Gottfried Schimanowski
I. Einleitung1
seiner Satire über die Frauen Roms erwähnt Juvenal auch eine Jüdin: magna sacerdos
arboris (Sat. 6,544 f.). Möglicherweise bezieht sich dies auf Versammlungsplätze unter
dem freien Himmel.
4 Zu den rabbinischen Nachrichten vgl. pSuk 4,6 und tSuk 4,6 (V,1); Philo legat.
132 gibt einen Hinweis auf die πολλα (προσευχα) δ εEσι κα’ 1καστον τµAµα τAς π-
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λεως und legat. 134 auf die Hauptsynagoge µεγστη κα περισηµοτ&τη. Vgl. M. Hen-
gel, Proseuche und Synagoge. Jüdische Gemeinde, Gotteshaus und Gottesdienst in
der Diaspora und Palästina (1971), in: ders., Judaica et Hellenistica: Kleine Schriften I
(WUNT 90), Tübingen 1996, 171–195, bes. 179 f.; G. Hüttenmeister, Συναγωγ9, προσ-
ευχ9 und τπος bei Josephus und der rabbinische Hintergrund, in: J.U. Kalms (Hg.),
Internationales Josephus-Kolloquium Aarhus 1999, Münster 2000, 79–96, hier: 93. Die
alexandrinische Doppelstoa diente als Vorbild der Synagoge von Tiberias; Josephus
erwähnt sie in Vita 277 und die Haggadah MTeh 93 (Ende) bezeichnet sie mit demsel-
ben Ausdruck.
5 Vgl. u. a. C. Haas, Alexandria in Late Antiquity. Topography and Social Conflict,
London 1997, 96 f.
6 M. Hengel, Das Problem der ‚Hellenisierung‘ Judäas im 1. Jahrhundert nach
Christus (unter Mitarbeit von Christoph Makschies), in: ders., Judaica et Hellenistica.
Kleine Schriften I (WUNT 90), Tübingen 1996, 12–34; F. Siegert, Zwischen Hebräi-
scher Bibel und Altem Testament: Eine Einführung in die Septuaginta (Münsteraner
Judaistische Studien 9), Münster 2001, 25 f.
7 Zu dieser Tendenz vgl. J.M. Modrzejewski, Les Juifs d’Égypte de Ramsès II à
26–30.
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9 Vgl. den wichtigen Begriff der παιδεα, die in allen literarischen Texten Alexandri-
ens eine herausragende Rolle spielt. Vgl. den Überblick bei M. Hengel, Judentum und
Hellenismus: Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas
bis zur Mitte des 2. Jhd. v. Chr. (WUNT 10); Tübingen 31988, 120–142 (vor allem für
Palästina). Besser vielleicht als von ‚Apostasie‘ zu reden wäre der Begriff der Akkomo-
dation, im Sinne einer Überfremdung der eigenen religiösen und kulturellen Wurzel
(aber auch hierbei gibt es beide Tendenzen der Integration und der abgrenzenden
Opposition).
10 G. Bohak, Good Jews, Bad Jews, and Non-Jews in Greek Papyri and Inscriptions,
F. Siegert, Zwischen Hebräischer Bibel (s. Anm. 6), 279 mit Verweis auf Num 14,9
und Jos 22,16.19; vgl. J.M.G. Barclay, Deviance and Apostasy: Some Applications
of Deviance Theory to First-Century Judaism and Christianity, in: Ph.F. Esler (Hg.),
Modelling Early Christianity: Social-scientific Studies of the New Testament in Its
Context, London u. a. 1995, 114–127.
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from Alexander to Trajan (323 BCE – 117n CE), Edinburgh 1996, 92–102; S. Pearce,
Belonging and Not Belonging: Local Perspectives in Philo of Alexandria, in: S. Jones,
S. Pearce (Hg.), Jewish Local Patriotism and Self-Identification in the Graeco-Roman
Period, Sheffield 1998, 79–105.
13 Zur—wohl despektierlichen—Bezeichnung bei Tacitus, Hist. 1,11:1 f. als „Ägyp-
ter“ s. u. In dem von ihm überlieferten Edikt OGIS 669, Z. 3 f. als Präfekt von Ägyp-
ten ist schon zu Anfang die persönliche Verbundenheit mit seiner Heimatstadt—sicher
nicht nur als captatio benevolentiae—mit Händen zu greifen.
14 Erst für die römische Zeit hat z. B. V. Tcherikover unterschiedliche politische Prä-
ferenzen unter den Juden z.Zt. des Claudius postuliert, ohne das näher zu spezifizieren
in CPJ 1, 72–74.
15 Jos.Apion. 2,13 ff.
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16 Auch Philon spricht von allen Bezirken, in denen Juden sich niedergelassen haben
(Philo Flacc. 55; Philo legat. 132). Es ist nur natürlich, wenn ethnische Gruppen sich
dann auf einige Teile der Stadt besonders konzentrierten; so gab es auch in Edfu
(Apollinopolis Magna) einen (vierten) Bezirk mit der Bezeichnung „Delta“, in dem viele
Juden konzentriert lebten; CPJ. II, 108 f. Über 20 der rund 240 Ostraka aus der Zeit
nach 70 n.Chr. beginnen dort mit der (Orts-)Angabe δ’ µφδου CPJ 213.216.221.346.
349.351.356.372 usw.
17 Die Vielfalt jüdischer Einstellungen wird für Alexandrien damit grundsätzlich
nicht bestritten. Das gilt vor allem nicht für die anderen Stimmen aus Ägypten, wo
der Kult am Tempel von Leontopolis nach der Meinung mancher Historiker heute
eine besondere Rolle mit einer größeren Tendenz zur Abgrenzung gespielt haben muss.
Dabei ist aber auch das Stadt-Land-Gefälle mit zu berücksichtigen. Über Sympathisan-
ten oder Gottesfürchtige aus Alexandrien besitzen wir keinerlei Nachrichten; allerdings
spielt der Begriff εοσεβ9ς bei Philon durchaus eine wichtige Rolle. Bei ihm wird dabei
aber eine Anspielung auf den ethnischen Begriff „Israel“ vorauszusetzen sein, der in
den Auslegungen selbst weiter allegorisiert wird.
