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Ein Sonderdruck aus Automotive Materials 01/06

Selbst organisierende Nanotechnologie für das Automobil

Triebkraft Thermodynamik
Obgleich bekannt ist, dass durch Oberflächenmodifizierung im trix zu gefährden. Der Prozess der
Nanobereich sehr interessante neue Eigenschaften entstehen Selbstorganisation hat außerdem
können, lässt der große industrielle Durchbruch in der Nano - Auswirkungen auf die Rheologie.
technologie bisher noch auf sich warten. Das liegt vor allem (Ungehärtete) Duroplaste eignen
daran, dass das Aufspalten von Substanzen in Nanostrukturen sich so für die Verarbeitung mit
mit Hilfe industrieller Techniken noch nicht problemlos gelingt. herkömmlichen Thermoplast-
Werkzeugen. Diese Entwicklung
verschafft der Automobilindus-
trie Zugang zu einer neuen Tech-
nologie-Plattform.

„„ Blockcopolymere

S-B-M M-B-S S-B-M Ein Blockcopolymer ist ein Poly-


mer, das aus mehreren unter-
schiedlichen, chemisch unglei-
200 nm chen, kovalent verknüpften
Blocksegmenten besteht. Der
Abb. 1: Transmissionselektronenmikrosopische Aufnahme (TEM) eines SBM-Blockcopoly-
Mittelblock verträgt sich klassi-
meren (Durch selektive Kontrastierung mit Osmiumtetraoxid OsO4 erscheint B schwarz, S
scherweise nicht mit den End-
grau und M weiß): um die Oberflächenspannung zu verringern, bilden die sich abstoßenden
blöcken, so dass sich eine Struktur
Kräfte zwischen den einzelnen Blöcken eine selbst organisierte Struktur mit molekularen
mit molekularen Dimensionen
Dimensionen aus. Alle Abbildungen: Arkema
ausbildet, um die Oberflächen-
spannung zu verringern. Dies
spielt sich typischerweise in einer
Die Firma Arkema, Hersteller von für verschiedene nanometerskali- Größenordnung von Zehntel Na-
Nanoröhrchen, hat sich nun mit ge Makromoleküle vorstellen. Die nometern ab (Abb. 1).
der Einführung von Nano- Triebkraft dieses Prozesses der Thermodynamische Triebkräfte
strength, einer neuen Familie Selbstorganisation ist die Ther- sorgen für die spontane Ausbil-
selbst organisierender Produkte, modynamik. Sogar bei Blends dung einer Morphologie, die von
die Innovation der Welt der Na- führt diese Kraft dazu, dass sich den Verarbeitungsbedingungen
notechnik auf ihre Fahnen ge- jede mit einem der Blocksegmen- unabhängig ist. Je nach Mikro-
schrieben. Dank neuester Ent- te mischbare Substanz im Nano- struktur der Polymerkette, Mol-
wicklungen in der Polymertechnik bereich selbst organisiert. Das masse und Blocklänge lassen sich
kann Arkema nun eine neue, wie- führt zu einer positiven Verände- viele verschiedene Morphologien
derholbare Vernetzungsmethode rung des mechanischen Eigen- einstellen.
schaftsprofils und macht das Ver- Es existieren am Markt bereits be-
fahren zuverlässiger, ohne die in- kannte, durch anionische Polyme-
härenten Eigenschaften der Ma- risation entstandene Blockcopoly-
mere (z.B. Finaclear, Kraton SBS
Abb. 2: Epoxidmatrix mit 10% Nanostrength-Anteil. oder SEBS). Als Folge der mit der
Die verschiedenen Blöcke und die Matrix reagieren mit- lebenden Polymerisation von po-
einander. So bildet sich spontan eine Nanostruktur laren Monomeren einhergehen-
aus. Dadurch gelingt die perfekte Dispergierung der den Widrigkeiten bestand das
kleinen elastischen kugelförmigen Partikel von ca. 20 Hartsegment bisher ausschließlich
µm Durchmesser, was wiederum die Festigkeit von Du- aus unpolaren Monomeren, zu-
roplasten oder Faserverbunden im Kern ihrer Struktur meist aus Styrol.
erhöht. Kürzlich entwickelte Arkema zwei

