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17
Thomas E. Jackson
Primal Wonder – Ursprüngliches
Staunen
37
Taketo Tabata
Einen sicheren Ort schaffen:
103
Warum wir in Miyagi mit
Kindern philosophieren
Niels Weidtmann
55 Interkulturelle Gerechtigkeit und
die Praxis der Menschenrechte
Ezgi Emel
2 Philosophieren mit Kindern in
einer Demokratie in der Krise 117
Nausikaa Schirilla Jan Christoph Heiser
Editorial
75 Von Aneignungsmaschinen
und Selbstökonomisierungs
4
Amy Reed-Sandoval instanzen: Menschenbilder und
Interkulturelle Erkundung im Kompetenzgerede im Feld des
Britta Saal P4C-Klassenzimmer interkulturellen Lernens
Philosophieren mit Kindern Reflexionen über das Philosophieren Auch eine kritisch-»ganzheitliche«
weltweit mit Triqui-Kindern in Oaxaca de Antwort auf polylog 36/2016
Einleitung Juárez, Mexiko
138
10 89 Rezensionen
Anja Thielmann Tanu Biswas
170
Philosophy for Children (P4C): Philosophieren mit Kindern über
Wie alles begann Grenzen hinweg
Einleitung Eine childistische Perspektive Impressum
editorial
Editorial
Nausikaa Schirilla
polylog 37
Seite 3
Philosophieren mit Kindern weltweit
Einleitung I
Britta Saal
Für dieses Themenheft gilt es zunächst, auf Philosophieaffinität und ein mehr oder weni-
zwei Dinge etwas näher einzugehen: Wie pas- ger ausgeprägtes Potenzial zum Philosophie-
Britta Saal hat im Bereich in- sen Philosophie und Kinder zusammen? Und ren zugesprochen.1 Der Psychologe, Pädagoge
terkultureller Philosophie an der worin besteht der Zusammenhang dieser The- und Übersetzer einiger der Bücher von Gareth
Universität Bremen promoviert matik zu interkulturellem Philosophieren? Ich Matthews, Hans-Ludwig Freese, ist hier ganz
und ist Redaktionsmitglied von möchte hier gerne mit einer Assoziationskette eindeutig: Kinder sind Philosophen lautet der
polylog. Sie ist freiberuflich tä- beginnen: Philosophie beginnt mit Staunen – Titel seines Buchs von 1989.2 Und bei Karl
tig als Autorin und Lektorin und Kinder sind Philosophen – die Bewegung des Jaspers liest man: »Ein wunderbares Zeichen
philosophiert, neben Vortrags- kritischen Denkens – Sokratisches Gespräch dafür, daß der Mensch als solcher ursprüng-
und Fortbildungstätigkeiten, – in Gemeinschaft miteinander philosophie- lich philosophiert, sind die Fragen der Kinder.
mit Grundschulkindern in ren – Denkwerkzeuge – Emanzipation und
Wuppertal. Empowerment – Kinder als in verschiedene
Kulturen Hineinwachsende – Kinderkultur 1 Siehe hierzu Bettina Uhlig: Sind alle Kinder Phi-
und Erwachsenenkultur. losophen?, in: Bettina Uhlig und Ludwig Duncker
Zur Frage, inwieweit Kinder grundsätzlich (Hg.): Fragen – Kritik – Perspektiven. Theoretische Grund-
»Philosophen« seien, gibt es durchaus ver- lagen des Philosophierens mit Kindern, München: kopaed,
2016, S. 93–114.
polylog 37 schiedene Auffassungen. Allerdings werden
2 Hans-Ludwig Freese: Kinder sind Philosophen,
Seite 4 mehrheitlich den Kindern zumindest eine Weinheim/Berlin: Quadriga, 1989.
Einleitungen
[…] Wer sammeln würde, könnte eine reiche Lehre, sondern eine Tätigkeit« ist.5 Das heißt,
Kinderphilosophie berichten.«3 im Vordergrund steht das philosophierende
Während der US-amerikanische Philo- Subjekt, dem es nicht in erster Linie um die
soph Gareth Matthews – ganz im Sinne Jas- Ausarbeitung einer bestimmten Philosophie
pers’ – in den 1970er Jahren darauf hinweist, (als Gedankenkomplex), sondern um die ver-
dass Kinder ganz von sich aus ein Bedürfnis tiefende Reflexion einzelner Aspekte geht.
haben zu philosophieren (das jedoch leider Das Denken wird dabei als ein (letztlich unab-
nach und nach zurückgedrängt wird) und dass schließbarer) Prozess verstanden, der geprägt
daher Erwachsene mit Kindern philosophie- ist durch aktives Fragenstellen, Abwägen, das
ren sollten,4 war es der ebenfalls in den USA Einnehmen verschiedener Perspektiven etc.
beheimatete Philosophiedidaktiker Matthew Der Dialog bzw. Polylog ist dafür unabding-
Lipman, der im Zuge der Critical-Thinking-Be- bare Voraussetzung.
