F. Held, Augustins Enar-
rationes in Psalmos als exegetische Vorlage für Luthers erste Psalmenvorlesung, TSK 102, 1930,
1 – 30.
98 WATr 4, 611,6 – 8: „Hic est summus theologus, qui post apostolos scripserunt. Sed nos monachi
non legimus eum, sed Scotum“ (circa 1540).
99 G. Ebeling, Die Anfänge, 1 – 68; E. Hirsch, Initium theologiae Lutheri, in: Ders., Lutherstudien,
II, 9 – 35.
100 Ebeling, Die Anfänge, 10 – 11.
101 Quincuplex Psalterium, Gallicum, Romanum, Hebraicum, Vetus, Conciliatum, Paris, H. Esti-
enne, 1509. Zweite Ausgabe, 1513: Faksimile in THR 170, Genve 1979. Dritte Ausgabe, 1515.
224 Giancarlo Pani
Auslegungsprinzip des Origenes für die heilige Schrift, das Faber übernimmt als Maßstab für
die christologische Exegese der Psalmen. Vgl. F. Hahn, Faber Stapulensis und Luther, ZKG 57,
1938, 356 – 432: 409 – 416.
113 „Octauidecimi psalmi litteram ponunt Hebraei de prima datatione legis. Paulus non de prima
sed de secunda legis datatione per beatissimos apostolos et successores eorum vbiuis gentium
promulgatae“ (Quincuplex Psalterium, Aijv). In der Concordia werden Röm 10,14 – 18, Apg
2,9 – 12 (Pfingsten), Heb 12,2 – 3, zitiert: „Et Paulus. occurramus ad propositum nobis certa-
men aspicientes in authorem fidei nostrae IHESVM: qui proposito sibi gaudio sustinuit cru-
cem“ (Quincuplex Psalterium, 28r).
114 „Praeterea primi et vicesimi psalmi letteram ponunt Hebraei de afflictione Hebraeorum
tempore Artaxerxis. Matthaeus, Joannes et Paulus Deo plenissimi viri litteram super iis sta-
tuunt quae Christo domino regi gloriae in sua passione acciderunt“ (Quincuplex Psalterium,
Aijv); vgl. V.2 („Mein Gott, mein Gott …“): Mt 27,46; Mr 15,34; V. 19 („Man hat meine Kleider
unter sich verteilt“): Mt 27,35; Mc 15,24; Lc 23,34; Joh 19,24; V.24: Heb 2,12; V.25: Heb 5,7.
115 „Scimus (inquit diuiniloquus Paulus) quia lex spiritualis est [Röm 7,14], et si spiritualis:
quomodo sensus litteralis si sensus legis est, spiritualis non erit?“ (Quincuplex Psalterium
AijV); Hahn, Faber Stapulensis, 399 – 401.
116 Quincuplex Psalterium, fol., Aijr. Vgl. 2Kor 3,6.
117 H. de Lubac, Exgse mdivale (Thologie, 41), I,1, Paris 1959, 94 – 118; 305 – 324.
118 Quincuplex Psalterium, fol., Aijr. Vgl. 2Kor 3,6.
Die antiken Wurzeln der Paulusexegese Luthers 227
schen „Buchstabe“ und „Geist“ kann man ein zweifaches Verständnis des
Textes ausmachen: das eine, das zur Auslegung des Textes durch zwei ver-
schiedene Bedeutungen der Seite führt, stammt von Origines; das andere von
Augustinus, der der paulinischen Unterscheidung eine andersartige Nuan-
cierung gibt: Doctrina illa, qua mandatum accipimus continenter recteque
uiuendi, littera est occidens, nisi adsit uiuificans spiritus.119 Von hier aus ent-
springt der Unterschied zwischen „Gesetz“ und „Gnade“, der später bei Luther
eine immense Bedeutung bekommen wird.120 Einige Forscher diskutieren, ob
Luther zu jener Zeit die Dictata De Spiritu et littera kannte; vertraut war ihm
sicher – vermittelt durch die Autoren des Mittelalters – der Inhalt: Tatsächlich
zitiert er es auch in den Randbemerkungen zu Lombardus.121 Bereits nach
Faber behalten die von einem Juden gelesenen und gebeteten Psalmen einen
buchstäblichen geschichtlichen Sinn, so daß sie für sie littera occidens werden,
weil sie nicht fähig sind, deren eigentliche prophetische Bedeutung, die auf
Christus verweist, zu erkennen. Es reicht also nicht, einfach ein hermeneuti-
sches Mittel einzusetzen, weil sich in Christus die Schrift eröffnet und in ihrer
vollen Bedeutung erschließt, wozu es des Lichtes durch den Geist vivificans
bedarf. Luther übernimmt den Unterschied zwischen Buchstabe und vierfa-
chem Sinn122 und erklärt auf der ersten Seite des Psalteriums, daß das Un-
terscheiden von Buchstabe und Geist den wahren Theologen ausmacht.123
Wenn man den Inhalt betrachtet, wird die Gegenüberstellung von Faber
und Luther zunehmend unübersichtlich. Guy Bedouelle hat in seiner Arbeit
über das Quincuplex Psalterium einen Paragraphen dem Thema „Sola gratia“
gewidmet. Faber sieht schon in seinem Kommentar zu Ps 6 deutlich einen
scharfen Widerspruch zwischen Gnade und Verdiensten des Menschen.124 Das
Heil kommt nicht von den Verdiensten des Menschen oder dadurch, daß er
dessen würdig ist, sondern durch „alleinige Barmherzigkeit Gottes und von
der Gnade“.125 Die Formel Sola gratia ist aus Psalm 31 genommen, die von
119 Aug., De spir. et lit. 4,6 – 5,8: CSEL 60, 157 – 160.
120 Ebeling, Die Anfänge, 54 – 61. In der Römerbriefvorlesung zitiert Luther De spiritu et littera
von Anfang des Cursus an, aber vor allem in Röm 2: WA 56, 26,15; 28,23; 191,22; 200,15. 20;
201,10. 24; 202,23. Vgl. Pani, Martin Lutero, 49 – 50.
121 WA 9, 59,34; es wird in den Bemerkungen zu Sent. I, Dist. 42,6 zitiert: Luther schreibt De spir. et
lit. 2; aber der Verweis ist nicht richtig; das Buch ist auch in 60,26 zitiert. Wie gut hat Luther
davon Kenntnis? Für A. Hamel, Der junge Luther und Augustin, I, Gütersloh 1934, 9 Anm. 3,
hat der Text jetzt keinen Einfluss; E. Kähler, Karlstadt und Augustin, 1952, 8* Anm. 1 spricht
von „eine[r] flüchtige[n] Bekanntschaft“; so auch Lohse, Die Bedeutung Augustins, 14,
Anm. 10.
122 Ebeling, Die Anfänge, 53; J. Vercruysse, Fidelis populus, Wiesbaden 1968, 12 – 37.
123 „Hoc facit vero theologum“: WA 55/I, 4,26.
124 G. Bedouelle, Le Quincuplex Psalterium de Lefvre d’Etaples. Un guide de lecture, THR 171,
Genve 1979, 189 – 193.
125 Exp. zum Psalm 6,4: „Salvum me fac propter misericordiam tuam. Tu pater, […] da michi
salutem aeternam, non quia dignus sim, non quia meritus sim, sed ob solam miserationem et
gratiam tuam“.Vgl. auch Tit.: „Salvum me fac […] propter misericordiam tuam: non ex
operibus […] sed ex tua immensae bonitatis pietate et misericordia“ (Quincuplex Psalterium,
228 Giancarlo Pani
Paulus in Röm 4,7 – 8 zitiert wird: Beati quorum remissae sunt iniquitates …
Beatus vir cui non imputavit Dominus peccatum. Der Kommentar ist ein-
deutig: Der Erlaß der Schuld entspringt „einzig aus der Gnade Gottes“, kei-
neswegs aus den Verdiensten oder aus den Werken.126 Dies ist die wunderbare
Ankündigung des Apostels, schließt Faber : Haec est sanctissimi Pauli viuifica
sententia.127
Das Thema begegnet erneut bei der Interpretation von Ps 35, wo darauf
beharrt wird, daß das Heil allen ohne Ausnahme gegeben ist: Vor Gott zählt
nicht das getane Gute und auch nicht das begangene Böse, weil er die Ge-
rechten nicht wegen der guten Werke rettet und die Schlechten nicht wegen der
begangenen Untaten verurteilt; er rettet alle aus Barmherzigkeit und Gnade.128
Und die Rechtfertigung ist aus dem Glauben gegeben? Für Faber ist die
bejahende Antwort mit dem Verweis auf den Römerbrief und dem Beharren
auf der Gnade Gottes impliziert. Wenn wir aber nachsehen, wie Luther die
beiden Psalmen in den Dictata kommentiert, erlebt man eine zweifache
Überraschung. Die erste ist das Beharren auf der Barmherzigkeit Gottes, auf
dem Glauben und nicht auf den Werken;129 die zweite gründet auf den Formeln
sola fide und solus Christus, die gerade in dem Kommentar zu Psalm 31 er-
scheinen: Die Einsicht des Geistes Christi fit per solam fidem.130 Und das Heil
kommt nicht ex se, sed per solum Christum: Der Apostel verkündet es mit
Entschiedenheit gegen die Pharisäer, Häretiker und die Abtrünnigen.131 Für
Luther ist dies der Abschluß des Römerbriefs.132 Wahrscheinlich ist dies das
erste Mal, daß diese Begriffe aus Luthers Feder fließen.
Exp. 7v ; Tit. 7r. Auch so eine Opposition Tit. zu Psalm 12: «Ego spem liberationis meae in
misericordia tua non in me, non in operibus meis collocaui» (ebd.,17r). Zum Psalm 32,20,
Faber schreibt: „Mens nostra praestolat, expectat Domini auxilium qui per suam solam mi-
sericordiam et gratiam salvat“ (Quincuplex Psalterium, Exp. 50r); und Luther glossiert: „Quia
misericordia est salus spiritus, iudicium autem damnatio carnis. Sed ista sola fide continentur ;
unde vocantur ,Misericordie David fideles’, i. e. in fide“ (WA 4, 488,38 – 40).
126 „David dicit beatitudinem hominis cui deus accepto fert justitiam sine operibus […] de quo
numquam est bene meritus. si eximit, sola gratia eximentis est et misericordia, non lachri-
mantis non poscentis opem meritum, non opera. ita et cum deus postulantem opem et errata
sua confitentem, justificat impium. haec est sanctissimi Pauli viuifica sententia“ (Quincuplex
Psalterium, Adv. 48v).
127 Ebd. Vgl. Adv. zum Psalm 67: „Diuinissimi Pauli sententia“ (98r).
128 „Deus miserator immense, qui homines et iumenta salvas, qui justos non ex operibus salvas
neque injustos ex operibus damnas, sed impios per misericordiam tuam iustificas et vna cum
iustis per gratiam tuam salvas“ (ebd., Exp., 55r).
129 Mit Verweis auf Röm 4,6 – 8; 1Kor 2,4.7 – 9. 15; Gal 2,21; Röm 10,3.
130 WA 55/I, 290,7 Randglosse 1 zu Psalm 31: „Ista intellectificatio non est secundum humanam
sapientiam, sed secundum spiritum et sensum Christi, de quo apostolus 1. Kori. 2. pulchre
disputat. […] Quod fit per solam fidem“.
131 WA 3,174,13. Der Begriff per solum Christum kommt immer wieder vor (ebd., 22).
132 „Hec est conclusio totius Epistole b. Pauli Roman: […] Dicit enim: ,Revelatur enim de celo ira
dei etc.’. Item ,Iustitia dei revelatur in eo’“ (ebd.,14 – 16).
Die antiken Wurzeln der Paulusexegese Luthers 229
Um darauf zu antworten, muß man ein anderes Werk Fabers, erschienen 1512,
heranziehen: S. Pauli Epistolae XIV.137 Es handelt sich um einen neuen
Kommentar zu den paulinischen Briefen; neu in der Exegese, weil man sich
nicht mehr der Methode des vierfachen Sinns bediente; neu auch in der
Darlegung, die eine geistige Richtung hat;138 und schließlich neu in der vor-
geschlagenen Auslegung. In jenem Jahr erwarb Luther das Doktorat und be-
reitete die Psalmenvorlesung vor.
Fabers Kommentar stützt sich ausschließlich auf dem griechischen Text: Er
gibt die gebräuchliche Vulgata, der er eine eigene, ganz neu überarbeitete
Übersetzung gegenüberstellt, aber aus Bescheidenheit in kleinen Buchstaben
gedruckt. Diese Auslegung kennzeichnet eine historische Wende in der Exe-
gese des Paulus, weil man sie als den ersten Kommentar im modernen Sinn des
Wortes bezeichnen kann. Wenn das Quincuplex Psalterium in seiner voll-
ständigeren Exegese auf Christus bezogen wird, gilt dasselbe auch für das
133 „Sensus ergo est: misericordia tua nemo dignus est, nisi qui credit et sperat. In fide et spe enim
Est misericordia tua in hominibus“ (WA 55/I,314,12 – 14; in diesem Zusammenhang werden
auch Stellen aus Phil 3,19, Kol 3,2, 1Kor 9,9, Röm 5,14, 1Kor 15,45, Röm 11,29, Gal 3,4 zitiert).
134 Vgl. im kritischen Apparat zu WA 55/I,317 zum Psalm 35,11; Quincuplex Psalterium …,
Adv. 55r.
135 „,Iustitia‘ que sit vera et coram deo plena, que est sola fides“ WA 55/I,428,1 (Rgl zu 57,2). Vgl.
scholia zum Psalm 77: „Impii […] magnitudine operum volunt iustificari: et ex operibus
iustitiam metiuntur, cum sit in sola fidei humilitate“ (WA 3,588,6 – 8).
136 R. Garcia-Villoslada, Martin Lutero. Il frate assetato di Dio, I, Milano 1985, 261.
137 S. Pauli Epistolae XIV ex Vulgata, adiecta intelligentia ex Graeco, cum commentariis Jacobi
Fabri Stapulensis, Parisiis 1512.
138 Auch Luther hatte es bemerkt, als er die biblischen Kommentare des Erasmus mit denen Faber
verglich: „Sed timeo ne Christum et gratiam Dei non satis promoveat, in qua multo est quam
Stapulensis ignorantior: humana praevalent in eo plus quam divina“ (WABr 1, 90: 1/3/1517).
Vgl. Bedouelle, Le Quicuplex Psalterium, 226, Anm. 2 – 3; Id., Lefvre d’taples et l’intelligence
des criture, THR 152, Genve 1976, 2.
230 Giancarlo Pani
paulinische Epistolar. Paulus aber ist der Schlußstein, der nicht nur die Aus-
legung des NT, sondern der ganzen Bibel ermöglicht. Von diesem Ausgangs-
punkt beginnt der Weg, der Faber zur Übersetzung erst des NTund danach des
AT in die Umgangssprache führen wird.
Kannte Luther den Kommentar Fabers? Tatsächlich zitiert er ihn 1515 auf
der ersten Seite der Römerbriefvorlesung und danach etwa sechzig Mal.139
Aber kannte er ihn schon zwei Jahre vorher, als er die Vorlesung über den
Psalter begonnen hat? Die Antwort hätte eine große Bedeutung, weil sie den
Übergang von den Dictata zum Römerbrief erklären würde.
Dennoch helfen einige Fakten zum Verständnis. Auch für die Römer-
briefvorlesung ließ Luther den Paulustext vor Beginn des Cursus in der
Klosterdruckerei drucken.140 Der Verleger der Weimarer Ausgabe hat bewie-
sen, daß Luther den gängigen Text auf der Grundlage der Rezension Fabers
verbessert hat, indem er zahlreiche Varianten übernommen hat.141 Also kannte
er den Kommentar des paulinischen Epistolars vor der Römerbriefvorlesung.
