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Das Deutsche Theater in Sankt Petersburg am Anfang des 19.

Jahrhunderts
Author(s): Svetlana I. Mel'nikova
Source: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas , 1996, Neue Folge, Bd. 44, H. 4 (1996),
pp. 523-536
Published by: Franz Steiner Verlag

Stable URL: https://www.jstor.org/stable/41049758

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Svetlana I. Mel 'nikova, Sankt Petersburg

Das Deutsche Theater in Sankt Petersburg


am Anfang des 19. Jahrhunderts*

Die Geschichte der Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen ist ein wichtiges
Kapitel im europäischen Kulturleben, dessen Erforschung eine Aufgabe für Generationen von
Gelehrten ist. Zu sehr war diese historische Schicht, auf der die gegenwärtige Kultur beruht,
in Vergessenheit geraten. Vielleicht ist es gerade heute, da die zivilisierte Welt nach der
Überwindung der Grenzen strebt und die russische Kultur ihre Stellung auf der Basis einer
Synthese verschiedenster positiver Einflüsse festigt, ohne dabei ihre Eigenart zu verlieren,
sinnvoll, die Geschichte des Deutschen Theaters in Sankt Petersburg zu rekonstruieren und
damit eine dunkle Stelle in der Theatergeschichte zu erhellen.
Welcher Quellenbestand steht zur Erforschung der Geschichte des Deutschen Theaters in
Sankt Petersburg zur Verfügung? Dies ist vor allem eine große Anzahl von Dokumenten, die
sich im Russischen Historischen Staatsarchiv St. Petersburg befinden. Diese Dokumente sind
aber nicht nach dem uns interessierenden Thema systematisiert. Sie gehören hauptsächlich
zum Archiv der Kaiserlichen Theaterverwaltung.1 Ein Teil dieses Materials wurde am Ende
des 19. Jahrhunderts veröffentlicht.2 Jedoch haben zwei verheerende Brände in den Jahren
1806 und 1810 einen großen Teil der wertvollen geschichtlichen Dokumente vernichtet. Des-
halb ist die Rekonstruktion gerade der ersten Jahre des Deutschen Kaiserlichen Theaters in
Petersburg besonders schwierig.
Ferner kennen wir in der Person des Studenten und späteren Beamten des Kollegiums für
Auswärtige Angelegenheiten, des Geschäftsführers des Theaterkomitees und noch später des
Senators sowie Vorsitzenden des Theatralisch-literarischen Komitees bei der Direktion der
Kaiserlichen Theater Stepan Petrovic ¿icharev (1788-1860) den Autor von Tagebüchern, in
denen der junge Theaterliebhaber uns seine wertvollen Erinnerungen an die deutsche Theater-
truppe in Petersburg überliefert hat. Die Einzigartigkeit seiner Eindrücke von diesem Theater
beruht darauf, daß er nicht nur ein regelmäßiger Zuschauer, sondern auch ein Stammgast hin-
ter den Kulissen war, was ihm die Möglichkeit gab, eine kurze Geschichte der deutschen
Theatertruppe zu schreiben.3 In seiner einprägsamen, gefühlsbetonten Erzählung gibt es eine
Menge von Ungenauigkeiten; da aber ¿icharev sich nicht als Theaterchronist fühlte, nahm
er an dem chronologischen Durcheinander weiter keinen Anstoß. Die Benutzung seiner
Beobachtungen erfordert also deren Überprüfung anhand anderer, glaubwürdiger Quellen.
Das Leben der deutschen Theatertruppe wird auch in einigen anderen Memoirenwerken
beleuchtet. Darunter sind die Erinnerungen von Filip Filipovic Wiegel (Vigel', 1786-1856),
dem Vizegouverneur von Bessarabien, später Direktor des Departements für geistliche Ange-

* Aus dem Russischen übersetzt von Dorothea Nitsche.


1 Rossijskij Gosudarstvennyj Istorièeskij Archiv (im folgenden: RGIA), Fond Nr. 497. Der Fond
enthält Dokumente über die Engagements der deutschen Schauspieler, Musiker und des Hilfspersonals
am Theater, Briefe und Aufzeichnungen von Beamten des Kontors der kaiserlichen Theater fur den
Direktor, Mitgliederlisten der Truppe, Belege fur Jahres- und Monatseinnahmen und -ausgaben,
vergleichende Preislisten, Spielpläne der deutschen Schauspielertruppe und vieles andere.
2 Archiv Direkcii Imperatorskich teatrov (1746-1801). Vyp. 1. S.-Peterburg 1892.
3 S. P. ¿ICHAREV Zapiski sovremennika. Band 2. Leningrad 1989, S. 308-315.

Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 44 (19%) H. 4 © Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart/Germany

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524 SVETLANA I. MEL'NUCOVA

legenheiten der ausländischen Konfessionen und Ge


Theater gering, weil ihm jenes Maß an Konvention z
schen Schauspieler auf der Bühne darstellte: „In deu
unerträglich, alles anständig Lustige langweilig, alle
Farcen"4; jedoch erwähnt er einige Stücke aus dem
charakterisiert einzelne Mitglieder der Theatertruppe
Was die Erinnerungen des Belletristen, Dramatike
lovic Zotov (1796-1871) betrifft, der auch Sekretär
und des Leiters der deutschen Theatertruppe von 1
war, so erwecken sie den Eindruck, als beziehe sich
Schauspielkunst der Deutschen erschien mir lange un
ihrer Dramaturgie eingedrungen war, war ich übe
möglich ist, anders zu spielen. Die Deutschen kleiden
nerte Formen und verhüllen sie nicht mit Schleiern v
Selbstverständlich bilden die in Berlin 1801 heraus
übersetzten Erinnerungen des Direktors des Kaise
Kotzebue eine höchst wertvolle Quelle.6
Die russischen Zeitungen und Zeitschriften liebten
wurden manchmal Stücke von Ifïland und Kotzebue
der deutschen Dramaturgie erzählt7, aber Beurteilung
nicht. Die Zeitung „Sankt-Peterburgskie Vedomosti"
lungen der deutschen Truppe im Eremitage- und im
von gedruckten Theaterstücken des Herrn Kotzebue,
der deutschen Schauspiele. Die deutschsprachigen Q
bekannt.9

