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JR Heft 3/2010 Entscheidungen – Straf- und Strafprozessrecht (Anm. F.-C.

Schroeder) 135

das Landgericht ihn nicht durch Verlesung einzelner Bestand-


teile des betroffenen Selbstleseordners in die Hauptverhandlung
eingeführt hat.
5 b) Das Urteil beruht jedoch nicht auf dem Verfahrensfehler,
da der Senat angesichts der ansonsten sehr sorgfältigen Beweis-
würdigung ausschließen kann, dass die Strafkammer ohne die
Verwertung des Urkundeninhalts zu anderen Feststellungen
gelangt wäre . . ..
9 2. Die Rüge, die Aufklärungspflicht (§ 249 Abs. 2 StPO) habe
die Beschlagnahme der Mitschriften der Zeugen VRLG Ba. und
RLG W. geboten, ist bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO).
Zudem hat das Landgericht die Beschlagnahme zu Recht abge-
lehnt, da ihr ein Beweiserhebungsverbot entgegengestanden
hätte. Die richterlichen Aufzeichnungen aus der Hauptverhand-
StPO § 274; DRiG § 43
lung in Strafsachen erlangen in ihrem fortschreitenden Entste-
1. Eine Protokollberichtigung mit der Folge einer »Rüge-
hen den Schutz durch das Beratungsgeheimnis. Sie sind einer
verkümmerung« ist nicht möglich, wenn in der Hauptver-
Beweisaufnahme nicht zugänglich (Schmidt-Räntsch DRiG
handlung Feststellungen über die Kenntnisnahme vom Wort-
6. Aufl. § 43 Rdn. 5; vgl. auch Fischer StraFo 2004, 420, 421 f.).
laut der Urkunden im Selbstleseverfahren unterblieben sind.
2. Die Mitschriften, die ein nunmehr als Zeuge vernom-
Anmerkung
mener Richter in einer früheren Hauptverhandlung als er-
I. Der 1. Leitsatz der Entscheidung bringt wenig Neues.
kennender Richter angefertigt hat, sind einer Beweisaufnah-
Schon mehrfach hat der BGH entschieden, dass die Feststel-
me nicht zugänglich.
lungen über die Kenntnisnahme von Schriftstücken und die
BGH, Beschl. v. 8. 7. 2009 – 2 StR 54/09*.
Gelegenheit hierzu nach § 249 Abs. 2 S. 3 StPO wesentliche
Förmlichkeiten der Hauptverhandlung und daher in das Pro-
Aus den Gründen: tokoll aufzunehmen sind und eine Berichtigung des Protokolls
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang insofern nicht möglich ist (BGH NStZ 2000, 47; 2001, 161; 2005,
mit Urteil vom 13. 6. 2006 wegen Bestechlichkeit zu einer Frei- 160; 2006, 512). Neuartig ist allerdings in der vorliegenden
heitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dieses Entscheidung die Begründung: Da das Protokoll richtig sei,
Urteil wurde auf die Revision des Angeklagten mit Urteil des sei eine Berichtigung mit der Folge der Rügeverkümmerung
Senats vom 27. 4. 2007 (2 StR 490/06 = BGHSt 51, 325) wegen gar nicht möglich gewesen (Rdn. 4). Wie kommt das Gericht zu
eines durchgreifenden Verfahrensfehlers aufgehoben. Nach Zu- dieser originellen Begründung? Während bisher – soweit nicht
rückverweisung der Sache hat das Landgericht den Angeklagten inhaltliche Mängel der Urkundeneinführung durch Selbstlesen
mit dem angefochtenen Urteil nunmehr erneut wegen Bestech- protokolliert waren (BGH NStZ 2001, 161: bloßer Vorhalt; BGH
lichkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Mo- NStZ 2005, 160: Nichterwähnung der Schöffen) – nur die Pro-
naten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung aus- tokollierung der Feststellung der Kenntnisnahme fehlte und nur
gesetzt hat. diese daher dienstlich versichert wurde (BGH NStZ 2000, 47),
Der auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts fehlte hier schon die Feststellung selbst und wurde nur die
gestützten Revision des Angeklagten bleibt der Erfolg versagt, Kenntnisnahme dienstlich versichert. Die Begründung des 5. Se-
da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrecht- nat ist daher durchaus scharfsinnig. Die erstmalige Aufnahme
fertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten des Problems in die Amtliche Sammlung gerade an Hand dieses
ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Sonderfalles erscheint allerdings problematisch.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom Das fehlende Beruhen des Urteils auf diesem Verfahrensfehler
24. 4. 2009 bemerkt der Senat: bedarf angesichts des Umfangs der verwendeten Urkunden sehr
4 1. a) Die dienstlichen Äußerungen der Berufsrichter und eingehender Darlegungen (Rdn. 5–8).
Schöffen, vom Inhalt des Ordners »Selbstleseverfahren« (im Im übrigen fragt es sich, warum ein Verurteilter nach einer
Urteil: »Selbstleseverfahren I«) sehr wohl Kenntnis genommen Nichtprotokollierung der Gelegenheit zur Kenntnisnahme von
zu haben, obwohl in das Hauptverhandlungsprotokoll keine Urkunden besser dastehen soll als bei einer Nichtprotokollie-
dahin gehende Feststellung gemäß § 249 Abs. 2 S. 3 StPO auf- rung der Verlesung des Anklagesatzes. Damit bringt die genannte
genommen worden ist, sind für den Senat unbeachtlich. Eine Rechtsprechung die Entscheidung BGHSt 51, 298 erneut auf den
Berichtigung des Protokolls mit der Folge der »Verkümmerung« Prüfstand (abl. schon Schumann JZ 2007, 927; Hamm NJW 07,
der vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrüge wäre nicht 3166; Kudlich JA 2007, 822; Beulke StrafprozessR, 10. Aufl., 2008,
möglich gewesen (vgl. zu deren grundsätzlicher Zulässigkeit Rdn. 564 und aus verfassungsgerichtsverfahrensrechtlicher Sicht
die Beschlüsse des Großen Senats für Strafsachen vom das Sondervotum der Richter Voßkuhle, Osterloh und Di Fabio JZ
23. 4. 2007, GSSt 1/06 = BGHSt 51, 298, 308 ff. und des Bundes- 09, 681). Die Gründe des Gesetzgebers für die Regelung des § 274
verfassungsgerichts vom 15. 1. 2009, 2 BvR 2044/07 = NJW 2009, StPO (Hahn Mat. z. StPO, 2. Aufl., 1885, S. 257: Beeinträchti-
1469). Das Protokoll ist inhaltlich richtig, weil der zu protokol-
lierende Verfahrensvorgang der Feststellung über die Kenntnis-
nahme in der Hauptverhandlung tatsächlich nicht stattgefunden
hat. Auf Grund seiner negativen Beweiskraft hat der Senat damit
auch davon auszugehen, dass der Inhalt der Urkunden nicht zur
Kenntnis gelangt war (BGH NStZ 2000, 47; 2005, 160), soweit

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