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E 11130 F
der report

SCHI AHRT
Fachbereich
Verkehr
1/2004

Titelgeschichte
Seiten 4-7

Bye ons gode


bye Wilhelm

Foto: Dieter Benze

Seeschifffahrt
Seiten 8–10

Erfolgreicher
Arbeitskampf
bei Finnlines
Foto: Sabine Vielmo
ver.di re p o r t | AUS ALLER WELT

MELDUNGEN
in einem Sicherheitsplan halten. Sie seien aber un-
P&O überlässt als im Vorjahr. Auch die Ge- niedergelegt werden müs- schuldig und hätten ihr Be-
Nedlloyd samtbilanz des Hafens sen. stes getan, das Unglück ab-
kann sich sehen lassen: Das zuwenden.
Linienschifffahrt
Umschlagergebnis liegt mit Nach Havarie:
Die Container-Linienreede- 71,8 Millionen. Tonnen 5,4 Acht Seeleute Containerbrücken
rei P&O Nedlloyd wird Prozent höher als 2002. für Antwerpen
künftig als börsengeliste-
in Haft
ter Konzern eigenständig Marseille steigert ITF und der Weltreederver- Die belgische Umschlagge-
am Markt agieren. Darauf Umschlag band ISF haben Pakistan sellschaft Hesse-Noord Na-
haben sich die beiden Jo- aufgefordert, die inhaftier- tie hat zehn neue Riesen-
um 3,6 Prozent
int-Venture-Partner, die ten acht Containerbrücken für den
niederländische Gesell- Europas viertgrößter See- Seeleute des Tankers Antwerpener Hafen be-
schaft Royal Nedlloyd und hafen, Marseille, hat im „Tasman Spirit“ und eines stellt. Die Kräne, sollen im
die britische P&O-Gruppe, vergangenen Jahr das be- herbeigerufenen Ber- MSC Home Terminal einge-
geeinigt. Die Linienreede- ste Umschlagergebnis seit gungsschiffs unverzüglich setzt werden. Die neuen
rei wird als 100prozentige 1988 eingefahren. Insge- freizulassen. Der Tanker Kräne haben einen Arbeits-
Tochtergesellschaft der samt gingen 95,6 Millio- war Ende vergangenen Jah- radius von 56 Metern und
noch zu gründenden nen Tonnen über die Kai- res havariert und hatte da- sind damit für die Abferti-
Dachholding Royal P&O kanten - ein Zuwachs von bei erhebliche Mengen Öl gung von Schiffen geeig-
Nedlloyd mit Sitz in Rotter- 3,6 Prozent gegenüber verloren. Die Seeleute wer- net, die bislang nur auf
dam geführt. An dieser 2002. Besonders stark leg- den seitdem in einem Ge- dem Reißbrett existieren.
Firma werden P&O nur te der Umschlag von trok- fängnis in Karachi festge- mph
noch mit 25 Prozent, die kenen Massengütern wie
heutigen Royal-Nedlloyd- Erz und Kohle zu (+ 9,1
Aktionäre hingegen mit 75 Prozent). Der Ölumschlag
Prozent beteiligt sein. Für kletterte um 3,2 Prozent,
ihren Rückzug sollen die das Containeraufkommen
Briten eine Barabfindung um 2,7 Prozent (831 000
von 215 Millionen Euro er- TEU). An den Passagierter-
halten. minals wurde mit 1,95
Millionen Reisenden ein
Le Havre wächst neuer Abfertigungsrekord
am stärksten aufgestellt.

Der französische Seehafen Antiterror-Pläne


Le Havre hat beim Contai- unter die Lupe
nerumschlag im vergange-
nen Jahr nach eigenen An- Die Schiffsinspekteure in
gaben stärker zugelegt als den europäischen Seehäfen
alle anderen großen Häfen überprüfen Frachter und
am Nordkontinent. Wie die Passagierdampfer seit An-
örtliche Hafenbehörde mit- fang 2004 auf die Einhal-
teilt, wurden mit 1,98 Milli- tung der neuen Antiterror-
onen. 20-Fuß-Standard- Maßnahmen im Seever-
containern (TEU) 15 Pro- kehr. Das teilte das europä-
zent mehr Boxen abgefer- ische Hafenstaatenbündnis
tigt als im Vorjahr. Der An- mit. Die Kontrolleure unter-
stieg gehe vor allem auf suchen, ob die Schiffe den
Transitladung zurück, de- International Ship and Port
ren Aufkommen sich ge- Facility Security Code der
messen in TEU um 33,6 Pro- UNO-Schifffahrtsorganisa-
Foto: Sabine Vielmo

zent erhöhte. Le Havre ver- tion erfüllen. Der Kodex


besserte auch die Hinter- schreibt vor, dass ein Si-
landanbindung auf der cherheitsoffizier an Bord
Wasserstraße: So wurden sein muss, Zugangswege
mit 66 000 TEU 80 Prozent und Anlagen effektiv ge-
mehr Boxen per Binnen- schützt und alle sicher- Der weltweite Boom beim Containerumschlag hält an (hier
schiff an- und abgefahren heitsrelevanten Handgriffe im Hamburger Hafen)

2 1/2004 | SCHIFFFAHRT
ver.di re p o r t | INHALT / KOMMENTAR

bareboat ausgeflaggten Schiffe von 1469 auf


INHALT 1481 Schiffe erhöht.
Aber es muss ja nicht nur zurückgeflaggt
Titelgeschichte werden, sondern es müssen auch mehr Ausbil-
4/5 Verabschiedung von dungsplätze zur Verfügung gestellt und mehr
Wilhelm Zechner Seeleute mit deutscher Staatsangehörigkeit be-
6/7 Erinnerungen schäftigt werden. Da kann man sich nur wün-
schen, dass etwas von dem Eifer, mit dem An-
Interview
bieter von Schiffsbeteiligungen (Emissionshäu-
ser) potentielle deutsche Geldgeber umwer-
11/12 IMO schaut Flaggenstaaten
ben, für Rückflaggungen abgezweigt würden.
auf die Finger
Die 200 zugesagten Schiffe sind nicht einmal
Interview mit dem zehn Prozent von den Schiffen, die deutsche
neuen Generalsekretär Reeder unter fremder Flagge betreiben. Die
Efthimios E. Mitropoulos Rückflaggung ist deshalb nicht nur zumutbar,
sondern auch erforderlich, um die Ziele von Lü-
Seeschifffahrt beck zu erreichen. Denn die Bundesregierung
IMPRESSUM 13 Spanien riskiert lässt diesmal keinen Zweifel daran aufkommen,
Der ver.di-Report neues Tankerunglück dass die deutsche Schifffahrtsförderung in Fra-
Schifffahrt ge gestellt wird, wenn die bescheidenen Zusa-
Nr. 1, März 2004 14 Fremde Arten sollen
Herausgeber: nicht mehr „mitsegeln“ gen von Lübeck nicht
Vereinte Dienstleistungs- eingehalten werden.
gewerkschaft (ver.di), 15 Teures menschliches So wurde der neue
Fachgruppe Schifffahrt, Versagen Maritime Koordinator,
Potsdamer Platz 10,
10785 Berlin Vergleich zur Staatssekretär Wil-
v.i.S.d.P.: Frank Bsirske, Besitzstandsklausel helm Adamowitsch
Jan Kahmann,
Bearbeitung: Dieter Benze 16 Tödlicher Unfall aus dem Bundesmini-
Verantwortlicher sterium für Wirtschaft
Redakteur:
Binnenschifffahrt
und Arbeit am 6. Fe-
Dietmar Rothwange
bruar 2004 im „Täg-
Internet: 17-19 Trend zur Automation
www.verdi.de
lichen Hafenbericht“
Herstellung + Druck:
Abschied von mit folgenden Worten
alpha print medien AG, der Ausbildung zitiert: „Eine Fortfüh-
Kleyerstr. 3
Berliner Wasserstraßen rung der Schifffahrts-
64295 Darmstadt
www.alpha-print-medien.de als Freizeitpark? förderungsprogram-
Dieter Benze, Leiter der me kann ernsthaft nur
Fachgruppe Schifffahrt dann in Betracht kom-
men, wenn sich die

Flagge zeigen
mit ihnen verbundenen Erwartungen voll um-
fänglich erfüllen.“
Vor diesem Hintergrund ist es auch wichtig,
dass das Maritime Bündnis rechtzeitig Alarm

S
eit dem 1. Januar 2004 gibt es weitere schlägt, wenn Gefahr besteht, dass die Abspra-
staatliche Hilfen für Schiffe unter deut- chen von Lübeck nicht rechtzeitig umgesetzt
scher Flagge. Insofern hat die Bundes- werden. Und nach unserer Auffassung ist es an
regierung Wort gehalten und ihren Teil der Er- der Zeit, mit der Rückflaggung, mit mehr Be-
gebnisse der 3. Nationalen Maritimen Konfe- schäftigung und mit stärkerer Nachwuchsför-
renz in Lübeck umgesetzt. Nun sind die Reeder derung Fahrt aufzunehmen. In der Verantwor-
gefordert, ihre Zusage, „bis zu 200 Schiffe zu- tung bei der Rückflaggung stehen aber nicht
rückzuflaggen“, einzulösen. Da tut sich aber nur die Reeder, in der Pflicht stehen mehr noch
bisher wenig. Zwar gibt es eine ganze Reihe von die Emissionhäuser, die vor allem von der
Absichtserklärungen deutscher Reeder in der Schifffahrtsförderung der Bundesregierung
Presse, doch bis auf die Rückflaggung der profitieren. Sie haben sich inzwischen bei den
„Frankfurt Express“ mit immerhin zwölf Ausbil- Beteiligungsmodellen in der Bundesrepublik
dungsplätzen an Bord sieht man bisher keinen zum größten Einzelsektor entwickelt, vor Im-
Silberstreifen am Horizont. mobilien- und Medienfonds.
Im Gegenteil. Die deutsche Flagge Bundeskanzler Schröder hat die 4. Nationa-
schrumpft weiter. Von Dezember 2003 bis Ja- le Maritime Konferenz auf den 24./25. Januar
nuar 2004 ist die Anzahl der Schiffe unter deut- 2005 in Bremen festgelegt. Es wäre vorteilhaft
scher Flagge von 482 auf 475 verringert wor- für die deutsche Seeschifffahrt, wenn sie bis
den und gleichzeitig hat sich die Zahl der in dahin Flagge zeigen könnte. Dieter Benze

SCHIFFFAHRT | 1/2004 3
ver.di re p o r t | TITELGESCHICHTE

Wenn ein
verdienter
Kollege wie
Wilhelm Zechner
in den Ruhestand
geht, dürfen
lobende Worte
nicht fehlen.