4 F. F. Vigel' Vospominanija. 2 Bände. Moskva 1864, hier Band 1, S. 53.


5R.M.ZOTOVTeatraFnye vospominanija. S.-Peterburg 1859, S. 45; R. M. ZOTOV Moi vospominani-
ja o teatre, in: Repertuar russkogo teatra. S.-Peterburg 1 840. Band 1 , 4. Buch, S. 1-20; Band 2, 7. Buch,
S. 21-39.
6 A. Kotzebue Das merkwürdigste Jahr meines Lebens. Berlin 1 80 1 ; (Zitate nach A. von Kotzebue
Das merkwürdigste Jahr meines Lebens. Hrsg. von W. Promies. München 1965 (= Lebensläufe 4); A.
KOCEBU Dostopamjatnyj god moej zizni. Vospominanija Avgusta Kocebu. 2 Bände. S.-Peterburg o. J.
7 Zum Beispiel: Slavnejsïe tragiki iz vsech nacij, in: Korifej (1802) Nr. 2, S. 37-51; O komedii
voobSòe, in: Korifej (1803) Nr. 3, S. 36-39; O slavnejSich pisateljach komedii, in: Korifej (1803) Nr. 3,
S. 72-125.
8 Zum Beispiel Sankt-Peterburgskie Vedomosti. Nr. 32, 15. April 1802.
9 F. Meyer von Waldeck Geistiges Leben der Sanct-Petersburger Deutschen, in: Unsere Zeit.
Revue der Gegenwart (1881) Band 2, S. 219-243, hier S. 236-242; E. AMBURGER Deutsche in Staat,
Wirtschaft und Gesellschaft Rußlands. Die Familie Amburger in St. Petersburg 1770-1920. Wiesbaden
1986; E. Amburger Musikleben in St. Petersburg um 1800, in: Kulturbeziehungen in Mittel- und
Osteuropa im 18. und 19. Jahrhundert. Festschrift für Heinz Ischreyt zum 65. Geburtstag. Berlin 1982,
S. 201-210; F. von Schubert Unter dem Doppeladler. Stuttgart 1962; G. Gesemann Kotzebue in
Rußland. Materialien zu einer Wirkungsgeschichte. Frankfurt a. M. 1971; Ders. Zur Geschichte des
Deutschen Theaters in St. Petersburg, in: Festschrift für Alfred Rammelmeyer. Herausgegeben von H.-
B. Harder. München 1975, S. 55-83.
Theaternachrichten in den Zeitschriften: Der Freimüthige, Berlin 1803 ff; Journal für Theater und
andere schöne Künste, Hamburg 1797-1800; Nordisches Archiv, Riga und Leipzig 1803-1809; Ru-
thenia, S.-Peterburg und Mitau 1807-181 1; St. Petersburgische Zeitschrift zur Unterhaltung gebildeter

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Das deutsche Theater in Sankt Petersburg am Anfang des 1 9. Jahrhunderts 525

In der sogenannten Manege (im ehemaligen Haus Aleksandr Dmitrievic Lanskojs - wir
kommen noch darauf zurück) spielte seit dem 24. September 1796 die deutsche Theatertruppe
der bekannten Schauspielerin Frau Tilly. Nach dem Tode Katharinas II. hörten die Vorstel-
lungen auf und begannen wieder 1797 (es ist bekannt, daß die Schauspiele „Der Opfertod"
und „Die Unglücklichen" von Kotzebue aufgeführt wurden).10 Um die Truppe stand es nicht
besonders gut. Man brauchte einen energischen und unternehmenden Menschen, der das
Theater vor dem Zusammenbruch retten konnte. In dieser Situation berief Anna Maria Sauer-
weid, die Witwe des bekannten Komikers Johann Karl Sauerweid, des Herausgebers der
ersten Theaterzeitschrift in Rußland11, und selbst „früher eine gute Schauspielerin"12, den Ehe-
mann ihrer Tochter, Joseph Miré, und verkaufte ihm das Theater.13 Miré14 zeigte sich in der
Tat als entschlußkräftiger und gescheiter Mann: „Der gebürtige Straßburger, Fechtmeister,
Maschinist und Schlaukopf," schrieb ¿icharev nicht ohne Ironie, „der fast alle Städte Europas
als Spielleiter von Stücken mit dem sogenannten »prächtigen Schauspiel', das heißt mit
Schlachten, Evolutionen, Bränden, Überschwemmungen und Erdbeben bereist hatte"15,
befand sich gerade in Riga, von wo ihn die wegen der Lage ihres Theaters beunruhigte
Schwiegermutter zu sich nach St. Petersburg rief.
Zur gleichen Zeit leitete in St. Petersburg Karl Rundthaler ein Theaterunternehmen auf der
Vasil'ev-Insel.16 Miré lockte ihm allmählich die besten Schauspieler weg. Rundthaler empörte
sich öffentlich, „laut vom Unrecht und davon schreiend, daß ihm Pflug und Feld weggenom-
men seien".17 Miré erwies sich jedoch als geschickter, und der besiegte Rivale zog sich nach
Reval zurück.
Mirés Theater wurde arri 20. Februar 1799 mit einem feierlichen Vorspiel, verfaßt von
Herrn Reinbeck und von M-me Müller gesprochen18, und dem Stück des bekannten Wiener

