am: 11.08.2020
[69] Pandemie
– Justiz – Menschenrechte
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ANDREAS ZÜND /CHRISTOPH ERRASS
Schlagwörter: Pandemie, Epidemie, endemisch, pandemisches Risiko, Risikoprävention,
Vorbereitung des Risikoeintritts, Risikobewältigung, Epidemiengesetz,
Epidemienverordnung, COVID-19-Verordnung 2, WHO, Grund- und
Menschenrechte, insb. Art. 12 UNO-Pakt I, Grundrechtekollision, Kerngehalt,
Verhältnismässigkeitsprüfung, Nichtwissen
A. Einleitung
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Am 16. März 2020 hat der Bundesrat wegen des Coronavirus gestützt auf Art. 7 EpG die
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«ausserordentliche Lage» erklärt. Mit der COVID-19-V 2 hat er bereits am 13. März 2020
einschränkende Massnahmen erlassen. Die Verordnung wurde und wird beinahe täglich revidiert
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und dabei erweitert. Sie gilt grundsätzlich nur für die Dauer von sechs Monaten (Art. 12 Abs. 3).
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Daneben hat der Bundesrat weitere Verordnungen erlassen. Zuvor hat der Bundesrat
Massnahmen gestützt auf die Verordnung (1) vom 28. Februar 2020 über Mass [70] nahmen zur
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Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) verordnet. Schon am 11. März 2020 hat die WHO
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COVID-19 als Pandemie charakterisiert. Im Anschluss daran haben viele Länder verschiedene
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Massnahmen ergriffen mit dem Ziel, die Infektionskurve abflachen zu lassen.
Übertragbare Krankheiten, also Krankheiten, die durch Krankheitserreger oder deren toxische
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Produkte auf den Menschen übertragbar sind, haben die Menschheit seit je beschäftigt. Sie sind
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Begleiter von Migrations- und Zirkulationsräumen, wie etwa die Beulenpest um ca. 1330 (zweite
Pestpandemie), welche sich während rund vier Jahrhunderten von Zentralasien bis nach Portugal
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und Marokko (allenfalls bis in einige Städte im spanischen Mittelamerika) ausbreitete oder die
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Grippe-Epidemie 1918 (spanische Grippe) , die von amerikanischen Soldaten nach Europa
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eingeschleppt wurde und sich danach auf den europäischen Schlachtfeldern ausbreitete. Parallel
dazu haben Menschen – wohl erstmals GIROLAMO FRACASTORO (1478 – 1553) – versucht, den
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Ursachen auf den Grund zu gehen. Noch 1890 äusserte sich ROBERT KOCH, dass man nichts
über die Krankheitserreger der Influenza wisse und diese wohl nicht zu den Bakterien gehörten,
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sondern es sich bei diesen um andere Mikroorganismen handeln müsse. Auch auf
schweizerischer politischer Ebene war die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten seit Langem
virulent. Trotz fehlender Kompetenz in der Mediationsverfassung [71] oder des Bundesvertrages
beschäftige sich die Tagsatzung bereits 1805 mit diesem Thema und nahm 1807 – mit Ausnahme
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von Waadt und Freiburg – eine entsprechende Verordnung an. In der BV 1848 und BV 1874
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finden sich – wie in der BV (Art. 118 Abs. 1 und 2 lit. c) – denn auch bereits entsprechende
Bundeskompetenzen. Von 1973 bis 2010 sind rund 40 neue Krankheitserreger (Bakterium oder
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Virus) identifiziert worden. Neue wissenschaftliche Entdeckungen zu deren wirksamen
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Bekämpfung und Behandlung konnten damit nicht Schritt halten. Nicht jeder Krankheitserreger
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löst indes eine Pandemie aus.
Der Begriff der Pandemie findet sich weder im EpG noch in der dazugehörigen
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Epidemienverordnung noch in der COVID-19-V 2 noch im übrigen Bundesrecht. Die nunmehr
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aufgehobene Influenza-Pandemieverordnung vom 27. April 2005 enthält in Art. 2 lit. b folgende
Definition: Zeitlich begrenzte, weltweite und massive Häufung von Erkrankungen beim Menschen,
die durch ein neuartiges Influenzavirus verursacht werden, das sich rasch ausbreitet, hoch
ansteckend ist und gegen das ein grosser Teil der Weltbevölkerung keine Immunität besitzt. Etwas
kürzer lautet die Glossardefinition der Botschaft EpG 2010: Zeitlich begrenztes, weltweites, massiv
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gehäuftes Auftreten einer Infektionskrankheit. Pandemien grenzen sich gegenüber Epidemien
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dadurch ab, dass sie weltweit und nicht nur örtlich begrenzt auftreten. Endemisch ist eine
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Infektionskrankheit, wenn sie einheimisch ist und konstant in der Bevölkerung zirkuliert.
Die Phase der Risikoprävention soll verhindern, dass das Risiko überhaupt eintritt. Dabei muss das
Risiko erkannt, abgeschätzt und überwacht werden. Darunter fallen z. B. die Meldepflichten nach
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Art. 12 EpG. Anschliessend ist das Risiko zu bewerten und sind entsprechende Massnahmen zu
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verfügen (z. B. Impfempfehlungen nach Art. 20 EpG, welche einen Realakt darstellen, aber auch
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das bereits früh kommunizierte «social distancing» ). In der Phase der Vorbereitung des
Risikoeintritts sollen geeignete Massnahmen im Vorfeld eines Risikoeintritts getroffen werden, damit
der Schaden möglichst gering ausfallen [73] wird. Ziel der Vorbereitungmassnahmen ist, dass die
Gesundheitsbehörden nicht unter Zeitdruck Strategien erarbeiten und unerlässliche
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Sofortmassnahmen treffen müssen. Nicht jede Pandemie erfüllt die Begriffsmerkmale einer
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Katastrophe oder ausserordentlichen Lage, kann sich aber zu einer solchen entwickeln, weshalb
nicht nur die epidemischen, sondern auch die katastrophischen Elemente zu berücksichtigen sind.
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Hauptsächliches Instrument bildet hierfür der Influenza-Pandemieplan Schweiz , welcher
allerdings nicht nur in dieser Phase ein Handlungsinstrument darstellt. Der Pandemieplan ist primär
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eine Verwaltungsverordnung – ein Führungsmittel innerhalb der Verwaltung –, welche für die
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Gerichte nicht verbindlich ist. Als Beispiel einer Vorbereitungsmassnahme soll hier Art. 61 EpV
dienen, der sich auf Art. 44 Abs. 2 lit. b EpG stützt. Danach kann das EDI bei einer besonderen
Gefährdung der öffentlichen Gesundheit und einer beschränkten Verfügbarkeit der Heilmittel deren
Zuteilung mit einer Prioritätenliste regeln, welche vor allem medizinischen und ethischen Kriterien
genügen muss. Dabei sind Personen im medizinischen Bereich, besonders kranke Personen und
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Personen, die für den Rest der Gesellschaft notwendige Dienstleistungen erbringen, prioritär zu
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berücksichtigen. Zuvor sind allerdings die Medikamente zu beschaffen und zu lagern, im Notfall
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gestützt auf Art. 31 lit. b TRIPS auch mit Zwangslizenzen. Zu dieser Phase gehört auch die
Bereitstellung von Telekommunikationsmitteln für den Einsatz bei Katastrophen – national und
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international . In der letzten Phase soll die Risikorealisierung bekämpft und bewältigt werden.
Bildlich gesprochen soll das Feuer gelöscht oder – wie in casu – die Pandemie eingedämmt oder
zum Verschwinden gebracht werden. Auch in dieser Phase ist nicht nur epidemienrechtlichen,
sondern auch katastrophenschutz [74] rechtlichen Vorgaben Rechnung zu tragen. Zu beachten ist,
dass Massnahmen, die in der Phase der Risikoprävention ergriffen werden, auch für den Bereich
der Risikobewältigung vielfach ihre Gültigkeit bewahren.
Die Regulierung des Pandemierisikos basiert auf verschiedenen nationalen und internationalen
Vorschriften; einige haben wir bereits erwähnt. Auf nationaler Ebene ist daneben auch das
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Tierseuchengesetz und die Tierseuchenverordnung aufzulisten, da «alle diese neuen Viren […]
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ihren Ursprung bei Tieren [haben]» . In diesem Zusammenhang wird auch diskutiert, inwiefern
die industrielle Tierzucht und die Umweltveränderung (Zerstörung von Ökosystemen, Verlust von
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Biodiversität) zu Pandemien beitragen, weshalb allenfalls weitere Vorschriften zu berücksichtigen
wären. Angesichts der jetzt wütenden Coronavirus-Pandemie hat der Bundesrat in letzter Zeit
verschiedene Verordnungen erlassen, welche sich teilweise auf Art. 185 Abs. 3 BV stützen.
