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Diktatoren des 20.

 Jahrhunderts

Herausgegeben von Thomas Schlemmer,


Andreas Wirsching und Hans Woller
Marie-Janine Calic

TITO
Der ewige Partisan

Eine Biographie

C.H.Beck
Mit 42 Abbildungen
und 3 Karten (Peter Palm, Berlin)

© Verlag C.H.Beck oHG, München 2020


Umschlagentwurf: Rothfos & Gabler, Hamburg
Umschlagabbildung: Tito in Jajce, 1943, nachträgliche Kolorierung,
© Croatian History Museum
Satz: Fotosatz Amann, Memmingen
ISBN Buch 978 3 406 75548 4
ISBN eBook (epub) 978 3 406 75549 1
ISBN eBook (PDF) 978 3 406 75550 7

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Inhalt

Apropos Tito   9

KUMROVEC, 7. MAI 1892


Der Bauernsohn   15
Kindheit im Zagorje  15  – Mutters Sohn  19  – Versagte Lebens-
chancen 22 – Politisierung 26

PETROGRAD, 23. FEBRUAR 1917


Der Bolschewist   30
Vom Weltkrieg zum Roten Oktober  30  – Kairos der Weltrevolu-
tion 37 – Frühe politische Arbeit 46

ZAGREB, 7. NOVEMBER 1928


Der Revolutionär   51
Der « Bomber-Prozess »  51  – Chef der Zagreber Ortsgruppe  54  –
Das Zuchthaus – die Schule des Revolutionärs  61  – Generation
Revolution 69

MOSKAU, 25. JULI 1935


Parteiarbeiter der Komintern   76
Faszinosum Moskau 76 – Im «  Generalstab der Weltrevolu-
tion »  79  – Im Hotel Lux  83  – In geheimer Mission  88  – Der
Alte  93  – Hanni König (Lucie Bauer)  – ein deutsches Schick-
sal 96 – Auf Messers Schneide 101 – Endlich Generalsekre-
tär 105
ZAGREB, 10. APRIL 1941
Der Partisanenführer   112
Hitlers Strafgericht 112 – Volksbefreiungsaufstand 118 – Der
Rivale 125 – Untergang und Neuanfang 131 – Im Wald 137 –
« Brüderlichkeit und Einheit »  141

BIHAĆ, 26. UND 27. NOVEMBER 1942


Der Staatsgründer   147
« Titos Staat » 147 – « Schicksalsstunde der Revolution » an der
Neretva 150 – Der Alte wird verletzt 154 – « Der sagenhafte
Tito » 160 – Auf dem Weg zur internationalen Anerken-
nung 165 – Unternehmen « Rösselsprung » 169 – Churchills
Dilemma 171

BELGRAD, 20. OKTOBER 1944


Der stalinistische Autokrat   179
Machtübernahme 179 – « Das Schwert der Revolution » 184 –
« Kein Schwabe darf bleiben » 190 – « Ich trage die Verantwor-
tung, ich entscheide!  » 194 – Wiederaufbau und Versöh-
nung  203  – Das Gewissen des Erzbischofs  208

MOSKAU, 28. JUNI 1948


Der Abtrünnige   216
Moskaus treuester Verbündeter 216 – Stalins Bannfluch 220 –
Die Reihen fest geschlossen 228 – Trumans Keilstrategie 233 –
Titoland 237 – Goli Otok 243

ZAGREB, 2.–7. NOVEMBER 1952


Der Reformkommunist   248
Die Erfindung der Arbeiterselbstverwaltung  248  – Die Geister,
die ich rief: der Fall Đilas  256  – Ich, Jovanka  263  – Coca-Cola-
Sozialismus 268 – Titos Charisma 276
DELHI, DEZEMBER 1954
Der « Weltbürger »   283
Der Globetrotter 283 – Stalin ist tot  –  hoch lebe Jugosla-
wien! 289 – « Unternehmen Diamant » 295 – Anführer der
Blockfreien  301  – « Riese auf der Weltbühne »  308  – Der Gast-
geber 312

BRIONI, 1. JULI 1966


Der Richter und Schlichter   317
Titos Sorgen  317  – Der Sturz des Aleksandar Ranković  323  –
Aufstand der Intellektuellen 327 – Das Verdikt von Kara­đor­
đevo  331  – Abgang der serbischen « Liberalen »  335  – « Neutrali-
sierung » der Emigration 338 – Mehr Brüderlichkeit, weniger
Einheit 342

BONN, DÜSSELDORF UND HAMBURG,


24.–27. JUNI 1974
Der Elder Statesman   349
Endlich Versöhnung 349 – Entspannung  – aber bitte glo-
bal!  356  – Nur noch schnell die Welt retten  361  – Anfang vom
Ende  365  – Rückkehr an die Sutjeska  369

LJUBLJANA, 4. MAI 1980


« Nach Tito: Tito! »    374
Das « Ende einer Epoche  » 374 – Nach Tito kein neuer
Tito 376 – Sockelsturz  380 – Titostalgie 383

Danksagung  387

Anhang
Anmerkungen 391 – Quellen und Literatur 417 – Abkürzun-
gen 429 – Bildnachweis 431 – Ortsregister 432 – Personen­
register 436
Apropos Tito

« Revolutionäre haben keine persönliche Biographie », erklärte


Josip Broz Tito, als er 1945 die Macht in Jugoslawien übernahm. Ein-
zig und allein der Revolution fühlte sich der legendäre Partisanen­
marschall, langjährige Staatspräsident und gefeierte Frontmann der
Blockfreien verpflichtet. Privates und Persönliches gab er bis ins hohe
Alter nur ungern preis. Selbst seinem engsten Umfeld blieb er noch
lange nach seinem Tod ein Rätsel.
Tito ist eine der interessantesten und außergewöhnlichsten Figu-
ren der Zeitgeschichte, eine, die die Welt geprägt und in gewissem
Maße auch verändert hat. Er war ein typisches Geschöpf des Zeit­
alters der Extreme, das er persönlich erlebt, erlitten und gestaltet hat.
Vom Bolschewismus infiziert, startete er seine politische Karriere mit
fixen ideologischen Gewissheiten, als Revolutionär und Parteifunktio-
när. Seit er im Gemetzel des Zweiten Weltkrieges zum Partisanen­
führer aufstieg, umwehte ihn der Nimbus des Außeralltäglichen. Im
­Vielvölkerstaat besaß sonst keiner den Mut und die Verwegenheit, der
militärisch haushoch überlegenen Wehrmacht die Stirn zu bieten.
Nur den Jugoslawen gelang es, die fremde Besatzung fast ganz aus
­eigener Kraft abzuschütteln. Die Partisanenzeit betrachtete Tito spä-
ter als die wichtigste Phase seines Lebens, da habe er am meisten von
sich gegeben. Der erfolgreiche militärische Widerstand bildete die
Legitimationsbasis seiner langjährigen Herrschaft.
Tito blieb zeit seines Lebens ein überzeugter Parteigänger des
Kommunismus. Mit diktatorischen Mitteln baute er noch während
des Krieges eine Alleinherrschaft nach sowjetischem Muster auf, ehe
er mit Stalin brach und ein vom Ostblock unabhängiges sozialistisches
System entwickelte. Während er einen eigenen Regierungsstil pflegte,
10 Apropos Tito 

der ganz auf seine Person zugeschnitten war, blieb er gegenüber Druck
aus Ost und West unbeugsam. Unter seiner Führung stiegen die
Blockfreien sogar zum eigenständigen Faktor in der Weltpolitik auf.
Am Ende seines langen Lebens standen Titos Ansehen und Autorität
beinahe über den ideologischen Lagern.
Titos Vita bündelt viele Aspekte der Geschichte Jugoslawiens.
Das 1918 gegründete Königreich der Südslawen war ein problembela-
denes, zerrissenes politisches Gebilde, das die Wehrmacht 1941 mit
Leichtigkeit zerschlug. Allein die kommunistischen Partisanen traten
an, den Vielvölkerstaat gegen die Besatzungsmacht und deren ultra­
nationalistische Kollaborateure zu verteidigen. Ohne Tito hätte es
nach dem Zweiten Weltkrieg wahrscheinlich kein zweites Jugoslawien
mehr gegeben. Inmitten eines furchtbaren Krieges aller gegen alle
setzte er auf « Brüderlichkeit und Einheit », um die Völker wieder mit-
einander zu versöhnen. Es gelang ihm, Hass und Hetze einzuhegen,
teils durch Überzeugung, teils durch Repression. 35 Jahre lang blieb
Tito der unverzichtbare Moderator eines mehr oder weniger gedeih­
lichen Zusammenlebens der jugoslawischen Völker. Wie und warum
ihm dies gelang, ist eine der großen Fragen, die diese Biographie zu
beantworten sucht.
Schon zu Lebzeiten wurde Tito zum Mythos und zum Monu-
ment. Das Regime, er selbst und seine Anhänger produzierten tau-
sende Bücher, Artikel, Filme und Rundfunksendungen, die sein Bild
in der Öffentlichkeit formten. Keinen Staatsmann ließ die Propa-
ganda in einem so breiten Rollenrepertoire funkeln wie ihn, der als
mutiger Widerstandsheld, weiser Vater der jugoslawischen Nation
und weltoffener Friedensbote auftrat. Sein schillerndes Image be-
diente heimliche Sehnsüchte nach einem kommunistischen Ersatz­
könig ebenso wie die Unterhaltungslust auf dem Boulevard. Tito
­personifizierte zugleich eine fabelhafte Aufstiegsgeschichte. Der Bau-
ernsohn machte als international angesehener Staatsmann Karriere –
die jugoslawische Version des amerikanischen Traums vom Tellerwä-
scher, der Millionär wurde.
Als er 1980 in hohem Alter starb, wurde der Tito-Kosmos neu
vermessen. Nun kamen Versäumnisse, Verstrickungen und Verbrechen
 Apropos Tito 11

ans Tageslicht, wie die Vernichtung der Kriegsfeinde im Kärntener


Bleiburg, die Vertreibung der Volksdeutschen und die lange Liste von
Untaten der Geheimpolizei. Josip Broz wurde zum Antihelden und
stand auf einmal als mörderischer Diktator, vaterlandsloser Wichtig-
tuer und narzisstischer Frauenheld da. Nicht wenige alte Rechnungen
aus der Zeit des Weltkrieges wurden jetzt beglichen. Bis heute blieb er
eine Figur, die die politischen Lager spaltet. « Sage mir, wie du zu Tito
stehst, und ich sage dir, was du bist! », hört man immer noch oft, wo
einst ­Jugoslawien war.
Titos Jugoslawien überlebte seinen Schöpfer kaum eine Dekade.
Die Säulen seines Lebenswerks – der Sozialismus, die Blockfreiheit
und Jugoslawien selbst – versanken in den neunziger Jahren in Trüm-
mern. Nirgends in der kommunistischen Welt war die Fallhöhe so
groß wie dort, wo mit dem politischen Regime gleich der ganze Staat
und mit ihm alle Regeln zivilisierten Zusammenlebens untergingen.
Jugoslawien wurde zum Inbegriff entgrenzter Gewalt, wie man sie in
Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen hatte. Über
Titos Lebenswerk liegt somit auch der Schatten bitteren Scheiterns.
Die Frage nach Verantwortung und Versäumnissen bleibt bis heute
­aktuell. Denn auch nach drei Jahrzehnten ist auf den Ruinen des Viel-
völkerstaats keine stabile politische Ordnung entstanden.
Wer also war der kroatische Kommunist mit den undurchdring­
lichen blau-grauen Augen, der sich erst gegen das Regime König
­Alexanders, später Hitlers Wehrmacht und schließlich den sowje­
tischen Diktator Stalin stemmte? Wie wurde aus dem Bauernsohn ein
kompromissloser Revolutionär, der für seine Weltanschauung immer
wieder sein Leben riskierte und dafür Tausende ermorden ließ? Was
gab ihm die Zuversicht, die Völker Jugoslawiens nach einem hass­
erfüllten Bruderkrieg wieder zu versöhnen? Warum sahen ihn viele
westliche Linke als ihr Vorbild an, und was machte ihn zum interna­
tional gefeierten Friedensboten? Nicht zuletzt: Warum wird Tito noch
Jahrzehnte nach seinem Tod von so vielen Menschen verehrt und be-
wundert?
Die Reihe « Diktatoren im 20. Jahrhundert » hat wichtige Wegmar-
ken gesetzt, Titos Leben mit analytischem Anspruch für einen brei­
12 Apropos Tito 

teren Leserkreis neu zu erzählen. Ziel ist es, die historische Gestalt
Titos von überwuchernden Projektionen zu befreien und in ihrem
zeitlichen Umfeld zu erklären. Formen, Funktionen und Inszenie-
rungen seiner Herrschaft, aber auch Person und Persönlichkeit sollen
im Mittelpunkt stehen. Besonderes Augenmerk liegt auf dem interna-
tionalen Kontext und der Beziehung zwischen Außen- und Innen­
politik, einer der Triebkräfte des jugoslawischen Systems. Dabei soll
auch Titos Verhältnis zu Deutschland eingehender betrachtet werden,
das in bisherigen Darstellungen nur am Rande vorkommt. Über seine
Ehe mit einer deutschen Kommunistin und über seine Rolle in Willy
Brandts Neuer Ostpolitik wird einiges bislang Unbekannte zu erfah-
ren sein. Jugoslawien, so wird man feststellen, funktionierte nur in der
Phase der unmittelbaren kommunistischen Machtübernahme und in
den Aufbaujahren als Diktatur im engeren Sinn, also als eine totalitäre
Herrschaft, die sich auf Gewalt gründet. Nach dem Bruch mit Stalin
entstand ein autokratisches System eigener Ordnung, das aus sich
selbst heraus immer neue Veränderungen und sogar einen begrenzten
Pluralismus hervorbrachte.
Jede Biographie birgt Fallstricke. Die Erzählung verlangt, den
Protagonisten in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken, wo er
aber gar nicht immer stand. Leicht entsteht die Illusion, sein Leben
verliefe geradlinig auf ein Ziel hin, während es sich tatsächlich in Kur-
ven und Kehren wand. Auch verleitet das Bemühen, eine historische
Figur in ihrem Kontext zu verstehen, womöglich zu Komplizen-
schaft. Berge von Lebenserinnerungen und biographischem Material
über Tito entstanden im Rahmen des Personenkults und müssen be-
sonders kritisch durchleuchtet werden. Auch ein großer Teil der über-
bordenden Sekundärliteratur ist politisch gefärbt, derweil die Publi-
zistik von Verschwörungstheorien geradezu überquillt. All das machte
es notwendig, zu den Primärquellen zurückzukehren. Sie fanden sich
unter anderem im Archiv des Staatspräsidenten in Belgrad, der Kom-
intern in Moskau und den Außenämtern in Bonn, London und Wa-
shington sowie der umfassenden Sammlung des Tito-Biographen
Vladimir Dedijer in Ljubljana.
Darf man heute überhaupt noch von « Tito » sprechen? Der alte
 Apropos Tito 13

Kampf- und Markenname klingt in manchen Ohren apologetisch,


weshalb in der Literatur gelegentlich nur noch von « Josip Broz » oder
abfällig von « Broz » die Rede ist. Ganz korrekt wäre « Josip Broz Tito »,
jedoch taucht die Kurzform in allen historischen Quellen am häu-
figsten auf. Und weil sie auch im Sprachgebrauch immer noch am
geläufigsten ist, sei es erlaubt und verziehen, sie hier weiter zu ver-
wenden.
Tito, so wird zu zeigen sein, war ein Politiker eigenen Kalibers. Er
war Visionär und Pragmatiker, Stratege und Macher, einer, der durch
außergewöhnliche Talente und unter ganz besonderen historischen
Umständen eine beispiellose Karriere machte. Vor allem war er aber
ein Mensch, der zum Guten wie zum Bösen fähig war.
KUMROVEC, 7. MAI 1892 
Der Bauernsohn

Kindheit im Zagorje

Sobald er die Augen aufschlug, spürte er den Hunger. Wie die


meisten Bauernkinder im kroatischen Zagorje war der kleine Joža nie
richtig satt. Oft gingen der Familie Broz bereits um Weihnachten die
Lebensmittelvorräte aus, weshalb die sparsame Mutter das ganze Jahr
über gewissenhaft haushielt. « Mama, gib uns etwas Brot », bettelte er,
wenn Besuch kam. Er wusste, dass sie zu stolz war, die Not vor Frem-
den zu offenbaren. Sie würde wortlos den Speiseschrank aufschließen,
kleine Brocken an die Kinder verteilen und erst nachher schimpfen.
Noch Jahrzehnte später dachte Tito häufig daran, dass er als kleiner
Junge immer zu wenig zu essen hatte.
Es war eine Zeit wachsender sozial-ökonomischer Probleme und
politischer Spannungen, in die er hineingeboren wurde. Wann das
ganz genau war, vermochte er auch als Erwachsener nicht mit letzter
Sicherheit zu sagen. Erst nachdem ein Biograph das Geburtsregister
der kroatischen Gemeinde Kumrovec aufgestöbert hatte, stand fest,
dass Josip Broz am 7. Mai 1892 zur Welt gekommen war, als siebtes
Kind von Franjo und Marija Broz, geborene Javeršek. « Wir wurden
unter unglaublich schwierigen Bedingungen aufgezogen », berichtete
er später. « Meine Kindheit, wie die meiner Kameraden und der über-
großen Mehrheit aller Kinder [in Kroatien], war bitter, beschwerlich
und trist. »1
In dem etwa fünfzig Kilometer nordwestlich von Zagreb gelege-
nen Dorf Kumrovec, in dem Joža aufwuchs, wohnten etwa 200 Fami-
lien. Es liegt im Zagorje, dem Herzland Kroatiens, das damals zur
­ungarischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie gehörte. Sie « ist
16 Kumrovec, 7. Mai 1892 

wirklich die glücklichste und gefälligste Region Kroatiens », schwärmte


der Historiker Vjekoslav Klaić im ausgehenden 19. Jahrhundert. Wie
hingestreut wirken die vielen bunten Dörfer im Tal und auf der
­Anhöhe, auf der auch Kumrovec liegt. Von oben blickt man auf eine
Ebene, durch die sich die malerische Sutla schlängelt, eher ein Bach
denn ein Fluss. Sie bildet die Grenze zwischen Kroatien und Slowe-
nien. Während sich gen Westen eine sanfte, grüne Hügellandschaft
öffnet, mit Weinbergen, Obstgärten und Äckern, Bächlein, Wasser-
mühlen und Brücken, endet der Weg nach Osten abrupt an den nicht
übermäßig hohen, aber schroffen Felsen der Bizeljska Gora mit der
Zelenjak-Schlucht. Droben erblickt man das Gemäuer der alten
­Königsburg auf der einen und die Ruinen der alten Templer-Festung
Cesargrad auf der anderen Seite. Von Kumrovec aus im Süden schlie-
ßen die von Eichenwäldern bewachsenen steilen Gipfel der Berge
­Tisovec, Sveta Gora und Kozjansko die Ebene ab. « Kein Wunder, dass
die Fremden dieses wunderschöne Land ‹ kroatische Schweiz › ge-
nannt haben. »2
Weniger malerisch war die Realität: Beiderseits der Sutla lebten
bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Kmeten, erbuntertänige Bauern,
die ein Neuntel ihrer Erzeugnisse  – Ernte, Wein, Vieh  – abliefern,
Steuern entrichten und Fronarbeit leisten mussten. Die Agrarreform
hatte sie 1848 befreit, allerdings verpflichtet, dem Feudalherrn Haus
und Hof abzukaufen und für entgangene Grundzinsen, Dienste und
­Abgaben Entschädigung zu zahlen. Auch Titos Großeltern väter­
licherseits begannen, ihr Haus und das Land, das sie bewirtschaf­
teten, ­abzulösen. Wie viele andere Bauern mussten sie dafür Kredite
aufnehmen. Als der Großvater das Erbe unter seinen Kindern auf-
teilte, erhielt Titos Vater Franjo acht Morgen Land, also 4,5 Hektar.
Damit gehörte er zwar nicht zu den Ärmsten im Dorf, aber für den
Familienunterhalt reichte es später trotzdem hinten und vorne nicht.
Er musste immer neue Schulden machen und sukzessive Land ver-
kaufen, bis 1913 vom Erbe nichts mehr übrig war.
Die Familie Broz lebte in jenem Haus, das Großvater Martin
1860 unweit seiner Schmiede auf der geschäftigen Hauptstraße von
Kumrovec für sich und seine Familie errichtet hatte. Mit dem Ziegel-
 Der Bauernsohn 17

Titos Geburtshaus in Kumrovec

dach und den gipsgetünchten Mauern wirkte es solider und mit vier
Zimmern auch geräumiger als die bescheidenen, mit Stroh gedeckten
Holzbauten in der Nachbarschaft. Nach alter Sitte hatte er es für
­einen Mehrfamilienhaushalt, die Zadruga, gebaut.
In Josips Kindheit lebten im großväterlichen Haus zwei, zeit­
weilig und unter extrem beengten Verhältnissen sogar drei Parteien.
Im rechten Teil wohnte die Familie von Franjo Broz, im linken war
nach dem Tod des Großvaters ein Verwandter eingezogen. Wenn man
von der Straßenseite aus die düstere Diele betrat, an Arbeitsstiefeln,
diversen Gerätschaften und dem stets abgeschlossenen Speiseschrank
vorbeischritt, gelangte man links und rechts zu den beiden Wohn­
bereichen, die jeweils aus einer größeren Stube und einer dahinter lie-
genden kleinen Kammer bestanden.
Geradeaus ging es in die große Küche, die sich beide Familien
teilten. Jede besaß ihre eigene Feuerstelle und einen Backofen, von
den Dachbalken baumelten Räucherhaken. Einmal in der Woche
wurde hier das Brot gebacken, zuvor das Korn per Hand durch den
schweren steinernen Mühlstein getrieben. Hinter der Küche lagen
18 Kumrovec, 7. Mai 1892 

der Hof und die Wirtschaftsgebäude: Stall, Scheune, Dresch- und


Heuboden sowie ein Schuppen mit dem hölzernen Webstuhl, auf dem
die Mutter aus selbstgesponnenem Garn Tuche und Stoffe für die
­Familie herstellte.
Josips häuslicher Familienalltag spielte sich überwiegend in der
etwa 20 Quadratmeter großen Stube ab. Mit ihren vier Fenstern und
den Eichendielen erschien sie tagsüber relativ hell und wohnlich, aber
wenn sich in der Abenddämmerung die Kinder einfanden und mit
­ihren nackten Füßen, müde und verschwitzt, jede Menge Schmutz
hereintrugen, wirkte der Raum schnell beengt und muffig. Zu den
Mahlzeiten drängte sich die Familie dann auf die hölzerne Eckbank
um den Esstisch, den im Winter eine kleine Petroleumlampe beleuch-
tete. Meist gab es Maisbrot und Maisgrütze sowie Gerichte aus Kar-
toffeln, Kohl, Saubohnen, Linsen oder Rüben. Frisches Obst aß man
nur im Sommer und das über dem Herd getrocknete Fleisch nur zu
Feiertagen. Aus ein paar einfachen Zutaten ließen sich aber auch
­leckere Mehlspeisen zubereiten, wie Buchweizenfladen, Nudeln und
Strudel. Niemand konnte das so gut wie seine Mutter, fand Joža, der
als Junge häufig die jüngeren Geschwister versorgen musste. Zeit sei-
nes Lebens hat er gerne nach den alten Rezepten gekocht und damit
auch seine Gäste bewirtet.3
Im Winter war die Holzbank um den Kachelofen sein beliebtester
Platz. Wenn das Feuer im Ofen knisterte und sich Verwandte und
Nachbarn zum gemeinsamen Spinnen, Maisschälen und Federn­
zupfen einfanden, wurde es gemütlich. Die Älteren erzählten dann
Geschichten aus früheren Zeiten, die Jüngeren dachten sich Aben-
teuer aus. Der Kachelofen war nachts die Schlafstätte der kleineren
Kinder; die etwas Älteren trollten sich auf den Dachboden des Stalls
auf der anderen Seite des Gartens. Sonst standen in der Stube nur
noch Holzwiege, Truhe, Kommode und Spinnrad sowie das große
Einzelbett für die Eltern, das sich mit Hilfe einer eichenen Sitzbank
für die Nacht verbreitern ließ. Hier hatte Marija im Frühjahr 1892 auf
einer mit Maisstroh gefüllten Matratze und in Laken aus grobem
Hanfleinen ihren Josip zur Welt gebracht.4
 Der Bauernsohn 19

Mutters Sohn

Marija Broz, genannt Micika, führte ein typisches Frauen­


leben. An einem schneekalten Januartag hatte die achtzehnjährige
Slowenin in der Dorfkirche von Podsreda den Kroaten Franjo Broz
aus Kumrovec geheiratet. Nach dreitägigem Schmaus, Tanz und
Trinkgelage fuhr das in der Bauerntracht gekleidete Hochzeitspaar in
einer halben Tagesreise mit dem Schlitten in ihr sechzehn Kilometer
entferntes künftiges Familienheim.
Marija gebar fünfzehn Kinder, von denen acht gleich bei der
­Geburt oder kurz darauf verstarben. Auf dem Dorf, wo es keinerlei
medizinische Versorgung gab, war das traurige Normalität: Um die
Jahrhundertwende erlebte nur jedes dritte kroatische Kind seinen
zweiten Geburtstag, und nur jedes fünfte wurde älter als fünfzehn
Jahre. Krankheiten wie Scharlach und Tuberkulose waren häufig und
bedeuteten Lebensgefahr.
Die vielköpfige Familie durchzubringen, war angesichts des chro-
nischen Land-, Lebensmittel- und Geldmangels ein harter täglicher
Kampf. Eines Tages, als das Essen wieder zu knapp wurde, nahm
­Marija den dreijährigen Joža an die Hand und brachte ihn, der wie alle
Kleinkinder barfuß lief und nur ein langes gegürtetes Leinenhemd
trug, in ihr Elternhaus nach Podsreda. Für Jožek, wie ihn Großvater
Martin Javeršek liebevoll nannte, begann dort die glücklichste Zeit
seiner Kindheit. Er verbrachte viele Stunden mit dem schmächtigen,
drahtigen und agilen Köhler im Wald, den er als freundlich, warmher-
zig und immer zum Scherzen aufgelegt in Erinnerung behielt. Jožek
durfte die Pferde hüten, seine Lieblingsaufgabe seit frühester Kind-
heit, und auf den riesigen Tieren ohne Sattel reiten.5 Erst mit sieben
Jahren, als er ins schulpflichtige Alter kam, kehrte Joža nach Kumro-
vec zurück. Er sprach mittlerweile nur noch Slowenisch, und bis ins
hohe Alter gelang es ihm nicht, das Kroatische vollkommen zu be-
herrschen.6
Als Schuljunge war er nun wieder in der Obhut seiner Mutter, der
er von allen Geschwistern am meisten glich. Schlank und hoch­
gewachsen zog sie alle Blicke auf sich, wenn sie kerzengerade durchs
20 Kumrovec, 7. Mai 1892 

Dorf schritt, den Kopf stolz erhoben. Joža liebte ihr Gesicht mit den
markanten Wangenknochen, eine aparte Mischung aus sanften und
herben Zügen, das, wie er fand, zu gleicher Zeit Freude und Schmerz
ausstrahlte. Wie seine Mutter besaß das Kind eine klare, warme, ange-
nehme Stimme, und noch strahlte es naive Offenheit und natürliche
Heiterkeit aus. Aus ebenmäßigen Gesichtszügen leuchteten helle
­taubenblaue Augen, den freundlichen weichen Lippen schmeichelte
dichtes, leicht gewelltes, rötlich blondes Haar. Abgesehen vom Äußeren
übernahm er von seiner Mutter auch deren Charaktereigenschaften,
zuallererst eine gewisse Unnahbarkeit, dazu aber auch Intelligenz und
schnelle Auffassungsgabe, Ordnungsliebe und Organisations­talent,
Tat­kraft und Willensstärke, Stolz und Haltung.
Der kleine Jožek « konnte nicht eine Minute stillsitzen », beschrieb
ihn Tereza Stefan, die öfter auf die Kinder aufpasste. Er war « immer
hungrig …, dünn und blass, … weil er nicht genug zu essen hatte ».
Ansonsten war er « gesund wie ein Spatz und flink wie ein Floh ». Dau-
ernd war er irgendwo unterwegs, « und wenn du fragtest, wo er hin-
wollte, schnitt er eine Grimasse, machte auf bloßen Fersen kehrt und
schwirrte sofort wieder ab ».7 Wenn er nicht im Haushalt helfen
musste, lief er mit seinen Freunden zum Spielen zur Festung Cesar-
grad hinauf oder verbrachte Stunden an der Sutla beim Angeln. Er
tobte mit seinen Brüdern durch die Felder, prügelte sich mit den Jun-
gen aus dem Nachbardorf, klaute manchmal einen Maiskolben auf
den Feldern der Nachbarn. Bei all dem kam ihm keines der Geschwis-
ter und kein Spielkamerad richtig nahe. Auch langjährige Vertraute
sollten später berichten, sie hätten neben großer Sympathie auch
­immer eine gewisse Distanz gespürt.
Den Haushalt führte Marija Broz trotz der vielen Schwanger-
schaften pflichtbewusst und diszipliniert. Sie mahnte ihre Kinder,
ehrlich und aufmerksam zu sein. Sie war streng, griff jedoch nur sel-
ten zur Rute, und wenn, gab Tito zu, dann « hatte ich das wirklich ver-
dient ». Dass er ihr Lieblingssohn sei, wie alle behaupteten, wies er
empört von sich. Andere aber fanden, dass Micika dem kleinen Joža
oft nachgab, wenn er sie anbettelte, ihm mit ihrer glockenhellen
Stimme noch ein Lied vorzusingen, noch eine Geschichte zu erzählen
 Der Bauernsohn 21

oder die heißgeliebte Spieluhr noch ein allerletztes Mal für ihn aufzu-
ziehen. Der Vater hatte sie einst einem Hausierer abgekauft und vier
Jahre lang abbezahlt. Sie war der Stolz und die Freude der ganzen
­Familie. « Tante Mica und Jožek waren eng miteinander », erinnerte
sich seine Kusine Tereza. « Es gab eine [innige] Bindung zwischen den
beiden ».8
Wie viele Bäuerinnen war die Katholikin Marija Broz streng gläu-
big und fromm. Regelmäßig versammelte sie ihre Kinder zum Beten,
und kein Sonntag verging ohne Besuch des Gottesdienstes in der Kir-
che des Heiligen Rochus, die man durch das Stubenfenster auf einem
Hügel liegen sah. Joža « ging gern in die Kirche », berichtete ein frühe-
rer Spielkamerad, « er mochte den Gesang, die Zeremonie und den
Duft von Weihrauch ». Mit elf Jahren wurde Josip Messdiener, aber
der Priester war ein Trinker, dem gelegentlich die Hand ausrutschte,
« und da verstand ich, dass er auch nicht besser als jeder andere Mann
war … und glaubte schließlich nicht mehr an die organisierte Reli-
gion », erzählte er später. « Weil meine Mutter das wollte, ging ich wei-
ter sonntags in die Messe, aber ich glaube, ich war seitdem mit der
Kirche durch. »9
Im Unterschied zu Joža, der alles in allem ein vernünftiger und
pflichtbewusster Junge war, gab Franjo seiner Frau Micika reichlich
Anlass zu Kummer. Er war « schwarz wie der Teufel », beschrieb ihn
Tito, hochgewachsen und gertenschlank, mit krausem Haar und einer
markanten Adlernase. Da die Landwirtschaft zu wenig abwarf, be­
tätigte er sich zeitweilig als Fuhrunternehmer oder als Tagelöhner, um
etwas Geld zu verdienen. Joža machte deswegen die Erfahrung eines
häufig abwesenden Vaters. « Meine Mutter musste dann ganz allein für
die Familie sorgen », erzählte er später. Er erlebte, dass sein Vater eine
tiefe innere Verunsicherung mit sich herumtrug, die er gerne mit
großspurigen Reden übertünchte. Während die Schuldenlast wuchs,
der ererbte Grundbesitz zusammenschmolz und die Familie Hunger
litt, ertränkte er seine Existenzsorgen im Alkohol. Betrunken wurde er
ausfallend und handgreiflich gegenüber Frau und Kindern. Josip
Broz wunderte sich sein Leben lang, wie die Mutter « es schaffte, die-
sen schrecklichen Kampf durchzuhalten, uns aufzuziehen ».10
22 Kumrovec, 7. Mai 1892 

Wenn Franjo Broz nüchtern war, zeigte er den Kindern seine gut-
mütige, fürsorgliche und nachgiebige Seite, und deshalb wies Joža
noch als Zwölfjähriger jeden zurecht, der schlecht über den Vater
sprach: « Er ist, wie er ist », erklärte er seiner Tante, « weil er eben ist,
wie er ist. »11 Als Erwachsener hatte er dann eine gesellschaftskritische
Erklärung parat. « Das war weniger persönliches Versagen als ein rein
soziales Phänomen », meinte er.12 Trotz allem konnte er ihm nie verzei-
hen, dass er « die ganze Last der Familie auf die Schultern der Mutter
lud ».13
Angesichts der zahlreichen Schwächen des Vaters war Micika der
emotionale Mittelpunkt der Familie, ihre oberste moralische Instanz
und ihr heimliches Oberhaupt. Josip spürte noch viel später die war-
men, tröstenden Arme der Mutter, die ihm Liebe, Halt und Selbst­
bestätigung gaben. « Ich muss furchtbar ausgesehen haben », erzählte
er über das erste Schuljahr, als er an Scharlach erkrankt war, eine
Krankheit, an der viele Kinder starben. Die Mutter wich damals nicht
von der Seite ihres kleinen, bleichen und abgemagerten Sohnes. Wäh-
rend der genesende Joža auf dem Ofen saß und aus dem Fenster eine
Marienprozession beobachtete, kam ein Nachbar vorbei. « Hör mal,
Mica, dein Joža wird es nicht mehr lange machen », raunte er ihr zu,
« der ist fertig ». Was fällt dem denn ein, empörte sich der kleine
­Rekonvaleszent, während er stumm sitzen blieb. Mit glasigem Blick
aus tiefen Augenhöhlen konnte er beobachten, wie die Mutter dem
Mann spontan einen Klaps gab und sofort das Thema wechselte.
« Aber als der Nachbar gegangen war, kam sie zu mir, nahm mich in
den Arm und hielt mich dann die ganze Zeit fest. » Die Zuneigung
und Wärme dieser Momente vergaß er nie. « Das sind Gefühle, die
­immer bleiben, das ganze Leben », erinnerte er sich noch nach Jahr-
zehnten. « Deswegen habe ich meine Mutter so sehr geliebt. »14

Versagte Lebenschancen

Die prägenden Erfahrungen in Titos Jugend waren unerfüllte


Wünsche und enttäuschte Hoffnungen. Denn im letzten Drittel des
19. Jahrhunderts hatten sich infolge der großen Weltwirtschaftskrise
die sozialen Probleme in Kroatien-Slawonien zugespitzt. Während die
 Der Bauernsohn 23

Agrarpreise sanken, stiegen die Importzölle auf Fertigwaren, wes­


wegen sich viele Bauern hoch verschulden mussten. Da Kapital, Kre-
dite und Kenntnisse fehlten, wuchs die Zahl der Industriebetriebe –
und damit auch der Arbeitsplätze – nur langsam.
Das westliche Zagorje, wo Tito aufwuchs, gehörte zu den rück-
ständigsten, ärmsten und am dichtesten besiedelten Landesteilen
Kroatiens. Es gab, wie es sein Lehrer Stjepan Vimpušek ausdrückte,
« zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben ».15 Wie die Familie
Broz mussten rund vier Fünftel aller Landwirte ihre meist zahlrei-
chen Kinder von weniger als fünf Hektar Land ernähren, dem Mini-
mum, ab dem ein Bauernhaushalt einigermaßen über die Runden
kam. Ebenso viele konnten nicht lesen und schreiben, und medizi­
nische Versorgung existierte praktisch nicht. An Weihnachten 1910
fanden die Volkszähler trotz strengen Frostes kaum ein Haus in der
Gegend, das beheizt war. « Die Leute lagen angezogen im Bett, und
da, wo ausnahmsweise doch der Ofen an war, kamen alle Nachbarn
vorbei, um sich aufzuwärmen. »16
Aus Titos entbehrungsreicher Kindheit stammt eine Anekdote,
mit der im sozialistischen Jugoslawien jeder aufwuchs: Eines Nach-
mittags, als die Eltern außer Haus und die Kinder hungrig waren,
stieg der kleine Josip auf den Dachboden. Dort hing ein geräucherter
Schweinskopf, den die Mutter für Neujahr aufbewahrte. « Meine Brü-
der und Schwestern weinten », erzählte Tito. « Ich zögerte etwas, aber
dann habe ich den Kopf runtergeholt und in einen Topf mit sieden-
dem Wasser getan, etwas Mehl drübergestreut, und dann etwa zwei
Stunden gekocht. » Es war lange her, dass es eine so reichliche Mahl-
zeit gab, und alle aßen « bis zum Platzen ». Allerdings war « das Essen so
fett, dass uns allen schlecht wurde », und als die Mutter heimkam, war
außer leisem Stöhnen im ganzen Haus nichts mehr zu hören. Mica
wurde wegen des unersetzlichen Festbratens sehr traurig. « Sie hatte
dann aber Mitleid mit uns und wir kamen ohne Schläge davon. »17
Nicht nur aus Armut, auch vorenthaltener politischer Rechte
­wegen wuchs der Nationalismus. Seit den 1830 er Jahren forderte die
Nationalbewegung die Vereinigung der südslawischen Länder zu
­einem autonomen « Königreich Kroatien und Slawonien » innerhalb
24 Kumrovec, 7. Mai 1892 

der Habsburgermonarchie, damit das kroatische Volk mehr Teilhabe


bekäme. Zwar hatte die ungarische Regierung 1868 einem « Ausgleich »
(Nagodba) zugestimmt, der Kroatien-Slawonien Landtag, Verwal-
tung, Justiz und Kultushoheit zugestand. Von einer selbständigen
Landesregierung, Presse- und Meinungsfreiheit war allerdings nicht
die Rede. Von den rund zwei Millionen Einwohnern Kroatiens und
Slawoniens durften nur jene rund 45 000 Männer wählen, die die da-
für erforderliche Mindeststeuer von 30 Forint aufbrachten. In Kum-
rovec gab es deswegen unter rund 200 Familien nur drei Wahlberech-
tigte. 1903 rollte eine nationalistische Protestwelle durch das Land,
und auch in Kumrovec stürmten aufgebrachte Bauern das Rathaus,
um die ungarische Flagge zu verbrennen. Sie forderten grundlegende
Reformen und Selbstbestimmung.
Obwohl die ungarische Regierung in Budapest mehr als die Hälfte
des Steueraufkommens Kroatiens und Slawoniens kassierte, inves-
tierte sie kaum in die dortige Infrastruktur. Daher gab es um 1900 nur
für jedes zehnte kroatische Kind eine Schule.18 Der kleine Josip hatte
also Glück, dass es in seinem Heimatort wenigstens Elementarunter-
richt gab, selbst wenn er sich anfangs mit dem Lernen schwertat. Weil
er schlecht Kroatisch sprach und häufig krank war, musste er sogar
das erste Jahr wiederholen. Auch in den höheren Klassen versäumte er
viele Schultage, denn « in meinem Dorf war es ganz selbstverständ-
lich, dass ein Kind ab sieben Jahren schon eine Arbeitskraft war », be-
richtete er. « Wer essen will, muss arbeiten », hatte ihm die Mutter ein-
geschärft. Also hütete er die Kuh beim Weiden, hackte den Mais,
­jätete den Garten oder drehte das Getreide durch den steinernen
Mühlstein, eine schweißtreibende Tätigkeit. « Aber am schwersten
war es, … wenn mich der Vater mit seinen Schuldscheinen durchs
Dorf schickte … zu anderen Bauern, die ähnlich wie er, tief verschul-
det waren, hungrig, viele Kinder zu ernähren hatten. » Wie viel Ge-
jammere und Gefluche bekam er da zu hören.19
Das Abschlusszeugnis der Grundschule, das er mit zwölf Jahren
stolz in den Händen hielt, attestierte ihm vorzügliches Betragen sowie
sehr gute Leistungen in allen Kernfächern. Das Gymnasium zu besu-
chen, lag aber völlig außerhalb seiner Vorstellungs- und Lebenswelt;
 Der Bauernsohn 25

höhere Bildung war den Söhnen des städtischen Bürgertums und der
wohlhabenden Bauern vorbehalten. « Es gab weder die Möglichkeit
noch die Mittel, unsere Kinder auf eine höhere Schule zu schicken »,
erläuterte sein Lehrer. « Die Kinder ein Handwerk erlernen zu lassen,
war das Beste, was die Leute aus Verhältnissen wie die der Familie
Broz aus der Gegend hier machen konnten. »20
« Als ich klein war, wollte ich … Schneider werden », erzählte Tito
Jahre später seinem Biographen, « weil sich jeder Bauer aus Zagorje
­einen schönen Anzug wünscht. » Er träumte davon, « meinem Vater
und meinen Brüdern und allen im Haus das Gewand zu nähen ».21 Das
gepflegte Äußere blieb ein immer wiederkehrendes Thema in seinem
Leben, das er als Ausweis seines persönlichen Fortkommens betrach-
tete und das er der eigenen Selbstachtung und Eitelkeit schuldete.
Vorerst gab es für den Halbwüchsigen Josip allerdings nur die Mög-
lichkeit, sich mit Aushilfsjobs auf den benachbarten Bauernhöfen
durchzuschlagen. Auch in Ljubljana und Triest, wo ihn die Arbeit­
suche vorübergehend hintrieb, fand er kein Auskommen. Vater Franjo
hätte ihm am liebsten eine Überfahrt in die Neue Welt spendiert, wo
man leichter einen Job finden und besser verdienen konnte, aber dafür
fehlte das Geld. Zehntausende Kroaten, die sich das irgendwie leisten
konnten, wanderten jedes Jahr nach Amerika aus, « damit die, die zu-
rückbleiben, leben können », erklärte ein Lehrer.22 Was wäre wohl aus
ihm geworden, hätte damals das Geld für eine Schiffspassage in die
USA gereicht, fragte Jahrzehnte später einmal ein Besucher. « Fabrik-
besitzer », entgegnete er schmunzelnd.
Schließlich entschied der Vater, den fünfzehnjährigen Sohn nach
Sisak zu schicken, damit er in dem Gasthaus gleich neben der Kaserne
des 27. Domobranen-Regiments Kellner werde. Dank seines schönen
Biergartens mit den schattigen Kastanienbäumen und der Kegelbahn
gab es hier viel zu tun. Aber das Gastgewerbe langweilte ihn, und so
beschloss er, sich bei Schlossermeister Nikola Karas als Lehrling zu
bewerben.
26 Kumrovec, 7. Mai 1892 

Politisierung

Meister Karas war ein beleibter, warmherziger Mann, der


seine drei bis vier Lehrlinge freundlich behandelte und gut versorgte,
auch wenn er, wie damals üblich, keinen Lohn bezahlte. Josip ver-
brachte seinen ganzen langen Arbeitstag, von 6 bis 18 Uhr, in der im
Keller gelegenen Werkstatt. Nur sonntags und an zwei Abenden wäh-
rend der Woche ging er in die Berufsschule. Seine wenige freie Zeit
verbrachte er am liebsten Sherlock Holmes lesend; gelegentlich
schmuggelte er sich in den Zirkus oder ins Kino. Als er eines Tages als
Statist bei einer Wanderbühne anheuerte, zog er mit Lehárs « Lustiger
Witwe » bis nach Osijek. Dort schnappten ihn aber die Gendarmen,
um ihn wieder der Obhut des anfangs wütenden, dann aber sichtlich
erleichterten Meister Karas zuzuführen.
Mit rund 9000 Einwohnern war Sisak eine Provinzstadt mittlerer
Größe. Sie war Schnittpunkt wichtiger Eisenbahnverbindungen, be-
saß einen betriebsamen Flusshafen und einige Industriebetriebe, die
Handel und Warenverkehr ankurbelten. Zwei- bis dreitausend Ge­
sellen, Kleinhandwerker, Arbeiter und Facharbeiter in Sägewerken,
Ziegeleien, Brauereien und Handwerksbetrieben bildeten ein halb-
proletarisches Milieu, in dem sozialistische Ideen zirkulierten. Arbei-
tervereine, Syndikate und Gewerkschaften sowie die 1894 gegründete
Sozialdemokratische Partei stritten für das allgemeine und gleiche
Wahlrecht, für höhere Löhne und den Achtstundentag. Eine proleta-
rische Massenbewegung war das noch nicht, aber die Arbeitskämpfe
nahmen an Häufigkeit und Heftigkeit zu. Infolge der Generalstreiks
in Osijek, Zagreb und Rijeka wurde sozialistische Propaganda und
Presse verboten; führende Sozialdemokraten saßen langjährige Haft-
strafen im Zuchthaus ab.
Als Meister Karas Anfang 1909 einen neuen Gesellen einstellte,
begann sich Broz für politische Fragen zu interessieren. Karl Schmidt,
ein hübscher Kerl deutscher Herkunft, der immer ein rotes Halstuch
trug, war Sozialdemokrat. Er klärte die Lehrlinge über die Arbeiter-
bewegung und die Bedeutung des 1. Mai auf, wobei er sie in die
­Gedankenwelt von Marx und Engels einführte. Josip vertiefte sich in
 Der Bauernsohn 27

die sozialistische Zeitung « Das freie Wort » (Slobodna riječ) und wei-
tere einschlägige Literatur, die Schmidt und andere Gesellen vertrie-
ben, darunter « Christentum und Sozialismus » von August Bebel, « Die
materialistische Geschichtsauffassung » von Karl Marx und Friedrich
Engels sowie « Das Kommunistische Manifest ». Die Argumente des
Gesellen, das kapitalistische System werde in einer Serie von Klassen-
kämpfen naturgesetzlich zusammenbrechen und die priesterliche Ver-
dummung endlich ein Ende haben, überzeugten ihn immerhin so
weit, dass er für die Sozialdemokratische Partei Streichhölzer ver-
kaufte und Flugblätter verteilte. Und Mutter Micika, die aus der
Sonntagspredigt wusste, dass alle, die die Sozialisten unterstützten, in
der Hölle schmoren würden, wurde nun immer häufiger von heim­
lichen Sorgen um die Seele ihres Sohnes geplagt.
Nachdem der Achtzehnjährige im September 1910 seinen Gesel-
lenbrief erhalten hatte und daraufhin in Zagreb Arbeit suchte, trat er
in die Metallgewerkschaft und damit automatisch in die Sozialdemo-
kratische Partei ein. Die beiden Organisationen, die Gerechtigkeit
und internationale Solidarität auf ihre Fahnen geschrieben hatten, bil-
deten ab jetzt die tragenden Pfeiler seiner jugendlichen Sozialisation.
Er bewegte sich nun überwiegend in der sozialdemokratischen Sub-
kultur, die sich abseits der bürgerlichen Öffentlichkeit entfaltete, ging
regelmäßig zu den Gewerkschaftstreffen, lief bei der Demonstration
zum 1. Mai mit und beteiligte sich erstmals an einem Streik.
Wie viele junge Arbeiter fühlte sich Josip Broz vom Sozialismus
angezogen, weil er eine plausibel klingende Erklärung für seine unbe-
friedigende Lebenssituation anbot und auch gleich das Rezept mitlie-
ferte, wie man sich daraus befreien konnte. Durch den moralischen
Anspruch des Marxismus, eine gerechte Welt zu schaffen, gewannen
seine persönlichen Ambitionen einen höheren Sinn. Die eigenen
­Enttäuschungen und Frustrationen ließen sich in den Kontext der
ganz großen Menschheitsfragen stellen, indem man sie nicht als indi-
viduelles Schicksal, sondern als Ausdruck gesamtgesellschaftlicher
Missstände deutete. Abgesehen von der Ideologie vermittelte die
Arbeiterbewegung auch ganz neue Lebenserfahrungen. Sie ver-
­
schaffte nützliche Kontakte, weckte die Lust an der Erkenntnis und
28 Kumrovec, 7. Mai 1892 

stiftete Gefühle von Gemeinschaft und Solidarität. Der intelligente,


tüchtige und tatkräftige junge Mann entwickelte bis dahin schlum-
mernde Talente wie das Debattieren und Organisieren. Neue Einsich-
ten und Erfahrungen erweiterten den Horizont seiner Hoffnungen
und Erwartungen: aus eigener Kraft über die Schranken seiner niede-
ren sozialen Herkunft hinauszuwachsen.
Auch in den Jahren nach Abschluss der Ausbildung wurde ihm
nichts geschenkt. Es war schwierig, ja so gut wie unmöglich, eine feste
Anstellung im Metallgewerbe zu bekommen. Immerhin fand er in
Zagreb vorübergehend in der Werkstatt des Mechanikers Knaus
­
­Arbeit, wo er nützliche Fachkenntnisse als Maschinenschlosser er-
warb. Aber schon im Sommer 1911 ging er auf die Walz, um im Aus-
land Berufserfahrung zu sammeln. Nach kürzeren Stationen in Kam-
nik, Pilsen und Wien wanderte Broz im Frühsommer 1912 ins « Rote
Mannheim ». Der deutsche Gewerkschafter Otto Paulus erinnerte sich
noch Jahrzehnte später an den « breitschultrigen und schweigsamen
jungen Mann », der ein paar Monate bei Benz arbeitete, regelmäßig an
den Versammlungen der sozialistischen Arbeiterjugend teilnahm, treu
seine Mitgliedsbeiträge für die sozialistische Jugend bezahlte und so-
gar die Arbeiterzeitung abonnierte. In seiner Freizeit traf man ihn
häufig im Café « Salomon » beim Schachspielen mit russischen Emi­
granten an.23 Als er im Jahr darauf kurz vor seiner Einberufung in die
Armee seiner Tante Ana einen Besuch abstattete, war sie irritiert und
beunruhigt. Nicht nur war er in alle möglichen undurchsichtigen
­Aktivitäten verstrickt. « Er war gegen die Religion … redete häretisch
und gefährlich », berichtete sie, « ein Sozialist, den Kopf voller Pläne,
die mein Fassungsvermögen überstiegen ».24
Die Tante bekannte, sie habe damals nicht die leiseste Vorahnung
gehabt, dass Joža eines Tages Berufsrevolutionär und schließlich Mar-
schall von Jugoslawien werden würde. Tatsächlich war ihm die Sozial-
kritik weder von den Eltern in die Wiege gelegt worden, noch hatte er
sie im Studium intellektuell erworben. Allerdings kannte er Ausbeu-
tung, Benachteiligung und fehlende Lebenschancen aus erster Hand,
im Unterschied zu den meisten prominenten Anführern der sozialis-
tischen Bewegung, oft Bürgersöhne und -töchter, die die Klassenfrage
 Der Bauernsohn 29

nur theoretisch betrachteten. Aber er teilte charakteristische Persön-


lichkeitsmerkmale wie Optimismus, Selbstsicherheit, Willensstärke
sowie ein unerschütterliches Vertrauen in die Wirkungsmacht des
­eigenen Handelns mit ihnen.25
Wie alle Revolutionäre war er überzeugt, dass das, was er im Leben
erreichen wollte, nicht ohne fundamentale Veränderung der ganzen
Gesellschaft zu verwirklichen war. « In meiner Jugend waren zwischen
sechzig und achtzig Prozent der Jugend in Kumrovec … überzählig »,
erklärte er 1949. « Es gab nichts zu tun im Dorf. Wenn man die vierjäh-
rige Schule hinter sich hatte, musste man weg. Es gab einfach nicht
genug zu essen. Bildung erhielten nur die Kinder des städtischen Bür-
gertums und der wohlhabenden Bauern. Für Leute wie mich und
meine Brüder war der einzige Ausweg, das Dorf zu verlassen, Lehr-
ling zu werden und ein Gewerbe zu lernen. Aber dieser Weg war steil
und stumpfsinnig: so stumpfsinnig, dass einige von uns daran etwas
ändern wollten. Und als wir den Marxismus entdeckten, besonders
seit 1917, angesichts der Großen Oktoberrevolution, da hatten wir die
Antwort. »26
PETROGRAD, 23. FEBRUAR 1917 
Der Bolschewist

Vom Weltkrieg zum Roten Oktober

Als der österreichische Kaiser Franz Joseph am 28. Juli 1914


Serbien den Krieg erklärte und dadurch den Ersten Weltkrieg aus-
löste, leistete Josip Broz seinen Wehrdienst in der österreichisch-­
ungarischen Armee. Im Jahr zuvor war er zum 25. Domobranen-­
Regiment in Zagreb eingezogen worden. Das Kriegshandwerk faszi-
nierte ihn, nur fand er die k. u. k.-Streitkräfte antiquiert und stupide.
« Statt den Leuten beizubringen, wie man kämpft, hat man nur gelernt
zu exerzieren », fand er.1 Der magere, aber sportliche Rekrut bewährte
sich bei einer landesweiten Meisterschaft als ausgezeichneter Fechter
und gewann die Silbermedaille. Daraufhin wurde er zum Unteroffi-
zier befördert.
Der Kriegseinsatz begann für Feldwebel Broz als Zugführer an
der serbischen Front. Zwei Mal überschritt sein Regiment die Drina,
wurde aber beide Male von den gegnerischen Truppen zurückge-
schlagen. Im Winter 1914/1915 wurde es an die Karpaten-Front ver-
legt. Schlecht ausgerüstet erlitt die österreichisch-ungarische Armee
im eisigen Winter verheerende Verluste. Die Soldaten mussten im
tiefsten Schnee ihre Schützengräben ausheben. « Es gab mehr, die
­erfroren sind, als durch eine Kugel gefallen », erinnerte sich Tito.2
­« Damals habe ich gelernt, den Krieg zu hassen. » Als während der rus-
sischen Frühjahrsoffensive im April 1915 ein Reiterregiment seine
Einheit angriff, stieß ihm ein Tscherkesse im Nahkampf sein Bajonett
tief in die rechte Achsel. Schwer verwundet landete er mit seinem
ganzen Bataillon in russischer Kriegsgefangenschaft. « Ich dachte, ich
würde sterben. »3
 Der Bolschewist 31

Demonstration von Arbeitern der Putilow-Werke in Petrograd,


Februar 1917

Im Lazarett des Klosters Swijaschsk, einer Wolgastadt nahe


­ azan, genas er nur langsam, nachdem ihn dort erst eine Lungenent-
K
zündung und daraufhin noch der Flecktyphus erwischt hatte. Eine
richtige Krankenstation gab es nicht und oft nichts zu essen. « Wir
­lagen auf Stroh, auf dem Boden. » Wie sollte da die schwere Wunde
verheilen? « Die Ärzte dachten, ich sei nicht mehr zu retten, aber an-
scheinend hatte ich eine starke bäuerliche Konstitution. »4
Nach der Verlegung in das westliche Uralgebiet  – der Kriegs­
gefangene arbeitete nun in der Werkstatt der Transsibirischen Eisen-
bahn in Kungur – überraschte ihn im Februar 1917 die Nachricht von
der Revolution in Petrograd. Mittlerweile sprach er fließend, wenn
auch nicht perfekt Russisch. Nach einem verheerenden Kriegswinter,
in dem die Bevölkerung hungerte, kam es ab dem 23. Februar 1917
(8. März nach heutigem Kalender) in der russischen Hauptstadt zu
Massendemonstrationen, Streiks und gewaltsamen Protesten. Zehn-
tausende zogen durch die Straßen, skandierten « Brot! », « Schluss mit
dem Krieg! », « Nieder mit der Selbstherrschaft! » Arbeiter- und Sol­
datenräte ebenso wie liberale Abgeordnete der Duma drängten den
32 Petrograd, 23. Februar 1917 

Zaren zur Abdankung. Als auch die Armee den Gehorsam verwei-
gerte, sah sich Nikolaus  II. am 3. März (16. März) gezwungen, seine
Macht an eine provisorische Regierung zu übergeben. Kurz darauf
kehrte der Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin aus dem Schweizer
Exil in seine Heimat zurück. In seinen berühmten April-Thesen for-
derte er eine sofortige Beendigung des Krieges, die Machtübernahme
durch die Räte und eine Landreform.
Nach den turbulenten Ereignissen in Petrograd bildeten sich
auch in den Städten entlang der Transsibirischen Eisenbahn revolu­
tionäre Arbeiter- und Soldatenräte. Es war eine Stimmung zum Über-
kochen, wie im Hexenkessel, erinnerte sich Broz. Auf einmal gab es in
allen Betrieben Parteizellen. Die Bolschewisten waren junge Fach­
arbeiter, Bauern, Handwerksgesellen oder Grundschullehrer, die wie
er selbst aus einfachen Verhältnissen stammten, aber nach Höherem
strebten. « Nein, ich glaube nicht, dass sie Kommunisten oder Bol-
schewisten waren … Ich würde sagen, sie waren Revolutionäre, ebenso
wie ich, in einem allgemeinen, instinktiven, proletarisch und spe­
zifisch antifeudalen, antizaristischen Sinn. »5
Während sich allgemeine Anarchie ausbreitete, ergriff Josip Broz
im Juni 1917 die Flucht. Über tausend Kilometer schlug er sich bis
nach Petrograd durch, wo die Bolschewisten im Juli große Demons­
trationen gegen die Provisorische Regierung organisierten und eine
Sowjetregierung forderten. Während er « Nieder mit der Provisori-
schen Regierung » und « Alle Macht den Sowjets » brüllte, geriet er in
ein Scharmützel mit der zaristischen Geheimpolizei. Mit einer
Gruppe Aufständischer floh er nach Finnland, um von dort weiter
in seine kroatische Heimat, am liebsten aber in die USA zu reisen.
Wochen später schnappten ihn die Gendarmen in Uljenburg (Oulu),
verdächtigten ihn als Bolschewisten und warfen ihn in den Kerker der
Peter-Pauls-Festung. Daraufhin « saß ich wieder in einem langsamen,
heruntergekommenen Zug mit hunderten österreichischen Kriegsge-
fangenen auf dem Weg zurück nach Sibirien ».6
Unterwegs, am Bahnhof von Vytka (Kirov), sprang er aus dem
­Eisenbahnwaggon, um sich zu Fuß und per Bahn, ohne Geld, ohne
Fahrkarte, nach Omsk durchzuschlagen. Unweit der über 30 000 Ein-
 Der Bolschewist 33

wohner zählenden Kreis- und Verwaltungsstadt der Steppenprovin-


zen am Ufer des Irtysch hielt ihn eine Patrouille der revolutionären
Roten Garden auf. Hier erfuhr er, dass Lenin und seine bolschewisti-
schen Mitstreiter am 25. Oktober 1917 (7. November) in Petrograd die
Macht übernommen hatten. Gerüchteweise war auch zu hören, dass
die Tage der Habsburgermonarchie gezählt seien und dass Politiker
aus seiner Heimat einen jugoslawischen Staat gründen wollten.
Die Rotgardisten brachten ihn in einem ehemaligen Kriegsgefan-
genenlager unter. Dort meldete er sich, ebenso wie zahlreiche andere
deutsche und österreichisch-ungarische Kriegsgefangene, überwie-
gend Polen, Tschechen und Ungarn, als Freiwilliger zu den Interna­
tionalen Roten Garden. Kämpfen durfte er nicht, stattdessen musste
er Wach- und Reparaturdienste an der Transsibirischen Eisenbahn
verrichten. Hier gab es nicht viel zu erleben: Omsk wirkte armselig,
« anstrengend und langweilig », beschrieb der sowjetische Botschafter
Ivan Maiski seine Heimatstadt, da sie « im Winter im Schnee unter-
geht und im Sommer im Staub erstickt und im Herbst und Winter
von einem undurchdringlichen Nebel verhüllt wird ».7
Die dreizehnjährige Pelagija Denisowa Belousowa war sehr von
dem 25-jährigen Rotgardisten « Josif Brozović » angetan, den sie im
November 1917 in Omsk kennenlernte. Die Tochter eines Arbeiters
aus Petersburg, eines Bolschewisten, der nach Sibirien verbannt wor-
den war, ähnelte dem Typ seiner Mutter Micika: ausgesprochen
hübsch, blond, hochgewachsen und bodenständig. Der schüchterne
Backfisch bewunderte den sympathischen Kroaten, der couragiert
auftrat und in heiklen Situationen um keinen zündenden Einfall und
schnellen Entschluss verlegen war. « Wie ein Fisch im Wasser » bewegte
er sich in der Revolution, erzählte sie später. Besonders gefiel ihr, dass
er einen unverwüstlichen Optimismus ausstrahlte.8
Kurz nach der Oktoberrevolution brach in verschiedenen Lan-
desteilen ein Bürgerkrieg zwischen der bolschewistischen Roten Armee
und ihren konservativ-nationalistischen Gegnern, den Weißen, aus.
Omsk fiel im Juni 1918 in die Hände des antibolschewistischen Admi-
rals Alexander Koltschak, der dort im November den Sitz seiner Sibi-
rischen Regierung aufschlug und eine rigorose Militärdiktatur errich-
34 Petrograd, 23. Februar 1917 

tete. Da die Weißen im eskalierenden Bürgerkrieg immer wieder das


Gebiet nach Rotgardisten durchkämmten, floh Josip Broz in die
Steppe, wo er Unterschlupf beim kirgisischen Stammesführer Isaij
Dschaksenbajew fand. Dieser war ein außergewöhnlich reicher, mäch-
tiger und eitler Mann, der eine Dampfmühle, mehr als zweitausend
Pferde und zwanzig Ehefrauen besaß. Er schätzte den sympathischen
« Josif », der als Mechaniker nicht nur Reparaturen ausführen, sondern
seit Kindesbeinen auch gut reiten konnte.
Während in der gesamten Region der Bürgerkrieg tobte, lebte
Broz mit den muslimischen Halbnomaden im Zelt, mehr schlecht als
recht in ihrer Turksprache radebrechend und manchmal angetan mit
der lokalen Tracht. Von Zeit zu Zeit fuhr er mit dem Pferdewagen in
die 65 Kilometer entfernte Stadt, um bei den Eisenbahnern Maschi-
nenöl zu besorgen sowie seine Genossen und seine Verlobte Pelagija,
genannt Polka, zu treffen. « Dauernd lauerte irgendwo eine Gefahr »,
berichtete er nach Jahren. Zum Beispiel, als sie einmal mit ihren alten
Bauernschlitten nach Omsk fuhren, « mein Kirgise, sein Sohn, ein
Knecht und ich ». Unterwegs wurden sie von vier uniformierten Män-
nern der Weißen angehalten. « Los, bring’ den um, worauf wartest du »,
rief einer und zeigte auf den Knecht, weil der kein Russisch verstand.
« Nicht, – das ist nur der Knecht! », schrie Broz. Die Männer ließen
von ihm ab, richteten ihre Gewehre daraufhin aber auf Isaij, um ihm
seinen Gürtel mit den Goldmünzen abzunehmen. Broz verhielt sich
unauffällig und ließ den Revolver, den er zur Verteidigung dabeihatte,
stecken. Nachdem auch er seinen Geldbeutel ausgehändigt hatte,
­zogen die vier ab. « Der Kirgise war furchtbar wütend, dass er so viel
Geld verloren hat … und dass ich nicht geschossen habe …, aber
­allein gegen die vier hätte ich gar nichts ausrichten können. »9
Erst nachdem die Rote Armee im November 1919 das Koltschak-
Regime wieder aus Omsk vertrieben hatte, nahm Broz Abschied von
den Kirgisen, die er als einfach und ehrlich beschrieb. Mit einem
großzügigen Abschiedsgeschenk des Stammesführers kehrte er in die
Stadt zurück. Im Januar 1920 schlossen er und Polka in der orthodo-
xen Kirche von Bogoljubskojsko die Ehe.
Bis ins hohe Alter betonte Tito, wie sehr ihn die Erfahrungen in
 Der Bolschewist 35

Russland geprägt hätten. Er erlebte den Zusammenbruch des multi-


nationalen Zarenreiches sowie den Aufbau eines radikal neuen Gesell-
schaftssystems. Als die Protestwelle in so rasanter Geschwindigkeit
durch ganz Russland rollte, verspürte und verstand er die Dynamik
des Wandels. Revolutionen seien umstürzende Ereignisse in der Psy-
chologie von Menschen, befand er später. « Sie verändern Meinungen,
Weltanschauungen. »10
Die Oktoberrevolution erschien als säkulares Ereignis, das seine
eigene Zukunft in ein ganz neues Licht stellte. Erstens waren es vor
allem Bauern, die die Eigentums- und Machtverhältnisse in Russland
zum Einsturz brachten, und warum sollte so etwas nicht auch in sei-
ner Heimat möglich sein? Zweitens war dies eine erfolgreiche Bewe-
gung für die Selbstbestimmung der Völker, die es auch im Habsbur-
gerreich gab. Und drittens handelte es sich um eine proletarische
­Revolution, die die sozialistischen Bewegungen andernorts anspornen
und stützen würde, und nicht zuletzt den lebenden Beweis, dass sich
der Marxismus in die Praxis umsetzen ließ.
Die Erfahrung radikaler Umbrüche, die die Bolschewisten ge-
waltsam herbeigeführt hatten, bestärkten ihn in seinen politischen
Einstellungen, weiteten seinen Erwartungshorizont und bekräftig-
ten seinen Glauben an die Kraft des eigenen Handelns. Bis ins hohe
Alter kam er immer wieder auf dieses zentrale Erleuchtungs- und
Erweckungserlebnis zurück. « Für mich ist Lenin ein großer Mann,
der größte », bekannte er noch 1974 gegenüber einem Journalisten.
« Er hat mit der Oktoberrevolution eine neue Epoche der Mensch-
heitsgeschichte eröffnet … die Gesellschaft und die Welt vorange-
bracht. »11
Als einer, der unvorhergesehen zum Zeitzeugen weltverändern-
der Ereignisse wurde, lernte Broz beiläufig alles, was zum Revolutio-
närsein dazugehörte, nämlich nicht nur Waffengewalt, sondern auch
politische Überzeugungsarbeit auf Versammlungen, öffentliches Re-
den und Agitation. Damals kam er auch mit der bolschewistischen
Partei in Kontakt, aber sein Aufnahmeantrag ging in den Revolutions-
wirren unter. Eine maßgebliche Rolle im Geschehen reklamierte er
nicht. « Mein Anteil an der russischen Revolution ist unbedeutend »,
36 Petrograd, 23. Februar 1917 

gab er 1945 zu, « obwohl ich … sympathisiert habe und etwas mitge-
holfen. »12
Nicht zuletzt machte er in dieser Zeit existentielle Grenzerfah-
rungen, die seine Persönlichkeit prägten. Bedrohliche Situationen
durchlitt er viele: Auf Todesangst im Schützengraben folgte eine
­lebensgefährliche Verwundung, auf Kriegsgefangenschaft und Befrei-
ung der Vernichtungsfeldzug der antibolschewistischen Weißen im
Russischen Bürgerkrieg. « Da muss der Reflex gut funktionieren, …
man muss geistesgegenwärtig sein und ruhig Blut bewahren », erzählte
er rückblickend. In brenzliger Lage stahlharte Nerven zu behalten,
gehörte später zu seinen außergewöhnlichsten Qualitäten. « Selbst­
beherrschung muss man lange üben. »13
Den Rotgardisten Josif Brozović, dem eine Karriere im revolu­
tionären Russland offengestanden hätte, zog es in die Heimat. In der
Zeitung las er, dass in Kroatien die Bauern rebellierten und dort
­revolutionäre Zustände herrschten. Ebenso wie tausende andere deut-
sche und österreichisch-ungarische Kriegsgefangene traten er und
seine schwangere Frau Pelagija im Frühjahr 1920 die Heimreise an.
In schmutzigen, überfüllten Bahnwaggons zuckelte der «  Maxim
Gorki »-Zug allein drei Wochen lang bis nach Petrograd. In Narwa be-
stieg das Paar das Schiff nach Stettin, von wo es weiter durch Polen,
Deutschland und Österreich bis nach Kroatien ging.
In Zagreb erfuhr er, dass die geliebte Mutter gestorben, das Haus
in Kumrovec verkauft und der Vater weggezogen war. Der Tod der
Mutter « war der schwerste Schlag in meinem Leben », bekannte er
später, und seine Frau Polka sah ihn zum ersten und einzigen Mal in
Tränen.14 Aber Josip, im langen Fellmantel, mit hohen Schaftstiefeln
und einer Pelzmütze, auf der noch der Abdruck des fünfzackigen
­roten Sterns zu erkennen war, gab sich kämpferisch. « Als Joža 1920
aus Russland zurückkam », erzählte seine Tante Ana, « war er besessen
von der Revolution und von Lenin und dem Kommunismus, und ich
dachte dauernd, der ist doch verrückt. »15
 Der Bolschewist 37

Kairos der Weltrevolution

Josip Broz reiste in eine ganz neue Zukunft, in einen Staat,


der historisch nie existiert hatte. Im Juli 1917 hatten Vertreter der
­Serben, Kroaten und Slowenen auf der griechischen Insel Korfu, wo
die serbische Exilregierung während des Weltkrieges Zuflucht gefun-
den hatte, erklärt, sie würden einen gemeinsamen südslawischen, also
jugoslawischen, Staat schaffen. Sie glaubten, Nachfahren eines einzi-
gen Urvolkes zu sein, da sie Sprache, Volkskultur und Mythen teilten.
Dieses gelte es nun als jugoslawische Nation in einem freien Staats­
wesen wiederzuerwecken. Weil Kroaten, Serben, bosnische Muslime
und andere Gruppen in vielen Regionen eng miteinander vermischt
lebten, war die jugoslawische zuallererst eine pragmatische, aber auch
eine idealistische Idee. Man wollte unter verschiedenen Namen sowie
mit gleichberechtigten Religionen, Schriften und nationalen Symbo-
len selbstbestimmt zusammenleben. So verständigten sich die Poli­
tiker auf eine konstitutionelle, demokratische und parlamentarische
Monarchie unter der Dynastie Karađorđević, die seit 1903 das König-
reich Serbien regierte.
Nachdem das Habsburgerreich im Oktober 1918 endgültig zu-
sammengebrochen war und der Weltkrieg zu Ende ging, konnte Prinz-
regent Alexander Karađorđević am 1. Dezember 1918 das Königreich
der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS) proklamieren. Noch im
selben Monat bildeten die Vertreter von Slowenen, Serben und Kroa-
ten eine gemeinsame Regierung, in der alle größeren politischen Par-
teien des bürgerlichen Lagers repräsentiert waren. Per Manifest ließ
der Regent alle Rechte und Freiheiten, die bislang schon im König-
reich Serbien galten, auf das gesamte Staatsgebiet ausweiten. Die
neuen Machthaber waren entschlossen, ein fortschrittliches Gemein-
wesen aufzubauen, das mit der westlichen Welt mithalten würde. Sie
würden in dem bitterarmen Land unter anderem ein allgemeines
Wahlrecht für Männer, Agrarreformen, einen Sozialstaat, die Schul-
pflicht und eine moderne Gesundheitsversorgung einführen.
Mit seinen zwölf Millionen Einwohnern war dieses erste Jugosla-
wien so disparat wie sonst keiner der neu gegründeten Staaten. Ser-
Kärnten Plattensee
UNGARN Die Gründung des Königreichs 38

T h e is
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I TA L I E N Steier- der Serben, Kroaten und Slowenen 1918
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Österreich-Ungarn
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Zagreb Batschka ungarischer Teil
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Slawonien Banat
österreichischer Teil
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Istrien Kroatien e Bosnien-Herzegowina
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25.11.1918 Do

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angestrebte, aber nicht
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Zadar Sarajevo
tatsächliche Staats-
Dalmatien 26.11.1918 grenze
S
Petrograd, 23. Februar 1917 

Herze-
Mostar SERBIEN Vereinigung mit Serbien
Bracˇ
Hvar gowina
Amselfeld
Korcula
ˇ Montenegro Pristina
ˇ BULGARIEN
Adriatisches Podgorica Kosovo
Dubrovnik

Metohija
Meer
Skutari-See Skopje

Makedonien
ALBANIEN
I TA L I E N Tirana
Ohrid-See
KEI

GRIECHENLAND Ägäis
0 20 40 60 80 100 km
TÜR
 Der Bolschewist 39

bien (mit Makedonien und Kosovo) sowie Montenegro waren einst


osmanisch gewesen, seit 1878 aber bereits souverän. Dort lebte eine
überwiegend orthodoxe und teils auch muslimische Bevölkerung. Die
katholischen Länder Sloweniens und Kroatiens gehörten hingegen bis
1918 zur österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, ebenso wie
zuletzt auch das islamisch geprägte Bosnien-Herzegowina. So kamen
Regionen mit ganz unterschiedlichen ethnisch-religiösen Gliederun-
gen zueinander. Etwa 39 Prozent der Bevölkerung waren orthodoxe
Serben, geschätzte 24  Prozent waren katholische Kroaten und
8,5 Prozent Slowenen, die übrigen gehörten zu zahlreichen weiteren
Nationalitäten, darunter auch Muslime und Juden. Disparat war der
neue Staat zudem in Hinblick auf die sozialen, wirtschaftlichen, recht­
lichen und kulturellen Verhältnisse. Zwischen dem industriell bereits
fortgeschrittenen Slowenien und dem agrarischen Bosnien, Kosovo
und Makedonien, wo die große Bevölkerungsmehrheit nicht einmal
lesen und schreiben konnte, herrschte ein riesiges Entwicklungs­
gefälle. Eine « jugoslawische » Nation existierte somit in vieler Hinsicht
nicht, wohl aber die Hoffnung, dass die verschiedenen südslawischen
« Stämme » zum Volk der « Serbo-Kroato-Slowenen » verschmelzen
würden. « Auf der Grundlage unserer gemeinsamen Herkunft haben
wir », erklärte Prinzregent Alexander im März 1919, « unter unter-
schiedlichen Einflüssen … unsere gemeinsamen und unsere jeweils
besonderen Merkmale entwickelt, immer in Erinnerung und wissend,
dass wir Brüder, dass wir EINS sind. »16
Aufgrund der sehr ungleichen Ausgangsvoraussetzungen prallten
verschiedenste Vorstellungen über die künftige innere Ordnung auf­
einander, seit serbische, kroatische und slowenische Politiker began-
nen, über den gemeinsamen Staat zu verhandeln. Welche ethnischen
Gruppen gehörten genau zur jugoslawischen Nation? Sollte das Ge-
meinwesen föderalistisch oder zentralistisch verfasst sein? Und wo
­lägen seine Grenzen? Ungeachtet dessen erfüllte die Gründung Jugo-
slawiens eine lange gehegte Sehnsucht sehr vieler Menschen nach
­einer souveränen Nation. Zudem: In einem größeren Gemeinwesen
wären alle Landesteile wirtschaftlich stärker und auch besser gegen
Annexionswünsche der Nachbarn gefeit als in einzelnen Zwergstaa-
40 Petrograd, 23. Februar 1917 

ten. Die Großmächte ließen sich trotz gewisser Bedenken schließlich


überzeugen, den Südslawen das Selbstbestimmungsrecht und somit
auch ihr gewünschtes Königreich zuzugestehen. Französische und
britische Politiker hofften, einen Schutzwall gegenüber dem bolsche-
wistischen Russland und den Revisionsmächten, vor allem Deutsch-
land und Österreich, zu errichten. Trotz diverser Grenzstreitigkeiten
wurde der Staat der Serben, Kroaten und Slowenen auf der Pariser
Friedenskonferenz im Mai 1919 völkerrechtlich anerkannt.
Erneut war Broz in ein revolutionsbesessenes Zeitalter geworfen.
Die Monarchie war in einem furchtbaren Weltkrieg untergegangen,
der Millionen Tote, Invaliden und Flüchtlinge hinterließ. Allein Ser-
bien hatte etwa 540 000 Soldaten und Zivilisten verloren, etwa zwölf
Prozent der Bevölkerung – der höchste Verlustanteil in ganz Europa.
Riesige Gebiete waren vollkommen verwüstet, und das in einem der
ärmsten Länder Europas. Der Historiker Dušan Bilandžić erinnerte
sich, dass in seiner Heimat, dem dalmatinischen Hinterland, noch in
den zwanziger Jahren « niemand Schuhe oder einen Anzug trug, und
keiner hatte eine Uhr zuhause. Die Mädchen kämmten sich die Haare
nicht vor dem Spiegel, sondern über klarem Wasser. »17 Sechs von
zehn Kindern starben dort vor dem fünften Lebensjahr.
Prekäre Lebensverhältnisse waren eine weit verbreitete Erschei-
nung. Drei Viertel der Bevölkerung im SHS-Staat lebten am Rande
des Existenzminimums oder darunter. Das waren Klein- oder Zwerg-
bauern mit einem Besitz von weniger als fünf Hektar Land sowie
Lohnarbeiter, Lehrlinge, Gesellen, Gehilfen und Hausbedienstete.
Lediglich ein Fünftel der Einwohnerschaft gehörte zur mittleren Ein-
kommensschicht, die gut über die Runden kam: Landwirte mit bis zu
zwanzig Hektar Grundbesitz, des Weiteren Handwerker, Kaufleute,
Angestellte, Beamte, Lehrer, Berufsoffiziere und Kleinunternehmer.
Nur etwa drei Prozent gehörten zu der schmalen Gruppe der Wohl-
habenden, wie bestimmte Staatsfunktionäre, Großgrundbesitzer, bes-
serverdienende Freiberufler und Unternehmer. Und nur sie hatten
künftig das Sagen im Staat.18
Krieg und Besatzung verursachten noch auf lange Zeit verhee-
rende soziale und ökonomische Probleme. Seit 1914 waren die Brot-
 Der Bolschewist 41

preise um das 40-Fache, die für Kartoffeln und Salz um mehr als das
70-Fache gestiegen. Die Energieversorgung und die Industrie lagen
brach, zehntausende Arbeiterfamilien waren ohne Einkommen.19
Hungerrevolten und Rechtsanarchie erschütterten das Land. In den
habsburgischen Gebieten zogen seit Herbst 1918 marodierende und
plündernde Deserteure der k. u. k.-Armee, ehemalige Kriegsgefan-
gene und gewöhnliche Banditen als « Grüne Kader » durchs Land.
Lang aufgestaute revolutionäre Stimmungen von Arbeitern und land-
loser Bauernschaft entluden sich in gewaltsamem Aufruhr. Im Süden,
in Makedonien und im Kosovo, kämpften Freischärler gegen die
neuen Landesherren. Die Aufstände wurden von den serbischen
Streitkräften niedergeworfen.
Nun, da das große Schlachten endlich vorüber war und sich die
Weltordnung auf Trümmern neu sortierte, überschlug sich die Eupho-
rie über eine bessere Zukunft. « Es herrschte eine ungesunde, trügeri-
sche, doch erregende, mächtige Atmosphäre unbegrenzter Möglich-
keiten auf allen Gebieten », beschrieb der Schriftsteller Ivo Andrić die
Situation. « Etwas von der Üppigkeit und dem Chaos des Goldlandes
Eldorado war in dem Leben und Aussehen … eines großen Staates
zu entdecken, der noch nicht einmal über feste Grenzen, eine innere
Organisation und einen endgültigen Namen verfügte. »20 Wie überall
in Europa schwelgten Intellektuelle, Künstler und Schriftsteller in
der Utopie einer gerechten Gesellschaftsordnung und eines neuen,
moralisch höherstehenden Menschen. Der Schriftsteller Miloš
­Crnjanski, ein Expressionist, erklärte, der Krieg habe auf Leichen­
bergen und Trümmern neue Leidenschaften, neue Gedanken, neue
Gesetze und neue Moralvorstellungen geboren. Seine Generation
fühle wie eine Sekte: « Unruhe und Umsturz, im Wort, im Empfinden,
im Denken. »21 Wann würde es je wieder so weite Handlungs- und
­Gestaltungsmöglichkeiten geben?
Zehntausende Zeitzeugen der russischen Revolution strömten ins
Land: Russen und Ukrainer, die vor den Bolschewisten geflohen
­waren, und Südslawen, die aus Kriegsgefangenschaft heimkehrten.
Unter ihnen waren etliche Anhänger Lenins, die in Russland die ers-
ten kommunistischen Parteiorganisationen aufgebaut hatten. « Wir
42 Petrograd, 23. Februar 1917 

haben viel für die russische Revolution getan », erläuterte der Heim-
kehrer Ljubomir Mojin, « aber das reicht nicht, wir müssen dasselbe
bei uns zuhause machen, wenn wir uns als [echte] Revolutionäre be-
trachten wollen. »22 Bis Februar 1919 trafen 95 parteiaktive kom­
munistische Kriegsgefangene, elf Agitatoren und zwei Kuriere aus
Sowjetrussland ein, um bolschewistische Propaganda zu verbreiten,
Parteistrukturen aufzubauen sowie Massendemonstrationen und
Streiks zu organisieren.23
In ganz Europa waren die Kommunisten überzeugt, dass in Russ-
land die Weltrevolution begonnen habe. Waren nicht im April 1919 in
Ungarn und in Bayern schon die ersten Räterepubliken entstanden?
Unausweichlich würde die revolutionäre Welle auch über dem SHS-
Staat zusammenschlagen. In der ersten Hälfte 1919 kam es in Mari-
bor, Karlovac, Varaždin und Osijek zu lokalen bolschewistischen Auf-
ständen. Demonstrationen zum 1. Mai 1919 und der Internationale
Streiktag gegen die alliierte Intervention im Russischen Bürgerkrieg
am 21. Juli 1919 legten mehrere größere Städte lahm. « Alle Fabriken,
alle Werkstätten, alle Hotels und Kaffeehäuser, der ganze Eisenbahn-
und Tramverkehr, die Schifffahrt, der Post- und Telefondienst usw.
waren im Ausstand », erinnerte sich ein Zeitgenosse.24 Der Schriftstel-
ler Miroslav Krleža beobachtete auch an Josip Broz « eine einfache,
aber merkwürdig hartnäckige, man könnte sagen, starrköpfige Sicher-
heit », dass die russische Revolution einen weltweiten Prozess in Gang
gesetzt hatte, der nicht mehr aufzuhalten war.25
Das revolutionäre Experiment, von dem die Russland-Heim­
kehrer berichteten, vermochte Unzufriedene aller Schichten zu faszi-
nieren. Es lenkte Träume, Sehnsüchte und Heilsversprechen in Rich-
tung radikaler, vermeintlich alternativloser Zukunftsentwürfe. Als
Kriegsheimkehrer aus Russland berichteten, « wie die Revolution die
alte Ordnung zerstört hat », drängten immer mehr Menschen in die
sozialistischen Organisationen, schilderte ein Landwirt die Situa-
tion.26 Die Leute hätten zugehört « und angefangen nachzudenken,
wie man bei uns etwas Ähnliches machen kann », erläuterte Tito.27
Derweil echauffierte sich der Sozialdemokrat Vitomir Korać, der für
Reform statt Revolution eintrat, dass die südslawischen Bolschewis-
 Der Bolschewist 43

ten gar nicht wüssten, was Freiheit bedeute und wer das Proletariat
sei. « Aber es gab so viele Quellen der Unzufriedenheit, dass die Frage,
wohin die Reise geht und wo sie hinführt, ganz beiseitegeschoben
wurde. »28
1919 schlossen sich die sozialistischen und Arbeiterparteien der
jugoslawischen Landesteile zusammen und nannten sich im Folgejahr
Kommunistische Partei Jugoslawiens (KPJ). Sie bildete einen Ver-
bund regional, organisatorisch und ideologisch relativ unabhängig
voneinander agierender Gruppierungen und war, wie die gesamte
­Arbeiterbewegung Europas, in rivalisierende Lager gespalten. Denn
wenngleich es eine wachsende Schicht von Lohnarbeitern in Indus­
trie, Bergbau, Werften, Handwerksbetrieben und in der Landwirt-
schaft gab, existierte noch keine « proletarische Klasse » mit einiger­
maßen einheitlichen Interessen, Lebens- und Bewusstseinsformen.
Nur jeder zehnte SHS-Bürger war in den zwanziger Jahren in Indus-
trie und Gewerbe beschäftigt. Die kommunistische Partei war in den
Städten und gewerblichen Regionen stark, wo sich diese Betriebe
­konzentrierten und wo es eine kritische Masse an Intellektuellen,
Studenten und Schülern gab, die sich für marxistische Ideen begeis-
terten. Die meisten Anhänger fand die KPJ bei den Arbeitern der Me-
tall- und in der Textilindustrie sowie in Bergwerken, Verkehrsbetrie-
ben und im Bauwesen. Auch unter den armen Bauern in Dalmatien,
Montenegro und Makedonien, die auf zusätzliche Lohneinkommen
angewiesen waren, verzeichnete sie Rückhalt. Ende 1920 besaß die
KPJ rund 65 000 Mitglieder; außerdem kontrollierte sie die Gewerk-
schaften, in denen etwa 210 000  Männer und Frauen organisiert
­waren.29
Noch auf ihrem Gründungskongress trat die KPJ der von den
russischen Bolschewisten beherrschten Dritten Internationale bei. Im
Unterschied zu ihrer Vorgängerin, der Zweiten Internationale, begriff
sie sich nicht als Zusammenschluss nationaler Parteien, sondern als
einheitliche Organisation. Mehr als zweihundert Delegierte aus
37 Ländern hatten auf dem Gründungskongress im Juli und August
1920 beschlossen, zu Sektionen einer gemeinsamen « Weltpartei des
Proletariats » zu verschmelzen. Die KPJ unterwarf sich in der Folge-
44 Petrograd, 23. Februar 1917 

zeit strengen Organisations- und Verhaltensregeln, zum Beispiel auch


dem Ziel, sich in eine Kampf- und Kaderpartei « neuen Typs » zu ver-
wandeln. Kernpunkte waren eine monolithische Struktur, Partei­
arbeit in den Betrieben und ein strikter Zentralismus.30
Die Komintern sah es als ihre « internationale Pflicht » an, die kom-
munistischen Parteien und Gruppierungen im Ausland « in jeder
Weise » zu unterstützen, das hieß: zu beaufsichtigen. Das Exekutiv­
komitee, die Präsidentschaft und das siebenköpfige politische Sekre-
tariat waren per Statut befugt, Beschlüsse und Programme der etwa
sechzig nationalen Sektionen zu genehmigen oder aufzuheben, die
dortigen Führungen zu ernennen und zu entlassen oder sogar ganze
Parteien aufzulösen. Alle wichtigen Programmdokumente, politischen
Strategien und konkreten Maßnahmen wurden mit der Zentrale abge-
stimmt und von ihr genehmigt, oft sogar entworfen und vorbereitet.
Zu den Befugnissen der Komintern gehörte es, Direktiven und offene
Briefe zu versenden, « Emissäre » oder « Vertreter » vor Ort einzusetzen,
finanzielle Hilfen auf geheime Konten einzubezahlen sowie die aus-
ländischen Parteikader auszuwählen und auszubilden. Eine zentrale
Aktivität bestand darin, den Sektionen konspirative « Technik » bereit-
zustellen, also gefälschte Pässe, Chiffren sowie nachrichtendienstliche
Infrastruktur.
Zum Schrecken der alten Eliten schnitten die Kommunisten bei
den Kommunalwahlen im August 1920 landesweit gut ab. In einigen
größeren Städten, wo es viele Industriearbeiter gab, eroberten sie
­sogar die Mehrheit in den Rathäusern. Zum Beispiel gewannen sie in
Zagreb 39 Prozent und in Belgrad 34 Prozent der Stimmen. Aber als
am 26. August 1920 der frisch gewählte kommunistische Bürger­
meister Filip Filipović im Rathaus von Belgrad zur feierlichen Amts-
übergabe erschien, wimmelte es dort von Polizei. Im Sitzungssaal
hielt ihm sein Vorgänger einen ministeriellen Schrieb unter die Nase,
der ihn noch vor Amtsantritt suspendierte. « Ich bin hier nur das aus-
führende Organ », schnauzte der Altbürgermeister. « Beschweren Sie
sich doch! »
Aus Protest gegen den gesetzwidrigen Rauswurf aus dem Rat-
haus – außer dem gewählten Bürgermeister in Belgrad war auch der
 Der Bolschewist 45

in Zagreb betroffen  – sprachen die kommunistischen Abgeordneten


bei Innenminister Milorad Drašković vor. « Solange dieses Land eine
Monarchie ist und es eine bürgerliche Regierung gibt, können die
Kommunisten nicht im Rathaus der Hauptstadt herrschen », erklärte
er ihnen lakonisch. Alle juristischen Spitzfindigkeiten solle man sich
besser sparen. « Hier geht es um die Frage: wir oder ihr … Wir wollen
kein Blutvergießen, … aber, wenn es nötig sein sollte, wären wir auch
dazu bereit. »31
Im Vorfeld der Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung
am 28. November 1920 versuchten die erbosten Kommunisten, mit
Massenstreiks und gewaltsamen Ausschreitungen eine revolutionäre
Atmosphäre zu erzeugen. Die KPJ errang fast 200 000 Wählerstim-
men, das waren landesweit rund 12,4 Prozent. Sie bildete hinter den
serbischen Parteien der Demokraten und Radikalen sowie der Kroa­
tischen Bauernpartei nach Stimmen die viertstärkste Kraft im Land
und aufgrund der Wahlkreiseinteilung sogar die drittgrößte Fraktion
in der Konstituante.32 In der Nacht vom 29. auf den 30. Dezember
1920 erließ Prinzregent Alexander deshalb die Obznana (Bekannt­
machung). Bis zur Verabschiedung einer neuen Verfassung waren
sämtliche Aktivitäten von Gewerkschaften und kommunistischer Par-
tei verboten. Wer zum Generalstreik aufrief, wurde bis zu einem
­Monat eingesperrt. Es kam zu Massenprotesten.
Als im Juni 1921 ein Attentatsversuch auf Prinzregent Alexander
scheiterte und daraufhin im folgenden Monat ein junger bosnischer
Kommunist den verantwortlichen Innenminister ermordete, erließ
die Regierung zwei Monate später das Gesetz zum Schutz des Staates.
Die KPJ wurde verboten, ihre Mandate wurden annulliert. Die kom-
munistischen Abgeordneten sowie führende Gewerkschafter wurden
verhaftet. Der Attentäter wurde hingerichtet. Seitdem stand die Ver-
breitung kommunistischen Gedankenguts unter schwerer Strafandro-
hung. Führende Kommunisten gingen ins Exil, meistens nach Wien,
Prag und Paris. Wichtige Parteikongresse fanden seither im Ausland
statt. 1924 zählte die KPJ kaum noch tausend Aktivisten im ganzen
Land.33
Fortan bestimmten vor allem die etablierten serbischen Parteien
46 Petrograd, 23. Februar 1917 

im Zusammenwirken mit dem Hof und der Generalität die jugosla-


wische Innenpolitik. Am 28. Juni 1921, dem Jahrestag der Schlacht
auf dem Amselfeld 1389, verabschiedete das Parlament, die
Skupština, mit knapper Mehrheit die neue Verfassung. Viele kroati-
sche und slowenische Abgeordnete boykottierten die Abstimmung,
weil die so genannte Vidovdan-Verfassung nur ein einziges « dreina-
miges Volk » anerkannte und keinerlei föderale Rechte. Unitarismus
und Zentralismus mussten zu einer starken Übermacht der serbi-
schen Eliten im Staat führen. Der Monarch erhielt das Recht, das
Parlament einzuberufen und aufzulösen sowie die Regierungen zu
ernennen. Ein solches Königreich schien Politikern ganz unter-
schiedlicher Herkunft und Couleur nicht viel anderes zu sein als ein
erweitertes Serbien.

Frühe politische Arbeit

Im November 1920, inmitten innenpolitischer Turbulenzen,


fing Broz in Zagreb für einen schmalen Stundenlohn von dreieinhalb
Dinar als Schlosser an. Er erneuerte seine Mitgliedschaft in der Ge-
werkschaft und trat der KPJ bei. Er half im Wahlkampf für die Verfas-
sungsgebende Versammlung, beteiligte sich an Streiks und hielt min-
destens einen Vortrag im Haus der Gewerkschaften, den er mit den
Worten « Nur durch den bewaffneten Kampf kann die Arbeiterklasse
an die Macht gelangen! » schloss.
Anfang 1921 übernahm er eine Stelle als Mechaniker bei einer
Motormühle in Veliko Trojstvo nahe der Kleinstadt Bjelovar. Er ver-
diente jetzt besser, etwa so viel wie ein Lehrer, konnte mit seiner Frau
eine kleine Wohnung mieten sowie Möbel und Kleidung anschaffen.
Zum bescheidenen Wohlstand gehörte eine kleine Bibliothek von etwa
fünfzig Büchern, in der Werke von Maxim Gorki, August Bebel, Jack
London, Miroslav Krleža, Lew Tolstoj und Honoré de Balzac stan-
den. Er begann, sich in den vom Staat geduldeten Unabhängigen
­Gewerkschaften zu engagieren und in der illegalen Parteiarbeit. « Ich
bin doch nicht aus Russland zurückgekommen, um nur so vor mich
hinzuleben und nichts Revolutionär-Politisches zu tun », erzählte er
Jahrzehnte später im Fernsehen.34
 Der Bolschewist 47

Zagreb,
zwanziger Jahre

Als er sich Anfang 1924 in das geheime Ortskomitee der KPJ in


Križevci wählen ließ, zog es ihn immer tiefer in die illegale Partei­
arbeit hinein. Er warb Mitglieder für die Partei, verteilte Aufrufe und
Flugblätter und hielt politische Versammlungen mit Sympathisanten
ab. Mit einem Genossen fing er an, Gewehre zu sammeln, für alle
Fälle, falls die Revolution doch noch losbrach. Im März 1925 wurde er
zum ersten Mal verhaftet, weil er beim katholischen Begräbnis eines
Genossen eine politische Rede hielt. « Genosse, wir schwören dir, dass
wir bis zum Lebensende für die Ideen kämpfen werden, denen du so
ergeben warst », verkündete er. Dann entrollte er vor den entgeisterten
Trauergästen eine rote Fahne.
Auch Polka war politisch engagiert und trat 1926 der KPJ bei. Ihr
Kroatisch blieb unbeholfen, weshalb sie, wenn sie redete, wild gestiku-
lierte, dabei aber immer so strahlte, dass sie alle mit ihrer Heiterkeit
48 Petrograd, 23. Februar 1917 

ansteckte. Vier Mal wurde sie rasch hintereinander schwanger, aber


zwei Töchter und ein Sohn starben bereits kurz nach der Geburt. Als
im Februar 1924 der kleine Žarko zur Welt kam, war ihr Ehemann
­bereits tief in die politische Arbeit verstrickt, häufig unterwegs, auf
Arbeitsuche oder in Gewerkschaftsangelegenheiten. So war er selten
da, um die Pflichten der Erziehung des trotzigen Kleinkindes mit ihr
zu teilen. Auch brachte er nicht mehr viel Geld nach Hause, seit sein
Chef ihn vor die Alternative gestellt hatte: « Broz, geben sie die Politik
auf oder die Arbeit! »35 Nach dem Rausschmiss fand er im Herbst 1925
eine Anstellung als Mechaniker auf der Werft im kroatischen Kralje-
vica, wo er eine kommunistische Parteizelle und Gewerkschafts-
gruppe aufbaute, Streiks organisierte und Artikel für den « Organi-
sierten Arbeiter » verfasste. Wegen Anstiftung zum nächsten großen
Arbeitskampf wurde er auch dort gefeuert.
Seit dem Zwischenfall auf dem Friedhof und dem einwöchigen
Aufenthalt im Gefängnis stand Broz unter Beobachtung der Polizei.
Fast wöchentlich durchsuchte sie die kleine Einzimmerwohnung der
Familie. Polka, meist allein mit dem Sohn, lebte in ständiger Angst,
ihr Mann werde erneut verhaftet. Es türmten sich Schulden auf. « Du
hast uns immer geschrieben, dass du dieses Jahr kommen würdest »,
klagte sie, als er monatelang unterwegs war. « Žarko und ich haben uns
darauf so gefreut, dass du es dir gar nicht vorstellen kannst. » Als an
Silvester erneut eine Absage kam, « habe ich mich darüber so aufge-
regt, dass ich gar nicht gleich antworten konnte », schrieb sie ihm. « So
wie jetzt können wir auf Dauer nicht weitermachen. »36
Im März 1927 ergriff der 35-Jährige die Gelegenheit, Sekretär
der kroatischen Metall- und Ledergewerkschaft in Zagreb zu werden.
Er hatte sich als mutiger, zugkräftiger Arbeiterführer bewährt. « Die-
ses Ereignis war entscheidend in meinem Leben », schrieb er 25 Jahre
danach. Es begründete seine Karriere als hauptberuflicher Gewerk-
schaftsfunktionär mit einem festen Gehalt, das mit zweitausend Dinar
dem Höchstlohn eines Facharbeiters in seiner Branche entsprach. Er
konnte seine Zeit nun damit verbringen, in den Fabriken für die Ge-
werkschaft zu werben, Streiks zu organisieren, mit den Arbeitgebern
und den Behörden zu verhandeln sowie geheime betriebliche Partei-
 Der Bolschewist 49

Žarko, Pelagija und


Josip Broz, 1927

zellen aufzubauen. Etwa zeitgleich wurde er in das Ortskomitee der


KPJ in Zagreb kooptiert.
Endlich konnte er Frau und Kind zu sich holen. Polka nahm eine
Arbeit als Verkäuferin im Möbelgeschäft « Bothe und Ehrmann » in der
Zagreber Hauptgeschäftsstraße Ilica auf. Auch sie engagierte sich wei-
ter politisch, nun bei der Roten Hilfe, welche politische Gefangene
unterstützte, und in der kommunistischen Frauenkommission. Außer­
dem half sie gelegentlich in der Parteidruckerei mit oder trug Flug-
blätter aus.37 Äußerlich wirkte die Familie Broz gepflegt, fast bür­
gerlich, als sie sich 1927 von einem Fotografen ablichten ließ. Polkas
Bubikopf-Frisur war in modische Wasserwellen gelegt, das Dekolletee
des Charleston-Kleides zierte eine Perlenkette. Josip trug einen ele-
ganten Anzug und der kleine Žarko eine Lederhose. Niemand würde
ahnen, dass die beiden es als ihre Berufung ansahen, eben jene Ord-
nung umzustürzen, die ihr Aufzug repräsentierte.
50 Petrograd, 23. Februar 1917 

Josip Broz war ein patenter Macher, kein Theoretiker, weder eige-
ner noch anderer Ordnung. Ebenso wie sein großes Vorbild Lenin war
er davon überzeugt, dass Revolutionäre nicht lediglich auf den reifen
historischen Moment warten, sondern ihn selbst herbeiführen müss-
ten. Dazu konnte er damals am ehesten beitragen, indem er half, dass
sich immer mehr Menschen der Veränderbarkeit ihrer Lage bewusst
wurden. Nur unter dem Deckmantel der Gewerkschaften hatte die
­illegale KPJ « die Möglichkeit, sich leichter, weniger auffallend und
den polizeilichen Zugriffen minder ausgesetzt innerhalb der breiten
Massen der Arbeiterschaft zu betätigen », schrieb ein Instrukteur der
Komintern.38
Im Unterschied zu den Intellektuellen, die in der KPJ den Ton
angaben, gehörte Broz selbst zu jener bunt zusammengewürfelten
Schicht der Schlosser und Schreiner, Mechaniker und Maschinisten,
Drucker und Schiffsbauer, die es zu befreien galt. In eher ungelenken
Worten verfasste er in dieser Zeit eine Reihe von Reportagen für die
Parteipresse, in denen er die miserablen Arbeitsbedingungen in den
Fabriken, Werften, Bergwerken und Werkstätten anprangerte. « Der
Zustand in den Schlosserbetrieben … ist wie im Mittelalter », schrieb
er 1927. « Die Schlosser arbeiten in unerträglicher Hitze, in stinkenden
Löchern, ohne Ventilation, in Staub und Gestank 14  Stunden und
länger. »39 Wie in Russland sollte systematische Agitation in den Fabri-
ken eine revolutionäre Klasse schaffen. « Wir Genossen … müssen alle
in unsere kämpferische Gewerkschaftsorganisation eintreten und
dann einen energischen Kampf gegen die Ausbeutung der unersätt­
lichen Bourgeoisie führen. »40 Beide Stoßrichtungen seiner politischen
Arbeit gehörten für ihn unmittelbar zusammen: die Verbesserung der
Arbeits- und Lebensbedingungen der proletarischen Klasse mit Hilfe
der legalen Gewerkschaften sowie der revolutionäre Systemwechsel
durch die illegale Partei.
ZAGREB, 7. NOVEMBER 1928 
Der Revolutionär

Der « Bomber-Prozess »

Am 7. November 1928 um elf Uhr trat Josip Broz im großen


Saal des Zagreber Strafgerichts vor seine fünf Richter. « Für diese
Anhörung zeigte die jüngere Arbeiter- und Studentenschaft ein
­
­außergewöhnliches Interesse und drängelte sich in den Gerichtssaal,
bis man sich gar nicht mehr rühren konnte », berichtete der Reporter
der Tageszeitung « Novosti ». « Alles junge Leute, krause Mähnen,
­einige weibliche Bubiköpfe … Dieses ganze seltsame Publikum hört
aufmerksam zu, es steht geduldig und lauscht jedem einzelnen Wort,
bricht bei jeder ironischen Bemerkung des Angeklagten in Gelächter
aus. »1
Der polizeibekannte Gewerkschafter und Chef der illegalen Orts-
gruppe der KPJ war der Polizei drei Monate zuvor ins Netz gegangen.
Seit Juli 1928, als er sich bei einer Razzia der Festnahme durch einen
Sprung aus dem Toilettenfenster der Unabhängigen Gewerkschaften
entzogen hatte, lebte er im Untergrund. Die Polizei fahndete nach ei-
nem dunkelblonden mittelgroßen Mann mit blauen Augen, ovalem
Gesicht und dichten Augenbrauen, langen, schlanken Händen, einer
geraden Nase, fehlerhaften Zähnen und einer Narbe auf dem Mittel-
finger der linken Hand.2
Am 4. August war er nach einem geheimen Parteitreffen im Gast-
garten der « Dampfmühle » auf dem Zagreber Mirogoj gegen 23 Uhr
mit dem Taxi in die Nähe seiner konspirativen Wohnung gefahren.
Die letzten Meter bis zur Vinogradska 46 ging er zu Fuß, die geladene
Browning in der Innentasche seines Mantels. Im Hof war nichts Ver-
dächtiges zu bemerken, aber « als ich gerade hineingehen will, sprin-
52 Zagreb, 7. November 1928 

Auszug aus Titos


­Polizeiakte, 1928

gen von hinten zwei Detektive hervor. Einer schnappt mich an den
Armen, der andere drückt mir den Kopf runter und findet sofort die
Pistole », erzählte er später. « Hätte ich auch nur die Chance von einem
Prozent gehabt, wäre ich geflohen oder hätte geschossen », knurrte er
die Polizisten an. Stattdessen wurde er so fest gefesselt, dass seine
Hände blau anliefen.3
Vier weitere Personen, die in der Vinogradska 46 verkehrten, wur-
den ebenfalls verhaftet. Als die Polizei das Zimmer durchsuchte, das
Broz von einem Genossen für Parteitreffen und zum Übernachten ge-
mietet hatte, fand sie Flugblätter, Briefe mit Direktiven des Zentral-
komitees der KPJ und der Komintern sowie einen weiteren Revolver,
vier Handgranaten (« Bomben ») und eine Kiste mit Munition. Die
­Ermittler waren sich sicher, den Unterschlupf und das zentrale Mate-
riallager des kommunistischen Untergrunds ausgehoben zu haben.
Während seiner Untersuchungshaft in Zagreb trat Broz in Hun-
gerstreik und schmuggelte einen Brief hinaus. Die Komintern ver­
 Der Revolutionär 53

öffentlichte den « Schrei aus der Hölle jugoslawischer Gefängnisse » in


ihrer « Internationalen Presse-Korrespondenz » in Wien in mehreren
Sprachen. « Im Gefängnis hat man mich sehr gefoltert … Die Agenten
drohen mir mit dem Tode. Protestiert und helft mir! »4
Auch auf der Anklagebank wusste Broz seine Zuhörerschaft zu
beeindrucken. Dabei half ihm eine seiner herausragenden Charakter-
eigenschaften: eine Verbindung aus instinktgeleitetem Pragmatismus
und einer unerschütterlichen Zuversicht, durch Willensstärke und
kluges Handeln alle einmal angestrebten Ziele erreichen zu können.
Broz wirkte selbstgewiss und von der Richtigkeit seiner Ideen und sei-
nes Tuns felsenfest überzeugt, was er durch eine aufreizende Mixtur
aus authentischer Lebenserfahrung, ideologischer Heilsgewissheit
und republikanischer Militanz unterstrich. Sein Auftreten war passi-
oniert und schlagfertig, immer wieder auch jähzornig, wobei es zu sei-
nen unumstrittenen großen Begabungen gehörte, sich nach einem
Ausbruch im nächsten Moment wieder vollkommen zurückzuneh-
men und eine extravagante Kaltblütigkeit an den Tag zu legen. « Der
Angeklagte Josip Broz ist zweifellos die interessanteste Person in die-
sem Prozess. Sein Gesicht lässt einen an Stahl denken », konstatierte
der Gerichtsreporter. « Mit hellen Augen blickt er über den Zwicker,
sehr kühl, aber entschlossen und ruhig. »5 Die härtesten Anwürfe, und
das blieb auch später so, nahm Broz unbewegt entgegen, um in einem
ihm passend erscheinenden Moment plötzlich energisch zurückzu-
schlagen.
Die Taktik des Gerichts war, so erkannte Broz, die politischen
­Angeklagten durch Einschüchterung mundtot zu machen. « Ich hätte
an ihrer Stelle das gleiche getan », bekannte er später. Es war klar, dass
ihm eine langjährige Haftstrafe bevorstand. « Ich betrachtete die ganze
Angelegenheit von einer realistischen und praktischen Warte », erläu-
terte er, und so verwandelte er den vollbesetzten Gerichtssaal in eine
politische Bühne. « Es musste unserer Partei vor Augen geführt wer-
den, dass es stolz und ruhmreich ist, Kommunist zu sein … und dass
man für sie auch ins Gefängnis geht, ohne vor der Bourgeoisie zu
­kriechen.  »6
Zum verletzten Stolz wegen der Übertölpelung durch die Polizei
54 Zagreb, 7. November 1928 

und zum Protest gegen die erniedrigende Behandlung als Gefangener


kamen die Verachtung gegenüber einem Regime, das er als verbreche-
risch betrachtete, sowie die unverrückbare, geradezu starrsinnige
Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen. Also teilte er dem
verdutzten Gericht mit, er betrachte es als illegitim, und erklärte, das
Staatsschutzgesetz bewusst verletzt zu haben, obwohl ihm deswegen
eine höhere Strafe drohte. « Ich gebe zu, Mitglied der illegalen Kom-
munistischen Partei Jugoslawiens zu sein, ich gebe zu, den Kommu-
nismus propagiert zu haben », sagte er mit stolzer Miene. Im Übrigen
sei er bereit, für seine Ideale sein Leben zu opfern.7
Als er zum Schlussplädoyer ansetzte, um die Motive seines Tuns
darzulegen, schnitt ihm der vorsitzende Richter scharf das Wort ab.
Aufgrund des Staatsschutzgesetzes wurde er zu fünf Jahren Zucht-
haus verurteilt. Während ihn die Wärter abführten und im Saal allge-
meiner Tumult ausbrach, rief er noch leidenschaftlich: « Es lebe die
Kommunistische Partei! Es lebe die Dritte Internationale! »

Chef der Zagreber Ortsgruppe

Kein halbes Jahr vor seiner Verhaftung war Josip Broz in der
Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1928 zum politischen Sekretär, das
heißt Vorsitzenden, der Zagreber Ortsgruppe gewählt worden, der
größten und einflussreichsten innerhalb der KPJ. An jenem Abend
blies ein eisiger Wind auf dem Pantovčak, dem waldigen Hügel am
­äußersten Stadtrand Zagrebs. Um 20 Uhr war es bereits zu dunkel,
um die Männer deutlich sehen zu können, die sich in gehörigem zeit-
lichen Abstand voneinander, manchmal zu zweit, aber nie mehr als
drei auf einmal, dem kleinen Gasthaus mit der Hausnummer 104 aus
unterschiedlichen Richtungen vorsichtig näherten. Tagsüber kehrten
bei der Familie Šepat vor allem Bauern auf dem Nachhauseweg vom
Markt ein, gelegentlich ein Jäger, aber jetzt wirkte das dörfliche Viertel
wie ausgestorben. Außer den beiden jungen Burschen, die hinter den
Bäumen auf Posten standen, beobachtete niemand, wie etliche obskure
Gestalten mal durch den Vorder-, dann durch den Hintereingang in
die Gaststube schlüpften. Schließlich waren etwa sechzig Genossen
und Gewerkschafter, davon die Hälfte wahlberechtigte Parteimitglie-
 Der Revolutionär 55

der, versammelt, um die achte Konferenz der Zagreber Ortsgruppe


der KPJ abzuhalten.
Die Kommunistische Partei Jugoslawiens befand sich zu diesem
Zeitpunkt in desolatem Zustand. Weil das Staatsschutzgesetz jegliche
kommunistische Betätigung drakonisch bestrafte, besaß die KPJ im
ganzen Land schätzungsweise noch 2500 ordentliche Mitglieder (aber
wahrscheinlich sogar viel weniger). Weitere etwa 3000 waren im Bund
der kommunistischen Jugend SKOJ organisiert und 22 000 in den
Unabhängigen Gewerkschaften.8 Hunderte Kommunisten und Sym-
pathisanten saßen schwere Zuchthausstrafen ab.
Als wäre die Lage nicht verfahren genug, verloren sich die Füh-
rungsleute der KPJ, überwiegend bürgerliche Intellektuelle, in frucht-
losen theoretischen Debatten, während sie in Wirklichkeit um die
Macht stritten. Ausgangspunkt der parteiinternen Auseinanderset-
zungen war die nationale Frage. Der jugoslawische Staat und seine
Verfassung kannten nur eine einheitliche Nation, und auch die meis-
ten Linken, Sozialdemokraten und Kommunisten unterstrichen an-
fangs, dass « Serben, Kroaten und Slowenen … sich als ein [einziges]
Volk fühlen ».9 In der politischen Realität aber zeigte sich, dass die
­Nationalitäten zwar mehrheitlich dieselbe Sprache benutzten, sich
aber aufgrund unterschiedlicher Religionen und Traditionen als
­jeweils eigenständige Völker betrachteten. 1924 beschloss die KPJ,
Serben, Kroaten und Slowenen und gewisser Weise auch bosnische
Muslime, Montenegriner und Makedonier als individuelle Nationen
anzuerkennen. Sie besäßen jeweils das Selbstbestimmungsrecht bis
hin zur Sezession vom « imperialistischen Geschöpf » Jugoslawien.
Idealerweise sollten sie sich nach dem sowjetischen Modell zu einer
südslawischen Bundesrepublik zusammenschließen und womöglich
mit den Nachbarstaaten eine Balkanföderation bilden.
Wie aber könnten die jugoslawischen Kommunisten unter den
herrschenden Bedingungen dieses Ziel erreichen? Die « Rechten » um
Sima Marković in Belgrad leugneten das revolutionäre Potential des
Nationalismus und der Bauernschaft. Sie beharrten auf reinem Inter-
nationalismus und proletarischem Klassenkampf, sahen sogar Spiel-
räume für Reformen im serbisch dominierten Zentralstaat. Die « Lin-
56 Zagreb, 7. November 1928 

ken », die Đuro Cvijić in Zagreb anführte, erkannten darin serbischen


Nationalismus und sozialdemokratische Positionen und forderten eine
radikale Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts, was auf die Auf­
lösung Jugoslawiens hinauslief. Aus dem Konflikt ergaben sich Folge-
dispute: Sollte man die politische Arbeit auf die legalen Gewerkschaf-
ten konzentrieren oder die Partei in der Illegalität zu einem straffen
revolutionären Führungsorgan umbauen? Sollte man die (über­
wiegend national denkende) Bauernschaft einbeziehen oder sich auf
das städtische Proletariat konzentrieren? War der bourgeoise SHS-
Staat reformierbar oder musste er zerschlagen werden?
Josip Broz ärgerte seit längerem, dass die Flügelkämpfe zwischen
Linken, Rechten und Zentristen die Mitglieder demoralisierten, das
operative Geschäft behinderten und die Konspiration gefährdeten.
Als Organisationssekretär war er für die Arbeit in den Betrieben zu-
ständig. Im Vorfeld der Parteikonferenz hatte er alle dreißig kommu-
nistischen Zellen besucht und über die praktische Massenarbeit in­
struiert, derweil die höheren Führungsebenen lediglich seitenlange,
theoretisierende Rundschreiben verschickten, die kein normaler
­Arbeiter verstand. Die Leitung fand zwar, dass einer wie Broz für Agi-
tation und Arbeitskämpfe unerlässlich war, aber die wichtigen politi-
schen und strategischen Fragen wollte man doch lieber unter sich aus-
fechten. Die regionalen Führungen hielten sogar jeden fern, der
­ihnen den von der Komintern bezahlten Posten streitig zu machen
drohte. Broz selbst war aus fadenscheinigen Gründen zwei Jahre
­zuvor nicht von der Belgrader Ortsgruppe aufgenommen worden.
« Dieser Fraktionismus erreichte ein solches Ausmaß, dass es für an-
ständige Kommunisten unmöglich wurde, den Parteiorganisationen
beizutreten », empörte er sich.10 Die verkrusteten Seilschaften miss-
achteten also seine Fähigkeiten und hintertrieben seine Ambitionen.
Aus ideologischen, politischen, praktischen und rein persönlichen
Gründen reizte es ihn, selbst mehr Verantwortung, wenn nicht die
Führung insgesamt, zu übernehmen. Der Facharbeiter und Gewerk-
schafter war ehrgeizig und selbstbewusst genug zu glauben, dass er
mehr Talent als die Intellektuellen besäße, die strauchelnde KPJ auf
Vordermann zu bringen.
 Der Revolutionär 57

Außer den Genossen aus Zagreb hatten sich in dieser kalten Win-
ternacht auch die Kontrahenten des « linken » und des « rechten » Flü-
gels, Đuro Cvijić und Sima Marković, auf dem Pantovčak einge­
funden. Organisationssekretär Broz, der unter dem Pseudonym
Georgijević auftrat, war entschlossen, dem Kräftemessen ein Ende zu
bereiten und die Zagreber Parteiführung zu entmachten. Dazu hatte
er im Vorfeld Verbündete in Stellung gebracht, Beschlussvorlagen und
Aktionspläne sowie einen Brief an die Komintern vorbereitet. Sein ge-
heimer Verbündeter war « der Fette » Andrija Hebrang, ein intelligen-
ter, ruhiger und unbeirrbarer Genosse mit einem ausgeprägten In­
stinkt für diskret einzufädelnde politische Aktionen. Broz war eng mit
ihm befreundet.
Ungerührt ließ Broz alias Georgijević den nicht enden wollenden,
selbstgefälligen Bericht des vorsitzenden Zagreber Parteisekretärs
Dušan Grković an sich abperlen, ehe er sein eigenes Koreferat vor-
trug. Darin schilderte eine düstere politische Lage: Es drohe Krieg
gegen die Sowjetunion und auf dem Balkan, die serbische Monarchie
und Großbourgeoise unterdrückten die anderen Nationalitäten, wäh-
rend die städtischen Arbeiter und die Bauernschaft weiter verarmten.
Die Parteiführung aber sei « nicht auf der nötigen Höhe », attackierte
er den Chef der Ortsgruppe. Es mangele an klarer strategischer Füh-
rung, und darunter leide die praktische Arbeit, wo doch gerade wich-
tige Arbeitskämpfe anstünden. « Fraktionärstum, Sektierertum und
Klüngelei » müssten entschieden bekämpft und praktische Schritte
unternommen werden, um die Parteiarbeit zu verbessern, schloss er
nach einer Dreiviertelstunde.11
In der Gaststube verfolgte der Vertreter der Komintern Wladimir
Sakun alias Mirković den Auftritt des resoluten Parteimannes mit
Wohlwollen. Der Instrukteur arbeitete im Balkan-Sekretariat in Mos-
kau, einem von elf Ländersekretariaten innerhalb des Exekutivkomi-
tees. Er war dafür zuständig, die kommunistischen Parteien in der
­Region aufzubauen und in der praktischen Arbeit anzuleiten. Keine
ihrer europäischen Sektionen, schon gar nicht die illegalen, konnte
ohne Führung sowie finanzielle und logistische Unterstützung der
Komintern existieren. So organisierte die Internationale Verbindungs-
58 Zagreb, 7. November 1928 

abteilung, die OMS, die konspirative « Technik », d. h., sie schulte


Fachleute im Funken, Chiffrieren und Fälschen von Dokumenten.
Ihre Kuriere beförderten Dokumente und Geld zu den Verbindungs-
punkten in Paris, Wien, Prag und Istanbul.
Angesichts der drohenden Selbstzerfleischung der jugoslawischen
Kommunisten nahm der Ukrainer schon seit einiger Zeit als Beobach-
ter an allen Sitzungen und Beratungen der KPJ teil.12 So ist es un-
wahrscheinlich, dass das, was folgte, nicht mit ihm abgesprochen war.
Broz forderte vehement und voller Überzeugungskraft eine mono­
lithische Parteiorganisation bolschewistischen Typs. Das entsprach
ganz der von Stalin vorgegebenen Linie. Dabei bewies er in der Sit-
zung Führungsstärke und Fingerspitzengefühl, als er Ziele und Stra-
tegien klar benannte und die nötigen Mehrheiten hinter sich versam-
melte. Nach vierstündiger Diskussion waren sein Bericht und sein
24 Punkte umfassender Aktionsplan angenommen, mit 27 gegen drei
Stimmen, bei einer Enthaltung. Morgens um fünf Uhr war Josip Broz
mit ebendieser Mehrheit zum neuen politischen Sekretär, also Chef
der Ortsgruppe, gewählt.
Wenige Wochen später traf ein offener Brief der Komintern in
­Jugoslawien ein. Moskau lobte das beherzte Vorgehen des neuen Par-
teichefs in Zagreb für mehr Geschlossenheit und erklärte die alte Par-
teiführung der Gesamt-KPJ, Linke und Rechte, für abgesetzt. Sie
­installierte mit Đuro Đaković eine neue Garde von Funktionären, die
von der Komintern ausgebildet worden waren. Ganz offensichtlich
stammen Broz’ gute und enge Beziehungen zur Komintern bereits
aus dieser Zeit.
Im Frühjahr 1928 organisierte Broz eine Reihe von Großveran-
staltungen und Streiks. Die Strategie war, durch Arbeitskämpfe und
Proteste eine revolutionäre Stimmung zu erzeugen. Trotz Verbots
­demonstrierten am 1. Mai Zehntausende gegen das Großkapital sowie
« gegen Monarchie, Hegemonie und Unterdrückung der nichtserbi-
schen Völker, für echte Selbstbestimmung … bis zur Abspaltung! »13
Weil er, wie das Polizeiprotokoll festhielt, die « Sozialdemokraten-Ver-
sammlung im Apollo-Kino … durch verschiedene Ausrufe störte und
durch diese einer Prügelei zwischen Sozialisten und Kommunisten
 Der Revolutionär 59

Anlass gab », wurde er an diesem Tag verhaftet und mit fünf weiteren
Genossen zu vierzehn Tagen Gefängnis verurteilt.14
Ende Juni 1928 riefen die Unabhängigen Gewerkschaften erneut
zu einer Großdemonstration auf, nachdem ein montenegrinischer Ab-
geordneter im Parlament in Belgrad auf die Fraktion der Kroatischen
Bauernpartei geschossen hatte – ein gezielter Angriff auf Parlamenta-
rismus und Demokratie. Zwei Abgeordnete wurden sofort getötet und
zwei weitere verletzt. Einer von ihnen war der beliebte Oppositions-
führer Stjepan Radić, der für eine kroatische Bauernrepublik kämpfte
und mit seinem « Föderalistischen Block » gegen die serbische Hege-
monie in Regierung, Verwaltung, Armee und Polizei Politik machte. In
den häufig wechselnden Kabinetten der Zwischenkriegszeit waren
unter allen 656 Ministern 452 Serben, aber nur 137 Kroaten, 49 Slo-
wenen und 18 bosnische Muslime vertreten.15 Stjepan Radić polemi-
sierte, in Jugoslawien seien die Kroaten unterdrückt wie nie zuvor; ein
Großteil des Steueraufkommens flösse nach Serbien. Er erlag im
­August den Folgen des Attentats.
Aus Protest gegen den Anschlag auf die Abgeordneten der Bau-
ernpartei brachte die Opposition etwa 30 000  Menschen auf die
Straße. Die Empörung schaukelte sich zum Massenprotest gegen das
Regime auf, bis Arbeiter, Studenten und Bürgerliche lautstark die
­Abschaffung der Monarchie und eine Republik forderten. Die auf­
gebrachte Menge errichtete Barrikaden, es fielen Schüsse. Zurück
blieben mehrere Tote und zahlreiche Verletzte. Mehr als hundert ver-
meintliche Rädelsführer wurden daraufhin festgenommen, und die
Unabhängigen Gewerkschaften, bis dato legaler Arbeitgeber von
Broz, wurden verboten.
In dieser Situation fasste er den Entschluss, das quasi bürgerliche
Dasein aufzugeben und den politischen Kampf im Untergrund fort-
zusetzen. Warum ein Mensch aus freien Stücken Berufsrevolutionär
wird und es trotz aller Risiken für Leib und Leben auch bleibt, kann
die Sozialisation nur bedingt erklären. Der historische Kontext, das
persönliche Umfeld, bestimmte kulturelle Prägungen sowie eigene
Karrierewünsche und zufällige Bekanntschaften wirken daran mit.
Vor allem setzt es bestimmte charakterliche Dispositionen voraus.
60 Zagreb, 7. November 1928 

In Broz’ Wesen verbanden sich starke ideologische Gewissheiten


mit hohen persönlichen Ambitionen. Er war überzeugt, wie er dem
Schriftsteller Krleža auseinandersetzte, dass man unbeirrt den ein­
geschlagenen Kurs Richtung Revolution fortsetzen müsse, wobei der
Marxismus-Leninismus stets als Kompass diene. Er verstand sich als
mutiger Kapitän, klarsichtiger Lotse und standhafter Steuermann auf
der stürmischen See der politischen Auseinandersetzungen. Quasi
­naturgesetzlich würden sie in absehbarer Zukunft in eine gerechte
Gesellschaftsordnung münden, wenn man nur das Richtige tat.
Zu den Überzeugungen kam seine private Situation. Wer aus klei-
nen Verhältnissen stammte, dem waren im bürgerlich-kapitalistischen
System Bildung und sozialer Aufstieg versagt. Allein die Gewerk-
schaften und die sozialistischen Parteien eröffneten Karriereaussich-
ten. Sich hier politisch zu engagieren, versprach also nicht nur, ur­
eigene, klassenspezifische Interessen durchzusetzen, sondern auch
­individuelle Lebenschancen zu entwickeln. Dafür musste man sich
allerdings auf die hierarchischen Strukturen der KPJ einlassen, die
Richtlinienkompetenz der Komintern anerkennen und gewisse soziale
Praktiken verinnerlichen.
Als Berufsrevolutionär war er verpflichtet, der politischen Mis-
sion sein gesamtes privates und berufliches Leben unterzuordnen.
Die illegale politische Arbeit erforderte gefährliche Routinen, die sich
aus der konspirativen Lebensweise und einer dafür unerlässlichen
Mobilität ergaben. Im Sommer 1927 saß er wegen kommunistischer
Tätigkeit sechs Wochen in Ogulin im Gefängnis und im Mai 1928
noch einmal vierzehn Tage in Zagreb; seit den Demonstrationen im
Juni schlief er nicht mehr zuhause. Auch Polka wurde damals verhaf-
tet und tageweise festgehalten. An ein normales Ehe- und Familien­
leben war längst nicht mehr zu denken. Allein das Bewusstsein, jeder
Zeit auffliegen zu können, schuf einen Dauerzustand des Argwohns,
der psychischen Anspannung und inneren Erregung. Das steigerte die
Militanz, erforderte aber auch Umsicht, Wachsamkeit, Disziplin,
Mut und Gefahreninstinkt, die Kerntugenden des professionellen
Revolutionärs, die schon Lenin aufgerufen hatte. Das unerlässliche
charakterliche Rüstzeug brachte er mit: Selbstsicherheit, Willens-
 Der Revolutionär 61

stärke, Sendungsbewusstsein, Ehrgeiz und den unverrückbaren Glau-


ben an die eigene Wirkungsmacht. Dazu kam die Furchtlosigkeit des-
sen, der nicht viel zu verlieren hat und in seinem Tun einen höheren
Sinn erkennt. « Wenn ein Mann erst einmal entschlossen ist, sein Leben
zu geben, … kommt der Mut von ganz allein », erläuterte er später.16
Nicht zuletzt gehörte Gewaltbereitschaft dazu. « Wenn die Bourgeoisie
das Volk weiter ausbeutet, muss die politische Macht mit Gewalt er-
obert werden », erklärte er während des Bomber-Prozesses 1928. « Ge-
walt kann man nur mit Gewalt bekämpfen. »17