wegung hier einen eher didaktischen Ansatz Doch gehört ein solches philosophisches
verfolgte. Lipman befand es als gesellschaft- Tun mit Kindern nicht vorrangig in den Be-
lich wichtig und sogar notwendig, bereits reich der Pädagogik? Was hat die Fachphilo-
Kindern bestimmte Denkfertigkeiten nahe- sophie mit Kindern zu tun und was hätte sie
zubringen, die ihnen zu einem selbstständi- davon, sich mit diesem Tun näher zu befassen?
gen und kritischen Denken verhelfen sollen; Das Philosophieren mit Kindern bewegt sich
Anja Thielmann wird in ihrer Einleitung Lip in der Tat an der Schnittstelle zwischen Philo-
mans Ansatz etwas genauer vorstellen. In aller sophie und Pädagogik – und berührt darüber
Kürze kann man sagen, dass sich Lipmans di- hinaus auch die Psychologie und Kindheits-
daktisch orientierter Ansatz der philosophy for forschung. In der akademischen Welt sind es
children (P4C) an genau diesem Punkt – der auch vorrangig die Erziehungswissenschaften,
didaktischen Orientierung – von dem offe- die Angebote in diesem Bereich bereitstellen,
neren Ansatz des Philosophierens mit Kindern in und kaum die Philosophie bzw. Philosophiedi-
der Nachfolge Matthews’ unterscheidet. daktik. Es besteht jedoch für die Philosophie
In beiden Fällen steht allerdings gleicher- eine große Chance darin, von ihrer Seite aus
maßen das gemeinsame, sokratisch inspirierte mehr in das Philosophieren mit Kindern zu
philosophische Gespräch zwischen Erwachse- investieren. Nicht nur wird dadurch das phi-
nen und Kindern im Zentrum. Dabei ist das losophische Themenspektrum erweitert im
zugrundeliegende Philosophieverständnis ein Hinblick auf Aspekte der kindlichen Lebens-
aktives im Sinne einer Philosophie, die »keine welt, wie z.B. das Spiel. Durch Kinder wer-
den auch Gewissheiten hinterfragt und andere
3 Karl Jaspers: Einführung in die Philosophie, Mün-
chen/Zürich: Piper, 1953, S. 10-11.
konzeptuelle Aspekte in den Vordergrund ge-
4 Gareth Matthews: Philosophy and the Young 5 Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philoso- polylog 37
Child, Harvard University Press, 1980. phicus, Satz 4.112. Seite 5
Philosophieren mit Kindern weltweit:
rückt, die die (erwachsenen) Philosophinnen kunftsländer und -kulturen der Kinder auch
und Philosophen durchaus zum professionel- in den philosophischen Gesprächen, v.a. beim
len und anspruchsvollen Weiterdenken anre- Thema Religion und bei Fragen zu Armut und
gen können. Krieg, bemerkbar. Neben dieser lokalen In-
Außerdem erscheint es nicht nur sinnvoll, terkulturalität gibt es auch eine globale Inter-
sondern geradezu wichtig, das Philosophieren kulturalität des Philosophierens mit Kindern,
mit Kindern nicht nur der Pädagogik zu über- die sich nicht nur in der Tatsache zeigt, dass
lassen. Denn wer könnte besser die Freude und diese Aktivität weltweit in mehr als 50 Län-
Lust am Fragenstellen und Weiterdenken ver- dern praktiziert wird. Vielmehr ist sie auch
mitteln als diejenigen, die sich dieses zum Be- in den vielfältigen Umgangsweisen mit Lip
ruf gemacht haben? Hinzu kommt, dass, wie mans Ansatz zu sehen, der in den allermeisten
in der akademischen Welt, auch in der Schul- Fällen an die jeweiligen kulturellen Kontexte
bildung eine immer weiter fortschreitende angepasst oder teilweise deutlich umgestal-
MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Na- tet wird. Hinzu kommt, dass es neben den
turwissenschaft, Technik) dominierende Aus- vielen weltweit agierenden Kinder-Philoso-
richtung am Werk ist. Mit dem Engagement phiergruppen auch akademische Aktivitäten
für das Philosophieren mit Kindern kann die und gelegentlich auch regen Austausch gibt,
Philosophie ihre Sichtbarkeit und Relevanz, in deren Rahmen Philosoph/innen und Wis-
die bei der vorherrschenden MINT-Förderung senschaftler/innen anhand der jeweiligen Er-
leicht ins Hintertreffen gerät, deutlich erhö- fahrungen explizit interkulturelle Reflexionen
hen. Wir brauchen nicht nur die (natur)wis- in Bezug auf ihre philosophischen Tätigkeiten
senschaftliche Spielwiese, auf der die Kinder mit Kindern anstellen.
lernen, zu experimentieren, sondern gerade In meinem eigenen, 2016 initiierten Projekt
auch die frühe Einübung in selbständiges, kri- des Kinderpolylogs war die leitende Idee, der
tisches und kreatives Denken, damit die Kin- interkulturellen Dimension der Kinderfragen
der, wenn sie dann erwachsen geworden sind, und -reflexionen nachzugehen. Leitfragen wa-
stetig weiterfragen; Philosophieren ist eine ren hier unter anderem: Welche Fragen bzw.