Stände, S.-Peterburg 1804; St. Petersburgische Monatsschrift zur Unterhaltung und Belehrung, S.-
Peterburg 1805; Konstantinopel und St. Petersburg, der Orient und der Norden, S.-Peterburg 1805-
1806; Russische Miscellen, Riga 1804.
Zeitungen: Sankt Petersburgische Zeitung, S.-Peterburg 1727-1902 (hierzu C. Eichhorn Die Ge-
schichte der St. Petersburgischen Zeitung 1727-1902. S.-Peterburg 1902).
Almanache: Verzeichniß der hier in St. Petersburg auf dem mit allerhöchster Erlaubniß eröffneten
deutschen Theater vom 20. Februar 1799 bis inclusive den 11. December gegebenen Vorstellungen.
S.-Peterburg 1800; D. Schmieder St. Petersburgisches Taschenbuch fur's Theater auf 1805. S.-Peter-
burg 1805; C. BORCK Theater-Almanach für das Jahr 181 1. S.-Peterburg 181 1; F. A. GEBHARD Ta-
schenbuch für Theater und Theaterfreunde. S.-Peterburg 1814.
Lexika: Rigaer Theater- und Tonkünstler Lexikon. Riga 1890; W. Kosch Deutsches Theaterlexikon.
3 Bände. Klagenfurt, Bern u.a. 1953 ff.; R. A. Mooser Annales de la musique et des musiciens en
Russie en 18 siècle. Tome 1-3. Genève 1948-1951.
10 SCHMIEDER St. Petersburgisches Taschenbuch fur's Theater S. 144-146.
11 Russische Theatralien. S.-Peterburg 1784, Nr. 1-3.
12 Schmieder St. Petersburgisches Taschenbuch fur's Theater S. 146.
13 Ebenda.
14 Giesemann war es „nicht möglich, die Identität dieses Mannes, der unter dem Künstlernamen Miré
auftrat, festzustellen". GIESEMANN Zur Geschichte des deutschen Theaters S. 56.
15 ¿ICHAREV Zapiski sovremennika S. 3 1 1 .
16 Das Theater im Gebäude der Académie der Kunst, in: Sbornik materialov dlja istorii Imperatorskoj
sankt-peterburgskoj Akademii chudozestv za sto let ee suSöestvovanija. S.-Peterburg 1864, S. 368.
17 Schmieder St. Petersburgisches Taschenbuch fur's Theater S. 148; St. Petersburg am Ende seines
ersten Jahrhunderts. S.-Peterburg 1805, S. 334.
18 Verzeichniß der hier in St. -Petersburg... gegebenen Vorstellungen S. 4.

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526 SVETLANA I. MEL'NIKOVA

Dramatikers A.-W. Ziegler „Der Großfürst" eröff


um die für die Existenz des Theaters notwendigen
nahmen sowohl der Großfürst Konstantin Pavlov
männischen Clubs an dieser Aktion teil. So gelang
Die Theatertruppe bestand aus folgenden Schau
das Ehepaar Weihrauch, Herr Heide, ebenfalls au
kamen der ehemalige Militärangehörige Ewest un
und Lindner hinzu. Nach Meinung eines deutsche
Herren Lindenstein („der als ausgezeichneter kom
große Bedeutung erlangte"21), Wieland und Mülle
Bühne zur Ehre gereichen".22
Insgesamt fanden vom 20. Februar bis zum 1 1 . D
Stücken statt, „wobei 94 neueinstudierte und 56 r
Aufführungen des Theaters von Miré fanden säm
hat folgende Geschichte: Am Ende des 18. Jahrh
Architekten Georg Veiten dicht aneinander drei
Teil des Palastplatzes umfaßten. Eines dieser Häuse
Aleksandr Dmitrievic Lanskoj, einem Vertrauten
seine Schwester Elizaveta Dmitrievna KuSeleva u
Senator Petr Petrovic Molcanov. Im Hof dieses Ha
war es aus Stein gebaut, hatte vier Ränge und bot P
des 19. Jahrhunderts trug es mehrere Namen: De
im Molcanov-Haus, Neues Theater. Als Theater e
1819, als unmittelbare Vorbereitungen für den
„Anschlag über die Eintrittspreise" bezeugt, fand
Sprache am 12. März 1819, dem Freitag der dritte
Ein verheerender Brand in der Nacht vom 3 1 . Ja
die gesamte Innenausstattung des Theaters, die Bü
Truppe zog ins Gebäude des Kleinen Theaters um
und der französischen Truppe spielte. Gleichzeitig
schen Theater.29 Man beschloß, das KuSelev-The
Rusca veranschlagte dafür 25 000 Rubel. Diese V

19 Schmieder St. Petersburgisches Taschenbuch fur's T


¿ü Ebenda.
21 Giesemann Zur Geschichte des deutschen Theaters S. 57.
^Ruthenia(1810)Nr. 10, S. 140-145, hier S. 141.
23 Verzeichniß der hier in St.-Petersburg... gegebenen Vorstellungen S. 16.
24 S. A. Taneev Iz proSlogo imperatorskich teatrov. 1725-1825. Band 1. S.-Peterburg 1885, S. 13.
25 L. Slionsku PuSkin v Peterburge, in: PuSkinskij Peterburg. Leningrad 1949, S. 41-198, hier S. 99.
26 Taneev Iz proSlogo imperatorskich teatrov S. 13.
27 S. Danilov Postojannye publiònye teatry v Peterburge v XIX veke, in: O teatre. Vremennik istorii
i teorii teatra. Band 3. Leningrad 1929, S. 153-182, hier S. 161.
28Ruthenia(1810)Nr. 10, S. 140-145, hier S. 142.
29 Vedomost' o prichode, raschode i ostatkach deneinoj kazny pri Nemeckom teatre s 7 po 14 fevralja
1806 g., in: RGIA, fond 497, opis' 4, delo 54, 1. 51, 5 lob.