Das Zuchthaus – die Schule des Revolutionärs

Als er im November 1928 seine Strafe im Zagreber Staats­


gefängnis antrat, war er 36 Jahre alt, stolz, selbstgerecht und unnach-
giebig. An einem grauen Winternachmittag legte man ihm Hand-
schellen an und verfrachtete ihn mit weiteren Sträflingen in einen
­zugigen, staubigen Eisenbahnwaggon dritter Klasse. Fröstelnd und
stumm saß er seinen mürrischen Wärtern gegenüber, während der
Zug Richtung Norden zuckelte. Nach zahlreichen, ausgiebigen Hal-
ten erreichte die finstere Gesellschaft – mehrere paarweise aneinander
gekettete, bleiche und ausgemergelte Gefangene mit ihren übelgelaun­
ten Bewachern – in der Dunkelheit den Bahnhof von Lepoglava. Die
etwa achthundert Schritte zum großen eisernen Tor des Zuchthauses
legten die Häftlinge mit ihren scheuernden Fesseln zu Fuß zurück,
gefolgt von drohend dreinblickenden Wärtern, die die Delinquenten
mit geladener Waffe vor sich hertrieben.
Die Habsburger hatten das ehemalige Paulinerkloster von Lepo-
glava in der Mitte des 19. Jahrhunderts in eine Gefangenenanstalt um-
gebaut, um dort außer Schwerverbrechern auch ihre politischen Häft-
linge, in erster Linie Sozialdemokraten, einzukerkern. Hinter ­hohen,
fahlgrauen Mauern ragten aus dem Gebäudekomplex ein Kirchturm
und ein Fabrikschlot heraus. « Sie waren vom vielen Regen ganz aus­
gewaschen und bildeten einen hässlichen Kontrast zur Landschaft »,
erinnerte sich ein Mithäftling. « Düster blickten uns die kleinen, ver-
gitterten Zellenfenster an. »18
Irgendwie kommt mir der bekannt vor, dachte sich Broz, als er
62 Zagreb, 7. November 1928 

kurz darauf dem Gefängnisdirektor vorgeführt wurde. Das war doch


Bohaček, ein Kamerad aus dem Schützengraben an der Karpaten-
Front und Leidensgenosse in russischer Kriegsgefangenschaft. Der
aber stutzte nur kurz, als er in dem Neuzugang seinen vormaligen
Schicksalsgenossen Josip Broz erkannte, ehe er ihm geschäftsmäßig
die strenge Zuchthausordnung vortrug.19 Dann begann eine furchtbar
erniedrigende Prozedur. Man brachte Broz in einen großen, ausbeto-
nierten Raum, den sie « Baderaum » nannten. « Dort schnappten uns
zuerst die Barbiere und schoren uns bis auf die Kopfhaut. Dann
wurde uns befohlen, uns nackt auszuziehen. » Einer nach dem anderen
musste in die Wanne steigen, die mit einer ekelerregenden trüben
Brühe, wochenlang nicht gewechseltem Badewasser, gefüllt war. « Wir
zitterten vor Kälte. Dann gaben sie uns die Zuchthauskleidung. Das
waren Lumpen, die wer weiß wie lange von anderen Gefangenen ge-
tragen worden waren. Am Schluss die ärztliche Untersuchung, und
dann durch ein Meer von Gängen, durch verschiedene Eisentüren –
ab in die Einzelzelle. »20
Die ersten drei Monate im Gefängnis von Lepoglava verbrachte
Broz wie jeder Neuankömmling hungernd und frierend in Einzelhaft.
Hinter der schwer beschlagenen Eisentür gab es in der winzigen Zelle
weder Heizung noch elektrisches Licht, vom Betonfußboden stieg
feuchte Kälte auf. « Völlige Abgeschiedenheit ist vielleicht die entsetz-
lichste Strafe, die einen gebildeten Menschen treffen kann », erläuterte
damals ein Gefängnisspezialist. « Und wenn dazu noch völlige Stille,
Einschränkung des Gesichtskreises durch vier kahle Mauern und die
Entziehung aller Mittel geistiger Tätigkeit kommen, so muss das Da-
sein unerträglich werden. »21
In der Zelle gab es nur eine dreiteilige hölzerne Pritsche, einen
kleinen Stuhl und den Kübel für die Notdurft. Das Nachtlager durfte
man erst abends um sieben Uhr aufschlagen, um sich dann auf einen
schmutzstarrenden, kaum halb gefüllten Strohsack zu legen. Nie zu-
vor hatte er so gefroren wie in diesen eiskalten Winternächten, nur
durch seine abgewetzte Gefängniskleidung und eine dünne Decke ge-
schützt, wenn sich auf dem Wasser im Tonkrug eine dünne Eisschicht
bildete.
 Der Revolutionär 63

Um fünf Uhr morgens brachten die Wärter einen Korb voll


­ edern, die er bis zum Abend abzupfen musste, umwölkt von beißen-
F
den Staubpartikeln und Flusen. Zu Einsamkeit, Stumpfsinn und
Kälte gesellte sich nun der Hunger. Denn obwohl ihm dauernd der
Magen knurrte, brachte er den kargen Gefängnisfraß kaum herunter:
Kartoffel- oder Bohnenstampf, der ihn an Schweinefutter erinnerte,
Sauerkraut, Einbrennsuppe und steinhartes Brot. Er magerte ab, wirkte
blass und ausgemergelt.
Nach einem Vierteljahr war die Einzelhaft vorüber; endlich kam
er mit anderen Genossen in eine Sammelzelle. Gefängnisdirektor
Bohaček sorgte für bessere Verpflegung und machte Josip Broz zum
Elektriker seiner Anstalt. Um die Reparaturen zu erledigen, durfte er
sich im Gebäude sogar frei bewegen. « Er trug einen Zuchthausman-
tel. Auf dem Kopf eine rote Zuchthauskappe. Und in den Händen
eine Kombizange », beschrieb ihn ein Ankömmling.22
Eines Tages erkannte Broz in der Schlange zum Baderaum unter
den Neuzugängen ein prominentes Gesicht. Der Maler, Autor, Lite-
raturkritiker und Herausgeber Moša Pijade, ein Belgrader Jude bür-
gerlicher Herkunft, war Mitglied der illegalen kommunistischen Par-
teiführung gewesen. Er hatte auf den Kunstakademien in München
und Paris studiert und verstand es, mit ebenso geistreichen wie unter-
haltsamen Texten und Illustrationen viele Leser zu gewinnen. Als
1925 aufflog, dass er die Druckerei der Partei betrieb, wurde er zu
zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt. Nun, in der Warteschlange,
trat der Elektriker auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen:
« Ich bin Joža. »23 Pijade war gerührt, den Revolutionär aus dem Bom-
ber-Prozess zu treffen, der wegen seines Mutes vor Gericht bei den
Parteigenossen einen Ruf wie Donnerhall besaß.
Der Elektriker Broz machte den schmächtigen Enddreißiger mit
der runden Nickelbrille und dem dunklen Schnauzer, der viel älter
wirkte, zu seinem Gehilfen. Er bewunderte Pijades außergewöhnliche
Verbindung aus intellektueller Hingabe und künstlerischem Talent,
unerschütterlichem Kampfgeist und feinsinnigem Humor und fand
in ihm einen engen Vertrauten, Freund, Kampfgefährten, Lehrer und
Mentor. « Ich mochte ihn sehr, weil er immer offen und aufrichtig war,
64 Zagreb, 7. November 1928 

Josip Broz (l.)


und Moša Pijade
(Mitte), vor dem
E-Werk im
Zuchthaus in
Lepoglava, 1931

ein richtig guter Kerl », schwärmte er später. « Er hatte furchtbaren


Spaß daran, anderen Angst einzujagen, aber in Wirklichkeit war er
eine Seele von Mensch. »24 Während er selbst die elektrischen Leitun-
gen reparierte und Glühbirnen austauschte, überließ er Pijade die
Werkstatt, der ab und zu die beiden Dieselmotoren ölte und ansons-
ten – mit Wissen des Gefängnisdirektors – das Marx’sche « Kapital »
übersetzte. « Er schrieb und schrieb und schrieb », schmunzelte Tito
später. Der hochgebildete Pijade revanchierte sich, indem er ihm
­etwas Deutsch und Englisch beibrachte.
Als im Sommer 1930 weitere vierzig kommunistische Häftlinge
nach Lepoglava verlegt wurden, gründeten die beiden eine geheime
Parteizelle, ein « kakić » (kaznionički komitet). Denn, wie sich Mithäft-
ling Ivan Bernardić ausdrückte, « wo zwei Kommunisten sind, wird
 Der Revolutionär 65

e­ iner von beiden Kommissar. Wo drei sind, muss es ein Komitee ge-
ben. »25 Broz wurde ihr Sekretär und Pijade der Kopf der illegalen
Parteischule für politische Häftlinge, die nach dem Vorbild der sozia-
listischen Zirkel im vorrevolutionären Russland nach getaner Arbeit
stundenlang Parteigeschichte und Marxismus büffelten.
Da das E-Werk im Zuchthaus von Lepoglava auch den Ort mit
Strom versorgte, durfte Broz ab Sommer 1930 gelegentlich in den
umliegenden Häusern die Elektrik reparieren. Die Wirtin des Dorf-
krugs, der sich gleich neben dem Zuchthaus befand, hatte scheinbar
häufiger Probleme mit ihrer Leitung. Tatsächlich dienten ihre Auf-
träge für den Gefängniselektriker Broz als Vorwand, um konspirative
Treffen einzufädeln. « Um zehn Uhr morgens meldete ich mich mit
der verabredeten Losung bei unserer Sympathisantin, der Besitzerin
der Gaststätte, Fidlerica », erinnerte sich der Genosse Pavle Gregorić,
den die KPJ zur Kontaktaufnahme nach Lepoglava gesandt hatte. Sie
hieß ihn zu warten, ehe sie ihn in ein Gästezimmer im ersten Stock
führte. « Nach wenigen Minuten tauchte Tito auf. Er nahm den Zim-
merschlüssel draußen ab, um die Tür von innen zuzusperren. Mehr
als eine Stunde lang erklärte er mir dann die neuen Aufgaben der Par-
teiorganisation in Zagreb », während seine vier Wächter ahnungslos
um das Gasthaus herumspazierten.26 Von Zeit zu Zeit übergab Broz
dem Verbindungsmann auch eine leere Käseschachtel der Marke
« Zdenka ». Im doppelten Boden befand sich dann ein Brief an die
KPJ-Zentrale in Zagreb mit politischen Instruktionen oder auch ein
Bericht an die Komintern.
Dass die Verbindungen zwischen Lepoglava und Zagreb « aus­
gezeichnet funktionierten », wie die Genossen attestierten, bekam
schließlich auch das Innenministerium mit, das dem Gefängnisdirek-
tor « übergroße Laxheit » vorwarf.27 Um das kommunistische Netz-
werk in Lepoglava aufzulösen, wurde Broz im Mai 1931 nach Maribor
verlegt. Die Haftbedingungen waren dort wesentlich härter als in
­Lepoglava. Es « herrschte große und harte Disziplin und es wurde viel
gearbeitet », befand ein Gefängnisinspektor, « weil jeder für die kleinste
Verfehlung mit Disziplinarstrafen belegt wird ».28
Nur per Hungerstreik ließen sich einige Verbesserungen durch-
66 Zagreb, 7. November 1928 

setzen wie die Verlegung in Sammelzellen und das Recht auf Pakete.
Die Nahrungsaufnahme zu verweigern, war das einzige Mittel, um
der Gefängnisleitung auch nur kleinste Zugeständnisse abzupressen.
Die jugoslawischen Kommunisten hatten sich das von den politischen
Häftlingen im Zarenreich abgeschaut. Auch hier ließen sich die
Zuchthausdirektoren hin und wieder zu Konzessionen bewegen, um
einem öffentlichen Skandal auszuweichen. « Die ersten drei Tage ver-
spürte ich so starken Hunger, als würden mir die Eingeweide verbren-
nen », berichtete Rodoljub Čolaković, der mit 21 Jahren zu 15 Jahren
Zuchthaus verurteilt worden war, über seinen ersten Hungerstreik.
« Das hat mich so gemartert, dass ich wie besessen immer im Kreis in
der Zelle herumlief. »29
Nach der obligatorischen Einzelhaft fand sich Broz mit weiteren
sieben Häftlingen in einer Sammelzelle wieder. Mager und blass
wirkte er in sich gekehrt. Er trug einen Kneifer auf der Nase und
Sträflingskluft, die ihm eine asketische Aura verlieh. Die acht Zellen-
genossen blieben meist hungrig, während sie täglich 1800 Papiertüten
kleben mussten. Dank Čolakovićs Eltern konnten sie sich immerhin
ein kleines Öfchen zulegen, das abends etwas Wärme ausstrahlte,
wenn die Häftlinge nach getaner Arbeit diskutierten oder lauthals die
Internationale sangen, bis ein wütender Wärter mit den Fäusten an die
Zellentür hämmerte. Oft hagelte es bereits bei kleinsten Verfehlungen
Disziplinarstrafen: Essensentzug, Fuß- und Handfesseln, Einzel-
und Dunkelhaft, Zwangsjacke.
Manchmal erhielt er Briefe von seiner Ehefrau Polka und selbst-
gemalte Bilder vom kleinen Žarko. Polka war kurz nach ihrem Ehe-
mann ebenfalls verhaftet worden, gab sich bei der Polizei aber unwis-
send und kam mit einem Hausarrest davon. Den vierjährigen Sohn
musste sie nun als Fabrikarbeiterin allein durchbringen. « Papa, wann
kommst du wieder zu uns? », ließ er seine Mutter in einem Brief fra-
gen. Die langen Arbeitstage bei Staub und Lärm setzten ihr zu; sie
wirkte blass und ausgezehrt. « Arme Polka », seufzten die Freunde,
« woher nimmt sie nur die Kraft, das alles auszuhalten? »30 Eines Tages
verschwand sie mit dem Sohn mit Hilfe der Komintern in die Sowjet­
union. In Moskau schrieb sie sich an der kommunistischen Westuni-
 Der Revolutionär 67

versität ein und arbeitete später an einer sibirischen Kaderschule als


Dozentin. Anfangs schickte sie ihrem Mann durch die Rote Hilfe
­etwas Geld ins Zuchthaus. Aber irgendwann hatte sie selbst nicht
mehr genug. Und Briefe kamen dann auch keine mehr.
Trotz allem war Broz’ Einstellung zu seiner Inhaftierung einiger-
maßen pragmatisch. Er war ein Getriebener, der das Risiko der Ge-
fangenschaft bewusst eingegangen war, und bereit, alle Strapazen und
Erniedrigungen stoisch zu ertragen, ja seiner unhaltbaren Haftsitua-
tion sogar noch etwas Nützliches abzuringen. Wie einst die russischen
Revolutionäre im Zarenreich wollte er die Jahre der Gefangenschaft
zum Lesen und Lernen nutzen. Und dafür, fand er, waren die Bedin-
gungen eigentlich recht gut. Nicht nur standen in der Gefängnis­
bibliothek die unglaublichsten Bücher, die Gefangenen durften gele-
gentlich Pakete mit Lebensmitteln, etwas Geld oder auch Gedrucktem
erhalten. Ganz legal konnten die Häftlinge zum Beispiel Zeitschriften
wie den « Serbischen Literaturanzeiger » (Srpski književni glasnik),
« Bankwesen » (Bankarstvo), « Volkswohlfahrt » (Narodno blagostanje)
sowie, auf Englisch, den « Economist » lesen. Zudem fanden sich mit
Hilfe sympathisierender, korrupter oder auch nur dummer Aufseher
Wege, verbotene Zeitschriften und Bücher einzuschmuggeln, zum
Beispiel Lenins « Staat und Revolution », Rosa Luxemburgs « Akkumu-
lation des Kapitals » und « Das Kapital » von Karl Marx. « Und so hatten
wir eine schöne Bibliothek drinnen in Maribor », resümierte Tito.31 Im
berüchtigten Zuchthaus von Sremska Mitrovica umfasste die politi-
sche Bibliothek sogar mehr als 4500 Bücher und 2000 Zeitschriften,
fand 1936 ein staatlicher Inspektor heraus. Justizminister Ljudevid
Auer musste resigniert konstatieren, « dass die Art, wie verurteilte
Kommunisten und Terroristen ihre Strafe verbüßen, ihren Zweck
nicht erfüllt ».32
Nach der Devise, « das Zuchthaus in eine kommunistische Uni-
versität zu verwandeln », organisierte Broz für die Mitgefangenen Ex-
presskurse über Parteiarbeit und Techniken illegalen Arbeitens, wo
man unter anderem lernte, Botschaften zu verschlüsseln, Geheim­
tinten herzustellen und Texte zu vervielfältigen. Ferner gab es allge-
meinbildende Seminare mit Referaten über Mathematik, Geographie,
68 Zagreb, 7. November 1928 

aktuelle politische, gesellschaftliche und kulturelle Fragen sowie die


verschiedenen Landesteile Jugoslawiens.33 Dazu kam das Studium
der Theorie. So hätten die Häftlinge im Zuchthaus ihre « geschlossene
kommunistische Welt in einer viel intensiveren und kompletteren
Form errichtet, als dazu die Parteiorganisation in der Welt draußen
imstande gewesen wäre », urteilte Milovan Đilas. Sie konnten sich als
Avantgarde und Elite der Arbeiterklasse fühlen, als « die progressivs-
ten und edelsten Leute der ganzen Welt ».34 Noch kurz vor Broz’ Ent-
lassung vermerkte das Gefängnistagebuch, der Gefangene 483 sei
­immer noch ein « unverbesserlicher Kommunist ».35
Dem intelligenten, aber wenig gebildeten Josip Broz war es ein
tiefes inneres Bedürfnis, die Realität  – und dadurch auch ihre Ver­
änderbarkeit  – selbst besser zu verstehen. Das zufällige Angebot
führte ihn zu eklektischen Lektüren, die ihn intellektuell formten:
marxistische Literatur (Marx, Engels, Lenin, Plechanow, Kautsky
und Luxemburg), politische Ökonomie (Ricardo, Malthus, Hilfer-
ding), Psychologie (Bechterew), griechische Philosophie und Romane
der Weltliteratur. Wichtige Werke hat er sorgfältig durchgearbeitet
und « ausdauernd und systematisch studiert », bezeugte ein Zellen­
genosse.36 Tatsächlich gibt es in Titos persönlichem Nachlass in Bel-
grad eine Kiste mit handschriftlichen Exzerpten aus seiner Haftzeit.
Auf Notizblöcken, Zetteln und Aufnahmeformularen des Zuchthauses
fertigte er saubere Zusammenfassungen von Hilferdings « Finanzkapi-
tal », Lenins « Staat und Revolution » und August Bebels « Aus meinem
Leben » an. Vier Jahrzehnte später beeindruckte er Helmut Schmidt,
als er in dessen Bundeskanzlerbüro auf einem Porträt sogleich den so-
zialdemokratischen Arbeiterführer erkannte. Auch schrieb er unter
anderem die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, der Arbei-
terbewegung und Bismarcks Sozialgesetzgebung in vollständigen Sät-
zen auf. « An keiner Universität wurde so intensiv gelernt wie dort [im
Zuchthaus] », erzählte er später, « und seltsam, der Mensch verändert
sich vollkommen. Irgendwie ergreift einen der Drang, immer noch
mehr zu erfahren. »37 So verließ Josip Broz das Zuchthaus am Ende
seiner Haft als gebildeter Autodidakt.
 Der Revolutionär 69

Generation Revolution

Kurz vor seinem 42. Geburtstag wurde Josip Broz am


12. März 1934 aus dem Zuchthaus entlassen. « Er war so dünn und
blass, seine Wangenknochen stachen stark hervor », erinnerte sich
seine Tante Ana, als er sie in Podsreda besuchte. Sie bettelte, er möge
jetzt auch einmal an sich selbst denken. Das tue er doch, entgegnete
er, « aber wenn ich nicht dem nachgehe, woran ich glaube, halte ich es
mit mir selber nicht aus ».38
Allerdings war die illegale politische Arbeit in den vergangenen
Jahren noch schwieriger und gefährlicher geworden. König Alexander
hatte in Reaktion auf den Mordanschlag auf Bauernführer Radić in
der Skupština und die nachfolgenden Unruhen am 6. Januar 1929 ein
diktatorisches Regime eingeführt. Der Mord hatte alle Seiten radika-
lisiert und die Opposition in eine scharfe Obstruktionspolitik getrie-
ben. Um die vollständige Einheit von Staat und Nation zu verwirkli-
chen, setzte Alexander die Verfassung außer Kraft, löste das Parlament
auf, verbot die politischen Parteien und hob die Pressefreiheit auf.
Noch ehe die Weltwirtschaftskrise ihre zerstörerische Kraft voll ent-
faltete, beschritt König Alexander den Weg in das autoritäre System.
Das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, das anfangs noch
einem gewissen Pluralismus verpflichtet gewesen war, hieß seit Okto-
ber 1929 Jugoslawien. Um Nationalismus und Parteienstreit entge-
genzuwirken, ließ Alexander den Staat nach französischem Vorbild in
zentral von Belgrad aus regierte Départements gliedern. 1931 oktroy-
ierte er eine scheindemokratische Verfassung, die ihm quasi-diktatori-
sche Vollmachten zuwies. Auf allen Ebenen und bis in die hintersten
Winkel sollte die Einheit des Volkes und des Staates durch Erziehung,
Propaganda, Verordnungen und Gewalt durchgesetzt werden. Das
­allerdings rief extremistische und separatistische Gruppen auf den
Plan.
Wie in den meisten europäischen Staaten zweifelten die alten Eli-
ten, gefolgt von einem beträchtlichen Teil der radikalisierten Unter-
schichten, dass der Parlamentarismus die existentiellen Herausfor­
derungen der Epoche meistern und die Rückständigkeit überwinden
70 Zagreb, 7. November 1928 

könne. Drei Viertel der Jugoslawen waren immer noch bitterarm,


während die Bevölkerung viel schneller wuchs als die Wirtschaft. Ein
bis zwei Drittel aller Landbewohner konnten sich um 1930 durch
­eigener Hände Arbeit nicht ausreichend ernähren. In Titos Heimat­
region Zagorje aßen die Bauern ab Weihnachten nur noch Maisbrot,
Bohnen und Maisgrütze. Viele kroatische Dorfbewohner konnten sich
noch nicht einmal ein Bett anschaffen. In den besonders armen Regio­
nen der Lika, in Dalmatien, in der Herzegowina, in Westbosnien, in
Ost- und Südserbien sowie in Montenegro waren die Erträge so ge-
ring, dass die Menschen auch in guten Jahren ab dem Winter Hunger
litten. « Wir sind nie satt, wir sind immer hungrig », berichtete weinend
der vierzigjährige Mujo aus der mittelbosnischen Region Bugojno
­einer Ethnologin, die sich dazu Folgendes notierte: « Niemand in sei-
nem Dorf ist älter als vierzig oder fünfzig. Viele sterben im Frühjahr,
wenn die Lebensmittel am knappsten sind. Es ist 23 Jahre her, dass
hier ein Arzt war, die Menschen behandeln sich mit Kräutern und
Zauberformeln. Viele Frauen sterben bei der Geburt, die ohne jeg­
liche Hilfe und oft im Stall vonstattengeht. »39
Scharen verzweifelter Jobsuchender trieb es in die Städte. Aber
auch dort fehlten Arbeit, Wohnungen, Wasser und sanitäre Infra-
struktur. Es gab so viele, « die Sauberkeit, sich Waschen, Schlafen im
Bett, regelmäßiges Umkleiden überhaupt nicht kennen, die lieber auf
dem Boden liegen oder im Freien als in ordentlichen Wohnungen », er-
mittelte das Sozialministerium. Jeder Dritte in der Industrie, den
Handwerksbetrieben und Bergwerken starb an TBC. Bis zu sechzehn
Stunden mussten Frauen und Männer täglich zu Hungerlöhnen
schuften und waren dabei gefährlicher Maschinenarbeit, Staub und
Düsternis ausgesetzt.40
Gegen die Weltwirtschaftskrise fand die Demokratie offenbar erst
recht keine Medizin. Im ohnehin armen Jugoslawien waren die Pro-
duktion, der Außenhandel sowie Löhne und Einkommen bereits seit
Mitte der zwanziger Jahre dramatisch geschrumpft, während die
Zahl der Arbeitslosen, Armen und Verzweifelten explodierte. Drei
Viertel der Bevölkerung lebten von der Landwirtschaft, auf kleinen
Höfen, die kaum den Familienunterhalt sicherten. Das durchschnitt-
 Der Revolutionär 71

liche Einkommen einer Bauernfamilie aber sank zwischen 1925 und


1933 um zwei Drittel; viele waren hoffnungslos überschuldet. « Das
Leben wird immer schwieriger », berichtete ein kroatischer Bauer ei-
nem britischen Sozialwissenschaftler. « Wenn ich vor 1914 ein Schaf
verkauft habe, bekam ich dafür fünfzig Meter Baumwollstoff. Jetzt
bekomme ich das nicht einmal für vier Schafe. »41
Während die Bevölkerung rasch wuchs und viele Männer und
Frauen nach einem Zuverdienst suchten, mussten viele Betriebe ihre
Produktion drosseln oder ganz einstellen. Das Heer der registrierten
Arbeitslosen stieg infolge der Depression auf 650 000; wer noch einen
Job hatte, musste beträchtliche Lohnkürzungen hinnehmen, und viele
wurden wegen Mietrückständen obdachlos. Auch tausende Akademi-
ker saßen auf der Straße. Streiks, Demonstrationen und Straßen­
gewalt legten das öffentliche Leben lahm.42
Da das Staatsschutzgesetz noch einmal verschärft und ein Son-
dergericht für Regimegegner geschaffen wurde, war es für polizei­
bekannte Kommunisten mittlerweile lebensgefährlich, von der Polizei
gestellt zu werden. Das betraf auch den neuen Generalsekretär der
KPJ Milan Gorkić, der die Parteiführung deswegen 1932 nach Wien
verlagerte. Die Zahl der KPJ-Mitglieder war zu diesem Zeitpunkt auf
etwa 1150 zusammengeschmolzen; die Parteizellen in Zagreb, Bel-
grad und Sarajevo waren praktisch zerschlagen. Allein für die illegale
Parteimitgliedschaft oder auch nur das Verteilen von Flugblättern gab
es zehn Jahre Zuchthaus. Die Gendarmen erschossen oder erschlugen
die unverbesserlichen politischen Delinquenten gleich bei der Verhaf-
tung auf offener Straße oder « auf der Flucht ». Unter den 328 Ermor-
deten waren führende Kommunisten wie der KPJ-Chef Đuro Đaković
sowie allein sieben Führer des Jugendverbands. Wer die Festnahme
überlebte, dem drohten erst Folter und dann eine langjährige Haft-
strafe. Wer illegale Arbeit aufnahm, warnte die KPJ, müsse bereit sein,
die Torturen mit « Kaltblütigkeit und Durchhaltevermögen » zu er­
tragen.43 « Das Schlagen mit Ochsenziemern auf die Fußsohlen war
ein Erbteil der Türkenzeit », erklärte Milovan Đilas, der nächtelange
Misshandlungen in einem Belgrader Gefängnis überstand. «  Ich
spürte, wie sie mich in einen konturlosen Klumpen blutigen Fleisches
72 Zagreb, 7. November 1928 

verwandelten, der gerade noch atmete, aber sehr bald aufhören würde,
Schmerzen zu fühlen. »44
Mitte 1933 saßen in Jugoslawien mehr als 22 000 politische Häft-
linge ein. Unter ihnen waren außer den Kommunisten auch Anhänger
der kroatischen faschistischen Ustascha-Organisation. Die militant
antijugoslawischen « Aufständischen », wie sie sich nannten, unternah-
men mit Unterstützung Italiens und Ungarns terroristische An-
schläge und Aufstandsversuche, um Jugoslawien zu zerstören und
­einen unabhängigen großkroatischen Staat zu schaffen. Im Unter-
schied zu den Kommunisten besaßen sie aber keine Massenbasis.
Broz stand nach seiner Entlassung unter Hausarrest in seinem
Heimatort Kumrovec, bewegte sich aber mit falschen Papieren wieder
nach Zagreb. Dabei halfen ihm die jüngeren Kommunisten und Kom-
munistinnen aus der Stadt. « Die haben Unterstützung für mich ge-
sammelt, Rote Hilfe, und dann habe ich mit ihnen Versammlungen in
den Bergen von Samobor, oben im Wald, abgehalten. »45 Denn in der
Illegalität wuchs in den dreißiger Jahren eine neue revolutionäre
­Generation heran. Ganz unterschiedliche Typen und Charaktere, die
sich in Parteikomitees, Zuchthäusern oder Privatwohnungen begeg-
neten, wurden zu Freunden und Verschworenen. Gemeinsame Ideen
und Ideale verwischten alle Differenzen wie ethnische Zugehörigkeit,
soziale Herkunft und Bildungsgrad. Außer ihrer Empörung über die
herrschenden Zustände und die Hingabe an die gemeinsame Sache
teilten etliche die Erfahrung körperlicher Gewalt. Wie viele junge
Männer und Frauen hatten bei der Polizei, vor Gericht und im Zucht-
haus Folter und Hungerstreiks ausgehalten! Sie knüpften ein konspi-
ratives Netzwerk, das die größeren Städte Jugoslawiens miteinander
verband. « Man kannte sich – und wusste, dass man sich absolut ver-
trauen konnte », verriet Edvard Kardelj.46
In einer Ära wachsenden Nationalismus war die KPJ jetzt die ein-
zige politische Kraft, die nicht nur gesamtjugoslawisch ein-, sondern
auch aufgestellt war. In dem Maße aber, wie der « Terror des Jugo­
faschismus » die Partei bedrohte, verschärften sich Dogmatismus, Radi­
kalismus und Militanz. Čolaković beschrieb, wie der Hass in ihm
wuchs, « jenes große Gefühl, das einen stählt und befähigt, Mühen
 Der Revolutionär 73

und Anstrengungen auszuhalten, die ein Kämpfer für eine bessere


Welt auf sich nehmen muss », als er begriff, dass das Regime ihn bre-
chen wollte, « knicken, wie einen jungen Baum, gewaltsam und un-
barmherzig ».47
Aus dieser Kohorte formte sich der Kern der späteren Gefolg-
schaft Titos, die Führungsriege der Partisanenbewegung und späte-
ren jugoslawischen Partei- und Staatsfunktionäre. Unter ihnen waren
Facharbeiter, Bauern und Intellektuelle, die als Teenager Zeugen der
Weltwirtschaftskrise und des Zusammenbruchs des Parlamentaris-
mus wurden und die jetzt das Erstarken des Faschismus miterlebten.
In Italien herrschte Mussolini, in Deutschland war Hitler an der
Macht. Würde sich nicht auch Jugoslawien zu einer faschistischen
Militärdiktatur entwickeln? Zudem: Die Krise des Kapitalismus und
die lauernde Kriegsgefahr befeuerten den unbedingten Glauben an
den Kommunismus, der eine friedliche, gerechte und wohlhabende
Welt aufzubauen versprach. Und während Armut und Hunger die
Menschen in Jugoslawien ins Elend stießen, blendete Sowjetrussland
mit exorbitanten industriellen Wachstumsraten. Kommunisten, die bei
der Komintern auf Schulung gewesen waren, berichteten von un-
glaublichen gesellschaftlichen Fortschritten, und alles, was in das
Ideal­bild nicht passte, wurde konsequent ausgeblendet. Auch Bürger-
söhne und -töchter sahen die Bolschewisten als Vorbild, da diese, wie
sich Čolaković ausdrückte, « diese Welt der Gewalt, Armut und Unge-
rechtigkeit zerstört hatten und eine andere, bessere und gerechtere
Welt errichten wollten ». Wie er wollten viele Schüler und Studenten
mehr als nur eine Karriere, nämlich « einen tieferen Sinn und reiche-
ren Inhalt » im Leben.48
Vier der engsten Vertrauten von Josip Broz begannen in dieser
Zeit ihre politische Karriere. Da war zuallererst der 23-jährige Slo-
wene Edvard Kardelj, der die pädagogische Hochschule abgeschlos-
sen hatte, aber aus politischen Gründen keine Lehrerstelle bekam.
Der kleine, untersetzte Mann mit den schwarzen Haaren und der
­intellektuell wirkenden Nickelbrille war in einer streng linken Arbei-
terfamilie aufgewachsen und schon als Halbwüchsiger in die Partei
eingetreten. Jetzt organisierte er zusammen mit dem Professorensohn
74 Zagreb, 7. November 1928 

Boris Kidrič die kommunistische Partei in Ljubljana und schrieb


­Artikel für die Parteipresse. Er « war so still, dass man ihn zuerst gar
nicht wahrnahm », fand Broz, « aber er war derjenige, der die Be-
schlüsse vorbereitete und andere davon überzeugte … ohne … zu
bluffen ».49 Er mauserte sich zum theoretischen Kopf im Führungs-
kreis. « Politisch und theoretisch hoch entwickelt », charakterisierte ihn
Tito später gegenüber der Komintern. « Hat unter Folter nie jeman-
den verraten. »50
Aus ganz anderem Holz war Milovan Đilas, der Sohn eines mon-
tenegrinischen Grenzbeamten, der die kommunistische Studenten-
schaft an der philosophischen Fakultät in Belgrad organisierte und
das serbische Gebietskomitee der Partei aufbaute. Wie alle seine Ge-
schwister war er bereits als Schüler Kommunist geworden. Er war
emotional, teils launisch und dogmatisch, weil er sich im Besitz einer
wissenschaftlich begründeten Wahrheit wähnte, die noch in dieser
Welt ein Paradies verhieß. Der smarte Hitzkopf mit der beeindru-
ckenden Löwenmähne fühlte sich eigentlich zur Schriftstellerei beru-
fen, war sich aber trotzdem für keinen gefährlichen Spezialauftrag zu
schade.
Đilas arbeitete eng mit dem Serben Aleksandar Ranković zusam-
men. Der Bauernsohn war gelernter Schneider und ein in sich gekehr-
ter Bücherwurm. Der schmale Blonde mit den blauen Augen und den
freundlichen Grübchen besaß « einen ungewöhnlich gut entwickelten
Sinn für das, was für die Partei in komplizierten politischen Situatio-
nen entscheidend war », bescheinigte ihm Đilas.51 Er verfügte über
Mut, Beharrlichkeit, Wissbegier und ein legendäres Organisationsta-
lent. Selbst später im Partisanenkrieg « in den Marschpausen, wann
immer er Zeit fand, zog er ein Buch über die Grundlagen des Marxis-
mus heraus oder eine populäre Darstellung der marxistischen Ökono-
mie, die er aufmerksam durchlas », beschrieb ihn ein Zeitgenosse.52
Und dann war da noch Ivo Lola Ribar, der jüngere Sohn des Poli-
tikers Dr. Ivan Ribar, eines der Gründer der serbischen Demokra­
tischen Partei. Der hochintelligente, polyglotte Jurastudent war Chef
des Jugendverbandes SKOJ. « Lola war ein dunkler, ruheloser junger
Mann mit einem starken, eckigen Gesicht und widerspenstigem di-
 Der Revolutionär 75

ckem Schopf », schilderte ihn später ein britischer Verbindungsoffizier.


« Toleranz gegenüber anderen war nicht seine größte Stärke, aber seine
selbstgewisse Weltanschauung wurde durch natürlichen Charme ge-
mildert. »53
Noch am Abend seiner Entlassung aus dem Gefängnis traf Josip
Broz mit Rade Končar zusammen, der die Partei in Zagreb anführte.
Der junge dalmatinische Maschinenschlosser war « für seinen Mut
und seine Entschlossenheit ebenso wie für seine Hitzigkeit bekannt »,
charakterisierte ihn Milovan Đilas, und er besaß die Durchsetzungs-
kraft eines « Panzerwagens ».54 Mit anderen kroatischen und sloweni-
schen Genossen wollte er Broz nach Wien schicken, um ein klareres
Bild von der chaotisch wirkenden Situation im exilierten Zentral­
komitee zu gewinnen. Aufgrund seiner früheren Parteifunktion in
­Zagreb stand dieser bereits in herausgehobener Position. « Er war An-
fang vierzig, zwanzig Jahre älter als wir, und sah auch so aus », berich-
tete Edvard Kardelj von seiner ersten Begegnung mit ihm im Sommer
1934. « Aber er ähnelte nicht ein bisschen den früheren Parteiführern,
die allesamt Bürokraten waren … Er zitierte nicht Marx, Engels oder
Lenin. Er sprach in passenden, allgemeinverständlichen Begriffen. »55
In Wien wurde Josip Broz am 11. Juli 1934 in das Zentralkomitee
kooptiert. Mit 42  Jahren war er vergleichsweise fortgeschrittenen
­Alters für eine Karriere im obersten Führungsorgan der KPJ. Außer-
dem war niemand dort bäuerlicher oder proletarischer Herkunft.
­Generalsekretär Milan Gorkić war der Sohn eines Ingenieurs, der
KPJ-Repräsentant in Moskau Vladimir Ćopić stammte aus einer
Handwerkerfamilie, viele andere, wie Moša Pijade und Rodoljub
Čolaković, aus dem wohlhabenden Bildungsbürgertum. Aber die Ge-
nossen waren von Broz begeistert, betonte Pijade, « wie er sich bei der
Verhaftung auf der Straße verhalten hat … und vor Gericht ». Er ent-
sprach einem « neuen Typ eines revolutionären Kommunisten, der aus
dem illegalen Kampf unserer Partei hervorgewachsen war ».56
Noch ehe er nach Wien aufbrach, vereinbarte Josip Broz mit sei-
nen Genossen einen neuen Nom de guerre. Er wählte einen in seiner
Heimatregion verbreiteten Vornamen, der ihm nach eigener Aussage
« einfach so eingefallen war »: Tito.
MOSKAU, 25. JULI 1935 
Parteiarbeiter der Komintern

Faszinosum Moskau

Als Tito am Abend des 25. Juli 1935 die Eingangshalle des


Hauses der Gewerkschaften in Moskau betrat, herrschte emsiges
Treiben. Im Lauf des Nachmittags hatten sich die Delegierten von 65
kommunistischen Parteien und hunderte Gäste in dem festlich ge-
schmückten Gebäude an der Puschkin-Straße eingefunden, an dem
ein riesiges Transparent « Es lebe der VII. Kongress der Kommunis­
tischen Internationale » prangte. Der grün-weiße klassizistische Bau,
in dem sich einst die Moskauer Adelsgesellschaft zu Konzerten und
festlichen Bällen versammelt hatte, gilt als einer der schönsten und
prächtigsten Moskaus.
Tito war Sekretär der achtköpfigen jugoslawischen Delegation
und besaß nur eine beratende Stimme. Sein Ausweis mit der Num-
mer 135 war auf « Friedrich Walter » ausgestellt, den Parteinamen, un-
ter dem er seit Ende Februar 1935 im Balkan-Sekretariat der Komin-
tern arbeitete. Die KPJ hatte ihn als möglichen Spitzenfunktionär
auserkoren und als Kandidaten für den Posten eines politischen Refe-
renten im Exekutivkomitee vorgeschlagen. Er sei « möglicherweise
nicht so routiniert wie ein erfahrener Intellektueller », hatte General-
sekretär Milan Gorkić nach Moskau geschrieben. « Aber er kennt die
Partei, gehört zum besten Teil unserer Arbeiterschaft und nach eini-
ger Zeit (6–8 Monate) nehmen wir ihn zurück für die Führungsarbeit
im ZK. » Man solle ihn behandeln wie jemanden, der « in absehbarer
­Zukunft einer der echten, und so hoffen wir, guten Parteiführer » sein
wird.1
Mit Tito drängten nach und nach mehr als zwölfhundert Perso-
 Parteiarbeiter der Komintern 77

nen in den berühmten Kolonnensaal mit den prächtigen Kristall­


lüstern und den mit Stuckmarmor verkleideten korinthischen Holz-
säulen. An diesem Tag war die Halle ganz in Weiß geschmückt, nur
hinter dem Podium erhob sich eine riesige rote Leinwand, auf der die
übermenschlich großen Porträts von Marx, Engels, Lenin und Stalin
das Auditorium überblickten.
Anlässlich der feierlichen Eröffnung breitete sich freudige Erre-
gung und munteres, vielsprachiges Stimmengewirr im Saal aus. Als
Stalin unvermittelt auf der Bühne erschien, verstummte das Gemur-
mel, « alle sprangen auf und es erhoben sich donnernder Applaus und
stürmischer Jubel », kolportierte ein jugoslawischer Delegierter. Etwa
zehn Minuten lang tobte der Saal, während sich führende Kommu-
nisten hinter Stalin aufreihten, darunter der Bulgare Georgi Dimi­
trow, der Deutsche Wilhelm Pieck, der Italiener Palmiro Togliatti, der
Franzose Maurice Thorez, der Tscheche Klement Gottwald und La
Pasionaria, wie die berühmte spanische Kommunistin Dolores Ibár-
ruri genannt wurde. « Das zu erleben, ist es [das Risiko] wert, zehn Mal
illegal die Grenze zu übertreten », jubelte ein Genosse.2
Einer der Höhepunkte des vierwöchigen Kongresses und die
Wende in der Geschichte der Komintern war der Auftritt Georgi
­Dimitrows. Die Delegierten empfingen den verehrten « Löwen von
Leipzig », der 1933 im Reichstagsbrand-Prozess dem preußischen
­Ministerpräsidenten Hermann Göring ebenso mutig wie eloquent die
Stirn geboten und am Ende einen Freispruch für sich erwirkt hatte,
mit minutenlangen Ovationen. « Rot Front », « Hurra », « Es lebe Dimi­
trow », erschallte es aus dem Saal in vielen Sprachen, ehe dann alle die
Internationale anstimmten.
In seiner dreistündigen Rede warb Dimitrow leidenschaftlich, ja
bis zur Erschöpfung für eine ganz neue politische Strategie. Heftig
gestikulierend rechnete er « mit den letzten Resten scholastischer
Hohlschwätzerei » ab: Nicht die Sozialdemokratie, wie Stalin bislang
behauptet hatte, sondern der Faschismus sei der Hauptfeind der
­Arbeiterklasse. Blitzartig stieß er immer wieder seinen rechten Zeige-
finger in die Luft, um das Publikum schweißgebadet auf die bedin-
gungslose Zusammenarbeit von Kommunisten mit Sozialdemokra-
78 Moskau, 25. Juli 1935 

ten, Bürgerlichen und Bauernparteilern gegen die « offene terroristische


Diktatur » von Hitler und Mussolini einzuschwören. « Genossen! », rief
er, « wir wären keine … würdigen Schüler von Marx-Engels-Lenin-Sta-
lin, wenn wir nicht gemäß der geänderten Lage … unsere Politik und
Taktik umstellten! »3 « Wie ein frischer Wind fegten Dimitroffs Worte
durch den Saal », erinnerte sich die deutsche Kommunistin Ruth von
Mayenburg. Nach dem Machtantritt der Nazis, den die Linke nicht zu
verhindern vermocht hatte, gab es endlich wieder « ein klar gestecktes
Ziel, eine neue Hoffnung » und « das nahezu körperliche Erlebnis der in-
ternationalen Arbeiterklasse ».4 Dimitrow erntete Beifallsstürme.
Für überzeugte Kommunisten war die Sowjetunion ebenso Vor-
bild revolutionärer gesellschaftlicher Ideale wie Projektionsfläche
­persönlicher Hoffnungen, Wünsche und Ziele. Tito war regelrecht
enthusiastisch, endlich in Moskau angekommen zu sein, dem Zen­
trum « jener Bewegung, der ich mein Leben gewidmet habe ».5 Die
­sowjetische Metropole machte die sozialistischen Vorstellungen von
Zukunft und Moderne erlebbar. In nur zwei Jahrzehnten hatte sich
die Einwohnerzahl vervierfacht, war auf fast vier Millionen gewach-
sen. Ganze Stadtviertel mussten weichen, um entlang der weitläufi-
gen Prospekte und Magistralen, umtost vom täglich anschwellenden
Tram-, Bus- und Autoverkehr, futuristische Wohnblocks, Schulen,
Krankenhäuser, Bibliotheken, Theater und Parks aus dem Boden zu
stampfen. Als Repräsentanten einer ganz neuen Ästhetik der Funk­
tionalität, Großzügigkeit und Macht ragten jetzt kühne, stufenför-
mige Hochhaustürme in den Himmel. Das spektakulärste Symbol
­einer Ära des Wandels und der Beschleunigung aber war die Metro,
die kurz vor dem Kongress im Mai 1935 den Betrieb aufnahm. An
­sieben Stationen beförderten überdimensionale Rolltreppen wahre
Menschenmassen in kürzester Zeit mehr als achtzig Meter in die
Tiefe. ­Jeder der prunkvollen unterirdischen « Paläste für das Volk » war
individuell mit marmornen Säulenhallen, Stuck, Statuen und Kron-
leuchtern geschmückt. « Natürlich entgingen mir nicht die schlecht
gekleideten Menschen auf den Straßen, nicht die bettelnden Kinder
vor den Brotläden », berichtete die deutsche Kommunistin Margarete
Buber-Neumann. Aber das hatte nicht viel zu bedeuten, dachte sie.
 Parteiarbeiter der Komintern 79

« Man baute ja den Sozialismus auf, und in Kürze würde das Land von
Reichtum nur so überquellen. »6
Im Anschluss an den Komintern-Kongress führte Tito die stau-
nende jugoslawische Delegation zu den Jahrhundertwerken der sow-
jetischen Hochmoderne, darunter zum weltgrößten Wasserkraftwerk
im ukrainischen Dnjeprostroj, zur Eisen und Stahl produzierenden
Retortenstadt Magnitogorsk im Ural und den riesigen landwirtschaft-
lichen Genossenschaften, den Kolchosen. Die Genossen waren tief be-
eindruckt von der transformativen Kraft des Sozialismus, und auch
Tito selbst erblickte hier das Zukunftsmodell für sein bitterarmes Hei-
matland. « Donbas, Wolga, Magnitogorsk, Fünfjahrespläne, 27 Millio-
nen Tonnen Stahl! »  – das war’s, nicht irgendein balkanischer Klein-
kram, erklärte er dem Schriftsteller Krleža zwei Jahre später.7
Die Personifizierung des sowjetischen Fortschrittsmodells und
ihr höchstes Faszinosum war der seit 1927 alleinherrschende Staats-
und Parteiführer Josef Stalin. Von ihm hingen « an allen Ecken und
Enden, an passenden Stellen und an unpassenden, … gigantische
Büsten und Bilder », beobachtete der Deutsche Lion Feuchtwanger
bei seiner Moskau-Reise 1937.8 Die Jugoslawen, auch Tito, hegten
keinerlei Zweifel an der « absoluten und unbestreitbaren Autorität des
Weltkommunismus » und somit auch nicht am Personenkult dessen
obersten Anführers. « Wir waren stolz auf unsere Treue zu Stalin », be-
stätigte Titos Weggefährte Milovan Đilas », denn « in unseren Augen
war Stalin die Verkörperung von allem, was Bolschewik sein hieß ».9

Im « Generalstab der Weltrevolution »

Unweit des Hauses der Gewerkschaften, wo der Kongress


stattfand, und in Sichtweite von Kremlmauer und Rotem Platz be-
fand sich der Sitz der Komintern, Titos Arbeitsplatz. Wie jeder, der in
dem dreistöckigen klassizistischen Gebäude in der Mochowaja-Straße
Nr. 16 anfing, hatte Tito zuallererst eine Überprüfung, die Proverka,
zu durchlaufen. Bei der Kaderabteilung, die für Auslese, Führung
und Kontrolle der Mitarbeiter zuständig war, musste er dafür einen
Fragebogen ausfüllen und einen handgeschriebenen Lebenslauf ablie-
fern. Im Unterschied zu vielen Politemigranten besaß er eine Muster-
80 Moskau, 25. Juli 1935 

biographie: Er war proletarischer Herkunft, hatte sechs Jahre als poli-


tischer Häftling im Zuchthaus gesessen und war von seiner Heimat-
partei als Führungskader empfohlen worden. Nach bolschewistischer
Anschauung verfügte er damit über alle Voraussetzungen eines authen­
tischen und klassenbewussten Genossen.
Die Komintern, die sich als « Generalstab der Weltrevolution »
verstand, war formal eine selbständige internationale Institution. Fak-
tisch war sie jedoch fest in das sowjetische Staats- und Parteisystem
eingebunden. In den dreißiger Jahren bestand sie aus einem schier
undurchdringlichen Apparat unterschiedlicher Büros und Kommis­
sionen. Das führende Organ war das Exekutivkomitee, dem die mäch-
tigsten internationalen Kommunistenführer angehörten, darunter
Ossip Pjatnizki, Wilhelm Pieck, Dmitri Manuilski, Otto Kuusinen
­sowie der neue Generalsekretär Georgi Dimitrow. Jede ausländische
Sektion entsandte einen offiziellen Vertreter in das Führungsorgan,
und mehr als die Hälfte von über fünfhundert Mitarbeitern waren
Ausländer. Die starren ideologischen Vorgaben, die formelhafte Rhe-
torik und die streng konspirative Arbeitsweise der Komintern ver-
mochten die ganz unterschiedlichen Parteitraditionen, informellen
Netzwerke und rivalisierenden Seilschaften nur vordergründig zu
­kaschieren. Wer sich hier behaupten wollte, musste geschickt agieren,
die richtigen Verbindungen knüpfen und seine Position im Dickicht
der Intrigen immer wieder neu aushandeln.
Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte Tito bereits durch seinen
­beherzten Einsatz für die Bolschewisierung der KPJ bei den geheimen
Parteitreffen 1928 und 1934 in Jugoslawien das Vertrauen und die Pro-
tektion der damals anwesenden Komintern-Instrukteure gewonnen.
Nachdem die Kaderabteilung Friedrich Walter « im politischen Sinne
volles Vertrauen » bescheinigt hatte, wurde er im Mai 1935 offiziell zum
politischen Referenten im Balkan-Sekretariat des Exekutivkomitees
befördert, das sämtliche Parteiaktivitäten in der Region steuerte. Mit
350 Rubel Gehalt plus 20 Rubel Zulagen war er überdurchschnittlich
gut bezahlt. Seine Arbeitstage verbrachte er damit, Informationen
über die KPJ und die Lage in Jugoslawien aufzubereiten, Texte zu
entwerfen, Resolutionen zu übersetzen sowie gelegentlich Vorträge an
 Parteiarbeiter der Komintern 81

den Kaderschulen der Komintern zu halten. Nachdem das Balkan-


Sekretariat schon nach wenigen Monaten aufgelöst wurde, übernahm
er Anfang Oktober 1935 eine Referentenstelle bei der KPJ-Vertretung
im Exekutivkomitee. Alles, was die Partei betraf, lief nun durch seine
Hände.
Wer in der Komintern arbeitete, musste der Kaderabteilung des
Exekutivkomitees in dichter Folge Arbeitsberichte, kritische Eigen-
auskünfte sowie Informationen, Einschätzungen und « Kompromat »,
also kompromittierendes Material, über Dritte liefern. Sie war nicht
nur für Auswahl und Steuerung der ausländischen Führungskräfte
verantwortlich, sondern auch dafür, Ethik und Disziplin in den
Schwesterparteien zu prüfen sowie Verrat, Konspirationsverletzung,
Mangel an Wachsamkeit und Fraktionskämpfe zu ahnden. Sie funk­
tionierte praktisch als eine Art interner Geheimdienst der Komintern.
Während die Komintern die Personalinformationen primär in
­eigener Kompetenz sammelte, arbeitete sie routinemäßig mit dem
­berüchtigten sowjetischen Volkskommissariat für Innere Angelegenhei-
ten, dem NKWD, zusammen. Meldungen über « schädliche Elemente »
und « Trotzkisten » leitete sie dorthin weiter, was für die Be­troffenen
brandgefährlich war. Auch Tito lieferte in dieser Zeit Informationen
über Genossen bei seinem Arbeitgeber ab. Er verfasste Charakterisie-
rungen, die allerdings phrasenhaft klangen. Während er viel Lob aus-
streute oder Nichtwissen vorgab, beschränkte er seine Kritik auf
­allgemeinmenschliche Schwächen. So habe Generalsekretär Milan
Gorkić bei ihm « einen sehr guten Eindruck » hinterlassen, auch wenn
der dazu neige, « alles in seinen Händen zu halten ». ZK-Mitglied Ka-
milo Horvatin habe « g roße Fortschritte im Umgang mit den Men-
schen gemacht, obwohl er sie immer noch ein wenig von oben herab
behandelt ».10 Während Tito davon ausgehen musste, dass diese Be-
richte durch die Komintern auch den NKWD erreichten, gibt es bis
heute keinen Beleg dafür, dass er damals aktiv im Dienst eines sowje-
tischen Geheimdienstes stand.
Hingegen ist es sehr wahrscheinlich, dass Friedrich Walter in sei-
ner Moskauer Zeit eine der streng geheimen Ausbildungsstätten der
Komintern besuchte, genauer die militärpolitische Hochschule. Diese
82 Moskau, 25. Juli 1935 

so genannte Partisanen-Akademie gab mehrmonatige Kurse für Spezi-


alisten im Straßenkampf, Guerillakrieg und in regulären Militäropera-
tionen, um sie auf bewaffnete Aufstände, etwa in Spanien, Jugoslawien,
Polen, China oder Vietnam, vorzubereiten. Hunderte ausländischer
Guerilleros haben solche Trainings durchlaufen. Man musste darüber
sein Leben lang strengstes Stillschweigen bewahren.11 Dass Tito eine
sowjetische Geheimausbildung durchlief, ist nicht gesichert, würde
aber eine etwa achtmonatige Lücke in seinem offiziellen Lebenslauf
erklären. Und wo hätte er sonst die Aufklärungs-, Kampf- und Füh-
rungstechniken erworben, die ihn im Zweiten Weltkrieg dazu befä-
higten, mit seiner dürftig ausgerüsteten Partisanentruppe die über-
mächtige Wehrmacht zu besiegen?
Warum ordnete sich eine starke Persönlichkeit wie Josip Broz Tito
dem autoritären stalinistischen System unter? Das hatte ideologische
und politische, aber auch individual- und gruppenpsychologische
Gründe. Zuallererst war die Sowjetunion der Fluchtpunkt der inter-
nationalen kommunistischen Bewegung und das Vorbild jedes doktri-
nären Bolschewisten. Für Tito war sie der erste und bislang einzige
Staat, der Gleichheit und Gerechtigkeit verwirklicht hatte, Ideale, für
die er sein Leben riskierte. Alle Realitäten, die nicht in sein Wunsch-
bild passten, tat er, wie so viele, als Kinderkrankheiten des Systems ab.
Zu den ideologischen traten pragmatische Motive. Sich als Teil
einer Weltbewegung zu fühlen, gab allen schwer verfolgten Kommu-
nisten Rückhalt, Ansporn und Zuversicht. Nicht zu vergessen: Die in
der Illegalität operierende KPJ war auf moralische, technische und
­finanzielle Unterstützung der Komintern angewiesen. Um überhaupt
aktionsfähig zu sein, stand sie in permanentem engen Austausch mit
der Zentrale. Zudem gab es für einen polizeibekannten, vorbestraften
Kommunisten wie Josip Broz realistischerweise kein Zurück in eine
legale Existenz in der Heimat mehr. Titos gesamtes privates und be-
rufliches Leben war mittlerweile von der Kaderabteilung abhängig.
Und diese öffnete dem ehrgeizigen 43-Jährigen nun die Chance sich
weiterzubilden, sozial aufzusteigen, besser zu verdienen, einen höhe-
ren Status und eines Tages womöglich Macht zu erlangen. Die kurio-
sen bürokratischen Verfahren der Komintern versprachen ihm eine
 Parteiarbeiter der Komintern 83

Karriere, die er aufgrund eigener Leistungen erreichen konnte und


die nicht wie daheim eine privilegierte soziale Herkunft voraussetzte.
Die Komintern bildete allerdings auch einen nahezu geschlosse-
nen ideologischen und institutionellen Mikrokosmos, dessen Werte,
Normen und Vorschriften alle Kommunisten akzeptierten oder akzep­
tieren mussten. Wer innerhalb des stalinistischen Apparates agierte,
unterlag mindestens einer gewissen Gruppendynamik. Dazu kamen
Sozialisierungseffekte und Konformitätsdruck, den zum Beispiel die
allgegenwärtige Kultur der Berichterstattung und der Selbstaus-
künfte erzeugte. Besonders das Ritual von Kritik und Selbstkritik
wirkte disziplinierend. Sowjetische Ideologie, Normen und Praktiken
beeinflussten  – bewusst oder unbewusst  – Persönlichkeit, Lebens-
und Sprechweise, politische Ansichten und Verhaltensmuster, Ein-
stellungen und Werte. Dergestalt bildete der Aufenthalt im Moskau
der dreißiger Jahre zweifellos eine formative Phase, die prägend dafür
war, wie Tito später herrschte.
Womöglich war Tito aus all diesen Gründen nicht ernsthaft irri-
tiert, als die bolschewistische russische Partei verschärfte « Säuberun-
gen » anordnete, nachdem der Leningrader Parteichef Sergej Kirow
am 1. Dezember 1934 ermordet worden war. Seit dem Machtantritt
Lenins war es gängige Praxis gewesen, alle russischen Parteimitglie-
der regelmäßig persönlich und politisch zu überprüfen. So ahnte er
nicht, dass sich aus der neuen Parteikampagne für höchste Wachsam-
keit gegenüber « Trotzkisten » und « Doppelzünglern » in kürzester Zeit
eine allumfassende Schreckensherrschaft entwickeln würde.

Im Hotel Lux

Kurz nach seiner Ankunft in Moskau bezog Tito im Februar


1935 das schmale Zimmer Nr. 275 im Hotel Lux, wo seit den zwanzi-
ger Jahren Komintern-Mitarbeiter und durchreisende Delegationen
untergebracht waren. Der Moskauer Großbäcker Filippow hatte das
mehrstöckige repräsentative Hotel 1911 unter dem Namen « Francija »
eröffnet. Es stand auf dem Grundstück seiner Backstube in der Gorki­
straße Nr. 10, schräg gegenüber vom Gouverneurspalast, den er mit
frischen Broten, duftenden Hefekringeln und kunstvoll dekorierten
84 Moskau, 25. Juli 1935 

Torten belieferte. Jetzt residierten hier führende Kommunisten wie


Georgi Dimitrow, Wilhelm Pieck, Palmiro Togliatti, Klement Gott-
wald und Walter Ulbricht. Kurz nach Tito zog im Frühjahr 1935 auch
der 28-jährige Herbert Wehner, alias Kurt Funk, mit seiner Lebens-
gefährtin Charlotte Treuber ein.
Das konspirative Domizil ausgesuchter Komintern-Funktionäre
war von der Außenwelt streng abgeschirmt. Hinter dem hohen,
schweren Eingangstor lag eine saalartige, düstere Empfangshalle, die
auf Ruth von Mayenburg « so wenig einladend wie das Kühlhaus eines
Krematoriums » wirkte. Kein Teppichläufer, keine Sitzgelegenheit,
nur steinerner Boden und rote Marmorsäulen. « Sogar das kalte, graue
Licht passte dazu und die Weisung, hier nicht länger als unbedingt
notwendig zu verweilen oder gar Besprechungen im Stehen abzuhal-
ten. »12 Um nach oben zu gelangen, musste man an einer gläsernen
­Kabine vorbeigehen und dem in eine dunkelblaue Parteiuniform ge-
kleideten Portier seinen Passierschein zeigen. Während die Deut-
schen über unwirtliche Atmosphäre, Schmutz und Ratten im ganzen
Hotel klagten, freuten sich Jugoslawen und Russen über den unge-
wohnten Komfort: Zentralheizung, Telefon, fließend warmes Wasser
in den Stockwerksduschen und auf jeder Etage Gasherde in den Ge-
meinschaftsküchen. Dazu gab es noch eine moderne Infrastruktur:
Restaurant, Lebensmittelgeschäft und Bäckerladen sowie Poliklinik,
Friseur und Kindergarten.
Abgesehen von seltenen geselligen Abenden in den Komintern-
Schulen, wo man im Gemeinschaftsraum Schach und Billard spielen
oder sogar einen Tanzabend besuchen konnte, untersagte die konspi-
rative Lebensweise engere persönliche Kontakte. Alle waren bestrebt,
diese « auf das notwendige Minimum zu beschränken », erinnerte sich
Herbert Wehner.13 Auch Tito, alias Friedrich Walter, verbrachte nach
der Arbeit die meiste Zeit allein in seinem winzigen, schlauchartigen
Zimmer, das gerade Bett, Schreibtisch und Telefon Platz bot. Er las
Bücher, die er im Gefängnis nicht hatte bekommen können, am liebs-
ten über Philosophie und Militärwissenschaft.14 Durch die langen
Korridore des Hotel Lux bewegte er sich « wie eine unscheinbare
Maus », erinnerte sich Ruth von Mayenburg. « Keiner von den Nach-
 Parteiarbeiter der Komintern 85

barn beachtete den stillen, bescheidenen Genossen, der mit kaum


­jemandem ein Wort wechselte, allein seiner Wege ging. »15 Immerhin
hatte Eleonore Staimer, die Tochter Wilhelm Piecks, gehört, es gebe
im Hotel einen Genossen namens Walter, der ein besonders guter
Koch sei. Sie passte ihn dann gerne ab, um ihm am Herd in der Ge-
meinschaftsküche über die Schulter zu gucken.
Bald nach seiner Ankunft in Moskau traf Josip Broz seine Frau
Polka wieder. Sie hatte nach ihrer illegalen Ausreise aus Jugoslawien
1929 ein Studium an der Kommunistischen Universität der Minder-
heiten des Westens aufgenommen, einer Ausbildungsstätte für Partei-
und Staatsfunktionäre, und daraufhin eine Dozentur an einer Kader-
schule in Kasachstan angetreten. Tito hatte von einer neuen Beziehung
gehört und wollte eine Aussprache. « Am meisten interessierte ihn, wo
Žarko ist, weil er ihn sehen wollte », berichtete Polka einem Bekannten.
« Aber ich konnte ihm das nicht genau sagen, weil der kleine Žarko in
immer wechselnden Kinderheimen untergebracht war. »16 Ihr Mann
war außer sich. Wie wollte sie rechtfertigen, dass sie über den Verbleib
des Zwölfjährigen einfach nichts wusste? Tito musste einsehen, dass
nicht nur die Ehe, sondern auch die Beziehung zwischen Mutter und
Sohn zerrüttet war. Sie habe überhaupt « keine mütterlichen Gefühle »,
warf er ihr später vor, ja sie « hasst und verdirbt » ihr eigenes Kind. Im
April 1936 wurden Josip und Pelagija geschieden.17
Bald nach dem unerfreulichen Gespräch mit Polka konnte er
Žarko in einem Erziehungsheim in der Nähe von Leningrad ausfindig
machen. Aus dem widerborstigen Knaben war ein respektloser und
verschlagener, bisweilen aggressiver Halbstarker geworden. Tito holte
ihn zu sich ins Lux und übernahm die Rolle des alleinerziehenden
Vaters. Žarko war heilfroh, der trostlosen Strenge seiner Anstalt
­
entronnen zu sein, aber im Lux blieb er ein Außenseiter, weil er ver-
wahrlost wirkte und öfter mal etwas mitgehen ließ. « Er ist ein sehr un-
ruhiges Kind, und ich habe bei all der vielen Arbeit nicht genug Zeit
für ihn », sorgte sich Tito. Denn Žarko schwänzte die Schule und trieb
sich in Gesellschaft von Jugendbanden und Kleinganoven in den fins-
teren Durchgangshöfen der Nachbarschaft herum. « Ich weiß gar
nicht, was ich mit ihm machen soll », vertraute Tito einem Freund an.18
86 Moskau, 25. Juli 1935 

Hin und wieder besuchte Tito den Komintern-Funktionär Ge-


work Alichanow zum Schachspielen auf Zimmer 10 im Lux. Er hatte
den Armenier schon 1934 als Instrukteur der Kaderabteilung in Jugo-
slawien kennengelernt, für die er immer noch arbeitete. Seine Stief-
tochter Jelena Bonner, die spätere Ehefrau des Dissidenten Andrej
Sacharow, war etwa im gleichen Alter wie Žarko und freundete sich
mit ihm an. « Wenn er [Žarko] mit Erwachsenen sprach, ähnelte er ei-
nem bösartigen, angeschossenen Raubtier, und seine rötlichen Haare
stellten sich wie Stacheln in die Höhe », erinnerte sich Jelena. « Er war
ein unverbesserlicher Raufbold und ebensolcher Draufgänger. » Žarko
begann, dem ebenso intelligenten wie eigenwilligen Mädchen den
Hof zu machen, und obwohl sich zwischen den Halbwüchsigen keine
Liebschaft entwickelte, gab es « eine Phase, in der ich Žarko blindlings
ergeben war », bekannte sie. Schließlich war er « ein unglaublich gut ge-
bauter Bursche mit einem bösen, lustigen Gesicht … und einem un-
verbesserlichen [anzüglichen] Blick ».19
Im Herbst 1935 lernte Tito die 21-jährige Lucie Bauer im Hotel
Lux kennen. Eigentlich hieß sie Johanne Elsa König, genannt Hanni,
und stammte aus Chemnitz. Das Leben der Tochter eines sächsischen
Eisendrehers und einer Arbeiterin war bis dahin nicht besonders
glücklich verlaufen. « Da die Not zu Hause groß war, war es mir nicht
vergönnt, einen Beruf zu erlernen », gab sie bei der Komintern an.
« Ich war erwerbslos und bezog die kärgliche Erwerbslosenunterstüt-
zung. Mein Vater und Geschwister waren ebenfalls [seit fünf Jahren]
erwerbslos. »20 Als Komsomolzin verbrachte sie in Chemnitz praktisch
ihre gesamte freie Zeit mit politischer Arbeit, obwohl sie von Marx,
Lenin und Engels keine Ahnung hatte, wie sie selbst zugab. Mit ihrem
damaligen Lebensgefährten, dem Jugendsekretär Ernst Wabra, hatte
sie eine mittlerweile zweijährige Tochter. Dank Unterstützung der
Roten Hilfe wuchs die kleine Thea nun bei Lucies mittellosen Eltern
auf, nachdem der Kommunistische Jugendverband KVJD Lucie im
Frühjahr 1934 nach Moskau geschickt hatte, um sie drei Monate lang
für die illegale Parteiarbeit in Deutschland auszubilden.21 Mit fal-
schem Pass reiste sie als Paula Kirsch und einem vorgeblichen Ehe-
mann Karl in die Sowjetunion ein. Da Wabra kurz nach ihrer Ausreise
 Parteiarbeiter der Komintern 87

Lucie Bauers
gefälschter Pass:
Karl und Paula Kirsch,
1934

verhaftet und wegen Hochverrats zu fünfzehn Jahren Zuchthaus


­verurteilt wurde, war an eine Rückkehr nach Deutschland nicht zu
denken. Sie landete später selbst auf der Sonderfahndungsliste der
Gestapo. Also machte Lucie in Mokau eine Ausbildung als Monteurin
und Zeichnerin in der Radiofabrik Nr. 2 und besuchte abends die
West­universität. « Hat sich mit größtem Fleiß alle Mühe gegeben »,
steht in ihrer Personalakte. « In theoretischen Fragen ohne nennens-
werten Erfolg, in anderen mit geringem Erfolg. Als verantwortliche
Verbandsarbeiterin unmöglich. »22 Auch Russisch lernte sie nicht, wes-
halb sie mit Tito, alias Friedrich Walter, Deutsch sprach.
Als die neue Beziehung mit Lucie begann, schlug Tito ihr vor zu-
sammenzuziehen. « Ich hoffte, dass sie mir helfen wird, auf den Jungen
aufzupassen », erklärte er der Kaderabteilung. « Es war sehr schwierig
für mich allein mit dem Jungen, weil ich in der Komintern gearbeitet
88 Moskau, 25. Juli 1935 

habe und er allein zu Hause war und im Hotel Lux oft Unfug ge-
macht hat, so dass sich die Verwaltung … dauernd über ihn beschwert
hat. »23 Lucie verstand sich gut mit ihrem künftigen Stiefsohn und zog
im kleinen Zimmer  275 mit ein. Kurz bevor Tito im Oktober 1936
Moskau verließ, um im jugoslawischen Untergrund die Partei neu
aufzustellen, heirateten die beiden. Die Vorgesetzten in der Komin-
tern versprachen ihm, Lucie mit Žarko nachkommen zu lassen, sobald
er eine Wohnung gefunden hätte.

In geheimer Mission

Im Auftrag der Komintern brach Tito am 16. Oktober 1936


nach Paris auf, wo sich die exilierte KPJ-Führung mittlerweile auf-
hielt. Wie die meisten linken Emigrantengruppen in Paris, Prag und
Kopenhagen war sie durch innere Rivalitäten und alte Feindschaften
gelähmt, die vor allem persönlicher Natur waren. Dimitrow hatte Tito
zum Organisationssekretär der Partei ernannt und damit zum Stell-
vertreter des 33-jährigen Generalsekretärs Milan Gorkić. Noch in
Moskau hatte Tito darauf gedrungen, die operative Führung der KPJ
nach Jugoslawien in den Untergrund zu verlegen, um die Partei neu zu
organisieren. Tatsächlich war sie, wie Gorkić selbst einräumen musste,
aufgrund von Konspirationsfehlern, Verrat und « schlechter Haltung
vor dem Feind … eine Fabrik unnötiger Opfer » geworden. Unter ande-
rem war im Vorjahr das illegale Landesbüro in Kroatien hochge­gangen,
wodurch der Polizei geheimstes Material wie Chiffriercodes, Namen
und Adressen in die Hände gefallen war. 950  Genossen, ein Drittel
­aller Parteimitglieder, wurden daraufhin verhaftet.24
Abgesehen von der ehrgeizigen politischen Aufgabe, die ihm be-
vorstand, war Tito erleichtert, Moskau verlassen zu können. Dort
grassierte mittlerweile die Schädlingshysterie, weshalb sich alle Aus-
länder einer politischen Überprüfung unterziehen mussten. Seit
­August 1936 trieb eine Serie von vier Schauprozessen gegen altge-
diente KP-Mitglieder das Schwungrad aus Verdächtigungen, Ver-
leumdungen und Verhaftungen vermeintlicher Volksfeinde an. Etliche
Funktionäre und Protagonisten der Oktoberrevolution wurden hinge-
richtet. Selbst die Mitarbeiter der Komintern und die etwa 37 000
 Parteiarbeiter der Komintern 89

ausländischen Politemigranten, besonders Deutsche, Polen, Finnen,


Ungarn, Bulgaren und Jugoslawen, gerieten kollektiv unter Spionage-
verdacht. Denn nach Meinung des Chefs der Geheimpolizei, Nikolai
Jeschow, wüssten « ausländische Spionagedienste, Saboteure …, dass
es keine bessere Tarnung … gibt als den Parteiausweis ».25 Es herrschte
eine furchtbare Atmosphäre des Misstrauens, denn jeder musste
fürchten, Opfer verleumderischer Vorwürfe zu werden. « Fast alle ver-
leugneten frühere Freunde, zitterten vor der Möglichkeit, einer ihrer
Verwandten könne beschuldigt oder verhaftet werden, wodurch sie
selbst automatisch zum Gegenstand von Untersuchungen und Be-
schuldigungen würden », schrieb Herbert Wehner.26 Auch die KPJ
wurde angeklagt, in der Hand von « Provokateuren und Agenten » zu
sein, was zu zahlreichen Verhaftungen führte. Im Mai 1937 sah sich
Parteiführer Milan Gorkić gezwungen, seinen Verbindungsmann in
der Komintern zu fragen, « welche von unseren Leuten im Nebel ver-
schwunden sind ».27 Was genau den Verschollenen zugestoßen war  –
Inhaftierung, Verbannung oder Hinrichtung –, blieb streng geheim.
Im Dezember 1936 verließ Tito Paris, um mit einem gefälschten
Pass die jugoslawische Grenze zu überschreiten. Das war hochriskant,
da Beamte, Gendarmen, Spitzel und einfache Bürger dringend auf­
gerufen waren, Kommunisten, Faschisten, ausländische Spione und
jegliche « staatsfeindliche Aktivität » an das Innenministerium und­
die Staatsschutzabteilungen zu melden. Einen Genossen warnte die
­Komintern, er werde « zu zwanzig Jahren verurteilt », wenn man ihn
schnappe, « sofern man Sie nicht schon vorher totschlägt ».28
Als Tito Anfang 1937 eines Spätnachmittags vor der Haustür sei-
nes Schriftstellerfreundes Miroslav Krleža erschien, war er ganz und
gar verändert. Die Jahre in der Strafanstalt Lepoglava und in der
­Sowjetunion « hatten aus seinem Gesicht den Ausdruck naiver und
unmittelbarer Heiterkeit weggewischt », erinnerte sich der Autor, « und
anstelle eines lachenden jungen Mannes stand dort ein ernster, stiller
Fremder, dessen Augen hinter den Gläsern seines Zwickers dunkel
leuchteten, fast streng ». Krleža erlebte Tito jetzt in sich ruhend,
selbstsicher und geradlinig. Er wirkte « wie ein Mensch, der alle inne-
ren Zweifel ausgeräumt hatte und der sich seiner Berufung [voll] be-
90 Moskau, 25. Juli 1935 

wusst ist ». Die politische Marschrichtung sei eindeutig, ließ Krleža


sich von ihm belehren. Der Marxismus-Leninismus weise den Weg
« zur Orientierung in jeder konkreten Situation, egal wie verwickelt sie
ist ». Unbeirrt müsse man jetzt « zur Tagesordnung übergehen: einfach,
ruhig, besonnen, gut organisiert, monolithisch ».29
Angesichts wachsender internationaler Spannungen hatte sich die
Lage in Jugoslawien weiter verkompliziert. Im Oktober 1934 waren
König Alexander und der französische Außenminister Louis Barthou
von kroatischen Ustascha und makedonischen Nationalisten in Mar-
seille ermordet worden. Sie wollten Jugoslawien als Staat zerschlagen.
Unter Prinzregent Paul, der anstelle des minderjährigen Thronfol-
gers Peter die Staatsführung antrat und eine Koalitionsregierung
­ernannte, ging die Königsdiktatur in ein autoritär-zentralistisches Sys-
tem über. 1935 trat der mächtige Finanzexperte Milan Stojadinović
das Amt des Ministerpräsidenten und zugleich Außenministers an. Er
stärkte die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit NS-Deutschland, was
ein beträchtlicher Teil der politischen Klasse als gefährlichen Tabu-
bruch empfand. Denn Jugoslawien, dessen territoriale Integrität von
vielen Seiten bedroht war, gehörte seit seiner Gründung zusammen
mit Polen, Rumänien und der Tschechoslowakei zum antirevisionis­
tischen Block, den Frankreich als Teil seines Sicherheitssystems im
Osten und Südosten Europas aufgebaut hatte. Schließlich warteten
außer Deutschland und Italien auch Ungarn und Bulgarien auf eine
günstige Gelegenheit, die in den Friedensverträgen des Ersten Welt-
krieges festgelegten Grenzen zu ihren Gunsten zu revidieren. Das
Deutsche Reich blickte zuallererst nach Ostmitteleuropa, Italien auf
den Mittelmeerraum. Trotz beschwichtigender Reden war unüber-
sehbar, dass Mussolini, der 1935/36 Abessinien eroberte, als Nächstes
auf die Annexion Dalmatiens und Albaniens hinarbeitete. Milan
Stojadinović wollte den Teufel mit dem Beelzebub austreiben: Wenn er
engere Beziehungen zu Hitler knüpfte, so hoffte er, würde der « Füh-
rer » seinen Partner Mussolini hoffentlich in die Schranken weisen.
Im Angesicht der faschistischen Gefahr war es Titos erste Auf-
gabe, die KPJ neu auszurichten. Um die Volksfrontstrategie der
­Komintern umzusetzen, verordnete er der jugoslawischen Partei, mit
 Parteiarbeiter der Komintern 91

Gruppen zusammenzuarbeiten, die sie vordem vehement verurteilt


hatte, also Sozialdemokraten, Bauernparteilern und anderen Anti­
faschisten. Daneben schrieb er Artikel und Aufrufe, organisierte Anti­
kriegsdemonstrationen und Streiks. In Slowenien und Kroatien baute
er regionale Parteiorganisationen auf, in Makedonien legte er dafür
die ersten Grundsteine. Unter Aufsicht eines Verbindungsmanns zum
sowjetischen Geheimdienst warb er des Weiteren Nachwuchs für die
KPJ an. Innerhalb von vier Monaten stellte er 32 Personalprofile für
die Komintern zusammen.30
Ein weiterer Auftrag bestand darin, jugoslawische Freiwillige für
die Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg zu rekrutie-
ren. Im Juli 1936 hatte General Francisco Franco gegen die demokra-
tisch gewählte Regierung in Madrid geputscht. Antifaschisten aus
ganz Europa meldeten sich, um die Spanische Republik mit der Waffe
gegen den Faschismus zu verteidigen. Auch etwa 1500  Jugoslawen
stießen jetzt dazu. Sporadisch soll Tito deswegen auch nach Spanien
gereist sein, ohne dass bis heute klar wurde, was er dort genau getan
hätte. Der schon im Zweiten Weltkrieg erhobene Vorwurf seiner poli-
tischen Gegner, dass er die Liquidierung von « Trotzkisten » für den
sowjetischen Geheimdienst organisiert habe, ist bis heute nicht be-
wiesen. Und weil die Komintern die KPJ zu dieser Zeit verdächtigte,
unzuverlässig zu sein, war das sogar unwahrscheinlich.
Die meiste Zeit verbrachte Tito als Illegaler in Jugoslawien. Dafür
benutzte er an die siebzig Decknamen: Rudi, Walter, Oto, Spiridon,
Viktor, Wiek. Aber die meisten Artikel und Direktiven unterzeichnete
er mit seinem Pseudonym « Tito » oder den Initialen « T. T. ». Die Arbeit
im Untergrund erforderte äußerste Geheimhaltung, eiserne Disziplin
und stahlharte Nerven. Um seine « Touristenarbeit » (Anwerbung der
Spanienkämpfer) und « andere Firmenangelegenheiten » (Parteiorga-
nisation) zu tarnen, musste er Identitäten und Erscheinungsbilder
dauernd verändern: Haarfarbe und Frisuren, Schnauzer und Brillen-
gestelle, Kleidung und Accessoires. Er reiste mit Skiausrüstung zu ge-
heimen Parteiversammlungen in die slowenischen Berge, zu konspira-
tiven Treffen mit der Badehose an den Strand von Split oder elegant
gekleidet als dienstreisender Ingenieur nach Wien, Paris und Istanbul
92 Moskau, 25. Juli 1935 

zu den nachrichtendienstlichen Verbindungspunkten der Komintern:


als Tscheche Ivan Kostanjšek, Kanadier Spiridon Mekas oder Schwede
John Alexander Carlson. « In der Illegalität musst du an allem sparen »,
riet er einer Kurierin, « aber niemals am äußeren Aussehen ».31 Bei all
dem traute er niemandem, selbst dem Generalsekretär nicht. Waren
nicht viele verhaftet worden, die auf Routen unterwegs waren, die
­Milan Gorkić angeordnet hatte?
Die Komintern strebte in ihren Ausbildungsstätten danach,
« Kämpfer mit größter ideologischer Festigkeit, maximaler eigener
­Initiative, hohen persönlichen Mutes und innerer Diszipliniertheit »
hervorzubringen. Und Tito entsprach in jeder Hinsicht dem Ideal
­eines Revolutionärs, wie ihn sich die Komintern wünschte: bereit,
­«  jedes Opfer für die Partei zu bringen », ohne blind den Moskauer
­Befehlen zu gehorchen.32 Auch stand seine Berufung über allem Pri-
vaten – Freundschaften, Familie und Liebesbeziehungen. Verliebt-
sein sei nichts für Revolutionäre, erklärte er einmal einer Gefährtin.
« Ein ­Revolutionär muss vollkommen frei sein. Nur dann kann er mit
voller Kraft arbeiten. »33
Obwohl es gefährlich war, entschloss er sich eines Nachts zu einem
heimlichen Besuch in seinem Heimatdorf Kumrovec. Nichts hatte
sich hier in den letzten vierzig Jahren verändert, beobachtete er ver-
blüfft, nicht einmal die Türen hatten sie geölt. Als würde in der Welt
nichts passieren, als würde überhaupt nie etwas passieren, und als
stünde Europa nicht vor einer großen Katastrophe! Unvermittelt
« veränderte sich der Klang seiner Stimme und seine hellen blauen
­Augen überzogen sich mit einem dunkelblauen, metallenen Guss und
verdunkelten sich wie Tinte », erinnerte sich sein Schriftstellerfreund
Miroslav Krleža, dem er davon erzählte. « Das gutmütige, sanfte Spiel
seiner Lippen verwandelte sich in trotzige, harte, wie aus Stein gemei-
ßelte scharfe Linien, und in diesem Blick, dieser Stimme erschien ein
unbestimmter, suggestiver Ausdruck voll Schmerz und Unruhe. » Wie
lange wollen denn alle noch weiterschnarchen, knurrte er wütend.
« Wir stehen vor einem neuen Weltkrieg, und wenn uns nicht unser
­eigener Verstand rettet, rettet uns nichts! »34
 Parteiarbeiter der Komintern 93

Titos gefälschter Pass:


Ing. Ivan Kostanjšek,
1939

Der Alte

« Tito war schon zwei Mal hier, zwei Mal in der Hoffnung,
dass er seine Frau hier antreffen wird », beschwerte sich Parteiführer
Gorkić im Frühjahr 1937 aus Paris beim jugoslawischen Vertreter in
der Komintern.35 Er solle bitte schleunigst für das Ausreisevisum für
seine Frau sorgen! Statt einer Antwort erhielt er Mitte Juli ein Schrei-
ben Dimitrows, der ihn « sofort und für mehrere Tage » nach Moskau
einbestellte.36 « Nein, es ist nicht, was du meinst », beruhigte er den
entsetzten Manès Sperber, den er in einem Café auf dem Boulevard
Saint-Germain traf. « Es handelt sich um eine Beratung, an der ich un-
bedingt teilnehmen muss. »37 Allerdings meldete sich Gorkić dann seit
Ende Juli nicht mehr, und auch von « Fleischer » (Gržetić), dem jugo­
slawischen Vertreter bei der Komintern, kam kein Lebenszeichen. Die
94 Moskau, 25. Juli 1935 

Komintern fror offenbar alle Beziehungen zur KPJ ein und schickte
auch kein Geld mehr. « Nun sind schon zwei Monate vergangen, seit
Sommer [Gorkić] abgereist ist, und sechs Wochen, dass von Euch
nichts kommt », schrieb Tito im September 1937 beunruhigt nach
Moskau. « Es gibt nicht mal eine Bestätigung, ob ihr unsere Sachen er-
haltet. »38
Ende 1937 informierte Wilhelm Pieck, der im Exekutivkomitee
der Komintern für die Balkanländer zuständig war, die jugoslawi-
schen Genossen über die Absetzung Gorkićs. Er beauftragte Tito, die
Leitung der jugoslawischen «  Filiale 
» kommissarisch zu überneh-
men. Tatsächlich waren Gorkić, seine Frau und ebenso Gržetić un-
39

ter Spionageverdacht verhaftet worden. Man warf dem Parteiführer


vor, unbequeme Genossen an die jugoslawische Polizei verraten zu
haben und die Verantwortung dafür zu tragen, dass diese im Frühjahr
1937 einen Schiffstransport von fünfhundert militärisch ausgebilde-
ten Freiwilligen für die Internationalen Brigaden in Spanien aufge-
bracht hatte. Die gesamte Belegschaft der « La Corse » wurde verhaftet.
Unter Folter gab ein führender Kommunist sensibelste Informatio-
nen preis; der größte Teil der Parteiorganisation wurde ausgehoben.
Abgesehen von den persönlichen Schicksalen und dem politischen
Schaden hatte die Komintern 750  Millionen Franc in den Sand
­gesetzt.
Als Gorkićs Stellvertreter und nun kommissarischer General­
sekretär betrachtete sich Tito als geborener Chef der Gesamtpartei.
Wie es die Instrukteure der Komintern den Balkanparteien empfah-
len, hielt er sich – ganz im Gegensatz zu der alten Führung – immer
monateweise bei den Parteizellen in der Provinz auf. Durch die Kam-
pagnen der Jugendorganisation und der Gewerkschaften, die er anlei-
tete, erhielt die KPJ wieder Zulauf – bis 1941 wuchs sie auf 12 000 Mit-
glieder an, davon schätzungsweise sechzig Prozent Arbeiter sowie je
zwanzig Prozent Bauern und Intellektuelle.40 Es war eine Zeit, in der
viele junge Leute nach politischen Alternativen suchten, nach Orien-
tierung und Sinn, um an Diktatur, Weltwirtschaftskrise und drohen-
der Kriegsgefahr nicht zu verzweifeln. Trotz der Moskauer Funkstille
schickte er weiter ausführliche Berichte an die Komintern. Die aber
 Parteiarbeiter der Komintern 95

ließ ihn auf die förmliche Ernennung zum Generalsekretär weiter


warten.
Titos wichtigste Ressource in der operativen Parteiarbeit war eine
Mischung aus Einfühlungsvermögen und natürlicher Autorität; das
größte Geheimnis seines Erfolges war, dass er ihn sich selbst zutraute.
In der Illegalität konnte man niemandem etwas befehlen. Wie viele
Kommunisten gab es denn damals? Sehr wenige, erläuterte er später.
« Wenn man rumkommandiert, kann man auf Dauer nichts erreichen,
man muss die Dinge unermüdlich erklären » und « um jeden Menschen
kämpfen ».41 Die Königsdiktatur machte es zudem praktisch unmög-
lich, mit propagandistischen Mitteln eine Massengefolgschaft aufzu-
bauen. Schon deswegen konnte Tito sich nicht als charismatischer
Führer oder politischer Messias inszenieren wie Hitler oder Musso-
lini. Was ihn von den Volkstribunen seiner Zeit unterschied, war zu-
dem seine Sprechweise. Denn Tito war « der beste schlechte Redner
auf der Welt », wie sich sein späterer Dolmetscher Ivan Ivanji aus-
drückte.42 Weder besaß er eine klangvolle Stimme noch war er ein
mitreißender Rhetoriker. Aber er verfügte über die Fähigkeit, kom-
plexe theoretische Zusammenhänge in verständliche, anschauliche
und überzeugende Formulierungen zu fassen.43 Und mit seiner Di-
rektheit vermochte er Menschen ganz unterschiedlicher sozialer Her-
kunft und Stellung für sich einzunehmen.
Im Unterschied zu Stalin war er kein Psychopath, der sein Um-
feld durch Einschüchterung, Drohungen und Psychoterror unter-
warf. Vielmehr besaß er ein sicheres Gespür für Stimmungen und
­verfügte, wie der junge Jurist Vladimir Velebit fand, über einen « unwi-
derstehlichen natürlichen Charme ».44 Er strahlte Selbstsicherheit
und Entschlusskraft aus, und selbst in Momenten höchster Anspan-
nung und Nervosität verlor er nie die Selbstbeherrschung. Die Wirt-
schaftsstudentin Vanda Novosel wunderte sich noch im hohen Alter,
wie er es damals vermochte, ihr das Gefühl zu vermitteln, « mit seinen
faszinierenden blauen Augen direkt in einen hineinzusehen », erzählte
sie in einem Fernsehinterview. « Dem kannst du alles sagen », dachte
sie, « er versteht das ».45 In politischen Auseinandersetzungen setzte er
seine Autorität dennoch unnachgiebig ein, « war dann unerschütter-
96 Moskau, 25. Juli 1935 

lich, ja sogar intolerant », berichtete Milovan Đilas. « Er gab niemals


zu, im Unrecht zu sein. »46
Aus all diesen Gründen glaubten idealistische, motivierte, coura-
gierte und intelligente junge Männer und Frauen nur zu gerne, wie es
der spätere Außenminister Koča Popović ausdrückte, in Tito « ihren
wahren Führer » gefunden zu haben.47 Aus den Reihen der « Genera-
tion Revolution » zog er neue Kader heran, um in Jugoslawien eine
neue provisorische Parteiführung aufzubauen. Edvard Kardelj, Milo-
van Đilas, Aleksandar Ranković, Ivo Lola Ribar und andere stießen in
den inneren Zirkel seiner Gefolgschaft vor. Sie bildeten eine Gesin-
nungs- und Solidargemeinschaft, die gemeinsame Überzeugungen,
Denkweisen und Erfahrungen zusammenschmiedete. « Kein größerer
und schändlicherer Verrat, als diese kommunistische Welt im Stich zu
lassen! », erläuterte Đilas.48
In Tito erblickten diese jungen Männer und Frauen den obersten
Patriarchen ihrer politischen Familie, der kommunistischen Partei
­Jugoslawiens. Sie waren ihm aufrichtig zugetan, sogar treu ergeben.
Hingabe an die Sache verband sich mit Zuneigung und Loyalität
­gegenüber dem Häuptling. Sie nannten ihn halb ironisch, halb liebe-
voll « Stari », « der Alte », wie im Südslawischen der väterliche Hausherr
einer Großfamilie hieß. Noch während des Partisanenkampfes war es
gang und gäbe, Tito mit « Genosse Stari » anzureden.

Hanni König (Lucie Bauer) – ein deutsches Schicksal

Lucie Bauer, die in Moskau geblieben war, erhielt von ihrem


Mann, den sie Friedrich oder scherzhaft « Herr » und « Herrchen »
nannte, nach seiner Abreise wochenlang kein Lebenszeichen. Erst
Ende März 1937 war er wieder in Paris und in der Lage, ein paar
Briefe zu Papier zu bringen. « Meine liebste Kleine! », schrieb er seiner
« Lusil » auf Deutsch. Er tue alles, damit sie bald ausreisen könne. Nur
nicht nervös werden, das könne sehr gefährlich werden. Sie solle aber
unbedingt noch den kleinen Žarko im Heim besuchen. « Ich möchte so
gerne wissen, wie es ihm geht, ob er sich gut entwickelt. » Nun warte er
ungeduldig auf weitere Briefe. « Mit vielen herzlichen Küssen – dein
Friedrich. »49
 Parteiarbeiter der Komintern 97

Das endlose Warten auf die Erlaubnis zur Ausreise fand Lucie
nervenaufreibend und deprimierend. Sie war über den Winter ge-
sundheitlich angeschlagen und stark abgemagert. Aber mit dem
­Visum tat sich einfach nichts. « Welche Enttäuschung! », klagte Tito,
der erneut umsonst nach Paris gekommen war. « Lusil, diese Tage habe
ich besonders viel an dich gedacht und starke Sehnsucht gehabt. »50
Kaum ging es ihr etwas besser, bekam sie einen Lungenkatarrh. Um
sich auszukurieren, fuhr sie am 15. September 1937 zu ihrer Freundin
Berta Glaser auf die Krim. Die beiden kannten sich aus den Fortbil-
dungen der Komintern. Berta arbeitete mittlerweile für die Rote Hilfe
und pflegte in Simferopol den Genossen Van der Veen. In seiner Woh-
nung in der Architektorskaja 20 konnte Lucie während ihres Urlaubs
unterkriechen.
Lucie konnte nicht wissen, dass Geheimdienstchef Nikolai Je-
schow im Juli 1937 den Befehl für die deutsche Operation gab. « Durch
Agentur- und Untersuchungsmaterialien der letzten Zeit ist bewie-
sen, dass der deutsche Generalstab und die Gestapo in breitem Um-
fang Spionage- und Diversionstätigkeit » organisieren, hieß es dort.
Der NKWD müsse also gegen diese « Agenten-Spione, Diversanten
und Terroristen » vorgehen. Stalin verfügte: « Alle Deutschen in unse-
ren Rüstungsbetrieben, halbmilitärischen und Chemiewerken, in
Elektrokraftwerken und auf Baustellen in ALLEN Gebieten sind zu
VERHAFTEN. » Außer der « fünften Kolonne » sollten alle Personen
mit einer « kompromittierenden sozialen und politischen Vergangen-
heit » und alle, « die in diesem oder jenem Maße der Spionage oder
konterrevolutionären Arbeit verdächtig sind », unschädlich gemacht
werden.51
Die deutsche und etliche weitere nationale Operationen standen
im Kontext des Terrors, der seit Frühjahr 1937 immer furchterregen-
dere Ausmaße annahm. Stalin fürchtete Kritik an Machtmissbrauch,
falschen politischen Entscheidungen sowie verheerenden wirtschaft­
lichen Problemen bei der Umsetzung des Fünfjahresplans. Paranoid
und gewalttätig, instrumentierte er die « Säuberungen » dazu, alle per-
sönlichen und systemischen Fehlleistungen auf Sabotage zurückzu-
führen, um schließlich seine innerparteilichen Rivalen und alsbald
98 Moskau, 25. Juli 1935 

überhaupt jede abweichende Meinung auszulöschen. « Die Trotzkisten


müssen gejagt werden, erschossen, vernichtet », ereiferte er sich. « Sie
sind internationale Provokateure, die schlimmsten Agenten des Fa-
schismus. »52 Von über viertausend deutschen Staatsbürgern, die sich
in der Sowjetunion aufhielten, wurden zwischen Juli 1937 und De-
zember 1938 fast achthundert verhaftet. Die meisten wurden ausge-
wiesen oder in Arbeitslager verschickt. Angebliche oder wirkliche Spi-
one wurden erschossen.53
Den jugoslawischen Vertreter bei der Komintern erreichte am
21. September 1937 ein schockierendes Telegramm aus Simferopol:
« Lucie heute Nacht verhaftet bitte dringend zu intervenieren  – Van
der Veen. »54 Was immer dieser daraufhin unternommen haben mag, es
lief ins Leere. Der NKWD ließ Lucie ein paar Wochen nach ihrer
­Verhaftung nach Moskau in das Nowinsker Frauen­gefängnis überstel-
len. Dort dürfte es nicht besser zugegangen sein als in der berüchtig-
ten Butyrka: « Mein erster Gedanke war: eine Irren­anstalt! », erinnerte
sich Margarete Buber-Neumann, als sie Zelle 31 betrat. « Hundert fast
nackte Frauen hockten, lagen, kauerten dicht aneinander. Der ganze
Raum war ein einziges Gewimmel. Die Luft kaum einzuatmen. »55 Die
Gefangenen wurden nachts immer wieder verhört, eingeschüchtert,
manche auch gefoltert. Die Ungewissheit, was die Zukunft bringen
würde, zog sich unerträglich in die Länge. « Ich bin völlig verzweifelt »,
klagte auch Roberta Gropper, die etwa zeitgleich mit Lucie verhaftet
worden war. « Jeder Mensch kann Unglück, das ihn ereilt, ertragen,
doch nur in Grenzen. Und an dieser Grenze meiner Kräfte befinde
ich mich jetzt. »56
Fünf Wochen nach ihrer Festnahme wurde Lucie zum ersten Mal
zu ihrer Vergangenheit verhört. Allmählich wurde klar, worauf es hi­
nauslief, nämlich eine Anklage nach Paragraph 58 des Strafgesetzbuchs
betreffend Feinde der Sowjetmacht. « Kennen Sie Max Pawlowitsch
Reingold und seine Frau Elsa Karlowna? » Ja, die kannte sie gut. Sie
waren in Chemnitz Nachbarn und Elsa ihre Kollegin gewesen. Das
Ehepaar war früher als Lucie nach Moskau gekommen, und man hatte
sich öfter mit anderen deutschen Genossen in ihrer Wohnung getrof-
fen.
 Parteiarbeiter der Komintern 99

Die Ermittler beschuldigten Lucie, sie habe Reingold, der mittler-


weile wieder nach Deutschland zurückgekehrt war, geheime Informa-
tionen über ihre illegale Ausreise in die Sowjetunion, ihre Schulung in
Moskau und den kommunistischen Jugendverband anvertraut. Ihre
Genossen aus Chemnitz hatten dies der Kaderabteilung der Komin-
tern bestätigt, der mittlerweile Gework Alichanow, Titos ehemaliger
Schachpartner aus dem Hotel Lux, vorstand.57 Der Armenier war
jetzt dafür zuständig, die « Säuberungen » in der Komintern-Zentrale
durchzuführen. Aufgrund der Aktenlage unterzeichnete er, Unter-
schrift beglaubigt, am 27. April 1937 einen Vermerk an den Ver­
bindungsmann des NKWD: « Genossin Lucie Bauer hat eine Kon­
spirationsverletzung begangen / berichtete einer Person über ihre
Ausreise …, die davon nichts wissen durfte. »58 Da Alichanow im Mai
selbst « mitgenommen » und 1938 exekutiert wurde, veranlasste alles
Weitere sein Stellvertreter, der Bulgare Georgi Damjanow (Bjelow).
« Auf unsere Anordnung wurde Bauer Lucie … 1937 von den Organen
des NKWD verhaftet », vermerkte er in ihrer Akte.59
Der NKWD betrachtete Max Reingold als « Faschisten », weil er
sich angeblich positiv über Hitler-Deutschland und kritisch über die
Sowjetunion geäußert habe. « Bekennen Sie sich schuldig, dass Sie
enge Kontakte mit dem Feind der Sowjetunion, dem Faschisten Rein-
gold unterhalten haben? », wollten die Ermittler am 21. November
1937 von Lucie Bauer wissen. « Ja, ich bekenne mich schuldig, dass ich
enge Kontakte zum Feind der Sowjetunion, dem Faschisten Reingold
hatte », unterschrieb sie im Protokoll, und auch, dass sie ihm « Partei-
geheimnisse » anvertraut habe. « Die Ermittler haben Beweise, dass Sie
vom deutschen Geheimdienst für Spionagetätigkeit auf dem Territo-
rium der UdSSR angeworben wurden. Geben Sie das zu? », legten die
Geheimdienstler nach. « Nein, das gebe ich nicht zu. » Sagen sie gefäl-
ligst die Wahrheit!, verlangten die Fahnder streng. Aber Lucie be-
harrte auf ihrer Aussage. « Ich habe nie irgendwelche Spionagetätigkeit
auf dem Gebiet der UdSSR ausgeübt und niemand hat mich dazu an-
geworben. »60
Zwei Tage später fasste der NKWD seine Erkenntnisse im Fall
Nr. 4801 zusammen. « Sie [Lucie Bauer] bekennt sich schuldig, dass
100 Moskau, 25. Juli 1935 

sie enge Beziehungen zum Faschisten Reingold hatte, ihm Partei­


geheimnisse verraten hat und dass sie von der Chemnitzer Gestapo
für provokatorische Tätigkeit angeworben wurde. »61 Das hatte sie
zwar nicht, aber es machte in der Regel keinen Unterschied, ob einer
leugnete oder gestand. Das weitere Verfahren war üblicherweise ein
administratives Urteil ohne Gerichtsprozess gefällt durch eine Zweier­
kommission von NKWD und Staatsanwaltschaft. Eine solche Dwoika
setzte Lucie am 23. Dezember 1937 auf die Hinrichtungsliste. Das
war selbst auf dem Höhepunkt des Großen Terrors eine außer­
gewöhnlich harte Strafe für eine Frau: Nur vier Prozent der Todes-
kandidaten waren weiblich.
In der Nacht des 29. Dezember 1937 brachte ein Lastwagen Lucie
mit weiteren Gefangenen in das 27  Kilometer entfernte Butowo zu
einem mit Stacheldraht umzäunten Gelände. Im Lichtkegel der
­
Wachtürme ging es zu den Holzbarracken, wo die Identität der Häft-
linge überprüft wurde. Daraufhin fesselte man allen die Hände auf
dem Rücken und verlas das Strafmaß. Erst jetzt erfuhr die 23-Jährige,
dass sie hingerichtet werden sollte.
Seit August 1937 wurden in Butowo fast täglich über hundert
Menschen erschossen, an manchen Tagen sogar drei- bis vierhundert.
Ein Hinrichtungskommando bestand in der Regel aus vier Schützen,
nur wenn es viel zu tun gab, waren es mehr. Wenn die Arbeit losging,
ergriff jeder einen Gefangenen und führte ihn zu einem langen, 3,5
Meter tiefen Graben. Die Todeskandidaten mussten am Rand nieder-
knien. Der Schuss ging ins Genick; die leblosen Körper fielen von
selbst vornüber in die Grube.62
In dieser Nacht wurden 247  Männer und Frauen hingerichtet.
Außer Lucie waren noch vierzehn weitere Deutsche darunter: Bruno
Albrecht, Peter Funk, Wilhelm Boethling, Paul Kiesewetter, Kurt
Kramer, Max Kock, Else und Wilhelm Kuhlmann, Charlotte Retzlaff,
Friedrich Reise, Richard Pelz, Albert Reuger, Paul Runge und Johann
Welser. Im Morgengrauen schütteten Bauern aus der Umgebung das
Massengrab mit Erde zu und hoben neue Gruben aus. Zwischen Juli
1937 und November 1938 kamen in Butowo über 20 000 Männer und
Frauen ums Leben.63
 Parteiarbeiter der Komintern 101

Wann mag Tito von Verhaftung und Tod seiner Lusil erfahren ha-
ben, die er so sehnsüchtig erwartete? Darüber erzählen die Quellen
nichts. Er selbst hat über seine Ehe mit Lucie Bauer nie ein Wort ver-
loren. Dass es sie in seinem Leben überhaupt gab, kam sogar erst nach
Öffnung der sowjetischen Archive in den neunziger Jahren ans Tages-
licht.

Auf Messers Schneide

Im Zuge des Großen Terrors, der Ende 1937 auf den Höhe-
punkt zulief, waren mittlerweile alle Mitglieder des jugoslawischen
ZK in der Sowjetunion verhaftet worden, darunter die vier ehemali-
gen Parteivorsitzenden Milan Gorkić, Filip Filipović, Sima Marković
und Đuro Cvijić. Drei Viertel aller jugoslawischen Kommunisten in
der Sowjetunion standen unter schweren Anklagen. Die Komintern
diskutierte, ob sie die unzuverlässige jugoslawische Sektion nicht ganz
auflösen sollte, so wie die polnische. Deswegen war Friedrich Walter
alias Tito immer noch nicht offiziell zum Nachfolger Gorkićs ernannt
worden.
Unterdessen beschloss im Zuchthaus von Sremska Mitrovica der
montenegrinische Kommunist Petko Miletić, Tito den Schneid abzu-
kaufen. Der vierzigjährige Tischler, ein langjähriges Mitglied der KPJ
und des Zentralkomitees, hatte in Moskau eine Schulung zum In­
strukteur durchlaufen und saß jetzt eine siebenjährige Haftstrafe ab.
Er war ein ideologischer Scharfmacher, der die Volksfrontpolitik ab-
lehnte und die Gefangenen immer wieder zu Protestaktionen gegen
die Gefängnisleitung aufwiegelte. Das brachte ihm den Ruf eines
­unerschrockenen und standhaften Revolutionärs ein, dessen Namen
sogar eine Freiwilligenbrigade in Spanien trug. Da er einflussreiche
Unterstützer in der jugoslawischen Exilführung in Paris und bei der
Komintern besaß, spekulierte er selbst auf den Parteivorsitz. Er war
der Favorit ebenjenes Georgi Damjanow (Bjelow) aus der Kaderabtei-
lung, der Lucie Bauer verhaften ließ. Ob dieser nur seine vermeint­
liche Pflicht erfüllte, ob er die Gunst der Stunde ergriff, die die deut-
sche Operation darstellte, oder ob er damit Tito bewusst schaden
wollte, ist ungewiss.
102 Moskau, 25. Juli 1935 

In jedem Fall ließen Miletićs Anhänger nun streuen, Tito arbeite


für die jugoslawische Polizei, fördere Söhne der Bourgeoisie und un-
terhalte intime Beziehungen zu einer Gestapo-Agentin namens Elsa
in Moskau. Später schoben sie noch den Vorwurf nach, er habe « trotz-
kistische Formulierungen » in seiner serbokroatischen Übersetzung
des « Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU (b) » benutzt. Das
von Stalin herausgegebene Werk musste im Auftrag der Komintern in
alle Sprachen übertragen und verbreitet werden.64
« Einige unserer hiesigen Genossen … erkennen die jetzige Füh-
rung nicht mehr an », schrieb Tito besorgt an seinen « lieben Freund »
Wilhelm Pieck in der Komintern, und als das nichts half, wiederholt
an Georgi Dimitrow. « Es ist schwer, ohne jede moralische, politische
und materielle Unterstützung von deiner Seite in diesen stürmischen
Zeiten zu arbeiten. »65 Er werde jetzt den Exilsitz in Paris auflösen und
in Jugoslawien eine neue provisorische Parteiführung installieren,
teilte er Anfang April 1938 mit. Auch wolle er möglichst bald in dieser
Angelegenheit nach Moskau kommen.
Währenddessen brachte der Slowene Josip Kopinič, sowjetischer
Staatsbürger und Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes, in
Erfahrung, dass in der Komintern schwere Anschuldigungen gegen
Walter alias Tito vorlagen. Aber, warf Kopinič dort ein, « warum zum
Teufel sollte er verlangen, nach Moskau zu reisen …? Doch nicht, da-
mit ihr ihn verhaftet! » Er bat um einen Monat Zeit, die Hintergründe
aufzuklären. « In der Zwischenzeit holt Walter nach Moskau, um mit
ihm alle Vorwürfe auszuräumen. »66
Ende August 1938 traf Walter in Moskau ein. Drei Mitglieder einer
fünfköpfigen Kommission, die über seine Zukunft entscheiden soll-
ten, waren ihm offenbar feindlich gesonnen, darunter der Bulgare
Bjelow, so dass sich das Verfahren gefährlich in die Länge zog. « Unsere
gesamte Partei wurde beschuldigt. Die Komintern diskutierte, sie
ganz aufzulösen », berichtete Tito später. Die « Liquidierung » der pol-
nischen KP war bereits in vollem Gang. « Das waren schwere, sehr
schwere Tage. »67
Während Titos Kopf, wie sich Geheimdienstmann Kopinič aus-
drückte, « am seidenen Faden » hing, war er wieder im Lux unterge-
 Parteiarbeiter der Komintern 103

bracht. Das ehemalige Luxus-Hotel « war mittlerweile ein schlicht


­katastrophaler Ort geworden », schrieb Jelena Bonner. Fast ein Drittel
der fünfhundert Zimmer war irgendwann versiegelt, deren Bewohner
« mitgenommen ».68 In den Korridoren « breitete sich damals ein pani-
scher Schrecken, eine hysterische Angst vor einer ungreifbaren und
doch so gut wie unentrinnbaren Gefahr aus », erinnerte sich auch Her-
bert Wehner.69 Tito lag nachts unruhig wach, wenn wieder Hämmern
an den Nachbartüren zu hören war. Er hörte Frauen und Kinder
schreien, wenn sie Leute verhafteten, « dass einem die Haare zu Berge
standen ».70
« Es gab dauernd Verhaftungen, dann wurden die verhaftet, die
bis dahin selbst verhaftet haben », berichtete Tito nach dem Krieg.
Das traf zum Beispiel auf seinen Schachpartner, den Chef der Ka-
derabteilung Alichanow, und dessen beide Vorgänger zu. Aber auch
hunderte Jugoslawen waren darunter, meist überzeugte Kommu­
nisten der ersten Stunde, dem jugoslawischen Polizeiterror Ent­
kommene, auch verdiente Spanienkämpfer, « Männer, für die ich
meine Hand ins Feuer gelegt hätte », klagte Tito später. Als eines
Nachts auch noch Titos Freund und Genosse Vladimir Ćopić aus
dem Lux abgeführt wurde, wandte er sich aufgewühlt an den
NKWD-Mann Kopinič. Der aber hatte einfach « nicht den Mut zu
fragen, wo sie [die Kameraden] abgeblieben sind und warum sie ver-
haftet wurden ».71
Tito musste sich zu seinen beiden Ehefrauen schriftlich erklären.
Polka, von der er geschieden war, hatte erneut geheiratet, war aber
­wegen ihrer jugoslawischen Kontakte für zehn Jahre in die Verban-
nung geschickt worden. Und Lucie war sogar als Spionin hingerichtet
worden. Da gab es nur eine Strategie. « Gib eine befriedigende Erklä-
rung ab. Bekenne deine politischen Fehler. Folge dem Gebot der
‹ Wachsamkeit › und decke jegliche kritische Haltung der Menschen,
mit denen du verkehrst, schonungslos auf! », beschrieb Buber-Neu-
mann die Zwickmühle des Verhörs.72 Auch Edvard Kardelj, den die
Kontrollkommission drei Mal vorlud, zog seinen Kopf aus der
Schlinge, indem er Selbstkritik übte. « Der Anfang ist das schwie-
rigste, aber dann ist es eigentlich ganz einfach », verriet er.73
104 Moskau, 25. Juli 1935 

Tito berichtete wahrheitsgemäß von der Zerrüttung der Ehe mit


Polka nach siebenjähriger Trennung, wies aber auch auf deren « unmo-
ralisches Verhalten im Alltag », die Liebesaffäre, hin. Schwieriger war es
in Bezug auf Lucie, deren Verhaftung wegen Spionage den Verdacht
auf ihn selbst zu lenken drohte. Es war überlebensnotwendig, sich
beim Verhör von einer Gefährtin oder Ehefrau loszusagen, die der
NKWD verhaftet hatte. Wenn man Einsicht heuchelte und eigenes
Fehlverhalten einräumte, war die Chance noch am größten, das Verfah-
ren mit heiler Haut zu überstehen.74 Er sprach also von « meiner frühe-
ren Frau, die sich als Feind herausgestellt hat ». Was wirklich in ihm
vorging, lässt sich aus einer vom Geheimdienst erzwungenen Aussage
naturgemäß nicht heraus­lesen. « Warum dachte ich, dass sie vertrau-
enswürdig ist? », hob er in holprigem Russisch an. « Weil sie die Tochter
eines armen Arbeiters ist, weil sie früher die Frau eines angesehenen
Komsomolzen war und zu einer kurzen Schulung nach Moskau ge-
schickt worden war. » Er ging dann zur obligaten Selbstkritik über. « Ich
meine, dass ich hier nicht wachsam genug war », bekannte er formel-
haft. « Es stimmt, dass ich sie sehr naiv und politisch unreif fand. » Er
habe sie verschiedentlich vor den gefährlichen Kontakten zur deut-
schen Emigration gewarnt. Und wie könnte sich ihr Verhalten auf
seine angestrebte Führungsstellung auswirken? « Ich finde, dass das in
meiner Parteikarriere ein Schandfleck ist. Ich glaube, dass verschie-
dene Schädlinge unserer Partei dies im Kampf gegen mich ausnutzen
können. » Schon streuten seine Gegner das Gift des Zweifels: « ‹ Wie
kann denn Tito (Walter) Parteisekretär werden, wenn seine Frau ver-
haftet wurde › … Diese Tatsache kann meine Arbeit behindern. »75
Nach außen blieb er in den folgenden Wochen kühl und konzen­
triert. In einer Woche tippte er ein siebzigseitiges Traktat über die
­politische Lage in Jugoslawien und die Neuausrichtung der Partei.
Ferner lieferte er einen Bericht über « Meine Beziehungen zu Perso-
nen, die als Saboteure und Feinde unserer Partei enttarnt wurden » ab,
von denen sechs bereits tot waren, während es für zwei weitere defini-
tiv keine Rettung mehr gab. Er benutzte Etiketten wie « Fraktionär »,
« Säufer » und « Karrierist », jedoch nie « Feind » oder « Trotzkist ».76 Nur
den bereits hingerichteten Milan Gorkić, von dessen Denunziationen
 Parteiarbeiter der Komintern 105

er überzeugt war, nannte er « Saboteur ». Später behauptete Tito: « Er


war es, der uns in diesen Jahren der Polizei verraten hat. »77
All das war allerdings keine Garantie, dem Großen Terror zu ent-
gehen. « Es hätte damals nicht viel gefehlt, und ich wäre draufgegan-
gen », berichtete er später.78 Warum gelang es ihm, seinen Kopf aus
der Schlinge zu ziehen? Seine Strategie bestand aus einer Kombina-
tion aus angepasster Rhetorik, begrenzter Kooperation und offensiver
Zurschaustellung seiner Fähigkeiten. Das funktionierte aber nur, weil
mindestens zwei Personen in der Kaderabteilung ihre schützende
Hand über ihn hielten, zuallererst sein Führungsoffizier Ivan Karai­
vanov-Spinner sowie Josip Kopinič, beide Mitarbeiter des NKWD.
Auch an oberster Stelle genoss er ein gewisses Wohlwollen. « Dass ich
nicht festgenommen wurde, habe ich Dimitrow zu verdanken », gab er
später zu.79 Zu guter Letzt kam ihm womöglich noch der Zufall zu
Hilfe. Am 15. November 1938 setzte Stalin die Sondergerichtsbarkeit
des NKWD aus und entließ kurz darauf Nikolai Jeschow als Chef der
Geheimpolizei. Die Massenverhaftungen und -morde ebbten ab. Tito
war frei.

