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aware Magazin für Psychologie / HS12

[ˈʃpʀaːχə]

Psychologie und Sprache


Master of Science in Angewandter
Psychologie FHNW
Psychologie studieren mit Praxisbezug
Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie
Vertiefungen:
- Arbeit und Gesundheit
- Personalpsychologie
- Human Factors
- Arbeits- und Organisationspsychologie
- in Planung für 2014: Medienpsychologie - Neue Medien

Praxis- und Forschungsorientierung


Forschungswerkstatt, Praktikum und Master-Thesis werden mit Partnern beispielsweise aus der
Wirtschaft, dem Gesundheitswesen und der Verwaltung bearbeitet. Unsere Studierenden erwerben
vertieftes Wissen in angewandter, empirischer Forschung und profitieren von den Kontakten zu Un-
ternehmen.

Besuchen Sie unsere Informationsabende


jeweils 17.15 Uhr - 19.00 Uhr
Mittwoch, 29. August 2012
Mittwoch, 24. Oktober 2012
Donnerstag, 22. November 2012
Dienstag, 18. Dezember 2012

Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW


Riggenbachstrasse 16, 4600 Olten, Schweiz, T +41 62 286 00 12, info.aps@fhnw.ch

www.fhnw.ch/aps/master
EDITORIAL/IMPRESSUM HS12 aware 3

Liebe Leserin, lieber Leser


Sprache und Psychologie – das Leitthema der vorliegenden Ausgabe ist Geschehnisse des Universitätsalltags, die Berichterstattung von For-
breit angelegt und vielfältig begegnet es uns im Laufe unseres Studiums. schungsneuheiten aus aller Welt und die Vermittlung psychologischer
So bekommen wir in der Entwicklungspsychologie einen Einblick in den Inhalte im gesellschaftlichen und alltäglichen Kontext. Die längerfri-
Spracherwerb des Säuglings; die (Klinische) Neuropsychologie bietet stige Intention von aware liegt in der Sensibilisierung der Gesellschaft
unter anderem anatomisches und therapeutisches Wissen rund um die für den Themenbereich der Psychologie – nicht zuletzt, um Vorurteile
Aphasie und den therapeutischen Umgang mit deren funktionalen Kon- gegenüber der Klinischen Psychologie abzuschaffen und der Leser-
sequenzen; die Kognitive Psychologie lehrt uns über das menschliche schaft ein differenziertes Bild verschiedener Fachgebiete zu ermögli-
Gedächtnis und in der Klinischen Psychologie begegnet man – zumin- chen. Besonders wichtig ist uns, engagierten Psychologie-Studieren-
dest an der Universität Zürich – dem Narrativ in der therapeutischen Si- den, welche sich neben der studiumsimmanenten Jagd auf Kreditpunkte
tuation, das uns Einblick in die innere und äussere Lebenswelt eines kreativ entfalten möchten, eine Plattform zu bieten. Im Zuge der aktu-
Menschen gewährt. Mit der vorliegenden Ausgabe hoffen wir, das psy- ellen Leistungsüberprüfungsmethode, welche vor allem stumpfes Aus-
chologische Interesse an weiteren Sprachfeldern zu wecken. Zudem freut wendiglernen von PowerPoint-Folien erfordert, scheint dies unerläss-
es uns darauf hinweisen zu können, dass unsere Webseite vermehrt auch lich, zumal das Gelernte im Rahmen des sogenannten «Bulimie-
für die Publikation von Artikeln genutzt wird, die wegen Zeit- oder Platz- Lernens» weder langfristig hängen bleibt, noch mit anderen Bereichen
gründen in der Printausgabe nicht gedruckt werden können. verknüpft werden kann. aware soll in diesem Sinne zu eigenständigem
Nachdenken und der persönlichen Horizonterweiterung über den Stu-
Intern war das Ziel der zwölften Ausgabe, die Redaktionsleitung neu zu dierenden-Alltag hinaus anregen.
besetzen, was leider nicht wunschgemäss verlaufen ist. Manchmal lo-
cken neue Erfahrungsmöglichkeiten, welche die eigenen Lebensumstän- Fändet ihr, geschätzte Leserinnen und liebe Leser, es nicht auch bedau-
de unerwartet schnell ändern, so dass wir wieder auf der Suche nach zu- ernswert, wenn aware die Worte ausgingen? Über Neulinge, die sich für
verlässigem und motiviertem Chefredaktionsnachwuchs sind. eine tolle Sache engagieren möchten, freuen wir uns sehr.
aware ist das einzige Magazin von Psychologiestudierenden im deutsch- Meldet euch bei Interesse unverbindlich bei info@aware-magazin.ch.
sprachigen Raum der Schweiz. Es ist noch nicht jedem Studiengang ge-
lungen, ein fachspezifisches Magazin zu gründen und regelmässig zu Eine spannende Lektüre wünscht
publizieren. Unsere Ziele sind die Aufarbeitung und Erörterung aktueller Dragica Stojković

Impressum
Herausgeber: Psychologiestudierende der Universität Zürich, Verein aware | Chefredaktion: Thekla Schulze (UZH), M. Sc. Dragica Stojković (UZH) |
Lektorat: Josefine Biskup (UZH), Philippe Haensler (UZH), Antonia Kreibich (UZH), Fernando Noriega (UZH) | Gestaltung: Adrian Oesch (UZH) |
Inserate und Marketing: Fabienne Meier (UZH), inserate@aware-magazin.ch, Katharina Szybalski (UZH) | Autoren: Laura Basso (UZH), Melanie Bezel (UZH),
Josefine Biskup (UZH), Helen Boyer (UZH), lic. phil. Simone Eberhart, M. Sc. Larissa Maier (UZH), Fabienne Meier (UZH), Fernando Noriega (UZH), Adrian Oesch (UZH),
M. Sc. Georg-Moritz Puhlmann, Manuel Merkofer (UZH), Nadine Torresan (UZH), Emilia Vasella (UZH), Nicole Wellinger (FAPS), Mirjam Zeiter (psyCH) |
Illustratoren: Laura Basso (UZH), Helen Boyer (UZH), Laura Haensler (Kantonsschule Wettingen), Stefanie Lurz (psyCH), Manuel Merkofer (UZH), Fernando Noriega (UZH),
Ronny Peiser (ronnypeiser.de), Dr. med. Rebekka Stähli, Emilia Vasella (UZH) | Druck: Offsetdruck Goetz AG | Auflage: 2000 Exemplare, erscheint jedes Semester |
Redaktionsadresse: aware – Magazin für Psychologie, c/o Fachverein Psychologie, Binzmühlestr. 14/29, 8050 Zürich | www.aware-magazin.ch, info@aware-magazin.ch

Gönner
Titelbild: Das Wort «Sprache» in phonetischer
Schrift geschrieben. Gestaltung: Adrian Oesch
Die SKJP - der gesamtschweizerische Fachverband der Kinder- und
Jugendpsychologen/-innen mit über 700 Mitgliedern
- engagiert sich für die Kinder- und Jugendpsychologie in Praxis, Lehre und Forschung
- ist Herausgeberin der Zeitschrift ‚P&E Psychologie und Erziehung’
- bietet das Curriculum zur Erlangung des Fachtitels ‚Fachpsychologe/-in für Kinder- und Jugendpsychologie FSP’ an
- organisiert Tagungen zu relevanten Fragen der Kinder- und Jugendpsychologie
- unterhält eine Homepage mit Stellenvermittlung
- verleiht einen Förderpreis für herausragende Masterarbeiten mit kinder- und jugendpsychologischen Fragestellungen
- verleiht einen Anerkennungspreis an Personen mit besonderen Leistungen im Bereich der Kinder- und Jugendpsychologie
- die Mitglieder der SKJP sind bei öffentlichen Stellen und in privaten Praxen tätig. Sie arbeiten als Schulpsychologen/-innen oder
Erziehungsberater/-innen, Psychotherapeuten/-innen für Kinder und Jugendliche, Heimpsychologen/-innen oder im klinischen Bereich

SKJP-Infostatus für Studierende


Die SKJP bietet Studierenden zum Preis von CHF 20.00 pro Jahr einen Info-Status mit folgenden Leistungen an:
- Abo unserer Zeitschrift ‚P&E Psychologie und Erziehung’ (2x jährlich)
- SKJP-Mailing mit Weiterbildungshinweisen, Stellenangeboten usw. (4x jährlich)
- SKJP-Newsletter mit vereinsinternen News, Stellenangeboten usw. (ca. 10-15x jährlich)
- Einladung zu allen SKJP-Veranstaltungen

Kontakt und Infos: SKJP - Postfach 4138 - 6002 Luzern - Telefon 041 420 03 03 - info@skjp.ch - www.skjp.ch - www.facebook.com/skjp.ch

pneumologie,
Was haben

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*Studentenrabatt nur gültig in unseren Läden und gegen Vorweis einer Schweizer-Legi (Hochschule, ETH,
Fachhochschule oder Höhere Fachschule). Kein Rabatt auf Spiel & Therapie-Produkte sowie Aboprodukte.
INHALTSVERZEICHNIS HS12 aware 5

Inhalt

Karriere-Booster Vitamin B 07 Forschung aus aller Welt


• Ausser es handelt sich um Frauen
Du bist weiblich und ehrgeizig? Dann ist dieser Artikel
das Richtige für dich. Mit viel Esprit zeigt Helen Boyer
auf, wieso Frauen nicht nur an Eisenmangel leiden 08 UNI FORSCHUNG
und was sie sich von erfolgreichen Männern abschau- • Partydrogenprävention in der Stadt Zürich
en können: Networking Skills. Ein Einblick in Studien
Bildquelle: Helen Boyer

zu Vernetzungsverhalten und beruflichem Erfolg wird


aber auch alle Leserinnen und Leser interessieren, 10 UNI LIFE
welche die Diskussion rund um die • Abschiedsinterview mit Herrn Prof.
Frauenquote mitverfolgen. 34 Dr. Heinz Gutscher

Kurze Wörter von grosser Bedeutung 13 WISSENSCHAFTLICHES SCHREIBEN


• Digital Object Identifier
Ob wir zusammenpassen? Dieser Frage
werden die meisten Menschen im Laufe
ihres Lebens begegnet sein. Wer sich der 15 TITELTHEMA
Antwort seiner Passungsfrage mit wissen- • Im Anfang war die Übersetzung
schaftlichem Anspruch annähern möchte,
kann dies online und unkompliziert anhand
von «LSM» tun. Laura Basso hat recher- 20 PSYCHOLOGIE & KULTUR
chiert und erklärt im Rahmen ihres Artikels,
Bildquelle: Laura Basso

• The explanatory Gap


wofür die Abkürzung steht und wieso un-
ser Sprachgebrauch mehr über unsere sozi-

36
alen Beziehungen verrät, als uns 22 PSYCHOLOGIE & GESELLSCHAFT
bewusst ist. • Expressive Schreiben – Eine effektive
Methode der emotionale Verarbeitung
• Das rückläufige Labyrinth
Meine ersten sechs Monate als
Psychotherapeut: Impressionen 28 FELDER DER PSYCHOLOGIE
• Über Sprache und Evolution
«Endlich geht es los!» Vor lauter Enthu- • Neuronale Repräsentation und Verarbeitung
siasmus in Anbetracht des nahenden der Sprache bei Männern und Frauen
Traumberufes können so manche Psycho- • Über den Einfluss der Sprache auf das
logiestudierende den Beginn ihres neuen Denken
• The talking cure?
Lebens als angehende Psychotherapeu-
tinnen und Psychotherapeuten kaum er-
warten. Dass hohe Ausbildungskosten,
reichlich Arbeit und eine magere Entloh- 34 psychologie im alltag
• Feeling bad about being sad - eine Kritik am
nung anstehen, scheint auf viele kaum ab-
positiven Denken
schreckend zu wirken. So war es auch bei • Homophobie ist schwul
Georg-Moritz Puhlmann, dessen psycho-
Bildquelle: Rebekka Stähli

therapeutische Tätigkeit im März dieses


Jahres begonnen hat. Der Autor führt uns 47 Institutionen
humorvoll und mit eindrücklicher Ehrlich- • Alles psyKo oder was?

44
keit durch eine spürbar • Afterstudy: Alle Psychologiestudierenden
aufwühlende Zeit. werden Psychoanalytiker! - Wirklich?
rosige
Berufs-
aussichten ?
Wie weiter nach der Uni? Durchstarten, aber wohin?
Und wie funktioniert das auf dem Arbeitsmarkt?

Der Einstieg ins Berufsleben ist nicht leicht, gerade für PsychologInnen!
Dein Berufsverband kann helfen. Mit Informationen, Kontakten, Tipps und
konkreten Angeboten für den Berufseinstieg.

Dein Berufsverband ist der ZüPP, das Zürcher Zugangstor zur FSP.

Sonneggstrasse 26, 8006 Zürich, 044 350 53 53, info@zuepp.ch, www.zuepp.ch

4jährige postgraduale

Weiterbildung in Integrativer
Körperpsychotherapie IBP
Anerkannt durch FSP, Charta, SPV, SBAP und SGPP/FMH

IBP steht für Integrative Body Psychotherapy Die AbsolventInnen verfügen nach Abschluss
Gesamtleitung: Dr. med. Markus Fischer,
und ist ein wirksames, wissenschaftlich gut der Weiterbildung sowohl über die mensch- Facharzt Psychiatrie
fundiertes Psychotherapieverfahren, das liche, klinische und psychotherapeutische und Psychotherapie FMH
die Integration von Körpererleben, Emotio- Kompetenz, selbständig und eigenverant-
nen, Kognitionen, spirituellem Erleben und wortlich ein breites Spektrum von psychi- Infoabende: Donnerstag, 17. Januar 2013
Verhalten ins Zentrum stellt. Die berufsbe- schen Störungen behandeln zu können, als 22. Mai & 23. Oktober 2013
von 19.30 – 21.30 Uhr
gleitende Weiterbildung ist offen für Psy- auch präventiv zu wirken.
in Winterthur, IBP Institut
chologInnen und ÄrztInnen und führt zum
Zertifikatsabschluss «Psychotherapeut / in für Das IBP Institut führt ein psychotherapeuti- Mittwoch, 27. Februar 2013
Integrative Körperpsychotherapie IBP» und sches Ambulatorium, das den Studierenden von 19.00 – 21.00 Uhr
«Fachpsychologe / in für Psychotherapie FSP». die Möglichkeit bietet, klinische Erfahrun- in Luzern, Barfüsser
gen zu sammeln. Mittwoch, 20. März 2013
von 19.00 – 21.00 Uhr
Informationen und Anmeldung: in 3012 Bern, Falkenplatz 11
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Wartstrasse 3 www.ibp-institut.ch T +41 (0)52 212 34 30 www.ibp-institut.ch
8400 Winterthur info@ibp-institut.ch F +41 (0)52 212 34 33
FORSCHUNG AUS ALLER WELT HS12 aware 7

Ausser es handelt sich um Frauen

Von Thekla Schulze Bluffen ist für Forschende vorhersehbar


Eine wichtige Frage, die jeden Pokerspieler interessieren wird: Wie
Brust + Po + Hüfte = Frau erkennt man einen Bluff des Gegners? Mit einem Blick ins Gehirn kann
Forschende zeigen, wie Bilder von Männern und Frauen unterschiedlich das Team um Scott Huettel von der amerikanischen Duke Universität
verarbeitet werden. vorhersagen, ob ein Pokerspieler seinen menschlichen Gegner bluffen
Seit Längerem ist bereits bekannt, dass Menschen als Ganzes oder aber wird. Um den Einfluss der sozialen Umgebung messen zu können,
als Ansammlung mehrerer Teile gesehen werden können. Welche Rolle zeigten die Forschenden den Probanden vor dem Spiel ein Foto ihrer
dem Geschlecht dabei zukommt, wurde erst jetzt gezeigt: Frauen wer- menschlichen Gegner. Des Weiteren wurde ihnen auch die Hand
den als ein Zusammenschluss von Körperteilen, Männer dagegen als geschüttelt. Die Hirnaktivität wurde dabei mit einer funktionellen
Ganzes wahrgenommen. Magnetresonanztomographie erfasst.
Betrachten wir Objekte, verarbeitet unser Gehirn diese als Ganzes oder Die Teilnehmenden erhielten eine gute oder eine schlechte Karte und
als eine Sammlung mehrerer Teile. Ein gutes Beispiel dafür sind die sollten in sechs Sekunden entscheiden, ob sie setzen oder aussteigen
Navon’schen Figuren: wollen. Dabei konnte man die Entscheidung der Spieler und Spiele-
rinnen gut vorhersehen. Die Aktivität zeigte sich am temporoparietalen
Übergang, ein Gehirnareal zwischen Schädel- und Schläfenlappen. Die-
ser Bereich ist unter anderem für die Identifizierung des Gegenübers als
SSSSSSSSSSSSSSS SSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSS Mensch verantwortlich.
SSSSSSSSSSSSSSS SSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSS Wenn die Teilnehmenden jedoch gegen einen Computer antraten, ge-
SSSSSSSSSSSSSSS lang die Vorhersage nicht.
SS SSSSS SS Quelle: www.focus.de
SSSSS
SSSSS SSSSS
SSSSS SSSSS
SSSSSSSSSSSSSSS SSSSS Was Filmmusik mit unseren Neuronen anstellt
SSSSSSSSSSSSSSS
SSSSS Filmmusik entführt in eine andere Welt, sei es bei Die fabelhafte Welt der
SSSSSSSSSSSSSSS
SSSSS SSSSS Amélie oder Fluch der Karibik. Sie strukturiert die Handlung, belebt Sze-
SSSSS SSSSS nen und bringt uns Gefühle näher.
SSSSS SSSSSSS Die Wissenschaft beschäftigt sich schon eine ganze Weile damit, warum
SSSSSSSSSSSSSSS
SSSSSSSSSSSSS Musik eine so starke Wirkung auf Menschen hat. Man weiss, wie Klänge
SSSSSSSSSSSSSSS
SSSSSSSSSSSSSSS SSSSSSSSSSSSSSS über das Ohr ins Innenohr und zum Hörnerv gelangen, wo sie dann in
elektrische Signale umgewandelt werden. Dann jedoch wird es kompli-
zierter, da kaum ein Teil des Gehirns bei der Verarbeitung der Musik unbe-
teiligt bleibt. Bereits eine Zehntelsekunde eines Musikstücks beschäftigt das
Die lokale Verarbeitung liegt der Art zugrunde, wie wir über Objekte Gehirn weiträumig, wie der französische Hirnforscher Emmanuel Bigand
denken. «Wenn es dabei um Menschen geht, sollte dies jedoch nicht der herausfand. Es scheint in Melodien nach emotionaler Bedeutung zu su-
Fall sein», sagt Sarah Gervais, Professorin für Psychologie an der Univer- chen: Freude, Trauer, Sehnsucht und Schmerz. Menschen meinen Gefühle
sity of Nebraska. Menschen werden eigentlich nicht in einzelne Teile ka- nicht nur zu entdecken, sie lassen sich auch von der erkannten Stimmung
tegorisiert – ausser es handelt sich um Frauen. anstecken. Verantwortlich dafür sind die Spiegelneurone im Gehirn.
In der Studie wurden den Teilnehmenden Fotos von Frauen und Män- Besonders rhythmische Elemente werden direkt im Hirnstamm verarbei-
nern gezeigt. Dann sollten sie nach einer kurzen Pause aus zwei Bildern tet, noch bevor die Grosshirnrinde Einspruch erheben kann. Der Hirn-
dasjenige auswählen, das die Person auf dem ersten Foto gezeigt hatte. stamm ist für Reflexe und instinktives Verhalten verantwortlich und arbei-
Manchmal wurde ihnen in der zweiten Runde anstatt Ganzkörperfotos tet direkt mit den Gefühlzentren im Gehirn zusammen um Situationen
Bildausschnitte vom Brust- oder Hüftbereich des Fotomodells gezeigt. einzuschätzen. Das episodische Gedächtnis reaktiviert bei jedem weiteren
Frauen wurden anhand von Bildausschnitten eher wiedererkannt als an- Hören den Kontext, indem die Musik zuvor gehört wurde. Die erlebten
hand ihres ganzen Körpers. Bei den Männern war es genau umgekehrt. Gefühle verknüpfen sich so dauerhaft mit bestimmten Melodien, Tonin-
Interessant ist dabei auch, dass ebenfalls Frauen ihr eigenes Geschlecht tervallen oder Rhythmen und es entsteht eine neuronale Spur, die immer
auf gleiche Weise wie die Männer wahrnehmen. Gründe dafür könnten leichter zugänglich ist. So kann Musik ohne viel Erklärung und mentaler
sein, dass Männer an potenziellen Partnerinnen interessiert sind, wäh- Anstrengung den Zuhörer oder die Zuhörerin in eine bestimmte Zeit oder
rend Frauen sich möglicherweise vergleichen. Quelle: www.wissenschaft.de an einen bestimmten Ort versetzen. Quelle: www.welt.de
8 aware HS12 UNI FORSCHUNG

Partydrogenprävention in der Stadt Zürich

Seit über zehn Jahren kann das Zürcher Ausgehmöglichkeiten und verlängerte Öffnungs- In Zürich werden seit 2001 mobile Drug Che-
Partyvolk an mehreren Events pro Jahr zeiten; insbesondere sogenannte After-Hour- ckings an mehreren Events pro Jahr durchge-
mitgebrachte psychoaktive Substanzen Veranstaltungen laden dazu ein, nicht nur die führt. Auf Grund des gestiegenen Interesses am
analysieren lassen – Drug Checking als Nacht, sondern auch den darauf folgenden Tag Testen der eigenen illegalen Substanzen und der
Ansatz der Schadensminderung. durchzufeiern. positiven Resonanz, wurde 2006 mit dem Dro-
geninformationszentrum (DIZ) beim Haupt-
Von Larissa Maier Wozu Drug Checking? bahnhof Zürich auch ein stationäres Drug Che-
Das Drug Checking ist ein kontrovers diskutiertes cking eingerichtet. Das Ziel dieses Angebots
Zürich erfreut sich eines attraktiven Freizeit- und Instrument, das im Rahmen der Prävention und besteht darin, Konsumierende zu erreichen, die
Ausgehangebotes für Jugendliche und junge Er- der Schadensminderung eingesetzt wird (Senn, ausserhalb des Partysettings Drogen konsumie-
wachsene. In den meisten westlichen Ländern ist Bücheli, Schaub & Stohler, 2007). Dabei haben ren und ebenfalls an der Qualität der Substanzen
das Nachtleben im Sinne des Entfliehens vor die Partydrogenkonsumierenden die Möglichkeit, interessiert sind. Das DIZ ist jeden Dienstaga-
Konflikten des Alltags für junge Leute die wich- ihre psychoaktiven Substanzen direkt vor Ort ei- bend während drei Stunden geöffnet; der Be-
tigste Freizeitaktivität überhaupt (Calafat, Juan ner chemischen Analyse unterziehen zu lassen, such erfolgt ohne Voranmeldung.
& Duch, 2009). Nebst exzessivem Alkoholkon- welche Aufschluss über Inhalt und Menge der be- Das DIZ war 2011 51 Mal geöffnet und konnte
sum sind in diesem Kontext auch Partydrogen treffenden Substanz gibt (Hungerbühler, Bücheli 771 Besucher registrieren, was einer Zunahme
ein weit verbreitetes Phänomen, dem vermehrt & Schaub, 2011). Durch die Rückmeldung der von 72 Prozent gegenüber dem Vorjahr ent-
Beachtung geschenkt werden muss. Das Ausbre- Analyseresultate sollen die Risiken des Konsums spricht. Von 794 Substanzen, die analysiert wur-
chen aus der leistungsorientierten Gesellschaft minimiert werden, indem bei gefährlichen In- den, konnten 224 Warnungen generiert werden.
und den erlernten traditionellen Werten, verbun- haltsstoffen zum Verzicht und bei hochdosierten Zudem sind 70 Übertritte in höherschwellige,
den mit intensivierter Erlebniswahrnehmung im Pillen zur Vorsicht geraten wird. Mit dieser Me- therapeutische oder medizinische Angebote ver-
Zuge des Rausches, scheint ein Bedürfnis der thode wird an die Drogenmündigkeit der Konsu- zeichnet worden. Im Jahr 2011 haben nur sechs
Jugend zu sein. Dieses wird von Wochenende zu mierenden appelliert. Durch die Information der mobile Drug Checkings stattgefunden, die Zahl
Wochenende befriedigt, unbeachtet der Risiken, Analyse und zusätzlicher Wissensvermittlung be- der Analysen ist jedoch mit 152 beinahe gleich
die der Konsum psychoaktiver Substanzen birgt. züglich Reaktionen der interessierenden Sub- hoch wie 2010 (157 Analysen), als neun mobile
Unterstützende Faktoren sind ein Anstieg an stanz, kann eigenständig entschieden werden, ob Testungen organisiert wurden. Die folgenden
die getestete Substanz eingenommen wird oder Resultate beziehen sich auf die Auswertungen
nicht (Weibel, Scheuber, Blakeney, Blakeney & von 863 Fragebogen der Zürcher Drug Che-
Begriffserklärungen
Rihs-Middel, 2007). Schroers (2002) zufolge ckings im Zeitraum von 2010 bis 2012.
Partydrogen: Unter dem Terminus Partydro-
dient das Drug Checking neben der Prävention
gen werden diejenigen Substanzen zusam-
und dem Schutz der öffentlichen Gesundheit auch Wer testet seine Drogen in Zürich?
mengefasst, die am häufigsten im Party-
der Drogenüberwachung. Vor neuen und gesund- Das Durchschnittsalter beim Drug Checking
kontext konsumiert werden. Dazu zählen
illegale psychoaktive Substanzen, aber auch
heitsschädigenden Inhaltsstoffen, die bei den liegt bei 28.85 Jahren. Die jüngsten Angebots-
Alkohol und Tabak sowie Medikamente, Analysen entdeckt werden, kann die gesamte Be- benutzer sind 16 Jahre alt, der älteste Teilneh-
mit denen ein anderer, als der medizinisch völkerung dank dem Internet umgehend gewarnt mer wurde im Alter von 76 Jahren befragt. Fast
vorgesehene Zweck verfolgt wird (Calafat, werden (Benschop, Rabes & Korf, 2002). drei Viertel der Drug Checking-Benutzer sind
2010; Senn et al., 2007). Männer. Ob Frauen weniger psychoaktive Sub-
Drug Checking: Das Drug Checking ist ein Drug Checking in der Schweiz stanzen konsumieren, sich weniger für deren In-
Instrument der Sekundärprävention, Das Drug Checking ist in der Schweiz anonym haltsstoffe interessieren oder sich nicht zur Te-
welches eine quantitative und qualitative und kostenlos nutzbar. Obligatorisch ist nur das stung trauen, konnte anhand der vorliegenden
Analyse der Inhaltstoffe von illegal auf dem Ausfüllen eines Fragebogens bezüglich soziode- Daten nicht geklärt werden. Zu vermuten ist
Schwarzmarkt erworben Substanzen er- mographischer Daten und Konsummustern im aber, dass Konsumentinnen grössere Angst vor
möglicht. Dies soll Konsumierende im Sinne Rahmen eines Beratungsgesprächs. Der Frage- dem Verlust ihrer Anonymität haben und die
der Schadensbegrenzung vor der Einnahme bogen dient als Leitfaden für das Beratungsge- Hemmschwelle bei ihnen etwas höher liegt. Nur
gefährlicher Substanzen schützen (Hunger- spräch, bei welchem je nach Bedarf auf weitere 10.1 Prozent der Personen in der Stichprobe
bühler et al., 2011; Schroers, 2002). Angebote verwiesen werden kann (Bachmann & sind zum Zeitpunkt der Befragung arbeitslos,
Bücheli, 2011). knapp 70 Prozent der Drug Checking-Benutzer
UNI FORSCHUNG HS12 aware 9

