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Entwerfen im
Leichtbau
Warum Leichtbau? könnte man fragen, und eine Antwort jenseits der
Erkenntnis der Notwendigkeit von Leichtbau im Bauwesen als Vor-
aussetzung zur Überbrückung von Grenzhöhen und Grenzspann-
weiten würde lauten: Weil es keine bessere Schule für das Verstehen
der tragenden Konstruktionen in der lebenden und der nicht leben-
den Natur sowie in der von Menschen gestalteten Welt gibt.
Die Suche nach den leichten Konstruktionen ist die Suche nach den
Grenzen. Das Entwerfen der leichtestmöglichen Konstruktionen ist
das Herantasten an das physikalisch und das technisch Machbare.
Es hat zu tun mit der Ästhetik des Minimalen, mit der Suche nach
dem Unbekannten und mit dem Überschreiten von durch Wissen-
schaftsdisziplinen gezogenen Grenzen.
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Mit der integrierenden Bauweise versucht hohe Verbundwirkung führt darüber hin-
man, die fertigungstechnisch bedingte aus dazu, dass sich das Zweistoff-Bauteil
Beschränktheit der Stückgrößen durch nur schwer in seine Ausgangsstoffe zerle-
kontinuierliches Fügen der Einzelelemente gen lässt. Am Beispiel des weltweit men-
zu einem quasi-homogenen Bauteil zu genmäßig am meisten verbreiteten Ver-
umgehen. Mit Fügetechniken wie Kleben bundwerkstoffes, des Stahlbetons, lässt
oder Schweißen wird eine entsprechende sich dies sehr anschaulich erläutern: In-
Homogenisierung der Spannungsfelder folge der extrem schlechten Verbund-
innerhalb des Bauteils möglich. Das wirkung zwischen Bewehrungsstahl und
Rezyklierverhalten ist je nach Fügungsart Beton werden signifikant größere Mehr-
unterschiedlich. Natürlich sind insbeson- längen (d.h. Mehrmassen), die sog. Veran-
dere Schweißverbindungen positiv zu kerungslängen, an Bewehrungsstahl erfor-
bewerten; die Verwendung mengenmäßig derlich, um den Kraftübertrag von der Be-
hoch dosierter Leime und Kleber hingegen tonmatrix in den Bewehrungsstahl bzw.
kann unter Umständen zu umgekehrt zu gewährleisten. Diesem so
Rezyklierproblemen führen. gut wie nie ausgesprochenen, ökonomisch
wie ökologisch nicht zu unterschätzenden
Bei der Verbundbauweise werden Bauteile Nachteil steht der große Vorteil eines ein-
aus mehreren unterschiedlichen fachen Recyclings durch ein - infolge des
Werkstoffen zu einem Stück zusammenge- schlechten Verbundes - prozesstechnisch
setzt. Im Gegensatz zur Integralbauweise einfaches Trennen der beiden Verbund-
werden jedoch mehrere Werkstoffe zu partner Beton und Stahl gegenüber.
einem Mehrstoff-Bauteil kombiniert.
Auswahl und Anordnung der Werkstoffe
erfolgen dabei nach deren
Eigenschaftsprofil und in
Abhängigkeit vom Bean-
spruchungsverlauf innerhalb des
Bauteils. Dies erlaubt die sehr effizi-
ente Gestaltung von tragenden
Teilen. Die Verbundbauweisen be-
inhalten die Kategorien
– Allgemeine Verbundbauweise,
– Faserverbund- und
Hybridbauweise sowie
– Sandwichbauweise
Verbundkonstruktionen können
genau dann sehr effizient und
leicht gestaltet werden, wenn
die eingesetzten Werkstoffe das
an das Bauteil gestellte
Anforderungsprofil im
Verbund, also gemeinsam (!)
bestmöglich erfüllen. Der 02
Qualität des Verbundes zwi-
Strukturleichtbau: Die „Stuttgarter
schen den Werkstoffen, also
Schale“ ist lediglich 10 mm dick. Sie
z.B. der Qualität des Verbundes zwischen
stellt mit einem Bauteildicken/Spann-
Armierungsfaser und Matrix, kommt 2.2 Strukturleichtbau
weitenverhältnis von 1/850 die dünn-
dabei eine entscheidende Bedeutung zu: Je
ste je gebaute Glasschale dar.
