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Subjektive Wurzeln der Rechtsnormen

Die Matrix der institutionellen Welt bei Hegel

Esteban Mizrahi
Universidad Nacional de La Matanza
(Argentinien)

I. Einleitung
Das Phänomen, daß Bürger in ihrem täglichen Verhalten die Normen und Regeln nicht
befolgen, auf die sie sich – unter Anwendung ihrer öffentlichen Vernunft – geeinigt
haben, könnte „Anomie“ genannt werden. Nimmt man die Geltung dieser Definition an,
dann wird mit „Anomie“ vor allem ein Mißverhältnis von zwei verschiedenen Ebenen
des Verhaltens dem Recht gegenüber bezeichnet. Auf der einen Ebene werden
Rechtsnormen als Verhaltensregeln akzeptiert, auf der anderen reichen diese Normen
nicht aus, um öffentliches Verhalten zu gestalten, das sich, ganz im Gegenteil dazu, an
anderen, unformulierten Verhaltensregeln orientiert. Aber da sich im modernen
Rechtsstaat der souveräne Wille durch Rechtsnormen ausdrückt, lautet die Frage nun:
Warum reicht das nicht aus, um eine gesellschaftliche Realität zu errichten, in der die
Bürger in ihrem öffentlichen Verhalten ihre persönlichen Interessen zurückstellen, um zu
garantieren, dass die Gesetze eingehalten werden? Oder anders formuliert: Wie ist es
möglich, dass die beanspruchte Vereinigung von praktischer Vernunft und souveränem
Willen – ein Postulat, das von Rousseau verkündet, von der Französischen Revolution
umgesetzt und von Kant formalisiert wurde – gescheitert ist?
Mit diesem Dilemma sieht Hegel sich konfrontiert, wenn er zum Thema des positiven
Rechts kommt – das Phänomen der „Anomie“ stellt dabei nur eine Facette dieses
komplexen Problems dar. Um eine Antwort auf die oben gestellte Frage zu finden, muß
man nach der subjektiven Grundlage der Rechtsnormativität suchen, also nach den
subjektiven Wurzeln des positiven Rechts. Dazu gilt es in Hegels Berliner Enzyklopädie
nachzulesen, in der er die subjektive Matrix der institutionellen Welt herausstellt.
Die Unterscheidung zwischen dem subjektiven und dem objektiven Geist spielt in Hegels
Werk eine doppelte Rolle: Zum einen dient sie den systematischen Anforderungen seiner
Philosophie, zum anderen ist sie für das Verständnis der subjektiven Wurzeln, die eine
Staatsverfassung auf Basis des positiven Rechts ermöglichen, unerläßlich. Eine
vollzogene Subjektivität ist Voraussetzung für die formelle und materielle Wirksamkeit
von Rechtsnormen. Diese Subjektivität ermöglicht die Bildung einer Gesetzgebung mit
intersubjektiver Bedeutung, in der der Rechtsstaat Wirklichkeit erlangt. Hegel weicht von
der gesamten Tradition der Rechtsphilosophie insofern ab, als er Rechtsinstitute nicht auf
die Natur, einen Gesellschaftsvertrag oder auf historische Gegebenheiten zu gründen
versucht, sondern sie von den Erfordernissen einer vernünftigen Willensstruktur ableitet.
In diesem Aufsatz möchte ich die zentrale Rolle von zwei subjektiven Fähigkeiten in
Hegels Auffassung des positiven Rechts beleuchten: Intelligenz im Allgemeinen und
Erinnerung im Besonderen. Diese beiden subjektiven Fähigkeiten sind die Voraussetzung
dafür, dass Rechtsnormen von den Bürgern aufgrund ihrer inneren Überzeugung befolgt
werden, weil diese Gesinnung und nicht ein mehr oder weniger willkürlicher Machtakt
die Quelle ihrer Wirksamkeit ist. Deshalb erlangt die Person als allgemeine Gestalt, die
auf objektive Weise individuelle Rechte und Pflichten artikuliert, nur in der Sittlichkeit
Wert und Anerkennung.
1
II. Das positive Recht
In §3 der Rechtsphilosophie1 erklärt Hegel, daß das Recht in Form und Inhalt positiv sei:
„Das Recht ist positiv überhaupt a) durch die Form, in einem Staate Gültigkeit zu haben,
und diese gesetzliche Autorität ist das Prinzip für die Kenntnis desselben, die positive
Rechtswissenschaft.“ Aber anders als später im Positivismus gilt Hegel dieses Kriterium
weder als das Einzige noch als das Wichtigste. Im Gegenteil, er betont sofort, dass es vor
allem der Inhalt sei, der das Recht positiv mache: „Dem Inhalte nach erhält dies Recht
ein positives Element α) durch den besonderen Nationalcharakter eines Volkes, die Stufe
seiner geschichtlichen Entwicklung und den Zusammenhang aller der Verhältnisse, die
der Naturnotwendigkeit angehören; β) durch die Notwendigkeit, daß ein System eines
gesetzlichen Rechts die Anwendung des allgemeinen Begriffes auf die besondere von
außen sich gebende Beschaffenheit der Gegenstände und Fälle enthalten muß – eine
Anwendung, die nicht mehr spekulatives Denken und Entwicklung des Begriffes,
sondern Subsumtion des Verstandes ist; γ) durch die für die Entscheidung in der
Wirklichkeit erforderlichen letzten Bestimmungen.“2
In seinen Heidelberger Vorlesungen über Rechtsphilosophie von 1817/18183 erklärt
Hegel, daß das Recht durch seine Form positiv werde, wenn es in einem Staat Gültigkeit
besitze und als Autorität anerkannt werde. Die Anerkennung durch die Bürger bilde das
zentrale Element, das das Recht formal positiv mache. Diese Anerkennung kann jedoch
verschiedene Gründe haben. Rechtsnormen können aus Furcht anerkannt werden, aus
Zwang, aus Glauben oder aus Zutrauen, oder sie werden aus vernünftigen Gründen als
rechtsgültige Verhaltensregeln beachtet. Aus einer rein formellen Perspektive betrachtet,
sei es irrelevant, aus welchen Gründen eine als Staat organisierte Gemeinde
Rechtsnormen als gültig anerkenne.4 Ganz wesentlich dagegen sei die Tatsache, dass die
Bürger des Staates die Rechtsnormen beachten. Andernfalls gebe es weder einen Staat
noch positives Recht. In Bezug auf den Inhalt des Rechts argumentiert Hegel, daß eine
Gesetzgebung generell aus einer Mischung aus Urteilen und Festlegungen bestehe, die
teils vernünftig, teils zufällig und willkürlich seien. Dies entspreche einem Bedürfnis, das
Recht an sich zum positiven Recht zu machen, wodurch es Wirklichkeit erlange. Zudem
spielen in dieser äußeren Sphäre die besonderen Existenzbedingungen jeder Nation, in
deren Handlungskontext das Vernunftsrecht angewendet werden müße, eine
entscheidende Rolle.5
Da das positive Recht sowohl Form als auch Inhalt umfaßt, kündigt Hegel in der
Einleitung zur Rechtsphilosophie – getreu seiner expositorischen Methode – an, daß er
das Thema im dritten Teil seines Werks behandeln werde, in dem es um die Sittlichkeit
geht. In diesem Teil werden das abstrakte Recht, das Naturrecht beziehungsweise das

