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Schindjin-mei (Stempel des Glaubens)

Szôszan

Die höchste Wahrheit ist nicht schwierig


Und lässt keine Wahl zwischen Zweierlei zu.
Wenn man nicht mehr hasst oder liebt,
Dann offenbart sie sich, klar und unendlich.
Doch wer nur haarbreit von ihr getrennt bleibt,
Der ist von ihr geschieden so weit wie der Himmel von der Erde.
Wer ihre Offenbarung erleben will,
Der muss ablassen vom Gehorchen und vom Widerstehen.
Heißt Krankheit der Seele.
Wer der Wahrheit tiefsten Sinn noch nicht kennt,
Müht sich ab in vergeblichem Grübeln.
Vollkommen ist sie
Wie das Gewölbe des Himmels,
Ohne Mangel und Überfluss.
Wahrlich, wer noch hängt an einem Annehmen oder Verwerfen,
Der ist nicht frei.

Jage nicht nach dem fortwirkenden Sein,


Und mache nicht Halt beim Nichtsein, dem leeren!
Wenn du das Einzige findest
Und den Frieden der Freiheit,
Dann fällt von dir, ohne dein Zutun,
Alles das ab.
Will man, dass das Bewegte aufhöre,
Um zurückzugehen auf das Ruhende,
So ist, je mehr man auf dieses zurückgeht,
Nur um so mehr das Ruhende bewegt.

Denn wie sollte es angehen,


Dass man erfasste
Das Einzige,
Solange man noch schwankt
Zwischen Einem und Anderem?
Das schlechthin Eine,
Der verliert auch seinen Gewinn
Aus dem Zweierlei.
Wer dem Sein nachjagt,
Dem entgeht es;
Wer hinter dem Nichts herläuft,
Dem kehrt es den Rücken zu.
Durch tausend Worte und
Tausend Gedanken
Bist du nur um so weiter von ihm geschieden.
Erst über alle Worte
Und alle Gedanken hinaus
Kannst du es allenthalben treffen.
Nur wenn man auf die Wurzel zurückgeht,
Lässt sich das Wesen gewinnen.
Das Denken fasst nichts
Als wesenlose Hüllen.
Wenn auch nur einen Augenblick
Dein Denken dich berät,
So verlierst du dich im Leeren
Des Nicht-Etwas,
Dessen Veränderung und dessen Vergänglichkeit
Gänzlich aus deinem Irrtum entsprungen sind.

Nicht erst zu suchen


Brauchst du die Wahrheit;
Dein Denken lass schweigen -
Darauf kommt es an!
Bleibe nicht stehen
Bei gegensätzlichen Gedanken;
Ihnen nachzujagen und sie zu suchen,
Davor hüte dich!
Wer vom Gegensätzlichen
Nur einen Hauch beibehält,
Dessen Geist bleibt verworren.
Alles Zweierlei hängt ab
Vom Einen;
Doch auch bei diesem allein
Darfst du nicht Halt machen!

Trifft ein Geist auf das Ungeborene;


So hat das All keine Schuld mehr.
Wo keine Schuld ist,
Da ist nichts mehr ein Ding.
Das Ungeborene ist
Das Nichtdenken.
Wenn eine Tätigkeit den Erscheinungen nachjagt,
So verdirbt sie,
Erscheinung versinkt,
Wenn sie der Tätigkeit nachjagt.
Erscheinung hat ihr Sein als Erscheinung
Durch Tätigkeit;
Tätigkeit hat ihr Sein als Tätigkeit
Durch Erscheinung.
Wer beide Seiten durchschauen will,
Für den gibt es nur
Das schlechthin Eine.

Als Nichts
Enthält es jedes Zweierlei und alle Dinge.
Wo weder Bestimmtheit
Noch Unbestimmtheit ist,
Wie sollte sich da noch Parteilichkeit finden?
Das Wesen der höchsten Wahrheit
Ist Vollkommenheit;
Hier gibt es nichts Schweres
Und nichts Leichtes mehr.
Nur kleinliches Denken zaudert;
Und je mehr es sich auch abhetzt,
Um so später erreicht es das Ziel.