Kulturtechnik.6 welche Art von Fragen, stellen die Kinder in
Das Philosophieren mit Kindern ist in ers- den jeweiligen kulturellen Kontexten? Gibt es
ter Linie ein lokales, orthaftes Projekt. Jedoch Fragen, die Kinder überall gleichermaßen in-
zeigt sich bereits hier, in den lokalen Klas- teressieren? Gibt es ganz spezifische Fragen?
sen- bzw. Gruppenzusammenstellungen, eine Wie, mit welchen Mitteln, Bildern, Argu-
erste interkulturelle Dimension. So machen menten denken Kinder jeweils nach? Dieses
sich schnell die zahlreichen familiären Her- bis jetzt sehr kleine Projekt, bei dem Kinder
polylog 37 6 Siehe hier auch Ekkehard Martens: Philosophie- aus lokalen Gruppen in Wuppertal und Ho-
Seite 6 ren mit Kindern, Stuttgart: Reclam, 1999. nolulu sich aktiv und grenzüberschreitend mit
Einleitungen
den Fragen der anderen Kinder beschäftigen, schiedenen Kontexten und mit verschiedenen
fand sehr großen Anklang und soll auf jeden Schwerpunktsetzungen vor. Dabei ist der
Fall fortgesetzt und ausgeweitet werden. Kul- Stil vorwiegend essayistisch und auch narra-
turell spezifische Fragen konnte ich bisher tiv gehalten, was nicht ausbleibt, wenn die
nicht ausmachen. Jedoch sind eine deutliche Perspektive der Kinder und auch die jeweili-
Erweiterung des Horizonts und die Eröffnung gen Kontexte miteinbezogen werden sollen.
eines interkulturellen Denkraums der Kinder Sich als philosophierende Erwachsene durch
zu erkennen. Nach wie vor wird in der Mut- Kinderreflexionen und die entsprechenden
ter- bzw. Gesellschaftssprache philosophiert, Gruppenkontexte zu weiteren Reflexionen
jedoch ist die Einstellung und Haltung im anregen zu lassen heißt, nach Möglichkeiten
Umgang mit den anderen Fragen der anderen zu suchen, diese Inspirationsquellen zu ‚zitie-
Kinder grundsätzlich offen und unvoreinge- ren‘. Daher mag der hier anzutreffende Stil aus
nommen und durch Neugierde geprägt. Hier streng philosophischer Sicht etwas ungewohnt
eröffnet gewissermaßen der lokale Ort den erscheinen, er entspricht jedoch dem – nicht
Inter-Raum: Der Ort wird interkulturell und nur in interkultureller Hinsicht – grenzüber-
global gestaltet durch das In-Beziehung-Treten schreitenden Thema des Philosophierens mit
verschiedener lokal philosophierender Kin- Kindern.
dergruppen. Diese Beziehung bewirkt eine Thomas Jackson geht in seinem Beitrag der
deutlich erkennbare und gelebte Raumeröff- Frage nach, wann eigentlich das Staunen, das
nung, und zwar genau in dem Moment, indem ja als Ursprung der Philosophie gilt, genau
der Polylog einen Ort findet, also Statt-findet. beginnt. Wenn man davon ausgeht, dass nicht
Kurz zusammengefasst sind es drei Basi- wenige Fragen der Kinder aus diesem Stau-
saspekte, die sowohl beim Philosophieren mit nen heraus erwachsen, stellt sich diese Frage
Kindern als auch beim interkulturellen Phi- fast zwangsläufig. Für Jackson ist das Staunen
losophieren besonders betont werden und in bereits bei der Geburt anwesend, und er be-
beiden Fällen gewissermaßen eine Korrekti- zeichnet dieses als ‚ursprüngliches Staunen‘.
vfunktion im Hinblick auf das etablierte, im Dieses ursprüngliche Staunen ist für ihn vor-
europäisch-abendländischen Kulturraum ver- sprachlich und vorkulturell und bietet daher
ortete Philosophieverständnis beanspruchen: nicht nur die Grundlage für das Philosophie-
1) die grundsätzliche Auffassung von Philoso- ren, sondern für interkulturelles Verstehen
phie als Tätigkeit, 2) der Stellenwert der Ge- überhaupt. Der Beitrag ist gleichzeitig eine
meinschaft und des Dialogs bzw. Polylogs und Beschreibung des hawaiianischen Ansatzes des
3) eine Haltung der Offenheit. p4c und gibt konkrete Einblicke in dessen in-
Die hier versammelten Beiträge führen terkulturelle Dimension.
eine solche aktive, gemeinsame und offe- Der Beitrag von Taketo Tabata baut in ge- polylog 37
ne Interaktion über Grenzen hinweg in ver- wisser Weise auf Jacksons Beitrag auf. Zwi- Seite 7
Philosophieren mit Kindern weltweit:
schen Hawai’i und Japan gibt es seit einiger qui-Kindern in Mexiko über Marginalität,
Zeit regen Austausch in Bezug auf p4c. Ta- Indigenität und Rassismus zu philosophieren.
