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Drei „ökumenische“ Jesusgebete: Komm, Herr Jesu, sei unser Gast Jesu, dir leb ich Die

Seele Christi heilige mich: Forschungen zur evangelischen Gebetsliteratur VII


Author(s): Frieder Schulz
Source: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie , 1992/93, Vol. 34 (1992/93), pp. 1-21
Published by: Vandenhoeck & Ruprecht (GmbH & Co. KG)

Stable URL: https://www.jstor.org/stable/24207748

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Drei „ökumenische" Jesusgebete
Komm, Herr Jesu, sei unser Gast
Jesu, dir leb ich
Die Seele Christi heilige mich
Forschungen zur evangelischen Gebetsliteratur VII

Von Frieder Schulz

Zu den am weitesten verbreiteten, auswendig verfügbaren deutschsprachigen


Gebeten gehört das folgende Reimgebet zum Beginn der gemeinsamen Mahlzeit:
Komm, Herr Jesus, sei unser Gast
und segne, was du uns bescheret hast.1
Sowohl evangelische2 wie katholische3 Gebet- und Gesangbücher haben diesen
Text neben anderen Tischgebeten aufgenommen. Wo er in Tischgebetsammlungen4
fehlt, ist er wegen seiner Bekanntheit gar nicht mehr abgedruckt worden.
Erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts taucht das Gebet in der evangelischen
Gebetsliteratur auf, und zwar stets ohne Angabe des Verfassers.5 Eine der Lieder
sammlungen, die in dieser Zeit als Beitrag zur Gesangbuchreform erschien, enthält den

1 Auch in der Fassung: ... und segne uns und was du uns bescheret hast.
2 Regionale Textteile sämtl. Ausg. des EKG seit 1950; Vorentwurf des neuen Ev. Gesangbuchs.
1988, Nr. 836; Gebetbuch für alle Tage. Hrsg. von Kurt Pfeifle. Stuttgart, 1951, S. 138; Die schönsten
Gebete der Welt. Hrsg. von Christoph Einiger. München, [1964] 41969, S. 41.
3 Lehre uns beten. Hrsg. von Josef Gülden. Regensburg, [1946] 61961, S. 154; Magnifikat. Gebet
und Gesangbuch für die Erzdiözese Freiburg. Freiburg, [1960] 41961, S. 1087; Gotteslob. Katholi
sches Gebet- und Gesangbuch. 1975, Nr. 6,1.
4 Ev.: Unser täglich Brot gib uns heute. Tischgebete. Neuendettelsau, o.J. [um 1933], S. 11;
Tischgebete. Stuttgart, 1937, S. 6; Tischgebete. Hrsg. von Kate Kolkmann. Gütersloh, 1961, S. 25; Wir
danken Gott für seine Gaben. Tischgebete. Hrsg. von Hans Schönweiß. Stuttgart, 1964, S. 7; Irdisch
Brot und himmlisch Leben. Eine Anthologie christlicher Tisch-, Morgen- und Abendgebete. Hrsg.
von Gerhard Schildberg. Tränheim [Elsaß], 1968, S. 21 (226 Tischgebete, z.T. frz.); Gotteslob bei
Tisch. Tischgebete. Hrsg. von Otto Schlißke, Gladbeck, 1974, S. 24.
Kath.: Segne, Gott, unser Brot. Tischgebete. Hrsg. von Heinrich Kahlefeld. Würzburg, 1956, S. 83;
Tischgebete nach der Ordnung des Kirchenjahres. Hrsg. von Hermann Schaub/Klaus Lammers.
reihe lebendiger gottesdienst. Heft 15. München, 1967, S. 5.
5 Allgemeines Evangelisches Gebet- und Gesangbuch zum Kirchen- und Hausgebrauch [hrsg. von
Christian Carl Josias von Bunsen]. Hamburg, [1846] 21871, S. 1004; Gebetbuch. Hrsg. vom
evangelischen Bücherverein [Hermann Ferdinand Uhden]. Berlin, 1849, S. 26; Evangelische
Hausagende. Hrsg. von Georg Christian Dieffenbach. [1853], Mainz, 41878, S. 863; Allgemeines
Gebetbuch. Hrsg. im Auftrag der Allgemeinen lutherischen Konferenz. Leipzig, [1883] 51887,
S. 69.

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2 Frieder Schulz

Text als Tischlied.6 Auch hier fehlt die Verfasserangabe. Die charakteristische Kopf
zeile findet sich ferner als Zitat in einem 1851 erstmals gedruckten Lied:
Früh am Morgen Jesus gehet
und vor allen Türen stehet,
klopfet an, wo man geflehet:
Komm, Herr Jesu, unser Gast.7
Das Danklied nach dem Essen von Erasmus Alber ergänzte Albert Knapp durch eine
wiederum zitierende Schlußstrophe:
Wir danken dir, Herr Jesu Christ,
daß du unser Gast gewesen bist ...8
Noch weiter zurück führt eine Reimstrophe von 1822, die das Gebet ebenfalls
wörtlich zitiert:
Der du mit Zöllnern bist zu Tisch gesessen
und hast mit Sündern das Brot gegessen,
komm, Herr Jesu, sei auch unser Gast
und segne, was du uns bescheret hast.9
Die Frage nach der Herkunft des kurzen, so weit verbreiteten Tischgebets wurde im
Gesangbuch der Brüdergemeine von 1927 mit folgendem Hinweis beantwortet: „1753
(17. Jahrhundert)".10 Damit war auf Zinzendorfs Londoner Gesangbuch von 1753
verwiesen, wo das zweizeilige Tischgebet also zum ersten Mal im Druck erschienen
ist.11
Im Londoner Gesangbuch steht das Tischgebet im Abschnitt Evangelische Lieder im
siebzehnden Seculo. Damit ist auf eine Vorlage verwiesen, die Zinzendorf zum Tisch
gebet umgeformt zu haben scheint,12 nämlich auf ein 1669 veröffentlichtes Lied von
Johann Rudolf Ahle. Die entsprechenden Verszeilen lauten dort:

6 Unverfälschter Liedersegen [hrsg. von Gerhart Chryno Hermann Stip]. Berlin, [1851] 21852,
Nr. 503a.
7 Ebd., Nr. 457. Erster Dichter des Liedes ist sehr wahrscheinlich der Hrsg. Stip (1809-1882) selbs
Bis zur Herausgabe des EKG stand das Lied in allen landeskirchlichen Gesangbüchern (au
Baden und Pfalz), danach nur noch im Regionalteil des EKG Bayern, Bremen, Hannover, Hes
und Württemberg sowie im Jugendliederbuch Ein neues Lied 1932ff.
8 EKG 372, 3; Albert Knapp: Evangelischer Liederschatz. Teil 2. Stuttgart/Tübingen, 18
Nr. 2724,3.
9 Leopold Schäfer: Der Gast. In: Taschenbuch zum geselligen Vergnügen. Hrsg. von Friedrich K
Leipzig, 1822.
10 Nr. 879 Tischgebete (16 Texte). Im großen Brüdergemeine-Gesangbuch von 1778 stand der
als Nr. 1540 unter den Tischliedern vor dem Essen ohne Verf.-Ang. Sie fehlt auch in: Histor
Nachricht vom Brüder-Gesangbuche des Jahres 1778. Gnadau, 21851, S. 117. Das Gesangbuch
1893 brachte den Text als Nr. 1053 mit der Angabe: aus dem 17. Jhd.
11 Demgemäß lautet die Quellenangabe im Brüdergemeine-Gesangbuch von 1967 Nr. 933
London 1753. Im Londoner Gesangbuch von 1753 ist der Text als Nr. 725 mit der Übersch
Tisch-Gebetgen abgedruckt. Die 2. Textzeile heißt im Original: und segne, was du bescheret h
Repr. des Londoner Gesangbuchs in: Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Materialien und Dokum
Reihe 4: Londoner Gesangbuch. Alt- und Neuer Brüder-Gesang. Teil I. Hildesheim/New Y
1980.
12 Erstmals festgestellt in: Josef Müller: Hymnologisches Handbuch zum Gesangbuch der Brüder
gemeine. Herrnhut, 1916, S. 167 (unter Auswertung des 1908 ersch. 4. Bandes von Fischer /

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Drei „ökumenische" Jesusgebete 3

Komm, Jesu Christ, sei unser Gast,


weil du doch dieses alles hast
durch deine Hand bescheret ... (1)

Drum segne du, Herr Jesu Christ,


was uns jetzt vorgesetzet ist ... (3)13
Es wäre auch möglich, daß Zinzendorf nicht nur die zeitlich entfernte und v
nismäßig versteckte Mühlhausener Publikation Ahles, sondern auch folgende S
aus einem „Vor-Tisch-Lied" von Benjamin Schmolck vor Augen hatte:14
Hilf, daß wir gesund genießen,
was du uns bescheret hast.
Gib ein fröhliches Gewissen,
Sei du selber unser Gast.
Segne beides, Speise und Trank
Uns zu Nutz und dir zum Dank.15
Nun ist man zwar gewohnt, daß das Gebet aus Zinzendorfs Londoner Gesangbuch
vor Tisch (womöglich von Kindern) gesprochen wird; jedoch zeigen die Reimstrophe
und die Einordnung unter die Tischlieder, daß das Gebet eigentlich gesungen werden
sollte. Deshalb ist im Brüdergemeine-Gesangbuch von 1778 durch die Ziffer -235 auf
die Melodie-Nummer im Choralbuch hingewiesen, in diesem Fall auf das Tedeum:
Herr Gott, dich loben wir. Das Minuszeichen zeigt an, daß nur ein Teil der Melodie
verwendet wird, da es sich ja nur um zwei Textzeilen handelt. Zur Silbenzahl des
Tischgebets (8.8) gibt es in der Tedeum-Fassung des Choralbuchs von Christian Gregor
1784 mehrere passende Abschnitte: Dein göttlich Macht ... Du König der Ehren, Jesu
Christ ... Hilf Deinem Volk ..., jedoch stimmt das Metrum eigentlich nicht.
Das dürfte der Grund dafür sein, daß seit dem Choralbuch von 1893 eine zweizeilige
Melodie zugeordnet ist, die sich wie die Kopfzeile eines Responsorium breve aus
nimmt, das im Zeitstil der Aufklärungsepoche als schlichte aufsteigende und wieder
absinkende Kadenz harmonisiert ist.16