Der Gebundene verliert jeden Maßstab,


Ihn fesselt der Irrtum;
Durch ungebundenes Gehenlassen
Wird alles natürlich.
Unwandelbar ist das Wesen,
Und dennoch ist es nichts Starres.
Wer sich anvertraut
Dieser Natur,
Der wird vereint mit der Wahrheit
Und ledig und frei von aller Sorge.
Das Bangen der Sorge entfernt ihn von ihr.
Trübe Versunkenheit macht düster,
Und das Verdüstertsein bedrückt
Die Seele.
Was braucht man Einem freundlich zu sein
Oder Anderem unfreundlich?
Wer auf das All-Eine zugehen will,
Der darf den sechsfachen Staub nicht hassen.
Wo man ihn nicht hasst,
Da gerade ist nicht anderes
Als Buddhas vollkommene Weisheit.

Der Weise ist frei von Geschäftigkeit,


Der Tor ist gebunden durch sich selbst.
Die Wahrheit duldet neben sich keine Wahrheit.
Vergebens klammert man sich
Liebend an Wertloses.
Mit sich selbst quält die Seele sich dann -
Ist das nicht ein großer Irrtum?
Wo er herrscht, ist die Seele
Bis auf den Grund zerwühlt.
Erwacht man aus ihm,
Dann gibt es weder Böses noch Liebes.
Vergebens machst du dich
Zum Richter alles Gegensätzlichen.
Es ist ja nur Traum, nur eines
Augenflimmerns vergängliche Blume.
Warum sollte man sich abmühen,
Sie zu ergreifen?
Mit einem Ruck wirf beiseite
Die Teile und Gegenteile,
Jeden Vorteil und Nachteil!
Dann entfliehen die Träume
Vor wachendem Auge.
Dann ist die Seele nicht mehr
Im Einen und Anderen,
Und All-Eines sind
Sämtliche Dinge.
Das Wesen des Einen
Ist absolut.
Vergisst man mit einem Mal
Die Wirkungszusammenhänge
Und durchschaut als Dasselbe
Alles Sein,
Dann kehrt man zurück zur Natur.
Vernichte jene Irrtumsquelle
Und lass ab vom Vergleichen!
Wer will, dass Bewegtes ruhe,
Der kann nirgends Bewegendes finden.
Wer will, dass Ruhendes bewegt sei,
Der kann nirgends das Ruhende finden.
Beides ist also unmöglich.
Wie sollte es da mit dem Einen so sein?

Das Letzte und Unendliche


Kennt keine Regel.
Wessen Geist mit der Gleichheit
Im Einklang steht,
Für den hört alle fortwirkende Tat auf.
Wenn alles kleinliche Zweifeln
Des Fuchses erloschen ist,
Dann erst ist da,
Glatt und geradewegs,
Der wahre und echte Glaube.
Kein Sein bleibt mehr zurück,
Und keinem kommt ein Gedenken zu.
Es erleuchtet sich selbst grenzenlos und klar.
Mühelos ist alsdann des Geistes Kraft.

Wo dieses Nichtdenken herrscht,


Sind unermesslich
Die Sinne und das Gefühl.
Weder das eigene Selbst noch ein anderes
Findest du je im Reiche der soseienden Wahrheit.
Wenn du plötzlich und ohne langes Besinnen
Sie passend ausdrücken müsstest,
Würdest du wohl sagen:
Nicht-Zwei ist sie.
Wenn es aber keine Zwei mehr gibt,
So ist alles das Eine und Selbe.
Alles umfasst es. Es kommen
Die Weisen aus aller Welt
Und huldigen Ihm.
Die Eine Wahrheit kann man
Weder erweitern noch einengen.
Ein Augenblick ist
Wie zehntausend Jahre.
Sein und Nichtsein,
Die ganze Welt, eröffnet sich
Grenzenlos dem Auge.

Das Kleinste ist dem Größten gleich,


Die Grenzen sind weggewischt.
Das Größte ist dem Kleinsten gleich
Ohne jede Scheidewand.
Sein ist nichts anderes als Nichts,
Nichts ist nichts anderes als Sein.
Und ist es dir noch nicht so,
Dann darfst du auch an nichts festhalten!
Das Eine ist nichts anderes als das Eine.
Und wenn dem so ist, was schiert dich dann
Noch Unvollkommenheit?
Glauben ist Nicht-Zwei.
Nicht-Zwei ist Glauben dessen,
Das unaussagbar ist.
Vergangenheit und Zukunft,
Sind sie nicht
Ein ewiges Jetzt?

(Ôhasama Schûej (Übers.): ZEN. Der lebendige Buddhismus in Japan, Perthes


1925/Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1968)

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