Endlich Generalsekretär

Nach Monaten quälender Ungewissheit entschied das Exe-


kutivkomitee der Komintern am 5. Januar 1939, Tito zum General­
sekretär der KPJ zu ernennen, ein neues Zentralkomitee in Jugo­
slawien einzusetzen und mit dem « Fraktionärstum » aufzuräumen, das
sich nach der Verhaftung von Gorkić ausgebreitet hatte. « Du bist als
Einziger übrig geblieben  », warnte Dimitrow. «  Das ist die letzte
Chance: Entweder, du schaffst, alles [die Partei] in Ordnung zu brin-
gen, oder alles wird aufgelöst wie in Polen. »80
Im März 1939 rief Tito in Jugoslawien das neue achtköpfige ZK
zusammen, darunter Edvard Kardelj, Aleksandar Ranković, Milovan
Đilas, Ivo Lola Ribar und die Frauenpolitikerin Cana Babović. Das
Gremium beschloss, alle neunzehn führenden « fraktionistischen » und
« antiparteilichen Elemente » aus der Partei auszuschließen. Das betraf
auch die fünf ehemaligen Generalsekretäre und neun ZK-Mitglieder,
die in der Sowjetunion verhaftet und liquidiert worden waren. Zu hel-
106 Moskau, 25. Juli 1935 

fen war ihnen nicht mehr, aber faktisch kam der Ausschluss ­einer An-
erkennung der NKWD-Morde gleich. Tito gab später zu, « wir haben
im Prinzip die Interpretation … akzeptiert, die die offiziellen sowje­
tischen Organe vorgegeben haben ».81 Erst zwanzig Jahre nach der
schändlichen Sitzung prangerte er die Liquidierung von Millionen
vermeintlicher Spione, Faschisten und Hitler-Agenten in der Sowjet-
union an. Viele hätten es nicht verdient, zu « Feinden » erklärt zu wer-
den, sagte er. Die in der Sowjetunion ermordeten Jugo­slawen wurden
rehabilitiert, auch Milan Gorkić. Nur Petko Miletić, der die KPJ bei
der jugoslawischen Polizei und Tito bei der Komintern denunziert
hatte und der nach seiner Freilassung aus Sremska Mitrovica Anfang
1940 in Moskau verhaftet wurde und für immer verschwand, fand in
Titos Augen keine Gnade.
Wie Tito die Erschießung seiner Frau durch den NKWD in sein
Weltbild integrierte, bleibt sein Geheimnis. Möglicherweise dachte er
auch an sie, als er bekannte: « Ich habe sehr, sehr viel Unrecht gese-
hen … Aber meine revolutionäre Pflicht hieß mich, dies nicht zu kri-
tisieren, um nicht der Propaganda … zu helfen, weil die UdSSR doch
das einzige Land war, wo eine Revolution stattgefunden hatte und wo
der Sozialismus aufgebaut werden sollte. » Und deswegen hatte er « zu
dieser Zeit nur einen einzigen Gedanken: nichts zu tun, das der ge-
samten weiteren Entwicklung der internationalen Bewegung schaden
könnte ».82
Das erschien ihm umso wichtiger, als die faschistische Achse den
Vielvölkerstaat bereits bedrohlich umzingelte. Hitler schloss 1938
­Österreich sowie die Sudetengebiete an das Reich an und besetzte 1939
die Reste der Tschechoslowakei, den engsten Bündnispartner Jugosla-
wiens. NS-Deutschland war zum direkten Nachbarn Jugoslawiens ge-
worden; die Wehrmacht stand an seiner Grenze. Weder Frankreich
noch Großbritannien schienen gewillt, dem Aggressionsdrang ener-
gisch entgegenzutreten. « Der Faschismus Hitlers und Mussolinis be-
deutet Krieg! », schrieb Tito. « Die Freiheit und Unabhängigkeit der Völ-
ker Jugoslawiens sind bedroht, ja das Überleben Jugoslawiens. »83 Tito
hielt allen Zweiflern und Kritikern Stalins entgegen: « Wir haben keinen
anderen Ausweg als die UdSSR, und sie ist nun mal, wie sie ist. »84
 Parteiarbeiter der Komintern 107

Tatsächlich übte Hitler seit dem « Anschluss » Österreichs wach-


senden Druck auf das neutrale Jugoslawien aus, um es in Anbetracht
allfälliger Angriffspläne auf die Sowjetunion enger an sich zu binden.
Das Land sollte zuallererst kriegswichtige Rohstoffe wie Kupfer, Blei
und Zink sowie Industriepflanzen und Lebensmittel in das Reich lie-
fern und ihm den Zugang zu den rumänischen Ölfeldern sichern.
­Außerdem wollte Berlin verhindern, dass Großbritannien einen gegen
die Achse gerichteten Balkanbund schmiedete. Jugoslawien anzugrei-
fen beabsichtigte Hitler zunächst nicht, aber wer konnte sich dessen
damals sicher sein? In jedem Fall stand zu befürchten, in den herauf-
ziehenden Weltkrieg ungewollt hineingezogen zu werden. Die KPJ
verbreitete jetzt dringende Aufrufe, alle Kräfte für die Landesvertei-
digung zu mobilisieren. Alle patriotischen Bürger gleich welchen
Glaubens, welcher Religions- und welcher Parteizugehörigkeit müss-
ten einträchtig und brüderlich bereitstehen – « Wir werden das Land
verteidigen! »85
Die politische Klasse Jugoslawiens war gespalten, wie mit den
deutschen Annäherungsversuchen umzugehen sei. Im Unterschied
zu Ministerpräsident Stojadinović waren viele strikt dafür, am Bünd-
nis mit den Westmächten festzuhalten. Prinzregent Paul, der nach der
Ermordung König Alexanders für dessen elfjährigen Sohn die Macht
übernommen hatte, setzte auf strikte Neutralität, um das Überleben
seines Staates zu sichern. Dies war Grund genug, Anfang 1939 den
deutschfreundlichen Regierungschef Stojadinović zu stürzen. Der
autoritäre Serbe hatte zudem, weil er verbissen am jugoslawischen
Unitarismus festhielt, die Boykotthaltung der kroatischen und slowe-
nischen Politiker verhärtet.
Nachdem im April 1939 Mussolinis Truppen in Albanien einmar-
schiert waren, wurde Italien nun auch im Süden zum Grenznachbarn
Jugoslawiens. Hitler gab ihm freie Hand im Mittelmeerraum, forderte
ihn gar auf, Jugoslawien den « Gnadenstoß » zu versetzen. Einige Mo-
nate später begannen in Rom die Vorbereitungen für eine Militär­
intervention, um auf jugoslawischem Territorium einen kroatischen
faschistischen Staat von Mussolinis Gnaden zu schaffen. Angesichts
der Ohnmacht der Westmächte, die auf Beschwichtigung (Appease-
108 Moskau, 25. Juli 1935 

Prinzregent Paul und Hitler in Berlin, 1939

ment) setzten, reiste Prinz Paul im Juni 1939 zu einem zehntägigen


Höflichkeitsbesuch zu Hitler ins Reich. Vorerst widerstand der Regent
aber dem Werben und Drängen, sich der Achse Berlin-Rom anzu-
schließen.
Sich gegen wachsende Aggressionsgelüste Roms und Berlins zu
wappnen, erforderte innere Einigkeit, weswegen Prinz Paul den
Kroaten im August 1939 endlich Autonomie in Form einer Ban-
schaft (Banovina) gewährte. Wirtschaft, Inneres, Bildung und Justiz
wurden einer Selbstverwaltung in Zagreb übertragen, die der
Rechtsanwalt Ivan Šubašić leitete. Während Ultranationalisten und
Kommunisten den so genannten Ausgleich als unzureichend kriti-
sierten, forderten alsbald auch Serben, Slowenen und bosnische
Muslime eigene Banschaften. Der unitarische Jugoslawismus, an
dem die serbische Bourgeoisie so starrsinnig festgehalten hatte, war
faktisch politisch tot.
Die Nachricht vom deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt er-
reichte Tito auf einer neuerlichen Reise nach Moskau. Hitler und Sta-
lin sicherten sich am 23. August 1939 wechselseitig Neutralität zu,
 Parteiarbeiter der Komintern 109

sollte einer von ihnen ein anderes Land angreifen. In einem geheimen
Zusatzprotokoll teilten sie zudem ganz Osteuropa in Interessensphä-
ren auf. Am 1. September 1939 überfiel die Wehrmacht Polen; drei
Wochen später marschierte die Rote Armee in Ostpolen ein. Während
die Komintern in Erklärungsnot geriet und feststellte, es handele sich
um eine rein innerrussische Angelegenheit, gab Milovan Đilas zu, er
sei « außerordentlich begeistert » gewesen, dass « die Sowjetunion den
Herrschaftsbereich des Sozialismus erweitert hatte. Im gleichen Maß
wie die allgemeine Angst vor Deutschland wuchs auch der Wunsch,
Russland als Gegengewicht stark zu sehen. »86
Die Komintern forderte alle Kommunisten auf, trotz des Hitler-
Stalin-Paktes weiter den Faschismus zu bekämpfen. Das war auch in
Jugoslawien bitter nötig, wo die Nationalsozialisten die slowenischen
und kroatischen Ultrarechten aufwiegelten und die volksdeutschen
Organisationen unterwanderten. « Der blutige und Hauptfeind der
Arbeiterklasse – das ist der Faschismus! », schrieb Tito voller Über-
zeugung.87 Zum ersten Jahrestag bezeichnete Tito das Abkommen
dann im « Proletarier » als eine Notwendigkeit, um die Kriegstreiberei
Hitlers einzudämmen. Die Sowjetunion gewinne Zeit für den Aufbau
der Landesverteidigung und des Sozialismus; zudem habe sie auf
diesem Wege die Balkanvölker vor faschistischer Aggression be-
wahrt.88
Zurück in Jugoslawien ging Tito voll in seiner politischen Aufgabe
auf. Er lebte jetzt mit der 25-jährigen Herta Haas zusammen, die er
1938 als Kurierin der Partei kennengelernt hatte. Die Tochter eines
wohlhabenden Rechtsanwalts gehörte zur deutschsprachigen Min-
derheit in Slowenien und studierte in Maribor Volkswirtschaft. Die
überzeugte Antifaschistin war mit zwanzig Jahren der Jugendorgani-
sation beigetreten, engagierte sich in der Frauenbewegung und hatte
bei der Rekrutierung der jugoslawischen Spanienkämpfer mitgeholfen.
Sie bewies Intelligenz, Mut und das richtige Gespür für gefähr­liche
­Situationen, wenn sie, blond, gutaussehend und elegant, in präparier-
ten Koffern gefälschte Pässe oder in einer ausgepressten Zahnpastatube
Erklärungen der jugoslawischen Parteiführung über die Grenze trans-
portierte. « Technisch sehr fähig, kaltblütig », beschrieb Tito sie gegen-
110 Moskau, 25. Juli 1935 

über der Komintern. « Ergebenes und zuverlässiges Parteimitglied,


hat aber noch kleinbürgerliche Überbleibsel. »89
Das Paar wohnte bis zum deutschen Angriff auf Jugoslawien als
Marija Šarić und Ingenieur Slavko Babić in Zagreb in einer kleinen
Villa, wo die Partei auch geheimes Material lagerte. Herta Haas er-
zählte später, dass Tito in dieser Zeit unendlich viel las, und zwar ein-
fach alles, was ihm irgendwie half, die Situation besser einzuordnen
und sich auf den Krieg, genauer den Partisanenwiderstand, vorzube-
reiten. Er bekräftigte, der Hauptfeind der freien Völker und zivilisier-
ten Welt sei der Faschismus, auch wenn die « englisch-französischen
Imperialisten » dafür mitverantwortlich seien, dass Hitler und Musso-
lini bereits große Teile Europas unterwerfen konnten. Die West-
mächte hätten die beiden Diktatoren gewähren lassen, ja teilten sogar
deren Ziele, nämlich Kolonialismus und Antisowjetismus. H ­ itler und
Mussolini hätten « Interessensphären » vereinbart und bereiteten auf
dieser Grundlage die « vollständige Versklavung ganz ­Europas » vor.
« Die deutsche Presse enthüllt klar die weiteren Ziele des deutschen
Imperialismus. Sie spricht von organisierter europäischer Wirtschaft,
über die Aufteilung Europas in Industrie- und Agrarländer, was be-
deutet, die Mehrheit der Völker in künstlicher Rückständigkeit, Ar-
mut und kolonialer Unterwerfung zu halten. »90 Angesichts der « realen
Gefahr, dass die Imperialisten Jugoslawien in einen neuen imperialis-
tischen Krieg hineinziehen » würden, erschien die monolithische Ein-
heit, ideologische « Reinheit » und « Bolschewisierung » der KPJ, die als
einzige Kraft offen gegen die faschistische Gefahr mobilisierte, gera-
dezu als patriotisches Anliegen. Am 13. Oktober 1940 wählten über
hundert Teilnehmer eines streng konspirativen Parteitags Tito im
kroatischen Dubrava offiziell zum Generalsekretär.91
Zwei Wochen später griff Italien Griechenland an, stieß dort aber
auf überraschend harten Widerstand. Kurz vor dem Scheitern Mus-
solinis änderte Hitler seinen Plan und entschied, Griechenland zu be-
setzen. Ziel war, die südliche Flanke für den bevorstehenden Angriff
auf die Sowjetunion zu sichern, eine Landung der Briten auf dem
griechischen Festland zu verhindern und die Ausbeutung der Roh-
stoffe, vor allem der Ölfelder Rumäniens, zu gewährleisten. Von Jugo-
 Parteiarbeiter der Komintern 111

slawien, das gleich bei Kriegsbeginn seine strikte Neutralität erklärt


hatte, forderte Berlin das Durchmarschrecht für die Wehrmacht ein.
Nachdem bereits Ungarn, die Slowakei, Bulgarien und Rumänien in
den deutsch-italienisch-japanischen Dreimächtepakt gedrängt wor-
den waren und sich Jugoslawien von Hitlers Verbündeten umringt
fand, sah sich nun auch Prinz Paul gezwungen, am 25. März 1941 der
Kriegskoalition beizutreten.
ZAGREB, 10. APRIL 1941 
Der Partisanenführer

Hitlers Strafgericht

Am 27. März 1941, um 13  Uhr, versammelte Hitler seine


­ ilitärischen und politischen Spitzen in der Reichskanzlei zu einer
m
geheimen Beratung. Er war erbost, denn am Morgen hatte es in Bel-
grad aus Protest gegen den Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächtepakt
einen Militärputsch gegeben. Serbische Offiziere besetzten die Haupt-
stadt und übernahmen die Regierung. Sie verwiesen Prinz Paul des
Landes und riefen Peter Karađorđević, den siebzehnjährigen Sohn
des ermordeten Königs Alexander, zum Monarchen aus. « Besser
Krieg als Pakt! »  – « Besser im Grabe als ein Sklave! », skandierten
­tausende Demonstranten auf den Straßen. Die neue Regierung gab,
um Hitler zu besänftigen, sogleich eine Loyalitätserklärung ab. Denn
wenngleich Churchill die Jugoslawen dafür lobte, sie hätten « ihre
Seele wiedergefunden », war höchst unwahrscheinlich, dass er ihnen
im Falle einer Aggression zu Hilfe eilen würde.
Weil der Machtwechsel in Belgrad den bevorstehenden « Fall Bar-
barossa », den deutschen Angriff auf die Sowjetunion, zu gefährden
schien, kündigte der « Führer » an, den Vielvölkerstaat anzugreifen.
« Politisch ist es besonders wichtig, dass der Schlag gegen Jugoslawien
mit unerbittlicher Härte geführt … und … in einem Blitzunterneh-
men durchgeführt wird », bläute er den Generälen ein. Noch am sel-
ben Abend gab er die Weisung Nr. 25: « Jugoslawien muss auch dann,
wenn es zunächst Loyalitätserklärungen abgibt, als Feind betrachtet
und daher so rasch als möglich zerschlagen werden. »1
Am 6. April 1941 flog die Luftwaffe in den frühen Morgenstun-
den im « Unternehmen Strafgericht » ihre ersten Bombenangriffe auf
 Der Partisanenführer 113

Belgrad. In den nächsten zwei Tagen warf sie 440 Tonnen Brand- und
Splitterbomben ab. 9000 Häuser wurden im Feuersturm zerstört und
3000  Menschen getötet  – mehr als in Warschau, Rotterdam und
­Coventry zusammen.2 « Es gab keinen elektrischen Strom, kein Wasser
und keine Lebensmittel. Überall lagen Leichen umher », erinnerte
sich Milovan Đilas.3 Die 2. und die 12. Armee – insgesamt 680 000 Sol-
daten – marschierten daraufhin aus zwei Richtungen in Jugoslawien
ein. Am 10. April erreichte die Wehrmacht Zagreb und drei Tage spä-
ter Belgrad. Hals über Kopf flohen der siebzehnjährige König Pe-
ter II. und seine Regierung nach Kairo.
« Vielleicht ist, bis Du diesen Brief bekommst, der Krieg in die-
sem Land schon aus », spekulierte der Gefreite Ernst Feldbaum, als er
am 11. April seiner Mutter nach Launingen an der Donau schrieb.
Mit seiner Einheit war er, wie er sich ausdrückte, bis zu einem « Mo-
hammedanerdorf » in Bosnien  – einem « Dreckloch »  – durchmar-
schiert. « Dass Jugoslawien so … verwahrlost ist, hätte ich nie ge-
dacht.  » Schlimmer noch: «  Die Bevölkerung ist sehr gefährlich.
Schneiden ­einem am liebsten den Hals ab! »4
Noch am 11. April unterzeichnete ein General der jugoslawischen
Armee die bedingungslose Kapitulation. Der Vielvölkerstaat ver-
schwand von der politischen Landkarte. Hitler und Mussolini er-
mächtigten die faschistischen Ustascha unter ihrem Führer Ante
Pavelić, auf dem Gebiet Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas den
Unabhängigen Staat Kroatien zu errichten. Serbien wurde unter
deutsche Militärverwaltung gestellt, Slowenien zwischen dem Reich
und Italien in Annexionsgebiete aufgeteilt. Ungarn besetzte größere
Regionen der Vojvodina und Bulgarien Teile Makedoniens. Nach dem
raschen Zusammenbruch der jugoslawischen Streitkräfte, so dachten
die Oberkommandierenden der Wehrmacht, müssten vier Infanterie-
divisionen und acht Landesschützen-Bataillone, insgesamt 25 000 bis
30 000  Mann, ausreichen, um die kriegswichtigen Bauxit-, Nickel-
und Chromvorkommen, die landwirtschaftlichen Anbaugebiete sowie
die Nachschublinien für den Russlandfeldzug zu sichern.5
Wenngleich das deutsche Oberkommando mit dem Verlauf des
Krieges auf dem Balkan zufrieden sein konnte, gab es Unwägbarkei-
114 Zagreb, 10. April 1941 

Wehrmacht in Niš, 1941

ten. In Zagreb waren die deutschen Truppen zunächst von jubelnden


Demonstranten empfangen worden, die sich einen unabhängigen kro-
atischen Staat erhofften. Aber kaum waren sie dort stationiert, warfen
Unbekannte Brandstäbe in die Tanks der Militärfahrzeuge, sprengten
Eisenbahnschienen und malten subversive Parolen an die Wände. Im
Banater Pančevo erschoss ein Attentäter nur einen Tag nach der jugo-
slawischen Kapitulation hinterrücks einen Soldaten einer SS-Divi-
sion. Der Oberbefehlshaber der 2.  Armee, Generalfeldmarschall
­Maximilian von Weichs, befahl am 28. April 1941, « zur Verhinderung
der Bildung von Banden » in jeder von deutschen Truppen belegten
Ortschaft « sofort Geiseln (aus allen Bevölkerungsschichten!) festzu-
nehmen ». Nach einem Überfall von Aufständischen waren sie zu er-
schießen und aufzuhängen – « als vorbeugender Schutz » für die Truppe.6
Währenddessen ließ es sich der Gefreite Feldbaum, der inzwi-
schen nach Kroatien verlegt worden war, gut gehen. « Schade, dass ich
euch nichts von den guten Torten und Schlagrahmsachen schicken
kann, die es hier in Sisak gibt », meldete er sich am 12. Mai 1941 erneut
bei seiner Mutter. « Ich habe mir in den letzten Tagen schon manchmal
 Der Partisanenführer 115

den Luxus erlaubt, diesen Dingen reichlich zuzusprechen. » Auch


« Wurst, Kaviar, … die ausgesuchtesten Liköre » gebe es sehr günstig.
« Nun die Kehrseite der Medaille! In unserem Gebiet … mehren sich
ganz bedrohlich die Fälle von heimtückischen Meuchelmorden an
deutschen Soldaten. Wir haben nun strenge Strafen angeordnet und
vornehme Geiseln gefangen. Für einen Deutschen werden nun in Zu-
kunft 100 Serben erschossen und aufgehängt. »7
Nach dem 22. Juni 1941, dem deutschen Angriff auf die Sowjet-
union, registrierte die Wehrmacht trotz der drakonischen Strafen
einen drastischen Anstieg von Sabotageaktionen und Überfällen.
­
­Allein in Serbien zählte die Truppe im August 242 Angriffe auf Eisen-
bahn- und Telefonlinien, Brücken und Industriebetriebe sowie auf
Gendarmerie- und Wehrmachtsposten. « Wegen Zunahme der Auf-
ruhr- und Sabotageakte erwartet der Führer nunmehr Einsatz der
Truppe, um durch schnelles und schärfstes Eingreifen Ruhe und
Ordnung baldigst wiederherzustellen », befahl das OKW am 9. August
1941.8 Dies bedeutete, dass die Wehrmacht « Säuberungen » und Mas-
senerschießungen selbst durchzuführen hatte. Dafür wurden Ge-
heime Feldpolizei und -gendarmerie, das Reserve-Polizeibataillon 64,
gemischte Jagdkommandos sowie einfache Infanterieeinheiten einge-
setzt. Allein im August erschossen die Deutschen in Serbien etwa tau-
send Zivilisten « aus Sühne ».9
Als Haupträdelsführer machte der Bevollmächtigte Kommandie-
rende General Franz Böhme die Kommunisten aus. Schwerer einzu-
schätzen waren für ihn die so genannten Tschetniks, eine serbische
Nationalistentruppe, die hie und da gegen die Wehrmacht kämpfte,
ihr aber auch Avancen machte. So versicherte ein Tschetnik-Anführer
der deutschen Kommandantur in Šabac per Brief, seine Leute wollten
« als vollkommene Nationalisten » gegenüber der Wehrmacht « g anz
­loyal  » sein.10 Den Serben sei aber aus Prinzip nicht zu trauen, fanden
die Kommandeure. Denn « wie immer sich Bevölkerung gegenüber
Angehörigen der deutschen Wehrmacht in diesen Gegenden benom-
men hat, ist die innere eisige Ablehnung und der sie alle verbindende
Hass gegen alles Deutsche empfunden worden ».11
Um das besetzte Serbien besser kontrollieren und ausbeuten zu
116 Zagreb, 10. April 1941 

können, bildete die Wehrmacht Ende August 1941 in Belgrad eine


« Regierung der nationalen Rettung ». Ministerpräsident wurde der
Ultranationalist und Antisemit Milan Nedić, der frühere General­
stabschef und Kriegsminister Jugoslawiens. Seine etwa 50 000 Mann
starken Streitkräfte, die Staatswache, Gendarmerie und Polizei, soll-
ten helfen, den Widerstand effektiver zu bekämpfen. Auf Seiten der
Wehrmacht stand zudem das Serbische Freiwilligenkorps, die Mili-
zen der faschistischen Zbor-Partei von Dimitrije Ljotić, einem Cousin
Nedićs. Die Wehrmacht klagte allerdings, dass sich Teile der serbi-
schen S ­ icherheitskräfte durchaus auch weigerten, massenweise un-
schuldige Landsleute zu erschießen. « Erheblicher Teil serbischer
Gendarmerie hat keinerlei Lust zum Einsatz, ließ sich stellenweise
von Banden entwaffnen. »12 Denn mittlerweile machten ihnen ganze
gut ausgerüstete Hundertschaften von Widerständlern zu schaffen.
« Die Räume sind zu groß! Die eingesetzten Truppen zu schwach! »,
meldete alarmiert das Höhere Kommando Ende August 1941.13
Auch Leutnant Rommelfanger, dem Chef der 10. Kompanie in
Krupanj, wurde es in diesen heißen Augusttagen mulmig. Im ganzen
Nordwesten Serbiens häuften sich seit Tagen Angriffe auf Einheiten
der Wehrmacht. Unbekannte jagten Eisenbahnlinien in die Luft und
blockierten die Straßen mit Baumstämmen. Die Mannschaft befand
sich bereits seit einer Woche in Alarmbereitschaft, als am 1. Septem-
ber gegen 22 Uhr die Meldung eintraf, die Wache in der benachbarten
Ortschaft Stolice sei von einer starken Bande überfallen und die
diensthabenden Soldaten versprengt worden. « Alle Anzeichen spre-
chen dafür, dass diese Banden die Sympathien der gesamten Bevölke-
rung genießen und deshalb mehr oder weniger aktiv unterstützt wer-
den », berichtete er.
Tags darauf musste der Leutnant feststellen, « dass alle Läden [in
Krupanj] geschlossen und die Zivilbevölkerung zum großen Teil den
Ort verlassen hatte ». Beunruhigt befahl er, Maschinengewehre und
Granatwerfer in Stellung zu bringen. Eine am Abend überbrachte
Kapitulationsaufforderung der Rebellen ließ Rommelfanger verstrei-
chen. Daraufhin eröffnete nach Mitternacht « die Bande einen Feuer-
überfall von allen Seiten auf unsere fünf Posten ». Der Beschuss dau-
 Der Partisanenführer 117

erte die ganze Nacht. « Wir konnten uns nur mit größter Vorsicht,
kriechend, gleitend oder in Sprüngen bewegen. » Ein Gefreiter wurde
durch Kopfschuss, ein Unteroffizier im Oberschenkel verwundet.
Erst gegen sechs Uhr morgens ließ das Feuer nach. Rommelfangers
« nervös-überreizte » Männer konnten weder schlafen noch ausruhen.
Am folgenden Tag, dem 3. September, war die Wasserzufuhr un-
terbrochen, die Küche wegen der feindlichen Scharfschützen uner-
reichbar, das Telefon tot. « Bei Einbruch der Dunkelheit wiederholten
sich die Feuerüberfälle in verstärktem Umfange und nahmen an Hef-
tigkeit und Dauer zu », hielt der Leutnant fest. Er entschied noch in
derselben Nacht, alle Geheimen Kommandosachen höchstpersönlich
zu verbrennen.
Als am nächsten Mittag das Brummen von Flugzeugmotoren zu
hören war, spürte Rommelfanger eine gewisse Erleichterung, obwohl
der Beschuss « trotz der rollenden Stuka-Angriffe » ohne Unterlass
weiterging. Noch ehe spätabends der Befehl eintraf, aus dem Stütz-
punkt auszubrechen, wurde er verwundet. Rommelfanger und dreißig
Soldaten der Hauptgruppe gelang es trotz starken MG-Feuers, sich
bis nach Valjevo durchzuschlagen. Die Verwundeten und der gesamte
Tross blieben zurück. Die « Banditen » stellten und erschossen den stell-
vertretenden Kompaniechef und entwaffneten mehrere versprengte
Gruppen.14
« Was täglich an Schweinereien von Seiten der Banden passiert,
sollte man einfach nicht mehr glauben », schrieb Leutnant Peter G. am
12. September nach Hause. Der General habe erzählt, « daß zwei
Kompanien (!) seit 14  Tagen (!!) nicht mehr aufzufinden sind (!!!).
Man stelle sich das mal vor!! Zwei Kompanien gefangengenommen!!
Mit fünf Offizieren usw. …!!! Mit Flugzeugen sucht man sie Tag und
Nacht!!! Es ist direkt himmelschreiend!! … So sieht es zur Zeit in dem
ewigen Unruheherd aus. Viel schlimmer als damals in der Tschechei,
in Polen, Frankreich usw. »15
118 Zagreb, 10. April 1941 

Volksbefreiungsaufstand

Tito erlebte einen bitteren Moment, als am 10. April 1941


deutsche Panzer durch Zagreb rollten und die Menschen ihnen auf
der Straße zujubelten. Noch am selben Tag übernahmen die faschisti-
schen Ustascha die Macht, um unter deutscher Anleitung einen Füh-
rerstaat nach deutsch-italienischem Vorbild aufzubauen. Geheimpoli-
zei und Sicherheitskräfte begannen, Regimegegner zu verhaften und
in KZs zu sperren. Des Weiteren führten sie Gesetze ein, um die
­Juden zu kennzeichnen, zu enteignen und systematisch zu ermorden.
Denn « unabhängig » war das neue Großkroatien keineswegs: Berlin
diktierte die Gleichschaltung des Staates, der noch dazu in eine deut-
sche und eine italienische Besatzungszone aufgeteilt war.
Das Ustascha-Regime verfolgte seit der Machtübernahme den
Plan, ein ethnisch homogenes Großkroatien zu schaffen. Im 6,3 Mil-
lionen Einwohner zählenden Unabhängigen Staat Kroatien besaßen
die katholischen Kroaten aber nur eine knappe Mehrheit von 3,3 Mil-
lionen. Dazu kamen rund zwei Millionen orthodoxe Serben,
700 000  Muslime sowie etliche andere Nationalitäten. Mit erschüt-
ternder Grausamkeit gingen die Ustascha außer gegen Juden primär
gegen die Serben vor, die sich durch ein blaues Band kennzeichnen
mussten. Mit Hilfe von Priestern, Mönchen und Missionaren zwan-
gen die Ustascha Hunderttausende, sich umtaufen zu lassen. Der
­Minister für Bildung und Kultur, Mile Budak, erklärte am 22. Juli
1941, die Serben, Juden und Zigeuner müssten zu einem Teil umge-
bracht, zum anderen Teil deportiert oder zwangsweise katholisch wer-
den, um binnen zehn Jahren einen zu hundert Prozent katholischen
Staat zu schaffen. Sein Amtskollege Milovan Žanić präzisierte, « es gibt
keine Methode, die wir als Ustaschen nicht anwenden werden, um die-
ses Land wirklich kroatisch zu machen und von Serben zu säubern ».16
Hunderttausende wurden entrechtet, enteignet, vertrieben, in
Lager gepfercht oder fielen Mordaktionen zum Opfer, zum Beispiel in
der Krajina, in Bihać und Prijedor, in Višegrad, Sarajevo und Foča.
Die Ustascha erschlugen ihre Opfer mit Äxten oder Beilen, malträ-
tierten sie mit Messern, steckten sie bei lebendigem Leib in Brand
 Der Partisanenführer 119

oder stürzten sie in Schluchten zu Tode. Das war in den Dörfern


ebenso der Fall wie in Lagern wie Gospić, Jadovno, Slana und auf der
Insel Pag, wo sie tausende Männer, Frauen und Kinder quälten und
ermordeten. Allein im KZ Jasenovac kamen mindestens 90 000 Men-
schen um. « Sie töten alles, alles was serbisch ist! Wie das Vieh – die
Ramme über den Schädel und ab ins Loch », berichtete ein geflohener
Bauer dem entsetzten Milovan Đilas. Sein ganzes Dorf sei ausge-
löscht worden. « Sie wollen uns ausrotten. »17
Im Unterschied zu den etablierten politischen Kräften, die den
Untergang Jugoslawiens ohnmächtig hinzunehmen schienen, erklärte
Tito, « wir Kommunisten erkennen die Okkupation und Zerstücke-
lung [Jugoslawiens] nicht an ».18 Die KPJ sei im Untergrund straff
­organisiert und bleibe eins und einig im ganzen Land. Mit etwa
40 000  Aktiven, Mitgliedern der Partei und des Jugendverbandes
SKOJ, erschien es allerdings unrealistisch, sogleich den bewaffneten
Aufstand auszurufen. Aus diesem Grund musste man sich anfangs auf
Sabotage- und Guerillaaktionen beschränken, insgeheim Militär­
komitees aufbauen, paramilitärische Gruppen trainieren sowie Waffen
und Munition beschaffen.
Wegen der gefährlichen Sicherheitslage in Zagreb entschied Tito,
die Parteiführung nach Belgrad zu verlegen. Seine hochschwangere
Lebensgefährtin Herta Haas ließ er in der Obhut eines gemeinsamen
Freundes, des Rechtsanwalts Vladimir Velebit, in Zagreb zurück. Zwei
Tage nachdem sich das Paar am 22. Mai 1941 auf dem Zagreber
Hauptbahnhof voneinander verabschiedet hatte, gebar Herta den
­gemeinsamen Sohn Alexander, genannt Mišo. Tito konnte ihn erst
1944 zum ersten Mal in die Arme schließen.
In Belgrad nahm Tito als Ingenieur Slavko Babić Quartier. Auch
dort war die Sicherheitslage prekär. « Nachts Patrouillen, Dunkelheit
und ständige Schießereien », erinnerte sich Milovan Đilas. « Juden mit
gelben Bändern und Angst und Wut, Hunger und Tod, finstere Ge-
sichter der Bürger. »19 In schwieriger Lage versuchten die Kommunis-
ten, sich mit möglichst vielen Oppositionellen zu verbünden, wofür
sich zuallererst die Demokratische Linke unter dem Kroaten Dr. Ivan
Ribar anbot, dem ehemaligen Parlamentspräsidenten, sowie unabhän-
120 Zagreb, 10. April 1941 

gige Intellektuelle wie Vladislav Ribnikar, der Gründer und Heraus-


geber der Tageszeitung «  Politika 
». Eine breitere antifaschistische
­Koalition zu schmieden, gelang in Serbien nicht, im Unterschied zu
Slowenien, wo sich Kommunisten, Christsoziale und Unabhängige
zur Befreiungsfront zusammenschlossen.
Als Hitler am 22. Juni 1941 die Sowjetunion angriff, entstand für
die Kommunisten eine neue Lage. Sie konnten hoffen, dass die Rote
Armee den Krieg binnen Wochen gewinnen und dann die jugoslawi-
schen Partisanen mit Waffen unterstützen werde – ein Irrtum, dem
auch Tito aufsaß. Überzeugt von seinen wahrscheinlich bei einer
­Geheimausbildung in Moskau erworbenen militärischen Fähigkeiten,
ließ er sich von der Partei zum Oberkommandierenden der irregulä-
ren Volksbefreiungseinheiten, der Partisanen, ernennen. Über « Stra-
tegie und Taktik des bewaffneten Aufstandes » hatte er bereits Monate
vor dem deutschen Angriff eine Studie verfasst. Die Partisanen sollten
pausenlos kleinere, dezentrale Aktionen durchführen: Benzinlager,
Brücken und Eisenbahnlinien in die Luft jagen, Telefonkabel durch-
schneiden, Waffenlager plündern und Wegweiser verstellen. Ziel war
es, dem Feind größtmöglichen Schaden zuzufügen, bei möglichst
­geringen eigenen Verlusten. Deshalb waren riskante Frontalangriffe
unbedingt zu vermeiden. Auch die Psychologie war wichtig: Man
müsse nadelstichartig « jede Stunde, jeden Tag immer neue Erfolge er-
zielen ». Nur so « können wir … das Gefühl der moralischen Überle-
genheit aufrechterhalten und zögerliche Elemente auf unsere Seite
ziehen », schrieb er. « Die erste und eine der wichtigsten Fragen », be-
tonte er indes, sei die führende Rolle der Partei. Sie « darf nicht erlau-
ben, dass der Aufstand spontan ausbricht, an ihrer Organisation und
Führung vorbei ». Und: « Während des Aufstands … sind wir verpflich-
tet, erbarmungslos mit unseren Tod- und Erzfeinden abzurechnen. »20
Am 4. Juli 1941 beschlossen Tito und seine engsten Mitarbeiter,
den allgemeinen Volksaufstand auszurufen und in allen Landesteilen
bewaffnete Einheiten aufzubauen. « Tod dem Faschismus  – Freiheit
für das Volk! », wurde zur Grußformel, die ihm selbst eingefallen war.
Svetozar Vukmanović-Tempo brach nach Bosnien-Herzegowina auf,
Milovan Đilas nach Montenegro, Koča Popović nach Westserbien,
 Der Partisanenführer 121

Rade Končar nach Dalmatien und Edvard Kardelj nach Slowenien.


« Tito strahlte, ausgeruht und strotzend vor Energie », beschrieb Milo-
van Đilas seinen Abschied aus Belgrad. « Aber lass einen jeden erschie-
ßen, selbst wenn er ein Mitglied der Gebietsführung ist, der Wankel-
mut oder Disziplinlosigkeit zeigt! », trug er dem Montenegriner auf.21
Der Volksbefreiungskampf war wie die KPJ föderal strukturiert.
In den einzelnen Landesteilen wurden regionale militärische Stäbe
aufgebaut, die Titos Oberbefehl unterstanden. Der harte Kern des
­bewaffneten Widerstands bestand aus einigen tausend Mitgliedern
der KPJ und Komsomolzen. Die Kommandeure waren meistens Vete-
ranen des Spanischen Bürgerkriegs sowie ehemalige Berufsoffiziere
der jugoslawischen Armee, aus deren Reihen auch Titos Stabschef
Arso Jovanović stammte. Wie hätten einfache Bauern auch wissen sol-
len, wie man mit spärlichsten Mitteln erfolgreich eine Kaserne über-
fiel oder Eisenbahnschienen in die Luft sprengte? « Die meisten von
uns verstanden ja wenig vom Krieg und von der Kriegsführung », gab
ein Partisan zu.22
In den Aufstandsgebieten begannen die Kommunisten, im gro-
ßen Stil Freiwillige zu werben. Zwangsrekrutierte galten dagegen als
unzuverlässig und für den Partisanenkampf sogar gefährlich. Milovan
Đilas setzte im Herbst 1941 in Montenegro dafür trotzdem einen
­regelrechten « roten Terror » in Gang. Er glaubte, dass, « wer Krieg und
Revolution will », bereit sein müsse, « Menschen zu töten, die eigenen
Landsleute, ja sogar Freunde und Verwandte ».23 Tito schurigelte ihn
dafür, es wäre « mehr Überzeugungsarbeit nötig als Drohungen, Er-
schießungen usw. Man kann doch nicht ganze Massen von Leuten als
Deserteure, Verräter usw. bezeichnen … Mir scheint, da ist etwas
nicht in Ordnung, wenn ganze Trupps zum Feind übergehen. »24 Er
berief Đilas in den Obersten Stab zurück. « Beim Erschießen von
Kämpfern muss bedachtsam vorgegangen werden », befahl Tito später.
« Immer klären, ob es nicht Möglichkeiten gibt, den Betreffenden
durch bestimmte Erziehungsmaßnahmen zu bessern. »25
Wie in der Sowjetunion sollten die Widerständler « Partisanen »
heißen, was wörtlich « Parteigänger » bedeutete, in diesem Fall also der
KPJ. Sie sollten nämlich nicht nur den Feind niederringen, sondern
122 Zagreb, 10. April 1941 

aus der Illegalität heraus eine neue, sozialistische Gesellschaftsord-


nung errichten. Offen sagen wollte man das aber nicht, um niemanden
abzuschrecken. Daher behauptete Tito am 7. November 1941 in der
Parteizeitung « Borba » (Kampf), der Volksbefreiungskampf habe das
einzige Ziel, den « widerlichen Okkupator zu vertreiben » und die Völ-
ker Jugoslawiens zu befreien. « Alle anderen Fragen stehen heute an
zweiter Stelle, darunter auch die Frage von Regierung und zukünf­
tiger Herrschaftsform. »26 Tatsächlich stellten die Kommunisten mit
dem Volksbefreiungskampf aber bereits alle Weichen für die spätere
totalitäre Machtausübung. Denn der Widerstand beruhte auf der zen-
tralen Steuerung durch eine einzige revolutionäre Partei, einer klaren
ideologischen Ausrichtung und einem umfassenden gesellschaftspoli-
tischen Gestaltungsanspruch.
Tito verwarf die herrschende bolschewistische Zwei-Stadien-
Lehre, nach der zuerst ein allgemeiner Volksaufstand stattfinden sollte
und erst später ein revolutionärer Systemwechsel. Er hatte Edgar
Snows Reportage « Red Storm over China » studiert und nahm sich
den Kommunisten Mao zum Vorbild. Dieser hatte 1928 inmitten des
blutigen Bürgerkrieges in der abgelegenen zentralchinesischen Jiangxi-
Provinz eine Sowjetrepublik ausgerufen und somit einfach Fakten
­geschaffen. Sein Langer Marsch, die tausende Kilometer lange Flucht
der Kommunisten vor der nationalistischen Kuomintang 1934/35,
ebnete seinen Machtaufstieg und wurde zum Schlüsselereignis der
chinesischen Revolution. Warum sollte nicht auch in Jugoslawien die
sozialistische Ordnung unmittelbar aus dem Befreiungskampf her-
vorgehen können?
In den ersten Monaten schien seine Strategie aufzugehen. Den
Partisanen glückte eine Reihe nadelstichartiger Guerillaaktionen, bei
eher unbedeutenden eigenen Verlusten. Beträchtliche Mengen an
Waffen und Munition fielen ihnen dabei in die Hände. Titos erster
militärischer Einsatzbefehl gipfelte sogar in einem besonders spekta-
kulären Coup. Im Juli 1941 war Aleksandar Ranković in Belgrad ver-
haftet und gefoltert worden. Ein kommunistisches Überfallkom-
mando befreite ihn durch ein Täuschungsmanöver, gefolgt von einer
wilden Schießerei, aus dem Gefängnishospital.
 Der Partisanenführer 123

Andererseits hatte der bewaffnete Widerstand furchtbare Konse-


quenzen: In Zagreb wurden Anfang Juli 1941 zehn prominente kroa-
tische Linke, darunter der Sozialpolitiker Božidar Adžija, die Journa-
listen Otokar Keršovani und Ognjen Prica sowie der Physiker Zvoni-
mir Richtmann als « geistige Urheber » eines Polizistenmordes hinge-
richtet. In Belgrad baumelten zum Entsetzen tausender Passanten an
­einem Sonntag im August mitten auf dem zentralen Terazije-Platz
fünf Gehenkte an den Straßenlaternen. Aus dem ganzen Land trafen
Berichte von bestialischen « Sühneaktionen » an der Zivilbevölkerung
ein: Vlahović, Grabovac, Brenovac, Glina, Cetin-Grad, Užice, und wo
nicht noch überall! Selbst kampferprobte Revolutionäre zweifelten:
Sollte man angesichts der maßlosen Vergeltungsaktionen nicht doch
lieber die Überfälle aussetzen? « Natürlich muss man mit aller Kraft
den Feind an Repressalien hindern », schulmeisterte Tito. « Aber ver-
gesst nicht, dass Repressalien am Anfang das natürliche Instrument
des Feindes sind. Dagegen kann man nur mit Waffengewalt und Zer-
schlagung des Feindes ankämpfen …, und nicht mit Passivität und
Nachgiebigkeit. »27
Im Herbst 1941 rollte eine riesige Mordwelle durch das Land.
Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht Wilhelm Keitel be­
stätigte am 16. September 1941 in Geheimer Kommandosache noch
einmal, als « Sühne für ein deutsches Soldatenleben » 50 bis 100 Kom-
munisten sowie « nationalistische » und « bürgerlich-demokratische »
Geiseln erschießen zu lassen.28 In der Praxis wurde diese offizielle
Sühnequote häufig noch deutlich übertroffen. Beispielsweise ermor-
dete die 342. Infanteriedivision in Šabac, im Cer-Gebirge und bei der
Rückeroberung von Krupanj für jeden getöteten Wehrmachtssoldaten
im Durchschnitt achthundert Zivilisten.29
In Kraljevo, wo eine Waggonfabrik und kriegswichtige Flugmoto-
renwerke lagen, gingen Streifen der 717. Infanteriedivision am 16. Ok-
tober 1941 « von Haus zu Haus und haben aus denselben alle Männer,
angefangen von den Kindern im Alter von vierzehn Jahren bis zu
Greisen von sechzig Jahren und darüber, herausgejagt », bezeugte ein
Überlebender. « Alle diese Bürger wurden mit über dem Kopf erhobe-
nen Händen in kleineren Gruppen durch die Stadt geführt, und … in
124 Zagreb, 10. April 1941 

Kollaborierende Ljotić-Einheiten führen Roma zur Erschießung


bei Šabac, September 1941

das Lager der Waggonfabrik getrieben. » Später wurden sie vor offenen
Gräbern erschossen.30 In einer einzigen Woche ermordete die Wehr-
macht in Kraljevo zwischen 4000 und 5000 Zivilisten, in Kragujevac
mindestens 2300 Personen. Von Oktober bis Dezember 1941 fielen in
ganz Serbien bis zu 30 000 Einwohner, Männer, Frauen und Kinder,
den « Strafaktionen » des Bevollmächtigten Kommandierenden Gene-
rals Franz Böhme zum Opfer.31 « Das Ausheben der Gruben nimmt
den größten Teil der Zeit in Anspruch, während das Erschießen selbst
sehr schnell geht (100 Mann 40 Minuten) », berichtete Oberleutnant
Walther. « Mein persönlicher Eindruck ist, dass man während der Er-
schießung keine seelischen Hemmungen bekommt. Diese stellen sich
jedoch ein, wenn man nach Tagen abends in Ruhe darüber nach-
denkt. »32
Die Geiselerschießungen betrafen außer Kommunisten bevor-
zugt Juden und Roma, da sie, wie der Chef der Zivilverwaltung in
­Serbien, SS-Gruppenführer Harald Turner, am 26. Oktober 1941 kon-
statierte, « ganz allgemein ein Element der Unsicherheit und damit
 Der Partisanenführer 125

Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit » darstellten.


Daher mussten « g rundsätzlich in jedem Fall alle jüdischen Männer
und alle männlichen Zigeuner als Geisel der Truppe zur Verfügung »
gestellt werden. So war der Völkermord seit Kriegsbeginn unmittelbar
mit der Liquidierung des Widerstands verquickt, und zwar lange, be-
vor am 20. Januar 1942 hochrangige Regierungs- und SS-Vertreter
ihre Maßnahmen zur Deportation und vollständigen Vernichtung der
europäischen Juden am Wannsee systematisch aufeinander abstimm-
ten.33
« Lieber Richard! », schrieb SS-Mann Turner Mitte Oktober 1941
an einen Freund. Er lasse gerade tausende Menschen « nach der Quote
1 : 100 für bestialisch hingemordete deutsche Soldaten » erschießen.
« Eine schöne Arbeit ist das nicht! Aber immerhin muß es sein, um ein-
mal den Leuten klarzumachen, was es heißt, einen deutschen Solda-
ten überhaupt nur anzugreifen, und zum anderen löst sich die Juden-
frage auf die Weise am schnellsten. »34

Der Rivale

In seinem Hauptquartier in Ravna Gora beobachtete Oberst


Dragoljub-Draža Mihailović das Wüten der Wehrmacht mit Fas-
sungslosigkeit und Entsetzen. Der 48-jährige Sohn eines niederen
Staatsbediensteten hatte die Serbische Militärakademie absolviert,
ehe er zum Stabschef der Königlichen Garde, Professor an der Mili-
tärakademie und Assistenten des Stabschefs der Zweiten Armee auf-
stieg. Er betrachtete sich als treuer Anhänger des Königs und oberster
Verteidiger des Vaterlands. Da er die Kapitulation seiner Armee nicht
anerkennen wollte, hielt er sich mit einer Handvoll Offiziere und Sol-
daten in seiner serbischen Heimatregion versteckt. Nach und nach
sammelte der mittelgroße, eher schmächtige Mann mit der dicken,
runden Nickelbrille und dem krausen Vollbart bis zu viertausend ehe-
malige Offiziere, Unteroffiziere, Gendarmen und einfache bewaffnete
Männer um sich. Sie nannten sich Tschetniks wie die bäuerlichen
Freiheitskämpfer gegen die osmanische Fremdherrschaft. Wie diese
ließen sie sich zum Zeichen der Knechtschaft ihrer Nation lange
Haare und zottelige Bärte wachsen. Dazu trugen sie hohe Fellmützen,
126 Zagreb, 10. April 1941 

breite, quer über die Schulter gelegte Patronengurte, Gewehre und


Messer. Auf ihrer schwarzen Flagge prangten Totenschädel und ge-
kreuzte Gebeine.
Draža Mihailović sah sich in der patriotischen Pflicht, den Wider-
stand zu organisieren, allerdings fehlten dafür Waffen, Ausrüstung
und Munition. Wie sollte man da gegen die übermächtigen Deut-
schen und Italiener vorgehen können? Er hoffte, dass früher oder
­später die Briten eingreifen und Jugoslawien befreien würden. König
Peter II., der sich im britischen Exil in Kairo aufhielt, war immerhin
ein Großenkel von Königin Victoria und Großbritannien sein offi­
zieller Verbündeter. In jedem Fall wollte sich Mihailović nicht in aus-
sichtslose Kämpfe gegen die Wehrmacht verwickeln lassen, die maß-
lose Repressalien gegen das serbische Volk herausforderten.
Als die Partisanen im Sommer 1941 größere Landstriche unter
ihre Kontrolle brachten, geriet Mihailović unter Zugzwang. Mehrere
lokale Tschetnik-Kommandeure hatten sich bereits mit den Partisa-
nen verbündet, zum Beispiel in Šabac, Kraljevo und Valjevo. Der
Priester Vlado Zečević lief mit seinen fünfhundert Mann sogar ganz
zu ihnen über. So blieb Mihailović nichts anderes übrig, als sich flugs
zum Oberkommandierenden der bislang nur lose organisierten
Tschetniks zu erklären. Denn der Königstreue betrachtete die Kom-
munisten voller Abscheu. Sie repräsentierten alles, was ihm verhasst
war: Sie kamen aus der verderbten Stadt, missachteten die traditio-
nellen Werte, die patriarchale Autorität und die Familie, kannten keine
Liebe zur eigenen Nation. Stattdessen: Fremdartigkeit, Gottlosigkeit,
Amoralität, Irrlehren!
Als Titos Partisanen Mitte September die strategisch wichtige
­Industriestadt Užice in Westserbien einnahmen, kamen die Tschetniks
noch weiter unter Druck. Im Unterschied zu Tito besaß Mihailović
kein zentrales Hauptquartier und keine hierarchische Befehlsstruk-
tur, ja nicht einmal ein politisches Programm. Nun schlug Tito im
Sitz der Nationalbank sein Hauptquartier auf und gründete regie-
rungsähnliche Organe, so genannte Volksbefreiungsräte. Den Parti­
sanen fielen 55 Millionen Dinar, über eine Million US-Dollar, in die
Hände, was eine respektable Kriegskasse ergab. Noch dazu verfügten
 Der Partisanenführer 127

sie jetzt über eine Waffenfabrik, die täglich 450 Gewehre und bis zu
150 000 Kugeln Munition produzieren konnte.
In Stolice, jenem kleinen Ort in der Nähe von Krupanj, den die
Wehrmacht im September 1941 fluchtartig verlassen musste, versam-
melten sich noch im selben Monat führende Widerstandskämpfer aus
den Aufstandsregionen. Sie beschlossen, eine einheitliche militärische
Organisation für ganz Jugoslawien aufzubauen, einschließlich Ge-
heimdienst, Sanitätswesen und Intendantur. In den Dörfern und Ge-
meinden, die die Partisanen kontrollierten, wollten sie umgehend eine
sozialistische Ordnung schaffen. Die Partisanen beherrschten zu die-
sem Zeitpunkt größere Gebiete in Montenegro, West-, Süd- und Ost-
serbien, in der kroatischen Lika, Banija und im Kordun, in Slowenien
sowie in der Bosnischen Krajina und der Herzegowina.
Seit seiner Ankunft im serbischen Aufstandsgebiet drängte der
ominöse Tito, dessen wahre Identität niemand kannte, auf ein Treffen
mit Draža Mihailović. Am 19. September 1941 kam er mit einer klei-
nen bewaffneten Schar zum Treffpunkt nach Struganik geritten, wo
ihn Mihailović mit etwa fünfzehn bewaffneten Tschetniks erwartete.
Draža empfing den Unbekannten recht herzlich, umarmte und küsste
ihn. « Hör mal Bruder, woher bist du denn? », fragte er. « Militär­
geheimnis! », sagte Tito. « Ach nicht doch! », entgegnete Mihailović.35
Danach wollte der Unbekannte seinen Gastgeber partout überreden,
ein gemeinsames Hauptquartier zu bilden. Er wirkte angespannt und
sprach mit einem merkwürdigen Akzent, fand Mihailović. Vermutlich
war er Russe, womöglich der Geschäftsführer der sowjetischen Ver­
tretung in Belgrad? Er würde der serbischen Polizei demnächst ein
Foto übergeben, um das prüfen zu lassen. Damit setzte Mihailović
eine in nationalistischen Kreisen zählebige Verschwörungstheorie in
die Welt, die ein eifriger CIA-Mann nach dem Krieg aufgrund einer
Sprachanalyse irrtümlich bestätigte.
Der vermeintliche Russe namens Tito weigerte sich einzugeste-
hen oder überhaupt zu begreifen, dass die Zeit noch nicht reif für den
Aufstand war. Es sei doch Wahnsinn, argumentierte Mihailović, eine
Macht anzugreifen, « die über Nacht Frankreich, Polen, die Tschecho-
slowakei und andere zerstört hat! » Nach Stunden gingen die beiden
128 Zagreb, 10. April 1941 

ohne Einigung auseinander. Aber schon eine Woche später erschien


Tito erneut zu einem Treffen, diesmal in Brajići. Er hatte ein Zwölf-
Punkte-Programm dabei, das gemeinsame Militäroperationen, Ver-
sorgung und Kommandantur vorschlug. Und was, wenn der Okkupa-
tor mit Strafexpeditionen anfängt?, warf Mihailović erneut ein. Nach
endlosen Diskussionen gab es nicht mehr als die Vereinbarung, sich
wechselseitig zu unterstützen. Daraufhin ließ Tito den Tschetniks
verabredungsgemäß fünfhundert fabrikneue Gewehre samt Munition
zukommen.36
In Wirklichkeit hegte Draža Mihailović zu diesem Zeitpunkt be-
reits Angriffspläne gegen Tito. Der Tschetnik-Führer befahl, die
­Republik Užice am Abend des 2. November 1941 anzugreifen. Man
müsse « entschlossen, tapfer und energisch » gegen die Partisanen vor-
gehen, ordnete der örtliche Kommandeur daraufhin an. « In Kämpfen
bei Nacht gelingt es am besten, alles überraschend und ohne Feder­
lesens zu liquidieren. »37
Der Überraschungsangriff auf Užice endete für die schlecht
­organisierten Tschetniks mit einem Fiasko. Sie verloren fast tausend
Kämpfer und größere Bestände an Waffen und Munition. Aus Rache
lockten sie dreißig Partisanen in eine Falle. Alle wurden furchtbar
massakriert, darunter achtzehn Mädchen, die sich für den Sanitäts-
dienst gemeldet hatten. Der viehische Mord sandte eine klare Bot-
schaft an den Rivalen: In dem heraufziehenden Bürgerkrieg werde es
kein Erbarmen, kein Entrinnen geben. « Mit den kommunistischen
Partisanen darf es keine Zusammenarbeit geben, weil sie gegen die
Dynastie und für die sozial[istisch]e Revolution kämpfen », befahl
Mihailović am 20. Dezember 1941 allen seinen Verbänden.38 Sicher-
heitshalber telegrafierte er zur Exilregierung, die sich inzwischen in
London aufhielt, der Mann mit dem falschen Namen Tito sei gar
nicht der Anführer allen Widerstands, als der er sich aufspiele, son-
dern er selbst. « Der Kampf der Kommunisten gegen die Deutschen
ist nur vorgetäuscht … Sie haben [vielmehr] meine eigenen Trup-
pen  … angegriffen. »39 Daraufhin ernannte ihn Peter  II. Mitte No-
vember 1941 zum Befehlshaber « aller jugoslawischen bewaffneten
Kräfte im Land ». Zwei Monate später beförderte man ihn zum
 Der Partisanenführer 129

Tschetniks posieren
mit Dolmetscher für
die Wehrmacht, 1944

Kriegsminister und General der « Jugoslawischen Armee in der Hei-


mat ». Und der britische Geheimdienst, der den jungen Monarchen
immer noch als legitimen Herrscher über ganz Jugoslawien betrach-
tete, schickte 20 000 Pfund und eine Militärmission, um Subversion
und Sabotage der königstreuen Tschetniks zu unterstützen.
Mihailović lag allerdings nichts ferner, als sich in verlustreiche
Kämpfe mit der Wehrmacht zu verstricken. Im Gegenteil plante er
ein Stillhalteabkommen mit ihr. Bei einem Treffen am 11. November
1941 erbat er von den verdutzten Deutschen sogar Waffen und Muni-
tion, da er « nicht erlauben » wolle, « dass in Anbetracht der schwachen
deutschen Kräfte im Land Serbien kommunistisch wird  ». Der
­empörte Kommandierende General aber ließ ausrichten, dass « die
Deutsche Wehrmacht mit dem Kommunismus in kürzester Zeit allein
fertig wird und … zu Ihnen als Bundesgenossen kein Vertrauen haben
kann ».40 Als Beweis seines guten Willens lieferte Mihailović 350 ge-
130 Zagreb, 10. April 1941 

fangene und verwundete Partisanen aus, welche die Wehrmacht um-


gehend erschoss. Dennoch wollte sie ihm partout kein Kampfgerät
aushändigen.
Derweil verlief die Zusammenarbeit Mihailovićs mit dem Gene-
ralstab der italienischen Armee glatter, die mit 230 000 Mann in Dal-
matien, Westbosnien, Montenegro, Sandschak und Kosovo stand. Da
auch in ihrer Besatzungszone der Druck der Partisanen wuchs, ver-
pflichtete sich die italienische Kommandantur Anfang 1942, die
Tschetniks mit Waffen, Geld und Lebensmitteln zu versorgen, um die
Kommunisten – aber wirklich nur diese! – zu bekämpfen.41 Dazu lie-
ßen die italienischen Generäle Dörfer bombardieren und niederbren-
nen, massenweise Geiseln erschießen und zehntausende Zivilisten in
Konzentrationslagern internieren. In all dem sollten und würden die
Tschetniks ihnen künftig behilflich sein.
Draža Mihailović hegte zu Kriegsbeginn keine ausformulierten
politischen Pläne. Er stand aber mit einer Gruppe nationalistischer
serbischer Politiker und Intellektueller in Belgrad in Verbindung. Zu
ihnen gehörte auch der Rechtsanwalt und Politiker Stevan Moljević,
der im Juni 1941 ein Memorandum mit dem vielsagenden Titel « Das
homogene Serbien » verfasste. Darin forderte er, alle von Serben besie-
delten Gebiete zusammenzuschließen, insgesamt mehr als zwei Drit-
tel des früheren jugoslawischen Staatsgebiets. Millionen Nichtserben
müssten dann aus diesem neuen Großserbien vertrieben werden.42
Mihailović fand diese Ideen so überzeugend, dass er sie in sein Pro-
gramm aufnahm, welches er der jugoslawischen Exilregierung im
September 1941 übermittelte. Er kündigte an, die fraglichen Lände-
reien einzunehmen und durch « schnelle und radikale Säuberungen »
dafür zu sorgen, « dass in ihnen nur serbische Bevölkerung verbleibt ».
Als « besonders schweres Problem » solle « die Frage der Muslime nach
Möglichkeit [bereits] in dieser Phase gelöst werden ». Am 20. Dezem-
ber 1941 gab er dazu den Befehl: « Säuberung des Staatsgebiets von
­allen nationalen Minderheiten und nicht-nationalen Elementen. »43
 Der Partisanenführer 131

Untergang und Neuanfang

Nicht lange nach dem Triumph über die Tschetniks erlebte


auch Tito ein Debakel. In der letzten Septemberwoche griff die Wehr-
macht die Republik von Užice an. Titos Hauptquartier kommandierte
zu diesem Zeitpunkt etwa 14 000 Kämpfer in 23 regionalen Einhei-
ten. Als die Luftwaffe die Stadt bombardierte, musste er mitansehen,
wie die Partisanen, erschöpft von wochenlangen Kämpfen, panikartig
davonrannten. Nach nur vier Tagen rollten die deutschen Panzer am
29. November 1941 unbehelligt in die Partisanenhochburg ein. Tags
darauf zerschlug die Wehrmacht das Hauptquartier von Draža
Mihailović.
Tito hielt bis ganz zuletzt in Užice aus. Nur mit knapper Not ent-
kam er nach durchwachter Nacht im Hagel von Bomben und Artil­
lerie mit dem Auto aus der Stadt, ehe er dreißig Kilometer zu Fuß
Richtung Südosten wanderte. Mit leichtem Maschinengewehr und
schlammigen Stiefeln traf er total entkräftet nachts auf dem Zlatibor
ein, wohin der Oberste Stab und hunderte Verletzte evakuiert worden
waren. In der Morgendämmerung, als schon die Motoren der deut-
schen Panzer zu hören und die Verwundeten bereits in langen Kolon-
nen abmarschiert waren, trat auch die Partisanenarmee den Rückzug
an. Über kaum passierbare Pfade bewegte sie sich bei starkem Frost in
die italienische Besatzungszone des Sandschak. Damit war Anfang
Dezember 1941 der Aufstand in Serbien und Montenegro praktisch
niedergeschlagen.
Zum ersten Mal erlebte der Führungskreis den Genossen Stari
entmutigt, ja gänzlich gebrochen. Der Fall von Užice war eine schwere
militärische Niederlage, ein humanitäres Desaster und eine furcht-
bare persönliche Schmach. Der Erfolg der ersten Wochen hatte ihn
dazu verleitet, die Grundregeln des Partisanenkampfes zu missach-
ten, die er selbst aufgestellt hatte, nämlich kein Territorium gegen den
übermächtigen Feind zu verteidigen. Er gab schändliches Versagen zu
und war « wütend auf mich selbst, dass der Rückzug aus Užice so
schlecht ausgeführt war ».44 Die Truppe hatte sich aufgelöst; mehr als
hundert Schwerverletzte wurden von der Wehrmacht völkerrechts-
132 Zagreb, 10. April 1941 

widrig ermordet. Es war, erzählte er später, einer der schwersten Mo-


mente in seinem Leben. Im Führungskreis bot er seinen Rücktritt an.
Aber dann sprach einer nach dem anderen strikt dagegen: Aleksandar
Ranković, Ivo Lola Ribar und mit besonderem Nachdruck Edvard
Kardelj.
Danach war Tito bald wieder der Alte und in der Lage, die nächste
Entscheidung zu fällen: sich mit seinen Einheiten in den Osten Bos-
niens und der Herzegowina auf das Gebiet des Unabhängigen Staates
Kroatien durchzuschlagen. Dort, wo der Terror von Ustascha und
Tschetniks die ländliche Bevölkerung aus reinem Selbsterhaltungs-
willen in die Arme der Partisanen trieb, sollte der Volksbefreiungs-
kampf weitergehen.
Tito war der einzige Oberkommandierende der Anti-Hitler-Koa-
lition, der sich permanent im Kampfgebiet aufhielt. Alle Führungs-
aufgaben liefen bei ihm, genauer im Obersten Stab zusammen, sei-
nem mobilen Hauptquartier. Es bestand aus etwa dreißig Parteileuten
und Kommandeuren. Die Zusammensetzung und Zuständigkeiten
änderten sich entsprechend der Gefechtslage. Edvard Kardelj wi-
ckelte nach wie vor die Parteiarbeit ab. Noch im schlimmsten Kampf-
getümmel konnte er die Vorteile der bolschewistischen Revolution
« völlig offen, völlig logisch, völlig ruhig und unerschütterlich » erklä-
ren, beobachtete ein Zeitgenosse, wobei Kardelj keinen Zweifel ließ,
dass das Ziel die Mittel heilige.45 Da er sich zu Beginn des Krieges
häufig in Slowenien aufhielt, übernahm Aleksandar Ranković einen
Teil seiner Aufgaben. Dieser wirkte oft zugeknöpft, lief in kritischen
Situationen aber zu Hochform auf. Weil er über kolossale Nerven-
stärke, blitzschnelle Auffassungsgabe und unerschöpfliche Energien
verfügte, war er prädestiniert, noch im allergrößten Chaos Ordnung
zu schaffen. Hingegen ließ sich der tollkühne Milovan Đilas immer
wieder von seinen Emotionen forttragen, weshalb manches daneben-
ging. Der dogmatische Stalinist war seit seinem Abzug aus Monte­
negro zusammen mit dem Journalisten Vladimir Dedijer für Agitation
und Propaganda zuständig. Er übernahm aber auch weiterhin gefähr-
liche Sonderaufträge. Zum harten Kern gehörte des Weiteren Ivo
Lola Ribar, der Chef des Jugendverbands. Im Obersten Stab demons-
 Der Partisanenführer 133

trierte der Mittzwanziger einen eisernen Willen und stählerne Ner-


ven, die er in den gefährlichsten Unternehmungen bewies und an-
scheinend sogar heiter überstand. « Zwei Dinge fielen mir an dieser
sonderbar zusammengewürfelten Gruppe auf, der Tito mit einem
Ausdruck amüsierten Wohlwollens vorstand », erinnerte sich der Brite
Fitzroy Maclean, der Mitte 1943 zum Obersten Stab stieß. « Erstens
ihre Hingabe an den Alten, wie sie ihn nannten. Zweitens die Tat­
sache, dass alle von ihnen, jung und alt, Männer und Frauen, Intellek-
tuelle und Handwerker, Serben und Kroaten, von den ersten Tagen
des Widerstands an mit ihm im Wald gewesen waren, Härten und
­Gefahren, Rückschläge und Erfolge geteilt haben. »46 Er staunte über
die « unbeugsame Selbstdisziplin » und den « Geist der völligen Auf­
opferung, der sie [die Partisanen] dazu brachte, weder dem eigenen
Leben noch dem der anderen Bedeutung beizumessen ». Dazu kam
« totale Enthaltsamkeit », beobachtete er. « Kein Trinkgelage, kein Plün-
dern, keine Frauengeschichten. Es war, als ob jeder durch einen Eid
gebunden wäre. »47
Anfangs fühlte Tito sich für alles persönlich verantwortlich. Er
wollte alles selbst erledigen: das Terrain erkunden, die Evakuierung
der Kranken und Verwundeten planen, Fluchtrouten für die Zivil­
bevölkerung austüfteln und die Requirierung und den Transport von
Lebensmitteln organisieren. Und er konnte richtig wütend werden,
wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen lief. Oft schickte er lange
Mitteilungen ins Feld, um die Kommandeure aufzumuntern, zu be-
lehren oder zurückzupfeifen.
Um ein zentralisiertes Kommando und reguläre Militäreinheiten
zu schaffen, gründete der Oberste Stab am 21. Dezember 1941, Sta-
lins Geburtstag, im bosnischen Rudo die Erste Proletarische Brigade,
eine überregional einsetzbare Elitetruppe. Die 1200 Soldaten kamen
aus unterschiedlichen Landesteilen und bildeten den Kern der multi-
nationalen Streitkräfte, die Tito nach dem Vorbild der Roten Armee
aufbauen wollte. Auf der Kappe trugen sie den fünfzackigen roten
Stern sowie Hammer und Sichel, und jede Einheit besaß nach sowje-
tischem Muster einen politischen Kommissar bzw. meist eine Kom-
missarin für ideologische Schulung. Der erste Kommandant der « Pro-
Plattensee Titos Marschbewegungen im Krieg, 134
DEUTSCHES REICH
1941–1944

Th ei ss
Dr
au Unabhängiger Staat Kroatien
UNGARN
Slowenien Militärverwaltungsgebiet
RUMÄNIEN Serbien
Ljubljana Zagreb Batschka
Dra
u
Gebietsverluste an das
Mai 1941 Banat Deutsche Reich
Triest Slawonien
Do
Sav nau Gebietsverluste an Italien
Rijeka e
Gebietsverluste an Albanien
Syrmien
Don nach Moskau
Bihać Belgrad au
Banja Luka und zurück
Nov. 1942–Jan. 1943 Mai–Sept. 1941
Tuzla Craiova u
N Stolice na
Jajce Sept. 1942 und Sept. 1941 Do
Zagreb, 10. April 1941 

Drvar Aug. 1943–Jan. 1944


Feb. 1943 und
Jan.–Mai 1944
Cacak
ˇ ˇ
Dalmatien Sarajevo
Kupres Dez. 1941 Uzice
ˇ Gebietsverluste an
S Juni 1944 Prozor Rudo Okt.–Nov.
Juli 1942 1941 Ungarn
ˇ
Foca
Split Prijepolje Gebietsverluste an
Mostar ˇ Bulgarien
Zabljak
Herze- Mai–Juli 1942 Sofia
Juni 1944 Vis gowina Mai 1943
deutsch-italienische
Demarkationslinie
BU

Monte-
Adriatisches negro Pristina
ˇ Weg ins Kriegsgebiet
LG

(Mai – Okt. 1941)


A

Meer
RIE

Skutari-See Skopje Marschroute Titos mit


N

dem Obersten Stab


Makedonien (Nov. 1941– Juni 1944)
ALBANIEN Flugreisen
I TA L I E N ( Juni – Oktober 1944)
Tirana
Ohrid-See
Bari GRIECHENLAND TÜRKEI
Juni 1944 0 20 40 60 80 100 km
Neapel
Vlora
 Der Partisanenführer 135

letarier » war Koča Popović, ein Spanienveteran. Der international an-


erkannte Lyriker und Essayist stammte aus einer reichen serbischen
Bankiersfamilie und hatte in der Schweiz und an der Sorbonne Philo-
sophie studiert, weshalb er sogar besser Französisch sprach als Ser-
bisch. Popović bewies im Verlauf des Krieges wie kaum ein anderer
Befehlshaber Eigeninitiative, Mut und taktisches Geschick.
Auch anspruchsvollste militärische Operationen befehligte Tito
persönlich. « Genau wie Hitler und Stalin glaubte Tito, dass er ein
­g roßer Heerführer ist », erinnerte sich Vladimir Velebit. Selbst Stabs-
chef Jovanović musste es sich gefallen lassen, dass Tito ihm dauernd
dreinredete.48 « Wir bitten euch, mehr Vertrauen zu uns zu haben », be-
schwerte sich auch Koča Popović beim Obersten Stab. « Eure Befehle
treffen zu spät ein, … und dann sind sie manchmal falsch, weil die
Lage längst eine andere ist. »49 Es dauerte eine Weile, bis sich Tito
nicht mehr in alles einmischte, sondern « seinen Kommandeuren volle
Handlungsfreiheit überließ, um eine Aufgabe auszuführen », erinnerte
sich Peko Dapčević, der Befehlshaber der Zweiten Proletarischen Bri-
gade.50
Mit Hilfe der Proletarischen Brigaden gelang es den Partisanen,
in Bosnien-Herzegowina 1942 größere Gebiete einzunehmen. Immer
mehr Freiwillige gingen mit ihnen « in den Wald ». Die brutale ethni-
sche Verfolgung durch Ustascha und Tschetniks und die blindwütigen
Sühnemaßnahmen der Wehrmacht trieben auch gänzlich unpoliti-
sche Bauern in den Widerstand. Anfangs waren es überwiegend Ser-
ben, ehe im zweiten Kriegsjahr auch viele Kroaten, Muslime und
­Angehörige anderer Nationalitäten hinzustießen. Wenn einfach « ir-
gendwelche, auf den Feldern befindliche Leute verhaftet und erschos-
sen » würden, beobachtete die Wehrmacht, sei klar, « dass auch die bis-
her loyale Bevölkerung aus Furcht oder Verbitterung zu den Banden
übergeht ».51
Um die Zivilbevölkerung für den Volksbefreiungskampf zu ge-
winnen, bemühten sich die Partisanen, die Versorgung in den von
­ihnen kontrollierten Gebieten aufrechtzuerhalten. Den Hunger dort
zu bekämpfen, brachte ihnen nach Meinung der Ustascha-Behörden
« unbestreitbare Erfolge » ein, sprich mehr Zulauf.52 Wenn requiriert
136 Zagreb, 10. April 1941 

oder etwas zum Schaden des deutschen oder italienischen Okkupators


gesprengt wurde, stellten die Partisanen Schuldscheine aus. Ob sie
je eingelöst wurden, ist ungewiss. Ab Mitte 1942 bestraften mobile
Kriegsgerichte « unwürdiges Verhalten » von Partisanen, etwa wenn sie
den Bauern Pferde, Lebensmittel oder andere Gegenstände weg­
nahmen.53 « Tito kannte besser als irgendeiner die Bedeutung der
Stimmung der Zivilbevölkerung für seine Art der Kampfführung »,
bestätigte der deutsche Sonderbeauftragte Südost Hermann Neuba-
cher.54 « Größere Kreise der Bevölkerung sympathisierten mit den
Partisanen, verpflegten, versteckten und warnten sie, lieferten ihnen
Nachrichten und förderten sie in jeder Hinsicht », beobachtete auch
Generaloberst Lothar Rendulic. « Ohne die Hilfe dieser Kreise der Be-
völkerung hätten die Partisanen nicht einen Bruchteil ihrer Anschläge
gegen das Leben deutscher Soldaten und die Verkehrseinrichtungen
der Armee durchzuführen vermocht. »55
Auf Unterstützung aus der Sowjetunion hoffte Tito vergeblich.
Viele Freiwillige wollten sich den Partisanen anschließen, funkte er
mehr als einmal nach Moskau, aber es mangele an Waffen und Muni-
tion, ganz zu schweigen von Medizin und Verbandsmaterial. « Wir
warten Tag und Nacht auf die Flugzeuge … [und] geben Bescheid, wo
und wann man sie abwerfen soll. »56 Moša Pijade musste wochenlang
im montenegrinischen Gebirge ausharren, weil Tito glaubte, « dass wir
doch noch Besuch [von den Sowjets] bekommen ».57 Aber statt die
dringend benötigte Hilfe zu schicken, erklärten die Sowjets über Ra-
dio Moskau, Draža Mihailović sei der Führer aller Widerstandskräfte
in Jugoslawien. Voller Zorn telegrafierte « Walter » am 25. November
1941 an « Djeda », das Exekutivkomitee der Komintern, Radio Moskau
solle gefälligst « aufhören, den Schwachsinn zu verbreiten, den Lon-
don verbreitet ». Die Tschetniks « sind Bestien in Menschengestalt ».
Sie hätten « noch nicht einen einzigen Schuss gegen die Deutschen ab-
gefeuert ».58 Aber Stalin verlangte, alles zu unterlassen, was auf einen
sozialistischen Systemwechsel hindeutete. Jetzt, wo die Wehrmacht
schon kurz vor Moskau stand und das Bündnis mit den westlichen
Alliierten für ihn und sein Land überlebensnotwendig war, durfte er
die Briten nicht mit kommunistischen Umsturzplänen auf dem Bal-
 Der Partisanenführer 137

kan verärgern. « Warum musstet ihr denn zum Beispiel unbedingt eine
Proletarische Brigade gründen? », tönte es vorwurfsvoll aus Moskau.
Und warum gebe es Festparaden am Jahrestag der Oktoberrevolution?
Tito ärgerte sich über « kilometerlange Briefe » voller Ermahnungen,
« dass unsere Partisanenbewegung [nicht] zu stark ins kommunistische
Fahrwasser kommt ».59

Im Wald

Im ersten Vierteljahr 1942 gründeten die Partisanen etwa


sechzig Kilometer östlich von Sarajevo in der Kleinstadt Foča erneut
ein staatsähnliches Gebilde, trotz aller Ermahnungen aus Moskau.
Die wichtigsten Errungenschaften dort waren das Krankenhaus, in
dem die Chirurgen unter Anästhesie operieren konnten, und ein Zug,
der Partisanenexpress. Die Volksbefreiungsräte enteigneten Land, um
es an die örtliche Bauernschaft zu verteilen. Sie druckten Zeitungen,
Flugblätter, Liederbücher, Fibeln und Broschüren, in denen man
­Lesen, Schreiben und Rechnen lernen konnte oder erfuhr, wie man
Brücken sprengte, Verletzte medizinisch versorgte und Pferde züch-
tete. Viele Freiwillige waren ja bäuerlicher Herkunft und Analphabe-
ten.
Nachdem im Frühjahr 1942 auch die Republik Foča gefallen war,
musste der Oberste Stab erneut abziehen. Mit etwa fünftausend
Mann marschierte er drei Wochen entlang des bosnischen Zentral-
massivs nach Westbosnien. Außer fünf bis sechs Kisten mit Silber-
münzen aus dem Tresor der Nationalbank schleppte ihre kleine
Pferde­karawane Berge von Dokumenten mit, die die Kollaboration
der Tschetniks mit den Italienern bewiesen, in der Hoffnung, irgend-
wann einen Offizier der Alliierten zu treffen, den das interessieren
würde. Zu den besonderen Kostbarkeiten gehörten ferner die Schreib-
maschinen und ein Vervielfältigungsapparat der Marke Gestetner
samt Papier.60
Während der ganzen Kriegszeit bewältigten die Partisanen
enorme Distanzen zu Fuß, ohne geeignete Ausrüstung, häufig ohne
jegliche Lebensmittel und ohne Medizin, und das in der Regel im
Dunkeln. Die Erste Proletarische Brigade beispielsweise unternahm
138 Zagreb, 10. April 1941 

Partisanenfibel,
« Arabische Zahlen »,
1944

zwischen Dezember 1941 und März 1945 468 Märsche, davon 192 in


der Nacht. « Die Mannschaft ist größtenteils völlig erschöpft », unter-
strich Koča Popović seinen Bericht an den Obersten Stab.61
« Die Ernährung war die ganze Zeit lang unser wunder Punkt », er-
zählte auch Tito nach dem Krieg. « Man hungerte. » Fleisch wurde,
wenn mal ein Tierkadaver ausgeschlachtet werden konnte, roh geges-
sen. Ansonsten wurden wildwachsende Birnen getrocknet, gemahlen
und mit der wenigen Gerste, die man auftreiben konnte, zu einer Art
Brot gebacken. Es war trocken, steinhart und schwer verdaulich.
« Seither kann ich Birnen nicht mal mehr sehen. »62 Und wie sollte man
kämpfen, « wenn man nichts zu essen hat, wenn man nichts zu trinken
hat », nur Gras, Rinde oder ein Kleeblatt, fragte eine Partisanin.63
Nicht jeder verfügte über den Humor eines Bill Stuart, eines Angehö-
rigen der britischen Militärmission, dem die Partisanen 1943 im Dur-
mitor-Gebirge wochenlang nur Brennesselbrei vorsetzen konnten.
 Der Partisanenführer 139

« Nicht schlecht, fehlt nur ein bisschen Salz », zwinkerte er.64 So kam es
häufiger vor, dass Partisanen aus Hunger zu den Tschetniks überlie-
fen, die von den Italienern Mehl, Pasta und Reis erhielten.
Im ersten Kriegswinter erlitten hunderte Kämpfer schwere Er-
frierungen. Zehen und ganze Füße mussten amputiert werden.
Kranke, Verwundete und Schwerverletzte konnten jedoch nur not-
dürftig medizinisch versorgt werden, da es im Partisanenkrieg keine
sichere Heimatfront gab. « Man musste auch ohne Narkose amputie-
ren. Sogar den Oberschenkelknochen mit einer gewöhnlichen Holz-
säge abtrennen », berichtete ein Schweizer Arzt, der freiwillig bei den
Partisanen Dienst tat. « Ich roch den Gestank von Eiter und Lebertran
aus den … Gipsverbänden, den Urin- und Stuhldunst der Männer
mit zerschossenem Unterleib, ich sah schaudernd die melonengro-
ßen, mit schmierigem Eiter bedeckten Wunden der Oberschenkelam-
putierten, die Gesichter unter serumdurchtränkten Kopfverbänden,
die kaum mehr zu erkennen waren, weil der Unterkiefer fehlte oder
die Nase, die Stirn, das Auge. »65
Im Lazarett arbeiteten viele Sanitäterinnen, Ärztinnen und Chi­
rurginnen. Frauen wollten allerdings auch zu den kämpfenden Ein-
heiten. Junge Bauernmädchen bewiesen selbstmörderischen Mut,
wenn sie aus dem Hinterhalt einen Zug gepanzerter Fahrzeuge angrif-
fen, erinnerte sich der Schweizer Arzt. « Es galt, mit Handgranaten,
die mit Draht zusammengebündelt waren, aus einer höher gelegenen
­Deckung direkt bis nahe an die Seite des Tanks zu stürmen, die Gra-
naten unmittelbar vor die Radketten zu werfen, mit ein paar Sätzen
zurückzulaufen und sich flach auf den Boden zu werfen. »66 Etliche
verloren dabei ihre Beine, nicht wenige ihr Leben. Am Ende des Krie-
ges war jeder achte Partisan weiblich.
Seit 1942 bemühte sich Tito bei der Wehrmacht vergeblich um
die Anerkennung der Partisanen als kriegführende Macht. Dass die
Deutschen in der Regel keine Gefangenen machten, sondern jeden
Aufgegriffenen umgehend erschossen, rechtfertigten ihre Oberen mit
dem Völkerrecht. Nach der Haager Landkriegsordnung galten irregu-
läre Kämpfer tatsächlich nicht als schutzwürdige Kombattanten.
­Allerdings untersagte das Völkerrecht auch schon damals, unter dem
140 Zagreb, 10. April 1941 

Deckmantel des « Bandenkampfes » und der « Notwehr » einen Vernich-


tungskrieg gegen die Zivilbevölkerung zu führen sowie unbewaffnete
Kranke, Verwundete, Ärztinnen und Sanitäter zu ermorden.
Die Partisanen behandelten kriegsgefangene Deutsche und Ita­
liener ihrerseits je nach Lage ganz unterschiedlich. Mal wurden sie
erniedrigt, gefoltert oder furchtbar massakriert, in anderen Fällen er-
schossen, als Helfer eingesetzt oder sogar freigelassen. Im Kriegs­
verbrecherprozess gegen die Südost-Generäle sagte Major a. D. Peter
Sauerbruch aus, « abgeschnittene Nasen, Ohren und Geschlechtsteile
bei Toten oder schwerverwundeten Soldaten, Verstümmelungen am
Boden liegender Verwundeter, durch Messerstiche in die Weichteile
oder Augen, wurden fast regelmäßig von der Truppe gemeldet, sobald
sie in einen Bandenhinterhalt geraten war ».67 Der deutsche General-
oberst Lothar Rendulic schrieb hingegen nach dem Krieg, « wir hatten
nicht den Eindruck, dass Tito die Grausamkeit der Partisanen för-
derte ». Vielmehr wollte er Gefangene machen, um sie gegen Partisa-
nen auszutauschen.68 Im März 1943 kam auf diesem Wege unter an-
deren Titos Zagreber Lebensgefährtin Herta Haas frei, die im KZ Ja-
senovac interniert gewesen war.
Von Herta Haas hatte sich Tito zu diesem Zeitpunkt allerdings be-
reits abgewendet. Er unterhielt seit Herbst 1941 ein Verhältnis mit sei-
ner Sekretärin Zdenka, die eigentlich Davorjanka Pau­nović hieß. Die
zwanzigjährige Französischstudentin aus Požarevac hatte sich schon
als Teenager in der Partei engagiert, ehe sie einen Kurs für Radiotele-
grafie absolvierte. Aleksandar Ranković war sie als intelligente, ge-
schickte und mutige Genossin aufgefallen. Er setzte sie als Kurierin
des Politbüros ein. Schön, schlank, mit dunklem Teint, auffallenden
grünen Augen und betörendem Lächeln, wurde sie Titos Assistentin
und Partnerin.
Allerdings war Zdenka ein Nervenbündel, die mit der Angst
schlecht fertigwurde. Ihr setzten die anstrengenden Märsche, das
­wenige schlechte Essen, die Kälte und die provisorischen Schlaflager
stark zu, zumal sie an Tuberkulose litt. Sie reagierte hysterisch, gerade
bei Bombenangriffen, wenn es für alle überlebenswichtig war, die
Nerven zu behalten. « Ich habe nie ganz verstanden, wie es ihr gelun-
 Der Partisanenführer 141

gen ist, einen Mann wie Tito zu erobern », wunderte sich Vladimir
Velebit.69 Und das, wo er doch in Kroatien Frau und Kind, die wun-
derbare Herta und den kleinen Mišo, hatte!
Es gab praktisch niemanden im Stab, der ein gutes Haar an
Zdenka ließ. Koča Popović warf ihr « eine Anhäufung allerschlech­
tester Eigenschaften » vor: beispiellose Feigheit, Charakterlosigkeit,
Selbstsucht, Panikmache und Hysterie, um nur einige zu nennen. Er
schien sie regelrecht zu hassen.70 Als sich der alte Haudegen Marijan
Stilinović bei Tito über Zdenka beschwerte, fuhr dieser hoch: « Was
kann ich machen, mein lieber Marijan, ohne sie kann ich nicht. »71
Aber eines Tages fragte er seinen Mitkämpfer Đuro Vujović wegen der
kapriziösen Gefährtin um Rat. « Genosse Đuro, was soll ich nur mit
ihr machen? » – « Genosse Tito », entgegnete er, « ich würde sie erschie-
ßen! »72

« Brüderlichkeit und Einheit »

Schon im ersten Kriegswinter herrschte da, wo einst Jugosla-


wien gewesen war, ein Ausbeutungs-, Rasse- und Bürgerkrieg apoka-
lyptischen Ausmaßes. Ausgelöst wurde er durch die Achsenmächte,
ehe slowenische, kroatische, serbische und albanische Ultranationalis-
ten die Gelegenheit ergriffen, ihre eigenen politischen Ziele zu ver-
wirklichen. Tito erklärte den Bruderzwist der südslawischen Völker
damit, dass die « g roßserbische Clique » die anderen Nationalitäten
zwanzig Jahre lang unterdrückt und deren Bourgeoisie gleichfalls
« Hass und Zwietracht » gesät habe.73 Mit ihrer Hilfe habe « der heim-
tückische und n ­ iederträchtige faschistische Okkupator sein Ziel er-
reicht – uns zu entzweien und dann auszurauben … Er treibt euch im-
mer tiefer in den Bruderkrieg … Er will euch vollkommen vernichten,
durch eure e­ igene Hand. »74
Hitlers Pläne waren von allen die radikalsten. Er strebte ein
« Großgermanisches Reich » an, das die « Germanisierung » besetzter
Gebiete sowie die systematische Ermordung von Juden und Roma
­voraussetzte. Im annektierten Teil Sloweniens ließen die Nazis alle
Einheimischen rassisch begutachten und tausende « nicht Eindeut-
schungsfähige » nach Serbien und Kroatien vertreiben. Die nationale
142 Zagreb, 10. April 1941 

Elite wurde ähnlich wie im besetzten Polen systematisch vernichtet.


Ebenso wurden auf deutsches Geheiß in ganz Südosteuropa die Juden
erfasst, interniert und ermordet. Die Ustascha-Regierung erklärte be-
reits im Februar 1942 und die Besatzungsverwaltung in Serbien im
Sommer 1942, die Judenfrage sei « gelöst ». Die Insassen des Vernich-
tungslagers Sajmište auf dem ehemaligen Belgrader Messegelände wa-
ren in einem Gaswagen getötet worden. Unter ihnen befanden sich
auch Ivo Lola Ribars Frau Slobodanka und ihre gesamte Familie. Etwa
60 000 von 72 000 jugoslawischen Juden fielen bis 1945 dem Völker-
mord zum Opfer.75
Alle Landesteile und Nationalitäten Jugoslawiens waren von « eth-
nischen Säuberungen » der einen oder anderen Art betroffen. Um ein
Großserbien, Großalbanien oder Großkroatien zu schaffen, gingen
kroatische Ustascha gegen orthodoxe Serben vor, serbische Tschet-
niks gegen Muslime und Kroaten, während die Albaner im Kosovo die
eingesessenen Slawen vertrieben. Jedes Mal, wenn die Machtverhält-
nisse wechselten, gab es neue Opfer und Täter. Die montenegrinische
Kleinstadt Kolašin erlebte in viereinhalb Kriegsjahren neunzehn
Machtwechsel, das ostbosnische Foča 27. Der deutsche Sanitätsoffi-
zier Heinz Reute berichtete: « Im Frühjahr 1942, als das Eis der Flüsse
schmolz, kamen Massen von Leichen die Sawe und die Donau herun-
tergetrieben. Sie verfingen sich teils am Elektrizitätswerk, teils im
­Gestrüpp der Inseln bei Belgrad. Es handelte sich um Serben, die von
der kroatischen Ustascha ermordet worden waren. » Es kamen aber
auch « kroatische Muselmanen aus dem Bosna-Gebiet, die von den
Serben und Montenegrinern getötet worden waren », angeschwom-
men.76 Dort schnitten Tschetniks ihren Opfern die Kehle durch, an-
dere wurden erstochen oder gepfählt. Ein Kommandeur meldete am
13. Februar 1943 stolz an Draža Mihailović, er schritte gerade zur
« 
vollständigen Vernichtung der muslimischen Bevölkerung ohne
Rücksicht auf Geschlecht und Alter ». In Bosnien und im Sandschak
wurden « alle muslimischen Dörfer … vollständig abgebrannt … aller
Besitz zerstört ».77 Hunderttausende waren auf der Flucht.
Die Parole von « Brüderlichkeit und Einheit », der Kampf für
Gleichberechtigung der Nationalitäten und für Solidarität, erhielt in
 Der Partisanenführer 143

diesem Ausrottungskrieg einen ganz neuen Sinn. Sie wurde zu einer


Überlebensfrage und zu einem Versprechen. « Der heutige Volksbefrei-
ungskampf und die nationale Frage in Jugoslawien sind untrennbar
miteinander verbunden », schrieb Tito 1942 in einem Artikel. Er diene
nicht nur der Befreiung Jugoslawiens, sondern zugleich « der Befrei-
ung der Kroaten, Slowenen, Serben, Makedonier, Albaner, Muslime
usw. »78 Die Partisanen warben unter allen Nationalitäten um Freiwil-
lige und achteten darauf, dass Kroaten und Serben gleichmäßig in den
Einheiten vertreten waren. Dort gab es auch Militärgeistliche unter-
schiedlicher Religionen. « Das Säen von Hass zu bekämpfen …, der
Kampf für Brüderlichkeit zwischen den Völkern ist jetzt die drin-
gendste Aufgabe der Kommunisten », erklärte Tito.79 Ein Partisaneneid
aus der Lika lautete: « Ich schwöre, dass ich mich immer und überall
für den Gedanken der Brüderlichkeit und des gemeinsamen Kampfes
der Serben, Kroaten und Muslime für die Säuberung meines Landes
vom gemeinsamen Feind, gegen faschistische Besatzer und einheimi-
sche Verräter, unabhängig davon, ob sie aus serbischen, kroatischen
oder muslimischen Reihen kommen, einsetzen werde. » Er enthielt zu-
dem das Versprechen, keine « eigenmächtigen Ausfälle und Rache » an
der Bevölkerung « egal welcher Religion und Nationalität » zu verüben.80
Die Partisanen sollten, so schwer das im Krieg aller gegen alle fiel,
« mit Disziplin, Ordnung und Aufopferung » als Schutzmacht der Ver-
folgten gleich welcher Volkszugehörigkeit auftreten.81 Streckenweise
ist das durchaus gelungen: « Die muslimische Bevölkerung betrachtet
unsere Brigade als Retterin vor dem furchtbaren Terror », berichtete
Tito Anfang 1942 aus Bosnien, « aber auch die serbische Bevölkerung,
die ebenfalls unter der Tyrannei der Tschetniks leidet und in ihrer
großen Mehrheit die Pogrome nicht gutheißt ».82 Und dort, wo die
Partisanen Gebiete einnahmen, wurden als Erstes die Kirchen und
Moscheen wiedereröffnet. Tito erläuterte später, man habe « g rößte
Anstrengungen unternommen, um der verbitterten serbischen Be-
völkerung zu beweisen, dass nicht alle Kroaten Übeltäter sind, dass
nicht alle Muslime Verbrecher sind, sondern nur ein kleiner Teil in
den Ustascha-Einheiten unter Führung der Deutschen Verbrechen
begangen hat ». Und ebenso habe man den anderen immer wieder er-
144 Zagreb, 10. April 1941 

klärt, dass nicht alle Serben Tschetniks waren. « Das war sehr müh­
selig. »83
Misshandlungen und Morde verübten die Partisanen selbst aller-
dings ebenfalls reichlich. Gewalterfahrung erzeugte Abstumpfung,
Verrohung und Hass. So manch einer verfiel einer nicht mehr kontrol-
lierbaren Vergeltungssucht – nicht zuletzt, weil Rache eine emotionale
Strategie ist, um Hilflosigkeit durch Handlungsmacht zu ersetzen.
Das beschrieb Milovan Đilas, nachdem er am Morgen des 18. Juli
1942 mit einem Bataillon des Obersten Stabes in Urije, einem von
Serben bewohnten Dorf in Zentralbosnien, eintraf. « Zuerst fanden
wir unter einem großen Birnbaum am Wegrand … zwei Bauern …
Die Patronen … hatten so große Wunden gerissen, dass aus ihnen das
Gehirn austrat. » Etwas weiter entfernt lagen noch mal zehn, zwölf
Leichen mitten auf dem Weg: Männer, Frauen, junge Burschen und
Mädchen, Kinder und sogar ein Säugling, alle mit zertrümmertem
Schädel, daneben dicker, weißer Hirnbrei und Fleischfetzen. Auch in
den Häusern bot sich ein infernalischer Anblick: Frauen mit durchge-
schnittener Kehle, verstümmelte Männer, überall Blut. « Und das von
Haus zu Haus. » Er stand unter Schock und « spürte gar nichts mehr »,
erinnerte er sich ratlos, keine Trauer, keinen Schmerz, keinen Lebens-
willen. Aber bald regte sich in ihm die Wut: Eine Welt mit so viel
­Unmenschlichkeit wollte er nicht! « Es gibt nur eine Alternative: Ent­
weder wir  – oder sie! », verkündete er.84 In einem weiteren Artikel
wurde er noch drastischer: Man möge keine Zeit mit den Verbrechern
vergeuden, schrieb er. « Schlagt sie wie Hunde tot, so wie sie es ver-
dient haben, rächt unsere unschuldigen Opfer! »85
Dabei hatte Tito bereits am 8. November 1941 jedem mit der
Todes­strafe gedroht, der die Bestialität Anderer durch « Quälen, Prü-
geln oder irgendeine andere Art persönlichen Hasses » rächte. Die Par-
tisanen seien « mehr als andere verpflichtet, das Kriegsvölkerrecht zu
achten », mahnte er.86 Aber auch er selbst ließ sich hinreißen. Als die Ita-
liener im Mai 1942 den kroatischen Parteiführer Rade Končar hinrich-
teten, war er so zornig, dass er aus Vergeltung eine Gruppe italienischer
Gefangener erschießen ließ. Erst Jahre nach dem Krieg gab er zu, dass
das « vollkommen sinnlos war. Ich war nur so wütend wegen Končar. »87
 Der Partisanenführer 145

Schon im ersten Kriegswinter erklärte Tito auch den « Volksfein-


den » den Krieg. Das waren besonders die Tschetniks und « alle aktiven
Ustascha und ihre Helfershelfer, alle, die dem Okkupator in irgend­
einer Hinsicht geholfen haben – als Spione, Zuträger, Kuriere, Agita-
toren … alle, die den Volkskampf verraten haben … und gegen die
Volksorgane arbeiten ».88 Die Soldaten der Proletarischen Brigaden
schwor der Oberkommandierende persönlich darauf ein, sogar den
­eigenen Vater zu erschießen, wenn der ein Volksfeind sei. « Sogar den
eigenen Vater! », riefen dann alle im Chor.89 Tito persönlich ordnete
Anfang 1942 an, « die Häuser eingefleischter Verbrecher und Räuber
anzuzünden, und alle Häuser von Tschetnik-Führern ». Ebenso sollten
« alle Spitzel, Mitglieder der Fünften Kolonne, aktive Gegner des
Volksbefreiungskampfes liquidiert » und ihr Vermögen konfisziert wer-
den.90 Banden waren « zu vernichten, wo immer sie auftauchen », und
Tschetniks, die die « vollkommen unschuldige muslimische Bevölke-
rung töten », würden « an Ort und Stelle erschossen ».91 Edvard Kar-
delj, der seit seiner Jugend einen tiefsitzenden Groll gegen alles Bür-
gerliche hegte, befahl am 1. Oktober 1942 derweil in Slowenien: « Die
Geistlichen in den Einheiten [der Kollaborateure] alle erschießen.
Ebenso wie Offiziere, Intellektuelle usw., und besonders die Kulaken
und ihre Söhne. »92
Die Tschetniks blieben die Antwort nicht schuldig. Sie gingen
schließlich schon seit Herbst 1941 voller Hass gegen die Partisanen
vor, die sie in Flugblättern als « Abschaum » und « Geißel Gottes » be-
zeichneten. Bei ihnen herrschten « Itzigs », Türken, Kroaten und ande-
res Gesindel, hieß es da. « Wenn [die Kommunisten] für ihr Volk
kämpfen würden, würden sie den Wunsch des serbischen Volkes res-
pektieren, dass Türken und Muslime in Bosnien-Herzegowina aus­
gerottet oder wenigstens vertrieben werden. »93 Am 16. Januar 1943
sandte Mihailović die Depesche Nr. 193 an alle Kommandeure: « Ver-
nichtet diese Übeltäter und Schlächter unseres Volkes gnadenlos! »94
Weil die « Feindbekämpfung » die Zivilbevölkerung gegen die Par-
tisanen aufbrachte, befahl Tito bereits im Frühjahr 1942, es dürften
nur gegen die « allernotorischsten Verräter » Repressalien verhängt wer-
den, und « um keinen Preis wird allgemeine Brandschatzung und Zer-
146 Zagreb, 10. April 1941 

störung erlaubt ».95 Zugleich öffnete er die Truppe für Überläufer.


Beim Obersten Stab gab es sogar eine Einheit ehemaliger Tschetniks,
die als Emblem die serbische Trikolore, nicht den roten Stern, trugen.
Der Leiter der Auslandsorganisation der NSDAP in Kroatien, Rudolf
Epting, bestätigte im Juli 1942, dass sich auch kroatische Offiziere und
Soldaten « mitunter sogar kompanieweise » dem Widerstand anschlos-
sen.96
Am Ende war das « ein Kampf um Leben und Tod », erinnerte sich
Tito. « Im Krieg schaut keiner darauf, was jemand morgen bestrafen
wird, sondern … jeder vernichtet, wen er kann. »97 Mit Exekutionen
wollte er aber persönlich nicht in Verbindung gebracht werden, wes-
halb er auch nie ein Todesurteil unterzeichnete. « Das, was kompro-
mittiert », warf ihm sein Weggefährte Aleksandar Ranković später vor,
« Todesurteile, das Niederbrennen von Dörfern, all das, was schmutzig
und schlecht ist, hat er … anderen überlassen ».98
BIHAĆ, 26. UND 27. NOVEMBER 1942 
Der Staatsgründer

« Titos Staat »

Am 26. November 1942 bereitete sich das westbosnische


Bihać auf ein großes Ereignis vor: die erste Sitzung des Antifaschisti-
schen Rates der Nationalen Befreiung Jugoslawiens, des AVNOJ.
Tausende Männer und Frauen, viele in der Volkstracht, waren bei win-
terlicher Witterung aus bis zu vierzig Kilometern Entfernung her­
beigeeilt, um die bevorstehende Bildung der Partisanenregierung zu
feiern. « Das Volk sang in den Straßen, versammelte sich vor dem
Frauenkloster, in dessen großem Saal der [Antifaschistische] Rat tagte.
Sie bejubelten … den Obersten Stab, den Genossen Tito, unsere tap-
fere Armee », schrieb Vladimir Dedijer in sein Tagebuch.1
In wenigen Tagen war der große Versammlungssaal für die 54 De-
legierten des Volksbefreiungskampfes, Partei- und Nichtparteimit-
glieder, aus allen Regionen feierlich hergerichtet worden. Nur die
­Slowenen und Makedonier hatten sich nicht bis nach Bihać durch-
schlagen können. Über bunten Webteppichen hingen an den Wänden
große Porträts von Stalin, Churchill und Roosevelt, daneben die Flag-
gen der Alliierten. « Der Alte sprach die einführenden Worte. Auch er
war bewegt. » Genau vor einem Jahr war er oberhalb von Užice nur
knapp dem Maschinengewehrfeuer entgangen, er hatte damals « selbst
nicht mehr geglaubt durchzukommen ».2
Der Sturm auf Bihać Anfang November 1942 war die bislang
größte und härteste Schlacht der Partisanen gewesen, und beinahe
wäre es den Ustascha doch noch gelungen, sie gleich wieder aus dem
strategisch wichtigen Ort zu vertreiben. Die malerische Festungsstadt
148 Bihać, 26. und 27. November 1942 

mit den engen Gassen, den vielen Kirchen und Moscheen bildete seit
dem 16. Jahrhundert das äußerste Bollwerk der Osmanen gegenüber
dem Habsburgerreich. Viele slawischsprachige Muslime lebten hier –
die Nachfahren jener Christen, die einst zum Islam übergetreten wa-
ren. Mit Bihać konnten die befreiten Gebiete Westbosniens und der
Provinzen Banija, Kordun und Lika miteinander verbunden werden,
ein Territorium mit zwei Millionen Einwohnern, das größer als Bel-
gien oder die Schweiz war. Inmitten der über 1600 Meter hohen Berg-
welt, in der sich die grün schimmernde Una durch enge Schluchten
schlängelt, gründeten die Partisanen erneut eine freie Republik. Die
Besatzer nannten sie « Titos Staat ».
Mit der Bildung des Antifaschistischen Rates machte Tito seinen
politischen Machtanspruch offiziell geltend. Er hielt die Zeit reif, « so
was wie eine Regierung » aufzubauen, damit nicht alle Beschlüsse
­ausschließlich vom Obersten Stab und von der Partei gefasst würden.
Die Sprachregelung lautete indessen, dass man nur einen Ausschuss
gründe, der sich um Verwaltung und Versorgung kümmere. Denn ge-
rade waren britisch-amerikanische Truppen dabei, die Deutschen und
Italiener in Afrika zu besiegen und sich auf die Landung in Sizilien
vorzubereiten. Das warf die Frage der Nachkriegsordnung in Europa
auf, und Churchill war entschlossen, die Ausweitung des Bolschewis-
mus nach Kräften zu unterbinden. Irgendwo eine selbst ernannte
kommunistisch geführte Regierung anzuerkennen, stand gänzlich
­außer Frage. Mit Rücksicht auf seine westlichen Verbündeten mahnte
auch Stalin die jugoslawischen Kommunisten, keine offiziellen Staats-
organe zu gründen. « Genossen und Genossinnen », sprach Tito also zu
den Delegierten, « wir haben keine Möglichkeit eine legale ­Regierung
zu bilden, weil uns das die internationalen Beziehungen … nicht er-
lauben. Aber wir haben das Recht, … unter diesen schwierigen Bedin-
gungen ein politisches Organ zu schaffen, das unser zerstörtes Land
politisch und wirtschaftlich organisiert. »3 Dann schwor er die Dele-
gierten auf « Brüderlichkeit, Eintracht und Einheit aller Völker Jugos-
lawiens » ein, das Alpha und Omega des zukünftigen Staates. Es sollte
eine Bundesrepublik gleichberechtigter Völker entstehen, und im Un-
terschied zur zentralistischen Königsdiktatur sollte kein Volk mehr
 Der Staatsgründer 149

über ein anderes herrschen. Als die neuesten Frontnachrichten ein-


trafen – die Rote Armee schlug Hitler bei Stalingrad zurück, die Par-
tisanen befreiten Jajce –, sprangen alle im Saal auf: « Es lebe die Rote
Armee! Es lebe Stalin! » Am Ende des Tages war die R ­ egierung gebil-
det und mit Dr. Ivan Ribar ihr höchster Repräsentant bestimmt. Man
stimmte ergriffen die Hymne « Hey, ihr Slawen! » an.
Tito und Dr. Ribar, der Oberkommandierende und der Quasi-Re-
gierungschef, bemühten sich in den folgenden Wochen nach Kräften,
allen Argwohn in Bezug auf eine drohende kommunistische Macht-
übernahme zu zerstreuen. Angesichts « ständiger Verleumdungen und
Gerüchte » erklärten die beiden per Flugblatt, der Volksbefreiungs-
kampf « ist und bleibt eine nationale Bewegung ». Man streite für die
Befreiung Jugoslawiens und plane « keine besondere Änderung hin-
sichtlich des Gesellschaftslebens ». Frei gewählte Volksvertreter sollten
erst nach dem Krieg über die politische Ordnung entscheiden.4
Nichtsdestotrotz erging Order an Svetozar Vukmanović-Tempo, den
Widerstand in Serbien und Makedonien auszuweiten und mit den
kommunistischen Parteien in Albanien, Griechenland und Bulgarien
zusammenzuarbeiten. Es sollte ein großer Aufstandsbogen von Slowe-
nien bis zum Peloponnes geschlagen werden. « Militärischer Erfolg …
bedeutet politisch, dass die Revolution voranschreitet », erklärte Tito.5
Die Eroberung Westbosniens brachte Tito starken Zulauf. Nun
ließ er die Partisaneneinheiten zu einer regulären Streitmacht, der
Volksbefreiungsarmee, umbilden. Ihr operativer Kern bestand aus
acht Divisionen à drei- bis viertausend Mann. Weitere 36 bewaffnete
Verbände (odredi) kämpften dezentral in verschiedenen Landesteilen.
Insgesamt standen Anfang 1943 an die 150 000 Männer und Frauen
unter Waffen, die überwiegend erbeutet, teils aber auch selbst produ-
ziert waren. Aufgrund ihrer multinationalen Struktur galt die Volks-
befreiungsarmee als Nukleus des künftigen Jugoslawien. Etwas mehr
als die Hälfte aller Partisanen waren Serben, etwa ein Fünftel Kroaten
und ein knappes Zehntel Slowenen. Den Rest stellten Montenegriner
und andere Nationalitäten.6 Dank erbeuteter Geräte konnte das
Hauptquartier bis Mitte 1943 eine ständige Funk- und Fernsprech-
verbindung zu allen Truppenteilen aufbauen. Der Widerstand war
150 Bihać, 26. und 27. November 1942 

nun in der Lage, größere Offensiven in Dalmatien, Slawonien, Ost-


bosnien und Slowenien durchzuführen. Darüber hinaus entstanden
Küstenmarine, Geheimdienst, Militärakademie und Militärgerichts-
barkeit, welche die Kriegsverbrechen der Okkupanten und ihrer Hel-
fer feststellen und ahnden sollte.
Zu diesem Zeitpunkt begann der Propagandastab, Titos Image als
genialer, mutiger und unbeugsamer Führer für die Mobilisierung des
Widerstands auszuschlachten. Er personifizierte den nationalen Be-
freiungskampf: « Tito ist das Volk. Tito ist das Glück. Tito ist die Hoff-
nung. Tito ist der Glaube an sich Selbst. Tito ist die Liebe. Tito ist
unsere Zukunft », hieß es in einem Gedicht.7 Einige Partisanenlieder
haben sich aber wahrscheinlich sogar spontan entwickelt: « Genosse
Tito, wir schwören dir, dass wir von deinem Weg nicht abweichen
werden » und « Tito, kleines weißes Veilchen »  – das war im Volksver-
ständnis etwas sehr Seltenes und Wertvolles. Welcher Propagandist
hätte beim Oberkommandierenden der Partisanenarmee schon an ein
helles, zartes Blümchen gedacht?

« Schicksalsstunde der Revolution » an der Neretva

« Titos Staat » samt seiner weiter erstarkenden Armee stellte


eine ernsthafte Gefährdung der deutschen Kriegspläne dar. In Stalin-
grad drohte der Wehrmacht die Kapitulation, der Ustascha-Staat
wankte, und damit stand auch die deutsche Kontrolle des Balkans in
Frage. Am 20. Januar 1943 befahl Generaloberst Alexander Löhr,
Bihać anzugreifen. Unternehmen « Weiß » bot elf deutsche, italieni-
sche, kroatische und serbische Divisionen samt der Luftwaffe auf,
­zusammen an die 105 000  Mann, um den Obersten Stab und die
­gesamte Volksbefreiungsarmee mitsamt ihrem Hauptlazarett zu ver-
nichten. Der Befehl lautete, alle im Kampfgebiet Angetroffenen zu
­erschießen und die übrige männliche Zivilbevölkerung im Alter von
15 bis 50 Jahren zu deportieren.8
Nach wochenlangen erbitterten Kämpfen und ununterbrochenen
Bombardements war der um den Obersten Stab konzentrierte Teil der
Partisanenarmee Ende Februar 1943 an das Ufer der Neretva zurück-
gedrängt. Neben etwa 22 000 Kämpfern waren viertausend Verletzte
 Der Staatsgründer 151

und Kranke sowie 50 000 geflüchtete Frauen, Kinder und Greise


­eingeschlossen. Tito, sein Führungskreis und zehntausende hilflose
Menschen saßen bei eisigen Temperaturen, hungrig und vollkommen
entkräftet im Schnee in der Falle. « Bin gezwungen, noch einmal anzu-
fragen, ob es wirklich ganz unmöglich ist, uns irgendwelche Hilfe zu
senden », funkte Tito in seiner Verzweiflung nach Moskau. « Hundert-
tausende Flüchtlinge sind vom Hungertode bedroht. »9 Aber selbst
zwanzig Monate nach Kriegsbeginn war keine sowjetische Hilfe in
Sicht.
Nachdem die Wehrmacht im Herbst 1941 in Užice alle Verwun-
deten niedergemacht hatte, die die Partisanen auf der Flucht zurück-
gelassen und versteckt hatten, befahl Tito, zu ihrer Rettung in Zu-
kunft « um jeden Preis » die Streitkräfte einzusetzen. Deshalb hatten
die Partisanen ganze Kompanien halbtoter Schwerstverletzter und
delirierender Typhuskranker dabei. Dazu kamen zehntausende Zivi-
listen, die sich dem Zug anschlossen. Weil manchmal mehr Männer
bei der Verteidigung der Verwundeten getötet als Verwundete gerettet
wurden und die lange Kolonne der völlig erschöpften Alten, Frauen
und Kinder den kämpfenden Einheiten im Weg war, murrten die
Kommandeure. « Aber die Armee wuchs und wuchs », erläuterte Moša
Pijade, denn es « entsprach dem Empfinden der Menschen, was richtig
ist und was falsch ».10 Dort, wo Tito den Befehl « wir dürfen die Verletz-
ten nicht zurücklassen » gab, wurde nach dem Krieg ein Gedenkstein
gesetzt.
Also schleppten Soldaten, Sanitäterinnen und einfache Bauern
die Verwundeten und Kranken auf improvisierten Bahren bis zur völ-
ligen Entkräftung durch das Gelände. Mitten im Winter ging es näch-
telang über schlammige Pfade, steile Geröllfelder und felsiges Ter-
rain. « Wir können die Tragen kaum noch halten, und wer weiß, wie
weit wir noch durchhalten müssen », schrieb eine Partisanin in ihr
­Tagebuch. « Schon zwei Tage lang gab es nichts zu essen. »11 Selbst die
Nichtversehrten konnten die wochenlangen Strapazen ohne Nah-
rung, ohne Schlaf und angemessene Kleidung kaum durchhalten.
« Viele waren so ausgezehrt von Müdigkeit und Hunger, dass sie ein-
fach tot umgefallen sind », erzählte Tito später.12
152 Bihać, 26. und 27. November 1942 

Auch ihm selbst verlangte diese vierte gegnerische Offensive na-


mens « Weiß » psychisch und physisch alles ab. « Wir waren von allen
Seiten umzingelt und mussten die Verletzten retten. Dafür … haben
wir riskiert, selbst nicht mehr aus dieser kritischen Lage herauszu-
kommen », berichtete er. Aber « unsere Kämpfer haben eine unglaubli-
che Disziplin an den Tag gelegt », ohne Gegenrede, ohne Desertionen.
« Jeder andere hätte sich ergeben. Keine andere Armee hätte [in dieser
Situation] weitergekämpft. » Aber die Partisanen wollten in ihrer Ver-
zweiflung zu gern glauben, dass sie aus dem Kessel irgendwie heraus-
kommen könnten. Und das lag, erklärte Tito, an « der unerschütter­
lichen Überzeugung von uns allen …, dass unser Kampf gerecht ist
und dass er mit unserem Sieg enden muss ».13
Tito sah in dieser dramatischen Situation, als sich der militäri-
sche Zangengriff um zehntausende Kämpfer und Zivilisten am Ufer
der Neretva immer fester schloss, nur einen Ausweg: den Rückzug
über den Fluss, durch die Herzegowina nach Montenegro und Make-
donien. Allerdings standen am anderen Ufer an die 26 000  Tschet-
niks. Tito ließ noch vor der rettenden Flussüberquerung alle fünf
Brücken zwischen Konjic und Jablanica sprengen  – ob aus Kalkül
oder falscher Lageeinschätzung, ist in der Literatur umstritten. « Ich
habe den Befehl gegeben, alle Brücken zu zerstören, auch die Haupt-
brücke, um den Feind in Sicherheit zu wiegen, dass wir genau dahin-
kommen, wo er uns hinhaben wollte », erläuterte er später. « Das war,
versteht sich, eine furchtbar riskante Entscheidung. Besonders für
mich, weil ich sie ganz allein getroffen habe. » Niemand wollte so viel
Verantwortung übernehmen. « Wenn ich daran denke, wie viele Kräfte
gegen uns aufgeboten waren, sieht es wirklich wie ein Himmelfahrts-
kommando aus. » Aber damals sei er eben felsenfest von seinen mili­
tärischen Fähigkeiten überzeugt gewesen.14
Die verzweifelte Brückensprengung ging als geniale Kriegslist in
die große Partisanenerzählung ein. Ohne Flussübergang hätte die
Volksbefreiungsarmee nur nach Norden ausbrechen können. Die
Deutschen konzentrierten ihre Truppen also logischerweise dort,
warteten dann aber umsonst auf Titos Hauptstreitkräfte. Denn zwi-
schenzeitlich gelang es den Pionieren der Volksbefreiungsarmee, bei
 Der Staatsgründer 153

Jablanica einen wackeligen Holzsteg zum anderen Ufer der Neretva zu


bauen, die dort lauernden Tschetniks zu vertreiben und die kämpfen-
den Verbände, Verwundeten und Flüchtlinge, sofern sie noch lebten,
aus dem Kessel zu evakuieren. Die dramatische Schlacht an der
­Neretva und die spektakuläre Rettung aus höchster Not machten Tito
zur Legende und gereichten ihm, wären nicht Tausende gefallen oder
aus Erschöpfung gestorben, zum militärischen Triumph. Er war ent-
wischt und der größte Teil der Volksbefreiungsarmee ebenso. Die
Wehrmachtsführung schob ihre Niederlage auf die stümperhaften
und feigen Italiener. Hitler kochte vor Wut und schimpfte über « Hoch-
verrat ».15
Militärisch und psychologisch markierte die Schlacht an der
­Neretva einen Wendepunkt. Erstens war Hitlers Plan gescheitert,
Tito und seine Armee ein für alle Mal zu vernichten. Und zweitens
gelang es den Partisanen, die Tschetniks so schwer zu schlagen, dass
sie das Vertrauen ihrer italienischen Schutzmacht verloren. Der Mili-
tärgeheimdienst hielt sie auf einmal für « unprofessionell, unfähig zu
kommandieren und, vor allem, Befehle auszuführen ». Zudem fehle es
ihnen an « moralischem [ideologischem] Zusammenhalt », weshalb die
Bevölkerung eher zu den Partisanen hielte, « die von der Kraft und
dem Fanatismus einer starken Einheitsidee angetrieben sind ».16
Auch die Briten, die die Tschetniks seit Kriegsbeginn protegier-
ten, hegten inzwischen Zweifel, ob sie die Richtigen unterstützten.
Geheimdienstmann Bill Bailey, der zur britischen Militärmission ge-
hörte, hatte im Februar 1943 im montenegrinischen Lipovo einer
Rede Mihailovićs beigewohnt, in der dieser verkündete, « seine Feinde
seien die Partisanen, die Ustascha, die Moslems und die Kroaten »,
und nicht etwa die Deutschen und Italiener. Zu Baileys Entsetzen
verlor Mihailović daraufhin noch einige abfällige Worte über die west-
lichen Demokratien.17 Zu guter Letzt tauchten auch noch geheime
Dokumente auf, die belegten, welch sinistere Rolle die jugoslawische
Exilregierung spielte, indem sie die Beteiligung der Tschetniks an der
Operation « Weiß » absegnete und somit die alliierten Kriegsziele sabo-
tierte. Der britische Chef-Kommandeur Nahost verlangte, man solle
« Mihailović verrotten und vom Ast fallen lassen ».18
154 Bihać, 26. und 27. November 1942 

Der Alte wird verletzt

Die Wehrmachtsführung wollte die Schmach an der Neretva


möglichst bald durch eine neue Großoffensive, das Unternehmen
« Schwarz », tilgen. Deshalb waren im Mai 1943 erneut 127 000 Mann
im Anmarsch, um die auf 15 000  Mann zusammengeschmolzenen
« Feindkräfte » im Sandschak und in Montenegro zu vernichten. Die
von monatelangen Märschen und Kämpfen ausgezehrte Volksbefrei-
ungsarmee hatte sich in schwer zugängiges Gebirgsland zurückgezo-
gen. Im Grenzraum zwischen Bosnien und Montenegro, wo sich in
früheren Zeiten die Aufständischen vor den Osmanen versteckt hiel-
ten, stoßen mehrere Bergzüge aufeinander. Im Massiv des Durmitor
erheben sich über 2500 Meter hohe, schroffe Gipfel. Durch die stei-
len, zerklüfteten Abgründe der Piva-Schlucht im Westen und der
Tara-Schlucht im Osten gab es nur ein paar Steige, die einst die Hir-
ten ins Gestein geschlagen hatten, dazwischen tiefe, reißende Bäche
ohne ­jegliche Übergänge. « Ein Heer mit ausreichender Nahrung und
Munition konnte sich dort leicht und lange verteidigen », erklärte
Đilas, « jedoch – eingekesselt – nur sehr schwer entkommen ».19 Dort,
wo es nichts zu essen gab und keinen natürlichen Schutz, schloss sich
die militärische Umzingelung. Was sich zusammenbraute, realisierten
Tito und der Oberste Stab erst, als die Luftwaffe am 15. Mai 1943
schwere Angriffe auf das Hauptquartier am Schwarzen See auf dem
Durmitor flog und deutsches Militär die Täler besetzte.
Sechs wertvolle Tage verstrichen, weil sich die ungeduldig erwar-
tete britische Militärmission nicht rechtzeitig einfand. Seit Monaten
wünschte der Oberste Stab eine offizielle Verbindung zu den Alliier-
ten; endlich sollte es so weit sein. Als Captain Bill Stuart, ein enger
Freund Churchills, und Major William Deakin, ein junger Historiker,
schließlich im Morgengrauen mit dem Fallschirm landeten, teilte
­ihnen ein Grauuniformierter mit schwarzen Stiefeln nüchtern mit,
dass « die Streitkräfte der Partisanen in schwerer Bedrängnis durch
den Feind waren, alle Waffen und Munition aufgebraucht waren und
dass es keine Medikamente und nicht einmal mehr Verbandsmaterial
für die Verwundeten gab ».20 Nach dreistündigem Fußmarsch erreich-
 Der Staatsgründer 155

ten sie die Lichtung, wo der Oberste Stab seine Zelte aufgeschlagen
hatte. Als ein mittelgroßer Mann im Uniformrock « mit einer Haltung
natürlicher Autorität » auf sie zutrat, war klar, « dass er [Tito] der Kom-
mandeur war und dass er persönlich und mit absoluter Autorität eine
große Kriegsoperation befehligte ».21
Alle Vorbereitungen waren schon getroffen, um noch am Abend
Richtung Nordwesten aufzubrechen. « Es wurde ein beschwerlicher, ja
einer der beschwerlichsten Märsche », erinnerte sich Milovan Đilas.
« Dichter Nebel und starker Regen hatten die Finsternis undurch-
dringlich, den Gebirgspfad schlammig und äußerst glitschig ge-
macht … Häufig riss die Kolonne ab, der Kontakt ging verloren. »22
Tagelang ging es weiter durch unwegsames Gelände, steile Schluch-
ten und zerklüftete Felsen, über schmale, halsbrecherische Pfade
durch Schnee und Matsch. « Die Truppen vor uns und an den Flanken
kämpften um jede Bergkuppe und jeden Grat », berichtete Deakin.
Denn die gut ausgerüsteten deutschen Gebirgsjäger hockten auf allen
strategischen Punkten und wichen keinen Millimeter zurück. Um je-
den einzelnen Gipfel musste hart gerungen werden. Tag für Tag zog
sich der Belagerungsring enger zusammen, bis die Volksbefreiungs­
armee auf ein Gebiet von kaum noch dreißig Kilometern Durchmes-
ser zusammengedrängt war. « Die Kämpfe waren furchtbar », beschrieb
Vladimir Dedijer das Geschehen. « Die Deutschen hielten ihre Stel-
lung eisern, während wir uns, unter unerhörten Verlusten, freizu-
kämpfen suchten. »23
Am 5. Juni saß Tito mit seinen Kommandeuren Koča Popović
und Peko Dapčević bei strömendem Regen unter einer Zeltplane und
hielt Kriegsrat. Draußen strich Vladimir Dedijer herum, der akribi-
sche Chronist des Aufstands. Das Scherzen, eine seiner geschätzten
Eigenschaften, war dem stupsnasigen Hünen vergangen. Was sollte er
denn jetzt ins Tagebuch schreiben, fragte er besorgt. Peko grinste.
« Schreib: Wir brechen aus! … Und Punkt! »24
Der Plan lautete, in zwei Gruppen durch das Tal der Sutjeska
über das Zelengora-Gebirge auszubrechen. Zwei Divisionen sollten
unter Titos Kommando nordwärts über die Sutjeska nach Bosnien
durchstoßen, die zwei anderen mit dem Hauptlazarett ostwärts über
156 Bihać, 26. und 27. November 1942 

die Tara in den sicheren Sandschak ziehen. Alle schweren Waffen und
die Ausrüstung wurden zerstört oder vergraben, um beim Über-
schreiten der feindlichen Linien schneller und beweglicher zu sein.
Selbst das Hauptarchiv des Obersten Stabes verschwand unter der
Erde.
Während die Deutschen mit allen Kräften unerbittlich vorstie-
ßen, fingen die Partisanen einen deutschen Funkbefehl an die Kom-
mandeure aller Regimenter ab: « Kein wehrfähiger Mann verlässt den
Kessel lebend. »25 Der Brite Deakin erinnerte sich: « Flugzeuge, ge­
sichert von Artillerie auf den Bergen, hatten die Aufgabe, unsere
Kampftruppen einzukesseln, … die letzten Viehherden und Maultier-
karawanen niederzumachen, die Moral der Truppe zu zerstören. »26
Die Alliierten zählten insgesamt rund 1500  Luftangriffe mit einem
geschätzten Bombenabwurf von 460  Tonnen, mit denen die Wehr-
macht das gesamte Gebiet Meter für Meter umpflügte. Geschwader
aus Stukas, Heinkels und Dornier-Bombern mähten die langen Ko-
lonnen der Marschierenden auf schmalen Pfaden reihenweise nieder.
« Es war einfach furchtbar », erzählte eine Ärztin. Plötzlich verdunkel-
ten die Flugzeuge den Himmel, bei ohrenbetäubendem Motoren-
lärm. « Auf einmal warfen sie einen ganzen Bombenteppich ab …
Körperteile flogen in alle Richtungen … Es fing Geschrei an. Wir
rannten von einem zum anderen …, beruhigten die Verletzten und
verbanden sie. »27 Dann kam schon die nächste Angriffswelle. Und
dann noch eine und noch eine, den ganzen Tag.
Am Abend des 8. Juni 1943 begann der Oberste Stab mit seinem
Begleitbataillon bei Finsternis und Regen den Aufstieg über den Berg
Milinklada. Im Tal der Sutjeska sollte der Ausbruch aus dem Kessel
stattfinden. Die Kletterei war fürchterlich schwierig, zumal in fins-
terster Nacht. Im Morgengrauen kreisten dann schon wieder pausen-
los Kampfflugzeuge über dem Tal, um das gesamte Gebiet mit Bom-
ben zu übersäen. Von allen Seiten schlugen Schrapnelle ein, notierte
Vladimir Dedijer, der bereits unten angekommen war. « Wir liegen in
einer feuchten Klamm, … und schauen dauernd auf die Uhr, wann
dieser furchtbare Tag zu Ende ist. »28
Währenddessen stieg Tito noch mit seiner Gruppe ins Tal ab. Auf
 Der Staatsgründer 157

Dr. Ivan Ribar
und Tito am Berg
Milinklada, 1943

einer Lichtung gab es bei einem Luftangriff keine Deckung mehr. Alle
warfen sich zu Boden, Tito duckte sich hinter einer umgestürzten
­Buche, neben ihm kauerten Captain Stuart und Aleksandar Ranković.
Völlig verängstigt machte sich sein Schäferhund Lux über seinem
Kopf breit, während es ununterbrochen heftig um sie herum ein-
schlug. Als eine Zehn-Kilo-Bombe ihren Baumstumpf traf, flog die
ganze Gruppe in die Luft. Es wurde düster, und « mir schien, dass ich
in diesem Moment sterbe », berichtete Tito später. Als sich die Rauch-
wolke verzogen hatte, sah er sich um: Lux war in Stücke gerissen, sein
langjähriger Gefährte Đuro Vujović und Captain Stuart lagen mit
verdrehten Beinen reglos am Boden. Aber « dann kam Marko [Ranko­
vić] und fasste mich unter dem Arm ».29
« Ich wusste erst gar nicht, dass ich … verletzt war », erzählte er
später. « Ich spürte, dass der Arm taub wurde, schenkte dem aber keine
158 Bihać, 26. und 27. November 1942 

Beachtung. » Alle rannten weiter die Schlucht hinab, ehe sie sich ober-
halb des Flusses durch das Gelände schlugen. Erst als sie abgehetzt
auf einem Geröllfeld haltmachen konnten, bemerkte Tito das Blut.
Als zwei, drei Tage später der verbundene Arm blau anlief, entfernten
sie einen Granatsplitter und nach dem Krieg noch zwei weitere.30
Vladimir Dedijers Frau, die Chirurgin Olga Dedijer-Popović, hatte
wie so viele andere an diesem Tag weniger Glück. Eine Bombe zer-
fetzte ihr die Schulter. Zehn Tage später wurde sie im Föhrenwald der
Romanija bestattet.
Dieses Mal zeigte sich der Wehrmachtsbefehlshaber siegesgewiss.
« Starker Feind in Sutjeska-Piva auf engstem Raum zusammenge-
drängt, darunter Tito einwandfrei festgestellt », funkte er nach Berlin.
« Letzte Phase des Kampfes, die Stunde der restlosen Vernichtung der
Titoarmee damit gekommen. »31 Tito war sich zu diesem Zeitpunkt in
der Tat selbst « nicht mehr sicher, dass wir da herauskommen », er-
zählte er.32 Dann aber schlug Koča Popović in schier auswegloser Lage
mit seiner Proletarischen Brigade auf eigene Initiative eine Bresche in
den Belagerungsring. Damit rettete er Tito das Leben. « Wir sind im-
mer noch in schwieriger Lage », telegrafierte dieser kurz darauf nach
Moskau. « Der Feind … greift von allen Seiten an … Wir bitten um
Eure Unterstützung angesichts dieser schwersten Heimsuchung. »33
Aber auch dieser Hilferuf war vergebens. In der Nacht zum 13. Juni
gelang es Titos Gruppe, im Gänsemarsch zwischen den deutschen
Stellungen hindurchzuschlüpfen. « Nicht ein Mucks war entlang der
ganzen Marschkolonne zu hören », schilderte Deakin die Flucht. Als
die Partisanen tags darauf aus dem Gebirge in die rettende Tiefebene
stürmten, wurden « aus Gejagten nun Jäger ». « Wie Mongolenhorden »
machten sie die in den Dörfern stationierten deutschen Soldaten nie-
der. « Das Mitleid hatte uns längst verlassen », bekannte er.34
Zur gleichen Zeit fand sich die zweite Kampfgruppe, die mit dem
Lazarett weit zurückgeblieben war, in solcher Bedrängnis, dass Milo-
van Đilas entschied, die Transportunfähigen in Höhlen zurückzulas-
sen. Das Lazarett aus dem Kessel retten zu können, war von Anfang
an eine Illusion, sagte Sanitätschef Gojko Nikoliš später. Wie sollten
all die Schwerverwundeten, Amputierten und Fiebernden in wochen-
 Der Staatsgründer 159

Partisanen an der Sutjeska, 1943

langen Märschen 1000 Höhenmeter die Piva-Schlucht hinunter und


2000 Meter den Durmitor wieder hinauf klettern? Hunderte waren
bereits unterwegs gestorben, als sie sich unter größten Schmerzen
voranschleppten oder völlig ermattet zum Ausruhen niederließen.35
Auch einige der kämpfenden Einheiten schafften den Ausbruch
aus dem Inferno nicht. Der legendäre Sava Kovačević fiel mit hunder-
ten Partisanen, während sich Milovan Đilas mit seiner zersprengten
Einheit nur mit knapper Not durch Felder voller Gesteinsbrocken,
zerfetzter Leichen und Pferdekadaver retten konnte. Säuerlicher,
schwerer Verwesungsgeruch der Gefallenen und Ermordeten lag über
dem Sutjeska-Tal. « Ich spürte den giftigen, unausstehlichen Gestank
noch Tage danach – so als hätte er sich in meiner Kleidung, in meiner
Haut und in meinem Verstand festgefressen », erinnerte er sich.36
­Immer wieder scheiterte er an demselben Rätsel: « Warum rotteten in
diesen unwegsamen Schluchten Doktoren aus Berlin und Professoren
aus Heidelberg balkanische Bauern und Studenten aus? »37
Obwohl die Volksbefreiungsarmee an der Sutjeska ein Drittel
160 Bihać, 26. und 27. November 1942 

i­hrer Kämpfer verlor, verbuchte sie die fünfte feindliche Offensive –


genannt « Schwarz »  – als Sieg. Selbst General Lüters quittierte die
selbstmörderische Kampfmoral der Partisanen mit unverhohlener
Bewunderung. Hitler sagte seinem Sonderbeauftragten für den Süd-
osten, Hermann Neubacher, was er von der Sache hielt: « Na, da wer-
den wieder einmal sechs Tito-Divisionen eingekesselt, aber ich weiß
schon, wie das weiterlaufen wird: In ein paar Tagen werden es nur
mehr drei sein, dann eine, und wenn wir schließlich zugreifen, dann
werden noch ein paar fußmarode Italiener und ein paar kranke Esel im
Kessel sein! »38
Tatsächlich war es allerdings eine große Tragödie: Bis zu
7000 Kämpfer und Kämpferinnen, darunter viele der besten Kom-
mandanten, wurden getötet. 1300 Verletzte und Kranke, wegen derer
sich die Partisanen so unnachgiebig schlugen, wurden beim « Durch-
kämmen » der Region in den Verstecken aufgefunden und ermordet,
wenn sie nicht auf den Märschen elendig krepierten. Nicht zuletzt
überlebten 200  Krankenschwestern und 30  Ärzte, die Hälfte des
­medizinischen Personals des Hauptlazaretts, das Gemetzel nicht.