Tümpel, S. 264, Nr. 302). Vgl. dann Julius Boehmer, in: ChW.41.1927, Sp. 1207f., und 42.1928,
141 sowie in: DtPfrBl. 45.1941, S. 7; ferner Cajus Fabricius, in: Reinhold-Seeberg-Festschrift. Teil
Hrsg. von Wilhelm Koepp. Leipzig, 1929, S. 39 und in: CC. Abt. 10. Bd. 1. Berlin/Leipzig, 193
S. Xl.lll.
13 Anmuhtiges Zehn Neuer Geistlicher ARIEN ... von Johann Rudolph Ahlen ... Mühlhausen, 166
Bl. A4 Nr. III; auch bei A. Knapp, Liederschatz, Teil II, Nr. 2711.
14 Benjamin Schmolck: Trost- und geistreiche Schriften. Teil I. Tübingen, 1740: 7. Bochim und Elim
[vgl. Ri. 2,1-5; Ex. 15,27] oder Neue Sammlung von Trauer- und Trostliedern, Nr. 91: Der andächtig
Zutritt zum Tisch (S. 1167); auch in: Kleine Harffe von zweymahl Zehn Saiten ... Breslau und Leipzig
1742, B2ab; übernommen in: Gesangbuch Straßburg. 1747, Nr. 543, und Gesangbuch Nassau
Saarbrücken. 1746, Nr. 577; neuerdings in: Das Tischgebet. Hrsg. von Jörg Erb. Kassel, 1928
S. 124.
15 Die letzten zwei Zeilen erinnern an das ebenfalls verbreitete, anonym überlieferte Tischgebet:
Segne Vater diese Speise, uns zur Kraft und dir zum Preise. Vgl. dazu auch im Abendmahlslied
Schmücke dich, o liebe Seele :... diese deine Himmelsspeise, mir zum Heil und dir zum Preise ... EKG
157,5.
16 Die Mel. ist identisch mit der Mel. zum Osterruf Der Herr ist auferstanden: Er ist wahrhaftig
auferstanden, der die Liturgie am Ostermorgen eröffnet; Text erstmals im neubearb. Liturgiebuch.

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4 Frieder Schulz

In neuerer Zeit hat sich das Gebet erneut als gesungenes Tischgebet eingebürgert,
nunmehr in der Gestalt eines mehrstimmigen Kanons.17 Einen leicht veränderten Text
bietet der dreistimmige Kanon von Christian Lahusen:
Sei unser Gast, Herr Jesu Christ,
und segne, was zu dieser Frist
durch dich bescheret ist.18
Betrachtet man den Inhalt des Tischgebets, so ist leicht zu erkennen, daß die
Verszeile Segne, was du uns bescheret hast die alte kirchliche Benedictio mensae auf
nimmt:
Benedic, Domine, nos et dona tua,
quae de tua largitate sumus sumpturi.19
Luthers Verdeutschung dieses Textes im Kleinen Katechismus Segne uns und diese
deine Gaben ... hat offensichtlich bewirkt, daß sich auch im späteren Tischgebet
folgende Variante eingebürgert: Segne uns und was du uns bescheret hast.20 Übrigens hat
sich hier im evangelischen Bereich eine sonst vermiedene „Real-Benediktion" erhalten,
freilich nicht ohne engen Bezug auf die Empfänger der Gaben.21
Die Bitte Sei unser Gast kehrt in Kirchenliedern mehrfach wieder.22 Sie erinnert an die
Emmaus-Jünger, die den Auferstandenen in ihr Haus und an ihren Tisch einladen.23 Im
Hintergrund steht ferner die im Sendschreiben an die Gemeinde zu Laodicea geschil
derte Situation: Der an die Tür klopfende Herr wartet darauf, daß man ihn einlädt und
mit ihm Mahlgemeinschaft hält.24
Der hier angesprochene eucharistische und eschatologische Aspekt ist in der eröff
nenden Bitte Komm, Herr Jesu zusammengefaßt, die an das Maranatha des frühchrist
lichen Gottesdienstes erinnert.25 Hier wird der Beter, der sein Gebet sonst an Gott

Gnadau, 1907, S. 162; Mel. erstmals im Liturgienbuch 1927. Die Herkunft der Mel. konnte bisher
nicht ermittelt werden.
17 Vorentwurf des neuen Ev. Gesangbuchs Nr. 460 (mündl. überlief. Mel.); vgl. auch Nr. 4
Segne Herr, was deine Hand uns in Gnaden zugewandt. Amen, (dreistg. Kanon von Paul Ernst Rup
1951).
18 Christian Lahusen: Geistliche Kanons. Kassel, 1948.
19 Missale von Bobbio: MPL 72, 572; vgl. auch Gelasianum (Vat. Reg. 316), Ausg. Mohlberg V
1598.
20 Vgl. Frieder Schulz: Luthers Hausgebete. PTh. 72. 1983, S. 486-489.
21 Vgl. Heute segnen. Werkbuch zum Benedictionale. Hrsg. von Andreas Heinz und Heinrich
Rennings. Freiburg, 1987, S. 81f.; Friedemann Merkel, in: Jesu Rede von Gott und ihre Nachge
schichte im frühen Christentum. FS Willi Marxen. Gütersloh, 1989, S. 422, Anm. 32.
22 Z.B.: Wo willst du hin, weils Abend ist (Plön 1674; EKG Württemberg Nr. 585; EKG Bayern Nr.
520):... du weißt, daß du zu aller Frist ein herzenslieber Gast mir bist; zwei der Jünger gehn mit Sehnen
(Johann Neunherz 1652-1737; Gesangbuch Frankfurt 1927 Nr. 394):... Bleibe doch in unsrer Mitten,
wie dich deine Kinder bitten; Dank sei dir, o lieber Gast...
23 Lk. 24, 29.
24 Offb. 3, 20.
25 1. Kor. 16, 22; Offb. 22, 20; Did. 10, 6.

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Drei „ökumenische" Jesusgebete 5

richtet, der Nähe dessen irine, der kommt26 und den der Beter dann auch unmittelbar
ansprechen darf.27
Freilich ist im Kommen Jesu der eucharistische Aspekt untrennbar mit dem diako
nischen verbunden.28 So formuliert Luther in seiner Auslegung von Gen. 18, wo
Abraham im Hain Mamre Gott in Gestalt der drei Männer zu Tisch bittet, folgendes
Gebet:29
O Domine Jesu, veni tu ad me,
utere tu meo pane, vino, argento, auro:
quam rede a me collocatum est, cum in te colloco ...30
Luther sagt also auch: Komm, Herr Jesu; nach dem Zusammenhang meint er jedoch
den Herrn in Gestalt des armen Bruders, den »Gast in den Gästen", die „der Gast" an
seinem Tisch haben will, wenn man ihn bittet zu kommen.31
Das kurze von Zinzendorf geformte Tischgebet faßt also das Kleine und Große wie in
einem Brennspiegel zusammen: die schlicht und vertrauensvoll erbetene Begegnung
mit Jesus im alltäglichen Geschehen einer Mahlzeit und die Hoffnung auf ein umfas
sendes, den Glauben und die Liebe stärkendes Segensgeleit.

II

Im neuen Evangelischen Gesangbuch32 ebenso wie im katholischen Gebet- und


Gesangbuch Gotteslob33 gehört zu den Texten, die beim Sterben gesprochen werden
können, folgendes Gebet der Hingabe an Jesus:
Jesus, dir leb ich,
Jesus, dir sterb ich,
Jesus, dein bin ich
tot und lebendig.
Sucht man nach der Herkunft dieses auswendig behältlichen Reimgebets mit der
dreimaligen Anrede an Jesus, so stößt man auf eine seit dem 19. Jahrhundert sowohl
auf katholischer wie auf evangelischer Seite weit verbreitete Singfassung mit einer
nach Text und Metrum leicht abgewandelten Schlußzeile:

26 Mt. 21, 9: Benedictus qui venit (=2. Teil des Sanctus); Joh. 1, 11; 14, 23; Wî> werden zu ihm
kommen und Wohnung bei ihm nehmen.
27 Balthasar Fischer: Vom Beten zu Christus. In: Gott feiern. FS Theodor Schnitzler. Hrsg. von Josef
G. Plöger. Freiburg, 1980, S. 94-99. Zur Situation, aus der das Jesus-Gebet erwächst, vgl. auch Apg.
7, 59 und die christologische Anrede in alten Advents-Kollekten.
28 Vgl. Lk. 12,16.17: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen;
Joh. 13, 14-16.
29 WA 43, 10, 32-33 (zu Gen. 18,3-5).
30 Im Luthergebetbuch von Petrus Treuer 1579 ist das Gebet überschrieben: Gott zu Gast laden.
Vgl. Frieder Schulz: Die Gebete Luthers. QFRG. 44. Gütersloh, 1976, S. 307, Nr. 595.
31 Zu diesem Aspekt vgl. die Erzählungen: Leo Tolstoi: Wo die Liebe ist, da ist Gott (1885), und
Nikolai Leßkow: Der Gast beim Bauern. In: Ders.: Weihnachtserzählungen. Übers, von Otto
Freiherr von Taube. Recklinghausen, 1947, S. 7-26.
32 Nr. 942. Vgl. auch: EKG Bremen, Anhang S. 58; EKG Österreich, Sterbegebete (o.S.); Christ
liches Hausbuch. Hrsg. von Walter Lötz. Kassel, [1941] 21948, S. 283.
33 Nr. 79,1. Vgl. auch: Lehre uns beten. Lehr- und Gebetbuch für das persönliche Gebet des
Christen in der Welt. Hrsg. von Josef Gülden. Regensburg, [1946] 61961, S. 98.