Eike Eulen bei seiner


Laudatio auf Wilhelm
Zechner (rechts)

Bye bye Verabschiedung von Wilhelm Zechner

ons gode Wilhelm


B
ei der Verabschiedung von Wilhelm Zech- Dabei geht es mir nicht so sehr um die Grö-
ner sagte der Leiter der ver.di-Fachgruppe ße des Fanges, der ihm als 1. Steuermann und
Schifffahrt, Dieter Benze, unter anderem: Vertretungskapitän ins Netz gegangen ist, es
„Zum Abschied von Wilhelm Zechner möchte geht mir auch nicht um die Höhe der Fangprä-
ich auch ein paar Worte sagen. Schließlich war mien, die er damit einkassiert hat und schon
ich es, der ihn 1983 angeschnackt hat, haupt- gar nicht um die Fangdeputate, die in der
amtlicher Gewerkschaftssekretär zu werden. Hochseefischerei noch immer als Teil des Loh-
Klammheimlich hatte ich ja gehofft, dass er mal nes gewährt werden. Es geht mir auch nicht um
mein Nachfolger werden würde. Aber – es hat- seine Fähigkeiten als Schönheitschirurg, auf die
te nicht sein gesollt und jetzt ist es sowieso zu er sehr stolz war und die wiederholt abgefor-
spät, nachdem er früher aufhört als ich. Um so dert wurden, wenn beispielsweise Raufbolde in
mehr ist es mir ein Bedürfnis, die Verdienste von der Messe sich gegenseitig die Gesichter mit
Wilhelm zu würdigen. Senfgläsern traktierten. Überprüfen will ich

Fotos: Dieter Benze

Wilhelm Zechner im
Zeichen von ver.di

4 1/2004 | SCHIFFFAHRT
ver.di re p o r t | TITELGESCHICHTE

auch nicht seine Aussage, nach dem er beim zu werden, nachdem Jan Kahmann auf eigenen
Skatspielen immer gewinnt, wenn nur lang ge- Wunsch zur Bezirksverwaltung nach Weser-
nug gespielt wird. Nein, würdigen will ich heu- Ems versetzt wurde und damit eine Stelle in der
te seine Verdienst als Interessvertreter der See- Abteilung Seeschifffahrt und Hochseefischerei
leute und Hochseefischer. frei wurde. Nun habe ich schon an vielen Ein-
Wie es sich gehört, war er schon als Ehren- stellungen mitgewirkt. Aber bei keiner Einstel-
amtlicher gewerkschaftlich aktiv. So hat er, lung war ich mir so sicher, wie bei Wilhelm, die
nachdem die Seeschifffahrt 1972 in den Gel- richtige Wahl getroffen zu haben. Er selbst sah
tungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes darin die ‚Chance, die Belange der Kollegen
aufgenommen wurde, die Wahl der ersten noch besser vertreten zu können, als bisher‘.
Bordvertretung auf dem Fangfabrikschiff Als Hauptamtlicher hat er seine gute Arbeit
„Mond“ 1973 in der Hochseefischerei betrie- fortgesetzt. Die heute noch gültige Urlaubsum-
ben. Kein Wunder, dass er auch zum Vorsitzen-
den dieser Bordvertretung gewählt wurde. Er
war auch treibende Kraft bei der Vorbereitung
der ersten Seebetriebsratswahl bei der Reederei
„Nordstern“ im Jahre 1975.
Tief überzeugt von gewerkschaftlichen
Grundsätzen war er so wohl als Seebetriebsrat
als auch als Mitglied der Tarifkommission
außerordentlich erfolgreich. Besonders auf
Grund seiner Initiative und Analyse wurde zum
ersten Mal ein geregeltes Wachsystem in der
Hochseefischerei eingeführt und der Urlaubs-
anspruch deutlich erhöht. Das Vertrauen, das er
bei den Beschäftigten genoss, lässt sich bei-
spielhaft am Verkauf des Fangfabrikschiffes
„Regulus“ wiedergeben. Das Schiff sollte nach
einer Fangreise verkauft und übergeben wer-
den ohne dass der Interessensausgleich und So-
zialplan ausgehandelt waren. Als das Schiff
1982 in Bremerhaven einlief, stand viel Volk an
der Pier. Der Personalchef wollte als erster an
Bord eilen. Doch die Besatzung weigerte sich,
die Gangway runter zu lassen und hängte statt

Foto: Dieter Benze


dessen Transparente über die Reling. Sie ließen
nur ihren Seebetriebsobmann, Wilhelm Zech-
ner, an Bord.“ (Siehe Seite 6)
Auf Wilhelms Initiative fand in Bremerhaven
auch wieder ein Umzug zum 1. Mai statt. Dabei
ging es den Hochseefischern um den Erhalt ih- „Bye, bye, bye ons
rer Arbeitsplätze. Wilhelm selbst schrieb dazu: rechnungsformel des Manteltarifvertrages für gode Wilhelm . . .“
„Ich war der Initiator des Kampfes der Hoch- die deutsche Seeschifffahrt ist allein sein Werk. Harald Schmeling,
seefischer gegen die Vernichtung ihrer Arbeits- Vielen Seeleuten ist er noch in Erinnerung aus Eike Eulen und Dieter
plätze und habe maßgeblich an der Organisa- seiner Tätigkeit als Seebetriebsrat, als Teamer Benze (von links nach
tion dieses Kampfes mitgewirkt. Im Rahmen auf vielen Seeleuteseminaren und als hervorra- rechts) singen ein
dieses Kampfes sind innerhalb weniger Tage gender Artikelschreiber für den Seeleutereport. Abschiedsshanty
über 20 000 Unterschriften für den Erhalt der Er erwarb sich auch auf Grund seiner Fach-
Hochseefischerei gesammelt worden, haben kenntnisse hohe Anerkennung auf der europä-
Schleusenblockaden, Straßenblockaden und ischen und internationalen Ebene. Noch heute
eine Schiffsblockade stattgefunden. Es gab erkundigen sich internationale Kollegen nach
mehrere Protestdemonstrationen in Bremerha- ihm. Insofern gibt es wohl keinen, der mehr be-
ven, in Bonn, in Maastricht und in Brüssel. Die dauert hat als ich, dass Wilhelms Stelle nicht
regionale Öffentlichkeit wurde mobilisiert und mehr zu halten war, nachdem die Anzahl der
es fanden viele Gespräche mit Politikern statt. Beschäftigten aufgrund der Ausflaggungen
Vom Bundeskanzler bis hin zu den Regionalpo- ständig abnahm.
litikern. All diese Aktivitäten waren nicht um- So bleibt mir nur, zu bedauern, dass er aus
sonst und wer weiß, ob es ohne diesen Kampf meiner Sicht viel zu früh gegangen ist, zu wün-
überhaupt noch eine Hochseefischerei gäbe.“ schen, dass er uns noch lange als Helfer erhal-
Dieter Benze: „So war es kein Wunder, dass ten bleibt und zu hoffen, dass er noch viel
wir Wilhelm anboten, hauptamtlicher Sekretär Freude am Leben hat.“ ❏

SCHIFFFAHRT | 1/2004 5
ver.di re p o r t | TITELGESCHICHTE

I
m Sommer 1975 wurde ich zum See-
betriebsobmann gewählt. Ich wurde
auf See abgelöst und traf am 20. Juli
in Bremerhaven ein. Zuhause wartete
schon Post von der Gewerkschaft ÖTV.
Mir wurde mitgeteilt, ich sei Mitglied
Wilhelm
der „Bundestarifkommission Hochsee-
fischerei“. In dieser Eigenschaft solle ich
Zechner erinnert sich
an der Tarifverhandlung für die Hoch-
seefischerei teilnehmen; Datum: 28. Ju-
li 1975, Beginn 12 Uhr, Vorbespre-
Meine erste
chung: 11 Uhr, Ort: Besenbinderhof,
Hamburg.
Zu solch wichtigem Ereignis sollte
man auch entsprechend gekleidet sein,
Tarifverhandlung
meinte meine Frau. Insbesondere
Schlips und Kragen seien angebracht.
Also wurde ein grauer Anzug und die
entsprechenden Utensilien besorgt.
Weil ich den Weg nicht kannte,
nahm ich vom Hamburger Hauptbahn-
hof ein Taxi. Das fuhr dann die ‚kür-
zeste’ Strecke über die Landungs-
brücken direkt zum Besenbinderhof.
Die übrigen Tarifkommissionsmitglie-
der waren schon da: Sechs ÖTV-Sekre-
täre, zwei DAG-Sekretäre und fünf
Mitglieder von Seebetriebsräten, zwei
von der ‚Nordsee Deutsche Hochsee-fi-
scherei’, zwei von der ‚Hanseatischen
Hochseefische-rei’ und ich von der
‚Hochseefischerei Nordstern’. Ver-
handlungsführer war Hein Rake von

Foto: Lutz Fischmann


der ÖTV-Haupt-verwaltung.

Beeindruckt von den


Gewerkschaftssekretären
In der Vorbesprechung wurde noch 1982 darf der Personalchef der Reederei „Nordstern“ in Bremerhaven nicht an Bord
einmal über die Forderungen disku- der „Regulus“ – die Besatzung will mit Seebetriebsobmann Zechner sprechen
tiert, von der Stimmung unter den See-
leuten berichtet und das Vorgehen be- Formalitäten, Vorstellungen und Be- aber nicht.
sprochen. Die anderen Betriebsrats- grüßungen, kam er gleich zur Sache. Rudi Roder, der Sebetriebsratskolle-
mitglieder waren schon länger im Amt „Begründen Sie bitte die außerge- ge von der ‚Nordsee’, schloss sich an.
als ich. Die Kollegen von der ‚Nordsee’ wöhnlich hohen Forderungen der Ge- Er berichtete von den Unmut der See-
sogar bereits über ein Jahr. Sie hatten werkschaften!“, verlangte er von Hein leute über den letzten Tarifabschluss.
auch die Tarifverhandlung im letztem Rake. „Sie wissen doch, dass es uns Gerade letzte Woche, beim Auslaufen
Jahr mitgemacht, was mich sehr beein- wirtschaftlich sehr schlecht geht“, füg- der ‚Wiesbaden’ habe es große Aufre-
druckte. Besonders beeindruckt war te er vorsorglich hinzu. gung gegeben. Der Direktor der ‚Nord-
ich aber von den Gewerkschaftssekre- Hein Rake begründete: Wirt- see’ und sein Personalchef blicken
tären. Hier war der geballte tarifpoliti- schaftswachstum, Produktivitätsstei- interessiert auf. Im Übrigen sahen sich
sche Sachverstand mit ausgefeilter gerung, Inflationsrate und im übrigem die Herren von der Arbeitgeberseite
Rhetorik gepaart. dürften die Seeleute nicht von der all- vielsagend an, nickten ab und zu, ent-
In einem Nebenraum der DGB- gemeinen Einkommensentwicklung gegneten aber nicht.
Gaststätte ‚Besenbinderhof’ begannen abgekoppelt werden. Der Tarifab- Ich war irritiert. Die sagen ja gar
dann die Verhandlungen. Uns gegenü- schluss im letztem Jahr habe auch nichts, die nicken ja immer und geben
ber, auf der Arbeitgeberseite, saßen nicht das gebracht, was man erwartet uns recht, ging mir durch den Kopf.
die Geschäftsführer der Hochseefi- habe. Eine Unruhe unter den Seeleu- Nachdem sich auch die Kollegen von
schereireedereien mit ihren Personal- ten sei die Folge. Die Herren von der der ‚Hanseatischen’ zu Wort gemeldet
chefs. Mein Chef war der Verhand- Arbeitgeberseite sahen sich vielsagend hatten, fasste auch ich Mut und wollte
lungsführer. Nach den allgemeinen an, nickten ab und zu, entgegneten zum Gelingen der Verhandlungen bei-