bata bringt das Philosophieren mit Kindern Der Artikel wurde deshalb für die Überset-
in direkten Bezug zur Dreifachkatastrophe zung ausgewählt, weil hier die Kinderper-
in Japan im März 2011. Damit erscheint die spektive etwas zum Vorschein kommt, die
Krise als Beginn des Philosophierens, die m. E. durchaus wichtig und relevant ist. Auch
durch die Erschaffung und Gestaltung eines kreisen Reed-Sandovals Überlegungen um die
sicheren Orts und die Kultivierung von ge- Beziehung zwischen Gesprächsleitung und
meinschaftlichen philosophischen Gesprä- Kindern, gerade wenn diese nicht nur auf kul-
chen erlöst werden kann. Auch hier werden turellen, sondern auch sozio-ökonomischen
Erfahrungsberichte und damit die konkrete, und durch Rassismus und Unterdrückung
lebensweltliche Dimension in die Reflexion geprägten Unterschieden beruhen. Diesen
eingeflochten. Aspekt der Positionalität des Philosophierens
Der Aspekt der Krise spielt auch im Beitrag mit Kindern behandelt sie auch in anderen Ar-
von Ezgi Emel eine wichtige Rolle. Als Philo- tikeln und spricht dabei von einer »place-based
sophin und praktizierende Gesprächsleiterin philosophy«.7 Neben der interkulturellen Fra-
mit Kindern stellt sie sich die grundsätzliche gestellung ist damit auch eine postkoloniale
Frage, inwieweit es überhaupt sinnvoll ist, das Dimension des Philosophierens mit Kindern
grundsätzlich demokratisch orientierte Pro- angesprochen, die in der Tat weiter reflektiert
gramm des P4C in einem Land zu vermitteln, werden muss. Auch wenn dieser Beitrag in
das sich, wie die Türkei, seit einigen Jahren erster Linie als Erfahrungsbericht zu lesen ist,
kontinuierlich in eine diktatorische und to- so birgt er durchaus sehr viel weiteres Reflexi-
talitaristische Richtung entwickelt. Nach onspozential – sowohl für die Theorie als auch
einer generellen kritischen Einordnung des für die Praxis.
Lipman’schen Ansatzes und der persönlichen Einen ganz neuen Aspekt der Interkultura-
Schilderung einer beruflichen Krise im Um- lität bringt Tanu Biswas in die Diskussion. Vor
gang mit P4C erfolgt ein Plädoyer für Philoso- dem Hintergrund der Childhood Studies spricht
phie und das Philosophieren mit Kindern als sie Kindern eine eigene Kultur zu, von der
emanzipatorisches Projekt. aus sie die Erwachsenenwelt betreten und der
Der Aspekt des Empowerments von Kin- Erwachsenenkultur begegnen. Biswas dreht
dern ist auch ein wichtiger Aspekt bei Amy außerdem die gängige Perspektive um, nach
Reed-Sandoval. In ihrem Erfahrungsbericht,
bei dem es sich um die Übersetzung eines 7 Siehe z.B. Amy Reed-Sandoval: The Oaxaca
Philosophy for Children Initiative as Place-Based Philosophy:
2014 veröffentlichten Artikels handelt, schil-
Why Context Matters in Philosophy for Children, in: Hispa-
polylog 37 dert sie, wie sich ihr fast zufällig und nicht nic/Latino Issues in Philosophy, Newsletter der Ameri-
Seite 8 gesteuert die Möglichkeit eröffnete, mit Tri- can Philosophical Association, Vol. 14, No 1, S. 9–12.
Einleitungen
der Erwachsene die Lehrenden und Kinder Das gemeinschaftliche Philosophieren mit
die Lernenden sind. Sie erkundet, inwieweit – oder auch im Sinne Biswas’ – bei Kindern ab
Erwachsene von Kindern – gerade auch auf dem Grundschulalter ermöglicht den Kindern
philosophischer Ebene – lernen können und das Einüben in selbstständiges Denken und
erachtet dabei das Spiel als einen menschli- die Entwicklung einer selbst- und verantwor-
chen Seinsmodus, in dem neue Bedeutungen tungsbewussten Geisteshaltung. Den Erwach-
geschaffen werden können. Indem Erwachse- senen ermöglicht es das Einüben in Offenheit
ne mit Kindern spielen und dabei, während sie und die Wieder- oder Neuentdeckung von
sich auf die kindliche Erlebniswelt einlassen, »Wunderfragen«.8 Es beinhaltet damit nicht
ihren eigenen Bedeutungshorizont verlassen, zuletzt die Förderung demokratischer Kom-
besteht die Möglichkeit, philosophisch zu petenzen, die Förderung von Chancengleich-
denken. Es ist also nicht nur das gemeinsame heit und die Förderung von gleichberechtigter
Gespräch, das zu philosophischen Erkenntnis- Dialogfähigkeit – und zwar auf beiden Seiten.
sen führen kann, sondern auch das gemeinsa- All dies sind unabdingbare Voraussetzungen
me Spielen. für polyloges interkulturelles Philosophieren.