Nationales Recht wird im Bereich der Epidemien zudem durch internationale Vorschriften eingehegt
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und determiniert: So sind die gestützt auf Art. 21 lit. a WHOV als sekundäre Rechtssetzung
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erlassenen, 2005 überarbeiteten Internationalen Gesundheitsvorschriften zu erwähnen, welche
nationales Recht vielfach übersteuern. Dabei haben die Staaten angesichts der möglichen globalen
Verbreitung von übertragbaren Krankheiten nicht nur auf die bereits erwähnten
Rechtssetzungskompetenzen verzichtet, sondern auch auf Verwaltungsebene Kompetenzen an die
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WHO abgetreten. Daneben müssen auch Vorgaben der Codex Alimentarius Kommission und
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allenfalls Missionen des UN-Sicherheitsrates berücksichtigt werden. Beachtlich ist zudem das
völkergewohnheitsrechtliche Verbot erheblicher Schädigungen, die sich in einem fremden [75]
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Hoheitsgebiet auswirken. Es beeinflusst die nationalen und internationalen Bestimmungen. Von
herausragender Bedeutung sind die auf nationaler und internationaler Ebene festgeschriebenen
Menschenrechte. Wie die Justiz damit in Bezug auf das Pandemierisiko umgeht, soll uns nun im
Folgenden beschäftigen.
Unzählige Massnahmen zum Schutz der Menschen vor übertragbaren Krankheiten tangieren
verschiedene Grundrechtspositionen von Betroffenen. Allen voran gilt dies für die im EpG oder in
der COVID-19-V 2 aufgeführten Bekämpfungsmassnahmen. Sie tangieren oder greifen in die
persönliche Freiheit nach Art. 10 Abs. 2 BV, in den Schutz der Privatsphäre nach Art. 13 BV, in die
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Versammlungsfreiheit nach Art. 22 BV, in die Glaubens- und Gewissensfreiheit nach Art. 15 BV,
in den Anspruch auf Grundschulunterricht nach Art. 19 BV, in die Wirtschaftsfreiheit nach Art. 27 BV
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oder in die politischen Rechte ein. Tangiert sind auch entsprechende Vorschriften in der EMRK , im
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UNO-Pakt I und II oder weiteren menschenrechtlichen Verträgen. Betroffen ist allerdings auch
die persönliche Freiheit der vor dem Krankheitserreger zu schützenden Personen. Dem Staat
kommt deshalb die Pflicht zu, diese Menschen vor privaten Beeinträchtigungen zu schützen
(staatliche Schutzpflicht). Das grundrechtliche Schutzgut «menschliches Leben» oder «Gesundheit»
soll vor Beeinträchtigungen geschützt werden, unabhängig davon, ob die Gefahr [76] bzw. das
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Risiko vom Staat, von Privaten oder von Umwelt- und Naturkatastrophen ausgeht. Die Benennung
der Interessen, welche Eingriffe in Grundrechtspositionen erlauben, die Schaffung der
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entsprechenden Grundlagen und die generell-abstrakte Verhältnismässigkeitsprüfung sind primär
Aufgabe des Gesetzgebers (hier: Bundesgesetzgebers), unter gewissen Voraussetzungen auch
des Verordnungsgebers (hier: Bundesrates). Die Justiz ist an die Bundesgesetzgebung gebunden (
Art. 190 BV). Rechtsvorschriften sind aber grundrechtskonform auszulegen, die
Verhältnismässigkeitsprüfung im Einzelfall bleibt möglich, und es ist auch zulässig zu prüfen, ob der
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Bundesrat überhaupt eine Verordnung und im welchem Umfang erlassen durfte.
Selbst Bundesgesetze unterliegen der Prüfung, wenn völkerrechtliche Grund- und Menschenrechte
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betroffen sind, wie die bundesgerichtliche Rechtsprechung einlässlich aufzeigt. Diese
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Rechtsprechung ist mit der Ablehnung der Volksinitiative vom 12. August 2016 «Schweizer Recht
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statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» eindrücklich bestätigt worden.
Wie die Verhinderung epidemischer Krankheiten auf nationaler Ebene wichtig ist, so hat auch die
internationale Grundrechtegemeinschaft dem Schutz des Menschen vor solchen Krankheiten einen
hohen Stellenwert eingeräumt. In Art. 12 UNO-Pakt I wird das Recht auf Gesundheit
festgeschrieben. Zur Verwirklichung dieses Rechts müssen die Staaten u. a. die erforderlichen
Massnahmen zur Vorbeugung, Behandlung und Bekämpfung epidemischer oder endemischer
Krankheiten ergreifen (Art. 12 Abs. 2 lit. c UNO-Pakt I), die zum universell definierten Kernbereich
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des Rechts auf Gesundheit gehören. Wie bei allen Menschenrechtsgarantien erfasst die
Verpflichtung die Achtung (to [77] respect), den Schutz (to protect) und die Gewährleistung (to fulfil)
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des Rechts auf Gesundheit. Für unser Themengebiet sollen folgende Beispiele genügen: Die
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Achtung wird verletzt, wenn eine Epidemie zu früh für beendet erklärt wird, und die
Gewährleistung wird missachtet, wenn auf einen Aufbau einer medizinischen Infrastruktur für
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Epidemien und Katastrophenfälle verzichtet wird. Anzumerken ist, dass das Grundrecht auf
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Gesundheit mit anderen Grundrechten sehr eng zusammenhängt. Der Schutz der Bevölkerung
vor übertragbaren Krankheiten und Epidemien ist als Interesse anerkannt, um andere Grundrechte
einzuschränken. Neben einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage ist auch hier die
Verhältnismässigkeitsprüfung entscheidend. Der Europäische Gerichtshof hat dies im Rahmen von
Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK hervorgehoben. So kann zwar die Freiheit, wenn dies auf die gesetzlich
vorgeschriebene Weise erfolgt, von Kranken, Ausscheidern, Krankheits- oder
Ansteckungsverdächtigen entzogen werden mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender
Krankheiten zu verhindern (Quarantänemassnahmen), der Entzug ist aber nur dann rechtmässig,
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wenn er auch verhältnismässig ist.
In der Phase der Risikoprävention kann die Justiz unter Grundrechts- bzw.
Menschenrechtsaspekten in mehrfacher Hinsicht angerufen werden. Nachfolgend sollen einige
wenige Konstellationen unterschiedlicher möglicher Grundrechtsbetroffener (durch Verfügung,
Realakt oder gesetzgeberisches Unterlassen) herausgegriffen werden.
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Ebenfalls in die Präventionsphase eines Pandemierisikos fällt die Konstellation, unter welchen
Umständen eine Person, die krankheits- oder ansteckungsverdächtig ist, unter Quarantäne gestellt
werden kann, oder die krank oder angesteckt ist oder Krankheitserreger ausscheidet, abgesondert
werden kann (Art. 35 Abs. 1 EpG). Wie bereits oben gesehen, ist dies nach Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK
rechtmässig, sofern der Staat nachweist, dass mildere Massnahmen, wie etwa die medizinische
Überwachung nach Art. 34 EpG nicht mehr genügen, um eine Verbreitung ansteckender
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Krankheiten zu verhindern. Der referierte Entscheid des EGMR handelt von einem HIV-infizierten
Patienten. Diesbezüglich verfolgt die Gesundheitspolitik in der Schweiz ab 1987 allerdings eine
ergebnisoffene Lernstrategie, die auf eine möglichst umfassende Information der Bevölkerung
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abstellt. Dies betrifft die nächste Konstellation.
Die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) 2014 lancierte Kampagne «Love Life – bereue nichts»,
eine Fortsetzung der seit 1987 unter dem Logo laufenden «Stop Aids» Kampagne, bezweckt den
Schutz der Allgemeinheit vor HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Es handelt sich
dabei um eine amtliche Warnung und Empfehlung. Diese sind staatliche Aussagen über die
faktische Ratsamkeit bestimmter Verhaltensoptionen. Amtliche Warnung und Empfehlung sind
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keine Rechtsakte, sondern Realakte mit einer generellabstrakten Struktur. Art. 25a VwVG will
solche Konstellationen einer rechtlichen Überprüfung zuführen. Kinder und Jugendliche haben
geltend gemacht, dass die genannte Informationskampagne ihr Grundrecht auf Schutz nach Art. 11
BV verletzen würde. Das BAG hat mangels schutzwürdigen Interesses keine anfechtbare
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Verfügung erlassen, was das Bundesverwaltungsgericht bestätigt hat. Eine Beschwerde dagegen
hat das Bundesgericht abgewiesen: Damit der Tatbestand von Art. 25a VwVG erfüllt ist, müssen u.
a. Rechte und Pflichten berührt sein. Dabei ist ausreichend, wenn ein vom Realakt ausgehender
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Reflex grundrechtsrelevant ist, wenn der Realakt also den Grad eines Eingriffs annehmen könnte.