Automotive
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auf der lebenden anionischen Po-


lymerisation und der kontrolliert
radikalischen Polymerisation ba-
sierende Techniken, die eine Syn-
these polarer Segmente (z.B. PM-
MA) ermöglichen. Es entstanden
zwei Familien: SBM (polystyrol-
block-poly 1,4-butadien-block-
poly[methylmethacrylat]) und
MAM (Poly[methylmethacrylat]-
block-poly[butylenacrylat]-block-
poly[methylmethacrylat]).
Die Herstellung von Blockcopoly-
meren mit polaren Segmenten
wie PMMA eröffnet völlig neue Abb. 3: Beispiel eines Zähigkeitsmechanismus: Das TEM zeigt das Aufreißen von Nano-
Anwendungsfelder für Blockco- strength-Partikeln an der fortlaufenden Rissoberfläche (Kavitation). Die Elastomere “op-
polymere in der chemischen fern” sich und kavitieren, um sich der Deformation der Matrix anzupassen und sie so vor
Industrie. Besonders interessant einem abrupten Zusammenfallen zu schützen.
ist in diesem Zusammenhang die
Entwicklung von Epoxidharzen,
zing und Partikelbrückenbildung plaste der Fall ist. Daraus resul-
bei denen der PMMA-Block die
sind drei im Zusammenhang mit tiert eine hohe Wiederholbarkeit
Mischbarkeit von Nanostrength
Duroplasten erwähnte Zähig- von Teil zu Teil, da der Endzu-
mit der Epoxidmatrix ermöglicht.
keitsmechanismen. Blockcopoly- stand nicht etwa das Ergebnis ei-
mere sind bemerkenswert, weil nes „Kampfes” zwischen Kinetik
„„ Selbstorientierung
die Nanodispersion mit Millionen und Thermodynamik ist, sondern
in der Nanotechnik
winziger elastischer, kugelförmi- es sich hier um ein echtes thermo-
ger, fest in der Epoxidmatrix ver- dynamisches Gleichgewicht han-
Tatsächlich ist Poly(methylmet- ankerter Partikel diese Vorgänge delt, das sich während des Aus-
hacrylat) mit den wichtigsten in sogar fördern. härtens in der Matrix einstellt.
der Industrie verwendeten Epo- Außerdem basiert die Festigkeits- Schließlich ist anzumerken, dass
xidvorläufern, wie Bisphenol-A- verbesserung durch Nanostruktu- die Verstärkungspartikel im Fall
diglycidylether (BADGE) misch- ren nicht auf der Phasentrennung, von Faserverbundwerkstoffen
bar. Im Gegensatz dazu sind Buty- wie es bei vielen anderen Schlag- weit kleiner sind als die vorhande-
lenacrylat und Butadien nur zähigkeitsverbesserern für Duro- nen Fasern oder Gewebeteile, so
schwerlich oder gar nicht löslich.
Sofort nach ihrer Auflösung bil-
100000
den Nanostrength-Blockcopoly-
mere ein Netzwerk aus kleinen der332
5%
elastischen kugelförmigen Parti- 10000
10%
keln aus, deren Größe durch das 15%
thermodynamische Gleichge- 1000
G', G'' Pa

wicht genau kontrolliert wird.


Dies führt oft zu einer besseren
100
Benetzung der PMMA-Bürsten
und der Kontakt zwischen Elasto-
mer und Epoxidharz reduziert 10

sich auf ein Minimum (Abb. 2).


Dieses Verfahren ermöglicht die 1
einfache und wiederholbare Her- -10 10 30 50 70 90 110 130 150 170 190
Temperature °C
stellung einer nanoskaligen Dis-
persion. Abb. 4: Bei einem Nanostrength-Anteil von 5% ähnelt das rheologische Verhalten des Epo-
Die Verformbarkeit von Polyme- xids noch immer dem flüssigen Aggregatzustand (in Rot). Bei 10% oder mehr zeigt die Mi-
ren liegt in ihrer Fähigkeit begrün- schung ein gelartiges Verhalten. Ab einer bestimmten Temperatur, bei der sich der Verlust-
det, Spannung und Dehnung zu und Speichermodul G’ und G’’ kreuzen, nimmt das System wieder ein flüssigkeitsähnliches
verteilen. Scherfließen, Multicra- Verhalten an.