18 Jos.Apion. 2,35.42; vgl. Jos.Bell. 2,287. Für die Zeit unter den beiden ersten
Ptolemäern spricht der Aristeasbrief allgemein von 100 000 Kriegsgefangenen (Arist.
37: Iπρ δκα µυρι&δες αEχµαλ<των). Philo Flacc. 43 spricht von einer Million Juden in
Niederägypten bis nach Äthiopien, einschließlich Alexandrien.
19 Vgl. die Zahlenangabe von mehr als 300 000 freien Bürgern der Stadt (λευτ-
ροι) bei seinem eigenen Besuch Diod.Sic. 17.52,6. Strab.Geogr. 16.2,5 spricht von einer
halben Million Einwohnern. Sichtlich entsetzt kritisiert Theokrit (15,45) das Bad in der
Menge beim Dionysosfest mit den Worten µHριακες ν&ριµοι κα Jµετροι. Josephus
erwähnt Jos.Bell. 2,385 für ganz Ägypten eine Bevölkerungszahl von siebeneinhalb Mil-
lionen, was Diod. Sic. (1.31.8) in etwa bestätigt. Vgl. neuerdings B. McGing, Population
and Proselytism: How many Jews were there in the Ancient World?, in: J.R. Bartlett
(Hg.), Jews in the Hellenistic and Roman Cities, London 2002, 88–106. Er geht für die
frühe römische Zeit von einer Zahl zwischen 330 000 und 410 000 Juden in der Stadt
aus.
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zur Bezeichnung vgl. Philo prob. 125: Αλεξ&νδρεια 7 πρς ΑEγHπτω legat. 250; genauso
mehrmals Strabon (Strab.Geogr. 1.1,12; 1.3,17; 16.2,5 u. ö.); die Römer nannten die
Stadt Alexandria ad Aegyptum.
21 Zur Vorbereitung einer Gesandtschaft zu Nero s. Jos.Bell. 2,490; Zur Konfron-
tation zwischen einer alexandrinischen mit einer jüdischen Gesandtschaft vor Trajan
vgl. das fiktive Dokument CPJ. 157 (Acta Hermaisci) und einer solchen vor Hadrian
(?) vgl. die Fragmente CPJ 158 (Acta Pauli et Antonini). Bei der ersten scheint man
gezielt religiöse Symbole mitgebracht zu haben; eine—weinende—Serapis-Büste wird
erwähnt.
22 Zur Legatio ad Gaium vgl. M. Smallwood, Philonis Alexandri: Legatio ad Gaium,
Leiden 1961, 3–14; C. Kraus Reggiani, I rapporti fra l’impero romano e il mondo
ebraico al tempo di Caligola seconda la ‚Legatio ad Gaium‘ di Filone Alessandro, in:
ANRW II. 21.1, Berlin 1983, 554–586.
23 Vgl. CPJ. 151 (5–4 v.Chr.) mit der Verbesserung über der Zeile als „Jude aus
24 Im Gegensatz der gängigen Auslegung kann man aus den Angaben keine Aber-
Die jüdische Gemeinde befand sich also—das gilt vor allem für ihre
Oberschicht—innerhalb eines komplexen Geflechts von unterschied-
lichen Bevölkerungsgruppen und Rechtsverhältnissen, Interessen und
Zielen. Das vertraute Modell einer Dreischichtengesellschaft ist sicher
zu einfach, um diese Situation angemessen zu umschreiben. Neben
Griechen, Römern, Juden und Ägyptern sind hierbei andere Minder-
heiten wie Perser und Samaritaner zu berücksichtigen.25 So erwähnt
z. B. Philon in seinen beiden Traktaten Legatio ad Gaium und In Flaccum
nicht nur Römer, Ägypter und Griechen, sondern auch Syrer / Phöni-
zier,26 Lybier, Äthiopier und andere afrikanische Völker.27 Hier hat
sicher auch das klischeehafte Reden von Juden, Ägyptern und Phö-
niziern28 seinen ethnischen Hintergrund.
Ptolemaic Alexandria, Bd. 1, Oxford 1972, 54 ff. erwähnt noch Perser, Idumäer, Araber,
Kreter und Thraker.
28 Vgl. Flacc. 39.
29 πιστολ9 wie er im Anschreiben des ägyptischen Präfekten Lucius Aemilius Rectus
bezeichnet wird. CPJ. 153 lässt sich damit als Reskript erweisen. Vgl. dazu demnächst
G. Schimanowski, Juden und Nichtjuden in Alexandrien. Koexistenz und Konflikte bis
zum Pogrom unter Trajan (117 n.Chr.) (Münsteraner Judaistische Studien 17), Münster
2005, Kap. 3.3.
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Durch das Stichwort der εσβεια / εσεβ9ς wird schon in der einleiten-
den captatio benevolentiae30 in der direkten Reaktion auf die alexandrini-
sche Gesandtschaft zur Kaiserhuldigung in Rom auf die Form des Kai-
serkultes (Z. 23.33) eingegangen. Dies ist umso nötiger, als die kritischen
Beziehungen Alexandriens zur Kaiserherrschaft in Rom gut bekannt
waren.31 Religiöse Verehrung war anerkennende Beziehungsaufnahme
zwischen Rom und der seit Augustus als kaiserlicher Besitz geltenden
ägyptischen Stadt.