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6 Frieder Schulz

Jesu, dir leb ich,


Jesu, dir sterb ich,
Jesu, dein bin ich
im Leben und im Tod.34
Zu diesem Text dokumentiert Baumker eine 1813 veröffentlichte Melodie von
Johann Georg Schinn, die sich offenbar wegen der dem Metrum des Textes sch
angepaßten Melodieführung nicht weiter verbreitet hat.35 Dagegen kann eine vor 18
erschienene, von dem Augsburger Domkapellmeister Franz Bihler stammende
die von Baumker in 17 katholischen Gesangbüchern zwischen 1828 und 1909
gewiesen werden.36 Dabei fällt die große Zahl von melodischen Varianten (beson
zur Schlußzeile) auf, woraus man schließen kann, daß die Melodie häufig nur d
Vor- und Nachsingen weiter überliefert wurde, während der Text unverände
blieb.
Seit 1863 verbreitet sich auch auf evangelischer Seite eine Singfassung des Reim
gebets.37 Obwohl für die Melodie keine Quelle angegeben ist, zeigt der Vergleich, daß
es sich um die bereits erwähnte Melodie von Bihler handelt, wobei auch der gleiche
Text unterlegt ist.38 Doch ist nunmehr folgende 2. Strophe hinzugefügt:
O sei uns gnädig,
sei uns barmherzig.
Führ uns, o Jesu,
in deine Seligkeit.39

34 Diese Textfassung zuerst in: Katholische Kirchengesänge. Hrsg. von Georg Caspar Carli.
Augsburg, 1800 (ohne Noten) als Gesang zur Wandlung. Dabei ist auf eine Mel. verwiesen, die der
Augsburger Domkapellmeister Johann Drexel zusammen mit anderen »neuen Melodien" zu den
Katholischen Kirchengesängen (= liturg. Gesängen in Reimstr.) als »eigene Melodie" veröff. hat
(Augsburg, 1800). Vgl. ferner: Katholisches Gesangbuch zum allgemeinen Gebrauche bei öffentlichen
Gottesverehrungen. Bd. I. München, 1810, S. 576, ebenfalls als Gesang unter der Wandlung. Beide
von der Aufklärung beeinflußten Gesangbücher enthalten fast zur Hälfte ev. Kirchenlieder. Die
Textfassung auch bei Gülden (vgl. Anm. 33), S. 523.
35 Das katholische deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen. Hrsg. von Wilhelm Bäumker. Bd. 4.
Freiburg, 1911, S. 523, Nr. 134; auch in: Zionsharfe. Ein Choralschatz aus allen Jahrhunderten und
von allen Confessionen der christlichen Kirche. Hrsg. von Conrad Kocher. 4. Abt. Stuttgart, 1855,
S. 142, Nr. 277.
36 Bäumker, a.a.O., S. 522, Nr. 133: Christliche Gesänge für die öffentliche Gottesverehrung von
Christoph Schmid, in Musik gesetzt von Franz Bihler, Kapellmeister am Dom in Augsburg. Teil III.
Augsburg, o. J., S. 7. Die Komposition des Augsburger Amtsvorgängers hatte sich also nicht
durchgesetzt (vgl. Anm. 34).
37 Geistliche Lieder mit Melodien zu gemeinschaftlicher Erbauung. Gesammelt und für gemischten
Chor eingerichtet von Christoph Dölker und Wilhelm Dölker (Lehrer in Eßlingen, gest. 1868,
Bruder von Christoph D., Lehrer in Nagold). [1863] 21865, S. 95 Nr. 62.
38 Im Vorw. heißt es: »Wo es nicht möglich war, die ursprüngliche Form einer Melodie aufzu
finden, wurde diese so gegeben, wie sie in vielen Gemeinschaften unseres Landes sich einge
bürgert hatte. Daß es manche Varianten geben muß, ist unter diesen Umständen von selbst klar."
Die Änderung der ersten drei Noten (ggg) gegenüber der Urfassung (gfg) ist ein typisches Beispiel
des „Zurechtsingens" ohne Notenvorlage.
39 Diese zweite Str. findet sich (erstmals?) im Gebet- und Gesangbuch für das Bistum Rottenburg.
Stuttgart, 1837, S. 42. Sie fehlt in Bihlers (vgl. Anm. 36) Textvorlage: Christliche Gesänge zur

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Drei „ökumenische" Jesusgebete 7

In dieser zweistrophigen Singfassung findet sich der Text des Reimgebets von der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an bis zur Gegenwart in fast allen vom Pietismus
und der Erweckungsbewegung geprägten Liederbüchern für kirchliche und freikirch
liche evangelische Gemeinschaften40 sowie für Kinder- und Jugendgottesdienste.41
Gelegentlich ist dieser Text durch weitere Strophen erweitert worden, um den
üblichen Umfang eines Gemeindeliedes zu erreichen.42 Dabei ist erstmals ein Verfas
sername aufgetaucht43, was sich freilich als falsche Spur erwiesen hat. Von der
Verbreitung des Textes im 19. Jahrhundert zeugt auch die seit 1860 in den USA
auftretende englische Liedfassung:
Jesus, I live to Thee,
the loveliest and best;
My life in Thee, Thy life in me
in Thy blest love I rest.
Jesus, I die to Thee
whenever death shall come;
to die in Thee is live to me
in my eternal home.
Living or dying, Lord,
I ask but to be Thine;

öffentlichen Gottesverehrung. Augsburg, 1811, S. 21. (Ungenannter) Hrsg. war Christoph Schmid,
dessen Kinderlied zu Weihnachten Ihr Kinderlein kommet in diesem Bd. erstmals veröff. wur
de.
40 Gemeinschaftslieder (Chrischona-Gemeinschaften). Basel, f11875] 41880, Nr. 346; Große Mis
sionsharfe. Gütersloh, [31882) 81889, Nr. 167; Zur Ehre des Erretters. Vereinslieder des Blauen
Kreuzes. Bern und Barmen, [1883] 101911, Nr. 10; Reichslieder. Deutsches Gemeinschaftslieder
buch. Neumünster, !1892, Nr. 448; 1909, Nr. 650, Neubearb. 1931, Nr. 612, Ausg. mit Anh. 1951
und 1970, Nr. 612; Evangelischer Psalter (Ev. Gesellschaft). Elberfeld, [1914] 21918, Nr. 663, 31930;
Philadelphia-Lieder (Altpietist. Gemeinschaftsverband). Reutlingen, [1930] 101970, Nr. 992;
Gemeinschafts-Liederbuch (Gnadauer Verband). Gießen, [1983] 21984, Nr. 624. Vgl. zum Selbst
verständnis der verschiedenen Gruppen den Art. Gemeinschaftsbewegung. In: RGG3. Bd. II, Sp.
1366-1374.
41 Deutsches Kindergesangbuch. Hrsg. von Ludwig Tiesmeyer/Paul Zauleck. Gütersloh, [1889
141909, Nr. 237; Lieder für den Kindergottesdienst im Großherzogtum Baden. Lahr, 1902, Nr. 481;
Gesangbuch Baden (mit Anhang). Lahr, 1910, Nr. 490; BK-Lieder (Deutsche Schülerbibelkreise).
Barmen, [1913] 21927, Nr. 49; Ein immer fröhlich Herz. Liederbuch... Hrsg. vom Ev. Verband für die
Weibliche Jugend Deutschlands. [1916] 91925, Nr. 497 ( = Erweit. Fass. wie Große Missionsharfe,
vgl. Anm. 40).
42 Z.B. Große Missionsharfe. 31883, Nr. 152,81889, Nr. 133, mit einer Mel. von Martin Kulke (Jede
Str. mit Kehrreim: Mache mich selig, o Jesu): 1 Jesu, dir leb ich ... 2 Jesu, mein Leben... 3 Jesu im Kampfe
... 4 Jesu, ich hoffe... : Liederbuch des Blauen Kreuzes (vgl. Anm. 43). 81904, Nr. 10:1 Jesu, dir leb ich ...
2 Du bist's alleine ... 3 Jesu, dein Frieden ... 4 Herr, auch den Meinen ... 5 O sei uns gnädig ...
43 Das Blaukreuz-Liederbuch gibt als Verf. an: Dr. J[ohann] B[urchard] Freistein (1671-1718)
Diese Angabe übernimmt das Gesangbuch Baden seit 1922 als einziges Gesangbuch. Bei der Mel.
ist fälschlich Christian Palmer angegeben, dessen Name bei Dölker über einer anderen Mel. steh
(vgl. Anm. 45). Die Quellenangaben im Blaukreuz-Liederbuch sind nicht zuverlässig, und nach
dem Ergebnis der bisherigen Nachforschungen ist die Verfasserschaft Freysteins auch für die
erweiterte Liedfassung zweifelhaft.

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8 Frieder Schulz

my life in Thee, Thy life in me


makes heaven forever mine.
Das Lied, als The Mercersburg Academy Hymn bezeichnet und besonders in Sch
gottesdiensten beliebt, „is the most famous of all hymns to come of the form
Reformed Church in the United States' und hat als Verfasser Henry Harbough
(1817-1867), Pfarrer in Lebanon und Lancaster (Pennsylvania).44
Häufig ist der Text auch durch einzelne neue Verszeilen erweitert worden. So steht
im Dölkerschen Liederbuch 1863 folgende, mit einer Melodie von Christian Palme
versehene Textfassung:
Herr Jesu, dir leb ich,
Herr Jesu, dir leid ich,
Herr Jesu, dir sterb ich,
dein bin ich tot und lebendig.
Mach mich, o Jesu, ewig selig. Amen.
Wie das württembergische Gesangbuch 191246 zeigt, ist die Einfügung von dir leid
ich47 und mach mich, o Jesu, ewig selig eine württembergische Sonderüberlieferung.
geht zurück auf den Schluß der Antwort zur 73. Frage des Konfirmations-Examens im
Kirchenbuch 1747.48 Diesen Text paraphrasiert das Konfirmationslied des elsässischen
Pfarrers Adolf Stöber mit den Strophenanfängen:
Herr Jesu, dir zu leben, ... (1)
Herr Jesu, dir zu leiden, ... (2)
Herr Jesu, dir zu sterben, ... (3)
Herr Jesu, tot und lebend ... (4)
Herr Jesu, bis ans Ende ... (5)49
Andere Ergänzungen des Originaltextes bringt Wilhelm Löhe in seinem Hau
Schul- und Kirchenbuch 184550 und das Gesangbuch 1851 von Stip. Dieser übernimmt

44 Vgl. Armin Haussier: The Story of our Hymns. The Handbook to the Hymnal of the Evangeli
and Reformed Church. St. Louis, [1952] 31954, S. 286-289. Seit 1957 hat sich diese Kirchen-Un
aus ursprünglich deutschsprachigen Einwanderer-Kirchen mit kongregationalistischen,
eingewanderten Puritanern gegründeten Kirchen zur United Church of Christ zusamme
schlossen.
45 Dölker (vgl. Anm. 37) S. 82, Nr. 53. Die Mel. ist bes. im 1. Teil von der 2. Mel. im Choralbuch
Gregor (vgl. Anm. 54) abhängig (gleiche Tonart!).
46 Nr. 554: Für die Konfirmationsfeier mit einer neuen Mel. (As-dur) von Julius Abel (
1928).
47 Diese Erweiterung auch in einem Gebet von Klemens Maria Hofbauer: O Jesu, ich will leben,
solange du willst; ich will leiden, wie du es willst; ich will sterben, wann du es willst. Vgl. Monumenta
Hofbaueriana. Bd. XI. Krakau, 1937, S. 116.
48 Aus der dort erstmals abgedr. Instruction, wie der Actus Confirmations zu veranstalten vom 11.
Dez. 1722, Kirchenbuch 1750, S. 251. Schon vorher heißt es in der Anwort zu Frage 73: »... hingegen
soll ich meinem Heiland und Erlöser als sein Eigentum allein zur Ehre leben, leiden und sterben,
damit ich in meiner letzten Todesstunde freudig und getrost sprechen möge: Herr Jesu... Vgl. dazu
EKG 252,2: Jesu, hier leid ich mit dir... 3: Jesu sterbich, sterb ich dir... 4: Jesu, dir ich lebe hier ...Zu mit
Christus leiden vgl. Rom. 8, 17.
49 Gesangbuch Elsaß-Lothringen. 1899, Nr. 169; 1952, Nr. 284; auch: Gesangbuch Braunschweig.
1900, Nr. 181.
50 Stuttgart, [1845] 31858 Teil 1, S. 326 mit zugefügter Schlußzeile: Mache mich selig.

