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de Gruyter Studium

Fleischer/Barz
Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache
Wolfgang Fleischer/Irmhild Barz
Wortbildung der
deutschen
Gegenwartssprache
4. Auflage; völlig neu bearbeitet von Irmhild Barz
unter Mitarbeit von Marianne Schröder

De Gruyter
ISBN 978-3-11-025663-5
e-ISBN 978-3-11-025665-9

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© 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston


Satz: pagina GmbH, Tübingen
Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
² Gedruckt auf säurefreiem Papier.
Printed in Germany
www.degruyter.com
Vorwort zur vierten Auflage

Die vierte Auflage stellt eine grundlegende Überarbeitung der dritten Auf-
lage von 2007 dar. Sie ist mit dem Ziel entstanden, vielfältige neue Erkennt-
nisse der Wortbildungsforschung so differenziert wie möglich einzuarbeiten
und die Beispiele zu aktualisieren, gleichzeitig jedoch die übersichtliche syn-
chrone Gesamtdarstellung der Wortbildung der deutschen Gegenwarts-
sprache, wie sie Wolfgang Fleischer 1992 konzipiert hat, zu bewahren.
Das grundlegende Prinzip, die Wortbildung wortartspezifisch und folg-
lich morphosyntaktisch ausgerichtet zu beschreiben, wird beibehalten,
einem jüngeren Trend der Forschung entsprechend jedoch konsequenter als
in den Vorauflagen verfolgt. So wird den Besonderheiten der Wortart Verb
durch eine völlig veränderte Gesamtsystematik der verbalen Wortbildungs-
arten Rechnung getragen. Der grammatischen Ausrichtung entspricht des
Weiteren eine stärkere Berücksichtigung morphologischer und syntakti-
scher Bezüge der Bildungsmodelle.
Neu hinzugekommen ist das Kapitel „Wortbildung und andere Bereiche
der Grammatik“, das die Wortbildung als Schnittstellenphänomen inner-
halb der Grammatik charakterisiert.
Ausführlicher als bisher werden textuelle und pragmatische Aspekte in
die Beschreibung einbezogen. In dem neuen Abschnitt „Wortbildung und
Lexikon“ sowie in dem erheblich erweiterten Textkapitel wird Wortbildung
ins Verhältnis gesetzt zu anderen Möglichkeiten der Wortschatzerweiterung
bzw. in ihrer textkonstitutiven und textdifferenzierenden Funktion erklärt.
Deutlich ausgebaut sind außerdem die Abschnitte Fremdwortbildung und
Kurzwortbildung.
Hinzugekommen ist eine größere Zahl an Übersichten. Sie ermöglichen
nicht nur eine rasche Orientierung über den Affixbestand im Deutschen,
sondern die meisten von ihnen bieten zudem eine funktional-semantische
Zusammenschau der Derivationsmodelle, die die dominante morpholo-
gisch-strukturelle Gliederung des Textes, insbesondere die Gliederung der
Derivation nach den Formativen der Affixe, sinnvoll um eine semantische
Strukturierung ergänzt.
Auf eine Formalisierung der Wortbildungsmodelle wird verzichtet.
VI Vorwort

Einer verbesserten Textstrukturierung dienen klein gedruckte Passagen,


die vor allem aktuelle Forschungsüberlegungen kommentieren und Litera-
turhinweise geben.
Das Sachregister nimmt wichtige Fachbegriffe auf und verweist auf Text-
stellen, an denen sie definiert oder ausführlich behandelt werden. Das For-
menregister enthält neben den indigenen und exogenen Affixen auch andere
für die Wortbildung relevante Einheiten wie Konfixe und gebundene
Stämme in Auswahl.
Das Buch bleibt auch in der Neufassung eine Gemeinschaftsarbeit, die
beide Autorinnen verantworten. I. Barz hat die Kapitel 1 bis 5 überarbeitet,
M. Schröder die Abschnitte 1.4 und 2.7 sowie die Register.
Für vielfältige Anregungen und kritische Hinweise, die in die Überarbei-
tung eingegangen sind, gebührt Rezensenten, Lehrenden und Studierenden
ein herzlicher Dank. Ebenso herzlich danken wir Kai Schöne, der das Ge-
samtmanuskript sachkundig und sorgfältig durchgesehen und manche Ver-
besserung vorgeschlagen hat. Unser besonderer Dank gilt schließlich den
Mitarbeiterinnen des Verlags de Gruyter Birgitta Zeller und Susanne Mang
für die entgegenkommende und hilfreiche Begleitung des Manuskripts bis
zum Druck.

Leipzig, im Februar 2011 Irmhild Barz und Marianne Schröder


Vorwort zur ersten Auflage

Das vorliegende Buch ist keine Überarbeitung des 1969 erstmals erschiene-
nen Werkes von W. Fleischer, sondern eine vollständige Neufassung. Ge-
blieben ist das Ziel einer übersichtlichen Gesamtdarstellung der Wortbil-
dungsmodelle in der deutschen Gegenwartssprache, wobei die theoretische
und methodische Grundlegung erweitert und vertieft worden ist. Eine Reihe
von Grundfragen wurde neu entschieden, manches überhaupt neu auf-
genommen (z. B. die onomasiologisch-nominationstheoretische Orientie-
rung, die Beziehung zum Text, die differenzierte Problematik des Wortbil-
dungsparadigmas u. a.). Beträchtlich erweitert ist die Beschreibung der
verbalen Wortbildung; darstellungsmethodisch differenziert wurden die Be-
schreibungen von Substantiv und Adjektiv; vermehrt wurde die Zahl von
Übersichten. Auch in dieser Neufassung werden in angemessener Weise
historische Gesichtspunkte berücksichtigt, auch unproduktive Typen be-
handelt (deutlich abgesetzt von den produktiven Modellen) und diachro-
nische Erläuterungen gegeben. Im Vordergrund steht jedoch das Prinzip
synchronischer Beschreibung des gegenwärtigen Systems. Die Verarbeitung
der Forschung wird verdeutlicht, unterschiedliche Positionen werden ge-
kennzeichnet, vielfach auch ausführlicher begründet.
Die Autoren hoffen, daß die Neufassung wie ihr Vorgänger mit Nutzen im
Hochschulunterricht zu verwenden ist und zugleich die Rolle eines Hand-
buchs spielen kann. Das Buch ist eine Gemeinschaftsarbeit; Ideen aller drei
Autoren sind in das Ganze eingegangen. Abgefaßt wurden von I. Barz die
Abschnitte 1.5., 1.9.1., und das Kapitel 5, von W. Fleischer die Abschnitte
1.1.–1.4., 1.6.–1.8. sowie die Kapitel 2 (außer 2.8.), 3 und 4, von M. Schröder
die Abschnitte 1.9.2. und 2.8.

Leipzig, im Januar 1990 Wolfgang Fleischer


Irmhild Barz
Marianne Schröder
Inhaltsverzeichnis

1 Grundsätze und Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . 1

1.1 Gegenstand, Zielsetzung und Darstellungsprinzipien . . 1


1.1.1 Das Wesen der Wortbildung . . . . . . . . . . . . 1
1.1.2 Gegenstand der Darstellung . . . . . . . . . . . . 3
1.1.3 Synchronie und Diachronie . . . . . . . . . . . . 4
1.1.4 Beschreibungsprinzipien und -ziele . . . . . . . . . 5
1.1.5 Darstellungs- und Formulierungskonventionen . . . . 8

1.2 Wortbildung und andere Bereiche der Grammatik . . . 9


1.2.1 Wortbildung und Flexionsmorphologie . . . . . . . 9
1.2.2 Wortbildung und Syntax . . . . . . . . . . . . . 12
1.2.3 Wortbildung und Phonologie . . . . . . . . . . . 15
1.2.4 Wortbildung und Orthografie . . . . . . . . . . . 16

1.3 Wortbildung und Lexikon . . . . . . . . . . . . . 17


1.3.1 Wortbildung und Wortschöpfung . . . . . . . . . . 18
1.3.2 Wortbildung und Entlehnung . . . . . . . . . . . 20
1.3.3 Wortbildung und Bedeutungsbildung . . . . . . . . 21
1.3.4 Wortbildung und Phraseologisierung . . . . . . . . 22
1.3.5 Lexikalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

1.4 Wortbildung und Text . . . . . . . . . . . . . . 26


1.4.1 Textkonstitutive Funktion . . . . . . . . . . . . . 27
1.4.2 Textdistinktive Funktion . . . . . . . . . . . . . 30
1.4.2.1 Stilbildende Potenzen der Wortbildung . . . . . . . . 31
1.4.2.2 Textsortentypische Wortbildung . . . . . . . . . . 34
X Inhaltsverzeichnis

1.5 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
1.5.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
1.5.2 Phonetisch-phonemische Motivation . . . . . . . . 42
1.5.3 Figurative Motivation . . . . . . . . . . . . . . 43
1.5.4 Morphosemantische Motivation . . . . . . . . . . 44
1.5.4.1 Abstufung der Motivation . . . . . . . . . . . . . 44
1.5.4.2 Wortbildungsbedeutung . . . . . . . . . . . . . 47
1.5.4.3 Motivation und Polysemie . . . . . . . . . . . . . 48
1.5.4.4 Motivation in der Kommunikation . . . . . . . . . 49

1.6 Einheiten der Wortbildung . . . . . . . . . . . . 51


1.6.1 Wörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
1.6.2 Affixe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
1.6.2.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
1.6.2.2 Affixarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
1.6.2.3 Affixbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
1.6.2.4 Erweiterung des Affixbestandes . . . . . . . . . . . 58
1.6.3 Konfixe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
1.6.4 Syntagmen und Sätze . . . . . . . . . . . . . . . 65
1.6.5 Unikale Morpheme . . . . . . . . . . . . . . . 65
1.6.6 Fugenelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

1.7 Modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
1.7.1 Ziel der Modellierung . . . . . . . . . . . . . . 67
1.7.1.1 Strukturelle und morphologische Modellierung . . . . 69
1.7.1.2 Semantische Modellierung . . . . . . . . . . . . . 71
1.7.1.3 Modellierungsschritte . . . . . . . . . . . . . . 73
1.7.2 Produktivität und Akzeptabilität . . . . . . . . . . 74
1.7.2.1 Produktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
1.7.2.2 Bildungsrestriktionen . . . . . . . . . . . . . . . 77
1.7.2.3 Blockierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
1.7.2.4 Akzeptabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
1.7.3 Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

1.8 Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
1.8.1 Wortbildungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Inhaltsverzeichnis XI

1.8.1.1 Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
1.8.1.2 Derivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
1.8.1.3 Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
1.8.1.4 Kurzwortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . 91
1.8.1.5 Partikelverbbildung . . . . . . . . . . . . . . . 91
1.8.1.6 Rückbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
1.8.1.7 Kontamination . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
1.8.1.8 Reduplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
1.8.2 Wortbildungsparadigmen . . . . . . . . . . . . . 96
1.8.2.1 Funktional-semantische Klassen . . . . . . . . . . 96
1.8.2.2 Wortbildungsreihen . . . . . . . . . . . . . . . 98
1.8.2.3 Wortfamilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
1.8.2.4 Wortbildungssynonymie und -antonymie . . . . . . . 100

1.9 Zur Spezifik der Fremdwortbildung . . . . . . . . . 101


1.9.1 Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
1.9.2 Probleme der Analyse und Klassifikation . . . . . . . 104
1.9.2.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
1.9.2.2 Einheiten der Fremdwortbildung . . . . . . . . . . 105
1.9.2.3 Fugenelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
1.9.3 Wortbildungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . 111
1.9.3.1 Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
1.9.3.2 Derivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

2 Wortbildung des Substantivs . . . . . . . . . . . . . . . . 117

2.1 Allgemeine Charakteristik . . . . . . . . . . . . . 117


2.1.1 Produktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
2.1.2 Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
2.1.3 Funktional-semantische Klassen . . . . . . . . . . 119
2.1.3.1 Modifikationsarten . . . . . . . . . . . . . . . 119
2.1.3.2 Transpositionsarten . . . . . . . . . . . . . . . 121

2.2 Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127


2.2.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
2.2.1.1 Stabilität der Wortstruktur . . . . . . . . . . . . . 127
XII Inhaltsverzeichnis

2.2.1.2 Lockerung der Stabilität . . . . . . . . . . . . . . 128


2.2.1.3 Semantische Eigenschaften . . . . . . . . . . . . 129
2.2.1.4 Kompositum und Syntagma . . . . . . . . . . . . 131
2.2.1.5 Zur Kompositionsaktivität . . . . . . . . . . . . . 133
2.2.2 Substantiv als Erstglied . . . . . . . . . . . . . . 136
2.2.2.1 Formativstrukturen des Determinativkompositums . . . 136
2.2.2.2 Polymorphemisches Kompositum . . . . . . . . . 138
2.2.2.3 Zur Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
2.2.2.4 Semantisch bedingte Bildungsrestriktionen . . . . . . 148
2.2.2.5 Kopulativkompositum . . . . . . . . . . . . . . 149
2.2.2.6 Übergangsbereich zwischen Determinativ- und
Kopulativkompositum . . . . . . . . . . . . . . 151
2.2.3 Adjektiv als Erstglied . . . . . . . . . . . . . . . 152
2.2.3.1 Formativstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . 152
2.2.3.2 Zur Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
2.2.4 Verbstamm als Erstglied . . . . . . . . . . . . . . 159
2.2.4.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
2.2.4.2 Formativstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . 161
2.2.4.3 Zur Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
2.2.5 Pronomen als Erstglied . . . . . . . . . . . . . . 164
2.2.6 Numerale als Erstglied . . . . . . . . . . . . . . 166
2.2.7 Flexionsloses Wort als Erstglied . . . . . . . . . . . 166
2.2.7.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
2.2.7.2 Präposition als Erstglied . . . . . . . . . . . . . 167
2.2.7.3 Adverb als Erstglied . . . . . . . . . . . . . . . 170
2.2.8 Konfix als Erstglied . . . . . . . . . . . . . . . 172
2.2.9 Syntagma und Satz als Erstglied . . . . . . . . . . 174
2.2.9.1 Substantivisches Syntagma . . . . . . . . . . . . 175
2.2.9.2 Verbales Syntagma . . . . . . . . . . . . . . . . 176
2.2.9.3 Sonstige Syntagmen . . . . . . . . . . . . . . . 177
2.2.9.4 Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
2.2.10 Possessivkompositum . . . . . . . . . . . . . . 178
2.2.11 Onymische und deonymische Komposition . . . . . . 179
2.2.11.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
2.2.11.2 Onymische Kompositionsmodelle . . . . . . . . . . 180
2.2.11.3 Onymische Komposita mit appellativischen Elementen . 181
2.2.11.4 Deonymische Komposita . . . . . . . . . . . . . 183
Inhaltsverzeichnis XIII

2.2.12 Form der Kompositionsfuge . . . . . . . . . . . . 185


2.2.12.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
2.2.12.2 Substantivisches Erstglied . . . . . . . . . . . . . 186
2.2.12.3 Verbales Erstglied . . . . . . . . . . . . . . . . 190
2.2.12.4 Schwankungen bei der Fugengestaltung . . . . . . . 191
2.2.12.5 Grafische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . 192

2.3 Suffixderivation . . . . . . . . . . . . . . . . . 195


2.3.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
2.3.2 Indigene Suffixe . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
2.3.2.1 Suffix -e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
2.3.2.2 Suffix -ei/-erei . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
2.3.2.3 Suffix -el . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
2.3.2.4 Suffix -er . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
2.3.2.5 Suffix -ler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
2.3.2.6 Suffix -ner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
2.3.2.7 Suffix -heit/-keit/-igkeit . . . . . . . . . . . . . . 209
2.3.2.8 Suffix -i . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
2.3.2.9 Suffix -icht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
2.3.2.10 Suffix -ling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
2.3.2.11 Suffix -nis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
2.3.2.12 Suffix -s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
2.3.2.13 Suffix -sal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
2.3.2.14 Suffix -schaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
2.3.2.15 Suffix -sel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
2.3.2.16 Suffix -tel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
2.3.2.17 Suffix -tum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
2.3.2.18 Suffix -ung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
2.3.2.19 Suffix -werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
2.3.2.20 Suffix -wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
2.3.2.21 Diminutivsuffixe . . . . . . . . . . . . . . . . 231
2.3.2.22 Movierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
2.3.3 Exogene Suffixe . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
2.3.3.1 Feminina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
2.3.3.2 Maskulina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
2.3.3.3 Maskulina und Neutra . . . . . . . . . . . . . . 247
2.3.3.4 Feminina und Neutra . . . . . . . . . . . . . . 247
2.3.3.5 Neutra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
XIV Inhaltsverzeichnis

2.3.4 Onymische und deonymische Suffixe . . . . . . . . 250


2.3.4.1 Onymische Suffixe von Personennamen . . . . . . . 250
2.3.4.2 Onymische Suffixe von Ortsnamen . . . . . . . . . 251
2.3.4.3 Onymische Suffixe von Länder- und Landschaftsnamen . 252
2.3.4.4 Deonymische Suffixe . . . . . . . . . . . . . . . 253
2.3.5 Unproduktive Suffixe . . . . . . . . . . . . . . . 254

2.4 Präfixderivation . . . . . . . . . . . . . . . . . 255


2.4.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
2.4.2 Indigene Präfixe . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
2.4.2.1 Präfix erz- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
2.4.2.2 Präfix ge- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
2.4.2.3 Präfix haupt- . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
2.4.2.4 Präfix miss- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
2.4.2.5 Präfix un- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
2.4.2.6 Präfix ur- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
2.4.3 Exogene Präfixe . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
2.4.3.1 Negation und Augmentation . . . . . . . . . . . . 262
2.4.3.2 Sonstige Präfixe . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
2.4.4 Unproduktive Präfixe . . . . . . . . . . . . . . 265

2.5 Zirkumfixderivation . . . . . . . . . . . . . . . 266

2.6 Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267


2.6.1 Morphologische Konversion . . . . . . . . . . . . 267
2.6.1.1 Verbale Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
2.6.1.2 Sonstige Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
2.6.2 Syntaktische Konversion . . . . . . . . . . . . . 270
2.6.2.1 Verbale Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
2.6.2.2 Adjektivische und partizipiale Basen . . . . . . . . . 272
2.6.2.3 Phrasale Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

2.7 Kurzwortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . 277


2.7.1 Kurzworttypen . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
2.7.2 Wortstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
2.7.3 Wortbildung mit Kurzwörtern . . . . . . . . . . . 283
Inhaltsverzeichnis XV

2.7.4 Wortschatzerweiterung . . . . . . . . . . . . . . 284


2.7.4.1 Kurzwort-Neubildungen . . . . . . . . . . . . . 285
2.7.4.2 Inventarisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
2.7.5 Kurzwortbildung im Text . . . . . . . . . . . . . 287
2.7.5.1 Textkonstitutive Funktion . . . . . . . . . . . . . 288
2.7.5.2 Stilbildende Potenzen . . . . . . . . . . . . . . 289
2.7.5.3 Textsortentypische Kurzwortbildung . . . . . . . . . 290

3 Wortbildung des Adjektivs . . . . . . . . . . . . . . . . 297

3.1 Allgemeine Charakteristik . . . . . . . . . . . . . 297


3.1.1 Produktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
3.1.2 Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
3.1.3 Reihenbildung kompositioneller Zweitglieder . . . . . 300
3.1.4 Funktional-semantische Klassen . . . . . . . . . . 305
3.1.4.1 Modifikationsarten . . . . . . . . . . . . . . . 305
3.1.4.2 Transpositionsarten . . . . . . . . . . . . . . . 306
3.1.5 Gradation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
3.1.6 Vergleichsbildungen . . . . . . . . . . . . . . . 314
3.1.7 Deonymische Adjektivbildungen . . . . . . . . . . 316
3.1.7.1 Onymische Erstglieder . . . . . . . . . . . . . . 316
3.1.7.2 Deonymische Derivation . . . . . . . . . . . . . 317
3.1.7.3 Deonymische Konversion . . . . . . . . . . . . . 319

3.2 Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320


3.2.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
3.2.2 Substantiv als Erstglied . . . . . . . . . . . . . . 322
3.2.2.1 Formativstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . 322
3.2.2.2 Zur Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
3.2.3 Adjektiv als Erstglied . . . . . . . . . . . . . . . 325
3.2.3.1 Determinativkompositum . . . . . . . . . . . . . 325
3.2.3.2 Kopulativkompositum . . . . . . . . . . . . . . 326
3.2.4 Verbstamm als Erstglied . . . . . . . . . . . . . . 328
3.2.5 Sonstige Erstglieder . . . . . . . . . . . . . . . 328
3.2.6 Form der Kompositionsfuge . . . . . . . . . . . . 330
XVI Inhaltsverzeichnis

3.3 Suffixderivation . . . . . . . . . . . . . . . . . 332


3.3.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
3.3.2 Indigene Suffixe . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
3.3.2.1 Suffix -bar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
3.3.2.2 Suffix -en/-ern/-n . . . . . . . . . . . . . . . . 335
3.3.2.3 Suffix -er . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
3.3.2.4 Suffix -fach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
3.3.2.5 Suffix -haft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
3.3.2.6 Suffix -ig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
3.3.2.7 Suffix -isch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
3.3.2.8 Suffix -lich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
3.3.2.9 Suffix -los . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
3.3.2.10 Suffix -mäßig . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
3.3.2.11 Suffix -sam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
3.3.3 Exogene Suffixe . . . . . . . . . . . . . . . . . 348

3.4 Präfixderivation . . . . . . . . . . . . . . . . . 351


3.4.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
3.4.2 Indigene Präfixe . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
3.4.2.1 Präfix erz- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
3.4.2.2 Präfix miss- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
3.4.2.3 Präfix un- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
3.4.2.4 Präfix ur- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
3.4.3 Exogene Präfixe . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
3.4.3.1 Negation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
3.4.3.2 Sonstige exogene Präfixe . . . . . . . . . . . . . 355
3.4.4 Unproduktive Präfixe . . . . . . . . . . . . . . 356

3.5 Zirkumfixderivation . . . . . . . . . . . . . . . 357

3.6 Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358


3.6.1 Morphologische Konversion . . . . . . . . . . . . 358
3.6.2 Syntaktische Konversion . . . . . . . . . . . . . 359
3.6.2.1 Infinitivstammkonversion . . . . . . . . . . . . . 359
3.6.2.2 Departizipiale Konversion . . . . . . . . . . . . . 359
Inhaltsverzeichnis XVII

4 Wortbildung des Adverbs . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

4.1 Allgemeine Charakteristik . . . . . . . . . . . . . 360


4.1.1 Produktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
4.1.2 Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

4.2 Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362


4.2.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
4.2.2 Komposita mit her und hin . . . . . . . . . . . . 363
4.2.3 Komposita mit Präpositionen . . . . . . . . . . . 364
4.2.4 Sonstige Komposita . . . . . . . . . . . . . . . 365

4.3 Derivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366


4.3.1 Suffixderivation . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
4.3.1.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
4.3.1.2 Suffix -dings . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
4.3.1.3 Suffix -ens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
4.3.1.4 Suffix -halben/-halber . . . . . . . . . . . . . . . 367
4.3.1.5 Suffix -lei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
4.3.1.6 Suffix -lings . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
4.3.1.7 Suffix -mals . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
4.3.1.8 Suffix -maßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
4.3.1.9 Suffix -s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
4.3.1.10 Suffix -wärts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
4.3.1.11 Suffix -weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
4.3.1.12 Suffix -weise/-erweise . . . . . . . . . . . . . . . 369
4.3.2 Präfixderivation . . . . . . . . . . . . . . . . . 370

4.4 Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370


4.4.1 Konversion substantivischer Syntagmen . . . . . . . 371
4.4.2 Konversion sonstiger Syntagmen . . . . . . . . . . 371
XVIII Inhaltsverzeichnis

5 Wortbildung des Verbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373

5.1 Allgemeine Charakteristik . . . . . . . . . . . . . 373


5.1.1 Wortbildungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . 373
5.1.2 Affixbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
5.1.3 Semantische und syntaktische Modifikation . . . . . . 378
5.1.4 Komplexes Verb und Syntagma . . . . . . . . . . . 379

5.2 Präfixderivation . . . . . . . . . . . . . . . . . 380


5.2.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
5.2.2 Präfixe ohne homonyme Verbpartikel . . . . . . . . 383
5.2.2.1 Präfix be- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
5.2.2.2 Präfix ent- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
5.2.2.3 Präfix er- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386
5.2.2.4 Präfix miss- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
5.2.2.5 Präfix ver- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
5.2.2.6 Präfix zer- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
5.2.3 Präfixe mit homonymer Verbpartikel . . . . . . . . 392
5.2.3.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
5.2.3.2 Präfix durch- . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
5.2.3.3 Präfix hinter- . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
5.2.3.4 Präfix über- . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
5.2.3.5 Präfix um- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
5.2.3.6 Präfix unter- . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
5.2.3.7 Präfix wider- . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
5.2.4 Exogene Präfixe . . . . . . . . . . . . . . . . . 395

5.3 Partikelverbbildung . . . . . . . . . . . . . . . 396


5.3.1 Präpositionale Verbpartikeln . . . . . . . . . . . . 396
5.3.1.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
5.3.1.2 Verbpartikel ab- . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
5.3.1.3 Verbpartikel an- . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
5.3.1.4 Verbpartikel auf- . . . . . . . . . . . . . . . . 404
5.3.1.5 Verbpartikel aus- . . . . . . . . . . . . . . . . 406
5.3.1.6 Verbpartikel bei- . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
5.3.1.7 Verbpartikel durch- . . . . . . . . . . . . . . . 409
5.3.1.8 Verbpartikel ein- . . . . . . . . . . . . . . . . 410
Inhaltsverzeichnis XIX

5.3.1.9 Verbpartikel gegen- . . . . . . . . . . . . . . . . 412


5.3.1.10 Verbpartikel hinter- . . . . . . . . . . . . . . . 412
5.3.1.11 Verbpartikel nach- . . . . . . . . . . . . . . . . 413
5.3.1.12 Verbpartikel über- . . . . . . . . . . . . . . . . 413
5.3.1.13 Verbpartikel um- . . . . . . . . . . . . . . . . 414
5.3.1.14 Verbpartikel unter- . . . . . . . . . . . . . . . . 414
5.3.1.15 Verbpartikel vor- . . . . . . . . . . . . . . . . 414
5.3.1.16 Verbpartikel wider- . . . . . . . . . . . . . . . 416
5.3.1.17 Verbpartikel zu- . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
5.3.1.18 Verbpartikel zwischen- . . . . . . . . . . . . . . 417
5.3.2 Adverbiale Verbpartikeln . . . . . . . . . . . . . 419
5.3.2.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
5.3.2.2 Direktionale Verbpartikeln . . . . . . . . . . . . 419
5.3.2.3 Nichtdirektionale Verbpartikeln . . . . . . . . . . 423
5.3.3 Adjektivische Verbpartikeln . . . . . . . . . . . . 424
5.3.4 Substantivische Verbpartikeln . . . . . . . . . . . 427

5.4 Suffix- und Zirkumfixderivation . . . . . . . . . . 428


5.4.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 428
5.4.2 Suffix -el(n)/-l(n) . . . . . . . . . . . . . . . . 429
5.4.3 Suffix -er(n)/-r(n) . . . . . . . . . . . . . . . . 430
5.4.4 Suffix -ig(en) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
5.4.5 Suffix -ier(en)/-isier(en)/-ifizier(en) . . . . . . . . . 431
5.4.6 Zirkumfixe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433

5.5 Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434


5.5.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
5.5.2 Substantivische Basis . . . . . . . . . . . . . . . 434
5.5.3 Adjektivische Basis . . . . . . . . . . . . . . . . 437
5.5.4 Andere Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438

5.6 Rückbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

5.7 Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440


XX Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443

Formenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478

Verzeichnis der Übersichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 483


1 Grundsätze und Grundbegriffe

1.1 Gegenstand, Zielsetzung und Darstellungsprinzipien

1.1.1 Das Wesen der Wortbildung

Die Wortbildung stellt einen Teilbereich der Grammatik dar. Um ihre


Zugehörigkeit zur Grammatik terminologisch kenntlich zu machen, wird
sie auch Wortbildungsmorphologie oder lexikalische Morphologie (Plank
1981, 2f.) genannt.
Wortbildung umfasst sowohl die Verfahren, die den Sprechern zur Bil-
dung von Lexemen zur Verfügung stehen, als auch den Bestand an wort-
gebildeten Lexemen und deren kommunikative Potenzen. Insofern ist
Wortbildung neben Formen- und Satzbildung ein autonomer Bereich der
Grammatik; zwischen den einzelnen Bereichen bestehen allerdings durch-
lässige, „offene“ Grenzen.
Analysiert man die Wortbildungsverfahren und ihre Produkte im Einzel-
nen, zeigt sich, dass es sich nur um eine bedingte Autonomie handelt, dass
vielmehr Wort- und Satzgrammatik auf vielfältige Weise zusammenwirken.
Eine Interaktion lässt sich auf allgemeinster Ebene in mehrfacher Hinsicht
beobachten. Einerseits nehmen Regularitäten der Phonologie, Flexions-
morphologie und Syntax insofern Einfluss auf die Wortbildung, als sie die
Reichweite von Bildungsmodellen mitbestimmen können; andererseits be-
einflussen Wortbildungsprozesse die übrigen Grammatikbereiche (¢ 1.2).
Die Wortbildung interagiert schließlich auch mit dem Lexikon (¢ 1.3), denn
sie ist das wichtigste Verfahren zur Gewinnung neuer Lexeme. Das Lexikon
wiederum wirkt ein auf die Produktivität der Bildungsmodelle und auf die
Aktivität der Wortbildungseinheiten. Zudem beurteilen Sprecher auch die
Akzeptabilität von Neubildungen in Abhängigkeit von ihrem verfügbaren
Wortschatz. Aufgrund dieser vielschichtigen Beziehungen wird der Wort-
bildung eine zentrale Stellung zwischen Syntax, Flexionsmorphologie und
Lexikon eingeräumt (Erben 2006, 7; Eichinger 2000, 62; 2006b). Sie gilt als
eine „Schnittstelle“ der genannten Bereiche.
2 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Der Terminus Wortbildung bezeichnet aber nicht nur ein grammatisches


Teilgebiet als Ganzes, sondern gleichlautend auch das einzelne gebildete
Lexem (Motsch 2004, 3). Die Lexeme Umgehungsstraße, Stau, hinderlich,
befahren sind demnach Wortbildungen (auch: sekundäre Wörter).
Auf die dafür ebenfalls üblichen Termini Wortbildungsprodukt und Wortbildungs-
konstruktion wird hier verzichtet. Wir folgen damit der Terminologie in neueren Ar-
beiten, vgl. Wellmann 1998; Eichinger 2000, 41; Wortbildungsprodukt noch bei Do-
nalies 2005b, 13; Munske 2009.

Die Beschreibung von Wortbildungen vergleicht grammatische und seman-


tische Merkmale des Inputs (der Ausgangseinheit/en) mit entsprechenden
Merkmalen des Outputs (der Zieleinheit) und ermittelt auf diese Weise
Bildungsmodelle (¢ 1.7.1).
Zum Zeitpunkt ihrer Prägung sind Wortbildungen strukturell und
semantisch transparent, d.h. morphosemantisch motiviert (¢ 1.5). Ihre Be-
deutungen lassen sich in der Regel aus den Bedeutungen der Ausgangsein-
heiten und deren Beziehungen zueinander, d. h. aus der Motivationsbedeu-
tung (¢ 1.5.4) herleiten. Sprach- und Sachwissen der Rezipienten sichern
auch bei verminderter Transparenz das adäquate Lexemverständnis. Mit
zunehmender Usualisierung der Wortneubildungen kann der Motivations-
grad abnehmen. Demotivierte Wortbildungen lassen sich synchron allen-
falls strukturell analysieren (¢ 1.1.4).
Durch Wortbildung entstehen vor allem Lexeme der Wortarten Substan-
tiv, Adjektiv, Verb und Adverb. Da die Wortbildung sowohl in früheren
Sprachperioden als auch gegenwärtig am stärksten für die Wortschatzer-
weiterung genutzt wurde bzw. wird, viel stärker als die übrigen Verfahren
(¢ 1.3), sind die meisten Autosemantika im Deutschen Wortbildungen. Der
Anteil primärer, nicht durch Wortbildung entstandener Lexeme bleibt dem-
gegenüber verschwindend gering. Er verändert sich in der Gegenwart in
erster Linie durch Entlehnungen (Body, tough/taff, browsen) und nur selten
und auch weitgehend beschränkt auf den Bereich der Produkt- und Fir-
mennamen durch sog. Kunstwörter wie Twingo, die Ergebnisse der Wort-
schöpfung darstellen (¢ 1.3.1).
Empirisch überprüfen lässt sich das quantitative Ungleichgewicht zwi-
schen primären und sekundären Lexemen an einer beliebigen Alphabet-
strecke in einem alphabetischen Wörterbuch. Selten folgen in alphabeti-
scher Ordnung mehrere primäre Lexeme direkt aufeinander, es dominieren
die Wortbildungen. Der Dudenband 1 (2009, 497) verzeichnet beispiels-
weise zwischen den primären Stichwörtern Gold und Golem 65 substanti-
vische und adjektivische Wortbildungen mit Gold als Erstglied (lediglich
1.1 Gegenstand, Zielsetzung und Darstellungsprinzipien 3

unterbrochen durch Goldoni und die Syntagmen Golden Delicious, Golden


Goal, Golden Retriever): Goldammer, -amsel, -barren, -barsch, goldblond,
goldbraun, Goldbrokat, bronze, -doublé, -dublee, golden, goldfarben, -farbig,
Goldfasan usw.
Besonders deutlich tritt die quantitative Differenz zwischen primären
Lexemen und Wortbildungen bei Adjektiven zutage. Im Gesamtbestand der
Adjektive wird der Anteil der Primäradjektive auf nur etwa 10 % geschätzt
(Knobloch/Schaeder 2005, VIII f.). Das ist für die Wortbildung insofern von
besonderem Interesse, als diese kleine Zahl von Primäradjektiven ein Grund
für die niedrige Produktivität der Modelle sein kann, die solche Adjektive als
Input brauchen, wie beispielsweise die verbale Konversion (weit > weiten).
Wortbildungen entstehen einerseits, weil neue Konzepte bezeichnet
werden müssen, andererseits aber auch wegen bestimmter Erfordernisse der
Satz- und Textbildung. Eine besonders wichtige Rolle spielt dabei der mit
bestimmten Derivationsmodellen und mit der Konversion verbundene
Wortartwechsel (Wellmann 2008a, 99 ff.). Durch die Veränderung der Wort-
art vermehren sich die „syntaktischen Einsatzmöglichkeiten“ der Ausgangs-
einheiten (Erben 2006, 24). So können beispielsweise Verbalsubstantive –
auch als Zweitglied in Komposita – eine im Text vorangegangene Aussage im
Folgesatz als Thema wieder aufnehmen und auf diese Weise textkonstitutiv
wirken (sich etwas zum Geburtstag wünschen – der Geburtstagswunsch; Well-
mann 1998, 443; ¢ 1.4.1).

1.1.2 Gegenstand der Darstellung

Im vorliegenden Buch geht es um die Wortbildung der geschriebenen Stan-


dardsprache der Gegenwart; Wortbildungserscheinungen der gesprochenen
Sprache finden exemplarisch im Abschnitt 1.4 Berücksichtigung. Dialekte
bleiben ausgeklammert. Umgangssprachliches wird in bestimmtem Umfang
einbezogen, sofern damit stilschichtliche Markierungen (konnotativ-ex-
pressiver Art) innerhalb des gemeinsprachlichen Wortschatzes erfasst wer-
den. Fachwortschätze, insbesondere Spezifika der Terminusbildung, und
Sonderwortschätze werden nicht systematisch berücksichtigt, sondern in
beschränktem Umfang zur Erläuterung oder Kontrastierung zu gemein-
sprachlichen Erscheinungen herangezogen.
Charakteristika der Eigennamen-Bildung (onymische Wortbildung ein-
schließlich deonymischer Bildungsprozesse) werden gesondert behandelt
(¢ 2.2.11; ¢2.3.4).
4 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Die Fremdwortbildung wird nur überblicksweise und exemplarisch ein-


bezogen (¢ 1.9), vornehmlich in ihrem Zusammenwirken mit der indigenen
Wortbildung.
In den Mittelpunkt der Darstellung werden die Wortarten Substantiv,
Adjektiv, Verb und Adverb gestellt. Diese Wortarten sind am stärksten er-
weiterungsfähig. Die anderen treten in dieser Hinsicht zurück (trotz der
Entwicklung sekundärer Präpositionen wie auf Grund/aufgrund) und kön-
nen hier vernachlässigt werden (zur Wortbildung der Pronomen vgl. Erben
1976; Naumann 2000, 5f.; zu den Numeralien Back 1976; zu Komposition
und Derivation bei Pronomen, Konjunktionen, Präpositionen und Inter-
jektionen Simmler 1998, 449–462; 580ff.).

1.1.3 Synchronie und Diachronie

Unter der Gegenwartssprache, deren Wortbildung hier beschrieben wird, ist


die deutsche Sprache des 20. und 21. Jh. zu verstehen; nur in einzelnen,
besonders begründbaren Fällen wird auf frühere Sprachstufen zurückge-
griffen (zur Wortbildung früherer Sprachstufen grundsätzlich Henzen 1965;
zuletzt Klein/Solms/Wegera 2009; Schmid 2009, 242ff., 253ff., 265ff.).
Die synchrone Darstellung der Gegenwartssprache bestimmt die Glie-
derung des Gesamtwerkes. Da jedoch im Wortschatz auch demotivierte
Wortbildungen lexikalisiert sind (¢ 1.7.1) und sich gleichzeitig neue Wort-
bildungsmodelle entwickeln bzw. sich die morphologischen und semanti-
schen Beziehungen zwischen Input und Output der Modelle durch die
historische Dynamik verändern können, ist es weder möglich noch ange-
messen, diachrone Aspekte völlig aus der synchronen Beschreibung zu ver-
bannen (vgl. Erben 2006, 57). Die diachrone Beschreibung steht allerdings
im Dienste der synchronen Erklärung des gegenwärtigen Wortbildungssys-
tems, indem entweder gewisse Entwicklungstendenzen skizziert oder heute
verdeckte Beziehungen historisch aufgehellt werden. Was Eroms (2000, 15)
für die Darstellung der gegenwartssprachlichen Syntax feststellt, gilt auch
für die Wortbildung: „In der Synchronie müssen Elemente der Diachronie
erkennbar sein“.
Ausführlicher über diachrone und synchrone Wortbildungsforschung im
Deutschen Erben 1964; Stepanowa/Fleischer 1985, 16ff.; Olsen 1986a, 3ff.;
Habermann/Müller/Munske 2002; Stein 2008.
Eine besondere Bedeutung kommt dem Verhältnis von Synchronie und Diachronie bei
der Fremdwortbildung zu, und zwar bei der Bestimmung dessen, was als „im Deut-
1.1 Gegenstand, Zielsetzung und Darstellungsprinzipien 5

schen wortgebildet“ gelten soll, was also genau als Gegenstand der Fremdwortbildung
aufzufassen ist. Komplexe Fremdwörter sind entweder als Ganzes entlehnt oder aus
fremden Segmenten im Deutschen gebildet. Da synchron normalerweise keine for-
malen Merkmale für die Entscheidung zwischen Entlehnung und Fremdwortbildung
auszumachen sind und bestenfalls Herkunftswörterbücher bzw. Spezialuntersuchun-
gen Auskunft geben können, steht eine synchron ausgerichtete Analyse vor einer
schwierigen, wenn nicht unlösbaren Aufgabe, wollte sie ihre Analyse auf die nachweis-
lich im Deutschen erzeugten Wörter beschränken. Vieles spricht deshalb dafür, alle
motivierten komplexen Fremdwörter wie Fremdwortbildungen zu behandeln (vgl.
dazu eine ausführliche Begründung bei Seiffert 2008a, 71 ff.; ¢ 1.9.1).

1.1.4 Beschreibungsprinzipien und -ziele

Die Wortbildungslehre modelliert die Struktur und Bedeutung sowohl le-


xikalisierter als auch okkasioneller Wortbildungen (¢ 1.7.1) und sucht auf
der Grundlage der ermittelten Modelle nach Gesetzmäßigkeiten für die Bil-
dung neuer Lexeme. Man unterscheidet diese beiden Seiten terminologisch
als Wortgebildetheit und Wortbildung (Dokulil 1968, 205), ihre Untersu-
chung als analytische und prozessuale („synthetische“, Eichinger 2000, 41)
Wortbildungsforschung. Als weitere große Aufgabenbereiche sind zu diesen
primär systembezogenen in den letzten Jahrzehnten mit der Entwicklung
der Textlinguistik (¢ 1.4) und mit dem aufkommenden Interesse an der ko-
gnitiven Sprachverarbeitung textbezogene Bildungs- und Verwendungs-
analysen wie auch psycholinguistische Fragen nach Produktion und Rezep-
tion von Wortbildungen (Barz/Schröder 2000; ¢ 1.7.2.4) hinzugekommen.
Je nach dominierendem Beschreibungsprinzip können in einer synchronen Darstel-
lung der strukturell-morphologische oder der semantisch-funktionale Aspekt der
Wortbildung in den Mittelpunkt gerückt werden (Müller 1993, 33). Die letztgenannte
Ausrichtung verfolgen beispielsweise Eichinger 2000 und Motsch 2004. Die vorliegen-
de Darstellung ist der strukturell-morphologischen Betrachtungsweise verpflichtet,
wobei die Wortbildungsbedeutung als Parameter der Modellierung grundsätzlich mit
ermittelt, aber nicht zum Gliederungsprinzip erhoben wird (kritisch dazu Erben 1993,
342 f.).

Eine wie immer geartete Vollständigkeit kann bei einer gegenwartssprach-


lich-synchronen Wortbildungsbeschreibung nicht angestrebt werden. Die
Heterogenität, die Dynamik und der Umfang des Wortschatzes sowie ins-
besondere die Entwicklung der Wortbildung insgesamt lassen eine solche
Zielsetzung nicht zu. Es muss bei einer Auswahl charakteristischer Wortbil-
dungsmodelle bleiben.
6 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Unter Berücksichtigung der Beziehungen zwischen Wortbildung, ande-


ren Grammatikbereichen (¢ 1.2) und Lexikon (¢ 1.3) werden hier folgende
Ziele ins Auge gefasst:
1) Ermittelt und beschrieben werden die Kompositions-, Derivations-
und Konversionsmodelle als die „zentralen Mechanismen“ nach struktu-
rellen, morphologischen und semantischen Parametern. Auch auf die be-
sonders für das Substantiv relevante Kurzwortbildung (¢ 2.7) und auf die
verbspezifische Partikelverbbildung wird ausführlich eingegangen (¢ 5.3),
während Kontamination und Reduplikation nur in allgemeineren Zusam-
menhängen behandelt werden (¢ 1.8.1.7; ¢1.8.1.8).
2) Im Zusammenhang mit der Modellbeschreibung sind auch Angaben
über die Verwendung von Wortbildungen im Text und in der Kommuni-
kation zu machen, soweit das die Forschungslage zulässt (¢ 1.4).
3) Beschrieben werden schließlich auch paradigmatische semantische
Relationen zwischen den Modellen (z.B. antonymische, synonymische;
¢ 1.8.2.4).
Grundprinzip der Beschreibung ist die Berücksichtigung der Wortart-
spezifik der Wortbildung im Deutschen. Die Begründung für dieses Vorge-
hen liegt in der Natur der Wortarten. Wenn es sich bei Wortartunterschei-
dungen um „Klassifikationen lexikalischer Einheiten im Hinblick auf
ihr unterschiedliches grammatisches Verwendungspotential (einschließlich
ihres Potentials bei der Schaffung neuer lexikalischer Einheiten mittels
Wortbildungsregeln)“ handelt (Plank 1984, 491), sollte nicht anders als
wortartspezifisch vorgegangen werden. Dass in der Wortbildung Wortart-
unterschiede bestehen, lässt sich schon auf der strukturell-morphologischen
Ebene zeigen: Auch wenn Komposition, Derivation und Konversion in der
Wortbildung aller autosemantischen Wortarten vorkommen, gibt es doch
deutliche Wortartspezifika, beispielsweise im jeweiligen Anteil der Wortbil-
dungsarten am Gesamtbestand der Wortbildungen einer Wortart. So treten
Kurzwörter fast nur beim Substantiv auf, Kopulativkomposita fast nur beim
Adjektiv. Beim Verb existiert mit der Partikelverbbildung sogar eine ganz
eigene Wortbildungsart.
Dementsprechend ist die Gesamtdarstellung gegliedert. Nach einem
wortartübergreifenden Einführungskapitel werden in den Kapiteln 2–5
nacheinander Substantiv, Adjektiv, Adverb und Verb behandelt. Jedes Ka-
pitel ist untergliedert nach den strukturell-morphologisch bestimmten
Wortbildungsarten Komposition, Derivation usw. Auf diese Weise lassen
sich die Wortartspezifika angemessen herausstellen, auch wenn dadurch
einzelne Affixe (z. B. die Präfixe un-, ur-) zweimal auftauchen – beim Sub-
1.1 Gegenstand, Zielsetzung und Darstellungsprinzipien 7

stantiv und beim Adjektiv. Die Geschlossenheit der Übersicht über das Bil-
dungssystem einer Wortart sollte gewahrt bleiben.
Die Behandlung der Derivation ist nach den einzelnen Affixen (getrennt
nach Präfixen und Suffixen) angeordnet. Dieses morphologisch-strukturelle
Ordnungsprinzip ist für die rationelle Übersichtlichkeit und Nachschlag-
barkeit die am besten geeignete Darstellungsweise mit den am wenigsten
subjektiven Ordnungskriterien. Sie hat auch den Vorteil, dass die verschie-
denen Wortbildungsreihen (¢ 1.8.2.2), die ein einziges Affix ausbildet und
die untereinander in Beziehung stehen, zusammenhängend behandelt
werden können.
Die Anordnung nach den Formativen der Affixe schließt jedoch die Be-
rücksichtigung semantischer Parameter keineswegs aus. Die Ordnung der
Wortbildungsmodelle in Modifikations- und Transpositionsarten bietet
einen entsprechenden Überblick, zum Substantiv ¢ 2.1.3; zum Adjektiv
¢ 3.1.4; zum Verb ¢ 5.1.3. Durchbrochen wird das strukturell-morphologi-
sche Ordnungsprinzip für bestimmte wortbildungssemantische Klassen,
vgl. Diminuierung (¢ 2.3.2.21), Movierung (¢ 2.3.2.22), Gradation (¢ 3.1.5)
sowie Vergleichsbildungen (¢ 3.1.6), die v.a. deshalb eine zusammenhän-
gende Behandlung erfahren, weil sie für die jeweilige Wortart charakteris-
tisch sind.
Als wichtigstes methodisches Verfahren für die Beschreibung wird die
Paraphrasierung einer Wortbildung durch ein semantisch mehr oder we-
niger äquivalentes Syntagma (gelegentlich auch durch einen Satz) genutzt,
ohne dass damit der theoretische Anspruch auf das Postulat einer gleichar-
tigen Tiefenstruktur von Wortbildung und Syntagma erhoben wird. Die
syntaktische Paraphrase dient dazu, die unmittelbaren Konstituenten der
Wortbildung zu ermitteln (Lackierwerkstatt – Werkstatt für Lackierarbeiten;
Arbeitnehmerinteressenvertretung – Vertretung der Arbeitnehmerinteressen
oder Interessenvertretung der Arbeitnehmer) und die semantischen Bezie-
hungen zwischen den unmittelbaren Konstituenten bzw. bei simplizischen
Wortbildungen zwischen Basis und Wortbildung aufzuhellen und zu expli-
zieren (¢ 1.7.1.2).
Über die Anforderungen an eine Paraphrase vgl. Ortner/Ortner 1984, 127ff.; über
verschiedene Arten und Funktionen von Paraphrasen vgl. Lang 1977; Agricola 1979;
Wunderlich 1991; Bär 2007, 326 ff.; zur explikativen Funktion der Paraphrase vgl.
Eichinger 2000, 53 f.
8 1 Grundsätze und Grundbegriffe

1.1.5 Darstellungs- und Formulierungskonventionen

Die Beispiele – alle sind belegt – entstammen in der Mehrzahl massenme-


dialen und belletristischen gedruckten und elektronischen Texten; auch
Hörbelege und Wörterbucheinträge werden gelegentlich einbezogen. Bel-
letristische Belege sind mit dem Namen des Autors gekennzeichnet, Belege
aus elektronischen Texten mit „Internet“ (wenn mithilfe von Suchmachinen
gefunden) oder der Angabe der entsprechenden Seite (z.B. spiegel.de) bzw.
der Korpora (z.B. PDW, Wortwarte). Andere Beispielquellen finden bei un-
gewöhnlichen Wortbildungen oder Satzzitaten Erwähnung. Alle Beispiele
(primäre und sekundäre Wörter, Syntagmen, Sätze) sowie Paraphrasen von
Wortbildungen sind kursiv gesetzt (Prüfungsangst – Angst vor der Prüfung);
Wortbeispiele auch in Zitaten, in denen sie im Originaltext nicht hervor-
gehoben sind.
Auf eine Formalisierung von Wortbildungsmodellen wird verzichtet. Mit
dem Zeichen > wird die Motivationsrichtung von Input zu Output gekenn-
zeichnet (leben > Leben, Leben + Weg > Lebensweg, Allgemeine Ortskranken-
kasse > AOK).
Für die Segmentierung komplexer Wörter wird das Zeichen verwendet
(Prüfungs angst). Das in den Vorauflagen des Buches gewählte Verfahren, die
Segmentierung mit einem Bindestrich zu signalisieren, wird wegen mögli-
cher Verwechslungen mit dem Ergänzungsstrich aufgegeben. In der Regel
wird der Längsstrich zur Markierung der unmittelbaren Konstituenten
einer komplexen Wortbildung gesetzt, und zwar nur an solchen Stellen im
Text, an denen es direkt um die Segmentierung geht. Er dient darüber hinaus
der Kennzeichnung von Fugenelementen (Prüfung s angst). Fakultative Fu-
genelemente werden eingeklammert: Einschreib(e)brief.
Mit dem Pfeil ¢ verweisen wir auf Abschnitte im Buch, in denen der
fragliche Gegenstand genauer oder in anderen Zusammenhängen zur Spra-
che kommt. Der Schrägstrich steht zwischen Morphem-, Lexem- oder Aus-
drucksvarianten (-ei/-erei, zweifach/zwiefach, zusammenklappbarer Tisch/der
Tisch lässt sich zusammenklappen).
Zu den schwierigsten Problemen der Wortbildungsbeschreibung gehört
die semantische Modellierung, insbesondere die Benennung der semanti-
schen Klassen und Subklassen bzw. Wortbildungsbedeutungen (¢ 1.7.1.2).
Angesichts der Heterogenität der Wortarten und Wortbildungsarten hin-
sichtlich der Ausprägung der semantischen Relationen zwischen Input und
Output werden teilweise spezifische, teilweise übergreifende Systematiken
für Wortbildungsbedeutungen entwickelt; Überschneidungen und unschar-
fe Grenzen (d.h. potenzielle Mehrfachzuordnungen) eingeschlossen. Für
1.2 Wortbildung und andere Bereiche der Grammatik 9

die Benennung der semantischen Relationen wählen wir Termini, die in der
Tradition der wort- und satzsemantischen Forschung entwickelt worden
sind und sich durchgesetzt haben, wie bei Komposita ,kausal‘ (Freudenträne),
,temporal‘ (Vorabend), ,komparativ‘ (blutrot) usw. Diese Termini stehen,
wie die Angaben der lexikalischen Bedeutung auch, in einfachen Anfüh-
rungszeichen. Die Wortbildungsbedeutungen substantivischer Derivate und
Konversionen werden mit den traditionellen Bezeichnungen für die jewei-
ligen semantischen Substantivklassen angegeben: Nomen Agentis (Lehrer),
Nomen Actionis (Deutung) usw. Erläuterungen zur jeweils gewählten Sys-
tematik finden sich in den einschlägigen Abschnitten (¢ 2.1.3).
Zur Systematisierung von Wortbildungsbedeutungen vgl. u.a. Fandrych/Thurmair
1994; Eichinger 2000, 118.