6 1/2004 | SCHIFFFAHRT
ver.di re p o r t | TITELGESCHICHTE

tragen. Gerade von See gekommen, und die Filetplatten wurden in den Diese Tarifrunde ging dann nach ei-
hatte ich das ganze Elend noch direkt Frosthallen der Tochterunternehmen nigen hin und her zu Ende. Die Arbeit-
vor Augen und legte los: Rund um die gelagert. geber hatten doch noch einige kleine
Uhr arbeiten, viel zu wenig Schlaf, fi- „Hein, die bieten uns einfach nichts unwesentliche Verbesserungen ange-
schen bei jeder Windstärke, kaputte an, jetzt müssen wir streiken“, wandte boten, Erhöhung einiger Zulagen und
Geschirre und kaputte Netze, gefrore- sich Rudi Roder an Hein Rake. „Ma- ähnliches. Wir mussten zustimmen,
ne Hände, monatelange Reisen und chen wir“, gab ihm dieser Recht. „Wie weil wir nicht mit ganz leeren Händen
auch die Verpflegung tauge nichts. sieht es denn aus bei euch? Wie viele aus der Tarifrunde gehen wollten.
Mein Chef gegenüber hob eine Au- Besatzungsmitglieder, wie viele davon
genbraue, sein Personalchef merkte in der Gewerkschaft?“, fragte er reih- Tarifrunde als
auf. Im Übrigen sahen sich die Herren um die Seebetriebsratskollegen. Schlüsselerlebnis
von der Arbeitgeberseite vielsagend Die Bestandsaufnahme ergab ein
an, nickten ab und zu, entgegneten klägliches Bild. Von den über 8 000 Für mich und meine Kollegen war
aber nicht. Jetzt habe ich denen aber Hochseefischern waren noch nicht ein- diese Tarifrunde ein Schlüsselerlebnis.
Bescheid gesagt und sie geben uns mal 1 000 organisiert. „Mit wem wollen Innerhalb von zwei Jahren, hatten wir
auch noch Recht, dachte ich. Man wir den streiken?“, fragte Hein Rake. So an die 90 Prozent der Hochseefischer
müsse nur richtig argumentieren. Jetzt war die Streikidee schnell begraben. gewerkschaftlich organisiert. In der Ta-
kommt bestimmt ein gutes Angebot. Mit ihrer Haltung riskiere die Ar- rifrunde 1977/78 wurde das Schichtsy-
beitgeberseite einen Streik, warnte stem auf Fangfabrikschiffen von zwölf-
Petrus ist für das
Wetter zuständig
Es treffe ja im wesentlichem zu, was
hier vorgebracht worden sei, hob mein
Chef an. Es sei noch viel im Argen und
auch die Arbeitgeberseite wisse, dass
noch einiges für ‚ihre’ Seeleute getan
werden müsse. Auf manches habe man
jedoch keinen Einfluss. Für das schlech-
te Wetter sei zum Beispiel schließlich
Petrus zuständig. Im übrigen seien die
Treibölpreise und die Lagerkosten ge-
stiegen und der Absatz und die Fisch-
preise im Großhandel gefallen. Die
wirtschaftliche Lage sei so schlecht,
dass man eigentlich die Heuern senken
müsste. Allenfalls über eine Null-Runde

Foto: Manfred Scharnberg


könne man diskutieren. Eine Erhöhung
komme keinesfalls in Betracht.
Ich war verblüfft. Da hatten sie uns
immer Recht gegeben und unsere Ar-
gumente sogar noch bestätigt. Da
brachte mein Chef sogar Petrus ins
Spiel. Die nehmen uns nicht ernst, ging
es mir durch den Kopf. Auch Rudi Ro- Wilhelm Zechner (links) während einer Demonstration der Internationalen Trans-
der wurde unruhig. Wir sollten für eine portarbeiter-Föderation am 26. Januar 1982 in Paris
Beratung unterbrechen, schlug er vor.
Die Arbeitgeberseite hatte keine Ein- Hein Rake nachdem die Verhandlun- Stunden Arbeit – sechs Stunden Ruhe –
wände. gen wieder aufgenommen worden wa- zwölf Stunden Arbeit-sechs Stunden
Es sei an den Haaren herbeigezo- ren. Wie schon die anderen Argumen- Ruhe auf sechs Stunden Arbeit – sechs
gen, was die Arbeitgeberseite da vor- te, beeindruckte das Streikargument Stunden Ruhe umgestellt, der Urlaub
gebracht habe, war die einhellige Mei- die Arbeitgeber überhaupt nicht. um 26 Kalendertage angehoben und
nung der Tarifkommission. So schlecht „Streiken sie doch“, entgegnete mein auch noch die Heuern erhöht. Die See-
könne die wirtschaftliche Lage nicht Chef gelassen. Zu dieser Zeit wurden leute ließen keinen Zweifel darüber
sein, schließlich seien in den letzten die Beiträge noch zum größten Teil aufkommen, dass sie einen Streikauf-
drei Jahren über zehn neue Fangfabrik- über sogenannte Ziehscheine von den ruf folgen würden. Das machte sie in
schiffe in Dienst gestellt worden. Auch Reedereien direkt an die Gewerkschaf- unzähligen Telegrammen den Verant-
der Preisverfall schien vorgeschoben. ten abgeführt. Die Arbeitgeberseite wortlichen in den Reedereien von See
Schließlich waren die Großabnehmer kannte daher unseren geringen Orga- her klar. Das Streikargument zählte
des Fanges hauptsächlich Schwester- nisationsgrad ganz genau. Sie hatten diesmal bei einem Organisationsgrad
unternehmen im gleichem Konzern nichts zu befürchten. von 90 Prozent.“ ❏

SCHIFFFAHRT | 1/2004 7
ver.di re p o r t | ARBEITSKAMPF

Auf der „Trans-


europa“ stehen
alle Räder still

leute wurden die Schiffe in Finnland


und in Deutschland von den Hafenar-

Deutsche Heuern beitern boykottiert.


Ergebnis des Arbeitkampfes war,
dass die deutschen Seeleute ihre Ar-

unter beitsplätze auch unter norwegischer


Flagge behalten. In den folgenden
Verhandlungen unter Einbeziehung

Norwegens Flagge der norwegischen und finnischen Ge-


werkschaften wurde darüber hinaus
festgelegt, dass nicht nur die deut-
schen, sondern alle Seeleute auf den
beiden zwischen Finnland und
Erfolgreicher Arbeitskampf Deutschland verkehrenden Fähren zu-
künftig zu deutschen Bedingungen
bei Finnlines beschäftigt werden. Auf der zwischen
Russland und Deutschland verkehren-
den „Transfinlandia“ dagegen wird ein
norwegischer Tarifvertrag abgeschlos-
sen.

Verträge sichern die


Bedingungen ab
Nach dem erfolgreichen Arbeits-
kampf war es Aufgabe von ver.di und
Fotos: Sabine Vielmo

dem Seebetriebsrat, mit Verträgen si-


cher zu stellen, dass die Arbeits- und
Lebensbedingen der Seeleute auf
„Finnrider“ und „Finnrunner“ denen
unter deutscher Flagge entsprechen.
Dazu wurde am 10. März 2004 vom
Am 10. März 2004 sind die Verträge für die Ostsee- Seebetriebsrat ein Interessenausgleich
fähren „Finnrunner“ und „Finnrider“ unterschrieben und ein Sozialplan unterschrieben. Von
worden. Vorausgegangen war die Ankündigung der ver.di wurden zwei Tarifverträge mit
Finnlines Deutschland AG, im Herbst 2003 die drei Fähr- Finnlines Deutschland AG sowie ein Ta-
rifvertrag von ver.di und den norwegi-
schiffe „Transfinlandia“, „Finnrider“ und „Finnrunner“
schen Gewerkschaften auf der einen
nach Norwegen zu verkaufen, die deutschen Seeleute Seite sowie Barber International Ltd.
zu entlassen und die Schiffe für das gleiche Fahrtgebiet auf der anderen Seite abgeschlossen.
zurückzuchartern – allerdings unter norwegischer Diese Verträge stellen sicher, dass
Flagge und besetzt mit polnischen Seeleuten. ● die Bedingungen des norwegischen
Tarifvertrages denen des HTV/MTV-

D
ie Empörung der Seeleute über ver.di aufgerufen hatte. Die „Transeu- See weitestgehend entsprechen.
diese geplante Arbeitsplatzver- ropa“ und die „Finnrunner“ streikten Sollten die tariflichen Leistungen
nichtung für deutsche Seeleute in Travemünde, die „Translubeca“ in bei Barber insgesamt schlechter
mündete am 17. Januar 2004 in einen Lübeck und die „Finnrider“ in Turku, sein als nach HTV und MTV, wird die
20stündigen Arbeitskampf, zu dem Finnland. Zur Unterstützung der See- Differenz von Finnlines Deutschland

8 1/2004 | SCHIFFFAHRT
ver.di re p o r t | ARBEITSKAMPF

AG ausgeglichen,
● Seeleute von Finnlines bei Beendi-
gung des Arbeitsverhältnisses auf-
grund der Schiffsverkäufe eine Ab-
findung erhalten,
● Seeleute, die mit den Schiffen zur
norwegischen Flagge übergehen,
● bei einer betriebsbedingten
Kündigung aufgrund einer Be-
triebsänderung bis zwei Jahre nach
Übergang 100 Prozent des Abfin-
dungsbetrages erhalten,
● bei einer eigenen Kündigung bis
ein Jahr nach Übergang 50 Prozent
des Abfindungsbetrages erhalten,
● bei der Finnlines Deutschland AG
ein Besatzungsmitglied zum Seebe-
triebsrat gewählt werden kann,
auch wenn die Zahl der beschäftig-
ten Seeleute 250 unterschreitet,
● Seeleute, die zur norwegischen
Flagge übergegangen sind, bevor- Urabstimmung in der Messe der „Finnrunner“
zugt eingestellt werden, falls die
Reederei weitere Schiffe unter Deutschland erhalten, an Land gewährt wird, das heißt,
deutscher Flagge in Dienst stellt, ● die Steuern von den deutschen See- für jeden Bordtag besteht Anspruch
● gerichtliche Ansprüche der Seeleu- leuten individuell in Deutschland auf 0,6667 Urlaubstag. Dies ent-
te, die von Barber International entrichtet werden und so die steu- spricht dem bisherigen Urlaubsege-
nicht erfüllt werden, von Finnlines erlichen Ermäßigungen so wie bis- lung,
Deutschland befriedigt werden, her geltend gemacht werden kön- ● Beauftragte von ver.di – dazu ge-
● die deutsche Heuertafel vom 1. Fe- nen, hört auch der Seebetriebsrat – das
bruar 2004 für alle Seeleute an Bord ● dass norwegische Gerichte zustän- Recht haben, die beiden Schiffe un-
angewendet wird, dig sind. Forderungen der Seeleute ter norwegischer Flagge zu betreu-
● auf den Schiffen norwegisches können aber auch bei den deut- en,
Recht gilt, aber die deutschen See- schen Arbeitsgerichten geltend ge- ● für alle Seeleute an Bord, egal wo
leute nach wie vor Leistungen von macht werden, sie herkommen, die einheitlichen
der Sozial- und Arbeitslosenversi- ● der Urlaub nach dem Prinzip sechs (deutschen) Tarifbedingungen gel-
cherung von den Instituten in Wochen an Bord und vier Wochen ten.
Die detaillierten Bedingungen un-
ter norwegischer Flagge müssen noch
aufbereitet werden. Dazu gehört auch
die Frage, inwieweit der norwegische
Rentenfond für Seeleute die See-
mannsrente ersetzen kann.