Der Bezug zum sofort folgenden Thema ,Geburtstagsfeier des Kai-
sers‘ unterstreicht noch einmal, dass es sich hierbei nicht nur um all-
gemeine Floskeln handeln kann, die keinen binden. Die neu errichte-
ten Statuen des Kaisers und seiner Familie, zu deren Aufstellung die
Erlaubnis des Kaisers eingeholt werden musste, symbolisierten somit
das neue politische Zeitalter bei Herrschaftsbeginn des Claudius. Dies
wird auch nicht durch die in dem Reskript ausgesprochene Ablehnung
von Tempeln und einer Ernennung eines Oberpriesters beim Abschluss
des ersten Themas zu den Kaiserehrungen korrigiert (Z. 48 f.); hier
scheint sich vielmehr eine vorsichtige Kursänderung gegenüber der
Praxis unter Caligula auszudrücken.32
Ganz deutlich wird die religiöse Seite der Auseinandersetzung, wenn
beim letzten Thema des Edikts der militante Konflikt aus dem Jahr 38
in das Blickfeld rückt, was sicher neben den Feierlichkeiten zum Regie-
rungsantritt den aktuellen Anlass des Dokumentes ausmacht. Die Alex-
andriner (Αλεξανδρες)—primäre Adressaten des Schreibens—werden
ausdrücklich aufgefordert, die religiösen Gebräuche (1η) der jüdischen
Mitbewohner zu achten und keinesfalls ihre Art der Gottesverehrung
(τν πρς ρησκεαν […] νενοµισµνων το
εο
) schlecht zu machen
(λυµανωνται, Z. 85–87). Interessant ist dabei, dass die Juden (Ιουδαοι)33
immer als ein geschlossenes Gegenüber erscheinen, einmal sogar die
griechische und jüdische Seite gemeinsam innerhalb einer kaiserlichen
30 Durch die Anhäufung der aufgezählten ,Guttaten‘, vor allem durch die wieder-
holte Vorsilbe ε-, wird die Stereotypik zu Beginn des Reskriptes greifbar.
31 Das ist nicht viel anders als in Jamnia ( vgl. Jos.Ant. 18,31; Bell. 2,167. Die
Konflikte in Jamnia werden auch bei Philo legat. 120. 137 angesprochen.
non-matching parenthesis
Hiermit wird Claudius sicher nicht die lange Geschichte der Ausein-
andersetzungen im Blick haben, wie es bei Josephus der Fall ist,37
geschweige denn auf althergebrachte antijüische Tendenzen. Die bei-
W. Stählin, Art. Lργ9 ThWNT V (1954), 383 f. zur Bedeutung innerhalb der griechi-
schen Tragödie. Ob Claudius mit seiner Wortwahl bewusst auf diesen Hintergrund
abhebt?
37 Vgl. die Festlegung einer Leitlinie als Dauerkonflikt in Jos.Bell. 2,487, wobei aller-
dings nicht die Griechen direkt als Gegenüber benannt werden, sondern allgemein die
einheimischen Mitbewohner (πιχωροι = Ägypter? oder ganz allgemein die Einwoh-
ner?). Ähnlich verhält es sich kurz darauf in Jos.Bell. 2,489 mit dem Stichwort der
συµβολα (…) δι&λειπτοι.
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V. Tcherikover, CPJ. II, 50 spricht zu Recht vom crux interpretum. Die Gruppen könnten
sich voneinander durch strategische oder psychologische Vorgehensweise unterschieden
haben; das bleibt aber reine Spekulation; vgl. P. Schäfer, Judaeophobia in the Ancient
World, Cambridge u. a. 1997, 151.
41 Der Anfang des Ediktes macht seine positive Einstellung gegenüber Alexandrien
deutlich; erwähnt wird die Aufstellung eines Obelisken; vgl. die Errichtung eines
Leuchtturmes in Ostia unter Claudius, dem in Alexandrien ähnlich: Sueton, Claudius
20.
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Jos.Bell. 5,335; 7,34. Die clementia von Vespasian und Titus stellt auch Jos.Bell. 7,451
dar. Zum Ganzen vgl. neuerdings S. Mason, What a Difference an Audience Makes:
Josephus’ Bellum Iudaicum in Flavian-Roman Context, in: J. Sievers, Gia Lembi (Hg.),
Josephus and Jewish History in Flavian Roman and Beyond (JSJ Suppl. 104), Leiden
2005, und die Anmerkung zu Jos.Bell. 6,333 (Anm. 164).
48 Zu πρατης bei Josephus vgl. die wenigen, aber aussagekräftigen Texte Jos.Bell.
6,340 (parallel zu φιλανρωπα); 6,383; 7,451; Jos.Ant. 19,334 (als Gegenbegriff zu Lργ9)
und Jos.Bell. 2,340.
49 Grundsätzlich zu dieser Frage vgl. K.A.D. Smelik, E.A. Hemelrijk, ‚Who knows
not what monsters demented Egypt worships¿ Opinions on Egyptian Animal Worship
in Antiquity as Part of the Ancient Conception of Egypt, in: ANRW II.17.4, Berlin
1984, 1852–2000, bes. 1920–1981.
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50 Vgl. die Interpretation von J.M. Modrzejewski, Juifs (s. Anm. 7), 252.
51 Josephus scheint in seiner Fassung bzw. seinen Fassungen an Alexandrien und
darüber hinaus an alle Städte des Mittelmeerraumes, in denen Juden wohnen, dieses
Edikt bewusst in seinem Sinne verändert zu haben. In der Literatur sind die treibenden
Motive höchst umstritten. Zum Ganzen vgl. demnächst meine Monographie Juden und
Nichtjuden (s. Anm. 29) Kap. 3.4.
52 Siehe hierzu überzeugend P. Schäfer, Judaeophobia (s. Anm. 40).
53 Das ist auch ein entscheidendes Argument bei der Darstellung der jüdischen Pri-
vilegien des Josephus in Jos.Ant. 14 (und 16). Vgl. M. Pucci Ben-Zeev, Jewish Rights
(s. Anm. 35) und die mehrfache, gekonnt platzierte, Erwähnung der προσευχα bei der
Schilderung der jüdischen Leiden in Legatio ad Gaium, siehe Einleitung XXVI als
einer der beiden Schwerpunkte (neben der Frage nach der πολιτεα). Die in diesen Tex-
ten angesprochenen Probleme konnten durchaus—weil sie in den Augen der Gegner
durchaus an Privilegien heranreichten—politischen Sprengstoff in sich tragen, der sich
dann zu geeigneter Zeit sein Ventil suchte.