Luther übernahm nicht nur einige Stichworte Fabers, sondern auch die exe-
getische Methode, d. h. die von Paulus vorgeschlagene christologische Aus-
legung. Bei der Korrektur des Manuskripts der Dictata suchte Luther fast
systematisch den vierfachen Sinn des Textes. Man würde denken, eine derart
strenge Treue zur Tradition sei ein Rückfall in die Vergangenheit. Das Ergebnis
ist stattdessen anders.142 Luther nahm die grundsätzliche Einstellung der
exegetischen Methode Fabers an: „Die ganze hl. Schrift muß im Ganzen in
Bezug auf Christus verstanden werden, vor allen Dingen dort, wo sie einen
prophetischen Sinn hat“.143 Im Vorwort zum Psalterium hat Faber zugunsten
des prophetisch-wortwörtlichen Sinns, welcher mit dem Geist in Einklang
steht und den der Geist anregt, Stellung genommen. Deshalb hat Luther den
Kommentar vor der Römerbriefvorlesung gelesen. Eine weitere Vertiefung
wird einige Formulierungen Luthers erklären. Auf den ersten Seiten des
Kommentars zu den paulinischen Brifen betont Faber besonders eindringlich
139 Vgl. Randglosse zu Röm 1,1 („In evangelium“): WA 56, 4,7; G. Pani, La Lettera ai Romani in
Lefvre d’taples e in Lutero: quale rapporto? in: L. Padovese (Hg.), Paolo di Tarso. Arche-
ologia. Storia. Ricezione, III, Cantalupa (To) 2009, 927 – 951.
140 WA 56, 154: Epistola Pauli ad Romanos, Wittenburgii in aedibus Ioan. Grunenbergii, Anno
M.D.XV. Apud Agustinianos.
141 WA 56, S. xvi–xvii. Der Herausgeber J. Ficker bemerkt, daß Luther die erste Ausgabe von 1512
für den Grundtext des Briefes verwendet und auch einige Varianten aus der Ausgabe von 1515.
142 Man findet sie wieder in der Exegese zu Röm 1,1, Paulus servus dei (WA 56, 162,19 – 22), wo
Luther sowohl die wortwörtliche Exegese als auch die moralische, tropologische und escha-
tologische Exegese vorschlägt.
143 S. Randglosse zu Röm 1,3 De filio suo: „Hic magnus aperitur introitus in Sacrae Scripturae
intelligentiam, Scil. quod tota de Christo sit intelligenda, maxime Vbi est prophetica. Est autem
vbique prophetica, licet non secundum superficialem sensum litere“ (WA 56, 5,9 – 11); scholion
zu Röm 10,6: „Vniuersa Scriptura de solo Christo est vbique, si introrsum inspiciatur, licet
facietenus aliud sonet in figura et vmbra. Vnde et dicit: ,Finis Legis Christus’ [Röm 10,4]: q. d.
omnia in Christum sonant. Quod adeo verum esse id probat, quod hoc verbum, alienissimum a
Christo, tamen Christum significat“ (WA 56, 414,15 – 19).
Die antiken Wurzeln der Paulusexegese Luthers 231
die Rechtfertigung nur durch den Glauben. Gott will, daß die Menschen ge-
rettet werden ex sola dei misericordia.144 Sowohl die Sünder wie auch die
Heiden können seinen Namen bekennend die Gnade der Taufe solam fidem
Christi habentes bekommen.145 Hier bringt Faber den guten Schächer in Er-
innerung, der Christus bittet, in seinem Reich seiner zu gedenken. Und er
führt das mit einer essentiellen Kommentierung an: Wer weiß nicht, daß der
Schächer sola fide gerechtfertigt wurde?146 Luther greift dieses Ereignis wieder
in den Bemerkungen zum Quincuplex Psalterium auf, genau zum Psalm 30
(31) über die Iustitia Christi.147 Die Eindringlichkeit, mit der er zu dem aus-
schließlichen Partikel sola zurückkommmt, ist merkwürdig: Für Faber ist
Christus der Einzige, der rechtfertigt, und ihm allein gebührt die Ehre der
Rechtfertigung und die Dankbarkeit.148 Auf der nächsten Seite wird gezeigt,
daß die Rechtfertigung durch den Glauben geschieht Dei sola gratia.149 Der
Kommentar schließt mit der Mahnung, nur dem soli Christo beizupflichten.150
Schließlich muß gesagt werden, daß die Dictata verschiedene Probleme
aufwerfen, wie die Verdienste des Gerechten, die Bestrafung des Bösen, das
Los des Gottlosen, die Selbstanklage und das Bekenntnis als Sünder, der Wert
der Werke und die Beziehung zum Glauben, das opus proprium Gottes und das
opus alienum, die Gnade und die Rechtfertigung. Dieses sind die Schwierig-
keiten in der Auslegung der Psalmen. Luther nahm sie mit Hilfe der exegeti-
schen Werke des Augustinus, aber auch mit dem Kommentar Fabers zu den
paulinischen Briefen in Angriff.
Diese Fakten zeigen deutlich, daß Luther zu der Zeit, als er an den Dictata
arbeitete, Fabers Text kannte und sogar reichlich brauchte.
dessen findet man schon auf den ersten Seiten der Vorlesung.152 Augustinus ist
nicht nur die bevorzugte Bezugsperson, sondern er ist die einzige. Wenn auch
die Namen von weiteren Kommentatoren fallen – Chrysostomus, Cyprian,
Ambrosius – handelt es sich um Zitate aus zweiter Hand, eben aus dem Werk
des Augustinus entnommen.153 Für Luther ist also Augustinus der qualifi-
zierteste Ausleger des Paulus, fidelissimus interpres,154 wie auch der Wegweiser
und Meister auf jenem schwierigen Weg der Römerbrief-Exegese, wie es be-
reits aus den ersten Kapiteln ersichtlich ist.
De spiritu et littera ist der am häufigsten zitierte Text, um die schwierigsten
Stellen auszulegen. Von hier aus kommt die Darstellung des Briefthemas und
sein theologischer Entwurf,155 und die Erklärung des Ausdrucks Iustitia Dei als
Rechtfertigung allein durch den Glauben, welcher in der ganzen paulinischen
Schrift der zentrale Punkt ist.156 Von Kapitel 4 an erstrecken sich die Verweise
auf Augustinus auch auf die anderen Werke, so auf die Expositio quarundam
propositionum ex epistola ad Romanos, das einzige von Luther häufig zitierte
Werk, das nichts mit der pelagianischen Auseinandersetzung zu tun hat.157
Schüler und Lehrer stehen sich gegenüber : Luther greift zurück auf den
späten Augustinus, auf den Lehrmeister, der sich leidenschaftlich in die
pelagianische Polemik hineinziehen ließ, der aber zugleich der Augustinus in
Einklang mit seiner geistlichen Erfahrung ist. Luther findet darin sich selbst,
die eigene Notlage eines unruhig suchenden Mönchs, der Interpret des Got-
teswortes, sehnsüchtig nach Licht für sein eigenes Heil.
Mit derartigen Überlegungen scheint man bei einem ganz augustinischen
Luther zu landen. Er war es viel mehr, als man vermuten könnte. Gewiß kannte
Luther Augustin gut und fand bei ihm eine Bestätigung für die neuen Ideen,
die so in das Erbe der Kirche einbezogen werden konnten. Es ist auch sicher,
daß er die Erklärungen des Meisters leidenschaftlich las und einige Nuancen
sogar radikalisierte.158
152 Luther hat sie niemals veröffentlicht, sie wurden aber im vorigen Jahrhundert von J. Ficker
entdeckt, Luthers Vorlesung über den Römerbrief 1515/1516. Anfänge reformatorischer Bi-
belauslegung, I. Die Glosse; II. Die Scholien, Leipzig 1908; jetzt in WA 56.
153 G. Pani, Agostino nella Römerbriefvorlesung (1515 – 1516) di Martin Lutero, StPatr 33, Hg. E.
A. Livingstone, Late Greek Fathers, Latin Fathers after Nicea, Nachleben of the Fathers, Leuven
1989, 267 – 278; M. Schulze, Martin Luther and the Church Fathers, in: I. Backus (Hg.), The
Reception of the Church Fathers in the West. From Carolingians to the Maurists, II, Leiden,
New York 1997, 573 – 626.
154 Vgl. die Heidelberger Disputation (1518): „Theologica paradoxa […] elicita […] ex divo Paulo
[…] et ex S. Augustino, interprete eiusdem fidelissimo“ (WA 1,353,14); L. Grane, Divus Paulus
et S. Augustinus, Interpres Eius Fidelissimus. Über Luthers Verhältnis zu Augustin, in: G.
Ebeling/E. Jüngel/G. Schunack (Hg.), Tübingen 1973, 133 – 146; Schulze, Martin Luther, 578 –
579.
155 WA 56, 1 – 2. 157 – 159, wo De spir. et lit. 7,12 zitiert wird; das Buch wiederholt sich zweiund-
dreißigmal.
156 WA 56, 172,5 – 7, vgl. De spir. et lit. 11,18 und 9,15.
157 Pani, Martin Lutero, 236.
158 Die Forscher haben gemerkt, daß gewisse Zitate in diesem Sinne verwendet werden: Lohse, Die
Die antiken Wurzeln der Paulusexegese Luthers 233
Der Weg, den Luther von den Dictata zur Römerbriefvorlesung führt, er-
scheint also deutlich: zuerst die theologische Autorität des Augustins und
dessen Interesse für die paulinischen Briefe, und nachher Faber Stapulensis,
Exeget der Psalmen und des Paulus.
I.
Der unmittelbare Anstoß zu jenem exegetischen Ansatz, der später new per-
spective genannt wurde, kam vor fast 50 Jahren von Krister Stendahl. Er
schrieb in seinem Aufsatz „The Apostle Paul and the Introspective Conscience
of the West“, in der Geschichte der westlichen Kultur sei Paulus verstanden
worden „as a hero of the introspective conscience“.2 Speziell in der evangeli-
schen Theologie („Protestant Christianity“), die freilich ihre Wurzeln bei
Augustin und im Mittelalter habe, „the Pauline awareness of sin has been
interpreted in the light of Luther’s struggle with his conscience“; doch genau
1 Der Begriff 5qcom !cahºm (Sing.) begegnet nur in Röm 2,7 und 13,3, sowie in 2Kor 9,8 und Phil 1,6;
in keinem Fall gibt es eine Beziehung zu p¸stir.
2 K. Stendahl, The Apostle Paul and the introspective Conscience of the West, HThR 56 (1963) 199 –
215, hier : 199.
Christusglaube und „Werke des Gesetzes“ bei Paulus 235
hier liege „the most drastic difference between Luther and Paul, between the
16th and the 1st century, and, perhaps, between Eastern and Western Chris-
tianity“.3 Tatsächlich aber sei Paulus unter ganz anderen Voraussetzungen als
etwa Martin Luther zu seiner Theologie der Rechtfertigung gekommen: „The
Reformers’ interpretation of Paul rests on an analogism when Pauline state-
ments about Faith and Works, Law and Gospel, Jews and Gentiles are read in
the framework of late medieval piety. The Law, the Torah, with its specific
requirements of circumcision and food restrictions becomes a general prin-
ciple of ,legalism‘ in religious matters.“ Paulus sei es um die Möglichkeit
gegangen, die Menschen der Völkerwelt einzugliedern in die messianische
Gemeinschaft („the possibility for Gentiles to be included in the messianic
community“); die Rechtfertigungslehre sei überhaupt nicht von entscheid-
endender theologischer Bedeutung gewesen, sondern es war das eigentliche
Problem des Paulus „how to explain why there is no reason to impose the Law
on the Gentiles, who now, in God’s good Messianic time, have become
partakers in the fulfillment of the promises to Abraham“.4 In Röm 7 spreche
Paulus überhaupt nicht vom Menschen und von dessen Erfahrung; vielmehr
stelle er in 7,7 – 12 die „semi-rhetorical question“, ob das Gesetz Sünde sei, und
er antworte mit der Feststellung in V. 12 ¦ste b l³m mºlor ûcior ja· B 1mtokµ
"c¸a ja· dija¸a ja· !cah¶. Die ebenso rhetorische Frage, ob das Gute den Tod
gebracht habe (V. 13), werde in V. 25b beantwortet (%qa owm aqt¹r 1c½ t` l³m
mo; douke¼y mºl\ heoO t0 d³ saqj· mºl\ "laqt¸ar). Das bedeute: „The Law
weakened by sin [8:3] leads to death, just as a medicine which is good in itself
can cause death to a patient whose organism [flesh] cannot take it“.5
Die Bezeichnung new perspective – mit dem bestimmten Artikel: „the new
perspective“ – zur Charakterisierung dieses theologisch-exegetischen An-
satzes begegnet einige Jahre später als Titel einer von James D.G. Dunn ge-
haltenen Vorlesung, in der sich dieser mit dem von E.P. Sanders in seiner
Monographie „Paul and Palestinian Judaism“6 entworfenen Bild des Paulus
und des antiken Judentums auseinandersetzte.7 Der Begriff perspective erin-
nert an die Aufsatzsammlung von Ernst Käsemann, die dieser 1969 unter dem
Titel Paulinische Perspektiven veröffentlicht hatte. In dem zuerst 1967 er-
schienenen und dort wieder abgedruckten Aufsatz „Die Heilsbedeutung des
Todes Jesu bei Paulus“ betonte Käsemann, wenn auch ohne Bezug auf Sten-
dahl, die Reformation habe „mit unbestreitbarem Recht … ihr Verständnis
evangelischer Theologie als Kreuzestheologie auf Paulus“ gegründet. Diese
Feststellung werde allerdings „selbst auf protestantischem Boden“ nicht mehr
allgemein anerkannt; die Tatsache, dass sie „zumal im angelsächsischen Be-
reich zumeist als eine konfessionelle Engführung oder Fehldeutung“ be-
trachtet werde, wirke sich „verhängnisvoll bis in das ökumenische Gespräch
hinein aus“. „Mit äußerster Schärfe muß behauptet werden, daß Paulus his-
torisch wie theologisch von der reformatorischen Einsicht her verstanden
werden muß. Jede andere Perspektive erfaßt bestenfalls Teile seines Denkens,
nicht aber dessen Zentrum.“8 In dem Aufsatz „Rechtfertigung und Heilsge-
schichte im Römerbrief“, der in demselben Band erstmals im Druck veröf-
fentlicht wurde, reagierte Käsemann eigentlich als erster im deutschsprachi-
gen Raum unmittelbar auf Stendahl.9 Er betonte, die Thesen Stendahls hätten
„eine Tragweite für die Gesamtinterpretation des Paulus, unsere gegenwärtige
theologische Diskussion und kirchliche Situation, wie sie folgenschwerer
nicht gedacht werden kann.“10 Dabei betont Käsemann, dass schon William
Wrede und Albert Schweitzer die Rechtfertigungslehre als „Nebenkrater“ der
paulinischen Theologie angesehen hatten11; wenn diese Behauptung jetzt
wiederholt werde, so löse man damit „den modernen Protestantismus not-
wendig und endgültig von der reformatorischen Paulus-Interpretation und
damit von der Reformation selber“.12
Ob Stendahl und die späteren Vertreter der new perspective die Rechtfer-
tigungslehre Luthers richtig interpretiert haben, kann man zumindest fra-
gen.13 Hingewiesen sei an dieser Stelle auch darauf, dass Rudolf Bultmann,
zweifellos Lutheraner, schon 1932 in einem Aufsatz zu Röm 7 geschrieben
hatte, Paulus argumentiere gegen den „Gesetzesweg“ nirgends „mit dem Ge-
8 E. Käsemann, Die Heilsbedeutung des Todes Jesu bei Paulus, in: ders., Paulinische Perspektiven,
Tübingen 1969, 61 – 107, hier: 61.