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100000

der332
1A17
10000
10% SBM in epoxy 003
1A29 te Lösungsmorphologie zu einem
G‘, G'' (Pa) 1000 1A37 niedrigviskosen flüssigkeitsähnli-
chen Verhalten führt. Steigt die
Temperatur, nimmt die Ab-
100
stoßung zwischen Polystyrol, Po-
ly(butadien) und Epoxidharz oder
10 zwischen Poly(butylacrylat) und
Epoxidharz langsam ab. Bei einer
1 ausreichend hohen Temperatur
-10 30 70 110 150 190 230 nimmt die ungünstige Reaktion
Temperature (°C) dieser Polymerpaare miteinander
Abb. 5: Viskoelastische Eigenschaften von Nanostrength (SBM) in ungehärtetem Epoxid-
so weit ab, dass die thermodyna-
harz: Effekt von Nanostrength-Typen bei konstanter Beanspruchung
mische Triebkraft für die Nano-
phasenseparation nicht mehr vor-
handen ist.
dass sie nicht durch das Faserge- sigkeitsähnliches Aggregatverhal- Daher geht das System von einem
webe dringen können. Die Ver- ten. Bei einer Belastung von 10% geordneten Zustand in einen un-
stärkung ist gleichmäßig im ge- oder 15% ist ein deutlich elasti- geordneten Zustand über. Ein sol-
samten Werkstoff verteilt, dort sches Plateau für G’ und G” er- cher Übergang wird von der Ther-
wo sie den höchsten Nutzen er- kennbar, was auf ein feststoffähn- modynamik ausgelöst und ist völ-
zielt. Zusätzlich zu ihrer Funktion liches Aggregatverhalten hindeu- lig umkehrbar. Der Temperatur-
als zuverlässige und effiziente tet. Nur nach dem Erhitzen auf ei- bereich für diesen Übergang lässt
Verstärkungsmittel in einer stetig ne ausreichend hohe Temperatur sich durch Änderung der Molmas-
wachsenden Anzahl von Teilen, entspricht das Verhalten der Mi- se und der Blockvolumina in ei-
erweist sich das spezielle rheolo- schung dem einer flüssigen Lö- nem Bereich von Zimmertempe-
gische Verhalten von Nano- sung. ratur bis zu 200°C ansiedeln (Abb.
strength auch als Vorteil in der Eine solche Modifikation der vis- 5).
Verarbeitungstechnik: koelastischen Eigenschalten einer Daher können bei Anwendungen
Abb. 4 verdeutlicht das Ergebnis Mischung entstehen durch den wie Folien aus Epoxid/Nano-
einer dynamischen mechanischen Übergang des Nanostrength/ strength-Blends mit der gängigen
Analyse an ungehärteten Nano- Epoxidsystems von einem geord- thermoplastischen Verarbeitung-
strength/Epoxidharzmischungen neten in einem ungeordneten Zu- stechnik hergestellt werden. Diese
unter unterschiedlicher Beanspru- stand (order-disorder transition – können auf Kohlenstoff- oder
chung. Bei einer Beanspruchung ODT). Die Morphologie der ge- Glasgewebe aufgebracht werden:
von 5% zeigt das Gemisch bei ordneten Nanophasenseparation Beim Erhitzen schmilzt die Folie,
Raumtemperatur ein ähnliches ist für das hochfeste, festkör- durchdringt das Gewebe und här-
rheologisches Verhalten wie rei- perähnliche Verhalten verant- tet in seiner fertigen Form aus.
nes Harz, also ein typisches flüs- wortlich, während die ungeordne-
„„ Automobilteile aus
1E+4 DER 332 35°C
Epoxidharzen spritzgießen
RTM6 35°C
50%E40+50%DER 332 à 80°C
50%E40 + 50% DER332 à 60°C Durch Zusatz von Nanostrength
40%E40 + 60% DER332 à 70°C
1E+3 PS 4440 200°C erhalten Epoxidmischungen rheo-
PMMA V150 200°C
logische Eigenschaften, die das
Viscosity (Pa.s)

Spritzgießen dieser Werkstoffe


1E+2 erheblich erleichtert. Abb. 6 zeigt
beispielsweise, dass Epoxidmi-
schungen mit Nanostrength ein
1E+1 ähnliches Verhalten aufweisen
wie Polystyrol oder PMMA unter
gängigen Verarbeitungstempera-
1E+0 turen, wohingegen sich unmodifi-
1E+0 1E+1 1E+2 1E+3 1E+4 1E+5
zierte Epoxidmischungen auf
Shear Rate (s-1)
Grund ihres rheologischen Ver-
Abb. 6: Durch Nanostrength lassen sich Epoxidmischungen auch im Spritzguss verarbeiten haltens üblicherweise nicht ohne

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1E+1 1E+4
Eta 20°C
Eta 30°C

Viscosity (Pa.s)
Viscosity (Pa.s)