« Der sagenhafte Tito »

Bis Ende 1942 trat Tito nirgends mit seinem Klarnamen in


Erscheinung. Nachdem der Antifaschistische Rat gegründet war,
musste er seine Identität aber preisgeben – eine Bewegung mit Macht-
anspruch konnte ja schlecht von einem Phantom geführt werden. Am
6. Dezember 1942 veröffentlichte die Parteizeitung « Borba » ein Foto
des Oberbefehlshabers, und bald darauf, Anfang 1943, erklärte sich
Tito öffentlich zum « Kroaten Josip Broz ».39 Seitdem erschien er pro-
minenter in der Kommunikation der Partisanen, in Flugblättern,
Communiqués und auf Versammlungen.
Bis dahin hatten die Gestapo und die Wehrmacht keine Vorstel-
lung davon gehabt, wer der geheimnisvolle Tito in Wirklichkeit war.
Offenbar kam niemand auf die Idee, die Kartei der politischen Ver-
dächtigen in der Abwehrstelle in Zagreb durchzusehen. Ein pflichtbe-
wusster Bediensteter hatte dort schon im August 1941 eine Kartei-
karte über Broz, Ivan, Maschinenmechaniker, angelegt: « Kommunist,
 Der Staatsgründer 161

mehrmals verurteilt, Deckname Tito ». Stattdessen glaubten diverse


Informanten, Spitzel und Spione, ihn als Professor aus Skopje, als ös-
terreichischen Juden oder als jugoslawischen Offizier enttarnen zu
können. Auch der britische Geheimdienst und das Foreign Office wa-
ren zu diesem Zeitpunkt nicht schlauer. Sie spekulierten, es gebe Tito
gar nicht, und wenn doch, könnte sich dahinter ein ganzes Komitee
oder sogar eine Frau verbergen.
Nachdem Agent B  700–701 der Gestapo eine Abschrift des in
Brajići geschlossenen Abkommens zwischen Tito und Mihailović
übergeben hatte, entstand im April 1942 das erste Dossier über Tito.
Tschetnik-Kommandant Jezdimir Dangić brachte folgende Informa-
tionen bei: « Etwa 45 Jahre alt, mittleren Wuchses, längliches, schma-
les, rasiertes Gesicht … Trägt immer einen grünen Jagdanzug mit
Kniehosen, Partisanenschiffchen oder lederne Schildmütze. Trägt
­gewöhnlich Brille … Liebhaber schwarzen Kaffees. » Im Oktober in-
formierte die Belgrader Gestapo das Reichssicherheitshauptamt, der
« Spitzenfunktionär » Tito « könnte slowenischer oder tschechischer
Abstammung sein … Auf jeden Fall ist er sehr intelligent. » Auf einer
blauen Karteikarte stand: « Wird als sehr tapfer und charaktervoll be-
schrieben. »40
Ende 1942 konnte die Wehrmacht endlich ein Foto Titos sicher-
stellen, das der Polizeiattaché in Zagreb, SS-Major Hans Helm, am
8. Januar 1943 nach Berlin schickte, ehe die deutsche Gesandtschaft
bestätigte, « dass sein richtiger Name so gut wie sicher Josip (Ivan)
Broz  … lautet ».41 Und so enthüllte die Nazi-Zeitschrift « Neue Ord-
nung » am 28. Februar 1943 der Öffentlichkeit die wahre Identität des
« sagenhaften Tito ».
Als dieser im Sommer 1943 immer noch aktiv war, ließ das OKW
Flugblätter abwerfen. Es setzte « auf den Kopf dieses gefährlichen
Banditen » eine Prämie von 100 000  Goldmark für denjenigen aus,
« der lebendig oder tot den Kommunistenführer Tito ausliefert ». Er sei
ein « bolschewistischer Agent » und ein « Kirchenschänder, Räuber und
Wegelagerer » noch dazu. Das Auswärtige Amt warnte indessen vor
­einer « Vermehrung der Popularität Titos » durch diese hilflose Aktion,
die ja nur bestätige, dass die hochgerüstete Wehrmacht dem Gejagten
162 Bihać, 26. und 27. November 1942 

Fahndungsaufruf,
« Belohnung
100 000 Deutsche
Mark in Gold »,
1943

nicht beizukommen vermochte. Die « unliebsame Nebenwirkung » sei,


« dass sich um Tito die Gloriole eines edlen romantischen Freiheits-
helden bildet, dem sich alle Sympathien natürlicherweise zuwenden,
während Deutschland die Rolle des finsteren Unterdrückers zu-
fiele ».42 Ein paar Partisanen-Witzbolde revanchierten sich noch dazu
mit Spott, indem sie per Plakat versprachen, demjenigen, der den
­Poglavnik Ante Pavelić lebend oder tot ausliefere, eine Belohnung von
fünfzig Kuna zu bezahlen – das waren damals zwei bis drei Mark.43
SS-Mann Helm verfasste eine längere Analyse über die « Partisa-
nenlegende ». Die Partisanen hätten sich aufgrund ihrer außerordent-
lichen Disziplin, ihres kompromisslosen Widerstands sowie ihrer Pro-
paganda für Frieden und nationale Verständigung große Sympathien
in der Bevölkerung erworben. Ihre Fama von Edelmut, Heldentum
und genialer Kriegsführung – sie wüssten immer alles und seien über-
all zur Stelle – verbreite sich von Mund zu Mund, klagte er. « Der Er-
 Der Staatsgründer 163

folg ist riesig. »44 Und in der Tat: Die Allgegenwart von Not, Verzweif-
lung und Gewalt befeuerte die Sehnsucht nach einem Retter. Viele
wünschten sich eine Führungspersönlichkeit, die über außeralltäg­
liche Fähigkeiten und Kräfte – mit anderen Worten Charisma – ver-
fügte. Wie viel Tito davon wirklich ausstrahlte, was die Menschen in
ihrer Verzweiflung auf ihn projizierten und welche Bilder die Propa-
ganda noch zusätzlich erzeugte, ist schwer auseinanderzuhalten.
Auch seine schärfsten Gegner mussten aber zugeben: Tito war
eine Ausnahmegestalt. Er war einer, der das Vermögen besaß, wie Joa-
chim Fest über Winston Churchill schrieb, « Hitler auf das Maß einer
überwindbaren Macht » zu reduzieren. Hitler und Mussolini mochten
militärisch übermächtig sein, räsonierte Tito, « aber es fehlt ihnen der
moralische Faktor. Siegeswille und Siegesbewusstsein  ».45 Zudem
strahlte er die Gewissheit aus, dass sich das alte Regime selbst das
Grab geschaufelt habe. Und er bewies, dass sich der Todfeind schla-
gen ließ, dass es feige war, vor ihm davonzulaufen wie der ­König und
seine Kamarilla, und schändlich, ihn gewähren zu lassen oder sogar zu
unterstützen wie Draža Mihailović. Dass er dabei wie alle anderen
dauernd in Lebensgefahr schwebte, machte ihn glaubwürdig und
menschlich. Stets sei etwas Helles um ihn gewesen, eine nie versa-
gende Stärke und Zuversicht, sagten viele.
Er selbst betrachtete den Krieg, sagte Tito seinem Biographen,
als die wichtigste Phase seines Lebens. Da « habe ich am meisten von
mir gegeben ».46 Denn er besaß Eigenschaften, die nach allen Erkennt-
nissen der Psychologie eine Voraussetzung dafür sind, seine Vorhaben
durchsetzen zu können: eine unbeirrbare Leidenschaft für seine Ziele,
gepaart mit Entschlusskraft und unerbittlicher Konsequenz im Han-
deln. Er selbst nannte seine « Unbeugsamkeit im Kampf, ohne im min-
desten zu zweifeln oder abzuweichen », als Schlüssel zu seinem Erfolg.
« Denn wenn die Leute sehen, dass der, der sie führt, schwankt – dann
fällt er, verliert in ihren Augen. »47
Einen so brutalen und eigentlich aussichtslosen Kampf unter
­Inkaufnahme so hoher Opfer zu führen, erforderte ein hohes Maß an
Selbstdisziplin und Skrupellosigkeit. « Der Krieg hat keinen besonde-
ren Einfluss auf mich gehabt, weil ich das ganze Leben lang, und be-
164 Bihać, 26. und 27. November 1942 

sonders in der Illegalität, auf alle erdenklichen Schwierigkeiten vorbe-


reitet war », erzählte er rückblickend. « Der Krieg hat mich nur in den
Überzeugungen bestärkt, die ich schon vorher hatte. »48 Daher han-
delte er immer kontrolliert und kaltblütig, egal wie gefährlich die Lage
war. Abgesehen von gelegentlichen Zornausbrüchen, die rasch wieder
vergingen, ließ er sich nicht von Emotionen treiben. « Panisch war ich
im Leben am allerwenigsten. Wenn ich einmal von etwas überzeugt
war, dann wollte ich das mit aller Entschiedenheit durchsetzen. »49
Rückschläge warfen ihn nicht dauerhaft aus der Bahn, man müsse
­alles mit Hilfe der dialektischen Methode analysieren: These, Anti-
these, Synthese. Wenn also etwas schiefging, hieß es, aus Fehlern zu
lernen und einen neuen, besseren Anlauf zu nehmen. « Man muss
im Leben alles ernst nehmen, aber nichts tragisch. »50 Trotzdem wirkte
er noch nach Jahrzehnten sichtlich bewegt, wenn er berichtete, wie er
militärisch vollkommen unerfahrene Halbwüchsige und Typhus-
kranke in die Stellungen schickte oder ihm ein verblutender Jüngling
die Hand drückte und « es lebe Stalin » zuhauchte.
« Wer kommandiert, muss an verflucht viel denken », sagte er.
Aber « das Leben hat mich gelehrt, dass es in kritischen Momenten
das gefährlichste ist, keine Meinung zu entwickeln, zu zaudern. Man
muss immer und in jeder Situation couragiert und entschlossen re-
agieren. »51 Und das galt besonders dann, wenn gar nichts mehr klar
war, wenn er, wie vor der Überquerung der Sutjeska, nur noch die
finster-forschenden Blicke auf sich spürte, die auf eine Order warte-
ten. « Ich sah die Verletzten auf den Bahren … Es sah aussichtslos
aus. » So war es auch wieder an der Tara, als die Kommandeure mel-
deten, sie seien in auswegloser Lage. Auf der Karte war kein Weg
eingezeichnet, und überall wartete frontales Artilleriefeuer. Deut-
sche vorne, Deutsche hinten und drumherum ebenfalls. « Aber wir
haben uns trotzdem durchgeschlagen. »52 Tito besaß offenbar etwas,
das Robert Musil als Möglichkeitssinn bezeichnete: die Vorstel-
lungskraft, selbst aus den verfahrensten Situationen heraus neue
Chancen zu entwickeln.
Wenn die Lage kritisch war, lief er immer auf und ab und durch-
dachte die Optionen. Der Bildhauer Antun Augustinčić hat diese Pose
 Der Staatsgründer 165

in einer berühmten Statue verewigt. Er beobachtete 1943 in Jajce, wie


Tito « jeden Tag nach dem Mittagessen, bei Sonnenschein, Regen oder
Schnee, auf dem Gelände auf und ab schritt, die Hände hinter sich
verschränkt, grübelnd … wie ein Löwe im Käfig ». In diesen schweren
Monaten wurde es ihm immer wichtiger, dass seine Kleidung sauber
und gebügelt war, dass er sich aufrecht hielt, auch wenn er todmüde
war. Es war eine Frage der persönlichen Würde, sich täglich zu rasie-
ren, winters wie sommers, selbst während der Märsche und der
­Offensiven. « Ich glaube, dass er … unbewusst das Bedürfnis entwi-
ckelte, sich formvollendet zu zeigen », sagte Augustinčić, « um auszu-
drücken, dass seine Armee zwar zerlumpt und halb verhungert, aber
stolz war ».53
Der Krieg wäre wahrscheinlich ganz anders verlaufen, wenn Tito
getötet oder ergriffen worden wäre. Das glaubten zuallererst auch die
obersten Nazis. Reichsführer-SS Heinrich Himmler lobte Tito am
21. September 1944 in einer Rede auf der Jägerhöhe als « Beispiel der
Standhaftigkeit ». « Wie der uns auf die Nerven fällt », stöhnte Himm-
ler. « Er ist unser Feind, aber ich wollte, wir hätten in Deutschland
­einige Dutzend Titos, Männer, die führen und die ein solch starkes
Herz und so gute Nerven haben, daß sie, ewig eingeschlossen, niemals
nachgeben », belehrte er seine Wehrkreisbefehlshaber und Komman-
deure. « Sie können sicher sein, das gelang ihm nur, weil er ein kom-
promißloser, standhafter Soldat, ein standhafter Kommandeur ist. »54

Auf dem Weg zur internationalen Anerkennung

Das Durchhaltevermögen der Männer und Frauen bewirkte,


dass der britische Geheimdienst die Partisanen jetzt als « das ein-
drucksvollste Element » im Widerstand gegen die Achse anerkannte.
In Anbetracht der bevorstehenden alliierten Landung in Frankreich
interessierte Winston Churchill nämlich nur noch, « wer die meisten
Deutschen tötet », sowie Mittel zu finden, « durch die wir … helfen
können, noch mehr zu töten ».55 Und nach der gut begründeten Mei-
nung der britischen und amerikanischen Geheimdienste waren Titos
Partisanen die einzigen wirkungsvollen Widerstandskämpfer in Jugo-
slawien. Die militärische Lage sprach Bände: Die kraftstrotzende
166 Bihać, 26. und 27. November 1942 

Wehrmacht, die das kleine Jugoslawien ursprünglich mit 30 000 Sol-


daten in Schach halten wollte, war dort im Sommer 1943 mit 18 Divi-
sionen und 254 000 Mann engagiert. An ihrer Seite standen zuletzt
noch weitere 296 000 italienische Soldaten. Titos Volksbefreiungs­
armee konnte 33 deutsche Divisionen binden, schätzten die Briten,
und sie leistete einen wichtigen Beitrag, Hitler endgültig zu besie-
gen.56 Deswegen erklärte Churchill seinem Verteidigungsminister im
Juni 1943 kategorisch, die Unterstützung der Partisanen habe « sogar
vor der Bombardierung Deutschlands Vorrang ».57
Nachdem Italien am 8. September 1943 kapituliert hatte, ver-
schob sich das Kräfteverhältnis weiter zugunsten der Volksbefreiungs-
armee, die bald über 300 000 Kämpfer zählte. Sie entwaffnete sechs
italienische Divisionen, zwei weitere liefen über. Da die Partisanen
zudem einen großen Teil Dalmatiens und Montenegros besetzten,
fand Premier Winston Churchill die Zeit reif, einen persönlichen Be-
auftragten zu Tito zu entsenden. Seine Wahl fiel auf den 32-jährigen
Oberstleutnant Fitzroy Maclean, einen Abgeordneten der konservati-
ven Partei mit russischen Sprachkenntnissen und engen Freund sei-
nes einzigen Sohnes Randolph. Er sollte Erkenntnisse über die Parti-
sanen gewinnen sowie deren Militäraktionen so organisieren, « dass
diese am besten in die alliierten Invasionspläne … passen ».58
Der tapfere Fitzroy Maclean schwebte in einer mondhellen Sep-
tembernacht des Jahres 1943 mit dem Fallschirm in ein diesiges, grün-
graues bosnisches Gebirgstal ein. Dort sammelten ihn die Partisanen
auf, um ihn in einem erbeuteten Geländefahrzeug zur mittelalter­
lichen Burgruine nach Jajce zu fahren, wo am Wasserfall der Pliva
­siegesbewusste Zuversicht und buntes Treiben bis tief in die Nacht
herrschten. Erstmals nach zwei Jahren waren neben den katholischen
und islamischen Gotteshäusern auch die orthodoxen Kirchen geöff-
net. Das « Theater der Volksbefreiung » führte Gogols « Der Revisor »
auf, es gab Bildungs- und Alphabetisierungskurse und sechs verschie-
dene Zeitungen, berichtete die britische Militärmission nach Lon-
don. « Das Ziel der Partisanen ist, wo immer möglich, Aufbau und
nicht Zerstörung. »59
Als sich Maclean im Hauptquartier einfand, erschien Tito in
 Der Staatsgründer 167

Uniformrock, Kniehosen und einer « geschmackvoll getupften Kra-


watte », um den wichtigen Gast zu begrüßen. Er war « glattrasiert, mit
sonnengebräunten regelmäßigen Gesichtszügen unter eisengrauem
Haar », erinnerte sich Maclean, und er « hatte einen sehr entschlosse-
nen Mund und wachsame blaue Augen ». Es dauerte nicht lange, bis
auch der kühle Schotte der Ausstrahlung Titos erlegen war. Beson-
ders überraschte ihn dessen « Bereitschaft, jede Frage auf ihren Wert
hin zu diskutieren und, wenn erforderlich, sofort eine Entscheidung
zu fällen … Eine solche Unabhängigkeit bei einem Kommunisten war
für mich eine neue Erfahrung. » Dieser Mann, schwärmte er, wirke
souverän, ströme Energie, Entschlusskraft, Intelligenz und einen nie
versagenden Sinn für Humor aus. Er sei, kurz gesagt, « eine Führer-
persönlichkeit, kein Untergebener ».60
Das Ziel der Regierung Ihrer Majestät fest im Auge, nämlich die
Monarchie in Jugoslawien zu retten, war Maclean irritiert, als Tito
freimütig bekannte, er wolle nach dem Krieg einen kommunistischen
Staat errichten. Nur aus taktischen Gründen propagiere er eine plu-
ralistische Volksfront. Aber wenn der Pulverdampf über den Ruinen
des alten Systems erst einmal verflogen sei, gebe es ein Einparteien-
system. Längst waren rund 12 000 Volksbefreiungsräte dabei, « Volks-
feinde » zu enteignen, Land umzuverteilen und Kriegsverbrecher ab-
zuurteilen. Ein Gesetz gegen Volksverhetzung stellte Aufwiegelung zu
ethnischem, rassischem und religiösem Hass unter Strafe. Maclean
übermittelte Churchill die Einschätzung, dass Tito in jedem Fall den
Krieg gewinnen werde, was die Alliierten bestenfalls beschleunigen
könnten. Ebenso sei nicht daran zu zweifeln, dass Tito Jugoslawien in
einen kommunistischen Staat verwandeln würde.
Vom 29. November bis 1. Dezember 1943 trafen die drei Alliierten
zu einer Gipfelkonferenz in Teheran zusammen, um über die euro­
päische Nachkriegsordnung zu beraten und eine zweite Front gegen
Nazi-Deutschland zu beschließen. Sie erklärten, die jugoslawischen
Partisanen als kriegführende Macht anzuerkennen und in « g rößtmög-
lichem Ausmaß » zu unterstützen. Das war allerdings nur militärisch
gemeint und sollte kein Präjudiz für die Nachkriegsordnung darstel-
len. Tito ließ sich davon nicht beirren und trieb den Staatsaufbau wei-
168 Bihać, 26. und 27. November 1942 

ter voran. Auf dem zweiten Antifaschistischen Rat, der am 29. und
30. November 1943 im Haus des patriotischen Kultur- und Turn­
vereins « Sokol » (Falke) in Jajce zusammentrat, legten 142 Delegierte
die Grundlagen für das künftige Jugoslawien. Der Vielvölkerstaat
sollte nach dem Krieg als demokratischer Föderalstaat gleichberech-
tigter Nationen wiederauferstehen. Als Regierung trat das National-
komitee zur Befreiung Jugoslawiens auf. Die Exilregierung wurde
­aller Funktionen enthoben und König Peter  II. die Rückkehr nach
­Jugoslawien untersagt.
Titos autokratisches Regime war damit formalisiert. Er war Ober-
kommandierender der Armee, Chef der KPJ und Vorsitzender des
Nationalkomitees, also der Regierung. Die Delegierten setzten noch
eins drauf und schlugen vor, Tito den Titel Marschall zu verleihen.
« Ist das nicht zu viel, fühlen sich die Russen da nicht auf den Schlips
getreten? », zauderte er. Andererseits: Mit dem höchsten militärischen
Rang ließ er jeden General hierarchisch hinter sich, also auch Draža
Mihailović. « Wir umarmten Tito und küssten ihn … der allgemeine
Enthusiasmus nahm beinahe hysterische Formen an  », berichtete
­Vladimir Dedijer.61
Stalin war wegen Titos Schachzug « außergewöhnlich wütend »,
ließ er den jugoslawischen Gesandten wissen. « Er betrachtet das als
Stoß in den Rücken der UdSSR », denn er hatte dem Westen ja Still-
halten zugesagt.62 Trotzdem war auch Moskau endlich bereit, eine
Militärmission in das jugoslawische Hauptquartier zu entsenden, wenn
auch noch keine Waffen.
Kurz nach der Gipfelkonferenz in Teheran begannen dagegen die
Briten, die Partisanen in größerem Umfang mit Waffen, Medikamen-
ten und technischem Gerät zu versorgen. Der britische Außenminis-
ter betonte, « die Partisanen sind für uns so wertvoll, dass wir sie voll-
umfänglich unterstützen müssen und politische Erwägungen … hint-
anstellen ».63 Bis Kriegsende warfen sie fast 14 000 Tonnen über dem
Kriegsgebiet ab; mehr als 60 000 Tonnen landeten per Schiff in Jugo-
slawien. Zudem wurden etwa 12 000  Verwundete zur Behandlung
nach Italien evakuiert, eine große Entlastung für die kämpfenden Ein-
heiten.64 Und jedes Paket, das in den bosnischen Bergen vom Himmel
 Der Staatsgründer 169

fiel und das die alten Bauern, Frauen und Kinder eifrig im Gebüsch
aufklaubten, entfaltete gewaltige moralische Kraft, war es doch der
Beweis für Anerkennung und Beistand der Alliierten.

Unternehmen « Rösselsprung »

Am Morgen des 25. Mai 1944, seinem Geburtstag, war Tito


früh auf den Beinen. Der Oberste Stab hatte in einer der schroffen
Felswände über dem westbosnischen Städtchen Drvar in einer Höhle
sein Hauptquartier aufgeschlagen. « An jenem Morgen … bin ich als
Erster aufgestanden, weil ich zum Geburtstag eine kleine Feier ausrich-
ten wollte », erzählte Tito. « Ich wollte auch noch zum Schneider wegen
der Uniform. Ich trete aus der Höhle hinaus und sehe zwei Focke-
Wulf-Jagdflugzeuge … So früh, noch vor Tagesanbruch, waren sie noch
nie gekommen. Da dachte ich mir gleich, heute wird’s was geben. »65
Von seiner kleinen Plattform aus konnte er die ganze Ebene über-
blicken: ausgebrannte Häuser und Fabrikruinen sowie ein paar Weiler,
in denen die je bis zu fünfzig Mann starken Militärmissionen der
­Briten, Amerikaner und Sowjets logierten. Auch Randolph Churchill,
der Sohn des Premierministers, war hier untergebracht. Ansonsten
hielten sich im Städtchen nur Sanitäter, die technische Abteilung und
das höhere Militärgericht des Obersten Stabes auf sowie die Mitglie-
der des Zentralkomitees und die Teilnehmer eines Jugendkongresses.
Militärisch war Drvar nicht besonders gut gesichert, was Tito schon
längere Zeit beunruhigte. Außer dem 400 Mann starken Begleitbatail-
lon lagen noch 300  Ingenieursbrigadisten und etwa 130  Offiziers-
schüler im Ort. Koča Popović hatte einige Stunden talaufwärts mit
dem Ersten Korps Stellung bezogen.66
Auch der britische Major Vivian Street beobachtete am frühen
Morgen ungewöhnlich viele kleine Flugzeuge am Himmel. Ein erster
Schwarm warf einen ganzen Bombenteppich ab, daraufhin donnerten
fünfzehn große JU  52 in Formation an. « Dann fiel etwas aus dem
Leitflugzeug und schwoll auf zu einem großen Fallschirm, an dem ein
Mann pendelte. Mehr und mehr kamen herunter, ein Flugzeug nach
dem anderen entleerte sich. Der Luftraum schien auf einmal von
­ihnen angefüllt zu sein. »67
170 Bihać, 26. und 27. November 1942 

Seit Wochen hatte die Wehrmacht unter strengster Geheimhaltung


einen Überraschungsangriff vorbereitet: « Feind wird unter Einsatz von
Fallschirmjägern und eigener Luftwaffe konzentrisch angegriffen! »68
Rund 970 Männer der Luftlandetruppen und SS-Fallschirmjäger soll-
ten in zwei Wellen aus 2000 Metern Höhe über dem Ort abspringen,
ehe weitere 40 000 Mann, motorisierte Kampfgruppen und Infante-
rie, konzentrisch gegen den Ort vorrücken sollten. « Sobald genau be-
kannt ist, wo sich der Stab befindet, haben alle Teile des Bataillons …
unaufschiebbar und rücksichtslos vor allem den Obersten Stab Titos
auszuschalten. Wichtige Persönlichkeiten sollen nach Möglichkeit le-
bend in unsere Hand fallen. »69
Tito konnte von oben beobachten, wie die Deutschen ein Haus
nach dem anderen einnahmen und dabei Soldaten und Zivilisten ein-
fach niedermähten. Nach anderthalb Stunden war der größte Teil der
Ortschaft in deutscher Hand. Der Eingang zur Höhle kam unter
schweres Maschinengewehrfeuer, aber das Begleitbataillon leistete
Widerstand « bis zum letzten ».70 Als es einen Ordonanzoffizier direkt
in die Stirn traf, bekam Tito fast einen Nervenzusammenbruch, wie er
später erzählte. « Ich schaue, und das Gehirn läuft ihm aus, und er
kann einfach nicht sterben. » Dann ging auch noch ein Gnadenschuss
daneben, weil dem Schützen die Hand zu stark zitterte. « Fast hätte ich
dann selbst die Pistole genommen, zum Glück aber nicht », erinnerte
sich Tito. Der tödlich Verwundete « kam dann endlich von selbst zur
Ruhe ».71
Nachdem Verstärkung herbeigeeilt war, wurden die deutschen
Angreifer gegen elf Uhr von der Höhle abgedrängt. Tito, Kardelj und
die anderen seilten sich durch eine Felsspalte in ein trockenes Fluss-
bett ab. Unterhalb der Höhle gab es einen steilen Pfad den Berg hi­
nauf, den die Gruppe erklomm. Atemlos hörten sie auf halbem Wege
erneut Flugzeuge herandonnern. Eine Bombe explodierte direkt vor
dem Eingang der Höhle, eine andere zerstörte die Baracke des Be-
gleitbataillons. Und dann schwebten noch einmal unzählige Fall-
schirmjäger vom Himmel. Diese zweite Gruppe konnte allerdings nur
noch unter großen Verlusten landen, zahlreiche Lastsegler erlitten
durch Abwehrfeuer Totalschaden. Am Ende wurde fast das gesamte
 Der Staatsgründer 171

deutsche Fallschirmbataillon aufgerieben. In der verlassenen Höhle


erbeuteten die Deutschen lediglich ein Nachrichtengerät und im Ort
Titos neue Marschallsuniform. Die Trophäe wurde später in Wien
ausgestellt.
In den folgenden Tagen waren Tito und sein Stab mit wenigen
hundert Partisanen auf der Flucht. Sie rasteten tagsüber und mar-
schierten nachts. Vivian Street meldete nach London, dass sie sich
überaus tapfer geschlagen hätten, wobei Tito « weit über allen ande-
ren » herausragte. « Selbst unter den allerschwierigsten Umständen
war er in keinem Moment aus der Fassung. Er gab seine Befehle klar
und schnell ohne jegliche Anzeichen von Nervosität. » Der gut trai-
nierte Brite war beeindruckt von der « g roßen Ausdauer » bei stun­
denlangen Märschen durch schwierigstes Gelände, ohne Essen oder
Wasser. Tito und sein Stab überwanden in zehn Tagen mehr als
160 Kilometer durch felsiges und waldiges Gebiet.72
Während der Verfolgungsjagd, bei der ihm Wehrmacht und
­ S-Divisionen immer auf den Fersen waren, erlag Tito den Überre-
S
dungskünsten der Sowjets, die Kampfzone zu verlassen. In einer
Nacht-und-Nebel-Aktion ließ er sein Hauptquartier auf die Adria-
Insel Vis ausfliegen. Das war jugoslawisches Territorium, das die Bri-
ten kontrollierten. Er könne keine komplexen Angriffsoperationen
kommandieren und die Streitkräfte für die Schlussoffensive umstel-
len, wenn er dauernd durch die Wälder gejagt werde, erklärte er.

Churchills Dilemma

Nach einem langen Osterwochenende voller Dienstbespre-


chungen und offizieller Besuche sowie täglicher spätabendlicher Ver-
pflichtungen in der Downing Street sah Winston Churchill im April
1944 « sehr müde und erschöpft aus ». Nach fast vier Jahren im Amt
und drei schweren Erkrankungen musste er viele Aufgaben gleichzei-
tig bewältigen: die bevorstehende Invasion in der Normandie, die
Kämpfe in Italien und im Pazifik sowie die Absprachen mit den Alli-
ierten. Neuerdings plagte ihn zudem, dass die « bolschewistischen
Krokodile » nach Polen, Jugoslawien und Griechenland schnappten.
Was, wenn die Rote Armee die Donau überschritt und in Südost­
172 Bihać, 26. und 27. November 1942 

europa Fakten schuf? Wegen Stalins « kommunistischer Intrigen » lief


jetzt alles auf eine Konfrontation mit dem sowjetischen Diktator zu.73
Für die lebenswichtigen Interessen des britischen Empire – die
Kontrolle des östlichen Mittelmeeres – war Griechenland vorrangig,
obwohl auch Jugoslawien keine geringe strategische Bedeutung besaß.
In beiden Ländern lieferten sich Kommunisten und Monarchisten
­einen blutigen Bürgerkrieg. « Ich bin besorgt darüber, wie sich die
Dinge auf dem Balkan entwickeln », schrieb Lord Selborne « top se­
cret » an Churchill. « Tito ist ein viel bedeutenderer Mann als jeder der
griechischen Führer », warnte er, und er werde sich eher nach Moskau
als nach London orientieren.74
Churchill hoffte trotzdem, in beiden Ländern die Monarchie ret-
ten zu können, indem er Königstreue und Kommunisten animierte,
unter britischer Ägide eine Einheitsregierung zu bilden. Er hatte
­dafür Anreize (dringend benötigte Militärhilfe) sowie Druckmittel
(drohende Nichtanerkennung als Verhandlungspartner bei der Frie-
denskonferenz) zur Hand. Deshalb hatte sich Tito mittlerweile
grundsätzlich bereit erklärt, mit der Exilregierung zusammenzu­
arbeiten, « unter der Bedingung, dass über die Frage der Monarchie
nach der Befreiung Jugoslawiens durch den freien Willen seines Vol-
kes entschieden wird ».75
Im Mai 1944 knöpfte sich Churchill König Peter II. vor, der nicht
umhinkonnte, sein gesamtes Kabinett zu entlassen, einschließlich des
« Mühlsteins » Mihailović, der ihn so schwer kompromittierte. Neuer
Ministerpräsident der jugoslawischen Exil- und später auch Einheits-
regierung sollte der in den USA lebende Ivan Šubašić werden, der vor
dem Krieg Gouverneur der Banschaft Kroatien gewesen und weniger
belastet als andere bürgerliche Politiker war. Wenn er Ministerpräsi-
dent der Einheitsregierung und Tito der Oberkommandierende aller
Streitkräfte unter britischem bzw. alliiertem Oberbefehl werden
würde, könnte Jugoslawien nach dem Krieg wieder eine parlamentari-
sche Monarchie werden, glaubten die Westmächte. Schließlich kon­
statierte der amerikanische Geheimdienst OSS, der Vorläufer der
CIA, Šubašić sei bereit, « dem OSS zu helfen, Jugoslawien effektiv zu
unterwandern ».76
 Der Staatsgründer 173

Nach diesem Coup setzte Churchill am 24. Mai 1944 ein munte-


res Telegramm an den Partisanenmarschall auf, streng geheim und
persönlich. Nicht wissend, dass die Wehrmacht gerade dabei war,
­Titos Hauptquartier zu stürmen, und er sich in Lebensgefahr befand,
teilte der Premier mit, der jugoslawische König habe gerade seine alte
Regierung « gefeuert », womit der Weg für eine Einheitsregierung frei
sei. Im Übrigen möge Tito bitte Randolph grüßen, falls der bei ihm
auftauche. « Ich wünschte, ich könnte selbst kommen, aber ich bin zu
alt und schwer, um mit einem Fallschirm abzuspringen. »77
Randolph hielt sich seit Januar bei der britischen Militärmission
auf, um Propaganda für die alliierten Kriegsziele zu machen. Die
Zeitgenossen – Briten, Amerikaner und Jugoslawen – fanden, er sei
ein rechter Flegel, ein Großmaul und, wie manche sagten, eine Ner-
vensäge.78 Die Partisanen waren froh, ihn beim deutschen Angriff auf
Drvar auf sicheres Gebiet schicken zu können, und Churchill, dass er
heil davongekommen war. Was für eine persönliche und auch politi-
sche Katastrophe, wenn die Wehrmacht den Sohn des britischen Pre-
mierministers geschnappt hätte!
Aus der Sicht Churchills bot das Unternehmen « Rösselsprung »,
der Sturm auf Drvar, wie jede Krise auch neue Chancen. « Mir scheint,
wir haben ein paar gute Karten auf der Hand, zumindest, wenn wir sie
klug ausspielen », frohlockte Churchill.79 Denn wenn sich der Oberste
Stab der Partisanen in den Schutz Großbritanniens auf der Insel Vis
begab, könne man es dem legitimen Herrscher Jugoslawiens, König
Peter II., und seinem neuen Ministerpräsidenten, Ivan Šubašić, wohl
kaum versagen, sich ebenfalls dorthin zu verfügen! Und dann könne
man die Streithähne am Schlafittchen packen und ihnen ordentlich
eins draufgeben, damit sie endlich zur Vernunft kämen (« knock their
heads ­together »). « Es scheint mir wirklich eine gottgesandte Gelegen-
heit und die letzte Chance », schloss er. Allerdings galt es, schnell zu
handeln, denn « die Gefahr ist, dass Tito [vorher] abschwirrt ». Auch
dafür gab es freilich eine Lösung: Man müsse es dem Marschall eben
« sehr schwer machen, ein Flugzeug zu finden ».80
Anfang Juni 1944 nahmen Tito, sein Stab, Regierungs- und Par-
teivertreter sowie die neue Nachrichtenagentur TANJUG auf der kar-
174 Bihać, 26. und 27. November 1942 

Tito (r.) bei


den britischen
Verbündeten
auf Vis, 1944

gen Insel Vis Quartier. Auf einem zerklüfteten Hügel bezog er eine
Grotte, von der er nur gelegentlich herabstieg, um mit den britischen
Militärs ein Bad in der Adria zu nehmen. Die unverhoffte Normalität
erlaubte es ihm, den Sohn Žarko zu sich zu holen, der als Freiwilliger
im Kampf um Moskau einen Arm verloren hatte und für besondere
Tapferkeit als Held der UdSSR ausgezeichnet worden war. Und die
schwer an Tuberkulose erkrankte Sekretärin und Lebensgefährtin
Davorjanka alias Zdenka konnte zur Behandlung in die Sowjetunion
ausfliegen.
Für Churchill war es höchste Zeit, eine Übereinkunft mit Tito zu
schließen. Die Alliierten waren in Frankreich gelandet, und britische
Truppen stießen in Italien nach Norden vor, wo sie in Istrien dem-
nächst auf die Partisanen treffen würden. Diese waren dabei, italieni-
sches Gebiet zu besetzen oder, in Titos Diktion, Istrien und Triest « zu
 Der Staatsgründer 175

befreien ». Zur Erleichterung Churchills trug der Wink mit dem Zaun-
pfahl  – drohende Nichtanerkennung bei der Friedenskonferenz  –
Früchte. Tito und Šubašić, der nach Vis gekommen war, kündigten am
17. Juni 1944 eine Einigung an, die nach dem Krieg demokratische
Wahlen über die Staatsform vorsah. « Lieber Marschall Tito », schmei-
chelte Churchill in väterlicher Herablassung, « erlauben Sie mir, meine
aufrichtigen Glückwünsche zu d[ies]em geradezu staatsmännischen
Erfolg auszusprechen ».81
Als aber Tito die Einladung des Alliierten Oberbefehlshabers
­General Wilson nach Caserta ausschlug, um ein Zusammentreffen
mit König Peter  II. zu umgehen, ärgerte sich Churchill. Er ließ dem
­kapriziösen Marschall ausrichten, wenn er in diesem Gemütszustand
bleibe, möge er sich lieber « zurück in seine Berge scheren und [dort]
weiterkämpfen ».82 Die Sowjets überredeten Tito schließlich doch
noch, nach Italien zu reisen. « Es war … eine ansehnliche Gesellschaft,
die aus dem Flugzeug auf die brütende Fläche des Flughafens Capo-
dicchino stolperte », erinnerte sich Fitzroy Maclean. Tito hatte seinen
engsten Berater Vladimir Velebit, die Dolmetscherin Olga, seine
schwer bewaffneten Leibwächter Boško und Prlja sowie seinen Schä-
ferhund Tiger dabei. « Die Kameras klickten und surrten; … die
­Ehrenwache präsentierte das Gewehr; Tiger bellte; und Tito … stieg
mit bewundernswerter Gelassenheit in General Wilsons prächtiges
Auto. »83
Nach mehrtägigen militärischen Beratungen erschien am 12. Au-
gust 1944 bei brütender Hitze Churchill in der Villa Rivalta, die einst
Queen Victoria gehört hatte und die einen fantastischen Blick auf den
Golf von Neapel und den Vesuv bot. Der Premier empfing den Par­
tisanenmarschall « mit allgemein lockerer und liebenswürdiger Geste,
nur manchmal gewichtig durch die angesammelte Würde und Weisheit,
die eine vierzigjährige Erfahrung in Staatsangelegenheiten verleiht ».84
Stolz auf seine aristokratische Herkunft sah er sich als Repräsentant des
« mächtigsten Empire, das die Welt je gesehen hat ».85 Den Guerillafüh-
rer vom Balkan beäugte er folglich mit einer Mischung aus Blasiertheit
und Befremden. Seinem Leibarzt Lord Moran gegenüber ­mokierte er
sich besonders über die beiden « g rimmig dreinblickenden Banditen »,
176 Bihać, 26. und 27. November 1942 

Titos Leibwächter. Dieser aber bestand darauf, sie zu den Bespre-


chungen mitzubringen, « was alles verzögerte und wir sehr lustig fan-
den », erinnerte sich Churchills Sekretärin Gräfin Ranfurly. Die bei-
den « Operettenfiguren aus dem Fantasieland Ruritania », wie sie Lord
Moran bezeichnete, wurden schließlich vor der Tür postiert.86
Lächerlich erschien der besseren Gesellschaft auch Titos « gold-
strotzende blaue Uniform, die mit ihrem überaus engen Kragen für
die gleißende Hitze gänzlich ungeeignet war », wie es Churchill formu-
lierte. Wie er Lord Moran anvertraute, fand er den Partisanenführer
tatsächlich aber « nur mäßig unterhaltsam », weil er doch « sehr hoch
pokerte ». Er machte sich später mächtig lustig, indem er Tito nach-
äffte, wie er dauernd am Kragen des prächtigen Waffenrocks herum-
zerrte, den ihm die Sowjets geschneidert hatten. Er war mit den von
Tito selbst entworfenen Insignien geschmückt, dem Eichenkranz, seit
der Antike das Symbol für Männlichkeit, Stärke und Kraft. Sieht aus
wie ein Portier auf der Park Avenue, lästerten die amerikanischen
­Diplomaten.87
Wie Präsident Roosevelt richtig erkannt hatte, war Winston Chur-
chill im Herzen ein altmodischer Imperialist: immer bereit, kleinen
Ländern seinen Willen aufzuzwingen. Tatsächlich schien Churchill
zu glauben, wunderte sich der britische Diplomat John Henniker-­
Major, dass Tito jetzt « treu und brav » alles erledigen würde, was der
britische Premier von ihm verlangte, nur weil er « sich bequemt hatte,
ihn zu empfangen ».88
Mit einer Stimme, die laut Lord Halifax immer nach « Port,
Brandy und der zerkauten Zigarre » klang, setzte Churchill seinem
Gast die Notwendigkeit auseinander, mit König Peter II. eine gemein-
same jugoslawische Regierung zu bilden und eine konstitutionelle
Monarchie zu schaffen. London werde Tito dafür im Gegenzug das
erbetene Kriegsmaterial schicken  – Panzer, Kanonenboote, Artille-
rie –, erwarte aber, dass Tito es nicht gegen seine politischen Gegner
einsetze. Tito war « zurückhaltend, nervös und schwitzte », protokol-
lierte ein britischer Diplomat.89 Er habe Verständnis für Churchills
Loyalität zum exilierten König, versicherte Tito, aber das jugoslawi-
sche Volk müsse nach dem Krieg selbst über das politische System
 Der Staatsgründer 177

entscheiden. Und sicherlich, das habe er ja schon mehrfach öffentlich


erklärt, er « lehne es vollkommen ab, dem Volk irgendein Regime auf-
zuzwingen ». Wie Tito dem Plan einer größeren Balkanföderation mit
Bulgarien gegenüberstehe, wollte der Premier abschließend noch wis-
sen. Nein, dafür sei er gar nicht, log Tito, weil die Völker doch gar
nicht zusammenleben wollten!90
Zu seiner Verblüffung hielt Churchill kurz nach dem Treffen in
Neapel statt der Vollzugsmeldung, dass die Einheitsregierung im Auf-
bau sei, eine Beschwerde Titos in Händen. Dass das Alliierte Kom-
mando die Tschetniks immer noch mit Materiallieferungen und bei
Evakuierungen unterstütze, sei « sehr unerfreulich für uns » und könne
« eine sehr ungünstige Wirkung auf die Gefühle … der Mehrheit der
Menschen in Jugoslawien haben », ließ Tito unverblümt wissen.91 Der
Vorwurf stimmte, so dass Churchill sogleich eine streng geheime
­Beschwerde an Präsident Roosevelt verfasste. « Wenn jeder von uns
unterschiedliche Seiten unterstützt, bereiten wir einem schönen Bür-
gerkrieg den Boden. »92 Trotzdem gefiel ihm die Forschheit Titos
nicht. « Ich finde nicht, dass der Vorgang den Ton Ihrer Mitteilung
rechtfertigt », schrieb er Anfang September zurück. Vielmehr sei er
besorgt, dass britische Waffen gegen eigene Landsleute, also Tschet-
niks, eingesetzt würden statt gegen die Deutschen. Und er sei « sehr
enttäuscht », dass die verabredete Einheitsregierung immer noch nicht
gebildet sei!93
Statt einer zerknirschten Antwort erreichte den Premier am
21. September die Nachricht, man habe « Informationen aus Vis erhal-
ten, dass Titos Haus [seit zwei Tagen] leer steht, obwohl davor noch
eine Wache aufgestellt ist ». Seitdem sei der Marschall unauffindbar.
« Titos Verhalten, ohne jede Ankündigung … zu verschwinden und
auf unbestimmte Zeit unerreichbar zu sein, erscheint unverzeihlich »,
tobte Churchill. « Seit er aus Vis getürmt ist », behauptete er, war sein
Vertrauen in ihn zerstört.94
Wenig später gab Stalin zu, die Sowjets hätten den Obersten Stab
in das rumänische Craiova ausgeflogen, von wo aus Tito in der Nähe
des sowjetischen Hauptquartiers seine Endoffensive befehligen wollte.
Zuvor sei er aber nach Moskau gekommen, um das weitere militä­
178 Bihać, 26. und 27. November 1942 

rische Vorgehen mit ihm abzusprechen. Churchill dämmerte, dass der


Moment, die jugoslawische Monarchie zu retten, verpasst war. « Jetzt
müssen wir mit dieser ganz unangenehmen Situation irgendwie um-
gehen. » Es ginge nur noch darum, Tito keinen Vorwand zu liefern,
« sich ganz in die Arme der Russen zu werfen ».95 Deshalb begab sich
Fitzroy Maclean nach Craiova, um Tito zur Rede zu stellen. Aber der
entgegnete unschuldig, er sei doch auch nicht verärgert gewesen, als
sich Mr. Churchill neulich in Quebec mit Präsident Roosevelt traf,
ganz ohne ihn vorher darüber zu informieren!96
Außenminister Anthony Eden beklagte sich bitter bei seinem
Amtskollegen Wjatscheslaw Molotow über Titos « faits accomplis ».
« Hätte er die Höflichkeit gehabt, uns zu sagen, dass er nach Moskau
fährt, hätten wir ihm gute Reise gewünscht ». Aber so, man könne es
gar nicht genug betonen, sei man in London « äußerst verärgert »!
­Peinlich berührt schob Molotow alles auf Tito. « Er ist ein Bauer und
versteht überhaupt nichts von Politik », beschwichtigte er. « Und dann
folgten noch viele weitere Erläuterungen über die Ignoranz jugoslawi-
scher Bauern. »97
Immerhin erklärte sich Tito aber sofort bereit, bei der alliierten
Operation «  Ratweek  » (Rattenbekämpfung) mitzumachen. Durch
massive Bombardements sollte der Wehrmacht, die Ende August 1944
den Rückzug aus Griechenland und Jugoslawien angetreten hatte, der
Weg nach Norden abgeschnitten werden. Die Briten instruierten
­König Peter  II., alle Kämpfer in Serbien über BBC aufzurufen, sich
den Partisanen anzuschließen. Hunderte Tschetniks liefen daraufhin
zur Volksbefreiungsarmee über. Churchill und seinem Außenminister
war klar, dass « Tito in der Lage sein wird, den Rest des Landes mit
Waffen zu unterwerfen, die wir geliefert haben ». Aber die Jugoslawien­
politik wurde eben « von kurzfristigen Nutzenerwägungen und nicht
langfristigen politischen Interessen diktiert ».98
BELGRAD, 20. OKTOBER 1944 
Der stalinistische Autokrat

Machtübernahme

Der 20. Oktober 1944 war für Tito ein bewegender Tag: Mehr
als drei Jahre, nachdem er das besetzte Belgrad als Anführer des Auf-
standes verlassen hatte, konnte seine Armee die Hauptstadt befreien.
Es war seine bislang größte und schwierigste Offensive gewesen. Erst
nach tagelangen Kämpfen war die Erste Proletarische Brigade, gefolgt
von Einheiten der Roten Armee, bis zur alten Festung auf dem Kale-
megdan vorgedrungen. Die Deutschen kämpften verbissen « um jeden
Stein, jede Brücke, jeden Tunnel, jeden Ziegel. Wie für ihr Berlin »,
berichtete General Peko Dapčević. 15 000 deutsche Soldaten und
3000  Partisanen sowie 1000  Rotarmisten verloren dabei ihr Leben.
« Es sah schrecklich aus … Alles war mit Leichen deutscher Soldaten
und Offiziere bedeckt, … überall, wohin man blickte. »1
TitosVolksbefreiungsarmee war mittlerweile auf über 800 000 Sol-
datinnen und Soldaten angewachsen, und Fitzroy Maclean sammelte
in Serbien « reichliche Beweise für die äußerst freundliche Einstellung
der Zivilbevölkerung zu den Partisanen ». Alle Dienstränge der ehe-
maligen Nedić- und Mihailović-Truppen liefen zu ihnen über, weil sie
ihnen Straffreiheit versprachen, sofern sie keine Verbrechen begangen
hatten. Nur « Fanatiker und die am schlimmsten Kompromittierten »,
befand der Brite, hielten « bis zum Äußersten » zu den Kollaborateu-
ren.2
Eine Woche nach der Befreiung Belgrads zog Tito in die geschun-
dene Hauptstadt ein. Kolonnen von zerlumpten und ausgezehrten
jungen Burschen und Mädchen in erbeuteten Uniformen und zer­
rissenen Stiefeln marschierten vorbei, als der Marschall wenige Tage
180 Belgrad, 20. Oktober 1944 

später seine erste Parade abnahm. Sie « hielten sich voll Stolz aufrecht
und lächelten, als sie vorbeikamen », beobachtete Fitzroy Maclean.
Nach all den entbehrungsreichen Jahren in Angst und Ungewissheit
betraten sie die Hauptstadt als Sieger.3
In seiner ersten Rede an das Volk erinnerte Tito an die enormen
Anstrengungen der Partisanenarmee und die immensen Opfer der
­Zivilbevölkerung. Dieses Vermächtnis machte er zum Versprechen:
Erstens würde es niemandem je gestattet werden, den Partisanen die
Früchte ihres Erfolgs, die Bundesrepublik Jugoslawien, streitig zu
machen. Zweitens dürfte der Staat nie wieder zum Spielball der Groß-
mächte werden. « Wir haben in diesem Kampf das Recht erworben,
gleichberechtigt mit den Alliierten … am Aufbau eines neuen und
glücklicheren Europas mitzuwirken.  »4 Ivan Šubašić konstatierte,
« man sollte sich keine Illusionen machen, dass … es irgendeine von
der Armee unabhängige Autorität in diesem Land geben könnte. Der
Oberkommandierende … ist Tito … Es wäre unmöglich, seine Macht
im Land zu zerstören. »5
Während die Partisanen auf dem Belgrader Kalemegdan die letz-
ten Reste der deutschen Armeegruppe niederkämpften, ging am
20. Oktober 1944 in Moskau eine weitere Gipfelkonferenz der Alliier-
ten zu Ende. In Anbetracht des nahen Kriegsendes wollten die Gro-
ßen Drei die künftigen Einflusssphären in Europa aushandeln. Der
sowjetische Außenminister Molotow machte beim festlichen Mittag-
essen einen ersten Vorschlag. Die Sowjetunion wünsche, Ungarn zu
75 Prozent, Bulgarien zu 90 Prozent und Jugoslawien zu 75 Prozent
zu kontrollieren, teilte er seinem britischen Amtskollegen Anthony
Eden mit. Der aber konterte, « wir müssen auf 50 – 50 für Jugoslawien
bestehen ». Auch bei den anderen Ländern müsse Moskau nachgeben.
Sie feilschten dann noch eine Weile, « aber ich [Eden] weigerte mich, …
nachzugeben ».6
Nach eigener Darstellung hielt Churchill seinem Kollegen Stalin
später am Konferenztisch augenzwinkernd ein DIN-A5-großes « un-
anständiges Dokument » unter die Nase. « Eine kleine Pause trat ein »,
erinnerte sich der Premier. « Dann ergriff er [Stalin] seinen Blaustift,
machte einen großen Haken und schob uns das Blatt wieder zu. Die
 Der stalinistische Autokrat 181

ganze Sache beanspruchte nicht mehr Zeit als sie zu schildern. » Grie-
chenland sollte dem Westen zu 90 Prozent, Jugoslawien und Ungarn
zu je 50 Prozent, Bulgarien zu 25 Prozent und Rumänien zu 10 Pro-
zent zufallen.7
Sicherheitshalber brachte Churchill noch am selben Tag ein län-
geres Aide-Mémoire zu Papier, um Stalin an die Atlantik-Charta von
1941 zu erinnern, welche ihn verpflichtete, « jedem Land [zu] gestat-
ten, sich die Regierungsform zu geben, die seine Bevölkerung
wünscht ». Damit meinte der Premierminister allerdings ausschließ-
lich das vom Kommunismus bedrohte Europa und nicht etwa das
­britische Indien oder andere Kolonien. « Wir verzeichnen mit Genug-
tuung », hielt er fest, dass Stalin davon absehen wolle, die Regime
­Südosteuropas « mit Gewalt oder kommunistischer Propaganda » zu
ver­ändern.8 Seiner Frau Clementine vertraute er an: « Ich habe sehr
angenehme Unterredungen mit dem alten Bären gehabt. Je öfter ich
ihn sehe, desto mehr mag ich ihn. »9
Zum wachsenden Ärger Churchills schien Tito sich aber nicht um
das britisch-sowjetische Fifty-fifty-Abkommen zu scheren, sondern
beanspruchte eine Verhandlungsposition auf Augenhöhe. Erst behielt
er sich die Entscheidung über alliierte Bombenziele im eigenen Land
vor, ein Recht, das nicht einmal der französische Widerstandsführer
und Regierungschef Charles de Gaulle besaß. Dann untersagte er den
alliierten Militärmissionen, sich in Jugoslawien frei zu bewegen. Und
schließlich erdreistete er sich noch, eine Obergrenze für die im Land
stationierten Soldaten Ihrer Majestät zu verhängen. « Nirgends dürfen
alliierte Truppen ohne unsere Genehmigung das Territorium Jugosla-
wiens betreten », befahl er, auch um den Preis einer militärischen Kon-
frontation mit den Westmächten nicht.10 Nicht grundlos argwöhnte
er, die Briten wollten die kommunistische Machtübernahme noch in
letzter Sekunde militärisch vereiteln. Alliierte Truppen waren bereits
in Albanien gelandet, und im Oktober 1944 brach ein britisches Expe-
ditionskorps nach Griechenland auf, um dort die Monarchie mit Waf-
fengewalt zu retten. Die Machtübernahme der Kommunisten wurde
durch diese Intervention vereitelt, aber es kam zum Bürgerkrieg.
Churchill, schwer enttäuscht von Titos Undank, schickte ihm ein
182 Belgrad, 20. Oktober 1944 

trotziges Telegramm. « Wir werden überall landen, wo wir wollen, was


immer und wie viel wir wollen », stellte er klar. Allerdings: Das Reper-
toire an Anreizen und väterlichem Lob, Ermahnungen, Vorhaltungen
und Drohungen war bereits ausgeschöpft. So blieb ihm nur, belei-
digt mitzuteilen, er müsse Tito jetzt bei Marschall Stalin verpfeifen.
« Sie wissen ja, dass wir eine Vereinbarung haben, … so weit wie mög-
lich eine gemeinsame Politik gegenüber Jugoslawien zu verfolgen, und
dass unser Einfluss dort gleich verteilt sein soll. Aber Sie scheinen uns
immer unfairer zu behandeln. »11 Tito beschwichtigte, er wolle nur
« gebührend konsultiert » werden « in allen Fragen, die unsere territo­
rialen Rechte und nationale Souveränität betreffen ».12
Churchill hielt noch einen letzten Trumpf in der Hand: Titos
Herrschaft und sein neues Jugoslawien waren international noch nicht
anerkannt, und Stalin schien zu seiner Zusage zu stehen, die Hegemo-
nie über das kleine Balkanland zu teilen. Um die Briten zu besänfti-
gen, hatte er dem entgeisterten Tito im September 1944 den Rat ge-
geben, dem jugoslawischen König pro forma eine repräsentative
Staatsfunktion zu übertragen. « Ihr müsst ihn ja nicht für immer und
ewig zurückholen », riet er im persönlichen Gespräch. « Nur vorüber-
gehend, und dann stoßt ihr ihm im passenden Moment das Messer in
den Rücken. »13
Tito blieb deshalb nichts anderes übrig, als am Prinzip der Macht-
teilung mit den Bürgerlichen festzuhalten, wenn auch nach eigener
Auslegung. Er bildete am 1. November 1944 mit Ivan Šubašić eine
­Interimsregierung, wobei er selbst Ministerpräsident und der Ex-Ba-
nus Außenminister wurde. So kam « Tito an die erste Stelle, der Banus
an die zweite und der König nirgends hin », schäumte Churchill. Es
« bedeutet nichts anderes als die Diktatur Titos, dieses gut gedrillten
Kommunisten ».14
Eigenmächtigkeiten erlaubte sich Tito auch in Bezug auf die
künftigen Grenzen Jugoslawiens. Er war entschlossen, die mehrheit-
lich von Slowenen besiedelten Gebiete Italiens und Österreichs an
­Jugoslawien anzuschließen. Nachdem Dalmatien und Istrien infolge
der Kapitulation Italiens bereits in seiner Hand waren, erhob er 1944
Anspruch auf Julisch Venetien mit den Städten Triest, Görz und
 Der stalinistische Autokrat 183

Monfalcone sowie Südkärnten – ein Horror für die Westmächte, die


einen Puffer zu Italien und Frankreich schaffen wollten, um zu ver-
hindern, dass sich der Kommunismus auch dorthin ausbreiten würde.
Tito ließ seine Armee im Zuge der Endoffensive in die bean-
spruchten Regionen einrücken. Er düpierte die Alliierten, als er das
Wettrennen nach Triest knapp gewann und seine Soldaten am 1. Mai
1945 mit nur einem Tag Vorsprung dort einmarschierten. Churchill
war darüber so wütend, dass er die Jugoslawienpolitik ganz hin-
schmeißen wollte. « Tito kann in seinen Bergen sich selbst überlassen
bleiben und im bitteren Balkan-Saft schmoren », grollte er gegenüber
seinem Außenminister.15 Aber wie sollte dann die Jugoslawienpolitik
langfristig aussehen, wenn man jetzt alles stehen und liegen lasse,
fragte Eden nüchtern zurück. Jugoslawien habe zwar nicht die gleiche
strategische Bedeutung wie Griechenland oder Italien, aber das « Fifty-
fifty-Abkommen » mit Stalin garantiere eine Art « neutrales Gebiet
zwischen der britischen und der russischen Einflusssphäre ». Nicht zu
vergessen: « Es ist wahrscheinlich, dass sich Jugoslawien zum mäch-
tigsten und einflussreichsten Staat auf dem Balkan entwickeln wird. »
Tito sei zweifellos « unfreundlich und undankbar », aber « es ist wichti-
ger als je, dass wir uns in Jugoslawien festsetzen und Einfluss ausüben,
um Tito auf Linie zu halten ».16
Außerdem war da ja noch die Verabredung mit Stalin, und tat-
sächlich: Wenn Tito je auf sowjetische Unterstützung in der Triest-
Frage gehofft hatte, sah er sich jäh enttäuscht. Der Kreml wollte kei-
nen Konflikt mit den Westmächten heraufbeschwören. Mit einem
­Ultimatum erzwangen die Alliierten im Juni 1945 den Rückzug der
Volksbefreiungsarmee aus der strategischen Hafenstadt. Ergebnis war
ein Kompromiss: Am Golf von Triest entstand ein neutrales Freies
Territorium unter Oberhoheit der Vereinten Nationen mit zwei
­Zonen. Die Stadt Triest kam vorläufig unter britisch-amerikanische
und das Umland unter jugoslawische Militärverwaltung.
184 Belgrad, 20. Oktober 1944 

« Das Schwert der Revolution »

Im Herbst und Winter 1944 unternahm die Volksbefreiungs-


armee eine letzte Kraftanstrengung, um die Wehrmacht und ihre Kol-
laborateure niederzuringen. Entschieden widersetzte sich Marschall
Tito dem Wunsch Londons, die Kapitulationserklärung der Wehr-
macht gemeinsam mit den Briten zu unterzeichnen. Der Feind müsse,
schrieb er Minister Harold Macmillan, « unmittelbar vor den jugosla-
wischen Kommandeuren kapitulieren oder vernichtet werden ».17
Da sich in Jugoslawien Widerstand und Bürgerkrieg überlager-
ten, fiel der Befreiungskampf mit der Ausmerzung des politischen
Gegners zusammen. Seit 1943 sammelte eine Kommission der Par­
tisanen Beweise, um die für Kriegsverbrechen Verantwortlichen vor
Gericht zu stellen. Als solche galten « Anführer, Organisatoren, Be-
fehlsgeber und Helfer sowie … Vollstrecker von Massentötungen, Fol-
ter, Zwangsaussiedlung, Lagertransporten und Transporten zur
Zwangsarbeit, … von Brandstiftung, Vernichtung und Plünderung
des Volks- und Staatsbesitzes ». Kämpfer und Funktionsträger der
Kollaborationsregime sowie deren « Spione, Kuriere, Agitatoren usw. »
zählten als Volksfeinde und wurden ebenfalls zur Rechenschaft gezo-
gen.18 Während des Krieges waren so genannte Volksgerichte im Ein-
satz, die ihre Urteile ohne klare Rechtsgrundlage im Schnellverfahren
fällten und sogleich vollstrecken ließen. Im Mai 1944 wurden Divi­
sions- und Korpsgerichte der Armee sowie ein Höheres Militär­gericht
beim Obersten Stab geschaffen; Anfang 1945 traten ad hoc eingerich-
tete Gerichte zum Schutz der Volksehre hinzu.
Im Herbst 1944 herrschte ein furchtbares « Klima der Vergeltung
und Abrechnung », schilderte Milovan Đilas die Situation in den befrei-
ten Landesteilen. Viele Menschen fühlten sich ermächtigt, blindlings
Vergeltung zu üben. Jemand war « nicht nur deswegen schuldig, weil er
etwas getan hat, sondern auch deshalb, weil er irgendwo dazugehörte ».19
Die Ärztin Ružica Vojić aus Šabac erinnerte sich an eine so angespannte
Atmosphäre, « dass einem aus Angst vor Vergeltung die Haare zu Berge
standen ».20 Jeder konnte jetzt aus purer Rache verdächtigt, verleumdet,
verhaftet und womöglich unschuldig liquidiert werden.
 Der stalinistische Autokrat 185

Die Behörden bemühten sich vergeblich, die grassierende Selbst-


justiz zu unterbinden. « Verhindern Sie, … dass ganze Dörfer oder
­Familien zur Verantwortung gezogen werden », befahl zum Beispiel
der slawonische Volksbefreiungsrat am 2. Oktober 1944 seinen Leu-
ten. Nur wer tatsächlich ein Verbrechen begangen oder dabei geholfen
habe, dürfe belangt werden. Kollektivschuld und Sippenhaft gebe es
nicht. « Erklärt dem Volk, dass sich nur Täter verantworten werden!
Unsere Volksmacht ist gerecht … Nicht einmal die Kinder des aller-
blutigsten Schlächters dürfen für die Untaten ihres Vaters zur Rechen-
schaft gezogen werden! »21 Aber vielerorts ließ es sich nicht verhin-
dern, dass Betroffene auf eigene Faust und nach eigenem Ermessen
Rache übten. So verkündete beispielsweise der Gewerkschafter Marko
Belinić drei Tage nach Kriegsende bei einer Versammlung in Zagreb:
« Ich rate Euch, morgen früh, oder gleich jetzt, alle faschistischen Ele-
mente am Schlafittchen zu packen … und zu vernichten! » Er fügte
noch hinzu, es sei ganz egal, was die Behörden anordneten, denn
­Gerechtigkeit sei Arbeiterpflicht. Daraufhin ertönten zustimmendes
­Gemurmel und ein energisches « So ist es! » im Saal.22
Im Mai 1944 hatte Tito streng vertraulich angeordnet, nach dem
Vorbild des sowjetischen NKWD den Nachrichten- und Spionage­
abwehrdienst OZNA aufzubauen. Als Oberkommandierendem unter-
stand dieser ihm unmittelbar; für das operative Geschäft war Aleksan-
dar Ranković verantwortlich. Im August 1944 trat das Korps der
Volksverteidigung Jugoslawiens KNOJ hinzu, eine Spezialeinheit der
Armee, deren Auftrag es war, die befreiten Gebiete von bewaffneten
Banden zu « säubern ». Tito betrachtete die beiden Organe als « die
­konsequentesten Beschützer und Hüter der Errungenschaften des
Volksbefreiungskampfes ».23 Von den Sowjets angeleitete Geheimpoli-
zeien entstanden später in allen osteuropäischen Staaten, in denen die
Kommunisten die Macht übernahmen. Und überall agierten sie, teils
zeitlich versetzt, mit ähnlichen Methoden.24
Gleich nach der Befreiung Belgrads nahm der Geheimdienst
OZNA, das « Schwert der Revolution », die Akten von Verwaltung,
­Polizei und Regierungsinstitutionen in Beschlag, um Kriegsverbre-
cher und Schlüsselfiguren des serbischen Kollaborationsregimes zu
186 Belgrad, 20. Oktober 1944 

identifizieren. Noch während des Krieges hatten Rankovićs Agenten


Karteien mit zehntausenden Namen von Kollaborateuren, Hochver-
rätern und Kriegsverbrechern angelegt. Jetzt teilten sie die Stadt in
sechzehn Bezirke auf und spannten ein Netz aus Geheimbeamten,
Spitzeln und Vertrauensleuten, die in jeder Behörde, jedem Betrieb
und jedem Wohnhaus tätig werden sollten. « Die OZNA-Leute streif-
ten durch die verlassenen Straßen und führten Leute unter der An-
klage ab, dass sie Kollaborateure, Verräter und Reaktionäre seien », er-
innerte sich ein Zeitzeuge. « Wohin? Das wusste keiner. »25
Die Geheimdienstler verhörten die Verdächtigen in alten Gefäng-
nissen, Kellern oder leerstehenden Wohnungen. Ihnen drohten die
Aberkennung der Bürgerrechte, Enteignung, Zwangsarbeit oder die
Todesstrafe. Die OZNA-Ermittler konnten selbst entscheiden, ob sie
jemanden ohne Gerichtsverfahren erschießen, freilassen oder einem
Gericht übergeben wollten. « Uns war gar nicht klar, wen genau man
als Verbrecher behandeln sollte », betonte Geheimdienstmann Jefto
Šašić aus Belgrad. « Nach der Verhaftung wurde verhört … und die
Evidenz erstellt. Einmal, bei Bedarf zweimal täglich gingen die Chefs
der Quartiere in den Stab der OZNA für Belgrad, wo die höheren
­Offiziere die Listen ansahen und die Urteile sprachen: erschießen
oder [Gefangenenlager] Banjica. »26
Am 15. Januar 1945 trat eine Amnestie für diejenigen Kämpfer
der Kollaborationstruppen in Kraft, die sich bedingungslos ergaben
oder überliefen, sofern sie sich keines Verbrechens wie Mord, Plünde-
rung, Brandstiftung und Vergewaltigung schuldig gemacht hatten.
Bewaffneten Banden, die auf befreitem Territorium weiterkämpften,
drohte dagegen « vollständige Vernichtung ». Gefangene Kombattanten
und ihre Helfershelfer waren der OZNA zu übergeben, die dann über
ihr weiteres Schicksal entschied. Das Ziel war, wie ein Befehl vom
­Januar 1945 lautete, « ohne große Skrupel alle zu liquidieren, von denen
wir wissen, dass sie Feinde sind, und die morgen gegen uns sein wer-
den ».27 Der OZNA-Chef in Ćuprija drang auf « professionelles » Vorge-
hen. « Die Erschießung muss in größter Konspiration durchgeführt
werden, so dass nicht einmal der Stab der Brigade davon erfährt. »
Den Verwandten der Delinquenten sollte dann erzählt werden, ihre
 Der stalinistische Autokrat 187

Angehörigen seien in ein Lager überführt worden. « Der Plan war,


möglichst viele Kollaborateure und Feinde der Revolution zu töten »,
sagte der serbische OZNA-Funktionär Milan Trešnjić. « Wenn jemand
als ausgesprochener Volksfeind bezeichnet oder in Uniform gefunden
wurde – erschießen! Alle! »28
Zorn und Verbitterung wuchsen, weil immer noch siebzehn deut-
sche und zwanzig kroatische, serbische und slowenische Divisionen
unter dem Kommando der Wehrmacht gegen die Volksbefreiungs­
armee kämpften. Auch die Erschießungen und andere Repressalien
gegenüber der Zivilbevölkerung gingen mit größter Unbarmherzig-
keit weiter. Zehntausende Unschuldige verloren deswegen noch in
den letzten Kriegsmonaten, als die Niederlage längst unabwendbar
war, ihr Leben. Generaloberst Alexander Löhr gab sogar erst zwei
Tage nach Inkrafttreten der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai
1945 mit seiner Heeresgruppe E auf.
Auch Ante Pavelić, der nach Österreich geflohen war, wollte nicht,
dass der Unabhängige Staat Kroatien kapitulierte. Mitte Mai, eine
Woche nach dem offiziellen Kriegsende in Europa, versuchten zehn-
tausende Angehörige der Ustascha, der kroatischen und slowenischen
Heimwehr, serbische und montenegrinische Tschetniks, serbische
Kollaborationstruppen von General Nedić und faschistische Milizen
Ljotićs nach Österreich in die britische Zone zu fliehen. Ein etwa
sechzig Kilometer langer Treck von 25 000 (britische Quellen) bis
200 000 (kroatische Angaben) Kombattanten und Zivilisten bewegte
sich auf die österreichische Grenze zu. Sie durften auf keinen Fall
entkommen, befahl Tito allen Kommandeuren, sondern waren « er-
barmungslos zu schlagen ». Denn « je mehr von diesen faschistischen
Skeletten in unserem Land bleiben, desto mehr … Opfer [der faschis-
tischen Verbrecher] werden vergolten ».29
Ende Februar 1945 beschlossen die Alliierten in Jalta, dass sich
alle mit Deutschland verbündeten Kombattanten den Machthabern
im eigenen Land ergeben mussten, also hier den jugoslawischen Par-
tisanen. Da die kroatischen Streitkräfte aber nicht kapitulierten, hieß
der zuständige britische General am 14. Mai 1945 die aus Jugoslawien
Fliehenden, an der österreichischen Grenze bei Bleiburg und Viktring
188 Belgrad, 20. Oktober 1944 

umzukehren. Nachdem das Ultimatum der Volksbefreiungsarmee an


die Kriegsgegner, sich bedingungslos zu ergeben, verstrichen war,
griff sie an. Nach zuverlässigen Schätzungen sind bei Bleiburg etwa
40 000 Menschen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit zu Tode
gekommen: Sie sind bei Rückzugsgefechten gefallen, wurden hinge-
richtet oder massakriert. Diejenigen, die es in den britischen Sektor
Österreichs geschafft hatten, wurden dort entwaffnet. Im Glauben, sie
würden nach Italien gebracht, verfrachtete man sie in Züge, lieferte
sie in Wirklichkeit aber an die Partisanen aus. Das ­britische Kriegs­
tagebuch verzeichnete eine « ausgesprochen unangenehme Aufgabe »,
die die britischen Truppen nur « mit größerem Wider­willen » aus­
führten.30
Das Gros der feindlichen Truppen fiel Mitte Mai somit den Par-
tisanen in die Hände. Sie machten 230 000 Kriegsgefangene, davon
85 000 Angehörige der Wehrmacht.31 Die höheren Offiziere der Kol-
laborationstruppen wurden nach kurzer Anhörung dem Erschie-
ßungskommando übergeben. Alle anderen, auch die Deutschen,
marschierten in langen Kolonnen ostwärts zu den diversen Gefange-
nenlagern. Wie viele unterwegs Hungers starben oder getötet wurden,
ist ungesichert. Zwar galt Titos Befehl vom Dezember 1944, « dass alle
Gefangenen nach internationalem Recht zu behandeln sind » und das
willkürliche Töten unverzüglich zu beenden war. Diverse « Liquida­
tionslisten » legen allerdings nahe, dass die Erschießungen trotzdem
weitergingen. « Aus dem Gefängnis in Škofja Loka bringen jeden
Abend Lastwagen an Händen und Füßen gefesselte Männer weg, und
niemand kehrt je zurück », berichtete ein Zeuge aus Slowenien. « Jeden
Abend hört man aus Crnogrob Schüsse. »32 In zahlreichen Massengrä-
bern, etwa in Kočevski Rog, Tezno, Teharje und Huda Jama, wurden
in den letzten Jahren tausende Skelette von Männern entdeckt, die im
Gefecht oder durch den Geheimdienst getötet wurden.33 Womöglich
kamen bis zu 70 000 Menschen in dieser Phase gewaltsam ums Leben.
Im Mai 1945 erneuerte Tito seinen Befehl, « die energischsten
Maßnahmen zu ergreifen, um die Tötung von Kriegsgefangenen
durch Einheiten, einzelne Organe und Personen um jeden Preis zu
verhindern ».34 Drei Monate später wurden die einfachen Kämpfer
 Der stalinistische Autokrat 189

Deutsche Kriegsgefangene in Vrapče, Mai 1945

amnestiert und freigelassen. Aber noch im Juli 1945 beklagte ein kro-
atischer Politkommissar das allgemeine Klima der Unsicherheit in
Slawonien. « Die Organe der OZNA … töten Leute ohne Gerichts­
verfahren … Das Volk fürchtet sich … und wartet jeden Tag darauf,
irgendwohin verschleppt und getötet zu werden. »35 Weil selbst Mit-
glieder der Volksbefreiungsorgane wegen des Terrors in Angst und
Schrecken lebten, gab es Forderungen, die Geheimpolizei ganz abzu-
schaffen. Tito stellte daraufhin im Juli 1945 in der Tageszeitung « Vjes-
nik » (Bote) klar, man solle sich diesbezüglich keine Illusionen machen.
« Wenn sie denen Angst einjagen, denen das neue Jugoslawien nicht
gefällt, dann ist das doch zum Nutzen unseres Volkes. » Und das, stellte
er kategorisch fest, « ist eine positive Sache ».36 Denn dies, einschließ-
lich der Liquidierung ehemaliger Kriegsfeinde und nunmehrigen
Systemgegner, lag in der Logik der Machtübernahme und somit in
Titos Absicht. Der Terror sollte aber kein Dauerzustand werden. So
befahl Aleksandar Ranković unmittelbar nach der Einnahme Zagrebs,
man solle dort « schnell und energisch vorgehen und alles in den ers-
ten Tagen erledigen ».37 Nachdem die Schlüsselfiguren ausgeschaltet
190 Belgrad, 20. Oktober 1944 

waren, sollten die willkürlichen Liquidierungen der OZNA aufhören.


« Niemand soll länger vor der Todesstrafe Angst haben! », herrschte
Tito Ende 1945 das Politbüro an.38

« Kein Schwabe darf bleiben »

In Titos entstehendem Staat galten die Jugoslawiendeutschen,


vor dem Krieg eine Minderheit von einer halben Million, kollektiv als
Volksfeinde. Man warf ihnen vor, dass viele bereits Landesverrat be-
gangen hatten, als sie 1941 den Einmarsch der Wehrmacht bejubelt
und in der Folgezeit das NS-Regime aktiv unterstützt hatten. Nicht
nur war die volksdeutsche SS-Division « Prinz Eugen » für schlimmste
Kriegsverbrechen verantwortlich. In den besetzten Gebieten waren
die deutschen Volksgruppen dem NS-Regime unmittelbar unterstellt,
und ihre Führungen empfahlen sich als willige Vollstrecker der Juden-
vernichtung. So ließ die Volksgruppenführung im serbischen Banat
bereits im August 1941 alle etwa 3300 Juden nach Belgrad deportie-
ren, um ihr Gebiet daraufhin für « judenfrei » zu erklären.39 Die Volks-
befreiungsarmee, die eine volksdeutsche Einheit « Ernst Thälmann »
aufstellte, gewann trotz heftigen Werbens nur wenige Überläufer.
Noch Mitte Mai 1945 kämpften etwa 80 000  Volksdeutsche in den
Reihen der Wehrmacht für Hitlers Endsieg. « Bei den Schwaben sind
überhaupt keine Anzeichen zu bemerken, die darauf hindeuten, dass
sie zur Vernunft kämen », staunte ein Partisan im Oktober 1944. « Bis
auf sehr wenige Ausnahmen sind sie faschistisches Ungeziefer, ebenso
diszipliniert wie blind. Ohne weiter darüber nachzudenken folgen sie
ihrem Führer direkt ins Grab. »40
In Anbetracht der bedrängten militärischen Lage entwickelte das
für die Volkstumspolitik zuständige SS-Hauptamt in Berlin, die Volks-
deutsche Mittelstelle, seit Frühjahr 1944 Pläne, alle Jugoslawiendeut-
schen in das Reich umzusiedeln. Im Oktober desselben Jahres wurden
fast alle 90 000 Zivilisten aus Kroatien evakuiert, nicht aber die aus
dem serbischen Banat, weil das die Rückzugsgefechte der Wehrmacht
zu stark behindert hätte. Erst als die Partisanen einen Ort nach dem
anderen eroberten, rief die zuständige Volksgruppenführung zur
Flucht auf.41 Somit befand sich die Mehrheit der « Schwaben » noch
 Der stalinistische Autokrat 191

vor Ort, als die Partisanen im Oktober 1944 die Macht im Banat über-
nahmen und auch die von Ungarn okkupierte Batschka und Baranya
befreiten. Diese drei Gebiete bildeten die Region der Vojvodina.
Aus Sicht der Partisanen ging, solange der Krieg andauerte, von
der deutschen ebenso wie von der ungarischen Minderheit ein erheb-
liches Sicherheitsrisiko aus. Um sie besser beaufsichtigen zu können,
befahl Tito im Oktober 1944, in der Vojvodina nach sowjetischem Vor-
bild eine Militärverwaltung zu errichten. Zu diesem Zeitpunkt iden-
tifizierten sich dort etwa 100 000 Menschen als Deutsche. Weitere bis
zu 50 000 waren das nach Ansicht der Behörden « eigentlich » auch; sie
zogen es aber aus Angst vor Repressionen vor, sich als Ungarn, Kroa-
ten oder Serben auszugeben.42 Laut Erlass des AVNOJ vom 21. No-
vember 1944 ging sämtliches Vermögen von Personen deutscher
Staats- oder Volkszugehörigkeit, außer derjenigen, die in den Reihen
der Partisanen gekämpft hatten, in Staatseigentum über. Mehr als
68 000  Besitzungen wurden auf dieser Grundlage konfisziert. Den
Volksdeutschen wurde das Wahlrecht entzogen, nicht allerdings, wie
oft zu lesen, die Staatsbürgerschaft.
Neben Verwaltung und Wiederaufbau diente die 103 Tage wäh-
rende Militärverwaltung auch dazu, Kriegsverbrecher und Kollabo-
rateure zu verfolgen. Der örtliche Volksbefreiungsrat erklärte, dass « in
unserem Gebiet viele Deutsche und Ungarn leben, die sich zur Zeit
der Okkupation … an allen möglichen Bestialitäten [des O ­ kkupators]
beteiligt haben … Deswegen ist es notwendig, grundsätzlich mit allen
Schwaben abzurechnen und mit denjenigen Ungarn, die Verbrechen
begangen haben. »43 Bis Ende 1946 wurden insgesamt 9668 Personen in
der Vojvodina zum Tode verurteilt und e­ rschossen, davon 6763 Volks-
deutsche und 1776 Ungarn.44
« Wir haben uns gleich dafür entschieden, die Deutschen zu ver-
treiben », erklärte Edvard Kardelj Jahrzehnte später. « Sie waren im
Krieg in jeder Hinsicht ein Stoßtrupp gegen uns. »45 So erhielt der
Geheimdienst in Slawonien am 22. Januar 1945 die Weisung: « Bei der
Befreiung dieser Gebiete darf kein Schwabe bleiben, entweder geht
jeder nach Deutschland oder ins Lager, und die Verbrecher müssen
verhaftet und bestraft werden. » In vielen Dörfern weigerten sich die
192 Belgrad, 20. Oktober 1944 

Deutschen allerdings, ihren Besitz aufzugeben und auszuwandern.


« Dieser Tage haben wir die Schwaben aus dem Dorf Gašinac vertrie-
ben, … aber am nächsten sind sie zurückgekommen und erklärten,
dass sie lieber in ihrem Haus sterben wollten, als nach Deutschland zu
gehen », berichtete ein Vertreter der KPJ am 2. Dezember 1944 aus
Brod. « Aber wir haben trotzdem mit ihrer Abschiebung weiterge-
macht, egal ob sie wollten oder nicht. » Tito ordnete an: « Die Koloni-
sierung unserer Bevölkerung in der Vojvodina anstelle der vertriebe-
nen Deutschen muss sogleich begonnen werden. »46
Am 1. Dezember 1944 befahl der Militärkommandant der Vojvo-
dina, aus Sicherheitsgründen alle deutschen Männer zwischen 16 und
60 Jahren zu internieren, was aber « in keiner Weise den faschistischen
Lagern ähneln » dürfe.47 Die übrige Bevölkerung sollte strengstens
überwacht werden. Nach Auflösung der Militärverwaltung wurden in
einer zweiten Welle praktisch alle verbliebenen Volksdeutschen ab
Ende März 1945 eingesperrt oder in Dörfern unter spezieller Verwal-
tung festgehalten, da man ihnen « verbrecherisches Verhalten » unter-
stellte, solange die Endkämpfe andauerten. « Sie hielten uns als Gei-
seln », erinnerte sich Gisela Schwerer aus Kruschiwl. « Sollten sie den
Krieg doch noch verlieren, würden sie uns alle über den Haufen schie-
ßen. »48 Im Juni 1945 standen bis zu 110 000 Volksdeutsche, überwie-
gend Alte, Frauen und Kinder, unter Arrest. Die Arbeitsfähigen wur-
den nach Kriegsende in der Landwirtschaft und beim Wiederaufbau
eingesetzt.49 Die hygienischen Verhältnisse in den bewachten Ort-
schaften und Lagern waren oft verheerend, die Ernährung mangel-
haft. « Die Häuser wurden vollgestopft mit Menschen », berichtete eine
Insassin. « Es wurde von Tag zu Tag unheimlicher … Wovon sollen
denn all diese Menschen leben », fragte sie sich.50 Tausende starben,
wie in Rudolfsgnad, Gakowo und Kruschiwl, an Erschöpfung, Hun-
ger oder Krankheit, viele an Typhus.
Knapp 11 000 jugoslawiendeutsche Frauen und Männer wurden
im Winter 1944/45 vom sowjetischen NKWD zur Zwangsarbeit in
die Kohle- und Industriegebiete des Donbas verschleppt. Im Okto-
ber 1944 hatte Stalin die Anordnung Nr. 7161 erlassen: « Alle arbeits-
fähigen Deutschen – Männer von 17 bis 45 Jahren, Frauen von 18 bis
 Der stalinistische Autokrat 193

30 Jahren –, die sich auf dem von der Roten Armee befreiten Territo-
rium Rumäniens, Jugoslawiens, Ungarns, Bulgariens und der Tsche-
choslowakei befinden, für den Arbeitseinsatz in der UdSSR mobilisie-
ren und internieren. »51 Die Alliierten sanktionierten in Jalta diese
« Nutzung deutscher Arbeit » als eine Form von Reparationen. Erst
Ende 1949 wurden die Volksdeutschen aus den sowjetischen Lagern
entlassen. Nach Angaben der Vertriebenenorganisationen waren im
Zuge von Deportationen und Zwangsarbeit in der Sowjetunion rund
2000 Personen ums Leben gekommen.52
Aus Sicht der jugoslawischen Führung war Zwangsarbeit nur eine
vorübergehende Lösung. Im Juni 1945 entschied sie, dass alle « aus­
gesiedelt und nach Deutschland geschickt werden müssen, sobald da-
für die technischen Voraussetzungen bestehen ». Der Grund sei unter
anderem, dass die deutsche Minderheit « bis heute gegen die Interes-
sen der Völker Jugoslawiens arbeitet » und « während des Krieges so
viele Verbrechen … verübt hat, dass ihr weiteres Verbleiben … den
Aufbau unseres Gemeinwesens behindern würde ».53 Warum die Jugo-
slawen im Juli 1945 keinen Antrag auf Umsiedlung bei der Potsdamer
Konferenz stellten, ist unbekannt. Als sie ein halbes Jahr später beim
Alliierten Kontrollrat deswegen ansuchten, erhielten sie eine Abfuhr.
Nachdem schon hunderttausende Vertriebene aus Polen, Ungarn und
der Tschechoslowakei in Deutschland eingetroffen waren, fehlten für
weitere mehr als hunderttausend Donauschwaben die Kapazitäten.
Das jugoslawische Außenministerium folgerte, dass die Aussiedlung
« in absehbarer Zeit nicht auf legale Weise … gelöst werden » könne.54
Aus diesem Grund ermunterten oder erzwangen die Behörden die
Flucht von bis zu 40 000 Deutschen aus den Arbeits- und Internie-
rungslagern Richtung Ungarn und Österreich, ehe diese Ende 1948
etappenweise aufgelöst wurden. Rund 45 000 ehemalige Insassen lie-
ßen sich als jugoslawische Staatsbürger registrieren; etwa 5000 blie-
ben staatenlos. Mindestens jeder Zweite stellte später einen Antrag
auf Ausreise nach Deutschland.
Am Ende von Hitlers Eroberungs- und Vernichtungskrieg sowie
der Machtübernahme der Kommunisten war die deutsche Minder-
heit in Jugoslawien stark dezimiert. Hunderttausende waren umgesie-
194 Belgrad, 20. Oktober 1944 

delt, evakuiert, geflohen oder vertrieben worden. Bis zu 50 000


­kamen bei Endkämpfen, Hinrichtungen sowie  – ein großer Teil  –
durch Erschöpfung und Krankheiten in den Lagern um. 1961 waren
von einer halben Million Jugoslawiendeutschen nur noch 20 000 im
Land übrig.55

« Ich trage die Verantwortung, ich entscheide! »

Im Februar 1945 beschlossen die drei Alliierten in Jalta, das


Demokratische Föderative Jugoslawien unter bestimmten Bedingun-
gen anzuerkennen. Im folgenden Monat konstituierte sich die provi-
sorische Regierung, an der nach dem Willen der Großmächte auch
Nichtkommunisten mitwirken sollten. Außer Ivan Šubašić und Juraj
Šutej von der kroatischen Bauernpartei war zum Beispiel auch Milan
Grol von der serbischen Demokratischen Partei mit an Bord. Gemäß
den Vorgaben der Großen Drei verpflichtete sich die neue Regie-
rung, demokratische Rechte zu wahren, also die Freiheit der Person
und des Glaubens sowie Meinungs-, Presse- und Versammlungs­
freiheit. Ebenso trat ein provisorisches Parlament zusammen, in dem
auch Abgeordnete aus der Vorkriegszeit und unabhängige Persönlich-
keiten vertreten waren. Zudem durfte man politische Parteien grün-
den und eigene Presseorgane herausgeben.
Die Regierungsbeteiligung der nichtkommunistischen Minister
erwies sich aber ebenso als eine Farce wie die Presse- und Versamm-
lungsfreiheit. Monatelang fanden keine Kabinettssitzungen statt,
während alle Gesetzesvorlagen der bürgerlichen Parteien von der
kommunistischen Mehrheit im provisorischen Parlament nieder­
gestimmt wurden. Diese litten allerdings auch unter ihrer eigenen
Schwäche: dem Makel, die Fremdherrschaft lediglich passiv und im
sicheren Exil ausgehalten zu haben, sowie dem Umstand, dass außer
der KPJ keine einzige Partei gesamtjugoslawisch ausgerichtet war.
Serbische und kroatische Nationalpolitiker verloren sich in fruchtlo-
sen Machtkämpfen.
Die Kommunisten waren überzeugt, dass es keiner Gewaltakte
bedurfte, um die bürgerliche Opposition zu ersticken  – das würde
schon der « Volkswille » erledigen. Schließlich gingen alle politischen
 Der stalinistische Autokrat 195

Kräfte im August 1945 in der Volksfront auf, einer Massenorganisa-


tion, die auch Sozialdemokraten, Sozialisten, Bauernparteiler und
Republikaner einband, aber unter der Führung der Kommunisten
stand. Nur Milan Grols Demokratische Partei und die großserbi-
schen Nationalisten traten ihr nicht bei. Die Volksfront machte den
Nichtkommunisten den Wahlkampf praktisch unmöglich, durch Be-
hinderungen, Drohungen und Übergriffe. Da zudem die Kommunis-
ten alle Entscheidungen praktisch alleine fällten und den gesamten
­öffentlichen Raum dominierten, verließen die bürgerlichen Minister
aus Protest das Kabinett und ihre Abgeordneten das Parlament. Milan
Grol erklärte: « Es schaudert einen vernünftigen Menschen doch,
wenn alle Vorlagen in einem Parlament einstimmig und per Akklama-
tion verabschiedet werden. »56
Die von Churchill mühselig eingefädelte Einheitsregierung war
damit hinfällig. Der Versuch der Opposition, die Großen Drei noch
dazu zu bewegen, das autoritäre Tito-Regime auf der Potsdamer Kon-
ferenz zu verurteilen, scheiterte an der Dringlichkeit größerer Welt-
probleme. So stellte bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Ver-
sammlung im November 1945 die Volksfront die einzige Wahlliste,
und diese wurde von Tito angeführt. Wer gegen sie war, musste seinen
Wahlzettel in eine klar gekennzeichnete Extra-Urne werfen. Erstmals
in der Geschichte übten auch Frauen das aktive und passive Wahl-
recht aus – in Sarajevo rissen sich die Musliminnen demonstrativ den
Schleier vom Kopf. Da Milan Grol wegen der unfairen Umstände
zum Boykott aufrief, holte die Volksfront fast 89  Prozent der Stim-
men. Am 29. November 1945 rief die frisch gewählte Verfassungs­
gebende Versammlung die Föderative Volksrepublik Jugoslawien aus.
Sie enthob König Peter II. und die Dynastie Karađorđević aller Funk-
tionen. Die Monarchie war endgültig abgeschafft.
Jugoslawien gab sich 1946 eine Verfassung, die dem sowjetischen
Vorbild nachempfunden war. Die Föderation bestand aus den sechs
Teilrepubliken Serbien, Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzego-
wina, Montenegro und Makedonien. Die zu Serbien gehörenden Pro-
vinzen Vojvodina und Kosovo, wo viele nichtslawische Nationalitäten
lebten, erhielten einen autonomen Status. Das territoriale Design  –
Das sozialistische Jugoslawien 196
ÖSTERREICH

UNGARN
SLOWENIEN
I TA L I E N
Ljubljana Zagreb
Vo j v o d i n a RUMÄNIEN
K R O AT I E N
N

Belgrad
BOSNIEN- S
HERZEGOWINA
SERBIEN
Belgrad, 20. Oktober 1944 

Slowenen Sarajevo
Serben
Kroaten
MONTE- Sofia
Bosniaken (Muslime)
NEGRO Pristina
ˇ BULGARIEN
Makedonier Podgorica Kosovo
Montenegriner
Adriatisches Skopje
Albaner
Meer
Magyaren
Slowaken MAKEDONIEN
Tirana
Bulgaren
0 50 100 150 km
keine Mehrheiten ALBANIEN GRIECHENLAND
 Der stalinistische Autokrat 197

ein Gemisch aus ethnischen und historischen Kriterien  – hatte der


AVNOJ bereits 1943 ausgearbeitet. Die Republiken galten quasi als
Nationalstaaten der Völker, nur Bosnien und Herzegowina bildete auf-
grund seiner multiethnischen Struktur ein « Jugoslawien im Kleinen ».
Jede Republik erhielt eine eigene Verfassung, Institutionen und Regie-
rungsorgane, damit « jeder Herr im eigenen Haus » sein konnte, wie
sich Tito ausdrückte. Die jeweiligen regionalen Apparate der KPJ
übernahmen in allen Landesteilen die Macht. Allerdings mussten sich
die Republikführungen nach dem Prinzip des demokratischen Zen­
tralismus den Richtlinien der Bundesregierung unterordnen. In die-
ser waren die Nationalitäten proportional vertreten. Der Föderalis-
mus erfüllte demnach den Zweck, die unterschiedlichen nationalen
Interessen zu befriedigen, ohne jedoch die Macht der kommunisti-
schen Partei einzuschränken.
Mit stolzer Gelassenheit nahm Tito gleich bei seiner Ankunft in
Belgrad das elegante Weiße Schloss von Prinzregent Paul in Beschlag.
Als im Mai 1946 seine Gefährtin aus Kriegszeiten, Davorjanka Pau­
nović, in einem Lungensanatorium verstarb, erfüllte er ihren letzten
Wunsch, ihm auch nach dem Tod nahe zu sein. Er ließ sie in aller Pri-
vatheit auf dem Schlossgelände bestatten. Bald darauf unternahm er
­einen Anlauf, die Beziehung zu der Mutter des gemeinsamen Sohnes
Mišo zu kitten, aber vergeblich. « Mein Lieber, eine Herta Haas geht vor
einem Mann nur einmal in die Knie! », schrieb sie ungerührt zurück.57
In der Öffentlichkeit zeigte sich Tito mittlerweile als Staatsmann.
Häufig erschien er in einem maßgeschneiderten grauen Uniformrock,
dunkelblauen Reithosen mit roten Streifen an den Seitennähten und
gewienerten schwarzen Reitstiefeln. Alternativ legte er eine weiße
Uniform mit Goldbordüre und Marschallsinsignien an. « Nur der
fünfzackige Stern [auf seiner Schirmmütze] erinnerte an seine kom-
munistische Karriere », berichtete der amerikanische Geheimdienstler
Franklin Lindsay. Abgesehen vom erhabenen Aufzug des ehemaligen
Partisanenführers wunderte er sich über die üppigen Buffets bei
Staatsempfängen, auf denen selbst russischer Wodka und kaspischer
Kaviar nicht fehlten. « Er [Tito] hätte eher ein habsburgischer Fürst
als ein kroatischer Bauer sein können. »58
198 Belgrad, 20. Oktober 1944 

Für Revolutionäre war es vielleicht noch wichtiger als für legitime


Potentaten, abstrakte Phänomene wie Macht und Herrschaft durch
Symbole, Insignien und Rituale sichtbar zu machen, so wie es Kaiser,
Könige und Präsidenten aller Zeiten und Regierungsformen schon
immer taten. In einem Akt symbolischer Machtaneignung demons­
trierten die jugoslawischen Kommunisten ihre frisch erworbene
Staatsgewalt durch die Person ihres Führers, durch den prunkvollen,
ehemals königlichen Regierungssitz, durch respekteinflößende Klei-
dung, elegante Limousinen und opulente Empfänge. Wenn die jugo­
slawischen Generäle in maßgeschneiderten grauen Uniformen zu
­Verhandlungen mit Briten und Amerikanern erschienen, « war das
nicht, was man von Anführern einer Volksrevolution erwartet hätte,
die gerade noch im Wald gekämpft haben », grummelte Lindsay. Die
west­lichen Alliierten ließen die Emporkömmlinge spüren, dass sie sie
nach wie vor als « eine Bande von Irregulären betrachteten, die einen
nützlichen, aber nur randständigen Beitrag » im Krieg geleistet hat-
ten.59
Die Kommunisten setzten alle Methoden des Machterhalts ein:
Überzeugungsarbeit und Manipulation, Anreize und Zwang. Zualler-
erst kontrollierten sie die Medien und den öffentlichen Raum. Riesige
Porträts von Tito und Stalin hingen an den Fassaden, als bei der Feier
zum 1. Mai etwa 70 000 Soldaten, Bauern, Arbeiter und Kinder de-
monstrierten und massenweise rote Fahnen schwenkten. Sie riefen
dabei « Belgrad-Moskau », « Tito-Stalin », « Lang lebe die Rote Armee! »
und « Lang lebe die Kommunistische Partei! » Schon im selben Monat
forderte der Propagandastab dazu auf, im Umfeld von Titos offiziel-
lem Geburtstag am 25. Mai möglichst viele Artikel über dessen Rolle
im Krieg und beim Aufbau Jugoslawiens zu veröffentlichen und ihm
Glückwunschtelegramme zu schicken. Im ganzen Land sollten ihm
zu Ehren öffentliche Veranstaltungen, Umzüge und andere Feierlich-
keiten stattfinden. Hervorzuheben war nicht nur seine Rolle als Feld-
herr und Staatsmann, sondern auch als einfacher « Sohn des Volkes ».
« Alles soll unaufdringlich, einfach und schlicht sein. »60 Zwar gab es
offiziell keine Pressezensur, tatsächlich aber viele Möglichkeiten, das
Erscheinen unliebsamer Publikationen zu unterbinden: durch Papier-
 Der stalinistische Autokrat 199

Antifaschistische Frauendemonstration in Tuzla, Februar 1945

zuteilungen oder auch Verbote, falls gesetzwidrige Aufhetzung oder


Falschinformationen im Spiel waren. Lord Birkenhead, Churchills
Patensohn, klagte bereits im Januar 1945 über die « Maschinerie eines
totalitären Staates » in Belgrad. « Alle Instrumente der öffentlichen
Meinungsäußerung sind unter staatlicher Kontrolle. »61
Schon im Oktober 1944 hatte Tito bei einer großen öffentlichen
Rede eine Volksdemokratie versprochen, die das Recht auf Arbeit,
Wohnung, Bildung « und alles, was ein Kulturmensch braucht », garan-
tieren würde.62 Er war der Überzeugung, « dass sich die Demokratie
nur parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes und in
Abhängigkeit von ihr entfalten kann », und die Voraussetzung dafür
war die Entmachtung der ausbeuterischen Bourgeoisie.63 Dazu musste
das Land aber erst einmal wieder aufgebaut werden. Hunderttausende
freiwillige Arbeitsbrigaden gingen meistens mit bloßen Händen ans
Werk, um die Trümmer wegzuschaffen sowie Straßen, Brücken und
neue Industriebetriebe aufzubauen.
Die Führung hoffte darauf, die Menschen durch Bildung, Agita-
tion und Propaganda von der neuen Ordnung zu überzeugen. Wie nie
200 Belgrad, 20. Oktober 1944 

zuvor wurde in Schulen und Volkshochschulen, Bibliotheken, Kultur-


organisationen und Frauen-, Jugend-, Sport-, Kultur-, Freizeit- und
Bildungsvereine investiert. Durch Massenversammlungen, öffentliche
Veranstaltungen und freiwillige Arbeitsaktionen auf lokaler, regiona-
ler und nationaler Ebene wurde das Volk für den Aufbau der neuen
Ordnung mobilisiert.64 Dies geschah nicht zuletzt in der Absicht, die
Menschen zu erziehen und zu sozialisieren. Ziel waren die Bekämp-
fung von Unwissenheit, Analphabetismus und altem Denken sowie
die Vermittlung sozialistischer Werte und Tugenden, besonders die
Verinnerlichung von « Brüderlichkeit und Einheit ».
Abgesehen davon war klar, dass es für die Gegner der neuen Ord-
nung keinen Platz im Vielvölkerstaat gab. « Unser Volk hat seine Form
der Demokratie erobert, in der die überwiegende Mehrheit der Volks-
massen volle Freiheiten besitzt und gleichzeitig für eine unbedeu-
tende Minderheit bestimmte Beschränkungen existieren », betonte
Tito. Das waren in seinem Jargon « reaktionäre und faschistische Ele-
mente », gegen die « drastische Maßnahmen » ergriffen werden soll-
ten.65 « Wenn man eine neue Ordnung aufbaut, wäre es falsch, über-
haupt von individueller Freiheit zu sprechen – im Sinne, dass jeder
einfach macht, was er will », erklärte er.66 So unternahm die KPJ, allen
voran Tito, eine hässliche Medienkampagne gegen die « Ewiggestri-
gen » und « alten Volksfeinde ». Formal verboten wurden die oppositio-
nellen Parteien nicht; sie lösten sich unter Druck der politischen
Umstände auf.
Politischen Pluralismus nach westlichem Muster betrachtete Tito
aus zwei Gründen als schädlich. Erstens, modern ausgedrückt: Der
individualistische Liberalismus, wie er vor dem Krieg herrschte,
­zementierte die existierende politische und soziale Ungleichheit, und
das widersprach dem demokratischen Prinzip gleicher Teilhabe.
Zweitens wirke das Mehrparteiensystem im Vielvölkerstaat als Spalt-
pilz: « Wenn sich eine solche [ethnische Partei] in Slowenien für die
slowenische Nationalität, eine andere in Montenegro, die dritte in
Serbien, dann in Makedonien und Kroatien bildete, würde dies zur
Zersplitterung des Staates führen », argumentierte Tito. Angesichts
der historischen Erfahrung, aber auch nach dem, was in den neunzi-
 Der stalinistische Autokrat 201

ger Jahren auf die Einführung des pluralistischen Parteiensystems


folgen sollte, hatte er damit wahrscheinlich sogar Recht. « All das kann
man selbstverständlich nicht demokratisch nennen », gab er zu. Aber
wenn erst einmal Gerechtigkeit erreicht sei, könnten auch mehr indi-
viduelle Freiheiten gewährt werden.67
So bauten die Kommunisten unter Titos Führung ohne nennens-
werte Gegenwehr ein Regime nach dem sowjetischen Modell auf. Es
erfüllte alle Kriterien totalitärer Herrschaft: Es bediente sich einer
einheitlichen Ideologie und einer alleinherrschenden Staatspartei,
einer terroristischen Geheimpolizei, des Waffen- und Nachrichten-
monopols sowie Enteignungen und einer geplanten Wirtschaft.68 Die
politischen Parteien lösten sich auf oder wurden faktisch liquidiert;
ihre Presse wurde unterbunden. Die « Diktatur des Proletariats », zu
der sich das jugoslawische Regime nun offen bekannte, stand in der
bolschewistischen Tradition der Oktoberrevolution. Lenin hatte kurz
vor der Machtübernahme Parlamente und staatsbürgerliche Rechte
als Fassade einer « Diktatur der Bourgeoisie » verworfen und sich auf
die « mit niemand geteilte und sich unmittelbar auf die bewaffnete Ge-
walt der Massen stützende Macht » berufen.69 Auch für die Jugosla-
wen ­implizierte dies die Vernichtung der politischen Gegner. Nach
dem erbarmungslosen Bürgerkrieg wurde nun, da er vorüber war, der
antijugoslawische, teils vom Ausland geförderte Terrorismus der Emi­
granten zur Überlebensfrage, die alles zu rechtfertigen schien. Statt
politischen Pluralismus, freie Wahlen und echte Gewaltenteilung zu
gestatten, erzeugte das Regime den Anschein eines allgemeinen Volks-
willens, einer kommunistischen volonté générale, wie sie schon Dimi­
trow und Stalin in der Mitte der dreißiger Jahre propagiert hatten.70
Bereits in dieser Phase gab es allerdings auch Unterschiede zum
­bolschewistischen System: Die Jugoslawen setzten stärker auf Über-
zeugung, um den Sozialismus aufzubauen, und nicht vorrangig auf
propagandistische Mobilisierung. Sie verstaatlichten die Produktions­
mittel, verzögerten jedoch die Kollektivierung, die unvollständig und
weniger brachial war als in der Sowjetunion. Nicht zuletzt gab es in
Jugoslawien keine massenhaften « Säuberungen », sprich Liquidierun-
gen, innerhalb der eigenen Partei.
202 Belgrad, 20. Oktober 1944 

Nach der Befreiung Zagrebs: « Mit Tito vorwärts »,


Juni 1945

Abgesehen von der Idee der « Volksdemokratie », die nun im ge-


samten sowjetisch dominierten Europa vorherrschte und die sich in
Jugoslawien in Form der Volksfront konkret niederschlug, entwickel-
ten die Jugoslawen eine eigenständige Begründung ihrer Regierungs-
legitimität: Sie beriefen sich auf die Massenbewegung der Partisanen,
den erfolgreichen Volksbefreiungskampf sowie Titos Charisma. « Un-
sere Wählerstimmen sind … die Milliarden Blutstropfen, die aus den
Adern unserer Burschen geflossen sind, die auf den Schlachtfel-
dern … gefallen sind », erklärte der Vorsitzende des kroatischen Volks-
befreiungsrats Vladimir Nazor im Frühjahr 1945. « Das ist es, was uns
ermächtigt … ein Plebiszit. »71
 Der stalinistische Autokrat 203

Tito führte in dieser Epoche ein fast idealtypisches autokratisches


Regime, das ganz auf seine Person zugeschnitten war und das noch in
der Tradition des Partisanenkampfes stand. Er war niemandem ver-
antwortlich und konnte dabei auf die volle Zustimmung seiner enge-
ren Parteigenossen rechnen. Alle Macht konzentrierte sich in seiner
Hand: Es gab zwar eine Verfassung, aber in der Praxis keine echte
­Gewaltenteilung. Das höchste Führungsorgan im Staat war das etwa
zehnköpfige Politbüro, eine Art Präsidium mit Tito an der Spitze. Es
gab die Richtlinien der Politik vor. Die praktische Regierungsarbeit
erledigte das Zentralkomitee mit seinen zwölf Abteilungen. Zum Bei-
spiel leitete Edvard Kardelj die Kommission für den Aufbau der
Volksgewalt, während Andrija Hebrang für die Wirtschaft und Milo-
van Đilas für Agitation und Propaganda zuständig waren. Tito berief
seine Kandidaten und Kandidatinnen nach eigenem Gutdünken in
die Führungspositionen. Die Parteigremien hatten wegen des Krieges
bereits seit Jahren nicht mehr getagt, geschweige denn gewählt. Ähn-
lich intransparent wie die Personalauswahl war die Beschlussfassung.
Viele Entscheidungen fällte Tito im persönlichen Gespräch mit dem
zuständigen Minister, beim Mittagessen oder auf der Jagd. Und wem
die autokratische Manier nicht passte, den herrschte er an: « Ich bin
für Jugoslawien verantwortlich! Ich entscheide hier! »72

Wiederaufbau und Versöhnung

Als Vladimir Dedijer in den letzten Monaten des Jahres 1945


kreuz und quer durchs Land reiste, war er schockiert. « Es gibt dort
Dörfer, die dutzendmal während des Krieges angezündet wurden.
Man kann hundert Kilometer weit fahren, ohne ein einziges stehenge-
bliebenes Haus zu sehen. »73 Eine Million Menschen waren im Krieg
gestorben: etwa so viele wie in England, Frankreich und Italien zu-
sammen. Noch einmal so viele verlor Jugoslawien durch Geburten-
ausfälle, Emigration, Verschleppung, Umsiedlung und Vertreibung.
Schon vor dem Krieg war Jugoslawien eines der ärmsten Länder
in Europa gewesen. Drei Viertel der Bevölkerung lebten von der
Landwirtschaft, jeder Zweite konnte nicht lesen und schreiben.
­Außerdem herrschten in den einzelnen Landesteilen ganz unter-
204 Belgrad, 20. Oktober 1944 

schiedliche Lebensbedingungen. Nun hatten Krieg, Verwüstung und


Ausplünderung auch noch volkswirtschaftliche Werte in Höhe von
46,9 Milliarden US-Dollar vernichtet. Ein Drittel der Industrie war
beschädigt, kein einziges Bergwerk mehr intakt, der Großteil der
Straßen, Schienen und Brücken lag in Trümmern. Über drei Millio-
nen Männer, Frauen und Kinder waren obdachlos. Im ersten Frie-
densjahr fehlten Lebensmittel und Waren, um wenigstens die drin-
gendsten Grundbedürfnisse zu befriedigen. Jugoslawien stand am
Rande einer Hungersnot. « Wie soll nur aus so viel Blut, so viel Angst
und so viel Hass … aus Ruinen wieder Ordnung erwachsen », fragte
sich der Politiker Milan Grol.74
Angesichts dieser Lage musste die sozialistische Revolution zum
Raketenantrieb eines gewaltigen Modernisierungsprogramms wer-
den. Das agrarische Jugoslawien sollte durch die Kollektivierung der
Landwirtschaft, die Verstaatlichung der Produktionsmittel, den Aus-
bau der Schwerindustrie sowie eine zentrale Wirtschaftsplanung so
schnell wie möglich zu einer Industrienation werden, ganz so, wie es
die Sowjetunion vorgemacht hatte. Der wachsende Wohlstand würde
auch die Grundfragen von sozialer Gerechtigkeit, regionaler Un-
gleichentwicklung und nationaler Versöhnung lösen helfen. Denn eine
Kernaufgabe bestand darin, in den Landesteilen gleichartige Lebens-
verhältnisse herzustellen und die diversen Interessenkonflikte auszu-
gleichen, die sich aus den ganz unterschiedlichen Ausgangsvorausset-
zungen ergaben.
Erst einmal begann das große Aufräumen und Reparieren. Mil­
lionen Freiwillige packten mit aufrichtigem Enthusiasmus an, um
­Eisenbahnen, Industriebetriebe, Straßen und Wohnhäuser wiederauf-
zubauen. Produktionsstätten, Banken und Großhandel wurden ent-
eignet, ebenso der Großgrundbesitz, der an Veteranen, Landarme
und Kolonisten vergeben oder in Kooperativen überführt wurde. Ein
staatliches Abkaufsystem für Agrarprodukte sollte die Städte mit
­Lebensmitteln und die Industrie mit Rohstoffen versorgen, während
der Staat die Gewinne in den Aufbau der Schwerindustrie und Infra-
struktur leitete. All das sollte ein sich selbst tragendes Wirtschafts-
wachstum in Gang setzen und die rückständige Sozialstruktur von
 Der stalinistische Autokrat 205

Grund auf modernisieren. 1947 trat der erste Fünfjahresplan in Kraft,


der besonders die Schwerindustrie favorisierte. Rasch zeigten sich
erste Erfolge: Die Industrieproduktion erreichte noch im selben Jahr
bereits 121 Prozent des Umfangs von 1939 und 1948 sogar 352 Pro-
zent.75 Nie gab es in Jugoslawien ein umfassenderes Fortschritts­
projekt.
Die Kommunisten glaubten, dass sich durch das Wirtschafts-
wachstum auch die nationale Frage lösen lasse und ein Zusammen­
leben auch nach dem schlimmsten Bürgerkrieg wieder möglich sein
würde. Im Unterschied zur Königsdiktatur, die nur eine einzige Ein-
heitsnation duldete, waren jetzt fünf gleichberechtigte staatsbildende
Völker anerkannt, nämlich Slowenen, Kroaten, Serben, Makedonier
und Montenegriner. Die bosnischen Muslime, die Bosniaken, galten
zwar irgendwie auch als eigenständige Gruppe, traten aber erst in den
sechziger Jahren offiziell als sechste Nation hinzu. Auch die etwa
zwanzig ethnischen und religiösen Minderheiten erhielten das Recht
auf Gleichbehandlung, kulturelle Entwicklung und den freien Ge-
brauch ihrer Sprache. Keine Nationalität sollte mehr die Vorherr-
schaft ausüben dürfen, namentlich nicht die Serben über alle anderen.
Sozialistische Erziehung, politische Überzeugungsarbeit und ge-
meinsame Erfahrungen, die sich zwangsläufig einstellen würden,
sollten Zusammengehörigkeitsgefühle und ein gesamtstaatliches Be-
wusstsein im Vielvölkerstaat stiften. Es wurde in den Schulen, Ju-
gendbrigaden, der kommunistischen Partei, der Antifaschistischen
Frauenfront und der Volksarmee aktiv eingeübt. « Es braucht natürlich
viel Zeit und Geduld, bis sich die Menschen des nationalistischen
Ballastes entledigt haben », meinte Tito. Aber wenn die Völker erst
­gleiche Rechte und Teilhabe besäßen, würden Gift und Galle aus-
trocknen.76
Das Rezept, um die Kriegsvergangenheit zu bewältigen, lautete:
Die Hauptkriegsverbrecher kamen vor Gericht, höhere Offiziere und
« Volksfeinde » wurden ohne viel Federlesens, mal mit, mal ohne Urteil
liquidiert, und die Kämpfer der mittleren und unteren Ebene, die im
Krieg auf der falschen Seite gestanden hatten, wurden kurzerhand
zu Verführten der nationalistischen Propaganda oder zu Zwangs­
206 Belgrad, 20. Oktober 1944 

verpflichteten erklärt. « Wir sind bereit, jedem die Hand zu reichen,


der seine Hände nicht mit dem Blut Unschuldiger beschmutzt hat »,
versprach Tito.77 Aber er machte zur Bedingung, dass sie loyale Staats-
bürger würden. Wer Hass und Hetze verbreite, werde gerichtlich ver-
folgt. Kulturorganisationen, Vereine, Verlage und religiöse Gesellschaf-
ten, die ethnisch-exklusiv ausgerichtet waren und sich nationalistisch
betätigten, wurden aufgelöst.
Das Londoner Viermächte-Abkommen vom August 1945 legte
das Statut der internationalen Militärgerichtshöfe fest, dem auch
­Jugoslawien beitrat. Es lieferte die Rechtsgrundlagen und die Pro-
zessordnung dafür, Kriegsverbrecher im eigenen Land vor Gericht zu
stellen. Nach einem ethnischen Ausrottungskrieg erschien es uner-
lässlich, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die juristi-
sche Aufarbeitung befriedigte nicht nur ein elementares Bedürfnis
nach Gerechtigkeit, indem schlimmste Untaten gesühnt und entspre-
chend auch die Leiden der Opfer anerkannt wurden. Sie leistete einen
grundlegenden Beitrag zur Versöhnung, indem bewiesene Vergehen
konkreten Personen zugeordnet wurden. Nur so ließ sich die Spirale
gegenseitiger kollektiver Schuldvorwürfe durchbrechen und zeigen,
dass nicht alle Kroaten Ustascha und alle Serben Tschetniks gewesen
waren.
Die juristische Aufarbeitung sollte zudem zeigen, dass das neue
Jugoslawien nicht auf Gewalt gründete, sondern auf Recht und Ge-
rechtigkeit. Sie sollte die moralische Überlegenheit und somit die
­Legitimität der kommunistischen Herrschaft gegenüber dem bour-
geoisen System demonstrieren, das die terroristische Besatzungs-
macht jahrelang gestützt hatte. Angesichts der Masse der Vergehen er-
hielt jede Republik eine eigene Landeskommission, um die Prozesse
vorzubereiten. Im Übergang vom Bürgerkrieg zum Frieden wurden
insgesamt über 550 000  Aussagen und 900 000  Anzeigen wegen
Kriegsverbrechen aufgenommen. Auf dieser Grundlage wurden rund
120 000  Anklagen erhoben; mehr als jede zweite endete mit einem
Schuldspruch.78
Zugleich waren die Kriegsverbrecherprozesse ein Instrument,
um die politischen Gegner propagandistisch, politisch und physisch
 Der stalinistische Autokrat 207

auszuschalten. Sie sollten der Öffentlichkeit das ganze Ausmaß zei-


gen, mit dem sich die aktiven Kollaborateure und Mitläufer kompro-
mittiert und schuldig gemacht hatten. Das betraf zuerst Draža
Mihailović, der sich nahe der bosnisch-serbischen Grenze in einer Art
Fuchsbau versteckt gehalten hatte, von einem seiner Kommandeure
verraten, in eine Falle gelockt und im März 1946, ausgehungert und
verwahrlost, verhaftet wurde. Zahlreiche internationale Beobachter
verfolgten im Juli 1946 den Prozess gegen den Tschetnik-Führer und
sein Nationalkomitee, der angesichts erdrückender Beweise mit der
Todesstrafe endete. Das Verfahren wurde nach dem Vorbild des Nürn-
berger Gerichtshofs durchgeführt. Ein Gnadengesuch lehnte Tito ab.
Mihailović wurde hingerichtet und anonym begraben. General Nedić,
der nach Österreich geflohen und von den Briten ausgeliefert worden
war, nahm sich in Untersuchungshaft das Leben. Hingegen konnte
Ante Pavelić mit Hilfe der katholischen Kirche und mit Wissen der
CIA bei Kriegsende erst nach Österreich und dann in den Vatikan
­entkommen. Dort erhielt er falsche Ausweispapiere, die es ihm er-
laubten, nach Argentinien zu fliehen. Einer der schlimmsten Kriegs-
verbrecher des 20. Jahrhunderts musste sich nie vor Gericht verant-
worten. Sein Stellvertreter, Mile Budak, und weitere Mitglieder der
Ustascha-Regierung, die nach Österreich geflohen waren, wurden von
den Briten ausgeliefert und in Zagreb von einem Militärgericht zum
Tode verurteilt. Ebenso wurde der Zagreber Mufti Ismet Muftić
­wegen Kollaboration mit den Nazis hingerichtet. Auch in Slowenien
und Makedonien fanden entsprechende Prozesse statt.
Nicht zuletzt kam eine Reihe deutscher Kriegsverbrecher in Bel-
grad vor Gericht. Die Generäle Löhr und Danckelmann sowie die für
den Judenmord Hauptverantwortlichen, Polizeitattaché Helm und
SS-Obergruppenführer Turner, erhielten die Todesstrafe. Im Unter-
schied dazu kamen jene Südost-Generäle, die im Fall 7 in Nürnberg
vor Gericht standen, glimpflich davon. Keiner von ihnen saß länger
als fünf Jahre in Haft.
208 Belgrad, 20. Oktober 1944 

Das Gewissen des Erzbischofs

Erzbischof Aloizije Stepinac hatte ein reines Gewissen, als er


im September 1946, glattrasiert und akkurat gescheitelt, die zum
­Gerichtssaal umfunktionierte vollbesetzte Turnhalle in Zagreb betrat.
Das Oberhaupt der Katholischen Kirche in Kroatien war der promi-
nenteste von achtzehn Angeklagten in einem aufsehenerregenden
Kriegsverbrecherprozess. Außer dem Kirchenoberhaupt saßen unter
anderen auch sein Sekretär Ivan Šalić und der Ustascha-Polizeichef
Erih Lisak auf der Anklagebank. Der Staatsanwalt warf Stepinac seine
langjährigen Kontakte zu den Ustascha, seine unerschütterliche Loya­
lität zum Unabhängigen Staat Kroatien und besonders die Zwangs-
konversion von hunderttausenden Orthodoxen vor. Der schmächtige
Endvierziger hielt einen schwarzen Hut in der Hand, unter seinem
schwarzen Mantel lugten der weiße Priesterkragen und die knöchel-
lange Soutane hervor.
Die Anklage beschuldigte den Erzbischof, er habe dem faschis­
tischen Marionettenregime seine Loyalität bezeugt und damit Legiti-
mität verliehen, noch ehe Jugoslawien überhaupt kapituliert hatte.
Denn bereits am 28. April, zwei Wochen nach dem Machtantritt Ante
Pavelićs, verschickte er ein Rundschreiben, das den Klerus auffor-
derte, das neue Regime zu unterstützen. Der Unabhängige Staat Kro-
atien erfülle einen « jahrhundertelangen und brennend herbeigesehn-
ten Traum » des kroatischen Volkes, erklärte er.79 Wenige Tage später
ließ er zu Ehren des Unabhängigen Staates in allen Kirchen ein Te
Deum lesen. Unbestritten war auch seine Funktion als oberster Mili-
tärvikar der Ustascha, offizieller Vertreter des faschistischen Kroatien
beim Vatikan und Mitglied eines Dreierkomitees für Glaubensüber-
tritte. Noch kurz vor Kriegsende bekräftigte Stepinac Ende März
1945 in einem Hirtenbrief, die Kirche werde auch in Zukunft für einen
unabhängigen kroatischen Staat eintreten. Nach der Kapitulation ließ
er das Archiv des Ustascha-Außenministeriums sowie Aufnahmen mit
Reden des Poglavnik in den Keller seines Bischofspalastes schaffen.
Und von irgendwem waren dann auch noch 36 Truhen mit geraubten
Gold- und Wertgegenständen aus dem Besitz der orthodoxen Kirche
 Der stalinistische Autokrat 209

unter dem Beichtstuhl des Franziskanerklosters neben dem Bischofs-


sitz in Zagreb vergraben worden.
Darüber hinaus standen Stepinac und die Gruppe der Angeklag-
ten wegen staatsfeindlicher Aktivitäten vor Gericht. Seit Mitte 1945
sickerten vermehrt Ustascha-Exilanten nach Kroatien ein, die mit
den profaschistischen Terrorgruppen der «  Kreuzfahrer  » (križari)
­sowie diversen katholischen Priestern in Verbindung standen. Der
­Sekretär des Erzbischofs half dem früher sehr gefürchteten Ex-Poli-
zeichef Erih Lisak mit falschen Papieren und Kontakten. Der jugosla­
wische Oberstaatsanwalt erklärte später unumwunden, man wollte
damals die Feinde des neuen Regimes und Handlanger des antikom-
munistischen Auslands ausschalten. Der Prozess sei ein « Akt der
Selbstverteidigung » gewesen.80 Er sollte zudem Licht in das sinistere
Wirken der Kleriker bringen und, wie es der Staatsanwalt später
fasste, « zeigen, von welchen ideologischen Standpunkten aus der
Feind tätig war, und seine Methoden aufdecken ».81
Tito hätte den Prozess gegen den Erzbischof, der im In- wie im
Ausland hohe Wellen zu schlagen drohte, am liebsten vermieden. Sei-
nen Vorschlag vom Juni 1945, eine vom Vatikan unabhängige katho­
lische Nationalkirche zu gründen, wiesen die kroatischen Bischöfe
­jedoch empört zurück. Stattdessen verschickten sie einen Hirtenbrief,
um die Verfolgung von Klerus und Gläubigen, die Enteignung von
Kirchenbesitz, das Verbot der katholischen Presse, die Trennung von
Kirche und Staat sowie nicht zuletzt das amoralische Leben der
­Jugend im säkularen Jugoslawien zu verdammen. Sie protestierten,
dass während des Volksbefreiungskrieges 243  Priester hingerichtet
wurden und dass 169 immer noch in Haft saßen.82 Aber warum, pole-
misierte Tito, haben « die Herren Bischöfe keine ähnliche Botschaft
zur Zeit von Pavelić und den Deutschen … gegen die schrecklichen
Ustascha-Verbrechen » verfasst?83
Der Prozess fand in außen- wie innenpolitisch gespannter Atmo-
sphäre statt. Gerade entschied die Pariser Friedenskonferenz in der
Grenzfrage zugunsten des vormals faschistischen Italien woran, arg-
wöhnten die Kommunisten, bestimmt der Vatikan Schuld trage. Papst
Pius  XII. ließ schließlich keine Gelegenheit verstreichen, Titos Un-
210 Belgrad, 20. Oktober 1944 

rechtsregime anzuprangern. Nun, da es keine politische Opposition in


Jugoslawien mehr gab, sammelte sich aller Widerstand um die katho-
lische Kirche.
Zahlreiche internationale Beobachter, Presseleute und der päpst-
liche Nuntius Joseph Patrick Hurley waren zugegen, als Erzbischof
Stepinac viele Male wiederholte, er trete mit reinem Gewissen vor das
hohe Gericht. Er wolle sich für nichts rechtfertigen und schon gar
nicht vor einer kommunistischen Instanz. Deswegen verweigerte er
zu allen Anklagepunkten die Aussage. Man möge ihn also nach Belie-
ben wozu auch immer verurteilen. Es ginge hier aber nicht um seine
Befindlichkeit, sondern um schwere Kriegsverbrechen, hielt ihm der
Vorsitzende Richter Žarko Vimpulšek vor, namentlich um die Zwangs-
konversion orthodoxer Serben. Nach dem Londoner Viermächte-­
Abkommen handelte es sich dabei um « Menschheitsverbrechen »,
nach späterem Rechtsverständnis sogar um « Genozid », weil den Taten
die Absicht zugrunde lag, « die Gruppe als solche ganz oder teilweise
zu zerstören ». Mindestens 250 000 Serben wurden im Ustascha-Staat
unter Gewaltandrohung gezwungen, zum Katholizismus überzutre-
ten, damit sie ihre « eigentliche » kroatische Nationalität wiederbekä-
men. Weitere 217 000 wurden aus ethnischem Hass ermordet. Ganze
Dörfer wurden vor oder in den Kirchen zur Massentaufe zusam­
mengetrieben, ehe der Geistliche den Kessel mit dem Weihwasser
schwenkte. Viele Konvertiten wurden dann trotzdem massakriert,
weil, wie Pfarrer Božidar Šantić fand, man « einem Hund den Schwanz
abschneiden kann, er aber trotzdem ein Hund bleibt ».84 Warum hat
das Kirchenoberhaupt Stepinac die vielen Geistlichen, die eigenhän-
dig Unschuldige massakrierten, ihnen mit dem KZ drohten oder
durch Predigten und Hassartikel ein Klima der Gewalt erzeugten,
nicht wenigstens zur Ordnung gerufen?
Stepinac war vermutlich kein ideologisch überzeugter Anhänger
der Ustascha. Er nahm sogar gegen Gewaltauswüchse Stellung und
protestierte gegen unhaltbare Zustände bei den Deportationen von
Juden und Serben, wenn auch nicht gegen die Verschleppung als sol-
che. Zudem setzte er sich für die Rettung getaufter, also « katholischer
Juden » und von Kindern aus christlich-jüdischen Ehen ein. Eine Pre-
 Der stalinistische Autokrat 211

Der Angeklagte Aloizije Stepinac (r.), daneben Nuntius Joseph


Patrick Hurley, Zagreb im September 1946

digt, in der er die Existenz von Rassen leugnete und die Sühneaktio-
nen verurteilte, trug ihm sogar einige Tage Hausarrest ein.85 Er hielt
sie a­llerdings erst, nachdem sein eigener Bruder bei einer solchen
Mordaktion zu Tode gekommen war. Gegen die Vernichtung der Ju-
den und Serben erhob er andererseits, wie auch der Papst, seine
Stimme nie. Im Verhör gab Stepinac, der offenbar kein Ausbund an
Konsequenz und Nervenstärke war, an, « dass er Angst gehabt habe
und deswegen gezwungen gewesen war, mit dem Ustascha-Regime
zusammenzu­arbeiten  ».86
Offenbar entdeckte der katholische Episkopat angesichts der
ultra­nationalistischen, antibolschewistischen und antijugoslawischen
Grund­haltung wenigstens eine gewisse ideologische Schnittmenge
mit den Ustascha, und zwar umso mehr, als die kroatischen Faschis-
ten – ähnlich wie Francisco Franco in Spanien und António de Oli­
veira Salazar in Portugal  – den Katholizismus als Nationalreligion
­betrachteten und der Kirche eine privilegierte Stellung im Staat ein-
räumten. Stepinac verachtete Jugoslawien seit langem als künstliches
212 Belgrad, 20. Oktober 1944 

Gemeinwesen, das den Katholizismus drangsaliere. « Alles in allem


sind Kroaten und Serben zwei Welten, Nordpol und Südpol, niemals
können sie sich einander nähern, es sei denn, durch ein Wunder Got-
tes », schrieb er im März 1941.87
Nach Meinung des Vatikans und des kroatischen Episkopats waren
die orthodoxen Serben vom rechten Glauben Abgefallene, die es unter
das Dach der einzig wahren christlichen Kirche und in die Obhut des
einzig legitimen Vertreters Christi auf Erden zurückzuführen galt,
auch wenn sie eigentlich dagegen waren, Religionswechsel mit Gewalt
zu erzwingen. « Was nützt ein solcher Zwangsübertritt, wenn doch klar
ist, dass alle diese Menschen wieder zur Orthodoxie zurückkehren
werden, wenn es zu einem Umschwung kommt? », ließ Stepinac der
kroatischen Regierung ausrichten.88 Weitere Maßnahmen ergriff er
dann aber nicht und erklärte stattdessen beim polizeilichen Verhör:
« Die Konvertiten waren bei klarem Verstand und konnten frei ent-
scheiden, das [den Glaubensübertritt] zu tun oder auch nicht. »89
Die Anklage legte ein stark belastendes Dokument vor, das die
Unterschrift von Stepinac trug. Als der Papst im Mai 1943 Aufklä-
rung verlangte, ob die katholische Kirche in Kroatien Verbrechen
verübe, schrieb der « immer ergebenste Erzbischof » zurück, die Vor-
würfe seien übertrieben.90 Wenn die Reaktion der Kroaten auch
manchmal grausam sei, erklärte er, « steht außer jeden Zweifels, dass
diese Reaktion von den Serben selbst hervorgerufen wurde, die wäh-
rend der zwanzig Jahre gemeinsamen Lebens in Jugoslawien alle
Rechte des kroatischen Volkes verletzt haben ». Im Übrigen tue die
Ustascha-Regierung « viel Gutes »: Sie kämpfe entschieden gegen
­Abtreibung und Pornographie, und für beide Übel seien schließlich
Juden und Serben verantwortlich. Der Heilige Vater möge den Unab-
hängigen Staat Kroatien deshalb unbedingt in seine Gebete ein-
schließen!91 In einer Predigt erklärte er ferner, es handele sich bei den
Gewalttaten gegen Serben um Einzelfälle, und er könne doch nicht
« für irgendeinen Hitzkopf in den priesterlichen Reihen verantwort-
lich sein ».92 Das glaubten damals nicht einmal die Nazis. Die deut-
sche Gesandtschaft verdächtigte den Erzbischof sogar, dass er die
« gewaltsame Umtaufung … zweifelsohne geheim unterstützte, … da
 Der stalinistische Autokrat 213

ein Priester ohne Erlaubnis seines Vorgesetzten keine Amtshandlun-


gen vollziehen kann ».93
Die Richter verurteilten Stepinac auf Grundlage des Gesetzes
über Straftaten gegen Volk und Staat vom August 1945 wegen Kolla-
boration, Kriegsverbrechen und Vertuschung zu sechzehn Jahren
­Gefängnis. Weil das Regime keinen Märtyrer schaffen wollte, forderte
man ihn auf, um Begnadigung zu bitten. Das aber wollte Stepinac
nicht, und so verbrachte er sechs Jahre im Zuchthaus von Lepoglava,
wo Tito zwei Jahrzehnte zuvor selbst in Haft gewesen war. « Es gab …
bittere Augenblicke, aber ich muss zugeben, dass sie darauf geachtet
haben, dass ich alles Notwendige zur Hand hatte », erklärte Stepinac
später. Dazu gehörten unter anderem Schreibmaschine und Papier,
Madonnenstatue und Holzaltar sowie täglich drei eigens für ihn zu­
bereitete Mahlzeiten, einschließlich Kaffee, Wein und Schnaps. Ende
1951 wurde er in seine Heimatgemeinde Krašić in den Hausarrest ent-
lassen.94
Während die Westpresse Stepinac zum standhaften Widerständ-
ler gegen das totalitäre Regime und Opfer eines politischen « Schau-
prozesses » stilisierte, blieb das Verhältnis zwischen Kommunisten und
katholischer Kirche feindselig. Papst Pius  XII. exkommunizierte alle
am Prozess gegen Stepinac Beteiligten, inclusive Tito. Dasselbe
drohte jedem, der der kommunistischen Partei beitrat. Als der Papst
Stepinac am 29. November 1952, dem jugoslawischen Nationalfeier-
tag, zum Kardinal ernannte, brach Belgrad die diplomatischen Bezie-
hungen ab. Der Erzbischof lebte bis zu seinem Tod 1960 unter Arrest
in seinem Pfarrhaus. Er wurde in der Kathedrale in Zagreb begraben
und 1998 seliggesprochen. 2014 verhinderte Papst Franziskus eine
­Kanonisation.
Nachdem das Exempel an Erzbischof Stepinac statuiert war, be-
gannen konfliktreiche Aushandlungsprozesse über die Stellung der
Religionen im säkularen, kommunistischen Staat. Das jugoslawische
Regime orientierte sich auch hier zunächst am sowjetischen Modell:
Das Wirken der Glaubensgemeinschaften wurde durch Gesetze und
Dekrete so weit wie möglich eingedämmt. Eine Kommission für Glau-
bensfragen befasste sich mit der « Harmonisierung des religiösen Le-
214 Belgrad, 20. Oktober 1944 

bens mit den Errungenschaften der Volksrevolution », genauer gesagt


damit, religiöse Schulen zu schließen, den Religionsunterricht abzu-
schaffen und die Kirchen zu enteignen. Hunderte Geistliche gingen
aus Angst vor Repressionen bei Kriegsende ins Exil, denn wer sich
staatsfeindlich äußerte, dem drohte Gefängnis. Allein in Bosnien und
Herzegowina wurden zwischen 1945 und 1952 301 katholische, ortho-
doxe und islamische Geistliche wegen verbaler Delikte verurteilt.95
Die Verfassung garantierte die freie Ausübung des Glaubens,
trennte aber Kirche und Staat. Aus Sicht der Kommunisten, die einen
säkularen Staat aufbauten, standen die Vertreter der Religionen je-
doch für alles, was den gesellschaftlichen Fortschritt aufhielt. Sie gal-
ten pauschal als antikommunistisch und nationalistisch. Mitglieder
der kommunistischen Partei durften zwar, sollten aber besser nicht in
den Gottesdienst oder in die Moschee gehen. Weihnachten, Ostern,
St. Georg, Pasah und Bajram blieben als Feiertage erhalten, und nur
Schelme dachten Böses, wenn ausgerechnet an diesen Tagen Schul-
ausflüge, Sportwettkämpfe und Arbeitsaktionen stattfanden.
In dem Maße, wie sich die kommunistische Herrschaft stabili-
sierte, wollte die Regierung einen Modus Vivendi mit den Glau­
bensgemeinschaften finden. Tito traf sich verschiedentlich mit den
katholischen Bischöfen, dem serbischen Patriarchen und anderen
Religionsvertretern, um ihnen « die Hand der Versöhnung » zu reichen.
1946 durften ein katholisches Priesterseminar, eine Priestervereini-
gung und die erste katholische Zeitschrift ihre Arbeit aufnehmen. Alle
­Bistümer und Bischöfe wurden aber weiter vom Geheimdienst über-
wacht, und die staatlich kontrollierte Presse verbreitete kirchenfeind-
liche Artikel.
Im Umgang mit den Glaubensgemeinschaften zeigten sich Ab-
stufungen. Die autokephale serbische orthodoxe Kirche war aus histo-
rischen Gründen staatsnäher als die katholische, hatte sich im Welt-
krieg weniger exponiert und stand auch nicht in Verdacht, sich von
fremden Mächten fernsteuern zu lassen wie die katholische durch den
Papst. Die Mehrheit der serbisch-orthodoxen Geistlichen trat der
Volksfront bei. Dennoch landeten gemessen an ihrer Gesamtzahl
kaum weniger vor Gericht als bei den Katholiken.
 Der stalinistische Autokrat 215

Die geringste Quote an Verurteilten gab es bei den islamischen


Geistlichen. Die Umarmungstaktik des Regimes funktionierte hier
am besten, obwohl es die Scharia sowie die religiösen Stiftungen und
Schulen abschaffte und nach dem Vorbild der säkularen Türkei auch
die Verschleierung der Frauen untersagte. Die Anhänger der islamis-
tischen Geheimorganisation « Junge Muslime », die Jugoslawien mit
Gewalt zerschlagen und einen panislamischen Staat aufbauen wollten,
erhielten Gefängnisstrafen, unter ihnen der spätere bosnische Präsi-
dent Alija Izetbegović. Wer sich hingegen loyal zum jugoslawischen
Staat und seiner neuen Herrschaft verhielt, durfte relativ unbeschadet
wirken. Bereits 1947 erhielt die Islamische Glaubensgemeinschaft ein
Statut, das ihre Rechtsstellung regelte. Und so adressierte das Ober-
haupt der Muslime, der Reis-ul-Ulema Ibrahim Fejić, bei seiner An-
trittsrede 1947 in Sarajevo zuallererst « unseren geliebten Marschall
Tito » und bat « Allah um ein langes und glückliches Leben für ihn ».96
MOSKAU, 28. JUNI 1948 
Der Abtrünnige

Moskaus treuester Verbündeter

Am Abend des 27. April 1946 erwartete Stalin den Genossen


Walter und seine Delegation im Kreml. Ein Offizier empfing sie in
­einem der ausgestorbenen Höfe, in Sichtweite des monumentalen
Glockenturms, der Zarenglocke und etlicher alter Kanonen. Er führte
sie in ein flaches Regierungsgebäude im Stil des 19. Jahrhunderts, wo
es mit dem Lift in den zweiten Stock und von dort durch ein Laby-
rinth langer, mit rotem Teppich ausgelegter Flure und Vorzimmer
ging. An jeder Ecke waren blaubemützte uniformierte Sicherheits-
leute postiert, die stramm die Hacken zusammenschlugen, wenn sich
die Besuchergruppe näherte. Es herrschte Ehrfurcht heischende
Stille und eine « erstaunliche Sauberkeit …, die so vollkommen war,
dass es unmöglich schien, dass Menschen hier lebten und arbeiteten.
Kein Fleck war auf den Teppichen, keine trübe Stelle auf den auf
Hochglanz polierten Türgriffen. »1
Stalin stand neben dem etwa zehn Meter langen Konferenztisch,
umrahmt von Außenminister Molotow und dem sowjetischen Bot-
schafter in Belgrad, Anatol Lawrentjew. Der Generalissimus trug eine
schlichte Uniform, weiche Stiefel und als einzige Auszeichnung den
goldenen Stern auf der linken Brust, den Heldenorden der Sowjet-
union. « Er war von sehr kleiner und plumper Statur. Sein Oberkörper
war kurz und schmal, während seine Beine und Arme zu lang waren »,
beschrieb ihn Đilas bei früherer Gelegenheit. « Er hatte einen dicken
Bauch und spärliches Kopfhaar, wenn auch noch keine vollständige
Glatze. » Trotz seines grau-fahlen « Kremlteints » und der schwarzen,
unregelmäßigen Zähne wirkte er alles andere als unangenehm. Aus
 Der Abtrünnige 217

seinen gelben Augen strahlte eine « Mischung von Strenge und Schalk-
haftigkeit ». Vom ersten Moment an bewies er Humor und Scharfsinn
sowie ein lebhaftes, fast ruheloses Temperament.2
Als die jugoslawischen Gäste eintraten, so schilderte Koča
Popović die Szene, kam Stalin strahlend und federnden Schrittes auf
sie zu, um allen die Hand zu schütteln. « Schau mal, Wjatscheslaw Mi-
hailowitsch », wandte er sich vergnügt an Molotow, « was für schöne
Menschen, was für starke Menschen, was für ein kraftvolles Volk! »
Der Außenminister nickte wohlwollend, und dann nahmen alle am
Konferenztisch Platz, über dem in holzgeschnitzten Rahmen die Por-
träts berühmter Generäle aus der Zarenzeit in die Runde blickten.
Vom Kopfende aus begann Stalin mit einigen Höflichkeitsfloskeln in
volkstümlich-väterlichem Gestus das Gespräch, ehe er dann munter
von Thema zu Thema hüpfte: Ernte, Bodenschätze, Wirtschafts­be­
zie­hungen, Triest-Frage und Lage in Albanien. Dabei rutschte er un-
ruhig auf seinem Stuhl hin und her, spielte mit seiner Pfeife oder krit-
zelte mit einem blauen Stift in seinem Notizbuch herum. Es herrschte
eine angenehme, anregende Atmosphäre, bis Stalin die Verhandlun-
gen mit einem aufgeräumten « Wir werden Euch helfen! » schloss.3
Im Anschluss an die Konsultationen über einen Freundschafts-
und Beistandspakt lud Stalin die Gäste zu sich nach Hause zum
Nachtessen ein, dem einzigen privaten Vergnügen, das er sich häufiger
gönnte. Ein kleiner, beleibter Glatzkopf in Uniform begleitete die
­Jugoslawen eilfertig zu den schwarzen Limousinen. Dann brauste der
Konvoi auf der leergefegten Regierungschaussee durch die Dunkel-
heit nach Kunzewo, wo hinter einem hohen grünen Bretterzaun Sta-
lins Datscha lag, unweit der Schießstätte von Butowo, wo Titos zweite
Ehefrau, Lucie Bauer, in einem Massengrab geendet hatte.
Im geräumigen Esszimmer nahm Stalin in der Mitte einer langen
Tafel Platz. Rechts von ihm saß Tito, gegenüber ließen sich Molotow,
Schdanow und Berija und einige andere sowjetische Granden nieder.
Fußboden, Wände und Decken waren mit hellen karelischen Fichten-
paneelen verkleidet. Zwei Kronleuchter und einige Wandlampen er-
hellten den blitzsauberen Raum, dessen hohe Fenster mit langen
­Gardinen geschmückt waren. In seiner abgeschiedenen Stille wirkte
218 Moskau, 28. Juni 1948 

Stalins Domizil auf die Gäste schlicht und unprätentiös. Eine weiß­
beschürzte rundliche Serviererin mittleren Alters trug diverse Silber-
platten, Schüsseln und dampfende Kasserollen auf: bunte Vorspeisen,
eingelegte Heringe, gebratenes Geflügel und georgische Fleisch­
gerichte. Der gut gelaunte Gastgeber eröffnete das Gelage mit einem
Trinkspruch, woraufhin alle ein Glas Pfefferwodka hinunterkippten.
Wie üblich zog sich die Völlerei bis in die frühen Morgenstunden hin,
wobei Stalin durch einen ungeheuren Appetit auffiel. Im Laufe des
Abends folgten noch viele weitere Toasts, die die vom Alkohol ent-
wöhnten Jugoslawen in Verlegenheit brachten, ehe Stalin dann Schall-
platten mit russischer Volksmusik auflegte. Zur Verblüffung seiner
­erschöpften Gäste, und ganz im Gegensatz zu Molotow und Berija,
blieb er nüchtern, liebenswürdig und geistreich.
In Wahrheit war Stalin nach einem leichten Schlaganfall körper-
lich angegriffen. Mit hängenden Schultern und der runzligen Haut
über dem Marschallskragen wirkte er gealtert. Und er fühlte sich, wie
er selbst zugab, häufig kraftlos und ausgebrannt. Als er an diesem
Abend zu fortgeschrittener Stunde anfing zu singen und herumzu­
tanzen, sparte keiner mit Bewunderung. « Genosse Josef Wissariono-
witsch, wie viel Energie Sie haben! », schmeichelte Molotow. « Ach was,
ich werde nicht mehr lange leben », parierte Stalin. « Die physiologi-
schen Gesetze wirken. » Nicht doch, nicht doch, wiegelten die Gäste
ab, man brauche ihn noch! Ihm würden noch viele Jahre beschert sein!
Abrupt wandte sich der Generalissimus an den Marschall: « Tito muss
auf sich achtgeben, dass ihm nichts passiert », verfügte er. « Ich werde
nicht mehr lange leben, und dann muss er für Europa da sein. »4 Aber
was soll’s, meinte er schließlich, noch sei er ja bei Kräften. Die beiden
Staatsführer tranken Brüderschaft, umarmten sich herzlich, und alle
mussten es ihnen nachtun. « Stalin mochte mich eigentlich », erzählte
Tito später. « Er wollte mich, sozusagen, irgendwie erobern. »5
Wenngleich Tito eine respektable militärische Leistung im Welt-
krieg erbracht hatte, konnte sich Stalin als der wahre Sieger unter den
Alliierten fühlen. Von Moskau aus hatte er die großen Kriegsopera­
tionen selbst gesteuert. Im Mai 1945 marschierten seine Soldaten als
Erste in Berlin ein. Der Triumph über Hitler bescherte dem Genera-
 Der Abtrünnige 219

lissimus gottgleiche Bewunderung. Generäle und Minister unter­


warfen sich seiner monströsen Macht mit geradezu ­byzantinischer
Demut. Jedes seiner Worte, alle Gesten und Andeutungen galten als
« unumstößliche Parteianordnung », berichtete Molotow, und immer
und zu allem « ja » zu sagen, kam einem « wie ein Reflex über die Lip-
pen ». « Der Erfolg machte ihn eingebildet », fügte er noch hinzu. « Kein
guter Charakterzug für einen Staatsmann. »6
Auf der anderen Seite häuften sich seine Anfälle von Depression
und Paranoia. Der körperliche Verfall mahnte ihn, dass auch seine
diktatorische Macht endlich war. « Er war sehr nervös », kommentierte
der Außenminister, weil die Angst vor Kontrollverlust über sein Reich
wuchs. Fast wirkte es so, als wolle er das Gefühl der persönlichen
Verwundbarkeit durch besonders resolute Entschlüsse vertreiben.
­
« Seine letzten Jahre waren die gefährlichsten. Da fiel er von einem
­Extrem ins andere. »7
Von allen sozialistischen Bundesgenossen war Jugoslawien zu die-
ser Zeit der treueste. Außerhalb Russlands hatte sich der Kommunis-
mus nur dort aus eigener Kraft durchgesetzt und in kürzester Zeit ein
stalinistisches System geschaffen. Das sowjetische Zentralkomitee
lobte, dass alle « reaktionären und bürgerlichen Kräfte » in Jugoslawien
bereits beseitigt und « die Wurzeln des Kapitalismus gründlicher aus-
gerottet waren als in den anderen [osteuropäischen] Staaten ».8 Zudem
stand Belgrad willig bereit, seine Handelsbeziehungen vollkommen
auf die Sowjetunion auszurichten sowie sowjetisch-jugoslawische Ka-
pitalgesellschaften im Bergbau und in der Metall- und Erdölindustrie
zu gründen. Stalin belohnte den wachsenden sowjetischen Einfluss
auf das südslawische Entwicklungsland mit Militär- und Wirtschafts-
hilfe. Als Tito im April 1946 den Freundschaftsvertrag mit der UdSSR
unterzeichnete, erklärte er, dass « die große Sowjetunion der ruhm-
vollste Verbündete und stärkste Beschützer » Jugoslawiens in Kriegs-
und Friedenszeiten sei.9
Für Stalin bildete Jugoslawien einen strategisch wichtigen Front-
abschnitt im heraufziehenden Kalten Krieg. Im Februar 1946, kurz
vor Titos Moskau-Besuch, verfasste der amerikanische Geschäfts­
träger in Moskau, George F. Kennan, eine Analyse der sowjetischen
220 Moskau, 28. Juni 1948 

Außenpolitik, die den Strategiewechsel der USA zur Containment-


Politik einleitete. Er argumentierte, Washington müsse den Vormarsch
des Kommunismus notfalls auch militärisch stoppen. Denn in Grie-
chenland und der Türkei drohte ein kommunistischer Machtwechsel
mit unabsehbaren Folgen für die westliche Sicherheitsarchitektur.
Präsident Harry S. Truman verkündete daraufhin am 12. März 1947,
die USA würden künftig « allen Völkern, deren Freiheit von militanten
Minderheiten oder durch einen von außen ausgeübten Druck bedroht
wird, unseren Beistand leihen ».10 Drei Monate später präsentierte
Außenminister George  C. Marshall einen Wiederaufbauplan für
­
­Europa. Washington stellte zwischen 1948 und 1952 Kredite, Lebens-
mittel, Waren und Rohstoffe in Höhe von 12,4 Milliarden US-Dollar
bereit, um der sowjetischen Einflussnahme entgegenzuwirken. Die
osteuropäischen Staaten und auch Jugoslawien weigerten sich aller-
dings, die US-Hilfen anzunehmen.
Tito fand, die kapitalistische Eindämmungsstrategie erfordere
eine Antwort, und schlug vor, in Belgrad eine neue Koordinations-
stelle der kommunistischen Parteien und Bewegungen zu schaffen,
das Kommunistische Informationsbüro (Kominform). Im September
1947 fand im westpolnischen Schreiberhau (Szklarska Poręba) eine
vorbereitende Sitzung statt. Dort verkündete der sowjetische Dele-
gierte Andrej Schdanow seine Zwei-Lager-Theorie: die Teilung der
Welt in ein von der Sowjetunion geführtes antiimperialistisch-demo-
kratisches Lager sowie ein von den USA gelenktes imperialistisch-an-
tidemokratisches. Damit läuteten Stalin und seine Berater den « globa-
len Klassenkampf » ein: Die beiden Supermächte hatten sich wechsel-
seitig den Kalten Krieg erklärt. Er wurde künftig auf allen Feldern,
dem Militär, der Wirtschaft, Ideologie und Kultur, ausgetragen.

