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JÄXOS SZä'BÖ

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und Satire
Zum JLebenswerk von Karl Kraus

Akademiai Kiadö, Budapest

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in 2019 with funding from
Kahle/Austin Foundation

https://archive.org/details/untergehendemonaOOOOszab
STUDIES
IN
MODERN
PHILOLOGY

9
STUDIES IN MODERN PHILOLOGY

Series Editors

Käroly Manherz
Jänos Szävai

Previous volumes in the series


Jänos Szävai: The Autobiography
Eva H. Stephanides (ed.): Contrasting Engiish with Hungarian
Enikö Bollobäs: Tradition and Innovation in American Free Verse:
Whitman to Duncan
Peter Egri: Literature, Painting and Music
Katalin Kulin: Modern Latin American Fiction
Ferenc Takäcs: T. S. Eliot and the Language of Poetry
Istvän Nyomarkay: Ungarische Vorbilder der kroatischen Spracherneuerung
Nelu Bradean-Ebinger: Sprachkontakte und Zweisprachigkeit
in Fennoskandinavien

AKADEMIAI KIADÖ, BUDAPEST 1992


UNTERGEHENDE MONARCHIE
UND SATIRE

Zum Lehenswerk von Karl Kraus

von

JÄNOS SZABÖ

AKADEMIAI KIADÖ, BUDAPEST 1992

Trent University Library


Peterbofougb, Qnt
ISBN 963 05 6229 4

© Jänos Szabö, 1992

Alle Rechte Vorbehalten. Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des
Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) reprodu¬
ziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet
werden.

Druck- und Bindearbeit: Akademiai Kiadö es Nyomda Vällalat, Budapest

Printed in Hungary
INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung
I. Ostmitteleuropäische Satire im ersten Drittel
des 20. Jahrhunderts 9
II. Der Kulturkritiker (1899-1914) 35
III. Kraus und der Weltkrieg (1914-1918) 75
IV. In der Republik (1918-1936) 95
V. Zur Sprachauffassung von Karl Kraus 1 13
Anhang: Karl Kraus und Ungarn 1 39

Anmerkungen 149

5
EINLEITUNG

Ein für allemal bitte iah


zu glauben, da3 mich jene
schlecht kennen, die da
glauben, sie kennten mich
gut, und die, die's ihnen
glauben, nicht besser.
F 561, 1921, 47

Die Literaturwissenschaft der letzten Jahre befaßt

sich - anderen Zweigen der Gesellschaftswissenschaften

ähnlich - intensiv mit jenem eigentümlichen Komplex,

der sich an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in

Ostmitteleuropa (besonders aber im Staatsgebilde der

Österreichisch-Ungarischen Monarchie) herausbildete. Es

entstanden in dieser Region Parallelen, Ähnlichkeiten,

Gemeinsamkeiten, deren Existenz und Charakteristika den

Zeitgenossen kaum auffielen; eine historische Perspek¬

tive mußte zu ihrer Besprechung und entsprechenden

Deutung gewonnen werden.

Die vorliegende Arbeit möchte eine der ostmittel¬

europäischen Gemeinsamkeiten, die Existenz einer satiri

sehen Richtung in der Literatur der ersten Jahrzehnte

unseres Jahrhunderts aufzeigen und das Schaffen einer

der bedeutendsten Gestalten dieser Richtung analysieren

das heißt, ein möglichst umfassendes Bild über das

Lebenswerk des Wiener Satirikers Karl Kraus (1874-1936)

geben.

Das Kraussche Schaffen wurde bereits von mehreren

Seiten untersucht, so daß die vorliegende Studie auf

Erkenntnisse der wichtigsten Arbeiten (sowohl der vor-


wiegend essayistisch-subjektiven Aufsätze von Kraus Zeit

genossen als auch der hauptsächlich präzise-mikrophilolo¬

gischen Beobachtungen der letzten zwei Jahrzehnte) bauen

kann, in der Weise, daß sie sich auf allgemein Bekanntes

und Akzeptiertes nicht einläßt und Polemiken, die in der

Kraus-Literatur recht häufig sind, möglichst meidet,

damit die Untersuchung sich voll auf Aspekte im Zusammen¬

hang mit der ostmitteleuropäischen Satire von Kraus kon¬

zentrieren kann, also auf Aspekte, die von der bisheri¬

gen, für gemeinsame areale Realitäten - aus welchen Grün¬

den auch immer - kaum empfindlichen Forschung weitgehend

vernachlässigt werden.

Die Studie besteht aus fünf Kapiteln. Das erste will

die Spezifik der ostmitteleuropäischen satirischen Rich¬

tung darstellen; die folgenden drei schildern - im

wesentlichen chronologisch aufgebaut - die Entwicklungs¬

linie der schriftstellerischen Laufbahn von Karl Kraus;

-im fünften wird der vielleicht wichtigste Aspekt des

Krausschen satirischen Schaffens, die Frage der Sprache

untersucht. Der Anhang enthält die Darstellung der Be¬

ziehung Kraus und Ungarn.

Das Buch beruht auf einer von Antal Mädl betreuten,

1980 an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften ver¬

teidigten Dissertation zur Erlangung des Titels "Kandidat

der Literaturwissenschaft". Die in ungarischer Sprache

verfaßte umfangreiche Arbeit mußte hier wesentlich ge¬

kürzt werden, dafür konnten aber auch Ergebnisse neuerer

Untersuchungen in das endgültige Manuskript integriert

werden. Insgesamt spiegelt die Arbeit jedoch meine Litera

turauffassung vom Anfang der 80er Jahre wider. All jenen

die vor einem Jahrzehnt zu ihrer Entstehung und nun zur

Veröffentlichung beigetragen haben, sei an dieser Stelle


gedankt.^

8
I. OSTMITTELEUROPÄISCHE SATIRE
IM ERSTEN DRITTEL
DES 20, JAHRHUNDERTS

1.
Der Satiriker versteht näm¬
lich keinen Spaß.
F 360, 1912, 12

Es kann nicht Ziel der vorliegenden Arbeit sein, die

Lösung des seit Jahrhunderten von Ästheten und Literatur

kritikern umstrittenen Problems der Satire anzustreben;

sie kann dazu lediglich mit der Zusammenfassung einiger

Erkenntnisse beitragen, die sich ziemlich eindeutig aus

der Satirenforschung ergeben, sowie mit der Darstellung

einer satirischen Literaturrichtung im Ostmitteleuropa

des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts und mit der

Schilderung des Lebenswerkes von Karl Kraus, einem Autor

der eine der wichtigsten Persönlichkeiten dieser Rich¬

tung war.

Als Satire ist nach der maßgeblichen Fachliteratur

eine unter bestimmten gesellschaftlichen Umständen ent¬

stehende, die kritische Haltung des Schriftstellers zu

seinem Objekt klar - mit Hilfe des Humors - ausdrückende

Darstellungsweise zu verstehen. Satirisch sind Werke, in

denen diese Darstellungsweise dominiert, als Satiriker

bezeichnet man Schriftsteller, die sich größtenteils

- oder zumindest häufig - dieser Darstellungsweise be¬

dienen .

Als konstitutive Elemente der Entstehung der Satire

- von seiten des Autors her gesehen - bezeichnet man


i.a. das individuelle, das soziale und das ästhetische

Element: man versucht eine persönliche Irritation hin¬

sichtlich Erscheinungen des sozialen Lebens mit Hilfe

ästhetisch geltender Ausdrucksmöglichkeiten (im gegebenen


1
Falle in literarischen Werken) darzustellen.

Außer diesen, auf den Schöpfer der Satire bezogenen

Elementen beruht die Satire selbstverständlich auch auf

objektiv gegebenen Faktoren: auf den Widersprüchen der

Wirklichkeit. Alles in der objektiven Wirklichkeit ent¬

hält ja wie bekannt widersprüchliche Seiten, die einander

gleichzeitig ausschließen, durchdringen und bedingen.

Satire wird nun bei dazu neigenden Autoren durch sich

plötzlich entfaltende, einen bewußten oder unbewußten

Hang zum Anders-Erscheinen aufweisende Widersprüche ge¬

sellschaftlichen Charakters hervorgerufen. Diese Wider¬

sprüche existieren nicht isoliert, sondern sind aufs

engste verflochten mit allen anderen Widersprüchen einer

Erscheinung und überhaupt der gesamten Wirklichkeit. Auf

diese Weise kann Satire anhand scheinbar sekundärer Fra¬

gen grundlegende Probleme einer Epoche andeuten.

Die Satire, die demnach darauf beruht, daß Wider¬

sprüche der objektiven Wirklichkeit, die sich plötzlich

entfalten, entdeckt und - ausgehend von der gesellschafts¬

bezogenen Indignation des Autors - mit literarisch¬

ästhetischen Mitteln ausgedrückt werden, scheint zwei

grundlegende, gleichzeitig und gemeinsam wirkende Faktoren


zu haben: Kritik und Humor.

Unter Humor wird die Fähigkeit verstanden, das un¬

abhängig vom menschlichen Bewußtsein, objektiv existie¬

rende Komische zu entdecken bzw. entdecken zu lassen. In

jeder Gesellschaftsschicht findet man Menschen mit Gefühl

für Humor sowie "Spaßmacher", die auf die Existenz des

Komischen hinweisen können. Humor ist also ein allgemein

menschlicher Begriff und bezieht sich keinesfalls nur auf

10
das Künstlerische. Dabei kommt er auch in künstlerischen

Werken häufig vor, in manchen Gattungen (wie etwa Komödie

und Humoreske) dominiert er sogar. Ein humoristisches

Literaturwerk muß aber, um auch als Satire zu gelten,

unbedingt auch die kritische Komponente, entstanden aus

der Indignation gesellschaftlichen Charakters, enthalten.

Satirenforscher sind sich darüber einig, daß diese

Darstellungsmethode grundlegend militant und unbequem

für die Betroffenen ist. Satire gilt aber als eine be¬

sondere Form von Kritik, weil sie nicht unmittelbar,

sondern mit Einschaltung von Vermittlern angreift. Sie

erfaßt ihren Gegenstand nicht in seiner vollständigen

Ganzheit (wie etwa die wissenschaftliche Abstraktion),

sondern komprimiert ihn in sinnlich-konkrete Bilder; sie

betont nicht sein Vorhandensein, sondern die an dieses

Vorhandensein geknüpften Möglichkeiten. Ob nun diese

Möglichkeiten mehr oder weniger wahrscheinlich sind -

eine wichtige Eigenart der satirischen Darstellungsweise

ist, daß der Autor nicht ganz das sagt, was er meint.

Dies ist der Anknüpfungspunkt für den Rezipienten der

Satire. Es gehört ja zu seinen Aufgaben, die Satire zu

dekodieren, d.i. zu erkennen, was den Satiriker empörte.

Der Leser hat diesen Empörungsprozeß - wie ihn der Sa¬

tiriker hatte - sozusagen nachzuempfinden. Dieser vom

Autor indirekt gelenkte Erkennungsprozeß verfügt - nicht

zuletzt infolge dessen, daß er die Selbständigkeit des

Rezipienten scheinbar nicht antastet - über außerordent¬

liche Wirkungsmöglichkeiten.

In der indirekten Verfahrensweise des Satirikers sind

jedoch auch Gefahrenquellen verborgen. Da die Kritik ja

mit Hilfe des Humors ausgedrückt wird, kann das Unter¬

haltende, Amüsante die kritische Intention verdecken,

besonders dann, wenn mit der Zeit die Kenntnis aktueller

Elemente, die zur Dekodierung unerläßlich ist, für den

11
Leser nicht mehr unmittelbar gegeben ist. Auf diese Weise

konnten in späteren Epochen große satirische Schöpfungen

der Weltliteratur (Gulliver, Don Quichotte, Reinecke) für

Kinderbücher gehalten werden.


Nichts ist bezeichnender für den zeitkritischen Cha¬

rakter der Satire, als daß sich eine ganze Reihe von

persönlichen und institutioneilen Verteidigungsmitteln

gegen sie herausbildete. Es genügt ja zur Bezweiflung

der Gültigkeit der satirischen Leistung die Begrenzung

ihrer Wirkung auf einen ganz engen Raum, wobei man etwa

sagt, der Roman Tote Seelen sei eine bedeutende Satire

auf die russischen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts,

enthalte aber nichts Gültiges für andere Zeiten. Das

andere Extrem ist, wenn die Bedeutung der Satire als

allgemeingültig für alle Zeiten und Situationen betrach¬

tet wird. Die einfachste Verteidigungsform gegen Satire

ist das Außerachtlassen der Kritik. In diesem Falle kann

Satire als Humor, als harmlose Spielerei eines Geist¬

reichen abgetan werden (wie dies im Falle von Frigyes

Karinthy zu beobachten ist). Die andere Reduktionsrich¬

tung besteht darin, in der Satire nichts als die Nör¬

gelei eines unverbesserlichen und daher nicht ganz ernst

zu nehmenden Outsiders zu sehen.

Als Hauptarten werden die lachende und die strafende


2
Satire bezeichnet. In der ersten, die Horaz zum Ahnen

hat, dominiert von den beiden Hauptfaktoren der Satire

der Humor; in der zweiten, die meist auf Juvenal zurück¬

geführt wird, die Kritik. Der lachende Satiriker weist

(mit der Parole "delectare") wohlwollend, fast schon ver¬

ständnisvoll auf Fehler hin, der strafende (seine Parole

lautet "docere") ärgert sich offen, verspottet die

Fehler. Bei dem ersten kommt der Phantasie eine größere

Rolle zu als der Emotion. Der Mensch ist nach dem lachen¬

den Satiriker ein eigentlich gutes und zur richtigen

12
Handlungsweise bekehrbares Wesen; der strafende Satiriker

meint, Veränderungen zum Guten könnten nur mit Gewalt er¬


reicht werden.

Die Unterscheidung der beiden Gruppen macht in zu¬

gespitzter Form die bereits erwähnten Gefahren deutlich,

die dem Satirenschreiber und -rezipienten drohen. Die

lachende Satire kann ja, falls der kritische Kern nicht

stark genug ist, den Anschein von Witzelei als Selbst¬

zweck erwecken, ja sogar darin ausarten. Wird aber die

humoristische Intention abgeschwächt, so kann statt

strafender Satire bloße Kritik entstehen. Und wenn der

Autor nicht eine Möglichkeit ausdrückt, nicht auf der

Dekodiertätigkeit des Lesers basiert, sondern sozusagen

sich selbst an die strafende Arbeit macht, so entsteht

der andere Grenzbereich der Satire, die Polemik.

Die Satire wirkt auf den Leser durch die humoristisch

verschlüsselte Kritik negativer Erscheinungen, sie lenkt

die Aufmerksamkeit auf Anomalien; keineswegs will - oder

kann - sie sie unmittelbar verändern. Daher darf man an

den Satiriker nicht die Forderung stellen, daß er auf dem

fortschrittlichsten Standpunkt seiner Epoche zu stehen,

über eine völlig klare Idealvorstellung zu verfügen habe.

Man kann zweifelsohne nicht einmal kritisieren, wenn man

keine Ahnung vom Richtigen hat. Es genügt jedoch, wenn


"irgendeine Beziehung zwischen dem Ideal des Satirikers

und dem fortschrittlichsten Gedankengut seiner Zeit be¬

steht" (Eisberg), beispielsweise in der Form, daß er

- entgegen einer unvernünftigen Praxis - an den gesunden

Menschenverstand appelliert, daß er (mit Rabelais zu

sprechen) die "Physis" gegen die "Antiphysis" anruft. Das

Wesentliche an der Wirkung der Satire ist die humoristi¬

sche Kritik an negativen Erscheinungen; diese muß durch

den Satiriker entfaltet, thematisiert werden, während

seine Idealvorstellung lediglich angedeutet werden muß.

13
Die Satire wurde früher von vielen als Literaturgat¬

tung bezeichnet. In der Fachliteratur unserer Tage wird

demgegenüber betont, daß Satire eine Darstellungsweise

ist, die in einem Aphorismus von einer Zeile genauso gut

Platz finden kann wie in einem vielbändigen Roman, wo der

Autor auch die Möglichkeit hat, bestimmte Details oder

Figuren satirisch zu zeichnen, andere wiederum nicht.

Das bedeutet aber keinesfalls, daß in den Gattungsformen

der Satire ein Chaos herrsche. Wie mehrmals festgestellt,

erscheint die Satire im allgemeinen in der am stärksten

typischen, "modischen" Gattung einer Epoche: bei den

Griechen etwa in der Komödie und dem menippeischen "spu-

daiogeloion", bei den Römern in der "satira", im Mittel-

alter in Ritterepen, Sequentien, Vagantenliedern, in der

Renaissance u.a. in der Novelle; später dominierte die

repräsentative bürgerliche Gattung Roman, mit einer

Figur im Mittelpunkt, die - im wesentlichen als Sprecher

des Autors - die Episoden unterschiedlichen Charakters

und Inhalts zusammenhält und strukturiert; in unserer

Zeit ist es vielleicht die überliterarische Gattung des

Films.

Überblickt man kurz die satirischen Gattungen der das

Kraussche Schaffen unmittelbar vorbereitenden österreichi¬

schen Literatur, so kann man die Bestätigung obiger Fest¬

stellungen finden. So sehr die Dichter dem "habsburgi¬

schen Mythos" (Magris) auch nicht widerstehen konnten,

ihr Einverständnis, ihre Hingabe waren keineswegs un¬

beschränkt, sie schlug nicht selten in satirisches Ver¬

halten um; die stolzen Töne wurden nicht selten von kri¬

tischen, selbstkritischen Bemerkungen begleitet. Aber

auch die Kritik war von einer Art Bewunderung, Liebe

durchdrungen (als Beweis dafür, daß satirisches Verhal¬

ten eng verwandt mit dem bekannten Gefühl der Haßliebe

ist) , vor allem in der repräsentativen Gattung der ersten

14
Hälfte des 19. Jahrhunderts, in den Volksstücken

Nestroys, Raimunds und Bauernfelds. Eine ähnliche Situa¬

tion ergibt sich aber auch dann, wenn man die politische

Dichtung des Vormärz (besonders Werke von Anastasius Grün

und Karl Beck) untersucht, die für eine Weile sogar die

satirische Bedeutung des Volksstückes in den Hintergrund

drängte.

Von der zweiten Hälfte des Jahrhunderts an mußten

diese Gattungen der Presse weichen, die nicht weniger

geeignet erschien, die für den Satiriker unabdingbare

Wirklichkeitsnähe herzustellen. Nun wandte sich der

österreichische Satiriker in erster Linie nicht von der

Bühne aus an sein Publikum (obwohl satirische Tendenzen

selbst in der Wiener Operette zu entdecken sind), auch

nicht von der Kanzel her, wie der große Wiener Satiriker

Abraham a Sancta Clara am Ende des 17. Jahrhunderts,

sondern bediente sich des zur Alltagslektüre gewordenen

Feuilletons der Zeitungen. Es war der "Kneip-Feuil-

letonist" (Kürnberger), der dem Wiener Publikum von nun

an Satire lieferte.

2.

Ich will nur sagen: In den


Ländern, die einst unter
einer - wenn auch schlech¬
ten - Herrschaft zusammenge¬
hörten, sind selbst nach
Jahrhunderten gemeinsame
Geisteszüge oder deren Spuren
zu finden. ^
Karel Capek

In seiner Einführung zur Kritik der Hegelschen

Rechtsphilosophie weist Karl Marx auf jene Zusammenhänge

hin, die sich einerseits daraus ergeben, daß die Grund-

15
läge der Satire in den Widersprüchen der objektiven
Wirklichkeit enthalten ist, andererseits daraus, daß die

Entwicklung der Menschheit durch Widersprüche, die zu

Zeiten großer historischer Wenden kulminieren, vor sich

geht: "Die Geschichte ist gründlich und macht viele

Phasen durch, wenn sie eine alte Gestalt zu Grabe trägt.

Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist

ihre Komödie. Die Götter Griechenlands, die schon einmal

tragisch zu Tode verwundet waren im gefesselten Pro¬

metheus des Äschylus, mußten noch einmal komisch sterben

in den Gesprächen Lucians. Warum dieser Gang der Ge¬

schichte? Damit die Menschheit heiter von ihrer Ver-


4
gangenheit scheide."
Diese 1844 entstandenen Zeilen beleuchten - bei aller

Fragwürdigkeit der Formulierung - die Entwicklungsum¬

stände der zeitgebundenen Satire und weisen auf die Situ¬

ation vor den 1 848er Revolutionen hin, auf eine Situation, in

der sich die inneren Widersprüche außerordentlich zu¬

spitzten und dadurch die Entstehung der Satire begünstig¬

ten.^ Aus Marx' Epoche sind auch zahlreiche satirische

Werke bekannt von Deutschen (Heine, Weerth, Freiligrath,

Gutzkow, Büchner, Börne), Österreichern (Anastasius Grün,

Karl Beck, Lenau, Nestroy, Raimund) und solchen ost-

mitteleux^päischen Dichtern, wie dem Ungarn Sändor

Petöfi, dem Tschechen Karel Havlicek-Borovsky, den Serben

Jovan Storija Popovic und Branko Radiievii.

Es ist mit vielen weiteren Beispielen zu belegen,

daß die Satire sich an Schnittpunkten geschichtlicher

Entwicklung besonders stark entwickelt und bleibende

literarische und historische Werte zustande bringt. So

war es in der Epoche des Zerfalls des Römischen Reiches,

in der italienischen Frührenaissance, im Frankreich der

zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, während der engli-

16
sehen und französischen Aufklärung, während der revolu¬

tionären Stimmung des Rußlands der 1860er Jahre usw/J

Eine Kulminationszeit, die der Entstehung der Satire


sehr förderlich war, bildeten die letzten beiden Jahr¬

zehnte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, charak¬

terisiert durch die Vorahnung des Zerfalls, durch eine

Vielzahl von inneren Widersprüchen. Diese Situation löste

bei einer Schriftstellergeneration in der Monarchie bzw.

in ihrer unmittelbaren Umgebung, in Ostmitteleuropa um

die Jahrhundertwende ähnliche Reaktionen aus. Die in

der Gesellschaft schwelende Unzufriedenheit und Empörung

wurde in ihren Werken - auch mangels Möglichkeiten,

direkt zu handeln - durch Satire ausgedrückt.

Die für das Schaffen dieser Autoren bezeichnenden

Elemente sind nicht ausschließlich im gegebenen Zeitalter

und Milieu zu beobachten - es ist aber kaum als Zufall

anzusehen, daß diese Gemeinsamkeiten bei ihnen in konzen¬

trierter Form auftreten, was vielleicht dazu berechtigt,

von der Existenz einer ostmitteleuropäischen satirischen

Richtung im ersten Drittel unseres Jahrhunderts zu

sprechen, deren Verwandtschaft folgende Schichten auf¬

weist: Themenwahl und Gegenstand der Werke, "vereinbarte

Zeichen", typische Schablonen, Topoi, "Lösung", Ab¬

wicklung der gewählten Themen, formale bzw. gattungs¬

mäßige Spezifika, Weltanschauung der Autoren, Anwendung


7
von Sprache und Stilmitteln.

Die erste Schicht bilden Themenwahl und Gegenstand

der Werke, die in diesem Falle schwer von "vereinbarten

Zeichen", typischen Schablonen, Topoi zu trennen sind.

Umfassende gesellschaftliche Fragen stehen ebensowenig im

Blickfeld der Satiriker wie die Tagespolitik. In Kälmän

Mikszäths Neuer ZrinyacLe und Radoje Domanovics Marko

Kraljevic wieder in Serbien wird zwar versucht, die Fort¬

führung heroischer nationaler Traditionen kritisch zu

17
untersuchen; es werden etliche scharfe Bemerkungen über

die "elastischen Schritte" Franz Josephs gemacht

- charakteristisch für die Entwicklungstendenz der sa¬

tirischen Literatur der Epoche sind jedoch kleine, all¬

tägliche, oft scheinbar unbedeutende Konflikte, morali¬

sche Fragen, die vor allem den Stadtbewohner betreffen.

Bestimmend im Leben dieses Bürgers war das Kaffee¬

haus. An diesem Sammelort fand man gleichzeitig Isola¬

tion und Gemeinschaft, hier meldeten sich - mit unter¬

schiedlicher Stärke - Konflikte des einzelnen. In die¬

sem Kreis orientierte man sich über Tendenzen der Welt:

über Moden, geistige Neuigkeiten, Theater, Sport, Psycho¬

analyse usw. Es kam alles zur Sprache, was den Alltag

des Bürgers erschwerte, Nepotismus, Korruption, Verkehr,

Telefon usw., die sogar menschliche Gefühle durchdrin-


Q
gende Bürokratie. All dies war eine Fundgrube für Sati¬

riker. Immer wieder wurde von ihnen beispielsweise die

veraltete, unmöglich gewordene Justiz angeprangert, die

- wie HaSek zeigt - aufgrund einer falsch verstandenen

Akte statt eines Katers einen Menschen vernichtet, und

- dies ist aus der Szene des Bosniers Peter Kocic Der

Dachs vor dem Gericht zu erfahren - einen Dachs wegen

Plünderung von Korn zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt.

Dieser Apparat hilft beim Verwischen der Sünden Reicher,

erkennt Rechte der Persönlichkeit nicht an und führt un¬

sichtbare, unfaßbare, "kafkaeske" Prozesse. Auch die

Armee, der Stolz der Doppelmonarchie, ihre typischste

Institution, bleibt nicht unerwähnt. Nicht nur jene

äußern sich über sie ablehnend, die ihre Praktiken am

eigenen Leibe erfahren, wie Hasek, KrleSa, Musil, Kisch

und der Rumäne Liviu Rebreanu, sondern auch scheinbar

Außenstehende wie Frigyes Karinthy.

Formen institutionalisierter Meinungsgestaltung

- Schule, Presse, Werbung - bilden oft den Gegenstand

18
satirischer Angriffe. Haäek und Kisch entlarven die

zwielichtige Moral in der Schule, aber auch das Karinthy-

sche Bitte, Herr Lehrer entbehrt nicht kritischer Momente

hinsichtlich dessen, daß selbst die Gedankenwelt der Kin¬

der vergiftet wird. HaSek bezeichnet die Presse mehrfach


als "Hure", in einer Parabel Karinthys wird durch Aus¬

pressen des Poetenhirns die Zeitung gemacht; selbst dem

hemmungslosen Helden der Erzählung Ein politischer

Märtyrer des Serben Stevan Sremac werden die Zeitungs¬

praktiken zu viel. Auch auf die Werbung, die in diesen

Jahren sprunghaft an Einfluß gewinnt, wird man auf¬

merksam. Anna Csillag, eine monarchieweit bekannte

Reklamefigur für Haarwuchsmittel taucht beispielsweise

bei mehreren Zeitgenossen auf, mal in tadelnder Form

(Kraus), mal bekennt man sich überschwenglich zu ihr,

wie der Pole Bruno Schulz.

Bei der Konzentration auf solche kleineren Erschei¬

nungen des Lebens wird auch der Frage Aufmerksamkeit ge¬

schenkt, in welche Richtung sich die Epoche entwickelt,

und warum gerade so. Bei der Suche nach der Erklärung

wenden sich die Satiriker nicht tatsächlichen gesell¬

schaftlich-wirtschaftlichen Zusammenhängen, sondern z. B.

der Entwicklung der Technik oder der Frauenfrage zu. Wird

über Arthur Schnitzler behauptet, daß die einzige soziale

Frage für ihn das Problem Mann - Frau sei, so könnte dies

fast auf die gesamte ostmitteleuropäische satirische Li¬

teratur bezogen werden, wo - nach Weininger-Strindberg-

schem Muster - darin der Stein der Weisen vermutet wird;

sei es, daß die Frau als absolute Verwirklichung der

Natur betrachtet und gefeiert wird (wie etwa bei Peter

Altenberg, der selbst in der letzten Prostituierten eine

Gottheit sieht), sei es, daß man in ihr das Verführeri¬

sche, Böse sieht (wie bei Hasek, Kafka, KrleSa, dem

Triestiner Italo Svevo oder bei Frigyes Karinthy, der

19
alles gesellschaftlich Negative in den Frauenfiguren zu

komprimieren weiß).
Sieht man die Satiriker infolge ihrer momentanen Lage

auch mal an der Seite dieser oder jener zeitgenössischen

Partei, so kann man doch beobachten, daß sie eigentlich

(kaum abhängig von geographischen und gesellschaftlichen

Faktoren) von denselben Sorgen bewegt wurden. Ihre An¬

sicht war stets von starker Subjektivität durchdrungen,

lebhafte emotionale Aufladung, Indignation waren selbst

dann in ihren Werken zu entdecken, wenn sie sie - auf

Kafkas Weise - zu verbergen suchten. Dies ist aber schon

die Schicht der Verwandtschaft in der ostmitteleuropäi¬

schen satirischen Richtung, wie die Autoren die gewählten

Themen bewältigen bzw. weiterführen.

Es werden regelmäßig anekdotenhafte, nicht besonders

komplizierte Geschichten aufgegriffen, so daß für die

Arbeiten nicht umfangreiches, auf Objektivität zielendes

Erzählen charakteristisch ist, sondern die pure Reaktion

auf die Ausgangssituation und die damit eng zusammen¬

hängenden Fragen. Aufgrund der traditionellen Verfahrens¬

weise der Satire wird nicht ganz offen ausgesprochen,

womit der Autor unzufrieden ist, aber der Leser braucht

nicht viel Phantasie zur Dekodierung der Aussagen. Sagte

Domanovic Stradija (d.i. Leidensland), so wußten seine

Leser gut, daß er Serbien meinte; lasen die Zeitgenossen

die heute eventuell nebelhaft, phantastisch erscheinenden

Beschreibungen Kafkas, so lachten sie über die immer wie¬

der auftauchenden Elemente der Prager Wirklichkeit; die

römischen Spitzel in Haseks Erzählung erinnerten jeden

Leser an die schwarz-gelben Spitzel in den Prager Knei¬

pen. Der Tierkult dieser Literatur (besonders der Hund

stand hoch in Ehren) war berufen, den Mangel an Menschen¬

kult, an Humanität aufzuzeigen; die (etwa bei Capek und

Karinthy oft erstaunlich parallel heraufbeschworenen)

20
historischen Figuren sollten bei der Bewältigung der

Gegenwart behilflich sein.

Zur Abschwächung ihrer klaren Subjektivität, zur Er-

höhung des Wirkungsgrades der Werke wurde durch ost¬

mitteleuropäische Satiriker die sog. "persona" verwendet,

jene Vermittlerfigur, die sozusagen die Pflicht hat, die

im Werk dargestellte Alltagswirklichkeit von außen, kri¬

tisch, anders zu sehen. Karinthy und der Slowene Ivan

Cankar lassen Kinder die Welt betrachten, Capek und Ka¬

rinthy rufen den Urmenschen, Kafka und Domanovic den an¬

scheinend neutralen Reisenden zu Hilfe, bei Karinthy er¬

scheint sogar der Urahne aller Reisesatiren, Gulliver.

Eine gattungsmäßige Gemeinsamkeit ist bei den ost¬

mitteleuropäischen Satirikern ebenfalls zu beobachten.

Diese Schicht der Zusammengehörigkeit zeigt sich vor

allem in der Bevorzugung kurzer, feuilletonistischer

Gattungen. Die satirische Spannung, die auf langer

Strecke schwer aufrechtzuerhalten wäre (was sich aus dem

Eruptivcharakter der Komik ergibt), kann in kurzen, für

die Presse bestimmten Arbeiten leichter erreicht und

beibehalten werden.

Durch den außerordentlichen Aufschwung der Presse

eröffnete sich ein weiter Spielraum für eine dem Leser

meist leicht faßbares Material bietende Legierung von

Journalistik und Belletristik. Wie der Wert einzelner Ar¬

beiten, so war auch die Wahl der Gattung im engeren Sinne

unterschiedlich; es hing von den konkreten Umständen, den

persönlichen Veranlagungen des Autors ab, ob etwa Essay,

Aphorismus, kurze Erzählung, Szene, Dialog, Glosse ge¬

schrieben wurde. (Es ist allerdings nie Zufallssache.

Karinthy, der klassische Vertreter lachender Satire,

sucht z. B. seine immer wieder nach außen strebende Kri¬

tik bewußt in Humoresken zu verstecken.)

21
Die satirischen Werke der ersten Jahrzehnte des 20.

Jahrhunderts scheinen überhaupt geeignet zu sein, der

Literaturtheorie reichhaltigen Stoff zur Erforschung der

Beziehungen zwischen Belletristik und Publizistik zu

liefern.
Eine weitere Schicht der schriftstellerischen Ver¬

wandtschaft bedeutete die Art der Weltanschauung, auf¬

grund der satirische Werke entstehen. Die "Haßliebe" zur

Umwelt ist bei diesen Autoren von bestimmendem Charakter;

sie können sich weder anpassen noch aus der unmittelbaren

Umgebung ausbrechen. Karl Kraus will nach Berlin, Ka-

rinthy nach Wien ziehen, und doch entscheiden sie sich

nicht dazu; Kafka und Svevo bleiben unauffällige Beamte,

Schulz Zeichenlehrer in einer Kleinstadt; das unstete

Leben Jaroslav HaSeks verkörpert nur äußerliche Versuche

zum Ausbrechen.

Die Ratlosigkeit im persönlichen Leben, die Unfähig¬

keit zur Wahl bestimmt die ganze schriftstellerische Be¬

trachtungsweise der Satiriker. So sehr sie die Umstände

auch angreifen, sie können sich statt ihrer eigentlich

nichts vorstellen. Sie sehen, daß es Ausbeutung, Lüge,

Unterdrückung gibt, aber es fällt ihnen nicht ein, dagegen

zu kämpfen. Dabei haben sie mehr oder minder intensive

Beziehungen zu fortschrittlichen Ansichten der Epoche:

Kafka, Karinthy und Branislav Nusic setzen sich mit sozia¬

listischen Ideen auseinander, Cankar tritt sogar in die

sozialistische Partei Sloweniens ein, Hasek und der

Slowake Josef Gregor-Tajovsky redigieren radikale

Blätter; und doch stehen sie zu diesem Gedankengut nicht

anders als Emilio Brentani (der Held in Italo Svevos

Senilitd), der in der Jugend zwar "mit sozialistischen

Ideen liebäugelte, ohne den kleinen Finger für ihre Ver¬

wirklichung zu krümmen", später aber selbst dies unter¬


ließ .

22
Sie gehören so sehr zur kritisierten Welt, daß deren

Ende zur Schwächung der Satire führt, etwa bei Domanovic,

dessen satirische Periode nach dem Sturz der verhaßten

Obrenovic-Dynastie nicht mehr fortsetzbar ist, oder bei


Frigyes Karinthy, der nach dem Zerfall der Monarchie

seinen neuen Platz im Literaturleben nur unter Schwierig¬

keiten finden konnte.

In den ostmitteleuropäischen satirischen Werken ist

es nicht selten so, daß die Ereignisse ein tragisches

Ende nehmen. Die k.u.k. Militärgeschichten Rebreanus

münden - nach Mikszäthschem Muster - nach gemütlichem

Anfang und satirisch-beißendem Mittelstück in einem tra¬

gischen Abschluß. Schreckliches bildet bei Karinthy,

HaSek, Kafka oder Schulz eine natürliche Komponente der


satirisch dargestellten Wirklichkeit.

Als letzte Schicht der literarischen Verwandtschaft

ostmitteleuropäischer Satiriker müssen die Sprache, der

Stil erwähnt werden. Die Gattungszusammengehörigkeit wirkt

dabei bestimmend. In einem Feuilleton mit begrenztem

Umfang gibt es keinen Platz für Dekoration, lange Wort¬

gruppen u.ä., alles muß kurz und bündig, frappant konzi¬

piert werden. Das geht bei den Satirikern gelegentlich

so weit, daß einige von ihnen (MuSic, Karinthy, Kraus)

wohl nicht ganz unberechtigt der übermäßigen Verwendung

von Wortspielen bezichtigt werden.

Mit besonderer Aufmerksamkeit wird der Alltagssprach¬

gebrauch untersucht, seine neuen Elemente fließen in die

Literatur ein; so werden z.B. einzelne Stellen des ge¬

schraubten offiziellen Sprachgebrauchs nachgeahmt oder

zitiert. Der wirklichkeitsnahe Stil von HaSek und Svevo

war für viele ihrer Kritiker schwer zu fassen, und es ist

als Beispiel für die innere Strukturierung der ostmittel¬

europäischen Satire anzusehen, daß der Budapester Karin-

23
thy ein Klassiker der Parodie, der Wiener Karl Kraus da¬

gegen ein ausgezeichneter Verwender des Zitats war.

Die Begegnung mit der vielsprachigen Wirklichkeit der

Monarchie war für diese Schriftstellergeneration ein de¬

finitives intellektuelles Erlebnis, ob sie dies zugeben

oder nicht. Die ständige Konfrontation mit der deutschen

Sprache, der "Koine" des Vielvölkerstaates, ist in ihren

Werken ebenfalls nachweisbar. In der Redeweise des Pester

Bürgertums (geschildert durch Karinthy) sind Elemente des

Deutschen ebenso häufig anzutreffen wie bei ausgedienten

Soldaten in Werken von Hasek und Krleza. Der Pole Schulz

und der Rumäne Rebreanu versuchen sich sogar in deutscher

Sprache (letzterer auch in ungarischer). Es liegt auf der

Hand, daß diejenigen, die am meisten von der Sprachen¬

frage betroffen waren, die deutschsprachigen Autoren der

Doppelmonarchie, der Sprache eine besondere Bedeutung

zumaßen, was ihre zentrale Rolle bei Kraus besonders

schön verdeutlicht.
Die Existenz der ostmitteleuropäischen satirischen

Richtung war eng mit der geschichtlich-gesellschaftlichen

Realität der Epoche verknüpft, so sind als ihre "Blüte¬

zeit" die ersten beiden Jahrzehnte unseres Jahrhunderts

anzusehen. Die völlig neue Konstellation nach Kriegsende

und dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie

konnte die gemeinsame dichterische Mentalität nicht

plötzlich verwischen. Die Neuheit bestand lediglich

darin, daß man nun einem geschlossenen Ganzen, der Tota¬

lität einer vergangenen Welt gegenüberstand, es mußte

also eine umfassende Antwort auf die Frage gegeben

werden, wie die ersten beiden Jahrzehnte des Jahrhunderts

in Ostmitteleuropa waren. Großangelegte Abrechnungen

folgten von den Autoren, die ihr satirisches Können schon

in den Jahren des Zerfalls unter Beweis gestellt hatten.

Diese Werke weisen - trotz großen Umfangs - Züge der

24
früheren kurzen Arbeiten auf: Sie bestehen aus locker zu¬

sammenhängenden Szenen, in sich stimmigen Bildern, sind

nicht selten unabgeschlossen oder könnten ad infinitum


weitergeführt werden.

Karl Kraus ist mit seinem monumentalen Drama Die

letzten Tage der Menschheit der erste, der den Versuch

unternimmt, eine kritische Bilanz der letzten Jahre zu

ziehen. Weitgehend verwandt in der kritischen Intention


ist damit HaSeks Schwe jk. KrleSa gibt in dem Zyklus Glembay

einen satirischen Überblick über die Monarchie, Musil baut

seinen Mann ohne Eigenschaften, das umfassende Bild der

vergangenen Welt, systematisch auf. Italo Svevo, der

Autor von Das Bewußtsein Zenos ist, worauf Magris hinweist,

als Enzyklopädist aufzufassen, ebenso wie Frigyes Karinthy,


dessen Große Enzyklopädie einen (an die Sprachphilosophen

erinnernden) Versuch zur Schaffung einer Idealsprache

darstellen soll. Dezsö Kosztolänyi fand in den 20er-30er


Jahren — ebenso wie Karl Kraus - in dem Dienst an einer
gegebenen Sprache und an Shakespeare einen Ausweg (Cankar

war auch Shakespeare-Ubersetzer). Bruno Schulz flüchtete

- in diametralem Gegensatz zu dem von ihm geehrten


Kafka - zum Vater, bis ins Mythologische vergrößert; für

Joseph Roth galt die in der Person von Kaiser Franz Joseph

konkretisierte Vaterfigur als Stütze. In den postmonar¬

chischen Arbeiten von Franz Werfel und Stefan Zweig werden

satirische Töne durch die nostalgische Liebe zur Vergangen¬

heit fast völlig verdrängt; Rebreanu, Gregor-Tajovsky,

Cankar und andere beurteilen die Ereignisse der nahen

Vergangenheit, indem sie vorwiegend von Erfordernissen

der neuen Realität ausgehen. Kaum einen unter den Ver¬

tretern der satirischen Richtung gab es jedoch, der sich

mit der Wirksamkeit und Offenheit eines Karel £apek dem

Wahnsinn des Faschismus widersetzen konnte.

25
Sind die Grenzen des hier vorgestellten ostmittel¬

europäischen satirischen Kontextes auch nicht zu gro߬

zügig abzustecken, so verdient doch Erwähnung, daß

u.a. darin das Schaffen von so unterschiedlichen Bühnen¬

autoren der Mitte unseres Jahrhunderts wurzelt, wie

Ionesco - der den ungarischen Leser wohl nicht ganz zu¬

fällig an Frigyes Karinthy erinnert -, Gombrowicz, der

hinsichtlich des "monumentalen Idiotismus" der Operette

fast wortwörtlich Karl Kraus' Beweisführung wiederholt,

und ödön von Horväth, der die zur Operettenidylle ver¬

feinerte, aus sprachlichen Klischees aufgebaute Welt des

Kleinbürgers "demaskiert". Der satirische Grundton ist in

den ostmitteleuropäischen Literaturen heute noch zu ent¬

decken, etwa in den anekdotenhaften Geschichten des

Ungarn György Moldova und des Tschechen Bohumil Hrabal,

dem Werk der Österreicher Helmut Qualtinger, Peter Handke

und Ernst Jandl, ja sogar bei Isaac Bashevis Singer sind

entsprechende Züge zu finden.