Fazit
Das Drug Checking, wie es in der Stadt Zürich
angeboten wird, ist ein pragmatisches, effizi-
entes Präventionsinstrument: Analyseresultate
erhöhen die Glaubwürdigkeit präventiver Bot-
schaften und fördern gleichzeitig die Selbstre-
flexion auf Seiten der Konsumierenden. Durch
die Koppelung an ein Beratungsgespräch, in
welchem auf Risiken und gesundheitsschädi-
gende Konsequenzen des Konsumverhaltens
hingewiesen wird, entsteht durch das Drug
Checking kein Konsumanreiz. Kognitive Pro-
zesse sind ein guter Prädiktor dafür, ob psy-
choaktive Substanzen ausprobiert und wie-
Bildquelle: William Veder/pixelio.de

derholt eingenommen werden. Bei geringer


Einschätzung der Risiken des Konsums und
bei einer gleichzeitig hohen Selbstwirksam-
keitserwartung, erhöht sich die Konsumwahr-
scheinlichkeit (Martin, Storr, Alexandre &
Chilcoat, 2008). Jeder Körper reagiert anders
auf psychoaktive Substanzen, deshalb ist
gehen einer regulären Arbeit nach. Ob der lierenden Substanzen wie Kokain und Ampheta- wichtig zu unterstreichen, dass auch ein gutes
Konsum von Rauschmitteln am Wochenende min beobachtet. Halluzinogene Stoffe wie LSD Analyseresultat die Partybesucher nicht vor
über längere Zeit mit einem regulären Beruf- und Psylos haben mehr als die Hälfte aller Teil- einer unerwünschten individuellen Reaktion
salltag vereinbar ist, könnte Gegenstand wei- nehmenden mindestens einmal ausprobiert. bewahren kann. Eine akzeptanzorientierte
terführender Untersuchungen sein. Beinahe Psychoaktive Substanzen werden häufig mit Grundhaltung, welche die eigene Entschei-
die Hälfte der befragten Personen hat eine Be- Alkohol gemischt. Während 2007 in der Eva- dungsfähigkeit der Konsumierenden respek-
rufslehre oder Vollzeitberufsschule abge- luation des Drug Checkings der Schweiz 88 tiert und sich an deren Bedürfnissen anpasst
schlossen. 13.6 Prozent besitzen eine (Berufs-) Prozent der Befragten angaben, in einer ty- erscheint erfolgversprechend.
Matur oder einen Fachmittelschulabschluss pischen Partynacht verschiedene Substanzen
und über ein Viertel der Befragten geben an, zu mischen (Senn et al., 2007), betreiben «nur»
Zum Weiterlesen
einen Hochschul-, Fachhochschul- oder Uni- 75.3 Prozent der vorliegenden Stichprobe re-
www.saferparty.ch
versitätsabschluss vorweisen zu können. Diese gelmässig Mischkonsum. Dieser deutliche Un- www.eve-rave.ch
Ergebnisse zeigen klar, dass (Party-)Drogen- terschied könnte damit zusammenhängen, dass Bachmann, A. & Bücheli, A. (2011). Frühin-
konsum nicht einer bestimmten gesellschaft- sich das Drug Checking in Zürich etabliert hat tervention im Nachtleben. Suchtmagazin,
lichen Schicht zuzuordnen ist. und Partydrogenkonsumierende gemäss den 5, 27–30.
Präventionsbotschaften ein besseres Risiko- Hungerbühler, I., Buecheli, A. & Schaub, M.
Konsumverhalten der Partygänger management vornehmen. (2011). Drug Checking: A prevention
Die meisten Befragten haben schon einmal eine Bei den meisten Konsumierenden sind nach dem measure for a heterogeneous group with
illegale Substanz konsumiert, die Prävalenzraten Konsum psychoaktiver Substanzen schon kurz- high consumption frequency and polydrug-
liegen weit über denjenigen der schweizerischen oder langfristige Probleme aufgetreten. Viele ha- use – Evaluation of Zurich’s Drug Checking
Gesamtbevölkerung. Fast alle Benutzer des Drug ben nach dem Konsum einen «Bad Trip» erlebt, services. Harm Reduction Journal, 8–16.
Checkings haben in ihrem Leben schon einmal ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt oder Järvinen, M. & Ravn, S. (2011). From recrea-
Tabak, Alkohol und Cannabis konsumiert. Auch über Probleme mit der Polizei berichtet. Über tional to regular drug use: qualitative inter-
mit Ecstasy haben die meisten Personen schon längere Zeit leiden vor allem Beziehungen zu views with young clubbers. Sociology of
mindestens einmal Erfahrungen gesammelt. Familie, Partnern und Freunden sowie die Finan- Health & Illness, 33(4), 554–569.
Weitere hohe Prävalenzwerte werden bei stimu- zen unter dem Freizeitdrogenkonsum.
10 aware HS12 UNI LIFE

Abschiedsinterview mit Herrn


Prof. Dr. Heinz Gutscher
Am 31. Juli 2012 wurde Prof. Heinz Gut- stiere Zeit in das Gemeingut «Netz der Wissen- Wie geht es jetzt für Sie weiter?
scher emeritiert – über zwei Jahrzehnte schaften» und ich habe gemerkt, dass mir dieser Ich habe vor drei Jahren mit Kollegen die Ini-
war er Inhaber des Lehrstuhls für Sozial- Bereich auch liegt. tiative KLSC (Knowledge, Learning and Soci-
psychologie an der Universität Zürich. Wir Der zweite Grund ist verständlicherweise mein etal Change) gestartet, welche letztes Jahr in
schauen gemeinsam zurück. breites Interesse. Mir macht es Spass mit ande- Nanjing als neue globale Forschungsinitiative
ren Wissenschaften und Fächern zu kooperieren. von IHDP verabschiedet wurde. Es geht dabei
Von Katharina Szybalski Im Gegensatz zur universitären Wirklichkeit hat um die alltagsnahe Umsetzung von naturwis-
in der «wirklichen» Wirklichkeit selten eine senschaftlichem Wissen zu Feldern wie bei-
Katharina Szybalski: Wie blicken Sie auf die 22 Disziplin alleine erschöpfende Antworten auf spielsweise Ökologie, Klima, Energie in prak-
Jahre als Professor an der Universität Zürich aktuelle Fragen. Die Dinge sind sehr komplex tisches Handeln.
zurück? und es gibt jeweils mehrere Lösungspfade. Auf Die globalen Forschungsverbunde, welche
Prof. Dr. Heinz Gutscher: Mit einem lachendem diesen Lösungspfaden müssen die einzelnen etwa im Dienste der IPCC-Sachstandsberichte
und einem weinendem Auge. Ich empfand es Disziplinen eng miteinander zusammenarbeiten. arbeiten, stehen vor einer Reform namens «Fu-
1990 als Privileg, diese Professur an der UZH Diese Art von Arbeit und die Grundlagen dazu ture Earth». Dieses Projekt hat den Anspruch,
mit ihrem grossen Gestaltungsfreiraum zu er- werden an den Universitäten meistens ausgeb- das seit Rio 1992 gesammelte Wissen endlich
halten. Die ersten zehn Jahre waren zwar ein- lendet. Es geht leider vieles schief auf dem Weg auch in veränderte Verhaltensmuster von Poli-
deutig freier, aber auch in den zweiten zehn Jah- der Generierung von gesellschaftlich nutzbarem tik, Wirtschaft und Gesellschaft umzumünzen.
ren konnte ich viele meiner eigenen Ideen Lösungswissen, viel Information geht verloren Unsere Initiative passt sehr gut zu diesem
umsetzen. Ich habe damals im Zuge der Stellen- oder wird nicht angemessen genutzt. Der Weg «Umbau-Projekt», welches durch die grossen
besetzung Dinge versprochen, die ich zusam- von den Befunden der experimentellen Sozial- Geldgeber der weltweiten Forschung gestartet
men mit meinem Team – denke ich – auch ein- psychologie bis zu Politiken, die dazu beitragen wurde. Forschungseinrichtungen müssen in
gehalten habe. Ich hatte zum Beispiel gesagt, Menschen zu Verhaltensänderungen zu bewe- Zukunft enger zusammen und an der Umset-
dass ich einen sozialpsychologischen Beitrag gen, gerade auch etwa im Kontext der Energie- zung des Wissens arbeiten, wollen sie weiter-
zur Nachhaltigkeitsforschung leisten möchte. wende, ist lang und steinig. hin Forschungsgelder erhalten. Unser Projekt
Und ich denke, dass ich das Versprechen auch hat sehr gute Chancen zumindest eine Rolle in
einigermassen erfüllt habe. Durch den grossen Sie legen sehr viel Wert auf Anwendung. Was ha- dieser Reform zu spielen.
Freiraum konnten wir im Rahmen von Aufträ- ben Sie konkret bewirkt?
gen von Gemeinden, Kantonen und vom Bund Vor allem habe ich hoffentlich bewirkt, dass
«Die Frage war immer, ob man
mit unserer Forschung Geld verdienen. Geld, sich einige Studierende für meinen Fachbereich
Einfluss in der Wirklichkeit haben
welches anschliessend ohne bürokratischen interessiert haben und sich nun auch weiter auf
will oder Einfluss in der Realität
Aufwand wiederum für die Forschung oder auch diesem Gebiet bewegen. Des Weiteren haben
der Publikationen.»
für Studierende, etwa zur Unterstützung von wir einige Interventionen in Gemeinden der
Projekten oder Reisen an Kongresse oder Mee- Schweiz durchgeführt, die auch heute noch
tings mit ausländischen Ko-Betreuenden, einge- Wirksamkeit zeigen. Und kürzlich hat die Stadt Welche Frage hat Sie die letzten Jahre besonders
setzt werden konnte. Zürich beschlossen, dass sie während zehn Jah- bewegt?
ren jedes Jahr eine Million Schweizer Franken Wie kann man das Verhalten von grösseren Kol-
Sie waren und sind immer noch sehr engagiert ausgibt, um Zürich auf den Pfad einer nachhal- lektiven beeinflussen und zwar im Rahmen einer
in verschiedensten wissenschaftlichen Organi- tigeren Energienutzung zu bringen. Die Hälfte liberalen Demokratie? Ich plädiere für eine expe-
sationen und Kommittees. Was hat sie dazu be- davon ist für Bevölkerungskampagnen budge- rimentelle Gesellschaft, die wissenschaftlich in-
wegt, sich so vielseitig zu engagieren? tiert. Dass solches überhaupt denkbar wurde, formiert kalkulierte Risiken eingeht, empirisch
Ich bringe mich dort ein, wo ich etwas beitra- führe ich auch auf die Anstrengungen unter an- evaluierbare Schritte zur Lösung von anstehen-
gen, aber auch etwas dazulernen kann. Eine Pro- derem der sozialwissenschaftlichen Disziplinen den Problem unternimmt und sich auf diese Wei-
fessur sehe ich auch als eine Verpflichtung ge- in diesen Themenfeldern zurück. Unser Ziel se «evidence-based» weiterentwickelt.
genüber der Allgemeinheit, die letztlich diese war es, Prinzipien zu erarbeiten, wie man so et-
Stellen finanziert. Das ist einer der Gründe, wa- was macht und für dieses Wissen gibt es mitt- Rückblickend, würden Sie den gleichen Weg ein-
rum ich mich tatkräftig engagiere: Ich habe das lerweile weltweit einen sehr erheblichen und schlagen oder würden Sie etwas ändern?
Gefühl etwas zurückgeben zu müssen. Ich inve- dringenden Bedarf. Die Laufbahn würde ich auf jeden Fall wieder
UNI LIFE HS12 aware 11

Publikationstätigkeit andere Seiten meiner Studierenden gefreut. Es ist


Dinge gemacht: Die Frage war schön zu hören, dass man mit seiner Ausrich-
immer, ob man Einfluss in der tung in der Forschung und in den Vorlesungen
Wirklichkeit haben will oder auf Anklang stösst. Ebenso freute ich mich über
Einfluss in der Realität der Pu- positive Feedbacks aus Gesellschaft und Wirt-
blikationen. schaft.

So weit ich überblicken kann, Gibt es noch etwas was Sie Ihren Studierenden
sind Sie die meiste Zeit Ihres mit auf den Weg geben möchten?
Lebens in Zürich geblieben. Ich habe in der universitären Umgebung ein Vor-
Was hält Sie in dieser Stadt? bereiten und Hinführen auf das inter- und trans-
Am Anfang war es meine Fami- disziplinäre Arbeiten vermisst. Deswegen fand
lie, meine Kinder. Reisen oder ich es eigentlich auch schade, dass das alte Sys-
Kontaktpflege über grosse Di- tem mit einem Hauptfach und zwei Nebenfä-
stanzen kosten heute einen chern abgeschafft wurde, zugunsten eines sehr
Bruchteil von früher. Ein mehr- viel konzentrierteren, engeren Fachstudiums in
monatiger Forschungsaufent- einer Disziplin. Ich würde allen Studierenden ra-
halt in den siebziger Jahren an ten, so weit wie möglich über den Tellerrand hi-
der University of Michigan hat- nauszuschauen und sich nicht nur auf eine Diszi-
te für meine junge Familie eine plin zu versteifen. Dies fördert nicht nur die
Telefonrechnung von gegen Qualität von Forschungsergebnissen, sondern
2‘000 Schweizer Franken zur erhöht auch die Chancen, an multidisziplinär
Folge. Heute gibt es andere ausgerichteten Forschungen teilzuhaben oder
Bildquelle: Heinz Gutscher

Medien, um in Kontakt zu blei- überhaupt einen interessanten Job zu finden.


ben, damals blieb uns nur das
Telefon.
Zum Weiterlesen
Ausserdem hat Zürich eine sehr
Das Interview hat dir gefallen? Dann schau
hohe Lebensqualität und die auf unserer Webseite (aware-magazin.ch)
einschlagen. Natürlich gibt es Dinge, die man Universität Zürich ist wirklich sehr gut ausge- vorbei, denn sie enthält folgende zwei Bei-
mit einem gewissen Abstand anders und even- stattet. Und dadurch, dass ich hier früh eine fes- träge, die für dich ebenfalls von Interesse
tuell besser machen würde, aber das ist ja der te Anstellung hatte, ergab sich der Druck, län- sein könnten:
berühmte «Hindsight-Bias». Die Sozialpsycho- ger aus Zürich fortzuziehen, nicht. Heutzutage • Dem Abschiedsinterview ist zu entneh-
logie als Betätigungsfeld, wie ich sie erlebt hat- sind die Regeln grundsätzlich anders, ohne das men, dass die Nachhaltigkeits-
te, war auf jeden Fall der richtige Schritt. Das Gütesiegel «z’Amerika xi» (ZAX) oder ähn- forschung und deren Umsetzung ein
Umfeld hat mich natürlich auch verändert. Als lichem kommt man in der akademischen Welt grosses Anliegen Herr Gutschers ist. Zu
ich mit 43 Jahren die Professur annahm, war ich nicht mehr so weit wie früher. dieser Thematik passend, bieten wir
noch ein ganz anderer Mensch: enthusiastisch euch eine Rezension zum Buch Wesen
und relativ unreif, unwissend sowie unerfahren. Was hat Ihnen an der Arbeit als Professor am und Wege nachhaltigen Konsums, das
Jetzt nach weiteren 22 Jahren weiss ich sehr meisten Freude bereitet? Und gibt es Bereiche von Defila, Di Giulio und Kaufmann-
viel mehr, habe einen weit breiteren Überblick auf die Sie lieber verzichtet hätten? Hayoz (2012) herausgegeben wurde.
und kann neue, andere Dinge: Den Enthusias- Die zweite Frage ist leicht zu beantworten. Ich • Während wir Herrn Gutscher verab-
mus, glaube ich, habe ich mir bewahrt. hätte beispielsweise auf sehr viele administra- schieden, heissen wir Frau Strobl, die
Ich hatte während meiner ganzen Laufbahn den tive Arbeiten verzichten können. Zwar ist nicht an der Universität Zürich Inhaberin
Anspruch, dass ich mein Wissen und meine Er- alles in diesem Bereich sinnlos, aber manches des Lehrstuhls für Psychologische Me-
kenntnisse nutzbar machen wollte. Diese An- müsste radikal einfacher zu haben sein. Um auf thodenlehre, Evaluation und Stati-
sicht haben nicht alle Kollegen im Umfeld der die positive Seite zu blicken: Am meisten habe stik ist, herzlich willkommen.
Wissenschaften geteilt, ich habe auf Kosten der ich mich über positive Rückmeldungen von
!
AB IN DIE REDAKTION BEI aware
Magazin für Psychologie

redaktion@aware-magazin.ch
WISSENSCHAFTLICHES SCHREIBEN HS12 aware 13

Digital Object Identifier


Oder wie man Fachartikel einfacher findet

Der Austausch von wissenschaftlichen


Erkenntnissen im Internet gewinnt immer
stärker an Bedeutung. Dementsprechend
ändern auch die Konventionen des Zitie-
DOI:10.1000/182
rens – und der digitalen Verwaltung.
10.1000 = Präfix 182 = Suffix
Von Simone Eberhart

Alle DOI-Nummern 1000 = Organisation 182 = ID


Bestimmt hat jeder schon mal ein «Sorry, nicht beginnen mit 10 z. B. Verlag Kann von Organsation
mehr verfügbar» kassiert, als er sich im Internet bestimmt werden
ein Video oder Bild zu Gemüte führen wollte.
Häufig kommt es vor, dass solche Objekte auf
andere Seiten verschoben werden. Mit einer
URL ist man also nicht immer gut bedient. Das DOI-System Angabe einer URL
Das Problem tritt aber nicht nur beim privaten Man sollte sich nun aber nicht so etwas wie eine Der DOI-Verwenderin wird aber auffallen, dass
Spass auf, sondern auch beim Schreiben von Li- Kuh mit eingebrannter Zahl vorstellen – ganz so sie nicht direkt zum PDF geführt wird, sondern
teraturarbeiten. Gibt der Student oder die Wis- einfach funktioniert es nicht. Es muss nämlich zur übergeordneten Website. Das hat insbeson-
senschaftlerin eine Referenz mit Internetlink an, eine Datenbank geführt werden, die den DOI- dere damit zu tun, dass das Herunterladen der
so ist nicht sichergestellt, dass die Leserschaft Namen mit der zugehörigen URL verlinkt. Ruft meisten Journalinhalte nicht kostenlos ist und
das Paper auf die schnellste Art und Weise fin- man also ein DOI auf, wird der Surfer zur ent- somit eine Registration voraussetzt. Beim Zitie-
det. sprechenden URL weitergeleitet. Ändert die ren elektronisch gelesener Artikel ist dieses
URL, also der Ort des Objekts, so muss sie auch Wissen wichtig. Denn nicht jedes Paper besitzt
Unverwechselbar in diesem Verzeichnis angepasst werden – sonst ein DOI, da sich (noch) nicht alle Verleger die-
Die Lösung verspricht der so genannte Digi- gelangt man trotz allem auch auf diese Weise ses Extra leisten. Kann man beim Erstellen des
tal Object Identifier (DOI). Ein DOI identifi- nicht zum gewünschten Ziel. Möglich macht Literaturverzeichnisses also kein DOI angeben,
ziert im Gegensatz zu einer URL nicht den dies die International DOI Foundation (IDF), so sollte man – sofern der Artikel nicht in der
Ort, an dem sich das elektronische Objekt be- eine Gruppe internationaler Verleger, die dieses Bibliothek kopiert wurde – eine URL anfügen.
findet, sondern das Objekt selbst. Wird also DOI-System seit dem Jahr 2000 betreibt. Die Und zwar diejenige, die dem Leser am meisten
zum Beispiel eine PDF-Datei auf eine andere Datenbank aktualisiert sich allerdings nicht von bringt. Ein direkter Link zu einem kostenpflich-
Website verschoben, ändert sich der DOI selbst, das müssen die Herausgeber tun. tigen PDF, der nicht preisgibt, woher das PDF
nicht. Dies garantiert, dass beispielsweise der stammt, ist nutzlos. Eine URL zu einer kompli-
Leser oder die Leserin eines Fachjournalarti- Ein DOI beantragen kann aber nur eine Organi- zierten, unübersichtlichen Verlagshomepage ist
kels die darin zitierte Literatur auch noch sation, die auch bereit ist, etwas dafür zu zahlen. aber genauso wenig dienlich. Hier muss man
fünf Jahre nach der Publikation mühelos fin- Verschiedene Registrationsagenturen bieten abwägen. Die Standardangaben zu Autor, Werk-
det. hierzu ihren Service an, je nach Objektart oder titel etc. sind aber so oder so anzugeben.
Land. CrossRef beispielsweise vergibt DOIs im DOI-Namen in den Referenzen ist also nicht nur
Ein DOI besteht aus einer Kombination aus Wissenschaftsbereich, also für Forschungsarti- Schikane – zumal viele Literaturverwaltungs-
Ziffern und manchmal auch Buchstaben, die kel und Fachbücher (www.crossref.org). Sich programme den DOI automatisch einfügen –,
einmalig und eindeutig zugeordnet ist. Er be- diese Organisation zu merken, hat aber auch ei- sondern hilft den Verfasserinnen und Verfassern
ginnt immer mit 10., gefolgt von der Nummer nen praktischen Nutzen: Auf ihrer Homepage von Arbeiten auch, selbst schnelleren Zugang zu
der Organisation, meist eines Verlags. Zu können DOIs eingegeben werden – worauf man den gesuchten Artikeln zu gewinnen.
guter Letzt wird nach einem Schrägstrich eine zum entsprechenden Objekt weitergeleitet wird.
ID gesetzt, die der Verlag selbst vergeben Es geht aber noch einfacher: indem man die Dies ist eine Serie. In jeder Ausgabe wird
kann. Ein Beispiel könnte folgendermassen URL des DOI-Proxyservers http://dx.doi.org/ eine andere Facette des wissenschaftlichen
aussehen: 10.1037/a0023817. Manchmal vor den DOI-Namen setzt (z. B. http://dx.doi. Schreibens beleuchtet. Letztes Mal: Ich, wir
steht auch der Journalname in der ID drin: org/10.1126/science.1223710) und die so ent- oder man? Nächstes Mal: Plagiate.
10.1126/science.1223710. standene URL in den Browser eingibt.
«Our recent research suggests
that people reliably differ according to the
type of life
that they pursue and, further, that the most satisfied people
are those who orient their pursuits toward all three,
with the greatest weight carried by
engagement and meaning.»
Seligman, M. E. P., Tracy, A. S., Nansoon, P., Peterson, C. (2005). Positive Psychology Progress. Empricial Validation of Interventions. American Psychologist, 60, 410–421.

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TITELTHEMA HS12 aware 15

Im Anfang war die Übersetzung


Über die Mehrsprachigkeit der Psychoanalyse

Nicht nur mit Blick auf ihre Genese erweist stens noch verstand. Auch auf Seiten der Analy- mit Bezug auf Freud, durch eine enge Verknüp-
sich die Psychoanalyse als multilinguale tikerinnen und Analytiker stand die fung motorischer Handlungen mit Worten aus, so
Praxis: Mehrsprachigkeit zielt gleichsam psychoanalytische Bewegung von Beginn an dass Worte – insbesondere deren Sprachklang –
auf ihr Eigenstes. Der folgende Artikel unter mehrsprachigem Einfluss. Sehr viele an- den Hörer dazu zwingen, sich das Benannte «in
bietet einen Einblick in die theoretischen gehende Analytiker konnten die Lehranalyse dinglicher Wirklichkeit» vorzustellen; dies qua
und technischen Herausforderungen einer nicht in der eigenen Muttersprache durchfüh- «regressiv-halluzinatorischer Belebung der Erin-
irreduzibel polyphonen Wissenschaft. ren, und fast alle von ihnen besassen die Fähig- nerungsbilder» (Ferenczi, 1911, S. 392). Amati
keit, zwei oder mehr Sprachen verwenden zu Mehler, Argentieri und Canestri (2010), die Au-
Von Dragica Stojković können. Ein Einblick: Karl Abraham sprach torinnen und Autoren des Buches Das Babel des
fliessend Deutsch, Englisch, Spanisch, Italie- Unbewussten, verweisen darauf, dass es sich bei
Multilingualismus und die Entstehung der nisch und konnte sich auf Französisch, Dä- Ferenczis Theorie nicht um «Sprachmagie» han-
Psychoanalyse nisch und Holländisch verständigen. Latein delt, sondern dass davon ausgegangen wird, die
«Talking cure» und «Chimney-sweeping» – so gehörte ebenfalls zu seinen Kompetenzen und halluzinatorische Wiederbelebung von Erfah-
nannte Bertha Pappenheim, deren Fallgeschichte gegen Ende seines Lebens schrieb er zum Ver- rungen, wie sie bei obszönen Worten im Er-
unter dem Pseudonym Anna O. weltberühmt ge- gnügen ein Drama auf Altgriechisch. Ein wei- wachsenenalter auftritt, sei in frühen Phasen
worden ist (Breuer & Freud, 1893; Freud, teres eindrückliches Beispiel ist der Psychiater kindlicher Entwicklung die Eigenschaft aller
1895/1977; 1909/1978), das therapeutische Vor- Max Eitingon, der mit Karl Abraham das Ber- Worte gewesen. Die Erwachsenensprache ent-
gehen Breuers. Von Breuer und Freud wurde ihr liner Psychoanalytische Institut gründete. hält in der Regel «das motorische Element der
die Diagnose Hysterie gegeben, wodurch ihre Nebst dem Russischen und Deutschen be- Wortvorstellung nur in Form abgeschwächter
zahlreichen Symptome (Lähmungen, Unfähig- herrschte er die polnische, französische, engli- Innervationsimpulse, der sogenannten ‘Vorstel-
keit zu trinken trotz quälenden Durstes, Sprach- sche und hebräische Sprache. lungsmimik‘» – obszönen Worten hingegen
störungen, dissoziative Zustände etc.) nicht haftet auch beim Erwachsenen das Gefühl an,
durch eine epileptische Erkrankung, sondern eine Handlung zu begehen. Diesen qualitativen
«In German I am a scared, dirty
durch deren Nachahmung erklärt und dadurch Unterschied in der Wirkung obszöner und nicht
child; in English I am a nervous,
psychogenetischen Ursprungs deklariert wurden. obszöner Worte erklärt Ferenczi dadurch, dass
refined woman.» – eine Patientin
Über Bertha Pappenheim liesse sich viel schrei- Erstere in der Latenz verdrängt wurden und da-
Greensons
ben – nicht zuletzt ist interessant, dass sie, die als durch nicht wie das restliche Vokabular einem
scheinbarer Musterfall des Erfolges der psycho- Differenzierungs- und Abstraktionsprozess un-
analytischen Kur hinhalten musste, sich im Ver- Evokation der Unannehmlichkeit – über ob- terliefen. Das Resultat davon ist, dass obszöne
lauf ihres späteren Lebens, in dem sie als Grün- szöne Worte Worte als eine Art «Fremdkörper» in der Psyche
derin des Jüdischen Frauenbundes und als Von Sándor Ferenczi, ebenfalls multilingual, eines Individuums bestehen bleiben und gemie-
Frauenrechtlerin Bekanntheit erlangte, entschie- stammen die ersten grösseren Auseinanderset- den werden.
den dagegen wehrte, ihr nahestehende Menschen zungen mit der psychoanalytischen Therapie, Ferenczis Entdeckung, dass mehrsprachige Pati-
in Analyse zu schicken (Brentzel, 2002). Freud deren Analysand und Analytiker polylingual enten ihre Sprachkompetenz zu Abwehrzwec-
selbst sah sie «als die eigentliche Begründerin oder polyglott sind (vgl. Kasten). In seinem 1911 ken nutzen können, wurde im Laufe der Zeit von
des psychoanalytischen Verfahrens» (Freud, erschienenen Aufsatz Über obszöne Worte. Bei- Analytikerinnen und Analytikern wie Buxbaum
1895/1977), da sie die abends stattfindenden Ge- trag zur Psychoanalyse der Latenzzeit, nimmt er (1949), Erikson (1947) oder Greenson (1950)
spräche mit Breuer den morgendlichen hypnoti- als Beispiel einen jungen Mann, der das Wort weiterentwickelt. Eine später erworbene Spra-
schen Sitzungen vorzog. «Furz» durch Umschreibungen oder Fremdworte che kann dem Individuum die Möglichkeit bie-
Am Anfang dieses Artikels steht Anna O., weil umgeht. Ferenczi fragt sich, wie es kommt, das- ten, sich emotional von der Muttersprache zu
sie auch am Anfang der Psychoanalyse steht. selbe Ding in einer Sprache nicht und in der an- distanzieren und verschiedene, nebeneinander
Doch nicht als Vertreterin der Hysterie, sondern deren mühelos nennen zu können. Seine Antwort existierende Identitäten zu bilden (vgl. Amati
als multilinguale Analysandin, deren Redekur ist, dass mehrsprachigen Menschen eine zusätz- Mehler et al., 2010). Die psychoanalytische Li-
mehrsprachig verlief. Ihre Muttersprache war liche Abwehr zur Verfügung steht, da (ungewoll- teratur bietet zur Ilustration dieses Gedankens
zwar Deutsch, doch konnte sie in der Therapie te) Erinnerungen und damit zusammenhängende einige Fallvignetten. So schreibt Greenson
streckenweise nur noch Englisch sprechen, ob- Gefühle an Wortlauten hängen. Die Sprache der (1950) über eine 35-jährige Patientin, deren
wohl sie ihr deutschsprachiges Umfeld mei- kindlichen Sexualität zeichnet sich, so Ferenczi Analyse sowohl auf Englisch als auch auf
16 aware HS12 TITELTHEMA