Stalins Bannfluch

Obwohl die Jugoslawen vorgaben, beim Aufbau des Sozialis-


mus dem sowjetischen Modell zu folgen und auch in der Außenpolitik
größtmögliche Übereinstimmung mit dem Kreml anzustreben, be-
gann Stalin an der Linientreue der Jugoslawen zu zweifeln. Seit län-
gerem lag zwischen Stalin und Tito etwas Unausgesprochenes, fand
 Der Abtrünnige 221

Milovan Đilas. « Als ob diese beiden gegeneinander einen Groll heg-


ten, jeder aber aus eigenen Gründen sich Beherrschung auferlegte. »11
Unvergessen war Titos patziges Telegramm vom Frühjahr 1943, mit
dem er auf Stalins Rüffel reagierte, dass er Kriegsgefangene mit der
Wehrmacht austauschte. « Wenn ihr uns nicht helfen könnt, lasst uns
wenigstens in Frieden, wir kommen schon zurecht », hatte Tito damals
gereizt nach Moskau gefunkt. Stalin fand das so anmaßend, undank-
bar und respektlos, dass er es Tito gleich bei seiner ersten persön­
lichen Begegnung im Herbst 1944 in Moskau unter die Nase rieb.12
Erneut roch es nach dem Vorwurf mangelnder Solidarität, als
­Milovan Đilas im Frühjahr 1944 einen sowjetischen Kredit erbat und
im selben Atemzug versprach, man werde die volle Summe gleich
nach dem Krieg zurückzahlen. « Ihr beleidigt mich », beschwerte sich
Stalin zornig. « Ihr vergießt euer Blut, und ihr erwartet, dass ich euch
die Waffen berechne! » Derselbe Đilas nahm sich bald darauf heraus,
die tapfere Rote Armee wegen angeblicher Vergewaltigungen und
Plünderungen zu kritisieren, als sie im Herbst 1944 den nordöstlichen
Zipfel Jugoslawiens durchquerte. Nach all den Entbehrungen und der
Not, fand der Diktator, könnte man ein bisschen nachsichtiger sein!13
Stolz waren die Jugoslawen also schon immer. Aber neuerdings,
fand Stalin, schlich sich ein anmaßender Ton ein. Dass Jugoslawien
nie wieder zum Spielball der Großmächte werden dürfe, posaunte
Tito 1945 so lautstark heraus, dass Moskau eine Protestnote schickte:
« Die Rede des Genossen Tito betrachten wir als einen feindseligen
Akt gegen die Sowjetunion. »14 Auch entging dem sowjetischen Ge-
heimdienst nicht, dass die Medien in Jugoslawien viel mehr Fotos von
Tito veröffentlichten als vom Genossen Stalin. Tito halte sich « für
eine absolute Autorität », bemerkten die Spione. « Er liebt den völligen
Gehorsam, mag keinen Meinungsaustausch und keine Kritik an sei-
nen Befehlen. »15
Kaum ein Vierteljahr nach seinem freundschaftlichen Moskau-
Besuch ließ Tito im Sommer 1946 eine gepfefferte Beschwerde an
Stalin los, er würde ihn auf der Pariser Friedenskonferenz in der
Triest-Frage nicht genügend unterstützen. Der sowjetische Diktator
hingegen fand, dass ihm Titos Nacht-und-Nebel-Aktion in Julisch
222 Moskau, 28. Juni 1948 

Venetien vom Februar 1945 schon genug Ärger mit dem Westen ein-
gebrockt habe. Und so antwortete er lediglich kühl, dass die West-
mächte schließlich « in keinem Fall zustimmen würden, Triest an Jugo-
slawien zu übergeben ». Und Punkt.16
Als es an die Umsetzung des Wirtschaftsabkommens ging und
sich die Jugoslawen übervorteilt fühlten, lenkte Stalin ein, indem er
vorschlug, die Gemischten Gesellschaften aufzugeben. Stattdessen
sollten die Jugoslawen Hilfen für den Aufbau der einheimischen In-
dustrie sowie zusätzliche zivile Berater erhalten. Prinzipiell war das
kein schlechter Vorschlag, fand man in Belgrad, nur stimmte die stra-
tegische Ausrichtung des sowjetischen Plans nicht. Denn Moskau
wollte in der kommunistischen Welt ein arbeitsteiliges Wirtschafts­
system schaffen, in dem die rückständigen Bauernländer Jugoslawien,
Rumänien, Bulgarien und Albanien bis auf weiteres lediglich Agrar-
produkte, Energie und Rohstoffe für die industriell höher entwickel-
ten Staaten, allen voran die Sowjetunion, erzeugen sollten. Der stör-
rische Tito lehnte es rundweg ab, sein Land zur Kornkammer des
Ostblocks zu machen. Stattdessen sah der erste jugoslawische Fünf-
jahresplan 1947 vor, eine nationale Schwerindustrie aufzubauen – eine
unabdingbare Voraussetzung für Entwicklung und Wohlstand. « Ein
Stückchen unfruchtbaren Landes hat es den Bauern noch nie ermög-
licht, ein menschenwürdiges Auskommen zu finden », erklärte Tito.
« Nur Fabriken, Bergwerke usw. können ihnen ein besseres Leben …
sichern! »17
Zu allem Überfluss erfuhr Stalin im Sommer 1947 quasi nur aus
der Presse, dass Tito Freundschafts- und Kooperationsverträge mit
Albanien, Bulgarien und Griechenland vorbereitete oder sogar schon
abgeschlossen hatte. Man hatte den wohlwollenden sowjetischen
­Hegemon deswegen nicht einmal konsultiert. Angeblich ging es darum,
tiefsitzende Grenzkonflikte zu lösen und die Balkanregion wirtschaft-
lich zu stärken, zum Beispiel durch eine Zollunion. Die außenpoli­
tische Abteilung im sowjetischen Zentralkomitee aber argwöhnte,
Tito wolle die KPJ zu « einer Art Führungspartei auf dem Balkan »
­aufbauen. Schließlich hatte er bereits 1943 kundgetan, « wir müssen
sowohl in militärischer als auch politischer Hinsicht das Zentrum der
 Der Abtrünnige 223

Balkanländer werden ».18 Das blieben keine leeren Worte. Schon wäh-


rend des Krieges leisteten die Jugoslawen den Partisanen Enver Hod-
schas Schützenhilfe. Jetzt arbeitete Tito, der sogar einen Vertreter im
albanischen Zentralkomitee sitzen hatte, darauf hin, Albanien als
siebte Republik an Jugoslawien anzuschließen. Ließe sich dadurch
nicht auch der Konflikt um die Provinz Kosovo entschärfen, auf die
sowohl Albaner als auch Serben mit guten Gründen Ansprüche erho-
ben? Zwar war Stalin grundsätzlich der Ansicht, dass Jugoslawien den
kleinen Nachbarn « schlucken » sollte, und zwar « je früher, desto bes-
ser ». Aber das sollte gefälligst nur unter Moskauer Regie stattfinden.19
Ein weiteres Ärgernis war, dass Jugoslawien im Griechischen Bür-
gerkrieg intervenierte, indem es den Kommunisten leichte Waffen,
Munition, Medizin, Radio- und Funkgeräte lieferte und griechische
Flüchtlinge aufnahm. Solange Briten und Amerikaner die Monar-
chisten unterstützten, drohte die jugoslawische Einmischung in einen
größeren Lagerkonflikt zu eskalieren. « Der Aufstand in Griechenland
muss aufhören, und zwar so schnell wie möglich », befahl Stalin.20
Angesteckt von Titos Selbstherrlichkeit lief jetzt auch noch Di-
mitrow aus dem Ruder. Der vormalige Komintern- und jetzige bulga-
rische Staatschef schwärmte in einem Interview von einem mittel- und
südosteuropäischen Balkanbund unter Einschluss eines kommunis-
tisch regierten Griechenlands. Dimitrow kündigte am 1. August 1947
einen Freundschaftsvertrag mit Tito an, um unter anderem den Kon-
flikt um Makedonien zu lösen, um das sich Serbien, Griechenland
und Bulgarien seit einem halben Jahrhundert stritten.
Stalins Geduldsfaden riss, als Belgrad im Januar 1948 Vorbe­
reitungen traf, zwei Divisionen gegen die « g riechischen Monarcho-
Faschisten » nach Albanien zu schicken. « Die UdSSR … kann nicht
akzeptieren, mit einem fait accompli konfrontiert zu werden  »,
schimpfte er. Er zitierte Tito und Dimitrow am 10. Februar 1948 in
21

den Kreml, um ihnen gehörig die Leviten zu lesen. Während der Bul-
gare mit geringer Verspätung pflichtgemäß zur Stelle war, erschien
Genosse Tito « aus gesundheitlichen Gründen » nicht persönlich. Er
schickte Edvard Kardelj mit einer Delegation nach Moskau. « Ich
hatte das Gefühl, auf eine sehr schwierige Mission zu gehen », erin-
224 Moskau, 28. Juni 1948 

nerte sich dieser. « Aber ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen,
dass es so schlimm werden würde. »22 Außer dem Generalissimus
selbst waren noch Molotow, Schdanow und andere hohe Funktionäre
bei der demütigenden Sitzung anwesend. « Es war nicht zu fassen, wie
sehr er sich … verändert hatte », kommentierte Milovan Đilas seinen
Eindruck von Stalin. Der mächtige Diktator wirkte fahrig und senil,
obwohl er « eigensinnig, heftig und argwöhnisch » auftrat.23
Zuerst erteilte Molotow den Anwesenden eine Lektion, die da­
rauf hinauslief, dass kein Land ohne Konsultationen mit der « führen-
den Kraft im Sozialismus » politische Verträge oder eine Zollunion mit
seinen Nachbarn abschließen dürfe. « Dann begann der widerlichste
Teil des Treffens », berichtete Kardelj. Stalin ging mit « boshafter
Grobheit » auf die Bulgaren los, bis der ermattet wirkende Dimitrow
unterwürfig einräumte, er habe sich ohne Zweifel geirrt, und ein
­zerknirschtes « Genosse Stalin, wir alle lernen von Ihnen » von sich gab.
Der jedoch donnerte los, es ginge hier nicht um Irrtümer, sondern um
Auffassungsunterschiede! Auf einmal sah Dimitrow, der alte Löwe
von Leipzig, niedergeschlagen und mutlos aus. Sein Atem ging
schwer, er ließ das schüttere Haupt hängen und schwieg. Und Kardelj
« war das so peinlich, dass ich gar nicht wusste, wohin ich schauen
sollte ». Keiner der Gäste hatte noch die Courage zu widersprechen,
als Stalin eine Föderation zwischen Bulgarien, Jugoslawien und Alba-
nien unter sowjetischer Vorherrschaft anordnete. Kardelj und Dimi­
trow waren gezwungen, ein Dokument zu unterschreiben, in dem sie
sich verpflichteten, künftig alle wichtigen außenpolitischen Schritte
mit Moskau abzustimmen.24
Zuhause in Belgrad war die jugoslawische Führung wegen der
Abreibung in Moskau zutiefst verärgert. Tito verwarf praktisch alle
sowjetischen Forderungen, zumal jene, eine von Moskau abhängige
Föderation mit Bulgarien zu bilden. Den griechischen Kommunisten
versprach er sogar demonstrativ noch einmal Waffennachschub. Am
1. März 1948 erklärte er im Zentralkomitee, die Beziehungen zur
UdSSR steckten in der Sackgasse. Er empörte sich über Molotows
grobe Töne, über sowjetische Militärberater, die Spione für den
NKWD anwarben, und die nachteiligen Verträge  – unter anderem
 Der Abtrünnige 225

über Donauschifffahrt und Luftfahrt –, die Moskau erpressen wollte,


indem es die Verlängerung des Handelsvertrags aussetzte. « Sie üben
wirtschaftlichen Druck auf uns aus. Dem müssen wir standhalten »,
beschwor er seine Genossen. Für die Aufrüstung und den Aufbau der
Armee müsse man jetzt viel opfern. « Wir müssen uns auf unsere eige-
nen Kräfte verlassen. »25
Nicht alle in der Regierung waren mit der konfrontativen Linie
Titos einverstanden. Der besorgte Finanzminister Sreten Žujović,
ein unbeirrbarer Anhänger Stalins, informierte den sowjetischen Bot-
schafter, Tito, Kardelj, Ranković und Đilas seien « politisch Abtrün-
nige », die die Loslösung von der UdSSR betrieben. Wenn die Russen
nicht einschritten, gebe es kein Einlenken, « da Tito keine Opposition
duldet ». Daraufhin dankte ihm Außenminister Molotow persönlich
« für die gute Tat, … die falschen Freunde … im jugoslawischen Zen­
tralkomitee enthüllt » zu haben.26
Aus Protest gegen « Feindseligkeiten » zog Moskau im März 1948
alle seine zivilen Experten aus Jugoslawien ab. Die sowjetischen Par-
teiexperten analysierten, die Jugoslawen bewegten sich aufgrund der
eigenen Erfolge nahe am Größenwahn. Wegen « abenteuerlicher Vor-
stellungen » in der Außenpolitik beanspruchten sie « die Führungsrolle
auf dem Balkan und unter den Donauländern ».27
Für Stalin stellte sich im Frühjahr 1948 nicht mehr die Frage, ob
er Tito und die KPJ-Führung ablösen sollte, sondern nur noch, wann
und mit welchen Mitteln. Es ging um den Aufbau des sowjetischen
Informal Empire in Osteuropa, während sich im Tauziehen um Berlin
der Kalte Krieg zuspitzte. Was er in dieser Situation absolut nicht
brauchen konnte, war Uneinigkeit im sozialistischen Lager. Stalin be-
auftragte den sowjetischen Botschafter, Tito einen achtseitigen Brief,
datiert vom 27. März, auszuhändigen. « Als ich die ersten Zeilen über-
flog, fühlte ich mich vom Blitz getroffen », erinnerte sich Tito. « Ich
hielt mich so gut, wie es ging, zurück. Ich war furchtbar aufgebracht. »
Aber « er verzog keine Miene, während er las », berichtete sein poli­
tischer Sekretär Gustav Vlahov. « Sein Gesichtsausdruck war eisig.
Nicht mal die Hand zitterte. »28 Stalins Suada kreiste um « opportunis-
tische Fehler », den « Revisionismus » der Jugoslawen und Titos « trotz-
226 Moskau, 28. Juni 1948 

kistische Karriere ». Die Kulaken würden in Jugoslawien nicht ent-


schieden bekämpft und die führende Rolle der KPJ nicht ausreichend
sichtbar. Auch behindere Jugoslawien die Arbeit der sowjetischen
­Experten. Zu guter Letzt: Đilas und Ranković seien ideologisch zwei-
felhaft und Velebit sei sogar ein britischer Spion. Im Übrigen halte
man Trotzkis politische Karriere für lehrreich genug! Gezeichnet:
W. M. Molotow – J. W. Stalin.
Alle Verantwortung für die riskante Entscheidung, was zu tun sei,
lastete auf Tito. Es galt, nüchtern abzuwägen. Stalin wollte die Vor-
macht der Sowjetunion und die Einheit des kommunistischen Lagers
durchsetzen, so viel war klar. Es gab aber auch eine internationale
­Dimension. « Die Amerikaner sind doch nicht verrückt. Sie werden
nicht zulassen, dass die Russen zur Adria vorrücken », erklärte Tito
Đilas.29 Er begriff, dass sein Eigensinn aus Stalins Perspektive zwei-
fellos ein inakzeptabler Vorgang war, glaubte aber, es sei keiner, für den
Moskau mit dem Westen Krieg führen wolle. Tito zu beugen, war für
die Sowjetunion wichtig, aber für Titos Herrschaft und ihn ganz per-
sönlich sah es anders aus. Was der Wink mit dem Schicksal Trotzkis
bedeutete, ließ keinen Zweifel an den Absichten des Kreml: Trotzki
war 1940 vom sowjetischen Geheimdienst ermordet worden. « Ich
kenne ihre Logik », erklärte der Moskau-erfahrene Tito seinen Genos-
sen. « Wenn sie könnten, würden sie uns auch mit Gewalt liquidie-
ren. »30 Jetzt noch einzulenken, das lehrten die Schauprozesse der
dreißiger Jahre, würde unausweichlich zu Sturz, öffentlicher Anklage
und Verurteilung führen. Stalin zu widerstehen, war demnach weni-
ger eine Frage des persönlichen Mutes denn des puren Überlebens.
Chruschtschow berichtete später von Stalins Prahlerei: « Ich brauche
nur meinen kleinen Finger zu rühren, und schon wird es keinen Tito
mehr geben. »31
Aufgewühlt entwarf Tito in den nächsten zwei Stunden hand-
schriftlich eine 33 Seiten lange Antwort. Er wies alle Vorwürfe zurück,
nicht ohne seine « furchtbare Bestürzung » über die vielen falschen In-
formationen und ungerechtfertigten Beschuldigungen auszudrücken.
Jedes Land habe das Recht, entsprechend lokaler Gegebenheiten sei-
nen eigenen Weg des Sozialismus zu beschreiten. « Wie sehr einer …
 Der Abtrünnige 227

auch die UdSSR lieben mag, er darf sein Heimatland keinesfalls weni-
ger lieben, … für das Hunderte seiner fortschrittlichsten Leute gefal-
len sind. »32 Als einzige Konzession versprach Tito, Außenminister
Vladimir Velebit auszutauschen. Und, falls man in Moskau interes-
siert sei zu erfahren, was die Jugoslawen ihrerseits am sowjetischen
Vorgehen störe, gebe es durchaus einiges zu berichten, zum Beispiel,
dass der sowjetische Geheimdienst in Jugoslawien ein Spionagenetz
aufbaue. « Mit kameradschaftlichen Grüßen, auf Anordnung des ZK
der KPJ: Tito – Kardelj. »
Dem mächtigen Stalin die Stirn zu bieten, lag für die jugoslawi-
schen Kommunisten, die so fest auf die Sowjetunion eingeschworen
waren, keineswegs auf der Hand. Die Partei durchlitt eine nervenauf-
reibende Zerreißprobe. Tito brauchte ihren Rückhalt, dringend sogar.
Zum ersten Mal wieder seit Jahren berief er im April 1948 ein Plenum
ein, um in Belgrad über seine Antwort an Stalin zu beraten. Tito warb
mit allen Kräften für seinen Kurs, drohte sogar mit Rücktritt, um die
Phalanx zu schließen. Wir haben das Recht, auf Augenhöhe mit der
Sowjetunion zu verhandeln, empörte er sich. Die Verbitterung stand
ihm ins Gesicht geschrieben: « Genossen, unsere Revolution frisst ihre
Kinder nicht », rief er. « Die Kinder dieser unserer Revolution sind
aufrichtig. »33
Einer nach dem anderen musste sich erklären, und alle, bis auf
­einen, stärkten ihm den Rücken. Mit kleinen stilistischen Korrektu-
ren wurde sein Briefentwurf abgesegnet. Allein Sreten Žujović sprach
sich für einen Rückzieher aus. « Wie sollen wir denn unsere Parteimit-
glieder davon überzeugen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn
Stalin das anders sieht », warf er ein. Und wie sollte Jugoslawien ohne
die Hilfen Moskaus wirtschaftlich je auf die Beine kommen? « Ohne
die Sowjetunion fällt der Aufbau des Sozialismus doch ins Wasser. »34
Wutentbrannt über die freche Entgegnung aus Belgrad über-
schüttete Stalin Tito in zwei weiteren Briefen mit noch schärferen
Vorwürfen – schlimmster Revisionismus, Verrat an den sozialistischen
Partnerländern, Hochmut. Und erneut gab die jugoslawische Füh-
rung Widerworte. Viele spürten « eine Beleidigung für Jugoslawien als
Staat …, eine Geringschätzung seiner Rolle im Kriege und eine Her-
228 Moskau, 28. Juni 1948 

abwürdigung der Opfer, die die Armee gebracht hatte », erläuterte


­Vladimir Dedijer die Reaktionen.35 Stalin schäumte und verlangte,
Tito solle zu einem Kominform-Treffen in Bukarest erscheinen, wo er
den Streit im Kreis der Schwesterparteien schlichten wollte. Weil vor-
herzusehen war, dass dies auf ein öffentliches Tribunal hinauslaufen
und womöglich eine Verhaftung mit anschließendem Schauprozess
nach sich ziehen würde, beharrte Tito darauf, den Konflikt bilateral
zu lösen. « Ich wusste, was die Reise bedeuten würde. » Und doch, « es
fiel mir sehr schwer, mich zu entscheiden », erinnerte er sich. Der ver-
lustreiche Volksbefreiungskrieg hatte doch zum Ziel, Seit an Seit mit
der Sowjetunion in eine bessere Zukunft zu marschieren. « Unsere
Leute sind mit dem Namen Stalins auf den Lippen gestorben », sin-
nierte Tito. Aber dann diese Arroganz in den Briefen, all die Vorwürfe
nach einem solch furchtbaren Existenzkampf. « Das war nicht nur ein
Schock, das ging viel tiefer. »36
Als die Jugoslawen nicht zu der Kominform-Sitzung in Bukarest
erschienen, behauptete Andrej Schdanow dort, Jugoslawien verfolge
eine feindselige Politik gegenüber der Sowjetunion und geriete ins
­kapitalistische Fahrwasser. Außerdem besitze er gesicherte Informa­
tionen, dass Tito « ein imperialistischer Spion » sei. Am 28. Juni 1948,
am symbolträchtigenVidovdan, dem Jahrestag der Amselfeld-Schlacht,
verabschiedeten die Delegierten der versammelten kommunistischen
Parteien einstimmig die in Moskau vorbereitete Resolution. Sie stell-
ten fest, dass sich die KPJ « selbst aus der Familie der brüderlichen
kommunistischen Parteien ausschließt … und somit aus den Reihen
des Informbüros ». Die « gesunden » KPJ-Mitglieder sollten nun « ihre
jetzigen Führer zwingen, ihre Fehler offen und aufrichtig zuzugeben
und sie zu beheben, … oder sie austauschen ».37

Die Reihen fest geschlossen

In den schicksalsträchtigen Monaten des Jahres 1948 wirkte


Tito außergewöhnlich beunruhigt, nervös und extrem misstrauisch.
Er war überzeugt, dass Stalin weder senil noch verwirrt oder gar ver-
rückt war. « Er ist außergewöhnlich intelligent. Einfallsreich », befand
er. Leider habe der großrussische Imperialismus den revolutionären
 Der Abtrünnige 229

Geist der Bolschewisten verdrängt. « Ich kann nicht aufhören, Russ-


land zu lieben und die Große Oktoberrevolution; das macht einen
krank und man will das alles gar nicht glauben. Aber es ist doch
wahr. »38 Und so gab er, wie es Koča Popović ausdrückte, genau wie
früher im Krieg den « Leithammel ». « Er war unersetzbar, den nationa-
len, jugoslawischen Widerstand gegen die Tyrannei aus dem Osten zu
organisieren. »39 Denn, wie es sein langjähriger Mitarbeiter Miloš
Šumonja einschätzte: « Wenn Tito einmal einen Entschluss gefasst
hatte, änderte er ihn nicht mehr. In dem Moment, wo er gefallen war,
wurde darüber nicht mehr nachgedacht. »40
Was tun, da der sowjetische Diktator in einmütiger Geschlossen-
heit mit den kommunistischen Schwesterparteien dazu aufrief, den
widerspenstigen Tito zu stürzen? Nachdem den Jugoslawen jahrelang
eingetrichtert worden war, sie kämpften an der Seite Stalins für einen
Staat, wie dieser ihn aufgebaut hatte, geriet das Regime in Erklärungs-
nöte, warum der Generalissimus nun doch kein « unfehlbarer Führer
des Weltproletariats » sein sollte. Die Zweifler « sind dann zu mir ge-
kommen und haben gefragt: ‹ Und jetzt? › – ‹ Nichts ›, habe ich ihnen
gesagt, ‹ leben und kämpfen ›. »41 Die Trennung verursache ­g roßen mo-
ralischen und politischen Schaden. « Aber wann wäre es je einfach ge-
wesen? Wir sind Schwierigkeiten gewohnt, und sie werden uns …
nicht brechen. »42
Erneut half Tito seine Kaltblütigkeit. Er entschied, zuallererst die
unsicheren Kantonisten im ZK auszuschalten. Noch vor dem schick-
salhaften Kominform-Treffen wurden Sreten Žujović und Andrija
Hebrang als « staatsfeindliche Elemente » verhaftet, damit sie nicht
heimlich Richtung Bukarest verschwinden und dort die Ankläger
­Titos geben könnten. Žujović hatte nachweislich für die Sowjetunion
spioniert, während Hebrang unter Verdacht stand, Stalins Favorit für
die Tito-Nachfolge zu sein. Moskau protestierte, nun würden jene
­bestraft, die für die Freundschaft mit der Sowjetunion eintraten. Und
das stimmte.
Nachdem die Reihen der Partei geschlossen waren, folgte der
zweite Schritt: die breite Öffentlichkeit für den Anti-Stalin-Kurs zu
mobilisieren. Zwei Tage nachdem Jugoslawien aus der Kominform
230 Moskau, 28. Juni 1948 

ausgeschlossen wurde, ließ Tito die infame Resolution über alle


­Medien verbreiten. « Veröffentlicht?? », fragte Botschafter Lawrentjew
entgeistert einen Kollegen, als er davon erfuhr. « Veröffentlicht », ant-
wortete der.43 Die US-Botschaft berichtete an diesem Tag, « es herrscht
weiter äußerste Ruhe … Seine [Titos] politische Position scheint voll-
kommen stabil … Solange es keinen von der Sowjetunion unterstütz-
ten bewaffneten Aufstand oder eine offene Invasion gibt, kann Tito
derzeit rein gar nichts vertreiben. »44
Titos Herrschaft zu retten, wurde zu einem patriotischen Anlie-
gen, für das auf breitester Front zu werben war. Der junge Offizier der
Luftwaffe Dragan Marković erinnerte sich an den Maiabend, als wäh-
rend einer Schulung in Banjica eine dringende Parteiversammlung
einberufen wurde. Dort wurde ausführlich erklärt, « dass Stalin unsere
Partei und unser Land angegriffen hat, dass er bestreitet, wir würden
den Sozialismus aufbauen, und dass er sogar den Volksbefreiungs-
kampf leugnet, dass er die Führung der KPJ als revisionistisch und
verräterisch verleumdet und dass er Jugoslawien, das so viel Blut für
seine Unabhängigkeit vergossen hat, den Status eines russischen Gou-
vernements aufdrücken will.  » Das versetzte die Anwesenden in
Schock und in Wut. « Wir waren traurig, aber auch zornig. Unser Land
litt immer noch furchtbar unter Hunger und Armut, der Trostlosig-
keit des Krieges, dessen Spuren auf Schritt und Tritt sichtbar waren,
selbst in dem Gebäude, in dem wir wohnten. War das etwa die freund-
schaftliche Hilfe der brüderlichen UdSSR! »45 Auf hunderten Partei-
versammlungen sollte sich die Basis am Ende erklären: mit Tito gegen
Stalin  – oder umgekehrt? Am Ende hatte Tito die überwiegende
Mehrheit der jugoslawischen Kommunisten hinter sich geschart,
wenngleich geschätzte elf Prozent, also mindestens 14 000 Parteimit-
glieder Moskau treu blieben.46
Zu guter Letzt ließ sich Tito seinen Kurs durch einen Partei­
kongress der KPJ formal absegnen. Dazu traten am 21. Juli 1948 im
Großen Saal der königlichen Gardekaserne in Belgrad 2344  Dele-
gierte zusammen. Titos einführende Rede dauerte acht Stunden.
Nach einigen forschen Worten an die Moskauer Adresse – « Verleum-
dungskampagne », « Aufruf zum Bürgerkrieg »  – betonte er, dass die
 Der Abtrünnige 231

Partei die Lehre des Marxismus-Leninismus keineswegs aufgegeben


habe, sondern diese im Gegenteil nur richtig auf die Verhältnisse in
Jugoslawien anwende. Andererseits versprach er, alles zu tun, um die
Meinungsverschiedenheiten mit Moskau auszuräumen, um die wegen
des abrupten Kurswechsels verstörten Altkommunisten zu besänfti-
gen. « Es lebe die große Sowjetunion, mit General Stalin an der Spitze! »
Zum Schluss der sechstägigen Debatte wurden der Generalsekretär
und das Zentralkomitee neu gewählt. Weil es fünf Gegenstimmen gab,
war der Schriftsteller Dobrica Ćosić überrascht und befremdet. « Gibt
es … wirklich irgendjemanden hier, der Tito nicht will? »47
Tito hatte seine Machtstellung behauptet und sogar gestärkt, aber
für Jugoslawien brachen schwierige Zeiten an. Der Westen hatte seine
Wirtschafts- und Kapitalbeziehungen eingefroren, da Belgrad Ent-
schädigung für verstaatlichtes Eigentum verweigerte. Nun kamen
noch die Sanktionen des sowjetischen Lagers hinzu. Jugoslawien
durfte nicht am Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe teilnehmen,
den die Sowjetunion und ihre osteuropäischen Verbündeten im Januar
1949 gründeten. Dessen Mitglieder kündigten die Freundschafts-
und Kooperationsverträge mit Jugoslawien und brachen die diploma-
tischen, kulturellen, wissenschaftlichen und anderen Beziehungen ab.
Der immer noch schwachen jugoslawischen Wirtschaft versetzte das
einen schweren Schlag. Die gerade beginnende Industrialisierung
­stagnierte, und die landwirtschaftliche Produktion schrumpfte um ein
Drittel, so dass es viele Waren nur noch auf Gutschein gab. Jeder
fünfte Beschäftigte blieb ohne Arbeit.48
Keiner der sowjetischen Satelliten wagte es, sich mit Belgrad zu
solidarisieren, und insofern hatte Stalin ein Ziel erreicht. Wie er dem
tschechoslowakischen Parteiführer Klement Gottwald im Juli 1948
anvertraute, ahnte er, dass Tito nicht gleich fallen würde. « Unser Ziel
war, zuerst die jugoslawische Führung gegenüber den anderen kom-
munistischen Parteien zu isolieren und ihre Schurkenstücke aufzu­
decken », schrieb er. Alles andere käme später.49 Die osteuropäischen
Medien verleumdeten Tito als « Verräter, Provokateur, Spion », mach-
ten ihn in Karikaturen verächtlich und riefen zum Sturz der « Tito-
Clique » auf. Damit sich die kommunistischen Parteien Osteuropas
232 Moskau, 28. Juni 1948 

nicht ansteckten, führten sie « Säuberungen » gegen Mitglieder ver-


meintlich partei- und sowjetfeindlicher Einstellung durch. In vierzig
Schauprozessen wurden führende Politiker Albaniens, Bulgariens und
Ungarns zum Tode verurteilt, darunter Koçi Xoxe in Albanien, László
Rajk in Ungarn, Trajtscho Kostow in Bulgarien und Rudolf Slánský
in der Tschechoslowakei.
Allerdings drangen die jugoslawischen Presseerklärungen durch
viele Kanäle in die Parteien der Nachbarstaaten ein. « Die Antwort der
jugoslawischen Kommunisten wirkte wie eine Bombe », erinnerte sich
Wolfgang Leonhard, damals noch SED-Funktionär. « Für einen Men-
schen im Westen ist es schwer sich vorzustellen, wie uns die Sätze der
jugoslawischen Antwort beeindruckten. » Das gesamte System von
Kritik und Selbstkritik, das stalinistische System an sich, war erschüt-
tert. Jedoch wurden auch die ostdeutschen Kommunisten, die sich
­ursprünglich einen selbständigen Weg zum Sozialismus erhofft hat-
ten, mundtot gemacht. Die SED erklärte im Juli 1948, « dass die klare
und eindeutige Stellungnahme für die Sowjetunion heute die einzig
mögliche Position für eine jede sozialistische Partei ist ».50
Die Jugoslawen begannen eine Kampagne, um Unterstützung
unter (Ex-)Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern
im Westen zu suchen, besonders in Italien, der Bundesrepublik und
unter den spanischen Emigranten. Mit Hilfe des jugoslawischen Ge-
heimdienstes flohen Einzelne auch aus dem Osten zu den Abtrünni-
gen. Wolfgang Leonhard kam im März 1949 nach Belgrad, um dort
anderthalb Jahre für die Auslandspropaganda zu arbeiten.
Währenddessen unternahm der sowjetische Geheimdienst meh-
rere Versuche, Tito zu ermorden. Noch kurz vor Stalins Tod trat 1953
der Spezialagent Josif Grigulewitsch, Deckname Max, bei einem
Staatsempfang in Aktion, jedoch wurde der vermeintliche Diplomat
Costa Ricas noch rechtzeitig enttarnt. Als der Schauspieler Richard
Burton Jahre später Tito nach seiner Einstellung zu Stalin fragte, rang
er längere Zeit um eine Antwort. Schließlich machte er ein Bekennt-
nis: Er habe Stalin « als Politiker geschätzt oder besser bewundert, aber
nicht als Menschen ».51
 Der Abtrünnige 233

Trumans Keilstrategie

Zu keinem kommunistischen Staat waren die Beziehungen


der USA zu dieser Zeit schlechter als zu Jugoslawien. Präsident
Harry S. Truman war über Titos Triest-Abenteuer immer noch höchst
ungehalten, als die Jugoslawen 1947 auch noch ein amerikanisches
Transportflugzeug abschossen, das ihren Luftraum verletzte  – ein
« böser, unentschuldbarer und willkürlicher Akt », wie der US-Bot-
schafter schrieb.52 Doch Truman « wollte sich nicht auf dem Balkan in
etwas verwickeln lassen, das uns in einen neuerlichen Weltkonflikt
führen würde ».53
Es war eine kuriose Mischung aus Antikommunismus und Vor­
urteilen gegenüber dem Balkan, die den Blick der westlichen Dienste
und Diplomaten auf die inneren Entwicklungen in Jugoslawien ver­
nebelte. Für den Chef des amerikanischen Planungsstabes
George F. Kennan war Tito der « Spürhund Stalins, der so gut trainiert
war, dass … er bei Fuß und ohne Leine lief ».54 In dieser Stimmung
horchte niemand auf, als der US-Botschafter bereits im Juli 1947 aus
Belgrad berichtete, Titos Regime sei zwar « genauso misstrauisch,
willkürlich, brutal, intolerant und unberechenbar » wie das russische,
jedoch pluralistisch und Moskau gegenüber nicht immer willfährig.
Man solle nicht von vornherein ausschließen, dass es dort einen Poli-
tikwechsel geben könne. Diese scharfsinnige Analyse überstieg offen-
bar den Horizont der allermeisten amerikanischen Außenpolitiker.
Staatssekretär Dean Acheson schrieb sogar ein indigniertes « Quatsch »
(« rubbish ») quer über das Papier.55
So stocherten die US-Diplomaten im Frühjahr 1948 im Nebel,
als der neue Botschafter Cavendish Cannon merkwürdige Entwick-
lungen in Belgrad registrierte. Tito wirke bei öffentlichen Auftritten
niedergeschlagen, Flug- und Eisenbahnverkehr seien gedrosselt und
die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt, auch sei die russische Schule
geschlossen worden. Unüblicherweise erschienen bei den Feierlich-
keiten zum 1. Mai überwiegend Huldigungen Titos, während Marx
und Engels nur an zweiter Stelle und Lenin und Stalin sogar ganz im
Hintergrund standen. « Irgendwas stimmt nicht », hieß es in Washing-
234 Moskau, 28. Juni 1948 

ton. Wirtschaftliche Probleme mit dem Fünfjahresplan? Oder doch


eher Kriegsvorbereitungen gegen Griechenland oder Triest? Erst als
die Sowjetunion Mitte Juni 1948 die Donau-Konferenz in Belgrad
absagte, ahnten die Botschaftsleute in Belgrad, « dass ein definitiver
Bruch existiert ». Die in Moskau stationierten US-Kollegen brachen
darüber allerdings nur in höhnisches Gelächter aus. Unstimmigkeiten
innerhalb des sozialistischen Lagers? Unvorstellbar!56
So stellte die Kominform-Resolution vom 28. Juni 1948 dem ver-
dutzten Planungsstabschef Kennan ein unvorhergesehenes Problem.
Wie sollte amerikanische Politik gegenüber einem Staat aussehen, der
zwar kommunistisch, aber von Moskau unabhängig war? Der Ost­
europakenner kam nach zwei Tagen zu einer wohlabgewogenen
­Antwort. Man dürfe Jugoslawien nicht länger isolieren, um es nicht
zurück in Stalins Arme zu treiben. Aber ebenso wenig dürfe man es
überstürzt ins eigene Lager zerren, um Tito innenpolitisch nicht zu
beschädigen. Da dieser bewies, dass auch ein Hintersasse den Kreml
erfolgreich herauszufordern vermochte, schlug Kennan vor, normale
Wirtschaftsbeziehungen mit Jugoslawien einzugehen, vorausgesetzt,
dass Tito « bereit war, eine loyale und kooperative Haltung in den
­internationalen Beziehungen einzunehmen ».57
Kennan erkannte, dass Titos Abfall vom sowjetischen Block  –
und die amerikanische Haltung dazu  – einen Präzedenzfall schuf.
Die D­ iplomaten freuten sich über ein « Gottesgeschenk » und die
CIA über « die bedeutendste Entwicklung im internationalen Kom-
munismus der letzten zwanzig Jahre ».58 Endlich bot sich die Gele-
genheit, einen Keil in den sowjetischen Block zu treiben! « Kein Er-
eignis könnte folgenreicher in Bezug auf unsere außenpolitischen
Ziele sein als die dauerhafte Entfremdung dieses Schlüsselregimes
vom sowjetischen », schrieb die US-Botschaft in Belgrad.59 Da Tito
« dringend wünsche », westliche Waren zu kaufen – wobei er beharr-
lich jegliche politischen Konzessionen ausschloss –, empfahl Ken-
nan, die Handels- und Kreditrestriktionen zu lockern. « So stark wir
ihn auch ablehnen, handelt Tito derzeit glänzend in unserem Inter-
esse, den Sowjetimperialismus aus der Mitte der kommunistischen
Familie heraus anzugreifen. » Er « ist vielleicht unser kostbarstes Gut
 Der Abtrünnige 235

im Kampf, die russische Expansion einzudämmen und zu schwä-


chen ».60
Kaum eine Woche nach der Kominform-Resolution informierte
CIA-Chef Roscoe H. Hillenkoetter Präsident Truman über Truppen-
konzentrationen jenseits der jugoslawischen Grenze. Die CIA analy-
sierte: Selbst « wenn Tito seine Schuld eingesteht, würde es nichts an
der Entschlossenheit des Kreml ändern, ihn zu eliminieren ».61 Tito
reagierte auf die sowjetische Drohkulisse demonstrativ gelassen. Er
hatte nach Erkenntnissen der amerikanischen Botschaft « die Lage fest
unter Kontrolle », und er erfreue sich einer « äußerst beeindruckenden
Solidarität » im ganzen Land.62
Im November 1948 sagte Truman Jugoslawien die Lieferung
­rüstungsrelevanter Stahlwalzwerke sowie einen zwanzig Millionen
­US-Dollar-Kredit unter der Begründung zu, Titos Beispiel könne
« die kommunistische Bewegung spalten wie nichts zuvor und dem
Mythos von Stalins Allwissenheit und Allmacht den schmerzlichsten
Schaden zufügen ».63 Sogar Waffenexporte seien möglich, « sofern es
militärische Erwägungen erforderlich machten ».64 Aus ähnlichen Mo-
tiven entschieden sich auch die Briten dafür, « Tito über Wasser zu
halten », und schlossen mit Jugoslawien ein Handelsabkommen.
Die Stützmaßnahmen aus dem Westen hatten mehr als einen
symbolischen Preis. Im Juli 1949 kündigte Tito an, die Wirtschafts­
hilfen anzunehmen und im Gegenzug die Grenze zu Griechenland
zu schließen. Dafür gab es andererseits längst pragmatische Gründe:
die militärische Schwäche der griechischen Kommunisten, ihr na­
tionalistischer Standpunkt gegenüber Makedonien, das sie nicht an-
erkannten, und zuletzt noch ihre Parteinahme für Moskau im Kom-
informkonflikt. Für Jugoslawien waren die politischen Kosten dieses
Befreiungsschlags daher nicht allzu hoch, wohl aber für die griechi-
schen Kommunisten, deren Aufstand bald nach « Titos Verrat » zusam-
menbrach.
1949 strebte Jugoslawiens Konflikt mit der Sowjetunion auf einen
neuerlichen Höhepunkt zu. Stalin schickte im August eine Note, in
der er « wirkungsvollere Methoden » ankündigte, sowjetische Interes-
sen zu schützen, womöglich eine Militärintervention. Aber Tito zeigte
236 Moskau, 28. Juni 1948 

Feiern zum 1. Mai 1949 in Belgrad

sich entschlossen, Jugoslawien « bis zum letzten Blutstropfen » zu ver-


teidigen. Seine 325 000 Mann starke Armee war nicht viel schwächer
als die säbelrasselnden Nachbarn Albanien, Bulgarien, Ungarn und
Rumänien zusammen mit ihren 346 000 Soldaten. Und dann waren
da immer noch die Amerikaner. Die USA unterstützte zuerst Jugo­
slawiens Kandidatur als nichtständiges Mitglied für den UN-Sicher-
heitsrat, ehe Präsident Truman Ende 1949 öffentlich erklärte, er sei
entschlossen, das Land im Falle einer sowjetischen Intervention zu
stützen.65 Wegen der antikommunistischen Kampagne von Senator
Joseph McCarthy besaß das Weiße Haus allerdings nur begrenzte
Spielräume. Genehmigt wurden 16  Millionen US-Dollar, um Le-
bensmittel für die jugoslawische Armee zu beschaffen, und die Liefe-
rung von Haubitzen M3, Munition, Raketenwerfern und weiterer
Ausrüstung.
Nach Analyse der CIA war Titos Regime Ende 1950 nach wie
vor « antidemokratisch, diktatorisch und repressiv » und « ein Ratten-
 Der Abtrünnige 237

loch, das beobachtet werden muss ». Aber es bildete ein « vitales


­Verbindungsstück » in der westlichen Verteidigungsplanung, nament-
lich « im Mittelmeer sowie gegenüber dem Nahen und Mittleren
­Osten  ».66 Wenn Jugoslawiens 33 Divisionen im Kalten Krieg neutral
blieben, hätte das beträchtliche strategische Vorteile bei der Verteidi-
gung Griechenlands und Italiens. Und so entschieden sowohl Briten
als auch Amerikaner, Militärhilfeabkommen von hunderten Millionen
US-Dollar mit Jugoslawien zu schließen. Zwischen 1950 und 1955 er-
hielt der Vielvölkerstaat internationale Unterstützung in Höhe von
1,5 Milliarden US-Dollar ohne nennenswerte Gegenleistungen.67

Titoland

Als der amerikanische Journalist Louis Adamic im Januar


1949 in Prag das Flugzeug nach Jugoslawien bestieg, überwältigte ihn
die Allgegenwart Titos. Schon auf den Tragflächen stach ihm die Auf-
schrift « TITO » ins Auge und dann vor Ort die vielen Tito-Porträts
und riesigen Aufschriften an Gebäuden sowie auf freiem Feld und an
Berghängen: « Tito gehört uns, und wir gehören Tito ». Der Pilot er-
läuterte, « Marschall Titos Name ist überall in Jugoslawien angebracht,
weil … für viele von uns Jugoslawen Tito einfach alles bedeutet … Ja,
alles ». Ein Verwandter des Reporters fügte hinzu, ‹ Tito › und ‹ Befrei-
ung › seien Synonyme und eine Wohlstandsverheißung. « Für tausende
Familien bedeutet ‹ Tito › eine neue Wohnung mit eigener Küche und
Badezimmer – Annehmlichkeiten, von denen sie vor Tito nicht mal zu
träumen wagten. »68
Auf dem Parteitag der serbischen KP in Belgrad bekam Adamic
das Idol des neuen Jugoslawien leibhaftig zu Gesicht. Über 1400 Men-
schen zwängten sich in den Saal. Hunderte hatten keinen der eng an-
einandergereihten Klappstühle ergattert und drängten sich im Stehen
an den Wänden. « Proletarier aller Länder, vereinigt euch! », stand in
großen kyrillischen Lettern auf dem purpurfarbenen Hintergrund
der großen Bühne, darunter vergoldete Abgüsse von Hammer und Si-
chel und die staatlichen Embleme. Auf einem rot verhüllten Podest
thronte eine überlebensgroße Gipsbüste Titos. Links davon standen
kleinere Bronzeköpfe von Marx und Engels, rechts von ihm Lenin
238 Moskau, 28. Juni 1948 

und Stalin. Rundherum hingen Slogans an den Wänden: « Der Fünf-


jahresplan wird umgesetzt! » … « Lang lebe Tito! » … « Wir folgen dem
marxistisch-leninistischen Wegweiser! »
Einige Minuten nach sechzehn Uhr brachen Begeisterungs-
stürme los, als ein gutaussehender mittelgroßer Mann in dunklem
Anzug mit passendem Schlips und glänzenden schwarzen Schuhen
den Saal betrat. Titos Aufmachung wirkte zwanglos, aber formvollen-
det. « He-roj Tito! He-roj Tito! He-roj Tito! », skandierte die Menge
zum rhythmisch donnernden Applaus. Gefolgt von Dr. Ivan Ribar
und den anderen Mitgliedern des Politbüros schritt Tito strahlend
und im Takt der Ovationen klatschend zu seinem Sitz auf die Bühne.
Stehend nahm er die nicht enden wollenden Beifallsstürme amüsiert
und freundlich routiniert entgegen, wobei er sich ungezwungen im
Takt der Menge wiegte. « Titos Gesicht, Haltung und Bewegungen
zogen einen in seinen Bann, auch wenn er ganz woanders hinblickte »,
fand Adamic. « Er sah überhaupt nicht wie ein Diktator aus. »69 Nach
drei, vier Minuten ging Tito leicht auf die Zehenspitzen, um mit den
Armen beschwichtigend auf und ab zu rudern. Aber die Ovationen
wollten nicht abklingen. Tito setzte sich, wartete, ehe er sich wieder
erhob und erneut mitklatschte. Und das immer wieder und wieder.
Erst als er den Organisatoren nach deutlich über einer halben Stunde
einen genervten Blick zuwarf, begann die erste der langatmigen
­Reden, und der Saal kam zur Ruhe.70
Verglichen mit den sozialistischen Regimen Osteuropas, die nur
durch die Gewalt der Roten Armee ins Amt gekommen waren, er-
freute sich Tito einer sehr sicheren, von Moskau unabhängigen
Machtposition. Keine kommunistische Partei verfügte über einen so
engen Zusammenhalt und ein so ausgeprägtes Selbstbewusstsein wie
die jugoslawische, die Hitler bezwungen und nun auch Stalin die
Stirn geboten hatte. Der Bruch mit der Sowjetunion wurde  – nach
dem Partisanenkampf  – zum zweiten Gründungsmythos Jugoslawi-
ens. Im Volk fand die Abkehr vom Sowjetsystem in längerer Sicht hohe
Zustimmung, und zwar auch unter jenen, die den Kommunismus ur-
sprünglich ablehnten. « Ich mag ihn [Tito] nicht », erklärte ein Buch-
händler aus Zagreb noch Anfang der siebziger Jahre, « aber ich denke,
 Der Abtrünnige 239

wir alle respektieren ihn, weil er sich gegen die Russen auflehnte und
uns aus ihren Klauen befreite. »71
Die Abkehr von der Sowjetunion ermöglichte Tito zudem eine
weitere Stärkung seiner autokratischen Macht. Stalin- und Komin-
formanhänger, die sogenannten Informbüro-Leute, die IB-ler, wur-
den aus der kommunistischen Partei, der Armee, dem Geheimdienst
und der Polizei ausgeschlossen. Erst wurden die Altkommunisten
­Andrija Hebrang und Sreten Žujović aus dem Zentralkomitee entfernt
und unschädlich gemacht. Andrija Hebrang verübte 1949 im Gefäng-
nis angeblich Selbstmord. Sreten Žujović gab nach zweieinhalb Jahren
Isolationshaft eine öffentliche Reueerklärung ab, um danach als Mana-
ger ein neues Leben zu beginnen. Generalstabschef Arso Jovanović
kam unter ungeklärten Umständen bei seiner nächtlichen Flucht
nach Rumänien ums Leben. Dann wurde die gesamte Parteibasis
ideologisch überprüft. Besonders skrupulös durchleuchtete man die
Führungskader von Armee, Geheimdienst und Polizei. Denn wer
­erklärte, im Fall eines Angriffs der Roten Armee Jugoslawien nicht
verteidigen zu wollen, galt als Sicherheitsrisiko. 55 600 Sympathisan-
ten der Kominform, Männer und Frauen, wurden zwischen 1948 und
1956 aus der Partei ausgeschlossen; etwa fünftausend gingen in die
Emigration, davon die Hälfte mittlere und höhere Chargen aus dem
Sicherheitsapparat.72 Zugleich wurden massiv neue Mitglieder für die
Partei geworben. Ihre Zahl stieg allein im Jahr 1948 von 285 000
­auf 483 000.73 Vermeintlich unbelehrbare Stalin-Anhänger, insgesamt
16  312 Per­sonen, wurden verurteilt, « gesellschaftlich nützliche Arbeit »
zu verrichten, in der Regel 24 Monate lang. Sie landeten in einer von
fünf Hafteinrichtungen oder wurden als Freigänger bei besonders
schweren Arbeitsaktionen eingesetzt. Zwischen 1948 und 1956 waren
davon insgesamt 15 737 betroffen.74
Die homogenisierte KPJ, die politische Säule von Titos Herr-
schaft, blieb das zentrale Lenkungs- und Führungsorgan im Staat.
Alle wichtigen Ämter auf Ebene des Bundes, der Republiken, Regio-
nen und Kommunen waren mit ihren Mitgliedern besetzt. Wenn-
gleich sie seit den dreißiger Jahren föderal aufgebaut war und jetzt
jede Republik ihren eigenen Parteiapparat besaß, herrschte das Prin-
240 Moskau, 28. Juni 1948 

zip des demokratischen Zentralismus. Faktisch waren die Landes­


verbände der Führungsspitze in Belgrad untergeordnet.
Neben der Partei bildete die jugoslawische Armee die zweite
starke Säule seiner Macht, was Tito auch dadurch kommunizierte,
dass er häufig Uniform trug. Er war ihr Schöpfer und bis zu seinem
Tode auch ihr Oberkommandierender. Bereits im Mai 1945 waren die
regionalen Stäbe und Einheiten der Volksbefreiungsarmee aufgelöst
und in die Jugoslawische Armee unter das Kommando des General-
stabs überführt worden. Die Streitkräfte bildeten seitdem die einzige
gesamtstaatliche multinational verfasste Institution, eine Art siebte
« jugoslawische » Republik im Vielvölkerstaat. Personell war sie eng mit
der Partei verflochten; 94 Prozent der Offiziere und Generäle waren
KPJ-Mitglieder. Keine Institution im Staat war Tito so treu ergeben
wie diese, so dass er nie Angst vor einem Militärputsch haben musste.
Die Armee sicherte die kommunistische Herrschaft, Jugoslawiens
Unabhängigkeit und den inneren Zusammenhalt im Vielvölkerstaat.
1955 dienten dort über 500 000 Soldaten, nach 1957 immer noch über
300 000. Der Wehrdienst fungierte als Schule für « Brüderlichkeit und
Einheit » und als wichtiger Integrations- und Sozialisationsfaktor.
Aus all diesen Gründen besaß der Unterhalt einer modernen, starken
Armee für Tito allerhöchste Priorität. Berufssoldaten verdienten gut,
genossen Privilegien wie den Zugang zu Staatswohnungen und ein
hohes gesellschaftliches Ansehen. « Er war sehr empfindlich, wenn er
dachte, dass sich jemand in die Angelegenheiten der Armee ein-
mischte », bestätigte der kroatische Politiker Mika Tripalo. « Die Armee
war seine unantastbare Domäne. Da gab es keinen anderen Gott. »75
Zu den politischen und militärischen Machtmitteln, das wusste
schon Lenin, mussten weitere Quellen der Legitimation und Herr-
schaftssicherung hinzutreten. Zuallererst musste sich die Führung als
fähig erweisen, Politik, Wirtschaft, Kultur und Sicherheit so zu regu-
lieren, dass genügend Mittel vorhanden waren, um sich die Loyalität
der Bevölkerung auch langfristig zu sichern. Also wurde das Tempo
der Industrialisierung noch einmal beschleunigt. « Freiwillige Briga-
den » setzten gewaltige Projekte ins Werk: Fabriken, Wasserwerke,
Straßen und Autobahnen sowie nicht zuletzt die Belgrader Neustadt
 Der Abtrünnige 241

Soldaten der Jugoslawischen Volksarmee verpflichten sich auf


Tito, Požarevac ca. 1965

auf der anderen Seite der Sawe, wofür erst einmal riesige Sumpf­
flächen trockengelegt werden mussten. Vom Morgengrauen bis zur
Dämmerung schufteten junge Burschen und Mädchen auf den Bau-
stellen, um die moderne sozialistische Retortenstadt Novi Beograd zu
errichten, einschließlich diverser imposanter Regierungsgebäude.
Daran waren auch etwa fünftausend ehemalige Kriegsgefangene be-
teiligt, die nach ihrer Entlassung freiwillig im Land blieben, um hier
zu arbeiten. Seit 1946 warben die Jugoslawen ferner gezielt Fachkräfte
aus beiden Teilen Deutschlands an, wo es wegen der Millionen Ver-
triebenen einen Arbeitskräfteüberhang gab, und ebenso aus Öster-
reich, Ungarn und der Tschechoslowakei. Etwa 16 000 ausländische
Ingenieure, Techniker und andere Fachkräfte, davon zwei Drittel
Deutsche, planten Kraftwerke, erschlossen Bodenschätze, entwarfen
Kanalisationsanlagen und den Bau des berühmten Autoput, die Auto-
bahn zwischen Belgrad und Zagreb.76
Gleichzeitig wurde die Kollektivierung der Landwirtschaft, die
die Jugoslawen hinausgezögert hatten, vorangetrieben, nicht zuletzt,
242 Moskau, 28. Juni 1948 

um Arbeitskräfte freizusetzen und Gewinne für Investitionen in die


Industrie abschöpfen zu können. 1950 befand sich ein Viertel der
landwirtschaftlichen Nutzflächen in Staatshand – ein deutlich höhe-
rer Anteil als in den anderen Volksdemokratien. Bis 1953 verließen
1,5  Millionen Menschen das Dorf, um sich dauerhaft in der Stadt
­anzusiedeln; die Zahl der Industriearbeiter schnellte in die Höhe, und
die soziale Struktur Jugoslawiens verwandelte sich in rasanter Ge-
schwindigkeit.77
Nach dem Bruch mit Stalin gab sich Tito ein neues Image. « Der
größte Sohn » der jugoslawischen Völker wurde auf Briefmarken abge-
bildet und in der Armee mit Parolen wie « Tito – Partei » und Liedern
wie « Tito ist Marschall, Tito ist ein Genie » gefeiert. Sein Porträt, oft
in Marschallsuniform, hing in allen öffentlichen Gebäuden und vielen
Wohnungen. Nur gab er sich jetzt nicht mehr in erster Linie monu-
mental und kämpferisch, sondern menschlich, zugänglich und humor­
voll. « Um ehrlich zu sein, hat mich die Grippe ein bisschen erwischt »,
verkündete er bei einem öffentlichen Auftritt. « Wir Führer in Jugosla-
wien haben ja kein Recht krank zu sein, weil das Informbüro das als
großen politischen Fehler ansieht, … aber wenn Stalin mal hustet, soll
das gleich ein Beitrag zum Marxismus-Leninismus sein. »78 Nur ge-
genüber seinen engsten Vertrauten schuf seine nahezu unbeschränkte
Macht über Staat, Partei und Armee neuerdings kühle Distanz. « Tito
braucht niemanden mehr », klagte Minister Veljko Mićunović, « der
große Sieger über die Sowjetunion schaut jetzt respektlos auf seine
Mitarbeiter herab. »79
Titos Propagandafachmann, der Historiker und Journalist Vladi-
mir Dedijer, entwickelte Ende 1949 die Idee, ein Buch über Tito und
Jugoslawien zu schreiben. Teile erschienen als Serien im « Life Maga-
zine » (New York), in « Le Figaro » (Paris), der « Sunday Times » (Lon-
don) und « Le Soir » (Paris). Sein Buch « Tito speaks » wurde nach 1953
in 36  Sprachen übersetzt. 1959 wurde zudem mit dem Druck von
­Titos ­gesammelten Werke, überwiegend Reden und Artikel, begon-
nen. Mit all dem sicherten sich die Jugoslawen die Deutungshoheit
über den Kampf mit Stalin. Sie haben sie bis heute behalten.
 Der Abtrünnige 243

Goli Otok

Im Frühjahr 1949 erhielt Geheimdienstfunktionär Slobodan


Krstić den Auftrag, die kroatische Adria-Insel Goli Otok zu inspizie-
ren. Das kaum fünf Quadratkilometer kleine, karstige Eiland liegt
etwa zehn Seemeilen östlich vom Festland zwischen den Inseln Krk
und Rab in der Adria. Es ist extrem schwer zugänglich. Die steile
Nordküste fällt dreißig Meter zum Meer ab; nur im ebenfalls felsigen
Süden gibt es eine Bucht mit einer Anlegestelle. Vor nicht allzu langer
Zeit hatten die Habsburger hier ein Kriegsgefangenenlager unterhal-
ten. Brütende Hitze, Unwetter und Stürme hatten da schon jegliche
Vegetation auf der Kahlen Insel zerstört. Krstić entdeckte deswegen
lediglich drei Ziegen, einen Brunnen und einige zerfallene Baracken.
Es schien ihm ein geeigneter Ort zu sein, tausende Parteimitglieder zu
isolieren, die bereit waren, für Stalin ihr Leben zu geben. « Nur ein
­Vogel könnte von dort entweichen », schloss er.80
Im Juli 1949 trafen nach notdürftiger Instandsetzung der alten
Baracken die ersten etwa 1200 Häftlinge auf der Kahlen Insel ein. Of-
fiziell schickte man die Stalin-Anhänger auf eine « Baustelle », weil
nach Meinung der KPJ nur Hitler und Stalin « Lager » unterhielten.
Der Zweck ihrer Inhaftierung war, sie zur politischen Einsicht zu
bringen. « Eins aufs Dach » sollten sie bekommen, sagte Tito, « nicht
gleich den Kopf verlieren ». Aber niemandem dürfe es erlaubt sein, die
Einheit der Partei zu unterlaufen. « Seid wachsam und unbarmherzig
gegen jeden, der das versucht. »81
Zwischen 1949 und 1956 durchliefen rund 13 000 Gefangene das
Lager auf Goli Otok. Die erste Kohorte erlebte zunächst ein ver-
gleichsweise lockeres Regime: wenig Arbeit, kaum Hierarchien, gäh-
nende Langeweile. Das änderte sich, als nach einigen Wochen Spe­
zialisten der UDBA, wie der Geheimdienst jetzt hieß, eintrafen, um
die Lagerleitung zu übernehmen. Je schärfer sich der Konflikt mit der
Sowjetunion zuspitzte, desto mehr Schikanen und Misshandlungen
dachten sie sich für die verhasste fünfte Kolonne Stalins aus.
Die schlimmste Erfahrung war das « Spalier »: das Spießrutenlau-
fen der Neuankömmlinge. Dieses brutale Aufnahmeritual wurde zum
244 Moskau, 28. Juni 1948 

Das Lager
« Žiča » auf Goli
Otok, ca. 1951

Inbegriff der Kahlen Insel. Dazu mussten alle bis zu dreitausend


­Insassen antreten und eine Gasse bilden. Sobald die Neuen an Land
kamen, ging das Gegröle und Gejohle los: « Nieder mit den Knechten
Moskaus! », « Nieder mit dem Informbüro! » und « Schlagt die Bande! »
Unter Stoßen und Schlagen, beschimpft und bespuckt, mussten sich
die Häftlinge ihren Weg ins Lagerinnere bahnen. Nur Alte und
Kranke wurden in der Regel verschont. « Das Spalier ging von der An-
legestelle … bis weit zu den Baracken hinauf », erinnerte sich Vladimir
Bobinac, vielleicht einen halben Kilometer weit. Die Sträflinge dro-
schen mit Latten, Brettern und schweren Gegenständen auf die meist
nackten Neuankömmlinge ein. « Ich habe nur noch ‹ haut drauf, haut
drauf! › » gehört, berichtete Bobinac. « Der ganze Weg war voller Blut. »
Am Ende des Spaliers mussten die Häftlinge mit gesenktem Kopf und
auf dem Rücken verschränkten Händen, obwohl blutüberströmt oder
 Der Abtrünnige 245

kaum noch bei Bewusstsein, warten, bis alle durch waren. Dann ging es
in den Waschzuber, zum Scheren, Einkleiden und zu den Baracken.82
Im Verständnis der Partei war die « gesellschaftlich nützliche
­Arbeit » im Lager keine disziplinarische Maßnahme, keine Vergeltung,
sondern eine « Hilfe, durch eigene Arbeit seine Schwächen zu über-
winden », erklärte Aleksandar Ranković. Und Jovo Kapičić, zweiter
Mann des Geheimdienstes auf Goli Otok, verkündete: « Ihr habt Jugo-
slawien aufgebaut, ja ihr, aber wir lassen nicht zu, dass ihr es jetzt
­zerstört. Wenn jemand bereut, wenn er zugibt, dass er sich geirrt hat,
soll er sich beim Gefängnisverwalter melden. Er hat meine Genehmi-
gung, euch nach Hause zu schicken. »83 Wer sich bis zur Entlassung
nicht wirklich « gebessert » hatte, stand für lange Zeit weiter unter Be-
obachtung der UDBA. Und wehe dem, der ein zweites Mal ins Lager
kam.
Die Umerziehungsmethoden entstammten dem stalinistischen
Repertoire. Wie lange einer auf der Kahlen Insel blieb, wie schwer er
arbeitete und was er zu essen bekam, hing davon ab, ob er oder sie sich
von seinen oder ihren Überzeugungen lossagte. Je mehr Fortschritte
einer bei der Umerziehung machte, desto leichtere Arbeit und bessere
Lebensumstände genoss er. Das bemaß sich daran, ob man bei Lager-
versammlungen die Verfehlungen in einem Akt ritualisierter Selbst-
kritik zugab. Man musste ferner andere IB-ler denunzieren, sich zur
Zusammenarbeit mit der UDBA und zum Schweigen über die Haft
verpflichten. « Ich musste zwei Tage lang im Büro des Zimmerältesten
strammstehen, bis zur Ohnmacht », berichtete ein Ehemaliger. « Da-
nach wurde ich zum Sandschöpfen ins Meer geschickt, bei Januar-
temperaturen bis zur Taille im kalten Wasser. Und wissen Sie was? Ich
wurde Informant. »84
Die Umerziehung erfolgte durch ideologische Beeinflussung so-
wie durch mehr oder weniger schwere Arbeit. Abends gab es Theater-,
Musik- und Filmvorführungen oder Diskussionsrunden, die in der
Regel mit lauten Ausrufen « Nieder mit Stalin! … Uaaaaa, nieder mit
Stalin! » endeten, erinnerte sich Bobinac. Tagsüber wurde geschuftet.
Die Häftlinge forsteten bei gleißender Sonne die karstige Insel auf,
schwitzten im Steinbruch oder auf Baustelle 101, auch « Petersloch »
246 Moskau, 28. Juni 1948 

genannt, um Bauxit zu fördern. Wer auf dem Weg der Besserung war,
stellte in einem der Betriebe, die im « Kombinat Mermer » zusammen-
gefasst waren, Möbel, Kacheln oder Zigarettendosen für den Export
her, arbeitete in der Inselbäckerei oder in der Schneiderei. All das
diente auch einem wirtschaftlichen Zweck, nämlich dem Export, des-
sen Hauptabnehmer Italien war. Alle Einkünfte flossen in die Kassen
der UDBA, die allein 1957 mit der Ausfuhr von Holzerzeugnissen
650 000 US-Dollar einnahm.85
Goli Otok blieb, wie andere Maßnahmen politischer Repression,
zu Lebzeiten Titos ein Tabu. Nur durch Zufall entdeckten Vera Win-
ter und ihr Mann, dass sie beide « an einem besonderen Ort » gewesen
waren. « Dann haben wir darüber lange Zeit nicht mehr gesprochen,
denn das war im höchsten Maße gefährlich. » Bis 1989 wussten nicht
einmal die eigenen Kinder davon. « Die Logik der UDBA ging unge-
fähr so: Wenn du dich mit so einem abgibst, bist du selbst einer », er-
zählte eine Ehemalige.86
Nach bewährter Manier, das schmutzige Geschäft anderen zu
überlassen, trat Tito in der ganzen Angelegenheit nicht persönlich in
Erscheinung. Als ihm 1949 Vorwürfe über Repressionen gegen Stalin-
Anhänger in den Streitkräften zu Ohren kamen, schrieb er in seiner
Funktion als Oberkommandierender und Parteichef an die Armee-
führung. Sie sollte nicht zu streng sein mit ihren Leuten, sondern sie
besser überzeugen, « weil wir unseren Kämpfern und Kommunisten
jahrelang beigebracht haben, an Stalin zu glauben … und weil man
das nur schwer über Nacht verändern kann », erinnerte sich der dama-
lige Chefankläger General Ilija Kostić. Ein UDBA-Funktionär war
hin­gegen überzeugt, dass nichts auf Goli Otok ohne Titos Wissen ge-
schah. « Glaubst du wirklich, dass die UDBA das machen konnte, was
sie tat, und dass der oberste Dienstherr es nicht wusste, genehmigte
oder ­verlangte?  »87 Das konnte schon deshalb nicht der Fall sein, weil
Tito etliche Gnadengesuche erhielt. Er schrieb dann handschriftlich
da­rauf: « Ermöglichen, dass er sich bei der Arbeit bewährt und bes-
sert », oder: « Entlassung kommt in Frage, … wenn er seinen Fehler
einsieht », oder: « Wenn er krank ist, dann den Verhafteten so schnell
wie möglich in die Freiheit entlassen. »88
 Der Abtrünnige 247

Nachdem sich die Vorwürfe und Beschwerden häuften und auch


der Schriftsteller Dobrica Ćosić von menschenunwürdigen Zustän-
den vor Ort berichtete, setzte Tito eine Untersuchungskommission
ein. Sie dokumentierte Repressionen, Misshandlungen und allgemein
unhaltbare Lebensumstände. Aleksandar Ranković musste sich des-
wegen 1951 vor einem Parteiplenum verantworten und gab zu, dass
fast jeder Zweite unschuldig auf der Kahlen Insel saß. Als sich der
Konflikt mit der Sowjetunion etwas entspannte, bekamen die Lager­
insassen gewisse Hafterleichterungen. Aber erst 1956, als Belgrad und
Moskau ihr Verhältnis normalisierten, wurden alle entlassen. Nach
neueren Forschungen kamen insgesamt etwa 400 Personen auf Goli
Otok ums Leben. Etwa zehn bis zwanzig starben infolge von Gewalt-
anwendung, die meisten jedoch an Krankheiten, Typhus, Verletzun-
gen oder Erschöpfung infolge mangelhafter Ernährung und katastro-
phaler hygienischer Verhältnisse.89
Einsicht, dass Goli Otok ein Verbrechen, wenigstens ein Fehler,
gewesen war, zeigte Tito bis ins hohe Alter nicht. « Wenn ich mich bei
jemandem entschuldigen muss, dann bei denen, die unschuldig dort
hingekommen sind », sagte er in den siebziger Jahren. « Bei den IB-lern
habe ich nicht vor, mich zu entschuldigen. »90
ZAGREB, 2.–7. NOVEMBER 1952 
Der Reformkommunist

Die Erfindung der Arbeiterselbstverwaltung

Nach Stalins Verdikt konnte die Sowjetunion für Titos Jugo­


slawien nicht mehr als Modell taugen. Wie aber sollte ein politisches
System aussehen, das einerseits kommunistisch, andererseits vom
Ostblock unabhängig war? Schon 1949 begannen die höheren Partei-
gremien über « neue Wege des Sozialismus » zu diskutieren. Boris
Kidrič und Milovan Đilas hatten die Idee, die Volksbefreiungsräte der
Partisanenzeit zu Vorläufern eines neuen Systems der Arbeiterselbst-
verwaltung zu erklären. Schließlich hatte bereits Lenin verschiedene
Formen und Tempi der sozialistischen Umgestaltung angenommen.
« Nichts wäre theoretisch kläglicher und praktisch lächerlicher, als
‹ im Namen des historischen Materialismus › in dieser Hinsicht ein
Zukunftsbild in monotonem Grau zu malen », hatte er festgestellt.1
Die Jugoslawen beschlossen, die zentrale Planwirtschaft aufzugeben
und Staats- in Gesellschaftseigentum zu verwandeln. Da schon Marx
und Engels die « Assoziation der freien Produzenten » gefordert und
das « Absterben des Staates » vorausgesagt hatten, konnte man das als
besonders akkurate Auslegung der kommunistischen Urväter ausge-
ben. Tito leugnete zeit seines Lebens, dass es so etwas wie Titoismus,
also eine eigene ideologische Richtung, gebe. Schließlich habe man
« der Wissenschaft des Marxismus-Leninismus nichts Neues hinzu­
gefügt », sondern « es lediglich geschafft, diese Wissenschaft am rich-
tigsten anzuwenden ».2
Ende 1949 kam die jugoslawische Regierung mit den Gewerk-
schaften überein, in 215 ausgewählten Betrieben Arbeiterräte zu grün-
den. In der Zementfabrik « Prvoborac » (Erstkämpfer) in Solin nahe bei
 Der Reformkommunist 249

Split wurde am 31. Dezember 1949 der erste von ihnen gewählt. Ein
halbes Jahr später, am 26. Juni 1950, verabschiedete die National­
versammlung das Grundgesetz, das die Selbstverwaltung in Betrieb
und Gemeinde offiziell im ganzen Staat begründete. Tito selbst stellte
es als Kern des eigenen Weges zum Sozialismus vor. « Die Fabriken
den Arbeitern, das Land den Bauern », lautete jetzt das Motto. Die
Kollektivierung der Landwirtschaft wurde in den kommenden Jahren
rückgängig gemacht, indem man unproduktive Genossenschaften
wieder auflösen und das Land in Bauernhöfe mit bis zu zehn Hektar
Privateigentum überführen durfte. Ebenso waren private Gaststätten
und Unternehmen mit bis zu drei sowie Handwerksbetriebe mit bis
zu fünf Angestellten erlaubt. Um den Kreditanforderungen der inter­
nationalen Finanzinstitutionen zu genügen, wurden der Außenhandel
liberalisiert und die Währung an den Weltmarkt angepasst. All das war
auch eine dringende ökonomische Notwendigkeit. Die Kominform-
blockade hatten den jugoslawischen Außenhandel binnen zwei Jahren
um ein Drittel schrumpfen lassen. Während das Volkseinkommen un-
ter das Niveau von 1948 fiel, erhöhte die Regierung die Verteidigungs-
ausgaben, die fast ein Viertel des Inlandsprodukts auffraßen.3 1950
minderte zudem eine furchtbare Dürre die landwirtschaftlichen Er-
träge, es drohte eine Hungersnot. Vor diesem Hintergrund erschienen
wirtschaftliche Reformen als Überlebensstrategie. Ein ganz neues
­Vokabular zog in den politischen Sprachgebrauch ein: « Selbstverwal-
tung », « freier Markt », « sozialistische Demokratie », « ideologische Aus-
einandersetzung » und « freier Meinungsaustausch ».
Tatsächlich ging es bald wieder aufwärts. « Wenn der Belgrader
Bürger sich an einem Sommermittag des Jahres 1952 an ein Marmor-
tischchen des Café Moskva auf dem sonnigen Gehsteig des Terazije-
Platzes setzte und sein Leibblatt ‹Politika › aufschlug, konnte er auf der
ersten Seite eine objektive weltpolitische Übersicht …, im Feuilleton
einen englischen Roman lesen und hinten … einen Bildstreifen von
Walt Disney betrachten », berichtete der Korrespondent der « Neuen
Zürcher Zeitung » Ernst Halperin. « Auf den Märkten bogen sich, seit-
dem die Ablieferungspflicht abgeschafft war, die langen ­Tische unter
dem Gewicht der Pfefferoni, Tomaten, Eierfrüchte und Zwiebeln,
250 Zagreb, 2.–7. November 1952 

während es am Boden neben den Ständen von Ferkeln, Gänsen, Trut-


hennen und Hühnern wimmelte. »4 Nützliche Konsumwaren füllten
jetzt die Regale der Geschäfte, zumal die Betriebsdemokratie und der
Wettbewerb das Bemühen der Belegschaften steigerten, effizienter zu
wirtschaften. In mancher Gastwirtschaft konnte der Journalist « Kö-
chin und Küchenmädchen eifrig mit der Kassiererin über Mittel und
Wege der Umsatzsteigerung … diskutieren hören ».5
Indem sich die kommunistische Herrschaft in den fünfziger Jah-
ren stabilisierte, sich der sowjetischen Vormundschaft entledigte und
immer komplexere Aufgaben an die Führung herankamen, wurde es
notwendig, das Regierungssystem zu modernisieren und zu profes­
sionalisieren. Es konnte nicht mehr nach Partisanenmanier funktio-
nieren, gewissermaßen auf Zuruf. Die Kommunisten erklärten den
Übergang zur « sozialistischen Gesetzlichkeit » und trennten Staats-
und Regierungsfunktionen von der Partei. Beschleunigt durch die
­gesellschaftlichen Reformen begann ein Prozess der Machtteilung,
durch den sich das diktatorische Regime erst zögernd, bald aber in
wachsender Geschwindigkeit zurückbildete.
Die große Umgestaltung des Staatsapparats begann im Novem-
ber 1952 auf dem VI. Parteitag in Zagreb. Die Kommunisten definier-
ten das Selbstverständnis, die Rolle und die Stellung der KPJ neu und
somit die gesamte machtpolitische Architektur. Seit 1948 war die KPJ
kräftig gewachsen und besaß nun rund 780 000 Mitglieder, davon ein
Drittel Arbeiter. In einem modernen sozialistischen Gemeinwesen
wirkten die bolschewistischen Dogmen revolutionärer Kaderbildung
und monolithischer Geschlossenheit jedoch anachronistisch. Deswe-
gen sollte die Partei nicht mehr « Führer und Befehlsgeber » sein, son-
dern « Überzeugungsarbeit » leisten und das Prinzip der « Freiwillig-
keit » respektieren. Die Delegierten beschlossen ferner, die Partei in
Bund der Kommunisten Jugoslawiens umzubenennen. Das brachte
die seit Kriegszeiten existierende föderale Struktur der KPJ und das
Eigenleben der Republiken besser zum Ausdruck als der alte Name.
Es spiegelte andererseits den erklärten Pluralismus und konnte, wenn
man wollte, als erster Schritt zum « Absterben der Partei » und hin zum
fernen Idealzustand der kommunistischen Gesellschaft betrachtet
 Der Reformkommunist 251

werden. In jedem Fall sollte das gesamte System transparenter, viel­


fältiger und demokratischer werden. Die Volksfront verwandelte sich
in den Sozialistischen Bund des arbeitenden Volkes, eine Massenorga-
nisation mit Millionen Mitgliedern. Als im November 1952 Wahlen
zur Nationalversammlung stattfanden, gab es zum ersten Mal richtige
Wahlzettel, Urnen und sogar Kandidaten, die nicht alle von den Kom-
munisten aufgestellt waren.
Im Zuge des großen Revirements wurde das Politbüro, das bislang
faktisch Regierungsfunktionen ausübte, entmachtet. Es hieß jetzt Exe­
kutivkomitee des ZK und gab einige Kompetenzen an die eigentliche
Regierung, den Bundesexekutivrat, ab. Er war befugt, unabhängig von
den Parteiorganen wirksame Beschlüsse zu fassen. Tito, der als Gene-
ralsekretär der Partei auch Chef des Politbüros gewesen war, durfte im
Zuge der Reformen natürlich nicht entmachtet werden. Die Lösung
lag im Übergang vom Kabinetts- zum Präsidialsystem. Die Verfas-
sung vom Januar 1953 schuf das Amt des Präsidenten der Republik,
der, wie in den USA, zugleich Regierungschef und Oberbefehlshaber
der Streitkräfte war. Vier altbewährte Kommunisten wurden seine Vi-
zepräsidenten: Edvard Kardelj, Milovan Đilas, Aleksandar Ranko­vić
und Moša Pijade. Als verfassungsmäßiges Staatsoberhaupt konnte
Tito den westlichen Staatschefs nun auch protokollarisch auf Augen-
höhe begegnen. 1963 wurden schließlich auch die Ämter des Präsi-
denten und des Ministerpräsidenten voneinander getrennt.
1954 war das jugoslawische System in grundlegender Weise rund-
erneuert und ähnelte kaum noch seiner stalinistischen Ursprungs-
form. Ideologie, Rhetorik und Gestalt der Arbeiterselbstverwaltung
unterschieden Jugoslawien in Theorie und Praxis von der Sowjet-
union und allen anderen kommunistischen Staaten. Die drei Subsys-
teme gesellschaftlicher Ordnung  – Staat, Partei und Wirtschaft  –
funktionierten nicht mehr als ein globales Ganzes. Sie waren zwar
noch wechselseitig miteinander verbunden, nahmen jedoch nur indi-
rekt aufeinander Einfluss. Jeder der drei Bereiche entwickelte sich in
der Folgezeit gemäß eigenen Gesetzlichkeiten weiter – und alle drei
auseinander. Dennoch führte Tito immer noch ein nahezu unbe-
schränktes autokratisches Regiment, das er allerdings  – im Unter-
252 Zagreb, 2.–7. November 1952 

schied zu Stalin – stets als kollektive Beschlussfassung seiner Partei


oder Führungsmannschaft verbrämte. « Wir [die Partei] haben das
neue Jugoslawien gemeinsam, kollektiv erschaffen … Wir alle haben
die gleichen Verdienste », insistierte er. « Ich hätte nicht viel erreichen
können, wenn wir nicht solche [großartigen] Genossen gehabt hät-
ten. »6
Schon als die Partisanen 1943 in Jajce für ein föderalistisches
­Jugoslawien stimmten, war die Richtung voranschreitender Dezen­
tralisierung politischer Beschlüsse im Grunde vorgezeichnet. Im Un-
terschied zum asymmetrischen Machtgefüge der Sowjetunion, in der
das riesige Russland schon rein größenmäßig alle anderen dominierte,
musste in Jugoslawien die Balance zwischen mehreren annähernd
gleich starken Völkern und Republiken gefunden werden, was von sich
aus jede Form des Totalitarismus erschwerte. Nun gaben die antistali-
nistischen Reformen zusätzlichen Raum für innerparteilichen Plura-
lismus, und die neue Verfassung garantierte den Republikführungen
mehr Mitsprache auf Ebene des Gesamtstaats, da sie jetzt in der Bun-
desregierung repräsentiert waren. Während das Prinzip des « demo-
kratischen Zentralismus » nach wie vor Belgrad die Richtlinienhoheit
der Politik zuwies, verlagerten sich faktisch immer mehr Befugnisse in
die föderalen Einheiten. Die Machttektonik strebte bereits mit aller
Kraft in Richtung auf ein multipolares System hin, das früher oder
später auch Titos personalisierte Macht einschränkte und in den
sechziger Jahren in einer « weicheren » Form der Autokratie resultierte.
Folgendes ist damit gemeint: Tito erschien es klüger, begrenzte
Kritik zu dulden bzw. sogar selbst welche zu üben und dadurch ­Ventile
zu öffnen, um hin und wieder etwas Druck aus dem System abzulas-
sen. Dies war der Stabilität zuträglicher, als immer gleich die Keule
der Repression zu schwingen. Andersdenkende ließen sich leichter
kontrollieren, wenn nicht sogar korrumpieren, wenn man ihnen ge-
wisse Freiräume gab. Seit der aufsehenerregenden Rede Miroslav
Krležas « Über kulturelle Freiheit » auf dem jugoslawischen Schrift-
stellerkongress 1952, mit der er die Abkehr vom sozialistischen Realis-
mus stalinscher Art einleitete, genossen Künstler, Literaten und Phi-
losophen größere darstellerische Spielräume. Viele von ihnen wollten
 Der Reformkommunist 253

und konnten sich auf das neue Jugoslawien einlassen, entweder weil
sie für den gemeinsamen Staat waren oder weil es ihnen Ansehen, Sta-
tus und Einkommen versprach. Und Tito wusste, dass er in einem of-
fenen Konflikt mit den Intellektuellen und Künstlern nur verlieren
konnte. Er bevorzugte eine Strategie der Vereinnahmung gegenüber
einer der Einschüchterung. Tatsächlich war bis zum Ende der sech­
ziger Jahre aus dem literarischen Feld kaum substantielle Kritik zu
vernehmen; da und dort herrschte bestenfalls « respektvolle Distanz ».
Der kroatische Schriftsteller Miroslav Krleža war ein langjähriger,
­enger Freund Titos, und der Serbe Dobrica Ćosić in den ersten bei-
den Jahrzehnten nach dem Krieg ein häufiger Begleiter auf längeren
Reisen. Selbst der spätere Nobelpreisträger Ivo Andrić, einst Bot-
schafter im Dienst der antikommunistischen Königsdiktatur, ver-
fasste Elogen über den « Volkshelden und Erschaffer unseres Volkes
Marschall Tito! »7
Gleichwohl wirkte Titos Herrschaftsweise immer noch neopatri-
monial: Sie war ganz auf seine Person zugeschnitten, vollzog sich
aber in der Routine von Regierungsbeamten, Militärs und Experten,
ohne die ein moderner Staat gar nicht funktionieren kann. Bei den
Karrieren im Staatsapparat spielte jedoch außer der Befähigung auch
die persönliche Loyalität eine große Rolle. Man sieht das an Titos
engstem Umfeld, das mit fortschreitender Regierungszeit immer
mehr ­ einer Kamarilla ähnelte, also einer Gruppe von höfischen
Günstlingen, die den Präsidenten umgaben oder direkten Zugang zu
ihm hatten  – er nannte sie sogar selbst so. Andererseits war Titos
Macht nicht grenzenlos. So war er nicht befugt, die Führungen der
Teilstaaten zu bestimmen; das durften nur die jeweiligen Parteiglie-
derungen. Als er 1962 im Konflikt über Reformen Edvard Kardelj
entmachten wollte, setzte die slowenische Führung durch, dass dieser
im Amt blieb.8
Nach dem Bruch mit Stalin setzten die Jugoslawen ihr gewaltiges
Investitionsprogramm fort. 1949 floss ein Drittel des Volkseinkom-
mens in die Sektoren Maschinenbau, Werften sowie Energie-, ­Eisen-,
Stahl- und Kohleförderung. Ab 1953 begann die Wirtschaft immens
zu wachsen. Im ersten Jahr des Booms waren es 18 Prozent, zwischen
254 Zagreb, 2.–7. November 1952 

Besuch von Stahlwerk und Raffinerie in Sisak, 1951

1957 und 1961 jährlich etwa zwölf Prozent – die höchsten Raten der
ganzen Welt. Am stärksten erhöhte sich die Industrieproduktion, zum
Beispiel die der Automobile um das Dreifache und die der Kühl-
schränke um das Achtfache.9 Hierdurch entstanden allerdings auch
strukturelle Probleme: Exzessive Investitionen schufen Überkapazitä-
ten, welche wiederum zu Arbeitslosigkeit und Inflation führten.
Darüber, wie diese Mängel zu beseitigen wären, gab es unter-
schiedliche Meinungen, die zu nicht enden wollenden Reformdiskus-
sionen führten. Die « Liberalen » wollten die Kompetenzen der Unter-
nehmen noch mehr erweitern, die « Konservativen » lieber den Staat
stärken. Mit der Arbeiterselbstverwaltung begab sich die jugoslawi-
sche Führung jedoch in eine Pfadabhängigkeit, die nach dem (erst
später von Politikwissenschaftlern formulierten) Gesetz der wachsen-
den Rendite dazu führte, den einmal eingeschlagenen Kurs fortzu­
setzen. Ab einem bestimmten Punkt war es nämlich wirtschaftlicher,
einfach weiterzumachen wie bisher, als die Strategie noch einmal
grundsätzlich zu ändern. Da Edvard Kardelj 1954 das Motto ausgab,
 Der Reformkommunist 255

nichts dürfe so heilig sein, « dass es nicht übertroffen werden könnte


oder durch etwas ersetzt, was noch fortschrittlicher, noch freier, noch
menschlicher » sei, waren fortschreitende Liberalisierung und Dezen-
tralisierung programmiert. Alle Industriebetriebe, landwirtschaft­
lichen Kollektive, sozialen und kulturellen Einrichtungen wie Schu-
len, Krankenhäuser und die Post wurden durch Arbeiterräte bzw.
Kollektive der Beschäftigten selbstverwaltet. Ebenso wurde die kom-
munale Selbstverwaltung gestärkt. Wie aber konnte das in einem
Land funktionieren, in dem viele Menschen wenig gebildet, womög-
lich sogar noch Analphabeten waren? An die Stelle des « technobüro-
kratischen Monopols », wie es der Staatssozialismus praktizierte, tra-
ten alsbald andere Deformationen: ein bürokratisches Dickicht von
Leitungs- und Kontrollorganen und eine neue privilegierte Schicht
von Direktoren, Experten und Managern, und damit wachsende
­soziale Ungleichheit.
Die Jugoslawen betrachteten die Arbeiterselbstverwaltung als
ordnungspolitischen und ideologischen Gegenentwurf zur Sowjet-
union, als wahrhaft demokratische Form des Sozialismus. Sie wurde
einer der stärksten Identitätsanker von Titos Jugoslawien. 1958 wandte
sich der VII. Parteitag noch einmal ausdrücklich gegen « Bürokratis-
mus und Etatismus » stalinscher Prägung. Die « jugoslawische, sozia­
listische Selbstverwaltungsgemeinschaft » sollte eine neue Form des
Patriotismus begründen und das Land gegen äußere, besonders
­sowjetische Bedrohung zusammenschmieden. Arbeitervertreter und
Linke im Ausland waren davon sehr angetan. Das Internationale
­Arbeitsamt bescheinigte den Jugoslawen nach mehreren Begehungen,
sie seien die Schöpfer der bislang fortschrittlichsten Betriebsorgani-
sation, also gewissermaßen ein Vorbild für die ganze Welt.10 Sowohl
die deutsche Sozialdemokratie als auch die Reformer im Ostblock
­sahen Titos hybriden Marktsozialismus als Modell. « Tito führt Jugo-
slawien einer wirklichen demokratischen sozialistischen Ordnung
entgegen », konstatierte Günter Grass.11
Die Arbeiterselbstverwaltung blieb auch langfristig ökonomisch
motiviert, da sie die Absicht verfolgte, die Produktivität der Volks­
wirtschaft zu steigern, sie noch stärker in die globale Arbeitsteilung zu
256 Zagreb, 2.–7. November 1952 

i­ ntegrieren und mehr Kredite aus dem Westen anzuziehen.12 Schon


in den fünfziger Jahren begründeten die Ökonomen aus den sozia­-
lis­
­ ti­
schen und westlich-kapitalistischen Ländern einen ständigen
Austausch über die Vorzüge von Markt- bzw. Planwirtschaft. Auf
Konferenzen, im Rahmen der UNESCO, über Fachjournale und
akademische Austauschprogramme entstand ein enger systemüber-
greifender Dialog, von dem beide Seiten profitierten. Der Bund der
Kommunisten beschloss im Dezember 1964 weitreichende markt-
wirtschaftliche Reformen und das Parlament im Juli 1965 ein entspre-
chendes Gesetzespaket. Künftig sollten Rentabilität und Marktpreise
die Produktion lenken, nicht staatliche Beschlüsse, die zu Überinves-
titionen und Geldentwertung geführt hatten. Ein Rahmenplan be-
schränkte die staatliche Lenkungsfunktion auf wenige Kernbereiche.
Das « Experiment Jugoslawien » begründete eine Art « Laissez-faire-
Sozialismus ».13 Ebenso erhielten die Gemeinden und föderalen Ein-
heiten kontinuierlich größere Kompetenzen. All das erforderte kom-
plizierte Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse. Tito, der selbst
über kein ökonomisches Expertenwissen verfügte, sah es pragmatisch.
« Wir versuchen es jetzt einmal so », beschrieb er seinen jugoslawischen
Weg, « und wenn sich dieser … nicht bewährt, können wir ihn auch
wieder ändern ».14

Die Geister, die ich rief: der Fall Đilas

Im Herbst 1953 stand Jugoslawien am Rande eines neuen


Krieges. Die westlichen Alliierten überreichten der Regierung am
8. Oktober in Belgrad eine Note, in der sie ankündigten, ihre Truppen
aus der Zone A des Freistaates Triest zurückzuziehen, um die Verwal-
tung künftig Italien zu überlassen. Sie drängten seit längerem darauf,
das gesamte strittige Territorium an Rom zu übergeben, einschließ-
lich der Zone B, die Jugoslawien kontrollierte. Damit wollten sie nicht
nur den eingefrorenen italienisch-jugoslawischen Konflikt lösen, son-
dern auch einen Anreiz für Italien schaffen, der Europäischen Vertei-
digungsgemeinschaft beizutreten. Nachdem Stalin im März verstor-
ben war, rechnete niemand mehr mit echter sowjetischer Gegenwehr.
Der Beschluss der Westmächte bedeutete, dass Jugoslawien die
 Der Reformkommunist 257

Hoffnung begraben konnte, sich ganz Triest einzuverleiben. Tito er-


klärte vor Hunderttausenden, seine Geduld sei zu Ende. « In dem
­Augenblick, in dem die Italiener in die A-Zone einmarschieren, wird
auch Jugoslawien marschieren. » Tatsächlich ließ er dreizehn Divi­
sionen und fünfhundert Panzer im Grenzgebiet zusammenziehen,
während Italien seine Truppen auf der anderen Seite konzentrierte.15
Die Alliierten, die mit keiner militärischen Reaktion gerechnet hatten,
zuckten zurück. US-Außenminister John Foster Dulles musste
­Verhandlungen auf- und die Dreimächteerklärung zurücknehmen.
1954 schlossen die Parteien in London einen Kompromiss: Zone A
fiel an Italien zurück, Zone B wurde mit einigen von Tito geforderten
Grenzberichtigungen Jugoslawien zugesprochen. Erneut reüssierte
Tito mit seiner bewährten Taktik, aus einer Position der Schwäche
­heraus kräftig aufzutrumpfen.
Während in Belgrad die Armee mit den Säbeln rasselte, aufge-
brachte Demonstranten vor amerikanischen, britischen und französi-
schen Einrichtungen randalierten und Tito vollauf mit internationa-
lem Krisenmanagement beschäftigt war, widmete sich Milovan Đilas
seiner publizistischen Tätigkeit. Immer noch hatte er « viel vom Habi-
tus seiner Studentenzeit: bohèmehaft gekleidet, lässig dahinschlen-
dernd, mit dem strahlenden Lächeln des montenegrinischen Char-
meurs auf dem sympathischen Clownsgesicht », beschrieb ihn ein
Journalist. « Der sanfte, liebenswürdige Djido konnte plötzlich her-
risch, arrogant auftreten, keine Widerrede gelten lassen, und es kam
auch vor, daß er Vereinbarungen nicht einhielt, Zusicherungen nicht
erfüllte und mit kühlem Achselzucken darüber hinwegging, wenn
man ihn an sie erinnerte. »16 Er bekleidete zu dieser Zeit kein öffentli-
ches Amt; der riesige Agitprop-Apparat, den er früher kommandiert
hatte, war im Zuge der Liberalisierung so gut wie aufgelöst worden.
Unbehelligt vom politischen Alltagsgeschäft verbrachte er seine Tage
damit, ausschweifende politisch-philosophische Artikel zu verfassen.
Die Tonlage war stets engagiert, wenn nicht polemisch, häufig aller-
dings auch ziemlich wirr. « Es war schwierig für seine Leser und wo-
möglich häufig auch für den Autor selbst, genau zu verstehen, worauf
er hinauswollte », stellte sein Biograph Stephen Clissold fest.17
258 Zagreb, 2.–7. November 1952 

Anscheinend hatte er Provokation im Sinn, als er im Herbst und


Winter 1953/54 im Parteiorgan « Borba » und in der Zeitschrift « Nova
Misao » (Neues Denken) eine Serie von Artikeln schrieb, in der er die
Bürokratie zum Hauptfeind des Sozialismus erklärte. Offenherzig
spießte er den Dirigismus der Partei sowie die Selbstherrlichkeit und
die Privilegien der Funktionärskaste auf, der « Auserwählten und Prä-
destinierten », wie er sich ausdrückte. Boshaft zog er über die Parvenüs
her und mit ausgesuchter Gehässigkeit über deren « halbbäuerliche »
Ehefrauen. « Das widerwärtigste und lächerlichste war, dass manche
luxuriöse Möbel und Bilder aufkauften, meistens ohne jeden Ge-
schmack », schrieb er, « und so nicht nur die primitive Gier und ver­
logene, hochmütige Repräsentationssucht, sondern auch die überheb-
liche Alleswisserei der Ungebildeten offenbarten ». Das sei einerseits
übergriffig und beleidigend, andererseits aber auch pikant, weil Đilas
selbst in einer ansehnlichen Villa residierte und so verrückt nach
­Autos sei, dass er immer den neuesten Chrysler oder das schickste
Mercedes-Cabriolet fuhr, bemerkte der Korrespondent der NZZ.
« Und um die Wahrheit zu sagen », ergänzte er, « so prunkvoll war der
Lebensstil dieser ‹ Neureichen › gar nicht. Es gab im ganzen kommu-
nistischen Jugoslawien wohl kaum zwei Dutzend Parteihierarchen,
die das Leben reicher Leute führten. »18
Tito nahm die Tiraden zunächst nur flüchtig zur Kenntnis, was
Đilas umso mehr anstachelte. Nun verkündete er das nahe « Ab­
sterben » des Bundes der Kommunisten, denn « die leninistische Form
der Partei und des Staates ist veraltet ». Daneben platzierte er weitere
teils sehr persönliche Anwürfe gegen Parteigenossen. Genüsslich
­zerlegte er die Rolle von Ideologie und Sicherheitsapparat, womit er
implizit auch seine Rivalen um die Tito-Nachfolge, Edvard Kardelj
und Aleksandar Ranković, in die Ecke stellte. Übrigens müsse man
sich demnächst auch einmal mit Tito befassen, kündigte er seinem
Freund Peko Dapčević an.19
Was mag den politischen Ziehsohn Titos, einen der entschiedens-
ten Bolschewisten der ersten Stunde und später einen der höchsten
Parteifunktionäre im Staat, dazu bewogen haben, « dem Alten » den
Kampf anzusagen? Đilas selbst erklärte die Ausfälle später durch
 Der Reformkommunist 259

­«  Fixiertheit auf mein eigenes Schicksal », als er über seine Artikelserie
sprach. « Es gab Unzufriedenheit », schrieb er nach Jahren, « Unzufrie-
denheit mit einem selbst, den eigenen Ansprüchen und Erfolgsaus-
sichten ».20 Tatsächlich sieht es nach einer Mischung aus ehrlicher
Missbilligung der Zustände und verletzter Eitelkeit aus.
Zu Beginn des neuen Jahres konnte Tito das Rumoren in der Par-
tei nicht mehr überhören, das die Artikelserie auslöste und welches
anzufeuern sich Đilas bestens gefiel. Dabei hatte er, der zwischenzeit-
lich zum Parlamentspräsidenten gewählt worden war, mutwillig eine
von Titos roten Linien übertreten: die Geschlossenheit des Füh-
rungskollektivs, also die heilige monolithische Einheit der Partei.
­Offensichtlich hatte man mit der Liberalisierung Geister herbeigeru-
fen, die sich auf unbotmäßige Weise verselbständigten.
Noch im Januar 1954 berief das Zentralkomitee auf Geheiß Titos
im Fall Đilas eine Plenumssitzung ein. Diese stand ganz in der Tradi-
tion der sowjetischen « Säuberungen », und Tito selbst führte die R­ egie:
Der Delinquent wurde erst isoliert und gedemütigt, ehe er nach er-
folgtem Reuebekenntnis eine letzte Chance erhielt. Kritik und Selbst-
kritik mussten öffentlich sein, weshalb das Schauspiel live und in voller
Länge im Radio übertragen wurde. Es musste dafür « alles, was in der
Partei Rang und Namen hat, aufmarschieren und Zeugnis gegen ihn
ablegen », berichtete Ernst Halperin. « Und vor allem wird Wert darauf
gelegt, daß seine persönlichen Freunde laut und vernehmlich von ihm
ab­rücken.  »21 Vladimir Dedijer, damals Mitglied des ZK und Redakteur
der « Borba », hatte zum Bevorstehenden eine ganz individuelle Mei-
nung. Er setzte sie Tito, « wie ich zugebe, unter Tränen », noch kurz vor
dem Plenum auseinander und argumentierte, « dass man endlich auf-
hören müsse mit diesen Säuberungen, Enthauptungen, mit der Intole-
ranz ». Bitte sehr, entgegnete Tito, er könne das ja ruhig im Plenum
verkünden. Aber bring’ bloß nicht alle zum Heulen, knurrte er.22
Tito eröffnete die Verhandlung mit väterlicher Strenge. Er tadelte
Đidos lockeren Lebenswandel, seine Geringschätzung der prakti-
schen politischen Arbeit, und dass er unter dem Einfluss des kapitalis-
tischen Auslands stehe. Er habe begriffen, dass die Ideen seines
Kampfgefährten zu « Anarchie » führen würden. Statt selbst die Ärmel
260 Zagreb, 2.–7. November 1952 

aufzukrempeln und mitzuhelfen, habe Đilas alle, die mühevoll den


­Sozialismus aufbauten, zu Bürokraten der Alltagspraxis gestempelt. Zu
spät habe er, Tito, erkannt, « dass es um die Liquidierung des Bundes
der Kommunisten geht, die Zerschlagung der Disziplin, dass es um
Dinge geht, die nicht nur der Einheit der Partei großen Schaden zufü-
gen können, sondern der Einheit unseres Landes ».23 Es stimme, dass er
selbst als Erster vom Absterben der Partei gesprochen habe, aber doch
nicht in dieser Weise. « Ehe nicht der letzte Klassenfeind ausgeschaltet
ist, ehe nicht das sozialistische Bewusstsein die breitesten Massen er-
fasst hat, kann es kein Absterben der Partei geben bzw. die Liquidie-
rung des Bundes der Kommunisten. »24 Die Thesen des Genossen Đido
müssten entschieden verworfen werden. Aber man sei jetzt stark genug,
Leute nicht mehr zu vernichten, die Fehler gemacht haben. Man solle
ihnen ermöglichen, sie einzusehen und auszubügeln.25
« Zwei Tage lang wiederholten mehr als hundert rote Kardinäle
ihre dogmatischen Anschuldigungen, … damit Đilas Selbstkritik
übe », beschrieb Dedijer die tribunalartige Sitzung. Abgesehen von
Đidos Exfrau Mitra, die einige wirre Kommentare von sich gab, die
wenigstens nicht eindeutig gegen ihn zu verwenden waren, ergriff nur
Dedijer ausdrücklich für ihn Partei. « Hand aufs Herz », sagte er, « die
Ansichten von Milovan Đilas … akzeptiert doch die Mehrheit der
Anwesenden hier ».26 Die aber schnitten den Beschuldigten, wenn er
in den Pausen hilfesuchend durch die Gänge streifte. « Đido, werd’
vernünftig, übe Selbstkritik », flüsterte Kardelj ihm zu. « Ich habe das
in Moskau drei Mal gemacht und so den Kopf aus der Schlinge gezo-
gen. » Als Đilas am Ende zur Rednertribüne schritt, kam « eine der
quälendsten Szenen, die ich im Leben mitansehen musste », kolpor-
tierte sein Freund Dedijer. Der sonst so von sich Eingenommene
räumte Irrtümer und Fehlverhalten ein. Er versprach, « immer diszi­
pliniert daran zu arbeiten, alle Entscheidungen der Partei und Organe
umzusetzen », ja, er sei jetzt « überzeugt, dass vom Sieg des Bürokratis-
mus in Jugoslawien keine Rede sein » könne. Deshalb würde er natür-
lich auch nichts mehr veröffentlichen, was die Führung als schädlich
betrachte. Zum Schluss wandte er sich persönlich an Tito: « Ich finde,
dass ich den Parteiausschluss verdient habe. »27
 Der Reformkommunist 261

« Tito wirkte wie versteinert. Er zündete sich eine Zigarette an »,


beobachtete Dedijer. « Aber die anderen hundert roten Kardinäle
strahlten vor Freude. Der Meuterer hat endlich gestanden. Aufgabe
erledigt. »28 So beschloss das ZK, Đilas aus seinen Reihen auszu­
schließen, ihn aller Parteifunktionen zu entheben und eine « letzte
Warnung » auszusprechen. Dann beendete Tito die Sitzung mit einem
Aufruf zu mehr « Wachsamkeit », der alten bolschewistischen Tugend,
und einer Portion giftsprühender Selbstkritik: « Wir hätten energi-
scher gegen alle vorgehen sollen, die unter dem Deckmantel der De-
mokratie unser sozialistisches Land verunglimpfen. »29
In den Monaten nach dem erniedrigenden Schauspiel musste der
tief gekränkte Đilas erkennen, dass er sich verkalkuliert hatte. Erstens
durfte er sich als Genosse, Chefpropagandist und Parlamentsprä­
sident nicht für sakrosankt halten. Zweitens rettete das taktische
Schuld­bekenntnis seine Ehre und seine Parteikarriere nicht. Und
drittens, was am schlimmsten war: Wer sollte jetzt noch glauben, dass
er zum Nachfolger Titos tauge, zu dessen ebenbürtigem Widersacher
oder gar als Ikone des antikommunistischen Widerstands, zu dem ihn
die westliche Presse hochschrieb? Er hatte den Mund zu weit aufge-
rissen, und dann war er vor aller Augen und Ohren jämmerlich einge-
knickt. « Über uns ergoss sich eine Flut von Schimpfwörtern, Lügen
und Unterstellungen », erinnerte sich Vladimir Dedijer. Sogar aus
dem Fußballclub schloss man die beiden aus.30
Vermutlich erklärt die politische und persönliche Isolierung, wa-
rum Đilas der « New York Times », einem Presseorgan aus dem kapita-
listischen Ausland, Ende 1954 ein systemkritisches Interview gab und
offen eine zweite Partei in Jugoslawien forderte. Nach ihm meldete
sich auch Dedijer, den das ZK wegen seines Auftritts beim Plenum
vor die Kontrollkommission zitiert hatte, mit einem Interview in der
Londoner « Times » zu Wort. Anfang 1955 wurden alle beide unter
Ausschluss der Öffentlichkeit vor Gericht gestellt. Dedijers Freund,
der britische Politiker Aneurin Bevan, verwendete sich vergeblich bei
Tito für sie. « Lieber Freund », antwortete der, « glauben Sie mir, dass
uns der Fall … doppelt schmerzt, weil es um alte Freunde und Mit-
wirkende an der Revolution geht ». Aber sinngemäß erklärte er: Wer
262 Zagreb, 2.–7. November 1952 

nicht hören will, muss fühlen.31 Đilas erhielt achtzehn und Dedijer
sechs Monate Gefängnis auf Bewährung.
Im Unterschied zu Dedijer, der sich einige Jahre in das akade­
mische Leben der USA zurückzog, konnte sich Đilas nicht damit ab-
finden, mundtot zu sein. Während der Ungarnkrise 1956 startete er
einen neuen Angriff auf das Regime. Er beschuldigte Tito, er habe die
Freiheitsliebe der Ungarn zugunsten der Staatsräson verraten, was
so nicht stimmte, aber Đilas fürchtete wohl, Jugoslawien werde nach
Stalins Tod wieder ins sowjetische Lager abdriften. In jedem Fall ver-
stieß er mit seiner Kritik gegen die Bewährungsauflage, sich « feind­
licher Propaganda » zu enthalten, und so musste er eine dreijährige
Gefängnisstrafe antreten. Mit Hilfe der CIA erschien während seiner
Haft das Buch « Die neue Klasse » in den USA, woraufhin sich seine
Strafe noch einmal um sieben Jahre verlängerte. Diese erste Analyse
des kommunistischen Systems, das die herrschende Führungsschicht
bloßstellte und nicht lediglich die marxistische Theorie auseinander-
nahm, wurde in über vierzig Sprachen übersetzt. Vorzeitig aus dem
Gefängnis entlassen, veröffentlichte er sein Buch « Gespräche mit Sta-
lin », das ihn wegen Preisgabe von Staatsgeheimnissen erneut hinter
Gitter brachte. Während ihn seine häretischen Schriften schlagartig
im Westen berühmt machten, fanden sie in Jugoslawien nur wenig
Widerhall. Eine Đilas-Schule oder eine andere Dissidentenbewegung
etablierte sich nicht. 1966 wurde er schließlich begnadigt. Tito ver-
spürte freilich bis zum Lebensende keinerlei Neigung, sich mit sei-
nem alten Kameraden auszusöhnen. Er fand auch in hohem Alter kein
gutes Wort mehr über ihn.
Der Fall Đilas zeigte exemplarisch, wo die Grenzen der « Demo-
kratisierung » lagen, nämlich dort, wo die Alleinherrschaft der Partei
in Frage stand. Die Parteireformen von 1952, das sagte Tito auch spä-
ter immer wieder, seien zu früh erfolgt und zu weit gegangen. Sie
­hätten den bürgerlichen, antijugoslawischen Kräften zu viel Raum ge-
geben, die noch im Land schlummerten. « Wenn wir das erlauben,
wird es in einem Jahr keinen Sozialismus mehr [in Jugoslawien] ge-
ben, das sage ich Euch, … ganz ohne blutigen Kampf », erklärte er bei
der Abrechnung mit Đilas.32 Angeblich sagte er sogar: « Bei uns ist die
 Der Reformkommunist 263

Demokratie noch nicht reif – noch braucht es die Diktatur! »33 Diszi­


plin und zentralistische Führung sollten deswegen wiederhergestellt
werden. 1956 rief Tito das ZK zusammen, um entschieden gegen
« verschiedene negative Phänomene » vorzugehen, darunter auch ­« lo-
kalistische », « partikularistische » und « technokratische » Tendenzen,
sprich den Wirtschaftsnationalismus der Republikführungen. Partei­
schulungen, Propaganda und Jugendarbeit wurden verstärkt. Im Kern
lief es darauf hinaus, die direkte Kontrolle der Partei über die Gesell-
schaft wiederherzustellen. Und Edvard Kardelj erklärte, es wäre
scheinheilig zu leugnen, dass « die Kommunisten in unserem Land in
dieser Periode direkten Einfluss auf bestimmten Schlüssel­positionen
der Macht haben müssen ».34

Ich, Jovanka

Als der britische Außenminister Anthony Eden Ende 1952


als erster westlicher Politiker zum Staatsbesuch in Belgrad eintraf,
wurden er und die jugoslawische Öffentlichkeit mit einer Neuigkeit
überrascht. « Der Marschall wählte diesen Augenblick, um ein bis da-
hin streng gehütetes Geheimnis zu lüften: seine Heirat mit Jovanka
Budisavljević », berichtete der britische Außenminister. Er war von
der bildschönen Achtundzwanzigjährigen mit dem dichten schwarzen
Haar und dem strahlenden Lächeln sogleich sehr angetan. « Madame
Tito war charmant, und das einzige, was mich bei der Entdeckung be-
kümmerte, war, dass ich meine [ebenfalls recht junge] Frau nicht mit-
gebracht hatte. »35
Jovanka war das zweite von fünf Kindern einer serbischen Bau-
ernfamilie aus der kroatischen Lika-Region. Als Kind war sie gerne
zur Schule gegangen, aber noch lieber hatte sie mit ihren Brüdern
Krieg gespielt. « Ich weiß ja nicht, was aus diesen Kindern mal werden
wird », seufzte die Oma, « aber wenn jemand Soldat werden muss, wird
das sicher Jovanka ».36 Als der Krieg ausbrach, schloss sich die Sieb-
zehnjährige tatsächlich den Partisanen an, um in der ersten Frauen-
kompanie zu kämpfen. Im Verlauf des Krieges wurde sie zwei Mal ver-
wundet, bei Kriegsende stand sie im Rang eines Majors der Reserve.
Es kursierten unzählige Gerüchte, unter welchen Umständen
264 Zagreb, 2.–7. November 1952 

­Jovanka Budisavljević, Trägerin mehrerer Orden für besondere Tapfer-


keit, 1945 in die Dienste Titos trat. Erst war sie für die Hygiene in der
Küche und im Haus zuständig und schließlich auch für sein privates
Büro. Dass sie der jugoslawische oder der sowjetische Geheimdienst
dort eingeschleust habe, hat sie beharrlich geleugnet. Es ist bis heute
nicht stichhaltig bewiesen. Als Tito 1947 wegen eines Leistenbruchs
im Krankenhaus lag und sie ihn versorgte, kamen sie sich näher.
Die Psychologen kennen verschiedene Erklärungen, warum junge,
attraktive Frauen einen Mann heiraten, der die besten Jahre bereits
hinter sich hat. « Wenn ich ehrlich bin, hat mich der Altersunterschied
zwischen uns gestört, und auch seine ungeordneten Familienverhält-
nisse », sagte Jovanka später.37 « Eines Tages, als ich gerade seine per-
sönlichen Dokumente aus der Vorkriegszeit sortierte  – hat er prak-
tisch um mich angehalten. » Er stammelte dann etwas über schwierige
Lebensumstände und persönliche Verluste. « Und dann sagte er mir, …
er spüre, dass er mit mir ein gedeihliches und glückliches Leben füh-
ren könnte. »38 So ließ sie sich gewinnen, sei es, weil es ihr schmei-
chelte, den gefeierten Tito erobert zu haben, oder wegen der Aussicht
auf Ansehen, Luxus und Macht. « Tito war damals eine Ikone für uns
alle, und so auch für sie », erzählte ihre zwölf Jahre jüngere Schwester
Nada. Und so weihte Jovanka Tito ihr Leben « wie eine Nonne ihrer
Religion ».39
Älteren Männern, die sich sehr viel jüngere Frauen suchen, sagt
man hingegen Eitelkeit, Kompensation der verlorenen Jugend oder
einen Mutterkomplex nach. In jedem Fall war es für Tito äußerst be-
quem, eine Gefährtin zu haben, die wie eine Mutter ausschließlich für
ihn selbst da war, eine, die seine privaten Dinge in Ordnung brachte
und den Rücken für die beruflichen Verpflichtungen freihielt. Im
­April 1952 heirateten Tito und Jovanka auf einer Jagdhütte in Ilok nur
im Beisein von zwei Trauzeugen.
Tito wohnte mittlerweile nicht mehr im Weißen Hof, sondern in
einer nahe gelegenen Villa in der Užička-Straße 15. Vom vormaligen
Dienstsitz der deutschen Kommandeure auf den grünen Hügeln von
Dedinje hat man einen fantastischen Blick über die Hauptstadt und
ins Land. Zum Gesamtkomplex gehörten weitere Gebäude, in denen
 Der Reformkommunist 265

Das Ehepaar Broz mit den Schwestern Nada und Zora, Mišo,
Joška und Zlatica (v. l. n. r.) auf Vanga, 1956

Familienangehörige, Sicherheitsleute und Bedienstete untergebracht


waren. Dort richtete Tito sich ein Gewächshaus mit Aquarium und
Kanarienvögeln ein, die er selbst pflegte. Mit im Haushalt lebte seit
Kriegsende Sohn Mišo sowie – nach der Scheidung Žarkos von seiner
ersten Frau Tamara  – auch die Enkel Joška und Zlatica. Nach der
Hochzeit gehörten zudem Jovankas verwaiste Schwestern Nada und
Zora zum Haushalt, für die Tito die Rolle des Vormunds übernahm
und die er, wie Nada bestätigte, wie eigene Kinder behandelte. Indes-
sen bereitete ihm Žarko, der in der Belgrader Nachbarschaft von einer
sowjetischen Invalidenrente lebte, wegen seines unsteten Lebenswan-
dels weiter Sorgen.
Ein Privatleben im herkömmlichen Sinn mit gemeinsamer Fami-
lien- und Freizeit gab es allerdings praktisch nicht. Tito war zeit sei-
nes Lebens ein Arbeits- und Gewohnheitstier, ein Ausbund an Diszi-
plin und Pünktlichkeit. Er stand jeden Tag um sechs Uhr auf und
­unternahm als Erstes einen Spaziergang mit dem Hund, ehe er sich
266 Zagreb, 2.–7. November 1952 

gegen sieben Uhr an den Schreibtisch setzte, um die Post zu lesen.