9 E. Käsemann, Rechtfertigung und Heilsgeschichte im Römerbrief, in: ders., Paulinische Per-
spektiven, Tübingen 1969, 108 – 139. Stendahl selber war allerdings davon überzeugt, die von
Käsemann vorgetragene Kritik treffe seine Position gar nicht; vgl. K. Stendahl, Der Jude Paulus
und wir Heiden. Anfragen an das abendländische Christentum (KT 36), München 1978, 139 –
143.
10 Käsemann aaO. (s. die vorige Anm.), 109.
11 M. Wolter, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 341 macht darauf
aufmerksam, dass bereits Paul Wernle „die zentralen Thesen der ,New Perspective‘ vorwegge-
nommen hat“; Wernle meinte, auch unter Berufung auf Eph 2, es sei Paulus entscheidend darauf
angekommen, dass die Heiden rechtmäßige Volksgenossen und Mitbürger der Heiligen wurden.
„Die Rechtfertigungslehre dient lediglich der Heidenmission“ (Der Christ und die Sünde bei
Paulus, 1897,83 f).
12 Käsemann aaO., 125. Es entbehre nicht der Ironie, dass ausgerechnet die radikale Kritik der
Bultmannschule „das reformatorische Erbe verteidigen muß“.
13 Vgl. W. Härle, Paulus und Luther. Ein kritischer Blick auf die ,New Perspective‘, ZThK 103 (2006)
362 – 393.
Christusglaube und „Werke des Gesetzes“ bei Paulus 237
danken, daß dieser Weg in die Verzweiflung führe, und nirgends preist er den
Glauben als den Ausweg aus einem durch das Gewissen geweckten Zwie-
spalt“.14
Entstehung und Entwicklung der Debatte um die new perspective sind oft
dargestellt worden. Michael Wolter im Jahre 2004, Christof Landmesser 2008
und Christine Gerber 2010 haben sich mit der new perspective befaßt und
zustimmende wie kritische Folgerungen aus deren Ergebnissen gezogen.
Wolter meint, es sei auch in der new perspective die Frage strittig geblieben,
„ob die paulinische Soteriologie nun einen fundamentalen Bruch mit dem
jüdischen Wirklichkeitsverständnis markiert (Sanders) oder nicht (Stendahl,
Dunn)“. Das liege allerdings gerade daran, dass sich „um eine bleibende
Aporie innerhalb der paulinischen Theologie selbst“ handelt: Paulus sage
einerseits, es gebe keinen Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden, was
„mit dem jüdischen Selbstverständnis schlechterdings nicht zu vereinbaren“
sei; Paulus habe andererseits jedoch in Röm 3,1 – 8 und 11,29 „die weiterhin
bestehende Sonderstellung Israels gegenüber den Völkern betont“. Die pau-
linische Theologie sei eine „Theologie des Übergangs“, insofern sie den Punkt
markiere, „an dem die Geschichte des Christentums umschlägt von einem
innerjüdischen Differenzierungsprozess in einen christlich-jüdischen Tren-
nungsprozess“.15
Christof Landmesser sieht eine der Leistungen der new perspective darin,
dass das antike Judentum differenzierter wahrgenommen wird: „Eine her-
absetzende Reduktion des Frühjudentums auf eine Religion der Werkge-
rechtigkeit, aber auch eine ausschließliche Interpretation als Bundesnomis-
mus erscheinen als nicht mehr möglich.“ Die „Relativierung der Rechtferti-
gungslehre“ verbinde sich mit der notwendigen, zuweilen aber vernachläs-
sigten Frage „nach den wesentlichen Merkmalen der paulinischen Theologie“;
und schließlich sei auch zu erwarten, dass „der Frage nach Begründung und
Konkretion der Ethik als einem integralen Bestandteil der paulinischen
Theologie“ mehr Aufmerksamkeit zukommen wird.16 Hinsichtlich der Gren-
zen der new perspective betont Landmesser, „die Funktionalisierung der
Rechtfertigungslehre zu einer bloßen Strategie der Heidenmission“ sei „re-
duktionistisch“ und verfehle deren „universalen Anspruch“. Es sei falsch, die
14 R. Bultmann, Römer 7 und die Anthropologie des Paulus (1932), in: ders., Exegetica. Aufsätze
zur Erforschung des Neuen Testaments, hg. von E. Dinkler, Tübingen 1967, 198 – 209, hier: 200.
15 M. Wolter, Eine neue paulinische Perspektive, ZNT 14 (2004) 2 – 9, hier: 6 f. Vgl. ders., Paulus (s.
Anm. 11), 339 – 411. Wolter schließt (411): „Die Interpretation der paulinischen Rechtferti-
gungslehre darf man in der Tat nicht am theologischen Paradigma ihrer Rezeption durch Martin
Luther ausrichten. Das wäre anachronistisch. Aus der umgekehrten Richtung betrachtet, wird
man aber auch der Theologie Martin Luthers nicht gerecht, wenn man ihr eine Verfälschung der
paulinischen Rechtfertigungslehre vorwirft. Luther geht mir ihr vielmehr so um, dass er sie in
einen veränderten historischen und kulturellen Kontext hinein fortschreibt und dabei we-
sentliche Bestandteile ihre Begründungszusammenhangs bewahrt.“
16 Chr. Landmesser, Umstrittener Paulus. Die gegenwärtige Diskussion um die paulinische
Theologie, ZThK 105 (2008) 387 – 410, hier: 408.
238 Andreas Lindemann
II.
1. Die These, Paulus habe seine Theologie der Rechtfertigung erst im Gala-
terbrief20 entwickelt, weil er sich dort mit Gegnern auseinanderzusetzen hatte,
des Paulus-Schreibens, BThSt 106, Neukirchen-Vluyn 2010, 1 – 56. Eine „Spätdatierung“ des
Gal, womöglich in die Zeit nach dem Röm, kommt m. E. nicht in Betracht; Gal könnte in Ephesus
und damit zeitlich in der Nähe des 1Kor verfaßt worden sein.
21 Stendahl, Der Jude Paulus (s. Anm 9), 11.
22 Stendahl aaO. 140 f.
23 Anders Th. Söding, Glaube, der durch Liebe wirkt. Rechtfertigung und Ethik im Galaterbrief, in:
Umstrittener Galaterbrief (s. Anm. 19), 165 – 206, hier: 181: Nach paulinischer Auffassung sei es
beim Verhalten der Judenchristen „weniger um theologische Grundsätze als um eine kluge
Taktik gegenüber den Synagogengemeinden gegangen“.
24 Dass an dieser Stelle Barnabas namentlich erwähnt wird, hängt natürlich mit V. 9 zusammen: Er
gehörte eigentlich ganz auf die Seite des Paulus, ließ sich dann aber mit der Mehrheit der
antiochenischen Judenchristen „fortreißen“ (sumap¶whg). Vgl. M. Öhler, Barnabas. Die histo-
rische Person und ihre Rezeption in der Apostelgeschichte, WUNT 156, Tübingen 2003, 85 f.
25 Der Begriff eqacc´kiom hat im Galaterbrief eine Schlüsselfunktion, wie schon in 1,6 f deutlich
wird. Von der „Wahrheit des Evangeliums“ hatte Paulus schon in 2,5 gesprochen, d. h. die
240 Andreas Lindemann
Adressaten wissen, dass (jedenfalls aus der Sicht des Paulus) das Evangelium als ganzes auf dem
Spiel steht.
26 Zu aqhopode?m pqºr vgl. H. Preisker, Art. aqhºr jtk., ThWNT V, Stuttgart 1954, 452, das Verb
bedeute „aufrecht auf den Füßen stehen, nicht wanken, nicht umfallen“. Nach W. Bauer/K. und
A. Aland. Griechisch-deutsches Wörterbuch, 6. Aufl. Berlin 1988, 1175 ist gemeint „mit geraden
Füßen gehen“, im übertragenen Sinn „recht wandeln“, „viell. Fortschreiten z. Wahrheit hin“.
27 Dafür spricht ja schon die am Anfang (V. 11) stehende Aussage des Paulus, er habe dem Petrus
„ins Angesicht widerstanden, weil er ,verurteilt’ war (fti jatecmysl´mor Gm).
28 Vgl. dazu D. Lührmann, Abendmahlsgemeinschaft? Gal 2,11ff, in: D. Lührmann/G. Strecker
(Hg.), Kirche (FS Bornkamm), Tübingen 1980, 271 – 286. Das Problem entstand überall dort,
„wo Juden- und Heidenchristen sich an einen Tisch setzten“; dabei war, wie Lührmann meint,
„eine grundsätzliche Trennung in eine heiden- und eine judenchristliche Gemeinde … wohl
nicht intendiert“, sondern man hatte eher eine pragmatische Lösung im Sinn, „die vielleicht den
Jakobusleuten gerade die Abendmahlsgemeinschaft, wenn auch an getrennten Tischen, er-
möglichte“ (281.282). Zu den durchaus unterschiedlichen Formen jüdischer Praxis beim ge-
meinsamen Mahl mit „Heiden“ vgl. (H.-L. Strack-)P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Tes-
tament aus Talmud und Midrasch IV. Exkurse zu einzelnen Stellen des Neuen Testaments. Erster
Teil, München 5. Aufl. 1969, 374 – 378.
Christusglaube und „Werke des Gesetzes“ bei Paulus 241
nicht sagen. Paulus setzt seine Argumentation im Text jedenfalls damit fort,
dass er in V. 15.16a eine Art „Überschrift“ zum Folgenden formuliert; die
Frage ob er hier immer noch seine antiochenische Rede referiert oder ob er
sich jetzt unmittelbar an die galatischen Christen wendet, war schon in der
Alten Kirche umstritten.29 Da Paulus einleitend in V. 15 scharf unterscheidet
zwischen den „wir“ als den geborenen Juden (v¼sei Youda?oi) und den an-
deren, die er als 1n 1hm_m "laqtyko¸ bezeichnet, bringt seine Aussage je-
denfalls jüdisches Selbstverständnis zum Ausdruck, wobei die Zustimmung
der Hörer offensichtlich vorausgesetzt ist. Die galatischen (Heiden-)Christen
sind insofern wohl nicht die primären Adressaten; aber sie lesen bzw. hören
das, was Paulus damals in Antiochia den toratreuen Judenchristen gesagt
hatte.30 So erfahren sie, auf welche Weise Paulus die jetzt in Galatien auf dem
Spiel stehende Glaubenswahrheit schon einst in Antiochia verteidigt hatte31:
„Wir“ – d. h. die soeben beschriebenen Juden, so fährt Paulus nämlich in V. 16a
fort, „wissen, dass kein Mensch gerechtfertigt wird 1n 5qcym mºlou“, wobei das
Partizip eQdºter signalisiert, dass von einem selbstverständlichen Wissen die
Rede ist.32 Ist diese Aussage eine Konsequenz des jüdischen Selbstverständ-
nisses? Oder steht sie zu ihm in Spannung?33 Diese Frage läßt sich erst vom
weiteren Text her beantworten.
Der Aussage oq dijaioOtai jtk. (V. 16a) folgt die Ergänzung 1±m lµ di±
p¸steyr YgsoO WqistoO. Damit könnte ein Gegensatz ausgesagt sein – „nicht
durch Werke des Gesetzes, sondern durch Christusglauben“; es könnte sich
aber auch um eine Einschränkung handeln: „Niemand wird aus Gesetzes-
werken gerechtfertigt – es sei denn durch den Glauben an Jesus Christus“, also
nur „zusammen mit diesem Glauben“. Die Rechtfertigung aus Werken des
Gesetzes und der Glaube an Jesus Christus wären dann miteinander verbun-
den.34 Aber die Wendung 1±m l¶ ist vermutlich ebenso wie das eQ l¶ in Gal 1,7
„streng adversativ zu verstehen“35 ; das zeigt die Fortsetzung der Aussage des
Paulus in V. 16b: „Auch wir“, also die Juden(christen), „sind zum Glauben an
36 Welche Bedeutung hat der Wechsel von dijaioOtai %mhqypor … di± p¸steyr YgsoO WqistoO (V.
16a) zu dijaiyh_lem 1j p¸steyr WqistoO? Nach Dunn, New Perspective (s. Anm. 7), 103 hat
Paulus die Aussagen bewußt unterschiedlich formuliert: „We are justified not only through faith
in Christ but also from faith in Christ – the implication quite probably being that in Paul’s view
faith in Christ is the only necessary and sufficient response that God looks for in justifying
anyone.“
37 Die Stelle ist ein Beleg für die von Karl Friedrich Ulrichs vertretene These, das Syntagma p¸stir
WqistoO sei „ein integrierendes Moment zwischen den verschiedenen soteriologischen Mo-
dellen“, denn mit der Wortverbindung p¸stir WqistoO versuche „Paulus in Rechtfertigungs-
kontexten die partizipatorisch gedachte Gemeinschaft mit Christus zu formulieren“ (K.F. Ul-
richs, Christusglaube. Studien zum Syntagma p¸stir WqistoO und zum paulinischen Ver-
ständnis von Glaube und Rechtfertigung, WUNT II/227, Tübingen 2007, 251). Dem gen.subj.
„im Sinne eines von Jesus selbst praktizierten ,Glaubens‘“ komme „im Horizont paulinischer
Christologie und Soteriologie kaum Wahrscheinlichkeit zu“ (251 f).
38 Dunn, New Perspective (s. Anm .7), 97.
39 Dunn, New Perspective (s. Anm .7), 98.
40 Ob p÷sa s²qn in V. 16c etwas anderes meint als zuvor in V. 16a das artikellose %mhqypor bzw. die
Wendung p÷r f_m in Ps 142,2 LXX läßt sich kaum sagen.
41 Der hebräische Text (Ps 143,2b) lautet: yx'-lk' ^yn, p'l. qD;c.yI-a{l yKi, d. h. die beiden Textfassungen
stimmen praktisch miteinander überein.
42 Als Zitat ist die Aussage jedenfalls nicht markiert. Nach D.-A. Koch, Die Schrift als Zeuge des
Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus,
BHTh 69, Tübingen 1986, 18 ist „der Zitatcharakter eher zu verneinen“. fti kann durchaus als
Zitateinleitung fungieren, aber dann gibt es immer ein Indiz, dass tatsächlich ein Zitat folgt.
Christusglaube und „Werke des Gesetzes“ bei Paulus 243
tun die Tora vom Menschen fordert? Oder meint der Begriff 5qca einzelne
Regelungen in der Tora, Bestimmungen, durch die sich Israel von den (Hei-
den-)Völkern unterscheidet? Michael Bachmann hat in zahlreichen Veröf-
fentlichungen betont, 5qca mºlou seien nicht „Handlungen gemäß dem Ge-
setz“, also nicht „gute Werke“, sondern bestimmte religiöse Praktiken wie
Beschneidung und Sabbat.43 Klaus Wengst meint sogar, die Wendung 5qca
mºlou beziehe sich speziell auf die Bestimmungen des „Aposteldekrets“ in Apg
15,28 f;44 das ist aber schon deshalb höchst unwahrscheinlich, weil Paulus
diesen Text offensichtlich gar nicht kennt. Otfried Hofius hingegen kommt zu
dem Ergebnis, der Ausdruck 5qca mºlou bezeichne „in ganz umfassendem
Sinn das Tun dessen, was die Tora gebietet, d. h. die Befolgung der Tora in allen
Lebensbezügen“. Die Aussage in Gal 2,16, „daß kein Mensch 1n 5qcym mºlou
des eschatologischen Heils teilhaftig wird, gründet auch hier in der Er-
kenntnis, daß jeder Mensch ein Sünder ist, der als solcher vor der Tora ver-
loren dasteht“.45
Als Parallele zu 5qca mºlou wird oft eine Formulierung im „Brief des Lehrers
der Gerechtigkeit an den Hohenpriester“ genannt, wo von den hrwth yf[m ge-
sprochen wird (4QMMT C 27);46 gemeint sind dort kultische Bestimmungen
in der Tora, an denen sich der Hohepriester orientieren soll.47 Aber eine an-
gemessene Interpretation von (t±) 5qca (toO) mºlou läßt sich nur von den
paulinischen Aussagen selber her gewinnen.48 Die Belege, vor allem auch in
Verbindung mit dem Verb dijaioOshai, sprechen gegen die Annahme, dass
lediglich einzelne, womöglich allein kultische Torabestimmungen gemeint
sind, sondern Paulus denkt an die Tora als ganze. Das wird ganz deutlich in
Röm 3,20.21, wo 5qca mºlou und mºlor gleichbedeutend sind, und das zeigt
auch die den in Gal 2,14 begonnenen Gedankengang abschließende Aussage in
43 Vgl. M. Bachmann, Keil oder Mikroskop? Zur jüngeren Diskussion um den Ausdruck „,Werke‘
des Gesetzes“, in: M. Bachmann (Hg., unter Mitarbeit von J. Woyke), Lutherische und Neue
Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Dis-
kussion, WUNT 182, Tübingen 2005, 69 – 134.
