Jahrhunderts
Author(s): Svetlana I. Mel'nikova
Source: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas , 1996, Neue Folge, Bd. 44, H. 4 (1996),
pp. 523-536
Published by: Franz Steiner Verlag
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Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Die Geschichte der Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen ist ein wichtiges
Kapitel im europäischen Kulturleben, dessen Erforschung eine Aufgabe für Generationen von
Gelehrten ist. Zu sehr war diese historische Schicht, auf der die gegenwärtige Kultur beruht,
in Vergessenheit geraten. Vielleicht ist es gerade heute, da die zivilisierte Welt nach der
Überwindung der Grenzen strebt und die russische Kultur ihre Stellung auf der Basis einer
Synthese verschiedenster positiver Einflüsse festigt, ohne dabei ihre Eigenart zu verlieren,
sinnvoll, die Geschichte des Deutschen Theaters in Sankt Petersburg zu rekonstruieren und
damit eine dunkle Stelle in der Theatergeschichte zu erhellen.
Welcher Quellenbestand steht zur Erforschung der Geschichte des Deutschen Theaters in
Sankt Petersburg zur Verfügung? Dies ist vor allem eine große Anzahl von Dokumenten, die
sich im Russischen Historischen Staatsarchiv St. Petersburg befinden. Diese Dokumente sind
aber nicht nach dem uns interessierenden Thema systematisiert. Sie gehören hauptsächlich
zum Archiv der Kaiserlichen Theaterverwaltung.1 Ein Teil dieses Materials wurde am Ende
des 19. Jahrhunderts veröffentlicht.2 Jedoch haben zwei verheerende Brände in den Jahren
1806 und 1810 einen großen Teil der wertvollen geschichtlichen Dokumente vernichtet. Des-
halb ist die Rekonstruktion gerade der ersten Jahre des Deutschen Kaiserlichen Theaters in
Petersburg besonders schwierig.
Ferner kennen wir in der Person des Studenten und späteren Beamten des Kollegiums für
Auswärtige Angelegenheiten, des Geschäftsführers des Theaterkomitees und noch später des
Senators sowie Vorsitzenden des Theatralisch-literarischen Komitees bei der Direktion der
Kaiserlichen Theater Stepan Petrovic ¿icharev (1788-1860) den Autor von Tagebüchern, in
denen der junge Theaterliebhaber uns seine wertvollen Erinnerungen an die deutsche Theater-
truppe in Petersburg überliefert hat. Die Einzigartigkeit seiner Eindrücke von diesem Theater
beruht darauf, daß er nicht nur ein regelmäßiger Zuschauer, sondern auch ein Stammgast hin-
ter den Kulissen war, was ihm die Möglichkeit gab, eine kurze Geschichte der deutschen
Theatertruppe zu schreiben.3 In seiner einprägsamen, gefühlsbetonten Erzählung gibt es eine
Menge von Ungenauigkeiten; da aber ¿icharev sich nicht als Theaterchronist fühlte, nahm
er an dem chronologischen Durcheinander weiter keinen Anstoß. Die Benutzung seiner
Beobachtungen erfordert also deren Überprüfung anhand anderer, glaubwürdiger Quellen.