besser der Verbund, desto kürzer können Geht man von der Ebene der Werkstoffe
beispielsweise die Krafteinleitungslängen sowie deren Kombination und Fügung zu
gestaltet werden. Dies führt zu Ge- derjenigen der Bauteile und der aus ihnen
wichtseinsparungen. Andererseits kann zusammengesetzten Tragwerke über, so
eine zu hohe Haftung zwischen den stellt hier der Strukturleichtbau die Auf-
Verbundpartnern zu einem ungünstigen gabe, ein gegebenes Beanspruchungs-
Lastabtragungsverhalten führen. Eine kollektiv mit einem Minimum an Eigen-
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S U M M A RY
gewicht der Konstruktion methoden, also quasi „von Hand“ ent-
unter Einhaltung einer wickeln. Die tradierten Entwurfsmetho-
Lightweight construction means the search for Reihe vorgegebener den ermöglichen zwar die Darstellung
limits. The design of the lightest constructions Restriktionen zu gegebenen oder gar die Entwicklung geometrisch
approaches the physically and the technically feasi- Auflagerpunkten zu leiten. komplizierter Gebilde, versagen jedoch
ble. Lightweight construction often is not only a pre- Strukturleichtbau beschäf- völlig bei der Aufgabe, im Gleichgewicht
condition for demanding constructions; it also signi- tigt sich also mit Art, befindliche, gewichtsminimale räumliche
ficantly reduces materials and energy employed and Anzahl und Anordnung der Kraftsysteme zu entwickeln.
has therefore clear ecological consequences. The use Bauteile, aus denen eine
of adaptive systems will further push the limits of tragende Struktur minima- Wo immer man sich das Ziel setzte, ge-
the lightweight construction in the future and, at the len Gewichts gebildet wird. wichtsminimale Konstruktionen oder
same time, will enable optimizations in the area of Strukturleichtbau bedeutet auch Konstruktionen, bei denen die tra-
conventional structures or components. deshalb letztendlich die gende Struktur nur ganz bestimmten
Lösung eines Minimie- Spannungszuständen – wie beispielsweise
rungs-, d.h. Optimierungs- einer ausschließlichen Druckbeanspru-
Leichtbau ist die Suche nach den Grenzen. Das problems in einem mit chung – ausgesetzt wird, zu entwerfen,
Entwerfen der leichtestmöglichen Konstruktionen ist Restriktionen versehenen verwendete man zumeist individuell ent-
das Herantasten an das physikalisch und das tech- Entwurfsraum. Das Trag- wickelte Methoden. Die Seifenhautstudien
nisch Machbare. Leichtbau ist bei vielen anspruchs- werk hat dabei ausschließ- von Plateau im Zusammenhang mit der
vollen Konstruktionen nicht nur eine lich die Funktion der Erforschung der Minimalflächen, die
Grundvoraussetzung für deren Realisierbarkeit; er Abtragung von Lasten. berühmten Hängemodelle des spanischen
bedeutet in der Regel auch eine markante Ersparnis Baumeisters Antonio Gaudi, die er unter
an eingesetzter Masse und Energie und hat somit 2.3 Systemleichtbau anderem zur Erarbeitung der Geometrie
klare ökologische Auswirkungen. Der Einsatz adap- der Kirche Sagrada Familia in Barcelona
tiver Systeme wird in den kommenden Jahren die Unter Systemleichtbau ver- verwendete, die Analogieschlüsse von
Grenzen des Leichtbaus noch weiter hinausschieben steht man das Prinzip, in d’Arcy Thompson, in denen er das Trag-
und gleichzeitig Optimierungen im Bereich konven- einem Bauteil neben der verhalten lebender und nicht lebender
tioneller Strukturen oder Bauteile ermöglichen. lastabtragenden auch noch Objekte analysierte, die Minimalstruk-
andere, wie zum Beispiel turen von Maxwell [1] und Mitchell [2]
raumabschließende, spei- oder auch die berühmten Hängeversuche
chernde, dämmende oder vergleichbare des Schweizer Ingenieurs Heinz Isler
Funktionen zu vereinigen. Die tragenden gehören zur Vielzahl der im Verlauf vieler
Bauteile werden somit multifunktional, Jahrzehnte unabhängig voneinander ent-
eine im Bauwesen immer wieder, wenn wickelten Insellösungen.