54 Dies hat die neueste Arbeit über Philons Selbstverständnis zu Recht herausarbei-
tet: M. Niehoff, Philo on Jewish Identity and Culture (TSAJ 86), Tübingen 2001.
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Alexander, der Bruder Philons und Vater des Tiberius Julius Alexander,
war eine reiche, bekannte Persönlichkeit Alexandriens.55 Auch wenn
wir nicht exakt wissen, was hinter dem Amt des Alabarchen / Arabar-
chen steckt, das er bekleidete,56 so ist doch sicher, dass diese Aufgabe
mit dem Steuer- und Zollwesen, also mit erheblichen Summen von
Geld, verknüpft war.57 Alexander ist mit großen Geldsummen dem
Kaiserhaus entgegengekommen. Z. B. war er Vermögensverwalter58 der
Antonia, der jüngeren der beiden Töchter des Augustus und der Octa-
55 Vgl. K.G. Evans, Alexander the Alabarch. Roman and Jew, SBL Seminar Paper
(131) 34 (1995), 576–594; J. Schwartz, Note sur la famille de Philon d’Alexandrie, AIPh
(1953), 591–602.
56 Belegt ist dieses römische Amt (Alabarchus) in Ägypten erst aus dem 2. Jh.
n.Chr. (OGIS 202 mit der Angabe eines Tarifs für den Hafenumschlag), es hatte aber
sicher ptolemäische Vorbilder. Ein Kollegium von Alabarchen war zu dieser Zeit für
die Erhebung der Einfuhrsteuer in Koptos zuständig (F. Preisigke [Hg.], Sammelbuch
griechischer Urkunden in Ägypten Bd. 18, Nr. 13167, vers. 2,1 ff.). Der Alabarch war
auch für den Einzug der Straßengebühren auf der Straße von Koptos zum Roten
Meer zuständig (OGIS 674), was aber sicher weitere Ausdehnungen implizierte über
das Rote Meer hinaus; zu Jos.Ant. 20,147 Demetrios s. die nächste Anm.; sonst sind
auch unbekannte Namen bei der Bekleidung dieses Amtes genannt. Hängt damit die
Notiz bei c. Ap. 2,64 zusammen, dass Juden von Ptolemaios (?) die Verantwortung
„für den Fluss“ übernommen hätte (was textkritisch aber schwierig ist: id est fluminis
custodiam totiusque custodiae [Boysen, cj: prouinciae]; eine vergleichbare Angabe findet sich
Jos.Bell. 1,175, die jüdische Verantwortung unter Antipater für die Nilmündung in
Pelusium: φρουρο
ντας τ6ς κατ6 τ ΠηλοHσιον µβολ&ς; der Ausdruck hat militärische
Konnotationen: Polybios 3.78,6: τ6ς […] µβολ&ς τ6ς εEς τ:ν πολεµαν χ<ραν; weiter
Jos.Ant. 14,99: φHλακας ντας τν εEς τ:ν ΑSγυπτον µβολν).
57 Eine andere bekannte Persönlichkeit in diesem Amt war Demetrios, der zweite
Ehemann von Mariamne (IV.), der Tochter Agrippas I. (Jos.Ant. 20,147). Eine andere
Begriffsbestimmung (V. Burr) leitet die Wurzel von áøò ab (Ez 27,9): Verantwortlichkeit
für die Handelszölle. Ganz unwahrscheinlich ist die Erklärung von Rostovzeff, hier
wäre die „Judensteuer“ im Blick; diese wird aber erst unter Vespasian 69/70 n.Chr.
eingeführt (s. u.). In der rabbinischen Literatur erscheint eine Erklärung für Avrakh
(Gen 41,43) für den Begriff éëøáì ñéëøáì in einer HS der Begriff ñåëøôà (1παρχος
Abarchus = Alabarchus?), siehe Sifre Dtn 1,1 Ende (nach D. Hoffmann, Midrash
Tannaim zu Deuteronomium, Berlin 1908; und S. Fisch [Hg.], Midrash Hagadol, Sefer
Bamidbar [2 Bde.], London 1963, 122 f.); Yalqut Shim"oni 1,792.
58 Vgl. auch die zweimalige Erwähnung eines Landbesitzers mit diesem Namen
via. Sie, die „Augusta“,59 war ja die Mutter des Claudius, des späteren
Kaisers. Josephus, von dem die einzigen Zeugnisse über den Alabar-
chen erhalten sind,60 erwähnt seine prächtigen Geschenke an den Tem-
pel in Jerusalem.61
Josephus hat dabei mit seiner Kennzeichnung Alexanders als je-
mand, der „alle Mitbürger an Herkunft und Reichtum übertraf“ (γνει
τε κα πλοHτω πρωτεHσαντος), ein besonderes Lob bereit. Konkret ver-
merkt er im 5. Buch des Bellum Judaicum wie gerade erwähnt, dass
Alexander die neun Tore des inneren Tempels auf eigene Rechnung
kostbar mit Gold und Silber ausschmücken ließ.62 Eine aktive Unter-
stützung des Jerusalemer Tempels genügte somit Josephus, um dessen
jüdische Identität hinreichend zu kennzeichnen.63
Alexander64 scheint insbesondere Herodes Antipas I. finanziell mit
großzügigen Darlehen und reichlichen Geldgeschenken unterstützt zu
haben, dessen Tochter Berenike er 41. n.Chr. mit seinem ältesten Sohn
Marcus verheiratete. Ob er persönlich in die Affären der Auseinander-
setzung der jüdischen Gemeinde Alexandriens mit Caligula verfloch-
ten war, ist eher unwahrscheinlich; allerdings wird er wahrscheinlich zu
jener Zeit in Rom gewesen sein, von Caligula festgesetzt und erst durch
Kaiser Claudius seine Freiheit wiedererhalten haben. Da sein Name in
der Schilderung der Ereignisse durch Philon oder bei der Nennung der
sechs jüdischen Abgesandten an den Kaiser Caligula nicht erscheint,
wird er kaum in die Auseinandersetzungen der Gesandtschaften aus
59 Diesen Beinamen erhielt sie von Caligula und Claudius (Suet.Cal. 15,2; Suet.Cl.
11,2).