Die vollständige wissenschaftliche Erforschung dieser

satirischen Richtung, entstanden im Ostmitteleuropa des

ersten Drittels des 20. Jahrhunderts, bedarf einer langen

Forschungsarbeit, des Zusammenwirkens von Kennern aller

Sprachen und Literaturen dieses Gebietes, zwei- und mehr¬

seitiger Vergleiche zwischen einzelnen Lebenswerken und

Schöpfungen, der gründlichen Analyse der Tätigkeit der

Größten der Richtung, vielleicht die imaginäre Spirale

entlang, die durch die geographischen Orte gekennzeichnet

wird, wo der Budapester Frigyes Karinthy, der Wiener Karl

Kraus, der Prager Deutsche Franz Kafka und der Tscheche

Jaroslav Ha£ek, der Pole Bruno Schulz, der Slowake Josef

Gregor-Tajovsky, der Rumäne Liviu Rebreanu, der Serbe

Radoje Domanovic, der Kroate Miroslav Krleza, der Slowene

Ivan Cankar und der Italiener Italo Svevo lebten und


schufen.

26
3.

So lebt man dahin auf dem


schmalen Pfad, der von immer
demselben Schreibtisch in
immer dasselbe Lokal führt
[•••]•
F 305, 1910, 57

Die oben dargestellte schriftstellerische Verwandt¬

schaft der ostmitteleuropäischen Satiriker kann man auch

reichlich mit Textbeispielen belegen. Im folgenden seien

drei satirische Kaffeehausgeschichten verglichen, von

einem deutsch-österreichischen, einem tschechischen und

einem ungarischen Autor.

Von Karl Kraus soll Der Biberpelz (F 305, 1910,

57-63) untersucht werden, eine (auch in seinen Vorlesun¬

gen immer wieder mit Erfolg vorgetragene) Geschichte

darüber, daß dem Erzähler im Kaffeehaus der Mantel ge¬

stohlen wurde. Von da an gerät er in den Mittelpunkt der

allgemeinen Aufmerksamkeit, sein Fall bietet dem Publikum

einen unerschöpflichen Gesprächsstoff, ganz bis zu dem

Tage, da er ein neues Buch herausgibt; dann wird man

nämlich wieder von ihm schweigen.

Die ebenfalls um 1910 entstandene Haäek-Geschichte


9
Die Schicksale eines geselligen Menschen fängt so an:

"Die Alten definierten den Menschen als ein geselliges

Tier. Falls ich mich nicht irre - ich habe wirklich schon

sehr viel von meinem Griechisch vergessen! - nannte man

den unglückseligen Menschen 'zoon politikon'. Das er¬

klärt, warum ich gern mit den Leuten plaudere, die ich

zum ersten Mal im Leben sehe, warum ich mich in ihr Ge¬

spräch mische und mich ungeachtet ihres Protests bemühe,

mit ihnen freundliche Kontakte anzuknüpfen." Danach be¬

schreibt der Erzähler einige seiner selbstverständlich

mißlungenen Versuche, Gesprächspartner zu finden.

27
10
Karinthys Feuilleton Halandscha , das ursprünglich

1913 im Band Budapests emlek erschien, schildert eine

Kaffeehausszene, in der ein junger Mann andere Gäste

durch unverständliche Sätze (zum Beispiel: "Entschuldigen

Sie bitte, wollen Sie dem Kellner den kufigen Schoder

bezingeln, ich meine, von mir?") unsicher macht, um sie

dann im geeigneten Moment um Geld anzupumpen. Mit dem von

Karinthy eingeführten Wort "Halandscha" wird in der unga¬

rischen Sprache bis zum heutigen Tag jede Art Kauder¬

welsch bezeichnet.
Als zentrales Thema der drei Feuilletons gilt die

Frage der Kommunikation, eines der meistdiskutierten

Probleme der Zeit. Der Aspekt, von dem aus Karl Kraus,

Jaroslav Haäek und Frigyes Karinthy Sprache hier betrach¬

ten, ist ein durchaus alltäglicher. Selbst im Kaffeehaus,

wo die Menschen - ob in Wien, Prag oder Budapest - Zusam¬

menkommen, um die bedrohten menschlichen Bindungen ir¬

gendwie noch zu retten, selbst dort erweist sich die

Sprache als ungeeignet zur echten, wirksamen Kommunika¬

tion. Die von Kraus beobachteten Wiener reden aneinander

vorbei, und was sie auch sagen, entbehrt des informativen

Wertes. Hasek macht dieselbe Entdeckung, nur daß all dies

bei ihm aus dem Blickwinkel eines Schwätzers dargestellt

wird. Karinthy beschreibt einen vielleicht noch schlimme¬

ren, wenn auch zweifelsohne humoristisch auffaßbaren

Fall, den bereits bewußten Mißbrauch der Sprache. Doch

wird die Kommunikationskrise bei den drei Autoren nicht

gleichmäßig beurteilt. Das ergibt sich schon daraus, wie

sie den Konflikt exponieren. Der Wiener Satiriker verur¬

teilt schlicht und einfach alle, die zur echten Kommuni¬

kation nicht fähig sind; der Prager macht sie - samt Er¬

zähler - lächerlich, während Karinthys Held, der selbst

Opfer des Betrügers wurde, nach anfänglicher Resignation

den Versuch unternimmt, mit der Halandsgha-Sprache zu

28
leben, sie zu guten Zwecken einzusetzen. Für Karl Kraus

ist auch hier, wie in seinen Schaffen überhaupt, die ex¬

klusive Kritik typisch, während aei den beiden anderen

Autoren die inklusive - also das eigene Ich in die Kritik

einbeziehende - Betrachtungsweise dominiert. Von den

beiden großen konstitutiven Elementen der Satire wird bei

ihnen (im Gegensatz zu Kraus, bei dem die Kritik vor¬

herrscht) der Humor stärker akzentuiert.

Als wichtige Gemeinsamkeit der drei Geschichten ist

festzuhalten, und das führt schon zu den gattungsmäßigen

Parallelen, daß sie weitgehend persönlich abgefaßt, in

der ersten Person Singular erzählt werden, fast, als wenn

es sich um eine Story handelte, die - mit mehr oder

minder autoritärem Unterton, aber eindeutig spöttisch -

am Kaffehaustisch, im Kreise von gleichgesinnten guten

Bekannten zum besten gegeben wird. (Dies ist ja zugleich

einer der wichtigsten Charakterzüge des Feuilletons,

dieser zeittypischen Gattung an der Grenze zwischen Lite¬

ratur und Presse.) Sie sind ausschließlich auf das

Wesentliche konzentriert, nämlich auf die knappe Ent¬

faltung einer einzigen Situation und ihrer unmittelbaren

Folgen. Es fehlt jede Detailbeschreibung. Selbst über die

Erzähler der Geschichten - die, wie bereits angedeutet,

nicht identisch mit den Autoren sind, obwohl der Leser

gern geneigt wäre, dies anzunehmen - erfahren wir keine

Einzelheiten. Jeweils eine einzige Eigenschaft von ihnen

steht im Vordergrund: die alles verachtende, an Über¬

heblichkeit grenzende Selbstsicherheit im Biberpelz, die

fast schon manierierte Unsicherheit in der HalancLscha

sowie die dumm-unbegründete Selbstsicherheit des


Schwätzers in den Schicksalen.

Selbstverständlich treten auch im Aufbau der drei

Feuilletons individuelle Eigenschaften der Autoren klar

zutage. Die strengste Ordnung herrscht - wie könnte es

29
auch anders sein - in der Geschichte von Karl Kraus. Sie

besteht aus drei Absätzen, die gleichsam als Prolog,

Handlung und Epilog im Textbuch zu einer Offenbachschen

Operette aufgefaßt werden könnten, und sogar die Handlung

selbst ist streng in drei - durch kurze Zwischenspiele

voneinander getrennte - Aufzüge zu teilen: Die Situation

im Kaffeehaus unmittelbar nach dem Diebstahl; neue Unan¬

nehmlichkeiten für den Erzähler, der nach einer gewissen

Zeit wieder ins Kaffeehaus kommt; und schließlich die

sogar nach mehreren Wochen nicht nachlassende Intensität

der Beschäftigung des Publikums mit dem gestohlenen Pelz.

In der Erzählung HaSeks, die aus dem lockeren Nach¬

einander von etwa einem Dutzend kurzen Geschichten be¬

steht, ist jene unerschöpfliche Fabulierlust zu beobach¬

ten, die auch den Schwejk charakterisiert. Zwei längere

dieser Stories illustrieren das Scheitern der Konversa¬

tionsversuche des "zoon politikon" besonders deutlich. Zu¬

nächst setzt er sich zu einer Kaffeehausgesellschaft, die

aber keine Neigung zeigt, seine aufdringliche Art der

Geselligkeit zu akzeptieren, und da er nicht lockerläßt,

wird er hinausgeworfen. Dann verwickelt er sich in ein

Gespräch mit einer Frau, durch die selbst er, der schier

unerreichbare Schwätzer, übertroffen und - dem Helden Ka-

rinthys ähnlich - an der Nase herumgeführt wird.

Halandscha ist als ein einziges Pulsieren, als

ständiger Wechsel zwischen zwei Polen aufzufassen. Aus

dem Munde des Fremden fließen und fließen die unverständ¬

lichen Sätze, und der Erzähler versucht immer verzwei¬

felter einen Halt zu finden, bis er sozusagen erlöst wird

durch die Erkenntnis, der Mann brauche ja nichts als fünf

Kronen. Die zweite Phase der Geschichte, Das siegreiche


11
Halandscha (möglicherweise aus einfachen materiellen

Überlegungen des stets unter Geldnot Leidenden als

selbständiges Feuilleton erschienen), schildert dann die

30
bis ins Phantastische gehenden Bemühungen des kompromi߬

bereiten Erzählers um positive Verwendung der Halandscha-

Sprache, zum Beispiel zur Frie'densstiftung in der inter¬

nationalen Politik, denn auf eine unverständliche

Kriegserklärung kann man eben nicht mit Mobilmachung ant¬

worten .

Betrachtet man den Stil der drei satirischen Arbei¬

ten, so dominiert die gedrängte, frappante Formulierung;'

Attribute findet man kaum, Dekoratives bleibt weitgehend

ausgespart. Auch in dieser Hinsicht weisen die Geschich¬

ten also auf die damaligen Kaffeehausunterhaltungen und

die von ihnen untrennbaren Feuilletons hin. Karinthy und

HaSek verwenden zur Belebung der Geschichte mehrere

Dialoge, und sogar bei Kraus (dessen Schaffen ja sonst

weitgehend monologischen Charakters ist) begegnet man

kurzen Zwiegesprächen. Die Dialoge beruhen - und das ist

auch nicht unabhängig von der damaligen sprachlichen Ent¬

wicklung zu verstehen - fast ausschließlich auf dem All¬

tagsstil. Umgangssprachliche Elemente, die Anfang unseres

Jahrhunderts Einzug in die Literatur hielten, beherrschen

die Texte. Bei Kraus erscheinen beispielsweise: "Echter

Biber, sag ich Ihnen!" - "Und ich sag Ihnen, Nerz!" -

"Er hat ihn effektiv nicht gekriegt." - "A gebrenntes

Kind fürchtet das Feuer!" - "Verkühlns Ihna nur net." -

" Ja, durch Schaden wird man klug." - "Wann i nur amal

so einen derwischen könnt, den -!"


Dabei ist natürlich keiner der Autoren ein einfacher

Kopierer von beobachteten Wirklichkeitssegmenten. Dies

ist allein schon an der routinierten Titelgebung zu er-

Kennen. Haäek wählt einen Titel, der, gerade, weil er

seriös anmutet, die Aufmerksamkeit des sensationslüster¬

nen Lesers fesselt. Karinthy verwendet dieselbe Methode

wie der Hochstapler im Kaffeehaus, indem er einen für

seine Zeitgenossen unverständlichen Ausdruck als Titel

31
angibt. Kraus spielt - wie auch sonst so oft - mit einem

Zitat. Man könnte ja durchaus annehmen (und bis zu einem

gewissen Grade stimmt es auch), der Titel verberge einen

Hinweis auf Gerhart Hauptmanns damals vieldiskutierte

"Diebeskomödie" Der Biberpelz.

Die parallelen Züge der drei Feuilletons ergeben sich

nicht nur aus dem ähnlich erfaßten Grundkonflikt, der

gattungsmäßigen Verwandtschaft und den unmittelbaren Pa¬

rallelen des satirischen Stils, sondern auch daraus, daß

die Schriftsteller mehrere zeittypische Motive verwenden.

Im Mittelpunkt der Geschehnisse steht jeweils das Kaffee¬

haus, wobei Halek die für damalige tschechische Verhält¬

nisse nicht weniger typischen Kleingaststätten, die

Tschecherl, mit einbezieht. Der durch Satiriker der Zeit

streng kritisierten Polizei kommt bei allen drei Autoren

eine wenig vorteilhafte Rolle zu. Bei Karl Kraus er¬

scheinen bald nach dem Diebstahl drei Detektive, aber

anstatt den Fall zu klären, verstricken sie sich in

kleinlich-dumme Fragen, die einzig zur Katalysierung des

Schwatzens im Kaffeehaus taugen. Bei Karinthy erweist

sich - in der Siegreichen Halandscha - die Polizei eben¬

falls als ungeeignet zu konstruktiven Aktivitäten, sie

geht nur mechanisch ihres Weges. Für den Narrator in dem

HaSekschen Feuilleton gilt die Polizeiwache als zweites

Zuhause, wo man regelmäßig hingebracht und als alter Be¬

kannter empfangen wird. Angeschnitten werden in den drei

Geschichten solche Lieblingsthemen der zeitgenössischen

Satiriker wie die Problematik der Frau oder die meinungs¬

bildende Funktion der Presse, die bei Kraus zum Beispiel

mit folgenden Worten getadelt wird: "So taktvoll und

würdig sich der Pelzdiebstahl vollzogen hatte, in so

marktschreierischer Weise äußerte sich das Mitgefühl des

Publikums. Denn während die Pelzdiebe kein Aufsehen lie¬

ben, legen die Bankdiebe den größten Wert darauf, überall

32
bemerkt und in den Zeitungen genannt zu werden. Hier aber

hatten sie sich einmal verrechnet, denn die Zeitungen

würden auch von einem Kometen keine Notiz nehmen, wenn

sein Schweif meinen Kopf berührt hätte."

Die analysierten Werke sind gefüllt mit aktuellen


Bildungselementen. Kraus spricht von Theater, Sport,

Blumenkorso, Komet, Fremdenverkehr, Operette, also von

lauter Themen der damaligen Wiener Gesellschaft. Haleks

Narrator prahlt mit seinen Griechisch- und Lateinkennt¬

nissen, die er sich in der Schule angeeignet hat. Von

dem unter den dreien am ehesten zum Philosophieren nei¬

genden Karinthy wird unter anderem Esperanto erwähnt, er

spricht von Apperzeption, Buchstabenpermutation und nennt


die oft diskutierte Krankheit der Zeit, die Paralyse.

Es ist bezeichnend für die einzelnen Feuilletons,

welche historischen Persönlichkeiten in ihnen genannt

werden. Kraus spricht von einem extrem despotischen

römischen Kaiser: "Ich müßte jetzt schon mit den Mitteln

eines Caracalla arbeiten, wenn ich mich ihres Umgangs er¬

wehren wollte." Karinthy beteuert unter Berufung auf

Marinetti und die anderen Futuristen (also auf zeitgenös¬

sische Künstler), daß Halandscha einen Sinn hat. HaSeks

"geselliger Mensch" zieht den Autor populärer naturwis¬

senschaftlicher Bücher, Paolo Mantegazza, als Zeugen

heran, der schreibt: "Ich beuge mich nicht und weiche

nicht zurück, ich stehe fest. Ich leide, aber zu Boden

lasse ich mich nicht drücken." Und der verprügelte Held

Haäeks fügt hinzu: "Ich bin ein 'zoon politikon' und

damit basta!"^

33
'
II. DER KULTURKRITIKER
(1399-1914)

1.

Gelogen wird ja überall, wo


gedruckt wird in der Welt;
aber weiß Gott, im Zentrum
Europas ist der Mensch schon
vollends nach dem Ebenbild
des Journalisten geschaffen.
F 519, 1919, 14

Bereits als Gymnasiast besuchte Kraus regelmäßig

das Zentrum der modernen Wiener Literatur, das Cafe

Griensteidl, er schrieb Kritiken, Aphorismen, Feuil¬

letons für verschiedene Zeitungen, hielt Vorlesungen

aus Werken junger Autoren, versuchte es sogar mit einem

Theaterauftritt. Er unterschied sich eigentlich an

einem einzigen Punkt von der Schar zeitgenössischer

Kaffeehausliteraten: Er hatte vor, eine Satirenantho¬

logie zu veröffentlichen. Aus den mit großem Einsatz

gestarteten Bemühungen wurde jedoch nichts, denn statt

zu organisieren und sich um satirische Werke anderer zu

kümmern, widmete er sich immer intensiver der eigenen

Produktion.

Ende 1896 begann die Wiener Rundschau mit der Ver¬

öffentlichung des ersten bedeutenden Kraus-Werkes Die

demolierte Literatur. Die Literaturgesellschaft des

Cafd Griensteidl - zu der früher auch Kraus selbst ge¬

hört hatte - wurde hier aus dem Anlaß, daß sie wegen

Demolierung des Gebäudes umziehen mußte, scharfzüngig

apostrophiert. Die Buchvariante faßt die Eigenschaften

der Kritisierten so zusammen: "In Eile werden alle

Literaturgeräthe zusammengerafft: Mangel an Talent,

35
verfrühte Abgeklärtheit, Posen, Grössenwahn, Vorstadt

mädel, Cravatte, Manierirtheit, falsche Dative, Monocle

und heimliche Nerven - Alles muss mit."


Der Autor der Demolierten Literatur setzt sich mit

der literarischen Welt, einem ihm weitgehend bekannten

Milieu, auseinander. Die Schärfe der Kritik läßt jedoch

bereits ahnen, daß er sich der dargestellten Gemeinschaft

nicht anschließen möchte, sondern durchaus eigene Wege zu


2
gehen beabsichtigt. Sein nächstes größeres Werk, Ezne

Krone für Zion (1898), bestimmt auch die Richtung dieses

Weges. Das Interesse von Kraus bleibt nicht am Eng-

Literarischen hängen, er will sich auch zu Fragen von

gesellschaftlicher Bedeutung äußern, geht jedoch von Be¬

kanntem aus: Der im Mittelpunkt seiner Angriffe stehende

Begründer des Zionismus Theodor Herzl (damals Mitarbei¬

ter der Neuen Freien Presse in Wien) wird als irrtümlich

in die Politik geratener Kaffeehausliterat dargestellt:

"Er trennt sich von seiner exotischen Cravatte, die das

Ensemble der 'sonderbaren Schwermuth' stören könnte, be¬

stellt beim vornehmsten Tailleur ein Gewand ä la Sack und

Asche und gibt auf die Frage, was ihm denn fehle, immer
3
nur zur Antwort: Die Heimat...!"

Die immer ausgeprägteren Ambitionen brachten Kraus

zum Entschluß, die Publikation in verschiedenen Zeit¬

schriften abzubauen und ein eigenes Organ, ein selb¬

ständiges Blatt zu gründen. Am 1. April 1899 erschien

das erste der insgesamt 922 Fackel-Hefte.

Von den materiellen Umständen, die Kraus die Gründung

der Fackel ermöglichten, wird entweder wohlwollend ge¬

schwiegen, oder es wird dem Schriftsteller seine Wohl-

situiertheit vorgeworfen. Es ist ja nicht zu leugnen, daß

das Vermögen von Jakob Kraus (dem Vater des Satirikers,

der ihm das nötige Geld zur Verfügung stellte) durch

Ausbeutung entstand, waren ja selbst Häftlinge des Ge-

36
fängnisses Ji£in am Kleben der Papiersäcke beteiligt - es

gehört aber schon eine vulgärmaterialistische Auffassung

dazu, den Schriftsteller Karl’Kraus allein aufgrund die¬

ser Tatsache zu verwerfen und nicht zu sehen, daß oft

gerade die materielle Unabhängigkeit das Aussprechen von

allgemein verschwiegenen Wahrheiten ermöglichte und den

Satiriker davor bewahrte, redaktionelle, persönliche u.ä.


Interessen anderer in Betracht ziehen zu müssen. Zum

anderen verurteilte er aber auf dieser Grundlage alles

Materielle kategorisch und reagierte mit unangebrachtem

Spott, wenn andere nicht imstande waren, Kunst und Geld

sauber auseinanderzuhalten.

Die Fackel bildet ein eigentümliches Kapitel in der

österreichischen Pressegeschichte. Die Erkenntnis, daß

die Zeitungen die beste Möglichkeit zur Beeinflussung

der Massen bieten, verbreitete sich in Österreich - be¬

gleitet durch administrative Maßnahmen zur Erleichterung

der Herausgabe von Zeitungen - in der zweiten Hälfte des

19. Jahrhunderts. Die Auffassung, daß Intensität, Art

und Weise der Beeinflussung in verschiedenen Teilen der¬

selben Zeitung unterschiedlich sein können, ja sollen,

wurde in der Nachfolge von Die Presse-Chefredakteur

August Zang allgemein angenommen. Wirtschaftliche, poli¬

tische Berichte, Leitartikel hatten sich streng an die

Interessen des Kapitals zu halten, das die Zeitung finan¬

zierte, andere Beiträge, besonders die "unter dem Strich",

genossen demgegenüber eine relative Autonomie.

Mit Hilfe des Feuilletons konnte sich die zeitgenös¬

sische Literatur in die Tätigkeit der Presse einfügen.

Die Dichter brachten Elemente der aussterbenden, unge¬

zwungenen persönlichen Unterhaltung in die schriftliche

Kommunikation, lenkten mit geistreichen, spielerischen,

originellen Formulierungen die Aufmerksamkeit des Lesers

auf die Zeitung. Dadurch wurde ihnen eine bestimmte

37
existentielle Sicherheit und ständige Publikations¬

möglichkeit gesichert; das Ansehen der Zeitung wuchs be¬

trächtlich, literarische Bedürfnisse des Publikums wurden

vordergründig befriedigt.
Außerordentlich wirksam wurde diese Arbeitsteilung

in der mächtigsten Zeitung Österreichs, ja sogar der

ganzen Monarchie, dem "Weltblatt" Neue Freie Presse ver¬

wirklicht. Sie vertrat die Interessen der Großbourgeoi¬

sie, gab aber auch dem Hof und der Aristokratie, was

ihnen gebührte, und entwickelte sich unter Chefredakteur

Moriz Benedikt zum halbamtlichen Repräsentanten des

Habsburger-Staates, einem Machtmittel, ohne das man in

Österreich, wie es hieß, nicht regieren konnte. Die Neue

Freie Presse, die zu den bestredigierten Presseorganen

Europas gezählt wurde, beschäftigte auch im Feuilleton

ausgezeichnete Kräfte wie Ferdinand Kürnberger, Eduard

Hanslick, Daniel Spitzer u.a. Erbe dieser Vorgänger hätte

Kraus werden können, aber als ihn Benedikt an die Spitze

des Feuilletons der NFP berief, war er schon mit der Vor¬

bereitung der Fackel beschäftigt, die die Wiener Feuil¬

leton-Tradition unabhängig von Benedikts Blatt fortsetzen

sollte.

Das erste Fackel-Heft, durch die für alle Neuigkeiten

empfängliche Wiener Öffentlichkeit mit großem Interesse

aufgenommen, beschreibt genau das Programm des Heraus¬

gebers Karl Kraus: "In einer Zeit, da Österreich noch

vor der von radicaler Seite gewünschten Lösung an acuter

Langeweile zugrunde zu gehen droht, [...] einer Öffent¬

lichkeit gegenüber, die zwischen Unentwegtheit und

Apathie ihr phrasenreiches oder völlig gedankenloses Aus¬

kommen findet, unternimmt es der Herausgeber dieser Blät¬

ter, der glossierend bisher und an wenig sichtbarer

Stelle abseits gestanden, einen Kampfruf auszustoßen. Der

ihn wagt, ist zur Abwechslung kein parteimäßig Verschnit-

38
tener, vielmehr ein Publicist, der auch in Fragen der

Politik die 'Wilden' für die besseren Menschen hält und

von seinem Beobachterposten sich durch keine der im

Reichsrath vertretenen Meinungen locken ließ." (F 1,


1 899 , 1 )

Das erste Schlüsselwort der zitierten Stelle ist "Be¬

obachterposten". Es weist auf die für das zeitgenössische

Wien typische wissenschaftliche Richtung, den Positivis¬

mus hin, und erinnert an die kontemplative Verhaltens¬

weise der österreichischen Schriftsteller seit Grill¬

parzer, Stifter, Saar u.a. Es kommt Kraus dabei nicht

darauf an, die Wirklichkeit zu negieren, er will aber

Distanz bewahren, das Recht auf Subjektivität betonend

beobachten und registrieren, was etwas später so ausge¬

führt wird: "Objectivität mag eine schöne Sache sein;

aber jedem, der zur Oeffentlichkeit spricht, steht das

Recht zu und die Pflicht, seine Einseitigkeit dort zu

vertheidigen, wo es sich nicht um genaue Feststellung von

Thatsachen, sondern um ihre Wertung handelt. [...] Die

Fackel hat ein Interesse: ihr Herausgeber will

seine Ansichten, seine höchst subjectiven, eigensten

Wertungen der Erscheinungen auf verschiedenen Gebieten

des öffentlichen Lebens mittheilen." (F 14, 1899, 15)

Der andere wesentliche Ausdruck im Krausschen

Programm ist "Publicist". Im heutigen Sinne des Wortes

ist sein Werk kaum uneingeschränkt als "publizistisch"

zu bezeichen, es ist aber offensichtlich, r daß er gerade

von den unmittelbaren Fakten ausgehend, also eindeutigen

Zeitungstraditionen folgend bestrebt war, die Wirklich¬

keit - literarisch anspruchsvoll - zu erfassen. Das drit¬

te Schlüsselwort "Kampfruf" macht deutlich, daß Kraus

entschlossen war, sich die ausgeprägt kritische Betrach¬

tungsweise eines Kürnberger und Spitzer anzueignen und

militant gegen Anomales vorzugehen. An politische Kräfte

39
knüpfte er sich eben im Interesse der Kritik nicht: "Das

politische Programm dieser Zeitung scheint somit dürftig;

kein tönendes 'Was wir bringen', aber ein ehrliches

'Was wir umbringen' hat sie sich als Leitwort

gewählt." (F 1, 1899, 1)

Etwa ein Jahr später wurde das, was hier mit Hilfe

eines Wortspiels ausgedrückt war, weiter konkretisiert:

"Weil unser öffentlicher und mündlicher Strafprocess die

Popularklage nicht kennt, habe ich ja zum Zwecke der

öffentlichen, schriftlichen Popular¬

klage die 'Fackel' gegründet(F 46, 1900, 20)

Gesellschaftliche Mißstände sollen also enthüllt werden,

gegen Korruption soll gekämpft werden, allerdings nicht

allgemein, wie das von fast allen Zeitungen praktiziert

wurde, sondern mit maximaler Direktheit, persönlich. Dazu

gehören zweifelsohne Ausdauer, große moralische Kraft,

persönliche Haltung, aber auch eine Art "Hang zum Kadi",

die Pose des unfehlbaren Richters, der alles sieht, alles

hört, alles bemerkt und in jedem Fall das richtige Urteil

fällt, radikaler Verzicht auf den für die Monarchie so

typischen Kompromiß. Der Beobachterposten ist die selbst¬

gewählte Isolation, jene von Kraus für die eigene

schriftstellerische Tätigkeit geradezu als Voraussetzung

betrachtete Outsider-Position, in die sich andere

Schriftsteller der Epoche - mit Recht - durch die Zeit¬

situation gezwungen fühlen.

Die "öffentliche Popularklage" der Fackel richtet

sich zwar auf verschiedene Gebiete des gesellschaftlichen

Lebens, angefangen von Mißständen bei der Südbahn über

Nepotismus an der Universität bis zu den Freikarten der

Theater; bereits im Mai 1899 kristallisiert sich aber

ein Hauptaspekt der Krausschen Kritik heraus: "Ich komme

wahrhaftig erst in zweiter Linie dazu, die öffentlichen

Dinge zu betrachten, weil leider gar so viel Journal-

40
schmutz davor liegt, den wegzufegen eine penible, aber

nothwendige Arbeit ist. Ich möchte über die Verhandlungen

im Haag sprechen und stoße auf die 'Neue Freie Presse'."

(F 5 , 1 899 , 1 1 f.)

Es wurde Kraus oft vorgeworfen, er sehe die Welt

durch die Zeitung. Er bedient sich tatsächlich der Form

der Beschaffung von Informationen, die im Alltag nicht

nur vorhanden, sondern bereits dominant ist, von der

Ästhetik aber nicht beachtet wird. Karl Kraus beharrt

auf dieser Betrachtungsweise genauso hartnäckig wie auf

der Outsider-Position. Er versucht, die Wirklichkeit mit

Hilfe dieser Vermittlung zu erfassen, und wenn dabei

Schwierigkeiten auftreten, weist er - wie nicht wenige

seiner Zeitgenossen innerhalb und außerhalb der Monarchie

- auf die Verantwortung der Presse, auf die Grenzen ihrer

Authentizität, auf die Notwendigkeit der permanent kriti¬

schen Aufnahme hin.

Im Aufsatz Untergang der Welt durch schwarze Magie

(F 363, 1912, 1-28) wird am deutlichsten ausgeführt, was

er an der Presse, dieser "Giftmischerin der Menschheit",

auszusetzen hat. Gegen ihre eigentliche Funktion, das

Berichten, sagt Kraus kein Wort. Den "schmucklosen Be¬

richt" hält er für lebensnotwendig; unhaltbar für ihn

sind Lüge, Ausführung von Aufträgen, Übernahme von Lohn¬

arbeit, Korruption. Und er geht noch weiter: "Die Korrup¬

tion, die zwischen Text und Annonce Schiebungen macht,

ist völlig belanglos neben der Schweinerei, die in allen

Rubriken dichtet." (F 363, 1912, 5) Es genügt also nicht,

daß der Bericht falsch ist, er wird sogar ausgeschmückt.

Kraus meint, "wenn der Apparat des geistigen Lebens dem

sozialen Zweck für Geld zur Verfügung steht," so wird

beiden nur Schaden zugefügt: "Es ist gar kein Zweifel,

daß die Beethovens verkürzt werden, wenn über die Kaffee¬

sieder gesagt wird, daß sie Schöpfer sind, und sie werden

41
umso gewisser verkürzt, wenn die Administration über den

Wortschatz verfügt, den die Redaktion von weiland Geiste

gestohlen hat. Eine Gesellschaft ist dann auf dem Krepier¬

standpunkt, wenn sie zum Schmuck des Tatsachenlebens Ein¬

brüche in kulturelles Gebiet begeht und duldet. Nirgendwo

auf der Welt erlebt sich das Ende so anschaulich wie in

Österreich." (F 363, 1912, 3)

Karl Kraus beschränkt sich also darauf, Erscheinungen

der Symbiose von Presse und Literatur im zeitgenössischen

Österreich unter die Lupe zu nehmen. Aber gerade im

Feuilleton bzw. im Feuilletonismus sind die feinsten

Formen des kapitalistischen Zeitungswesens zu finden.

Gelingt es also Kraus, die Nachricht vom Ornament, das

Wesen vom Schmuck zu trennen, so entblößt er zwangsläufig

das Ganze, so wird er - von scheinbar formalen Beobach¬

tungen ausgehend - mit dem Wahrheitsgehalt der Meldungen

konfrontiert, und seine aus der standhaften, ehrlichen

Haltung des Outsiders ausgesprochene Pressekritik artet

nolens-volens in Gesellschaftskritik aus.

2,

Wir können uns nicht daran ge¬


wöhnen, Sittlichkeit und Kri¬
minalität , die wir so lange
für siamesische Begriffs¬
zwillinge hielten, von einan¬
der getrennt zu sehen.4

In der ersten, bis etwa 1902 dauernden "sozialethi¬

schen" Schaffensperiode beschrieb Kraus verhältnismäßig

unmittelbar Wiener Begebenheiten, verspottete Erscheinun¬

gen, die das menschliche Zusammenleben bedrohten, und ließ

in der Fackel mehrere kritisch Gesinnte (Arzte, Künstler,

Journalisten, Juristen, Politiker usw.) zu Wort kommen,

42
darunter so unterschiedliche Persönlichkeiten wie die

große Gestalt der internationalen Arbeiterbewegung Wil¬

helm Liebknecht und den Vorbereiter faschistischer Ideo¬

logien Houston Stewart Chamberlaine. Die vielschichtige

antikorruptionistische Tätigkeit wurde auch vom Wiener

Publikum unterstützt. Kraus bekam Themen, Angaben, Vor¬

schläge von Leuten, die im öffentlichen Leben nicht per¬

sönlich auftreten konnten oder wollten. Bald aber wirkte

dies hemmend; es irritierte den Herausgeber der Fackel,

daß seine Zeitschrift einfach für eines der Skandalblät¬

ter gehalten wurde: "In Wien glaubt man offenbar noch

immer, daß ich der Inhaber eines 'Aufdeckungsbureaus'

bin. Und doch wirkt seit Jahren nichts so verstimmend auf

meine Magennerven wie das Wort 'Ubelstände'. [...] Ich

bin nämlich Schriftsteller und nicht Aufdecker." (F 226,

1907, 23)

Hält man Publizistik auch nicht für den Antipoden

von hoher Literatur, so fällt doch ins Auge, daß sich

Kraus hier nicht mehr als Publizisten bezeichnet, sondern

daß er als Schriftsteller im Geiste folgender Worte

handeln will: "Aussprechen, was ist: ein niedriger

Heroismus. Nicht daß es ist, sondern daß es möglich ist:

darauf kommt es an. Aussprechen, was möglich ist!" (F

336, 1911, 42)5

Das erste literarisch hochwertige Beispiel dafür,

daß der Satiriker Kraus aussprach, was möglich ist, bil¬

deten seine Arbeiten über die unhaltbare, von allen

zeitgenössischen Satirikern angeprangerte juristische

Praxis in der Monarchie. Kraus' Denkweise war von Anfang

an rechtsprecherischen Charakters. Dieses Interesse ist

vielleicht auch auf die kurzen - auf väterlichen Wunsch

begonnenen - Jurastudien zurückzuführen; die Neigung zu

zugespitzten Situationen entspricht jedenfalls weit¬

gehend der schriftstellerischen Grundeinstellung von

43
Kraus. Bereits frühe Facke^-Artikel hatten übrigens ge¬

richtliche Folgen, was Kraus auf das Symbolhafte der ver¬

alteten Justiz aufmerksam machen konnte. In der Periode

zwischen 1902 und 1910 reagierte Kraus auf seine unsyste¬

matische, häufig unter dem Einfluß momentaner Eindrücke

stehende Weise auf unterschiedliche Schichten der

Justiz.6 Seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich dabei

auf den Bereich, der damals beim Publikum größtes Auf¬

sehen erregte, auf die Sittlichkeitsprozesse, in denen

die zwielichtige Moralauffassung der Epoche vielleicht

am eindrucksvollsten zum Ausdruck kam.

Die Frau geriet im Laufe der kapitalistischen Ent¬

wicklung immer mehr in eine nachteilige Situation, sie

wurde Objekt doppelter Ausbeutung. Dies zeigt sich (wie

das selbst der sonst so nostalgische Stefan Zweig zugeben

muß) sehr deutlich im Wien der Jahrhundertwende, vor al¬

lem in der Auffassung, die dem Mann völlige sexuelle

Freiheit sicherte, der Frau aber als persönlichkeits- und

willenslosem Dekorationsgegenstand keinerlei Rechte ein¬

räumte. All dies auf gesellschaftliche Faktoren zurückzu¬

führen, war nicht üblich, um so mehr betonte man die

biologisch bestimmte Gegensätzlichkeit, eine der Lieb¬

lingsdichotomien der Zeit, die von Otto Weininger in

einer für viele richtungsweisenden Art dargestellt und in

die Formel komprimiert wurde, das Weib sei, im Gegensatz

zum schöpferischen, charaktervollen Mann, "nur und durch¬

aus sexuell". Kraus setzte sich, auch durch persönliche


7
Gefühle motiviert, für die Frau ein, obwohl er auf der

Weiningerschen Grundlage stand. Dieser scheinbare Gegen¬

satz wird durch die frappante Begrüßung des Weininger-

Werks Geschlecht und Charakter aufgehoben: "Ein Frauen¬

verehrer stimmt den Argumenten Ihrer Frauenverachtung mit

Begeisterung zu." (F 229, 1907, 14)

44
Sittlichkeit und Kriminalität - so ist der vielleicht

wichtigste Fa ekel-Anis atz des Jahres 1 902 betitelt (F

115, 1902, 1-24). Er beschreibt die Positionen einer

morschen Justiz, von der lediglich unerwünschte Ein¬

mischung in die Privatsphäre erwartet werden kann, und

versucht - anfangs in auffallend theoretisierendem

Stil -, die Grenzen abzustecken, innerhalb deren sich

die staatliche "Sorge" der Monarchie bewegen dürfe:

mit der Sorge für die wirtschaftliche Sicherheit

halte ich die Mission des Gesetzgebers für beinahe er¬

füllt. Er möge dann noch auf der öffentlichen Ruhe und

Ordnung, auf der Gesundheit und der Unverletzlichkeit

des Leibes und des Lebens und anderen greif- und umgrenz¬

baren 'Rechtsgütern' seine Hand halten. [...] wenn Men¬

schen über Menschen richten dürfen, so sollten sie stets

den Grenzen ihres Erkenntnisvermögens eingedenk sein.

Ein Gesetz, das mit Recht den religiösen Glauben schützt

und seine Beleidigung straft, dürfte sich nimmer vermes¬

sen, in die irdischem Einfluß verschlossenen Tiefen der

Menschenbrust langen zu wollen." (F 115, 1902, 5)

Kraus wiederholt hier im Grunde genommen die liberale

Auffassung von der Unantastbarkeit der Persönlichkeit,

ihrer absoluten Freiheit und Selbständigkeit. Der Staat

wartet jedoch, anstatt seinen natürlichen Aufgaben nach¬

zugehen, sprungbereit auf die Möglichkeit der Ein¬

mischung, sobald jemand von seinen natürlichen Rechten

Gebrauch macht. Hier knüpft sich nach Kraus das Frauen-


g
Problem an die Frage, ist doch das Weib die Verkörperung

des Natürlichen, jenes Wesen, dem Verletzung der

Sittlichkeit am häufigsten vorgeworfen wird. Dabei ist

Moral als Gegenstand der Justiz nichts als ein Phantom,

denn, wie ein Kind auf die Frage, was denn unschicklich

sei, treffend antwortete: "Unschicklich ist, wenn jemand

dabei ist!" (F 115, 1902, 8) Karl Kraus protestiert ener-

45
gisch dagegen, daß der Gesetzgeber "immer dabei sein"

will. Seiner Ansicht nach sollte man selbst der Homo¬

sexualität und der Prostitution freien Lauf lassen, die

Ventile der Moral bei der Erneuerung des 100jährigen

Strafgesetzes öffnen - um so zur Wiederherstellung natür¬

licher menschlicher Rechte beizutragen.


Der zweite Teil des Aufsatzes führt nicht die recht

zugespitzten Lösungsvorschläge aus, sondern dokumentiert

mit handgreiflichem Material die tatsächlich unhaltbaren

Einmischungen der Justiz ins Privatleben. Zum Beweis für

die Unvereinbarkeit von Sittlichkeit und Kriminalität

eignet sich laut Kraus der Ehebruchprozeß am besten. Die

vor Gericht gestellte Frau P., die, mit Nietzsche zu

sprechen, von der Ehe gebrochen wurde, bevor sie die Ehe

brach, wurde in eine typische kapitalistische "Ver-

nunftehe" gezwungen; für Untreue wurde sie schon durch

die "Hausjustiz" mit Revolver, Peitsche und Haarschere

zur Verantwortung gezogen: "Was sie gelitten, war häss¬

licher als was sie gethan, und im tiefsten Sinne unmora¬

lischer als Ehebruch war ein gerichtliches Verfahren, das

die Oeffentlichkeit zum Zeugen der geheimsten Möglich¬

keiten, für die ein eheliches Schlafgemach Raum hat,

anrief." (F 115, 1902, 13)

Hauptverantwortlicher für den häßlichen Ablauf des

Prozesses, behauptet Kraus, ist der Richter Mayer, der

nur die Frau Moralgesetzen unterwerfen will. Erfährt er

z.B., daß der Mann seine Ehefrau schon lange vor ihrer

Untreue mißhandelte, so teilt er ihr mit, dazu habe er

Recht gehabt. Er hält es für unwesentlich, daß Herr P.

einen echten Harem hatte; tauchen Daten auf, die den

Mann belasten, so herrscht der Richter die Angeklagte an,

hier habe sie sich zu verantworten, denn sie allein habe

den Ehepartner erniedrigt.

46
Die Behandlung des Privatlebens vor dem Gericht ist

Kraus schon an sich unerträglich. Noch mehr empört ihn

aber, daß die Torturen der Angeklagten nicht nur den im


V
Gerichtssaal Anwesenden bekannt werden, sondern durch

Zeitungsberichte einem breiten, in den innersten mensch¬

lichen Sphären allzugern herumkramenden Publikum zugäng¬

lich gemacht werden. Mit einem resignierten Wortspiel

stellt er fest: "[...] die Ehebrecherin erlitt, an den

Pranger einer verhundertfachten Oeffentlichkeit gepfählt,

Torturen, welche ein Mittelalter, das bloß Daumenschrau¬

ben und nicht die Presse kannte, nicht zu verge¬

ben hatte." (F 115, 1902, 19 f.)


