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Das Doppelhaus von Le Corbusier


und Pierre Jeanneret in der Stuttgarter
Weißenhofsiedlung
Restauratorische Untersuchungen
zu Oberflächen und Farbfassungen
im Innen- und Außenbereich
Die bauzeitliche Konzeption des Doppelhauses von Le Corbusier und Pierre
Jeanneret von 1927 (Rathenaustraße 1 und 3) hatte nur kurzzeitig Bestand,
bereits 1932/1933 erfolgten massive Umbauten, wie die Herausnahme von
Einbauten und Raumteilern in beiden Häusern sowie eine Veränderung der
Grundrisse. Damit ging ebenso ein Großteil der ursprünglichen Oberflächen
und differenzierten Farbgestaltungen verloren. Mit neuen Nutzungskonzep-
tionen für beide Häuser erfolgte auch eine Neugestaltung der Oberflächen
mit anderen Materialien und Verarbeitungstechniken. Durch handwerkliche
Eingriffe wurde der ursprüngliche Bestand dezimiert oder in Teilbereichen
abgedeckt. Auch mit der Instandsetzung in den 1980er Jahren verbanden
sich Eingriffe in die Oberflächengestaltungen. Grundlage für die Instand-
setzung der Jahre 2003 bis 2005 waren daher neben der Bauforschung
umfangreiche restauratorische Untersuchungen zum Bestand.
Helmut F. Reichwald

Nutzungsänderungen und erste Instand- siedlung durch. An den Häusern von Le Corbusier
setzung in den 1980er Jahren und Pierre Jeanneret begannen umfangreiche In-
standsetzungsplanungen. Eine erste Bestands-
Nutzungsbedingte Veränderungen und Schön- aufnahme mit restauratorischen Voruntersuchun-
heitsreparaturen an den Oberflächengestaltun- gen zur Erfassung bauzeitlicher Oberflächen und
gen des Doppelhauses waren in allen Instand- Farbfassungen erfolgte am Einfamilienhaus von
setzungsphasen immer mit Eingriffen verbunden. Le Corbusier, Bruckmannweg 2.
Eine große Rolle spielten hier auch materialtech- Mit fortschreitender Planung zur Instandsetzung
nische Gegebenheiten und die Notwendigkeit, des Doppelhauses veranlasste das Staatliche
für neue Oberflächengestaltungen einen tragfä- Hochbauamt 1984 weitere restauratorische Un-
higen Untergrund zu schaffen. tersuchungen. Damaliges Ziel war es, mit den Un-
Auch im Außenbereich beeinträchtigten ver- tersuchungsergebnissen der rechten Haushälfte,
schiedene Veränderungen erheblich die architek- Rathenaustraße 3, die ehemaligen Farbgestaltun-
tonische Konzeption. Der während der Kriegszeit gen zu belegen, um die bauzeitlichen Strukturen
aufgebrachte Tarnanstrich auf den Fassaden der und Einbauten rekonstruieren zu können. Soweit
Weißenhofsiedlung wurde 1968 unter Beibehal- die bauzeitlichen Putzschichten noch vorhanden
tung noch vorhandener bauzeitlichen Putzflä- waren, konnte dieser Beleg erbracht werden. Für
chen durch einen Neuanstrich überarbeitet. Ob- die 1932 entfernten Einbauten wie Bettkästen,
wohl 1958 die Unterschutzstellung der Siedlung Schiebetüren und Einbauschränke gab es keine
als Sachgesamtheit erfolgte, liegen keine Hin- Befunde zur ehemaligen Farbigkeit. Konstrukti-
weise einer denkmalpflegerischen Gesamtkon- onszeichnungen und Belege für die Einbauten
zeption zur Außenfarbgebung von 1968 vor. existieren zwar, jedoch ist aus ihnen nicht ersicht-
Von 1981 bis 1987 führte die Staatliche Hoch- lich, welche Oberflächenbehandlung vorgesehen
bauverwaltung Stuttgart im Auftrag des Bundes war oder zur Ausführung kam. Das Archivma-
als Eigentümer eine Sanierung der Weißenhof- terial mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen

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von 1927 kann keinen Aufschluss über Nuancen die nötigen Farbeintragungen vornehmen könne.