60 Jos.Ant. 18,159 f.259.276; 19,277 f.; 20,100; Jos.Bell. 5,205. Die fünfte Stelle ist die
einzige (!) bei Philon, in der sein Bruder erwähnt zu sein scheint; sie stammt aus dem
nur armenisch überlieferten Traktat De Animalibus. So bezieht sich Lysimachus in der
philosophischen Diskussion zwischen ihm und Philon auf einen Schwager (oder Onkel)
und er erwähnt einen jungen Mann („adolescens“; wohl ν9πιος; s. u.). Agrippa I. scheint
dagegen ein wichtiger, möglicherweise der entscheidende, Anstoß für die Unruhen in
Alexandrien gebildet zu haben, die schließlich im Pogrom 38 n.Chr. endeten.
61 Jos.Bell. 5,205.
62 Jos.Bell. 5,204 f.
63 Vgl. die großen Schenkungen des zum Judentum übergetretenen Königs von
Adiabene. Innerhalb des näheren Kontextes von Tiberius Julius Alexander wird auch
die ebenfalls zum Judentum übergetretene Mutter des Königs, Helena, erwähnt mit
Schenkungen an die von akuter Hungersnot betroffenen Judäer.
64 Möglicherweise sind zwei Papyri, die die wirtschaftlichen Probleme eines Land-
gutes, das früher einmal einem Gaius Julius Alexander gehörte, ansprechen (CPJ 420a
und 420b, von 26 bzw. 28/29 n.Chr. aus Euhemereia), auf den Bruder Philons zu bezie-
hen; so die Einleitung CPJ II, 200 und J.M. Modrezejewski, Juifs (s. Anm. 7), 256.
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Alexandrien eingegriffen haben. Er hat sich wohl als kluger und erfolg-
reicher Geschäftsmann aus dem Konflikt herausgehalten.
Für den politischen Weg des Sohnes Julius Tiberius Alexander mögen
zunächst einige wenige Striche genügen. Schon aus der Namengebung
in der Familie kann man folgern, dass Alexander das römische Bür-
gerrecht besaß.65 Damit galt er auch in der Stadt Alexandrien selbst
als Vollbürger der Stadt. Das wird eindeutig aus den Namen, Tiberius
Julius und seines Bruders Markus Alexander, den tria nomina,66 und aus
dem Ritterstand des Tiberius Julius erkennbar.67 Die Namen mit dem
deutlichen Bezug zu den Kaiserhäusern lassen ein hohes Maß an Inte-
grationsbereitschaft erkennen.
Seine Person muss daher eingezeichnet werden in die drei sozialen
Identitäten eines Römers, Alexandriners und Juden. Möglicherweise
hatte er durch Vermittlung und Einfluss Agrippas, als Vater seiner
Schwägerin Berenike, den Zugang zu seiner steilen Karriere in der
römischen Armee eröffnet bekommen; oder sein Vater hatte einen sol-
chen Einfluss. Jedenfalls war Tiberius 42 n.Chr. Epistratege in Theben
mit guten Beziehungen zu Kaiser Claudius. Im Jahr 46 n.Chr. wurde er
von ihm für zwei Jahre zum Prokurator Syriens (und Judäas) als Nach-
folger von Cuspius Fadus ernannt;68 erst wieder 15 Jahre später gibt es
einen neuen Hinweis auf Tätigkeiten: er wurde als wichtiger Offizier
im römischen Partherfeldzug in Armenien genannt (minister bello datus)69
und kam schließlich um 66 n.Chr. nach Ägypten zurück: Nero ver-
traute ihm die kaiserliche Stadt als Präfekt von Ägypten an.70 Schnell
wurde er in die dortigen Auseinandersetzungen zwischen Juden und
Griechen hineingezogen.
65 Hierfür war nach der Korrespondenz zwischen Plinius und Trajan die vorherige
Alexander, aber auch den Empfänger der erwähnten Briefe (CPJ 420): Gaius Julius
Amarantus.
67 Um einen besonders loyalen Soldaten vor Ort zu haben, hatte schon Caesar
durch die Freilassung des Rufio (Suet.Div.Jul. 76,3) die spätere Praxis der ritterlichen
Präfekten für Ägypten vorweggenommen.
68 48 n.Chr. wurde er abgelöst durch Ventidius Cumanus.
69 Tac. ann. 15:28.
70 Die offizielle Bezeichnung war praefectus Alexandriae et Aegypti; vgl. das sich an beide
Bereiche zusammen richtende Edikt aus dem Jahre 68 n.Chr. (OGIS 669).
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Die Bemerkung bezieht sich auf seine Zeit als Prokurator Judaeas,
wo er Cuspius Fadus im Amt folgte. Dass zu dieser Zeit zwei Söhne
des Judas Galilaeus gekreuzigt worden sind (Jos.Ant. 20,102), wird der
Versuch sein, den sich schon ankündigenden Krieg mit Rom unter
allen Umständen zu vermeiden und die vermeintlichen Rädelsführer
auszuschalten. Der Vorwurf, die „Traditionen seiner Väter verlassen zu
haben“ (τος γ6ρ πατροις οκ νµεινεν οcτος 1εσιν) wird von Josephus
ganz ohne Vorbereitung oder einen anderen direkt ersichtlichen Grund
und nur hier—in der Sprache der Septuaginta74—eingeführt. Tiberius
Alexander hat nach seinem Urteil—so in der Regel die Auslegungen—
die Solidarität mit seinem Volk aufgegeben.