1
Georg Wilhelm Friederich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts (Rph) in:
Werke in 20 Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu edierte Ausgabe.
Moldenhauer, Eva / Michel, Karl Markus (Hg.), Frankfurt/M. 1971.
2
Rph §3.
3
Georg Wilhelm Friederich Hegel: Die Philosophie des Rechts. Die Mitschriften
Wannenmann (Heidelberg 1817/18) und Homeyer (Berlin 1818/19), Karl-Heinz Ilting
(Hg), Stuttgart, 1983. [Heidelberger Vorlesungen = VRph 17/18 und Berliner
Vorlesungen = VRph 18/19].
4
VRph 17/18 §1A.
5
VRph 17/18 §1A und VRph 18/19 §2.
2
Recht an sich zu positivem Recht.6 Und so findet sich erst in §211 dafür die erste
Definition: „Was an sich Recht ist, ist in seinem objektiven Dasein gesetzt, d.i. durch den
Gedanken für das Bewußtsein bestimmt und als das, was Recht ist und gilt, bekannt, das
Gesetz; und das Recht ist durch diese Bestimmung positives Recht überhaupt“.7
Hegel zufolge bezeichnet positives Recht die Existenz von Gesetzen, die von den
Mitgliedern der Gemeinschaft öffentlich als rechtskräftig anerkannt werden. Das Problem
besteht nun darin, herauszufinden, um welche Art Anerkennung es sich handelt. Eine rein
abstrakte Akzeptanz, die nicht zur Anwendung geregelter Verhaltensweisen führt, reicht
auf keinen Fall aus. Es bedarf eines Gedankens als Ergebnis der subjektiven Aktivität der
Gemeinschaftsmitglieder, in der das Bewusstsein für die Gültigkeit und Autorität des
Gesetzes entstanden ist. Aus demselben Grund besteht die Anerkennung nicht aus der
lediglich irrationalen Akzeptanz irgendeiner Gesetzgebung. Sie ist nur möglich, indem
eine Rechtsstruktur angenommen wird, die eine kohärente Artikulation aller auf
abstrakte, durch das Vernunftsrecht bestätigten Bestimmungen darstellt, das heißt jenen
Rechtsbestimmungen, die sich aus der Entfaltung des Personenbegriffs ergeben.
Der Hegelsche Begriff des positiven Rechts beinhaltet also zwei zueinander
komplementäre Ansprüche: den Anspruch der Faktizität und den Anspruch der
vernünftigen Geltung. Wegen des Faktizitätsanspruchs lehnt Hegel die Idee einer rein
formalen Verfassung ab, die nicht tatsächlich das praktische Verhalten der Bürger im
Allgemeinen regiere. Dies bedeutet aber nicht gleichzeitig die Anerkennung einer jeden
Norm als legitim, die von den Machtinhabern gesetzt wird. Aufgrund des
Rationalitätsanspruchs können nur jene Rechtsnormen als legitim anerkannt werden, die
sich aus der zugrundeliegenden semantischen Artikulation der Rechtskategorien als
vernünftig ergeben. Das heißt: als notwendige Deduktion des Personenbegriffs.
Wenn man rekursiv analysiert, welche Normen in einem wirklichen Gesetzbuch enthalten
sein sollten, scheinen es nach Hegel nur diejenigen zu sein, die sich aus der semantischen
Artikulation von Rechtskategorien ergeben, welche die Universalität der Person als
solche voraussetzen. Denn es reicht nicht aus, daß die Normen nach den geltenden
Rechtsmechanismen sanktioniert werden, um sie als vernünftig anzusehen. Eine apriore
Analyse ihrer Geltungsbedingungen vorzunehmen, reicht auch nicht aus, um ihre
wirkliche Geltung innerhalb des positiven Rechts nachzuweisen, weil es nicht zu
erwarten ist, daß ausgehend von der systematischen Entfaltung eines philosophischen
Rechts, ein Gesetzbuch entstehen wird. In einem wirklichen Gesetzbuch stehen
schließlich Rechte und Pflichten, die das Ergebnis eines geschichtlichen Kampfes um
Anerkennung sind. Dies bedeutet jedoch nicht, daß Hegel das Rationalitätsmoment bei
der Ausarbeitung eines wahren Gesetzbuches ignoriert, ohne das die entsprechende
Rechtsordnung nicht mehr als gültig angesehen werden sollte. Das für Hegel
ausschlaggebende Kriterium ist also der Personenbegriff.8 Wenn die Normen einer