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Drei „ökumenische" Jesusgebete 9

die „württembergische" Schlußzeile mach mich ewig selig und fügt zwischen der 3. und
4. Zeile ein: Herr Jesu, dein bleib ich.51 Diese Textfassung erscheint im Gesangbuch
Mecklenburg-Strelitz 1875 als Gebet beim Klang der Betglocke.52 Im lutherischen
Gesangbuch Hermannsburg 1860 heißen die beiden Schlußzeilen: Mach du mich fromm
und endlich ewig selig.53 Alle diese Textvarianten lassen erkennen, daß das Reimgebet
vorwiegend mündlich weitergegeben wurde.
Mit dem „württembergischen" Initium Herr Jesu, dir leb ich findet sich das Reimgebet
auch in den Gesangbüchern der Brüdergemeine. In Zinzendorfs Londoner Gesang
buch 1753 erscheint es in folgender Fassung:
Herr Jesu, dir sterb ich,
Herr Jesu, dir leb ich,
Herr Jesu, dein bin ich
tot und lebendig.54
Zu diesem Text werden in dem von Christian Gregor 1784 herausgegebenen
Choralbuch zum Brüdergemeine-Gesangbuch 1778 zwei neue Melodien angeboten, die
also die früheste evangelische Singfassung darstellen.55 Text und Melodie blieben
Bestandteil des Gesang- und Choralbuchs der Brüdergemeine bis 1859.56 Seit dem
Gesangbuch 1927 ist der Text Teilstück eines neuen Strophenliedes geworden, und
zwar in folgender Fassung:
Jesu, dir nur leb ich,
Jesu, dir nur sterb ich,
Jesu, dein nur ganz allein
will ich tot und lebend sein.57
Als Ergebnis der bisherigen Untersuchung schält sich heraus, daß es seit 1784
evangelische und seit Beginn des 19. Jahrhunderts katholische Singfassungen d
Textes gibt, dessen Kern aus dem vierzeiligen Reimgebet besteht, dessen Herkunf
unbekannt war. Erst 1911 konnte Baumker in seinem Quellenwerk über das kathol

51 Nr. 668c im Abschnitt: In Schulen und für die liebe Jugend.


52 Nr. 626.

53 Nr. 294; Zahn Nr. 8647b. Das Hermannsburger Missionschoralbuch von Georg Heinr
Friedrich Enckhausen bietet dazu die entsprechend erg., rhythmisierte 2. Mel. aus dem Ch
buch 1784 von Gregor (vgl. Anm. 56) in F-dur.
54 Nr. 576 im Abschnitt Evangelische Lieder im siebzehnden Seculo. Die Gesangbücher
Brüdergemeine geben daher als Quelle stets an: 17. Jhd. Die Umstellung der 1. und 2. Zeile w
im Gesangbuch 1778 wieder rückgängig gemacht, so daß sich auch in der Brüdergemein
traditionelle Text durchgesetzt hat.
55 Zahn Nr. 8646 (a-moll) und 8647a (G-dur). Der elsässische Pfarrer Friedrich August Ihme
seinem vierstg. Choralbuch Halleluja 1873/1875 die 2. Mel. übernommen und für die »wür
bergische" Schlußzeile Mach mich ewig selig. Amen eine Mel.-Ergänzung hinzugefügt; vgl.
zu Nr. 8647. Diese Fassung gelangte in das Gesangbuch Elsaß-Lothringen 1899 (liturg
Gesänge) und in das Gesangbuch für Kindergottesdienste. Berlin, 1916 Nr. 175.
56 Das Brüdergemeine-Gesangbuch 1778 hatte unter Nr. 1656 für den Gesang auf die
-575 (= Teilstück der Mel. Der freundliche Heiland; fehlt seit dem Gesangbuch 1893) verwi
Das neubearb. Gesangbuch 1893 verwies dagegen auf die Melodie -221 (Teilstück der Me
ewiger Abgrund aus dem Freylinghausenschen Gesangbuch 1704).
57 Gesangbuch 1927, Nr. 992,3; 1967, Nr. 546,3. Als Quelle für diese Fassung ist angeg
Gnadau 1873.

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10 Frieder Schulz

sehe deutsche Kirchenlied ein Augsburger Gebetbuch 1667 nachweisen, in dem das
Reimgebet ohne Noten unter den kurzen Sprüchen im letzten Hinscheiden oft zu sprechen
aufgeführt ist.58 Seit dem wird als früheste Quelle des Textes in den Liederbüchern
stets ,1667' angegeben.59 Im übrigen kann die selbständige Bedeutung des vierzeiligen
Originaltextes auch daran erkannt werden, daß er in katholischen Gesangbüchern des
18. Jahrhunderts und in geistlichen Volksliedersammlungen des 19. Jahrhunderts als
besonderer Kehrvers zu anderen Liedern auftritt.60
Nun zeigt die Durchsicht evangelischer Gebet-, Gesang- und Chorbücher, daß das
Jesusgebet älteren Ursprungs ist, jedenfalls ist das katholische Augsburger Gebetbuch
1667 nicht die älteste Quelle. Der offensichtlich bekannte und fest geprägte Text wird
immer wieder zitiert, wobei auch in Umformungen die charakteristischen Merkmale
erhalten bleiben: die Anreden an Jesus und das „Ich" des einzelnen Beters.
So stehen im Großen Gebetbuch von Michael Cubach (zuerst Leipzig, 1654)61 vier
größere Gebete, die das Reimgebet zitieren, darunter das Stundengebetlein, so oft die
Uhr oder der Seiger schlägt aus einem Betbüchlein 1566 von Joachim Minsinger von
Frundeck. Das Gebet beginnt: „Herr Jesu Christe, dir leb ich, dir sterb ich, dein bin ich,
tot und lebendig ,.."62 Der gleiche Wortlaut findet sich in einem Morgensegen aus dem
Brandenburgischen Gebetbuch 1595,63 in einem Gebet in Todesnöten aus dem Neuen

58 Triumph. Des Heyligen Rosenkrantz / Das ist / Gründlicher Bericht der Gnadenreichen Ertz
Bruderschaft des Heyligen Rosenkrantzes / gesteh / Durch Fr. Sebastianum Schlettstädter / Prediger
Ord. / Getruckt zu Augspurg bey Sim. Urschneyder. 1667, S. 513. Es handelt sich nicht um ein
Gesangbuch, sondern um ein deutschsprachiges Brevier im Geist dominikanischer Spiritualität
für Mitglieder der marianischen Rosenkranz-Bruderschaft.
59 Bei Otto Karrer: Wie unsere Väter beteten. München, 1927, S. 298, steht der Text in der Fassung
von Carli (vgl. Anm. 34) am Schluß einer Reihe von Stoßgebetchen vor dem Sterben. Als
gemeinsame Quelle ist angegeben Himmelsstraße und Seelengärtlein. Das würde in das 15./16. Jh.
zurückführen. Jedoch findet sich das Reimgebet weder in den älteren Ausg. des Hortulus animae
noch bei Stephan von Landskron: Die Hymelstrasz (Quellen und Forschungen zur Erbauungsli
teratur des späten Mittelalters. Amsterdam, 1979). Karrer und andere Hrsg. neuerer Zeit haben
also offenbar um der prakt. Brauchbarkeit willen bei der Neuausg. alter Gebetbücher Texte aus
anderen Quellen zur Ergänzung eingefügt; vgl. z.B. Seelengärtlein. Augsburg/München, 1877, S.
261; Gertrudenbüchlein. Hrsg. von Otto Karrer. München, 1929, S. 255 (nach der Ausg. von Martin
von Cochem. Köln, 1676).
60 Vgl. Gesangbuch Duderstadt [1724]: DKL 173409; Baumker Bd. 3, S. 263 Nr. 181. Der Text dient
mit einer einfachen eigenen Mel. (F-dur) als Refrain zu dem Lied Ich glaub in Gott in aller Not. Das
Lied steht auch in: Geistliche Volkslieder mit ihren ursprünglichen Weisen. Paderborn, 1850, S. 37
Nr. 23 (die Mel. des Refrains endet hier in g-moll); vgl. ferner: Große Missionsharfe. Gütersloh,
181909, S. 95, Nr. 132 mit gleichem Refrain, aber neu unterlegtem Liedtext Mein Freund ist mein. Zu
Ich glaub in Gott (einschl. Refrain) bietet eine neue Mel. Franz Wilhelm Frhr. von Ditfurth:
Fränkische Volkslieder. Teil I: Geistliche Lieder. Leipzig, 1855, S. 14, Nr. 19 (G-dur); dass. auch bei:
Friedrich Hommel: Geistliche Volkslieder. Leipzig, 1864, S. 164, Nr. 153.
61 Zu M. Cubach vgl. Paul Althaus d. Ä.: Forschungen zur evangelischen Gebetsliteratur. Gütersloh,
1927, S. 158-160; Karl Johann Cosack: Zur Geschichte der evangelischen ascetischen Literatur in
Deutschland. Basel/Ludwigsburg, 1871, S. 245-276. Von Cubachs Gebetbuch ersch. von 1654 bis
1791 nicht weniger als 13 Ausg.
62 Cubach, Ausg. 1752, S. 147.
63 Cubach, S. 22.