Das Leben der deutschen Theatertruppe wird auch in einigen anderen Memoirenwerken
beleuchtet. Darunter sind die Erinnerungen von Filip Filipovic Wiegel (Vigel', 1786-1856),
dem Vizegouverneur von Bessarabien, später Direktor des Departements für geistliche Ange-
Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 44 (19%) H. 4 © Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart/Germany
In der sogenannten Manege (im ehemaligen Haus Aleksandr Dmitrievic Lanskojs - wir
kommen noch darauf zurück) spielte seit dem 24. September 1796 die deutsche Theatertruppe
der bekannten Schauspielerin Frau Tilly. Nach dem Tode Katharinas II. hörten die Vorstel-
lungen auf und begannen wieder 1797 (es ist bekannt, daß die Schauspiele „Der Opfertod"
und „Die Unglücklichen" von Kotzebue aufgeführt wurden).10 Um die Truppe stand es nicht
besonders gut. Man brauchte einen energischen und unternehmenden Menschen, der das
Theater vor dem Zusammenbruch retten konnte. In dieser Situation berief Anna Maria Sauer-
weid, die Witwe des bekannten Komikers Johann Karl Sauerweid, des Herausgebers der
ersten Theaterzeitschrift in Rußland11, und selbst „früher eine gute Schauspielerin"12, den Ehe-
mann ihrer Tochter, Joseph Miré, und verkaufte ihm das Theater.13 Miré14 zeigte sich in der
Tat als entschlußkräftiger und gescheiter Mann: „Der gebürtige Straßburger, Fechtmeister,
Maschinist und Schlaukopf," schrieb ¿icharev nicht ohne Ironie, „der fast alle Städte Europas
als Spielleiter von Stücken mit dem sogenannten »prächtigen Schauspiel', das heißt mit
Schlachten, Evolutionen, Bränden, Überschwemmungen und Erdbeben bereist hatte"15,
befand sich gerade in Riga, von wo ihn die wegen der Lage ihres Theaters beunruhigte
Schwiegermutter zu sich nach St. Petersburg rief.
Zur gleichen Zeit leitete in St. Petersburg Karl Rundthaler ein Theaterunternehmen auf der
Vasil'ev-Insel.16 Miré lockte ihm allmählich die besten Schauspieler weg. Rundthaler empörte
sich öffentlich, „laut vom Unrecht und davon schreiend, daß ihm Pflug und Feld weggenom-
men seien".17 Miré erwies sich jedoch als geschickter, und der besiegte Rivale zog sich nach
Reval zurück.
Mirés Theater wurde arri 20. Februar 1799 mit einem feierlichen Vorspiel, verfaßt von
Herrn Reinbeck und von M-me Müller gesprochen18, und dem Stück des bekannten Wiener
Stände, S.-Peterburg 1804; St. Petersburgische Monatsschrift zur Unterhaltung und Belehrung, S.-
Peterburg 1805; Konstantinopel und St. Petersburg, der Orient und der Norden, S.-Peterburg 1805-
1806; Russische Miscellen, Riga 1804.
Zeitungen: Sankt Petersburgische Zeitung, S.-Peterburg 1727-1902 (hierzu C. Eichhorn Die Ge-
schichte der St. Petersburgischen Zeitung 1727-1902. S.-Peterburg 1902).
Almanache: Verzeichniß der hier in St. Petersburg auf dem mit allerhöchster Erlaubniß eröffneten
deutschen Theater vom 20. Februar 1799 bis inclusive den 11. December gegebenen Vorstellungen.
S.-Peterburg 1800; D. Schmieder St. Petersburgisches Taschenbuch fur's Theater auf 1805. S.-Peter-
burg 1805; C. BORCK Theater-Almanach für das Jahr 181 1. S.-Peterburg 181 1; F. A. GEBHARD Ta-
schenbuch für Theater und Theaterfreunde. S.-Peterburg 1814.
Lexika: Rigaer Theater- und Tonkünstler Lexikon. Riga 1890; W. Kosch Deutsches Theaterlexikon.
3 Bände. Klagenfurt, Bern u.a. 1953 ff.; R. A. Mooser Annales de la musique et des musiciens en
Russie en 18 siècle. Tome 1-3. Genève 1948-1951.
10 SCHMIEDER St. Petersburgisches Taschenbuch fur's Theater S. 144-146.
11 Russische Theatralien. S.-Peterburg 1784, Nr. 1-3.
12 Schmieder St. Petersburgisches Taschenbuch fur's Theater S. 146.
13 Ebenda.
14 Giesemann war es „nicht möglich, die Identität dieses Mannes, der unter dem Künstlernamen Miré
auftrat, festzustellen". GIESEMANN Zur Geschichte des deutschen Theaters S. 56.
15 ¿ICHAREV Zapiski sovremennika S. 3 1 1 .
16 Das Theater im Gebäude der Académie der Kunst, in: Sbornik materialov dlja istorii Imperatorskoj
sankt-peterburgskoj Akademii chudozestv za sto let ee suSöestvovanija. S.-Peterburg 1864, S. 368.