ursprünglicher Farbwerte geben. Aus Zeitmangel hat Roth diese Unterlagen nicht
Die Bemühungen der staatlichen Hochbauver- erstellt, die Ausstellungsöffnung war bereits für
waltung und des damaligen Bauleiters Hermann den 23. Juli 1927 festgesetzt. Lediglich der Zeit-
Nägele waren sehr intensiv, um an alle bauzeitli- raum vom 18. bis 23. Juli 1927 stand für die Um-
chen Unterlagen und Entwürfe zu gelangen. Am setzung der Malerarbeiten beider Häuser, innen
15. März 1983 wurde der 1927 von Le Corbusier und außen, zur Verfügung, in fünf Tagen führten
eingesetzte Bauleiter Alfred Roth zu einem Be- 17 Maler die Arbeiten aus. Zur Innenraumfarbge-
such nach Stuttgart eingeladen. Alfred Roth bung gibt es von Le Corbusier nur ein loses Blatt
hatte nicht nur die Umsetzung der Architektur- mit aufgeklebten Farbmustern und Angaben zu
planung von Le Corbusier übernommen, sondern den einzelnen Farben (Abb. 2, 3).
war auch für die Oberflächenbehandlung und Die Hochbauverwaltung wertete alle damals ver-
Farbgebungen der Fassaden und Innenräume fügbaren Unterlagen aus, um für das Haus Ra-
verantwortlich. 1927 hatte er Axionometrien von thenaustraße 3 ein Konzept zur Rekonstruktion
den Häusern angefertigt und sie zu Le Corbusier der Innenraumausstattung und -farbfassung zu
nach Paris geschickt, damit dieser Eintragungen entwickeln. Als beide Häuser nach der Instand-
zur Farbgestaltung der Fassaden vornehmen setzung wieder vermietet und bewohnt werden
konnte. Diese Pläne sind erhalten und dienten in sollten, setzte man die Innenräume von Haus 3
den 1980er Jahren zusammen mit den ausge- entsprechend der Nutzungsansprüche instand.
werteten Fassadenuntersuchungen als authenti- Die Wandflächen im Treppenhaus und in den seit-
scher Beleg für die Rekonstruktion der Außenfar- lichen Gängen wurden mit einem Glasfaserflies
bigkeit (Abb.1). Vergleichbares Material zu den beklebt, alle Deckenflächen und übrigen Wände
Farbfassungen der Innenräume liegt nicht vor. In mit Raufasertapete. Beide Zwischenträger versah
1 Von Le Corbusier
einem Brief an Roth vom 4. Juli 1927 schlägt Le man mit unterschiedlichen Anstrichmaterialien,
1927 handschriftlich Corbusier vor, bei der Festlegung der Innenraum- die aufgrund der vorgegebenen Grundschichten
eingetragene Angaben farben wie bei den Außenflächen zu verfahren. unterschiedliche Oberflächenstrukturen bildeten
zur Außenfarbigkeit Roth sollte die Innenraumperspektiven aufneh- (Abb. 4, 5). Die Raufasertapeten erhielten eine
des Doppelhauses. men und nach Paris schicken, damit Le Corbusier matte dispersionsgebundene Fassung, alle mit
Glasfaserflies beklebten Flächen einen mit Kunst-
stoff hoch vergüteten, abwaschbaren, leicht
glänzenden Anstrich. Alle Holz- und Metallunter-
gründe strich man mit Lack- oder Ölfarben. Die
Farbgliederung der Wände bestand aus schwar-
zen, braunen, gelben, roten, grauen, blauen und
gelb-grauen Farbtönen. Alle Deckenflächen wa-
ren weiß gestrichen. Die nach den Plänen von Le
Corbusier in den 1980er Jahren nachgebauten
Schiebefenster bekamen innen einen weißen Öl-
farbenanstrich, die rekonstruierten Einbauten,
Raumteiler und Türelemente eine graue Fassung.
Mit zwei unterschiedlichen Grautönen wurden
die Metallteile und Stützen gestrichen. Diese
Farbgliederung entsprach den Befunden der res-
tauratorischen Untersuchung. Bis auf die Einbau-
schränke, Raumteiler, Türen und Heizkörper ließ
sich die Farbgliederung auf den noch vorhande-
nen bauzeitlichen Untergründen nachweisen.
