Rückenschmerz: Diagnostik und Intervention
Radiologe 2006 · 46:513–519
DOI 10.1007/s00117-006-1379-2
Online publiziert: 13. Mai 2006
© Springer Medizin Verlag 2006
Rückenschmerzen zählen zu den größ-
ten Gesundheitsproblemen Deutsch-
lands. Dies dokumentieren nahezu al-
le Leistungsstatistiken der Krankenkas-
sen und -versicherungen sowie gesund-
heitsökonomische Berechnungen der di-
rekten und indirekten Krankheitskosten
[27]. Gegenwärtig beträgt die Häufigkeit
von Rückenschmerzen unter Erwachse-
nen in Deutschland zu jedem Zeitpunkt
(Punktprävalenz) etwa 40%, die Einjah-
resprävalenz überschreitet 70% und die
Lebenszeitprävalenz 80%. Man kann des-
halb sicher von einer „Rückenschmerze-
pidemie“ sprechen. Erkrankungen der
Wirbelsäule und des Rückens (ICD-10-
Schlüssel M40–54) sind die häufigste Ur-
sachen für Leistungen der gesetzlichen
Rentenversicherung. Die Gesamtkosten
der durch zeitlich befristete Arbeitsunfä-
higkeit verursachten Produktivitätsausfäl-
le werden auf 16–22 Mrd. Euro geschätzt
[27]. Nach den Herzerkrankungen ist der
Rückenschmerz die häufigste Ursache für
eine ärztliche Konsultation [10, 20] und
oftmals nur schwer zu behandeln.
Bei etwa 5% aller Patienten mit akuten
Rückenschmerzen werden Bandschei-
benvorfälle als Ursache der Symptome
angenommen [1]. Als zugrunde liegen-
der Pathomechanismus wird postuliert,
dass verlagertes Bandscheibengewebe auf
Wurzeln von Spinalnerven drückt, die ih-
rerseits mit Reizerscheinungen reagieren.
Die Folgen sind Schmerzen und neurolo-
gische Ausfallserscheinungen. Die ope-
rativen und minimalinvasiven Therapie-
konzepte verfolgen einen kausalen An-
satz: Bandscheibengewebe wird entfernt,
T. Lehnert1 · S. Mundackatharappel1 · W. Schwarz1 · S. Bisdas1 · A. Wetter2 ·
C. Herzog1 · J. O. Balzer1 · M. G. Mack1 · T. J. Vogl1
1 Institut für Diagnostische und interventionelle Radiologie, Johann-
Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt am Main
2 Abteilung für Neuroradiologie, Neurologische Klinik
des Universitätsklinikums Heidelberg
Nukleolyse beim
Bandscheibenvorfall
aufgelöst oder verdampft, um eine Druck-
entlastung der Nervenwurzeln zu errei-
chen [18].
Es wurden und werden ständig neue
Therapieformen entwickelt oder beste-
hende Verfahren modifiziert, um die Ef-
fektivität zu verbessern. Dabei stellt die
Nukleolyse und hier vorrangig die Che-
monukleolyse das älteste minimalinvasive
Verfahren zur Therapie eines Bandschei-
benvorfalls dar. Weitere Entwicklungen
auf diesem Gebiet – zunächst die perku-
tane Nukleotomie und dann die Laserbe-
handlung des Bandscheibenvorfalls – ha-
ben die Nukleolyse in den Hintergrund
treten lassen. Vergleichende Studien bzgl.
Chemonukleolyse und Laserdekompres-
sion ergaben jedoch keine signifikanten
Ergebnisunterschiede zwischen beiden
Verfahren [30].
In diesem Beitrag sollen Entwicklung
und Wirkungsweise der Nukleolyse v. a.
bei lumbalen Bandscheibenvorfällen dar-
gestellt werden. Es werden sowohl die für
die Nukleolyse verwendeten Substanzen
als auch die Technik der Nukleolyse er-
örtert sowie der gegenwärtige Stellenwert
und mögliche Perspektiven diskutiert.
Indikationsstellung
zur Nukleolyse
Die Indikation zur Nukleolyse sollte sehr
kritisch geprüft und beurteilt werden und
erst nach erfolgloser konservativer The-
rapie erwogen werden. Als Grundvoraus-
setzung sehen die evidenzbasierten Leit-
linien eine generelle Übereinstimmung
von Anamnese, klinischer Untersuchung
sowie der bildgebenden Verfahren (z. B.