auch nicht oft genug bewusst benutzte
Lösung. Viele mögliche Anwendungs- Es war das Verdienst von Frei Otto, die auf
bereiche sind noch unerschlossen, wie das experimentellem Arbeiten basierenden
Beispiel einer Beteiligung der Glasein- Methoden zusammenzutragen, diese um
deckung filigraner Stabkuppeln an der eine Reihe weiterer Methoden zu ergän-
Lastabtragung zeigt – ein Konstruktions- zen und erstmals eine Kategorisierung der
prinzip, das man in der Kraftfahrzeug- unterschiedlichen, von Frei Otto als
technik bereits vorfindet: Dort werden „Formfindungsmethoden" bezeichneten
zunehmend die Glasscheiben als ausstei- Methoden vorzulegen [3]. In den seither
fende Elemente herangezogen. vergangenen fünf Jahrzehnten wurden
diese Methoden insbesondere an der
Universität Stuttgart detailliert unter-
3. Entwerfen im Leichtbau sucht, ergänzt und weiterentwickelt. Dass
der Begriff „Formfindung“ etwas unglück-
Entwerfen im Leichtbau bedeutet primär die lich gewählt ist, wird zwischenzeitlich all-
Entwicklung räumlicher Kräftepfade und gemein akzeptiert. Der Term „Finden"
deren anschließende Materialisierung beinhaltet letztlich einen Zufallscharakter,
unter der Zielsetzung, ein möglichst nied- der bei diesen nachstehend ausführlicher
riges oder sogar minimales Gewicht der beschriebenen und wissenschaftlich alle-
Konstruktion zu erzielen. Gewichtsarme samt fundierten Methoden, die man besser
Konstruktionen lassen sich aber, von als „Formentwicklungsmethoden“
wenigen Sonderfällen abgesehen, nicht bezeichnet hätte, definitiv nicht vorhan-
mehr mit den tradierten Entwurfs- den ist.
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Die vorstehend beschriebene Methode der Ähnlich wie bei den experimentellen
„Umkehrform“ liegt zunächst nahe. Methoden lässt sich bei den indirekten
Dementsprechend war sie über Jahrzehnte Methoden ein nicht vollständig befriedi-
hin Bestandteil der akademischen Lehr- gendes Endergebnis einer Berechnung nur
meinung. Bedauerlicherweise wurde bei durch Änderung der Vorgabedaten und
ihrer Formulierung jedoch ein grundle- anschließende Neuberechnung, also auf
gender, erst 1987 in [6] entdeckter und spä- indirektem Weg, verbessern. Dabei ist es
ter als „erweitertes Kompensations- schwierig, teilweise auch unmöglich,
problem“ beschriebener Effekt übersehen bestimmte Spannungszustände in der
(siehe Kap. 3.5). Die Entdeckung des erwei- Struktur zu erzeugen. Ein Beispiel hierfür
terten Kompensationsproblems bedeutete ist die Aufgabe, eine unter Eigengewicht
letztlich die Falsifikation der Methode der isostatisch druckbeanspruchte Betonschale
Umkehrform in ihrer bisherigen, als allge- durch Verformen einer ursprünglich ebe-
meingültig postulierten Formulierung. nen Haut zu berechnen. Zwar lässt sich
Für einige Ausnahmefälle konnte gezeigt durch Zuschalten eines Steuerungs-
werden, dass die Anwendung des Prinzips, algorithmus die Ergebnisqualität verbes-
wenn auch eher zufälligerweise, zur prog- sern, die indirekten Methoden sind aller-
nostizierten Lösung führt. Für die Kom- dings vom Ansatz her zur Lösung derarti-
plementärmenge der mit der Methode ger Probleme weniger geeignet und des-
entwickelten Konstruktionen ist jedoch halb den direkten Methoden weit unterle-
festzustellen, dass die diesen zugesproche- gen.