Deutsch geführt wurde, wie sie grosse Mühe mit Immerfort lauert die Mutter auf men. Bleibt hingegen in der Zweitsprache ein
dem Wort «Mutter» habe und deshalb nur «mo- Selten unterlassen Psychoanalytikerinnern und starker Akzent der Muttersprache bestehen,
ther» verwende. Die Patientin meide auch das Psychoanalytiker bei Texten über Mehrspra- liebäugelt Greenson (1950) mit der gleichen Ar-
Wort Nachttopf, denn: «A chamber-pot becomes chigkeit den Verweis auf die Mutter. Dies mit gumentationsschiene – es handelt sich wohl
alive if you say ‚Nachttopf‘. It is ugly and disgu- gutem Grund, da der Spracherwerb, wie es be- ebenfalls um die Folge präödipaler Mutterfixie-
sting and smells bad. In English a chamber-pot reits das Wort «Muttersprache» andeutet, eng an rungen, nur in diesem Fall ist die Konsequenz
is much cleaner. In German I am a scared, dirty die leibliche Mutter gebunden ist. Trotzdem ist eine partielle Inkorporationsverweigerung und/
child; in English I am a nervous, refined wo- der Bezug auf die Mutter als Referenzpunkt al- oder Identitätsschwierigkeit. Noch prekärer
man.» Ganz ähnlich steht es um das Wort «Ona- ler denkbaren Entwicklungen zum Teil argu- wird es, wenn Schriftstellerinnen und Schrift-
nie», da es mit schmutzigen Phantasien beladen mentativ enttäuschend, wie beispielsweise in steller als Erläuterungsmaterial genommen wer-
sei – aber auf Englisch habe sie das Gefühl wie Greensons (1950) Text. Er zögert nicht, das den. So schreiben Amati Mehler, Argentieri und
eine Lady, also anständig, masturbieren zu kön- fliessende Englisch seiner ursprünglich deutsch- Canestri (2010) im Kapitel Aus der Welt der
nen. Während die Muttersprache in dieser Fall- sprachigen Patientin mit einer präödipalen Fi- Dichter. Entfremdung als Beruf unter anderem
vignette Trägerin ungelöster Konflikte ist und xierung auf die als eklig oder unheimlich erlebte Folgendes über das «gequälte Genie» Beckett,
die Patientin mit unangenehmen Gefühlen kon- Mutter zu erklären. Die Patientin war demnach der aus der Umgebung von Dublin stammte, im
frontiert, bietet ihr das Englische einen selbst- bereit, der Mutter durch neue Inkorporationen, Laufe seines Lebens aber in Frankreich sässig
wertsteigernden Ausweg. wie es jeder Spracherwerb erfordert, zu entkom- und auf französisch tätig wurde: «Das einzige
Mittel, das ihm innere Freiheit verschaffte und
schöpferische Möglichkeiten eröffnete, war
Eine Spur abstrakter nalyse zum Anlass genommen werden kann,
nicht allein die Zurückverweisung der Mutter
Im Anschluss an den Philosophen Jacques die abendländische Philosophie auf eine radi-
und die Ablehnung des Mutterlandes, sondern
Derrida wurde das Verhältnis von Psychoana- kale Neufassung der sie fundierenden Begriff-
lyse und Übersetzung zu einer der zentralen lichkeiten hin zu öffnen, macht zum anderen
vor allem die [vorübergehende] Preisgabe der
sprachtheoretischen Problemstellungen der deutlich, dass eine Konfrontation von psycho- Muttersprache» (S. 282). Das «vorübergehend»
kontinentalen Philosophie. In Freud et la scène logischen mit philosophischen Texten der kri- habe ich eingeschoben, weil die Autoren im Ver-
de l‘écriture unternimmt Derrida (1967) den tischen Besinnung auf die Grundlagen der Psy- lauf des Textes klarstellen, dass Beckett das
Versuch, das von Freud (1925/1976) zur Ver- choanalyse in hohem Masse zum Nutzen Englische nicht aufgegeben hat, sondern zuerst
anschaulichung der Funktionsweise des psy- gereichen kann. Derridas Hinweise auf die ur- literarische Werke auf Englisch schrieb und spä-
chischen Wahrnehmungsapparts eingeführte sprüngliche Nichtursprünglichkeit mentaler ter auch die französichen ins Englische über-
Bild des Wunderblocks für eine kritische Revi- Vorgänge und auf das Psychische als Konver- setzte, und sein Leben lang zwischen den Spra-
sion der tradierten Bestimmungen von Psy- genz von unablässigem Übersetzungsgesche- chen «hin und her» wechselte. Trotz dieser
che, Sprache und Ursprünglichkeit fruchtbar hen und prinzipieller Unübersetzbarkeit – mag Präzisierung ist der psychoanalytische Text zu
zu machen. deren Anwendung sich in konkreten Situati- Beckett aus einer einengenden Perspektive ge-
Grundlegend für das Verständnis des Textes ist, onen auch als unzulänglich erweisen – ermög- schrieben, da kaum thematisiert wird, welche
dass das Wort «Sprache» nicht auf den ge- lichen, die eigene analytische Praxis stets aufs anderen Bedeutungen die französische Sprache
bräuchlichen Sinn, als Ausdruck von Gedanken Neue als problematische zu bejahen. für den Schriftsteller hätte haben können, als der
in Worte, beschränkt, sondern auf alle Aus- Mutter zu entkommen.
drucksformen psychischer Tätigkeit ausgewei- Auch wenn die Verweise auf Mutter und Vater,
tet zu verstehen ist. Daraus folgt die Konzepti- Zum Weiterlesen beziehungsweise deren Repräsentanzen in der
on des psychischen Wahrnehmungsapparats Freud, S. (1976). Notiz über den «Wunder- Psyche eines Individuums schlüssig dargelegt
als «Schriftmaschine», der – nach reichlicher block». In Gesammelte Werke, Bd. XIV (S. 1– werden und zum Verständnis der Symptome ei-
und sich über Freuds gesamtes Werk erstre- 8). Frankfurt a. M.: S. Fischer. (Originalausgabe nes Patienten und seiner Lebensgeschichte bei-
ckender Suche – durch eine dreifache Analogie erschienen 1925) tragen, verarmt die psychoanalytische Literatur,
anhand des Apparats «Wunderblock» versinn- Derrida, J. (1967). L‘écriture et la différence. wenn sie sich in ihrer Erläuterung zum Phäno-
licht erfahrbar wird. Paris: Édition du Seuil. men der Mehrsprachigkeit vor allem auf den Be-
Derridas Aufsatz zeigt zum einen auf, wie die Lucy, N. (2004). A Derrida Dictionary. Oxford: zug zu primären Objekten und deren Folgen ein-
Berücksichtigung der Geschichte der Psychoa- Blackwell Publishing. schränkt. Mehrsprachigkeit eröffnet nebst ihren
psychischen Funktionen in der Wunsch- und
Bildquelle: Laura Haensler TITELTHEMA
HS12 aware
17
18 aware HS12 TITELTHEMA

Angstwelt des Menschen auch einen Raum der gefunden haben. Im Verlauf der Analyse stellte bietet, das Abwehrsystem, welches an die engli-
Kreativität sowie der Begegnung mit verschie- sich heraus, dass die Funktion der üblen Wün- sche Sprache gebunden ist, zu durchbrechen und
denen Denkweisen – und Letzteres ist fern von sche die Abwehr intensiver Passivitätsängste den präödipalen Konflikten der Frau auf die
Nutzen und Funktion zu denken. Dies ermög- dem Analytiker gegenüber war. So gesehen war Schliche zu kommen. Dies wiederum kritisiert
licht, die Sprache, von der in der Psychoanalyse Krapfs Reaktion eine agierte Gegenübertragung, Krapf, der die Meinung vertritt, dass ein Mensch
gern postulierten «klebrigen Sprachmasse zwi- die ihn noch mächtiger hat erscheinen lassen, als sich womöglich mit seiner Zweit- oder Dritt-
schen dem Subjekt und dessen leiblicher Mut- er es im Erleben des Analysanden ohnehin schon sprache eine stabilere und für ihn annehmbarere
ter» (bzw. deren Repräsentanz) zu trennen – und war (Amati Mehler et al., 2010). Identität geschaffen hat, so dass eine Rückkehr
zwar nicht durch die Bildung eines neuen Mut- Ein Vorgehen, das Lagache (1956) kritisiert: Er zur Muttersprache dem therapeutischen Prozess
terimagos, sondern durch die Bejahung der verweist auf die Gefahr, dass Polyglottismus – nicht dienlich wäre. Die Autoren von Das Babel
Sprache als Erfahrung von etwas Anderem, et- der durchaus auch eine Verständniserleichterung des Unbewussten verweisen des Weiteren dar-
was Fremden, zu dem eine Beziehung jenseits ist – in der Analyse zum Problem werden kann, auf, dass bei der Verwendung einer Sprache bei
aller Repräsentanzen von Primärobjekten mög- wenn der Analytiker dem Analysanden auf der einem polylingualen und polyglotten Patienten
lich ist. So gesehen wohnt dem Multilingualis- manifesten Kommunikationsebene sprachlich die anderen Sprachen in «Wartestellung» ver-
mus ein triangulierendes Moment inne, nicht entgegenkommt. Lagache zufolge ist es empfeh- harren – schweigend oder Druck ausübend.
primär auf der psychosexuellen Ebene eines In- lenswerter, Sprachwechsel – sofern sie nicht Letzteres kann sich beispielsweise in Form von
dividuums, sondern auf einer diskursiven Ebe- beidseitig von Beginn an praktiziert wurden – Versprecher bemerkbar machen. In Träumen –
ne, jener der psychoanalytischen Theoriebil- und darauf verweist bereits Freud (1900/1976)
dung im Bezug auf die Mehrsprachigkeit. – ist es keine Seltenheit, dass Symbole sich aus
«Die vergessene Sprache, die
mehreren Sprachen zusammensetzen, wie fol-
verbotene Sprache, die gerettete
Mehrsprachigkeit und die analytische gendes Beispiel von Flegenheimer (1989) zeigt:
Sprache, die rettende Sprache –
Technik Seine mehrsprachige Analysandin, deren Analy-
das sind einige der Möglichkeiten,
Die theoretische Auseinandersetzung mit der se auf Spanisch vonstatten ging, träumte, sich in
die wir in der Klinik kennengelernt
Mehrsprachigkeit ist nicht getrennt von der psy- einem Swimmingpool zu befinden, in dem sie
haben und die die Künstler, wie
choanalytischen Praxis vorstellbar. Bei multilin- von bedrohlichen Hunden und Fischen umzin-
zumeist, vor uns entdeckt haben.» –
gualen Patientinnen und Patienten drängen sich gelt war. Dem Analytiker kam dabei in den Sinn,
Amati Mehler, Argentieri & Canestri
verschiedene technische Fragen auf: Welche dass «Haifisch» auf Italienisch «pescecane»,
Vor- und Nachteile ergeben sich, wenn ein also «Hundefisch» bedeutet. Einige Assoziatio-
mehrsprachiger Mensch die Analyse in seiner als «Kommunikationsverweigerungen» anzuse- nen weiter, und die erträumten Hunde und Fi-
Muttersprache, in einer Fremdsprache oder hen (auch wenn der Analytiker die zweite Spra- sche wurden im Laufe der Sitzung geradezu
mehrsprachig durchführt? Soll in letzterem Fall che spricht) und die Verweigerung zu deuten, wiederbelebt: Entstanden ist der als Haifisch er-
der Analytiker ebenfalls mehrsprachig kommu- anstatt die Sprache ebenfalls zu wechseln. Krapf lebte Analytiker.
nizieren? Und wenn ja, bleibt die Frage, wann (1935; 1955) hingegen vertritt die Meinung, der Gewiss hat die Mehrsprachigkeit auf Seiten
ein Sprachwechsel durch den Analytiker ange- Analytiker solle die Angst des Analysanden in des Analytikers viele Vorteile, wenn der Ana-
bracht ist. Die Antworten auf diese Fragen mün- Schach halten, indem er bei steigender Angst lysand mehrsprachig ist, denn sie ermöglicht
den in Entscheidungen, die im Übertragungs- (und steigendem Widerstand) ab und an die ihm, dem Analysanden auf seinen polylingu-
und Gegenübertragungsgeschehen nicht Sprache wechselt – dieses Vorgehen, das von alen Wegen und den zwischensprachlichen
folgenlos bleiben, wie kommendes Beispiel ver- vielen als für eine analytische Praxis zu kontrol- Räumen sowie darin entstehenden Hybridfor-
deutlicht: Ein Analysand Eduardo Krapfs – der lierend angesehen wird, erfordert selbstver- men zu folgen. Eine Gefahr wurde bereits ge-
in Argentinien arbeitete, aber ursprünglich aus ständlich, dass auch der Analytiker mehrspra- nannt: Kann der Analytiker mit seinem Analy-
Deutschland stammte – liess sich dazu verleiten, chig ist. Noch invasiver war Greenson (1950), sanden auf drei, vier oder fünf Sprachen
seinen Analytiker auf Portugiesisch zu be- als er der oben geschilderten Analysandin eines kommunizieren, überrascht es nicht, wenn er
schimpfen. Normalerweise wurde die Analyse Tages nahelegte, die Analyse auf Deutsch, be- dem Analysanden etwas unheimlich wird.
auf Spanisch geführt und der Analysand war ziehungsweise bilingual (Deutsch-Englisch) Zum Schluss des Abschnittes sei noch auf ein
Krapf zufolge überwältigt, als er ihm auf Portu- weiterzuführen. Greensons Vorschlag war von problematisches Motiv verwiesen: Kommunika-
giesisch antwortete und dadurch zu verstehen der Vorstellung angetrieben, dass die Verwen- tion ist per Definition ein Geschehen, das zwei
gab, dass die Beleidigungen durchaus ein Ohr dung der deutschen Sprache die Möglichkeit unterschiedliche Wesen braucht, die voneinan-
TITELTHEMA HS12 aware 19

und Phantasiewelt eines Menschen vermischen


sich taktile, auditive, visuelle, olfaktorische und
geschmackliche Vorstellungen und bewegen das
Gefühlsleben des stillschlafenden Individuums
(fast könnte man sagen: jedem Sinn seine Spra-
che). Die so entstehende Traumsprache erhält in
der Analyse in Form von Traummitteilungen
ebenfalls kommunikative Funktion (Mathys,
2011). Und vergessen wir nicht das Symptom:
Anhand von körperlichem Geschehen, also einer
Körpersprache, öffnet es ein Tor zu den Wün-
schen und Ängsten des Analysanden. Daraus lässt
sich schliessen, dass der Analytiker auch bei mo-
nolingualen Patienten mit mehreren Sprachen
konfrontiert ist, und die Erkenntnisse, die in der
Arbeit mit mehrsprachigen Patienten gewonnen
werden, die analytische Arbeit per se erhellen.

Polylingual und polyglott


Wenn vom Mulitlingualismus die Rede ist,
wird zwischen polylingualen und polyglotten
Personen unterschieden. Während Erstere
seit Lebensbeginn mit mindestens zwei Spra-
chen aufgewachsen sind, haben sich Letzte-
re nach dem ersten Spracherwerb – und da-
Bildquelle: UUNESCO/commons.wikimedia.com

mit erst nach der frühen Kindheit – eine


zweite Sprache angeeignet. Dies wirkt sich
auf das Referenzsystem aus: Bei Polylingu-
alen entsteht die Repräsentanz der Welt un-
ter mindestens bilingualem Einfluss, bei Poly-
glotten hingegen tritt die neue Sprache in
Interaktion mit einem bereits bestehenden
Referenzsystem (Amati Mehler et al., 2010).
Damit stellt sich die Frage, wie das Gedächt-
Die Sprache und ihre Wurzeln nis strukturiert ist. Hat jede Sprache ein eige-
nes System? Oder sind alle Sprachen in
der getrennt sind. Es ist die Trennung von «Ich» Jeder Mensch ist mehrsprachig einem System vereint? Freuds Werk (u.a.
und «Du», die nicht nur zu Unverständnis und Was bei Mehrsprachigen verdeutlicht zum Vor- 1891/2002; 1900/1976; 1925/1976) legt
Differenz führt, sondern konstitutiv für die schein tritt, ist auch beim sogenannten monolin- nahe, sowohl getrennte Systeme, als auch
Möglichkeit der Begegnung und des Austau- gualen Menschen präsent, denn die Sprache jedes ein gemeinsames System anzunehmen, in-
sches ist. Bei mehrsprachigen Analysanden, die Menschen ist polyphon und es ist die Aufgabe des dem zwischen Ding- und Wortvorstellung
den intensiven Wunsch nach einer Analyse in Analytikers, ein offenes Ohr für die Redevielfalt differenziert wird. So wäre das Unbewusste
ihrer Muttersprache verspüren, ist deshalb der seines Analysanden zu haben (Amati Mehler et ein System der Dingvorstellungen, welches
Wunsch nach totaler Kommunikation und Ver- al., 2010). Jeder Mensch verfügt über mehrere sich auf dem Niveau des Bewusstseins mit
schmelzung, gleichsam wortloser Verständi- Sprachen im Rahmen seiner Muttersprache – in verschiedenen Sprachsystemen, also den
gung, nicht ausser Acht zu lassen (Benanni, der Familie wird eine andere Sprache verwendet Wortvorstellungen, vebindet.
1985, zit. nach Amati Mehler et al., 2010). als im Beruf oder unter Freunden. In der Traum-
20 aware HS12 PSYCHOLOGIE & KULTUR

The explanatory Gap

There was a short period in my life when By Emilia Vasella Problem 1. Translating language-specific
I would end every other phrase with «you expressions from one language to another.
know what I’m sayin’?». But as it goes The other night, I was out with my German-spea- The fact is, some things, often the most precise
people started getting annoyed, and so I king friend Silke and we met up with a couple of and gratifying words and expressions cannot be
had to stop. A pity really as aside from native English-speaking friends for a drink. Silke translated in a satisfactory manner. Consider
the obvious coolness factor, it also proved took a particular liking to a young man with big the German «Schadenfreude» or what the
itself quite useful in avoiding misunder- Bob-Dylanesque hair, and few pints later felt French call the «je ne sais quoi». The crux of
standings. Because come to think of it, comfortable enough to tell him that she thinks he what you are saying slips through the cracks
it‘s somewhat of a small miracle that is really «big cinema». And here we come to the and gets lost in translation, as you are unable to
there aren’t more of those. first problem I would like to address, namely: verbally express the intended meaning. Luckily
when traveling, armed with a miniature diction-
ary in our back pockets, we get by for better or
worse; but things get trickier as the subjects be-
come more complex than asking where the next
bus-stop is. Perhaps we could even say that the
inability to convey certain meanings from one
language into another is a reflection of our
shortcoming when trying to fully express what
we sense and perceive in any language, be it our
own or another.

Problem 2. Translating one’s own unique


life experiences so that others can under-
stand and relate.
«You are not alone; I am here with you…»
Remember that song? We would like to think
that others can share our experiences and empa-
thize with them, but ultimately we are alone.
The one thing we surely all share is that we
come alone and once our time has run its course,
die alone. There is and always will be a separa-
teness between you and me, a gap between each
and every one of us. The gap can luckily vary in
size, and if we are fortunate, we can come close
to finding a significant overlap between how
you and I perceive the world. We encounter
people who we think are «big cinema» and
build lives together. However, even in the most
fulfilling relationships, there will be arguments
and misunderstandings, because from where
you stand, physically, mentally and emotional-
ly, things appear and feel very different from
Bildquelle: Emilia Vasella

where I stand.
So we talk. We talk all day long and sometimes
even find ourselves mumbling in our sleep. We
chat offline, online, in line. We read and write
The interpretation is in the eye of the beholder (or in this the reader). and text. We ask, answer and share information
PSYCHOLOGIE & KULTUR HS12 aware 21

and stories, however mundane, to bring oursel- when seemingly out of nowhere your favorite certain parts of our inner experiences, which
ves closer together, because as most of us would song plays on the radio just when you where the use of technical descriptive language can-
agree, lonesomeness is rather a bleak condition thinking of your favorite person. And how can not. Aesthetic theorist John Ruskin saw art’s
and we would altogether preferably avoid it. you adequately express when the person you role as a vessel to communicate essential truth
Talking can soothe the loneliness, from reassu- love leaves you and you can actually feel your that could only be found in nature, and Tolstoy
ring that we have each other’s back to defining heart breaking? People everywhere have expe- saw art as indirect means of communication
our common reality. The act of not speaking im- rienced the same situation millions of times from one individual to another. In his essays,
plies a few things as well: There is the silent over, but never quite as you have, have they? Freud notes that the artist places us in position
treatment – a proven nasty but occasionally valu- When someone you care for deeply dies and is that allows us to enjoy our own fantasies wit-
able weapon when arguing with relatives. Then, simply gone for good. How can we express hout shame or guilt. They are all correct and in
if a relationship sours, people may find them- how these events make us feel? addition, art can help us to not feel so alone in
selves on non-speaking terms. This inconvenient Of course experiences can be described: I can and with our experiences. A great work of art,
state of affairs takes place on larger scales as try to explain how hungry I was and that the no matter its form, can allow us to recognize
well, such as on the global political arena: take pizza crust is just right, and we can say that the aspects of our own inner lives and there – as
Iran and the United States, they have relinquished earth is turning away from the sun, but these de- Tolstoy wrote – share our deep emotions with
official diplomatic relations and negotiations. In scriptions ultimately fail to match the expe- others indirectly: with the person that created
other words, they have stopped talking. rience. When we move towards more personal, the work, the person standing next to you and
At the same time we are fully aware that con- individual experiences and perceptions, de- with all the others who have recognized a part
versations cannot solve everything. Whether scriptions become increasingly more difficult of their own experience reflected in it.
they take place between you and me, or bet- and inadequate in reflecting our inner life. Most Think of music’s capacity to affect your mood,
ween entire countries. For somewhere amongst likely because the moments and emotions that creating a space for you to dream in, to wallow
the complex winding pathways of my transla- really rattle our bones and move something de- and echo your feelings, pump you up or slow
ting information within myself and you deco- eply within us, are beyond words. you down. Or when you recognize the screa-
ding it, entering it into your system, recoding it When addressing the inner life, Charles Di- ming face of Munch’s famous painting to be
and sending it back to me, the process can be- ckens describes the temptation of Mr. Micaw- the very reflection of your own momentary
come a bit like playing tennis with a square bers Vice: «The meaning or necessity of our crisis, and maybe how you acknowledge your
ball. You aim at one corner, but it ends up in words is a secondary consideration, if there be own longing for passion when looking at
another: meanings get lost, relationships end, but a great parade of them.» It is very alluring Rodin’s Kiss.
wars begin. And it becomes clear that there is a to talk a lot, as there generally is no single word If words are the structure for our communica-
limit to using language as a rational tool to ex- that can describe the abundance of our inner tion, then it is art that comes closest to fill the
plain things. life, contrary to the sharp differentiations that blanks verbal language cannot breach. Art can
As listeners, we try to translate what is being are possible in external reality. As the psychoa- be understood as a window from your inner
said into something that can provide insight. So nalyst Léon Wurmser notes in his book The life to mine, inviting us to catch a glimpse of
let’s stretch the word translation a bit further Mask of Shame: «The inner life is complicated; someone else’s inner being and realize that
even (words do have the wonderful quality to like a tapestry with many patterns and fibers they understand, connect with you, without ha-
be quite malleable and elastic) and consider the woven lusciously and preciously; and therefore ving to utter a single word.
final and perhaps the most significant problem a dry technical language must be avoided and
of person-to-person communication: one should borrow more from the poet and the Further readings:
philosopher than from the scientist.» Berger, J. (1972). Ways of seeing. London:
Problem 3. The explanatory Gap. What is it then that the poet, the artist does? British Broadcasting Corporation and Pen-
How can I share what I really feel when I bite What can we take from them, when trying to guin Books.
into a delicious slice of Pizza after waiting come to terms with our shared human conditi- Pirsig, M. R. (1999). Zen and the Art of Mo-
around with a growling stomach for half an on? We have long been interested in art becau- torcycle Maintenance: 25th Anniversary
eternity? When the sun sets just right, basking se we recognize how it speaks to our inner na- Edition. London: Vintage.
everything in golden light, how does one com- ture; the production and appreciation of art is Wurmser, L. (1990) The Mask of Shame.
municate that feeling of joy and oneness with understood by many to be inherent to humans, Berlin: Springer-Verlag.
the rest of the world? That tingling sensation and as such, it may serve as a key to access
22 aware HS12 PSYCHOLOGIE & GESELLSCHAFT

Expressives Schreiben – Eine effektive Methode


der emotionalen Verarbeitung
Wir schreiben uns alles von der Seele – in Liebesbeziehungen). Die Kontrollgruppe hinge- mung. Die genetische Hemmung ist eine Veran-
Tagebüchern, in Form von E-Mails oder via gen befasste sich mit einem oberflächlichen lagung und zeichnet sich durch
Twitter. Dabei scheint das Schreiben bei der Thema, wie zum Beispiel ihrem alltäglichen Vermeidungsverhalten und sozialen Rückzug
Auseinandersetzung mit der belastenden Time-Management. Direkt nach der Sitzung hat- aus. Bei der repressiven Hemmung können Be-
Situation als besonders hilfreich erlebt zu ten die Teilnehmenden aus der Experimental- troffene physiologische, soziale und kognitive
werden. Stellt diese Methode daher eine gruppe eine schlechtere Stimmung, als jene der Momente nicht erleben oder ertragen. Werden
Art Copingstrategie dar und erleichtert sie Kontrollgruppe. Nach sechs Monaten jedoch bestimmte Situationen – im Gegensatz zur re-
uns dementsprechend den Umgang mit zeigte sich deutlich, dass sie seltener zum Arzt pressiven Hemmung – erlebt und wahrgenom-
negativen Gefühlen? gingen als diejenigen, die über kein emotional men, das expressive Verhalten aber bleibt voll-
belastendes Thema schrieben. Darüber hinaus ständig aus oder wird partiell unterdrückt,
Von Thekla Schulze reduzierten sich auch klinische Symptome un- handelt es sich um eine suppressive Hemmung.
terschiedlicher Krankheiten (Pennebaker & Be- Anhand der dezeptiven Hemmung versuchen
Viele Menschen schreiben ihre Gedanken und all, 1986). Psychologisch konnte, als Auswir- Menschen ihrem Umfeld emotional geladene In-
Gefühle in Tagebüchern auf. Sie erleben dies häu- kung des Expressiven Schreibens, eine halte zu vermitteln, ohne ihre eigentlichen Ge-
fig als Möglichkeit in sich zu schauen und bela- Veränderung des Affekts festgestellt werden. fühle dabei preiszugeben, was viel psychische
stende Erlebnisse besser zu verarbeiten (Schorn- Der positive Effekt steigt an, der negative hinge- Kraft erfordert (Schorndorf, 2009).
dorf, 2009). Anne Frank (1944) schrieb in ihr gen nimmt deutlich ab (Schorndorf, 2009). Da- Diese vier Hemmungen können beispielsweise
Tagebuch, das unter dem Titel Anne Frank Tage- von ausgehend existieren bis heute vielseitige durch extremen emotionalen Stress ausgelöst
buch veröffentlich wurde: «Am besten gefällt mir Abwandlungen dieses Paradigmas: Sei es bei werden. Die Aufhebung der Inhibition, die sich
noch, dass ich das, was ich denke und fühle, we- den Instruktionen, dem Schreibthema, der Dau- meist auf negative Gedanken bezieht, soll durch
nigstens aufschreiben kann, sonst würde ich kom- er, der Häufigkeit oder dem Abstand der Schreib- das Expressive Schreiben erleichtert werden.
plett ersticken.» Warum greifen so viele Men- sitzungen. Dennoch existieren neue Studien, die belegen,
schen zum Stift, um ihren Gefühlen Ausdruck zu In den letzten Jahren ist das Expressive Schrei- dass Personen, die über ein fiktives Trauma be-
verleihen und sich selbst zu öffnen? ben in verschiedenen Ländern, Kulturen und an richten, ebenfalls positive Effekte aufzeigen
Pennebaker und Beall versuchten erstmals im unterschiedlichen Personengruppen untersucht (Horn, Mehl & Deters, 2012).
Jahre 1986 mit einer standardisierten Schreibauf- worden, was in dieser Häufigkeit primär den ge-
gabe, die Effekte des Schreibens auf die körper- ring benötigten Ressourcen zu verdanken ist
«Der Mensch tut gut daran, einen
liche und psychische Gesundheit des Schrei- (Frattaroli, 2006).
Bleistift bei sich zu tragen und die
benden empirisch zu untersuchen. Beim
Gedanken, wenn sie kommen, nie-
Expressiven Schreiben, das auch emotionales Überblick über verschiedene Wirkungskon-
derzuschreiben.» – Francis Bacon
Schreiben, strukturiertes Schreiben oder disclo- zepte des Expressiven Schreibens
sive writing genannt wird, stehen die emotio- Es haben sich verschiedene Wirkungskonzepte
nale Verarbeitung und das bewusste Erzählen im des Expressiven Schreibens etabliert: Des Weiteren gibt es noch die kognitive Verar-
Vordergrund (Schorndorf, 2009). Durch die ein- Das Inhibitionsmodell geht davon aus, dass die beitung von emotionalisierenden Erlebnissen,
fache Anwendung und die vielseitigen positiven Unterdrückung von belastenden Gedanken und die durch das Expressive Schreiben angeregt
Effekte, hat das Paradigma des Expressiven Gefühlen die Gesundheit von Menschen negativ wird. Daraufhin kann das negative Ereignis bes-
Schreibens in den letzten zwanzig Jahren zu ei- mitbestimmt und eine Krankheitsprogression, ser bewältigt werden. Es erfolge dabei eine Auf-
ner Vielzahl an Studien in unterschiedlichen Be- wie zum Beispiel die Depression, begünstigen arbeitung der Gedanken und Gefühle, wobei das
reichen (von der Psychologie bis hin zur Medi- kann. Dem Modell nach werden weitgreifende komplexe emotionale Erleben im Gedächtnis
zin) geführt. gesundheitliche Probleme durch die Unterdrü- strukturiert werde (Schorndorf, 2009). Diese
ckung von Emotionen ausgelöst. Somit kann die Annahme wird von mehreren Studien unter-
Expressives Schreiben emotionale Hemmung als Risikofaktor für psy- stützt, die eine erhöhte Gedächtniskapazität
In der ersten Studie von Pennebaker und Beall chosomatische Erkrankungen und auch für die nach dem Expressiven Schreiben aufweisen.
(1986) schrieben Studierende an vier aufeinan- Depression angesehen werden (Schorndorf, Diese Strukturierung hilft den betroffenen Per-
derfolgenden Tagen für jeweils fünfzehn Minu- 2009). Traue (1998) unterscheidet vier Typen sonen, Zusammenhänge wahrzunehmen und im
ten über ein traumatisches Erlebnis (Unfälle, der emotionalen Hemmung: die genetische, re- Anschluss darauf Bewältigungsstrategien zu er-
Drogenprobleme, Todesfälle oder gescheiterte pressive, suppressive und die dezeptive Hem- arbeiten (Klein & Boals, 2001).
PSYCHOLOGIE & GESELLSCHAFT HS12 aware 23