In den Jahren nach dem Erscheinen des Aufsatzes Sitt¬

lichkeit und Kriminalität untersuchte Kraus zahlreiche,

dem Prozeß P. ähnliche "Affären", die einzelne Aspekte

der Sexualjustiz genauer beleuchten. Der Fall Hervay war

außer der Untauglichkeit der Gerichte auf den in Hexen¬


verfolgung ausartenden Obskurantismus einer Kleinstadt

zurückzuführen. Im Fall Rutthofer war die Verspottung der

wehrlosen Angeklagten zu demonstrieren, sowie die Ein¬

seitigkeit, mit der die Richter vom Fall völlig unab¬

hängige sexuelle Beziehungen der Angeklagten besprachen.

Eine besondere Bedeutung maß Kraus dem Fall von

Regine Riehl bei. Die Wiener Bordellbesitzerin, die

schließlich verurteilt wurde wegen wirtschaftlicher und

gesundheitlicher Ausbeutung der Prostituierten, wider¬

setzte sich jahrelang der Gerechtigkeit: natürlich nicht

allein, sie unterhielt gute Geschäftsbeziehungen zu hohen

Beamten der Sittenpolizei und sogar zum Polizeiarzt, an

den sich die Prostituierten, mit Recht einen Verrat an

Frau Riehl befürchtend, nicht mit Beschwerden wenden

konnten. Von Enthüllungen solcher Art geht Kraus sofort

weiter, indem er darauf hinweist, daß außer dem Verkauf

des Körpers eine noch viel gefährlichere Prostitution

47
existiert, die des Geistes: "Wie sie nun sieht, daß der

Käuflichkeit des Leibes ein Ende gemacht werden soll,

erhebt im Nu die andere Prostitution ihr Haupt und ruft:

Kauft nur uns!" (F 211, 1906, 17) Anstatt jedoch die

gemeinsamen gesellschaftlichen Wurzeln der beiden Arten

von Prostitution, das Privateigentum,aufzudecken, trennt

er die beiden mechanisch: Die Prostitution des Geistes

ist seiner Auffassung nach eine gesellschaftliche, die

des Körpers aber eine ausschließlich und in allen Be¬

ziehungen private Angelegenheit. Es sei ja das natürliche

Recht des Weibes, ihre Vorteile in gültige Währung umzu¬

setzen: "Denn die Natur hat dem Weib die Sinnlichkeit

als den Urquell verliehen, an dem sich der Geist des

Mannes Erneuerung hole." (F 211, 1906, 27)

In der "ritterlichen Frauenverehrung" von Kraus ist

also keinerlei gesellschaftlich reale Alternative zu

sehen. Genauso wie zeitgenössische Frauenverächter igno¬

riert er das Weib als gesellschaftliches Wesen und jeden

Anspruch in dieser Richtung; es ist bezeichnend, daß

viele seiner Aphorismen zum Thema fast wortwörtlich mit

Formulierungen jenes Frigyes Karinthy übereinstimmen, der

als einer der eindrucksvollsten literarischen Verkünder

der Minderwertigkeit der Frau galt. Die sexuelle Frei¬

heit, die Kraus für die Frau verlangt, ist ohne andere

Freiheiten ein zeittypischer, tief in der Wiener Moral¬

auffassung der Jahrhundertwende wurzelnder Gedanke. Der

Kraussche Fräuenkult ist daher als Unterstützung der eige¬

nen satirischen Kritik zu begreifen. Der Schriftsteller

versucht, der als häßlich erkannten Welt (der Männer)

eine unsoziale, der Natur entlehnte Alternative gegen¬

überzustellen. In dem oben zitierten Aphorismus bezeich¬

net er die weibliche Sinnlichkeit als "Urquell", das Weib

ist für ihn die Verkörperung eines selbstlosen, natür-

48
liehen, von der Gesellschaft noch nicht verdorbenen Zu¬

standes - und als solche bewunderns- und verehrenswert.

Der Satiriker benötigt stets - ausgesprochene .oder

unausgesprochene - Idealvorstellungen. Die nicht nur

latente, sondern offen deklarierte Grundlage der satiri¬

schen Zeitkritik bei Karl Kraus ist eine Art idyllischer,

asozialer, natürlicher Zustand, und das Weib bildet das

erste Kettenglied dieses Vorstellungssystems.

3,
[...] das Theater -ist so sehr
der Spiegel des Zeitalters,
daß er mit diesem erblindet
[•••1
F 668, 1924, 60

Die juristische Tendenz in der Fackel wurde allmäh¬

lich, eigentlich schon ab 1903, durch dreifache litera¬

rische Bezüge ergänzt. Es ging Kraus immer mehr um den

gewählten, literarisch wertvollen Ausdruck, von anderen

Autoren veröffentlichte er nun schon vorwiegend belle¬

tristische Beiträge und verfolgte mit größter Aufmerksam¬

keit das überaus reiche, ständig Neues bietende Gebiet

des kulturellen Lebens. Konnte der damit zeitlich paral¬

lel entwickelte Themenkreis Justiz mit dem Band Sittlich¬

keit und Kriminalität im wesentlichen abgeschlossen

werden, so mußte sich Kraus selbst nach Veröffentlichung

von thematischen Sammlungen wiederholt mit dem kulturel-


9
len Leben, mit "Kultur und Presse" auseinandersetzen.

Ausgegangen wird dabei von genau analysierten

Zeitungsmeldungen kulturellen Inhalts, und abschließend

kommt Kraus, die bekannte satirische Methode der Reduk¬

tion anwendend, zu der Feststellung, daß Personen, die

49
sich auf verschiedenen kulturellen Gebieten betätigen,

eigentlich verkleidete Journalisten sind (wobei das Wort

Journalist als Synonym stärkster Beleidigung giltj . Hi¬

storiker sind demnach "Leute, die zu schlecht schreiben,

um an einem Tagesblatt mitarbeiten zu können", Literatur¬

historiker "Kathederreporter", die zeitgenössischen

Schriftsteller "Ästheten", Kritiker werden stets von

persönlichen Neigungen geleitet usw. Solche apodiktischen

Behauptungen werden jedoch immer durch treffende konkrete

Beobachtungen untermauert, und gerade diese verraten

vieles über das wahre Gesicht der Betroffenen. Als

Musterbeispiel des Historikers wird Heinrich Friedjung

mit all seinen Machenschaften untersucht, unmögliche

literaturhistorische Feststellungen werden aus dem Oeuvre

von Richard M. Meyer zitiert, es werden aus dem unehr¬

lichen Wiener Kritikbetrieb konkrete Beispiele gebracht,

und die Wiener Literaturgesellschaft wird durch die geist¬

reiche Formulierung charakterisiert: "Die Ästheten

hatten es sich eingeteilt. Dem Doktor Arthur gehört das

Sterben, dem Richard das Leben, dem Hugo die Votivkirche

mit dem Abendhimmel, dem Poldi die Ambrasersammlung und

dem Felix alles das zusammen und noch viel mehr und auch

die Renaissance." (F 326 , 191 1 , 40) 10

Besonders markant sind Kraus' Äußerungen zum Theater,

jenem Phänomen, dem in Wien sowohl von Autoren als auch

vom Publikum schon immer große Aufmerksamkeit gewidmet

wurde. Als allgemeines Gesprächsthema Nr.1 galten Nach¬

richten über Schauspieler und Stücke; der sein Gesicht

ständig verändernde, die monarchistische Welt wider¬

spiegelnde Mikrokosmos des Theaters zog mit der Darstel¬

lung von institutionalisierten Rollenspielen, dekorativen

Scheinwirklichkeiten und glänzenden Masken einen jeden

an. Ob als Autoren, ob sogar als Darsteller in einzelnen

Stücken, die Schriftsteller der Epoche suchten nach Be-

50
Ziehungen zu ihm. Das alte und neue Burgtheater wurde

zum formenden Bildungserlebnis der Generation von Karl


Kraus.

Spuren einer intensiven Vorliebe für dieses Kernstück

österreichischer Tradition sind von der allerersten

Fackel bis zur allerletzten zu finden. All das, was an

anderer Stelle aufgrund konkreter Ereignisse, in der

Kritik an einzelnen Auffassungen und Personen zum Aus¬

druck kommt, ist in geradezu komprimierter Form im Auf¬

satz Grimassen über Kultur und Bühne (F 270, 1909, 1-18)


enthalten.

Einleitend beklagt sich Kraus darüber, daß es im

Kulturleben der Epoche an souveränen, alles bestimmenden

Künstlerpersönlichkeiten mangelt: "Nicht die es tragen,

sondern die in dem Artikel reisen, sind nunmehr die Re¬

präsentanten des Weltwarenhauses unserer Kultur. Der Of¬

fizier und der Beamte haben noch etwas vorgestellt; der

Kommis und der Redakteur empfehlen bloß. [...] Es gibt

keinen Erzeuger mehr, es gibt nur mehr Vertreter." (F

270, 1909, 2 f.) Es wird hier jene auf der Burgtheater-

Tradition fußende Auffassung artikuliert, daß vor allem

eine künstlerische Persönlichkeit nötig ist - im Ver¬

gleich zu ihr erscheint selbst das Kunstwerk irrelevant:

"Ein Gedicht ist so lange gut, bis man weiß, von wem es

ist." (F 406, 1915, 131) Der Künstler sollte, unbeein¬

flußt von der Publikumsmeinung, eigenen Gesetzen folgen:

"Der gesunde Menschenverstand sagt, daß er mit einem

Künstler bis zu einem bestimmten Punkt 'noch mitgeht'.

Der Künstler sollte auch bis dorthin die Begleitung ab¬

lehnen." (F 272, 1909, 47)

Im Künstler, der ein natürliches, selbstverständ¬

liches Verhältnis zur Wirklichkeit entwickelt, ist eine

neue Dimension der den Zeittendenzen entgegengesetzten

Idealwelt zu sehen. Die Möglichkeit der Konkretisierung,

51
ohne die selbst der affirmative Teil Krausscher Produk¬

tion undenkbar wäre, ist hier - im Gegensatz etwa zum

Thema des Weibes - weitgehend gegeben; zugleich kann

Kraus seine eigene schriftstellerische Position, die

Attitüde des allwissenden Richters erklären; und all dies

mit ständigen Hinweisen auf die Verwurzelung in der

österreichischen Tradition, was im gegebenen Milieu die

Wirksamkeit der Kritik zu erhöhen hat.

Im Anschluß an die allgemeinen Erklärungen werden in

Grimassen über Kultur und Bühne zwei Künstler genannt,

die dem Krausschen Ideal entsprechen: Alexander Girardi

und Peter Altenberg. Bereits diese Wahl läßt sehen, daß

Kraus' Künstlerkult nicht allein auf allgemein be¬

schworene Burgtheater-Erlebnisse zurückzuführen ist. Ob¬

wohl er die gefeierten Persönlichkeiten Sonnenthal,

Levinsky, Wolter, Gabilion u.a. schätzte und mit Bewun¬

derung nannte, hielt er Girardi für das Musterbeispiel

echten Künstlertums, der in jener Sphäre gewissermaßen

als Außenseiter galt, war er ja als Komiker, Operetten¬

buffo, Darsteller komischer Volksstückfiguren bekannt.

Kraus lobte bei ihm die Eigenschaft, zwischen Klischees,

in der proteischen Welt des Theaters das eigene Ich zu

bewahren, er entdeckte in diesem Volksunterhalter den

satirischen Künstler: "Girardi wiegt mehr als die Litera¬

tur, die er vernachlässigt. Er läßt sich von einem belie¬

bigen Sudler ein notdürftiges Szenarium liefern, und in

dieses legt er eine Geniefülle, deren Offenbarung er¬

hebender ist als die Bühnenwirkung eines literarischen

Kunstwerks, dessen Weihen doch nur der Leser empfängt.

[...] Die Leere ist hier Spielraum der Persönlichkeit.

Und Girardi ist eine der eigenmächtigsten, die je eine

szenische Gelegenheit zu schöpferischer Darstellung ge¬

braucht haben. Wenn er in einer klebrigen Posse etwa den

Rat gab, jeden Menschen in einem Ringstraßenpalais wohnen

52
zu lassen: 'und die soziale Frage ist gelöst!' - so

war er ein Weiser. Denn der Text war ein seichter Spaß,

aber der Akzent war die tiefste Verspottung demagogischer


Phrase. " ^1

Peter Altenberg ist ebenfalls eine originale, allein¬

stehende Künstlerpersönlichkeit, einer, der nicht etwas

vorstellt, sondern etwas ist, ein Outsider, der im eige¬

nen Lande nicht Prophet sein kann, denn dort ist der

Journalist Prophet. Dabei beurteilt sein "ewiges Tempera¬

ment" - nach Kraus - alle Erscheinungen von eigenem, un¬

verändertem Standpunkt aus, er gilt mit all seinen Un¬

sicherheiten und Schwankungen als einer, der stets mit

sich selbst identisch ist, also wie Girardi - und eigenen

Vorsätzen nach Kraus selbst - das Ständige verkörpert in

einer unsicheren, unsteten Welt.

Auch der Antikünstler wird in Grimassen über Kultur

und Bühne beim Namen genannt. Der Antipode von Altenberg

ist der populäre Operettenkomponist Viktor Leon, der von

Girardi der Operettenschauspieler Louis Treumann. Die

Feuilletonisten der Zeitungen haben eine gute Meinung

über Leons Tätigkeit, behauptet Kraus mit einem gern ver¬

wendeten Reduktionsgriff, weil man darin das Werk eines

Kollegen entdeckt. Leon will in seinen Operetten psycho-

logisieren; Treumann versucht in der Hauptrolle den

Menschen "darzustellen", d.h. den Mangel an Humor und

Stimme, also an künstlerischer Persönlichkeit, aufzu¬

wiegen.
So sehr Kraus auch die "unsagbare Gemeinheit" der

zeitgenössischen Operette - vor allem der Lehärscher Prä-


12
gung - betont, er fügt zur Kritik immer hinzu, daß er

nicht gegen das Genre selbst ist. Er beschwört ja Klas¬

siker der Operette, die infolge einseitiger, nur inhalt¬

liche Faktoren schätzender Urteile "in die Rumpelkammer

der Ästhetik" kamen; Offenbach bezeichnet er sogar als

53
"Freudengenius" und "größten Satiriker aller Zeiten",
dessen Platz an Mozarts Seite wäre. In Offenbachs Operet¬
ten, die die Möglichkeiten der Gattung restlos verwirk¬
lichen, kommt der Musik eine primäre Funktion zu, die
Krämpfe zu lösen hat, der Vernunft Erholung und Lockerung
schaffen soll, um auf diese Weise die Grundlage zur ge¬
danklichen Tätigkeit zu schaffen. Kausalität ist in der
Operette aufgehoben, da herrschen Gesetze des Chaos. Da¬
durch ist sie die einzige dramatische Form, die den
Möglichkeiten der Bühne entspricht, ein harmonisches Ge¬
samtkunstwerk von Aktion und Musik, in der - im Gegensatz
zum Schauspiel im allgemeinen und besonders zur Oper -
eine "souveräne Planlosigkeit" herrschen kann: "Daß
Operettenverschwörer singen, ist plausibel, aber die
Opernverschwörer meinen es ernst und schädigen den Ernst
ihres Vorhabens durch die Unmotiviertheit ihres Singens.
Wenn nun der Gesang der Operettenverschwörer zugleich das
Treiben der Opernverschwörer parodiert, so ergibt sich
jene doppelte Vollkommenheit der Theaterwirkung, die den
Werken Offenbachs ihren Zauber verleiht [....]".
In dieser Traumwelt muß jeder, der "soziale Nähe her-
stellen", psychologisieren will, scheitern: "Der Komiker,
der keine Komik hat und sein Lied schlecht singt, muß
freilich ein Menschenschicksal darstellen; wer aber ein
Menschenschicksal darstellt, macht die Narrheit, dabei zu
singen, erst komplett, und das Gedudel im Orchester setzt
den Respekt vor einem Seelendrama wie der 'Lustigen
Witwe' beträchtlich herab." (F 270, 1909, 11)
Diese bewußte Transponiertheit und Fiktionalität
schafft dem Künstler - laut Kraus - eine vorzügliche
Möglicheit, seine Meinung über die Wirklichkeit zu
äußern. Trägt die ganze Welt Masken, wie etwa im "Urquell
des Übels", in der Fledermaus, so weiß er, Kraus, zu be¬
gründen, warum er dies auch tut: weil er es nämlich so

54
will. So nimmt er den Traum, eins der typischsten Elemen¬

te der Krisenstimmung der Jahrhundertwende, bewußt an

und behauptet, gerade dies - zu finden vor allem in der

Operette - sei die Voraussetzung echten künstlerischen

Wertschaffens, gerade dadurch lasse sich''die notwendige


Trennung der Sphären (diesmal der Sphären des Lebens und

seines Symbols auf der Bühne) vollziehen. Exemplifizier¬

tes Leben und nicht Illusion des Lebens sei vom Theater

zu erwarten, das Wort solle auf der Bühne dominieren,

nicht die Ausstattung: " [...] also ich werde als Irrer

angestarrt, weil ich bei Offenbach - nicht anders als

bei Shakespeare und Nestroy - mit der Anrede an die

Schauspieler beginne: 'Nur unnatürlich sein! Zuerst un¬

natürlich! Alles weitere wird sich finden.' Dann beginne

ich das Klima der Sprachregion zu eröffnen, in der die

Charaktere wohnen, und zu erklären, daß ein Satz nicht

bloß aus Subjekt und Prädikat besteht, die man zur Not

- nicht immer - in die Verbindung eines äußeren Sinnes

bringen kann, und daß jedes Wort sein Leben, seinen Ton

hat." (F 864 , 1931 , 59) 1 4

Sprachliche Meisterschaft hatte auch in den Vorlesun¬

gen von Kraus zu dominieren. Die 700 Vorlesungen verban¬

den, auf der reichen österreichischen Tradition der Sym¬

biose von Theater und Literatur beruhend, zwei grund¬

legende Bereiche Krausscher Ambitionen. Obwohl er sich

über den Übergangscharakter des auditiven Eindrucks im

klaren war und betonte, daß Literatur gelesen werden

müsse, wollte er auf diese Form unmittelbarer Kontakt¬

aufnahme mit dem Publikum keinesfalls verzichten. Es

kommt dem Satiriker ja wesentlich darauf an, zu wissen,

inwieweit und auf welche Weise das Publikum seine Werke

dekodiert, wie es auf das Ausgesprochene reagiert.

Gerade dank dieser Tatsache konnte Kraus im Gegensatz zu

anderen ostmitteleuropäischen Satirikern ohne übertrieben

55
intensive Aktivitäten im Kaffeehaus auskommen, den iso¬

lierten "Beobachterposten" konsequent bewahren.^

Zeugnisse von Zeitgenossen, erhalten gebliebene Ton¬

aufnahmen sowie ein kurzer Film beweisen eindeutig, daß

Kraus ein suggestiver Vorleser war, und daß diese Dimen¬

sion des Gebrauchs des Wortes wirkungsvoll das in der

Fackel schriftlich Fixierte ergänzte. Gleichzeitig unter¬

streichen seine Vorlesungen die Gefahr der untrüglichen

Richterpose, die Verabsolutierung, Übertreibung, maßlose

Betonung der Kritik, die von einer "Hetzmasse aus Intel¬

lektuellen" (Canetti), von Leuten, denen "geistige Dik¬

tatorenverehrung" (Musil) nahesteht, unterwürfig ange¬

nommen werden und so zum Selbstzweck ausarten kann -

wovor selbst Karl Kraus nicht ganz geschützt war.

So war er: ein Talent, weil


kein Charakter [...].
F 329, 1911, 32

Der Kulturkritiker Kraus wollte mit außerordentlichem

Energieeinsatz in erster Linie die eigene Zeit erfassen.

Dabei konnte er freilich auch auf die Auseinandersetzung

mit der kulturellen Tradition nicht verzichten. Typisch

dafür ist eine Äußerung anläßlich des 150. Geburtstages

von Friedrich Schiller, die klar beweist, daß es Kraus

auch in solchen Fällen die Stellungnahme zu Aktualitäten

vorschwebt: "Im Kampf gegen sein Gefolge, und möge dabei

auch Schiller selbst verletzt werden, wirkt man für sein


Andenken am sichersten." (F 291, 1909, 24)17

Es gibt Fälle, wo Kraus durch Gestalten der Vergan¬

genheit eindeutig die eigenen Auffassungen unterstützt

sieht, da hütet er sich sogar vor ihrer geringsten Ver-

56
letzung. Offenbach, der ihm die ursprüngliche, ideale

Verwirklichung der Gattungsprinzipien der Operette, den

positiven Antipoden des zeitgenössischen Wiener Theater-

Wesens bedeutet, darf nicht angetastet werden: Kraus läßt

außer acht, daß die für den heutigen Zuschauer vielleicht

zügellose satirische Zeitkritik Offenbachs zwischen

leichten Melodien und Cancan tanzenden Girls verpackt,

d.h. bis zur Unkenntlichkeit getarnt wurde, und daß an

die Offenbachsche Methode daher auch die pure Unter¬

haltung vorziehende, die Kritik fast vollkommen ausschal¬


tende moderne Operette anknüpfen konnte. Ähnlich be¬

handelt Kraus Goethe und den - wohl nicht unberechtigt -

als Symbol des Theaters betrachteten Shakespeare. Eben¬

bürtiger Gefährte dieser großen Stützen der Krausschen

Zeitkritik in allen Lebenslagen ist Johann Nestroy, des¬

sen Andenken in der zu Ehren seines 50. Todestages kon¬

zipierten Rede Nestroy und die Nachwelt (F 349, 1912,

1-23) mit so großem Verständnis besprochen wird, daß sie

als ein Wendepunkt in der wissenschaftlichen Nestroy-

Forschung gilt.
Karl Kraus fühlt sich angezogen durch den Mann, in

dem sich die Einheit von Bühne und Literatur verwirklich¬

te, der von hemmungslos kritisierten Wiener Begebenheiten

zu allgemeingültigen Folgerungen kam, und der eigentlich

stets mißdeutet wurde, hielt man ihn doch für einen Spa߬

macher, Witzbold, Starkomiker, der es verstand, für sich

selbst gute Rollen zu schreiben, das Publikum zum Lachen

zu bringen, und zwar im Wiener Dialekt, wodurch sein

Geltungsbereich eindeutig umrissen erscheint. Kraus

stellt demgegenüber - die Analogien zum eigenen Schaffen

nicht verschweigend - fest, daß es sich dabei um das Werk

eines Satirikers handelt, gegen den sich Zeitgenossen

und Nachwelt durch Mißdeutung wehren. Aus dieser ein¬

fachen Erkenntnis ergibt sich für ihn die Möglichkeit,

57
die literaturhistorische Rolle von Nestroy ins rechte

Licht zu rücken und gleichzeitig seine Gedanken über die

Darstellungsweise Satire zusammenzufassen.

Es wird von sprachlichen Aspekten des Nestroyschen

Schaffens ausgegangen. Bei dem Schauspieler-Dichter ver¬

wirklicht sich, sagt Kraus, die vollkommene Kongruenz von

Sinn und Ausdruck, seine Gedanken werden in entsprechen¬

den Wendungen der deutschen Sprache verkörpert; er beob¬

achtet den Stil verschiedener Schichten und ahmt ihn

nach, er schafft aus den Phrasen des Alltags, der Jour¬

nalisten, Juristen, Wissenschaftler, Priester eine voll¬

ständige, neue Wirklichkeit. Die grundlegende Beziehung

zwischen Rede und Gedanken macht es für Nestroy natür¬

lich, im Wiener Dialekt zu schreiben, der für ihn die

natürliche, unmittelbare Umwelt verkörpert und daher die

einzig richtige Möglichkeit der Kritik schafft.

Würde Nestroy in der Zeit des "journalistischen

Sprachbetrugs" leben, meint Kraus, so bediente er sich

der Zeitung; im 19. Jahrhundert galt aber die Bühne als

wirkungsvollste Tribüne des Satirikers. Dort führte er

einen einzigen Riesenmonolog in der Maske der Figuren,

die alle auf seine eigene Persönlichkeit zugeschnitten

wurden; dort sprach und sang er an der dramatischen Form

vorbei das im Akzent verkörperte wirklich Wesentliche und

Neue. Deshalb ist die Nestroysche Theatertradition - im

Gegensatz zu der Offenbachs - nicht einmal mit der Be¬

teiligung des genialen Girardi wiederherzustellen.

Nestroy kommt es nicht darauf an, originell zu sein.

Er nimmt die Schablonen, um in ihnen wirkliche Inhalte

zu verstecken, sprachliche Klischees, um mit ihnen nach

eigenem Willen umzugehen, fremde Stoffe, um sie zum

eigenen Werk zu erheben. Gerade dadurch aber wird Nest-

roys Werk, sagt Kraus, zur satirischen Kritik an der

Wirklichkeit. Gegen die verbreitete Annahme, daß der

58
Satiriker unmittelbar die Wirklichkeit geißelt, betont

Kraus, vielleicht etwas überpointiert, das Apolitische

bei Nestroy: "Und nicht die Lächerlichkeiten innerhalb

der Politik lockten seine Aufmerksamkeit, sondern die

Lächerlichkeit der Politik. Er war Denker, und konnte

darum weder liberal noch antiliberal denken." (F 349,

1912, 17) Nicht unwichtiger ist aber auch die Erkenntnis,

daß der Satiriker nicht unabhängig von der Zeit sein

kann, sondern, von ihr "gehetzt", in eine historische

Situation eingebettet schafft: "Der satirische Künstler

steht am Ende einer Entwicklung, die sich der Kunst ver¬

sagt. Er ist ihr Produkt und ihr hoffnungsloses Gegen¬

teil." (F 349, 1912, 23)

Es ist deshalb keinesfalls bloße Destruktion, wenn

die Satire Kritik übt. Im Namen eines Ideals, einer

Instanz bejaht sie auch etwas - wenn auch nicht zu laut:

"Die Satire ist so recht die Lyrik des Hindernisses,

reich entschädigt dafür, daß sie das Hindernis der Lyrik

ist. Und wie hat sie beides zusammen: vom Ideal das ganze

Ideal und dazu die Ferne! Sie ist nie polemisch, immer
schöpferisch, während die falsche Lyrik nur Jasagerei

ist, schnöde Berufung der schon vorhandenen Welt. Wie ist

sie die wahre Symbolik, die aus den Zeichen einer gefun¬

denen Häßlichkeit auf eine verlorene Schönheit schließt

(F 349, 1912, 10 f.) Als Idealwelt kommt für

Kraus lediglich die verlorene Schönheit in Frage. Etwas

Kommendes als Ideal - im Gegensatz zu vielen zeitgenös¬

sischen Satirikern - will er nicht akzeptieren; wobei er

die Notwendigkeit eines Ideals keineswegs leugnet; er

schafft sogar einen anschaulichen Vergleich zur Klar¬

legung des dialektischen Verhältnisses von Verneinung

und Bejahung: "Die Satire kann eine Religionsstörung be¬

gehen, um zur Andacht zu kommen. Sie wird leicht pathe¬

tisch. Auch dort, wo sie ein gegebenes Pathos nicht

59
anders einstellt als ein Ding der Außenwelt, damit ihr

Widerspruch hindurchspiele. Ja und Nein vermischen sich,

vermehren sich, und es entspringt der Gedanke. Ein

Spiel, gesinnungslos wie die Liebe." (F 349, 1912, 11)

Selbst im Nestroy-Essay verzichtet Kraus nicht

darauf, seine treffenden Feststellungen über die Satire

und den Dichter Nestroy mit abwertenden Bemerkungen über

die eigenen Zeitgenossen zu vermischen. Der anerkennenden

Erwähnung dessen, daß Nestroy fremde Stoffe verwendet,

schließen sich, unmotiviert und unbegründet, folgende

Sätze an: "Er verfährt anders als der bekanntere zeit¬

genössische Umdichter Hofmannsthal, der ehrwürdigen

Kadavern das Fell abzieht, um fragwürdige Leichen darin

zu bestatten, und der sich in seinem ernsten Berufe gegen

einen Vergleich mit einem Possendichter wohl verwahren

würde. Wie alle besseren Leser reduziert Herr v. Hofmanns¬

thal das Werk auf den Stoff." (F 349, 1912, 7)

Vom Richterpult der Krausschen Satire aus gesehen

gibt es zweierlei Erscheinungen in der Welt: gute und


18
schlechte. Einen Übergang zwischen den beiden Polen

- ähnlich dem Sowohl-Als-auch bei lachenden Satirikern

ä la Karinthy - gibt es bei Kraus nicht. Er findet das

Schlechte meist in der Gegenwart, das Gute mal in der

Tätigkeit einiger mit Sympathie betrachteter Zeitgenos¬

sen, mal in für tadellos gehaltenen historischen Größen.

Es gibt aber auch ein Beispiel dafür, daß er das

Schlechte in der Kulturtradition zu entdecken wähnt. Das

ist seine Heine-Auffassung.

Dem Dichter Heinrich Heine mußte im Krausschen Denken

zwangsläufig eine Schlüsselrolle zukommen. Er war es ja,

der den Journalismus - wie Offenbach in die Operette - in

die Literatur hineinbrachte; er versuchte, gleichzeitig

mit Nestroy, in Deutschland eine satirische Tätigkeit

europäischen Ranges zu entfalten; er stand im Kreuzfeuer

60
von Angriffen aus verschiedenen Richtungen - Heine galt

also in vielerlei Hinsicht als einer der geistigen Ahnen

von Kraus. So ist es nicht verwunderlich, daß bereits im

ersten Fackel-Heft, in einem Angriff gegen den Kaffee¬

hausliteraten Julius Bauer, der Name Heinrich Heine vor¬

kommt: "Wie heißt der Herr, der von seinem Kaffeehaus-

stühlchen die Wiener Theaterwelt beherrscht, die gesammte

Journalistik seinen Wünschen fügsam zu machen weiß und

ihren Heerbann, der dem Wink seines Hauses folgt, gegen

jene aufrührerischen Elemente entsendet, welche sich

unter dem Erbtheil Heinrich Heines etwas anderes als

ödes Kalauern, gepaart mit dürftiger Versroutine, vorzu¬

stellen wagen?" (F 1, 1899, 17)

Es handelt sich also auf den ersten Blick um den

stereotypen Tatbestand: Durch Kraus verurteilte Kräfte

der Gegenwart nehmen sich einer wichtigen Figur der Tra¬

dition an. Eine mögliche Reaktion wäre also, daß Kraus

Heine gegen Bauer und andere leidenschaftlich "ver¬

teidigt". Davor weicht er aber zurück, denn der deutsche

Dichter verkörpert geradezu die in der Fackel bekämpfte

Verflechtung von Literatur und Presse; er teilt die Welt

nicht einfach in "Handwerker und Hausherren" ein wie

Nestroy; er ist nicht im geringsten apolitisch, wie das

einer, der auf dem Boden österreichischer Tradition

steht, möglicherweise für angebracht hält. Kraus kann

Heine also nicht wie andere große Idole verehren, vor¬

läufig setzt er sich jedoch auch nicht gegen ihn ein;

selbst der etwas spätere Artikel Um Reine (F 199, 1906,

1-6) ist von der Unentschlossenheit durchdrungen. Das

große Stimmgewirr der zeitgenössischen Presse um Heine

reizte Kraus aber immer mehr. Er sah, daß die Frage, ob

dem Dichter ein Denkmal errichtet werden kann und soll,

nur den Ausgangspunkt in der Auseinandersetzung bildete,

wem Heine eigentlich gehört, da er ja von etlichen Seiten

61
als ausschließlicher Vorgänger betrachtet wurde. In erster

Linie diese Aktivität des Erzfeindes hat Kraus wahr¬

scheinlich zum Verfassen von Keine und die Felgen (F 329,

1911, 1-33) veranlaßt.


Wie immer, versucht er auch hier das Objekt der

Kritik völlig bloßzustellen, und zwar - dies kommt auch

häufig vor - mit Hilfe von Aussagen des Kritisierten.

Heine erinnert im Vorwort zu Atta Troll an die Antithese

zwischen Talent und Charakter, mit der sich seine mittel¬

mäßigen Gegner entschuldigen wollten. Demnach wäre das

Talent immer der Charakterlosigkeit verdächtig. Als Ant¬

wort auf solche Anmaßungen läßt Heine auf den Grabstein

des "braven Richtungsbären" schreiben: "Kein Talent,

doch ein Charakter". Kraus dreht den Spruch um, indem er

behauptet, Heine sei "ein Talent, weil kein Charakter".

Könnte man der Krausschen Annahme, daß das Talent als

Träger von minderwertigem Charakter und daher keinesfalls

als echter Schöpfer gilt, eventuell auch noch zustimmen,

so ist die mechanische Anwendung der These - selbst bei

Kenntnis der ständigen materiellen Schwierigkeiten

Heines, die von Kraus in Kontrast zu seiner eigenen Un¬

abhängigkeit in Geldangelegenheiten betrachtet werden -

auf alle Fälle unhaltbar.

Das ist aber nicht die einzige willkürliche Gedanken¬

verbindung im Heine-Essay, der ursprünglich für den münd¬

lichen Vortrag konzipiert wurde, bei dem die suggestive

Wirkung Kraus' wesentlich ins Gewicht fiel. Die angeblich

merkantile Auffassung sollte mit Hilfe eines Zitats de¬

monstriert werden, in dem sich der Spötter Heine ausge¬

rechnet über das Eindringen der Geschäftsmentalität in

die Sphäre der Gefühle lustig macht. Sogar innerhalb

eines einzigen Satzes kommt es zu haarsträubenden Ge¬

dankengängen: "Wenn nach Iphigeniens Bitte um ein holdes

Wort des Abschieds der König 'Lebt wohl!' sagt, so ist

62
es, als ob zum erstenmal in der Welt Abschied genommen

würde und solches 'Lebt wohl!' wiegt das Buch der Lieder

auf und hundert Seiten von Heines Prosa." (F 329, 1911,

33) Bis zum Wort "würde" handelt es sich um ein berech¬

tigtes, emphatisches Lob der Sprachkunst Goethes, der

von Kraus gern gegen Heine ausgespielt wird; nach "und"

kommt aber ein plötzlicher, unmotivierter Ausfall gegen

Heine.

Sollte man demnach in Heine und die Folgen nichts als

ungestüme Angriffe auf Heinrich Heine sehen, so irrt man

sich. Einerseits sind in der Arbeit, verstreut zwischen

abfälligen Bemerkungen, zahlreiche positive Feststellun¬

gen zu finden, angefangen bei der Verehrung Goethes über

die Bejahung der Dichtungen Detlev von Liliencrons bis

hin zum Lob des Wiener Feuilletonisten Ludwig Speidel.

Sprachbezogene Aphorismen Kraus' kommen hier das erste

Mal in einen umfassenden Kontext, und es ist geradezu

programmatisch, wie Kraus die ganze Arbeit abschließt:

"0 markverzehrende Wonne der Spracherlebnisse! Die Gefahr

des Wortes ist die Lust des Gedankens. Was bog dort um

die Ecke? Noch nicht ersehen und schon geliebt! Ich

stürze mich in dieses Abenteuer." (F 329, 1911, 33)

Wichtiger noch als diese affirmativen Passagen ist,

was Kraus über die Person Heines hinaus angreift; es ist

ja nichts anderes der letzte Grund der Beschimpfung

Heines, als daß er verantwortlich gemacht wird für alle

"Folgen", d.h. für Feuilletonisten, die sich auf ihn be¬

ziehen. In Heine und die Folgen werden bemerkenswerte

Argumente gegen das Feuilleton aufgezählt, das laut Kraus

ebensowenig eine organische Notwendigkeit ausdrückt wie

die zwecklosen "Gebrauchsgegenstände", die die "Wiener

Werkstätte" dem Bürger liefert: "Der Verschweinung des

praktischen Lebens durch das Ornament, wie sie der gute

Amerikaner Adolf Loos nachweist, entspricht die Durch-

63
Setzung des Journalismus mit Geisteselementen, die aber

zu einer noch katastrophaleren Verwirrung führen mußte,

[...} Das literarische Ornament wird nicht zerstampft,

sondern in den Wiener Werkstätten des Geistes moderni¬

siert. Feuilleton, Stimmungsbericht, Schmucknotiz - dem

Pöbel bringt die Devise 'Schmücke dein Heim' auch die

poetischen Schnörkel ins Haus." (F 329, 1911, 10)

Auf seine untheoretische Art gibt Kraus in diesem

Aufsatz eine Anatomie des Feuilletons. Er zeigt an kon¬

kreten Beispielen, wie einseitig die "impressionistischen

Laufburschen" (d.h. die Journalisten) sind, die jeden mit

denselben Worten beschreiben, ob es der deutsche Kaiser

oder der Wiener Bürgermeister ist. Nicht nur ihre

sprachliche Ausdrucksweise ist aber unzulänglich, sondern

auch ihre Phantasie. Das wollen sie dadurch verschleiern,

daß sie sich wie ein "Livingstone in der dunkelsten

Leopoldstadt" benehmen. Der junge Reporter, ins Bad ge¬

schickt, tut z.B. so, als wäre er noch nie da gewesen.

Statt einer objektiven Meldung ("eines schmucklosen Be¬

richts" - wie es in Untergang der Welt durch schwarze

Magie hieß) wollen sie Stimmungen beschreiben, Farben

malen, statt wesentlicher Fragen Allgemeinheiten be¬

sprechen. Wiener Feuilletonisten - das Bekämpfte wird ja

streng in dieser Stadt lokalisiert - sprechen von einem

"Straßenbahnunglück" (und nicht "-Unfall"), sie lassen

Tatsachen großzügig außer acht, obwohl es sich ledig¬

lich deswegen lohnte, über die Ereignisse zu berichten;

sie wollen nicht mitteilen, sondern beschreiben.

Diese organisch in die allgemeine Kraussche Presse¬

kritik passenden Gedanken, und nicht etwa die Ausbrüche

gegen die Person Heinrich Heine verleihen dem Aufsatz

Heine und die Folgen einen echten Wert.

64
5.

Wir stehen im Zeichen des


Fortschritts.
F 275, 1909, 34

Es war in erster Linie das kulturelle Leben der

untergehenden Österreichisch-Ungarischen Monarchie, in

dem Karl Kraus Kontraste, Widersprüche, Diskrepanzen

zwischen Wirklichkeit und Schein, Absicht und Verwirk¬

lichung, Äußerem und Innerem entdeckte; seine Aufmerksam¬

keit erstreckte sich allerdings auch auf weite Bereiche

des gesellschaftlichen Milieus. Er wandte sich - auch

darin der Tradition der österreichischen Literatur fol¬

gend - gegen die größtenteils nur scheinbaren Möglichkei¬

ten politischer Aktivitäten in der Monarchie. Deshalb

antwortete er Robert Scheu, der ihn 1906 in einem offenen

Brief aufforderte, zur Diskussion über die Wahlreform

beizutragen, mit folgenden Worten: "Wozu Wahl? Wozu An¬

schluß? Wenn ich von zwei Übeln das geringere wählen

soll, wähle ich keines." (F 194, 1906, 11) Der "fana¬

tische Nicht-Politiker" drückt allerdings auch die

- ohne Detaillierung ziemlich allgemein geratene - Hoff¬

nung aus, daß Österreich baldmöglichst erneuert wird, so

daß dann auch seine Zeit kommt.

Es ist zweifelsohne nicht unproblematisch bei Kraus,

daß er gesellschaftliche, geschichtliche Entwicklungs¬

prozesse nicht in Betracht ziehen will, daß er Symptome

und nicht Erreger von Krankheiten registriert; statt der

Basis beschaut er die Fassade der letzten anderthalb

Jahrzehnte der Donaumonarchie. Gleichzeitig gelingt es

ihm aber gerade durch anscheinend zufällige, unbedeutende

Beobachtungen aus dem Alltag ein authentisches Bild der

Epoche, ein Werk zu schaffen, das, wie Georg Lukäcs fest-

65
stellt, zu den großen selbstkritischen Satiren der

bürgerlichen Entwicklung gehört.

Im Schatten des Scheinlebens der Zeit sucht Kraus

stets nach Möglichkeiten des menschenwürdigen Lebens.

Die Kritik an der Justiz und der Presse, die Angriffe

gegen die Salonoperette entblößen Vergehen gegen die

richtige Lebensweise. Kraus wendet sich auch gegen die

Psychoanalyse,vor allem gegen das Herumkramen in der in¬

nersten Schicht der Privatsphäre, in der Menschenseele.

Als alltägliche Variante dieser Mentalität betrachtet er

das vorrangig in Kaffeehäusern zu bobacbtende Schwatzen,

als gefährlichste das, wenn jemand durch den Beruf ge¬

wonnene Geheimnisse an Unbefugte weitergibt. Die schwei¬

genden Krzte (F 283, 1909, 48-56) beachten beispielsweise

ihre Schweigepflicht in Wirklichkeit gar nicht, wenn sie

den "Laufburschen der Öffentlichkeit" mit Freude brisante

Fälle erläutern. Konkrete Bispiele beweisen in diesem

Zusammenhang weiterhin, daß den angeblich so Selbstlosen

bei der Behandlung immerfort materielle Vorteile vor¬

schweben .