Gegen neun Uhr hatte er bereits einiges erledigt und somit eine Pause
verdient, um mit Jovanka Kaffee zu trinken, die gerne noch spät in der
Nacht auf war. Ansonsten verbrachte er täglich – auch die Wochen­
enden und Ferien – viele Stunden mit seinen Staatsgeschäften.
Ein Vierteljahrhundert lang war die « Gattin Jovanka » eine Insti-
tution eigener Ordnung. In den ersten Jahren spielte sie die klassische
Rolle der Ehefrau und Gastgeberin. Die 32  Jahre jüngere rassige
Schönheit mit Modelfigur und einwandfreier politischer Biographie
war die perfekte weibliche Ergänzung zum weltgewandten, charman-
ten Tito. Alles andere, besonders Etikette, Englisch und Small Talk,
ließ sich schließlich lernen. Sie begleitete ihn auf fast allen R
­ eisen
und kümmerte sich um Vorbereitungen und Protokoll. « Ich habe alle
Empfänge ausländischer Staatsleute organisiert und persönlich über-
wacht, jedes Mittagessen, Abendessen, jeden Cocktail …, damit alles
auf höchstem Niveau funktioniert », erinnerte sie sich. « Denn wenn
man jemanden schön bewirtet – dann ist der größte Teil schon ge-
schafft. »40
Im Unterschied zu den Ehefrauen anderer Staatsführer hatte sie
nie eine offizielle Funktion inne. Interviews gab sie selten, und bei
Reisen absolvierte sie ihr eigenes Damenprogramm, wobei sie die
kleine Schwester Nada als ständige Sekretärin, Ratgeberin, Stylistin
und Mädchen für alles an der Seite hatte. Wenngleich ihr ihre Kritiker
einen übermäßigen Hang zu Prunk und Pomp vorwarfen, trat sie tat-
sächlich meistens eher mit bescheidener Eleganz auf, um sich als
Schirmherrin und Stilikone der jugoslawischen Designer, Konfek­
tionshäuser und Modeindustrie zu präsentieren, wobei sie dem opti-
schen Minimalismus von Jackie Kennedy nacheiferte.
Das glamouröse Traumpaar « Genosse Tito und seine Gattin
­Jovanka » befriedigte die Lust des Publikums nach dem Boulevard,
und manche sagen: die geheime Sehnsucht nach einem König und
seiner Königin. Es wurde zum Symbol eines liberalen, weltoffenen
und irgendwie auch glanzvollen Jugoslawien. Als das Paar 1965 einen
Staatsbesuch in die DDR unternahm, kommentierte das Bonner Aus-
wärtige Amt, es herrsche dort « Genugtuung …, dass nun auch sie ei-
 Der Reformkommunist 267

Jovanka (l.) und Jackie Kennedy mit Tito und John F. Kennedy in
Washington, 1963

nen prominenten ‹ Staatsbesucher › hatten, der mit seiner attraktiven


Frau Jovanka eine so ‹ westliche › Figur macht ».41
Jovanka war Titos emotionaler Schutzschirm, sein Blitzableiter
und seine wichtigste Gesprächspartnerin. Sie erledigte seine umfang-
reiche Korrespondenz, verstand sich selbst als engste Mitarbeiterin
und Ratgeberin. « Das war eine beiderseitige große und aufrichtige
Liebe. » Zum Beispiel habe er ihr zwanzig Jahre lang jeden Morgen
Kaffee gekocht und ans Bett gebracht.42 Allerdings konnte er sie wohl
auch barsch zurechtweisen oder auf ihre Kosten Witze reißen, wenn
er fand, dass « dem einfachen Hirtenmädchen zu Kopf stieg, die Gat-
tin des Präsidenten geworden zu sein ».43
Die klassischen Themen einer First Lady  – gutes Aussehen,
Mode, Haushalt, Blumen – genügten ihr irgendwann nicht mehr. Be-
obachter nahmen an ihr Ehrgeiz, Geltungssucht und eine neue Gier
nach Macht wahr. « Sie trug irgendetwas mit sich herum », bemerkte
Dobrica Ćosić schon bei der großen Afrika-Reise 1961 und verspürte
268 Zagreb, 2.–7. November 1952 

Tito und Jovanka am Schießstand in Ohrid, 1957

« etwas Unausgeglichenes » an ihr, die « sichtliche Anstrengung, Titos


Frau zu sein ».44 Bereits damals entzündeten sich Konflikte mit der
Entourage, weil sie sich als offizielles Delegationsmitglied aufspielte,
das sie gar nicht war. Daher beschäftigten Jovankas Ambitionen seit
der zweiten Hälfte der sechziger Jahre die höchsten Führungskreise
von Bundesregierung und Partei.
Mit der Zeit kamen ihre Frustrationen, immer nur in zweiter
Reihe zu stehen, auch äußerlich zum Vorschein: Die ranke Jovanka
verwandelte sich in eine füllige Matrone mit Hochfrisur. « Mit Tito
habe ich einen großen Teil seiner zahlreichen Verpflichtungen geteilt,
so gut ich konnte », schrieb sie einem Parteifreund, auch alle Sorgen
und Zweifel. Das Ziel war: ihm so gut, wie irgend möglich, den Rü-
cken frei zu halten. Aber « es war nicht einfach, Titos Frau zu sein ».45

Coca-Cola-Sozialismus

Während Tito die Zügel wieder fester in die Hand nahm und
Forderungen nach mehr Meinungsfreiheit unterband, brachte das
wirtschaftliche Reformprogramm schwer zu bändigende und in ihrer
 Der Reformkommunist 269

Tragweite auch noch nicht erkennbare gesellschaftliche Dynamiken


mit sich. Die sozialistische Modernisierung setzte, ähnlich wie in den
osteuropäischen Volksdemokratien, ungewollt Kräfte frei, die das
­totalitäre System unterhöhlten und aufzuweichen begannen. Da die
jugoslawischen Kommunisten aber selbst die Abkehr vom Totalitaris-
mus und einen demokratischen Sozialismus erklärt hatten, gestatteten
sie ab den sechziger Jahren sogar einen gewissen – freilich beschränk-
ten – Pluralismus. Sie begnügten sich nunmehr damit, die politische
Sphäre zu dominieren, während sie das alles umfassende Ziel auf­
gaben, die gesamte Gesellschaft durch Bildung, Erziehung, Wissen-
schaft und Medien neu zu modellieren. Je mehr Legitimität das Sys-
tem zum Beispiel durch Wohlstandsvermehrung und Öffnung nach
Westen erzeugte, desto weniger war es noch auf harte Repression an-
gewiesen.
Die staatlich forcierte Industrialisierung, verstärkt durch den glo-
balen Nachkriegsboom, bescherte den Jugoslawen ein Wirtschafts-
wunder, wie sie es nie erlebt hatten. Wer nach dem Krieg geboren
wurde, wuchs unter Bedingungen auf, von denen Eltern und Groß­
eltern nicht einmal geträumt hätten: mit Bildungsmöglichkeiten,
­sicheren Arbeitsplätzen und einem Einkommen, das den allermeisten
Menschen einen über das Lebensnotwendige hinausgehenden Kon-
sum erlaubte. 1961 war die Industrieproduktion viereinhalb Mal grö-
ßer als vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Da die Realeinkommen
zwischen 1950 und 1965 um rund achtzig Prozent stiegen, konnten
sich die privaten Haushalte viel mehr leisten: Elektroherde, Kühl-
schränke, Telefone, elektrische Rasierapparate, Fernsehgeräte und
Hifi-Anlagen sowie, nicht zu vergessen, die kleinen Automobile der
Firma Zastava, kurz Fićo genannt. Die Wohlstandslücke gegenüber
Westeuropa verringerte sich. Das Sozialprodukt pro Kopf lag 1955 in
der BRD, England und Frankreich noch vier bis fünf Mal höher als
in Jugoslawien; 1965 war es nur noch rund drei Mal so hoch. Und der
Abstand schrumpfte weiter.46
Die überlebensgroßen Plakate mit Bildern von Marx, Engels und
Tito verschwanden aus dem öffentlichen Raum. Stattdessen sah man
jetzt bunte Reklametafeln von Coca-Cola, Pan Am, Siemens und
270 Zagreb, 2.–7. November 1952 

Volkswagen. Der amerikanische Anthropologe Joel Halpern, der Mitte


der sechziger Jahre in das noch vor zehn Jahren vollkommen abge-
schiedene Dorf Orašac in der serbischen Šumadija kam, staunte über
den « revolutionären » Wandel von Lebensweisen und Werten. « Ein
­alter Dorfbewohner, der früher so gerne über den Ruhm der serbi-
schen Vergangenheit sprach, blickte jetzt gen Himmel und erkannte
eine ‹ Caravelle ›, als die tägliche JAT-Maschine von Belgrad nach
Tito­g rad vorbeiflog. » Er erzählte stolz von seiner ersten Flugreise und
von seinem Sohn, der Fabrikmanager wurde und ein Sommerhaus an
der Adria baute.47
Angesichts so vieler unverhoffter Neuerungen ließen sich die
Kosten der Modernisierungsdiktatur leicht verdrängen: der soziale
Niedergang der Bauernschaft, die Abhängigkeit von Auslandskrediten
und regional ungleiche Entwicklungschancen. Dabei war im Grunde
bald kaum zu übersehen, dass die Arbeiterselbstverwaltung auch zu
Misswirtschaft, Fehlinvestitionen, Bürokratisierung und Veruntreu-
ung von Staatsvermögen führte. Dennoch hatte das Wirtschaftswun-
der einen gewaltigen systemstabilisierenden Effekt. « Ehrlich », meinte
eine ältere Dame aus Sarajevo, « die Leute hatten es nie so gut. Er
[Tito] lässt sie leben und das Leben genießen. »48
Noch wichtiger als Arbeitsplätze und Auslandsreisen, Wohnun-
gen und Wochenendhäuser, Kühlschränke und Kleinwagen war das
neue Selbstwertgefühl, das Tito repräsentierte: eine würdige, stolze
Existenz frei von äußeren Diktaten, eine, die man beneiden, bewun-
dern oder zumindest respektieren konnte. Mitleid, Herablassung
und Vorschriften der Großen und Starken dieser Welt, das war ges-
tern. Viele Menschen mochten Tito, weil, wie es seine Tante Ana er-
klärte, « Joža  – Marschall von Jugoslawien  – versuchte, im ganzen
Land Stolz zu erzeugen, bei uns allen Niederen ».49 Er war der Meis-
ter scheinbar wunderbarer Möglichkeiten: « Seht her, was wir ge-
schafft haben! »
Kaum einer Gruppe brachte das sozialistische Jugoslawien so
viele Errungenschaften wie den Frauen. Erstmals in der Geschichte
waren sie rechtlich voll gleichberechtigt, durften endlich erben und
Privateigentum besitzen, wählen und politische Ämter bekleiden und
 Der Reformkommunist 271

stiegen in höhere Berufe auf. Langsam stellte sich ein tiefgreifender


Einstellungswandel zum Verhältnis der Geschlechter ein. Dies war
nicht zuletzt das Ergebnis der Bildungsrevolution. Im Unterschied
zum ersten Jugoslawien genossen jetzt die allermeisten Jungen und
Mädchen eine mehrjährige Schulbildung. Konnte bei Kriegsende erst
jeder Zweite lesen und schreiben, waren es in den sechziger Jahren
schon vier Fünftel.50 Auch die Studierenden- und Akademikerzahlen
vervielfachten sich. Gleichzeitig wuchs die soziale Mobilität. Viele
Angehörige der neuen technischen Intelligenz stammten aus Bauern-,
Arbeiter- und Handwerkerfamilien.
Das wohl am höchsten geschätzte Privileg der Jugoslawen war –
im Vergleich mit anderen Osteuropäern  – die Reisefreiheit. Seit
­Anfang der sechziger Jahre durfte praktisch jeder ohne Visum in den
Westen fahren. Hunderttausende Jugoslawen begaben sich als Gast­
arbeiter zum « vorübergehenden Aufenthalt » ins westliche Ausland.
1971 konnten fast 775 000 Personen, knapp vier Prozent der Gesamt-
bevölkerung, in der Bundesrepublik, der Schweiz oder Schweden und
anderen Ländern vergleichsweise gut verdienen und ihr Erspartes
nach Jugoslawien schicken, dort Eigenheime bauen und alle mög­
lichen westlichen Errungenschaften nach Hause tragen.
Im Zuge der selbstverwalteten Industrialisierung differenzierte
sich die jugoslawische Gesellschaft weiter aus. Es bildeten sich abge-
stufte Berufs- und Einkommensschichten mit jeweils unterschied­
lichen Lebenslagen, Identitäten und Interessen. Dabei entstand auch
eine breitere mittelständische Schicht, eine Art sozialistisches Bür-
gertum. Es setzte sich aus mehreren hunderttausend Angestellten,
­Finanzbeamten und öffentlichen Bediensteten sowie einer privilegier-
ten Gruppe von Managern und Experten zusammen, ferner aus An-
gehörigen der Bildungseliten und technischen Intelligenz, den Partei-
funktionären unterschiedlicher Ebenen und nicht zuletzt der Gruppe
der Selbständigen, also Handwerker, Gaststättenbesitzer, Bau- und
Fuhrunternehmer und Kleinhändler. Parallel zur Gesellschaft wan-
delte sich naturgemäß die soziale Zusammensetzung der kommunisti-
schen Partei. War bei Kriegsende noch jedes zweite Mitglied bäuer­
licher Herkunft, jedes dritte ein Arbeiterkind, sah es zwanzig Jahre
272 Zagreb, 2.–7. November 1952 

später ganz anders aus: 1966 stellten die Angestellten mit 39 Prozent
die relative Mehrheit. Der Bund der Kommunisten war zu einer Mit-
telstandspartei mutiert.51
Die Liberalisierung des politischen Systems und die Öffnung
nach Westen resultierten in einem beschränkten Pluralismus der
­Medien, der Kultur und des öffentlichen Lebens. Der Staat inves-
tierte in den sechziger Jahren kräftig in den Kultursektor. 371 staatli-
che Museen empfingen jährlich rund acht Millionen Besucher; rund
4,3 Millionen Zuschauer gingen ins Theater.52 Während das Regime
Parteigruppierungen jenseits des Bundes der Kommunisten sowie
systemkritische Meinungen und Bewegungen von der politischen
Arena fernhielt, durften sich an den Universitäten, Instituten und
Akademien sowie in der Literatur und den Künsten unterschiedliche
Meinungen und Strömungen relativ frei artikulieren, sofern sie nicht
staatsfeindlich auftraten, und das war ein wichtiger Unterschied zum
Totalitarismus der ersten Nachkriegsjahre.
Zugpferd der Verwestlichung wurde das Kino. Seit Beginn der
Republik bemühte sich Jugoslawien, zum Hollywood Europas zu wer-
den. Es entstanden die Filmstadt Avala, zwei Filmakademien und bald
die ersten Koproduktionen mit dem Ausland. Jugoslawien bot außer-
gewöhnliche landschaftliche Kulissen für fast jeden Bedarf und billige
Arbeitskraft. So drehte zum Beispiel Orson Welles dort den « Pro-
zess ». « Es ist eine offensichtliche Tatsache », erklärte der Regisseur im
jugoslawischen Fernsehen, « dass Präsident Tito der größte lebende
Mensch auf Erden ist ».53 Der Historienfilm « Marco Polo » führte zu-
dem Anthony Quinn, Alain Delon und Omar Sharif nach Jugosla-
wien. Dort entstanden nicht zuletzt die deutsch-jugoslawischen Ko-
produktionen der Karl May-Filme mit Pierre Brice als Winnetou und
Lex Barker als Old Shatterhand. In den DDR-Indianerfilmen erlangte
DEFA-Schauspieler Gojko Mitić Berühmtheit.
In den Kinos wurden zahlreiche ausländische Filme gezeigt. Zwei
Drittel kamen aus den USA und aus Westeuropa und damit Marilyn
Monroe, John Wayne, Marlon Brando, Gary Cooper, James Dean,
Audrey Hepburn und Elizabeth Taylor auf die Leinwände. Ebenso
war westliche Schlager-, Pop- und Rockmusik – die der Beatles, Rol-
 Der Reformkommunist 273

ling Stones, Beach Boys und Jimi Hendrix’ – populär. In der Pop- und
Rockmusik, im Unterhaltungs- und Autorenkino sowie bei allen For-
men des Modernismus und der Avantgarde-Kunst machten die Jugo-
slawen ebenfalls mit. Sie eröffneten Ausstellungen und Museen zeit-
genössischer Kunst und brillierten mit einer international viel
­beachteten Kino- und Theaterszene. 1969 gewann Želimir Žilnik, der
bald berühmteste Exponent der kinematographischen « Schwarzen
Welle », in Berlin den Goldenen Bären.
Das Klima der Liberalisierung spürten auch die Religions­
gemeinschaften. 1953 machte das Gesetz über die Rechtsstellung der
Glaubensgemeinschaften diese zu juristischen Personen. Es bekräf-
tigte die Gewissens- und Glaubensfreiheit, erlaubte Religionsunter-
richt und religiöse Presse sowie Spendensammlungen zugunsten der
Kirche. Der Staat durfte sich in die Besetzung von Ämtern nicht mehr
einmischen. Tito bedauerte öffentlich frühere « Exzesse » und ver-
dammte « derartige Handlungen, weil wir viel bessere Mittel … ha-
ben ».54 Anstelle offener Repression trat ideologische Beeinflussung
und Erziehung in der Schule und in der Armee. Die massenhafte Ver-
folgung von Priestern und Bischöfen hörte damit auf; es blieben aber
Schikanen und Willkür. Noch 1963/64 wurden insgesamt 231 Geist-
liche mit administrativen Strafen belegt, darunter 21 orthodoxe und
174 katholische Priester.55 Auch der Vatikan zeigte sich weniger feind-
selig, seitdem das Zweite Vatikanische Konzil Erneuerung versprach
und Papst Paul  VI. die Kirche gegenüber der kommunistischen Welt
öffnete. Geheimverhandlungen mit Tito führten 1970 zur Wiederauf-
nahme der Beziehungen mit Jugoslawien.
Insgesamt genossen die Religionsgemeinschaften nie und nirgends
größere Freiheiten im Sozialismus als jetzt. 1965 veröffentlichten sie 65
Zeitungen und Zeitschriften mit einer Gesamtauflage von 3,7 Millio-
nen Stück. 1987 waren es schon 99 Titel.56 Besondere Förderung er-
hielt die Islamische Religiöse Gemeinschaft, die, politisch gezähmt,
relativ frei agieren durfte. Allein in Bosnien-Herzegowina gab es über
zweitausend Moscheen, Bethäuser und kleinere Kultstätten, in Ko-
sovo und Makedonien weitere rund tausend.57
Seit 1960 war die Vorab-Zensur ausdrücklich aufgehoben, was in
274 Zagreb, 2.–7. November 1952 

keinem anderen sozialistischen Land der Fall war. Allerdings enthielt


das Strafgesetzbuch Tatbestände wie « feindliche Propaganda » und
« verbale Delikte » sowie « Konterrevolution », « Terrorismus » und « Ver-
schwörung ». Intellektuelle standen demnach unter der permanenten
Drohung von Berufs- und Publikationsverboten oder – in schweren
Fällen  – Gefängnisstrafen. Prinzipiell konnte die zuständige Repu­
blik, genauer: konnten deren Gerichte, Partei- und Selbstverwal-
tungsorgane staatsfeindliche, also antisozialistische oder nationalisti-
sche, Publikationen einziehen. Etliche Veröffentlichungen wurden
verboten, meist solche der ultranationalistischen Emigranten, aber
auch von Regimekritikern, die den Marxismus, die Staatsorgane oder
den Präsidenten verächtlich machten. Zum Beispiel verbot das Kreis­
gericht Sarajevo 1963 den Film « Die Stadt », weil er « die gesellschaft-
liche Entwicklung des sozialistischen Jugoslawien negativ darstellt ».58
Während dies der einzige Fall von gerichtlicher Zensur blieb, schei-
terten andere Filme an « administrativen » Urteilen der Ideologiekom-
missionen. Zuweilen wurden auch Schlager wegen « dekadenten » oder
pornographischen Inhalts eingezogen ebenso wie Filme der « Schwar-
zen Welle », weil sie die jugoslawische Realität allzu kritisch aufs Korn
nahmen.59
Nichtsdestotrotz erlebten die Jugoslawen « goldene Zeiten ». Das
rasante Tempo, in dem die Gesellschaft moderner, wohlhabender und
durchlässiger wurde, ließ die alten Wunden, die der Nationalismus
­geschlagen hatte, schneller heilen. Die Nationalitätenpolitik, das Wirt-
schaftswunder und eine Außenpolitik, die in alle Richtungen offen
war, vermittelten vielen Menschen ungeahnte Selbstwertgefühle.
­Arbeit und Bildung, Reise- und Informationsfreiheit, Konsum und
Kultur stärkten zudem das Vertrauen in den Vielvölkerstaat und die
eigene Zukunft. Das Misstrauen zwischen den Nationalitäten
schwand, auch wenn sich viele bei der Partnerwahl noch an der Volks-
und Religionszugehörigkeit orientierten. 1964 erklärten drei Viertel
der Befragten, ihr Verhältnis zu den anderen sei gut. Weitere acht Pro-
zent fanden es zumindest zufriedenstellend. Nur etwa fünf Prozent
äußerten sich negativ, der Rest war unentschieden.60
Unabhängig von der Frage, ob die kommunistische Führung es
 Der Reformkommunist 275

überhaupt je anstrebte, Staat und Gesellschaft dauerhaft auf totalitäre


Weise zu « durchherrschen » und nicht nur für eine Übergangszeit,
existierten somit Faktoren, die in längerer Perspektive unwillkürlich
auf mehr Pluralismus hinwirkten. Der erste, ideologische, war aus der
Not geboren gewesen, als der Bruch mit Stalin nach einer weltan-
schaulichen Begründung verlangte. Die « Demokratisierung » in Form
der Arbeiterselbstverwaltung geschah, auch wenn es die Parteifüh-
rung offiziell anders darstellte, tatsächlich aus überwiegend zufälligen
Motiven. Aber aus Not wurde bald eine Tugend, zumal es auch innere,
systemimmanente Faktoren gab, die die Pluralisierung beförderten:
die historisch-kulturelle Diversität und der Föderalismus auf der
­einen Seite sowie Industrialisierung und Modernisierung auf der an-
deren Seite. Der rasche soziale Wandel resultierte in einer immer stär-
keren gesellschaftlichen Differenzierung, durch die neue Schichten,
Interessengruppen und ganz unterschiedliche soziale Bedürfnisse
entstanden, zum Beispiel neue Eliten, gebildete Mittelschichten und
Intellektuelle, die in den jeweiligen nationalen Kulturen der Republi-
ken und Provinzen verankert waren. Autoritärer Befehl und Gehor-
sam funktionierten in einer sich modernisierenden Gesellschaft nicht.
Vielmehr mussten Regeln gefunden werden, nach denen man unter-
schiedliche Interessenlagen ausgleichen und divergierende politische
Ziele aushandeln konnte, und dafür bedurfte es auch eines gewissen,
das heißt beschränkten Pluralismus. Das Regime griff jedoch sogleich
ein, sofern sich abweichende Meinungen zu politischen Bewegungen
auswuchsen, die seine Machtbasis angriffen.
Neben dem Multinationalismus und der Modernisierung exis-
tierte – dieser nun im internationalen Kontext angesiedelt – noch ein
weiterer Faktor, der den Abbau totalitärer Systemmerkmale förderte:
Die wachsende wirtschaftliche, politische, kulturelle und ökologische
Verflechtung und wechselseitige Abhängigkeit, sprich die Globalisie-
rung, erforderte von allen Systemen, Demokratien und Nichtdemo-
kratien, systemische Anpassungen, um im ökonomischen Wettbewerb
überhaupt bestehen zu können. Im Unterschied zur Zwischenkriegs-
zeit war es nach 1945 keiner Diktatur mehr möglich, sich mittels
­wirtschaftsnationalistischer Maßnahmen auf Dauer von den globalen
276 Zagreb, 2.–7. November 1952 

Handels- und Kapitalmärkten abzuschotten. Die nach dem Weltkrieg


etablierte multilaterale Weltwirtschaftsordnung war durch freien
Wettbewerb geprägt. Seit Mitte der sechziger Jahre wuchs der inter-
nationale Handel mit Industrieerzeugnissen doppelt so schnell wie die
globale Produktion. Während sich die Integration der Weltwirtschaft
in so rasantem Tempo vollzog, traten die sozialistischen und die kapi-
talistischen Länder unwillkürlich in engere Beziehungen zueinander.
Das betraf besonders Jugoslawien, das dringend auf Devisen und
Technologieimporte angewiesen war, um seine Industrialisierung
­voranzutreiben. Sein Außenhandel stieg sogar schneller als das Volks-
einkommen  – die internationale Verflechtung und Abhängigkeit be-
schleunigte sich und damit auch der gesellschaftliche Anpassungs-
druck.61 Alle vier Faktoren – Ideologie, sozialer Wandel, ethno-soziale
Diversität und Globalisierung  – beeinflussten und verstärkten sich
wechselseitig.

Titos Charisma

Wenngleich Tito behauptete, in seinem Staat gebe es keinen


Personenkult, erfüllten sein Auftreten und seine Selbstdarstellung
alle Kriterien desselben: Seine Verdienste als Partisanenmarschall und
Staatsgründer wurden glorifiziert. Außergewöhnliche Fähigkeiten
und Leistungen, die man ihm zuschrieb, machten ihn zum Mythos
und zum Monument. Seine Allgegenwart bezeugten Straßennamen,
Statuen, Büsten und Porträts, die in allen öffentlichen Gebäuden hin-
gen, sowie riesige Aufschriften, die weit sichtbar an Berghängen oder
anderswo in der Landschaft angebracht waren. Vier Städte trugen sei-
nen Namen: Titograd (Podgorica), Titova Korenica, Titovo Užice
und Titov Veles. « Natürlich kommt es nicht in Frage, dass der Name
Tito für kleine Unternehmen, kleine und unansehnliche Straßen,
Straßen in Dörfern und ähnliches benutzt wird », lautete die Anord-
nung. « In Hinblick auf Bilder Titos … muss darauf geachtet werden,
wo diese hängen, zum Beispiel dürfen sie nicht in schmutzigen Amü-
sierlokalen angebracht werden. »62
Ein nichtdemokratisches System verfügt über diverse Instru-
mente, eine politische Persona zu erfinden, über sie zu berichten und
 Der Reformkommunist 277

öffentliche Zustimmung zu erzeugen. Dadurch lässt sich, wenn man


es klug anstellt, ein sich selbst verstärkender Prozess antreiben, der
Berühmtheit und Bewunderung in den Himmel wachsen lässt. Die
jugoslawischen Propagandaabteilungen fanden unterschiedliche Wege,
den Enthusiasmus der Massen und somit Titos tatsächliche oder nur
scheinbare Popularität medial aufzubereiten. Abgesehen von den täg-
lichen Nachrichtensendungen war Tito die Hauptperson in 232 Do-
kumentarfilmen und 1301 Wochenschauen. Im Kabinett ­arbeiteten
festangestellte Fotografen, die seine öffentlichen Auftritte im In- und
Ausland ausführlich dokumentierten. Im Belgrader Museum Jugos­
lawiens sind heute rund 300 000  Negative und tausende Foto­alben
über, von und mit Tito archiviert. Andererseits durfte nichts verbrei-
tet werden, was das Ansehen und die Würde des Präsidenten beschä-
digte.63
Die Marke Tito war allerdings nicht nur ein Produkt der Propa-
ganda. Tito mutierte zum Prominenten im weitesten Wortsinn, und
Prominenz entsteht durch eine Dreiecksbeziehung zwischen der
Persönlichkeit, den Medien und dem Publikum. In dem Maße, wie
sich die Gesellschaft modernisierte und nach außen öffnete, passte
sich Titos Image an sich wandelnde soziale Lagen, Lebensstile und
emotionale Bedürfnisse an. Es spielte mit ganz unterschiedlichen
Rollen, Verkleidungen und Requisiten. Tito gab nicht mehr nur den
mutigen Partisanenführer, weisen Staatsmann und geliebten Vater
der Nation, sondern figurierte zudem als eine Art kommunistischer
König, weltoffener Friedensbote und Politstar. Dieses breite Reper-
toire sprach ganz unterschiedliche Wahrnehmungs-, Deutungs- und
Gefühlsebenen an: Viele Menschen konnten darin etwas Berühren-
des und Bewundernswertes finden, sei es für den Kopf oder für die
Seele.
Wie jeder Machthaber inszenierte sich Tito als Mann des Volkes,
unter anderem durch seine fast 1700  Reisen durch den Vielvölker-
staat. Er beherrschte die Kunst des Populismus, indem er für sich
­reklamierte, Volk und Macht miteinander zu verschmelzen. « Tito und
das Volk – unverbrüchlich sind sie verbunden », hieß es anlässlich sei-
nes Geburtstags. Er verkörpere all das, « was das Volk ist und was das
278 Zagreb, 2.–7. November 1952 

Volk nach vorne bringt ».64 Wie jeder echte Populist sparte er auch
nicht mit Kritik an bürokratischen Tendenzen und anderen Missstän-
den in Partei und Staat. So vermochte er es, sich als Vollstrecker des
Volkswillens zu inszenieren, als Staatenlenker, der sich unermüdlich
für Glück, Freiheit und Gleichheit aller Jugoslawen selbst dem eige-
nen Apparat gegenüber einsetzte.
Die Verehrung Titos war auch ein Ritual, also eine soziale Praxis,
die sich in bestimmten Abständen wiederholte und nach festen Regeln
ablief. Dies sollte einerseits seine autokratische Herrschaft, anderer-
seits auch das Gemeinschaftsgefühl stärken. Fahnen schwenkendes,
jubelndes Volk feierte ihn bei Aufmärschen und Paraden, rief « Wir
­gehören Tito! Tito gehört uns! » und sang « Genosse Tito, wir schwö-
ren Dir, dass wir nie von Deinem Weg abweichen werden ». Die Feier-
lichkeiten zum 1. Mai bildeten jedes Jahr ein landesweites Großereig-
nis, wenn die Städte mit Fahnen, Parolen, Tito-Bildern und Blumen
geschmückt und große Umzüge und Militärparaden abgehalten wur-
den. Millionen waren aus diesem Anlass auf den Straßen. Ein ganz
besonderes Phänomen war die Tito-Stafette am Tag der Jugend, Titos
offiziellem Geburtstag, dem 25. Mai. Junge Pioniere sprinteten durch
das ganze Land, um den Stab mit einer Botschaft an den Marschall
weiterzureichen – ein Zeichen von « Brüderlichkeit und Einheit » und
dazu ein buntes, fröhliches Festival. Als Jugoslawien 1962 den sieb-
zigsten Geburtstag seines Staatspräsidenten feierte, war das ganze
Land auf den Beinen: Etwa 7,5 Millionen Menschen, fast die Hälfte
der Bevölkerung, nahm am Begleitprogramm der Musik-, Sport- und
Kulturveranstaltungen teil. Damals erhielt Tito zwei ganz besondere
Präsente, nämlich die Ehrenbürgerschaft in allen 863  Städten und
Kommunen Jugoslawiens sowie das « Museum 25. Mai » in Belgrad zur
Ausstellung seiner Staatsgeschenke.65
Was die Menschen unmittelbar ansprach und berührte: Tito
durchlief die Metamorphose vom Bauernsohn zum international an-
gesehenen Staatsmann  – die jugoslawische Version des amerikani-
schen Traums vom Tellerwäscher, der Millionär wurde. Was ihn von
der Masse und auch von anderen Führern abhob, war etwas, das
­Günter Grass einmal Willy Brandt zuschrieb: die seltene Gabe, Zu-
 Der Reformkommunist 279

Feierlicher Abschluss des Stafettenlaufs zum 70. Geburtstag Titos


in Belgrad, 1962

kunft näher heranzurücken, schemenhafte Hoffnungen konkreter zu


machen und in eine bestimmte Richtung zu lenken. Stets strahlte er
Tatkraft und Zuversicht aus, und das brachte ihn, der im persön­
lichen Umgang so viel Distanz hielt, auch den Menschen nahe. « Jeder
verstand, was er wollte oder was er nicht wollte », schrieb Milovan
Đilas. « Die Einfachheit und Klarheit der Ausdrucksweise verband
sich mit seinem Gefühl für das Konkrete und das Mögliche. »66 Jedes
Jahr erhielt er zehntausende Briefe und Eingaben, die die Menschen
persönlich an ihn richteten.
Titos Rollen und Images sind ein Gradmesser seines Herrschafts-
verständnisses und zugleich ein authentisches Dokument herrschen-
der Normen und gelebter Moral in der jugoslawischen Gesellschaft.
Eine Quelle seines Charismas war immer noch die Armee, weswegen
er sich häufig in Uniform zeigte. Das kommunizierte einerseits, wer
die Machtmittel kontrollierte, machte aber andererseits auch viel Ein-
druck auf die einfachen Leute. « Ich würde sie ausziehen, wenn alle
280 Zagreb, 2.–7. November 1952 

sechzehn Millionen Jugoslawen Intellektuelle wären », erläuterte Tito.


« Aber ich kenne die Mentalität der Bauern, kenne ihren Kult der
­Uniformen, daher muss ich mich so verhalten, wie die Mehrheit des
­Volkes es verlangt.  »67
Seine wichtigste Rolle war und blieb die des Hauptdarstellers in
der großen sinnstiftenden Erzählung vom Volksbefreiungskampf, dem
Gründungsmythos des sozialistischen Jugoslawien. Er war der Mit-
telpunkt sozialistischer Traditionspflege, die in Texten, Liedern, Pla-
katen, Gemälden, Schulbüchern, Denkmälern und Feierlichkeiten
stattfand. Der Partisanenmythos arbeitete mit drei klassischen Moti-
ven: das gegen die Gemeinschaft gerichtete verbrecherische Kom-
plott (Wehrmacht plus Volksfeinde), die Figur des rettenden Helden
oder Erlösers (Tito) sowie der Anbruch eines goldenen Zeitalters
(neues Jugoslawien plus Sozialismus). Erzählt wurde vom grausamen
Existenzkampf zwischen Helden und Verrätern, zwischen Gut und
Böse (eigentlich: zwischen warmherzigen Partisanen und gefühllosen
deutschen Nazis), wobei Tito als Retter der Nation und Gründungs-
vater des neuen, gerechten und wohlhabenden Jugoslawien erschien.
Zwischen den Zeilen las man politische Kernbotschaften: Freiheits-
liebe und Patriotismus, das Credo von « Brüderlichkeit und Einheit »,
die Notwendigkeit, die Volksfeinde zu eliminieren, und die Recht­
mäßigkeit der kommunistischen Machtübernahme. Das Narrativ
wirkte gemeinschaftsbildend, stiftete Sinn und stärkte die emotiona-
len Bindungen an den neuen Staat und seine Führung.
Aber es gab auch bewusste Anspielungen an die Monarchie bzw.
eine Vereinnahmung ihrer Traditionen. Tito inszenierte sich, teils
ernsthaft, teils augenzwinkernd, als kommunistischer König. Nicht
nur übernahm die Regierung sämtliche Schlösser, Villen und Jagd-
gründe sowie eine Flotte von Staatskarossen, die höchste Macht
­repräsentierten. Viele Darstellungen dokumentieren Parallelen zwi-
schen monarchischer und kommunistischer Ikonographie. Der uni-
formierte Tito auf seinem edlen Schimmel kopierte die Machtpose
etlicher Kaiser, Könige und Generäle, die sich als Reiterstandbilder
hatten verewigen lassen. Wie König Alexander Karađorđević über-
nahm er die Patenschaft für jedes neunte Kind einer Familie, die
 Der Reformkommunist 281

Tito nimmt in Belgrad die Parade zum Tag der Armee ab, 1951

dann an Feiertagen eine kleine Zuwendung erhielt. Zehntausende


wurden dergestalt zu Titos symbolischen Verwandten. Als er 1953
nach Großbritannien aufbrach, zitierte er den Monarchen Alexan-
der mit dem berühmten Satz: « Behütet mir Jugoslawien! » Es sollen
Alexanders letzte Worte gewesen sein, ehe er 1934 nach einem Atten-
tat verstarb. Sie wurden zu seinem und nicht weniger auch zu Titos
Vermächtnis.
Zur gleichen Zeit kam Titos Image auch ganz modern daher. Ein
medienwirksames, zeitgenössisches Symbol seiner Interpretation von
Macht war das (möglichst amerikanische) Luxus-Auto. Tito bestand
darauf, seine Staatsbesuche in eleganter Karosse zu absolvieren, und
sofern die Gastgeber, zum Beispiel in Mali und in Ghana, keine zur
Hand hatten, brachte man eben das eigene Rolls-Royce-Cabriolet und
die klimatisierte Cadillac-Limousine mit. Mit Grandezza umgab er
sich mit internationalen Filmstars, Musikern und Intellektuellen,
­wobei er sich mit glamourösen Requisiten ausstaffierte, zum Beispiel
Sonnenbrille, sommerlichem weißen Panama-Hut und Zigarre. Er
begab sich bewusst auf den Boulevard, wo die Grenzen der gegensätz-
282 Zagreb, 2.–7. November 1952 

lichen Welten von ernster Politik und Unterhaltung verschwammen.


Selbst der Vorsitzende des Komitees für unamerikanische Umtriebe
berichtete: « Tito passt nicht in das Bild, das man üblicherweise von
einem hartgesottenen Bolschewisten hat. Selbst seine härtesten Kriti-
ker haben bemerkt, dass er ein leutseliger Mann ist, mit unwidersteh-
lichem Charme, Anziehungskraft und Esprit. »68
DELHI, DEZEMBER 1954 
Der « Weltbürger »

Der Globetrotter

Nach Meinung von Präsident Trumans Sicherheitsberater


Charles E. Bohlen gab es seit 1947 « zwei Welten statt einer » – eine von
den USA beherrschte westliche und eine durch die Sowjetunion
­dominierte östliche.1 Jugoslawien aber gehörte keiner der beiden an,
in denen jeweils Arsenale an Atom- und Wasserstoffbomben entstan-
den, die dazu ausreichten, alles Leben auf dem Planeten gleich mehr-
fach auszulöschen. Eine komfortable Position war das nicht – ganz im
Gegenteil, sie war furchterregend. Sollte der Kalte in einen Atomkrieg
umschlagen, was sich beide Supermächte wechselseitig androhten,
würde der geographische Puffer in der Mitte, Jugoslawien, vernichtet.
Nach dem Bruch mit Stalin, der vollkommene Isolation mit sich
brachte, musste Jugoslawien seine Außenpolitik neu erfinden. Dafür
ist kein bedeutender Staatsmann je so viel gereist wie Tito. Zwischen
1944 und 1980 absolvierte er 169 Staatsbesuche in 92 Ländern. Fast
eintausend Tage verbrachte er im Ausland, offenbar ohne zu fürchten,
dass es in seiner Abwesenheit einen Putsch geben könnte. In Jugo­
slawien empfing er 175 Staatsoberhäupter, 110 Premierminister und
hunderte Minister und Chefs politischer Bewegungen. Die Gipfel­
diplomatie resultierte anfangs aus rein pragmatischen Erwägungen.
Schon bald entwickelte sie sich zum gewichtigen Pfund, mit dem sich
international wuchern ließ. Indonesiens Präsident Sukarno nannte
Tito voller Sympathie einen « Weltbürger », weil dieser nicht nur welt-
offen und -gewandt war, sondern auch eine neue globale Ordnung im
Sinn hatte.2
In den ersten Jahren seiner Präsidentschaft war Tito häufig mit
284 Delhi, Dezember 1954 

seiner Staatsjacht « Galeb » (Möwe) unterwegs. Auf 49  Reisen und


520  Tagen an Bord legte er insgesamt 90 000  Seemeilen zurück.3
­Etliche Staatsleute kamen zu Empfängen und Diners an Bord, und
manch politisches Projekt wurde dabei ausgebrütet. Zu Lande reiste
Tito am liebsten mit seinem präsidialen Blauen Zug, den er von König
Alexander übernahm. Die fauchende Dampflok und die elegant
­lackierten Waggons unterschieden ihn weit sichtbar von der grünen
Staatsbahn. Die rollenden Schlaf- und Arbeitszimmer sowie Salon-,
Speise- und Konferenzsäle waren klimatisiert und mit Mahagoni und
Kirschholz ausgekleidet. Etwa sechzig Staatsgäste hat Tito hier emp-
fangen. Nur Charles de Gaulle, für den eine besonders geräumige
­Kabine mit einem extra langen Bett eingerichtet war, wollte aus poli-
tischen Gründen nie mitfahren.
Titos kraftvoller außenpolitischer Auftritt korrespondierte mit
seiner außergewöhnlichen Machtstellung. Seit 1953 war er Präsident,
Regierungschef und Oberkommandierender in einer Person. Seine
Staatsbesuche rangierten als erstrangige protokollarische Ereignisse.
Im März 1953 reiste er auf der « Galeb » als erster kommunistischer
Staatsführer in ein westliches Land. Bei strahlendem Sonnenschein
und unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen nahmen Prinz Philip,
Premier Winston Churchill und Außenminister Anthony Eden den
ehemaligen Partisanenführer mit allen militärischen Ehren am West-
minster Pier in Empfang. In seiner dunklen Marschallsuniform
wandte sich Tito in holprigem Englisch an das britische Volk, ehe er
mit freundlich-verlegenem Lächeln zu einem privaten Gespräch mit
Premier Churchill in die Downing Street aufbrach, an das sich ein
Bankett mit Queen Elizabeth anschloss.
Bereits zum Pressetermin hatte Tito seine dominante Körper-
sprache zurückgewonnen. Er putzte Churchill vor laufender Kamera
ein paar Flusen vom Revers, und beim Handshake behielt er den an-
gewinkelten Ellbogen so eng an der Taille, dass sich sein Gegenüber zu
ihm hinüberbeugen musste. Der Premier fand seinen Gast mittler-
weile « vollkommen vernünftig », wie er an Eisenhower schrieb, und
lupfte zum Abschied recht freundlich seinen schwarzen Homburger
Hut.4 Wie sehr sich das Verhältnis zwischen den beiden verändert
 Der « Weltbürger » 285

Churchill und Tito mit Koča Popović (l.) und Anthony Eden (r.)
in London, 1953

hatte, dokumentiert ein späteres Foto, das zeigt, wie Tito dem ge-
brechlichen Churchill diskret und ohne jede Anzüglichkeit stützend
unter den Arm greift.
Im folgenden Jahr, Ende 1954, war Tito das erste europäische
Staatsoberhaupt, das der jungen Nation Indien einen offiziellen Be-
such abstattete. Begleitet von seinem Vizepräsidenten Ranković, dem
Außenminister Popović, vier Ressortministern, drei hohen Offizieren
sowie einem großen Beraterstab wollte Tito das Riesenland achtzehn
Tage lang mit dem Zug bereisen und zu Silvester den Maharadscha
von Gwalior zur Tigerjagd aufsuchen.5 Vor allem aber wollte Tito mit
Ministerpräsident Jawaharlal Nehru Optionen einer neuen Kultur
der Zusammenarbeit außerhalb der Militärblöcke ausloten. Indien
und Jugoslawien unterhielten bereits seit 1948 diplomatische Bezie-
hungen und rückten beide im darauffolgenden Jahr zu nichtständigen
Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat auf. Tito sei der erste große euro-
286 Delhi, Dezember 1954 

päische Staatsmann, schrieb ein indischer Diplomat, « der nicht als


Kolonisierer nach Indien kam, sondern als großer Freund der Natio-
nen Asiens ».6
Von Indien ging die Reise weiter nach Burma zum sozialisti-
schen Ministerpräsidenten U Nu, ehe Tito zum Horn von Afrika,
nach Äthiopien und Ägypten tourte und 1958 erneut in mehrere Län-
der Asiens. Als erster Führer eines kommunistischen Landes besuchte
er daraufhin Subsahara-Afrika und Lateinamerika.
Mit den Führern der neuen Staaten Asiens und Afrikas teilte
Tito nicht nur außenpolitische Interessen und Ziele, sondern auch
ähn­liche biographische Erfahrungen. Indiens Nehru, Indonesiens
Sukarno und Burmas U Nu waren Anführer von Widerstandsbewe-
gungen, Bezwinger von Kolonialmächten, Staatsgründer mit sozialis-
tischen Idealen und mittlerweile Regierungschefs konfliktbeladener
multiethnischer Gemeinwesen wie er selbst. Nehru hatte zum Bei-
spiel ebenfalls Jahre im Gefängnis verbracht und den Spanischen
Bürgerkrieg miterlebt. Sukarno setzte wie Tito auf Reisediplomatie,
zeigte einen ähnlichen Hang zu Uniformen und maßgeschneiderten
Anzügen. Nicht zuletzt liebten beide Abenteuerfilme und das gute
Leben. Vor allem aber waren sie starke Persönlichkeiten, die die
schwer erkämpfte Unabhängigkeit nicht gleich wieder dem Einfluss
einer neuen Hegemonialmacht opfern wollten. Wie Titos Jugoslawien
passten diese jungen postkolonialen Staaten in keine politikwissen-
schaftliche Schublade. Ägyptens Nasser, Indonesiens Sukarno und
Ghanas Nkrumah waren erkennbar autoritär, ihre Herrschaft hatte
aber mit den « alten Diktaturen » Europas und Lateinamerikas ebenso
wenig gemeinsam wie die Jugoslawiens.7 Sie setzten auf Industrialisie-
rung und Säkularisierung, bedienten sich sozialistischer Instrumente
und Rhetorik und suchten unter Staaten ganz unterschiedlicher poli-
tischer Systeme um Wirtschafts- und Militärhilfe an. Im internatio-
nalen Systemvergleich würde Jugoslawien gut zur Gruppe dieser
postkolonialen Entwicklungsländer passen.
In Indien, Indonesien und Burma fand Tito Anregungen und
Beistand für eine neue außenpolitische Doktrin, die Jugoslawiens Le-
bensinteressen Rechnung trug: seine staatliche Souveränität, territo-
 Der « Weltbürger » 287

riale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit zu bewahren.


­Edvard Kardelj hatte bereits Ende 1949 wichtige Eckpunkte in der
UN-Generalversammlung genannt, aus denen sich in den fünfziger
Jahren die Politik der « aktiven friedlichen Koexistenz » entwickelte.
Der Begriff « friedliche Koexistenz » tauchte bereits in den Nachbar-
schaftsverträgen der Volksrepublik China mit Indien und anderen
Staaten auf. Aber die Jugoslawen wollten es nicht dabei belassen, ledig-
lich den territorialen Status quo festzuschreiben. Ihre Außenpolitik
wollte ausdrücklich « aktiv » sein und somit darauf hinwirken, die bi­
polare Weltordnung des Kalten Krieges als solche zu überwinden, in-
dem man Bedingungen für friedliche Problemlösung und konstruk-
tive internationale Zusammenarbeit schuf. Voraussetzung dafür war
ausdrücklich auch, die Ungleichheit zwischen Nord und Süd abzu-
bauen. Am Ende sollte eine internationale Ordnung stehen, die allen
Völkern und Staaten fünf Prinzipien zusicherte: territoriale Unver-
sehrtheit und Souveränität, Nicht-Aggression, Nicht-Einmischung,
Gleichberechtigung und friedliche Koexistenz.8 Und dafür wollte
Tito die Länder der « dritten Schwäche », wie britische Politiker die
Gruppe der neutralen Staaten verhöhnten, in eine echte « dritte Kraft »
verwandeln, jedoch ausdrücklich in keinen « dritten Block ». Vielmehr
ging es um « konstruktive und gleichberechtigte Zusammenarbeit un-
abhängiger Länder », gleich welchen politischen Systems.9 In Ban-
dung sprach Tito 1958 von einem « dynamisch voranschreitende[n]
Prozess, in dessen Verlauf die Spannung abgebaut, die Rahmen der
Blöcke allmählich gesprengt, das internationale Vertrauen gefestigt
und die Meinungsverschiedenheiten durch friedliche Mittel beigelegt
werden sollen ».10 Die Doktrin der aktiven friedlichen Koexistenz, die
das jugoslawische Parlament 1954 beschloss, wurde 1963 in die Verfas-
sung aufgenommen.
Tito suchte Allianzen mit starken, unabhängig handelnden Füh-
rern ganz unterschiedlicher politischer Orientierung, wie Äthiopiens
Kaiser Haile Selassie, Indiens Premierminister Jawaharlal Nehru,
­Japans Tenno Hirohito und Schah Reza Pahlavi, ja sogar Diktatoren
wie dem Ugander Idi Amin und dem Zentralafrikaner Jean-Bédel
­Bokassa. Auch Monarchen führten persönliche Regime wie er selbst.
288 Delhi, Dezember 1954 

Etliche kommunistische, sozialistische und sozialdemokratische Par-


teien ließ er indessen buchstäblich links liegen, wenn sie ihm zu un­
realistisch, dogmatisch, zerstritten oder unbedeutend vorkamen. 1954
trat Jugoslawien sogar dem westlichen Balkanpakt über militärische
Zusammenarbeit und Beistand mit Griechenland und der Türkei bei,
der allerdings nie wirklich funktionierte. Eine strategische Partner-
schaft und enge Freundschaft ergab sich mit dem jungen ägyptischen
Minister- bzw. Staatspräsidenten Gamal Abdel Nasser. Dieser er-
blickte in Tito ein Vorbild und einen Verbündeten. « Ägypten versucht,
ein zweites Jugoslawien zu werden », erklärte ein hoher ägyptischer
Diplomat. « Unsere Situation ist ähnlich. Während Sie daran arbeiten,
Ihre Unabhängigkeit zu erhalten, versuchen wir, unsere zu gewinnen. »
Nasser war besonders am jugoslawischen Wirtschaftsmodell interes-
siert, da Tito vormachte, « wie man von beiden Seiten Hilfe bekommt,
ohne dazuzugehören ».11
Am 19. Juli 1956 gaben Tito, Nehru und Nasser auf der kroati-
schen Insel Brioni eine wegweisende Erklärung ab. Vor dem Hinter-
grund der Tatsache, dass die Supermächte ihren Kalten Krieg zuneh-
mend in die Dritte Welt verlagerten, prangerten sie « die Teilung der
Welt in Militärblöcke » an und bekräftigten « die Prinzipien der fried­
lichen und aktiven Koexistenz ». Sie knüpften an die Konferenz von
Bandung im Vorjahr an, auf der Vertreter von 29  Staaten und zahl­
reichen Befreiungsbewegungen eindringlich die Gleichwertigkeit
­aller Rassen, die Gleichberechtigung aller Nationen und die Nicht-
Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten gefordert hatten.12
Die wachsenden internationalen Spannungen verliehen dem An-
liegen, die Welt vor einem Atomkrieg zu bewahren, immer neue Aktu-
alität und Dringlichkeit. 1960 sagten Chruschtschow und Eisenhower
nach dem Abschuss eines US-Aufklärungsflugzeugs ein Gipfeltreffen
in Paris ab, wodurch sie den Dialog der Atommächte unterbrachen.
1961 scheiterten die amerikanische Invasion in der kubanischen
Schweinebucht und der Sturz Fidel Castros. Im folgenden Jahr ent-
wickelte sich daraus eine internationale Krise, die an den Rand eines
Atomkriegs führte. 1961 baute zudem die DDR-Führung die Berliner
Mauer, um die Teilung Europas buchstäblich zu zementieren.
 Der « Weltbürger » 289

Andererseits entstanden als Ergebnis der Dekolonialisierung so


viele neue Staaten wie nie zuvor. Allein 1960 nahm die UNO sechzehn
neue Mitglieder aus Afrika auf. Der globale Süden erhielt in der Welt-
organisation immer größeres Gewicht. Vor diesem Hintergrund ver-
abredete Tito im April 1961 mit seinem Freund Nasser eine Gipfel-
konferenz der nichtpaktgebundenen Staaten – ein Vorhaben, dem sich
auch Nehru anschloss. Ziel war es, die antikolonialen Unabhängig-
keitsbewegungen zu unterstützen, die Macht der Blockfreien in der
UN-Generalversammlung zu stärken und die Atommächte auf Ab-
rüstungsverhandlungen zu verpflichten.

Stalin ist tot – hoch lebe Jugoslawien!

Nachdem Stalin im März 1953 verstorben war, begannen die


neuen Machthaber im Kreml ihr Verhältnis zu Jugoslawien zu norma-
lisieren. Noch im selben Jahr tauschten die beiden Staaten Botschaf-
ter aus. Als eine Art unausgesprochene Wiedergutmachung für die
ökonomischen Schäden der Isolation schloss Moskau mit Jugoslawien
ein Wirtschaftsabkommen. Im Mai 1955 flog der neue sowjetische
Parteichef Nikita S. Chruschtschow höchstpersönlich mit einer hoch-
rangigen Regierungsdelegation zu Tito nach Belgrad. Die beiden be-
grüßten sich « kameradschaftlich wie alte Kampfgefährten, die sich
nach langer Trennung wiedersehen, und dann gingen sie freundlich
plaudernd zum Mikrophon, Tito in seiner himmelblauen goldbetress-
ten Marschallsuniform, die Russen in faltigen Straßenanzügen », be-
obachtete der Schweizer Korrespondent Ernst Halperin. Dann schob
sich der « untersetzte, bauernschädlige » Chruschtschow die Brille auf
die Knollennase und begann vorzulesen. « Wir bedauern aufrichtig,
was geschehen ist, und fegen entschieden alle Ablagerungen aus die-
ser Zeit hinweg », schnarrte er. Für das bedauerliche Geschehen trü-
gen die « entlarvten Feinde des Volkes » die Verantwortung, vornehm-
lich der 1953 hingerichtete Geheimdienstchef Lawrenti Berija. Es sei
wünschenswert, setzte Chruschtschow hinzu, «  gegenseitiges Ver-
trauen auch zwischen unseren Parteien herzustellen ». Dann brachte
er noch ein freundschaftliches Hoch auf die Völker Jugoslawiens aus.
Titos Lächeln gefror. « Mit brüsker Handbewegung schob er das
290 Delhi, Dezember 1954 

Tito empfängt
Chruschtschow
in Belgrad, 1955

Mikrophon weg, und immer noch finsteren Gesichtes führte er den


anscheinend verdutzten Chruschtschow und seine Begleiter zu den
bereitgestellten Automobilen. » Hunderte Diplomaten, Korresponden­
ten und Kameraleute rieben sich schadenfroh die Hände. In fetten
Schlagzeilen berichteten sie über die peinliche Brüskierung auf dem
Belgrader Flughafen: « Russischer Anbiederungsversuch gescheitert! –
Abfuhr für Chruschtschow! »13
Während die (sonst immer sehr gut informierten) Jugoslawen so
taten, als wären sie vom öffentlichen Reuebekenntnis Chruschtschows
überrumpelt worden, tat der sein Möglichstes, bei diversen Empfän-
gen den Eindruck zu erzeugen, « er sei viel zu dumm und primitiv, um
gefährlich zu sein ».14 Alle zeigten sich peinlich bemüht, jeglichen Arg-
wohn zu zerstreuen, Jugoslawien kehre ins sowjetische Lager zurück.
 Der « Weltbürger » 291

Denn Belgrad fürchtete, ein zu enger Schulterschluss mit Moskau


könnte die immer noch überlebensnotwendigen Hilfen der USA aufs
Spiel setzen.
In der abschließenden Belgrader Erklärung machte Chruscht-
schow schließlich ein fundamentales politisches Zugeständnis. Er er-
kannte an, dass die konkrete Ausgestaltung eines jeden sozialistischen
Systems ausschließliche Angelegenheit des betroffenen Landes sei.
Beide Seiten sicherten sich zu, die Souveränität, Unabhängigkeit,
­Integrität und Gleichberechtigung sowie das Prinzip der friedlichen
Koexistenz wechselseitig zu respektieren. Auch wollte man auf der
Ebene von Wirtschaft und gesellschaftlichen Organisationen wieder
zusammenarbeiten. Kaum einer im Westen realisierte, dass dies die
sowjetisch-jugoslawischen Beziehungen auf eine völlig neue Grund-
lage stellte. Es ging, wie Halperin bemerkte, in « törichtem Gelächter
und Gekicher » unter.15
Dass Nikita  S. Chruschtschow keineswegs der häufig alkoholi-
sierte Bauerntölpel war, als der er öffentlich auftrat, zeigte sich spätes-
tens, als er auf dem 20. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 in ei-
ner ­«  Geheimrede » die Verbrechen und den Personenkult seines Amts-
vorgängers Stalin anprangerte. Die Opfer des Terrors konnten nun
rehabilitiert werden. Viele jugoslawische Kommunisten waren darun-
ter. Auch der Schuldspruch gegen Hanni König, alias Lucie Bauer,
wurde 1958 rückwirkend aufgehoben. Aber nicht ihr Ehemann Tito
hatte das beantragt, sondern ihr erster Lebensgefährte Ernst Wabra,
der spätere Minister für Staatliche Kontrolle der DDR.
Zwei Monate nach Chruschtschows berühmter Rede wurde das
Kominform-Büro, das Zentralorgan der stalinistischen Osteuropa­
politik, aufgelöst. Die Ostblockstaaten widerriefen die Urteile der
Schauprozesse und ebenso die gegen Tito erhobenen Anschuldigun-
gen. Als Tito und seine Regierungsdelegation im Juni 1956 zu einem
dreiwöchigen Staatsbesuch in die Sowjetunion fuhren, wurden sie
« von Massen von Sowjetbürgern begrüßt, die den Eindruck aufrichtig
erfreuter und begeisterter Menschen machten », erinnerte sich Bot-
schafter Veljko Mićunović. Bereits an der Grenzstation Ungeni bliesen
uniformierte Orchestermusiker unter großen Tito-Porträts kräftig die
292 Delhi, Dezember 1954 

Backen auf, um ihn mit Pauken und Trompeten und einem ausgelas-
senen Willkommensmarsch zu empfangen. Und in Moskau, am Kie-
wer Bahnhof, feuerten sie ihm zu Ehren – und zu seinem Schrecken –
­sogar ein paar Kanonenschüsse ab.16 Nach längerem diplomatischen
Gerangel verabschiedete man am 20. Juni 1956 die Moskauer Erklä-
rung, die bekräftigte, « dass die Wege der sozialistischen Entwick-
lung … verschieden sind ». Es wurde nun offen eine Zusammenarbeit
der beiden kommunistischen Parteien verabredet und bestätigt, die
Beziehungen auf « vollkommener Freiwilligkeit und Gleichberechti-
gung » aufzubauen.17
Schon kurz nach dem fulminanten Empfang in Moskau kam Tito
wegen der Sowjets in die Bredouille. Nur eine Woche nach der
­gemeinsamen Erklärung brachen in Polen und Ungarn Streiks und
blutige Unruhen aus, die eine gefährliche Eigendynamik entfalteten.
In Budapest eskalierte die Lage so weit, dass der ursprünglich mos-
kautreue Regierungschef Imre Nagy im Oktober 1956 den Austritt
Ungarns aus dem Warschauer Pakt erklärte. In der Nacht vom 3. auf
den 4. November marschierten Truppen auf Budapest, um dort eine
neue, kremlfreundliche Regierung zu inthronisieren. Das passierte in
jenem kritischen Moment, als alle Welt auf Ägypten blickte. Dort
­zettelten Großbritannien, Frankreich und Israel einen Krieg gegen
Präsident Nasser an, weil dieser den Suez-Kanal in ägyptisches
Staatseigentum überführt hatte. « Sie stecken dort in der Patsche »,
sagte Chruschtschow, « und wir in Ungarn ».18
Nach der sowjetischen Invasion flohen Imre Nagy, weitere Regie-
rungsmitglieder und ihre Familien in die jugoslawische Botschaft, um
dort politisches Asyl zu erbitten. Auf einmal sah es so aus, als seien die
Jugoslawen die eigentlichen Drahtzieher und Beschützer der ungari-
schen « Konterrevolution ». Panzer der Roten Armee umstellten das
Gebäude. Nach tagelangem Hin und Her schloss die jugoslawische
mit der neuen ungarischen Regierung eine schriftliche Verein­barung,
die den Asylsuchenden freies Geleit zusicherte. Imre Nagy und alle
anderen verließen daraufhin die Botschaft. Noch am selben Abend
wurden sie von sowjetischen Truppen festgenommen und an einen
unbekannten Ort gebracht. Nagy und enge Vertraute wurden später
 Der « Weltbürger » 293

hingerichtet. Das Verhältnis Jugoslawiens zur Sowjetunion erreichte


einen neuen Tiefpunkt.
Trotzdem blieb kein anderer Weg, als sich mit den Sowjets zu ar-
rangieren. Tito war Kommunist, und die Freundschaft zum Mutter-
land der Revolution war seine Herzensangelegenheit. Sie war nicht
zuletzt unerlässlich, um nicht zu stark in amerikanische Abhängigkeit
zu geraten. « Das grausamste marxistisch-kommunistische Regime er-
scheint ihm attraktiver als die liberalste nichtkommunistische Regie-
rung », klagte der Amerikaner George F. Kennan.19
Abgesehen davon verhandelten die Jugoslawen gerade mit den
Sowjets über Kredithilfen und industriell-technische Zusammen­
arbeit. Da an den Projekten auch die DDR teilnahm, kam ein ganz
neues Problem auf den Tisch. Tito hatte zur deutschen Frage eigent-
lich einen ganz eigenen Standpunkt. Als Chruschtschow 1955 Jugo­
slawien besuchte, erklärte er dem Generalsekretär, Deutschland
müsse sich bald wiedervereinigen und seine Souveränität zurück­
gewinnen. Das liege nicht nur im Interesse der Deutschen, sondern
diene auch dem Frieden und der Zusammenarbeit in Europa und in
der Welt. « Weil sich die deutsche Frage … nicht vollständig lösen
lässt, muss man schrittweise vorgehen », indem « man irgendwie einen
Kontakt zwischen Ost- und Westdeutschland herstellt ». Klar, das lehn-
ten im Moment beide Seiten entschieden ab. Andererseits könne man
Deutschland aber nicht « ewig an der Kette halten ». Es müsse wieder
eine gleichberechtigte Stellung erlangen. Man könne ja mit wirt-
schaftlicher Zusammenarbeit anfangen. Und dabei könnten irgend-
wann, belehrte er Chruschtschow, besonders die Sozialdemokraten
hilfreich sein.20 Es dauerte dann noch ein gutes Jahrzehnt, bis die so-
zialliberale Koalition in Bonn zu einem ähnlichen Schluss kam.
Im Gegensatz dazu verkündete die Sowjetführung 1955 die
« Zwei-Staaten-Theorie » und nahm die DDR in den Warschauer Pakt
auf. Mit der Wiedervereinigung wurde es erst einmal nichts. Statt­
dessen drängte Ministerpräsident Otto Grotewohl, der Kreml solle
weitere Kredithilfen für Jugoslawien von der Anerkennung der DDR
abhängig machen. Tito, der bislang nur Beziehungen zur Bundes­
republik unterhielt, nahm wegen des wirtschaftlichen Drucks aus
294 Delhi, Dezember 1954 

Moskau im Oktober 1957 eher verschämt diplomatische Beziehungen


zu den Genossen in Pankow auf. « Für die Existenz zweier deutscher
Staaten ist nicht Jugoslawien verantwortlich zu machen », erläuterte
Botschafter Mićunović. « Die Anerkennung der DDR ist ein Ergebnis
des Zweiten Weltkrieges und der bisherigen Politik der Großmächte
gegenüber Deutschland. »21 Um das Verhältnis zu Bonn nicht zu stark
zu belasten, durfte die DDR nur eine Gesandte, keine Botschafterin
schicken. Das war Eleonore Staimer, die Tochter des Präsidenten
­Wilhelm Pieck, mit dem Tito in den dreißiger Jahren in Moskau in
der Komintern zusammengearbeitet hatte. Sie konnte sich noch gut
an die Kochkünste des Genossen Walter aus dem Hotel Lux erinnern.
Erst 1966 durfte die DDR in Belgrad eine Botschaft eröffnen.
Die Bundesrepublik Deutschland betrachtete die Anerkennung
der DDR als « unfreundlichen Akt » und wandte die Hallstein-Doktrin
an. Da Jugoslawien den Alleinvertretungsanspruch verletzte, brach
Bonn die diplomatischen Kontakte zu Belgrad ab. Das fanden wiede-
rum die Westmächte töricht, weil es den Vielvölkerstaat fast zwangs-
läufig in Richtung Ostblock treibe. Außenminister von Brentano
­beeilte sich deswegen zu betonen, man wolle den Wirtschafts- und
Kulturaustausch trotz allem fortsetzen. Tatsächlich: Zwischen 1957
und 1966 wuchs die westdeutsche Ausfuhr nach Jugoslawien von
325,6 auf 756,6 Millionen DM, und etwa 100 000 Jugoslawen kamen
als Gastarbeiter in die Bundesrepublik.22 Zudem verbrachten jährlich
bis zu 740 000 Westdeutsche ihren Urlaub an der Adria.
Die Beziehungen Jugoslawiens zur DDR köchelten derweil auf
Sparflamme. Das lag unter anderem daran, dass diese stets als Sprach-
rohr Moskaus auftrat, gewissermaßen als Echoraum der periodisch
wiederkehrenden ideologischen Angriffe auf Titos « Revisionismus »,
wenn es zu Meinungsverschiedenheiten kam. Auf längere Sicht be-
mühte sich die ostdeutsche Führung nichtsdestotrotz, die bilateralen
Wirtschaftsbeziehungen auszubauen, schon um den westdeutschen
Einfluss einzudämmen. Die Exporte der DDR blieben dennoch nur
halb so hoch wie die der BRD und der Außenhandel mit Jugoslawien
insgesamt im Defizit.23 Um dem Eindruck entgegenzutreten, er be-
vorzuge Westdeutschland, unternahm Tito 1965 einen Staatsbesuch
 Der « Weltbürger » 295

nach Ost-Berlin, was man in Bonn als « Prestigegewinn für das Zonen-
regime » interpretierte.24 Im Jahr darauf empfingen die Jugoslawen
Walter Ulbricht in Belgrad. Man kannte sich seit Moskauer Zeiten im
Hotel Lux. Das Auswärtige Amt jedoch frohlockte, Tito verberge
« kaum die Geringschätzung … für den moskauhörigen ‹ Genossen › in
Pankow ».25 Da die Zusammenarbeit seither enger wurde, wetteiferten
die beiden Deutschlands erst recht mit Wirtschafts-, Handels- und
Kreditabkommen um Titos Gunst. Gewonnen hat die Bundesrepu­
blik, die in den siebziger Jahren sogar Jugoslawiens wichtigster Außen-
handelspartner wurde.

« Unternehmen Diamant »

Pünktlich um 10 Uhr traf Tito am 14. Februar 1961 mit dem


Blauen Zug in Split ein, wo ihn der Kommandant der Kriegsmarine
und die höchsten Staatsfunktionäre Kroatiens herzlich empfingen.
Vor dem Bahnhof und an der Uferpromade wogte eine riesige Menge,
jauchzende Kinder streuten Unmengen von Blumen. Es wurde ge-
drängelt und geschubst, und fast wäre das eine oder andere Mitglied
der Delegation im Wasser gelandet. An der Hafenmole angekommen,
legte Tito, der eine marineblaue Marschallsuniform trug, die rechte
Hand stramm zum militärischen Gruße an die Schirmmütze, wäh-
rend er die Reihen des Ehrenbataillons abschritt. Bester Laune stieg
er an Deck der « Galeb », um die Szenerie der jubelnden Menschen-
menge zu vermessen. « Tito war eine Persönlichkeit, die mit ihrer Hal-
tung ­allem, was er tat, eine titohafte Bedeutung gab », erinnerte sich
der Schriftsteller Dobrica Ćosić, der mit von der Partie war. « Dieses
Gefühl … hat sich auch auf mich übertragen. » Und so schwenkte
auch der smarte Intellektuelle zum Abschied glücklich und stolz sei-
nen Hut.26 « Komm schnell zurück, Genosse Tito », erschallte es an
Land. « Ohne dich geht es nicht! » Ein Meer von Händen winkte und
wedelte fröhlich und ausgelassen zum Abschied. « Gute Reise! »  –
« Grüßen Sie alle unsere Freunde! »
Um Punkt 11 Uhr dröhnte das dumpfe Schiffshorn, brummend
und gurgelnd setzte sich die « Galeb » gemächlich in Bewegung, um
Kurs auf Afrika zu nehmen, wo Tito für seine Politik der Blockunge-
296 Delhi, Dezember 1954 

Titos Jacht « Galeb », 1961

bundenheit werben wollte. « Dass das klar ist », sprach er, « Mittagessen
gibt es immer um 12.30  Uhr, und Abendessen um 19.30  Uhr. Ich
werde auf keinen warten. Nach dem Abendessen ist Kino. »27
Tito war in Hinblick auf Selbstdisziplin, Pünktlichkeit, Um-
gangsformen und Protokoll ein Perfektionist. Es fing damit an, erin-
nerte sich Veljko Mićunović, dass es selbst bei größter tropischer Hitze
keinem erlaubt war, ohne Jacke und Krawatte am Tisch des Präsiden-
ten zu erscheinen.28 Protokollchef Zdenko Štambuk hatte alle 52 Mit-
glieder der Delegation angewiesen, Frack, weißen und schwarzen
Smoking, mindestens zehn Anzüge und sechzig Hemden sowie eine
entsprechende Anzahl an Schuhen, Taschentüchern und Krawatten
dabeizuhaben. Das gehe natürlich alles auf Staatskosten. « Alles funk-
tionierte, um eine höhere Mission auf dieser Welt zu erfüllen », fasste
es Ćosić zusammen. « Der ganze Staat stand im Dienst seiner [Titos]
welthistorischen Pflicht und Rolle. »29
Gleich zu Beginn der Reise traf die Nachricht von der Ermor-
dung Patrice Lumumbas ein, des ersten frei gewählten Regierungs-
 Der « Weltbürger » 297

chefs der ehemals belgischen Kolonie Kongo. Mit Hilfe von CIA und
belgischem Geheimdienst war er aus dem Amt geputscht, gefoltert
und erschossen worden, weil er sein an Kupfer, Uran und Diamanten
reiches Land enger an die Sowjetunion binden wollte. Tito war un-
endlich aufgebracht über das « g rößte Verbrechen der jüngeren Ge-
schichte » und bestärkt in seinem Vorhaben, die neutralen Staaten ge-
gen « die Imperialisten » zusammenzuschmieden.
Das « Unternehmen Diamant » sollte mit 72 Tagen die längste und
mit den veranschlagten Gesamtkosten von 534 507  US-Dollar auch
teuerste « Friedensreise » werden. Sie war zudem ein logistisches Mam-
mutunternehmen. Für die errechneten 10 478  Seemeilen brauchte
der Tross allein 4671 Tonnen Treibstoff sowie mindestens 1200 Ton-
nen Trinkwasser, weswegen unterwegs für ausreichend Nachschub
gesorgt sein musste. Ansonsten hatte man alles an Bord, was für die
Verpflegung der Passagiere sowie die bevorstehenden Empfänge und
Diners benötigt wurde: Schinken und Mortadella, Schweine- und
Lammfleisch, Beefsteaks, Rinderbrust, Würste, Brathähnchen, Puten,
Ente und Gänse sowie diverse Käsesorten, Fischkonserven und einge-
legtes Gemüse, nicht zuletzt Pralinen, Kekse und Schokoladen. Dazu
kamen 700  Flaschen Schnaps, 300  Liter Weinbrand und Wermut,
4000 Flaschen Wein sowie 29 000 Schachteln Zigaretten und kuba­
nische Zigarren. Zwecks abendlicher Unterhaltung führte man an die
achtzig Kinofilme sowie 42 Musiker mit, die sich je nach Bedarf zu
Blas-, Streich-, Volksmusik-, Tanz- und Jazzorchestern formieren
konnten. Sie hatten natürlich auch die Hymnen der Gastländer und
deren lokale Volksweisen einstudiert.
Zum Schutz und zur Versorgung fuhren im Geleitzug der « Galeb »
die Zerstörer « Split », « Kotor » und « Pula » sowie das Lastschiff « Lovćen »
mit. Insgesamt waren etwa 1500 Personen mit von der Partie: Tito,
­Jovanka und die offizielle Delegation, dazu Offiziere, Unteroffiziere
und Matrosen, Köche, Küchenhelfer und Kellner, Putzleute und
­Maschinisten, Chirurgen, Internisten, Fotografen und Journalisten.
« Dutzende kümmerten sich darum, dass ‹ der Alte › sich so wohl und
wichtig wie möglich fühlte », befand Ćosić.30
Der Geheimdienst hatte über den Winter nicht nur alle Crew­
298 Delhi, Dezember 1954 

mitglieder, sondern auch die Sicherheitsvorkehrungen in den Gast-


ländern überprüft. Wachsamst wurden die antijugoslawische Emigra-
tion und jeder einzelne « Jugowitsch » unter die Lupe genommen. Au-
ßerdem war die « Galeb » für den Fall eines Angriffs auf See mit drei
Bordkanonen und über 7500 Schuss Munition bestückt. Weil die Ju-
goslawen der algerischen Befreiungsbewegung Kriegswaffen lieferten,
nahm sich nämlich Frankreich das Recht heraus, jugo­slawische Kreu-
zer im Mittelmeer aufzuhalten. Und just als die « Galeb » auf Gibraltar
zusteuerte, fand dort ein westliches Seemanöver statt. Tito befahl:
« Wenn [die Franzosen] versuchen, das Schiff zu durchsuchen und die
Mannschaft zu malträtieren, bringt gleich zwei Zerstörer in Stel-
lung. »31
Des Weiteren wurden im Vorfeld der Reise Wetter- und Klima-
analysen angefertigt, eine Quarantänestation eingerichtet sowie Tro-
penkrankheiten und deren Therapien studiert. Sicherheitschef Gene-
ral Milan Žeželj warnte besonders vor heimtückischen Fliegen,
Schlangen und anderem verdächtigen Getier. « Es darf nichts Unvor-
hergesehenes passieren. »32 Er sorgte auch dafür, dass in der Besatzung
genügend Männer mit Titos Blutgruppe vertreten waren.
Titos Regierungstross erinnerte an die Reiseherrschaft der früh-
neuzeitlichen Fürsten, die ihre Küchenmeister, Köche, Kammerdie-
ner, Barbiere, Ärzte, Apotheker, Wagenmeister, Trompeter und Pauker
mitführten, um ihre Regierungsgeschäfte standesgemäß von unter-
wegs erledigen zu können. Die Afrika-Expedition Titos versetzte das
Spektakel lediglich in die technische Moderne. Die 117 Meter lange
« Galeb », ursprünglich ein italienischer Bananenfrachter, diente im
Zweiten Weltkrieg als Minenleger, bis ihn alliierte Bomber 1944 vor
der Küste Rijekas versenkten. Die Jugoslawen hoben das Wrack, um
es erst zu einem Schulschiff und dann zu einer eleganten Staatsjacht
mit einem starken Dieselmotor auszubauen. Titos schwimmende
­Residenz verfügte über vier Decks, komfortable Kabinen, elegante
Speisesäle, diverse Aufenthalts- und Konferenzräume, eine Bibliothek
sowie eine Krankenstation samt Operationssaal. Auch war sie Tag und
Nacht per Fernschreiber, Funk- und Radiostation mit seinen Minis-
terien und Auslandsvertretungen verbunden; für dringende Erledi-
 Der « Weltbürger » 299

gungen hatte man zwei Flugzeuge, eine DC-6 und eine IL-14, auf den
Begleitschiffen dabei. An Bord befanden sich ferner das Rolls-Royce-
Cabriolet, der klimatisierte Cadillac, der gepanzerte Packard und ein
Fahrzeug für den Transport der Garderobe in den Gastländern. Ein
Teil der Ladung waren Geschenke: Kameras, Radios, Fernseher, Jagd-
gewehre, zwei Fiat 1100 aus jugoslawischer Lizenzproduktion sowie
ein Sanitätsbus mit eingebautem Röntgenapparat.
Alle Staaten, die Tito bereiste – Ghana, Togo, Liberia, Guinea,
Mali, Marokko, Tunesien und Ägypten –, bereiteten ihm einen be-
geisterten Empfang. Tito war in vieler Hinsicht ein Vorbild. Er hatte
vorgemacht, wie sich auch kleine Völker der Fremdherrschaft entle­
digen konnten, dass sich koloniale Ausbeutung und Hunger überwin-
den ließen und dass auch nach dem furchtbarsten Bürgerkrieg ein
friedliches Zusammenleben wieder möglich war. Es gibt viele Quel-
len, die erzählen, wie herzlich die Jugoslawen von Hunderttausenden
auf den Straßen empfangen wurden: mit Jubelrufen, Freudentränen,
Liedern, Tänzen und jeder Menge ausgefallener Geschenke, meis-
tens Kunstgegenständen, aber auch dem einen oder anderen exoti-
schen Tier. Für das wenigstens eine Tonne schwere Nilpferdjunge
aus Ghana zimmerten die Matrosen auf der « Lovćen » eigens ein
Schwimmbecken. « Schaut mal, wie der sich in der Ecke versteckt
hat! », freute sich Tito. « Dann nahm er Grünzeug und hielt es ihm
hin », erinnerte sich sein Sicherheitschef. « Und das verfluchte Fluss-
pferd betrachtet Tito, wie er ihm das Futter anbietet, schaut ihn an
und schnaubt, und dann kommt es hervor und frisst das Grünzeug
[aus seiner Hand]. »33
Das revolutionäre an Titos Afrikapolitik war der Umstand, dass es
sie überhaupt gab. Noch hielten die alten europäischen Kolonial-
mächte krampfhaft an ihren letzten überseeischen Gebieten fest. Und
da kam der Präsident Jugoslawiens, ein angesehener Europäer, um die
neuen Staaten ohne Herablassung als gleichwertige Partner zu behan-
deln. Präsident Kwame Nkrumah befand, dass Tito den afrikanischen
Kontinent von allen weißen Politikern am besten verstanden habe.
Und Kaiser Haile Selassie lobte, dass « ausschließlich Jugoslawien die
Entwicklung Äthiopiens ohne jedwede Eigeninteressen unterstützt »
300 Delhi, Dezember 1954 

Mit Haile Selassie


in Adua, 1955

habe  – im Unterschied zu den ehemaligen Kolonialstaaten auf der


­einen und ihren Konkurrenten, der Sowjetunion, China und Kuba,
auf der anderen Seite.34
Tito vergab während seiner Reisen milliardenschwere Darlehen,
Clearingverträge sowie technische und militärische Hilfen, obwohl
Jugoslawien selbst noch auf ausländische Gelder angewiesen war.
Gerne besuchte er Fabriken, Krankenhäuser und Schulen, die von
­jugoslawischen Firmen gebaut wurden. Dies verhieß internationales
Ansehen und einen Zuwachs an Legitimität und Stabilität. Zudem
­erschloss es neue Formen des Personenkults. Denn abgesehen von
­ihrem politischen Potential waren Titos Reisen auch ein riesiges Spek-
takel, das im öffentlichen Raum inszeniert und über die Medien über-
tragen wurde. Weltweit war er der Einzige, fand Dobrica Ćosić, der
 Der « Weltbürger » 301

das Volk in dieser demonstrativen Weise und in so großer Zahl an der


Außenpolitik teilhaben ließ, um sein internationales Renommee zu
stärken. « Das war natürlich Titos Regie, aber eine sehr effektive. »35

Anführer der Blockfreien

Titos große Afrikareise diente primär dazu, möglichst viele


blockungebundene Staaten auf der mit Nasser und Nehru verabrede-
ten Konferenz in Belgrad zu versammeln. So konnte er am 1. Septem-
ber 1961 Delegierte aus 25 Ländern begrüßen, die außer den Jugo­
slawen selbst alle von außerhalb Europas kamen. « Es sind seltsame
Kontraste, die sich dort in Belgrad zusammenfinden: Ein Kaiser ist
dabei, Könige auch und solche, die Könige verstoßen oder umge-
bracht haben; revolutionäre Offiziere und Intellektuelle, die zu Regie-
rungschefs wurden », schrieb Marion Gräfin Dönhoff in der « Zeit ».36
Weder in Moskau noch in Washington war man darüber sonder-
lich erfreut. Die Sowjets ätzten, die Initiative rieche nach amerikani-
schem Imperialismus. Als die Konferenz anfing, brachen sie demons-
trativ ein Teststopp-Abkommen mit den USA und zündeten nach
vier Jahren Pause wieder eine Atombombe. Auch US-Botschafter
George  F. Kennan war skeptisch, riet Präsident Kennedy aber, erst
einmal abzuwarten. Immerhin sei es besser, die Staaten blieben un-
gebunden, statt zum Ostblock überzulaufen. Um zu zeigen, wie fort-
schrittlich man sei, könne man ja ein paar « Neger-Journalisten »
­hinschicken.37 Nicht zu vergessen: Es war eine Ära, in der in ameri-
kanischen Restaurants, Bussen und auf Sportplätzen immer noch
Rassentrennung herrschte und es diskriminierende Wahltests für
Schwarze gab. Beides wurde erst 1964 aufgehoben.
Tito hielt in Belgrad eine so furiose Rede gegen die Blockpolitik,
dass Kennan zurückzuckte. Im Oktober 1961 schrieb er aufgebracht
nach Washington, die USA gingen von ganz falschen Voraussetzungen
aus. « Jugoslawiens Unabhängigkeit ist nicht primär das Ergebnis un-
serer Politik », stellte er fest, sondern Resultat eigener Anschauungen
und Interessen. Amerikanische Außenpolitik sei « gezwungen anzuer-
kennen, dass sich die Jugoslawen momentan nicht durch die uns zur
Verfügung stehenden Mittel beeinflussen lassen … Wir überschätzen
302 Delhi, Dezember 1954 

Konferenz der Blockfreien in Belgrad, 1961

uns und unterschätzen Titos Selbstwertgefühl und Überlebenswil-


len. » Dieser würde « eher zurück in die Berge gehen », als sich Moskau
noch einmal zu unterwerfen. Die finanziellen und technischen Hilfen
nehme er nur aus ökonomischen Zwängen von den USA an, nicht
ohne dass seine Leute das zynisch kommentierten. Und infamerweise
würden sie dann selbst den afrikanischen Ländern Unterstützung
leisten, während sie sie gegen die Politik des Weißen Hauses in Stel-
lung brachten!38
Was die Teilnehmer in der Abschlusserklärung der Belgrader
Konferenz forderten – der Text stammte ganz überwiegend von den
jugoslawischen Gastgebern – , musste man als Angriff auf die bipolare
Weltordnung lesen: 1.  positive Neutralität, das heißt unabhängige
­Politik nach dem Grundsatz friedlicher Koexistenz; 2. vorbehaltlose
Unterstützung der Befreiungsbewegungen kolonialer Völker; 3. Nicht-
zugehörigkeit zu einem Militär- oder Verteidigungspakt sowie 4. Frei-
haltung des nationalen Territoriums von Militärstützpunkten und
-basen. Noch dazu erkannten mehrere Staaten die algerische Frei-
 Der « Weltbürger » 303

heitsbewegung an, andere verurteilten Spanien, Portugal und Frank-


reich für ihr koloniales Gebaren in Afrika.
Die Konferenz der Blockfreien verstand sich zudem als frieden-
stiftendes Forum. Im Schatten der Berlin- und der Kubakrise for-
derte sie beide Supermächte auf, auf Gewaltanwendung oder -andro-
hung zu verzichten. Man entsandte je eine Delegation nach Moskau
und nach Washington, um Nikita S. Chruschtschow und John F. Ken-
nedy einen Friedensappell zu überreichen und sie aufzufordern, um-
gehend direkte Friedens- und Abrüstungsverhandlungen aufzuneh-
men. Sukarno aus Indonesien und Modibo Keita aus Mali reisten
nach Washington, Indiens Premier Nehru mit Ghanas Präsident
Nkrumah nach Moskau. « Die kleinen Völker können eine riesige Rolle
dabei spielen, einen neuen Weltkrieg zu verhindern, wenn sie gemein-
sam für gleichberechtigte Beziehungen zwischen den Großen und
den Kleinen kämpfen », erklärte Tito.39
Wem die Lorbeeren für die Blockfreienbewegung zustehen, ist
zwischen Indien und Jugoslawien umstritten. Womöglich kamen Tito
und Nehru, ebenso wie Sukarno, Zhou Enlai und U Nu, aufgrund
­einer ähnlichen Interessenlage einfach zur selben Zeit zum gleichen
Schluss. Am Ende war es Tito, dem es gelang, die unbestrittene Füh-
rungsrolle in der Bewegung zu übernehmen und die Länder des
­Südens hinter sich zu versammeln. Die Politik des dritten Weges, die
zu Jugoslawiens außenpolitischem Markenzeichen wurde, lieferte
fortan beträchtliches symbolisches Kapital und begründete viele poli-
tisch nützliche und wirtschaftlich lukrative Kontakte. Allein die
­Exporte der Waffen-, Werften- und Bauindustrie in die so genannte
Dritte Welt brachten jährlich etwa 1,5  Milliarden US-Dollar ein.
­Jugoslawische Firmen bauten unter anderem die Kongresszentren in
Accra, Libreville, Lusaka und Harare, die Marineakademie in Tripolis
und das Ölministerium in Bagdad, Bewässerungsanlagen in Peru,
­Hafenanlagen in Syrien, Äthiopien und Indien, Geschäftszentren in
Nigeria und Mali sowie ein Krankenhaus in Guinea. Im Irak, Jugosla-
wiens wichtigstem Handelspartner unter den Blockfreien, errichteten
jugoslawische Firmen Militärobjekte, so auch einen unterirdischen
Atombunker für Saddam Hussein. Zudem lieferten sie Waffen, Pan-
304 Delhi, Dezember 1954 

zer und Jagdflugzeuge unter anderem nach Algerien, Guinea, Guinea


Bissau, Sambia, Sri Lanka, Angola und zu Namibias Befreiungs­
bewegung SWAPO.40 Die Zusammenarbeit betraf aber auch den Bil-
dungs- und Kulturaustausch. Zehntausende junge Frauen und Män-
ner kamen zum Studium nach Jugoslawien. Im Gegenzug konnten
sich die Jugoslawen über Stipendien aus Ägypten, Irak, Libyen, Ma-
rokko, Syrien oder dem Sudan freuen.
Zur aktiven Koexistenzpolitik gehörte es auch, die « progressiven »,
antiimperialistischen Befreiungsbewegungen in der Welt zu unter-
stützen, zum Beispiel in Kenia, Tanganjika (später: Tansania),
Uganda, Sansibar, Nordrhodesien, Südafrika, Mosambik, Kenia und
Portugiesisch-Guinea. Mit Ausnahme der algerischen Freiheitsbewe-
gung FLN, der Jugoslawien auch Waffen lieferte, beschränkte sich das
auf finanzielle und technische Hilfen wie Schulungen und Stipen-
dien. So bildete man in Südrhodesien, Angola, Südwestafrika und
Südafrika Kämpfer für den Partisanenkrieg aus.41
Das Gewicht der Blockfreien zeigte sich Anfang der siebziger
Jahre am klarsten in den internationalen Organisationen. In Jugosla-
wien regierten überzeugte Multilateralisten; sie betrachteten die
UNO, deren Gründungsmitglied das Land war, als Regelungsinstanz.
Mit Hilfe der Entwicklungsländer schafften sie es, eigene Themen auf
die Agenda zu setzen sowie völkerrechtliche Neuerungen anzustoßen
und somit Handlungsmacht aufzubauen. « Jugoslawien hat auch in den
Vereinten Nationen aufgrund seiner besonderen Stellung innerhalb
der Blockfreien großen Einfluss », konstatierte das Auswärtige Amt.42
Eine der frühesten jugoslawischen Initiativen betraf die Erweiterung
des UN-Sicherheitsrats um ständige und nichtständige Mitglieder
­sowie die Stärkung der Generalversammlung. Dadurch erhielten die
jungen Nationen mehr Mitsprache gegenüber den ehemaligen Kolo-
nialstaaten, wenngleich  – bis heute  – keine voll gleichberechtigte
­Position. Auf diesem Weg gelang es, Entkolonialisierung, Entwick-
lungspolitik und die Ächtung des Atomkrieges voranzutreiben. Das
Außenministerium, die Völkerrechtsexperten und Tito selbst brach-
ten des Weiteren Vorschläge auf dem Feld der Menschenrechte, der
Abrüstung, der gerechten Staatenbeziehungen sowie zum Verbot von
 Der « Weltbürger » 305

Rassendiskriminierung ein. Besondere Erfolge erzielte Belgrad beim


Verbot von Bio- und Chemiewaffen, der Bekämpfung von Geisel­
nahmen und Terrorismus, dem Zivilpakt zum besonderen Schutz von
Kindern und Heranwachsenden sowie der Genfer Flüchtlingskon-
vention.43 In all dem verhielt man sich pragmatisch. Ideologische
Themen wie die Unterstützung von Befreiungsbewegungen trug
­Jugoslawien selten in die Gremien der UNO hinein.
Ein Schlüsselanliegen Jugoslawiens und der Blockfreienbewe-
gung insgesamt war die Überwindung des Nord-Süd-Gegensatzes.
« Die eigentliche und unmittelbare Gefahr für die Unabhängigkeit fast
aller blockfreien Staaten geht … nicht von der militärischen, sondern
von der wirtschaftlichen Macht der großen Staaten aus », erklärte
­Julius Nyerere, Präsident Tansanias. « Denn wenn wir versuchen, unsere
Armut zu überwinden, geht jeder von uns unvermeidlich das Risiko
ein, in den Machtbereich der einen oder anderen Großmacht gesogen
zu werden. »44 Auf Druck der Gruppe der 77, eines Zusammenschlusses
der Entwicklungsländer einschließlich Jugoslawiens, gründete die
UNO 1964 gegen den Widerstand der USA und der Europäer die
Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD), die « Gewerk-
schaft der armen Länder », wie sie Nyerere nannte. Jugoslawien ist
auch die « Erklärung über die Errichtung einer Neuen Internationalen
Wirtschaftsordnung » zu verdanken, welche die Generalversammlung
1974 verabschiedete. Verlangt wurden das Recht aller Staaten, eigene
Rohstoffe selbst auszubeuten, Kontrollmechanismen gegenüber mul-
tinationalen Unternehmen sowie Handelserleichterungen und Schul-
denerlass für die Entwicklungsländer. Was den jugoslawischen Exper-
ten vorschwebte, war eine Ordnung, die wie zuhause marktwirtschaft­
liche mit Lenkungsmechanismen kombinierte und nach ihren Maß-
stäben gerechte Beziehungen zwischen unterschiedlichen Systemen
gewährleistete. Das deutsche Auswärtige Amt bemerkte sogar, dass
« wichtige Elemente der neuen Ordnung den eigenen wirtschaftlichen
Interessen entgegenstehen (Jugoslawien ist auf umfangreiche Roh-
stoffimporte angewiesen) ».45 Dass Jugoslawien eine Politik verfolgte,
die nicht ausschließlich auf den eigenen Vorteil bedacht war, hatte sich
schon zuvor während der Ölkrise 1973 gezeigt, als die OPEC in Reak-
306 Delhi, Dezember 1954 

tion auf den Jom-Kippur-Krieg zwischen Israel und seinen arabi-


schen Nachbarn die Fördermengen reduzierte und die Preise verdop-
pelte. « So sehr Jugoslawien selbst unter der Erhöhung der Erdölpreise
leidet (Mehraufwendung 1974 von 700  Millionen US-Dollar bei
­Außenhandelsvolumen von 11  347 [Millionen] US-Dollar), wird doch
darauf bestanden, daß OPEC-Länder im Recht seien (Preiserhöhung
sei Folge des bestehenden, Entwicklungsländer diskriminierenden
Systems). »46 Gewürdigt wurde auch, dass sich die Jugoslawen in der
Nord-Süd-Debatte um Mäßigung bemühten, indem sie darauf be-
harrten, dass weder Industrie- noch Entwicklungsländer ihre Ziele
einseitig durchsetzen dürften. Mit dieser Kompromisshaltung sei es
Jugoslawien gelungen, den Industrieländern erhebliche Zugeständ-
nisse abzuringen.47
Ein ergänzendes Projekt war die neue Weltinformationsordnung.
Die Blockfreien, allen voran Jugoslawien, fanden, dass westliche Me-
dien aus den Industriestaaten, die zu stark an wirtschaftliche Interes-
sen gebunden waren, nicht länger den internationalen Nachrichten-
markt monopolisieren sollten. Belgrad baute den Non-Aligned News
Agency Pool (NANAP) auf, mit der jugoslawischen Nachrichten­
agentur TANJUG im Zentrum. Dadurch sollten die Blockfreien « ihre
politischen und kulturellen Interessen zum Ausdruck bringen kön-
nen » und « eigene Wertsysteme schaffen ». Der gesamte Diskurs sollte
sich ändern und die Welt nicht mehr nur von Krisen und Konflikten
in den früheren Kolonialstaaten, sondern auch von Entwicklungsan-
strengungen und Errungenschaften erfahren.48
Wenngleich die Blockfreien es oft nicht vermochten, Kriege in
den eigenen Reihen zu verhindern oder friedlich zu lösen, gelang es
ihnen in den siebziger Jahren, im Bereich der Wirtschafts- und Ent-
wicklungspolitik stärkere Akzente zu setzen. « Die USA beginnen, die
Blockfreien als eine Kraft anzuerkennen, mit der sie rechnen müssen »,
konstatierte das jugoslawische Außenministerium.49 In Lusaka, der
Hauptstadt Sambias, beschlossen die Vertreter von mittlerweile
71 Ländern 1970, ihre Zusammenarbeit stärker zu koordinieren und
zu institutionalisieren. Tito, der die Konferenz angeregt hatte, strebte
danach, den Kreis der blockfreien Staaten unabhängig vom jeweils
 Der « Weltbürger » 307

herrschenden politischen System so weit es ging zu erweitern. Dies


­ermöglichte es, geschlossener aufzutreten und die Staaten des globa-
len Südens auf internationaler Ebene sichtbarer und erfolgreicher zu
machen. Er verstand es andererseits auch, allzu radikale Forderungen
abzubremsen, so dass zum Beispiel Willy Brandt dankbar war, dass
Tito in Lusaka « übersteigerten Angriffen auf die Bundesrepublik die
Spitze abgebogen habe ».50 1979 verhinderte er in Havanna durch eine
kraftvolle persönliche Intervention, dass Fidel Castro ein ständiges
Sekretariat installierte und die Blockfreien auf einen prosowjetischen
Kurs einschwor.
Die Blockfreiheit entwickelte sich zu einer tragenden Säule der
Identität und Stabilität Jugoslawiens. Seine Bürger waren stolz auf das
Renommee ihres Staatschefs und freuten sich über einen Zugewinn
an Sympathien, Kontakten und politischer Macht. Selbst Zbigniew
Brzezinski, Chefberater von Jimmy Carter, bestätigte, dass Jugosla-
wien neben den USA und der Sowjetunion das einzige Land gewesen
sei, dass sich als globaler Faktor etabliert habe, wovon später noch die
Rede sein wird.51 Dass man freundschaftliche Beziehungen in alle
Richtungen knüpfte, versöhnte rivalisierende außenpolitische Orien-
tierungen im Vielvölkerstaat, weil einige Republiken eher mit dem
Westen, andere mit der Sowjetunion und die dritten am liebsten mit
den islamischen Staaten kooperieren wollten und das auch konnten.
Immerhin lebten knapp 1,5 Millionen bosnische Muslime sowie wei-
tere 1,9 Millionen muslimische Albaner, Slawen, Türken und Roma in
Jugoslawien. Mit den außenpolitischen Erfolgen vermochte Tito nicht
zuletzt, so manche innere Friktion zu übertünchen. « Mögen sich die
jugoslawischen Völker und ihre Führungen … noch so sehr zerstritten
haben – in einem Punkte sind sie sich einig: Nie hat das reformkom-
munistische Jugoslawien … außenpolitisch eine ebenso günstige und
relativ sichere Position eingenommen wie im gegenwärtigen Augen-
blick [1971]. Dieser Erfolg trug dazu bei, das Vertrauen in die Füh-
rung Titos … zu festigen. »52
308 Delhi, Dezember 1954 

« Riese auf der Weltbühne »

Tito, den Richard Nixon einen « Riesen auf der Weltbühne »


nannte, betrachtete die Außenpolitik als seine ureigene Domäne.53 Als
Elder Statesman liebte er ausschweifende Erörterungen der weltpoli-
tischen Lage, beeindruckte aber auch durch « Vitalität, Humor und
Freundlichkeit », wie zum Beispiel US-Außenminister William P. Ro-
gers fand.54 Dem Gesetz nach steuerten Politbüro und Parlament die
auswärtigen Beziehungen; das Außenministerium übernahm das
­operative Tagesgeschäft. In der Praxis war es komplizierter. Viele Ini-
tiativen entstanden aus dem Apparat heraus, Fragen von existentieller
oder weltpolitischer Bedeutung entschied Tito selbst. Bis zuletzt griff
er dann persönlich zum Telefon.
Kam es zu Meinungsverschiedenheiten, behielt Tito das letzte
Wort. Als Israel im Juni 1967 durch einen Präventivschlag die ägypti-
sche Luftwaffe vernichtete und damit den Krieg gegen seine arabi-
schen Nachbarn einleitete, geriet Jugoslawien in ein Dilemma, das die
jugoslawischen Außenpolitiker spaltete. Denn einerseits hatte man
­Israel unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung 1948 anerkannt;
für Tito nach dem Holocaust ein Gebot der Stunde. Andererseits un-
terhielt man überaus freundschaftliche Kontakte zu den arabischen
Staaten, besonders zu Ägypten. Jetzt entschied Tito, die diplomati-
schen Kontakte nach Israel abzubrechen und die Araber zu unter­
stützen, was der Doktrin der Blockfreiheit zuwiderlief. Kritik seines
Außenministers Koča Popović konterte Tito: « Wenn die arabischen
Länder fallen, gibt es keine Blockfreiheit mehr. In Afrika werden sie
alle immer schwächer, und auch Indien steht unter starkem Druck. »
Man müsse es verhindern, « die unabhängigen Länder zu liquidieren ».
Einen « Kreuzzug » gegen Israel wollte er andererseits auch nicht. « Ich
denke nicht daran, etwas zu diktieren, sondern ich gehe vor das Parla-
ment », kündigte er an. Dort ließ er sich seine Entscheidung pro forma
absegnen, um « alles Nötige » zu veranlassen.55 « Sein Prestige ist so
groß, und die Loyalität derer, die ihn umgeben, ist so, dass es keiner
wagt, ihm offen zu widersprechen », erklärte George F. Kennan seinem
Präsidenten Nixon.56
 Der « Weltbürger » 309

Henry Kissinger fand, dass Tito arg danach strebte, « seinem Land
eine Rolle zu geben, die ziemlich unverhältnismäßig ist verglichen mit
Größe, Lage und Potential ».57 Tatsächlich verstand Tito es, Jugoslawi-
ens Sonderstellung zwischen den Blöcken zum eigenen Vorteil auszu-
spielen. Beide Supermächte wollten schließlich verhindern, dass das
strategisch wichtige Land in das feindliche Lager entglitt. Sie über­
boten sich mit immer neuen Kredit- und Kooperationsangeboten.
Für Jugoslawien war das ausgesprochen nützlich, da es aus wirtschaft-
lichen Gründen auf beide Blöcke, die EWG und den Rat für gegensei-
tige Wirtschaftshilfe, angewiesen war. Seit den sechziger Jahren wuch-
sen Außenhandelsdefizit, Inflation und Arbeitslosigkeit, ohne dass der
marktwirtschaftliche Reformmarathon die Lage substantiell verbes-
serte. Seit 1960 verlangsamte sich das industrielle Wachstum und fiel
von 15 Prozent auf nur noch vier Prozent in der ersten Hälfte 1962.58
Während 1961 die Privateinkommen um 23  Prozent stiegen, wuchs
die Produktivität in der Industrie um 3,4 Prozent. Seither lebte Jugo-
slawien über seine Verhältnisse.59 Enge wirtschaftliche Beziehungen
nach Süd, West und Ost zu unterhalten, war eine ökonomische Über-
lebensnotwendigkeit. Die aktive Außenpolitik und die 1964 angesto-
ßenen Marktreformen bedingten und beförderten sich also wechsel-
seitig. Beide Stränge sollten helfen, Jugoslawien besser in die globale
Wirtschaft zu integrieren und mehr internationale Kredite ­anzuziehen.
Jugoslawien « kann nicht ohne die beiden Blöcke sein, sondern nur mit
beiden », kommentierte « Die Zeit ».60
Seit sich die Amerikaner entschieden hatten, Tito « über Wasser
zu halten », pendelte sich das Verhältnis trotz gravierender politischer
und ideologischer Meinungsverschiedenheiten auf fast freundschaft-
lichem Niveau ein. Im Herbst 1963 empfing John  F. Kennedy den
­jugoslawischen Staatspräsidenten mit höchsten militärischen Ehren
im Weißen Haus. Als der US-Präsident kurz darauf in Dallas ermor-
det wurde, war Tito erschüttert. Er ordnete Halbmastbeflaggung in
Jugoslawien und in allen Schulen eine Unterrichtsstunde ihm zu
­Ehren an.61 Im Weißen Haus wagte man damals schon nicht mehr zu
hoffen, dass Titos Häresie als Spaltpilz im Ostblock wirken würde.
Minimalziel war jetzt, das Land als Puffer gegenüber dem Sowjet-
310 Delhi, Dezember 1954 

block zu stabilisieren. « Wer immer über den Sturz des aktuellen Regi-
mes spricht, redet der Zerschlagung des jugoslawischen Staates das
Wort », konstatierten die Diplomaten. « Nichts ist ungewisser, als anzu-
nehmen, dass mehrere zerstückelte Entitäten … sich dem Sowjet-
kommunismus … effektiver widersetzen könnten als ein ungewöhn-
lich festes und erfahrenes [professionelles] nationales Regime. »62 In
gewisser Weise hatte die US-Außenpolitik sogar Vertrauen zu Tito
­gefasst. Er « betrachtete sich … als guter marxistischer Kommunist
und wollte nie den Eindruck erwecken, … etwas anderes zu sein », be-
fand US-Botschafter George F. Kennan. « Ich hatte nie das Gefühl, er
wolle mich täuschen oder hintergehen. »63
Tito setzte seine Verbindungen in die USA gezielt gegen den
Kreml ein, der nach der Invasion in der Tschechoslowakei 1968 eine
neue Eiszeit gegenüber Jugoslawien einleitete. Tito war über den Ein-
marsch des Warschauer Paktes gegen den « Prager Frühling » zutiefst
empört. Er sympathisierte mit den Reformern und erhielt in Moskau
die Zusicherung, die Krise würde mit friedlichen Mitteln gelöst. Aber
Leonid Breschnew berief sich auf die « beschränkte Souveränität » der
sozialistischen Staaten und beantwortete Titos massive Proteste mit
militärischen Drohungen. Anschließend ließ er alle jugoslawischen
Anstrengungen, die lebenswichtige Verbindung zur Sowjetunion zu
akzeptablen Bedingungen wiederherzustellen, ins Leere laufen. « Da­
raufhin ging Tito auf Gegenkurs », beobachteten die deutschen Diplo-
maten. « Er ließ deutlich werden, dass sich ihm notfalls andere Alter-
nativen bieten. » Im Oktober 1970 empfing er US-Präsident Richard
Nixon in Jugoslawien, ein halbes Jahr später reiste Außenminister
Mirko Tepavac nach China. « Die besondere Leistung der jugosla­
wischen Diplomatie besteht aber darin, dass sie … jede [erneute]
­Herausforderung Moskaus sorgfältig vermied. » Die Jugoslawen wur-
den nicht müde zu betonen, dass nichts davon gegen einen Dritten
­gerichtet sei.64 Kennan kommentierte, Tito wolle die Sowjets mit Aus-
dauer und Geschick dazu bewegen, seine Position zu akzeptieren und
ihn mit Respekt zu behandeln. « Er wollte gute Beziehungen mit bei-
den Seiten. »65
Trotz, oder vielleicht gerade wegen der amerikanischen Hilfen
 Der « Weltbürger » 311

sparte Tito nicht mit ätzender Kritik an der US-Außenpolitik. Als


Präsident Nixon 1970 nach Jugoslawien reiste, warnten ihn seine Be-
rater, Tito werde ihn zwar mit Würde und stiller Genugtuung emp-
fangen, er möge sich aber auch auf harte Gespräche gefasst machen,
besonders über Vietnam und den Nahen Osten.66 Titos « Urbedürfnis,
gerade stärkeren Staaten gegenüber seine Unabhängigkeit trotzig zu
demonstrieren », gewinne immer wieder « die Oberhand », kommen-
tierte auch das Auswärtige Amt. Und dann kämen die Amerikaner
­«  regelmäßig, nachdem sie von Tito eine Ohrfeige erhalten hatten, mit
um so besseren Angeboten » zurück.67
Als Tito 1971 einen Staatsbesuch in den USA ankündigte, sah
sich Breschnew gezwungen, auf ihn zuzugehen, und schwebte noch
im selben Herbst mit seinem Regierungsflieger in Belgrad ein. Tito
gab die Tonlage vor. Weil sich der Ausstieg auf dem Flughafen etwas
verzögerte, empfing er den Gast mit einem ironischen « es dauert aber
lange, bis Sie vom Himmel auf die Erde niedersteigen ». Und als
Breschnew später eine öffentliche Rede hielt, sendete das Fernsehen
programmgemäß die Kinderstunde.68 Anschließend gab es bei den
politischen Gesprächen eine heftige Auseinandersetzung über den
Einmarsch in der Tschechoslowakei. Breschnew polterte herum, duzte
Tito und schimpfte ihn « Broz ». Er würde nur noch dem Westen
schöntun, « und die Beziehungen mit uns beschränkst du auf warme
Grüße zum Jahrestag der Oktoberrevolution ». Dann warf er seine
­Zigarettenschachtel auf den Tisch und erhob sich, um zu gehen. « So
hatte noch niemand mit Tito gesprochen, und auch er mit nieman-
dem », berichtete der damalige Außenminister Tepavac. « Tito blieb
finster und eisig, und wir anderen wie begossen. »69 Aber am Ende be-
kräftigte Breschnew die von Chruschtschow 1955 getroffene Zusage,
dass jedes Land das Recht auf seinen eigenen Weg zum Sozialismus
habe. Moskau kam den jugoslawischen Wünschen weit entgegen, unter
anderem mit zwei Krediten von je 540 Millionen US-Dollar für Inves-
titionsgüter und einer Ausweitung des Handels. « Titos feste Haltung
scheint … der Überzeugung zu entspringen, dass Jugoslawien seine
unabhängige Position nur durch konsequente Ablehnung sowjetischer
Beeinflussung seiner Blockfreiheitspolitik behaupten kann. »70
312 Delhi, Dezember 1954 

Kaum war Breschnew abgereist, machte sich Tito auf nach Wa-
shington. Dort feierte ihn die Presse als « wahren Herold einer Epoche
des Abbaus der Spannungen, dessen Rat und Hilfe von vielen gesucht
werde ».71 Mit Breschnews Zugeständnis in der Tasche « konnte er
sich … erlauben, in Washington weiterzugehen, als jemals zuvor ». Die
USA bestätigten in einem offiziellen Kommuniqué, « dass Friede und
Sicherheit in ganz Europa unteilbar seien » – eine verklausulierte Ver-
sicherung, Jugoslawiens Unabhängigkeit und blockfreie Position zu
erhalten. Sie ließen sich sogar hinreißen, die Blockfreiheitspolitik als
« bedeutenden Faktor » und « aktiven Beitrag zur Lösung der Weltpro­
bleme » sowie « besserer Entwicklung der internationalen Beziehungen »
zu würdigen. Tito hatte damit eine Position « gleich nahe zu beiden
­Supermächten » erreicht, kommentierte das Auswärtige Amt. Er reiste
mit Kreditzusagen von fast einer Milliarde US-Dollar nach Hause.72
Die Jugoslawen ließen es sich trotz der neuen Kredite nicht neh-
men, ihre außenpolitische Agenda weiter abzuarbeiten. So wetterte
Belgrad nach den von den USA orchestrierten Putschen in Chile 1973
und Zypern 1974 gegen den « amerikanischen Imperialismus ». Als
nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats stieß Jugoslawien
zwei Resolutionen zugunsten Panamas an, damit die USA den lebens-
wichtigen Kanal und das Land insgesamt verließen. Das State Depart­
ment war so beunruhigt, dass die Jugoslawen den marxistisch-leninis-
tischen Virus in Lateinamerika verbreiten würden, dass man sogar ei-
nen Strategiewechsel überlegte.73 Aber dann schreckten die Diploma-
ten doch vor den politischen Risiken zurück.

Der Gastgeber

Seit Frühsommer 1947 empfing Tito Staatsgäste, Mitarbeiter,


Freunde und prominente Schriftsteller, Wissenschaftler, Schauspieler
und Künstler in seiner Sommerresidenz auf der kroatischen Insel
­Brioni. Dort verbrachte er bis zu sechs Monate im Jahr. In dreißig
Jahren kamen hier neunzig Präsidenten und gekrönte Häupter sowie
hunderte Delegationen und ausländische Diplomaten zu Besuch.
Unter ihnen waren Kaiser Haile Selassie, Gamal Abdel Nasser,
Jawaharlal Nehru, die Präsidenten Chinas, Kubas und Vietnams,
­
 Der « Weltbürger » 313

­ ikita  S. Chruschtschow und Leonid Breschnew, Walter Ulbricht


N
und Willy Brandt. Dieser schwärmte 1973, dass er « nirgends einen
Ort, ein Haus, ein ‹ ambiente › angetroffen habe, die Brioni übertref-
fen! »74 Und US-Außenminister John Foster Dulles schwelgte gegen-
über Präsident Eisenhower, er habe hier Ende 1955 « einen der interes-
santesten Tage seines Lebens » verlebt.75
Die besondere Atmosphäre auf Brioni ergab sich aus der einzig-
artigen Verbindung von Politik und Privatem, von « Entspannung und
Beflügelung », wie Brandt sich ausdrückte. Die Inselgruppe besteht
aus vierzehn Inseln mit mildem, mediterranem Klima. Tito und
­Jovanka logierten in der Weißen Villa auf der Hauptinsel; Staatsgäste
wurden unweit in der Villa Brionka untergebracht. Zwischen Lunch,
Dinner und einem Ausflug in Titos zweisitzigem Schnellboot disku-
tierte man die Weltlage oder fuhr zum Baden auf das kleine Eiland
Vanga. Hier lag Titos Lieblingsplatz: ein Steinhäuschen mit Küche,
Metallwerkstatt und Fotolabor, das er sich selbst inmitten von Wein-
bergen, Obstgärten und Mandarinenbäumen eingerichtet hatte. Auch
etliche Bühnen- und Hollywood-Stars waren hier zu Gast: Orson
Welles, Josephine Baker, Gina Lollobrigida, Richard Burton und
­Elizabeth Taylor. Auch Sophia Loren und Carlo Ponti, die einen gan-
zen Monat auf Brioni verbrachten, fühlten sich dort « wie zuhause ».76
Die Stars erinnerten sich an einen heiteren, geistreichen, mensch­
lichen und zugewandten Gastgeber. Loren kochte Tito ihr Spezial­
rezept, Pasta mit roher Tomatensauce. Und dieser revanchierte sich
mit selbstgemachtem Käse- und Apfelstrudel nach Zagorje-Art.
Zu den Attraktionen der Insel, manche sagen: exzentrischen Aus-
wüchsen, gehörten Zoo und Safaripark, der mit einheimischen Tier-
arten und Exoten bestückt war. Die meisten waren Staatsgeschenke
wie das Nilpferd, das Tito aus Ghana mitgebracht hatte. In den sieb-
ziger Jahren hatten sich zudem Bären, Leoparden, Löwen, Tiger,
­Pumas, Schwarze Panther, Zebras, Giraffen, Kamele, Lamas, Antilo-
pen, Elefanten, Affen, Meerkatzen, Schneeeulen, Papageien und Fla-
mingos angesammelt. Sie waren Sympathieträger ihrer Heimatländer
und lebender Beweis für Jugoslawiens freundschaftliche Beziehungen
in alle Welt. Der veterinärische Dienst führte akribisch Buch über
314 Delhi, Dezember 1954 

Tito und Sophia Loren (hinten) kochen auf Vanga Spaghetti,


1974

Gesundheits- und Seelenzustand der Tiere. Zum Beispiel war der


einsame Schimpanse abends immer arg trübsinnig, wenn die Pfleger
nach Hause gingen. Man solle ihm eine Gefährtin zur Seite stellen,
hieß es.77 Titos betagter Kakadu « Koki », der fluchen und angeblich
sogar dessen Stimme imitieren konnte, blieb noch Jahrzehnte nach
dessen Tod eine der größten Touristenattraktionen auf der Insel.
Auf Brioni, meistens aber auf dem Festland, lud Tito hochrangige
Besucher auch gerne zur Jagd ein, einst ein Privileg der Adeligen. Un-
ter anderen waren Nikita  S. Chruschtschow, János Kádár, Nicolae
Ceau­şescu, Leonid Breschnew, Erich Honecker und die Chefs des
 Der « Weltbürger » 315

­ iplomatischen Corps mit von der Partie. In fast allen Republiken gab
d
es entsprechende Jagdgründe, zum Beispiel in Slowenien das « Jelen »-
Revier. Andere lagen im serbischen Karađorđevo und im bosnischen
Koprivnica. Abends, wenn man auf der Hütte gemütlich beisammen-
saß, kam es zum informellen politischen Austausch. Die Sowjetführer
waren von dem Format so angetan, dass sie ebenfalls Jagdreviere auf-
machten, um dort Staatsgäste zu empfangen. Tito war ein passionier-
ter Jäger und immer außerordentlich guter Laune, wenn er etwas er-
legt hatte. Und wenn es anschließend noch Fotos vom erfolgreichen
Jäger mit seiner Trophäe – gerne ein Bär oder kapitaler Hirsch – gab,
war dies Ausweis von Macht und Männlichkeit. Allerdings gab es bei
der Diplomatenjagd auch einmal einen tragischen Zwischenfall, als
der österreichische Botschafter versehentlich seinen französischen
Amtskollegen erschoss.
Mit zunehmendem Alter, und das merkte man in den sechziger
Jahren, entwickelte Tito einen Hang zum Übergewicht und zum
­Luxus. Er war sehr auf gutes Aussehen bedacht: modische Sonnen-
brille, gefärbte Haare, erstklassige Garderobe. Als Accessoires dienten
Zigarre und Whisky. An persönlichem Reichtum war ihm nicht gele-
gen, er bekam ja alles auf Staatskosten. Das Gehalt des Präsidenten
betrug zwei Millionen Dinar im Jahr (ca. 285 000 DM), das war etwa
das Vierfache dessen, was sein Kabinettschef bekam. Privates Eigen-
tum besaß er keines, weder Bankkonten noch Immobilien, und als er
starb, erschien im Nachlass lediglich ein kleiner Weinberg in der Nähe
von Zagreb.78 Alle Staatsgeschenke übergab er dem « Museum 25. Mai »
in Belgrad, wo sie ausgestellt wurden. Nur das kleine weiße Pudelpaar,
das ihm die griechische Königin Friederike geschenkt hatte, blieb für
ihn und seine Frau persönlich bestimmt.
Wenngleich der Staatspräsident über eine Reihe von Residenzen
verfügte, nämlich siebzehn Schlösser, Villen und Jagdgründe, be-
nutzte er nach eigener Aussage nur vier: das Weiße Schloss in Belgrad,
Schloss Brdo bei Kranj, die Insel Brioni und den Jagdsitz Karađorđevo.
Dort ließ er es an nichts fehlen, oder, wie Prinzessin Margaret gesagt
haben soll, « gegen diesen Pomp wirke der Buckingham-Palast eher
bürgerlich ».79 Willy Brandt sprach von « Eigenarten, die dem Feuda-
316 Delhi, Dezember 1954 

lismus entlehnt schienen », zollte Tito aber nicht zuletzt aufgrund sei-
ner zahlreichen Verdienste für Entspannung und Kooperation « hohen
Respekt ».80 Aber « es ist doch viel besser einen Bonvivant wie Tito als
Diktator zu haben als einen asketischen Typ wie Stalin », meinte ein
Historiker. « Unser Mann genießt das gute Leben und versteht, dass
wir alle auch besser leben wollen. »81 Nicht zuletzt gaben auch Kritiker
zu: Mit dem ganzen Gehabe und Getue vermochte er fast jeden Ge-
sprächspartner zu beeindrucken, zum Beispiel auch Elizabeth Taylor,
die, wie Richard Burton kolportierte, sehr « begeistert von all der
Macht und dem Glanz » war.82
Betrunken erlebte man Tito allerdings nie. Wenn er gut gelaunt
war, konnte er sogar über Witze lachen, die auf seine Kosten gingen:
« Was würde passieren, wenn die ‹ Galeb › unterginge?  – Jugoslawien
wäre gerettet! »
BRIONI, 1. JULI 1966 
Der Richter und Schlichter

Titos Sorgen

Das System Titos bezog seine Legitimität und Stabilität aus


fünf Faktoren: der kommunistischen Einheitspartei; dem Gewalt­
apparat von Polizei, Armee und Geheimdienst; einer relativ liberalen,
konsumorientierten Gesellschaftsordnung; Jugoslawiens blockfreier
Außenpolitik sowie Titos Autorität und Charisma. Dieses machtpoli-
tische Pentagon sicherte das Überleben des Vielvölkerstaats: Es gene-
rierte sowohl Konsens zwischen den Eliten als auch Zustimmung in
der Bevölkerung, und es bot die Handhabe, Regimekritiker auf die
eine oder andere Weise auszuschalten.
Es gab allerdings zwei gefährliche Sollbruchstellen: Nation und
Region. Jugoslawien war ein Staat von beispielloser ethnischer, reli­
giöser und kultureller Vielfalt und einer mit ganz unterschiedlichen
historischen Traditionen und Entwicklungsniveaus. Auf die natio-
nale Frage hatte die kommunistische Partei schon in den zwanziger
Jahren eine Antwort gefunden: den sozialistischen Föderalstaat gleich­
berechtigter Nationen und Nationalitäten, sprich Minderheiten. Alle
besaßen das Recht, ihre sprachliche, kulturelle und religiöse Identität
zu pflegen und weiterzuentwickeln. Zum Beispiel waren die Makedo-
nier, die vor dem Krieg als « Südserben » galten, seit den vierziger Jah-
ren als staatsbildendes Volk anerkannt. Sie entwickelten ihre eigene
Standardsprache und erhielten ihre unabhängige makedonisch-ortho-
doxe Nationalkirche. Die bosnischen Muslime erwirkten in den sech-
ziger Jahren den Status eines konstitutierenden Volkes. Viele von ihnen
begriffen sich aufgrund islamischer Traditionen, Praktiken und All-
tagsbräuche längst als Angehörige einer Nation, nicht lediglich einer
318 Brioni, 1. Juli 1966 

Religionsgemeinschaft. Und Tito erklärte, « jeder hat das Recht, das


zu sein, was er will, so dass ich und andere das respektieren müssen ».1
Allerdings gingen vom Eigenleben der Nationen und Nationalitäten
auch beträchtliche zentrifugale Kräfte aus.
Tito war der Nationalismus fremd. Er war Kommunist und be-
trachtete sich als Internationalist, zumal er in unterschiedlichen kul-
turellen Milieus sozialisiert war. Er fühle sich unter Serben als Serbe
und unter Kroaten als Kroate, konstatierte er. « Ich bin Jugoslawe und
kann nichts anderes sein. »2 Nur aus taktischen Gründen berief er sich
auf seine Herkunft, zum Beispiel als er nach dem Krieg versuchte, die
katholische Kirche zu pazifizieren, indem er den Bischöfen erklärte,
er sei schließlich selbst « Kroate und Katholik ».3
Das sozialistische Regime wollte ausdrücklich keine Einheits­
nation schaffen wie die Monarchie vor dem Krieg, keinen südslawi-
schen Melting Pot, wohl aber einen starken jugoslawischen Patriotis-
mus. Auf dem achten Parteikongress wandte sich Tito energisch gegen
die Ansicht, die Existenz der Nationalitäten sei « überholt », sie « müss-
ten absterben ». Einen jugoslawischen nationalen Essentialismus, den
einige der besonders überzeugten Kommunisten forderten, lehnte er
ab. « Sie verwechseln die Einheit der Nationen mit der … Schaffung
von etwas Neuem, Künstlichem, d. h. einer einheitlichen jugoslawi-
schen Nation, was ein wenig nach Assimilation und Hegemonie-
bestrebungen aussieht. » Zugleich gelte es, alle Formen von schäd­
lichem Nationalismus und Chauvinismus zu bekämpfen.4
Da sich Jugoslawien als Vielvölkerstaat definierte, konnte man
sich in der Bevölkerungszählung als Slowene, Kroate oder was auch
immer identifizieren. Wer das nicht wollte, durfte die Kategorie­
« Jugoslawe » ankreuzen bzw. « national unbestimmt ». Immer mehr
Menschen taten das. Häufig waren es Kinder aus gemischten Ehen
oder solche, die sich aus Erziehung oder politischer Überzeugung nur
als Staatsbürger verstanden. Tito fand, « wer Jugoslawe sein will, soll
Jugoslawe sein. Aber nicht forcieren ».5 Am Ende seiner Ära waren es
über eine Million, etwa fünf Prozent der Bevölkerung.
Die Mehrheit der Familien hielt indessen an ihrer nationalen
Kultur und Religion fest. Im Alltag war das meistens kein Problem,
 Der Richter und Schlichter 319

brachte aber zuweilen eine gewisse soziale Distanz mit sich. So kam es
außerhalb der großen Städte eher selten vor, dass Angehörige unter-
schiedlicher Volks- und Religionszugehörigkeit heirateten. Fast neun
Zehntel aller Ehen wurden zwischen Partnern derselben Nationalität
geschlossen. Kroatisch-serbische Partnerschaften gab es recht häufig,
serbisch-albanische hingegen fast nie.
Tito hegte lange die Illusion, dass der Nationalismus im Sozialis-
mus von selbst verkümmern werde. « Im Krieg habe ich das [den
Natio­nalismus] so übergehabt, dass ich mir eingeredet habe, dass es
solche Probleme nie wieder geben wird. » Tatsächlich wirkten in den
fünfziger Jahren Aufbaueuphorie und sowjetische Bedrohung in die-
ser Hinsicht pazifizierend. Modernisierung und Säkularisierung stärk-
ten andererseits den Wunsch nach Identität und Unterscheidbarkeit.
Zudem verschärften Bildungsmobilität und Bevölkerungswachstum
den Wettbewerb der Eliten. So zeigte sich, dass angesichts wachsender
wirtschaftlicher Probleme die Bedeutung des Nationalen in den sech-
ziger Jahren wieder zunahm, und Tito räumte ein, er habe sich in die-
ser Angelegenheit « ein wenig getäuscht ». Es wurde jetzt dauernd über
den « ethnischen Schlüssel » gestritten, nach dem die Nationalitäten
proportional auf die Partei- und Staatsorgane verteilt wurden. Fand
­eigentlich nur er es grundfalsch, die Arbeiterklasse in Serben und
­Kroaten auseinanderzudividieren? Als ihn die Kaderabteilung zum
« Kroaten » erklärte, grummelte er, « seht mal, ich falle jetzt auch unter
diese ethnischen Schlüssel ». Und er wünschte, dass die vermaledeiten
Dinger « so verrosten, dass sie gar nichts mehr aufschließen ».6
Hinter den Kulissen des brüderlich geeinten sozialistischen Viel-
völkerstaats rumorte es gewaltig: In dem Maße, wie sich der Boom
­abschwächte, wuchs der Nationalismus, und die Parteiführungen der
Republiken stellten die innere Machtverteilung in Frage. Eines der
vertracktesten Probleme war nicht in den Griff zu bekommen: die
Einkommens- und Entwicklungsunterschiede zwischen den Republi-
ken und Regionen. An der Spitze der Wohlstandstabelle und deutlich
über dem jugoslawischen Durchschnitt stand Slowenien, mit einigem
Abstand gefolgt von Kroatien. Serbien lag ziemlich genau im Mittel-
feld, alle anderen kamen weit dahinter. Trotz massiver Investitionen in
320 Brioni, 1. Juli 1966 

die strukturschwachen Landesteile wuchs der Abstand zwischen Arm


und Reich. Das Pro-Kopf-Einkommen in Slowenien war bei Kriegs-
ende dreimal höher als im Kosovo, in den sechziger Jahren schon fünf
Mal. Die staatlichen Maßnahmen zur Umverteilung des Wohlstands
machten alle unzufrieden: die einen, weil sie fanden, dass sie dafür zu
viel abgeben mussten, und die anderen, weil ihnen das noch nicht ge-
nug war.
Wettbewerb und Weltmarktöffnung verschärften die Interessen-
gegensätze im Land. Weil die Preise für Industriegüter hoch, die für
Agrarprodukte und Rohstoffe hingegen niedrig waren, wurden die
weniger entwickelten Teilrepubliken strukturell benachteiligt. Dass
die EWG ihren Markt gegenüber Importen durch Nichtmitglieder
wie Jugoslawien abschottete, verschlimmerte die Situation. Im Bemü-
hen, dem globalen Preisdruck zu entgehen, feilschten die Republiken
um den Zugang zu Investitionen in Betriebe und Infrastruktur. In Be-
zug auf weitere Reformen äußerte sich ein fast unlösbarer Grundkon-
flikt: Die industriell entwickelten Republiken forderten größere
marktwirtschaftliche Freiheiten, die stärker landwirtschaftlich ge-
prägten wünschten sich stattdessen mehr staatliche Regulierung und
Förderung. Im März 1962 gerieten die Vertreter von Slowenen, Ser-
ben und Kosovaren deswegen im Zentralkomitee unerwartet heftig
aneinander. Tito polterte: « Was sind das denn für Diskussionen! Man
muss sich ja fragen, ob unser Staat überhaupt überleben kann, ob er
nicht auseinanderfällt? »7 Dann versuchte er sich an der Quadratur
des Kreises und gab beiden Seiten – Konservativen und Reformern,
­Zentralisten und Föderalisten  – irgendwie Recht. Ein Zurück zum
zen­tralistischen System käme nicht in Frage, konstatierte er, während
er zugleich kritisierte, dass « Dezentralisierung bei einzelnen Leuten
­immer mehr auf Desintegration hinausläuft ».8
Wie immer, wenn er Wichtiges klarzustellen hatte, wandte er sich
an die Öffentlichkeit. Vor 150 000 Menschen sprach er am 4. Mai 1962
bei einer großen Veranstaltung in Split. Er wolle « über Schwächen
und Fehler » reden, und davon gebe es viele. Er verwahrte sich gegen
Klientelismus und Korruption, um daraufhin gegen Egoismus und
Nationalismus seiner Parteigenossen zu Felde zu ziehen. Wie viel Blut
 Der Richter und Schlichter 321

war im Krieg für das brüderlich-einheitliche Jugoslawien vergossen


worden, und keine Republik hätte es je ohne den gemeinsamen Staat
zu etwas gebracht! Man werde niemandem gestatten, die Einheit von
innen heraus zu zerstören! « Heroj Tito, heroj Tito, heroj Tito », skan-
dierte die Menge und schwenkte Fahnen und Transparente.9
Der heißeste Brennpunkt im Vielvölkerstaat war die mehrheitlich
von Albanern bewohnte Provinz Kosovo. Hier verstärkten sich Natio-
nalitäten- und Entwicklungsproblematik wechselseitig. Bei Kriegs-
ende lebten noch über vier Fünftel der Bevölkerung von der Land-
wirtschaft, fast zwei Drittel konnten nicht lesen und schreiben, und
nicht einmal sechs Prozent aller Ortschaften waren an das Stromnetz
angeschlossen. Inzwischen hatte Kosovo einen riesigen Entwick-
lungssprung gemacht. Große Industriebetriebe hatten sich angesie-
delt, Bildung, Handel und Industrie florierten, und nur noch jede
zweite Person war im Agrarsektor beschäftigt. Allerdings wuchs die
Bevölkerung viel schneller als die Wirtschaft. Auf eintausend Einwoh-
ner wurden pro Jahr 29 Kinder geboren – im jugoslawischen Durch-
schnitt waren es zwölf. Deshalb fehlten im Kosovo besonders viele
­Arbeitsplätze. Die Albaner verlangten größere Unterstützung, aber
auch mehr Teilhabe. Und die bis dato privilegierte Bevölkerungs­
minderheit der Serben fürchtete, dass sie auf lange Sicht ausgerech-
net aus der Provinz, die sie aus historischen Gründen als « Wiege der
serbischen Nation » betrachtete, verdrängt würde.
Auch in den gebildeten Schichten Kroatiens, bei den Intellektuel-
len, gedieh der Nationalismus. Auf einmal ging es wieder um die
Frage, ob Serbisch und Kroatisch unterschiedliche Sprachen waren
anstatt eine einzige mit zwei Varianten. Linguisten und Schriftsteller
hatten sich im Dezember 1954 auf eine gemeinsame Standardsprache
verständigt, die « Serbokroatisch » oder « Kroatoserbisch » hieß und in
einer westlichen und in einer östlichen Variante existierte. Tito nannte
sie meistens « naški », also « unsere Sprache », um die heikle Begriffsbil-
dung zu umschiffen. Als 1967 mehr als hundert kroatische Intellek­
tuelle und etliche Kulturorganisationen verlangten, Kroatisch neben
Serbisch, Slowenisch und Makedonisch als selbständige Sprache in
der Verfassung anzuerkennen, ging Tito erneut an die Öffentlichkeit.
322 Brioni, 1. Juli 1966 

Besuch in Prizren, 1967

« Die ehemaligen Tschetniks, Ustascha und Weißgardisten … strecken


den Kopf raus und wollen unsere Brüderlichkeit und Einheit zerstö-
ren », schimpfte er. « Wir dürfen nicht erlauben, dass sich das Alte, das
uns so viel Böses gebracht hat, wiederholt. » Im Kosovo betonte er be-
sonders: « Wir müssen uns vor Leuten hüten, die … unzufrieden sind,
dass alle Nationen und Nationalitäten gleiche Rechte haben. »10 Das
fanden damals offenbar auch die vielen Menschen, die Tito aus ganz
Jugoslawien schrieben, sie seien erleichtert, dass er endlich offen auf-
trat, um die Geister der Vergangenheit zu vertreiben.
Dass sich das System den verändernden Gegebenheiten anpassen
musste, stand für Tito allerdings außer Frage. Für Reformvorschläge
war er offen oder regte auch selbst welche an, wie sogar seine Kritiker
eingestanden.11 « Dann hat er das Tempo … diktiert und genau die
Grenze definiert », bestätigte die serbische Liberale Latinka Perović.12
Denn vier Dinge waren für Tito definitiv nicht verhandelbar: die
­Einheit und Unabhängigkeit Jugoslawiens, die sozialistische Gesell-
schaftsordnung, das friedliche Zusammenleben der Nationalitäten
 Der Richter und Schlichter 323

und  – als Garant all dessen  – die Geschlossenheit der Partei. Über
­alles andere konnte man reden: mehr oder weniger Meinungsfreiheit,
diese oder jene Wirtschaftsreformen, die eine oder die andere außen-
politische Initiative. « Er war immer das Zünglein an der Waage zwi-
schen den Dogmatikern und dem Teil der Führung, der für die Libe-
ralisierung des Systems war », schrieb der kroatische Parteimann Mika
Tripalo.13
Um die diversen Gruppen und Fraktionen in Schach zu halten,
bediente sich Tito ganz unterschiedlicher Strategien und Instru-
mente. Mal gab er den obersten Richter in tribunalähnlichen Partei-
sitzungen, mal schlichtete er mit Einfühlungsvermögen und Finger-
spitzengefühl einen Interessenkonflikt. Er brachte es fertig, sich mit
entwaffnender Ehrlichkeit öffentlich zu eigenen Fehlern zu bekennen,
während er hinter den Kulissen eiskalt Staatsfeinde liquidieren ließ.
Dann wieder appellierte er an die Emotionen: Hütet mir Brüderlich-
keit und Einheit « wie euren Augapfel »! Auf diese Weise behauptete
und bewährte er sich dreieinhalb Jahrzehnte lang als unverzichtbarer
Moderator eines mehr oder weniger gedeihlichen Zusammenlebens
der jugoslawischen Völker.