Expressives Schreiben – Kurzanleitung


zum Ausprobieren

Ort und Zeit :


Suche dir einen ruhigen, ungestörten und
privaten Ort. Du kannst dir die Zeit selbst
aussuchen, wobei die Zeit vor dem Schlafen
in der Regel nicht empfohlen wird. Plane
danach Ruhephasen ein.
Bildquelle: Adrian Oesch

Thema :
Am besten suchst du dir ein Thema aus, das
dir besonders wichtig ist und dich emotional
berührt. Vielleicht etwas, das dich schon
länger beschäftigt oder bedrückt. Du musst
nicht jeden Tag das gleiche Thema nehmen,
Die Selbstregulationstheorie geht hingegen davon lung nach Entlassung, verringerte Abwesenheit auch wenn es für den positiven Effekt bes-
aus, dass nicht das Loslassen oder die kognitive vom Arbeitsplatz oder ein verbesserter Noten- ser ist, sich vollkommen darauf einlassen zu
Verarbeitung von traumatischen Erlebnissen eine durchschnitt gezeigt werden (Horn, Mehl & De- können. Wähle aber ein neues Thema wenn
Rolle spielt, sondern die Verwendung von Emoti- ters, 2012). du das Gefühl hast, dass du alle Gedanken
onsausdrücken und das dadurch erfahrene Kon- und Emotionen niedergeschrieben hast.
trollgefühl während dem Expressiven Schreiben. Möglichkeiten und Grenzen des Expres-
Das Erleben der Selbstwirksamkeit führt allge- siven Schreibens in der Psychotherapie Kontinuität :
mein zu einem besseren und damit gesünderen Da das Expressive Schreiben eine sehr einfache Schreibe mindestens an drei bis vier Tagen
Umgang mit negativen Gefühlen. Problematisch und effektive Methode ist, kann es als eine er- für jeweils 15 Minuten (Wecker stellen). Es
ist das Expressive Schreiben dann, wenn ein ge- gänzende therapeutische Massnahme nutzbrin- kann sein, dass du am dritten oder vierten
wisses Mass an emotionsregulatorischen Grund- gend eingesetzt werden, solange das grob vor- Tag Schwierigkeiten hast, das Thema wie-
fertigkeiten unterschritten wird. Diesen Personen gegebene Setting des Schreibens eingehalten der aufzunehmen. Aber eben die erneute
Aufnahme wirkt sich am Ende positiv aus.
fällt es dementsprechend schwer sich auf die wird. Die betroffene Person darf den Inhalt der
Schreibaufgaben einzulassen und führt zu Über- jeweiligen Konfrontation selbst wählen, was
Ehrlichkeit :
forderung (Horn, Mehl & Deters, 2012). das eigene Autonomieempfinden verstärken
Werde dir bewusst, dass deine Texte nur für
kann – dies wiederum wirkt sich oft motivie-
dich bestimmt sind, um ganz ehrlich mit
Allgemeine Wirksamkeit des Expressiven rend auf die Therapie aus. Des Weiteren kann
dem Thema umgehen zu können. Wenn es
Schreibens das Expressive Schreiben als Copingstrategie dir hilft, kannst du die Texte im Anschluss
Bis heute existiert eine grosse Anzahl an Studi- gesehen werden, die beim Umgang mit Bela- an den Schreibprozess zerreissen, bezie-
en, die positive Effekte des Expressiven Schrei- stung und emotionalen Stress hilfreich ist. Den- hungsweise löschen.
bens auf die körperliche und psychische Ge- noch sollte man bei Personen, die akut beson-
sundheit nachweisen. Die betroffenen Personen, ders stark belastet sind, vorsichtig sein. Es Gefühle:
die über traumatische Erfahrungen schrieben, wurde gezeigt, dass die Selbstbegegnung in die- Es ist möglich, dass du danach traurig oder
zeigten in den Monaten danach, dass sie sen Fällen keine positive oder gar negative Wir- erschöpft bist. Mach dir keine Gedanken,
• weniger zum Arzt gingen, kungen haben kann. Bestimmte körperliche die negativen Emotionen verschwinden
• verbesserte Immunparameter hatten, Krankheiten (wie beispielsweise Herzschwä- meist wieder nach ein paar Stunden. Falls
• weniger Symptome berichteten, che), Psychosen, massive chronische oder akute dich die Theamtik aber besonders aufwühlt
• weniger depressiv und ängstlich waren und Emotionsregulationsdefizite, starke Dissoziati- und negative Emotionen hervorruft, dann
• sich subjektiv wohler fühlten. onsneigung und eine anhaltende unsichere, be- wechsle lieber das Thema oder breche die
Weiterhin konnten auch positive Effekte bei ob- drohliche Situation gelten als Kontraindikati- Schreibphase ab.
jektiven Verhaltensdaten, wie Wiedereinstel- onen (Horn, Mehl & Deters, 2012).
24 aware HS12 PSYCHOLOGIE & GESELLSCHAFT

Das rückläufige Labyrinth

Die überbordende Mannigfaltigkeit der


Welt zerfällt in Zeichen; diese Zeichen lesen
wir symbolisch, nicht nur logisch oder
mathematisch, so wie wir ein unangebrach-
tes Lächeln als ein Symbol der Heuchelei
deuten. Worauf beruht denn die Symbol-
kraft der Sprache? Wie entstehen über-
haupt Sinn und Bedeutung? Diese Fragen
weisen auf eine Kernfrage hin: Wo ist der
Ursprung der Sprache?

Von Fernando Noriega

Gib mir einen Standpunkt – sagte Archimedes


einst, vielleicht mit glücklicherem Ausdruck – und
ich bewege die Erde. Gib mir nur das erste Wort
– könnte man auch sagen –, und ich entfalte alle
Sprachen. Wie alle wissenschaftlichen Gefüge,
verfügen die Sprachwissenschaft und die Psycho-
logie nur über einen hypothetischen Grundstein,
auf den sie sich zur Ableitung ihrer zu erklärenden
Phänomene beziehen können; die Frage nach dem
Grund und Ursprung des jeweils betrachteten
Weltbereiches hat immer einen blinden Punkt,
nach dem man keine weitere Frage aufs Spiel set-
zen kann – ebenso wie das Auge, welches gerade
dort nicht sieht, wo es das Gesehene übermittelt.
Jedoch unternehmen wir die Reise in den wankel-
mütigen See des Unbekannten, des wechselhaften

Bildquelle: Fernando Noriega


Ungewussten, und zwar mit vollem Eifer oder so-
gar an das Bestmögliche glaubend. Wir wagen es,
immerhin zu sprechen, ohne genau zu wissen, wie
wir genau dadurch etwas bewirken oder woher
grundsätzlich das Gesagte kommt – oder getraut
sich der skeptische Leser, die absolute Freiheit des
Fühlens, des Sagens und des Denkens zu beteu- alles vom ungeschaffenen Ozean (Nun), dank des Eine solche Liste liesse sich ewig weiterführen.
ern? Nun lautet das Rätsel folgendermassen: Wie Hauches der lebenseinflössenden Wörter der Göt- Die unerschöpfliche Tiefe dieser Gewässer lässt
entsteht die Sprache überhaupt? Wie ist sie über- ter, differenzierte. Bei den Babyloniern musste sich nicht einfach durchschwimmen. Galileo Ga-
haupt möglich? Wie kommt es dazu, dass die von der Name des Menschen fixiert werden, damit die lilei, dessen Bewegungslehre sich im Begriff der
einem brabbelnden Fleischsack emittierten Ge- Geschichte überhaupt anfangen konnte. Dem «Vacuumlichtgeschwindigkeit» niederschlägt, be-
räusche auf Gegenstände und Verhältnisse in der Buch Genesis nach war es der Ruf der göttlichen hauptete, die Natur sei ein mit mathematischen
Welt hindeuten, und sogar Schönheit ausdrücken Stimme, der alle Geschöpfe mit einem raschen Zeichen geschriebenes Buch. Die ganze Gestalt
können? Blitz zum Licht des Daseins aufmunterte. Im der Welt sei zunächst die systematische Anhäu-
Das Thema hat schon den altertümlichen Men- Glaubenssystem der Muslimen ist der Koran, die fung unterschiedlicher Bedeutungseinheiten, ohne
schen zur Grübelei hingeführt. Mag ich hier kurz wörtliche Offenbarung Gottes, dem Weltall deren Kenntnis das Leben zu einem verworrenen
Folgendes gemahnen: Gemäss dem ägyptischen gleichaltrig und wird als Attribut, nicht als blosses Labyrinth unendlichen Umherstreifens würde.
Glauben, entstanden alle Wesen erst nachdem sich Handwerk Allahs gefasst (Eliade, 2002). Nur indem man die Sprache der Welt von ihrer
PSYCHOLOGIE & GESELLSCHAFT HS12 aware 25

numerischen Fibel abzulesen lerne, indem man vielleicht die Sprache, im bisher erwähnten Sinne, der Grammatik in strukturellem Sinne. Alle Spra-
die geheimen Zahlen hinter der Himmelskarte eine überwirkliche Gestalt, deren Aufschwung chen besitzen eine einheimische Musikalität, die
entziffere, könne man rechtläufig segeln. alle Dimensionen durchbohrt und beseitigt? meistens tiefer einschlägt, als die mehr oder weni-
Andere Namen schwärmen um die Idee der Spra- Gemäss der kritischen Philosophie, die ihren Ur- ger treffend aufgebauten Sätze eines Redenden –
che der Welt, oder der Welt als Sprache, oder der sprung bei Kant (1781/1998) fand – und welche in und welche selbstverständlich nicht logisch verar-
Erzeugung der Welt durch die Sprache: Okham der zeitgenössischen Wahrnehmungspsychologie beitet werden. Sprachen wollen nicht nur
(Suma Logicae), Humboldt (1836), Benjamin hinsichtlich Objekterkennung und mentaler Sche- gedankliche Auskünfte vermitteln, sie wollen
(1916), Frege (1892), Wittgenstein (1921/1998). mata wieder fruchtbar gemacht wurde –, steht die hauptsächlich Bewegungen des Willens ausdrü-
Selbst Lacan (1949/1986), der die Wichtigkeit Sprache als gegebene, strukturell-normative und cken. Mit jedem Wort ist ein Gefühl und eine Ab-
des Realen in der Formung des Bewusstseins – natürliche Anlage im seelischen Gebilde des sicht verbunden, und noch die trocknesten Gebie-
welches er (im Gegensatz zum Bewusstseins- Menschen. Diese Anlage wird demnächst durch te des Diskurses entstehen nicht ohne emotionalen,
konzept Freuds) als lustvollen Prozess persönli- sinnliche Erfahrungen zur Steuerung seines Han- symbolischen Bezug. Vielleicht sind wir ver-
cher Anerkennung gegenüber dem lächelnden, delns und Denkens beseelt. Daraus entstehen die nünftig nie ganz überzeugt davon, was wir sagen
unbesorgten Kinde im anscheinend zu allen vor- Gesetze der Natur, deren reinen Kern wir nie be- oder was wir lesend annehmen, aber es ist immer
handenen Spiegel kennzeichnet – verfechtet, rühren werden, denn all unser Wissen und Leben eher ein Gefühl, was uns zu einer Strömung
greift unverholen das Schwert der Sprache an die beruht auf blossen Vorstellungen. Jedoch beträgt führt, weil wir uns dort wohl fühlen. Wer wird
Schneide. Das Unbewusste definiert er als eine diese Annahme eher eine erkenntnistheoretische eine Meinung verfechten, die seinem Herzen
durch die Sprache gestaltete, dem Imaginären Verschiebung der Frage, da der Ursprung belie- ohne Ausgleich zuwiderläuft?
zugrunde liegende Konstruktion, während er die big dort gesetz wird, wo die Hand reicht – als «Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Gren-
Realität des nicht kategorisierten Schmerzes ver- dachte man, man hätte die Sonne gefangen, weil zen meiner Welt», sagte Wittgenstein (1921/1998,
leugnet. Demgemäss existiert kein Schmerz, man die Finger zum Himmel erstreckt und ein 5.6). Betrachten wir die Sprache – wie er sie nach-
kein Genuss, keine auf der milden Haut strei- Auge zudrückt. vollziehen wollte – als ein bloss logisches Gewe-
chelnde Hand, wenn nicht unter der Vorausset- Mitten im aufführerischen Schwung des Relati- be, so ist der Satz kaum nachzuvollziehen; be-
zung der sprachlichen Kategorisierung. Einem vismus brachte Noam Chomsky (1989) ein biss- trachten wir sie jedoch im oben erörterten,
Kinde sind daher alle Empfindungen und Vor- chen Licht in die Wissenschaft der Sprache. Er erweiterten Sinne, so steht er noch im Gebiet des
stellungen verwehrt, bevor die Stimme der Mut- postulierte die Existenz einer allgemeinen, ange- Nachvollziehbaren. Das Problem: Die Frage nach
ter, mitten in der unergründlichen Dunkelheit des borenen Grundgrammatik, welche die Anordnung dem Ursprung der Sprache hängt mit der Frage
vorsprachlichen Zustandes, sich wie ein Schim- der kategorialen Deutung der Welt steuert. Die nach dem Wesen der Welt unausweichlich zusam-
mer in die Subjektivität hineinschleicht und da- grundlegende Idee ist zur Erklärung des Spracher- men, da die Grenze zwischen Menschen und Welt
durch die Welt ein für alle Mal eröffnet. werbs notwendig, zur Erläuterung der Bedeut- auch nur eine fiktive, vorgetäuschte Grenze ist.
Dass jene Stimme zum erläuterten Zeitpunkt nur samkeit derselben und der Zusammensetzung der Wir sind die Welt. Und was ist denn die Welt? Die
vorsprachlich wahrgenommen werden kann, also Welt als Bedeutung jedoch nicht hinreichend. An Welt, vielleicht, ist nichts anderes als ein unvoll-
ohne Kategorie und noch in unverschleierter An- dieser Stelle liegt bei uns die Karte, die noch un- ständiger Satz, der eines Tages, nachdem man ihn
schauung, das wird keiner verleugnen – sei es gerade Skizze eines ungeheuerlichen Palasts, des- vollständig ausspricht, in die Dunkelheit der Un-
denn, dass man sich wie Platon im Kratylos er- sen breite Stockwerke, spiralförmige Treppen, existenz verschwimmen wird …
kühnte, schon vorgeburtlich im Besitze der ge- verschiedenartige Gänge und wahnsinnserregen-
schichtlich gegebenen Sprache zu sein, um sie de Spiegel nicht auf der Zeichnung stehen und die Zum Weiterlesen
nachgeburtlich nur als Wiedererkennung aufzu- man trotzdem durchlaufen muss, um dem Fusse Eliade, M. (2002). Geschichte der religiösen
nehmen. Nichtsdestotrotz ist dieses Motiv bemer- eine Richtung zu geben. Besässe das Kind, das Ideen. Freiburg im Breisgau, Basel, Wien:
kenswert relevant, sogar vorbildlich für meine zum ersten Mal dem in den mutterlichen Leibe hi- Herder.
Absicht in dieser Überlegung: Auf den Ursprung neinklingenden Gesang horcht, nur eine allgemei- Kant, I. (1998). Kritik der reinen Vernunft.
der Sprache hinzuweisen. Wie dringt man in das ne Grammatik, entwickelte sich aus seinem Spra- Hamburg: Meiner Verlag.
Labyrinth ein, wenn seine Voraussetzung ist, ihm cherwerb nichts mehr als eine mechanische Wittgenstein, L. (1998). Tatactus logico-phi-
vorweg innezuwohnen? Wie gelingt es einem Buchstabierung eintöniger Sätze. losophicus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
wandernden Mensch, welcher verzweifelt um ein Alle Sprachen legen Nachdruck auf Bestimmthei- Lacan, J. (1986). Schriften I. Weinheim/Ber-
Schloss ohne Türe oder Fenster streift, die darin ten, die in anderen nicht berücksichtigt werden, lin: Quadriga..
versteckten Geheimnisse aufzudecken? Oder ist sowohl beim Wortschatz in materiellem sowie bei
26 aware HS12 FELDER DER PSYCHOLOGIE

Über Sprache und Evolution

Die menschliche Sprache ist ein komplexes System. Allein die Beobachtung, dass wir hier nungsmechanismus auch wie ein Instinkt von-
Zeichen präsentieren und dies unserer geschätzten Leserschaft die Möglichkeit bietet, aus statten gehen könnte und kein analytisches Be-
der Reihenfolge dieser Buchstaben auf einen «Sinn» zu schliessen und einem konstruierten wusstsein benötigte. So haben viele Menschen
Gedankengang zu folgen, ist ein erstaunliches Phänomen. Es soll hier jedoch nicht primär unabhängig von ihrer Kulturzugehörigkeit
die Schrift thematisiert werden, sondern Informationsübertragung im Allgemeinen und Angst vor Schlangen, was Evolutionspsycholo-
deren Wurzeln. Ebenfalls soll diskutiert werden, in welcher Weise die Fähigkeit zur Sprache gen zur Annahme verleitet, derartiges Verhalten
im Darwinistischen Überlebenskampf überhaupt einen Fitnessvorteil darstellen könnte. sei angeboren (Tooby & Cosmides, 2005). Ähn-
lich einem solchen Mechanismus könnte auch
Von Adrian Oesch Nachdem zwei japanische Forschende in den die Erkennung von Artgenossen in Tieren und
frühen 70er Jahren die Verbreitung neuer Ver- ein Herdentrieb angeboren sein. Manche Sozio-
Einige Tiere haben die Fähigkeit zu lernen. Sie haltensmuster in Makak-Affen beobachteten, biologen machen hierbei jedoch die Unterschei-
können neue Verhaltensmuster generieren, in- häuften sich schnell neue Befunde zur Verhal- dung zwischen sozialer Beeinflussung und sozi-
dem sie sich gemachter Erfahrungen erinnern tensübertragung bei Tieren. Es konnte gezeigt alem Lernen.
und diese bewerten. Essenziell dabei ist ein zen- werden, dass nicht nur verschiedene Affen von- Eine entscheidende Rolle bei der Imitation von
trales Nervensystem, das Lernmechanismen, einander lernen können (z. B. wie man eine Handlungen wird auch Spiegelneuronen zuge-
also die Speicherung und Evaluation von Erfah- Nuss öffnet) sondern dass auch Vögel imstande schrieben. Die anfangs der 90er Jahre in den Mo-
rungen, allererst ermöglicht. In diesem Zusam- sind, neue Tonfolgen von ihren Artgenossen zu torarealen von Schimpansen entdeckten Neu-
menhang soll einerseits an Pawlow und die klas- erlernen. Des Weiteren wurde beobachtet, dass rone, die beobachtete Handlungen in den
sische Konditionierung von Hunden und eine einmalig trainierte Nahrungspräferenz bei entsprechenden Arealen spiegeln, werden seit
andererseits an Donald Hebb (1949), auf den die Ratten über mehrere Generationen hinweg auf- dem letzten Jahrzehnt in verschiedenste Theo-
berühmte Regel «fire together, wire together» rechterhalten wurde (Whiten & Mesoudi, 2008). rien und Konzepte einzubetten versucht, so bei-
zurückgeht, erinnert werden. Je mehr eine Sy- Man spricht bei solcherlei Phänomenen von so- spielsweise in der Theory of Mind, Empathie
napse zwischen zwei Neuronen aktiviert wurde, zialem oder Modelllernen, wobei die Imitation und eben auch Imitation. Vor wenigen Jahren
desto effizienter werden Aktionspotentiale wei- von beobachtetem Verhalten ein zentrales Krite- sind zudem erstmals ähnliche Spiegelungsme-
tergeleitet. Tiere mit Lernfähigkeit haben damit rium ist. Durch die Fähigkeit zur Nachahmung chanismen in Vögeln entdeckt worden (Prather,
zusätzlich, neben angeborenen Verhaltensmu- können Verhaltensmuster innert kürzester Zeit Peters, Nowicki & Mooney, 2008), was Spekula-
stern, die Möglichkeit, auf eine sich verän- innerhalb einer Gruppe verbreitet werden. Dies tionen über die Verbreitung dieser funktionellen
dernde Umwelt zu reagieren. Ein wichtiger Fit- ermöglicht einer Gruppe eine schnelle Adaption Eigentümlichkeit in Wirbeltieren Auftrieb ver-
nessfaktor. an wechselnde Umweltbedinungen, womit sozi- lieh (Rizzolatti & Sinigaglia, 2010).
An diesem Punkt kommt die Sprache als Infor- ales Lernen einen substantiellen Evolutionsfak- Eine dieser Theorien beinhaltet ein Intentionsver-
mationsübermittlungssystem ins Spiel. Im Fol- tor darstellt. Der Prozess des Imitierens kann ständnis durch Beobachtung und Spiegelung einer
genden wird auf dessen Entstehung im Sinne folgendermassen beschrieben werden (Flinn, Handlung (Fogassi, 2005). Die Hypothese besagt,
einer Phylogenese eingegangen, indem primi- 1997): dass durch das Spiegeln einer Handlung im Ge-
tivere Arten der Informationsübermittlung prä- 1. Das Erkennen einer Beziehung zu einem hirn des Beobachters neurale Netzwerke des Beo-
sentiert und deren Voraussetzungen benannt Individuum («wie ich») bachters aktiviert werden, die normalerweise bei
werden. 2. das Beobachten eines Verhalten eines Grup- der Ausführung dieser Handlung aktiv sind, was
Während viele Tiere aus ihren eigenen Erfah- penmitglieds zu einem intentionalen Verständnis des beobach-
rungen lernen und einen Nutzen ziehen können, 3. die mentale Repräsentation des beobachte- teten Verhaltens führt. In der Verknüpfung einer
geniessen Lebewesen, die imstande sind, vonei- ten Verhaltens und beobachteten Handlung mit deren Intention lässt
nander zu lernen, den zusätzlichen Vorteil, auch 4. die Ausführung des beobachteten Verhal- sich eine Art primitives Symbol erkennen, da mit
von Erfahrungen anderer Artgenossen profitie- tens durch den Beobachter. dem Verständnis der Intention einer beobachteten
ren zu können. Überlegt einmal, worüber ihr die Nun lässt sich natürlich darüber streiten, inwie- Handlung eine Abstraktion vorliegt, zwischen vi-
meiste Zeit sprecht? Es werden häufig Erfah- fern Ratten oder Vögel die Fähigkeiten haben, suellem Eindruck und Intention.
rungen ausgetauscht, persönliche oder auch ge- Beziehungen zueinander zu analysieren, oder Michael Arbib und Kollegen extrapolieren nun
hörte Geschichten weitergegeben. Und selbst wie ausgeprägt ihre mentalen Repräsentationen diese Theorie und wenden sie auf die Sprache an
der Wissenschaftsdiskurs kann vielleicht als Er- von Handlungen sein können. Man sollte jedoch (Arbib, 2006). Während bei Handlungen die vi-
fahrungsaustausch beschrieben werden. in Erwägung ziehen, dass ein solcher Erken- suellen Eindrücke im Vordergrund stehen, sind
Bildquelle: Ronny Peiser/ronnypeiser.de FELDER DER PSYCHOLOGIE HS12 aware 27

so Jungs, jetzt ist hier erst mal Schluss mit dieser sogenannten Evolution
es bei der Sprache die akustischen Signale. nis sind zu erwähnen. Die menschliche Sprache
Zum Weiterlesen
Analog zur Verknüpfung mit der Intention einer erscheint dabei als effizientes Werkzeug zur In-
Arbib, M. A. (2006). Action to Language via
Handlung ist auch beim Verstehen akustischer formationsübermittlung und stellt einen bedeu-
Mirror Neuron System. New York: Cambridge
Reize die Frage nach der Absicht entscheidend. tenden evolutionären Vorteil dar. Bei verschie-
University Press.
«Was will das Gegenüber mit der Expression der denen Affen konnte Symbolgebrauch mit Hilfe
Flinn, M. V. (1997). Culture and evolution
gewählten akustischen Signale ausdrücken?» von Objekten oder Handzeichen beobachtet
of social learning. Evolution and Human
oder einfacher: «Was meint mein Gegenüber?» werden, deren Komplexität jedoch die Fähigkeit
Behavior, 18, 23–67.
In dem Moment, in dem die Intention der emp- eines zweijährigen Menschen nicht übertrafen
Fogassi, L., Ferrari, P. F., Gesierich, B., Rozzi,
fangenen akustischen Signale verstanden wird, (Arbib, 2006). Einerseits scheint also die grös-
S., Chersi, F. & Rizzolatti, G. (2005). Parietal
handelt es sich quasi um akustische Symbole, sere Komplexität des menschlichen Gehirns lobe: From action organization to intention
wobei der Schluss vom akustischen Signal auf eine Voraussetzung für Sprache zu sein. Ande- understanding. Science, 308, 662–667.
die Intention auch als Dekodierung betrachtet rerseits sind aber auch weitere Adaptationen, Rizzolatti, G. & Sinigaglia, C. (2010). The func-
werden kann. Die akustischen Signale werden wie der menschliche Vokaltrakt, essenziell. tional role of the parieto-frontal mirror circuit:
somit zum Träger von Information. Es soll zuletzt noch betont werden, dass die hier- interpretations and misinterpretations. Nature
Als Fazit dieser kleinen Übersicht lässt sich re- mit präsentierten Aussagen auf wackeligen Bei- Reviews Neuroscience, 11, 265–274.
sümieren, dass das Tierreich verschiedenen Ar- nen stehen. Die Forschung zu sozialem Lernen Whiten, A. & Mesoudi, A. (2008). Establi-
ten von Informationsübertragung hervorge- und Spiegelneuronen ist noch ungenügend fun- shing an experimental science of culture: Ani-
bracht hat. Da wären einfachere Mechanismen diert und wird von Teilen der Forschungsge- mal social diffusion experiments. Philosophi-
wie ein Herdentrieb zu nennen, aber auch kom- meinschaft als «Hype» bezeichnet. Aber was cal Transactions of the Royal Society B:
plexere Arten der Imitation aufgrund mentaler gibt es Schöneres als zu spekulieren und nach Biological Sciences, 363, 3477–3488.
Repräsentationen und einem Intentionsverständ- Zusammenhängen zu suchen?
28 aware HS12 FELDER DER PSYCHOLOGIE