17 Schmieder St. Petersburgisches Taschenbuch fur's Theater S. 148; St. Petersburg am Ende seines
ersten Jahrhunderts. S.-Peterburg 1805, S. 334.
18 Verzeichniß der hier in St. -Petersburg... gegebenen Vorstellungen S. 4.
geprüft.30 Außerdem lieh die Kaiserliche Theaterverwaltung bei Otto Christoph Launitz,
Kaufmann in St. Petersburg, 10 000 Rubel, um die Restaurierung zu Ende zu führen.31 1808
kehrte die deutsche Truppe ins KuSelev-Theater zurück. Nach dem Brand im Großen Theater
im Jahre 1810 mußten die deutschen Schauspieler wieder abwechselnd mit der russischen
Truppe, jetzt auf ihrer eigenen Bühne, spielen. Außerdem fanden hier 1813-1814 Aufführun-
gen der von A. A. Sachovskoj organisierten russischen „Jungen Truppe" statt.32 Es ist bemer-
kenswert, daß das Molcanov-Haus vom Staat „zur Unterbringung des Generalstabs"33 schon
1811 gekauft wurde, das Theater aber dort noch acht Jahre lang existierte. Seit 1832, als das
Kleine Theater abgerissen und das Aleksandrinskij -Theater errichtet worden war, wurde die
Bühne des Michajlovskij-Theaters zu dem Ort, an dem regelmäßig Aufführungen der deut-
schen Truppe stattfanden.
Aber kehren wir zum Anfang des Jahrhunderts zurück. Nach einem Konflikt mit dem
Entrepreneur wandten sich die Schauspieler der Truppe Mirés an Paul I. Wie D. Schmieder
annahm, sollte der Rat Friedrich Georg Adelung, der damalige Theaterzensor am Deutschen
Theater (1800-1804), Intendant werden.34
Aber statt dessen kam es zu einer unerwarteten Wende im Schicksal eines anderen Men-
schen, der keine Beziehung zur Theatertruppe von Miré hatte, nämlich August Friedrich
Ferdinand von Kotzebues (1761-1819). Kotzebue ist sowohl von seinen Zeitgenossen als
auch in späteren Generationen unterschiedlich beurteilt worden. Uns interessiert er hier
ausschließlich in Verbindung mit dem Schicksal der deutschen Theatertruppe. Kotzebues
Biographie ist in verschiedenen Werken dargestellt.35 Schon während der Regierungszeit
Katharinas II. war er in Rußland gewesen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts beschloß er, erneut
nach Rußland zu reisen, um die Verwandten seiner Ehefrau, der Tochter eines russischen
Offiziers und estländischen Gutsbesitzers, zu besuchen. Damit begannen Kotzebues Mißge-
schicke. Nach Meinung von P. Arapov „wurde er der Abfassung des politisch schädlichen
Dramas ,Graf Benjowski' beschuldigt"36 (es wurde übrigens kurze Zeit nach den hier geschil-
derten Ereignissen, am 26. Februar 1803, mit Erfolg auf der Bühne des Deutschen Theaters
gespielt37). Daher wurde er an der Grenze auf Befehl Pauls I. sofort verhaftet und „per Etap-
pe" nach Sibirien, in die Stadt Kurgan, verschickt, wo er am 15. Juni 1800 ankam.38 Jedoch
19. Februar 1801 Kollegienassessor Friedrich Georg Adelung (mit einem Jahresgehalt von
1500 Rubel), der Garderobenmeister Joachim Friedrich Puls (300 Rubel), der Buchhalter
Peter Albrecht, der Registratur Johann Heinrich Blum (400 Rubel), die Friseure Johann
George Brück (200 Rubel) und Johann Heinrich Hille (500 Rubel), der Beleuchter Gustav,
der Souffleur Mucht, „der Musikdirektor des Deutschen Theaters" Anton Kaliwoda (1500
Rubel) sowie folgende Schauspieler: Wilhelm Anton (800 Rubel), Karl Friedrich Wilhelm
Borckmit seiner Frau Katharina (1200 Rubel) - er als Darsteller von Kavalieren, Bonvivants
und Charakterrollen57, sie für Rollen der Soubretten und Geliebten sowie als Altistin in der
Oper58 - , der Schauspieler Wieland, „ein junger Liebhaber mit seiner Frau (Elise Wieland),