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Drei „ökumenische" Jesusgebete 11

Gebetbuch 1602 von Johann Hermann64 und im Kinder-Morgensegen aus dem Kinder
Gebetbüchlein 1661 von Johann Feinler.65 Als selbständiger Text ist das Gebet unter
die Gebete um ein seliges Ende eingereiht in der Christlichen Betschule 1668 von Johann
Olearius.66
Auch in den Kirchenliedern des 16. und 17. Jahrhunderts lassen sich mehr oder
weniger deutliche Anklänge an das Jesusgebet mit seiner charakteristischen Aus
drucksweise feststellen.67 Besonders häufig hat Johann Leon in seinem Trostbüchlein
1588 immer wieder wie ein Leitmotiv Reimstrophen68 eingefügt, die den Text des
Gebets aufnehmen, z.B.: „Herr Christe Jesu, dir leb ich / dir Jesu, Gottes Sohn, sterb
ich / hilf, daß ich mich allein an dich / mög halten und glauben festiglich."69
Die Verbreitung des Textes ist auch aus der Chorliteratur des 16. und 17. Jahrhun
derts ersichtlich. So hat Adam Gumpelzhaimer in seinem Compendium musicae 1591
folgenden Text vertont: „O Herr Jesu Christe, du mein getreuer Gott, hast mich erlöst,
dir lebe ich, dir sterb ich, dein bin ich, tot und lebendig."70
Bei Mathias Gastritz71 findet sich 1571 der Chorsatz zu einem Text, den auch
Leonhard Lechner 1577 vertont hat:" Herr Jesu Christ, dir lebe ich / so sterb ich dir
gutwilliglich /... Dein bin und bleib ich ewiglich."72 In der Hausmusik 1628 von Johann
Staden begegnet der Text: „O Jesu, Gottes Lämmelein / ich leb oder sterb, so bin ich
dein / ich bitt, laß mich mit dir zugleich / ein Erbe sein in deinem Reich/73
In allen ergänzten oder leicht modifizierten Fassungen bleibt demnach der Kern des
Jesusgebets mit seinem elementaren Reimschema, mit der Anrede an Jesus und der
Ausformung als persönliches Gebet erhalten. Es liegt daher nahe, eine geprägte und
prägende Urfassung zu vermuten. Diese konnte tatsächlich ermittelt werden. Sie liegt
vor in zwei evangelischen Gebetbüchern aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, die den
Text fast gleichlautend enthalten.74

64 Cubach, S. 1209.
« Leipzig, 1661, S. 5; UB Erlangen (Thl. XX 87); Cubach, S. 135.
« Leipzig, 1668, S. 715; HAB Wolfenbüttel (TH 1591).
67 Beispiele: EKG 313,3 (Nikolaus Herman 1560); EKG 286,8 (Martin Moller 1587); EKG 27,12
(Paul Gerhardt 1653); EKG 252,3.4 (Sigmund von Birken 1653); EKG 364,9 (Johann Friedrich
Herzog 1670); EKG 152,6 (Johann Jakob Rambach 1734).
68 Wackernagel, Bd. IV, Nr. 711, Ziff. 4.13.33.57.87.
69 Wackernagel, Bd. IV, Nr. 711, Ziff. 102.
70 RISM G 5116; Denkmäler der Tonkunst in Bayern. Bd. X, 2. Leipzig, 1909, S. 16ff. und 91f.:
Wirtzgärtlein. I, 29 (1619).
71 RISM G 566: Kurtze und sonderliche Newe Symbola etlicher Fürsten ... Nürnberg, 1571 Nr. 33. Zu
Gastritz vgl. jetzt: Helmut Schwämmlein: Mathias Gastritz ... 2 Teile. Regensburg, 1985.
72 RISM L 1291: Newe Teutsche Lieder. Nürnberg, 1577; Werke. Bd. 3. Hrsg. von Uwe Martin.
Kassel, 1954, S. 56 Nr. XI.
73 RISM S 4243: Teil IV. Nr. 6. Nürnberg, 1628; Denkmäler der Tonkunst in Bayern. XII. Leizig, 1906,
S. 98 Nr. 26.
74 Jedenfalls handelt es sich um einen deutschsprachigen Orig.-Text, für den lat. Vorlag
schwerlich zu erwarten sind. Zur Frage deutschsprachiger kath. Vorlagen aus dem 15./16. Jh. vg
Anm. 59.

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12 Frieder Schulz

Im Jahre 1565 erschien Ein neues Betbüchlein mit einer Sammlung von Luthergebe
ten,75 zu dem Johann Aurifaber einen mit einem Vorwort versehenen Anhang bei
steuerte.76 Darin stand, des Herrn D. Martin Luther tägliche Beichte nachzusprechen. Am
Schluß des ziemlich langen Textes der Beichte folgt ein Zusatz:
Danach hat der Doctor gemeiniglich diese kurtze Wort gesprochen:
Roma XIIII: O Jesu Christe,
dir leb ich,
dir sterb ich,
dein bin ich,
tod oder lebendig.77
Hier kommt deutlich zum Ausdruck, daß es sich um einen selbständigen Text in
bündiger Sprachform handelt. Auch wird die biblische Vorlage, nach der das Reim
gebet geformt ist, ausdrücklich genannt. Die Bezeichnung diese kurtze Wort kann als
Hinweis darauf verstanden werden, daß ein bereits vorliegender Text zitiert wird.
Dieser dürfte in einem Fürstengebetbuch78 von 1557 vorliegen, das den Namen
Johann Friedrichs, Herzogs von Sachsen, trägt und nach dessen Tod erschienen ist.79
Darin steht am Ende des Textteils (vor dem Register) die (bis jetzt) früheste Fassung des
Jesusgebets:
O Herr Jesu,
dir leb ich,
dir stirb ich,
dein bin ich
tot und lebendig.80
Zur Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte des Reimgebets läßt sich also folgendes
sagen: Der aus evangelischer Tradition des 16. Jahrhunderts stammende Text wurde in
deutschsprachige katholische Gebet- und Gesangbücher übernommen. Die zu Anfang

75 Ein newe Bet-/büchlein, des seligen vnd tew/ren Man Gottes Doctoris Mar-/tini Lutheri aus seinen
eigen / Geisttrost vnd Lebendigen / Worten vnd tomis / gezogen / ... Eisleben, 1565. Bibliogr. in
Frieder Schulz: Die Gebete Luthers. QFRG. 44. Gütersloh, 1976, S. 84-87. Bis 1600 ersch. neun
weitere Aufl. Über den Hrsg. Antonius Otho (Otto) vgl. Ernst Koch: Anton Otho, Weg und Werk
eines Lutherschülers. In: Herbergen des Christentums. Bd. 13. 1981/82, S. 67-92.
76 Aurifabers Vorrede Bl. V lab; F. Schulz, a.a.O., S. 55f.
77 Ausg. 1565, Bl. Y 3a; F. Schulz, a.a.O., S. 170, Nr. 100. Vgl. das Luther zugeschrieben Distichon:
Seu vivam, s eu non vivam, tarnen undique vivam. Vita mea est Christus, quid mihi mors noceat. (WA
35, 606). Ferner: Lebe ich, so lebe ich ihm. Sterb ich, so fahr ich auf ihn dahin (WA 35, 586 Nr.
34).
78 Vgl. den Titel bei Gastritz (vgl. Anm. 71). Auch das 1537 ersch. Feuerzeug christlicher Andacht
war ein Fürstengebetbuch, dem ein handschr. Gebetbuch der Herzogin Dorothea von Preußen
zugrunde lag; es enthielt auch vier Gebete des Ehegatten Herzog Albrecht von Preußen. Vgl. dazu
Iselin Gundermann, in: ZKG. 77. 1966, S. 97-104, und: Untersuchungen zum Gebetbüchlein.
Köln/Opladen, 1966, S. 37-44.
79 Gebett / Deß Hochlöbli-/chen Churfürsten sä-Hicher Gedächtnuß Johann / Friedrichen, Herzogen
zu / Sachsen ... Wittemberg 1557. Bibliogr. bei F. Schulz, a.a.O., S. 123-126. Bis 1600 ersch. zwölf
weitere Aufl. Der Kurfürst starb 1554.
80 In dieser „Urfassung" kommt das Besondere des Jesusgebets deutlich zum Ausdruck: Es ist das
Stoßgebet eines einzelnen Beters in gereimten Kurzversen, die leicht behalten werden kön
nen.

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Drei „ökumenische" Jesusgebete 13

des 19. Jahrhunderts hergestellte katholische Singfassung gelangte in der zweiten


Hälfte des 19. Jahrhunderts in die außerliturgische evangelische Liedtradition. Am
Ende der interessanten Überlieferungsgeschichte steht schließlich die Aufnahme des
„Urtextes" als Sterbegebet sowohl in das evangelische wie in das katholische Gesang
buch der Gegenwart.

III

In der Sammlung Die schönsten Gebete der Welt steht neben anderen christlichen
Gebeten folgendes Gebet zu Christus:81
Seele Christi, heilige mich.
Leib Christi, rette mich.
Blut Christi, tränke mich.82
Wasser der Seite Christi, wasche mich.83
Leiden Christi, stärke mich.
O gütiger Jesus, erhöre mich.
Verbirg in deine Wunden mich.84
Von dir laß nimmer scheiden mich.85
In meiner Todesstunde rufe mich,
mit deinen Heiligen zu loben dich
in deinem Reiche ewiglich. Amen.
Das auf innige Gemeinschaft mit Jesus gerichtete Gebet, das von einem einzelnen
Beter im andächtigen Anschauen einer Darstellung des Gekreuzigten gesprochen zu
sein scheint, gehört zu den Grundtexten katholischer Spiritualität.86 Das nach den
ersten beiden Worten meist Anima Christi genannte Gebet wird bis heute auch in der
lateinischen Fassung überliefert.87
(1) Anima Christi, sanctifica me.
(2) Corpus Christi, salva me.
(3) Sanguis Christi, inebria me.
(4) Aqua lateris Christi, lava me.
(5) Passio Christi, conforta me.

81 Hrsg. von Christoph Einiger. München, [1964] 41969, S. 36.


82 Vgl. Joh. 6, 55.
83 Vgl. Joh. 19,34. Für die Beziehung zur Taufe vgl. Joh. 3,5 und 1. Joh. 5,6f. sowie die patristische
Auslegung der Stelle.
84 Vgl. EKG 318,4 (Valerius Herberger 1613): Verbirg mein Seel aus Gnaden in deiner offnen Seit;
EKG 345,3 (Heinrich Albert 1642): O Herr Jesu laß mich finden deine Wunden offen stehn; EKG 269,1
(Johann Andreas Rothe 1722): Ich habe nun den Grund gefunden ... wo anders als in Jesu
Wunden.
85 Vgl. Rom. 8, 35.
86 Vgl. Anhang des Missale Romanum 1970 im Abschnitt Gratiarum actio post Missam (lat.);
Gotteslob. Kath. Gebet- und Gesangbuch. Stuttgart, 1975, Nr. 6,7 (deutsch); Der große Sonntags
Schott. Freiburg, 1975, S. 1737 (lat. und deutsch); Otto Pieß: Im Herrn. Freiburg, [1941], 61954, S. 177
(lat. und deutsch); Lehre uns beten. Hrsg. von Josef Gülden. Regensburg, [1946], 61961, S. 95
(deutsch); Adolf Adam: Te Deum laudamus. Große Gebete der Kirche. Freiburg, 1987, S. 78f. (lat.
und deutsch).
87 Die Zeilen des Gebets sind beziffert, um spätere Hinweise auf Varianten zu erleichtern.

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14 Frieder Schulz

(6) O bone Jesu, exaudi me.