In der linken Doppelhaushälfte, Rathenaustraße 1,
blieben die Veränderungsstrukturen verschiede-
ner Umbauphasen weiterhin bestehen. Bei den
Umbauten 1984 kamen weitere Veränderungen
hinzu. Alle Oberflächen von Decken und Wän-
den, einschließlich der Türen, Fenster, Stützen und
Heizkörper erhielten einen weißen Anstrich.
Aufgrund der schlechten Wärmedämmung bei-
der Häuser suchte man damals nach Lösungen
zur Verbesserung der Bauphysik. Letztendlich
entschied man sich, den noch weitgehend bau-

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zeitlichen Fassadenmörtel abzunehmen und ei- fassung aller Schichtebenen, die sich im Auflicht 2 Für die Innenfarbigkeit
nen Dämmputz aufzubringen. Der Dokumenta- und ultravioletten Licht dokumentieren lassen. entwarf Le Corbusier
tion restauratorischer Untersuchungen ist zu ent- Ein weiterer Vorteil ist die geringe Menge des be- lediglich einzelne Farb-
nehmen, dass an verschiedenen Gliederungsteilen nötigten Probenmaterials. Gemeinsam mit dem muster mit handschrift-
lichen Anmerkungen,
unter dem Dämmputz Primärdokumente erhal- entnommenen Fundmaterial von 1982/83 und
ohne ihre Farbverteilung
ten blieben. Beim Entfernen der Mörtelschichten weiteren Untersuchungen in beiden Häusern
auf Decken und Wänden
im Außenbereich wurden Belegproben entnom- konnte man die ursprüngliche Farbverteilung an zu benennen.
men, um sie im damaligen Landesdenkmalamt zu den Wänden mit den nachfolgenden Gestaltun-
archivieren (Abb. 6). gen belegen (Abb. 7). Auf allen noch vorhanden 3 Ausschnitt aus dem
bauzeitlichen Trägermaterialien (Mörtel, Metall, Farbmuster von Abb. 2.
Die Instandsetzung 2002 bis 2005 Holz) waren die Fassungen der ersten Gestal-
tungsphase erkennbar (Abb. 8).
Im Vorfeld der eigentlichen Planung veranlasste
die Wüstenrot Stiftung Untersuchungen, um ge- Technologische Wertung der bauzeitlichen
sicherte Grundlagen für die bevorstehenden Bau- Fassung im Vergleich mit den Fassungen der
maßnahmen zu erhalten. Bauhistorische Analy- Instandsetzung von 1984
sen (vgl. Beitrag Mohn) sowie eine Erfassung al- Der einzige authentische Beleg Le Corbusiers
ler verfügbaren Pläne, Fotos und Schriftquellen über schriftliche Farbangaben und Farbmuster
bildeten die Basis für das weitere Vorgehen. Pa- der Innenräume konnte in die jetzigen Auswer-
rallel dazu begannen restauratorische Vorunter- tungen mit einbezogen werden (vgl. Abb. 2, 3).
suchungen. Zunächst sollten punktuelle Analysen Anhand der bauzeitlichen Farbbefunde vor Ort
klären, ob sich unter den 1984 aufgebrachten Be- ließ sich – bis auf geringe Nuancen – eine Über-
schichtungen Anhaltspunkte für das damals aus- einstimmung mit Le Corbusiers Farbmustern fest-
geführte Farbkonzept der Haushälfte Rathenau- stellen. In diesem Zusammenhang wären die un-
straße 3 bestätigten. Für die linke Haushälfte, Ra- terschiedlichen Untergründe anzusprechen, die
thenaustraße 1, wollte man abklären, ob sich auf zu den geringen Farbabweichungen geführt ha-
den Wandflächen noch Reste von Farbfassungen ben. Die Entwurfsfarben sind auf einem Papier-
unter den Beklebungen befinden. Einzelne Pro- untergrund aufgetragen, während die Funde in
beentnahmen dienten zur Klärung des technolo- situ auf einem Gipsträgergrund liegen. Durch
gischen Fassungsaufbaus und der Trägermateria- Lichteinwirkung ist eine leichte Vergilbung des
lien, sie wurden mikroskopisch untersucht und
ausgewertet. Ein erstes Ergebnis war, dass in bei-
den Häusern ursprünglich die gleiche Farbgebung 4 Farbgebung der 1987 aufgetragenen Braunfas-
und Farbverteilung spiegelverkehrt existiert hatte. sung auf dem Glasflies mit einer glänzenden Kunst-
stoffbeschichtung.
