KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7
79
K
Zippert zappt
rankenhäuser lagern im-
mer mehr Aufgaben an
Servicegesellschaften aus.
Durch Outsourcing sollen Kos-
ten in allen Bereichen gespart
werden. Angestellte von Sub-
unternehmen reinigen Zimmer,
versorgen die Patienten mit
mahlzeitähnlichen Substanzen
und führen einfache Operatio-
nen durch. Die Hälfte der Ärztin-
nen und Ärzte werden über
Agenturen gebucht. Die meisten
der 450-Euro-Kräfte haben kein
Medizinstudium, aber eine
Schauspielschule absolviert und
wissen, wie man sich das Ste-
thoskop lässig um den Hals
schlingt. Sie müssen nur ge-
schäftig über die Gänge laufen
und Kommandos in ihr Handy
bellen: „Sofort operieren. Ist die
Vier frei?“ Es gibt fast keinen
Bereich, den man nicht auslagern
könnte. Aber noch stören die
Patienten. Das Ziel ist ein patien-
tenfreies Krankenhaus, in dem
nur noch weiß bekittelte Schau-
spieler Betrieb vortäuschen,
während in den leeren Zimmern
teure Maschinen piepen und
Beatmungsgeräte schnaufen. Die
outgesourcten Patienten werden
in Billiglohnländern behandelt,
von Ärzten, die im Nebenberuf
als Spargelstecher in Deutsch-
land arbeiten.
#Free
them
all
GETTY IMAGES
D
Jorge Molontzín Centlal
as Komitee zum Schutz
von Journalisten (CPJ)
hat die Behörden in
Mexiko dazu aufgefordert, das
Verschwinden des Journalisten
Jorge Molontzín Centlal auf-
zuklären. Molontzín, seines
Zeichens Redakteur des Maga-
zins „Confidencial“, war laut
einer Stellungnahme seines
Arbeitgebers am 10. März in
der Nähe der Gemeinde Santa
Ana im Nordwesten des Landes
unterwegs. Informationen
eines Kollegen zufolge hatte
sich Molontzín noch am selben
Tag per Telefon gemeldet und
angeblich einen Freund, den
Gärtner Eudocio Cruz, ge-
troffen. Auch von Cruz fehlt
seitdem jede Spur. Familien-
mitglieder des Journalisten
berichteten mittlerweile, eben-
falls zuletzt am Nachmittag
des 10. März mit Molontzín in
Telefonkontakt gestanden zu
haben. Seitdem sei dieser al-
lerdings nicht mehr zu errei-
chen.
Ob Molontzín und sein Be-
gleiter womöglich entführt
oder umgebracht wurden, ist
bislang unklar. Angesichts der
zahlreichen gewalttätigen An-
griffe und Ermordungen von
Journalistinnen und Journalis-
ten, die in Mexiko in den ver-
gangenen Jahren registriert
wurden, sind ausländische
Beobachter jedoch alarmiert.
Auf der Rangliste der Presse-
freiheit von Reporter ohne
Grenzen steht Mexiko auf
Platz 143 von 180.
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DIENSTAG, 6. APRIL 2021 * D 2,80 E URO B Nr.
KOMMENTAR
Maskenloser
Leichtsinn
D
TORSTEN KRAUEL
ie Stuttgarter „Querdenken“-
Demonstration am Oster-
samstag war ein Beleg dafür,
warum doch eine bundesweite Durch-
setzung einheitlicher Corona-Maß-
nahmen nötig werden kann. Auf eine
lässige Bitte der Versammlungslei-
tung hin, Abstand einzuhalten und
Maske zu tragen, rührte sich weder
eine Hand noch ein Fuß. 15.000 Men-
schen ohne Maske und Abstand, die
Indiens Krise –
„Keine Diktatur!“ skandierten – aber
Grund zum Einschreiten sahen weder
die Stadtverwaltung noch die Polizei.
eine Katastrophe
Die Demonstranten seien ja überwie-
gend friedlich.
Es gab einzelne Übergriffe, aber
für die Welt
das entscheidende Kriterium bei sol-
chen Kundgebungen ist in Corona-
AFP/ SUJIT JAISWAL
Zeiten nicht die Friedfertigkeit. Wes-
halb dürfen 15.000 Menschen folgen-
los die Vorsichtsmaßnahmen gezielt
ignorieren, wenn andere schon beim
geringsten Verstoß mit Bußgeld be-
Dicht an dicht spazieren Menschen am Strand von Mumbai. Die meisten tragen einem Tag gemeldet worden. Dem Rest der Welt kann das nicht egal sein – auch legt werden? Weil das Versammlungs-
Maske, manche sind jedoch ohne Corona-Schutz unterwegs. Dabei steigen die aus Eigennutz. Denn wegen der steigenden Zahlen verhängt Indien, der größte recht ein wichtiges Grundrecht sei,
Neuinfektionen in Indien, am Montag sind erstmals mehr als 100.000 neue Fälle an Impfstoffproduzent weltweit, einen Exportstopp für Vakzine. Seite 7 wie der zuständige Stuttgarter Bür-
germeister sagte? Weil eine Auflösung
die Ansteckungsgefahr gesteigert hät-
te, so die Polizei?
Kritik nach Spahns Vorstoß für
Das Versammlungsrecht ist zwei-
fellos ein Grundrecht. Aber 15.000
Menschen, eng gedrängt und ohne
Maske – das ist in einer Pandemie-La-
ge keineswegs gedeckt. Nicht die
mehr Freiheiten nach Impfung
Friedfertigkeit der meisten Demon-
stranten, sondern ihr enges Zusam-
menstehen ohne Maske ist die Gefahr
O
für die öffentliche Ordnung, die sehr
wohl eine Auflösung gerechtfertigt
„Scheindebatte“, „im Moment gilt es, erst mal die dritte Welle zu brechen“: Opposition sieht in Plänen
hätte. Diese Demo war ein Bruch in-
fektionsbedingter Verordnungen, sie
des Gesundheitsministers derzeit keine Priorität. Staatsrechtler hält Debatte dagegen für „überfällig“
war bodenloser Leichtsinn und eine
bewusste Gefährdung Dritter. Bürger-
meister haben da keinen Ermessens-
spielraum. Leider, ist ausdrücklich
hne Corona-Test zum Ein- in der aktuell höchst kritischen Situation Grund, sie in „elementaren Rechten“ ein- Monaten besonders unter der Pandemie hinzuzusetzen. Spaß bringen die co-
kaufen, zum Friseur oder andere Fragen Priorität haben müssten. zuschränken. „Wir sollten dabei auch gelitten haben“, so Frei. rona-bedingten Einschränkungen nie-
sogar für eine Urlaubsrei- „Natürlich müssen wir darüber nachden- nicht missgünstig auf die Freiheiten Der stellvertretende FDP-Fraktions- mandem.
se ins Flugzeug? Die Pläne ken, wie wir mit einer steigenden Zahl an schauen, in deren Genuss dann in den vorsitzende im Bundestag, Stephan Tho- Die Demonstranten wähnen sich
von Jens Spahn (CDU), Geimpften wieder zum normalen Leben nächsten Wochen insbesondere ältere mae, stimmte Spahn zwar inhaltlich zu, an der Spitze eines Kampfes um die
gegen das Coronavirus Geimpften wieder zurückkehren. Aber im Moment gilt es Menschen oder Menschen mit Vorer- betonte aber zugleich die Bedeutung von Freiheit, und sie sind dabei nicht ein-
mehr Freiheitsrechte zurückzugeben, ha- erst mal, die dritte Welle zu brechen und krankungen kämen, die in den letzten Grundrechten. „Diese sind keine Privile- mal ganz allein. Aber die Corona-
ben auch Kritik am Bundesgesundheits- durch den Lockdown zu kommen.“ Auch gien oder Vorrechte, sondern individuel- Maßnahmen werden nicht angeord-
minister hervorgerufen. die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel kri- le Garantien, die das Grundgesetz jedem net, um Debatten zu unterbinden
tisierte Spahn. Statt „immer neue Ideen Einzelnen garantiert“, sagte er. „Wenn oder die Demokratie abzuschaffen.
Laschet dringt auf neuen
VON HANNELORE CROLLY für weitere Freiheitseinschränkungen“ von Geimpften keine Gefahr mehr aus- Sie durch eine Kundgebung zu kriti-
zu entwickeln, müsse die Bundesregie- geht, dann gibt es auch keinen Grund sieren, auf der alle Vorsichtsmaßnah-
„Brücken-Lockdown“
Als Ablenkungsmanöver bewertete der rung das „Impfchaos“ beseitigen und die mehr, ihre Freiheit einzuschränken.“ men bewusst ignoriert werden, ist
gesundheitspolitische Sprecher der Risikogruppen schützen. „Wir brauchen Das bestätigte auch Steffen Augsberg, weder nachgeholter Widerstand ge-
Linkspartei, Achim Kessler, den Vorstoß. keine ‚Lockerungen‘ für wenige Geimpf- Nordrhein-Westfalens Minister- Rechtsprofessor an der Universität Gie- gen das Nazi-Regime noch die Fort-
„Es spricht nichts dagegen, erfolgreich te, sondern schnellstmöglich für alle Bür- präsident Armin Laschet (CDU) ßen. „Wenn die Begründung für eine Frei- setzung der Montagsdemonstratio-
geimpfte Menschen zu behandeln wie ger ein Ende des wirtschaftlich und ge- dringt angesichts der dritten Coro- heitsbeeinträchtigung entfällt, weil etwa nen gegen die SED, sondern der
Menschen mit einem negativen Test“, sellschaftlich immer verhängnisvolleren na-Welle auf einen neuen „Brü- eine angenommene Ansteckungsgefahr Wunsch, sich bei Waldbrandgefahr
sagte er WELT. Doch solange nur ein ge- Lockdowns“, sagte Weidel. cken-Lockdown“ und das Vor- weitgehend ausgeschlossen ist, dann dür- eine Zigarette anzuzünden.
ringer Teil der Bevölkerung geimpft sei, Thorsten Frei (CDU), Vizechef der ziehen der bislang für kommen- fen nicht nur, dann müssen Grundrechts- Es gibt genug Grund für vielerlei
sei dieses Vorhaben für die meisten Men- Unionsfraktion, betonte: „Grundsätzlich den Montag geplanten nächsten beschränkungen zurückgenommen wer- Kritik an vielen Details der Corona-
schen „irrelevant“. „Ich fordere Gesund- ist nicht die Ausübung von Grundrech- Ministerpräsidentenkonferenz. den“, sagte er. Deswegen sei auch die De- Maßnahmen. Die Diskussion darüber
heitsminister Spahn auf, endlich damit ten, sondern ihre Einschränkung begrün- Die Kontakte im Privaten, aber batte über die Immunitätsnachweise im wird nicht verboten, wie könnte sie es
aufzuhören, mit Scheindebatten von sei- dungsbedürftig.“ Wenn wissenschaftlich auch am Arbeitsplatz müssten vergangenen Jahr richtig gewesen – auch auch. Und demonstrieren darf man
nem Versagen abzulenken“, so Kessler. ohne jeden Zweifel erwiesen sei, dass weiter verringert werden, mögli- wenn diese „leider weitgehend im Sande selbstverständlich auch gegen die Co-
Für die Grünen-Fraktion im Bundestag geimpfte Personen nicht mehr zum cherweise auch durch Ausgangs- verlaufen sei“. Augsberg nannte es „über- rona-Politik. Nur eben mit Abstand
mahnte die Berichterstatterin für Infek- Überträger der Krankheit werden könn- beschränkungen. Laschet sprach fällig“, dass Spahn „diesen gedanklichen und Maske.
tionsschutz, Kordula Schulz-Asche, dass ten, gebe es weder Möglichkeit noch von einer „Ausnahmesituation“. Faden“ wieder aufnehme. Seite 4 torsten.krauel@welt.de
Gewerkschaft fordert: Abitur notfalls ohne Prüfung
D
Wegen der Corona-Pandemie die wichtigen Examen streichen? Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft stößt auf deutlichen Widerstand
ie Gewerkschaft Erziehung und Wissen- fungen absehen.“ Sie betonte, die Kultusministerin- ser damals nicht gefolgt seien, sagte Meidinger. Die Jugendlichen zusätzlich zur normalen Prüfungsner-
schaft (GEW) fordert, wegen der Corona- nen und Kultusminister hätten erklärt, die Abiture Abiturprüfungen hätten 2020 trotz ähnlich hoher vosität verunsichern. „Schülerinnen und Schülern
Pandemie die Abiturprüfungen in diesem mit verschiedenen Prüfungsformaten gegenseitig Inzidenzen wie jetzt sicher und weitgehend pro- sollen in diesem von der Pandemie geprägten Schul-
Jahr notfalls ausfallen zu lassen. Als Grundlage der anzuerkennen. Dies müsse eingehalten werden, blemlos stattgefunden. Viele Bundesländer hätten jahr keine Nachteile für ihre weitere Bildungsbio-
Notengebung könnten dann die mündlichen Leis- sollten Prüfungen pandemiebedingt ausfallen. Der zudem auf die steigenden Inzidenzen reagiert und grafie entstehen“, sagte sie den Zeitungen der Fun-
tungen dienen, sagte GEW-Chefin Marlis Tepe dem Chef des Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, die Abiturprüfungen auf Termine im Mai und Juni ke-Mediengruppe. Der hessische Kultusminister
Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Deutsche wies darauf hin, dass bereits in einem Bundesland verschoben. Auch der Deutsche Philologenverband Alexander Lorz (CDU) erklärte, die Kultusminister-
Lehrerverband und der Deutsche Philologenver- die Abi-Prüfungen komplett abgeschlossen seien sprach sich für reguläre Abiturprüfungen aus. Die konferenz gehe davon aus, dass die Abiturprüfun-
band lehnten den Vorstoß hingegen ab. Die Präsi- und in anderen Ländern schon liefen. Die Vergleich- Bundesvorsitzende Susanne Lin-Klitzing sagte den gen in diesem Jahr überall stattfinden. Eine Absage
dentin der Kultusministerkonferenz, Britta Ernst barkeit zwischen den Ländern würde durch einen Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Die Schüler von Prüfungen wäre zum Nachteil der Schüler, sag-
(SPD), versicherte, es werde „mit Hochdruck“ an si- Ausfall massiv erschwert, sagte Meidinger der sollten die Chance auf ihre Abiturprüfungen be- te er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Da-
cheren Bedingungen für die Prüfungen gearbeitet. „Rheinischen Post“. Er warnte vor einem „dauerhaf- kommen, denn die Abschlussklassen haben im ge- durch würde den jungen Menschen ein „Malus“ fürs
Tepe erklärte: „Sollte das Infektionsgeschehen so ten Negativstempel als Corona-Jahrgang“. samten Pandemiejahr den meisten Unterricht von Leben mitgegeben. „Das wären für immer diejeni-
dramatisch ansteigen, wie die dritte Welle in ande- Bereits im letzten Jahr habe die GEW diese For- allen gehabt.“ gen, die das Corona-Notabitur gemacht hätten.
ren europäischen Nachbarstaaten befürchten lässt, derung erhoben, und es sei im Nachhinein gesehen Die brandenburgische Bildungsministerin und Nach dem Motto: Die haben ja keine richtige Prü-
müssen die Länder flexibel reagieren und von Prü- absolut richtig gewesen, dass die Bundesländer die- KMK-Präsidentin Ernst erklärte, niemand sollte die fung geschrieben.“ epd Kommentar Seite 3
ISSN 0173-8437 79-14 ZKZ 7109
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2 FORUM
GASTKOMMENTAR
Wir brauchen aus
Berlin Klartext zu
Russland
D
PETER VAN DALEN
ie Bundesregierung muss eine klarere Position ge-
genüber Russland beziehen. Der heutige deutsche
Ansatz, der darauf hinausläuft, es locker anzugehen,
bedeutet tatsächlich, dass Russland in keiner Weise gehin-
dert wird und dass Missbräuche dort ungestört weitergehen
können. Die Bundesregierung muss ihren Worten Taten
folgen lassen!
Tatsächlich ist die deutsche Geopolitik seit dem Eingrei-
fen von Reichskanzler Otto von Bismarck unverändert ge-
blieben, eine Politik, die weitgehend von der geografischen
Lage in Mitteleuropa bestimmt wurde und wird. Bereits im
19. Jahrhundert stand Deutschland vor einem Showdown mit
Gegnern im Westen und im Osten. Zum einen gab es im
Westen ständige Kontroversen, insbesondere mit Frank-
reich, zum anderen war es wichtig, die Russen im Osten
ruhig und auf Distanz zu halten. Nach Bismarcks Abschied
verließ Kaiser Wilhelm II. diese Linie und verfolgte eine
Expansionspolitik, was 1919 mit dem Vertrag von Versailles
bestraft wurde. Auch Adolf Hitler versuchte, die Erweite-
rung des Lebensraums in alle Richtungen durchzusetzen,
was ihm glücklicherweise nicht gelang. Deutschland hatte
keine andere Wahl, als Bismarcks Linie zu folgen, um lang-
fristig ein Sicherheitsgleichgewicht zu erreichen: Harmo-
nische Beziehungen zu den Großmächten im Westen und im
Osten. Doch in der Zwischenzeit hat sich etwas grundlegend
verändert. Im Westen gibt es Neues! Die Beziehungen zum
Westen und zu Frankreich sind dauerhaft harmonisch ge-
worden, was teilweise auf den großen politischen Rahmen
der Nato und der Europäischen Union zurückzuführen ist.
Deutschland pflegt aber auch die guten Beziehungen zum
Osten. Dies bedeutet zum einen die Aufrechterhaltung fried-
licher Beziehungen innerhalb des europäischen Kontinents,
darüber hinaus insbesondere zu Russland (und auch zu Chi-
na). Deutschland will diese Beziehungen erhalten, weil sie
gut sind für den Handel. Der Verkauf der berühmten deut-
schen Maschinen und Autos muss ungestört fortgesetzt
werden können. Andererseits sollte Deutschland in diesen
Ländern Menschenrechtssituationen offen ansprechen.
Leider geschieht dies so zaghaft, dass die Beziehungen kaum
Spannungen aufweisen.
Wir beobachten diesen hochpolitischen Spagat Deutsch-
lands gegenüber Russland schon seit vielen Jahren. Die Tat-
sache, dass das Putin-Regime die Menschenrechte eindeutig
ignoriert, ist für alle sichtbar: Politische Gegner werden
verhaftet, vergiftet und ermordet. Richter sind nicht unpar-
teiisch, wie sie es sein sollten. Andersdenkende wissen von
der Existenz des FSB und anderer Dienste, die die „Staats-
sicherheit“ Russlands wahren sollen (lesen Sie: Putin muss
so lange wie möglich im Sattel bleiben). Berlin findet das
natürlich unangenehm, und es wurden bereits zahlreiche
Erklärungen sowohl der Bundeskanzlerin als auch des Aus-
wärtigen Amtes abgegeben, in denen die Aktionen des Putin-
Regimes verurteilt wurden. Deutschland unterstützte auch
die russische Opposition, indem es beispielsweise Alexej
Navalny bei seiner Behandlung infolge des Giftanschlags
medizinisch unterstützte. Auch beschuldigte die deutsche
Staatsanwaltschaft Russland offen des Angriffs auf den Ge-
orgier Selimchan Changoschwili, der 2019 in Berlin-Moabit
erschossen worden war.
Aber es war immer dieselbe Art von Kritik: Worte, manch-
mal begleitet von humanitären Handlungen wie medizi-
nischer Hilfe. Deutschland ist bislang nicht weiter gegangen.
Es ordnet vorzugsweise keine oder höchstens sehr begrenz-
te Sanktionen an, wie kürzlich gegen eine Handvoll russi-
scher Beamter. Aufgrund dessen war auch die Reise des
EU-Außenbeauftragten Josep Borrell Anfang Februar zum
Scheitern verurteilt: Er hatte keine andere Botschaft als die
Frage nach der „Freilassung von Navalny“, auf die der russi-
sche Außenminister Lawrow sarkastisch antwortete, eine
Bitte an das Gericht in Moskau zu schicken. Deutschland
widersetzt sich den Sanktionen und will nicht wahrhaben,
dass der Bau der russischen Gaspipeline Nord Stream 2
gestoppt werden muss. Die Bundeskanzlerin nimmt die
Proteste hauptsächlich osteuropäischer EU-Mitgliedstaaten,
Russland viel härter anzugehen, lediglich zur Kenntnis.
Es ist Zeit für die Regierung in Berlin, diesen Kurs zu
verlassen! Im Westen ist die Harmonie nachhaltig geworden.
Es gibt Raum, um im Osten viel schärfer gegen Russland zu
agieren. Die Regierung dort kann das Wort Menschenrechte
kaum buchstabieren, geschweige denn anwenden. Deutsch-
land sollte Nord Stream 2 fallen lassen und Sanktionen ge-
gen Unternehmen erlassen, die daran mitarbeiten, nach dem
Vorbild der US-Regierungen von Trump und Biden. Es könn-
te sein, dass dann weniger BMW- und Thyssenkrupp-Pro-
dukte nach Russland gehen. Aber ich würde diejenigen, die
dies als Problem empfinden, bitten, mit sich selbst zu Rate
zu gehen. Denn eine aktive Menschenrechtspolitik kostet
immer etwas! Deutschland soll harte Sanktionen gegen Pu-
tin und den Club wohlhabender Oligarchen, die wie
schmachtende Satelliten um ihn kreisen, nicht scheuen. Es
sollte den russischen Bären nicht immer nur ankläffen, son-
dern ab und zu auch beißen. Es wird den Bären nicht töten,
aber es kann ihn zwingen, den Kurs zu ändern. Und genau
das wird benötigt. Ich hoffe, meine deutschen Freunde las-
sen ihren Worten Taten folgen!
T Der Autor ist niederländisches Mitglied des
Europäischen Parlaments.
IMPRESSUM Verleger AXEL SPRINGER (1985 †)
Herausgeber: Stefan Aust Geschäftsführender Redakteur: Thomas Exner
Chefredakteur: Dr. Ulf Poschardt Chefkommentator: Torsten Krauel
Redaktionsleiter Digital: Stefan Frommann
Stellvertreter des Chefredakteurs:
Leitung Editionsteam: Christian Gaertner,
Oliver Michalsky, Arne Teetz
Stv. Philip Jürgens, Lars Winckler
Chefredakteure in der Welt-Gruppe: Creative Director: Cornelius Tittel
Johannes Boie, Dagmar Rosenfeld Artdirektion: Juliane Schwarzenberg,
Stv. Chefredakteur: Robin Alexander Stv. Katja Fischer
https://t.me/Internationalpress78
ESSAY
Tuareg-Frauen in Timbuktu, Mali:
Sind diese Menschen auch ausreichend
„woke“? Oder müssen wir ihnen mit
empathischem Nachdruck sagen,
was gut für sie ist?
PICTURE ALLIANCE / BILDAGENTUR-O/HERMES IMAGES / TIPS IMAGES
N
Die neue Kolonialkultur
iemand, der mit Empathie durch die
Welt geht, niemand, der woke ist, wird
widersprechen: Ob sich Menschen als
Männer, Frauen oder etwas anderes
identifizieren, sie müssen gleiche
Rechte und gleiche Chancen bekom-
men. Diskriminierung hat ebenso we-
nig eine Daseinsberechtigung wie der Rassismus und sein
Verwandter, der Kolonialismus.
Dessen Übel umfassen nicht nur Raub, beispielsweise
von Kunst oder Bodenschätzen. Es kommt hinzu oder
steht in Wechselwirkung miteinander, dass weiße privile-
gierte Menschen anderen Kulturen ihr eigenes Ideal von
Zivilisation aufzwangen. Kultur war, was in von Weißen
geschaffenen Kirchen und Schulsystemen sowie in den von
ihnen verbreiteten Büchern als Kultur definiert wurde.
Zudem erzogen die Eroberer ihre Untertanen in den
Kolonien paternalistisch zum „richtigen“ Umgang mit
anderen Menschen. Mit militärischer Gewalt oder mit der
Güte, die wirtschaftlichen Vergünstigungen innewohnt,
wandten sie sich beispielsweise gegen Menschenopfer
und Kannibalismus. So war es bereits damals eine Art von
wokeness, die weiße Kolonisatoren zur Unterdrückung
solcher Traditionen und kulturellen Identitäten trieb.
Sklaverei gehörte im antiken Rom ebenso zur Normali-
tät wie der Anspruch, vermeintlich rückständig Lebenden
in aller Welt die Segnungen römischen Rechts zu bringen.
Möglichst viele Menschen sollten darauf geprägt werden,
nach von Rom definierten zivilisierten Regeln miteinan-
der umzugehen und Dinge zu benennen. In den Jahr-
hunderten nach dem Zusammenbruch des Römischen
Imperiums war die Sklaverei in Europa dann noch keines-
wegs verschwunden. Die sogenannten Barbaresken-Kor-
saren, muslimische Seeräuber aus Nordafrika, ver-
schleppten zwischen 1530 und 1780 schätzungsweise eine
Million christlicher Europäer. Die Erinnerung an diese
Überfälle auf Küstensiedlungen bis weit in den Norden
ist etwa in Irland bis heute noch präsent.
Der Niedergang der Korsarenflotten setzte erst ein, als
unter anderem die jungen USA die ersten Kriegsschiffe
bauten, um die Korsaren ab 1801 in die Schranken zu wei-
sen. Die USA griffen dabei in Nordafrika auch in die Re-
gierungsbildung ein. Für viele Linke ist das ein früher
Sündenfall der USA, der sich noch unzählige Male wie-
derholen sollte: der Anspruch, mit militärischer Macht
andere Staaten politisch und kulturell zu prägen.
Dieser Anspruch war beim Aufbau des sogenannten
Zweiten Britischen Weltreichs in jener Zeit ebenfalls ein
charakteristisches Element. Parallel zur Verfolgung ihrer
wirtschaftlichen Interessen verlangten die Briten von den
Unterworfenen ideologische Anpassung. Dazu zählte
auch, dass 1807 der Sklavenhandel und 1833 die Sklaverei
als solche verboten wurden. Dieses Verbot wurde auch in
anderen Kulturen durchgesetzt, oft mit militärischer
Gewalt.
Ethnien, bei denen Sklaverei ein Teil der Kriegskunst,
der kulturellen Identität und auch der politischen Macht-
demonstration war, wurden in Identitätskonflikte ge-
trieben und auch in Kriege untereinander gehetzt. Be-
trachtet man die Argumente jener, die sich für das Verbot
Politik: Marcus Heithecker, Claudia Kade, Lars
Schroeder, Dr. Jacques Schuster Forum: Eva Marie Ko-
gel, Lucas Wiegelmann, Stv. Rainer Haubrich Investiga-
tion/Reportage: Manuel Bewarder, Anette Dowideit
Außenpolitik: Klaus Geiger Wirtschaft/Finanzen: Jan
Dams, Olaf Gersemann, Stv. Dietmar Deffner, Nando
Sommerfeldt, Thomas Exner (Senior Editor) Feuille-
ton: Dr. Mara Delius, Andreas Rosenfelder, Stv. Hannah
© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
„Wokeness“-Verfechter
tragen ihre Thesen zu
Gender und Sexismus mit
großem Eifer vor. Aber
werden diese Ideen auch in
Afrika oder Asien
akzeptiert? Falls nein:
Dürfen wir sie dort
erzwingen? Das würde
dem Thema schaden
JULIEN REITZENSTEIN
der Sklaverei und dessen Durchsetzung starkmachten,
ähneln sie oft Argumenten heutiger Debatten: Man wollte
woke sein und den Unterdrückten zu Würde und Selbst-
bestimmung verhelfen.
Die islamistische Terrororganisation Boko Haram (oft
übersetzt als „Westliche Bildung ist Sünde“) trägt die
Ablehnung westlicher Kultur im Namen. Sie formuliert
besonders radikal, was in vielen kultursensiblen Milieus
der westlichen Welt ohnehin als Konsens gilt: Der Kolo-
nialismus ist nicht durch die Entlassung der Kolonien in
die staatliche Eigenständigkeit beendet. Kulturelle Ver-
gewaltigung und Gehirnwäsche zur Umpolung auf die
westliche Kultur und vor allem die westliche Sprachlich-
keit bei Marginalisierung lokalkultureller Eigenheiten
halten bis heute an. Kolonialismus ist daher nach wie vor
präsent.
Möglicherweise ist dies der Grund dafür, dass viele
schuldbewusste Menschen in der westlichen Welt Anteil
am Schutz der letzten indigenen Völker nehmen, die noch
nie einen Menschen außerhalb ihrer eigenen jahrtau-
sendealten Lebenswirklichkeit gesehen haben. Und man
darf den Gedanken sympathisch finden, indigene Völker
beispielsweise im brasilianischen Regenwald sowohl vor
ihnen fremden Krankheitserregern als auch vor Social
Media und McDonald’s zu schützen. Gerade dort, wo man
Lühmann Literarische Welt: Dr. Mara Delius Literari- CvD Produktion: Patricia Plate Foto: Michael Dilger,
scher Korrespondent: Richard Kämmerlings Stil/Reise: Stv. Stefan A. Runne Infografik: Sandra Hechtenberg,
Adriano Sack, Stv. Sönke Krüger, Inga Griese (Senior Karin Sturm
Editor) Sport: Matthias Brügelmann Wissen: Dr. Pia Chefkorrespondent Außenpolitik: Dr. Sascha Lehn-
Heinemann Regionalredaktion Hamburg: Jörn Lau- artz, Clemens Wergin Chefökonomin: Dr. Dorothea
terbach Nachrichten/Gesellschaft: Thore Barfuss Siems Korrespondenten Politik/Gesellschaft: Ulrich
Community/Social: Franziska Zimmerer WELTplus: Exner, Dr. Richard Herzinger Chefkorrespondent
Sebastian Lange Video: Martin Heller Feuilleton: Dr. Jan Küveler Chefkorrespondent
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
woke ist, dürfte die Sympathie für solche Anliegen groß
sein, mithin dort, wo akademische Disziplinen wie „Criti-
cal whiteness“ und Gender Studies besonders geschätzt
werden.
Doch muss man diese Menschen auch vor unsensibler
Sprache schützen? Soll man sie lehren, sexismusfreie,
gendersensible, intersektionale Sprache zu verwenden,
damit sie einander zukünftig nicht mehr verletzen? Soll
man deren Vorstellungen geschlechtlicher Identitäten
und der Rolle der Frau in der Gesellschaft kritisch hinter-
fragen? Diese unterscheiden sich nun doch etwas von
jenen privilegierter Feministinnen.
Die Frage ist, wie diese progressiven Konzepte von der
Mehrheit der Menschheit verstanden werden. Muss man
den Bevölkerungen der muslimischen Staaten Südost-
asiens, der arabischen Welt oder auch in Afrika vorwer-
fen, dass sie in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit nicht
woke sind? Muss man sie sanktionieren? Und wie ist es
mit den Machismo-Gesellschaften Mittel- und Südame-
rikas? Soll man verlangen, dass sich diese Kulturen jenen
Blaupausen anpassen, die woke-weiße privilegierte Men-
schen von einer gerechten Welt zeichnen?
Die Kultur der wokeness vermag in westlichen Gesell-
schaften jene, die sie kritisieren, unter existenziellen
Druck zu setzen. Es birgt Gefahren, ihren missionari-
schen Absolutheitsanspruch infrage zu stellen. Es ist
deshalb an der Zeit, eine ehrliche Debatte zu führen:
Erwarten die Verfechter der woke culture, dass auch die
Menschen in Mali, Afghanistan und dem brasilianischen
Regenwald ihren Konzepten und Werten folgen? Dieser
moralische Anspruch wäre jenem der Kolonisatoren nicht
unähnlich. Oder sind diese Menschen zu rückständig für
solch fortschrittliche Konzepte? Dann könnte man an die
paternalistische Arroganz der Kolonisatoren denken und
fragen, ob die woke culture-Idee hier nicht über ihre ei-
genen Füße stolpert.
Wer woke sein will, sollte Verhältnismäßigkeiten im
Blick haben und mit überzeugenden Argumenten vor-
gehen, statt mit sozialem Druck zu arbeiten und kulturel-
le Rabattmarken zu verteilen. Wenn aber die Definition
von Gerechtigkeit zum Privileg fortschrittlicher Milieus
in von Weißen geprägten Gesellschaften wird, droht der
woke culture das Abgleiten in Kolonialkultur.
Das wäre bedauerlich, denn die heutige woke culture
sollte eine Chance bekommen, Mehrheiten zu überzeu-
gen. So kann sie sich von der gewaltsam durchgesetzten
wokeness der Kolonisatoren absetzen. Zudem ist die
Mehrheit der Weltbevölkerung weder woke noch weiß.
Moralischer Kolonialismus wäre gefährlich und auch
kontraproduktiv. Anhand guter Beispiele für die eigenen
moralischen Standpunkte zu werben ist nachhaltiger.
Dies gilt für westliche Gesellschaften ebenso wie für
den Rest der Welt. Denn der Gedanke, durch Überzeu-
gung die Gleichstellung aller geschlechtlichen Identitäten
sowie die Abschaffung jeglicher Diskriminierung voran-
zutreiben, ist zu wichtig, um durch paternalistischen
Aktionismus beschädigt zu werden.
T Der Autor forscht und lehrt als Historiker zu NS-Ver-
brechen und Ideologiegeschichte.
Wissenschaft: Dr. Norbert Lossau Chefreporter: Auslandskorrespondenten: Brüssel: Dr. Tobias Kaiser,
Stefan Frommann Chefreporter Wissenschaft: Axel Dr. Christoph Schiltz Budapest: Boris Kalnoky Istanbul:
Bojanowski Leitender Redakteur Zeitgeschichte: Sven Deniz Yücel Kapstadt: Christian Putsch London:
Felix Kellerhoff Stefanie Bolzen, Thomas Kielinger Marrakesch: Alfred
Ständige Mitarbeit: Prof. Michael Stürmer Autoren: Hackensberger Moskau: Pavel Lokshin New York:
Henryk M. Broder, Dr. Susanne Gaschke, Peter Huth, Hannes Stein Paris: Martina Meister Warschau: Philip
Alan Posener, Benjamin von Stuckrad-Barre, Hans Fritz Washington: Steffen Schwarzkopf, Dr. Daniel
Zippert Friedrich Sturm
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021 FORUM 3

LEITARTIKEL PLATZ DER REPUBLIK

Bloß kein grünes Deutschland zuletzt, das ist fair

von 1963, gehört auf die Habenseite. Und nun fra-
gen sich die Franzosen längst, wie es weitergehen
soll. Es ist eine bange Frage.

A
„Nach Merkel die Grünen?“, titelte jüngst die kus Lanz am 1. April 2021. Es geht um
auflagenstarke Regionalzeitung „Ouest-France“ die Verteilung der Corona-Impfstoffe

Kanzleramt
und spielte mit der Angst. Denn Frankreichs Grü- in Europa. Kretschmer sagt: „Man

E
ne, die écologistes, haben mit ihren deutschen Brü- muss bei der Wahrheit bleiben. Es war
dern und Schwestern wenig gemein. Während HENRYK M. BRODER immer klar, Deutschland drängelt sich
rechts des Rheins schon ein Joschka Fischer Au- nicht vor, so wie das ein Land wie Isra-
ßenminister werden konnte und die Grünen seit el, wie Großbritannien kann, sondern
Jahrzehnten auf allen Ebenen Regierungserfahrung s ist unvermeidlich, dass in tur- wir gehen gemeinsam in Europa vor,
sammeln, machen sie links des Rheins noch Schlag- bulenten Zeiten einiges unter- weil wir es nicht ertragen können, dass
zeilen damit, den Weihnachtsbaum vom Rathaus- geht, was mehr Beachtung ver- die Deutschen mit ihrer Kraft und

Die Ära Merkel endet.

platz verbannen zu wollen. Wer „grün“ sagt in dienen würde. Zum Beispiel eine Äu- ihrem Geld den Impfstoff haben und
ngela Merkel zitierte Hermann Frankreich, weiß noch nicht mit Sicherheit, ob von ßerung, die Karl Lauterbach in einem die Polen und die Tschechen und die

Die Bilanz der deutschen

Hesses Gedicht „Stufen“, als sie Fundis oder Realos die Rede ist, weshalb die Vor- Interview auf WDR 5 gemacht hat: Slowaken alle reihenweise nacheinan-
Frankeichs jungem Präsidenten stellung von einem grünen Kanzleramt Unruhe „Im privaten Umfeld würde es sehr der sterben (…), deswegen kriegen alle

Regierungschefin ist aus

Emmanuel Macron zum ersten auslöst. Und selbst, wenn der deutsche Topjob an stark helfen, wenn man befristet eine europäischen Länder gleichmäßig nach
Mal begegnete: „Jedem Anfang eine andere Partei fällt – starke Grüne stehen in Ausgangsbeschränkung abends machen ihrer Bevölkerung den Impfstoff, des-

Sicht der Franzosen eher

wohnt ein Zauber inne“, sagte sie, Frankreich für starke Verunsicherung. Das liegt würde. Weil wir wissen, dass abends wegen wird es dauern…“ Woraufhin
und man konnte bereits ahnen, zuerst am Image der französischen Grünen, aber viele (...) Treffen stattfinden, das wis- Lanz die Contenance verliert: Was Sie

durchwachsen. Nun
dass dieses neue deutsch-französische Gefühl nicht auch an der Kenntnis der grün-pazifistischen Tradi- sen wir aus den Bewegungsprotokollen jetzt gerade machen, ist Populismus.
von Dauer sein würde. Spätestens jetzt, da das tion auf der anderen Seite des Rheins. der Fahrzeuge, das wissen wir aus den Es war schon spät in der Nacht, die

stellen sie sich die bange

Ende ihrer Kanzlerschaft nur noch eine Frage von Als Oberbefehlshaber der nach dem Ausscheiden Bewegungsprotokollen der Handyda- Angehörigen der Sprachpolizei, die

Frage, wie es
Monaten ist, legt sich Melancholie über alle Sze- der Briten letzten Atommacht in der EU und als ten… Es ist nicht so, dass die Menschen tagsüber darauf achten, dass kein „Zi-
nen, auf Zauber ist Entzauberung gefolgt, und nun Führer einer Vetomacht im UN-Sicherheitsrat ist abends nochmal um den Block alleine geunerschnitzel“ die Speisekarten

weitergehen soll. Eine

beginnt eine Zeit mulmiger Gefühle. Merkels letzte Frankreichs Präsident ein Bürger des Planeten gehen, sondern die treffen sich auch kontaminiert, schliefen bereits, die
Tage im Amt bedeuten viel für Deutschland, aber Mars, gegen den alle möglichen und unmöglichen privat.“ Worte Kretschmers verhallten un-

Perspektive sorgt für

auch für das Ausland, und ganz besonders für Nachfolger von Angela Merkel aussehen wie Figu- Wen meint der medial omnipräsente erwidert im öffentlich-rechtlichen
Frankreich. Das gilt, obwohl die Ära Merkel aus ren von der Venus. Die Franzosen wissen das: Ein Gesundheitsexperte der SPD, wenn er Raum. So sind sie eben, die Juden und

besondere Unruhe
Sicht der Freunde in Paris eine recht leidenschafts- grün-schwarzes, schwarz-grünes und erst recht „Wir wissen“ sagt? Wer ist „wir“? Wer die Briten, das „perfide Albion“, immer
lose Angelegenheit war, in der wenig Großes unter- grün-rot-rotes Deutschland wird nicht aufhören sammelt die Bewegungsprotokolle der auf den eigenen Vorteil bedacht, wäh-
nommen, aber Vieles mit Eifer verhindert wurde. davon zu träumen, eine große, möglichst neutrale Fahrzeuge und der Handydaten und rend uns das Herz blutet, wenn andere
Ein deutsch-französischer Frühling ist in 16 Jahren Schweiz zu sein. Die ungeschriebene außenpoliti- gibt sie an Karl Lauterbach weiter? leiden, weswegen „wir“ gerne teilen,
Merkel jedenfalls ausgeblieben, auch das ist eine sche Doktrin Deutschlands, sich im Multilateralis- Liegt da nicht ein Verstoß gegen die zum Beispiel Polen mit den Russen,
Form von außenpolitischer Verlässlichkeit. mus am besten ganz aufzulösen, steht indes im Gebote des Datenschutzes vor, die in 1939. Nein, Vordrängeln ist unsere
Frankreich ist für Merkel offenkundig eine krassen Widerspruch zur Kultur Frankreichs, das Deutschland ebenso unverletzlich Sache nicht, „Impfnationalismus“ auch
Pflicht, aber nie eine Neigung gewesen, es spiegelt nach wie vor den Anspruch hat, Weltmacht zu sein gelten wie das Reinheitsgebot für Bier- nicht. Für uns gilt „Deutschland zu-
sich in den Beziehungen zu den Präsidenten in all und gestaltend einzugreifen. Man kann das falsch brauer aus dem Jahre 1516? letzt“, deswegen lassen wir sogar die
den Jahren. Mit ihrem politischen Freund, dem finden. Aber ignorieren lässt es sich nicht. Auftritt Michael Kretschmer, Mi- Nordmazedonier gewinnen, weil gegen
Konservativen Nicolas Sarkozy wusste sie nicht viel Deshalb wäre eine Koalition aus Grün-Rot-Rot nisterpräsident von Sachsen, bei Mar- sie zu gewinnen unfair wäre.
anzufangen, das Misstrauen zwischen beiden für das Frankreich Macrons ein Albtraum, weil eine

schwand nie ganz. Sarkozys Tricks, etwa, die deut-
schen Interessen in Europa regelmäßig gegen Pläne
für eine Mittelmeerunion auszuspielen, haben ihm
in Berlin das Image eines unsicheren Kantonisten
KOMMENTAR
solche Regierung erwartbar zwischen pazifistischen
Idealen und machtpolitischen Notwendigkeiten
von Anfang an zerrissen würde. Große Rüstungs-
MARTINA MEISTER projekte in deutsch-französischer Kooperation

Die Abi-Prüfung muss stattfinden

beschert. Er und Merkel unternahmen zwar 2011 stünden in Frage, und damit Deutschland als ver-
beim EU-Gipfel in Deauville ihren berühmten lässlicher internationaler Partner. Als eine Art
Strandspaziergang, dieser aber zementierte nicht Lackmustest dafür wird sich der Fortgang des ge-
mehr die deutsch-französische Dominanz inner- meinsamen Rüstungsprojekts „Future Combat Air
halb der EU, sondern zerstörte sie. Seither reicht System“ (FCAS) erweisen, eine 100 Milliarden Euro nicht oder eher negativ auffallen. Dass
die Kraft des deutsch-französischen Motors allein teure Kampfflugzeugentwicklung, die bereits heute es unmöglich sein soll, die Prüfungen
nicht mehr, um Europa anzutreiben, auch das ge- an vielen Stellen derart hakt, dass die Weiterfinan- so zu organisieren, dass weder Lernen-

D
hört zu Merkels durchwachsener Bilanz. zierung keineswegs sicher ist. Die Deutschen be- de noch Lehrende gefährdet sind,
Mit Sarkozys Nachfolger, dem Sozialisten Fran- klagen mangelndes Vertrauen, die Franzosen ALAN POSENER klingt nach einer Ausrede für Ideen-
çois Hollande, hat sich Merkel persönlich besser rechtsrheinische Behäbigkeit. Fällt das Projekt losigkeit. 2020 wurden die Abitur-
verstanden, aber beide schoben eine Art außen- auseinander, jetzt oder nach Merkels Abgang, fehlt prüfungen auch durchgeführt und
politischen Dienst nach Vorschrift, in allerdings Statt mit Macron zu springen, trippelte sie lieber ein wesentlicher Baustein für die „strategische ie Lehrergewerkschaft GEW fielen, so der Chef des Deutschen Leh-
dramatischen Zeiten: Staatsbankrotte drohten, mit Holländern, Belgiern, Luxemburgern, Österrei- Autonomie“ Europas, von der auch die Deutschen fordert einen Verzicht auf rerverbandes, Heinz-Peter Meidinger,
Terroristen schlugen zu, Russland trug auf der chern voran. Die Franzosen haben das als Zurück- reden, die Macron aber schnell zu erreichen hofft. Abiturprüfungen im zweiten „ähnlich, sogar insgesamt leicht bes-
Krim und in der Ukraine den Krieg auf die Tür- weisung, ja, Demütigung empfunden. Sie haben die Es ist letztlich die Spielart eines alten Konflikts, Corona-Jahr. Übrigens nicht zum ers- ser“ aus als sonst. Das verwundert
schwelle des Westens. Merkel und Hollande ver- Kanzlerin dann ihrerseits bewundert, als sie im den auch Angela Merkel seit 16 Jahren nur vertagt ten Mal. Während GEW-Chefin Marlis nicht. Guter Unterricht ist immer An-
suchten sich als Friedensmittler, und es war, zu- Jahr 2015 die Grenzen für Flüchtlinge öffnete und oder einfach ausgesessen hat: Die Deutschen wol- Tepe noch im Januar die Forderung leitung und Anregung für das Wichtigs-
gegeben, keine Zeit für große Zukunftsinitiativen. „Europas Ehre“ rettete, wie Macron damals sagte. len in der Welt zwar weiterhin nicht selbst führen, damit begründete, die Lernbedingun- te, das selbstständige Lernen. Dafür

ǑǑ
Dann kam Macron, der Zauber des Anfangs, eine Und sie sind ihr im Stillen dafür dankbar, dass sie sie wollen aber auch nichts von einer Führungs- gen seien Corona-bedingt von Schule waren die Bedingungen im vergange-
unverhoffte Einladung zu politischem Heldenmut. auf EU-Ebene das historische Corona-Paket samt rolle Frankreichs in militär- und außenpolitischen zu Schule ganz verschieden, so ver- nen Jahr leider sehr gut. Viele schöne
Aber Berlin kehrte dem Neuen im Elysée-Palast gemeinsamer Verschuldung passieren ließ, womit Fragen wissen. Wer immer das Kanzleramt im weist sie jetzt auf Infektionsgeschehen Ablenkungen, die oft das Wichtigste in
den Rücken zu. Der Franzose wollte viel, ein neues sie Macron endlich einen großen symbolischen Sieg Herbst erobert, wird mit diesem Problem vom und Ansteckungsgefahr. Man würde einem Teenagerleben ausmachen, fie-
Europa, er stellte sich vor die Akropolis und hielt schenkte. Auch die Unterzeichnung des Aachener ersten Tag an konfrontiert. gern glauben, die GEW habe die Inte- len der Pandemie zum Opfer.
schwärmerische Reden. Merkel schwieg. Vertrags, die Fortschreibung des Elysée-Vertrages martina.meister@welt.de ressen der Abiturientinnen im Sinn. Schon im Januar rief der Präsident
Doch sie ist eben keine Gewerkschaft der Hochschulrektorenkonferenz, Pe-

Frankreich hat weiterhin den Anspruch,

der Lernenden. Und eines ist sicher: ter-André Alt, den Abiturientinnen zu:
Defizite der Lehrkräfte werden durch „Vertraut darauf, dass ihr etwas gelernt
nichts deutlicher bloßgelegt als durch habt in den letzten elf Jahren, lasst

Weltmacht zu sein. Man kann das falsch

eine zentrale Prüfung. euch von den aktuellen Widrigkeiten
Tepe möchte, dass die Lehrer die nicht demotivieren. Bewerbt euch auf
Abiturnote aus den Unterrichtsleistun- einen Studienplatz und vertraut da-

finden. Ignorieren lässt es sich nicht

gen errechnen. Aber erstens hat der
Unterricht oft nicht oder nur online
stattgefunden, und zweitens ist kaum
etwas subjektiver als der Lehrerein-
druck. Prüfungen liegen daher auch im
Interesse derjenigen, die im Unterricht
rauf, dass ihr den Anforderungen ge-
recht werdet.“ Eben. Das Abi sagt mehr
über die Leistungen der Lehrer aus als
über das Potenzial der Schüler. Genau
deshalb soll es stattfinden.
forum@welt.de

LESERBRIEFE
1 03.04.21
: eit:
-Z
Samstag, 3. April
Belichterfreiga
Farbe:
Belichter:
be:
2021 DWBE-HP

MORGE N
AM KIOSK
EUROPA ÄNDER
N
Ferdinand von Schirach
über europäische
KUNDENS ERVICE
0800/935
Grundrechte

SAMS TAG, 3. APRIL

85 37

2021

Generationenneid Nur profitgierig? Nein!

„Seid ihr auch
Zippert zappt
D 3,00 EURO
B Nr. 78

alle getestet?“
orst Seehofer will
sich
nicht mit AstraZeneca

KOMMEN TAR
impfen lassen,
Spahn würde es tun, Jens
an der Reihe wäre. sobald er
Welchen
Schluss kann der Sein Name ist Hase,
Kretschmann
Bürger
diesen sehr gegensätzlichaus nach Ostern nur und er weiß Bescheid:
Aussagen ziehen? en noch dann den PräsenzunteSchülerinnen und Schüler
einen Corona-Sch sollen

len, dass diese Welt in vielen Jahren für verfassungstreu. Was man von vielen kann, ist nachvollziehbar. Sie entspricht
Wenn rricht besuchen dürfen,
Spahn sich zur Impfung Jens nelltest gemacht

ist konsequent
und Gemeindebu haben. Das fordert wenn sie
kennt, dann wird be- nd ebenso wie der zumindest der Städte-
Deutsche Lehrerverba
das viele nd. Seiten 3 und
Menschen extrem 5

E
misstrauisch
machen. Der Mann
hat THOMAS SCHMID
vergangenen Monaten in den
versprochen, was sehr viel
er dann spä-
ter nicht halten konnte.

unsere Kinder noch existiert. Noch Länderregierungschefs im Moment seiner Kenntnis der Verhältnisse in den
dem weiß Spahn ganz Außer- s sieht aus wie ein
„Weiter so“:
dass AstraZeneca genau, die Fortsetzung
längst des
boten sein wird, wenn ver- schwarzen Bündnisses grün-

Zu: „Kein Abiball – aber ab nach Zu: „Kein Wachstum ist auch keine
in Ba-
Impftermin bekommt. er seinen den-Württemberg
–
grundsätzlich kann Ganz Geist geprägt. Doch von verzagtem
aber sagen, wenn
der Bürger Grünen in Stuttgart leicht fiel den
Spahn dafür
ist, dann ist es besser, dung offenbar nicht. ihre Entschei-
Ohne die das
zu sein. So wie Horst dagegen Land überstrahlen

mehr sogar, dass diese Welt in vielen nicht behaupten kann. Die meisten meisten Staaten Europas. Namentlich
de
Aber ist der Mann Seehofer. fried Kretschmann Autorität Win-
vertrauens- s wäre sie kaum
würdiger? Seehofer zustande gekommen.
bizarre Persönlichke als
gilt Grünen schlägt auch Das Herz der

Mallorca“, 30. März Lösung“, 26. März

it, die viele ven Südstaat mehrheitlich im konservati-
unverständliche Entscheidun links. Und
gen getroffen hat. - die CDU gilt immer
Wenn er noch als obskure
gegen AstraZeneca Partei. Während
sich
ist,
kann man eigentlich dann der Bürger Baden-Württdie Mehrheit

Jahren noch besser ist als heute und handeln nach dem Motto: „Kenne Haa- in den vormals sozialistischen Ländern
embergs eine
sein. Seehofer und nur dafür Fortsetzung der bisherigen
Koalition
Spahn haben wünscht, wünscht
die Deutschen in sich die grüne An-
eine ausweg- hängerschaft – aller
lose Lage gebracht. Abneigung gegen
Wer sich die FDP zum Trotz
impfen lässt, wird –
als
Versteher beschimpft,Spahn- nis. Zumal die CDU ein Ampelbünd-
wer tigen miesen Umfragewert bei ihren derzei-
AstraZeneca verweigert, en nicht
sich automatisch macht besonders attraktiv
zum Horst. wirkt.

zwar bezüglich Ernährung, Umwelt, re uffm Kopp, abern Kamm inne Ta- gilt es noch immer als Ehrensache, im
BRIDGEMAN IMAGES

Vor allem aber passt

ter Entscheidung die Stuttgar-
den Grünen auf
Bundesebene gar
nicht ins Konzept.