einer wunderbaren dramatischen Schauspielerin"59 (3000 Rubel), der Bassist K. Hübsch (2400
Rubel), der Schauspieler Grosswalter (nach dem Jahresgehalt von 400 Rubel zu urteilen
wahrscheinlich ein Statist für Nebenrollen), die Schauspielerin Luise Drebing (1000 Rubel),
Jeanette Drobisch (675 Rubel, vgl. Abb. S. 530), das Schauspielerehepaar Theresia Kafka und
Johann Christoph Engelmann (genannt Kafka, 2300 Rubel), die Schauspieler Solotok (600
Rubel), Lindner (1040 Rubel), Christian Friedrich Runge (800 Rubel), Strebe (800 Rubel),
die Schauspielerin Anna Maria Sauerweid (500 Rubel) sowie das Schauspielerehepaar Fried-
rich Ludwig und Wilhelmina Stefanie Ewest (4000 Rubel). Sie alle wurden von der Kaiserli-
chen Theaterverwaltung am 1 . September 1 800 eingestellt.60 Nur einige dieser Namen werden
sich in unserer Darstellung wiederholen: Die Zusammensetzung der Truppe änderte sich,
Schauspieler, die vom einheimischen Publikum abgelehnt wurden oder das harte Klima an
den Ufern der Neva schlecht vertrugen, verließen Petersburg.61
Das erste Stück, dessen Aufführung Kotzebue im Deutschen Theater plante, war sein Stück
„Johanna von Montfaucon". Auf Anordnung des Hauptintendanten A. L. NarySkin „wurden
für dieses Stück Kostüme aus der Theatergarderobe verabfolgt".62
Für die Gehälter des Personals gab die Theaterverwaltung im September 1 800 7083 Rubel
und 33 Va Kopeken aus.63 Schließlich wurde das Gebäude des KuSelev-Theaters, von dem
schon die Rede war, „durch die Verwaltung von KuSelev zu den Bedingungen des von ihm
mit Miré abgeschlossenen Kontraktes gemietet".64
Kotzebue verstand sehr gut, daß das Wohlergehen der deutschen Theatertruppe völlig vom
Willen des Monarchen und seiner Vertrauten abhing. Er wußte auch, daß „Paul die französi-
keit des Dramatikers Kotzebue: „Jetzt ist er in den Schmutz gestoßen und vom hohen Sockel
heruntergeworfen, auf dem er gestanden hatte.... Wer zwanzig Jahre lang die ganze Aufmerk-
samkeit des deutschen, französischen, englischen und russischen Publikums gefesselt hat, sei
es Scribe oder Kotzebue, der mußte irgendwelche Vorzüge haben, und zumindest kannte er
das Geheimnis, seine Zeitgenossen zu fesseln".73
Um die Jahrhundertwende wurden Kotzebues Stücke in ganz Europa - und besonders oft
auf russischen Bühnen - aufgeführt. „Kotzebues Zeitalter" nannte die Erforscherin des russi-
schen Theaters O. Cajanova die Zeit zwischen 1797 und 1801.74 Darum ist es nur natürlich,
daß dem Repertoire des Deutschen Theaters in Petersburg in den ersten zwei Jahren seiner
Existenz Stücke von Kotzebue und Iffland zugrunde lagen.
Das Repertoire der deutschen Truppe im Jahre 1801 läßt sich schwer feststellen, denn die
deutschen Zeitschriften begannen erst später zu erscheinen, und der erste, 1 805 veröffentlich-
te Almanach bringt das Repertoire erst ab Januar 1803.75 Eine relativ klare Vorstellung vom
Repertoire im Jahre 1802 kann man sich jedoch auf Grund von Angaben in der Zeitschrift
„Nordisches Archiv" verschaffen. Gespielt wurden 1 802/03 von Iffland „Die Hagestolzen",
„Elise von Valberg", „Die Mündel", „Der Herbsttag", von Kotzebue „Die Spanier in Peru
oder Rolla' s Tod", „Menschenhaß und Reue", „Gustav Wasa", „Die Sonnenjungfrau", „Ba-
yard", „Die edle Lüge", „Johanna von Montfaucon", „Die Hussiten vor Naumburg", „Der
Besuch, oder: Die Sucht zu glänzen", „Graf Benjowski", „Die deutschen Kleinstädter", „Die
Kreuzfahrer", „Das Schreibepult", „Die Indianer in England", „Adelheid von Wulfingen",
„Lohn der Wahrheit", „Oktavia".