Nachdem bei der punktuellen Voruntersuchung
noch weitere Fassungsschichten der Verände- 5 Rekonstruktion der Blaufassung von 1987 auf
rungsphasen nachzuweisen waren, wurde eine einer Raufasertapete.
Gesamtuntersuchung mit Querschliffen und mi-
kroskopischer Auswertung notwendig. Der Vor- 6 Bei der Untersuchung 1984 entnommene
teil dieser Untersuchungsmethode liegt in der Er- Mörtelproben mit Farbfassungen.

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Le Wischfestigkeit mit Bindmitteln angereichert.


Le Corbusier
Corbusier Doppelhaus
Doppelhaus –– Stuttgart
StuttgartRathenaustr.
Rathenaustr.11––33 Weißenhofsiedlung
Weißenhofsiedlung
Restauratorische Untersuchung zur bauzeitlichen Farbigkeit und Auswertung des Fundmaterials
Restauratorische Untersuchung zur bauzeitlichen Farbigkeit und Auswertung des Fundmaterials Dunkle Farben wurden zum Teil zweischichtig
aufgetragen. Alle Fassungen haben eine matte
LCR 3 Dachgeschoss 3 / 21 Grundriss
Oberfläche. Nach den Analysen von 1982, die im
Institut für Technologie der Malerei an der Aka-
demie in Stuttgart durchgeführt wurden, kom-
men als Bindemittel Proteine in Frage.
Der Fassungsaufbau der Instandsetzung von
1984 weicht technologisch von dieser Konzep-
tion ab. Gestalterisch erfolgte im Haus 1 eine mo-
nochrome Farbgebung mit weißen Anstrichen an
allen Decken- und Wandflächen. Haus 3 dagegen
sollte nach dem Konzept und entsprechender Be-
Querschliff Befundstelle 010 - Probeentnahme 0010
fundlage einschließlich der Auswertung anderer
Auflicht Schichtenabfolge (0 = Träger, 1 = erste Fassung) Quellen in einen Zustand versetzt werden, der ei-
6 Brauner Anstrich nem ursprünglichen Erscheinungsbild möglichst
06 Glasflies
5 Heller gelblicher Anstrich nahe kommt. Mit den rekonstruierten Einbauten
05 Zwischenschicht
4 Heller Anstrich grün
und den im Haus anzutreffenden Farbgliederun-
04
3
Zwischen schicht
Heller rötlicher Anstrich
gen wurde versucht, dem Betrachter optisch ein
03 Zwischenschicht schlüssiges Ergebnis zu vermitteln.
2 Rötlicher Anstrich
02 Zwischenschicht Die farbige Rekonstruktion der Wandflächen in
1 Braune Fassung
01 Grundierung Haus 3 liegt auf unterschiedlichen Untergründen
0 Mörtel
(Raufasertapete, Glasfaserflies). Vermutlich we-
UV- Fluoreszenz Wandfassung von 1984 gen der damals vorgesehenen Nutzung beider
Haushälften als Wohnungen erhielten diese eine
strapazierfähige Wandbehandlung, die nachfol-
gende Renovierungen ohne weitere Eingriffe in
die Substanz ermöglichen sollte.
Wandfassung von 1927 ( Auswertung)
Verglichen mit den Untersuchungsergebnissen
zum technologischen Aufbau der Farbfassungen
von 1927 gibt es zwei gravierende Unterschiede,
auf die in diesem Zusammenhang hinzuweisen ist.
7 Beispiel zur Dokumen- Papieruntergrundes eingetreten, wodurch es zu Die 1984 rekonstruierten Fassungen entsprachen
tation und Auswertung einem „Durchwachsen“ der Farbschicht gekom- in ihrem Farbkonzept den Befunden, nicht aber
der Untersuchung von men ist. Bauzeitliche Farbaufträge auf dem Gips- dem ehemaligen Oberflächencharakter. Alle Farb-
2004/05 anhand einer grund unterliegen zwar auch einem Alterungs- fassungen von 1927 lagen ehemals auf vollkom-
Fundstelle.
prozess, die Veränderungen treten aber weniger men glatten Untergründen, sie wurden nicht
in Erscheinung. Weitere, zu berücksichtigende durch Strukturen beeinflusst, sondern waren Be-
Kriterien sind die verwendeten Bindemittel und standteil der Architektur.