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Das deutsche Theater in Sankt Petersburg am Anfang des 19. Jahrhunderts 527

geprüft.30 Außerdem lieh die Kaiserliche Theaterverwaltung bei Otto Christoph Launitz,
Kaufmann in St. Petersburg, 10 000 Rubel, um die Restaurierung zu Ende zu führen.31 1808
kehrte die deutsche Truppe ins KuSelev-Theater zurück. Nach dem Brand im Großen Theater
im Jahre 1810 mußten die deutschen Schauspieler wieder abwechselnd mit der russischen
Truppe, jetzt auf ihrer eigenen Bühne, spielen. Außerdem fanden hier 1813-1814 Aufführun-
gen der von A. A. Sachovskoj organisierten russischen „Jungen Truppe" statt.32 Es ist bemer-
kenswert, daß das Molcanov-Haus vom Staat „zur Unterbringung des Generalstabs"33 schon
1811 gekauft wurde, das Theater aber dort noch acht Jahre lang existierte. Seit 1832, als das
Kleine Theater abgerissen und das Aleksandrinskij -Theater errichtet worden war, wurde die
Bühne des Michajlovskij-Theaters zu dem Ort, an dem regelmäßig Aufführungen der deut-
schen Truppe stattfanden.
Aber kehren wir zum Anfang des Jahrhunderts zurück. Nach einem Konflikt mit dem
Entrepreneur wandten sich die Schauspieler der Truppe Mirés an Paul I. Wie D. Schmieder
annahm, sollte der Rat Friedrich Georg Adelung, der damalige Theaterzensor am Deutschen
Theater (1800-1804), Intendant werden.34
Aber statt dessen kam es zu einer unerwarteten Wende im Schicksal eines anderen Men-
schen, der keine Beziehung zur Theatertruppe von Miré hatte, nämlich August Friedrich
Ferdinand von Kotzebues (1761-1819). Kotzebue ist sowohl von seinen Zeitgenossen als
auch in späteren Generationen unterschiedlich beurteilt worden. Uns interessiert er hier
ausschließlich in Verbindung mit dem Schicksal der deutschen Theatertruppe. Kotzebues
Biographie ist in verschiedenen Werken dargestellt.35 Schon während der Regierungszeit
Katharinas II. war er in Rußland gewesen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts beschloß er, erneut
nach Rußland zu reisen, um die Verwandten seiner Ehefrau, der Tochter eines russischen
Offiziers und estländischen Gutsbesitzers, zu besuchen. Damit begannen Kotzebues Mißge-
schicke. Nach Meinung von P. Arapov „wurde er der Abfassung des politisch schädlichen
Dramas ,Graf Benjowski' beschuldigt"36 (es wurde übrigens kurze Zeit nach den hier geschil-
derten Ereignissen, am 26. Februar 1803, mit Erfolg auf der Bühne des Deutschen Theaters
gespielt37). Daher wurde er an der Grenze auf Befehl Pauls I. sofort verhaftet und „per Etap-
pe" nach Sibirien, in die Stadt Kurgan, verschickt, wo er am 15. Juni 1800 ankam.38 Jedoch

30 DANILOV Postojannye publiönye teatry S. 160.


31 Perepiska ob uplate Karlu Launitcu 10 000 rub. assignacijami, zanjatych u nego na postrojku
nemeckogo teatra, in: RGIA, f. 497, op. 1, d. 870.
32 Danilov Postojannye publiònye teatry S. 161.
O sdaée doma Glavnogo Staba, v koem pomeSöalsja nemeckij teatr, in: RGIA, f. 497, op. 1.,
d. 1938.
34 Schmieder St. Petersburgisches Taschenbuch fur's Theater S. 1 54.
33 Zum Beispiel: V. V. V. Avgust FON Kocebu in: Repertuar russkogo teatra. S.-Peterburg 1840,
Band 2, Nr. 12, S. 1-23; S. Ignatov Germanija. Teatr na rubele XVIII-XIX vekov, in: S. Ignatov
Istorija zapadno-evropejskogo teatra novogo vremeni. Moskva, Leningrad 1940; L. GUREVlC Istorija
russkogo teatraFnogo byta. Moskva, Leningrad 1939, S. 243-244; I. Ignatov Teatr i zriteli. Moskva
1916, S. 61-66; P. Arapov Letopis' russkogo teatra. S.-Peterburg 1861, S. 140-142; A. GluSkovsku
Vospominanija baletmejstera. Leningrad, Moskva 1940, S. 145, 149; A. Makarov Stjurmerskaja
literatura v nemeckom kuFturnom kontekste poslednej treti XVIII veka. Moskva 1991.
36 Arapov Letopis' russkogo teatra S. 141 .
37 Nordisches Archiv (1803) Nr. 4, S. 50-65, hier S. 51.
38 Kotzebue Das merkwürdigste Jahr S. 174.

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528 SVETLANA I. MEL'NIKOVA

wurde er bereits am 7. Juli begnadigt39, wahrs


Sprache und 1800 in russischer Übersetzung ers
Peters des Dritten", das dem Kaiser außerorden
Übersetzung Paul I. gewidmet.40
Kotzebues „Der alte Leibkutscher" wurde „am
russischen Bühne gespielt und hatte einen glän
Mirés Theatertruppe gezeigt worden war, war e
nopoFskij mit einem kostbaren Ring auszuzeichn
der Kaiser ihn „überaus gnädig" empfing.44
Am 12. August 1800 wurde der kaiserliche Erl
küll im Kreise Pernau des Gouvernements Livla
an den Kollegienassessor Kotzebue auf Lebenszei
und am 20. August der Erlaß über die Ernennun
demselben Tag bewilligte ihm Paul ein Gehalt
traute ihm das Amt des Intendanten der deutsc
wurde Kotzebue im Senat vereidigt.49
Den Willen Seiner Majestät erfüllend, ordnet
erwähnte deutsche Truppe und das Theater mit
Verfügungsgewalt der Direktion der Theater zu
übergab J. Miré seine Theatertruppe und ihr Ei
sich, die Schulden des Entrepreneurs zu begleich
Personals des Theaters in Höhe von insgesamt 3
zahlungen von 14 000 Rubel.55
Aus Mirés Truppe gingen folgende Personen in
chen Theaterverwaltung über56: der Zensor des