Am 11. März 1801 wurde Paul I. ermordet. Dieses Ereignis machte auf Kotzebue einen
sehr starken Eindruck. Wahrscheinlich waren ihm Hofgeheimnisse bekannt. Nicht von unge-
fähr hinterließ er Aufzeichnungen über den 1 1 . März, die in Rußland erst fast ein ganzes
Jahrhundert später veröffentlicht wurden.76 Mutmaßlich war Kotzebues unverhüllte Sym-
pathie für Paul die Ursache für seine Verabschiedung unter Alexander I. Die „Sankt-Peter-
burgskie Vedomosti" veröffentlichten lediglich eine kurze Mitteilung: „Am 24. April 1801
wurde der bei der Theaterverwaltung tätige Hofrat Kotzebue auf seinen Antrag aus dem
Dienste mit Auszeichnung durch den Rang des Kollegienrates entlassen".77 Am 29. April rei-
ste Kotzebue ins Ausland ab.78
Das Deutsche Theater kam wieder in die Hände Mirés. Die Kaiserliche Theaterverwaltung
schloß mit ihm einen Kontrakt, aber das Theater war von da an nicht mehr kaiserlich, obwohl
Alexander I. der Truppe einen jährlichen Zuschuß von 5000 Rubel gewährte.79
Obwohl der Kaiser nach Berichten von Zeitgenossen das Theater nicht liebte80, begann er
ab 1802 Schauspiele zu besuchen, zuerst der französischen und der russischen Truppe, dann
73 N. POLEVOJ Moi vospominanija o russkom teatre i russkqj dramaturgii, in: Repertuar russkogo
teatra. S.-Peterburg 1840. Band 1. Nr. 2, S. 4-5.
"O. Caíanos TeatrMaddoksavMoskve(1776-1805). Moskva 1927, S. 171.
75 Schmieder St. Petersburgisches Taschenbuch fur's Theater S. 93-99.
76 Zapiski Avgusta Kocebu, in: Careubijstvo 1 1 marta 1801 goda. Zapiski uòastnikov i sovremenni-
kov. S.-Peterbure 1908, S. 317^1 1.
77 Sankt-Peterburgskie Vedomosti. Nr. 38, 1801.
78 Kotzebue Das merkwürdigste Jahr S. 287.
79 Konstantinopel und St. Petersburg, der Orient und der Norden. S.-Peterburg 1805. Nr. 9, S. 35.
ÄU Vigel' Vospominanija. Band 1, S. 165.
bzw. französische Vaudevilles eingeteilt werden. Der begrenzte Zuschauerkreis (fast aus-
schließlich Petersburger Deutsche) veranlaßte zuerst Kotzebue und dann Miré dazu, das
Repertoire ständig zu erneuern. Zur erfolgreichsten Opernauñührung wurde das schon er-
wähnte „Donauweibchen". Der Gouverneur von Vologda, Nikolaj Petrovic Brusilov, er-
innerte sich bezüglich des Deutschen Theaters vor allem daran, daß „sich in der deutschen
Truppe Lindenstein auszeichnete. Sein Triumph war ,Das Donauweibchen'."89 Ebenso großen
Erfolg hatte diese Oper auf den Bühnen der russischen Theater von Petersburg und Moskau.
In der Hauptrolle trat Mademoiselle Brückl auf, bei der der Rezensent „Jugend, eine gute
Stimme, leichtes und angenehmes Spiel"90 vermerkte; der Kaiser schenkte ihr einen Brillant-
ring im Wert von 3000 Rubel.
Erfolg hatten auch „Die Zauberflöte", „Der Spiegel von Arkadien" (Text von E. Schikane-
der, Musik von Franz Xaver Süßmayr), „Die Zaubertrommel" (Musik von C. Cavos, F.