#Free
Polizei: Durchsetzu
Denn angesichts
der Umfragewert
entwickelt dort die e

them
kühne, eben noch
utopische Idee immer
kraft, unter Führung größere Strahl-

all
Ausgangssperren ng der
mutlos wirkenden der Grünen den

Die Kriegsgeneration, die jetzt zuerst Seit Jahren rede ich mir schon den Gesundheit, Bildung. Echt jetzt? Ja, sche“. Sprich: Sie haben den klaren Fall eines nationalen Archivs den künst-
Unionsparteien

I
das Kanzleramt abzujagen.
lich, nach fast 40 Und end-
Ferdinand Ayité
Jahren,
Land Grün anzukommen im gelobten

wird schwierig
in Stuttgart wäre . Die Ampel

G
eine programmati
-/

sche, wunderbare -
n Togo darf das Investigativ- Anzahlung darauf
gewesen. So aber

Auch Abstandsregeln
magazin „L’Alternative könnte es in Berlin
“ vor- so aussehen, als

geimpft wurde, hat auch nicht die „ein- Mund fusselig, dass ich als Führungs-
würden ständig

echt jetzt! Blick, die klare Zielrichtung verloren. lerischen Nachlass ohne Vergütung
erst nicht mehr erscheinen. hätten
Angst vor der eigenen die Grünen

Kirchhof warnt vor verletzt, sagen Polizei-G

Diese bereits 2020 Courage und
von
dienaufsicht des Landesder Me- blieben auch in

unverhältnismäß ewerkschafter. Ex-Verfa

der
rung der Merkel-Zeit Abenddämme-
igen Grundrechtseing
gefällte

ssungsrichter
Entscheidung wurde der ewigen Bun-

riffen in der Corona-

nun auch deskanzlerin treu
vom Supreme Court verbunden.

Pandemie
des Landes Dass sich die Grünen
bestätigt. Anlass für ut ein Jahr nach in Stuttgart

BERND D. EUSCHEN, SULZ AM NECKAR

die für ein weiteres Zusammenge
gene Einstellung des erzwun- der
Beginn rausforderun
g. „Unsere größte hen mit
Magazins Corona-Pand der CDU entschieden
sind die Recherchen werden in Deutschlandemie rigkeit ist aber die mangelnde Schwie- ohne Not die Grundrechte haben, ist den-

maligen Ereignisse“ erleben können. verantwortlicher eines größeren Unter- Sie irrlichtern zwischen dem Ruf des abzugeben. Fraglich scheint indessen,
des „L’Alter- Abstands- einschränken noch klug und konsequent.
native“-Redakteurs
Ferdinand nehmend nächtliche zu- wahrung, die 1,50 Meter , zu unterlassen.“
der Bürger den
Lockdowns insgesamt in Baden-Württemberg Die SPD
werden vom
Ayité. Dieser hatte
in der Zeit- gangsbeschränkungen Aus- Englischen Garten in München Die strenge Form 47 Prozent aus. Dagegen sprachen sich schwindende Partei. bleibt eine
schrift ausführlich geführt, um die Zahl ein- Bamberger bis zur fung, wie der Virusbekämp sind nur 30 Pro- Und die FDP, die
Altstadt - zent für eine
über
großen Korruptionsfa einen zu reduzieren. In der Neuinfektionen ten“, sagte Köhnlein.ständig unterschrit- treten, sie Union, SPD und Grüne ver- Lockerung oder Abschaf- sich jetzt an die
Grünen ankuscheln
Hamburg, Halle, findet aktuell in der fung
Mehrere Staatsbeamtell berichtet: Region Hannover der Wenn dann die Po-
und etlichen Landkrei- lizei „mit dem Zollstock“ komme, wieder mehr Zustimmung Bevölkerung chen der Einschränkungen. Vor zwei Wo- will, hat sich noch
vor
nister sollen durch und Mi- sen dürfen Bürger es große Aufregung. gebe frage des . In einer hatten sich in einer
vergleichbaren ger Zeit mit rüpelhaftengar nicht lan-
die nur
Gründen ihre Wohnungnoch aus triftigen MeinungsforschungsinstiUm- Umfrage nur 30 Prozent gen den Ministerpräs Ausfällen ge-
von Staatsverträgen Vergabe

Hans handelt richtig

Hunderte Die Opposition YouGov sprachen tuts fungen ausgesproche für Verschär- identen hervor-

Wenn überhaupt, konnte nur unter nehmens zur Verbesserung der Welt,
verlassen. im getan.

Kanzleramtes und ihren eigenen Viro- ob besagtes Nichtwissen zum Zeitpunkt

Millionen Euro aus zog mit erweiterten Berlin scharfe Bundestag übt sich 56 Prozent n. Beide Parteien wären
der Kritik an den beschlossene bundesweite Ausgangsbes für Der Ex-Vizepräsident keine be-
ölindustrie abgezweigt Erd- kungen in der Nacht Kontaktbeschrän- Maßnahmen n in der Nacht chränkungen fassungsgeric des Bundesver- sonders seriösen
Partner.
:
Kurz nach Erscheinen
haben. Bodo Pfalzgraf von auf Samstag nach. schränkunge „Pauschale Ausgangsbe- gen. Für aus, 37 Prozent waren
dage- sieht in der hts, Ferdinand Kirchhof,
Auch wenn der CDU
Artikels musste sich des Polizeigewerkschaft
der Berliner DPolG- n sind nicht der
Weg“, sagte FDP-Bundes richtige Verschärfungen des
bestehen- Gesundheits Sorge vor Überlastung der Abstieg prophezeit jetzt gerne
des wird, ist sie
Ayité wegen
„Rufmords und Diffamierung Durchsetzung werde sagte WELT, die ze Stephan tagsfraktionsvi- systems auf Dauer
keine
immer noch eine
Kraft und auf Bun-
“ nicht leicht. „Die Thomae WELT. Sie ausreichende Rechtfertigu desebene stärker als
auch persönlich vor Akzeptanz der polizeilichen verhältnismäßig, seien un- ng für die alle anderen Par-
der Justiz und politi- ein abendlicher Grundrechtseingriffe teien. Erst recht
schen Maßnahmen
Deutschland verfehlt
verantworten. Im Spa- durch die Regie-
November ist in der Bevölke- ziergang etwa befeuere nicht das rung. „Der Schutz berg. Obwohl sie
in Baden-Württem-

klar

großen Entbehrungen und in zerstör- meiner Mitarbeiter und deren Lebens-

rung gegenüber Infekti- des Gesundheitssys-

logen und Experten. des ersten Vertragsabschlusses noch

2020 verurteilte ihn onsgeschehen. „Wir dort
knappes Viertel der nur noch ein
das Impfziel der
dem tems kann nur
ein Gericht geschwunden.“ Zudem ersten Lockdown sen einen klaren brauchen stattdes- ein Hilfsziel für
EU
in der togolesischen
Hauptstadt len von der Polizei würden „die vie- Wenn-dann-Plan, Schutz von Leben
und
den binden konnte, ist Wähler an sich
Lomé zu einer Geldstrafe geschriebenen Anzei- Öffnungsperspektiven aufzeigt der tremer Not sein“, Gesundheit in ex- sie im Ländle im-
Bisher haben rund
umgerechnet 3000 von gen kaum durch die und sagte mer noch eine kommunalpo
fünf Prozent
Euro. Bezirksämter weiter- gleichzeitig für Hotspots regional WELT-Interview. Kirchhof im litisch,
der Bevölkerung
forderte die StaatsanwaltsZudem verfolgt, die sind „Allein um staatliche also in der Fläche
in Deutschland
völlig überlastet“. grenzte Notbremsen be- Therapieeinrichtungen fest verankerte Par-
zwei Corona-Impf
die Zerstörung aller chaft ermöglicht.“ nicht zu überlas- tei. Ihre Landräte
dosen erhalten,
Jan Korte, der parlamentari und
brauchen die Grünen, Bürgermeister

DR. DETLEF RILLING, SCHARBEUTZ

gedruckten ten, dürfen die Grundrechte
VON MARCEL sche Ge- gut 11,5 Prozent
mindestens eine.
Kopien des Artikels LEUBECHER
schäftsführer der nicht beschränkt des Bürgers wenn sie – wie
und die Linkspartei, sagte
Das geht aus Daten
Veröffentlichung des ser Zeitung: „Extrem die- werden. Da muss vom Ministerpräs
des Robert-
identen angekün-

ten Schulgebäuden mit Unterbrechun- umstände beitrage. Dafür bekommen bestanden hat und Kertész nicht viel-
Gerichts- Staat dann schlicht der
Koch-Instituts (RKI)
urteils auf der Titelseite Sein Kollege Jürgen dass nicht ununterbrochsinnvoll wäre es, mehr digt – eine mit dem
schaffen.“ Bundespräsid Einrichtungen
hervor. Das
Wirtschaftssinn
des Vorsitzender in Bayern,Köhnlein, DPolG- undurchdach en irgendwelche
EU-Impfziel, bis
des Landes kompatible
Ende März min-
Magazins. ten Vorschläge ter Steinmeier rief ent Frank-Wal- ökologische
sagte, er erwarte
destens 80 Prozent
an Ostern wegen werden, wovon gemacht zu einem Kraftakt Wende zumindest
der Men-
angehen wollen.
In Kooperation
des gen die dritte Pandemiewe ge-
mit ne großen Probleme kalten Wetters kei- brauche einen die Leute irre werden.“ Es schen über 80 Jahre
Außerdem: Vielleicht
fen wir uns alle zusammen,lle auf. „Rau-
REPORTER OHNE zu impfen,
Gesamtplan. Gottfried tut es Deutsch-
zung der Ausgangsspebei der Durchset- rio, innenpolitisc hat Deutschland
land gut, wenn Schwarz
GRENZEN Cu-
klar verfehlt. leute! Holen wir raus, liebe Lands-
überhastet verworfen, + Grün nicht
ab 22 Uhr gilt. Danach rre, die in Bayern sagte: „Grundsätzli her Sprecher der
Laut RKI liegen

Zu: „So wagt das Saarland den

die
AfD, was in uns steckt“,
Quoten
sondern ein-
in den
werde es eine He- ch sind überschießen sagte er in einer
Bundesländern
mal

Wusste Kertész nichts?

Fernsehansprache, wenigstens
zwischen 26 und
de Maßnahmen wie - so lange
ANZEIGE am heutigen Samstag die ziert wird, bis abzusehen durchexer-
47

gen durch die Sirenen das Notabitur habe ich im besten Fall eine verächt-
Prozent bei den
Ausgangssperren,

mehr bereits damals von der Vergü-

Zweitimpfungen. den soll. MITARBEIT: ausgestrahlt wer-
die ist, wie weit
THORSTEN JUNGHOLT
Willenserklärungen
Seiten 4, 5, 7, 8., übergeführt werden in Wirklichkeit
20

N
forum@welt.de
konnten.

Ihre Post an:

Südwest-Grüne setze
n auf CDU

Befreiungsschlag“, 26. März

ANZEIGE

abgelegt werden. Die meisten Lehrer liches Lächeln. Solche Artikel und des-
ach anfänglichem

tungsmöglichkeit wusste. Für Letzteres

Widerstand bei
Grünen in Baden-Württ den meinsame Idee
ne Koalition emberg gegen ei- für Baden-Württ
Grüne Jugend emberg.“ Die

DIE WELT, Brieffach 2410, 10888 Berlin,

die Spitzen beider mit der CDU bemühen sich „ein schlechterwidersprach, die Entscheidun
Parteien darum, Zweifel Aprilscherz“. g sei
ner Neuauflage der an ei- Am heutigen Samstag
grün-schwarzen Koalition
zerstreuen. Ministerpräs zu mit einem gemeinsamenwollen Grüne und CDU
ident Winfried Kretsch-
mann traf sich am für die Koalitionsges Papier die Grundlage
Landesvorstand in Karfreitag mit dem grünen erwartet präche schaffen.
Allerdings

waren im Krieg und kamen nicht mehr sen Weitergabe helfen vielen skepti-
Stuttgart, um noch die Ökopartei, dass

spricht jedenfalls sein Schreiben vom

führlich seine Gründe mal aus- beim Klimaschutz die Union vor allem
CDU und gegen eine für eine Koalition mit der gangenen

Fax: (030) 2591-71606, E-Mail: forum@welt.de

mehr mitzieht als
in den ver-
erklären. Die Union Ampel mit SPD und FDP zu dierungsgesp fünf Jahren. Strobl
hatte in den Son-
gab in den Gremien rächen dem Vernehmen
mig grünes Licht einstim- gehende nach weit-
für Koalitionsver Versprechen gemacht.
CDU-Landeschef handlungen. kraft So soll die Wind-
Thomas Strobl sagte: stark
„Die Son- spitze zeigteausgebaut werden. Die SPD-Bundes-

Zu: „Mit Leib und Seele Ungar

dierungsgespräche
zeigen: Wir haben
eine ge- entscheidungsich enttäuscht über die Koalitions-
Siehe
dpa/AFP
Kommentar
.

zurück. Es herrschte Hungersnot, und schen Menschen, vor allem aber auch 25. April 2001 an Fessmann, welches ich
DIE WELT, Axel-Springer-Stra
deutschen Wertpapierbörsen. ße 65, 10888 Berlin, Redaktion:
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Ministerpräsident Hans ist ein sehr

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DKK /
78-13 ZKZ 7109

in Berlin“, 27. März

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den neuesten Tablets oder auch mit / I.B. 4,00 & / I.C.
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die Bombennächte in den Bunkern mal den Lehrern, aus ihre eigenen in dessen Buch „Imre Kertész und die
& / PL 18,00 PLN
/ SK 3,90 &
??/DW/DWBE-HP

wieder, nicht die der Redaktion. Wir freuen

besonnener Mensch. Dass er etwas
03.04.21/1/TIBE JSCHWARZ

waren fürchterlich. Sie sollten hier Perspektive aufzusehen und hoffent- Liebe der Deutschen“, Leipzig 2019, auf
uns über jede Zuschrift, müssen uns aber das
5% 25% 50% 75% 95%

wagt – außerhalb des Berliner Tohuwa-

keinen Generationenneid befeuern, das
hilft niemandem. Und ob es nur darum
geht, das Wahlvolk zu beeindrucken,
bleibt dahingestellt.
DOROTHEA KAHLÉN, AUMÜHLE
lich zu erkennen, dass Unternehmer Recht der Kürzung vorbehalten. Aufgrund der bus –, zeigt nur, dass er die Verant- Imre Kertész’ Behauptung, er habe beim Seite 201 gefunden habe. Darin heißt es:
nicht die Buhmänner sind, die die Welt sehr großen Zahl von Leserbriefen, die bei wortung für das Bundesland, die ihm Vertragsabschluss im Jahre 2001 nicht „Die Argumente, warum sie (in Berlin)
wegen Profitgier zerstören wollen. Wir uns eingehen, sind wir leider nicht in der Lage, die saarländische Verfassung gibt, gewusst, dass man in Deutschland für für das Material keine Vergütung zahlen
sind nämlich auch Mütter und Väter, jede einzelne Zuschrift zu beantworten. können, sind unwiderlegbar und an-
wahrnimmt. Er verhält sich absolut die Materialien eine Vergütung erzielen
die entscheidend dazu beitragen wol- nehmbar.“ REINER MÖCKELMANN, BERLIN