Neuronale Repräsentation und Verarbeitung der


Sprache bei Männern und Frauen
Das Klischee ist altbekannt: Frauen reden tung beide Gehirnhälften, während Männer Hypothese 3: Abweichende Sprachverarbei-
zu viel, Männer hören nicht zu. Ein Um- vorwiegend nur eine nutzen. Dieser Ansatz tungen sind zusätzlich vom Kontext der
stand, der zu Missverständnissen und führte zur Vermutung, dass Frauen in räum- semantischen Stimuli abhängig
Streitereien führt. Im Folgenden werfen lichen Aufgaben eine schlechtere Leistung zei- Letzterer Beobachtung widerspricht, dass zum
wir einen Blick ins Gehirn und schauen, ob gen als Männer, da eine Konkurrenz sprach- Teil auch Unterschiede zwischen den Ge-
die Sprachverarbeitung geschlechterspezi- licher und räumlicher Repräsentationen in der schlechtern in der Leistung semantischer Aufga-
fische Unterschiede aufweist, die kommu- rechten Hirnhälfte der Frauen bestehe. Diese ben beobachtet wurden. Kansaku und Kitazawa
nikationsbedingte Schwierigkeiten in Annahme wurde in einigen Studien bestätigt, (2001) entgegnen, dass nicht nur die Aufgaben-
Partnerschaften erklären können. in anderen jedoch auch widerlegt. Sommer art, sondern auch der Kontext, in welchem die
und Mitarbeitende (2004) zeigen in einer Me- semantischen Stimuli gezeigt werden, miteinbe-
Von Melanie Bezel taanalyse, welche 24 verschiedene Studien be- zogen werden muss. Interessant wird es nun,
rücksichtigt, dass in Bezug auf die Lateralisa- wenn die echten Wörter in einen Bedeutungs-
Es wird angenommen, dass Sprache bei Män- tion bei verbalen Aufgaben allgemein kein kontext gestellt werden. Dabei war bei beiden
nern und Frauen im Gehirn unterschiedlich re- signifikanter Unterschied zwischen den Ge- Geschlechtern der Temporoparietalgyrus nur
präsentiert und erarbeitet wird. Grob gesagt ge- schlechtern besteht. links aktiv.
schehen die meisten Sprachverarbeitungs- Beim superioren und medialen temporalen Gy-
prozesse in der dominanten Hirnhälfte, welche rus hingegen zeigte sich ein Geschlechterunter-
«Die meisten Differenzen in der
sich bei 95 Prozent der Rechtshänder und bei 70 schied. Diese Region ist bei Frauen bilateral, bei
Ehe beginnen damit, dass eine
Prozent der Linkshänder auf der linken Seite be- Männern jedoch nur links aktiv.
Frau zu viel redet und ein Mann zu
findet. Nun haben aber diverse Studien Unter- Kansaku und Kitzawa (2001) vermuten au
wenig zuhört.» – Curt Goetz
schiede zwischen Männern und Frauen in Bezug Grund anderer Studien, dass sich phonologische
auf die Verarbeitung der Sprache im Gehirn Prozesse temporoparietal abspielen, seman-
festgestellt (Stein & Stoodley, 2006). Frauen Hypothese 2: Differenzen bei Sprachverar- tische Prozesse aber im superioren und medialen
schneiden in verbalen Gedächtnisaufgaben so- beitungen bezüglich der Lateralisation sind temporalen Gyrus. Die superioren und medialen
wie in Sprachgewandtheits- und Artikulations- aufgabenspezifisch temporalen Sprachregionen dienen zur Wortfin-
geschwindigkeitsaufgaben besser ab als Män- Daraufhin wurde als weitere Hypothese ange- dung und dazu, die semantischen Eigenschaften
ner. Des Weiteren legen anatomische nommen, dass die Unterschiede in der Latera- der Wörter zu verbinden (konzeptionelles Wis-
Unterschiede – beispielsweise die bei Frauen lisation aufgabenabhängig sind, da die in der sen). Den Autoren zufolge verarbeiten Frauen
weniger ausgeprägte Asymmetrie des Planum Metaanalyse (Sommer et al., 2004) berüch- im Gegensatz zu Männern semantische Prozesse
Temporale – Vermutungen bezüglich geschlech- sichtigten Studien unterschiedliche Arten von bei ganzen Sätzen mit Kontext der einzelnen
terspezifischer Sprachrepräsentationen nahe. sprachlichen Aufgaben untersuchten, die ver- Wörter posterior bilateral. Dahingegen gesche-
Nicht nur in der gesunden Bevölkerung, son- schiedene Aspekte des Sprachprozesses bein- hen bei beiden Geschlechtern phonologische
dern auch bei Patientinnen und Patienten wur- halten. Demnach sollten phonologische Aufga- Prozesse posterior lateral.
den geschlechterspezifische Unterschiede ge- ben bei Frauen stärker bilateral verarbeitet Diese Erkenntnisse könnten erklären, warum
funden. So weisen Frauen nach einer werden als bei Männern – semantische Aufga- Frauen in verbalen Gedächtnistests eine bessere
linkshemisphärischen Läsion seltener verbale ben hingegen sollten keine Differenzen auf- Leistung erzielen als Männer. Offen bleibt aller-
Beeinträchtigungen auf als Männer. weisen. Und tatsächlich fand diese Vermutung dings, weshalb manche Studien bei Frauen bes-
empirische Bestätigung: Bei phonetischen sere Leistungen in Sprachgewandtheits- und Ar-
Hypothese 1: Sprachfunktionen sind bei Aufgaben mit Pseudowörtern, also Buchsta- tikulationsgeschwindigkeitsaufgaben finden.
Frauen bilateraler organisiert benabfolgen ohne semantischem Gehalt,
Die obigen Ergebnisse unterstützen unter- zeigten Frauen bilaterale Aktivität im inferi- Hypothese 4: Geschlechterspezifische
schiedliche Annahmen. Eine erste Hypothese oren frontalen Gyrus, während bei Männern Differenzen sind nicht bi-, sondern unilateral
sagt aus, dass Sprachfunktionen im weiblichen nur der linke inferiore frontale Gyrus aktiv Ferner stellte Kimura (2000) fest, dass Aphasi-
Gehirn allgemein eher bilateral repräsentiert war. Hingegen wurde bei der Präsentation en bei Frauen oft nach linken, anterioren
sind, wobei das männliche Gehirn die Sprache echter Wörter, also Buchstabenabfolgen mit Läsionen auftreten, bei Männern allerdings
vorwiegend nur links repräsentiert. Das würde semantischem Gehalt, kein signifikanter Ge- vorwiegend nach linken posterioren Läsionen.
heissen, Frauen nutzen zur Sprachverarbei- schlechterunterschied festgestellt. Die oben genannten Befunde, dass Frauen
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RUBRIK HS12 aware 29

nach Läsionen der linken Hirnhälfte weniger schiedlichen Ergebnisse in den Sprachge- Es kann also durchaus sein, dass neurologische
verbale Beeinträchtigungen aufweisen als wandtheits und Artikulationsgeschwindig- Unterschiede in Bezug auf die Sprache zwi-
Männer, werden also nicht dadurch begründet, keitsaufgaben erklären. schen Männern und Frauen bestehen. Mit Si-
dass sie, wie angenommen, beide Hemisphä- cherheit belegt sind sie jedoch nicht. Um Ver-
ren zu Sprachprozessen nutzen, sondern dass Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen ständnisprobleme zwischen Ehepartner nach-
All diese Hypothesen sind in einigen Studien vollziehen zu können, wird sich ein Blick die
bestätigt, in anderen jedoch widerlegt worden. sozialen Bedingungen eines Paares, in die psy-
«Richtig verheiratet ist der Mann
Es ist deshalb nicht auszuschliessen, dass gar chotherapeutische Paarforschung und nicht zu
erst dann, wenn er jedes Wort ver-
kein Unterschied zwischen den Geschlechtern in Letzt in den hormonellen Zyklus der Frau als
steht, das seine Frau nicht gesagt
Bezug auf die Lateralisation vorliegt. Die Er- ergiebiger erweisen.
hat.» – Alfred Hitchcock
gebnisse, die für eine Lateralisation sprechen,
könnten auch durch zu kleine Stichproben oder Zum Weiterlesen
anteriore Läsionen seltener auftreten als poste- weitere methodische Mängel und Differenzen Kimura, D. (2000). Sex and cognition. Cam-
riore. Hier geht man also davon aus, dass bei zustandegekommen sein. Nicht nur bezüglich bridge (MA): MIT Press.
Frauen verbale Prozesse eher anterior und bei der Frage, ob Frauen Sprache eher bilateral ver- Sommer, I. E. C., Aleman, A, Bouma, A. &
Männern eher posterior erfolgen. Anteriore arbeiten, besteht Uneinigkeit. Die Geister schei- Kahn, R. S. (2004). Do women really have
Areale, die Sprachprozessen dienen, wie das den sich auch, wenn es darum geht, die Auswir- more bilateral language representation
Broca-Areal, sind eher für motorisch-verbale kungen geschlechterspezifischer hirnana- than men? A meta-analysis of functional
Prozesse verantwortlich, sprich für die Sprach- tomischer Unterschiede auf die Sprachverarbei- imaging studies. Brain, 127, 1845–1852.
produktion. Diese Resultate könnten die unter- tung zu bestimmen.
30 aware HS12 FELDER DER PSYCHOLOGIE

Über den Einfluss der Sprache auf das Denken

Welchen Einfluss hat Sprache auf unser Im Gegensatz zu Humboldt sieht Samuel John- nicht möglich diese Facetten einer einzigen Far-
Denken? Viele Vertreterinnen und Vertreter son keinen Zusammenhang zwischen Sprache be «blau» unterzuordnen. Winawer, Witthoft,
der Psychologie, Linguistik und Philosophie und Denken, wenn er feststellt, dass Sprache Frank, Wu, Wade und Boroditsky (2007) unter-
haben sich schon mit dieser Frage beschäf- nicht mehr als die «Kleidung der Gedanken» ist. suchten russischsprechende und englischspre-
tigt und sich dabei auf vielfältige linguis- Wie Bloom und Keil (2001) darlegen, gibt es chende Testpersonen in ihrer Fähigkeit zwei
tische Unterschiede bezogen. Neuere auch heute prominente Gegner der These, dass Blautöne zu unterscheiden. Dabei zeigte sich,
Erkenntnisse bestätigen, dass Sprache Sprache sich auf das Denken auswirkt (Bloom & dass russischsprechende Personen die Farben
unser Denken beeinflussen kann. For- Keil, 2001; Pinker, 1994). schneller unterscheiden konnten, da sie in ihrer
schende stellen fest, dass dieser Einfluss Durch die Arbeiten von Sapir (1929) und Whorf Sprache unterschiedlich kategorisiert werden. In
begrenzt ist und vieles noch unklar bleibt. (1956) wurde diese Frage im 20. Jahrhundert er- einem Nachfolgeexperiment sollten die Proban-
neut aufgeworfen. Unter dem Einfluss linguisti- den zusätzlich Zahlenreihen im Kopf behalten.
Von Manuel Merkofer scher Forschung, welche unter anderem fest- Der vorherige Zusammenhang war nicht mehr
stellte, dass es oft keine adäquate Übersetzung feststellbar. Die Autoren erklären dies damit,
Die ausserordentliche Rolle der Sprache für eines Wortes gibt, etablierte sich die Sichtweise, dass mit der Denkaufgabe der Zugang zu sprach-
die Menschheit ist unbestritten. In diesem Zu- dass grosse Unterschiede zwischen Sprachen lichen Repräsentationen behindert wurde. Dar-
sammenhang wird oft betont, wie wichtig dazu führen, dass auch die Denkweise verschie- aus kann man schliessen, dass Sprache selbst
Sprache als Medium ist, über welches wir dener Sprachgruppen stark divergiert. Wahrnehmungssysteme beeinflussen kann (Wi-
Informationen austauschen können. Zu nawer et al., 2007).
beachten ist aber auch, dass man eine ausser- Sind Informationen uneindeutig, schwierig oder
«Der Mensch ist nur Mensch durch
ordentliche sprachliche Vielfalt vorfindet: Di- die Inhalte abstrakt, neigen wir dazu, metaphori-
Sprache; um aber die Sprache zu
alekte und tote Sprachen ausgenommen, soll sche Bezeichnungen zu verwenden (Boroditsky,
erfinden, müsste er schon Mensch
es heute über 5‘000 Sprachen geben (Störig, 1999). So kommen zur Beschreibung von Zeitas-
sein.» – Wilhelm von Humboldt
2006; Swoyer, 2003). Einerseits fällt auf, wie pekten typischerweise räumliche Metaphern
stark sich diese unterscheiden können, wenn zum Zuge (z. B. «Die Zeit läuft davon»), da die-
man versucht ohne Vorkenntnisse eine andere Diese Unterschiede im Denken sollen auch dazu
Sprache zu verstehen. Nicht nur die Wörter führen, dass die Welt unterschiedlich wahrge-
In einem anderen Kontext wird diskutiert,
sind neu, auch Grammatik und Satzstellung nommen wird (Sapir, 1929, zit. nach Swoyer,
inwiefern Sprache mit der Form sozialer
müssen erst gelernt werden. Sogar die Wortar- 2003). Whorf (1956) stellt fest, dass Begriffe Systeme zusammenhängt. So werden nach
ten können nicht immer einfach nur übernom- welche Raum und Zeit in unserem Sinn beschrei- Judith Butler (1990, zit. nach Giddens,
men werden. Andererseits muss es einige Ge- ben in der Sprache der Hopi fehlen. Bloom und 2009, S. 95) Geschlechterrollen durch den
meinsamkeiten aller Sprachen geben, Keil (2001) kritisieren, dass mit dieser Feststel- gesellschaftlichen Diskurs geprägt und im-
schliesslich ist jedes Kind in der Lage, eine lung sprachlicher Unterschiede tatsächlich be- mer wieder neu geschaffen. «Geschlecht»
beliebige davon perfekt zu erlernen. Chomsky wiesen wird, dass auch Unterschiede im Denken ist für Butler somit keine feste Kategorie.
(1965, 1968) postuliert, dass diese Überein- vorhanden sind. Auch viele spätere Beiträge, Nach der französischen und russischen Re-
stimmungen Abbild einer universellen Dispo- welche die Sapir-Whorf-Hypothese zu stützen volution wurde nicht nur die Gesellschafts-
sition sind, welche uns diesen Lernvorgang scheinen, müssen sich diesen Vorwurf gefallen form, sondern auch die Sprache verändert:
ermöglicht und ein Produkt des Evolutionspro- lassen (Bloom & Keil, 2001; Swoyer, 2003). In Das Siezen wurde abgeschafft, da dieses
zesses ist (Störig, 2006). modernen Experimenten werden deshalb Denk- Klassen- und Machtdenken fördere (Bloom
Doch welche Folgen haben diese Unterschie- prozesse oft über nichtsprachliche Aufgaben er- & Keil, 2001). Slobin (1996, zit. nach Bloom
de? Bei dieser Frage steht nicht der Informati- fasst. Davon sollen nun mehrere genannt wer- & Keil, 2001, S. 355) bemängelt, dass eine
onsaustausch, bei dem Sprache als Vehikel fun- den: solche Unterscheidung bei jeder Unterhal-
giert, im Vordergrund, vielmehr muss geklärt Farben werden in diversen Sprachen teilweise tung zu einer Klassifizierung des Gegenü-
werden, welchen Einfluss die Struktur einer unterschiedlich klassifiziert. So werden im Rus- bers zwingt. So wurde vorgeschrieben, dass
Sprache hat. Schon für Wilhelm von Humboldt sischen hellere und dunklere Blautöne zwingend nur noch tu respektive ty (ты) verwendet
war Sprache kein blosses «System von Zei- auseinandergehalten. Statt von der Farbe Blau zu werden sollte. Daher richtete sich Robbespi-
chen» sondern «die äusserliche Erscheinung sprechen, verwendet man somit entweder golu- erre selbst an grössere Gruppen mit tu.
des Geistes der Völker» (vgl. Störig, 2006). boy (голубой) oder siniy (синий). Es ist folglich
FELDER DER PSYCHOLOGIE HS12 aware 31

Als zentrale Figur gilt hier Ludwig Wittgen-


stein. Ihm gemäss beeinflusst Sprache unsere
Wahrnehmung der Wirklichkeit. Er stellte fest,
dass Sätze und Wörter in der Regel mehrdeutig
und wenig präzise sind, wodurch eine sprach-
bedingte Verwirrung entstehen kann. Beispiels-
weise ist es kaum möglich, eine abschliessende
und allgemeingültige Definition für «Spiel» zu
finden. Braucht es für ein Spiel zwei Personen
oder genügt eine? Was ist ernst gemeint, was
ist nur gespielt? In diesem Sinn wird Denken
durch das zur Verfügung stehende sprachliche
Repertoire eingeschränkt. Für Wittgenstein
sind auch die zentralen Probleme der Erkennt-
nistheorie im Allgemeinen linguistisch bedingt.
Bildquelle: Manuel Merkofer

Deshalb sieht er die zentrale Aufgabe der Phi-


losophie darin, Bedeutung und Sinn von Wör-
tern und Sätzen zu klären. Durch Wittgensteins
Einfluss werden dadurch viele philosophische
Sachfragen zu Fragen der philosophischen
Sprache (Störig, 2006).
se einfacher erfasst werden können (Boroditsky, dass spezifische Denkweisen, welche durch eine Zusammenfassend wird die Sapir-Whorf-Hypo-
1999). Nun unterscheiden sich Englischsprachi- bestimmte Sprache angewöhnt wurden, auch bei these nur in einer abgeschwächten Form bestä-
ge und Chinesischsprachige jedoch in der Art der der Verwendung einer anderen Sprache weiter tigt. So scheint sich Sprache tatsächlich auf
Metaphern, die sie wählen. Zwar können in bei- wirksam bleiben können. Somit scheint sich die aussersprachliche kognitive Prozesse wie z. B.
den Sprachen die entsprechenden (räumlichen) Sprache auf das Denken selbst ausgewirkt zu ha- mathematische Beweisführung oder räumliche
Bezeichnungen für «vor» und «nach» zur Be- ben (Boroditsky, 2001). Vorstellung auszuwirken. Jedoch ist dieser Ein-
schreibung der Zeit verwendet werden, im Man- Ein weiterer Effekt zeigt sich bei zweisprachigen fluss auf spezifische Aspekte der Kognition be-
darin werden hier jedoch zusätzlich die Bezeich- Kindern, welche Walisisch und Englisch beherr- schränkt und hat nicht einen ganzheitlichen be-
nungen oben (shang) und unten (xia) verwendet schen: Ellis und Hennelly (1980, zit. nach Bloom stimmenden Einfluss auf das Denken (Bloom &
(Boroditsky, 2001). & Keil, 2001, S. 363) stellen fest, dass Kinder die Keil, 2001). Ob und in welchem Masse man
Analog zum Deutschen kann das Wort «auf» für gleichen Rechnungen in der englischen Sprache dieser Behauptung zu folgen habe, kann hier
räumliche Beschreibungen verwendet werden: besser lösen konnten, als wenn sie das Walisische nicht abschliessend erläutert werden. Ich würde
lǎohǔshàngshān -> 老虎上山: Der Tiger steigt verwenden sollten. Dies wird mit den viel länge- aber behaupten, dass man den Einfluss der
auf den Berg. ren Wörtern für die einzelnen Zahlen in der wali- Sprache auf das Denken durchaus selber fest-
Gleichzeitig kann das entsprechende Wort für sischen Sprache in Verbindung gebracht (Bloom stellen kann, etwa wenn man genau beobachtet,
«auf» auch verwendet werden, um Vergangenes & Keil, 2001). Genauer wird vermutet, dass die wie man «etwas in Worte fasst» – oder wie es
anzuzeigen: langen Ziffern einen Teil des Arbeitsgedächtnisses Hermann Hesse formuliert:
shàngnián -> 上年: das vorherige Jahr beanspruchen (Bloom & Keil, 2001). «Es wird immer gleich ein wenig anders, wenn
Boroditsky (2001) stellte Versuchspersonen Auf- Darüber hinaus ist ein enger Zusammenhang man es ausspricht.»
gaben mit Zeitbezug (z. B.: «März kommt früher zwischen Sprache und kognitiver Entwicklung
als April»). Das Experiment zeigt, dass die Man- feststellbar. So existiert ein autobiographisches Zum Weiterlesen
darin Sprechenden im Gegensatz zu ihren eng- Gedächtnis erst ab drei Jahren und fällt somit Eine knappe Übersicht über die Sprachphi-
lischsprachigen Kollegen bei vertikalem Priming mit der Entwicklung der Sprache zusammen losophie:
die Aufgabe schneller lösten als bei horizontalem (Bloom & Keil, 2001). Störig, H. J. (2006). Kleine Weltgeschichte
Priming. Dabei war das Versuchsmaterial in bei- Auch die moderne Sprachphilosophie steht der der Philosophie. Frankfurt a. M.: Fischer.
den Fällen auf Englisch. Dies deutet darauf hin, Rolle der Sprache als Medium kritisch gegenüber.
32 aware HS12 FELDER DER PSYCHOLOGIE

The talking cure?


Die Situation von Patientinnen und Patienten mit Hörschädigungen

«Die Stimme am Ohr verrät relativ schnell, Dezibelwerte eines Tonaudiogramms massgeb- Logopädische Beratung und Therapie, deren
in welcher Verfassung sich der anrufende lich sind, sondern auch das Wortverstehen im Fokus auf dem Spracherwerb und dem Vermei-
Mensch befindet. Ist er wütend oder traurig, Hauptsprachfrequenzbereich. Zur Diagnostik den von Verständnisschwierigkeiten liegt, ist
verzweifelt oder angsterfüllt, resigniert wird vor allem der Freiburger Sprachverständ- ein Aspekt der psychologisch-pädagogischen
oder gar lebensmüde?» Dieses Zitat von lichkeitstest (Zahlen- und Einsilbertest) einge- Arbeit. Ein weiteres Feld ist die psychologische
Sophie, einer Mitarbeiterin der Dargebote- setzt (Buschermöhle, 2011). Neben den Ein- Beratung und Psychotherapie für Personen mit
nen Hand, zeigt, wie viel Information in der schränkungen, die eine Hörminderung für den Hörschädigung. Die Vermutung, dass vor allem
gesprochenen Sprache neben dem seman- Betroffenen darstellen kann, wird generell die erworbene Schwerhörigkeit oder Ertaubung
tischen Inhalt enthalten ist – doch wie Situation der Eltern eines hörgeschädigten Kin-
gestaltet sich die Kommunikation, wenn des als besondere Schwierigkeit angesehen, wie Deaf culture im Netz
diese Anhaltspunkte entfallen? Regina Leven (2003) in der Publikation Gehör- Die World Federation of the Deaf (WFD)
lose und Schwerhörige Menschen mit psychi- vertritt als NGO ungefähr 70 Millionen
Von Josefine Biskup schen Störungen beschreibt. Da die ersten Worte Menschen weltweit, davon etwa 80 Pro-
ausblieben, trete bei den Eltern nach der Lallpha- zent in Entwicklungsländern, wo die Rechte
Psychotherapie ist in vielerlei Hinsicht auf die se eine Verunsicherung gegenüber dem verstum- und Anliegen von Betroffenen oftmals
mündliche Sprachvermittlung ausgelegt. Die menden Kind auf (Seifert, 1970). Besonders hö- kaum berücksichtigt werden. Im akade-
Haupttätigkeit von Therapierenden und deren renden Eltern falle es schwer, mit den mischen Bereich bildet Deaf Academics eine
Klientel ist die Verbalisierung intrapsychischen emotionalen Belastungen wie Angst, Schuldge- Plattform mit jährlichen Kongressen und
Geschehens. Insbesondere die Psychoanalyse fühl und Trauer, umzugehen (Schlesinger, 1972). mit der Englisch/Gebärdensprachlich-bilin-
stützt sich auf die verändernde Kraft des sprach- Die Probleme in der familiären Kommunikation gualen Gallaudet University in Washington
DC besteht seit 1864 eine einzigartige Insti-
lichen Austauschs. Das therapeutische Setting können im ungünstigsten Fall bei den betroffe-
tution, die BA- und MA-Kurse in diversen
und das Aussprechen freier Assoziationen er- nen Kindern zu einer kommunikationsvermei-
Feldern anbietet. Neben Akademikern in
möglichen die gemeinsame Rekonstruktion und denden Haltung oder gar zu einer ängstlich-ver-
vielen Bereichen existieren selbstverständ-
Reflexion von Empfindungen, Situationen und meidenden Persönlichkeitsstörung führen. Die
lich auch Psychotherapeuten, die von Hör-
Beziehungen eines Patienten. Die gesprochene von Leven zitierte Studie von Kammerer (1988)
minderungen betroffen sind und somit be-
Sprache bildet somit einen wichtigen Zugang in zeigt deutliche Unterschiede in der familiären
ste Kenntnis und Erfahrung in
die innere Welt des Analysanden. Die Assoziati- Wahrnehmung von Kommunikationserfolg. El-
Gebärdensprachlicher Therapie haben. Die
on Schweizer Psychotherapeutinnen und Psy- tern neigen dazu, ihre Kinder zu überschätzen,
Für eine bessere Verständigung mit medizi-
chotherapeuten (ASP) beispielsweise, betont in während diese ihre Sende- und Empfangsmög-
nisch-therapeutischem Personal setzen sich
ihrer Definition von Psychotherapie die Wich- lichkeiten gegenüber Hörenden als realistisch
im deutschsprachigen Raum beispielsweise
tigkeit der therapeutischen Beziehung – aufge- negativ einschätzen, was von ihnen jedoch mit
der Deutsche Gehörlosen-Bund e.V., wie
baut wird diese hauptsächlich durch Gespräche. zunehmendem Alter als gleichgültig erlebt wird.
auch der Deutsche Schwerhörigenbund
Wie aber funktioniert Psychotherapie bei Men- Trauer und Wut sind vor allem bei jüngeren Kin- e.V., ein. In der Schweiz existiert mit dem
schen, die Sprachklänge nicht produzieren und/ dern festzustellen (Leven, 2003). Schweizerischen Gehörlosenbund (SGB-
oder nicht wahrnehmen können? FSS) eine eigenständige Organisation. Da-
Hilfsangebote bei Hör- und Sprachstö- neben zeugen Seiten wie taubenschlag.de,
Spezifische Belastungen und höhere rungen deafbase.de oder swissdeaf.ch (pro-audito.
Vulnerabilität Zur Unterstützung von Eltern mit Kindern, die ch für Menschen mit Hörproblemen) von
Die Frühförderung von Kindern mit Hörbeein- von Hörschädigung betroffen sind, bietet in Zü- einer lebendigen Szene, die durch entspre-
trächtigung und deren Eltern ist ein weites biolo- rich das Zentrum für Gehör und Sprache (ZGSZ) chende Öffentlichkeitsarbeit, wie beispiels-
gisch-medizinisches wie auch pädagogisch-psy- eine psychologische Fachstelle APD (Audiopäda- weise die Aktion des Netzwerks der Gehör-
chologisches Forschungsfeld. Der Grad der gogische Dienst) mit Erstberatungsangebot und losen Stadtverbände e.V. «Wir können alles,
Einschränkung und die damit einhergehenden weiteren Leistungen an. Ein besonderer Fokus nur nicht hören», oder deafslam.ch als ge-
Belastungen variieren von leichtgradiger liegt zudem auf der Vermittlung von Sprache im bärdensprachliche Variante des poetry-
Schwerhörigkeit über Resthörigkeit bis zu abso- Sinne einer natürlichen Lautsprache, früher slam, auch in der hörenden Welt zuneh-
luter Taubheit. Das Hörvermögen wird für das Schriftsprache und lautsprachbegleitenden Ge- mend wahrgenommen wird.
einzelne Ohr bestimmt, wobei nicht allein die bärden (LBG) durch Kurse für Eltern und Kinder.
Bildquelle: Josefine Biskup FELDER DER PSYCHOLOGIE HS12 aware 33

eine psychosoziale Belastung darstellt, welcher Mit Händen und Füssen Eine gemeinsame Sprache finden
Gehörlose nicht in gleichem Mass ausgesetzt Die zentrale Herausforderung bildet die Sprach- Die Qualität des kommunikativen Austauschs
sind, wurde von Richtberg (1980) in einer ver- barriere. Patienten können zu einem kurz und sim- ist für den Erfolg einer Therapie – ungeachtet
gleichenden Studie bestätigt. Er bemerkt, dass pel gehaltenen Sprachstil neigen, daher ist es dessen, ob die Methode lautsprachlich-erklä-
Umweltorientierung und -anpassung eine höhe- wichtig, sich mit Emotionen und Affekten sehr rend, künstlerisch-gestaltend oder in schriftli-
re kognitive und affektive Beteiligung erfor- differenziert auseinanderzusetzen, um Missver- cher Form erfolgt – zentral. Die Wahl des
dern, was zu vorzeitiger Erschöpfung führen ständnisse auszuschliessen. Storytelling kann ein Kommunikationsmittels sollte den Wünschen
kann. Kommt es zu einer Steigerung des allge- Weg sein, die Kommunikation zu fördern, da das und Erfordernissen der Klientels angepasst
meinen psychovegetativen Erregungsniveaus, Geschichtenerzählen als Entertainment in den ge- sein, also lautsprachlich, gebärdensprachlich
so kann dies unter anderem zu pathologischem bärdenden Sprachen eine hohe Popularität ge- (hier sind die zahlreichen Varianten zu beach-
Ausmass an Ängstlichkeit, Selbstunsicherheit, niesst. Da Augenkontakt und nonverbale Kommu- ten), schriftsprachlich oder nonverbal. Je nach
Verstimmbarkeit, Reizbarkeit, Schreckhaftig- nikation äusserst hoch gewichtet werden, ist ein Hintergrund des Therapeuten ist ein Dolmet-
keit oder Sensitivität führen. Da Kommunikati- bewusster Einsatz von Mimik und Gestik aus- scher hinzuzuziehen. Spezialisierte Therapeu-
on bei vorhandenen Sprech- und Hörstörungen schlaggebend für den Erfolg der Verständigung ten verfügen über Kenntnis in Gebärdenspra-
als stressreich empfunden wird, kommt es nicht (vgl. Leven, 2003). Neben den genannten sprach- che und bieten teilweise auch körperbasierte
selten zu einer Vermeidungshaltung. Richtberg lichen Aspekten ist ein profundes Verständnis für Therapien, Musik- oder Kunsttherapie an. Wer
(1993) stellt bei 60 Prozent der Studienteilneh- die Bedeutung der Hörminderung für den Betrof- die Gebärdensprache erlernen will, findet in
mer als typische Folge- und Begleiterscheinun- fenen unerlässlich. Erfahrungen in der Kindheit, der Schweiz ein vielfältiges Angebot von Ein-
gen Nervosität und psychovegetative Labilität Entscheidungen von Eltern, ärztlichem Fachper- steigerkursen bis hin zum dreijährigen Studi-
fest, die zu Unsicherheit, verlorenem Selbstver- sonal und Peers können das Selbstbild massgeb- engang in Gebärdensprachdolmetschen an der
trauen, beeinträchtigten sozialen Kompetenzen lich beeinflusst haben. Die Abhängikeit von ver- Interkantonalen Hochschule für Heilpädago-
und einem globalen Vertrauensverlust führen mittelnden Personen, sowie eventuelle gik Zürich (HfH).
könne, was die Wahrscheinlichkeit einer chro- Diskriminierung oder Bevormundung können zu
nisch-depressiven Verstimmung. Die ständige einer misstrauischen Haltung gegenüber Thera-
Belastung von Menschen mit Schwerhörigkeit, peuten und Ärzten führen. Zudem erzeugt der Zum Weiterlesen
zwischen den beiden Gruppen der Gehörlosen Einsatz eines Übersetzers eine Dreierkonstellati- Leven, R. (2003). Gehörlose und Schwerhöri-
und Hörenden zu stehen, könne zu einer erhöh- on, die zu Allianzen zwischen den verschiedenen ge Menschen mit Psychischen Störungen (2.
ten psychischen Labilität führen. Allerdings Parteien führen kann und somit die therapeutische Aufl.). Hamburg: Verlag hörgeschädigter
sind diese Befunde mit Bedacht auf den histori- Beziehung beeinflusst – im besten Falle auch po- Kinder.
schen Kontext zu verstehen – durch die stetige sitiv (Williams, 2004). Eine offene Metakommu- Williams, C. R. & Abeles, N. (2004). Issues
Entwicklung des Internets und der mobilen nikation über die Verhältnisse im Setting, die ge- and Implications of Deaf Culture in Therapy.
Kommunikationsmitteln seit den 90ern hat sich genseitigen Ansprüche und möglichen Professional Psychology: Research and Prac-
der Austausch in und zwischen den Interessens- Verständigungsprobleme, sichert einen reflektier- tice, 35(6), 643–648.
gruppen gewandelt (vgl. Kasten). ten Umgang mit den erhöhten Anforderungen.
34 aware HS12 PSYCHOLOGIE IM ALLTAG

Karriere-Booster Vitamin B

Ob bewusst oder unbewusst: Wir alle


gestalten unsere soziale Umwelt. Wer karri-
eretechnisch hoch hinaus möchte, ist gut
daran bedient, sein soziales Netzwerk
bewusst aufzubauen und zu pflegen. Dies
gilt besonders für karriereengagierte
Frauen, denn oft leiden Frauen nicht nur an
Eisenmangel, sondern auch an einem
Mangel an Vitamin B.