Anja Thielmann
»1969, ich war Professor für Philosophie an finieren, mitverfolgte, wurde mir klar, dass
der Columbia Universität und hielt bereits dies nicht innerhalb der Institution geschehen
Anja Thielmann hat Erzieh einige Jahre Einführungslehrveranstaltun- kann. Lehrende wie Studierende kamen alle
ungswissenschaften an der gen für Logik, als ich begann, mir ernsthaft aus dem gleichen Bildungssystem. Wie also
Universität Innsbruck studiert Gedanken über deren Nutzen zu machen. Ich sollte sich das Verhältnis zwischen Lehrenden
und ein Auslandssemester an hatte bereits ähnliche Zweifel, als ich selbst und Studierenden ändern, wenn sich bereits
der Montclair State University noch Student war, da ich das ›Fach‹ nicht son- ein sehr eingefahrenes bzw. eingelerntes Mus-
in New Jersey verbracht. Sie hat derlich interessant fand. Ich habe mich ge- ter im Verhältnis Lehrende-Lernende gebildet
in Philosophie promoviert und fragt, welchen Vorteil bzw. Mehrwert sich die hatte? Wie könnte dies aufgebrochen werden?
ist aktuell tätig an der Pädago- Studierenden verschaffen, wenn sie sich mit Oder anders ausgedrückt, wie konnte ich mei-
gischen Hochschule in Wien am den verschiedenen Bereichen der Logik ausei- ne Studierenden dazu anregen mit mir über
Institut für Berufsbildung. nandersetzen. Verhilft ihnen das Studium der Logik zu diskutieren?
Logik dazu, besser argumentieren zu können? In dieser Zeit bot sich mir die Gelegen-
Sicherlich haben auch die Studentenbewe- heit einer Unterrichtsmitschau bei Kindern
gungen der 1968er-Jahre zu meinem Unbeha- mit geistigen Einschränkungen. Eine Unter-
gen beigetragen, dass das, was ich tat, für mich richtspraktikantin bemühte sich, ihnen die
polylog 37 unbefriedigend war. Da ich den unbeholfenen gelesenen Wörter in einen Zusammenhang
Seite 10 Versuch der Universität, sich selbst neu zu de- zu bringen. Das Problem war, dass die Kin-
Einleitungen
der die einzelnen Worte zwar lesen, jedoch Logik entdecken, Gegensätze finden und sich
nicht den Sinn erfassen konnten. Ich gab ihr darüber austauschen. In der Geschichte pro-
den Tipp, es mit Aufzeichnen von logischen bieren die Kinder anhand von verschiedenen
Folgerungen zu versuchen. Einige Zeit später Sätzen das Entdeckte aus und erkennen, dass
bekam ich die Rückmeldung, dass der Tipp die von ihnen entdeckten Regeln nicht immer
hilfreich war. Ich schlussfolgerte daraus, dass anwendbar sind. Dennoch geben sie nicht auf,
Kinder, wenn sie frühzeitig dazu angehalten suchen weiter, verfeinern ihre Regeln und pro-
werden zu überlegen und logisch zu folgern, bieren sie erneut aus. Am Ende der Geschichte
sie zukünftig davon profitieren würden. Aus bietet sich den Kindern eine Möglichkeit, ihre
diesen Überlegungen kristallisierte sich eine Erkenntnisse in einer Nicht-Schul-Situation
Kernfrage heraus: Ist es möglich, Kindern zu anzuwenden und siehe da, es funktioniert!
helfen, ihre Denkfertigkeiten zu verbessern? Harry Stottlemeier’s Discovery war geboren!«2
Es besteht kein Zweifel, dass Kinder genauso Der amerikanische Philosoph und Philoso-
natürlich von sich aus denken, wie sie spre- phiedidaktiker Matthew Lipman (1922–2010)
chen und atmen. Aber wie könnte man sie gilt zu Recht als Pionier im Bereich der Phi-
dazu bringen, ›besser‹ zu denken? losophy-for-Children-Bewegung. 1969 erschien
Mir kam die Idee einer Kindergeschichte. sein bahnbrechendes Buch Discovering Philoso-
Aber welche? Sicher nicht so eine, die einen phy, und 1974 gründete er das Institute for the
allwissenden Erwachsenen darstellt, der dem Advancement of Philosophy for Children (IAPC)
dummen kleinen Kindervolk den Unterschied am Montclair State College in New Jersey.
zwischen gutem und schlechtem Denken er- Harry Stottlemeier’s Discovery3 war die erste
klärt. Nein, es musste etwas sein, was junge einer ganzen Reihe von Philosopical Novels4 und
Menschen für sich selbst entdecken, mit nur
einer kleinen Hilfestellung der Erwachsenen. 2 Matthew Lipman: On writing a Philosophical
In der Geschichte müsste sich eine kleine For- Novel, in: Ann M. Sharp und Ronald F. Reed (Hg.):
Studies in Philosophy for Children. Harry Stottlemeier’s
schergemeinschaft1 finden, in der alle Prota-
Discovery with Sources and References by Matthew Lip-
gonist/innen sich in unterschiedlichem Maß man, Philadelphia: Temple University Press, 1992,
an der Suche und Forschung von effektiverem Übersetzung A.T.