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thias Brügelmann Feuilleton: Dr. Mara Delius Alle:
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4 POLITIK
K
atrin Göring-Eckardt, 54,
führt seit 2013 die Fraktion
der Grünen im Bundestag.
Im Interview mit WELT
spricht sich die Thüringerin
für straffere Maßnahmen bei der Be-
kämpfung der Pandemie aus. Die Grüne
nimmt dabei auch die Wirtschaft in den
Blick.
VON CLAUS CHRISTIAN MALZAHN
WELT: Frau Göring-Eckardt, die Kanz-
lerin liegt im Clinch mit CDU-Chef Ar-
min Laschet, die Inzidenzen gehen
wieder hoch. Die Politik hangelt sich in
der Pandemie mit widersprüchlichen
Ansagen von Woche zu Woche. Sehen
Sie im Moment irgendwo einen Hoff-
nungsstreifen am Horizont?
KATRIN GÖRING-ECKARDT: Die Men-
schen kommen in der Pandemie nicht
nur an ihre persönlichen Grenzen. Viele
sind inzwischen auch wütend auf die
Bundesregierung. Es ist der Eindruck
entstanden: Die haben das nicht im Griff.
Uns rennt die Zeit davon. Ich hoffe, dass
zumindest das Impfen endlich bald rich-
tig in Gang kommt.
Das läuft doch auch planlos. Das
Image von AstraZeneca ist ziemlich
ruiniert. Über Ostern waren manche
Impfzentren geschlossen.
Dass wir überhaupt jetzt schon Impfstof-
fe zur Verfügung haben, ist fast ein wis-
senschaftliches Wunder. Auf diesen Er-
folg hätte ein Erfolg der Exekutive folgen
müssen.
Sie sind im Dezember an Covid-19 er-
krankt. Wie geht es Ihnen inzwischen?
Im Dezember ging es mir sehr schlecht.
Ich hatte Atemnot, Fieber und Schmer-
zen, konnte kaum nachdenken, der Ge-
ruchssinn war lange weg. Inzwischen bin
ich wieder fit. Aber das hat bis zum März
gedauert. Ich kann nur davor warnen, die
Krankheit auf die leichte Schulter zu
nehmen.
Der russische Impfstoff Sputnik V
wird inzwischen in 57 Ländern der
Welt eingesetzt, auch in den EU-Län-
dern Ungarn und der Slowakei. Bei uns
noch nicht. Hat das mit politischen
Vorbehalten zu tun?
Ich kann nicht beurteilen, ob irgendwer
ideologische Vorurteile hat. Ich habe die
nicht. Wenn Sputnik V untersucht und
zugelassen worden ist, soll er auch einge-
setzt werden. Bei der Diskussion um
AstraZeneca sehen wir ja außerdem, dass
es sinnvoll ist, auf verschiedene Impf-
stoffe zu setzen.
Beim Impfen gilt: Viel hilft viel. Im Kri-
senmanagement entsteht ein ganz an-
derer Eindruck. Ist der deutsche Föde-
ralismus am Ende mit seinem Latein?
Brauchen wir jetzt mehr Zentralstaat?
Ich hatte schon im Frühsommer des ver-
gangenen Jahres gefordert, dass der
Bund mehr in die eigene Hand nehmen
sollte. Dabei geht es mir nicht um ein Zu-
rechtstutzen föderaler Kompetenzen.
Aber wir brauchen nicht immer 16 ver-
schiedene Lösungen für dasselbe Pro-
blem. Dass die Corona-Schutzmaßnah-
men überhaupt auf eine gesetzliche
Grundlage gestellt werden und durch
den Bundestag im Infektionsschutzge-
setz verankert wurden, geht auf eine In-
itiative der Grünen zurück. Die Bundes-
regierung könnte aber noch viel mehr
steuern, wenn sie wollte.
Die großen Zweifel an einem Corona-Gesetz binnen „weniger Tage“
H
Innenminister Seehofer plädiert für einheitliche Maßnahmen. Aber selbst die Union ist skeptisch, ob ein solches Vorhaben schnell genug umsetzbar wäre
aben bei den Corona-Maßnah-
men die Alleingänge der Länder
mit regional unterschiedlichen
Bestimmungen bald ein Ende? Ginge es
nach Bundesinnenminister Horst Seeho-
fer (CSU), dann gäbe es schon in Kürze
deutschlandweit einheitliche Regeln, die
Länder und Kommunen je nach Inzidenz
zu einem genau festgelegten Handeln
zwingen würden. Das würde für Ver-
schärfungen ebenso gelten wie für Lo-
ckerungen.
VON HANNELORE CROLLY
Die Bevölkerung habe nun einmal eine
„große Sehnsucht“ nach einheitlichen
Vorgaben, sagte Seehofer WELT AM
SONNTAG. Und gab sich dabei zuver-
sichtlich, dass sogar „innerhalb weniger
Tage“ ein entsprechendes Gesetz durch
Bundestag und Bundesrat gebracht wer-
den könnte. Zur Euro-Rettung sei das
schließlich ebenfalls gelungen.
Aber ist Seehofers mit Verve vorgetra-
gener Vorstoß tatsächlich so leicht um-
setzbar, zumal in derart kurzer Zeit? So-
gar in der Union regt sich daran leiser
Zweifel. Dabei schlägt dem Innenminis-
ter keineswegs auf breiter Front Wider-
Das gefällt aber nicht allen Minister-
präsidenten.
Winfried Kretschmann hat bundesein-
heitliche Regeln unterstützt.
Die Grünen sitzen in elf von 16 Landes-
regierungen. Ohne Einfluss sind Sie
also nicht.
Die Ministerpräsidentenkonferenz tagt
hinter verschlossenen Türen. Entschei-
dungen im Bundesrat werden dagegen
mit den Koalitionspartnern besprochen
und vorbereitet und das gemeinsame
Interesse aller Länder spielt eine stär-
kere Rolle. In den MPK-Krisensitzun-
gen stellen Landeschefinnen und -chefs
immer wieder ihre Einzel-Landesinter-
essen über alles. Das macht das Format
zu einem echten Problem. Es muss jetzt
mehr passieren. Die MPK-Entscheidung
Anfang März, mit der ohne funktionie-
rende Schutzmaßnahmen geöffnet und
gelockert wurde, war wahrscheinlich
einer der schwerwiegendsten Fehler der
Pandemiepolitik. Dass die Welle
kommt, war da schon bekannt – ent-
sprechend gehandelt wurde aber nicht.
Das rächt sich nun.
Was schlagen Sie jetzt vor?
Die Bundesregierung darf nicht noch
mehr wertvolle Zeit verlieren. Wir
brauchen jetzt einen radikalen Wellen-
brecher. In der Wirtschaft und Arbeits-
stand entgegen, ganz im Gegenteil: Die
Grünen im Bundestag zeigen sich „je-
derzeit“ zu einer Sondersitzung bereit,
FDP und Linkspartei verweisen darauf,
selbst schon seit Langem einheitliche
Bestimmungen gefordert zu haben. Als
einzige Partei erteilt lediglich die AfD je-
der Überlegung über ein Corona-Bun-
desgesetz eine klare Absage. Doch
Thorsten Frei, stellvertretender Frakti-
onsvorsitzender der CDU/CSU-Frakti-
on, verweist trotz allen Wohlwollens für
die Seehofer-Überlegung auch auf die
Hürden, die einem Bundesgesetz im
Weg stünden: „Der politische Wille
muss auf ausnahmslos allen Seiten vor-
handen sein“, sagte Frei WELT. Ein sol-
ches Gesetz benötige nun einmal eine
Mehrheit im Bundesrat, sonst komme es
schlichtweg nicht zustande. „Ich bin
nicht sicher, ob im Bundesrat und den
Landesregierungen derzeit eine Mehr-
heit für strengere bundeseinheitliche
Vorhaben vorhanden ist“, so Frei. „Wir
beobachten im Augenblick leider das Ge-
genteil: Die Ministerpräsidentenkonfe-
renz hat sich zwar einvernehmlich auf
einen Notmechanismus bei hohen Inzi-
denzzahlen verständigt, der nun aber
von Einzelnen ignoriert wird.“
* DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
Jedenfalls können die Grünen einen
Wahlerfolg bis zum 26. September
doch nur noch selbst vermasseln,
oder?
Wir sind mit allem Ernst bei der Sache.
Es geht nicht nur um andere Inhalte,
auch um eine andere Haltung, um andere
Formen des Regierens, um mehr Trans-
parenz. Und darum, dass auch eine Bun-
desregierung immer die Bodenhaftung
behält und sich nicht von den Menschen
„Wir brauchen
abkoppelt.
Den Eindruck völliger Abkoppelung
vom gesunden Menschenverstand
hatte man allerdings, als sich die grü-
jetzt einen
ne Spitzenkandidatin Bettina Ja-
rasch vor zwei Wochen auf dem Ber-
liner Parteitag für einen Kindheits-
traum entschuldigt hat. Sie wollte
radikalen
„Indianerhäuptling“ werden. Dass
sie diesen Begriff benutzt hat, wurde
ihr heftig vorgeworfen. Im Ernst
jetzt?
Wellenbrecher“
Sprache verändert sich immer. Ich finde
es gut, dass wir darüber diskutieren.
Selbst manche Interessenverbände
von amerikanischen Ureinwohnern
halten das für stark übertrieben. Auf
YouTube wurden die Äußerungen von
Die Fraktionschefin der Grünen,
Jarasch von den Berliner Grünen mit
einem Sperrvermerk versehen. Was
Katrin Göring-Eckardt, wirft der Kanzlerin
soll diese Selbstzensur?
Die Überblendung bei YouTube finde ich
beim Corona-Krisenmanagement Zögern
falsch. Stattdessen hätte man anschlie-
ßend eine Debatte darüber führen kön-
vor. Ihre Fraktion sei mit Blick auf
nen. Umstritten ist das Wort trotzdem.
Die Debatte über Sprache und Verlet-
das Infektionsschutzgesetz „jederzeit“
zungen, die mancher Sprachgebrauch
zu einer Sondersitzung bereit
auslösen kann, ist sinnvoll. Wichtig ist,
dass man sich gegenseitig ausreden lässt
und am Tisch sitzen bleibt. Ein „Wir“
MARTIN U. K. LENGEMANN/ WELT
kann ich nur bilden, wenn ich das „Ich“
des anderen anerkenne.
Die linke Identitätspolitik wird ja in-
zwischen auch in Ihrer Partei kontro-
vers diskutiert. Die Bundesarbeitsge-
meinschaft Säkulare Grüne sieht eine
Ideologie heraufziehen. 30 Grüne, dar-
unter Rebecca Harms, Helga Trüpel
welt müssen die Risikokontakte auf ein Wir brauchen einen verbindlichen bun- in Aserbaidschan. Ich kann den Frust und Boris Palmer, warnen vor neuer
Minimum herunter und der Infektions- deseinheitlichen Stufenplan, eingebettet und die Enttäuschung vieler Menschen Unfreiheit. Sie fordern eine offene De-
schutz auf ein Maximum hoch. Es ist in das Infektionsschutzgesetz und vom verstehen. battenkultur. Gibt es die nicht mehr
schwer nachvollziehbar, wenn man Bundestag beschlossen. Nicht nur für bei den Grünen?
abends Kontakte mit Freunden hart Schließungen, auch um Öffnungen zu er- In Sachsen-Anhalt wird am 6. Juni ein Die Debatte um sensible Sprache ist
einschränkt, aber tagsüber in Groß- möglichen, wenn die Zahlen es erlauben. neuer Landtag gewählt. Wenn die CDU doch nicht neu. Als ich 1998 in den Bun-
raumbüros zusammenarbeiten muss. Der sollte im ganzen Land gelten und dort in diesen Sog gezogen wird, könn- destag einzog, gab es etwa in einem an-
Das Potenzial von Homeoffice wird gleichzeitig regionale Unterschiede be- te auch eine Fortsetzung der Kenia- deren Bereich Diskussionen um „Behin-
längst nicht ausgenutzt. Und das Bewe- rücksichtigen. Koalition – CDU, SPD, Grüne – gefähr- derungen“. Und es hat gedauert, bis klar
gungsradar zeigt: In der ersten Welle det sein. Das wäre auch für die Grünen war, dass es hier darum geht, dass Men-
vor einem Jahr hatten wir 30 bis 40 Die Kanzlerin ist der Frage ausgewi- ein Problem, oder? schen behindert, ausgeschlossen, nicht
Prozent weniger Mobilität. Heute lie- chen, ob sie an das Infektionsschutz- Die Grünen sind in dieser Koalition bei gleichberechtigt werden.
gen wir in einer weit gefährlicheren La- gesetz noch einmal ran will. allen Schwierigkeiten ein Garant für
ge nur circa zehn Prozent unter Nicht- Ja, auch ich habe sie im Parlament mehr- Verlässlichkeit. Ministerpräsident Rei- Was mit der „Indianerhäuptlings“-
Pandemiezeiten. fach danach gefragt. Sie schließt es nicht ner Haseloff wirkt in der Pandemie da Diskussion völlig überblendet wurde,
aus, aber zögert zu lange. Dabei drängt eher wie King Chaos. Je stärker die Grü- ist die Tatsache, dass auf der Bundes-
Was heißt ein „radikaler Wellenbre- die Zeit und die Zahlen steigen weiter. nen in Sachsen-Anhalt werden, desto tagswahlliste der Berliner Grünen die
cher“ denn konkret? Wir als Grüne sind jederzeit bereit, uns stabiler die politischen Verhältnisse erste Person mit Migrationshinter-
Die Präsenz in Betrieben und Büros im Bundestag zu einer Sondersitzung dort. grund erst auf Platz acht auftaucht. In
runterfahren, so sehr es irgendwie einzufinden. einer Stadt, die wie kaum eine andere
geht. Und in den systemrelevanten Be- Bekommen Sie eigentlich Angst vor in Deutschland durch Einwanderung
reichen und dort, wo das partout nicht Die Union befindet sich in den Umfra- der eigenen Courage, wenn Sie aufs geprägt ist. Manche halten den Vor-
geht, muss es ein kontrollierbares und gen im freien Fall, die Werte der Grü- Kanzleramt blicken? gang deshalb für eine ziemliche Show.
vor allem verpflichtendes Testregime nen steigen. Glauben Sie, dass das so Nein. Wieso auch? Es geht darum, wie die Bundestagsfrak-
geben, damit Infektionsketten schnel- bleibt? tion im Herbst insgesamt aufgestellt
ler unterbrochen werden. Das kann die Die Union hat sich immer als Meisterin Weil der Einzug dort ein politischer sein wird. Andere Bundestagswahlli-
Bundesregierung, wenn sie ihre Ver- des Regierungshandwerks verkauft und Quantensprung wäre, der mit drü- sten, etwa die hessische, sind sehr di-
antwortung zum Schutz von uns allen verstanden. Aber wir wurden lange ckender Verantwortung fürs Land vers. Wir haben uns im Dezember ein
ernst nimmt. Dafür braucht sie in die- schlecht regiert, jetzt habe ich manch- verbunden ist. Trotz aller Erfahrun- Vielfaltsstatut gegeben. Als erste Partei
ser Frage noch nicht einmal die MPK mal den Eindruck: Wir werden gar gen der Grünen beim Regieren wäre überhaupt. Das war keine Symbolpoli-
oder den Bundestag. nicht mehr regiert. Die Union hat im das Kanzleramt völliges Neuland, um tik. Wir wollen in dieser Frage etwas än-
Krisenmanagement versagt. Dazu kom- es mal mit Angela Merkels Worten zu dern. Wir sind noch nicht so weit, wie
Wollen Sie das Infektionsschutzgesetz men die Korruptionsfälle, Maskenaffä- sagen. wir sein wollen. Aber doch sehr viel wei-
noch einmal ändern? re, dubiose Verbindungen zum Regime Wir können das. ter als andere Parteien.
Auch der Rechtswissenschaftler Stef- Bundestag konkrete Vorschläge gemacht Grünen-Fraktionschefin Katrin Gö- tig sei unter anderem eine verbindliche
fen Augsberg glaubt selbst bei größten würden. „Der Bundestag ist jederzeit in ring-Eckardt bot an, sich „jederzeit im Testpflicht, die mit Kontrollen durchge-
Anstrengungen auf allen Seiten nicht da- der Lage, schnell zu entscheiden. Das Bundestag zu einer Sondersitzung ein- setzt werde.
ran, dass ein solches Gesetz binnen Ta- Parlament frühzeitig einzubeziehen ist zufinden“. Die Bundesregierung dürfe Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice
gen über die Bühne gebracht werden aber bislang am Willen der Kanzlerin ge- nicht noch mehr wertvolle Zeit verlie- Weidel hält diese Debatte aber für „so
könnte. Augsberg, der in Gießen Öffent- scheitert.“ ren, sagte sie WELT und forderte: „Wir überflüssig wie gefährlich“. Weder ein
liches Recht lehrt und zudem dem Deut- FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae brauchen jetzt einen radikalen Wellen- „Bundes-Lockdown“ noch eine Be-
schen Ethikrat angehört, erinnerte unter sieht es derweil sogar als Pflicht des brecher.“ In der Wirtschaft und Arbeits- schneidung der Rechte der Länder sei
anderem an das in der Verfassung festge- Bundestags an, endlich mehr Entschei- welt müssten „die Risikokontakte auf mit der AfD zu machen. „Was wir ange-
schriebene Einspruchsrecht des Bundes- dungen in Sachen Corona zu treffen. ein Minimum herunter und der Infekti- sichts des schädlichen und wirkungslo-
rats. Außerdem tage der Bundestag Wenn das einzige direkt vom Volk ge- onsschutz auf ein Maximum hoch.“ Es sen Lockdowns jetzt ganz bestimmt
selbst erst wieder Mitte April das nächs- wählte Verfassungsorgan endlich eine sei schwer nachvollziehbar, wenn man nicht brauchen, ist eine Verfassungs-
te Mal. Der Rechtsprofessor hält es aller- klare und präzise Bundesgesetzgebung abends Kontakte mit Freunden hart ein- oder Föderalismusdebatte. Statt ‚bin-
dings mit Blick auf zuletzt vermehrt auf den Weg bringe, beschneide es nicht schränke, aber tagsüber in Großraum- nen Tagen‘ über Gesetzes- oder gar Ver-
„misslungene Schnellschüsse“ der Poli- Länderkompetenzen, sondern nehme büros zusammenarbeiten müsse. fassungsänderungen nachzudenken,
tik für fraglich, ob ein massiv beschleu- seine Aufgaben gewissenhaft wahr, so Auch die Linkspartei sieht für den müssen die Entscheidungen über den
nigtes Gesetzgebungsverfahren über- Thomae. „Aktuell nimmt der Bundestag Schutz am Arbeitsplatz ganz besonders Kampf gegen Corona endlich dort ge-
haupt ratsam wäre. seine gesetzgeberische Verantwortung dringenden Handlungsbedarf. Achim troffen werden, wo sie hingehören: im
SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas sieht in der Corona-Pandemie nicht hinrei- Kessler, gesundheitspolitischer Spre- Deutschen Bundestag.“
das ähnlich und ist über die von Seeho- chend ernst.“ Stattdessen werde die ge- cher der Linksfraktion, fordert bundes- Tatsächlich scheint es in der Bevölke-
fer angestoßene Debatte mitten in der setzgeberische Verantwortung auf Bun- weit einheitliche Vorgaben, damit bei- rung aber ein gewisses Bedürfnis nach
dritten Corona-Welle „sehr verwun- desregierung und Länderregierungen spielsweise Unternehmen ihren Be- mehr Einheitlichkeit zu geben. Nach ei-
dert“: „Das Bundesinnenministerium abgewälzt. Thomae erinnerte daran, schäftigten kostenlose Schnelltests zur ner Umfrage des Meinungsforschungs-
und das Kanzleramt haben unsere kon- dass seine Fraktion schon im November Verfügung stellen müssen. „Die Bun- instituts YouGov wären 53 Prozent da-
kreten Vorschläge, einzelne Maßnahmen 2020 und erneut im Februar 2021 Geset- desregierung hat viel zu lange einseitig für, dass der Bund Corona-Maßnahmen
in das Infektionsschutzgesetz aufzuneh- zesvorschläge für präzise bundeseinheit- die Interessen der Wirtschaft geschützt auch ohne Zustimmung der Länder be-
men, bisher immer abgelehnt“, sagte sie liche Regelwerke vorgelegt habe, die bei- und Maßnahmen nur im privaten Be- schließen könnte. 36 Prozent favorisie-
und kritisierte, dass von der Regierung spielsweise den Gesundheitsämtern kla- reich durchgesetzt“, kritisiert Kessler. ren ein gemeinsames Vorgehen von
seit Tage immer wieder neue Ankündi- re ,Wenn-dann-Regeln’ an die Hand ge- „Folge davon ist die dritte Welle. Das Bund und Ländern, elf Prozent machten
gungen zu hören seien, ohne dass dem geben hätten. muss jetzt endlich ein Ende haben.“ Nö- keine Angaben.
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I
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
nhaltlicher Streit ist nicht zu er-
warten. Wenn die AfD am nächs-
ten Wochenende in Dresden über
das Bundestagswahlprogramm
entscheidet, werden aller Voraus-
sicht nach Differenzen über Sachfra-
gen oder über thematische Festlegun-
gen kaum eine Rolle spielen. Niemand
in der AfD rechnet vor dem Parteitag
mit größeren Kontroversen über die
Zusammenfassung der bisherigen AfD-
Forderungen im Leitantrag zum Wahl-
programm. Umso heftiger dürften die
Auseinandersetzungen über Personen
werden. Nämlich über diejenigen, die
das Wahlprogramm als Spitzenkandi-
daten vertreten sollen. Hierbei geht es
letztlich um die Frage nach einem Aus-
tausch der Führung – und somit um
die Gewichte zwischen der Anhänger-
schaft des offiziell aufgelösten, vom
Verfassungsschutz als gesichert
rechtsextrem eingestuften Flügels und
dem verbal weniger radikalen Lager
um Parteichef Jörg Meuthen. Die Per-
sonaldebatte wird zur Grundsatzde-
batte der AfD.
VON MATTHIAS KAMANN
Ein Austausch der Führung steht
schon deshalb an, weil der bisherige
Bundestagsfraktionsvorsitzende Ale-
xander Gauland 80 Jahre alt ist. Zwar
zieht es ihn noch einmal ins Parla-
ment, die brandenburgische AfD hat
Gauland auf Listenplatz eins gewählt.
Aber so gut wie auszuschließen ist,
dass der zunehmend mürrische Ehren-
vorsitzende noch einmal Spitzenkan-
didat und dann Fraktionschef werden
will. Gaulands Rolle als Vertreter der
ostdeutschen Landesverbände mit en-
ger Verbindung zum Flügel-Netzwerk
dürfte dem Ko-Parteichef Tino Chru-
palla zufallen. Er hat sich zwar offiziell
noch nie zu seinen Ambitionen geäu-
ßert, gilt aber auch wegen seines ers-
ten Listenplatzes auf der sächsischen
Landesliste als gesetzt und zeigt sich
intern bereit zur Spitzenkandidatur.
Wer aber soll im mutmaßlichen
Wahlkampf-Duo neben Chrupalla ste-
hen und den Westen repräsentieren?
Die besten Chancen wurden noch
vor wenigen Monaten der anderen
Fraktionschefin Alice Weidel nachge-
sagt. Aber mittlerweile ist unklar, ob
die 42-Jährige überhaupt Spitzenkan-
didatin werden will und gewählt wer-
den würde. Ihre Spendenaffäre hängt
ihr an, ebenso die schwere Schlappe
bei der Landtagswahl in Baden-Würt-
temberg, wo Weidel Landesvorsitzen-
de ist und zahlreiche Gegner in ver-
schiedenen Lagern hat. Frustriert
zeigte sie sich unlängst im WELT-In-
terview darüber, dass sich die AfD in
der Corona-Pandemie „nicht als Pro-
blemlösungspartei positionieren“
konnte – wofür sie als Fraktionsvorsit-
zende aber mitverantwortlich ist. Dem
Flügel-Netzwerk keineswegs feindlich
gesonnen hat Weidel sich zudem in ei-
nen Kleinkrieg mit Meuthen ver-
strickt, ohne dass sie den nicht in den
Bundestag strebenden Parteichef bis-
her hätte schwächen können.
Und jetzt hat sich auch noch eine
andere Frau aus dem Westen in Rich-
tung Spitzenkandidatur bewegt. Die
hessische Bundestagsabgeordnete Joa-
na Cotar, 47, erst im November in den
AfD-Bundesvorstand gewählt, wurde
kürzlich von ihren beiden Vorstands-
kollegen Alexander Wolf (Hamburg)
und Carsten Hütter (Sachsen) als Teil
einer Wahlkampf-Doppelspitze ins
Spiel gebracht. „Das wäre doch ein
Spitzenteam: Joana Cotar und Tino
Chrupalla“, schrieb Hütter auf Face-
book. Doch umgehend wurde – und da-
ran zeigt sich die Symbolkraft dieser
Personalie im parteiinternen Rich-
tungsstreit – aus Flügel-Kreisen gegen
Cotar gestichelt.
Der konkrete Anlass war, dass Cotar
der „Jungen Freiheit“ sagte, sie sei
nach einer Kandidatur „tatsächlich ge-
fragt worden“, stehe dafür „grundsätz-
lich auch bereit“, wolle aber mehr dazu
nicht sagen, weil ein solcher Vorgang
„integrativ sein sollte“. Ziemlich un-
integrativ sagte kurz darauf Parteivize
Stephan Brandner WELT: „Das Bemü-
hen von Joana Cotar hätte ich als deut-
lich ernsthafter empfunden, wenn das
Thema bei der jüngsten Bundesvor-
standssitzung zur Sprache gekommen
wäre.“ Da allerdings sei die Frage „mit
keinem Wort erwähnt“ worden. Außer-
dem, so Brandner, sei auch er selbst
gefragt worden, „und nach meiner
Kenntnis wurden viele gefragt“. Später
twitterte der Bundestagsabgeordnete
Jürgen Pohl eine offensichtlich iro-
nisch gemeinte Fotomontage von sich
und Cotar mit der Aufschrift „Auch ich
wurde gefragt!“. Brandner und Pohl
stehen weit rechts in der Partei. Hin-
gegen gehört die wirtschaftspolitisch
liberale bis libertäre Cotar ganz ein-
deutig zum Meuthen-Lager und ist mit
dem Flügel-Netzwerk nicht verbun-
den. Würde sie Spitzenkandidatin, wä-
So kompliziert
ist die
Führungsfrage
in der AfD
Bei der Suche nach Spitzenkandidaten
für die Bundestagswahl verheddert sich
die AfD in Verfahrensfragen. Dabei wird
dringend nach Ersatz für Alexander
Gauland gesucht, und auch Alice Weidel
steht auf der Kippe. Gegen eine mögliche
Nachfolgerin wird schon gestichelt
re das ein Signal gegen die Völkischen.
Allerdings gehört zu den Komplika-
tionen bei der heftig umkämpften AfD-
Spitzenkandidatur auch die Frage, ob
denn die Führungsfiguren überhaupt
schon in Dresden gewählt werden sol-
len. Grund dafür ist ein schon vor län-
gerer Zeit angezetteltes Manöver von
Meuthens Mehrheit im Bundesvor-
stand. Als es nämlich noch so aussah,
dass Weidel auf einem Parteitag gute
Chancen haben würde, verfielen der
POLITIK 5
ter alle Flügel-nahen in Ostdeutsch-
land, insgesamt drei Anträge gestellt,
wonach die Spitzenkandidaten eben
„Wollte nicht vor den Augen
doch schon in Dresden gewählt wer-
den sollen. Offiziell argumentieren die meiner Kinder ersticken“
Was passiert, wenn Eltern schwer an Corona
Antragssteller unter anderem damit,
A
erkranken? Vielerorts fehlt ein ausgereifter Plan
dass die Partei angesichts des begin-
nenden Bundestagswahlkampfs mit
der Benennung von Führungsfiguren
nicht mehr länger warten dürfe und
sich deshalb schon am nächsten Wo- ls die FDP-Politikerin Karoline hörige betreuen zu lassen. Weitere fun-
chenende festlegen müsse. Preisler im März 2020 merkte, dierte Aussagen können nicht getroffen
Indes hatten jene Landesvorstände, dass sie an Covid-19 erkrankt ist, werden.“
die mit Weidel im Grunde einverstan- war sie allein zu Hause mit ihren drei In der Berliner Charité, wo Covid-Pa-
den wären, bei ihren schon vor Wo- Kindern – in Barth, Mecklenburg-Vor- tienten behandelt werden, ist man aller-
chen eingereichten Anträgen ur- pommern. Das jüngste Kind war damals dings erstaunt, dass dort Kinder aufge-
sprünglich auch ein verdecktes Motiv: acht Jahre alt. Die Familie teilte die Woh- nommen werden sollen. Die Sprecherin
Durchs Vorziehen der Kandidatenkür nung auf, Karoline Preisler stellte den schreibt: „Eine reguläre Aufnahme von
sollte verhindert werden, dass das Kindern das Essen hin. Bald merkte sie: nicht erkrankten Kindern ist derzeit aus
Meuthen-Lager mehr Zeit zum Auf- Es geht nicht mehr. Sie bekam keine Kapazitätsgründen nicht möglich.“
bauen eigener Kandidaten für eine Luft. Aber ihr Hausarzt wollte nicht Sven Gläser, der Pandemiebeauftragte
spätere Urwahl hätte. Jetzt aber, da kommen, um ihr Sauerstoff zu geben. Er in den Vivantes-Kliniken, antwortet:
Weidel erkennbar zögert und die Flü- hatte Angst. „Wenn es keine andere Möglichkeit der
gel-Gegnerin Cotar schon bereitsteht, Betreuung gibt, können Kinder von Co-
könnte auch eine Wahl auf dem Partei- VON STEFFI UNSLEBER vid-erkrankten Eltern, die stationär im
tag zu Ungunsten der Rechtsaußen Krankenhaus behandelt werden müssen,
ausgehen. Zumal diese, wenn Weidel „Ich wollte nicht vor den Augen mei- bei Vivantes als Begleitpersonen mit auf-
tatsächlich ausfallen sollte, keine star- ner Kinder ersticken“, sagt sie heute. genommen werden. Dies sind bislang je-
ke personelle Alternative aus dem Doch ins Krankenhaus konnte sie nicht, doch sehr seltene einzelne Fälle, für die
Westen zu bieten haben. denn wer hätte ihre Kinder betreut? Sie individuelle, pragmatische Lösungen ge-
Allerdings wird im Kreis um Meu- hatten das Virus ja vielleicht auch. funden wurden.“ Fragt man nach, wie
then weiterhin eine spätere Basis-Ur- Die Situation entspannte sich erst, als diese pragmatischen Lösungen konkret
wahl favorisiert – auch durch jeman- das Krankenhaus signalisierte, dass es aussahen – ob die Kinder beispielsweise
den, der ebenfalls Ambitionen zu er- die Kinder im Notfall unterbringen wür- mit den Eltern zusammen untergebracht
kennen gibt. Der Bundestagsabgeord- de – auf Grundlage einer „sozialen Indi- wurden oder getrennt –, heißt es aus der
nete Rüdiger Lucassen, Landeschef in kation“. Letztlich kam es anders, das Ge- Pressestelle, dass man dazu keine Aussa-
Nordrhein-Westfalen, antwortete auf sundheitsamt erlaubte Preislers Partner, gen machen könne.
die WELT-Frage, ob er sich um eine der auch an Covid-19 erkrankt war, seine Die Entscheidung, wo ein Kind unter-
Spitzenkandidatur oder einen Platz in Quarantäne in Berlin mit der Quarantä- gebracht wird, richte sich nach dem
einem Spitzenteam bewerben würde: Grad der Erkrankung des Kindes,
„Grundsätzlich ja, aber nicht auf dem schreibt der Sprecher der Senatsverwal-
Bundesparteitag.“ Als Grund nannte tung für Bildung, Jugend und Familie in
Lucassen zum einen das „eindeutige Berlin. „Wenn das Kind ebenfalls er-
Ergebnis“ der Mitgliederumfrage, das krankt ist und schwere Krankheitssymp-
man „nicht einfach ignorieren“ dürfe. tome aufweist, ist eine Versorgung über
Zum andern komme „die Wahl eines das Gesundheitswesen angezeigt. In al-
oder mehrerer Spitzenkandidaten auf len anderen Fällen eine Unterbringung
dem Bundesparteitag zu früh“. Lucas- über die Jugendhilfe.“ Überwiegend
sen verweist darauf, dass zehn AfD- würden aber Lösungen innerhalb des so-
Landesverbände, darunter die drei zialen Umfeldes der Kinder gefunden.
mitgliederstärksten in Bayern und Ba- Viele Kommunen, mit denen WELT
OLAF HEYDE/
den-Württemberg sowie NRW, noch Kontakte hatte, scheinen darauf zu set-
nicht über ihre jeweiligen Kandidaten- zen, dass im Zweifel doch die Großeltern
listen zur Bundestagswahl abgestimmt oder Freunde bei der Betreuung ein-
haben. Mithin wäre es bei einer Spit- Erkrankte schwer an Corona: springen – auch wenn sie sich damit in
zenkandidatenwahl schon auf dem FDP-Politikerin Karoline Preisler Gefahr begeben. Andere Kommunen ha-
Bundesparteitag theoretisch denkbar, ben mittlerweile ganz konkrete Pläne
dass ein dort Gekürter hinterher im ne ihrer Kinder zusammenzulegen. Er entwickelt.
Landesverband gar nicht aufgestellt stieg in sein Auto und fuhr ohne Stopp Im Landkreis Osnabrück steht derzeit
würde – oder dass er oder sie dann ei- nach Hause. Als er da war, rief Preisler eine Pflegeperson mit pädagogischer
nen Listenplatz nur wegen der Spit- den Rettungsdienst. Was wäre gewesen, Ausbildung für eine vorübergehende Be-
zenkandidatur bekäme. „Seriös“, so wenn sie alleinerziehend gewesen wäre? treuung zur Verfügung. „Diese Pflege-
Lucassen, könne daher die Bestim- Oder wenn es ihren Mann auch schwer person war bereits an Covid-19 erkrankt
mung der Spitzenkandidaten für den erwischt hätte? und hat ein entsprechendes Tätigwerden
Bund erst nach den Listenplatz-Partei- Familien dürfte diese Frage derzeit für den Bedarfsfall zugesagt“, so ein
tagen der Landesverbände stattfinden. vermehrt beschäftigen. Denn die Infekti- Sprecher. „Mit der zunehmenden Anzahl
„Mein Landesverband NRW wird onszahlen steigen, Jüngere erkranken zweifach geimpfter Kinderbetreuungs-
erst nach dem Bundesparteitag die durch die Mutationen inzwischen häufi- fachkräfte werden zeitnah weitere ver-
Kandidatenliste für die Bundestags- ger schwer. gleichbare Betreuungsoptionen zur Ver-
,,
wahl beschließen“, sagte Lucassen. Doch was passiert, wenn Eltern so fügung stehen.“
GETTY IMAGES/CARSTEN KOALL
„Würde ich auf dem Bundesparteitag schwer an Covid-19 erkranken, dass sie Der Landkreis Märkisch-Oderland be-
als Spitzenkandidat der Bundespartei ihre Kinder nicht mehr versorgen kön- richtet von zwei Fällen, in denen die El-
AfD-Fraktionschefs ins Rennen gehen, wäre das eine unfai- nen? Großeltern oder Freunde, die man tern ihre Kinder aufgrund ihrer Covid-
Alice Weidel und re Wettbewerbsverzerrung. Die NRW- in normalen Zeiten fragen würde, wären Erkrankung nicht mehr versorgen konn-
Alexander Gauland Delegierten sollen den besten Kandi- ja in Gefahr, sich ebenfalls zu infizieren. ten. Einmal habe der Landkreis gemein-
daten wählen und nicht genötigt wer- Zuständig sind eigentlich die Jugendäm- sam mit der betroffenen Familie und mit
den, eine Wahl des Bundesparteitags ter, die im schlimmsten Fall Kinder in
bestätigen zu müssen.“ Über Cotar Obhut nehmen müssen. Doch passiert
sagte Lucassen, er schätze sie „sehr“ das tatsächlich?
als „eine fachlich sehr fundierte Politi- Jutta Messerschmidt leitet das Ju-
kerin“. Dennoch sei er „aus den ge- gendamt im hessischen Wetteraukreis.
UNTERBRINGUNG
nannten Gründen gegen die Wahl ei- Schon zu Beginn der Pandemie hatte sie
AUSSERHALB
nes Spitzenteams auf dem kommen- sich darauf eingestellt, dass es zu einer
den Bundesparteitag“, und diese solchen Situation kommen würde, und
DER FAMILIE
Gründe seien „unabhängig von der schuf zusätzliche Plätze für Inobhutnah-
Person aller möglichen Bewerber“. men. „Zum Glück mussten wir das bis-
ALLERLETZTE
Allerdings wenden nicht wenige in her aber nicht ausreizen“, sagt sie.
der AfD quer durch die Lager ein, dass In den vergangenen Wochen war sie
LÖSUNG
sich die Listenwahl-Parteitage der allerdings zweimal in der Situation, Kin-
Landesverbände schon wegen der Co- der in Obhut nehmen zu müssen, weil
rona-Beschränkungen noch bis in den die Eltern schwer erkrankt sind – zum
JUTTA MESSERSCHMIDT
Mai und möglicherweise sogar den Ju- ersten Mal seit Beginn der Pandemie.
Leiterin des Jugendamts Wetteraukreis
ni hinziehen könnten. Wenn man aber „Fremdunterbringung außerhalb der Fa-
erst danach noch eine langwierige milie ist die allerletzte Lösung“, sagt sie.
BasisUrwahl über die Spitzenkandida- „Vorher müssen alle Möglichkeiten der befreundeten Familien, die sich ebenfalls
ten abhalte, könne man darauf so kurz ambulanten Hilfe ausgeschöpft sein.“ in Quarantäne befanden, sowie dem Be-
vor der Bundestagswahl gleich ganz Beide Fälle sind noch akut. In dem ei- reitschaftsdienst des Jugendamtes ein
verzichten. nen befinden sich beide Elternteile in Wochenende überbrückt. In einem ande-
Wie der Streit ausgehen wird, ist stationärer Behandlung. Ihre Kinder, de- ren Fall seien die Kinder kurzfristig mit
völlig offen. Als einigermaßen sicher ren Testergebnis ebenfalls positiv aus- ins Krankenhaus gegangen. „Beide Fälle
kann nur gelten, dass es über diese fiel, wurden in der Kinderklinik betreut, liefen relativ unproblematisch und boten
Verfahrensfrage in Dresden erst ein- solange sie noch infektiös waren. Da- Gelegenheit, die Abläufe zu erproben“,
mal zu einer jener Tagesordnungs- nach wurden sie in einer stationären sagt der Sprecher. Die Folge: Das Ju-
schlachten kommt, die schon so man- Einrichtung aufgenommen, in einem gendamt habe gemeinsam mit dem Ge-
chen AfD-Parteitag stundenlang ge- Heim. Im anderen Fall wurde das Kind sundheitsamt sowie dem Sozialamt ei-
lähmt haben. Einen Schuldigen für so negativ getestet und direkt in einem nen Leitfaden für solche Szenarien ent-
ein Durcheinander würden viele Heim untergebracht. „Eine solche Un- wickelt. „Zur allergrößten Not gibt es ei-
schnell finden: Meuthen. Denn der terbringung ist die höchste Eskalation“, ne Vereinbarung mit einem Träger der
hatte sich ja stark gemacht für jene sagt Messerschmidt. Jugendhilfe, der eine Quarantänewoh-
Mitgliederumfrage, die jetzt alles so Eine stichprobenartige Abfrage in nung sowie bereits immunisierte Sozial-
kompliziert macht. deutschen Landkreisen und Städten arbeiter für eine Notunterbringung zur
Wenn dadurch die Wahlkampfvor- zeigt: Nur wenige Kommunen scheinen Verfügung stellt.“
bereitungen stark erschwert werden einen klaren Plan für den Fall zu haben, Im Landkreis Oberspreewald-Lausitz
Parteichef und seine Unterstützer da- und die Partei dann auch bei der Wahl insbesondere in der Hauptstadt. Eine steht eine Kinderklinik zur Verfügung,
rauf, sämtliche AfD-Mitglieder zu fra- schwächelt, dürfte es für den Partei- Sprecherin des Bezirksamts Berlin-Mitte die vorübergehend bereit wäre, Kinder
gen, ob diese die Spitzenkandidaten chef selbst eng werden. Ohnehin ist schreibt: „So ein Fall ist im Bezirk Mitte mit einer möglichen Covid-19-Infektion
nicht lieber selbst in einer späteren Meuthen wegen seines konfrontativen nicht bekannt. Eventuell hilft Ihnen eine aufzunehmen und zu betreuen. „Die
Urwahl bestimmen wollten. Zwar war Kurses gegenüber dem Flügel-Netz- Nachfrage bei den Krankenhäusern wei- Kosten hierfür würde das Jugendamt
die Beteiligung an dieser Umfrage mit werk sehr umstritten, und auch ihm ter.“ übernehmen“, so der Sprecher.
nicht einmal 25 Prozent der Mitglieder hängt noch seine eigene Spendenaffäre Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuz- Wer einmal selbst ein junges Kind be-
sehr gering. Aber das Ergebnis war ein- an. Wenn beim übernächsten Bundes- berg klingt ähnlich planlos: „Grundsätz- treut hat, weiß: Das ist ein Vollzeitjob.
deutig: 87 Prozent der Teilnehmenden parteitag Ende des Jahres ein neuer lich liegen hier nur äußerst wenige Fälle Ob Pflegekräfte in einem Krankenhaus,
sprachen sich für eine Urwahl aus. Bundesvorstand zu wählen ist, kann vor, in denen seitens des Bezirksamts da- wo häufig sowieso schon Personalnot
Doch für den Parteitag haben nun somit das Thema Führungsaustausch rauf hingewirkt wird, die Kinder im herrscht, das zusätzlich leisten können,
gleich sieben Landesverbände, darun- auch Meuthen betreffen. Krankenhaus oder durch Familienange- dürfte fraglich sein.
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6 POLITIK
Lässt sich Europa erpressen?
Türkei-Deal im Faktencheck
EU-Kommissionschefin von der Leyen und
A
Ratspräsident Michel verhandeln mit Erdogan
m Dienstag erwartet der türki-
sche Präsident Recep Tayyip Er-
dogan hohen Besuch: EU-Kom-
missionspräsidentin Ursula von der Ley-
en und der Chef des Europäischen Rates,
Charles Michel, kommen in die Türkei.
Sie wollen die Weichen stellen für eine
Neuauflage des Flüchtlingsabkommens,
das vor fünf Jahren beschlossen wurde
und den Zustrom von Migranten über
das Mittelmeer beschränkt.
VON CAROLINA DRÜTEN
Hilfsorganisationen nennen den Deal
„erbärmlich“ und „unmenschlich“, wäh-
rend Berlin ihn als Erfolg ansieht. Kriti-
ker bemängeln zudem, dass sich die EU
von Erdogan abhängig – und erpressbar –
mache. Was ist dran an den Vorwürfen?
Ein Faktencheck.
FUNKTIONIERT DAS ABKOMMEN?
Ja und nein. Das Abkommen hatte zum
Ziel, die Zahl der auf den griechischen
Inseln ankommenden Migranten stark
zu senken. Das ist gelungen. Die Zahl der
reinen Ankünfte über den Seeweg betrug
an vielen Tagen des vergangenen Jahres
sogar null. Auch die Zahl der Todesfälle
im östlichen Mittelmeer ist gesunken.
Doch die Daten können auch in die Irre
führen. Denn zumindest im vergangenen
Jahr war nicht das Flüchtlingsabkommen
für die niedrigen Zahlen verantwortlich –
sondern eine illegale Praxis griechischer
Grenzschützer. Griechenland macht von
sogenannten Pushbacks (deutsch: Zu-
rückdrängen) Gebrauch, wie verschiede-
ne Recherchen, darunter eine des inves-
tigativen Netzwerks „Bellingcat“, zeig-
ten. Die Küstenwache weist die Boote
der Migranten auf offener See zurück,
obwohl europäisches und internationa-
les Recht das verbieten.
Dieser Zustand hält bereits seit Febru-
ar vergangenen Jahres an. Damals ver-
kündete Erdogan, die Grenze sei offen.
Tausende Migranten versuchten, aus der
Türkei in die EU zu gelangen. Grie-
chische Sicherheitskräfte drängten sie
mit Tränengas, Blendgranaten und
Schlagstöcken zurück. Kommissionsprä-
sidentin Ursula von der Leyen bezeich-
nete das Land als „Schild“ Europas. Seit-
dem ist der Flüchtlingsdeal de facto au-
ßer Kraft – „auch wenn die EU das an-
ders als die Türkei nicht zugeben will“,
sagt John Dalhuisen von der Denkfabrik
Europäische Stabilitätsinitiative (ESI),
die das Flüchtlingsabkommen einst ent-
worfen hat.
WER VERSTÖSST GEGEN DAS AB-
KOMMEN?
„Die Türkei kontrolliert die Grenze zu
Griechenland seit der Eskalation im Fe-
bruar vergangenen Jahres nicht mehr
richtig“, sagt Dalhuisen. Zudem nimmt
die Türkei seit März 2020 auch nicht
mehr jene Migranten zurück, die keinen
Schutzanspruch in der EU haben. Zu bei-
dem hatte sich Ankara in dem Abkom-
men jedoch bereit erklärt.
Die türkische Regierung wirft Brüssel
allerdings ebenso vor, gegen die Verein-
barung zu verstoßen. Tatsächlich ist die
einzige Gegenleistung, die das Land da-
für bekommt, rund vier Millionen
Flüchtlinge zu versorgen, Geld – in dem
Abkommen waren jedoch auch Visafrei-
heit für türkische Staatsbürger im
Schengen-Raum und die Modernisierung
der Zollunion festgehalten worden. Nun
gibt es zwar klare Kriterien, die Ankara
hierfür noch nicht erfüllt hat – zum Bei-
spiel die Anpassung der Anti-Terror-Ge-
setze gegen Visafreiheit. Zur Wahrheit
gehört aber auch: Für eine Modernisie-
rung der Zollunion, wenngleich immer
wieder als Lockmittel verwendet, fehlt in
der EU der politische Wille.
Auch die Umsiedlung syrischer
Flüchtlinge aus der Türkei in die EU ver-
läuft schleppend, erst rund 28.000 Men-
schen wurden aufgenommen – weniger
als die Hälfte von dem, was Brüssel ver-
sprochen hatte. Kati Piri, die ehemalige
Türkei-Berichterstatterin des EU-Parla-
ments, fasst es in einem Gastbeitrag für
die WELT-Partnerpublikation „Politico“
so zusammen: „Die Türkei schultert seit
Jahren eine schwere Last für Europa –
für sehr wenig Gegenleistung.“ Wenn
der Deal scheitere, schreibt die Nieder-
länderin, dann auch aufgrund europäi-
scher Versäumnisse.
MACHT SICH DIE EU DURCH DEN
DEAL ERPRESSBAR?
Hier scheiden sich die Geister. Fakt ist:
Bisher hat sich vor allem Kanzlerin An-
gela Merkel gegen harte Wirtschafts-
sanktionen für die Türkei gesperrt. Im
vergangenen Herbst wäre der Konflikt
um Erdgas im östlichen Mittelmeer – be-
feuert von der türkischen Regierung –
beinahe eskaliert. Doch Sanktionen ge-
gen ganze Wirtschaftszweige oder ein
Waffenembargo blieben Erdogan er-
spart: Beim Gipfel im Dezember ebneten
die Staats- und Regierungschefs der EU
lediglich den Weg für neue Strafmaßnah-
men gegen einzelne Personen und Un-
ternehmen.
„Das einstige Machtgefälle hat sich
umgedreht“, sagte Günter Seufert, Leiter
des Centrums für angewandte Türkei-
studien, kürzlich WELT. „Früher saß
Brüssel am längeren Hebel. Heute glaubt
die EU, in vielen Bereichen auf die Türkei
angewiesen zu sein. Sie macht ein Zuge-
ständnis nach dem anderen, ohne dass
Erdogan seine Politik mäßigt.“ Dalhuisen
dagegen meint: „Erdogans Position ist
nicht sehr stark, nachdem die EU ein
Jahr lang de facto ohne das Flüchtlings-
abkommen ausgekommen ist.“ Damit
habe der türkische Präsident sein Druck-
mittel verloren.
WARUM SOLLTE DIE EU DAS AB-
KOMMEN ÜBERHAUPT ERHALTEN?
Weil es um die Lebensbedingungen der
Menschen geht, die aus Syrien und ande-
ren zerrütteten Ländern vor Krieg und
Not geflüchtet sind. Diese werden durch
das Abkommen in der Türkei verbessert.
Und weil die EU gegen grundlegende
Menschenrechte verstößt, wenn sie ein-
fach beschließt, Migranten an der Gren-
ze zurückzuweisen und niemanden mehr
aufzunehmen. Die eigentliche Frage, sagt
Dalhuisen, sei doch die: „ob die EU eine
humane Grenzkontrolle will, ob sie den
Kern der Flüchtlingskonvention bewah-
ren will, ob sie die Rechtsstaatlichkeit in
Europa bewahren will, ob sie ihre eige-
nen Asylgesetze anwenden will – im
Grunde, ob sie sich von den Pushbacks
und den unmenschlichen Praktiken los-
sagen will“. Denn das sei die Alternative
zum Flüchtlingsabkommen.
BELOHNT BRÜSSEL ERDOGAN FÜR
SEINE AUTORITÄRE POLITIK AUCH
NOCH FINANZIELL?
Nein, das Geld im Rahmen des Flücht-
lingsabkommens fließt direkt an Organi-
sationen, die in der Flüchtlingshilfe tätig
sind. Darunter sind auch deutsche Verei-
ne wie die Deutsche Gesellschaft für In-
ternationale Zusammenarbeit (GIZ), die
Deutsche Welthungerhilfe oder die Kre-
ditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Un-
ter den Empfängern sind allerdings auch
türkische Regierungsorgane, die das
Geld für die Integration der Flüchtlinge
nutzen: Dem Ministerium für Arbeit, Fa-
milie und Soziales wurden insgesamt 265
Millionen Euro zugesagt, dem Gesund-
heitsministerium 510 Millionen und dem
Bildungsministerium 700 Millionen.
Vereinbart wurden vor fünf Jahren
insgesamt sechs Milliarden Euro, von de-
nen bisher 4,1 Milliarden ausgezahlt wur-
den. Der Rest des Geldes ist bereits ver-
traglich gebunden. Auch deshalb ist eine
Neuauflage des Abkommens so dringend
– um die Flüchtlinge weiter versorgen zu
können, ist Ankara auf finanzielle Unter-
stützung angewiesen. Im vergangenen
Jahr hat die EU der Türkei weitere rund
500 Millionen Euro zugesagt. Der EU-
Gipfel Ende März stellte weitere Hilfen
in Aussicht. Wie viele Milliarden es dies-
mal am Ende werden, ist Verhandlungs-
sache.
WAS MUSS BESSER WERDEN?
Die Situation auf den griechischen Inseln
ist katastrophal. Die Flüchtlingslager
sind überfüllt, die Lebensbedingungen
unmenschlich. Das liegt auch daran, dass
Griechenland nicht dazu fähig war, die
Asylanträge zeitnah zu bearbeiten – die
Menschen mussten Monate oder gar Jah-
re warten. Auch schickte Athen nur sehr
wenige zurück in die Türkei.
Neue Lager sind bereits geplant. Um
die Situation nachhaltig zu verbessern,
müssen die griechischen Behörden je-
doch die Asylanträge deutlich schneller
bearbeiten. Griechenland und die Türkei
müssten sich zur Rücknahme von Mig-
ranten ohne Schutzanspruch bekennen;
die EU zur Umsiedlung von syrischen
Flüchtlingen aus der Türkei. Die Denkfa-
brik ESI schlägt zudem vor, dass die EU
und die Türkei gemeinsam an einer Ver-
besserung der humanitären Lage in Sy-
rien selbst arbeiten sollten – um die
Fluchtursachen dort zu bekämpfen, wo
sie entstehen. MIT DPA
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
CHRISTINE KENSCHE (2)
A
Glitschige Steinstufen führen in den Tunnel, den die israelische Armee entdeckte (o.). Die Grenze zum Libanon ist nur wenige Kilometer entfernt
Im Angriffstunnel der Hisbollah
79 Meter tief, einen
ls die Abenddämmerung erklommen. Als die ersten israelischen Spezialkräfte sechs Tunnel aufgespürt.
Kilometer lang,
einsetzt, ertönt der Ruf des Soldaten den Tunnel betraten, fanden Conricus versichert, dass das Militär
Muezzins. So nah ist die sie ein Belüftungssystem, Lautsprecher das Terrain sorgsam überwache und je-
Transportband
nächste libanesische Stadt, und ein Telefon vor, das noch funktio- de neue Tunnelaktivität entdecken wer-
made in Germany:
dass man ihn hier, im äu- nierte. Einer hob den Hörer ab, doch am de. Daphné Richemond-Barak sieht die
ßersten Norden Israels, hören kann. Auf anderen Ende meldete sich niemand. Lage an der Grenze pessimistischer. Sie
Solche Tunnel
dieser Seite der Grenze reihen sich be- Neben dem Telefon an der Felswand, unterrichtet internationales Recht an
waldete Hügel aneinander, eine einsame rund zwei Dutzend Meter unter der Er- der Universität Herzliya und hat ein
graben Terroristen
Straße verbindet zwei Dörfer. de, beginnt ein Transportband, mit dem Buch geschrieben über die Kriegsfüh-
die Hisbollah offenbar Steine und Werk- rung unter der Erde („Underground
vom Libanon nach
VON CHRISTINE KENSCHE zeuge bewegte. Auf dem Motor der Seil- Warfare“). Sie sei dort gewesen, in den
AUS METULA winde ist ein verwittertes Blechschild Hügeln, auf einem Ausflug, bevor die
Israel, um Israelis zu
angebracht – die Maschine stammt aus Armee ihre Suchaktion startete, erzählt
entführen. Die Lage
Auf einem Hügel steht ein Betonfun- Deutschland. sie. „Hier ist bestimmt alles untergra-
dament, darauf eine blaue Stahltonne. Der israelische Staatspräsident Reu- ben“, sagte sie damals zu ihren Freun-
an der Grenze ist
Sie markiert die sogenannte Blaue Li- ven Rivlin und Generalstabschef Aviv den. Die lachten. „Du vermutest aber
nie, die Demarkationslinie zwischen Is- Kochavi waren vor einigen Tagen zu Be- auch überall Tunnel.“ Wenige Monate
angespannt
rael und dem Libanon, welche die Ver- such in Berlin, um den israelischen Si- später vermeldete die Armee ihren
einten Nationen mit ihrer Unifil-Missi- cherheitsinteressen Nachdruck zu ver- Fund.
on patrouillieren. Ein paar Dutzend Me- leihen. Sie warnten vor den nuklearen Dass die Spezialkräfte sechs Wochen
ter davor bewachen israelische Soldaten Bestrebungen des Iran, dessen erklärtes brauchten, bis sie die Tunnel entdeckt
eine schwere Stahltür in einer Fels- Ziel die Vernichtung des jüdischen Staa- hatte, obwohl sie wussten, dass es dort
wand. Normalerweise ist sie geschlos- tes ist. Und vor den erhöhten Aktivitä- welche geben musste, bereitet ihr Sor-
sen. Für diesen Besuch wird sie geöff- einen militärischen Arm unsinnig ist. ten seines verlängerten Arms an der is- gen. Es bestätigt ihre These, dass dieser
net. Die Europäische Union hat den bewaff- raelischen Grenze. Israel werde nicht Form archaischer Angriffstaktik selbst
Dahinter schraubt sich ein schwach neten Teil der radikal-islamistischen zögern, den Libanon anzugreifen, wenn mit modernsten Mitteln kaum beizu-
beleuchteter Tunnel in die Tiefe. Glit- Organisation 2013 auf die Terrorliste ge- sich die Hisbollah dort weiter ausbreite, kommen ist. Die israelische Armee ist
schige Steinstufen führen 79 Meter un- setzt. Trotz regelmäßiger Anschläge sagten sie. hochgerüstet, ihr Raketenabwehrsys-
ter die Erdoberfläche. Gut einen Kilo- konnten sich die EU-Länder bisher aber Immer wieder kommt es zu Übergrif- tem „Iron Dome“ legendär. Aber Atta-
meter lang sei der Gang, erklärt Jona- nicht darauf verständigen, auch den po- fen an der Blauen Linie. Im Sommer cken aus dem Untergrund kann kein Ra-
than Conricus, Sprecher der israeli- litischen Arm der Hisbollah zu verbie- versuchten Hisbollah-Scharfschützen dar dieser Welt erfassen. „Tunnel kön-
schen Armee (IDF). Er laufe unter der ten. Deutschland hat dies im vergange- zweimal, israelische Soldaten zu töten. nen viele Opfer kosten, aber sie ent-
Blauen Linie hindurch in den Libanon nen Frühjahr getan. Israel hofft, dass Vergangenen Monat schoss die Terror- scheiden keine Kriege“, sagt Riche-
und komme in einer Garage heraus, in andere Länder nachziehen. miliz mehrere IDF-Drohnen ab. Hisbol- mond-Barak. Ihr stärkster Effekt sei die
der Nähe von Ramjah, wo der Muezzin Der Tunnel soll Überzeugungshilfe lah-Chef Hassan Nasrallah hat Rache psychologische Dimension: „Die un-
zum Abendgebet ruft. Conricus zeigt leisten. Die israelische Armee bezeich- geschworen, nachdem ein Hisbollah- sichtbare Gefahr löst ein Gefühl der
ein Foto von einem flachen Betonbau, net ihn als Angriffstunnel. Als sie ihn of- Mitglied im vergangenen Jahr bei einem Ohnmacht aus.“
aus dem ein Lkw mit offener Ladefläche fenlegte, reichte er bereits bis knapp israelischen Luftangriff auf iranische Selbst militärisch überlegene Staaten
kommt. „Wir beobachteten, wie leere sechs Meter unter die Erdoberfläche he- Militäreinrichtungen in Syrien ums Le- reagierten deshalb extrem aggressiv.
Fahrzeuge in die Garage rein-, und mit ran. „Zur Fertigstellung fehlten nur ben gekommen war. Die Amerikaner benutzten Tränengas,
Erdreich beladen wieder rauskamen“, noch ein bis zwei Tage “, sagt Conricus. „Wir sitzen auf einem Pulverfass“, um die Tunnel der Vietcong auszuräu-
sagt Conricus. So sei die Armee den Der Plan der Hisbollah sei es gewesen, warnt Assaf Orion, Hisbollah-Experte chern. Die Sowjetunion sprengte Tun-
Terroristen auf die Schliche gekommen. schweres Feuer an der Grenze zu eröff- am israelischen Institut für Nationale nel im Krieg mit Afghanistan und alle,
Dieser Tunnel ist einer von sechs, nen, um die israelischen Streitkräfte ab- Sicherheitsstudien. Nasrallah glaube, die sich darin befanden, in die Luft. Die
welche die libanesische Terrormiliz zulenken. Währenddessen sollten die Israel kalkuliert angreifen zu können, israelische Armee warnte die Hisbollah,
Hisbollah ins Grenzgebiet hineingegra- besten Kämpfer der Radwan-Spezial- ohne einen Krieg zu provozieren. „Aber bevor sie die Tunnel zerstörte.
ben hat. Oder besser gesagt einer von einheit durch den Tunnel schleichen, er hat sich schon einmal verschätzt.“ Dass die Terroristen weiter versu-
sechs, die die IDF Ende 2018 entdeckt im Rücken der IDF herauskommen und 2006 entführte die Hisbollah zwei israe- chen werden, die Grenze zu untergra-
hat. Drei führten bereits nach Israel hi- die nahe gelegene Straße abschneiden. lische Soldaten und tötete drei weitere. ben, davon ist die Forscherin überzeugt.
nein. Wie viele begonnene und nicht be- „Das ist die einzige Straße, die in die In der Folge brach Krieg zwischen Israel Sie verweist auf die Hamas, die Tunnel
endete Bauwerke sich auf der anderen Ortschaft Metula führt“, erklärt Conri- und dem Libanon aus, der rund einen aus dem Gazastreifen nach Ägypten und
Seite der Grenze befinden, kann nie- cus. „1600 Menschen leben dort. Sie wä- Monat andauerte. Die Soldaten wurden Israel gegraben hat. Dort sei der Unter-
mand mit Sicherheit sagen. Fünf der ren der Hisbollah ausgeliefert gewe- damals in der Nähe des Gebiets ent- grund sandig, man käme schnell voran.
sechs habe man zerstört, sagt Conricus. sen.“ Der Tunnel ist hoch genug, dass führt, in dem die Hisbollah später die Im Norden Israels aber ist das Land
Der längste von ihnen ist noch ein gutes ein großer Mann darin stehen kann. Angriffstunnel grub. Die IDF glaubt, steinig. „Sie haben sich mit primitivsten
Stück weit zugänglich, bis zur libanesi- Kreisförmige Vertiefungen durchziehen dass diese ebenfalls zur Verschleppung Werkzeugen durch den Felsen gebohrt,
schen Grenze. Dort hat die Armee ihn seine Wände, Spuren des zylinderförmi- von Israelis dienen sollten. es muss Jahre gedauert haben“, sagt Ri-
mit Beton versiegelt. Der Hisbollah- gen Bohrers, den Hisbollah-Kämpfer in Wie mühselig es war, die Tunnel in chemond-Barak. „Das zeigt den unbe-
Tunnel dient der IDF zu Demonstrati- den hellen Stein getrieben haben. dem dicht bewaldeten Terrain ausfindig dingten Willen der Hisbollah, Israel auf
onszwecken. Sie will zeigen, wie gefähr- Conricus präsentiert eine in die Ver- zu machen, zeigen weiße Plastikröhren, jede erdenkliche Art anzugreifen.“
lich die Terrormiliz, die im Libanon be- tiefungen passende Metallröhre, welche die aus der Erde lugen. Sie sind die Was die unsichtbare Bedrohung mit
heimatet ist und vom Iran gesteuert Soldaten im Tunnel fanden. Die steilen Überreste der Probebohrungen, die ein den Menschen im Grenzgebiet macht,
wird, für Israel ist. Stufen haben sie mit Zement ausgebes- Spezialteam der Operation „Nördlicher wird spürbar, als die Sonne untergegan-
Am Vormittag hat Conricus ein gutes sert, Lampen hinzugefügt und ein Ei- Schutzschild“ im Winter 2018 vornahm gen ist. Auf der Fahrt ins nächstgelege-
Dutzend europäischer Botschafter sengeländer angebracht, um die Trittsi- Die Armee hatte Hinweise darauf, dass ne Dorf muss man ein Tor passieren.
durch den Tunnel geführt. Israel macht cherheit zu erhöhen. „Der Rest ist Ori- die Hisbollah das Gebiet untertunnelt Nähert man sich einem Haus, springen
keinen Hehl daraus, dass es die Staaten ginal Hisbollah.“ Unter dem Geländer hatte. Alle anderthalb Meter bohrten sie automatisch Lichter an. Kein Mensch
davon überzeugen will, dass die Tren- hängt noch das alte Seil, an dem sich die in die Erde, auf einer Länge von 400 ist draußen unterwegs. Nur drei Dober-
nung der Hisbollah in einen zivilen und Kämpfer festhielten, als sie die Stufen Metern. Nach sechs Wochen hatten die männer streifen die Straße entlang.
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D
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
as farbenfrohe Holi-Festi-
val fiel dieses Jahr klein
aus. Vor einer Woche fei-
erten viel weniger Men-
schen als sonst das indi-
sche Frühlingsfest, bei dem man sich
gegenseitig mit Puderfarbe bewirft und
anmalt. Mehrere Bundesstaaten hatten
aufgrund stark steigender Infektions-
zahlen Großveranstaltungen untersagt.
VON CHRISTINA ZUR NEDDEN
Indien steckt in der zweiten Corona-
Welle, und die Politik zieht harte Kon-
sequenzen: Seit mehr als einer Woche
werden keine Covid-19-Impfstoffe mehr
aus Indien exportiert. Die einheimische
Bevölkerung soll priorisiert werden.
Indien, auch bekannt als „Apotheke
der Welt“ ist der größte Impfstoffpro-
duzent der Welt. 60 Prozent aller welt-
weiten Vakzine werden dort hergestellt,
viele davon vom Produzenten Serum
Institute of India (SII). Im WELT-Inter-
view erklärte Unternehmenschef Adar
Poonawalla im vergangenen Jahr: „Wir
geben 50 Prozent an Indien, ein Land
mit 1,3 Milliarden Menschen, und 50
Prozent an Länder mit niedrigem und
mittlerem Einkommen, viele davon in
Afrika.“
Unterstützt von der Bill & Melinda
Gates Foundation und mit Einsatz von
Eigenkapital produziert das SII einen
Corona-Impfstoff mit dem britisch-
schwedischen Unternehmen AstraZe-
neca. Seit Mitte Januar wird er in Indien
unter dem Namen Covishield gespritzt.
Doch Indien exportiert den Impfstoff
auch: 60 Millionen Dosen wurden laut
dem indischen Außenministerium bis-
her ins Ausland geliefert, das sind mehr
als die 55 Millionen, die im Land selbst
verabreicht worden sind. Das jedoch
soll sich nun ändern, weil die Infekti-
onszahlen im Land steigen. Als Indien
am 16. Januar mit seiner Impfkampagne
begann, war die Zahl der Corona-Fälle
zuvor stark gesunken. Mit weniger als
15.000 täglichen Neuinfektionen wurde
bereits über eine Herdenimmunität
spekuliert. Doch das änderte sich im
März, als die Zahlen plötzlich wieder
anzogen.
Erstmals an einem Tag sind in Indien
mehr als 100.000 Corona-Neuinfektio-
nen erfasst worden. Das geht aus Zahlen
des indischen Gesundheitsministeri-
ums vom Montag hervor. Besonders be-
troffen ist der reichste Bundesstaat Ma-
harastra mit der Finanzmetropole
Mumbai, dessen Bewohnern nun ein
neuer Lockdown droht. Seit Beginn der
Pandemie verzeichnete Indien mehr als
zwölf Millionen Fälle und über 160.000
Tote. Und nicht nur die Infektionen
steigen rasant, es wird auch über eine
neue Doppelmutation berichtet, gegen
die vorhandene Impfstoffe unter Um-
ständen unwirksam sein könnten.
All dies dürfte die Regierung dazu be-
wegt haben, die produzierten Impfstof-
fe vorerst im Land behalten zu wollen
und keine Exportgenehmigungen mehr
auszustellen. Der Exportstopp „ist eine
vorübergehende Maßnahme. Die In-
landsnachfrage wird Vorrang haben
müssen“, sagte eine Regierungsquelle
der BBC. Zeitgleich wurde die Alters-
grenze der Impfberechtigten im Land
ab 1. April auf 45 Jahre gesenkt, da mehr
Impfstoff verfügbar sein wird.
Wo der britische Impf-Erfolg keiner ist
S
Großbritanniens Impftempo ist beeindruckend. Manche Bevölkerungsgruppen jedoch lehnen die Spritze aus Mangel an Vertrauen ab. Das ist in doppelter Hinsicht fatal
hannon freut sich für jeden, der
den Impfstoff gegen Covid-19
bekommt. „Aber für mich ist das
nichts. Der Impfstoff ist nicht lang ge-
nug getestet worden. Lieber bekomme
ich noch einmal das Virus, als mir eine
fremdartige Substanz in den Körper
spritzen zu lassen“, erklärte die Britin
vergangene Woche im BBC-Radio. Sie
selbst sei zwar bereits zwei Mal an Co-
vid-19 erkrankt. Trotzdem ziehe sie es
vor, sich weiter auf die Abwehrkraft ih-
res Immunsystems zu verlassen.
VON STEFANIE BOLZEN
AUS LONDON
Damit spricht Shannon stellvertre-
tend für viele, die wie sie der schwar-
zen Minderheit im Vereinigten König-
reich angehören. Während mehr als 91
Prozent der über 70-jährigen „weißen
Briten“, wie sie die Statistik nennt, ge-
gen das Virus geimpft sind, kommen
die aus der Karibik stammenden Briten
nur auf knapp 69 Prozent. Von den aus
Afrika stammenden sind es sogar weni-
ger als 59 Prozent.
Ein Misstrauen, das der Regierung
von Boris Johnson Kopfzerbrechen be-
reitet. Denn es sind just die ethnischen
Minderheiten im Land, die von der
Pandemie überdurchschnittlich hart
POLITIK 7
nau wie in Indien derzeit einen Trend
zum sogenannten Impfnationalismus.
So kritisierte EU-Ratspräsident Charles
Michel, die USA und Großbritannien
hätten eine „regelrechte Sperre für den
Export von Impfstoffen oder Impfstoff-
komponenten“ verhängt. Laut einem
Bericht der „New York Times“ liegen in
den USA Millionen AstraZeneca-Impf-
dosen auf Lager, da der Impfstoff dort
noch nicht zugelassen ist.
Und auch die EU möchte nun nicht
mehr ohne Weiteres an Länder liefern,
die selbst ihre Lieferungen beschrän-
Die
ken. Seit einigen Tagen gilt eine Aus-
fuhrbeschränkung. „Offene Straßen
sollten in beide Richtungen verlaufen“,
sagte EU-Kommissionspräsidentin Ur-
sula von der Leyen. „AstraZeneca hat
„Apotheke
bislang 5,8 Millionen Impfdosen nach
Deutschland geliefert. Dies entspricht
den kommunizierten Erwartungen der
deutschen Regierung“, erklärte das bri-
der Welt“
tisch-schwedische Unternehmen ge-
genüber WELT. Bis Mitte des Jahres
sollen 100 Millionen Dosen an die EU
geliefert werden. Ursprünglich hatte
AstraZeneca laut Medienberichten je-
liefert
doch 220 Millionen Dosen in diesem
Zeitraum anvisiert.
Exportverbote führen jedoch nicht
automatisch dazu, dass das Impfen im
nicht
Land schneller geht. Beispiel Indien:
Dort läuft zwar die derzeit weltweit
größte Impfkampagne. 300 Millionen
von insgesamt 1,3 Milliarden Einwoh-
mehr
nern sollen bis August eine Spritze er-
halten. Bis Ende März wurden bisher je-
doch nur 55 Millionen Dosen verimpft.
Das liegt auch am geringen Vertrauen
der Bevölkerung.
In einer internationalen Studie vom
Januar gaben noch acht von zehn In-
dern an, sich impfen lassen zu wollen.
Nirgendwo sonst auf der Welt war das
Vertrauen in die Impfung so groß. Doch
nur kurze Zeit später machte sich vor
GETTY IMAGES/YAWAR NAZIR
allem unter dem Gesundheitspersonal
Zweifel über die Sicherheit der Impfung
breit. Seit Mitte Februar die zweite Do-
Indien ist mit einem Anteil von 60 Prozent sis von Impfstoffen verspritzt wird,
der weltweit größte Impfstoffhersteller sind 40 Prozent der im Gesundheitssek-
tor Tätigen nicht zum Termin erschie-
nen. Derzeit haben 40 Millionen Men-
schen nur eine Impfdosis erhalten, acht
Wegen steigender Corona-Zahlen verhängt
Millionen eine zweite. Nur 0,6 Prozent
Das SII produziert monatlich 60 bis SII informierte die Impfallianz bereits der Bevölkerung sind ausreichend im-
Indien einen Exportstopp für Impfstoffe.
70 Millionen Impfdosen. Bis Mai sollen darüber, dass es im März und April zu munisiert.
es 100 Millionen sein. Den Exportstopp verzögerten Lieferungen kommen Mitverantwortlich ist die rasante
Fraglich ist, ob die Politik so im eigenen Land
wolle man nicht kommentieren, sagte könnte. Die WHO rief aus diesem Verbreitung von Desinformationen im
den Kampf gegen das Virus gewinnen kann
ein Sprecher des SII gegenüber WELT. Grund reichere Länder dazu auf, zehn Land. Mehr als 400 Millionen Inder
Klar ist jedoch, dass unter der Maßnah- Millionen Impfdosen für das Gesund- nutzen das Internet. Es fehlt jedoch an
me in erster Linie ärmere Länder lei- heitspersonal in den 20 ärmsten Länder Bildungsangeboten zu digitaler Kompe-
den. Das SII ist damit beauftragt, Impf- der Welt zu spenden. tenz und eine Regulierung sozialer Me-
dosen an das Covax-Programm der Das SII beliefert nicht nur Covax, dien. Während der Pandemie verbreiten
Weltgesundheitsorganisation (WHO) sondern auch einzelne Länder, mit de- sich Falschinformationen und Ver-
zu liefern, welches 92 einkommens- nen bilaterale Deals bestehen. Auch schwörungstheorien rasant. So kursier-
Indien kämpft gegen eine neue Welle schwachen Ländern den Zugang zu diese müssen nun warten. Brasilien, te zum Beispiel wie in anderen Ländern
Impfstoffen ermöglichen soll. 64 von ih- Saudi-Arabien und Marokko wurden das Gerücht, die Impfung enthalte ei-
Tägliche Corona-Neuinfektionen pro eine Mio. Einwohner,
rollierender 7-Tages-Schnitt nen werden vom SII beliefert. Das Un- bereits informiert, dass sich ihre Liefe- nen Mikrochip. Islamwissenschaftler
ternehmen hat angekündigt, eine Milli- rungen verzögern werden. Großbritan- rieten Muslimen von einer Impfung ab,
60 arde Impfdosen von AstraZeneca und nien wartet bereits seit fünf Wochen da sie Schweinegelatine enthalten
50 Novavax für Entwicklungs- und Schwel- auf eine Lieferung über fünf Millionen könnte. Dies trifft jedoch für keinen der
40
lenländer herstellen zu wollen. Dosen. beiden zugelassenen Impfstoffe – Co-
„Bisher wurden 28 Millionen Covis- Deutschland hingegen kann aufat- vishield und Covaxin – in Indien zu. In
30 hield-Dosen an Covax geliefert, und wir men. „Deutschland bezieht wie die gan- manchen Staaten ließen sich daher bis
20 gingen davon aus, dass im März weitere ze EU AstraZeneca-Impfdosen nicht heute nur 22 Prozent der impfberech-
10
40 Millionen Dosen und im April bis zu aus Indien“, erklärte ein Sprecher des tigten Menschen impfen. Selbst wenn
50 Millionen Dosen zur Verfügung ste- Verbands forschender Arzneimittelher- also über Monate hinweg keine Impf-
0 hen würden“, heißt es in einer Meldung steller WELT. Sie kommen aus Werken stoffe mehr aus Indien exportiert wür-
01.03.2020 04.04.2021 der Impfallianz GAVI zum indischen in Belgien, den USA, Großbritannien den, ist alles andere als garantiert, dass
Quelle: Johns Hopkins University CSSE, our world in data
Exportstopp. Ob diese Ziele erreicht und den Niederlanden. Allerdings: In die Immunisierung der Bevölkerung
werden können, ist derzeit unklar. Das Großbritannien und den USA gibt es ge- sich beschleunigt.
Mar 1, 2020
getroffen wurden und werden. Männli- Street deshalb eine Kampagne gestar- den ist gering. Seit Beginn der Zuwan- len Rassismus und Diskriminierung len Rassismusfrage nicht mehr mittra-
che Briten mit schwarzafrikanischem tet, in der prominente Schwarze wie derung aus ehemaligen Kolonien West- unterminiert“, befand jüngst ein Be- gen wollte.
Migrationshintergrund haben ein 2,7 der Schauspieler Lenny Henry seine afrikas und der Karibik in den 1950er- richt des offiziellen wissenschaftlichen Das fehlende Vertrauen in den Staat,
Mal höheres Risiko, an Covid-19 zu schwarzen Mitbürger zum Impfen er- Jahren haben sehr viele dieser Briten Beraterstabs von Premier Johnson. Ein das durch die ethnische Diskriminie-
sterben als weiße Männer. Durch- mutigt. „Liebe Mama, lieber Papa, lie- unter fehlender Chancengleichheit Befund, der dem Konservativen aktuell rung ausgelöst wird, ist besonders fa-
schnittlich starben unter Menschen be Oma, lieber Opa – wir lieben euch! und alltäglicher Diskriminierung gelit- sehr gegen den Strich geht. tal, wenn die Bürger sich ihre Informa-
mit bengalischer, pakistanischer oder Und wir wollen euch wiedersehen!“ ten. Auch heute noch ist die Arbeitslo- Denn Downing Street hat am ver- tionen stattdessen im Internet suchen
afrokaribischer Abstimmung mehr als Aber um das zu tun, müssten sich alle sigkeit unter den jungen Menschen gangenen Mittwoch einen offiziellen und dort Lügen über den Impfstoff
250 Personen von 100.000. Unter Män- impfen lassen: „Wir sitzen alle in ei- dieser Gruppe doppelt so hoch wie die Bericht vorgestellt, dem zufolge „sys- aufsitzen. „In einem Pflegeheim muss-
nern aus der weißen Bevölkerung sind nem Boot.“ unter Gleichaltrigen aus der ethnisch temischer Rassismus“ im Königreich ten wir eine Mitarbeiterin davon über-
es 107, berichtet das britische Statisti- Genau daran aber zweifeln viele Ver- weißen Gruppe. Schwarze Jugendliche nicht existiert. Das Land sei vielmehr zeugen, dass der Impfstoff nicht un-
kamt ONS. treter der Black Community. Das Ver- werden von der Polizei bei Straßen- „ein Vorbild“ weltweit für die Integra- fruchtbar macht. Das hatte die junge
Vor ein paar Tagen hat Downing trauen in den Staat und seine Behör- kontrollen fast zehnmal öfter festge- tion von ethnischen Minderheiten. Frau mit pakistanischen Wurzeln in
halten als weiße. Johnson hatte diesen Bericht als Reak- den sozialen Netzwerken gelesen“, be-
Briten mit Migrationshintergrund tion auf die „Black Lives Matter“-Pro- merkte Stephen Cleasby, ein Allge-
hegen zudem traditionell Misstrauen teste im vergangenen Sommer in Auf- meinmediziner in Yorkshire, bereits zu
gegen die Gesundheitsversorgung. Ge- trag gegeben. Das Ergebnis erntete Beginn der Impfkampagne im Januar.
Große Unterschiede stärkt wird dies durch kollektive Erin- umgehend harsche Kritik. Der Report Die Statistik belegt auch für Briten,
nerungen wie jene an die Tuskegee-Sy- sei ein „Blankoscheck“ für die Konser- deren Familien aus Pakistan oder Ban-
Impfrate in Prozent bei über 70-Jährigen, nach Ethnie (eigene Angaben), philis-Studie, bei der US-Mediziner vativen und „eine Beleidigung für alle, gladesch stammen, eine vergleichswei-
von 8.12.2020 bis 11.3.2021
und Gesundheitsbehörden ab 1932 deren Leben von täglichem Rassismus se niedrigere Impfbereitschaft. Sie
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90
jahrzehntelang schwarze Arbeiter, die geprägt ist“, so die Organisation Hope liegt bei den über 70-Jährigen in dieser
Weiße (Briten)
meist weder lesen noch schreiben Not Hate. Gruppe bei 74 respektive 73 Prozent.
Inder konnten, als Versuchskaninchen miss- Samuel Kasumu, Johnsons Berater Wie unter den „Black British“ ist die
brauchten. für Anti-Rassismus-Politik, erklärte generelle Gesundheit in dieser Bevöl-
Weiße (andere) Als zwei französische Ärzte zu Be- am Tag der Veröffentlichung seinen kerungsgruppe unterdurchschnittlich,
Pakistani ginn der Corona-Pandemie im Früh- Rücktritt. Britischen Medien zufolge Diabetes, Übergewicht und Herzleiden
jahr vergangenen Jahres vorschlugen, war der Report für den Aktivisten der sind verbreitet. Gleichzeitig macht
Schwarze (karibisch) Impfstoffe in Afrika zu testen, löste letzte Anstoß. Kasumu hatte seinen diese Gruppe viele der Jobs im Nied-
Schwarze (afrikanisch) das nicht nur heftigen Protest, son- Posten angeblich schon zwei Monate riglohnsektor, in denen sie etwa als Si-
dern auch böse Erinnerungen aus. Das zuvor verlassen wollen, weil er die sei- cherheitsleute, im Supermarkt oder öf-
Quelle: Office for National Statistics - Public Health Data Asset, National lmmunisation Management Service
Vertrauen in das Impfprogramm „wird ner Ansicht nach spaltende Politik der fentlichen Dienst dem Virus weit mehr
durch strukturellen und institutionel- konservativen Regierung in der heik- als andere Bürger ausgesetzt sind.
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8 POLITIK

A
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021

m vorigen Wochenende
war es wieder so weit. Joe
Biden ließ sich am Vor-
abend des Palmsonntags
im heimischen Wilmington
(Bundesstaat Delaware) zu „seiner“ ka-
tholischen Kirche St. Joseph on the
Brandywine fahren. In jener Kirche, auf
deren Friedhof Bidens erste Ehefrau,
seine Eltern und die beiden verstorbe-
nen Kinder begraben sind, ist Biden ei-
ner der treuesten Besucher. Was für
Donald Trump am Wochenende der Be-
such auf dem Golfplatz war, ist für Bi-
den der Kirchgang.

VON CLAUDIA EHRENSTEIN UND

DANIEL FRIEDRICH STURM

Joseph „Joe“ Robinette Biden ist be-

kennender Katholik – und erst der
zweite katholische Präsident der Verei-
nigten Staaten, nach John F. Kennedy.
Damals, vor 60 Jahren, herrschte noch
ein starker Antikatholizismus in den
USA. Auch liberale Protestanten fürch-
teten, ein katholischer Präsident könn-
te sich in erster Linie dem Papst und
seiner Kirche verpflichtet fühlen und
erst danach der Verfassung. „Ich bin
nicht der Kandidat der katholischen
Kirche“, hatte Kennedy stets betont.
Und heute? Spielt die Konfession des
US-Präsidenten eine Rolle? Und wie
viel Katholizismus steckt überhaupt in
Joe Biden und seiner Politik? Bidens
Agenda spiegele in mehrfacher Hin-
sicht die katholische Idee der Solidari-
tät, sagt David Gibson, Direktor des
Zentrums für Religion und Kultur an
der jesuitischen Fordham University in
New York. Am deutlichsten werde das
bei den Themen Klimawandel, der Un-
terstützung von Einwanderern und
Flüchtlingen, wirtschaftlicher Gerech-
tigkeit und Gesundheitsversorgung.
Eine der ersten Amtshandlungen Bi-
dens war denn auch die Rückkehr zum
Pariser Klimaabkommen, wofür es Lob
aus dem Vatikan gab. Die Bedeutung
von Klimaschutz und der Bewahrung
der Schöpfung hatte Papst Franziskus
in seiner viel beachteten Umwelt-Enzy-
klika „Laudato si“ formuliert. Der
Papst widmet sich oft dem Klima-
schutz, Biden spricht von einer „exis-
tenziellen Bedrohung“. Von seinem

Der
ersten Tag im Amt an ziert das Oval Of-
GETTY IMAGES/CHIP SOMODEVILLA

fice ein gerahmtes Foto, das Biden und

den Papst zeigt. Der Papst taucht hier
zwischen lauter Familienbildern auf.
Während das Verhältnis zwischen

liberale
Franziskus und Donald Trump als kühl

KATHOLIK
galt, stehen sich Biden und der Papst
bei Klimapolitik und Armutsbekämp-
fung nahe. Kontrovers zwischen dem
Präsidenten und der Amtskirche ist Joe Biden verlässt nach dem
hingegen das Thema Abtreibung. Kon- Gottesdienst die katholische
servative Christen attackieren Biden Kirche in Wilmington (Delaware)
für seine liberale Haltung, sprechen
von Beihilfe zum Mord. Biden unter-
stütze das „Abschlachten Unschuldi-
ger“, twitterte kürzlich der texanische

Joe Biden ist der zweite Präsident der

Bischof Joseph Strickland. Biden argu-
mentiert, persönlich lehne er Schwan- katholischer Schulen, Unterricht bei Das ist heute anders, auch wenn füh- enorm unter Druck“, so Hochge-

Vereinigten Staaten, der der

gerschaftsabbrüche ab, rechtlich aber katholischen Nonnen, die frommen rende Demokraten katholisch sind, so – schwender. „In Guatemala ist die
dürften diese nicht infrage gestellt wer- Großeltern. In seinen Memoiren neben Biden – Nancy Pelosi, die Spre- Mehrheit der Bevölkerung schon pro-

katholischen Kirche angehört. Die

den. Kein Thema führt zu so starken schreibt Biden: „Jedes Mal, wenn ich cherin des Repräsentantenhauses, und testantisch. In Brasilien ist absehbar,

Bindung zum Papst ist eng, besonders

Spannungen zwischen vielen Katholi- das Haus meines Großvaters Finnegan die linke junge Abgeordnete Alexandria dass es bald eine protestantische Mehr-
ken und Biden wie dieses. in Scranton verließ, rief er: ‚Joey, be- Ocasio-Cortez. Die Konservativen un- heit gibt.“ Das wird sich durch eine ge-

in Fragen des Klimawandels. Der Mann

Bei der Gleichberechtigung Homose- wahre den Glauben.‘ Und meine Groß- ter den Katholiken wie Protestanten ringere Zuwanderung katholischer La-
xueller preschte Biden schon vor zehn mutter rief: ‚Nein, Joey. Verbreite den wählen republikanisch. Donald Trump tinos auf die Zahl der Katholiken in den

im Weißen Haus lebt seinen Glauben

Jahren voran. Im Jahre 2012 sprach sich Glauben. Verbreite ihn!‘“ erfuhr allerhand Zuspruch, insbeson- USA insgesamt auswirken.
der damalige Vizepräsident plötzlich „Bewahrt den Glauben!“, ruft Biden dere evangelikaler Christen. Er pflegte, Die Religion hat in Amerika bis heute

aus tiefster Überzeugung

für gleichgeschlechtliche Ehen aus,
überrumpelte den hier zögerlichen
Präsidenten Barack Obama. Für Biden
war es eine Kursumkehr: Im Jahre 1996
hatte er für ein Gesetz votiert, das die
bundesstaatliche Anerkennung gleich-
geschlechtlicher Ehen blockierte. Nun
ging er, ungewöhnlich für ihn, in seiner
Partei voran.
Der Theologe und Nordamerikaex-
perte Michael Hochgeschwender von
der Universität München sieht in Bi-
dens Politik deutliche Bezüge zur ka-
tholischen Soziallehre. „Das Streben
nach Gerechtigkeit, die Idee einer sozi-
al-harmonischen Gesellschaft, die ei-
nen Ausgleich zwischen Arm und Reich
bis heute seinen Unterstützern manch- obschon konfirmiert, ein eher distan- eine weit größere Bedeutung als in an-
mal zu. Seine religiöse Verortung prägt ziertes Verhältnis zur Kirche. deren westlichen Demokratien. Dass
den US-Präsidenten. Der christliche So oft Biden seinen christlichen der Präsident ein weißer angelsächsi-
Glaube war ihm nach eigener Aussage Glauben erwähnt, so oft verweist er auf scher Protestant sein müsse, das mei-
ein Halt, nachdem seine erste Ehefrau eine zweite Parallele zu Kennedy – auf nen heute nur noch die wenigsten
Neilia und ihre einjährige Tochter Nao- seine irische Abstammung. Die Iren bil- Amerikaner. Die Gesellschaft hat sich
mi bei einem Autounfall 1972 ums Le- deten lange das Kernmilieu des US-Ka- auch in den USA verändert, die Spal-
ben kamen. Er bete regelmäßig den Ro- tholizismus. Als Reaktion auf den Anti- tung der christlichen Konfessionen ist
senkranz, sagt Biden. Zeitweise trug er katholizismus hatte die Kirche schon ähnlich wie in Deutschland nicht mehr
einen Rosenkranz an seinem linken im 19. Jahrhundert begonnen, ein eige- ein solch brisantes Thema. Anders als
Handgelenk – ein Geschenk seines Soh- nes Schul- und Universitätssystem auf- bei Kennedy vor 60 Jahren, wurde Bi-
nes Hunter an den älteren, im Jahre zubauen und sich dabei auf das Rechts- dens Katholizismus im Wahlkampf
2015 mit 46 Jahren an einem Hirntumor wesen konzentriert. Es entstanden nicht mehr groß thematisiert oder pro-
verstorbenen Bruder Beau Biden. Netzwerke, die bis in die heutige Zeit blematisiert.
Allein der Tag seiner Amtseinfüh- wirken und versuchen, Katholiken in Biden hat es geschafft, einen Teil der
rung war überaus christlich geprägt. wichtige Positionen bringen. So dürfte zornigen weißen Männer in den Sub-
Am Morgen des 20. Januar nahm er an es kein Zufall sein, dass sieben der urbs, die vor vier Jahren noch Trump
AFP VIA GETTY IMAGES/ANDREW CABALLERO-REYNOLDS

schafft – darin zeigt sich, wie stark der
US-Präsident von seinem Glauben ge-
prägt ist“, sagt Hochgeschwender. „Bi-
den ist sehr viel selbstbewusster Ka-
tholik als es Kennedy einst war.“
Hochgeschwender beschreibt Biden
als einen Politiker, der seinen Glauben
aus tiefster Überzeugung lebe. Die
klassische Morallehre betone die Not-
wendigkeit von Kompromissen. Das
mache den Politiker Biden aus: „Seit er
1973 erstmals in den Senat einzog, hat
er immer gute Kontakte zu Republika-
nern gehabt – und Kompromisse ausge-
handelt.“ Und: Biden sei der erste US-
Präsident, der sich im Wahlkampf offen
gegen die Todesstrafe positionierte
und trotzdem gewählt wurde.
In Biden lebt eine, so scheint es, tiefe
Frömmigkeit. Oft spricht er über seine
Kindheit, anders als sein Vorgänger
Trump. Zentrale Elemente seiner ka-
tholischen Sozialisation: Pflicht zum
Besuch der katholischen Messe, Besuch
einer Messe in Washingtons Matthäus-
Kathedrale teil – dort, wo schon Papst
Franziskus 2015 sprach und die Trauer-
feier für Kennedy stattfand. An der In-
auguration wirkte der Jesuitenpater
Leo O’Donovan mit, ein Freund der Fa-
milie, der einst in Münster in katholi-
scher Theologie promoviert worden
war.
Biden sprach seinen Amtseid, wäh-
rend die linke Hand auf der voluminö-
sen Familienbibel von 1893 ruhte. Nach
den offiziellen Feierlichkeiten legte Bi-
den einen Kranz am Grabmal des Un-
bekannten Soldaten in Arlington nie-
der, bekreuzigte sich dort sichtbar. Da-
bei wirkt es geradezu paradox, dass der
fromme Katholik Biden just in einer
Zeit Präsident wird, während der Anteil
von Christen unter den registrierten
Demokraten abnimmt. Noch bis in die
1970er-Jahre waren die Demokraten
traditionell die Partei der US-Katholi-
ken gewesen.
neun Richter am Supreme Court Ka-
tholiken sind. Zwei Richter sind Juden.
In der Gesamtbevölkerung der USA
ist jeder Fünfte heute katholisch. Das
alte Kernmilieu des US-Katholizismus
bröckelt nicht erst seit den Miss-
brauchsfällen im Erzbistum Los Ange-
les. Aber anders als in Deutschland, wo
die katholische Kirche bereits seit den
1990er-Jahren kontinuierlich Mitglie-
der verliert, bleibt ihre Zahl in den USA
dennoch stabil.
Das ist vor allem auf die Migranten
Joe Biden, damals noch US-Vizepräsident, traf im September 2015 aus Lateinamerika zurückzuführen.
Papst Franziskus, als dieser Washington besuchte Nordamerikaexperte Hochgeschwen-
der sagt: „Die zuwandernden Latinos
sind momentan das Lebenselixier der
katholischen Kirche in den USA.“ Aller-
dings sind nur noch 70 Prozent der Zu-
wanderer aus Lateinamerika katho-
lisch. 30 Prozent sind Evangelikale und
Pfingstchristen, deren Zahl auf dem
südamerikanischen Kontinent stetig
wächst. „Die katholische Kirche ist
gewählt hatten, zurückzugewinnen. Es
ist das Milieu der katholischen Fachar-
beiter, das klassische demokratische
Arbeitermilieu. Bei Bidens Erfolg in
dieser Wählergruppe könnte sein Ka-
tholizismus zumindest eine gewisse
Rolle gespielt haben.
Wie ernst es Biden mit dem von
Christentum und katholischer Kirche
gemeinten Gebot zu Nächstenliebe und
Barmherzigkeit ist, muss er in der aktu-
ellen Covid-Krise indes noch beweisen.
Beide Nachbarn, Kanada wie Mexiko,
hatten Biden jüngst gebeten, die USA
mögen ihnen Impfstoff zur Verfügung
stellen. Wochen später kündigte Biden
an, ihnen einen sehr kleinen Teil der
AstraZeneca-Impfdosen zur Verfügung
zu stellen, die in den USA ungenutzt la-
gern. Im Kampf gegen Covid verfolgt
Biden, wenn auch unausgesprochen, die
„America First“-Politik seines Vorgän-
gers, der sonntags lieber Golf spielte,
als in die Kirche zu gehen.