MRT und CT) vor [18]. Die Erwartungs-
haltung des Patienten, die Ursache und
der Verlauf seiner Erkrankung sowie sei-
ne Lebensumstände sind vor der Inter-
vention zu evaluieren und zu berücksich-
tigen, da sie für die Prognose entschei-
dend sind.
Für die Indikationsstellung und Ver-
laufskontrolle nach einer Nukleolyse ist
die MRT am besten geeignet. Dabei gilt
es, die morphologischen Veränderungen
der Bandscheiben genau zu erfassen. Sie
sollten dabei nach den Empfehlungen der
gemeinsamen Task Force, gebildet aus der
North American Spine Society (NASS),
der American Society of Spine Radiolo-
gy (ASSR) und der American Society of
Neuroradiology (ASNR), klassifiziert und
quantifiziert werden [7].
Der Schweregrad der Schmerzen sollte
anhand der 10-teiligen Schmerzskala do-
kumentiert werden. Diese orientiert sich
sowohl an der Intensität der Schmer-
zen als auch an der dadurch gegebenen
Beeinträchtigung des täglichen Lebens
Tab. 1 Erfassung der Schmerzqualität
und -quantität im alltäglichen Leben
Faktoren 1. Schmerzintensität
2. Selbstversorgung (Hände
waschen, Zähne putzen etc.)
3. Körperliche Tätigkeit
4. Beweglichkeit
5. Sitzposition
6. Stehende Position
7. Schlafen
8. Sexualleben
9. Sozialleben
10. Reisetätigkeit
Der Radiologe 6 · 2006 | 513

Abb. 1 8 a Markierung der Punktionsstelle auf der Hautoberfläche (á); b exakte Punktion der Bandscheibe mit Führung durch das Lichtvisier (á); c Appli-
kation der lytischen oder quelldruckmindernden Substanz intradiskal/Ozon-Sauerstoff-Gemisch (á)
(. Tab. 1). Auf diese Weise können die
Schmerzsymptomatik nicht nur standar-
disiert und reproduzierbar erfasst, son-
dern auch der Behandlungserfolg objek-
tiviert werden.
Technik der Nukleolyse
Bei der Nukleolyse werden unter Rönt-
genkontrolle zumeist chondrolytische
oder Quelldruck-mindernde Substanzen
in den Nucleus pulposus einer protrudier-
ten Bandscheibe (intradiskal) injiziert.
Hierzu kommen Chymopapain, Apro-
tinin, Kollagenasen (Nukleolysin), Al-
kohole, aber auch Chondroitinase ABC,
Stromelysin-1, Calpain I, Lekopain, Ca-
thepsin L sowie salzhaltige Lösungen zur
Anwendung. In letzter Zeit zeichnen sich
v. a. Ozon-Sauerstoff-Gemische durch ei-
ne vergleichsweise geringere Nebenwir-
kungsrate aus und finden daher immer
häufiger Verwendung.
Die Nukleolyse sollte ausschließlich
unter CT-Steuerung erfolgen. Dabei emp-
fiehlt sich die Bauchlage des Patienten,
wobei der Abstand der Räume zwischen
den Wirbelbögen aufgespreizt werden
sollte. Die Entfernung des Einstichpunkts
von der Mittellinie sowie die Punktions-
tiefe sollten am Monitor festgelegt und auf
der Hautoberfläche des Patienten mar-
kiert werden (. Abb. 1a). Anschließend
folgt die Punktion (. Abb. 1b). Dadurch
ist eine exakte Nadelführung gewährlei-
stet. Auch der Führungswinkel der Kanü-
le in lateromedialer Richtung ist mit der
am Monitor festgelegten abzugleichen.
Die Nadelspitze wird dann in die Band-
514 | Der Radiologe 6 · 2006
Rückenschmerz: Diagnostik und Intervention
scheibe bzw. in den Nucleus pulposus ein-
geführt und es wird die lytische oder die
quelldruckmindernde Substanz appliziert
(. Abb. 1c).
Chondrolytische oder
quelldruckmindernde Substanzen
Chymopapain
Papain und Chymopapain wurden erst-
mals 1941 von Jansen u. Balls [12] aus der
Milch der Papayapflanze isoliert. Sie be-
schrieben bereits damals die unterschied-
liche Peptidstruktur beider Enzyme und
die höhere enzymatische Wirkung des
Chymopapains mit seiner großen Affini-
tät für nichtkollagene Proteinbindungen,
wie sie in den sauren Mukopolysacchari-
den des Bandscheibengewebes vorliegen
[30].