Aufgrund der grossen Breitenwirkung der Informationskampagne kommt es darauf an, ob eine
besondere Betroffenheit vorliegt. Sind viele Personen davon betroffen, so ist massgebend, wie
schwer die Einwirkungen auf den Einzelnen zu gewichten sind. Je zweifelhafter aber ist, ob von
einer Kampange überhaupt Einwirkungen über das ohnehin gesellschaftlich vorgegebene Mass
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hinausreichen, [79] umso weniger kann das Individuum in schützenswerten Rechten berührt sein.
Insofern war der Schutzbereich von Art. 11 BV nicht berührt.
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Forschung erfolgt in Forschungslabors. Es gibt bei jeder Epidemie oder Pandemie immer wieder
Berichte, dass Viren aus Labors stammen und entwichen seien. Labors, in welchen mit Viren
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umgegangen wird, bedürfen in der Regel einer Baubewilligung, früher unter gewissen
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Voraussetzungen auch einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Dritte können vor Bundesgericht
Beschwerde führen, wenn von einer Anlage zwar bei Normalbetrieb keine Emissionen ausgehen,
mit dieser aber ein besonderer Gefahrenherd geschaffen wird und sich die Anwohner einem
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erhöhten Risiko ausgesetzt sehen. Das Bundesgericht verwies dabei auf die Rechtsprechung zur
Legitimation bei Kernkraftwerken, wonach jedermann, der innerhalb eines Bereiches lebe, in dem
dieses Gefährdungspotential besonders hoch einzuschätzen sei, ein schützenswertes Interesse
daran habe, dass der Eigenart und der Grösse der Gefahr angemessene und geeignete
Schutzmassnahmen ergriffen würden, weshalb er zur Teilnahme am Verfahren befugt sei. Erfolgt im
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Rahmen einer Überprüfung der Arbeiten im geschlossenen System eine Stellungnahme der
Aufsichtsbehörden über das Einhalten der Sicherheitsmassnahmen, kann dies allenfalls ein
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berechtigtes Gesuch Dritter um Erlass einer Verfügung über aufsichtsrechtliche Realakte bewirken,
wie dies [80] BGE 144 II 315 in Bezug auf aufsichtsrechtliche Realakte des ENSI nahelegt. Das
Bundesgericht nimmt in diesem Verfahren wiederum Bezug auf die Rechtsprechung zur
Legitimation zur Anfechtung von Entscheiden von Kernkraftwerken und hält fest, dass eine
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spezifische räumliche Beziehungsnähe zum Kernkraftwerk genüge, womit das Erfordernis der
besonderen persönlichen Betroffenheit erfüllt sei. Unbeachtlich ist dabei die geringe
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Wahrscheinlichkeit eines Risikoeintritts, was das Bundesgericht mit grund- und
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menschenrechtlichen Erwägungen begründet. Indem Art. 25a VwVG unabhängig von der
Handlungsform den Rechtsweg gegen die Aufsichtstätigkeit des ENSI eröffnet, werde eine
gerichtliche Kontrolle der richtigen Anwendung des Kernenergierechts und damit – zumindest
mittelbar – der Erfüllung grundrechtlicher Schutzaufträge im zentralen Bereich der laufenden
Aufsicht ermöglicht. Damit trage Art. 25a VwVG zu einem wirksamen, dynamischen
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Grundrechtsschutz bei. Die Überprüfung der Arbeiten im geschlossenen System erfolgt vielfach
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durch die Kantone. Rechtsschutz gegen diesbezügliche Realakte verlangt Art. 29a BV. Insofern
folgt das Bundesgericht für die Frage, ob jemand gegen staatliche Handlungen oder
Unterlassungen einen Beschwerdeanspruch hat, einem deontologischen, auf die Verletzung von
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grundlegenden Individualrechten abstellenden, und nicht einem konsequentialistischen Ansatz.
Bei der Vorbereitung des Risikoeintritts sollen geeignete Massnahmen bereits im Vorfeld ergriffen
werden, damit der Schaden, wenn sich das Risiko realisiert, möglichst gering ausfallen wird. Der
Bundesrat hat in seiner Botschaft ausdrücklich auf diesen Punkt hingewiesen und verschiedene
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Vorbereitungsmassnahmen geregelt. Darauf haben wir bereits hingewiesen. Auch in dieser
Phase kann und muss die Justiz menschenrechtliche Aspekte prüfen.
Wiederum im Bereich des Strahlenschutzes und der Kernenergie hat das Bundesgericht
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Vorbereitungsmassnahmen des Risikoeintritts überprüft. Jodtabletten werden auf Anordnung des
Bundesamtes für Bevölkerungsschutz bei einem schweren Kernkraftwerkunfall mit Austritt von
Radioaktivität eingesetzt (also bei der Risikoverwirklichung). Rechtzeitig eingenommen sollen sie
verhindern, dass sich über die Atemluft aufgenommenes radioaktives Jod in der Schilddrüse
anreichert. Für die Versorgung der Bevölkerung mit den Jodtabletten ist der Staat zuständig. Thema
des Falls bildete im Rahmen einer vorfrageweisen bzw. konkreten Normenkontrolle allerdings nur
die Frage, ob die Regelung über die Kostenüberwälzung auf die Betreiber von Kernkraftwerken als
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potentieller Verursacher auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage beruhte. Zwar ging es bei
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Nach Art. 55 EpV sind die Schweizerischen Rheinhäfen verpflichtet, die notwendigen betrieblichen
und personellen Kapazitäten zur Durchführung der Massnahmen nach Art. 41 EpG (Ein- und
Ausreise) bereitzustellen. Die Vorbereitungsmassnahmen erfolgen im Rahmen der betrieblichen
Möglichkeiten. Auch die Halter von Flughäfen mit internationalem Linien- und Charterverkehr sind
nach Art. 56 EpV verpflichtet dieselben Vorbereitungsmassnahmen bereitzustellen. Die
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Vorbereitungsmassnahmen erfolgen wiederum im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten.
Damit wird die Wirtschaftsfreiheit nach Art. 27 BV tangiert. Dass Massnahmen und welche
Massnahmen zu ergreifen sind, ergibt sich aus den Internationalen Gesundheitsvorschriften (im
Wesentlichen aus Art. 5, 13, 19 f. und Anlage 1). Der Hinweis auf die betrieblichen Möglichkeiten,
die dem Bundesgericht im Rahmen von Art. 11 Abs. 2 USG längst bekannt sind, verweist auf eine
Verhältnismässigkeitsprüfung.
Im Rahmen der Vorbereitungsphase sind auch Fragen zu lösen, wie mit knappen Ressourcen
114
(Plätze auf der Intensivstation, Beatmungsgeräte etc.) umzugehen ist. Der Pandemieplan nimmt
diese Fragestellung auf. Er geht zunächst davon aus, dass jeder Mensch gleich viel gilt; eine
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privilegierte Behandlung aufgrund von nicht krankheitsbezogenen Kriterien ist unzulässig.
Ungleiche Regelungen seien aber dann gerechtfertigt, wenn sie zu einer wirkungsvolleren
Eindämmung der Infektion oder zur Rettung relativ vieler Menschenleben führen. Die
Pandemiesituation erlaube den grössten Kollektivnutzen anzustreben. Insofern käme hier der
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Utilitarismus zur Anwendung. Konkretisiert werden diese Vorgaben durch die SAMW – einer
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privaten Stiftung . Hierzu ist Mehrfaches festzuhalten: Zunächst einmal handelt es sich um eine
Ressourcenknappheit aufgrund einer katastrophalen Lage; nicht jede Ressourcenknappheit folgt
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der gleichen Allokationsdebatte, wie die Organ [83] allokation nach Art. 18 des
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Transplantationsgesetzes beispielhaft zeigt. Die Bewältigung dieser katastrophalen Lage ist
Aufgabe des Staates. Dieser ist grundrechtlich eingebunden und hat zum Schutz des Lebens und
der Gesundheit von Menschen entsprechende Vorschriften zu erlassen. Allokationsentscheidungen
haben eine existenzielle Dimension und bilden insofern ein Thema, das in einer wichtigen
rechtssetzenden Bestimmung, somit in Form des Bundesgesetzes zu erlassen ist (Art. 164 BV).