Der Sturz des Aleksandar Ranković

« Hast du schon Nachrichten gehört », rief der Freund vom


Fenster im vierten Stock Dennison Rusinow zu, als dieser am 1. Juli
1966 vor dem Zagreber Wohnhaus einparkte. « Das größte Ereignis
seit dem Bruch mit Stalin 1948. Komm, beeil dich! » Drei Stunden
später sah der amerikanische Balkanexperte den Platz der Republik
voller Leute, die ebenso ruhig wie aufmerksam die Sonderausgabe der
« Borba » lasen. « Extra! Extra! », riefen die Zeitungsjungen. « Ranković
tritt zurück! »14
Dem Chef des Geheimdienstes und Vizepräsidenten Jugoslawiens
war schon am Morgen des 1. Juli 1966 mulmig zumute gewesen, als
Tito ihn vor dem Plenum des ZK in Brioni zu sich rief. Wenn Streit
anstand, trug Tito gewöhnlich eine dunkle Brille. « Dann wusste man
gleich, was die Stunde geschlagen hat », erzählte Ranković. « Als … ich
die Sonnenbrille sah, dachte ich, jetzt bist du erledigt. »15 In der Tat
324 Brioni, 1. Juli 1966 

Mit Edvard Kardelj (l.) und Aleksandar Ranković (r.)


beim Plenum des ZK auf Brioni, 1957

kündigte Tito dramatische Beschlüsse an: Die Eigenmächtigkeiten


der Geheimpolizei, die sich zum Staat im Staate entwickelt hatte,
müssten unterbunden und die Gegner liberaler und föderalistischer
Reformen entmachtet werden. Eine Untersuchungskommission
würde Amtsmissbrauch bis in allerhöchste Funktionärsebenen auf-
klären.
Tito zog die Notbremse und fegte Ranković aus dem Amt, der seit
längerem einen Macht- und Nachfolgekampf gegen Edvard Kardelj
führte. Sein konservativ-zentralistisches Lager sabotiere die markt-
wirtschaftlich-dezentralen Reformen, weshalb der Geheimdienst
führende Parteimitglieder und sogar Tito selbst ausspioniert habe.
« Ranković bereitet einen Staatsstreich gegen mich vor », soll Tito einem
Vertrauten besorgt berichtet haben. « Er hat überall Abhörgeräte
­angebracht, sogar unter dem Bett. Geh, sieh nach, wenn du das nicht
glaubst. »16 Vladimir Dedijer bemerkte, dass sich Genosse « Leka », der
Asket, seit einiger Zeit sehr verändert und dass er zu trinken begon-
 Der Richter und Schlichter 325

nen hatte. « Seine Hände zitterten dauernd, und die Augenlider zuck-
ten unruhig. »17
Als Chef des Staatssicherheitsdienstes verfügte Aleksandar
Ranković über eine einzigartige Macht. Denn die UDBA funktio-
nierte als selbständiges Fahndungsorgan. Sie durfte ohne staatsan-
waltliche Anordnung wegen politischer Delikte ermitteln. Besondere
Auswüchse zeitigte ihr Wirken im Kosovo, weil die Geheimdienstler,
überwiegend Serben und Montenegriner, alle Albaner als Anti­
kommunisten, Nationalisten und Separatisten verdächtigten. Die
­Geheimdienstler hörten Telefone ab, öffneten Briefe, beschlagnahm-
ten Schriften und legten Dossiers über Verdächtige an. « Uns wurde
stets bezeugt, dass wir die Führungsriege im Kampf gegen den Feind
seien », erläuterte der UDBA-Chef im Kosovo, « und dass die Staats­
sicherheit die gesellschaftliche und staatliche Ordnung beschützt und
wir deshalb alles wissen müssen … und alles zu kontrollieren haben. »18
Im Anschluss an das Plenum kassierte ein Untersuchungsausschuss
hunderte Anzeigen wegen Totschlags, Körperverletzung und Diskri-
minierung und kam 1968 zu dem Schluss, dass « die Gewalt » und
« Methoden und Maßnahmen … eine äußerst große Verletzung ele-
mentarer Bürger- und Verfassungsrechte, der Persönlichkeit, der
menschlichen Würde und der Humanität » darstellten.19
Aus all diesen Gründen gab es beim Brioni-Plenum ein Déjà-vu:
Tito eröffnete die Sitzung und trug die Vorwürfe vor. Der Geheim-
dienst sei zum Quell des Nationalismus geworden. « Er unterdrückt
eine ganze Gesellschaft … Es herrscht Misstrauen auf allen Ebenen.
Erinnert euch das nicht ein bisschen daran, wie es bei Stalin war? »
Zeugen bestätigten, Politiker und Funktionäre der höchsten Ebene
würden diskreditiert, um sie aus dem Amt zu drängen. Ranković er-
klärte daraufhin schuldbewusst, er habe es an « Wachsamkeit » fehlen
lassen, übernahm die « moralische und politische Verantwortung » und
trat von seinem Posten als Vizepräsident zurück.20 Er wurde aus dem
ZK, später auch aus der Partei ausgeschlossen. Gegen sechzehn hohe
UDBA-Funktionäre wurden Strafverfahren eingeleitet. Der Staats­
sicherheitsdienst, der fortan SDS hieß, wurde von Ranković-An­
hängern « gesäubert » und der Aufsicht eines parlamentarischen Kon­
326 Brioni, 1. Juli 1966 

trollgremiums unterstellt. Die geheimdienstlichen Kompetenzen ver-


lagerten sich in die Republiken, nur Spionageabwehr und die Aktivi-
täten der politischen Emigration, von denen später mehr berichtet
wird, blieben im Portfolio des Bundes. Jeder Teilstaat besaß fortan sei-
nen eigenen Sicherheitsapparat, der allein der Republikführung ver-
antwortlich war und nicht mehr der Zentrale in Belgrad. Slowenien
ließ jetzt zehntausende Aktenmeter an Geheimdossiers über « Staats-
feinde » schreddern.21
Somit bildete sich die repressive Säule des vormals totalitären
Systems sichtbar zurück, wenngleich nicht vollständig. Unterschied-
liche, auch kritische und national prononcierte Meinungen konnten
sich nun offener artikulieren als in der Ranković-Ära. Von der Partei-
basis aufwärts gab es freimütige Diskussionen über verschiedene Pro-
bleme. Das Regime investierte jetzt lieber in Soziologie- und Mei-
nungsforschungsinstitute, um den Stimmungen auf den Grund zu
­gehen, als in den Geheimdienst. Besonders gründlich wurden Daten
zu Nationalismus und Chauvinismus, aber auch zu den religiösen
­Orientierungen erhoben. In den Gesellschafts- und Wirtschaftswis-
senschaften machten ganz unterschiedliche Deutungen und Theorien
die Runde.
Die « liberale » Mehrheit innerhalb der Partei trieb nach Rankovićs
Sturz die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Reformen voran,
so dass sich die jugoslawische Politik weiter veränderte. Dies resul-
tierte in wachsender Machtteilung zwischen den Republiken und
mehr Einfluss für verschiedene, nicht an die Partei gebundene Orga-
nisationen, Institutionen und Interessengruppen. Im Oktober 1966
schaffte das ZK die Position des Generalsekretärs der Partei ab und
ersetzte sie durch einen Präsidenten – selbstverständlich Tito – und
das Exekutivkomitee durch ein Präsidium und erweitertes Exekutiv-
komitee. Dies sollte verhindern, dass sich erneut ein zentralistisches
Machtzentrum bildete. Analog wurden auch die Parteistrukturen in
den Republiken reformiert.22
Mehr Rechte für die Nationalitäten und Republiken, die Ranko­
vićs Kopf gekostet hatten, bedeuteten weniger Einfluss für die zahlen-
stärkste Nation innerhalb Jugoslawiens, die der Serben. Das empörte
 Der Richter und Schlichter 327

zuallererst Dobrica Ćosić, der einst ein glühender Tito-Anhänger


­gewesen war, sich aber zusehends dem System entfremdete. Er klagte
über « besorgniserregende antiserbische Stimmungen » sowie die Un-
terdrückung von Serben und Montenegrinern im Kosovo. Im Mai
1968 warnte er, die großserbische Idee aus dem 19. Jahrhundert könne
deshalb wiedererstehen.23 Er wurde unter dem Vorwurf des Nationa-
lismus aus dem ZK ausgeschlossen. Petar Stambolić, einer der promi-
nentesten serbischen Kommunisten, rief zur Ordnung: « Wie kann
heute jemand behaupten, dass es im Interesse des serbischen Volkes
liegt, dass … andere Völker nicht mit uns gleichberechtigt sind? » Die
Rechte Kosovos dienten dem Wohle aller.24
Nicht zuletzt wegen der jetzt lauter werdenden serbischen Stim-
men kam es im November 1968 im Kosovo zu Protesten. Demons­
tranten riefen « Lang lebe Albanien! », « Wir wollen eine Universität! »
und « Nieder mit der kolonialen Politik im Kosovo! » Ziel war der Re-
publikstatus, die Loslösung von Serbien oder sogar die Vereinigung
mit Albanien. Die serbischen Sicherheitskräfte schlugen den Aufruhr
nieder. Kurz darauf wurde einigen Forderungen aber nachgegeben:
Kosovo wurde per Verfassungsergänzung zu einem konstitutiven Be-
standteil Jugoslawiens aufgewertet. Die Provinz erhielt eine eigene
Polizei und Gerichtsbarkeit, eine Universität und sogar das Recht, die
Flagge Albaniens an öffentlichen Gebäuden zu hissen. Tito war je-
doch entschieden dagegen, Kosovo den Republikstatus und also das
Sezessionsrecht zuzugestehen, was besonders Serbien verhindern
wollte. Ihr Selbstbestimmungsrecht habe die albanische Nation be-
reits in Form der Republik Albanien verwirklicht. Der Streit zwischen
Serben und Albanern um den Status des Kosovo aber blieb ein nicht
zu befriedender Dauerkonflikt. Nur kraft Titos Autorität gelang es
vorerst noch, den bitteren Streit unter den Teppich zu kehren.

Aufstand der Intellektuellen

Zu Beginn der sechziger Jahre geriet auch die Ideologie, eine


weitere tragende Säule von Titos autoritärer Herrschaft, unter Be-
schuss. Mit der philosophischen Praxis-Gruppe trat eine regimeskep-
tische neue Linke in Erscheinung, die sich die « rücksichtslose Kritik
328 Brioni, 1. Juli 1966 

alles Bestehenden » vornahm.25 Soziologen und Philosophen kritisier-


ten Deformationen der Selbstverwaltung, die neue hierarchische und
bürokratische Machtstrukturen sowie eine Oligarchie von Parteifunk-
tionären erzeugt habe. Zu fordern sei mehr Freiheit oder sogar das
Mehrparteiensystem. « Der jugoslawische Sozialismus ist in der Krise,
und das nicht, weil eine bestimmte Politik gescheitert ist, … sondern
weil eine bestimmte Konzeption der Arbeiterselbstverwaltung in der
Krise ist, weil das System selbst in der Krise ist », konstatierte die Zeit-
schrift « Praxis ».26
Seit 1963 organisierte die Praxis-Gruppe Sommerschulen in
­Dubrovnik und auf der Adria-Insel Korčula, um über einen humane-
ren und gerechteren « Dritten Weg » des Sozialismus zu diskutieren.
Mit von der Partie waren zahlreiche Intellektuelle aus Westeuropa,
Lateinamerika und den USA, unter anderen auch Denker der Kriti-
schen Theorie und Existenzphilosophie. Es durften in Jugoslawien
auch Werke von Camus, Sartre, Schumpeter und erklärten Kritikern
des Marxismus erscheinen. Unter anderem wurden Erich Fromms
« Die Furcht vor der Freiheit », Herbert Marcuses « Der eindimen­
sionale Mensch » sowie die « Dialektik der Aufklärung » von Theo-
dor W. Adorno und Max Horkheimer verlegt. Sogar die Schriften von
Leo Trotzki und Anarchisten wie Peter Kropotkin wurden vertrieben.
Derweil machten Literatur, Theater und Film Alltagsprobleme,
Entfremdung und Perspektivlosigkeit in der jugoslawischen Gesell-
schaft zum Thema. Die Werke zeigten Anomie, Gewalt, Laszivität
und Dekadenz, also alles, was der Sozialismus eigentlich beseitigt zu
haben vorgab. Und an den Universitäten fanden freigeistige Professo-
ren, seien es undogmatische Marxisten oder überzeugte Nationalis-
ten, ein fruchtbares Betätigungsfeld. Die latente Unzufriedenheit der
Studierenden bildete einen wachsenden Resonanzboden. Dem immen-
sen Ausbau des Bildungswesens standen Engpässe bei Stipendien,
Bildungsinfrastruktur und Arbeitsplätzen für Akademiker gegenüber.
Es wurde Kritik an autoritären Machtverhältnissen und der « roten
Bourgeoisie » laut. Im Kontext weltweiter Studentenproteste von 1968
ging auch die jugoslawische Jugend gegen den Krieg der USA in Viet-
nam auf die Straße. Wie andernorts kam bei dieser Gelegenheit auch
 Der Richter und Schlichter 329

Kritik an den Zuständen im eigenen Land auf. Die Demonstranten


forderten demokratische Rechte, soziale Gerechtigkeit und die Ver-
besserung der Studienbedingungen.
Am Abend des 2. Juni 1968 geriet die Situation bei einem Pop-
Konzert in Belgrad außer Kontrolle. Nach Übergriffen gegen ame­
rikanische Vertretungen entstand eine Prügelei mit der Polizei. Nach
weiteren gewaltsamen Zusammenstößen traten am nächsten Tag erst
die philosophische Fakultät und dann die ganze Universität Belgrad
in den Streik. Weil sich die Rädelsführer vor allem als Kämpfer für ei-
nen reinen, gerechten Sozialismus in der Tradition derVolksbefreiungs­
bewegung betrachteten, riefen sie die « Rote Universität Karl Marx »
aus. Unter den Streikenden waren auch Professoren, Intellektuelle
und Studentenführer, die mit liberalen, wenn nicht nationalistischen
Forderungen auffielen. Die Belgrader Parteiführung argwöhnte, dass
sich eine « besondere Bewegung » konstituiere, die « Programm, organi-
satorische Struktur und andere Merkmale einer politischen Opposi-
tion trägt ».27 Politische Meinungs- und Willensbildung habe aber ge-
fälligst in den Organen des Selbstverwaltungssystems stattzufinden,
nicht auf der Straße.
Da die Proteste nicht abebben wollten, setzte sich Tito am Abend
des 9. Juni 1968, einem Sonntag, ins Studio des serbischen Rundfunks
in Belgrad. Wie immer vor wichtigen Reden war er furchtbar nervös.
Archivbilder zeigen, wie er unruhig auf seinem Stuhl hin- und her-
rutschte und Papiere von links nach rechts und von rechts nach links
sortierte. Erst als die Kamera und Mikrophone auf Sendung gingen,
fiel die Unruhe von ihm ab.
Zehntausende verfolgten die Ansprache gespannt unter den öffent­
lichen Lautsprechern oder vor ihren Fernseh- und Radiogeräten. « Die
Rede war ein meisterhafter Auftritt, sowohl im Inhalt wie in der
­Vortragsweise, die so ungezwungen und ungeschliffen war wie ein
­Kamingespräch », kommentierte der Amerikaner Dennison Rusinow.28
Tito erklärte, dass sich die Studentenbewegung spontan entwickelt
habe, nun aber von bestimmten Elementen infiltriert und missbraucht
werde. Die ganz große Mehrheit vertrete berechtigte Anliegen, für die
das Regime kein Ohr gehabt habe. « Wir haben sie sich selbst überlas-
330 Brioni, 1. Juli 1966 

sen. Diesen Fehler sehen wir ein. » Die Proteste seien « eine Reaktion
auf unsere [eigenen] Schwächen », und er, ja er, werde sich sofort und
mit aller Kraft dafür einsetzen, diese « hausgemachten » Probleme zu
lösen. Und die Studenten sollten ihm dabei helfen! « Wenn ich das
nicht schaffe, … dann darf ich auch nicht mehr im Amt bleiben! », ver-
sprach er. Nun sei es aber an der Zeit, in die Hörsäle zurückzukehren.
« Es wäre wirklich schade, wenn ihr noch mehr Zeit verliert. »29
Tito war sich wohlbewusst, wie gefährlich die Massenproteste
für sein Regime werden konnten. Sie hatten Defizite an Glaubwürdig-
keit und Legitimität des Systems in die Öffentlichkeit getragen. Er
schlüpfte also in die Rolle des Großvaters, der die Enkel gegenüber
den Eltern verteidigt. Und damit hatte er den Familienfrieden – oder
besser: die nationale Einheit – für den Moment wiederhergestellt. Die
Streikenden aber glaubten, sie hätten sich durchgesetzt, und feierten
ihren Sieg euphorisch auf den Straßen. Daraufhin gingen alle wieder
brav nach Hause.
Die Reaktion der Partei auf die Studentenproteste bestand aus
drei Elementen. Erstens streute die Partei Asche auf ihr Haupt. Sie
gab eigene Fehler zu und versprach, wirtschaftliche Missstände zu
­beseitigen. Zweitens unternahm sie eine Charmeoffensive. In Kürze
entstanden moderne Fakultätsgebäude, Wohnheime und Mensen so-
wie zusätzliche Arbeitsplätze für Akademiker. Sie startete eine Kam-
pagne, um mehr jüngere Mitglieder zu werben. Und drittens wurden
jene ausgeschaltet, die das Regime als schädliche Drahtzieher der Be-
wegung identifizierte.
Hinter den Kulissen, in den Sitzungen der Parteiführung, sprach
Tito nämlich in einer anderen Tonlage als im Rundfunk. Er prangerte
« Schwanken », « Schwäche » und « Uneinigkeit » der Partei an. « Wir soll-
ten wissen: Wenn die Arbeiterklasse auf die Straße geht, dann sieht es
schlecht für uns aus. » Bei Gott, so fest sitzen wir nicht im Sattel! Man
sei zu liberal mit Ranković und Konsorten umgegangen. « Wir hätten
ein bißchen mehr harte Hand beweisen und diese Leute an einen
­bestimmten Ort schicken sollen. »30 Noch deutlicher wurde er, als er in
seinen Reden « vereinzelte Professoren, irgendwelche Philosophen,
verschiedene ‹ Praxisten › und andere Dogmatiker » abkanzelte. « Ich
 Der Richter und Schlichter 331

sage schon lange, … dass ich zu den Klassenfeinden auch jene Uni-
versitätslehrer zähle, die gegen unsere sozialistische Gesellschaftsord-
nung arbeiten, die auf den Westen schauen », erklärte er. « Da müssen
wir mal ein bisschen aufräumen. Der Feind des Sozialismus darf doch
nicht unsere junge Generation erziehen, die morgen unsere Plätze
einnehmen wird. »31
In Zagreb schloss die Partei daraufhin drei Praxis-Professoren aus
ihren Reihen aus, denen sie « anarcho-liberale Positionen » vorwarf. In
Belgrad wurden die Parteiorganisationen an der soziologischen und
philosophischen Fakultät aufgelöst und die Redaktionen kritischer
Studentenzeitschriften ausgetauscht. Über dreißig Aktivisten wurden
verhaftet und wegen Propagandadelikten zu Gefängnisstrafen verur-
teilt. Auch das literarische Feld geriet ins Visier. Kritische Theaterstü-
cke, z. B. Dragoslav Mihailovićs « Als die Kürbisse blühten » und Filme
der « Schwarzen Welle », darunter Želimir Žilniks « Frühe Werke » und
Dušan Makavejevs « WR-Mysterien des Organismus » wurden verbo-
ten. Der Nachwuchsregisseur Lazar Stojanović landete wegen « Plastik
Jesus » sogar im Gefängnis, weil er angeblich den Staatschef verhöhnte.

Das Verdikt von Karađorđevo

Ihre Stimmung war so trüb wie der graue, regnerische No-


vembermorgen, an dem sich die Kolonne mit den schwarzen Merce-
des-Limousinen in Bewegung setzte. Bestimmt war alles schon ent-
schieden. Tito hatte die gesamte kroatische Führungsspitze für den
30. November 1971 zu einem Gespräch nach Karađorđevo geladen,
sein Lieblingsjagdrevier in der Vojvodina. Neunzehn Vertreter aus
Partei, Regierung, Parlament, Gewerkschaften, Jugendverband und
Zagreber Stadtversammlung machten sich auf den Weg. Am Jahrestag
der Staatsgründung, dem 1. Dezember, war eine Präsidiumssitzung
anberaumt. « Wir versuchten gar nicht, unsere Laune aufzubessern »,
­erzählte Savka Dabčević-Kučar, die Parteichefin Kroatiens. « Die Hatz
dauerte schon zu lange, als dass uns nicht klar war, dass der Schuss
bald fallen würde. »32
Savka Dabčević-Kučar war zwei Jahre zuvor an die Parteispitze
Kroatiens getreten. In den Diskussionen über eine Verfassungsergän-
332 Brioni, 1. Juli 1966 

zung kritisierte sie seitdem zentralistische Tendenzen aus Belgrad.


Sie forderte Finanz- und Wirtschaftsautonomie für ihre Republik,
größere Anteile am Devisen- und Außenhandelseinkommen sowie ge-
ringere Abgaben zugunsten der ärmeren Landesteile. Kroatien solle
zudem künftig als « souveräner Nationalstaat der kroatischen Nation »
definiert werden, weil die Serben ihrer Meinung nach in ihrer Repu­
blik zu viel Einfluss hätten.
Tito stand unter Druck, etwas gegen die nationalistisch klingen-
den Forderungen zu unternehmen. Reformen waren zweifellos not-
wendig, ein Mindestmaß an einheitlicher Politik innerhalb Jugo­
slawiens aber auch. So verkündete er zunächst, die Republiken sollten
künftig die Wirtschaftspolitik selbst steuern dürfen, zugleich aber
auch mehr Verantwortung für den Gesamtstaat übernehmen müssen.
Wie dieser offensichtliche Widerspruch praktisch aufzulösen sei,
sagte er nicht.
Über den Sommer schaukelte sich der Kroatische Frühling auf
und radikalisierte sich, bis die so genannte Massenbewegung MAS-
POK zu Demonstrationen und sogar Streiks aufrief. Intellektuelle aus
der Kulturorganisation Matica hrvatska, der « Kroatischen Wochen-
zeitschrift » (Hrvatski tjednik) sowie der Zagreber Universität mel­
deten sich zu Wort: Die Kommunisten seien vaterlandslose Verräter,
Jugoslawien sei ein Völkerkerker. Sie verlangten mehr Unabhängigkeit
für ihre Republik und eine eigene Armee, wenn nicht gleich die Sezes-
sion. Radikale Geister brachten die Revision der Grenzen auf Kosten
von Bosnien-Herzegowina, also Großkroatien, ins Spiel. Und die
kommunistische Republikführung? Unternahm nichts.
Tito war lange unschlüssig. Seine Linie bestand anfangs in Be-
schwichtigung, dann Gutzureden, später Ermahnungen und zuletzt
Drohungen. « Ich bin sehr wütend », ließ er im Juli 1971 die kroatische
Parteiführung wissen. Nationalismus gebe es in allen Republiken,
« aber bei Euch ist es jetzt am schlimmsten ». In einigen Dörfern seien
die kroatischen Serben so beunruhigt, dass sie sich bewaffneten. « Wol-
len wir ein neues 1941? Das wäre eine Katastrophe! » Wer sich nicht
entschließen könne, entschieden gegen Nationalismus und Separatis-
mus vorzugehen, solle gefälligst seinen Posten in der Partei räumen.
 Der Richter und Schlichter 333

« Ihr müsst dem Klassenfeind rasch zeigen, dass hier nicht gespaßt
wird. »33 Die kroatischen Genossen versprachen Läuterung. Aber
dann musste Tito in einem Spitzelbericht lesen, wie Dabčević-Kučar
das Juli-Treffen nach seinem Abgang kommentierte: « Da haben wir
den alten Trottel ja noch mal schön reingelegt! »34
Im Herbst 1971 stand die kroatische Parteiführung klar auf der
Seite der Massenbewegung. Als im November die Zagreber Studie-
renden die Universität blockierten, zum Generalstreik aufriefen und
auf den Straßen « Es lebe der unabhängige Staat Kroatien! » brüllten,
lief das Fass über. Tito war wütend, aber auch besorgt. « Ich sage offen,
dass man auch administrative Maßnahmen ergreifen muss », erklärte
er dem Präsidium. « Nur mit Überzeugung klappt das nicht. Es gibt
Leute, die niemand überzeugen kann. Also, finden wir Mittel, dass wir
sie auf andere Weise stoppen. »35
In Vorbereitung auf das nun anstehende, entscheidende Treffen
mit Tito in Karađorđevo hatten sich Savka Dabčević-Kučar und ihre
Frühlingsfraktion eine Verteidigungsstrategie zurechtgelegt. Sie wollte
einige Fehler einräumen und Besserung geloben, aber von ihren
Kernforderungen nicht abrücken. Da sie als Erste sprechen durfte,
brachte sie Unzufriedenheit über die Nachteile des Devisen- und
­Außenhandels für Kroatien zum Ausdruck. Zu den schweren Vorwür-
fen, die Führung toleriere extremistische und chauvinistische Aus-
fälle, äußerte sie sich nicht. Tito reagierte ungehalten. Es mangele an
Selbstkritik, « einer der größten Tugenden des Kommunisten ». Seine
Weisungen vom Juli, den Nationalismus zu unterbinden, würden
­ignoriert. Wollten sie endlich gegen die Anführer des Streiks vorge-
hen? Ihre Schriften dem Staatsanwalt vorlegen? Die Finanzierung der
hetzerischen Matica hrvatska einstellen? « Wir steuern auf einen Bür-
gerkrieg zu », warnte er. Dagegen müssten Maßnahmen ergriffen wer-
den. « Ihr wisst schon, was das bedeutet. » Daraufhin übergab er eine
Liste mit den Namen von fünfzig kroatischen Bürgern, die wegen
staatsfeindlicher Aktivitäten verhaftet werden müssten. « Ich habe
­immer gesagt, dass es für den Klassenfeind keine Demokratie gibt. »36
Nach zwanzig Stunden, früh um halb fünf, erklärte der immer noch
voll konzentrierte Tito den erschöpften Kroaten, wer Beschlüsse
334 Brioni, 1. Juli 1966 

nicht umsetze, müsse daraus « die Konsequenzen ziehen ». Und so


werde er das am nächsten Tag auch der Presse mitteilen. « Genosse
Tito, passen Sie auf, was Sie tun », versuchte es die Parteichefin noch
einmal, « das ganze kroatische Volk ist auf unserer Seite ». Tito fixierte
sie ruhig. « Savka, da täuschst du dich gewaltig. »37
In der Präsidiumssitzung am nächsten Tag wirkte Tito, wie La-
tinka Perović kolportierte, trotz des nächtlichen Verhandlungsmara-
thons ausgeschlafen, selbstsicher und guter Dinge.38 Er erklärte, in
Kroatien seien « Nationalisten und Chauvinisten » am Werk, allerdings
gebe es in allen Republiken « mal mehr, mal weniger identische Pro­
bleme ». Als Dabčević-Kučar um « mehr Verständnis für die Verhält-
nisse in Kroatien » bat, erntete sie von allen Seiten finstere Blicke. Nur
« Titos Gesicht ist entspannt, selbstsicher », erinnerte sie sich.39 Das
Präsidium verurteilte die Massenbewegung und entschied, die ver­
fassungswidrigen Aktivitäten in Kroatien zu unterbinden. Aber
Dabčević-Kučar zögerte zu versprechen, diese Beschlüsse zu exeku-
tieren. Als ein paar Tage lang nichts geschah und Tito im ZK genervt
erklärte, « wer für Fehler verantwortlich ist, muss gehen », war das
Spiel zu Ende. Savka und weitere Parteiführer traten zurück.
Unmittelbar darauf sicherten Armee und Miliz die wichtigsten
Straßen Zagrebs und strategische Punkte in ganz Kroatien. « Rund
hundert Studenten wurden noch während der ersten Stunden der
­Aktion verhaftet, weitere zweihundert bei Demonstrationen in der
­vorigen Woche. Redaktionen wurden geschlossen, Wohnungen und
Autos durchsucht », berichtete « Der Spiegel ».40 Währenddessen lud
Tito das diplomatische Korps in aller Seelenruhe zur Jagd nach
Karađorđevo ein: Alles war unter Kontrolle.
Tito war überzeugt, dass es ohne seine einheitliche kommunis­
tische Partei bald kein Jugoslawien mehr gäbe. « Wenn die führenden
Leute nicht in allen Republiken dieselbe Meinung dazu haben, was
getan werden muss, schaffen wir nichts. In einer Republik ja, und in
der anderen nein, das geht gar nicht! »41 In den folgenden Wochen ver-
haftete die Polizei 866  Personen, 475 wurden zu Gefängnis- oder
Geldstrafen verurteilt. Die kroatische Parteisektion schloss 741 Mit-
glieder aus, 411 verloren ihre Funktionen. Anfang 1972 rollte eine
 Der Richter und Schlichter 335

zweite Säuberungswelle durch das Land, bei der Tausende überprüft,


schikaniert und verhaftet wurden. « Ihr wisst ja, wie man das in ande-
ren Ländern gemacht hat », erläuterte Tito. « Es sind Köpfe gerollt, es
gab Zuchthaus und alles. Wir wollen das nicht. Aber, um Gottes wil-
len, wenn jemand nicht aufhört, feindlich zu agieren, müssen wir ihn
isolieren … Anders geht es nicht. »42 Die Matica hrvatska wurde ge-
schlossen, einige ihrer Mitglieder mussten sich vor Gericht verant-
worten. Unter ihnen war auch der Historiker Franjo Tuđman, dem die
Anklage vorwarf, er propagiere die Unabhängigkeit Kroatiens, be-
treibe die Gründung einer illegalen konterrevolutionären Organisa-
tion und kooperiere mit faschistischen Exilgruppen. « Wenn wir denen
jetzt nicht den Kampf angesagt hätten …, wäre es zum Bürgerkrieg
gekommen », argumentierte Tito. « Ich möchte nicht, dass wir so etwas
noch irgendwo erleben, sondern dass wir das gleich heilen und solche
Sachen [künftig] verhindern. »43

Abgang der serbischen « Liberalen »

Während Tito noch um den richtigen Umgang mit den Prota­


gonisten des Kroatischen Frühlings rang, hagelte es aus Serbien Kri-
tik an seiner « Ohnmacht » gegenüber dem kroatischen Nationalismus.
Presse und Professoren sorgten sich um die Sicherheit und « Lebens-
interessen » der serbischen Nation. « Um überleben zu können, …
muss sich das serbische Volk sich selbst zuwenden, muss anfangen, für
seine gefährlich bedrohte nationale Identität und Integrität zu kämp-
fen », predigte der Philosoph Mihailo Đurić.44
Etwas gemäßigter formulierte das die serbische Parteispitze unter
Marko Nikezić und Latinka Perović. Das Motto dieser « Liberalen »
war « ein modernes Serbien » – damit meinten sie eine vom jugoslawi-
schen Ballast befreite starke Republik mit größeren Befugnissen bzw.
« weitere Emanzipation … auf den Feldern von Wirtschaft, Kultur
und Politik », wie sie Tito im Mai 1971 vortrugen. « Wie könnte auch,
wenn sich alle anderen emanzipieren, Serbien außen vor bleiben? »,
warf ihm Perović vor. Tito war über die Heftigkeit der Attacken so
konsterniert, dass er das Gespräch mit der serbischen Führung auf-
zeichnen ließ. « Bei mir waren die Genossen aus Serbien », erzählte er
336 Brioni, 1. Juli 1966 

seinem Kabinettschef. « Sie haben mich … ausgeschimpft. In dreißig


Jahren hat keiner so mit mir gesprochen. »45 Drei Monate später pas-
sierte es ihm zum ersten Mal, dass im Belgrader Nationaltheater nie-
mand klatschte, als er den Saal betrat.46
Zu Beginn des Jahres 1972 verdichtete sich Titos Überzeugung,
dass die serbischen Parteispitzen außer vom Liberalismus auch vom
Nationalismus infiziert seien. Sie sähen das ZK wohl als Diskussions-
klub an, hielt er ihnen vor, nicht als Führungsorgan! Wir können nicht
erlauben, dass der Klassenfeind in den Medien ganz offen sagt, was er
will! « Von seinem kleinen orangenen Block las er die Namen von Leu-
ten vor, die ihn angriffen und die wir gewähren ließen. » Namentlich
nannte er Dobrica Ćosić, die Professorengruppe und andere Intellek-
tuelle. « Los, Genossen, an die Arbeit! … Energisch! »47
Im Oktober 1972 schrieb « Genosse Tito » zusammen mit dem
­Exekutivkomitee einen Brief an alle Mitglieder der Partei. Man müsse
sich « entschlossen jeder Tendenz entgegenstellen, die zur … Spaltung
der Arbeiterklasse nach nationaler und Republikzugehörigkeit führt ».
Die Führungen müssten dafür sorgen, dass alle Führungsposten mit
verantwortlich Handelnden besetzt würden. « Mit der Demokratie sind
wir [1952] zu weit gegangen … Wir können nicht erlauben, dass sich
jeder der Demokratie bedient, sogar der Klassenfeind », ver­kündete er
in einem Fernsehinterview. « Irgendeine Liberalität und Schwäche …
ist hier absolut fehl am Platz … Wir werden und müssen unbarmher-
zig sein. » Und wie? « Zuallererst … muss der Bund der Kommunisten
seine Reihen säubern. »48
So oder so ähnlich sagte er das dann auch auf diversen Partei­
treffen und bei öffentlichen Reden. « Ich finde, wir hätten längst etwas
unternehmen müssen. » An der Belgrader Universität würden offen
konterrevolutionäre Gedanken verbreitet, und die serbische Führung
sei vom Wirtschaftsegoismus besessen. Man solle ja nicht zu « alten
Methoden » zurückkehren, erklärte er, aber in bestimmten Fällen seien
« administrative Maßnahmen » eben nötig. « In vielen Ländern, die sich
selbst als demokratisch betrachten, sitzen Leute im Gefängnis, die das
System nicht anerkennen. » Klassenfeind bleibe Klassenfeind.49
In der Folgezeit fuhr er schwerere Geschütze auf, indem er den
 Der Richter und Schlichter 337

serbischen Liberalen vorwarf, sie handelten im Interesse der Finan­z­


oligarchie, ja, sie agierten als Technokraten gegen das Volk. Perović
und Nikezić blieb nichts anderes übrig, als am 21. Oktober 1972 ihren
Rücktritt zu erklären. Daraufhin mussten mehr als fünftausend füh-
rende Wirtschafts- und Medienleute ebenfalls den Hut nehmen.50
Gleichzeitig gingen die Parteisektionen in Slowenien, Makedonien,
Montenegro und Bosnien-Herzegowina mit Ausschlüssen gegen an-
gebliche Nationalisten vor. « Das war kein Witz, das war ein großer,
schwerer Kampf, ein Kampf für die Konsolidierung des Bundes der
Kommunisten », erklärte Tito Ende 1972 Vladimir Dedijer. « Manch-
mal fällt es einem schwer, … Leute auszuschalten, mit denen man
lange zusammengearbeitet hat, denen man auch … freundschaftlich
verbunden war. »51
In Reaktion auf die nationalistischen Aufwallungen zu Beginn des
Jahrzehnts begann eine Kampagne zur Festigung der ideologischen
Grundlagen. 1975 trat ein restriktives Strafgesetz in Kraft, das feind-
liche und konterrevolutionäre Tätigkeit ahndete. Hunderte landeten
aus politischen Gründen im Gefängnis. Die regimekritischen Profes-
soren der Belgrader Universität wurden im selben Jahr vom Dienst
suspendiert. Die Medien verloren per Gesetz einen Teil ihrer Frei­
heiten, leitende Redakteure und Kulturfunktionäre wurden ausge-
tauscht. « Die Informationsmittel, Presse, Radio, Fernsehen, müssen
in unserer Hand sein, und nicht in den Händen derer, die gegen un-
sere Einheit arbeiten », erklärte Tito.52
Nach den freizügigen sechziger Jahren erlebten die Jugoslawen in
den Siebzigern einen autoritären Rückschlag. Allerdings sorgten sich
in der Wohlstandsgesellschaft um die Demokratie anscheinend die
wenigsten. « Auf der Aktivseite: eine nach der Beschneidung föderalis-
tischer Auswüchse etwas wirksamer arbeitende Kulturbürokratie
­sowie weniger Nacktfotos in den Kiosken. Auf der Passivseite: im Be-
reich der schönen Künste Verunsicherung und drohender Rückfall in
saubere Mittelmäßigkeit », urteilte die deutsche Botschaft. « Die ver-
bürgerlichte Gesellschaft des Landes fürchtete nach Titos Pauken-
schlag viel mehr um Wochenendhäuser und präterlegale Nebenver-
dienste als um die Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Lehre. »53
338 Brioni, 1. Juli 1966 

« Neutralisierung » der Emigration

Ermuntert von den nationalistischen Turbulenzen traten zu


Beginn der siebziger Jahre terroristische Emigrantengruppen in und
außerhalb Jugoslawiens mit einer Anschlagserie in Erscheinung. Im
Januar 1972 brachte ein Bombenattentat ein jugoslawisches Flugzeug
zum Absturz; 28  Menschen kamen ums Leben. Im Juni desselben
Jahres drangen neunzehn bewaffnete Exilkroaten aus Österreich nach
Westbosnien ein, um dort einen bewaffneten Aufstand anzuzetteln.
Bei tagelangen Gefechten gab es dreizehn Tote und etliche Verletzte.
Ustascha-Anhänger bereiteten des Weiteren Anschläge auf Touristen-
orte vor und angeblich sogar die Entführung Titos aus Brioni.54
Der jugoslawische Staatssicherheitsdienst rechnete 1970 mit un-
gefähr 230 000 politischen Emigranten in der ganzen Welt. Von ihnen
war etwa die Hälfte bereits am Ende des Zweiten Weltkrieges ins
­Ausland geflohen. Anhänger der Tschetniks hatten sich überwiegend
in Frankreich und Großbritannien, die kosovoalbanischen Ballisten in
der Schweiz und die ehemaligen Ustascha- und Ljotić-Anhänger in
der Bundesrepublik Deutschland niedergelassen.
Anfang der siebziger Jahre hielten sich etwa 20 000 jugoslawische
Emigranten, mehrheitlich Kroaten, in der Bundesrepublik auf. Eine
ihrer Hochburgen war München, wo zum Beispiel die Kroatische
­Befreiungsbewegung HOP Verbindungen zu den Pavelić-Getreuen in
Argentinien unterhielt. Zudem waren hier die Geheime Revolutio-
näre Ustascha-Bewegung TRUP sowie das Ustascha-nahe Kroatische
Natio­nalkomitee (bzw. der « Volkswiderstand ») HNO aktiv, das nach
Überzeugung des jugoslawischen Geheimdienstes sogar Terrortrai-
nings in Westdeutschland abhielt. Auch in West-Berlin, Dortmund
und anderen Städten saßen ultra­nationalistische Vereine.55
Die geschätzten 1100 regimefeindlichen Organisationen weltweit
waren aus Sicht der jugoslawischen Regierung auch deshalb gefähr-
lich, weil sie unter den 1,4 Millionen Gastarbeitern in Europa um Un-
terstützung für die Auflösung Jugoslawiens warben: die Kroaten für
Großkroatien, die Serben für Großserbien und die Albaner für Groß-
albanien oder wenigstens ein unabhängiges Kosovo. Exilkroatische
 Der Richter und Schlichter 339

Terroristen verübten Anschläge auf Botschaften, Konsulate und an-


dere jugoslawische Einrichtungen. 1962 beispielsweise forderte ein
Sprengstoffattentat auf die jugoslawische Vertretung in Bad Godes-
berg-Mehlem ein Todesopfer. Bis 1973 verübten die Ustascha-An-
hänger in der Bundesrepublik 55  Anschläge mit dreizehn Toten.56
Noch 1976 wurde der Vizekonsul in Frankfurt am Main erschossen.
Die Belgrader Führung war erbost, dass Organisationen, die
­Jugoslawien mit terroristischen Mitteln zerstören wollten, in der Bun-
desrepublik geduldet und sogar finanziell gefördert wurden. Das Bun-
desministerium für Vertriebene bezuschusste zum Beispiel den HNO
1964 mit 12 000  DM. Erst im Zuge der Ostpolitik Willy Brandts
­änderte sich die Sachlage. « Unsere Emigrantenpolitik des ersten
Nachkriegsjahrzehnts war dadurch bestimmt, dass der Antikommu-
nismus der Emigranten mit der west­lichen Politik der Ost-West-
Konfrontation in vollem Einklang stand », schrieb das Auswärtige
Amt. « Oft wurden Emigranten oder Emigrantengruppen schon we-
gen ihrer antikommunistischen Gesinnung als unverdächtig oder gar
förderungswürdig angesehen. »57 Bis 1978 wurden nur fünfzehn Per-
sonen wegen Sprengstoffanschlägen, Mordes und versuchten Mor-
des, Totschlags und Beleidigung des jugoslawischen Staatsober-
haupts verurteilt.58
Als die jugoslawische Polizei 1978 vier Personen, die in Zusam-
menhang mit den Morden an Siegfried Buback, Jürgen Ponto und
Hanns-Martin Schleyer gesucht wurden, in Gewahrsam nahm, rächte
sie sich. Sie lieferten Brigitte Mohnhaupt, Peter Boock, Rolf-Clemens
Wagner und Sieglinde Hofmann nicht in die Bundesrepublik aus. Sie
wurden lediglich zu unerwünschten Personen erklärt und mussten in
ein Land ihrer Wahl ausreisen. Als das zu Verstimmungen führte, er-
klärte die jugoslawische Regierung, sie unternehme alles, um terroris-
tische Straftaten zu verhindern. « In der Bundesrepublik ist dies leider
nicht der Fall. »59
Seit dem Sturz von Aleksandar Ranković waren der Staatssicher-
heitsdienst sowie die Spionageabwehr für die Bekämpfung der Staats-
feinde im Ausland zuständig. Wer sich « extremistisch » betätigte, war
in einer zentralen Kartei erfasst. Es wurde beschlossen, dass « die
340 Brioni, 1. Juli 1966 

­ ktivität der extremen Emigration mit allen Methoden und Mitteln


A
des Dienstes » überall im Ausland unterdrückt werden müsse. Dazu
sollte der Staatssicherheitsdienst « robuste Stellungen » in den Emigra-
tionsstrukturen aufbauen und sich insbesondere um « den intellek­
tuellen Teil der feindlichen Emigration » kümmern. Ziel war es, die
Herstellung und Verbreitung staatsfeindlicher Propaganda zu unter-
binden sowie Sabotage- und Terrorzentren zu zerstören.60 Die Über-
wachung geschah durch V-Leute und Spitzel. « Wir wussten immer,
was wo abläuft », berichtete ein ehemaliger serbischer Geheimdienst-
mann. « Es gab nirgends eine Gruppe Tschetniks, wo der Dienst kei-
nen Mitarbeiter hatte. »61 Eine übliche Methode war es, mit Hilfe von
Strohmännern Streit zwischen verfeindeten Gruppen anzufachen.
Mitglieder der Exilorganisation wurden als Spitzel der UDBA ver-
leumdet, und auf « Verrat » stand in diesen Kreisen die « Todesstrafe ».
Es war am bequemsten und unauffälligsten, wenn sich die Exilanten
gegenseitig umbrachten.
Die « Liquidierung » durch eigene Agenten blieb eine Ultima Ra-
tio, lieber heuerte der Geheimdienst Auftragsmörder an. Es war dann
von « Paralysierung » und « Neutralisierung » die Rede.62 Zwischen 1967
und 1989 wurden allein 22 Exilanten in der Bundesrepublik Deutsch-
land getötet; wie viele es in der ganzen Welt waren, zum Beispiel in
Kanada, den USA und anderen Staaten, ist nicht gesichert. Kroati-
sche Emigrantenvereine behaupten, dass der jugoslawische Geheim-
dienst bis 1989 weltweit etwa hundert Kroaten, Serben und Albaner
umbringen ließ, darunter mindestens 37 Kroaten in Deutschland.63
2016 wurden der ehemalige kroatische Geheimdienstchef Josip Per­ko­
vić sowie Zdravko Mustač in München wegen eines solchen Delikts
zu lebenslanger Haft verurteilt. Als der Prozess begann, gab Ex-
Innen­minister Gerhard Baum in einem Interview zu, dass die bundes-
deutsche Regierung von den Morden wusste. Und der frühere Staats-
minister Klaus von Dohnanyi erklärte, es gebe « eben Dinge in der
­Politik, die so sind, wie sie sind. Und unser überragendes Interesse
war damals, einen Weg zu finden, um in Europa Entspannung mit der
Sowjetunion voranzutreiben. »64 Denn Tito, so wird noch zu zeigen
sein, war ein wichtiger Akteur in der neuen sozialliberalen Ostpolitik.
 Der Richter und Schlichter 341

Etwas anders gelagert war der Fall des 1975 durch den Geheim-
dienst entführten Bata Todorović, dem unter anderem betrügerische
Import­geschäfte vorgeworfen wurden, die Jugoslawien um mehrere
Millionen DM schädigten. Er war in den sechziger Jahren in die BRD
emigriert, um ein dunkles Netzwerk von Firmen zu schaffen, das ju-
goslawisches Staatseigentum verhökerte und Devisen schmuggelte.
Dabei halfen etliche Bankiers, Firmendirektoren und Manager in Ju-
goslawien, die zur gleichen Zeit verhaftet wurden. Eine jugoslawische
Parlamentskommission, die die Wirtschaftskriminalität untersuchte,
kam zu der Ansicht, dabei handele es sich nicht mehr allein um Schie-
bung und Korruption, sondern um ganz bewusste « ökonomische Di-
version, die nicht nur unser wirtschaftliches, sondern auch unser
gesellschaft­liches und politisches System untergräbt ».65 Todorović
und weitere Delinquenten wurden in Jugoslawien zu langjährigen
Haftstrafen verurteilt.
Der Geheimdienstfunktionär Božidar Spasić behauptete später,
dass die Partei- und Staatsführung die Liquidationslisten immer ge-
nehmigte. Tito sei für die Morde somit unmittelbar verantwortlich
gewesen, wenngleich er kaum Kenntnis einzelner Vorgänge gehabt
­haben dürfte.66 Gesichert ist in jedem Fall, dass er sich über die Arbeit
der Dienste regelmäßig unterrichten ließ. Am 31. August 1975 infor-
mierte ihn zum Beispiel Innenminister Franjo Herljević, dass weltweit
etwa 30 000 Emigranten Jugoslawien feindlich gesinnt seien, darunter
bis zu fünftausend « extremere und aktivere ». Dann berichtete er, dass
« der [Staatssicherheits]dienst eine Reihe von Aktionen ausgeführt
habe, die … zur Provozierung von Konflikten, zum Streit und zu
­gegenseitigen Abrechnungen … geführt haben ». Dabei hätten « zwölf
bekannte Verbrecher aus den Reihen der Ustascha und Tschetnik-­
Extremisten » ihr Leben verloren, zwei seien schwer verletzt worden.
Es würden « weitere gegenseitige Abrechnungen in den Reihen der
­extremen Emigration » vorbereitet, also Aktionen, die zur « Schaffung
von Angst, Unordnung und Misstrauen unter Extremisten beitragen
sollen ». Und anscheinend war Tito mit diesem Bericht äußerst zu­
frieden.67
342 Brioni, 1. Juli 1966 

Mehr Brüderlichkeit, weniger Einheit

Zu Beginn der siebziger Jahre waren « Brüderlichkeit und


Einheit » in der Krise. Während die Republiken immer weiter ausei­
nanderdrifteten, verlor die verbindende politische Ideologie des Kom-
munismus an Überzeugungskraft. Dadurch kam die Herrschaft Titos
noch zu seinen Lebzeiten unter Legitimationsdruck. Die innere Ord-
nung war im Partisanenkampf durch Übereinkunft von Repräsentan-
ten der verschiedenen Völker entstanden und beruhte auf kollektiven,
nicht individuellen Rechten. Die nationale Selbstbestimmung bildete
neben der Arbeiterselbstverwaltung den Kern des jugoslawischen Ver-
ständnisses von sozialistischer Demokratie. Die Vielfalt von Interes-
sen und Meinungen wurde innerhalb der regionalisierten Einheits-
partei sowie auf den vielen unterschiedlichen Stufen des föderalen
Systems abgebildet.
Den Vielvölkerstaat noch weiter zu dezentralisieren, erschien be-
reits in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre die einzige plausible
Option, um Druck abzubauen. Schon 1963 gab es eine Verfassungs­
reform, als sich Jugoslawien statt « Volksrepublik » nur noch « Republik »
nannte. Ausdrücklich wurde das Selbstbestimmungsrecht eines jeden
Volkes anerkannt, einschließlich des Rechtes auf Sezession. Die Natio­
nalitäten wurden als Akteure der Machtausübung genannt. Jedoch
heizten die Diskussionen über mögliche Verfassungsergänzungen die
Zwietracht in Parteigremien, Medien und politisierter Öffentlichkeit
erst recht an. Welche Änderungen vermochten einen gerechten Aus-
gleich zwischen den legitimen Interessen der grundverschiedenen
Landesteile herzustellen? « Es ist eine große Aufgabe in einer multi­
nationalen Gemeinschaft wie der unseren solche Beziehungen herzu-
stellen …, dass alle Völker zufrieden sind », betonte Tito.68
1967, 1968 sowie 1971 gab es weitere Ergänzungen, die die « Staat-
lichkeit » der Republiken und zuletzt auch der autonomen Provinzen
auf Kosten des Bundes stärkten. Als sich Jugoslawien 1968 eine neue
Sicherheitsdoktrin gab – die Allgemeine Volksverteidigung – wurden
die Streitkräfte in zwei Komponenten zerlegt: die reguläre gesamt­
jugoslawische Armee sowie die Territorialverteidigungen der Repu­
 Der Richter und Schlichter 343

bliken. Diese erhielten außer Polizei und Geheimdienst auch jeweils


ihre eigene bewaffnete Macht, also das noch fehlende Attribut souve-
räner Staatlichkeit. Von der verbindenden Wirkung des Sozialismus
war kaum noch die Rede, sondern überwiegend vom Recht der Natio­
nen und Nationalitäten auf freie Entfaltung. Nicht mehr die Gemein-
samkeiten (Einheit) dominierten den Staat, sondern die Vielfalt (Brü-
derlichkeit) stand im Vordergrund.
Über den Verfassungsreformen schwebte die Nachfolgefrage. Be-
reits im Juli 1969 rief Tito die Parteispitzen in Brioni zusammen, um
eine überraschende Neuigkeit zu verkünden: Er wolle die kollektive
Führung ausbauen, um seinen politischen Rückzug vorzubereiten.
Der Bundesexekutivrat, die Regierung, solle in Zukunft mit Vertre-
tern bestückt werden, die aus den Republiken und den dortigen
­gesellschaftlichen Organisationen stammten, sich aber nicht als Sach-
walter von nationalen Sonderinteressen, sondern des Gemeinwohls
begriffen. Der Vorsitz würde rotieren, was am Ende mehr zentrale
Führung gewährleisten sollte. « Unser einziger Ausweg ist die Einheit,
und das ist kein Direktorium und keine Diktatur. »69
Tito war bewusst, dass die Sollbruchstelle seines Regimes der
Wechsel an der Staatsspitze war, der schon so manches undemokra­
tische System in die Krise gestürzt hatte. Die kollektive Führung
sollte explosiven Nachfolgekonflikten vorbeugen. « Ihr kennt unsere
Gesellschaft, die Beziehungen zwischen den Republiken, zwischen
den Führungen und darüber hinaus », erläuterte er im August 1970.
« Der Kampf darum, wer an die Spitze Jugoslawiens kommt, wenn ich
sterbe, hat schon angefangen … Und wisst ihr, ich bin tief überzeugt,
dass es zu hässlichen Auseinandersetzungen käme. » Keiner könne ein
Nullsummenspiel gewinnen, und alle müssten dafür einen hohen
Preis zahlen, mahnte er. Nicht zuletzt wolle er « endlich die Spekula­
tionen im Ausland beenden, dass alles zerfällt, wenn Tito stirbt. Aber
es wird gar nichts zerfallen, im Gegenteil. »70
Kabinettschef Marko Vrhunec fiel erst in diesem Moment auf,
dass der 78-jährige Tito in der letzten Zeit mit Ausnahme der Präsi-
dentschaft nur noch selten an den Sitzungen der diversen Institutio-
nen und Organisationen teilnahm. Das operative Geschäft überließ er
344 Brioni, 1. Juli 1966 

zu diesem Zeitpunkt bereits anderen. « Mir wurde klar », erinnerte sich


Vrhunec, « dass sein überraschender Vorschlag nicht einfach ein takti-
scher Zug war, sondern eine durchdachte politische und Lebensent-
scheidung. »71 Der Serbe Dobrica Ćosić, der Tito erst verehrte, dann
verachtete, kommentierte hingegen: Tito konnte es sich leisten, eigene
Befugnisse abzugeben, weil er davon « überzeugt war, dass er so viel
Macht, Autorität, Rechte und Zuständigkeiten besaß, dass er sie im
Leben nicht würde aufbrauchen können ».72
Die 1974 verabschiedete Verfassung brachte den seit längerem be-
gonnenen Prozess, Jugoslawien in eine Staatenunion mit kollektiver
Führung zu transformieren, formal zum Abschluss. Edvard Kardelj
setzte sich durch, die sozialistischen Republiken als Nationalstaaten
aufzufassen und Jugoslawien als eine Konföderation. « Wenn ich ehr-
lich bin, habe ich diese Verfassung von 1974 gar nicht gelesen », gab
Tito zu. Er sei ein guter Krieger, aber das hier sei ihm zu akade-
misch.73 Rund 600 Paragraphen, welche auch die Experten kaum ver-
standen, schrieben überkomplexe Aushandlungsprozesse auf allen
Ebenen vor. Kurz gesagt wurden die Republiken und Provinzen jetzt
­beinahe souverän und besaßen eigene Staatsangehörigkeiten, Zustän-
digkeiten in den auswärtigen Beziehungen, Streitkräfte und Lehr-
pläne. In Belgrad lagen nur noch Kernkompetenzen, wie der Vollzug
des Bundesrechts sowie die Koordination von Wirtschafts­ politik,
­Außen- und Verteidigungspolitik. Die Provinzen Kosovo und Vojvo-
dina blieben innerhalb Serbiens autonom. Mit Ausnahme der Volks­
armee gab es praktisch keine gesamtjugoslawische Institution im ur-
sprünglichen Sinn mehr. In den Bundesorganen waren die Repu­
bliken und Provinzen paritätisch vertreten und besaßen dort Vetorecht,
etwa im Präsidium, dem kollektiven Staatsoberhaupt. Dies bedeutete,
dass ein einzelnes Bundesland den gesamten Entscheidungsprozess
aufhalten konnte.
Die 1974 er Verfassung verpflichtete die Republiken und Provin-
zen auf « Gemeinschaftlichkeit » (zajedništvo), verstand sie aber als
­eigenständige Akteure, die sich über die Bundespolitik « verabreden »
sollten. Eine unabhängige, machtvolle Zentrale, die über allen Partei-
gliederungen thronte wie unmittelbar nach dem Krieg, existierte be-
 Der Richter und Schlichter 345

reits seit Ende der sechziger Jahre nicht mehr. Wichtige politische Be-
schlüsse waren vielmehr das Ergebnis komplizierter Aushandlungs-
prozesse zwischen den Republiken  – oder kamen erst gar nicht zu-
stande. Denn häufig brachen Konflikte aus. « Wenn Sie wüssten, wie
ich die Zukunft Jugoslawiens sehe », bekannte Tito 1971 einem Jour-
nalisten, « würde es euch gruseln ».74 Der Zwist reichte bis in die Rei-
hen der Armee. Jugoslawische Hardliner – manche meinten: großser-
bische Nationalisten – und Liberale waren « bis aufs Blut verfeindet »,
wie Mika Tripalo von Tito erfuhr. « Wenn ich die eine Fraktion aus­
tausche und die andere einsetze, wird mit allen abgerechnet, die auf
der falschen Seite standen. Deshalb bin ich zu einem Mittelweg ge-
kommen und setze Leute ein, die weder hier noch dort stehen. »75
« Jeder wandte sich auf seine Art an Tito, der sich, statt sich all-
mählich zurückzuziehen, immer häufiger mit konkreten Streitfragen
auseinandersetzen musste », berichtete sein damaliger Kabinettschef.
Jeder wollte ihn auf seine Seite ziehen, alle wollten, dass er am Ende
entschied. Auch die Jüngeren zählten auf sein Machtwort. Immerhin
hatte er den Sieg über die Wehrmacht, den Bruch mit Stalin und den
Aufbau eines unabhängigen « demokratischen » ­Sozialismus ermög-
licht. Als Schlichter war er unersetzlich, agierte kaum noch autoritär.
Viele Sitzungen zogen sich deshalb endlos in die Länge: « Ehe wir uns
nicht geeinigt haben, gehen wir nicht nach Hause », sagte er dann.76
Aber wenn es endlich so weit war, garantierte das noch lange nicht,
dass die einmal gefassten Beschlüsse von den nachgeordneten Stellen
in den Republiken auch tatsächlich umgesetzt werden würden. Die
mit jeder Verfassungsreform weiterwachsende Macht der Republiken
limitierte auch Titos gemäßigt autokratisches Regime und die Reich-
weite seiner persönlichen Beziehungen. Der makedonische Kommu-
nist Krste Crvenkovski behauptete im persönlichen Gespräch mit ei-
nem Analysten sogar, es sei « mittlerweile undenkbar, dass die Bundes-
parteizentrale die Führung einer Republik entfernt ».77
Tito verschob seine Rolle als « weicher » Autokrat seit den sech­
ziger Jahren in Richtung eines präsidialen Moderators und zuweilen
Schiedsrichters. Die Macht im Staat verteilte sich mittlerweile auf
verschiedene Säulen, nämlich die Republiken, die sich wechselseitig
346 Brioni, 1. Juli 1966 

kontrollierten, allerdings, wie sich nach Titos Tod zeigte, auch blockie-
ren konnten. Aufgrund der föderalen Checks and Balances ähnelte
­Jugoslawien einer Polyarchie, also Herrschaftsausübung aus ­vielen
Zentren. Liberalisierung und Dezentralisierung erlaubten es, dass
ganz unterschiedliche Interessengruppen und Schichten von der
Gemeindeebene bis zur jeweiligen Länderregierung aufwärts an
­politischen Entscheidungen mitwirkten. Denn das Regime kompen-
sierte das Manko liberaler Rechte, indem es die lokale und die be-
triebliche Selbstverwaltung immer mehr ausweitete. Zu Beginn der
achtziger Jahre gab es auf unterschiedlichen Vertretungsebenen rund
767 000  Delegierte im ganzen Land.78 « Liberalisierende ökonomi-
sche und vorsichtig dezentralisierende politische Reformen sowie die
­soziale Modernisierung … hatten in den sechziger Jahren ein System
hervorgebracht, das sich vernünftigerweise nicht mehr als totalitär
und sogar nicht einmal mehr als Partei-Autokratie bezeichnen lässt »,
urteilte 1983 der Amerikaner Dennison Rusinow.79
Zum Zeitpunkt der Verfassungsreform von 1974 hatte Titos ge-
mäßigt autoritäre Herrschaft bereits länger als ein Vierteljahrhundert
überlebt. Für die relative Stabilität gab es mindestens drei Gründe.
Erstens war das System in der Lage, aus eigener Kraft Legitimität zu
generieren. Wohlstand, Sicherheit und internationales Ansehen, das
der Sozialismus der Bevölkerungsmehrheit verschafft hatte, versöhn-
ten viele Menschen mit den Nachteilen der systemimmanenten poli-
tischen Entmündigung. Zweitens standen dem Regime ausreichende
Repressionsmittel sowie, als Ultima Ratio, der Geheimdienst und die
Armee zur Verfügung, die einzusetzen es nicht zögerte. Drittens ge-
lang es Tito, widerstreitende Interessen in einer beachtlichen Mode-
rationsleistung auszutarieren sowie die Eliten loyal zu halten, sie zu
disziplinieren oder, wenn nichts mehr half, auch auszutauschen. Ein
solcher Dreiklang aus Legitimität, Repression und Eliten-Kooptation
war das Überlebensrezept so mancher modernen Autokratie.80
Titos Jugoslawien entzieht sich geläufiger politikwissenschaft­
licher und zeithistorischer Kategorienbildung. In den diversen Wer-
ken vergleichender Diktatur- und Systemforschung taucht es kaum
auf oder wird dort meist als « irgendwie anders » beiseitegelegt. Einen
 Der Richter und Schlichter 347

überzeugenden Oberbegriff zu finden, ist nicht trivial. Denn einer-


seits handelte es sich um eine Nicht-Demokratie: Das Regime funk­
tionierte auf Grundlage von Titos lebenslanger Präsidentschaft, dem
Regierungsmonopol der kommunistischen Partei, überwiegend staat-
lich gelenkten Medien und einem klar beschränkten Pluralismus von
Meinungen und Interessen. Andererseits lösten sich die sechs klassi-
schen totalitären Systemmerkmale seit den fünfziger Jahren von innen
heraus auf – die Einheitsideologie und Geschlossenheit der Partei, die
terroristische Geheimpolizei, das Nachrichten- und Waffenmonopol
sowie die staatlich gelenkte Wirtschaft. Der Bund der Kommunisten
war schon seit 1952 nicht mehr monolithisch und zentral geführt wie
die KPJ, sondern ein Zusammenschluss miteinander streitender regi-
onaler Parteigliederungen. Die Medienkontrolle wurde durch eine
ansatzweise pluralistische Presse und Kulturszene ausgehöhlt; die
Reisefreiheit und der Verkauf ausländischer Bücher und Zeitschriften
brachten das Publikum mit westlicher Gesellschaftskritik in Kontakt.
Selbst die Geheimpolizei unterlag ab Mitte der sechziger Jahre gewis-
sen Kontrollmechanismen und wurde nicht mehr insgesamt aus Bel-
grad dirigiert. Anstelle der staatlichen Planökonomie trat die sozialis-
tische Marktwirtschaft, während die ideologische Kernfrage, was
­Sozialismus in Jugoslawien genau bedeutete, wie noch zu zeigen ist,
mit der Zeit recht unterschiedlich beantwortet wurde. Das sozialisti-
sche System durchdrang somit schon bald nicht mehr das gesamte
politische, öffentliche und private Leben wie unmittelbar nach dem
Krieg. Es wurde durch oppositionelle Strömungen, Subkulturen und
puren Konsumismus durchlöchert wie ein Schweizer Käse.
Die Totalitarismustheorie hat eine solche Transformation nicht
nur nicht vorhergesehen, sondern sogar a priori ausgeschlossen. Die
durch das ideologische Klima des Kalten Krieges normativ geprägte
Voraussage war im Gegenteil, dass die « Intensität totaler Herrschafts-
verwirklichung » immer weiter zunehmen werde. Dass neu entstehende
Klassen, zum Beispiel die der Manager und Techniker, wünschen
könnten, Ideologie und Partei aufzugeben, sei nicht wahrscheinlich,
hieß es – aber genau das trat im Zuge von Industrialisierung und Glo-
balisierung schließlich ein.81 Verstärkt durch die weltwirtschaftliche
348 Brioni, 1. Juli 1966 

Integration strebte auch der Nationalismus in den Teilrepubliken in


dieselbe Richtung: Jugoslawien entwickelte sich zu einem (Kon-)
Föde­ralstaat mit mehreren Herrschaftszentren. Was den Vielvölker-
staat zusammenhielt, war ein ausgeklügeltes System der ethnischen
Machtteilung bzw. Konkordanz, an dem viele Segmente der Gesell-
schaft mitwirkten. Es respektierte den « ethnischen Schlüssel » in den
Ver­tretungsorganen, verlangte Konsens in der Bundespolitik und ga-
rantierte Vetorechte bei der Beschlussfassung.
Tito war überzeugt, dass die Einparteienherrschaft sowie die
­Geschlossenheit der Partei zentrale Voraussetzungen für den Zusam-
menhalt Jugoslawiens seien, und aus heutiger Perspektive hatte er
­damit vielleicht sogar Recht. Er hielt bis ganz zum Schluss ein repres-
sives Instrumentarium vor, das immer zum Einsatz kam, wenn die
­sozialistische Ordnung, die Alleinherrschaft der Kommunisten oder
der Staat Jugoslawien in Frage standen: Zensur, Berufsverbote, politi-
sche Prozesse und die Liquidierung von Regimefeinden im Ausland
durch die Geheimdienste. Ein Diktator, der seine Herrschaft primär
auf Gewaltanwendung und Befehlsgehorsam stützt, brauchte Tito,
nachdem er einmal die Macht erobert hatte, indessen nicht (oder
nicht mehr) zu sein. « Tito hat die Macht zu machen, was er will »,
sagte der 1972 abgesetzte Reformpolitiker Marko Nikezić, « aber er
nutzt sie nicht ».82 Und das lag nicht zuletzt daran, dass seine Herr-
schaft auch in der jüngeren Generation über eine beträchtliche origi-
näre Zustimmung verfügte, welche sich aus der Liberalisierung und
Öffnung nach Westen, dem Zuwachs an Wohlstand, der hohen inter-
nationalen Anerkennung und nicht zuletzt Titos Charisma speiste.
Die Marke Tito lebte von propagandistischen Inszenierungen, aber
auch von der Ausstrahlung väterlicher Autorität und einfach von einer
gewissen Dankbarkeit dafür, was er für Jugoslawien und die Jugosla-
wen erreicht hatte.
BONN, DÜSSELDORF UND HAMBURG,
24.–27. JUNI 1974 
Der Elder Statesman

Endlich Versöhnung

An einem Frühsommertag 1974, um zehn Minuten nach elf,


kam die jugoslawische Caravelle auf dem Flughafen Fuhlsbüttel vor
dem roten Teppich zu stehen. Josip Broz Tito, im taubenblauen
­Anzug und mit farbiger Krawatte, federte die Gangway hinab. « Das
Gesicht zeigt keine Spur des Alterns, das Haar ist noch blond. Der
82-Jährige wirkt wie ein rüstiger Mittsechziger – eine beeindruckende
Persönlichkeit, ein Staatsmann, eine Figur der Weltgeschichte », be-
richtete das Hamburger Abendblatt. Hinter dem berühmten Gast er-
schien Jovanka im zartgelben Kleid, gefolgt von Bundeskanzler Hel-
mut Schmidt im hellen Glencheck mit seiner Frau Loki. Tausende
versammelten sich auf den Straßen, und sogar die Kirchglocken läu-
teten. Beim festlichen Empfang im Rathaus hielt Bürgermeister Peter
Schulz eine bewegende Rede über das geteilte Deutschland. Zum
­Abschied schritten Tito, Schmidt und Schulz zu den Nationalhym-
nen beider Länder die Ehrenformation von Heer, Marine und Luft-
waffe ab. « Militärisches Zeremoniell wie zuletzt 1907, als der britische
König Edward VII. in Hamburg verabschiedet wurde. »1
Der Abstecher in die Heimatstadt von Bundeskanzler Helmut
Schmidt rundete den ersten offiziellen Besuch des jugoslawischen
Staatsoberhaupts in der Bundesrepublik ab. Tito war zu Gesprächen
über wirtschaftlich-technische Zusammenarbeit sowie die Entspan-
nungspolitik nach Bonn geladen, wo er außer dem Bundespräsidenten
auch die Regierung sowie die Spitzen der politischen Parteien und
350 Bonn, Düsseldorf und Hamburg, 24.–27. Juni 1974  

Gewerkschaften traf. Aus Sicherheitsgründen durfte er nicht am


­Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft zwischen Jugoslawien
und Brasilien im Frankfurter Waldstadion teilnehmen, weil der Ver-
fassungsschutz Attentate von kroatischen Ustascha-Emigranten fürch-
tete. Tito begrüßte seine Nationalmannschaft, die damals noch aus
Kickern aller Landesteile bestand, deshalb nur im Düsseldorfer Hotel
« Park » beim Empfang. Als Jugoslawien in der nächsten Runde auf die
Bundesrepublik traf, schossen Paul Breitner und Gerd Müller jeweils
ein Tor, und Helmut Schmidt entschuldigte sich anschließend bei
Tito dafür, « daß wir gewonnen haben ».2
Für Tito war es einer seiner « außergewöhnlich wichtigen Besu-
che » und die « Krönung » seiner Politik der Versöhnung. Diese könne
« von niemandem besser eingeleitet und durchgeführt werden als von
Tito », schrieb das Auswärtige Amt. Denn schließlich war er Anführer
des Widerstands gegen Hitler und auch dessen Bezwinger gewesen.3
Als erster Staatsführer eines kommunistischen Landes wollte er nun
einen endgültigen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen. Die
Beziehungen waren wegen der NS-Schreckensherrschaft und der
­immensen Kriegsschäden, für welche es weder eine Entschuldigung
noch eine Entschädigung gegeben hatte, auch drei Jahrzehnte nach
Kriegsende belastet. Die alliierte Reparationskonferenz hatte 1945/46
in Paris einen Materialschaden von über neun Milliarden US-Dollar
errechnet, den Hitler-Deutschland in Jugoslawien verursacht hatte.
Wegen allfälliger Entschädigung wurden die Jugoslawen damals an die
drei Westzonen verwiesen, weshalb sich Belgrad in dieser Frage später
nicht auch an die DDR wandte. Das Londoner Schuldenabkommen
vertröstete Jugoslawien jedoch 1953 auf einen fernen Friedensvertrag.
Seither lehnte es Bonn kategorisch ab, über die von Belgrad geforder-
ten zwei Milliarden DM auch nur zu verhandeln. Der offizielle Grund
war, dass Jugoslawien 1957 den Alleinvertretungsanspruch missachtet
und die DDR anerkannt hatte. Seitdem waren die diplomatischen
­Beziehungen unterbrochen. In Wirklichkeit fürchteten die Westdeut-
schen vor allem einen sehr teuren Dominoeffekt in ganz Osteuropa.
Dabei war ihnen völlig bewusst, dass ihr Rechtsstandpunkt anfechtbar
war.
 Der Elder Statesman 351

Erst im Rahmen der Neuen Ostpolitik, die die Große Koalition


1966 in Gang setzte, kam Bewegung in die Angelegenheit. Der sozial-
demokratische Außenminister Willy Brandt erklärte CDU-Bundes-
kanzler Kurt Georg Kiesinger am 16. November 1967, dass die Wieder-
aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Jugoslawien « im Interesse
der deutschen Europa- und Entspannungspolitik liegt ». Das Land sei
ein « in Ost und West gleichermaßen geachtetes Mitglied der europäi-
schen Staatenfamilie. Seine Stimme hat besonders in der Dritten Welt,
aber auch bei unseren Verbündeten Gewicht. »4 Anfang 1968 wurden die
Beziehungen trotz einiger « ungelöster Fragen » ohne Vorbedingungen
von Seiten Jugoslawiens wiederhergestellt.
Das Verhältnis zu Jugoslawien zu normalisieren, erschien uner-
lässlich, um die Neue Ostpolitik voranzutreiben, die sich unter dem
von Egon Bahr geprägten Motto « Wandel durch Annäherung » zusam-
menfassen lässt. Demnach sollte die Aussöhnung mit den Staaten
Osteuropas die Grundlage für eine Zusammenarbeit der beiden Teile
Deutschlands bilden. « In unserer Ostpolitik hat Jugoslawien von An-
fang an einen hervorragenden Platz eingenommen », betonte Brandt.5
Weil Jugoslawien einen wichtigen Baustein im Gesamttableau der
europäischen Sicherheitsarchitektur bildete, aber auch weil Titos
­
Stimme im Ostblock zählte, reiste Brandt im Juni 1968 als Außenmi-
nister nach Belgrad und Brioni. Tito machte « einen frischen und ge-
sunden Eindruck » und « führte die Unterredung mühelos in deutscher
Sprache », protokollierten die deutschen Diplomaten. Dabei rauchte
er mehrere Zigarren und trank Wein. Im Übrigen war « die Offenheit
und Sachlichkeit der jugoslawischen Gesprächspartner … hervorzu-
heben; ideologische Argumente wurden … nicht vorgebracht ».6
Darauf, dass die Jugoslawen das Thema Wiedergutmachung an-
sprechen würden, war Brandt (« mag Angeln und historische Romane /
Schwäche – Alkohol ») vorbereitet.7 Der Außenminister hatte vor der
Reise beim Kanzler die Zustimmung eingeholt, auf kreative Weise mit
den Forderungen umzugehen. Brandt erklärte Tito, er wolle « eine
Formel finden, die weniger an die Vergangenheit gemahne und mehr
in die Zukunft verweise ». Denn viele junge Deutsche wüssten gar
nicht mehr, warum Deutschland Entschädigung zahlen solle. « Lassen
352 Bonn, Düsseldorf und Hamburg, 24.–27. Juni 1974  

Mit Außenminister Willy Brandt auf Brioni, 1968

Sie uns für diesen Moment dieses Wort vergessen und an einer prak-
tischen Lösung arbeiten. » Die Bundesrepublik könne in den nächsten
Jahren verschiedene « Leistungen » erbringen. Die Jugoslawen könnten
das dann nennen, wie sie wollten, aber zuhause in Deutschland hieße
das nicht « Entschädigung ». Und schmunzelnd: « Das wird uns auch
Geld kosten, ist aber leichter zu vertreten. » Laut Protokoll setzte Tito
daraufhin ein ernstes Gesicht auf und entgegnete, gerade die Jugend
müsse doch erfahren, worum es gehe  – eine Folge des Krieges und
« eine Frage der Ehre ». Aber « lassen Sie uns erst mal sehen, wie sich die
anderen Fragen entwickeln ».8
Noch im selben Jahr kam ein Anwerbeabkommen zum Abschluss,
das den Status der jugoslawischen Gastarbeiter regelte. Zu diesem
Zeitpunkt lebten und arbeiteten bereits 100 000  Jugoslawen in der
Bundesrepublik, deren Status ungeklärt war. Nun gab es eine vertrag-
liche Grundlage, Arbeitskräfte dort anzuheuern. Jugoslawien ver-
sprach sich davon eine Entlastung des Arbeitsmarktes und eine will-
kommene Devisenquelle. Bis Mitte der siebziger Jahre stieg die Zahl
 Der Elder Statesman 353

der Jugoslawen, die einen « temporären Aufenthalt » in der Bundesre-


publik hatten, auf eine halbe Million. Aber wie glaubwürdig waren
« Aussöhnung und Ausgleich », wenn das heikle Thema Wiedergutma-
chung ausgeklammert blieb?
Beide, Brandt und Tito, standen in der Frage der Entschädigung
innenpolitisch unter Druck. « Für uns ist die Entschädigung eine
prinzipielle Frage », hieß es im jugoslawischen Außenministerium,
« und die BRD ist rechtlich und moralisch dazu verpflichtet, sie zu
­lösen. » Nicht nur waren die Beschlüsse der Alliierten eindeutig.
Bonn habe bereits zwölf westeuropäische Länder mit 972 Millionen
sowie Israel mit 3,2 Milliarden DM abgefunden.9 Viele Kommunisten
und besonders die alten Partisanen verlangten endlich Wiedergutma-
chung.
Auch in der Bundesrepublik war das Thema emotional stark belas-
tet. Konservative und besonders die Vertriebenenvertreter schimpften
Brandt einen Verräter, weil er seine Fühler in den kommunistischen
Osten ausstreckte. Im Fall Jugoslawiens stand zudem der Vorwurf im
Raum, die Jugoslawen ließen die deutschen Kriegsgräber verwahr­
losen, und zwar etwa 113 000 aus dem Zweiten und 14 000 aus dem
Ersten Weltkrieg.10 Verbände und Diplomaten behelligten die Jugosla-
wen damit ohne Unterlass. « Aus objektiven [finanziellen] Gründen
waren wir bislang noch nicht einmal in der Lage, die Gräber unserer
eigenen Soldaten und die der Alliierten in Ordnung zu bringen », hieß
es dazu in Belgrad. Und da würde es « unsere Öffentlichkeit auch nicht
verstehen oder gutheißen, die Instandsetzung der deutschen Kriegs-
gräber in Angriff zu nehmen, bevor die Entschädigungsfrage geregelt
ist ».11
Nachdem es fünf Jahre lang keine echten Fortschritte bei der
Wiedergutmachung gegeben hatte, kam es während der Ölkrise 1973
zum Durchbruch. « Die Jugoslawen sind Pragmatiker », glaubte man
im Auswärtigen Amt. « Sie werden nicht wirtschaftliche Vorteile zu-
gunsten von Forderungen, deren Durchsetzbarkeit zweifelhaft ist,
ausschlagen. »12 Als Willy Brandt im April 1973 erneut, diesmal als
Bundeskanzler, nach Jugoslawien kam, wollte er Tito günstige Millio-
nenkredite zum Bezug deutscher Industrieausrüstung vorschlagen.
354 Bonn, Düsseldorf und Hamburg, 24.–27. Juni 1974  

Das hieße dann « Kapitalhilfe » und würde nicht nur Jugoslawien, son-
dern auch der eigenen Wirtschaft nützen.
Die Jugoslawen empfingen Brandt auf höchstem Niveau und
überaus herzlich; tagelang berichteten die Medien über das Groß­
ereignis. Brandt durfte wie sonst nur Staatsoberhäupter im Weißen
Schloss residieren und zwei Stunden lang im jugoslawischen Fern­
sehen die deutsche Politik erläutern, einschließlich der Vorzüge des
demokratisch-parlamentarischen Systems. Die Öffentlichkeit regis­
trierte mit Genugtuung, dass Brandt die von deutschen Truppen
­zerstörte und nun wiedererrichtete Nationalbibliothek besuchte und
­einen Kranz am Denkmal des unbekannten Helden in Avala nieder-
legte. Die Jugoslawen hätten sich zwar gewünscht, er wäre auch nach
Kragujevac gereist, um dort tausender Opfer der Wehrmacht zu ge-
denken, die 1941 in einer so genannten Sühneaktion wahllos ermordet
worden waren. Vorgeblich kam es dazu « aus Zeitgründen » nicht, aller-
dings auch nicht zum Besuch eines deutschen Soldatenfriedhofs.
Als sich Brandt und Tito anschließend auf Brioni bei Austern,
­istrischem Schinken, Lammhaxe, Rehrücken und diversen Meeres-
tieren in Vier-Augen-Gesprächen in alle möglichen Weltprobleme
vertieften, wurde die Frage schließlich gelöst. Der Grund war, dass es
beide ausdrücklich wollten und klug einfädelten. Tito, der wusste,
dass Brandt tags zuvor erklärt hatte, er trete lieber zurück, als gegen-
über Jugoslawien Milliardenverpflichtungen zu übernehmen, schlug
vor, dass « man das Problem nicht mehr direkt, sondern auf andere
Weise » lösen solle, indem man es anders nenne. « Ich glaube, dass wir
einen Weg finden werden. » Im Abschlusskommuniqué stand dann fol-
gende Formel: Es gebe noch offene Fragen aus der Vergangenheit, die
einer Lösung bedürften. Diese sollten in einer in die Zukunft gerich-
teten Form, nämlich durch langfristige Zusammenarbeit aus der Welt
geschafft werden. Konkret hieß das: Die Wiedergutmachung werde in
Form von Krediten geleistet. Das war eine finanzielle Pflichterfüllung
ohne moralisches Bekenntnis. Im Zeichen der Entschädigung, aber
ohne es so zu nennen, bewilligte die Bundesrepublik Deutschland
schließlich insgesamt Kredite in Höhe von einer Milliarde DM.13
« Die Brioni-Formel ist nur durch das persönliche Engagement Titos
 Der Elder Statesman 355

Bundeskanzler Helmut Schmidt empfängt Tito in Bonn, 1974

ermöglicht worden », schrieb das Auswärtige Amt. « Nur er kann die


Realisierung dieser Regelung innenpolitisch durchsetzen. » Und dafür
müsse er « auch hier wieder sein persönliches Prestige in die Waag-
schale » werfen.14
Statt Willy Brandt, der wegen einer Spionageaffäre im Mai 1974
vom Amt des Bundeskanzlers zurücktrat, wurde der jugoslawische
Staatspräsident bei seinem Gegenbesuch von Helmut Schmidt emp-
fangen. Titos Besuch galt auch deutscherseits als bisheriger « Höhe-
punkt » der bilateralen Beziehungen.15 Mit dem wichtigen Gast gab
sich das Protokoll dementsprechend viel Mühe. « Tito ißt besonders
gern Speiseeis » und « schätzt Eisbein mit Sauerkraut ganz besonders ».
Ansonsten möge er bestimmte Whisky-Sorten, aber keinen Champa-
gner und in jedem Fall gerne koffeinfreien Pulverkaffee.16 Tatsächlich,
so bemerkte der « Spiegel »-Reporter, « kann Josip Broz Tito … mor-
gens um halb zehn schon den ersten Whisky und im Schnitt andert-
halb Havannas pro Stunde vertragen, ohne Konditionsschwächen zu
zeigen ».17
356 Bonn, Düsseldorf und Hamburg, 24.–27. Juni 1974  

Botschafter Jaenicke, der auf dem Rückflug « unfreiwilliger Ohren­


zeuge » der Gespräche in der Kabine des Präsidenten geworden war,
rapportierte, Tito und Jovanka seien aufrichtig « berührt von der
Wärme und dem Interesse » der Deutschen und beeindruckt von ihrer
Gastfreundschaft. Er vermeinte, eine « tiefe Befriedigung über Verlauf
und Ergebnisse des Staatsbesuches fast greifbar zu spüren ».18 Zu-
hause in Jugoslawien erzähle Tito verschiedenen Leuten, dass « diese
Deutschen von heute etwas ganz anderes als die von früher » seien.
­Besonders beeindruckt habe ihn Bundeskanzler Schmidt.19 Der hatte
schließlich gesagt, er « wolle dem Präsidenten nicht schmeicheln. Aber
es sei seine Überzeugung …, dass er unter den lebenden bei weitem
der erfolgreichste Staatsmann sei. »20

Entspannung – aber bitte global!

Bereits bei seinem ersten Besuch in Jugoslawien 1968 stellte


Willy Brandt « mehr Berührungspunkte …, als vorher von uns ange-
nommen », mit der jugoslawischen Position fest.21 « Beide treten dafür
ein, gegenwärtige Trennungslinien ohne Rücksicht auf unterschied­
liche gesellschaftliche Ordnungen durch verstärkte Zusammenarbeit
zu überwinden und Frieden durch konkrete Schritte besser zu si-
chern », konstatierte das Auswärtige Amt.22 Indem die Neue Ostpolitik
an Fahrt aufnahm, entwickelte sich Jugoslawien dergestalt zum natür-
lichen Verbündeten der sozialliberalen Koalition. Das Land habe ihr
« die entschiedenste Unterstützung » zukommen lassen, bestätigte
Brandt.23
Da die Jugoslawen aufgrund ihrer prekären geopolitischen Situa-
tion ein originäres Interesse an Fragen der europäischen Sicherheit
hatten, wollten sie auch den größten « Stolperstein » wegräumen: die
deutsche Frage. Ihr Standpunkt war folgender: « Man müsse von der
Realität der deutschen Teilung ausgehen; eine Lösung der großen
Probleme müsse durch eine Verbesserung der Atmosphäre und durch
kleine Schritte vorbereitet werden. Auf die Dauer müsse man zu einem
Dialog mit der ‹ DDR › kommen. » Als die beiden deutschen Staaten am
21. Dezember 1972 den Grundlagenvertrag schlossen und « normale
gutnachbarliche Beziehungen » vereinbarten, sorgte Jugoslawien bei
 Der Elder Statesman 357

den Ländern der so genannten Dritten Welt für eine Mehrheit in der
UNO, damit beide deutsche Staaten im kommenden Jahr aufgenom-
men werden könnten. « Wir betrachten das deutsch-jugoslawische
­Verhältnis als ein Beispiel für die Entwicklung guter und fruchtbarer
Beziehungen zwischen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschafts-
ordnung und außenpolitischer Orientierung », hieß es auch deswegen
später.24
Jugoslawiens Deutschlandpolitik stand im Kontext der Entspan-
nungspolitik, die seit den sechziger Jahren langsam Fortschritte
machte. Um das Risiko eines Atomkrieges einzudämmen, richteten
die Supermächte zuerst einen « heißen Draht » zwischen dem Kreml
und dem Weißen Haus ein. 1970 wurde der Atomwaffensperrvertrag
unterzeichnet; zwei Jahre später schlossen Nixon und Breschnew Ab-
kommen über die Begrenzung strategischer Nuklearwaffen (SALT)
und antiballistische Raketenabwehr (ABM). Als erster US-Präsident
reiste Richard Nixon in die UdSSR und nach China. Durch den Ent-
spannungsprozess rückte das Projekt einer umfassenden Sicherheits-
konferenz für Europa auf die Agenda, um die Streitfragen der Nach-
kriegsordnung beizulegen. Die Anerkennung der Grenzen, die die
­Sowjetunion seit den fünfziger Jahren forderte, lag grundsätzlich
auch im Interesse Jugoslawiens, das etliche Grenzstreitigkeiten mit
seinen Nachbarn, besonders mit Italien, ausfocht. Nicht in seinem
­Interesse aber war, dass sich die Supermächte anschickten, sich auf
Kosten der neutralen Staaten zu einigen, und dass sie möglicherweise
Waffensysteme aus der Mitte Europas abziehen würden, um sie nach
Südeuropa zu verlagern.25 « Wir wollten ja, dass sie miteinander spre-
chen », sagte Tito Sri Lankas Premierministerin Sirimavo Bandara-
naike 1970, « aber jetzt sprechen sie ein bisschen zu viel miteinander ».26
Jugoslawiens Außenpolitiker fürchteten vor allem ein « zweites
Jalta », also die Gefahr, dass die Supermächte erneut Interessensphä-
ren miteinander vereinbaren würden. Daraus erwuchs die Vision und
Politik einer « Entspannung für die ganze Welt ». Vor diesem Hinter-
grund lieferte Belgrad 1970 ein Memorandum über « Probleme von
Sicherheit und Zusammenarbeit ». Es forderte eine Konferenz aller
europäischen Staaten, um die « gegenwärtigen Realitäten » anzuerken-
358 Bonn, Düsseldorf und Hamburg, 24.–27. Juni 1974  

nen, aber mit dem Ziel, die Blöcke zu überwinden und nicht zu
­zementieren. Gefordert wurde « allgemeine und totale Abrüstung »
statt einer bloßen Begrenzung der Atomwaffen. Außerdem sollte der
Entspannungsprozess multilateralisiert werden, d. h. im Rahmen der
UNO stattfinden.
Der Planungsstab im Auswärtigen Amt erkannte sogleich, dass
der Vorschlag in wesentlichen Punkten den eigenen Positionen ent-
sprach. « Für die weitere Entwicklung der Ost-West-Diskussion über
die europäische Sicherheit kann es sich als bedeutsam erweisen, dass
ein kommunistisches Land eine derart konstruktive Haltung zur
euro­päischen Sicherheit einnimmt », kommentierten die Bonner Di­
plomaten.27 Es bestehe dringendes Interesse, den Vorschlag mit den
Jugoslawen weiter zu diskutieren. Außerdem habe Tito erreicht, dass
Breschnew Jugoslawien in sein europäisches Entspannungskonzept
einbeziehe. « Daher sollte uns daran gelegen sein, das blockfreie Jugo-
slawien an der Behandlung der MBFR-Frage [der Truppenreduzie-
rungen] so früh und so weitgehend als möglich zu beteiligen. »28
Die Voraussetzungen für eine große europäische Sicherheitskon-
ferenz, die KSZE, schufen schließlich die Ostverträge, die die Bun-
desrepublik mit der Sowjetunion und Polen (1970), der DDR (1972)
und der Tschechoslowakei (1973) schloss. Sie schrieben Gewalt­
verzicht und Unverletzlichkeit der Grenzen fest, ohne die friedliche
Wiedervereinigung Deutschlands auszuschließen. 1971 bestätigte das
Berlin-Abkommen die legitimen Bindungen zwischen der Bundesre-
publik und West-Berlin. Nachdem Finnland den Tagungsort Helsinki
vorgeschlagen hatte, begannen 1972 die Verhandlungen für die KSZE.
Bei den Verhandlungen in Genf und Helsinki spielte Jugoslawien
zusammen mit den neutralen Staaten eine treibende Rolle. Belgrad
warb besonders für vertrauensbildende Maßnahmen, Mechanismen
friedlicher Konfliktbeilegung sowie Menschen- und Minderheiten-
rechte. Dabei zeigte man großes diplomatisches Geschick. Wann
­immer die Gespräche stockten, eilten die Jugoslawen mit einem neuen
inhaltlichen oder wenigstens einem Verfahrensvorschlag herbei.29
Willy Brandt betonte 1973, « welche positive Aufgabe Jugoslawien
mit seiner Politik des Ausgleichs und der Vermittlung zu übernehmen
 Der Elder Statesman 359

vermag ».30 Tito wirkte häufig hinter den Kulissen, zum Beispiel, als er
1974 mit Bundeskanzler Helmut Schmidt zum Vier-Augen-Gespräch
­zusammentraf und für mehr Vertrauen in den KSZE-Prozess warb.
Die Sowjetunion « wünsche tatsächlich die Erstellung einer dauerhaf-
ten Friedensordnung in Europa », beruhigte er den Bundeskanzler,
denn « hiervon hänge Breschnews innenpolitisches Schicksal ab ». Es
könne natürlich nicht alles akzeptiert werden, was Moskau fordere,
aber man möge sich nicht in Scheinkämpfe um die Unveränderbarkeit
der Grenzen verbeißen. Schmidt wollte allerdings vermeiden, dass die
Konferenz die europäischen Grenzen und damit die Teilung Deutsch-
lands auf ewig festschrieb. Aber Tito entgegnete, « wenn es … den
Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR ge-
länge, ihre Beziehungen zueinander auf längere Sicht freundschaft-
lich zu gestalten, würde keine Gefahr bestehen, dass die deutsche
­Nation sich nicht eines Tages doch vereinigen könne, und zwar ohne
Rücksicht auf das, was jetzt in Genf formuliert werde ».31 Das fand
schließlich auch Schmidt einleuchtend. Er wolle also versuchen, dass
diesen « unwichtigen Problemen » in Genf eine geringere Rolle ein­
geräumt wird, aber auch verhindern, dass « jemand, der über Wieder-
vereinigung spreche, zum Aggressor erklärt werden könne ».32
Am 1. August 1975, kurz nach siebzehn Uhr, setzte Tito (« Yougos-
lavie ») nach dreijährigen Verhandlungen schließlich als Letzter von
35 Staats- und Regierungschefs seine Unterschrift unter die KSZE-
Schlussakte. Sie bestand aus drei Teilen bzw. « Körben »: vertrauens­
bildende Maßnahmen, wirtschaftlich-wissenschaftliche Zusammen­
arbeit sowie Freizügigkeit und Menschenrechte. Nun ging es Tito
­darum, einen Prozess der Verifikation zu schaffen, um die Umsetzung
des Beschlossenen dauerhaft zu überprüfen. Er schlug zudem eine
Folgekonferenz vor, die 1977 in Belgrad stattfand. Dort wollte er zu-
sätzliche vertrauensbildende Maßnahmen und die Ausweitung der
KSZE-Prinzipien auf den Mittelmeerraum durchsetzen, wo in letzter
Zeit die sowjetische und die amerikanische Flotte wachsende Präsenz
zeigten.33
Allerdings waren die Beziehungen zwischen Moskau und Wa-
shington 1977 erneut auf einem Tiefpunkt angekommen. Gründe
360 Bonn, Düsseldorf und Hamburg, 24.–27. Juni 1974  

­aren die sowjetischen Militärinterventionen in Afrika, Jimmy


w
Carters aggressivere Menschenrechtspolitik gegenüber dem Ostblock
und die Blockade der Verhandlungen zur Begrenzung der strategi-
schen Atomrüstung. Die Jugoslawen konnten bei der Belgrader Kon-
ferenz eine Eskalation über Korb  III – die Menschenrechtssituation
im Ostblock  – gerade noch verhindern, aber Fortschritte gab es im
Verhandlungsprozess so gut wie keine. Das wichtigste Ergebnis be-
stand in der Vereinbarung, die Konsultationen 1980 in Madrid fortzu-
setzen. So war es immerhin gelungen, den Helsinki-Prozess über-
haupt noch am Leben zu erhalten. Und anscheinend vermochte Tito
im Vorfeld der SALT-II-Verhandlungen sogar auf die US-Politik ein-
zuwirken. Im Juni 1979 schrieb Averell Harriman an Jimmy Carter:
« Tito hat mich überzeugt, dass die jetzige sowjetische Führung sehr
defensiv eingestellt ist » und dass « Breschnew jetzt bereit sei, ernsthaft
über MBFR [beiderseitige ausgewogene Truppenreduzierungen] zu
diskutieren ».34
Während der europäische Entspannungsprozess stockte, entfalte-
ten die Jugoslawen umso größere Aktivitäten innerhalb der UNO.
Nach der Verabschiedung der Friendly-Relations-Deklaration 1970,
welche auf ihren Vorschlag hin die Koexistenzprinzipien festschrieb,
initiierten sie eine Weltabrüstungskonferenz. Sie fand 1978 statt, als
Jugoslawien die Präsidentschaft der UN-Generalversammlung inne-
hatte. Dort wurden unter anderem Maßnahmen gegen das nukleare
Wettrüsten und die Entwicklung chemischer Massenvernichtungs-
waffen sowie für Abrüstung im konventionellen Bereich verhandelt.35
Die Themen Abrüstung, universale kollektive Sicherheit und multila-
terales Krisenmanagement bildeten den Kern der sicherheitspoliti-
schen Ziele Jugoslawiens und der Blockfreien insgesamt.
Für Amerikaner und Westeuropäer, besonders die Bundesrepu­
blik, stand außer Frage, dass Jugoslawien, zumindest solange Tito
lebte, einen Stabilitätsanker in der Region bildete und es auch in der
Nach-Tito-Ära bleiben sollte. Deswegen muss man zu den Ursachen,
warum sich das sozialistische Jugoslawien so lange hielt, zu den Fak-
toren Legitimität, Repression und Eliten-Kooptation noch die Hilfen
von außen hinzufügen. Der Westen sah es aus ureigenstem Kalkül als
 Der Elder Statesman 361

notwendig an, Titos Staat am Leben zu halten, ganz gleich, wie es im


Inneren aussah. Sicherheitspolitische Interessen überwogen die Sorge
um Rechtsstaat, D ­ emokratie und Menschenrechte. Selbst dass der
­jugoslawische Geheimdienst im Westen Emigranten ermordete, wurde
deswegen toleriert.
Die Europäische Gemeinschaft schloss 1970 einen nichtpräferen-
ziellen Handelsvertrag mit Jugoslawien, und zwar in der Absicht, den
Vielvölkerstaat ökonomisch besser gegen sowjetische Avancen zu
wappnen. Ein instabiles, zum Ostblock tendierendes Jugoslawien
hätte sowohl die Sicherheit im Mittelmeerraum als auch den Ent-
spannungsprozess insgesamt gefährdet. Im Dezember 1976 gaben
­Jugoslawien und die EG eine gemeinsame Erklärung ab, um die
­bilaterale wirtschaftliche Zusammenarbeit auf eine neue Grundlage
zu stellen und auszuweiten.36
Für die USA zählte vor allem das strategische Gleichgewicht. Die
Jugoslawienpolitik war, wie es US-Diplomat Ronald Neitzke for­
mulierte, « eines von drei bis vier Gebieten, mit denen man, wenn man
es schlecht anstellte, einen Weltkrieg  … auslösen  » könnte.37
George  F. Kennan argumentierte noch 1978, Titos Jugoslawien sei
« von unschätzbarem Vorteil für die NATO gewesen, da sich so die
­sowjetischen und Warschauer Pakt-Truppen auf Distanz vom Adria­
tischen Meer und Gebiet der NATO-Mitglieder halten ließen ». Der
Westen einschließlich der Vereinigten Staaten habe deshalb «  ein
­wesentliches Interesse am Fortbestand und weiteren Gedeihen des
­jugoslawischen Staates, wie wir ihn heute kennen ».38 Das deutsche
Auswärtige Amt stieß in das gleiche Horn: « Das unabhängige Jugo­
slawien spielt eine wichtige Rolle im Rahmen gesamteuropäischer
­Stabilität und Sicherheit … Unsere Politik gegenüber Jugoslawien ist
darauf gerichtet, die Fähigkeit Jugoslawiens zur Fortführung seiner
unabhängigen Politik zu bewahren und nach Möglichkeit zu stärken. »39

Nur noch schnell die Welt retten

In den siebziger Jahren hatte Tito den Gipfel seines inter­


nationalen Ansehens erreicht. Er spielte die Rolle « des vitalen Alt-
meisters der Politik, den die Wechselfälle des Weltgeschehens einfach
362 Bonn, Düsseldorf und Hamburg, 24.–27. Juni 1974  

nicht zur wohlverdienten Ruhe kommen lassen », charakterisierte ihn


die Deutsche Botschaft.40 Tito erzählte Helmut Schmidt 1974, er
widme die meiste Zeit der Außenpolitik, während die Innen- und
Wirtschaftspolitik nebenherliefen. « Seine physische Kondition er-
laube dies aber durchaus, obwohl es Leute gebe, die der Meinung
seien, dass man mit 82  Jahren zu sterben habe », schmunzelte er.41
« Tito scheint die Strapazen der Konferenz [der Blockfreien in Algier
1973] für sein Alter bemerkenswert gut überstanden zu haben », beob-
achteten die westdeutschen Diplomaten. Er führte « mit zahlreichen
Staats- und Regierungschefs Zweiergespräche und arbeitete mit vol-
lem Tagesprogramm ».42
Als Elder Statesman fühlte er sich in besonderem Maße zur Ver-
mittlung in Weltkonflikten berufen. Schon seit den fünfziger Jahren
war Tito als Mediator auf dem internationalen Parkett unterwegs,
zum Beispiel in Indien, Indonesien und Burma, wo es um innerstaat-
liche Konflikte ging, oder in Ägypten und im Sudan, die über den
­Assuan-Staudamm in Streit geraten waren.43 In den sechziger Jahren
beschäftigte er sich viel mit den Kriegen in Vietnam und im Nahen
Osten. Dobrica Ćosić sinnierte, man könne dies als Größenwahn ab-
tun. Jedoch sei Tito fest überzeugt, dass sich die globalen Probleme
weder durch Geld noch mit Gewalt lösen ließen, sondern nur durch
eine neue Qualität internationaler Beziehungen. Tito und sein Stab
öffneten Informations- und Kommunikationskanäle zwischen den
Supermächten und leisteten gute Dienste bei der Vermittlung in
­internationalen Konflikten. « Ich erkenne den Schimmer des Neuen in
dieser Politik: die Rolle des Kleinen unter den Großen », räumte der
Schriftsteller ein.44
Gegen den Vietnamkrieg hatte sich Tito von Anfang an engagiert.
1965 initiierte er einen 17-Staaten-Appell der Nichtpaktgebundenen
für Verhandlungen. Dass es daraufhin nicht zu der Mediation kam,
die die Jugoslawen vorgeschlagen hatten, verhinderten die Chinesen.
Die NATO berichtete, die jugoslawische Führung sei « von Anfang an
bemüht, sich aktiv in die internationale Diskussion des Vietnamkon-
fliktes einzuschalten und Einfluss auf die Haltung sowohl Moskaus
wie Washingtons und vor allem der blockfreien Länder zu gewinnen ».
 Der Elder Statesman 363

Dafür ausschlaggebend sei « neben dem notorischen Ehrgeiz Jugosla-


wiens, in Fragen von weltweiter Bedeutung eine Rolle zu spielen, die
stark ausgeprägte Überzeugung Titos, sein Prestige maximal für die
Wahrung des F ­ riedens zwischen den Weltmächten einzusetzen ».45
Das schätzten trotz aller Kritik sogar die Amerikaner, und als US-Prä-
sident Lyndon  B. Johnson entschied, Nordvietnam erneut zu bom-
bardieren, unterrichtete er Tito noch vor dem amerikanischen Volk
und der Welt­öffentlichkeit durch eine persönliche Botschaft. « Diese
Geste Johnsons ist in sich ein Politikum; sie trägt der verhältnismäßig
vernünftigen, um Vermittlung bemühten Haltung Titos in der Viet-
nam-Frage Rechnung », analysierte das Auswärtige Amt. Es sollte Tito
animieren, seinen mäßigenden Einfluss in Moskau und in der Dritten
Welt geltend zu machen. Tito aber warb in allen Richtungen für einen
neuen Geist in den internationalen Beziehungen. Zum Beispiel habe
er auch, wie er selbst sagte, ­« Nixon deutlich zu machen versucht, dass
es nicht um die ­Alternative Sieg oder Kapitulation gehe, sondern um
einen dritten Weg, das heißt eine politische Lösung ».46
Als sich im Frühjahr 1973 die Situation im Nahen Osten zuspitzte,
war Tito erneut in höchstem Maße aktiv. Er schickte persönliche Bot-
schaften an die USA und die Sowjetunion, und er bat Bundeskanzler
Willy Brandt, sich bei Nixon und Breschnew für eine Vermittlungs-
mission durch vier Mächte, nämlich USA, Sowjetunion, Frankreich
und Großbritannien, im Rahmen der UNO einzusetzen, was dieser
auch tat.47 Im November 1973 sprach Botschafter Budimir Lončar auf
Bitten Titos « dringend » bei Brandt vor, um eine persönliche Botschaft
zu überbringen. « Der Präsident sei vollkommen davon überzeugt, daß
die verantwortlichen Politiker in Ägypten, aber sogar auch in Syrien,
zu einer politischen Regelung kommen wollen. » Und er sei sich ­sicher,
dass die Europäische Gemeinschaft und insbesondere Brandt « das
Geschehen in dieser entscheidenden Periode beeinflussen könne ». Er
bot der EG seine guten Dienste an, da er sowohl mit Ägypten als auch
mit Israel spreche. « Jugoslawien empfinde es als eine Pflicht, diesen
Staaten zu raten und zu helfen. »48
In einem seiner letzten TV-Interviews fasste Tito die Quintessenz
seiner außenpolitischen Philosophie zusammen, die bis heute aktuell
364 Bonn, Düsseldorf und Hamburg, 24.–27. Juni 1974  

ist: « Besonders wichtig ist, möglichst viele Kontakte zwischen den


Staaten zu schaffen  – die Staatschefs müssen sich treffen. Wenn es
Probleme gibt, führt man besser einen direkten Dialog, und nicht
über Briefe und Vermittler. So kann man vieles leichter lösen, es ent-
steht ein größeres Verständnis für einander. »49 Das schloss allerdings
nicht aus, dass Jugoslawien bestimmte Befreiungsbewegungen mili­
tärisch unterstützte, die Gewalt ausübten und die Menschenrechte
mit Füßen traten.
Etliche Persönlichkeiten baten Tito um seine guten Dienste. Zum
Beispiel fragte der ehemalige Präsident des Jüdischen Weltkongresses
Nahum Goldmann mehrfach, ob Tito nicht Treffen mit den Arabern
Nasser, Assad und Sadat einfädeln könne. Und Papst Paul VI. wollte
den « Anwalt des Weltfriedens » Tito für eine jugoslawisch-vatika­
nische Friedensvermittlung im Nahostkonflikt gewinnen.50 Als im
März 1979 der israelisch-ägyptische Friedensvertrag unterzeichnet
wurde, waren die Jugoslawen überzeugt, dass die Bereitschaft der
Ägypter, Israel anzuerkennen, nur durch Gespräche mit Tito zu-
stande gekommen sei.51 Dieser erzählte Helmut Schmidt, wie er 1967
in Kairo versucht habe, der gesamten ägyptischen Regierung nahezu-
bringen, dass sie Israel anerkennen müsse. « Es sei unmöglich, sie [die
Israelis] ins Meer zu werfen. » Seiner festen Überzeugung nach müss-
ten die Araber die Idee der Vernichtung Israels aufgeben und ­Israel
seine Ansprüche auf die im Krieg eroberten Gebiete. Jugoslawien
habe aber immer den Standpunkt vertreten, dass es zu einem Ver-
handlungsfrieden kommen müsse.52 Wie groß Jugoslawiens Einfluss
in dieser Frage tatsächlich war, ist nicht bewiesen, aber jedenfalls, so
US-Außenminister Rogers, habe « Tito einen wohltuenden Einfluss
auf Nasser ausgeübt ».53
Unbestrittenermaßen war Tito ein gewiefter Verhandler. Der spä-
tere Außenminister Raif Dizdarević berichtete: « Er konnte seine
­Gesprächspartner mit seiner Direktheit animieren, mit seiner Weis-
heit eine Atmosphäre schaffen, die wir, die die Besuche vorbereitet
­haben … nicht erwartet hätten, besonders wenn heikle Fragen aufs
Tapet kamen, dass es überhaupt in so eine Richtung gehen könnte. »54
George  F. Kennan formulierte es anders: « Er war fähig, skrupellose
 Der Elder Statesman 365

Strenge walten zu lassen, wenn er es für unerlässlich hielt, seine Sache


zu verteidigen. Er war aber auch, wenn es die Situation erforderte, be-
reit, List und Heuchelei einzusetzen … Als erfahrener Politiker wusste
er, wann er das Wort ergreifen musste und wann schweigen. »55
Am Ende seines langen Lebens stand Titos Reputation beinahe
über den ideologischen Lagern. Er besaß unzählige Auszeichnungen,
Ehrenmitgliedschaften und Orden, zum Beispiel den britischen
Höchst Ehrenvollen Orden vom Bade (Order of the Bath), den däni-
schen Königlichen Elefanten-Orden, das japanische Großkreuz des
Chrysanthemen-Ordens und den sowjetischen Lenin-Orden.56 1973
wurde Tito für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Prominente
Unterstützer waren unter anderen Willy Brandt, Indira Gandhi, Na-
hum Goldmann, Ivo Andrić und Charlie Chaplin sowie der Oberste
Sowjet der UdSSR. Dass er die Auszeichnung am Ende nicht erhielt,
schmälerte sein ­Ansehen kaum. Zu seinem achtzigsten Geburtstag
schickte Bundespräsident Gustav Heinemann achtzig Flaschen Wein
und schrieb: « In meinem Lande blickt man mit Respekt auf Ihr Le-
benswerk, mit dem Sie über den Aufbau Ihres Staates hinaus einen
bedeutenden Beitrag zum Frieden in der Welt geleistet haben. »57

Anfang vom Ende

In den siebziger Jahren war Jugoslawien, wie es die deutsche


Botschaft in Belgrad nannte, in die « Nach-Tito-Ära mit Tito » einge-
treten. Der Staatschef stelle die Weichen, überlasse die Ausführung
aber seinen Nachfolgern, dem kollektiven Staatspräsidium, das nach
seinem Ableben die Führung übernehmen sollte. « Dies ist ein bemer-
kenswertes Phänomen, denn in Staaten, die von Einzelpersönlichkei-
ten mit diktatorischen Vollmachten und kommunistischer Ideologie
gelenkt werden, ist die Führungsnachfolge ‹ normalerweise › mit Rich-
tungs- und Diadochenkämpfen verbunden. Tito macht auch hier eine
Ausnahme, was seinem Bild in der Geschichte einen weiteren Plus-
punkt hinzufügen wird. »58
In Jugoslawien war eine im europäischen Sinn moderne und so-
zial ausdifferenzierte Gesellschaft entstanden. Die Kriegsgeneration
wurde alt, und wer schon in Frieden und sozialer Sicherheit aufge-
366 Bonn, Düsseldorf und Hamburg, 24.–27. Juni 1974  

wachsen war, kümmerte sich lieber um das eigene Fortkommen als um


sozialistische Ideale. Intellektuelle und Experten, bürgerliche und
konsumorientierte Mittelschichten, zivilgesellschaftliche Gruppen
und Medienvertreter begehrten Meinungsfreiheit, Pluralismus und
Bürgerrechte. Und durch Korb III der KSZE hatte die jugoslawische
Regierung schließlich selbst etwas geschaffen, auf das sich diese
Kreise berufen konnten. Das politische Urgestein Tito wirkte dem-
entsprechend wie aus der Zeit gefallen, als er im Jahr vor seinem Tod
sein Vermächtnis formulierte: « Unsere Revolution muss bleiben, was
sie war: unerschüttert in ihren Grundsätzen, menschlich in ihren
­Anstrengungen und unversöhnlich gegenüber allem, was sie zunichte
machen will. »59
Was Sozialismus konkret bedeutete und was in Jugoslawien, war
zu diesem Zeitpunkt unklarer denn je. Regierungsvizechef Kiro
­Gligorov erklärte, es gebe keine ewigen Wahrheiten, und der Marxis-
mus müsse sich im Einklang mit der Veränderung der Produktivkräfte
und den Erkenntnissen der Wissenschaft fortentwickeln. Man müsse
von der Welt eben einfach das übernehmen, was aus objektiven Grün-
den richtig und notwendig sei.60 Und der für Ideologiefragen zustän-
dige Parteifunktionär Alexander Grličkov bekundete sogar, dass nach
der unerwarteten Stabilisierung des Kapitalismus die « monolithische
Phase » und das internationalistische Vorgehen der kommunistischen
Bewegung überholt seien. Jugoslawien gehöre jetzt zur Gruppe der
Eurokommunisten.61 Das waren jene westeuropäischen Kommunis-
ten, die sich vom Sowjetmodell distanzierten und danach strebten,
­sozialistische mit liberaldemokratischen Idealen zu verbinden. Nur
Edvard Kardelj verwahrte sich gegen den « revolutionären Refor­
mismus », welcher auf die Vergesellschaftung der Produktionsmittel
verzichten wollte und stattdessen Parlamentarismus und Mehr­
parteiensystem forderte. Aber selbst er sprach jetzt von « pluralisti-
schen Interessen » innerhalb des Selbstverwaltungssystems.62 Somit
war nicht länger zu leugnen: Der ideologische Konsens der jugoslawi-
schen Kommunisten hatte sich in Formelhaftigkeit verflüchtigt.
Die Welt insgesamt befand sich im Wandel. Der Übergang in die
Informations- und Kommunikationsgesellschaft kündigte sich an. Im
 Der Elder Statesman 367

internationalen Wettbewerb zeigte sich, dass Jugoslawiens Wirtschaft


unterfinanziert, rückständig und bürokratisch war. Wie in anderen
­sozialistischen Staaten war sie kaum in der Lage, sich neue techno­
logische Nischen oder ökonomische Alternativen zu erschließen, um
dem Globalisierungsdruck standzuhalten. Verschärfend wirkte die
weltweite Rezession, welche die Ölkrise 1973 auslöste. Wachstums-
rückgang, Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und Inflation waren
die Folge. Allein zwischen Juli 1974 und Juli 1975 stiegen die Lebens-
haltungskosten in Jugoslawien im Durchschnitt um dreißig Prozent.
Jeder Zehnte wurde arbeitslos. Während die Importe aus Westeuropa
und besonders aus der Bundesrepublik wuchsen, fanden jugoslawi-
sche Produkte im Ausland nur schwer Absatzmärkte. Das Handels­
bilanzdefizit vergrößerte sich, und die Devisenvorräte schrumpften.
Nie zuvor klaffte die Wohlstandsschere so weit auseinander wie jetzt.
Wachsende Interessengegensätze zwischen Slowenen, Serben, Alba-
nern und anderen Volksgruppen verhinderten weitere Wirtschafts­
reformen. Ohne Titos Machtwort wären jetzt oft nicht einmal mehr
bestimmte tagespolitische Entscheidungen zustande gekommen.
Um die Folgen der Wirtschaftskrise zu mildern, floh das Regime
in Staatsinvestitionen und Lohnerhöhungen. Es nahm immer neue
Stützungs- und Umschuldungskredite auf. 1976 wurde den Betrieben
erlaubt, über Produktionsziele und Gewinne selbst zu verfügen. Un-
zählige neue Selbstverwaltungsorgane unaussprechlichen Namens
schossen aus dem Boden. Paradoxerweise stiegen Realeinkommen
und Massenkonsum in diesen Jahren auf ihren höchsten Stand. Nur
war das nicht der eigenen Wirtschaftskraft zu verdanken, sondern den
unmäßigen internationalen Anleihen. 1980 war Jugoslawien mit einer
Rekordsumme von fast 20  Milliarden US-Dollar verschuldet, was
etwa 27 Prozent der Wirtschaftsleistung entsprach. Da die Gläubiger,
zuallererst die USA, die Zinsen nach der Ölkrise kräftig erhöhten,
druckte die Regierung ständig neues Geld, um die Kredite bedienen
zu können, und die Inflation wuchs.63
Im hohen Alter geriet Titos Privatleben aus dem Lot. Jovanka, die
aufgrund ihrer mehr als dreißigjährigen Ehe eine natürliche infor-
melle Machtposition besaß, mischte sich immer unverhohlener in die
368 Bonn, Düsseldorf und Hamburg, 24.–27. Juni 1974  

Machtspiele seiner Kamarilla ein, jener Partei- und Regierungsleute,


die den Präsidenten umgaben und zu beeinflussen suchten. Je stärker
sie sich mit ihm identifizierte, desto fixer wurde die Idee, seine Spin-
Doktorin zu sein. « Die Blockfreien waren meine Erfindung », behaup-
tete sie sogar.64 Sie setzte durch, seine Post und alle innen- und
­außenpolitischen Berichte zu lesen. Tito war sprachlos, als Kardelj
auf ihren Wunsch hin 1974 sondierte, ob man sie für das ZK der Partei
vorschlagen solle. « Jovanka erledigt nützliche Aufgaben, indem sie mir
hilft, meine Pflichten zu erfüllen », entgegnete er schließlich. Er sei
aber weder Nicolae Ceauşescu noch Mao Tse Tung, die ihre Frauen
ins ZK pflanzten. Und dann stand er einfach auf und verließ den
Raum.65
Weil Jovanka unter dem Eindruck stand, ihr ganzes Leben Tito,
oder besser: seiner Funktion, geopfert zu haben, entwickelte sie ein
Syndrom, das man auch von anderen Ehefrauen kennt, die ihre deut-
lich älteren berühmten Männer überlebten. Den Personenkult, den
sie tagtäglich anfütterte, bezog sie auch auf sich selbst. Und wie Maike
Richter-Kohl, Brigitte Seebacher-Brandt, Yoko Ono und Eliette von
Karajan erschien es der engsten Vertrauten und Beraterin als heilige
Pflicht, den berühmten Gatten, als er schwächer wurde, vor Verrätern
und Feinden zu schützen. Eifersüchteleien wuchsen sich zu einem pa-
ranoiden Misstrauen gegenüber Bediensteten, Weggefährten und
engsten Mitarbeitern aus. « Dauernd wurden … Kollegen aus dem
Kabinett, Protokoll und anderen Diensten ausgetauscht oder entlas-
sen », klagte Titos langjähriger persönlicher Sekretär. Jovanka, die sich
selbst als eigensinnig und trotzig bezeichnete, wollte den Präsidenten
maximal abschirmen und allein bestimmen, wer Zugang zu ihm er-
hielt. Die Eifersucht gegenüber anderen Frauen, zum Beispiel den
Physiotherapeutinnen des über Achtzigjährigen, steigerte sich ins
Krankhafte. Besonderes Misstrauen hegte sie gegenüber jenen, die
für das leibliche Wohl des Präsidenten zuständig waren: Küchenchefs
und Ärzte. Jovanka « hat sich immer bis zur letzten Sekunde energisch
widersetzt, dass dem Präsidenten im Rahmen der medizinischen Be-
handlungen [seines Diabetes] Injektionen verabreicht wurden », sagte
Doktor Miloljub Kušić später aus – das war lebensgefährlich. In den
 Der Elder Statesman 369

siebziger Jahren blieb sogar wochenlang die Küche kalt, weil alles Per-
sonal entlassen war. Sie war ein Beispiel, sagte einer, wie « aus dem
schönsten Schmetterling der furchtbarste Drache » werden kann.66
Bis 1980, als Tito starb, beschäftigten sich Regierung und Partei-
führung 59 Mal mit der Beziehung zu seiner Frau, bis schließlich
­sogar eine geheime Kommission zum « Fall der Genossin Jovanka »
­gebildet wurde. 1977 entschied Tito, sich von Jovanka zu trennen. Der
Führungszirkel drängte auf Scheidung. Tito schwieg lange. Aber
dann entgegnete er: « Ich lebe schon mehr als dreißig Jahre mit ­Jovanka
zusammen. Ich habe sie sehr geliebt und empfinde immer noch viel
für sie. Wir leben getrennt, aber offiziell scheiden lassen werden wir
uns nicht. »67

Rückkehr an die Sutjeska

« Dear President Tito », begann Richard Burton am 20. Juli


1971 in Monaco seinen Brief. « Ich habe im Laufe meiner Karriere
­einige große Männer gespielt: Heinrich  VIII., [Erzbischof] Thomas
Becket, Alexander den Großen, Marcus Antonius und andere – aber
sie konnten das fertige Produkt nicht betrachten. Ich hoffe, ich kann
Ihnen gerecht werden und dass das Ergebnis Sie nicht in Verlegenheit
bringt. » Es sei ihm in jedem Fall « eine große Ehre, den größten Jugo-
slawen, der je gelebt hat, zu spielen ».68
Zum ersten Mal sollte ein Schauspieler Tito auf der Leinwand
verkörpern. Die Jugoslawen wollten das große Partisanenepos «­ Sut-
jeska » verfilmen, das von der Kesselschlacht am gleichnamigen bosni-
schen Fluss im Jahr 1943 handelte. Partisanenfilme hatten sie schon
hundertfach gedreht, aber nie tauchte Tito darin als Person auf. Sie
waren gewissermaßen die jugoslawische Form des Western: Vor wild-
romantischen Felsen und Schluchten zeigte man galoppierende
Pferde und Staubwolken, allgemeines Kampfgetümmel, dramatische
Showdowns und massenweise tote Deutsche und Italiener, dargestellt
von Rekruten der Volksarmee. 1969 landeten die Jugoslawen mit dem
Streifen « Neretva », für den Picasso eines seiner seltenen Filmplakate
schuf, einen Welterfolg. « Mich nicht zeigen », hatte Tito da noch in das
Drehbuch geschrieben. Dank internationaler Stars wie Yul Brynner,
370 Bonn, Düsseldorf und Hamburg, 24.–27. Juni 1974  

Curd Jürgens, Orson Welles und Franco Nero wurde der monumen-
tale Kriegsfilm in der Kategorie « Bester ausländischer Film » für den
Oscar nominiert. Mit Kosten von zwölf Millionen US-Dollar brach
die Produktion alle Rekorde. « Die Amerikaner hätten nie so einen
Film machen können », befand der Schauspieler Bata Živojinović, der
berühmteste aller Partisanendarsteller. Niemand sonst war in der
Lage, zu Unterhaltungszwecken fünf Tonnen Artillerie und Waffen in
den Fluss zu werfen. Der Regisseur Veljko Bulajić ließ für den Dreh
sogar die echte Brücke am Originalschauplatz in Jablanica sprengen.
Und weshalb? Weil Tito es erlaubt hatte.
Im Unterschied zu zahllosen anderen Partisanenfilmen, die in
erster Linie spannende Action lieferten, verfolgte « Sutjeska » eine
volkspädagogische Absicht. Regisseur Stipe Delić und sein Dreh-
buchautor wollten nach eigenem Bekunden « ein starkes psychologi-
sches Drama » produzieren, das « eine außergewöhnlich wichtige Epo-
che unserer Geschichte » zeige, einen Film, « der modern und politisch
engagiert ist und in dem die kommunistische Partei … die Bedeutung
erhält, die ihr zusteht ». Man wolle besonders « die Tragik und mensch-
liche Größe auf würdige und wahre Weise » darstellen, jedoch « nicht
allein den damaligen, sondern auch den aktuellen Kampf um Integri-
tät und Unabhängigkeit ». Es gehe somit nicht nur um Geballer und
Geknatter für den ausländischen Markt, sondern um ein künstlerisch
und moralisch anspruchsvolles Werk.69 Nach den nationalistischen
Aufwallungen infolge des Kroatischen Frühlings und dem Vorgehen
gegen die « Schwarze Welle » waren dem Regime Filme affirmativen
Charakters höchst willkommen. Nichts eignete sich dafür besser als
das Partisanengenre mit seinen mutigen Helden und Märtyrern, die
am Ende immer über das Böse triumphierten. Endlich ließ sich auch
Tito breitschlagen, seine historische Figur von einem Schauspieler
darstellen zu lassen – er entschied sich für Richard Burton. Wie schon
bei « Neretva » war er in Planung und Umsetzung des Monumental­
filmes eng involviert. « Zwei Sachen müssen im Film im Vordergrund
stehen », sagte er: « Entschlossenheit im Kampf und Menschlichkeit in
jeder Situation. Das war ein großes Drama, das man historisch ange-
messen zeigen muss. »70
 Der Elder Statesman 371

Tito und Richard Burton bei den Dreharbeiten für « Sutjeska », 1971

Während der amerikanische Regisseur Ted Strauss dem Dreh-


buch von « Sutjeska » bescheinigte, es könne mit den Werken be­
rühmtester sowjetischer Filmemacher wie Eisenstein, Pudowkin und
Ermler mithalten, fand Richard Burton es eigentlich « nicht besonders
gut. Ein Kriegsfilm wie jeder andere, mit endlosem Geballer. » Dann
aber siegte die Eitelkeit. « Wenn ich es mir recht überlege, könnte ich
vielleicht etwas aus der Rolle rausholen. » So überflog er bereits im
Sommer 1971 den Originalschauplatz Tjentište mit dem Helikopter,
um den Set in Augenschein zu nehmen. « Wie zäh die Deutschen ge-
wesen sein müssen, dass sie auf diesem unwirtlichen Gelände über-
haupt kämpfen konnten », wunderte er sich. « Felswände und Spalten,
Abgründe und Schluchten, tausende natürliche Hinterhalte und ein
Volk, das zu allem bereit war. »71
Trotz erheblicher wirtschaftlicher Schwierigkeiten sparten die
Jugoslawen wieder an nichts. « Ich muss … sagen, dass die Explosio-
nen bei diesem Film bei weitem die härtesten sind, die ich je bei Dreh-
372 Bonn, Düsseldorf und Hamburg, 24.–27. Juni 1974  

arbeiten erlebt habe, und ich habe eine ganze Menge laute Kriegsfilme
gedreht », berichtete Burton. Abgesehen davon konnte er sich über
250 000 US-Dollar Gage plus 50 000 US-Dollar Spesen freuen sowie
eine Beteiligung an den Einnahmen, die er auf mehrere hunderttau-
send US-Dollar schätzte. Immerhin hatte er « ein schlechtes Gewis-
sen …, weil ich so viel koste und … ich die Jugoslawen so gern mag ».72
Richard Burton verstand, dass die Filmaufnahmen an der Sut-
jeska, « wo er und seine Leute vor 28 Jahren so verzweifelt gekämpft
hatten, … für Tito harte Arbeit » waren. Denn bei den Vorgesprächen
und später beim Drehen kamen die Erinnerungen: Kanonenfeuer, wie
es der Partisanenführer nie erlebt hatte, riesige Flächen in Flammen,
eisige Kälte, Massen an Verwundeten und Typhuskranken, und in all
dem nichts zu essen. Er erinnerte sich an die furchtbare Panik, als er
den Befehl gab, die Brücken über die Neretva zu sprengen; die stum-
men, fragenden Blicke der Partisanen an der Sutjeska, als es aus dem
Bombenhagel kein Entrinnen mehr zu geben schien, an einen « Kampf
um Sein oder Nichtsein », wie er es nannte.73 « Was bedeutete », schrieb
Richard Burton in sein Tagebuch, « dass wir uns über weite Strecken
Geschichten in einer völlig fremden Sprache anhören durften, von
denen nur wenige übersetzt wurden. »74
Hinter der großartigen Filmkulisse mit tausenden Statisten
wirkte die Produktion von « Sutjeska » wie eine Parabel auf die trauri-
gen Zustände im aktuellen Jugoslawien. Erst zerstritt sich der Super-
visor mit dem Produzenten und der Equipe über den Plot. Dann ging
der Produktionsfirma das Geld aus. Das Budget von 53  Millionen
­Dinar sollten je zur Hälfte die öffentliche Hand und die Wirtschaft
­tragen, aber viele zahlten nicht. Tito beschloss, den Republiken ins
Gewissen zu reden « angesichts der Tatsache, dass bei uns riesige Mit-
tel für negative und antisozialistische Filme ausgegeben werden, wäh-
rend die Equipe von ‹ Sutjeska › darum betteln muss ».75 Daraufhin
kam das Geld dann doch noch zusammen. Beim Filmfestival in Pula
erhielt « Sutjeska », für den Mikis Theodorakis die Musik schrieb, die
Große Goldene Arena. Kein Film fand in Jugoslawien so viele Zu-
schauer wie dieser. Auch Titos Staatsgästen wurde der Streifen auf
Brioni vorgeführt.
 Der Elder Statesman 373

Tito hegte seit seiner Jugend eine große Liebe fürs Kino, und
zwar besonders für Abenteuer- und Cowboyfilme. Nicht nur kannte er
die propagandistische Bedeutung der bewegten Bilder aus sowje­
tischer Zeit, weshalb schon die Partisanen im Krieg, sobald es ging, in
den befreiten Gebieten Filmtheater eröffneten. Tito bat damals sogar
die Komintern, zur moralischen Aufrüstung seiner Truppe berühmte
Kriegsfilme abzuwerfen. Auch als Privatmann guckte er, wenn es sich
zeitlich irgendwie einrichten ließ, fast jeden Abend einen Film;
manchmal war das um Mitternacht oder auch erst morgens um drei.
Seit 1948 beschäftigte er deswegen einen persönlichen Operateur.
Leka Konstantinović, der über seine Arbeit akribisch Buch führte,
zeigte ihm im Lauf von 32 Arbeitsjahren genau 8801 Filme. Die be-
schaffte er meistens, indem er abends mit seinem kleinen Fiat durch
Belgrad düste und nach den Vorstellungen in den Kinos die Film­
rollen einsammelte. Freilich gab es auch andere Bezugsquellen. Zum
Beispiel schickte Carlo Ponti einmal « Doktor Schiwago » und « Blow
up » für Titos Heimkino.
An einem Abend im Januar 1980 startete Leka Konstantinović
seinen Projektor zum letzten Mal. Tito hatte große Schmerzen im
Bein. Da ahnte der Vorführer schon, dass er den Film nicht zu Ende
zeigen würde. Leka erzählte traurig, wie die Ärzte kamen und Tito ins
Krankenhaus brachten. « Ich habe ihn dann nie wiedergesehen ».76
LJUBLJANA, 4. MAI 1980 
« Nach Tito: Tito! »

Das « Ende einer Epoche »

Titos Herz hörte am Sonntag, den 4. Mai 1980, um 15.05 Uhr,


kurz vor seinem 88. Geburtstag auf zu schlagen. Seit Anfang Januar
lag er mit schwerem Diabetes im modernen Klinikzentrum von
Ljubljana. Nach der Amputation des linken Beines, gegen die er sich
bis zuletzt gewehrt hatte, verschlechterte sich sein Allgemeinzustand.
Die tief besorgten Jugoslawen, die körbeweise Genesungswünsche in
die Klinik schickten, wurden jetzt drei Mal täglich durch die Medien
über den Gesundheitszustand des berühmten Patienten informiert.
Sie entwickelten sich zu Spezialisten von Arteriosklerose, Blutvergif-
tung, Nierenversagen und Herzschwäche.
Als die Nachricht vom Ableben des jugoslawischen Übervaters
eintraf, erstarrte das Land. Die Fußballer « Roter Stern Belgrad » und
« Hajduk Split » unterbrachen ihr Spiel in der ersten Halbzeit. Die Ki-
cker weinten im Stadion. Spontan stimmten tausende Fans Titos altes
Partisanenlied an: « Wir geloben Dir, von Deinem Weg nicht abzu­
weichen ». Von den Karawanken bis zum Kosovo zeigten sich die Men-
schen bestürzt und fassungslos. Es sei, als habe sie noch einmal ihren
Vater verloren, sagte eine Arbeiterin mit Tränen in den Augen in die
TV-Kamera. Vor den Bahnhöfen und entlang der Gleise, auf denen
der berühmte Blaue Zug den Sarg in die Hauptstadt transportierte,
versammelten sich hunderttausende Trauernde. « Fala! »  – « Danke! »,
sangen sie, eine traditionelle Volksweise aus Titos Heimat Zagorje.
Trauerstimmung ergriff das ganze Land. « Fahnen hängen auf halb-
mast, Trauerflor flattert an Autos, Staatsangestellte tragen schwarz »,
 « Nach Tito: Tito! » 375

Bekanntgabe
von Titos Tod
beim Fußballspiel
in Split,
4. Mai 1980

berichtete « Der Spiegel » aus Belgrad.1 Vor der Treppe des Parlaments,
wo der Sarg aufgebahrt war, bildeten sich lange Schlangen. Eine halbe
Million Menschen schritt binnen drei Tagen in der hohen Halle bei
dezenter Trauermusik am Katafalk vorbei. Im ganzen Land schrieben
sich Millionen Menschen in die Kondolenzbücher ein, die in den Be-
trieben und Amtsstuben auslagen. Dobrica Ćosić beklagte, dass diese
vielen Menschen anscheinend wirklich beweinten, was die Propa-
ganda aus Tito gemacht hatte: dass er « der größte, der beste, der tap-
ferste, der menschlichste Führer » war. « Soviel Trauer, insbesondere
der Jugend, verstört. »2
Die Liste der internationalen Trauergäste spiegelte das immense
Ansehen Titos wider. 209 Delegationen aus 128 Nationen erwiesen
ihm die letzte Ehre, darunter vier Könige und sechs Prinzen, 31 Prä-
sidenten, 22  Premierminister und 47  Außenminister. Aus der Bun-
376 Ljubljana, 4. Mai 1980 

desrepublik waren Kanzler Helmut Schmidt, Außenminister Hans-


Dietrich Genscher, Bundespräsident Karl Carstens und der SPD-
Vorsitzende Willy Brandt angereist. Der lange Trauerzug aus Staats-
gästen, Delegationen aus den Republiken und einfachen Bürgern
­geleitete den Sarg am 8. Mai zum Haus der Blumen in Titos Residenz
in Dedinje. Tito hatte sie selbst als letzte Ruhestätte ausgewählt. Das
Auswärtige Amt resümierte: « Beeindruckend: Große menschliche
Anteilnahme der Bevölkerung; Anerkennung der ganzen Welt für das
Lebenswerk Titos. »3
Mit Tito ging, wie es der jordanische König Hussein formulierte,
die Nachkriegsepoche zu Ende.4 Sein Tod fiel in eine Situation wach-
sender internationaler Spannungen. Im Dezember 1979 waren die
­Sowjets in Afghanistan einmarschiert, was Tito als « Schweinerei » be-
zeichnet hatte. Würde Jugoslawien nun das nächste Opfer sowjeti-
scher Militäraggression sein, wie Ostexperten seit Jahren orakelten?
Immerhin hielt der Warschauer Pakt in Südosteuropa bis zu 45 Divi-
sionen und 2000  Kampfflugzeuge bereit. Deshalb debattierte die
­illustre Gesellschaft der Kondolierenden nicht zuletzt auch darüber,
wie sich die Entspannung wiederbeleben ließe. In diesem Bemühen
trafen am Rande der Trauerfeierlichkeiten Helmut Schmidt und
Erich Honecker zu einem Minigipfel zusammen. Nach achtundsieb-
zig Minuten bei Kaffee und Cola auf der Gartenterrasse des deut-
schen Botschafters erklärten sie, die beiden deutschen Staaten wollten
im Dialog zwischen Ost und West den « Eisbrecher » spielen. Washing-
ton und Moskau sollten die Verhandlungen über Rüstungskontrolle
umgehend wiederaufnehmen. Helmut Schmidt betonte, die beiden
Deutschlands würden sich in einen Konflikt « nicht reinziehen lassen,
wenn wir es irgend vermeiden können ».5 Das war seine feste Überzeu-
gung und nicht weniger das Vermächtnis Titos.