Für die Angabe von Konnotationen werden in der Regel die in der Lexiko-
grafie üblichen Abkürzungen verwendet, z. B. fachspr. (fachsprachlich), geh.
(gehoben), iron. (ironisch), landsch. (landschschaftlich), ugs. (umgangs-
sprachlich).

1.2 Wortbildung und andere Bereiche der Grammatik


Die einzelnen Grammatikbereiche stehen insofern in engen Wechselbezie-
hungen zueinander, als es zum einen sprachliche Erscheinungen gibt, deren
Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bereich nicht eindeutig ausgeprägt ist.
Dazu gehören beispielsweise bestimmte Arten des Wortartwechsels wie alt >
der/die Alte (¢ 1.8.1.3). Zum anderen ist für die Wortbildung charakteristisch,
dass die Bildungsmodelle durch phonologische und morphosyntaktische
Eigenschaften des Inputs wie auch des Outputs gekennzeichnet sind. Die
allgemeinsten dieser Kennzeichnungen ergeben sich aus den Wortarteigen-
schaften, die dafür zuständig sind, dass Wortbildung grundsätzlich wortart-
spezifisch verläuft (¢ 1.1.4). Innerhalb einer Wortart gelten weitere phono-
logische und morphosyntaktische Regularitäten für die Bildung neuer
Wörter (¢ 1.7.2).

1.2.1 Wortbildung und Flexionsmorphologie

Enge Korrelationen zwischen Wortbildung und Flexionsmorphologie be-


stehen in erster Linie zwischen Derivation und Flexion. In beiden Bereichen
hat man es mit der Bildung komplexer Einheiten aus kleineren Bauteilen zu
10 1 Grundsätze und Grundbegriffe

tun, wobei insofern eine Gemeinsamkeit besteht, als jeweils nichtwortfähige


Morpheme am Bildungsprozess beteiligt sind. Der grundsätzliche Unter-
schied liegt in der Qualität der Bildungsprodukte. Während durch Wort-
bildung neue lexikalische Einheiten, Lexeme, entstehen, werden durch die
Flexion Wortformen, also syntaktische Wörter, erzeugt.
Weitere unterscheidende Merkmale zwischen Wortbildung und Wortfor-
menbildung sind die dauerhafte morphologische und semantische Trans-
parenz und die geringe Lexikalisierungsaffinität der Flexionsformen gegen-
über dem möglichen Transparenzverlust und der möglichen Lexikalisierung
bei Derivaten (Eisenberg 2006, 183). Die feste Platzierung der Flexionssuf-
fixe jeweils am rechten Rand der Wortform ist ein weiteres Spezifikum der
Flexionsmorphologie. Für Derivationssuffixe ist die Position rechts vom
Flexionssuffix in der Regel ausgeschlossen. Bei der Derivation kann sich
zudem die Wortart des Ausgangswortes ändern; durch Flexion werden da-
gegen nur Formen desselben Wortes, d. h. im Rahmen ein und derselben
Wortart, hervorgebracht. Die Flexion bildet „ein festes System […], welches
durch den Classencharakter der Wortart gefordert wird und dieses eben
dadurch bestimmt“ (Wilmanns 1899, 9; vgl. auch Paul 1896/1981, 22 f. mit
Verweis auf das weniger feste „System von Kategorien“ in der Wortbildung).
Mit Bezug darauf wird heute von einem „Verbindlichkeitsgrad der Katego-
rienspezifizierung“ gesprochen (Plank 1981, 20; vgl. auch Wurzel 1988, 196;
Booij 2000, 360).
Schließlich wird für die Flexionsmorphologie zur Unterscheidung von
der Wortbildung noch ein inhaltliches Kriterium in Anspruch genommen:
ein höherer Grad der Abstraktheit der ausgedrückten Bedeutung und im
Zusammenhang damit ein mehr relationaler als materieller „Gehalt“ (Plank
1981, 17 ff.; Weiteres bei Dressler 1989; Eisenberg/Sayatz 2005; Eisenberg
2006, 210 ff.).
Trotz der deutlichen Unterschiede von Flexion und Derivation in ihren
jeweiligen Kernbereichen erweist sich eine strikte Grenzziehung als unan-
gemessen; vielmehr ist eine breite Übergangszone anzunehmen. So stellt die
Komparation der Adjektive eine Erscheinung dar, die noch von Grimm,
Wilmanns und Paul innerhalb der Wortbildung behandelt wird, obwohl
„die Regelmäßigkeit der Bildung derjenigen der Flexionsformen gleich-
kommt“ (Paul 1896/1981, 23). Auch Naumann (2000, 20) rechnet sie eher
zur Wortbildung, da an Komparationsformen noch zusätzliche Flexions-
suffixe treten können, räumt aber gleichzeitig ein Kontinuum zwischen Fle-
xion und Derivation ein. Nach Henzen (1965, 123) besteht dagegen „Anlaß“,
die Komparation „wie die Partizipien in die Formenlehre zu verweisen“. Für
diese Bestimmung spricht nach Eisenberg (2006, 183f.) in Bezug auf die
1.2 Wortbildung und andere Bereiche der Grammatik 11

Komparation vor allem, dass die Komparationsformen „wesentliche syn-


taktische Kontexte gemeinsam“ haben und „nicht hinreichend verschieden
für die Etablierung je eigener lexikalischer Wörter sind.“
In Übereinstimmung damit betrachten wir die Komparation als Erschei-
nung der Flexion. Die Konversion der Partizipien (¢ 3.6.2.2) heben wir aber
davon ab, indem wir sie als ein Verfahren der deverbalen Adjektivbildung
darstellen und ihr folglich Wortbildungseigenschaften zuweisen.
Ebenfalls als Wortbildungserscheinung fassen wir die Diminuierung
durch die Suffixe -chen und -lein auf, die gelegentlich wegen ihrer hoch-
gradigen Regelmäßigkeit als der Flexion nahestehend gesehen wird (Dress-
ler 1994, 131 ff.; Eisenberg 2006, 273; ¢ 2.3.2.21).

Eine Zwischenstellung zwischen Wort- und Formenbildung nehmen die in jüngster


Zeit als „Inflektive“ beschriebenen „prädikativ gebrauchten Verbstämme“ ein (Teuber
1998; Schlobinski 2001, 193). Sie dienen v. a. in Comics und in der Internetkommuni-
kation als Interjektionen der Kommentierung und Spezifizierung von (in Comics bild-
lich dargestellten) Handlungen. Sie können einerseits als Grundformen des Verbpa-
radigmas angesehen werden und damit als Erscheinung der Flexion gelten (knurr,
schüttel), andererseits sind sie aber auch Verbstammderivate aus anderen Wortarten,
wie der Beleg propell als Bezeichnung der „Fortbewegung eines Propellerflugzeuges“
zeigt (Schlobinski 2001, 197). Komplexe Inflektivkonstruktionen wie megaknuddel,
siskyauchknuddel (Belege bei Schlobinski ebd.) weisen zusätzlich noch Bezüge zur
Syntax auf. Hentschel/Vogel (2009, 175) beobachten eine Tendenz der Ausbreitung
dieser Formen auch auf solche Verben, die davon zunächst ausgeschlossen schienen
(hungerhab, gerührtsei).

Wortbildung und Flexion verfügen nicht nur über diffuse Grenzen, sondern
ergänzen und beeinflussen einander auch. Von einem Zusammenwirken
beider Grammatikbereiche lässt sich in folgenden Punkten sprechen:
1) Die Flexionsmorpheme indizieren die Wortart eines ambivalenten
Wortbildungsstammes: steinig- als Adjektiv (steiniger Boden) und als Verb (er
steinigt), besuch- als Substantiv (des Besuches) und als Verb (du besuchst).
2) Aus Flexionsmorphemen können sich Wortbildungsmorpheme ent-
wickeln, vgl. z. B. das adverbbildende Suffix -s (nachts, unterwegs). – Vgl.
auch Zusammenhänge zwischen Flexion und Fugenelement (¢ 2.2.12).
3) Lücken im grammatischen Paradigma können durch Wortbildung ge-
schlossen werden, vgl. den Ersatz fehlender Pluralformen durch Komposita
(Getreidearten, Atemzüge, Ratschläge). Als Ergänzung des Paradigmas pas-
sivischer Verbformen ist das Modell deverbaler Adjektivbildung auf -bar zu
betrachten (¢ 3.3.2.1).
12 1 Grundsätze und Grundbegriffe

4) Bei Substantiven und Adjektiven unterscheiden sich die Formative von


Derivations- und Flexionssuffixen nur zum Teil (-st in schönste nur Super-
lativsuffix); in vielen Fällen liegt Homonymie vor (anders bei den Verben,
wo die Formative der Flexionssuffixe nicht gleichzeitig auch als Wortbil-
dungssuffixe auftreten): -en ist Pluralsuffix (Frauen) und Derivationssuffix
für Adjektive (golden), -er Pluralsuffix und Derivationssuffix für Substantive
(Rinder – Lehrer) u. v.a. Präfixe kommen nur in Wortbildungs-, nicht in
Flexionsfunktion vor; ge- bei Partizip II gilt als Teil eines Zirkumfixes.
5) Durch die Komposition und die Präfixderivation verändert sich das
Komparationsverhalten von Adjektiven (hart – härter, aber steinhart –
*steinhärter; alt – älter, aber uralt – *urälter). Diesbezügliche Regelverstöße
wirken besonders bei okkasionellen Komposita stark abweichend: Erleben
Sie die kolossalschönsten, wildwundersamsten Geschichten (aus einer Wer-
bung für Kinderbücher, Die Zeit 2006).

1.2.2 Wortbildung und Syntax

Wortbildung und Syntax sind ebenfalls eng miteinander verflochten. Zum


einen gibt es Verbindungen, die in einem Grenzbereich zwischen Syntagma
und Lexem anzusiedeln sind (Rad fahren, eislaufen). Besonders charakteris-
tisch sind solche „Grenzgänger“ für die Wortbildung des Verbs (Eichinger
2006a, 1069; ¢ 5.1.4). Zum anderen bestehen systematische Äquivalenzbe-
ziehungen zwischen bestimmten Wortbildungen und Syntagmen, vgl. Nacht-
wanderung – nächtliche Wanderung –Wanderung des Nachts/bei Nacht (Bär
2007, 333). Schließlich können mit Wortbildungsmodellen spezifische syn-
taktische Restriktionen bzw. Folgerungen für das Bildungsergebnis verbun-
den sein.
Aber nicht nur im Sprachsystem gibt es solche Wechselbeziehungen, son-
dern auch auf der Verwendungsebene, indem in Texten Wortbildungen und
Syntagmen als „alternative Ausdrucksstrukturen“ fungieren (Erben 2006,
42). Syntagmen lassen sich zu Wörtern verdichten, zu „syntaktischen Par-
allelstrukturen“ (Fleischer 1981). Wortbildungen wiederum – in erster Linie
motivierte – können durch Syntagmen paraphrasiert werden, je nach Wort-
bildungsart in unterschiedlicher Ausprägung (¢ 1.1.4). Aus diesem Wech-
selverhältnis erklären sich u. a. die textuellen Funktionen der Wortbildung
(¢ 1.4). Die Paraphrasierung spielt schließlich eine wichtige Rolle bei der
Modellierung von Wortbildungen (¢ 1.7.1.2). Nachfolgend geht es vor allem
um die Beziehungen auf der Systemebene.
1.2 Wortbildung und andere Bereiche der Grammatik 13

Wir gehen von einer prinzipiellen Verschiedenheit zwischen Syntagmen


einerseits und Wortstrukturen andererseits aus. In beiden Fällen werden
nach jeweils spezifischen Regeln komplexe Zeichen gebildet. Insofern be-
steht zwar zeichentheoretisch eine Gemeinsamkeit, die Bildungsresultate,
Syntagmen bzw. komplexe Lexeme, weisen jedoch – zumindest in den Kern-
bereichen – eindeutig fassbare Unterschiede auf, wie sich z.B. an substan-
tivischen Komposita im Vergleich mit Syntagmen zeigen lässt.
Das typische substantivische Kompositum ist durch seine Stabilität ge-
kennzeichnet. Sie drückt sich darin aus, dass Komposita keine strukturin-
terne Flexion aufweisen (zu Sonderfällen wie z.B. Phrasenkomposita ¢ 2.2.9)
und dass sie als Folge von Lautsegmenten „nicht durch andere Segmente
unterbrochen werden können“ (Wurzel 1977, 143). Des Weiteren verfügen
sie über eine einheitliche Flexion (Wurzel 2000, 37 f.), ihr Erstglied ist mor-
phologisch unmarkiert und syntaktisch unselbstständig. Hinzu kommt eine
semantische Eigenschaft von Komposita, die „Bedeutungsisolierung“ (Paul
1880/1995, 330; vgl. auch „idiomatische Prägung“ bei Feilke 1996, 128f.;
„Idiomatisierung“ bei Munske 1993, 511). Wellmann (DWb 4, 3) charak-
terisiert das substantivische Kompositum in dieser Hinsicht als „eine eigene
grammatisch und semantisch zu einer Einheit gewordene Größe […], die als
eigenes Wort […] lexikonfähig ist.“
Schließlich lassen sich auch phonologische Unterschiede festhalten. Im
Kompositum sind Erst- und Zweitglied „prosodisch durch einen Haupt-
und einen Nebenakzent unter einem Intonationsbogen vereint“ (ebd., 5),
wobei der Hauptakzent im unverzweigten Kompositum auf dem Erstglied
liegt (zu Ausnahmen ¢ 2.2.1.1). Bei links- und rechtsverzweigten Komposita
gelten teilweise andere Regeln (Dudenband 4, 2009, 50).
Anders als bei den Komposita werden die Konstituenten des Syntagmas
einzeln betont und einzeln flektiert. Die Reihenfolge der Konstituenten
stimmt mit der im Kompositum dann überein, wenn als Vergleichssyntagma
eine Struktur aus adjektivischem Attribut und Substantiv gewählt wird
(Warmluft – warme Luft, Bratkartoffeln – gebratene Kartoffeln, Holzkiste –
hölzerne Kiste). Genitivische und präpositionale Attribute hingegen stehen
rechts von ihrem Bezugswort (Papierqualität – Qualität des Papiers, Holz-
kiste – Kiste aus Holz, Schreibgerät – Gerät zum Schreiben). In beiden syn-
taktischen Strukturtypen sind Erweiterungen möglich: warme feuchte Luft,
Kiste aus importiertem Holz. Für die Attribuierung entsprechender Kom-
posita gelten spezifische Regeln (nicht: importierte Holzkiste; dazu Berg-
mann 1980; zur Verschränkung von syntaktischer Fügung und Wortbildung
wie in Geld- und andere Sorgen und weiteren Grenzbereichen vgl. zuletzt Bär
2007).
14 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Ein paralleles Nebeneinander bzw. Übergangserscheinungen zwischen komplexem


Lexem und Syntagma treten naturgemäß dort auf, wo manche der genannten mor-
phosyntaktischen und/oder prosodischen Unterschiede fehlen. Beim Substantiv be-
trifft das Verbindungen aus entlehntem oder konvertiertem unflektiertem attributivem
Adjektiv und Substantiv wie ein super Wetter, top Angebot, klasse Spiel (Bär 2007, 318),
zu denen neben den Syntagmen auch entsprechende Komposita vorkommen: Super-
wetter, Topangebot, Klassespiel. Der Unterschied wird lediglich am jeweils spezifischen
Akzentmuster deutlich. Komplexe getrennt geschriebene Entlehnungen aus dem Eng-
lischen mit unflektiertem Adjektiv als Erstglied wie Soft Drink, Hard Disk werden des-
halb trotz des Spatiums als Worteinheiten wahrgenommen, denn sie tragen alle den
Akzent auf dem Erstglied (Ausnahme lt. Dudenband 1, 2009, 993: Soft Skills auch mit
Syntagma-Betonung). Dass das Adjektiv im Deutschen nicht frei verwendet (hard)
bzw. in anderen Verbindungen flektiert sein kann (ein softer Typ) und dass schon andere
Komposita mit diesen Erstgliedern geläufig sind (Softeis, Software, Hardware), unter-
stützt vermutlich die Wahrnehmung der getrennt geschriebenen Einheiten als Wort.
Bei komplexen Verben, Adjektiven und Partizipien finden sich die Unter-
scheidungsmerkmale zwischen Lexem und Syntagma nicht in der gleichen
Klarheit wie bei den Substantiven. Die jeweiligen Erstglieder werden nor-
malerweise auch im entsprechenden Syntagma nicht flektiert und erschei-
nen in der gleichen Reihenfolge wie im komplexen Lexem. Es handelt sich
u.a. um bestimmte Substantiv-Verb-Verbindungen (Rad fahren, eislaufen),
Adjektiv-Verb-Verbindungen (frei sprechen – freisprechen) oder Verbindun-
gen mit einem Partizip als Zweitglied (Besorgnis erregend – besorgniserre-
gend). Die fraglichen Ausdrücke haben sowohl Lexem- als auch Syntagma-
Eigenschaften. Verbindungen mit substantivischem Erstglied verfügen bei-
spielsweise zwar über die Lexemmerkmale Nichtunterbrechbarkeit (*dass
ich eis am liebsten laufe; Fuhrhop 2007a, 36) und einheitliche Flexion
(Wurzel 2000, 39 f.), ihre Bestandteile können aber auch in unterschiedli-
chem Grade syntaktisch und semantisch selbstständig sein, wie sich an der
Vorfeldfähigkeit zeigt (Rad fahre ich jeden Tag). Wie Rad fahren u. Ä. be-
stimmt wird, hängt davon ab, welches Gewicht den einzelnen Merkmalen
beigemessen wird (Pittner 1998, 106ff.; zu Kriterien für die Ermittlung der
„Komplementhaftigkeit“ dieser Substantive vgl. Zifonun u. a. 1997, 1068f.).
Die amtliche Regelung der Rechtschreibung von 2006 fasst Rad fahren als
Syntagma auf (wie auch Auto fahren, Klavier spielen), eislaufen (wie auch
kopfstehen, teilhaben) dagegen als Lexem. Kriterium für die Unterscheidung
ist der deutliche Verlust der semantischen und syntaktischen Selbstständig-
keit des Erstgliedes im Lexem (Dudenband 1, 2009, 51).
Die Adjektiv-Verb-Verbindungen und die Verbindungen mit einem Par-
tizip als Zweitglied werden häufig sowohl als komplexes Lexem wie auch als
Syntagma interpretiert, wenn sie semantisch als gleichwertig gelten können
1.2 Wortbildung und andere Bereiche der Grammatik 15

(das Essen warmstellen oder warm stellen; eisenverarbeitende Industrie oder


Eisen verarbeitende Industrie). Dementsprechend ist die Schreibung freige-
geben (¢ 1.2.4). Sobald allerdings semantische Unterschiede bestehen, kann
nicht frei zwischen den Strukturen gewählt werden: groß schreiben ,in großer
Schrift schreiben‘ – großschreiben ,mit großem Anfangsbuchstaben schrei-
ben‘; frei sprechen ,ohne Manuskript sprechen‘– den Angeklagten freisprechen
,den Angeklagten nicht mehr beschuldigen‘.
Der dritte der eingangs genannten Komplexe der Korrelation von Wort-
bildung und Syntax umfasst – allgemein formuliert – syntaktische Eigen-
schaften von Wortbildungsmodellen. Prototypisch für das Zusammenspiel
der beiden Ebenen sind die substantivischen Rektionskomposita (Steuerer-
höhung). Hier liefert die Valenz des dem Zweitglied zugrunde liegenden
Verbs (erhöhen + Akkusativ) Hinweise auf die semantische Interpretation
des Kompositums (¢ 2.2.2.3.1).
Auch die dephrasalen Derivate (Gesetzgebung; ¢ 2.3.2.18), die adjektivi-
schen Rektionskomposita (altersgerecht), bestimmte Partizipialkomposita
(grippegeimpft) sowie weitere Derivationsmodelle gehören hierher.
Derivate können beispielsweise sowohl durch input- als auch durch out-
putspezifische syntaktische Eigenschaften gekennzeichnet sein. Das betrifft
beim Verb vor allem die „syntaktischen Umstrukturierungen“ (Eichinger
2006a, 1067) durch Präfixderivation und Partikelverbbildung (jmdm. dienen
> jmdn. bedienen, etwas über etwas decken > etwas mit etwas bedecken/zu-
decken; ¢ 5.2; ¢5.3). Für die adjektivische Wortbildung kann die deverbale
-bar-Derivation als Beispiel dienen, für die nur Verben mit bestimmten
syntaktischen Merkmalen als Input fungieren, und zwar passivfähige Hand-
lungsverben (mit wenigen Ausnahmen, ¢ 3.3.2.1; Dudenband 4, 2009, 411).
Zum „Einbau von Syntagmen und Sätzen in Wörter“ vgl. Schmidt 2000;
Hoffmann 2008; ¢ 2.2.9.

1.2.3 Wortbildung und Phonologie


Die Zusammenhänge zwischen Wortbildung und Phonologie sind in jün-
gerer Zeit besonders intensiv untersucht worden, ohne dass sie schon in
ihrer ganzen Systematik bekannt wären (u.a. Fery 1997; Wegener 2003,
433 ff. u.ö.; Nübling/Szczepaniak 2009, 196ff.). Gesicherte Teilerkenntnisse
liegen jedoch vor, insbesondere in Bezug auf die Akzentplatzierung in Kom-
posita und Derivaten, hinsichtlich der Unterscheidung von Präfix- und Par-
tikelverben (¢ 1.8.1.5) oder auch über die Fugengestaltung in Komposita
(Fuhrhop 2007a, 17; Eisenberg 2006, 142ff.; 235ff.). Zu Letzterer folgende
Beispiele:
16 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Die Einfügung des Fugenelements -e in Komposita mit verbalem Erst-


glied und substantivischem Zweitglied ist phonotaktisch gesteuert. Der
Schwa-Laut sichert die phonologische Identität des Verbstammes bei
Stammauslautung auf stimmhaften Obstruenten (Badehose, Zeigefinger;
Eisenberg 2006, 238). Auch das Fehlen eines Fugenelements bei geschlos-
sener Schwa-Silbe im Stammauslaut folgt einer phonotaktischen Regel: Sem-
melknödel, Ampelkreuzung, Regenwasser (Wegener 2003, 442ff.).
Darüber hinaus können Phonem- und Silbenstruktur des Outputs eine
wichtige Rolle für die Reichweite von Bildungsmodellen spielen, wie sich
beispielsweise an Restriktionen der deverbalen -bar-Derivation zeigt. Eine
bestimmte Konsonantenverbindung am Stammausgang von Verben lässt
sich nicht silbifizieren, sodass entsprechende Adjektive nicht wohlgeformt
wären (öffnen > *öffn bar, atmen > *atm bar). Mit einer Schwa-Epenthese
wird das Hindernis gelegentlich überwunden: berechnen > berechenbar,
ordnen > ordenbar; Plank 1981, 159ff.).
Auch die Kurzwortbildung erweist sich als teilweise phonologisch gesteu-
ert. Zweisilbige Kurzwörter tendieren im gegenwärtigen Deutsch sehr stark
zur trochäischen Struktur mit offener Endsilbe und vollem Endsilbenvokal,
z.B. Nabu, Navi, Demo (¢ 2.7.1; Ronneberger-Sibold 2007, 285f.; Nübling/
Duke 2007, 239). Die Kurzwortbildung folgt damit einem zum Normal-
wortschatz gegenläufigen Prinzip, denn da dominiert normalerweise die
geschlossene Silbe. „Die Vorteile für den Sprecher bestehen in der Kürze, in
der leichten Artikulierbarkeit, erreicht durch die einfache Silbenstruktur“
(Wegener 2007, 58), der Folge von einfachem Konsonanten und Vollvokal.
So entstehen besonders wohlgeformte Wortstrukturen.
Soweit phonologische Aspekte der Wortbildung den einzelnen Modellen
zugeordnet werden können, finden sie in Kap. 2–5 Berücksichtigung.

1.2.4 Wortbildung und Orthografie

Die normierte Schreibung von Wortbildungen wird von unterschiedlichen


orthografischen Prinzipien bestimmt, zum einen gelten – wie für primäre
Lexeme auch – allgemeine Prinzipien wie das phonographische, das silbi-
sche und das morphologische Prinzip (Dudenband 4, 2009, 66 ff.). Letzteres
regelt beispielsweise Umlautschreibungen wie kalt – kälter – sich erkälten
(Poethe 2000a, 37). Auf diese allgemeinen Prinzipien ist hier nicht einzu-
gehen. Aus Sicht der Wortbildung sind vielmehr solche Schreibungen von
Interesse, die systematisch mit bestimmten Wortbildungsprozessen im Zu-
sammenhang stehen. Das betrifft vorzugsweise folgende Bereiche:
1.3 Wortbildung und Lexikon 17

1) die Groß- und Kleinschreibung bei Wortartwechsel durch Konversion,


Derivation und Rückbildung (essen > das Essen, schön > Schönheit, Notope-
ration > notoperieren);
2) das Nebeneinander von Getrennt- und Zusammenschreibung bei be-
stimmten Arten von Partikelverben oder Partizipialverbindungen (freispre-
chen – frei sprechen; ¢ 5.3.3; Feuer speiend – feuerspeiend; ¢ 5.1.4);
3) die Bindestrichschreibung bei der Komposition (griechisch-römisch),
insbesondere bei der Phrasenkomposition (die Kopf-in-den-Sand-steck-
Methode; ¢ 2.2.12.5) sowie bei Auslassungen in koordinativen Verknüpfun-
gen (Ost- und Westwind, be- und entladen);
4) die Schreibung von Kurzwörtern und von Wortbildungen mit Kurz-
wortkonstituenten (NATO/Nato, natogrün, EDV-interessiert; ¢ 2.2.12.5.1);
5) die Schreibung onymischer und deonymischer Wortbildungen (Goe-
thestraße, goethisch/goethesch; ¢ 2.2.11.4).
In Bezug auf den Lexemstatus komplexer Verbindungen – vgl. 2) – gilt hier
folgende Festlegung. Die Zusammenschreibung eines komplexen Aus-
drucks weist ihn als Lexem aus: jmdn. freihalten ,für jmdn. bezahlen‘, die
Getrenntschreibung als Syntagma die Ausfahrt frei halten (Munske 2005a,
104; Dudenband 1, 2009, 452; ¢ 1.2.2). Die Interpretation einer komplexen
Verbindung als Syntagma ist dann gerechtfertigt, wenn die Verbindung einer
syntaktischen Analyse unterzogen werden kann (Fuhrhop 2005, 65). Dabei
darf die quantitative Zunahme von Zusammenschreibungen der Verbin-
dung durchaus als Hinweis auf die Entwicklung zum komplexen Lexem
gewertet werden (vgl. Fleischer 1979a, 85 ff.), wie bei beiseiteschieben, satt-
haben. Letzteres erscheint in der Bedeutung ,nicht mehr mögen‘ bis zur
23. Auflage des Rechtschreibdudens (Dudenband 1, 2004) noch getrennt, ab
der 24. (2006) zusammengeschrieben. Bei übertragener Bedeutung liegt in
der Regel Lexemstatus vor, vgl. für etwas geradestehen ,für etwas die Folgen
auf sich nehmen‘. Gegenbeispiele sind zugrunde/zu Grunde gehen, mit etwas
schwanger gehen, die wegen ihrer Festigkeit als Phraseme bestimmt werden
können. Dieser Sektor der Rechtschreibung lässt sich nach Munske (2005a,
104) „nicht systematisieren“.

1.3 Wortbildung und Lexikon


Wenn vom Lexikon im Sinne von Wortschatz der deutschen Sprache die
Rede ist (Lutzeier 1995, 3; Schindler 2002), geht es um die gegenwärtig
intersubjektiv verfügbare Gesamtmenge lexikalischer Einheiten, d. h. um
18 1 Grundsätze und Grundbegriffe

usuelle (= lexikalisierte) Einheiten, die sog. Lexikonwörter. Sie sind größ-


tenteils in Allgemeinwörterbüchern kodifiziert.
Zwischen Wortbildung und Lexikon bestehen insofern enge Wechselbe-
ziehungen, als Wortneubildungen grundsätzlich in das Lexikon eingehen
können und das Lexikon seinerseits Einfluss auf diesen Prozess nimmt
(¢ 1.3.5). Es stellt eine Art Filter für die Nutzung von Wortbildungsmodellen
dar, indem es die Lexikalisierung von Wortneubildungen blockieren kann
(¢ 1.7.2.3; ausführlicher Becker 1997, 167). Dass die meisten neuen Bezeich-
nungen durch Wortbildung gewonnen werden, spricht für die Dominanz
des Prinzips der Sprecher, bei der Neubezeichnung von Begriffen an Be-
kanntes anzuknüpfen (vgl. Feilke 1996, 66).
Auch die übrigen Verfahren zur Gewinnung neuer Bezeichnungen, und
zwar Wortschöpfung, Entlehnung, Bedeutungsbildung und Phraseologisie-
rung wirken auf verschiedene Weise mit der Wortbildung zusammen
(¢ 1.3.1–1.3.4). Wortbildung und Bedeutungsbildung interagieren beispiels-
weise in metaphorischen Komposita wie Reißverschlusssystem ,abwechseln-
des Einordnen von Fahrzeugen aus zwei Richtungen oder Fahrspuren, die in
einer einzigen Spur zusammenkommen und weiterfahren müssen‘ (GWDS).
Das Erstglied Reißverschluss gewinnt im Kompositum eine metaphorische
Lesart, die es im freien Gebrauch nicht hat.
Zweifachinterpretationen als Entlehnung oder als Kurzwort sind möglich
bei Kurzwörtern, die im Englischen bereits als Kurzwort gebildet sind und
ins Deutsche entlehnt werden (Aids, Sars). Aufgrund der „Koexistenzbedin-
gung von Basislexem und Kurzform“ argumentieren Nübling/Duke (2007,
228) strikt gegen die Bestimmung dieser Entlehnungen als Kurzwort.
Zur Verwendung englischer Kurzwörter im Deutschen vgl. Girnth/Michel
2009.

1.3.1 Wortbildung und Wortschöpfung

Seit Paul (1880/1995) und Wilmanns (1899, 1) wird die Wortschöpfung,


von Paul als „Urschöpfung“ bezeichnet (ausführlicher Paul 1880/1995,
174 ff.), von der Wortbildung deutlich abgesetzt. Berücksichtigt man jedoch
auch Firmen- und Produktnamen als Bildungsprodukte, erweist sich die
Grenze als diffus.
Wortbildung ist, wie bereits ausgeführt (¢ 1.1.1), die Produktion von Le-
xemen auf der Grundlage und mithilfe vorhandenen Sprachmaterials: Al-
ters armut, entziffer bar, ab fragen. Wortstämme, Affixe und Konfixe werden
nach bestimmten Regeln miteinander verknüpft.
1.3 Wortbildung und Lexikon 19

Wortschöpfung besteht dagegen darin, dass Lexeme aus Lautkomplexen


„geschaffen“ werden, die in der Sprache (noch) nicht als bedeutungstragen-
de Einheiten (Zeichen) vorhanden sind. Diese neuen lexikalischen Einhei-
ten werden Worterfindungen (Matussek 1994, 33) oder Kunstwörter ge-
nannt. In einem Frühzustand der menschlichen Sprachen mag ein großer
Teil der Lexeme so entstanden sein. In den heutigen modernen Sprachen
wird neuer „Sprachstoff“ auf diese Weise „im allgemeinen“ nicht mehr ge-
schaffen (Paul 1880/1995, 174; vgl. auch Naumann 2000, 2 ff.; Erben 2006,
20). Dennoch wird auch „jüngeren und jüngsten Sprachperioden […] die
Fähigkeit zur Urschöpfung“ nicht völlig abgesprochen (Paul 1880/1995,
175; vgl. auch Wilmanns 1899, 1, wonach „Wortschöpfung […] immer
mehr“ zurücktritt, „ohne jedoch ganz aufzuhören“).
So wird verwiesen auf Bezeichnungen für „verschiedene Arten von Ge-
räuschen und Bewegungen“ (Paul 1880/1995, 177), vor allem Onomatopo-
etica wie bimmeln und poltern, quieken und plumpsen u. ä. Bildungen,
„die frühestens im Spätmittelhochdeutschen nachweisbar sind“ (Paul
1880/1995, 178). Manche dieser Verben können aus onomatopoetischen
Interjektionen entstanden sein (plumps – plumpsen, vgl. Paul 1880/1995,
179 ff.).
Schließlich kommen kindersprachliche Bildungen vor, vielfach Redupli-
kationen (Wauwau ,Hund‘, Töfftöff ,Motorrad‘), nach Paul (1880/1995,
181) keine „Erfindung der Kinder“, sondern „Wörter der Ammensprache“ –
was wohl etwas einzuschränken ist.
Neue, meist okkasionell bleibende Onomatopoetica begegnen gegenwär-
tig vor allem in Comics, den gezeichneten Bildergeschichten (¢ 1.2.1). Wenn
Laute, die ja nicht gezeichnet werden können, versprachlicht werden sollen,
finden sich meist in sog. Sprechblasen lautmalende Buchstabenverbindun-
gen als Interjektionen. Ihre Bedeutung ergibt sich in der Regel nur in Ver-
bindung mit der jeweiligen Zeichnung: aaoww, ack, aga, arf-arf, arrgh, arrh,
arx, bang, bäsch, krak, krok, krrk, kruiik (alle Beispiele aus Kinzler 1998).
Wenn man diesen Bildungen Zeichenstatus zuerkennen will – einen Zei-
cheninhalt vorausgesetzt –, sind sie zweifellos Wortschöpfungen.
In einem in jüngster Zeit ins Blickfeld der Wortbildungsforschung ge-
rückten Wortschatzbereich, den Produktnamen („Ökonymen“, Platen
1997; vgl. Ronneberger-Sibold 1998; Janich 2005, 51 ff.), lassen sich Wort-
schöpfung und Wortbildung nicht immer deutlich voneinander abheben, da
hier auch verschiedenartige fremdsprachliche Formen entlehnt oder adap-
tiert werden. Als Wortschöpfungen kann man solche Produktnamen wer-
ten, die „weder aus natürlichen Sprachen noch aus dem allgemeinen Na-
menbestand übernommen“ sind (Platen 1997, 44). Typische Beispiele dafür
20 1 Grundsätze und Grundbegriffe

sind elmex (Zahnpaste) oder Kodak (Fotomarke). Es gibt insgesamt aber


wohl doch nur wenige, die sich nicht in irgendeiner Weise an vorhandenes
Sprachgut anlehnen. Die bei Platen auch zu den Kunstwörtern gezählten
Ökonyme wie Adidas aus Adi Dassler oder Haribo aus Hans Riegel Bonn, die
tatsächlich künstlich anmuten, sind morphologisch gesehen nicht eindeutig
als Kunstwörter zu bestimmen. Sie knüpfen immerhin an vorhandene Zei-
chen bzw. Zeichensegmente an. Andererseits sind die entsprechenden Aus-
gangsformen weitgehend unbekannt, was diese Produktnamen durchaus
wie Worterfindungen erscheinen lässt. Auch andere Verfremdungen übli-
cher Lexeme wie Rama (Margarine) zu Rahm oder Rei (Waschmittel) zu rein
führen zu Ökonymen zwischen Kunstwort und Wortbildung. Wenn man
zur feineren Differenzierung zwischen Wortschöpfung und Wortbildung die
Bildung nach einem Modell als Kriterium für Wortbildung annimmt, liegt
ihre Interpretation als Kunstwort wohl näher. Munske fasst Wortschöpfung
noch weiter. Er hält Abkürzungen (km, atü) und „Initialwörter“ (TÜV) ge-
nerell für die „moderne Form der Wortschöpfung“: „Werden sie gesprochen,
entstehen neue morphologische Einheiten“ (1990, 398). Ein entsprechender
Hinweis findet sich schon bei v. Polenz (1968a, 162).
Nicht als Wortschöpfungen sollten sog. Pass- oder Kennwörter gelten, die
nur Eingeweihten bekannt sind und ,die den Gebrauch einer Sache, den
Zugang zu ihr ermöglichen und sie gegen den Missbrauch durch Außen-
stehende schützen sollen‘ (nach GWDS). Das können usuelle Lexeme sein,
aber auch Mischungen aus Buchstaben und Ziffern ohne lexikalische Be-
deutung. Sie werden nicht gesprochen und sie dienen – genaugenommen –
nicht der zwischenmenschlichen Kommunikation, sondern wie ein Ausweis
der Identifikation einer Person.

1.3.2 Wortbildung und Entlehnung

Sowohl indigene als auch entlehnte simplizische und komplexe Lexeme sind
Bestandteile des deutschen Wortschatzes. Insofern stehen sie gleichermaßen
als Input für neue Lexeme zur Verfügung. Sie können sich miteinander und
auch mit indigenen und entlehnten Affixen zu neuen Wortbildungen ver-
binden (Wirtschaftsboom, Komplizenschaft). Während es für die Komposi-
tion so gut wie keine Beschränkungen hinsichtlich der Verbindung indigen
– exogen gibt, ist die Distribution der Affixe je nach Herkunft der Deriva-
tionsbasis und des Affixes deutlich restringiert (¢ 1.9.3.2).
Beziehungen zwischen Wortbildung und Entlehnung zeigen sich noch in
anderer Hinsicht. Eine deutliche Einflussnahme von Entlehnungsprozessen
1.3 Wortbildung und Lexikon 21

auf die Wortbildung lässt sich gegenwärtig beispielsweise an Übernahmen


aus dem Englischen beobachten (Barz 2008). Komplexe Entlehnungen stel-
len eine potenzielle Quelle für unselbstständige Wortbildungsmittel dar,
und zwar insofern, als durch Reanalyse gewonnene Wortsegmente wortbil-
dungsaktiv werden und ggf. Wortbildungsreihen ausprägen, vgl. das Ele-
ment -aholic/-oholic in Shopaholic, Schokoholic nach engl. workaholic (¢ 1.9).
Des Weiteren wirkt die bloße Existenz von Entlehnungen im Deutschen in
bestimmter strukturell-semantischer Ausprägung als Stimulus für den
Ausbau indigener Modelle. Ein Beispiel sind die simplizischen Verbalab-
strakta aus dem Englischen wie Boom, Job, Bluff, Talk mit ihren Verben
boomen, jobben usw., die offenbar die Produktivität der Konversion indi-
gener Verben zu Substantiven anregen. Erst in jüngerer Zeit üblich gewor-
den sind Dreh, Schwenk, Treff; Klau in Auto-, Datenklau.

1.3.3 Wortbildung und Bedeutungsbildung


Unter Bedeutungsbildung („Bedeutungsveränderung“, Fritz 1998, 38; Be-
deutungswandel) wird die Entstehung „neuer Bedeutungen im Sprachge-
brauch“ verstanden (Munske 2005b, 1392), d. h. die semantische Verände-
rung eines usuellen Lexems ohne formale Veränderung. So bedeutet Netz
(,Maschengeflecht‘, ahd. nezzi) etwa seit Mitte der 1990er-Jahre unter eng-
lischem Einfluss auch ,Internet‘ und ist in dieser neuen Lesart auch wort-
bildungsaktiv: Netzadresse, Netzbetreiber, Netzzugang, Datennetz (Herberg/
Kinne/Steffens 2004, 229). Auf die Weise entstehen neue Bedeutungen (ge-
nauer: neue Lesarten oder Bedeutungsvarianten) sowohl bei primären als
auch bei sekundären Lexemen. Insbesondere der Verbwortschatz ist davon
geprägt, wie z. B. Präfixverben zur Bezeichnung von kognitiven Leistungen
zeigen, deren Bedeutungen figurativ (metaphorisch) motiviert sind (begrei-
fen, erfassen, erfahren). Solche Bezeichnungsübertragungen fallen nicht in
den Untersuchungsbereich der Wortbildungslehre, denn sie sind nicht Er-
gebnis einer Wortbildung, sondern ihr jeweils zeitlich nachgeordnet. In
diesen Fällen lassen sich Wortbildung und Bedeutungsbildung als unter-
schiedliche Verfahren der Wortschatzvermehrung durchaus voneinander
abheben.
Einen anderen Fall stellen Wortbildungsprozesse dar, die systematisch
von semantischen Veränderungen der Ausgangseinheiten begleitet werden.
Das betrifft z.B. die Gewinnung von Adjektiven aus Partizipien (bedeutend)
oder von komplexen Verben mit adjektivischem Erstglied wie festhalten aus
Syntagmen (fest halten). Hier ist die semantische Veränderung des Inputs
gewissermaßen die Ursache für die Entstehung des neuen Lexems.
22 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Schließlich ist noch ein weiteres wichtiges Zusammenwirken zwischen


Wortbildung und Bedeutungsbildung zu nennen. Die Entstehung meta-
phorischer und metonymischer Lesarten von Lexemen ist im Deutschen oft
zunächst an eine Wortbildungsumgebung, an einen „Wortkontext“ (auch
„Mikrokontext“, DWb 4, 763) gebunden. Schu erläutert das am Beispiel
-telefon in der metonymischen Bedeutung ,Einrichtung/Institution, die eine
telefonische Dienstleistung erbringt‘ und nennt Komposita wie Gesundheits-,
Grammatiktelefon (Schu 1997, 61). Aus solchen zunächst nur gebunden
nachweisbaren Bedeutungen können sich auch Lesarten frei vorkommender
Lexeme entwickeln, vgl. Tochter ,Firma, die zu einer größeren Firmengesell-
schaft gehört‘ aus Tochterfirma, -gesellschaft (¢ 1.5.3).
Zur Remotivation als Verfahren der Umdeutung geläufiger Wortbildun-
gen ¢ 1.5.4.1.