6
Rph §3A.
7
Rph §211. Eine ähnliche Definition steht bereits in den Berliner Vorlesungen über
Rechtsphilosophie von 1818/1819: „Was an sich Recht ist, muß zuerst für das
Bewußtsein vorhanden und bekannt gemacht werden, -das Gesetz, das ebenso als an und
für sich Gültiges vorausgesetzt ist, als es nur gilt, insofern es als solches, welches
allgemeine Macht hat, zur öffentlichen Kenntnis gebracht ist“ VRph 18/19 §104.
8
Hegel wendet dasselbe Kriterium auf die Sittlichkeit an. Laut Axel Honneth ist der
Hegelsche Begriff der Sittlichkeit keine bloße Beschreibung vorgefundener
Lebensformen. Es handele sich dabei stattdessen um eine normative Rekonstruktion der
Lebensformen, die den allgemeinen Werten und Idealen moderner Gesellschaften zur
Verwirklichung verhelfen. Deshalb werde alles, was den normativen Erfordernissen
3
Rechtsordnung mit der Personenverwirklichung im Widerspruch stehen, fehlt dieser
Rechtsordnung jede Gültigkeit und Legitimität. Aus diesem Grund sollten solche
Normen nicht in einem wirklichen Gesetzbuch stehen.
Die Tatsache, daß die Universalität des Personenbegriffs die Legitimationsquelle aller
Gesetze ist, erlaubt es, Einschränkungen für den Handlungsbereich des einzelnen Bürgers
zu formulieren. Was es rechtfertigt, ein menschliches Wesen nicht zu opfern oder es als
bloßes Mittel zu einem bestimmten Zweck zu benutzen, ist nicht seine irreduzible
Individualität, sondern im Gegenteil seine Universalität als Person. Da der freie Wille ein
Universale sei, das in jeder selbstbewussten Person instantiiert,9 anerkennt er sich im
Willen des anderen und daher gilt das Rechtsgebot: „Sei eine Person und respektiere die
anderen als Personen“ (Rph §36). Der Hegelsche Personenbegriff bezieht sich nicht
primär auf das Individuum, sondern auf die Interaktion, die durch die gegenseitige
Anerkennung die Entstehung der Individualität als solche ermöglicht. Anders als Fichte,
der die intersubjektive Anerkennung als ein a priori gedacht hat, schlägt Hegel die
wirkliche Interaktion zwischen freien Subjekten als Ausgangspunkt für die Anerkennung
vor.

III. Die Verwirklichung der Person


Der Personenbegriff wird im ersten Teil der Rechtsphilosophie ausführlich analysiert. In
diesem Werk beleuchtet Hegel systematisch die Rechtsbestimmungen, die den Bereich
des objektiven Geistes gestalten. „Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige und
seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit
seine Substanz und Bestimmung ausmacht und das Rechtssystem das Reich der
verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine
zweite Natur, ist.“10
Was hier jedoch als Ursprung beschrieben wird, ist das Ergebnis einer vorangegangenen
Entwicklung. Von einem umfassenden Gesichtspunkt aus zeigt Hegel, daß dieser
Ursprung aus einer subjektiven Entwicklung des Geistes entspringe, die in der Idee des
freien Geistes gipfelt. Freilich entwickelt sich der subjektive Geist auf drei Ebenen: als
Seele in der Anthropologie, als Bewußtsein in der Phänomenologie und als Geist in der
Psychologie. Aber die letzte Stufe des subjektiven Geistes, nämlich der freie Geist, ist
lediglich ein vorübergehendes Stadium auf dem Weg zur Objektivität. Wenn diese
Gestalt nötig ist, dann ist es noch nötiger, sie aufzuheben, denn es handelt sich um nichts
anderes als eine lediglich subjektive Verwirklichung des Geistes.11