Chymopapain, eine Zysteinproteinase,
spaltet die Peptidbindungen der Protein-
kette und zerstört so das Proteoglykan-
molekül. Aufgrund der elektrischen La-
dungsverhältnisse besteht eine hohe Af-
finität des positiv geladenen Chymopa-
pains zu den negativ geladenen Mukopo-
lysacchariden. Das Wirkspektrum liegt
in einem pH-Bereich von 7,2. Die Was-
serbindungsfähigkeit der Polysaccharid-
seitenketten geht verloren, die frei wer-
denden Wassermoleküle diffundieren aus
der Bandscheibe und es kommt zu einem
schnellen Abfall des intradiskalen Drucks.
Die Enzymmoleküle bleiben an die Pro-
teoglykanfragmente gebunden. Über Dif-
fusion gelangen sie in den Kreislauf und
werden über die Niere im Urin ausge-
schieden. Dieser Effekt des Chymopapa-
ins tritt spezifisch an den Proteoglykanen,
der Grundsubstanz des Bandscheibenge-
webes, auf, kollagene Fasern sind nicht
direkt betroffen. Aufgrund der Interakti-
on zwischen Kollagennetzwerk und Pro-
teoglykankomplex ist jedoch bei der Zer-
störung des Proteoglykankomplexes auch
von einer Destabilisierung der Kollagen-
matrix auszugehen. Da jedoch der Band-
scheibenvorfall sowohl aus Nukleus- als
auch Anulusanteilen besteht, muss bei
Kontakt mit dem Enzym auch ein di-
rekter Effekt auf das Anulusgewebe ange-
nommen werden [30].
Die digestive Wirkung des Enzyms ist
bereits nach wenigen Stunden abgeschlos-
sen. Die Inaktivierung des freien Enzyms
erfolgt durch die α2-Makroglobuline der
einströmenden extrazellulären Flüssig-
keit. Falls das Enzym in freier Form aus
der Bandscheibe austritt, wird es durch
die Bindung von α2-Makroglobulinen
blockiert und über Katepsin abgebaut. Ei-
ne extradiskale Chymopapainwirkung ist
so weitgehend ausgeschlossen [21].
Bereits 30 min nach der Injektion lässt
sich immunoreaktives Chymopapain mit
einer Halbwertszeit von 3 Tagen im Plas-
ma nachweisen. Nach 8 h findet sich ei-
ne Keratansulfaterhöhung im Serum; di-
es gilt als direkter Marker für den Kata-
bolismus von keratosulfathaltigen Prote-
oglykanen, wie sie im Bandscheibenge-
webe vorliegen. Die erhöhte Keratansul-
fatausscheidung ist bis zu 4 Wochen nach
der Chymopapaininjektion nachzuwei-
sen [14].

Aprotinin
Aprotinin besitzt eine besondere Affinität
zur Chondroitinsulfat-reichen Grundsub-
stanz der Bandscheibe. Nach Injektion (in
der Regel 2–3 ml Aprotinin) in die Band-
scheibe nimmt der onkotische Druck ab,
da die für die Hydratation verantwort-
lichen Seitenketten besetzt werden [26].
Das Aprotinin verursacht zwar kaum Ne-
benwirkungen, kann aber hinsichtlich der
Erfolgsrate nicht mit Chymopapain kon-
kurrieren (Erfolgsrate unter 60%; [17]).
Wegen der höheren Effektivität von Chy-
mopapain wird Aprotinin meist nur noch
bei allergischer Disposition, oder wenn
Chymopapain zu riskant erscheint, ver-
wendet.
Kollagenase
Bei der Kollagenase handelt es sich um die
Clostridiopeptidase A, ein Enzym, das die
Peptidbindung zwischen Prolin und ande-
ren Aminosäuren spaltet. Zumeist ist die
Kollagenase unter dem Namen „Nukle-
olysin“ bekannt. Sie ist in der Lage, Typ-
II-Kollagenfasern aufzuspalten und abzu-
bauen. Dieser Vorgang spielt eine wichtige
Rolle bei vielen körpereigenen Prozessen,
v. a. beim Abbau abgestorbenen Gewebes.