Doch der schon in der Tradition der LXX beheimatete, aber erst in
moderner Zeit auf unseren Fall angewendete Ausdruck der Apostasie75
wird bei Josephus in erster Linie für politische Rädelsführer reserviert,
wie πστασις überhaupt zu dieser Zeit und insbesondere für Josephus
den politischen Aufstand (auch gegen Rom) bezeichnet. „Nicht bei den
väterlichen Gebräuchen bleiben“ (οκ […] µµνειν) ist deshalb für
die Position des Julius Tiberius überhaupt nichts Erstaunliches. Wenn
er akzeptierte, in den öffentlichen und militärischen Funktionen tätig
zu sein, die ihm das Römische Reich anbot, war eine Teilnahme am
Staatskult—zumindest passiv—selbstverständlich; jüdische Lebenspra-
xis, wenn er überhaupt darauf Wert legte, musste er zu Hause lassen!
Das hätte auch keiner von seinen Landsleuten, außer den Kämpfern
aus Galiläa oder besonderen „Scharfmachern“, anders erwartet. Mit-
glieder der Oberschicht Alexandriens haben sich nicht geweigert, mit
Heiden an einem Tisch zu sitzen. Von keinem jüdischen Funktionär
in einem fremden Gemeinwesen, angefangen von den Tobiaden im
2. Jh. v.Chr., wird solches berichtet.76 Ob die beruflichen und öffent-
lichen Ämter des Tiberius Alexander sein Judentum kompromittiert
Schwartz, Josephus’ Tobiads: Back to the Second Century?, in: M. Goodman (Hg.),
Jews in a Graeco-Roman World, Oxford 1998, 47–61. Etwas anders äußert sich Arist.
139.182, allerdings handelt es sich dort um Maßnahmen, die in erster Linie vom
Königshof für alle Beteiligte ausgehen; vgl. G. Schimanowski, Der Aristeasbrief zwi-
schen Abgrenzung und Selbstdarstellung, in: P.W. van der Horst u. a. (Hg.), Persuasion
and Dissuasion in Early Christianity, Ancient Judaism, and Hellenism, Leuven u. a.
2003, 45–64.
2007041. Frey. 06_Schimanowski. Proef 1. 12-4-2007:15.51, page 128.
77 Zu einer vergleichbaren Frage nach dem Judentum Herodes d. Gr. vgl. M. Vogel,
Herodes. König der Juden, Freund der Römer (Biblische Gestalten), Leipzig 2002, 210–
232.
78 Das betont ganz zu Recht der neueste Aufsatz zur Person des Tiberius Julius von
allerdings ohne weitere Präzisierung oder Namensnennung, wie sie z. B. bei Philo opif.
72 in der Auslegung von Gen 1,26 vorkommt. Hinter der Angabe παρ6 τος 4Ελλησιν
verbirgt sich wohl Platons Timaios (22b und c) in c. Ap. 1,7 und ähnlich 10; vgl. LCL
(Thackeray) z.St.
81 Vgl. G. Schimanowski, Alexandrien als Drehscheibe zwischen Jerusalem und
Rom. Die Bedeutung der Stadt im Werk des Josephus, Leiden 2005, 317–330, hier:
323.
82 Dieses Werk ist nur noch in der armenischen Sprache zugänglich; vgl. A. Terian,
Wie die spätere Heirat des einen, Tigran, mit der Tochter des Antio-
chos von Kommagene dann endgültig zeigte, bestanden kein Grund
und Interesse mehr, sich an die Tora zu binden.83 Durch die Verwen-
dung des negativen Verbs84 µετατ&σσω und die Angabe der religiösen
Herkunft85 und Neuorientierung besteht kein Zweifel an der Absicht
des Josephus, den Niedergang der Nachkommenschaft des Alexander
zu demonstrieren.
Sind in diesem Fall in erster Linie politische Perspektiven für die
Bewertung der Herrscherfamilie leitend, so wäre dagegen im Fall des
Tiberius Julius Alexander keinesfalls klar, in welche Richtung die Be-
merkung führen sollte. Gesetzt den Fall, Josephus meint wirklich den
Abfall von der jüdischen Tradition, so bliebe völlig undeutlich, auf
Grund welcher Kriterien das zu entscheiden wäre. Das, was jüdisch
möglich war, ist auch bei ihm selbst recht kontrovers. Denn zum offen-
kundigen Ermessensspieltraum, was ein jüdischer Herrscher durfte und
was nicht, kommt die Vielgestaltigkeit des Judentums zu seiner Zeit
1981. Dreimal wird von Philon und seinem Gesprächspartner, Lysimachus, von „unse-
rem Neffen Alexander“ (wohl: @ δελφιδο
ς 7µν § 2, 72, 75; vgl. auch § 8) gesprochen,
was sich wohl auf Tiberius Julius Alexander beziehen wird. Zur Identifizierung der Per-
sonen und Familie vgl. Terian, 26–28; Ebd. 28 f. auch zur Frage nach dem Gesprächs-
partner von Philo prov. 1–2.
83 Josephus erwähnt noch seine Ernennung zum König über die Kilikischen Inseln
durch Vespasian.
84 In Sinne von „überlaufen“ Jos.Ant. 5,58; 18,100.
85 Θεραπεα beinhaltet wie öfter—vor allem in der Septuaginta (vgl. Est 5,1; Joel
dazu. Damit wäre eine klare Grenzziehung zwischen dem, was , legi-
tim‘ und , illegitim‘ ist, unmöglich. So zitiert Josephus aus einem Be-
richt des Aristotelesschülers Klearchos von Soli über die Begegnung
des Aristoteles mit einem Juden während einer Kleinasienreise ganz
und gar positiv, dass der Jude ungemein gebildet gewesen sei und
(Jos.Apion. 1,180 f.)86 „ein Grieche nicht nur der Sprache nach, sondern
auch in seiner Seele“ (\Ελληνικς eν ο τA διαλκτω µνον, λλ6 κα τA
ψυχA).