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WIRTSCHAFT
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
KOMPAKT
EU-ABGASREGELN
Scheuer warnt vor
harten Vorschriften
Bundesverkehrsminister Andreas
Scheuer hat vor nicht erfüllbaren
schärferen Abgasvorschriften für die
Autoindustrie gewarnt. „Man soll
mutig sein in den Vorgaben, aber
den Grundsatz des technisch Mögli-
chen im Blick haben. Wir dürfen die
Automobilindustrie in Europa nicht
verlieren, weil sie sich sonst woan-
ders niederlassen wird“, sagte der
CSU-Politiker. In der Diskussion
geht es unter anderem um eine
Verschärfung von Kohlendioxid-
grenzwerten für mehr Klimaschutz.
Vorschläge aus der EU-Kommission
dazu werden im Juni erwartet.
ELEKTRONIKHERSTELLER
LG schließt seine
Handy-Geschäft
Der südkoreanische Elektronik-
hersteller LG schließt seine verlust-
bringende Smartphone-Sparte. Der
Verwaltungsrat habe den Schritt am
Montag gebilligt, teilte LG Electro-
nics mit. Die Stilllegung werde vo-
raussichtlich bis Ende Juli abge-
schlossen sein. Es sei eine strategi-
sche Entscheidung gewesen, sich
aus dem Bereich „mit unglaublich
starker Konkurrenz“ zurückzuzie-
hen. Das Unternehmen wolle künf-
tig seine Ressourcen auf Bereiche
wie etwa Teile für Elektrofahrzeuge
und Robotertechnik konzentrieren.
TÜRKEI
Inflation steigt auf
mehr als 16 Prozent
Die Inflation in der Türkei steigt
weiter an. Im März habe die In-
flationsrate bei 16,19 Prozent gele-
gen teilte das türkische Statistikamt
am Montag mit. Im Februar waren
die Verbraucherpreise im Jahres-
vergleich um 15,61 Prozent gestie-
gen. Lebensmittel bleiben weiter
teuer: Die Preise stiegen im März
auf Jahresbasis um 17,44 Prozent.
Angesichts hoher Arbeitslosigkeit
und einer dritten Corona-Welle, mit
der die Türkei zurzeit kämpft, er-
schwert das die Situation für die
Menschen im Land weiter.
„SILICON SAXONY“
Chip-Nachfrage
befeuert Ausbau
Die Nachfrage nach Elektronikchips
und wichtigen Halbleiterprodukten
befeuert die Ausbaupläne von Chip-
herstellern in Dresden. So will etwa
der US-Chipfertiger Globalfoun-
dries rund 400 Millionen Euro in
den Ausbau seiner Reinräume in-
vestieren. Derzeit produziert das
Unternehmen rund 400.000 Wafer
pro Jahr, künftig sollen es doppelt
so viele sein, sagte Geschäftsführer
Manfred Horstmann. Einen Zeit-
rahmen nannte er nicht. „Die
Knappheit an Mikrochips spielt uns
in die Hände.“ Nach Einschätzung
des Hightech-Branchenverbandes
„Silicon Saxony“ hat sich Sachsen
zu einem der bedeutendsten Stand-
orte für Mikroelektronik in Europa
entwickelt.
GROSSBRITANNIEN
Handwerker leiden
unter Brexit-Folgen
Der Brexit verhagelt deutschen
Handwerkern das Geschäft mit
Großbritannien. „Betriebe und ihre
Mitarbeiter können aktuell nicht
rechtssicher in Großbritannien auf
einer Baustelle arbeiten“, sagte die
Außenwirtschaftsexpertin der
Handwerkskammer Düsseldorf,
Marie-Theres Sobik. Grund ist das
Brexit-Handelsabkommen zwischen
London und Brüssel. Seit Groß-
britannien zum 1. Januar auch den
EU-Binnenmarkt und die Zollunion
verlassen hat, ist der bürokratische
Aufwand deutlich gestiegen, zudem
sind teure Visa nötig. Über die An-
zahl der betroffenen Betriebe liegen
keine Zahlen vor.
SEITE 9 *
D
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Pflege zur „sozialen Frage der 20er-Jahre“ erklärt
Der Gesundheitsminister verspricht großzügige Verbesserungen der Pflege und will
die Reform mit Steuergeldern finanzieren. Experten warnen vor einer Kostenlawine
ie Pflege ist für Bundesge-
sundheitsminister Jens
Spahn „die soziale Frage
der 20er-Jahre“. Und der
CDU-Politiker treibt –
trotz der zahlreichen Probleme im
Kampf gegen die Corona-Pandemie –
seine Pläne für eine Pflegereform mit
Hochdruck voran. Einen Arbeitsentwurf
legte Spahn im März bereits vor. Er sieht
finanzielle Verbesserungen für Pflege-
bedürftige, deren Angehörige sowie für
die Beschäftigten in den Einrichtungen
vor. Der wichtigste Punkt ist eine Redu-
zierung des Eigenanteils für Heimbe-
wohner.
VON DOROTHEA SIEMS
Um die zusätzlichen Kosten ohne eine
deutliche Beitragsanhebung stemmen zu
können, fordert Spahn für die gesetzliche
Pflegeversicherung einen dauerhaften
Zuschuss aus dem Staatshaushalt. Dieser
soll anfangs 5,1 Milliarden Euro im Jahr
betragen. Denn ohne wachsende Steuer-
zuschüsse würden die Kosten der geplan-
ten Reform dazu führen, dass schon 2022
die von der großen Koalition als Ober-
grenze gezogene 40-Prozent-Marke bei
den Sozialabgaben gerissen wird.
Berechnungen des Wissenschaftlichen
Instituts der Privaten Krankenversiche-
rung (WIP), die WELT exklusiv vorlie-
gen, zeigen allerdings, dass Spahns Pfle-
gereformpläne schon mittelfristig für die
Steuerzahler viel teurer zu werden dro-
hen, als vom Minister kalkuliert. Danach
müsste der Bundeszuschuss im Startjahr
schon 5,8 Milliarden Euro betragen und
dann bis 2030 auf 14,2 Milliarden Euro im
Jahr steigen. Insgesamt ergäben sich so-
mit für den Steuerzahler über acht Jahre
gerechnet Zusatzkosten von rund 90 Mil-
liarden Euro, wie das WIP in seiner Ana-
lyse feststellt.
Für seine Berechnungen hat das Insti-
tut einen Anstieg der Personalkosten um
jährlich drei Prozent zugrunde gelegt,
der die „pflegespezifische Inflation“
treibt. Personalkosten machen etwa zwei
Drittel der Pflegekosten aus, Sachkosten
ein Drittel. Tatsächlich könnte der An-
stieg der Personalkosten – entsprechend
dem Trend der vergangenen Jahre – so-
gar noch stärker ausfallen. Der Druck, die
Löhne und Arbeitsbedingungen für das
Pflegepersonal zu verbessern, ist unver-
ändert groß.
Dass Spahn mit seinem „Pflegeperso-
nalstärkungsgesetz“ von 2018 bereits
Folgen für die Steuerzahler
Absehbare Entwicklung des
Bundeszuschusses für die
Soziale Pflegeversicherung,
inkl. Dynamisierung der
Pflegespezifischen Inflation
und Demografie-bedingten
Mehrausgaben in Mrd. Euro 5,8
1,3
2021 22
Quelle: Wissenschaftliches Institut der PKV ( 2021)
„Wie die Grippe“
Synlab-Chef Floreani über
die Zukunft mit Corona Seite 12
hatte mit einer dreistufigen Pflegereform
dafür gesorgt, dass die Pflegeausgaben
Das teure
zwischen 2013 und 2017 um gut 50 Pro-
zent in die Höhe schnellten. Gröhe hatte
nicht nur die Leistungen für alle Pflege-
bedürftigen erhöht und dynamisiert,
Prestige-Projekt
sondern auch den Kreis der Leistungsbe-
zieher ausgeweitet, weil er eine neue
Pflegestufe für Demenzerkrankte ein-
führte.
Trotz der damals ebenfalls beschlosse-
des Jens Spahn
nen Beitragssatzerhöhung rutschte die
Pflegekasse ins Minus. Die langfristigen
Finanzprobleme der gesetzlichen Pflege-
versicherung blieben unerledigt. Auch
Spahn will nun erneut vor allem mit po-
pulären Leistungsverbesserungen punk-
ten. Corona bietet einen willkommenen
Anlass, zur Finanzierung dauerhaft auf
Steuerzuschüsse zu setzen.
Denn schon im vergangenen Jahr, als
der Konjunktureinbruch in allen Sozial-
kassen Finanzprobleme zur Folge hatte,
reagierte die große Koalition mit einem
„Rettungsschirm für die Pflege“: Die ge-
setzliche Pflegeversicherung bekam 2020
erstmals wie seit jeher die Rentenversi-
cherung und seit zwei Jahrzehnten auch
die gesetzliche Krankenversicherung ei-
GETTY IMAGES/SEAN GALLUP
nen steuerfinanzierten Bundeszuschuss.
Für dieses Jahr halten die Krankenkas-
sen sogar einen Bundeszuschuss von 4,5
Milliarden Euro für erforderlich. Außer-
dem drängen sie darauf, dauerhaft Steu-
ermittel zu erhalten. Und auch der Ge-
sundheitsminister wittert die Gelegen-
heit, aus der ursprünglich einmaligen
Corona-Hilfe eine stetig sprudelnde Fi-
nanzquelle zu machen.
Sollte es dazu kommen, will die private
Pflegeversicherung jedoch nicht klaglos
hinnehmen, dass nur für die gesetzlich
Versicherten mit öffentlichen Geldern
kostentreibende Verbesserungen durch- „Eine zunehmende Steuerfinanzie- weder jetzt noch später sinnvoll, da die die Eigenanteile gedrückt werden. „Soll-
gesetzt hatte, wird in der Debatte über rung resultiert früher oder später in ei- Belastung der jüngeren Generation bei te der Steuerzuschuss damit gerechtfer-
den Pflegenotstand meist übersehen. ner Erhöhung der Abgabenlast“, warnen bereits jetzt schon hohem Schuldenstand tigt werden, die finanzielle Überforde-
Dabei ist es vor allem der Dynamik der Lewe Bahnsen und Frank Wild vom Wis- weiter erhöht würde. rung der Pflegebedürftigen durch die Ei-
Personalausgaben geschuldet, dass der senschaftlichen Institut der PKV, die Au- Jens Spahn aber scheint entschlossen, genanteile zu mindern, müsste im Sinne
Eigenanteil, den Pflegebedürftige bei ei- toren der Studie „Finanzielle Auswirkun- seine teuren Pläne umzusetzen – und da- der Gleichbehandlung auch die private
ner stationären Versorgung selbst zah- gen der Pläne einer Pflegereform 2021“. mit den Kurs seines Vorgängers Her- Pflegeversicherung einen Steuerzu-
len müssen, ebenfalls entsprechend Eine solche Mehrbelastung sei jedoch mann Gröhe (CDU) fortzusetzen. Dieser schuss erhalten“, heißt es in der Studie.
steigt. Im vergangenen Jahr lag der
durchschnittliche Eigenanteil für die rei- ANZEIGE
ne Pflege bei 786 Euro im Monat. Zu-
sammen mit Unterkunft und Verpfle-
gung ergibt sich ein Gesamtbetrag von
2015 Euro.
Mit der Pflegereform will der Minister
vr.de
den Zusammenhang zwischen der Perso-
nalkostendynamik und den steigenden
Eigenanteilen wenigstens aufweichen.
Vorgesehen ist ein Stufenmodell. Nach
einem Jahr im Heim soll die Pflegeversi-
cherung künftig ein Viertel des Eigenan-
teils übernehmen, nach zwei Jahren die
Hälfte und nach drei Jahren dann 75 Pro-
zent. Damit ergibt sich für Langzeitheim-
bewohner eine monatliche Entlastung
von durchschnittlich rund 600 Euro im
Monat.
Die fortschreitende Alterung der Ge-
sellschaft ist ein weiterer Kostentreiber
in der Pflegeversicherung. Und die von
Spahn in Aussicht gestellten Entlastun-
gen für die Pflegebedürftigen schlagen
umso stärker zu Buche, je ungünstiger
das Verhältnis von Beitragszahlern zu
Empfängern in den nächsten Jahren
wird, wenn sich der demografische Wan-
del beschleunigt.
Die vom WIP berechnete Finanzlücke
für die Jahre 2022 bis 2030 von insgesamt
rund 90 Milliarden Euro als Folge von
Spahns Pflegeplänen basiert auf der An-
nahme weiter steigender Personalkosten
und beziehen auch einen „Demografie-
,
Effekt“ mit ein, der allein im ersten Jahr
k in g
mit 700 Millionen Euro zu Buche schlägt.
Ban
Zudem wird unterstellt, dass die von der
großen Koalition gezogene Obergrenze
ie
bei den Sozialabgaben von 40 Prozent
e l w
auch in den kommenden Jahren beibe-
e x i b
halten wird.
so fl
Die vom Steuerzahler zu schließende
Lücke würde sich noch einmal auf 180
.
Milliarden Euro verdoppeln, wenn man
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unterstellt, dass in den 20er-Jahren die
B u s i
Einnahmen jährlich um drei Prozent
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langsamer als die Ausgaben klettern –
wie dies in den vergangenen 20 Jahren
der Fall gewesen ist. Und trotzdem der
Beitragssatz stabil bliebe. Dann läge der
Bundeszuschuss 2030 bei fast 35 Milliar-
den Euro.
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10 WIRTSCHAFT
KOLUMNE
Staat auf der
Kommandobrücke
THOMAS MAYER
T
empora mutantur, nos et muta-
mur in illis – Die Zeiten ändern
sich, und wir ändern uns in ih-
nen: Das Sprichwort aus dem 16. Jahr-
hundert passt bestens zur Rolle des
Staates in Wirtschaft und Gesellschaft.
Obwohl der Staat gerade zeigt, wie we-
nig er kann, soll er die Wirtschaft nach
der Krise einem ökologischen Master-
plan folgend neu aufbauen. Die Grünen
wollen laut Wahlprogramm „die ein-
schneidenden Veränderungen, die die
Corona-Pandemie mit sich bringt, …
nutzen, um …eine grundlegend gerech-
tere Gestaltung unserer Gesellschaft“
zu verwirklichen. Da dies kostet, soll
die Kreditfinanzierung öffentlicher
Ausgaben ausgebaut und dem Staat
durch höhere Steuern mehr Einnahmen
verschafft werden. Die Botschaft: Der
Staat besteigt die Kommandobrücke.
„Tempora mutantur“ trifft auch für
die Finanzierung des Staates zu. Galt
früher weltweit der „Washington-Kon-
sens“ der Begrenzung öffentlicher
Haushaltsdefizite und Schulden, so gilt
heute als Staat von gestern, der es nicht
versteht, über seine finanziellen Ver-
hältnisse zu leben. Folglich steigt die
Staatsverschuldung, nach Prognosen
der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung bis
nächstes Jahr auf 136 Prozent des Brut-
toinlandsprodukts in den USA, 123 Pro-
zent in der Euro-Zone und 244 Prozent
in Japan. Staatsschulden dieser Höhe
können nicht mehr allein aus vorhan-
dener Geldersparnis finanziert werden.
Folglich sind die Zentralbanken ge-
fragt. Mein Kollege Pablo Duarte hat
nachgerechnet, in welchem Umfang die
großen Zentralbanken im letzten Jahr
die zur Finanzierung der staatlichen
Haushaltsdefizite emittierten Anleihen
ihrer Staaten aufkauften. Mit einer
Quote von rund 96 Prozent führt die
Europäische Zentralbank die Liga der
Staatsfinanziers klar an. Dabei ist der
Beitrag der EZB zur Finanzierung der
Neuverschuldung in den Ländern der
Eurozone unterschiedlich. Mit 117 Pro-
zent lag Italien vorn. Dagegen wurde
mit 83 Prozent und 66 Prozent in
Deutschland und Frankreich ein gerin-
gerer Teil der Neuverschuldung durch
die EZB finanziert.
Grund für die unterschiedlichen Fi-
nanzierungsquoten dürfte der Bedarf
an EZB-Käufen zur Senkung der Zins-
differenzen gegenüber deutschen Bun-
desanleihen gewesen sein. So stieg die
Rendite französischer Staatsanleihen
mit zehnjähriger Laufzeit letzten März
nur leicht und ging wieder auf rund 0,3
Prozentpunkte zurück. Dagegen schoss
die Renditedifferenz für italienische
Anleihen auf bis zu 2,8 Prozentpunkte
an und konnte nur mit massiven Käu-
fen wieder auf rund einen Prozent-
punkt zum Jahreswechsel gedrückt
werden. Deutlich geringer war der An-
teil der US Federal Reserve und der
Bank von Japan an der Finanzierung
der Neuverschuldung ihrer Staaten. In
Japan dürfte eine Rolle gespielt haben,
dass die Banken ihre Käufe von Staats-
anleihen aufstockten, während in den
USA ausländische Nachfrager einen er-
heblichen Teil der Neuemissionen ab-
sorbieren. Nach wie vor profitieren die
USA von der Stellung des US-Dollars
als wichtigste globale Reservewährung
und können sich günstig im Ausland
verschulden. Auch bieten die USA nach
China die zweithöchsten Zinsen auf so-
lidere Staatsanleihen und sind für viele
Anleger aus dem Euro-Raum attraktiv.
Der Abfluss von Kapital hebt die An-
leiherenditen der Euro-Staaten an, dem
die EZB durch vermehrte Käufe begeg-
net. Die Folge ist, dass der amerikani-
sche Staat einen Teil seiner Neuver-
schuldung am Markt finanzieren kann
und die Euro-Staaten auf mehr Zentral-
bankfinanzierung angewiesen sind. Ge-
genwärtig läuft eine Klage am deut-
schen Verfassungsgericht wegen des
Verstoßes gegen das Verbot der Staats-
finanzierung gegen die EZB. Es wird
spannend zu beobachten, wie sich das
Gericht aus der Schlinge zieht, ohne
den Eindruck zu erwecken, dass (in Ab-
wandlung eines Satzes aus finsterer
Zeit) „Recht ist, was dem Staate nützt“.
T Thomas Mayer ist Gründungsdirektor
des Flossbach von Storch Research
Institute und Professor an der Univer-
sität Witten/Herdecke
Z
uerst die schlechte Nach-
richt: Der Start in die Spar-
gelsaison 2021 erfolgt bei
ungewöhnlich hohen Prei-
sen. 20 bis 25 Euro pro Kilo
sind keine Seltenheit. „Deutscher Spar-
gel ist derzeit teuer“, sagt Ursula Scho-
ckemöhle von der Marktbeobachtung
AMI. Im vergangenen Jahr lagen die
Höchstpreise zum Saisonbeginn in der
Regel um sechs bis sieben Euro darun-
ter.
VON MICHAEL GASSMANN
Die gute Nachricht: Auch in diesem
Jahr wird das edelste aller Gemüse ab-
sehbar immer günstiger, je weiter die
Saison voranschreitet. Am Saisonende –
traditionell der Johannistag am 24. Juni
– meldete beispielsweise der Bayerische
Bauernverband im vergangenen Jahr
Preise ab 9,40 Euro pro Kilo für soge-
nannten Klasse-1-Spargel und ab sechs
Euro für Ware der Klasse 2, wobei es bei
der Klasseneinteilung weniger auf er-
nährungsphysiologische Qualitäten als
auf Farbe, Durchmesser und die Frage
ankommt, wie gerade oder krumm die
Stangen sind.
Wer weniger Wert aufs äußere Er-
scheinungsbild legt, kann zu Suppen-
oder Bruchspargel greifen und kauft
nochmals deutlich günstiger ein. „Für
Salate, Suppen und Ragouts reicht die-
ser Spargel vollkommen aus“, versi-
chert das Bundeszentrum für Ernäh-
rung.
Für das hohe Startniveau in diesem
Jahr gibt es eine Reihe von Ursachen.
Die Versorgungssituation ist weniger
komfortabel als um diese Jahreszeit üb-
lich. In Spanien und Griechenland,
wichtige Lieferländer in der frühen Sai-
son, habe bisher viel schlechtes Wetter
geherrscht, so Schockemöhle. Auch die
Lieferungen aus Holland hielten sich
noch sehr im Rahmen.
In Deutschland sind erst wenige
Spargelstecher auf den Feldern unter-
wegs, wobei entweder von der Natur
besonders begünstigte Lagen oder auf-
wendige Technik helfen, den Saison-
start um zwei oder drei Wochen nach
vorn zu verlegen. Auf wenigen Hundert
Hektar gedeiht Spargel unter Folie in
beheizten Böden. Im Rheinland etwa
wird dazu mehr als 20 Grad warmes
Sümpfungswasser, das bei der Entwäs-
serung von Braunkohle-Tagebauen oh-
nehin anfällt, durch im Boden verlegte
Schläuche geleitet.
Doch das sind Ausnahmen. Auf den
meisten Feldern gedeiht der Spargel nur
geschützt unter Folien – mit der
schwarzen Seite nach oben, wenn der
Boden zu kalt ist und die Sonne ihn wär-
men soll, mit der weißen Seite nach
oben, um zu viel Hitze vom Boden und
den kostbaren Spargelpflanzen abzuhal-
ten. Die Erntesaison hat in diesem Jahr
in Süddeutschland vor wenigen Tagen
begonnen. Aber auch im Norden ist sie
vereinzelt schon angelaufen. Ostern
gab’s Spargel.
Für die Erzeuger ist der Anbau nach
wie vor ein lohnendes Geschäft. Rech-
nerisch verzehrt jeder Deutsche im
Schnitt 1,7 Kilo Spargel, Tendenz leicht
steigend. Im vergangenen Jahr weiteten
die rund 1600 Anbaubetriebe die Fläche,
auf der Spargel wächst, um 500 auf
22.500 Hektar aus und fuhren eine Ern-
te von 117.000 Tonnen ein.
„Damit ist Spargel, gemessen an der
Anbaufläche, das Freilandgemüse Nr. 1
„Viele Branchentreffs könnten ausgedient haben“
D
Messen gelten als große Krisenverlierer. Vor allem jüngere Entscheider sehen digitale Veranstaltungen auch langfristig als Ersatz
as war’s in diesem Jahr für die
Internationale Spielwarenmes-
se. 2021 wird sich die Branche
nicht mehr treffen auf der weltweit
größten Branchenschau in Nürnberg.
„Die fehlenden Perspektiven rund um
das Messewesen seitens der Politik ha-
ben erhebliche Auswirkungen auf die
Planungen der Messeorganisation und
die Reisedisposition der internationa-
len Hersteller und Einkäufer“, meldet
der Veranstalter Spielwarenmesse eG.
VON CARSTEN DIERIG
Bis zuletzt hatten die Macher noch
gehofft, die Branche im Juli versam-
meln zu können – statt wie sonst üblich
zum Jahresanfang. „Nun liegt der Fokus
aber auf der Spielwarenmesse 2022“,
heißt es. Als Termin wurde dafür die
erste Februarwoche festgelegt.
Aktuell gehört die Messewirtschaft
neben dem Gastgewerbe, dem stationä-
ren Einzelhandel und der Kreativwirt-
schaft zu den größten Verlierern der
Pandemie. Auf vielen Messegeländen
hat seit mittlerweile über einem Jahr
keine Veranstaltung mehr stattgefun-
den. Nun zeichnet eine aktuelle Umfra-
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
die aufgrund der steigenden Infektions-
zahlen lieber im eigenen Land bleiben?
Wie werden sich die Virusvarianten
weiterverbreiten?“, fragte der Verband
Süddeutscher Spargel- und Erdbeeran-
bauer (VSSE) dieser Tage sorgenvoll.
Erntehelferin in Hessen:
Für die Erzeuger ist der
Im Schnitt arbeiten nach Gewerk-
schaftsangaben rund 280.000 Erntehel-
Anbau ein lohnendes fer pro Jahr in Deutschland. Sie stechen
Geschäft. Rechnerisch ver- Spargel, ernten Erdbeeren und Gurken,
zehrt jeder Deutsche im übernehmen die Weinlese und viele an-
Schnitt 1,7 Kilo Spargel dere Arbeiten. Für die Erzeuger sind die
Kräfte aus Osteuropa unverzichtbar.
„Ohne diese Unterstützung könnten
wir unsere Bevölkerung nicht mit fri-
schen, heimischen Lebensmitteln ver-
sorgen, auch nicht mit dem geliebten
Spargel“, sagte Bauernpräsident Joa-
chim Rukwied.
Doch aus den traditionellen Her-
kunftsländern wie Polen und Rumänien
kommen weniger Kräfte als zuvor, Rei-
sebeschränkungen im Zuge der Pande-
miebekämpfung erschweren die Lage
zusätzlich.
Daher planen das Bundesarbeitsmi-
nisterium und die Bundesagentur für
Arbeit, in diesem Frühjahr erstmals
auch rund 5000 Georgier für die Spar-
gelernte einzusetzen. Zusätzlich dür-
fen die ausländischen Saisonkräfte län-
ger als normalerweise in Deutschland
arbeiten, ohne selbst sozialversichert
zu sein.
Ursprünglich hatten sich die Bauern
115 Tage statt der normalerweise gelten-
den Obergrenze von 70 Tagen ge-
wünscht. Am Ende beschloss das Bun-
deskabinett letzte Woche den Kompro-
miss einer Frist von 102 Tagen. Die Ver-
längerung trage zur Sicherung der Ver-
sorgung der Bevölkerung mit heimi-
schen Lebensmitteln bei, argumentiert
Landwirtschaftsministerin Julia Klöck-
ner (CDU).
Die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Um-
welt (IG BAU) übt trotzdem heftige Kri-
tik an dem Plan. „Da man für die Kno-
chenarbeit wohl in der EU nicht mehr
fündig wird, holt man sich jetzt im Ver-
bund mit den landwirtschaftlichen Ar-
beitgebern Kräfte aus einem Dritt-
staat“, polterte der für die Landwirt-
DPA/ANDREAS ARNOLD
schaft zuständige Vizechef der Gewerk-
schaft, Harald Schaum: „Und das ,Beste‘
ist, sie müssen für ihre Hin- und Rück-
flüge auch noch selbst aufkommen.“
Dies sei „staatlich verordnetes Sozi-
aldumping“. Auch gegen die Verlänge-
rung der Einsatzzeit für die Saisonkräf-
Rekordpreise zum Start
te wehrt sich die IG BAU. „Wenn auslän-
dische Saisonarbeitskräfte länger in den
Betrieben bleiben dürfen, reduziert das
den Personalwechsel und die Mobilität
in die Spargel-Saison
– es ist ein Beitrag zur Pandemiebe-
kämpfung“, hält Klöckner dagegen. Die
Ausweitung sei aber „eine pandemiebe-
dingte Ausnahme“, die nicht zur Dauer-
Erntehelfer sind derzeit schwer zu bekommen. Erstmals werden auch
regelung werden dürfe.
Für einen ausreichenden Kranken-
Georgier angeworben. Das Vorgehen sorgt für Kritik
versicherungsschutz der versicherungs-
frei beschäftigten Saisonkräfte sorgten
zudem die Betriebe durch private Ern-
tehelferversicherungen, sagte Thomas
Becker, Chef der Arbeitsgemeinschaft
in Deutschland“, stellte der Deutsche Preisniveaus auch Sorgen. Dazu zählt nomie, wie schon im Vorjahr, komplett der gärtnerischen Arbeitgeberverbände.
Bauernverband (DBV) fest. In Sachen die Ungewissheit über die Frage, wann ausfallen würde, wäre das bitter für die Wird die Spargelernte trotz der Hin-
Anbaufläche sind Brandenburg und und in welchem Umfang die Gastrono- Erzeuger. Auch das Thema eines Man- dernisse plangemäß eingebracht, kön-
Nordrhein-Westfalen mit jeweils knapp mie wieder öffnen darf. gels an Erntehelfern, das in der Corona- nen sich die Verbraucher dieses Jahr auf
4000 Hektar und Niedersachsen mit Der Menü-Klassiker in den Restau- Frühphase vor einem Jahr viel Aufmerk- ein hochwertiges Gemüse freuen. „Die
4800 Hektar Spitzenreiter. Insgesamt rants mit Kartoffeln, Schinken und Sau- samkeit erregt hatte, steht immer noch Kälte im Februar ist im Damm ange-
stammen 85 Prozent des in Deutsch- ce Hollandaise zählt ebenso wie endlose auf der Tagesordnung. „Die Anspan- kommen und hat sich positiv auf den
land konsumierten Spargels aus dem In- Variationen mit weißen, grünen und nung ist bei den Betrieben deutlich zu Spargel ausgewirkt“, meinte VSSE-
land – ein hoher Selbstversorgungsgrad. violetten Stangen zu den wichtigen Ab- spüren: Werden alle Erntehelfer und Spargelexperte Ludger Aldenhoff: „Wir
Doch in diesem Jahr plagen die Erzeu- satzwegen für die deutschen Spargel- Erntehelferinnen auf dem Landweg an- können mit guten Spargelqualitäten
ger trotz des für sie erfreulich hohen bauern. Wenn die Saison in der Gastro- reisen können? Wird es welche geben, rechnen.“ Noch eine gute Nachricht.
ge der Meinungsforscher von Civey ein Bis zuletzt war dennoch das Gegen- eine Rolle bei der Bewertung von Mes- sagt der Geschäftsführer des Verbands
düsteres Bild: Gut 1000 Führungskräfte teil der Fall: Jahr für Jahr hat die Messe- sen. Dabei gilt: Je jünger die Manager der deutschen Messewirtschaft (AU-
aus kleinen und mittelständischen Un- branche hierzulande Rekordergebnisse sind, desto eher können sie sich vorstel- MA). Von einem Bedeutungsverlust will
ternehmen mit bis zu 500 Mitarbeitern eingefahren. „Kaum jemand hat sich ge- len, eine Präsenzmesse durch alternati- Holtmeier nichts wissen – und verweist
aus Branchen wie Handel, Marketing, traut, einer Leitmesse fernzubleiben“, ve Angebote zu kompensieren. unter anderem auf Erfahrungen aus
Bauwirtschaft, Handwerk, Industrie/ weiß Schmid aus Gesprächen mit Un- Schmid sieht die Messebranche daher China. „In mehreren Weltregionen ist
Logistik und Maschinenbau wurden im ternehmern. Nun aber habe Corona die- im Wandel. „Viele tradierte Branchen- das Messegeschäft schon vor einiger
Auftrag von Visable befragt, dem Betrei- ses Experiment erzwungen. „Seither er- treffs könnten in absehbarer Zeit ausge- Zeit wieder erfolgreich gestartet. In
ber der Online-Plattformen „Wer liefert kennen die Unternehmen die Vorteile dient haben“, prognostiziert der Mana- China wurden dabei schon Teilnehmer-
was?“ und „Europages“. von digitalen Plattformen und virtuel- ger. „Das bedeutet aber nicht, dass Mes- zahlen erreicht, die an das Vor-Corona-
Das Ergebnis: Für 56,4 Prozent der len Präsentationen ihrer Produkte und sen in Zukunft nicht mehr wichtig Niveau heranreichten, ein deutliches
Teilnehmer ist der Wegfall von Leit- Dienstleistungen.“ Als Beweis führt sind.“ Denn Schmid weiß bei aller zu- Zeichen für die weiterhin hohe Akzep-
messen nach der Pandemie gar kein Schmid aktuelle Zahlen der eigenen Ge- letzt gelernter Digitalisierung: „Men- tanz des Mediums Messe.“
oder nur ein geringer Verlust. Umge- schäfte ins Feld. Bei „Wer liefert was?“ schen wollen sich treffen.“ Auch das be- Die sieht der AUMA-Chef mittelfris-
kehrt sagt nur knapp jeder vierte Ent- zum Beispiel, einer Businessplattform legt die Umfrage. Zumindest gehören tig auch hierzulande: „Wir rechnen da-
scheider, dass der Verlust eher groß für Unternehmen mit zuletzt neun Mil- „professionelles Networking“ und „so- mit, dass auch in Deutschland die weit-
oder sogar sehr groß wäre. Und auf die lionen Produkten aus 64 Branchen, rei- ziale Aspekte“ zu den häufigsten Ant- aus meisten bisherigen Aussteller und
Frage, wie sich die Präsenz des eigenen he sich derzeit ein Rekordmonat an den worten auf die Frage, was den Teilneh- Besucher auf ihre Messen zurückkehren
Unternehmens auf Messen durch die nächsten. Je nach Themengebiet liege mern beim Wegfall von Messen fehlt. werden.“ Das werde sicherlich einige
Corona-Pandemie verändern wird, ant- das Wachstum der Suchaufträge bei 30 „Es wird also weiter Messen geben – Zeit dauern nach dem nächsten Messe-
worten gerade mal 21 Prozent der Be- bis 60 Prozent in den vergangenen aber nicht mehr alle.“ Stattdessen sieht Neustart. Nur: Wie lange darf die
fragten, dass sie weiter aktiv ausstellen zwölf Monaten. er jenseits des digitalen Raums ver- Zwangspause dauern? In den Chefeta-
wollen. Für Peter F. Schmid ist das kei- Doch es gibt Unterschiede. Vor allem mehrt Fachkonferenzen und Summits. gen der Messegesellschaften geht die
ne Überraschung. Der Vorstandschef Firmen aus dem Maschinen- und Anla- Dass Messen verschwinden werden, Angst um, dass Messemarken in Verges-
von Visable prognostiziert, dass die Be- genbau sowie aus den Bereichen Marke- ficht auch Jörn Holtmeier nicht an. „Die senheit geraten, wenn sie ein paar Jahre
deutung von Präsenzmessen stark ab- ting und Bau/Handwerk zeigen sich bei Messeveranstalter überprüfen ihre ein- weg vom Fenster waren. Deshalb bieten
nehmen wird. „Weil es für viele Unter- der Befragung, die WELT exklusiv vor- zelnen Projekte immer wieder unter die Unternehmen nun Digitalevents an,
nehmen sowohl ökonomisch als auch liegt, deutlich messeaffiner als die ande- mittelfristigen Kosten-/Nutzen-Aspek- sei es zum Austausch oder zum Know-
ökologisch effizienter wäre, die Dinge ren Branchen. Aber auch das Alter der ten, auch unabhängig von der jeweiligen how-Transfer. Das Problem: Geld lässt
online abzuwickeln.“ Entscheider in den Unternehmen spielt Situation wie etwa der Corona-Krise“, sich damit nur bedingt verdienen.
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DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
Das neue Luxus-Paradigma
K
Nachhaltigkeit und Klimaschutz erreichen das Oberhaus des globalen Konsums. Gleichzeitig verpasst die Krise dem Markt einen empfindlichen Dämpfer.
Die Konzerne müssen sich mitten im Umbruch neu aufstellen – doch genau dahinter verbirgt sich eine große Chance
lar, künstliche Knappheit
gehört bei Luxusartikeln
zum Konzept, aber Telfar
übertreibt vielleicht ein
bisschen. Wer dieser Tage
die Website des Labels aus Brooklyn
aufruft, um eine der gar nicht so teuren
Taschen (zwischen 150 und 257 Dollar)
zu ordern, findet hinter sämtlichen
Farben und Größen den immer glei-
chen Hinweis: Sold Out! Alles ausver-
kauft. Trotzdem ergibt die Masche
Sinn.
VON MICHAEL GASSMANN
Die wahre Exklusivität besteht nicht
mehr darin, einen hohen Preis zahlen
zu können. Sondern zu zeigen, dass
man zu den wenigen Auserwählen, Cle-
veren, Beziehungsreichen gehört, die
eine der begehrten Taschen mit dem
großen T im Kreis-Logo überhaupt er-
gattert haben. So wie zum Beispiel
Oprah Winfrey, die legendäre Prinz-
Harry-und-Meghan-Interviewerin.
Oder das Model Bella Hadid, die Schau-
spielerin Selena Gomez oder die eher
linke amerikanische Kongressabgeord-
nete Alexandria Ocasio-Cortez.
Die Beratungsfirma McKinsey zählt
Telfar zu den angesagten globalen Lu-
xusmarken, Unterkategorie „er-
schwinglicher Luxus“. Auch ein paar
andere Einsteiger fallen Beobachtern
der Szene auf Anhieb ein. Die Mode-
marke Brain Dead aus Los Angeles et-
wa, die als etwas abgedrehtes Künstler-
kollektiv daherkommt, oder der Sweat-
pant-Verfeinerer Entireworld des De-
signers Scott Sternberg.
Die aufkommenden Stars haben vie-
les gemeinsam. Ihre Businesswelt ist
zum einen komplett digital. Die Bild-
sprache ihrer Werbevideos ist zum an-
deren extrem auf ein junges Publikum
zugeschnitten. Die Botschaften stehen
für ein Lebensgefühl von Achtsamkeit,
Nachhaltigkeit, Diversität. Was gerade
passiert, ist das Heraufziehen einer
neuen Ära des Luxusmarkts, glauben
Marktkenner:
Viele Jüngere, sagt Marie-Therese
Marek, Luxusmarkt-Expertin der Bera-
tungsfirma Bain, seien bereit, für
Nachhaltigkeit mehr zu zahlen. Aber
nicht für Schmu, nur für echte Werte:
„Da geht es nicht um das ethische Sah-
nehäubchen und ein bisschen Klima-
neutralität, sondern um eine einwand-
freie Nachhaltigkeit über die gesamte
Wertschöpfungskette, die dann auch
eingefordert wird“, sagt Marek: „Das
wird zu radikalen Umbrüchen führen,
von Lederwaren bis hin zu Diaman-
ten.“
Dabei sind radikale Umbrüche gera-
de das, was die Luxusbranche nicht
brauchen kann. Platzhirsche wie
LVMH (Louis Vuitton) oder Kering
(Gucci, Bottega Veneta, Saint Laurent)
haben genug damit zu tun, die Auswir-
kungen der Pandemie in den Griff zu
bekommen. Noch vor ein paar Mona-
ten schien es so, als sei das Top-Seg-
ment des Konsums den Alltagssorgen
und Einschränkungen vom Normalver-
braucher weitgehend enthoben. „Die
Reichen lassen sich die Laune nicht
vermiesen“, konstatierte die „Frank-
furter Allgemeine Sonntagszeitung“
noch im November.
Tatsächlich verkleinerten sich die
zunächst zweistelligen Minuszahlen
2020 von Quartal zu Quartal. Aber am
Ende blieb eben doch ein sattes Minus
für die zuvor über viele Jahre erfolgs-
verwöhnten Edelmarken. „2020 war
das absolute Horrorjahr für die Luxus-
güterbranche“, lautet denn auch Ma-
reks Zusammenfassung.
So erschreckte Kering seine Aktionä-
re im Februar mit der Nachricht, dass
der Umsatz im Schlussquartal mit vier
Milliarden Euro um überraschend hef-
tige acht Prozent niedriger als in der
Ewiges Wachstum
Umsatz mit Luxusgütern weltweit in Milliarden Euro
250
200
150
100
50
0
1996 2000 2005
Quelle: Bain & Company, Fondazione Altagamma
WIRTSCHAFT 11
Vorjahreszeit ausgefallen war. Da half oder Fendi für 306 Euro im Dreierpack. re, um ökologische Glaubwürdigkeit.
DAS WIRD ZU persönlichen Luxusgütern verantwort-
RADIKALEN
es auch nicht viel, dass Jacken der Schon in vier Jahren werde der E-Com- Motto: Luxury for Future. lich sein“, sagt sie.
hauseigenen Marke Bottega Veneta on- merce bei Luxusgütern dem Umsatz in „Der Nachhaltigkeitsanspruch ist Für diese gelte, abgesehen einmal
UMBRÜCHEN
line für Preise um die 3900 Euro ver- den stationären Geschäften auf den ein globales Thema“, sagt Marek, und vom Öko-Anspruch und digitalen Life-
kauft werden. Edelmeilen dieser Welt den Rang abge- darauf einzugehen sei langfristig eine style, das, was immer gilt: „Die Faszi-
FÜHREN.
Am schlimmsten traf es Kerings Re- laufen haben, sagt Marek. Überlebensfrage sogar für die Gigan- nation von Luxus ist ungebrochen.“ Er-
nommiermarke Gucci: minus zehn Gerade die online-affinen jungen ten des gehobenen Lebensstils wie gebnis: Für den Zeitraum 2020 bis 2025
Prozent. Auch wenn Vorstandschef Luxuskäufer fordern die Branche he- LVMH oder Kering. „Schon 2025 wer- sei mit einem Marktwachstum von
François-Henri Pinault das Unterneh- raus. Die Umstellung auf E-Commerce den die Generationen Z und Y“ – Men- MARIE-THERESE MAREK zehn Prozent im Jahresdurchschnitt zu
men schon wieder auf dem Weg der ist nicht einmal das eigentliche Thema schen unter 40 also – „für rund zwei Luxusmarkt-Expertin der rechnen. Wahrlich luxuriöse Wachs-
Besserung sieht – die Dividende muss- – es geht ihnen, siehe Telfar und ande- Drittel der weltweiten Umsätze bei Beratungsfirma Bain tumsraten.
te er um etwa 30 Prozent kürzen, wäh-
rend der Umsatz im Gesamtjahr um ANZEIGE
17,5 Prozent auf 13,1 Milliarden Euro zu-
sammenschnurrte.
Kerings ewiger Konkurrent, Welt-
marktführer LVMH, musste im vergan-
genen Jahr mit seinen 75 Edelmarken
ein ähnlich heftiges Umsatzminus von
17 Prozent auf 44,7 Milliarden Euro
verkraften. Noch rasanter – um 28 Pro-
zent – fiel der Betriebsgewinn. Noch
vergleichsweise wenig gerupft kam bei
einem einstelligen Rückgang das Un-
ternehmen Hermès mit seinen noblen
Lederwaren durchs Corona-Tief. Den-
noch: Der Umsatz schrumpfte um
sechs, der operative Gewinn um gut elf
Prozent.
Das ist harmlos, gemessen an den
Einbußen der vielen kleineren Anbieter
nobler Uhren, Kleidungs- und
Schmuckstücke sowie Lederwaren. Ins-
gesamt ist das Geschäftsvolumen der
Luxusbranche nach einer Bain-Studie
im vergangenen Jahr um ganze 64 Milli-
arden auf weltweit 217 Milliarden Euro
eingebrochen – so viel wie zuletzt 2014.
Dasselbe Bild zeigt sich bei anderen
Gütern des gehobenen Millionärsbe-
darfs: Yachten, Privatflieger, etablierte
Kunst, Nobelkarossen. Die Delle wie-
der aufzufüllen werde richtig harte Ar-
beit, erwartet Bain-Expertin Marek.
Beim Umsatz werde die Branche frü-
hestens im kommenden Jahr an die
Vorkrisenzeit Anschluss finden. Die
Profitabilität habe 2020 um 60 Prozent
abgenommen. Die Hälfte der Einbußen
könne die Branche in diesem Jahr vo-
raussichtlich wieder wettmachen.
Viele Investoren nehmen offenbar
vorweg, dass die Luxuskonzerne den
Anschluss an alte Glanzzeiten fugenlos
finden. So halten sich deren Aktienkur-
se, wenn auch unter heftigen Schwan-
kungen, in der Nähe der Vorkrisen-Re-
kordstände. LVMH wird an der Börse
mit rund 280 Milliarden Euro bewer-
tet, mehr als jeder andere europäische
Konzern, sieht man vom schweizeri-
schen Nahrungsmittelriesen Nestlé ab.
Zum Vergleich: VW bringt es trotz des
jüngsten Höhenflugs nicht einmal auf
ein Viertel des Werts von LVMH.
Doch die hohe Bewertung der Luxus-
konzerne ist eine Wette auf eine glor-
reiche Zukunft. Die hohen Kosten für
Design, Herstellung und Vertrieb der
luxuriösen Güter lassen sich kaum sen-
ken, auch wenn der Umsatz lahmt. Da-
zu kommt eine steigende Abhängigkeit
der Branche vom immer noch boomen-
den chinesischen Luxusmarkt.
In China, das sich vergangenes Jahr
vergleichsweise früh aus den wirt-
schaftlichen Fesseln der Seuche befreit
hatte, wachsen sie schneller als in an-
deren Regionen der Welt. Nur Anbie-
ter, die wenigstens ein Drittel ihrer
Einkünfte in dieser Region erzielen,
profitieren nach einer Studie von
McKinsey von den guten Bewertungen
auf dem Aktienmarkt.
Auch betrifft der kometenhafte Auf-
stieg des E-Commerce den Luxus-
markt mindestens ebenso heftig wie
HELLOMOTO
andere Konsumbereiche. So schnellte
der Verkauf auf dem Online-Markt-
platz Farfetch im Frühjahrsquartal
2020 im Vergleich zum Vorjahreszeit-
raum laut McKinsey um 75 Prozent
nach oben.
Auf Farfetch haben Käufer etwa die
Wahl zwischen Baby-Schlabberlätz-
chen von Gucci für 269 Euro das Stück
Official Partner von RB Leipzig
Prog-
nose
217
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12 WIRTSCHAFT
D
er Laborkonzern Synlab
ist der größte seiner Art
in Europa. Die Corona-
Pandemie hat dem Un-
ternehmen, das auf zahl-
reiche diagnostische Tests speziali-
siert ist, eine Sonderkonjunktur be-
schert. Dennoch sieht Firmenchef Ma-
thieu Floreani sein Unternehmen
nicht als Profiteur der Pandemie.
VON ANJA ETTEL
Im Fokus steht Synlab derzeit auch
wegen anhaltender Gerüchte über ei-
nen möglichen Börsengang in Frank-
furt, der offenbar nach Ostern be-
kannt gegeben werden soll. Sollte das
Unternehmen tatsächlich mit rund
sechs Milliarden Euro bewertet wer-
den, wäre das eines der größeren eu-
ropäischen Börsendebüts in diesem
Jahr.
WELT: Wohl keine andere Branche ist
im Moment so gefragt wie die Labo-
re. Würden Sie sagen, Sie gehören zu
den Gewinnern der Pandemie?
MATHIEU FLOREANI: Nein, auf keinen
Fall. Es stimmt, wir haben unser Ge-
schäft wegen Corona enorm ausgewei-
tet. Aber segensreich ist das trotzdem
nicht. Es kann sich jeder nur wün-
schen, dass diese Pandemie bald endet
– wir eingeschlossen.
Um die dritte Welle zu brechen, fährt
Deutschland seine Teststrategie
hoch. Reicht aus, was jetzt – reichlich
verspätet – umgesetzt wird?
Die Politiker, die in dieser schwierigen
Lage Entscheidungen treffen müssen,
haben wirklich meinen vollen Respekt.
Sie müssen ständig abwägen zwischen
individueller Freiheit, dem Wohlerge-
hen der Wirtschaft und den Folgen für
das Gesundheitssystem. Die Kanzlerin
und ihr Kabinett sind daher nicht zu
beneiden. Dennoch hatte Deutschland
im vergangenen Jahr einen guten Start
und lag gerade beim Testen deutlich
vor den USA. Aber es war schwierig,
die Kapazitäten so hochzufahren, wie
es nötig war, um die Verbreitung des
Virus einzudämmen.
Das klingt sehr diplomatisch. Aber
was heißt das konkret?
Wichtiger als die schiere Masse an
Testungen ist, dass es gelingt, ein gu-
tes Testprotokoll zu entwerfen. Ent-
scheidend ist die richtige Kombination
aus PCR und Schnelltests. Jedem soll-
te klar sein: Der PCR-Test ist und
bleibt der Goldstandard für die Diag-
nose. Antigen-Schnelltests sind gut,
solange man sie richtig einsetzt. Das
bedeutet: Wer sich auf diese Weise tes-
ten lässt, ist entweder positiv oder
kann es eben nicht mit Bestimmtheit
ausschließen – und sollte sich entspre-
chend verhalten. Nur wenn wir diese
beiden Diagnostika in Kombination
richtig einsetzen, haben wir eine
Chance, besser mit diesem Virus zu le-
ben als bisher.
Was bringen dann die Schnelltests
überhaupt, mit denen Deutschland
nun mehr Öffnung schaffen will?
Sie können dabei helfen, unentdeckte
positive Fälle zu finden, zum Beispiel
in Schulklassen oder im Büroumfeld.
Aber Schnelltests sind kein Freifahrt-
schein. Leider wird das oft falsch ver-
standen. Das ist gefährlich. Länder, die
bei ihrer Öffnung vor allem auf diese
Antigen-Schnelltests vertraut haben,
sind damit gescheitert. Man denke nur
an das Beispiel der Slowakei.
Dafür sind PCR-Tests deutlich lang-
samer – das Ergebnis liegt oft erst
ein, zwei Tage später vor. In der Zeit
kann man sich auch wieder anste-
cken.
Da muss ich widersprechen: Gerade
Wie der Impf-Rückstau kleingerechnet wird
D
Millionen von Vakzin-Dosen müssten längst hier sein, wurden aber nicht verbucht. Grund könnten Lieferprobleme sein – oder der Versuch, die Bilanz zu beschönigen
ie neue wöchentliche Corona-
Impfbilanz ist da, veröffentlicht
auf dem Impfdashboard des Bun-
desgesundheitsministeriums. Doch, oh
Schreck: Demnach ist in der vergangenen
Woche keine einzige Vakzindosis nach
Deutschland ausgeliefert worden.
VON OLAF GERSEMANN
Und das ausgerechnet jetzt, da doch
das Impfen in den Hausarztpraxen losge-
hen und die Impfkampagne so richtig in
Schwung kommen soll.
Doch nun wird der Gesamtumfang der
bis Sonntag einschließlich ausgelieferten
Dosen weiterhin mit 15.872.775 angege-
ben – genau so viele wie schon für das En-
de der vorvergangenen Woche. Von den
bei PCR-Tests haben wir, aber auch die
Branche insgesamt, die Kapazitäten
enorm hochgefahren. Diese Methode
war ja vor Corona nur sporadisch ge-
fragt, wir haben damals weniger als
2000 Tests am Tag durchgeführt – für
ein Land wie Deutschland ist das we-
nig. Mittlerweile sind wir dank unse-
rer acht Laborfabriken bei bis zu
200.000 PCR-Tests pro Woche. Und
das Ergebnis liegt oft schon in zwölf
bis 24 Stunden vor. Von langsam kann
also keine Rede sein.
Von hundertprozentiger Sicherheit
aber auch nicht: Was ist zum Beispiel
mit der Variante aus der Bretagne,
die über den PCR-Test offenbar nicht
nachweisbar war?
Der mangelnde Nachweis lag nicht am
PCR-Test, sondern an der Qualität des
Probenmaterials. Diese Virusvariante
wandert sehr schnell in die unteren
Atemwege, weshalb es noch wichtiger
ist als sonst, die Probenentnahme kor-
rekt durchzuführen. Was außerdem
hilft, ist eine routinemäßige Sequen-
zierung des Virus. Deutschland war
das erste Land in Europa, das das seit
Beginn dieses Jahres bei fünf Prozent
aller positiven Proben gemacht hat
und bis heute tut. Auf diese Weise
sieht man sehr schnell, ob eine Virus-
variante unterwegs ist.
Die Fülle der verfügbaren Antigen-
Tests ist mittlerweile enorm. Wie soll
man als Laie noch durchblicken, wel-
cher Test qualitativ wirklich hält,
was er verspricht?
Das Tempo, mit dem diese Tests zuge-
lassen werden, ist wirklich sehr hoch.
Aber im Grunde spielen diese Produk-
te alle in derselben Liga. Ärgerlich ist
die missverständliche Kommunikati-
on. Oft wird behauptet, Antigen-
Schnelltests hätten eine vergleichbare
Sensitivität wie PCR-Tests. Das
stimmt – aber nur, wenn die getestete
Person bereits seit ein bis fünf Tagen
Symptome hat. Ist das nicht der Fall,
sinkt die Treffsicherheit dieser Anti-
gen-Tests dramatisch. Bei geringer Vi-
renlast werden neun von zehn Infi-
zierten nicht entdeckt, das haben zahl-
reiche Studien wie etwa kürzlich die
der Universität Liverpool nachgewie-
sen. Das Fazit muss daher immer sein:
Selbst wenn ein Antigen-Schnelltest
ein negatives Ergebnis anzeigt – Mas-
ke und Abstand müssen trotzdem blei-
ben.
Ab wann war Ihnen eigentlich klar,
dass eine Pandemie auf uns zurollt?
Unsere Ärzte haben bereits im Januar
2020 mit der Charité zusammengear-
beitet, um den PCR-Test für diesen
neuartigen Virus bei Synlab verfügbar
zu machen. Als klar war, was da
kommt, haben wir die Anzahl durchge-
führter Tests von 100.000 pro Monat
im März hochgefahren – auf bis zu 2,6
Millionen Tests im Dezember.
Wie haben Sie so schnell so viele
Fachkräfte gefunden?
Das hat uns anfangs tatsächlich Pro-
bleme bereitet, denn PCR-Testungen
wurden bis vor Kurzem überwiegend
von Hand ausgewertet – man braucht
Spezialisten, die das tun. Wenn sich
früher in einem unserer Labore zum
Beispiel zehn Personen um PCR-Tests
gekümmert haben, so sind es mittler-
weile 60 bis 100. Um möglichst zügig
solche PCR-Spezialisten auszubilden,
haben wir im Frühjahr dafür regel-
rechte Trainingscamps eingerichtet.
Und während des Lockdowns haben
wir in manchen Regionen einen Bus
herumgeschickt, der Freiwillige abge-
holt und sicher in die Labore gebracht
hat, in denen sie am dringendsten be-
nötigt wurden. Synlab ist in den ver-
gangenen zehn Jahren im Schnitt
mehr als zehn Prozent pro Jahr ge-
15.872.775 Dosen seien 90,6 Prozent be-
reits verimpft worden.
Dabei waren schon für Montag/Diens-
tag vergangener Woche 1.076.400 Dosen
des Biontech-Impfstoffes avisiert gewe-
sen. Für die zurückliegende Kalenderwo-
che 13 standen außerdem 650.400 Moder-
na-Dosen sowie 1.744.800 AstraZeneca-
Dosen zur Auslieferung an. Macht zusam-
men 3.471.600 Dosen, deren Verbleib un-
geklärt ist.
Auf dem Impfdashboard des Bundesge-
sundheitsministeriums findet sich dafür
keine Erklärung, das Ministerium selbst
war auf WELT-Anfrage zunächst nicht zu
erreichen. Es wäre ein eher großer Zufall,
aber natürlich kann es sein, dass alle drei
Hersteller quasi gleichzeitig ihre Liefer-
zusagen nicht eingehalten haben.
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
„SCHNELLTESTS wachsen – aber das vergangene Jahr
war mit einem Umsatzplus von 38 Pro-
zent schon außergewöhnlich.
sind kein Freifahrtschein“
Sprich, wenn die Pandemie besiegt
ist, stürzt Ihr Unternehmen ab?
Nein, wir werden nach Corona ganz si-
cher nicht in ein Loch fallen. Schließ-
Synlab-Chef Mathieu Floreani über die Grenzen unserer Teststrategie,
lich basieren heutzutage 70 Prozent
aller medizinischen Entscheidungen
den Bau von Laborfabriken und einen möglichen Börsengang
auf diagnostischen Untersuchungen.
Natürlich wird der reine Anteil der
Corona-Testungen kleiner werden.
Aber er wird leider nicht verschwin-
den, weil das Virus bleiben wird, ähn-
lich wie die jährliche Grippe. An unse-
ren Wachstumsaussichten von mittel-
fristig zehn Prozent mehr Umsatz pro
Jahr ändert sich nichts.
Das dürfte potenzielle Investoren in-
teressieren, denn angeblich strebt
Synlab an die Börse.
Ich kann zu diesen Marktspekulatio-
nen nichts sagen. Meine Aufgabe ist
es, das Unternehmen fit zu machen für
neue Anteilseigner, falls sich unsere
Hauptinvestoren dazu entschließen
sollten, in welcher Form auch immer,
Anteile abzugeben.
Nur mal angenommen, es käme ein
Börsengang – wie würden Sie die In-
vestoren überzeugen, in Synlab zu in-
vestieren?
Ganz einfach: Wir sind ein Wachs-
tumsunternehmen. Nicht nur wegen
Corona, sondern weil viele Mega-
trends in der Medizin auf Labordienst-
leistungen beruhen. Mehr als die Hälf-
te der Medikamente, die in den ver-
gangenen fünf Jahren in der Onkologie
zugelassen wurden, sind zum Beispiel
genbasiert und helfen damit nur ei-
nem ganz bestimmten Kreis von Per-
sonen, auf den bestimmte genetische
Charakteristika zutreffen. Um heraus-
zufinden, ob ein Medikament für je-
manden überhaupt geeignet ist,
braucht man PCR- oder genetische
Tests. Auch in der medizinischen Vor-
sorge werden Labortests immer wich-
tiger. Bisher ist der Markt sehr klein-
teilig und lokal organisiert, wir sind
mit unserer Präsenz in 36 Ländern der
größte Anbieter Europas und können
uns entsprechende Skaleneffekte zu-
nutze machen.
Dennoch haben Sie 2020 in den ers-
ten neun Monaten Verluste von 75
Millionen Euro gemacht.
2020 war sicherlich auch für uns eine
Herausforderung. Trotzdem ist es uns
gelungen, dieses Jahr mit schwarzen
Zahlen abzuschließen und sogar unser
bereinigtes EBITDA zu steigern.
An der Börse steigen die Aktien von
Mathieu Floreani ist Chef Testherstellern immer dann, wenn es
des Laborkonzerns Synlab Rückschläge bei den Impfstoffent-
wicklern gibt – und umgekehrt. Kön-
nen Sie das nachvollziehen?
Das hat für mich angesichts von SARS-
CoV-2 erst einmal keine Priorität. Wie
SYNLAB
gesagt: Es gibt in dieser Pandemie kei-
ne Gewinner.
Was schätzen Sie: Wann kehren wir
Tennisspieler und Skifahrer an der Spitze
endlich zur Normalität zurück?
Wenn wir ein gutes Testprotokoll ein-
halten und die Impfungen zügig vo-
Mathieu Floreani ist seit April 2018 München beschäftigt rund 20.000 Börsengang von Synlab wird seit ranbringen, dann kommen wir Schritt
Chef des Laborkonzerns Synlab. Die Mitarbeiter und ist mit etwa 450 Längerem spekuliert, konkrete Daten für Schritt zu einer Form der Normali-
Wurzeln des deutsch-französischen Laboren in über 40 Ländern präsent. dazu könnte Cinven nach Ostern tät zurück. Allerdings rechne ich da-
Laborspezialisten liegen in Augsburg: Im vergangenen Jahr erwirtschafte- bekannt geben. mit nicht mehr in diesem Jahr, denn
Dort wurde 1998 die „Vereinigung te das Unternehmen rund 2,6 Milliar- Floreani war früher McKinsey-Bera- dieses Virus ist kompliziert. Covid-19
freier Laborärzte“ gegründet, aus den Euro Umsatz. Der Zuwachs von ter. Er hatte zuvor für den französi- hat es wirklich in sich. Und obwohl
der schließlich Synlab hervorging. 38 Prozent gegenüber dem Vorjahr schen Mineralölkonzern Total und für hinter den Impfstoffherstellern wahre
Durch die Fusion mit der französi- war größtenteils der enormen Nach- die Post-Tochter DHL gearbeitet, wo Genies stecken, die in Rekordzeit Vak-
schen Labco-Gruppe Ende 2015 frage nach Corona-PCR-Tests ge- er unter anderem das Nordame- zine entwickelt haben, können wir im
stieg das Unternehmen zum größten schuldet. Hauptanteilseigner von rikageschäft geleitet hat. Vor Coro- Moment nicht so schnell impfen, wie
Laboranbieter Europas auf. Die Synlab ist der Finanzinvestor Cinven, na hat Floreani bereits insgesamt 72 das nötig wäre, um gegen das Virus
Branche ist ansonsten recht klein- zu den weiteren Anteilseignern ge- Länder bereist, eine Tradition, die er und seine Mutanten schnell genug an-
teilig und lokal organisiert, welt- hören Novo Holdings sowie das nach der Pandemie fortsetzen will. zukommen. Mein Tipp ist daher das
weiter Marktführer ist die australi- Ontario Teachers’ Pension Plan Zu seinen Hobbys zählen Skifahren kommende Jahr. Aber so ganz werden
sche Sonic Health. Synlab mit Sitz in Board (OTPP). Über einen möglichen und Tennis. wir Corona leider nicht mehr los.
Alternativ ist es auch möglich, dass die sondern 4,96 Millionen. Das wäre ein licher Grund, warum auf einmal keine
Lieferungen zwar eingegangen, aber Rekord. tägliche Publikation mehr möglich sein
nicht registriert worden sind. In diesem Natürlich ließe sich einwenden, dass es soll, ist nicht erkennbar.
Fall muss keine böse Absicht dahinter- nicht weiter schlimm ist, wenn zum Bei- Für jene Verantwortlichen in Bund und
stecken. spiel eine am Nachmittag des Gründon- Ländern aber, die sich für den zögerli-
STATISTISCH
Freilich hat die ausbleibende Verbu- nerstags erfolgte Lieferung erst am chen Impffortschritt Kritik anhören müs-
chung für Gesundheitsminister Jens Dienstag nach Ostern in der Statistik auf- sen, ist schon diese Umstellung eine An-
LÖST SICH DER
Spahn (CDU) und Kollegen einen ange- taucht. Das Problem ist nur: Sie wird nehmlichkeit. Denn nun muss sich nie-
nehmen Nebeneffekt: Die vielfach kriti- auch am Dienstag nicht in der Statistik mand mehr jeden Tag aufs Neue vorrech-
IMPFRÜCKSTAU
sierte Impfbilanz in Deutschland sieht erscheinen und am Mittwoch und Don- nen lassen, wie viele ausgelieferte Vakzi-
auf einmal viel weniger trostlos aus. nerstag auch nicht. ne ungenutzt in Kühlregalen herumliegen
IN LUFT AUF
Rechnet man die Lieferungen aus der Denn das Gesundheitsministerium hat – den Kritikern fehlen dafür schlicht die
vorigen Woche mit ein, gäbe es in gerade erst aufgehört, die Angaben zu er- nötigen Zahlen.
Deutschland nicht 15.872.775 ausgelie- folgten Vakzinlieferungen täglich auszu- Wenn nun auch noch die Lieferungen
ferte Vakzindosen, sondern bereits weisen. Stattdessen geschieht die Aus- nur verzögert verbucht werden, dann
19.344.375. Dann wären nicht 90,6 Pro- weisung auf dem Impfdashboard ab so- löst sich das Problem des riesigen Impf-
zent der Dosen verimpft worden, son- fort nur noch einmal wöchentlich, und rückstaus weitgehend in Luft auf. Nicht
dern nur 74,3 Prozent. Der Rückstau be- zwar montags – das gab das Haus von in Wirklichkeit natürlich. Aber in der
trüge dann nicht 1,49 Millionen Dosen, Spahn kurz vor Ostern bekannt. Ein sach- Statistik.
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FINANZEN
Nachhaltiger Trend
So bekommen alte Elektro-
geräte neue Funktionen Seite 14
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021 SEITE 13