Obwohl die Wirksamkeit von Kollagenase
und Chymopapain vergleichbar scheint,
konnte sich die Kollagenase, wohl auf-
grund des höheren Preises, nicht durch-
setzen [11].
Äthanol
Die Injektion von hoch konzentriertem
Alkohol führt im Nucleus pulposus und
im angrenzenden Anulusgewebe zu ei-
ner Koagulationsnekrose. Riquelme et al.
[23] berichten von einer Verbesserung der
Schmerzsymptomatik nach intradiskaler
Applikation von 0,4 ml reinem Ätha-
nol bei nahezu 98% von 118 Patienten. Es
bleibt abzuwarten, ob diese günstigen Er-
gebnisse durch randomisierte Studien be-
stätigt werden.
Experimentelle Substanzen
Weitere Substanzen wie Chondroitina-
se ABC, Stromelysin-1, Calpain I, Leko-
pain sowie Cathepsin L wurden in expe-
Zusammenfassung · Abstract
Radiologe 2006 · 46:513–519 DOI 10.1007/s00117-006-1379-2
© Springer Medizin Verlag 2006
T. Lehnert · S. Mundackatharappel · W. Schwarz · S. Bisdas · A. Wetter · C. Herzog · J. O. Balzer ·
M. G. Mack · T. J. Vogl
Nukleolyse beim Bandscheibenvorfall
Zusammenfassung
In Deutschland wie in anderen Industrielän-
dern stellen der Diskusprolaps und die damit
verbundene Schmerzsymptomatik ein be-
deutsames und zunehmendes Gesundheits-
problem dar. Wenn die Möglichkeiten der
konservativen Therapie ausgeschöpft sind,
ist die Nukleolyse als minimalinvasive Alter-
native zur Operation zu diskutieren. Hierbei
werden unter CT-Steuerung chondrolytische
oder quelldruckmindernde Substanzen in
den Nucleus pulposus einer protrudierten
Bandscheibe injiziert. Unter den zahlreichen
Substanzen, die bisher zum Einsatz kamen,
erwies sich v. a. die Nukleolyse mit einem
Ozon-Sauerstoff-Gemisch als viel verspre-
chend. Neben seiner hohen Wasserbindungs-
kapazität vermag Ozon die Schmerzmedia-
Nucleolysis in the herniated disk
Abstract
Back pain associated with a herniated disk
has become an important and increasing
general health problem in Germany and oth-
er industrialized countries. After all meth-
ods of conservative treatment have been ex-
hausted, nucleolysis may be a minimally in-
vasive alternative to surgery. In nucleolysis,
chondrolytic substances or other substanc-
es, which reduce the pressure within the disk
by other means, are injected into the nucle-
us pulposus under CT guidance. Among var-
ious substances, which have been employed
for nucleolysis, an ozone-oxygen mixture ap-
pears to be very promising. The water-bind-
toren vor Ort über mehrere Monate zu hem-
men, wirkt antiinflammatorisch und durch-
blutungsfördernd. Ozon wandelt sich im Kör-
per in reinen Sauerstoff um und besitzt eine
geringe Allergenität. Bei der Nukleolyse han-
delt es sich um das älteste minimalinvasive
Verfahren zur Therapie eines Bandscheiben-
vorfalls. Vergleichende Studien konnten ei-
ne Überlegenheit neuerer Therapiekonzepte,
z. B. der perkutanen Nukleotomie oder der
Laserbehandlung, nicht bestätigen.
Schlüsselwörter
Nukleolyse · Bandscheibenvorfall · Chondro-
lytische Substanzen · Therapieoption · Mini-
malinvasive Therapie
ing capacity of ozone results in a reduction of
pain for several months. Moreover, it has an
anti-inflammatory effect and results in an in-
crease of perfusion. Ozone is converted into
pure oxygen in the body and has a low aller-
gic potential. Recent minimally invasive ther-
apeutic methods such as percutaneous nu-
cleotomy or laser treatment do not result in
superior results compared with nucleolysis.