Appell an Kapitäne und


Besatzungsmitglieder
Das Ergebnis kann sich sehen las-
sen. Die Bedingungen auf den beiden
Fährschiffen unter norwegischer Flag-
ge entsprechen denen auf Schiffen
unter deutscher Flagge. Der Seebe-
triebsrat und ver.di appellieren nun
an die Besatzungsmitglieder und Ka-
pitäne, die so erkämpften Arbeits-
Fotos: Sabine Vielmo

plätze auch zukünftig besetzt zu hal-


ten.
Dies ist allerdings dadurch er-
schwert worden, dass die Finnlines
Deutschland AG die Seeleute bereits
Registrieren, wer auf der „Finnrunner“ Streikgeld bekommt am 13. Februar 2004 schriftlich aufge-

SCHIFFFAHRT | 1/2004 9
ver.di re p o r t | ARBEITSKAMPF
Fotos: Sabine Vielmo

Klare Botschaft: Dieses Fährschiff wird boykottiert

fordert hat, sich für oder gegen die Der erfolgreiche Arbeitskampf der beispielhaft für Beschäftigte aus ande-
norwegische Flagge zu entscheiden. Seeleute hat gezeigt, dass die Beschäf- ren Bereichen. Mehr denn je ist es in
Zu einem Zeitpunkt also, zu dem die tigten nicht tatenlos zusehen müssen, Zeiten der Globalisierung notwendig,
Vertragsinhalte noch nicht feststan- wenn sie durch billigere Arbeitskräfte dass die Beschäftigten die Wirtschafts-
den. So haben sich Seeleute in der ersetzt werden sollen. Sie können sich entwicklungen in ihrer Branche auf-
Zwischenzeit, in Unkenntnis der Bedin- dann wehren, wenn sie branchen- und merksam verfolgen, um rechtzeitig
gungen, für Abfindungen entschie- grenzüberschreitend zusammenste- reagieren zu können.
den. hen. Insofern ist dieser Arbeitskampf Dieter Benze

Seeleute sollten
Abfindung überdenken
Vor dem Hintergrund der nun vor-
liegenden Verträge sollten diese See-
leute ihre Entscheidung noch einmal
überdenken. Schließlich geht es um
unsere Arbeitsplätze auf den Fährschif-
fen zwischen Finnland und Deutsch-
land. Finnlines hat die Schiffe für vier
bis sieben Jahre gechartert und inve-
stiert 300 Millionen Euro für neue
Fährschiffe. Es wäre schade, wenn die
deutschen Seeleute auch wegen der
relativ hohen Abfindung aufgeben
würden. Denn das Geld ist schnell ver-
braucht und kein Ersatz für mittelfristi-
ge Arbeitsplätze.
ver.di und ITF werden auch zukünf-
tig die Einhaltung der Tarifverträge auf
den beiden Schiffen überwachen. Für die „Transeuropa“ wird ein Notdienst mit dem Kapitän (rechts) vereinbart

10 1/2004 | SCHIFFFAHRT
ver.di re p o r t | INTERVIEW

F
laggenstaaten rund um die Welt rung seiner Vorschläge mit allen Schiff- EU hätte auch im Fall der Prestige dar-
sollen bald schärfer beaufsichtigt fahrtsstaaten abgestimmt hätte. Denn auf vertrauen können, dass die IMO
werden. Zwar ist eine Bewertung die 160 Länder im Mitgliedskreis der rasch handelt.
der Behörden durch die International IMO können zusammen weisere Lösun-
Maritime Organization (IMO) bislang gen erzielen als eine Handvoll Staaten. Wie viel Regionalismus halten Sie für
freiwillig, doch dürfte ein Flag State passabel?
Audit in absehbarer Zeit zur Mitglieds- Nur dauert das einigen Mitgliedern zu Mitropoulos: Die Regionen weisen in
bedingung in der UNO-Seeschifffahrt- lange. Es wird immer wieder kritisiert, der Regel Besonderheiten auf, die wir
sor-ganisation werden. Diese Einschät- dass die Mühlen der IMO zu langsam in Betracht ziehen müssen, wenn wir
zung vertritt der seit Jahresanfang am- mahlen . . . übergreifende Vereinbarungen zur
tierende IMO-Generalsekretär Efthi- Mitropoulos: Das haben sich die Mit- Schiffssicherheit und dem Schutz der
mios E. Mitropoulos. gliedsstaaten selbst vorzuwerfen. Denn Umwelt treffen. Das ist genau der

IMO schaut
Flaggenstaaten
auf die Finger
Foto: Michael Hollmann

Interview mit dem


neuen Generalsekretär
IMO-Generalsekretär Mitropoulos Efthimios E. Mitropoulos.
Frage: Die Rolle der IMO wird zuneh- sie bilden schließlich die Organisation. Grund, warum die IMO-Staaten sich in
mend durch konkurrierende, regionale Die internationalen Schifffahrts-Kon- vielen Konventionen das Recht auf re-
Bestimmungen für die Seeschifffahrt ventionen sind nicht Privatsache des gionale Initiativen einräumen.
aufgeweicht, man denke an die be- IMO-Sekre-tariats, sondern gehören Ein Beispiel ist die MARPOL-Konven-
schleunigte Ausmusterung von Einhül- quasi den Staaten, die sie verabschie- tion, die den Ländern die Einrichtung
lentankern durch die EU. Die Industrie den. Die Mitglieder müssten ihren eige- besonders schützenswerter Küstenge-
besteht aber auf einheitliche internatio- nen Ratifizierungsprozess beschleuni- biete erlaubt. Oder die Einführung be-
nale Standards. Wie weit kann sich die gen, damit die Vereinbarungen schnel- stimmter Stabilitätskriterien für Fähr-
IMO auf diese Entwicklung einlassen? ler in Kraft treten können. Oder sie schiffe speziell in Nord- und Ostsee. Der
Mitropoulos: Das Problem mit den re- könnten die Schwelle für die Inkraftset- entscheidende Unterschied ist, dass die-
gionalen Alleingängen ist, dass die zung der Konventionen herunter- se regionalen Lösungen durch den Ent-
Autorität der IMO schleichend unter- schrauben – niemand hält sie davon ab, scheidungsfindungsprozess bei der IMO
graben wird. Es werden Beispiele ge- diese Modalitäten bei der IMO zu ver- entstanden und somit sanktioniert wor-
setzt, die dann Schule machen und die ändern. Ich möchte aber darauf hinwei- den sind.
harmonisierten, internationalen Be- sen, dass wir in der Frage der maritimen
triebsbedingungen in der Seeschifffahrt Sicherheit nach dem 11. September de- Konnten Sie die EU-Vertreter von diesen
aushebeln. Die EU hatte zum Beispiel monstriert haben, dass die IMO sehr Standpunkten überzeugen?
noch ihr Unverständnis geäußert, als die schnell handeln kann. Allen Mitgliedern Mitropoulos: Ich bin grundsätzlich op-
USA durch den Oil Pollution Act von war klar, dass die terroristische Bedro- timistisch. Die Gespräche, die ich mit
1990 eigene Standards für die Tank- hung im Seeverkehr sehr real ist und der Vizepräsidentin der EU-Kommis-
schifffahrt verabschiedete - zwölf Jahre Schiffe ein viel zu leichtes Angriffsziel sion, Frau de Palacio, und Vertretern des
später begeht sie dann denselben Feh- darstellen. Zwar haben die USA eine EU-Parlaments geführt habe, waren
ler, indem sie eigene Maßnahmen in wichtige Rolle bei den Verhandlungen sehr konstruktiv. Die Hegemonie der
Kraft setzt, bevor bei der IMO eine Ent- gespielt, aber auch eine ganze Reihe IMO bei der Entwicklung und Verab-
scheidung getroffen werden kann. Im anderer Staaten wie Großbritannien, schiedung globaler Standards für die
Ergebnis haben wir heute weltweit drei Frankreich, Deutschland und die Indu- Seeschifffahrt muss gesichert werden –
konkurrierende Bestimmungen zur strie selbst haben den Prozess mitge- dafür haben sie ihre Unterstützung er-
Ausmusterung der Einhüllentanker: prägt. Als Ergebnis haben wir nun den klärt.
OPA 90 in den USA, die Post-Prestige- ISPS-Kodex.
Maßnahmen der EU und die übergrei- Dasselbe trifft auf die Lage nach dem Die EU ist dabei, die Kompetenzen im
fenden Vereinbarungen bei der IMO. Es Erika-Unglück von 1999 zu, als die Bereich der Schiffssicherheit stärker zu
wäre für alle Seiten vorteilhafter gewe- IMO-Staaten sich auf die Ausmuste- bündeln, man denke an die Schaffung
sen, wenn Brüssel sich bei der Formulie- rung der Einhüllentanker einigten. Die der European Maritime Safety Agency

SCHIFFFAHRT | 1/2004 11
ver.di re p o r t | INTERVIEW / SICHERHEIT

(EMSA). Wie beurteilen Sie diesen Pro- Programm der Organisation soll ihnen erhöhen. Die Qualität des Schifffahrts-
zess? Lauert da nicht schon weitere helfen, ihre Abläufe auf Vordermann zu registers erhöht sich.
Konkurrenz für die IMO? bringen. Nur lehnen das viele bedeuten-
Mitropoulos: Mein Eindruck ist, dass de Länder noch ab . . . Es herrschen große Zweifel, dass die In-
die EMSA nicht als Regulierungsbehör- Mitropoulos: Ich bin davon überzeugt, dustrie es schaffen wird, die hohen An-
de tätig wird, sondern vielmehr die dass das Bewertungsprogramm auf forderungen des Schiffs- und Hafensi-
Durchsetzung globaler Standards kurz oder lang zu einer Bedingung wird. cherheits-Kodices (ISPS) rechtzeitig um-
unterstützen soll. Insofern sind wir sehr Darauf sollten die Staaten aber nicht zusetzen. Wäre es denkbar, dass die
erfreut über die Schaffung dieser Insti- warten. Ich appelliere an alle Mitglieder, IMO die Inkraftsetzung vom 1. Juli ver-
tution. Ich hoffe, dass die Agentur kon- die Umsetzung des Auditprogramms schiebt?
sequent die Einhaltung der IMO-Vor- schon jetzt voranzutreiben und es frei- Mitropoulos: Die Termine stehen
schriften sicherstellen wird. Solange willig zu nutzen. Die Untersuchung be- fest, und dem kann sich die Industrie
sich die Behörde nur darauf konzen- zieht sich im übrigen nicht nur auf die nicht entziehen – die Mitgliedsstaaten
triert, sehe ich keine Schwächung der Kompetenzen der Flaggenstaatbehör- können zwar, wenn sie es unbedingt
IMO. Ganz im Gegenteil: Bedenken Sie, den, sondern auch auf Funktionen in wollen, einen satzungsgemäßen Än-
dass das beste Mittel gegen regionale den Häfen wie etwa die Besichtigung derungsprozess anschieben. Nur lässt
Alleingänge darin besteht, dass man von Schiffen im Rahmen der Hafen- sich das im Zeitraum bis Anfang Juli
katastrophale Schiffshavarien von vorn- staatkontrolle und Maßnahmen zum nicht mehr bewerkstelligen. Somit
herein vermeidet. Und das lässt sich Küstenschutz. tritt der ISPS-Kodex am 1. Juli in
eben nur durch die konsequente An- Kraft. Es lohnt sich für niemanden,
wendung der bestehenden Vorschriften Welchen Anreiz gibt es denn für die auf eine Verzögerung der Vorschriften
erreichen. Mitglieder, ihre Abläufe prüfen zu las- zu spekulieren. Das wäre auch verant-
sen, solange es nicht Pflicht ist? wortungslos, weil die Gefahr von Ter-
Die IMO hat aber selbst festgestellt, Mitropoulos: Ein Land kann eigentlich roranschlägen hier und jetzt vorhan-
dass viele Flaggenstaaten gar nicht fä- nur davon profitieren, weil es ihm die den ist.
hig sind, die existierenden Standards Chance bietet, seine Leistungsfähigkeit Interview:
durchzusetzen. Ein Flaggenstaat-Audit- bei der Anwendung der Vorschriften zu Michael Hollmann