RECHTSRAT braucherschützer. Eine Unfallversiche-

rung mit Impfschutz sei meist deutlich
günstiger als etwa eine Berufsunfähig-

Altes Recht auf keitsversicherung. „Die Versicherung

verschenkt nichts, sondern kalkuliert“,

A
sagt Stecher. Das heißt: Sind die Kosten
neuen Straßen gering, rechnet die Versicherung auch
nicht mit vielen Schadensfällen.
Und tritt der unwahrscheinliche Fall
us formalen Gründen gibt es doch ein, seien die Hürden für das Ein-
Zweifel an der Rechtmäßig- springen der Versicherer hoch: „Damit
keit von Teilen der Straßen- die Versicherung bei Impfschäden zahlt,
verkehrsordnungsnovelle von 2020. muss in der Regel ein Invaliditätsgrad bis
Kann bei Bußgeldern und Fahrverbo- hin zur vollen Invalidität vorliegen“, er-
ten einfach weiter die alte StVO an- klärt der Experte. „Der Schaden muss al-
gewendet werden? Ein aktuelles Ur- so dauerhaft sein.“ Sollte sich eine
teil bejaht das. Thrombose nach einer Impfung behan-
Aufgrund von Formfehlern gibt es deln lassen, so werde die Unfallversiche-
erhebliche Zweifel daran, ob die im rung voraussichtlich nicht zahlen.
April 2020 vorgenommene Überar- Aus Sicht des Verbraucherschützers
beitung der Straßenverkehrsordnung sollten die Menschen ihren Schutz von
(StVO) rechtmäßig ist. Bei Fahrver- Vornherein mit Bedacht aufstellen. „Wir
boten und Bußgeldern kommt sie da- raten immer dazu, zuallererst den versi-
her aktuell nicht zur Anwendung. cherungstechnischen GAU abzusi-

Maßgeblich ist dann die StVO von
2013. Das hat laut Arbeitsgemein-
schaft Verkehrsrecht des Deutschen
Anwaltvereins (DAV) das Oberlan-
desgericht (OLG) Braunschweig be-
stätigt. In dem Verfahren ging es um
einen Autofahrer, der in einer Tem-
po-100-Zone um 46 km/h zu schnell
unterwegs war. Er wurde zu 160 Eu-
DPA/CHRISTOPHER NEUNDORF
chern“, erklärt Stecher. Dazu gehörten
die Haftpflicht- und die Berufsunfähig-
keitsversicherung.
Erst danach sollten Verbraucher über
eine Unfallversicherung nachdenken, da
das Risiko für Unfälle mit dauerhaften
Beeinträchtigungen deutlich geringer sei
Menschen ab 60 Jahren können in Nordrhein-Westfalen einen Termin zur Impfung mit dem Wirkstoff von Astrazeneca vereinbaren: Die Ersten wurden bereits geimpft als eine Berufsunfähigkeit, erklärt der
Experte. Außerdem seien die meisten Be-

Das Geschäft mit der Impf-Angst

ro Geldbuße und einem Monat Fahr- schäftigten bei ihrer Arbeit und dem Weg
verbot verurteilt. Dagegen legte der dorthin schon durch die gesetzliche Un-
Mann Beschwerde ein. Es ging um fallversicherung abgesichert.

B
die Frage, ob überhaupt eine wirksa- Hinzu kommt: Unfälle mit dauerhaf-
me rechtliche Grundlage für die ten Beeinträchtigungen führen in vielen

Wie sicher sind die Corona-Vakzine? Versicherungsvermittler nutzen die Unsicherheit der Bürger,
Maßnahmen vorgelegen hätte, nach- Fällen zur Berufsunfähigkeit, sodass die-
dem die StVO-Novelle 2020 für nicht ser Schaden schon von der Berufsunfä-

um einen Schutz vor möglichen Schäden zu verkaufen. Verbraucherschützer sind alarmiert

voll anwendbar erklärt wurde. higkeitsversicherung abgedeckt ist – in
Damit hatte der Kläger aber kei- der Regel auch im äußerst seltenen Fall
nen Erfolg. Denn als Rechtsgrundla- eines Impfschadens.
ge ist laut Gericht die StVO von 2013 „Covid-19 ist für Versicherer eine Er-
anzuwenden. Diese gelte auch bei ei- isher, so schreibt ein Nutzer Versicherungswirtschaft in Verruf gera- nach einer Masernimpfung. Verglichen mit dem Vakzin des britisch-schwedi- krankung wie jede andere auch“, sagt
ner Teilnichtigkeit der Neufassung auf Facebook, hätten Impf- ten ist“, meint Stecher. mit anderen Gesundheitsrisiken gelte schen Herstellers bekannt geworden – GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmus-
von 2020 weiter. Auch hätte die No- stoffe ja viele Jahre bis zur Das Angebot ist vielfältig. Erst im Ja- das selbst für den zuletzt in Verruf gera- auf knapp drei Millionen getätigte Imp- sen. „Sollte jemand also aufgrund der
velle 2020 mit ihren Änderungen im Zulassung benötigt. Doch nuar hat das Online-Vergleichsportal Ve- tenen Impfstoff von AstraZeneca, meint fungen. Folgen einer Covid-19-Erkrankung oder
Bußgeldkatalog keine andere Bestra- wegen Corona sei alles an- rivox die Tarife der Versicherer unter- Stecher. In Deutschland sind bislang et- Das geringe Risiko von Impfschäden der Folgen einer Impfung gegen Covid-19
fung des verhandelten Verstoßes ders – auch bei den Vakzinen, die vor ei- sucht. Das Ergebnis: Über 90 Prozent was mehr als 30 Verdachtsfälle einer Si- lasse sich bereits an der Höhe der meis- berufsunfähig werden, leistet die Versi-
vorgesehen. Außerdem war der Fah- ner Covid-19-Infektion schützen sollen. bieten auch Schutz bei Folgeschäden von nusvenenthrombose im Zusammenhang ten Prämien erkennen, erklärt der Ver- cherung.“
rer bereits vor Inkrafttreten der neu- „Werden Sie sich impfen lassen?“, fragt Impfungen an. Zwar beschränken die
en StVO zu schnell gefahren. er deshalb in einem Beitrag, den er im Versicherer ihre Leistungen häufig auf ANZEIGE
Weiterhin gültig bleiben nach Auf- September erstmals auf seiner Facebook- Maßnahmen gegen bestimmte Infektio-
fassung des ADAC und des DAV auch Seite veröffentlichte. Schließlich sei ein nen. Bei 39 Tarifen von 16 Anbietern gehe
die in der Novelle 2020 beschlosse- Jahr Forschung „recht wenig“. der Schutz aber darüber hinaus. Dazu
nen Verhaltensregeln etwa in Bezug zählen neben den Angeboten der Axa
auf den Seitenabstand zu Fahrrädern VON LAURIN MEYER auch Tarife der Allianz, Ergo oder VHV.
beim Überholen oder zur Schrittge- „Dann würden auch mögliche Impfschä-
schwindigkeit von Lastwagen beim Der Facebook-Nutzer ist kein renom- den nach einer Corona-Schutzimpfung
Rechtsabbiegen innerorts. dpa mierter Virologe, sondern Vertriebspart- als Unfall gelten“, heißt es bei Verivox.
ner der Axa-Versicherung. Und als sol- Die Versicherungen selbst führen die
cher hat er eine Lösung für ein vermeint- Werbebeiträge ihrer Vertriebspartner auf
liches Problem parat: Sollte es zu blei- eine gestiegene Nachfrage vonseiten der
Ihr Geld benden Folgeschäden durch eine Coro- Kunden zurück. „Zunächst einmal möch-
na-Impfung kommen, wären die finan- ten wir klarstellen, dass die Axa Konzern
Tagesgeld (25000 Euro)
ziellen Folgen mit einer Unfallversiche- AG das Ziel der Bundesregierung einer
Anbieter Zinsen in % Ertrag*
Openbank1 0,50 62,57
rung der Axa abgedeckt. Der Tarif „Kom- möglichst schnellen Impfung zum
Advanzia-Bank1,2 0,40 40,63 fort Extra“ biete einen adäquaten Versi- Schutz der Bevölkerung und zur Bewälti-
TF Bank1 0,25 31,27 cherungsschutz, da Impfschäden explizit gung der Pandemie voll und ganz unter-
Ford Money 0,15 18,76 mitversichert seien, wirbt der Versiche- stützt“, erklärt eine Axa-Sprecherin.
*Zinsertrag nach 6 Monaten in Euro unter Berücksichti- rungsvertreter. „Für bereits unter 15 Eu- Bei vielen Menschen bestehe aber auf-
gung verschieden häufiger Zinstermine.
1) Einlagensicherung: 100 000 Euro/ Person, ro im Monat kann sich ein 40-jähriger grund der kontroversen und teilweise
2) für Neukunden.
Mensch hier mit vernünftigen Summen unsachlichen öffentlichen Diskussion
Festgeld 12 Monate (10 000 Euro) absichern.“ dieses Themas aktuell eine gewisse Ver-
Anbieter Zinsen in % Ertrag*
Der Axa-Mann selbst ließ eine Nach- unsicherung. „So erhalten auch unsere
FCA Bank S.p.A.1 0,85 85,00
frage unbeantwortet. Sein Facebook- Vertriebspartner seit einigen Wochen
Sberbank Direct1 0,40 40,00 Eintrag, der noch bis zum vergangenen vermehrt Fragen dazu, ob mögliche
Crédit Agricole1 0,26 26,00 Donnerstag öffentlich war, wurde ge- Impfschäden versicherbar sind, und be-
DenizBank1 0,20 20,00 löscht. Doch wie er werben derzeit zahl- raten ihre Kunden“, heißt es.
*Zinsertrag nach 12 Monaten in Euro unter Berücksichti-
gung verschieden häufiger Zinstermine. reiche Versicherungsvermittler für pri- Man wolle auf keinen Fall Angst schü-
1) Einlagensicherung: 100 000 Euro/ Person. vate Unfall-Tarife: Sie wollen den darin ren, erklärt auch die VHV-Versicherung
beinhalteten Schutz vor Corona-Impf- auf Nachfrage. Außerdem sollte eine Un-
Sparbrief 2 Jahre (10 000 Euro) schäden als Verkaufsargument nutzen. fallversicherung keinesfalls nur wegen
Anbieter Zinsen in % Ertrag*
In Facebook-Einträgen machen Versi- möglicher Folgen eines Impfschadens ab-
FCA Bank S.p.A.1 1,05 211,10
AKF Bank1 0,50 100,25
cherungsvertreter auf die Optionen auf- geschlossen werden. Der Deckungsum-
Sberbank Direct1 0,50 100,25 merksam, manche Kunden berichten gar fang gehe weit darüber hinaus, und jede
Klarna Bank AB1 0,45 90,20 von persönlichen Briefen, die sie erhal- Person sollte sich umfangreich darüber
*Zinsertrag nach 24 Monaten in Euro unter Berücksichti-
gung verschieden häufiger Zinstermine.
ten haben sollen. informieren. „Wir haben uns bewusst
1) Einlagensicherung: 100 000 Euro/ Person. Auch Maklerfirmen mischen mit. Teil- entschieden, in der jetzigen Zeit die Leis-
weise werben sie auf eigens eingerichte- tung bei Impfschäden nicht in den Fokus
Billiges Baugeld (350 000 Euro) ten Internetseiten für den Impfschutz als zur Bewerbung der Unfallversicherung
Überregionale Anbieter mtl. Rate LZ 10 J. 5 J.1 10J.1
BB-Bank 1.190,00 0,89 0,60
Teil der Unfallversicherungen großer zu stellen“, erklärt eine Sprecherin.
Degussa Bank 1.225,00 0,60 0,70 Konzerne. Die Tonalität ist oft dieselbe: Noch Ende Januar sah das bei der
Santander 1.268,75 0,87 0,87 Die Impfstoffe wurden schneller als ge- VHV so aus: „Impfschäden in der VHV
ING 1.274,58 0,98 0,91 dacht zugelassen, die Erfahrungswerte Unfall mitversichert“, schrieb die Versi-
sind gering. Eine Unfallversicherung mit cherung über einen Beitrag in einem
Finanzmakler mtl. Rate LZ 10 J. 5 J.1 10J.1
DTW-Immobilienfin. 1.207,50 0,61 0,64
Impfschäden-Absicherung bringe da Si- Online-Magazin, der sich an Vertriebs-
Dr. Klein 1.195,83 0,61 0,64 cherheit. partner richtete. Zwar könnten Partner
Comdirect 1.216,25 0,60 0,67 Verbraucherschützer kritisieren das ihren Kunden die Sorge vor schwerwie-
Consorsbank 1.216,25 0,60 0,67 Werben mit dem Schutz vor Corona- genden Impfschäden nicht nehmen. „Sie
1)Effektivzins bei 3,5 % Tilgung, 80% Beleihung Impfschäden scharf. „Hier wird mit der können ihnen aber versprechen, dass die
Angst der Bürger Geld verdient“, sagt VHV Unfallversicherung für Impfschä-
Günstige pkw-Kredite (20 000 Euro) Roland Stecher, Versicherungsexperte den aufkommt – das gilt auch bei den
Anbieter mtl. Rate LZ 60 M. 361 601 bei der Verbraucherzentrale Bremen. Be- Covid-19-Schutzimpfungen“, heißt es in
ING 353,75 2,39 2,39
darf wecken, Bedarf decken? Der Experte dem Beitrag.
Deutsche Skatbank 354,102 2,432 2,432
SWK Bank 356,342 2,692 2,692
ist sich sicher: Die Impfschäden-Absiche- Doch sind die Impfabsicherungen
Bank of Scotland 358,932 2,992 2,992 rungen dürften einzig Marketingzwe- überhaupt notwendig? „Das Risiko von
cken dienen. Impfschäden ist verschwindend gering“,
1) Laufzeit in Monaten 2) bonitätsabhängig „Über Gefühle lassen sich die Unfall- sagt Verbraucherschützer Stecher. Zah-
versicherungen besser verkaufen“, sagt len geben ihm recht: Demnach sind
Quelle: Stand: 01. 04. 2021
Stecher. Schon jetzt haben den Zahlen schwere Nebenwirkungen mit dauerhaf-
des Gesamtverbandes der Deutschen ten Folgen äußerst selten. Bei einer Ma-
Versicherungswirtschaft (GDV) zufolge sernimpfung tritt etwa ein allergischer
Qualitätstest für Druckereien mehr als 25 Millionen Menschen hierzu- Schock bei nur gut zwei von einer Milli-
lande eine Unfallversicherung. Und die on Geimpften auf, heißt es beim Ärztli-
brächte in der Regel hohe Provisionen chen Zentrum für Qualität in der Medi-
für Vermittler ein, weil sich leicht weite- zin (ÄZQ), das von der Bundesärztekam-
re Leistungen wie Krankenhaustagegel- mer und der Kassenärztlichen Bundes-
der einbauen ließen. „Solche Verkaufs- vereinigung getragen wird. Noch selte-
praktiken sind der Grund, warum die ner kommt es zu Gehirnentzündungen

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14 FINANZEN DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021

KOMPAKT

RECHTE FÜR MIETER

Vogellärm im Garten
ergebe sich aus dem Arbeitsvertrag.
Ist ein Betriebsrat vorhanden, werden

ist hinzunehmen
Vogelkot auf Balkon und Terrasse lässt
sich nicht vollständig vermeiden. Da-
her gilt das auch nicht grundsätzlich
als vertragswidriger Zustand, der zur
Mietminderung berechtigt, erklärt der
Deutsche Mieterbund (DMB). Das gilt
auch dann, wenn Nachbarn die Vögel
durch Füttern und das Aufstellen von
Wassergefäßen „anlocken“, befand
zumindest das Landgericht Berlin.
Auch lärmempfindliche Mieter müs-
sen mit dem Vogelgesang in der Regel
leben. Zwitschern im Garten des Hau-
ses vermehrt Singvögel, kann ein Mie-
ter grundsätzlich nicht vom Vermieter
verlangen, Abwehrmaßnahmen wie
beispielsweise das Fällen von Bäumen
zu ergreifen. Aber: Nisten vor den
Fenstern – insbesondere des Schlaf-
zimmers – der Wohnung Tauben, ist
wegen der daraus resultierenden
Lärm-, Geruchs- und Gesundheits-
gefährdung durch Taubenkot eine
mit diesem häufig Betriebsverein-
barungen geschlossen. Sie enthalten
auch Vorgaben, die der Arbeitgeber bei
der Anordnung der Nachtschicht be-
achten muss, so Bredereck. Eine feste
Frist, mit der die Nachtschicht ange-
kündigt werden muss, gibt es dem
Anwalt zufolge nicht: „Die Gerichte
halten in der Regel eine Vorankündi-
gungsfrist von vier Tagen für aus-
reichend.“ In Notfällen könne die
Anordnung auch mit einer kürzeren
Frist wirksam sein. Es handele sich
jedoch nicht um einen Notfall, wenn
der Arbeitgeber seine Abläufe regel-
mäßig nicht vernünftig plant. Zudem
sind die Regelungen im Arbeitszeitge-
setz relevant. Dieses enthalte Vor-
gaben zu den täglichen Höchstarbeits-
zeiten und den einzuhaltenden Ruhe-
zeiten, erläutert Bredereck. Der An-
schluss einer Nachtschicht an einen
normalen Arbeitstag zum Beispiel ist
regelmäßig unzulässig.
FFP2-MASKEN

Arbeitgeber muss
Mietminderung gerechtfertigt. Das
Amtsgericht Pforzheim billigte in

Tragezeiten festlegen
einem Fall eine Mietminderung in
Höhe von 30 Prozent. Beeinträchti-
gungen der Mietsache durch Tauben
rechtfertigen aber keine Mietmin- Gibt es am Arbeitsplatz eine Trage-
derung. Ist dem Vermieter Abhilfe pflicht für FFP2-Masken, muss es auch
nicht möglich ist, kann die Miete aber festgelegte Trage- und Erholungs-
auch nicht gemindert werden, befand zeiten geben. Das erklärt Stefan Mayer
das Landgericht Kleve . von der Präventionsabteilung der Be-
rufsgenossenschaft Handel und Wa-
renlogistik (BGHW). Dazu müssen

Heizöl-Preise aktuell
Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurtei-
lung vornehmen. Die Tragezeit und die
Preise in Euro je 100 Liter bei Kauf von Dauer der Pausen richten sich dann
3000 Litern einschließl. 19 % Mehrwertsteuer zum Beispiel nach der Schwere der
Tätigkeit, den Arbeitsbedingungen vor
Stadt Diese Woche Vorwoche Ort und den persönlichen Voraus-
GETTY IMAGES/WILLIAM ANDREW

Berlin 67,85-75,60 67,25-72,05 setzungen der Träger, erklärt Mayer

Hamburg 67,25-71,70 65,90-70,70 im Online-Magazin der BGHW. Für
Hannover 68,40-74,35 67,10-74,35 FFP2-Atemschutzmasken ohne Aus-
Düsseldorf 67,35-72,75 64,15-74,95 atemventil werde etwa in der Regel
Frankfurt/M. 69,90-76,15 68,75-75,10 eine Tragedauer von 75 Minuten emp-
Karlsruhe 66,20-68,80 65,10-67,25 fohlen. Das gilt für mittelschwere
Stuttgart

E
69,35-71,50 68,30-70,05
Tätigkeiten und normale Umgebungs-
München 68,90-70,60 66,70-68,90
bedingungen. Danach sollte es eine

Zweites Leben für Kamera und Co.

Rostock
Tragepause von 30 Minuten geben.
67,05-74,45 65,75-70,90
Leipzig
FFP2-Masken zum Einmalgebrauch
67,35-74,65 65,80-74,35
müssen nach spätestens einer Schicht
Bei höherer Abnahmemenge entsorgt werden.
sind Preisnachlässe möglich.
Quelle: Energie Informationsdienst

BÜRO IN WOHNUNG Viele Deutsche

Anspruch auf volle
in neues iPhone im Okto- den App Stores von Google und Apple des WLans in den Garten oder an bis-

haben alte Handys,

ber? Eine bessere Digitalka- gibt es bereits eine Vielzahl von Apps, lang unversorgten Bereichen im Haus.
ARBEITNEHMER

Nachtschicht lässt sich Unterkunftskosten

mera vor dem Urlaub? Ein die genau das können, darunter Baby- AVMs Fritzboxen haben dafür sogar ei-

Fotoapparate
schnelleres Notebook zum phone 3G, Mam Baby Phone und Dormi. nen eigenen „Mesh Bridge“-Modus und

nicht einfach anordnen oder Bildschirme

nächsten Lockdown? Die Meist werden die Anwendungen auf bei- können so problemlos mit moderneren
Eine Wohnung bleibt eine Wohnung. Hersteller von Elektronik-Geräten wer- den Smartphones installiert. Wer kein Geräten kooperieren. Doch Vorsicht: Zu

ungenutzt im
Selbst wenn sie auch als Büro genutzt fen im Jahresrhythmus neue Modelle Baby hat, kann sein altes Smartphone alte Geräte können moderne WLans
Der überwiegende Teil der Beschäftig- wird. Als Empfänger von Leistungen auf den Markt. Verbraucher nehmen sie auch zur Fernbedienung machen. Einige ausbremsen, da sie Frequenzen belegen.

Schrank liegen.
ten arbeitet tagsüber. Aber muss das nach dem Sozialgesetzbuch II hat man dankbar in Empfang. Weil sie schneller, ältere Android-Geräte haben einen ein- Alternativ können die Router auch für
immer so bleiben – oder kann der daher Anspruch auf Zahlung der vol- schärfer, größer oder einfach nur besser gebauten Infrarotsender, beispielsweise ein zweites Funknetz neben dem ersten

Dabei lassen diese

Arbeitgeber für Mitarbeiter Nacht- len Unterkunftskosten. Es erfolgt sind. Elektronik, so scheint es, hat eine das Galaxy S4, S5 oder S6 oder auch das genutzt werden – etwa wenn man
schichten einführen? „Das kommt keine Beschränkung auf einen „Wohn- kurze Halbwertszeit. G5. Viele Elektronikgeräte lassen sich Smart-Home-Geräte aus Sicherheits-

sich oft ganz

zunächst darauf an, ob der Arbeitneh- anteil“. Dies hat das Landessozialge- aber auch über Bluetooth oder WLan gründen physisch vom Rest des Heim-
VON BENEDIKT FUEST UND

einfach umrüsten
mer überhaupt zu Nachtschichten richt Nordrhein-Westfalen entschie- fernbedienen. netzes trennen möchte. Nicht zuletzt
verpflichtet ist“, erklärt Alexander den. Voraussetzung dafür ist aller- THOMAS HEUZEROTH Für iPhones und Android-Smartpho- können Nutzer ihre Geräte für freie

und für andere

Bredereck, Fachanwalt für Arbeits- dings, dass Büro- und Wohnflächen nes gibt es in den jeweiligen Stores WLan-Projekte wie das Freifunk-Netz
recht. Die Antwort auf diese Frage nicht voneinander abgrenzbar sind. Was dann passiert, ist ein Trauer- mehrere Hundert dieser Anwendungen, nutzen, wenn sie ihrer Nachbarschaft

Zwecke nutzen.
spiel. Viele alte Geräte landen auf dem darunter „Any Note“ oder die „Univer- einen kostenlosen Internetzugang
Müll. Die Berge mit Elektroschrott sal TV Fernbedienung“. Sogar alte schenken wollen.

WELT nennt
wachsen stetig. Weltweit sind es 55 Mil- Handys ohne Smartphone-Funktionen
Telefontarife lionen Tonnen pro Jahr. Allein in lassen sich neu verwenden. Wer den Ak- TABLETS

Beispiele, was Sie

Deutschland produziert jeder Mensch ku eines alten Siemens-Handys ent-
Die Vorwahlen der günstigsten Call-by-Call-Anbieter

mit alten Geräten

etwa 20 Kilogramm davon. Was nicht fernt, kann dort sein Bargeld verstauen Wer sein altes Tablet austauscht, ob-
(ohne Anmeldung) in Cent/Minute, Abrechnung im Minutentakt
auf den Müll wandert, liegt ungenutzt – und ziemlich sicher sein, dass Einbre- wohl der Bildschirm noch gut funktio-
Festnetz Inland Montag bis Freitag

machen können
herum. Nach einer Umfrage des Digital- cher diese Geräte nicht anrühren. niert, kann dieses als digitalen Bilder-
Zeit Ferngespräche Ortsgespräche verbandes Bitkom horten die Deut- rahmen ins Regal stellen. Dort kann es
0-7 0,10 0,49 0,61 0,10 0,89 0,94 schen in ihren Schubladen 200 Millio- MONITORE aktuelle Bilder direkt vom Smartphone
01028 01088 01078 01028 01052 01013
nen Smartphones und Handys. Dabei des Besitzers anzeigen – sofern dieser
0,49 0,61 1,19 1,49 1,52 1,79
7-8 01011 01078 01098 01038 01097 01028 können diese Geräte noch gute Dienste Wer heute einen Blick auf einen laufen- eine Foto-Cloud wie Google Foto oder
1,17 1,19 1,48 1,49 1,52 1,79
8-12
leisten. In ihnen schlummert ein zwei- den Röhren-PC-Monitor oder Röhren- Apples Fotos nutzt. Dafür ist lediglich
01078 01098 01011 01038 01097 01028 tes Leben. Upcycling nennen das die fernseher wirft, bedauert den Umstieg eine App nötig, die mit den Cloud-Kon-
1,17 1,19 1,48 1,49 1,62 1,79
12-14 01078 01098 01011 01038 01097 01028
Bastler und spielen neue Software da- und Windows-Rechner „EOS Webcam auf hochauflösende Flachbild-Displays ten des Besitzers verbunden wird.
1,17 1,19 1,48 1,49 1,62 1,79
rauf oder nehmen Veränderungen vor. Utility“.Einmal installiert, muss nun nicht. Ein schärferes Bild lässt sich aus Android-Tablets etwa werden mit der
14-18 01078 01098 01011 01038 01097 01028 So werden alte Dinge wieder nützlich. die Kamera über ein USB-Kabel mit den alten Geräten kaum herausholen. App „Fotoo“ oder der App „Digitaler Fo-
0,49 0,61 1,19 1,49 1,52 1,79
18-19
Manchmal geht es sogar ganz einfach. dem Computer verbunden und der Mo- Doch die wuchtigen Gehäuse können torahmen Diashow“ zum Foto-Display.
01011 01078 01098 01038 01097 01028 WELT macht einige Vorschläge. vie-Modus eingestellt werden. In der trotzdem noch jede Menge Aufgaben Apples iPads bringen geeignete Softwa-
0,61 0,89 0,89 0,89 0,94 1,45
19-21 Videokonferenz-Software auf dem übernehmen. Beliebt sind sie zum Bei- re bereits mit. Alternativ taugen alte
DIGITALKAMERAS
01078 01098 01097 01052 01013 01079
0,61 0,89 0,89 0,89 0,94 1,45 Computer wählt der Nutzer dann nur spiel als Blumenkästen, Mülleimer oder Tablets auch zum Anzeigen von Youtu-
21-24 01078 01098 01097 01052 01013 01079 noch „EOS Webcam Utility“ aus. Das Bücherregale. Wer Haustiere hat, kann be-Videos in Dauerschleife. Was sinnlos
Mehr Megapixel, eine höhere Videoauf- funktioniert mit mehr als 40 unter- das Gehäuse von seinem Innenleben be- klingt, kann Spaß bringen, wenn man
Festnetz Inland Samstag und Sonntag
lösung oder einfach nur kleiner: Digi- schiedlichen EOS- und PowerShot-Mo- freien, ein Kissen hineinlegen und es als ein Video eines Aquariums, eines Ka-
Zeit Ferngespräche Ortsgespräche
talkameras gehören zu den Elektronik- dellen von Canon. Bei Nikon heißt die neues Zuhause der Katze oder dem minfeuers oder einen Livestream aus ei-
0,10 0,61 0,77 0,10 0,89 0,89
0-7 produkten, die häufig neu gekauft wer- Software „Nikon Webcam Utility“, bei Hund überlassen. Der bunte iMac G3, nem Adlernest startet.
0,10 0,55 0,61 0,10 1,38 1,39
01028 01078 01088 01028 01052 01097
7-8
den. In fast jedem Haushalt befindet Panasonic nennt man sie „Lumix Web- den Apple 1998 präsentiert hatte, hat
sich daher noch ein älteres Modell, das cam Software“ und bei Sony ist es die heute vielerorts ein zweites Leben als CHIPS UND ANDERE BAUTEILE
0,55 1,17 1,19 1,38 1,39 1,45
01028 01012 01078 01028 01038 01088
8-18 nicht mehr in Verwendung ist. Gerade „Imaging Edge Webcam“. stylische Hängelampe bekommen. Für
0,55 0,61 1,19 1,38 1,39 1,45
01012 01078 01098 01038 01088 01079
jetzt während der Corona-Pandemie den Umbau wird natürlich ein Stromka- Wer alte Computer völlig ausschlach-
18-19 sind das kleine Schätze. Denn bei Vi- SMARTPHONES bel mit Birnenfassung benötigt, das es tet, kann die goldglänzenden Bauteilen
0,61 0,89 0,89 0,89 0,89 0,94
01012 01078 01098 01038 01088 01079
19-24 deokonferenzen mit Zoom oder Teams aber bereits für wenige Euro im Bau- wie etwa CPUs oder Speicherchips
01078 01098 01097 01052 01097 01013
im Homeoffice oder Homeschooling Alte Smartphones lassen sich vielseitig markt zu kaufen gibt. Der Nachfolger kreativ weiterverwenden – etwa als
Festnetz zu Mobilfunk Montag bis Sonntag schlägt ihre Bildqualität jede Notebook- verwenden – und sind damit in der La- des bunten All-in-One-iMacs war übri- Christbaumschmuck. Aus alten Tasta-
Zeit Webcam. Externe Webcams, die an den ge, viele Probleme zu lösen. Zuletzt hat gens der iMac G4, der bereits zu Lebzei- turen lässt sich ein analoges Nachrich-
01078 01052 01038 01069 01097 01011
0-24
Computer angeschlossen werden, ha- Samsung im Januar seine Pläne für „Ga- ten „Schreibtischlampe“ genannt – und tenbrett basteln, die Magneten in alten
1,74 1,75 1,79 3,84 3,88 4,28 ben sich im Preis während der Corona- laxy Upcycling at Home“ vorgestellt. später von einigen genau dazu umge- Festplatten sind sehr stark und eignen
Ausland (2 Anbieter je Land) Montag bis Sonntag
Pandemie in vielen Fällen verdoppelt. Der Konzern bereitet eine Software vor, baut wurde. sich als Fotohalter. Auch Elektronik-
Viele Hersteller von digitalen Spiegel- mit der alte Galaxy-Smartphones bei- bausteine wie Transistoren oder mehr-
Zeit Frankreich GB Italien Österreich Polen Spanien USA
ROUTER
0,57 0,87 0,82 1,60 1,19 0,79 0,85
reflex- und spiegellosen Kompaktka- spielsweise zum Babyphone werden. beinige IO-Chips eignen sich für Bas-
0-24
meras bieten inzwischen Software für Dabei steht das Smartphone im Kinder- telideen. Wer es versuchen will, findet
0,84 0,96 1,17 1,61 1,68 1,17 0,96
01086 01086 01086 01078 01078 01078 01086
Computer an, die aus den Digitalkame- zimmer und schickt eine Nachricht an Wer seinen Router austauscht, kann das auf der Plattform Pinterest unter dem
01069 01069 01069 01069 01052 01069 01069 ras eine Webcam machen. Bei Canon das Eltern-Smartphone, wenn das Baby alte Gerät dennoch weiter verwenden: Stichwort „Upcycling electronic com-
Quelle: biallo.de Anbieter mit Tarifansage Stand: 01.04.2021; 12.00 Uhr heißt das Programm für Mac-Computer wach wird und zu schreien beginnt. In etwa als Repeater für die Erweiterung ponents“ Ideen.