39 Kotzebue Das merkwürdigste Jahr S. 200-202.


40 A. KOCEBU Lejb-kuöer. Perevod s nemeckogo
Giesemann Kotzebue in Rußland S. 77.
41 Arapov Letopis' russkogo teatra S. 141.
42 Ebenda.
43 Ebenda.
44 Ebenda.
45 Senatskij archiv. I. Imennye ukazy imperatora Pavla I. S.-Peterburg 1888, S. 648.
46 Ebenda.
Ukaz naSemu Senatu, in: Archiv Direkcii Imperatorskich teatrov, S. 626.
48 Zapiska F. Briskorna A. NarySkinu, ebenda S. 625.
49 Ukaz Ego Imperatorskogo Veliöestva, ebenda S. 628.
50 Ot ober-gofmarSala, nad teatral'nymi zreliSéami i muzykoju glavnogo Direktora i Kavalera Kontore
teatral'nqj direkcii predlozenie, in: RGIA, f. 497, op. 1, d. 44., 1. 6.
51 Kontrakt, in: RGIA, f. 497, op. 1., d. 44, 1. 4-5.
52 Rospis' kreditorov inspektora pridvornoj nemeckqj truppy Osipa Mire, kotorym imperatorskaja
teatraFnaja direkeija, po sile kontrakta, pri vzjatii teatra zaplatit' na sebja vzjala, in: RGIA, f. 497, op.
l,d.44,1.5.
53 Ebenda.
54 Ebenda.
55 Ebenda.
56 Ebenda 1.3.

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Das deutsche Theater in Sankt Petersburg am Anfang des 1 9. Jahrhunderts 529

19. Februar 1801 Kollegienassessor Friedrich Georg Adelung (mit einem Jahresgehalt von
1500 Rubel), der Garderobenmeister Joachim Friedrich Puls (300 Rubel), der Buchhalter
Peter Albrecht, der Registratur Johann Heinrich Blum (400 Rubel), die Friseure Johann
George Brück (200 Rubel) und Johann Heinrich Hille (500 Rubel), der Beleuchter Gustav,
der Souffleur Mucht, „der Musikdirektor des Deutschen Theaters" Anton Kaliwoda (1500
Rubel) sowie folgende Schauspieler: Wilhelm Anton (800 Rubel), Karl Friedrich Wilhelm
Borckmit seiner Frau Katharina (1200 Rubel) - er als Darsteller von Kavalieren, Bonvivants
und Charakterrollen57, sie für Rollen der Soubretten und Geliebten sowie als Altistin in der
Oper58 - , der Schauspieler Wieland, „ein junger Liebhaber mit seiner Frau (Elise Wieland),
einer wunderbaren dramatischen Schauspielerin"59 (3000 Rubel), der Bassist K. Hübsch (2400
Rubel), der Schauspieler Grosswalter (nach dem Jahresgehalt von 400 Rubel zu urteilen
wahrscheinlich ein Statist für Nebenrollen), die Schauspielerin Luise Drebing (1000 Rubel),
Jeanette Drobisch (675 Rubel, vgl. Abb. S. 530), das Schauspielerehepaar Theresia Kafka und
Johann Christoph Engelmann (genannt Kafka, 2300 Rubel), die Schauspieler Solotok (600
Rubel), Lindner (1040 Rubel), Christian Friedrich Runge (800 Rubel), Strebe (800 Rubel),
die Schauspielerin Anna Maria Sauerweid (500 Rubel) sowie das Schauspielerehepaar Fried-
rich Ludwig und Wilhelmina Stefanie Ewest (4000 Rubel). Sie alle wurden von der Kaiserli-
chen Theaterverwaltung am 1 . September 1 800 eingestellt.60 Nur einige dieser Namen werden
sich in unserer Darstellung wiederholen: Die Zusammensetzung der Truppe änderte sich,
Schauspieler, die vom einheimischen Publikum abgelehnt wurden oder das harte Klima an
den Ufern der Neva schlecht vertrugen, verließen Petersburg.61
Das erste Stück, dessen Aufführung Kotzebue im Deutschen Theater plante, war sein Stück
„Johanna von Montfaucon". Auf Anordnung des Hauptintendanten A. L. NarySkin „wurden
für dieses Stück Kostüme aus der Theatergarderobe verabfolgt".62
Für die Gehälter des Personals gab die Theaterverwaltung im September 1 800 7083 Rubel
und 33 Va Kopeken aus.63 Schließlich wurde das Gebäude des KuSelev-Theaters, von dem
schon die Rede war, „durch die Verwaltung von KuSelev zu den Bedingungen des von ihm
mit Miré abgeschlossenen Kontraktes gemietet".64
Kotzebue verstand sehr gut, daß das Wohlergehen der deutschen Theatertruppe völlig vom
Willen des Monarchen und seiner Vertrauten abhing. Er wußte auch, daß „Paul die französi-

57 Rigaer Theater- und Tonkünstler Lexikon. Riga 1890, S. 25.


58 BORCK Theater-Almanach für das Jahr 181 1 S. 92.
59 ¿ICHAREV Zapiski sovremennika S. 309.
60 Vertrag des Direktors des deutschen Theaters in St. Petersburg Joseph Miré mit: F. L. Ewest, V.
S. Ewest, C. Borck, C. L. Lindenstein (Probst), in: RGIA, f. 497, op. 1, d. 21. Bl. 3-4; I. Miré-A.
Kalliwoda, in: RGIA, f. 497, op. 1, d. 31, 1. 25-26; A. Naryôkin-E. Wieland, in: RGIA, f. 497, op. 1,
d. 31 1. 58; I. Miré-A. M. Sauerweid, in: RGIA, f. 497, op. 1, d. 21, 1. 1-lob; I. Miré-I. H. Hille, in:
RGIA, f. 497, op. 1, d. 31, 1. 3, 8; I. Miré-J. F. Puls, in: RGIA, f. 497, op. 1, d. 31, 1. 4-7 [vgl. Abb. S.
531] ; I. Miré-J. G. Brück, in: RGIA, f. 497, op. 1, d. 31, 1. 1-2; I. Miré-J. C. Kafïkaund T. Kaffka, in:
RGIA, f. 497, op. 1, d. 31, 1. 1-17; I. Miré-J. H. Bluhm, in: RGIA, t 497, op. 1, d. 31, 1. 18; I. Miré-C.
F. Runge, in: RGIA, f. 497, op. 1, d. 31, 1. 38; I. Miré-L. Drebing, in: RGIA, f. 497, op. 1, d. 31, 1.
40-41; I. Miré-W. Anton, in: RGIA, f. 497, op. 1, d. 31, 1. 42.
Vgl. hierzu Gesemann Zur Geschichte des deutschen Theaters in St. Petersbure, passim.
62 Archiv Direkcii Imperatorskich teatrov S. 210.
63 Ebenda S. 361.
64 Ebenda S. 377.