(7) Intra tua vulnera absconde me.88
(8) Ne permittas me separari a te.
(9) Ab hoste maligno defende me.89
(10) In hora mortis meae voca me.
(IIa) Et pone me iuxta te,
(lib) Et iube me venire ad te,90
(12) Ut cum Sanctis tuis laudem te91
in saecula saeculorum. Amen.

Über Herkunft, Datierung, Inhalt und sprachliche Fassung des Gebetes gib
thasar Fischer in drei gründlichen und ausführlich belegten Beiträgen die nö
Auskünfte92 mit Hinweisen auf die einschlägige Literatur,93 so daß sich we
Ausführungen erübrigen.
Die frühesten lateinischen, niederdeutschen, mittelhochdeutschen und mittelfran
zösischen Zeugen des stets mehr oder weniger streng gereimten Textes im „irischen"
Stil eines „ejaculatory, litanic, asyndetic type of prayer" ( Bishop) stammen aus dem
14. Jahrhundert. Interessant ist der ikonographische Hinweis Balthasar Fischers auf die
Darstellung der „Johannes-Minne" zu der Verszeile Pone me iuxta te.94
Bis auf eine einzige Ausnahme 95 fehlt das Anima Christi in den evangelischen
Gebet- und Gesangbüchern der Gegenwart. Doch hat Balthasar Fischer darauf auf
merksam gemacht, daß sich der Text in der Agende 1853 von Wilhelm Löhe findet. Die
aus Schlesien übernommene Fassung lautet dort:
(1) "
(2) Dein heiliger Leib, Herr Jesu Christe, speise mich.

88 Mit dieser Zeile endet der bei Wackernagel, Bd. II, Nr. 1098 überlieferte Text aus einem Hortulus
animae deutsch. Basel, 1520; sie fehlt in den frühen Textfassungen.
89 Fehlt bei Einiger (vgl. Anm. 81).
90 (IIb) ist eine spätere, abschwächende Fassung von (IIa); beides fehlt bei Einiger (vgl. Anm.
81).
91 Frühere Textfassung: ... cum angelis ...
92 Das Trierer Anima Christi. In: TThZ. 60.1951, S. 189-196; Pone me iuxta te - Setze mich zu dir. In:
Ebd. 94. 1985, S. 188-196; Das Anima Christi als Kurzformel des christlichen Glaubens. In: Ebd. 99.
1990, S. 236-239. Vgl. dazu auch Anm. 121.
93 Fischer nennt: Valentin Kehrein: Über den Verfasser des Gebetes Anima Christi. In: Kath. 78. II.
1898, S. 439-504; Guido Maria Dreves: Wer hat das Anima Christi verfaßt? In: StML. 54. 1898, S.
493-504; Desideer A. Stracke: Jets over het Anima Christi. In: Bijdragen tot de geschiedenis. Bd. 16.
Anvers, 1922, S. 833-860; André Wilmart: Auteurs spirituels du moyen-âge latin. Paris, 1932, S. 21.
367f.514; Herbert Thurston: Art. Anima Christi. In: Dictionnaire de Spiritualité. Bd. 1. 1934, Sp.
670-672; Piet Schepens: Pour l'histoire de la prière Anima Christi. In: NRTh. 62. 1935, S. 669-710;
Pedro Leturia: Libros de Horas, Anima Christi y ejercicios espirituales de S. Ignacio. In: AHSJ. 17.
Rom, 1948, S. 3-50; Bernhard Schultze: Untersuchungen über das Jesusgebet. In: OrChrP. 18.1952,
S. 329-343; Herbert Thurston: Familiar prayers. Their origin and history. London, 1953.
94 Vgl. Joh. 13, 23.25; 21, 20 (Mahl-Situation!).
95 Evangelisch-lutherischesKirchengesangbuch der Selbständigen Lutherischen Kirche. 1987, S. 1179
(Gebet nach dem Empfang des Abendmahls).

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Drei „ökumenische" Jesusgebete 15

(3) Dein teures Blut tränke mich.96


(4) -
(5) Dein bitter Leiden und Sterben stärke mich.
(6) Herr Jesu Christe, erhöre mich.
(7) In deine heiligen Wunden verberge ich mich.
(8) Laß mich von dir nimmermehr geschieden werden.
(9) Vom bösen Feind errette mich.
(10) -
(11) - (neu:) Im wahren Glauben erhalte mich,97
(12) auf daß ich dich samt allen Auserwählten lobe und preise
hier zeitlich und dort ewiglich. Amen.98
Die Rezeption des deutschen Anima Christi bei den schlesischen Lutheranern ist nun
keineswegs so singulär, wie es scheint. Ein Blick in die evangelische Gebetsliteratur
zeigt nämlich, daß das Gebet in einer der lutherischen Abendmahlsfrömmigkeit
entsprechenden deutschen Fassung weithin zum Grundbestand evangelischer Kom
muniongebete gehört hat.
Schon Paul Althaus d. Ä. hat im einzelnen nachgewiesen, daß sich die evangelischen
Gebetbücher in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der katholischen, vor allem
unter dem Namen Augustins überlieferten spätmittelalterlichen Tradition öffneten,99
wie umgekehrt katholische Gebetbücher auch evangelische Texte übernahmen.100 In

96 Die Änderungen im 1. Teil des Gebets zeigen, daß man aus einer Betrachtung des gekreuzigten
Heilandes unter Anknüpfung an (3) jetzt ein Kommuniongebet gemacht hat (speise, tränke),
wobei der passionstheologische Akzent geblieben ist. Folgerichtig mußten dann (1) und (4)
wegfallen.
97 Auch die neue Verszeile spiegelt die Bestimmung des Gebets wider: Nach reformatorischem
Ansatz geht es beim Abendmahl um Stärkung des Glaubens; vgl. in Luthers Abendmahlslied
EKG 154,5: Du sollst glauben und nicht wanken, daß's ein Speise sei den Kranken ...
98 Agende für christliche Gemeinden des lutherischen Bekenntnisses. Nördlingen, 21853, S. 339: In
einem Abendmahlsformular, in Breslau gebräuchlich, ist der Text Schlußteil eines längeren Gebetes
unmittelbar vor der Kommunion; auch in: Samenkörner des Gebetes. Nördlingen, 61854, S. 139f. Nr.
90. Übernommen in: Oswald Frühbuß: Entwurf einer Agende für die evangelisch-lutherischen
Kirchen in der Provinz Schlesien. Breslau, 1854, S. 12, als Gebet nach dem Sanctus hier und da in
Schlesien bräuchlich. Weiter überliefert in der liturg. Tradition der „Altlutheraner" (Agenden von
1886 und 1935). Vgl. ferner: Handagende. Hrsg. von Georg Christian Dieffenbach. Gotha, 1853, S.
402 und Agende Anhalt 1883, S. 18. Bei Löhe: Hausbedarf christlicher Gebete. Nürnberg, 1859, S. 320,
Nr. 193 steht der Text als Gebet „am Platz" (d.h. nach der Kommunion) mit folgenden Varianten:
(2) heiliger Leichnam ... (3) heiliges Blut... (7) ... verbirg mich ... (11) die neue Zeile fehlt! (12) ...
preise ewiglich.
99 Forschungen zur evangelischen Gebetsliteratur. Gütersloh, 1927, bes. S. 59ff. Repr. Hildesheim,
1966.
100 über diesen wechselseitigen Austausch vgl. Frieder Schulz: Art. Gebetbücher. III. In: TRE. 12. S.
113f. Gebete der kath. Tradition (Gebete der Altväter) enthalten vor allem die Gebetbücher von
Andreas Musculus (1553/1559), Ludwig Rabus (1565; vgl. Anm. 103), Joachim Minsinger von
Frundeck (1566) und das (niederdeutsche) Magdeburger Gebetbuch (1561; vgl. Anm. 102). Später
kommen noch die Gebetbücher von Martin Moller (1584) und Philip Kegel (1592; vgl. Anm. 105)
hinzu. Aus diesen „ökumenischen" Sammlungen haben dann auch die ev. Gebetbücher des
17. Jhs. geschöpft.

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16 Frieder Schulz

diesem Zusammenhang ist dann auch das Auftauchen des Anima Christi in der
evangelischen Gebetsliteratur einzuordnen.
Die früheste deutsche Fassung aus dem Reformationszeitalter stammt von Georg
Witzel, der als verheirateter Priester sich bis 1531 zur Reformation hielt und als
evangelischer Pfarrer betätigte, danach aber wieder der katholischen Kirche zuwand
te. Sein 1550 im Psaltes Ecclesiasticus gedruckter Text101 steht dem deutschen Trierer
Anima Christi aus dem 13./14. Jahrhundert nahe, während die evangelischen Gebet
bücher des 16. Jahrhunderts diese Tradition nicht fortsetzten.
Beispiele für evangelische Textfassungen des Anima Christi finden sich in folgenden
Gebetbüchern: Magdeburger Gebetbuch 1561102; Ludwig Rabus: Christliches Betbüchlein
1565/68103; Joachim Minsinger [Mynsinger] von Frundeck: Betbüchlein 1566104; Philipp
Kegel: Betbuch 1592105; Anton Probus: Gebete 1592106; Brandenburgisches Gebetbuch
1595107; Johann Weniger: Christliche Gebete 1597108.
Im 17. Jahrhundert kommen hinzu: Basilius Förtsch: Geistliche Wasserquelle 1609109;
Johann Gerhard: Betbüchlein 1612110; Johann Deucer. „Österreichisches" Gebetbuch