44 K. Wengst, ,Gerechtigkeit Gottes‘ für die Völker. Ein Versuch, Röm 3,21 – 31 anders zu lesen, in:
K. Wengst/G. Saß (Hg.), Ja und Nein. Christliche Theologie im Angesicht Israels. FS Wolfgang
Schrage, Neukirchen-Vluyn 1998, 139 – 151, hier: 147 f.
45 O. Hofius, „Werke des Gesetzes“. Untersuchungen zu der paulinischen Rede von den 5qca mºlou,
in: D. Sänger/U.Mell (Hg.), Paulus und Johannes, WUNT 198, Tübingen 2006, 271 – 310, hier:
303.
46 Vgl. J. Dunn, 4QMMT and Galatians, in: New Perspective (s. Anm. 7), 333 – 340.
47 Die Wendung hrwth yf[m wird von J. Maier, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer Band
II, UTB 1863, 375 so übersetzt: „Und auch wir haben an dich geschrieben etliches von den
Torah-Praktiken, die wir als gut für dich und dein Volk befunden haben, da wir es ges[eh]en
haben, daß bei dir Klugheit (vorhanden ist) und Torah-Wissen.“ Etwas später heißt es in dem
Brief: „Entferne von dir bösen Gedanken und Belialsrat, damit du Freude hast am Ende der Zeit,
wenn du findest, daß etwas von unseren Worten so (recht) ist, damit es dir zur Gerechtigkeit
angerechnet wird, da du das Rechte vor Ihm tust und das Gute zu deinem Besten und für Israel“
(aaO., 376).
48 Vgl. Landmesser, Umstrittener Paulus (s. Anm. 16), 405.
244 Andreas Lindemann
2,21, wo Paulus nicht von den 5qca mºlou, sondern stattdessen vom mºlor
spricht.
Hans Dieter Betz betont, Paulus und die antiochenischen Adressaten der in
Gal 2,16 überlieferten Worte seien sich inhaltlich völlig einig gewesen;49 nach
Michael Theobald ist die Aussage in V. 16 sogar so etwas wie eine theologische
Lehrformel und nicht eine eigene Aussage des Apostels.50 Aber das in V. 15.16
Gesagte hat jedenfalls im jetzigen Zusammenhang eine kritische Funktion:
Paulus unterstellt, dass diejenigen, an die er sich wendet, die Bedeutung
dessen, was „wir wissen“ (eQdºter), nicht wirklich erkannt oder aber vergessen
haben. Selbst wenn Paulus in V. 15.16 eine „Selbstverständlichkeit“ ausspricht,
so ist damit der Tatbestand verbunden, dass er sich dazu veranlaßt sieht,
dieses gemeinsame „Wissen“ ausdrücklich in Erinnerung zu rufen.
Paulus erläutert dann in 2,17 – 20 in einer exkursartigen, christologisch
akzentuierten Zwischenargumentation, was die Christusbeziehung für den
Glaubenden bedeutet. „Wenn unser Bestreben, in Christus gerechtfertigt zu
werden, uns selber zu Sündern macht – ist dann Christus Diener der Sünde?“
fragt er, und die Antwort ist selbstverständlich ein klares „Nein“ (lµ
c´moito). Schon der als Realis formulierte Konditionalsatz in V. 17a (eQ d³
fgtoOmter dijaiyh/mai 1m Wqist` …) zeigt, dass dijaioOshai in umfassen-
dem Sinn gemeint ist; es geht nicht um die Folgen der Einhaltung oder
Nichteinhaltung nur bestimmter Aspekte der Torapraxis. Wenn Paulus mit
dem „wir“ in V. 17 ebenso wie in V. 16 allein an die Christen jüdischer
Herkunft denkt, dann wäre gesagt, dass auch sie – obwohl v¼sei nicht
„Sünder aus den Heiden“ – durch ihr Bestreben, in Christus gerechtfertigt zu
werden, als "laqtyko¸ erwiesen wurden, und dass dennoch die Folgerung,
Christus sei in diesem Fall "laqt¸ar di²jomor, ausgeschlossen ist.51 Mögli-
cherweise aber spricht Paulus von V. 17 an von allen Christusgläubigen, denn
er formuliert in V. 18 – 21 – ähnlich wie er es später in Röm 7,7 – 25 tun wird –
in der 1. Pers. Sing. („ich“); damit spricht er überindividuell vom Glau-
benden, der bzw. die im Gegenüber zu Christus und zum mºlor immer nur
als „einzelne(r)“ existiert. Das „ich“ meint jeden, der in der hier beschrie-
benen Christusbeziehung steht, und insofern dürften schon in V.17 mit den
„wir“ alle Christusgläubigen gemeint sein.
49 H.D. Betz, Der Galaterbrief. Ein Kommentar zum Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in
Galatien (übers. und bearb. von Sibylle Ann), München 1988, 214. 216.
50 M. Theobald, Der Kanon von der Rechtfertigung, in: ders., Studien zum Römerbrief, WUNT
136, Tübingen 2001, 164 – 225, hier 177: Es lege sich zunächst nahe, bei Sätzen wie Gal 2,16 und
Röm 3,28 „von „Gnomen“ (cm_lai) oder „Sentenzen“ (sententiae) zu sprechen“. Paulus habe
den Satz verstanden „als Konsens darüber, wie in der Heidenmission zu verfahren sei“, doch
stamme der Satz nicht von Paulus selber, da er ihn in 2,15 f „als einen in der antiochenischen
Gemeinde gültigen und auch von Petrus anerkannten Grundsatz“ behandele (183). Dass sich
2,16 auf das Verfahren bei der Heidenmission bezieht, wie Theobald annimmt, läßt die Aussage
m. E. aber nicht erkennen.
51 Zu V. 17b s. Söding, Glaube (s. Anm. 23), 180.
Christusglaube und „Werke des Gesetzes“ bei Paulus 245
Wenn Paulus in 2,19 vom Kreuz (sumesta¼qylai) und in 2,20 von der
Selbsthingabe Christi spricht, so bestätigt diese soteriologische Argumenta-
tion, dass es aus der Sicht des Paulus in dem antiochenischen Konflikt nicht
lediglich um die Frage der Anerkennung einzelner „boundary markers“ ge-
gangen war, sondern um die Grundlage der christlichen Existenz. In der in
einer doppelten Verneinung formulierten Aussage über die Gnade Gottes (oqj
!het_ tµm w²qim toO heoO) in 2,21a wird abschließend nochmals deutlich, dass
für Paulus nicht weniger auf dem Spiel steht als die Gnade Gottes: Selbst wenn
es vordergründig allein um Speisegebote gegangen sein sollte, so zeigt sich
spätestens jetzt, dass das durch das Eingreifen der timer !p¹ Yaj¾bou her-
vorgerufene Verhalten nach dem Urteil des Paulus im Widerspruch steht zur
Gnade Gottes. Paulus unterstreicht das in zugespitzter Form durch den als
Irrealis formulierten Satz in V. 21b: „Wenn Gerechtigkeit durch das Gesetz
käme, wäre Christus vergeblich gestorben.“ Diese Möglichkeit kommt so
wenig in Betracht, dass die Feststellung genügt und nicht einmal kommentiert
zu werden braucht. Hier spricht Paulus nicht von den 5qca mºlou, sondern
vom mºlor, d. h. er macht offensichtlich keinen Unterschied zwischen den
„Werken des Gesetzes“ und dem Gesetz als ganzem.52
Die rhetorischen Fragen in Gal 3,1 – 5 bestätigen diese Auslegung. Paulus wendet sich
direkt an die galatischen Christen (§ !mºgtoi C²katai) und spricht sie auf ihre durch
die paulinische Missionspredigt gewonnenen Erfahrungen hin an. Der betonte
Hinweis auf den Wqist¹r 1stauqyl´mor (V. 1) zeigt, dass es bei der dann genannten
Alternative zwischen dem Empfang des Geistes 1n 5qcym mºlou oder 1n !jo/r p¸steyr
(V. 2; Paulus wiederholt dies in V. 5) nicht um ein womöglich missionspraktisches
Nebenproblem geht: Der – von den Galatern offenbar nicht bestrittene – Empfang
des pmeOla ist nicht auf „Werke des Gesetzes“ zurückzuführen, sondern auf die
gehörte (und angenommene) Glaubenspredigt.
Hermeneutisch kühn findet Paulus das in der Abraham-Überlieferung wieder (V.
6 – 9), wenn er auf der Basis von Gen 15,6 „glauben“ und „Rechtfertigung“ direkt
miteinander verbindet. Zwar funktioniert diese Argumentation nur vom LXX-Text
her (Gen 15,6 LXX: ja· 1p¸steusem Abqal t` he` ja· 1koc¸shg aqt` eQr dijaios¼mgm),
während der hebräische Text offenbar davon spricht, Abraham habe Gott „gerecht
gesprochen“53 ; aber die Verwendung des LXX-Textes ist für Paulus und für das
zeitgenössische Judentum zumindest im griechischsprachigen Kontext das Normale.
52 So aber offenbar Dunn, Perspective 107: „Paul is as little opposed to the law per se as he is to good
works per se. It is the law understood in terms of works, as a Jewish prerogative and national
monopoly.“ Paulus zitiert beispielsweise das Liebesgebot selbstverständlich zustimmend, aber
das steht in keinem Zusammenhang mit einer rechtfertigenden Kraft des Gesetzes.
53 M. Oeming, Ist Gen 15,6 ein Beleg für die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit? ZAW 95
(1983) 182 – 197, hier : 194 sieht in Gen 15,6a.b einen synthetischen parallelismus membrorum:
„Abraham glaubte beständig an Jahwe, und dieses Sichfestmachen bestand darin, die Nach-
kommensverheißung als Erweis der göttlichen Gnade zu erachten. Abraham ist also das Subjekt
von bVx, und hqdc bezeichnet die göttliche iustitia salutifera.“ „Die Gerechtigkeit Gottes erweist
246 Andreas Lindemann
Dass Paulus in der Bestimmung des Verhältnisses von p¸stir und 5qca mºlou an einen
fundamentalen Widerspruch denkt, zeigt der Übergang von Gal 3,9 zu 3,10: Die aus
Gen 12,3 abgeleitete Aussage in V. 9, dass oR 1j p¸steyr zusammen mit Abraham den
Segen Gottes empfangen, wird durch die Feststellung erläutert (c²q), dass diejenigen,
die 1n 5qcym mºlou sind, unter dem Fluch stehen (rp¹ jat²qam, V. 10a); dafür folgt in
V. 10b die abermals mit c²q angeschlossene Aussage, dass es dafür eine entspre-
chende Schriftaussage gibt (Dtn 27,26). Zwar besagt der in V. 10b zitierte Satz der
Tora eigentlich, dass diejenigen verflucht sind, die die Tora nicht vollständig halten;
aber Paulus kommt es, wie er in V. 10a gesagt hat, auf die Feststellung an, dass die
Existenz 1n 5qcym mºlou in jedem Fall unter den Fluch führt. Das wird vollends durch
V. 11 klar, denn für die 2,16c aufnehmende Aussage 1m mºl\ oqde·r dijaioOtai paq± t`
he` nennt er jetzt einen sofort einleuchtenden Beleg (d/kom) – das nicht als solches
markierte, aber doch vorausgesetzte Schriftwort b d¸jaior 1j p¸steyr f¶setai (Hab
2,454). In V. 12 unterstreicht er ein weiteres Mal den Gegensatz von mºlor und p¸stir (b
d³ mºlor oqj 5stim 1j p¸steyr), insofern der mºlor entsprechend dem in V. 10b
zitierten Text auf das „Tun“ zielt, also auf „Werke“ (b poi¶sar aqt± f¶setai 1m aqto?r),
während die Feststellung, der mºlor sei nicht 1j p¸steyr, implizit an V. 11 mit dem
Zitat von Hab 2,4 anknüpft.
3. Dass für Paulus Glauben und Handeln zusammengehören, zeigt der Gedan-
kengang in Gal 5,2 – 6, wobei Paulus den Begriff 5qcom gar nicht und das Verb
poie?m nur in einem negativen Sinn verwendet. Die Warnung in V. 2 macht es
wahrscheinlich, dass die (Heiden-)Christen in den galatischen Gemeinden zur
Übernahme der Beschneidungspraxis aus religiösen Gründen bereit sind;
Paulus kommentiert das mit der Feststellung, dann werde Christus für sie
„nutzlos“ sein (oqd´m ¡vek¶sei). Aus der Beschneidung folge die Notwendig-
keit, „das ganze Gesetz zu tun“ (V. 3), wobei das Verb poi/sai implizit auf den
Kontext der „Werke (des Gesetzes)“ verweist. In V. 4 behauptet Paulus sogar, für
die so Handelnden werde das Christusgeschehen ungültig gemacht (jatgc¶q-
hgte !p¹ WqistoO): Die Christen, die 1m mºl\ gerechtfertigt werden wollen55,
sind „aus der Gnade herausgefallen“. Schärfer kann der Widerspruch zwischen
dem mºlor und der Christuszugehörigkeit nicht formuliert werden.
Paulus erläutert das in V. 5 – 6 mit zwei jeweils durch c²q eingeleitete
Aussagen: „Wir nämlich“, so solidarisiert er sich mit den heidenchristlichen
Galatern, „erwarten im Geist aus Glauben die 1kp·r dijaios¼mgr.“ Das be-
sich gerade darin, daß Jahwe dem Menschen … gegen alles menschliche Erwarten und Be-
rechnen übervolle heilsreiche Zukunft schenkt.“ Der These Oemings folgte eine kontroverse
Debatte, die „noch nicht abgeschlossen“ ist, wie M. Oeming, Der Glaube Abrahams. Zur Re-
zeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der Zeit des zweiten Tempels, ZAW 110 (1998) 16 – 33, hier:
22, feststellt; er meint nun, der hebräische Wortlaut von Gen 15,6 lasse sich möglicherweise gar
nicht auf eine einzige Bedeutung hin festlegen, doch hält er grundsätzlich an der oben skiz-
zierten These fest. Zur Debatte vgl. jetzt Matthias Köckert, „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in
Gen 15,6, ZThK 109 (2012) 415 – 444.
54 Vgl. dazu Koch, Schrift (s. Anm. 42), 127 – 129.
55 Die Formulierung oVtimer dijaioOshe ist ein praesens de conatu, B-D-R § 319.
Christusglaube und „Werke des Gesetzes“ bei Paulus 247
deutet: Unser Warten, das sich der Hoffnung auf die Gerechtigkeit verdankt,
ist durch das pmeOla bestimmt und durch die p¸stir, nicht aber – so wäre von V.