In dem Maße, wie der Bürger den Blick von wirklichen

Sorgen abwendet, beansprucht er die große Schau, und zwar

unter ihren neuen Erscheinungsformen, wie Kraus zeigt,

auch den Sport. (Die traditionelle Form, das Theater

wurde von ihm, wie zu sehen war, lediglich vor Mißbrauch

geschützt.) Im Staate, wo es kein öffentliches Leben gab,

mußte das Privatleben zu öffentlichen Zwecken verwendet

werden. Zum 60. Jahrestag der Thronbesteigung von Franz

Joseph wurde daher Der Festzug (F 248, 1908, 14-20) or¬

ganisiert, damit das Publikum wieder Spektakel hat. Dazu

gehörte natürlich - wie später auch in Musils Mann ohne

Eigenschaften dargestellt - ein Komitee: "Von allen Bil¬

dungsbestrebungen war es seit jeher die populärste, ein

Komitee zu bilden, und es gab eines, dessen Absichten

66
tiefer als irgend eines anderen in den wahren Bedürfnis¬

sen der Bevölkerung wurzelten. Es war das ’Festzugs-

komitee', das sich aus einem intuitiven Erfassen kommen-


V

der Möglichkeiten vor Jahrzehnten schon in Permanenz er¬

klärt hatte." (F 248, 1908, 16) Bei den ständigen Sitzun¬

gen des Komitees wird festgestellt, daß ins Gesell¬

schaftsspiel der Adel, das Bürgertum und als Publikum das

Volk mit einbezogen werden müssen, die Kunst in den

Dienst des patriotischen Gedankens zu stellen ist usw.

Empört stellt jeder fest, daß von "höchster Stelle" um

einen Verzicht auf die Feierlichkeiten gebeten wird: "Die

höchste Stelle kann nicht so unpatriotisch denken, daß

sie einen Festzug verhindern sollte. Er wird Zustande¬

kommen. Und wenn das Reich sich auflöst, das Komitee löst

sich nicht auf! Wer ist so feig, es in der Stunde der

Gefahr im Stiche zu lassen?" (F 248, 1908, 19) Das Komi¬

tee gibt nicht auf, man sucht mit Hilfe einer einflu߬

reichen Hofdame nach Protektion; das Publikum ist ge¬

spannt auf die Entwicklungen; mit einem Wort: alle sind

beschäftigt und dabei geschieht nichts.

"Die Straßen Wiens sind mit Kultur gepflastert. Die


1 9
Straßen anderer Städte mit Asphalt", verspottet Kraus

die Denkweise, die unwirkliche Lebenswerte schafft. In

Wien stehe alles auf dem Kopf, hier werde Zweckmäßigkeit

der Dekoration geopfert: "Die Leute, die uns bedienen,

sie sind Sehenswürdigkeiten. Der Kutscher ist eine Indi¬

vidualität, und ich komme nicht vorwärts. Der Kellner hat

Rasse und läßt mich deshalb auf das Essen warten. Der

Kohlenmann singt vergnügt auf seinem Wagen, und ich

friere." (F 266, 1908, 9) Einer von denen, die die

lebensschänderische Zwecklosigkeit vertreten, ist der

Bürokrat, der sich so benimmt, als solle der Kunde ihm

für eine persönliche Gunst dankbar sein. Karl Kraus wird

- im Gegensatz zu zahlreichen Dichtern der Monarchie -

67
von dieser Wichtigtuerei nicht besonders betroffen: "Eine

merkwürdige Art Mensch ist der Beamte eines magistra¬

tischen Bezirksamtes. Erledige ich eine Angelegenheit

schriftlich, so lädt er mich vor. Gehe ich das andere

Mal gleich selbst, so fordert er mich auf, eine Eingabe

zu machen. Ich muß rein auf die Vermutung kommen, daß er

das eine Mal mich kennen lernen und das andere Mal ein

Autogramm von mir haben will." (F 270, 1909, 33)

Nicht nur jene ziehen die beißende Kritik von Kraus

auf sich, die mit Scheinaktivitäten das menschliche Sein

unmöglich machen, sondern auch jene, die sich nicht gegen

diese wehren. Die Lehrerwitwen, die Geld anbieten, damit

Kraus ihre unwahrscheinlich niedrige Rente in der Fackel

erwähnt, werden ebenso verurteilt wie alle, die Trinkgeld

geben und nehmen: "Die Überwindung der Menschenwürde ist

Voraussetzung des Fortschritts. Ich habe sie in allen

Situationen gesehen. Sie glaubte sich unbeobachtet, und

ich sah, wie ein Kellner vor einem Trinkgeld, das ein

Gast auf dem Tisch zurückgelassen hatte, sich verbeugte

und 'Ich danke vielmals' sagte. Ein anderes Mal bemerkte

ich, wie er sich bückte, um eines Kreuzers, der in einen

Spucknapf gefallen war, habhaft zu werden. In einem dop¬

pelten Symbol faßte mich der Menschheit ganzer Jammer an.

Wo ist die Menschenwürde? fragte ich. Jener verstand

schlecht, glaubte, ich verlange eine abgegriffene il¬

lustrierte Zeitung, und sagte: Bedaure, sie ist in der

Hand!" (F 251, 1908, 33)

Für besonders bekämpfenswert hält Karl Kraus Scha¬

blonen des Denkens. Gegen ihre hauptamtlichen Vertreter,

die Presse und die Psychoanalyse, setzt er sich energisch

ein, im Zusammenhang mit verschiedenen Themen (wie in der

Frage der Frau) versucht er die Denkschablonen zu zer¬

stören - vor allem zeigt sich aber dieses sein Bestreben

68
in der Kritik am Fortschritts- und Technikglauben seiner

Zeit.

Im Gegensatz zur blinden Hingabe der Zeitgenossen ist

er der Ansicht: "Die Menschheit [...] braucht ihr geisti¬

ges Kapital für ihre Erfindungen auf und behält nichts

für deren Betrieb." (F 275 , 1909, 35) Dieser Gedanke wird

reichlich variiert. Dabei ist Kraus (wiederum im Gegen¬

satz zur hedonistischen Wiener Tradition) kein Gegner


20
sinnvoller technischer Neuerungen; was er verneint, ist

die Verabsolutierung der Technik, die Unfähigkeit, die

mit großer Mühe konstruierte Maschine zu benutzen: "Die

Technik: Automobil im wahren Sinne des Wortes. Ein Ding,

das sich nicht bloß ohne Pferd, sondern auch ohne den

Menschen fortbewegt. Nachdem der Chauffeur den Wagen an¬

gekurbelt hatte, wurde er von ihm überfahren. Nun geht es

so weiter." (F 508, 1919, 80)

Als herrschendes Dogma der Epoche galt der durch den

Liberalismus verbreitete Fortschrittsglaube, der in Wien

eine breite Anhängerschaft besaß; konnten doch durch

seine Hilfe Probleme der Gesellschaft anscheinend

schmerz- und reibungslos gelöst werden. Auch in dieser

Hinsicht erkannte Kraus wichtige Widersprüche. Der Leit¬

gedanke seiner Kritik ist der - später auch von Wittgen¬

stein übernommene - Nestroy-Satz: "Überhaupt hat der

Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut,

als er wirklich ist." (F 349, 1912, 56) Kraus betont, daß

der Glaube an den Fortschritt Ersatz für wirkliche, ver¬

antwortungsvolle Handlungen ist und vielleicht durch die

Kehrmaschine am besten symbolisiert wird: "[...] die

Maschine dient der großen fortschrittlichen Idee der Ver¬

breitung des Staubes. Vollends aber ging mir der Sinn des

Fortschritts auf, als es regnete. Es regnete unaufhörlich

und die Menschheit dürstete nach Staub. Es gab keinen und

die Walze konnte ihn nicht aufwirbeln. Aber hinter ihr

69
ging ein radikaler Spritzwagen einher, der sich durch den

Regen nicht abhalten ließ, den Staub zu verhindern, der

sich nicht entwickeln konnte. Das war der Fortschritt.

(F 275, 1909, 34) Unter dem Deckmantel "Fortschritt"

steckt also, behauptet Kraus, kein Fortschritt im eigent¬

lichen Sinne des Wortes: "Ich habe mir eine Zeitungsphrase

einfallen lassen, die eine lebendige Vorstellung gibt.

Sie lautet: Wir stehen im Zeichen des Fortschritts. Jet2t

erst erkenne ich den Fortschritt als das, was er ist, -

als eine Wandeldekoration. Wir bleiben vorwärts und

schreiten auf demselben Fleck. Der Fortschritt ist ein

Standpunkt und sieht wie eine Bewegung aus." (F 275,

1909, 33 f.)

Der sogenannte Fortschritt protzt, laut Kraus, mit

Scheinerfolgen, wie etwa der Entdeckung (oder wie man zu

sagen pflegte, Eroberung) des Nordpols. Die die Welt be¬

herrschende Dummheit hat den Pol erreicht, da für sie

die Existenz eines von ihr noch nicht eingenommenen Ge¬

bietes unhaltbar ist. Der große Verbündete der Dummheit,

die Presse, bereitete die Menschen sorgfältig auf die

Notwendigkeit des "großen" Aktes vor, der sich eigentlich

so zugetragen hat, daß einige Eskimos sich bereit erklär¬

ten, die Weißen zu einem bestimmten Punkt zu führen, daß

es zu einem guten "welthistorischen Turfskandal" kommen

konnte (wer nämlich den Pol als erster erreichte), daß

sich die Möglichkeit zur Herumkramerei im Privatleben der

Nordpolfahrer ergab. Kleinliche Siege, stellt Kraus fest,

denn: "Der Fortschritt [...] feiert Pyrrhussiege über die

Natur." (F 287 , 1 909 , 1 1)

Kraus ist auch diesmal bestrebt, eine klare Gegenwelt

zu entdecken, und findet sie in der Natur. Der unberührte

Urzustand, dem seine Suche schon immer galt, wird hier

nicht aufgesplittert, sondern als eine untrennbare Ein¬

heit (auf den Spuren Rousseaus) aufgefaßt: "Die Natur

70
liest keinen Leitartikel und weiß darum noch nicht, daß

man gerade jetzt damit beschäftigt ist, 'die Welt der

elementaren Gewalten in ein Vernunftreich zu verwandeln'.

Würde sie hören, daß die Meldung vom erreichten Nordpol

bei allen Laufburschen der Erde 'das Gefühl der Über¬

legenheit über die Natur gesteigert' hat, sie hielte sich

den Bauch vor Lachen, und Städte und Staaten und Waren¬

häuser würden dann ein wenig in Unordnung geraten." (F

287, 1909, 12) Naturkatastrophen - wie etwa das Erdbeben

in Sizilien oder der Untergang der "Titanic" - ermahnen

die Menschheit: Das Manometer steht auf 99, der Eintritt

der Explosion ist lediglich eine Zeitfrage; der Reiter

der Apokalypse zieht schon über Deutschland: "'Und dem

Reiter ward Macht gegeben, den Frieden von der Erde zu

nehmen, und daß sie sich einander erwürgten.'" (F 261,

1908, 4)

Die Kraussche Kultur- und Zeitkritik erreichte auf

diese Weise einen absolut eschatologischen Punkt. Indem

der Satiriker zahlreiche Widersprüche der untergehenden

Österreichisch-Ungarischen Monarchie entlarvte, ohne von

der Wirksamkeit der Kritik überzeugt zu sein, ja über¬

haupt ohne einen realen Ausweg zu sehen, wurde er immer

mehr vom Gefühl der Auswegslosigkeit überwältigt. Die

Vorahnung der Apokalypse, die vor der Menschheit steht,

machte, laut Kraus, sogar die satirische Kritik als

solche unmöglich: "Was vermag nun ein Satirenschreiber

vor einem Getriebe, dem ohnedies in jeder Stunde ein

Hohngelächter der Hölle antwortet? Er vermag es zu hören,

dieweil die anderen taub sind. Aber wenn er nicht gehört

wird? Und wenn ihm selbst bange wird?" (F 261, 1908, 7)

Vor dem zwangsläufig auftauchenden Gedanken, daß man

vielleicht mit Gewalt etwas gegen die entstandene Situa¬

tion tun könnte, schrickt er zurück: "[...] einem

gelegentlichen Barbarenangriff auf die Bollwerke unserer

71
Kultur, Parlamente, Redaktionen und Universitäten könnte

man zujauchzen, wenn er nicht selbst eine potzti-sche

Sache wäre, also eine Gemeinheit. Als die Bauern eine


Hochschule stürmten, wars nur der andere Pöbel, der

seines Geistes Losung durchsetzen wollte." (F 261, 1908,

7)
So bleibt Kraus nichts übrig als die pathetische Ver¬

herrlichung des Ideals. Dies erfolgt, wie immer bei

Kraus, mit Hilfe konkreter Beispiele. Typisch dafür ist

sein Chinesen-Kult. Diese stünden ja, meint er, sich auf

diese Weise dem zeitgenössischen Interesse für östliche

Kulturen anschließend, der Natur näher als die Europäer.

Als die Presse während der Besprechung eines Verbrechens

darüber berichtete, daß die Polizei bei dem chinesischen

Kellner Leon Ling 2000 Liebesbriefe von größtenteils vor¬

nehmen Frauen fand, deutete dies für Kraus die Einigung

von zwei unterdrückten und mißhandelten Naturmächten an,

nämlich der (weißen) Frau und der "anderen Rasse". Es

entsteht daraus bei Kraus fast eine Art "Anti-Rassen¬

theorie", die darin gipfelt, daß nicht von "gelber Ge¬

fahr" die Rede sein kann, sondern im Gegenteil, die

sterbende europäische Kultur durch die Chinesen abgelöst

wird: "Und das Chaos sei willkommen; denn die Ordnung hat

versagt. Eine gelbe Hoffnung färbt den Horizont im Osten,

und alle Glocken läuten Sturm." (F 285, 1909, 16)

Ein ausgeglichener früherer Zustand, eine Ordnung auf

primitiverer Ebene schweben Kraus als Gegensatz zur Welt

vor, die sich in falsche Richtung entwickelt hat. So kann

er die Aristokratie als echten Träger der Kultur apostro¬

phieren und deshalb sucht er wieder nach einer Person,

die den idealisierten Zustand - in diesem Falle also all

das, was der feindlichen, schlechten Welt, der falschen

Fortschrittskonzeption gegenübersteht - verkörpern kann.

Als eine solche Person gilt für Kraus Franz Ferdinand.

72
Der in den früheren Fackel-Heften kaum erwähnte

Thronfolger soll das Symbol des Charakters sein, im Ge¬

gensatz zu den zahlreichen kleinlichen "Talenten" der

österreichisch-ungarischen Welt, ein seriöser, verant¬

wortungsbewußter Mann, dessen menschliche Eigenschaften

- der Krausschen Auffassung nach - die Sicherheit ge¬

boten hätten, daß er Ordnung in den morschen k.u.k. Staat

bringen kann: "Franz Ferdinand war die Hoffnung dieses

Staats für alle, die da glauben, daß gerade im Vorland

des großen Chaos ein geordnetes Staatsleben durchzusetzen

sei. [•••] Nicht, daß er die Hoffnung der sogenannten

Reaktion, aber daß er die Furcht des Fortschritts war,

und daß sein Leben wie ein Schatten auf der abscheulichen
Heiterkeit dieses Staatswesens lag, sichert seinem An¬

denken etwas von dem Respekt, den eine weltverbrannte,

aber gleichwohl bestehende Verpflichtung zum Geist nie

an falschem Ort bekennt." (F 400, 1914, 2)

Für Karl Kraus beweist also der Tod von Franz Ferdi¬

nand, wie schwer die einzelnen Sphären (hier die des

Staatsmannes, der sich um Politik kümmern muß, und die

des Gemeinen, dem das verwehrt bleiben soll) voneinander

zu trennen sind: "Wie sollten Machthaber verhindern kön¬

nen, daß Schulbuben sie absetzen, da die Schulbuben doch

zuvor die Machthaber absetzen können? Es gibt Dinge zwi¬

schen Septima und Oktava, von denen sich die Staatsweis¬

heit nichts träumt, und solange die Kräfte und Unkräfte

des Lebens mit politischen Maßen gemessen werden, so

lange wird der Unbefugte den Mechanismus besser zum

stehen bringen als der Funktionär zum gehen." (F 400,

1914, 1) Die Hand des Mörders wurde, zieht Kraus die

Schlußfolgerung, von den Talenten, den Vertretern des

Fortschritts geführt, die sich gegen die souveräne

Persönlichkeit einsetzen: "Wie ahnungslos recht hat die

Politik, wenn sie argwöhnt, daß 'hinter diesem Drucker,

73
der die Bombe geschleudert, und hinter diesem Mittel¬

schüler, der den Erzherzog und seine Gemahlin erschossen

hat, andere stehen, die nicht zu fassen sind und diese

Werkzeuge ausgerüstet haben.' Keine kleineren Mächte als

Fortschritt und Bildung stehen hinter dieser Tat, losge¬

bunden von Gott und sprungbereit gegen die Persönlich¬

keit, die mit ihrer Fülle den Irrweg der Entwicklung

sperrt." (F 400, 1914, 1)

Diese Kraussche Auffassung beruht auf einer grund¬

sätzlichen Fehleinschätzung von Franz Ferdinand. Man darf

jedoch nicht außer acht lassen, daß Kraus über einen

Toten, der ihn nicht mehr enttäuschen kann, lauter Posi¬

tives aussagt und dadurch eigentlich recht unmittelbar

die Unfähigkeit der Lebenden ausdrückt. Obwohl auf eine

einzige Person projiziert, geht es Kraus auch diesmal

(ähnlich wie beim Fall Heine) um Prinzipielles, um die

Darstellung von Reflexionen zur gegebenen gesellschaft¬

lichen Wirklichkeit.

Erst die bittere Erfahrung der Kriegsjahre wird Kraus

zu einer reineren die satirische Kritik verstärkenden)

Idealauffassung führen, (die zwar frei von gesellschaft¬

lich-politischen Faktoren ist, aber auch von zweifel¬

haften Konkretisierungsversuchen in der Art der Ideali-


21
sierung von Franz Ferdinand.

74
III. KRAUS UND DER
WELTKRIEG
(1914-1918)

1.

Du großer Gott, laß mich


nicht Zeuge sein!
F 443, 1916, 35

Der Weltkrieg galt für Karl Kraus von Anfang an als

Verwirklichung der von ihm längst prophezeiten Apo¬

kalypse. Es war jedoch für ihn nicht eindeutig, wie er,

der aus gesundheitlichen Gründen nicht an die Front

mußte, auf die Ereignisse reagieren sollte. Als erstes

bot sich das Schweigen an, das in dem monumentalen An¬

fangssatz der ersten Kriegs-Fackel vom Dezember 1914 so

gedeutet wird: "In dieser großen Zeit, die

ich noch gekannt habe, wie sie so klein war; die wieder

klein werden wird, wenn ihr dazu noch Zeit bleibt;

[...] in dieser Zeit, in der eben das geschieht, was

man sich nicht vorstellen konnte, und in der ge¬

schehen muß, was man sich nicht mehr vorstellen

kann, und könnte man es, es geschähe nicht -; [...] in

dieser da mögen Sie von mir kein eigenes Wort erwarten.

Keines außer diesem, das eben noch Schweigen vor Mi߬

deutung bewahrt." (F 404, 1914, 1) Es wird hier nicht

nur für das eigene Verstummen plädiert, sondern das

Schweigen wird unter den gegebenen Umständen für die

einzig mögliche schriftstellerische Haltung erklärt:

"Die jetzt nichts zu sagen haben, weil die Tat das Wort

hat, sprechen weiter. Wer etwas zu sagen hat, trete vor

und schweige!" (F 404, 1914, 2)

75
Etwa ein Jahr später, im Oktober 1915, kann Kraus

dieser Aufforderung selbst nicht mehr folgen, die Ver¬

achtung, die der größte "Wortmisthaufen der Welt" in

ihm hervorrief, mußte zu der Erkenntnis führen, daß das

wirkliche Wort doch noch mehr bewirkt als das ohnmächtige

Schweigen: "Es mußte geschehen, daß nach fünfzehn Mona¬

ten, in denen bloß diese fürchterlichen Herolde des

Siegs laut wurden von dem besessenen Kassier der Welt¬

geschichte bis hinunter zu den unentrinnbaren Hilferufern

der Extraausgaben, daß nach all der Zeit doch auch der

Herold der größten Kultur-pleite, die dieser Planet erlebt

hat, sich hörbar mache, und wäre es nur, um zu beweisen,

daß die Sprache selbst noch nicht erstickt sei." (F 413,

1915, 25) Von dieser Zeit an berichtet Kraus bewußt, mit

äußerster Ausdauer und Konzentration von all dem, was in

den Kriegsjahren selbst jenen, die nichts anderes als die

offizielle Informationsquelle, die Zeitungen, in der Hand

hatten, einleuchten konnte. Diese Registrierarbeit,

welche vielleicht die bedeutungsvollste Schicht des

Krausschen Schaffens darstellt, wird immer wieder unter¬

brochen und ergänzt durch eine Art von Verteidigungsre¬

flexen, durch die Betonung des Strebens nach einer hei¬

len, unberührten Idealwelt, deren Konturen sich bereits

in den Vorkriegsjahren abzeichneten.

Hinzu kommt aber auch noch ein formaler - bei ost¬

mitteleuropäischen Satirikern der Zeit nicht seltener -

Aspekt, nämlich die Hinwendung zur gebundenen, kompri¬

mierten, klar organisierten Sprechweise der Lyrik. Dabei

geht Kraus vom pathetischen Prosastil (der satirische


1
Kritik meist begleitet) aus. Das Gedicht Sonnenthal (F

418, 1916, 60) stellt beispielsweise die scheinbar un¬

wesentliche Umstilisierung der gehobenen letzten Sätze

eines Artikels über den großen Wiener Schauspieler dar

(Das Denkmal eines Schauspielers. F 391, 1914, 31-40).

76
Vergleicht man lediglich den letzten Satz im Artikel und

im Gedicht, so merkt man schon Sinnunterschiede: "Und

aller der Sänger und Instrumente Organ und Manier, deren

Verstimmung noch von so eindringlichem Geiste war, daß

wir sie bewahren gegen das Gleichmaß, mit dem die Narren

der Zeit und der Szene ihre Schellen schlagen."

Und all der Sänger Stimme und Manier,

die noch verstimmt, von solchem Geiste war,

daß sie bewahrt sei gegen alles Gleichmaß,

womit die Narren der Szene und der Zeit

die lauten Schellen schlagen.

Außer kleinen Veränderungen grammatischen und logischen

Charakters wird statt der ersten Person Plural ("daß wir

sie bewahren") die unpersönliche Form bevorzugt ("daß sie

bewahrt sei") - was vor dem Krieg künstlerisches Programm

für den Traditionsverehrer und -fortsetzer Kraus war,

ist unter den neuen Umständen zu allgemeiner, nicht an

einzelne Personen gebundener Forderung geworden; jene

aber, die sich diesen Bestrebungen widersetzen, heißen

nicht mehr "Narren der Zeit und der Szene", sondern um¬

gekehrt: "Narren der Szene und der Zeit", d.h. an der

exponiertesten Stelle des Ausdrucks steht nicht die be¬

grenzte Bezugnahme auf die Bühne, sondern die wesent¬

lichere, umfassendere auf die Zeit.

Die persönliche Situation - vor allem die Bekannt-


2
schaft mit Sidonie Nädhern^ - brachte mit sich, daß

Kraus gerade in den blutigen Kriegsjahren auf den Kon¬

trast zwischen der schrecklichen Wirklichkeit bzw. den

ausgewogenen, idyllischen böhmischen Parkanlagen und

Schweizer Bergen aufmerksam wurde. Das unmittelbare

Naturerlebnis bestimmte seine Dichtung um so mehr, als

ja gerade der Park, der Garten, die unberührte Natur von

Stifters Nachsommer an immer wieder als eine Art "buen

77
retiro" für österreichische Dichter galten, wo sie in

paradiesischer Ruhe und Stille, weit von der grausamen

Lebenswirklichkeit entfernt, mit sich identisch sein und

Träumen, Hoffnungen und Erinnerungen huldigen, phantasie¬

ren konnten.
Kraus beschrieb Richtung und Ziel seiner weitgehend

bewußten Flucht vor der Wirklichkeit mit folgenden

Zeilen:

Ich komme aus dem Leben, jenem Ort,

wo sie mit Leidenschaft das Leben quälen

und sich die Menschen zu der Menschheit zählen,

und technisch meistern sie den Tag zum Tort.

So zwischen Schmach und Schönheit eingesetzt,

rückwärts die Welt und vorwärts einen Garten

ersehend, bleibt die Seele unverletzt.

(F 443, 1916, 4)

Er bewundert den ruhigen See mit dem Schwan, die Glocken¬

blumen, die Schmetterlinge. Hier in der Natur findet er

die zeitlose Erfüllung, die einst im Paradies sein

sollte:

Wiese im Park

Wie wird mir zeitlos. Rückwärts hingebannt

weil' ich und stehe fest im Wiesenplan,

wie in dem grünen Spiegel hier der Schwan.

Und dieses war mein Land.

Die vielen Glockenblumen! Horch und schau!

Wie lange steht er schon auf diesem Stein,

der Admiral. Es muß ein Sonntag sein

und alles läutet blau.

78
Nicht weiter will ich. Eitler Fuß, mach Halt!

Vor diesem Wunder ende deinen Lauf.

Ein toter Tag schlägt seine Augen auf.

Und alles bleibt so alt.

(F 413, 1915, 128)


3
Nicht nur im Janowitzer Park ist aber alles "blau",

nicht nur dort blitzen kleine Seen, nicht nur dort grüßen

einen Glockenblumen, sondern auch in der freien Natur,

vor allem im Tal (oder wie Kraus emphatisch schreibt:

Thal) :

Vallorbe

Mai 1917

Du himmlisches Geflecht, du Glockenblumenkorb,

Ursprung der Orbe, der Welt, du unversehrtes Ziel,

du Wonnewort Vallorbe, das in den Mai mir fiel,

du Thal der Thäler du, traumtiefes Thal der Orbe!

Du Sonntag der Natur, hier seitab war die Ruh.

Ursprung der Zeit! So hat, da alles war geglückt,

der Schöpfer diesen Kuß der Schöpfung aufgedrückt,

hier saß der Gott am Weg zum guten lac de Joux.

Du Gnade, die verweht den niebesiegten Wahn,

wie anders war es da, und da entstand die Zeit,

dieweil sie staunend still stand vor der Ewigkeit.

Wie blau ist doch die Welt vom Schöpfer aufgethan!


(F 472, 1917, 32)

Pflanzen, Bäume, Gewässer gehören zur unendlichen

Schönheit, ferner auch Tiere (vor allem Schmetterlinge),

die an eine frühe Begegnung mit der Natur, an manche Tage

in Weidlingau, einem kleinen Ort bei Wien, erinnern. Kraus

79
sehnt sich - auch damit an zahlreiche Zeitgenossen erin¬

nernd - in die konfliktlose Kindheit zurück:

Du großer Gott, laß mich nicht Zeuge sein!

Hilf mir hinab ins Unbewußte.

Daß ich nicht sehen muß, wie sie mit Wein

zur Not ersetzen ihre Blutverluste.

Du großer Gott, vertreib mir diese Zeit!

Hilf mir zurück in meine Kindheit.

Der Weg zum Ende ist ja doch so weit,

und wie die Sieger schlage mich mit Blindheit.

(F 443, 1916, 35)

Als Fest gilt für Kraus außer der Kindheit der Frühling

und der die Vollendung, die vollständige Ruhe symbolisie¬

rende Sonntag. Auf Traklsche Weise werden diese ständigen

Motive in den Gedichten variiert, um schließlich zum Be¬

griff des "Ursprungs" verdichtet zu werden. Das Wort (das

auch im bereits zitierten Gedicht Vallorbe zweimal vor¬

kommt) synthetisiert den paradiesischen Urzustand, dessen

Wiederherstellung der Sünder Mensch anstreben muß, eine

natürliche Harmonie und vollkommene Entsprechung zwischen

allen Elementen, ja beinahe eine Art "Prae-Existenz".

Besonders deutlich wird diese Auffassung durch fol¬

gendes Gedicht erklärt:

Zwei Läufer laufen zeitenlang,

der eine dreist, der andre bang:

Der von Nirgendher sein Ziel erwirbt;

der vom Ursprung kommt und am Wege stirbt.

Der von Nirgendher das Ziel erwarb,

macht Platz dem, der am Wege starb.

Und dieser, den es ewig bangt,

ist stets am Ursprung angelangt.

(F 300, 1910, 32)

80
Kraus' dualistische Denkweise kommt auch hier zum Aus¬

druck: Es wird ein eigenartiger Wettkampf zwischen zwei

Läufern ausgetragen. Der eine ist sozusagen Fortschritts¬

fanatiker, er will nach vorn, .setzt sich Ziele. Der

Gegner - vom Gegenpol des "Nirgendher", dem "Ursprung"

kommend - geht "zeitenlang" des Weges, der vom "Ursprung"

zum "Ursprung" führt. Durch das Sterben unterwegs gerät


4
er aus dem Zeitkontinuum, und gerade so erreicht er, was

sein Gegenpart, Scheinzielen nachlaufend, nie imstande

ist zu erreichen, den wirklichen Lebenszweck: die voll¬

kommene Auflösung in der Natur.

In der letzten Strophe des Gedichtes Der sterbende

Mensch sagt Gott zu dem Sterbenden:

Im Dunkel gehend wußtest du ums Licht.

Nun bist du da und siehst mir ins Gesicht.

Sahst hinter dich und suchtest meinen Garten.

Du bliebst am Ursprung. Ursprung ist das Ziel.

Du, unverloren an das Lebensspiel,

Nun mußt, mein Mensch, du länger nicht mehr warten.

(F 381, 1913, 76)

Der Sterbende ist mit dem bangen Läufer des vorigen Ge¬

dichts identisch. Er ist der Mensch von richtiger Lebens¬

führung, der auch im Dunkeln mit Sicherheit das Licht

fand, indem er rückwärts blickte und dort das Paradies

("meinen Garten" - sagt Gott) suchte.

Die Krausschen Idealvorstellungen stellen zweifels¬

ohne einen "klassenindifferenten Fixpunkt" (Dietrich

Simon) dar, sie sind atemporal, ahistorisch. Sollte man

vom Satiriker unmittelbare Hinweise, Handlungsrezepte er¬

warten, so müßte man sie für totalen Selbstbetrug und

Absurdität halten; wenn man aber in Betracht zieht, daß

das satirische Ideal "irgendeine Beziehung zum fort¬

schrittlichen Gedankengut der Epoche" haben, nicht aber

81
mit ihm identisch sein muß, so ist der Kraussche Ursprung

eine der platonistischen Idealvorstellungen der Epoche,

die Hinwendung zu einer heilen, absolut reinen Quelle bei

einem Menschen, der durch die verdorbene Welt seiner Zeit

enttäuscht wurde.

Nach Ordnung sowohl im inhaltlichen als auch im for¬

malen Sinne des Wortes wird nicht nur im Gedicht ge¬

forscht . Ordnende Bestrebungen des Satirikers machen bei

einzelnen Arbeiten nicht halt, sondern kommen in einem

allgemeinen Anspruch auf Symmetrie zum Vorschein. Dies

ist an allen Punkten des Lebenswerkes zu beobachten, am

deutlichsten zeigt es sich aber in der Zeit, da man

Flucht, Auswegsuchen am nötigsten hatte: in den Kriegs¬

jahren .

Ein Beispiel für die äußerst sorgfältige, bewußte und

präzise Konstruktionsweise von Kraus ist das Fackel-Heft

418-422 vom 8. April 1916.^ In der Mitte des 104seitigen

Heftes befinden sich die Notizen, die sich traditionell

mit dem Schaffen von Kraus beschäftigen (Rezensionen,

Berichte etc.). Das ist die innerste Schicht, wo das

alles konstatierende und konstruierende Subjekt des

Dichters seinen Platz hat. Um diesen Kern herum stehen

schützend - etwa in Form von zwei Halbkreisen - Gedichte,

die das Ideal auszudrücken haben. Fahrt ins Fextal be¬

schreibt einen Teil schweizerischer Natur, Aus jungen

Tagen nimmt Bezug auf die unbekümmerte Jugend, ergänzt

durch das Gedicht Sonnenthal, dem Ausdruck eines großen

Ideals dieser Jugend, nämlich des Theaters.

Die inneren Schichten, gebildet durch die Einheit

von Ich und Idealwelt, werden von beiden Seiten umgeben

durch all das, was sich in der Außenwelt begibt. Die

erste Erfassung dieser Erscheinungen bilden die zwei

Gruppen von Glossen, die sowohl dem Umfang (je 27 Seiten)

als auch der Anzahl (je 38 Stück) nach identisch sind,

82
sich aber inhaltsmäßig unterscheiden, indem jene auf S.

12-39 gegen den Hauptvertreter des unnatürlich gewordenen

Geistes, die Presse gerichtet sind, jene auf S.61-88

(also hinter dem Sonnentha Z--Gedicht) aber gegen Anomalien

der Kunst, des Theaters.

Die in den Glossen besprochenen Wirklichkeitssegmente

sind für den am Schreibtisch arbeitenden Autor unmittel¬

bar erreichbar; um die nächste Schicht werten zu können,

muß man aber schon auf die Wiener Straße. Den ersten

Halbkreis bildet hier der Aufsatz Das Lysoform-Gesicht,

den zweiten ’s gibt nur an Durehhalter! Typische Er¬

scheinungen des zeitgenössischen Wiener Lebens werden in

diesem erfaßt: die überall vordringende Reklame bzw. die

Parolen, die dem Volk die Notwendigkeit des Durchhaltens

suggerieren.

Wieder eine Stufe umfassender sind die nächsten

beiden Aufsätze, die im Milieu der mit Wien konkurrieren¬

den Städte Budapest und Berlin etwas Traditionelles und

etwas gewaltsam-schlechtes Neues kontrastiert. Die

Historischen und die Vordringenden. Ein Wort an den Adel

stellt dem als Hüter der Tradition dargestellten Adel

die Neureichen entgegen, Shakespeare und die Berliner

dem größten Theaterklassiker den sein Erbe - laut Kraus -

mißbrauchenden Max Reinhardt und dessen Berliner An¬

hänger .

Die Aufsätze Zum ewigen Gedächtnis. Zwei Züge und

Zum ewigen Gedächtnis. Zwei Ergebnisse erweitern den

Horizont noch mehr. Wie bereits die Titel andeuten,

spitzen sich die Gegensätze hier am krassesten zu, indem

Kraus jeweils zwei unkommentierte Zeitungsberichte neben¬

einanderstellt: einerseits den Bericht über den schreck¬

lichen Zug serbischer Flüchtlinge und den über den Eisen¬

bahnzug mit sorglosen Kriegsberichterstattern, ebenfalls

in Serbien; andererseits - im Anschluß an den Bericht

83
über das Berliner Theaterleben - zwei Aspekte der Lage in

Deutschland: ein Soldat spricht über die erschöpfenden

täglichen Aufgaben im Krieg, und eine offizielle Meldung

darüber, wie schamlos und regelmäßig die Soldaten um ihre

Lebensmittelrationen betrogen werden.

Die äußersten beiden Halbkreise des Fackel-Heftes

(Kierkegaard und die Journalisten bzw. Weltwende) sind

jeweils zusammenfassenden Charakters und dienen zur Ab¬

rundung des Bildes. Die Worte Kierkegaards rechnen mit

der Journalistik ab, und Kraus wertet - ausgehend von der

Widmung eines Kriegsstücks - das andere große Thema des

Heftes, die Lage des Theaters und die sich daran an¬

schließende allgemeine Situation aus.

2.

Und du wachst, hist einer der


Wächter, findest den nächsten
durch Schwenken des brennen¬
den Holzes aus dem Reisig¬
haufen neben dir. Warum
wachst du ? Einer muß wachen,
heißt es. Einer muß da sein. 6 #
Franz Kafka

Der größte Versuch, Ordnung zu schaffen, das bedeu¬

tendste und bekannteste Werk von Karl Kraus ist das Drama

Die letzten Tage der Menschheit, eine 800seitige Synthese

der emsigen Registriertätigkeit in den Kriegsjahren, Aus¬

druck des traditionellen österreichischen Hangs zum

Theater und gleichzeitig des für diese Epoche europaweit

typischen Gefühls, daß die Welt nichts als ein Theater,

ein Zirkus ist. Das Außergewöhnliche an seinem Riesen¬

drama wird von Kraus so bestimmt: "Die Aufführung des

Dramas, dessen Umfang nach irdischem Zeitmaß etwa zehn

84
Abende umfassen würde, ist einem Marstheater zugedacht.

Theatergänger dieser Welt vermöchten ihm nicht standzu¬

halten. Denn es ist Blut von ihrem Blute und der Inhalt

ist von dem Inhalt der unwirklichen, undenkbaren, keinem

wachen Sinn erreichbaren, keiner Erinnerung zugänglichen

und nur in blutigem Traum verwahrten Jahre, da Operetten¬

figuren die Tragödie der Menschheit spielten. Die Hand¬

lung, in hundert Szenen und Höllen führend, ist unmög-


7
lieh, zerklüftet, heldenlos wie jene." (9)

Es fehlen in diesem Buchdrama die kausalen Zusammen¬

hänge eines Theaterstücks, ihr Platz wird von kaleido-

skopenhaftem Nacheinander einzelner, selbständiger Bilder

eingenommen. Ihre exemplarische Bedeutung wird stets un¬

terstrichen: "Die 'Letzten Tage der Menschheit' haben

noch etwa hunderttausend Szenen, die nur nicht geschrie¬

ben wurden, um den Umfang des den Abend eines Marsthea¬

ters bequem füllenden Stückes nicht über Gebühr auszu¬

dehnen." (F 640, 1924, 7) Deshalb können nachträglich

Szenen eingefügt werden, deshalb wird die Reihenfolge der

sog. Akt-Ausgabe (1919) bei der Buchvariante (1922)

völlig verändert und in der Bühnenfassung wieder neuartig

geordnet.

Man kann zwar thematische Schwerpunkte in den einzel¬

nen Szenen entdecken, ja sogar beziehen sich Akte der

Buchausgabe möglicherweise auf je ein Kriegsjahr, im Auf¬

bau des Dramas dominiert jedoch die in der Epoche gar

nicht unbekannte freie Assoziation, die mal zur Ver¬

stärkung, mal zur Kontrastierung Szenen aneinanderreiht,


Q
Figuren und Handlungsschemata traumartig wiederholt usw.

Obwohl die erfaßten Lebenslagen vielseitig sind, ist der

Ort der Handlung in der Mehrzahl der Fälle gleich¬

bleibend: Wien, also der zentrale Ort der Doppelmonar¬

chie, der Kraus am vertrautesten ist. Er war ja nicht an

der Front, und waren ihm Schrecknisse des Blutvergießens

85
auch bekannt, so beschäftigte ihn vor allem die Gestal¬

tung des Bewußtseins in den Kriegsjahren, nicht das

Morden selbst, sondern die "Kulturpleite". Unter diesem

Aspekt sammelte und bewahrte er jene die Phantasie über¬

flügelnden "Dokumente für eine Zeit, die sie nicht mehr

fassen wird".
Das Grundmaterial zum Stück entstammte zwar der End¬

phase der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, Kraus

wollte aber am Beispiel der "Versuchsstation des Welt¬

untergangs" auch Allgemeingültiges, und zwar eben den

Untergang der Menschheit zeigen. Diese seine Haltung

rührt (ob man es nun, wie er, etwas pathetisierend

"Patriotismus" nennt, oder nicht) von der Tatsache her,

daß das Schaffen des Satirikers in der eigenen Welt und

Zeit wurzelt: "Mein Patriotismus - eben ein anderer als


der der Patrioten - vertrüge es nicht, einem feindlichen

Satiriker die Arbeit zu überlassen. Das hat meine Haltung

während des Krieges offenbar bestimmt. Ich würde einem

englischen Satiriker, der uns mit Recht unmöglich fände,

raten, sich um die Angelegenheiten seines eigenen Landes

satirisch zu bemühen. [...] wem die allgemeinen Dinge

über die staatlichen gehen, der muß die Gemeinheit der

Dinge, die Abscheulichkeit dieser Kriegswelt an den

nächstliegenden Beispielen darstellen und die Aussage

eines, dep in ihrer Atemnähe lebte, wird unverdächtig

sein. " (5 08 f .) ^

Kraus behauptete stets, die Sprache sei der "zuver¬

lässigste Verräter", so nahm er auch zum Aufzeigen des

Bewußtseins in Kriegszeiten in erster Linie die Welt von

Sprachbenutzern und Sprachschöpfern unter die Lupe. Da

ist beispielsweise Erzherzog Friedrich, der Kriegsszenen

auf der Leinwand mit einem einzigen Wort ("Bumsti!")

kommentieren kann, dies aber innerhalb von anderthalb

Stunden vierzehnmal wiederholt; in einer unnatürlichen

86
und unverständlichen Sprache werden im Kriegsministerium

Beschlüsse formuliert; der Magistratsbeamte spricht vom

"Lebensmittelkartenabmeldeschein". Phrasen beherrschen

jede Schicht gesellschaftlichen Zusammenseins, sie dringen

selbst in die Dialekte der Alltagssprache ein und werden


im Laufe des Stückes ständig wiederholt: "da muß man

schon tulli sagen", "mir san eh die reinen Lamperln",

"man wird doch da sehn", "durchhalten", "Schulter an

Schulter", "einrückend machen", "ein Scherflein beitra¬

gen", "Krieg ist Krieg", "große Zeit", "sich's richten".

Der schwierigste Fall entsteht laut Kraus dann, wenn es

sozusagen zu einer Rückkopplung zwischen Phrase und

Wirklichkeit kommt: "Ein Volk, sage ich, ist dann fertig,

wenn es seine Phrasen noch in einen Lebensstand mit¬

schleppt, wo es deren Inhalt wieder erlebt. [...] Ein

U-Boot-Kommandant hält die Fahne hoch, ein Fliegerangriff

ist zu Wasser geworden. Leerer wird's noch, wenn die

Metapher stofflich zuständig ist. Wenn statt einer Trup¬

penoperation zu Lande einmal eine maritime Unternehmung

Schiffbruch leidet. Wenn der Erfolg in unsern jetzigen

Stellungen bombensicher war und die Beschießung eines

Platzes ein Bombenerfolg." (256 f.)