101 Der kyrchisch Psaltes, das Chorbuch geheißen, darin sehr viel gesengs und gebets durchs ganze iar
in gemeiner Sammlung lateinisch gethan, treulich verdeudsched und verkleret wird. Mainz, 1550,
S. 46. Text der Trierer Hs. bei Fischer 1951 (vgl. Anm. 92).
102 Ausg. um 1565, B. 97a. Bis 1625 insgesamt 33 Ausg.
103 Ausg. Frankfurt, 1584 Teil I, S. 93 Nr. XII. Bis 1606 insgesamt neun Ausg.
104 Wolfenbüttel, 1566, Bl. 88b Nr. 83; HAB Wolfenbüttel (Yv 1471.8o Heimst. [2]). Bis 1614
insgesamt zehn Ausg. Vollst. Ubertr. der älteren lat. Fassung: (IIa) und setze mich zu dir (12) ...
samt deinen heiligen Engeln. Nach (5) ist folgender neuer Satz eingefügt: »Die Wunden Christi
seien mir eine Arznei für die Versehrung und Wunden der Sünden an meiner Seele."
105 Hamburg, 1592, Bl. X 4b. Bis 1695 insgesamt 15 Ausg.
106 Erfurt, 1592, S. 229. Bis 1648 insgesamt drei Ausg.
107 Vgl. Großes Gebetbuch von Michael Cubach, Ausg. 1572, S. 22. Textvarianten gegenüber Löhe
(vgl. Anm. 98): (1) Die Seele Christi heilige mich. (2) Der Leichnam Christi erhalte mich. (3) Das
Blut... (4) Das Wasser, daß aus seiner Seite floß, wasche mich. (5) -. (6) O gütiger Jesu... (7) -. (8) -.
(9) - . (10) In der Stunde meines Todes begnade mich (IIa) und setze mich zu dir. (12) ... samt
deinen heiligen Engeln und Auserwählten ... preise ewiglich. Zu dieser Textfassung vgl. den lat.
Text (vgl. Anm. 87).
108 Dresden, 1597, S. 180.
109 Ausg. Weimar, 1619, S. 293. Bis 1738 insgesamt 15 Ausg. Textvarianten gegenüber Löhe (vgl.
Anm. 98): (1) Herr Jesu Christe. (2) Dein heiliger Leichnam ... (3) -. (4) -. (5) Dein Leiden ... (7) ...
verbirg mich. (8)... geschieden sein. (9) Herr Jesu Christe, vor dem ... bewahre mich. (10) In der
Stunde meines Todes begnade mich. (IIa) - . (12) ... preise ewiglich.
110 Ausg. 1628, S. 455. Textvarianten gegenüber Löhe (vgl. Anm. 98): (1) Die Seele Christi heilige
mich. (2) Der Leichnam Christi erhalte mich. (3) Das Blut Christi... (4) Das Wasser, das von seiner
Seite floß, das wasche mich. (5) Die Marter Christi... (6) O Jesu,... (7)... verbirg mich. (8) O Herr,
hilf mir, daß ich nimmermehr geschieden werde von dir. (9) Vor dem bösen Feind beschirme
mich. (10) In meiner letzten Stunde begnade mich, (llab) - . (12) ... mit deinen heiligen Engeln
loben möge ewiglich. Diese Fassung steht als Motto vor den Freitagsgebeten bei W. Löhe,
Samenkörner (vgl. Anm. 98), S. 306 mit folgenden Textvarianten: (2)... behalte mich. (5) -. (6) -. (10)
In der Stunde meines Todes ... (IIa) und setze mich zu dir.

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Drei „ökumenische" Jesusgebete 17

1612111; das Rigaische Gebetbuch 1641112; die Himmelsleiter von Johann Jakob Beck
1648113; die Eröffnete Himmelspforte von Johann Gottfried Olearius 1679114. In seinen
Kleinen geistlichen Konzerten 1639 hat Heinrich Schütz den Text für 3 Stimmen mit
Continuo-Begleitung bearbeitet.115
Auch im 18. und 19. Jahrhundert ist das Anima Christi noch immer in evangelischen
Gebetbüchern nachzuweisen. Als Beispiele seien genannt: Vermehrtes Gebetbuch zum
Gesangbuch Hannover 1709116; Johann Friedrich Starck: Communionbuch 1723117;
Christliches Gebetbuch 1775n8. Auf die älteren Gebetbücher griffen zurück: Gebetbuch
des Evangelischen Büchervereins 1849119 und Allgemeines Gebetbuch der Allgemeinen
Lutherischen Konferenz 1883120. Eine englische Fassung des Anima Christi erschien 1840
im Rahmen der englischen Bearbeitung der Preces Privatae von Lancelot Andrewes
durch John Henry Newman121.
Der vorstehenden exemplarischen Übersicht über die Rezeption des deutschen
Anima Christi in der evangelischen Gebetsliteratur läßt sich entnehmen, daß der noch
im 16. Jahrhundert aus der katholischen Tradition übernommene Text als Kommu
nionsgebet122 außerordentlich verbreitet war. Allerdings scheint sich seit der Epoche
der Aufklärung ein Rückgang der Verbreitung abzuzeichnen, der auch in der Restau

111 Ausg. 1613, S. 62.


112 Ausg. 1741, S. 198. Bis 1741 insgesamt sieben Ausg. Textvarianten gegenüber Löhe (vgl. Anm.
98): (1) -. (2) Der zarte Fronleichnam ... (3) Sein rosenfarbnes Blut... (4) -. (5) Sein... (7) -. (8) -. (9) -
(neu:) Mit Glauben, Lieb und Hoffnung begäbe mich. (10) An meinem letzten Ende erhalte mich.
(IIa) -. (12) Auf daß ich ewig preise dich.
113 Tübingen, 1648, S. 498. Der Text ist im Druck so angeordnet, daß sich der Umriß eines Kelchs
ergibt. Textvarianten gegenüber Löhe (vgl. Anm. 98): (1) -. (2) Der zarte Fronleichnam Jesu Christi
... (3) Sein rosinfarbes Blut... (4) -. (5) Sein ... (7) In deine heiligen fünf Wunden verbirg mich. (8)...
abgescheiden ... (10) -. (IIa) -. (12)... mit allen ... immer und ewiglich.
114 Leipzig, 1679, S. 1692. Textvarianten gegenüber Löhe (vgl. Anm. 98); (1) Herr Jesu Christe. (2)
Dein heiliger Leichnam. (4) -. (6) hinter (10) eingefügt. (7) ... verbirg mich. (9) ... errette und
bewahre mich. (10) in meiner letzten Stunde begnade mich, (llab) -. (12) ... preise ewiglich.
115 RISM S 2291: Schütz. Neue Gesamtausg. Bd. 11/2. Kassel, 1963, S. 48-54. Textvarianten
gegenüber Löhe (vgl. Anm. 98): (1) Die Seele Christi heilige mich. (2) Der Leichnam Christi... (3)
Das Blut Christi... (4) Das Wasser, das aus seiner Seite floß, wasche mich. (5) Sein ... (6) O lieber
Herr Jesu... (7)... verbirg mich. (9) Vor dem... bewahre mich. (10) In meiner letzten Stunde rufe mir
(IIb) daß ich möge kommen zu dir. (12) ... preisen ewiglich.
116 Ausg. 1806, S. 88, Nr. 54. Anstelle von (llab) findet sich hier der von Löhe rezipierte Text:
Erhalte mich im wahren Glauben (vgl. Anm. 97).
117 Ausg. Frankfurt 1765, S. 331.
118 Beigebunden an: Vollständiges Marburger Gesangbuch. Marburg/Frankfurt, 1775; Beibd.
S. 18.
119 Berlin, 1849, S. 38, Nr. 62. Zwei weitere Ausg. bis 1866.
I2» Leipzig, 1883, S. 514. 516.
121 PrecesPrivatae. Ausg. Oxford, 1675, S. 161; engl. Bearbeitung von John Henry Newman. Ausg.
1920, S. 110; deutsche Bearbeitung von Otto Karrer. München, o. J. (1927), S. 96 und von Heinz
Hunger. Bielefeld, 1960, S. 131.
122 Bei Olearius 1679 ist der Text überschrieben: Kurzer Seufzer in dem Hinzugehen.

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18 Frieder Schulz

rationsphase des 19. Jahrhunderts nur begrenzt aufgefangen werden konnte.123 Jedoch
ist die Wirkungsgeschichte des Anima Christi im evangelischen Bereich in den bishe
rigen Darlegungen noch nicht vollständig dargestellt.
Man kann nämlich beobachten, daß die von Johann Scheffler („Angelus Silesius")
1657 veröffentlichte Liedfassung des Textes124 im 18. Jahrhundert in mitteldeutsche
Gesangbücher, vor allem in das weit verbreitete Freylinghausensche Gesangbuch 1704
Aufnahme gefunden125 und so den Inhalt im Medium des Gemeindegesangs lebendig
erhalten hat, zumal die Kopfzeile des Liedes der Vorlage genau entspricht.
(1) Die Seele Christi heiige mich,
sein Geist verzucke mich in sich.126
(2) Sein Leichnam, der für mich verwundt,
der mach mir Leib und Seel gesund.
(4) Das Wasser, welches auf den Stoß
des Speers aus seiner Seiten floß,127
(3) das sei mein Bad, und all sein Blut
erquicke mir Herz, Sinn und Mut.
Der Schweiß von seinem Angesicht
laß mich nicht kommen ins Gericht.128
(5) Sein ganzes Leiden, Kreuz und Pein,
das wolle meine Stärke sein.

(6) O Jesu Christ, erhöre mich,


(7) nimm und verbirg mich ganz in dich.
Laß mich in deine Wunden ein,129
(9) daß ich vorm Feind kann sicher sein.
(10) Ruf mir in meiner letzten Not
(11) und setz mich neben dich, mein Gott,130

123 So spricht August Jakob Rambach in seiner Anthologie christlicher Gesänge aus allen Jahr
derten der Kirche. Bd. 1. Altona/Leipzig, 1817, S. 354 von „der bei uns einst sehr beli
Übersetzung" des Anima Christi.
124 A. Fischer / W. Tümpel. Bd. V. Gütersloh, 1911, S. 380 Nr. 425; aus: Heilige Seelenlust
Geistliche Hirten-Lieder ... Breslau, 1657, S. 169.
125 Nr. 80. Von diesem Gesangbuch ersch. bis 1759 weitere 18 Ausg., die sicher zur Verbre
des Liedes beigetragen haben.
126 Die zweite Verszeile kann als Versuch angesehen werden, den ungewohnten Ausdru
Seele Christi in seiner Bedeutung verständlich zu machen. Gemeint ist also: Der Geist Christi m
den Beter innerlich erfassen und mit sich vereinigen.
127 (3) und (4) sind umgestellt.
128 Die Vorlage der zusätzlichen Verszeilen lautet: Sudor Christi... sana me. Sie kommt ver
vor (Neapel 1481; Langres 1502) und wird auch erwähnt bei: Hermann Adalbert Daniel:
hymnologicus. Bd. 1. Halle, 1841, S. 345. Auch bei Newman (vgl. Anm. 121) erscheint
zusätzliche Bitte.
129 (8) fehlt.
130 B. Fischer macht darauf aufmerksam, daß Scheffler hier der älteren Textfassung folgt. (Vgl.
Anm. 92 1985, S. 190ff.).

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Drei „ökumenische" Jesusgebete 19

(12) daß ich mit deinen Heilgen alln


mög ewiglich dein Lob erschalln.131
Eine andere Liedfassung, die sich auch in den Reimen noch enger an die Vorlage
hält, hat bereits 1628 Melchior Franck einer Chorkomposition zugrunde gelegt:132
(1) Jesu, dein Seel laß heiigen mich,
(3) Jesu, dein Blut laß tränken mich,133
(4) Das Wasser laß mich waschen rein,
welches floß aus der Seiten dein.