Denken beteiligen und sich miteinander aus- 3 Der Buchtitel bzw. Name des jungen Protago-
tauschen sollten. Für die Handlung der Ge- nisten ist lautmalerisch an den Namen »Aristotle«
schichte wählte ich als Modell eine Forscher- angelehnt.
4 Zu den von Matthew Lipman herausgegebenen
gemeinschaft, in der die Kinder die Regeln der
Lehrmaterialien gehören folgende Werke, alle er-
1 Der Ausdruck Community of Inquiry (CI) wird schienen bei Montclair State College, New Jer-
hier als Forschergemeinschaft übersetzt. Die CI ist sey, The First Mountain Foundation, IAPC: Harry polylog 37
ein zentraler Punkt des P4C-Programms. Stottlemeier’s Discovery, 1974 (2nd edition 1980) – Lisa, Seite 11
Philosophieren mit Kindern weltweit:
Handbüchern mit Lehrmaterialien, welche und zeigen auf, wie es sein könnte, Teil einer
Lipman verfasste und die in mehrere Sprachen Gemeinschaft zu sein, in der Kinder ihre eige-
übersetzt wurden. Lipmans Methode wird in nen Interessen und Ideen haben und imstande
der UNESCO-Studie von 2007 als »die mit sind, gemeinsam etwas zu erforschen; und das
dem größten Einfluss auf die Entwicklung von nur auf Grund der eigenen Motivation, ein-
P4C weltweit«5 bezeichnet. fach weil sie Spaß daran haben, etwas Neues
In dem von Lipman/Sharp/Oscanyan ver- zu entdecken!
fassten Buch Philosophy in the Classroom,6 wird Ebenfalls wird in den Philosophical Novels
Lipmans (Unterrichts)methode sowie die veranschaulicht, dass eine »gedankenvolle«
Umsetzung eines philosophischen Dialogs in Diskussion per se keine leichte Aufgabe ist und
der Community of Inquiry, beschrieben. Lipman es allgemein schwer fällt, sich auszudrücken,
stellte fest, dass Kindern und Jugendlichen wenn es darum geht, seine eigenen Gedanken
oft schlicht und einfach Diskussionsvorbilder laut auszusprechen. So bedarf es auch eines
fehlen, an denen sie sich orientieren können. gewissen Maßes an Übung, um einerseits die
Selten werden ihnen zuhause oder in ihrem Kunst des Fragenstellens zu festigen und die
Umfeld Modelle angeboten, die sie zum Nach- eigene Meinung zu vertreten und zu begrün-
denken animieren und/oder anregen. Das von den. Andererseits wird von den Teilnehmer/
Lipman entwickelte P4C-Programm bietet innen der Forschergemeinschaft verlangt,
solche Dialogmodelle in den Philosophical No- dass sie eine Zuhör- und Reflexionsbereit-
vels an und zeigt die Interaktion von Kindern schaft entwickeln. Bildungswissenschaftlich
und Erwachsenen gemeinsam in einer Grup- gesehen, ist das herausragendste Merkmal des
pe als Forschende. Diese Dialogmodelle sind P4C-Programmes, dass es ein Modell anbie-
weder autoritär noch belehrend, sondern re- tet, wie Kinder voneinander lernen können.
spektieren die Werte des Forschens und Be- Laut Lipman sollten P4C-Einheiten immer
gründens, ermutigen das Entwickeln zu alter- in fünf Stufen ablaufen:
nativen Gedankenansätzen und Vorstellungen 1. Anbieten des Textes: Als Grundlage dienen
die bereits mehrfach angesprochenen Philo-
1976 – Suki, 1978 – Mark, 1980 – Pixie, 1981– Kio and
Gus, 2nd edition, 1986 – Elfie, 1988– Nous, 1996.
sophical Novels, welche die Leser/innen zum
5 Deutsche UNESCO-Kommission e.V. (DUK) Nachdenken und Kreieren von Fragen anre-
(Hg.): Philosophie – eine Schule der Freiheit. Philosophie- gen sollen.
ren mit Kindern weltweit und in Deutschland. Abrufbar 2. Erarbeiten eines Ablaufes: Alle Fragen
unter: https://www.unesco.de/fileadmin/medien/ werden gesammelt. Im Anschluss wird ge-
Dokumente/Wissenschaft/Philosophie-eine-Schule- meinsam darüber abgestimmt, in welcher
der-Freiheit.pdf
6 Matthew Lipman/Ann Margaret Sharp/Frede-
Reihenfolge sie von der Community of Inquiry
polylog 37 rick S. Oscanyan: Philosophy in the Classroom, Phila- bearbeitet werden sollen. Die Agenda dient als
Seite 12 delphia: Temple University Press, 1980. Index dafür, was in Bezug auf diesen Text als
Einleitungen
wichtig erachtet wird, und ist ein Ausdruck öffnen. Übergreifende regulative Ideen, wie
der kognitiven Bedürfnisse der Gruppe. Wahrheit, Gemeinschaft, Persönlichkeit,
3. Festigen der Gemeinschaft: Der Schwer- Schönheit, Gerechtigkeit und Güte, sollen die
punkt liegt im gemeinsamen Arbeiten an der Gemeinschaft fesseln.