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530 SVETLANA I. MEL'NIKOVA

Vertrag mit Jeanette Drobisch (RGIA f. 497,

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Das deutsche Theater in Sankt Petersburg am Anfang des 19. Jahrhunderts 53 1

Vertrag mit Friedrich Joachim Puls (RGIA f. 497, op. 1, d. 3 1, 1. 6)

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532 SVETLANA I. MEL'NIKOVA

sehe Literatur und besonders das französische T


voll die folgende Tatsache: Im Journal des Kam
Theater registriert. So besuchte Paul mit seiner
im Eremitage-Theater im November 1800 sieben
zehnmal.66 Zum Teil läßt sich das durch die Ak
Truppe, Madame Chevalier, erklären. Wie Zeit
Madame Chevalier, eine der ersten Schönheiten d
Stimme und dramatisches Talent besaß, die beso
ihrer offen gezeigten Beziehung zu Pauls Lieblin
(„ein Wort von ihr an Kutajsov, ein Zettelchen
einen anderen Würdenträger - und die Sache w
entschieden", erinnerte sich N. I. Grec68) hatte si
Ehemann die Stellung des Ballettmeisters zu er
eine der Favoritinnen Pauls I.
Madame Chevalier tat alles, damit der Kaiser
besuchte. „Viermal verlangte der Kaiser Deuts
zweiflung Kotzebue, „viermal erhielt ich vom
bereit zu halten, und viermal wußte Madame Ch
nicht allein um die Bereitschaft, vor die Augen d
befahl der Kaiser dem Oberdirektor, daß die Vo
länger als bis 8 Uhr abends dauern sollten, was
mittags beginnen mußten".70 Deshalb mußte Kot
Theater sein Stück „Die Versöhnung" sowie Iff
deren Spieldauer stark kürzen.71 Aber die Arbe
kamen erst auf Einladung Alexanders I. ins Erem
Seit Anfang 1800 bot die deutsche Truppe Au
ausgenommen dienstags und freitags, da „die
Hause ihre Korrespondenz versandfertig machen
rich E. Schröder mitteilte.72
Der Spielplan der deutschen Theatertruppe w
Petersburgs ausgerichtet; er sollte ihrem Gesch
Dabei setzte Kotzebue auf eigene Stücke sowie a
tiker, vor allem Ifflands.
Der Streit um Kotzebues Dramen, der von der
begonnen wurde, ist bis heute nicht beendet. 1

65 Gospoza Vize-Lebren v Rossii, in: Drevnjaja i


S. 396-404, hier S. 396.
66 Kamer-fur'erskij ceremonial'nyj zumal. Ijul'-deka
67 Gospoza Vize-Lebren v Rossii, S. 397.
°8 N. GREC Zapiski o moej zizni. S.-Feterburg 1886,
69 Kotzebue Das merkwürdigste Jahr S. 262.
70 Arapov Letopis' russkogo teatra S. 145.
71 Kotzebue Das merkwürdigste Jahr S. 263.
72 F. E. Schröder Neuester Wegweiser durch die r
Peterburg 1819, S. 214.

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Das deutsche Theater in Sankt Petersburg am Anfang des 19. Jahrhunderts 533

keit des Dramatikers Kotzebue: „Jetzt ist er in den Schmutz gestoßen und vom hohen Sockel
heruntergeworfen, auf dem er gestanden hatte.... Wer zwanzig Jahre lang die ganze Aufmerk-
samkeit des deutschen, französischen, englischen und russischen Publikums gefesselt hat, sei
es Scribe oder Kotzebue, der mußte irgendwelche Vorzüge haben, und zumindest kannte er
das Geheimnis, seine Zeitgenossen zu fesseln".73
Um die Jahrhundertwende wurden Kotzebues Stücke in ganz Europa - und besonders oft
auf russischen Bühnen - aufgeführt. „Kotzebues Zeitalter" nannte die Erforscherin des russi-
schen Theaters O. Cajanova die Zeit zwischen 1797 und 1801.74 Darum ist es nur natürlich,
daß dem Repertoire des Deutschen Theaters in Petersburg in den ersten zwei Jahren seiner
Existenz Stücke von Kotzebue und Iffland zugrunde lagen.
Das Repertoire der deutschen Truppe im Jahre 1801 läßt sich schwer feststellen, denn die
deutschen Zeitschriften begannen erst später zu erscheinen, und der erste, 1 805 veröffentlich-
te Almanach bringt das Repertoire erst ab Januar 1803.75 Eine relativ klare Vorstellung vom
Repertoire im Jahre 1802 kann man sich jedoch auf Grund von Angaben in der Zeitschrift
„Nordisches Archiv" verschaffen. Gespielt wurden 1 802/03 von Iffland „Die Hagestolzen",
„Elise von Valberg", „Die Mündel", „Der Herbsttag", von Kotzebue „Die Spanier in Peru
oder Rolla' s Tod", „Menschenhaß und Reue", „Gustav Wasa", „Die Sonnenjungfrau", „Ba-
yard", „Die edle Lüge", „Johanna von Montfaucon", „Die Hussiten vor Naumburg", „Der
Besuch, oder: Die Sucht zu glänzen", „Graf Benjowski", „Die deutschen Kleinstädter", „Die
Kreuzfahrer", „Das Schreibepult", „Die Indianer in England", „Adelheid von Wulfingen",
„Lohn der Wahrheit", „Oktavia".
Am 11. März 1801 wurde Paul I. ermordet. Dieses Ereignis machte auf Kotzebue einen
sehr starken Eindruck. Wahrscheinlich waren ihm Hofgeheimnisse bekannt. Nicht von unge-
fähr hinterließ er Aufzeichnungen über den 1 1 . März, die in Rußland erst fast ein ganzes
Jahrhundert später veröffentlicht wurden.76 Mutmaßlich war Kotzebues unverhüllte Sym-
pathie für Paul die Ursache für seine Verabschiedung unter Alexander I. Die „Sankt-Peter-
burgskie Vedomosti" veröffentlichten lediglich eine kurze Mitteilung: „Am 24. April 1801
wurde der bei der Theaterverwaltung tätige Hofrat Kotzebue auf seinen Antrag aus dem
Dienste mit Auszeichnung durch den Rang des Kollegienrates entlassen".77 Am 29. April rei-
ste Kotzebue ins Ausland ab.78
Das Deutsche Theater kam wieder in die Hände Mirés. Die Kaiserliche Theaterverwaltung
schloß mit ihm einen Kontrakt, aber das Theater war von da an nicht mehr kaiserlich, obwohl
Alexander I. der Truppe einen jährlichen Zuschuß von 5000 Rubel gewährte.79
Obwohl der Kaiser nach Berichten von Zeitgenossen das Theater nicht liebte80, begann er
ab 1802 Schauspiele zu besuchen, zuerst der französischen und der russischen Truppe, dann