widerspreche, gar nicht für berechtigt gehalten. Siehe Axel Honneth: Das Recht der
Freiheit, Berlin, 2011, 26. Und im Zentrum dieser Werte und Ideale steht ohne Zweifel
die Verwirklichung des Personenbegriffes. In diesem Sinne gilt das positive Recht als die
rechtliche Gestaltung der Sittlichkeit.
9
Siehe Michael Quante: Die Wirklichkeit des Geistes. Studien zu Hegel, Frankfurt/M,
2011, 314.
10
Rph §4.
11
Diesbezüglich merkt Héctor Ferreiro an, daß „der freie Geist also die Subjektivität ist,
die sich selbst als allgemeine Form erkennt und zugleich – auch wenn das dem gesunden
Menschenverstand widersprüchlich erscheint – als bestimmtes, das heißt, als einzelnes
und freies Subjekt.“ Héctor Ferreiro: “Reconstrucción del sistema de la voluntad en la
filosofía de Hegel”, in: Revista Latinoamericana de Filosofía, Vol. XXXV Nº 2
(Primavera 2009), 357.
4
In diesem Sinne ist diese Gestalt rein formal und mit diesem Formalismus beginnt die
Entwicklung des objektiven Geistes, das heißt, sie beginnt mit der Selbstreferenz des
eigenen Willens des Individuums: „Der an und für sich freie Wille, wie er in seinem
abstrakten Begriffe ist, ist in der Bestimmtheit der Unmittelbarkeit. Nach dieser ist er
seine gegen die Realität negative, nur sich abstrakt auf sich beziehende Wirklichkeit in
sich einzelner Wille eines Subjekts.“12
Dieser Formalismus ergibt sich aus der Entwicklung des freien Geistes, mit der die
Überwindung der Spaltung zwischen theoretischem und praktischem Geist einhergeht.
Damit wird auch die Unterscheidung zwischen Denken und Willen aufgehoben: „Der
wirkliche freie Wille ist die Einheit des theoretischen und praktischen Geistes; freier
Wille, der für sich als freier Wille ist, indem der Formalismus, die Zufälligkeit und
Beschränktheit des bisherigen praktischen Inhalts sich aufgehoben hat.“13
Hegel zufolge sind Denken und Wille keine unterschiedlichen Fähigkeiten des Menschen,
sondern je nach Zusammenhang verschiedene Verhaltensweisen derselben Fähigkeit.14
Hegel erklärt, dass der gesunde Menschenverstand nicht in der Lage sei, Denken und
Willen als Eins zu betrachten. Normalerweise werden Denken und Willen als zwei
unterschiedliche menschliche Fähigkeiten wahrgenommen. Diese Wahrnehmung ist
jedoch falsch: Selbst der ungebildetste Mensch hat nur insoweit einen Willen, als er
denken kann, was dagegen keinem Tier zukommt, weil kein Tier einen Willen hat.15
12
Rph §34. Ebenfalls nachzulesen in den Berliner Vorlesungen: „Der freie Wille, wie er
zuerst in seinem abstrakten Begriff ist, ist in der Bestimmtheit der Unmittelbarkeit oder
des unmittelbaren Daseins. Nach dieser ist der Wille teils –als die gegen die Realität
negative, nur sich auf sich beziehende Wirklichkeit– einzelner und abstract freier Wille
eines Individuums; teils ist er auch nach seinem weiteren Inhalt besonderer Wille; teils
hat er –als ausschließend- diesen Inhalt als eine äußere, unmittelbar vorgefundene Welt
sich gegenüber.“ VRph 18/19 §17.
13
Georg Wilhelm Friederich Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften
(Enz), in: Werke in 20 Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu edierte
Ausgabe. Moldenhauer, Eva / Michel, Karl Markus (Hg.), Frankfurt/M. 1971, §481.
14
Laut Quante setzt sich Hegel in den einleitenden Absätzen der Rechtsphilosophie auf
drei verschiedenen, miteinander verbundenen Ebenen mit der Willensstruktur
auseinander. Die erste Ebene sei die Begriffsstruktur des Willens, wobei der Wille als ein
Universale zu verstehen sei. Die zweite Ebene sei das Selbstbewußtsein des Individuums
und sein Wissen um seine Freiheit. Dieses Selbstbewußtsein liefere die
„Begriffsmomente“ des Willens qua „Vorstellung“ (§4). Die dritte Ebene der Hegelschen
Analyse schließlich sei die Ebene, auf der ethische, soziale und politische Institutionen
als „Gestaltungen“ (§ 32) des freien Willens wahrgenommen würden. Außerdem weist
Quante darauf hin, daß es sich hierbei zwar um das Ergebnis der Entwicklung des
subjektiven Geistes handele, jedoch weierlei vorausgesetzt werde: Erstens werde
vorausgesetzt, daß mit dem Willen (oder ganz allgemein mit absichtsvollem Handeln) die
reine Kausalität bereits aufgehoben sei und zweitens werde davon ausgegangen, daß die
Analyse auf das Selbstbewusstsein oder den denkenden Willen beschränkt sei –
elementarere Formen von absichtsvollem Handeln würden hier nicht untersucht. Siehe
Quante: Die Wirklichkeit des Geistes, 313-314. Für eine detailliertere und
systematischere Betrachtung des Willensbegriffs in Hegels Gesamtwerk, siehe Ferreiro:
“Reconstrucción del sistema de la voluntad en la filosofía de Hegel”.
15
Richard Dien Winfield bemerkt: „Wenn das Wollen stets ein Handeln auf der
Grundlage eines Gutes oder eines Willensprinzips nach sich zöge, könnten nur denkende,
sprechende Wesen einen Willen haben.“ Richard Dien Winfield: „The Psychology of
5
Hegel behauptet: „Der Unterschied zwischen Denken und Willen ist nur der zwischen
dem theoretischen und praktischen Verhalten, aber es sind nicht etwa zwei Vermögen,
sondern der Wille ist eine besondere Weise des Denkens: das Denken als sich
übersetzend ins Dasein, als Trieb, sich Dasein zu geben.“16
Indem er sich selbst Dasein gibt, erreicht der freie Wille seine erste Bestimmung und
wird zur Person. Deswegen findet die Person ihre Selbstverwirklichung nur im Bereich
der Sittlichkeit, denn: „In dieser Identität des allgemeinen und besonderen Willens fällt
somit Pflicht und Recht in Eins, und der Mensch hat durch das Sittliche insofern Rechte,
als er Pflichten, und Pflichten, insofern er Rechte hat.“17
Die Sittlichkeit wird also in Hegels Theorie der sozialen Institutionen von einem
intersubjektiven Anerkennungszusammenhang her ausgebildet und kristallisiert in
Rechtsnormen, deren Vernünftigkeit die Allgemeinheit der Person als solche zum
Ausdruck bringt.18
Hegel betont, daß die Sittlichkeit Personen hervorbringe und selbst wiederum von
Personen hergestellt werde. Diese Auffassung findet sich zusammengefasst in § 514 der
Berliner Enzyklopädie: „Die frei sich wissende Substanz, in welcher das absolute Sollen
ebenso sehr Sein ist, hat als Geist eines Volkes Wirklichkeit. Die abstrakte Diremtion
dieses Geistes ist die Vereinzelung in Personen, von deren Selbständigkeit er die innere
Macht und Notwendigkeit ist. Die Person aber weiß als denkende Intelligenz jene
Substanz als ihr eigenes Wesen, hört in dieser Gesinnung auf, Akzidens derselben zu
sein, schaut sie als ihren absoluten Endzweck in der Wirklichkeit sowohl als erreichtes
Diesseits an, als sie denselben durch ihre Tätigkeit hervorbringt, aber als etwas, das
vielmehr schlechthin ist; so vollbringt sie ohne die wählende Reflexion ihre Pflicht als
das Ihrige und als Seiendes und hat in dieser Notwendigkeit sich selbst und ihre wirkliche
Freiheit.“19
Sowohl vom abstrakten Recht als auch von der Moralität aus betrachtet, erfahren die
Personen die Verwirklichung ihrer Individuierung als einen natürlichen Prozess und ihre
Pflichten als etwas, über das es sich nachzudenken lohnt, bevor sie ihnen nachkommen
werden. Soziale Zugehörigkeit wird vom Individuum als kontingente Gegebenheit
empfunden, die direkt von seinem Willen abhängt. Im Gegensatz zu Hobbes jedoch, der
zwischen natürlichen Personen und künstlichen Personen unterscheidet, vertritt Hegel