4 her zu ergänzen – durch den mºlor.56 Da im Galaterbrief 1kp¸r nur hier und
das Verb 1kp¸fy gar nicht belegt ist, wird man vielleicht die Aussagen in Röm
5,1 – 5 über die Gegenwart der Rechtfertigung (5,1) und die Gegenwart der
1kp¸r (5,2.4 f) als Kommentar zu Gal 5,4 lesen dürfen; mit 1kp·r dijaios¼mgr ist
in Gal 5,5 offenbar nicht gemeint, die Gerechtigkeit stehe noch aus und werde
lediglich „erhofft“, sondern 1kp¸r und dijaios¼mg stehen bei Paulus in einem
dialektischen Verhältnis zueinander und sind unmittelbar aufeinander be-
zogen.
In dem zweiten mit c²q eingeleiteten Satz V. 6, der den Gedankengang
abschließt, heißt es, dass in Christus Jesus weder „Beschneidung“ noch
„Vorhaut“ von Bedeutung ist (Qsw¼ei)57, sondern p¸stir di’ !c²pgr 1meqcou-
l´mg. Dieser Satz ist offenbar nicht als eine Erläuterung der vorangegangenen
Aussage zu verstehen, sondern er steht parallel zu dieser : Die Beschneidung
als Übernahme der Tora widerspricht der Gnade (V. 4) erstens aus dem in V. 5
genannten Grund und zweitens, weil in Christus „Beschneidung“ und „Vor-
haut“ bedeutungslos sind (V. 6a). Dass hier nicht lediglich der explizit ge-
nannte kultische Aspekte im Blick ist, sondern ebenso das mit der Tora ver-
bundene ethische Handeln, zeigt die in V. 6b genannte Alternative: Wichtig
sind weder Beschneidung noch Vorhaut, sondern wichtig ist allein die p¸stir
di’ !c²pgr 1meqcoul´mg. Demzufolge hat der mºlor also nicht einmal die
Funktion, zu (guten) Werken zu mahnen, denn „in Christus“ ist der Glaube als
solcher „durch Liebe wirksam“.58 Dabei zeigt die Wendung p¸stir … 1meq-
coul´mg, dass der Glaube tatsächlich „wirkt“ und dass er dazu keines äußeren
Anstoßes bedarf. Gleichwohl folgt von Gal 5,13 an konkrete Paränese, die aber
gerade auf die Praxis der !c²pg zielt (5,13.14).
4. Christine Gerber und ähnlich auch Christof Landmesser haben betont, es
sei ein bleibender Gewinn der new perspective, dass der jüdischen Religion
nicht mehr vorgeworfen werden könne, sie denke in den Kategorien der
„Werkgerechtigkeit“. Diese und ähnliche Feststellungen setzen allerdings das
Urteil voraus, „Werkgerechtigkeit“ sei etwas zutiefst Problematisches, wenn
nicht gar Verwerfliches. Aber ein solches Urteil wirkt geradezu wie die
Übernahme der lutherisch-reformatorischen Perspektive – oder sogar wie die
Übertragung der philosophischen Ethik Immanuel Kants – auf das antike
Judentum. Eine Ethik, die lehrte, dass richtiges Handeln belohnt wird, besitzt
einen natürlichen Wert; sie schließt im religiösen Kontext durchaus die
Möglichkeit ein, dass Gott angesichts menschlichen Scheiterns „Gnade“
walten läßt, sofern die Bereitschaft des Menschen zu gutem Handeln vor-
III.
1. Anders als im Galaterbrief entfaltet Paulus in dem Brief nach Rom seine
Theologie vor allem thetisch, d. h. er verfolgt offenbar nicht das Ziel, die
Adressaten von einer „falschen“ Lehrmeinung abzubringen oder sie vor einer
solchen zu warnen. Vor allem läßt der Brief auch nicht erkennen, dass Paulus
über die Verhältnisse in Rom näher informiert ist.59 Selbst wenn es also zu-
treffen sollte, dass Paulus die Theologie der Alternative von p¸stir (WqistoO)
und 5qca mºlou im Galaterbrief ausschließlich aus aktuellem Anlaß entwickelt
hat, so zeigt der Römerbrief jedenfalls, dass dieser Ansatz jetzt ein zentraler
Aspekt des paulinischen Denkens ist.60 Paulus will die Adressaten in Rom auf
seinen bevorstehenden Aufenthalt dort vorbereiten; nicht zuletzt erhofft er
sich Unterstützung für seine geplante Reise nach Spanien.61
59 Nach P.J. Tomson, „Die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden“ (Röm 2,13). Zu einer
adäquaten Perspektive für den Römerbrief, in: M. Bachmann (Hg.), Lutherische und Neue
Paulusperspektive (s. Anm. 43), 183 – 221, hier : 210, richtet sich Röm, „wie alle erhaltenen
Paulusbriefe, formal nur an Heidenchristen“, wofür Tomson auf Röm 1,6.12; 11,13 verweist.
Dass Paulus sich mehr oder weniger ausschließlich an „Heidenchristen“ wendet, gilt freilich
allenfalls für den 1Thess (vgl. 1,9) und für den Gal (vgl. 4,8).
60 Der Römerbrief ist kein „dogmatischer Entwurf“; aber er ist auch keine „Verteidigungsschrift“,
die eigentlich auf den bevorstehenden Jerusalem-Besuch des Paulus zielt. B. Heininger, Vom
Konflikt um die Küche zum Rezept für die Gemeinde. Die Vegetarismusdebatte Röm 14,1 – 23 in
„neuer Perspektive“, in: ders., Die Inkulturation des Christentums. Aufsätze und Studien zum
Neuen Testament und seiner Umwelt, WUNT 255, Tübingen 2010, 89 – 132, hier: 107 nimmt an,
dass es in Rom darum gegangen sei, „ob ehemalige Juden nach ihrer Konversion zum Chris-
tentum an den ihnen vertrauten identity markers festhalten dürfen“, und insofern sei das im im
Röm verhandelte Problem „nicht die Aufnahme der Heidenchristen ins Gottesvolk, so sehr
Paulus auch im Blick auf die bevorstehende Jerusalemreise um die Anerkennung seiner geset-
zesfreien Heidenmission zittern mag. Für eine mehrheitlich heidenchristliche Gemeinde kann
dies nicht das Problem sein.“ Diese Überlegungen sind m. E. grundsätzlich auch dann richtig,
wenn man nicht annimmt, dass Paulus über die Verhältnisse in Rom so genau informiert ist, wie
es Heininger voraussetzt.
61 Vgl. St. Koch, „Wenn ich nach Spanien reise“ (Röm 15,24). Hinweise zu Hintergründen und
Bedeutung der Reisepläne des Paulus, in: U. Schnelle (ed.), The Letter to the Romans, BEThL
226, Leuven 2009, 699 – 712. – Der Plan der Spanienreise macht die Annahme unwahrscheinlich,
dass Paulus um die Anerkennung der Heidenmission „zitterte“ (s. die vorige Anm.).
Christusglaube und „Werke des Gesetzes“ bei Paulus 249
Die Selbstvorstellung des Paulus in 1,5 (1k²bolem w²qim ja· !postokµm eQr
rpajoµm p¸steyr 1m p÷sim to?r 5hmesim) und die daran unmittelbar anknüp-
fende Anrede in 1,6 (1m oXr 1ste ja· rle?r) sowie die Notizen in 1,13 – 15, vor
allem in 1,14, könnten zwar für die Annahme sprechen, dass Paulus primär
mit Heidenchristen in Rom rechnet. Aber nach der Adresse in 1,7 richtet sich
der Brief jedenfalls an alle jkgto· ûcioi in Rom; dementsprechend sind mit der
Wendung p²mta t± 5hmg in 1,5 offenbar „alle Völker“ gemeint, nicht nur „alle
Heidenvölker“.62
Zwar könnten die Aussagen in 1,13.14 für die Annahme sprechen, dass „die übrigen
Völker“ (V. 13) mit „Griechen und Barbaren“ (V. 14) identisch sind; aber 1,16 zeigt,
dass Paulus zwischen Juden und „Griechen“ zwar unterscheiden, sie aber nicht
voneinander trennen will. In 4,16 wird Abraham von Paulus als patµq p²mtym Bl_m
bezeichnet; in V. 17 wird dafür als Beleg Gen 17,5 zitiert (Abraham als patµq pokk_m
1hm_m), ohne dass damit die Beziehung Abrahams zum Volk Israel verneint wäre. In
15,10 zitiert Paulus Dtn 32,43 LXX, wo zwischen den „Völkern“ (5hmg) und dem „Volk
Gottes“ (ka¹r aqtoO) unterschieden wird; aber diese Unterscheidung wird in 15,11
sogleich aufgehoben, denn es heißt jetzt im Zitat von Ps 117,1: aQme?te, p²mta t± 5hmg,
t¹m j¼qiom ja· 1paimes²tysam aqt¹m p²mter oR kao¸, d. h. es besteht offensichtlich kein
Unterschied zwischen p²mta t± 5hmg und p²mter oR kao¸. Wenn man annimmt, dass
sich die Wendung p÷sai aR 1jjkgs¸ai t_m 1hm_m in Röm 16,4 allein auf „heiden-
christliche“ Gemeinden bezieht63, dann wären umgekehrt in der Wendung aR 1jjkg-
s¸ai p÷sai toO WqistoO in 16,16 auch die judenchristlichen Gemeinden ausdrücklich
eingeschlossen. Aber es ist wenig wahrscheinlich, dass Paulus in diesen sehr knappen
Formulierungen sagen will, „alle Heidenkirchen“ hätten Priska und Aquila viel zu
verdanken und „alle Gemeinden“ würden Grüße bestellen lassen.
Paulus kann ohne weiteres vermuten, dass es in Rom sowohl Jesusgläubige jüdischer
Herkunft wie auch „Heidenchristen“ gibt; aber von akuten Konflikten, über die
Paulus informiert wäre, läßt der Brief nichts erkennen. Das gilt insbesondere auch für
die Ausführungen in Röm 14,1 – 15,13: Sollte bei den Themen „Speisesitten“ und
„besondere Tage“ ein ethnisch-religiöser Konflikt im Hintergrund stehen, so müßte
wohl doch erklärt werden, warum Paulus jede explizite Anspielung darauf vermei-
det.64 Überdies käme die Aussage in 14,14 f, dass alles „rein“ ist, einer Aufhebung des
62 Zu Röm 1,1 – 7 vgl. Eung-Bong Lee, Das Verständnis der Funktion des Präskripts im Römerbrief,
Diss. Bethel 2007. Lee folgert allerdings aus 1,7 (vgl. 16,1 – 20), „dass die Adressaten nur aus
Heidenchristen bestehen, aber die Hausgemeinden, die von den Adressaten seit einiger Zeit
getrennt sind und jeweils eigene Gottesdienste gefeiert haben, aus gemischten Christen beste-
hen, wo die Mehrheit Judenchristen sind“ (67). Auch die Bedeutung der Empfehlung der Phöbe
sei unter diesem Aspekt zu verstehen.
63 So E. Lohse, Der Brief an die Römer, KEK IV, Göttingen 2003, 406: „alle Gemeinden in der
Heidenchristenheit“.
64 Nach Heininger, Konflikt um die Küche (s. Anm. 60), 106 liegt es „nahe, die ,Schwachen‘
(mehrheitlich) mit den in der römischen Gemeinde inzwischen die Minderheit stellenden Ju-
denchristen und die ,Starken‘ mit den die Gemeinde dominierenden Heidenchristen zu iden-
tifizieren“, auch wenn man „die Grenze nicht völlig strikt ziehen“ müsse. Aber wo im Text von
250 Andreas Lindemann
Selbstverständnisses der Juden gleich; sie wäre mithin kein Beitrag zur Lösung,
sondern sie würde im Gegenteil zur Verschärfung des Problems beitragen.65 Schon
die Formulierung in 14,2 (dr l³m … b d³ !shem_m) legt die Vermutung nahe, dass
Paulus nicht von einem durch Gruppenzugehörigkeit bestimmten Verhalten spricht,
sondern von der subjektiven Überzeugung und Entscheidung des einzelnen.66
Röm 14 – 15 ist solches Detailwissen, sogar zur geschichtlichen Entwicklung der Gemeinde,
angedeutet? Es gibt nicht einmal ein sicheres Indiz dafür, dass wir von einer römischen
1jjkgs¸a sprechen können, zumal dieser Begriff in der Adresse des Röm fehlt.
65 Nach Heininger, Konflikt um die Küche (s. Anm. 60), 123 hält Paulus einerseits „kompromisslos
… an der Abschaffung der Speisetabus auch gegenüber den römischen Christen“ fest und stellt
sich „damit prinzipiell auf die Seite der ,Starken‘“, doch fordert er eindeutig, dass mit diesen
Prinzipien „flexibel“ umgegangen werden solle. Die römischen Judenchristen hätten ein
praktisches Problem: „Sie wollen so leben wie bisher, sind aber wegen des Mangels an ko-
scherem Fleisch zum Vegetarismus gezwungen und müssen sich in der Folge den Spott der
,Starken‘ … gefallen lassen“ (aaO., 125). Aber wieder ist zu fragen, ob und woher Paulus das alles
so genau weiß.
66 Nach Tomson, „Die Täter des Gesetzes“ (s. Anm. 59), 211 wird von Paulus in Röm 14 f „vor-
sichtig angedeutet“, dass es in Rom eine „Beeinträchtigung der Freiheit der Judenchristen durch
die Heidenchristen“ gab, weil die Schwachen „nicht von den Starken ,angenommen‘“ wurden
(14,1 – 5). Der Begriff „stark, die Starken“ kommt weder in Röm 14 noch in 1Kor 8 – 10 vor ; dass
Paulus in Röm 14 f aktuelle Vorgänge im Blick hat, über die er genau informiert ist, läßt der
Abschnitt nicht erkennen – sehr im Unterschied zu 1Kor 8 – 10.
67 R. Bultmann, Glossen im Römerbrief (1947), in: ders., Exegetica (s. Anm. 14), 278 – 284, hier:
281 sieht Röm 2,1 als Glosse an, mit der der Sinn von 2,2 f zusammengefaßt werden soll. M.E. ist
die Annahme von Interpolationen im Römerbrief an manchen Stellen durchaus plausibel, nicht
aber in 2,1.
68 Vgl. Koch, Schrift (s. Anm. 42), 111.
69 Ps 61,13 LXX: fti t¹ jq²tor toO heoO ja· so· j¼qie t¹ 5keor fti s» !pod¾seir 2j²st\ jat± t±
5qca aqtoO. Vgl. Spr 24,12 LXX: b pk²sar pmoµm p÷sim aqt¹r oWdem p²mta dr !pod¸dysim 2j²st\
jat± t± 5qca aqtoO. Vgl. Sir 35,22. 6yr !mtapod` !mhq¾p\ jat± t±r pq²neir aqtoO ja· t± 5qca
t_m !mhq¾pym jat± t± 1mhul¶lata aqt_m.
70 Vgl. die Hinweise bei Tomson, „Die Täter des Gesetzes“ (s. Anm. 59), 197 f.
Christusglaube und „Werke des Gesetzes“ bei Paulus 251
beide Male ausdrücklich, dies betreffe „zuerst den Juden und ebenso den
Griechen“. Die Voranstellung von Youda¸ou bzw. Youda¸\ könnte ein Indiz
sein für einen von Paulus angenommenen Vorrang oder eine besondere Ver-
antwortung „des Juden“; aber die mit c²q angeschlossene erläuternde Aussage
in V. 11, dass es bei Gott keine pqosypokglx¸a gibt, spricht gegen die An-
nahme, Paulus denke an einen Vorrang der Juden gegenüber den Heiden
coram Deo.