nen Spannungsfelder nicht mit der Wirk-
lichkeit übereinstimmen. Mit den direkten Methoden wird versucht,
eine Form, die – bei gegebenen geometri-
schen Randbedingungen – unter dem
3.2 Mathematisch-numerische formbestimmenden Lastfall einen ganz
Formfindungsmethoden bestimmten, vorgegebenen Spannungs-
zustand besitzt, zu entwickeln. Die
Die computergestützten mathematisch- Ausgangsform im üblichen Sinn ist unbe-
numerischen Formfindungsmethoden las- kannt oder ohne Belang, da sie lediglich
sen sich in folgende Kategorien einteilen: als durch Überlegungen zur numerischen
– Indirekte Methoden Stabilität bedingter „Startwert“ für die
(Deformationsmethoden) Berechnung vorgegeben werden muss und
– Direkte Methoden daher manchmal physikalisch nicht zuläs-
sig zu sein braucht (z. B. Verstoß gegen die
Die indirekten oder Deformationsmethoden Gleichgewichtsbedingungen).
stellen faktisch eine numerische Simu-
lation der experimentellen Methoden dar. Die bekanntesten der direkten Methoden
Bei ihnen wird eine vorgegebene Aus- sind:
gangsform durch Aufbringen einer Be- – die Kraftdichtemethode, die von
lastung so lange verformt, bis die sich ein- Linkwitz, Preuss und Schek entwickelt
stellende Geometrie auch die übrigen wurde;
Entwurfsanforderungen erfüllt. Durch die – die numerische Lösung des die
Art der Belastung und durch die Ma- Membranschale beschreibenden
terialeigenschaften, die der zu verformen- Differentialgleichungssystems;
den Struktur gegeben sind, lassen sich – indirekte Methoden in Kombination
Hängemodelle, Fließformen, mechanisch mit einer Optimierungsstrategie.
aufgespannte Strukturen oder pneuma-
tisch vorgespannte Formen berechnen. Mit den direkten Methoden lassen sich
„spannungsoptimale“ Strukturen entwer-
Die am häufigsten verwendete Deforma- fen, also beispielsweise Seifenhäute als
tionsmethode beruht auf der Methode der Membranen gleicher Spannung (Isoten-
Finiten Elemente in der geometrisch soide), Türme mit konstanter Spannung
nichtlinearen Formulierung. Verfahren im Schaft oder auch Fachwerkstrukturen,
auf der Basis der Vektoranalysis sowie auf bei denen die einzelnen Elemente be-
Sonderformen beschränkte Algorithmen stimmte Spannungsvorgaben erfüllen.
werden ebenfalls verwendet.
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Prinzipiell gilt für die direkten Methoden, der relativ massiven Konstruktionen, wie
dass die Existenz einer Lösung nicht a pri- z. B. den Betonschalen, wurde häufig und
ori vorhersagbar ist. Abhängig vom vorge- völlig zurecht der Lastfall Eigengewicht als
gebenen, also vom „gewünschten“ dominanter und damit formbestimmen-
Spannungszustand stellt sich vielmehr der Lastfall angesetzt. Im extremen Leicht-
erst im Verlauf einer Berechnung heraus, bau jedoch entfällt häufig die Dominanz
ob das Problem keine, eine oder mehrere eines einzelnen Lastfalls. Ein Automobil-
Lösungen besitzt. Im letzteren Fall lässt kotflügel wiegt nur Bruchteile der auf ihn
sich durch Hinzufügen der Forderung wirkenden Windlast, die textile Überda-
nach Gewichtsminimalität die 'leichteste' chung eines Stadions nur Bruchteile der
Lösung ermitteln. Interessanterweise gibt von ihr abgetragenen Belastungen aus
es häufig auch Mehrfachlösungen, wie bei- Wind und Schnee. Während die bisher
spielsweise zwei Seifenhautflächen inner- publizierten Arbeiten für die Formfindung
halb des gleichen Drahtrahmens, die alle gewichtsarmer und gewichtsminimaler
das gleiche Minimalgewicht besitzen. Konstruktionen stets die Existenz eines