Keywords
Nucleolysis · Herniated disk · Chondrolytic
substances · Therapy option · Minimally inva-
sive technique
Der Radiologe 6 · 2006 | 515

Abb. 2a, b 8 Bandscheibenprolaps links zentral/subartikulär in Höhe L4/L5, vor Chemonukleolyse
mit Ozon (á)
Abb. 3a, b 8 Bandscheibenprolaps links zentral/subartikulär in Höhe L4/L5, 6 Monate nach Chemo-
nukleolyse mit Ozon (á)
rimentellen Studien zur Nukleolyse er-
probt, meist in Tierversuchen. Sasaki et
al. [24] berichten über einen signifikanten
Abfall des intradiskalen Drucks nach In-
jektion von Chondroitinase ABC in lum-
bale Bandscheiben von Schafen. Bei Un-
tersuchungen an Kaninchen und Hun-
den wurden ähnliche Ergebnisse festge-
stellt [31].
Wakita et al. [34] fanden bei Untersu-
chungen an Kaninchen mit dem kalzium-
abhängigen Enzym Calpain I eine chon-
drolytische Potenz, die dem des Chymo-
papains vergleichbar war. Diese Zystein-
proteinase führt zu einem Abbau von Pro-
teogykanen im Nucleus pulposus und An-
ulus fibrosus, was schließlich eine Volu-
menminderung der Bandscheibe be-
wirkt.
Auch durch die intradiskale Injektion
von hypertonen Salzlösungen konnte ei-
ne Volumenminderung der Bandscheibe
erreicht werden. Sato et al. [25] berichten
von einer vorübergehenden Volumenre-
duktion der Bandscheibe nach Applika-
tion von 10%-iger Kochsalzlösung. Nach
516 | Der Radiologe 6 · 2006
Rückenschmerz: Diagnostik und Intervention
wiederholter Anwendung blieb das Vo-
lumen der Bandscheiben bei Untersu-
chungen an Kaninchen dauerhaft vermin-
dert. Dabei dürfte die direkte Wirkung der
Salzlösung auf die Bandscheibenmatrix
marginal sein. Vielmehr wird vermutlich
über die Freisetzung lysosomaler Enzyme
eine partielle Proteolyse induziert, die zu
einer Reduktion von Proteoglykanen und
einer damit verbundenen verminderten
Wasserbindungskapazität führt.
Ozon-Sauerstoff-Gemische
Ozon ist ein farbloses, scharf riechendes,
instabiles Gas mit großer Oxidationsfä-
higkeit, das unmittelbar vor dem Eingriff
hergestellt und sofort verwendet werden
muss. Es verbreitet sich sehr rasch im er-
krankten Bereich, fördert die Sauerstoff-
zufuhr sowie die Durchblutung und ver-
mindert Entzündungen. Ozon blockiert
über mehrere Monate v. a. jene Schmerz-
reize, die von den Nerven in den beschä-
digten Bandscheiben ausgehen. Es oxi-
diert die sauren Mukopolysaccharide
im Nucleus pulposus, die Molekülket-
ten zerbrechen, wodurch eine Dehydrati-
on im Gallertkern einsetzt. Sein Volumen
nimmt ab und die Kompression der ner-
valen Strukturen wird reduziert bzw. auf-
gehoben (. Abb. 2 und 3).
Komplikationen und
Nebenwirkungen
Allergische Reaktionen wie Nausea, Er-
brechen, Kopfschmerzen, Juckreiz, Quin-
cke-Ödem bis hin zum anaphylaktischen
Schock können bei der Nukleolyse in 1,6–
2% der Fälle, abhängig von der applizierten
Substanz, auftreten [30]. Vermutlich ver-
ursacht Chymopapain am häufigsten all-
ergische Reaktionen. Etwa 1% der ameri-
kanischen Bevölkerung besitzt spezifische
Antikörper gegen Chymopapain [16]. Da-
her erscheint eine präinterventionelle Pri-
cktestung jedes Patienten zwingend not-
wendig. Nach Nukleolyse mit Chymopa-
pain ist bei 36% der Patienten mit einer
Sensibilisierung zu rechnen.
Lokale Nebenwirkungen können v. a.
bei fehlerhafter Injektion, z. B. in den
Subarachnoidalraum, in Form toxischer
Schädigungen des Gewebes auftreten. Da
die zumeist verwendeten Substanzen die
Duraschranke nicht überschreiten und
auch neurale Strukturen im Epiduralraum
nicht schädigen, ist die Toxizität bei Ver-
wendung von therapeutischen Dosen in
der Regel vernachlässigbar.
Das Risiko bei der Nukleolyse mit
Ozon-Sauerstoff-Gemischen ist deutlich
niedriger. Ozon wird im Körper in rei-
nen Sauerstoff umwandelt, und die aller-
genisierende Potenz des Ozons ist im Ver-
gleich zu Chymopapain als insgesamt eher
gering einzustufen.