1.3.4 Wortbildung und Phraseologisierung

Durch Wortbildung und durch Phraseologisierung entstehen aus vorhan-


denen sprachlichen Einheiten gleichermaßen komplexe Bezeichnungen wie
Gartenhaus, Häuschen, aus dem Häuschen sein, treulose Tomate. Außer der
Komplexität haben Phraseme und Wortbildungen auch semantische Ge-
meinsamkeiten. Ihre lexikalische Bedeutung ist im Moment der Prägung
graduell morphosemantisch oder figurativ motiviert (¢ 1.5; Weiteres zu Ge-
meinsamkeiten und Unterschieden vgl. Feilke 1996, 66 ff.; Fleischer 1997a,
162 ff.; Barz 2007).
Sowohl Wortbildungen als auch Phraseme werden als Input für lexikali-
sche Neuerungen genutzt, z. B. für Derivate: verkaufen > Verkäufer, Süßholz
raspeln > Süßholzraspler. Dabei unterscheiden sich die Phraseme syntaktisch
in der Mehrzahl der Fälle nicht von freien Syntagmen, vgl. Brot verkaufen >
Brotverkäufer, aber phrasemisch die Klinken putzen ,von Tür zu Tür gehen
als Hausierer oder Bettler‘ (Dudenband 11, 2002, 418) > Klinkenputzer.
Auch Adjektive und Verben entstehen aus Phrasemen: leichten Herzens >
leichtherzig, sich/jmdm. etwas auf den Hals laden > sich/jmdm. etwas aufhal-
sen.
Deutlich bevorzugt werden Phraseme gegenüber freien Syntagmen als
Erstglied in Phrasenkomposita, einem in der Gegenwart hochproduktiven
Wortbildungsmodell, vgl. der Alles-wird-gut-Verdrängungsmechanismus, die
Mal-sehen-was-kommt-Phase, die Der-Schoß-ist-fruchtbar-noch-These (Bei-
spiele bei Schmidt 2000). Dass die Lexikalisierung solcher komplexen und
meist konnotierten Lexeme eher nicht zu erwarten ist, wirkt sich auf die
1.3 Wortbildung und Lexikon 23

Produktivität des Modells nicht nachteilig aus. Nicht die Erweiterung des
Lexikons ist hier primärer Bildungsanlass, sondern bestimmte stilistische
Intentionen. Usuell sind nur einige weniger komplexe Bildungen dieser Art
wie Kopf-an-Kopf-Rennen, Nacht-und-Nebel-Aktion. Hier sind Phraseme
zum Teil gewissermaßen fest an einen Wortkontext gebunden. Umgekehrt
bewahren viele Phraseme auch veraltete Wortbildungen wie Hungertuch in
am Hungertuch nagen, Kirchenmaus in arm wie eine Kirchenmaus sein, Mit-
leidenschaft in jmdn./etw. in Mitleidenschaft ziehen. In wenigen Fällen ver-
selbstständigen sich solche unikalen Komponenten mit einer aus dem Phra-
sem gewonnenen Bedeutung wie Fettnäpfchen ,Faux pas‘ aus bei jmdm. ins
Fettnäpfchen treten ,Missfallen erregen, jmdn. kränken‘.
Die Bildungsverfahren selbst sind deutlich verschieden. Während sich
Wortbildung im Wesentlichen nach strukturell-morphologisch und seman-
tisch bestimmten Modellen vollzieht (¢ 1.7.2), geht es bei der Phraseologi-
sierung im Kernbereich vor allem um idiosynkratische semantische Verän-
derungen vorfindlicher Strukturen, verbunden mit einer Stabilisierung der
jeweiligen Struktur (Fleischer 1997a, 245f.), vgl. metaphorisch das Kind mit
dem Bade ausschütten, metonymisch das Gesicht wahren.
Phraseme und Wortbildungen aus denselben Ausgangseinheiten wie flink
wie ein Wiesel – wieselflink stehen im Allgemeinwortschatz äußerst selten als
usuelle bedeutungsgleiche Bezeichnungen zur Verfügung. Entweder beste-
hen semantische Unterschiede (Großtier ,besonders großes Tier‘ – großes
Tier ,hochgestellte Persönlichkeit‘) oder die Bezeichnung in der jeweils an-
deren Struktur ist in der gleichen Bedeutung nicht üblich (grüner Junge –
*Grünjunge; Flachmann ,kleine flache Schnapsflasche‘ – *flacher Mann). Ein
Nebeneinander paralleler Bildungen findet sich jedoch in Fachsprachen, vgl.
duales System – Dualsystem.

1.3.5 Lexikalisierung

Unter Lexikalisierung ist das Festwerden neuer Bezeichnungen im Wort-


schatz oder – aus anderer Sicht – der Übergang einer Bezeichnung in das
sprachliche Wissen der Sprachteilhaber zu verstehen (Feilke 1996, 181). Da
es sich dabei um einen historischen Prozess handelt, enthält jeder Text neben
lexikalisierten auch okkasionelle Bezeichnungen, die, wenn es Wortbildun-
gen sind, nach produktiven Modellen oder als singuläre Analogiebildungen
entsprechend den Erfordernissen der Kommunikationssituation bzw. der
Satz- und Textstrukturen ad hoc erzeugt werden. Dass zwischen ,usuell‘ und
,okkasionell‘ gleitende Übergänge bestehen, versteht sich angesichts der Dy-
24 1 Grundsätze und Grundbegriffe

namik des Lexikons von selbst (Paul 1880/1995, 84 f.; Coulmas 1985, 253;
Sauer 2004, 1632ff.).
Dem Lexikalisierungsprozess können theoretisch alle Wortneubildungen
(und andere Arten neuer Bezeichnungen wie Phraseme, Neosemantismen
oder Entlehnungen) unterworfen werden, dennoch geht trotz eines relativ
hohen Anteils von Okkasionalismen in aktuellen Texten – Wellmann (1998,
409) spricht von ca. 30 % der Wortbildungen eines beliebigen Zeitungstex-
tes – nur eine Teilmenge an Textwörtern auf längere Sicht in das Lexikon ein.
Obwohl nicht generell vorhergesagt werden kann, welche Neubildungen das
sind, Lexikalisierung demnach bei keiner Bildung grundsätzlich ausge-
schlossen ist, lassen sich doch bestimmte allgemeingültige Prinzipien für die
Lexikalisierung festhalten (Wildgen 1982, 256; Grosse 1982, 47; Fleischer
1997b, 51ff.; Motsch 2004, 25 ff.). Als dominantes Prinzip erweist sich der
überindividuelle kollektive Bezeichnungsbedarf oder, anders gesagt, der
„kommunikative Nutzen“ (Fritz 1998, 39). Je wichtiger ein Begriff für eine
Sprachgemeinschaft ist, umso eher wird seine Bezeichnung akzeptiert und
umso stärker neigt sie zur Verbreitung und Lexikalisierung (vgl. gegenwärtig
Elterngeld, LKW-Maut, endlagern). Das erklärt, warum Wortbildungsarten
wie die Kontamination (schöner essen mit Essthetik aus essen und Ästhetik,
Werbung für Porzellan 2009) und die Reduplikation (Piep-Piep ,Vogel‘),
deren Bildungsprodukte wegen ihrer Konnotationen meist nur eine mini-
male kommunikative Reichweite aufweisen, ebenso geringe Lexikalisie-
rungschancen haben wie Komposita mit Eigennamen als Erstglied (Rom-
Besuch, Schmidt-Geburtstag); diese wohl v.a. wegen ihres relativ niedrigen
Verallgemeinerungsgrades (aber: Riesterrente; ¢ 1.4.2.2.2).
Für welche Referenten unter welchen Bedingungen eine neue Bezeichnung erforderlich
ist, ergibt sich aus verschiedenen Zusammenhängen. Erben (2006, 22 ff.) unterscheidet
zwischen objektiv und subjektiv bedingten Ausdrucksnotwendigkeiten. Wortneubil-
dungen werden gebraucht, wenn neue Begriffe aufkommen und erstmals sprachlich zu
fixieren sind (Ozonloch, Elchtest, entsorgen), aber auch, wenn die zur Verfügung ste-
henden Bezeichnungen den Ausdrucksbedürfnissen der Sprecher nicht gerecht werden
oder als unmodern und nicht ausdrucksstark genug empfunden werden. Beispiele für
solcherart „Wortersatz“ (v. Polenz 1991, 41) in der Gegenwart sind Verkaufsrepräsentant
für Vertreter, Seniorenheim, -park oder -residenz für Alten- oder Altersheim.
Überlagert wird das pragmatische Prinzip der Lexikalisierung von sprachinternen
Aspekten. Bestimmte Modelleigenschaften begünstigen oder hemmen die Lexikalisie-
rung zusätzlich. Schwach komplexe Wortbildungen werden eher lexikalisiert als hoch-
gradig komplexe, klar motivierte eher als stark kontextabhängige, modellgerecht
gebildete eher als abweichende Bildungen (Erben 1981, 35 ff.; Handler 1993, 300; Ho-
henhaus 1996, 56). Ein okkasionelles Kompositum wie Handballhochzeit in der Bild-
unterschrift eine Spielerin, die auf vielen (Handball-)Hochzeiten tanzt (LVZ 2002) ist nur
1.3 Wortbildung und Lexikon 25

verständlich, wenn man das Phrasem auf allen Hochzeiten tanzen kennt und etwas vom
Spielbetrieb im Handball weiß. Obwohl es sich bei Handball-Hochzeit um ein modell-
gerecht gebildetes Kompositum handelt, ist seine Lexikalisierung v.a. wegen der Kon-
textgebundenheit nicht zu erwarten. Auch Komposita mit Syntagmen und durchge-
koppelten losen Wortreihen als Erstglied verfügen über eine nur geringe Lexikalisie-
rungsaffinität (Gute-Laune-Text, Licht-Schatten-Effekt).

Dennoch sind gerade okkasionelle Wortbildungen insofern von besonde-


rem Interesse für die synchrone Wortbildungslehre, als ihre Bildungsweise
und Frequenz Auskunft über die Produktivität der Modelle geben können
(¢ 1.7.2.1; Olsen 1995, 113f.).
Relevant für die Lexikalisierung sind schließlich noch die bei den einzel-
nen Modellen wirksamen Restriktionen. Das gilt in erster Linie für die
Derivation und Konversion. Je leichter ein Modell anwendbar ist, d. h., je
weniger Restriktionen zu beachten sind, umso geringer kann die Lexikalisie-
rungsaffinität der Wortbildungen sein. Das betrifft z.B. die Diminuierung
und Augmentation beim Substantiv (Bächlein, Kindchen, Superentscheidung,
Riesenüberraschung, Spitzengage) oder auch die Konversion des Infinitivs.
Konvertierte Infinitive neigen auch deshalb nur schwach zur Lexikalisie-
rung, weil zwischen Input und Output außer der veränderten kategoriellen
Bedeutung kaum semantische Unterschiede fassbar werden (jmdn. zurecht-
weisen > das Zurechtweisen, abschreiben > das Abschreiben).
In Einzelfällen kann eine exponierte Verwendungssituation einer Be-
zeichnung, wie das Vorkommen in Film- oder Buchtiteln, die Lexikalisie-
rung begünstigen, vgl. die Verbreitung der Entlehnung Terminator (Film-
titel) und die Verwendung von -minator als Zweitglied zur Bildung von
Personenbezeichnungen (Herminator, TV-Minator, Tourminator; Michel
2006b, 298 f.).
Eine besonders wichtige Rolle bei der Lexikalisierung spielt das Lexikon,
indem usuelle, potenziell konkurrierende Bezeichnungen ein Lexikalisie-
rungshemmnis für Neubildungen darstellen. Wenn bereits eine usuelle Be-
zeichnung für einen bestimmten Begriff existiert, kann z.B. die Lexikalisie-
rung eines Synonyms mit demselben Stamm blockiert sein: nicht *Fahrung,
weil das ältere Fahrt den Bezeichnungsbedarf deckt; nicht *Weitheit wegen
Weite. Auch Homonymie wird meist vermieden. Aus schauen wird nicht die
Personenbezeichnung Schauer abgeleitet, weil Schauer bereits in der Bedeu-
tung ,Regenguss‘ üblich ist. Allerdings lassen sich auch synonyme und an-
tonyme Gegenbeispiele finden (¢ 1.7.2.3).
26 1 Grundsätze und Grundbegriffe

1.4 Wortbildung und Text

Wortbildungen sind potenzielle Bausteine von Texten, unabhängig davon,


ob sie usuelle oder okkasionelle Lexeme sind. Sie fungieren in Texten sowohl
textkonstitutiv (¢ 1.4.1), indem sie am Aufbau von Texten beteiligt sind, als
auch textdistinktiv (¢ 1.4.2), indem sie Einzeltexte voneinander zu unter-
scheiden oder Textsorten gegeneinander abzugrenzen helfen, sie aber auch
musterhaft kennzeichnen können (in diesem Sinne Fix 2009, 79).
Die Wortbildungsforschung hat die Beziehungen zwischen Wortbildung
und Text unter verschiedenen Einzelaspekten erfasst (¢ 1.5.4.4; ¢2.7.5); eine
geschlossene Darstellung steht noch aus.
Durchgehend textorientiert ist Eichingers „Deutsche Wortbildung“ (2000); einen
Überblick geben Barz/Schröder 2001, 178ff.; bibliografische Angaben zu Publikationen
von 1990–2000 bei Barz/Schröder 2000, 328 ff.

Seit den 1970er-Jahren sind vor allem die kohäsionsbildenden Potenzen der
Wortbildung nachgewiesen worden (Schröder 1978), die im Dienste der
Textverflechtung die Isotopie eines einzelnen Textes mit realisiert (Eichinger
1995; Wolf 1996) und textkonstitutive Funktion ausübt.
Seit Beginn der 1980er-Jahre halten die von de Beaugrande/Dressler
(1981) entwickelten Textualitätsmerkmale Einzug in Beschreibungskonzep-
te für Wortbildung (in der 1. Auflage dieses Buches 1992, 75ff.; Nagel 1997;
Poethe 2000b, 214f.); als besonders relevant erweisen sich Kohäsion, Ak-
zeptabilität (¢ 1.7.2.4), Informativität, Situationalität und Intertextualität.
Ausgehend von der v. Polenz’schen Feststellung, das Vorkommen von
bestimmten Wortbildungstypen sei relativ spezifisch für bestimmte Text-
sorten und funktionale Stile (v. Polenz 1980, 178), gewinnt der Textbezug in
der Wortbildungsforschung der Folgezeit immer mehr an Bedeutung. Den
entsprechenden Untersuchungen liegt die Annahme zugrunde, dass jede
Textsorte charakterisiert ist durch Stilzüge und Stilelemente, die u.a. auch
durch Wortbildungsphänomene realisiert werden. Es wächst das Interesse
an der textdistinktiven Funktion der Wortbildung, die in unmittelbarer Be-
ziehung zur textkonstitutiven Funktion der Wortbildung steht (vgl. Seiffert
2005b, 267 ff.; Elsen/Michel 2007, 8 f.; Handler 2009, 1570ff.).
In den seit 1973 erschienenen fünf Bänden der „Deutschen Wortbildung“ sind „Text-
verflechtung“ und „Textsorten“ Beschreibungsaspekte für alle Wortbildungsarten,
wobei nur dann eine bevorzugte Textsorte ausgewiesen wird, wenn für sie „ein Wort-
bildungstypus [aufgrund seiner Häufigkeit, M. Sch.] charakteristisch ist“ (DWb 4,
XXXVIII f.). Vgl. auch Matussek 1994; Peschel 2002.
1.4 Wortbildung und Text 27

Seit der verstärkten Hinwendung zu den Text-Text-Beziehungen ist in den


1990er-Jahren die Intertextualität als Erklärungsansatz zunehmend ins
Blickfeld der Textlinguisten gelangt. Auch in der Wortbildungsforschung
werden als Textgrundlage in steigendem Maße Textkorpora genutzt, deren
zugehörige Texte miteinander in diskursiven Zusammenhängen stehen
(Fandrych 1993: Umwelt- und Gesundheitsdiskussion; Matussek 1994: Bi-
blis-Korpus).

1.4.1 Textkonstitutive Funktion

Wortbildungen als Textbausteine können, wie andere Wörter auch, textver-


flechtende Funktion haben und damit Anteil an der Kohäsion eines Textes,
an der Verflochtenheit seiner Oberflächenstruktur (dazu Schröder 1985b;
Eichinger 1995; Peschel 2002, 58 ff.; Schlienz 2004).
Gegenüber anderen Kohäsionsmitteln wie Relativpronomen (welche) er-
wächst die kohäsive Potenz von Wortbildung aus der morphosemantischen
Motivation (¢ 1.5.4). Morphosemantisch motivierte Wortbildungen ver-
flechten Teile eines einzelnen Textes oder ganze Texte eines Textkomplexes
miteinander durch ein rekurrentes Grundmorphem (haus), das frei (Haus)
und als Konstituente einer Wortbildung (Sommerhaus, häuslich) vorkom-
men kann. Unter paradigmatischem Aspekt sind solche Wortbildungen mit
weitgehend gleichem Grundmorphem Glieder einer Wortfamilie (¢ 1.8.2.3).
Das wiederkehrende Grundmorphem ist sprachlicher Ausdruck überein-
stimmender semantischer Merkmale und Kennzeichen der Textisotopie.
Isotopie ist nach Bußmann die „Wiederkehr von Wörtern desselben Bedeu-
tungs- bzw. Erfahrungsbereichs in einem Text“ (Bußmann 2002, 322; zu
anderen Auffassungen Fix 2001, 485). In diesem Sinne bilden Wortbildun-
gen mit gemeinsamem Grundmorphem eine Isotopiekette oder zumindest
ein Isotopiepaar. Die einzelnen Glieder von Kette bzw. Paar hängen refe-
renziell zusammen, müssen aber nicht referenzidentisch sein. Isotopieket-
ten dieser Art verdeutlichen nicht nur den Sinnzusammenhang eines Textes,
sondern können darüber hinaus die Intention des Autors zu erkennen geben
und stilbildend wirken (¢ 1.4.2.1).
Die ausdrucksseitige Verflechtung ist die Voraussetzung dafür, dass die
Glieder einer Wortfamilie im Text zu einem „idealen Topikalisierungsmittel“
werden können (Fleischer 1987, 40). Diese besondere Rolle der Wortbildung
für die Textkonstitution ist nicht nur dadurch gegeben, dass das rekurrente
Grundmorphem gemeinsame Bedeutungsmerkmale erkennen lässt, son-
dern auch dadurch,
28 1 Grundsätze und Grundbegriffe

– dass Wortbildungen mit mehreren Grundmorphemen zu Knotenpunk-


ten für mehrere Isotopieketten werden können;
– dass die unterschiedlichen Wortbildungsumgebungen Arten der seman-
tischen Äquivalenz signalisieren, z.B. Wortbildungssynonymie (¢ 1.8.2.4);
– dass alle Wortbildungen eines Textes aufgrund rekurrenter Grundmor-
pheme ein sachorientiertes Umfeld lexikalisch hervortreten lassen.

Die angeführten Teilfunktionen finden sich in den grafisch hervorgeho-


benen Wörtern der (hier gekürzten) Buchrezension „Bauend das Leben
ordnen“ (nachfolgend „Bauhaus-Text“ genannt).
Bauend das Leben ordnen. Konrad Wünsches neues Bauhaus-Verständnis.
Von M. Schreiber.
Das Bauhaus ist mehr gewesen als die berühmteste Architektur- und Designschule
der deutschen Moderne. Das 1919 in Weimar begründete Institut, für das sein erster
Direktor, Walter Gropius, 1926 in Dessau ein neues Gebäude von souveräner Ein-
fachheit entwarf und bauen ließ, war auch eine Schule des Lebens, ein so imponie-
render wie fragwürdiger Versuch, „das Leben zu ordnen“, wie der Berliner Erzie-
hungswissenschaftler Konrad Wünsche schon im Titel seines Buches schreibt.
Dieser Ordnungsversuch war so radikal angelegt, daß er auf das Leben der potenti-
ellen Ordner selbst […] zielte. Im Grunde verstanden sich die Ordner als Orden, als
pädagogisch-ästhetischen Geheimbund. „Unser Bund“, sagte Gropius. Mohol-Nagy,
einer der Bauhaus-Lehrer, nannte das Programm der Weimarer Phase ein „logen-
haftes Gemeinschaftsleben“. So rational und sozial, wie die Bauhaus-Lehre oft dar-
gestellt wird, war sie also durchaus nicht […].
Konrad Wünsche rekonstruiert […] die Bauhaus-Idee in ihrer ganzen Komplexität
und Widersprüchlichkeit. Einer der reizvollsten Widersprüche ist der positivistische
Idealismus der Bauhaus-Lehre. Schlemmer konstituierte die authentische Menschen-
figur, indem er zum Beispiel das Muskelsystem „als Träger der Funktionen des Fleisch-
gebäudes“ betrachtete. Hannes Meyer erkundete das „System der Bewegungen“ des
menschlichen Körpers im Alltag, um daraus Normen […] für das Haus überhaupt zu
entwickeln. Diese Ansätze intendierten […] keine direkt lehrbare Ästhetik […].
Im Kapitel […] über „Lehre und Vor-Lehre“ deutet Wünsche Distanz zur bürgerli-
chen Sehnsucht nach Natur, […] Lebensganzheit an. Da gehört seine Sympathie
eindeutig dem Bauhaus […]. Andrerseits […] ironisiert er den Bauhaus-Kult der
Verknappung und der Leere […].
Das Bauhaus war eine konstruktivistische Lebensphilosophie. Überwinden kann es
nur einer, der sich mit dieser Philosophie auseinandersetzt. (FAZ 1990)

Die Wörter in der Überschrift „Bauend das Leben ordnen“ bieten mit ihren
Grundmorphemen -bau-, -leb-, -ordn- Ansatzpunkte für mehrere Isotopie-
ketten mit den Wörtern, die mindestens eines dieser Grundmorpheme ge-
meinsam haben (Übersicht 1): bauend/Bauhaus/Bauhausidee, Leben/Ge-
1.4 Wortbildung und Text 29

meinschaftsleben, ordnen/Ordnungsversuch/Ordner. Mehrgliedrige Wortbil-


dungen wie Bauhaus-Lehre fungieren als Knotenpunkte für neue Isotopie-
ketten, deren Wörter ausdrucksseitig mit weiteren Wörtern durch ein re-
kurrentes Grundmorphem verbunden sind, z. B. Bauhaus-Lehrer/lehrbar;
Bauhaus/Haus.

Übersicht 1: Topikalisierung durch Wortbildung

Die Isotopieketten mit den Grundmorphemen -leb-, -bau-, -ordn-, -haus-,


-lehr- enthalten Wörter verschiedener Wortarten und Wortbildungsarten
(bauen, Bauhaus-Lehrer, lehrbar). Wortartwechsel (ordnen/Ordner) erhöht
die Einsatzmöglichkeiten begrifflich zusammenhängender Einheiten im
Text. Als Wortbildungsart überwiegt das substantivische Kompositum (Bau-
haus-Verständnis) gegenüber dem Derivat (Ordner, lehrbar) und der Kon-
version (Leben). Kettenglied ist auch das Simplex Haus.
Inwieweit auch Konfixe und Affixe kohäsionsbildend wirken, ist bisher nur für Ein-
zelfälle erforscht, z.B. für mono- (Seiffert 2005b, 268) bzw. für ver- (Wolf 1996). In dem
Titel „Verschlüsseln, Verbergen, Verdecken in öffentlicher und institutioneller Kom-
30 1 Grundsätze und Grundbegriffe

munikation“ (Pappert/Schröter/Fix 2008) bezeichnen die ver-Verben die entscheiden-


den Strategien, wobei ihre Wiederaufnahme in der Einleitung und in einzelnen Bei-
trägen beispielhaft ist für die textkonstitutive Funktion von Wortbildung über den
Einzeltext hinaus. Zu kohäsionsbildenden Potenzen der Kurzwörter ¢ 2.7.5.1.
Verschiedene Arten der semantischen Äquivalenz sind repräsentiert durch
Hyperonymie-Hyponymie-Beziehungen zwischen Bauhaus-Avantgarde,
Bauhaus-Lehrer, Bauhaus-Meister sowie durch synonymische Beziehungen
zwischen Leben, Lebenswelt, Lebensganzheit (zum eingeschränkten Vorkom-
men von Synonymen im Text Ohnheiser 1987, 121). Onomasiologische
Kategorien wie ,Handlung‘, ,Person‘, ,Kollektivum‘ bezeichnen ordnen, Ord-
nungsversuch; Ordner; Orden. Der Wechsel des Zweitgliedes unter Beibehal-
tung des Erstgliedes in Bauhaus-Avantgarde, -Idee, -Meister, -Buch, -Lehrer
verdeutlicht die thematische Differenzierung innerhalb eines inhaltlichen
Zusammenhangs.
Verallgemeinernd gilt: Die semantischen Beziehungen zwischen den
Wortfamiliengliedern sind ähnlich vielfältig, wie es die inhaltlichen Zusam-
menhänge innerhalb eines Textes sind. Das zeigt sich umso deutlicher, je
mehr Isotopiestränge in einem Text vorkommen, wofür eine gewisse Text-
länge Voraussetzung ist.
Der Text kann ein einzelner Text sein; er kann aber auch Modul eines
Textkomplexes sein (Schröder 2000b). Die Wiederaufnahme desselben
Grundmorphems trägt zur Verflechtung der einzelnen Textmodule bei und
kann sowohl Textgestaltungshilfe für den Autor als auch Lesehilfe für
den Rezipienten sein. Auf diese Weise wirken in „modernen, modularen
Mediennutzungen“ (Handler 2009, 1570) Wortbildungen als Bestandteile
entsprechender Isotopieketten textübergreifend und somit intertextualitäts-
stiftend (¢ 1.4.2.2.2).

1.4.2 Textdistinktive Funktion


Wortbildung kann in doppelter Weise distinktiv sein: Zum einen besitzt sie
stilbildende Potenzen für den Einzeltext und trägt zu dessen individueller
Gestaltung bei; zum anderen bietet sie prototypische Textsortenmerkmale,
die dazu beitragen, eine Textsorte zu charakterisieren und sie von anderen
Textsorten zu unterscheiden (auch Barz/Schröder/Poethe/Hämmer 2007,
60 f.).
Eng verknüpft sind diese Funktionen mit Urteilen über die Akzeptabilität
von Wortbildungen (¢ 1.7.2.4); die Urteile leiten sich in vielen Fällen aus der
Textgebundenheit ab, beispielsweise, wenn es um nicht modellgerechte
Wortbildungen geht.
1.4 Wortbildung und Text 31

So wird in einem Werbetext für Fitness-Ernährung zum Muskelaufbau


(2009) neben einer usuellen Wortbildung Straffung (der Muskeln) die nicht
modellgerechte (¢ 1.7.1.2) Analogiebildung Schlaffung (der Muskeln) aufge-
führt: Aus der im Text farblich verdeutlichten Antonymie straff/schlaff er-
wächst Akzeptanz für die okkasionelle Wortbildung Schlaffung.
Anders erklärt sich die Akzeptanz für die Suffixderivate Lieber und Sterber
in einem Textauszug aus einer Empfehlung zu einer literarischen Neuer-
scheinung:
Hatte mir nicht die Großmutter gesagt, daß der Spalt reißt, wenn einer liebt, ge-
nauso wie wenn einer stirbt? Und hatte sie mir nicht gesagt, Lieber können wie Sterber
durch den Spalt gehen und ihren Blick ins andere Land, nach Belavodje, werfen? (U.
Unseld-Berke"wicz)
Beide Wortbildungen sind zwar modellgerecht, aber nicht usuell. Dass sie
akzeptiert werden, erklärt sich zum einen daraus, dass sie durch lieben und
sterben im vorausgehenden Satz eingeführt, dass sie gut motiviert und oh-
nehin verständlich sind. Zum anderen ist davon auszugehen, dass sie in
einem literarischen Text vom Autor bewusst als Abweichungen gebildet
sind: Sie erzeugen als pointierende Textwörter einen stilistischen „Mehr-
wert“ (Stein 2007, 476), der beim Leser Leselust weckt und ihm die unge-
wohnten Wörter akzeptabel macht.

1.4.2.1 Stilbildende Potenzen der Wortbildung


Stilbildende Potenzen der Wortbildung sind sowohl traditionell Gegenstand
von Stillehren (Sandig 1978, 31 f.; Sowinski 1991, 206ff.; Fleischer/Michel/
Starke 1993, 131 ff.) als auch Thema von Monografien (Handler 1993) und
Einzeldarstellungen (Fix 2002; Handler 2009).
Aus funktionalstilistischer Sicht konstatiert Wellmann (2008b, 23):
„Am schönsten blüht die Wortbildung in der belletristischen Literatur. Streng und
zweckmäßig angelegt zeigt sie sich in den Fachsprachen, bis ins Bizarre vereinfacht
wird sie in manchen Sondersprachen. Kompliziert, aber logisch durchstrukturiert
wirkt ihr Erscheinungsbild in Recht und Verwaltung […]. Üppig wächst sie in
manchen Bereichen der Publizistik, sie variiert dort mit ihren Zwecken; als beson-
ders raffiniert vereinfacht oder zurechtgestutzt erscheint sie immer wieder in der
ökonomischen und politischen Werbung. Cool und salopp, so präsentiert sie sich in
den Jargons der Alltagssprache, die auch als Gruppenanzeichen (H. Bausinger) fun-
gieren; einfacher erscheint sie dagegen im Dialektgespräch, das auf die Bedingungen
der Alltagskommunikation abgestimmt ist.“
Wie andere sprachliche Elemente können Wortbildungsphänomene in kon-
ventionelle und nichtkonventionelle Stilmittel unterschieden werden (vgl.
Barz/Schröder 2001, 186).
32 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Konventionelle Stilmittel der Wortbildung ergeben sich aus deren „dau-


ernden Eigenschaften“ (vgl. Sandig 1978, 31; zu lautnachahmenden Ein-
schüben mit -tsch- ¢ 1.5.2). So sind Suffixe wie -s (Ding s) oder häufig auch -i
(Oss i, Wess i) umgangssprachlich konnotiert, „mit einem informellen Un-
terton“ (Handler 2009, 1568, mit Verweis auf Köpcke 2002; ¢ 2.3.2.8). Das
Suffix -istisch in positivistisch und konstruktivistisch ruft im Bauhaus-Text die
Konnotation ,negativ bewertend, distanziert‘ hervor, analog zu Positivismus
bzw. Konstruktivismus (¢ 2.3.3.2).
Auf das Vorkommen von Affixen in verschiedenen Funktionalstilen finden sich in der
„Deutschen Wortbildung“ zahlreiche Verweise, z.B. auf -ität (Historizität) in Wissen-
schafts- und Zeitungssprache (DWb 2, 276). Ex- im Substantiv (Ex-Profi, Ex-Kölner)
steht nahezu ausschließlich in Medientexten, besonders „in Presseberichterstattungen
aus dem Bereich des Sports“ (Hoppe 1999, 138f.), darüber hinaus (Ex-Mann) am
ehesten in „stilistisch saloppen Texten“. Zur Entwicklung des Affixes ex- zum Stamm
ex/Ex ¢ 1.6.2.4. Zu weiteren Affixen mit konnotativen Eigenschaften vgl. entsprechende
Abschnitte zur Suffix- und Präfixderivation, z. B. die Suffixe -ei/-erei (¢ 2.3.2.2), -el(n)/
-l(n) (¢ 5.4.2), die Präfixe un- (¢ 3.4.2.3), ent- (¢ 5.2.2.2), er- (¢ 5.2.2.3); vgl. auch die
Verbpartikel drauflos- (¢ 5.3.2) und das Zweitglied -zeug (¢ 2.2.1.5.1). Zum Kompositi-
onsmodell Verbstamm + Verb in belletristischen und fachsprachlichen Texten ¢ 5.7.
Dauernde stilistische Eigenschaften zeigen sich auch bei den Wortbildungsarten
Kontamination (¢ 1.8.1.7), Reduplikation (¢ 1.8.1.8), Zirkumfixderivation (¢ 2.5), Kon-
version (¢ 2.6.1), verbale Kurzwortbildung (¢ 5.1.1); bei der Fremdwortbildung – Mi-
schungen aus indigener Basis und Fremdsuffix (¢ 1.9.3.2.2); bei der onymischen und
deonymischen Komposition – Mischungen aus onymischen Komposita mit appella-
tivischen Elementen (¢ 2.2.11.3). Des Weiteren: Aufwertung durch Augmentation
(¢ 2.2.2.3.3), auffällige Erstglieder (¢ 2.2.9.4) und Schreibweisen im substantivischen
Kompositum (¢ 2.2.12.5.2), Diminuierung (¢ 2.3.2.21) und Gradation (¢ 3.1.5).
Okkasionelle Wortbildungen (¢ 1.3.4; ¢ 1.3.5; ¢1.5.4.1) tragen zur Steigerung
der Expressivität bei, regen an und unterhalten. So passt das textgebundene
metaphorische Kompositum Fleischgebäude vorzüglich in die pointiert ab-
gefasste Buchkritik, den Bauhaus-Text (zum metaphorischen Kompositum
¢ 2.2.2.3.1; zu „Ikonizität und Metaphorik“ Handler 2009, 1569). Der Sinn
der okkasionellen Wortbildung Lustleserschaft in einer Kalendernotiz über
die Frankfurter Buchmesse (2008) erschließt sich aus dem vorausgehenden
usuellen Kompositum Fachpublikum:
Dabei gehören die ersten drei Tage traditionell dem Fachpublikum, während am
Wochenende auch die Lustleserschaft durch die weitläufigen Hallen wandeln […]
darf.

Gleich mehrere stilbildende Funktionen hat Hoffmann (2008, 214f.) für die
Rededarstellungskomposita wie Ihr-dürft-alle-meiner-Meinung-sein-Chef
1.4 Wortbildung und Text 33

nachgewiesen: Danach sind sie vor allem ein „exzellentes Mittel des Verdich-
tens“, aber auch ein Mittel des Kontrastierens von alltäglichem und poeti-
schem Stil (Wir-machen-Fernseh-Ozean), von normalsprachlicher und
salopper bzw. derber Stilebene („Rübe-ab“-Lösung bzw. Verzeih-mir-bitte-
Scheiße). Geeignet sind sie schließlich als Mittel des Veranschaulichens,
mit besonderem Witz in „Ich habe einen Regenwurm gegessen“-Gesicht
(¢ 2.2.9.4).
Stilbildend wirken auch die Remotivation (¢ 1.5.4.1), vor allem jedoch
Wortspiele verschiedener Art (Poethe 2002). Beispielsweise kann die Kon-
stituentenstruktur spielerisch aufgelöst sein: Zur Freude aller Campingfreun-
de findet auf so manchem Zeltplatz so manches Zelt Platz; Leipziger Leben –
Leipzig erleben, oder das Kompositum ist außerordentlich vielgliedrig wie
Panamakanalfrachtlastnachtfahrt (F. Fühmann). Klangähnlichkeit ist ausge-
nutzt, wenn das okkasionelle Kompositum mit Binnenmajuskel ZahnRat in
einer Zahnarzt-Broschüre den Leser an das vertraute Wort Zahnrad denken
lässt; wenn in einer Anrede Liebe Zooschauer die Verbpartikel zu aus Zu-
schauer ersetzt ist durch das klangähnliche Substantiv Zoo (MDR 2008) oder
wenn der OBI-Baumarkt zu Jahresbeginn 2010 den Käufer umwirbt mit dem
Wunschversprechen Frohes neues Spar!, das in homophoner Übereinstim-
mung mit der Wunschformel Frohes neues Jahr für mehr Aufmerksamkeit
beim Rezipienten sorgen soll.
Nichtkonventionelle Stilmittel beruhen auf Wortbildungsphänomenen,
die „erst als Folge ihres Fortführens im Text als Stilmittel beschreibbar
werden […]“ (Sandig 1978, 32). Diese Phänomene sind, wie übliche Wort-
bildungseinheiten und -modelle, ursprünglich stilistisch nicht sonderlich
relevant. Erst aufgrund eines relativ hohen Ausnutzungsgrades oder einer
auffälligen Distribution in einem Text bzw. Textkomplex werden sie zu Stil-
mitteln. Das kann auch für Isotopieketten gelten:
Haftrichter. Solche Wörter lernte man hier. Haft. Haften, abheften, wie ein Heftel-
macher. Das haftet dir an. Dafür wirst du haften. Haftbar machen. Klebstoff. Der
Frosch […]. Bekam einen Klumpen, auf dem er haftete. Entsprang. (U. Tellkamp)

Dass Isotopieketten einen Gesamttext ideologiegebunden verdichten und zu einem


auffälligen Stilmittel werden, hat Lobenstein-Reichmann (2008, 105 ff.) nachgewiesen:
In „Chamberlains Menschenbildkonstruktion“ helfen schlagwortartige, sowohl usuelle
als auch okkasionelle, meist negativ konnotierte Determinativkomposita mit Mensch
als rekurrentem Grundmorphem (z. B. Menschengröße, -chaos, -material, -auswurf),
„eine Drohkulisse zu errichten“ (ebd., 109).

Isotopieketten können besonders in Fachtexten inhaltlich relativ abge-


schlossene Textabschnitte signalisieren (Yagin 1988, 291) und damit eine
34 1 Grundsätze und Grundbegriffe

übersichtliche Textgestaltung begünstigen. Die Häufigkeit einzelner Wort-


bildungsarten ist für die „Sprache der Wirtschaftspresse“ ausgezählt worden
(Piirainen 1982, 34): Komposita überwiegen mit 35 % gegenüber anderen
Wortbildungen sowie Simplizia, sind häufig mehrgliedrig mit Erläuterungs-
bindestrich (Arbeitnehmer-Mitbestimmung) und können reihenbildend
sein, besonders augenfällig durch wiederholtes Kurzwort als Konstituente
(AEG-Paket, AEG-Beschäftigte, AEG-Betriebsrat).
Besondere Wirkungen kann der Textproduzent durch eine Reihung usu-
eller Wortbildungen mit identischem Zweitglied, aber unterschiedlichen
Wortbildungsbedeutungen erzielen: So stoßen wir heute neben dem Filzzelt,
dem Nomadenzelt und dem Zirkuszelt auch auf das Himmelszelt. Auch anein-
andergereihte, ganz geläufige substantivische Konversionen, alle von Parti-
kelverben mit -drücken, überraschen durch Gleichklang in einem „Spruch
des Tages“: Der Kuss ist der Ausdruck eines Eindrucks durch Aufdruck mit
Nachdruck (LVZ 2002).

1.4.2.2 Textsortentypische Wortbildung


Nach Heinemann/Viehweger (1991, 170) sind Textsorten „globale sprachli-
che Muster zur Bewältigung von spezifischen kommunikativen Aufgaben in
bestimmten Situationen“. Ihre Beschreibung – am Bauhaus-Text exempla-
risch vorgenommen (s.u.) – erfolgt „nach den typischen propositionalen,
illokutiven und stilistisch-formulativen Grundelementen, also nach der
konventionell herzustellenden Referenz […], nach der typischen Intention
des Textes […] und nach für diese Textsorte konventionell geregelten
sprachlichen Mitteln […]“ (Fix 2001, 499f.).
Zu Bestimmung und Analyse von Textsorten Fix/Poethe/Yos 2003, 143; zu „Einflußfak-
tor Textart“ Peschel 2002, 286 ff.; Fritz 2009, 1146 ff.; zur Leistung der Wortbildung für
Fachtexte Poethe 2000b, 214 ff.; für Firmeninserate mit „hochverdichteter Form“
durch eine Häufung von Komposita Ortner 2005, 228.
Zur „exzessiven“ Nutzung „systemgegebener Möglichkeiten der Wortbildung“ in
Theaterkritiken A. Kerrs vgl. Erben 1996, 8; zu Textverflechtung und Antithesen durch
Wortbildung in Literaturrezensionen vgl. Kulpina 2005, 204 ff.

Der Bauhaus-Text ist eine Buchbesprechung. Dominierende Sprachhand-


lungen dieser Textsorte sind neben dem INFORMIEREN das BEWERTEN,
WÜRDIGEN, ANREGEN. Ihre Stilzüge sind eine Mischung aus ,informativ/
sachlich‘, ,kritisch/subjektiv‘, ,eigenwillig/originell‘, die vom Autor indivi-
duell gewichtet werden. Im Zusammenspiel mit anderen sprachlichen Mit-
teln bietet die Wortbildung im Bauhaus-Text eine Reihung von Bindestrich-
komposita mit Bauhaus-, die die tragenden Begriffe grafisch hervorheben
1.4 Wortbildung und Text 35

und ausdrucksseitig die Isotopie stützen, sowie mehrere Wortbildungen mit


den Präfixvarianten kon-/kom-, die Assoziationen schaffen mit ,etwas zu-
sammenfügen‘ wie in bauen. Adjektivische Derivate mit -istisch bewerten
distanzierend. Die Bedeutung des okkasionellen metaphorischen Kompo-
situms Fleischgebäude kann sich der Leser aus dem Kontext erschließen,
auch mit textuellem Bezug auf Muskelsystem, System der Bewegungen.
Mit der nachfolgenden Auswahl von Textsorten werden Beziehungen
zwischen Wortbildung und Text exemplarisch veranschaulicht. Dement-
sprechend entfällt sowohl ein Anspruch auf Vollständigkeit der Textsorten
als auch auf eine erschöpfende Erfassung relevanter Wortbildungsphäno-
mene (¢ 2.7.5.3; ¢ 3.2.1; ¢3.2.4).

1.4.2.2.1 In belletristischen Texten


Innerhalb der unüberschaubaren Menge belletristischer Texte und ihrer
zahlreichen, sehr unterschiedlichen Textsorten ist die Wortbildung als text-
sortentypisches Phänomen bereits in den 1980er-Jahren untersucht worden,
sicherlich nicht zufällig in Texten aus der Science-Fiction-Literatur und in
Kindergedichten.
Auf eine terminologische Trennung zwischen Textsorte für nichtliterarische Texte und
Genre/Gattung für literarische Texte wird im Folgenden verzichtet.
Kritik an Vorgehensweisen von Literaturwissenschaftlern einerseits und Sprachwis-
senschaftlern andererseits übt Handler (1993, 319): Erstere neigen zu wiederkehrenden
spekulativen Interpretationen über Wortbildungen im belletristischen Text, Letztere
beschränken sich nicht selten auf illustrative literarische Beweise „für die Gültigkeit
einer Theorie“ zur Wortbildung.

Science-Fiction-Texte hat Ortner nach ihren „Wortbildungs- und Satzbil-


dungsmitteln zum Ausdruck von Metaphern und Vergleichen“ analysiert.
Sie charakterisiert diese Textsorte als „ein literarisches Genre, dessen not-
wendige und hinreichende Bedingung das Vorhandensein und das Ineinan-
derwirken von Verfremdung und Erkenntnis sind und dessen formales
Hauptstilmittel ein imaginativer Rahmen ist, der als Alternative zur empi-
rischen Umwelt des Autors fungiert“ (Ortner 1985, 255). Die sprachliche
Umsetzung einer nichtrealen Welt ist die Bedingung für ganz neue Wort-
bildungen (Elektrowerfer), deren Bildhaftigkeit (Scheinwerfernadeln) die
Vorstellbarkeit des Imaginären erleichtert. Für Vergleichsstrukturen erwei-
sen sich Wortbildungen gegenüber entsprechenden syntaktischen Struktu-
ren als besonders flexibles Sprachmittel: Wiederholt komprimieren adjek-
tivische Wortbildungen (keulenartige Ungetüme, keulenförmige Bauten)
explizitere Vergleichsstrukturen und bereiten das Verständnis für nachfol-
36 1 Grundsätze und Grundbegriffe

gende Metaphern vor (Keulenbau: Ortner 1985, 270). Entsprechende Wort-


bildungen rechnet auch Siebold (2000, 172ff.) zu prototypischen Textsor-
tenmerkmalen für Science-Fiction-Texte, beispielsweise wenn in Komposita
organische Phänomene wie Dschungel, Insekt als Zweitglieder umgedeutet
sind zu anorganischen wie in Kristalldschungel, Metallinsekt.
In der Lyrik für Kinder suchen Heinrich/Merbitz/Starke (1986, 20) nach
„Sprachspielen und Einmalbildungen“, um einen „Zusammenhang zwi-
schen sprachlichen Besonderheiten und ästhetischer Produktivität“ herzu-
stellen. Die Autoren zeigen, dass diese Sprachspiele „Ausdruck einer Über-
legenheitsempfindung“ sind. „Nur das, was den Kindern bekannt ist und
von ihnen beherrscht wird, kann in neue, ungewohnte Zusammenhänge
gerückt werden und damit zur heiteren Bestätigung selbstgewonnener Er-
kenntnis beitragen“ (ebd.; vgl. Meibauer 1999; zu „Kindern als Wortkünst-
lern“ Seiffert 2008b, 62 ff.). Das Kind als Rezipient ist die entscheidende
Determinante für die Gestaltung der Textsorte Kindergedicht. Es entspricht
der kindlichen Vorstellungskraft, wenn als Einmalbildungen keine Abstrak-
ta, sondern vor allem konkrete Appellativa und Eigennamen gewählt wer-
den. Die meisten sind dementsprechend substantivische Komposita, die sich
nach ihrer ästhetisch-kommunikativen Funktion folgendermaßen gliedern
lassen: Komposita als poetische Metaphern für reale Erscheinungen, z.B.
Flossenomnibus für Wal; Komposita, die Fiktives bezeichnen, als Mittel zur
Entwicklung der Phantasie, z. B. Pflaumenhuhn und Eierbaum; vielgliedrige
Komposita, die auch als Zungenbrecher Sprachspiele bieten, z.B. Schmalz-
kuchenteigmischmaschine – Malzkuchenteigmischmaschine; Komposita mit
vertauschten unmittelbaren Konstituenten, die besondere Klangwirkungen
schaffen, z. B.
Ein Schlafschaf schlief einen Schafschlaf,
bis das Schlafschaf
mitten im Schafschlaf Fräulein Graf traf.
(vgl. Heinrich/Merbitz/Starke 1986, 21)

Kindergedichte dieser Art gewinnen an Wirkung und Lebendigkeit sowohl


durch konventionelle wie auch durch nichtkonventionelle Stilmittel der
Wortbildung. Für Comics sind Inflektive zur Wiedergabe von Lautäußerun-
gen und Geräuschen (¢ 1.2.1) sowie Onomatopoetica (¢ 1.3.1) textsortenty-
pisch.
Für die grotesken Galgenlieder Morgensterns weist Palm den Zusam-
menhang zwischen dem Grotesken als ästhetischer Kategorie und der Auf-
lösung der Wortkomposition als sprachlichem Prinzip nach. Im Grotesken
sieht sie den „Versuch des künstlerischen Menschen, sein Leiden an der
1.4 Wortbildung und Text 37

Rätselhaftigkeit des Lebens […] dadurch zu mildern, daß er sie ,auseinan-


dernimmt‘, durch Zerlegung, Verzerrung und Neuzusammensetzung“
(Palm 1983, 6).
Jüngere Arbeiten über Wortbildung als Charakteristikum für den persönlichen Stil
eines Autors sind beispielsweise Luukkainen (1998) zu Ch. Wolf, Eichinger (2005) zu J.
Zoderer, Wellmann (2008b) zu M. Mosebach.

1.4.2.2.2 In journalistischen Texten


Journalistische Textsorten, wie Leitartikel, Kommentar und Porträt, Nach-
richt und Mediengespräch einschließlich Interview, besitzen unter textlin-
guistischen Gesichtspunkten eine jeweils dominierende kommunikative In-
tention.
Einteilung und Kurzcharakteristik der journalistischen Textsorten folgen hier Matus-
sek 1994, 54f.; zur zunehmenden „Vermischung der Textsorten“ vgl. Burger 2005,
224 ff.; Androutsopoulos 2009; zur modularen Auffächerung in Textkomplexen ¢ 1.4.1.

Leitartikel und Kommentare sind meinungsbetont-persuasive Texte mit


ARGUMENTIEREN als Hauptintention. Dass in solchen Texten mit argu-
mentierender Themenentfaltung abstrakte, usuelle Transpositionen über-
wiegen gegenüber konkret determinierenden Modifikationen (Barz/
Schröder 2001, 186), belegt eine umfangreiche Untersuchung des außen-
politischen Leitartikels in mehreren Tageszeitungen durch Skog-Södersved
(1993) mit dem Ergebnis, dass das häufige Vorkommen der transponieren-
den substantivischen Suffixderivate „als ein Charakteristikum des Korpus
anzusehen ist“ (ebd., 298), in dem die Substantive stark themengebunden
sind, beispielsweise Stationierung, Beziehung, Verhandlung. Zur meinungs-
betonten Hervorhebung, verbunden mit persönlichem WERTEN, können
auch auffällige Neubildungen oder wortspielerische Formen dienen (Ma-
tussek 1994, 144).
Dass Wortspiele neuerdings bei „textsortenspezifischen Strategien“ in der journalisti-
schen Ausbildung vermittelt werden (Poethe 2002, 30) hängt vermutlich damit zusam-
men, dass Medientexte „heute mehr Stileffekte“ zeigen, was vor allem am Vordringen
der Alltagssprache liegt (Fritz 2009, 1159).