Von Helen Boyer

Hast du in den letzten Wochen jemand Frem-


des auf einer Party angesprochen? Hast du
kürzlich Personen miteinander bekannt ge-
macht, die in irgendeiner Weise voneinander
profitieren könnten? Hast du in letzter Zeit je-
manden kontaktiert, um professionellen Rat
einzuholen?
Wenn du diese Fragen alle mit ja beantworten
kannst, dann verfügst du bereits über gute Vo-
raussetzungen für erfolgreiches Networking.

Networking
Was aber ist mit «Networking» gemeint? In der
Literatur gibt es hierzu verschiedene Definiti-
onen. Vielen gemeinsam ist die Idee, dass Indi-
viduen sich zusammenschliessen, um durch Ko-
operation und durch Herstellung einer

Bildquelle: Helene Boyer


Vertrauensbeziehung gemeinsame Ressourcen
für individuelle oder gemeinsame Ziele zu nut-
zen (Benz 1995; Johannes Weyer, 2000).
Umgangssprachlich wird oft von Vitamin B ge-
sprochen. Wer in Zürich auf der Suche nach einer
Wohnung ist, weiss, wie wichtig dieses sein nehmungen zu gelangen (vgl. Catalyst, 1999; nen. Obwohl heute auch Frauen Zugang zu di-
kann. Aber nicht nur bei der Wohnungssuche, Wellington & Catalyst, 2001). versen Netzwerken haben, zeigt sich noch im-
sondern auch auf der Karriereleiter hat Vitamin Der Begriff «Networking» gibt der Thematik mer die Tendenz, dass Männer stärker von
B entscheidende Wirkung. Dort werden nämlich eine moderne Note; doch die Idee, dass sich Networking profitieren als Frauen (Forret &
oft hohe Posten auf Grund von persönlichen Be- Menschen aus politischer, gesellschaftlicher Dougherty, 2004).
kanntschaften vergeben. An diesem Punkt stos- oder wirtschaftlicher Motivation zusammen-
sen Frauen häufig an die sogenannte «gläserne schliessen, besteht schon lange. Im Mittelalter Geschlechterunterschiede und Erklärungs-
Decke». Das heisst, dass sie trotz gleicher Quali- bildeten sich Orden, später entstanden Zünfte ansätze
fikationen doch nicht bis in die höchsten Ränge und Studentenvereinigungen. Heute gibt es Ge- Warum vernetzen sich Männer mehr oder anders
aufsteigen – ihre männlichen Kollegen hingegen werkschaften, Berufsverbände, Xing, Facebook als Frauen? Eine mögliche Erklärung findet
schon. Networking wird deshalb besonders bei und viele weitere Gruppierungen und Platt- sich, wenn das Networking-Verhalten analog
Frauen als einer der wichtigsten Voraussetzungen formen. Historisch gesehen waren diese Arten zur Freundschaftsentwicklung betrachtet wird.
gesehen, um in die Kader-Positionen von Unter- von Organisationen mehrheitlich Männerdomä- Da zeigt sich, dass Frauen tendenziell eher we-
PSYCHOLOGIE IM ALLTAG HS12 aware 35

nige, dafür intimere Beziehungen pflegen, in erhalten, als durch Bekanntschaften. Das unterstützend und beratend zur Seite steht.
denen sie persönliche Themen bereden können. Hauptproblem sei, dass Frauen Netzwerke Auch hier wird der Informationsaustausch be-
Männer dagegen finden oft Freunde über ge- nicht aktiv für sich und ihre Interessen einset- tont. Beim Peer Monitoring geht es darum, dass
meinsame Interessen und Aktivitäten (Fehr, zen. Frauen sollten sich mehr mit Personen Personen auf gleicher Ebene (peer) sich gegen-
2004; Sherrod, 1989, zit. nach Jonas et al., verknüpfen, die für sie nützlich sein könnten, seitig helfen und beraten (mehr dazu unter:
2007). anstatt Sympathie als ausschliesslichen Faktor http://www.gleichstellung.uzh.ch ).
für Bekanntschaften zu verwenden. Haas emp- Studien haben bestätigt, dass die Bildung von
fiehlt, sich als Frau aktiver und breiter zu ver- Netzwerken ein wichtiger Faktor ist, um den
«Knowledge exists in two forms:
netzen und dies untereinander, wie auch inner- Frauenanteil auf den oberen Stufen der Karrie-
lifeless, stored in books, and alive
halb gemischter Netzwerke. releiter zu erhöhen (vgl. Dahlhoff, 2006). An
in the consciousness of men. The
Networking ist eine längerfristige Investition der Technischen Universität Braunschweig
second form of existence is after
und es wird empfohlen, Kontakte frühzeitig wird zurzeit in der Studie «ProNet+» der Frage
all the essential one; the first, in-
aufzubauen. Also nicht erst, wenn man akut Un- nachgegangen, wie sich Networking-Work-
dispensable as it may be, occupies
terstützung benötigt oder sich den Kopf an der shops und Karriere-Coaching auf die Laufbahn
only an inferior position.» – Albert
gläsernen Decke gestossen hat. von Doktorandinnen technischer Fachrich-
Einstein
tungen auswirken. Wir bleiben gespannt auf die
Wege, um der gläsernen Decke die Stirn zu Ergebnisse.
Networking-Coach Scheddin (2005) sieht eben- bieten
falls in der Sozialisation eine Erklärungsmög- Ist denn die Emanzipation am Netzwerkmarkt Fazit
lichkeit für die Unterschiede im Networking- ungeachtet vorbeigezogen? Die Recherche im Ungeachtet des Geschlechts: Networking bietet
Verhalten. Knaben seien durch gemeinsame, oft Internet zeigt: Frauen organisieren sich sehr eine effiziente Art, Ideen und Ressourcen aus-
sportliche Aktivitäten viel früher schon in grös- wohl. Es gibt einige Frauennetzwerke in der zutauschen, durch das Wissen anderer seinen
seren Gruppen unterwegs. Für Männer sei zu- Schweiz und weltweit noch viele mehr. Haas eigenen Horizont zu erweitern und anderen
dem die Sympathie zum Gegenüber für eine (2007) sieht in der Nutzung solcher bestehender durch neuen Input weiterzuhelfen.
Geschäftsabwicklung und für ein Zusammensit- Netzwerke ein grosses Potenzial, wenn die Be- Auch wenn die Idee des berechnenden Knüpfens
zen nach der Arbeit weniger ausschlaggebend reitschaft besteht, sich für das Netzwerk zu en- von Kontakten befremdend wirken kann, schadet
als für Frauen. Scheddin beobachtet des Weite- gagieren. Doch beschreibt sie auch das Problem, es nicht, Augen und Ohren offen zu halten, um
ren, dass Frauen nur zögerlich Angebote ma- dass viele Frauennetzwerke über einen Mangel von anderen zu lernen und sich so selbst weiterzu-
chen, um Rat fragen oder ihre Ideen preisgeben. an Nachwuchs klagen. Den Grund dafür sieht bringen. Wenn sich dabei auch noch ein Türchen
Ausserdem liessen sich Männer mehr Zeit bei sie darin, dass die junge, weibliche Generation für neue Möglichkeiten öffnet, umso besser.
Networking-Situationen wie zum Beispiel bei sich lieber im Einzelkämpferinnen-Modus In diesem Sinne: Gehet hin und vernetzet euch!
einem gemeinsamen Apéro nach einer offizi- durchschlägt und glaubt, ohne Hilfe von Aussen Ran an das Vitamin B!
ellen Veranstaltung. Einen weiteren Erklärungs- ans Ziel zu kommen.
ansatz sieht Seeg (2000) in der Tradition der Viele Institutionen haben die Wichtigkeit der Zum Weiterlesen
«Old Boys Networks» (Vereinigung ehemaliger Vernetzung erkannt und bieten Programme an, Haas, M. (2007). Was Männer tun und
Schüler), die bei Männern eine breite Kontakt- organisieren Anlässe oder unterstützen Projekte, Frauen wissen müssen. Erfolg durch Net-
knüpfung etabliert und damit den beruflichen die Vernetzungen fördern. working. Hamburg: Merus.
Fortschritt unterstützt und erleichtert hat. Sol- Beispiele für solche Bestrebungen finden sich Scheddin, M. (2009). Erfolgsstrategie Net-
che Netzwerke können noch heute zum Effekt auch an der Universität Zürich. Neben dem Pro- working. München: Allitera Verlag.
der gläsernen Decke beitragen, da sie dazu füh- fessorinnen-Apéro, wurde nun jüngst auch das Soykan, D. (2009). Frauen in Chefpositi-
ren, dass macht- und statusbesetzte Positionen Projekt «Peer Monitoring» ins Leben gerufen. onen in den österreichischen Medien und
innerhalb des Netzwerks vergeben werden. Monitoring wird von vielen Autorinnen und welche Rolle Networking und Mentoring
Ist dann doch eine Position durch Kontakte in Autoren zusätzlich zu verschiedenen Netzwer- für den Aufstieg und Erfolg spielen – eine
Aussicht, zeigen sich Frauen zaghafter. Ihnen ken als Karriere-Booster genannt. Viele Frauen- qualitative Untersuchung. Diplomarbeit.
ist es laut Networking-Beraterin Haas (2007) netzwerke bieten innerhalb ihrer Netzwerke Universität Wien. Online verfügbar
oft wichtiger, einen Job auf Grund ihrer per- Monitoring an. Darunter versteht man, dass http://othes.univie.ac.at/3479/
sönlichen Qualifikationen und Fähigkeiten zu eine oft ältere, erfahrene Person einer Anderen
36 aware HS12 PSYCHOLOGIE IM ALLTAG

Kurze Wörter von grosser Bedeutung

Wir spiegeln andere nicht nur in unserem Nebst der automatischen Übernahme von Ge- wörtern stärker von der Persönlichkeit des Spre-
nonverbalen Verhalten, sondern auch im sichtsausdrücken, Emotionen und Verhaltenswei- chenden und seinem momentanen Gefühlszu-
Sprachgebrauch. Unabsichtlich passen wir sen passen wir uns auch verbal am Gegenüber an stand abhängig.
stets unseren Sprachstil an demjenigen (Chartrand & van Baaren, 2009). Wir sprechen in Da Funktionswörter den Sprachstil einer Person
unseres Gesprächspartners an. Die Stärke einem anderen Stil mit unserem Vorgesetzen als bestimmen, kann das Ausmass bestimmt werden,
dieser Anpassung sagt nicht nur etwas mit unseren Freunden, anders mit einem kleinen wie stark zwei Menschen in einem Gespräch ihren
über die Persönlichkeit der Sprechenden, Kind als mit einer alten Frau, wir variieren unsere Sprachstil unbewusst synchronisieren. Dies ge-
sondern auch über ihre Beziehung aus. Art zu sprechen ohne Anstrengung und der jewei- schieht durch Häufigkeitsmessungen – gezählt
ligen Situation entsprechend (Ireland & Penne- wird, wie oft zwei Interaktanden ähnliche Funkti-
Von Laura Basso baker, 2010). Im Gespräch mit einer Person, die onswörter verwenden. Dieses Mass wird als Lan-
mit Akzent spricht, kann es vorkommen, dass man guage Style Matching, kurz LSM, bezeichnet. Ob-
Sei es in einer Bar oder im Büro, wir passen diesen selbst auch annimmt. Auch die Satzstruktur schon der Gebrauch von Funktionswörtern bei
uns unbeabsichtigt, und doch ständig, auf un- und die Sprechgeschwindigkeit übernehmen wir jeder Person von Gespräch zu Gespräch variiert,
terschiedlichste Weisen an unserem Gegen- unabsichtlich vom Gesprächspartner (Chartrand
über an. Automatisch übernehmen wir Gesten, & van Baaren, 2009).
und Mimik, die Stimmung oder auch die Kör- Eine weitere Form der Synchronisierung des Nietzsche als versehentlicher Plagiator
perhaltung anderer, was weder uns selbst, noch Sprachgebrauchs, die nicht nur vom Sprechenden, In Nietzsches Buch Also sprach Zarathustra,
der Person, die wir imitieren, auffällt sondern auch von trainierten Beobachtern nicht gibt es eine Passage, in der Zarathustra
(Chartrand & van Baaren, 2009). Ganz nach erkannt wird, betrifft die Verwendung von Funkti- durch einen Vulkan hindurch die Hölle be-
dem englischen Sprichwort «monkey see, tritt, welche grosse Ähnlichkeit mit einer
onswörtern (Ireland & Pennebaker, 2010). Unab-
Passage aus Justinus Kerners Blättern aus
monkey do» ist der Mensch (wie alle Primaten) hängig vom Inhalt eines Satzes dienen Funktions-
Prevost aufweist. Nietzsche hatte Kerners
talentiert darin, seine Artgenossen absichtlich wörter als grammatikalische Stützen; es sind
Geschichte als Jugendlicher gelesen, und als
zu imitieren. Doch Chartrand und Bargh meist kürzere Wörter, die oft verwendet, aber un-
er 20 Jahre später über Zarathustras Reise in
(1999) konnten zeigen, dass auch unbeabsich- bewusst hervorgebracht werden (Ireland et al.,
die Hölle schreiben wollte, wurde die Erinne-
tigtes Nachahmen allgegenwärtig ist. Sie ent- 2011). Zu Funktionswörtern gehören unter ande-
rung an diese Passage in ihm wieder wach.
deckten, dass Versuchspersonen, ohne selbst rem Pronomen, Artikel, Konjunktionen und Prä-
Er erkannte sie aber nicht als solche, son-
etwas davon zu bemerken, häufiger ihren Fuss positionen. Obwohl es nur eine geringe Anzahl
dern nahm die Erinnerung als eigene Idee
bewegen, wenn sie mit einem Konfidenten zu- Funktionswörter gibt, machen sie dennoch über
wahr. Der Ablauf der Passage sowie einige
sammenarbeiten, der ständig mit dem Fuss die Hälfte der verwendeten Wörter der Alltags-
Details stimmen mit dem Original überein,
zappelt, und häufiger ihr Gesicht berühren, sprache aus (Gonzales et al., 2010).
aber die verwendeten Inhaltswörter unter-
wenn ihr Interaktionspartner dies auch oft tut. Beim Überhören eines Gesprächs dauert es eine
scheiden sich zwischen den beiden Texten,
Die Autoren bezeichnen diesen Impuls zur Weile bis klar wird, von welchem «er» dort die
was Jung als Beweis ansah, dass das Plagiie-
Verhaltenssynchronisation als «Chamäleon- Rede ist, denn Funktionswörter erfordern ge- ren unabsichtlich geschehen war (Taylor,
Effekt», da der Mensch, ähnlich dem Chamä- teiltes soziales Wissen, um verstanden und ver- 1965, S. 1113). C. G. Jung erklärte es sich
leon, das seine Farbe in Abhängigkeit der Um- wendet zu werden (Ireland & Pennebaker, wie folgt: «[…] it is almost inconceivable
gebung wechselt, automatisch sein Verhalten 2010). Funktionswörter stellen eine gemein- that Nietzsche could have reawakened that
der sozialen Umgebung anpasst. Lakin und same Verständnisbasis her, weshalb ihre Ver- old sequence of words by a voluntary act of
Mitarbeitende (2003) betrachten den Chamäle- wendung Informationen über die Beziehung der evocation. The reappearance of old, long-
on-Effekt als «social glue», der die Menschen Gesprächspartner trägt. Beispielsweise sind forgotten impressions is, however, explica-
miteinander verbindet und zusammenhält, Ehepaare, die öfter «wir» als «du» oder «ich» ble in terms of the physiology of the brain.
denn einerseits erleichtert das Koordinieren sagen, zufriedener mit ihrer Ehe (Seider et al., [...] every impression leaves behind it some
des eigenen Verhaltens am Gegenüber die In- 2009). Im Gegensatz zu Nomen und Verben, die trace in the memory, no matter how fine.
teraktion, wodurch die Wahrscheinlichkeit zu den Inhaltswörtern gehören und aufzeigen, Under special conditions the re-emergence
steigt, dass man sich gegenseitig versteht und worüber gesprochen wird, legen Funktionswör- of old memory traces with photographic fi-
mag, andererseits imitiert man sich in positiv ter dar, wie kommuniziert wird (Ireland & Pen- delity is by no means impossible.» (Jung,
erlebten Interaktionen und engen Beziehungen nebaker, 2010). Zudem ist der Gebrauch von 1970, zit. nach Robertson, 2010, S. 73).
stärker. Funktionswörtern im Vergleich zu den Inhalts-
PSYCHOLOGIE IM ALLTAG HS12 aware 37

sind die interindividuellen Unterschiede dennoch


über verschiedene Kontexte hinweg stabil (Ire-
land & Pennebaker, 2010). Die Verwendung von
Funktionswörtern korreliert mit unterschiedlichen
psychologischen Faktoren und ihre Erforschung
gibt Einblick in die Denkweise eines Menschen.
Die unbeabsichtigte Nachahmung des Sprachstils
einer anderen Person geht mit der Übernahme ih-
rer Denkweise einher (Ireland & Pennebaker,
2010). LSM kann deshalb Ereignisse vorhersa-
gen, die reziproke Verständigung voraussetzen,
wie beispielsweise Gruppenkohäsion (Gonzales
et al, 2010) oder den Erfolg bei Geiselverhand-
lungen (Taylor & Thomas, 2008).

Bildquelle: Laura Basso


Dass der eigene Sprachstil durch die Sprache, der
man ausgesetzt ist, mitbestimmt wird, kann auch
unerwünschte Folgen haben. So beeinflusst was
wir lesen unsere Schreibweise, weil wir ungewollt
und unbemerkt den Sprachstil gelesener Texte
übernehmen (Ireland & Pennebaker, 2010). Unter angezogen fühlen, und deshalb ihren Sprachstil ren zu verstehen, werden unabsichtlich ihre
«Kryptomnesie» oder auch «versehentliches Pla- stärker übernehmen. In einer zweiten Studie Sprechweise aneinander anpassen (Ireland &
giat» versteht man das Phänomen, irrtümlicher- konnten die Autoren zeigen, dass sich mittels Pennebaker, 2010). Die ähnliche Verwendung
weise Ideen, die von jemand anderem oder von LSM auch die Beziehungsstabilität von Liebes- von Funktionswörtern hilft zur Herstellung ei-
einem selbst zu einem früheren Zeitpunkt hervor- paaren vorhersagen lässt. Paare mit überdurch- ner gemeinsamen Verständnisbasis, wodurch
gebracht wurden, als neu und eigen wahrzuneh- schnittlich stark synchronisiertem Gebrauch von es einfacher wird, die Denkweise des anderen
men. So kommt es, dass Menschen Sachen schrei- Funktionswörtern waren mit grösserer Wahr- zu übernehmen, was wiederum begünstigt,
ben, deren Urherber zu sein sie überzeugt sind – in scheinlichkeit nach drei Monaten noch zusam- dass man sich mag. Umgekehrt schlägt sich
Wirklichkeit handelt es sich nur um eine Erinne- men, als Paare mit tieferen LSM-Werten. gegenseitiges Mögen und Verstehen in der
rung an etwas, das sie einst gelesen haben (Brown Auch Veränderungen der Beziehungsqualität Sprache nieder, die man verwendet, und kann
& Halliday, 1991). Ein berühmter Fall von Kryp- widerspiegeln sich im LSM-Mass. Das Ehepaar durch den veränderten Gebrauch von Funkti-
tomnesie, der von C. G. Jung entdeckt und be- Elizabeth Barrett und Robert Browning, beides onswörtern erfasst werden. Der unbewussten
schrieben wurde, betrifft eine Passage aus bekannte Dichter des 19. Jahrhunderts, weist in verbalen Anpassung am Gegenüber kommen
Nietzsches Also sprach Zarathustra, die einer Ge- seinem Briefwechsel zu denen Zeiten hohe also die gleichen sozialen Funktionen zu, wie
schichte entstammt, die Nietzsche als Jugendli- LSM Werte auf, als beide glücklich waren und der nonverbalen, und im Wesentlichen wider-
cher gelesen hatte (Taylor, 1965). Da man LSM sich in ähnlichem Gesundheits- und Gefühlszu- spiegelt Language Style Matching interperso-
nicht bewusst kontrollieren kann, lässt sich auch stand befanden. In disharmonischen und nelle Harmonie.
Kryptomnesie bewusst nicht verhindern (Ireland schwierigen Zeiten war ihr Sprachgebrauch
& Pennebaker). deutlich weniger synchronisiert (Ireland & Pen- Zum Weiterlesen
In einer Studie von Ireland und Kollegen (2011) nebaker, 2010). Dass sich auch die psychische Ireland, M. E., Slatcher, R. B., Eastwick, P.
waren die Personen mit hohem LSM-Wert in und gesundheitliche Verfassung auf LSM aus- W., Scissors, L. E., Finkel, E. J. & Pennebaker,
einem ersten Speed-Dating Gespräch eher daran wirken, zeigt, dass es wie die meisten sozial- J. W. (2011). Language Style Matching Pre-
interessiert, sich näher kennenzulernen, als Speed- psychologischen Phänomene sowohl durch per- dicts Relationship Initiation and Stability.
Dating Paare, die ihren Sprachstil nicht synchro- sonenbezogene als auch situationsbezogene Psychological Science, 22(1), 39–44.
nisierten. Gleicht man die Art und Weise, wie man Faktoren beeinflusst wird (Ireland & Penne- Taylor, F. K. (1965). Cryptomnesia and Plagi-
spricht, am Gesprächspartner an, erleichtert dies baker, 2010). arism. British Journal of Psychiatry, 111,
die Verständigung. Es liegt nahe, dass wir gewillt Zwei Personen, die sich gegenseitig Aufmerk- 1111–1118.
sind, Menschen zu verstehen, zu denen wir uns samkeit schenken und gewillt sind, den ande-
38 aware HS12 PSYCHOLOGIE IM ALLTAG