Die Aussage von V. 11 wird in V. 12 – 1571 näher entfaltet, wie das erläuternde
c²q zeigt: Es gibt nämlich hinsichtlich des Urteils über das "laqt²meim keinen
Unterschied zwischen denen, die !mºlyr gesündigt haben, und denen, die 1m
mºl\ sündigten, denn (c²q, V. 13) es sind ja nicht die Hörer des Gesetzes
gerecht, sondern die Täter werden gerechtgesprochen. In V. 13a setzt Paulus
einen Gottesbezug voraus (oq c±q oR !jqoata· mºlou d¸jaioi paq± t` he`), in
V. 13b dagegen spricht er den normalen Rechtsgrundsatz aus, dass die Täter
des Gesetzes gerechtgesprochen werden (oR poigta· mºlou dijaiyh¶somtai).
Die Aussage in V. 13b ist also offensichtlich nicht als eine soteriologisch-
eschatologische Verheißung zu verstehen, sondern sie steht in Opposition zu
V. 12, wo gesagt worden war, dass die Sünder entweder !mºlyr zugrunde
gehen (!pokoOmtai) oder aber di± mºlou gerichtet werden (jqih¶somtai); die
Täter des mºlor werden selbstverständlich gerecht gesprochen, also nicht
gerichtet. Es ist ein Mißverständnis, wenn man die Aussage in V. 13b vom
Kontext isoliert und in ihr womöglich einen von den bisherigen Aussagen
abweichenden neuen Grundsatz der paulinischen Rechtfertigungstheologie
sieht.72
Paulus argumentiert auf der Ebene der Erfahrung; das zeigt die in V. 14
wiederum mit c²q angeschlossene Erläuterung: Da 5hmg nicht einmal Hörer
des Gesetzes sind, können sie eigentlich nicht dessen Täter sein; sie tun aber
v¼sei das dem mºlor Entsprechende und zeigen so (V. 15), dass t¹ 5qcom toO
mºlou,73 also das dem Gesetz entsprechende Tun, in ihr Herz eingeschrieben
ist– erkennbar an den Regungen des Gewissens. Mit dem Syntagma t¹ 5qcom
toO mºlou sind hier die ethischen Normen der Tora gemeint, denn im Blick auf
deren den Ritus und die Reinheit betreffenden Bestimmungen könnte die
Aussage in V. 15b nicht gemacht werden.74
71 V. 16 halte ich mit Bultmann tatsächlich für eine nachträglich eingefügte Glosse (s. den in
Anm. 67 genannten Aufsatz Bultmanns, 282 f).
72 So aber Tomson, „Die Täter des Gesetzes“ (s. Anm. 59), 214, der Röm 2,13 f und 1Kor 7,19
parallelisiert: „Die Regel sagt m. E. eben nichts anderes aus, als dass Judenchristen jüdisch und
Heidenchristen nicht-jüdisch leben sollten, je nach ihren unterschiedlich zutreffenden ,Geboten
Gottes‘.“ Damit zeige sich, dass der Jakobusbrief ganz nahe bei Paulus steht. Aber dann müßte
Paulus die Position von Gal 5,3 vollständig aufgegeben haben.
73 Paulus hat keine Bedenken, vom 5qcom des Menschen oder von seinem 1qc²feshai zu sprechen,
das „gut“ oder auch „schlecht“ sein kann. Vgl. Röm 15,18; 2Kor 10,11; 1Kor 5,2; 9,1; 15,58;
16,19; Gal 6,4; Phil 1,6.22; 2,30; 1Thess 1,3; 5,13; 2Kor 9,8; Gal 5,19.
74 M. Bachmann, Bemerkungen zur Auslegung zweier Genitivverbindungen des Galaterbriefs:
„Werke des Gesetzes“ (Gal 2,16 u. ö.) und „Israel Gottes“ (6,16), in: M. Bachmann/B. Kollmann
252 Andreas Lindemann
(Hg.), Umstrittener Galaterbrief (s. Anm. 20), 95 – 118, hier : 107 meint, Paulus spreche vom
5qcom toO mºlou dort, wo es ihm „um von ihm als weniger heikel eingeschätzte Regelungen
(zumal) der Tora geht“. Aber was als „heikel“ eingeschätzt wird, läßt sich kaum sagen.
75 F. Wilk, Ruhm coram Deo bei Paulus?, ZNW 101 (2010), 55 – 77, hier: 67 f meint, Paulus zeichne
damit einen „Schriftgelehrten, der sich explizit als Jude präsentiert und sich dazu auf das Gesetz
als das Fundament jüdischer Lebensgestaltung ,stützt‘; indem er sich dabei ,Gottes rühmt‘
(2,17 f), drückt er seine Freude, Dankbarkeit und Treue zum Urheber des Gesetzes öffentlich
aus.“ Zwar wisse er „um seine Verantwortung gegenüber den Weltvölkern“, aber „sein auf
Schriftgelehrsamkeit beruhendes Programm führt jedoch in die Irre, da es ihn den Nichtjuden
gegenüber in einen widersprüchlichen Umgang mit dem Gesetz verstrickt, der sie zur Lästerung
des Gottesnamens veranlasst (2,23b–24) und auf diese Weise sein Rühmen Gottes und des
Gesetzes konterkariert“. Es gehe also nicht „um ein jüdisches Rühmen coram Deo“. Nach dieser
Interpretation hat der von Paulus dargestellte Youda?or offenbar gar keine Chance, das Miß-
verständnis bzw. den Widerspruch des Heiden zu vermeiden.
76 Zur Auslegung von Röm 3,1 – 8 bzw. 3,1 – 9 vgl. immer noch den wichtigen Aufsatz von G.
Bornkamm, Theologie als Teufelskunst, in: ders., Geschichte und Glaube II. Gesammelte Auf-
sätze IV, BEvTh 53, München 1971, 140 – 148.
77 c²q fehlt nur in D*.
78 In Codex A steht wie an anderen Stellen zuvor te pq_tom ja¸, aber das ist hier offensichtlich eine
sekundäre Ergänzung.
79 In Gal 2,16 heißt es … 1n 5qcym mºlou oq dijaiyh¶setai p÷sa s²qn.
80 Eine überraschende ganz „neue Perspektive“ bietet dazu Bachmann, Auslegung (s. Anm. 74), 107:
In 3,20b wird „zwar die Funktion des mºlor als eine Art Beicht- oder Sündenspiegel benannt, damit
aber selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass dieser (wie beispielsweise entsprechende ka-
Christusglaube und „Werke des Gesetzes“ bei Paulus 253
In 3,21 setzt, deutlich markiert durch mum· d´, ein neuer Textabschnitt ein:
Jetzt aber ist die vom Gesetz und von den Propheten bezeugte Gerechtigkeit
Gottes81 geoffenbart, und zwar wyq·r mºlou. Der Hinweis auf das Zeugnis
durch Gesetz und Propheten zeigt, dass die jetzt geoffenbarte dijaios¼mg heoO
den Juden galt und gilt, doch ihre Offenbarung geschah, ohne dass der mºlor
daran beteiligt war.82 In V.22 macht Paulus deutlich, dass er von der Gerech-
tigkeit Gottes di± p¸steyr YgsoO WqistoO spricht; sie gilt jetzt allen Glau-
benden unterschiedslos, insofern nämlich (c²q, V. 23) alle Menschen glei-
chermaßen Sünder sind und der Gott zukommenden dºna ermangeln. Ihnen
allen kommt dennoch das Rechtfertigungs-, Gnaden- und Erlösungsgesche-
hen in Christus Jesus zu (V. 24). In V. 25.26aa folgt jene „Formel“, die von
Christus als dem Rkast¶qiom und von Gottes Geduld angesichts der früheren
Verfehlungen spricht; hier bezeichnet dijaios¼mg aqtoO die Gott eigene Ge-
rechtigkeit, die sich darin realisiert, dass Gott in der Zeit seiner „Geduld“ die
zuvor begangenen Verfehlungen der Menschen vergeben hat.
In V. 26ab setzt mit der Wiederaufnahme von dijaios¼mg aqtoO der eigene
Kommentar des Paulus ein: Das alles geschah zum Erweis (5mdeinir) von
Gottes Gerechtigkeit, und auf die p²qesir der früheren Verfehlungen folgt jetzt
(1m t` mOm jaiq`) das Ergebnis (oder : das Ziel, Paulus schreibt eQr t¹ eWmai),83
dass Gott selber gerecht ist (d¸jaiom) und denjenigen rechtfertigt (dijaioOmta),
der aus dem Glauben an Jesus existiert. Dass Paulus an dieser Stelle zunächst
nochmals das eigene Gerecht-sein Gottes und dazu dann ergänzend Gottes
rechtfertigendes Handeln zum Ausdruck bringen will, ist wenig wahrschein-
lich; vermutlich ist das ja¸ zwischen d¸jaiom und dijaioOmta84 explikativ zu
verstehen, d. h. die Gott eigene Gerechtigkeit gegenüber dem Menschen, der 1j
p¸steyr YgsoO existiert, besteht eben darin, dass diesen Menschen rechtfer-
tigt. Damit ist der in V. 21 f eröffnete Gedankengang abgeschlossen.
In V. 27a fragt Paulus unvermittelt: poO owm B ja¼wgsir ; Damit nimmt er
offenbar den Dialog aus 2,17ff wieder auf, wo er in V. 17 und in V. 23 „den
Juden“ auf sein „Rühmen“ hin angesprochen hatte.85 Nach dem soeben Ge-
sagten ist die ja¼wgsir ausgeschlossen. Auf die Frage „Durch welches Gesetz?“
(di± po¸ou;) folgt die ebenfalls als Frage formulierte mögliche Antwort „Etwa
(durch das Gesetz) der Werke?“, die natürlich verneint wird (oqw¸), weil die
tholische Papiere [z.B. mit der Benennung von ,lässlichen Sünden‘ einerseits und ,Todsünden‘
andererseits]) unterschiedliche Zonen haben könne, darunter etwa die der 5qca mºlou.“
81 Paulus verwendet das Syntagma dijaios¼mg heoO ist hier erstmals wieder nach 1,17.
82 Nach Wengst, Gerechtigkeit Gottes (s. Anm. 44), 147 meint die Wendung wyq·r mºlou „außer-
halb des Geltungsbereiches der Tora“. Aber welchen Sinn hätte dann der Hinweis auf die
Bezeugung durch mºlor und pqov/tai, wenn die Offenbarung nur den Heiden gelten sollte?
83 Vgl. B-D-R § 402,2: „eQr tº zur Bezeichnung des Zwecks oder der Folge“.
84 F G it und der Ambrosiaster bieten die Lesart eQr t¹ eWmai aqt¹m d¸jaiom dijaioOmta t¹m 1j p¸steyr
YgsoO.
85 2,17: eQ d³ s» Youda?or 1pomol²f, ja· 1pamapa¼, mºl\ ja· jauw÷sai 1m he` … ; 2,23: … dr 1m
mºl\ jauw÷sai.
254 Andreas Lindemann
richtige Antwort lautet: „durch das Gesetz des Glaubens“. mºlor meint hier
nicht die Tora, weil dann die Frage di di± mºlou keinen Sinn gäbe, sondern
mºlor ist Gottes Forderung.86 Die positive Antwort, die ja¼wgsir sei ausge-
schlossen durch den mºlor p¸steyr, bedeutet deshalb nicht, dass der Glaube
der Tora einen neuen Sinn gibt; vielmehr spricht Paulus vom Widerspruch
zwischen 5qca und p¸stir : Die als mºlor bezeichnete Forderung Gottes87
richtet sich nicht auf die 5qca – damit wäre dann die Tora gemeint –, sondern
sie richtet sich auf die p¸stir.88
Das wird in V. 28 erläutert (c²q) durch die Feststellung (kocifºleha), dass
der Mensch gerechtfertigt werde durch Glauben, ohne „Gesetzeswerke“ (wyq·r
5qcym mºlou),89 womit das in V. 20 f Gesagte begrifflich und inhaltlich wieder
aufgenommen wird. Anschließend unterstreicht Paulus (V. 29 f), ähnlich wie
zuvor in V. 22.23, dass dieses Handeln des Einen Gottes (eXr b heºr) wirklich
alle Menschen betrifft, Juden und 5hmg, Beschneidung und !jqobust¸a. Die
unterschiedlichen präpositionalen Wendungen in V. 30 – zuerst heißt es: Gott
dijai¾sei peqitolµm 1j p¸steyr, dann aber schreibt Paulus: [dijai¾sei]
!jqobust¸am di± t/r p¸steyr – zeigen vermutlich keine sachliche Differenz
an:90 Offenbar blickt Paulus mit dem Wechsel von dijaioOm 1j zu dijaioOm di²
voraus auf seine in V. 31a formulierte Frage, ob wir di± t/r p¸steyr den
Glauben „außer Kraft setzen“; hier wäre die präpositionale Wendung 1j
p¸steyr ja nicht möglich gewesen. Die Antwort in V. 31b (lµ c´moito) und die
sofort hinzugefügte Alternative (!kk± mºlom Rst²molem) sind die logische
Konsequenz des zuvor Gesagten: Die vorangegangenen Ausführungen besa-
gen nicht, dass „wir“ durch den Glauben das Gesetz außer Kraft setzen, son-
dern der wahre Sinn des mºlor wird vielmehr erst so offenbar.91 Dasselbe hatte
Paulus schon zu Beginn in 3,21 gesagt: Die jetzt geoffenbarte dijaios¼mg heoO
ist bezeugt vom Gesetz und den Propheten, denn andernfalls wäre sie gar nicht
als solche identifizierbar. Wäre der mºlor durch den Glauben außer Kraft
gesetzt, so hätte er auch seine die Gerechtigkeit Gottes bezeugende Kraft
86 Wilk, Ruhm (s. Anm. 75), 68 f betont, diese Frage habe „keinen hämischen Klang“; Paulus
erwäge vielmehr in Anknüpfung an 2,17 – 24, „ob jenes Rühmen gegenüber ,Heiden‘ im Zuge der
Rechtfertigung ,eine neue Chance‘ hat, ,nämlich bei jüdischen Christen‘“ (die Zitate folgen
Aussagen von Chr. Burchard).
87 Anders Wilk, Ruhm (s. Anm. 75), 69, der unter Verweis auf Burchard feststellt, mºlor sei hier
„nicht generisch im Sinn von ,Norm‘ zu deuten“, sondern Paulus spreche „in verschiedenen
Hinsichten von der Tora. Die Genitive t_m 5qcym und p¸steyr dürften dann die jeweilige ,Ma-
terie‘ angeben, ,über die die Tora etwas bestimmt‘.“
88 Lohse, Römerbrief (s. Anm. 63), 137: Paulus sagt also, ähnlich wie schon zuvor in V. 21, „daß in
recht verstandenem Sinn das Gesetz den Glauben verkündigt“.
89 Zur Analyse des Satzes vgl. Theobald, Der Kanon von der Rechtfertigung (s. Anm. 50), 171 – 173.
90 Vgl. Lohse, Römerbrief (s. Anm. 63), 139.
91 Heininger, Konflikt um die Küche (s. Anm. 60), 95 sieht in Aussagen wie Röm 3,31 (vgl. 3,8;
6,1.15) eine Bezugnahme auf Vorwürfe, die Paulus seitens toratreuer Judenchristen gemacht
worden seien.
Christusglaube und „Werke des Gesetzes“ bei Paulus 255
verloren bzw. er hätte sie niemals gehabt.92 Ebenso wie in 3,19 meint mºlor
auch in 3,31 nicht allein die Tora, sondern die Schrift als ganze. Dem entspricht
es, dass Paulus in Röm 4 von Abraham spricht, der nicht 1n 5qcym gerecht-
fertigt wurde, sondern dem der Glaube angerechnet wurde eQr dijaios¼mgm.