Im journalistischen Porträt sind die Personenbeschreibung sowie die Wie-


dergabe mündlicher Äußerungen und mitgeteilter Gedanken von beson-
derer Bedeutung (vgl. Kurz/Müller/Pötschke/Pöttker 2000, 348). Im Lokal-
journalismus sind in dieser Textsorte umgangssprachlich konnotierte
Modelle und Mittel lexikalischer Ausdruck der gestalteten Situation: Gän-
gelei, Schlamperei, Getue, Hick-Hack, Murks. Dazu gehören auch -i-Derivate
38 1 Grundsätze und Grundbegriffe

und Kurzwörter (Ami für Amerikaner, Alex für Alexanderplatz) und ihre
Weiterverwendung in Komposita:
„Aber von deinen Jungs kam einer im Sternenbannerhemd zur Arbeit […] im
Ami-Hemd; […] sie machen Fundamente und wieder Fundamente […] gut drei
Meter unter Normal-Alex“. (Berliner Zeitung 1988)
Nachrichten zählen wie Meldungen und Berichte zu den informationsbe-
tonten Texten. Ihre Hauptintention INFORMIEREN ist gekoppelt mit dem
obligatorischen Stilzug ,aktuell‘. Entsprechende sprachliche Mittel sind
Wortneubildungen, die aufgrund ihrer morphosemantischen Motiviertheit
den anderen wichtigen Stilzug ,verständlich‘ begünstigen. Das bedeutet,
dass Wortneubildungen textsortentypisch sind für Nachrichtentexte, unab-
hängig von deren Übertragungsmedium als Zeitungs-, Fernseh- oder Hör-
funknachricht.
Die Hörfunknachricht wurde exemplarisch ausgewählt, da sie unter dem Aspekt der
Wortbildung zum einen in textlinguistischen Untersuchungen bisher eher vernachläs-
sigt worden ist, zum andern in besonders adäquater Weise Möglichkeiten der Wort-
bildung nutzt (vgl. Schröder 2005c).

Die Anforderungen an Hörfunknachrichten sind: kontinuierliche Aktuali-


sierungen ihres Inhalts im Rahmen eines vorgegebenen Zeittakts, Knappheit
des Textes in einem festen Zeitfenster sowie eine medienspezifische Absi-
cherung des hörenden Verstehens.
In der Hörfunknachricht finden die „ganze Vielfalt der Nachrichten“ und
„der Welt neuester Stand“ (Claim von MDR INFO Nachrichten) ihren lexi-
kalischen Ausdruck in tagesaktuellen Wortneubildungen (Flutopfer-Soldari-
tätsgesetz), fachsprachlichen Komposita (Veräußerungserlös), onymischen
Kurzwörtern (DHL) sowie in metaphorischen Komposita, letztere als Aus-
druck persönlicher Wertung (Totschlagargument) und authentischer Be-
richterstattung, besonders in O-Tönen. Okkasionelle Wortbildungen leiten
häufig den „vor-orientierende[n]“ (Burger 2005, 121) Leadsatz ein:
Der Software-Riese Microsoft hat in dem gegen ihn laufenden Kartell-Verfahren
einen wichtigen Sieg errungen. Ein US-Gericht […]. (MDR INFO Nachrichten
02.11.02)

Die komprimierende Leistung einzelner Wortbildungen (Euro-Preistreiberei)


ermöglicht textuelle Knappheit als Variante zu einer längeren Wortgruppe
(¢ 1.2.2; ¢2.2.1.4).
Das verstehende Hören können Isotopieketten bzw. -paare stützen durch
die Wiederaufnahme von Morphemen bzw. Morphemkomplexen wie
-ausland-, -staat-, -bürger-, -deutsch- in der folgenden Nachricht:
1.4 Wortbildung und Text 39

Zahlreiche EU-Ausländer können von heute an leichter die doppelte Staatsbürger-


schaft bekommen. Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Beck, sagte, auch
Italiener, Franzosen und Belgier dürfen ihre frühere Staatsangehörigkeit behalten,
wenn sie in Deutschland eingebürgert werden. Grund ist die Aufkündigung des so
genannten Mehrstaaterabkommens. Schon länger möglich war die doppelte Staats-
angehörigkeit für Portugiesen, Griechen, Briten und Iren. Voraussetzung für die
Einbürgerung in Deutschland sind 8 Jahre Aufenthalt, ein gesichertes Einkommen
und Deutschkenntnisse. (MDR INFO Nachrichten 22.12.02)
Mediengespräche sind Gespräche zwischen zwei und mehr Dialogpartnern.
Diese Gespräche haben i. d.R. Öffentlichkeitscharakter und sind nicht
,spontan‘ wie Familiengespräche (¢ 1.4.2.2.3). Sie dienen der WISSENSVER-
MITTLUNG und der MEINUNGSBILDUNG. Zu ihnen gehören unterschied-
liche Textsorten: traditionell das Interview, neuerdings verstärkt Diskussi-
onsforen verschiedener Art (vgl. Burger 2005, 440ff.).
Im Interview, das vor allem einer wechselseitigen Begriffsklärung oder
gemeinsamen Deutung eines Sachverhalts dient, sind die Wiederaufnahme
von Wortbildungen mit rekurrentem Grundmorphem und die daraus ent-
stehenden Isotopieketten textsortentypisch – sie verflechten auf diese Weise
Fragen und Antworten miteinander (vgl. Matussek 1994, 54).
Ausdrucksseitige Verflechtungen dieser Art sind auch prototypisch für
Telefonforen. Sie werden live mit Ton und/oder Bild gesendet, können in der
Presse verschriftlicht sein oder sind online abrufbar (www.wohnriester.de).
Textlinguistisch gesehen ist ein Telefonforum ein thematisch genau deter-
minierter Textkomplex (¢ 1.4.1), bestehend aus Schlagzeile, Anfrage und
Antwort:
Schlagzeile zu einem Telefonforum zur staatlich geförderten Wohneigentumsför-
derung, dem sog. Wohn-Riester (LVZ 2008): Mit Wohn-Riester ins Eigenheim
Anfrage: Ich bin unter 25, riestere aber schon seit zwei Jahren. Bekomme ich den
Riester-Bonus für Berufseinsteiger?
Antwort (auszugsweise): Wenn Sie einen Riester-Bausparvertrag abschließen oder
einen zertifizierten Riester-Darlehensvertrag, können Sie die Riester-Zulagen … nut-
zen. … Wohn-Riestervertrag, … Riesterverträge …, Wohn-Riestern [,den Wohnries-
ter nutzen‘] …
Die textliche Kohärenz sichert u.a. der zum Appellativum (,eine geförderte
freiwillige Altersversorgung‘) gewordene Eigenname Riester in mehreren
Wortbildungen.
Überschrift (Sportlich in den Wohlfühlfrühling, LVZ 2008) und Schlagzeile
(Riestern statt steuern! www.altersvorsorge.de, 04.12.08) können zu den
Kurz- oder Teiltexten gerechnet werden (vgl. Färber 2006, 39f.). Sie haben
wie der Lead eine vor-informierende Funktion (s. o.). Ihre Hauptintenti-
onen sind AUFMERKSAMKEIT und INTERESSE ERZEUGEN.
40 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Für die Umsetzung beider Intentionen in Überschriften journalistischer


Texte stellen Okkasionalismen wie Wohlfühlfrühling ideale sprachliche
Mittel dar. Sie überraschen den Rezipienten und sollen zum Interpretieren
reizen. Gleiches ist auch beabsichtigt mit der Überschrift Fernsehfriedhof für
Kuscheltiger, mit der auf den Buchtitel „Friedhof für Kuscheltiere“ (St. King)
angespielt wird, wobei mit den Kuscheltigern eine „Riege“ von Moderatoren
charakterisiert ist, die vom Bildschirm nach und nach auf dem Fernsehfried-
hof verschwinden, die zwar alles wegmoderieren, aber sonst kaum Profil entwi-
ckeln. Das Publikum wird des Anblicks müde (Der Spiegel 2008).
Für die obligatorische Kürze der Überschrift sind komprimierende Wort-
bildungen höchst geeignet (zur Bildunterschrift ¢ 1.3.5; zur prototypischen
Nutzung der Kurzwort-Wortbildung ¢ 2.7.5.3).
Überschrift: Lohnsteigerung auf Zwölf-Jahres-Hoch
1. Satz: Löhne und Gehälter sind in Deutschland 2008 so stark gestiegen wie seit
zwölf Jahren nicht mehr. (LVZ 2009)

Beliebt sind wortspielerische Wortpaare mit gleichlautendem, oft homo-


nymem Grundmorphem wie in der Überschrift Aufstand der Unverstande-
nen (LVZ 2008). Unübliche Bindestrichbildungen können verfremden wie in
der Überschrift Hand-Werkstatt und damit die Aufmerksamkeit auf die gute
Handhabbarkeit bestimmter Kleinwerkzeuge lenken; die einzelnen Konsti-
tuenten hand und werk sind im Folgetext aufgenommen in den usuellen
Wortbildungen Handhabung, Werkzeug, Handwerker (Magazin „selbst ist
der Mann“ 2008). Eine ausdrucksseitige Isotopie zwischen Wortbildungen
in Überschrift und Bezugstext stützt die „thematische Progression“ (Peschel
2002, 102 f.) und schafft leserfreundliche Redundanz; für das Verstehen der
Wortbildungen gibt „jeweils erst der folgende Text […] genaueren Auf-
schluß“ (Erben 1995, 547).
Im Zusammenspiel von Überschrift und Bezugstext werden Verflechtungsrichtungen
(vgl. Matussek 1994, 43 f.) diskutiert: Okkasionelle Wortbildungen in der Überschrift
sind „aus Sicht des Rezipienten immer als Resultat eines kataphorischen Variations-
prozesses anzusehen“ (Färber 2006, 50).

1.4.2.2.3 In gesprochenen Texten der Alltagskommunikation


Gegenstand von Untersuchungen zu „Wortbildung und Text“ ist bis auf
wenige Ausnahmen der schriftliche Text, der sowohl der gesprochenen Hör-
funknachricht zugrunde liegt als auch dem zwar mündlich aufgenomme-
nen, aber für die Publikation verschriftlichten Interview (¢ 1.4.2.2.2). Die
umfangreichen Untersuchungen zur gesprochenen Sprache aus den 1980er-
Jahren von Gersbach/Graf (1984/1985) sind regional begrenzt, werten vor-
1.4 Wortbildung und Text 41

rangig umfangreiche Frequenzergebnisse aus und sortieren das Material


nach der Distribution verschiedener Wortbildungsarten. Textsorten sind im
Einzelnen nicht ausgewiesen, ausdrücklich nicht erfasst ist das Familienge-
spräch als „streng informelles Sprechen“ (Gersbach/Graf 1984, 18). In text-
linguistischen Untersuchungen zu „Textsorten der gesprochenen Sprache“
(Hess-Lüttich 2001) ist es nicht üblich, gesondert auf diesbezügliche Leis-
tungen der Wortbildung zu verweisen; angeführt werden lediglich Kom-
primierungen, die dem „Zeitdruck beim Sprechen“ geschuldet sind (ebd.,
285; zum Forschungsstand „Wortbildung in der gesprochenen Sprache“
Elsen/Michel 2010, 35 f.).
Das Familiengespräch ist eine typische Textsorte gesprochener Sprache in
der Alltagskommunikation. Es ist inoffiziell und – im Unterschied zu den
oben angeführten, mitunter virtuellen Mediengesprächen – nicht öffentlich.
Als eine Textsorte der Alltagskommunikation ist das Familiengespräch
durch die Face-to-Face-Situation geprägt. Der Stilzug ,spontan‘ weckt die
Erwartung, dass auch Wortbildung spontan vorgenommen wird (zu Häu-
figkeit und Bedingungen von „Wortfindungsprozesse[n]“ vgl. Wildgen
1982, 239). Aber gerade diese Erwartung haben Untersuchungen nicht be-
stätigt: Das Ad-hoc-Formulieren geht nicht einher mit dem Ad-hoc-Prägen
von Bezeichnungen (vgl. Schröder 1992, 97); der Sprecher benutzt in der
Unterhaltung über „unverfängliche Allerweltsthemen“ (Adamzik 2004,
128) eher usuelle Wortbildungen und bildet nur in Ausnahmefällen Ad-hoc-
Wörter. Die allgegenwärtige Gesprächssituation begünstigt es, mehrglied-
rige Komposita auf ihre Grundwörter reduziert zu gebrauchen: Der Satz
Hast du mal den Schlüssel? wird entsprechend der Situation als Frage nach
dem Haustür-, Schrauben- oder Bewertungsschlüssel verstanden und auf-
grund von Texterfahrung als AUFFORDERN, den Schlüssel zu übergeben,
interpretiert.
Es hat sich gezeigt, dass das Textmerkmal Situationalität (¢ 1.4) als „eine allgemeine
Bezeichnung für Faktoren, welche einen Text für eine aktuelle oder rekonstruierbare
Kommunikationssituation relevant machen“ (de Beaugrande/Dressler 1981, 169),
maßgeblich ist für den Gebrauch von Wortbildungen im gesprochenen Text. In Über-
einstimmung damit hat auch die Analyse eines gesprochenen Deskriptionstextes zu
einem Hörfilm ergeben, dass in situationsbegleitenden Texten dieser Art Wortbildun-
gen von geringerer Komplexität überwiegen und fast ausschließlich usuell sind (Seiffert
2005d, 73). Elsen/Michel (2010, 43) konstatieren in den von ihnen analysierten
„Sprechstundengesprächen an der Hochschule“ eine vermehrte Präfix- und Partikel-
verbbildung, die der Interaktion im Gespräch eine adäquate Dynamik verleiht.
42 1 Grundsätze und Grundbegriffe

1.5 Motivation

1.5.1 Grundsätzliches

Die Frage nach der Arbitrarität (,Willkürlichkeit‘) bzw. Konventionalität


oder Motivation bzw. Motiviertheit des sprachlichen Zeichens hat eine lange
Geschichte (vgl. Coseriu 1967) und ist in weite theoretische Zusammen-
hänge zu stellen, die hier nicht ausführlich dargelegt werden können. Eine
natürliche Sprache kommt weder ohne das eine noch ohne das andere aus.
Auffassungen, die den arbiträren Charakter mehr in den Vordergrund stel-
len (vgl. z. B. Saussure 1967, 156f.; dazu Herbermann 1981, 188ff.), stehen
solche gegenüber, die die Motivationszusammenhänge auf den verschiede-
nen Ebenen des Sprachsystems und im Text sowie die Rolle der Erfahrungen
und des Wissens der Sprecher stärker hervorheben (vgl. z. B. Heringer 1984;
Wurzel 1984; Munske 1993, 511; Eichinger 2000, 41).
Unter Motivation oder Motiviertheit der lexikalischen Bedeutung eines
sprachlichen Zeichens versteht man deren Erschließbarkeit aus der Pho-
nemstruktur des Zeichens (phonetisch-phonemische Motivation), aus
seiner Motivationsbedeutung (morphosemantische Motivation) oder aus
seiner Lesarten-Struktur (figurative Motivation).
In der Wortbildung geht es primär um die morphosemantische Motiva-
tion. Erscheinungen, die als „Motivation durch das Zeichenfeld“ und „si-
tuative Motivation“ herausgearbeitet worden sind (Bellmann 1988, 6),
müssen hier außer Betracht bleiben, ebenso die ikonische Motiviertheit be-
stimmter Kurzwörter (dazu Eichinger 2000, 48). Zu unterstreichen bleibt
jedenfalls, dass die hier im Wesentlichen behandelte morphosemantische
Motivation nur einen – freilich sehr bedeutsamen – Teilbereich der gesam-
ten Motivationsproblematik erfasst.

1.5.2 Phonetisch-phonemische Motivation

Diese Motivation besteht darin, dass eine gewisse (unvollständige, historisch


und einzelsprachlich in Grenzen variable) direkte Beziehung zwischen
Laut(komplex) und Bedeutung erkennbar ist.
Dies betrifft insbesondere die Onomatopoetica, d.h. Lautimitationen wie
kindersprachlich Wauwau ,Hund‘, Tatütata ,Einsatzwagen‘. Dabei treten –
wie zu erwarten – auch sprachübergreifende Erscheinungen auf; ein oft
genanntes Beispiel sind die Bezeichnungen für ,Kuckuck‘ in verschiedenen
1.5 Motivation 43

Sprachen: engl. cuckoo, französ. coucou, russ. kukuška, ungar. kakuk. Die
Motivation hat hier nicht „kompositiv-semantischen, sondern imitativen
Charakter“ (Käge 1980, 4). In diesen Fällen wird auch von „Lautikonismus“
gesprochen (Wurzel 1984, 204; zu lautnachahmender Wortbildung und
Wortschöpfung auch Ronneberger-Sibold 2002, bes. 116–127).
Daneben stehen Erscheinungen, die nicht so eindeutig auf Geräusch-
imitationen zu beschränken sind und die auch eine stärkere einzelsprachli-
che Bindung zeigen können (bzw. sich auf einzelne verwandte Sprachen
erstrecken); vgl. z.B. die im Englischen und Deutschen zu findenden
Lexeme mit s-Kombinationen zum Ausdruck von Feuchtem, Glitschigem:
engl. slobber ,Geifer, geifern‘, slop ,Pfütze, Spülicht‘, sludge ,Schlamm‘, slush
,Matsch‘ u.a. (Ullmann 1962, 84); entsprechende deutsche Lexeme haben
-tsch-, so lutschen, Matsch, Patsche, titschen u.a.; weitere Beispiele für das
Englische vgl. Schmid 2005, 225f.

1.5.3 Figurative Motivation

Die figurative Motivation (Käge 1980, 6, 117) beruht auf metaphorischen


oder metonymischen Bezeichnungsübertragungen. Eine metaphorische
oder metonymische Bedeutung ist durch die „eigentliche“ oder wörtliche
Bedeutung der Ausgangseinheit motiviert, wenn auf synchroner Ebene –
heute in der Gegenwartssprache – ein Zusammenhang mit ihr zu erkennen
ist: Fuchs ,Schlaukopf‘, (soziales) Abseits, hochfliegende (Pläne).
Für die Wortbildung ist die figurative Motivation in verschiedener Hin-
sicht interessant. Zum einen können Wortbildungen wie primäre Lexeme
im Ganzen figurativ motiviert sein. Das betrifft in erster Linie Bedeutungen
von Possessivkomposita wie Rotkehlchen (¢ 2.2.10). Aber auch andere Wort-
bildungen weisen neben wörtlichen figurativ motivierte Lesarten auf, vgl.
untertauchen ,im Wasser versinken‘ und ,verschwinden‘, Fuchsschwanz
,Schwanz des Fuchses‘ und ,kleine Säge‘. Mit diesen Bezeichnungsübertra-
gungen befasst sich in erster Linie die lexikalische Semantik (vgl. z.B. Löbner
2003).
Zum anderen kommen auch die einzelnen Konstituenten binärer Wort-
bildungen in figurativ motivierten Lesarten vor. Sowohl das Erst- als auch
das Zweitglied von Komposita kann metaphorisch (Patchworkfamilie, Com-
putervirus) oder metonymisch (Gesichtsverlust, Sorgentelefon) gebraucht
sein (vgl. DWb 4, 196–206 zu „Vergleichskomposita“; ¢ 2.2.2.3.2). Nach Ing-
hult (1993, 153) begegnet innovative Metaphorik in deutschen Zeitungstex-
ten sogar häufiger in Komposita als in Syntagmen. Die zunächst an den
44 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Wortkontext gebundenen figurativen Gebrauchsweisen können sich mit zu-


nehmender Verbreitung auch verselbstständigen wie Sitte aus Sittenpolizei,
Gips ,Verband aus Mullbinden, die in Gips getränkt wurden‘ aus Gipsverband,
Mutter aus Mutterkonzern, -gesellschaft, Schanze aus Sprungschanze (vgl.
Schu 1997 und 2005 zu -telefon, -mekka, -bibel, -papst u.a. in metonymischer
bzw. metaphorischer Bedeutung; ¢ 1.3.3).

1.5.4 Morphosemantische Motivation

Unter morphosemantischer Motivation wird die Erschließbarkeit der lexi-


kalischen Bedeutung einer Wortbildung aus deren Motivationsbedeutung
verstanden. Letztere ergibt sich aus den Konstituentenbedeutungen, der
Reihenfolge der Konstituenten und der Wortbildungsbedeutung; bei nicht-
binären Wortbildungen aus der Beziehung zur jeweiligen Basis. Das sei am
Kompositum Taschenbuch erklärt. Die lexikalische Bedeutung von Taschen-
buch ,ein relativ billiges Buch in einem kleinen Format ohne festen Ein-
band‘ lässt sich aus der Motivationsbedeutung ,Buch für die Tasche/Buch,
das man in der Tasche bei sich tragen kann‘ zwar ableiten, jedoch sind die
beiden Bedeutungen nicht völlig identisch. Die lexikalische Bedeutung ist
angereichert mit begrifflichen Merkmalen, die sich aus der Motivationsbe-
deutung nicht direkt ergeben. Noch deutlicher ist die Differenz bei Sprech-
stunde mit der lexikalischen Bedeutung ,Zeit, in der jmd. für eine Konsul-
tation zur Verfügung steht‘ und der Motivationsbedeutung ,Stunde zum
Sprechen‘ (Barz/Schröder/Hämmer/Poethe 2007, 128).

1.5.4.1 Abstufung der Motivation


Die Graduierung der morphosemantischen Motivation wird bei binären
Wortbildungen anhand eines Vergleichs der lexikalischen Bedeutung mit
der Motivationsbedeutung der jeweiligen Bildung besonders deutlich. So
lässt sich beispielsweise die lexikalische Bedeutung von Zeitansage ,Ansage
der genauen Uhrzeit, besonders im Rundfunk‘ (Dudenband 10, 2002, 1070)
relativ sicher aus der Motivationsbedeutung ,Ansage der Zeit; jmd. sagt die
Zeit an‘ ableiten, wenn Sprach- und Sachwissen einbezogen werden. Bei
einer solchen weitgehenden Übereinstimmung zwischen lexikalischer und
Motivationsbedeutung spricht man von voll motivierten Wortbildungen,
wobei – wie die Beispiele zeigen – immer auch zusätzliches Wissen für das
Verstehen gebraucht wird. Voll motiviert sind in der Regel okkasionelle
Wortbildungen zum Zeitpunkt ihrer Prägung wie z.B. Gefährdungsana-
lyse, Sicherheitsleck, Spionageattacke, sicherheitsbedrohend(e Situation) (LVZ
2008).
1.5 Motivation 45

Aus dem Verhältnis von lexikalischer und Motivationsbedeutung einer


Wortbildung ergibt sich folglich deren Motivationsgrad; je ähnlicher beide
sind, desto stärker ist eine Wortbildung motiviert. Taschenbuch (¢ 1.5.4) ist
mithin stärker motiviert als Sprechstunde.
Umgekehrt gilt demnach: Je stärker die Motivationsbedeutung von der
lexikalischen Bedeutung abweicht, umso niedriger ist der Motivationsgrad
(zu Graden der Demotivation Ronneberger-Sibold 2001). So bedeutet
Zeitalter ,Abschnitt, Epoche der Geschichte (mit besonderer Prägung)‘
(Dudenband 10, 2002, 1070), eine Bedeutung, die sich aus der Motivati-
onsbedeutung nicht ohne Weiteres erschließen lässt. Lexikalische und
Motivationsbedeutung korrespondieren nur noch entfernt miteinander,
sodass ein niedriger Motivationsgrad vorliegt. Ebenso verhält es sich z. B. bei
Tischler ,Person, die beruflich Holz (und auch Kunststoff) verarbeitet, be-
stimmte Gegenstände, besonders Möbel, daraus herstellt oder bearbeitet,
einbaut‘ (Dudenband 10, 2002, 890). Aus der Paraphrase ergibt sich als
Motivationsbedeutung ,Person/jmd., die/der Tische herstellt/bearbeitet/
etwas mit Tischen tut‘. Hier wird mit der Motivationsbedeutung ein eher
unwesentlicher Teilaspekt der lexikalischen Bedeutung „angezeigt“.
Zwischen den beiden Polen ausgeprägter morphosemantischer Motiva-
tion einer Wortbildung einerseits und völliger Demotivation andererseits
sind fließende Übergänge anzunehmen, vgl. z.B. folgende Reihe substanti-
vischer Komposita mit abnehmender Motivation bei gleichem, allerdings
polysemem Erstglied (¢ 1.5.4.3): Zeitablauf – Zeitansage – Zeitbombe – Zeit-
kino – Zeitkarte – Zeitalter – Zeitlupe. Als Beispiele für schwach motivierte
Derivate mit entsprechendem voll motiviertem „Gegenstück“ seien ge-
nannt: deutlich – deutbar, herrlich – herrenmäßig. Es ist auf verschiedene
Weise versucht worden, diese „Grade der Motiviertheit“ (Schippan 1987, 95;
vgl. auch Dokulil 1968, 203) genauer zu modellieren und terminologisch zu
fixieren. Verbreitet ist die Dreistufenskala voll motiviert (Gerechtigkeitssinn),
teilmotiviert (Junggeselle) und demotiviert (Wiedehopf; so z.B. Käge 1980,
12 f. mit Bezug nur auf Komposita; vgl. auch Dillström 1999, 77).
Aus der Dynamik des Wortschatzes und auch daraus, dass Sprecher über
ein unterschiedlich gut entwickeltes Sprach- und Sachwissen verfügen,
ergibt sich allerdings, dass die Motivationsgrade besser als Kontinuum und
nicht als abgrenzbare Stufen aufgefasst werden sollten. Besonders deutlich
zeigt sich das bei Bildungen, die auf veraltete Basen zurückgehen. So wird
man das Ableben ,Tod‘ aus ableben ,sterben‘ (nach GWDS geh.) nur dann als
motiviert bestimmen, wenn man das Basisverb noch versteht. Das Gleiche
trifft zu auf Hinterbliebener aus hinterbleiben, ein aus dem Sprachgebrauch
völlig verschwundenes Verb mit der Bedeutung ,zurückbleiben‘ (Paul 1992,
46 1 Grundsätze und Grundbegriffe

410). Je nach Ausprägung einer historischen Sprachkompetenz und der


Striktheit synchroner Betrachtung werden Sprecher in solchen Fällen un-
terschiedlich urteilen. Entsprechendes gilt für die Fremdwortbildung. Auch
hier bestimmt das Sprachwissen über den Motivationsgrad, vgl. Direktor <
lat. dirigo ,leiten, führen‘, Autor < lat. augeo ,fördern, vermehren‘ (¢ 1.1.3).
Fälle von vollständiger Demotivation sind relativ selten (zu verschieden-
artigen Ausprägungen des Motivationsverlustes bei komplexen Wortbil-
dungen bis zur Entstehung von Simplizia Nübling 2008, 148ff.; ¢ 2.2.1.2).
Weit häufiger begegnen Wortbildungen, deren Bedeutung man näherungs-
weise aus der Motivationsbedeutung (¢ 1.5.4.2) erschließen kann (Wörter-
buch, Handtuch, Spitzenzeit).
Demotivierte Wortbildungen lassen sich in zwei Arten gliedern: in solche
mit unikalen Morphemen (Himbeere, Veilchen) und in solche, bei denen
eine Konstituente einem frei vorkommenden Wort nur formal, aber nicht
semantisch entspricht (Schierling, Zeitung; Stricker 2000, 41f.; Häcki Bu-
hofer 2002, 126ff.).
Die Transparenz der Formativstruktur motivierter (Fahrrad) und auch
demotivierter Wortbildungen (Weibsbild) ermöglicht ihre sog. Remotivati-
on (oder auch „Neumotivierung“, Donalies 2005b, 150ff.; „De-Idiomatisie-
rung“, Harnisch 2010, 12), mitunter signalisiert durch Verwendung des Bin-
destrichs: Weibs-Bilder ,Abbildungen mit Frauen‘ (Dittgen 1989, 95f.), Fahr
Rad statt Auto! (Werbeslogan), Augen zeugen (Buchtitel von Th. Lehmann);
Weiteres bei Fleischer 1969a, 277; Käge 1980, 112ff.; Poethe 2002. Zu „De-
Idiomatisierung und Neu-Idiomatisierung“ als sprachspielerische Strategi-
en zur Erzeugung von Spannung Fill 2010.
Von der Remotivation abzusetzen ist die sog. sekundäre Motivation nicht
(mehr) transparenter Lexeme als Ergebnis pseudo- oder „volksetymologi-
scher“ Um- bzw. Eindeutung (z. B. Käge 1980, 112ff.; Olschansky 1996) wie
in Armbrust (zu mittellat. arbalista) und Hängematte (zu indian. [h]amaca).
Der Motivationsgrad von Wortbildungen mit starkem Motivationsverlust wird in der
Literatur unterschiedlich beurteilt. Die Einordnung solcher Bildungen schwankt zwi-
schen teilmotiviert und demotiviert. Nach Wellmann (1998, 418) liegt Teilmotivation
vor, wenn die Lexeme zwar strukturell transparent sind, sich aus der Wortstruktur aber
keine Motivationsbedeutung mehr ermitteln lässt, sei es, dass keine sinnvolle Para-
phrase gebildet werden kann, sei es, dass die Paraphrase eine völlig andere Bedeutung
hat. Das betrifft vor allem Wortbildungen mit unikalen Konstituenten wie Auerhahn,
Schornstein, Bräutigam, Buchecker und Wortbildungen, deren Bedeutungen sich im
Ganzen verändert haben wie Jungfrau, Junggeselle (vgl. Erben 2006, 23). In anderen
Arbeiten gelten solche Wortbildungen bereits als demotiviert bzw. „idiomatisiert“
(Stricker 2000, 42; Eichinger 2000, 144), da sie nur noch in ihrer äußeren Struktur
1.5 Motivation 47

(strukturelle Transparenz/Durchsichtigkeit, vgl. Gauger 1971) als Wortbildungen zu


erkennen seien.
Die Gleichsetzung von Demotivation und Idiomatisierung wird in der vorliegenden
Darstellung – neueren Einsichten entsprechend – aufgegeben (abweichend von der
vorherigen Auflage). Während Demotivation als allmählicher Motivationsverlust ge-
sehen wird, setzt Idiomatisierung „im Augenblick […] der Prägung bzw. Wahl eines
Ausdrucks für Zwecke einer bestimmten Referenz ein“ (Munske 1993, 511). Eine Be-
zeichnung verleiht immer nur bestimmten Merkmalen des Bezeichneten Ausdruck
und unterdrückt andere. Insofern gilt sie als graduell idiomatisch. Sie beinhaltet ei-
nerseits eine unvollständige Charakteristik des Bezeichneten, andererseits gewinnt sie
bestimmte idiosynkratische Bedeutungsaspekte hinzu, vgl. Rollstuhl ,ein stuhlähnliches
Fahrzeug für Gehunfähige‘ (Beispiel bei Nübling 2008, 148).

1.5.4.2 Wortbildungsbedeutung
Mit den Begriffen Motivation und Motivationsbedeutung ist die Frage nach
der Wortbildungsbedeutung verknüpft. Als Wortbildungsbedeutung (aus-
führlicher Kubrjakova 1981, Barz 1988, 80 ff.) bezeichnen wir die verallge-
meinerbare semantische Beziehung zwischen den unmittelbaren Konstitu-
enten einer binären Wortbildung bzw. – bei nichtbinären Wortbildungen –
zwischen motivierender Basis und Wortbildung.
Die Wortbildungsbedeutung gehört zu den Parametern eines Wortbil-
dungsmodells (¢ 1.7.1.2), d. h., sie ist nicht idiosynkratisch, nicht an ein
bestimmtes einzelnes Formativ gebunden, sondern sie ist eine Klassenbe-
deutung, eine semantische Invariante bei relativ variabler lexikalischer
Auffüllung einer bestimmten morphologischen Struktur; vgl. die Wortbil-
dungsbedeutung ,komparativ‘ in adjektivischen Komposita mit substanti-
vischem Erstglied wie bienenfleißig, himmelblau, steinhart und in adjek-
tivischen Derivaten mit substantivischer Basis wie eisig, schülermäßig, jüng-
lingshaft. Wie die Beispiele zeigen, besteht keine Eins-zu-Eins-Beziehung
zwischen Modellstruktur und Wortbildungsbedeutung.
Die Wortbildungsbedeutung wird mitbestimmt von der Wortbildungsart,
vom morphologischen Status, der Reihenfolge und der lexikalischen Bedeu-
tung der unmittelbaren Konstituenten, besonders bei okkasionellen Wort-
bildungen zusätzlich auch von Text- und Sachinformationen. Weitere In-
terpretationshilfen bieten paradigmatisch verwandte Komposita mit jeweils
einer identischen unmittelbaren Konstituente oder Derivate derselben
Wortbildungsreihe, wie für Umweltschutzverein z.B. Tierschutzverein oder
Umweltschutzorganisation, für steinhart die Komposita knochenhart, eisen-
hart, knüppelhart, für eisig die Derivate teigig, schuftig, riesig. Je nach
Ausprägung der Wortbildungsbedeutung gehören Wortbildungsmodelle zu
den funktional-semantischen Klassen Modifikation oder Transposition
(¢ 1.8.2.1).
48 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Während die Wortbildungsbedeutung lexikalisierter Wortbildungen in


der Regel feststeht, lassen Ad-hoc-Bildungen außerhalb ihres Verwendungs-
zusammenhangs mitunter Mehrfachinterpretationen zu, z. B. Goethebild
,Bild, das Goethe darstellt, das Goethe gemalt hat, das man sich von ihm
macht‘ usw. (¢ 1.5.4.3; ¢1.5.4.4).

Die Auffassungen über die Wortbildungsbedeutung (u.a. auch „funktionale Katego-


rie“, Erben 2006, 159; „Relationsbedeutung“, DWb 4, 119), insbesondere über deren
Abstraktionsgrad bei Komposita, gehen auseinander. Einerseits gilt die Beziehung zwi-
schen Erst- und Zweitglied des Kompositums als semantisch prinzipiell offen. Man
könne einem Kompositum nur die Information ,Erstglied und Zweitglied bezeichnen
Entitäten, die etwas miteinander zu tun haben‘, entnehmen. Die Präzisierung der Be-
ziehung übernähmen grundsätzlich der Kontext und weitere Wissenskomponenten
(Heringer 1984; Donalies 2005b, 158). Andererseits legen Ortner u.a. (DWb 4) eine
hochgradig differenzierende syntaktisch begründete Beschreibung von Komposita
nach ihrer „Relationsbedeutung“ vor, die mehr als 60 000 Substantivkomposita in über
30 semantische Haupt- und mehr als 100 Subtypen gliedert, Übergänge zwischen den
Typen sowie Doppelmotivationen durchaus eingeschlossen (für Adjektivkomposita
vgl. DWb 5). Beide Extreme haben sich bei der Modellierung von Komposita kaum
bewährt (Argumentation im Überblick bei Fandrych/Thurmair 1994, 35 ff.), deshalb
setzen sich jetzt eher Vorschläge für Modellierungen auf einer mittleren Abstraktions-
ebene durch (Fandrych/Thurmair 1994; Motsch 2004, 396 ff.; Eichinger 2000, 55, 68).

1.5.4.3 Motivation und Polysemie


Da ein großer Teil der zur Wortbildung verwendeten Einheiten polysem
bzw. polyfunktional ist (¢ 1.6.2.2), müssen Motivations- und Wortbildungs-
bedeutung lesartenspezifisch analysiert werden. Die Konstituenten reagie-
ren bei der Vereinigung in einer Wortbildung semantisch unterschiedlich.
Zwei gegenläufige Tendenzen lassen sich feststellen.
Einerseits wird die Polysemie der Konstituenten bei ihrer Verbindung in
einer Wortbildung abgebaut (vgl. Zug in Zugunglück, Luftzug). Andererseits
kann die Polysemie insbesondere bei der Affigierung infolge der starken
semantischen Verallgemeinerung der Affixe erhalten bleiben. Die polyseme
Struktur der Ausgangseinheiten und die mögliche polyseme Entfaltung
einer Wortbildung führen dazu, dass deren Motivationsbedeutung u. U. auf
zweifache Weise erschlossen werden kann: Die Lesarten von Härte (,Festig-
keit‘, ,Strenge‘, ,Intensität‘, ,Heftigkeit‘, ,Schwierigkeit‘, ,Last‘) können ei-
nerseits auf die entsprechenden Lesarten des motivierenden Adjektivs hart
zurückgeführt werden. Sie können andererseits aber auch durch einen
Wandel der Bedeutung von Härte, wie beispielsweise durch Metaphorisie-
rung, zustande gekommen sein (vgl. Schröder 1979, 288; ¢ 1.5.3).
1.5 Motivation 49

Die semantische Entwicklung von Lexemen (Erweiterung, Reduktion,


Umgestaltung der Bedeutung) ist genau genommen Gegenstand der Bedeu-
tungsforschung und nicht der Wortbildungslehre; denn nicht nur komplexe
Lexeme, sondern auch Simplizia und Phraseme unterliegen derartigen Pro-
zessen. Dennoch dürfen diese in der Wortbildungsbeschreibung nicht un-
berücksichtigt bleiben, da sie durch die Formativstruktur (etwa bestimmter
Affixmodelle) beeinflusst werden können. Wellmann führt z. B. in der Be-
schreibung der substantivischen Derivation bei mehreren Typen „sekundäre
Prägungen“ auf: Personenbezeichnungen auf -heit und -ität (320ff.), Per-
sonalkollektiva auf -ung und -(at)ion (375 ff.) sowie andere Weiterentwick-
lungen von „primären“ Abstraktbildungen auf -ung (422ff., 444ff., 455f.).
Es sind Bildungen, „die sich erst ,sekundär‘ durch eine Umprägung (etwa
durch die ,Umfunktionierung‘ eines grammatischen Abstraktums zum Kol-
lektivum, zum ,nomen facti‘ usw.) in das beschriebene Wortbildungspara-
digma einfügen“ (DWb 2, 494f.).
Solcherart Entwicklungen von einer Primärfunktion zu einer „sekundä-
ren Verwendung von Wortbildungstypen“ (Erben 2006, 108) lassen sich –
zumindest teilweise – systematisieren (vgl. Lipka 1981, 126 über „systemati-
sche Lexikalisierungsprozesse“ sowie Eichinger 1982, 52) und damit auch
spezifischen Wortbildungsmodellen zuordnen. Das betrifft z.B. die charak-
teristische, metonymisch entfaltete Polysemie deverbaler Substantive auf
-ung: ,Vorgang‘  ,Resultat eines Vorgangs/einer Handlung‘  ,dadurch
entstandene(r) Gegenstand, Sache‘  ,Personalkollektivum‘ (z.B. Leitung,
Vermittlung). Auch semantische Veränderungen in konvertierten Abstrakta
hin zu Lokativa (Eingang, Abfluss, Durchbruch) werden zu den sekundären
Prägungen gerechnet (DWb 2, 454).
Motsch lässt eine endgültige Entscheidung darüber, ob in solchen Fällen verschiedene
Wortbildungsmodelle anzunehmen sind oder semantische Veränderungen lexikali-
scher Einheiten vorliegen, offen und plädiert für eine doppelte Interpretation. Er
bestimmt Bildungen wie Lieferung, Abbildung, Abrechnung zunächst als Produkte un-
terschiedlicher „Wortbildungsmuster“, als Nomina Actionis, Nomina Acti und Resul-
tativa, schließt aber „reguläre Konzeptverschiebungen“ auch nicht aus (Motsch 2004,
347). Lohde (2006, 111) spricht bei Bedienung, Regierung, Versammlung von „indirek-
ten Bezeichnungen von Personen oder Personengruppen.“

1.5.4.4 Motivation in der Kommunikation


Unter pragmatischem Aspekt kann man die morphosemantische Motiva-
tion von zwei Seiten betrachten: von der Seite des Produzenten, der eine
Wortbildung als neue Bezeichnung prägt, und von der Seite des Rezipienten,
der die im Text gebrauchte Wortbildung zu dekodieren hat (zur Unter-
50 1 Grundsätze und Grundbegriffe

scheidung Schröder 1988, 168f. mit Blick auf die Bewertung von Wortbil-
dungen; Munske 1993, 511; Stein 2007). Bezogen auf binäre Wortbildungen
zeigt sich das im Einzelnen folgendermaßen.
Aus der Perspektive des Produzenten ist eine binäre Wortbildung zum
Zeitpunkt ihrer Prägung stets in dem Sinn motiviert, dass er eine Zeichen-
kombination bildet, deren Motivationsbedeutung für ihn relevante Merk-
male des Gegenstandes (Open-Air-Konzert) bzw. seines Verhältnisses zu ihm
(Chaosveranstaltung) beinhaltet. Die Prägung einer Bezeichnung geht in der
Regel mit einer begrifflichen Konsolidierung, einer „neuen begrifflichen
Qualität“ (Fleischer 1984, 13) einher, die mit zunehmender Usualisierung
zu Motivationsverlusten führen kann.
Für den Rezipienten stellt sich die Sache etwas anders dar. Da auch in
einer komplexen Wortbildung immer nur wenige Merkmale – von Fall zu
Fall unterschiedlichen Charakters – in den morphemischen Bestandteilen
explizit gemacht werden können und die semantische Beziehung der Be-
standteile untereinander, die Wortbildungsbedeutung (¢ 1.5.4.2), sehr ver-
schiedenartig sein kann (vgl. Bier-, Bleikristall-, Stielglas), ist die lexikalische
Bedeutung einer okkasionellen Wortbildung allein durch die Motivations-
bedeutung nicht immer ohne Weiteres erschließbar. Das gilt auch für lexi-
kalisierte Wortbildungen, selbst dann, wenn die wortinterne Bedeutung der
Bestandteile mit ihrer freien Bedeutung weitgehend identisch ist, vgl. z.B.
Ozonloch ,Loch in der Ozonschicht‘, Erdloch ,Loch in der Erde‘, Wasserloch
,Loch, in dem sich Wasser angesammelt hat‘; Zugvogel ,Vogel, der im
Winter in den Süden zieht‘, Zugtier ,Tier, das Lasten ziehen kann‘. Die
richtige Dekodierung setzt stets zusätzlich zum Sprachwissen auch Sach-
wissen voraus.
Detaillierte Analysen der Verstehensvoraussetzungen haben in jüngerer Zeit zu einer
feineren Differenzierung des Sprach- und Sachwissens geführt. Man unterscheidet
üblicherweise Muster-, Text- und Sachwissen (Letzteres auch: Weltwissen, Framewis-
sen, assoziatives Wissen genannt; ähnlich, aber mit anderer Terminologie Heringer
1984; im Überblick Matussek 1994, 30 f.; Barz/Schröder 2001, 194 f.). Musterwissen
umfasst die Kenntnisse über Wortbildungsmodelle und entsprechende Wortbildungs-
reihen. Textwissen gewinnt der Rezipient aus dem Kontext einer Wortbildung und
Sachwissen ergibt sich aus dem entsprechenden „gesellschaftlich-kommunikativen
Diskursbereich“ (Fandrych 1993, 268).
Je länger Wortbildungen im Gebrauch sind, umso eher verliert die Mo-
tivationsbedeutung an Relevanz für das Wortverständnis, umso stärker
tendieren die Wortbildungen als Bezeichnungseinheiten zu einer ganzheitli-
chen Semantik. Das zeigt sich daran, dass sich Sprachbenutzer die lexikali-
sche Bedeutung bei unreflektiertem Sprachgebrauch nicht über die Moti-
1.6 Einheiten der Wortbildung 51

vationsbedeutung erschließen, sondern eine Wortbildung wie ein primäres


Lexem als Ausdruck für ein bestimmtes Konzept verwenden. Diskrepanzen
zwischen lexikalischer und Motivationsbedeutung, also ein niedriger Mo-
tivationsgrad, stören die Kommunikation daher nicht grundsätzlich, vgl.
Kindergarten, eine Einrichtung, die ganz ohne Garten auskommen kann
(v. Polenz 1967, 77; Dillström 1999, 38ff.).
Andererseits werden Motivationsbedeutungen aber auch gezielt einge-
setzt zur Beeinflussung von Begriffsbildungen bzw. Wirklichkeitsinterpre-
tationen, vgl. Einkaufsparadies, Entsorgungspark, Facility-Manager ,Haus-
meister‘.

1.6 Einheiten der Wortbildung


Unter Einheiten der Wortbildung werden die sprachlichen Elemente ver-
standen, die Input für Wortbildungen sein können. Die wichtigsten sind
Wörter, Affixe und Konfixe. Syntagmen und Sätze fungieren ebenfalls als
Wortbildungseinheiten, haben allerdings nur an wenigen Bildungsmodellen
Anteil.

1.6.1 Wörter

Das Wort ist eine sprachliche Grundeinheit, die je nach spezifischem Er-
kenntnisinteresse unterschiedlich definiert wird (Wurzel 2002, 201). Auf der
lexikalischen Ebene wird das Wort bestimmt als die „einem grammatischen
Paradigma zugrunde liegende lexikalische Einheit“ (Henne 1998, 559). Für
diesen Begriff von Wort wird im Allgemeinen der Terminus Lexem ge-
braucht. Will man den Unterschied zwischen Lexemen und (flektierten)
Wörtern im Text hervorheben, bezeichnet man Letztere genauer als Wort-
formen oder syntaktische Wörter. Da durch Wortbildung nicht syntaktische
Wörter, sondern Lexeme entstehen, könnte Wortbildung folglich auch –
terminologisch präziser – Lexembildung genannt werden. Da aber Wort-
bildung der eingeführte Terminus ist, soll er hier beibehalten werden.
Richtet man seinen Blick auf das Wort als (Ausgangs-)Einheit für die
Bildung von Lexemen, zeigt sich, dass nicht alle grammatischen Formen
eines Wortes als Input fungieren, sondern in der Regel nur der sog. Wort-
stamm. Wir verstehen unter dem Stamm eine Form ohne Flexionsendung.
Stämme können einfach (Wind) oder komplex (windig, Sommerwind) sein.
Sie sind wortfähig, mit Flexionsmorphemen verbindbar und sie kommen
52 1 Grundsätze und Grundbegriffe

bei Flektierbarkeit frei vor; verbale Stämme meist nur zusammen mit Fle-
xionsmorphemen. Stämme der autosemantischen Wortarten sind wortart-
markiert. Bei Substantiven und Adjektiven entspricht der Stamm der Nenn-
form; bei manchen Verben stimmen Stamm und Imperativform im Singular
überein (komm).
Wenn die explizite Unterscheidung von Wort und Stamm in bestimmten
Erklärungszusammenhängen keine Rolle spielt, wird hier terminologisch
darauf verzichtet und allgemeiner von Substantiv, Adjektiv oder Verb als
Konstituente von Wortbildungen gesprochen. Die unmittelbaren Konsti-
tuenten von Papierqualität sind in dieser Redeweise zwei Substantive, prä-
ziser ausgedrückt: zwei Substantivstämme.
Stämme kommen in nur einer (Wind) oder in verschiedenen Stammfor-
men vor, z.B. mit verschiedenen Stammvokalen (rot/röt lich, sing en/sang).
Zum Zweck einer systematischen morphologischen Beschreibung von
Wortbildungen differenzieren wir nach Fuhrhop (1998, 22 ff.) die Stamm-
formen nach ihrer Verwendung in Flexion und Wortbildung. Zu unter-
scheiden sind Flexionsstammform (ist zugleich Grundstammform) sowie
Derivations- und Kompositionsstammform, wobei diese Formen bei einem
Stamm identisch sein können (Wind, Winde, windig, Windrichtung).
Das Paradigma des Verbstammes klag z.B. umfasst die Stammformen
klag- (Flexionsstammform wie in klagst, klagte; Derivationsstammform wie
in klagbar, klaglos; Kompositionsstammform wie in Klaggeschrei), kläg- (De-
rivationsstammform mit Umlaut wie in kläglich, Kläger) und klage- (Kom-
positionsstammform mit Fugenelement -e wie in Klagelied, Klageschrift).
Eine 1:1-Beziehung zwischen Stammform und Wortbildungsart besteht, wie
man sieht, nicht.
Für die Beschreibung der Wortbildung sind die Kompositions- und De-
rivationsstammformen relevant. Sie bilden den Input für Wortbildungen.