Schöpfer und Hüter der Herrschaft der Phrase ist der

ewige Kraus-Feind, die Presse. Unter den jeweils mit

großen Strichen gezeichneten, skizzenhaften Figuren des

Dramas tauchen - mal einzeln, mal in kleinen Gruppen,

mal massenweise - Journalisten auf. Eine symptomatische

Szene ereignet sich beim Begräbnis von Franz Ferdinand:

"Es erscheinen zehn Herren in Gehröcken, die, ohne sich

zu legitimieren, mit Zuvorkommenheit, an dem Spalier der

Wartenden vorbei, bis über die Tür des Trauergemachs

geleitet werden, die sie während der Folgenden besetzt

halten, so daß sie zwar selbst die Vorgänge beobachten

87
können, eben diese den Blicken den Außenstehenden fast

ganz entziehen." (61)


Die Manipulation der Massen wird meistens von klei¬

nen, namenlosen Skriblern ausgeführt, die sich dessen,

was sie tun, nicht einmal ganz bewußt sind und trotzdem

eine große Gefahr bedeuten. So z.B. Feigl, Füchsl und

Halberstam, die zunächst mit kleinen Schlauheiten ver¬

suchen, eine aus Rußland heimgekehrte Schauspielerin das

sagen zu lassen, was sie hören wollen. Die Schauspielerin

empört sich:
"Elfriede Ritter: Ja aber was denn - da muß ich doch

sagen - nee, Doktor, ich bin empört -


Füchsl (schreibend): Dann aber, wenn der Besucher ih¬

rer Erinnerung nachhilft, packt sie doch wieder Empörung.

In bewegten Worten schildert die Ritter, wie ihr jede

Möglichkeit, sich über die ihr zuteilgewordene Behandlung

zu beschweren, genommen war.

Elfriede Ritter: Aber Doktor, was treiben Sie denn -

ich kann doch nicht sagen -

Füchsl: Sie kann gar nicht sagen -" (133)

Führen die routinemäßigen Machenschaften wegen der

Standhaftigkeit der Interviewten zu keinem Ergebnis, so

beginnen die Journalisten gleich mit unverhüllter Er¬

pressung :

"Füchsl: [...] eine Schauspielerin hat sich anzu¬

passen, da gibts nix!

Feigl: Dagegen kann ich Ihnen verraten, möchte es

Ihnen kolossal nützen, nicht nur beim Publikum, sondern

sogar bei der Presse selbst, wenn Sie in Rußland mi߬

handelt wurden.

Halberstam: Überlegen Sie sich das. Sie kommen aus

Berlin und haben sich rasch in die hiesigen Verhältnisse

eingelebt. Hier is es Ihnen immer gut gegangen, mit of¬

fenen Armen hat man -

88
Füchsl: Ich kann Ihnen nur sagen, mit solchen Dingen

ist nicht zu spassen. Eine Person soll in Rußland gewesen

sein und nichts zu erzählen haben von ausgestandene

Leiden, lächerlich, eine erstklassige Künstlerin! Ich

sag Ihnen, es handelt sich um Ihre Existenz!" (135)

Neben den kleinen Fischen sind auch die Haifische,

die führenden Journalisten da, die vollkommen bewußt

handeln, und sobald sie nicht gesehen werden, treten sie

(wie Ludwig Ganghofer und Hans Müller) aus ihren Rollen.

Der verächtlichste Journalist für Karl Kraus ist jedoch

Alice Schalek, der einzige weibliche Kriegsberichter¬

statter, da sie nicht nur den Geist, sondern auch die

natürliche Bestimmung verleugnet. In unwiderstehlich ko¬

mischen Szenen enthüllt Kraus den Stil der Schalek, die

besonders im Kontrast zu den beispielhaften Belgraderin-

nen lächerlich ist.

Leiter und Lenker dieser marionettenhaften Figuren

ist Moriz Benedikt, Chefredakteur der Neuen Freien (oder

wie ein Kleinkind sagt: Feilen) Fresse. Die anderen be¬

zeichnen ihn als "Generalstabschef des Geistes", für

Kraus ist er aber der Ungeist, der - während Papst

Benedikt im Vatikan Frieden predigt - das Wort in den

Dienst des Unheils stellt. Im Epilog, wo alle Masken fal¬

len und jeder sein wahres Gesicht zeigt, steht Moriz

Benedikt als "Herr der Hyänen" da:

Ich traf mit Druckerschwärze

den Erzfeind in das Herze!

Und weil es ihm geschah,

sollt ihr den Nächsten hassen,

um Judaslohn verlassen -

der Antichrist ist da! (754)

Die Zeitung versieht die Menschen mit fertigen Mei¬

nungen, Klischees, die sich im Stück mit der Monotonie

89
eines Angsttraums wiederholen. Jeder Akt beginnt mit der

lauten Verkündung der "Sonderausgabe", auf Schritt und

Tritt hört man: "ich hab gelesen", "haben Sie heut dar¬

über gelesen", "hat man je lesen können", "haben Sie

nicht gelesen". Alle Menschen sind Gefangene der Zeitung

Ministerpräsident und Außenminister lesen bei Ausbruch

des Krieges Witzblätter im Kaffehaus; Thronfolger Karl

läßt sein Zimmer mit Fotos aus der Muskete tapezieren;

selbst auf der Bühne wird die Sonderausgabe vorgelesen;

man betont die Zusammengehörigkeit von Diplomatie und

Presse.
Wie bestimmend die Presse auf Verhalten und Denken

der Menschen einwirkt, soll auch dadurch betont werden,

daß mehrere Figuren im Drama eine einzige Funktion haben

sie sind Zeitungsleser. Der "älteste Abonnent" und der

"alte Abonnent der Neuen Freien Presse" kommentieren mit

Ausdrücken der Zeitung die ihnen aus dem Blatt bekannt

gewordenen Ereignisse; der "Abonnent" und der "Patriot"

bilden ein ähnliches Paar; der Prototyp des Zeitungs¬

lesers ist aber der "alte Biach", der zugleich mehr als

ein alltäglicher Bürger ist, wird er doch - etwa im Ge¬

gensatz zu Hindenburg - nicht als "er", sondern als "Er"

bezeichnet. Dieser respektierte Mann - man kann nicht

umhin, an Franz Joseph zu denken - steht völlig unter

dem Einfluß Benedikts. In den Gesprächen mit dem "kaiser

liehen Rat" wiederholt er Worte der Neuen Freien Presse

und behauptet über den allmächtigen Chefredakteur: "Er

redet wie unsereins, nur noch deutlicher. Man weiß nicht

redt er wie wir oder reden wir wie er." (110)

Natürlich treten in den Letzten Tagen der Menschheit

nicht nur Zeitungsschreiber und -leser auf. Alle Arten

von Kriegsgewinnlern können auf Kraus' Verachtung rech¬

nen, gleich, ob sie Historiker, modische Schriftsteller,

Beamte, Generale, Offiziere, Spekulanten, Schieber,

90
Richter, Wissenschaftler, Geistliche sind. Traditionen

der Satire und des Feuilletons entsprechend, werden all

diese Figuren, für die stellvertretend die in der Schweiz

protzenden Kriegsgewinnler mit den sprechenden Namen Gog

und Magog stehen könnten, mit wenigen skizzenhaften,

aber weitgehend charakteristischen Zügen gezeichnet.

Positive Figuren sind in diesem Panoptikum satirisch

überhöhter Gestalten kaum zu finden. Alles Positive ist

in die Gestalt des "Nörglers" komprimiert. Er hält die

einzelnen, mosaikhaften Szenen zusammen, die sonst ein¬

fach als Kompendium dramatisierter Faokel-Artikel er¬

scheinen könnten; seine essayistischen Kommentare werten,

orten und ordnen all das, was zuvor mit dokumentarischer

Treue gezeigt wurdfe.

Satiriker verwenden, wie bereits in Kapitel I ange¬

deutet, besonders in umfangreichen Werken gern eine Art

satirischen Sprecher, die "persona", d.h. jene Figur,

die in Vertretung des Autors die Ereignisse auslöst, sie

mal durch Handeln, mal expressis verbis ins rechte Licht

rückt. Dabei ist sie im allgemeinen kein Ebenbild des

Autors, im Gegenteil: meist wird auch zu ihr Distanz be¬

zogen, auch sie wird lächerlich gemacht. Das Eigenartige

an der "persona" Nörgler ist, daß er nahezu deckungs¬

gleich mit dem Autor ist. Kraus betont dies beispiels¬

weise in folgender Szene:

"Der Spekulant: Natürlich, jetzt, wo j a zu schrei¬

ben wär, schreibt er [d.i. Karl Kraus - J.Sz.J nicht!

Der Realitätenbesitzer: No kann er denn?

Der Spekulant: Wegen der Zensur? Erlauben Sie mir,

da könnte doch eine geschickte Feder, und die muß man

ihm lassen -

Der Realitätenbesitzer: Nicht wegen der Zensur - er

kann von selbst nicht. Er hat sich ausgeschrieben. [...]

Das war ja ganz amüsant im Frieden - jetzt is man zu

91
solche Hecheleien nicht aufgelegt. Passen Sie auf, er

wirds bald billiger geben. Wissen Sie, was ich ihm gönnen

möcht - nehmen solln sie ihn! An der Front! Da soll er

zeigen! Was er trefft, is nörgeln. (Der Nörgler geht

vorbei. Die beiden grüßen.)

Der Spekulant: So was von einem Zufall! Also Sie

kennen ihn auch persönlich? Wieso?

Der Realitätenbesitzer: Flüchtig, von einer Vor¬

lesung, ich bin froh wenn ich ihn nicht seh. Mit so einem

Menschen verkehrt man nicht." (178f-)

Die Outsider-Position, die in den gegebenen Verhält¬

nissen wurzelnde, "alles niederreißende", schonungslose

Kritik sind im Nörgler verkörpert. So sehr diese Eigen¬

schaften auch der Position des Satirikers entsprechen,

sie sind doch, übermäßig ernst genommen, ohne den leise¬

sten Anflug von Zweifel an der Vollkommenheit, bei einer

"persona" in einem Riesendrama zumindest fraglich. Denn

man erwartet (worauf Georg Lukäcs hinweist) von einem

allwissenden Richter eben mit Recht tiefergreifende Kom¬

mentare als die, welche die pessimistische Vision des

Epilogs vorbereiten.

Ein kurzer Vergleich des Nörglers mit Jaroslav HaSeks

bravem Soldaten Schwejk macht dies deutlich. Die einfach¬

einfältige Hauptfigur im Roman des tschechischen Satiri¬

kers will nicht "die Tragödie auf sich nehmen", sondern

versucht ganz einfach zu leben, so ungeeignet die Um¬

stände nun einmal auch sind. Gerade dadurch weiß er aber

ständig auf die für den Nörgler unfaßbare Erkenntnis hin¬

zuweisen, daß die Menschen - wenn sie zeitweilig auch

unter den Einfluß der Kriegspropaganda kommen können -

grundsätzlich gegen jede Art von Unmenschlichkeit sind,

und dadurch eine äußerst wesentliche, real existierende

Kraft gegen die (durch Kraus überzeugend dargestellten)

Mächte der Apokalypse bilden, eine Kraft, die zwangs-

92
läufig Oberhand gewinnen muß. Es gehört nicht eng zur

satirischen Kritik, auf welche Weise (z.B. mit Hilfe

welcher gesellschaftlichen Kräfte) dies erfolgen soll

bezeichnen sich aber die "persoha" und der sich mit ihr

identifizierende Autor als allwissend, so wäre auch in

dieser Hinsicht zumindest einiges zu erwarten.

Darauf, daß Kraus all dies mehr oder minder selbst

fühlte, deutet die Tatsache, daß in der (übrigens nicht

publizierten) Bühnenfassung der Letzten Tage der Mensch

heit auf den Nörgler, dessen Monologe ein Fünftel des

ursprünglichen Textes ausmachen, fast ganz'verzichtet

wird. Das authentische Tableau der letzten Tage der

Österreichisch-Ungarischen Monarchie zwischen 1914 und

1918 mit all ihren Lehren für Zeitgenossen und Nachwelt

spricht für sich und sichert, daß Kraus' Drama mit weit

literarischen Maßstäben gemessen werden kann.


-

.
IV. IN DER REPUBLIK
(1918-1936)

Es gibt zwei Dinge, gegen


die man nicht kämpfen kann,
weil sie zu lang, zu dick
sind, keinen Kopf und Fup
haben: Karl Kraus und die
Psychoanalyse. ^
Robert Musil

Die völlig neue politische Situation nach 1918 be¬

deutete - wie für alle Dichter dieser Region - auch für

Kraus eine große, zu bewältigende Aufgabe. Es ver¬

schwand ja von einem Tag auf den anderen der Staat,

dessen Erscheinungen, Tendenzen er zwei Jahrzehnte lang

schonungslos kritisiert hatte. In der neuen Republik

Österreich hatte er anscheinend die Wahl zwischen dem

Verbleiben in der Outsider-Position und den politischen

Aktivitäten. Karl Kraus versuchte aber, beides gleich¬

zeitig zu tun, indem er sich durch Angriffe auf das

Vermächtnis der Monarchie indirekt für den neuen Staat

einsetzte. Dadurch konnte die Kontinuität seines Schaf¬

fens ohne besonderes Engagement fortgesetzt werden.

Der Nachruf (F 501), eine 120seitige Abrechnung mit

der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, steht den

Letzten Tagen der Menschheit sowohl zeitlich als auch

inhaltlich nahe. Ein wesentlicher Unterschied besteht

aber darin, daß die dort aufgezählten Zeitdokumente im

Nachruf in den Hintergrund treten und eigentlich nur

der Nörgler das Wort bekommt. Seine Wut auf die zerfal¬

lene Staatsordnung kennt kaum noch Grenzen: "Für die

Satansidee eines Staates, dessen Dasein allen Anforde-

95
rungen physischer und sittlicher Reinheit widersprach,

der, weit über die Zumutung europäischer Rücksicht für

einen kranken Mann im Osten, das Ärgernis eines unbegra-

benen Leichnams im Hause bot, nein, durch sieben Dezen¬

nien der Welt das Schauspiel eines als Thron kaschierten

Leibstuhls gewährte, worauf sich die legendäre Dauer¬

haftigkeit eines nicht mehr Vorhandenen breitmachte; für

das frevle Unterfangen einer Autorität, die in unabläs¬

sigem Regierungswechsel nur die Beständigkeit der

europäischen Mißachtung gesichert hat [...] - für diesen

tragikomischesten aller Präventivkriege war das Kaput-

werden eine zu geringe Sühne!" (F 501, 1919, 4 f.)

Mit harten Worten werden alle getadelt, die für den

Krieg verantwortlich waren. Gelehrte verkauften ihr Wis¬

sen an den Staat, Erzieher schickten die unreife Jugend

im Namen falscher Ideale ins Feuer, Beamte wollten gott¬

ähnlich erscheinen, Kriegslyriker logen mit der Verherr¬

lichung des Heldentodes, Journalisten und Herausgeber be¬

kamen Pauschale von den Schlachtbänken usw. Viele

Tatsachen beweisen die Sünden der Offiziere, deren ge¬

sellschaftliche Verehrung laut Kraus eiri Anachronismus

ist, zurückzuführen auf Zeiten, die den "Segen" der all¬

gemeinen Wehrpflicht nicht kannten und die sich freiwil¬

lig Aufopfernden durch Vorteile entschädigen wollten.

Besonders deutlich weist Karl Kraus auf die Verant¬

wortung eines Politikers hin. Graf Czernin, zwischen 1916

und 1918 Verteidigungsminister, erklärte in einem Nach¬

kriegsinterview, daß er schon lange gewußt habe, auch

Siege bedeuten eine Tragödie, weil sie den erfolglosen

Krieg verlängern. Kraus reagiert mit beißendem Hohn:

"Wir haben immer den Versicherungen des Grafen Czernin

geglaubt, und daß wir nur weiter siegen müssen, um zu

siegen, und daß es jetzt durchzuhalten gelte. Wir sind

dem Grafen Czernin, wie er sprach, hereingefallen, an-

96
statt den Grafen Czernin, wie er war, zu erkennen." (F

501, 1919, 87) Er prophezeit das Schicksal, mit dem das

neue Österreich Czernin deswegen "bestraft": anstatt ihn

für eine Schande der Nation zu halten, wählt man ihn ins
Parlament der Republik.

Es wird im Nachruf mehrfach betont, daß die Vergan¬

genheit nicht vergessen werden darf. Die geeignete Form

dessen ist nicht die, daß die Völker einander Verschie¬

denes vorwerfen; die Menschheit darf und soll nicht ver¬

gessen, was sie sich angetan hat. Die Staaten, die Krieg

führten, sollen die Feindschaft begraben, jeder soll vor

der eigenen Pforte kehren, und wehe dem, der sich selbst

verzeiht. Kraus gibt auch Antworten darauf, auf welche

Weise die Schuldigen bestraft werden sollten. Ihr massen¬

hafter Selbstmord, der den Übergang zwischen den beiden

Staatsformen erleichtern sollte, ist allerdings keine

realistische Alternative, und folgende Idee überzeugt

auch mehr durch ihre Symbolkraft als durch ihre Realität:

"[...] ich stelle keine härtere Friedensbedingung und er¬

achte das Weltgewissen für befriedigt, wenn die Befehls¬

haber und Parasiten unserer in Tod, Not, Ruhm, Syphilis,

Hunger, Dreck und Erzlüge verlorenen Tage, wenn die

Schinder und Schieber unserer Schulter an Schulter durch¬

gehaltenen, gemusterten, einrückend gemachten, ausgebau¬

ten und vertieften Dummheit mit dem Leben und ein paar

Ohrfeigen davonkommen." (F 499, 1918, 32)


Die Republik, deren Existenz durch den "unbeirrbaren

Zeitwillen" hervorgerufen werden sollte, erwies sich

bald als ungeeignet zur Verwirklichung idealer re¬

publikanischer Vorstellungen. Kraus mußte sich bald mit

Tatsachen auseinandersetzen, die sich u.a. aus der wirt¬

schaftlichen Unausgeglichenheit, der unsicheren interna¬

tionalen Lage, der übermäßigen Bewegungsfreiheit für

rechte - sogar restaurative - Kräfte ergaben. Aus der

97
Monarchie erhalten gebliebene Denkschemata, Verhaltens¬

weisen, Anomalien werden im Wachruf lediglich angedeutet;

bereits von Juli 1919 an unterliegen sie aber der schärf¬

sten Krausschen Kritik. Zum 20. Jubiläum des Bestehens

der Fackel gratuliert ihm Bundespräsident Karl Seitz in

einem Schreiben, das betont, alle Republikaner könnten

dankbar für den Beitrag von Kraus zur Vertreibung alter

Gespenster sein. Der Satiriker hebt im Antwortbrief - mit

allen eventuellen politischen Ambitionen abrechnend -

wiederum die zeitkritische Attitüde hervor: "Vor nichts

fürchte sich einer mehr als vor Gespenstern, die man

verjagt hat und die noch da sind. Solange wir die Jour¬

nalisten haben, haben wir sie alle! [...] Gespenster sehe

ich überall, wo ein illegitimer Anspruch, von der Fibel

her oder von der Presse, Lebensgüter zu enteignen droht.

Gespenster sind noch dort, wo nach ihrer Verjagung die

müde Menschheit einschlafen möchte: gleich wird die

Morgenluft schlecht, denn Intelligenzen ziehen ein. Ge¬

spenster sind immer Diktatoren: mit dem goldenen Kragen,

den man auf dem Feld der Schande erwirbt, oder mit dem

roten Halstuch, das man im Kaffeehaus trägt. Ich bin

bereit, es mit diesen aufzunehmen, wie mit jenen [...]."

(F 514, 1919, 28 f.)

Erneut gebraucht er Singular erste Person, wieder

kämpft er allein, aber nun schon gegen den "Sonntags¬

staat": "Diesem Staat dringt die Ehrlosigkeit aus allen

Poren. Er hat aus der Verlassenschaft der Monarchie

nichts übernommen als die Schande, unter der sie zusam¬

mengebrochen ist (F 608, 1922, 1) Kraus liefert

zur Unterstützung seiner Auffassung wieder reichhaltiges

Tatsachenmaterial. Auch die Republik verurteilt den

Räuber einer Handtasche zu lebenslänglicher Haft, während

denjenigen, die Millionen erbeuten, kein Haar gekrümmt

wird; die "Haifische" (wie später bei Brecht) dürfen in

98
diesem Staat, wo "die Presse die Hosen trägt", unge¬

hindert Zeitungen gründen; er ist also nicht weniger ver¬

dorben als die Monarchie. Vielfach und auf verschiedenste


Weise wird diese Auffassung in den nachfolgenden Jahren

variiert, wie etwa 1926 im Gedicht Zum Geburtstag der


Republik:

Die Republik soll ich zum Geburtstag feiern?

Daß wir sie haben, ihr beteuern?

Sie ist jetzt im Alter von acht Jahren.

Ich kannte Kinder, die begabter waren.

Es bleibt wohl die beste von ihren Gaben:

daß wir keine Monarchie mehr haben.

(F 743 , 1 926 , 6)

Polemik gilt - wie im Kapitel I bereits angedeutet -

als Grenzbereich der Satire. Ihre Grundelemente sind,

genauso wie die der Satire, Kritik und Humor, sie drückt

die Indignation aber nicht mittelbar aus, sondern spricht

aus, was gemeint wird, sie basiert nicht auf Dekodierung

durch das Publikum, sondern will sozusagen selbst Ma߬

nahmen treffen. Die außerordentlich wirklichkeitsnahe,

Kritisiertes stets beim Namen nennende strafende Satire

von Kraus stand der Polemik schon immer nahe. Auch früher

beklagte er sich mehrmals wegen unangebrachter Reaktionen

des Publikums hinsichtlich seiner Arbeiten, verfertigt

mit Hilfe einer "Abbildungstechnik"; deswegen, weil "Sa¬

tire für Polemik gehalten" wurde. Von Mitte der 20er

Jahre an bezeichnete allerdings auch er selbst sein

Schaffen als "polemische Satire" und veränderte be¬

zeichnenderweise in einem früheren, auf das eigene Werk


2
bezogenen Aphorismus das Wort "Satire" zu "Polemik".

Nicht nur in der Terminologie dieser Jahre ist jedoch

eine Neuorientierung zu entdecken, denn Kraus traut dem

99
Leser immer weniger zu, er geht zur direkten Behandlung

seiner Themen über.


Dieser Wechsel von Satire zu Polemik lag freilich

nicht allein an der Person von Kraus. Die Fronten inner¬

halb der kapitalistischen Gesellschaft wurden in der

neuen Situation der Republik immer ausgeprägter. Die

Aggressivität der Herrschenden wurde nach dem verlorenen

Weltkrieg nicht geringer, das Territorium der Monarchie

stand ihnen aber nicht mehr zur Verfügung. So führten

Gegensätze leicht zu offenen Konflikten, so reagierte

man bissig auf kritische Stimmen, die früher durch

Schweigen ignoriert wurden, was bei den Kritikern - und

ganz besonders bei Karl Kraus - eine wesentlich größere

Direktheit als früher auslöste.

Die typischste seiner recht umfangreichen Polemiken

war die Bekessy-Affäre. Imre Bekessy kam nach dem Zerfall

der Österreichisch -Ungarischen Monarchie aus Budapest nach

Wien. Mit Hilfe von Geldmagnaten, die durch Inflationsge¬

schäfte einen außerordentlichen Reichtum erwarben, grün¬

dete der bewegliche Journalist in der österreichischen

Hauptstadt Zeitungen, die - allen voran Die Stunde - zu

Beispielen korrupter und erpresserischer Journalistik in

Wien wurden und bald Unannehmlichkeiten für die Stadt

beduteten. Kraus wurde 1923 auf diese neue, wieder aus

der Presse stammende Gefahr aufmerksam, als Bökessy mit

dem Österreichischen Volkswirt einen Prozeß führte. Nach

dem Interessenausgleich zwischen den Parteien eröffnete

Kraus persönlich den Kampf gegen Bökessy mit dem ausge¬

sprochenen Ziel, ihn aus Wien zu vertreiben. In umfang¬

reichen Vorlesungen zählte er sämtliche Sünden Bökessys

auf; das Riesenmaterial füllte auch die Spalten der

Fackel. Auf oft ungerechtfertigt persönliche und ver¬

leumderische Beiträge in den Bökessy-Blättern folgten

neue Angriffe; Kraus kämpfte im wahrsten Sinne des

100
Wortes. Das offizielle Wien nahm die Kraussche Parole

("Hinaus aus Wien mit dem Schuft!") zwar nicht an, stand

aber schließlich und endlich auf Kraus' Seite, so daß

Bekessy nach einem Aufenthalt in einem Erholungsort

außerhalb Österreichs nicht mehr nach Wien zurückkehrte.

"Der Schuft ist draußen" (F 732, 1926, 1) - reagierte

Kraus, der klar sah, daß dank seinem Eingreifen eine

Schlüsselfigur der korrupten Wiener Journalistik ver¬

schwand, die Kräfte aber, die sie aus dem Hintergrund

lenkten, bei weitem nicht aufgehoben wurden, ja nicht

einmal das Erscheinen der Stunde wurde eingestellt, denn

ihre Mitarbeiter, die die schmutzige Arbeit für Bekessy


machten, gelobten, ehrlich zu sein.

Die ebenfalls Mitte der 20er Jahre kulminierende

Kerr-Polemik hatte ihre Wurzeln in der Vorkriegszeit,

als der Berliner Kritiker, dessen manierierter Stil von

Kraus als Mischung von Journalismus und Literatur stets

verworfen wurde, 1911 in Kontroverse mit ihm geriet. Von

da an sind in der Fackel immer wieder Hinweise auf den

Mann zu finden, der in den Jahren des ersten Weltkriegs

unter dem Pseudonym "Gottlieb" geschmacklose Hetzgedichte

schrieb. Kaum zehn Jahre später kam er als "Botschafter

der Kultur" in die einst beschimpften Länder, und Kraus

druckte mit vernichtenden Kommentaren Kerrs Kriegslyrik

wieder ab. Auf die Antwort des Debatteurs Kerr folgten


3
buchdicke Fackel-Hefte, die Auseinandersetzung zog sich

fast ins'Unendliche, als sie Kraus endlich abschloß: "Es

gibt nur ein Mittel - jenes, das Peter Altenberg in allen

Lagen des Lebens als Arznei erkannt und empfohlen hat:

Geld! Ich verlange Geld, dann kann er Ruhe von mir

haben und vom Krieg! [...] also: abzutreten 20.000 Mark

an die Kriegsblinden und Invaliden, annähernd die Summe,

[...] die er zwischen 1914 und 1918 mit 500 bis 600

101
Stücker Gottliebs ä 30 bis 50 Mark verdient hat!" (F 834,

1930, lOf.)
Obwohl Kerr auf diese Forderung natürlich nicht ein¬

ging, konnte Kraus die Polemik ebenso als einen Erfolg

verbuchen wie das Ergebnis des einsamen Krieges gegen B4-

kessy. In beiden Fällen handelte er im Zeichen jener

kulturkritischen Intention, die in den Jahren der Mon¬

archie sein Schaffen charakterisierte; nur wollte er

diesmal im Namen der Moral, des Geistes nicht mehr Ten¬

denzen vernichten (was sich sowieso als ziemlich aus¬

sichtslos herausstellte), sondern ihre persönlichen

Träger. Versuchte er aber auf dieselbe Art und Weise auch

in die Sphäre der Politik einzudringen, so mußte er bald,

mit der Schober-Affäre, die zeitlich im wesentlichen zwi¬

schen den Fällen Bdkessy und Kerr einzuordnen ist, seine

Grenzen erkennen.

Der Wiener Polizeipräsident Johann Schober galt samt

seiner Institution als ein Erschwerer der Anti-Bekessy-

Kampagne von Kraus. Nach dem "Cannae" der österreichi¬

schen Republik, dem 15. Juli 1 927, setzte sich der Dichter

gegen ihn ein. Es war ja offenbar und sogar durch Inter¬

pellationen im Parlament bewiesen, daß die Polizei die

schutzlose demonstrierende Menge beschoß, daß es dabei

keineswegs um die behaupteten Aktionen zur Selbstwehr

ging; die Position von Schober wurde aber durch die Her¬

ausstellung der Wahrheit nicht im geringsten erschüttert.

Nun handelte Kraus, und zwar nahm er - geschult an der

Wirksamkeit der Werbung - ein neuartiges Mittel dazu: das

Plakat. Am 17. September sah man überall in der Stadt


die Aufschrift:

An den Polizeipräsidenten von Wien

Johann Schober

Ich fordere Sie auf, abzutreten.

102
Karl Kraus

Herausgeber der 'Fackel'

Das Plakat stellte die Republik vor die eindeutige

Alternative: entweder gibt sie zu, daß am 15. Juli das

Blut von Unschuldigen floß, und entläßt den Polizeipräsi¬

denten, oder aber erkennt sie an, daß sie sich nicht um

Ethisches kümmert, so daß die von Kraus gebotene morali¬

sche Kontrolle für unnötig erklärt werden kann. Der Staat

wählte Schober, dessen Polizei vom Staatspräsidenten bald

Der Hort der Republik (F 766, 1927, 1-92) genannt wurde.

Selbst nach dieser endgültigen Abweisung gab Kraus den

Kampf nicht auf, das letzte Wort sollte ja immer ihm

gehören; die Erkenntnis, daß er nicht viel erreichen

konnte, daß die Dummheit stärker als die Satire wurde,

überwältigte ihn allergings allmählich: "Nicht darum

allein steht die Satire ohnmächtig vor der Wirklichkeit,

weil sie sie nicht verändern und materiell bezwingen

kann - solches war ihr in den Maßen der Zeitgenossen¬

schaft niemals gegeben; sondern: weil sie sie nicht mehr

geistig bezwingen kann. Sie wird von ihr erreicht und

übertroffen, sie wird eingeholt und abgewürgt von der

Spottgeburt, und Phantasie erstarrt vor dem letzten

Wunder, das sich nebst jenen der Technik begibt: Lächer¬

lichkeit macht lebendig; der Stoff übertreibt die Satire,

die ihn geformt hat, die Erfindung beschämend, spottend

der Ohnmacht, noch dies Erlebnis einzubeziehen." (F 845,

1930, 30)
Kraus gelangt dadurch 1930 in einen apathischen Zu¬

stand der Aussichtslosigkeit, der nicht - wie etwa die

apokalyptischen Visionen vor dem ersten Weltkrieg - zur

Erhöhung der satirischen Wirkung dient, sondern das

endgültige Ausgeliefertsein ausdrückt. Wie viele ost-


4
mitteleuropäische Dichter der Zeit versucht es Kraus

mit der Flucht, deren Richtung folgendermaßen bestimmt

103
wird: "Die Wahrheit ist, daß vor dem Weltuntergang, dem

wir heillos überantwortet sind - welchen politischen

Namen und Vorwand die Lumperei immer führen mag, die die

Macht erringt daß da nichts übrig bleibt als die

Flucht in die geistigen Dinge, solange Gewalt, Gestank


»

und Geräusch sie nicht völlig versperren: aber nicht in

den hoffnungslosen Geist der 'Eigenen Schrif¬

ten' [...], sondern in das Theater der Dichtung und in

die Sprachlehre (F 845, 1930, 3)^

2.

In zweifelhaften Fällen
entscheide man sich für das
Richtige.
F 259, 1908, 38

Zum Verstehen der letzten Periode des Krausschen

Schaffens zwischen 1930 und 1936 muß man die Beziehungen

des Dichters zur Sozialdemokratie bis 1900 zurückver¬

folgen, als in der Fackel folgender Wahlaufruf erschien:

"Die Socialdemokratie hat ein ernstes Communalprogramm

aufgestellt, ihre Männer sind zwar unerprobt, aber auch

noch unverbraucht. Wer wählen will, mag sie wählen. Die

Ellenbogen, Pernerstorfer, Reumann werden als Väter der

Stadt keine üble Rolle spielen." (F 41, 1900, 4)

So vorsichtig diese Negatives negierenden Sätze auch

sind, sie zeigen doch, daß der mit antikorruptionisti-

schem Programm startende Kraus in der Sozialdemokratie

einen Verbündeten sieht; die Fackel veröffentlicht auch

Artikel von ihren Politikern und drückt wiederholt

Respekt gegenüber bedeutenden sozialdemokratischen

Persönlichkeiten aus. Kraus läßt allerdings auch Tenden¬

zen der Parteipolitik, die ihm mißfallen, nicht uner-

104
wähnt. Anderthalb Monate nach dem Wahlaufruf steht bei¬

spielsweise in der Fackel: "Aufsehen erregt haben

seinerzeit die Artikel der 'Arbeiter-Zeitung' über die

'Mordschiffe der Donau-Dampfschiffahrt-Gesellschaft'

durch die Kühnheit ihrer Sprache. Seit damals - Herbst

1898 - erscheinen statt der 'Mordschiffe' in kleinen

Intervallen 'Mordsinserate' der Donau-Dampfschiffahrt-

Gesellschaft . [...] Die 'Mordschiffe' werden allerdings

nicht mehr angegriffen; sie sind zwei Jahre älter ge¬

worden, und das Alter muß man ehren." (F 46, 1900, 21)

Bezeichnend für diese -Beziehung ist, daß Kraus die Tätig¬

keit der Partei nur zeitweise kritisiert (nicht einmal

die Kriegsverantwortung der Sozialdemokratie bringt er

ins Spiel) und die sozialdemokratische Presse sich der

"Totschweige-Taktik" der Wiener Zeitungen nicht an¬

schließt, sondern ab und zu Nachrichten über Karl Kraus

veröffentlicht.

Bei der Schaffung der neuen Ordnung mußte der Sozial¬

demokratie eine wichtige Rolle zufallen, deshalb schlug

Kraus 1919 den Wählern vor, für die Partei zu stimmen,

allerdings wieder nicht ganz eindeutig: er nannte be¬

stimmte Vorbedingungen (darunter Abschaffung journalisti¬

scher Praktiken) und veröffentlichte den eigentlich auf

den Programmzettel einer Vorlesung gedruckten Aufruf in

der Fackel erst zwei Monate nach der Wahl {An alle, die

die Wahl haben. F 508, 1919, 30-32). Selbst in dieser

Form beweist jedoch der Wahlaufruf, daß Kraus, der sich

die Entwicklung der Persönlichkeit niemals innerhalb

einer Partei vorstellen konnte, auf den Versuch einer

Annäherung an den möglichen Verbündeten gegen Rechts¬

tendenzen im neuen Staat nicht verzichten wollte.

In mehreren Vorlesungen trug Karl Kraus einen Brief

von Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis vor und druckte

"dieses im deutschen Sprachbereich einzigartige Dokument

105
von Menschlichkeit und Dichtung" in der Fackel ab. Die

Antwort an Rosa Luxemburg von einer Unsentimentalen (F

554, 1920, 6-12), einer in Innsbruck lebenden südungari¬

schen Gutsbesitzerin, in der mit primitiver Argumentation

das Andenken der Revolutionärin beschmutzt werden soll,

wird durch Kraus vernichtend zurechtgewiesen. Er legt je¬

doch Wert darauf, daß seine eindeutigen Sympathien und

das humanitär-humanistische Engagement nicht etwa als


Kommunistenfreundlichkeit ausgeiegt werden können, und

schreibt im gleichen Aufsatz in aller Entschiedenheit:

"Der Kommunismus als Realität ist nur das Widerspiel

ihrer eigenen lebensschänderischen Ideologie, immerhin

von Gnaden eines reineren ideellen Ursprungs, ein ver¬

tracktes Gegenmittel zum reineren ideellen Zweck - der

Teufel hole seine Praxis, aber Gott erhalte ihn uns als

konstante Drohung über den Häuptern jener, so da Güter

besitzen und alle andern zu deren Bewahrung und mit dem

Trost, daß das Leben der Güter höchstes sei, an die

Fronten des Hungers und der vaterländischen Ehre treiben

möchten." (F 554, 1920, 8)

Die österreichische Sozialdemokratie war im politi¬

schen Stimmengewirr der 20er Jahre keinesfalls die Kraft,

die Kraus eine wirksame ideologische Stütze geben konnte.

Allerdings verhalf sie Kraus dazu, sich der zu Recht als

grundlegende Kraft erkannten Wiener Arbeiterschaft zu

nähern. In der Schrift Nachträgliche Republikfeier (F

712, 1926, 1-18) führt Kraus am deutlichsten aus, was

ihn zum neuen Publikum hinzog. Der Satiriker, der jede

Art von dtullturellen Schemata und Phrasen verachtete, sah

in den''Arbeitern Individuen, die, unberührt von der

bürgerlichen Kultur, ungestörte Aufnahmefähigkeit haben

und so leicht an die wirkliche Kunst herangeführt werden

können. Der Haß gegen, die bürgerliche Welt verband Karl

Kraus mit seinem Arbeiterpublikum, das er auch niemals

106
7
kritisierte, im Gegensatz zur Partei, der er bereits

1922 eine "historische Schuld" vorwarf: "Aber es ist die

historische Schuld der sozialdemokratischen Partei, daß

sie durch jenes Paktieren und Koalieren in den Umsturz¬

tagen, durch Rettung der Staatsscheißer und Staatsdiebe

vor der Rache einer gewendeten Front sich ihren Undank

verdient hat; nicht daß sie den Gewinn des verlorenen

Krieges vertan, seiner Fortsetzung in den heiligsten

Krieg gewehrt hat; daß sie einen wahrhaft revolutionären

Umschwung in den Tagen, da es möglich war, auf das Maß

eines täglich neu bedrohten, von hämischen Herzen nie


anerkannten Firmawechsels reduziert und zugelassen hat,

daß diese tief korrupte, durch und durch ausgehöhlte,

auf ewig unfruchtbare Gesellschaft wieder üppig und

rüstig werde, die nichts bewährt als ihre Gewinnsucht,

ihre Frechheit, ihre Angst und ihren selbstvergessenen

Mut, einer Welt unverbrauchter Kräfte den Kulturanspruch

zu bestreiten, den sie selbst millionenfach verleugnet

und verwirkt hat." (F 608, 1922, 7)


Zur Begründung der harten und berechtigten Kritik er¬

gaben sich gerade da Anhaltspunkte, wo es zu Zusammen¬

arbeit zwischen der SDAPÖ und Kraus kam. Nachdem die

Partei ab 1926 die Arbeitervorlesungen von Kraus nicht

mehr organisierte, wies er darauf hin, daß die Kultur¬

stelle, anstatt sich um "künstlerische Erziehung der

neuen Menschheit" zu kümmern, sie auf die leer gewordenen

Plätze der Bürger setzen und zu Kälmän anstatt zu Beethoven

führen wollte.
Ferner warf er der Partei vor, daß sie nicht gegen

die bürgerliche Presse kämpft, ja nicht einmal den Kampf

anderer (gemeint ist die Bekessy-Affäre) unterstützt.

Josef Bach, der Leiter der sozialdemokratischen Kultur¬

stelle, entgegnete darauf. Kraus überschätze die Bedeu¬

tung der Presse, überhaupt könne sich eine Partei nicht

107
einem Schriftsteller unterordnen. Kraus rief daraufhin

der Partei von "tief antirevolutionärem Wesen" empört die

Worte zu: "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur

Feiglinge!" (F 717, 1926, 122)

Der erste Jahrestag der Ereignisse von 1927 bot ihm

Anlaß zum Beweis dessen, daß die Parteileitung das

Blutbad am liebsten bereits vergessen hätte: am 15. Juli

1928 bezog sich in der Arbeiter-Zeitung eine einzige

Anzeige auf das, was vor einem Jahr geschah: die bezahlte

Anzeige von Kraus. Eine noch auffallendere Diskrepanz

zwischen deklarierten Prinzipien und praktischer Politik

wurde aufgrund der Nummer vom 11. November 1928 enthüllt,

wo der Jahrestag der Gründung der Republik mit einem Be¬

kenntnis zum Tage des Warenhausbesitzers Krupnik ver¬

bunden wurde, und am 1. Mai stand schon in großen Lettern

in der Zeitung: "Krupnik hat die Mode demokratisiert!"

Kraus bezeichnete dies als "Ausverkauf der Ideale", er

wollte mit einer "Demokratisierung", die im Dienste eines

einzigen Kapitalisten steht, nichts zu tun haben.

Immer mehr Widersprüche der österreichischen Sozial¬

demokratie enthüllte er; den am schwersten wiegenden, daß

nämlich die Austromarxisten zum Rot der Flagge auch

Schwarz und Gold benötigen, daß sie also Anschlußanhänger

sind, sprach er erst 1932 in der endgültigen Abrechnung

Hüben und Drüben (F 876, 1932, 1-31) aus. Bis ins Extreme

zugespitzt distanziert er sich von der Partei: "Und wenn

die Welt voll Hakenkreuzler wär' - an deren Erschaffung

der Sozialdemokratie, hüben und drüben, das Hauptver¬

dienst gebührt -; wir müssen uns endlich klar werden, daß

es, seitdem sich Menschheit von Politik betrügen läßt,

nie ein größeres Mißlingen gegeben hat als das Tun dieser

Partei, und daß die Entehrung sämlicher Ideale, die sie

benützt haben, um mit der Bürgerwelt teilen zu können,

vollendet ist." (F 876, 1932, 1) Auf diese Weise, den

108
Feind wieder im eigenen Lager suchend, verlor Kraus, der

die Epoche bereits 1930 als für Satiriker völlig unge¬

eignet verwarf, nun auch den vielleicht einzig möglichen

Verbündeten.

Kraus befand sich so in einer allseitig bedrückenden

Lage, als 1933 in Deutschland Hitler an die Macht kam.