Gleiche Sicherheitsstandards
EU will Überwachung der Schifffahrt harmonisieren

D
ie Europäische Union will mit Methodik zur technischen Analyse von
der neu gegründeten European Seeunfällen könne den Prozess be-
Maritime Safety Agency (EMSA) schleunigen. Die Ergebnisse sollten in
keine Konkurrenz zu geltenden welt- einer zentralen Datenbank gespeichert
weiten Schifffahrtsübereinkommen und von allen EU-Staaten genutzt wer-
schaffen. Die Behörde soll vielmehr si- den können.
cherstellen, dass alle EU-Staaten bei Auf regelmäßige Besuche von EM-
Foto: Michael Hollmann

der Überwachung der internationalen SA-Mitarbeitern müssen sich zudem die


Sicherheitsvorschriften dasselbe Ni- Schiffsklassifikationsgesellschaften ein-
veau erfüllen. Das betonte der Executi- stellen, die für den technisch einwand-
ve Director der EMSA, Willem de Rui- freien Zustand von Frachtern und Passa-
ter, Mitte dieser Woche auf der Fach- gierdampfern bürgen. Denn zu häufig
konferenz Tanker Operator 2004 in würden mangelhafte Schiffe bei den
London. Die im Seeverkehr geltenden EMSA-Chef Willem de Ruiter: Schiffs-TÜV Prüfern noch als seetüchtig durchge-
Sicherheits- und Umweltstandards, die kommen auf den Prüfstand. hen. Die in der EU zugelassenen Klassifi-
traditionell von der UNO- Seeschiff- kationsfirmen – zwölf an der Zahl – sol-
fahrtsorganisation IMO weltweit fest- ben Bedingungen erfüllen“, so Ruiter. len in Zukunft in Abständen von zwei
gelegt werden, würden in keiner Re- Besonders bei der technischen Unter- Jahren von den Brüsseler Experten eva-
gion so konsequent angewandt wie in suchung von Schiffsunfällen bestehe in luiert werden. „Das werden umfangrei-
Europa, sagte der Niederländer. den meisten Ländern noch hoher che Prüfungen sein, die die gesamten
Doch müssten die Abläufe in den Nachholbedarf. „Die Abschlussberich- betrieblichen Abläufe dieser internatio-
Mitgliedsstaaten noch stärker harmo- te erscheinen häufig viel zu spät und nalen Gesellschaften erfassen“, sagte
nisiert werden. „Unsere Aufgabe ist es, manchmal gar nicht. Der Untergang de Ruiter. „Auf unsere Empfehlung hin
diejenigen zu überprüfen, die für die der Prestige vor Spanien etwa liegt kann die EU-Kommission einer Firma
Überwachung der Schiffssicherheit di- schon 14 Monate zurück, doch es gibt die Zulassung entziehen.“
rekt verantwortlich sind und sicherzu- immer noch keine Ergebnisse“, be- Die EMSA sitzt vorläufig mit zur Zeit
stellen, dass alle Verwaltungen diesel- klagte der Experte. Eine einheitliche 35 Mitarbeitern in Brüssel mph

12 1/2004 | SCHIFFFAHRT
ver.di re p o r t | SEESCHIFFFAHRT

ner Ölkatastrophe zu festgelegten An-


teilen von Reedern und Ölimporteuren
getragen werden, kritisiert die ISU.
Reeder würden aus Angst vor hohen
finanziellen Forderungen gar nicht
erst um Notaufnahme für ein havarier-
tes Schiff bitten. „Das System behan-
delt angeschlagene Frachter wie Aus-
sätzige“, sagte der ISO-Vorsitzende
Joop Timmermans in Rotterdam. Je
länger die Havaristen aber Sturm und
Wellen auf hoher See ausgesetzt
seien, desto größer auch das Risiko,
dass sie auseinander brechen – mit
drastischen Konsequenzen für die
Umwelt. Schäden von mehr als einer
Milliarde Euro soll der bahamische
Tanker „Prestige“ verursacht haben,
der Ende 2002 vor der nordwestspani-
schen Küste versank.

Geschützte Bucht
hätte Schaden begrenzt
Bergungsspezialisten hatten den
Pott tagelang über den Atlantik gezo-
gen,nachdem Madrid ihnen einen si-
cheren Anlaufpunkt verweigert hatte.
Die „Prestige“ liegt mit dem Großteil
ihrer Schwerölfracht jetzt in mehreren
Fotos: Dieter Benze

Kilometern Tiefe auf dem Meeres-


grund. In einer geschützten Bucht hät-
te sich der Schaden „auf unter 50
Millionen Euro begrenzen lassen“,
schätzt Timmermans.
Nach dem Untergang der „Prestige“ im November 2002 vor der spanischen Küste: Die spanische Regelung könnte zu
Helfer/innen sammeln Ölschlamm ein absurden Verhältnissen für die Ber-
gungskräfte führen: Sie müssten mit

Spanien riskiert ansehen, wie „havarierte Schiffe nach


langen Rettungseinsätzen auf hoher
See untergehen, weil die Behörden,

neues Eigner und Versicherer über Geld strei-


ten“.
Der Niederländer fordert die übri-

Tankerunglück gen EU-Küstenstaaten auf, nicht dem


spanischen Beispiel zu folgen.
Michael Hollmann
Experten fordern unkomplizierten
Zugang zu Nothäfen

S
panien riskiert eine Neuauflage Madrid, wonach seeuntüchtige Damp-
des „Prestige“-Unglücks, wenn fer nur dann Notaufnahme an einem
es die Gewährung von Nothäfen Ankerplatz vor der Küste finden,
für angeschlagene Schiffe an hohe wenn der Eigner eine Haftungsgaran-
finanzielle Forderungen knüpft. Da- tie über bis zu 415,2 Millionen Euro
vor warnt der Weltverband der Ber- unterzeichnet. Damit sollen mögliche
gungs- und Schlepperreedereien, die ökologische und wirtschaftliche Schä-
International Salvage Union (ISU). den beglichen werden. Die Regelung
Die Spezialisten sind erbost über verstoße aber gegen internationale
ein neues Gesetz der Regierung in Konventionen, wonach die Kosten ei-

SCHIFFFAHRT | 1/2004 13
ver.di re p o r t | SEESCHIFFFAHRT

Mit schärferer Überwachung des Wasseraustausches neuen Vorgaben auf steigende Umsät-
ze freuen, weil dadurch langfristig ein
von Seeschiffen wollen die Vereinten Nationen
Milliardenmarkt geschaffen wird. Deut-
das Einschleppen fremder Arten in andere Regionen sche Unternehmen und Institute haben
erschweren. sich frühzeitig aufgestellt. „Von unge-
fähr zehn internationalen Forschungs-

B
ei der UNO-Seeschifffahrtsor-ga- Die neuen Vorschriften verlangen, projekten in diesem Bereich entfallen
nisation IMO in London einigten dass Schiffe vorerst „drei Mal auf ho- vier auf Deutschland“, sagt der Mee-
sich mehr als 70 Staaten auf ver- her See ihre Ballasttanks neu befül- resbiologie Dr. Stephan Gollasch, der
bindliche Regeln für den Austausch len“, so Hendrik Bruhns, der als Ver- das Bundesverkehrsministerium berät.
und die Behandlung von Ballastwasser, treter der Schiffsklassifikationsgesell- „Der Trend geht dahin, dass man ver-
das die Dampfer zur sicheren Balance schaft Germanischer Lloyd an den schiedene Behandlungsverfahren mit-
mitführen. Die Auflagen sollen 2009 Verhandlungen in London teilnahm. einander kombiniert, weil keine Metho-
weltweit in Kraft treten. Diese Methode gelte aber nur als de allein ausreicht.“ Eine Möglichkeit
Schätzungen zufolge wird alle „Übergangslösung“, weil sich nicht wäre, das Ballastwasser zuerst zu fil-
neun Wochen irgendwo auf der Welt immer alle Organismen und Sedimen- tern, um so möglichst sparsam die grö-
eine neue Spezies auf dem Seeweg te mit einer Tankdurchspülung entfer- ßeren Organismen zu entfernen, und
eingeführt – häufig mit drastischen nen lassen. „Nach einer Übergangs- anschließend eine Behandlung mit UV-
Konsequenzen für Umwelt und Wirt- frist, die ganz vom Schiffstyp abhängt, Strahlen, Hitze oder umweltfreund-
schaft. In den USA zum Beispiel sollen werden spezielle Behandlungssysteme lichen Chemikalien nachzuschalten. An
einer solchen mehrstufigen Lösung ar-
beiten die Firma Hamann Wassertech-

Fremde Arten nik in Hamburg und ein Konsortium


um das Alfred-Wegener-Institut in Bre-
merhaven.

sollen nicht mehr Aufwand ist für die


Reeder akzeptabel
„mitsegeln“ Gollasch wertet die Konvention über
die Überwachung und Behandlung von
Schifffahrtsstaaten Ballastwasser als „einen vernünftigen
Kompromiss, der die Umweltwünsche
beschließen Ballastwasser-Konvention mit dem technisch Machbaren verbin-
det“. Es verbleiben aber noch weitere
Möglichkeiten zur Artenverschleppung
die Kosten zur Bekämpfung der aus zur Wasseraufbereitung an Bord ge- durch Schiffe, die von den Bestimmun-
Europa eingeführten Zebramuschel in fordert“, meint Bruhns. Die Technik gen nicht erfasst worden seien: Durch
die Milliarden gehen. Der Exot, der per muss strengen Reinheitsstandards ge- Aufwuchs auf dem Schiffsrumpf etwa
Schiff in das Gebiet der Großen Seen nügen und garantieren, dass die An- können Organismen ebenfalls in neue
vorgedrungen ist, wuchert konsequent zahl der überlebensfähigen Organis- Gefilde gelangen.
Wasserleitungen und Abflussrohre zu. men und Bakterien im Ballastwasser Das Bundesverkehrsministerium be-
unter den Grenzwerten bleibt. tont, dass die neuen Bestimmungen ein
Heimische Arten „Damit kommen auch grundlegen- akzeptabler Aufwand für die Reede-
werden verdrängt de Veränderungen auf den Schiffbau reien seien. Sollte sich wider Erwarten
zu“, so der Experte. Denn die zusätz- herausstellen, dass der technische Fort-
Das Problem erkannten die Wissen- lichen Anlagen würden weit mehr schritt in den nächsten Jahren nicht
schaftler erst in den achtziger Jahren: Energie erfordern, als derzeit an Bord ausreicht, um die ehrgeizigen Reinheits-
Frachter nehmen nach dem Löschen verfügbar ist. „Um eine höhere Ener- standards zu erfüllen, könnten die Vor-
der Ladung in den Häfen große Men- gieleistung liefern und die erforder- gaben immer noch international ange-
gen Ballastwasser aus der Umgebung lichen Anlagen unterbringen zu kön- passt werden, meint der Leiter der
auf und fahren damit zum nächsten La- nen, werden die Maschinenräume grö- Unterabteilung Schifffahrt, Eckart Will.
dehafen, häufig in ganz anderen Re- ßer angelegt werden müssen.“ „Wir wollen die Schifffahrt auf keinen
gionen. Dort pumpen sie es samt der Fall behindern. Auch bei den erforder-
darin enthaltenen Organismen im Ha- Zulieferer freuen sich lichen Kontrollen streben wir sehr prak-
fenbecken ab, bevor wieder geladen auf den Umsatz tikable Lösungen an.“ So werde die
werden kann. Stimmen die Umweltver- Überprüfung der Ballastwasserqualität
hältnisse können sich die einge- Außerdem tüfteln die Ingenieure an in den deutschen Seehäfen aller Vor-
schleppten Wassertiere, Algen und sparsamen Lösungen zur Nachrüstung aussicht nach mit der routinemäßigen
Bakterien ausbreiten und heimische existierender Dampfer. Die Schiffbauzu- Hafenstaatkontrolle verbunden.
Arten verdrängen. lieferindustrie kann sich angesichts der Michael Hollmann