Der mºlor, die Schrift, ist allein vom Glauben her richtig verstanden.93
4. Erst (und nur noch) in Kap. 9 – 11 spricht Paulus im Römerbrief wieder
im theologischen Sinn von den 5qca. Im Kontext der Prädestinationsaussagen
in 9,10ff verbindet er den Hinweis auf die 1jkoc¶ Jakobs und die Verwerfung
Esaus mit der Aussage, dass Gottes Erwählungshandeln nicht 1n 5qcym ge-
schieht, sondern aus Gottes Souveränität heraus (9,12). Entsprechend dem in
V. 11 Gesagten beziehen sich die in V. 12 erwähnten 5qca auf das Tun der
Menschen: Gottes berufendes Handeln, so wird aus V. 10 – 13 klar, orientiert
sich nicht an der Kategorie „gut oder böse“, sondern allein an Gottes Willen.
Das führt zu der Frage, ob Gott etwa ungerecht sei (V. 14); die (selbstver-
ständlich) verneinende Antwort (lµ c´moito) wird aber nicht mit der These
begründet, Gottes Handeln entspreche letztlich eben doch dem, was Men-
schen für „gerecht“ halten, sondern Paulus erklärt in V. 15 – 23 anhand un-
terschiedlicher Beispiele, dass Gott souverän ist – bis hin zum Bild vom Töpfer
und dem von ihm verarbeiteten Ton.
In 9,24 wechselt Paulus vom unpersönlichen Reden in die Sprache des
Bekenntnisses: Er spricht von „unserer“ Berufung (1j²kesem Bl÷r), nicht nur
aus Juden, sondern auch aus den Völkern. Diese Aussage belegt er in V. 25 – 29
mit einer längeren Kette biblischer Zitate. Es folgt in V. 30 – 33 die Anwendung
auf die Gegenwart: 5hmg haben Gottes Gerechtigkeit erlangt, ohne danach
gestrebt zu haben, und zwar „die Gerechtigkeit aus Glauben“ (dijaios¼mgm d³
tµm 1j p¸steyr), Israel hingegen, das dem mºlor dijaios¼mgr nachstrebte, ist
nicht zum mºlor gelangt, denn es strebte nicht nach der Gerechtigkeit 1j
p¸steyr, sondern nach einer Gerechtigkeit ¢r 1n 5qcym – „als käme sie aus
Werken“ (V. 32).94 Ebenso wie schon in 3,31 ist der mºlor, von dem Paulus in
9,31 f spricht, die Schrift als ganze; deren Sinn wird von Israel verfehlt, und als
Beleg dafür folgt in V. 33 abermals ein Schriftzitat (Jes 28,16). Dass Paulus
92 K. Haacker, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHKNT 6, Leipzig 1999, 97 weist die tradi-
tionelle Übersetzung zurück, wonach Rst²molem bedeute „wie richten auf“, als wäre das Gesetz
zuvor zusammengebrochen „und erst durch Paulus oder das Evangelium wiederhergestellt oder
rehabilitiert“. Aber Rst²molem ist ja einfach der Gegenbegriff zu jataqcoOlem, womit auch nach
Haacker gemeint ist „ungültig machen, außer Kraft setzen“. Die Übersetzung „Im Gegenteil: wir
bringen es zum Tragen!“ (so Haacker, aaO. 85) ist angesichts dieser Opposition zu blaß.
93 Nicht nur Abraham, sondern auch David als Psalmsänger bezeugt nach Röm 4,5 f den Zu-
sammenhang von Glaube und Rechtfertigung wyq·r 5qcym.
94 Vgl. M. Wolter, Das Israelproblem nach Gal 4,21 – 31 und Röm 9 – 11, ZThK 107 (2010) 1 – 30,
hier : 23: Paulus wirft Israel nicht vor, dass es Ruhm vor Gott erlangen will (so etwa Bultmann),
sondern „dass es ,am Stein des Anstoßes [d.h. an Christus] angestoßen ist‘ (9,32): Angesichts der
Christus-Initiative Gottes hat Israel am Gesetzesweg festgehalten und nicht erkannt, dass das,
was es im Gesetz gesucht hat – nämlich die ,Gerechtigkeit Gottes‘ –, in Jesus Christus zu finden
gewesen ist.“
256 Andreas Lindemann
IV.
95 Diese Deutung steht natürlich im Widerspruch zum Sinn der biblischen Überlieferung, insofern
in Dtn 30,12 – 14 von der Tora die Rede ist, nicht vom N/la t/r p¸steyr. Aber im Kontext der
paulinischen Hermeneutik ist diese Spannung bedeutungslos. Vgl. A. Lindemann, Die Ge-
rechtigkeit aus dem Gesetz. Erwägungen zur Auslegung und zur Textgeschichte von Römer 10,5,
ZNW 73 (1982) 231 – 250.
96 Vgl. dazu A. Lindemann, Paulus und Elia. Zur Argumentation in Röm 11,1 – 12, in: Logos-Logik-
Lyrik. Engagierte exegetische Studien zum biblischen Reden Gottes. FS Klaus Haacker, hg. von
V.A. Lehnert und U. Rüsen-Weinhold, ABG 27, Leipzig 2007, 201 – 218.
Christusglaube und „Werke des Gesetzes“ bei Paulus 257
97 Vgl. A. Lindemann, Paulus im ältesten Christentum. Das Bild des Apostels und die Rezeption der
paulinischen Theologie in der frühchristlichen Literatur bis Marcion, BHTh 58, Tübingen 1979,
123 f; H. Hübner, An Philemon. An die Kolosser. An die Epheser, HNT 12, Tübingen 1997, 163.
Eine ausführliche Exegese von Eph 2,8 – 10 bietet Chr. Gerber, Leben allein aus Gnade. Eph 2.1 –
10 und die paulinische Rechtfertigungsbotschaft, NTS 57 (2011) 366 – 391, vor allem 374 – 388.
Sie meint, „unter den doch verhältnismäßig mageren Spuren der paulinischen Rechtferti-
gungslehre in den nachpaulinischen Schriften“ komme dem Eph „Signifikanz“ zu, denn der
Verfasser „inszeniert“ seinen Text „als Schreiben an Neubekehrte aus den Völkern, hält also die
Erinnerung an das Christentum als ,Bekehrungsreligion‘ wach und verwendet hierbei die re-
formatorischen Schlüsselworte von der Rettung aus Gnade und Glaube (Eph 2.8 – 10)“ (367). Die
„Paulinismen“ in Eph 2,8 – 10 hätten nicht den Zweck, „dem Brief ein paulinisches Mäntelchen
umzuhängen“, denn der Verfasser vertrete in 2,1 – 10 „auch in Aufnahme von Tradition sein
eigenes theologisches Anliegen“ (389). Eph kämpfe nicht gegen „Werkgerechtigkeit“, und ob er
„die Soteriologie des Paulus im Sinne der New Perspective verstand, bleibt offen“, doch stimme
er in 2,1 – 10 mit Paulus überein „in seiner großen theologischen Linie, der anthropologischen
Bewertung des Menschen, der christozentrischen Begründung des Heils und der Forderung
eines Gott gemäßen Leben“ (390).
258 Andreas Lindemann
98 Anders beispielsweise G. Sellin, Der Brief an die Epheser, KEK VIII, Göttingen 2008, 163: „Der
auffällige Wechsel von ,Ihr‘- und ,Wir‘-Formulierungen in diesem Abschnitt hat also indirekt
mit dem Thema der Einheit von Juden- und Heidenchristen in der einen Kirche zu tun.“ Zur
Formulierung der Aussage in 2,10 (aqtoO c²q 1slem po¸gla) stellt Sellin (aaO., 186) fest, hier
würden „die Christen als po¸gla (heoO) bezeichnet“, aber nach der Ihr-Wir-These würde der
Verfasser hier ja nur die Judenchristen im Blick haben, was man aber sicher ausschließen kann.
99 Das gilt m. E. insbesondere auch für Eph 2,11 – 22; vgl. Hübner, Philemon. Kolosser. Epheser (s.
Anm. 97), 182: „Als eigene, geschichtlich und theologisch bedeutsame Größe ist im Eph einzig
und allein das Israel der Vergangenheit thematisiert.“
100 Ausdrücklich wird in Anspielung auf die Taufe gesagt, dies sei geschehen di± koutqoO pakic-
cemes¸ar ja· !majaim¾seyr pme¼lator "c¸ou. Zum Topos „Wiedergeburt“ vgl. den Exkurs bei
M. Dibelius-H. Conzelmann, Die Pastoralbriefe, HNT 13, Tübingen 4. Aufl. 1966, 111 – 113.
101 Vgl. dazu Tomson, „Die Täter des Gesetzes“ (s. Anm. 59), 203 – 207; er sieht eine große auch
begriffliche Nähe zu Paulus, weist aber die Annahme einer gezielten antipaulinischen Polemik
zurück (aaO., 203 Anm. 71).
Christusglaube und „Werke des Gesetzes“ bei Paulus 259
102 Das Zitat, eingeleitet mit B cqavµ B k´cousa lautet in der Fassung des Jak: 1p¸steusem d³
)bqa±l t` he`, ja· 1koc¸shg aqt` eQr dijaios¼mgm ja· v¸kor heoO 1jk¶hg. Vgl. dazu Chr.
Burchard, Der Jakobusbrief, HNT 15/I, Tübingen 2000, 129 f. Nach Burchard sind in der
Argumentation des Jak die Rechtfertigungsaussagen des Paulus nicht vorausgesetzt (aaO.,
125 f); so sei etwa dijaioOshai 1j „nicht exklusiv“ paulinisch, sondern begegne in „Mt 12,37
und Gal 2,16 (falls vorpaulinisch)“. Aber Gal 2,16 ist nicht „vorpaulinisch“, und in Mt 12,37
gehört das Gegenüber von dijaioOshai 1j und jatadij²feshai 1j zur üblichen Gerichtsspra-
che.
103 Das adverbiale lºmom an dieser Stelle bestätigt die sachliche Richtigkeit des berühmten Lu-
therschen „allein“ in Röm 3,28, das dort im griechischen Text ja fehlt.
104 Auf die aus der Logienquelle Q übernommene Begrifflichkeit in Lk 7,35 (ja· 1dijai¾hg B sov¸a
!p¹ p²mtym t_m t´jmym aqt/r) bzw. Mt 11,19 (ja· 1dijai¾hg B sov¸a !p¹ t_m 5qcym aqt/r) ist
hier nicht einzugehen; paulinischer Sprachgebrauch liegt offensichtlich nicht vor.
105 Das abschließende paq’ 1je?mom bringt wohl einen Gegensatz zum Ausdruck und ist nicht
komparativisch zu verstehen; vgl. M. Wolter, Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008,
594.
106 Vgl. dazu Theobald, Der Kanon von der Rechtfertigung (s. Anm. 50), 196 – 202. Ob diese
Position, die deutlich modifiziert auch im Munde des Petrus begegnet (Apg 15,10 f), wirklich
antiochenischer Theologie entspricht und daher gefolgert werden kann, beim Apostelkonzil in
Jerusalem sei der Position der Antiochener „Anerkennung zuteil“ geworden (aaO., 205), kann
man allerdings fragen; in der entscheidenden Rede des Jakobus und im „Aposteldekret“ be-
gegnet der rechtfertigungstheologische Aspekt jedenfalls nicht.
260 Andreas Lindemann
Aussage ist nicht exakt „paulinisch“, und insofern unterscheidet sie sich nicht
von Eph 2,8 – 10 und Tit 3,4 f; aber ähnlich wie der auctor ad Ephesios sieht
Lukas in dieser Begrifflichkeit für seine Leser ein Element der Identifizierung
paulinischen Denkens.
Der Erste Clemensbrief bezieht sich mehrfach ausdrücklich auf Paulus,107
ohne jedoch eine direkte Verbindung zwischen Paulus und der Rechtferti-
gungstheologie herzustellen. In 1 Clem 30 mahnt der römische Verfasser die
korinthischen Christen sogar, sie sollten alles tun, was zur Heiligung gehört,
nämlich sich rechtfertigen durch Werke, nicht durch Worte (5qcoir dijaio¼-
lemoi ja· lµ kºcoir, 30,3). Das klingt antipaulinisch; aber der Kontext zeigt,
dass die Aussage nicht „rechtfertigungstheologisch“ in soteriologisch-esch-
atologischem Sinn gemeint ist, sondern als Aufforderung zu gutem Han-
deln.108 In ähnlicher Weise werden in 33,7.8 und in 38,2 die 5qca !cah² bzw.
das 5qcom dijaios¼mgr als positive, dem Willen Gottes entsprechende Hand-
lungen bezeichnet. In 32,4 dagegen spricht der Autor von der Berufung 1m
Wqist` YgsoO, und hier stellt er ganz „paulinisch“ fest, dass wir nicht „durch
uns selbst gerechtfertigt werden …, auch nicht durch unsere Werke, … son-
dern durch den Glauben“, durch den Gott immer schon gerechtfertigt hat.
Während in den Briefen des Ignatius von Antiochia, ungeachtet eines dort
stark betonten Paulusbildes, Bezüge zur Theologie der Rechtfertigung feh-
len,109 schreibt Polykarp von Smyrna gleich im Eingangskapitel seines Phil-
ipperbriefs, die Adressaten wüßten, dass sie „aus Gnade gerettet worden sind,
nicht aufgrund von Werken“ (1,3). Die Verbindung der Adressaten in Philippi
mit Paulus ist dem Polykarp bekannt (3,2); die Aussage in 1,3 wirkt geradezu
wie ein Zitat aus Eph 2,5.8 f, den Polykarp sicher als paulinisch ansah.110
Die frühe nachpaulinische, mehr oder weniger an Paulus anknüpfende
Theologie verbindet Bezugnahmen auf Paulus auch mit der Terminologie der
Rechtfertigung, aber mit Ausnahme offenbar der lukanischen Schriften und
vielleicht von Eph 2,8 – 10 ist sie nicht das unbedingte „Erkennungszeichen“
für den Verweis auf Paulus.
107 Zum Paulusbild des 1 Clem vgl. Lindemann, Paulus im ältesten Christentum (s. Anm. 97), 72 –
82, zu möglichen literarischen Bezügen aaO., 177 – 199.
108 Vgl. A. Lindemann, Die Clemensbriefe, HNT 17, Tübingen 1992, 96 f.
109 Vgl. Lindemann, Paulus im ältesten Christentum (s. Anm. 97), 217 f.
110 Vgl. M. Theobald, Paulus und Polykarp an die Philipper. Schlaglichter auf die frühe Rezeption
des Basissatzes von der Rechtfertigung, in: M. Bachmann (Hg.), Lutherische und Neue Pau-
lusperspektive (s. Anm. 43), 349 – 388, hier: 383: „Polykarp hat den Satz in einer kirchlichen
Situation rezipiert, in der es längst klar war, dass die Beschneidung keine Bedingung für die
Zugehörigkeit zur Kirche sein könne.“ Polykarp habe Paulus geschätzt, aber „ein exklusiver
Paulinismus (wie ihn die Pastoralbriefe kennen) wäre für ihn undenkbar gewesen“; Matthäus
war für ihn von gleicher Bedeutung, wie die Anspielung auf den Makarismen der Bergpredigt
in Pol Phil 2,3 (Verfolgung leiden 6mejem dijaios¼mgr) zeige (aaO., 385 f). Paulus war eben „nur
eine Stimme im Konzert ,der Apostel‘, wenn auch wohl die markanteste!“ Allerdings wird
Polykarp beim Zitat aus Mt 5,3.10 eher an Jesus als an den Evangelisten gedacht haben.
Christusglaube und „Werke des Gesetzes“ bei Paulus 261
V.
Krister Stendahl und an ihn anknüpfend Exegeten der new perspective haben
betont, Paulus verteidige im Römerbrief „das Recht der Heiden, Vollmitglieder
des Gottesvolkes zu werden“, im Galaterbrief verteidige er „die Rechte seiner
heidnischen Konvertiten gegen die Praxis des ,Judaisierens‘, also dagegen, die
Heiden unter Beschneidung und Speisegebote zu stellen“.111 Aber das prak-
tische Zusammenleben von Heiden und Juden in einer Gemeinde ist offenbar
in keinem der uns erhaltenen paulinischen Briefe das eigentliche Thema.