Gemeinschaft und deren Festigung. Meinun- 5. Ermuntern zu weiteren Reaktionen: Schluss
gen können artikuliert werden, und durch endlich sollen die Teilnehmer/innen dazu er-
Nachfragen bei Unverständnis u.ä. signalisiert mutigt werden, sich in alternativen Formen,
die Gruppe, dass sie um Verstehen bemüht ist. wie Zeichnungen, Malereien, Gedichten o.ä.,
Gemeinsam sollen kognitive Fähigkeiten ent- auszudrücken. Der Zusammenhang zwischen
wickelt werden, wie z.B. Voraussetzungen, dem Kritischen und Kreativen mit dem In-
Annahmen, Verallgemeinerungen erkennen dividuum und dem Gemeinschaftlichen soll
oder Erläuterungen finden. Darüber hinaus verstanden werden, und das Verstehen von Be-
soll erlernt werden, wie man sich kognitiver deutung soll zelebriert und vertieft werden.
Werkzeuge bedient, wie z.B. Gründe nennen, All dies zielt auf das Stärken des Urteilsver-
Kriterien erstellen, Konzepte entwickeln, Al- mögens ab.7
gorithmen bilden, Regeln aufstellen und sich Zusammenfassend kann man sagen, dass
an Richtlinien halten. All dies soll gemein- die Intention des p4c-Programmes auf über-
sam in kooperativen Gedankengängen und geordneter Ebene darauf abzielt, Kindern zu
Schlussfolgerungen geschehen. Dazu zählen: helfen, selbstständig zu denken oder anders
auf den Ideen anderer aufbauen, Gegenbei- ausgedrückt: ihnen Mut zu machen, sich ihres
spiele aufzeigen oder alternative Hypothesen eigenen Verstandes zu bedienen!
anbieten. Wichtig dabei ist das Instrument des Dank Matthew Lipman und Ann M. Sharp8
Sich-gegenseitig-Korrigierens, um sich und den beschäftigen sich zu Beginn des 21. Jahrhun-
anderen die Möglichkeit zu geben, systema- 7 Vgl. Anja Thielmann: Interkulturell orientierter
tisch und selbst-korrigierend zu agieren. Eng Polylog und Philosophy for Children-Dialogue. Gemeinsam-
damit verbunden ist eine ansteigende Sensibi- keiten und Differenzen, 2017 (Dissertationsschrift, Uni-
lität gegenüber bedeutenden Nuancen kontex- versität Wien).
8 Ann Margret Sharp (1942–2010) war Associate
tueller Unterschiede. Director des IAPC und Professor of Education am
4. Verwenden von Übungen und Diskussionsplä- Montclair State College. Sie war unter anderem Co-
nen: Zu den selbst erarbeiteten Fragen sollen Autorin gemeinsam mit Matthew Lipman und Fre-
auch Fragen der akademischen Tradition vor- derick S. Oscanyan von Philosophy in the Classroom wie
gestellt werden, ohne darauf zu verweisen, auch der Handbücher zu Harry Stottelmeier’s Discovery,
welche philosophische Position dahinter steht. Pixie, Kio and Gus und Elfie. Ihr Schwerpunkt lag in
der Lehrer/innenausbildung, und ihren wissenschaft-
Die Fragen sollen als Modell der Aneignung
lichen Fokus legte sie auf die self-correcting classroom
einer Methode bzw. einer Disziplin dienen community of inquiry, die sie gemeinsam mit Lawrence polylog 37
und andere philosophische Alternativen er- Splitter in Teaching for Better Thinking. The Classroom Seite 13
Philosophieren mit Kindern weltweit:
Kinder sind noch frei von unmittelbarem steht die Fähigkeit von Kindern zum kritischen
Handlungs- und Leistungsdruck und können Denken und das Bestreben, sie zu solchem
die Fertigkeit des eigenen Vernunftgebrauchs Denken anzuregen und zu fördern, im Vorder-
spielerisch trainieren. Dabei sind Wissbegier- grund. Ein Denken, das über die Schranken
de und Freude an spielerischem, großzügigem der Gewohnheit und Routine hinausgeht, er-
und phantasiereichem Denken Voraussetzun- fordert Interesse an geistiger Tätigkeit an sich.
