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Walter Reinhardt – Vorlage für seine Pötze

Aus Engelwesen werden Pötze

Die Basis für die Pötze – also das Grundgerüst, auf dem jede Figur basiert – fand der Outsider-
Künstller Walter Reinhardt in den magischen Zeichen des Okkultisten Franz Bardon. Das hier zu einer
Lehre der Magie weiterentwickelte metaphysische Gedankengut einer feinstofflichen Verbindung des
Irdischen mit himmlischen Sphären hat Reinhardt offenbar fasziniert – denn bei Bardon nehmen
diese Verbindungen Gestalt an in Form von symbolischen Zeichen, die für die Engel in ihren
verschiedenen Sphären stehen. Auch in Reinhardts Tagebüchern tauchen immer wieder die
Gedanken einer schwer zu konkretisierenden Transformation von Energie auf, der Beziehung
zwischen dem Materiellen und dem Geistigen. Angeregt durch das Studium des „ Senfkorngartens“,
einem im 17. Jahrhundert verfassten, im Laufe der Jahrhunderte immer weiter entwickeltes Muster-
und Lehrbuch der chinesischen Tuschemalerei, hat er bereits in den ausgehenden 60er-Jahren eine
Art symbolhafte Zeichensprache entwickelt und übte sich im freien Zeichnen von Zeichen, die Träger
seiner Ideen werden sollten. Systematisches, morphologisches Zeichnen, auch in Kreisen, Dreiecken
und Wellen nach dem Vorbild von Dürers Buch der Messungen nimmt er sich bereits 1968 vor, wie
aus einem Eintrag in seinem Tagebuch hervorgeht. Rückblickend hat er also die grafischen und
geistigen Grundlage lange schon angelegt, bevor sie in den Pötzen Gestalt annahmen. In der
Übernahme der bardonschen Zeichen traf also vieles zusammen: Die ästhetische Form der klaren
grafischen Gestaltung, die Vermittlung von Emotionen und die symbolhafte Verbindung zu einer
höheren, von menschlicher Vernunft abgelösten Bedeutung. Reinhardt hatte eine Form gefunden,
um all seine Gedanken vielfältig, fundiert und dennoch mit viel Raum für Kreativität und pointiert
zum Ausdruck zu bringen. Ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen der den Engeln sowie den Pötzen
zugeschriebenen Bedeutungen lässt sich nach unserem Eindruck jedoch nicht herstellen.

Wer war Franz Bardon?

In seiner „Praxis der magischen Evokation“ hat der Okkultist Franz Bardon (*1. Dezember 1909, in
Troppau, Österreich-Ungarn, gest. 10. Juli 1958 in Brünn, Tschechoslowakei) eine umfassende
metaphysische Lehre entwickelt, die auf der Suche nach dem Urgrund aller Schöpfung beruht. Seiner
Auffassung nach entwickeln sich Kräfte und Prozesse im Zusammenspiel von Kontraktion,
symbolisiert durch das Wasser, und der Expansion, symbolisiert durch das Feuer. Der Mystiker, der
unter einem Akronym auftrat und von den Nationalsozialisten verfolgt und in Konzentrationslager
verschleppt wurde, schuf mit diesem System die Grundlage für seine Lehre der Magie. Die Mittler
zwischen Himmel und Erde, die der Magier für die Inanspruchnahme seiner Kräfte anzurufen hatte,
werden hier durch zahlreiche Engel als spirituelle Existenzen der vier Hauptelemente repräsentiert,
deren Namen und zugeordneten Zeichen Bardon in seiner Publikation aufzeichnet und mit Nummern
versehen hat. Wie der Bardon-Forscher Emil Stejnar herausgefunden hat, verbergen sich hinter den
Namen dieser Engel, deren Ursprung oder Herkunft Bardon in seien Publikationen nicht weiter
erläutert, kodierte Namen von Fixsternen aus unserem Sonnensystem. Nach Steynar sollten die
verklausulierten Namen dazu dienen, die besten Zeiten für deren Evokation zu berechnen. Somit
liegen also den Engeln Sternbilder zugrunde. Bardons Theorien wurden posthum von esoterisch-
rechtsextremistischen Agitatoren für antisemitisch-freimaurerische Verschwörungstheorien
vereinnahmt.

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