Damit wird auch sichergestellt, dass im Gesetzgebungsprozess die wesentlichsten Kriterien für die
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Triage diskutiert und auf Gesetzesstufe festgelegt werden. Angesichts der unterschiedlichen
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Auffassungen ist es auch wichtig und notwendig und – wie das Transplantationsgesetz auch zeigt
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– möglich. Es ist deshalb nicht Aufgabe des BAG und schon gar nicht der SAMW entsprechende
Kriterien zu erlassen. Rechte sind sodann nicht zu maximieren, sondern auf gerechte Weise zu
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spezifizieren. Der Pandemieplan stellt diesbezüglich eine Empfehlung dar, weshalb der bereits
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oben beschriebene Rechtsschutz über Art. 25a VwVG in Betracht zu ziehen ist. Im Übrigen
könnte auch – wie bereits oben beschrieben – eine Beschwerde wegen der Untätigkeit des
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Gesetzgebers prozessual zulässig und materiell allenfalls erfolgreich sein. Nicht auszuschliessen ist
im Übrigen, dass Verwandte nach dem Tod eines nicht berücksichtigten Patienten gegen Ärzte bzw.
Spitäler rechtlich vorgehen.
Die Aufgabenverteilung zwischen dem Bund und den Kantonen kennt drei Stufen: normale Lage,
besondere Lage (Art. 6 EpG) und ausserordentliche Lage (Art. 7 EpG). Für die normale Lage sind
die Kantone, für die beiden anderen Lagen ist der Bund zuständig. Ist der Bund für die besondere
Lage zuständig, so kann er zum einen Bekämpfungsmassnahmen anordnen, welche in der
normalen [84] Lage dem Kanton zustehen (Art. 6 Abs. 2 lit a und b EpG), und weitere (Art. 6 Abs. 2
lit. c und d EpG). Mindestens dieselben Massnahmen stehen ihm auch in der ausserordentlichen
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Lage zu. Die Kompetenz, Massnahmen im internationalen Personenverkehr (Art. 41 ff. EpG) und
die besonderen Massnahmen (Art. 44 ff. EpG) zu erlassen, steht dem Bund ohnehin zu.
Massnahmen, welche unter den Bekämpfungsmassnahmen aufgeführt sind, können teilweise aber
bereits Massnahmen für die Vorbereitung des Risikoeintritts (Art. 42 EpG), teilweise Massnahmen
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für Pandemierisikoprävention (z. B. Quarantäne) sein.
Massnahmen gegenüber einzelnen Personen sind in den Art. 30 – 39 EpG geregelt. Sie müssen
entsprechend Art. 5 Abs. 2 BV verhältnismässig sein. Der Gesetzgeber hat dazu detailliert die
einzelnen Kriterien in Art. 30 und 31 Abs. 4 EpG festgehalten: Massnahmen nach den Art. 33 – 38
dürfen nur angeordnet werden, wenn weniger einschneidende Massnahmen, um die Verbreitung
einer übertragbaren Krankheit zu verhindern, nicht ausreichen oder nicht geeignet sind, und die
Massnahme dazu dient, eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit Dritter abzuwenden. Die
Massnahme muss zudem erforderlich und zumutbar sein (Art. 30 Abs. 1 und 2 EpG). Nach Art. 31
Abs. 4 EpG dürfen die Massnahmen nur so lange dauern, wie es notwendig ist, um die Verbreitung
einer übertragbaren Krankheit zu verhindern und um eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit
Dritter abzuwenden. Sie sind regelmässig zu überprüfen. Insofern differenziert der Gesetzgeber das
Verhältnismässigkeitsprinzip in Bezug auf die Verbreitung übertragbarer Krankheit aus. Bei den
einzelnen Massnahmen folgt der Gesetzgeber entsprechend unterschiedlichen Eingriffsintensitäten
zwar einer klaren Stufenfolge, verwirklicht diese aber nicht in seiner Systematik: Die medizinische
Überwachung (Art. 34 EpG) stellt die mildeste Massnahme dar, danach folgen das
Berufsausübungs- und Tätigkeitsverbot (Art. 38 EpG), die Quarantäne und die Absonderung nach
Art. 35 EpG sowie die ärztliche Behandlung nach Art. 37 EpG als schärfste Massnahme. Die
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ärztliche Untersuchung (Art. 36 EpG) bildet integrierenden Bestandteil der übrigen Massnahmen.
Die Massnahmen gegenüber der Bevölkerung und bestimmten Personengruppen sind in Art. 40
EpG geregelt. Danach kann die Behörde Massnahmen anordnen, um die Verbreitung übertragbarer
Krankheiten in der Bevölkerung oder in bestimmten Personengruppen zu verhindern. Dabei hat der
Gesetzgeber folgende Massnahmen vorgesehen: Verbot oder Einschränkung von Veranstaltungen,
Schliessung von Schulen, anderer öffentlicher Institutionen und privater Unternehmen oder
Verfügen von Vorschriften zum Betrieb, Verbot oder Einschränkung des Betretens und Verlassens
bestimmter Gebäude und Gebiete sowie bestimmter Aktivitäten an definierten Orten. Auch diese
Massnahmen müssen dem Verhältnismässigkeitsprinzip gehorchen und dürfen nur so lange [85]
dauern, wie es notwendig ist, um die Verbreitung einer übertragbaren Krankheit zu verhindern.
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Dass die Massnahmen regelmässig zu überprüfen sind, ist selbstverständlich. Die Massnahmen
gegenüber der Bevölkerung und bestimmten Personengruppen sind strafbewehrt, allerdings nur mit
Busse (Art. 83 Abs. 1 lit. j EpG).
Die genannten Massnahmen hat der Gesetzgeber für die normale Lage vorgesehen (Art. 32 und
Art. 40 Abs. 1 erster Halbsatz EpG). Bei einer besonderen Lage stehen dem Bundesrat diese
Massnahmen zur Verfügung (Art. 6 Abs. 2 lit. a und b EpG). Umso mehr muss dies für Art. 7 EpG,
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die ausserordentliche Lage, gelten. Im Grund genommen konkretisiert die COVID-19-V 2 nur
diese Massnahmen; wir werden später darauf zu sprechen kommen.
Bei den Massnahmen gegenüber der Bevölkerung und bestimmten Personengruppen hat bereits
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der Gesetzgeber (mit Art. 40 EpG) sehr einschränkende Massnahmen vorgesehen: Er spricht
vom Versammlungsverbot, von der Schliessung von Schulen, Betrieben und Unternehmen, vom
Verbot bestimmte Räume zu betreten oder zu verlassen. Damit werden die bereits oben genannten
nationalen und international gewährleisteten Grundrechte stark eingeschränkt. Für die
Verhältnismässigkeit der Massnahme hat der Gesetzgeber auf den Einzelfall verwiesen (Art. 40
133
Abs. 2 EpG), welche das Bundesgericht überprüft und überprüfen kann. Eine Massnahme ist
verhältnismässig, wenn sie geeignet, erforderlich und zumutbar ist. Ob eine Massnahme sich eignet
und ob sie erforderlich ist, verlangt sachliches, fachliches Wissen. Zu beantworten ist etwa die
134
Frage, ob die Verwendung von Masken geeignet ist, die Übertragung des Virus abzuhalten.
135 136
Pandemien sind keine Gefahren i. S. des Gefahrenabwehrrechts sondern Risiken , die sich
dadurch auszeichnen, dass keine tragfähigen Prognosen über Eintrittswahrscheinlichkeit und
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Folgenschwere für die Zukunft möglich ist. Dies hat das Bundesgericht bereits bei der
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Infektionskrankheit SARS konstatieren müssen. Sowohl die Naturwissenschaft, der Rechtssetzer
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als auch die Verwaltung stehen vor einem grundsätzlichen Problem des Nichtwissens.
Wissenschaftliches Wissen stellt insofern eine Momentaufnahme dar. Daran muss sich auch die
Justiz orientieren. Im vorliegenden Fall ist die Realität in anderen Ländern allerdings etwas hilfreich,
um Massnahmen als geeignet und notwendig beurteilen zu können. Zu berücksichtigen ist zudem,
dass je nach Ausbreitungsphase unterschiedliche Beurteilungen resultieren kön [86] nen. So kann
eine Verhältnismässigkeitsprüfung in einer frühen Phase, wo es darum geht, die Ausbreitung der
infektiösen Viruserkrankung durch eine möglichst weitgehende Verhinderung von Kontakten zu
verlangsamen, um ein Kollabieren des staatlichen Gesundheitssystems mit zahlreichen Todesfällen
140
zu vermeiden, anders ausfallen, als in einer späteren Phase. Auch die zeitliche Dauer ist ein
relevantes Kriterium.