Kraus war sich im klaren, daß damit Schreckliches begann,

und reagierte, wie beim Ausbruch des ersten Weltkriegs

und auch vor schweren Entscheidungen im Privatleben, mit

Schweigen. Wie im Jahre 1914 (In dieser großen Zeit. F

404, 1914, 1-19) teilte er auch diesmal der Öffentlich¬

keit den Grund mit: das vierseitige Fackel-Heft vom

Oktober 1933 (mit der apokalyptischen Heftnummer 888)

enthält die Trauerrede auf Adolf Loos (als eine Art Erin¬

nerung an alte, normale Zeiten) sowie das zehnzeilige

Gedicht:

Man frage nicht, was all die Zeit ich machte.

Ich bleibe stumm;

und sage nicht, warum.

Und Stille gibt es, da die Erde krachte.

Kein Wort, das traf;

man spricht nur aus dem Schlaf.

Und träumt von einer Sonne, welche lachte.

Es geht vorbei;

nachher war's einerlei.

Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte.

Wäre dies tatsächlich das letzte Wort von Kraus ge¬

wesen, so stünde sein Lebenswerk äußerst abgerundet für

die literarhistorische Beurteilung da. Die dreieinhalb

Jahrzehnte währenden Reflexe konnten aber nicht ver¬

nichtet werden. Bereits zur Zeit der Herausgabe des 888.

Fackel-Heftes lag Die dritte Walpurgisnacht, eine an man¬

chen Stellen außerordentlich klarsichtige, trotz des

109
großen Umfang sehr kompakte Kampfschrift gegen den

Faschismus zur Veröffentlichung bereit. Kraus verzichtete

jedoch - durch die vielleicht berechtigte Angst um die

eigene sowie die Existenz anderer getrieben - auf die

Herausgabe. Dafür antwortete er in einem 315 Seiten

starken Fackel-Heft (Warum die Fackel nicht erscheint.

F 890) - teilweise mit Passagen aus der Dritten Wal¬

purgisnacht - auf die zahlreichen Kritiken, die, be¬

sonders aus sozialistischen Emigrantenkreisen kommend,

ihn der Feigheit bezichtigten.

Das Heft Warum die Fackel nicht erscheint geht in

einer Beziehung wesentlich über frühere Äußerung von

Kraus hinaus, dies ist aber um so schwerwiegender. Nach

dem 12. Februar 1934, als das österreichische Proletari¬

at, bis zum äußersten gereizt durch die Staatsmacht und

die immer mehr von den Nazis abhängige Heimwehr, im Stich

gelassen - oder gar nicht unterstützt - von den Sozial¬

demokraten, den verzweifelten Versuch eines Aufstandes

unternahm, protestierte Kraus - in krassem Gegensatz zum

15. Juli 1927 - mit keinem Wort gegen das Blutbad der

Polizei, dem nicht, wie damals, 90, sondern mehr als

1000 Menschen zum Opfer fielen. Kraus kritisierte mit

Recht das unausgeglichene, illogische Verhalten der so¬

zialdemokratischen Führung (vor allem Otto Bauers) ,

gleichzeitig stellte er sich aber an die Seite von Engel¬

bert Dollfuß. Bereits in der Dritten Walpurgisnacht wurde

dieser Austrofaschist Mussolinischer Prägung den Sozial¬

demokraten, die für Kraus die völlige Pleite bedeuteten,

so gegenübergestellt: "Daß ich gegen Dollfuß keiner sati¬

rischen Anwandlung fähig bin [...]; daß ich trotz den

'Letzten Tagen der Menschheit' einen Spott verschmähe,

den ich jüngeren Talenten vermacht habe, damit sie ihn

bei Lebensgefahr gegen den Retter verwenden: solches mag

sie noch verlocken, ihn gegen mich zu kehren. Dann dürf-

110
ten sie ihre Wunder erleben, wie ich ihn zu reklamieren
9
vermag!

Die Sozialisten- und Anschlußgegnerschaft von Engel¬

bert Dollfuß genügte Kraus dazu', bei ihm eine großartige

menschliche Haltung zu konstatieren, ihn - wie einst

Fjanz Ferdinand - für eine Art David, der siegreich Goli¬

ath bekämpft, für die verehrungswürdige Persönlichkeit

zu halten. Das ist um so bedauerlicher, weil ein Dichter

dieser Auffassung war, der jahrzehntelang im Dienste der

Humanität, des menschenwürdigen Lebens, ja überhaupt des

Lebens gestanden hatte, weil sogar mit Berufung auf die

Letzten Tage dev Menschheit die Dollfuß-Feinde beschimpft

wurden: "Fühlt man denn nicht, eben Dollfuß und nicht

Bauer erfüllte die Definition der Politik als der 'Kunst

des Möglichen'? Jener, wagt einer zu behaupten, habe

jetzt 'die Letzten Tage der Menschheit bei sich zu Hause

Veranstaltet'. Mit seinen Gegnern spreche ich den Dialog

'Optimist und Nörgler'!" (F 890, 1934, 241)

Nach der Ermordung von Dollfuß im Jahre 1934 nahmen

Reflexionen politischen Charakters merklich an Gewicht

ab: Kraus hatte aber nicht mehr die Kraft, seine Anschau¬

ung - auf welche Weise auch immer - zu revidieren. Er

war lediglich dazu fähig, vor der anscheinend nicht zu

bewältigenden Wirklichkeit in andere Dimensionen zu

fliehen: zur Sprache, in die kulturelle Erbepflege (be¬

sonders in den Shakespeare-Kult), in den Kampf mit un¬

wesentlichen Gegern, und währenddessen mehr oder minder

direkt, fast nur nebenbei, die Verachtung gegenüber dem

deutschen Faschismus auszudrücken und jene zu verur¬

teilen, die da meinten, "daß dem Satiriker zu einem


10
Jaguar so schnell etwas einfällt wie zu einem Trottel."

111
V. ZUR SPRACHAUFFASSUNG
VON KARL KRAUS

1.

Ich bin nur einer von den


Epigonen,
die in dem alten Haus der
Sprache wohnen.
F 44 3, 1916, 28

Die zweifelsfreie Tatsache, daß es Anfang des 20.

Jahrhunderts auf dem Territorium der Österreichisch-

Ungarischen Monarchie eine ereignis- und folgenreiche

"sprachliche Revolution" gab, wird oft behauptet, in

ihren konkreten Erscheinungsformen jedoch selten unter¬

sucht .

Selbst mangels diesbezüglicher soziolinguistischer

Studien läßt sich feststellen, daß es sich hierbei um

eine besonders ausgeprägte Form einer gesamteuropäi¬

schen Erscheinung handelt. Die zunehmende Isolation des

Individuums im spätbürgerlichen Europa der Jahrhundert¬

wende war eng mit Fragen der Kommunikation verbunden;

die Relativierung der Werte materialisierte sich u.a.

in sprachlichen Erscheinungen. Das Phänomen Sprache,

das sich zwar als äußerst kompliziertes, zur Vorsicht

mahnendes System entpuppte, war als physische Erschei¬

nung exakt und ohne Hinzuziehung der immer undurch¬

schaubarer erscheinenden gesellschaftlich-geschichtli-

schen Zusammenhänge beschreibbar und daher als Objekt

eines umfassenden wissenschaftlichen Interesses in ganz

Europa beliebt. Bedingt durch die gegebene Entwicklungs¬

phase des Kapitalismus waren auch die sprachbezogenen

113
Veränderungen durch Urbanisation, Vervollkommnung des

Verkehrs usw. Die alten Mundarten lösten sich auf, und

größere, kräftigere Großstadtdialekte nahmen ihre Steile

ein, deren uniformierende Ausdrucksweise durch die

schnelle Entwicklung der Presse in weiten Kreisen ver¬

breitet wurde.
Diese Entwicklung betraf in besonderem Maße die Bel¬

letristik, weil dadurch die sprachschöpferische Monopol¬

situation des Schriftstellers erschüttert wurde. Er mußte

sich mit dem überhandnehmen der Journalistik auseinander¬

setzen. Die auffällige Geste des Schweigens konnte seine

Entscheidung höchstens verzögern, keinesfalls aber er¬

setzen. Entweder nahm er die mit Hilfe der Presse ge¬

stiegene Bedeutung der uniformierenden Umgangssprache an

oder nicht. Falls ja, so bedeutete das für ihn den Ver¬

such, sich anzupassen, die gesprochene Sprache sozusagen

für die Literatur zu entdecken. Verneinte er diese

Möglichkeit, so konnte er in die unberührte, reine

Inspiration fliehen, nicht selten mit der Konsequenz, daß

er die Sprache auch von ihrer kommunikativen Funktion

trennte; oder er konnte das ihm gegebene Kommunikations¬

mittel aristokratisch, gewählt, originell gebrauchen.

In der Österreichisch-Ungarischen Monarchie waren

diese Tendenzen europäischer Dimension besonders spürbar,

um so mehr, als sich hier Isolation und Entfremdung des

Individuums unmittelbar mit Kommunikationsproblemen ver¬

banden. Für das öffentliche Leben waren Rollenspiel,

Schweigen über Wesentliches, Umschweife charakteristisch;

von offenen Diskussionen konnte nicht einmal die Rede

sein, wirkliche Probleme wurden durch die glänzende Ober¬

fläche verdeckt. Es ist bezeichnend, daß einer der

meistgebrauchten Begriffe der Parlamentspraxis die Ob¬

struktion war, die reale Sorgen durch leeres Reden un¬


erwähnt ließ.

114
Die ungelöste Nationalitätenfrage, einer der wich¬

tigsten Katalysatoren des Zerfalls der Donaumonarchie,

hing ebenfalls eng mit der Sprache zusammen. Das Gefühl

des Nichtverstehens war hier auf die alltägliche Er¬

fahrung zurückzuführen, daß die einzelnen Nationen dieses

Staates tatsächlich nicht dieselbe Sprache sprachen.

Weniger bedrückend war dies für die Nichtdeutschen, die

die Koine der Doppelmonarchie in dieser oder jener Situa¬

tion bis zu einem gewissen Grad erlernten; die deutsche

Sprache wurde sogar internationaler Vermittler der Ge¬

danken von vielen hiesigen Intellektuellen, wie etwa im

Falle Masaryks oder Lukäcs'. Überhaupt gehörte die Förde¬

rung der Muttersprache zu den wesentlichsten Vorstufen

jedes Versuchs zur Lösung des nationalen Problems.

Die Bürger der Monarchie, die Deutsch als Mutterspra¬

che hatten, verfügten nicht einmal über diese Art Stütze.

Ihre Muttersprache war ja - wie Hans Weigel scherzhaft

feststellt - nicht identisch mit der Vatersprache, d.h.

das Deutsche in Österreich unterschied sich merklich von

dem, was gemeinhin als Deutsch bezeichnet wird. Das Pro¬


blematische an dieser Situation kam mit der - wiederum

besonders durch die Presse getragenen - Vereinheitlichung

der deutschen Sprache im seit 1870 auch politisch ein¬

heitlichen Deutschland. Es manifestierte sich das Norm¬

system des "Hochdeutsch", es entstanden die bis heute

gültige Kodifizierung grammatischer Regeln durch Konrad

Duden (1880) und Theodor Siebs' Deutsche Bühnensprache

(1898) .
Für österreichische Schriftsteller stellt sich des¬

halb folgerichtig die Frage der Sprache; in der öster¬

reichischen Literatur begegnet man kaum einem Autor, der

sich nicht mit der Ausdrucksproblematik auseinandersetzt,

ödön von Horväth "demaskiert" in seinen Stücken die Denk¬

weise der Zeitgenossen durch Aufzeigen ihrer sprachlichen

115
Klischees; Elias Canetti schreibt im Roman Die Blendung

über die "akustische Maske" der Menschen, über die Pro¬

bleme der Sprechzivilisation; Heimito von Doderer hält die

Sprache für eine "Kernfestung der Wirklichkeit"; Josef

Weinheber betet sie wie eine Gottheit an:

Sprache unser!

Die wir dich sprechen in Gnaden, dunkle Geliebte!

Die wir dich schweigen in Ehrfurcht, heilige Mutter!

Ilse Aichinger veröffentlicht eine Sammlung von Erzählun¬

gen und Studien unter dem Titel Schlechte Wörter; der Ort

der Handlung in Hans Leberts Wolfshaut heißt "Schweigen";

Paul Celan drückt die anscheinend unüberbrückbaren Gegen¬

sätze zwischen Wort und Bedeutung, Sprache und Welt wie

folgt aus:

SCHWIMMHÄUTE zwischen den Worten,

ihr Zeithof -

ein Tümpel,

Graugrätiges hinter

dem Leuchtschopf
2
Bedeutung.

Ingeborg Bachmann, deren Sprachauffassung eine zentrale

Stellung in der modernen österreichischen Literatur ein¬

nimmt, ruft die Sprache zum Dienst an der Persönlichkeit

auf:

Ihr Worte, auf, mir nach!

Und sind wir auch schon weiter,

zu weit gegangen, geht's noch einmal


3
weiter, zu keinem Ende geht's.

Ein beinahe programmatischer Ausdruck der Sprachverehrung

ist das Gedicht Die Sprache von Christine Busta:

116
Die Sprache, der du im Wort bleibst,

wird nicht geredet,

sie wird erlitten.


>

[...]
Aus ihr sind die Häuser gemacht, die Brücken,

die herrlich nutzlosen Memnonsäulen,

wo die Sonnengesänge entstehen

und Kinder, die sie bezeugen.4

Möglichkeiten des Kommunikationsmittels Sprache werden

in Ernst Jandls und H.C. Artmanns Gedichten untersucht,

ebenso in den "Sprechstücken" Peter Handkes, der z.B. in

Kaspar zeigt, wie ein Mensch aus Klischees und Zitaten

entsteht. Diese Auffassung Handkes entspricht den Worten

Thomas Bernhards: "Im Grunde ist alles, was gesagt wird,

zitiert."5

Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen, und zwar

auch in bezug auf die Literaturgeschichte in Österreich.

Die Herauskristallisierung dieser "Sprachmanie" begann

Anfang des 20. Jahrhunderts mit der sprachlichen Revolu¬

tion, besonders in Wien, wo jede erwähnte Tendenz in kon¬

zentrierter Form vorzufinden war und die Künstler und

Intellektuellen nahezu zwang, sich Fragen der Sprache,

des Ausdrucks, der Kommunikation zuzuwenden.

Unsicherheit im Umgang mit der Sprache läßt sich in

zahlreichen Werken dieser Epoche beobachten, angefangen

bei Schnitzlers Erzählung Leutnant Gustl (1901), deren

Titelheld mit Kommunikationsschwierigkeiten ringt, über

Kafkas Beschreibung eines Kampfes (1904-1905) und Rilkes

Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910), in

denen große Existenzfragen mit Problemen des Ausdrucks in

Verbindung gebracht werden, bis hin zu Musils Die Verwir¬

rungen des Zöglings Törleß (1906), wo der junge Titelheld

117
seine eigentlichen Gefühle selbst dann nicht zum Aus¬

druck bringen kann, wenn das für ihn unbedingt nötig

wäre.

Besonders empfindlich für die Sprachproblematik ist

Hugo von Hofmannsthal. In seinem 1907 entstandenen Stück

Dev weipe Fächer unterhält sich Fortunio mit seinem

Freund über die verdorbene Rede, um sich anschließend

auf die Suche nach einer Idealsprache zu begeben, die

seiner Auffassung nach in der klaren, natürlichen Aus¬

drucksweise einer Verstorbenen zu finden war:

Wenn wir was reden, Livio, tauschen wir

Nur schale, abgegriffene Zeichen aus:

Von ihren Lippen kommen alle Worte

Wie neugeformt aus unberührtem Hauch,

Zum erstenmal beladen mit Bedeutung,

Mit unbefangnen Augen stand sie da

Und ehrte jedes Ding nach seinem Wert,

Gerechter als ein Spiegel.

Die erste Dimension der Enttäuschung über abgenutzte

Zeichen der Umgangssprache ist natürlich das Ausbleiben

der Kommunikation, das Schweigen, dokumentiert durch

Hofmannsthals 1902 erschienenen Chandos-Brief, in dem

sich der junge Edelmann mit folgenden Worten beklagt:

"Ich fühlte in diesem Augenblick mit einer Bestimmtheit,

die nicht ganz ohne ein schmerzliches Beigefühl war, daß

ich auch im kommenden und im folgenden und in allen Jah¬

ren dieses meines Lebens kein englisches und kein latei¬

nisches Buch schreiben werde: und dies aus dem einen

Grund [...], weil die Sprache, in welcher nicht nur zu

schreiben, sondern auch zu denken mir vielleicht gegeben

wäre, weder die lateinische noch die englische noch die

italienische und spanische ist, sondern eine Sprache,

von deren Worten mir auch nicht eines bekannt ist, eine

118
Sprache, in welcher die stummen Dinge zu mir sprechen,

und in welcher ich vielleicht einst im Grabe vor einem

unbekannten Richter mich verantworten werde."

Die Stelle aus dem fünf Jahre später entstandenen

Stück macht ganz deutlich, was eigentlich schon aus dem

Chandos-Zitat einleuchtet: Der junge Edelmann - und mit

ihm gemeinsam zweifelsohne auch Hofmannsthal selbst - hat

sich nicht in der Sprache getäuscht, wie oft behauptet

wird, sondern im Sprachgebrauch bestimmter Gesellschafts¬

kreise. Die stark akzentuierte Kritik Hofmannsthals be¬

zieht sich eindeutig auf die Praxis, die Verwendung der

sprachlichen Zeichen - auf die Rede (parole, wie es von

Ferdinand de Saussure genannt wurde). Selbst Chandos

fühlt, daß es eine Sprache, die Sprache (mit dem anderen

Saussure-Terminus: langue) geben muß, "in welcher die

stummen Dinge zu mir sprechen", die also im Gegensatz

zum verbrauchten Zeichenkonglomerat der Rede steht. Der

grundlegende Konflikt des österreichischen Schriftstel¬

lers besteht in dieser einfachen Dichotomie: er ist unzu¬

frieden mit der Rede, weiß aber um Wert der Sprache und

versucht - selbstverständlich mit völlig unterschied¬

lichen Mitteln -, diesen zu ergründen.

Am Ende des Einakters Stunde des Erkennens von


q
Arthur Schnitzler wird gesagt: "Worte lügen." In ihrer

extremen menschlichen und sozialen Situation mag für

Ormin und Klara, die ihre wirkliche Lage nicht sehen

wollen, der Anschein entstehen, daß die Worte selbst

schuld an ihrem Schicksal sind; dabei sind sie es aber,

wie Schnitzler zeigt, die mit den Worten lügen. Der Autor

weiß ja, daß nicht die Worte schlecht sind, sondern die

Menschen, die sie gebrauchen, und daß man bestrebt sein

muß, die Sprache richtig zu verwenden: "Unsere ganze

Moral besteht vielleicht nur darin, aus diesem unprä¬

zisen Material, das uns das Lügen so leicht, so verant-

119
wortungslos, so entschuldbar macht, aus der Sprache etwas

Besseres zu machen. Mit Worten so wenig zu lügen, als


9
möglich ist."

Rilke flieht vor dem schlechten Sprachgebrauch der

Umwelt sogar ins Ausland, wo er nur die im eigenen

Deutsch verkörperte langue hört. In einem seiner Briefe

beschreibt er, wie er dies Richard Dehmel klarzumachen

versuchte, der als Nicht-Österreicher nicht viel Ver¬

ständnis für die Ausführungen zeigte: daß ich

arbeitend, kein Deutsch (das meistens so widerwärtig

schlecht und faul gesprochene!) um mich hören könne,

sondern es vorzöge, dann von einer anderen, mir als Um¬

gangsmittel vertrauten und sympathischen Sprache umgeben

zu sein: durch solche Isolierung (die er als enorm 'un-

patriotisch' empfunden haben mag), nähme dann, erzählte

ich ihm, das Deutsche in mir eine eigentümliche Sammlung

und Klarheit an; abgerückt von allem täglichen Gebrauch

empfände ich es als das mir angemessene herrliche (wie

herrliche: nur, vielleicht, über das Russische so zu ver¬

fügen, gäbe eine noch größere Gemme, noch weitere Kon-


10
traste des Ausdrucks!) - Material

Außer Schriftstellern wandten sich zahlreiche öster¬

reichische Intellektuelle der Epoche Kommunikationsfragen

zu. Die Traumdeutung (1900) von Sigmund Freud wird mit

Recht als Vorläufer der Saussureschen Kategorien bezeich¬

net, und man erkennt das große sprachliche Interesse des

Wissenschaftlers auch daran, daß er sich mit der Sprache

des Witzes befaßte und daß das Wesen seiner Psychothera¬

pie eigentlich in der Verbalisierung verdrängter Gedanken

besteht. Bei den Philosophen in der Doppelmonarchie

spielte die Sprache ebenfalls eine wichtige Rolle. Ernst

Mach schuf durch Verabsolutierung der Empirie die Grund¬

lage für das sprachliche Denken der anderen. Der von

Machs Lehre beeinflußte Fritz Mauthner identifizierte

120
Denken mit Sprechen und versuchte aus dieser Gleich¬

setzung die Wahrheit in der Sprache zu ermitteln. Ohne

das Erlebnis einer Muttersprache mußte er notwendiger¬

weise nur Schattenseiten der Sprache sehen und daher den

Denkern als einzig richtige Lösung das Schweigen Vor¬

schlägen. Fragen der Sprache - besonders der Bedeutung -

wird, von Ludwig Wittgenstein und den Philosophen des

Wiener Kreises (Moritz Schlick, Friedrich Waismann,

Rudolf Carnap, Otto Neurath, Herbert Feigl, Victor Kraft

u.a.) sowie dem katholischen Sprachanalytiker Adolph

Stöhr und dem Sprachkritiker Richard Wahle große Auf¬

merksamkeit gewidmet; Martin Buber und Ferdinand Ebner

versuchen mit Hilfe der Sprache zu beweisen, daß die

menschliche Existenz an das richtige "Du" gebunden ist.

Das sprachliche Interesse dieser Denker schöpfte viel

aus Sprachreflexionen der zeitgenössischen Literatur und

wirkte gleichzeitig formend auf das Schaffen von Dich¬

tern (Schnitzler, Hofmannsthal, Musil, Broch u.a.; ja

sogar bis in die jüngste Zeit, vgl. Bachmann).

Die Kritik der Ausdrucksformen bzw. der Versuch, für

diese neue Grundlagen zu schaffen, war auch für den

Musiker Arnold Schönberg, den Architekten Adolf Loos und

den Maler Oskar Kokoschka bezeichnend. Diese Wiener

Künstler wollten die Kritik der traditionellen Ausdrucks¬

weise mit scheinbar drastischen Reformen (Zwölftonsystem,

dekorationslose Baukunst, die Wirklichkeit zerstückelnde

Malerei) verbinden.
Karl Kraus gilt als eine der Schlüsselfiguren dieser

"sprachlichen Revolution". Er stand am Schnittpunkt von

fast allen oben erwähnten Zeittendenzen; war mit Schön¬

berg, Loos und Kokoschka befreundet, beobachtete die

Suche von Hofmannsthal, Schnitzler, Rilke und anderen

bedeutenden Gestalten der zeitgenössischen österreichi¬

schen Literatur nach der Idealsprache zwar mit Skepsis -

121
an einem Punkt unterscheidet sich jedoch seine Auffas¬

sung nicht von der der anderen: er empfindet und ver¬

lautbart, daß die Rede schlecht ist und eine Idealsprache

gefunden werden muß, daß der Künstler dem Gegenstand

seines Ausdrucks besondere Aufmerksamkeit zu widmen hat.

Diese Auffassung wird nicht in einzelnen abfälligen Be¬

merkungen, sondern in seiner Zeitschrift Die Fackel an¬

hand aktueller, konkreter Beobachtungen kontinuierlich

geäußert. Kraus' deutlich artikulierte Stellungnahmen

bedeuteten für die Zeitgenossen, besonders für die von

der Fackel beeindruckte Jugend, ein Bildungserlebnis,

sie galten sozusagen als Quintessenz der "sprachlichen

Revolution". Canetti, Weinheber, Doderer, Broch, Horväth

und viele andere sprachlich interessierte österreichi¬

sche Dichter lernten beweisbar von Kraus, nicht zu spre¬

chen von dem aus dem Wiener Milieu hervorgegangenen

Philosophen, der im Interesse der Klärung des Verhältnis¬

ses zwischen Sprache und Wirklichkeit das meiste tat:


Ludwig Wittgenstein.

2.

Er beherrscht die deutsche


Sprache - das gilt vom Kom¬
mis. Der Künstler ist ein
Diener am Wort.
F 251, 1908, 44

Der als Motto zitierte Aphorismus enthält in nuce die

wichtigsten Elemente der Sprachauffassung von Karl Kraus.

Als Ausgangspunkt dient auch hier die Pressekritik/: Der

Journalist ("der Kommis") ist stolz auf seine Sprach-

kenntnis, Sprachbeherrschung. Kraus leugnet die Existenz

eines solchen Verhältnisses zur Sprache nicht, hält es

122
aber für minderwertig; die richtige Beziehung (der Gegen¬

pol im Digitalsystem des Krausschen Denkens) ist die des

Künstlers, der die Sprache verehrt. In Heine und die

Folgen wird dieser Gedanke so formuliert: "Heine war nur

ein Draufgänger der Sprache; nie hat er die Augen vor

ihr niedergeschlagen." (F 329, 1911, 32) Beide Aphorismen

weisen darauf hin, daß die Sprache für Kraus eine Art Ur¬

mutter ist, welche dieselben Verhaltensformen erfordert

wie die Frau im allgemeinen; als Lohn dafür wird der Mann

zur Verkörperung des Absoluten, zum Ursprung geführt:

"Die Sprache tastet wie die Liebe im Dunkel der Welt


einem verlorenen Urbild nach." (F 381, 1913, 69)

Natürlich gelangen nicht alle zum Ursprung, allein

jene, die sich der Sprache gegenüber untertänig ver¬

halten. Der echte Künstler (den ja auch der anfangs

zitierte Satz erwähnt) ist imstande, ein harmonisches

Verhältnis zur Natur zu entwickeln, er ist sozusagen der

bange Läufer des Gedichts Zwei Läufer (F 300, 1910, 32),

der für die Standhaftigkeit damit belohnt wird, daß er

den Ursprung erreicht. Kraus, der sich für einen solchen

Künstler hält, faßt die Kriterien des richtigen sprach¬

lichen Verhaltens in erster Person Singular mit folgenden

Worten zusammen: "Ich beherrsche die Sprache nicht; aber

die Sprache beherrscht mich vollkommen. Sie ist mir nicht

die Dienerin meiner Gedanken. Ich lebe in einer Verbin¬

dung mit ihr, aus der ich Gedanken empfange, und sie kann

mit mir machen, was sie will. [...] Die Sprache ist die

Herrin der Gedanken, und wer das Verhältnis umzukehren

vermag, der macht sie sich im Hause nützlich, aber sie

sperrt ihm den Schoß." (F 272, 1909, 48) Auf dem Gebiet

der Sprache will also selbst der ewige "Nörgler" Kraus

ein "treuer Diener" sein, wie in irgendeiner Beziehung

beinahe alle österreichischen Dichter seit Grillparzer.

123
Die Herrin Sprache wird von Kraus als so erhaben und

unerreichbar empfunden, daß der Dienst nicht unmittelbar

ihr, sondern ihrer materiellen Erscheinungsform, dem Wort

gilt. (Vgl. den Satz: "Der Künstler ist ein Diener am

Wort.") Dieses führt einen zum Urquell: "Je näher man ein

Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück." (F 326,

1911, 44) Demnach besteht die Aufgabe des Künstlers in

der Suche nach dem richtigen Wort, das sogleich auch den

Gedanken enthält: "Weil ich den Gedanken beim Wort nehme,

kommt er." (F 323, 1911, 21)


Die Sphären Form und Inhalt werden auf diese Weise

bei Kraus nicht getrennt, sondern als Einheit erfaßt.

Deshalb kann Kraus sagen: "Es gibt zwei Arten von

Schriftstellern. Solche, die es sind, und solche, die es

nicht sind. Bei den ersten gehören Inhalt und Form zu¬

sammen wie Seele und Leib, bei den zweiten gehören Inhalt

und Form zusammen wie Leib und Kleid." (F 259, 1908, 44)

Das Entstehungsdatum der bisher zitierten sprachbezo-

genen Äußerungen ist auf den Zeitraum zwischen 1908 und

1913 zu setzen, als der Satiriker am stärksten nach einem

Ideal forschte, das der als schlecht erkannten Wirklich¬

keit entgegenzuhalten war. Während des Weltkrieges stell¬

te sich aber heraus, daß die meisten Elemente der Kraus-

schen Idealwelt vernichtet werden konnten, daß Weib,

Natur, Kunst, Persönlichkeit (zumindest in der Weise,

wie Kraus die verwendete) keinen Halt boten, wohl aber

die Sprache. Die abscheulichen Erscheinungsformen der

Rede in jener "großen Zeit" konnten die Sprachverehrung

von Kraus keinesfalls beeinträchtigen, im Gegenteil: Sie

kräftigten seinen Glauben an die Idealsprache. So ist es

zwingend notwendig, daß er sich nach dem Scheitern der

Beteiligungsversuche am Bau der Republik wieder der

Sprache zuwandte. Zur Sprachlehre heißt der Titel jenes

Fackel-Heftes (F 572, 1921, 1-76), das die früher in

124
geistreichen Aphorismen formulierten Sprachgedanken des

Dichters in Form von längeren Aufsätzen entfaltet, thema¬


tisiert .

Kraus, der eines der Mottos des Heftes nicht zufällig

von Wilhelm von Humboldt nimmt, besteht darauf, daß zwi¬

schen Sprache und Wirklichkeit ein ursprünglicher, wesen-

hafter, ja mystischer Zusammenhang besteht, daß Wörter

Produkte eines harmonischen Urzustandes, eines einmaligen

Zusammentreffens von Mensch und Natur sind: "Ich könnte

es zwar nicht beweisen, wohl aber beschwören, daß kein

Wort anders aussieht als sein Inhalt klingt und daß jedes

so schmeckt wie es riecht. Wenn ich meine, daß die letz¬

ten Silben in dem Wort 'smaragdfarben' mehr Ton und mehr

Farbe behalten, weil sie weniger an die ersten abgeben

müssen, als in dem Wort 'rosinfarben', und wenn man mir

darauf antwortet, daß eben der Wirbel der Konsonanten den

Tonfall hemme und dadurch 'färben' selbständiger werde

als dort wo es in einer stärkeren Anziehung durch die

vorangehende Silbe ausgesetzt ist, so möchte ich mich,

ohne dabei gewesen zu sein, auf den ersten Mund berufen,

der ’Smaragd’ gesagt hat, als das erste Auge ihn sah,

und gar nicht anders konnte als ihm diese Konsonanten ab¬

zusehen, diese Farbe abzuhören. Und könnte das Kind

anders, wenn ihm die Verbildung von Generationen nicht

die dichterische Kraft verkümmert hätte, Anschauungen zu

Lautbildern formen? Jedes Wort -ist ursprünglich ein

Gedicht und was den Vollbegriff des Dings umfaßt, ist

ihm nur abgelallt." #(F 572 , 1921 , 40)

Wenngleich Kraus das Wort immer wieder als "Wunder",

"Organismus" bezeichnet und behauptet, daß es immer auf

das Wort ankomme, weiß er natürlich auch, daß Wörter an

sich nicht bestehen können, daß der "Ursinn" nur in einem

Zusammenhang existieren kann. Dieser ursprüngliche Zusam-

125
menhang ist für ihn der Reim, den er schon 1916 so

apostrophiert:

Er ist das Ufer, wo sie landen,

sind zwei Gedanken einverstanden.

(F 443, 1916, 31)

Elf Jahre später versucht er, diese Zeilen in einer Stu¬

die zu erklären, im Reim das "Verständnis" zwischen Wort¬

organismen zu zeigen: "Hier sind sie es: die Paarung ist

vollzogen. Zwei werden eins im Verständnis, und die Bin¬

dung, welche Gedicht heißt, ist so für alles, was noch

folgen kann, zu spüren wie für alles, was vorherging; im

Reim ist sie beschlossen. Landen und einverstanden: aus

der Wortumgebung strömt es den zwei Gedanken zu, sie ans

gemeinsame Ufer treibend. Kräfte sind es, die zueinander

wollen, und münden im Reim wie im Kuß." (F 757, 1927, 1)

Reimen könne sich nur, behauptet Kraus, was sich

reimt, das heißt, was von innen dazu aufgetan ist. Der

echte Reim ist also dialektisch, in ihm entsteht durch

die formale Verbundenheit von Lautformen auch eine not¬

wendige Formeinheit: "Der Reim als Übereinstimmung von

Zwang und Klang ist ein Erlebnis, das sich weder der

Technik einer zugänglichen Form noch dem Zufall einer

wagen Inspiration erschließt." (F 757, 1927, 37) Kraus

betont auch beim Reim den naturhaften Aspekt: "Der Reim

muß geboren sein, er entspringt dem Gedankenschoß; er ist

ein Geschöpf, aber er ist kein Instrument, bestimmt,

einen Klang hervorzubringen, der dem Hörer etwas Ge¬

fühltes oder Gemeintes einprägsam mache." (F 757, 1927,

2) Echte Dichtung - oder, wie von Kraus hier jede Sprach¬

kunst genannt wird, Lyrik - kann dadurch erkannt werden,

daß in ihr diese ursprüngliche, einmalige Bindung da ist:

"Und ergibt sich nicht als das einzige Kriterium des

Reimes: daß der Gedanke in ihm seine Kraft bewährt bis

126
zu dem Zauber, den an und für sich leeren Klang in einen

vollen, den unreinen in einen reinen zu verwandeln?" (F


757, 1927, 17)

Der Aufsatz Der Reim enthält logische, wertvolle Ge¬

dankenreihen über den dialektischen Aufbau des Reims,

über den Zusammenhang von Inhalt und Form in der Dich¬

tung. Die doppelte Bindung des Reims hat, obwohl Karl

Kraus nur deutschsprachige Beispiele anführt, allgemeine

Gültigkeit. Anders steht es aber mit der Auffassung über

die Entstehung der Sprache. "Jedes Wort ist ursprünglich

ein Gedicht" - das ist eine schöne, poetische Vision,

die Erkenntnisse über die Sprache maßlos vereinfacht:

Der Gedankengang über Smaragd gilt ja beispielsweise

höchstens für eine Sprache (ungarisch: smaragd, "sch"-

Laut, erste Silbe betont; englisch: emevald usw.), und

auch innerhalb deren kann er nichts mit der sprach-

geschichtlichen Entwicklung anfangen. (Welches ist das

"alte Wort": ags. skip, ahd. skif, mhd. schif oder nhd.

Schiff?) Daß Kraus diese offensichtlichen Einseitigkeiten

seiner Auffassung übersah, kann nur so erklärt werden,

daß er weder für deutsche Sprachgeschichte, noch für

andere Sprachen Interesse hatte, die Berufung auf den

idyllischen sprachlichen Urzustand dient seinem streng

synchronen Sprachdenken als Vorwand; die Idealsprache

sucht er in der gegebenen deutschen Sprachsituation.

Deshalb hält er Versuche von zeitgenössischen

Autoren, in eigenartigen Zeichensystemen (Musik, Esperan¬

to usw.) eine Idealsprache zu finden, für verfehlt; ihm

ist nur Deutsch heilig. Das Ziel seiner "Sprachlehre" be¬

steht im Schutz dieser Sprache, wobei es ihm um den Be¬

weis geht, daß Deutsch eine völlig logische, systemati¬

sche Sprache, eine Art modernisiertes Schullatein ist.

Darin gibt es, behauptet Kraus (an die Auffassung des

logischen Positivismus erinnernd), keine Mehrdeutigkeit.

127
Homonyme sind nicht zufällig, sondern immer mit er¬

schließbarem Grund gleichförmig: "Das Wort 'Familien-


1 1
bände' hat einen Beigeschmack von Wahrheit." So be¬

trachtet gibt es natürlich auch keine Synonyme. Kraus

kann sich nicht damit abfinden, daß es keinen wesent¬

lichen Unterschied zwischen den Relativpronomen "der"

und "welcher" gibt; geleitet durch die Verehrung der

deutschen Sprache will er die Unterschiedlichkeit der

konkurrierenden Perfektformen "Er hat von sich reden

machen" und "Er hat von sich reden gemacht" beweisen,

"nur noch" und "nur mehr" auseinanderhalten; mit Bei¬

spielen von Schiller versucht er zu erklären, daß ein

Laut ("andres" bzw. "anderes") schon notwendigerweise

Sinnesunterschiede verursacht.

Die Beobachtungen von Kraus sind in jedem Fall ge¬

eignet, die außerordentlich reichen stilistischen

Möglichkeiten der deutschen Sprache zu demonstrieren.

Dabei kommt es weniger darauf an, inwieweit Feststellun¬

gen der Sprachlehre linguistisch haltbar sind: Kraus'

Sprachverehrung ist als charakteristische affirmative

Erscheinung der die schlechte Rede der Epoche bekämpfen¬

den "sprachlichen Revolution" anzusehen.

3.

Die Phrase und die Sache


sind eins.
F 360, 1912, 25

Die Unterscheidung zwischen der verehrten Sprache

und der schlechten Rede nimmt Karl Kraus ganz bewußt vor.

Kaum einige Jahre nach Saussures berühmten Vorlesungen,

natürlich ohne deren Kenntnis, gebraucht Kraus die Ter¬

mini, die der Schweizer Sprachwissenschaftler in die

128
Linguistik einführte: "Die deutsche Sprache ist die

tiefste, die deutsche Rede die seichteste." (F 406, 1915,


152)

Die Einheit von Form und Inhalt, die laut Kraus die
V

Sprache charakterisiert, ist auch auf der Ebene der Rede

zu beobachten. Hier handelt es sich freilich nicht um

Wort und Gedanken, hier sind die Phrase und die Sache

eins. Auf dieser Einheit beruht Kraus' äußerst eindrucks¬

volle Redekritik. Die Identifizierung von Form und Inhalt

ermöglicht es ihm, über die Wirklichkeit so zu urteilen,

daß er nur eine ihrer Erscheinungsformen aus der Nähe be¬

trachtet und aufgrund deren allgemeine Schlüsse zieht.

Diese Reduktion mindert Kraus' Bedeutung nicht, weil

seine Satire die gegebene Gesellschaftssituation an einem

konkreten Punkt angreift und dadurch unbezweifelbares

Material zu einer von ihm nie angestrebten Gesellschafts¬

kritik bieten kann.

Am intensivsten kritisiert Karl Kraus den Sprachge¬

brauch der Presse. Er nimmt ja jede Art Kommunikation

äußerst ernst; man dürfe nur reden, meint er, wenn man

etwas zu sagen habe, und umgekehrt: wenn einer redet, so

verrät er dem aufmerksamen Beobachter ohnehin, was er

eigentlich meint. Von der Zeitung sei also Mitteilung,

Information zu erwarten, um so mehr, als sie ja - im

Gegensatz zur mündlichen Rede, beliebig viele Personen

erreicht. Der Journalist darf also das Kommunikations¬

mittel keinesfalls mißbrauchen; und wenn er dies tut, so

ist er zu entlarven,zu bestrafen - was durch die Auf-

weisbarkeit schriftlich fixierter Texte erleichtert wird.

Sein "Moralphilologie-Kurs" (Karel Capek) wirkt am

stärksten tatsächlich durch die Standhaftigkeit, mit der

von Kraus Beispiele schlechten Sprachgebrauchs gesammelt

und aufgezeigt werden. Deshalb ist auch Kraus' satirische

Methode im Grunde genommen nicht nachahmbar.

129
Am Anfang seiner Laufbahn hatte Kraus noch die Wahl

des Schriftstellers, der die Wirklichkeit aufgrund ihres

Sprachgebrauchs kritisieren will: Entweder wählt er die

Parodie, indem er so tut, als nähme er diesen Sprach¬

gebrauch an, oder aber das Zitat, das heißt das bloße
12
Aufzeigen vorhandener Redefakten. Obwohl erstere Ver¬

fahrensweise in der proteischen k.u.k. Welt viel belieb¬

ter war und auch von Kraus nicht völlig verachtet wurde,

entschied er sich bereits mit dem ersten bedeutenden

Werk Die demolierte Literatur eindeutig für das Zitieren.

Schon darin werden Aussagen anderer ohne Anführungszei¬

chen, dafür kleiner gedruckt zitiert und dann von Kraus

kommentiert, die Hervorhebungen des Satirikers sind durch

Spationierung gekennzeichnet.

Das Zitat, das von Kennern des Krausschen Gesamt¬

werkes immer wieder als seine mächtigste Waffe bezeichnet

wird, ist außerordentlich wirkungsvoll. Nicht zufällig

behauptet Kraus stolz, daß er die Zeit in Anführungs¬

zeichen setze: "Zweifellos gelingt es mir doch, die

bürgerliche Wirklichkeit, indem ich sie bloß bei ihrem

Wort nehme, so zu vergeistern, daß sie sich in das ange¬

stammte Nichts auflöst." (F 508, 1919, 59)

Ein Überblick über einige Zitattypen in Kraus' Glos¬

sen zwischen 1914 und 1918 macht deutlich, über wie viel¬

fältige Anwendungsmöglichkeiten dieser Verfahrensweise

der Satiriker verfügte.

Unter dem Titel Die Lage in Frankreich zitiert Kraus

kommentarlos eine Zeitungsmeldung über französische Zu¬

stände, die ja genausogut die Lage in Österreich be¬

zeichnen könnte: "... Ströme von Blut fließen, weil das

nötige Getreide fehlt und aus Rußland und Rumänien ohne

Sieg nicht geholt werden kann. Die Schlachten sind

Nahrungskämpfe, das Mittel sich gegen Hunger zu schützen,

von dem England, Frankreich und Italien in wenigen Mona-

130
ten überfallen werden könnten..." (F 508 , 1 91 9, 59)^

Die enthüllende Kraft des Zitats ist so erheblich, daß

sich jede Art Erklärung erübrigt.