Will and the Deduction of Right. Rethinking Hegel’s Theory of Practical Intelligence “ in:
Essays on Hegel’s Philosophy of Subjective Spirit, edited by David S. Stern, Albany,
2013, 203.
16
Rph §4Z.
17
Rph §155.
18
Hierzu erklärt John Russon: „Nur unsere vorherige Verpflichtung zu unserer
gegenseitigen Rechenschaftspflicht wird das Prinzip des Gehorchens gesetzter Gesetze
selbst zu etwas machen, dem wir selbst verantwortlich sind. Anders ausgedrückt, das
Befolgen von Gesetzen kann nicht durch das Erlassen von Gesetzen bewirkt werden.
Postuliertes Recht ruht also auf dem Boden des nicht-postulierten Rechts. Nach dem
Gesetz zu leben heißt, an einer Welt teilzuhaben, in der das Handeln Sinn ergibt.
Gesetzestreue Handlungen sprechen für sich selbst, denn sie sind Inszenierungen eines
Wertesystems – eines Bedeutungssystems –, das den Mitgliedern des Rechtsstaats
gemeinsam ist.“ John Russon: Infinite Phenomenology: The Lessons of Hegel's Science of
Experience, Evanston, 2016, 213-214.
19
Enz §514.
6
den Standpunkt, daß Personen als solche keine natürlichen Einheiten sind, sondern das
Resultat einer abstrakten Diremption des Volksgeistes.
Der Gedankenweg entspricht daher einer Umkehrung des Wegs, der sich in den
modernen Vertragstheorien findet: Es handelt sich nicht um im Naturzustand lebende
Menschen, die durch einen Vertrag freiwillig in eine Rechtsordnung übergehen, sondern
um die Sittlichkeit, die sich selbst in Personen vereinzelt. Laut Hegel ist der Staat ein
sittliches Gemeinwesen, aus dem Personen hervorgehen, und nicht eine Ansammlung von
Personen, die sich zu einer Gesellschaft zusammenschließen. Aus dieser Perspektive
betrachtet wird die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft von Personen nicht als etwas
empfunden, das aufgebaut werden muss – so als existierte die Gesellschaft gar nicht – als
etwas, das im deontologischen Sinne „sein sollte“, sondern als erreichter Endzweck, der
ist und der kraft der Aktivität der Personen immer sein wird.20
Darüber hinaus wissen die einzelnen Personen – und das ist ein Kernpunkt dieses
Aufsatzes –, daß sie nicht ein bloßes Akzidens der sittlichen Substanz sind. Die einzelnen
Personen empfinden sich nicht als zufälliges Attribut, von dem es gleichgültig ist, ob es
existiert oder nicht. Die sind davon überzeugt, dass die Sittlichkeit ihr höchstes Ziel ist.
Deshalb wird in der Sittlichkeit das abstrakte Recht zum positiven Recht, denn das Recht
erhält in diesem Bereich die Gültigkeit für das Rechtsbewußtsein der
Gemeinschaftsmitglieder, die sich als Personen im Recht anerkennen: „Das Vernünftige
als solches, das Gesetz kann der Begriff genannt werden; aber es hat in dem einzelnen
Subjekt, in der Intelligenz der einzelnen sein Dasein.“21
Folglich ermöglicht einzig ein allgemeines Rechtsbewußtsein die Gültigkeit der
Rechtsnormen. Dieses Bewußtsein entspringt der inneren Überzeugung der Personen,
dass Gesetze etwas sind, das aus Individuen Personen macht und somit die
Möglichkeitsbedingung der Verwirklichung der Person in ihrer Allgemeinheit darstellt.
Laut Hegel ist eine solche Gesinnung nicht das Ergebnis irrationaler oder emotionaler
Zuschreibung zu irgendeiner kollektiven Identität, sondern sie bildet sich in Personen nur
deshalb, weil sie Instanzen der denkenden Intelligenz sind.