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SPORT
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
KOMPAKT
FUSSBALL
Polizei ermittelt nach
illegaler Pyro-Show
Die Berliner Polizei hat nach den
Pyro-Vorfällen beim Derby zwischen
dem 1. FC Union und Hertha BSC in
der Bundesliga Ermittlungen einge-
leitet. „Wir haben bereits Beweis-
mittel wie den Zünder und Über-
reste der Pyrotechnik für die laufen-
den Ermittlungen sichergestellt“,
sagte ein Sprecher auf Anfrage.
Unbekannte hatten am Ostersonn-
tag einen Brand durch illegale Pyro-
technik verursacht. Das Feuerwerk
auf dem Dach der Tribüne im Stadi-
on An der Alten Försterei sei offen-
bar per Fernzündung gestartet wor-
den, sagte der Sprecher. Dabei sei
die Lüftungsanlage eines Containers
unter dem Dach in Brand geraten.
Kapitän Boyata
fehlt Hertha BSC
Hertha BSC muss weiter auf Ka-
pitän Dedryck Boyata verzichten.
Der belgische Nationalspieler fehlt
wegen eines Muskelfaserrisses,
nachdem er erst in der vergangenen
Woche sein Comeback gab. Zuvor
hatte er mehr als drei Monate we-
gen eines Ermüdungsbruchs im Fuß
pausiert. Boyata war im Länderspiel
Belgiens gegen Weißrussland (8:0)
zum Einsatz gekommen.
DARTS
Price verpasst
Premier League
Weltmeister Gerwyn Price ist po-
sitiv auf das Coronavirus getestet
worden und kann damit nicht bei
der Premier League 2021 an den
Start gehen. Ersetzt wird der Welt-
ranglistenerste aus Wales von dem
Engländer James Wade. Alle wei-
teren Tests am Spielort in Milton
Keynes fielen negativ aus.
GOLF
Spieth gewinnt auf
der PGA-Tour
Nach 82 Turnieren ohne Sieg hat
Jordan Spieth wieder auf der PGA-
Tour gewonnen und vor dem Mas-
ters in Augusta Selbstvertrauen
getankt. Die ehemalige Nummer
eins der Welt spielte am Schlusstag
der Texas Open am Sonntag eine
66er-Runde und sicherte sich damit
Rang eins vor seinem amerikani-
schem Landsmann Charley Hoff-
man. Das Masters in Augusta be-
ginnt am Donnerstag.
SCHWIMMEN
Zwei Deutsche mit
nationalen Rekorden
David Thomasberger und Fabian
Schwingenschlögl haben zum Start
in die finale Olympia-Qualifikation
jeweils in deutscher Rekordzeit die
Norm für Tokio unterboten. In
Heidelberg blieb Thomasberger
über 200 Meter Schmetterling in
1:55,04 Minuten unter der drei Jahre
alten Bestmarke von Ramon Klenz.
Schwingenschlögl (Neckarsulm)
erfüllte über 100 Meter Brust die
Olympia-Norm. In 58,95 Sekunden
ist er der erste Deutsche, der unter
59 Sekunden blieb.
BASKETBALL
Lakers chancenlos
gegen Clippers
Die Los Angeles Lakers haben am
Sonntag das Stadtduell mit den
Clippers verloren. Im achten NBA-
Spiel ohne die verletzten Stars Le-
Bron James und Anthony Davis gab
es ein 86:104 für die von Dennis
Schröder angeführten Lakers. Es
war die sechste Niederlage aus den
vergangenen neun Partien. In der
Eastern Conference siegten die
Chicago Bulls mit Daniel Theis
115:107 gegen die Brooklyn Nets.
SPORTREDAKTION: TELEFON: 030 – 2591 76262 | FAX: 030 – 2591 76216 | E-MAIL: SPORTREDAKTION@WELT.DE | INTERNET: WELT.DE/SPORT
D
SEITE 16
er neue Dienstwagen von
Sophia Flörsch (20) hat
knapp 600 PS. In einer
Rennsportvariante des
Audi R8 wird die Münch-
nerin für das Team Abt in der Deut-
schen Tourenwagen-Masters (DTM)
starten. Als erste Frau seit acht Jahren.
Für Flörsch ist es der nächste Schritt ei-
ner Karriere, die einmal in der Formel 1
enden soll. Dass sie überhaupt so weit
kommen würde, glaubten nur die we-
nigsten. Denn die Zweifel an einer Frau
am Lenkrad eines Rennautos begleiten
Flörsch seit Kindestagen. In dieser Wo-
che nun stehen ihre ersten Testfahrten
auf dem Hockenheimring an.
VON ROUVEN CHLEBNA
WELT: Frau Flörsch, Sie sind die erste
Frau in der DTM seit knapp zehn Jah-
ren. Ist Ihnen das wichtig?
Klar ist es ein schönes Gefühl. Aber es
ist auch ein bisschen traurig, dass es so
lange keine Frau in der DTM gab. Ich
war auch in der Formel 3 die einzige
Frau, von daher bin ich es ein wenig ge-
wohnt. Sollte ich ein paar Frauen-Re-
korde brechen, ist das natürlich die Kir-
sche auf der Sahne, aber mehr auch
nicht. Ich will nicht herausstechen, weil
ich eine Frau bin, sondern als Rennfah-
rerin wahrgenommen werden, wie mei-
ne männlichen Kollegen auch.
Auf Ihr Debüt sind dennoch mehr Au-
gen gerichtet als bei anderen Neulin-
gen in den vergangenen Jahren. Wie
gehen Sie damit um?
(Lacht) Mir war bewusst, dass viele Leu-
te darüber reden werden. Es ist eben be-
sonders, weil noch nicht so viele Frauen
in der DTM gefahren sind. Für mich ist
es normal, dass die Öffentlichkeit das
aufgreift und darüber gesprochen wird.
Es freut mich, Interviews geben zu kön-
nen, aber die Saison kommt erst noch.
Dann wird jeder an seinem Erfolg ge-
messen. So wird es bei mir auch sein.
Nichtsdestotrotz stimmt es mich nach-
denklich, dass es seit 1984 erst zwölf
Frauen in die DTM geschafft haben.
Und in die Formel 1 noch viel weniger.
Jede Frau, jedes Mädchen kann Motor-
sport betreiben, aber viele wissen es gar
nicht oder fangen zu spät an, obwohl sie
das Interesse haben.
Im männerdominierten Motorsport
hält sich hartnäckig das Vorurteil,
Frauenkörper seien nicht für Auto-
rennen gemacht.
Das ärgert mich extrem, weil es einfach
nicht mehr stimmt. Früher war es viel-
leicht der Fall, weil die Autos komplett
anders gebaut waren. Das kann ich
nicht einschätzen. Ich weiß aber, dass
heutzutage jede Frau den Kräften
standhalten kann. Es gibt Frauen, die
ins Weltall fliegen, Triathlonrennen be-
streiten oder überhaupt viel anstren-
gendere Aufgaben bewältigen, als ein
Rennauto am Limit zu fahren. Natürlich
muss man dafür trainiert sein, aber das
können Frauen genauso wie Männer.
Ich finde es schade, dass viele auf die-
sem Vorurteil beharren. Es ist unge-
recht. Ich gebe Ihnen ein Beispiel.
Gern.
Charles Leclerc ist im vergangenen Jahr
in Suzuka eine der schnellsten Links-
kurven der Formel 1 mit einer Hand ge-
fahren, weil er mit der anderen den Au-
ßenspiegel festhalten musste. Wenn ein
Mann das Auto mit einer Hand fahren
kann, dann kann das jede Frau mit zwei
Händen auch.
Revanche mit drei Jahren Wartezeit
M
2018 verlor Liverpool das Champions-League-Finale gegen Real Madrid. Pünktlich zum Wiedersehen haben die Reds ihre Krise überwunden
it seiner neuen Brille weckte
Liverpool-Coach Jürgen Klopp
Erinnerungen an ein anderes
Idol der Stadt. Das Retro-Gestell, das
der 53-Jährige beim 3:0 gegen Arsenal
auf der Nase trug, ähnelte der Brille, die
für Ex-Beatle John Lennon zum Mar-
kenzeichen wurde. Und vielleicht brach-
te sie dem deutschen Trainer auch ein
wenig Glück. In London zeigte der eng-
lische Titelträger jedenfalls endlich mal
wieder eine meisterliche Leistung – und
will den Schwung mitnehmen in das
Champions-League-Viertelfinale am
Dienstag (21 Uhr) beim spanischen
Champion Real Madrid.
Es ist das erste Mal, dass die beiden
europäischen Schwergewichte – Live-
rpool hat sechs, Real 13 Titel – seit dem
berüchtigten Champions-League-End-
der letzte Glaube fehlt. Ohne das beste
Material gewinnt man im Motorsport
aber nicht, wie man jetzt auch bei Mick
Schumacher sieht. Ich will mich nicht
beklagen. Das passiert nicht oft, aber es
passiert. Mittlerweile geht es mir auch
nicht mehr nahe, das war mit 13, 14 Jah-
ren aber anders. Da versteht man diese
Ablehnung nicht unbedingt auf Anhieb.
Als Kind sicherlich eine prägende Er-
fahrung.
Ich wurde zum Beispiel bei Sponsoren-
Gesprächen fast immer gefragt, ob ich
plane, eine Familie zu gründen. Männer
werden das nicht gefragt. Da ist es –
Entschuldigung – scheißegal, ob sie Kin-
der haben wollen. Was soll man als 15-
jähriges Mädchen darauf antworten?
Ich habe gesagt, dass ich meinen Sport
und die Schule habe – und keine Kinder.
Meistens sind dann aber mein Vater
oder das Management eingeschritten.
Zum Weltfrauentag schrieben Sie auf
Instagram sinngemäß: „Lasst uns
weiblich sein, aber den Männern wei-
terhin in den Hintern treten.“ Wie
meinen Sie das?
Ich möchte Frauen und jungen Mäd-
chen auf der einen Seite vermitteln,
dass man auch weiblich sein kann, wenn
man aus dem Kart oder Rennwagen
Erschöpft, aber steigt. Auf der anderen Seite ist man am
mittendrin im großen Lenkrad aber eine Rennfahrerin, die
Renngeschehen: versucht, den Männern um die Ohren
Sophia Flörsch im zu fahren. Unter Gleichberechtigung
September 2020 verstehe ich, eine Herausforderung auf
während der 24 gleicher Augenhöhe angehen zu kön-
Stunden von Le Mans nen. Keine Quote, sondern Wettkampf
FRANCOIS FLAMAND / DPPI
unter gleichen Voraussetzungen. Dafür
kann Motorsport ein schönes Vorbild
sein, wenn es Verbände, Teams und
Hersteller unterstützen und zulassen.
Einige Sportlerinnen empfinden es
als kontraproduktiv, sich mit Männer-
„Ich will nicht
Ligen zu vergleichen. Seit 2019 gibt es
eine Formel 1 der Frauen, die W-Se-
ries. Sie sehen das kritisch.
Motorsport kann man nicht mit Ball-
eine FRAU bin“
sportarten vergleichen. Dort sind Män-
herausstechen, weil ich
ner und Frauen getrennt, weil es kör-
perlich schlicht nicht funktioniert.
Rennsport ist aber eine der wenigen
Sportarten, in denen es nicht auf das
Geschlecht ankommt. Diesen besonde-
ren Umstand müsste man viel besser
vermarkten, um mehr Frauen dafür zu
begeistern. Daher verstehe ich nicht,
Die 20 Jahre alte Sophia Flörsch gibt diese Saison ihr DTM-Debüt. Vor den
warum man eine eigene Frauenserie an
den Start bringt. Das ist in Zeiten von
Testfahrten spricht sie über ihre Erfahrungen im oftmals rauen Motorsport
Diversity und Gleichberechtigung nicht
nachvollziehbar. Die W-Series trennt,
wo keine Trennung notwendig ist. In
der Uni sitzen ja auch beide Geschlech-
Was glauben Sie, was hinter diesem muss man sich durchsetzen und Res- es mit mir klappt. Eine Frau muss sich ter nebeneinander und arbeiten am glei-
Vorurteil steckt? pekt gewinnen. Unter den Fahrern ist dafür auch nicht verändern, sondern chen Abschluss. Kampfpilotinnen flie-
Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass die das kein Problem. Aber es gibt eben kann Frau bleiben und darf lange, blon- gen dieselben Einsätze wie männliche
meisten Fahrer diese Meinung nicht auch viele Menschen, die nicht davon de Haare haben. Bei meinen Teams, Piloten. Also was soll diese Trennung?
vertreten. Ich habe es zumindest noch überzeugt sind, dass eine Frau mitfah- aber auch mit Gerhard Berger, habe ich Für mich ist die W-Series eine Marke-
von keinem Kollegen gehört. Sebastian ren kann. Aber umso weiter man nach einflussreiche, mutige Menschen ge- tingnummer mit dem verzerrten Diver-
Vettel sprach einmal von mangelndem oben kommt, desto besser wird es. Mo- troffen, die meine Geschichte unter- sity-Schlagwort.
Mut. Aber das hängt für mich mit dem torsport hat sehr viel mit Politik und stützen. Der Sport hat sehr viele schöne
Charakter einer Person zusammen, Geld zu tun, besonders in der Formel 1. Seiten, man muss sich einfach durchset- Was fordern Sie?
nicht mit der körperlichen Leistung Die Sponsorensuche fällt als Frau zen. Und es hat sich im Vergleich zu frü- Ich will gegen die besten Fahrer antre-
oder dem Geschlecht. Diese Stimmen schwerer, auch wenn man ein bisschen her auch schon viel verbessert. Ich bin ten und gewinnen. Wenn das im Mo-
kommen meist aus der älteren Genera- mehr Medieninteresse generiert. Es gab mir sicher, dass Ellen Lohr es damals ment eben noch Männer sind, dann fah-
tion, die vielleicht Angst hat, dass der eben noch keine richtig erfolgreiche sehr viel schwerer hatte als ich. re ich lieber gegen die als gegen Frauen,
Motorsport in der Gesellschaft diese Rennfahrerin, weshalb viele Sponsoren bei denen das Niveau leider noch sehr
Aura der Gefährlichkeit verliert. Da zweifeln, ob es das finanzielle Risiko Gab es Momente, in denen Sie dieses viel niedriger ist. So kann aber auch nie
geht es offenbar darum, ein altes Image wert ist. Es braucht innovative, mutige Misstrauen bei Ihrem Gegenüber er- das Topniveau erreicht werden. Der An-
zu pflegen. Motorsport ist auch heute Partner. Wie immer, wenn man einen lebt haben? satz von Förderung muss im Kindes-
noch mit einem Risiko verbunden, aber „first move“ finanziert. Dafür ist der Er- Meistens passiert das hinter meinem alter erfolgen, nicht erst im Formel-
eben nicht mehr so sehr wie früher. folg meist umso größer. Rücken, aber manchmal wird es mir Sport. Aber in der Ausbildung lässt sich
auch ins Gesicht gesagt. Dann heißt es, eben für Veranstalter kein Geld verdie-
Sind Frauen im Motorsport gleichbe- Frustriert Sie das? dass es „eine Frau eh nicht schafft, sich nen. Mehr Eltern sollten den Mut ha-
rechtigt? Das ist Teil des Geschäfts. Es motiviert durchzusetzen“. Teams zögern, einer ben, ihre Töchter an Motorsport heran-
(Überlegt lange) Mal so, mal so. Klar mich eher, weil ich beweisen will, dass Frau das beste Material zu geben, weil zuführen.
spiel am 26. Mai 2018 aufeinandertref- 2018 war Salah im Olympiastadion Auch der Einsatz der angeschlagenen spüren. Auch die Verletztenlage bessert
fen. Und Liverpool sinnt nach der un- nach nur einer halben Stunde ausge- Leistungsträger Fede Valverde und Eden sich. Und der eingewechselte Diogo Jo-
glücklichen 1:3-Niederlage in Kiew auf wechselt worden, weil er sich bei einem Hazard ist fraglich. ta, den die Reds zu Beginn des Jahres
Revanche. „Das war ein harter Abend Zweikampf mit Reals Kapitän Sergio Trainer Zinédine Zidane, der den schmerzlich vermisst hatten, empfahl
für uns“, sagte Klopp unmittelbar nach Ramos verletzt hatte. Obendrein traf Wettbewerb 2016, 2017 und 2018 dreimal sich mit zwei Toren für die Startaufstel-
der Auslosung der Begegnung im März, Ramos mit seinem Ellenbogen später hintereinander mit Real gewann, ist lung in Madrid, wo die Teams wegen der
„es ist also cool für uns, dass wir die Ge- auch noch Loris Karius am Kopf. Dem trotzdem hoffnungsvoll. „Wir haben Pandemie und des Umbaus im Bernabéu
legenheit haben, wieder gegen sie zu Torwart, der momentan auf Leihbasis dieses Jahr viel gelitten, aber jetzt genie- im Alfredo-Di-Stéfano-Stadion gegenei-
spielen.“ für Union Berlin spielt, unterliefen an- ßen wir unsere gute Form“, sagte der nander spielen.
Vorfreude herrscht auch bei Stürmer- schließend zwei schwere Patzer, die zu Franzose nach dem 2:0-Sieg gegen Eibar, Liverpool mischt in der Premier Lea-
star Mohamed Salah, der am Samstag Gegentoren führten. bei dem die Königlichen zwar nicht gue nun auch wieder im Rennen um die
beim FC Arsenal erstmals seit Liver- „Was jetzt passiert, wird das Ergebnis glänzten, aber dennoch überzeugten. Champions-League-Plätze mit. Es gäbe
pools 2:0-Achtelfinal-Sieg gegen RB vom Endspiel in Kiew nicht mehr än- Die Formkurve von Toni Kroos und Co. noch einen anderen Weg, sich für die
Leipzig wieder ein Tor erzielte. „Sagen dern. Das Spiel ist Vergangenheit“, sagte zeigt nach oben. Zuletzt gab es vier Sie- nächste Saison in der Königsklasse zu
wir einfach, ich habe eine besondere Salah und spielte auch das Wiedersehen ge in Serie, seit elf Begegnungen ist Ma- qualifizieren – indem Liverpool den Wett-
Motivation, die Partie zu gewinnen und mit Ramos herunter. „Jeder denkt über drid ungeschlagen. Man habe mehr bewerb wie 2019 gewinnt. Mit einem star-
das Halbfinale zu erreichen“, sagte der sein eigenes Team nach, und jeder will Selbstvertrauen, beteuerte Zidane. ken Endspurt könnte die Klopp-Elf die
Ägypter vor dem mit Spannung erwar- gewinnen. Das ist alles.“ Im Hinspiel Das hat auch Liverpool spätestens schwierige Saison vielleicht doch noch er-
teten Duell der spanischen Zeitung fehlt der Real-Kapitän seiner Mann- seit Samstag wieder. Von einer Krise war folgreich abschließen – und auf dem Weg
„Marca“. schaft ohnehin verletzungsbedingt. beim 3:0 gegen Arsenal nichts mehr zu auch eine alte Rechnung begleichen. lwö
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A
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
m Montag ging Erling Haa-
land dann persönlich auf
Reisen. Der norwegische
Topstürmer flog mit seinen
Teamkollegen von Borussia
Dortmund nach Manchester, wo der
BVB am Dienstag (21 Uhr/live DAZN)
das Hinspiel im Viertelfinale der Cham-
pions League bei Manchester City, dem
designierten englischen Meister, be-
streitet. Es ist die ganz große Bühne, die
Haaland immer wieder zu viel beachte-
ten Spitzenleistungen inspiriert hatte:
Zehn Tore hat der gerade mal 20-Jährige
allein in der laufenden Saison erzielt –
so viel wie kein anderer. Und die Kö-
nigsklasse möchte er unter keinen Um-
ständen missen.
VON OLIVER MÜLLER
Deshalb waren sein schillernder Be-
rater Mino Raiola und Vater Alf-Inge in
der Vorwoche in einem Privatjet zu-
nächst nach Barcelona geflogen, dann
weiter nach Madrid. Später soll es auch
noch nach England gegangen sein. Sie
loteten Optionen für die Zukunft aus.
Offenbar auch, weil es unsicher schien,
ob der BVB ihm auch in der kommenden
Saison die Königsklasse bieten kann.
Dabei wurde sie „abgeschossen“: Be-
reits am Flughafen in Barcelona warte-
ten bei Ankunft Fotografen. Irgendje-
mand – vielleicht Barca-Präsident Joan
Laporta, vielleicht auch Haalands Bera-
ter – hatte großes Interesse daran, dass
diese Reise öffentlich wurde.
Die Dortmunder versuchten den Vor-
gang herunterzuspielen. Schließlich
spielten sie am Samstag gegen Ein-
tracht Frankfurt, den direkten Konkur-
renten im Kampf um die Champions-
League-Qualifikation. Sie konnten kei-
ne Unruhe gebrauchen.
Es nützte nichts, der BVB unterlag
1:2. Haaland fiel dabei eher durch un-
wirsche Gesten denn durch spektaku-
läre Szenen auf. Die Mannschaft agier-
te überhastet, spielte ungenau, ent-
täuschte auf ganzer Linie. Nach dem
Schlusspfiff war klar: Bei sieben Punk-
ten Rückstand auf Platz vier und nur
noch sieben ausstehenden Bundesliga-
spielen ist es so gut wie unmöglich, das
E-Paper erhältlich unter: www.focus-magazin.de
SPORT 17
„Ruhr Nachrichten“: „In so einem End- men in Höhe von 30 Millionen Euro
spiel müssen wir eine andere Körper- nicht fließen. Dies würde die Bewe-
haltung und eine entschlossene Aus- gungsfreiheit auf dem Transfermarkt
strahlung an den Tag legen. Da muss je- stark einschränken – es sei denn, der
der sehen, dass wir als Sieger vom Platz BVB würde sich von einem seiner bei-
gehen wollen. Das ist eine Willensfrage, den Topspieler trennen: Jadon Sancho
und da hat mich die Mannschaft maßlos oder Haaland.
enttäuscht.“ Auf dieses Szenario spekulieren die
Das sind klare Worte an die Adresse namhaften Interessenten. Noch stemmt
der Spieler, die es so vom Vorsitzenden sich der BVB, der es gewohnt ist, wichti-
Appell
der Geschäftsführung lange nicht mehr ge Spieler zu verlieren, dagegen. Sie
gegeben hatte. Tatsächlich hatten sich nehmen in Bezug auf Sancho die gleiche
Watzke und auch Sportdirektor Michael Position wie im vergangenen Sommer
Zorc in der laufenden Saison, in der sich ein. „Bei einem außergewöhnlichen An-
bereits ab Herbst abzeichnete, dass das gebot werden wir das mit dem Spieler
an die Ehre
Team Probleme hat, kontinuierlich ans und Berater diskutieren“, erklärte
Leistungslimit zu kommen, mit Kritik Watzke, bezweifelte aber, dass es dazu
zurückgehalten – den Profis gegenüber. überhaupt kommen wird. Auch der
Stattdessen musste der Trainer gehen. Geldadel in England leidet unter Coro-
Mitte Dezember wurde Lucien Favre na. Bereits während der letzten Trans-
beurlaubt, dem nicht mehr zugetraut ferperiode sah sich Manchester United
wurde, die Mannschaft zu stabilisieren. außerstande, die kolportierten 100 Mil-
Auch viele erfahrene Spieler waren von lionen Euro Ablöse, die der BVB aufge-
ihm abgerückt. rufen hatte, zu zahlen.
Edin Terzic übernahm. Doch der Bei Haaland ist der Standpunkt des
Kurs blieb schlingernd: Auf einen viel- Dortmunder noch klarer. Es gebe kei-
versprechenden Beginn der Terzic-Zeit nen „Parallelplan“, als den Norweger
– der BVB spielte nun deutlich offensi- zumindest noch eine weitere Saison zu
ver und aggressiver – folgten Rückschlä- halten, so Watzke. Daran habe auch die
ge. Die Spieler, die sich mehrheitlich Informationsreise des Haaland-Clans
AFP/LARS BARON
eher für als gegen den Trainerwechsel durch Europa nichts geändert. Natür-
ausgesprochen hatten, wurden in die lich aber gibt es auch in Bezug auf Haa-
Pflicht genommen. Die Mannschaft land eine Schmerzgrenze. Sie soll bei
schien auf Kurs – bis sie dann überra- 150 Millionen liegen. Es scheint jedoch
Erling Haaland enttäuschte bei der Niederlage gegen Frankfurt. Der BVB-Stürmer war zuletzt mehr in eigener Sache aktiv schend innerhalb einer Woche fast schwer vorstellbar, dass es trotz aller
schon alles verspielte: durch ein 2:2 in Qualität von Haaland einen Klub gibt,
Borussia Dortmund
Köln und schließlich durch die Nieder- der derzeit in der Lage ist, einen Trans-
Saisonziel, das dem BVB viel und Haa- die vernichtende Kritik von Mats Hum- lage gegen Frankfurt. „Wir sind nicht fer dieser Größenordnung zu stemmen.
ist in eine gefährliche
land offenbar noch mehr bedeutet, mels. Der Abwehrchef hatte der Mann- gerade in der Verfassung zu sagen: Wir Mit oder ohne Champions League: Die
noch zu erreichen. schaft attestiert, „technisch einfach gewinnen die letzten sieben Spiele“, wahrscheinlichste Entwicklung ist nach
Situation geraten.
Es war eine wichtige Woche für den nicht gut genug gewesen zu sein“. Dann sagte Zorc. wie vor, dass Haaland bis Sommer 2022
Vor dem ersten
BVB, sie endete nach unvorhersehbaren hatte er die Perspektiven in düsteren Watzke und Zorc müssen konstatie- bleibt – dann greift eine Ausstiegsklau-
Wendungen ernüchternd. Plötzlich ent- Farben gemalt: „Nicht die Champions ren, dass der Trainerwechsel nicht aus- sel, und er könnte für etwa 75 Millionen
Viertelfinalduell bei
stand eine gefährliche Situation, denn League zu erreichen wäre eine Kata- gereicht hat. Bei Favres Abgang betrug Euro Ablöse gehen.
in dem Bewusstsein, dass die Zukunft strophe. Da sind wir nah dran.“ der Rückstand auf einen Champions Wohl auch deshalb halten sich die
Manchester City
von Mannschaft und Klub nun deutlich So konnte das alles nicht stehen blei- League-Platz zwei Zähler, nun ist er Dortmunder mit Kritik an Haaland zu-
unsicher zu sein scheint, kam es zu Sze- ben, erst recht nicht vor dem Gang nach mehr als dreimal so groß. Seit dem ver- rück: Der Stürmer ist eine Art Lebens-
sieht sich BVB-Boss
nen und Äußerungen, die schnell weite- Manchester, wo ganz Europa auf den gangenen Wochenende muss die Zu- versicherung – gerade im Hinblick auf
re negative Dynamik freisetzen könn- BVB schauen wird. Am Ostersonntag kunft entsprechend vorsichtig geplant die Spiele gegen Manchester, in denen
Hans-Joachim
ten: der Abgang des frustrierten Kapi- fuhr Hans-Joachim Watzke zum Trai- werden. Denn neben den bis zu 75 Mil- der BVB krasser Außenseiter ist. Das
Watzke zum
täns Marco Reus, der nach seiner Aus- ningsgelände. Der BVB-Boss nahm sich lionen Euro Verlust, die dem BVB auf- Starensemble von Pep Guardiola könn-
wechslung im Schneckentempo vom die Spieler zur Brust. „Ich habe die grund der Auswirkungen der Corona- te aber genau die Herausforderung sein,
Handeln gezwungen
Platz trottete. Die Unmutsäußerungen Mannschaft immer in Schutz genom- Krise im laufenden Geschäftsjahr dro- die zumindest eine dringend benötigte
von Emre Can („ich habe keinen Bock, men. Aber für dieses Auftreten kann ich hen, würden in der kommenden Saison Stimmungswende herbeiführt: bei Haa-
in der Europa League zu spielen“) und das nicht machen“, sagte er zu den ohne die Königsklasse Zusatzeinnah- land und im gesamten Klub.
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18 GESCHICHTE
Der erste Blitzkrieg
dauerte ELF Tage
Nach kurzer Vorbereitung griff die Wehrmacht
am 6. April 1941 das Königreich Jugoslawien an.
E
Dem schnellen Sieg folgte ein asymmetrischer
Krieg mit Hunderttausenden Opfern
s begann Palmsonntag um
5.15 Uhr: Am Morgen des 6.
April 1941 überschritten
deutsche Truppen zunächst
aus Bulgarien die jugoslawi-
sche Grenze, gleichzeitig drangen Bom-
ber- und Jägerstaffeln in den Luftraum
Jugoslawiens ein. Sie hatten zwei we-
sentliche Aufgaben: Erstens Belgrad in
Schutt und Asche zu legen, um so die
Führung des Landes ins Chaos zu stür-
zen, zweitens möglichst viele Flieger-
horste der gegnerischen Luftstreitkräf-
te auszuschalten.
VON SVEN FELIX KELLERHOFF
Beides gelang: Teile der Belgrader In-
nenstadt einschließlich des königlichen
Schlosses und der Nationalbibliothek
gingen in Flammen auf, und viele der
etwa 200 modernen jugoslawischen
Kampfflugzeuge, unter anderem der
deutschen Typen Dornier Do 17 und
Messerschmitt Bf 109, wurden am Bo-
den zerstört.
Dabei war die jugoslawische Luftwaf-
fe gewarnt gewesen: Am 5. April hatte
ein britischer Militärattaché der Ar-
meeführung in Belgrad die sehr konkre-
te Ankündigung überbracht, am kom-
menden Morgen um 6:30 Uhr würde die
Hauptstadt bombardiert werden. Über
den Ursprung dieser Information sagte
dieser Colonel nichts; sehr wahrschein-
lich wusste er die Antwort selbst nicht.
Das hoch geheime Dechiffrierzentrum
Bletchley Park nördlich von London
hatte einen mit dem System Enigma ge-
schützten deutschen Funkspruch ent-
schlüsselt. Schon im Frühjahr 1941
konnte man dort regelmäßig Botschaf-
ten des deutschen Heeres und der Luft-
waffe mitlesen.
Den Angriff hatte Hitler ganz kurz-
fristig angeordnet: Erst am 27. März 1941
erteilte er die Weisung, Jugoslawien
zeitgleich mit Griechenland zu überfal-
len. Letztere Offensive wurde bereits
seit Mitte Dezember 1940 vorbereitet,
vor allem weil hier die letzten briti-
schen Truppen auf dem europäischen
Festland stationiert waren.
Jugoslawien rückte jedoch erst ins
Fadenkreuz der deutschen Strategen,
nachdem in Belgrad ein Putsch probriti-
scher Militärs den deutsch-freundli-
chen Prinzregenten Paul gestürzt hatte.
Dass die neue Regierung unter dem no-
minellen, aber noch nicht volljährigen
König Peter II. gleich einen (diploma-
tisch wertlosen) Nichtangriffspakt mit
Stalins Sowjetunion schloss, erboste
den deutschen Diktator zusätzlich,
Wie eine zivile Kundennummer an die Generalsmontur kommt
I
Hermann Fegelein machte in der SS Karriere und wurde Hitlers Schwager. Ein Museum in Brüssel erwarb 2012 seine angebliche Uniformjacke – ein Fake
mmerhin 24.000 Euro. Zwar kein
Vermögen, aber doch viel Geld hat
das Armeemuseum Brüssel 2012 für
einen Uniformrock bezahlt, der einem
prominenten Kriegsverbrecher aus Hit-
lers engster Umgebung gehört haben
soll: SS-Gruppenführer Hermann Fege-
lein. Es ist schon äußerst zweifelhaft, ob
man so viel Geld für so einen Plunder
bezahlen sollte. Doch jetzt stellt sich
heraus: Mit größter Wahrscheinlichkeit
ist die Zuschreibung ein Fake.
VON SVEN FELIX KELLERHOFF
Das berichtet die belgische Tageszei-
tung „De Morgen“. Zwar findet sich im
Kragen das Etikett eines Schneiders,
der Firma Petersen & Co. aus der Ga-
belsbergerstraße 1 in Münchens Innen-
stadt. Darauf steht mit Hand geschrie-
ben der Name „Hermann Fegelein“, die
Nummer „9885“ und die Monatsbe-
zeichnung „VI 1944“. Doch gerade dieser
„Beleg“ dürfte die Fälscher überführen.
Wer war Hermann Fegelein? Geboren
1906 in Ansbach, scheiterte der begeis-
terte Reiter nacheinander erst mit dem
Berufsziel Kavallerieoffizier bei der
Reichswehr und dann als Offiziersan-
wärter bei der gleichfalls militärisch or-
ganisierten bayerischen Landespolizei.
Auf der Suche nach Aufstiegsmöglich-
keiten wandte sich Fegelein dem Natio-
denn er plante längst für den Sommer
die schnelle Niederwerfung seines un-
geliebten Verbündeten im Osten.
Die neue jugoslawische Regierung
hatte für den Fall von Feindseligkeiten
Belgrad zur „offenen Stadt“ erklärt, also
darauf hingewiesen, dass die Metropole
gegen Angriffe nicht verteidigt werden
würde. Tatsächlich gab es, das hatte die
deutsche Gesandtschaft nach Berlin ge-
meldet, keine Flugabwehrgeschütze in
der Stadt. Nach den Regeln der Haager
Landkriegsordnung (HLKO) wäre ein
Angriff damit ein Kriegsverbrechen.
Eigentlich interessierten sich Hitler
und die Wehrmachtsführung für die Re-
geln der HLKO längst nicht mehr;
Deutschland hatte sie schon seit dem
Einmarsch in Prag im März 1939 wieder-
holte Male verletzt. Dennoch sprach die
Goebbels-Propaganda im Zusammen-
hang mit dem Luftangriff vom 6. April
1941 stets von der „Festung Belgrad“.
Ein durchsichtiges Manöver, das weder
in der Schweiz noch in Schweden und
erst recht nicht in den USA verfing.
Die bereits seit Anfang 1941 in Rumä-
nien stationierten Truppen der deut-
schen 12. Armee waren im März in den
Westen Bulgariens verlegt worden und
standen nun bereit, in den Südosten Ju-
goslawiens einzumarschieren. Das XXX.
motorisierte Korps sollte Skopje ein-
nehmen, die 1. Panzergruppe auf Bel-
grad vorrücken.
Die jugoslawischen Truppen, die
strategisch unklug entlang der rund
3000 Kilometer Landgrenzen aufge-
stellt waren, leisteten erbitterten Wi-
derstand. Doch sie hatten keine Chan-
ce. Obwohl dank schnell eingezogener
Rekruten offiziell mit 700.000 Mann
fast doppelt so stark wie die deutschen
Verbände, verfügten sie nur über einen
Bruchteil der Kampfkraft der Wehr-
macht.
Zwar waren die deutschen motori-
sierten Verbände noch überwiegend mit
Panzern II und III sowie tschechischen
Modellen vom Typ 38t ausgerüstet; die
kampfkräftigeren Panzer IV waren
kaum im Einsatz. Doch den rund 850
meist leichten und mittleren deutschen
Typen standen lediglich 110 jugoslawi-
sche Kampfwagen gegenüber, und da-
von waren nur die 54 Renault R-35 mo-
dern. Bei den übrigen handelte es sich
vorwiegend um alte Renault FT, die ge-
gen Ende des Ersten Weltkrieges für die
französische Armee produziert worden
waren. Mit 6,5 Tonnen Gewicht, 40 PS
Leistung und einem MG als Bewaffnung
waren sie selbst dem deutschen Panzer
I unterlegen, der bei der Wehrmacht
nalsozialismus zu, trat 1931 der SS sowie
im folgenden Jahr der NSDAP bei und
machte ab 1933 eine steile Karriere.
Das Reitergut seiner Eltern wurde
„SS-Hauptreitschule“ und Hermann Fe-
gelein ihr Kommandeur, verantwortlich
allein SS-Chef Heinrich Himmler. Eine
Beförderung folgte der nächsten: Mit 29
Jahren wurde er 1936 SS-Sturmbannfüh-
rer, vergleichbar einem Major der Wehr-
macht, 1937 Obersturmbannführer
(Oberstleutnant) und bald darauf Stan-
dartenführer (Oberst).
Im Feldzug gegen Polen hatte Fege-
lein im September 1939 mit der SS-Rei-
Hermann Fegelein und Gretl, geborene Braun, mit Hitler bei ihrer Hochzeit im
Juni 1944. Da trug der Bräutigam noch die Uniform eines SS-Brigadeführers
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
nur noch als Unterstützungs- und Be-
fehlsfahrzeug zum Einsatz kam.
Hinzu kam die deutsche Taktik: Nach
dem überraschend guten Zusammen-
spiel von Panzer-Spitzen und Boden-
kampfflugzeugen im Westfeldzug 1940
war ein Konzept für den koordinierten
Einsatz so verschiedener Waffen entwi-
ckelt worden: Der Balkanfeldzug sollte
der erste konkret geplante Blitzkrieg
werden. „Der schnelle Erfolg deutscher
Heeresverbände in Südjugoslawien war
auch auf den ununterbrochenen Einsatz
des VIII. Fliegerkorps zurückzuführen“,
schreibt im dritten Band des Reihen-
werkes „Das Deutsche Reich und der
Zweite Weltkrieg“ der Militärhistoriker
Detlef Vogel: „Gleich am ersten Tag
konnte die Luftherrschaft durch fortge-
setzte Angriffe auf jugoslawische Flug-
plätze errungen werden.“
Die Erfolge führten zu Auflösungser-
scheinungen der multiethnischen jugo-
slawischen Armee: Mazedonische und
kroatische Soldaten gaben schon zwei
bis drei Tage nach Beginn der Offensive
vielfach auf und setzten sich ab, wäh-
rend Serben meist weiterkämpften.
Am 10. April 1941, Gründonnerstag,
marschierten Verbände der Wehr-
macht, diesmal aus der Steiermark
kommend, in Zagreb ein. Der frühere
österreichisch-ungarische Heeresoffi-
zier Slavko Kvaternik, zweiter Mann der
nationalistisch-faschistischen Usta-
scha, rief daraufhin den Unabhängigen
Staat Kroatien aus, dessen Diktator der
aus dem italienischen Exil zurückge-
kehrte Ustascha-Gründer Ante Pavelic
wurde.
Zwei Tage später eroberte die Wehr-
macht Belgrad. Die Goebbels-Propagan-
da stellte die Leistung des Waffen-SS-
Offiziers Fritz Klingenberg heraus, der
einen Stoßtrupp bis ins Stadtzentrum
geführt und vom Bürgermeister die Ka-
pitulation verlangt hatte. Andernfalls,
bluffte der 28-Jährige, würde es einen
weiteren Luftangriff geben. Zu diesem
Zeitpunkt hatte er noch sechs Männer
unter seinem Kommando.
Am 17. April 1941 kapitulierten die
letzten Verbände der jugoslawischen
Armee – zu diesem Zeitpunkt waren die
meisten deutschen Panzerverbände be-
reits wieder abgezogen. König Peter II.
befand sich unter britischem Schutz in
Griechenland und wurde bald darauf
nach Jerusalem in Sicherheit gebracht.
Womit die Wehrmacht nicht gerech-
net hatte: Zehntausende Soldaten der
jugoslawischen Armee gaben nicht auf,
sondern versteckten sich im Gebirge.
Hier schlossen sie sich in den kommen-
den Monaten entweder den serbisch-
nationalistischen Cetniks oder der
kommunistischen Volksbefreiungsar-
mee an. Beide Partisanenverbände wa-
ren einander zwar spinnefeind und be-
kämpften sich gegenseitig, aber ebenso
die deutschen Besatzungstruppen.
Der eigentliche Feldzug gegen Jugo-
PICTURE-ALLIANCE / AKG-IMAGES
slawien hatte nur 151 Wehrmachtssolda-
ten das Leben gekostet; mindestens
hundertmal so viele Opfer forderte der
asymmetrische Krieg bis zur Befreiung
von Belgrad im Herbst 1944. Einen noch
viel höheren Blutzoll hatte die jugosla-
wische Zivilbevölkerung zu entrichten:
Der Panzer wurde zum Symbol des modernen Bewegungskrieges: Vor dem kaum beschädigten Parlamentsgebäude in Belgrad Schätzungen gehen von einer halben
nahm der deutsche General Ewald von Kleist am 17. April 1941 die Siegesparade ab Million Opfer durch die dreieinhalbjäh-
rige Besatzungsherrschaft aus.
terstaffel seinen einzigen echten Front- Sümpfe treiben.“ Insgesamt war Fege- Die Uniform, die das belgische Mili- Bei so einer Firmengeschichte sollte
einsatz; er wurde angeschossen. Danach lein für den Mord an mindestens tärmuseum kaufte, wurde vom Münch- größte Skepsis gegenüber allen Angebo-
bildete er auf Himmlers direkten Befehl 40.000 Menschen verantwortlich – und ner Militaria-Auktionshaus Hermann ten Routine sein.
eine SS-Reiterstandarte, die vor allem bekam dafür 1942 das Ritterkreuz. Von Historica angeboten. Es handelt sich Im Falle der angeblichen Fegelein-
Partisanen bekämpfen sollte, in Wirk- Scharfschützen verwundet, wurde er um die Jacke eines SS-Gruppenführers Uniform ist der Betrug jetzt sogar nach-
lichkeit aber Massenmorde an der Zivil- zum SS-Brigadeführer befödert. – diesen Rang erhielt Fegelein nach der weisbar. Denn ein Nachfahre der Inha-
bevölkerung beging. Laut Fegeleins ei- Die Historikerin Heike B. Görtema- Hochzeit mit „Gretl“. Die Story, die ber von Petersen & Co hat noch die Ge-
genem Bericht tötete sein Verband bei ker beschreibt Fegelein als „Draufgän- 2012 mit diesem Angebot verbunden schäftsbücher der Firma. Ihnen zufolge
zwei eigenen Toten und 14 Verwundeten ger und notorischen Frauenhelden“, zu- war, lautete: Fegelein habe nach seiner wurde unter der Kundenummer 9885
mindestens 13.788 vermeintliche Parti- gleich aber als einen der „brutalsten SS- Beförderung Anfang Juni 1944 den Uni- im Dezember 1946 ein Zivilanzug (und
sanen. Laut Martin Cüppers, Experte Schergen Himmlers, dessen Protegé er formrock in Auftrag gegeben – deshalb keine Uniform) angefertigt – andert-
für NS-Verbrechen, befahl Fegelein den war“. Die Befehle des Reichsführers SS offenbar die Monatsangabe „VI 1944“. halb Jahre nach Fegeleins Erschießung
Schwadronen des 2. SS-Reiterregi- seien ihm „heilig“, schrieb Fegelein im Zweifel an dieser Geschichte gab es am 29. April 1945. Ein angesehener Her-
ments: „Sämtliche Juden müssen er- Oktober 1943 an Himmler, kurz bevor er schon 2012: Sie passte einfach „zu gut“. renschneider vergibt dieselbe Nummer
schossen werden. Judenweiber in die dessen Verbindungsoffizier im Führer- Immer wieder hat das Auktionshaus nicht zweimal an verschiedene Kunden,
hauptquartier wurde. Hermann Historica, das auf einen ge- und ohnehin wurden als letzte Kunden-
Nun Teil von Hitlers „Hofstaat“, sei- richtsbekannten Hochstapler namens nummern im Zweiten Weltkrieg im
ner „Ersatzfamilie“ (Görtemaker) ban- Erich Hübner zurückgeht, ähnliche an- Frühjahr 1945 Zahlen um 9500 verge-
delte Fegelein mit Margarete („Gretl“) gebliche NS-Devotionalien angeboten ben. Auch hatte Fegelein keinen Eintrag
Braun an, der jüngeren Schwester von und für oft hohe Summen verkauft. Zu- im Kundenregister von Petersen & Co.
Hitlers rätselhafter Gefährtin Eva letzt unter anderem einen Hitler zuge- Wie meistens wird auch in diesem
Braun. Schon am 3. Juni 1944 heirateten schriebenen Zylinder und eine Herren- Fall nicht nachweisbar sein, wer genau
die beiden – Hitler richtete auf dem unterhose aus Seide, die Hermann Gö- die angebliche Fegelein-Uniform ge-
Berghof die Feier aus. Die Ehe war kurz: ring getragen haben soll, außerdem fälscht hat. Vermutlich wurde das echte
Ende April 1945 gehörte Fegelein als „Hitler“-Gemälde, von denen wahr- Etikett herausgetrennt und durch ein in
Verbindungsoffizier zur Entourage Hit- scheinlich kein einziges echt ist. alter Technik neu beschriftetes Blanko-
lers im Berliner Führerbunker. Doch er Hübner trat nach dem Zweiten Welt- Originaletikett ersetzt. Bei Kritik argu-
entfernte sich unerlaubt, wurde – an- krieg als „Graf Klenau von Klenova, Ba- mentieren Anbieter meist, die Angaben
geblich im Bett mit einer Geliebten und ron von Janowitz“ auf; der letzte nach- der – oft im Ausland – ansässigen „Ein-
ULLSTEIN BILD
viel Geld – festgenommen und zurück- weislich echte Träger dieses Namens al- lieferer“ nicht überprüfen zu können.
gebracht. Hitler ließ ihn exekutieren, lerdings, Karl von Klenau, Baron von Ja-
obwohl Fegelein nach der Heirat mit nowitz, war schon am 12. August 1846 T Neue Geschichten aus der
Eva Braun in der Nacht zum 29. April ohne männliche Erben gestorben, wo- Geschichte lesen Sie täglich auf:
1945 formal sein Schwager war. mit die Adelslinie erloschen sein dürfte. www.welt.de/geschichte
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DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
Gebärmutterriss,
Sauerstoffmangel des
Babys – oder Tod
Das Medikament Cytotec ist in Deutschland das gängigste Mittel für
die Einleitung von Geburten, obwohl es dafür nicht zugelassen ist.
E
Klare Regeln für den Einsatz fehlen. Für Mütter und ihre Kinder kann
das schwerste Folgen haben. Wie für Sören und Emil
s gibt einen Moment, der
Amelie Reimanns Leben in ein
Vorher und ein Nachher teilt.
Ein Sonntag im November
2011 in einer Berliner Geburts-
klinik, circa 18 Uhr. Sie erwartet ihr ers-
tes Kind. Die Geburt wird mit dem Medi-
kament Cytotec eingeleitet, weil Rei-
mann wenig Fruchtwasser hat. Sie
nimmt zwei Dosen, insgesamt 75 Mikro-
gramm. Alle zwei bis drei Minuten hat
sie Wehen, so steht es im Geburtsproto-
koll. Nun soll sie eine dritte Dosis neh-
men. Die Hebamme hält ihr ein weißes
Bröckchen vor die Nase. Das Viertel ei-
ner Cytotec-Tablette, von Hand geteilt.
„Aber ich habe doch schon Wehen“, sagt
Reimann. Die Hebamme zuckt mit den
Achseln. Die Ärztin habe es so angeord-
net. Reimann schluckt das Bröckchen.
Amelie Reimann weiß zu diesem Zeit-
punkt nicht, dass Cytotec eigentlich ein
Magenmedikament ist, das für die Ein-
leitung von Geburten nicht zugelassen
ist. Sie wurde darüber nicht aufgeklärt,
so wie es eigentlich Vorschrift wäre. Sie
weiß auch nicht, dass das Medikament
bei Wehen nicht verabreicht werden
sollte, weil das eine Überstimulation
der Gebärmutter auslösen kann. Und
vor allem weiß sie nicht, welche Folgen
das in seltenen Fällen haben kann: Ge-
bärmutterriss, Sauerstoffmangel des
Babys oder Tod.
VON STEFFI UNSLEBER
Etwa 800.000 Babys kommen im Jahr
in Deutschland zur Welt. Rund ein Fünf-
tel der Geburten wird eingeleitet. Cyto-
tec mit dem Wirkstoff Misoprostol ist
das gängigste Medikament; schätzungs-
weise 100.000 Frauen in Deutschland er-
halten es pro Jahr. Es ist bei Geburtshel-
fern beliebt, weil es als sehr effektiv gilt
und oral eingenommen werden kann.
Aber mittlerweile häufen sich Verdachts-
meldungen über schwere Nebenwirkun-
gen, 440 Berichte liegen der europäi-
schen Nebenwirkungsdatenbank Eudra-
Vigilance für Deutschland vor. Darunter
sieben Todesfälle bei Mutter oder Kind.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM) warnt in ei-
nem Rote-Hand-Brief vor dem Präparat.
Am Samstag wurde bekannt, dass der
Import von Cytotec nach Deutschland
gestoppt wurde. Nach Recherchen von
BuzzFeed News und dem Bayerischen
Rundfunk hat sich das BfArM Mitte
März an die Importeure gewandt. Man
habe die Unternehmen auf einen mögli-
chen Widerruf der Importzulassung hin-
gewiesen. Hintergrund sei das mit Cyto-
tec verbundene Risiko „schwerwiegen-
der gesundheitlicher Schädigungen für
schwangere Frauen und ungeborene
Kinder durch unsachgemäße Anwen-
dung“, so die Behörde. Wollen Ärztinnen
und Ärzte das Medikament weiterhin an-
wenden, bleibt nur noch eine Möglich-
keit: der Einzelimport aufgrund einer
ärztlichen Verschreibung. Dieser gilt
aber nur für geringe Mengen. Die Deut-
sche Gesellschaft für Gynäkologie
(DGGG) spricht von Einzelfällen.
Nebenwirkungen wie eine Überstimu-
lation der Gebärmutter können bei allen
Wehenmitteln auftreten. Die Besonder-
heit bei Cytotec liegt darin, dass es für
diesen Zweck in Deutschland nie zuge-
lassen wurde. 2006 wurde das Medika-
ment zudem vom Hersteller Pfizer in
Deutschland vom Markt genommen, die
Zulassung für die Behandlung von Ma-
gen- und Zwölffingerdarmgeschwüren
wurde zurückgegeben. Ärzte importie-
ren das Mittel und verschreiben es im
Off-Label-Use im Rahmen ihrer Thera-
piefreiheit. Das heißt: Es gibt keine Pa-
ckungsbeilage für den Einsatz in der Ge-
burtshilfe und keine klaren Regeln für
den Umgang damit. Die DGGG hat im
Dezember 2020 endlich Leitlinien veröf-
fentlicht, die Geburtshelfern einen Rah-
Während der Wehen seiner Mutter Karola Neuhaus erlitt Sören nach ihrer Cytotec-Einnahme einen Sauerstoffmangel. Die Folgen werden sein Leben lang bleiben
men vorgeben sollen. Aber ein Dosie-
rungsschema fehlt und auch eine emp-
fohlene Tageshöchstdosis. Jedes Kran-
kenhaus dosiert anders.
In Deutschland, in Frankreich und in
den USA schließen sich Frauen und Fa-
milien zusammen, die glauben, dass sie
oder ihre Kinder durch die Gabe von Cy-
totec geschädigt wurden. WELT hat
zehn Fälle aus Deutschland recherchiert,
in denen die Kinder Behinderungen da-
vongetragen haben oder gestorben sind.
Sie stammen alle aus den vergangenen
zwölf Jahren. Ob das Medikament Cyto-
tec im Einzelfall ursächlich für die Ge-
burtsschäden war, müssen Gerichte klä-
ren. Die Fälle zeigen aber, dass ihnen ein
systemisches Versagen zugrunde liegt.
Hätten sich die Geburtshelfer an einige
klare Regeln gehalten, wären viele Schä-
den vermeidbar gewesen. Die Regeln, die