Auswirkungen der Nukleolyse
auf den Bewegungsapparat
Bei der Nukleolyse kommt es zu einem
Höhenverlust des Bandscheibenraums
und zu einer verminderten Verspannung
der Anulusfaserschichten. Dies ist radio-
logisch an einer zunehmenden Verschmä-
lerung des Bandscheibenraums erkennbar
[30].
Die Veränderungen der Biomecha-
nik und der Stabilität der Bewegungsseg-
mente nach der Nukleolyse wurden bis-
her nur im Tierversuch analysiert. Spen-
cer et al. [29] fanden nach der Chemonu-
kleolyse mit Cymopapain an Hunden ei-
ne über 12 Wochen anhaltende signifi-
kante Zunahme für Flexion sowie eine bis
zu 4 Wochen anhaltende Zunahme für
Torsion und laterale Biegung im Bereich
des lumbalen Bewegungssegments. Nach
26 Wochen waren diese Veränderungen
nicht mehr zu beobachten.
Eine ähnliche Studie wurde von Brad-
ford et al. [5] gleichfalls an Hunden durch-
geführt. Dabei fiel 3 Wochen nach der Nu-
kleolyse mit Chymopapain unter axialer
Last und Torsion eine signifikante Ab-
nahme der Steifigkeit der Bewegungs-
segmente gegenüber der unbehandelten
Kontrollgruppe auf. Auch hier war schon
nach 12 Wochen ein deutlicher Rückgang
der Veränderungen zu erkennen. Histolo-
gisch wurden das Nukleus- und Anulus-
gewebe mit regelrechter Anfärbbarkeit der
Proteoglykane als normal bewertet. Radi-
ologisch wurde eine Abnahme der Band-
scheibenhöhe auf 75% des ursprünglichen
Wertes gemessen.
Kahanovitz et al. [15] verglichen den
Effekt von Chymopapain auf Hundeband-
scheiben mit dem von Diskotomien, bei
denen eine mechanische Ausräumung des
Nucleus pulposus und der inneren Anu-
lusanteile vorgenommen wurde. Die Ver-
änderungen der Höhe der Bandscheiben
nach Chemonukleolyse und nach Dis-
kotomie waren nicht signifikant unter-
schiedlich, jedoch zeigte sich nach der
Chemonukleolyse ein deutlich eindrucks-
volleres Instabilitätsmuster als nach der
Diskotomie. Die Chemonukleolyse ver-
ursachte sowohl einen Verlust an Steifig-
keit unter Flexions- als auch unter medi-
olateraler Schubbelastung und unter Tor-
sion. Im Gegensatz dazu führte die Dis-
kotomie zu einer Abnahme der Steifigkeit
unter Flexion bei normalen Werten für al-
le anderen Belastungsformen. Aus diesen
Untersuchungen wurde die Schlussfolge-
rung gezogen, dass die Chemonukleoly-
se zu einer Beeinträchtigung der Eigen-
schaften des Anulus und dadurch vorü-
bergehend zu einer Instabilität führt, die
über die Instabilität nach der Diskotomie
hinausgeht [30].
Klinische Ergebnisse
der Nukleolyse beim
Bandscheibenvorfall
Die Behandlungsergebnisse der Nukleo-
lyse wurden in zahlreichen Publikationen
dargelegt, doch lassen oftmals kleinere Pa-
tientenkollektive, mangelhafte Angaben
über die Art der Randomisierung und zu
kurz gewählte Beobachtungszeiträume
nur limitierte Analysen über die Effekti-
vität der einzelnen Behandlungsmetho-
den zu. Deshalb soll an dieser Stelle v. a.
auf prospektiv randomisierte Vergleichs-
studien näher eingegangen werden.
Die 1. placebokontrollierte Studie zur
Wirksamkeit von Chymopapain zeigte
keinen signifikanten Unterschied zwi-
schen der Placebo- und Chymopapain-
gruppe [19, 28]. Dieser Studie wurden

zwar erhebliche methodische Mängel an-
gelastet, jedoch führte es zunächst zu ei-
ner Verweigerung der Medikamentenzu-
lassung. Die von Javid et al. [13] durchge-
führte placebokontrollierte Doppelblind-
studie zeigte jedoch eine deutliche Über-
legenheit der Chemonukleolyse mit Chy-
mopapain gegenüber der Kontrollgruppe,
die mit Placebo behandelt wurde. 6 Mo-
nate nach dem Eingriff lag die Erfolgsra-
te nach Chemonukleolyse bei 73% im Ver-
gleich zu 42% in der Kontrollgruppe. Der
Unterschied war statistisch signifikant.