1.6.2 Affixe

1.6.2.1 Grundsätzliches
Die Beschreibung des Affixinventars des Deutschen setzt die Bestimmung
des Morphembegriffs voraus. Morpheme sind sprachliche Zeichen, die
nicht weiter in kleinere bedeutungstragende Einheiten zerlegt werden kön-
nen; es sind die „elementaren Einheiten der Wortstruktur“ (Grundzüge
1981, 464).
Nach ihrer Selbstständigkeit unterscheidet man wortfähige (freie) und
gebundene Morpheme. Das entspricht im Wesentlichen der Einteilung in
1.6 Einheiten der Wortbildung 53

Grundmorpheme (auch: Basis-, Kernmorpheme oder lexikalische Mor-


pheme) einerseits sowie Flexions- und Wortbildungsmorpheme (Affixe) an-
dererseits. Grundmorpheme der autosemantischen Wortarten Substantiv,
Verb und Adjektiv und z.T. Adverb sind Träger einer „lexikalisch-begriffli-
chen Bedeutung“ (Schippan 1987, 71) und „lexikalisch autonom“ (Plank
1981, 204).
Präzise Aussagen über das Morpheminventar des Deutschen lassen sich
nicht in gleicher Weise zu allen Morphemarten machen. Am offensten ist
der Bestand an Grundmorphemen. Er ist weder überschaubar noch aufzähl-
bar, da ständig neue Grundmorpheme hinzukommen und gebräuchliche
veralten bzw. verschwinden. Eine Untersuchung der zeitlichen Markierun-
gen bei 8500 Stichwörtern im WDG ergab, „dass die Anteile von Neuaufge-
kommenem und Zurückweichendem im Wortschatz der Gegenwarts-
sprache sich etwa die Waage halten“ (Herberg 1976, 2), wobei in unserem
Zusammenhang relativierend zu bedenken ist, dass diese Aussage simplizi-
sche und komplexe Wörter, nicht allein Grundmorpheme betrifft. Gleich-
wohl darf sie mit Sicherheit auf Grundmorpheme übertragen werden, wie
weitere Arbeiten zeigen (vgl. Osman 1971, Schmidt 1982, Schippan 1984,
Herberg 1988).
Den geschlossensten Bestand bilden die Flexionsmorpheme. Sie sind voll-
ständig aufzählbar. Ihr Inventar ändert sich nur über große Zeiträume
hinweg im Zusammenhang mit Akzentverschiebungen und Lautwandel
(vgl. die Deklination von ahd. tag ,Tag‘ im Singular: tag, tagas, taga, tag und
Instrumental tagu), sodass man synchron gesehen durchaus von einem
festen Bestand ausgehen kann.
Das Inventar der Wortbildungsmorpheme ist umfangreicher und weniger
geschlossen als das der Flexionsmorpheme, es ist stärkeren Veränderungen
ausgesetzt. Seine Vermehrung erfolgt auf verschiedene Weise: durch direkte
Entlehnungen (z. B. aus dem Frz. -ei, -ier(en); aus dem Lateinischen -ismus,
-ist), durch Morphematisierung fremdsprachlicher Elemente (inter-; vgl.
Reanalyse oder „Neuinterpretation“ bei Habermann 2002, 48) oder durch
die Grammatikalisierung von Lexemen, verbunden mit Bedeutungsverän-
derungen (vgl. Werk – Laubwerk; Weiteres ¢ 1.6.2.4).
Wortbildungsmorpheme treten teilweise – wie auch Grundmorpheme –
in verschiedenen formalen „Realisierungsvarianten“ (Meibauer 2002, 346;
auch: Allomorphen) auf, die in der Regel komplementär verteilt sind; meist
bedingt durch die Phonem- und Silbenstruktur der Basis. Besonders reich
entfaltet ist die Allomorphie bei Fremdaffixen (¢ 1.9.2.2.2). Die Identität des
jeweiligen Morphems ist gesichert durch die phonologische Ähnlichkeit der
Varianten und durch ihre identische morphosemantische Funktion, vgl.
a sozial – an organisch ,Negation‘.
54 1 Grundsätze und Grundbegriffe

1.6.2.2 Affixarten
Die Wortbildungsaffixe des Deutschen lassen sich nach den Merkmalen
Position im komplexen Wort, Wortartmarkierung, morphosemantische
Funktion und Herkunft (indigen, exogen) klassifizieren.
1) Nach ihrer Position sind die Affixarten Präfix, Suffix und Zirkumfix zu
unterscheiden. Sie bilden mit Wortstämmen, Syntagmen oder Konfixen
komplexe Lexeme, vgl. sauber > un sauber, säuber lich; reden > Ge red e; in
Anspruch nehmen > Inanspruchnahm e; polit- > polit isch. Präfixe stehen
links von der Derivationsbasis, Suffixe rechts von ihr. Zirkumfixe um-
schließen die Basis. Aus der Positionsfestigkeit der Affixe ergibt sich, dass sie
deutlich separate Klassen darstellen. Gleichlautende Formative aus jeweils
verschiedenen Klassen sind als Homonyme zu betrachten, wie z. B. -er in
Maler vs. er- in erkämpfen oder -in in Ärztin vs. in- in inakzeptabel. Ho-
monymie tritt auch zwischen exogenen Suffixen auf wie beispielsweise -ant/
-ent bei Substantiv und Adjektiv: Repräsentant, Referent – interessant, evident.
2) Hinsichtlich der Wortartmarkierung unterscheiden sich die Affixklas-
sen deutlich. Indigene Suffixe und Zirkumfixe sind insofern prototypische
Affixe, als sie grundsätzlich die Wortart des komplexen Wortes festlegen,
d. h. die Kopffunktion übernehmen (zum Begriff Kopf vgl. Olsen 1986a, 99).
Daraus folgt, dass sich substantivische, adjektivische (zusammengefasst als
nominale Suffixe), verbale und adverbiale Suffixe unterscheiden lassen;
ebenso Zirkumfixe, die allerdings beim Adverb fehlen. Präfixe verhalten sich
hinsichtlich der Kopffunktion weniger einheitlich. Hier sind nominale von
verbalen Präfixen zu trennen. Die nominalen Präfixe un-, ur-, miss-, erz-
treten gleichermaßen an Substantive und Adjektive (Unwetter, unschön, Ur-
großvater, uralt). Sie können die Wortart ihrer Basis demzufolge nicht fixie-
ren, übernehmen also keine Kopffunktion. Daraus folgt, dass ausschließlich
„fertige Wörter“ präfigiert werden können, nicht aber Syntagmen und Kon-
fixe. Die verbalen Präfixe be-, ent-, er-, ge-, ver-, zer- haben dagegen Kopf-
eigenschaften. Sie leiten Verben aus Substantiven und Adjektiven ab und
treten auch an verbale Basen (versumpfen, verarmen, verbrauchen; ¢ 1.6.2.3).
3) Von ihrer Derivationsbasis sind Derivate durch morphosyntaktische
und semantische Veränderungen, die das jeweilige Affix hervorruft, unter-
schieden. Man erfasst diese Affixleistung mit dem Terminus morphoseman-
tische Funktion.
In morphosyntaktischer Hinsicht sind wortarterhaltende von wortart-
verändernden Affixen zu trennen. Nominale Präfixe verändern die Wortart
ihrer Basen nicht, Zirkumfixe wirken ausschließlich wortartverändernd.
Suffixderivationen können beides: einen Wortartwechsel bewirken (Bürger
1.6 Einheiten der Wortbildung 55

> bürgerlich) oder die Wortart der Ausgangseinheit unverändert lassen (Wirt
> Wirtin, Stadt > Städter). Verbale Präfixe leiten Verben sowohl aus verbalen
als auch aus substantivischen und adjektivischen Basen ab.
Suffixe und Zirkumfixe ordnen die Stämme jeweils in eine bestimmte
allgemeine semantische Klasse ein wie beispielsweise das Suffix -er u. a. in die
Klasse Nomen Agentis (Leser, Schreiber, Maler). Präfixe spezifizieren die
Bedeutung ihrer Basis wie ur- in uralt, urkomisch ,äußerst, sehr‘ (¢ 1.8.2.1).
Die meisten Affixe sind polyfunktional. So leitet z.B. -ig u. a. aus dem
Substantiv Affe das Adjektiv affig ,wie ein Affe‘ ab, aus dem Verb zappeln das
Adjektiv zapp(e)lig ,zum Zappeln neigend‘; -heit aus dem Adjektiv schön das
Substantiv Schönheit mit der Bedeutung ,das Schönsein‘, aus dem Substantiv
Mensch das Kollektivum Menschheit.
Affixen ist das Merkmal Reihenbildung zuzuschreiben (¢ 1.8.2.2). Unter
einer Wortbildungsreihe ist die Gesamtheit der Wortbildungen zu verste-
hen, die nach ein und demselben Modell gebildet sind, vgl. die Reihe de-
verbaler Adjektive auf -bar: ess-, hör-, mach-, waschbar ,kann [Partizip II des
Basisverbs] werden.‘ Wenngleich die Reihenbildung für Derivate insofern
typisch ist, als es viele Derivationsmodelle gibt, nach denen eine große
Anzahl von Wortbildungen entstanden ist bzw. noch entsteht, so ist dieses
Merkmal dennoch nicht auf Derivationsmodelle beschränkt. Auch Kom-
positionsmodelle können Reihen hervorbringen, vgl. Apfel-, Birn-, Kirsch-,
Obst-, Oliven-, Pflaumen-, Zitronenbaum u.a. (zur Diskussion dieses Merk-
mals Donalies 2005b, 24; Stein 2008, 191ff.). Jedoch markiert der Umfang
der Wortbildungsreihen einen Unterschied zwischen Derivations- und
Kompositionsmodellen: Die Reihen produktiver Derivationsmodelle dürf-
ten wesentlich umfangreicher sein. Reihenbildung gilt deshalb als derivati-
onstypisches Phänomen.
Affixe unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer Betonung. Nominale
Präfixe werden betont, verbale bleiben unbetont. Typische indigene Suffixe
sind unbetont; die Betonung exogener Suffixe ist dagegen uneinheitlich
(¢ 1.9.3.2).
Für Suffixderivate gilt noch eine weitere phonetische Besonderheit: Vo-
kalisch anlautende Suffixe werden in der Regel mit einem konsonantischen
Basisauslaut zu einer Silbe gebunden, sodass Morphem- und Silbengrenze
einander nicht entsprechen. Bei Kompositionsgliedern stimmen dagegen
auch bei vokalischem Anlaut des Zweitgliedes Morphem- und Silbengrenze
überein, vgl. Mal er – Ma ler gegenüber Hühner ei.
56 1 Grundsätze und Grundbegriffe

1.6.2.3 Affixbestand
Im Folgenden wird eine Übersicht über die indigenen Affixe gegeben, die in
der deutschen Sprache der Gegenwart Derivate bilden, wobei es hier aus-
schließlich um eine Inventarisierung geht; Erläuterungen zu den Affixen
folgen in den Kapiteln 2–5 bei den einzelnen Wortarten.
Die Übersichten (nach Dudenband 4, 2009, 690f., 723, 752) stellen sub-
stantivische, adjektivische, verbale und adverbiale Affixe einschließlich ihrer
Allomorphe (¢ 1.6.2.1) in Auswahl zusammen. Affixe unproduktiver Bil-
dungsmodelle wie Verbstamm + -t oder -de zur Bildung von Substantiven
wie in fahren > Fahrt, freuen > Freude oder dar- + Verb wie in darreichen
bleiben hier unberücksichtigt, werden aber ggf. exemplarisch in den ein-
schlägigen Kapiteln behandelt.
Zu jedem Affix bzw. zu jeder Affixvariante wird ein Beispiel angeführt.
Die Beispielanordnung entspricht der Reihenfolge der jeweils in Spalte 2
genannten Affixe.

Übersicht 2: Indigene substantivische Affixe


Affix Bestand Beispiele
Präfix erz-, ge-, haupt-, miss-, Erzgauner, Gebüsch, Hauptbahnhof,
un-, ur- Missernte, Ungeduld, Urwald
Suffix -bold, -chen, -e, -ei/-erei, Witzbold, Blümchen, Liege, Kantorei,
-el,-er,-heit/-keit/-igkeit, Försterei, Hebel, Käufer, Klugheit, Tap-
-i, -ian/-jan, -icht, -in, ferkeit, Sorglosigkeit, Schatzi, Grobian,
-lein, -ler, -ling, -ner, Liederjan, Kehricht, Bäuerin, Bächlein,
-nis, -rich/-erich, -s, -sal, Ausflügler,Prüfling,Pförtner,Finsternis,
-schaft, -sel, -tel, -tum, Enterich, Gänserich, Klaps, Rinnsal,
-ung, -werk Nachbarschaft, Füllsel, Viertel, Brauch-
tum, Verantwortung, Laubwerk
Zirkum- ge-…-e/ge- Gelache, Gewimmel
fix
1.6 Einheiten der Wortbildung 57

Übersicht 3: Indigene adjektivische Affixe


Affix Bestand Beispiele
Präfix erz-, miss-, un-, ur- erzreaktionär, misslaunig, unsauber,
uralt

Suffix -bar, -en/-ern/-n, -fach, waschbar, golden, bleiern, silbern, zwei-


-haft, -ig, -isch, -lich, fach, laienhaft, rostig, kindisch, verträg-
-los, -mäßig, -sam lich, mühelos, verfassungsmäßig, streb-
sam

Zirkum- ge-…-ig, un-…-lich/ geräumig, unglaublich, unnahbar, un-


fix -bar/-sam, be-/ge-/ent-/ beugsam, bejahrt, genarbt, entgeistert,
zer-…-t/-et zerklüftet

Übersicht 4: Indigene verbale Affixe


Affix Bestand Beispiele
Präfix a.
be-, ent-, er-, ge-, miss-, befahren, entkernen, erringen, gefrieren,
ver-, zer- missdeuten, verlängern, zerschneiden

b.
durch-, hinter-, über-, durchschreiten, hinterfragen,
um-, unter-, wider- überbrücken, umrunden, unterkellern,
widersprechen
Suffix -el(n)/-l(n),-er(n)/-r(n) lächeln, kriseln, dreckern, blinkern
Zirkum- be-…-ig(en), ver-… begradigen, vereidigen
fix -ig(en)

Die in der Gegenwartssprache wichtigsten indigenen verbalen Präfixe glie-


dern sich in zwei Gruppen: a. in Präfixe ohne homonyme Verbpartikel und
b. in solche, zu denen eine gleichlautende Verbpartikel und auch ein Funk-
tionswort existieren und die im Unterschied zu den Verbpartikeln unbetont
sind.
Das Suffix -ier(en)/-isier(en)/-ifizier(en) gehört zu den Fremdaffixen
(¢ 1.9.2.2.2).
58 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Übersicht 5: Indigene adverbiale Affixe


Affix Bestand Beispiele
Suffix -dings, -ens, -maßen, schlechterdings, frühestens, bekannter-
-halben/-halber, -lei, maßen, meinethalben, interessehalber,
-lings, -mals, -s, -wärts, keinerlei, rücklings, oftmals, mittags,
-weg, -weise/-erweise bergwärts, glattweg, scheibchenweise,
fälschlicherweise

Betrachtet man zusammenfassend die Verteilung der indigenen Affixarten


auf die Wortarten, zeigt sich eine unterschiedliche Gewichtung. Einer klei-
nen Gruppe nominaler Präfixe steht eine große Gruppe nominaler Suffixe
gegenüber. Beim Verb ist das Verhältnis umgekehrt. Hier überwiegen die
Präfixe. Zirkumfixe bleiben bei allen drei Wortarten marginal.
Die Bildung von Adverbien ist nur mithilfe von Suffixen möglich.

1.6.2.4 Erweiterung des Affixbestandes


Die Herausbildung neuer Affixe ist ein historischer Prozess, der eine syn-
chrone Klassifikation des Affixbestandes naturgemäß in Schwierigkeiten
bringt. Übergangserscheinungen sind vor allem bei der Bestimmung der
Grenzen zwischen Wort und Affix und bei der Bestimmung des Status re-
analysierter gebundener Wortsegmente zu berücksichtigen (ausführlich
zum Wortbildungswandel u.a. Demske 2000; Munske 2004; Scherer 2005).
Die Differenzierung zwischen Stämmen und Affixen nach dem Kriterium
Wortfähigkeit bereitet normalerweise keine Schwierigkeiten, auch wenn
formgleiche Einheiten einmal als Stamm frei vorkommen, in anderer Um-
gebung – gebunden an einen Wortkontext – jedoch als Affix zu bestimmen
sind. Hier ist aufgrund völlig verschiedener Bedeutungen von Homonymie
zu sprechen, vgl. z.B. Schaft vs. -schaft in Stiefelschaft, Studentenschaft; er vs.
er- vs. -er in er lacht, erringen, Maler; Werk vs. -werk in Kunstwerk, Laubwerk;
des Weiteren ist vs. -ist; Erz vs. erz-; Ei vs. -ei; in vs. in- vs. -in.
Komplizierter gestaltet sich die Klassifikation von Stämmen, die zwar
wortfähig sind, aber in spezifischen Kombinationen semantisch mehr oder
weniger von ihrer lautgleichen freien Entsprechung abweichen, ohne
(schon) ein Homonym zu dieser zu sein, vgl. voll ,gefüllt‘ (volles Glas),
,füllig, rundlich‘ (volles Gesicht), ,vollständig, ganz‘ (volles Vertrauen) gegen-
über -voll zum Ausdruck des ,Vorhandenseins des Basisinhaltes‘ (kunst-,
liebe-, wirkungsvoll); Riese ,Märchengestalt‘, ,etw., jmd. von außergewöhn-
licher Größe‘ gegenüber Riesen- zum Ausdruck einer ,starken Intensität‘
(Riesenkrach, -applaus). Es sind Einheiten, die sich in einem Grenzbereich
1.6 Einheiten der Wortbildung 59

zwischen Lexem und Affix befinden. Ihre Bedeutung lässt sich in der ge-
bundenen Verwendung zwar durchaus noch auf das entsprechende Lexem
beziehen bzw. aus dessen Bedeutung ableiten, rückt aber aufgrund eines
meist höheren Allgemeinheitsgrades doch in die Nähe der morphoseman-
tischen Funktion von Affixen.
Die diachrone Wortbildungsforschung hat entsprechende Entwicklungen seit dem
Ahd. nachgewiesen, z. B. für -tum (aus ahd. tuom ,Urteil‘), -schaft (aus ahd. scaf ,Be-
schaffenheit‘), -lich (aus ahd. lı̄h ,Körper‘), -haft (aus ahd. haft ,behaftet, gebunden‘),
-sam (aus ahd. sama/samo ,das-, derselbe‘), -heit (aus ahd. heit ,Art und Weise, Be-
schaffenheit‘; zuletzt u.a. Habermann 2002, 46; detailliert zu -heit auch Erben 2006,
145 ff.). Aus ursprünglichen Lexemen mit einer lexikalischen Bedeutung entstanden
die heute üblichen Suffixe. Ihre wortfähigen Pendants sind untergegangen. Die Suffixe
lassen keine semantischen Bezüge zu Lexemen der Gegenwartssprache erkennen.
Diese unstrittigen Suffixe liefern z. T. noch formale Hinweise auf ihre Entstehung
aus Stämmen. Eisenberg/ Sayatz (2002, 151) deuten beispielsweise die Tatsache, dass
die Suffixe -haft, -los, -schaft und -tum ihre Kokonstituente in der Kompositions-
stammform fordern (d. h. mit Fugenelement: lehrlingshaft, ahnungslos, Beamtenschaft,
Beamtentum) als Hinweis auf den noch nicht abgeschlossenen Grammatikalisierungs-
prozess und sprechen von „Kompositionssuffixen“.
Zur Verwertbarkeit von Einsichten der Grammatikalisierungsforschung in der
Wortbildung Munske 2002, 28 f.; Stevens 2005, 73 ff.; Stein 2008, 186; allgemein zur
Grammatikalisierung Diewald 1997.

Die Frage, wie man mit Einheiten zwischen Wortstamm und Affix, die
zudem in sich noch sehr heterogen sind, bei der Modellierung gegenwarts-
sprachlicher Wortbildungen angemessen umgehen soll, wird seit langem
kontrovers diskutiert. Die fraglichen Einheiten werden zum einen als be-
sondere Einheitenkategorie aufgefasst und affixähnliche Elemente, Halbaf-
fixe oder Affixoide genannt. Dabei wird stets betont, dass der Affixoidcha-
rakter „unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann“ (Stein 2008, 205) und
dass die „Endstufe (Affixstatus)“ nicht erreicht sein muss (Habermann
2002, 54; vgl. dazu auch Stepanowa/Fleischer 1985, 141ff.; Tellenbach 1985
sowie die Forschungsberichte bei Schmidt 1987b, 53 ff.; Stein 2008; Elsen
2009).
Als wichtigstes Argument für die Etablierung der Kategorie Affixoid gilt
die bereits erwähnte spezifische Lesart der Einheiten. Sie ist im Vergleich
zum entsprechenden Lexem entkonkretisiert, verallgemeinert. Munske
(2002, 28) konstatiert „semantisches Ausbleichen“, einen „Wandel von au-
tosemantischer zu synsemantischer Bedeutung“.
Außer der semantischen Spezifik werden als weitere, im Einzelnen unterschiedlich
ausgeprägte Merkmale der Affixoide die Reihenbildung, eine charakteristische Distri-
60 1 Grundsätze und Grundbegriffe

bution, fehlende Basisfähigkeit, komplementäres Zusammenwirken mit Wortbil-


dungsmorphemen (Erben 2006, 144; Motsch 2004, 11) und ein besonderes „phonolo-
gisches Verhalten“ genannt (Vögeding 1981, 111; kritisch zu den Merkmalen Tellen-
bach 1985, 266ff.; Stein 2008, 191 ff.).

Ein zweiter Interpretationsvorschlag besteht darin, die genannten Einheiten


als Peripheriephänomene den Stämmen zuzuordnen. Es sind dann seman-
tisch leicht veränderte, reihenbildende Stämme, die in dieser speziellen
Lesart z.T. an bestimmte syntaktische oder Wortkontexte gebunden sind,
ohne dass sie den semantischen Bezug zu ihrer wortfähigen Entsprechung
ganz aufgeben.
Als vermeintlich stammuntypische Besonderheit (und somit Indiz für
den Affixoidstatus) wird gegen diese Auffassung gelegentlich ins Feld ge-
führt, dass manche Einheiten als Zweitglied einer Wortbildung nicht die
ganze Konstruktion repräsentieren können: vitaminreiches Gemüse ≠*reiches
Gemüse, fettarme Wurst ≠*arme Wurst. Dieses Phänomen beruht jedoch auf
der Polysemie der fraglichen Adjektive. Bei Zweitgliedern wie -reich und
-arm muss bedacht werden, dass sie in der Lesart ,viel/wenig von etwas
haben‘ außer ihrem Bezugswort eine zweite Ergänzung verlangen. Das wird
beim prädikativen Gebrauch deutlich: Gemüse ist reich an Vitaminen; die
Wurst ist arm an Fett. Ohne die Präpositionalphrase wären die Sätze un-
grammatisch. Im Kompositum füllt das Erstglied diese Argumentstelle aus.
Wird das Erstglied getilgt, ohne dass die fehlende Ergänzung (als Präposi-
tionalphrase) angeschlossen wird, entsteht zwangsläufig ein ungrammati-
scher Ausdruck. Daraus folgt, dass die Nichtäquivalenz zwischen vitaminrei-
ches Gemüse und *reiches Gemüse bzw. fettarme Wurst und *arme Wurst
allein kein brauchbares Argument gegen den Status Stamm von reich und
arm darstellt. Es handelt sich um eine syntaktisch bzw. morphologisch ge-
bundene Lesart der polysemen Adjektive, im Ganzen um Rektionskompo-
sita (¢ 3.1.3). Wegen des Allgemeinheitsgrades der gebundenen Bedeutung
sowie der Reihenbildung gehören die entsprechenden Adjektive dennoch
zum Kreis der Kompositionsglieder im Grenzbereich.
Die Ablehnung der Kategorie Affixoid geht v.a. von Schmidt (1987b, 81) aus. Er macht
darauf aufmerksam, dass die „Bedeutungsabweichung“ der sogenannten Affixoide eine
ganz normale Erscheinung jeder Zeichenverwendung sei, dass „das gleiche Sprachzei-
chen in unterschiedlichen sprachlichen Umgebungen auch unterschiedliche aktuelle
Bedeutungen, d.h. unterschiedliche Aktualisierungen von Teilen seiner Bedeutung auf-
weisen kann“ (vgl. auch Stein 1981, 351; Kaempfert 1984, 214; Karl 1987, 13 f.). Gegen
das Paraphrasenkriterium wendet er ein, dass Unterschiede zwischen dem syntakti-
schen Verhalten der Wörter im Satz und ihrem Auftreten in komplexen Wörtern nicht
zum Kriterium für einen wechselnden Morphemstatus erhoben werden dürften, denn
1.6 Einheiten der Wortbildung 61

es gehöre gerade zu den spezifischen Leistungen der Wortbildung, „ganze Sätze in einer
Kombination zusammenzufassen“ (Schmidt 1987b, 81). Es erweise sich daher als
zweckmäßig und sei den sprachlichen Gegebenheiten angemessen, den Affixoidbegriff
aufzugeben.
Auch andere synchrone Darstellungen der Wortbildung des Deutschen verzichten
auf die Kategorie Affixoid, vgl. Fandrych 1993; Donalies 2005b, 25f.; Eisenberg 2006,
218; Lohde 2006, 15 f. Zu Abgrenzungsproblemen zwischen Affix, Affixoid und Konfix
vgl. Elsen 2005, 134ff.; Schu 2005, 258.

Mit der sich in jüngster Zeit verstärkenden Besinnung der Wortbildungs-


forschung auf diachrone Aspekte gewinnt der Affixoidbegriff wieder an Ge-
wicht. Insbesondere die Ergebnisse der in der Sprachwandelforschung ent-
wickelten Grammatikalisierungstheorie tragen dazu bei, ihm mehr Raum
zuzuerkennen. Wenn man das historische Kontinuum zwischen Stamm und
Affix beschreiben will und die Gradualität der Merkmale in den Mittelpunkt
stellt, erweist sich der Affixoidbegriff durchaus als zweckmäßig (Stevens
2005; Stein 2008, 205). Wie grundsätzlich bei Entwicklungsprozessen ist
auch hier mit einer „breite[n] und facettenreiche[n] Übergangszone“ (Ha-
bermann 2002, 47) zu rechnen. Nach Eisenberg (2006, 214) können sich die
„sog. Halbaffixe oder Affixoide […] durchaus zu echten Derivationsaffixen
entwickeln“, in den meisten Fällen sei es jedoch möglich, die entsprechen-
den Wortbildungen synchron den Komposita zuzuordnen.
Wir entscheiden uns in dieser primär synchron ausgerichteten Darstel-
lung gegen den Affixoidbegriff und sprechen in Fällen wie riesen-, -voll,
-reich, -arm u. a. von lesartenspezifisch gebundenen Stämmen. Motsch
(2004, 11) nennt sie „gebundene Lexikoneinheiten“. Die semantisch unter-
schiedlichen Verwendungsweisen sind nach dieser Auffassung als Erschei-
nung der Polysemie zu werten. Dass sich die alternativen Lesarten im freien
und gebundenen Gebrauch relativ weit voneinander entfernt haben können
wie trächtig in trächtige Kuh ,ein Junges tragend (von Säugetieren)‘ und
-trächtig in zukunftsträchtig ,in beachtlichem Maße mit dem im Basiswort
Genannten erfüllt, es als Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit in sich bergend,
tragend‘ (Dudenband 10, 2002, 894), spricht aus unserer Sicht nicht gegen
eine solche Betrachtungsweise. Entsprechende Fälle bestätigen vielmehr,
dass der Grammatikalisierungsprozess im Einzelnen unterschiedlich weit
fortgeschritten sein kann oder auch stagniert (dazu z.B. Ruge 2004, 41 über
-technisch; Schu 2005, 273 über „morphologisch und syntaktisch gebundene
Grundmorpheme“).
Eine unmittelbare Konstituente einer Wortbildung ist nach dieser Auf-
fassung entweder ein Stamm oder ein Affix (von Konfixen hier abgesehen;
¢ 1.6.3), wobei die graduelle Ausprägung der klassenbildenden Eigenschaf-
62 1 Grundsätze und Grundbegriffe

ten grundsätzlich im Blick bleiben muss. Es gibt folglich Stämme in spezi-


fischen Lesarten, die zur Klasse der Affixe tendieren, die sich gewissermaßen
im Kontinuum zwischen Stamm und Affix befinden. Die umgekehrte Ent-
wicklung – vom Affix zum Stamm – lässt sich in der Fremdwortbildung
nachweisen, vgl. Exfreund/Exfreundin > der/die Ex.
Eine zweite wichtige Art der Affixgewinnung neben der Grammatikali-
sierung ist die Reanalyse. Aus komplexen Wörtern werden Segmente her-
ausgelöst und als Wortbildungseinheit weiterverwendet. Ein Großteil exo-
gener Suffixe (und auch Konfixe, ¢ 1.3.2; ¢1.9.1[4]) ist auf diese Weise im
Deutschen wortbildungsaktiv geworden. Auch die indigenen Suffixe -ler
und -ner (< -er) sind so entstanden (¢ 2.3.2.5; ¢2.3.2.6).
Gegenwärtig lässt sich dieser Prozess an den Wortsegmenten -artig, -för-
mig, -haltig beobachten. Sie haben infolge einer „Umsegmentierung“ (Well-
mann 1997, 84) entsprechender Derivate auf -ig (in der Form einer Treppe/in
Treppenform > treppenförmig) mit substantivischen Erstgliedern eine be-
trächtliche Produktivität entwickelt. Da sie nicht wortfähig – artig ,wohl-
erzogen‘ ist ein Homonym zu -artig –, aber durch die entsprechenden
Lexeme (Art, Form, enthalten usw.) motiviert sind, hat man sie als „Quasi-
kompositionsglieder“ (Hyvärinen 2000, 34) bezeichnet. Sie werden aber
auch als „Halbsuffixe“ (Wellmann 1998, 549) oder als eine besondere Art
von Suffixen bestimmt (Motsch 2004, 11 f.). Für die letztgenannte Inter-
pretation spricht, dass sie nicht basisfähig sind (*Förmig-, *Haltigkeit) und
dass sie in der Gegenwartssprache wie andere Suffixe gebraucht werden:
-artig, -förmig in affenartig, birnenförmig z.B. wie -ig und -haft in affig, kat-
zenhaft zum Ausdruck eines ,Vergleichs‘ (Motsch 2004, 12). Sie haben
funktional – was Erben (2006, 144) als ein wichtiges Indiz des Erwerbs
von Suffixeigenschaften kennzeichnet – ihren „besonderen Stellenwert im
System der […] Suffixe erhalten.“
Wenn man allerdings dephrasale Derivation als Wortbildungsart akzep-
tiert und die semantische Äquivalenz der jeweiligen Syntagmen und Wort-
bildungen berücksichtigt, ist die Annahme von -ig-Derivaten ebenso plau-
sibel: in der Art einer Explosion > explosionsartig, in gleicher Form > gleich-
förmig. Diese Interpretation wird gestützt von der relativ unbeschränkten
Produktivität des Modells Syntagma + -ig (fünftürig, langhaarig, braunäugig,
kurzlebig usw.), das beliebig viele „Quasikompositionsglieder“ hervorbringt.
Da deren Bedeutungen nicht „abstrakt genug“ sind, „um ein Paradigma zu
bilden“ (Wischer 2010, 32), fungieren sie nicht als Suffixe.
Wir betrachten die hier in Rede stehenden Segmente nicht als eigene
Wortbildungseinheiten, sondern ordnen entsprechende Bildungen den de-
phrasalen Derivaten auf -ig zu (¢ 3.1.3.1), wobei eine graduell unterschied-
liche Nähe zu Suffixen einzuräumen ist.
1.6 Einheiten der Wortbildung 63

Neben der Grammatikalisierung von Stämmen und der Reanalyse von Wortsegmenten
zu Affixen führen auch Verschiebungen in der Distribution der Affixe zur Vermehrung
der Wortbildungsmöglichkeiten, ohne dass neue Affixe entstehen. Das gilt vor allem für
die „Erweiterungen ihrer Anwendbarkeit“ (Stein 1981, 338; Wellmann 1997, 84 zu -bar,
-haft, -ig, -lich, -sam; Habermann 2002, 53 zu -bar; vgl. auch zum Wandel der „Input-
beschränkung“ bei -er-Derivaten Scherer 2005, 104ff.). So sind heute alle Adjektivsuf-
fixe außer -en, die ursprünglich nur an substantivische Basen angefügt wurden, auch
mit Verben verbindbar (fruchtbar – denkbar, fehlerhaft – schmeichelhaft, blutig – wacklig,
bäurisch – mürrisch, kindlich – sterblich, tugendsam – empfindsam, dazu Stein 1981, 339).

Eine gegenläufige Tendenz zur Vermehrung des Affixbestandes ist das Untergehen von
Affixen, z.B. durch das Verschmelzen von Affix und Derivationsbasis, in dessen Folge
die fraglichen Gebilde teilweise auch synchron noch als Wortbildung zu erkennen sind
wie Gebärde aus mhd. gebāren ,sich benehmen, verfahren‘, Begierde aus begehren mit
Suffix -de oder Bucht aus biegen, Zucht aus ziehen mit Suffix -t. Völlig verschwunden ist
dagegen der Konstruktionscharakter von Wörtern wie Saum zu mhd. siuwen ,nähen‘
oder Zaum zu ziehen, bei denen das idg. Suffix -mo heute zum Grundmorphem gehört
(vgl. Henzen 1965, 119).

1.6.3 Konfixe

Während mit Wortstämmen und Affixen die wichtigsten Wortbildungsein-


heiten der indigenen Wortbildung erfasst sind, macht sich insbesondere für
die Fremdwortbildung die Einführung einer weiteren Einheit erforderlich.
Es geht um das Konfix (Schmidt 1987a, 50; Seiffert 2005c, Eins 2008; Do-
nalies 2009, 41ff.; Michel 2009a mit ausführlicher Diskussion des mor-
phologischen Status und der Merkmale der Konfixe; ¢ 1.9.2.2).
Typische Konfixe sind eurolateinische, zum Teil aus dem Englischen ent-
lehnte gebundene Einheiten wie -therm-, -stat-, bio-, -aholic/-oholic/-oholi-
ker, die mit Wortstämmen und auch mit ihresgleichen Komposita (Ther-
mohose, Thermostat, Schokoholic, Politoholiker) sowie in Verbindung mit
Affixen Derivate bilden (thermal, thermisch). Sie teilen mit den Affixen das
Merkmal Gebundenheit, im Unterschied zu diesen (¢ 1.6.2) tragen sie jedoch
wie Lexeme eine lexikalische Bedeutung. Sie sind entweder nur kompositi-
onsgliedfähig (Geo- in Geo physik) bzw. nur basisfähig (fanat- in fanat isch)
– soweit der belegte Wortbestand das ausweist – oder sie verfügen über beide
Eigenschaften (polit- in Polit landschaft, Polit ik).
Da sie nicht wortfähig sind, können sie nicht flektiert werden. Allerdings
legen sie in Zweitgliedposition meist die Wortart der Wortbildung fest (wie
-thek in Biblio-, Disko-, Videothek; -phob in anglophob; aber Dialog – analog;
vgl. Eins 2008, 87).
64 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Nicht alle genannten Merkmale sind bei allen Konfixen ausgeprägt,


sodass diese Klasse der Wortbildungseinheiten in sich relativ inhomogen ist,
was in der gegenwärtigen Diskussion gelegentlich als Begründung dafür
dient, die Kategorie ganz infrage zu stellen (Eins 2008; Donalies 2009).
Dass allerdings auch Affixe z.B. hinsichtlich ihrer Semantik keine ein-
heitliche Klasse von Wortbildungseinheiten darstellen, ist bei der Diskussion
relativierend mit zu bedenken. Neben solchen mit relativ deutlich fassbarer
morphosemantischer Funktion wie -ler zur Bildung von Personenbezeich-
nungen (Künstler, Aufwiegler, Ehrenamtler) stehen andere, deren Funktion
sich im Wesentlichen im Anzeigen der Wortart erschöpft, vgl. -ig in dead-
verbialen Adjektiven wie heutig, jetzig, obig (dazu schon Stein 1981).
Fasst man die Charakteristik von Wortstamm, Konfix und Affix zusam-
men, ergibt sich für das jeweilige Zentrum der Klasse (für den Prototyp)
folgende Merkmalsübersicht (nach Seiffert 2008a, 101; zu weiteren Über-
gangserscheinungen ¢ 1.9.2.2.4).

Übersicht 6: Einheiten der Wortbildung


Einheiten Wortstamm Konfix Affix
Merkmale
bedeutungstragend ja ja nein
wortfähig ja nein nein

Auch bestimmte indigene Wortsegmente kann man den Konfixen zuord-


nen, allerdings stellen sie eine Randerscheinung dar. Es handelt sich um
wenige Einheiten, die in älteren Sprachstufen Lexeme waren, heute aber
infolge ihrer Archaisierung nicht mehr wortfähig sind wie lotter-, schwieger-,
stief-, winz-, -falt, in Lotterwirtschaft, Schwiegervater, Stiefsohn, Winzling,
Einfalt (zur Abgrenzung von Konfix und unikalem Morphem ¢ 1.6.5). Sie
sind weitgehend inaktiv, wenngleich gelegentlich Okkasionalismen wie Stief-
hund, Schwiegermonster (Filmtitel), Winzort begegnen. Ein Grenzfall ist
-wart: Als positionsfestes Zweitglied begegnet -wart in Geräte-, Haus-, Platz-,
Tank-, Torwart, als Substantiv ist es veraltet (Wart ,Hüter, Aufseher‘).
1.6 Einheiten der Wortbildung 65

1.6.4 Syntagmen und Sätze


Syntagmen (auch: syntaktische Fügungen, Wortgruppen, Phrasen) und
Sätze sind insofern Einheiten der Wortbildung, als sie als Konstituenten
komplexer substantivischer und adjektivischer Lexeme auftreten oder zu
Lexemen konvertiert werden können. Zur sog. „phrasalen Wortbildung“
(Lawrenz 2006a, 6 ff.) gehören die Phrasenkomposition (Schwerer-als-Luft-
Flugobjekt, ein Rühr-mich-nicht-an-Lächeln, berg- und talverwurzelt; ¢ 2.2.9),
die Phrasenderivation (eine Kind-über-Mittag-Betreuung; Belege aus La-
wrenz 2006a; Frauenversteher) und die Phrasenkonversion (das Von-der-
Hand-in-den-Mund-Leben). Wie die Beispiele deutlich machen, handelt es
sich meist um okkasionelle Lexeme. Lexikalisiert kommen vor allem
Konversionen von Imperativsätzen vor (sog. „imperativische Satznamen“;
Henzen 1965, 83f.) wie Stelldichein, Kräutlein Rührmichnichtan und Deri-
vate mit phrasaler Basis (halbherzig; ¢ 1.8.1.2).
Während Syntagmen v.a. als Erstglied von Komposita auftreten (sehr
selten als Zweitglied wie in eine Miniatur-Arche-Noah; vgl. Lawrenz 2006a,
50), sind Präfixderivation und Zirkumfigierung mit phrasalen Basen wahr-
scheinlich ausgeschlossen.
Zu weiteren Besonderheiten phrasaler Wortbildung ¢ 2.2.9; ¢ 2.6.2.3; zu Verwendungs-
beschränkungen bei Syntagmen und Sätzen in der Wortbildung Lawrenz 1996, 11; zur
Zunahme der phrasalen Wortbildung unter englischem Einfluss Lawrenz 2006b, 98 ff.

1.6.5 Unikale Morpheme

In Wörtern wie Bräutigam, Himbeere, Lindwurm, Nachtigall, Unflat, plötzlich


sind die Elemente -igam, him-, lind-, -igall, -flat, plötz- historisch als Isolie-
rungen zu erklären und etymologisch an einst freie Lexeme anzuschließen:
ahd. gomo ,Mann‘, ahd. hintberi ,Himbeere‘ zu ahd. hinta ,Hirschkuh‘, ahd.
lind ,Schlange‘, germ. *galan ,singen‘, ahd. flat ,Sauberkeit, Schönheit‘,
frnhd. plotz ,schnelle Bewegung‘. Auf synchroner Ebene sind die genannten
Elemente heute nicht mehr erklärbar; sie haben – für sich genommen –
keine Bedeutung. Sie kommen weder frei noch in einem anderen Wortkon-
text im Deutschen vor. Unter diesem Gesichtspunkt müsste man die be-
treffenden Lexeme als monomorphemisch bezeichnen (so auch Eins 2008,
213). Die Strukturanalyse spricht jedoch dagegen. Man kann die Konstitu-
enten nacht, braut, beere, wurm, un-, -lich herauslösen und als Stamm bzw.
Affix identifizieren. Deshalb ist es üblich, die fraglichen Gebilde auch syn-
chron als komplex anzusehen und mit Bezug auf him- usw. von unikalen
Morphemen zu sprechen.
66 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Wenngleich dieser Terminus wie eine contradictio in adjecto erscheint, da ein Mor-
phem gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass es in Kombination mit verschiedenen
Morphemen in gleicher Bedeutung wiederkehrt, hat er allgemeine Verbreitung gefun-
den (vgl. Grundzüge 1981, 469; Ortner/Ortner 1984, 30; Erben 2006, 57). Donalies
(2005b, 41) spricht korrigierend von „unikalen Einheiten“.

Von den Konfixen unterscheiden sich die unikalen Morpheme dadurch,


dass sie keine isolierbare Bedeutung (mehr) tragen und dass sie nur in einem
einzigen Wort vorkommen. Bei Himbeere z.B. lässt sich durch den Bezug auf
Erd-, Blau-, Heidelbeere immerhin eine „bedeutungstragende“, genauer
wohl bedeutungsunterscheidende Funktion ausmachen (Häcki Buhofer
2002, 127).
Eine Sondergruppe der unikalen Morpheme stellen jene Segmente de-
motivierter Lexeme dar, die scheinbar mit geläufigen Morphemen identisch
sind wie fach in entfachen, komm in bekommen, hör in gehören, denen aber in
diesen Lexemen keine (Teil-)Bedeutung zugeordnet werden kann, sodass
man sie als „semantisch unikal“ bezeichnen könnte (Häcki Buhofer 2002,
155). Sie haben den Charakter von Quasi- oder Pseudomorphemen (v.
Polenz 1980, 172). Da sich die genannten Verben morphologisch jedoch an
die Präfixverben anschließen und nicht an Simplizia, denn sie bilden wie die
Präfixverben ihr Partizip II ohne ge- (entfacht, bekommen, gehört), sind sie
konsequenterweise als Präfixverben zu bestimmen. Dafür spricht außer-
dem, dass man die Segmente zumindest anhand ihrer Position als Stämme
identifizieren kann.
Bei diesen Wortanalysen – und das gilt auch für entsprechende Substan-
tive (Ohrfeige) und Adjektive (hässlich) – ist jedoch grundsätzlich zu beden-
ken, dass die Demotivation ein diachroner Prozess ist, dass viele Wortbil-
dungen folglich im Übergangsfeld zwischen Motivation und Demotivation
anzusiedeln sind. Die Entscheidung über den morphologischen Status der
Segmente solcher Wortbildungen hängt daher weitgehend davon ab, wel-
cher Raum diachronen Aspekten in der synchronen Beschreibung zugestan-
den wird.

1.6.6 Fugenelemente

Fugenelemente sind semantisch „leere“ Segmente in der Kompositions-


oder Derivationsfuge komplexer Lexeme wie z. B. -s- in Entzug s erscheinung,
Hoffnung s schimmer, vertrag s gerecht, ahnung s los, frühling s haft. Sie
werden nicht willkürlich gesetzt, sondern ihr Vorkommen unterliegt be-
stimmten Bedingungen. Welches Fugenelement gewählt wird, hängt in der
1.7 Modellierung 67

indigenen Wortbildung von der Laut- und Silbenstruktur des Erstgliedes


und dessen Flexionseigenschaften ab, außerdem von dessen Wortbildungs-
struktur (¢ 1.7.1.1; Nübling/Szczepaniak 2009). Insofern ist es angemessen,
Stämme mit Fugenelement in Erstgliedposition als spezifische Stammfor-
men zu bestimmen (Fuhrhop 1998, 22ff.; ¢ 1.6.1).
Fugenelemente haben verschiedene Funktionen. Als allgemeine Funkti-
onen, die wohl die meisten Vorkommensfälle einschließen, können die Glie-
derungsfunktion und die prosodische Funktion genannt werden. Fugen-
elemente markieren die Grenze zwischen erster und zweiter unmittelbarer
Konstituente (DWb 4, 51), silbische Fugenelemente sichern z. B. die trochä-
ische Struktur des Erstgliedes. Bei mehrfach komplexen Lexemen können
Fugenelemente die Hauptfuge kennzeichnen (vgl. Werk zeug, aber Hand-
werk s zeug) und dadurch die Rezeption solcher Lexeme erleichtern. Gele-
gentlich dient ihr Gebrauch der semantischen Differenzierung, und zwar
v.a. bei polysemen Erstgliedern (Geschichtsbuch – Geschichtenbuch, Stab-
hochsprung – Stabsarzt).
In indigenen substantivischen Komposita mit substantivischem oder
verbalem Erstglied treten folgende Fugenelemente auf: -es- (Jahr es gehalt),
-s- (Menschheit s traum), -en- (Kandidat en wahl), -n- (Dose n pfand),
-er- (Häus er meer), -ens- (Herz ens bildung), -ns- (Namenstag),
-e- (Bad e schuh). Adjektivische und unflektierbare Erstglieder werden da-
gegen ohne Fugenelement an das Zweitglied angeschlossen (Heißluft, Ab-
gas); zum Fugenelement bei der substantivischen Komposition ¢ 2.2.12; in
der Fremdwortbildung ¢ 1.9.2.3.