dominanten und deshalb als „formbestim-
Prinzipiell lassen sich alle experimentellen mend“ verwendbaren Lastfalles voraus-
Modelle in mathematisch-numerischen setzten, ist die eindeutige Existenz eines
Modellen abbilden. Letztere haben aller- solchen Lastfalles bei den extrem leichten
dings neben dem Vorteil einer hohen Konstruktionen üblicherweise gar nicht
Genauigkeit in der Aussage zu Kraft und gegeben. Das Problem nichteindeutiger
Geometrie den Nachteil einer geringeren bzw. multipler formbestimmender Last-
Anschaulichkeit; aus diesem Grund stellt fälle führt in einen bisher wissenschaftlich
man die experimentellen Methoden gern noch nicht ausreichend untersuchten
an den Anfang der Entwurfsarbeit und Problemkreis, aus dem aus heutiger Sicht
geht erst in der zweiten Phase des Ent- nur zwei Wege führen: Der erste benutzt
wurfs zu den mathematisch-numerischen die bekannte Vielparameteroptimierung,
Methoden über. bei der unter Zugrundelegung aller mögli-
cherweise auftretenden Lastfallkombina-
Bei vorgegebener Wahl eines Tragsystems tionen auch geringer Eintretenswahr-
oder -prinzips lassen sich mit den bekann- scheinlichkeit eine Lösung des Form-
ten experimentellen Formfindungs- findungsproblems ermittelt wird. Der
methoden gewichtsarme Tragwerke ent- zweite Weg wurde in Stuttgart entwickelt
wickeln. Zum Entwurf gewichtsminimaler [10,11] und weist in eine völlig andere
Tragwerke erweisen sich die meisten expe- Richtung: Der Existenz multipler formbe-
rimentellen Methoden als untauglich. stimmender Lastfälle wird mit der „Form-
(Die Seifenhautmodelle stellen hier eine findung“ (wobei der Begriff spätestens hier
Ausnahme dar). Die mit einer zusätzli- seine Sinnhaftigkeit endgültig verliert)
chen Minimalbedingung versehenen einer adaptiven, d.h. in ihren Eigenschaf-
mathematisch-numerischen Methoden ten kontinuierlich manipulierbaren
erfahren hierdurch eine besondere Strukturen begegnet. Wie in Kapitel 4
Bedeutung, denn nur in wenigen Fällen, gezeigt werden wird, bedeutet dieser
wie z. B. bei den Maxwellstrukturen, las- Ansatz nicht nur eine wesentlich elegante-
sen sich gewichtsminimale Tragwerke re Lösung des Problems – er führt viel-
ohne sie entwickeln. mehr in eine vollkommen neue
Dimension von Leichtigkeit.
3.3 Der 'Formbestimmende
Lastfall'
3.4 Über die Mannigfaltigkeit von
Die klassischen Formfindungsmethoden Spannungszuständen
basieren alle auf der Vorgabe einer als
„Formbestimmender Lastfall“ [6,7] be- In einer innerlich und/oder äußerlich sta-
zeichneten Laststellung. Die während der tisch unbestimmten Struktur kann unter
Formfindung „gefundene“ Form besitzt ein- und demselben Lastfall eine Mannig-
die gewünschten Eigenschaften in genau faltigkeit innerer Kraft- bzw. Spannungs-
diesem Lastfall. Der „richtigen“ Wahl des felder existieren. Welches dieser möglichen
formbestimmenden Lastfalls fällt damit Spannungsfelder sich in einer Struktur
grundlegende Bedeutung zu. Im Bereich einstellt, ist abhängig von der Verteilung
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der Steifigkeiten innerhalb der Struktur Werkstoffe und, nicht zuletzt und von
bzw. an deren Auflagern. Überträgt man besonderem Einfluss, der Baufortschritt
diese Aussage auf das Formfindungs- selbst, beeinflussen, neben vielen anderen
problem, so gewinnt sie in zweierlei Einflussgrößen, den sich tatsächlich in
Hinsicht Bedeutung: Zunächst einmal einer Struktur einstellenden Bean-
erkennt man, dass man an einer auf expe- spruchungszustand.