Auch eine weitere randomisierte Multi-
centerdoppelblindstudie von Dabezies et
al. [6] zeigte eine statistisch signifikante
Überlegenheit in der Chymopapain- im
Vergleich zur Kontrollgruppe.
Eine von Fraser [8] initiierte Dop-
pelblindstudie wurde nach 10 Jahren ab-
geschlossen. Nach 6 Monaten war ein
Therapieerfolg bei 80% der Patienten in
der Chymopapaingruppe und bei 57% in
der Placebogruppe zu verzeichnen. Nach
10 Jahren sahen 80% der mit Chymopa-
pain behandelten Patienten und ledig-
lich 34% der Placebogruppe die Behand-
lung als Erfolg an. Die mit Chymopapa-
in behandelten Patienten gaben auch nach
10 Jahren eine komplette Beschwerdefrei-
heit an, bezogen auf Ischialgien in 53%
und auf Lumbalgien in 60% (im Vergleich
zu 29 bzw. 26% der Placebogruppe). In der
Chymopapaingruppe beschrieben 77% ei-
ne zumindest deutliche Besserung der Is-
chialgie und Lumbalgie im Vergleich zu
38% der Placebogruppe.
Auch zum Vergleich Chemonukleo-
lyse/Diskotomie liegen sowohl Studien,
die den Verlauf im 1. Jahr nach dem Ein-
griff vergleichen, als auch Zehnjahresver-
laufsstudien vor. Die beiden Zehnjahres-
studien [32, 35] vergleichen ein Kollektiv
von Patienten mit Chemonukleolyse mit
einer nachträglich gebildeten Kontroll-
gruppe. In der Weinstein-Studie [35] wa-
ren nach 10 Jahren 86% der mit Chymo-
papain behandelten Patienten und 80%
der primär operierten Patienten mit dem
Behandlungsergebnis zufrieden. 90% der
mit Chymopapain behandelten Patienten
und 87% der operierten Patienten waren
nach dem Eingriff wieder arbeitsfähig ge-
worden. Die Rezidivquote nach primär er-
folgreicher Behandlung betrug innerhalb
des 1. Jahres 12% in der Chemonukleolyse-
518 | Der Radiologe 6 · 2006
Rückenschmerz: Diagnostik und Intervention
gruppe und 18% in der Diskotomiegrup-
pe. Nach 10 Jahren war bei 32% der Chy-
mopapaingruppe und bei 39% der Opera-
tionsgruppe ein weiterer operativer Ein-
griff erforderlich geworden. Demgegen-
über fanden Tregonning et al. [32] eine
leichte Überlegenheit der primär offenen
Bandscheibenoperation gegenüber der
Chemonukleolyse nach 10 Jahren. Van Al-
phen et al. [33] konnten eine Überlegen-
heit der offenen Bandscheibenoperation
im Wesentlichen durch die Therapiever-
sager bei der Chemonukleolyse begrün-
den. Es zeigte sich nach einem Jahr kein
signifikanter Unterschied zwischen den
erfolgreich behandelten Chemonukleoly-
se- und den operierten Patienten [30].
In einer von Revel et al. [22] durchge-
führten prospektiv randomisierten Mul-
ticenterstudie Chemonukleolyse/APLD
(automatische perkutane lumbale Dis-
kektomie) an 141 Patienten betrug die Ge-
samterfolgsrate nach einem Jahr 66% für
die Chemonukleolysegruppe und 37% für
die APLD-Gruppe, während die Erfolgs-
rate unter Ausschluss der Operationspa-
tienten mit 83% für die Chemonukleoly-
segruppe und 61% für die APLD-Gruppe
angegeben wurde.
Keine Unterschiede in den Erfolgsra-
ten wurden in prospektiv randomisierten
Studien und zwar beim Vergleich zweier
Dosen von Chymopapain [3], beim Ver-
gleich von Chymopapain und Kollagenase
[11] als auch beim Vergleich von Chymo-
papain mit Steroidinjektionen [4] gefun-
den. Die Ergebnisse einer weiteren Stu-
die, in der mit Kollagenasechemonukleo-
lyse im Vergleich zu Placebo günstige Er-
gebnisse erzielt wurden, erscheinen auf-
grund des kleinen Patientenkollektivs
(n=30) und aus methodischen Gründen
nicht verlässlich [9].