Grundrechte können entsprechend Art. 36 Abs. 1 – 3 BV eingeschränkt werden, der Kerngehalt der
Grundrechte ist allerdings unantastbar (Art. 36 Abs. 4 BV). Darin zeigt sich die Idee, dass gewisse
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Rechtspositionen nicht verhandelbar sind. Kerngehalte würden auch den Gesetzgeber in die
Pflicht nehmen, um damit u. a. die rechtsanwendenden Behörden vor schwierigen Abwägungen zu
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entlasten. Dazu hat der Gesetzgeber sich indes nicht geäussert. Im Rahmen von Art. 40 EpG
werden Grundrechte, z. B. das Versammlungsverbot, neben dem öffentlichen Interesse der
«öffentlichen Gesundheit» auch aus Gründen von Grundrechten Dritter (Recht auf Gesundheit)
143
eingeschränkt. Insofern liegt auch eine Grundrechtskollision vor, was zu erheblichen
144
Grundrechtseinschränkungen, aber nicht zu einer Verletzung des Kerngehalts führen darf.
Entscheidend ist jedenfalls der Einzelfall. Kommt hinzu, dass nach Art. 12 Abs. 2 UNO-Pakt I auch
die Vorbeugung endemischer Krankheiten zum universell definierten Kernbereich des Rechts auf
145
Gesundheit gehört. Eine «natürliche» Massendurchseuchung, wie es von gewissen Ökonomen
vorgeschlagen wird, die den Tod von tausenden Personen im Sinne einer Strategie in Kauf nimmt,
146
ist damit nicht vereinbar.
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Massnahmen müssen kontrolliert und durchgesetzt werden. In diesem Zusammenhang soll auf
technologische Mittel zurückgegriffen werden: So wollen erstens Apple und Google eine Contact-
Tracing-Technologie entwickeln, wonach ein Nutzer informiert wird, wenn er Kontakt mit einem
147
anderen infizierten Nutzer gehabt hätte. Ein Konsortium der ETH Lausanne hat zweitens einen
[87] Baukausten entwickelt, mit dem eine Contact-Tracing-App entwickelt werden kann, wobei
diese App mit einer sogenannten Backend-Architektur verbunden ist, welche die Daten von
Hunderten von Millionen Smartphones aggregieren und nicht nur die App-Benutzer warnen,
sondern etwa auch den Epidemiologen der nationalen Gesundheitsbehörden nützliche
Informationen liefern soll. Die Lösung werde den strengen Vorgaben der europäischen Datenschutz-
148
Grundverordnung gerecht. Swisscom verarbeitet drittens Standortdaten und gibt sie an das BAG
weiter, um die Wirksamkeit der Massnahmen zu prüfen. Dabei ermittelt die Swisscom die
Standortdaten anhand der Position der Mobiltelefone, welche sich mit der nächstgelegenen
Antenne verbindet. Nach einer komplizierten Aufbereitung bekommt das BAG nur anonymisierte
149
Daten. Ob diese Massnahmen in das Recht auf Privatsphäre eingreifen, hängt davon ab, ob die
Daten einer bestimmten Person zugeordnet werden können. Falls sie das Recht auf Privatsphäre
tangieren, wären mehrere Fragen zu prüfen: U.a. inwieweit kommt dem Staat eine Schutzpflicht zu,
inwieweit ist eine Einwilligung möglich, wie muss eine gesetzliche Grundlage beschaffen sein und
inwieweit sind solche neuen Technologien überhaupt zur Pandemiebewältigung geeignet und
notwendig.
Mit der COVID-19-V 2 regelt der Bundesrat nicht anderes, als was ihm gestützt auf Art. 6 Abs. 2 i. V.
m. Art. 30 ff., Art. 40, Art. 41 ff. und Art. 44 ff. EpG für die besondere Lage möglich wäre. Insofern
152
stehen ihm – wie bereits oben ausgeführt – diese Verordnungskompetenzen auch in der
ausserordentlichen Lage zu. Der Hinweis im Ingress auf Art. 7 EpG ist in diesem Sinn zu verstehen.
153
Da dem Ingress einer Verordnung keine normative Kraft zukommt, ist entscheidend, ob sich die
bundesrätlichen Normen auf eine gesetzliche Grundlage stützen. Und das tun sie – mit einer noch
zu behandelnden Ausnahme (Art. 10f Abs. 1 COVID-19-V 2) – offensichtlich. Art. 7 EpG übernimmt
154
ferner wortwörtlich die alte Regelung von Art. 10 Abs. 1 aEPG . Das Bundesgericht erachtete Art.
10 aEpG als genügende gesetzliche Grundlage, um die SARS-Verordnung zu erlassen; dem
155
Bundesrat käme allerdings ein erheblicher Spielraum zu. Im Vergleich zur damaligen Regelung
kann sich der Bundesrat im EpG nun auf verschiedene, detailliert ausgeführte Delegationsnormen
stützen.
Nach Auffassung der bundesrätlichen Botschaft soll die ausserordentliche Lage (Art. 7 EpG) dem
156
Notverordnungsrecht des Bundesrates nach Art. 185 Abs. 3 BV entsprechen. Hier ist zunächst
zwischen der ausserordentlichen Lage einerseits und der Notverordnungskompetenz andererseits
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zu unterscheiden. Auch in einer ausserordentlichen Lage ist es durchaus möglich, dass sich
Verordnungsrecht des Bundesrates auf eine gesetzliche Grundlage stützt. Andernfalls wäre ja jede
Verordnung, welche nach der Ausrufung der ausserordentlichen Lage erlassen worden wäre, eine
Verordnung, welche sich auf Art. 185 Abs. 3 BV stützen müsste. Eine Gleichsetzung von Art. 7 EpG
mit Art. 185 Abs. 3 BV ist zudem verfassungsrechtlich äusserst problematisch: Es steht nämlich
nicht dem Gesetzgeber zu, dem Bundesrat zu erlauben, Art. 185 Abs. 3 BV anzuwenden. Denn
dadurch würde der Gesetzgeber bestimmen, wer neben ihm zusätzlicher Gesetzgeber (in casu:
157
Notverordnungsgesetzgeber) sein darf. Dies ist aber nur Aufgabe des Verfassungsgebers. Die
klare Trennung, wonach nur der Verfassungsgeber zu bestimmen hat, wer Gesetzgeber ist, ist
Ausdruck der wichtigen Form der Gewaltenteilung zwischen Verfassungsgeber und gewöhnlichem
158
Gesetzgeber. Der Verfassungsgeber hat hierfür die Krite [89] rien in der Verfassung festgelegt.
Insofern stützt sich die COVID-19-V 2 zu Recht nicht auf Art. 185 Abs. 3 BV.
Ist die COVID-19-V 2 also eine Verordnung, die sich auf Gesetzesrecht stützt, so kann die
Rechtmässigkeit der Verordnung in einem konkreten Anwendungsfall vorfrageweise überprüft
werden. Angesichts der bereits durch den Gesetzgeber als zulässig erachteten schweren
159
Einschränkungen in die Grundrechte, welche der Bundesrat übernimmt, erscheint in der Sache
nur eine Verhältnismässigkeitsprüfung im Einzelfall allenfalls erfolgreich. Nichts anderes dürfte aus
der EMRK folgen. Schliesslich ist noch auf die erwähnte Strafbestimmung in der COVID-19-V 2
einzugehen (Art. 10f Abs. 1), die der Bundesrat gegenüber dem Gesetzgeber verschärft hat. Ob
dies vor Art. 5 Abs. 1 BV und Art. 7 EMRK standhält, ist fraglich. Ginge man allerdings davon aus,
dass sich die COVID-19-V 2 auch auf Art. 185 Abs. 3 BV stützt, könnte dies anders beurteilt werden.
D. Schlussfolgerungen
Die Pandemie ist die Verwirklichung eines Risikos. Der Gesetzgeber hat dieses im EpG durch
Vorschriften zur Risikoprävention, zur Vorbereitung des Risikoeintritts und zur Bekämpfung bzw.
Bewältigung der Risikorealisierung handhabbar gemacht. Verfügungen, Realakte und sogar
gesetzgeberisches Untätigsein, die die verschiedenen Phasen der Risikohandhabung betreffen,
können, wie die unzählig aufgeführten Beispiele zeigen, von der Justiz auf Grund- bzw.