sich aus Studien ableiten lassen, sind:
das Medikament nicht händisch teilen,
niedrig dosieren, es nicht bei bestehen-
den Wehen geben oder bei einer vorbe-
lasteten Gebärmutter – zum Beispiel
nach einer Unterleibsoperation. Wichtig
wäre auch eine kontinuierliche Betreu-
ung der Schwangeren, mindestens ab Be-
ginn der Wehen. Nur so können Ge-
burtshelfer rechtzeitig erkennen, wenn
es Komplikationen gibt.
Geburtsprotokolle, die WELT vorlie-
gen, zeigen, dass Frauen im Wehensturm
alleingelassen wurden und dass Geburts-
helfer dadurch zu spät reagierten. Ob ei-
ne lückenlose Betreuung von Gebären-
den möglich ist, scheint Glückssache zu
sein und davon abhängig, wie viel gerade
GESELLSCHAFT 19
kroblutuntersuchung schließlich veran- Kindes wurden nicht überwacht; und die land. Dass ihnen jemand ernsthaft ant-
lasst. Wegen schlechter Werte wird sie Mikroblutuntersuchung ist zu spät er- wortet, kommt eher selten vor.
wiederholt, weil die Ärztin das Ergebnis folgt. Weil Reimann die Klage nicht ge- Es mag sich unglaublich anhören,
für unplausibel hält. Erst als sich der fährden will, sind ihr Name und der ihres dass das gängigste Medikament zur Ge-
Wert bestätigt, wird ein Notkaiser- Kindes hier geändert. Sie dachte lange, burtseinleitung in Deutschland ein für
schnitt veranlasst. Wieder dauert es 20 sie sei ein Einzelfall. Mittlerweile weiß diesen Zweck nicht zugelassenes Ma-
Minuten. Reimann muss in den Operati- sie aber, dass das nicht so ist. genpräparat ist. Der Wirkstoff jedoch,
onssaal laufen. Als sie auf der Liege liegt, Sie hat Karola Neuhaus in einer das synthetisch hergestellte Prostaglan-
schreit sie noch: „Befreit mich von die- Arztpraxis kennengelernt. Auch ihre din Misoprostol, ist in der Geburtshilfe
sen Schmerzen!“ Dann wird alles dunkel. Geburt wurde in einer Berliner Klinik trotz fehlender Zulassung gut unter-
Um 0.07 Uhr wird ihr Sohn Emil gebo- mit Cytotec eingeleitet. Auch sie hat sucht. Eine Übersichtsarbeit des Coch-
ren. „Geburt eines schlappen Neugebo- weitere Tabletten bekommen, obwohl rane-Netzwerks aus dem Jahr 2014, die
renen“, heißt es im Protokoll. Emil at- sie schon Wehen hatte. Und auch ihr 76 Studien und die Daten von 14.412
met nicht. Er wird in die Kinderklinik Sohn Sören hat im Wehensturm einen Frauen zusammenfasst, zeigt: Das Mit-
verlegt. Nach elf Stunden bekommt er Sauerstoffmangel erlitten. Heute ist er tel ist wirksam zur Einleitung der Ge-
Krampfanfälle. Die Diagnose lautet elf Jahre alt und leidet unter einer in- burt. Die Dosis sollte aber möglichst bei
schließlich hypoxisch-ischämische Enze- fantilen Zerebralparese – eine Bewe- 25 Mikrogramm liegen. Maximal wird ei-
phalopathie – ein Hirnschaden, bedingt gungsstörung, deren Ursache eine ne Dosis von 50 Mikrogramm empfoh-
durch Sauerstoffmangel. frühkindliche Hirnschädigung ist. Auch len. Es müsse eine Abwägung zwischen
Amelie Reimann ist eine zarte Frau Neuhaus’ Name und der ihres Sohnes einer schnelleren Geburt und einer
mit rötlichen Haaren. Neun Jahre später sind geändert. Gemeinsam haben sie Überstimulation der Gebärmutter erfol-
sitzt sie in ihrer Küche in Berlin-Schöne- eine Facebook-Gruppe aufgebaut, in gen, schreiben die Autoren. Die WHO
berg. Sie klagt inzwischen gegen das der sich betroffene Frauen vernetzen. empfiehlt eine Dosierung von 25 Mikro-
Krankenhaus. Eine Gutachterin hat Jede Woche kommen neue Fälle dazu. gramm alle zwei Stunden. In deutschen
schwere Mängel festgestellt: Reimann Mehr als 80 sind es mittlerweile. Ge- Kliniken ist aber eine höhere Dosierung
wurde nicht aufgeklärt über den Off-La- meinsam sichten sie Studien und schi- üblich. Das zeigt auch eine Umfrage der
bel-Use; sie hat Cytotec trotz vorhande- cken Mails an die wichtigsten Protago- Bayerischen Gesellschaft für Geburts-
ner Wehen bekommen; die Herztöne des nisten der Geburtshilfe in Deutsch- hilfe und Frauenheilkunde aus dem Jahr
2020. Die Mehrzahl der Kliniken gab zu-
dem an, Misoprostol auch bei Wehen zu
geben, obwohl die Arbeitsgemeinschaft
für Geburtshilfe und Pränatalmedizin in
der DGGG davon abrät.
Karola Neuhaus und Amelie Reimann
haben eine Umfrage unter den betroffe-
nen Frauen gemacht. Die Umfragebögen
liegen WELT vor. Sie zeigen die große
Bandbreite bei der Dosierung – und dass
sich kaum eine Klinik an die WHO-Emp-
fehlung hält. Einzeldosen von 100 Mi-
krogramm kommen häufig vor. Oft ge-
ben die Frauen an, dass ihnen halbierte
oder geviertelte Tabletten verabreicht
wurden. Die Cytotec-Tabletten dürfen
aber nicht geteilt werden, da eine genaue
Dosierung so nicht gewährleistet werden
kann. Die Tabletten müssen in einer
Krankenhausapotheke zermahlen und
daraus Kapseln mit einer geringeren Do-
sierung hergestellt werden. Eigentlich.
Die neue Leitlinie der DGGG zur Ge-
burtseinleitung, die im Dezember 2020
erschienen ist, sollte Orientierung bie-
ten. Aber die Autoren empfehlen darin
weder ein Dosierungsschema noch eine
Tageshöchstdosis. Stattdessen schreiben
sie: „Problematisch und weiterhin un-
klar ist die optimale Dosierung, da eine
Erhöhung der Dosis zwar zu einer besse-
ren Effektivität führt, jedoch die Neben-
wirkungen (vor allem uterine Übersti-
mulation) ebenso höher sind.“ Die Auto-
ren der Leitlinie sind zwei erfahrene Ge-
burtsmediziner, Professor Sven Kehl
vom Universitätsklinikum Erlangen und
Professor Michael Abou-Dakn von Sankt
Joseph Krankenhaus in Berlin. WELT
hat beiden eine Liste von Fragen ge-
schickt und um ein Gespräch gebeten.
Beide haben nicht reagiert. Die Presse-
stelle der DGGG will sich nicht äußern.
Fraglich ist unter anderem, wie die
DGGG mit dem neuen Misoprostol-Prä-
parat Angusta umgehen will. Es wurde
im September vergangenen Jahres zuge-
lassen. Es enthält Misoprostol in einer
MARLENE GAWRISCH / WELT (2)
Dosierung von 25 Mikrogramm, die An-
wendung ist in der Packungsbeilage ge-
regelt. Mit Angusta könnte der Off-La-
bel-Einsatz von Cytotec beendet sein.
Das Problem: Angusta ist viel teurer als
Cytotec, obwohl es denselben Wirkstoff
enthält. 200 Mikrogramm Angusta kos-
ten momentan 147,90 Euro, die gleiche
Menge Cytotec nur 47 Cent. Angusta
kommt in den Leitlinien der DGGG
im Kreißsaal los ist. Es scheint bei man- nicht vor, es wird weiterhin auf den Off-
chen Geburtshelfern ein Bewusstsein Label-Use verwiesen. Offiziell heißt es
dafür zu fehlen, dass es sich bei Misopro- bei der DGGG, der Grund sei, dass das
stol um ein hochpotentes und damit Treffen zur Erstellung der Leitlinien vor
auch potenziell gefährliches Mittel han- der Zulassung von Angusta stattfand. De
delt. Wenn etwas schiefgeht, zeichnet facto liegt ein Verdacht nahe: Die Klini-
das Familien für ein Leben. ken wollen Cytotec um jeden Preis be-
Auch Amelie Reimann wird im No- halten, weil es billiger ist und weil sie da-
vember 2011 alleine auf Station ge- mit nicht an ein Dosierungsschema ge-
schickt, nachdem sie die dritte Cytotec- bunden sind. Professor Wolfgang Hen-
Tablette eingenommen hat. Die Wehen rich, Direktor der Geburtsmedizin in der
werden sehr schmerzhaft. „Als würde Charité, bestätigt, dass seine Klinik aus
jemand mit einem Messer in meinen Kostengründen weiterhin Cytotec ver-
Bauch stechen“, erinnert sie sich. Sie wenden wird.
sagt der Hebamme, dass sie in den Die Sonne glitzert auf dem Fennsee,
Kreißsaal wolle. „Die Hebamme hat als Amelie Reimann ihren Sohn von der
mich gar nicht angeschaut. Sie war viel- Förderschule abholt. Sie nimmt ihm
leicht eine Minute bei mir.“ Sie lässt sanft die Maske vom Gesicht und stützt
Reimann ein Bad ein. Danach bleibt sie ihn unter der Achsel, während sie zu ei-
eine Stunde weg. Reimann kotzt in die Auch Amelie Reimanns Sohn Emil (im Vordergrund und unten kurz nach der ner Bank am Wasser laufen, wo sie die
Badewanne. „Ich hatte keine Wehen- Geburt) leidet unter einer Gehirnschädigung infolge eines Sauerstoffmangels Enten beobachten können. Wenige Mi-
pause. Mein damaliger Freund musste nuten zuvor hatte er noch einen Wutan-
kaltes Wasser über mich gießen, weil ich fall. Er hat sich auf den Boden geworfen
so neben mir stand. Ich habe mich im- und seinen Kopf gegen das Pflaster ge-
mer wieder gefragt: Soll ich den roten knallt, weil seine Schulfreunde nach
Knopf drücken? Aber wenn du das Ge- Hause gegangen sind. Die Passanten
fühl hast, du störst die nur, dann starrten ihn an. Reimann fing seinen
drückst du den Knopf nicht.“ Kopf ab, ansonsten ließ sie ihn toben.
Als die Hebamme schließlich kommt „Es geht wieder vorbei“, sagt sie.
und Reimann schmerzgekrümmt in der Sie hat über viele Jahre eine Psycho-
Wanne liegen sieht, erschrickt sie. Sie therapie gemacht, um all die Erlebnisse
findet keine Herztöne des Kindes. Es ist zu verarbeiten. Von Emils Vater lebt sie
jetzt 22 Uhr. Eine Ärztin kommt dazu, mittlerweile getrennt. „Die Trauer
verordnet Wehenhemmer. „Heute weiß bleibt“, sagt sie. „Es bleibt auch
ich: Sie hätten sofort eine Mikroblutun- schlimm. Aber man lernt, das zu inte-
AMELIE REIMANN
tersuchung am Köpfchen machen müs- grieren.“ Emil hat mit intensiver Förde-
sen“, sagt Reimann. „Sie wussten ja rung viel erreicht – erst vor Kurzem hat
nicht, wie lange die Herztöne schon weg er laufen gelernt. Aber er wird nie ein
waren.“ Nach einer Stunde wird die Mi- selbstständiges Leben führen können.
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WISSEN
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
„Der Altersdurchschnitt
ist auf 56 gesunken“
Die Zahl der Intensivpatienten steigt an. Ein Mediziner
D
erklärt, was nun passiert – selbst mit Lockdown
ie Zahl der Intensivpatienten
mit Covid-19 steigt wieder an.
Die Intensivmediziner fordern
die Regierung zu einem harten Lock-
down auf. Ansonsten, so die Befürch-
tung, werden die Intensivbetten in den
Kliniken bald knapp. Prof. Dr. med. Ste-
fan Kluge leitet die Intensivstationen
am Hamburger Universitätskranken-
haus Eppendorf (UKE).
VON PIA HEINEMANN
WELT: Forderungen nach einem so-
fortigen Lockdown sind derzeit ziem-
lich unpopulär.
STEFAN KLUGE: Das stimmt, ich wurde
dafür auch bereits angefeindet. Aber an-
gesichts der steigenden Inzidenzen und
Intensivfälle muss etwas passieren.
Vor zwei Wochen lagen in Deutsch-
land 2700 Covid-Patienten auf den In-
tensivstationen. Heute sind es 4144.
Und dieser Anstieg wird weitergehen.
Wir wissen seit der ersten Welle, dass
sich der Gesundheitszustand von Co-
vid-19-Patientinnen und -Patienten
erst zehn Tage nach einer Infektion so
weit verschlechtert, dass sie auf die In-
tensivstation müssen. Wir können be-
reits jetzt absehen, dass es in den Klini-
ken wieder sehr voll werden wird. Die
Zahl der Intensivpatienten mit dieser
Infektion wird deutlich ansteigen,
eventuell haben wir in einigen Wochen
mehr Intensivpatienten als jemals zu-
vor während der Pandemie. Dies ist
jetzt abhängig vom Kontaktverhalten
der Bevölkerung.
Wie sieht es auf Ihrer Station aus?
Wir versorgen jetzt schon 25 Covid-19-
Patienten auf unseren Intensivstatio-
nen, das ist der höchste Stand der ver-
gangenen acht Wochen, und es sind nur
drei weniger als zum Höhepunkt der
zweiten Welle im letzten Jahr. Selbst
wenn wir jetzt eine Vollbremsung ma-
chen, steht der Wagen erst in zwei bis
drei Wochen. So lange werden wir mehr
Covid-Patienten aufnehmen müssen.
Hat sich wie prognostiziert das
Durchschnittsalter auf den Intensiv-
stationen bereits verändert?
Ja, tatsächlich sind Covid-19-Patienten
auf den Intensivstationen jünger gewor-
den. Im Jahr 2020 lag das Durch-
schnittsalter auf unseren Intensivsta-
tionen am UKE bei 63 Jahren. In den
vergangenen acht Wochen ist der Al-
tersdurchschnitt auf der Station auf 56
Jahre gesunken.
Das würde bedeuten, dass weniger
sterben werden?
Das stimmt, die Sterblichkeit ist stark
abhängig vom Alter. Trotzdem besteht
aber auch bei jüngeren Patienten, die
beatmet werden müssen, ein Sterberisi-
ko von 30 Prozent. Die bessere Überle-
bensrate der jüngeren Patienten führt
aber zu längeren Liegezeiten auf den In-
tensivstationen und verstärkt das Pro-
blem der Bettenknappheit.
UKE/EVA HECHT
Meist erfolgte die Ansteckung im Privaten,
sagt Stefan Kluge über die Patienten
Hatten Sie schon Kinder auf der Sta-
tion?
Ich persönlich nicht, Kinder kommen
auf die Kinderintensivstation, nicht auf
unsere. Aber es gab in der Vergangen-
heit immer mal ein Kind, seit März 2020
hatten wir insgesamt sechs Patientin-
nen und Patienten auf der Intensivstati-
on des Kinder-UKE. Auch Kinder kön-
nen ja schwer erkranken, und vereinzelt
sterben sie. Allerdings ist das glückli-
cherweise extrem selten. Wir sehen im
UKE trotz B.1.1.7 in den vergangenen
Wochen keine drastische Zunahme bei
den Kindern.
Ist Long-Covid ein Problem?
Es gibt dazu eine gute Studie aus China,
darin wurde gezeigt, dass mehr als 75
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SEITE 20
Prozent aller im Krankenhaus behan-
delten Covid-Patientinnen und -Pa-
tienten sechs Monate nach Entlassung
noch mindestens ein Symptom haben.
Eine Beatmungstherapie ist ein zusätz-
licher Risikofaktor – während einer
künstlichen Beatmung bauen die Mus-
keln sehr schnell ab. Der Prozentsatz
ist aber bei Patienten, bei denen ein
Krankenhausaufenthalt nicht erforder-
lich ist, deutlich geringer. Deshalb dür-
fen wir uns nicht nur auf die Sterblich-
keitsraten fokussieren, sondern müs-
sen auch die Long-Covid-Folgen beach-
ten. Hauptbeschwerden sind Erschöp-
fung, mangelnde Belastbarkeit und
Atemnot, dies kann im Einzelfall auch
zur Arbeitsunfähigkeit führen.
Gerade ist die Verunsicherung groß
wegen des AstraZeneca-Impfstoffs.
Wir halten uns sehr genau an die Emp-
fehlungen der Ständigen Impfkommis-
sion, der Stiko, und haben AstraZeneca-
Impfungen deshalb bis zum Entscheid
der Stiko weiter angeboten. Aber natür-
lich gab es Mitarbeitende, die ihren
Impftermin in der Zeit nicht wahrge-
nommen haben. Das ganze Hin und Her
sorgt ja nicht nur bei Laien für große
Unsicherheit, auch für Experten ist die
Lage schwer einzuschätzen. Bei uns im
UKE haben wir mittlerweile mehr als
7000 Mitarbeitende mit AstraZeneca
geimpft, und uns sind keine Verdachts-
fälle für Thrombosen oder außerge-
wöhnlich schwere Fälle von Impfreak-
tionen nach der Impfung bekannt.
Ausgangssperren, negative Corona-
Test-Pflicht, Tübinger und Saarländer
Modell. Finden Sie die neue Experi-
mentierfreude gut?
Ich halte es generell für eine gute Idee,
mit klugen Testkonzepten Öffnungs-
schritte zu ermöglichen. Aber jetzt ist
für Öffnungsschritte der absolut fal-
sche Zeitpunkt. Wir befinden uns in ei-
nem ansteigenden Infektionsgesche-
hen – und alle diese Modelle führen zu
mehr Kontakten zwischen Menschen.
Und was passiert bei Kontakten? Das
Virus kann sich verbreiten. Auch mit
negativem Schnelltestergebnis kann
das passieren, die gängigen Schnelltests
erkennen nur 70 Prozent der Infektio-
nen. Noch dazu sind sie nur eine Mo-
mentaufnahme und erzeugen eine
Pseudosicherheit; wer morgens im
Schnelltest negativ ist, kann abends
schon positiv sein.
Wissen Sie, wo sich Ihre Patienten an-
gesteckt haben?
Ich frage seit acht Wochen jeden, den
ich visitiere. Bei den meisten erfolgte
die Ansteckung im Privaten, in der Fa-
milie. In der ersten und zweiten Welle
haben Patientinnen und Patienten oft
berichtet, dass sich in einer Familie nur
einer, maximal zwei Personen ange-
steckt haben. Jetzt heißt es wirklich
sehr häufig, „meine ganze Familie ist
positiv“. Viele vergessen, dass B.1.1.7 sig-
nifikant ansteckender ist als die Varian-
te, die 2020 kursierte. Viele unterschät-
zen die Gefahr. Sie sehen den Frühling
und denken, „im vergangenen Sommer
war es ja ungefährlich, draußen zusam-
men zu sein“. Ich habe den Eindruck,
viele wollen nicht wahrhaben, dass bei
den neuen Varianten ein höheres Anste-
ckungsrisiko besteht.
Eigentlich müsste man die Leute nach
draußen zwingen. Es gibt ja auch die
Forderungen, etwa Schulunterricht
im Freien abzuhalten.
Wir sehen in den Kliniken, dass Infizier-
te mit B.1.1.7 größere Mengen Virus aus-
scheiden – und dies auch über einen
längeren Zeitraum. Das bedeutet, dass
das Risiko einer Ansteckung bei dieser
Mutation höher ist als bei dem vorheri-
gen Virustyp. Natürlich ist das Risiko ei-
ner Infektion an der frischen Luft deut-
lich geringer, aber auch dort können bei
engem Kontakt Infektionen auftreten.
Was halten Sie dann von Ausgangs-
sperren wie in Hamburg?
Ausgangssperren sind effektiv. Aber
sie sind ein starker Eingriff in die
Grundrechte, der uns erspart geblie-
ben wäre, wenn sich vorher alle konse-
quent an die geltenden Regeln, wie Ab-
stand, Maske und Kontaktreduktion,
gehalten hätten.
40 Billionen Bakterien
bevölkern den Darm,
die Enterobacteriaceae
hier sind Teil der
gesunden Darmflora
GETTY IMAGES/ SCIENCE PHOTO LIBRARY/ ALISSA ECKERT
W
Gut ist,
was
er seinen Körper be- „Die Anti-Aging-Forschung geht aus Vollkorn und Gemüse, damit sie die
wegt und pflegt und meistens in die Richtung, dass man die Darmwände in Ruhe lassen. Ganz zu
so möglichst lange Menschen in einen jüngeren Zustand schweigen davon, dass diese Strategie
sich
jung bleibt, der er- bringen, also ihre biologische Altersuhr insgesamt den Individualisierungspro-
reicht normalerwei- zurückstellen sollte“, resümiert Studi- zess des Mikrobioms unterstützt. Gib-
se ein hohes Alter. Doch für die Darm- enleiter Sean Gibbons vom Institut für bons sieht hier allerdings auch gute Per-
flora gilt das offenbar nicht. Sie sollte, Systembiologie in Seattle. „Aber unse- spektiven für den Sport. Gerade Aus-
ändert
wenn wir gesund alt werden wollen, re Studie zeigt, dass es beim Mikro- dauersportarten wie Joggen, Schwim-
besser nicht mehr so sein wie in unse- biom besser wäre, dass es sich im Laufe men oder Radfahren können wohl für
rer Jugend. des Alterns ändert.“ Da gelte also nicht mehr Diversität im Darm sorgen.
das Prinzip „forever young“, sondern Wobei jedoch das Prinzip „Mehr Bal-
VON JÖRG ZITTLAU „Flexibilität ist Trumpf“. laststoffe und Sport“ generell als ge-
Das Darmikrobiom
Diese Ansicht teilt prinzipiell auch sund eingestuft wird, so dass man am
Es klingt paradox: Jeder Mensch – Christoph Kaleta, der an der Universi- Ende gar nicht mehr sagen kann, was
wird im Laufe des
egal, ob groß oder klein, jung oder alt – tät Kiel die Arbeitsgruppe für medizini- den Menschen gesund hält: sein Le-
besteht größtenteils aus Nicht-Mensch. sche Systembiologie leitet und eben- bensstil oder sein flexibles Mikrobiom.
Lebens individuell
Denn rund 40 Billionen Bakterien be- falls zur Darmflora forscht. Er betont „Die Kausalität ist da bisher schwer
und egoistisch –
völkern seinen Darm, das sind etwa allerdings auch, dass es bei deren Flexi- nachzuweisen“, betont Kaleta. „Prinzi-
zehn Billionen mehr als seine eigenen bilität vor allem um Individualität gin- piell wäre es möglich, dass gesunde
und fördert so die
Körperzellen. Dass dieses Heer der ge. „Lange Zeit dachte man, dass es mit Menschen einfach von Anfang an ein in-
Fremden einen positiven Einfluss auf der Diversität der Darmflora im Laufe dividuelleres Mikrobiom entwickeln
Gesundheit
die Gesundheit seines Wirtes haben der Jahre stetig bergab geht“, so Kaleta. und damit das individuellere Mikro-
kann, liegt auf der Hand und ist vielfach Nach dem Muster: Im Alter wird alles biom ein Zeichen für einen gesunden
belegt. Studien zeigen aber auch, dass gleich, nämlich gleich schlecht. Doch Lebenswandel ist.“
die Darmflora dazu flexibel sein muss. jüngere Studien zeigen, dass die Diver- Nichtsdestoweniger hält es Kaleta für
Ein Internationales Team aus Sys- sität im Mikrobiom durchaus zuneh- möglich, dass Therapien, die auf das
tem- und Mikrobiologen hat das Darm- men und Indikator für eine längere Le- abbauen“, so Kaleta. Doch was tun sie, Darmmilieu zielen, das Altern aktiv ver-
mikrobiom von über 9000 Erwachse- benserwartung sein kann. wenn der Speiseplan – so wie es in den langsamen können. Hierzu haben er und
nen im Alter von 18 bis 101 Jahren ana- Was die Frage aufwirft, worin kon- Wohlstandsländern mit ihrer stark ver- sein Team bereits erste Experimente
lysiert und dessen Zusammensetzung kret der Vorteil dieser zunehmenden arbeiteten Kost üblich ist – nicht genug durchgeführt. Allerdings nicht mit Voll-
mit dem Gesundheitszustand und der Diversität liegt. Darauf gibt es in erster Ballaststoffe für sie bereithält? „Dann korn oder Gemüse, sondern mit Medika-
Sterbequote der Probanden verglichen. Linie zwei Antworten. Die eine: For- tendieren sie zum Munch on Mucus“, menten wie etwa dem aus der Diabetes-
Im Ergebnis dieses Vergleichs zeigte scher fanden deutliche Hinweise da- so Gibbons. Sie neigen also dazu, sich therapie bekannten Metformin.
sich: Es waren exakt diejenigen Männer rauf, dass individualisierte Mikrobiome bei Abwesenheit von Ballaststoffen an Wobei dieses Mittel von der Darmflo-
und Frauen am gesündesten, deren mehr Substanzen wie etwa Phenylace- den schützenden Schleimhäuten des ra keineswegs begrüßt wird. Im Gegen-
Darmflora sich am meisten geändert tylglutamin und Indole produzieren, Darms zu bedienen. teil. „Metformin wirkt eigentlich to-
und eine einzigartige, für den Besitzer denen gleich eine ganze Palette von Ef- Beim jüngeren Menschen sind diese xisch auf das Mikrobiom“, erklärt Kale-
typische Konsistenz bekommen hatte. fekten zur Krankheitsprävention zuge- mikrobiellen Nagereien meistens noch ta. „Doch das reagiert darauf mit einer
So kursierte in ihrem Blut etwa weniger schrieben werden. kein Problem, weil der genug Schleim- Produktion von Agmatin, das der Orga-
LDL-Cholesterin. Ihre Vitamin-D-Wer- Die andere Antwort liegt darin, dass haut nachbilden kann. „Aber je älter nismus auch ohne weiteres über den
te waren dagegen höher, weil die Auf- bestimmte Mitglieder der Darmflora, wir werden, umso dünner werden diese Darm aufnehmen kann.“ Und von die-
nahme dieses aktuellen Stars unter den die im jüngeren Alter noch harmlos Schichten“, sagt Gibbons. Und dann sei sem Abkömmling der Aminosäure Argi-
Vitaminen wesentlich mit der Darmflo- oder sogar nützlich für uns sind, spä- es günstiger, weniger Bacteroides im nin weiß man mittlerweile, dass er gera-
ra zusammenhängt. ter schädlich für uns werden können. Darm zu haben. de Nervenzellen vor Oxidationen und
Ein weiteres Merkmal der mikrobio- „Das Mikrobiom verliert zunehmend Andernfalls könnten sie und andere anderen Schädigungen schützen kann.
tisch besonders individuellen Proban- seine Bereitschaft zur Kooperation“, Darmmikroben den Schutzwall im Einige Forscher sehen in ihm bereits ei-
den: Sie waren körperlich fitter, sie be- erläutert Kaleta. So werde am Ende Darm durchbrechen und eine Immun- ne Alternative in der Behandlung von
wegten sich mehr und legten beim all- aus den ursprünglichen Freunden im antwort bis zur chronischen Entzün- neurodegenerativen Erkrankungen wie
täglichen Gehen ein deutlich höheres Darm ein Heer von Egoisten, das eher dung hervorrufen. Womit man am Ende Alzheimer und Parkinson.
Tempo an den Tag. Bei den Probanden eigene Ziele als die des Gesamtorga- einen Prozess hätte, der eine ganze Rei- Noch freilich ist die Metformin-
hingegen, deren Darmflora sich am we- nismus verfolgt. he typischer, potentiell lebensverkür- Darmflora-Alzheimertherapie nicht
nigsten individualisiert hatte, war es Zu diesen möglicherweise spätberu- zender Altersbeschwerden triggern spruchreif. Aber es wäre schon eine be-
umgekehrt – und das zeigte sich auch an fenen Egoisten zählt etwa die Bakte- kann. Von der Herzerkrankung über sondere Pointe, wenn man eine der gro-
ihrer Lebenserwartung. Die Über-85- riengattung der Bacteroides. „Sie gel- Diabetes und Arthritis bis zu Krebs. ßen Plagen des Menschen therapieren
Jährigen unter ihnen hatten ein doppelt ten eigentlich als gesundheitsfördernd, Besser also, man kredenzt den Bacte- könnte, weil sich in seinem Darm eine
so hohes Risiko, in den nächsten vier weil sie Ballaststoffe zu entzündungs- roides weniger verarbeitete Lebensmit- Horde nicht menschlicher Organismen
Jahren zu versterben. hemmenden kurzkettigen Fettsäuren tel und stattdessen mehr Ballaststoffe bedroht fühlt.
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FEUILLETON
H
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
eike Behrend gilt als be-
deutendste Afrikanistin
Deutschlands. Die Ethno-
login betrieb Feldfor-
schung im kriegszerrütte-
ten Uganda und in den Tugenbergen
Kenias, sie schrieb über moderne He-
xenjagen der katholischen Kirche in
Uganda und die Rolle der Fotografie in
Ostafrika, zuletzt in ihrem autobiogra-
fischen Buch „Menschwerdung eines
Affen. Eine Autobiografie der ethnogra-
fischen Forschung“ (Matthes&Seitz,
278 S., 25 €). Behrend berichtet darin
nicht nur von einem bewegten Forsche-
rinnenleben, sie erzählt auch die Ge-
schichte der Ethnologie – und der Eth-
nografierten.
VON BORIS POFALLA
WELT: In Ihrem Buch beschreiben Sie
eindrucksvoll, wie Sie im Kenia der
späten Siebzigerjahre mit Ihrem sie-
benjährigen Sohn bei den Tugen auf-
kreuzen. Der rotzfreche Sohn aus dem
antiautortiären Berliner Kinderladen
wurde sofort integriert, Ihnen verlieh
man den Spottnamen Affe. Wieso?
HEIKE BEHREND: Ich war eine Fremde,
nicht eingeladen und erschien trotzdem
in den Tugenbergen. Meinem Ehemann
haben die Dorfbewohner, als er mich
besuchte, erzählt, sie hätten mich an-
fangs für eine Verbannte gehalten. Sie
glaubten, ich hätte zu Hause irgendet-
was angestellt, und deshalb hätte man
mich weggeschickt, und zufällig wäre
ich bei ihnen gelandet. Die Bewohner
der Tugenberge kannten Europäer be-
reits seit der Kolonialzeit, sie hatten ein
ambivalentes Verhältnis zu ihnen, ver-
ständlicherweise. Mein Sohn dagegen
war das erste europäische Kind, das sie
kennenlernten. Er wurde geliebt und
mit Geschenken überhäuft. Die Klap-
perstorch-Geschichte, die in den Tugen-
bergen erzählt wird, ist die einer Frau,
die sich ein Kind wünscht, in die Wildnis
geht und ein Affenbaby klaut. Sie legt es
an ihre Brust und sorgt für es. Erst wenn
der kleine Affe im Ritual den Namen ei-
nes Ahnen bekommt, fängt sein Mensch-
werdungsprozess an. Und da ich auch
aus der Wildnis kam und wie ein kleines
Kind ihre Sprache nicht sprechen konnte
und die Regeln der Höflichkeit nicht
kannte, war es in gewisser Weise folge-
richtig, dass ich Affe genannt wurde.
Aber auch ich bekam Aufstiegschancen
und durfte ein Mensch werden. Tatsäch-
lich war es meine Benennung als Affe,
die mich dazu antrieb, das Buch zu
schreiben und zu fragen, welche Wahr-
heit, welche Kritik, welches Versprechen
und welches Versagen sich mit diesem
fremden Namen verbanden.
Man hätte Sie einfach fortschicken
können, aber das ist nicht passiert.
Das haben die Bewohner der Tugenber-
ge nicht gemacht, nein. Sie haben mich
freundlich aufgenommen und zu einem
Menschen gemacht.
Als Sie 1967 in München das Studium
der Ethnologie anfingen, waren Sie
das einzige Erstsemester. Wie das?
Bereits im Semester davor hatte sich
kein einziger neuer Student gefunden.
Die Institutsleitung fürchtete schon,
Ein tröstendes Licht in Dunkelheit
J
Die Musik-Jubilare des Jahres heißen Josquin Desprez und Michael Praetorius. Ihre Vokalmusik ist uns fern – und gerade deswegen genau das, was wir jetzt brauchen
ubiläen, Gedenktage feiert man,
wie sie fallen. Nicht immer begibt
es sich wie in diesem Jahr: Dass
zwei große Musiker, die uns wie ferne
Schatten erscheinen, weil sie vor 500,
respektive 400 Jahren gestorben sind,
uns auch heute noch sehr nah sind. Jos-
quin Desprez heißt der eine, Michael
Praetorius der andere. Irgendwie ewig-
lich tönt ihre Musik, weiträumig, ruhig,
in langen Bögen sich verschlingender
Stimmen. Trägt die auf sich selbst zu-
rückgefallenen, nach innen hörenden,
nach Kontemplativem suchenden Men-
schen durchs Corona-Jahr 2021.
VON MANUEL BRUG
Es ist Vokalmusik, die älteste Musik
überhaupt. Den menschlichen Körper
leiht sie sich als Instrument: Die
Stimmbänder sind die Erzeuger, der
Kopf ist der Resonanzraum, die Lunge
der Blasebalg. Mehrere Menschen ge-
ben singend diesen vom Wind der Ge-
schichte verwehten Manifesten zudem
mehr Größe, Fülle, Komplexität, Wür-
de, Überzeugungskraft. Dann aber wird
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SEITE 21
Objekte
des
Teufels
Radikale Christen in Afrika
lehnen ihre vorchristliche
Vergangenheit als
„satanisch“ ab, sagt die
Ethnologin Heike Behrend.
Was bedeutet das für die
geplante Rückgabe von
Kulturgegenständen?
Heike Behrend, Jahrgang 1947 (o.).
Lange vor der inversen Ethnografie: eine
Schulklasse mit lebensgroßen Pygmäen-Puppen
im Berliner Völkerkundemuseum, 1950 (r.)
ANITA BACK
ohne Nachwuchs dazustehen. Das ist
der Ethnologie und der Afrikanistik
auch später immer mal wieder ange-
droht worden – als sogenannte Orchi-
deenfächer einfach geschlossen zu wer-
den. Erst Ende der Siebzigerjahre ex-
pandierte die Ethnologie und wurde ein
Massenfach.
Das Image des Faches ist ja recht
schillernd, es geht um die Ferne und
das Fremde. Warum hat sich 1967 kein
junger Mensch dafür interessiert?
Alles, was man damals für sogenannte
Hochkultur hielt – Indien, Ägypten, Chi-
na oder Japan –, war als Fach gut etab-
liert. Die Gesellschaften aber, die ver-
meintlich nicht hochkultürlich waren,
die, wie es hieß, „ohne Schrift, ohne
Staat und ohne Geschichte“ existierten,
wurden als merkwürdiger Rest angese-
hen und hatten kaum Prestige. Das än-
derte sich erst nach 1968 im Zuge der
Neudefinition der Sozialwissenschaften.
Hat sich das geändert?
Ja, heute wird das anders gesehen und
ist in Form des Orientalismus gründlich
kritisiert worden. Auch gibt es seit etwa
diese so dingliche, deutliche Musik so-
fort abstrakt, obwohl sie dient – weil sie
den Glauben beschwört, den Menschen
der späten Renaissance und der frühen
Barockzeit die Existenz auf Erden leich-
ter machen möchte, indem sie eine hö-
here Macht anruft.
Man mag sie Gott nennen, muss es
aber nicht. Wir können uns einfach nur
von den klaren, wahrhaft harmonischen
Proportionen dieser nach oben, in die
gotischen Kathedralen schwebenden
Töne und ihrer vollkommenen Schön-
heit beeindrucken lassen. Wir können
chillen, werden davongetragen. Es kann
ein akustischer Trip werden – im Na-
men der Himmelskönigin, eines segnen-
den Vaters, eines geopferten Sohnes.
„Josquin ist der noten meister; die
habens müssen machen, wie er wolt.“
So sprach schon Martin Luther voll des
Lobs über den franko-flämischen, na-
türlich katholischen Komponisten und
Sänger, der zwischen 1450 und 1455 ge-
boren wurde und am 27. August 1521 ak-
tenkundig gestorben ist.
Er führte ein wahrhaft europäisches
Leben in Aix-en-Provence, Paris, Mai-
Universitäten
Wie die Cancel Culture
unsere Lehre bestimmt Seite 22
des afrikanischen Kulturerbes. Wie
steht man in Afrika dazu?
Ich kann nicht für Afrika sprechen. Es
kommt wirklich sehr darauf an, wen
man fragt. Bénédicte Savoy hat, soweit
ich das beurteilen kann, vor allem mit
Frauen und Männern in Afrika gespro-
chen, die wohl eher der nach westli-
chem Vorbild geprägten Elite angehö-
ren. Ich dagegen arbeite meistens mit
Leuten zusammen, die dieser sozialen
Schicht nicht angehören. In vielen Re-
gionen Afrikas hat, darüber schreibe
ich auch in meinem Buch, ein radikales
christliches Revival stattgefunden,
zum Teil von Kirchen aus den USA be-
einflusst und finanziert. Vor diesem
Hintergrund wurde auch das Verhält-
nis zur eigenen Tradition neu definiert
und radikalisiert. Tatsächlich lehnen
viele dieser Christen die eigenen Tradi-
tionen als „satanisch“ ab. Das gilt auch
für die Objekte, die sie mit diesen Tra-
ditionen verbinden.
Viele Objekte, die in Afrika und bei
uns in den ethnologischen Museen zu
finden sind, würden sich nicht unbe-
dingt einer Wertschätzung erfreuen,
im Gegenteil, sie würden als Objekte
des Teufels abgelehnt. Es hat zum Bei-
spiel in Uganda zahlreiche ikonoklasti-
sche christliche Bewegungen gegeben,
die die Objekte, die sie mit der eigenen
Tradition in Verbindung brachten, öf-
fentlich verbrannt haben. Darüber be-
richte ich auch in meinem Buch.
Es geht auch darum, in Afrika Institu-
tionen zu schaffen, die dieses Erbe
bewahren können. Die Frage wäre
dann, wer dahinter steht.
Ich kann mir vorstellen, dass in einigen
Jahrzehnten das christliche Revival in
BPK / KARL ARTHUR PETRASCHK/
vielen Regionen Afrikas an seine Gren-
zen stoßen wird, dass ein Diskurswech-
sel stattfindet und eine neue, andere
Hinwendung zu dem, was dann unter
den eigenen Traditionen verstanden
wird, propagiert wird. Und dann wäre es
umso wichtiger, in welchem institutio-
nellen Rahmen auch immer, auf diese
Objekte und das mit ihnen verbundene
1960 eine afrikanische Geschichtswis- fen, und diese – das ist ein wichtiger Lips und Hans Himmelheber bis hin zu Wissen zurückgreifen zu können.
senschaft, die zeigen konnte, wie be- Punkt, an dem sich die deutsche Ethno- Michael Harbsmeier und Fritz Kramer
wegt und nicht statisch die Geschichte logie von Engländern und Franzosen auf je unterschiedliche Weise aufge- Wenn ich von Berlin in ein kleines, mir
auf dem Kontinent verlaufen ist und wie unterscheidet – wurden historisiert. Die nommen. Und auch mein Buch steht in fremdes Dorf nach Bayern ziehen und
stark sie seit vielen Jahrhunderten mit Franzosen mit ihrem Strukturalismus dieser Tradition. Aber diese Tradition aufschreiben würde, wie die Men-
dem Westen verflochten ist. und die Briten mit ihrem Funktionalis- findet sich auch in Frankreich bei Mon- schen dort arbeiten, leben, Hochzeit
mus haben dagegen auf die Rekonstruk- tesquieu, Michel Leiris und Jean Rouch. feiern, was sie essen und erzählen, wä-
Horst Bredekamp schrieb in einem tion von Geschichte verzichtet. re das dann auch schon Ethnologie?
kontroversen Beitrag in der „Frank- Die Institutionen, die solche For- Ja, wenn Sie am Leben der Bayern teil-
furter Allgemeinen“, die deutsche Und die Deutschen nicht? schung betrieben, waren europäische, nehmen würden. Was die Ethnologie
Ethnologie sei antikolonial orientiert Es ist nicht unproblematisch, von natio- westliche Erfindungen. Müssen wir auszeichnet, ist ihre Methode, die darin
gewesen sei, wobei er sich vor allem nalen Ethnologien zu sprechen, obwohl die damals gesammelten Artefakte besteht, dass man vor Ort mit den Men-
auf Franz Boas bezog. Stimmt das? ich das eben gerade getan habe. Denn es nun an die Kulturen zurückgeben, die schen zusammenlebt und versucht, ihre
Je nachdem, wann man den Anfang der gab zum Beispiel zwischen den Vertre- sie hervorgebracht haben? Perspektive kennenzulernen. Das heißt
deutschen Ethnologie setzt, ob bei Her- tern der britischen Sozialanthropologie Sie suggerieren, in Afrika habe es keine auch, dass man seine eigene zumindest
der, bei Franz Boas oder nach dem Ers- und deutschen Ethnologen intensiven Museen gegeben. Aber unsere eigenen ein Stück weit aufgibt. Sie haben ja ge-
ten Weltkrieg, kann man unterschiedli- Austausch, Verflechtungen und Diskus- Museen gehen ja zurück auf Kuriositäten- sagt, dass Ihnen ein bayerisches Dorf
che Orientierungen feststellen. Da- sionen und neben den Vertretern der kabinette – und das Pendant dazu finden fremd vorkommt. Genau da würde die
durch, dass Deutschland nach dem Ers- Kulturkreislehre gab es in Deutschland wir auch in Afrika. Es gab diverse Kulte, Ethnografie ansetzen, indem sie die
ten Weltkrieg die Kolonien verlor, auch Vertreter eines eher britischen und auf den Altären dieser Kulte wurden Fremdheit instrumentalisiert und zu ei-
konnte sich hier eine Ethnologie he- Funktionalismus. Was ich aber hervor- alle möglichen Seltsamkeiten, eben Ku- nem Mittel der Erkenntnis werden
rausbilden, die lange Zeit als Museums- heben möchte, ist die Tradition der in- riositäten, gesammelt und ausgestellt, al- lässt. Und zwar der wechselseitigen.
ethnologie bezeichnet worden ist. Sie versen Ethnografie, die Umkehrung der lerdings in einem kultischen Rahmen, Aber Sie brauchen gar nicht nach Bay-
hat sich weniger auf Feldforschung und Perspektive, die den Beobachter und während die Kuriositätenkabinette sich ern zu ziehen. Die neuere Ethnologie
dafür mehr auf die Objekte gestützt, die Ethnografen zum Objekt der Beobach- eher säkular gaben. Aber auf beiden Sei- hat mittlerweile ihr Terrain auf Wissen-
bereits gesammelt, gekauft oder gestoh- tung der Ethnografierten macht. Diese ten handelt es sich um Sammlungen. schaftler im Labor ausgedehnt; diese
len worden waren und in den Museen Tradition findet sich bereits angelegt Frauen und Männer sind die neuen Wil-
lagerten. Mithilfe dieser Objekte wur- bei Herder, sie findet sich begrenzt auch Die Kunsthistorikerin Bénédicte Sa- den, die in ihren Interaktionen mit Ap-
den sogenannte Kulturkreise entwor- bei Franz Boas; und sie wird von Julius voy fordert vehement die Restitution paraten beobachtet werden.
land, Rom, Ferrara, vielleicht Burgund. Die Gleichzeitigkeit dieser Musik, das und Höfen in Mitteldeutschland. Er scheinen zu verharren, die des jüngeren
Sein beachtliches Werk umfasst 19 voll- Ferne und das Unmittelbare, der Spie- führte ein Leben, das mehr im Jetzt ver- Praetorius haben mehr drängende
ständige Messen, einzelne Ordinari- gel als Brunnen der Vergangenheit, in ankert war, mit den Belangen des tägli- Energie und Frische, sie attackieren,
umssätze, 90 Motetten, 70 weltliche den wir blicken und doch – verschwom- chen Lebens zu tun hatte. Praetorius, springen den Hörenden auch mal an.
Werke und ein paar Instrumentalstü- men zwar, in der Renaissance eben – wie Desprez ein selbstbewusst Kreati- „Lux in tenebris“ – „Licht im Dunkel“
cke. Desprez wurde jahrelang als Sänger uns selbst, zumindest unsere Empfin- ver, der auf seine Wertigkeit pochte, – ihrer Zeit. So wollten beiden ihre Welt
der päpstlichen Kapelle geführt. Wer dungen und Empathien erblicken, das auch anecken konnte, hinterließ eine erfahr- und aushaltbar machen. Natür-
das Glück hat, auf die Sängerkanzel der macht diese Klänge so relevant. Michael große Zahl an Kirchenkompositionen lich komponierten sie höchst unter-
Sixtina zu dürfen, kann dort seinen Praetorius, am 15. Februar 1571 bei Ei- vielfältiger Art, weltliche Tänze sowie schiedlich, aber für uns sehr spät gebo-
(von ihm?) in die Wand geritzten Na- senach geboren, am gleichen Tag 50 musikwissenschaftliche Schriften. Im rene Hörer ist ihre Musik durchaus ähn-
men streicheln. Jahre später in Wolfenbüttel gestorben, evangelischen Gesangbuch finden sich lich. Schon weil beide extrem aus dem
Josquin Desprez, der Abstrakte, wie wirkte als Komponist, Organist, Hofka- acht seiner Stücke, am berühmtesten Wort schöpfen, dieses faltenfrei und oh-
später auch Expressive, der Könner der pellmeister und Gelehrter an Bistümern wurde sein vierstimmiger Satz von „Es ne überflüssige Ausschmückung auch
kombinatorischen und schmückenden ist ein Ros entsprungen“. tönend Bedeutung werden lassen. Die
Kontrapunktik, er ist eine fremde Grö- Während der ältere Desprez strenger, Musik dient nicht dem Text, meißelt ihn
ße. Oft melancholisch oder elegisch. schlanker, monodischer in der Anlage kontraststärker aus. Genauso ließen sie
Trotzdem umhüllt uns seine Musik anmutet, schöpft Praetorius aus der komplizierten Melismen und altertüm-
tröstlich, beruhigt, ist uns nah. Er war Fülle der Polyphonie. Da ranken und liche Kadenzen hinter sich. Ihre Musik
einer der ersten Musiker, dessen Ruhm sprießen bis zu 20 Stimmen zu einem ist selbst für uns der pure Schönklang.
bereits zu Lebzeiten so groß war und immer dichteren, immer durchhörba- Vielleicht ist es gerade der zeitliche
auch noch über seinen Tod hinaushall- ren Tonflechtwerk, beeinflusst von der Abstand zu dieser Musik, der uns das
te, dass seine Werke posthum weiterhin damals klangangebenden italienischen großartig artifizielle, trotzdem unmit-
gedruckt wurden. Sein Werk ist Basis Manier. Obwohl er Deutschland nie ver- telbar berührende Element ihrer Ver-
der abendländischen Musik. Auf dem Purer Schönklang: lassen hat, war er universal gebildet, fasstheit stärker erfahren lässt. Der uns
Fundament dieser kunstvoll sich ver- Michael Praetorius (l.) nutzte die Kommunikationswege seiner zur Konzentration zwingt, zum medita-
zweigenden Polyphonie konnte sie und Josquin Desprez Zeit, um die tonangebenden Kollegen tiven Schweifen bringt. Das ist in Pan-
wunderbar kreativ erblühen und viele aus dem Süden wenigstens in ihren No- demiezeiten und Passionstagen etwas
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gehaltvolle Früchte tragen. FINE ART IMAGES/HERITAGE IMAGES/GETTY IMAGES ten zu studieren. Die Gesänge Deprez‘ sehr Starkes und Schönes.
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22 FEUILLETON
E
s war das Jahr noch vor der
Corona-Krise. Die Jahres-
versammlung der Modern
Language Association, bei
der sich alles trifft, was in
Nordamerika zu Fragen von Literatur
und Kultur arbeitet, fand in jenen idyl-
lischen Zeiten physisch statt. Ich war für
ein Panel zu mittelalterlicher Literatur
registriert.
Ein Kollege aus Deutschland trug vor
zur „Divina Commedia“. Er ging auf ei-
ne Stelle aus dem Purgatorium ein, an
der ein Marmorfries mit prominenten
Figuren aus Bibel, Geschichte und My-
thos beschrieben wird. Eher en passant
erwähnte er, dass die christlichen Kul-
turen aus den bekannten Gründen kein
Bilderverbot kennen. Im Unterschied
zu den zwei anderen Monotheismen
hätten sie deshalb die antike Praxis der
bildlichen Darstellung von Menschen
und Göttern weiterzuführen vermocht.
Die Diskussion nach dem Vortrag
plätscherte träge dahin. Dann meldete
sich eine junge Teilnehmerin, die ein
Kopftuch trug. Mit erregter Stimme
SCHWEIGEN
klagte sie den Vortragenden der Islamo-
phobie und des Rassismus an: Der Islam
kenne sehr wohl die mimetische Dar-
stellung von Menschen. Als Beleg nann-
NICHTSCHWEIGEN,
te sie Zeichnungen, die man in einer
Höhle in Jordanien gefunden habe und
die jetzt in einem Museum in Amman
zu sehen seien. Der Vortragende blieb
freundlich, entschuldigte sich vage und
beließ es bei einer irenischen Formel:
Gewiss gebe es auch im Islam hier und
da figürliche Malerei. Die anwesenden
Prominenzen aus den umliegenden Ivy-
League-Universitäten lächelten ein we-
nig und schwiegen, klopften dem deut-
schen Kollegen hinterher anerkennend
auf die Schulter. Er habe sich den Fol-
gen des unverhofften „Stichs ins Wes-
pennest“, wie einer es formulierte, doch
ganz gut entzogen. Auch ich habe da-
mals nichts gesagt.
Mittlerweile sind die Dinge krasser
geworden: Schweigen oder nicht
schweigen, das ist hier die Frage. Wir
wissen nicht so recht, wer der Autor des
Stücks war, auf den hier angespielt wird.
Aber vermutlich war er weiß, männlich
und über das Greta- und Luisa-Alter hi-
naus, als er seine Stücke schrieb. Und
was hat er sich nicht alles zusammen-
konstruiert – Frauen, die einen Abgrund
an Boshaftigkeit, ja, Mordlust repräsen-
tieren, wie etwa Lady Macbeth. Und zu