Neuere Untersuchungen, bei denen
Ozon-Sauerstoff-Gemische verwendet
wurden, lassen erfolgversprechende Er-
gebnisse erkennen. Andreula et al. [2]
stellten nach intradiskaler und perigan-
glionärer Injektion eines Ozon-Sauer-
stoff-Gemischs (Gruppe A) eine signifi-
kanten Besserung der Schmerzsympto-
matik nach 6 Monaten bei 70,3% der Pati-
enten (n=211) fest und bei 78,3% der Pati-
enten (n=235) nach intradiskaler Injekti-
on eines Ozon-Sauerstoff-Gemischs und
zusätzlicher periganglionärer Applikation
von Kortikosteroiden und eines Lokala-
nästhetikums (Gruppe B), eingeschlos-
sen in eine Multicenterstudie (600 Pa-
tienten). Nach 6 Monaten war bei 4,7%
(n=14) der Gruppe A und 5% (n=15) der
Gruppe B ein operativer Eingriff erfor-
derlich. Diese Daten decken sich mit den
von uns bislang erhobenen eigenen Er-
gebnissen. Bei 69 Patienten wurde nach
einem frustranen konservativen Thera-
pieversuch von 4–12 Monaten CT-gesteu-
ert 2 ml eines Ozon-Sauerstoff-Gemischs
in einen symptomatischen Bandschei-
benvorfall injiziert. Bei allen Patienten er-
folgte ein kombiniertes Vorgehen mit zu-
sätzlicher intraforaminaler Applikation
eines Kortikosteroids sowie eines Lokal-
anästhetikums. Dabei konnte eine Ver-
besserung der Schmerzsymptomatik bei
88,4% der Patienten (n=61) nach 3 Mona-
ten und 75,4% der Patienten (n=52) nach
6 Monaten erzielt werden. Es wurde nach
3 Monaten eine Reduktion des Bandschei-
benvolumens um 13,4% und nach 6 Mo-
naten um 17,1% ermittelt.
Fazit für die Praxis
Die Nukleolyse ist das älteste minimalin-
vasive Verfahren zur Therapie lumbaler
Bandscheibenvorfälle, das sich am be-
sten bewährt hat. Sie ist die einzige Me-
thode, deren Wirksamkeit sowohl im Ver-
gleich mit dem Standardeingriff (offene
Diskektomie, Mikrodiskektomie) als auch
im Vergleich zu fortgeführter konserva-
tiver Behandlung auf der Grundlage von
Ergebnissen mehrerer randomisiert kon-
trollierter Studien beurteilbar ist. Infor-
mationen zu Komplikationsraten stam-
men aus Anwendungsbeobachtungen,
die mehrere zehntausend behandelte Pa-
tienten umfassen. Die Wirksamkeits- und
Sicherheitsdaten weisen darauf hin, dass
die Nukleolyse als intermediäre Behand-
lungsoption zwischen Mikrodiskektomie
und konservativem Vorgehen angesehen
werden kann. Neuere Substanzen, wie
die Ozon-Sauerstoff-Gemische, scheinen
nicht zuletzt aufgrund ihrer vergleichs-
weise geringen allergenisierenden Po-
tenz viel versprechend. Maßgeblich für
den klinischen Erfolg sind die korrekte
Indikationsstellung und exakte Durch-
führung. Die aussichtsreichste Indikati-
on zur Nukleolyse ist die konservativ the-
rapieresistente Ischialgie mit einer Band-
scheibenprotrusion oder einem Band-
scheibenvorfall mit einem in der MRT
oder CT darstellbaren kleinen bis mittel-
großen subligamentären Sequester.
Korrespondierender Autor
Dr. T. Lehnert
Institut für Diagnostische
und interventionelle Radiologie,
Johann-Wolfgang-Goethe-Universität,
Theodor-Stern-Kai 7, 60590 Frankfurt am Main
thomas.lehnert@kgu.de
Interessenkonflikt. Es besteht kein Interessenkon-
flikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass kei-
ne Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in
dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Kon-
kurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentation
des Themas ist unabhängig und die Darstellung der In-
halte produktneutral.
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Der Radiologe 6 · 2006 | 519