Antonolini und Schneider) und andere.
Sehr beliebt bei den Deutschen waren Singspiele - komische Opern in der Art der berühm-
ten „Schwestern von Prag" (Text von J. Perinet, Musik von W. Möller), die auch auf russi-
schen Bühnen aufgeführt wurden91 und bei der das Publikum die Komödienschauspieler K.
Steinsberg und C. L. Lindenstein begeistert feierte. Nach Karl Steinsbergs Tod erinnerte sich
¿icharev an seine Rolle als Kakadu in den „Schwestern von Prag": „Es kam vor, daß schon
beim Erscheinen des unersetzlichen Komikers [...] die Zuschauer Tränen lachten. Was für
eine Figur und was für ein Kostüm! Was für eine Mimik! Welche Lustigkeit und Begeiste-
rung!"92 Oft wurde „Das Neu-Sonntagskind" derselben Autoren gespielt, welches auch häufig
auf russischen Bühnen aufgeführt wurde93; bei diesem Stück wurden im Deutschen Theater
die männlichen Rollen von Frauen dargestellt, während diejenigen der Frauen von Männern
gespielt wurden.94 Ebenfalls häufig spielte man „Der dumme Gärtnerbursche oder die beiden
Antone" (nach einem Stück von E. Schikaneder, mit Musik von B. Schack), in dem K. Steins-
berg als Anton glänzte und das Bühnenbild des Malers Lucchini für die Uraufführung von
1 803 das Panorama von Petersburg - Neva, Admiralität, Peterdenkmal, in deren Nähe sich
das deutsche Theater befand - darstellte.95
Eine besondere Gruppe bildeten französische Vaudevilles, zum Beispiel „Der kleine
Matrose", „Zwei kleine Savoyarden" und andere. Oft wurden alte deutsche Stücke von F. E.
Rambach, F. M. von Klinger, J. Ch. Brandes, Ch. H. Spieß und anderen Autoren gezeigt. Die
Klassik wurde durch Shakespeare in der Prosabearbeitung von F. L. Schröder („Hamlet",
„Othello", „König Lear") vertreten. Schließlich folgten nach Schillers Dramen („Maria
Stuart", „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua", „Die Räuber") Werke von Kotzebue und
Iffland, der zeitgenössischen Autoren des Kleinbürgerdramas, das um die Jahrhundertwende
das beliebteste Genre bildete.
Summary
The German Theatre in St. Petersburg in the Beginning of the 19th Century
A permanent German troupe worked in the capital in the early nineteenth century. It has been
studied only sporadically - as, indeed, have the German-Russian contacts in general.
The German theatre operated within four cultural and historical spheres: the German cultural and
theatrical arena; the milieu of other German theatres in the Baltic region, in Revel, Riga, Mitau, Viborg,
Kronstadt etc.; the general sphere of other non-Russian theatres, which also included French and Italian
troupes, and their place in the cultural life of St. Petersburg; and finally, the most difficult area of study,
the relationship between the German and Russian theatres.
The author, a historian of Russian theatre, investigates all four spheres, to create an objective history
of the German troupe. The article includes an overview of source materials (Russian memoirs, newspa-
per articles and archival materials). It traces the founding of the German Imperial Theatre, and the first
five years of Miré's troupe under the direction of August von Kotzebue after 1800. The selection of
Kotzebue to his new post, his relations with the Emperor Paul, and other topics are studied m the light
of archival documents. The article includes lists of actor's names, their salaries, their contracts with the
Board of Imperial Theatres, and in so far as the documents permit, their repertoire and facilities.
96 Délo o rassledovanii sostojanija sodeiiatelja nemeckogo teatra Mire po otnoSeniju g-na Sillamova
1802 goda, in: RGIA, f. 1286, op. 1, d. 214, 1. 4, 4ob.
n St. Petersburg am Ende seines ersten Jahrhunderts S. 335.
98 Ebenda.
S. Danilov Materialy po istorii russkogo zakonodatel'stva o teatre, in: O teatre. Moskva, Lenin-
grad 1940. S. 177-200, hier S. 178.