gen dafür, das eigene praktische Leben freier
und fortschrittlicher gestalten zu können. In
seinem Buch Demokratie und Erziehung (1916)
Philosophy for
spannt Dewey den Bogen von der Erziehung
Children-Dialogue
als Lebensnotwendigkeit über Erfahrung und Dass die Philosophie im Staunen und Wun-
Denken bis hin zu verschiedenen Unterrichts- dern beginnt, ist uns seit Platon bekannt, aber
fächern und der »persönlichen Methode«.12 wie soll man die Kunst der Philosophie – das
In seiner Einführung in die Philosophie von Philosophieren – erlernen, wenn man die
1953 schreibt Karl Jaspers (1883– 963): »Ein Philosophie nicht als Tätigkeit ausübt?14 Das
wunderbares Zeichen dafür, daß der Mensch vernünftige Gespräch oder das Nachdenken
als solcher ursprünglich philosophiert, sind mit Kindern, wie Locke es beschreibt, kann
die Fragen der Kinder. […] Wer sammeln als Vorstufe des eigentlichen Philosophierens
würde, könnte eine reiche Kinderphiloso- verstanden werden. Anders als zu Lockes
phie berichten. […] Kinder besitzen oft eine Zeiten, in denen dieser entgegen der vorherr-
Genialität, die im Erwachsenenalter verlo- schenden Konvention die Eltern aufforderte,
rengeht. Es ist, als ob wir mit den Jahren in ihre Kinder zum Fragenstellen zu ermutigen,
ein Gefängnis der Konventionen und Meinun- ist es heute vielleicht anders als zu Zeiten der
gen, der Verdeckungen und Unbefragtheiten Aufklärung. Kinder und Jugendliche stellen
eintreten, wobei wir die Unbefangenheit des Fragen, ohne als ungehorsam zu gelten und
Kindes verlieren. Das Kind ist noch offen im dennoch muss den Fragen der Kinder und Ju-
Zustand des sich hervorbringenden Lebens, es gendlichen Raum gegeben werden. Wird den
fühlt und sieht und fragt, […].«13 Fragen und der Möglichkeit der Suche nach
Wie Jaspers geht auch Lipman davon aus, Antworten keine Aufmerksamkeit geschenkt,
dass Kinder philosophieren können, und so so können Kinder und Jugendliche auch nicht
lernen zu philosophieren. Das heißt, wenn
12 John Dewey: Demokratie und Erziehung. Eine wir die Kinder nicht an eine Kultur des ge-
Einleitung in die philosophische Pädagogik, Weinheim/ meinschaftlichen Fragens und Forschens her-
Basel: Beltz Verlag 1993.
13 Karl Jaspers: Einführung in die Philosophie. Zwölf
anführen, werden sie nicht lernen, sich gegen-
Radiovorträge, München/Zürich: Piper, 1989, S. 10– 14 Vgl. Ludwig Wittgenstein: Tractus logico-philo- polylog 37
11. sophicus, Satz 4.112. Seite 15
Philosophieren mit Kindern weltweit
seitig Fragen zu stellen, Begriffe zu definieren auch nicht korrekt denken und in Folge nicht
und rational zu argumentieren, wenn andere philosophieren. Dem liegt die Annahme zu
nicht ihrer Meinung sind. Grunde, dass Gedanken in Ermangelung von
Lipmans Konzept des P4C-Dialogue setzt auf Sprache nicht formuliert werden könnten.
das gemeinsame Entwickeln von Fragen und Dieser Sichtweise steht das Argument gegen-
Suchen nach Antworten und wird zur Arti- über, dass sich Denken nicht chronologisch
kulation und zum Austausch des Selbstgedach- vor der Sprache entwickelt, sondern dass diese
ten in der Community of Inquiry genutzt. Durch Entwicklung simultan verläuft. Sprache wird
diese Methode lernen die Kinder und Jugend- demnach nicht nur als Ausdruck und Aus-
lichen, »[…] ihre eigenen Gedanken besser formulierung von Ideen verstanden, sondern
auszudrücken und zu verstehen, einander zu- als ein Instrument, um Ideen über die Welt
zuhören, sich wechselseitig zu respektieren, gedanklich zu kategorisieren, zu organisieren
unterschiedliche Auffassungen zu erkennen und diese dann sprachlich zum Ausdruck zu
und argumentativ zu bearbeiten sowie offene bringen. Da der P4C-Dialogue mündlich voll-
Fragen auszuhalten […].«15 zogen wird, kann eine wechselseitige Steige-
Das Konzept des P4C-Dialogue kann somit rung von Sprach- und Denkkompetenz beob-
in dreierlei Hinsicht als bedeutend betrachtet achtet werden, selbst bei Kindern, die noch
werden: 1. in psychologischer Hinsicht, z.B. nicht lesen und schreiben können.
mit Blick auf die Stärkung des Vertrauens in- Ausgehend von Lipmans, in Zusammenar-
nerhalb der Gruppe, 2. in pädagogischer Hin- beit mit dem IAPC, entwickelter erster fun-
sicht, z.B. mit Blick auf die Vermittlung einer dierter und methodisch Lehrmethode haben
Kultur des gemeinschaftlichen Fragens und sich mittlerweile, mehr als 40 Jahre später,
Forschens – im Sinne der Community of Inquiry verschiedene Ansätze entwickelt, und es wur-
und 3. in didaktischer Hinsicht, wie z.B. die den ebenso viele Diskussionen auf dem Gebiet
Setzung philosophischer Ziele mit Blick auf der Philosophy for Children ausgelöst. Ein paar
die intellektuellen Anforderungen eines phi- Einblicke bieten die folgenden fünf Beiträge
losophischen Gesprächs. dieses polylogs. Als Einstimmung möchte ich
Ein Argument, das oft gegen die P4C-Be- hier mit der im hawaiianischen Ansatz übli-
wegung verwendet wird, ist die Begrenztheit chen Ausgangsfrage schließen: »What do you
der Sprache von Kindern und Jugendlichen. wonder about?«
Wer nicht korrekt sprechen könne, könne