14 1/2004 | SCHIFFFAHRT
ver.di re p o r t | SEESCHIFFFAHRT

Teures menschliches Fälle von groben Regelverstößen im


Bordalltag“, so Lumbers. In vielen Fäl-
len würden Farben und andere ent-

Versagen zündliche Vorräte schlampig gestaut,


Reparaturarbeiten an Bord ohne Ge-
rüst oder andere Sicherheitsmaßnah-
UK P&I Club: men ausgeführt, Brandschutzvor-
schriften missachtet, Türen und Riegel
Grobe Verstöße im Bordalltag nicht vorschriftsmäßig geschlossen
usw...

Menschliche Irrtümer ben stark zugenommen.“ Er schätzt, Es wird oft grob


und Fehleinschätzungen dass die Seeversicherungsbranche je- fahrlässig gehandelt
im Seefahreralltag sind des Jahr 541 Millionen US-Dollar für
Vorfälle berappt, die sich durch Acht- Aber nicht nur die Seeleute, son-
ein viel größeres Risiko
samkeit der Seeleute und Kapitäne dern auch Umschlag- und Packbetriebe
als Mängel bei Konstruk- hätten verhindern lassen. würden zu häufig unachtsam vorge-
tion und Wartung von hen. Dabei seien neben Irrtümern, die
Schiffen. Entzündbares wird sich auf einen zu geringen Kenntnis-
schlampig gelagert stand der Verantwortlichen zurückfüh-

D
arauf weist der in London ansäs- ren lassen, mindestens genauso viele
sige UK P&I Club, der größte Der UK P&I Club hält 54 Prozent al- Fälle auszumachen, in denen gut aus-
Seehaftpflichtversicherer der ler von ihm registrierten schwerwie- gebildete Beschäftigte fahrlässig oder
Welt hin. genden Vorfälle mit Schäden von grob fahrlässig handeln. Nicht selten
Der Chef-Inspekteur des Clubs, mehr als 100 000 US-Dollar für würden routinierte, monotone Abläufe
Karl Lumbers: „Die Schäden, die auf „menschlich bedingt“. Der Versiche- die Aufmerksamkeit der Seeleute auf-
Fehler des Personals zurückgehen, ha- rungsverein erfahre „jeden Tag neue weichen. mph

Vergleich zur standsklauseln des HTV-See vom 11.


März 2002 und des HTV-See vom 10.
Januar 2003 werden in der Weise

Besitzstandsklausel praktiziert, dass die Beschäftigten bis


zum 30. September 2003 Anspruch
auf die Juniheuer 2002 haben (ein-
Vorschlag des Arbeitsgerichts Hamburg schließlich der Vergütung für alle ge-
leisteten Überstunden).

D
ie Anwendung der Besitzstands- dem alten Tarifvertrag von 2002. die Ab dem 1. Oktober 2003 wird die
klausel des HTV-See vom 11. Reederei war der Auffassung, unzuläs- Besitzstandsklausel des HTV-See vom
März 2002 war zwischen einer sige Überstunden müssten bei der Be- 10. Januar 2003 in der Weise prakti-
Reederei und einem Besatzungsmit- rechnung außen vor bleiben. ziert, dass die Beschäftigten Anspruch
glied strittig. Der Seemann forderte auf die Juniheuer 2002 haben, bezüg-
auf der Grundlage seiner bisherigen Ein Vergleich nach lich der Vergütung für Überstunden
160 Überstunden monatlich eine Be- intensiver Beratung allerdings begrenzt auf maximal 150
zahlung nach der Besitzstandsklausel Stunden. (Aktenzeichen: S 1 Ca
von 2002. Diese besagt, dass der See- Das Arbeitsgericht Hamburg hat 491/02)
mann nach dem neuen Tarif nicht nie- nach intensiver Beratung folgenden Der Vergleichsvorschlag wurde von
driger bezahlt werden darf, als nach Vergleich vorgeschlagen: Die Besitz- beiden Seiten angenommen. ❏
Zeichnung: Muirhead

SCHIFFFAHRT | 1/2004 15
ver.di re p o r t | ITF

A
m 1. März 2004 fiel ein 41-jäh-
riger philipinischer Matrose der
P&O Nedlloyd Finland über
Bord. Er konnte erst 30 bis 40 Minuten
Tödlicher Unfall
später geborgen werden und starb auf Matrose musste auf der Elbe entlaschen
dem Weg ins Krankenhaus. Er hinter-
läßt seine Ehefrau und drei Kinder. zur Reparatur in die Norderwerft. die Container gelascht werden, um eine
Was war geschehen? Die P&O Nedl- Während der Ermittlung der Unfall- sichere standfeste Verbindung mit dem
loyd Finland befand sich auf der Elbe ursache, sagte ein Aufsichtsbeamter der Schiff zu haben. Welchen Sinn macht es
Richtung Hamburger Hafen, Höhe Koll- SeeBG der Polizei, dass es sich bei den da, die Container schon vor dem Errei-
mar (Pagensand). Der Bootsmann und Lascharbeiten, mit denen der Seemann chen des Hafens zu entlaschen und da-
der Matrose hatten vom Kapitän die Or- auf der P&O Nedlloyd beauftragt war, mit für einen Teil der Reise auf die ord-
der bekommen, die Container zu entla- um normale seemännische Tätigkeiten nungsgemäße Sicherheit der Ladung zu
schen. Achtern kam die Cosco Hamburg gehandelt habe. Seit wann das denn? verzichten? Gleiches zählt natürlich
und begann zu überholen. Hierbei kam Die Seeleute haben den ITF-Inspektoren auch für das Auslaufen eines Schiffes,
es zur Kollision, die Cosco Hamburg (65 erklärt, dass sie zum Beispiel in Antwer- wenn die Container erst während der
531 BRZ) kollidierte mit dem Heck den pen von den Hafenarbeitern boykottiert Fahrt gelascht werden. Das An- und
Steven der P&O Nedlloyd Finland (3 999 würden, wenn sie die Container entla- Auslaufen eines Hafens hat viele Risiken,
BRZ). Durch den Aufprall wurden der schen. In Antwerpen sei es normale Ha- die nicht durch ungelaschte Container
Matrose und ein schon entlaschter Con- fenarbeit, die Container zu laschen. vergrössert werden sollten.
tainer über Bord geworfen. Dass es manche Charterer und Reeder Es sollte auch darüber nachgedacht
Die Wasserschutzpolizei hat eine überwiegend aus dem Feederbereich werden, ob Praktiken wie Selbstlaschen
Sonderermittlungsgruppe zur Klärung anders handhaben, führe nicht automa- nicht doch zur Umsetzung der EU-Direk-
des Sachverhalts eingesetzt. Die Cosco tisch zur seemännischen Tätigkeit. tive Port Package führen. Die Hafenar-
Hamburg durfte den Hamburger Hafen Es fehlt in der Regel an der Qualifika- beiter aus Antwerpen scheinen dies zu-
erst nach einer Sicherheitszahlung von tion und dem Equipment an Bord, um mindestens so zu sehen und lassen sich
20 520 Euro verlassen. Die P&O Nedl- diese Tätigkeiten sicher ausführen zu ihre Arbeit nicht wegnehmen.
loyd Finland ging nach Löscharbeiten können. Ganz abgesehen davon, dass Jörg Stange

20 Jahre ITF in Bremen


Basis für Kampf gegen Billigflaggen

V
or mehr als 20 Jahren wurde das
abgeschlossene Tarifverträge
Büro der Internationalen Trans-
portarbeiter-Föderation (ITF) in 900
Deutschland von Hamburg nach Bre-
800
men verlegt.
700
Von da an nahm der Umfang der
ITF-Arbeit in Deutschland ständig zu. 600
Von 1983 bis 1987 wurden mit 500
zwei ITF- Inspektoren 804 Schiffe be-
400
sucht, 86 ITF- Verträge unterzeichnet,
630 316 Euro an ITF-Beiträgen kassiert 300
und 1,8 Millionen Euro an ausstehen- 200
den Heuern von den Reedern nachbe-
100
zahlt.
Von 1988 bis 1992 haben drei In- 0

spektoren 1342 Schiffe besucht, 517


83

84

85

86

87

88

89

90

91

92

93

94

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98

99

00

01

02
19

19

19

19

19

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19

19

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19

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19

19

19

20

20

20

ITF-Verträge unterzeichnet, 2,11 Milli-


onen Euro an ITF-Beiträge kassiert und
2,7 Millionen Euro an ausstehenden Von 1998 bis 2002 wurden 5776
Das wurde erreicht Heuern von den Reedern nachbezahlt. Schiffe besucht, 3861 ITF-Verträge
Von 1993 bis 1997 haben vier In- unterzeichnet, 13,9 Millionen Euro
In 20 Jahren ITF-Arbeit in Deutschland
spektoren 3491 Schiffe besucht, ITF-Beiträge kassiert und 5,8 Millionen
wurde folgendes erreicht:
1865 ITF-Verträge unterzeichnet, 4,7 Euro ausstehende Heuern von den
11 431 Schiffsbesuche
6 329 Vertragsunterzeichnungen
Millionen Euro an Beiträgen kassiert Reedern nachbezahlt.
21 426 545 Euro Beitragseinnahmen, und 4,95 Millionen Euro an ausste- Seit 1996 werden ITF-Aktions-
15 290 155 Euro Heuernachzahlungen. henden Heuern von den Reedern wochen in europäischen Häfen veran-
nachbezahlt. staltet. ❏