73 N. POLEVOJ Moi vospominanija o russkom teatre i russkqj dramaturgii, in: Repertuar russkogo
teatra. S.-Peterburg 1840. Band 1. Nr. 2, S. 4-5.
"O. Caíanos TeatrMaddoksavMoskve(1776-1805). Moskva 1927, S. 171.
75 Schmieder St. Petersburgisches Taschenbuch fur's Theater S. 93-99.
76 Zapiski Avgusta Kocebu, in: Careubijstvo 1 1 marta 1801 goda. Zapiski uòastnikov i sovremenni-
kov. S.-Peterbure 1908, S. 317^1 1.
77 Sankt-Peterburgskie Vedomosti. Nr. 38, 1801.
78 Kotzebue Das merkwürdigste Jahr S. 287.
79 Konstantinopel und St. Petersburg, der Orient und der Norden. S.-Peterburg 1805. Nr. 9, S. 35.
ÄU Vigel' Vospominanija. Band 1, S. 165.

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534 SVETLANA I. MEL'NIKOVA

auch der deutschen. Am 10. Oktober 1802 wurd


Majestäten und der Theaterkarten besitzenden v
beiderlei Geschlechts eine deutsche Komödie mi
gelang uns festzustellen, daß mit der „deutsche
(in der musikalischen Bearbeitung von F. E. Sch
Miré mit einem Brillantring, 1500 Rubel und 3
spieler erhielten Geschenke im Werte von 700 D
Am 27. November desselben Jahres sah der Ka
die Komödie „Die Schachmaschine" von Heinric
erhielt wieder eine Auszeichnung in Geld (500 D
bin mit Ihnen zufrieden und werde Sie bald wied
Am 6. Dezember 1802 fuhr die Zarenfamilie zu
chen KuSelev-Haus, in das in diesem gelegene f
Komödie gegeben wurde."86 Gespielt wurde „D
oper (Text von K.F. Hensler, Musik von F. Kaue
von Petersburg und Moskau gespielt wurde.
Die Truppe des Deutschen Theaters, wie auch a
quent in eine Opern- und eine Schauspieltrupp
abwechselnd sowohl in Schauspielen als auch in
Theaterverwaltung abgeschlossenen Kontrakte
Schauspieler in Opern und in Schauspielen darzu
dies so. Beispielsweise ist im Kontrakt der Sch
vermerkt: „Erste Soubretten und verschiedene R
dien, in Opern - komische Alte".87
Natürlich konnte dies nicht ohne Einfluß auf d
die Art der schauspielerischen Darstellung bleib
stände eine Rolle: Die Schauspieler der deutsch
Orten geholt, aus Riga und Mitau, Reval und Pe
ten. Sie vertraten verschiedene schauspielerische S
höchst unterschiedlich.
Die Truppe arbeitete aktiv und ohne größere U
Juni 1803 19, im August 27 und im September 1
nur einmal gespielt, aber ein erfolgreiches Stüc
wiederholt. Dies war der Fall bei der Fortsetzu
phe".88
Das Repertoire der deutschen Truppe kann formal in Opern (einschließlich komische
Opern und komische Zauberopern), Schauspiele (Tragödien und Komödien) sowie Singspiele

81 Kamer-ftir'erskij ceremonial'nyj ¿urnal. Ijul'-dekabr' 1802. S.-Peterburg 1901, S. 234.


82 Nordisches Archiv (1803) Nr. 2, S. 104-1 18, hier S. 108.
83 Ebenda.
84 Kamer-fiir'erskij ceremonial'nyj ¿urnal S. 379-380.
85 Nordisches Archiv (1803) Nr. 2, S. 1 12.
Kamer-ftir erskij ceremonial nyj zurnal î>. 379-3öU.
8/ RGIA, f. 497, op. 1, d. 1362, 1. 1 .
88 Schmieder Sankt-Petersburgisches Taschenbuch für's Theater S. 93.

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Das deutsche Theater in Sankt Petersburg am Anfang des 1 9. Jahrhunderts 535