20
Gegen Ernst Tugendhat argumentiert Quante: „Hegel geht es nicht primär um den
Nachweis, dass die Geltungsansprüche der Sittlichkeit die Geltungsansprüche der
Moralität dominieren sollten, sondern in erster Linie darum aufzuzeigen, dass sich jede
moralische Argumentation auf vorausgesetzte sittliche Prämissen stützen muss.“ Quante:
Die Wirklichkeit des Geistes, 287. Deshalb, so Quante, sei Hegel kein Feind der
Moralität, sofern darunter die Fähigkeit zur rationalen Prüfung von Normen sowie Wert-
und Sinnvorgaben verstanden werde. Hingegen werde von ihm der Standpunkt der Moral
abgelehnt, sofern darunter der philosophische Anspruch verstanden werde, eine der
gelebten Sittlichkeit gegenüber externe Begründung als notwendige Bedingung dafür
anzusehen, daß eine funktionierende und sich bewährende soziale Praxis als gut
begründet gelten könne. Siehe Quante: Die Wirklichkeit des Geistes, 297. In dieselbe
Richtung geht Robert Pippin mit seiner Interpretation, nach der Hegel „die kantianischen
und auch die egoist-rationalen Vorstellungen der praktischen Vernunft ablehnt und zu
zeigen versucht, daß das, was man aus vernünftigen Gründen tut, nicht getan werden
kann, ohne die Formen des institutionellen Lebens zu berücksichtigen, die konkret
definieren, was angemessenes Selbstverständnis und erfolgreiche Rechtfertigung sind.“
Robert Pippin: „Hegel and Institutional Rationality“, in: The Southern Journal of
Philosophy (2001) Vol. XXXIX, 2001, 19. Deshalb, so Pippin, sei das, was Hegel als
„bewegende Kraft“ bezeichne, nicht allein das Produkt der reinen praktischen Vernunft,
sondern des sittlichen Wesens. Siehe Pippin: „Hegel and Institutional Rationality“, 8.
21
VRph 17/18 §69 A.
7
IV. Intelligenz und Erinnerung
Was bedeutet der Hegelsche Begriff denkende Intelligenz? Welche Rolle spielt
Intelligenz in der Gestaltung eines Subjekts? Die systematische Auseinandersetzung mit
der Intelligenz findet sich in Hegels Werk in den Paragraphen 440 bis 468 der
Enzyklopädie, also in den Absätzen, in denen der theoretische Geist innerhalb der
Psychologie abgehandelt wird.22 In der Abhandlung wird eine Entwicklung der
Intelligenz beschrieben, die mit der Anschauung beginnt, mit den drei Phasen der
Vorstellung (Erinnerung – Einbildungskraft – Gedächtnis) fortschreitet und mit dem
Denken endet. Durch Letzteres erfolgt ein Übergang zur praktischen Vernunft. Hegel
definiert den Willen wie folgt: „Die Intelligenz, sich wissend als das Bestimmende des
Inhalts, der ebenso der ihrige, als er als seiend bestimmt ist, ist Wille.“23
Nach der Gleichsetzung von Denken und Wille, mit der Hegels Abhandlung über die
Intelligenz schließt, ist es nun wichtig, die zentralen Punkte der Entwicklung noch einmal
zu betrachten, um die subjektiven Wurzeln der Normgeltung aufzuzeigen.
Zunächst einmal kann die denkende Intelligenz etwas nur an seinem Namen erkennen:
„Es ist in Namen, daß wir denken“24, schreibt Hegel. Durch das Eintreten in die Welt der
Sprache trennt die Intelligenz die Vorstellung vom Bild. Die Anschauung ist Zeichen,
wenn das Bild seine Bedeutung durch etwas erhält, das sich gänzlich von dem
Wahrgenommenen unterscheidet.25 Hegel erklärt: „Sie [die Anschauung] ist ein Bild, das
eine selbständige Vorstellung der Intelligenz als Seele in sich empfangen hat, seine
Bedeutung. Diese Anschauung ist das Zeichen.“26 Und weiter: „Bei dem Namen Löwe
bedürfen wir weder der Anschauung eines solches Tieres noch auch selbst des Bildes,
sondern der Name, indem wir ihn verstehen, ist die bildlose einfache Vorstellung.“27