16 1/2004 | SCHIFFFAHRT
ver.di re p o r t | BINNENSCHIFFFAHRT

Berliner Wasserstraßen
als Freizeitpark?
Binnenschifffahrt wird eingeschränkt und der Lkw-Verkehr nimmt zu
Wasserstraßen in Berlin, te Politik der Städteplanung und portwege des LKW`s innerhalb der
widerspricht der ursprünglich gewoll- Stadt erheblich zu reduzieren.
die bisher zur Güterbe-
ten Einbindung aller Verkehrsträger in Die Möglichkeit, den Umschlag
förderung genutzt wur- ein ökologisch vernünftiges Verkehrs- vom Binnenschiff auf den LKW und die
den, sollen aufgrund poli- konzept der Stadt. Bahn ökologisch und ökonomisch
tischer Fehleinschätzun- Daher ist es notwendig, dass der sinnvoll zu nutzen und dies ohne die
gen in Spielstraßen für Teltowkanal ausgebaut wird, der Er- Bürger der Stadt damit zu belasten,
Freizeitkapitäne und als halt der vorhandenen Häfen und Lade- das wäre moderne Verkehrspolitik, wie
stellen gesichert wird und damit dem wir sie uns vorstellen können. Wander-
Erholungsgebiete um-
Verkehrsträger Binnenschifffahrt und wege an den Ufern der Berliner Was-
funktioniert werden. der verladenden Wirtschaft in Berlin serstraßen sind keine Begründung,
warum die Ladestellen verschwinden

D
ie West-Ostverbindung soll sich sollen. Im Gegenteil. Häfen sind immer
auf eine Verbindung bis Berlin ein touristischer Anziehungspunkt
Westhafen beschränken, die und müssen nicht, wie politisch darge-
restlichen Wasserstraßen bleiben für stellt, zur Belästigung der Anwohner
Sport und Freizeit und der Fahrgast- führen. Hier sind Lösungen möglich,
schifffahrt vorbehalten; in der Konse- die allen Seiten gerecht werden.
quenz, dass vorhandene Häfen nicht Erst war die Stelle zum Be- und Ent-
genutzt werden und später aus diesem laden der Schiffe da. Daraus wurde ein
Grund für touristische Zwecke bzw. als Hafen und Handelsplatz mit Händlern,
besonders attraktives Bauland für Ei- die durch das maritime Gewerbe ver-
genheime oder Büroflächen ausgewie- sorgt wurden. Gleichzeitig siedelte
sen werden. Die Bebauung der Grund- sich verarbeitendes Gewerbe und
stücke an den Ufern der umfangrei- Transportunternehmen an, die das
chen Berliner Wasserstraßen mit Hinterland mit Waren versorgten. Neu
Wohn- und Bürogebäuden entzieht entstandene Arbeitsplätze hatten
dem Verkehrsträger Binnenschifffahrt weiterhin zur Folge, dass Wohnsied-
immer mehr die Möglichkeiten für die lungen und andere Handelseinrichtun-
Foto: Kay Herschelmann

Stadt Berlin Ent- und Versorgungsauf- gen entstanden und sich so der Aufbau
gaben zu übernehmen. Dadurch wer- unserer Städte entwickelte.
den die Möglichkeiten der Nutzung Was wird heute gemacht? Es wer-
des ökologischen Verkehrsträger den Grundstücke am Wasser verkauft,
Binnenschifffahrt immer weiter einge- weil sie für Wohlhabende am besten zu
schränkt und in die Außenbezirke ver- vermarkten sind. Dann werden Woh-
lagert. Die Konzentrierung der Verla- Binnenschiff in Berlin nungen gebaut mit der Begründung
dung auf den Westhafen alleine ist für der guten Wohnqualität und der
eine so große Stadt wie Berlin nicht die Möglichkeit gegeben wird, Trans- Schaffung von Dienstleistungsarbeit-
sinnvoll. porte mit dem umweltfreundlichen splätzen im Kleingewerbe.
Die Möglichkeiten des Westhafens Binnenschiff durchzuführen. Zeitgleich gehen aber immer mehr
sind schon jetzt territorial einge- Ein weiteres Verschwinden von Hä- Industriearbeitsplätze verloren, weil
schränkt. Wenn man bedenkt, dass ein fen und Ladestellen wäre vergleichbar sich das Gewerbe aus der Gegend ver-
Binnenschiff in Zukunft etwa 1500 mit der Schließung der Bahnhöfe und abschiedet, ins Umland abwandert
Tonnen Güter nach Berlin bringen Haltepunkte der Bahn, frei nach dem oder sogar ganz aufgibt.
kann, das bedeutet, etwa 300 bis 350 Motto „Die Trassen sind da, ihr könnt Eine Weiterführung dieser verfehl-
Lastkraftwagen verteilen die Ladung dort auch fahren, nur anhalten und La- ten Verkehrspolitik und Städteplanung
nur eines Binnenschiff. Die Schließung den oder Löschen dürft ihr nicht“. hat zur Folge, dass damit verbundene
von kleineren Häfen und das Ver- Zur Erinnerung: Berlin wurde vom Arbeitsplätze in Berlin verloren gehen,
schwinden von Liegestellen für Schiff aus aufgebaut und hatte mal der umweltfreundliche Transporteur
Binnenschiffe in Berlin, insbesondere über 20 Binnenhäfen. Keine andere Binnenschifffahrt nicht genutzt wird
in der City zwischen Köpenick und Stadt hat so viel Möglichkeiten, die und die zu transportierenden Güter
Westhafen, verstärkt den Lkw-Verkehr Wasserstraßen als Verkehrstrasse zu auf die Straße verlagert werden.
in der Stadt, ist eindeutig eine verfehl- nutzen wie Berlin und damit die Trans- Frank Herdegen

SCHIFFFAHRT | 1/2004 17
ver.di re p o r t | BINNENSCHIFFFAHRT

Trend zur Während dem 3. Internationalen Wirtschafts-


kongress der Zentralkommission für

Automation die Rheinschifffahrt ( ZKR ) im Dezember


2003 in Paris, standen als Themen
„Die Binnenschifffahrt und ihre nachhaltige
Wirtschaftskongress Entwicklung“, „Entwicklung der Binnenschiff-
fahrtstätigkeit“ sowie „Markt und Logistik“
für Rheinschifffahrt in Paris im Vordergrund.

D
er in Zusammenarbeit mit dem Sicherheit und Leichtigkeit im Verkehr Andere Referate befassten sich mit
französischen Ministerium für mit diesen Maßnahmen in Gefahr ge- dem Thema „Sozialer Rahmen im Wan-
Ausrüstung, Verkehr und Woh- raten, wurden ignoriert. del“. Dass die vierte Technische Revolu-
nungsbau organisierte Kongress ver- Im ersten Teil der Referate über tion der Binnenschifffahrt nochmals das
deutlichte in den Begrüßungsanspra- neue technische Konzepte im Binnen- soziale Umfeld der Beschäftigten verän-
chen des Präsidenten und des General- schiffsbau war spektakulär Neues nicht dert, ist sicher zutreffend, wenn man
sekretärs, dass der bisherige ZKR- Zu- zu erfahren. Das Ziel, den Doppelhül- sich an die erlebten Veränderungen der
ständigkeitsbereich Rhein im immer lenbau für Tankschiffe aus Sicherheits- vergangenen Jahrzehnte erinnert.
größer werdenden Europa erweitert gründen stärker zu forcieren und mög- Beim Umgestalten der sozialen Rah-
werden soll. lichst bald Schiffe zu entwickeln, die menbedingungen liegen die Schwer-
Grundlage für die erweiterten Auf- auch bei extrem niedrigen Wasserstän- punkte aus Sicht der Referenten bei der
gaben- und Zuständigkeitsbereiche den einsatzfähig sind und wirtschaft- Arbeit in Form von mehr Verantwor-
der ZKR, ist unter anderem das im ver- lich betrieben werden können, ist tung, dem veränderten Arbeitsrhyth-
gangenen Jahr unterzeichnete Koope- grundsätzlich zu befürworten. mus und dem Leistungsgefüge. Die
rationsabkommen der EU-Kommission Schwerpunkt im zweiten Teil der körperliche Arbeit wird immer weniger
mit der Zentralkommission für die Referate war das ZKR-Projekt „ Schiffe und die mentale Belastung wird stark
Rheinschifffahrt. der Zukunft“. Aufgrund der bereits be- zunehmen. Das uns bekannte Binnen-
Im Lob für die Zusammenarbeit der kannten Studie, war zu erwarten, dass schiffermileu geht verloren und muss
EUKommission mit der ZKR war im die weitere Reduzierung der Mindest- durch andere soziale Faktoren kompen-
Unterton deutlich zu vernehmen, Zu- besatzung im Zusammenhang mit der siert werden. Die fast unbegrenzten
sammenarbeit ja, aber keine hierarchi- technischen Entwicklung für die Schif- Möglichkeiten der Kommunikation, in
sche Bestimmung durch die Kommis- fe der Zukunft ein wichtiges Ziel sei. Verbindung mit überschaubarer Frei-
sion. Doch hier waren wesentlich leisere Tö- zeitregelung könnten die Situation zur
ne zu hören als erwartet. Gestaltung für Beruf und Familie we-
Sicherheit steht Auch der technische Wandel der sentlich verbessern.
an vorderster Stelle Binnenschifffahrt und die daraus resul-
tierenden Arbeitsbedingungen für die Körperliche Arbeit
Für die EU-Kommission steht die Si- Besatzungen und das neue Aufgaben- wird immer weniger
cherheit des Verkehrsträgers an vor- profil für die Schiffsführung wurden
derster Stelle. Zitat: „Es muß ein mehr besprochen. Neue und verbesserte Ri- Wer in Zukunft junge Leute für die-
und nicht ein weniger an Sicherheit ge- ver-Informationssysteme geben eine sen Beruf gewinnen will, muss das Aus-
ben. Diese Meinung wird durch die Fülle von Informationen an die zukünf- bildungsprofil anheben. Image und
Aussagen der ZKR- Vertreter verstärkt, tige Schiffsführung und bewirken Stellenwert müssen verbessert werden.
die aufgrund des komplexen Verkehrs gleichzeitig einen Quantensprung in Gesicherte Perspektiven müssen für
auf dem Rhein, insbesondere für die- der Ausbildung. den Neueinsteiger erkennbar sein. Im
sen Fluss, gegebenenfalls auch für an- Technische Prozesse und zeitgemä- Zusammenhang mit dem immer größer
dere Wasserstrassen, sehr hohe Sicher- ße Innovationen könnten dazu führen, werdenden Europa und dem sozialen
heit fordern. Auf jeden Fall müssen die dass das Schiff, abgesehen von einigen Gefälle zu den ehemaligen Ostblok-
differenzierten Bestimmungen des speziellen Vorgängen, völlig automati- kländern, dürfte dies für alle Beteiligten
Rheins zu anderen Wasserstrassen, er- siert gesteuert wird. in Europa eine große und sehr schwieri-
halten bleiben, so die ZKR. Damit soll erreicht werden, dass die ge Aufgabe werden.
Diese lobenswerte Zielsetzung lässt geistige und körperliche Belastung des Was Liberalisierung ohne Harmoni-
aber Zweifel aufkommen, wenn man Schiffsführers während eines Großteils sierung bedeutet, erleben wir seit vielen
die letzte Revision von Kapitel 23 der der Dienstzeiten auf ein Minimum be- Jahren. Nur eine veränderte Vorgehens-
Rheinschiffs-Untersuchungsordung schränkt wird. Wesentlich aber ist, weise, gepaart mit sachlich und fachlich
zur Mindestbesatzung Revue passieren dass ein optimal ausgebildeter Nauti- fundamentierter Zusammenarbeit der
lässt. Hier wurde gegen das Veto der ker jederzeit in den laufenden Prozess zuständigen Institutionen und Sozial-
internationalen Gewerkschaften die der automatischen Navigation eingrei- partner, sind aus heutiger Sicht Garant
Quantität und die Qualität der Besat- fen kann und ohne Zeitverluste die Na- für eine gute Umsetzung im Sinne der
zung reduziert. Unsere Bedenken, dass vigation selbst übernimmt. europäischen Binnenschifffahrt.