1.7 Modellierung

1.7.1 Ziel der Modellierung

Wortbildung vollzieht sich nicht willkürlich, sondern nach bestimmten


Modellen, von analog-holistischen Bildungen hier abgesehen (¢ 1.7.2.1). Das
Ziel der Modellierung besteht hauptsächlich darin, verallgemeinerbare Bil-
dungsprinzipien zu erkennen, zu systematisieren und Wortbildungen damit
in eine beschreibbare Ordnung zu bringen.
Als terminologische Entsprechungen zu Modell finden sich auch „Wortbildungsmus-
ter“ (DWb 2, 105; Olsen 1986a, 51 f.; Eichinger 2000, 11; Motsch 2004, 1) oder „Wort-
bildungsregel“ (Becker 1997, 161; Meibauer 2002, 43).
68 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Ein Wortbildungsmodell ist ein morphologisch-syntaktisch und lexikalisch-


semantisch bestimmtes Strukturschema, das sich bei der Analyse gleich-
strukturierter morphosemantisch motivierter Wortbildungen ermitteln
lässt (Fleischer 1980) und das unter bestimmten Bedingungen (¢ 1.7.2.2) als
Muster für Neubildungen dient. Modelle sind z.B. das Strukturschema
Verbstamm + Adjektivsuffix -ig mit der Wortbildungsbedeutung ,Neigung
zu der durch den Verbstamm bezeichneten Tätigkeit bzw. Verhaltensweise
habend‘: bummelig, taumelig, rührig u.a. oder das Schema Adjektivstamm +
Substantivsuffix -heit mit der Wortbildungsbedeutung Nomen Qualitatis:
Dummheit, Klugheit.

Der so bestimmte Terminus Wortbildungsmodell umfasst demnach sowohl den syn-


thetischen als auch den analytischen Aspekt der Modellierung. Wir geben damit zwar,
einer neueren Entwicklung folgend, die terminologische Differenzierung zwischen
Modell und Typ auf, behalten den begrifflichen Unterschied jedoch bei. Wir differen-
zieren entsprechend zwischen produktiven und unproduktiven Modellen mit gleiten-
den Übergängen zwischen den „Polen“ (vgl. produktive und unproduktive Bildungs-
regeln, Becker 1997, 165; aktive und inaktive Muster, Motsch 2004, 18 ff.).

Die Bestimmung einer allen Einzelfällen gemeinsamen Invariante macht das


Wesen der Modellierung aus. Die Modelle können einen höheren oder einen
niedrigeren Abstraktionsgrad haben – je nachdem, wie umfassend der ge-
wählte Invarianzbereich ist. Die Modellierung kann sich an unterschiedli-
chen Parametern orientieren. Als relevante Parameter werden hier die
Struktur einer Wortbildung, die morphosyntaktischen Eigenschaften ihres
Inputs sowie ihre Wortbildungsbedeutung aufgefasst (¢ 1.7.1.3). Phonolo-
gische Merkmale der Wortbildungseinheiten werden gelegentlich berück-
sichtigt.
Produktiv sind Modelle dann, wenn sie für Neubildungen genutzt wer-
den. Als unproduktiv gelten diejenigen, die in der Gegenwartssprache zwar
durch lexikalisierte Wortbildungen vertreten sind, nach denen aber keine
neuen Wörter mehr entstehen. Wortbildungen solcher unproduktiven Mo-
delle können durchaus noch in ausgebauten Reihen vorhanden sein wie die
substantivischen deverbalen -t-Derivate (Fahrt, Naht, Sicht; Henzen 1965,
184) oder die weit schwächer ausgebildete Reihe der Präfixverben auf ob-
(obsiegen, -walten). Vereinzelte synchron nicht mehr analysierbare Relikte
sind dagegen die Adjektive töricht, barfuß, barhaupt (aber: barbusig, -brüstig,
-füßig, -häuptig).
Zwar sind bei lexikalisierten Wortbildungen immer Demotivierungs-
prozesse (¢ 1.5.4.1) wirksam, solange jedoch nicht vollständige Demotivati-
on wie bei töricht eingetreten ist, lassen sich Bildungsmodelle ermitteln. Sie
1.7 Modellierung 69

können in einer Wortbildungsbeschreibung nicht unberücksichtigt bleiben,


zumal sie Ansatzpunkte für analogische Neubildungen darstellen (¢ 1.7.2.1)
und „das jeweilige Muster synchron stützen“ (Klein/Solms/Wegera 2009, 9).
Insofern besitzen sie auch für die synchrone Beschreibung Relevanz (anders
Becker 1997, 163).

1.7.1.1 Strukturelle und morphologische Modellierung


Der Struktur nach sind Wortbildungen binär oder nichtbinär. Unter Bina-
riät versteht man die Segmentierbarkeit einer komplexen Wortbildung in
unmittelbare Konstituenten. Das sind die beiden Konstituenten, aus denen
ein Lexem unmittelbar gebildet ist und in die es sich auf der nächstniedri-
geren Ebene zerlegen lässt. Im Unterschied zur linearen Morphemanalyse
erhellt die Analyse der unmittelbaren Konstituenten die hierarchische
Struktur von Wortbildungen, denn sie ermittelt den letzten Wortbildungs-
schritt, unabhängig davon, wie komplex die Konstituenten sind. Für die
Bestimmung der Wortbildungsart ist der Komplexitätsgrad der unmittel-
baren Konstituenten irrelevant (¢ 1.8.1), entscheidend ist vielmehr deren
morphologischer Status, und zwar die Wortfähigkeit. Wenn beispielsweise
beide unmittelbaren Konstituenten eines komplexen Substantivs wortfähig
sind, handelt es sich um ein Kompositum (zu Syntagmen als Erstglied s. u.).
Wenn nur eine wortfähig und die andere gebunden ist, liegt ein Derivat vor.
Der Wortbildungsanalyse ist stets das Lexem als Analysegegenstand zugrun-
de zu legen, nicht ein syntaktisches Wort (¢ 1.6.1), denn die unmittelbaren
Konstituenten einer komplexen Flexionsform sind auf der ersten Ebene
Wortstamm und Flexionsmorphem; sie vermögen noch nichts über die
Wortbildungsstruktur auszusagen, vgl. die Genitiv-Singular-Form (des)
Grundstück s.
Für die Ermittlung der Binarität komplexer Lexeme sind vornehmlich
semantische Kriterien, gestützt durch distributionelle, maßgebend. Man
vergleiche die unmittelbaren Konstituenten der folgenden Wortbildungen:
Personenaufzug – Personen + Aufzug, Beschäftigung – beschäftig(en) + -ung,
Unübertrefflichkeit – unübertrefflich + -keit, Überanstrengung – überan-
streng(en) + -ung, hochwissenschaftlich – hoch + wissenschaftlich, kunst-
wissenschaftlich – Kunstwissenschaft + -lich. Welche Segmente eines kom-
plexen Lexems als unmittelbare Konstituenten anzusehen sind, erschließt
sich aus dessen lexikalischer Bedeutung. Für manche Wortbildungen
müssen zwei Analysemöglichkeiten eingeräumt werden, was bedeutet, dass
sie doppelmotiviert sind (zur Doppelmotivation vgl. Kienpointner 1985, 3).
Sie repräsentieren zwei verschiedene Modelle: drogensüchtig – Drogensucht +
-ig und Drogen + süchtig, Unmenschlichkeit – un- + Menschlichkeit und
70 1 Grundsätze und Grundbegriffe

unmenschlich + -keit, Softwaregestaltungsfrage – Software + Gestaltungsfrage


und Softwaregestaltung + Frage.
Kopulativkomposita aus drei Komponenten wie schwarz-rot-golden fügen
sich der Zweigliedrigkeit nicht. Auch bei fachsprachlichen Wortbildungen
liegt teilweise eine andere Struktur vor (Sternkopf 1986/87, 278f.). Als binär
sind dagegen Wortbildungen wie Schwarzmeerhafen < Schwarzes Meer +
Hafen, Rote-Rüben-Suppe < Rote Rüben + Suppe sowie blauäugig < blaue
Augen + -ig anzusehen, bei denen die erste unmittelbare Konstituente kein
Wortstamm, sondern ein (oft formal variiertes) Syntagma ist.
Schließlich bilden auch syntaktisch unverbundene Wortreihen Kompo-
sitionserstglieder wie in Hals-Nasen-Ohren-Arzt, Mutter-Kind-Kur (wie
andere Komposita auch gelegentlich ohne Bindestriche zu finden: Mutter
Vater Kind Kur, Internet 2010; ¢ 1.2.4).
Die Wortbildung des Substantivs, Adjektivs und vereinzelt des Verbs
kennt zahlreiche Ableitungen mithilfe von Zirkumfixen: Ge red e, be brill t,
un ausweich lich, be fest ig(en). Als unmittelbare Konstituenten sind bei
dieser Wortbildungsart die Derivationsbasis und das Zirkumfix – eine dis-
kontinuierliche unmittelbare Konstituente – zu bestimmen.
Nichtbinäre Wortbildungen, und zwar Konversionen und Rückbildun-
gen, beziehen sich als Ganzes auf ihre Motivationsbasis, die ein Lexem oder
ein Syntagma sein kann. Für die Modellierung sind der morphosyntaktische
Status der Basis und die Wortart des Bildungsprodukts anzugeben.
Wie in der Syntax, so hat die Konstituentenanalyse auch in der Wortbil-
dung ihre Grenzen. Das betrifft zum einen demotivierte Wortbildungen, die
sich nicht in unmittelbare Konstituenten zerlegen lassen, weil sich ihre
Bedeutungen nicht regulär aus den Motivationsbedeutungen ergeben
(¢ 1.5.4.1; ¢ 1.6.5; ¢1.7.1). Zum anderen gilt das für komplexe Wortbildungen,
deren Bildungsweise anders zu erklären ist (Erfolg, Versuch; ¢ 1.8.1.3). Das
Bestreben, die letztgenannten Bildungen doch als binär auffassen zu kön-
nen, hat in verschiedenen theoretischen Darstellungen zur Einführung eines
„Nullmorphems“ als Wortbildungsmittel geführt (vgl. z.B. Marchand 1969,
359 ff.; Kastovsky 1981, 316ff.).

Eine phonemisch nicht besetzte Stelle im Auslaut einer derivierten Wortbildung gilt
nach dieser Auffassung dann als Nullmorphem, wenn Derivationsbasen derselben
Wortart auch durch Suffigierung in ebendiese semantische Klasse überführt werden,
wenn die Wortbildungen ohne Affix „in Opposition“ (Kastovsky 1981, 319) zu anderen
Derivaten mit der gleichen Wortbildungsbedeutung stehen. So wären Lauf, Erwerb usw.
Ableitungen mit Nullmorphem, da ihnen Nomina Actionis mit Suffixen gegenüber-
stehen: Lauferei, Erwerbung.
1.7 Modellierung 71

Die Annahme eines Nullsuffixes hat sich, wie zahlreiche Diskussionen er-
geben haben, für das Deutsche nicht bewährt (vgl. Bergenholtz/Mugdan
1979a, 67 ff.). Die Argumente gegen die Etablierung eines Nullmorphems als
Konstituente affixloser Wortbildungen fasst Olsen (1986a, 117) in Bezug auf
die deverbalen Substantive zusammen. „Das postulierte Ø-Suffix würde
nicht nur drei Genera erfassen, sondern darüber hinaus innerhalb jedes
einzelnen Genus verschiedene Flexionsklassen“ (der Treff, die Schau, das
Grab). „Dies stellt kein typisches Verhalten eines Nominalsuffixes dar, denn
ein Nominalsuffix bestimmt eindeutig das Genus und die Flexion des Wor-
tes“ (ebd.). Außerdem wäre für die durch Konversion entstehenden Verben
wie reifen, fischen ein weiteres Nullsuffix nötig, das dann in Opposition zu
verbbildenden Affixen stünde. Da jedoch die meisten Stämme der Haupt-
wortarten bereits wortartmarkiert sind, bedarf es bei der Wortbildungsbe-
schreibung keiner Kennzeichnung einer Wortartveränderung durch Kon-
version mithilfe des Nullsuffixes, denn die Konversionsbildungen sind eben
aufgrund der veränderten Wortart als sekundär identifizierbar (Naumann
2000, 15 f.).

Auch neuere Arbeiten zur Wortbildung verzichten bei den Strukturanalysen meist auf
die Annahme eines Nullmorphems, so etwa Eichinger 2000, 48 f. (mit kurzem kriti-
schem Kommentar); Meibauer 2002, 65 ff. (mit ausführlicher Argumentation gegen die
Etablierung von Nullmorphemen); Donalies 2005b. Wellmann (1998, 426) nennt die
Konversion Nullableitung, ohne jedoch ein Nullmorphem anzusetzen. Anders als noch
1986 plädiert Olsen 1990, 205ff. dagegen für die Annahme von Nullmorphemen.

Zu den Besonderheiten der strukturellen und morphologischen Modellierung von


Fremdwortbildungen ¢ 1.9.2.

1.7.1.2 Semantische Modellierung


Bei der semantischen Modellierung werden bestimmte Bedeutungseigen-
schaften von Wortbildungen ermittelt, und zwar jener „Anteil“ an der le-
xikalischen Bedeutung, den die Wortbildungen durch den Bildungsvorgang
erwerben, die Wortbildungsbedeutung (¢ 1.5.4.2). Sie kann auch Modell-
bedeutung genannt werden, denn Wortbildungen mit unterschiedlichen
Wortbildungsbedeutungen repräsentieren jeweils verschiedene Modelle.
Modellübergreifend gesehen erfasst die semantische Modellierung den
Sachverhalt, dass die Ausgangseinheiten von Wortbildungen beim Bildungs-
prozess je nach Wortbildungsart und morphologischem Status der beteilig-
ten Einheiten unterschiedlichen semantischen „Prozeduren“ unterzogen
werden. Sie werden entweder modifiziert oder transponiert (¢ 1.8.2.1).
72 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Dabei spielt eine Rolle, welcher Wortart Input und Output der Bildung
angehören und was sie bedeuten; zu Übersichten über Modifikations- und
Transpositionsarten beim Substantiv ¢ 2.1.3.1; ¢ 2.1.3.2; ¢ 2.2.2.3.1; beim Ad-
jektiv ¢ 3.1.4; beim Verb ¢ 5.1.3.
Die Beschreibung der Wortbildungsbedeutung erfolgt informell. In Ab-
hängigkeit von der Wortbildungsart und davon, ob Modifikation oder
Transposition vorliegt, werden z.T. unterschiedliche Formulierungen ge-
wählt. Bei den Modifikationsarten der Derivation wird beispielsweise ange-
geben, wie die jeweilige Derivationsbasis semantisch nuanciert wird (z. B.
Kindchen: Die Basis Kind wird diminuiert; die Wortbildungsbedeutung
lautet ,diminutiv‘). Bei der Transposition durch Suffixe wird in der Bezeich-
nung der Wortbildungsbedeutung beim Substantiv die entstandene Wortart
mit ausgewiesen; zu den Nomina Actionis gehören z.B. die Modelle, nach
denen Substantive mit einer „Geschehensbedeutung“ gebildet werden. In
anderer Redeweise: Zu den Nomina Actionis gehören abgeleitete Substan-
tive mit einer Geschehensbedeutung.
Die Ermittlung der Wortbildungsbedeutung sei exemplarisch an der sub-
stantivischen Komposition erläutert. Das Determinativkompositum Brot-
getreide bedeutet ,Getreide, aus dem Brot gebacken wird, besonders Roggen
und Weizen‘ (GWDS). Durch die Komposition mit Brot wird das Zweitglied
Getreide in Bezug auf einen bestimmten Verwendungszweck des Bezeich-
neten spezifiziert. Ein anderer Verwendungszweck des im Zweitglied Be-
zeichneten wird in Saatgetreide ,Getreide, das für die Aussaat vorgesehen
ist‘ ausgedrückt. Demnach verfügen beide Komposita trotz unterschiedli-
cher lexikalischer Bedeutung über eine semantische Gemeinsamkeit: Bei
beiden besteht zwischen Erstglied und Zweitglied die gleiche Beziehung,
d. h., beide Komposita verfügen über die gleiche Wortbildungsbedeutung
(¢ 1.5.4.2), und zwar ,final‘. Da sie auch strukturell und morphologisch
übereinstimmen (binär; Substantiv + Substantiv), repräsentieren sie das
gleiche Wortbildungsmodell. In Wintergetreide dagegen wird das mit dem
Zweitglied Bezeichnete zeitlich charakterisiert (,temporal‘): ,winterhartes
Getreide, das im Herbst gesät und im Sommer des folgenden Jahres geerntet
wird‘ (GWDS), vgl. auch Sommergetreide. Diese Komposita verkörpern folg-
lich ein anderes Modell.
Da die Wortbildungsbedeutung im Kompositum morphologisch nicht
repräsentiert ist („an der Oberfläche formal nicht gekennzeichnet“, Fan-
drych/Thurmair 1994, 36), sondern aus der lexikalischen Bedeutung und
der Motivationsbedeutung der Wortbildung erschlossen werden muss,
bietet sich als methodisches Hilfsmittel für die Interpretation auch hier die
Paraphrasierung des komplexen Wortes an (¢ 1.1.4). Die Paraphrase expli-
1.7 Modellierung 73

ziert die Wortbildungsbedeutung (bei Brotgetreide – Getreide für Brot durch


für, bei walnussgroß – groß wie eine Walnuss durch wie). Sie monosemiert ggf.
polyseme Komposita wie Schülerkonzert – Konzert von Schülern oder Konzert
für Schüler.
Auch für die semantische Modellierung der Derivation empfiehlt sich die
Paraphrasierung als methodische Hilfe. Allerdings ist zu beachten, dass das
jeweilige Affix in der Paraphrase durch ein Lexem ersetzt werden muss:
Köchin – weiblicher Koch, Urenkel – Sohn des Enkels oder der Enkelin,
kränklich – ein wenig krank.
Polyfunktionale Affixe prägen mehr als eine Wortbildungsbedeutung aus,
z.B. -ling bildet mit Adjektivstämmen Personen- oder Sachbezeichnungen
(Schwächling, Rohling ,roher Mensch‘oder ,Werkstück‘), un- verfügt mit
substantivischen Basen über die Wortbildungsbedeutungen ,negierend‘
(Unglück), ,taxierend‘ (Unwetter) oder ,augmentativ‘ (Unsumme) (¢ 1.8.2.2).
Umgekehrt können einige wenige Wortbildungsbedeutungen auch an
verschiedene Modellstrukturen gekoppelt sein. So lassen sich sowohl sub-
stantivische und adjektivische Determinativkomposita als auch adjektivi-
sche Derivate wortbildungssemantisch als ,komparativ‘ bestimmen: Zitro-
nenfalter ,gelb wie eine Zitrone‘, grasgrün ,grün wie Gras‘, lawinenartig ,wie
eine Lawine‘, eisig ,kalt wie Eis‘.

1.7.1.3 Modellierungsschritte
Für die Zuordnung einer Wortbildung zu einem Modell sind ihre struktu-
rellen, morphologischen und semantischen Merkmale (¢ 1.7.1.1; ¢1.7.1.2) in
folgenden Einzelschritten zu gewinnen (zur Analyse der hier nicht berück-
sichtigten Kurzwörter ¢ 2.7 und Fremdwortbildungen ¢ 1.9.2).
1) Ermittlung der Grund- oder Nennform der Wortbildung (Nominativ
Singular des Substantivs, unflektierte Grundform des Adjektivs, Infinitiv des
Verbs);
2) Analyse der Struktur (binär/nichtbinär), ggf. mithilfe einer Paraphrase;
bei binär gegliederten Verben Ermittlung der morphologischen und syntak-
tischen Trennbarkeit;
3) Bestimmung des morphologischen Status der unmittelbaren Konsti-
tuenten einer binären Wortbildung bzw. der motivierenden Einheit bei
einer nichtbinären Wortbildung. Als Konstituenten kommen infrage: Sub-
stantiv-, Adjektiv-, Verb-, Adverbstamm, Syntagma, Konfix, Präfix, Suffix
oder Zirkumfix, Verbpartikel, unikales Morphem.
4) Analyse der Fugengestaltung bei binären Wortbildungen, Bestimmung
der Stammform; außerdem ggf. Feststellung grafischer und morphologi-
74 1 Grundsätze und Grundbegriffe

scher Besonderheiten wie Bindestrich- oder Getrenntschreibung, Affix-


allomorphie;
5) Bestimmung der Wortbildungsart (Kompositum, Derivat, Konversion,
Partikelverbbildung) sowie der jeweiligen Unterarten (z. B. Determinativ-,
Kopulativkompositum; Präfix-, Suffix-, Zirkumfixderivat; morphologische
oder syntaktische Konversion);
6) Bestimmung der funktional-semantischen Klasse (Modifikation oder
Transposition), Ermittlung der Wortbildungsbedeutung (zur Problematik
¢ 1.5.4.2; ¢1.7.1.2).
Wieweit in die Modellbeschreibungen zusätzliche Angaben über die Pro-
duktivität und über Bildungsrestriktionen (¢ 1.7.2.2) aufgenommen werden
können, hängt vom Forschungsstand im Einzelnen ab.
Die Modellbeschreibung ist ferner nach Möglichkeit zu ergänzen durch Angaben zur
funktionalen Charakteristik der Bildungsprodukte. Das sind stilschichtliche Markie-
rungen wie umgangssprachlich oder salopp, z.B. bei Verben auf -s(en) wie knacksen,
mucksen (¢ 1.4.2.1) und ggf. textsortenspezifische Differenzierungen (¢ 1.4.2.2).

1.7.2 Produktivität und Akzeptabilität

Wortbildungsmodelle werden aus belegten Wortbildungen abstrahiert; es


sind demnach Modelle der Analyse. Als Generierungsregeln für Neubildun-
gen können sie nicht ohne Weiteres verstanden werden, denn sie erfassen die
Merkmale der Wortbildungen auf einer relativ hohen Abstraktionsebene
und lassen speziellere oder idiosynkratische Eigenschaften weitgehend un-
berücksichtigt. Das hat zur Folge, dass nicht jede lexikalische Einheit, die
ihrer Wortart nach modellgerecht wäre, tatsächlich auch als Input für eine
entsprechende Bildung verwendet werden kann. So lassen sich z.B. aus zei-
gen, hören, aufsehen keine -ung-Derivate bilden, obwohl das Modell eine
verbale Basis vorsieht. Modelle unterliegen demnach bestimmten Bildungs-
restriktionen, die ihre Produktivität beschränken (¢ 1.7.2.2). Das gilt in erster
Linie für die Derivation und Konversion; Komposition ist weniger restrin-
giert. Auch das Lexikon begrenzt durch die potenzielle Blockierung von
Wortbildungen die Produktivität (¢ 1.7.2.3).

1.7.2.1 Produktivität
Produktivität ist eine graduierte Eigenschaft von Wortbildungsmodellen
(¢ 1.7.1). In einer gewissen Verkürzung lässt sich auch von produktiven Af-
fixen sprechen, d. h. Affixen, die zu produktiven Modellen gehören (v.
Polenz 1980, 175).
1.7 Modellierung 75

Wortbildungsmodelle können (hoch)produktiv oder völlig unproduktiv


sein, mit vielen möglichen Abstufungen zwischen beiden Polen. Die Gra-
duierung wird von sprachinternen (modellspezifischen oder modellüber-
greifenden; Rainer 2000, 877) und auch von sprachexternen Faktoren be-
einflusst, die einander überlagern (im Überblick Scherer 2005, 35 f.; zur
Begründung eines graduellen Produktivitätsbegriffs vgl. Becker 1997, 164f.;
zur Produktivität exogener Modelle Munske 2009, 227ff.).
Hochproduktiv („massenhaft produktiv“, Bußmann 2002, 538) sind Mo-
delle dann, wenn sie nur wenige Restriktionen in Bezug auf phonologische,
morphologische, syntaktische und semantische Eigenschaften des Inputs
aufweisen (qualitatives Kriterium) und in hohem Maße auch für Neubil-
dungen genutzt werden (quantitatives Kriterium); dazu gehören heute im
Deutschen z.B. die Modelle deverbaler Adjektive auf -bar, deverbaler Sub-
stantive auf -er und deverbaler substantivischer Konversion (vgl. auch Olsen
1986a, 51ff. über „syntaxnahe Muster“). Schwach produktiv („gelegentlich
produktiv“, Bußmann 2002, 538) sind Modelle, wenn nur selten Neubil-
dungen vorkommen, z.B. substantivische Präfixderivationen mit erz- (Erz-
gegner, PDW 2005; Erz-Widersacher, PDW 2006; letztgenanntes Beispiel wie
zahlreiche andere mit erz- regelwidrig mit Bindestrich geschrieben), verbale
Suffixderivationen mit -el(n)/-l(n) (menscheln, kriseln) und desubstantivi-
sche Adjektive auf -en (papieren). Nach unproduktiven Modellen werden
höchst selten neue Lexeme gebildet, kommen aber gelegentlich doch vor,
vgl. Schwieger- + Substantiv Schwiegerhund (Internet 2010).
Jüngere Untersuchungen an umfangreichen englischen Textkorpora ha-
ben eine deutliche Korrelation zwischen Produktivität und Textfrequenz
von Modellen aufgedeckt. Danach liefert die Textfrequenz von Wortbildun-
gen Daten über die Produktivität der jeweiligen Modelle, wobei allerdings
textsortenspezifische Schwankungen zu berücksichtigen sind (¢ 1.4.2.2; zum
Einfluss von Korpuseigenschaften auf entsprechende Untersuchungsergeb-
nisse vgl. Klein/Solms/Wegera 2009, 12).

Enthält ein umfangreiches Textkorpus eine große Anzahl von Hapaxlegomena eines
Modells (singulär vorkommende Wortbildungen), zeugt dieser Befund von hoher Pro-
duktivität des Modells. Unproduktive Modelle sind dagegen dadurch gekennzeichnet,
dass die wenigen so gebildeten Wörter meist hochfrequent sind (Olsen 1995, 113 f.).
Das bestätigt beispielsweise im Deutschen das Modell verbaler Präfixbildung mit wider-.
Seine Produktivität in den beiden semantisch differenzierten Submodellen ,Entgegen-
wirkung‘ und ,Rückwirkung‘ ist schwach. Doch entsprechende Wortbildungen wie
widersprechen, -stehen gehören zum Grundwortschatz und kommen demzufolge in den
verschiedensten Textsorten häufig vor.
76 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Andere Kriterien für die Feststellung der Unproduktivität sind schwer bei-
zubringen.
Ein qualitatives Kriterium kann die mangelnde morphologische und se-
mantische Transparenz einer probeweise nach einem als unproduktiv ange-
sehenen Modell vorgenommenen Bildung sein, etwa *Les-t, *Stör-t von
lesen, stören nach Fahr-t. Als ein quantitatives Kriterium gilt die niedrige
Anzahl entsprechender Bildungen im Lexikon, als qualitatives Kriterium
deren fehlende Transparenz. Zu bedenken ist allerdings die Korrelation
beider Kriterien: Eine geringe Frequenz des Modells bedingt wohl auch eine
tendenzielle Undurchschaubarkeit der verbliebenen Wortbildungen (vgl.
Scherer 2005, 34). Für Motsch (2004, 22) kommt als weitere Einflussgröße
die Funktion der Wortbildungen in Betracht. Der Produktivitätsgrad kann
demnach davon abhängen, ob Wortbildungen des Modells vorrangig der
Bezeichnung neuer Begriffe dienen oder eher für die Textkonstitution
(Wortartwechsel, Verdichtung) gebraucht werden. Im zweiten Fall ist die
Produktivität tendenziell stärker ausgeprägt.
Schließlich ist noch die sprachliche Dynamik in Rechnung zu stellen; eine
diachrone Betrachtung vermag Tendenzen sowohl der Produktivitätsmin-
derung als auch der „Produktivitätserweiterung“ zu erkennen (Plank 1981,
95; vgl. Stricker 2000, 610ff.; ausführlich Scherer 2005 am Beispiel der -er-
Derivation). Die Veränderungen können sowohl formale und inhaltliche
Merkmale des Inputs eines Modells als auch dessen Output betreffen (Sche-
rer 2005, 37). Zur Messbarkeit der Produktivität von Bildungsmodellen
anhand historischer Quellen vgl. Klein/Solms/Wegera 2009, 11 ff.
Eine relativierende Feststellung zum Produktivitätsbegriff ist mit der Ein-
sicht verbunden, dass Wortbildung nicht nur – was bisher im Vordergrund
stand – nach Modellen, also „kompositionell-regulär“, erfolgt, sondern auch
„analog-holistisch“ (vgl. Coulmas 1985, 257 in Anknüpfung an Plank 1981).
Werden im ersten Fall die unmittelbaren Konstituenten von Wortbildungen
nach einem Modell kombiniert, so dient im zweiten Fall eine Wortbildung
als Ganzes (daher „holistisch“) als individuelles Vorbild für eine analogische
Neubildung: Wunderjugendliche, Wundererwachsene nach Wunderkinder
(Sonntag 1987), Landlust (Name einer Zeitschrift) nach Landluft ,reine,
gesunde Luft‘, Stehauf-Frau nach Stehaufmännchen (über eine Sportlerin,
die nach einer Niederlage wieder siegte; LVZ 2010), Hinterfrau nach Hinter-
mann (im Boot). Als „korrelative“ Bildungen sind entsorgen (zu versorgen
wie das geläufige enthüllen zu verhüllen), entschleunigen (zu beschleunigen)
und das okkasionelle verflüstern (zu flüstern wie verrufen zu rufen) entstan-
den: „[…] das vieldiskutierte und als formalistisch verflüsterte Stück […]“
(H. Baierl). Es scheint, dass das analog-holistische Prinzip bevorzugt für
1.7 Modellierung 77

„bewusste innovative Leistung“ gilt, „während bei spontanen Bildungen


nach allgemeineren Regeln der Grad des Bewusstseins, ein neues Wort zu
kreieren, gering sein dürfte“ (Plank 1981, 250f.; vgl. Becker 1997, 197; gegen
eine „allzu strikte Grenzziehung“ zwischen beiden Verfahren wendet sich zu
Recht Eichinger 2000, 32 f.).
Daraus ergibt sich, dass die Feststellung der Unproduktivität nur gelten
kann für das kompositionell-reguläre, nicht für das analog-holistische Prin-
zip. Zum Ganzen vgl. auch Motsch (1988, 33), der „die Begriffe Wortbil-
dungsregel, analogische Wortbildung und Produktivität auf einen einheit-
lichen Phänomenbereich zurückzuführen“ strebt, und zwar „auf ihrer
Natur nach psychologische Mechanismen der Abstraktion von Eigenschaf-
ten aus lexikalisierten komplexen Strukturen“.

1.7.2.2 Bildungsrestriktionen
Die Produktivität von Wortbildungsmodellen unterliegt modellspezifischen
und auch modellübergreifenden systematischen Beschränkungen, deren
Missachtung zu ungrammatischen Bildungen führen kann (Rainer 2000,
881 ff.; Eisenberg 2006, 278). Das betrifft in erster Linie Derivate. Von den
Verben hoffen und meinen fehlt beispielsweise das Derivat auf -er (*Hoffer,
*Meiner; ¢ 1.4.2), obwohl gerade das Derivationsmodell Verb + -er als hoch-
produktiv gilt, vgl. Denker, Träumer; Versöhner (LVZ 2010). Die Kategorie
Wortart als Merkmal des Inputs ist offenbar für dieses Modell zu unspezi-
fisch, als dass ungrammatische Bildungen auszuschließen wären. Oder
anders gesagt, nicht alle Exemplare einer Wortart „passen“ als Input in das
Modell. Man fasst solche Beschränkungen der Reichweite der Modelle als
Bildungsrestriktionen zusammen.
Bildungsrestriktionen sind Limitierungen bestimmter Eigenschaften des
Inputs und/oder des Outputs des einzelnen Modells oder ganzer Modell-
gruppen (Scherer 2005, 88 ff.; vgl. „basis- und resultatsorientierte Beschrän-
kungen“ bei Plank 1981, 92f.). Modellübergreifend restringiert sind im
Deutschen beispielsweise exogene substantivische Suffixe. Sie verbinden
sich im Wesentlichen nur mit exogenen Stämmen und nicht mit indigenen
(Vitalität – *Gesundität; ¢ 1.9.3.2).
Modellspezifische Inputbeschränkungen von Derivationsmodellen, um
die es hier exemplarisch gehen soll, betreffen phonologische, morphologi-
sche, syntaktische oder semantische Eigenschaften der Basis von Derivaten
(Olsen 2000, 111f.; Naumann 2000, 32 ff.).
1) Phonologische Restriktionen können auf bestimmten phonologischen
Eigenschaften der Basis beruhen, und zwar auf dem Stammauslaut, dem
78 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Wortakzent oder auf der Silbenstruktur (¢ 1.2.3). Der Basisauslaut ist z.B.
maßgebend für die Verteilung der Diminutivsuffixe -chen und -lein. Basen
auf -ch nehmen -lein, solche auf -l verbinden sich mit -chen (Tüchlein, Bäll-
chen). Endet die Basis auf eine Schwasilbe, wird diese getilgt, sodass beide
Suffixe (je nach Auslaut der Basisvariante) alternativ angefügt werden
können (Stündchen, -lein).
Für die Basen der Derivation mit -heit sind Wortakzent und Silbenstruk-
tur entscheidend. Das Suffix -heit steht bei einsilbigen oder endbetonten
mehrsilbigen Basen (Klug-, Kühnheit, Gesund-, Obligatheit). Die Varianten
-keit und -igkeit sind in diesen Umgebungen in der Regel ausgeschlossen
(dagegen Überlappungen bei Basen auf -er: Sicherheit, Sauberkeit; ¢ 2.3.2.7).
2) Zu den morphologischen Beschränkungen gehört der Ausschluss prä-
figierter Basen bei der Bildung deverbaler Nomina Actionis auf ge-…-e
(laufen > Gelaufe, aber verlaufen > *Vergelaufe; zur Komplexität der Basen
von -er-Derivaten vgl. Scherer 2005, 91 f.).
3) Als syntaktische Beschränkung gelten syntaktische Eigenschaften von
Basen, die deren Verwendung in bestimmten Modellen ausschließen. So
bilden Verben, die einen Dativ regieren, in der Regel keine Nomina Actionis
auf -ung, vgl. *Helfung, *Dankung, *Misstrauung (Beispiele bei Eisenberg
2006, 278). Allerdings könnte hier auch die Blockierung der -ung-Derivate
durch Hilfe, Dank und Misstrauen wirksam sein (¢ 1.7.2.3).
Die für -bar-Derivate mitunter genannte Restriktion, dass neue Derivate
nur mit transitiven Verben gebildet würden (Meibauer 2002, 46), scheint
nicht zuzutreffen, wie jüngere Belege zeigen: verrottbares Material (Donalies
2005b, 109). Offensichtlich dient hier die Reihe lexikalisierter Derivate von
intransitiven Verben wie brennbar, klagbar, fließbar als Bildungsvorbild (zur
Vorbildrolle einzelner Lexeme für Neubildungen vgl. Becker 1997, 166f.; zu
analog-holistischer Wortbildung ¢ 1.7.2.1).
4) Semantische Beschränkungen liegen dann vor, wenn die lexikalische
Bedeutung der Basen ausschlaggebend ist für die Verbindbarkeit mit be-
stimmten Affixen. Zustandsverben (ähneln, geschehen, leben, liegen, wohnen)
und unpersönliche Witterungsverben (donnern, hageln, schneien, tauen)
können beispielsweise nicht als Basis für Derivate mit -er in der Bedeutung
,Nomen Agentis‘ fungieren (leben > *Leber, geschehen > *Gescheher, hageln >
*Hagler; DWb 2, 342). In anderer Bedeutung von regnen kommt allerdings
Regner ,Bewässerungsgerät‘ vor; abweichend auch Besitzer ,jmd., der etwas
besitzt‘ vom Zustandsverb besitzen.
Eine andere Art semantischer Beschränkung besteht in der Inkompati-
bilität bestimmter Konnotationen. Wenn die Konnotation des Modells und
1.7 Modellierung 79

die Konnotation der verwendeten Wortbildungseinheiten nicht zueinander


passen wie in *Speiserei, *Gespeise entstehen abweichende Bildungen, denn
Lexeme der gehobenen Stilschicht sperren sich gegen die pejorativ konno-
tierten Modelle mit -erei und ge-…-e.
Zu semantisch bedingten Restriktionen beim substantivischen Kompo-
situm ¢ 2.2.2.4.
Auch wenn bislang nicht alle Restriktionen von Wortbildungsmodellen
erschlossen sind, muss zusätzlich mit nicht systematisch deutbaren Zufällen
gerechnet werden. Es ist weitgehend Konsens, dass die Produktivität nicht
erschöpfend und „nicht systematisch bestimmbar [ist] durch die Angabe
von Basisbeschränkungen“ (Olsen 1995, 111).

1.7.2.3 Blockierung
Wortbildungsmodelle unterliegen nicht nur grammatischen und semanti-
schen Beschränkungen, sondern sind auch lexikongebunden (Motsch 2004,
19). Das zeigt sich daran, dass das Lexikon den Gebrauch durchaus modell-
gerecht gebildeter Wortneubildungen verzögern oder verhindern kann. Be-
stimmte mögliche Wortbildungen kommen nicht vor, weil sie „uner-
wünschte formale oder semantische Eigenschaften haben“ (Plank 1981,
148). Für diese Limitierungsrolle des Lexikons hat sich der Terminus Blo-
ckierung eingebürgert.
Das Lexikon (¢ 1.3) blockiert die Anwendung von Wortbildungsmodellen
vor allem dann, wenn die Neubildungen synonym oder homonym zu ge-
läufigen Lexemen sind (zu weiteren Blockierungsgründen Werner 1995,
56 ff.). So ist *Großheit durch Größe blockiert, *Reiser durch Reisender oder
*ungroß durch klein. Die Blockierung gilt zwar nicht durchgängig, denn
Schwäche besteht neben Schwachheit, ungut neben schlecht usw., ist jedoch
nicht grundsätzlich infrage zu stellen (Eisenberg 2006, 278; zur Relativie-
rung einer systematischen Blockierung v. Polenz 1980, 175; Plank 1981,
173 ff.; Werner 1995, 52ff.; Erben 2006, 113).
Es ist vielfach darauf verwiesen worden, dass nur lexikalisierte Einheiten
entsprechende Neubildungen blockieren. Deshalb blockieren sich die nicht-
lexikalisierten deverbalen Substantive auf -erei und ge-…-e meist nicht ge-
genseitig, vgl. Getanze, Tanzerei. Das gilt auch für die meisten Diminuierun-
gen mit -chen und -lein (Fensterchen, Fensterlein).
Das Beispiel Leber verdeutlicht, dass eine lexikalische Lücke mitunter
gleichzeitig als Inputbeschränkung und auch als Blockierung erklärt werden
kann, denn *Leber ,Person, die (gern) lebt‘ kann durch die Verbsemantik
ausgeschlossen, aber auch durch Leber ,inneres Organ‘ und/oder Lebemann
blockiert sein (¢ 1.7.2.2; Erben 2006, 99).
80 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Wie die Blockierung einer Wortneubildung durch das Lexikon ist auch
mangelnde begriffliche Relevanz einer Wortbildung eine gewichtige Out-
putbeschränkung. Wenn für eine neue Bezeichnung in einer Sprachgemein-
schaft kein Bedarf besteht, gilt das entsprechende Lexem meist als unge-
wöhnlich oder gar falsch und kann sich nicht auf Dauer behaupten. Lexi-
kalische „Lücken“, die ohne Weiteres durch eine Wortbildung geschlossen
werden könnten und für die es keine plausible, auf Systemeigenschaften
basierende Erklärung gibt, beruhen meist auf solchen pragmatischen Fak-
toren, vgl. süß > süßen, aber herb > *herben, bitter > *bittern (aber er-,
verbittern in metaphorischer Bedeutung). Vom Substantiv Stirn wird nicht
*stirnig abgeleitet, obwohl es morphologisch möglich wäre und andere Sub-
stantive aus diesem Wortfeld die Verbindung mit -ig eingehen wie in bucklig,
bauchig, weil der Begriff in dauerhafter Fixierung offenbar nicht gebraucht
wird; vgl. auch *Fasanin ,weiblicher Fasan‘, *armig, *äugig u.v.a. (Plank
1981, 99, 115).
Manche Lücken sind aber auch zufällig.

1.7.2.4 Akzeptabilität
Wortbildungen, die modellgerecht und systemkonform gebildet sind,
können mitunter dennoch „Anstoß oder Heiterkeit“ erregen (v. Polenz
1972, 406), d.h., sie werden nicht als akzeptables Lexem der deutschen Spra-
che anerkannt, vgl. kindersprachliche Bildungen wie Luftpumper (Duden-
band 4, 2009, 642).
Entscheidend für die sogenannte Akzeptabilität eines modellgerecht ge-
bildeten Lexems sind unseres Erachtens die möglichen Beziehungen
1) auf das Lexikon und seine Strukturen sowie
2) zur außersprachlichen Realität, die z.B. „kulturell-semantische Restrik-
tionen“ bedingen kann (vgl. v. Polenz 1972, 408; Plank 1981, 110ff. mit
Hinweis z. B. auf *kamelen gegenüber ochsen und hechten).
Es sind demnach meist Blockierungsgründe, die die Akzeptabilität ver-
hindern (¢ 1.7.2.3). Eine wichtige Rolle spielt zudem der Verstehensaufwand,
den die Rezipienten betreiben müssen.
Bleiben 1) und 2) negativ, wird die betreffende Wortbildung erst einmal
der Ablehnung verfallen, wenn sie isoliert genannt wird, etwa bei einer
Informantenbefragung. Derartige Urteile erweisen sich aber als revisions-
fähig, sobald die betreffenden Bildungen in Textzusammenhängen rezipiert
werden, in denen sowohl die sprachlichen als auch die außersprachlichen
Voraussetzungen für die Akzeptanz geschaffen sind (vgl. entsprechende Bei-
spiele bei Fleischer 1979b, 325; Wildgen 1982; Heringer 1984; 2009, 118ff.;
1.7 Modellierung 81

Naumann 2000, 64 ff.; ¢ 1.4.2). Unter Berücksichtigung der „Vorkommens-


struktur“ eines Wortes (Kanngießer 1985, 179) kann offensichtlich jede mo-
dellgerechte Wortbildung akzeptabel gemacht werden. Dass man statt der
Dichotomie ,akzeptabel‘ – ,nicht akzeptabel‘ besser abstufen sollte ,üblich‘ –
,bekannt‘ – ,unter Umständen möglich‘ o.Ä. (vgl. v. Polenz 1972, 407) oder
einen „niedrigeren“ von einem „höheren Akzeptabilitätsgrad“ unterschei-
den sollte (Plank 1981, 96), bleibt davon unberührt (vgl. auch Steinitz 1984,
22 über die Markierung „okkasionell“).
Neuere Informantenbefragungen haben ergeben, dass die dominierenden Kriterien bei
der Bewertung okkasioneller Wortbildungen Verständlichkeit und Angemessenheit
sind. Wortneubildungen mit diesen Eigenschaften werden „im alltagssprachlichen Ver-
halten“ am wahrscheinlichsten akzeptiert (Stein 2007, 483). Das Verständnis befördern
nach diesen Studien sowohl Informationen aus dem Text als auch in starkem Maße die
paradigmatische Vernetzung einer Wortneubildung etwa durch Wortfamilienbezie-
hungen.

1.7.3 Aktivität

Wortbildungsaktivität ist die Eigenschaft von Wortbildungseinheiten, für


neue Wortbildungen verwendbar zu sein (zum Terminus Fleischer 1978, 82;
in der Slawistik auch: Wortbildungspotenz, vgl. Ohnheiser 1981, 29). In
analytischer Sicht erfasst man mit der Wortbildungsaktivität den gegenwär-
tigen Entfaltungsgrad der Wortstämme, den man am Umfang der jeweiligen
Wortfamilie messen kann (¢ 1.8.2.3), sowie den der Affixe und Konfixe.
Wortstämme sind in unterschiedlichem Grad wortbildungsaktiv. So ist
beispielsweise die Wortbildungsaktivität des Verbs heischen (erheischen, bei-
fallheischend, veraltet Geheisch, phrasemisch gebunden sich anheischig ma-
chen) deutlich geringer als die des semantisch nahen Verbs fordern (ab-, an-,
er-, herausfordern, Forderung, Forderungscharakter u.a.).
Der Grad der Wortbildungsaktivität von Stämmen ist meist für Kompo-
sition und Derivation unterschiedlich. Er wird durch verschiedene Faktoren
beeinflusst:
– durch die Wortart der Stämme: Substantivstämme sind am aktivsten;
– durch die morphologische Struktur der Stämme: Während die Neigung
zur Derivation bei zunehmender Komplexität der Basis deutlich ab-
nimmt (vgl. die Übersichten bei Ohnheiser 1987, 20, 28 ff.; Augst 2000,
11), lässt sich das für die Kompositionsaktivität nicht in gleicher Weise
sagen. So ist das Simplex krank Basis für recht zahlreiche Derivate (kränk-
lich, krankhaft, erkranken, Krankheit), von komplexen Stämmen ist da-
82 1 Grundsätze und Grundbegriffe

gegen oft nur jeweils ein Derivat üblich (Kränklichkeit, Krankhaftigkeit,


Erkrankung, krankheitsmäßig). Komposita werden dagegen in größerer
Zahl gebildet (Krankheitserreger, -ursache, -bild, Kinder-, Hautkrankheit);
– durch die Bedeutung, insbesondere den Grad der Polysemie der Stämme:
Die Wortsemantik bedingt bestimmte Präferenzen bei der Nutzung der
möglichen Wortbildungsmodelle. Farbadjektive z. B. bilden bevorzugt
Komposita mit den Wortbildungsbedeutungen ,komparativ‘ (krebsrot,
grasgrün, stahlblau), ,graduierend‘ (hellrot, tiefblau, zartgrün), ,koordi-
nierend‘ (blaurot, braunrot), substantivische Derivate und Konversionen
als Nomen Qualitatis (die Röte, das Blau) sowie ingressive und kausative
Verben (grünen, schwärzen). Bei polysemen Stämmen sind in der Regel
die sogenannten Hauptbedeutungen (Schippan 1987, 169f.) am aktivs-
ten, und zwar sowohl in Bezug auf die Quantität unterschiedlicher Mo-
delle als auch hinsichtlich der Frequenz von deren Realisierung. So sind
z.B. die meisten simplizischen Farbadjektive (rot, grün, blau, grau) poly-
sem, bilden jedoch nur wenige Wortbildungen, in denen sich eine andere
als die „Farblesart“ nachweisen lässt (wie in Grauzone ,Übergangsbe-
reich‘ oder schwarzarbeiten ,ohne behördliche Anmeldung arbeiten‘);
– durch die außersprachliche Relevanz des benannten Begriffs: Bei den Per-
zeptionsadjektiven z.B. zeichnen sich die zentralen Adjektive, wie süß,
sauer, bitter bei den Geschmacksbezeichnungen, durch eine erheblich
stärkere Wortbildungsaktivität aus als die peripheren, weniger typischen
(fad, herb, schal). Vgl. auch das Verhältnis zwischen heiß, warm, kalt; hell,
dunkel einerseits und lau, lind, klamm; fahl, grell andererseits.