Menschenrechtskonformität überprüft werden. Dabei steht die Prüfung der Verhältnismässigkeit im
Vordergrund. Angesichts des fragilen Wissens bei Pandemien ist die Verhältnismässigkeitsprüfung
(Eignung, Notwendigkeit) allerdings nicht einfach. Gleichwohl bleibt es dabei, dass der
rechtsschutzsuchende Bürger Anspruch darauf hat, dass seine grundrechtlichen Ansprüche
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gewahrt bleiben. Es ist die Funktion der Justiz, dies zu gewährleisten, sowohl in Zeiten vor der
Pandemie als auch während der Pandemie.
Zusammenfassung
Pandemien und übertragbare Krankheiten sind Begleiter von Migrations- und Zirkulationsströmen.
Sie begleiten die Menschheit seit je. Der Staat versucht, das Pandemierisiko handhabbar zu
machen: durch Risikoprävention, Vorbereitung des Risikoeintritts und Bekämpfung bzw.
Bewältigung der Risikorealisierung. Der Gesetzgeber hat mit dem Epidemiengesetz und der
Bundesrat jüngst mit der COVID-19-Verordnung 2 dies umgesetzt. Damit greift der Gesetz- und
Verordnungsgeber allerdings stark in die nationalen und internationalen Grund- und
Menschenrechtspositionen der einzelnen Menschen ein. Die Justiz stellt dabei sicher, dass die
grundrechtlichen Ansprüche der rechtsschutzsuchenden Bürger sowohl in Zeiten vor der Pandemie
als auch während der Pandemie gewahrt bleiben.
Resumé
Les pandémies et les maladies transmissibles accompagnent les flux migratoires et de circulation.
Ils ont accompagné l’Humanité depuis des temps immémoriaux. L'État s’efforce de rendre le risque
de pandémie gérable: par la pré [91] vention des risques, la préparation à l’apparition du risque et la
lutte ou la gestion de sa réalisation. Le législateur a concrétisé ces aspects avec la Loi sur les
o
épidémies et le Conseil fédéral l’a récemment mise en œuvre au travers de l’Ordonnance n 2
COVID-19. Le législateur et l’exécutif sont ainsi intervenus fortement dans les droits fondamentaux
et les droits humains des individus dans leur conception nationale et internationale. Le pouvoir
judiciaire veille cependant à ce que les droits fondamentaux des citoyens soient protégés par des
moyens judiciaires avant mais aussi pendant la pandémie.
Fussnoten:
1 Coronaviren sind eine Virusfamilie, zu der auch das Virus Sars-CoV-2 gehört (severe acute
respiratory syndrome coronavirus 2). Die durch Sars-CoV-2 ausgelöste Atemwegskrankheit
nennt man «COVID-19» (coronavirus disease 2019).
2 Bundesgesetz vom 28. September 2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten
des Menschen (Epidemiengesetz; SR 818.101).
3 ‹https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen/bundesrat.msg-id-
78454.html›.
4 Verordnung 2 vom 13. März 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus
(COVID-19); SR 818.101.24.
5 Letzter Stand: 17. April 2020.
6 Z. B. die Verordnung vom 20. März 2020 über den Stillstand der Fristen in Zivil- und
Verwaltungsverfahren zur Aufrechterhaltung der Justiz im Zusammenhang mit dem
Coronavirus (COVID-19), SR 173.110.4, welche sich auf Art. 185 Abs. 3 BV stützt.
7 Vgl. AS 2020 573. Aufgehoben durch Art. 11 COVID-19-V 2. Dazu BENJAMIN MÄRKLI, Die
«Corona-Verordnung» des Bundesrats vom 28. Februar 2020, in: Jusletter 9. März 2020.
8 Zum historischen Ablauf FRÉDÉRIC BERNARD, La loi sur les épidémies à l’épreuve du
nouveau coronavirus, in: Jusletter 30 mars 2020, Rz. 32 – 46.
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Verordnung 2 vom 13. März 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus
(COVID-19); SR 818.101.24.
5 Letzter Stand: 17. April 2020.
6 Z. B. die Verordnung vom 20. März 2020 über den Stillstand der Fristen in Zivil- und
Verwaltungsverfahren zur Aufrechterhaltung der Justiz im Zusammenhang mit dem
Coronavirus (COVID-19), SR 173.110.4, welche sich auf Art. 185 Abs. 3 BV stützt.
7 Vgl. AS 2020 573. Aufgehoben durch Art. 11 COVID-19-V 2. Dazu BENJAMIN MÄRKLI, Die
«Corona-Verordnung» des Bundesrats vom 28. Februar 2020, in: Jusletter 9. März 2020.
8 Zum historischen Ablauf FRÉDÉRIC BERNARD, La loi sur les épidémies à l’épreuve du
nouveau coronavirus, in: Jusletter 30 mars 2020, Rz. 32 – 46.
9 World Health Organization. Die Weltgesundheitsorganisation ist eine Sonderorganisation der
UNO mit universellem Charakter (vgl. z. B. JURIJ DANIEL ASTON, Sekundärgesetzgebung
internationaler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Souveränität und
Gemeinschaftsdisziplin, Berlin 2005, S. 141).
10 ‹https://www.who.int/dg/speeches/detail/who-director-general-s-opening-remarks-at-the-
media-briefing-on-covid-19 –11-march-2020›(«We have therefore made the assessment that
COVID-19 can be characterized as a pandemic»).
11 BERNARD (Fn. 8), Rz. 2.
12 Art. 3 lit. a EpG. Siehe auch LUTZ EHLKES/JÜRGEN MAY, Seuchen – gestern, heute,
morgen, APuZ 20 – 21/2015, S. 3 ff., 3.
13 JÜRGEN OSTERHAMMEL/NIELS P. PETERSSON, Geschichte der Globalisierung,
Dimensionen – Prozesse – Epochen, 5. Aufl., München 2012, S. 32.
14 STEFAN WINKLE, Geisseln der Menschheit, Kulturgeschichte der Seuchen, 3. Aufl. 2014,
S. 422 ff.; PAUL SLACK, Die Pest, Stuttgart 2015, S. 31 ff.
15 Obwohl die spanische Grippe die verheerendste Pandemie der Neuzeit darstellte, war die
Basisreproduktionszahl «lediglich» 2, während diese bei Masern oder Keuchhusten 15
beträgt. D. h. jeder Masern- oder Keuchhustenfall führt zu 15 weiteren Erkrankten (vgl.
EHLKES/MAY [Fn. 12], S. 5 m. H.).
16 Vgl. OSTERHAMMEL/PETERSSON (Fn. 13), S. 76; WINKLE (Fn. 14), S. 1045 ff.; EHLKES
/MAY (Fn. 12), S. 6 ff.
17 Vgl. HERBERT A. NEUMANN, Die Entstehung der Virologie, Berlin 2019, passim. Bereits
Hippokrates stellte einen Zusammenhang zwischen äusserer Umwelt und Auftreten von
Krankheiten fest (vgl. EHLKES/MAY [Fn. 12], S. 4).
18 Vgl. NEUMANN (Fn. 17), S. 7.
19 Vgl. WALTHER BURCKHARDT, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung vom
29. Mai 1874, 3. Aufl., Bern 1931, S. 611 ff.
20 Art. 59 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 12.
Herbstmonat 1848 (BBl 1849 I 3).
21 Art. 69 der Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874
(AS 1875 1).
22 Vgl. Botschaft des Bundesrates vom 3. Dezember 2010 zur Revision des Bundesgesetzes
über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG)
(Botschaft EpG 2010), BBl 2011 311, 319 f.
23 Botschaft EpG 2010, BBl 2011 319.
24 Zu den Gründen vgl. EHLKES/MAY (Fn. 12), S. 9 f.; ALEXANDER S. KEKULÉ, Von Ebola
lernen: Was gegen künftige Epidemien getan werden muss, APuZ 20 – 21/2015, S. 25 ff.
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25 Verordnung vom 29. April 2015 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des
Menschen (EpV; SR 818.101.1).
26 Der gleiche Befund gilt für Deutschland (vgl. ANIKA KLAFKI, Risiko und Recht, Risiken und
Katastrophen im Spannungsfeld von Effektivität, demokratischer Legitimation und
rechtsstaatlichen Grundsätzen am Beispiel von Pandemien, Tübingen 2017, S. 163).
27 Verordnung vom 27. April 2005 über Massnahmen zur Bekämpfung einer Influenza-
Pandemie (IPV; AS 2005 2137).
28 Botschaft EpG 2010, BBl 2011 454.
29 Vgl. EHLKES/MAY (Fn. 12), S. 3; KLAFKI (Fn. 26), S. 163.
30 Vgl. EHLKES/MAY (Fn. 12), S. 3; KLAFKI (Fn. 26), S. 163.
31 Zum Begriff des Risikos z. B. KLAFKI (Fn. 26), S. 9 ff.; CHRISTOPH ERRASS,
Katastrophenschutz, Freiburg 1998, S. 29 ff.