18 1/2004 | SCHIFFFAHRT
ver.di re p o r t | BINNENSCHIFFFAHRT

Zum dritten Thema Markt und Logi- ge den gemeinsamen Binnenmarkt und gen Gütern innovative Angebote und
stik, war deutlich zu vernehmen, dass gehe auf Kosten der Effizienz. Die logistische Lösungen erarbeiten, so die
das Ziel eines einheitlichen europäi- Binnenschifffahrt müsse künftig fester EU- Kommission.
schen Binnenschifffahrtsmarktes noch Bestandteil intermodaler Transportket- Die Vielfalt der angesprochenen
lange nicht erreicht ist. Das Nebenein- tenlogistik sein. Unabhängig von staat- Themen und Probleme, die nur in Kurz-
ander verschiedener Rechtsordnungen lichen Rahmenbedingungen sollte das fassung wiedergegeben wurden, ma-
in der europäischen Binnenschifffahrt Gewerbe von sich aus die Initiative er- chen deutlich, vor welch großen Her-
führt ständig zu Überschneidungen und greifen und die Kooperation mit ande- ausforderungen die europäische
Problemen, so der Vertreter der Gene- ren Verkehrsträgern , der verladenden Binnenschifffahrt steht, wenn sie den
raldirektion Transport und Energie der Wirtschaft und der Spedition suchen. Wettbewerb mit den konkurrierenden
EU- Kommission. Die vorhandene Viel- Die Binnenschifffahrt selbst müsse Verkehrsträgern nicht verlieren will.
falt der Rechtsvorschriften beeinträchti- angesichts des Trends zu höherwerti- Hans- Werner Kayßer

Abschied von der Ausbildung


Berufsschule für Binnenschiffer in Schönebeck soll eingespart werden
Die Berufsbildende Schule in Schönebeck soll sich der Gewerkschaft ver.di wurde eine
wegen Einsparungen von jährlich 2 500 Euro unter Ausbildungsqualität erreicht, die im
Gewerbe einen ausgezeichneten Ruf
anderem von der traditionellen Berufsausbildung der hat.
Binnenschiffer verabschieden. Damit soll der über Die Beschlüsse des Kreistages am
hundertjährige und einzige Ausbildungsstandort in 25. Februar 2004 zur Hauhaltskonsoli-
den neuen Bundesländern platt gemacht werden. dierung sind ein Schlag ins Gesicht al-
ler Betriebe, die gewillt sind, Binnen-

N
ach der „Deutschen Einheit“ ist Ein Verein zur Förderung der schiffer auch in den neuen Bundeslän-
fast die gesamte Industrie in Schö- Binnenschifferberufsausbildung wur- dern auszubilden, zumal fast alle, die
nebeck den Bach runtergegan- de gründete und hat sich als Sitz die in Schönebeck ihre Ausbildung absol-
gen. Welch ein Segen, dass man den Bau Berufsbildende Schule des Landkreises viert haben, aus den neuen Bundeslän-
des Berufsschulzentrums in dem gebeu- Schönebeck auserkoren. Der Ausbil- dern kamen.
telten Landkreis verwirklichen konnte. dungsort Schönebeck und die gute
Ausbildungsqualität sollten erhalten Wer lernt schon
Seit 1994 in Betrieb: und ausgebaut werden. Mit dem Wis- wo Schönebeck liegt ?
hochmoderne Einrichtung sen, dass Binnenschifferausbildung
nicht mehr im großen Maße stattfin- Die Mitglieder des Kreistages Schö-
Mit dem Berufsschulzentrum Schö- den würde, sollte die Ausbildung von nebeck sollten ihre Beschlüsse überden-
nebeck, das 1994 in Betrieb genom- Binnenschiffern in Schönebeck geför- ken. Schon jetzt hat Schönebeck eine
men wurde, verfügte der Landkreis dert werden. Arbeitslosenquote von knapp 23 Pro-
über eine hochmoderne Einrichtung zent, der Altersdurchschnitt ist seit 1995
der Berufsausbildung. Für 2 000 Schü- Zusammenarbeit Schule bis 2003 von 40,7 auf 44,6 angestiegen,
ler und Auszubildende erfolgt die Aus- und Ausbildungsbetrieb seit 1998 haben fast 3500 vor allem jun-
bildung in den Berufsfeldern Wirt- ge Menschen den Landkreis verlassen.
schaft und Verwaltung, Metall-, Binnenschiffer, Lehrer und Vertreter Eine länderübergreifenden Berufs-
Elektro-, Bau- und Holztechnik, Farb- von Unternehmen bemühten sich um ausbildung hat Vorteile. Der Bekannt-
technik und Raumgestaltung, Ernäh- die kontinuierliche Verbesserung der heitsgrad des Kreises, der wirtschaftlich
rung und Hauswirtschaft, Sozialpflege schulischen Rahmenbedingungen für auf den Tourismus setzt, wächst auch
sowie Agrarwirtschaft. die Aus- und Fortbildung von Binnen- durch solche Einrichtungen. Wer lernt
Die Schifferschule Schönebeck - als schiffern. Sie unterstützten die Zu- schon in der Schule, wo Schönebeck
einzige Bildungseinrichtung für die sammenarbeit von Schule und Ausbil- liegt? Binnenschiffer kennen den Ort!
Ausbildung von Binnenschiffern in den dungsbetrieben, setzten sich für Part- Sollte der Kreistag bei seiner Entschei-
neuen Bundesländern - wurde in die- nerschaften zu anderen Einrichtungen dung bleiben, bedeutete dies die fakti-
sen Schulkomplex integriert und damit der Binnenschifferausbildung in Euro- sche Einstellung der Ausbildungstradi-
traditionell weitergeführt. Die Grund- pa ein. Hier sind besonders die freund- tion für die Binnenschiffer. Dann sollte
lagen waren 1985 geschaffen worden. schaftlichen Beziehungen zur Schule in konsequenterweise der Slogan der
Zu Recht wurde demonstriert, dass der Decin zu erwähnen. In Zusammenar- Stadt, im Internet unter www.Schök-
neue Schulkomplex eine überregionale beit mit den Ausbildungsbetrieben aus ebeck.de zu sehen, „Schönebeck –
Bedeutung haben soll und die Berufs- den neuen Bundesländern, der Berufs- Stadt im Aufbau“ geändert werden.
ausbildung wurde für länderübergrei- bildenden Schule des Landkreises „Schönebeck – Stadt im Abbau“ wäre
fende Fachklassen integriert. Schönebeck, der IHK Magdeburg und dann passender. Frank Herdegen

SCHIFFFAHRT | 1/2004 19
Postvertriebsstück • DPAG • Entgelt bezahlt • E 11130 F
Absender ver.di · Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e.V.

ver.di re p o r t | GLOSSE

Empfänger:

D
u, Fiete, du weißt was ein SM ist?“ ten Ausbildungsplatz finden, am besten bei
Fiete grinst und sagt: „Ein Sado-Ma- einem Reeder, der noch Reeder ist. Dann
sochist“. „Quatschkopp, das musst muss das Glück dazu kommen, dass moti-
du doch wissen, das ist ein Schiffsmechani- vierte Ausbilder an Bord sind usw. usw. Wie
ker,“ erwidert Hannes, der seit einigen Wo- gesagt, ne Menge Probleme.“
chen zu seinem Gang gehört. Hannes war „Ja und, was meinst du denn nun?
vorher Hafenfacharbeiter, ist aber durch die Kann man das wagen, mal abgesehen da-
Containerisierung durch den Rost gefallen. von, dass ich meine Tochter eigentlich nicht
Er war bei einer kleinen Stauerei, die spe- an Bord lassen will,“ fragt Hannes ganz
ziell konventionelle Ladung umgeschlagen gnaddelig. „Wovor hast du denn Angst, da-
hatte. vor dass deine Tochter unter die Räder
„Warum fragst du denn, wenn du kommt, oder dass sie nachher mehr ist als
weißt, dass ich das auch weiß?“ „Also“, ein einfacher Festmacher?“ antwortet Fiete
Hannes will gerade zu seiner Story ausho- fragend und fügt hinzu: „Die allermeisten
len, als Fiete sagt: „Das kannst du mir im Mädchen, die ich als Schiffsbetriebsmeister
Auto erzählen. Wir müssen los, in einer und später im Prüfungsausschuss für die
Stunde kommt ein Tanker zum Ölhafen SM-Prüfungen erlebt habe, waren besser in
und dahin ist ein langer Weg.“ fast allen Arbeiten und Wissen. Und so viel
Als sie im ich weiß, haben sie sich auch an Bord
Fiete Festmacher Auto sind, legt durchgesetzt.“
Hannes erneut los: „Soll ich sie denn machen lassen?“

Mädchen sind „Also, gestern


Abend kommt doch
meine Tochter an
bohrt Hannes nach. „Lass dich doch noch
mal von der Gewerkschaft beraten und lass
sie als Ferienfahrer fahren. Dann könnt ihr

oft besser und sagt, Papa, ich


will ’ne SM-Ausbil-
dung machen und
immer noch entscheiden. Wenn dann die
Bedingungen stimmen, also vernünftige
Reederei, Tarifbindung und deine Gören
danach Nautik oder Technik studieren. Ich auch was über die Risiken wissen und im-
war vielleicht was platt. Und dann kommt mer noch wollen. Dann weiß ich nicht, was
es ganz dicke. Der 14-jährige Max kommt dagegen sprechen sollte,“ erwidert Fiete.
hinterher und sagt, ich auch, aber ohne „Dann kriegst du vielleicht sogar zwei
studieren. Die Deern, die macht ja Abitur SM, ein Starkes Mädchen und einen Stram-
demnächst und der Junge will mit Real- men Max.“, schickt Fiete grinsend hinter-
schule, oder wie das jetzt heißt, aufhören. her.
Ich hab’ erst mal Müdigkeit vorge- Er hält am Terminaltor, meldet sich beim
täuscht und sie auf später vertröstet, weil Pförtner und sagt juxend zu Hannes: No-
ich darüber schlafen musste und so auch ch’n SM, Sicherheits-Manager.“
mit dir darüber schnacken kann. Was sagst
du jetzt, die Deern will zur See und der Jun-
ge auch?“
Fiete schluckt zweimal und meint: „Das
sind viele Probleme auf einmal. Erst musst
du mal darüber nachdenken, ob die beiden
denn überhaupt eine Perspektive in dem
Beruf haben. Ich sag nur mal Ausflaggung,
Billigbesatzungen, Arbeitsplatzsicherheit
mit Fragezeichen, aber auch Karrieremög-
lichkeit wegen Überalterung in der See-
schifffahrt und bei guter Ausbildung auch
’ne gute Perspektive in alle Richtungen mit
Ausrufungszeichen. Wenn man sich dann
entschieden hat, dann musst du einen gu-

20 1/2004 | SCHIFFFAHRT

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