Paulus erwähnt es im Zusammenhang der Schilderung des antiochenischen
Konflikts, aber er hebt es sofort auf die Ebene einer theologischen Funda-
mentalbestimmung, insofern er in der die Gemeinschaft aufkündigenden und
dabei zerstörenden Praxis in Antiochia nichts Geringeres als die Gefährdung
der Wahrheit des Evangeliums erkennt. Umgekehrt zeigen die Belege in
nachpaulinischer Literatur, dass die Begrifflichkeit von „Glaube“ und „Wer-
ken“ bzw. „Rechtfertigung“ nicht mit der Frage der Zugehörigkeit von Heiden
(-christen) zur christlichen Gemeinde verbunden ist.
Die konkreten Verhältnisse in einer paulinischen Gemeinde werden am
deutlichsten sichtbar in den Korintherbriefen. Zwar kommt in ihnen die hier
erörterte Begrifflichkeit kaum vor, aber sie fehlt keineswegs ganz, wie 1Kor
1,30; 6,11 und 2Kor 5,21 zeigen; Paulus setzt offensichtlich voraus, dass die
Adressaten seine knappen Andeutungen einzuordnen wissen.112 Der erste
Brief nach Korinth setzt die Zugehörigkeit von Juden und „Griechen“ zur
christlichen Gemeinde ohne weiteres als gegeben voraus, wobei die 1jjkgs¸a
toO heoO ausdrücklich als eine eigenständige Größe gegenüber Juden und
Griechen bezeichnet ist (1Kor 10,32).113 Dass Paulus innergemeindlich Juden
und Nichtjuden bewußt voneinander unterschieden hätte, läßt die korinthi-
sche Korrespondenz nicht erkennen; vielmehr impliziert die Annahme einer
solchen Unterscheidung ein fundamentales Mißverständnis der Ekklesiologie
des Paulus.
Der Galaterbrief, der sich gezielt an Christusgläubige aus den „Völkern“
wendet, die unter dem Einfluß einer pauluskritischen, Christus und die Tora
verkündigenden Missionsarbeit stehen, bestätigt dies in der in 3,28 verwen-
deten, vielleicht zitierten „Taufformel“: Die Wendung oqj 5mi Youda?or, oqd³
GEkkgm ist ja nicht eine zufällig im aktuellen Konflikt entwickelte ad-hoc-
Position, sondern sie ist zu verstehen als eine fundamentale Grundaussage des
Paulus, die er denn auch in 1Kor 12,13 wieder aufnehmen wird (eUte Youda?oi
eUte GEkkgmer eUte doOkoi eUte 1ke¼heqoi), ohne dass es dafür in Korinth ak-
tuelle Gründe gab.114
In der Diskusssion um die new perspective wird oft darauf hingewiesen,
dass das Judentum ja schon deshalb keine „Werkgerechtigkeit“ im klassischen
Sinne gelehrt haben könne, weil es ja nicht darum ging, Bedingungen für das
Jude-sein zu erfüllen. Dass ein geborener Jude nach jüdischem Selbstver-
ständnis zum Gottesvolk Israel gehört, ist eine Selbstverständlichkeit; Paulus
erinnert daran in Gal 2,15.16a. Der in der Tora geforderte Gehorsam hat
tatsächlich nicht das Ziel, den angeredeten Menschen in das Gottesvolk hin-
einzuführen („getting in“). Hier liegt ein klarer Unterschied zur christlichen
Glaubensbotschaft, die den Glauben an Christus nicht voraussetzt, sondern
allererst herbeiführen will. Tatsächlich steht im Volk Israel nicht das „getting
in“ unter Bedingungen, wohl aber das „staying in“; diese Bedingungen sind in
der Tora an vielen Stellen ausgesprochen, und sie werden in nachbiblischen
jüdischen Texten eingehend präzisiert und interpretiert. Die Glieder der
christlichen Gemeinde sind nicht v¼sei, sondern aufgrund des Glaubens in die
Gemeinschaft gekommen; sie sollen den Glauben bewahren und ihn auch in
ihrem Handeln bewähren. Dabei ist zumindest aus der Sicht des Paulus klar,
dass das Handeln zwar von Gott beurteilt wird, dass es aber nicht zur Ge-
rechtigkeit des Menschen vor Gott beiträgt. So ist für den christlichen Glauben
das „getting in“ und das „staying in“ an die eine Bedingung gebunden,
nämlich an den Glauben an Jesus Christus; aber dieser Glaube wird nicht als
ein Tun des Menschen, sondern als Geschenk Gottes verstanden.
114 Oft steht heute in der Auslegung von Gal 3,28 das Verhältnis von „männlich und weiblich“ im
Blickfeld; es sollte aber nicht übersehen werden, dass die Formel eröffnet wird mit der Fest-
stellung, unter denen, die in der Taufe „Christus angezogen“ haben, stehe die Unterscheidung
von Youda?or und GEkkgm nicht mehr in Geltung.
James Dunn
1 H. M. Müller, “‘Evangelium latuit in lege’: Luthers Kreuzespredigt als Schlüssel seiner Bibel-
hermeneutik”, in C. Landmesser, et al., hrsg. Jesus Christus als die Mitte der Schrift (O. Hofius FS;
BZNW 86; Berlin: de Gruyter, 1997) 101 – 26: “the distinction between law and gospel grew out of
Luther’s exegetical work in his conversation with the apostle … the distinction between law and
gospel as basis for the teaching of justification by faith”. “Only he who takes up this distinction
and lets his thinking be led by it is, according to Luther, a good theologian” (101 – 2; also 107 – 9).
2 E. Lohse, Paulus (München: C. H. Beck, 1996): “It is justified to point out, however, that one may
not conclude from Luther’s sharp confrontation against mediaeval works righteousness to a
correspondingly dark background of the Judaism of Paul’s time, as has happened not seldom in
the older discussion” (285).
3 “It is out of place to talk of Jesus Christ and to judaize. For Christianity did not believe in Judaism,
but Judaism in Christianity …” (Ignatius Magn. 10.3). “But if anyone interprets Judaism to you,
do not listen to him; for it is better to hear Christianity from a man who is circumcised, than
264 James Dunn
tithesis between ‘grace’ and ‘works’ therefore may be said to be one of the roots
of the long adversus Judaeos tradition which became such a strong feature of
Christianity in later centuries and which reached its horrific climax in the
Holocaust.4 Even if that last statement needs a good deal of refining, it is
sufficiently close to the truth to give us cause for pause in any discussion of the
Pauline antithesis between ‘grace’ and ‘works’.
The first step in such a discussion has to be further clarification of the context
in which Paul draws the antithesis between grace and works. For it is im-
portant to note that the contrast itself is drawn from Israel’s own history. The
grace to which Paul refers is not the gospel as such, nor was it first expressed in
the gospel. It is the grace of election. The remnant who have believed the gospel
is the present-day equivalent of the remnant at the time of Elijah. Both rem-
nants were and are remnants by virtue of ‘the election of grace (eklogÞ cha-
ritos)’ (Rom 11:5). To be noted is the fact that Paul does not exclude Israel from
grace or set Israel and grace in antonymical columns. He draws his under-
standing of grace from Israel’s history – specifically from Israel’s conception
of election and its self-understanding as the nation elected by God to be his
chosen people. The phrase eklektoi theou was central to Israel’s self-under-
standing,5 and the noun eklogÞ (‘election’) is fundamental to his argument in
Rom 9 – 11. ‘Israel’ was itself defined by God’s ‘election’, by the divine ‘call’
(9:11 – 12), and Paul’s reassurance was that God remained faithful to that
election (11.28), even though the ‘call’ could now be seen to include Gentiles
(9:24 – 25), and ‘the elect’ focused (for the present) on the remnant (11:7).
The term ‘grace (charis)’ is, of course, characteristically Pauline; one could
fairly say distinctively Pauline.6 For it summed up not only the epochal event
of Christ itself (‘the grace of our Lord Jesus Christ’)7 but also the grace which
made the vital break through in individual human experience (the grace ‘re-
ceived’, ‘given’, ‘accepted’).8 And it defined not only the past act of God in-
itiating into a life of faith, but also present continuing experience of divine
enabling (‘this grace in which we stand’, ‘under grace’, grace sufficient),9 as
Judaism from one uncircumcised” (Phil. 6.1). See also K.-W. Niebuhr, “‘Judentum’ und ‘Chris-
tentum’ bei Paulus und Ignatius von Antiochien”, ZNW 85 (1994) 218 – 33, especially 224 – 33.
4 See e. g. A. L. Williams, Adversus Judaeos (Cambridge: Cambridge University, 1935); H. Maccoby,
Judas Iscariot and the Myth of Jewish Evil (London: Halban, 1992).
5 See the passages cited in my Romans (2 vols.; WBC 38; Dallas: Word, 1988) 1.502.
6 The Pauline letters use charis 100 times, as against 55 times for the rest of the NT.
7 2 Cor 8:9; cf. Rom 5:15; Gal 2:21; Eph 1:6 – 7.
8 Rom 3:24; 5:15, 17, 20; 1 Cor 1:4 – 5; 15:10; 2 Cor 6:1; Gal 1:6, 15; 2:21; Eph 2:5, 8.
9 Rom 5:2, 21; 6:14, 15; 2 Cor 1:12; 8:1; 9:8, 14; 12:9; Gal 5:4; Col 3:16; Eph 1:7 – 8.
Paul, Grace and ERGA NOMOU 265
10 Rom 1:5; 12:3, 6; 15:15; 1 Cor 3:10; Gal 2:9; Eph 3:2, 7 – 8. Also ‘grace (gracious action)’ as the
particular outworking or manifestation of grace (1 Cor 16:3; 2 Cor 1:15; 8:1, 4, 6 – 7, 19; Eph
4:29).
11 Note particularly Paul’s emphasis on the love of God (Rom 5:5, 8; 8:37, 39; 2 Cor 13:13; 2 Thes
2:16; 3:5) and the love of Christ (Rom 8:35; Gal 2:20; 2 Cor 5:14; Eph 3:19; 5:2, 25). Agape
(‘love’) is another word, like ‘gospel’, which early Christianity and Paul minted afresh to express
the richness and vitality of their experience of divine acceptance. It appears only exceptionally in
non-biblical Greek prior to second and third century CE, and most of the 20 LXX occurrences
refer to conjugal love (Wisd Sol 3:9 is an exception). Contrast the 116 occurrences in the NT, of
which 75 appear in the Pauline corpus (see further my Romans 2.739).
12 D. J. Doughty, ‘The Priority of CHARIS’, NTS 19 (1972 – 73) 163 – 80 (here 170).
13 In the Hebrew Bible chen 67 times and chesed 245 times.
14 H.-J. Fabry, TDOT 5.24 – 5. The word appears most often in the phrase “find favour in the eyes of”
(BDB, chen).
15 H.-J. Zobel, TDOT 5.47 – 50, citing, e. g. Gen 21:23; Josh 2:12, 14; 2 Sam 2:5 – 6.
16 Zobel, TDOT 5.62 – 3 – most notably in the oft repeated confession of the Lord as “a God merciful
and gracious, slow to anger, and abounding in steadfast love and faithfulness” (Ex 34:6; Num
14:18; Neh 9:17; Pss 86:15; 103:8). See also W. Zimmerli, TDNT 9.376 – 87.
17 Only in Esther 2:9, 17 does charis translate chesed.
18 Rom 9:23; 11:31; 15:9; Gal 6:16; that Paul was well aware of the strong overtones of covenant love
266 James Dunn
then, that Paul preferred charis, presumably because in its usage he could
combine the most positive features of the two Hebrew words: charis denotes,
as it were, the unilateralness of chen and the lasting commitment of chesed.
The explanation for Paul’s usage of charis must be something along these lines,
since it is less likely that he drew the term from contemporary Greek usage.
Although common in Greek in a range of senses (‘beauty, goodwill towards,
favour, gratitude for, delight in’), charis did not have a particularly theological
or religious connotation.19 The closest usage would have been in the context of
benefaction – charis as ‘favour’ done, and regularly in the plural, charites,
‘favours’ bestowed or returned.20 So the term would have been familiar to
Paul’s audiences, and in a not too unrelated sense, but its theological weight for
Paul (‘the grace of God’, ‘the grace of the Lord’, ‘the grace of Christ’) would
have come from its Hebrew precedents. For Paul there was one ‘grace’ above all
others (he never uses the plural), the undeserved and lasting favour of God,
and the only appropriate responsive charis to the divine benefaction was charis
in the sense of ‘thanks’.21
The point, then, is that in the key text being discussed (Rom 11:5 – 6), two of
the principal terms, ‘election’ and ‘grace’, can only be adequately understood
within the context of Israel’s scriptures and theology. Paul fully recognized
and took for granted as a given that Israel’s self-understanding and theology
began with the divine initiative of grace. This grace came to its first full
expression in the divine initiative of election – God’s choosing Israel to be his
own people as an act of divine graciousness. As Paul would have been well
aware, the book of Deuteronomy continually reminded Israel that they were
subjects of divine favour, not because they were great, nor because they were
particularly virtuous. Their election (and deliverance from slavery in Egypt)
was simply an enacting of the promises God had made to Abraham, Isaac and
Jacob.22 As Calvin was more willing to recognize, the covenant of grace was
already a factor in the period of the Old Testament. In fact, Israel and its
religion began from a covenant of grace – God’s free, wholly generous and
unearned choice of Abraham and promise to Abraham’s seed. This ‘election of
grace’ was the foundational fact which determined the seven thousand of
Elijah’s time resolve to remain faithful to that covenant. And it was the same
‘election of grace’ – Paul is clear on this point – the same divine gracious
for Israel in eleos is indicated by the prominence of the verb (elee) in Rom 9:15 – 18 and 11:30 –
32.
19 LSJ, charis; H. Conzelmann, TDNT 9.373 – 6.
20 See particularly J. R. Harrison, Paul’s Language of Grace in its Graeco-Roman Context (WUNT
2.172; Tübingen: Mohr Siebeck, 2003), who draws attention especially to the role of the Caesars
as bestowers of divine charis (44 – 9). As Harrison notes, Res Gestae Divi Augusti 15 – 24 record
the magnitude of Augustus’ largesse, which would have been well known not least to the readers
of Paul’s letter to Rome (226 – 34).
21 Rom 6:17; 7:25; 1 Cor 15:57; 2 Cor 2:14; 8:16; 9:15; Col 3:16.
22 Deut 4:32 – 40; 6:10 – 12, 20 – 23; 7:6 – 8; 8:17 – 18; etc.
Paul, Grace and ERGA NOMOU 267
I am attempting here to make the case that the traditional Christian or Pro-
testant setting of Christianity and Judaism, gospel and law, in sharp antithesis
has been taken to an uncomfortable, not to say disastrous extreme. Paul has
been the cause clbre, or scapegoat in all this. This came home to me with
force when I first went into detailed study of Paul’s phrase, the ‘righteousness
of God’, a phrase which is at the heart of his letter to the Roman believers, and
which is in effect the theme which that letter expounds (Rom 1:16 – 17). For it
quickly became clear that here too Paul was taking over a key Jewish term,
‘righteousness’, and that it was understood by Paul in a distinctively Jewish
way. The fact that he did not see any need to explain the phrase, ‘the right-
eousness of God’, to his Roman audiences presumably means that Paul took it
for granted that they, even as predominantly Gentile in membership, were
sufficiently familiar with the (Jewish) scriptures as to appreciate the signi-
ficance of the phrase.
The point is that in Hebrew thought, ‘righteousness’ was a relational term,
denoting the conduct which meets the obligations laid upon the individual by
the relationship of which he/she is part.24 So Israel’s righteousness was not so
much something to be achieved by their self-effort; rather it was understood
and measured in terms of obedience to the law of th