Feeling bad about being sad – eine Kritik am


positiven Denken
«Du musst positiv sein!» verkünden rücksichtigt: Man hatte einfach nicht die rich- Synonyme für das positive Denken sind «neues
zahlreiche selbsternannte Berufsopti- tige Einstellung (Ehrenreich, 2009). Doch nur Denken», «richtiges Denken», «mentaler Positi-
misten. Das positive Denken ist in west- weil man Probleme ignoriert, verschwinden vismus» oder «Kraftdenken». Diese Methoden
lichen Kulturen mittlerweile zur Norm sie nicht plötzlich (Blask et al., 2009). Täglich werden von selbsternannten «Motivationstrai-
geworden und wird sogar als Allweltheil- wird uns der Wert positiver Emotionen durch nern» propagiert (Ehrenreich, 2009). Was viele
mittel angepriesen. Doch der Optimismus Werbung und Kampagnen vermittelt. Das Stre- nicht ahnen können ist, dass positives Denken
hat auch Schattenseiten – er kann sogar ben nach Glück wird betont. Gleichzeitig wer- manchmal mehr schadet, als Hilfe zu verschaffen
dazu führen, dass man sich schlechter fühlt den gewöhnliche negative Affekte pathologi- (Tenzer, 2009). Auf den ersten Blick könnte man
als zuvor. siert und gescholten, als wäre Jammern meinen, das positive Denken mache umso glück-
schlecht für die Gesundheit (Brock et al., licher, je konsequenter es vom Individuum ver-
Von Nadine Torresan 2012). Zwar gibt es einige Studien, welche die folgt wird (Mauss et al., 2011). Doch das positive
Wirksamkeit des positiven Denkens bestäti- Denken ist zum Zwang geworden, und genau hier
In individualistischen Kulturen ist zweifellos gen, aber in manchen Fällen schadet positives liegt das Problem. Denn wenn Menschen anneh-
das positive Denken die Emotionsnorm (vgl. Denken eher, als dass es nützt. Eine gängige men, man erwarte von ihnen, gewisse Gefühle
Kasten) schlechthin geworden (Brock et al., Methode des positiven Denkens ist die Zielvi- nicht zu haben, verstärkt dies eben jene uner-
2012). Es gibt kaum ein Problem, für das posi- sualisierung: Man stellt sich lebhaft vor, wie wünschten Gefühle (Brock et al., 2012). Die An-
tives Denken keine Lösung verspricht (Ehren- es wohl wäre, ein sich gestecktes Ziel zu errei- forderung, sich glücklich zu fühlen, hat also einen
reich, 2009). Sie wollen abnehmen? Dann chen. Solche Phantasien aber können auf Men- gegenteiligen Effekt. Dies basiert auf der nega-
müssen Sie es sich nur ganz fest vornehmen! schen mit hoher Furcht vor Misserfolg ein- tiven Selbsteinschätzung, die daraus resultiert,
Sie sind auf Partnersuche? Keinesfalls dürfen schüchternd wirken, anstatt sie zu motivieren. dass wir uns nicht rund um die Uhr gut fühlen
Sie eine negative Haltung haben, denn nichts Die Methode der Zielvisualisierung muss dem können. Die Forderung des positiven Denkens
ist abstossender als das. Sie brauchen Geld? jeweiligen Persönlichkeitstyp angepasst wer- gibt eine Norm vor, die unmöglich einhaltbar ist,
Mit positivem Denken können Sie Geld ma- den, damit sie die Produktivität steigern kann heutzutage jedoch so allgegenwärtig ist, dass man
gisch anziehen! Vertreterinnen und Vertreter (Tenzer, 2009). ihr nicht aus dem Weg gehen kann. Fühlt man sich
des positiven Denkens machen das gefährliche trotz allen positiven Bemühungen mal schlecht,
Versprechen, jedes Problem anhand einer sim- Diktatur des positiven Denkens entsteht das Gefühl, versagt zu haben. Diese nega-
plen Einstellungsänderung lösen zu können Doch woher stammt diese Omnipräsenz des tive Selbstreflexion fördert abschätzige Gedanken
(Blask et al., 2009). Finden sich obsessiv posi- positiven Denkens? Erklärt wird dessen Ent- über sich selbst, was das Wohlbefinden deutlich
tiv Denkende mit Misserfolg konfrontiert, stehung mit Bezug auf den Calvinismus, der vermindert. Auf der anderen Seite zeigen Studien,
wird weder die Methode kritisch hinterfragt, früher vor allem im angloamerikanischen dass negative Gefühle geschwächt werden, wenn
noch werden praktische Gegebenheiten mitbe- Raum verbreitet war und in den USA an der die Norm kommuniziert, dass es in Ordnung ist,
Bildung einer «sozialen Depression» mit- sich auch mal schlecht zu fühlen (Brock et al.,
Was sind Emotionsnormen?
wirkte. Der Glaube an einen unbarmherzigen 2012).
Emotionen sind ein soziales Phänomen. Sie Gott und die Notwendigkeit einer reinen See-
werden im sozialen Kontext erlebt und ge- le, um in den Himmel zu kommen, führte die Die Theorie der ironischen mentalen Kontrolle
äussert und haben soziale Konsequenzen. Gläubigen dazu, ein strenges Leben zu führen. Verdrängung und Vermeidung sind Mechanis-
Menschen haben Glaubenssätze darüber, Tagtäglich bestand der Druck, die eigenen men, die den negativen Effekt der vorherrschen-
wie akzeptabel es ist, gewisse Gefühle zu Sünden aufzuspüren und darauf zu hoffen, den Emotionsnormen möglicherweise erklären
erleben oder auszudrücken. Beispielsweise noch eine Chance auf Vergebung zu haben. (Brock et al., 2012). Eine weitere Theorie, die
wäre es völlig unangebracht, während einer Um dem entgegenzuwirken, wurde von einer den paradoxen Effekt der Emotionsnormen er-
Beerdigung gut gelaunt zu sein und zu la- neugeistigen Bewegung als Antwort das posi- klärt, ist die Theorie der ironischen mentalen
chen (Heise & Calhan, 1995). Emotions- tive Denken «erfunden». Doch die Nation Kontrolle, welche von Wegner (1994) stammt.
normen geben für verschiedene Situationen konnte nicht aufatmen – anstatt ständig nach Emotionsregulation beschreibt den Vorgang des
die Angemessenheit der Art, Dauer und der der Sünde zu suchen, um sie zu umgehen, galt Intensivierens, Dämpfens oder Erhaltens von
Intensität von Gefühlen vor (Brock et al., es nun, jegliche negative Gedanken zu ver- Emotionen, je nach dem, was für ein Ziel das In-
2012). nichten. Die ständige Arbeit am Selbst wurde dividuum verfolgt. Die Theorie der ironischen
beibehalten. mentalen Kontrolle beschreibt, wie der Versuch,
Bildquelle: Adrian Oesch PSYCHOLOGIE IM ALLTAG HS12 aware 39

Der Blick durch die rosarote Brille.


wird die unerwünschte Emotion verstärkt. Emoti- spotenzial. Unangenehm ist es im Leben immer
negative Emotionen zu unterdrücken, bei Per- onsregulation kann deshalb in manchen Fällen wieder, aber: Bei Ärger sollte man ruhig mal jam-
sonen mit klinischem Level negativen Affekts schädliche emotionale und kognitive Konse- mern dürfen, das hilft (Blask, 2009).
paradoxerweise zu noch mehr negativen Gefüh- quenzen haben. Depressive Patienten darüber zu
len führt. Jede Bemühung, eine Emotion zu un- informieren, dass sie ihre negativen Gefühle zu-
Zum Weiterlesen
terdrücken, wird von der Sorge begleitet, diese lassen sollen, führt zu einem Nachlass der Sym-
Blask, F. (2009). Richtig jammern – dem
könnte trotzdem wieder auftauchen. Deshalb gibt ptome (Yiend et al., 2009).
Fluch des positiven Denkens entkommen.
es neben dem ursprünglichen Regulationsprozess
Suite101. Online verfügbar http://suite101.
noch einen Monitorprozess. Der Regulationspro- Auch negative Gefühle sind substanziell
de/article/richtig-jammern-a62578
zess versucht dem unerwünschten Gefühl entge- Der Gute-Laune-Terrorismus führt zu Selbstüber-
Brock, B., Hornsey, M. J., Koval, P., Kup-
genzuwirken, indem beispielsweise positive Er- forderung und Entfremdung vom eigenen Ich. In
pens, P., Park, J. & Uchida, Y. (2012). Feeling
innerungen gesucht werden. Der Monitorprozess ihrem äusserst lesenswerten Buch «Smile or die» bad about being sad: The role of social ex-
überprüft, inwiefern dies funktioniert und wie schreibt Barbara Ehrenreich (2009): «Das Glas pectancies in amplifying negative mood.
viel Bewusstsein über die unerwünschte Emotion halb voll zu sehen, selbst wenn es zerbrochen auf Emotion, 12, 69–80.
noch vorhanden ist. Die Existenz dieses Monitor- dem Boden liegt» macht auf Dauer keinen Sinn. Ehrenreich, B. (2009). Smile or die: How po-
prozesses führt jedoch dazu, dass das uner- Negative Gefühle haben durchaus ihren Nutzen. sitive thinking fooled America and the
wünschte Gefühl noch verfügbar bleibt, denn der Sie tragen eine wichtige Alarmfunktion und zei- world. London: Granta Publications.
Monitorprozess verwendet ebendieses Gefühl als gen an, wann Handlungsbedarf besteht. Negative Heise, D. R. & Calhan, C. (1995). Emotion
Referenzpunkt. Normalerweise ist der Regulati- Gefühle warnen die Menschen, wenn sie im Be- norms in interpersonal events. Social Psy-
onsprozess effektiver als der Monitorprozess, griff sind, ihre eigenen Bedürfnisse und Sehn- chology Quarterly, 58, 223–240.
und die unerwünschten Emotionen können er- süchte zu übergehen oder wenn sie sich der Bela- Mauss, I. B., Anderson, C. L., Savino, N. S., &
folgreich unterdrückt werden. In Situationen mit stungsgrenze nähern. So tragen negative Gefühle Tamir, M. (2011). Can seeking happiness
erhöhten kognitiven Belastungen aber wirken zur Psychohygiene bei. Es gibt Situationen, bei make people unhappy? Paradoxical effects
diese Belastungen als Einschränkung für den Re- denen schlechte Laune erlaubt ist, etwa bei einem of valuing happiness. Emotion, 11, 807–815
gulationsprozess. So erhält der Monitorprozess Verlust, wo Gefühle der Trauer die Relevanz des Tenzer, E. (2009). Think negative! Frankfur
die unerwünschten Inhalte im Bewusstsein. Im Verlustes vergegenwärtigen und den Verarbei- ter Allgemeine Zeitung. Online verfügbar
Falle eines klinischen Levels an negativem Af- tungsprozess ermöglichen. Auch Kränkungen, die http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/
fekt wirkt dieser Affekt selbst als kognitive Bela- Teile der eigenen Person berühren, führen oft zu arbeitswelt/psychologie-des-erfolgs-think-
stung, so dass keine mentalen Ressourcen für den schwer aushaltbaren Gefühlen. Diese einfach zu vnegative-1757106.html
Regulationsprozess übrig bleiben. Entsprechend umgehen wäre schade, denn sie bieten Wachstum-
40 aware HS12 PSYCHOLOGIE IM ALLTAG

Homophobie ist schwul

«Das ist so was von schwul!», höre ich mehr als deren weibliches Pendant. Die Analyse pen, sowie deren Wahrnehmung miteinge-
meinen homosexuellen Freund sagen, von Bezeichnungen und Beschimpfungen ist in- schlossen wird (Hornscheidt, 2011, S. 17–18).
währenddessen er auf ein Kleidungsstück sofern sinnvoll und aufschlussreich, als dass sie «Das ist schwul» kann also diskriminierend
zeigt. Es ist offensichtlich keine homophob- nicht nur einen Spiegel für die Eigenschaften sein, ohne dass sich ein Homosexueller durch
diskriminierende Bemerkung und dennoch einer Randgruppe bilden, sondern auch ein Bild diese Bezeichnung direkt gekränkt fühlt. An-
fungiert das Wort «schwul» als negative der Gesellschaft selbst zeichnen (Skinner, ders gesagt: Das Pejorisierungskonzept be-
Tradierung. Es scheint eine Abkoppelung 2001). Unsere Art und Weise, wie wir uns äus- trachtet Diskriminierung als «sozial strukturie-
zwischen schwul im Sinne von homosexuell sern und die damit intendierte oder empfundene rendes Phänomen und nicht bloss individuell
und schwul als Invektive zu bestehen. Kränkung (re)produzieren gesellschaftliche zugefügte [...] Kränkung» (Hornscheidt, 2011,
Woher kommt die negative Konnotation Normvorstellungen (Hornscheidt, 2011). S. 32). Bezeichnet jemand also einen Song, ein
der männlichen Homosexualität? Und Möbelstück, die Farbe einer Hose oder ein lä-
warum wird eine missfallende Begebenheit Diskriminierung im grossen Rahmen stiges Erlebnis als «schwul», ohne dass sich ein
nicht auch «so was von lesbisch» genannt? Um das Wort «schwul» und dessen negative beisitzender Homosexueller beleidigt fühlt,
Konnotation genauer zu betrachten, wird nun trägt derjenige dennoch zur konventionalisier-
Von Fabienne Meier auf das sprachwissenschaftliche Konzept der ten Pejorisierung und Reproduktion hegemoni-
Pejorisierung Bezug genommen. Durch dieses aler Konzeptualisierung bei.
«Obwohl die Heterogenität der Sexualität zu- konstruktivistisch-strukturelle Konzept können Anfangs wurde erwähnt, dass es kaum Schimpf-
nehmend akzeptiert wird [...], wird die Spra- sprachliche Handlungen als Diskriminierung worte mit dem Zusatz «Lesbe» oder «lesbisch»
che im Bereich der Sexualität häufig noch im- erkannt werden, die in einer Gesellschaft als gibt und die weibliche Form der gleichge-
mer einer Normierung unterworfen» (Schimpf, neutrale Beschreibungen – den Normvorstel- schlechtlichen Liebe im Allgemeinen weniger
2001, S. 68). In diesem Artikel soll zuerst das lungen entsprechend – genutzt werden (Horn- offen ausgetragene Abwertung zu erfahren
Ungleichgewicht der Bezeichnungen von scheidt, 2011). Dies ist für den vorliegenden scheint als die männliche. Auch dieser Tatbe-
weiblicher und männlicher Homosexualität Artikel insofern bedeutsam, als dass das ehe- stand verweist auf Diskriminierung. Wenn in
aufgezeigt werden. Danach wird die Bedeu- mals als Beleidigung intendierte Wort «schwul» Texten und anderen Beiträgen von «homosexu-
tung von Schimpfworten besprochen, um da- in der Gegenwart von der bezeichneten Minder- ell» gesprochen wird, wird dieser Begriff im
raufhin die genuinen Tradierungen der gleich- heit als völlig legitime Selbstbezeichnung be- weiteren Verlauf meist durch «schwul» ersetzt.
geschlechtlichen Liebe des jeweiligen nutzt wird. Versuchen wir dieses Konzept an Die androzentrische Verwendung des Wortes
Geschlechts zu diskutieren. einem Beispiel zu erläutern: Wird ein heterose- «homosexuell» ist ein typisches Beispiel für
xueller Mann als «Schwuler» bezeichnet, so ist eine «Ent_Erwähnung» (Hornscheidt, 2011,
Sprachgebrauch das eine Pejorisierung in dem Sinne, als dass S. 24). Denn öffentlicher Diskurs, wie negativ
Das Illustrierte Lexikon der deutschen Um- die Abweichung von der männlichen Norm als getönt dieser auch sein mag, setzt voraus, dass
gangssprache enthält 17 Worte mit der Silbe nicht wünschenswert verstanden wird. In die- die diskriminierte Gruppe zur Sprache kommt.
«schwul». Diese reichen von «Schwulenlokal» sem Beispiel besteht aber keine Pejorisierung Daher ist eine andere Form von Diskriminierung
über «Schwuletto» bis hin zu «Schwulogie» gegenüber dem angesprochenen heterosexuel- die «Nicht_Bennenung» oder «Ent_Erwäh-
(Küpper, 1984). Blättert man zum Buchstaben len Mann, sondern gegenüber der als schwul nung». Durch die weitaus grössere Brisanz, die
«L» findet sich kein einziges umgangssprach- bezeichneten sozialen Gruppe. In der Interpre- der Thematik der männlichen gleichgeschlecht-
liches Wort, welches «lesbisch» auch nur an- tation dieses Beispiels zeigt sich der grundle- lichen Liebe in Öffentlichkeit, Medien und Poli-
satzweise behandeln würde. Ähnlich sieht es in gende Unterschied dieses Konzeptes im Ver- tik zukommt, widerfährt dieser zwar oftmals
Herbert Pfeiffers (1997) Das grosse Schimpf- gleich zur (juristischen) Definition von harschere Kritik und grössere Ablehnung, den-
wörterbuch aus. Neben «Schwuchtel» und Beschimpfungen. Es geht nicht ausschliesslich noch wird sie dadurch bereits «Teil expliziter
«Schwuler» finden sich noch eine Reihe weitere um die emotionale Reaktion bzw. Kränkung der Benennungspraktiken», sozial intelligibel und
als «abfällig für einen Homosexuellen» bezeich- angesprochenen Person auf die Ansprache, son- wahrnehmbar.
nete Expressionen (Pfeiffer, 1997, S. 391). Auch dern das Blickfeld wird erweitert, in dem auch
Jody Skinner, der Verfasser des ersten Wörter- die «Wechselwirkung mit über sprachliche Ka- Warum ist Homophobie schwul?
buchs für das Homosexuelle führt diesen Unter- tegorisierung hergestellte Personengruppen» Kommen wir zu den Erklärungsansätzen. Diese
schied an (2001). Offensichtlich bewegt die und der daraus entwickelten strukturellen dis- müssen aus zwei Perspektiven angegangen wer-
männliche Homosexualität unsere Gesellschaft kriminierenden Vorstellungen über diese Grup- den, denn «die Bewertung von Homosexualität
PSYCHOLOGIE IM ALLTAG HS12 aware 41

schwül und bezeichnet einen schaften Mitte des 19. Jahrhunderts fand ein
heissen, bedrückenden Zustand, einschneidender Gesinnungswechsel der west-
metaphorisch auch als «auf heis- lichen Gesellschaft statt. Die weibliche Homo-
sem Boden stehen» beschrieben. sexualität wurde sexualisiert. Der Wandel war
Wahrscheinlich wurde es au drastisch, denn von nun an stand lesbischer Sex
Grund der einschlägigen Atmo- im Mittelpunkt der Diskussion, wo zuvor noch
sphäre der Lokale, in denen sich nicht einmal eine Triebhaftigkeit angenommen
schwule Männer trafen, auf die- wurde. Vor allem in den letzten Jahrzehnten
se übertragen (Küpper, 1984, nahm die Darstellung lesbischer Liebe vor-
S. 2604). Zweitens greife ich die nehmlich einen «subtil unterhaltenden, voyeu-
Assoziation mit AIDS auf. We- ristischen» Charakter an. Darüber hinaus exis-
gen des grösseren Ansteckungs- tierten lesbische Frauen nicht in der öffentlichen
risikos bei rektalem Geschlechts- Wahrnehmung. «Lesbisch sein wird in Erotik-
verkehr wurde vor allem magazinen als moderner Trend dargestellt,
während der 80er Jahre der HI- sexy, reizvoll, exotisch in seiner Art, in keiner
Virus mit dem Namen «Schwu- Weise aber gesellschaftliche Prämissen in Fra-
lenseuche» besetzt. Auch heute ge stellend» (Peters, 2001, S. 205). Eine wei-
dürfen männliche Homosexuelle tere Parallele ist wichtig zum Verständnis der
kein Blut spenden, frauen- «Ent-Erwähnung» der Lesbizität, nämlich die
liebende Frauen hingegen schon. zur ersten und zweiten Frauenbewegung. Nicht
Die Vermutung liegt nahe, dass nur, dass die Pathologisierung der weiblichen
dieser Umstand mit einer stär- Homosexualität den Gegnern der Emanzipati-
Bildquelle: Chrys Zumstein/chryszumstein.ch

keren negativen Tradierung on sehr gelegen kam, auch die feministisch ak-
männlicher Homosexualität zu- tiven heterosexuellen Frauen entwickelten
sammenhängt (Dunde, 1990). eine Homophobie, um der Glaubwürdigkeit
Letztlich ist die Rolle des Andro- ihrer eigenen politischen und gesellschaft-
zentrismus der westlichen Kultur lichen Interessen Willen (Peters, 2001). Somit
anzusprechen. Männer standen wurde und wird bis heute versucht, die les-
bereits zu Paulus Zeiten im Zen- bische Liebe tunlichst aus dem öffentlichen
trum der abendländischen Gesell- Diskurs zu verbannen und auf ihren sexuellen
schaft und damit auch deren Sexu- Reiz zu reduzieren. Die Homophobie hingegen
[...] hängt zusammen mit einer generellen Be- alität. Währenddessen wurde der Frau – trotz ihrer blieb und findet bis heute Einzug in den alltäg-
wertung menschlicher Sexualität und der Rol- biblischen Rolle als fleischliche Verführerin – im lichen Sprachgebrauch.
len von Mann und Frau» (Dunde, 1990). Daher realen Leben jegliche sexuelle Aggressivität abge-
fokussiere ich im Folgenden die Unterschiede sprochen (Peters, 2001). Auch heute machen sich
der Beschreibungen von Homosexualität beider noch Überbleibsel der patriarchischen Gesinnung Zum Weiterlesen
Geschlechter. Auf Erklärungen der Abneigung in der Wissenschaft bemerkbar: «Sexuologische Hoberg, R. (Hg.). (2001) Sprache – Erotik
gegen Homosexualität sui generis wird in die- Forschung wurde in der Regel von Männern an – Sexualität. Berlin: Erich Schmidt.
sem Rahmen verzichtet. Männern betrieben. Daher ist die Literatur zur Küpper, H. (1984). Illustrierters Lexikon
Beginnen wir mit der «schwulen Homophobie». Lesbizität schmal und sexuologisch wenig aussa- der deutschen Umgangssprache. In 8 Bän-
In einem ersten Schritt kann man die Worther- gekräftig» (Skinner, 2001, S. 214). den. Stuttgart: Klett.
kunft analysieren. Im Gegensatz zur Bezeich- Pfeiffer, H. (1997). Das grosse Schimpf-
nung «lesbisch», welche von der auf der grie- Weibliche Homosexualität im Kontrast wörterbuch. Über 10.000 Schimpf-,
chischen Insel Lesbos lebenden und Frauen Mit Einbezug der christlichen Lehre sind wir Spott-, und Neckwörter zur Bezeichnung
besingenden Dichterin Sappho herrührt, ist bereits in die Thematik der weiblichen Homo- von Personen. Frankfurt a. M.: Eichborn
«schwul» schon in seiner Ursprungsbedeutung sexualität und deren Tradierung eingetaucht. Verlag.
negativ konnotiert. Es bedeutet ursprünglich Nach dem Kult der asexuellen Frauenfreund-
42 aware HS12 ERAHRUNGSBERICHT

Meine ersten sechs Monate als Psychotherapeut:


Impressionen
Nach Abschluss des Studiums an der Ich sitze vor dem Schreibtisch in meinem Zim- tungserprobung über das Wochenende die
Universität Bern begann der Autor im mer. Heute habe ich die dritte Therapiestunde Station verlassen, ansprechen. Ich setze an, da
Januar dieses Jahres eine tiefenpsycholo- mit meiner ersten Patientin abgeschlossen. verändert sich plötzlich ihr Gesichtsausdruck.
gisch fundierte Therapieausbildung in Durch das offene Fenster schallt zunehmend Sie starrt auf etwas an der Wand, oberhalb des
Heidelberg und trat im März für sechs lauter werdend Rotorenlärm. Ich stehe vom Tischchens zwischen uns und wendet sich dann
Monate seine erste Stelle als Psychothera- Schreibtisch auf und trete ans Fenster. Da taucht mit grossen Augen an mich: «Herr Puhlmann,
peut an. Auf der tiefenpsychologisch der Notarzt-Helikopter auf. Noch einmal dreht wir können so nicht weitermachen. Da oben ist
ausgerichteten Psychosomatischen Station das Gefährt in der Luft, bevor es auf dem Dach eine Spinne und ich fürchte mich vor Spinnen.
eines Allgemeinkrankenhauses in Bruchsal des von mir aus gesehen gegenüberliegenden Entweder Sie entfernen sie oder wir müssen ab-
begleitete er drei bis fünf stationäre Klinikflügels aufsetzt. Noch während der Pro- brechen.» Ich taxiere mit meinem Blick die
Patienten, mit denen er zweimal wöchent- peller rotiert, tritt ein Mann in rot-weissem Not- Wand, kann nichts erkennen, aja dort, ein dünn-
lich ein fünfzig-minütiges Gespräch führte. arztanzug heraus, setzt sich seinen Helm ab, beiniger Weberknecht. ‹Schüre keine Illusionen,
Im Artikel beschreibt er Impressionen und klemmt ihn sich unter die Schulter und nimmt Moritz, Du kannst nicht ihr Retter sein!› – ‹Und
sein Ringen mit einem wunderlichen Beruf. einen Schluck aus einer Wasserfalsche. Sein doch: Ihr Anliegen ist legitim! Eine Spinne ge-
Kollege, der Pilot, folgt ihm jetzt nach. Ich sehe hört nicht in ein Therapiezimmer! Für ein thera-
Von Georg-Moritz Puhlmann noch, wie der Pilot dem anderen auf die Schul- peutisches Arbeiten muss der Kontext sicher
ter klopft, als beide im Klinikgebäude ver- sein.› – ‹Aber die Stunde ist doch sowieso schon
Am ersten Tag ihrer Weiterbildung in Heidel- schwinden. zu Ende!› – ‹Jedoch: fünf Minuten bleiben und
berg tranken die Teilnehmenden mit den Lei-
tern Sekt und erzählten nacheinander, wie sie Wenn ich in den ersten Wochen meiner Tätigkeit
«[…] sollte sich aber gar jemand
zum Wunsch gekommen waren, Psychothera- am Fenster in meinem Zimmerchen im obersten
unter Ihnen finden, der sich nicht
peut werden zu wollen. Als ich an der Reihe Stock des Bruchsaler Klinikums stand und dem
durch eine flüchtige Bekanntschaft
war, sprach ich davon, dass ich Psychotherapie Rettungshelikopter hinterherblickte, kam es vor,
mit der PA befriedigt fühlte, son-
für einen einzigartigen Ort hielte, an dem Din- dass ich dachte, ich hätte doch besser einen an-
dern in eine dauernde Beziehung
ge angeschaut, nachgefühlt und ausgesprochen deren Beruf gewählt. Einen Beruf mit eindeuti-
zu ihr treten möchte, so werde ich
werden könnten, die ansonsten tabuisiert wür- gem Auftrag, in dem ein Handgriff dem anderen
ihm nicht nur abraten, sondern
den und sich ihren Weg in einsam ertragenen folgte, wo ich abspulen könnte, was ich gelernt
ihn direkt davor warnen.» – Freud,
Symptomen bahnen müssten. Ein Ort, wo hätte. Wo klare Verhältnisse herrschten. Wo ich
Vorlesungen
Konflikte durchgearbeitet und nicht harmoni- mir einer Professionalität sicher wäre, die ich
siert würden, wo scheinbar Irriges auf eine In- häufig nicht empfand. Regelmässig war ich ver-
tention, einen sinnvollen Plan zurückgeführt wirrt von dem, was ich in meinem neuen Beruf sie hat Anspruch auf die fünf Minuten!› «Herr
werde, um so freigelegt und auf eine neue Art erlebte. Puhlmann!», höre ich sie flehend-druckvoll
entfaltet zu werden. Psychotherapie als eine sagen. Ich gebe nach, stehe auf, schreite zum
umfassend gelebte Auseinandersetzung mit Freitag Vormittag, fünf Minuten vor Schluss der Schreibtisch, nehme eine der alten Kaffeetassen,
den verinnerlichten Philosophien der Pati- Sitzung. Die Patientin hat gerade in abgeklär- die dort ungeordnet nebeneinander stehen und
enten, die in der therapeutischen Begegnung tem Ton, nahezu scherzhaft-lapidar, von ihrer steige auf den Tisch zwischen uns. Er wankt, fast
erlebbar würden und reflektiert werden Vergangenheit erzählt, und dabei einen schla- kippe ich auf die Patientin. Ich stupse den We-
könnten, so wie es modellhaft in Yaloms Und genden Grossvater und einen sie verfolgenden berknecht in die Tasse, springe vom Tisch und
Nietzsche weinte beschrieben sei. Ich erzählte Ex-Mann wieder aufleben lassen. Im Anschluss werfe ihn aus dem Fenster. Sie schaut zufrieden.
von meinen eigenen Eltern, die sich intellektu- darauf hat sie zum ersten Mal Schwierigkeiten Und da kommt so eine merkwürdige Freude in
ell bekriegt hätten und sprach von meiner Be- in der Beziehung zu ihrem jetzigen Ehemann an- mir auf, die mich noch mehr verwirrt. Jetzt ist es
geisterung, nun stattdessen meinen Grips dafür gedeutet, der bisher nur als ihr Beschützer und fünf Minuten nach elf Uhr, das Wochenende ist
nutzen zu lernen, Menschen freier werden zu Rückhalt dargestellt wurde. Ich vereinbare mit hastig besprochen, wir beenden die Sitzung.
lassen. Einen kräftigen Schluck nehmend ihr, das Thema in der nächsten Sitzung wieder
schloss ich damit, dass ich «wahnsinnig ge- aufzugreifen. Nun möchte ich noch kurz das Patienten riechen. Wenn ich nach einer Thera-
spannt» auf den Beginn der praktischen Tätig- kommende Wochenende, an dem die Patientin- piestunde etwas Zeit hatte, nutzte ich häufig die
keit sei: «Endlich geht es los!» nen und Patienten für eine sogenannte Belas- Gelegenheit, auf dem Flur zu spazieren oder mir
Bildquelle: Rebekka Stähli ERFAHRUNGSBERICHT HS12 aware 43
44 aware HS12 ERFAHRUNGSBERICHT