rimentellem Wege gefundenen Form den
inneren Beanspruchungszustand in den 3.5 Das (klassische)
meisten Fällen nicht ablesen, d.h. keinen Kompensationsproblem
tieferen Aufschluss über deren inneren
Beanspruchungszustand gewinnen kann. Beim Bauen zugbeanspruchter Konstruk-
Bereits am denkbar einfachsten Fall einer tionen ist es seit langem bekannt, dass die
in einen räumlich verwundenen Rahmen in der Formfindung ermittelte Geometrie
eingespannten Seifenhautlamelle, also („Sollgeometrie“), die mit dem in der
eines Isotensoids, erkennt man, dass die Formfindung entstandenen bzw. zugrunde
Geometrie der Seifenhautlamelle unab- gelegten Spannungszustand behaftet ist,
hängig von der Oberflächenspannung der zunächst in eine spannungsfreie Form
Seifenhautlösung selbst ist, oder, in ande- („Nullgeometrie“) überführt werden
ren Worten, dass sich das Ergebnis des muss, um hergestellt bzw. gebaut werden
Formfindungsprozesses, also die Geo- zu können. Die mit dem Entspannungs-
metrie der Seifenhaut, bei Multiplikation vorgang einhergehende Geometrieände-
des inneren Spannungszustandes der rung wird als Kompensation bezeichnet.
Lamelle mit einem Skalar nicht ändert. Bei den zugbeanspruchten Konstruk-
Die Multiplikation des Spannungsfeldes tionen (Seilnetze, Membranen) weist die
mit einem Skalar führt auch bei allen Nullgeometrie typischerweise einen klei-
anderen mechanisch vorgespannten neren Flächeninhalt als die Sollgeometrie
Konstruktionen, die – durch den Form- auf: Beim Übergang vom unbelasteten in
findungsprozess bedingt – üblicherweise den belasteten, spannungsbehafteten
vergleichsweise inhomogene, in keinem Zugspannungszustand wird das Material
Fall jedoch isotensoidische Spannungs- üblicherweise gedehnt, indem die Kon-
felder aufweisen, zu keiner neuen Geo- struktion zu ihren Auflagern gezogen bzw.
metrie. Darüber hinaus lässt sich aufzei- gegen diese verspannt wird.
gen [6], dass in einer Membrane oder einer
Schale allein durch Manipulation der Das bei Seilnetzen und Membranen bisher
Auflagersteifigkeiten und/oder der zur Anwendung gekommene Kompens-
Struktursteifigkeiten eine Vielzahl unter- ationsverfahren besteht darin, die span-
schiedlicher Spannungsfelder in der nungsbehaftete Sollgeometrie mit geeig-
Struktur eingestellt werden können, ohne neten Verfahren und unter Zugrunde-
dass dies eine andere Geometrie bedingt. legung der (und hier liegt eine der
Die Verunsicherung, die man durch die Schwierigkeiten!) zutreffenden Werkstoff-
Erkenntnis der möglichen Mannig- gesetze zu entspannen und sie dabei in
faltigkeit der Spannungsfelder in einer eine - üblicherweise mit Falten behaftete -
„gefundenen“ Struktur erfährt, bedeutet Nullgeometrie zu überführen. Man
Risiko und Chance zugleich, woraus sich bezeichnet diese Vorgehensweise auch als
auch die zweite Bedeutung der eingangs „klassisches“ Kompensationsproblem.
gewonnenen Erkenntnis ableitet: Bei der
Realisierung, d.h. bei der bautechnischen 3.6 Das erweiterte
Umsetzung einer in einem Formfindungs- Kompensationsproblem
prozess entwickelten Struktur kommt es
in entscheidender Weise darauf an, dass Die Arbeiten an unserem Institut zeigten
sich der in der Struktur erwartete, in der bereits zu Anfang der 1990er Jahre, dass die
Formfindung entwickelte Spannungs- lange vertretene Annahme, jede eigen-
zustand auch tatsächlich einstellt. Dass spannungsbehaftete (Formfindung!) Form
letzteres eine nichttriviale Forderung ist, könne durch eine Veränderung ihrer Geo-
liegt auf der Hand: Nur innerhalb be- metrie in eine spannungsfreie Form über-
stimmter Genauigkeiten erfassbare Auf- führt werden, falsch ist. Seilnetze und
lagersteifigkeiten, zeitabhängige Phäno- Membranen bilden eher zufälligerweise
mene wie Kriechen und Schwinden der und wegen ihrer ganz besonderen Werk-
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04
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Vieweg & Sohn (1997). Universität Stuttgart (in Vorbereitung).
D E R AU TO R
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