1.8 Klassifizierung
Klassen von Wortbildungen mit gleichen strukturellen und morphologi-
schen Eigenschaften nennen wir Wortbildungsarten (¢ 1.8.1), solche mit
gleichen wortbildungssemantischen Eigenschaften funktional-semantische
Klassen. Mehrere Wortbildungen desselben Modells bilden Wortbildungs-
reihen. Zu Wortfamilien werden schließlich Wortbildungen zusammenge-
fasst, die über ein rekurrentes Grundmorphem verfügen (¢ 1.8.2).
Erfasst man zunächst auf allgemeinster morphologischer Ebene, durch
welche Prozeduren neue Lexeme entstehen, ohne hier schon einzelne Arten
charakterisieren zu wollen, lassen sich die Kombination von Wortbildungs-
einheiten, die Veränderung der Wortart der Ausgangseinheiten und die Til-
gung bzw. Kürzung von Syntagmen, Lexemen und Lexemteilen als typische
Verfahren herausstellen. Eine andere Systematik der „Grundmöglichkeiten“
1.8 Klassifizierung 83

bietet Wellmann (1998, 419f.): Addition, Tilgung, Substitution und Per-


mutation einschließlich einer Verknüpfung dieser Möglichkeiten.
Die Kombination umfasst entsprechend den heterogenen Ausgangsfor-
men eine besonders reiche Vielfalt an Möglichkeiten. Kombiniert werden
können Wortstämme miteinander: Goldfisch, goldrichtig; Wortstämme mit
Affixen: goldig, vergolden; Syntagmen mit Stämmen oder Affixen: Golden-
Goal-Regel, Goldgräber, goldhaarig; Konfixe miteinander: Thermostat; Kon-
fixe mit Stämmen oder Affixen: Thermojacke, thermal.
Das zweite Verfahren zur Gewinnung neuer Lexeme, der Wortartwechsel
ohne Beteiligung weiterer Einheiten, betrifft naturgemäß vor allem Sub-
stantive, Adjektive und Verben als Ausgangselemente: Öl > ölen, Orange >
orange, kurz > kürzen, erhalten > Erhalt. Aber auch aus Syntagmen werden
Lexeme gebildet: auswendig lernen > das Auswendiglernen.
Einer Kürzung können schließlich sowohl Wortstämme als auch Syntag-
men unterzogen werden: Präimplantationsdiagnostik > PID, Allgemeine
Ortskrankenkasse > AOK, wobei, wie die Beispiele belegen, aus unterschied-
lich strukturierten Ausgangsformen gleichartige Kürzungsprodukte hervor-
gehen können.

1.8.1 Wortbildungsarten

Für die Klassifizierung in Wortbildungsarten wird untersucht, aus welchen


Ausgangseinheiten Wortbildungen entstehen und über welche strukturellen
und morphologischen Merkmale sie verfügen. Dazu werden folgende Kri-
terien genutzt:
– die Struktur der Wortbildung;
– der morphologische Status der beteiligten Wortbildungsmittel;
– die Wortart der Wortbildung, des Outputs, im Vergleich zur Wortart der
Ausgangseinheit(en), des Inputs.
Wortbildungen verfügen über eine binäre oder nichtbinäre Struktur. Die
binär strukturierten Wortbildungsarten sind Komposition, Derivation und
Partikelverbbildung. Entsprechende Wortbildungen lassen sich in unmit-
telbare Konstituenten zerlegen (¢ 1.7.1). Nichtbinäre Wortbildungsarten
sind die Konversion und die Kurzwortbildung. Auch Rückbildungen, Kon-
taminationen und Reduplikationen kann man nicht in unmittelbare Kon-
stituenten gliedern.
Die Frage nach dem morphologischen Status betrifft das selbstständige
Vorkommen der unmittelbaren Konstituenten, d. h. ihre Wortfähigkeit. Als
wortfähig werden Wortstämme einschließlich der Verbstämme bestimmt;
84 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Verbstämme deshalb, weil sie sich, obwohl in der Regel nicht frei vorkom-
mend, mit Flexionselementen verbinden lassen (¢ 1.6.1). Wortfähige
Stämme der Hauptwortarten sind auch basisfähig, d. h., sie verbinden sich
mit Affixen zu neuen Lexemen. Konfixe sind zwar nicht wort-, dafür aber
meist basisfähig (¢ 1.9.2.2). Affixe sind weder wort- noch basisfähig.
Das dritte Kriterium, die Bestimmung der Wortart von Input und Out-
put, ist ausschlaggebend für die Ermittlung der Wortbildungsart nichtbi-
närer Wortbildungen. Liegt morphosemantische Motivation durch einen
Stamm einer anderen Wortart oder durch ein Syntagma vor, ohne dass ein
Affix hinzugefügt wurde, handelt es sich um das Ergebnis einer Konversion
(essen > Essen; Schrott > schrott) oder einer Rückbildung (Zweckentfremdung
> zweckentfremden). Handelt es sich bei der Wortbildung um die Kürzung
einer längeren Vollform derselben Wortart, liegt Kurzwortbildung vor
(Bankleitzahl > BLZ).
Für Kontamination und Reduplikation gelten spezifische Kriterien
(¢ 1.8.1.7; ¢1.8.1.8).

1.8.1.1 Komposition
Typische Komposita (Zusammensetzungen) sind komplexe Lexeme aus
zwei wortfähigen unmittelbaren Konstituenten. Konfixkomposita bestehen
entweder aus zwei Konfixen oder aus einem Konfix und einer wortfähigen
unmittelbaren Konstituente (¢ 1.9.3.1).
Die beiden unmittelbaren Konstituenten von Komposita werden ent-
sprechend ihrer Abfolge im Wort als Erstglied und Zweitglied unterschie-
den. Während als Zweitglied nur Stämme und Konfixe infrage kommen,
kann die Erstgliedposition ganz unterschiedlich besetzt sein.
Als Erstglied kommen vor:
– Wortstämme, Syntagmen und Wortreihungen, verbunden mit Stämmen
oder Konfixen (Arbeitszimmer, Fremdsprache, UKW-Antenne, bärenstark,
Langstreckenflug, Ost-West-Verhältnis; Spielothek);
– Konfixe, verbunden mit Stämmen oder Konfixen (Biogas, Schwiegervater;
Automat).
Sonderfälle in Bezug auf die Struktur der unmittelbaren Konstituenten
bilden Komposita, deren Erstglied ein Satz oder ein einzelner Buchstabe
ist (Ich-nehme-ab-Programm, Trimm-dich-Pfad, ¢ 1.6.4; A-Jugend, V-Aus-
schnitt). Die Buchstaben kennzeichnen eine Rangfolge oder haben ikonische
Funktion. Sind sie in Erstgliedposition Kürzungen aus längeren Vollformen
wie in S-Bahn, werden die Wortbildungen als partielle Kurzwörter bestimmt
(¢ 2.7.1).
1.8 Klassifizierung 85

Nicht nur freie, sondern auch phrasemische und onymische Syntagmen


können als unmittelbare Konstituenten in ein Kompositum integriert wer-
den: Vor-Ort-Termin, Vieraugengespräch, Schwarzmeerhafen (¢ 1.3.4).
Die beiden unmittelbaren Konstituenten können entweder in einer Be-
ziehung der Unter- bzw. Überordnung stehen (Subordination) oder sie
können gleichgeordnet sein (Koordination). Im ersten Fall handelt es sich
um Determinativkomposita (Großstadt, dunkelrot), im zweiten um Kopu-
lativkomposita (auch „Koordinativkomposita“, Motsch 2004, 376): Strumpf-
hose, Dichterkomponist, taubstumm.
Die Kompositionsart Kopulativkompositum ist wortartdifferenziert zu sehen (Breindl/
Thurmair 1992; Donalies 2005b, 86 ff.). Während das Adjektiv über Bildungsmodelle
verfügt, deren Konstituenten ausschließlich koordinativ zu lesen sind (deutsch-pol-
nische Gespräche, schwarzrotgoldene Fahne), lassen koordinativ interpretierbare Sub-
stantive (¢ 2.2.2.5) und Verben (¢ 5.7) in der Regel auch eine determinative Lesart zu, die
mitunter sogar die dominante ist.
So kann beispielsweise das Kompositum Maler-Schriftsteller – als Kopulativkom-
positum – bedeuten ,jmd. ist ein Maler und auch ein Schriftsteller‘. Determinativ
interpretiert bezeichnet es eine Subklasse der Schriftsteller und bedeutet ,ein Schrift-
steller, der auch malt, ein Maler ist‘. Welche der beiden Lesarten im Einzelfall gelten
soll, ist weitgehend kontextabhängig (Motsch 2004, 377).
Zu spezifischen Kompositionsarten wie Possessivkomposita (Rotkehlchen) und ver-
deutlichende Komposita (Erziehungsprozess), die prinzipiell als Determinativkompo-
sita zu betrachten sind, ¢ 2.2.2.3.4; ¢ 2.2.10.

Wortart, Genus und Flexionsklasse des Kompositums werden in der Regel


durch das Zweitglied, den Kopf der Bildung, bestimmt. Hochhaus ist dem-
zufolge ein Substantiv, haushoch ein Adjektiv. Das Zweitglied ist gleichzeitig
die Bezugsgröße für die Verwendung der Komposita im Satz, d. h. für die
Pronominalisierung und Attribuierung des Kompositums (nicht: *Luther-
feierlichkeiten anlässlich seines Geburtstages, wenn Luthers Geburtstag ge-
meint ist; nicht schwere Verbrechensbekämpfung – wenn die ,Bekämpfung
schwerer Verbrechen‘ gemeint ist). Bei semantischer Kompatibilität von
Attribut mit Erst- und Zweitglied entsteht – wie bei schwere Verbrechensbe-
kämpfung oder geltendes Gebührensystem – Mehrdeutigkeit.
Komplexe Substantive ohne substantivischen Kopf wie ein Gernegroß, das
Vergissmeinnicht werden mitunter als Sondergruppe der Komposita ange-
sehen (Naumann 2000, 47), hier jedoch der Konversion zugeordnet
(¢ 1.8.1.3).
Gesondert sind komplexe Eigennamen zu beurteilen, deren Erst- und
Zweitglied im Verhältnis Ganzes-Teil stehen wie Berlin-Pankow, Leipzig-
West.
86 1 Grundsätze und Grundbegriffe

1.8.1.2 Derivation
Die beiden unmittelbaren Konstituenten eines Derivats (einer Ableitung)
werden unterschieden als Derivationsbasis und Derivationsaffix (oder De-
rivatem, Erben 2006, 29). Die Derivationsbasis ist ein Wortstamm, ein
Konfix oder ein Syntagma. Das Derivationsaffix kann sein:
– ein Suffix (Ordn ung, fröh lich, krise l n);
– ein Präfix (Un glück, ur alt, ver gießen);
– ein Zirkumfix (Ge sing e, un erschöpf lich, ver unrein ig[en]).
Die Zusammenfassung von Suffixderivation (auch: Suffigierung; Ergeb-
nis: Suffixderivat), Präfixderivation (auch: Präfigierung; Ergebnis: Präfix-
derivat) und Zirkumfixderivation (auch: Zirkumfigierung, kombinatori-
sche Derivation, vgl. z. B. DWb 1, 126ff.; Ergebnis: Zirkumfixderivat) unter
dem Oberbegriff der Derivation macht den Affixcharakter von Präfixen,
Suffixen und Zirkumfixen zum maßgebenden Kriterium. Dass es zwischen
den verschiedenen Affixarten Unterschiede gibt (¢ 1.6.2.3), wird nicht in-
frage gestellt. Die Suffixderivation ist – im Hinblick auf Suffixanzahl und
semantische Vielfalt – die Domäne von Substantiv und Adjektiv, während
beim Verb der Mangel an Suffixen durch intensive Nutzung von Präfigie-
rung, Partikelverbbildung und Konversion ausgeglichen wird. Die Zirkum-
figierung tritt bei allen drei Wortarten selten auf.
Syntagmen als Derivationsbasis sind sowohl freie als auch phrasemische
Verbindungen. Sie haben verbalen oder substantivischen Charakter (in Be-
trieb setzen/nehmen > Inbetriebsetzung, Inbetriebnahme; das Brett bohren, wo
es am dünnsten ist > Dünnbrettbohrer, nach einem Ziel streben > zielstrebig;
breite Schultern > breitschultrig; Näheres bei Fleischer 1997a, 189ff.). Die
Abgrenzung zu den Rektionskomposita ist in manchen Fällen fließend (vgl.
Eichinger 2000, 72; Motsch 2004, 342 zu Olivenpflücker; ¢ 2.2.2.3.1), sodass
sich Doppelmotivation ergibt, wie beispielsweise bei Wasserverdrängung:
1) Derivat aus Wasser verdrängen + -ung
2) Kompositum aus Wasser + Verdrängung.
Voraussetzungen für eine Analyse nach 2) sind die Usualität beider Kon-
stituenten und semantische Stimmigkeit (¢ 2.2.2.3.1).
Unscharfe Grenzen zwischen Derivation und Komposition bestehen bei
Wortbildungen mit reihenbildenden und semantisch veränderten Stämmen
(Höllenkrach, Riesenapplaus; kosten-, bügelfrei; ¢ 1.6.2.4).
Derivate mit Syntagmen als Basis, die auch als Zusammenbildungen be-
zeichnet werden, bestimmen wir als eine Unterart der Derivation.
Zur Zusammenbildung im Einzelnen vgl. Henzen 1965, 234; Motsch 2004, 9; Eisenberg
2006, 230; Erben 2006, 38 ff. u.ö. Eichinger analysiert sie als Inkorporation und ver-
1.8 Klassifizierung 87

weist sie damit in den Peripheriebereich der Wortbildung zur Syntax hin, zu „Bildun-
gen, wo die semanto-syntaktische Nachbarschaft zur allmählichen Univerbierung […]
führt“ (Eichinger 2000, 61). Meibauer (2002, 61 ff.) erklärt die Besonderheit der Zu-
sammenbildung (nach Leser 1990) mit der Annahme einer ternären Struktur. Er glie-
dert z.B. zielstrebig in die Stämme ziel-, streb- und in das Suffix -ig. Da weder zielstreb-
noch -strebig frei vorkommen, ist nach dieser Ansicht die Annahme einer spezifischen
Wortbildungsart Zusammenbildung berechtigt.
(Zur Forschungsgeschichte seit Adelung vgl. Leser 1990, 15 ff.).

Onymische Syntagmen wie Mitteldeutscher Rundfunk haben nur eine gerin-


ge Derivationsaffinität; die entsprechenden Begriffe werden in der Regel
durch Komposita mit initialem Kurzwort oder durch Derivate vom Kurz-
wort bezeichnet (MDR-Mitarbeiter, MDRler). Doch ist die Derivation von
Eigennamen in Wortstruktur (wie Engländer aus England; Erzgebirger/Erzge-
birgler aus Erzgebirge) reich entwickelt.
Konfixderivate treten insbesondere in der Fremdwortbildung auf
(¢ 1.9.3.2), selten in der indigenen Wortbildung (Winzling).
In vereinzelten Fällen begegnen – synchron gesehen – Wortbildungen aus
zwei Affixen: ur-ig ,urwüchsig, echt‘, bereits mhd. urich (13./14. Jh.), ur-tüm-
lich (dazu Tschentscher 1958).

1.8.1.3 Konversion
Bei der Konversion (Ergebnis: Konversion oder Konversionsprodukt; „Kon-
vertat“ bei Donalies 2005b, 123) handelt es sich grundsätzlich um Wortart-
wechsel; wenn Lexeme die Ausgangseinheit sind, um einen Wortartwechsel
ohne Affigierung bzw., wenn Syntagmen und Sätze die Ausgangseinheiten
sind, um eine Verschmelzung der einzelnen Glieder zu einem Lexem mit
Wortartfixierung (Univerbierung).
Basis einer Konversion können einfache (laufen > Lauf, hoch > Hoch, weit
> weiten) oder komplexe Lexeme (miteinander > Miteinander, besuchen >
Besuch) sowie freie oder phrasemische Syntagmen (eine Hand voll > Hand-
voll, Dreikäsehoch) oder selten auch Sätze (Tunichtgut, Stelldichein) sein;
nicht jedoch Konfixe.

Die hier als Konversion bestimmte Transposition von Syntagmen und Sätzen zu kom-
plexen Lexemen ohne Affigierung wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt (vgl.
Heinle 1993 mit ausführlichem Forschungsüberblick). Recht verbreitet ist ihre Erklä-
rung als Zusammenrückung (vgl. Fleischer 1983c, 61 ff.). Der Terminus charakterisiert
die spezifische Bildungsweise: Syntaktisch benachbarte Einheiten werden unter Bei-
behaltung ihrer syntagmatischen Abfolge zu einem Lexem verbunden, gewissermaßen
„zusammengerückt“.
88 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Welche Bildungen darüber hinaus als Zusammenrückung zu bestimmen sind, wird


weniger einheitlich gesehen. Erben (2006, 37) fasst den Begriff relativ weit. Er betrach-
tet die Zusammenrückung als Sonderfall der Komposition und bezeichnet auch Syn-
tagmen in Erstgliedposition beim Kompositum als Zusammenrückung (Sauregurken-
zeit). Naumann wertet die Zusammenrückung ebenfalls als eine Sonderklasse der
Komposita, zu der allerdings nur solche komplexen Lexeme gehörten, bei denen „das
letzte Element nicht die Wortart der ganzen Komposition festlegt“ (Naumann 2000,
47). Heinle (1993, 78) und Eichinger (2000, 31, 73) betonen die periphere Stellung der
Zusammenrückung an der Grenze der Wortbildung zur Syntax. Eichinger betrachtet
die Zusammenrückung deshalb als Spezialfall der Konversion und diskutiert sie als eine
Erscheinungsform der Inkorporation. Donalies (2005b, 93 f.) entscheidet sich für Kon-
version.

Im Ergebnis der Konversion entstehen Substantive, Adjektive, Verben oder


Adverbien, wobei sich die Konversionsrichtung motivationell ergibt: Die
lexikalische Bedeutung der Konversion ist morphosemantisch motiviert
durch die Bedeutung der Konversionsbasis in anderer Wortart, vgl. krank >
der kranke (Mitarbeiter) > der Kranke – jmd., der krank ist.
Nach der oben genannten Definition gelten auch die desubstantivischen
und deadjektivischen Verben (filmen, faulen) als Konversion. Die Infinitiv-
endung -en wird nicht als Wortbildungsmorphem aufgefasst, da sie nicht –
wie die Wortbildungsmorpheme – Bestandteil des Wortstammes ist, son-
dern sich wie die Flexionsmorpheme innerhalb des verbalen Flexionspara-
digmas verändert (vgl. auch v. Polenz 1980, 170).
Im Allgemeinen werden zwei Arten von Konversionen unterschieden
(Eisenberg 2006, 296f.; Erben 2006, 31), die morphologische und die syn-
taktische Konversion. Bei der morphologischen Konversion (auch: „para-
digmatische Umsetzung eines Grundmorphems“, Erben 2006, 30) stehen
zwei phonologisch gleiche Stämme in einer Motivationsbeziehung zueinan-
der: ruf(en) > Ruf, heute > Heute, Türkis > türkis, Öl > öl(en). Das Verb ölen
bedeutet ,etwas mit Öl versehen‘. Nicht in allen Fällen lässt sich allerdings
die Konversionsrichtung synchron mit Sicherheit angeben, vgl. etwa das
Nebeneinander von Verb und substantivischem Abstraktum wie antworten
– Antwort, teilen – Teil.
Syntaktische Konversion liegt vor, wenn das Konversionsprodukt ein Fle-
xionselement seiner Basis beibehält, d.h. in die neue Wortart „mitnimmt“,
wie der substantivierte Infinitiv das grammatische Morphem -en (gähnen >
Gähnen), das deadjektivische bzw. departizipiale Substantiv die adjektivi-
sche Flexion (der/ein Neue/r, der/ein Angestellte/r).
Die Beobachtung, dass sich syntaktische Konversionen und ihre Basen bestimmte syn-
taktische Kontexte teilen (Eisenberg spricht von „syntaktischer Überlappung“; 2006,
1.8 Klassifizierung 89

296), führt mitunter zu der Entscheidung, sie nicht als Wortbildungsphänomen gelten
zu lassen, sondern sie – teilweise oder vollständig – der Syntax zuzuordnen (wie Olsen
1986a, 112), vgl. der neue Mitarbeiter/der Neue, rauchen/Rauchen verboten, der Film
wird/ist ausgezeichnet. Wir folgen dieser Auffassung nicht und begründen dies primär
mit dem Lexemstatus der Konversionen. Sie verfügen über ein jeweils wortartgerechtes
Flexionsparadigma (vgl. die substantivische Flexion des substantivierten Infinitivs)
bzw. übernehmen morphosyntaktische Eigenschaften ihrer Zielwortart. Darüber
hinaus sind sie lexikalisierbar (vgl. Ansehen, Ansinnen, Können; zu Übergangsphäno-
menen beim Wortartwechsel durch Konversion Eichinger 2000, 39 f.).
Der substantivierte Infinitiv ist auch insofern nicht zwingend als syntaktische Er-
scheinung zu qualifizieren, als er in gewisser Weise das verbale Flexionsparadigma
ergänzt, besonders durch die Möglichkeit zum Ausdruck der Aktionsartendifferenzie-
rung in Konstruktionen wie: er kam zum Schreiben/war beim Schreiben/blieb beim
Schreiben/ließ das Schreiben sein. Auch andere deverbale Substantive können diese
Funktion übernehmen (zur Verlesung/bei der Verlesung). Weder die -ung-Derivate noch
die substantivierten Infinitive sind deshalb jedoch „eher Flexionsformen“ (Wurzel
1988, 189). Auch eine „spezifische Kategoriensemantik“ ist ihnen nicht abzusprechen
(so Wurzel 1988, 197). Kategoriell ist das mit dem neutralen Genus zusammenhän-
gende Merkmal ,Nicht-Person‘, wodurch sich ein Unterschied zu anderen deverbalen
Modellen ergibt (der Besuch, die Regierung). Darüber hinaus findet sich auch hier die
Ausbildung unterschiedlicher Wortbildungsreihen.
Das -en des substantivierten Infinitivs wird bisweilen als Wortbildungsaffix zur Bil-
dung von Substantiven interpretiert (vgl. Sandberg 1976; Bzdega 1985, 153 u.ö.; DWb
2, 237 mit ausführlicher Begründung dieser Auffassung; Motsch 2004, 328f.). Dann
wäre Derivation anzunehmen.
Einen „historischen Sonderfall“ (Eichinger 2000, 73) der morphologischen
Konversion stellen deverbale Konversionen dar, die mit einem Wechsel des
Stammvokals verbunden sind, auch implizite Derivate genannt, wie binden
> Band, werfen > Wurf. Bei diesen Bildungen fungieren verschiedene
Stammformen starker Verben (trank, ge trunk en > Trank, Trunk), auch his-
torische Formen wie bei Wurf (mhd. wurfen), als Konversionsbasis. Warum
welche Stammform in früheren Sprachstufen für eine Substantivierung ge-
wählt wurde, ist zwar in der historischen Wortbildungsforschung bisher
nicht genau untersucht worden, man nimmt aber einen Zusammenhang
mit den sog. Ablautreihen der Verben an (Genaueres bei Klein/Solms/
Wegera 2009, 162).
Konvertiert werden einfache oder komplexe Verbstämme (finden > Fund,
entziehen > Entzug, fortschreiten > Fortschritt). Bildungen wie Ab-, An-, Hin-,
Rückflug, die als Konversionen der Verben ab-, an-, hin-, zurückfliegen an-
zusehen sind, machen deutlich, dass in Analogie zu fliegen > Flug durchaus
neue Wortbildungen entstehen können, obwohl das Grundmodell dieser
Konversionsart heute nicht mehr produktiv ist.
90 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Eisenberg (2006, 295) behält die Wortbildungsart implizite Derivation bei, fasst sie aber
weiter, und zwar als Derivation durch Vokalwechsel wie in schießen > Schuss, Raum >
räumen. Auch deverbale Verben mit Stammvokalwechsel ordnet er hier ein (fallen >
fällen). Wie man sieht, ist Wortartwechsel dabei nicht obligatorisch, vgl. auch Hent-
schel/Vogel 2009, 471.

In der folgenden Übersicht sind die wichtigsten Konversionsmodelle nach


der Wortart von Input und Output zusammengefasst; zu weiteren Modellen
wie z.B. der Konversion von Funktionswörtern ¢ 2.6.1.2.

Übersicht 7: Konversionsmodelle

1) Morphologische Konversion
Input Output Beispiele
Verb Substantiv rufen > der Ruf, binden > das/derBand
Substantiv Verb Öl > ölen
Substantiv Adjektiv Klasse > klasse
nichtverbales
Syntagma Substantiv gerne groß > der Gernegroß
Adjektiv Substantiv hoch > das Hoch
Adjektiv Verb gleich > gleichen
Adverb Substantiv heute > das Heute

2) Syntaktische Konversion
Input Output Beispiele
Verb Substantiv schreiben > das Schreiben
verbales Syntagma Substantiv n. Hause gehen > das Nachhausegehen
Adjektiv Substantiv neu > der/die/das Neue
Partizip I Substantiv reisend > der/die Reisende
Partizip II Substantiv angestellt > der/die Angestellte
Partizip I Adjektiv reizend > reizend
Partizip II Adjektiv ausgezeichnet > ausgezeichnet
1.8 Klassifizierung 91

1.8.1.4 Kurzwortbildung
Von den bisher behandelten Wortbildungsarten ist die Kurzwortbildung
deutlich abzuheben (¢ 2.7). Kurzwörter entstehen durch Reduktion einer
längeren Vollform wie z. B. EZB < Europäische Zentralbank, Azubi < Auszu-
bildender oder Demo < Demonstration.
Kurzwörter sind nicht binär gegliedert, sondern sie bestehen aus einzel-
nen Segmenten ihrer Vollform. Nach Art und Anzahl der ausgewählten
Segmente unterscheidet man verschiedene Kurzworttypen (¢ 2.7.1).
Kurzwörter gehören der gleichen Wortart an wie ihre Vollform bzw.,
wenn die Vollform ein Syntagma ist, wie der syntaktische Kopf der Vollform.
Ihre Domäne ist das Substantiv, adjektivische und verbale Kurzwörter gibt
es im Standard kaum; umgangssprachlich werden derzeit allerdings auch
Adjektive und Verben vermehrt gekürzt (ökologisch > öko, funktionieren >
funzen).

1.8.1.5 Partikelverbbildung
Die Partikelverbbildung ist eine verbspezifische Wortbildungsart (¢ 5.3).
Als Basis für Partikelverben dienen vornehmlich simplizische und kom-
plexe Verben, seltener Substantive und Adjektive. Sie werden mit Verbpar-
tikeln (auch Halbpräfixe, Verbzusätze, Präverben, Präfixe genannt) zu
komplexen Verben verbunden: an kleben, auf erstehen, hinüber gehen, hin-
unter befördern, weg rationalisieren, frei sprechen, teil nehmen; aus kern(en),
aus dünn(en). Die Verbpartikeln tragen den Wortakzent.
Im Unterschied zu allen anderen komplexen Wortbildungen sind Parti-
kelverben morphologisch und syntaktisch trennbar. Morphologisch ge-
trennt sind die Konstituenten im Partizip II durch -ge- (aufgefallen; nicht bei
-ieren-Verben) und durch zu beim Infinitiv (um aufzufallen); syntaktisch
getrennt im Verberst- und Verbzweitsatz durch die Klammerbildung: Steht
er früh auf; er steht früh auf.
Welcher Wortbildungsart die trennbaren Verben zugeordnet und ob sie
überhaupt als Wortbildungsphänomen akzeptiert werden, hängt davon ab,
welches Gewicht man ihrer Trennbarkeit als grammatischer Besonderheit
beimisst. Hierbei wird in den einschlägigen Arbeiten sowohl in Bezug auf die
gesamte Klasse von Verben als auch in Bezug auf die einzelnen Subklassen
unterschiedlich verfahren. Donalies (2005b, 30) z. B. fasst alle trennbaren
Verben als „syntaktische Gefüge“ auf und schließt sie demzufolge aus der
Wortbildung aus. Bei Eichinger gehören nur die Verben mit präpositionaler
und die mit adverbialer Verbpartikel zu den Partikel- bzw. „Doppelparti-
kelverben“ (Eichinger 2000, 102ff.; ¢ 5.3).
92 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Folgende Arten von Verbpartikeln werden hier unterschieden (vgl. Du-


denband 4, 2009, 669):
– Verbpartikeln mit homonymen Präpositionen wie auf, aus, mit, nach;
– Verbpartikeln mit homonymen Adverbien wie her, herunter, hin, hinauf,
weg;
– Verbpartikeln mit homonymen Adjektiven wie fest, frei, hoch.
– Verbpartikeln mit homonymen Substantiven.
Sie kommen nur in wenigen, meist demotivierten Verben vor; das Modell
ist unproduktiv, vgl. teil- in teilhaben, -nehmen; statt- (vgl. die Statt ,Ort,
Platz, Stelle‘, geh.) in stattgeben, -finden; wunder- in wundernehmen. Bei
dieser Subklasse ist mit einer besonders großen Gruppe von Grenzfällen
zu syntaktischen Fügungen zu rechnen, vgl. nehmen: teil-, Platz, Maß,
Abschied (Eichinger 2000, 110).

1.8.1.6 Rückbildung
Mit Rückbildung (auch: „Rückableitung“, Fuhrhop 2007b, 55; „retrograde
Ableitung“, Erben 2003b, 93; Tilgungskonversion) wird der Wechsel einer
Ausgangseinheit in eine andere Wortart bei gleichzeitiger Tilgung eines
Wortbildungssuffixes bezeichnet (über „Subtraktion“ in der Wortbildung
vgl. Dressler 1984). Rückbildungen sind nicht binär erklärbar, sondern als
Ganzes auf das motivierende komplexe Ausgangslexem zu beziehen: sanft-
mütig > Sanftmut, Zwangsräumung > zwangsräumen, elastisch > Elast, um-
sichtig > Umsicht (vgl. Erben 2006, 39ff.).
Dass die Wortbildungsart Rückbildung in einer synchronen Wortbil-
dungsanalyse ihren Platz hat, wird heute kaum mehr bestritten (ausführlich
dazu Erben 2003b; noch anders Bergenholtz/Mugdan 1979b, 348f.; Dona-
lies 2001). Sie wird meist nicht als „regelgesteuerter Wortbildungsprozess“
gesehen, sondern eher als „das Wirksamwerden einer ,strukturellen Analo-
gie‘“, v.a. bei der Bildung von Substantiven: „mutig: Mut = sanftmütig: X (>
Sanftmut)“ (Erben 2003b, 95). Das gilt allerdings nicht wortartübergreifend.
Anders als bei Substantiven, bei denen sie auf wenige Einzelfälle beschränkt
bleibt, kann die Rückbildung bei Verben durchaus als modellhaft und pro-
duktiv gelten (Eschenlohr 1999, 144). Verben aus Komposita mit deverba-
lem Zweitglied lassen sich in großer Zahl belegen, sowohl lexikalisierte
(Zwangsversteigerung > zwangsversteigern, Bausparer > bausparen) als auch
okkasionelle (Videoüberwachung > videoüberwachen, Lehnübersetzung >
lehnübersetzen).
Nicht als Rückbildung, sondern als Konversion bestimmen wir dagegen
(anders Tiefenbach 1984) Fälle wie besuchen > Besuch und beißen > Biss,
wenngleich bei komplexen Basen mit einem Verbalabstraktum als Zweit-
1.8 Klassifizierung 93

glied wie bei Wahlkampf > wahlkämpfen (dann Konversion) mitunter Dop-
pelmotivation eingeräumt werden muss. Das Verb könnte auch aus Wahl-
kämpfer (dann Rückbildung) gebildet sein, vgl. auch Schichtarbeit/Schicht-
arbeiter > schichtarbeiten, Erben 2003b, 100).
Ausgeklammert bleiben hier auch die sogenannten „Erleichterungsrück-
bildungen“ (Erben 2006, 39) wie Erweis neben Erweisung. Wir betrachten sie
als nach zwei verschiedenen Wortbildungsarten, Konversion (erweisen >
Erweis) und Derivation (erweisen > Erweisung), gebildete deverbale Sub-
stantive. Es gibt zu viele Paare dieser Art als voneinander unabhängige Pro-
dukte vom gleichen Verb, vgl. Versuchung – Versuch, Erwerbung – Erwerb,
Erhaltung – Erhalt, zwischen denen oft auch semantische Unterschiede be-
stehen. Nur eingehende historische Recherchen könnten in diesem oder
jenem Einzelfall die -ung-Bildung als primär erweisen (was aber immer noch
nicht heißen müsste, dass sie die konkrete Ausgangsform für die kürzere
Bildung gewesen ist).

1.8.1.7 Kontamination
Die Kontamination (Wortkreuzung, Wortverschmelzung) ist eine Ver-
schränkung von (in der Regel zwei) Lexemen: Formularifari aus Formular +
Larifari, Kurlaub aus Kur + Urlaub, wobei meist gleichzeitig eine Kürzung
eines oder beider Lexeme eintritt. Im Allgemeinen werden nach Windisch
(1991) zwei strukturelle Hauptarten der Kontamination unterschieden:
1) Wortkreuzungen (gruscheln aus grüßen und kuscheln, LVZ 2009);
2) Wortüberschneidungen (Formularifari aus Formular und Larifari).
Beide Arten können auch gemischt auftreten (Jochelbeere/Jostabeere aus
Johannisbeere und Stachelbeere).
In 1) werden ein Anfangs- und ein Endsegment zweier Lexeme neu ver-
bunden, in 2) verfügen die Ausgangseinheiten über ein gemeinsames Seg-
ment, das in dem neuen Lexem nur einmal genutzt wird.
Die Bedeutungen der Ausgangseinheiten überlagern einander bei beiden
Arten und prägen eine neue Gesamtbedeutung aus, vgl. Kurlaub ,mit einer
Kur verbundener Ferienaufenthalt‘ (GWDS). Die beiden Ausgangseinheiten
brauchen allerdings keinerlei semantische Beziehungen zueinander aufzu-
weisen, vgl z. B. H. Heines affenteuerlich aus Affe + abenteuerlich; Wetteran
,ein Veteran, der das Wetter beobachtet‘ (Stern 2010), Onleihe ,das Ausleihen
digitaler Medien über das Internet‘ (LVZ 2010). Doch ist die Bildungsweise
nicht völlig willkürlich, sondern durch gewisse Regeln (vor allem phono-
logischer Art) bestimmt (vgl. zusammenfassend Gre"sillon 1984, 134ff.;
Cannon 2000; Windisch 2001; Schmid 2003; Schulz 2004; Ronneberger-
Sibold 2005; Elsen 2008).
94 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Die Domäne der Kontamination sind Substantive und – in geringerem


Maße – Adjektive und Verben. Letztere fehlen bei H. Heine, dessen reiches
Material Gre"sillon (1984) untersucht, begegnen aber heute durchaus wie in
Klassik airleben aus air ,Luft‘ + erleben (eine Werbung für ein Konzert im
Freien 2008); irrlichterloh aus Irrlicht + lichterloh (A. Geiger).
Da auch das Kompositum typischerweise aus wortfähigen Einheiten gebildet ist, wird
gegenwärtig u. a. die Frage diskutiert, ob Kontaminationen auch als Komposita ana-
lysierbar sind (ausführlich z. B. bei Kobler-Trill 1994, 119 ff.). Die Meinungen darüber
gehen auseinander. Donalies bezeichnet die Kontamination als Unterart der Kompo-
sition (2005b, 90) und auch Schulz (2004, 295f.) möchte eine Teilgruppe der Konta-
minationen den Komposita zuordnen. Herberg/Kinne/Steffens (2004, 240) bezeichnen
Kontaminationen ebenfalls als „Zusammensetzungen“. Gegen die Bestimmung der
Kontamination als Kompositum wenden sich Kobler-Trill (1994, 121 f.) und Schmid
(2003, 273).
Mitunter ergeben sich Doppelmotivationen wie bei Bionade ,Limonade ohne che-
mische Zusätze‘. Das Substantiv kann sowohl als Konfixkompositum als auch als Kon-
tamination (< biologische Limonade) interpretiert werden.

Kontaminationen bleiben meist okkasionell, nur vereinzelt sind derartige


Wortbildungen zu geläufigen Lexikoneinheiten geworden: so verschlimmbes-
sern, jein (ja + nein), Lezteres im GWDS als scherzhaft oder abwertend mar-
kiert; neuerdings denglisch aus deutsch + englisch (abwertend), Ostalgie aus
Osten + Nostalgie ,Nostalgie hinsichtlich bestimmter Lebensformen in der
DDR von Seiten ihrer ehemaligen Bewohner‘ (Herberg/Kinne/Steffens 2004,
239).
Eine Reihe heute üblicher Bildungen ist nicht im Deutschen entstanden,
sondern aus dem Englischen entlehnt: Infotainment, Liger (aus lion ,Löwe‘ +
tiger ,Tiger‘), Moped, Motel, Telex, Transistor (aus transfer ,Übertragung‘ +
resistor ,elektrischer Widerstand‘), Smog (aus smoke ,Rauch‘ + fog ,Nebel‘),
Stagflation (vgl. Lehnert 1986, 33 ff.).

1.8.1.8 Reduplikation
Die Reduplikation ist eine elementare Art phonologisch-morphologischer
Erzeugung komplexer Lexeme durch „lautassoziative Doppelung“ einer
Konstituente (Hentschel/Vogel 2009, 470; zur Interaktion von Phonologie
und Morphologie bei reduplizierenden Wortbildungen vgl. Wiese 1990).
Drei Arten sind zu unterscheiden:
– einfache Doppelungen (im Klein-Klein des Alltags; etwas aus dem Effeff
können);
– Reimdoppelungen (Schickimicki ,jmd., der sich betont modisch gibt‘,
modischer Kleinkram‘, wohl nach schick ,fein, modisch‘ oder Schickeria
1.8 Klassifizierung 95

,in der Mode und im Gesellschaftsleben tonangebende Schicht‘, GWDS);


Schorlemorle ,Mischgetränk aus Wein oder Saft und Mineralwasser‘;
– Ablautdoppelungen (Krimskrams, Tingeltangel; im Kompositum pitsche-
patsche nass).
Die reduplizierenden Bestandteile haben nicht alle Morphemstatus, in-
sofern kann man die Bedeutung der Reduplikationen auch nicht aus den
Bestandteilen erschließen, sondern muss sie als Ganzes auf eine Ausgangs-
einheit beziehen. Aber auch dieser Bezug ist für die Bedeutungserschließung
nicht in jedem Fall hilfreich.
Die Bildungen sind fast ganz auf Substantive beschränkt, fehlen bei
Verben (doch vgl. Phraseme wie halbe-halbe machen ,Gewinn/Verlust genau
miteinander teilen‘) und sind auch beim Adjektiv selten (tipptopp ,tadel-
los‘ nach engl. tiptop). Das gelegentlich hier eingeordnete Verb hickhacken
(Simmler 1998, 490) ist wohl eher als Konversion aus Hickhack , ,nutzlose
Streiterei‘ (GWDS) anzusehen.
Als Erstglied substantivischer und adjektivischer (meist okkasioneller)
Komposita wie in Tingeltangeltheater, Tippeltappeltour ,langsame Erledi-
gung in herkömmlicher Weise‘; das blonde Wallewallehaar (Internet 2009);
die knisterknisterspannendsten Geschichten (Werbung für Kinderliteratur,
Die Zeit 2006) sorgen Reduplikationen sprachspielerisch für intensivieren-
den, ironischen oder scherzhaften Ausdruck.
Einzelfälle stellen tagtäglich, wortwörtlich (beide intensivierend) dar; sie
lassen sich nicht in die oben genannten Arten einordnen und sie repräsen-
tieren auch kein Modell, wie inakzeptable Neubildungen *kindkindlich,
*jahrjährlich zeigen.
Die Reduplikation von Affixen ist auf Präfixe beschränkt (ebenfalls mit
intensivierendem Effekt): Ururenkel, ururalt; scherzhaft auch mit Mehrfach-
wiederholung: damit uralte Korallen ururururalt werden; sich unununmög-
lich anziehen (Internet 2009).
Im Deutschen ist die Bildungsweise in Substandardschichten zu Hause;
soweit die Wortbildungen in den Standard gelangen, behalten sie meist
ihren pejorativen oder scherzhaften Charakter.
Aus dem Englischen entlehnt sind das fachsprachliche Flipflop ,bistabile
elektronische Kippschaltung‘ (auch: ,badeschuhartige Sandale‘) und ver-
altet Pingpong ,Tischtennis‘, aus dem Französischen Flickflack ,mehrmals
schnell hintereinander, meist rückwärts ausgeführter Handstandüber-
schlag‘ (GWDS).
Eher der Komposition sind die folgenden umgangssprachlichen Bildun-
gen zuzuordnen: vorvorgestern ,vor drei Tagen‘, vorvorig ,dem vorigen vor-
ausgegangen‘ und vorvorletzt- ,dem vorigen unmittelbar vorausgehend‘.
96 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Zwar tritt vor zweifach auf, aber funktional anders als bei den obengenann-
ten adjektivischen Reduplikationen mit ur-. Als Erstglied modifiziert vor
jeweils die Bedeutung des Zweitgliedes deutlich in zeitlicher Hinsicht.
Ebenfalls als Komposita zu bestimmen sind Substantive wie Kindeskind
,Enkelkind‘ oder Staatenstaat ,Staat, der aus einem die Oberhoheit inneha-
benden souveränen Staat und einem oder mehreren anderen halbsouverä-
nen Staaten besteht‘ (GWDS). Auch hier ergibt sich zwischen Erst- und
Zweitglied ein Determinationsverhältnis (zur teilweise problematischen
Grenzziehung zwischen Komposition und Reduplikation Wiese 1990, 605).

1.8.2 Wortbildungsparadigmen

Wortbildungen ordnen sich semantisch wie primäre Lexeme regulär in pa-


radigmatische lexikalisch-semantische Relationen ein. Sie bilden zusammen
mit primären Lexemen Wortfelder (süß – salzig – aromatisch) und innerhalb
von Wortfeldern auch Synonympaare bzw. -reihen (stark – kräftig – stämmig)
sowie Antonympaare (sauber – schmutzig). So gesehen, nehmen Wortbil-
dungen keine Sonderstellung im Wortschatz ein. Unabhängig davon stehen
sie jedoch zusätzlich aufgrund ihrer morphosemantischen Motivation in
spezifischen systemhaften Beziehungen zueinander. Sie prägen verschiedene
Paradigmen aus. Unter einem Paradigma verstehen wir eine „Menge von
unterschiedlichen Einheiten […], die auf Grund eines invarianten Merk-
mals zusammengefasst werden“ (Probleme der semantischen Analyse 1977,
322).
Demnach kann ein und dieselbe Wortbildung in Abhängigkeit von den als
paradigmenbildend ausgewählten strukturellen oder semantischen Merk-
malen mehreren Paradigmen zugeordnet werden. Wir behandeln hier funk-
tional-semantische Klassen (¢ 1.8.2.1), Wortbildungsreihen (¢ 1.8.2.2) und
Wortfamilien (¢ 1.8.2.3). Als Wortfamilienglieder mit besonderen semanti-
schen Eigenschaften kommen schließlich noch Wortbildungssynonyme und
-antonyme zur Sprache (¢ 1.8.2.4).

1.8.2.1 Funktional-semantische Klassen


Wortbildungsmodelle lassen sich bei einem semantischen Vergleich zwi-
schen Input und Output auf einer sehr allgemeinen Ebene in die Klassen
Modifikation und Transposition gliedern. Klassifikationskriterium ist eine
wortbildungssemantische Invariante, und zwar die Art der funktional-
semantischen Prägung, die die Stämme im Bildungsprozess erfahren.
1.8 Klassifizierung 97

Betrachtet man Modifikation und Transposition funktional, d.h. in


Bezug auf die damit verbundene Leistung der Wortbildung, kann man sie
auch als onomasiologische Verfahren (Dokulil 1968, 203ff.) verstehen. Ein
Stamm wird durch das Wortbildungsverfahren in eine bestimmte semanti-
sche Klasse eingegliedert. Entweder wird er innerhalb derselben Klasse einer
Unterklasse zugeordnet, d. h. modifiziert (¢ 1.8.2.1.1), oder in eine neue
Klasse überführt, d. h. transponiert (¢ 1.8.2.1.2). Die Modifikations- und
Transpositionsarten werden auch „Funktionsstände“ (Erben 2006, 13),
„Funktionstypen“ (Müller 1993, 59) oder „Funktionsklassen“ (Klein/Solms/
Wegera 2009, 5) genannt. Wir entscheiden uns hier für ,funktional-seman-
tische Klassen‘, um mit dem Terminus den Doppelcharakter dieser Klassi-
fizierung anzudeuten.
Zwischen den funktional-semantischen Klassen und den Wortbildungs-
arten (¢ 1.8.1) bestehen nur z.T. systematische Entsprechungen.
Kurzwörter lassen sich weder als Modifikationen noch als Transpositi-
onen bestimmen, da sie sich semantisch von ihren Vollformen normaler-
weise nicht unterscheiden, von Konnotationen abgesehen.

1.8.2.1.1 Modifikation
Modifikation liegt dann vor, wenn eine Wortbildung im Vergleich zu ihrem
Input bei gleicher Wortart zusätzliche semantische Merkmale erhält, die eine
Spezifizierung im Rahmen der Ausgangsbedeutung bewirken. Die einzelnen
Modifikationsarten unterscheiden sich hinsichtlich der Wortbildungsbe-
deutung, wie etwa beim Substantiv die Augmentation (Riesenskandal),
Diminuierung (Kindchen), Movierung (Malerin) oder Negation (Unlust,
¢ 2.1.3.1), beim Adjektiv z.B. Gradation (tiefschwarz) oder Negation (unsau-
ber, ¢ 3.4.2.3). Modifikationen ergeben sich bei Substantiv und Adjektiv in
der Regel durch Komposita und Präfixderivate sowie durch einen Teil der
Suffixderivate.
Bei verbalem Input bewirkt die Modifikation eine Spezifizierung des
bezeichneten Prozesses in Bezug auf Ort, Zeit oder Aktionalität, wobei aller-
dings weitere grammatisch bedingte Besonderheiten auftreten können (syn-
taktische Modifikation). Die Grenzen zwischen Modifikation und Trans-
position sind in der verbalen Wortbildung weniger klar (¢ 5.1.3; Erben 2006,
50).