In der Glosse Fortschritte, der Wissenschaft drückt

Kraus durch die Spationierung eines einzigen Wortes seine

Ansicht über eine Meldung aus: "(G ehirnchirur-

g i e) [•..] Der Verwundete hat sich nach seiner Genesung

das Kriegskreuz und die Militärmedaille auf dem Schlacht-

feld verdient (F 431, 1916, 89)

Wenn der wirkliche Tatbestand nicht so eindeutig aus

dem Zitat hervorgeht, kommt - wie in der Glosse Riesig¬

stes Sortiment der Monarchie - gleich danach der Kraus-

sche Kommentar: "'Der Maler Professor Hugo Vogel hat

jetzt ein 19 Meter langes und 8 Meter hohes Wandgemälde,

>Prometheus bringt den Menschen das Feuer<, in der Berli¬

ner Charite vollendet, das mit 152 Quadratmeter das grö߬

te Wandgemälde ist, das die deutsche Reichshauptstadt

besitzt.'

Kalassal! Fünfzehntausend können es gleichzeitig ansehn

und sich überzeugen, daß Prometheus tatsächlich den Men¬

schen das Feuer gebracht hat, durch das sie jetzt für

ihre Ideale gehen." (F 426, 1916, 24)

Kraus macht hier den Leser mit einer geistreichen Be¬

merkung darauf aufmerksam, daß das Thema des Gemäldes

das im Krieg so oft erwähnte Feuer ist.

Manchmal genügt bereits die Wiederholung einer kurzen

Passage des Zitats als vernichtender Kommentar (Liebes¬

gabe. F 431, 1916, 60); es kommt vor, daß der Titel

selbst ein Zitat ist und der Text der Glosse die Be¬

merkungen von Kraus enthält (Wir Deutschen begrüßen alle

Versuche, dem Völkerrecht und der Menschlichkeit zum

Siege zu verhelfen, mit Freude, wir lehnen es aber ab,

uns übertölpeln zu lassen. F 474, 1918, 36), oder daß

Kraus nvir indirekt zitiert (Ich höre. F 454, 19-17 , 60).

131
Die Wirkung des Zitats bei Kraus wird noch dadurch

erhöht, daß er nicht nur aus der Presse und


nicht immer
1 4
mit kritischer Intention Stellen übernimmt, daß in

seinen Werken zahlreiche kryptische (versteckte) Zitate 3

sowie mannigfache Varianten dieses Stilmittels zu finden


1 f
sind. Auch auf Travestie und Parodie verzichtet er

nicht ganz. Sogar innerhalb eines Werkes kommen die ver¬

schiedensten redekritischen Aspekte zum Ausdruck. Ein

Beispiel dafür ist die große Abrechnung mit der öster¬

reichischen Sozialdemokratie, der Aufsatz Hüben und

Drüben (F 876, 1932, 1-31).

Als Motto dienen vier kleingedruckte Zitate aus einem

Leitartikel der Arbeiter-Zeitung. Weitere 22 ebenfalls

kleingedruckte Stellen (meist aus der sozialdemokrati¬

schen Presse Österreichs) stehen im Aufsatz, im allgemei¬

nen vom beißenden Kommentar des Satirikers begleitet.

Reichlich werden auch in Anführungszeichen gesetzte, in

den Text eingebaute Zitate verwendet. Manche erschließen

sich nur dem Kenner des Krausschen Werks. Der Ausdruck

"Koofmichs" bezeichnet bei Kraus seit Jahrzehnten die

korrupten Journalisten; "halt a Urganisation hab'n" ist

ein Schlüsselausdruck in der 27. Szene des 2. Aktes der

Letzten Tage der Menschheit. Auf Seite 7 wird noch direk¬

ter auf das Drama hingewiesen: "[...] und der die 'Letz¬

ten Tage der Menschheit' schrieb, sagt es [...]." Teil¬

weise eine andere Person, teilweise sich selbst zitiert

Karl Kraus mit dem Ausruf "Ihr Herren!", einen - schon

früher mit Verachtung erwähnten - Lieblingsausdruck des

sozialdemokratischen Politikers Otto Bauer.

Selbst der Titel ist ein spöttisches Aufgreifen einer

Phrase aus der österrichischen sozialdemokratischen

Presse: Hüben und Drüben, das heißt in Österreich und in

Deutschland. Parodistisch wird im Aufsatz das modische

"wir" der Arbeiter-Zeitung verwendet, und Kraus läßt die

132
Sozialdemokraten einen Ausspruch von Kaiser Wilhelm I.

wiederholen: "Und welche Wendung durch Gottes Fügung läßt

uns Materialisten an ein Geschick glauben, das wir doch

bisher nur von der Seite des Ungeschicks kennen gelernt

haben?" (F 876, 1932, 22) Stellenweise begegnet man in

Hüben und Drüben sogar der Attitüde des Sprachlehrers,

der direkt die Redeweise seiner Gegner verwirft: "Was

nun soll man zu Sozialisten sagen, die diese Sprache

sprechen können?" (F 876, 1932, 26)

Der charakteristische Ausdruck in Hüben und Drüben

ist die erste Wendung des einführenden Satzes: "Und wenn

die Welt voll Hakenkreuzler wär' (F 876, 1932, 1)

Mit einer natürlichen Geste wird hier auf die dritte

Strophe des bekannten, für das Entstehen der modernen

deutschen Sprache bedeutsamen 46. Psalms von Martin

Luther, Ein feste Burg ist unser Gott hingewiesen, wo es

heißt: "Und wenn die Welt voll Teufel wär". Schon ein¬

leitend setzt also der Wiener Satiriker Hakenkreuzler

und Teufel gleich; und damit keine Mißverständnisse auf-

komrnen, nennt er den Teufel am Ende seines Aufsatzes

schon beim wirklichen Namen: "Teufel". Der treue Dienst

an der Sprache führt den Satiriker - selbst in einem

offenkundig einseitigen Aufsatz - zur Wahrheit.

Wort und Wesen - das ist die


einzige Verbindung, die ich
je im Leben angestrebt habe.
F 508, 1919, 80

Im eigenen Sprachgebrauch will Kraus selbstverständ¬

lich in die Nähe der Idealsprache kommen, die ursprüng¬

lichen Rechte des "alten Wortes" wieder hersteilen. Er

133
weiß natürlich, daß Wörter nicht an sich bestehen können

und die eigenartig enge Bindung im Reim nur selten zu¬

stande kommt. Deshalb widmet er im eigenen Schaffen dem

Satz besondere Aufmerksamkeit: "Es scheint mir überhaupt

keine andere Wortkunst zu geben, als die des Satzes

[. .(F 577 , 1 921 , 47)

Die Sätze bilden die "Quader" (Canetti), aus denen

Kraus' sprachliche Bauten entstehen. Seit dem Beginn

seiner Laufbahn ist er bestrebt, in seinen Sätzen eine

vollkommene Einheit zwischen Form und Inhalt herzustel¬

len. Dabei betrachtet er seine Satzbauten nie als vollen¬

det, ständig muß an ihnen gefeilt, geklittert, korrigiert

werden; manchmal fügt er endlos Quader aneinander, manch¬

mal untersucht er, wie Sätze in neuer Reihenfolge oder

anderer Umgebung wirken; viele stellt er auch selbständig

als Aphorismen aus.

Die Gattung Aphorismus ist bekanntlich außerordent¬

lich geeignet, einen geschlossenen Gedanken konzentriert,

pointiert auszudrücken, auf minimalem Raum vollständige

und abgerundete Verwirklichung zu ermöglichen. Deshalb

war sie in der die Kommunikation im allgemeinen devalvie-

renden k.u.k. Welt bei Menschen, die noch Wert auf Ge¬

danken legten, recht beliebt. In Kraus' Schaffen, das in

dieser Hinsicht nicht den Negativabdruck der Zeittenden¬

zen zeigt, kommt der Aphorismus als selbständige Gattung

zwischen 1903 und 1917 vor. In Kenntnis seiner Sprachauf-

fassung überrascht nicht, daß das wichtigste Charakteri¬

stikum seiner 2159 Aphorismen die besondere Verwobenheit

von auszudrückendem Gedanken und sprachlicher Verwirk¬

lichung ist. Er versucht Gedanken aus der Sprache zu ent¬

wickeln .

Besonders gern werden Sprichwörter, gängige Phrasen

und geflügelte Worte untersucht, die - geringfügig modi¬

fiziert - den Leser auf eine verborgene, verschwiegene

134
Wahrheit aufmerksam machen: "Ein Literaturprofessor mein¬

te, daß meine Aphorismen nur die mechanische Umdrehung

von Redensarten seien. Das ist ganz zutreffend. Nur hat

er den Gedanken nicht erfaßt, der die Mechanik treibt:

daß bei der mechanischen Umdrehung der Redensarten mehr

herauskommt als bei der mechanischen Wiederholung." (F


389, 1913, 38)

Einer der typischen Kraus-Aphorismen heißt: "Die


Deutschen - das Volk der Richter und Henker."^ Hier

wird eine Lieblingsphrase des deutschen Denkens unter die

Lupe genommen, der Ausspruch des englischen Reisenden

Bulwer, der im 19. Jahrhundert die Deutschen als "Volk

der Dichter und Denker" bezeichnete. Kraus deformiert

(sechs Jahre vor dem ersten Weltkrieg) die beiden Schlüs¬

selwörter durch Auflösung der Alliteration, und diese

minimale sprachliche Veränderung reicht aus, das obligate

Eigenlob in die schärfste - und vielleicht nicht weniger

als der eigentliche Ausspruch berechtigte - Kritik zu

verwandeln.

Ähnlich wird in dem ebenfalls schwer übersetzbaren

Aphorismus "Man lebt nicht einmal einmal" (F 198, 1906,

3) vorgegangen. Hier modifiziert Kraus eine häufige

Wendung der Alltagsrede, den rechtfertigenden Satz: "Man

lebt nur einmal". Kraus fragt, ob das Wort "nur" hier zu

Recht steht, ob das Leben der Menschen unter den ge¬

gebenen Umständen tatsächlich vollständig ist, und ge¬

braucht statt "nur" den Ausdruck der Negation, wodurch

der Sprachgedanke entsteht: in einer anscheinend humori¬

stischen, spielerischen, aber äußerst suggestiven Form

("nicht einmal einmal") wird Kritik am Leben geäußert.

Ein besonders eindrucksvolles Spiel mit den Bedeutun¬

gen von zwei Wörtern ist im Aphorismus "Je größer der

Stiefel, desto größer der Absatz" (F 270, 1909, 33) zu

beobachten. Das Wort "Stiefel" bedeutet ja "Schuhsorte"

135
(A) und "Unsinn" (B); "Absatz" "Teil des Schuhs" (G),

"Verkauf von Waren" (D), "Ablagerung von aufgelösten

Stoffen" (E) und "Textabschnitt" (F). Die reizende und

gleichzeitig verlockende Grundschicht des Aphorismus ist

die banale Verbindung A - C, die automatisch zu weiteren

Gedankenverbindungen auffordert, so zu A - D. Betrachtet

man "Stiefel" als Symbol der militärischen Kraft, so

kann aus der Verbindung der zwei Zeichen der Sinn ent¬

stehen: "Je stärker die Armee ist, desto besser lassen

sich die Waren des Landes verkaufen." Bedenkt man jedoch,

daß "Stiefel" in der Bedeutung A auf dem Fuß getragen

wird, so könnte man in der Verbindung A - D eine An¬

spielung darauf sehen, daß


immer mehr Menschen auf großem
1 8
Fuße leben. Nimmt man Bedutung B zum Ausgangspunkt, so

kann man in den Verbindungen B - E, B - F und schließlich

B - D drei zusammenhängende, jedoch auch selbständig

wirkende Aspekte der Krausschen Pressekritik entdecken.

Der Aphorismus, der sogar an sich selbst Veränderun-


19
gen durchmacht, erscheint oft als Clausula eines Epi-
20
gramms; in zahlreichen Kraus-Texten sind Sätze zu

finden, die zunächst als Aphorismen in der Fackel anzu¬

treffen waren oder später - aus dem Kontext herausgegrif¬

fen - als Aphorismen veröffentlicht wurden. Bezeichnend

für diese Schaffensmethode ist der Essay Heine und die

Folgen (F 329, 1911, 1-33), in den 16 bereits erschienene

Aphorismen eingearbeitet sind sowie kaum veränderte Pas¬

sagen aus dem - noch nicht gegen Heine gerichteten -

Aufsatz Um Heine (F 199, 1906, 1-6).

Deshalb sind einzelne Gattungen im Schaffen von

Kraus, dem die 37 Jahrgänge der Fackel einen festen

Rahmen bieten, zwar unterscheidbar, jedoch einheitlich

von dem Streben nach der Vollständigkeit des sprachlichen

Ausdrucks durchdrungen, durch freie Assoziationen,

essayistische Ausführungen, eigenwillige Nebeneinander-

136
Stellungen und Gedankenketten charakterisiert. Eine

Sonderstellung nimmt eigentlich nur die Glosse ein, deren

Hauptanliegen es ist, die Sätze der anderen kritisch zu

beleuchten.

Die zentrale Rolle der Sprache bei Kraus (mit den

Komponenten: Kommunikationskritik, Suche nach der Ideal¬

sprache im allgemeinen und in den eigenen Werken) ist

nicht nur eine der wesentlichen Erscheinungen in der

österreichischen "sprachlichen Revolution" am Anfang des

20. Jahrhunderts, sondern zugleich das wichtigste Charak¬

teristikum der Satire von Karl Kraus, die als einer der

Höhepunkte der zeitgenössischen ostmitteleuropäischen


21
satirischen Richtung besondere Beachtung verdient.

137

ANHANG

KARL KRAUS UND UNGARN

"[...] das tödliche Wort


’Mullatschak’ [...]"
F 501, 1919, 23

Bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts hat das Schaf¬

fen von Karl Kraus Widerhall im geistigen Leben Ungarns,

der anderen Hälfte des Landes, "in welchem [...] die

Sonne niemals aufgeht" (F 1, 1899, 3), erweckt.

Der Romanist Albert Gyergyai^ berichtet in seinen


2
Memoiren darüber, mit welchem Interesse junge Leute in

Budapest neue Hefte der Fackel erwarteten und gemeinsam

lasen. Ins erste Jahrzehnt des Jahrhunderts fällt die

Bekanntschaft zwischen Kraus und Ferenc Herczeg^, die


4
auch in Fachel-Veröffentlichungen Herczegs ihren

Niederschlag fand. Dokumente dieser Beziehung sind

Herczegs Erinnerungen^ sowie die zwischen 1901 und 1905

entstandenen ziemlich nichtssagenden fünf Briefe von

Kraus an Herczeg.

Eine zentrale Rolle in der ungarischen Kraus-Rezep-

tion kommt der ersten Budapester Vorlesung des Satiri¬

kers am 10. Dezember 1913 zu. Sie wurde sorgfältig vor¬

bereitet, und das ist nicht ohne eine gewisse Brisanz.

Kraus betont ja ständig, daß er von den Praktiken des

bürgerlichen Literaturbetriebs unabhängig ist: "Ich

habe nie von irgend jemand Förderung, Verbreitung, Ein¬

treten, Wohlwollen oder Begeisterung erwartet, verlangt

oder auch nur - wie nachgewiesen werden kann - still¬

schweigend geduldet." (F 351, 1912, 53) Dem entspricht

schon nicht ganz jener Brief, den sein Intimus,

139
Dr. Philipp Berger, der spätere Herausgeber des Bandes

Die Sprache, am 15. November 1913 an den ungarischen


•7

Dichter Endre Ady schrieß:

"Wien, 15/XI. 1913.

Sehr geehrter Herr!


Erlaube mir Ihnen mitzuteilen, daß Herr Karl Kraus

am 6. Dezember im Saal des Hotel Royal liest.

Auf Grund Ihres freundlichen Schreibens vom März

dieses Jahres darf ich wohl, sehr verehrter Herr, um

Ihre w. Unterstützung durch persönliche Propaganda höf-

lichst ersuchen. Herrn Ignotus-Veigelsberg habe ich mit

gleicher Post von dem Abend verständigt.

Es würde mich sehr freuen, wenn ich Nachricht bekäme,

ob und wieweit ich auf Ihre freundliche Unterstützung

rechnen dürfte! Sende Ihnen mit gleicher Post eine

Propagandabroschüre 'Karl Kraus als Vorleser'.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr sehr ergebener


O

Dr. Philipp Berger"

Beide Angeschriebenen begrüßten nun den Gast in der

ungarischen Presse (die deutschsprachige schwieg den An¬

weisungen der Wiener Kollegen entsprechend), der Artikel


9 10
von Ignotus erschien in Viläg , und Adys Beitrag in

der führenden Literaturzeitschrift Nyugat fängt mit den

Worten an: "Wie ich höre, wollen und werden Karl Kraus

und Thomas Mann an demselben Abend, am 6. Dezember eine

Vorlesung in Budapest halten. Es ist dies eine große

Ehre für unsere Hauptstadt, aber wenn es meine Gesund¬

heit erlaubte, würde ich mir Karl Kraus anhören. ""***

140
Ferner lobt Ady das soziale Engagement von Kraus, das

fortschrittlichen ungarischen Auffassungen nahestehe.

Kraus wich der Konfrontation mit Thomas Mann aus,

indem er die Vorlesung trotz der oben geäußerten Absicht

am 10. Dezember hielt. Ady war hicht anwesend. Die Vor¬

lesung soll eine ungewöhnlich freundliche Aufnahme

seitens des Budapester Publikums gehabt haben. Kraus


schrieb darüber:

"Es ist der ungeheuerliche Fall eingetreten, daß ein

übervoller Saal - der Herr Stefan Zweig möge die Fest¬

stellung nicht übelnehmen, aber sie ist in diesem Fall

wichtig - nicht allein zu jenem Jubel, den der Vorleser

auch dem widerspenstigen Publikum entreißt, sondern zu

wilden Demonstrationen für den deutschen Autor bereit

war. Mehr: daß das Auditorium, dessen stürmische Herz¬

lichkeit wie eine Entscheidung wirkte, besser als jedes

andere auch zu verstehen schien, was ihm so gut gefiel."

(F 391 , 191 4 , 28)

Aller Wahrscheinlichkeit nach fanden aber der Wiener

Schriftsteller und die Budapester literarischen Kreise

bei Besprechungen nach der Vorlesung keinen gemeinsamen

Ton. Darauf deuten neben weiteren Stellen des soeben


12
zitierten Fackel-Artikels eine Aufzeichnung von Mihäly

Kärolyi^ sowie die Besprechung der Vorlesung durch Tamäs

Molyl ^ in Nyugat^~> hin.


Persönliche Differenzen - beispielsweise mit dem in
16
der Fackel mehrmals spöttisch erwähnten Lajos Hatvany

dürften zu dieser Entfremdung beigetragen haben, den

tieferen Grund erfaßt aber bereits Ignotus in jenem

ominösen "Propagandaartikel" drei Wochen vor der Vor¬

lesung, wo er feststellt, Kraus' Budapester Auftritt

falle in die Zeit erbitterter Kämpfe wegen des keines¬

wegs fortschrittlichen neuen Pressegesetzes von Minister¬

präsident Istvän Tisza:

141
"Sein [Karl Kraus'] Antijournalismus wird hier von

der Konterrevolution beim Wort genommen [...] Bei uns

ist es jetzt schwer, darüber zu sprechen, da aus den

Haaren, die man in der Suppe der Journalistik findet,

eine Schlinge gegen die Pressefreiheit gebunden wird."

Kraus hielt nur noch eine Vorlesung in Budapest, und

zwar am 23. Januar 1914 - ohne nennenswertes Echo.

Es gab aber auch in der Nyugat-Bewegung, die einen

losen Zusammenhalt der Dichter darstellte, Verehrer von


1 7
Kraus, vor allem Dezsö Kosztolänyi , der wahrscheinlich

während seines Studiums in Wien (1904-1905) die Fackel

zu lesen begann. Er bezog sich in mehreren Essays auf

Kraus und übersetzte 1916, einige Wochen nach Erscheinen

des Originals in F 423 , 1916 , 39f., An einen alten Lehrer


18
ins Ungarische. Epigramme aus F 472, 1917 hat er eben-
1 9
falls übertragen.

Sehr schnell wurde demgegenüber der Nachruf (F 501,

1919), in dem Kraus auf 120 Seiten mit der zerfallenen

Monarchie abrechnet, ins Ungarische übertragen. Bereits


20
im Frühjahr 1919 wurde Gyula Szinis Übersetzung mit
21
dem Titel Bücsuztatö als erster Band der geplanten,

aber nicht fortgesetzten Reihe Kärolyi könyvtär (d.i.

Kärolyi-Bücherei) vom Verlag Kultura in Budapest heraus¬

gegeben, so daß Karl Kraus bereits in der nächsten

Fackel-Nummer Mitte April dazu Stellung nehmen konnte.

Von der Tatsache des Erscheinens selbst war er angetan,


22
er tadelte aber die Titelzeichnung von Mihäly Birö ,

auf der "ein Mann den Doppeladler in einen Sarg hinein¬

zwängt" (F 508 , 1 91 9, 27) , sowie den willkürlich ge¬

gebenen ungarischen Untertitel Halotti enek az Oszträk-

Magyar Monarchia felett (Grablied auf die Österreichisch-

Ungarische Monarchie).

Der schonungslos kritische Ton des Nachrufs wird be¬

stimmt dazu beigetragen haben, daß Kraus im offiziellen

142
Ungarn der 20er Jahre unerwünscht, seine Zeitschrift ver¬

boten war. Er irritierte den Horthy-Staat auch weiterhin

mit mehreren Texten, so etwa mit dem vernichtenden Arti¬

kel über den Restaurationsversuch von Exkaiser Karl (Er

hat so Heimweh gehabt, F 568, 1921, 1-33), der wieder-


V

holten Verspottung der Person des Reichsverwesers und

der in eine Nestroy-Vorlesung eingebauten, auf die be¬

rüchtigte, staatlich gelenkte Frankfälschungsaffäre an¬

spielende Zeitstrophe:

Nur in Ungarn ist Ordnung, dort herrscht das Gesetz:

sie hab'n halt den Horthy, den Windischgrätz.

Echtes Blut, falsches Geld: ja denen geht's besser

und zu uns exportier'n s' ihre besten Erpresser.

Die blieben dort auf kein' Fall mehr lang -

denn jetzt kriegeten s' nur falsche Frank Frank

Frank Frank Frank,


23
jetzt kriegeten s' nur falsche Frank...

Natürlich verfolgte die Wiener ungarische Emigration

die Tätigkeit von Kraus um so aufmerksamer. In Becsi Ma¬

gyar Ujsdg erschienen in den Jahren 1922-23 neben kleine¬

ren Berichten über Kraus eine Rezension der Aufführung

von Die letzte Nacht und eine Besprechung von Wolken-


24
kuckucksheim. Zum zehnten Jahrestag der Kriegser¬

klärung brachte die Zeitung Auszüge aus Die letzten Tage

der Menschheit. Ein begeisterter Artikel über das Haupt-


, 25
werk von Karl Kraus stammt von Andor Nemeth , der auch

in späteren Essays oft Bezug auf Kraus nahm. Am bekann¬

testen ist wohl die Behauptung seines in französischer


26
Sprache geschriebenen Kafka-Buches , der Titelheld der

Erzählung Jose fine, die Sängerin stelle eigentlich Karl

Kraus dar.

Eine enge Beziehung zu Becsi Magyar Ujsdg hatte


27
Andor Gäbor , dessen damals außerordentlich aktuelle

143
28
Schrift Ovgovdny Kraus in zwei Vorlesungen - am 16.

Oktober und 13. November 1921 - aufnahm. Der andere Un¬

gar, dessen Werk Karl Kraus - am 15. Mai 1911 - vortrug,


29
war Istvän Tcmörkeny . Sein Küzdelem a katondval (Der

Kampf mit dem Soldaten) steht in F 161, 1904, 16-20.


30
Georg Lukäcs , bei dessen Familie der anfangs er¬

wähnte Gyergyai lange Zeit als Hauslehrer angestellt war,

veröffentlichte 1923 in Die Rote Fahne eine anerkennende


31
Besprechung der Letzten Tage der Menschheit. Entgegen

den bescheidenen Worten in einem Brief an Kraus-


32
Forscherin Caroline Kohn äußerte er sich mehrmals über
33
Karl Kraus. Besonders markant is die Feststellung in

seiner Arbeit über Satire, Kraus gehöre, wie etwa Swift

und Flaubert, zu den großen selbstkritischen Satirikern

der bürgerlichen Gesellschaft. Ähnliche weltliterarische


34
Geltung wird der Krausschen Satire von Imre Forbäth
, . 35
beigemessen.

Die Bdkessy-Affäre mit ihren ungarischen Beziehungen


36
forderte viele auf, Stellung zu beziehen. Böla Zsolt
37
spöttelte ziemlich unreif über Kraus' Vorlesungen , der
38
Zeitungsherausgeber Sändor Nädas veröffentlichte in

seinem Pesti Futar, begleitet von einem zustimmenden Kom-


39
mentar, Anton Kuhs Artikel Bekessy. Auch den Satiriker
40
Frigyes Karinthy wollte er gewinnen, über die Affäre

zu schreiben. Dieser war aber trotz familiärer Bindun-


41
gen lediglich bereit, in einem Mitte September - also

nicht wie in Bekessy's Panoptikum behauptet, im Juli -

1926 veröffentlichten Artikel positive Züge Bäkessys auf-


... . 42
zuzahlen.

Aus dem Jahre 1927 stammt ein Brief von B61a Rei-
43
nitz an La;jos Hatvany, in dem der im Wiener Exil leben¬

de ungarische Komponist mit leicht getarnter, jedoch un¬

verkennbarer Gekränktheit schreibt:

144
"Ich bin nun aus der Patsche. Das ist jedenfalls an¬

genehmer als angegriffen zu sein, wie in der letzten

Fackel von Karl Kraus, der mir, meine Erfolge bei

den Sozialdemokraten neidend, folgende drei Zeilen widmet:

'Außerhalb des Deutschtums ist freilich B£la Reinitz

zugkräftiger als Haydn und ihm die musikalische Hut alles

Revolutionären anvertraut, wiewohl ich ihm eigentlich

nur eine falsche Elegie auf den Hingang Bekessys Zutrauen

würde' .

Die Briefstelle endet mit der Floskel.: "De hat Nun

aber] Götz von BerlichingenI"

Im Brief von B41a Reinitz kommt Deutsches in ungari¬

scher Umgebung vor; es ist wohl kein Wunder, daß auch in

Kraus' Werken als Kolorit gelegentlich ungarische Wörter

auftauchen. Besonders auffallend ist dies im Drama Die


45
Unüberwindlichen, das den Fall B^kessy zu verewigen

hat. Aus Budapest stammende Gestalten des Stückes ge¬

brauchen beispielsweise die patriarchalische Anredeform

"bätyäm" (125, 140, 259; etwa: 'Väterchen') und die

familiäre "öregem" (126; 'mein Alter'). "Kdrem allässan"

(137), korrekt mit einem '1' zu schreiben, entspricht der

Wendung 'Bitt' schön'; "Joi istenem!" (267; eigentlich

"jaj istenem") heißt etwa: 'Ach Gott'. "Teschek" (126,

137; mit ungarischer Ortographie "tessdk") bedeutet

'bitte', 'also bitte'. "Bassama" (140) ist ein typischer

ungarischer Fluch, der auch bei anderen deutschen

Schriftstellern, zum Beispiel bei Kleist, belegt werden

kann. Auf Seite 142 sind gar einige ungarische Sätze zu

lesen. Barkassy und Fallotai beschimpfen sich wie folgt:

"Fallotai: [...] Ugy-e most nem akar rä emldkezni?!

Mi?!

Barkassy: Jol (recte: jöl) tudom, ön miben utazik!

Ön pimasz!

145
Fallotai: Micsoda? Majd meginutatom magänak (,) ki a
.,,46
pimasz!
Es gab aber nicht nur Konfrontation zwischen Kraus

und den Ungarn. Mit sehr großer Anerkennung beurteilte

1927 Gabor Gaal47 die Tätigkeit des "Wiener enfant ter-


rible": "Wer hat im Europa von heute so selbstlos ge¬

arbeitet? [...] Er kann leben, wie er will, und er lebt


48
auch so." Neun Jahre später zog Gaal in der von ihm

redigierten, in Klausenburg (Cluj), Rumänien, erscheinen

den Zeitschrift Korunk, enttäuscht durch Stellungnahmen

von Kraus nach 1933, seine positive Einstellung zu dem


49
Wiener Schriftsteller zurück.

Ebenfalls sehr kritisch gegenüber Karl Kraus ist der

1936 entstandene Artikel von Lajos Hatvany,^ in dem dem

Satiriker vorgeworfen wird, sich nicht so eindeutig wie

Alfred Kerr (der in Budapest immer hoch in Ehren stand)

gegen den Faschismus eingesetzt zu haben. Persönliche

Antipathien Hatvanys klingen .im Artikel deutlich an.

Das Schaffen von Karl Kraus wurde anläßlich seines


51
Todes in mehreren Zeitungen und Zeitschriften be¬

sprochen. Von gründlicher Kenntnis des Krausschen Lebens

Werkes, hoher Schätzung des Satirikers und gleichzeitig

der Mißbilligung der Position der letzten Lebensjahre

zeugen die Nachrufe von Aurdl Kolnai, Jenö Mohäcsi und


52
Zoltän Szäsz.

Anfang der vierziger Jahre wies György Bälint'’^ in

der sozialistischen Zeitung Nepszava mit überzeugender

Eindeutigkeit auf die aktuelle Bedeutung der Letzten

Tage der Menschheit hin, indem er betonte, "die Situa¬

tionen, Probleme und Menschentypen können sich ändern,


54
Bosheit und Dummheit sind aber ewig".

Nach 1945 wurde in Ungarn lange nichts über Karl

Kraus geschrieben, und es war ein außerhalb der Landes¬

grenzen lebender ungarischer Denker, der als erster den

146
Krausschen Humanismus den Zeittendenzen entgegenstellte.

Im Gegensatz zu dem Kroaten Miroslav Krleza, der in

Kraus, Ady und Rilke drei Archetypen des mitteleuropäi¬

schen Schrifttums in unserem Jahrhundert sah, betonte


55
Zoltän Fäbry im seinem 1956 entstandenen Essay die enge

geistige Verwandtschaft zwischen den beiden "Menschen in


56
der Unmenschlichkeit", Ady und Kraus.

Das weltweit wachsende Interesse für die Wiener Jahr¬

hundertwende erreichte in den siebziger Jahren auch

Ungarn und wurde mit der Erkenntnis verknüpft, ohne

gründliche Erforschung der Vergangenheit unserer Nach¬

barn könne auch unsere Geschichte nicht richtig erfaßt

werden. Im Zuge dieser Entwicklung wurde dem Schaffen

Kraus' in historischen, kulturhistorischen und natürlich

literaturwissenschaftlichen Abhandlungen zahlreicher


57
Autoren Augenmerk geschenkt. Auch der Verfasser dieser

Zeilen publizierte mehrere Aufsätze, Rezensionen und Hin¬

weise über Karl Kraus.^

Außer dem Nachruf, den von Kosztolänyi übertragenen

Versen und einigen in Anthologien aufgenommenen Gedich-


59
ten wurde bis 1977 nichts von Karl Kraus ins Ungarische

übersetzt. Ende dieses Jahres wurde vom Budapester Verlag

Euröpa die recht gut gelungene Übersetzung der Letzten

Tage der Menschheit herausgegeben, mit einem Essay des

Übersetzers Dezsö Tandori sowie einer kurzen Darstellung

von Leben und Werk Kraus' durch Zsuzsa Szdll.60 Seitdem

kennt man Karl Kraus in der ungarischen Literaturgesell¬

schaft wieder.

147

ANMERKUNGEN

Karl Kraus' Zeitschrift Die Fackel (Wien, 1899-1936)

wird wie üblich mit der Heftnummer, dem Erscheinungsjahr

und der Seite zitiert: F 561, 1921, 47. Bei mehrfachen

Heften - zum Beispiel F 561-567 - steht nur die erste

Nummer. Hervorhebungen von Kraus werden durch Sperrsatz

wiedergegeben, meine Hervorhebungen sind durch Kursivie-

rung gekennzeichnet.

EINLEITUNG

1. Siehe die Liste meiner Publikationen zum Thema in

Anmerkung 58 zum Anhang.

2. In der letzten Anmerkung zu jedem Kapitel wird

die wichtigste Sekundärliteratur zum Thema angegeben. —

Allgemein orientierende Literatur zur Karl-Kraus-For-

schung: Jens Malte Fischer: Karl Kraus. Stuttgart 1974

- Friedrich Jenaczek: Zeittafeln zur "Fackel". Grä-

felfing 1965 - Otto Kerry: Karl-Kraus-Bibliographie.

München 1970 (Nachtrag in: Modern Austrian Literature

1-2, 1975, 103-210) - Caroline Kohn: Karl Kraus. Stutt¬

gart 1966 - Heinz Lunzer: Karl Kraus 1874-1936. Katalog

149
einer Ausstellung des Bundesministeriums für Auswärtige

Angelegenheiten. Wien 1986 - Reinhard Merkel: Karl Kraus.

In: Jochen Jung (Hrsg.): österreichische Porträts. Band

2, Salzburg 1985 , 158-1 91 - Franz Ögg: Personenregister

zur Fackel von Kart Kraus. München 1977 - Sigurd Paul

Scheichl: Kommentierte Auswahlbibliographie zu Karl

Kraus. München 1975 (Fortsetzungen in: Kraus-Hefte, seit

1977) - Paul Schick: Karl Kraus. Reinbek 1965 - Hans

Weigel: Karl Kraus oder die Macht der Ohnmacht. München

1972. - Harry Zohn: Karl Kraus. New York 1971 -- Grund¬

legende Informationen über das Lebenswerk von Karl Kraus

enthalten die von Sigurd Paul Scheichl und Christian

Wagenknecht seit 1977 herausgegebenen Kraus-Hefte.

I. OSTMITTELEUROPÄISCHE SATIRE
IM ERSTEN DRITTEL DES 20. JAHRHUNDERTS

1 . Satire beschränkt sich selbstverständlich nicht

auf Belletristik, sondern kann auch in anderen Kunst¬

gattungen in Erscheinung treten; im gegebenen Zusammen¬

hang ist aber lediglich die literarische Satire von

Belang.

2. Die Kategorisierung, der hier die Schillersche

Terminologie zugrunde liegt, wird - wenn auch mit weit¬

gehend unterschiedlichen Benennungen - in der gesamten

Fachliteratur angenommen.

3. Karel Öapek: A kdtfejü sas nyomäban (Auf den

Spuren des Doppeladlers). In: Nyugat 1932, II, 523.

4. Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechts¬

philosophie. In: Marx - Engels: Werke. Band 1, Berlin

1964, 382.

5. Die Bedeutung des Lachens wird auch in zwei wei¬

teren, ungefähr mit Marxens Sätzen gleichzeitig ent-

150
standenen Aussagen hervorgehoben. Sein "philosophischer

Gegenpol" Kierkegaard nimmt in das Buch Entweder - Oder

den Aphorismus auf, in dem als einziger Wunsch gegenüber

den Göttern die Erhaltung des Lachens angegeben wird;

Gogol schreibt mit Bedauern, e's habe niemand gemerkt, daß

es in seinem Revisor "eine ehrliche, edelmütige Person"

gebe: das Lachen.

6. Als eklatantes Beispiel dafür, daß Satire nicht

unbedingt vor der historischen Wende eine Blüte erleben

muß, steht die außerordentlich reiche satirische Litera¬

tur in den zehn bis zwölf Jahren nach den Ereignissen des

Jahres 1917 in der Sowjetunion.

7. Vgl.: Miklös Szabolcsi: A törteneti mödszerek meg-

üjuläsa es a komparatisztika (Erneuerung der historischen

Methoden und die Komparatistik). In: Helikon 3, 1977,

348-352.

8. Man denke zum Beispiel an Vaterfiguren bei Kafka,

Roth und Krle&a, die selbst zu Hause Uniform tragen.

9. Jaroslav Hasek: Die Schicksale eines geselligen

Menschen. In: Wie ioh dem Autor meines Nachrufs be¬

gegnete. Berlin und Weimar 1978, 97-102.

10. Frigyes Karinthy: Halandscha (Kauderwelsch) In:

Selbstgespräch in der Badewanne. Berlin, Wien und Leipzig

1937, 39-42.

11. Frigyes Karinthy: A diadalmas halandzsa (Das

siegreiche Kauderwelsch). In: Görbe tükör. Budapest 1975,

248-250.

12. Literatur zum Thema: Michail Bachtin: Tvorcestvo

Fransua Rable i narodnaja kultura srednewekovja i Rene-

sansa (Das Schaffen von Francois Rabelais und die Volks¬

kultur des Mittelalters und der Renaissance). Moskva

1965 - Jänos Bänyai: Adat Krleza Ady-ertelmezdsöhez (Bei¬

trag zur Ady-Deutung von Krlefca). In: Hid 12, 1978,

1493-1499 - Georgina Baum: Humor und Satire in der

151
bürgerlichen Ästhetik. Berlin 1959 - N.V. Bogdanov:

Serbskaja satiriceskaja proza konca XIX - nacale XX veka

i nekotorye vcprosy teorii satiry (Serbische satirische

Prosa vom Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts und

einige Fragen der Satirentheorie). Moskva 1962 - Jurij

B. Borew: Uber das Komische. Berlin 1960 - Jürgen Brura-

mack: Zu Begriff und Theorie der Satire. In: Deutsche

Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und

Geistesgeschichte. Sonderheft 1971, 275-377 - Dionyz

Durisxn: Vergleichende Literaturforschung. Berlin 1972 -

J. Eisberg: Satira (Satire). In: Slovar literaturovedöes-

kich terminov. Moskva 1974, 340-343 - Ulrich Gaier:

Satire. Studien zu Neidhart, Wittenweiler, Brant und zur

satirischen Schreibart. Tübingen 1967 - Wilmont Haacke:

Handbuch des Feuilletons. 3 Bände, Emstetten/Westf. 1951,

1952, 1953 - Pdter Hanak: Magyarorszäg a Monarchidban

(Ungarn in der Monarchie). Budapest 1975 - Gyula Hellen¬

barth: Die Akkulturation in Osteuropa. In: Neue Deutsche

Hefte 2, 1976, 227-248 - Matthew Hodgarth: Die Satire.

München 1969 - William M. Johnston: österreichische

Kultur- und Geistesgeschichte. Wien, Köln, Graz 1974 -

Bernhard Keller (Hrsg.): Jugend in Wien. Literatur um

1900. Marbach 197 4 - Zoran Konstantinovic*: Typologien

mitteleuropäischer Geistigkeit. In: Theodor Veiter

(Hrsg.): Burgen - Regidnen - Völker. Wien 1986, 35-40 -

Ferdinand Kürnberger: Die Feuilletonisten. In: Gesammelte

Werke. Band 2, München, Leipzig 1910, 430-439 - Klaus

Lazarowicz: Verkehrte Welt. Vorstudien zu einer Ge¬

schichte der deutschen Satire. Tübingen 1963 - Georg

Lukäcs: Zur Frage der Satire. In: Internationale Litera¬

tur 4-5, 1932, 136-153 - Antal Mädl: Entwicklung der

österreichischen Literatur. In: Ilona T. Erd41yi (Hrsg.):

Literatur und Literaturentwicklung in Österreich. Buda¬

pest 1979, 17-42 - Claudio Magris: Der habsburgische

152
Mythos in der österreichischen Literatur. Salzburg 1966 -

Claudio Magris: Das Schreiben und das wilde Leben des

alten Mannes. Zu Italo Svevos 50. Todestag. In: Akzente

6, 1978, 503-524 - Istvän Mdszäros: Sz atira es vale säg

(Satire und Wirklichkeit). Budapest 1955 - Werner

Neubert: Die Wandlung des Juvenal. Satire zwischen ge¬

stern und morgen. Berlin 1966 - Vladimir Jakovlevid

Propp: Porblemy komizma i smecha (Probleme der Komik und

des Lachens). Moskva 1976 - Zoltän Rözsa: Az antik satira

müfaja 6s a szatirikus mödszer (Die antike Gattung der

"satira" und die satirische Methode). In: Filolögiai

Közlöny 3, 1976, 293-300 - Jörg Schönert: Roman und Sa¬

tire im 18. Jahrhundert. Stuttgart 1969 - Ferenc Szäsz:

Der k.u.k. Leutnant um 1900 aus österreichischer und

ungarischer Sicht. In: Festschrift für Karl Mollay. Buda¬

pest 1978, 269-281.

II. DER KULTURKRITIKER (1899-1914)

1. Karl Kraus: Frühe Schriften 1892-1900. Band 2,

München 1979, 297.

2. Auch in dieser Hinsicht kann ein kurzer Vergleich

mit Frigyes Karinthy von Nutzen sein. In seinem - mit

ähnlichen Vorsätzen wie das Kraussche Werk entstandenen -

Erstlingswerk Igy irtok ti (So schreibt ihr) dominiert

nicht das kritische, sondern das humoristische Element,

weil sich der Verfasser dieses Parodienbandes seine

literarische Zukunft offenbar nicht außerhalb der dar¬

gestellten Literaturbewegung Nyugat vorstellen kann.

3. Karl Kraus: Frühe Schriften 1892-1900. Band 2,

305 .

4. Karl Kraus: Sittlichkeit und Kriminalität. München

1963, 29.

153
5. Die Parole "Aussprechen, was ist" stammt bekannt¬

lich von Maximilian Harden. Der Kraussche Aphorismus

scheint jedoch nicht in erster Linie gegen den späteren

Erzfeind gerichtet zu sein, sondern hat die eigenen, zu¬

nächst zweifelsohne auf Harden orientierten schriftstel¬

lerischen Absichten zu präzisieren.