allem anderen, das hier aufzuführen zu
weit führte – einen Schwarzen, der ganz
und gar aus dem Gefühl heraus agiert
und dann tötet, gar eine Frau.
Das geht gar nicht! (Wie man heutzu-
tage sagt.) Zum Ersten sind Gefühle et-
was Wunderbares und viel besser als die
irgendwie immer patriarchalisch infi-
zierte Vernunft. Zum Zweiten sind
Schwarze Opfer und nicht Täter. Zum
Dritten sind schlimme Dinge wie Femi-
zid eine verbreitete Freizeitbeschäfti-
gung weißer Männer. Und selbst wenn
man diesen krassen Rassismus-plus-Lo-
gozentrismus für den Moment tolerier-
te, wie sollte man einen Othello beset-
zen, heute? Ein Weißer, gar ein Mann,
am Ende noch binär, blackened, mit ei-
nem Löffel schwarzer Schuhcreme.
Andererseits: Darf man die durch den
Rassismus bedingte pekuniäre Not von
PoC-Personen nutzen, um sie/ihn/es
dazu zu bringen, auf der Bühne jeman-
den zu spielen, der ein rassistisches
Bild von PoC-Männern suggeriert, das
heißt, von Menschen, die doch allesamt
und immer unschuldig sind, wie uns
„Black Lives Matter“ gelehrt hat? Ein
Intendant, der sich daranmachte, derar-
tige Fragen in der einen oder anderen
Richtung zu beantworten, handelte sich
ärgste Probleme ein. Unter derartigen
Auspizien ist es das Beste, Stücke dieser
Art zu canceln. Und da ja immer alle das
Gute wollen, tauchen solche Machwer-
ke dann auch weniger und weniger auf
den Spielplänen auf.
Selbst liberale, ja, diskret subversive
Geister sitzen inzwischen auf der An-
klagebank. Wenn Cervantes eine wun-
derbare Geschichte schreibt wie „El
Cautivo“, die unter anderem von einer
jungen Frau handelt, die ein besonders
inbrünstiges Christentum praktiziert
und aus dieser Haltung heraus Dinge
tut, die moralisch problematisch sind,
ist dies, rebus sic stantibus, nicht mehr
akzeptabel. Denn mag auch der Autor
damit einst ein Zeichen gesetzt haben
gegen die rigoristische Variante des
Christentum, die in Spanien herrschte,
so würde eine Lektüre der Geschichte
heute unvermeidlich als verdeckte und
insofern besonders boshafte Anprange-
rung anderweitiger religiöser Funda-
mentalismen gesehen werden müssen.
Zudem ist die inbrünstige Christin bei
Cervantes eine islamische Konvertitin –
da wäre er wieder, der unverbesserliche
Rassismus-plus-Sexismus der alten
weißen Männer.
Naheliegenderweise schlägt der Rigo-
rismus auch dieser neuen Aufklärung
recht nachhaltig in Gegenaufklärung
um. Ein Zeitgenosse von Cervantes, Cal-
derón, heute weithin vergessen, noch
von Goethe ( ja, gewiß, alt, weiß, männ-
lich) als Gipfel der Weltliteratur geprie-
sen, hat Stücke geschrieben, an deren
Ende die weiblichen Hauptfiguren blu-
tig ums Leben gebracht werden. Ihr Ver-
gehen ist sexuelle Untreue, oder auch
nur das Erregen eines entsprechenden
Verdachts. Den Exekutoren (zumeist die
Ehemänner) fällt dies nicht leicht, aber
sie tun es dann doch – Ehrenmorde, eine
Vergewaltigung des gesamten weibli-
chen Geschlechts mithin.
„Canceln“ heißt das Urteil. Nur ver-
gibt man damit die Chance, in den heu-
tigen, erregten religionspolitischen De-
batten an durchaus faszinierenden Bei-
spielen zu demonstrieren, dass Ehren-
morde nichts organisch mit dem Islam
Verbundenes sind oder dass sie gar in
den Genen von Männern mit betreffen-
der Herkunft angelegt wären. Sie gehö-
ren zum Patriarchat, bis ins Sizilien und
Andalusien der 70er-Jahre des 20. Jahr-
hunderts, und damit auch zu unserer
europäischen Vergangenheit. Die wirk-
liche Frage ist mithin, ob wir wollen,
dass sich derartige Strukturen auf dem
Umweg über den Multikulturalismus
hier wieder Raum schaffen oder nicht.
Ideologische Volten wie die beschrie-
benen – oder noch verschrobenere – be-
herrschen mittlerweile die akademi-
sche Szene, in den USA, in Großbritan-
nien, in Frankreich und auch hierzulan-
de. Jetzt aber regt sich plötzlich lauter
Widerstand, bis weit in Milieus hinein,
die sich seit einigen Jahren als linksli-
beral affichieren und die doch nichts
anderes sind als die mit einem der drei
betreffenden Parteibücher ausgestatte-
te Kader-Linke.
Die Betreffenden haben über Jahr-
zehnte hinweg dafür gesorgt, dass es
kaum eine Ausschreibung in den geis-
tes- und sozialwissenschaftlichen Dis-
ziplinen gab, in der nicht Gender oder
Postkolonialismus oder beides vorkam,
und sich im Glanz ihrer Fortschrittlich-
keit gesonnt. Nunmehr sehen sie mit
Entsetzen, wie die von ihnen Installier-
ten sie vor sich hertreiben. Sie fürch-
ten, zu Recht, dass ein zweites Mal ge-
schieht, was schon nach der ersten lin-
ken Umwälzung, der des Roten Okto-
ber, geschah: Die (Kultur-)Revolution
frisst ihre Kinder.
Wie konnte es dazu kommen, dass
sich das Territorium der heutigen kul-
turellen Debatten zu einem Echoraum
des puren Irrsinns entwickelt hat? Es
gibt politische Megatrends mit langer
Vorgeschichte, die hier konditionierend
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
sind. Mit dem Christentum ist der Ge- Association: Das Schweigen der Ver- eller Herablassung. Sie war es uns alten,
danke universeller Gleichheit in die nünftigen war gewiss zum Gutteil ha- weißen Männern nicht wert, mit ihr zu
Welt gekommen – ein Gedanke, der, senfüßige Feigheit – warum soll man diskutieren und dabei unseren ruhigen
trotz Nietzsche, für sich genommen zu- sich Schwierigkeiten aufhalsen? Solcher Schlaf zu riskieren. Unsere höfliche To-
nächst einiges für sich hat. Als im 18. Opportunismus blüht eben unter alten leranz war letztlich Missachtung.
Jahrhundert der Glaube an die wörtli- weißen Männern (und Frauen), die die Die junge Frau hätte es verdient ge-
che Wahrheit der Bibel schwand und wirklich harten Zeiten allesamt nur aus habt zu hören, dass die Malereien, von
der industriell produzierte diesseitige Büchern und Erzählungen kennen. denen sie sprach, vermutlich aus der
Fortschritt einsetzte, wurde die Vor- Und wenn die Duckmäuserei in den präislamischen Zeit stammen. Dass der
stellung einer Rückkehr ins verlorene USA noch weiter verbreitet ist als in Islam, wie auch das Christentum, vieles,
Paradies säkular. Europa, so liegt dies vermutlich daran, aber eben nicht alles zerstört hat, was
Nach einigen Geburtswehen war der dass die Dekadenz in der dortigen intel- vorher war. Dass alle großen Religionen
Marxismus geboren, 1917 gelang es per lektuellen Schicht stärker ausgeprägt liberale und rigoristische Phasen erle-
Staatsstreich, den Gedanken in die ist als hier. Plausiblerweise. Das Leben ben. Dass der Rigorismus, gleich ob
Wirklichkeit zu zwingen. Nach dem von eines Ivy-League-Professors ist so christlicher, islamischer oder sonstiger
rechtsaußen gestarteten, gründlich ge- komfortabel wie es das Leben eines Provenienz, immer und überall unter
scheiterten Versuch, das kommunisti- deutschen Großordinarius vor 1933 war. Kontrolle gehalten, ja, kleingehalten
sche System mit Waffengewalt zu besei- Das US-Bildungssystem hat die vielen werden muss. Und schließlich, dass die
tigen, breitete es sich über die halbe unzähligen Nivellierungskampagnen islamischen Kulturen ihren bildneri-
Welt aus. Die Erfolge danach aber blie- nicht erlebt, die diverse mit dem Eti- schen Formwillen, der sich nicht im Mi-
ben mäßig. Es drohte Stagnation. Erst kett „sozial“ ausgestattete Parteien metischen ausagieren konnte, durch die
mit Kuba, dann mit diversen Eskapaden hierzulande durchexerziert haben. Erfindung der Arabeske fruchtbar ge-
auf dem lateinamerikanischen Festland Nun, man mag den vielverschrienen macht haben, zu sehen an gestalterisch
versuchte man, die Revolution von der Älteren vielleicht durchaus nachsehen, wunderbaren Moscheewänden weltweit.
Peripherie her in die Metropolen zu tra- wenn sie den Ruhestand genießen und Gut möglich, dass die Betreffende
gen. Auch das misslang gründlich. sich nicht (mehr) in die Arena der Aus- uns böse beschimpft hätte, wenn wir
Nach dem Scheitern einer schlei- einandersetzungen begeben wollen. ihr so oder ähnlich geantwortet hätten,
chenden kommunistischen Machter- Ethisch freilich ist derartiges nicht. Der anstatt ihr überhaupt nicht zu antwor-
greifung 1973 in Chile stellte der für In- Kern des Ethischen, also des regulären, ten. Das muss man dann aushalten. Ei-
ternationales zuständige sowjetische dem Selbst und der Gemeinschaft zu- ner hiesigen jungen Dame, die über
Chefideologe Boris Nikolajewitsch Po- träglichen Handelns, besteht unter an- portugiesisch-französische Literatur
o
d
e
r
nomarjow die Diagnose, die Linke kön-
ne in entwickelten Gesellschaften die
Macht nicht erobern, wenn sie nicht zu-
derem darin, die Dinge, die man – vom
Schicksal, vom Zufall, vom lieben Gott –
bekommen hat, um ein erträgliches, in
das im subsaharischen Afrika promoviert,
musste ich neulich sagen, dass ich ihre
Ansicht nicht teile, der Völkermord im
ist
vor die Diskurshoheit, vulgo: die Me- Momenten glückliches und gelungenes Ruanda der 90er-Jahre sei Konsequenz
dien und die Universitäten, erobert ha- Leben führen zu können, den künftigen des erst von den Europäern dort im-
be. Theoretisch vorgedacht hatte dies Generationen nicht vorzuenthalten. plantierten Rassismus und der generel-
Antonio Gramsci, das heißt eine weni- In dieser Hinsicht ruht auf meiner len Tendenz zur Gewalt, die sie im Ge-
ger anrüchige Figur als der Moskauer Generation noch eine gewaltige Bring- päck gehabt hätten. Wir sprachen dann
hier
Ideologieverantwortliche. Dies machte schuld. Es gab auch in den 60er- und über Bartolomé de las Casas’ und Rous-
es der westlichen Linken möglich, das 70er-Jahren viel Unrast an den Univer- seaus Idee vom „guten Wilden“ einer-
Programm der Eroberung des Über- sitäten. Unsere akademischen Lehrer seits, über die christliche Anthropolo-
baus, die Inversion des klassischen Mar- haben uns viel Freiheiten gelassen. gie andererseits, die uns lehren könnte
xismus, zu übernehmen. Aber sie haben eben auch mit uns dis- – was heutige Priester und Pfarrer
die
Nicht in Moskau, wo man letztlich kutiert und nicht nur verlegen lächelnd nicht mehr tun –, dass alle Menschen
doch bis zum Schluss konservativ blieb, zu Boden geschaut, wenn wir mit nicht den Hang zum Bösen haben.
sondern in den westlichen Metropolen weniger Verve und Überzeugung als die Das Gespräch war anregend. Es ver-
wurde dieser Gedanke um die zweite heutigen Aktivistinnen und Aktivisten lief zivilisiert. Aber überzeugt habe ich
Frage
Komponente ergänzt, die nötig war, um den damaligen (kultur-) revolutionären die Doktorandin nicht. Sie sagt jetzt
ihn zum Zünden zu bringen: Entgegen Mainstream in die Seminare und Voll- über mich, ich sei ein alter Reaktionär,
den Prognosen von Marx und Lenin versammlungen trugen. ansonsten aber ganz okay. Nun, nichts
wuchs das Proletariat im Zuge der kapi- Respektvoll, aber deutlich haben sie anderes habe ich einst über Hans
talistischen Monopolbildung nicht ste- uns auf die gedanklichen Schwächen Mommsen und andere Illustre aus jener
tig an. Im Gegenteil: Das alte, histori- hingewiesen, die in den auf den ersten Zeit gesagt. Auch bei mir hat es ein we-
sche Subjekt war zunehmend schwind- Blick so gut konstruierten Thesen ent- nig gedauert, bis mein Denken von der
Als Professor habe
süchtig geworden. Substituiert wurde halten waren. Mit den reichlich er- ideologischen Schwärmerei bis zur ru-
es durch die Subalternen jeglichen Pro- wachsenen Ideologen, die uns anleite- dimentären Vernunft vorgedrungen
ich jahrelang erlebt,
fils: Bürger von ehemaligen Kolonien, ten, gingen sie weniger schonend um. war. Aber ist nicht heute doch manches
PoC aller Schattierungen, Frauen, se- Die wurden auch öffentlich angepran- anders? Riskiert man nicht zu enden
was Cancel Culture
xuelle Minderheiten und so weiter. Der gert, als totalitäre Verführer. Und wenn wie jener arme Lehrer aus dem Pariser
bedeuten kann:
Gewährsmann war hier der auf Martini- die Frage physischer Gewaltausübung Vorort, dem man den Kopf abgeschnit-
que geborene Aktivist und Publizist ins Spiel kam, kannten die damaligen ten hat wegen seines Unwillens, das
empörte Studierende,
Frantz Fanon, die Ausarbeitung über- Älteren kein Pardon. Studentenpfarrer, Kulturgut der Karikatur canceln zu las-
nahmen die Propagandisten des Post- die Sprengstoff horteten, wurden ange- sen – eine Kunstform, von der Michail
ängstliche Dozenten.
kolonialismus. zeigt. Zu Formeln wie „Defund the Po- Bachtin sagt, sie sei grundlegend für ei-
Was entschlossene Minderheiten – lice“ hätten sie nicht geschwiegen, oder ne freiheitliche Kultur? Erinnert sei da-
Macht die
und sei ihr Programm letztlich noch so ihnen gar aus Opportunismus heraus ran, dass es auch in den 70er- und 80er-
konfus – anrichten können, wenn die applaudiert. Jahren unschuldige Opfer der ideologi-
akademische
vernünftige Mehrheit sie gewähren „Irgendwann wirst du noch einmal schen Kämpfe gegeben hat.
Welt gerade eine
lässt, ermisst man mit einem Blick auf ein richtig guter Sozialdemokrat.“ Dies Zumal Alfred Herrhausen liebte es,
das Moskau des Jahres 1917. Die ent- war Hans Mommsens Schlussformel, mit engagierten jungen Leuten zu dis-
Kulturrevolution
scheidende Frage ist dann aber: Warum wenn er mal wieder seine knappe Zeit kutieren, deren Ideen er vermutlich
lässt die vernünftige Mehrheit die radi- investiert hatte, um mir zu demons- recht genau so beurteilte, wie ich heute
durch?
kale Minderheit gewähren? Und was trieren, dass Rosa Luxemburg den fal- die der Cancel-Rollbrigaden: subjektiv
könnte sie, die vernünftige Mehrheit, schen Weg gegangen war, den ich da- verständlich, aber beyond reason. Die
Von Joachim Küpper
stattdessen tun? Was könnte sie bewah- mals für den richtigen hielt. Aus mir Drohung, die über den Häuptern der da-
ren vor hamletischer Prokrastination und der Sozialdemokratie ist nichts ge- maligen Arrivierten schwebte, hat diese
zum einen, dem Sprung andererseits worden, aber Mommsen hat es mir aber nicht davon abgehalten, der nach-
ins wilde, unbedachte, hamletische Auf- nachgesehen. Und vermutlich meinte wachsenden Generation zu geben, was
räumen mit denen, die die Macht an er seine versöhnliche Formel auch gar jede nachwachsende Generation ver-
sich reißen wollen? nicht im Sinne des Parteipolitischen, dient: Aufmerksamkeit, Hingucken,
Das letztere ist ja nicht besser als das sondern im Sinne der Erkenntnis, dass Diskutieren, gegebenenfalls deutlich
erstere. Am Ende sind dann alle tot, die allzu viel skeptische Skrupulosität und Einspruch erheben. Und eben nicht nur
in den (culture) wars so oder so agiert quasiaristokratische Zurückhaltung ge- opportunistische Zustimmung oder
haben. Und ob man die Überlebenden nau so ruinös sind wie spontaner Ak- höfliches Wegschauen.
beneiden sollte? Der neue Herrscher tionismus, wenn es um Politisches im
käme in unseren Zeiten nicht aus einem weiteren Sinne geht. T Joachim Küpper, Jahrgang 1952,
friedfertigen Land wie Norwegen. Er Was heißt das nun konkret? Die abs- ist Professor für Romanische Philologie
wäre wohl ein Kalif aus dem Irak, ein trakten Überlegungen für sich genom- und Allgemeine und Vergleichende
Mullah aus dem Iran, oder ein Statthal- men führen ja zu nichts. Der Kopftuch- Literaturwissenschaft an der Freien
ter von Xi Jinping. trägerin von der MLA Convention etwa Universität Berlin und Autor von u.a.
Nochmals zurück zu der eingangs er- hätte man durchaus etwas entgegnen „Dimensionen ästhetischer Erfahrung“
wähnten MLA Convention, der Jahres- müssen. Ihre Ausführungen schweigend (Hrsg. zusammen mit Christoph
versammlung der Modern Language stehen zu lassen, war ein Akt intellektu- Menke, Suhrkamp).
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 DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
RÄTSEL UND SUDOKU
ARD
5.30 ¥ g ZDF-MoMa 9.00 Tagess. 9.05
¥ g Live nach Neun 9.55 ¥ g Ver-
rückt nach Meer 10.45 Meister des All-
tags 11.15 ¥ g Wer weiß denn sowas?
Show 12.00 Tagesschau 12.15 ¥ g
ARD-Buffet Magazin 13.00 ¥ g ARD-
Mittagsmagazin Mit Tagesschau
14.00 ¥ g Tagesschau Mit Wetter
14.10 ¥ g Rote Rosen Telenovela
15.00 ¥ g Tagesschau Mit Wetter
15.10 Sturm der Liebe Telenovela
16.00 ¥ g Tagesschau
16.10 ¥ g Das Quiz mit Jörg Pilawa
17.00 ¥ g Tagesschau
17.15 ¥ Brisant Magazin
18.00 ¥ g Wer weiß denn sowas?
18.50 ¥ g WaPo Berlin
19.45 ¥ Wissen vor acht – Natur
19.50 ¥ g Wetter / Börse
19.55 ¥ g Börse vor acht
20.00 ¥ g Tagesschau
20.15 ¥ Um Himmels Willen Serie
Abflug. Mit Janina Hartwig
21.00 ¥ In aller Freundschaft Arzt-
Serie. Wennschon – dennschon
21.45 ¥ g Report München extra
Magazin. Eichmann und sein
geheimer Komplize
22.15 ¥ Tagesthemen
22.50 ¥ g Club 1 Talk. Gäste: Olaf
Schubert, Wolfgang Grupp u. a.
 0.20 ¥ g Nachtmagazin
 0.40 ¥ g Um Himmels Willen
Serie. Abflug (Wh.)
 1.25 ¥ In aller Freundschaft (Wh.)
 2.10 g Tagesschau
PHOENIX
12.00 Terra Mater 13.30 Wildes China
14.15 ¥ Die Geheimnisse der Tudor-
Dynastie 15.00 ¥ Die Geheimnisse der
Tudor-Dynastie 15.45 ¥ Die Geheim-
nisse der Tudor-Dynastie 16.30 ZDF-
History 17.15 Boomtown Bonn – Neu-
er Glanz in alter Hauptstadt 17.30
phoenix der tag 18.00 ZDF.reportage
20.00 Tagesschau 20.15 ¥ Expedition
Europa Dokureihe 21.45 ¥ heute-jour-
nal 22.15 Tatort Einheit – Verbrechen
der Wendezeit 23.00 ZDF-History 1.15
¥ Expedition Europa (Wh.)
STREAMING-TIPP
Outlaw King (Historiendrama) Der os-
carnominierte Regisseur David Macken-
zie („Hell or High Water”) erzählt in sei-
nem aufwendigen Mittelalterspektakel
die Geschichte von Robert The Bruce.
Chris Pine gibt den Lord, der Schottlands
Freiheit von der britischen Krone er-
kämpfte und sich „König der Schotten”
nennen durfte. An seiner Seite ist Aaron
Taylor-Johnson als Roberts engster Mits-
reiter James „The Black” Douglas zu se-
hen, Florence Pugh gibt Roberts Gattin
Elizabeth de Burgh. Netflix
ZDF
5.30 ¥ g ZDF-MoMa 9.00 heute
Xpress 9.05 ¥ g Volle Kanne Magazin.
U. a.: Corona-Update: Infos von Dr. Chris-
toph Specht Patricia Aulitzky 10.30 ¥
Notruf Hafenkante Krimi-Serie 11.15 ¥
g SOKO Stuttgart Krimi-Serie 12.00
heute 12.10 g drehscheibe Magazin
13.00 ¥ g ARD-Mittagsmagazin
14.00 g heute – in Deutschland
14.15 g Die Küchenschlacht Show
15.00 ¥ g heute Xpress
15.05 ¥ g Bares für Rares Magazin
16.00 ¥ g heute – in Europa
16.10 ¥ g Die Rosenheim-Cops
17.00 ¥ g heute
17.10 ¥ g hallo deutschland
17.45 ¥ g Leute heute Magazin
18.00 ¥ g SOKO Hamburg (Wh.)
19.00 ¥ g heute / Wetter
19.25 ¥ g Die Rosenheim-Cops
20.15 ¥ g Die Tricks von Ferrero
Dokumentation. Nutella,
Yogurette & Co. im Check
Mit Sebastian Lege
21.00 ¥ g Frontal 21 Magazin
Moderation: Ilka Brecht
21.45 ¥ g heute-journal
22.15 ¥ g Wisch und weg
Dokumentation. Wie man sich
heute findet und verpasst
22.45 ¥ g Markus Lanz Talkshow
 0.00 g heute journal update
 0.15 ¥ g Deepwater Horizon
Katastrophenfilm (USA 2016)
 1.50 ¥ g Hanna Svensson –
Blutsbande Krimi-Serie
EUROSPORT 1 / SPORT 1
Eurosport: 17.30 Olympische Spiele
18.00 Gewichtheben: EM 19.00 Ge-
wichtheben: EM Herren bis 73 kg. Aus
Moskau (RUS) 20.45 Rad: Baskenland-
Rundfahrt (Wh.) 22.00 Motorsport:
Extreme E 23.10 Gewichtheben: EM
0.00 Rad: Baskenland-Rundfahrt (Wh.)
Sport1: 16.00 Storage Wars 16.30 Die
Drei vom Pfandhaus (Wh.) 17.30 Sto-
rage Hunters (Wh.) 18.30 Storage
Wars (Wh.) 19.30 Sport1 News 20.15
Fantalk Viertelfinale, Hinspiele 23.15
Darts: Premier League 0.00 Scooore!  1972) 0.00 ¥ g Morden im Norden
NDR
14.15 ¥ Gefragt – Gejagt 15.00 ¥ die
nordstory 16.00 ¥ NDR Info 16.10 Mein
Nachmittag 17.00 ¥ NDR Info 17.10 ¥
Seehund, Puma & Co. 18.00 Länderma-
gazine 18.15 ¥ Die Nordreportage
18.45 ¥ DAS! 19.30 Ländermagazine
20.00 ¥ Tagesschau 20.15 ¥ g Visite
Magazin 21.15 ¥ g Panorama – die Re-
porter 21.45 ¥ NDR Info 22.00 ¥ g
Tatort: Borowski und der Fluch der
weißen Möwe TV-Krimi (D 2020) 23.30
Weltbilder 0.00 ¥ g Gestorben wird
morgen Dokumentarfilm (USA/D 2018)
SAT.1
5.30 g Sat.1-Frühstücksfernsehen
10.00 g Im Namen der Gerechtig-
keit – Wir kämpfen für Sie! 11.00 g
Mein dunkles Geheimnis 12.00 g Die
Ruhrpottwache Doku-Soap 13.00 g
Auf Streife – Berlin Doku-Soap
14.00 g Auf Streife Doku-Soap
15.00 g Auf Streife – Die Spezia-
listen Doku-Soap
16.00 g Klinik am Südring
17.00 g Die Ruhrpottwache –
Vermisstenfahnder im
Einsatz Doku-Soap
17.30 g K11 – Die neuen Fälle
18.00 g Buchstaben Battle Show
Gäste: Sabine Heinrich, Sasha,
Torsten Sträter, Janine Kunze /
Joyce Ilg, Bülent Ceylan, Sonja
Zietlow, Guido Cantz
19.55 g Sat.1 Nachrichten
20.15 ¥ g Claudias House of Love
Show. Mit Claudia Obert
Bei der heutigen Love-Challen-
ge „Saufsteg“ müssen die Her-
ren Modebewusstsein bewei-
sen. Jeder darf ein exklusives
Outfit zusammenstellen, wel-
ches er dann auf einem Lauf-
steg präsentieren muss. Als
Belohnung winkt das Date.
22.45 g Promis Privat Doku-Soap
 1.35 Auf Streife – Die Spezialisten
Reporter schauen Beamten
der Polizei, Feuerwehr und des
Zolls über die Schulter.
 3.15 g Auf Streife Doku-Soap
MDR
15.15 ¥ g Gefragt – Gejagt 16.00 ¥ g
MDR um vier 16.30 MDR um vier 17.00
MDR um vier 17.45 ¥ MDR aktuell
18.05 ¥ Wetter 18.10 ¥ Brisant 18.54
Sandmann 19.00 ¥ MDR Regional
19.30 ¥ MDR aktuell 19.50 ¥ g Ein-
fach genial 20.15 ¥ g Umschau 21.00
¥ g Eine Schule für Helden – das
Feuerwehrinstitut Heyrothsberge Do-
ku 21.45 ¥ MDR aktuell 22.10 ¥ g Der
Sputnik-Schock 22.55 ® Polizeiruf 110:
Das Haus an der Bahn TV-Krimi (DDR
WDR
13.55 ¥ g Zoo-Babies 14.20 ¥ g In
aller Freundschaft – Die jungen Ärzte
16.00 WDR aktuell 16.15 Hier und heu-
te 18.00 ¥ WDR aktuell / Lokalzeit
18.15 Servicezeit 18.45 ¥ Aktuelle
Stunde 19.30 Lokalzeit 20.00 ¥ Tages-
schau 20.15 ¥ g Abenteuer Erde
21.00 ¥ g Quarks 21.45 WDR aktuell
22.15 ¥ g Brokenwood – Mord in
Neuseeland: Blutige Verlobung TV-
Krimi (NZ 2016) 23.40 ¥ g Babylon
Berlin 0.40 ¥ g Utta Danella: Mit dir
die Sterne sehen Liebesdrama (D 2008)
TV-PROGRAMM 23
VON STEFAN HEINE
Jede Ziffer von eins bis neun wird in jeder Spalte, jeder Zeile und
in jedem 3x3-Feld genau einmal eingetragen. Das obere Sudoku
ist von mittlerer Schwierigkeit, das Rätsel darunter etwas leichter.
RTL 3SAT ARTE PRO SIEBEN KABEL 1
5.05 g Explosiv 5.30 g Guten Morgen 12.25 ¥ Servicezeit Reportage 12.55 12.15 g Re: (Wh.) 12.50 Arte Journal 5.20 g Galileo 6.20 ¥ g How I Met 5.55 g Navy CIS 6.45 g Navy CIS
Deutschland 8.30 ¥ g GZSZ Soap 9.00 Französische Gartenparadiese 13.25 13.00 Stadt Land Kunst Magazin 13.50 ¥ Your Mother 7.10 ¥ g Two and a Half (Wh.) 7.40 g Navy CIS: New Orleans
Unter uns 9.30 ¥ g Alles was zählt Villengärten in der Toskana 13.35 ¥ g g Die Frau in Gold Drama (GB 2015) Men 8.30 Eine schrecklich nette Fami- 9.25 ¥ g Blue Bloods – Crime Scene
10.00 g Der Blaulicht-Report Doku- Ein Habsburger auf Mallorca Doku 16.00 g Takaya, der einsame Wolf lie Der millionste Besucher 9.00 Eine New York Krimi-Serie 11.05 g Castle
Soap 11.00 g Der Blaulicht-Report 14.30 g Die Jäger des Mittelmee- 16.50 ¥ g X:enius Magazin schrecklich nette Familie Der millionste 13.00 ¥ g The Mentalist
12.00 g Punkt 12 Magazin res: Haie vom Aussterben 17.20 g Begegnung mit den Mee- Besucher 9.25 g 2 Broke Girls 10.20 g 14.50 g Navy CIS Krimi-Serie. Der
14.00 g 110 – Echte Fälle der Polizei bedroht Dokumentation resvölkern Dokumentation. Man with a Plan 11.15 ¥ Scrubs – Die Colonel. Mit Mark Harmon
15.00 g Die Superhändler – 15.20 Unbekanntes Korsika Doku Madagaskar: Die Vezos – No- Anfänger 12.05 ¥ g Young Sheldon 15.50 News
4 Räume, 1 Deal Show 16.15 ¥ Universum Dokureihe maden auf hoher See 13.00 g Last Man Standing Hardliner 16.00 g Navy CIS Krimi-Serie. Fünf
U. a.: Designer Tisch von Peter Azoren – Tanz um den Vulkan / 17.50 g Naturparks in Portugal Hardin 13.25 ¥ g Two and a Half Men Musketiere. Mit Mark Harmon
Ghyczy / Oscar Statue lebens- Die Kanarischen Inseln – Dokumentation. Parque Natu- 14.45 g The Middle Sitcom 16.55 g Abenteuer Leben täglich
groß / Walter Bosse Schlüssel- Im Reich der Feuerberge ral do Sudoeste Alentejano e 15.40 ¥ g The Big Bang Theory Magazin. Der beliebteste
haken / Kirmesgreifer 18.30 g nano Magazin Costa Vicentina / Madeira Das Warteschlangen-Problem / Burger Deutschlands
17.30 g Unter uns Soap 19.00 ¥ g heute 19.20 Arte Journal Die Annäherungs-Versuchung / 17.55 g Mein Lokal, Dein Lokal –
18.00 g Explosiv – Das Magazin 19.20 g Kulturzeit Magazin 19.40 ¥ g Re: Reportagereihe. Die Beischlaf-Vermutung Der Profi kommt Reportage
18.30 Exclusiv – Das Star-Magazin Moderation: Lillian Moschen Designer-Mode aus der Tonne 17.00 g taff Magazin „Mussumer Krug“, Bocholt
18.45 g RTL aktuell 20.00 ¥ g Tagesschau 20.15 g America First – Bilanz ei- 18.00 Newstime 18.55 g Achtung Kontrolle!
19.05 ¥ g Alles was zählt Soap 20.15 ¥ Kommissar Maigret: Die ner Amtszeit Dokumentati- 18.10 ¥ g Die Simpsons Wir kümmern uns drum
19.40 ¥ g Gute Zeiten, schlechte Falle Kriminalfilm (GB/H 2016) onsreihe. Europa muss zahlen / 19.05 g Galileo Magazin Reportagereihe. Security
Zeiten Soap. Mit Ulrike Frank (Forts.: Di., 13. 04., 20.15 Uhr) Unser Feind im Nahen Osten / Moderation: Aiman Abdallah Paffen – nachts in Bonn
20.15 I Can See Your Voice Show 21.40 g kinokino Magazin China überholt uns nicht 20.15 ¥ g Joko & Klaas gegen 20.15 ¥ g Spiel ohne Regeln
Gast: Barbara Schöneberger 22.00 ¥ g ZIB 2 23.15 g Amexica – Grenzwelten ProSieben Show. Mit Joko Actionkomödie (USA 2005)
Jury: Tim Mälzer, Ross Antony, 22.25 g makro Magazin Dokumentarfilm (F 2020) Winterscheidt, Klaas Heufer- Mit Adam Sandler, Chris Rock,
Jorge González, Caroline Maria Der Vormarsch des Sojas Regie: Marie Baronnet Umlauf. Mod.: Steven Gätjen. Nelly. Regie: Peter Segal. Ein
Frier, Thomas Hermanns 22.55 ¥ g Kampf ums Kind –  0.50 Mit offenen Karten Magazin Joko und Klaas spielen gegen Ehemaliger Footballstar soll im
Moderation: Daniel Hartwich Trennung und ihre Folgen  1.05 g Jan Hus (1/2) Historienfilm einen vom Sender benannten Knast aus den Insassen ein
22.15 Mario Barth live! Show. Män- 23.35 Reporter Marco Cortesi tritt ab (CZ 2015) Mit Matej Hádek, Jan Gegner. Im Falle eines Sieges Footballteam zusammenstellen.
ner sind faul, sagen die Frauen  0.10 g 10vor10 Dolanský, Vladimír Javorský erhalten sie von ihrem Arbeit- 22.35 ¥ g Karate Kid Actionfilm
23.15 Täglich frisch geröstet Show  0.40 ¥ Universum Doku (Wh.) Regie: Jirí Svoboda geber 15 Minuten Live-Sende- (USA 1984) Mit Ralph Macchio,
Moderation: Jens Knossalla  3.40 Unbekanntes Korsika (Wh.)  3.10 g Tierisch schlau! Dokureihe zeit zur freien Verfügung. Pat Morita. Regie: John
 0.00 g RTL Nachtjournal 23.05 g Late Night Berlin Show Avildsen, John G. Avildsen
 0.30 ¥ g CSI: New York Krimi-  0.15 g Smyle@Night Show  1.10 ¥ Karate Kid 2 – Entschei-
Serie. Geschöpfe der Nacht /  1.20 g Lost Places Dokureihe  0.20 g Joko gegen Klaas – Das dung in Okinawa Actionfilm
Seine letzte Fahrt / Todesgrü- Der Zerstörer im Fjord / Duell um die Welt Show (USA 1986) Mit Ralph Macchio
ße auf Vinyl / Tiefes Grab  6.00 g Nachrichten Die Beelitzer Heilstätten  3.15 g Spätnachrichten Regie: John G. Avildsen
 3.35 Der Blaulicht-Report (Wh.) 12.45 Börse am Mittag Magazin  2.45 g Spitzenreiter der Tech-  3.20 ¥ Galileo Big Pictures Show  3.05 g Kabel Eins Late News
13.00 Nachrichten auch um 14, 15, nik Dokumentationsreihe
18, 19 und 20 Uhr Kampfflugzeuge
RBB 18.15 Börse am Abend Magazin  3.25 g Carriers at war Dokureihe VOX RTL  ZWEI
Moderation: Dietmar Deffner  4.15 g Air Warriors Dokureihe
12.55 g Landschleicher 13.00 rbb24 18.25 g WELT Drive Magazin. Das 5.05 g CSI: NY 7.20 g CSI: Den Tätern 5.15 g Die Schnäppchenhäuser – Der
13.15 g Gefragt – Gejagt 14.00 g Un- Magazin präsentiert Trends, auf der Spur Krimi-Serie 9.10 ¥ g CSI: Traum vom Eigenheim Doku-Soap 6.00
terwegs im Fläming 14.15 g Sissi – liefert aktuelle Infos rund ums Miami 10.05 ¥ g CSI: Miami Krimi-Se- g Die Schnäppchenhäuser – Der
Die junge Kaiserin Liebesfilm (A 1956) Auto und lässt kompetente Ex- rie 11.55 nachrichten 12.00 g Shop- Traum vom Eigenheim Doku-Soap 7.00
16.00 g rbb24 16.12 g Panda, Gorilla perten zu Wort kommen. ping Queen Doku-Soap 13.00 g Zwi- g Frauentausch 9.00 g Frauen-
& Co. 17.00 rbb24 17.05 g Alles Klara 20.05 g Strip the Cosmos schen Tüll und Tränen Doku-Soap tausch 10.55 g Frauentausch 12.55 g
17.55 Sandmann 18.00 rbb UM6 18.27 Dokumentationsreihe 14.00 g Mein Kind, dein Kind – Zuhause im Glück – Unser Einzug in
zibb 19.30 g Abendschau 20.00 ¥ Ta- Oumuamua – Besuch aus dem Wie erziehst du denn? ein neues Leben Doku-Soap
gesschau 20.15 Geheimnisvolle Orte All / Rätselhafte Schwarze 20.05 Auf Hawaii entdeckten For- Doku-Soap. Maron vs. Shannon 14.55 g Die Schnäppchenhäuser –
21.00 Geheimnisvolle Orte 21.45 rbb24 Löcher / Die zwei Gesichter scher 2017 erstmalig ein interstella- 15.00 g Shopping Queen Der Traum vom Eigenheim
22.15 Chez Krömer 22.45 g Die Florian des Mondes / Die fehlenden res Objekt innerhalb unseres Sonnen- 16.00 g Zwischen Tüll und Tränen Doku-Soap. Alpaka-Alarm im
Schroeder Satireshow 23.30 g Kroy- Monde / Leben auf dem Mars / systems. Sie nannten es Oumuamua 17.00 g Zwischen Tüll und Tränen Schnäppchenhaus!
mann 0.30 Geheimnisvolle Orte (Wh.) Rätsel der Milchstraße „Bote aus vergangener Zeit“. Doku-Soap. U. a.: Heemsen / 15.55 g Die Schnäppchenhäuser –
„Prom Dress“ Der Traum vom Eigenheim
18.00 g First Dates – Ein Tisch 16.55 g RTLZWEI News
HR BR SWR für zwei Doku-Soap 17.00 g RTLZWEI Wetter Magazin
19.00 g Das perfekte Dinner 17.05 g Krass Schule – Die jungen
14.30 ¥ Mensch Mama! Komödie (D 12.40 ¥ Rentnercops 13.30 ¥ Gefragt – 16.00 Aktuell BW 16.05 Kaffee oder Tee Doku-Soap. Tag 1: Martin, Lehrer Doku-Soap
2012) 16.00 hallo hessen 16.45 hessen- Gejagt 14.15 ¥ Aktiv und gesund 14.45 17.00 Aktuell BW 17.05 Kaffee oder Tee Gütersloh / Hauptspeise: Beef 18.05 g Köln 50667 Doku-Soap
schau 17.00 hallo hessen 17.50 ¥ hes- ¥ Australien 15.30 Schnittgut 16.00 ¥ 18.00 ¥ Aktuell BW 18.15 ¥ natürlich! Hammer aus ’m Dopf 19.05 g Berlin – Tag & Nacht
senschau 18.00 Maintower 18.25 ¥ Rundschau 16.15 ¥ Wir in Bayern Magazin 18.45 ¥ Landesschau BW 20.15 g Hot oder Schrott – 20.15 g Armes Deutschland –
Brisant 18.45 ¥ Die Ratgeber 19.15 17.30 ¥ Regional 18.00 ¥ Abendschau 19.30 Aktuell BW 20.00 Tagess. 20.15 ¥ Die Allestester Doku-Soap Deine Kinder Dokumentati-
wetter 19.30 ¥ hessenschau 20.00 ¥ 18.30 ¥ Rundschau 19.00 ¥ Gesund- Marktcheck 21.00 ¥ g Die Ökoche- U. a.: „ARC-NRG Push Up“ onsreihe. Die Zwangsräumung
Tagesschau 20.15 ¥ Der Camping- heit! 19.30 ¥ Dahoam is Dahoam 20.00 cker 21.45 Aktuell BW 22.00 ¥ Freunde 22.15 g Hot oder Schrott – 22.15 g Hartz und herzlich Doku-
Check: Tinyhouse, Bullis & Naturcam- Tagesschau 20.15 ¥ Tatort: Abgründe in der Mäulesmühle 22.30 ¥ g Das Die Allestester Doku-Soap reihe. Rückkehr nach Salzgitter
ping Dokureihe 21.00 ¥ Tobis Urlaubs- TV-Krimi (A 2014) 21.45 Rundschau Gipfeltreffen 23.00 ¥ g Comedy-Bar U. a.: „Men’s Sauna Mask“  0.15 Autopsie – Mysteriöse
trip – Edersee hautnah! 21.45 ¥ Herrli- Mag. 22.00 ¥ Münchner Geschichten 23.30 ¥ g Wie der Südwesten wohnte 23.15 g Hot oder Schrott – Todesfälle Dokumentations-
ches Hessen 22.15 hessenschau 22.30 Serie. Glücksach 22.50 ¥ Traumhäuser Der Traum vom eigenen Heim. Dokufilm Die Allestester Doku-Soap reihe. U. a.: Bis in alle Ewigkeit
® Sabrina Liebesfilm (USA 1954) 0.20 ¥ Dokureihe 23.35 Nachtlinie 0.05 õ (D 2018) 0.15 ¥ g Traumvillen im Süd-  0.10 g vox nachrichten  1.10 g Die Forensiker – Profis
Mensch Mama! Komödie (D 2012) (Wh.) Macelaru dirigiert Strawinsky Konzert westen – Luxus, Glanz und 70 Zimmer  0.30 ¥ g Medical Detectives am Tatort Doku-Soap
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PANORAMA
DIE WELT DIENSTAG, 6. APRIL 2021
KOMPAKT
ROTTERDAM
Fahrerwechsel
bei Tempo 100?
Auf einer Autobahn in den Nieder-
landen hat ein Mann seinen 15-
jährigen Neffen ans Steuer gelassen
– und dann offenbar während der
Fahrt den Platz mit ihm getauscht.
Auf dem Fahrersitz sei zunächst
„ein hübsches Jungengesicht mit
rosigen Wangen“ gesehen worden,
berichtete die Rotterdamer Ver-
kehrspolizei auf Facebook. Nach
der Aufforderung zu folgen, sei der
Wagen zurückgeblieben, aber wenig
später gestoppt worden. „Wir
mussten lachen, denn der Fahrer
war plötzlich um 20 Jahre gealtert
und hatte einen kräftigen Bart
bekommen“, schilderte die Polizei.
Der Onkel sei steif und fest dabei
geblieben, nur er sei gefahren –
selbst dann noch, als ihm Aufnah-
men der Polizei-Dashcam vorge-
führt wurden, die seinen Neffen am
Steuer zeigten.
SYLT
Frau gebärt Sohn
auf Seenotkreuzer
In der Nacht zum Ostersonntag hat
eine 25-jährige Frau auf dem See-
notrettungskreuzer „Pidder Lüng“
einen Sohn zur Welt gebracht. Wie
die Deutsche Gesellschaft zur Ret-
tung Schiffbrüchiger (DGzRS) mit-
teilte, sind Mutter und Kind wohl-
auf. Die Seenotretter waren um 2
Uhr nachts alarmiert worden, um
die Hochschwangere zur Entbin-
dung ans Festland zu bringen. Da-
für reichte die Zeit dann jedoch
nicht mehr aus. Auf Sylt gibt es
zwar einen Hebammen-Notruf,
jedoch keine Geburtsklinik. Eine
der Hebammen begleitete die Mut-
ter bei der Überfahrt.
ZU GUTER LETZT
Weil der normale Übungsort wegen
der Corona-Krise nicht zur Ver-
fügung steht, hat sich die Freiwil-
lige Feuerwehr im schwäbischen
Wemding in einer alten Scheune
eine provisorische Anlage selbst
gebaut. In dem früheren Kuhstall
entstand nach Angaben der Feuer-
wehr eine Übungsstrecke, in dem
die knapp 100 aktiven Mitglieder
der Feuerwehr ihre regelmäßigen
Trainings mit Atemschutzgeräten
absolvieren können.
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DEUTSCHLAND HEUTE
6 Kiel
6 5
Bremen
5 5
-1 0 13
Hannover
6 -2
-1 Münster 6 Nizza
0 Lissabon
5 10
-1 Kassel
Düsseldorf
Köln 2 -2
-3
6 Malaga
-1
Frankfurt
7 5
Saarbrücken 0 17
5
-3
Stuttgart
5
4 -1
Friedrichshafen
5
-2
Nasskaltes Schauerwetter
Heute: Der Himmel zeigt sich wechselnd bis stark bewölkt, und es
kommt verbreitet zu Regen-, Schnee- oder Graupelschauern. Örtlich
entladen sich kurze Gewitter. Es muss mit Glätte gerechnet werden.
Die Temperaturen erreichen minus 2 bis plus 7 Grad. Es weht ein
mäßiger bis frischer, an der Küste starker Wind aus West bis Nord-
west. Dabei treten starke bis stürmische Böen auf.
Biowetter: Die Wetterlage macht besonders rheumakranken Men-
schen zu schaffen. Sie spüren eine Verschlimmerung der Schmerzen
in den Gliedern und Gelenken. Wetterfühlige leiden unter Kopf-
schmerzen. Außerdem werden die Atemwege zurzeit belastet.
VORHERSAGE
Mittwoch Donnerstag
Norden
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S
SEITE 24
ie feilen an jeder Präsentati- dass kaum jemand Reserven hat. Vollge-
Mit diesen Techniken
on so lange, bis sie zu spät stopfte Kalender sind längst ein Mas-
fertig ist, finden sämtliche senphänomen, dass jemand unterplant
Dating-Partner entweder ist, kommt selten vor. Es ist noch nicht
langweilig, merkwürdig so lange her, da machte man sich noch
oder unattraktiv. Im Urlaub erwarten darüber lustig, wenn man mit Tracking
Sie durchweg wundervolles Wetter und seine Schritte zählte und seine Körper-
einen perfekten Service. Und wenn das funktionen überwachte, aber inzwi-
neue Sportprogramm nicht nach drei schen ist das nicht mehr besonders auf-
Monaten zum Traumkörper führt, sind fällig. Wir sind längst zu einer Gesell-
befreien
Sie frustriert. Perfektionismus blockiert schaft der Perfektionisten geworden.
und macht unglücklich, und die meisten
Menschen kennen das Gefühl, nicht gut Welchen Beruf empfehlen Sie Perfek-
genug zu sein. Autor Attila Albert hat tionisten?
darüber ein Buch geschrieben – und ver- Es gibt Berufe, da wird Perfektionismus
Sie
rät in „Perfektionismus ist ein Arsch- dringend benötigt, und zwar dann,
loch“ auch gleich, wie man sich davon wenn es um Risikominimierung und Si-
befreien kann. Der frühere Journalist cherheit geht. Piloten oder Chirurgen
und Betriebswissenschaftler arbeitet als sollten schon möglichst perfekt arbei-
sich
Coach in Zürich. Für sein Buch sprach ten. Aber auch bei Qualitätsarbeit oder
er mit vielen Menschen über den Lei- dort, wo Details wichtig sind, ist Perfek-
densdruck des Perfektionismus. tionismus erwünscht. Wenn ich etwa
Luxushandtaschen herstelle oder Uhr-
VON ANNA KRÖNING macher werde, wird mein Perfektionis-
mus sogar honoriert.
WELT: Sie sagen, Sie seien selbst Per-
fektionist. Fiel es Ihnen schwer, die- Wie äußert sich das?
ses Buch zu schreiben und dann aus Viele Unternehmen arbeiten heute in
GETTY IMAGES/ MIRAGEC
vom Perfektionismus
der Hand zu geben? Teamstärken, die eigentlich eine Notbe-
ATTILA ALBERT: Natürlich war ich froh, setzung sind. Krankheit und Urlaub
dass es einen Abgabetermin für das Ma- sind nicht einkalkuliert. In den 1990er-
nuskript gab und ich damit nicht in Ver- Jahren war noch Urlaubsvertretung
suchung kam, zu viel besser machen zu möglich, jetzt aber müssen viele Mitar-
wollen. Und ich war erleichtert, als ich beiter für ihren eigenen Urlaub vorar-
Wenn es im Job nicht perfekt klappt oder der neue Partner negative
es fertig geschrieben hatte. Früher war beiten. Sie machen also die doppelte Ar-
ich anders. Ich habe mein Studium ab- beit, um sich dann zwei Wochen ent-
Seiten zeigt, hadert der Perfektionist mit sich. Dabei gibt es Auswege
gebrochen, weil ich dachte, meine No- spannen zu können. So etwas fördert
ten sind nicht gut genug. Als ich mich natürlich auch die Entwicklung von Per-
entschied, mit dem Laufen anzufangen, fektionismus. Allerdings gibt es hier
meldete ich mich sofort für einen Mara- auch eine Art Gegenbewegung. Das Sab-
thon an. Den bin ich ein halbes Jahr spä- ben, nur da aktivieren, wo er Sinn er- Erst mal helfen kleine, praktische Ver- einem Coach oder auch bei einem The- batical, die unbezahlte Auszeit, oder Er-
ter auch gelaufen, aber der Preis war gibt, zum Beispiel bei einem bestimm- änderungen. Statt To-do-Listen kann rapeuten. ziehungszeiten werden wieder wichti-
eine langwierige Fußverletzung. ten Berufsprojekt oder meinetwegen ich Prioritätenlisten erstellen. Was ger, mehr Menschen suchen Jobs, in de-
auch der Planung einer Feier. nicht oben steht, verfällt. Und wenn ich Als Perfektionist möchte man natür- nen sie sich nicht vor dem Urlaub erst
Sie verwenden das A-Wort im Buchti- den Kalender nur zu einem Drittel voll- lich wissen: Ist der Weg lang, oder kann noch verausgaben müssen.
tel. Was ist so schlimm daran, perfek- Sie haben für Ihr Buch mit vielen packe, habe ich wieder Puffer und Zeit man damit schnell Erfolge sehen?
tionistisch zu sein? Menschen gesprochen. Gibt es einen für spontane Unternehmungen. Dann Der Weg raus aus dem Perfektionismus Was gewinnt man, wenn man sich
Wenn der Anspruch immer ist, 150 Pro- Bereich, in dem der Leidensdruck für sollte ich aber auch schauen, was mich ist schon ein langer Prozess. Man weiß vom Perfektionismus verabschiedet?
zent zu geben und zu bekommen, fru- Perfektionisten am größten ist? eigentlich dahintreibt, perfekt sein zu rein intellektuell, dass es einem nicht Ich fokussiere mich mehr, indem ich
striert das, denn es ist unrealistisch und Im Berufsleben, denn da gibt es diese wollen. Es ist gut, mal auf ein paar Sei- guttut, von sich selbst solche Leistun- meine nun einmal sehr begrenzte Zeit
anstrengend. Solche Erwartungen an positive Konnotation zur Leistungsbe- ten die eigene Lebensgeschichte aufzu- gen zu verlangen. Doch man tut es und Kraft in etwas hineingebe, das rele-
sich selbst und andere sind ermüdend. reitschaft. Alles für den Job zu geben schreiben und mich zu fragen: Was ist trotzdem, aus einer inneren Einstellung vant ist, andere Sachen dafür nicht
Negativer Perfektionismus äußert sich hat einen koketten Unterton. Ich bin er- eigentlich passiert, wie habe ich meine heraus. Man will einfach gut sein. Die mehr so wichtig nehme. Sie müssen
in Angst- und Druckgefühlen, er ist von schöpft, aber ich kämpfe. An zweiter Kindheit erlebt, habe ich früh Verant- Angst, auf Mittelmaß zurückzufallen, nicht die Sorge haben, dass Sie schlech-
Sorge vor Kritik oder Blamagen getrie- Stelle steht die Partnersuche. Ich habe wortung übernommen? So kann ich mit hält viele Perfektionisten davon ab, sich ter werden. Im Gegenteil. Sie werden
ben. Es gibt aber auch positiven Perfek- mit vielen über 40-Jährigen gesprochen, weniger Härte und mehr Wohlwollen zu entspannen. Meist gelingt es, wenn besser in dem, was Sie tun, weil Sie sich
tionismus, und zwar dann, wenn ich die noch nie eine langjährige Beziehung auf mein Leben schauen. Wenn ich all man älter wird und die eigene Persön- nicht mehr verzetteln, sondern sich auf
mich in eine tolle Aufgabe hineinstürze, hatten, weil ihre Erwartungshaltung zu das dann mehrere Jahre ohne Erfolg lichkeit reift, sich vom Wunsch nach die relevanten Punkte konzentrieren.
mein Bestes gebe. hoch ist. Oft urteilen sie schon nach versucht habe, ist es sicher sinnvoll, Perfektion zu verabschieden.
dem ersten Date sehr hart. Er trug die sich Hilfe zu suchen, entweder bei Und am Ende ist man dann mit dieser
Sie fordern nahezu dazu auf, den Per- falschen Schuhe, sie lachte komisch, Ist Perfektionismus nur eine Phase, Methode ungewollt doch perfekt?
fektionismus zu verbannen. Aber wie oder der andere ist augenscheinlich ein- die uns alle trifft, oder sind bestimm- Ich würde sagen, man erhält dadurch
gelingt es einem, eben jene positiven fach ein Psycho, mit dem etwas nicht te Menschen besonders anfällig? immer seinen Mindestanspruch. Ich de-
Seiten aufrechtzuerhalten? stimmt. Großes Leid entsteht auch, Wer eine hohe Leistungsbereitschaft finiere mir ja eine Art Korridor, der das
Der Perfektionist kommt deshalb in wenn die Work-Life-Balance insgesamt hat, ist natürlich eher betroffen. Trotz- Minimum darstellt von dem, was ich
TYLER RAMSEY/ STACEY RAMSEY
Schwierigkeiten, weil er seinen An- von Perfektionismus geprägt ist. Es dem würde ich sagen, dass Menschen mir im Leben wünsche, indem ich mir
spruch in allen Lebensbereichen aus- reicht nicht, ein perfekter Elternteil zu zwischen 20 und 40 am anfälligsten überlege, was zwingend ist, was wün-
lebt. Der perfekte Kindergeburtstag ist sein, man will auch noch einen Triath- sind, da sich hier die Aufbauarbeit ab- schenswert und was angenehm wäre,
ebenso wichtig wie ein perfekter Part- lon angehen. Gerade jetzt in der Coro- spielt, man ins Berufsleben kommt, aber nicht unbedingt nötig. Und da-
ner und perfekte Leistungen im Büro. na-Zeit scheitern viele Eltern an ihren Partner sucht, vielleicht eine Familie durch entspanne ich mich.
Etwas anderes ist es, wenn ich mich eigenen hohen Ansprüchen. gründet. Diese Anpassungsleistung ge-
perfektionistisch in einem Bereich ver- lingt nicht jedem, und die Vorstellungen T Attila Albert, „Perfektionismus
halte. Man sollte sich den Perfektionis- Dann verraten Sie jetzt mal, was man Buchautor und Coach sind oft unrealistisch. Viele Menschen ist ein Arschloch“, 192 Seiten,
mus für wenige Gelegenheiten aufhe- tun kann, um sich zu befreien. Attila Albert lebt in Zürich sind überplant. Im Coaching merke ich, Gräfe und Unzer, 16,99 Euro
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