(5) Jesu, dein Leiden stärke mich,


(6) Jesu, dein Gnad erhöre mich,
(7) Die Wunden dein verbergen mich,
(8) daß von dir nichts kann scheiden mich.
(9) Jesu, vorm Feind beschütze mich,
(10) Jesu, im Tod berufe mich,
(11) auf heiß mich Kommen 'nauf zu dir
nichts Bessers kann geschehen mir.
Jesu, verleih mir mildiglich,
(12) daß ich mög ewig loben dich,
nichts Höh'res kann erfreuen mich.134
Diese zweite Liedfassung konnte sich allerdings gegenüber dem weit verbreiteten
Lied von Johann Scheffler nicht durchsetzen, das vor allem auch in die Gesangbücher
der Brüdergemeine Aufnahme gefunden hat.135 Im Gesangbuch 1778 wurden zwei
bemerkenswerte Textänderungen vorgenommen, die für den Umgang der Brüderge
meine mit überlieferten Texten kennzeichnend sind.136

131 Die Herstellung einer Textfassung in der Form des Reimstrophenliedes lag schon desha
nahe, weil sowohl die lat. wie die deutsche Vorlage gereimt sind. Eine gereimte engl. Übers, de
fünf Str. lieferte Charles Wesley (Psalms and Hymns 1741); Text in: George Osborn (ed.): The
Poetical Works of John and Charles Wesley. Vol. 2. London, 1869, S. 15.
132 RISM F 1738: Sacri convivii [!] musica sacra (zu 4 bis 6 Stimmen). Coburg, 1628; auch RISM
1751: Psalmodia sacra. Nürnberg, 1631.
133 (2) fehlt. Bei der Übernahme des Textes in sächs. Gesangbücher wurde daher teilweise die
1. Zeile geändert: Jesu, dein Leib laß speisen mich, um die Nennung der Elemente im Abendma
zu vervollständigen.
134 Die letzte Str. scheint unvollständig zu sein.
135 Berthelsdorfer Gesangbuch. Leipzig, 1725, Nr. 181, Str. 1 „... sein Geist versetze mich in sich.
Herrnhuter Gesangbuch. Herrnhut, 1735, Nr. 20; Londoner Gesangbuch. 1753, Nr. 632 (Str. 1: „... Se
Geist versiegle mich mit sich ..."; Str. 5: „Rück mich aus aller meiner Not ..."). Brüdergemein
Gesangbuch. 1778, Nr. 793 unter der Rubrik Von der Heiligung des Leibes und der Seele. Erst d
Brüdergemeine-Gesangbuch 1927 hat das Lied ausgeschieden.
136 Str. 1: „Die Seele Christi heiige mich zu Einer Seel und Geist mit sich ... „ Str. 5: „Ruf mir am
Ende aller Not und nimm mich auf bei dir, mein Gott, wo der Erlösten selge Schar dich liebt und
lobet immerdar.* Neben der Glättung sprachlicher Härten („verzucke"; „daß ich mög ... dein L
erschalln") und der Milderung einer drastischen Wendung („Setz mich neben dich, mein Gott')
der offenbar als schwierig empfundene Anfang im Sinn von Apg. 4,32 verdeutlicht: Der Beter sol
ein Herz ( = Geist) und eine Seele mit Christus sein.

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20 Frieder Schulz

In den Gesangbüchern des 18. Jahrhunderts wurde das Lied, der ursprünglichen
Intention des Anima Christi entsprechend, unter die Passionslieder eingereiht.137 Nach
einer Aufstellung von 1904138 enthielten im 19. Jahrhundert noch immerhin acht meist
mittel- und norddeutsche landeskirchliche Gesangbücher Schefflers Lied. Dazu kom
men die privaten Reformgesangbücher, denen das Lied erhaltenswert erschien.139
Noch 1931 stand der Text in drei norddeutschen landeskirchlichen Gesangbü
chern.140
Als Gebet und als Lied war also das Anima Christi längere Zeit Bestandteil evan
gelischer Gebet- und Gesangbücher. Daß es in der Gegenwart daraus völlig ver
schwunden ist, dürfte auf die zumindest ungewohnte Kopfzeile zurückzuführen sein.
Ob der Hinweis auf den ersten Satz Verbum assumpsit carnem mediante anima, also auf
die Seele Christi als medium colligantiae bzw. congruentiae ( Bonaventura) zwischen
dem göttlichen Wort und dem menschlichen Leib141 zum Verständnis hilft, ist jedoch
zweifelhaft, da es im Anima Christi um die Beziehung zwischen Christus und dem
betenden Menschen geht. Auch der Hinweis auf das „Wissen der Seele Christi", die
„um alles Leid" weiß142, ist nicht überzeugend.
Im Kontext des Anima Christi müßte anima wie die anderen Topoi (corpus, sanguis,
aqua lateris, passio, vulnera) eine passionstheologische Bedeutung haben. Es legt sich
daher nahe, zu anima auf Texte wie Mt. 26,38 zu verweisen: Tristis est anima mea usque
ad mortem, vor allem auf Joh. 10,15ff. wo Jesus in der Hirtenrede sagt: animam meam
pono pro ovibus meis; ego pono animam meam ...; ego pono earn a meipso, et potestatem
habeo ponendi eam. Dann wäre also mit anima das für die Erlösung der Menschen
hingegebene Leben Jesu gemeint, was in dem Gebet dann in der Betrachtung der
einzelnen Martermerkmale des Gekreuzigten entfaltet wird. In der Sprache späterer
Passionsfrömmigkeit würde man die Kopfzeile wohl so übertragen: Der gekreuzigte
Jesus, das Kreuz Christi, der Tod Christi oder einfach: Jesus Christus heilige mich. Zu
vergleichen wäre ferner: Sanctificati sumus per oblationem corporis Jesu Christi und
Jesus, ut sanctificaret per suum sanguinem populum ... passus est.143
Sicher wird man in der Gegenwart das Zurücktreten der Passionsfrömmigkeit und
damit das Verschwinden des Anima Christi auch darauf zurückzuführen haben, daß im
Glaubensdenken und in der Spiritualität der Oster-Aspekt der Christologie und die
trinitarische Gesamtschau der Heilsoffenbarung neue Bedeutung gewonnen haben.

137 Z.B. Magdeburger Gesangbuch. 1738, Nr. 94; Wernigeroder Gesangbuch. 1766, Nr. 82; Straßburger
Gesangbuch. 1783, Nr. 44. In der zweiten Verszeile ist der Text verändert: Statt „verzucke" heißt es
jeweils „versetze mich in sich".
138 Philipp Dietz: Tabellarische Nachweisung des Liedbestandes der jetzt gebräuchlichen Landes- und
Provinzial-Gesangbücher des evangelischen Deutschlands. Marburg, 1904, S. 20.
139 Geistlicher Liederschatz. Berlin, 1832, Nr. 361; Albert Knapp: Liederschatz. 1837, Nr. 473
Gerhard Stip: Unverfälschter Liedersegen. 1851, Nr. 93.
140 Julius Arnold: Die Pforte zum heiligen Lied. Wegweiser ins evangelische Gesangbuch. Güters
loh, 1931, S. 8f.
141 Vgl. Artur Michael Landgraf: Dogmengeschichte der Frühscholastik. 6. Teil. II. Bd. 1. Regens
burg, 1953, S. 150-171, bes. S. 169f.
142 Vgl. Winfried Zeller: Theologie und Frömmigkeit. Marburg, 1971, S. 20.
143 Hebr. 10, 10 und 13, 12.

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Drei „ökumenische" Jesusgebete 21

Insofern kann die Darstellung der Wirkungsgeschichte des spätmittelalterlichen


Gebets in der evangelischen Tradition nur so etwas wie ein Nachruf sein.

Zusammenfassung
1. Die besprochenen Texte gleichen sich in formaler Hinsicht: Es handelt sich um
auswendig behältliche Reimgebete für den einzelnen Beter, also um „Volksgebete*,
die gesprochen und gehört werden sollen, nicht um liturgische Gebete, die ein
Zelebrant vorliest. Als Zeugnisse geistlicher Erfahrung haben sie es vermocht,
christliche Volksfrömmigkeit zu nähren und zu prägen.
2. Die besprochenen Texte sind (mit Ausnahme des Tischgebets) durch den Gleich
klang identischer einsilbiger Reimwörter gekennzeichnet, bei unbetonter Endsilbe
läßt sich teilweise Assonanz-Reim feststellen, was die Affinität zu volkstümlichen
Spruchformen anzeigt. Da auch für das meist lateinisch überlieferte Anima Christi
eine deutschsprachige Fassung aus der Entstehungszeit nachgewiesen ist, sind alle
Texte Glaubenszeugnisse aus dem deutschen Sprachraum.
3. Die besprochenen Texte sind im Laufe ihrer Rezeptionsgeschichte mit Melodien
versehen und in den Gemeindegesang übernommen worden. Damit sind sie aus der
Beschränkung auf die Glaubensäußerung eines einzelnen herausgelöst und zum
Medium gemeinsamer Bitte, Hingabe und Glaubensgewißheit geworden.
4. Die besprochenen Texte sind alle als Gebete zu Jesus gestaltet: Sie rechnen also mit
der tröstlichen Nähe dessen, der das Todesschicksal der Menschen auf sich
genommen hat und den Betern als der Lebendige begegnet. Die Aufnahme alle
Texte in die Gesangbücher der Brüdergemeine ist ein Beispiel dafür, daß die au
Glaubenserfahrung gerichtete Jesusfrömmigkeit" sich seit dem späten Mittelalter
immer wieder Geltung verschafft hat als Korrektiv gegenüber ritueller Ersta
rung.
5. Die besprochenen Texte weisen auch inhaltliche Gemeinsamkeiten auf: So hat d
in den Gebeten angesprochene innige Gemeinschaft mit Jesus unverkennbar einen
eucharistischen und eschatologischen Akzent. Darin gründet die Hoffnung, auc
im eigenen Sterben nicht von Jesus getrennt zu werden.
6. Die besprochenen Texte sind gemeinsame christliche Gebete, da das erste und d
zweite Jesusgebet aus der evangelischen in die katholische Gebetstradition übe
nommen wurden, während das Anima Christi zwar katholischen Ursprungs ist
jedoch über dreihundert Jahre hindurch ein ein Element evangelischer Aben
mahls- und Passionsfrömmigkeit war.

Summary

There is a most popular prayer at table Komm, Herr Jesu, sei unser Gast..., published the first time in
the London hymnal of Zinzendorf 1753. Jesus, I live to Thee ..., another ecumenical prayer, has its
origin from Reformation time; a third prayer called Anima Christi has been a very well known
prayer at communion as well in Protestant as in Roman-catholic spirituality in former centuries.
Frieder Schulz gives a historical and theological analysis of these three texts underlining their
ecumenical relevance as an "ejaculatory, litanic, asyndetic type of prayer" (Bishop).

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