Warum würde Josephus eine solche Haltung nicht auch Tiberius
Julius Alexander zugestehen? Oder soll diese Bemerkung allein aus
dem engeren Zusammenhang verstanden werden, dass der Sohn sich
anders verhält als sein Vater Alexander, der Alabarch?87 Diese Deutung
ist sogar wahrscheinlicher als jene, dass Josephus—ganz positiv—eine
Schutzbehauptung gegenüber römischen Lesern aufstellt, um die jüdi-
sche Herkunft des Tiberius Julius zu verschleiern.88
Es scheint darum grundsätzlich ratsam, sich eine gewisse Distanz zu
den Werturteilen des Josephus zu wahren. Es gibt offensichtlich einen
weiten Ermessensspielraum darüber, einen Menschen in öffentlichen
Ämtern und seine Stellung zur jüdischen Tradition und den ,Gesetzen
der Väter‘ und damit seine jüdische Identität zu charakterisieren. Als
eine historische oder gar eindeutige Absage an sein Judentum lässt
sich jedenfalls die Äußerung nicht verwerten.89 Sie ist eher als eine
86 M. Stern, Greek and Latin Authors on Jews and Judaism, Bd. 1, Jerusalem
(1974), 1976, Nr. 15; vgl. M. Hengel, Judentum und Hellenismus (s. Anm. 9), 111.467 f.;
J.M.G. Barclay, Jews (s. Anm. 12), 91. Mit dieser Episode eröffnet L.I. Levine seine
Monographie Judaism and Hellenism in Antiquity: Conflict or Confluence, Seattle
1998, XI; ähnlich beginnt mit ihr J.M.G. Barclay seinen Aufsatz Using and Refusing.
Jewish Identity Strategies under Hegemony of Hellenism, in: M. Konradt, U. Steinert
(Hg.), Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer
Zeit, Paderborn 2002, 13–25, hier: 13 f.
87 Den reichen Alabarchen erwähnt Josephus kurz vorher (Jos.Ant. 20,100); von
seinem Sohn lässt sich eine der Stiftung der wunderbaren Tempeltore lobenswerte,
auf den Tempel bezogene, Tat eben nicht erzählen.
88 Bei Tacitus wird er nicht als Jude, sondern, wegen seiner Herkunft aus Alexan-
drien, als Ägypter eingeführt. S. o. zu Tacitus, Hist. 1,11,1 zur Herrschaft römischer Rit-
ter (equites Romani) in Ägypten, die zu Präfekten von Alexandrien und Ägypten bestellt
werden: regebat tum Tiberius Alexander, eiusdem nationis, nachdem kurz vorher die Provinz
als besonders schwierig und aufsässig beschrieben wird: aditu difficilem, annonae fecundam,
superstitione ac lascivia discordem et mobilem, insciam legum, ignaram magistratuum, domi retinere.
89 Ein anderes erstaunliches Beispiel ist der Dank (εο
ελογα) eines Juden mit
Namen Theodotos, Sohn des Dorion, in einer Votivinschrift aus dem 2. oder 1. Jh.
v.Chr. im Tempel des Pan (!) in El-Kanais (CIJ II Nr. 1537), der für die Rettung aus
Seenot bzw. für eine bewahrte Seereise, die Inschrift stiftete. Allem Anschein nach
2007041. Frey. 06_Schimanowski. Proef 1. 12-4-2007:15.51, page 131.
wägungen.
91 3 Makk 1,3 bringt das recht ausführlich und prägnant mit parallelismus membrorum
zum Ausdruck: τ γνος Ιουδαος, Yστερον δ µεταβαλν τ6 νµιµα κα τν πατρων
δογµ6των πηλλοτριωµνος. Aber auch hier ist das entscheidende Thema: Dositheos
rettet Ptolemaios IV. das Leben! Durch den Kontext wird die religiöse Alternative
deutlich: Dositheos als Gefolgsmann des Ptolemaeos IV. Philopator befindet sich im
Umfeld eines Gotteslästerers. Obwohl Dositheos ein verbreiteter theophorischer Name
ist, lässt sich durch den seltenen Namen des Vaters, Drimylos, wahrscheinlich machen,
dass sich innerhalb der Zenon-Papyri fünf Briefe auf seine Person beziehen, auch wenn
sein Judesein keine Erwähnung findet (vgl. CPJ 127a–e). Die Gestalt des Dositheos
scheint dem Autor von 3 Makk bekannt gewesen zu sein (vgl. CPJ 1, 230 f.). Siehe
M. Hengel, Juden, Griechen und Barbaren. Aspekte der Hellenisierung des Judentums
in vorchristlicher Zeit (SBS 76), Stuttgart 1975, 121.125.
92 Jos.Bell. 7,46–53. Vgl. hierzu neuerdings J. Sievers, What’s in a Name? Antiochus
93 In einem anderen Fall (in Skythopolis Jos.Bell. 2,466–468) wird keine Einzelperson
genannt. Als einzige ,religiöse Tat‘ wird die Übersiedlung in einen Hain (µεταβανειν
[…] εEς τ Jλσος) genannt. Die Parallele in Vita 26 benennt nur den Kampf gegen die
eigenen Stammesgenossen, was als µιτος bewertet wird.
94 Einleitung von OGIS 669, Z.3 f.: „Ich habe meine ganze Sorge darauf verwendet,
dass die Stadt (Alexandria) in dem ihr zukommenden Zustand verbleibt (το
διαµνειν
τ πρνοιαν ποιοHµενος) und die Wohltaten genießt ( πολαHουσαν τν εεργεσιν), die
sie vom Kaiser erhalten hat“ (s. o.).
95 Zu Josephus z. B. Jos.Bell. 82; Jos.Vit. 15.48.208 f.301.425 u. ö. Siehe S.J.D. Cohen,
Josephus in Galilee and Rome. His Vita and Development as a Historian (CSCT 8),
Leiden 1979, 109 (Anm. 37); P. Bilde, Flavius Josephus between Jerusalem and Rome.