Nach Tito kein neuer Tito

Als der Trauerflor eingerollt und die Tränen getrocknet waren,


kam für die Jugoslawen das böse Erwachen: Sie lebten seit Jahren im
Wolkenkuckucksheim. Die Auslandsschulden wuchsen weiter, und
die Zinsen fraßen die Devisenreserven auf. Jugoslawien steuerte auf
 « Nach Tito: Tito! » 377

den Staatsbankrott zu, da die viel gepriesene Arbeiterselbstverwal-


tung sich als bürokratischer Moloch entpuppte, der Inkompetenz,
Verschwendungssucht und Korruption hervorgebracht hatte, aber
keine ökonomische Stabilisierung. Während das Wachstum und die
Realeinkommen schrumpften, wuchs die Arbeitslosigkeit. Zukunfts-
ängste griffen um sich.
Drei Monate nach Titos Tod wurde Jovanka der Residenz verwie-
sen. Der Verfassungsschutz warf ihr Umsturzpläne vor und stellte sie
de facto unter Hausarrest. Ein über zweihundertseitiger Bericht han-
delte « das inakzeptable und destruktive Verhalten und Wirken von
­Jovanka Broz » ab. Titos Witwe verstrickte sich in fruchtlose Prozesse
über Staatsgeschenke und Pensionsansprüche. Vereinsamt starb sie
2013 in Belgrad.
Währenddessen versuchte das Regime, Titos Nimbus als Über­
vater der Nation aufrechtzuerhalten. Unbeirrt fand an seinem Ge-
burtstag der Stafettenlauf der Jugend statt, Motto: « Die Revolution
dauert an; das Werk Titos wird fortgesetzt! » Allerorts verkündeten rie-
sige Aufschriften die Parole « Nach Tito – Tito ». Die vom Präsidenten
bestimmte Nachfolgeregelung – kollektive Führung und Rotation –
sicherte tatsächlich einen geordneten Übergang, vermochte aber nicht
mehr zu erreichen, als das Land notdürftig zu verwalten. Weder trat
ein würdiger Nachfolger noch überhaupt ein neues Machtzentrum in
Erscheinung. Stattdessen rissen informelle Gruppierungen im Präsi-
dium, in der Parteiführung und in der Regierung Entscheidungen
von Fall zu Fall an sich, wobei die Teilrepubliken immer unnachgiebi-
ger ihre Sonderwünsche vorbrachten. Die vermeintliche Kontinuität
bedeutete in Wirklichkeit Erstarrung.
Mit Tito verschwand Jugoslawiens unersetzbare Integrations­
figur. Westliche Analysten hielten einen Zerfall des Vielvölkerstaats
für möglich, aber nicht wahrscheinlich. George F. Kennan argumen-
tierte 1978, dass, wenn eine Nation ausscheren wolle, automatisch Ge-
bietsansprüche der Nachbarn auf sie zukämen. « Es ist schwer vorstell-
bar, daß die Logik dieser Situation auf die Führer der verschiedenen
jugoslawischen Bevölkerungsteile keinen Eindruck machen sollte  –
selbst nach Titos Abgang von der politischen Bühne … noch daß die
378 Ljubljana, 4. Mai 1980 

Führer der zentrifugalen Kräfte … so kurzsichtig sein sollten, daß sie


es auf den selbstmörderischen Wahnsinn eines Bürgerkriegs ankom-
men lassen. »6 Damit hatte er sich allerdings gründlich getäuscht. Den
Auftakt bildeten wachsende Spannungen im Kosovo, wo seit Jahren
der serbisch-albanische Konflikt schwelte und Titos Machtworte nun
ausblieben. Im März 1981 brachen an der Universität in Priština
­gewaltsame Unruhen aus, die bald auf weitere Städte übergriffen.
« Kosova – Republika! », schrien die Demonstranten. Sie wollten einen
eigenen Staat, nicht wenige einen Anschluss an Albanien. Das serbi-
sche Zentralkomitee befand, an den Ausschreitungen sei besonders
Titos frühere Nachgiebigkeit schuld. Es gab neun Tote und über
200  Verletzte, dann massenweise Parteiausschlüsse und politische
Prozesse, unter anderem gegen den prominenten Kommunisten Azem
Vllasi.
Eine neue Welle der Repression überrollte alle Republiken. In
Kroatien wurde der Historiker Franjo Tuđman wegen « feindlicher
Propaganda » zu einer Haftstrafe verurteilt. Er hatte Kontakte zur
Emigration und bestritt die Opferzahlen im KZ Jasenovac. Eine
Gruppe von Islamisten, angeführt vom Rechtsanwalt Alija Izetbegović,
musste sich vor Gericht verantworten, weil sie einen panislamischen
Staat forderte. Ebenso stand der bosnisch-serbische Soziologe Vojislav
Šešelj unter Anklage, weil er die Republiken Bosnien-Herzegowina
und Montenegro sowie die Autonomie des Kosovo und der Vojvodina
abschaffen wollte, um Großserbien zu gründen. Auch eine Gruppe
Professoren, die in Belgrader Wohnungen eine « fliegende Universität »
abhielt, wurde belangt. Bald saßen in jugoslawischen Gefängnissen
etwa viertausend politische Häftlinge ein. Nur Albanien und die
­Sowjetunion hatten gemessen an der Bevölkerungszahl mehr.7
Der Niedergang des kommunistischen Systems war nicht mehr
aufzuhalten, nachdem der neue Generalsekretär der KPdSU, Michail
Gorbatschow, 1985 Glasnost und Perestroika verkündet hatte. In ganz
Osteuropa brachen Ende der achtziger Jahre die mit Moskau verbün-
deten Regime zusammen; der Kalte Krieg kam zum Ende. Unaufhalt-
sam verflüchtigten sich die Integrationsklammern des komplizierten
Vielvölkerstaats: Sozialismus, Blockfreiheit und Selbstverwaltung.
 « Nach Tito: Tito! » 379

Auch Titos stärkster Joker war wertlos: Die sowjetische militärische


Bedrohung, die die Jugoslawen in kritischen Zeiten stets enger zusam-
menrücken ließ, existierte nicht mehr.
Als sich der internationale Kontext änderte und das blockfreie
­Jugoslawien seiner strategischen Rolle als Puffer zwischen Ost und
West verlustig ging, schwand sein Marktwert. Ein unabhängiges, star-
kes Jugoslawien, das zum Beispiel amerikanische und westdeutsche
Außenpolitiker sowie die EG auch nach dem Tod Titos zunächst er-
halten und stützen wollten, war in der neuen Sicherheitsarchitektur
überflüssig geworden. Damit erschöpfte sich auch die Bereitschaft der
Geldgeber, Titos Potemkinsche Dörfer noch länger zu finanzieren.
Sie erhöhten die Zinsen und verzichteten auf Umschuldungen. 1983
drehte das jugoslawische Wachstum ins Minus, die Inflation stieg
1985 auf 100 Prozent. Nur fünf Jahre nach Titos Tod hatten sich die
Realeinkommen halbiert. Da das Nord-Süd-Gefälle anstieg, wuchsen
die Konflikte. 1989 waren die Slowenen pro Kopf der Bevölkerung be-
reits fast neun Mal so reich wie die Kosovo-Albaner – und hatten ganz
unterschiedliche Bedürfnisse, Erwartungen und Pläne.
Je weniger Ressourcen es zu verteilen gab, desto geringer war die
Bereitschaft, den Wohlstand umzuverteilen, und auch der Wille, die
geltenden Regeln des Interessenausgleichs überhaupt noch anzuerken-
nen. Eskalierender Streit zwischen den Teilrepubliken und Provinzen
über Reformen brachte die Bundespolitik faktisch zum Stillstand.
­Anfang 1990 spaltete sich der alleinregierende Bund der Kommunis-
ten Jugoslawiens; es blieben nur die Apparate der Republiken, die sich
immer feindseliger gegenübertraten. Die Verteidigung nationaler Inte-
ressen mit populistischen Mitteln wurde zum Primat der Politik.
Identitäts- und Sinnsuche, aber auch sozialökonomische Pro­
bleme und Zukunftsängste verschafften nationalistischen Politikern
und religiösen Führern Zulauf. So brachten die ersten Mehrparteien-
wahlen in den Republiken 1990/91 jene an die Regierungen, die nach
Titos Kategorien Nationalisten waren, wie den Slowenen Milan
Kučan, den Kroaten Franjo Tuđman, den bosnischen Muslim Alija
Izetbegović und den Serben Slobodan Milošević. Als Slowenien und
Kroatien am 25. Juni 1991 unilateral ihre Unabhängigkeit erklärten,
380 Ljubljana, 4. Mai 1980 

versank Jugoslawien in einem blutigen Bürgerkrieg. Damit war Titos


Lebensprojekt gescheitert. Zehn Jahre nach seinem Tod waren die Re-
publikführungen nunmehr entschlossen, vermeintlich höhere natio-
nale Interessen mit allen Mitteln durchzusetzen. Der Preis ­waren
100 000 Tote sowie Millionen Flüchtlinge und Vertriebene.8

Sockelsturz

Schon kurz nach Titos Tod rollte eine Welle der Kritik aus
Kultur, Kunst und Wissenschaft durch den Vielvölkerstaat. Romane,
Dramen, Gedichte, Lieder und Filme kritisierten das tyrannische
­Regime Titos, und hier besonders die Verfolgung der Kominformisten
auf der Kahlen Insel. Historiker und Publizisten stürzten sich darauf,
den Zweiten Weltkrieg neu zu interpretieren, wobei es besonders um
die Frage ging, wer wem die größten Verbrechen angetan habe. Dabei
kamen auch die Untaten der Partisanen an ihren politischen Gegnern
ans Licht, unter anderem die Massentötungen im Kärntener Blei-
burg, die Vertreibung der Volksdeutschen und die Morde der Geheim-
polizei.
Auch Tito selbst wurde einer radikalen Umwertung unterzogen.
Journalisten und politische Gegner prangerten Machtbesessenheit,
Eitelkeit und Narzissmus an, behaupteten Verstrickungen mit dem
­sowjetischen Geheimdienst und dichteten ihm etliche Frauenaffären
und uneheliche Kinder an. Ja, er habe sogar den Sieg im Match der
Fußballweltmeisterschaft 1974 in Düsseldorf an die Deutschen ver-
kauft, enthüllte die Boulevardpresse.9 Wenngleich es überfällig war,
den bis dato unantastbaren Tito und sein System unvoreingenommen
zu durchleuchten, drängte sich bald der Verdacht auf, dass es nur zu
bequem war, die Verantwortung für alles und jedes auf den Verstor­
benen abzuwälzen, schließlich sogar die Schuld am mörderischen
Zerfallskrieg, dem er mit allen Mitteln vorzubeugen versucht hatte.
Seit dem Machtwechsel 1990/91 waren die neuen Regierungen
bestrebt, das öffentliche Gedenken an Tito und den Partisanenkrieg
möglichst vollständig auszulöschen. Es wurde durch neue Narrative
nationaler Größe ersetzt. Das entsprach dem Bedürfnis, ideologi-
schen Ballast abzuwerfen, Identitäten neu auszurichten sowie sozialen
 « Nach Tito: Tito! » 381

Zusammenhalt zu stiften. Es diente zudem dazu, das Projekt eines


multinationalen Jugoslawien endgültig zu beerdigen. Unter Präsident
Franjo Tuđman, der Kroatien 1991 in die Unabhängigkeit führte, er-
hielten tausende Straßen und Plätze neue Namen, und ein Großteil
der Partisanendenkmäler wurde geschleift. Titos Geist ließ den neuen
Präsidenten dennoch nicht ganz los. Der ehemalige Partisan Tuđman
ließ sich gerne in typischen Tito-Posen ablichten, in weißer Admirals-
uniform oder bei der Gartenarbeit, auf dass ein wenig vom Ruhm des
verehrten Vorbilds auf ihn abfärbe.
Emigranten und national denkende Intellektuelle ergriffen die
Gelegenheit, die Geschichte umzuschreiben und den extremen Natio­
nalismus bzw. die Kollaborateure mit Hitler-Deutschland wieder
­salonfähig zu machen. Opferzahlen wurden geleugnet oder herun-
tergerechnet und die Verbrechen relativiert, etwa indem man die
Untaten der Partisanen mit dem Holocaust auf dieselbe Stufe stellte.
Veteranenverbände und katholische Kirche wollten sogar den Usta-
scha-Gruß « Za dom – spremni! » (Für die Heimat – bereit) wieder in
der Armee einführen. Ein serbisches Gericht hat den Tschetnik-Füh-
rer Draža Mihailović 2015 rehabilitiert, ein kroatisches Erzbischof
Aloizije Stepinac 2016.
Bis heute toben Kämpfe um die Deutungshoheit über Tito und
seinen Staat. Seine Gegner wollen das Projekt Jugoslawien, das Zu-
sammenleben im Vielvölkerstaat, ein für alle Mal ausmerzen. Tau-
sende haben erfolglos demonstriert, als der Stadtrat in Zagreb nach
jahrelangem Tauziehen 2017 beschloss, den repräsentativen Tito-
Platz in « Platz der Republik Kroatien » umzubenennen. Auch über die
Wieder- oder Neuerrichtung von Tito-Denkmälern wurde heftig
­gestritten, zum Beispiel in Užice und in Podgorica, dem ehemaligen
Titograd. Im November 2019 wandte sich der kroatische Außen­
minister, der der Tuđman-Partei HDZ angehört, während des Präsi-
dentschaftswahlkampfes in einem offenen Brief an den Intendanten
des ZDF, um die Dokumentarreihe « Balkan in Flammen » zu kritisie-
ren, die er  – im Unterschied zu den meisten Zuschauern  – « jugo­
nostalgisch » fand. « Für einen Großteil der Bürger Jugoslawiens war
Tito eine Figur zum Fürchten und die von ihm errichtete kommunis-
382 Ljubljana, 4. Mai 1980 

tische Diktatur ein Unrechtsstaat, der eine Vielzahl von Menschen


und ganze Familien für ihr Leben lang gezeichnet hat », schrieb er.10
Die Internet-Plattform « tacno.net » hielt dagegen: « Ganz im Unter-
schied zu den politischen Persönlichkeiten der Gegenwart war Josip
Broz der größte kroatische und jugoslawische Herrscher in der Ge-
schichte unserer Völker », antwortete man dort. « Nie hat jemand mehr
für Arbeiter und Bauern getan als Tito. »11
Tito ist immer noch, und zum Teil wieder, im öffentlichen Raum
präsent. 2017 gab es außer in São Paulo und Neu-Delhi auch in den
post-jugoslawischen Staaten insgesamt 276 Straßen, Plätze und Ufer-
promenaden, die nach dem Präsidenten benannt waren. Die meisten
befanden sich in Serbien, Nordmakedonien und Kroatien, im Kosovo
hingegen gab es keine mehr. In der politischen Arena war und ist die
Namensfrage heftig umstritten. In Slowenien erklärte das Verfas-
sungsgericht Titos Jugo­slawien 2011 zum totalitären System, um zu
verhindern, dass die ­Gemeinde Ljubljana ihm eine neue Straße wid-
mete. 2006 hatte bereits das kroatische Parlament eine Resolution ver-
fasst, um die « Verbrechen, die während der totalitären Ordnung in
Kroatien 1945–1990 » begangen wurden, zu verurteilen. Diese Ausei-
nandersetzungen stehen naturgemäß im politischen Kontext von
Ideologiekonkurrenz und Wahlkämpfen. Das konservativ-nationalori-
entierte Lager ist etwa gleich stark wie das liberal-sozialdemokrati-
sche, und entsprechend hart wird um die Präsenz im öffentlichen
Raum gerungen. Wer Jugoslawien das Etikett einer « totalitären Dikta-
tur » verpasst, diskreditiert den politischen Gegner und alle Befürwor-
ter eines gemeinsamen südslawischen Staates gleich mit.
Indessen trifft der Begriff der « totalitären Diktatur » in Jugosla-
wien nur auf die Zeit bis 1953 zu. Bereits der (ursprünglich nicht be-
absichtigte) Bruch mit Stalin erforderte einen ideologischen Wandel,
der zu größerer Liberalisierung und Dezentralisierung führte und
der die alte Parteioligarchie in ein begrenzt pluralistisches System
transformierte. Gleichzeitig strebten Multinationalismus und Föde-
ralismus in Richtung auf ein multipolares  – oder sogar polyarchi-
sches  – System, das den Republiken immer mehr Freiräume und
­Befugnisse gegenüber dem Bund einräumte. Titos Jugoslawien blieb
 « Nach Tito: Tito! » 383

zwar dem Wesen nach im westlichen Sinn undemokratisch, verfügte


aber über föderale Checks and Balances, die mit totalitärer « Durch-
herrschung », wie man sie in zentral regierten Staaten kannte, unver-
einbar waren. Ebenso erforderten die Weltmarktintegration und die
zunehmende Globalisierung systemische Anpassungen, die auf grö-
ßeren Wettbewerb, sprich auch Pluralismus, hinausliefen. Zu guter
Letzt: Die rasche Industrialisierung und der damit einhergehende so-
ziale Wandel produzierten zahlreichere Gruppen, die auf den diver-
sen Ebenen der föderalen Ordnung an politischen Entscheidungen
teilhaben wollten und auch teilhatten.
Im Verlauf dieses mehr als drei Jahrzehnte dauernden Prozesses
wandelte sich auch die Rolle Titos. Aus dem Diktator der Revolu­
tionszeit wurde ein « weicher » Autokrat, der sich gegen Ende seines
Lebens auf die Rolle des Mediators und Schiedsrichters zwischen den
streitenden Republikführungen und Interessengruppen zurückzog.
Im westlichen Sinn demokratisch wurde Jugoslawien dennoch nicht.
Wenn die sozialistische Ordnung, die Alleinherrschaft der Kommu-
nisten oder der Staat Jugoslawien in Gefahr waren, kamen Zensur,
­Berufsverbote, politische Prozesse und die Liquidierung von Regime-
feinden im Ausland durch die Geheimdienste zum Einsatz. Bis zum
Schluss enthielt Titos « demokratischer Sozialismus » einen repressi-
ven Bodensatz.

Titostalgie

Trotz aller Kritik bleibt Tito für viele Menschen selbst vier
Jahrzehnte nach seinem Ableben ein Idol und somit unvergessen. Er
steht im Zentrum einer Erinnerungskultur, durch die Menschen ihre
Trauer und Melancholie über den Verlust ihrer Heimat und einer
(romantisierten) Vergangenheit ausdrücken. Zehntausende feiern
­
­immer noch am 25. Mai seinen Geburtstag und am 29. November den
früheren Staatsgründungstag. Zum Geburtshaus und zum Grab pil-
gern Millionen, um sich dort bewegt in Besucherbücher einzutragen
oder auf Erinnerungsfotos zu verewigen. Für sie ist Tito der Held
­ihres Lebens und das personifizierte Positive. « Jetzt merke ich erst,
wie sehr ich Brüderlichkeit und Einheit vermisse … Es war eine
384 Ljubljana, 4. Mai 1980 

schöne Kindheit. Danke! », schrieb einer in das Besucherbuch.12 Als


der Regisseur Želimir Žilnik 1992 für seinen Dokumentarfilm « Tito
zum zweiten Mal unter den Serben » einen Doppelgänger des Mar-
schalls in Uniform mit Sonnenbrille durch die Belgrader Fußgänger-
zone spazieren ließ, waren viele erfreut. « Sie sind wieder da », strahlte
ein Passant. « Wunderbar, dass Sie zurück sind! »
Tito ist eine Figur, auf die sich ganz unterschiedliche Vorstellun-
gen, Ideen und Wünsche projizieren lassen. Sein Stern leuchtet umso
heller, je düsterer sich die politische und wirtschaftliche Lage in den
Nachfolgestaaten gestaltet. Jugo-Nostalgie spiegelt die tiefe soziale
Verunsicherung, Perspektiv- und Trostlosigkeit, die viele Menschen
nach dem Zerfall Jugoslawiens ergriff. Bis heute ließ der System­
wechsel viele Wünsche, Hoffnungen und Versprechen unerfüllt. Das
Wohlstandsniveau der Westbalkanstaaten erreicht selbst dreißig Jahre
nach dem Zusammenbruch des Sozialismus kaum ein Drittel des
­EU-Durchschnitts; Arbeitslosigkeit und Armutsrisiko sind hoch. Ein
Viertel der Bevölkerung, darunter überproportional viele junge, gut
qualifizierte Arbeitskräfte, hat die Region bereits verlassen. Nostalgie
steigere das Wohlbefinden, konstatieren die Psychologen, weil sie
rückblickend das Gefühl vermittele, wichtige Erfahrungen gemacht
zu haben, die man mit anderen teilt. Sie ist also einerseits ein Mittel
gegen Einsamkeit und Entfremdung, andererseits eine Strategie, um
dem eigenen Leben Sinn zu geben und einen Weg aus der Vergangen-
heit in eine neue Zukunft zu finden.13
Tito verkörpert besonders für die Erlebnisgeneration eine aus ihrer
Sicht einzigartige Aufstiegs- und Erfolgsgeschichte: Der Bauernsohn
und Maschinenschlosser machte das südslawische Bauernland zu
­einem vergleichsweise modernen und international hoch angesehenen
Staatswesen, das seinen Bürgern Bildung, sozialen Aufstieg, Konsum-
freuden, Reisefreiheit und ein friedliches Zusammenleben bescherte,
worum sie sogar die einst reicheren Nachbarländer aus dem Ostblock
beneideten. Die Titostalgie hat aber auch die jüngere Generation er-
fasst, unter der viele den neuen Nationalismus verachten, der das
­Zusammenleben vergiftet und die europäische Perspektive vernebelt.
Sie tragen T-Shirts mit der Aufschrift « Tito, komm zurück », sprühen
 « Nach Tito: Tito! » 385

Graffitis an die Wände und preisen in Internet-Foren eine wunder-


bare Vergangenheit, die sie selbst nie erlebt haben. Das Meinungs­
forschungsinstitut Gallup ermittelte: 2016 fanden 81  Prozent der
Serben, 77 Prozent der Bosnier, 65 Prozent der Montenegriner und
45 Prozent der Slowenen, dass ihnen der Zerfall Jugoslawiens mehr
Nach- als Vorteile gebracht hat. Lediglich in Kroatien und Kosovo
­bevorzugte eine Mehrheit von 55 bzw. 75 Prozent die Eigenstaatlich-
keit.14 In Slowenien erklärte 2007 noch jeder Vierte Tito zu einer
­« positiven Persönlichkeit » und nur jeder Zehnte zu einer « negativen ».15
Die Tito- und Jugo-Nostalgie besitzt nicht zuletzt eine kommer-
zielle Seite. Es gibt Tito-Partys und Tito-Doppelgänger, Tito-Koch-
kurse und einen Verband der Tito-Gesellschaften. In Slowenien kann
man zum Beispiel Nostalgie-Reisen mit dem Blauen Zug buchen. Auf
der Jugo-Tour im unverwüstlichen « Fićo », dem 29-PS-Wagen aus der
Produktion der Firma Zastava, können Touristen unter anderem
­Titos Atomschutzbunker im bosnischen Konjic, seine Grabstätte im
Haus der Blumen in Dedinje, das legendäre Hotel Jugoslavija in Novi
Beograd oder eine Gästewohnung besichtigen, die im typischen
Wohnstil « made in Yugoslavia » eingerichtet ist. Postkarten, T-Shirts
und Tassen mit seinem Konterfei verkaufen sich an den Kiosken der
Fußgängerzonen aller südslawischen Nachfolgestaaten bestens.
In der Jugendkultur hat sich sogar eine neue « Jugosphäre » eta­
bliert, ein Raum des Zusammenlebens, der nicht nur symbolisch,
­sondern auch ganz real existiert, zum Beispiel in Form von Neo-Yugo-
Rockbands, Pop-Konzerten und Web-Foren, die das alte musikalische,
ästhetische und kommerzielle Repertoire abfeiern. So sendet « Radio
Nostalgija » ausschließlich Musik aus jugoslawischer Zeit, und das
« Café Tito » in Sarajevo ist mit Partisanen-Kitsch und Retro-Möbeln
ausstaffiert. Selbst der alte Partisanengruß « Tod dem Faschismus  –
Freiheit für das Volk! » ist unter der Jugend wieder auferstanden. Wer
umgangssprachlich « Tito » genannt wird, ist etwas ganz Besonderes,
einfach ein Spitzentyp.
Titostalgie als Phänomen der Jugendkultur kommt häufig augen-
zwinkernd daher, hat also ironische, satirische und blasphemische
­Aspekte, wie jenes Poster, das Tito in Jeansjacke und Tattoos auf einem
386 Ljubljana, 4. Mai 1980 

Motorrad zeigt, oder das Lied « Tito komm zurück, alles ist verzie-
hen », das man auch auf vielen T-Shirts sieht. Im Netz konnte und
kann man all das auf Seiten wie « titoville.com », « titomanija.com »,­
« titoslavija » oder « cyber Yugoslavia » finden. Nur der Held im Film
von Emir Kusturica « Das Leben ist ein Wunder » meinte es vollkom-
men ernst, als er seinem Freund kategorisch erklärte: « Du kannst über
ihn erzählen, was du willst. Tito ist Tito. Tito war immer Tito und
wird immer Tito bleiben. »
Danksagung

Dieses Buch entstand mit Unterstützung einer Reihe von


Personen und Institutionen. Den Herausgebern der Reihe « Diktato-
ren des 20. Jahrhunderts », besonders Hans Woller, verdanke ich die
Initiative zu dieser Biographie. Er und Thomas Schlemmer haben die
Grundstruktur der Reihe entworfen und das Manuskript durchgese-
hen und kritisch kommentiert. Das Berliner Kolleg Kalter Krieg un-
ter Leitung von Bernd Greiner ermöglichte mir einen zehnmonatigen
Forschungsaufenthalt, der die Archivrecherchen sowie die Abfassung
des Manuskripts sehr beschleunigt hat. Bei der Beschaffung der rus-
sischen Quellen haben Alexander Vatlin und Maria Gargyants un-
schätzbare Hilfestellung geleistet. Radovan Cukić, Davor Konjikušić,
Filip Hlusicka und Dragan Bisenić haben sich sehr dafür eingesetzt,
seltene Fotos aufzuspüren. Nicht zuletzt waren im Verlag C.H.Beck
erneut Carola Samlowsky und Sebastian Ullrich ebenso kompetente
wie liebenswürdige Ansprechpartner im gesamten Entstehungsprozess
dieser Biographie. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt.
Anhang
Anmerkungen

Der Bauernsohn
1 Mandić, Tito izbliza, 25.
2 Klaić, Prirodni, 74 ff.
3 Somek-Machala, Utjecaj.
4 Magašić, Kumrovec.
5 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 1, 528.
6 Goldstein/Goldstein, Tito, 28 f.
7 Adamic, Eagle, 280 u. 287.
8 Ebd., 280.
9 Ebd., 286.
10 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 149 u. 151.
11 Adamic, Eagle, 275.
12 Ebd., 290.
13 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 151.
14 Ebd., 147.
15 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 1, 27.
16 Ebd.
17 Autobiographie, in: ebd., 527.
18 Goldstein/Goldstein, Tito, 2.
19 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 1, 528.
20 Ebd., 28.
21 Ebd., 33.
22 Balch, Slavic Fellow Citizens, 184 u. 189.
23 Politika, 30.4.1974, 5, PA/AA, AV Neues Amt, 17.680.
24 Adamic, Eagle, 278.
25 Morina, Marxismus.
26 Adamic, Eagle, 291.

Der Bolschewist
1 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 245.
2 Nedjelja, 10.5.1964, 3.
392 Anhang 

3 Goldstein/Goldstein, Tito, 37. Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 249.


4 Nedjelja, 10.5.1964, 3.
5 Adamic, Eagle, 301.
6 Ebd., 301 f.
7 Smele, Siberia, 23.
8 Očak, Jugoslavenski oktobarci, 22 f. ARS FD 262.
9 Klinger/Kuljiš, Tito, 46 f.
10 Četrdeset godina, 26.
11 Štaubringer, Baklija, 60.
12 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 244.
13 Ebd., 259.
14 Tito, Kazivanja, Bd. 2, 155.
15 Adamic, Eagle, 276.
16 Stepanović, Testament, 13.
17 Bilandžić, Povijest, 90.
18 Suppan, Hitler - Beneš - Tito, 272.
19 Očak, Jugoslavenski povratnici, 145 ff.
20 Martens, Andrić, 121.
21 Siegel, Schwarze Fahnen, 37.
22 Očak, Jugoslavenski povratnici, 96.
23 Stipetić, Komunistički pokret, 107.
24 Četrdeset godina, 35.
25 Krleža, O Titu, 63.
26 Čulinović, Odjeci, 108.
27 Četrdeset godina, 26.
28 Korać, Povjest, 267.
29 Burks, Communism, 76 f. SD, Bd. 5, 200.
30 Koenen, Farbe, 863.
31 Četrdeset godina, 119.
32 Burks, Communism, 76 f.
33 Djilas, Contested, 64.
34 ARS VD 262.
35 Goldstein/Goldstein, Tito, 45.
36 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 310.
37 Očak, Jugoslavenski oktobarci, 23.
38 Sakun, Organisationsfragen, 1295.
39 Goldstein/Goldstein, Tito, 51.
40 Tito, SD, Bd. 1, 15 f.
 Anmerkungen 393

Der Revolutionär
1 Nach Goldstein/Goldstein, Tito, 65.
2 Auszug aus der politischen Evidenz (Polizeiakte), PA/AA, DG Zagreb 1
(12) Pol 4, Nr. 2.
3 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 274.
4 Rote Fahne, 28.8.1928, 4.
5 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 1, 164.
6 Auty, Tito, 91.
7 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 279 f.
8 Goldstein/Goldstein, Tito, 54.
9 Shoup, Communism, 19.
10 Pirjevec, Tito, 21.
11 SD, Bd. 1, 77 u. 86.
12 Gligorijević, Kominterna, 213.
13 SD, Bd. 1, 105 f.
14 Auszug aus der politischen Evidenz (Polizeiakte), PA/AA, DG Zagreb 1
(12) Pol 4, Nr. 2.
15 Banac, National question, 217.
16 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 280.
17 Tito, Kazivanja, Bd. 1, 79.
18 Čolaković, Kuća, 26.
19 So berichtet es Dedijer, Novi prilozi, Bd. 1, 178. Nach einer anderen Ver-
sion, die Tito in den TV-Memoiren erzählte, wurde Bohaček erst später
Gefängnisdirektor. Die Grundaussage ist aber dieselbe.
20 Peršen, Dugi dani, 63.
21 Kennan, Gefängnisse, 61.
22 Peršen, Dugi dani, 81.
23 Ebd., 77.
24 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 283.
25 Dobrivojević, Državna represija, 277.
26 Peršen, Dugi dani, 80.
27 Ebd., 104.
28 Dobrivojević, Državna represija, 217.
29 Čolaković, Tamnovanje, 26.
30 Simčić, Žene, 102.
31 TV-Memoiren, ARS FD 90.
32 Dobrivojević, Državna represija, 219f. u. 276 ff.
33 Peršen, Dugi dani, 96 ff.
34 Djilas, Memoiren, 75 u. 211.
35 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 303.
394 Anhang 

36 Klinger/Kuljiš, Tito, 92.


37 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 285.
38 Adamic, Eagle, 346 f.
39 Erlich, Family, 52.
40 Calic, Sozialgeschichte, 344 f.
41 Suppan, Hitler - Beneš - Tito, 578.
42 Vučo, Agrarna kriza, 92, 192 u. 197. Suppan, Hitler - Beneš - Tito, 580.
43 Dobrivojević, Državna represija, 261 u. 268 f.
44 Djilas, Memoiren, 99 u. 103.
45 Klinger/Kuljiš, Tito, 101.
46 Adamic, Eagle, 367.
47 Čolaković, Kuća, 43.
48 Četrdeset godina, 52.
49 Adamic, Eagle, 363 ff.
50 Pirjevec, Tito, 377.
51 Djilas, Memoiren, 245.
52 Velebit, Život, 274.
53 Deakin, Mountain, 91 f.
54 Djilas, Memoiren, 354 f.
55 Adamic, Eagle, 367.
56 Bekić, Tito, 17.

Parteiarbeiter der Komintern


1 SD, Bd. 2, 228.
2 Čolaković, Kazivanje, Bd. 2, 310.
3 http://www.mlwerke.de/gd/gd_001.htm (15.1.2019).
4 Mayenburg, Hotel Lux, 222.
5 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 305.
6 Buber-Neumann, Gefangene, 5.
7 Krleža, O Titu, 70.
8 Feuchtwanger, Reisebericht, 76.
9 Djilas, Memoiren, 207 u. 287.
10 Goldstein/Goldstein, Tito, 111.
11 Bondarev, Zagadka, 167 ff. Pjatnickij, Osip Pjatnickij, 271 ff.
12 Mayenburg, Hotel Lux, 24.
13 Wehner, Zeugnis, 290.
14 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 306.
15 Mayenburg, Hotel Lux, 200.
16 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 315.
17 RGASPI, F. 495, Op. 277, D. 21, T. 2, L. 172–175.
18 Bondarev, Zagadka, 138.
 Anmerkungen 395

19 Bonner, Mütter, 154 u. 156.


20 RGASPI, Kaderabteilung des IKKI, Personalakte 6148, Lebenslauf, o. D.
21 BA, NJ, 11811.
22 RGASPI, Kaderabteilung des IKKI, Personalakte 6148, Notiz, o. D.
23 RGASPI, F. 495, Op. 277, D. 21, T. 2, L. 172–175.
24 Sommer (Gorkić) an Wilhelm Pieck, 17.1.1937, Archiv der Komintern,
RGASPI, F. 495, Op. 20, D. 643. http://sovdoc.rusarchives.ru/#show
unit&id=217956;tab=img (28.1.2020).
25 Schlögel, Moskau, 508 u. 517.
26 Wehner, Zeugnis, 290.
27 Simić, Tito, 207.
28 Čolaković, Kazivanje, Bd. 2, 361.
29 Krleža, O Titu, 30 u. 59 ff. Der Autor datiert das Treffen auf Herbst 1937,
tatsächlich muss es schon früher stattgefunden haben, Goldstein/Gold-
stein, Tito, 140.
30 Bondarev, Misterija, 204.
31 Herta Haas im Fernsehinterview der Serie « Poslijedni svjedoci ».
32 Studer/Unfried, Parteikader, 193.
33 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 319.
34 Krleža, O Titu, 76.
35 Simić, Tito, 205.
36 Firsov/Klehr/Haynes, Comintern, 127.
37 Sperber, Scherben, 125.
38 SD, Bd. 3, 93.
39 Pirjevec, Tito, 45.
40 Goldstein/Goldstein, Tito, 177. SD, Bd. 5, 85.
41 AJ, F 137, KPR II-1–130.
42 Ivanji, Dolmetscher, 118.
43 Cenčić, Enigma, 45.
44 Velebit, Život, 222.
45 In der Dokumentarserie « Poslijedni svjedoci ».
46 Djilas, Memoiren, 336.
47 Goldstein/Goldstein, Tito, 175.
48 Djilas, Memoiren, 77 u. 211.
49 Simić, Tito, 92.
50 Simić, Svetac, Faksimile im Anhang.
51 Ochotin/Roginskij, « Deutsche Operation », 89 ff.
52 Firsov/Klehr/Haynes, Comintern, 123.
53 Ochotin/Roginskij, « Deutsche Operation », 105, 111 u. 122.
54 RGASPI, Kaderabteilung des IKKI, Personalakte 6148.
55 Buber-Neumann, Gefangene, 34.
396 Anhang 

56 Vatlin, Alexander: « Ich fühle mich nicht schuldig ». Wie die deutsche
Kommunistin Roberta Gropper in NKWD-Haft um ihre Ehre und die
der Partei kämpfte, in: Neues Deutschland, 23.7.2011. https://www.neues-
deutschland.de/artikel/202715.ich-fuehle-mich-nicht-schuldig.html
(28.1.2020).
57 RGASPI, Personalakte 6148, Prüfungskommission, den 2.8.1936.
58 RGASPI, Kaderabteilung des IKKI, Personalakte 6148. An Tov. Poljaček.
59 Ebd., Spravka (Belov), geheim, 19.11.1939.
60 GARF, F. 10035, Op. 1, D. P – 17 – 22.
61 Ebd.
62 Vatlin, Teufelspack, 195. Satter, Russia, 58 f.
63 Bakirov, Butovskij poligon, 396.
64 Pirjevec, Tito, 49.
65 SD, Bd. 4, 4 u. 40.
66 Cenčić, Enigma, 88 f.
67 Ebd., 211.
68 Bonner, Mütter, 330.
69 Wehner, Zeugnis, 289.
70 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 331.
71 Cenčić, Enigma, 92 f.
72 Buber-Neumann, Gefangene, 21.
73 Pirjevec, Tito, 375.
74 Studer, Transnational, 119.
75 RGASPI, F. 495, Op. 277, D. 21, T. 2, L. 172–175.
76 Goldstein/Goldstein, Tito, 161.
77 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 306.
78 Cenčić, Enigma, 97.
79 Pirjevec, Tito, 56.
80 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 328.
81 SD, Bd. 4, 173.
82 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 322 f.
83 SD, Bd. 4, 30 ff.
84 Pirjevec, Tito, 71.
85 SD, Bd. 4, 32, u. Bd. 5, 8.
86 Djilas, Memoiren, 314.
87 SD, Bd. 4, 30 ff.
88 SD, Bd. 5, 159.
89 Ebd., 190.
90 Ebd., 142.
91 Ebd., 21, 61–63 u. 80–84.
 Anmerkungen 397

Der Partisanenführer
1 Hubatsch, Weisungen, 106 ff.
2 Manoschek, Besatzungspolitik, 18 f.
3 Djilas, Memoiren, 367.
4 IfZ, ED 672/18, Ernst Feldbaum.
5 Schmider, Partisanenkrieg, 586 f.
6 NOKW-Dokument 1198.
7 IfZ, ED 672/18, Ernst Feldbaum.
8 Manoschek, Besatzungspolitik, 49.
9 Schmider, Partisanenkrieg, 59.
10 Manoschek, Besatzungspolitik, 137.
11 BA/MA, 4/72351, 20294/5, 1105–1111. Bericht über die Ereignisse in
Krupanj während der Zeit vom 1.9. bis 4.9.1941.
12 Manoschek, Besatzungspolitik, 53.
13 Shepherd, Terror, 105 f.
14 Bericht über die Ereignisse in Krupanj.
15 Peter G., Kdo. Höh. Kdo. z. b. V. LXV, Belgrad, 12.9.1941 (Bibliothek für
Zeitgeschichte, Sammlung Sterz).
16 Dedijer, Jasenovac, 90 u. 104.
17 Djilas, Krieg, 19.
18 Goldstein/Goldstein, Tito, 199 f.
19 Pirjevec, Tito, 88.
20 Strategija i taktika oružanog ustanka, SD, Bd. 6, 151–181, hier 156f. u.
168. SD, Bd. 7, 186–190.
21 Djilas, Partisanen, 15.
22 Pavlaković, Jugoslaveni, 85.
23 Djilas, Partisanen, 96.
24 SD, Bd. 9, 104.
25 Goldstein/Goldstein, Tito, 362.
26 SD, Bd. 9, 171.
27 SD, Bd. 7, 188.
28 VEJ 14/111.
29 Schmider, Partisanenkrieg, 71.
30 NOKW-Dokument 1660.
31 Manoschek, Besatzungspolitik, 166.
32 VEJ 14/127.
33 VEJ 14/122.
34 VEJ 14/120.
35 Tito, Kazivanja, Bd. 1, 265ff. u. KPR II-6–3.
36 Goldstein/Goldstein, Tito, 213 f.
398 Anhang 

37 Zbornik 14/1, 57.


38 Ebd., 97.
39 Manoschek, Besatzungspolitik, 144.
40 Zbornik 14/1, 871 f.
41 Živković, Uspostavljanje.
42 Zbornik 14/1, 1 ff.
43 Ebd., 26ff. u. 93 ff.
44 Mandić, Tito, 35.
45 Maclean, Männer, 296.
46 Maclean, Tito, 240.
47 Ders., Männer, 299.
48 Velebit, Život, 276 f.
49 Popović, Beleške, 48.
50 Dapčević, Beograd, 91 f.
51 Manoschek, Besatzungspolitik, 50 ff.
52 Schmid, Besatzung, 56.
53 Anordnung v. 2. Juli 1942, SD, Bd. 11, 70 f.
54 Neubacher, Sonderauftrag, 179.
55 Rendulic, Gekämpft, 211.
56 SD, Bd. 7, 93 f. u. SD, Bd. 9, 101.
57 SD, Bd. 9, 104 f.
58 SD, Bd. 7, 198.
59 SD, Bd. 9, 100 u. 224.
60 Velebit, Život, 284.
61 Popović, Beleške, 11 u. 45.
62 Goldstein/Goldstein, Tito, 238.
63 Wiesinger, Partisaninnen, 94.
64 Deakin, Mountain, 18.
65 Parin, Partisanen, 91 u. 185.
66 Ebd., 142.
67 Böhme, Kriegsgefangene, 69.
68 Rendulic, Gekämpft, 211.
69 Velebit, Život, 277.
70 Popović, Beleške, 261.
71 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 953.
72 Goldstein/Goldstein, Tito, 259 f.
73 SD, Bd. 7, 27.
74 Ebd., 176. Ähnlich auch 182 ff.
75 VEJ 14, 43 ff.
76 Böhme, Kriegsgefangene, 66 f.
77 Dedijer/Miletić, Genocide, 330.
 Anmerkungen 399

78 SD, Bd. 13, 99.


79 SD, Bd. 7, 35.
80 Schmid, Besatzung, 55.
81 SD, Bd. 9, 205.
82 SD, Bd. 8, 104.
83 Goldstein/Goldstein, Tito, 220 f.
84 Dedijer, Dnevnik, Bd. 1, 265 ff.
85 Geiger/Rupić/Kevo/Kraljević/Despot, Represija, 49.
86 SD, Bd. 7, 185.
87 Velebit, Život, 301.
88 Goldstein/Goldstein, Tito, 367.
89 ARS 003.
90 SD, Bd. 8, 189 f. Goldstein/Goldstein, Tito, 232 f.
91 SD, Bd. 8, 48.
92 Pirjevec, Tito, 378.
93 Hoare, Genocide and resistance, 157 f. u. 161 f.
94 Pavlica, Draža, 216 f.
95 Goldstein/Goldstein, Tito, 234.
96 Hory/Broszat, Ustascha-Staat, 130.
97 Goldstein/Goldstein, Tito, 383.
98 Pirjevec, Tito, 106.

Der Staatsgründer
1 Dedijer, Dnevnik, Bd. 1, 401.
2 Ebd., 403.
3 SD, Bd. 13, 41.
4 PA/AA, RAV 62/2. Deutsche Gesandtschaft, Zagreb 12.2.1943.
5 http://www.znaci.net/00001/219_11.pdf (28.1.2020).
6 Hoare, Partisan movement.
7 Halder, Titokult, 57.
8 Schmider, Partisanenkrieg, 206 ff.
9 Dedijer, Tito, 185.
10 Adamic, Eagle, 466.
11 Četrdeset godina, 357.
12 Tito, Kazivanja, Bd. 1, 347.
13 Ebd., 354 u. 360.
14 Ebd., 355.
15 Meyer, Blutiges Edelweiß, 115.
16 NA, RG 242.17.2 Servizio informazione esercito: Montenegro – Crisi del
movimento nazionalista, 13.5.1943.
17 Catherwood, Churchill and Tito, 78.
400 Anhang 

18 Ebd., 75.
19 Djilas, Krieg, 344.
20 Deakin, Mountain, 5.
21 Ebd., 6 u. 79.
22 Djilas, Krieg, 338.
23 Dedijer, Tito, 7.
24 Ders., Dnevnik, Bd. 2, 268.
25 Ders., Novi prilozi, Bd. 2, Faksimile, 273.
26 Deakin, Mountain, 13.
27 Četrdeset godina, 356.
28 Dedijer, Dnevnik, Bd. 2, 276.
29 Ders., Novi prilozi, Bd. 2, 819.
30 Ebd., 827.
31 Wolff, « Rösselsprung ».
32 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 815 f.
33 Ebd., 816.
34 Deakin, Mountain, 20 u. 22.
35 Sutjeska, 182.
36 Djilas, Partisanen, 388.
37 Ebd., 378.
38 Neubacher, Sonderauftrag, 177.
39 Goldstein/Goldstein, Tito, 252.
40 Odić, Dosije, 53 ff. u. Faksimiles, o. S.
41 PA/AA, Pol 4, Nr. 2. Geheimakte der Deutschen Gesandtschaft in Zagreb.
42 PA/AA, Bern 3555, Betr. Tito-Aktion, Kult. Pol. Fü. St. 121 LV, Berlin,
6.1.1943.
43 Neubacher, Sonderauftrag, 179.
44 Odić, Dosije, 279 ff.
45 Pirjevec, Tito, 69.
46 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 48.
47 Mandić, Tito izbliza, 85.
48 Nedjelja, 10.5.1964, 3.
49 Mandić, Tito izbliza, 75 u. 85.
50 Ebd., 39.
51 Ders., Tito neispričano, 249.
52 Ebd., 281f. u. 288.
53 Adamic, Eagle, 512 f.
54 Rede des Reichsführers-SS vor den Wehrkreisbefehlshabern und Schul-
kommandeuren: die Rede wurde am 21. September 1944 in Jägerhöhe
­gehalten / Heinrich Himmler, Jägerhöhe 1944.
55 Maclean, Männer, 255.
 Anmerkungen 401

56 Schmider, Partisanenkrieg, 587 f.


57 Batty, Hoodwinking Churchill, 116.
58 Ebd., 118. SOE, HS 5/878, Brief for Brigadier Fitzroy Maclean, Cairo
11.8.1943.
59 PREM 3/510/9. MA/28, 29.9.1943.
60 Maclean, Männer, 279, 286 u. 409.
61 Djilas, Partisanen, 469.
62 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 860.
63 PREM 3/511/2.
64 Batty, Hoodwinking Churchill, 177 u. 179.
65 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 1, 368.
66 Odić, Dosije, 47.
67 Maclean, Männer, 407.
68 Kumm, Prinz Eugen, 178.
69 Wolff, « Rösselsprung », 488.
70 Rendulic, Gekämpft, 225 f.
71 KPR II-6–3.
72 PREM 3/511/6.
73 Gilbert, Churchill, Vol. VII, 738 u. 754.
74 PREM 3/511/12.
75 Churchill, Second World War, Vol. V, 419 f.
76 Catherwood, Churchill and Tito, 166.
77 PREM 3/511/6. Churchill, Second World War, Vol. V, 423.
78 Popović, Beleške, 256.
79 PREM 3/512/7. Churchill an Eden, 5.6.1944.
80 Ebd., Churchill an Eden, 8.6. und 9.6.1944.
81 PREM 3/512/5. Churchill an Tito, 10.7.1944.
82 Catherwood, Churchill and Tito, 203.
83 Maclean, Männer, 417.
84 Ebd., 419 f.
85 Kielinger, Churchill, 290.
86 Batty, Hoodwinking Churchill, 205. McMoran Wilson, Churchill, 202.
87 Churchill, Second World War, Vol. VI, 934. Batty, Hoodwinking Chur-
chill, 205. McMoran Wilson, Churchill, 202.
88 Batty, Hoodwinking Churchill, 208.
89 Gilbert, Churchill, Vol.  VII, 889. Maclean, Männer, 419 f.
90 PREM 3/512/3. Minutes of Meeting, 13.8.1944. McMoran Wilson,
Churchill, 202.
91 PREM 3/512/1. Mr. Broad, No. 196, 8.9.1944 an FO.
92 Ebd., Churchill an President Roosevelt. Personal and top secret, 1.9.1944.
93 PREM 3/512/1. Prime Minister an Tito, 15.9.1944.
402 Anhang 

94 PREM 3/512/1. PREM 513/3+4. Prime Minister an Earl of Halifax,


Personal and top secret, 18.4.1945.
95 PREM 3/512/5. Prime Minister an Foreign Secretary, Personal and top
secret, 21.9.1944.
96 Maclean, Männer, 467.
97 PREM 3/512/9. Secretary of State an Foreign Office, 10.10. u.
11.10.1944.
98 PREM 3/512/5. Anthony Eden an Prime Minister, 15.9.1944.

Der stalinistische Autokrat


1 Matović, Beogradska, 61 u. 102.
2 PREM 3/512/8. Fitzroy Maclean: Notes on the present military and
­political situation in Serbia, September 1944.
3 Maclean, Männer, 463.
4 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 3, 141.
5 PREM 3/512/10. Aide-Mémoire von Ivan Šubašić, Dezember 1944.
6 PREM 3/512/9. Secretary of State an Foreign Office, 10.10. u. 11.10.1944.
7 Gilbert, Churchill, Vol.  VII, 992 f. Churchill, Zweiter Weltkrieg, 989 f.
8 Churchill, Zweiter Weltkrieg, 991.
9 Kielinger, Churchill, 313.
10 SD, Bd. 23, 220.
11 PREM 3/512/10. Churchill an Tito, 2.12.1944.
12 Ebd., Tito an Churchill, 23.12.1944.
13 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 1, 385.
14 Gilbert, Churchill, Vol.  VII, 894. Batty, Hoodwinking Churchill 224 f.
15 PREM 513/3+4. Prime Minister an Foreign Secretary, 11.3.1945.
16 PREM 513/9. Foreign Secretary an Prime Minister, 20.5.1945.
17 SD, Bd. 23, 248.
18 Portmann, Revolution, 122 f.
19 Djilas, Partisanen, 535 f.
20 Nikolić, Mač, 74.
21 Geiger, Partizanska represija, Bd. 2, 65.
22 Geiger/Rupić/Kevo/Kraljević/Despot, Represija, 50.
23 Portmann, Revolution, 115.
24 Applebaum, Eiserner Vorhang, 125 ff.
25 Nikolić, Mač, 73 f.
26 Ebd., 68.
27 Geiger, Tito, 12.
28 Nikolić, Mač, 73 u. 87.
29 Geiger/Rupić/Kevo/Kraljević/Despot, Represija, 50.
30 Batty, Hoodwinking Churchill, 256.
 Anmerkungen 403

31 Portmann, Revolution, 109 u. 113.


32 Vodušek Starič, Komunisti, 273.
33 Tomasevich, War, 65.
34 SD, Bd. 28, 43.
35 Dizdar/Geiger/Pojić/Rupić, Represija, 189.
36 Goldstein/Goldstein, Tito, 380.
37 Geiger/Rupić/Kevo/Kraljević/Despot, Represija, 54.
38 Djilas, Tito, 77 f.
39 VEJ 87.
40 Geiger, Partizanska represija, Bd. 2, 70.
41 Beer, Flucht, 37 f.
42 Portmann, Revolution, 230.
43 Geiger, Partizanska represija, Bd. 2, 78.
44 Dizdar/Geiger/Pojić/Rupić, Represija, 325.
45 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 3, 132 f.
46 Geiger, Tito, 32, 38 u. 88.
47 Geiger, Partizanska represija, Bd. 2, 86.
48 Wutzler, Heimat, 199.
49 Seewann/Portmann, Donauschwaben, 278.
50 Wutzler, Heimat, 212.
51 RGANI, Fond 89: The Communist Party on trial. Filmrolle 24.
52 Seewann/Portmann, Donauschwaben, 279.
53 Dizdar/Geiger/Pojić/Rupić, Represija, 179 f.
54 Beer, Flucht, 92.
55 Portmann, Revolution, 238, 257 u. 267.
56 Koštunica/Čavoški, Pluralism, 87.
57 Pirjevec, Tito, 539.
58 Lindsay, Beacons, 249.
59 Ebd., 304 f. u. 307.
60 Terzić, Titova, 57.
61 Batty, Hoodwinking Churchill, 225.
62 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 3, 141.
63 Tito, Jugoslawischer Weg, 408.
64 Lilly, Partisan, 48.
65 Spehnjak, Javnost, 28 u. 32.
66 ARS VD 92.
67 Tito, Kazivanja, Bd. 2, 17 f.
68 Friedrich, Diktatur, 19.
69 Behrends, Diktatur, 3.
70 Ebd.
71 Spehnjak, Javnost, 24.
404 Anhang 

72 Goldstein/Goldstein, Tito, 415.


73 Dedijer, Tito, 231.
74 Grol, Londonski dnevnik, 657.
75 Bilandžić, Povijest, 238 f.
76 AJ, F 137, KPR II-1-130.
77 SD, Bd. 22, 270 f. SD, Bd. 25, 33.
78 Sabina Ferhadbegović, Tribunale. Jugoslawische Kriegsverbrecherprozesse
1943–1948, unveröff. Manuskript, Jena 2019.
79 Buchenau, Vergleich, 66.
80 Blažević, Mač, 417.
81 Ders., Nit, 120.
82 Batelja, Stepinac, 270 u. 272.
83 Goldstein/Goldstein, Tito, 397.
84 Horvat/Štambuk/Radić, Dokumenti, 79.
85 Stahl, Stepinac, 253.
86 Dizdar/Geiger/Pojić/Rupić, Represija, 122.
87 Dedijer, Jasenovac, 91.
88 Stahl, Stepinac, 207.
89 Stanić, Suđenje, 246 f.
90 Ebd., 298 ff.
91 Stahl, Stepinac, 255. Batelja, Stepinac, 521–524.
92 Batelja, Stepinac, 579 f.
93 Hory/Broszat, Ustascha-Staat, 100.
94 Stahl, Stepinac, 364 ff.
95 Pearson, Bosnien, 150.
96 Goldstein/Goldstein, Tito, 401.

Der Abtrünnige
1 Djilas, Gespräche, 74.
2 Ebd., 76 f. u. 86.
3 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 1, 416.
4 Ebd., 420.
5 Tito, Kazivanja, Bd. 2, 24.
6 Montefiore, Stalin, 588.
7 Ebd., 589.
8 Perović, Split, 38.
9 Ebd., 39.
10 Truman, Memoiren, Bd. II, 109 u. 114.
11 Djilas, Gespräche, 137.
12 Tito, Kazivanja, Bd. 1, 353.
13 Djilas, Gespräche, 79 u. 115.
 Anmerkungen 405

14 Ders., Jahre, 102 f.


15 Pirjevec, Tito, 215 u. 220.
16 Gibianskii, Origins, 292.
17 Goldstein/Goldstein, Tito, 521.
18 Perović, Split, 43.
19 Djilas, Gespräche, 173.
20 Ebd., 221.
21 Gibianskii, Origins, 296.
22 Kardelj, Reminiscences, 104.
23 Djilas, Gespräche, 184.
24 Kardelj, Reminiscences, 105. Djilas, Gespräche, 212 ff.
25 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 3, 304 u. 308.
26 Anikejev, Tito ot Stalina, 135.
27 Gibianskii, Origins, 300.
28 Goldstein/Goldstein, Tito, 454. Tito, Kazivanja, Bd. 2, 24.
29 Djilas, Tito, 125.
30 Pirjevec, Tito, 235.
31 Montefiore, Stalin, 567.
32 Dedijer, Dokumenti, Bd. 1, 239 f.
33 Goldstein/Goldstein, Tito, 455.
34 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 3, 377 f.
35 Ders., Tito, 250 f.
36 Tito, Kazivanja, Bd. 2, 21 u. 23.
37 Procacci, Cominform, 621.
38 Adamic, Eagle, 102 f.
39 Nenadović, Razgovori, 104.
40 Goldstein/Goldstein, Tito, 676.
41 Tito, Kazivanja, Bd. 2, 23.
42 Goldstein/Goldstein, Tito, 512.
43 Dedijer, Tito, 355 f.
44 FRUS 1948, 1077.
45 Marković, Josip Broz, 17 f.
46 Goldstein/Goldstein, Tito, 461.
47 Ebd., 463 f.
48 Bilandžić, Povijest, 267.
49 Procacci, Cominform, 503.
50 Leonhard, Revolution, 622 f.
51 Burton, Tagebücher, 465.
52 Niebuhr, Enlarging, 286.
53 Truman, Decisions, 245.
54 Miscamble, George F. Kennan, 189.
406 Anhang 

55 Blum, Intelligence failure, 43. FRUS 1948, 1070 f.


56 Blum, Intelligence failure, 49 u. 54.
57 FRUS 1948, 1080 f.
58 Mehta, CIA, 115.
59 Ebd., 114.
60 Miscamble, George F. Kennan, 194.
61 Mehta, CIA, 112.
62 FRUS 1948, 1106 f.
63 Lees, Keeping Tito, 61 f.
64 Mehta, CIA, 125.
65 Gaddis, Strategies, 66.
66 Mehta, CIA, 142.
67 Unkovski-Korica, Struggle, 75.
68 Adamic, Eagle, 22 f. u. 40 f.
69 Ebd., 88.
70 Karaivanov, Drugi, 5.
71 Doder, Yugoslavs, 118.
72 Banac, Stalin against Tito, 150 u. 223.
73 Unkovski-Korica, Struggle, 77.
74 Previšić, Povijest, 462 f.
75 Goldstein/Goldstein, Tito, 571.
76 Halperin, Ketzer, 110.
77 Kamberović, Prema modernom društvu, 148 ff.
78 Manojlović Pintar, Tito, 808.
79 ARS, Manuskript Dedijer. Bd. IV, Kap. XIV, 16.
80 Previšić, Povijest, 194.
81 Goldstein/Goldstein, Tito, 476.
82 Previšić, Povijest, 212.
83 Ebd., 298 f. u. 349.
84 Marković, Josip Broz, 440 f.
85 Previšić, Povijest, 332 u. 367 ff.
86 Ebd., 498 f.
87 Marković, Josip Broz, 28.
88 Terzić, Titova, 138.
89 Goldstein/Goldstein, Tito, 475. Previšić, Povijest.
90 Pirjevec, Tito, 564.

Der Reformkommunist
1 Đilas, Lenjin, 56.
2 Kuljić, Tito, 477 u. 481.
3 Cohen, Experiment, 60.
 Anmerkungen 407

4 Halperin, Ketzer, 197 f.


5 Ebd., 199.
6 Kuljić, Tito, 479.
7 Martens, Andrić, 313.
8 Flere, Titova država, 16.
9 Bilandžić, Povijest, 388.
10 Bureau du Travail, Gestion.
11 Tito bei den Deutschen, in: Der Spiegel, 24.6.1974. https://www.spiegel.
de/spiegel/print/d-41708344.html (28.1.2020).
12 Unkovski-Korica, Struggle, 71 f.
13 Rusinow, Experiment, 138.
14 Tito, Jugoslawischer Weg, 25.
15 Der gordische Knoten, in: Der Spiegel, 21.10.1953. https://www.spiegel.
de/spiegel/print/d-25657823.html (28.1.2020).
16 Milovan Djilas, in: Die Zeit, 6.12.1956. https://www.zeit.de/1956/49/
milovan-djilas (28.1.2020). Halperin, Ketzer, 259.
17 Clissold, Djilas, 231.
18 Halperin, Ketzer, 272 f.
19 Pirjevec, Tito, 317 f.
20 Djilas, Tito, 154.
21 Halperin, Ketzer, 275.
22 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 3, 530.
23 Petranović/Zečević, Jugoslavija, 1048.
24 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 3, 533. Halperin, Ketzer, 275 ff.
25 Goldstein/Goldstein, Tito, 566.
26 Nikolić/Cvetković, Rađanje jeretika, 55.
27 Dedijer, Veliki, 410 u. 414. Ders., Novi prilozi, Bd. 3, 539.
28 Ders., Veliki, 407.
29 Goldstein/Goldstein, Tito, 567.
30 Dedijer, Veliki, 33.
31 Nikolić/Cvetković, Rađanje jeretika, 57.
32 Rusinow, Experiment, 86 f.
33 Pirjevec, Tito, 314.
34 Ebd., 106.
35 Eden, Memoiren, 213.
36 Broz, Moj život, 11.
37 Ebd., 45.
38 Ebd., 41 u. 44 f.
39 Jokanović, Nada, 47 u. 62.
40 Broz, Moj život, 86.
41 PA/AA, B 38 II A 1. Bericht v. 11.5.1965.
408 Anhang 

42 Broz, Moj život, 160.


43 Goldstein/Goldstein, Tito, 431.
44 Pantelić, Uspon, 49 f.
45 ARS 003.
46 Calic, Geschichte, 222.
47 Rusinow, Experiment, 140.
48 Doder, Yugoslavs, 118.
49 Adamic, Eagle, 289.
50 Statistički bilten, No. 298, Januar 1964, 8.
51 Cohen, Socialist pyramid, 395 ff.
52 Doder, Yugoslavs, 197.
53 Zu sehen im Dokumentarfilm « Cinema Komunisto ».
54 Buchenau, Vergleich, 100.
55 Ebd., 444.
56 Flere, Rise and fall, 104.
57 Hadžijahić/Traljić/Šukrić, Islam, 160 ff.
58 Manojlović Pintar, Tito, 693.
59 Lopušina, Crna knjiga.
60 Shoup, Communism, 273.
61 Calic, Südosteuropa, 541 ff.
62 Halder, Titokult, 87 f. u. 129.
63 Ebd., 166.
64 Ebd., 195.
65 Ebd., 205 f.
66 Djilas, Tito, 67.
67 Dedijer, Novi prilozi, Bd. 2, 169.
68 Petrović, Diplomacy, 588.

Der « Weltbürger »
1 Kershaw, Achterbahn, 71.
2 Šćekić, Tito’s meetings, 12.
3 Adamović, Galeb, 66 f.
4 Boyle, Churchill-Eisenhower, 33.
5 Die Reise nach Gwalior, in: Der Spiegel, 22.12.1954, 23 f.
6 Westad, Cold War, 433.
7 Hartmann, Demokratie und Autokratie, 107.
8 Nord, Nonalignment, 30.
9 AJ, KPR I-5-a,1. O nekim načelima politike aktivne koegzistencije.
10 Tito, Jugoslawischer Weg, 423.
11 Čavoški, Nasser’s Neutralism, 90 u. 92.
12 AJ, KPR I-3-c. Joint Statement by the President of the Federal People’s
 Anmerkungen 409

Republic of Yugoslavia, the President of the Republic of Egypt and the


Prime Minister of India, Brioni, 19th July 1956.
13 Halperin, Ketzer, 9 f. u. 319.
14 Ebd., 322.
15 Ebd., 319.
16 Mićunović, Tagebücher, 100.
17 Petranović/Zečević, Jugoslavija, 1046.
18 Mićunović, Tagebücher, 178.
19 FRUS XVI/1961-63, 142. https://history.state.gov/historicaldocuments/
frus1961-63v16/d142 (28.3.2020).
20 Rosija, Bd. 1, 59 f.
21 Mićunović, Tagebücher, 364.
22 Theurer, Beziehungen, 295.
23 Ebd.
24 PA/AA, B 38 II A 1. Bericht v. 11.5.1965.
25 PA/AA, B 38 II A 1.
26 Vlahović/Marković, Jovanka, 73.
27 Adamović, Galeb, 51.
28 Vlahović/Marković, Jovanka, 78.
29 Ebd., 76.
30 Petrović, Diplomacy, 587.
31 Adamic, Eagle, 51.
32 Adamović, Galeb, 39.
33 Ebd., 130.
34 Tito u Africi, 28.
35 Vlahović/Marković, Jovanka, 74.
36 https://www.zeit.de/1961/36/blockfrei-in-belgrad (28.1.2020).
37 Jakovina, Yugoslavia, 484.
38 FRUS XVI/1961-63, Dok. 106. https://history.state.gov/historicaldocu
ments/frus1961-63v16/d106 (28.3.2020).
39 Jovanović, Jugoslavija, 37.
40 Tito u Africi.
41 AJ, KPR II-3-b-2, Informacije Komisije za međunarodne veze SSRNJ o
pomoći Jugoslavije oslobodilačkim i antikolonijalnim pokretima, 5. März
1964.
42 PA/AA, ZA 127.978, Deutsche Botschaft, Belgrad, 3.10.1974.
43 Trueltzsch, Beitrag.
44 Matthies, Blockfreie, 13.
45 PA/AA, ZA 127.978, Jugosl. VN-Politik, Bonn, 5.6.1975.
46 PA/AA, ZA 127.978, Dt. Botschaft, Belgrad, 5.5.1975 an AA, Ref. 230.
47 PA/AA, ZA 127.978, Gesprächsvorschlag, Bonn, 24.10.1975.
410 Anhang 

48 PA/AA, ZA 127.978, Ismail Bajra, Die Blockfreiheit und das neue inter-
nationale Informationssystem.
49 AJ, KPR I-3-a, Podsetnik, 14.1.1975.
50 BA, 136/3521. Willy Brandt. Vier-Augen-Gespräch mit Präsident Tito
am 11. Oktober 1970.
51 Jakovina, Yugoslavia, 499.
52 PA/AA, B 42 240, Einpendelung der jugoslawischen Außenpolitik auf ei-
nen neuen Gleichgewichtszustand zwischen Ost und West, 1971 sowie
Kurzfassung.
53 BA 136, 3521, Fernschr. Nr. 404, Belgrad, 6.10.1970.
54 FRUS XXIX/1970. https://history.state.gov/historicaldocuments/
frus1969-76v29/d217 (28.1.2020).
55 Petrović, Lična diplomatija, 214.
56 Ebd., 230.
57 FRUS XXIX/1970. https://history.state.gov/historicaldocuments/
frus1969-76v29/d217 (28.1.2020).
58 Rusinow, Yugoslav experiment, 111.
59 Bilandžić/Vukadinović, Osnovne društvene promjene, 86 ff.
60 Jugoslawiens neue Außenpolitik, in: Die Zeit, 12.10.1962. https://www.
zeit.de/1962/41/jugoslawiens-neue-aussenpolitik (28.1.2020).
61 Jakovina, Socijalizam, 177.
62 Ebd., 169.
63 Kennan, Memoirs, 277.
64 PA/AA, B  42 240, Einpendelung der jugoslawischen Außenpolitik auf
­einen neuen Gleichgewichtszustand zwischen Ost und West, 1971 sowie
Kurzfassung.
65 Kennan, Memoirs, 278.
66 FRUS XXIX/1970. https://history.state.gov/historicaldocuments/frus
1969-76v29/d217 (28.1.2020).
67 PA/AA, B 38 II A 1, Bericht v. 11.5.1965.
68 PA/AA, B 130 8.947A, Fernschreiben Belgrad, 5.10.1971.
69 Petrović, Lična diplomatija, 219.
70 PA/AA, B 130 8.945A, 22.4.1970.
71 Pirjevec, Tito, 481.
72 PA/AA, B  42 240, Einpendelung der jugoslawischen Außenpolitik auf
­einen neuen Gleichgewichtszustand zwischen Ost und West, 1971 sowie
Kurzfassung.
73 Bogetić, Odnosi, 12.
74 BA 136/6302. Entwurf einer Ansprache des Herrn Bundeskanzlers aus
Anlass des Abendessens auf Brioni am 18.4.1973.
75 Lees, Keeping Tito, 172.
 Anmerkungen 411

76 ARS 003.
77 AJ, KPR, 838, LF, VI-I.
78 Vrhunec, Šest godina, 335.
79 Burton, Tagebücher, 465.
80 Brandt, Erinnerungen, 237.
81 Doder, Yugoslavs, 122.
82 Burton, Tagebücher, 467.

Der Richter und Schlichter


1 ARS 298.
2 Goldstein/Goldstein, Tito, 665.
3 Ebd., 394.
4 Praxis und Theorie, 39.
5 Mandić, S Titom, 45.
6 Ebd., 45 f.
7 Flere, Titova država, 10.
8 Goldstein/Goldstein, Tito, 603 f.
9 https://www.youtube.com/watch?v=Frr4VSC3-pA (28.1.2020).
10 AJ, F 837, KPR II-1-130, Zdravica, 25.3.1967.
11 Tripalo, Proljeće, 188.
12 Perović, Zatvaranje, 170.
13 Tripalo, Proljeće, 189.
14 Rusinow, Yugoslavia, 49.
15 ARS 002. Dedijer, Novi prilezi Bd. 4, 5 (unveröff. Manuskript).
16 ARS 005.
17 ARS 002.
18 Ströhle, Ruinen, 219.
19 Ebd., 210.
20 ARS 002.
21 Flere, Titova država, 12.
22 Burk, Decision making, 33.
23 Dragović-Soso, Saviours, 39 ff.
24 Calic, Geschichte, 248.
25 Wozu Praxis? (1964), in: Kanzleiter/Stojaković « 1968 », 210 f.
26 Trenutak, 310.
27 Kanzleiter, Rote Universität, 308.
28 Rusinow/Stokes, Yugoslavia, 95.
29 Marković/Kržavac, Liberalizam, Bd. 1, 246 ff.
30 Kanzleiter, Rote Universität, 292 f.
31 Perović, Zatvaranje, 347.
32 Dabčević-Kučar, Hrvatski snovi, 895.
412 Anhang 

33 Bilandžić, Povijest, 600. Goldstein/Goldstein, Tito, 673.


34 ARS 002.
35 Perović, Zatvaranje, 258.
36 Dabčević-Kučar, Hrvatski snovi, 927 ff.
37 Vrhunec, Šest godina, 293.
38 Perović, Zatvaranje, 327.
39 Dabčević-Kučar, Hrvatski snovi, 948.
40 Jugoslawien: Zerfällt Titos Lebenswerk?, in: Der Spiegel, 20.12.1971.
­https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44914555.html (28.1.2020).
41 Goldstein/Goldstein, Tito, 706 f.
42 Tripalo, Proljeće, 218.
43 Goldstein/Goldstein, Tito, 694 u. 702.
44 Marković/Kržavac, Liberalizam, Bd. 2, 67 u. 72.
45 Perović, Zatvaranje, 200, 205 u. 263.
46 Pirjevec, Tito, 473.
47 Perović, Zatvaranje, 367.
48 Ebd., 429 f. u. 434 ff.
49 Marković/Kržavac, Liberalizam, Bd. 2, 97 ff. u. 213 f.
50 Goldstein/Goldstein, Tito, 709.
51 ARS 002.
52 Bilandžić, Historija, 436.
53 PA/AA, ZA 112.619, Fernschreiben v. 22.3.1973.
54 Pirjevec, Tito, 488 f.
55 PA/AA, B 130, 3075 A, Schaubild.
56 PA/AA, ZA 112.619, Jugoslawische Emigranten- und Terroristentätigkeit
im Bundesgebiet (1973).
57 PA/AA, B 130, 4258A, Abt. II v. 27.2.1967 u. v. 10.3.1967. VS. Siehe auch
die Aufstellung über Beihilfen im Rechnungsjahr 1964.
58 PA/AA, B 42.
59 PA/AA, B 42, 17.11.1978.
60 Nielsen, Staatssicherheitsdienst, 34, 37 u. 40.
61 Spasić, Lasica, 40.
62 Ebd., 45.
63 http://www.hrsvijet.net/index.php?option=com_content&view=article
&id=30800:kroaten-starten-weltweite-petition-fuer-eine-auslieferung-
josip-perkovics-an-deutschland&catid=65:politik&Itemid=338
(28.1.2020).
64 https://www.deutschlandfunk.de/jugoslawiens-agenten-in-deutschland-
mord-im-namen-titos.724.de.html?dram:article_id=300542 (28.1.2020).
65 Schrott im Keller, in: Der Spiegel, 11.8.1975 https://www.spiegel.de/
spiegel/print/d-41471267.html (28.1.2020).
 Anmerkungen 413

66 Spasić, Lasica.
67 Nielsen, Ergänzung, 23 f.
68 Manojlović Pintar, Tito, 81.
69 Vrhunec, Šest godina, 189.
70 AJ, KPR II-6-3.
71 Vrhunec, Šest godina, 186.
72 Goldstein/Goldstein, Tito, 619.
73 ARS 298.
74 Goldstein/Goldstein, Tito, 679.
75 Ebd., 574.
76 Vrhunec, Šest godina, 260 u. 263.
77 Rusinow, Experiment, 196.
78 Calic, Geschichte, 259.
79 Rusinow, Experiment, 436.
80 Gerschewski, Pillars.
81 Friedrich, Totalitäre Diktatur, 264 f.
82 Mandić, S Titom, 174.

Der Elder Statesman


1 https://www.abendblatt.de/archiv/1974/article205118923/Fuenfein
halb-Stunden-im-Leben-des-Josip-Tito.html?__pwh=dsM57tjXVsKH
h9So%2BWmFAg%3D%3D (28.1.2020).
2 « Entschuldigen Sie, daß wir gewonnen haben », in: Der Spiegel, 1.7.1974.
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41696648.html (28.1.2020).
3 PA/AA, ZA 116.708, Nachlese zum Staatsbesuch Titos, Belgrad 5.8.1974.
4 PA/AA, B 130, 10.072A.
5 BA 136/6302, Entwurf einer Ansprache des Herrn Bundeskanzlers aus
Anlass des Abendessens auf Brioni am 18.4.1973.
6 PA/AA, B  42 172, Fernschreiben, Ministerbesuch in Jugoslawien,
16.6.1968.
7 AJ, KPR I-3-a.
8 AJ, KPR I-3-a, Razgovor Predsednika Republike sa Wilijom Brandtom,
o. D. Podsetnik o SR Nemačkoj, Beograd, 12.6.1968. Aus deutscher Sicht:
AAPD 1968, Ministerialdirektor Ruete an AA, 15.6.1968. https://www.
degruyter.com/downloadpdf/books/9783486718195/9783486718195.709/
9783486718195.709.pdf (28.1.2020).
9 AJ, KPR I-3-a/83-19, Otvorena pitanja.
10 PA/AA, ZA 112.619.
11 AJ, KPR I-3-a/83-19, Otvorena pitanja.
12 PA/AA, B 130 10.072A, Abt. II, Aufzeichnung, betr. Jugoslawische Wie-
dergutmachungsforderungen, Bonn, 16.9.1968.
414 Anhang 

13 Chronologie der Zahlungen unter PA/AA, ZA 112.622.


14 PA/AA, ZA 112.622, Vermerk, Bonn, 16.8.1973.
15 BA  136/17.239, Botschaft der Bundesrepublik Deutschland an AA,
5.10.1974.
16 PA/AA, AV NA 17.680, Botschaft Belgrad, Vermerk v. 27.2.1974.
17 « Entschuldigen Sie, daß wir gewonnen haben », in: Der Spiegel, 1.7.1974.
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41696648.html (28.1.2020).
18 BA  136/17.239, Botschaft der Bundesrepublik Deutschland an AA,
5.10.1974.
19 PA/AA, ZA 116.708, Vermerk, Bonn, 6.8.1974.
20 PA/AA, ZA  112.618, Besuch von Präsident Tito, Protokollvermerk,
26.6.1974.
21 PA/AA, B  42 172, Wertung der Jugoslawien-Reise des Herrn Bundes­
ministers (12.–15.6.1968).
22 PA/AA, B  42 172, Fernschreiben, Ministerbesuch in Jugoslawien,
16.6.1968.
23 PA/AA, ZA 112.620, Außenpolitik Jugoslawiens.
24 PA/AA, ZA  116.737, Sachstand. Deutsch-jugoslawische Beziehungen,
Bonn, 14.4.1978.
25 AJ, KPR, I-3-a, SAD i politika nesvrstavanja.
26 Lazić, Détente, 403.
27 PA/AA, B 130, 8.947A, II A 1, Bonn, 26.3.1970.
28 PA/AA, B 42 240, Aufzeichnung dem Herrn D Pol (1971).
29 Fischer, Bridging.
30 WBA, A 3, 494, Belgrad, 16.4.1973.
31 PA/AA, ZA 116.708, Dolmetscheraufzeichnung über das Gespräch zwi-
schen dem Herrn Bundeskanzler (Schmidt) und Präsident Tito vom
25. Juni 1974 von 11.00 bis 12.15 Uhr.
32 WBA, A 8, 55.
33 PA/AA, B 130 11.573A.
34 National Security Archive, Carter-Brezhnev Project. IV-392. Memoran-
dum of Conversation, June 6, 1979.
35 PA/AA, ZA 127.978, Letter dated 14 April 1977 addressed to the Secre-
tary-General.
36 Zaccaria, EEC, 99.
37 https://cdn.loc.gov/service/mss/mfdip/2010/2010nei01/2010nei01.
pdf (30.1.2020).
38 Kennan, Wolken, 148.
39 PA/AA, ZA 116.737, Deutsch-jugoslawische Beziehungen nach Freilas-
sung der vier mutmaßlichen Terroristen. PA/AA, ZA 112.622, Vermerk,
Bonn, 10.8.1973.
 Anmerkungen 415

40 PA/AA, ZA 13.2866.
41 PA/AA, ZA 11.6708, Dolmetscheraufzeichnung über das Gespräch zwi-
schen dem Herrn Bundeskanzler (Schmidt) und Präsident Tito vom
25. Juni 1974 von 11.00 bis 12.15 Uhr.
42 PA/AA, ZA 112.620, Belgrad, 18.9.1973.
43 Rakove, Mediation.
44 https://www.avantgarde-museum.com/en/The-Symbol-of-Peace-the-
Movement-and-Tito~no4307/ (28.1.2020).
45 PA/AA, B 130, 4.260A, Franz. Botschaft, Belgrad, 9.2.1966.
46 BA, 163/3521, Willy Brandt, Aufzeichnung über das Vier-Augen-Ge-
spräch am 11. Oktober 1970.
47 AAPD, 1973, Gespräch des Bundeskanzlers Brandt mit Staatspräsident
Tito auf Brioni, 18. April 1973, 539 ff.
48 WBA, Vermerk über das Gespräch des Bundeskanzlers mit dem jugosla-
wischen Botschafter am 7. November 1973 im Bundeskanzleramt, Bonn,
den 8. November 1973.
49 Petrović, Lična diplomatija, 235.
50 AJ, KPR, I-3-a, Poseta državnog sekretara SAD Henri Kisindžera,
4.11.1974. PA/AA, B 130 8.947A, IIA5 – 83.20-94. 14/221/70 geh.
51 WBA, Horst Ehmke, 1/HEAA000466. Vermerk über die Gespräche von
BM Genscher mit dem jug. Außenminister (Vrhovec) am 11.8.1978 in
Bad Reichenhall.
52 PA/AA, ZA 11.6708, Dolmetscheraufzeichnung über das Gespräch zwi-
schen dem Herrn Bundeskanzler (Schmidt) und Präsident Tito v. 24. Juni
1974, 16.00 bis 17.15 Uhr.
53 FRUS XXIX/1970. https://history.state.gov/historicaldocuments/frus
1969-76v29/d217 (28.1.2020).
54 Petrović, Lična diplomatija, 231.
55 Kennan, Memoirs, 277.
56 Pirjevec, Tito, 562.
57 PA/AA, B  42 301, Telegramm Bundespräsident Gustav Heinemann.
­Sowie: Der 80. Geburtstag Präsident Titos, Belgrad, 5.6.1972.
58 PA/AA, B 130 11.578 A, Dt. Botschaft, Belgrad, 3.3.1977.
59 PA/AA, 132.866.
60 WBA, Bestand Egon Bahr, 403.
61 PA/AA, B 130 11.573A, NATO, Brüssel, 29.7.1976. Dt. Botschaft, Bel-
grad, 9.3.1977.
62 PA/AA, B  130 11.573A, Dt. Botschaft, Belgrad, 22.3. u. 28.5.1977.
­Kardelj, Pravci, 55 ff.
63 Gligorov, Yugoslavia.
64 Broz, Moj život, 49 f.
416 Anhang 

65 Pantelić, Uspon, 88.


66 ARS 003.
67 ARS 003.
68 Mandić, Tito izbliza, 306.
69 AJ, KPR, II-6-3. Izjava autora.
70 Mandić, Tito izbliza, 309.
71 AJ, KPR, II-6-3. Prepis recenzije američkog scenarista, 25.8.1970.
­Burton, Tagebücher, 453 f. u. 481.
72 Ebd., 488 u. 528.
73 Ebd., 273 ff.
74 Ebd., 491.
75 AJ, KPR II-6-3, Kabinettschef Vrhunec an Džemal Bijedić (April 1972).
76 Cinema Komunisto.

« Nach Tito: Tito! »


1 « Nicht zu breit lächeln », in: Der Spiegel, 12.5.1980. https://www.spiegel.
de/spiegel/print/d-14315066.html (28.1.2020).
2 Halder, Titokult, 231 f.
3 BA, B 136, 16.783.
4 « So ein Begräbnis müßte jedes Jahr sein », in: Der Spiegel, 12.5.1980.
­https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14315016.html (28.1.2020).
5 Ebd.
6 Kennan, Wolken, 146 f.
7 Danilović, Upotreba.
8 Vgl. dazu Calic, Geschichte Jugoslawiens.
9 https://www.hrvatska-rijec.com/tito-je-1974-prodao-utakmicu-njema
ckoj-jugoslavija-je-bila-jaca-ali-je-izgubila-20/ (28.1.2020).
10 http://de.mfa.hr/de/nachrichten/minister-grlic-radman-schreibt-offe
nen-brief-an-das-zdf-bezüglich-der-doku-reihe,59091.html (13.2.2020).
11 https://www.tacno.net/naslovnica/zdf-ocaravajuce-plave-oci-josipa-bro
za-tita/ (13.2.2020).
12 Velikonja, Titostalgija, 85.
13 « Wenn wir nostalgisch sind, erscheint uns das Leben sinnvoll », in: Süd-
deutsche Zeitung Magazin, 27.9.2019, 12–20.
14 https://news.gallup.com/poll/210866/balkans-harm-yugoslavia-break
up.aspx (28.1.2020).
15 Velikonja, Titouage, 164.
Quellen und Literatur

Archivbestände
Arhiv Jugoslavije – AJ, Belgrad
Kabinet Predsednika Republike
Arhiv Republike Slovenije – ARS, Ljubljana
Fond Vladimira Dedijera
Bayerische Staatsbibliothek, München
Partisanensammlung
Bibliothek für Zeitgeschichte, Stuttgart
Sammlung Sterz
Bundesarchiv Militärarchiv – BA/MA, Freiburg
Territoriale Befehlshaber in Südosteuropa
Bundesarchiv – BA, Berlin-Lichterfelde
Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO)
Bundesarchiv – BA, Koblenz
B 136: Bundeskanzleramt
Gosudarstvennyi Archiv Rossijskoj Federacii – GARF, Moskau
NKWD
Institut für Zeitgeschichte – IfZ, München
Kommandierender General und Befehlshaber Serbien
Nürnberger Kartei (NOKW-Dokumente)
ED 672: Nachlass Feldbaum
National Archives – NA, London
Churchill at War: The Prime Minister’s Office Papers 1940–1945
Special Operations Executive, 1940–1946. Subversion and sabotage
­during World War II.
National Archives and Records Administration – NARA, Washington
Records of the Italian armed forces, 1935–1943
National Security Archive – NSA, Washington
Carter-Brezhnev Project
418 Anhang 

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes – PA/AA, Berlin


Deutsche Gesandtschaft (Zagreb)
Deutsche Gesandtschaft (Bern)
Abteilung Bundesrepublik Deutschland
B 2: Büro Staatssekretär
B 36: Referat I B 4
B 38: Referat II A 1
B 40: Referat I A 3
B 42: Referat II A 5
B 130: Verschlusssachen
B  150: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik
Deutschland
AV NA
Abteilung Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten
M 1: Zentralarchiv
M 95: Zentrale Mikrofilmstelle
Rossijskij Gosudarstvennyi Archiv Noveishei Istorii – RGANI, Moskau
Archives of the Soviet Communist Party and Soviet State
Rossijskij Gosudarstvennyi Archiv Socialno-političeskoj Istorii – RGASPI, Moskau
Otdel Kadrov IKKI
Willy-Brandt-Archiv im Archiv der sozialen Demokratie – WBA, Bonn
Egon Bahr
Willy Brandt
Horst Ehmke

Gedruckte Quellen und Literatur (Auswahl)


Adamic, Louis: The eagle and the roots, Garden City, N. Y. 1952.
Adamović, Miladin: « Galeb » mira i razdora. 72 dana oko Afrike, najskuplje Titovo
putovanje (prema dnevniku, kazivanju i dokumentima generala Milana
Žeželja, komandanta Titove garde i maršalovog ađutanta), Beograd
2001.
Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, https://www.ifz-
muenchen.de/aktuelles/themen/akten-zur-auswaertigen-politik/open-
access/.
Anikejev, Anatolij S.: Kak Tito ot Stalina ušel. Jugoslavija, SSSR i SŠA v načal’nyj
period « cholodnoj vojny » (1945–1957), Moskau 2002.
Applebaum, Anne: Der Eiserne Vorhang. Die Unterdrückung Osteuropas 1944 –
1956, München 2013.
Auty, Phyllis: Tito. Staatsmann aus dem Widerstand, München u. a. 1970.
Bakirov, E. A.: Butovskij poligon: 1937  – 1938. Kniga pamjati žertv političeskich
­repressij, Moskau 2004.
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Abkürzungen

AAPD Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland


AJ Arhiv Jugoslavije
ARS Arhiv Republike Slovenije
DEFA Deutsche Film AG
DFJ Demokratisches Föderatives Jugoslawien
EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
FLN Front de Libération Nationale
FRUS Foreign Relations of the United States
GARF Gosudarstvennyi Archiv Rossijskoj Federacii
(Staatsarchiv der Russischen Föderation)
HDZ Hrvatska demokratska zajednica
(Kroatische Demokratische Gemeinschaft)
HNO Hrvatski narodni otpor/Hrvatski narodni odbor
(Kroatischer Volkswiderstand/Kroatisches Nationalkomitee)
HOP Hrvatski oslobodilački pokret (Kroatische Befreiungsbewegung)
KJVD Kommunistischer Jugendverband Deutschlands
KNOJ Korpus narodne odbrane Jugoslavije
(Korps der Volksverteidigung Jugoslawiens)
KOS Kontraobaveštajna sluzba (Abwehrdienst)
KPJ Komunistička partija Jugoslavije
(Kommunistische Partei Jugoslawiens)
KPR Kabinet Predsednika Republike
(Kabinett des Präsidenten der Republik)
KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
MASPOK Masovni pokret (Massenbewegung)
MBFR Mutual and Balanced Force Reductions
NARA National Archives and Records Administration
NKWD Narodnyi kommissariat Unutrennich del
(Volkskommissariat des Inneren)
OPEC Organization of the Petroleum Exporting Countries
430 Anhang 

OMS Otdel meždunarodnych svjazej


(Abteilung für internationale Verbindungen)
OZNA Odjeljenje za zaštitu naroda
(Abteilung für Volksschutz)
RGANI Rossijskij Gosudarstvennyi Archiv Noveishei Istorii
(Russisches Staatsarchiv für neuere Geschichte)
RGASPI Rossijskij Gosudarstvennyi Archiv Socialno-političeskoj Istorii
(Russisches Staatsarchiv für sozialpolitische Geschichte)
SDS Služba državne sigurnosti
(Staatssicherheitsdienst)
SHS Srba, Hrvata i Slovenaca (der Serben, Kroaten, Slowenen)
SKJ Savez komunista Jugoslavije
(Bund der Kommunisten Jugoslawiens)
SKOJ Savez komunističke omladine Jugoslavije
(Bund der Kommunistischen Jugend Jugoslawiens)
SWAPO South West Africa People’s Organisation
TANJUG Telegrafska agencija nove Jugoslavije
(Nachrichtenagentur des neuen Jugoslawien)
TRUP Tajni revolucionarni ustaški pokret
(Geheime Revolutionäre Ustascha-Bewegung)
UDBA Uprava državne bezbednosti
(Amt für Staatssicherheit)
VEJ Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das
nationalsozialistische Deutschland (Dokumentenband)
WBA Willy-Brandt-Archiv
ZK Zentralkomitee
Bildnachweis

akg-images, Berlin: S. 31, 129


Archiv der Republik Slowenien, Ljubljana: S. 49, 52
Archiv der Republika Srpska, Banja Luka: S. 199
Bayerische Staatsbibliothek, München: S. 138
Bridgeman, Berlin: S. 47
Flickr, hochgeladen von Vladimir Timotijević: S. 241
Fotodokumentacija « Borba », Belgrad: S. 375
getty images: S. 174, 285
Kroatisches Staatsarchiv, Zagreb: S. 162
Kroatisches Geschichtsmuseum, Zagreb: S. 64, 202
Museum Documentation Center (MDC), Zagreb: S. 17
Matica Hrvatska, Zagreb: S. 244
Museum der Geschichte Jugoslawiens, Belgrad: S.  124, 157, 159, 189, 211, 236,
254, 265, 267, 268, 279, 281, 290, 296, 300, 302, 314, 322, 324, 352, 355,
371
Staatsarchiv der Russischen Föderation, Moskau: S. 87
picture alliance: S. 108, 114
ullstein bild: S. 93
Ortsregister

Kursive Seitenzahlen verweisen auf Bildunterschriften.

Accra 303 Bleiburg  11, 187, 380


Adua 300 Bogoljubskojsko 34
Avala  272, 354 Bonn  12, 267, 293 ff., 349 f., 353, 355,
358
Bad Godesberg-Mehlem  339 Brajići  128, 161
Bagdad 303 Brenovac 123
Banat  114, 190  f. Brioni  288, 312–315, 323, 324, 325,
Bandung  287  f. 338, 343, 351, 352, 354, 372
Banija  127, 148 Budapest  24, 292
Banjica  186, 230 Bukarest  228 f.
Baranya  190 f. Butowo  100, 217
Batschka 191 Butyrka 98
Belgrad  12, 44, 55 f., 59, 63, 68 f., 71,
74, 112 f., 116, 119, 121 ff., 127, Capodicchino 175
130, 142, 161, 179 f., 185 f., 190, Caserta 175
197 ff., 207, 213, 216, 219 f., Cer-Gebirge 123
222 ff., 227, 230–234, 236, 237, Cesargrad  16, 20
240 f., 247, 249, 252, 256 f., 263, Cetin-Grad 123
266, 270, 277 f., 279, 281, 289 ff., Chemnitz  86, 98 f., 100
290, 294 f., 301 f., 302, 305 f., Coventry 113
311 f., 315, 326, 329, 331 f., 336 f., Craiova  177 f.
339, 344, 347, 350 f., 353, Crnogrob 188
357–360, 365, 373, 375, 377 f., 384 Ćuprija 186
Berlin  107 f., 108, 111, 118, 158 f., 161,
179, 190, 218, 225, 273, 288, 295, Dallas 309
303, 338, 358 Dedinje  265, 376, 385
Bihać  118, 147 f., 150 Dnjeprostroj 79
Bizeljska Gora  16 Donau  142, 171, 225
Bjelovar 46 Donbas  79, 192
 Ortsregister 433

Dortmund 338 Konjic  152, 385


Drvar  169, 173 Korčula 328
Dubrava 110 Kordun  127, 148
Dubrovnik 328 Korfu 37
Durmitor-Gebirge  138, 154, 159 Kozjansko 16
Kragujevac  124, 354
Foča  118, 137, 142 Krajina  118, 127
Frankfurt am Main  339, 350 Kraljevica 48
Kraljevo  123 f., 126
Gakowo 192 Kranj 315
Gašinac 192 Krašić 213
Genf  358 f. Krim 97
Gibraltar 298 Križevci 47
Glina 123 Krk 243
Goli Otok  243, 244, 245 ff. Krupanj  116, 123, 127
Görz 182 Kruschiwl 192
Gospić 119 Kumrovec  15 f., 17, 19, 24, 29, 36, 72,
Grabovac 123 92
Gwalior 285 Kungur 31
Kunzewo 217
Harare 303
Havanna  307, 355 Launingen an der Donau  113
Helsinki  358, 360 Leipzig  77, 224
Huda Jama  188 Leningrad  83, 85
Lepoglava  61 ff., 64 f., 64, 89, 213
Ilok 265 Libreville 303
Istanbul  58, 91 Lika  70, 127, 143, 148, 263
Lipovo 153
Jablanica  152 f., 370 Ljubljana  12, 25, 74, 374, 382
Jadovno 119 London  12, 46, 128, 136, 166, 171 f.,
Jajce  149, 165 f., 168, 252 176, 178, 184, 206, 210, 242, 257,
Jalta  187, 193 f., 357 261, 285, 350
Jasenovac  119, 140, 378 Lusaka  303, 306 f.

Kairo  113, 126, 364 Magnitogorsk 79


Kamnik 28 Mannheim 28
Karađorđevo  315, 331, 333 ff. Maribor  42, 65, 67, 109
Karlovac 42 Marseille 90
Kazan 31 Milinklada 156, 157
Kočevski Rog  188 Monfalcone 183
Kolašin 142 Moskau  12, 57 f., 66, 75 f., 78 f., 81, 83,
434 Anhang 

85–88, 92 ff., 96, 98 f., 101 f., Rab 243


104, 106, 108, 120, 136 f., 151, Ravna Gora  125
158, 168, 172, 174, 177 f., 180, Rijeka  26, 298
198, 218 f., 221–231, 233 ff., 238, Rom  107 f., 256
244, 247, 260, 289, 291 f., 294 f., Romanija 158
301 ff., 310 f., 359, 362 f., 376, Rotterdam 113
378 Rudo 133
München  63, 338, 340 Rudolfsgnad 192

Narwa 36 Šabac  115, 123, 124, 126, 184


Neapel  175, 177 Sajmište 142
Neretva  150, 152 ff., 372 São Paulo  382
Neu-Delhi 382 Sarajevo  71, 118, 137, 195, 215, 270,
Niš  114 274, 385
Novi Beograd  241, 385 Sawe  142, 241
Nowinsk 98 Schreiberhau (Szklarska Poręba)  220
Nürnberg 207 Simferopol  97 f.
Sisak  25 f., 114, 254
Ogulin 60 Škofja Loka  188
Ohrid 268 Skopje 161
Omsk  32 ff. Slana 119
Orašac 270 Solin 248
Osijek  26, 42 Split  91, 249, 295, 320, 375
Sremska Mitrovica  67, 101, 106
Pag 119 Stalingrad  149 f.
Pančevo 114 Stolice  116, 127
Pantovčak  54, 57 Struganik 127
Paris  40, 45, 58, 63, 88 f., 91, 93, 96 f., Šumadija 270
101 f., 209, 221, 242, 288, 350 Sutjetska-Tal  155 f., 158 f., 159, 164,
Petrograd (Petersburg) 31 ff., 31, 36 369, 372
Pilsen 28 Sutla  16, 20
Piva-Schlucht  154, 158 f. Sveta Gora  16
Pliva 166 Swijaschsk 31
Podgorica (Titograd)  270, 276, 381
Podsreda  19, 69 Tara-Schlucht  154, 156, 164
Požarevac 140, 241 Teharje 188
Prag  45, 58, 88, 237, 310 Teheran  167 f.
Prijedor 118 Tezno 188
Priština 378 Tisovec 16
Prizren 322 Titograd siehe Podgorica
Pula 372 Titov Veles  276
 Ortsregister 435

Titova Korenica  276 Višegrad 118


Titovo Užice  276 Vlahović 123
Tjentište 371 Vrapče  189
Triest  25, 174, 182 f., 221 f., 233 f., Vytka (Kirov)  32
256 f.
Tripolis 303 Warschau 113
Tuzla  199 Washington  12, 220, 233 f., 267, 301,
303, 312, 359, 362, 376
Uljenburg (Oulu)  32 Wien  28, 45, 53, 58, 71, 75, 91, 171
Ungeni 291
Urije 144 Zagorje  15, 23, 25, 70, 374
Užice  123, 126, 128, 131, 147, 151, Zagreb  15, 26 ff., 30, 36, 44 ff., 47,
276, 381 48 f., 51 f., 54–58, 60 f., 65, 71 f.,
75, 108, 110, 113 f., 118 f., 123,
Valjevo  117, 126 140, 160 f., 185, 189, 202, 207 ff.,
Vanga  265, 313, 314 211, 213, 238, 241, 250, 315, 323,
Varaždin 42 331–334, 381
Veliko Trojstvo  46 Zelengora-Gebirge 155
Viktring 187 Zelenjak-Schlucht 16
Vis  171, 173 ff., 174, 177 Zlatibor 131
Personenregister

Kursive Seitenzahlen verweisen auf Bildunterschriften.

Acheson, Dean  233 Bevan, Aneurin  261


Adamic, Louis  237 f. Bilandžić, Dušan  40
Adorno, Theodor W.  328 Birkenhead, Lord Frederick Smith,
Adžija, Božidar  123 2. Earl of  199
Albrecht, Bruno  100 Bismarck, Otto von  68
Alexander, König von Jugoslawien siehe Bjelow, Georgi siehe Damjanow, Georgi
Karađorđević, Alexander Bobinac, Vladimir  244 f.
Alichanow, Gework  86, 99, 103 Boethling, Wilhelm  100
Ana, Tante, siehe Javeršek, Ana Bohaček, Maksimilijan  62 f.
Amin, Idi  287 Bohlen, Charles E.  283
Andrić, Ivo  41, 253, 365 Böhme, Franz  115, 124
Assad, Hafiz al-  364 Bokassa, Jean-Bédel  287
Auer, Ljudevid  67 Bonner, Jelena  86, 103
Augustinčić, Antun  164 f. Boock, Peter  339
Boško und Prlja, Leibwächter  175
Babović, Cana  105 Brando, Marlon  272
Bailey, Bill  153 Brandt, Willy  12, 278, 307, 313, 315,
Baker, Josephine  313 339, 351, 352, 353–358, 358, 363,
Bandaranaike, Sirimavo  357 365, 376
Barker, Lex  272 Breitner, Paul  350
Barthou, Louis  90 Brentano, Heinrich von  294
Bauer, Lucie (eigentlich Johanne Elsa Breschnew, Leonid  310–314, 357–360,
König, genannt Hanni, alias Paula 363
Kirsch)  86 ff., 87, 96–101, 103 f., Brice, Pierre  272
217, 291 Broz, Alexander, genannt Mišo  119,
Baum, Gerhard  340 141, 197, 265, 265
Belinić, Marko  185 –, Franjo  15 ff., 19, 21 f., 25
Berija, Lawrenti  217 f., 289 –, Joška  265, 265
Bernardić, Ivan  64 –, Jovanka, geb. Budisavljević  263–
 Personenregister 437

268, 265, 267, 268, 297, 313, 349, Ćosić, Dobrica  231, 247, 253, 267,
356, 367 ff., 377 295 ff., 300, 327, 336, 344, 362, 375
–, Marija, geb. Javeršek, genannt Crnjanski, Miloš  41
Micika  15, 18, 19–22, 27, 33 Crvenkovski, Krste  345
–, Pelagia Denisowa, geb. Belousowa, Cvijić, Đuro  56 f., 101
genannt Polka  33 f., 36, 47 ff., 49,
60, 66, 85, 103 f. Dabčević-Kučar, Savka  331, 333 f.
–, Tamara  266 Đaković, Đuro  58, 71
–, Žarko  48 f., 49, 66, 85 f., 88, 96, 174, Damjanow, Georgi (Bjelow)  99, 101 f.
265 Danckelmann, Heinrich  207
–, Zlatica  265, 265 Dangić, Jezdimir  161
Brynner, Yul  369 Dapčević, Peko  135, 155, 179, 258
Brzezinski, Zbigniew  307 Deakin, William  154–157
Buback, Siegfried  339 Dedijer, Vladimir  12, 132, 147, 155 f.,
Buber-Neumann, Margarete  78, 98, 103 158, 168, 203, 228, 242, 259–262,
Budak, Mile  118, 207 324, 337
Budisavljević, Nada  264 ff., 265 Dedijer-Popović, Olga  158
–, Zora  265, 266 Delić, Stipe  370
Bulajić, Veljko  370 Đilas, Milovan  68, 71, 74 f., 79, 96,
Burton, Richard  232, 313, 316, 105, 109, 113, 119 ff., 132, 144,
369–372, 371 154 f., 158 f., 184, 203, 216, 221,
224 ff., 248, 251, 256–262, 279
Camus, Albert  328 –, Mitra  260
Cannon, Cavendish  233 Dimitrow, Georgi  77 f., 80, 84, 88, 93,
Carlson, John Alexander  92 102, 105, 201, 223 f.
Carstens, Karl  376 Dizdarević, Raif  364
Carter, Jimmy  307, 360 Dohnanyi, Klaus von  340
Castro, Fidel  288, 307 Dönhoff, Marion Gräfin  301
Ceauşescu, Nicolae  314, 368 Drašković, Milorad  45
Chaplin, Charlie  365 Dschaksenbajew, Isaij  34
Chruschtschow, Nikita S.  226, Dulles, John Foster  257, 313
288–293, 290, 303, 311, 313 f. Đurić, Mihailo  335
Churchill, Clementine  181
–, Randolph  166, 169, 173 Eden, Anthony  178, 180, 183, 263,
–, Winston  112, 147 f., 154, 163, 284, 285
165 ff., 171–178, 180–183, 195, Edward VII., König von England  349
199, 284, 285, 285 Eisenhower, Dwight D.  284, 288, 313
Clissold, Stephen  257 Eisenstein, Sergei  371
Čolaković, Rodoljub  66, 72 f., 75 Elizabeth II., König von England  284
Cooper, Gary  27 Engels, Friedrich  26 f., 68, 75, 77 f.,
Ćopić, Vladimir  75, 103 86, 233, 237, 248, 269
438 Anhang 

Epting, Rudolf  146 Haile Selassie  287, 299, 300, 312


Ermler, Friedrich Markowitsch  371 Halifax, Edward Wood, 1. Earl of 
176
Fejić, Ibrahim  215 Halperin, Ernst  249, 259, 289, 291
Feldbaum, Ernst  113 f. Halpern, Joel  269
Feuchtwanger, Lion  79 Harriman, Averell  360
Fidlerica, Gastwirtin  65 Hebrang, Andrija  57, 203, 229, 239
Filipović, Filip  44, 101 Heinemann, Gustav  365
Filippow, Iwan Maximowitsch  83 Helm, Hans  161 f., 207
Franco, Francisco  91, 211 Hendrix, Jimi  272
Franz Joseph I., Kaiser  30 Henniker-Major, John  176
Franziskus, Papst  213 Hepburn, Audrey  272
Friederike, Königin von Griechen- Herljević, Franjo  341
land 315 Hillenkoetter, Roscoe H.  235
Fromm, Erich  328 Himmler, Heinrich  165
Funk, Peter  100 Hirohito, Tenno  287
Hitler, Adolf  11, 73, 78, 90, 95, 106 f.,
G., Peter, Leutnant  117 108, 109–113, 120, 135, 141, 149,
Gandhi, Indira  365 153, 160, 163, 166, 190, 193, 218,
Gaulle, Charles de  181, 284 238, 243, 350, 381
Genscher, Hans-Dietrich  376 Hodscha, Enver  223
Glaser, Berta  97 Hofmann, Sieglinde  339
Gligorov, Kiro  366 Honecker, Erich  314, 376
Goldmann, Nahum  364 f. Horkheimer, Max  328
Gogol, Nikolai Wassiljewitsch  166 Horvatin, Kamilo  81
Gorbatschow, Michail  378 Hurley, Joseph Patrick  210, 211
Göring, Hermann  77
Gorkić, Milan  71, 75 f., 81, 88 f., 92 ff., Ibárruri, Dolores, genannt La
101, 104 ff. Pasionaria 77
Gottwald, Klement  77, 84, 231 Ivanji, Ivan  95
Grass, Günter  255, 278 Izetbegović, Alija  215, 378 f.
Gregorić, Pavle  65
Grigulewitsch, Josif  232 Jaenicke, Joachim  356
Grković, Dušan  57 Javeršek, Ana, verh. Kolar, 28, 36, 69,
Grličkov, Alexander  366 270
Grol, Milan  194 f., 204 –, Martin  16, 19
Gropper, Roberta  98 Jeschow, Nikolai  89, 97, 105
Grotewohl, Otto  293 Johnson, Lyndon B.  363
Gržetić, Ivan  93 f., Jovanović, Arso  121, 135, 239
Jürgens, Curd  370
Haas, Herta  109 f., 119, 140, 197
 Personenregister 439

Kádár, János  314 Krleža, Miroslav  42, 46, 60, 79, 89 f.,
Kapičić, Jovo  245 92, 252 f.
Karađorđević, Alexander, König von Kropotkin, Peter  328
Jugoslawien  11, 37, 39, 45, 69, 90, Krstić, Slobodan  243
107, 112, 280 f., 284 Kučan, Milan  379
–, Paul, Prinzregent von Jugosla- Kuhlmann, Else  100
wien  90, 107 f., 108, 111 f., 197 –, Wilhelm  100
–, Peter II., König von Jugoslawien  90, Kušić, Miloljub  368
112 f., 126, 128, 168, 172 f., 175 f., Kusturica, Emir  386
178, 195 Kuusinen, Otto  80
Karaivanov-Spinner, Ivan  105
Karajan, Eliette von  368 Lawrentjew, Anatol  216, 230
Karas, Nikola  25 f. Léhar, Franz  26
Kardelj, Edvard  72 f., 75, 96, 103, 105, Lenin, Wladimir Iljitsch  32 f., 35 f., 41,
121, 132, 145, 170, 191, 203, 50, 60, 67 f., 75, 77 f., 83, 86, 201,
223 ff., 227, 251, 253 f., 258, 260, 233, 237, 240, 248
263, 287, 324, 324, 344, 366, 368 Leonhard, Wolfgang  232
Keita, Modibo  303 Lindsay, Franklin  197 f.
Keitel, Wilhelm  123 Lisak, Erih  208 f.
Kennan, George  F.  219, 233 f., 293, Ljotić, Dimitrije  116, 124, 187, 338
301, 308, 310, 361, 364, 377 Löhr, Alexander  150, 187, 207
Kennedy, Jackie  266, 267 Lollobrigida, Gina  313
–, John  F.  267, 301, 303, 309 Lončar, Budimir  363
Keršovani, Otokar  123 Loren, Sophia  313, 314
Kidrič, Boris  74, 248 Lumumba, Patrice  296
Kiesewetter, Paul  100 Lüters, Rudolf  160
Kiesinger, Kurt Georg  351
Kirow, Sergej  83 Maclean, Fitzroy  133, 166 f., 175,
Kissinger, Henry  309 178 ff.
Klaić, Vjekoslav  16 Macmillan, Harold  184
Knaus, August  28 Maiski, Ivan  33
Kock, Max  100 Makavejev, Dušan  331
Koltschak, Alexander  33 f. Manuilski, Dmitri  80
Končar, Rade  75, 121, 144 Mao Tse Tung  122, 368
Konstantinović, Leka  373 Marcuse, Herbert  328
Kopinič, Josip  102 f., 105 Margaret, Prinzessin von England  315
Korać, Vitomir  42 Marković, Dragan  230
Kostić, Ilija  246 –, Sima  55, 57, 101
Kostow, Trajtscho  232 Marshall, George C.  220
Kovačević, Sava  159 Marx, Karl  26 f., 67 f., 75, 77 f., 86,
Kramer, Kurt  100 233, 237, 248, 269
440 Anhang 

May, Karl  272 Novosel, Vanda  95


Mayenburg, Ruth von  78, 84 Nyerere, Julius  305
McCarthy, Joseph  236
Mekas, Spiridon  92 Ono, Yoko  368
Mićunović, Veljko  242, 291, 294, 296
–, Dragoljub-Draža  125–131, 1316, Pahlavi, Reza  287
142, 145, 153, 161, 163, 168, 172, Paul VI., Papst  273, 364
179, 207, 381 Paulus, Otto  28
–, Dragoslav  331 Paunović, Davorjanka, genannt
Miletić, Petko  101 f., 106 Zdenka  140 f., 174, 197
Milošević, Slobodan  379 Pavelić, Ante  113, 162, 187, 207 ff., 338
Mitić, Gojko  272 Pelz, Richard  100
Mohnhaupt, Brigitte  339 Perković, Josip  340
Mojin, Ljubomir  42 Perović, Latinka  322, 334 f., 337
Molotow, Wjetscheslaw  178, 180, Peter II., König von Jugoslawien siehe
216–219, 224 ff. Karađorđević, Peter II.
Monroe, Marilyn  272 Philip, Duke of Edinburgh  284
Moran, Charles McMoran Wilson, Picasso, Pablo  369
1. Baron  175 f. Pieck, Wilhelm  77, 80, 84 f., 94, 102,
Müller, Gerd  350 294
Muftić, Ismet  207 Pijade, Moša  63 ff., 64, 75, 136, 151,
Musil, Robert  164 251
Mussolini, Benito  73, 78, 90, 95, 106 f., Pius XII., Papst  209, 213
110, 113, 163 Pjatnizki, Ossip  80
Mustač, Zdravko  340 Ponti, Carlo  313, 373
Ponto, Jürgen  339
Nagy, Imre  292 Popović, Koča  96, 120, 135, 138, 141,
Nasser, Gamal Abdel  286, 288 f., 292, 155, 158, 169, 217, 229, 285, 285,
301, 312, 364 308
Nazor, Vladimir  202 Prica, Ognjen  123
Nedić, Milan  116, 179, 187, 207 Pudowkin, Wsewolod  371
Nehru, Jawaharlal  285–289, 301, 303,
312 Quinn, Anthony  272
Neitzke, Ronald  361
Nero, Franco  370 Radić, Stjepan  59, 69
Neubacher, Hermann  136, 160 Rajk, László  232
Nikezić, Marko  335, 337, 348 Ranfurly, Hermione, Countess of  176
Nikolaus II., Zar  32 Ranković, Aleksandar  74, 96, 105, 122,
Nikoliš, Gojko  158 132, 140, 146, 157, 185 f., 189,
Nixon, Richard  308, 310 f., 357, 363 225 f., 245, 247, 251, 258, 285,
Nkrumah, Kwame  286, 299, 303 323–326, 324, 330, 330
 Personenregister 441

Reingold, Elsa Karlowna  98 Sharif, Omar  272


–, Max Pawlowitsch  98 ff. Slánský, Rudolf  232
Reise, Friedrich  100 Spasić, Božidar  341
Rendulic, Lothar  136, 140 Sperber, Manès  93
Retzlaff, Charlotte  100 Staimer, Eleonore  85, 294
Reuger, Albert  100 Stalin, Josef  9, 11 f., 58, 77 ff., 95, 97,
Reute, Heinz  142 102, 105 f., 108 f., 133, 135 f.,
Ribar, Ivan  74, 119, 149, 157, 238 147 f., 149, 164, 168, 172, 180–183,
–, Ivo Lola  74, 96, 105, 132, 142 192, 198, 201, 216–235, 238 f.,
–, Slobodanka  142 242 f., 245 f., 248, 252 f., 256, 262,
Ribnikar, Vladislav  120 275, 283, 289, 291, 316, 323, 325,
Richter-Kohl, Maike  368 345, 382
Richtmann, Zvonimir  123 Stambolić, Petar  327
Rogers, William P.  308, 364 Štambuk, Zdenko  296
Rommelfanger, Leutnant  116 f. Stefan, Tereza  20 f.
Roosevelt, Franklin D.  147, 176 ff. Stepinac, Aloizije  208–213, 211, 381
Runge, Paul  10 Stilinović, Marijan  141
Rusinow, Dennison  323, 329, 346 Stojadinović, Milan  90, 107
Stojanović, Lazar  331
Sacharow, Andrej  86 Strauss, Ted  371
Sadat, Anwar as-  364 Street, Vivian  169, 171
Sakun, Wladimir  57 Stuart, Bill F.  138, 154, 157
Salazar, António de Oliveira  211 Šubašić, Ivan  108, 172 f., 175, 180, 182,
Šalić, Ivan  208 194
Šantić, Božidar  210 Sukarno  283, 286, 303
Sartre, Jean-Paul  328 Šumonja, Miloš  229
Šašić, Jefto  186 Šutej, Juraj  194
Sauerbruch, Peter  140
Schdanow, Andrej  217, 220, 224, 228 Taylor, Elizabeth  272, 313, 316
Schleyer, Hanns-Martin  339 Tepavac, Mirko  310 f.
Schmidt, Helmut  68, 349 f., 355, 359, Theodorakis, Mikis  372
362, 364, 376 Thorez, Maurice  77
–, Karl  25 f. Todorović, Bata  341
–, Loki  349 Togliatti, Palmiro  77, 84
Schulz, Peter  349 Tomanek, Ivan  92
Schumpeter, Joseph  328 Trešnjić, Milan  187
Schwerer, Gisela  192 Treuber, Charlotte  84
Seebacher-Brandt, Brigitte  368 Tripalo, Mika  240, 323, 345
Selborne, Roundell Cecil Palmer, Trotzki, Leo  226, 328
3. Earl of  172 Truman, Harry S.  220, 233, 235 f., 283
Šešelj, Vojislav  378 Tuđman, Franjo  335, 378 f., 381
442 Anhang 

Turner, Harald  124 f., 207 Wagner, Rolf-Clemens  339


Walther, Oberleutnant  124
U Nu  286, 303 Wayne, John  272
Ulbricht, Walter  84, 295, 313 Wehner, Herbert  84, 89, 103
Weichs, Maximilian von  114
Van der Veen, Genosse  97 f. Welles, Orson  272, 313, 370
Velebit, Vladimir  95, 119, 135, 141, 175, Welser, Johann  100
226 f. Wilson, Henry Maitland Wilson,
Victoria, Königin von England  126, 1. Baron  175
175 Winter, Vera  246
Vimpulšek, Žarko  210
Vimpušek, Stjepan  23 Xoxe, Koçi  232
Vlahov, Gustav  225
Vllasi, Azem  378 Žanić, Milovan  118
Vojić, Ružica  184 Zečević, Vlado  126
Vrhunec, Marko  343 f. Žeželj, Milan  298
Vujović, Đuro  141, 157 Zhou Enlai  303
Vukmanović-Tempo, Svetozar  120, 149 Žilnik, Želimir  273, 331, 384
Živojinović, Bata  370
Wabra, Ernst  86, 291 Žujović, Sreten  225, 227, 229,
–, Thea  86 239
Zum Buch
Josip Broz Tito war der ewige Partisan – ein typisches Geschöpf des Zeit-
alters der Extreme, welches er persönlich erlebt, erlitten und gestaltet hat.
Bei seinem Tod galt er als ein international anerkannter Staatsmann. Heute
halten ihn viele für einen brutalen Diktator. Doch was war er wirklich?
Marie-Janine Calic lässt die historische Person hinter den Legenden sichtbar
werden und erzählt die Geschichte eines abenteuerlichen Lebens, in dem sich
Aufstieg und Fall Jugoslawiens spiegeln.
Tito war ein Politiker eigenen Kalibers. Er war Visionär und Pragmatiker,
Stratege und Macher, einer, der durch außergewöhnliche Talente und unter
ganz besonderen historischen Umständen eine beispiellose Karriere machte.
Im Zweiten Weltkrieg befreite er Jugoslawien mit seinen Partisanen aus
eigener Kraft von der deutschen Besatzung.
Es war die Rolle, in der er ganz bei sich war und die seine langjährige Herr-
schaft legitimierte. Ohne den ewigen Partisanen hätte es Jugoslawien nach
dem Zweiten Weltkrieg wahrscheinlich nicht mehr gegeben. 35 Jahre lang
blieb er der unverzichtbare Moderator eines mehr oder weniger gedeihlichen
Zusammenlebens.
Doch Titos Jugoslawien überlebte seinen Schöpfer kaum eine Dekade, und es
folgte ein Gewaltausbruch, wie ihn Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht
mehr erlebt hatte. Über Titos Lebenswerk liegt somit der Schatten bitteren
Scheiterns.

Über die Autorin


Marie-Janine Calic ist Professorin für Geschichte Ost- und Südosteuropas an
der Ludwig-Maximilians-Universität München. Bei C.H.Beck sind von ihr
erschienen: Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert (22014), Geschichte
Südosteuropas (22019), Geschichte Jugoslawiens (22020).

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