32 So nehmen nach KLAFKI (Fn. 26), S. 162, Pandemierisiken eine Zwitterstellung zwischen
den klassischen «Naturrisken» und den modernen «Zivilisationsrisiken» ein.
33 Zur Regulierung von technischen Risiken CHRISTOPH ERRASS, Technikregulierung zur
Gewährleistung von Sicherheit, Sicherheit & Recht 2016, S. 63 ff.
34 Klassische Beispiele sind das gesamte Kernenergie- und Strahlenschutzrecht sowie der
Katastrophenschutz nach Art. 10 USG (Bundesgesetz vom 7. Oktober 1983 über den
Umweltschutz [Umweltschutzgesetz, SR 814.01]) i. V. m. der Störfallverordnung (Verordnung
vom 27. Februar 1991 über den Schutz vor Störfällen [StFV, SR 814.012]).
35 Vielfach werden die Massnahmen zur Vorbereitung des Risikoeintritts bei den
Präventionsmassnahmen angesiedelt (siehe z. B. in Bezug auf Kernkraftwerke BGE 139 II
185 E. 14.4 S. 230 ff., wonach das Notstandssystem SUSAN nach einer Betriebsstörung
oder einem Störfall die Wärmeabfuhr sicherstellen soll). Anders wiederum bei der
Kostenüberwälzung für die Abgabe von Jodtabletten (BGE 144 II 454).
36 Botschaft EpG 2010, BBl 2011 z. B. 329, 330, 335 f., 366 f. Siehe auch BERNARD (Fn. 8),
Rz. 8.
31 Zum Begriff des Risikos z. B. KLAFKI (Fn. 26), S. 9 ff.; CHRISTOPH ERRASS,
Katastrophenschutz, Freiburg 1998, S. 29 ff.
32 So nehmen nach KLAFKI (Fn. 26), S. 162, Pandemierisiken eine Zwitterstellung zwischen
den klassischen «Naturrisken» und den modernen «Zivilisationsrisiken» ein.
33 Zur Regulierung von technischen Risiken CHRISTOPH ERRASS, Technikregulierung zur
Gewährleistung von Sicherheit, Sicherheit & Recht 2016, S. 63 ff.
34 Klassische Beispiele sind das gesamte Kernenergie- und Strahlenschutzrecht sowie der
Katastrophenschutz nach Art. 10 USG (Bundesgesetz vom 7. Oktober 1983 über den
Umweltschutz [Umweltschutzgesetz, SR 814.01]) i. V. m. der Störfallverordnung (Verordnung
vom 27. Februar 1991 über den Schutz vor Störfällen [StFV, SR 814.012]).
35 Vielfach werden die Massnahmen zur Vorbereitung des Risikoeintritts bei den
Präventionsmassnahmen angesiedelt (siehe z. B. in Bezug auf Kernkraftwerke BGE 139 II
185 E. 14.4 S. 230 ff., wonach das Notstandssystem SUSAN nach einer Betriebsstörung
oder einem Störfall die Wärmeabfuhr sicherstellen soll). Anders wiederum bei der
Kostenüberwälzung für die Abgabe von Jodtabletten (BGE 144 II 454).
36 Botschaft EpG 2010, BBl 2011 z. B. 329, 330, 335 f., 366 f. Siehe auch BERNARD (Fn. 8),
Rz. 8.
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Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte (SR 0.103.1).
70 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte
(SR 0.103.2).
71 Siehe die Hinweise etwa bei BERNARD (Fn. 8), Rz. 11.
72 Urteil des EGMR vom 20. März 2008, Budayeva u. a. gegen Russland, Nr. 15339/02, 21166
/02, 20058/02, 11673/02 and 15343/02, Rz. 128 ff.; siehe auch BGE 140 II 315 E. 4.8 S. 330.
73 Nach THOMAS GÄCHTER/BERNHARD RÜTSCHE, Gesundheitsrecht, 4. Aufl., Basel 2018,
Rz. 780, dürfte dies nicht leichtfallen. Entscheidend sei der Einzelfall. Auch das
Bundesgericht macht in BGE 131 II 670 E. 3.3 S. 678 darauf aufmerksam, dass die
inhaltlichen Schranken nicht losgelöst von einer bestimmten Bedrohungssituation festgelegt
werden können.
74 Vgl. BGE 144 II 454. Eine abstrakte Normenkontrolle der COVID-19-V 2 ist unzulässig
(siehe Urteil des BGer 2C_280/2020 vom 15. April 2020 und Urteil des BVGer C-1624/2020
vom 25. März 2020).
66 Entscheid des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 828/20 vom 15. April 2020.
67 Siehe dazu Entscheid des deutschen Bundesverfassungsgerichts 1 BvQ 28/20 vom 10. April
2020.
68 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (
SR 0.101).
69 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte (SR 0.103.1).
70 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte
(SR 0.103.2).
71 Siehe die Hinweise etwa bei BERNARD (Fn. 8), Rz. 11.
72 Urteil des EGMR vom 20. März 2008, Budayeva u. a. gegen Russland, Nr. 15339/02, 21166
/02, 20058/02, 11673/02 and 15343/02, Rz. 128 ff.; siehe auch BGE 140 II 315 E. 4.8 S. 330.
73 Nach THOMAS GÄCHTER/BERNHARD RÜTSCHE, Gesundheitsrecht, 4. Aufl., Basel 2018,
Rz. 780, dürfte dies nicht leichtfallen. Entscheidend sei der Einzelfall. Auch das
Bundesgericht macht in BGE 131 II 670 E. 3.3 S. 678 darauf aufmerksam, dass die
inhaltlichen Schranken nicht losgelöst von einer bestimmten Bedrohungssituation festgelegt
werden können.
74 Vgl. BGE 144 II 454. Eine abstrakte Normenkontrolle der COVID-19-V 2 ist unzulässig
(siehe Urteil des BGer 2C_280/2020 vom 15. April 2020 und Urteil des BVGer C-1624/2020
vom 25. März 2020).
75 Vgl. z. B. BGE 144 I 266 E. 3 und 4 S. 271 ff. (Art. 8 EMRK); BGE 143 II 297 E. 9.3 – 9.5 S.
338 ff. (Art. 7 EMRK); Urteil 2C_819/2016 vom 14. November 2016 E. 2.4 und 3 (Art. 3 EMRK
); BGE 137 I 305 (Art. 2 CEDAW [Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 zur Beseitigung
jeder Form von Diskriminierung der Frau; SR 0.108]). Dazu ausführlich ANDREAS ZÜND,
Grundrechtsverwirklichung ohne Verfassungsgerichtsbarkeit, AJP 2013, S. 1349 ff.
76 Die Volksinitiative ist vom Volk mit 1 713 501 Nein gegen 872 288 Ja und von allen Ständen
abgelehnt worden (vgl. Bundesratsbeschluss vom 29. August 2019 über das Ergebnis der
Volksabstimmung vom 25. November 2018, BBl 2019 5931 f.).
77 Siehe Botschaft zur Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter
(Selbstbestimmungsinitiative)» vom 5. Juli 2017, BBl 2017 5355.
78
Quelle: www.legalis.ch
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Dazu AMREI MÜLLER, Die Konkretisierung von Kernbereichen des Menschenrechts auf
Gesundheit, Internationale Debatten zu «Minimum Core Obligations», in: Frewer/Bielefeldt
(Fn. 64), S. 125 ff., 149; MICHAEL KRENNERICH, Das Menschenrecht auf Gesundheit,
zfmr 2|2015, S. 8 ff., 27.
79 Vgl. KÄLIN/KÜNZLI (Fn. 64), Rz. 3.121, 9.113, 9.146 ff.; ZÜND (Fn. 75), S. 1354 f.
80 Vgl. KRENNERICH, zfmr (Fn. 78), S. 21.
81 Vgl. KRENNERICH (Fn. 64), S. 226.
82 Dazu KÄLIN/KÜNZLI (Fn. 64), Rz. 9.147. Z. B. mit Art. 3 EMRK: dazu Urteil des EGMR vom
8. Januar 2013, Reshetnyak gegen Schweden, Nr. 56027/10, Rz. 88.
83 Vgl. Urteil des EGMR vom 25. Januar 2005, Enhorn gegen Schweden, Nr. 56529/00, Rz. 36,
40, 44; Council of Europe/European Court of Human Rights, Guide on Article 5 of the
European Convention on Human Rights. Right to liberty and security, 2020, Rz. 107; siehe
auch BJÖRN ELBERLING, in: Karpenstein/Mayer (Hrsg.), EMRK, Kommentar, 2. Aufl.,
München 2015, Art. 5 Rz. 78 f.; MEYER LADEWIG/HARRENDORF/KÖNIG, in: Meyer-
Ladewig/Nettesheim/Raumer (Hrsg.), EMRK, Handkommentar, 4. Aufl., Baden-Baden 2017,
Art. 5 Rz. 49.