22
In Bezug auf die Entwicklung der Hegelschen Psychologie und seine Auslegung von
Intelligenz im Besonderen folge ich der Interpretation von Ferreiro. Hegel denkt seine
Erkenntnistheorie nicht in Form einer Dialektik zwischen Rezeptivität und Spontaneität,
zwischen Außenwelt und menschlichem Geist, zwischen world und mind, sondern als
kontinuierlichen Übergang von der bloßen Unterschiedslosigkeit zur vollkommenen
Differenzierung und Bestimmung. Siehe Héctor Ferreiro: „Hegels Theorie der Intelligenz
als Grundlegung der Unmöglichkeit des Unvernünftigen“, in: Asmuth, Ch. / Neuffer, S.
G. (Hg.): Irrationalität, Würzburg, 2015, 73-74. In diesem Sinne betrachtet Ferreiro
Interpretationen, die bei Hegel einen Dualismus zwischen world und mind postulieren, als
unzulänglich. Ein solcher Dualismus, selbst in der abgeschwächten Version von John
McDowell, lässt keine plausible Korrelation zwischen Psychologie und Logik zu. Siehe
John McDowell: Mind and World, Cambridge, 1994.
23
Enz §468.
24
Enz §462A.
25
Ferreiro zufolge sei es im Akt der Symbolisierung und des Bezeichnens, wo die
Intelligenz die anfängliche Korrelation der logischen Bestimmungen der Einzelheit zu
den theoretischen Formen der Anschauung und des Bildes aufhebt. Siehe Héctor Ferreiro:
“La relación entre lenguaje y pensamiento en el sistema hegeliano”, in: Oliva Mendoza,
C. (comp.): Hegel, ciencia, experiencia y fenomenología, México, 2011, 26.
26
Enz §458.
27
Enz §462A.
8
Demzufolge setzt die Sprache die Unabhängigkeit der Namen von den Bildern voraus,
aber auch die Tätigkeit des Ichs als ein leeres Band, die ganze Reihen von Namen
zusammenführt und innerhalb der Subjektivität in einer festen Ordnung festhält.28
Hier greift Hegel Kants Position in Bezug auf die transzendentale Apperzeption auf und
gibt dem „,Ich denke‘ muß alle meine Vorstellungen begleiten können“ eine neue
Bedeutung.29 Der springende Punkt ist jedoch hier, daß nur dann Zeichen produziert
werden können, wenn die Bilder da sind. In diesem Sinne ist Intelligenz vor allem die
Kraft, die eine einmalige Anschauung unter ein bereits verinnerlichtes Bild subsumiert;
was seinerseits die spontane Tätigkeit des Ichs voraussetzt, das Bilder durch Erinnerung
verallgemeinert.
Die Erinnerung ist die erste Stufe auf der Ebene der Vorstellung. Mit Hilfe der
Erinnerung bildet die Intelligenz in ihrer Innerlichkeit den Inhalt des Gefühls, das heißt,
die Intelligenz trennt das Material der Anschauung von seinem natürlichen
Zusammenhang und schreibt ihm einen eigenen Ort und eine eigene Zeit zu. So wird der
Inhalt zu einem vom äußeren Raum und der äußeren Zeit isolierten Bild und geht in die
Allgemeinheit des Ichs ein.30 Die nächste Stufe ist die Einbildungskraft. Auf sehr
poetische Weise versucht Hegel zu zeigen, daß es der Intelligenz mit Hilfe der
Einbildungskraft gelinge, „den Bilderschatz“ mit der hellen Klarheit der Gegenwart von
der „nächtlichen Dunkelheit, in welcher diese verborgen sind“, zu trennen.31
Die Erinnerung bewahrt diese verinnerlichten Bilder im dunklen Schacht der
Vergangenheit auf. Sie liegen außerhalb des Bewußtseins. Es sind sinnliche Bilder, keine
figurativen, vorgefertigten Bilder, sondern Bilder ohne Bedeutung, sinnliches Material im
Urzustand, Bilder, die schlummern, bis die Einbildungskraft sie ans Licht der Gegenwart
holt. Aus diesem Grund kann die Intelligenz sich nur Bilder vorstellen, die sie selbst
unbewusst aufbewahrt.32 Hegel behauptet: „Niemand weiß, welche unendliche Menge