die Lichtechtheit der Pigmente. Beim 1984 verwendeten Anstrichmaterial han-
In den Corbusier-Häusern sind die Farbfassungen delt es sich um einen modernen, mit seinen Pig-
an Decken- und Wandflächen unterschiedlich menten und Bindemitteln nur als Beschichtung
aufgebaut. Alle Farben in den Wohnbereichen zu verarbeitenden Werkstoff. Die 1927 aufge-
werden mit einem Leim gebunden. Auf dem ge- brachten Farbfassungen waren nicht konfektio-
glätteten Gipsgrund liegt eine farblose Leimlö- niert, sondern wurden individuell ausgemischt.
sche, die eine Sättigung ungleichmäßig saugen- Der Nachteil des Konzepts von 1984 lag eindeu-
der Untergründe bewirkt. Nicht auszuschließen tig in den strukturierten Oberflächen (Raufaser-
ist ein Zusatz von Ölen oder anderen Ingredien- tapete, Glasflies), die das bauzeitliche Konzept
zen zur Emulgierung der Leimlösche. Je nach Pig- nicht annähernd vermitteln konnten. Während
ment ist der leimgebundene Farbauftrag bis zur die Farbgliederung an das bauzeitliche Konzept
anknüpfte, erwiesen sich die Strukturtapeten in
ihrer Dominanz als neuzeitliche – möglicherweise
8 Mikroskopische Aufnahme einer Probeentnahme
nutzungsbedingte – Interpretation.
im Querschliff aus dem Treppenhaus von Haus
Rathenaustraße 1 mit Fassungsabfolge ab 1927.
Zur Realisierung der Fassungsrekonstruktion im
9 Freigelegte Graufassung von 1927 auf einer Haus Rathenaustraße 3
Stahlstütze im unteren Bereich; im oberen Teil die Nach der denkmalpflegerischen Entscheidung,
rekonstruierte Graufassung von 1987. sich dem bauzeitlichen Befund wieder stärker an-

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zunähern, war die Schaffung glatter Untergründe sung dieser Bauelemente. Anhand der jüngsten
zur Rekonstruktion der Farbbefunde unabding- Untersuchungen ließ sich für die Stahlzargen der
bar. Ein Entfernen des Glasfaserflieses im Haus 3 Türen und die Stahlstützen in den Räumen ein
hätte zu Schäden an älteren Fassungen geführt, mittleres Grau in einer matten Ölfarbe nach-
daher wurde das Aufbringen einer Glätteschicht weisen (Abb. 9). An den Metallrahmen, die die
beprobt. Diese Vorgehensweise ließ sich bei der Durchgangstüren der Schiebeelemente aufneh-
Raufasertapete nicht realisieren, hier war eine men, ergab der Befund ein dunkleres Grau.
Abnahme unumgänglich. Mittels mikroskopischer Analysen war für die Tür-
Nach den Farbmustern auf geglätteten Unter- blätter eine ursprüngliche Rotfassung zu belegen
gründen war allen Beteiligten klar, dass eine An- (Abb. 10). Erste mechanische Freilegungsproben 10 Mikroskopische Auf-
näherung an das Konzept von 1927 nur über die- mit dem Skalpell an den Türblättern erbrachten nahme: Probenentnahme
sen Weg zu erreichen war. Durch weitere Probe- ein vielversprechendes Ergebnis. Die Hoffnung, im Querschliff von einem
flächen wurden die einzelnen Arbeitsschritte bei der Rekonstruktion in Haus 3 ein Türblatt in Türblatt mit der Rotfas-
sung von 1927.