84 Dazu Bundesamt für Gesundheit/Eidgenössische Kommission für Impffragen, Empfehlungen
zur Prävention von Masern, Mumps und Röteln, März 2019.
85 Siehe den Sachverhalt in Urteil 2C_676/2017 vom 20. März 2018.
86 Vgl. Fn. 83.
87 Vgl. Botschaft EpG 2010, BBl 2011 325.
88 Vgl. BGE 144 II 233 E. 4 S. 235 ff.
89 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren
(Verwaltungsverfahrensgesetz, 172.021).
90 Urteil des BVGer C-5250/2014 vom 25. April 2016.
91 Vgl. BGE 144 II 233 E. 7.3.1 f. S. 238 f.
92 BGE 144 II 233 E. 8.4 S. 245.
93 2012 publizierte der Virologe Ron Fouchier in der Fachzeitschrift «Science» einen Artikel,
worin er die gezielte Modifikation des A/H5N1-Virusgenoms beschrieb, das nun imstande
sei, bei Frettchen – deren Atemwege dem menschlichen sehr ähnlich seien – die Infektion
über Tröpfchen durch die Atemluft zu verbreiten. Die Publikation führte zu Kontroversen in
Recht und Ethik (vgl. DANIELA THURNHERR, Biosecurity und Publikationsfreiheit, Die
Veröffentlichung heikler Forschungsdaten im Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit –
eine grundrechtliche Analyse, Beiträge zur Ethik und Biotechnologie 11 [Hrsg. von EKAH
/Ariane Willemsen], Bern 2014; Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im
Ausserhumanbereich (EKAH), Forschungsfreiheit und Biosicherheit, Ethische Überlegungen
am Beispiel von Dual use research of concern, Bern 2015 [‹https://www.ekah.admin.ch
/inhalte/ekah-dateien/dokumentation/publikationen
/EKAH_Bericht_Forschungsfreiheit_d_Web_V.pdf›]).
94 BGE 120 Ib 379.
95 Änderung im Rahmen des Erlasses der nunmehr ebenfalls aufgehobenen alten
Einschliessungsverordnung AS 1999 2818 (Anh. 5 Ziff. 1: Nr. 80.8 im Anh. der Verordnung
über die Umweltverträglichkeitsprüfung).
96 BGE 120 Ib 379 E. 4b S. 388.
97 Grundlage bildet hier Art. 25 ff. EpG, Art. 29a ff. USG (Bundesgesetz vom 7. Oktober 1983
über den Umweltschutz [Umweltschutzgesetz; SR 814.01]) und die Verordnung vom 9. Mai
Quelle: www.legalis.ch
Gedruckt von: Juristische Fakultät der Universität Basel - Bibliothek am: 11.08.2020
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Bundesgesetz vom 8. Oktober 2004 über die Transplantation von Organen, Geweben und
Zellen (SR 810.21).
122 Vgl. auch LÜBBE (Fn. 120), Ziff. 1.
123 So auch für Deutschland KLAFKI (Fn. 26), S. 285 f.
124 Zur Auseinandersetzung mit der Auffassung der italienischen Gesellschaft für Anästhesie,
Analgesie, Reanimations- und Intensivmedizin (SIAARTI) LÜBBE (Fn. 120); MATHIAS
HONG, Corona-Triage und Menschenwürde, VerfBlog, 2020/3/29, ‹https://verfassungsblog.
de/corona-triage-und-menschenwuerde/›.
125 Dies würde selbst dann gelten, wenn die SAMW – wie SCHWESTERMANN/TOBLER (Fn.
119), Rz. 13, u. E. zu Unrecht aus der Leistungsvereinbarung schliessen – eine staatliche
Aufgabe erfüllen würde.
126 Statt aller LÜBBE (Fn. 120); HONG (Fn. 124). Zur Auseinandersetzung zwischen
Deontologie und Utilitarismus in Bezug auf Gesundheitsfragen u. a. EDMONDS (Fn. 103),
durchgehend, aber insb. S. 42 ff.
127 Siehe im Text unter C.II.
128 So auch GÄCHTER/RÜTSCHE (Fn. 73), Rz. 798.
129 Dazu oben im Text bei Fn. 86.
128 So auch GÄCHTER/RÜTSCHE (Fn. 73), Rz. 798.
129 Dazu oben im Text bei Fn. 86.
128 So auch GÄCHTER/RÜTSCHE (Fn. 73), Rz. 798.
129 Dazu oben im Text bei Fn. 86.
130 Botschaft EpG 2010, BBl 2011 385; GÄCHTER/RÜTSCHE (Fn. 73), Rz. 810.
131 Siehe oben im Text bei Fn. 128.
132 «Erheblich beschränken» so der Entscheid des deutschen Bundesverfassungsgerichts 1
BvR 755/20 vom 7. April 2020 Rz. 9.
133 Siehe auch BGE 131 II 670 E. 3.3 S. 678.
134 Siehe schon BGE 131 II 670 E. 2.3 S. 676.
135 Entgegen KASPAR GERBER, Wissenschaftliche Evidenz und Corona-Massnahmen des
Bundes, in: Jusletter 14. April 2020.
136 Siehe oben bei Fn. 31 und KLAFKI (Fn. 26).
137 KLAFKI (Fn. 26), S. 14.
138 Vgl. BGE 131 II 670 E. 2.3 S. 675.
139 Vgl. ERRASS, Technikregulierung (Fn. 33), S. 78 mit zahlreichen Hinweisen.
140 Entscheide des deutschen Bundesverfassungsgerichts 1 BvQ 28/20 vom 10. April 2020 Rz.
14; 1 BvR 755/20 vom 7. April 2020 Rz. 10.
141 Vgl. z. B. REGINA KIENER, Grundrechtsschranken, in: Diggelmann/Hertig Randall/Schindler
(Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz/Droit constitutionnel suisse, Zürich/Basel/Genf 2020,
S. 1293 ff., Rz. 38.
142 KIENER (Fn. 141), Rz. 38.
143 Siehe dazu auch den Entscheid des deutschen Bundesverfassungsgerichts 1 BvQ 28/20
vom 10. April 2020 Rz. 3 i. f.
144 Vgl. RAINER J. SCHWEIZER, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender (Hrsg.), Die
schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, Zürich/St. Gallen,
Art. 36 N 44.
145 Siehe oben im Text bei Fn. 78.
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Siehe jetzt Verordnung vom 16. April 2020 über Massnahmen in der Justiz und im
Verfahrensrecht im Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19-Verordnung Justiz und
Verfahrensrecht; AS 2020 1229).
162 Siehe dazu auch KÄLIN/KÜNZLI (Fn. 64), Rz. 4.79 ff.
163 Insbesondere fehlt es an der Voraussetzung, dass nach der Konvention zulässige, normale
Massnahmen oder Einschränkungen eindeutig unzureichend sind (vgl. MEYER-LADEWIG
/SCHMALTZ, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/Raumer [Fn. 83], Art. 15 Rz. 7).
164 Zehn Mitgliedstaaten haben der Generalsekretärin des Europarats die Derogation von
Bestimmungen der EMRK notifiziert.
165 Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (SR 0.142.30) i. V. m.
Art. I des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
(SR 0.142.301).
160 Siehe das Schema von RAINER J. SCHWEIZER/MARKUS H. F. MOHLER, in: St. Galler
Kommentar (Fn. 144), Vorbemerkung zur Sicherheitsverfassung N 15.
161 Siehe jetzt Verordnung vom 16. April 2020 über Massnahmen in der Justiz und im
Verfahrensrecht im Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19-Verordnung Justiz und
Verfahrensrecht; AS 2020 1229).
162 Siehe dazu auch KÄLIN/KÜNZLI (Fn. 64), Rz. 4.79 ff.
163 Insbesondere fehlt es an der Voraussetzung, dass nach der Konvention zulässige, normale
Massnahmen oder Einschränkungen eindeutig unzureichend sind (vgl. MEYER-LADEWIG
/SCHMALTZ, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/Raumer [Fn. 83], Art. 15 Rz. 7).
164 Zehn Mitgliedstaaten haben der Generalsekretärin des Europarats die Derogation von
Bestimmungen der EMRK notifiziert.
165 Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (SR 0.142.30) i. V. m.
Art. I des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
(SR 0.142.301).
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