6 . Man vergleiche dazu die thematische Vielfalt des

1908 erschienenen, bei weitem nicht nur die Sexualjustiz

anprangernden Bandes Sittlichkeit und Kriminalität.

7. Gemeint ist seine Beziehung zu der jung verstürbe

nen Schauspielerin Annie Kalmar.

8. Im Wortgebrauch von Karl Kraus steht das Wort

"Weib" für das natürliche, das Wort "Frau" für das ge¬

sellschaftliche Wesen.

9. Als erste Buchveröffentlichung plante Kraus (noch

vor Sittlichkeit und Kriminalität) die Herausgabe eines

Bandes unter dem Titel Kultur und Presse.

10. Gemeint sind Arthur Schnitzler, Richard Beer-

Hofmann, Hugo von Hofmannsthal, Leopold Andrian-Werburg

und Felix Salten.

11. Karl Kraus: Die chinesische Mauer. München 1964.

138 f.

12. Besonders eindrucksvoll ist: Die europäische

Kultur hält ihren Einzug. F 372, 1913, 49-52.

13. Karl Kraus: Die chinesische Mauer. München 1964,

149.

14. Kraus beschreibt hier seine eigene Inszenierungs

praxis.

15. Abgesehen davon war er regelmäßiger Kaffeehaus¬

besucher und reagierte auf das dort Erlebte in zahl¬

reichen Arbeiten.

16. Vgl. das Gedicht Der Vorleser:

Ich muß sie alle vereinen,

die ich einzeln nicht gelten lasse.

154
Aus tausend, die jeder etwas meinen,

mach' ich eine fühlende Masse.

Ob der oder jener mich lobe,

ist für die Wirkung egal.

Schimpft alle in der Garderobe,

ihr wart mir doch wehrlos im Saal!

(F 472, 1917, 23)

17. Dieselbe Mentalität zeigt sich unter anderem in:

Lenau-Feier. F 112, 1902, 15-21.

18. Für das Denken von Kraus ist, wie für das vieler

seiner Zeitgenossen in Wien (Weininger, Freud, Chamber-

lain, Gumplowitz, Pribram), ein streng bipolares System

bezeichnend.

19. Karl Kraus: Beim Wort genommen. München 1955,

1 46 .

20. Vgl. beispielsweise: "Es gibt nur eine Möglich¬

keit, sich vor der Maschine zu retten. Das ist, sie zu

benützen. Nur mit dem Auto kommt man zu sich." (F 323,

1911 , 17)
21. Literatur zum Thema: Theodor W. Adorno: Sittlich¬

keit und Kriminalität. In: Noten zur Literatur. Band 3,

Frankfurt am Main 1965, 57-82 - Helmut Arntzen: Karl

Kraus und die Presse. München 1975 - Helmut Arntzen:

Literatur im Zeitalter der Information. Frankfurt am

Main 1971 - Walter Benjamin: Karl Kraus. In: Schriften.

Band 2, Frankfurt am Main 1 95 5 „ 159-195 - Martina Bilke:

Zeitgenossen der "Fackel". Wien 1981 - Mechthild Borries:

Ein Angriff auf Heinrich Heine. Stuttgart, Berlin, Köln,

Mainz 1971 - Hermann Broch: Hofmannsthal und seine Zeit.

Frankfurt am Main 1974 - Elias Canetti: Die Fackel im

Ohr. München 1980 - Hans Eberhard Goldschmidt: Von

Grubenhunden und aufgebundenen Bären im Blätterwald.

Wien 1981 - Edwin Hartl: Karl Kraus und die Psycho¬

analyse. In: Merkur 2, 1977, 144-162 - Eduard Haueis:

155
Karl Kraus und der Expressionismus. Erlangen 1968 - Max

Horkheimer: Die Soziologie der Gegenwart. (Manuskript,

Wiener Stadtbibliothek: B 138.626) - Hans Christian

Kosler: Karl Kraus und die Wiener Moderne. In: Text +

Kritik Sonderband Karl Kraus. München 1975, 39-57 - Kurt

Krolop: Dichtung und Satire bei Karl Kraus. In: Karl

Kraus: Vor der Walpurgisnacht. Berlin 1977, 651-691 -

Kurt Krolop: Wechseldauer der Schwierigkeiten beim

Schreiben von Satire: Traditionswahl und Zeiterfahrung

im Frühwerk von Karl Kraus (1892-1899). In: Germanisti¬

sches Jahrbuch DDR-CSSR 1985/86, 5-35 - Leo A. Lensing:

Gesichter und Gesichte: Kokoschka, Kraus und der Expres¬

sionismus. In: Oskar Kokoschka. Symposion der Hochschule

für angewandte Kunst in Wien. Salzburg 1986, 127-153 -

Leopold Liegler: Karl Kraus und sein Werk. Wien 1933 -

Reinhard Merkel: "Wo gegen Natur sie auf Normen pochten".

Bemerkungen zum Verhältnis zwischen Strafrecht und Satire

im Werk von Karl Kraus. In: Literatur und Kritik 22,

1987, 444-459 - Hugo Obergottsberger: Der Weltuntergangs¬

gedanke bei Karl Kraus. Wien 1957 (Diss.) - Alfred

Pfabigan: "Frauenverehrung" und "Frauenverachtung". In:

Literatur und Kritik 22, 1987, 123-130 - Josef Poläcek:

Egon Erwin Kisch und Karl Kraus. In: Literatur und Kri¬

tik 41, 1970, 21-36 - Sigurd Paul Scheichl: Karl Kraus

und die Politik (1892-1919) . Innsbruck 1971 (Diss.) -

Dietrich Simon: Karl Kraus. Stimme gegen die Zeit. In:

Karl Kraus: Vor der Walpurgisnacht. Berlin 1977, 693-784

- Reinhard Urbach: Karl Kraus und Hugo von Hofmannsthal.

Eine Dokumentation. In: Hofmannsthal-Blätter 1971,

447-457 und 1974, 372-424 - Nike Wagner: Geist und Ge¬

schlecht. Karl Kraus und die Wiener Moderne. Frankfurt

am Main 1982 - Gotthart Wunberg: Ohne Nachwelt. Karl

Kraus, der Satiriker. In: Literatur und Kritik 22, 1987,


24-34 .

156
III. KRAUS UND DER WELTKRIEG (1914-1918)

1. Analog dazu sind unter anderem Gedichte von Fri-


gyes Karinthy.

2. Vgl. dazu: Karl Kraus: Briefe an Sidonie Nddherny.

2 Bände, München 1974.

3. Janowitz (Janovice) war der Sitz der Familie

Nädhern$?. Untertitel des Gedichtes Wiese im Park im Band

Worte in Versen (München 1959, 51) ist Schloß Janowitz.

4. Vgl. dazu auch die erste Zeile des Gedichtes


Wiese im Park.

5. Der Aufbau des betreffenden FaokeZ-Heftes mit

Titel und Seitenzahl: Kierkegaard und die Journalisten

(1) - Zum ewigen Gedächtnis. Zwei Züge (2-6) - Die Hi¬

storischen und die Vordringenden. Ein Wort an den Adel

(6-9) - Das Lysoform-Gesicht (10-11) - Glossen (38 Stück)

(12-39) - Fahrt ins Fextal (Gedicht) (40) - Notizen

(41-58) - Aus jungen Tagen (Gedicht) (59) - Sonnenthal

(Gedicht) (60) - Glossen (38 Stück) (61-88) - 's gibt

nur an Durchhalter! (89-94) - Shakespeare und die Ber¬

liner (95-98) - Zum ewigen Gedächtnis. Zwei Ergebnisse

(98-99) - Weltwende (100-104).

6. Franz Kafka: Nachts. In: Sämtliche Erzählungen.

Frankfurt am Main 1970, 309 - Karl Kraus übte ohne Zwei¬

fel eine vielfältige Wirkung auf Franz Kafka aus, deren

Komponenten allerdings noch genau erforscht werden müssen.

Ein kurzer Versuch: Gerald Stieg: Ein literarisches Ur¬

teil Franz Kafkas. In: Kraus-Hefte 31, 1984, 2 f.

7. Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit.

München 1957, 9 - Im weiteren Verlauf des Kapitels wird

aus dem Drama durch Angabe der Seitenzahl zitiert.

8. Als Beispiel seien folgende Szenen erwähnt: I.

16 und 17; III. 35 und 36; V. 17 und 18; IV. 30, 31 und

32; Vorspiel 10 und V. 52.

157
9. Das Erscheinen wurde selbstverständlich auch

durch eine Art Zustimmung staatlicherseits ermöglicht:

die Duldung des Ablaßventils Fackel. Vgl.: F 413, 1915,

26 .
10. Zur Erhöhung der Wirkung läßt Kraus die Schalek

sprechen, was sie geschrieben hat.


11. Literatur zum Thema: Roger Bauer: Von der Prosa

zum Vers. Bemerkungen zum ersten Band der "Worte in

Versen" und zum Gedicht "Sonnenthal". In: Laßt sie koaxn.

Die kritischen FröschJ in Preu3en und Sachsen! Wien 1977,

200-216 - Eigin Bohnenkamp: Kommentare zur Musik in den

"Letzten Tagen der Menschheit". In: Kraus-Hefte 46, 1988,

1-8 - Frank Field: The Last Days of Mankind. Karl Kraus

and His Vienna. London, Melbourne, Toronto 1967 - Jens

Malte Fischer: Karl Kraus. Studien zum "Theater der

Dichtung" und Kulturkonservatismus. Kronberg/Ts. 1973 -

Eckart Früh: Das volkstümliche Wort bei Karl Kraus. Wien

1973 (Diss.) - John D. Halliday: Karl Kraus, Franz

Pfemfert and the First World War. Passau 1986 - Carolina

Kohn: Karl Kraus als Lyriker. Paris 1968 - Werner Kraft:

Karl Kraus. Beiträge zum Verständnis seines Werkes. Salz¬

burg 1956 - Kurt Krolop: Die Tschechen bei Karl Kraus -

Karl Kraus bei den Tschechen. In: Philologica Pragensia

31, 1988, 1-17 - Kurt Krolop: Genesis und Geltung eines

Warnstücks. In: Karl Kraus: Die letzten Tage der Mensch¬

heit. Berlin 1978, Band 2, 249-329 - Leo A. Lensing:

"Kinodramatisch": Cinema in Karl Kraus' Die Fackel and

Die letzten Tage der Menschheit. In: German Quarterly

55, 1982, 480-498 - Leo A. Lensing: Quellenstudien zur

Bilderwelt der "Letzten Tage der Menschheit". In: Kraus-

Hefte 43, 1988, 4-14 - Georg Lukäcs: Eine Kampfschrift

gegen den Krieg der Bourgeoisie. In: Die Rote Fahne.

Kritik, Theorie, Feuilleton 1918-1933. München 1973,

187-191 - Franz H. Mauthner: Karl Kraus: Die letzten Tage

158
der Menschheit. In: Das deutsche Drama vom Barock bis zur

Gegenwart. Band 2, Düsseldorf 1958, 357-382 - Gerhard

Melzer: Der Nörgler und die Anderen. Zur Anlage der

Tragödie "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl

Kraus. Berlin (West) 1973 (Diss,.) - Andre Nemeth: Kafka

ou le mystere juif. Paris 1947, 160-168 - Robert Pynsent:

The Last Days of Austria: Haäek and Kraus. In: Holger

Klein (Hrsg.): The First World War in Fiction. London

1978, 136-148 - Carl E. Schorske: The Transformation of

the Garden: Ideal and Society in Austrian Literature. In:

The American Historical Review 4, 1967, 1283-1320 -

Gerald Stieg: Der Brenner und die Fackel. Ein Beitrag

zur Wirkungsgeschichte von Karl Kraus. Salzburg 1976 -

Miklos Szabolcsi: A clown mint a müvesz önarckepe (Der

Clown als Selbstporträt des Künstlers). Budapest 1974 -

Edward Timms: Karl Kraus Apocalyptic Satirist. New Haven,

London 1986 - Kurt Tucholsky! Literaturkritik. Reinbek

1972.

IV. IN DER REPUBLIK (1918-1936)

1. Robert Musil: Tagebücher, Aphorismen, Essays und

Reden. Hamburg 1965, 354.

2. F 309, 1910, 40 - F 699, 1925, 62.

3. Unter anderem: Der größte Schuft im ganzen Land...

F 787, 1928, 1-208 - Der größte Schriftsteller im ganzen

"Land. F 795, 1928, 52-104 - Der größte Feigling im ganzen

Land. F 806, 1929, 32-42.


4. Bezeichnende Titel sind Joseph Roths Flucht ohne

Ende (1927) und Schnitzlers Flucht in die Finsternis

(1931) .

159
5. In "Theater der Dichtung" werden - im Gegensatz

zu den "Eigenen Schriften" - Vorlesungen der Werke klas¬

sischer Dramatiker, vor allem Shakespeares, geboten.

6. Die Auffassung von Kraus zeigt bemerkenswerte

Parallelen zu jenen bürgerlich-radikaler Politiker in

Ostmitteleuropa: des Deutschen Friedrich Naumann, des

Rumänen Constantin Dobrogheanu-Gherea, des Tschechen

Tomäs Masaryk sowie der ungarischen Gesellschaft für So¬

zialwissenschaften .

7. Vgl.: "Ich, der allem Mißverstand zum Trotz weit

von jeder Möglichkeit steht, es mit einer Partei zu

halten, aber nie vor der Gefahr, um nicht für einen

Politiker zu gelten, die Partei der Menschlichkeit zu

verlassen, behaupte in diesen Dingen noch den einen un¬

verrückbaren Standpunkt, das Bürgertum in allen Gestalten

und in seinem ganzen Ausdruck in Presse und Staatsleben

mit einem Hasse zu hassen, der ihm durch Generationen an¬

haften wird." (F 608, 1922, 7)

8. Die dritte Walpurgisnacht erschien im Jahre 1952


in München.

9. Karl Kraus: Die dritte Walpurgisnacht. 216.

10. Literatur: Wilhelm Alff: Karl Kraus und die Zeit¬

geschichte (1927-1934). In: Karl Kraus: Die dritte Wal¬

purgisnacht. München 1967, 327-365 - Helmut Arntzen:

Die Funkton der Polemik bei Karl Kraus. In: Sigurd Paul

Scheichl, Edward Timms (Hrsg.): Karl Kraus in neuer

Sicht. München 1986, 46-75 - Rudolf Bähr: Grundlagen für

Karl Kraus’ Kritik an der Sprache im nationalsozialisti¬

schen Deutschland. Köln, Wien 1977 - Cesare Cases: Karl

Kraus. In: Stichworte zur deutschen Literatur. Wien 1969,

179-194 - Burgel Czeitschner: Karl Kraus’ Stellungnahmen

zur Ersten Republik Österreich. Salzburg 1972 (Diss.) -

Friedrich Dürrenmatt: Die dritte Walpurgisnacht. In:

Theater-Schriften und Reden. Zürich 1966, 247-250 -

160
Gunild Feigenwinter-Schimmel: Karl Kraus. Methode der

Polemik. Kleve 1972 (Diss.) - Ernst Fischer: Karl Kraus.

In: Von Grillparzer zu Kafka. Wien 1962, 209-229 -

Richard Flatter: Karl Kraus als Nachdichter Shakespeares.

Wien 1933 - Eckart Früh: Dokumente zur "Dritten Wal-


V

purgisnacht". In: Kraus-Hefte 32, 1984, 2-15 - Murray G.

Hall: Verlage um Karl Kraus. In: Kraus-Hefte 26, 1983,

2-31 - Günter Hartung: Bert Brecht, Karl Kraus und die

antifaschistische Satire. In: brücken 1988, 27-57 -

Christel Heidemann. Satirische und polemische Formen in

der Publizistik von Karl Kraus. Berlin (West) 1958

(Diss.) - Stephan Hermlin: Lektüre. In: Sinn und Form 21,

1969, 1504-1507 - Kurt Krolop: Präformation als Konfron¬

tation. "Drittes Reich" und "Dritte Walpurgisnacht". In:

Impulse 8, 1985, 128-154 - Georg Knepler: Karl Kraus

liest Offenbach. Wien 1984 - Leopold Liegler: Meine Erin¬

nerungen an Karl Kraus. In: Kraus-Hefte 25, 1983, 1-20 -

Harold E. Lusher: Joseph Roth, Robert Musil and Karl

Kraus: Their Image of the Old Monarchy and the Emperor

Franz Joseph. Baltimore 1956 (Diss.) - Michael Naumann:

Der Abbau einer verkehrten Welt. Satire und politische

Wirklichkeit im Werk von Karl Kraus. München 1969 -

Alfred Pfabigan: Karl Kraus und der Sozialismus. Wien

1976 - Karl Rina: Zur Dritten Walpurgisnacht. In: Sprache

im technischen Zeitalter 1982, 197-206 - Michael

Scharang: Zur Dritten Walpurgisnacht. In: Literatur und

Kritik 22, 1987, 152-156 - Sigurd Paul Scheichl: Zur

Struktur Kraus'scher Polemiken - am Beispiel "Innsbruck

und Anderes" (1920). In: Literatur und Kritik 22, 1987,

131-140 - Michael Springer: Am Grabmahl des guten Ge¬

wissens. In: Kürbiskern 1, 1979, 121-127 - Jochen Strem-

mel: Dritte Walpurgisnacht. Uber einen Text von Karl

Kraus. Bonn 1982 - Edward Timms: Archetypal Patterns in

161
the Satire of Karl Kraus. In: Sigurd Paul Scheichl,

Edward Timms (Hrsg.): Karl Kraue in neuer Sicht. 92-108.

V. ZUR SPRACHAUFFASSUNG VON KARL KRAUS

1. Josef Weinheber: Hymnus auf die deutsche Sprache.

In: Dichtung aus Österreich. Versepik und Lyrik. Band 2,

Wien 1976, 401.


2. Paul Celan: Schwimmhäute. In: Lichtzwang. Frank¬

furt am Main 1970, 71.


3. Ingeborg Bachmann: Ihr Worte. In: Gedichte, Er¬

zählungen, Hörspiele, Essays. München 1964, 62.

4. Christine Busta: Die Sprache. In: Literatur und

Kritik 43, 1970, 129.


5. Thomas Bernhard: Gehen. Frankfurt am Main 1971,

22 .
6. Zitiert nach: Robert Mühlher: Komödie und Sprache.

Ihre Beziehungen bei Hugo von Hofmannsthal. In: Sprach-

thematik in der österreichischen Literatur. Wien 1974,

57.
7. Hugo von Hofmannsthal: Ein Brief. In: Gesammelte

Werke. Band 3, Berlin 1934, 202.

8. Arthur Schnitzler: Stunde des Erkennens. In: Die

dramatischen Werke. Band 2, Frankfurt am Main 1962, 491.

9. Arthur Schnitzler: Das Wort. Fragment. Frankfurt

am Main 1966, 27.

10. Rainer Maria Rilke: Briefe. Band 2, Wiesbaden

1950, 340 f.

11. Karl Kraus Beim Wort genommen. München 1955, 67.

- Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die allmähliche

Zuspitzung der Auffassungen von Kraus, daß die erste

Variante des Aphorismus noch nicht so kategorisch ab-

162
gefaßt ist: "Das Wort 'Familienbande' hat manchmal einen

Beigeschmack von Wahrheit." (F 237, 1907, 6)

12. Eine Mittelstellung zwischen Parodie und Zitat

nimmt die Travestie ein: die Verwendung eines gegebenen

Textes zu einem vom Original abweichenden Zweck.

13. Die Glosse sollte schon in F 437, 1916, 39 er¬

scheinen, wurde aber konfisziert.

14. Besonders gern zitiert Kraus Shakespeare und

Goethe. Das Motto des Aufsatzes Sittlichkeit und Krimi¬

nalität (F 115, 1902, 1-24) besteht aus sieben Shake¬

speare-Zitaten; im Fackel-Heft Warum die Fackel nicht er¬

scheint (F 890) hat Werner Kraft 87 Zitate aus dem Faust

zusammengezählt: in Literatur weist Christian Wagenknecht

(Kraus-Hefte 43, 1987, 2-4) 49 Faust-Zitate nach usw.

15. Im Aufsatz Der Prozep Rutthofer wird beispiels¬

weise der unmenschliche Ehemann mit einem umgestellten

Satz aus Shakespeares Hamlet charakterisiert: "Daß er,

wie in der Verhandlung konstatiert wurde, 'stets selbst

den Kaffee gekocht' und die Wohnung aufgeräumt hat, tut

gar nichts zur Sache. Er war ein Mann, nehmt alles nur

in allem." (F 209, 1906, 11).

16. Beispiele dafür unter anderem die Desperanto be¬

titelten Fackel-Artikel (F 307, 1910, 48 f.; mehrmals

fortgesetzt), in denen Zitate von Maximilian Harden und

deren "Übersetzungen" nebeneinandergestellt werden, sowie

die sogenannten Zeitstrophen (Wien, Leipzig 1931) und das

pseudoexpressionistische Gedicht im Stück Wölkenkuckucks¬

heim (Dramen. München 1967, 314).

17. Karl Kraus: Beim Wort genommen. 159 - Das Origi¬

nalin der Fackel (F 253, 1908, 1) ist - als Teil eines

Aufsatzes - weniger suggestiv formuliert.

18. Aller Wahrscheinlichkeit nach ging Kraus beim

Schaffen des Aphorismus von dieser Bedeutung aus. Vgl.:

F 36, 1900, 30.

163
19. "Ein Dichter, der liest. Ein Anblick, wie ein

Kellner, der speist." (F 251, 1908, 43) - "Ein Dichter,

der liest: ein Anblick, wie ein Kellner, der ißt."

(Sprüche und Widersprüche. München 1909, 128) - "Ein

Dichter, der liest: ein Anblick, wie ein Koch, der ißt."

(Beim Wort genommen. 93 - Aufgrund einer Variante von

1924) .

20. "Kriege und Geschäftsbücher werden mit Gott ge¬

führt." (F 462, 1917, 172) -

Mit Gott
Vor solchem Saldo, solchem Siege

bleibt keine Allmacht unberührt.

Geschäftsbücher und Kriege

werden mit Gott geführt.

(F 472 , 1917 , 2)

21. Literatur zur Sprachproblematik: Elias Canetti:

Karl Kraus, Schule des Widerstandes. In: Das Gewissen

der Worte. München 1975, 39-45 - Karel Öapek: Karl Kraus

als Lehrmeister. In: Stimmen über Karl Kraus zum 60. Ge¬

burtstag. Wien 1934, 22 - Tamäs Deäk: Az irö 6s a nyelv

(Der Schriftsteller und die Sprache). In: Korunk 1-2,

1977, 43-48 - Andreas Disch: Das gestaltete Wort. Die

Idee der Dichtung im Werk von Karl Kraus. Zürich 1969

(Diss.) - Alfred Doppler: Wirklichkeit im Spiegel der

Sprache. Wien 1975 - Peter Fässler: Studien zur "Sprach¬

lehre" von Karl Kraus. Zürich 1972 (Diss.) - Hannelote

Ederer: Die literarische Mimesis entfremdeter Sprache.

Zur sprachkritischen Literatur von Heinrich Heine und

Karl Kraus. Köln 1979 - Erich Heller: Karl Kraus. In:

Studien zur modernen Literatur. Frankfurt am Main 1963,

33-90 - Erich Heller: Karl Kraus und die Ethik der

Sprache. In: Austriaca. Beiträge zur österreichischen


Literatur. Tübingen 1975, 298-314 - Hans-Jürgen Heringer

164
Karl Kraus als Sprachkritiker. In: Muttersprache 77,

1967, 256-262 - Allan Janik / Stephen Toulmin: Wittgen¬

stein* s Vienna. London 1973 - Petra Kipphoff: Der Apho¬

rismus im Werk von Karl Kraus. München 1961 (Diss.) -

Wolfgang Mieder: Karl Kraus uhd der sprichwörtliche

Aphorismus. In: Muttersprache 1-2, 1979, 97-115 - Helmut

Pfotenhauer: Sprachsatire als Ursprung und Crux dramati¬

scher Formen. Überlegungen zu Karl Kraus. In: Jahrhuch

der Deutschen Schillergesellschaft 27, 1983, 326-334 -

Joachim Pötschke: Die satirischen Glossen von Karl Kraus

(1914-1918). Leipzig 1962 (Diss.) - Josef Quack: Bemer¬

kungen zum Sprachverständnis von Karl Kraus. Bonn 1976 -

Karl Riha: "Heiraten" in der "Fackel". Zu einem Zeitungs-

Zitat-Typus bei Karl Kraus. In: Text + Kritik Sonderband

Karl Kraus. München 1975, 116-126 - Sigurd Paul Scheichl:

Der Stilbruch als Stilmittel bei Karl Kraus. In: Sigurd

Paul Scheichl, Edward Timms (Hrsg.): Karl Kraus in neuer

Sicht. München 1986, 128-142 - Sigurd Paul Scheichl: Die

politischen Polemiken von Karl Kraus. Am Beispiel "Hüben

und Drüben". In: Staat und Gesellschaft in der modernen

österreichischen Literatur. Wien 1977, 45-63 - Dietrich

Simon: Literatur und Verantwortung. Zur Aphoristik und

Lyrik von Karl Kraus. In: Text + Kritik Sonderband Karl

Kraus. München 1975, 88-107 - Sprachthematik in der

österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Wien

1974 - Joachim Stephan: Satire und Sprache. Zu dem Werk

von Karl Kraus. München 1964 - Joseph Peter Stern: Karl

Kraus. Sprache und Moralität. In: Alfred Pfabigan

(Hrsg.) : Ornament und Askese im Zeitgeist des Wien der

Jahrhundertwende. Wien 1985, 168-177 - Miklös Szabolcsi:

Halandzsa. Nyelv ds valösäg Karinthy Frigyes muvdben

(Kauderwelsch. Sprache und Wirklichkeit im Werk von

Frigyes Karinthy). In: Kortärs 3, 1978, 461-472 - Chri¬

stian Wagenknecht: Das Wortspiel bei Karl Kraus. Göttingen

165
1965 - Christian Wagenknecht: Die Vorlesungen von Karl

Kraus. Ein chronologisches Verzeichnis. In: Kraus-Hefte

35, 1985, 1-30 - Christian Wagenknecht: Korrektur und

Klitterung. Zur Arbeitsweise von Karl Kraus. In: Text +

Kritik Sonderband Karl Kraus. 108-115.

ANHANG: KARL KRAUS UND UNGARN

1. Albert Gyergyai (1893-1971), Literaturhistoriker,

Übersetzer.

2. Albert Gyergyai: Kesdi tallözäs (Spätlese). Buda¬

pest 1975, 132-134.

3. Ferenc Herczeg (1863-1954), konservativer Schrift¬

steller, "Dichterfürst" der Horthy-Epoche.

4. Ranko der Held (F 177, 1905, 17-22): Bemerkungen

zur Krise in Ungarn (F 186, 1905, 2-13).

5. Ferenc Herczeg: A gotikus häz (Das gotische Haus).

Budapest 1939, 49-52.

6 . Die Briefe befinden sich in der Szechänyi-

Nationalbibliothek Budapest, Levelestär 54/97.

7. Endre Ady (1877-1919), einer der größten ungari¬

schen Dichter des 20. Jahrhunderts, führende Persönlich¬

keit der Nyugat-Bewequnq.

8. Kraus-Hefte 15, 1981, 8-15.

9. Ignotus (eigentlich Hugo Veigelsberg, 1869-1 949) ,

Schriftsteller, Publizist der Nyugat-Bewequnq.

10. Ignotus. 01vasäs közben (Beim Lesen. Karl Kraus).

In: Viläg, 23. November 1913, 1-3.

11 . Endre Ady: Karl Kraus Budapesten (Karl Kraus in

Budapest). In: Nyugat 1913, I, 803 - Deutsch in: Litera¬

tur und Kritik 9, 1974, 143.

166
12. Mihäly Kärolyi: Andrässy, vagy az arisztokrata

(Andrässy oder der Aristokrat). In: Törtenelmi Szemle

2-3, 1975, 296-310.

13. Mihäly Kärolyi (1875-1955), Politiker, Schlüs¬

selfigur in der ungarischen Geschichte der ersten Hälfte

des 20. Jahrhunderts.

14. Tamäs Moly (1875-1957), Publizist, Schriftstel¬

ler.

15. Tamäs Moly: Karl Kraus. In: Nyugat 1913, II, 962.

16. Lajos Hatvanv (1880-1961), Literaturhistoriker

und Kritiker, Mäzen der Nyugat-Bewegung. Hatvanys Er¬

wähnungen in der Fackel wiederholen zwei Motive, den

"märchenhaften" Reichtum des "literary gentleman", ver¬

glichen mit dem des Übersetzers Trebitsch (zum Beispiel

F 389, 1913, 4) und seinen ursprünglichen Familiennamen

Deutsch. In der Glosse Im Abendblatt (F 838, 1930, 99)

wird auf die Gefängnisstrafe angespielt, die der aus dem

Wiener Exil heimkehrende Hatvany 1927 wegen Beteiligung

ander ungarischen Revolution von 1918/19 bekam.

17. Dezsö Kosztolänyi (1885-1936), Dichter, Über¬

setzer, prominenter Vertreter von Nyugat.

18. Karl Kraus: öreg tanäromhoz. In: Vildg 25. Juni

1916, 15.

19. Dezsö Kosztolänyi; Idegen költok. összegyüjtött

mufordttdsok (Fremde Dichter. Gesammelte Übersetzungen).

Budapest 1966, 250-252.

20. Gyula Szini (1876-1932), Schriftsteller, weniger

bedeutender Mitarbeiter von Nyugat.

21. Karl Kraus: Buesuztatö. Halottz enek az Oszträk-

Magyar Nlonarchia felett (Nachruf. Grablied auf die Öster¬

reichisch-Ungarische Monarchie). Budapest 1919.

22. Mihäly Birö (1886-1948), Grafiker.

23. Karl Kraus: Worte -in Versen. München 1 956 , 304 .

167
24. Karl Kraus Szlovenszkoban (Karl Kraus in der

Slowakei). In: Becsi Magyar Ujsag 13. Mai 1 922 , 6 - Andor

Nemeth: Karl Kraus vilägtragädiäja (Die Welttragödie von

Karl Kraus). In: Becsi Magyar Ujsäg 30. Juli 1922, Iro-

dalmi melleklet (Literaturbeilage) 7-8 - Karl Kraus a

szinpadon? (Karl Kraus auf der Bühne?) In: Becsi Magyar

Ujsäg 11. November 1 922 , 6 - Karl Kraus: Az utolso ej

(Karl Kraus: Die letzte Nacht). In: Becsi Magyar Ujsäg 9.

Februar 1923, 6 - A Karl Kraus-szindarab Prägäban (Das

Karl-Kraus-Stück in Prag). In: Becsi Magyar Ujsäg 23.

Februar 1923, 6 - Karl Kraus 4s a viläghäborü (Karl

Kraus und der Weltkrieg). In: Becsi Magyar Ujsäg 28. Juli

1923, 5 - Hugö Lukäcs: Wölkenkuckucksheim. In: Becsi

Magyar Ujsäg 3. November 1923, 6.

25. Andor Nämeth (1891-1953), Essayist, Kritiker.

26. Andr4 Nämeth: Kafka ou le mystkre juif. Paris

1947, 160-168.

27. Andor Gäbor (1884-1953), Dichter, Journalist.

28. Der Ortsname Orgoväny ist in der ungarischen Ge¬

schichte zum Symbol der Morde während der Horthy-Zeit

geworden. Vgl. F 577, 1921, 71.

29. Istvän Tömörkäny (1866-1917), Novellist, Darstel¬

ler des Provinzlebens.

30. Georg (György) Lukäcs (1885-1971), Philosoph.

31. Georg Lukäcs: Eine Kampfschrift gegen den Krieg

der Bourgeoisie (30.3.1923). In: Die Rote Fahne. München

1973, 187-191.

32. Georg Lukäcs: Brief an Caroline Kohn vom 26.

August 1966. In: Karl Kraus. Paris 1975, 206.

33. Georg Lukäcs: Zur Frage der Satire. In: Interna¬

tionale Literatur 4-5, 1932, 136-153 - Ausschnitte aus

den Briefen von Georg Lukäcs an Cesare Cases. In: Ilona

T. Erdälyi (Hrsg.): Literatur und Literaturgeschichte in

Österreich. Budapest 1979, 309 f.

168
34. Imre Forbäth (1898-1967), ungarischer Dichter in

der Tschechoslowakei.

35. Imre Forbäth: A szatira (Die Satire, 1935). In:

Irodalmi Szemle 4, 1979, 362-364.

36. Bdla Zsolt (1895-1949), Publizist, Dichter.

37. Bdla Zsolt: Karl Kraus felolvas. In: Magyar Hzr-

lap 2, September 1926, 4 - Deutsch: Karl Kraus liest vor.

In: Bekessy’s Panoptikum. Budapest 1928, 20-23.

38. Sändor Nädas (1883-1942), Zeitungsverleger, Pu¬

blizist .

39. Anton Kuh: Bdkessy. In: Pesti Futäv 18. August

1926, 6-9 - Deutsch in: Bekessy's Panoptikum. Budapest

1928, 7-10.

40. Frigyes Karinthy (1887-1938), Satiriker, promi¬

nenter Schriftsteller der Nyugat-Bewegung.

41. Karinthy war Taufpate des Bdkessy-Sohnes Jänos

(Hans) , der unter dem Namen Hans Habe ein bekannter

Schriftsteller werden sollte.

42. Frigyes Karinthy: Mögegyszer a Bdkessy-esetröl

(Noch einmal über den Fall Bdkessy). In: Pesti Futär 15.

September 1926, 13-15 - Deutsch unter dem Titel Komödie

und Schicksalsstragödie. In: Bekessy’s Panoptikum. Buda¬

pest 1928, 15-19.

43. Bela Reinitz (1878-1943), Musikkritiker, Kompo¬

nist, Vertoner von Ady-Gedichten.

44. Böla Reinitz: Brief an Lajos Hatvany vom 4. März

1927. In: Levelek Hatvany Lajoshoz. Budapest 1967,

364-367 - Reinitz zitiert - in deutscher Sprache - nach

F 751, 1927, 35. - Zur Deutung der Reinitz-Kritik von

Kraus siehe: Sigurd Paul Scheichl: Bdla Reinitz. In:

Kraus-Hefte 33, 1985, 11f.

45. Karl Kraus: Dramen. München 1967, 111-267 -

Zitiert wird aus dem Drama mit Angabe der Seitenzahl im

Text.

169
46. Die deutsche Übersetzung könnte etwa lauten:

Fallotai: (...) Jetzt wollen Sie sich nicht daran erin¬

nern?! Was?! Barkassy: Ich weiß gut, worin Sie reisen!

Sie sind frech! Fallotai: Wie? Ich werde Ihnen schon

zeigen, wer frech ist!

47. Gäbor Gaal (1893-1954), ungarischer Essayist,

Literaturhistoriker, Soziologe in Rumänien.

48. Gabor Gaäl: A becsi enfant terrible (Das Wiener

enfant terrible). In: Keleti Ujsäg 21. September 1927.

49. Gäbor Gaäl: Karl Kraus. In: Korunk 7-8, 1936,

642-644 .

50. Lajos Hatvany: Karl Krauss (sic!) äs a kritika

(Karl Kraus und die Kritik, 1936). In: Emberek es köny-

vek. Budapest 1971, 304-309.

51. f.g.: Karl Kraus äs a "Fackel" (Karl Kraus und

die "Fackel"). In: Magyar Hirlap 13. Juni 1936 - Lajos

Gora: Karl Kraus. In: Szep Szö 1936, Band 2, 266-270 -

Auräl Kolnai: A jözan äsz mägusai: Karl Kraus äs Gilbert

Keith Chesterton (Die Magier der reinen Vernunft: Karl

Kraus und Gilberth Keit Chesterton). In: Szäzadunk 11,

1936, 233-255 (Englisch: Magic of the Reasoning Mind.

Karl Kraus and Gilberth Keit Chesterton. In: The Chester¬

ton Review 13, 1987, 309-331) - Jenö Mohäcsi: Karl Kraus

In: Nyugat 1936, II, 62 f. - Zoltän Szäsz: Karl Kraus.

In: A Toll 5, 1936, 178-180 - Karl Kraus gestorben. In:

Fester Lloyd Abendblatt 13. Juni 1936 - Karl Kraus meg-

halt (Karl Kraus gestorben). In: Esti Kurir 13. Juni

1 936 .

52. Auräl Kolnai (1900-1973), Philosoph - Jenö Mohä¬

csi (1886-1944), Übersetzer, Publizist - Zoltän Szäsz

(1877-1944), Journalist, Essayist.

53. György Bälint (1906-1943), Publizist, Kritiker.

54. György Bälint: Az emberisäg vägnapjai (Die letz¬

ten Tage der Menschheit). In: Nepszava 14. April 1940, 5

170
55. Zoltän Fäbry (1897-1970), ungarischer Ästhet,
Kritiker in der Tschechoslowakei.
56. Zoltän Fäbry: Karl Kraus (1956). In: Ember az
embertelensegben. Bratislava 1962, 87-90.
57. Eiöd Haläsz: A nemet irpdalom törtenete (Ge¬
schichte der deutschen Literatur). Budapest 1971, Band
2, 435 f. - Pöter Hanäk: Viszonylagossäg ös lätszölagos-
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1969, 53-64 - Läszlö Matrai: Alapjat vesztett felepitmeny
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Rönai: Karl Kraus. In: Vilagirodalmi Lexikon. Band 6,
Budapest 1979, 678-687 - Miklös Szabö: Politikai gondol-
kodäs ös kultüra Magyarorszägon a dualizmus utolsö ne-
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58. Jänos Szabo: A Karl Kraus-kutatäs idöszerü prob-
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kus "vegnapjai" (Die "Letzten Tage" des Satirikers). In:
Filolögiai Közlöny 4, 1978, 397-412 - Ders.: Chr. Dark.

171
In: Kraus-Hefte 10-11, 1979, 20 - Ders.: Das Lachen über

dem Abgrund. Die untergehende Monarchie im Spiegel der

Satire. In: Pannonia 3, 1981, 13f. - Ders.: Der Genius

der Ironie. In: Pannonia 4, 1979, 8 f. - Ders.: Deutsch

de Hatvany. In: Kraus-Hefte 16, 1980, 14 - Ders.: Die

Kraus-Rezeption in Ungarn. In: Kraus-Hefte 15, 1980,

8-15 - Ders.: Die ungarische Übersetzung von "Nachruf".

In: Kraus-Hefte 13, 1980, 16 f. - Ders.: Karl Kraus es

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Ders.: Karl Kraus in Budapest. In: Kraus-Hefte 12, 1979,

12 f. - Ders.: Karl Kraus und Frigyes Karinthy. Paral¬

lelen und Ähnlichkeiten. In: Ilona T. Erdälyi (Hrsg.):

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1979, 153-163 - Ders.: Karl Kraus und seine Wirkung in

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Ders.: Satirische Feuilletons aus der untergehenden

österreichisch-ungarischen Monarchie. In: Zeitschrift

für Germanistik 2, 1983, 179-183. - Ders.: Szatirikus

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f. - Ders.: Sprachthematik in der österreichischen Lite¬

ratur des 20. Jahrhunderts. In: Helikon 4, 1979, 574 f.

-- Zwangsläufig habe ich mehrfach Passagen bzw. Formulie¬


rungen aus diesen Arbeiten in die vorliegende Unter¬

suchung übernommen (d. Verf.)

59. Gäbor Hajnal (Hrsg.): Szänadunk ouztrdk lirdja

(Österreichische Lyrik unseres Jahrhunderts). Budapest

1963, 66-70: sechs Gedichte, übersetzt von Läszlö Lator

- Gäbor Hajnal (Hrsg.): Oszträk költok antolögidja

(Anthologie österreichischer Dichter). Budapest 1968,

216-218: vier Gedichte, übersetzt von Läszlö Lator -

Eiöd Haläsz (Hrsg.): Klasszikus nemet költok (Klassische

deutsche Dichter). Budapest 1977, Band 2, 308-312: vier

Gedichte, übersetzt von Istvän Eörsi, Dezsö Kosztolänyi

und Läszlö Lator.


60. Karl Kraus: Az emberiseg vegnapjai (Die letzten

Tage der Menschheit). Budapest 1977 - 773-791: Dezsö

Tandori: Kes eien - vagy a nyelv hegyen (Auf Messers

Schneide - oder auf der Zungenspitze) - 793-807: Zsuzsa

Szöll: A "zurzavar rendbontdja" - Karl Kraus ("Ruhestörer

im Chaos" - Karl Kraus).

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Untergehende; Monarchie
und Satire^
Zum JLebenswerlg von Karl Kraus

Die vorliegende Arbeit möchte eine der ostmitteleuropäischen Gemein¬


samkeiten, die Existenz einer satirischen Richtung in der Literatur der
ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts aufzeigen und das Schaffen einer
der bedeutendsten Gestalten dieser Richtung analysieren, das heißt, ein
möglichst umfassendes Bild über das Lebenswerk des Wiener Satirikers
Karl Kraus (1874—1936) geben. Das Kraussche Schaffen wurde bereits
von mehreren Seiten untersucht, so daß die vorliegende Studie auf Er¬
kenntnisse der wichtigsten Arbeiten bauen kann, in der Weise, daß sie sich
auf allgemein Bekanntes und Akzeptiertes nicht einläßt und Polemiken,
die in der Kraus-Literatur recht häufig sind, möglichst meidet, damit die
Untersuchung sich voll auf Aspekte im Zusammenhang mit der ostmittel¬
europäischen Satire von Kraus konzentrieren kann, also auf Aspekte, die
von der bisherigen, für gemeinsame areale Realitäten kaum empfindlichen
Forschung weitgehend vernachlässigt werden.

ISBN 963 05 6229 4

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