modifiziert. Die mit Glasfaserflies beklebten Flä- seiner ursprünglichen Farbfassung zeigen zu kön-
chen nahm man nicht ab, sondern glättete sie mit nen, zerstreute sich nach einem größeren Ar-
einer Spachtelmasse. Damit konnten alle noch beitsmuster (Abb. 11). Der enorme Aufwand
vorhandenen Schichten unter dem Glasfaserflies führte nicht zum erwarteten Ergebnis. Es zeigte
weiterhin erhalten bleiben. Problemlos ließen sich sich, dass die Türblätter beim ersten Umbau
die Raufasertapeten von den übrigen Decken- 1932/33 abgeschliffen und weiß lackiert worden
und Wandflächen lösen. Alle freiliegenden Mör- waren. Nachfolgend kamen weitere Anstriche
telflächen ohne bauzeitliche Fassungen erhielten hinzu. Das Abschleifen hatte die Rotfassung un-
eine Ausgleichsschicht mit einer gipsgebundenen gleichmäßig, in manchen Bereichen bis zum
Spachtelmasse. Diese Ausgleichsschicht war not- Holzträger, reduziert. Hinweise aus der Bauzeit
wendig, um Beschädigungen und Kabelschlitze von Roth oder Le Corbusier zur Farbgebung der
zu egalisieren. Anschließend deckte man alle zu- Türen sind nicht bekannt. Nachdem die Freile-
vor mit Raufaser beklebten Flächen zum Schutz gungsprobe an einem Türblatt zu keinem befrie-
der Befunde mit einem glatten Flies ab. Diese digen Ergebnis führte, entschied man sich, die
Zwischenschicht war als Träger für die Fassungs- oberste Lackschicht abzunehmen und unter Bei-
rekonstruktion erforderlich, um die unterschiedli- behaltung der verbliebenen Schichten die nach-
chen Mörtelausbesserungen zu kaschieren und gewiesene Rotfassung mit einer matten Ölfarbe
einen gleichmäßig saugenden Untergrund zu er- zu rekonstruieren.
halten. Dank dieser Vorarbeiten konnte auf allen Für die Eingangstüren und die Türen zur Dachter-
Decken- und Wandflächen ein geglätteter Unter- rasse lagen keine Befunde vor, sie erhielten die
grund erreicht werden, der den bauzeitlichen Ge- Graufassung von 1984. Ebenso musste mit der
gebenheiten nahekommt. Danach war es mög- Farbgebung der neu rekonstruierten Schrankbet-
lich, die verschiedenen Farbgliederungen der ten und Schiebeelemente verfahren werden. Das
Wand- und Deckenflächen entsprechend der Be- Grau der Schrankbetten von 1984 entspricht
funde aufzutragen. Als Farbmaterial kam eine der dem Fassungsbefund der Stützen im Raum, ist
ursprünglichen Leimtechnik vergleichbare, rever- aber nicht durch Befund belegt. Im mittleren
sible Emulsionsfarbe zur Anwendung. Der Farb- Raum sind die Stirnseiten der Schrankbetten jetzt
auftrag erfolgte mit der Bürste, um den Oberflä- dem Braun der Westwand zugeordnet; eine zwar
chenduktus von 1927 nachzustellen. denkbare, aber nicht belegte Interpretation.
Die 1984 nachgebauten und seinerzeit weiß ge- 1984 hatte man die Heizkörper im Haus 3 in ei-
strichenen Innenseiten der Fenster wurden auf nem kräftigen Blau gestrichen, was gegenüber
die Holzoberfläche freigelegt. Anhand der Auf-
nahmen von 1927 waren die Fensterrahmen in
Anbindung zu einer weißen Fensterbank deutlich 11 Arbeitsprobe zur Freilegung der Rotfassung von
dunkel abgesetzt. Da es für die Fensterfarbigkeit 1927 auf einem Türblatt. Aufgrund der bereits
keinen Beleg gab, entschloss man sich, die Fens- 1932/33 mechanisch beschädigten Oberfläche und
terrahmen im dunklen Holzton zu belassen. Zwar des hohen Zeitaufwands wurde eine Freilegung
entsprach dies nicht dem bauzeitlichen Material- nicht weiter verfolgt.
gefüge, sondern lediglich dem auf den Aufnah-
12 Primärdokument einer freigelegten Blaufassung
men von 1927 zu sehenden Hell-Dunkel-Kontrast
von 1927 im Haus Rathenaustraße 1, erstes Ober-
(vgl. Abb. Beitrag Mohn, 3a). geschoss.
In beiden Häusern haben sich bauzeitliche Tür-
blätter und Stahlzargen erhalten. Die vorliegen- 13 Primärdokument der bauzeitlichen Rotfassung
den Untersuchungsberichte der 1980er Jahre lie- (Siena) im Treppenhaus von Haus Rathenaustraße 1
fern keine Hinweise zur ursprünglichen Farbfas- nach Herausnahme der Einbauten von 1932/33.