28
Diesbezüglich schreibt Hegel: „Ich, welches dies abstrakte Sein ist, ist als Subjektivität
zugleich die Macht der verschiedenen Namen, das leere Band, welches Reihen derselben
in sich befestigt und in fester Ordnung behält.“ Enz §463.
29
Jere O’Neill Surber merkt an, daß sich „mehrere von Hegels auffälligsten
Abweichungen von Kants Behandlung der Vorstellung aus der Tatsache erklären, dass
Hegel Kants Ansatz in dem Sinne deutet, dass dieser linguistische Überlegungen
erfordert, um seine Kohärenz zu sichern. Das heißt, ohne die ‚Äußerung‘ der Intelligenz
durch Bedeutung und Sprache bleibt Kants Auslegung der Vorstellung rein subjektiv und
unfähig, ihr selbstgesetztes Ziel zu erreichen, nämlich die Objektivität von Erkenntnis
und Denken; und damit durch the metacritical challenge gefährdet.“ Jere O’Neill Surber:
„Hegel’s Linguistic Thought in the Philosopy of Subjective Spirit Between Kant and the
‘Metacritics’“, in: Essays on Hegel’s Philosophy of Subjective Spirit, edited by David S.
Stern, Albany, 2013, 188.
30
Wie Hegel erkärt: „Als die Anschauung zunächst erinnernd, setzt die Intelligenz den
Inhalt des Gefühls in ihre Innerlichkeit, in ihren eigenen Raum und ihre eigene Zeit. So
ist er αα) Bild, von seiner ersten Unmittelbarkeit und abstrakten Einzelheit gegen anderes
befreit, als in die Allgemeinheit des Ich überhaupt aufgenommen.” Enz §452.
31
Wie ganz deutlich in der Berliner Enzyklopädie steht: „Die Intelligenz als diesen
nächtlichen Schacht, in welchem eine Welt unendlich vieler Bilder und Vorstellungen
aufbewahrt ist, ohne daß sie im Bewußtsein wären, zu fassen, ist einerseits die allgemeine
Forderung, den Begriff als konkret.“ Enz §453.
32
In Bezug auf die unbewußte Eigenschaft der verinnerlichten Bilder sowie auf viele
andere Aspekte der subjektiven Struktur der Hegelschen Psychologie argumentiert
9
von Bildern der Vergangenheit in ihm schlummert; zufälligerweise erwachen sie wohl
dann und wann, aber man kann sich, wie man sagt, nicht auf sie besinnen.“33 Es sind
jedoch letztlich diese Bilder, die das Denken ermöglichen, weil die Intelligenz sich selbst
als Bestimmende ihres Inhaltes erkennen kann, das heißt als Wille, indem sie fähig ist,
diese aufbewahrten Bilder zu äußern und sie so zu denken.
Der freie Geist gipfelt, wie wir gesehen haben, in dem Bewußtsein des Geistes, der sich
selbst in seiner Einzelheit als frei, das heißt, als freies Individuum, erkennt. Die
Entwicklung der Idee der persönlichen Freiheit findet in der gesellschaftlichen und
politischen Welt statt, in der der Geist sich objektiviert und eine institutionelle Ordnung
errichtet. Der Weg zur Einrichtung einer Rechtsordnung jedoch, in der die Personen ihre
Rechte und Pflichten ausüben können, weil sie einander wechselseitig als frei
anerkennen, erfordert viel mehr als eine eindeutige Formulierung eines vernünftigen
Handlungsprinzips wie der Kantschen Definition des Rechts: „Eine jede Handlung ist
recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns
Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.”34 Zusätzlich zu
diesem formalen Prinzip braucht es ein materielles Prinzip, um das Reich des Rechts mit
intersubjektiver Bedeutung zu verwirklichen: die Existenz verinnerlichter, gemeinsamer
Bilder, die von Personen bedeutungsvoll hervorgerufen werden können, um das
Zusammenleben zu ermöglichen. Diese endlose Menge an schlummernden Bildern
verleiht der Sittlichkeit ihre Materie, deren Form aus der Entwicklung von persönlicher
Freiheit entsteht. In Hegels Worten ausgedrückt: „In dieser für das Bewußtsein der
Intelligenz gesetzt mit der Bestimmung als geltende Macht, ist er [der Inhalt] das Gesetz -
befreit von der Unreinheit und Zufälligkeit, die er im praktischen Gefühle und in dem
Triebe hat, und gleichfalls nicht mehr in deren Form, sondern in seiner Allgemeinheit
dem subjektiven Willen eingebildet, als dessen Gewohnheit, Sinnesart und Charakter, ist
er als Sitte.“35

V. Schlussbemerkung
Hegel zufolge ermöglicht die subjektive Aktivität der Intelligenz, die grundlegenden
Gesetze des positiven Rechts nicht nur als wechselwirksame Einschränkungen der
individuellen Freiheit zu verstehen, sondern auch als absoluten Endzweck und
allgemeines Werk der Einzelnen, die zugleich „die Substanz ihres darin freien Wollens
und ihrer Gesinnung“36 sind.
Eine auf positivem Recht ruhende Gesetzgebung, die sich nach dem Prinzip der
allgemeinen Geltung von Person organisiert, setzt subjektive Denkprozesse voraus, die

Winfield auf interessante Weise gegen die Reduktion des Geistes auf Bewusstsein und
die übliche Assoziation zwischen Bewusstsein und diskursiven Fähigkeiten oder
sprachlichen Begabungen. Winfield geht es mit seinen Argumenten hauptsächlich darum
zu zeigen, daß für Hegel viele Aspekte der Subjektivität nichts mit Begriffen oder
Sprache zu tun haben. Siehe Richard Dien Winfield: Hegel and Mind: Rethinking
Philosophical Psychology, Houndmills, Basingstoke, Hampshire, 2010, besonders Kap.
4, 5 und 6.
33
Enz §453Z.
34
Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten, in: Werke, Weischedel (Hg), 12 Bände. (8),
WBG, Frankfurt/M, 1977, Einleitung §C.
35
Enz §485.
36
Enz §538.
10
dazu befähigen, Gesetze nicht nur als zu befolgende Vorschriften aufzufassen, sondern
sie als Normen zur Regelung des Zusammenlebens zu verstehen, die mit den tiefsten
Überzeugungen derjenigen Individuen übereinstimmen, deren Verhalten reguliert wird.
In diesem Sinne spielen Erinnerung und Intelligenz eine unverzichtbare Rolle bei der
Entstehung von gemeinsamen Bildern, die ein Gemeinschaftsleben ermöglichen. Wenn
jedoch der Rechtsstaat diese subjektiven Wurzeln hat, die gemeinsame sinnliche
vorbegriffliche Bilder für das Zusammenleben hervorbringen, dann bleiben die Probleme
unserer multikulturellen Gesellschaft, deren Angehörige im Allgemeinen keine
gemeinsamen Bilder besitzen, ungelöst. Das Hegelsche Konzept des positiven Rechts ist
vielleicht zu anspruchsvoll, um in unseren modernen multikulturellen Gesellschaften das
Recht zu denken.

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Schlüsselbegriffe
Erinnerung – Intelligenz – Hegel – Person– Rechtsnormen – Rechtsstaat – Sittlichkeit

Esteban Mizrahi
Ajó 1987 (7249)
Lobos / Buenos Aires
Argentinien
(emizrahi@unlam.edu.ar)

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