bzw. französische Vaudevilles eingeteilt werden. Der begrenzte Zuschauerkreis (fast aus-
schließlich Petersburger Deutsche) veranlaßte zuerst Kotzebue und dann Miré dazu, das
Repertoire ständig zu erneuern. Zur erfolgreichsten Opernauñührung wurde das schon er-
wähnte „Donauweibchen". Der Gouverneur von Vologda, Nikolaj Petrovic Brusilov, er-
innerte sich bezüglich des Deutschen Theaters vor allem daran, daß „sich in der deutschen
Truppe Lindenstein auszeichnete. Sein Triumph war ,Das Donauweibchen'."89 Ebenso großen
Erfolg hatte diese Oper auf den Bühnen der russischen Theater von Petersburg und Moskau.
In der Hauptrolle trat Mademoiselle Brückl auf, bei der der Rezensent „Jugend, eine gute
Stimme, leichtes und angenehmes Spiel"90 vermerkte; der Kaiser schenkte ihr einen Brillant-
ring im Wert von 3000 Rubel.
Erfolg hatten auch „Die Zauberflöte", „Der Spiegel von Arkadien" (Text von E. Schikane-
der, Musik von Franz Xaver Süßmayr), „Die Zaubertrommel" (Musik von C. Cavos, F.
Antonolini und Schneider) und andere.
Sehr beliebt bei den Deutschen waren Singspiele - komische Opern in der Art der berühm-
ten „Schwestern von Prag" (Text von J. Perinet, Musik von W. Möller), die auch auf russi-
schen Bühnen aufgeführt wurden91 und bei der das Publikum die Komödienschauspieler K.
Steinsberg und C. L. Lindenstein begeistert feierte. Nach Karl Steinsbergs Tod erinnerte sich
¿icharev an seine Rolle als Kakadu in den „Schwestern von Prag": „Es kam vor, daß schon
beim Erscheinen des unersetzlichen Komikers [...] die Zuschauer Tränen lachten. Was für
eine Figur und was für ein Kostüm! Was für eine Mimik! Welche Lustigkeit und Begeiste-
rung!"92 Oft wurde „Das Neu-Sonntagskind" derselben Autoren gespielt, welches auch häufig
auf russischen Bühnen aufgeführt wurde93; bei diesem Stück wurden im Deutschen Theater
die männlichen Rollen von Frauen dargestellt, während diejenigen der Frauen von Männern
gespielt wurden.94 Ebenfalls häufig spielte man „Der dumme Gärtnerbursche oder die beiden
Antone" (nach einem Stück von E. Schikaneder, mit Musik von B. Schack), in dem K. Steins-
berg als Anton glänzte und das Bühnenbild des Malers Lucchini für die Uraufführung von
1 803 das Panorama von Petersburg - Neva, Admiralität, Peterdenkmal, in deren Nähe sich
das deutsche Theater befand - darstellte.95
Eine besondere Gruppe bildeten französische Vaudevilles, zum Beispiel „Der kleine
Matrose", „Zwei kleine Savoyarden" und andere. Oft wurden alte deutsche Stücke von F. E.
Rambach, F. M. von Klinger, J. Ch. Brandes, Ch. H. Spieß und anderen Autoren gezeigt. Die
Klassik wurde durch Shakespeare in der Prosabearbeitung von F. L. Schröder („Hamlet",
„Othello", „König Lear") vertreten. Schließlich folgten nach Schillers Dramen („Maria
Stuart", „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua", „Die Räuber") Werke von Kotzebue und
Iffland, der zeitgenössischen Autoren des Kleinbürgerdramas, das um die Jahrhundertwende
das beliebteste Genre bildete.

89 VospominanijaN. P. Brusilova, in: Istoriòeskij vestnik 52 (1893) S. 37-71, hier S. 66.


90 Nordisches Archiv (1803) Nr. 2, S. 104-1 18, hier S. 1 13.
91 Repertuarnaja svodka, in: Istorija russkogo dramatiéeskogo teatra. Band 2. Moskva 1977. S. 449-
548, hier S. 520.
92 ÉICHAREV Zapiski sovremennika S. 29.
Repertuarnaja svodka S. 473.
94 Nordisches Archiv (1803) Nr. 4, S. 50-65, hier S. 58.
95 Nordisches Archiv (1803) Nr. 8, S. 1 18-126, hier S. 125.

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536 SVETLANA I. MEL'NIKOVA

Obwohl die Tätigkeit der deutschen Theatertru


fuhr ins Ausland und brachte einige gute Schau
Bankrott abzusehen.96 Ende 1803 betrug das D
Zahlung von 56 000 Rubel aus der Staatskasse an
von 25 000 Rubel.97 Miré wurde durch den Sch
nun „an der Spitze einer Direktion mit gewaltigen
Unternehmen, dem der Bankrott drohte, nicht re
Mit kaiserlichem Erlaß vom 5. Juli 1805 wurd
Sankt Petersburg an die Theaterverwaltung" und
Ausgabe von 25 000 Rubel jährlich" befohlen.9
Datum an, nämlich den Mai 1806. Vermutlich hä
das KuSelev-Theater 1806 abbrannte und die Tr
Straße stand. Dieser Brand beendete symbolisc
Miré.

Summary

The German Theatre in St. Petersburg in the Beginning of the 19th Century

A permanent German troupe worked in the capital in the early nineteenth century. It has been
studied only sporadically - as, indeed, have the German-Russian contacts in general.
The German theatre operated within four cultural and historical spheres: the German cultural and
theatrical arena; the milieu of other German theatres in the Baltic region, in Revel, Riga, Mitau, Viborg,
Kronstadt etc.; the general sphere of other non-Russian theatres, which also included French and Italian
troupes, and their place in the cultural life of St. Petersburg; and finally, the most difficult area of study,
the relationship between the German and Russian theatres.
The author, a historian of Russian theatre, investigates all four spheres, to create an objective history
of the German troupe. The article includes an overview of source materials (Russian memoirs, newspa-
per articles and archival materials). It traces the founding of the German Imperial Theatre, and the first
five years of Miré's troupe under the direction of August von Kotzebue after 1800. The selection of
Kotzebue to his new post, his relations with the Emperor Paul, and other topics are studied m the light
of archival documents. The article includes lists of actor's names, their salaries, their contracts with the
Board of Imperial Theatres, and in so far as the documents permit, their repertoire and facilities.

96 Délo o rassledovanii sostojanija sodeiiatelja nemeckogo teatra Mire po otnoSeniju g-na Sillamova
1802 goda, in: RGIA, f. 1286, op. 1, d. 214, 1. 4, 4ob.
n St. Petersburg am Ende seines ersten Jahrhunderts S. 335.
98 Ebenda.
S. Danilov Materialy po istorii russkogo zakonodatel'stva o teatre, in: O teatre. Moskva, Lenin-
grad 1940. S. 177-200, hier S. 178.

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