His Life, his Works, and Their Importance (JStPs. Suppl. 2), Sheffield 1988, 184 f. Zu
Philon vgl. neuerdings die Monographie von P. Frick, Divine Providence in Philo of
Alexandria (TSAJ 77), Tübingen 1999.
2007041. Frey. 06_Schimanowski. Proef 1. 12-4-2007:15.51, page 133.
96 Vgl. Philons Traktat, De Josepho (mit § 254 als Schlüsseltext zur Gefahr des Über-
tritts zum Fremden [πρς τ:ν τν Lνεων µεταβολ9ν], allerdings erheblich moderater
eingeschätzt als in seinem Traktat De Somniis); zum Ganzen M. Niehoff, The Figure
of Joseph in Post-Biblical Jewish Literature (AGJU 16), Leiden 1992) , und dies., Philo
(s. Anm. 53), 64–69. Die grundsätzlich kritische Sicht in Philo somn. hat auch Ein-
non-matching parenthesis
fluss auf die Beurteilung eines Textes wie Philo somn. 123–132 (zu Jakobs Traum Gen
37,9–11), in dem manche einen Vorwurf gegenüber T.J. Alexander (hinter dem Stich-
wort eines ν9ρ—τ:ν προστασαν κα πιµλειαν εSχεν ΑEγHπτου—, der seine Mitbürger
unterdrückte und die alten Gebräuche umstieß und vor allem die Einhaltung des Sab-
batgesetzes bei Strafe verbot und als das alles nichts fruchtete, eine längere Rede hielt)
herauslesen; vgl. D.R. Schwartz, Philonic Anonyms of the Roman and Nazi Periods:
Two Suggestions, SPhA 1 (1989), 63–73, hier: 63–69 und der kurz darauf gehaltene
Vortrag von R.A. Kraft, Philo and the Sabbath Crisis: Alexandrian Jewish Politics and
the Dating of Philo’s Works, in: B. Pearson u. a. (Hg.) The Future of Early Christia-
nity: Essays in Honor of Helmut Koester, Minneapolis 1991, 131–141, noch einmal in
ders., Tiberius Julius Alexander and the Crisis in Alexandria According to Josephus,
in: H.W. Attridge, J.J. Collins, T.H. Tobin (Hg.), Of Scribes and Scolls: Studies in
the Hebrew Bible, Intertestamental Judaism, and the Christian Origins, FS J. Strug-
nell (CTSSR 5), Lanham 1990, 175–184. Dagegen aber E.S. Gruen, Diaspora: Jews
amidst Greeks and Romans, London 2002, 59 f.278 f. (Anm. 42 mit Verweis insbeson-
dere auf Philo spec. 3,159–162). Andere denken bei dem anonymen Machthaber an
Avillius Flaccus: E.R. Goodenough, The Politics of Philo Judaeus. Practice and Theory,
New Haven 1938, 29 f. und R. Barraclough, Philo’s Politics. Roman Rule and Helleni-
stic Judaism, in: ANRW II. 21.1, Berlin 1983, 417–533, hier: 532; ähnlich J.M.G. Barclay,
Jews (s. Anm. 12), 51.178; Zu somn. 123 vgl. Flacc. 105 (legat. 153 spricht von der πι-
µλεια des Augustus). Möglich wäre aber auch—vgl. den Vergleich mit „Sonne und
Mond“ wie im biblischen Text—auch Gaius Caligula. Letztlich bleibt das aber alles
Spekulation.
97 Siehe Jos.Ant. 12,167 ff.; P. Spilsbury, The Image of the Jew (TSAJ 69), Tübingen
bestätigen, wenn er denn von Tiberius Julius Alexander herrührt (CPJ 418a). Einleitend
2007041. Frey. 06_Schimanowski. Proef 1. 12-4-2007:15.51, page 134.
VI. Schlussgedanken
wird dort der Dank gegenüber ägyptischen Gottheiten (Serapis, Sohn des Ammon,
wird erwähnt), zum Ausdruck gebracht. Auch hier würde sich Tiberius in seinem
öffentlichen Amt nur der Formelsprache bedienen, die von ihm als öffentlicher Amts-
träger erwartet wurde, und gegen die er nicht verstoßen konnte und wollte (vgl. o. zur
Votivinschrift des Theodotos).
99 Jos.Vit. 414; vgl. Jos.Ant. 3,276; Jos.Apion. 1,35 und zur rechtlichen Frage die
Anmerkung der Vitaausgabe F. Siegert u. a. (Hg.), Aus meinem Leben, Tübingen 2001,
182.
2007041. Frey. 06_Schimanowski. Proef 1. 12-4-2007:15.51, page 135.
tion eines Alexanders zu denken hatte. Quer durch alle Religionen ver-
bindet alle Hochgestellten der Antike der Glaube an jene Vorsehung,
der sie für ihr Teil ja dienen. Pronoia als political correctness jener Tage, die
Religion, die in allen möglichen Schichten einer Weltstadt wie Alexan-
drien und darüber hinaus funktionierte.
Spätestens im Zusammenhang mit der Frage nach Entstehung, Aus-
bruch und Entfaltung des antiken Antijudaismus wird man an die
Grenzen einer begrifflichen Bestimmung kommen für das, was allein
mit inhaltlichen Festlegungen einer religiösen Gruppe geleistet werden
sollte und konnte. Denn in den für Alexandrien besonders heftigen
Pogromen wurde allein von außen bestimmt, wer Jude zu sein hatte
und wer nicht. Im Falle der Situation in Alexandrien wird man darum
erst sehr viel später, nach dem Beginn des 2. Jh. n.Chr., eindeutiger
sagen können, nachdem rechtliche Bestimmungen für die Grundlagen
der sog. ,Judensteuer‘ festgelegt wurden,100 wie die Grenzen zwischen
einzelnen ethnischen Gruppen definiert werden konnten. Bis dahin
wird man wohl mit offeneren Definitionen und vor allem einer erheb-
lich weiteren Bandbreite rechnen müssen in der Frage, wie sich Juden
zu ihrer Umwelt verhalten haben.