in der Kantine eine Tafel Schokolade zu kaufen. In der ersten Zeit überzog ich regelmässig die junge Frau, die täglich erbrach. Alle haben
Wenn ich danach wieder ins Zimmer zurückkehr- therapeutischen Sitzungen. Es fiel mir schwer, sie Fortschritte gemacht und mich durch die
te, kam mir der Geruch der Patientin oder des Pa- das Ende der Stunden einzuläuten. Obwohl ich Veränderungen ihrer manchmal über Jahre
tienten der letzten Stunde in einer Stärke und Ei- es für das Privileg des psychotherapeutischen chronifizierten Symptomatik beeindruckt und
genheit entgegengeströmt, die ich zuvor so nicht Raumes hielt, in ihm ansonsten tabuisierte erstaunt. Patienten berührten mich auch da-
wahrgenommen hatte. Mit dem Geruch assoziiert Grenzen begehbar machen zu können, fürchtete durch, dass sich meine eigene Haltung ihnen
sind die unterschiedlichen Gefühle, die die letzte ich, durch Beharren auf der zeitlichen Grenze gegenüber ihm Verlauf der Zeit veränderte:
Stunde in mir ausgelöst hat. Freude. Hilflosigkeit. die Beziehung zu schädigen. Obwohl ich der Zuneigung entstand für die Patientin, die mir
Rührung. Langeweile. Erotische Anziehung. Be- Überzeugung war, dass Störungen immer auch auf der ersten Visite noch als unangenehme
drängnis. Erschlagenheit. Schuld. Scham. Stolz. einen Lösungscharakter mit Veränderungsambi- kalte Jungmanagerin erschienen war. Respekt
Trauer. valenzen enthalten, fiel es mir schwer, das, was bildete sich gegenüber dem jungen Patienten,
In der Supervision übten wir unermüdlich das ich als Stillstand wahrnahm, zu tolerieren. Was der mir in der ersten Begegnung als
Wechselspiel zwischen Erleben und Reflektieren. ist dem vor mir sitzenden Patienten zuzumuten, «Grünschnabel» erschienen war. Gefühle der
Was hat das in Ihnen ausgelöst? Wann ist etwas in was ihm zuzutrauen? Was erträgt unsere thera- Nähe kamen auf für die mir ursprünglich her-
Ihnen gekippt? Wie ging es Ihnen dann? Und: peutische Beziehung? Sind Entwicklungen tat- risch-einschüchternd gegenübertretende Pati-
Welche Rolle weist sie Ihnen wohl zu? Wie testet sächlich im Zuge dieser 50 Minuten und dem, entin, als sie mir in Tränen vorwarf, ich hätte
sie Sie? Welche von ihr bekannte Beziehung ver- was zwischen ihnen passiert, möglich? ihren Termin vergessen.
sucht sie mit Ihnen zu konstellieren? Was wäre «Gibt es etwas an der Patientin, das man mö-
passiert, wenn Sie so und so gehandelt hätten? Ich Ein Patient – Künstler und nur wenige Jahre gen kann? Haben Sie etwas an ihr entdeckt,
gewöhnte mir an, den Sitzungsverlauf nach einer älter als ich – hatte in allen bisherigen Sitzun- vor dem Sie Respekt haben? Worum kämpft
Stunde noch einmal durchzugehen, mich diesen gen geredet, geredet, geredet, ohne Unterbruch die Patientin? Was interessiert Sie an dem
Fragen zu stellen, um damit Distanz und ein Ge- und ohne tiefere innere Beteiligung, wie es mir Menschen?», fragte mich die Oberärztin in Fo-
fühl von Professionalität zurückzugewinnen. schien. «Sie haben seine Potenz in Frage ge- kusbesprechungen immer wieder. Zu den
Denn Letzteres wurde mir auf Grund der Intimität stellt, nun kastriert er Sie», kommentierte der wichtigsten Erkenntnissen meiner ersten Mo-
und Dynamik von Begegnungen, wie der oben ge- Chefarzt in der Supervision, als ich ihm berich- nate als Psychotherapeut gehört, dass in der
schilderten, fraglich. Häufig mischten sich grund- tet hatte, wie ich mich einmal zur folgenden Be- therapeutischen Begegnung und ihrer Reflexi-
sätzlichere Zweifel hinzu: Was ist das für eine merkung gegenüber dem Patienten über eine on manchmal von Anfang an, häufig erst mit
Profession, in der ich Gefühlen nachrieche? Was Situation auf Station hatte hinreissen lassen: der Zeit, tatsächlich ein Verständnis entstehen
für ein Tun, dessen Professionalität sich zum gros- «Man könnte meinen, dass Sie da den Schwanz kann, das Zuneigung, Respekt und Interesse
sen Teil in Selbstzurücknahme manifestiert? Für eingezogen haben.» Einige Sitzungen später am Gegenüber schafft, was wiederum dazu
dessen Beziehungsgefüge das medizinische Arzt- nimmt der Künstler Kunstwerke von sich mit, die beiträgt, dass Patienten ein Wagnis eingehen,
Patienten-Verhältnis kein Vorbild sein kann? Für mich beeindrucken. Dann kommt das Gespräch ein Wagnis, das dann wiederum die therapeuti-
dessen zugrundeliegende Haltung, mit welcher auf seinen Vater und jetzt hält der Patient inne. sche Beziehung nährt: Häufig ist es die
man sich auf Unberechenbarkeit und Dynamik Stille. Kein Gerede mehr. Zum ersten Mal in der Offenbarung zuvor zurückgehaltener Schat-
einlässt, im Selbstverständnis der modernen, na- Therapie schweigen wir zusammen. tenseiten, manchmal eine Kritik an mir und
turwissenschaftlichen Psychologie, in der ich so- ab und an zeigt es sich leiser, wie beispiels-
zialisiert wurde, kein Rückhalt zu finden ist? Michael Mahoney (2003) spricht vom Paradox weise durch die geteilte Blösse im gemeinsa-
«of wrestling hope from hell», mit dem Thera- men Schweigen. Entwicklungen geschehen
Die seit Therapiebeginn ambivalente Patientin pierende konfrontiert seien. tatsächlich!
sitzt seit 65 Minuten vor mir. Das Telefon klin- Aber so wie die therapeutische Tätigkeit Ver-
gelt nun zum zweiten Mal. Wieder ist es der trauen in Frage stellt, schafft sie auch Vertrau- Ich habe aufgehört zu sprechen, woraufhin er
Oberarzt. «Herr Puhlmann, was hat sich denn en. Der Patient, der zum Aufnahmezeitpunkt in nichts sagt. Ich starre auf die Wand mir gegen-
nun im Gespräch ergeben?» Ich sage mit beleg- jedweden sozialen Situationen einen stechen- über und finde keinen Fixpunkt. Ich krame in
ter Stimme: «Wir sind noch immer im Ge- den Pinkeldruck verspürt hatte, ohne an- meinem Kopf und finde nichts zu sagen. Der
spräch». Er, nun verärgert: «Herr Puhlmann, schliessend Wasser lassen zu können. Die Pati- Raum ist so gross, auch der Abstand zwischen
sagen Sie der Patientin, dass Sie in drei Minuten entin, die sich vor der Einweisung mehrmals uns und der Sessel so weich, dass ich in ihm ver-
im Team sein müssen. Das ist eine Anordnung.» täglich Kopfhaare und Wimpern ausriss. Die sinke. Ob er mich anschaut? Was denkt er über
ERFAHRUNGSBERICHT HS12 aware 45

mich? Langweilt er sich? Testet er mich? Bin ich mir überhören. Unwohl wird mir auch, wenn wunderlichen Erfahrungen mit anderen auszu-
durch den Test gefallen? Ich könnte ihn an- Kollegen von ihren Lehrtherapeuten erzählen tauschen, verstärkt. Ja, in diesem Beruf lässt es
schauen, aber danach müsste ich noch dringli- und sie als Fixpunkte ihrer Welt nehmen, so sich leicht abdriften. Hättest Du nur etwas
cher etwas sagen und ich wüsste nicht was. Ver- dass sie dem im Kinderwagen sitzenden Säug- Gscheites gelernt! rufe ich mir immer noch
dammt, nun tun Sie doch was! Sagen Sie, was ling, der alle seine Ängste und Hoffnungen auf manchmal zu.
Sie denken! Befreien Sie mich endlich von dieser seine Mutter projiziert, ähnlich scheinen. Und Letztens hatte ich nach der Arbeit einen platten
Scham! doch habe ich diese Neigung nun auch in mir Reifen. Zuerst ärgerte ich mich furchtbar. Dann
kennengelernt: Dass die Welt sich eigentlich in ging ich in eine Selbermach-Werkstatt, wo man
Therapeut zu werden setzt voraus, selbst eine diesen zwei Räumen abspielt. Jenseits davon unter Betreuung sein Fahrrad reparieren kann.
(Lehr-)Therapie zu absolvieren. Vor zwei Mo- kann einem dann gemäss Mike Tysons Nach mehreren Versuchen gelang es mir, den
naten wechselte ich zum ersten Mal den Stuhl. Äusserung «Alles ausser Boxen ist langweilig» Schaden am Schlauch zu beheben. Dann sah ich,
Seitdem spielt sich ein Grossteil meines Lebens alles andere als oberflächlicher, verstockter, dass das Vorderrad eine leichte Acht hat und ich
in zwei Zimmern und zwei Rollen ab – meistens künstlicher und ausweichender erscheinen. liess mich vom Werkstattleiter, der mir dabei ein
bin ich Therapeut und manchmal auch Analy- Diese Tendenz, sein Leben auf die Therapiesi- Bier anbot, ins Justieren von Felgen einführen.
sand. Wenn ich Berufskollegen über Erfahrun- tuation zu zentrieren, wird durch die hohe An- Nachdem das geschafft war, montierten wir noch
gen mit «ihren» Patienten sprechen höre, ziehungskraft dieser merkwürdig-künstlichen, neue Bremsbeläge. Als ich an diesem Abend ein-
überkommt mich gelegentlich dieselbe Abnei- merkwürdig-intimen Situation mit ihrem dau- schlief, hatte ich das Gefühl, seit langem wieder
gung, die Mütter in mir auslösen, wenn sie mit ernden Wechsel im Erleben von Vertrautheit etwas gemacht zu haben, das mir gefehlt hatte.
Riesenkinderwägen den ganzen Gehweg ein- und Befremden, Zuhause und Unzuhause, Zugleich dachte ich an den nächsten Tag in die-
nehmen, vom eigenen Baby so absorbiert und Angst und Faszination genährt – zudem wird sem sonderbaren Beruf, den ich nun auch nicht
fasziniert, dass sie jedes Fahrradklingeln von sie durch die Schwierigkeiten, sich über seine mehr tauschen wollte.

Ausbildung in tiefenpsychologisch-fun- renden Ausbildungstherapiestunden mit 30 Euro Etwa einmal monatlich findet ein zweitätiges
dierter Psychotherapie in Deutschland auch nur spärlich vergütet werden. Eine weitere Wochenendseminar statt. Dem relativ festen,
Neben der Verhaltenstherapie und der Psychoa- finanzielle Schattenseite jedweder Psychothera- Halt gebendem äusserlichen Rahmen steht in-
nalyse (PA) ist die sogenannte tiefenpsycholo- pieausbildung in Deutschland sind die 1800 Stun- haltlich eine Themenvielfalt in Vorlesungen und
gisch fundierte Psychotherapie (TfP) das dritte den Pflichtpraktikum, von denen 1’200 (12 Mo- Seminaren gegenüber: einer Einführung in freu-
über die Kassen abrechenbare Psychotherapie- nate bei knapp 100 Prozent) in der Psychiatrie dianische Traumdeutung folgt eine Bilderschau
verfahren in Deutschland. Die TfP ist aus der PA und 600 (1/2 Jahr) in einer mit dem jeweiligen über neurobiologische Korrelate der Psychothe-
hervorgegangen, allerdings im Vergleich zu die- Institut kooperierenden psychosomatischen Klinik rapie, daran schliesst sich ein OPD-Technik-Se-
ser äusserlich durch eine geringere Frequenz geleistet werden müssen und die mit «Entloh- minar. Die geringe Orthodoxie, die Anbindung
und Stundenzahl, sowie innerlich durch ein nungen» zwischen Kantine-Gutscheinen und 800 an die moderne Psychotherapieforschung und
stärker zweckrationales, von einzelnen analy- Euro Bruttogehalt in der Regel äusserst schlecht der mit Orientierungen an OPD-2 und Praxis-
tischen Schulen unabhängigeres Selbstver- vergütet sind. Äusserlich zeichnet sich die Heidel- lehrbüchern wie dem von Wöller und Kruse re-
ständnis charakterisiert. Stärkere Zweckrationa- berger Ausbildung durch einen relativ festen Rah- lativ hohe Pragmatismus der Weiterbildung
lität und Sparsamkeit manifestieren sich auch in men aus. Einmal wöchentlich belegen alle 20 Teil- werden von vielen Teilnehmenden als attraktiv
unterschiedlichen Aspekten der Ausbildung. In nehmerinnen und Teilnehmer eines jeweiligen empfunden. Aus der Themenvielfalt kann je-
der fünfjährigen berufsbegleitenden Ausbil- Jahrgangs eine Pflichtveranstaltung zu wechseln- doch auch subjektive Desorientierung und
dung am Heidelberger Institut für Psychothera- den Themen, anschliessend treffen sie sich im durch die mangelnde Vertiefung manchmal der
pie beispielsweise sind die Ausgaben der Teil- Wochentakt abwechselnd entweder zu einer Eindruck von Beliebigkeit entstehen. Ein Schwei-
nehmenden mit monatlich 200 Euro, insgesamt Theorie-Praxis Gruppe, in der unter Dozentenmo- zer Psychologie-Master oder Lizentiats-Diplom
also 12’000 Euro Ausbildungskosten, in denen deration von den Teilnehmenden Themen und ermöglicht prinzipiell den Zugang zu Psychothe-
auch die Kosten für Supervision und die vorge- therapeutische Erfahrungen vertieft werden oder rapieweiterbildungen in Deutschland, wobei zur
schriebenen 120 Stunden Selbsterfahrung ent- zu einer Kasuistik, in welcher zunächst von exter- Aufnahme an einem bestimmten Institut in der
halten sind, vergleichsweise gering gehalten, nen Dozenten und ab dem zweiten Jahr von den Regel zwei bis drei Aufnahmegespräche mit
wobei allerdings 600 am Institut durchzufüh- Teilnehmenden geführte Fälle vorgestellt werden. Lehrtherapeuten geführt werden müssen.
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RUBRIK HS12 aware 47

Alles psyKo oder was?

Falls du erfahren möchtest, was es mit die Gelegenheit haben, sich kennenzulernen. Zu tagt hatte, findet nun im Oktober das EB (Execu-
dem psyKo auf sich hat und was sonst diesem Zweck fand ein lustiges «Psycho Speed tive Board) und MR (Member Representative)
noch bei deinem Dachverband im Früh- Dating» statt. Am zweiten Abend durfte dann Treffen von EFPSA (European Federation of
lingssemester 2012 lief und im kommen- auch die psyKo-Party nicht fehlen, an welcher Psychology Students’ Associations) zum dritten
den Herbstsemester laufen wird, hast du Šuma Čovjek Orkestar und DJ Soul Riot den Mal in der Schweiz statt. Während einer Woche
die richtige Seite aufgeschlagen. Teilnehmenden gehörig einheizten. treffen sich die aktiven EFPSANS in der
Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Event mit Schweiz um an ihren Projekten zu arbeiten. Das
Von Mirjam Zeiter häufigem Wechsel im Organisationsteam und ba- Schweizer Organisationsteam kümmert sich,
sierend auf Freiwilligenarbeit nächstes Jahr unter anderem um die ritterliche Unterkunft
psyKo’12 – rundum ein Erfolg schon zum zehnten Mal, ohne Unterbruch, statt- (Burg Rotberg, Basel) und um das leibliche
Nach einer fast einjährigen Vorbereitungsphase finden wird! Deshalb sei an dieser Stelle allen Wohl der Studierenden aus ganz Europa (von B
konnte am 30. April 2012 der neunte psyKo Studierenden, Referentinnen und Referenten, die wie Belgien bis Z wie Zypern).
(Kongress für Psychologiestudierende) in in irgendeiner Weise irgendwann zum Gelingen Damit auch ihr die Gelegenheit habt, die illus-
Schüpfheim (LU) eröffnet werden. Ein Wochen- eines der psyKos beigetragen oder selbst teilge- tren Gäste kennenzulernen, wird eine psyCH
ende lang gab das psyKo-Team alles und ermög- nommen haben, herzlich gedankt! Party organisiert (vgl. Kasten).
lichte so Studierenden der ganzen Schweiz das
Erlernen vieler praktischer Psychologie-Tools. Vorschau psyKo’13 – zehnjähriges Jubiläum psypra (Praktikumsplattform für Psycholo-
Unter anderem erhielten sie Neuigkeiten zu Mit Selina Ratti und Marielle Hofer wurden gie Studierende) – gehackt und wieder
psyCH, erfuhren wozu es die FSP braucht und zwei neue Heads of Congress gefunden, die mit online
wie man Psychotherapeut wird. In den diversen ihrem Team bereits fleissig am Vorbereiten der Nachdem viel Arbeit in die Aktualisierung der
Workshops ging es beispielsweise um Medien- Jubiläumsausgabe sind. Es konnten mit Prof. Adressen und Praktikumsangebote auf psypra.
psychologie, Humortherapie, Forschung via Stefan Geyerhofer (Webster University, Wien) ch gesteckt wurde, fiel die Seite leider erneut
Smartphones, Counseling, Talentpsychologie, und Dr. Peter Lude (ZHAW, Zürich) bereits Hacker zum Opfer. psyCH konnte die Seite im
hypnosystemische Teilearbeit und Teamentwick- zwei erstklassige Referenten gewonnen werden. August wieder aufschalten.
lung. In den Vorträgen der Professoren wurden Nachdem dieses Jahr Ania aus Polen unser «in-
die neuesten Ergebnisse im Bezug auf Entwick- ternational Guest» war, wird 2013 eine finnische Motivation Day 2012
lungs- und Sprachpsychologie dargestellt. Studentin nach Sumiswald anreisen und einen Im Mai schwang sich das psyCH Team im Klet-
Ein Wunsch des Teams war es auch, dass die Workshop anbieten. terpark durch die Berner Bäume und genoss den
Studierenden der verschiedenen Universitäten Der psyKo’13 wird vom 22. bis zum 24. März Nervenkitzel als Dankeschön und zugleich als
2013 in Sumiswald (BE) stattfinden. Falls du da- Motivation für den freiwilligen und tollen Ein-
bei sein möchtest, dann halte dich via unserer satz im letzten und im kommenden Mandat.
Homepage oder Facebook auf dem Laufenden,
damit du das Anmeldedatum nicht verpasst – Zum Schluss wünschen wir euch ein lehr- und
dieses Jahr war der Kongress in nur drei (!) Ta- ereignisreiches Herbstsemester.
gen ausgebucht!
Nicht zu verpassen
Generalversammlung psyCH am psyKo’12 • psyCH Party in Basel: 20. Oktober
An der Generalversammlung von psyCH wurde 2012, mehr Infos auf Facebook
das neue Team für das Mandat 12/13 zusam- • Zehnjähriges psyKo Jubiläum in Sumis-
mengestellt. Der neuen Präsidentin Antje wald, BE – 22. bis 24. März 2013
Stahnke (UniBE) und dem teilweise neuen Team www.psyKo.ch
wünschen wir viel Ausdauer und gutes Gelingen • psyCH Homepage: www.psynet.ch
bei den zukünftigen Projekten und Treffen. • www.facebook.com/psych.students
Bild: Stefanie Lurz

• Möchtest du bei psyCH vorbeischauen


EB/MR Meeting in Switzerland oder mitarbeiten?
Nachdem im April in Dänemark der Europä- Melde dich unter psyCH@psynet.ch
ische Kongress mit Schweizer Beteiligung ge-
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We l t !

campuswelt.ch
Studentenladen Kiosk Druck Kopie Arbeitsvermittlung

Master of Advanced Studies in Cognitive-Behavioral


and Interpersonal Psychotherapy (MAS)

Konzept Prof. Dr. Klaus Grawe

Im April 2013 beginnt der nächste Studiengang unserer postgradualen Weiterbildung Psychotherapie mit kognitiv-behavioralem
und interpersonalem Schwerpunkt, der als MAS der Universität Basel angeboten wird. Ziel dieser Weiterbildung ist die
selbständige Berufsausübung als PsychotherapeutIn. FSP-Mitglieder können nach Abschluss der Weiterbildung den Titel
FachpsychologIn FSP für Psychotherapie erwerben.
Die theoretische Grundlage der Weiterbildung ist ein in der empirischen Psychologie fundiertes allgemeines Modell des
psychischen Funktionierens des Menschen, der Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Störungen sowie von
psychotherapeutischen Veränderungsprozessen. Das Kurscurriculum der Weiterbildung bezieht sich auf den aktuellen
Erkenntnisstand der Psychotherapieforschung und insbesondere auf die Arbeiten von Prof. Dr. Klaus Grawe, dem Begründer
einer empirisch orientierten, schulenübergreifenden Psychologischen Therapie. Die empirisch nachgewiesene Wirksamkeit von
Interventionsformen und die nachgewiesene Bedeutung therapeutischer Wirkfaktoren sind wesentliche Kriterien für die
Bestimmung der Weiterbildungsinhalte.
Schwerpunkte: Konsistenztheoretische Fallkonzeption und Therapieplanung; Diagnostik; Konzepte und Methoden der Problem-
und Ressourcenanalyse; Systemische Konzepte und Kompetenzen; Psychotherapeutische Beziehungsgestaltung;
Ressourcenaktivierung und Problemaktualisierung im Paar-, Familien- und Gruppensetting; Störungsspezifische Konzepte und
Methoden aus der kognitiven Verhaltenstherapie; Konzepte und Methoden zur motivationalen Klärung (insbesondere zur
Bearbeitung intrapsychischer Konflikte); Qualitätskontrolle in der Psychotherapie.
Die vierjährige Weiterbildung ist berufsbegleitend und praxisorientiert. Die Weiterbildungskurse finden jeweils Freitag/Samstag in
Zürich statt. Voraussetzung ist ein abgeschlossenes Universitätsstudium mit Hauptfach Psychologie.
Informationen und Bewerbung
Klaus-Grawe-Institut für Psychologische Therapie, lic. phil. Nusa Sager-Sokolic,
Weiterbildungskoordinatorin, Grossmünsterplatz 1, 8001 Zürich,
Tel. +41 (0)44 251 24 40, Fax +41 (0)44 251 24 60, weiterbildung@ifpt.ch,
www.klaus-grawe-institut.ch
Trägerschaft
Klaus-Grawe-Institut für Psychologische Therapie Zürich
in Zusammenarbeit mit dem Advanced Studies Center der Universität Basel
INSTITUTIONEN HS12 aware 49

AfterStudy: Alle Psychologiestudierenden


werden Psychoanalytiker! – Wirklich?
Eine neue Veranstaltungsreihe des FAPS Bei der Recherche und Planung wurde uns
informiert über Berufsmöglichkeiten für schnell klar, dass ein einzelner Abend die vielen
Psychologinnen und Psychologen. Möglichkeiten nicht abdecken würde. Wir ent-
schlossen uns also, eine Veranstaltungsreihe un-
Von Nicole Wellinger ter dem Namen «AfterStudy» zu starten. Die
Idee ist einfach: An drei bis vier Abenden wäh-
Es ist das Los der Psychologiestudierenden: An- rend des Semesters stellen jeweils drei bis vier Berufsmöglichkeiten. Zwischen 70 und 150 Stu-
geblich können wir Gedanken lesen, besitzen Referentinnen und Referenten ihren Beruf oder dierende hörten sich an den einzelnen Abenden
eine Couch und nach dem Studium werden wir das Angebot ihrer Weiterbildungsinstitution vor. die Vorträge an und die Feedbacks unserer Kom-
alle Psychoanalytiker. So zumindest lautet der Die Vortragenden informieren über Anforderun- militoninnen und Kommilitonen waren sehr posi-
immer noch weit verbreitete Stereotyp. In der gen und Abläufe ihrer Psychologieberufe, di- tiv. Geschätzt wurden insbesondere die abschlies-
heutigen Zeit besteht zweifellos eine grosse verse Weiterbildungsangebote und Stationen der sende offene Fragerunde und die Möglichkeit,
Nachfrage nach Psychotherapeuten, doch nicht akademischen Karriere. Nach der Veranstaltung sich mit den Referentinnen und Referenten nach
alle Absolventinnen und Absolventen wählen werden, wenn möglich, die Vortragsunterlagen der Veranstaltung persönlich unterhalten zu kön-
diesen Beruf. Die Dozierenden betonen immer auf der FAPS-Website zur Verfügung gestellt. nen. Wie wir hörten, ergab sich schon das eine
wieder, wie weit das Feld und wie vielfältig die Ein persönlicher Besuch ist aber empfehlens- oder andere Praktikum aus diesen Kontakten. Er-
Berufsmöglichkeiten sind. Nur wie sehen diese wert, da die Folien oft nur Stichworte enthalten. freulicherweise wurde die Veranstaltungsreihe
denn konkret aus? Man hört vielleicht von Stel- über die Universität Zürich hinaus bekannt und so
len im Bereich der Human-Resources oder bei erhielten wir bereits Anfragen von interessierten
«Das AfterStudy ist ein grosser Er-
der Berufsberatung und die Vermutung liegt Referentinnen und Referenten für das laufende
folg und erfüllt die Bedürfnisse der
nahe, dass auch die Dozierenden vorne im Hör- Semester. Diese positiven Reaktionen motivieren
Studierenden nach Informationen
saal irgendwann einmal Studierende der Psy- das AfterStudy-Team auch weiterhin spannende
bezüglich Berufsmöglichkeiten.»
chologie waren. Die psychotherapeutische Wei- Informationsabende zu organisieren.
terbildung ist auf den ersten Blick verwirrend.
Eine schnelle Suche auf der Website der FSP, Im Herbstsemester 2011 fanden die ersten Veran- Sollen wir einen bestimmten Beruf am AfterStu-
dem grössten Berufsverband Schweizer Psycho- staltungen statt. Eine Mitarbeiterin eines Assess- dy vorstellen? Oder hast du einen Vorschlag,
logen und Psychologinnen, offenbart eine lange ment Center Providers stellte ihre Tätigkeit vor wen wir unbedingt einladen sollten? Wir neh-
Liste von anerkannten Weiterbildungscurricula und acht Weiterbildungsinstitutionen (alle Mit- men Wünsche und Vorschläge gerne entgegen:
und Anbietern. Aber was steckt eigentlich hinter glieder der Schweizer Charta für Psychothera- afterstudy@faps.ch
der psychoanalytischen, kognitiv-verhaltensthe- pie) informierten über ihre Angebote. Im Früh-
rapeutischen, systemischen, humanistischen jahrssemester 2012 konnten Referentinnen und
Exkurs
oder integrativen Richtung? Bei all diesen Fra- Referenten von verschiedenen kognitiv-verhal-
Eindruck von Halina, Ressort Marketing und
gen ist es kein Wunder, dass der FAPS-Vorstand tenstherapeutischen Weiterbildungsangeboten Mitglied vom AfterStudy-Team:
immer wieder angeregt wurde, eine Informati- und – etwas exotischer – eine forensische Psy- Die Referentinnen und Referenten sind sehr
onsveranstaltung über Berufs- und Weiterbil- chologin, ein Rechtspsychologe sowie ein Mili- kompetent und bereit, ihr Wissen und ihre
dungsmöglichkeiten für Liz- und Masterstudie- tärpsychologe für Vorträge gewonnen werden. Erfahrungen weiterzugeben. Nach den Ver-
rende zu organisieren. Auch Aufbaustudierende Weiters gab ein Usability-Experte Einblick in anstaltungen haben sich schon sehr interes-
könnten davon profitieren und entsprechend ih- seine Arbeit mit der Mensch-Maschine-Interakti- sante Gespräche und Diskussionen mit den
ren Masterschwerpunkt gezielter wählen. on. Und ausserdem folgte ein Doktorand unserer eingeladenen Fachpersonen ergeben. Dabei
Einladung, erzählte von seinen Erfahrungen und wird kein Blatt vor den Mund genommen,
Kontakt gab Tipps für alle, die sich ein Doktorat im An- sondern auch von Schwierigkeiten und Pro-
Informationen und Unterlagen zum After- schluss an das Studium vorstellen können. blemen erzählt. Die Studierenden beteiligen
Study: http://www.afterstudy.ch sich oft mit weiterführenden Fragen und wir
Wünsche und Vorschläge für Berufe oder Nach zwei Semestern und fünf Abenden können erhalten positives Feedback. All dies moti-
Referentinnen und Referenten: wir ein erstes Fazit ziehen: Die AfterStudy-Reihe viert uns extrem und macht die Arbeit für
afterstudy@faps.ch ist ein grosser Erfolg und erfüllt die Bedürfnisse uns zu einer tollen Sache!
der Studierenden nach Informationen bezüglich-
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«Im Problem
steckt die Lösung.»
Das IEF ist eines der führenden systemischen Institute im deutschsprachigen Raum.
Seit mehr als 45 Jahren engagiert sich das IEF für die wirksame Umsetzung und Weiter-
entwicklung des systemischen Ansatzes und ist damit wahrscheinlich das älteste
systemische Institut Europas. Kontinuierliche Innovation und eine schulenübergreifende
Integration sind zentrale Werte, so entwickelt das IEF in seinen Angeboten zunehmend
eine hypnosystemische Ausprägung.

Das Institut pflegt eine wertschätzende Kultur und bietet Fachleuten ein breites Weiter-
und Fortbildungsangebot in den Bereichen Psychotherapie und Beratung, Coaching,
Mediation, Konfliktmanagement sowie Team- und Organisationsentwicklung – ganz
ausgerichtet auf die individuellen Bedürfnisse unserer Kunden.

Weiterbildung «Systemische Therapie und Beratung»


Unsere Weiterbildung ist zweistufig aufgebaut.

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Grundausbildung und Vertiefung beginnen jeweils jährlich.

Mehr Informationen und weitere Angebote:


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Voltastrasse 27, 8044 Zürich, Tel. 044 362 84 84, ief@ief-zh.ch, www.ief-zh.ch
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