1E+0 1E+3

Eta 80°C
Eta 100°C

1E-1 1E+2
1E+0 1E+1 1E+2 1E-1 1E+0 1E+1 1E+2
Shear Rate (rad/s) Shear Rate (rad/s)

Abb. 7: Rheologisches Verhalten einer mit 5% Nanostrength modifizierten Epoxidmischung: Bei niedrigen Temperaturen nimmt die Visko-
sität in Abhängigkeit von der Schergeschwindigkeit ab, bei erhöhten Temperaturen zeigt das Verhalten eine geringere Abhängigkeit von der
Schergeschwindigkeit. Dieses spezielle rheologische Verhalten ist eine Schlüsselfunktion für einige der modernsten Faserwickel- und Spritz-
gießverfahren am Markt

weiteres für den Spritzguss eig- Zylinder als nützlich erweisen keit von der Scherrate bei Verfah-
nen. kann. Schließlich kann die Mi- ren wie der Faserwickeltechnik
Nanostrength hat genauer gesagt schung mit Nanostrength im Ge- oder beim Spritzgießen sogar in
sogar drei wichtige Vorteile für gensatz zu Thermoplasten auch geringen Konzentrationen (typi-
den Spritzguss. Die Viskosität der bei niedrigen Temperaturen ver- scherweise 3–15%) zu einer bes-
Epoxidmischung lässt sich so ver- arbeitet werden. So kommen bei- seren Verarbeitung des Materials.
ändern, dass beim Spritzgießen spielsweise reaktive Systeme oder Diese Abhängigkeit von der
eine hohe Produktivität und eine hitzeempfindliche Bestandteile Schergeschwindigkeit eignet sich
hohe Wiederholgenauigkeit er- zum Einsatz, die sich unter nor- hervorragend zur präzisen Kon-
zielt werden. Zweitens, wie auch malen Umständen nicht für den trolle der Epoxidschicht auf dem
Abb. 5 zeigt, kann durch Zufuhr Spritzguss eignen würden. Epo- Filament (dank der konstanten
eines geeigneten Nanostrength- xidmischungen können so einge- Viskosität im Imprägnierbad) und
Typen das Viskositätsprofil so an- stellt werden, dass sie bei 60 – als Schutz vor Spritzverlusten
gepasst werden, dass es beispiels- 80°C ein rheologisches Verhalten (dank der kombinierten Abhän-
weise über eine weiten Tempera- aufweisen, das dem Verhalten von gigkeit der Viskosität von der
turbereich gleich bleibt, was sich gängigen Thermoplasten bei Temperatur und Scherung bei
bei so genannten „hot spots“ im 200°C ähnelt. So können Additive Entnahme der Fasern).
wie Treibmittel zugeführt werden,
ohne dass sie unerwünschte Ver-
änderungen wie Abbaureaktio- www.arkemagroup.com
FAZIT
nen auslösen. Teile aus Epoxid-
schäumen (nicht reagiert und un-
geschäumt) können in dünnere Diese neue Familie von Blockcopolyme-
Selbst organisierende Nanostrength
Metallstrukturen eingesetzt und ren und deren Weiterentwicklung im Be-
Acryl-Blockcopolymere von Arkema sind
erst dann aufgeschäumt und reich Verbundwerkstoffe wäre ohne die
der Durchbruch in der Verarbeitung von
gehärtet werden, um diese zu ver- intensive Zusammenarbeit von Prof.
Epoxidmassen. Durch den selbst organi-
stärken. Die Metallstrukturen Leibler (ESPCI), Prof. Pascault (INSA)
sierenden Prozess entstehen in der Epo-
können dank dieser Vorgehens- und Prof. Pearson (Lehigh) nicht zustan-
xidmasse Nanodomänen mit bisher uner-
weise noch dünner ausfallen und de gekommen.
reichten physikalischen Eigenschaften.
Nanostrength bieten eine hohe Schlag- somit das Gewicht des fertigen
zähigkeit ohne negative Auswirkungen Teils weiter reduzieren, ohne des-
auf den Glasübergang und das Modul der sen Steifheit und Zähigkeit zu be- Dr. L. Gervat, Dr. N. Passade und
Epoxidmatrix. Es verbessert außerdem einträchtigen. Dr. T. Fine, Arkema, Paris
die Verarbeitungseigenschaften von Epo- Wie Abb. 7 verdeutlicht, führt die Kontaktadresse:
xidmassen. spezielle Rheologie von Nano- laurent.gervat@arkemagroup.com
strength durch seine Abhängig-

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