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14 Rekonstruierte De-
cken- und Wandfassun-
gen der bauzeitlichen
Farbgebung von 1927 im
Treppenhaus der Haus-
hälfte Rathenaustraße 3.

der restlichen Farbigkeit des Raumes dominierte. Zur Farbgebung der Fassaden
Da von der bauzeitlichen Farbfassung kein Be- Alfred Roth hat mit seinen Axionometrieplänen
fund vorlag und das Blau wie ein Fremdköper im die Vorgaben zu den Farbeintragungen von Le
Raum wirkte, erhielten die Heizkörper jetzt die Corbusier geschaffen (vgl. Abb. 1). Bis auf zwei
Graufassung der Stützen. Ausnahmen sind die exakten Farbangaben zu
den einzelnen Architekturgliederungen von Roth
Das Konzept zur Instandsetzung 1927 am Doppelhaus realisiert worden. Le Cor-
der Haushälfte Rathenaustraße 1 busier hatte für die Stützen des Flugdachs ein
Wegen der zukünftigen Nutzung als Ausstel- Grau vorgegeben, bei den Untersuchungen 2003
15 Mikroskopische Auf- lungsfläche erhielten in der linken Haushälfte, Ra- fand sich auf der bauzeitlichen dünnen Mörtel-
nahme: Probeentnahme thenaustraße 1, alle Oberflächen eine mono- schicht eine blaue Fassung. Dieser Blauton kor-
im Querschliff von einer chrome Weißfassung. Wie in Haus 3 wurden die respondiert mit dem Blau der Stützen im Erdge-
Stahlstütze im Erdge- umfangreichen Befunde durch eine Zwischen- schoss, beide Farben unterscheiden sich lediglich
schoss mit verschiedenen schicht mit einem Flies über den Fassungsschich- hinsichtlich des Materials.
Blaufassungen. Die oran-
ten gesichert. Zur Information blieben an ver- Die Untersuchung der Stahlstützen zeigte mehr-
genen Zwischenschichten
schiedenen aussagefähigen Stellen bauzeitliche schichtige Fassungen von 1927 bis 1984. Mehr-
sind Rostschutzanstriche.
Befunde sichtbar. fach wurde die bauzeitliche Blaufassung in ver-
Heute ist eine Restfläche der Blaufassung über schiedenen Varianten wiederholt. Zwischen den
dem Zugang zum ehemaligen Wohnraum als Pri- einzelnen Sichtfassungen liegen Mennigeschich-
märdokument erhalten (Abb. 12). Ein weiteres ten als Rostschutz (Abb.15).
Primärdokument befindet sich im ersten Oberge- Die jetzige Farbgliederung der Fassaden ent-
schoss am ehemaligen Essplatz. Durch den Rück- spricht dem bauzeitlichen Zustand, sie kam mit
bau der 1932/33 eingefügten Toilette konnte in einer Zwischenschicht zur Überbrückung vorhan-
diesem Bereich der vermauerte bauzeitliche Ka- dener Feinrisse in Silikattechnik zur Ausführung.
min mit angrenzenden Wandfassungen freige- Bei allem Bemühen, Oberflächen und Farbfas-
legt werden. Die in Raumhöhe erhaltenen, nicht sungen möglichst nah an den bauzeitlichen Be-
überarbeiteten Wandfassungen in Rot, Weiß und stand heranzuführen, können die Ergebnisse im-
Schwarz zeigen die ursprünglichen Farbfassun- mer nur „originalähnlich“ sein. Verloren gegan-
gen im gereinigten und gesicherten Zustand. gene Materialsubstanz lässt sich durch nichts,
Beim Einbau der Toilette entstanden mechani- auch nicht durch eine Rekonstruktion, ersetzen
sche Beschädigungen, die man als Gebrauchs- (Abb. 14).
spuren ohne Retusche stehen ließ (Abb. 13).
Zwei weitere Sichtfenster zur ehemaligen Farb-
gebung wurden an der Stütze zum ehemaligen
Bad angebracht. Nach Herausnahme der später Helmut F. Reichwald
eingefügten Vermauerung zwischen Stütze und Oberkonservator a. D.
Fenster war es möglich, die noch erhaltene Grau- König-Karl-Str. 20
fassung in einem Teilbereich freizulegen. 70372 Stuttgart

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