1.8.2.1.2 Transposition
Als Transposition wird die Bildung eines Lexems mit einer – bezogen auf die
Bedeutung der Ausgangseinheit – neuen Bedeutung im Rahmen einer an-
deren semantischen Klasse bezeichnet. Die Wortart der Ausgangseinheit
98 1 Grundsätze und Grundbegriffe

kann sich ändern (lehren > Lehrer, Fett > fettig) oder auch, und zwar aus-
schließlich beim Substantiv, gleich bleiben (Eisenbahn > Eisenbahner). Wie
bei der Modifikation ergeben sich entsprechend der Wortbildungsbedeu-
tung des Outputs verschiedene Transpositionsarten. Man unterscheidet bei
der substantivischen Derivation u.a. Nomina Agentis (Maler), Nomina Acti
(Biegung), Nomina Qualitatis (Weisheit) (¢ 2.1.3.2).
Der Transposition dienen ausnahmslos die Konversion sowie ein Teil der
Modelle der Suffix- und Zirkumfixderivation.
1.8.2.2 Wortbildungsreihen
Eine Wortbildungsreihe ist die Gesamtheit der Wortbildungen, die ein und
dasselbe Modell repräsentieren (¢ 1.7.1). Eine solche Reihe stellen z.B. de-
verbale Substantive auf -er mit der Wortbildungsbedeutung Nomen Agentis
dar (Leser, Maler, Lehrer, Verkäufer), eine andere Nomen Instrumenti (Schal-
ter, Drücker, Summer, Leuchter). Der gegenwartssprachliche Ausbau einer
Wortbildungsreihe wird vom Grad der Produktivität des entsprechenden
Modells bestimmt (¢ 1.7.2; zur Wortbildungsreihe als Stütze für die Bedeu-
tungserschließung von Wortbildungen Eichinger 2000, 14, 55).
Ein Affix kann eine oder mehrere Wortbildungsreihen ausprägen. Die
meisten Affixe sind polyfunktional, d. h., sie sind Konstituenten verschie-
dener Wortbildungsmodelle, vgl. -er (¢ 2.3.2.4). Monofunktional sind nur
wenige, z. B. -in als Movierungssuffix oder das Präfix ex- ,ehemalig‘.
Die Ausprägung von Reihen gilt als spezifisches Merkmal von Derivation
und Konversion. Bei der Komposition tritt Reihenbildung verstärkt nur
dann auf, wenn das Erst- oder das Zweitglied „vermöge ihrer Bedeutung zu
zweiten Gliedern bzw. Suffixen [oder ersten Gliedern bzw. Präfixen, I. B.]
besonders geeignet“ ist (Henzen 1965, 170). Geeignet in dieser Hinsicht sind
naturgemäß relativ wenige, z.B. grund-, -gut, -mittel, -stoff, -zeug. Ergänzt
wird die Gruppe dieser Lexeme mit einer allgemeinen lexikalischen Bedeu-
tung durch Lexeme, bei denen eine der Lesarten erst im komplexen Lexem
zu einer semantischen Verallgemeinerung tendiert und damit von der Be-
deutung im freien Gebrauch teilweise abweicht. Das ist vermehrt bei Adjek-
tiven wie arm, fähig, freundlich zu beobachten. Die Häufigkeit entsprechen-
der Kompositionsreihen mit adjektivischem Zweitglied (fett-, fisch-, fleisch-,
geräusch-, ideen-, kalk-, kalorien-, knitter-, lichtarm) lässt sich mit der se-
mantischen Struktur der Adjektive erklären. Diese fordern bei ihrem Ge-
brauch eine semantische Ergänzung, d.h., sie besitzen eine freie Valenzstelle
(arm an etwas, fähig zu etwas, freundlich zu jmdm./etwas). Die nötige Ergän-
zung wird durch das Erstglied des Kompositums angefügt: arm an Fett –
fettarm, fähig zu gehen – gehfähig, freundlich zu Kindern – kinderfreundlich,
freundlich zur Haut – hautfreundlich.
1.8 Klassifizierung 99

Solange Lexeme wie Mittel, Zeug, Stoff, fähig, arm, freundlich usw. aber
auch frei in einer allgemeinen Bedeutung vorkommen oder in der Kom-
bination zumindest über partiell gleiche Bedeutungsmerkmale wie die
lautgleichen freien Entsprechungen verfügen, sollen sie hier trotz Reihenbil-
dung nicht als Affixe bestimmt werden. Dass bei einer gegenwartssprach-
lich-synchronen Beschreibung solcher Grammatikalisierungsphänomene
dennoch Grenzfälle und somit Zuordnungsprobleme auftreten, spricht
nicht grundsätzlich gegen diese Festlegung (¢ 1.6.2.4).

1.8.2.3 Wortfamilien
Wortfamilien sind Paradigmen aus Wortbildungen, die in ihrer Struktur
über ein etymologisch identisches Grundmorphem (Kernlexem) verfügen,
vgl. zieh(en), Ziehung, ausziehen, Zug, Regionalzug. Zu einer Wortfamilie
gehören, wie an Zug zu sehen ist, auch Lexeme, die in der Gegenwarts-
sprache formal und semantisch nicht mehr ohne Weiteres an das Kernlexem
anzuschließen und auch untereinander nur noch bei diachroner Betrach-
tung als verwandt erkennbar sind, vgl. zu ziehen z. B. auch Zeuge, züchten,
Zaum. Bei der synchronen Beschreibung der Wortbildungsaktivität (¢ 1.7.3)
und der „morphologisch-motivationellen Vernetzung“ des Wortschatzes
(Reichmann 2001, 149) spielen diese verdunkelten Verwandtschaftsbezie-
hungen keine Rolle. Hierbei werden nur solche Familienglieder berücksich-
tigt, deren lexikalische Bedeutung synchron näherungsweise aus der Moti-
vationsbedeutung erschließbar ist, die ein „Motivationssystem“ bilden
(v. Polenz 1980, 171; auch: Wortbildungsnest). Mitunter versteht man unter
einer Wortfamilie auch nur die Derivate des Kernlexems ohne die entspre-
chenden Komposita (Heringer 2009, 111).
Eine Wortfamilie ist grundsätzlich lückenhaft, d. h., das Kernlexem rea-
lisiert nicht alle für seine Wortart möglichen Modelle. Bei den simplizischen
Farbadjektiven fehlen z.B. die Negation mit un- (vgl. unklug, aber nicht
*unblau) und usuelle Determinativkomposita mit verbalem Erstglied (vgl.
bügelfeucht, aber nicht *badeblau[es Wasser]). Auch die Wortfamilien der
einzelnen Kernlexeme ein und desselben Wortfeldes sind nicht gleichmäßig
entfaltet, vgl. tiefrot, tiefblau, aber nicht *tiefgrau; erröten, ergrauen, aber
nicht *erweißen. Einen informativen Überblick über „heutige Wortfamilien“
einschließlich der Fremdwortfamilien bieten Augst 1998; Splett 2009.
Gut ausgebaute Wortfamilien von Entlehnungen im Deutschen zeugen
von fortgeschrittener Integration des Fremdworts, vgl. z.B leasen/Leasing:
verleasen, zurückleasen, Leasingfirma, -gebühr, -geschäft, -rate u. v .a.
100 1 Grundsätze und Grundbegriffe

1.8.2.4 Wortbildungssynonymie und -antonymie


Die Wortbildungssynonymie ist als Relation zwischen Wortfamiliengliedern
ein Spezialfall der lexikalischen Synonymie (auch Konkurrenz genannt, vgl.
DWb 1, 20). Die Besonderheit von Wortbildungssynonymen besteht darin,
dass sie – anders als die formativisch verschiedenen lexikalischen Synonyme
– mindestens ein gleiches Grundmorphem enthalten (fehlerlos – fehlerfrei,
Helle – Helligkeit, Bedeutung – Bedeutsamkeit, Säufer – Saufbold, erwachen –
aufwachen, verdecken – zudecken; vgl. Grimm 1970). In der Regel handelt es
sich um Synonympaare. Synonymreihen sind kaum ausgeprägt, in Einzel-
fällen bei Verben (verschließen – zuschließen – abschließen). Wie für paradig-
matische Relationen zwischen mehrdeutigen Lexemen generell gilt auch für
die Wortbildungssynonymie, dass sie nicht alle Lesarten einschließt, son-
dern lesartengebunden ist.
Derivate mit der gleichen Wortbildungsbedeutung, aber mit unterschied-
licher lexikalischer Bedeutung infolge unterschiedlicher Derivationsbasen
werden hier nicht zu den Wortbildungssynonymen gezählt, vgl. ,ornativ‘
vergolden, versilbern, verchromen, bebildern, überbrücken; ,negierend‘ unwirk-
lich, inkorrekt. Ihr Verhältnis zueinander wird im Allgemeinen als Konver-
genz bezeichnet (DWb 1, 135). Klosa (1996, 75) nennt dagegen „alle Bil-
dungen verschiedener Wortbildungsmuster innerhalb eines Funktionsstan-
des in ihrer Wortbildungsbedeutung synonym.“
Die synonymische Relation ist vielfach an konkrete Wortbildungen ge-
bunden und nicht für alle Bildungen der Modelle verallgemeinerbar. So
können gleichlautende Affixe bzw. Verbpartikeln an verschiedenen Deri-
vationsbasen unterschiedliche Relationen ausprägen, vgl. synonymisch an-
fahren – losfahren, verlöschen – erlöschen, aber nicht synonymisch anbinden
– losbinden, verkaufen – erkaufen.
Relativ häufig entsteht Synonymie bei Derivaten durch die Konkurrenz
von indigenem und fremdem Affix an derselben Basis. Während nur bei
fremdsprachlicher (und nicht bei indigener) Basis mitunter indigenes und
fremdes Suffix austauschbar sind, vgl. Naivheit – Naivität, verbinden sich
indigenes und fremdes Präfix sowohl mit indigenen als auch mit fremden
Basen: Koautor – Mitautor, inakzeptabel – unakzeptabel (¢ 1.9.3).
Zwischen Determinativkomposita kann Synonymie dann auftreten,
wenn zwei Wortbildungen über das gleiche Erstglied und synonymische
Zweitglieder oder über synonymische Erstglieder und über das gleiche
Zweitglied verfügen: Erdsatellit –Erdtrabant, Seniorenheim – Altenheim. Die
Synonymie setzt nicht Wortbildungen gleicher Wortbildungsart voraus:
Fernsehapparat – Fernsehgerät – Fernseher; Frachtschiff – Frachter, Metallar-
beiter – Metaller, eiskalt – eisig; begrenzen – abgrenzen. In einigen Fällen sind
1.9 Zur Spezifik der Fremdwortbildung 101

allerdings spezifische Bedeutungsnuancierungen zwischen den Synonymen


zu beachten: Aus dem Affixstatus eines Gliedes ergibt sich bei den Derivaten
ein höherer Abstraktionsgrad. Mit dem Kompositum wird das Denotat „an-
schaulicher, konkreter“ bezeichnet, da „Kompositionselemente eine grö-
ßere Zahl speziellerer Bedeutungsmerkmale enthalten“ (DWb 2, 419). Bei
synonymischen Verben sind die Präfixderivate im Vergleich zu den Parti-
kelverben in der Regel in höherem Maße polysem.
Gegensatzrelationen entstehen durch Wortbildung bevorzugt bei Adjek-
tiven und Verben (doch vgl. Henzen 1969 über „Richtung – Gegenrichtung“
auch bei Substantiven) in erster Linie durch die Derivation. An ein und
dieselbe Basis werden antonymische Suffixe oder Präfixe bzw. Verbalparti-
keln angefügt (fehlerlos – fehlerhaft, aufschließen – zuschließen) oder eine
Basis wird durch ein Negationspräfix negiert (Glück – Unglück, verständlich
– unverständlich).
Bei Adjektiven führen stark reihenbildende Einheiten wie arm, reich, leer,
voll, freundlich, feindlich als Zweitglied von Komposita mit gleichem Erst-
glied zur Ausprägung zahlreicher Gegensatzpaare: nährstoffarm – nährstoff-
reich, ausdrucksvoll – ausdrucksleer, umweltfreundlich – umweltfeindlich.
Auch der Wechsel zwischen Kompositionsgliedern und Affixen in einer
Wortbildung bewirkt vielfach Wortbildungsantonymie: fehlerfrei – fehler-
haft; liebevoll, liebreich – lieblos; mühevoll – mühelos. Zur Synonymie und
Antonymie zwischen indigenen und entlehnten Negationspräfixen ausführ-
lich Klosa 1996, 373ff.

1.9 Zur Spezifik der Fremdwortbildung


Die Fremdwortbildung ist bisher nur in Ansätzen untersucht, sodass hier
keine systematische, sondern nur eine exemplarische Beschreibung vorge-
legt werden kann, konzentriert auf die Besonderheiten der Fremdwortbil-
dung im Vergleich zur indigenen Wortbildung sowie auf komplementäres
Zusammenwirken und Integrationsfähigkeit beider Teilsysteme (zu For-
schungsgeschichte und -stand v. Polenz 1991, 45ff., 236ff.; 1994, 92 ff.; Berg-
mann 2005; Müller 2005, 11 ff.; 2009, 393ff.; Seiffert 2005a).
Behandelt werden im Anschluss an die Bestimmung des Gegenstandes
(¢ 1.9.1)Beschreibungsprobleme(¢ 1.9.2.1),Wortbildungseinheiten(¢ 1.9.2.2),
Aspekte der Fugengestaltung in komplexen Wortbildungen (¢ 1.9.2.3) sowie
zentrale Wortbildungsarten (¢ 1.9.3).
102 1 Grundsätze und Grundbegriffe

1.9.1 Gegenstand

1) Der Terminus Fremdwortbildung steht für die Wortbildung unter Be-


teiligung fremder, exogener Einheiten (daher gelegentlich auch exogene
Wortbildung). Das sind solche Einheiten, die in Phonemstruktur, Aus-
sprache und/oder Schreibung mehr oder weniger von indigenen Gesetz-
mäßigkeiten abweichen. Dem Deutschen heute völlig assimilierte Einheiten
ursprünglich fremder Herkunft, wie das Substantivsuffix -er oder das Präfix
erz-, werden – wie allgemein üblich – zu den indigenen Elementen gezählt.
Wie indigene Suffixe wird das Suffix -er nicht betont; die meisten exogenen
Suffixe tragen dagegen den Wortakzent (¢ 1.9.2.2).
Der Fremdwortschatz des Deutschen entsteht auf zweierlei Weise: durch
Entlehnung „fertiger“ Wörter und durch Wortbildung mit exogenen Ele-
menten innerhalb des Deutschen. Beide Verfahren sind im Einzelfall ohne
diachrone Studien nicht auseinanderzuhalten (¢ 1.1.3; vgl. Munske 1988, 65;
Klein/Solms/Wegera 2009, 158). So ist beispielsweise Sensibilität nachweis-
lich aus frz. sensibilité entlehnt, könnte der Form nach aber auch nach lat.
sensibilitas im Deutschen gebildet oder aus dem Englischen (sensibility)
übernommen sein. Wegen dieser Differenzierungsprobleme, besonders bei
Wortbildungen lateinischer oder griechischer Herkunft, gehen wir synchron
vor und entscheiden bei morphosemantisch motivierten Fremdwörtern im
Zweifelsfall für Fremdwortbildung (¢ 1.9.2). Ebenso verfahren z. B. Feine/
Habermann 2005, 91 ff.; Seiffert 2008a.
Bei den Bildungen mit Fremdeinheiten handelt es sich keineswegs nur um
Bestandteile von Fachwortschätzen, sondern sie sind für den Allgemein-
wortschatz durchaus relevant (vgl. bereits v. Polenz 1967, 75 f.).
2) Den Gegenstand der Fremdwortbildung (auch: Lehnwortbildung; zur
Konkurrenz der Termini vgl. Müller 2005, 22f.; Munske 2009, 248ff.)
machen zwei Gruppen von motivierten Wortbildungen aus. Die einen sind
die Bildungen aus exogenen Einheiten wie Astronaut, Designeroutlet, de-
struktiv, Historiograf, Sensibilität bzw. Konversionen wie orange. Zur zweiten
Gruppe gehören Kombinationen aus exogenen und indigenen Einheiten
wie Computerlehrgang, Spielkonsole, undogmatisch. Letztere werden auch
Hybridbildungen genannt.
Das Zusammenwirken von indigener und exogener Wortbildung führt beispielsweise
zur Entstehung semantischer Parallelgruppen in beiden Teilsystemen; vgl. Verbalprä-
fixe de-/des- und ent- (dechiffrieren – entschlüsseln); Substantivsuffixe -ation und -ung
(Formation – Bildung), -esse und -heit/-igkeit (Akkuratesse – Genauigkeit), -erie und -erei
(Clownerie – Dieberei); Adjektivsuffixe -abel/-ibel und -bar (disponibel – verfügbar), -in
und -en (kristallin/kristallen – golden).
1.9 Zur Spezifik der Fremdwortbildung 103

Exogene Wortbildungen können nur angemessen analysiert werden, wenn


ihren Segmenten im Deutschen Stamm-, Konfix- oder Affixstatus zuge-
sprochen werden kann und wenn ihre Bedeutung durch diese Segmente
bzw. – bei Nichtsegmentierbarkeit – als Ganzes durch Wörter anderer Wort-
arten motiviert ist.
Fremdwörter, die im Deutschen nicht sinnvoll segmentiert werden kön-
nen, wie naiv, obszön, Koralle, Leviathan, werden in der synchronen Analyse
nicht berücksichtigt, wobei die Sprecherurteile über den Motivationsgrad
von Fremdwörtern je nach Fremdsprachenkenntnissen unterschiedlich aus-
fallen können.

Bei Kenntnis der zugrunde liegenden fremdsprachlichen Lexeme ist ein höherer Grad
der Motivation gegeben, sodass diese hier in besonderer Weise soziologisch differen-
ziert ist (¢ 1.5.4.1; dazu auch v. Polenz 1967, 77). Allerdings kann auch ohne Kenntnis
der jeweiligen griechischen bzw. lateinischen Grundlage die strukturelle Gruppenbil-
dung innerhalb des Deutschen mit einem gewissen Semantisierungseffekt verbunden
sein (v. Polenz 1967, 77 f.); vgl. -thek nach älterem Bibliothek in jüngeren Bildungen wie
Mediothek/Mediathek ,Sammlung audiovisueller Medien‘, Phonothek ,Archiv mit Ton-
bändern, Schallplatten u.Ä.‘, Kinemathek ,filmgeschichtliches Archiv‘, Diskothek,
Spielothek ,Salon mit Spielautomaten‘, Hobbythek (Fernsehsendung mit Freizeittipps).
Zur Geschichte des Konfixes -thek vgl. Koch 2010, 114 ff.

3) Die Fremdwortbildung lässt sich im Wesentlichen nach den gleichen


Wortbildungsarten systematisieren wie die indigene Wortbildung (¢ 1.9.3).
Eine (inzwischen nicht mehr produktive) Ausnahme davon stellt das an-
gloamerikanische Modell deverbaler Substantive auf -in dar (engl. sit-in,
drive-in, stand-in). Es war über seinen Ursprung in der studentischen Pro-
testbewegung der 1960er-Jahre hinaus offenbar noch kurzzeitig produktiv,
vgl. neben Scherzbildungen (Hau-in, Penn-in) eine Wortbildung wie Roll-in
(1977) ,eine Reihe von Veranstaltungen zu einem hochschulpolitischen
Thema, die in jeder Fakultät einer Universität in Folge an jeweils einem
anderen Tag stattfinden‘ (Näheres dazu Schmidt 1979). Danach ist es aber
dem Deutschen als produktives Bildungsmodell wieder abhanden gekom-
men. Jüngere Beispiele wie Rooming-in ,gemeinsame Unterbringung von
Mutter und Kind in einem Krankenhauszimmer‘ (Dudenband 1, 2009,
911), Call-in ,eine bestimmte Sendeform bzw. Sendung bei Fernsehen und
Hörfunk‘ (auch ohne Bindestrich: Roomingin, Callin) sowie solche mit je-
weils anderen präpositionalen Zweitgliedern Make-up, Stand-by, Take-off,
Warm-up sind als Entlehnung zu deuten. Jüngere Wortneubildungen im
Deutschen nach diesem Vorbild lassen sich nicht nachweisen. Als Erstglied
von Determinativkomposita kommen diese Entlehnungen allerdings je
104 1 Grundsätze und Grundbegriffe

nach gesellschaftlicher Relevanz des Bezeichneten vermehrt in Neubildun-


gen vor, vgl. z.B. drive-in in Drive-in-Bäcker, -Lokal, -Kino, -Schalter (PDW
2009); als verdeutlichendes Kompositum einzustufen ist Call-in-Sendung
(PDW 2009; ¢ 1.9.3.1).
4) Die im Deutschen potenziell wortbildungsaktiven exogenen Wortbil-
dungseinheiten werden entweder durch die autonome Übernahme eines
Morphems und dessen „Aktivierung“ (Müller 2005, 40; vgl. super, inter-)
gewonnen oder sie werden durch Morphematisierung von Segmenten kom-
plexer Fremdwörter (durch Reanalyse, vgl. Fuhrhop 1998, 104f.) zu aktiven
Bildungseinheiten: tele- aus Telefon, Telegraf, danach z.B. Teledialog, -kolleg,
-station, -vision, telegen, televerbunden; ähnlich -skop (aus Mikroskop) in
Broncho-, Chrono-, Kaleido-, Reflekto-, Tele-, Uranoskop oder -thek (Beispie-
le s. o.); ex- aus Exjesuit (nach Hoppe 1999, 178f. bereits im 18. Jh.), danach
Exminister, Exprediger, Exkandidat u.a.
Meist handelt es sich bei den exogenen Wortbildungseinheiten um grie-
chische und lateinische Wortstämme, die nicht selten über andere Sprachen
ins Deutsche gelangen (z. B. mini aus Minimum, Anfang der 1960er-Jahre aus
dem Englischen) und damit zu einer Internationalisierung des Wortschatzes
beitragen, vgl. Munske/Kirkness 1996; Bergmann 2000 zu den sog. Euro-
päismen; Habermann 1999, 25 zur „Weltgeltung des lateinischen Erbes“.

1.9.2 Probleme der Analyse und Klassifikation

1.9.2.1 Grundsätzliches
Die mit der Fremdwortbildung zusammenhängenden spezifischen Proble-
me der Analyse und Klassifikation ergeben sich vor allem aus folgenden
Sachverhalten:
Zum einen ist, wie bereits gesagt (¢ 1.9.1), die Unterscheidung zwischen
Entlehnung und Fremdwortbildung innerhalb des Deutschen in vielen
Fällen – oft auch trotz historischer Studien – nicht klar zu treffen; zum
anderen lässt sich der morphologische Status der exogenen Wortbildungs-
einheiten mitunter nicht eindeutig bestimmen. Die Grenzen zwischen
Stämmen, Konfixen und Affixen erscheinen wesentlich unschärfer als bei
den indigenen Einheiten (¢ 1.6.3).
Gleitende Übergänge zwischen den Einheiten entstehen zum Teil da-
durch, dass es sich bei exogenen Einheiten um genetisch unterschiedliche
morphosyntaktische Klassen handelt, und zwar um griechische bzw. latei-
nische Präfixe (a-, in-) oder um Präpositionen (inter, hyper, super) oder
schließlich um „volle“ Autosemantika wie hydōr ,Wasser‘ (Hydro-), lithos
1.9 Zur Spezifik der Fremdwortbildung 105

,Stein‘ (Litho-). Klassifizierungsprobleme entwickeln sich aber auch des-


halb, weil sich der Status von Fremdmorphemen im Deutschen im Laufe der
Zeit verändern kann. Zunächst nur gebunden auftretende Einheiten ver-
selbstständigen sich mitunter recht schnell zu freien Lexemen (ein super-
kluger Student – seine Leistungen sind super, top- > top ,von höchster Güte,
hervorragend‘; ex- > Ex ,ehemaliger Partner/ehemalige Partnerin‘), wie um-
gekehrt freie Lexeme über den metaphorischen Gebrauch im Kompositum
zur semantischen Verallgemeinerung und damit wie auch indigene Einhei-
ten zur Grammatikalisierung neigen können (vgl. Mammut in Mammutpro-
gramm, -projekt, -veranstaltung; Müller 2005, 30).
Ein andersartiges Problem der Analyse von Fremdwortbildungen stellen die unter-
schiedlichen Beschreibungsansätze dar. Bei der Derivation konkurriert beispielsweise
die lexem- mit der zeichenbasierten Analyse (Müller 2005, 24 ff.). Müller (2005, 33)
konstatiert insgesamt eine „beträchtliche, teils auch verwirrende Vielfalt bei der Klas-
sifikation von Fremdwortbildungen“ und erklärt sie mit Defiziten in der bisherigen
Forschung, „mit deren Abbau die germanistische Wortbildungsforschung erst vor
kurzem begonnen hat.“

1.9.2.2 Einheiten der Fremdwortbildung


Wie in der indigenen Wortbildung stehen auch in der Fremdwortbildung
Stämme und Affixe als Input für Wortbildungen zur Verfügung. Als Beson-
derheit kommen die Konfixe hinzu, die in der indigenen Wortbildung nur
eine Randerscheinung darstellen (¢ 1.6.3).

1.9.2.2.1 Stämme
Exogene Stämme sind wie indigene wortfähig. Sie können sowohl einfach als
auch komplex sein. In beiden Strukturen werden sie für Wortbildungen
genutzt: human – inhuman – Humanität – Humanitätsideal. Ein und der-
selbe Stamm kann – wie auch in der indigenen Wortbildung – über unter-
schiedliche Kompositions- und Derivationsstammformen verfügen, vgl. Kri-
sen management – Kriso tainment (Michel 2009a, 106), Methoden lehre –
method isch.

1.9.2.2.2 Affixe
Exogene Präfixe und Suffixe verfügen weitgehend über die gleichen Merk-
male wie indigene (Gebundenheit, Positionsfestigkeit, morphosemantische
Funktion, ¢ 1.6.2.2). Auch ihre phonologische Struktur weist sie nicht in
allen Fällen als fremd aus (vgl. in-, an-, ko-). Was sie aber deutlich von
indigenen unterscheidet, sind eine größere Vielfalt an Allomorphen, eine
spezifische Distribution sowie – das betrifft nur die Suffixe – die Besonder-
106 1 Grundsätze und Grundbegriffe

heit, dass sie meist den Wortakzent tragen, vgl. z.B. -and, -ent, -at, -ur, -iv in
Doktorand, Student, Kandidat, Frisur, alternativ (unbetont dagegen: -ik wie
in Motivik oder -or wie in Lektor, aber Plural Lektóren).
Das gleichermaßen betonte Suffix -ei/-erei wird trotz seiner fremden Her-
kunft als indigen bestimmt. Schon im Mhd. sind eigene Bildungen belegt
(Henzen 1965, 185f.). Heute verbindet sich -ei/-erei ohne Restriktionen mit
indigenen Stämmen (Lauferei, Singerei), was für die übrigen entlehnten Suf-
fixe nicht gilt.
Die folgenden Tabellen geben einen Überblick über wichtige allgemein-
sprachliche Affixe. Wenig verbreitete oder primär fachsprachliche Affixe wie
bi- in bipolar, di- in Diglossie, -ice in Direktrice, -arium in Planetarium, -oid in
Kristalloid, -ose in Neurose bleiben unberücksichtigt; doch zu -oid beim
Adjektiv ¢Übersicht 9; ¢ 3.3.3(8); zum Movierungssuffix -ess/-esse/-isse
¢ 2.3.2.22(6).

Übersicht 8: Exogene substantivische Affixe


Affix Bestand Beispiele
Präfix a-/an-/ar-, anti-, de-/ Asynergie, Analphabet, Arrhythmie,
des-, dis-, ex-, hyper-, Antikörper, Demontage, Desillusion,
in-,inter-,ko-/kol-/kom-/ Disharmonie,Exfreund,Hyperfunktion,
kon-/kor-, non-, prä-, Intoleranz, Interdisziplin, Kopilot, Kol-
pro-, re-, trans-, ultra- laborateur, Kommilitone, Konrektor,
Korrelation, Nonkonformist, Prähisto-
rie, Prorektor, Reorganisation, Transfor-
mation, Ultraschall
Suffix -ade/-iade, -age, Marinade, Universiade, Spionage, Fun-
-ament/-ement, -and, dament, Engagement, Doktorand, Si-
ant/-ent, -anz/-enz, mulant, Konkurrent, Arroganz, Kon-
-ar/-är, -asmus/-ismus, kurrenz, Bibliothekar, Funktionär, Sar-
-at, -ee, -esse, -ette, kasmus, Terrorismus, Konsulat,
-ie/-erie, -eur, -euse, Resümee, Delikatesse, Operette, Monar-
-ing, -ik, -iker, -ine, -ier, chie, Maschinerie, Masseur, Masseuse,
-iere, -ion/-tion/-ation, Shopping, Motivik, Historiker, Blondi-
-ist, -itis, -tät/-ität, ne, Bankier, Garderobiere, Explosion,
-or/-ator/-itor,-ur/-atur Intervention,Kombination,Monarchist,
Telefonitis, Fakultät, Aktualität, Profes-
sor, Generator, Inquisitor, Glasur, Tas-
tatur
1.9 Zur Spezifik der Fremdwortbildung 107

Übersicht 9: Exogene adjektivische Affixe


Affix Bestand Beispiele
Präfix a-/an-/ar-, anti-, de-/ amusisch, anorganisch, arrhythmisch,
des-, dis-, ex-, hyper-, in- antiautoritär, dezentral, desinteressiert,
/il-/im-/ir-, inter-, ko- diskontinuierlich, exterritorial, hyper-
/kol-/kon-/kor-, post-, aktiv, instabil, illegal, immateriell, ir-
prä-, pro-, trans-, ultra- rational, interdisziplinär, kooperativ,
kollateral, konform, korrelativ, postna-
tal, prähistorisch, prowestlich, transhu-
man, ultraleicht
Suffix -abel/-ibel, -al/-ell, diskutabel, disponibel, formal, rituell,
-ant/-ent, -ar/-är, -esk, tolerant, abstinent, atomar, regulär,
-iv/-ativ, -oid, -ös/-os clownesk, effektiv, informativ, faschis-
toid, porös, nebulos

Übersicht 10: Exogene verbale Affixe


Affix Bestand Beispiele
Präfix de-/des-, dis-, in-/il-/im-/ dechiffrieren, desinfizieren, disquali-
ir-, ko-/kol-/kom-/kon-/ fizieren, infiltrieren, illuminieren, im-
kor-, prä-, re-, trans- plantieren, irritieren, kofinanzieren,
kollabieren, kommandieren, konzen-
trieren, korrelieren, prädominieren,
reagieren, transportieren
Suffix -ier(en)/-isier(en)/ fotografieren, kriminalisieren, elektrifi-
-ifizier(en) zieren

1.9.2.2.3 Konfixe
Konfixe sind im Unterschied zu Stämmen nicht wortfähig. Wie Stämme
können sie aber auch in mehr als einer Form in komplexe Wörter eingehen
(zu weiteren Unterschieden zwischen den Wortbildungseinheiten Konfix,
Stamm, Affix ¢ 1.6.3).
Zu unterscheiden sind Kompositionskonfixformen (Grammato grafie,
Thermo dynamik) und Derivationskonfixformen (grammat isch, Therm ik,
therm isch). Besonders in Suffixderivaten tritt häufig gebersprachlich be-
dingter Konsonantenwechsel im Auslaut der Basis auf, sodass verschiedene
Derivationskonfixformen vorkommen (revid ieren, Revis ion).
108 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Über die Merkmale ,kompositionsgliedfähig‘ bzw. ,basisfähig‘ verfügen


nicht alle Konfixe gleichermaßen. Nur kompositionsgliedfähig ist geo-, nur
basisfähig fanat-; beide Merkmale hat therm/o-.
Nach ihrer Position im Wort sind Präkonfixe von Postkonfixen zu tren-
nen; daneben gibt es auch Konfixe, die in beiden Positionen stehen können,
vgl.
– bio-, elektr-, fanat-, geo-, ident- (Biogemüse, elektrisch, Fanatiker, Geograf,
Identität);
– -drom, -lekt, -zid, -thek (Velodrom, Dialekt, Pestizid, Videothek);
– -graf-, -naut-, -phil-, -phob-, -therm- (Biograf, grafisch; Astronaut, nautisch;
Philologe, bibliophil; Phobie, anglophob; thermophil, aerotherm).
Als nicht wortfähige Einheiten sind Konfixe isoliert gesehen wortartenin-
different; Postkonfixe legen allerdings die Wortart des komplexen Wortes in
der Regel fest: -drom z. B. markiert Substantive, -phob Adjektive.

1.9.2.2.4 Einheiten zwischen Konfix und Affix


Während Stämme durch das Merkmal Wortfähigkeit meist relativ deutlich
von Konfixen unterschieden werden können, lässt sich die Grenze zwischen
Affixen und Konfixen weniger klar bestimmen (Müller 2005, 29; Elsen 2005,
136 ff.; Donalies 2005c). Beide Arten von Wortbildungseinheiten kommen
nur gebunden vor, d. h. nur in Verbindung mit Stämmen oder Konfixen;
deshalb werden sie terminologisch gelegentlich als Kombineme zusammen-
gefasst (Schmidt 1987a, 47ff.).
Der wichtigste Unterschied zwischen diesen gebundenen Einheiten liegt
in der Semantik. Konfixe zeichnen sich gegenüber Affixen durch ihre lexi-
kalische Bedeutung aus, durch die „an sprachliche Ausdrücke gebundene[n]
konzeptuelle[n] Informationen über außersprachliche Objekte und Sach-
verhalte“ (Seiffert 2008a, 97). Affixe hingegen verfügen über bestimmte
morphosemantische Funktionen, dank derer sie erst zusammen mit der
Derivationsbasis Zeichen mit lexikalischer Bedeutung bilden können. So
plausibel dieser Unterschied theoretisch auch ist, so muss die Zuordnung
einzelner Einheiten – wie oft bei semantischen Kriterien – dennoch gele-
gentlich offen bleiben, weil die Semantik mancher Einheiten weder aus-
schließlich ,lexikalisch‘ noch ausschließlich ,funktional‘ genannt werden
kann (¢ 1.6.3). Das betrifft Affixe ebenso wie Konfixe, vgl. Einheiten wie
mega- ,sehr groß‘, poly- ,viel‘, semi- ,halb‘. Müller (2005, 28) nennt als wei-
tere Beispiele für derartige Grenzfälle auto-, makro-, mikro-, mini-, mono-,
neo-, proto-, pseudo-, vize- (ausführlicher zu weiteren Konfixmerkmalen
und Abgrenzungsproblemen zuletzt Michel 2009a, 112ff.; vgl. auch Elsen
2009).
1.9 Zur Spezifik der Fremdwortbildung 109

Zwischen Konfixen und Affixen besteht demzufolge ein Übergangsbereich von Wort-
bildungseinheiten, deren Semantik keine eindeutige Zuordnung erlaubt. Als ein ergän-
zendes Unterscheidungsmerkmal könnte möglicherweise die Distribution der Einhei-
ten herangezogen werden. Zu prüfen sind die Kompositionsgliedfähigkeit und die
Basisfähigkeit (Müller 2005, 26 ff.). Konfixe können sich im komplexen Wort mit
einem Konfix als Erst- bzw. Zweitglied verbinden (Velo drom, Geo graf), Präfixe for-
dern dagegen einen Stamm als Zweitglied (Anti these; Anti-Prinzessin [LVZ 2010], an-
ti autoritär, prä natal); aus Präfixen mit Konfixen als Zweitglied entstehen im Nor-
malfall ungrammatische Bildungen (*Anti thek). Wenn keine Gegenbeispiele nachge-
wiesen werden können, ließen sich nach diesem Kriterium Präkonfixe von Präfixen
abheben.
Für Suffixe gilt das allerdings nicht. Suffixe und Postkonfixe treten in der Regel
gleichermaßen an Stämme (Dekan at, Spiel o thek) wie an Konfixe (Dikt at, Media thek),
sodass die Distribution nicht zu ihrer Unterscheidung taugt. Erlaubt auch die Semantik
der Einheit keine eindeutige Aussage, bleibt der Status offen. Das betrifft beispielsweise
die rechtsperiphere Einheit -itis. Sie verbindet sich sowohl mit Konfixen als auch mit
Stämmen, vgl. Hepat itis, Telefon itis. Semantisch steht sie mit den Lesarten ,entzünd-
liche Erkrankung‘ (Medizin) und metaphorisch ,krankhafte, übertriebene Nutzung
von etwas‘ zwischen Konfix und Affix, tendiert v.a. in der zweiten Lesart wegen des
relativ hohen Verallgemeinerungsgrades wohl zum Affix (Nortmeyer 1987; Feine 2003,
442).
Dass eine sichere Zuordnung bestimmter exogener Einheiten zur Klasse Affix bzw.
Konfix kaum möglich ist, zeigen zahlreiche Systematisierungsvorschläge, vgl. Donalies
2005b, 107ff.; Elsen 2005; Müller 2005, 201ff; Michel 2009a). Wellmann (1998, 538)
wählt zur Signalisierung des unklaren Status für entsprechende linksperiphere Einhei-
ten bezeichnenderweise den Terminus „(Halb)präfix“ (z. B. für epi-, extra-, para-,
supra-).
Für den Verzicht auf den Terminus Konfix plädieren Eins 2008, Elsen 2009, wobei
sich optimale Kategorisierungsalternativen bisher nicht ergeben haben.

Als eine vorerst zweckmäßige Lösung für die Klassifizierung exogener Ein-
heiten erweist sich der Vorschlag, ein prototypisches Beschreibungsmodell
zu wählen. Danach geht man von einem Kernbestand aus – das ist eine
Menge prototypischer Vertreter –, der von weiteren, graduell weniger typi-
schen Vertretern der Klasse ergänzt wird (Seiffert 2008a, 86 ff.). Die proto-
typischen Einheiten verfügen über alle Merkmale der Klasse, die weniger
typischen dagegen nur über eine Auswahl aus diesen Merkmalen. Einen
entsprechenden Merkmalskatalog für das Konfix diskutiert Michel (2009a,
93 ff.). „Wesentliche Eigenschaften“ der Konfixe sind danach gebundenes
Vorkommen, Basisfähigkeit und lexikalisch-begriffliche Bedeutung. Da die
von Müller genannten Einheiten (auto-, makro- usw.) nicht basisfähig sind,
gehören sie demnach zu den weniger typischen Konfixen.
110 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Eine besondere Rolle spielen exogene Einheiten zwischen Konfix und Affix bei der
Bildung von Produktnamen, vgl. -ol zur Bezeichnung von Flüssigkeiten in Odol (zu
griech. odōn ,Zahn‘, 1892), Lysol (griech. lysis ,Lösung‘), Minol (zu Mineralöl); -tex aus
der Vollform Textil(ien) in Bezeichnungen von Stoffen wie Goretex, Novatex, Sympatex
(nach Ronneberger-Sibold 2009, 165f. unter englischem Einfluss); -lon zur Bezeich-
nung von synthetischen Fasern wie Astralon ,durchsichtiger Kunststoff‘, Dralon, Nylon,
Orlon, Perlon, Trelon.
Zur entsprechenden ausgiebigen Verwendung des Konfixes therm(o)- vgl. Schmidt
1987c; zur Verwendung von -al, -an, -ol, -on in der Fachsprache der Chemie Steinhauer
2000, 105 f; zu „Typen – Geschichte – Funktionen“ von Konfixen in deutschen Pro-
duktnamen vgl. Ronneberger-Sibold 2009, 141 ff.
Auch für andere terminologische Systeme werden derartige Einheiten intensiv ge-
nutzt, vgl. -em in der Linguistik (von Phonem bis Pragmem) und -ose in der Medizin.

1.9.2.3 Fugenelemente
Für die Fremdwortbildung, und zwar für Konfixkomposita, sind die Fugen-
elemente -o- und (selten) -i- charakteristisch. Sie gehen auf Kompositions-
vokale des Griechischen (-o-) bzw. Lateinischen (-i-) zurück; -o- hat diese
Funktion auch in slawischen Sprachen (russ. jazyk o znanie ,Sprachwissen-
schaft‘; ausführlich bereits Grimm 1878, 941ff.). Von den indigenen Fugen-
elementen sind sie genetisch und distributionell abzusetzen.
Das Fugenelement -o- kommt in folgenden kompositionellen Struktur-
typen vor:
1) Konfix + Konfix: Therm o stat
2) Konfix + indigener Stamm: Therm o hose
3) Indigener Stamm + Konfix: Wasch o mat
4) Konfix + exogener Stamm: Elektr o monteur, Chem o therapie
5) Exogener Stamm + Konfix: Film o thek.
Wie 1)–5) nahelegen, bedingen Konfixe griechisch-lateinischen Ursprungs
in Komposita offensichtlich das Fugenelement -o-, und zwar sowohl in Erst-
glied- als auch in Zweitgliedposition. Für Konfixe aus dem Englischen gilt
diese Bedingung nicht, vgl. hard-, low-, high- usw. (Eisenberg 2006, 245).
In einigen Fällen – wenn es kein o-loses Allomorph gibt (Plag 2003, 158) –
gehört -o- zum Stamm des Erstgliedes, ist also nicht als Fugenelement an-
zusehen, hat aber wohl mit zu dessen Ausbreitung beigetragen: bio-, makro-,
mikro-, mono-, proto-, pseudo-, stereo- u. a.
Das Fugen-o- tritt sowohl bei Substantiven als auch bei Adjektiven auf,
bei Adjektiven v. a. in Kopulativkomposita: anglo-amerikanisch, germano-
slawisch. In manchen Fällen erspart der Gebrauch von -o- die als unschön
empfundene Doppelung von Adjektiven auf -isch (magneto-optische Spei-
cher); in anderen Fällen dient er der Konfixverbindung: angl o phil.
1.9 Zur Spezifik der Fremdwortbildung 111

Substantive aus einem indigenen Stamm und einem exogenen Konfix,


vgl. oben 2) und 3), haben – unabhängig von deren Position als Erst- oder
Zweitglied – das Fugenelement -o-: Filzokratie, Elektrogerät. Gelegentlich
tritt das -o- auch bei Komposita aus indigenem und exogenem Stamm auf:
Guckomobil ,mobiles Blickbewegungslabor‘.
Das Fugenelement -i- ist weit seltener: Strat i grafie ,Lehre von den geo-
logischen Schichten‘; die Bildung Camp i fix als Bezeichnung für einen
Wohnzeltanhänger ist offensichtlich schon wieder veraltet; Handikap ist aus
dem Englischen entlehnt.
Über mehrere Kompositionskonfixformen (mit variabler Fugengestal-
tung) verfügen Bezeichnungen wie Agro biologie, -chemie, -nom, -technik,
Agri kultur, Agrar politik, -produkt, -reform, -staat, -technik.

1.9.3 Wortbildungsarten

Wie in der indigenen Wortbildung unterscheiden wir in der Fremdwortbil-


dung die Wortbildungsarten Komposition (¢ 1.9.3.1), Derivation (¢ 1.9.3.2),
Konversion und Kurzwortbildung. Unterschiede zur indigenen Wortbil-
dung bestehen auf dieser allgemeinen Klassifizierungsebene nicht. Sie treten
erst bei den Wortbildungsunterarten in Erscheinung.

1.9.3.1 Komposition
Exogene Wortbildungseinheiten können als Erst- wie auch als Zweitglied
mit indigenen Stämmen verbunden werden, ohne dass Beschränkungen, die
sich aus ihrer „Fremdheit“ ergäben, zu systematisieren wären. Bei der Kom-
position unterscheiden wir zwei Gruppen:
1) Komposita aus zwei wortfähigen Konstituenten, von denen beide oder
nur eine exogen sind: Charakterstudie, Chemielaborant, milieustabil; Com-
puteranlage, Weltraumrendezvous, korrosionsfest, gleichgewichtsindifferent;
2) Konfixkomposita aus zwei Konfixen oder aus einem Konfix und einer
wortfähigen Konstituente in folgenden Strukturtypen:
2.1) Konfix + Stamm: Aerobus, -medizin; Bioethik, -gas, -reiniger, Neopo-
sitivismus; bioaktiv, neoliberal, geostrategisch. Auch Zoo- in Zoogeographie,
-technik ist als Konfix hierher zu stellen (dazu Hoppe 1987, 219f.); Zoo
,zoologischer Garten‘ ist als Homonym davon abzusetzen. Zu substantivi-
schen Komposita mit Konfix als Erstglied ¢ 2.2.8.
2.2) Stamm + Konfix: Autodrom, Fotothek. Auch hier gilt das in 2.1) Ge-
sagte: Die wortfähigen formalen Äquivalente sind Homonyme zum jewei-
112 1 Grundsätze und Grundbegriffe

ligen Konfix wie Meter als Maßeinheit im Vergleich zu -meter in Tacho-,


Thermometer; Phon im Vergleich zu -phon.
2.3) Konfix + Konfix: Astronaut, Aquanaut, -planing; biogen ,von Lebe-
wesen stammend‘, frankophil ,frankreichfreundlich‘.
Nicht in jedem Fall lassen sich spezifische Kompositionsstammformen und Konfixe
deutlich trennen, vgl. Psychoanalyse zu Psyche; Turbodynamo, -generator, -satz zu Tur-
bine; Kosmobiologie zu Kosmos; Moto-Cross zu Motor.

Einen Spezialfall der Komposition mit Fremdelementen stellen verdeutli-


chende Bildungen dar, die dem Streben nach expliziter Motivation, nach
formaler und semantischer Vernetzung entspringen. Dabei wird meist ein
Fremdelement mit einem semantisch mehr oder weniger äquivalenten in-
digenen Wort verbunden. Am unbedenklichsten wird in umgangssprachli-
chen Schichten des Alltags verfahren und Lexeme wie Ausstellungsexponat,
Fachexperte, Einzelindividuum, Service-Dienst begegnen dann auch in der
Presse. Ältere Fälle sind Briefkuvert, Schutzpatron. Wortbildungen wie Fach-
experte und Einzelindividuum könnten auch als Kontamination (¢ 1.8.1.7)
aus Fachmann und Experte, Einzelwesen und Individuum entstanden sein;
vgl. auch Verben wie aufoktroyieren nach aufzwingen, versimplifizieren nach
vereinfachen.
Ein weiterer Sonderfall ist die Verdeutlichung fremdsprachlicher Eigen-
namen, die eher als angemessen akzeptiert wird (¢ 2.2.11.3[6]).
Verdeutlichende Komposition ist nicht auf den Fremdwortschatz be-
schränkt (¢ 2.2.11).

1.9.3.2 Derivation
In der Reihenfolge Suffigierung – Präfigierung werden nachfolgend die
Kombinationsmöglichkeiten zwischen exogenen und indigenen Wortbil-
dungseinheiten im Überblick beschrieben. Entsprechende Wortbildungen
stellen das „Scharnier zwischen Fremdwortbildung und indigener Wortbil-
dung“ dar (Müller 2000, 129).

1.9.3.2.1 Exogene Basis und indigenes Suffix


Im substantivischen Bereich kommt diese Kombination der Offenheit der
Komposition noch am nächsten. Sehr geläufig sind z. B. Substantive auf -ung
von Verben auf -ieren, z.B. Rationalisierung, Verabsolutierung. Mitunter tritt
Konkurrenz zu einem exogenen Suffix auf, wobei sich die Semantik der
Bildungen in der Regel nicht völlig deckt (Präzisierung – Präzision; Revolu-
tionierung – Revolution). Ebenso häufig kommen Personenbezeichnungen
auf -er vor (Diskotheker, Jogger, Camper, z. T. allerdings komplett mit -er aus
1.9 Zur Spezifik der Fremdwortbildung 113

dem Englischen entlehnt, vgl. Lehnert 1986, 40, 72) sowie Eigenschaftsbe-
zeichnungen auf -heit mit partizipialer Basis (Diszipliniertheit). Derivate auf
-heit mit einer adjektivischen Fremdbasis wirken allerdings eher ungewöhn-
lich (bevorzugt werden Absurdität statt Absurdheit, Akkuratesse statt Akku-
ratheit; jedoch mit semantischem Unterschied: Delikatesse – Delikatheit).
Geläufig sind ferner Derivate auf -ei/-erei (Marschiererei), -schaft (Autor-
schaft) und -tum (Parasitentum) sowie Diminutiva, allerdings nicht mit -lein
(Traktätchen, Animositätchen; weitere Beispiele bei Donalies 2005b, 101)
und mit -in movierte Personenbezeichnungen (Babysitterin, Direktorin,
Kanzlerin, Ministerin); -in ist „praktisch uneingeschränkt“ für Derivate von
exogenen Personenbezeichnungen verwendbar (Munske 2009, 243).
Es fehlen offenbar Derivate mit den Suffixen -e, -el, -nis, -sel. Mit -ling gibt
es deadjektivische Wortbildungen wie Naiv-, Primitivling; Derivate mit sub-
stantivischer und verbaler Basis fehlen fast völlig (vgl. aber Firmling ,jmd.,
der gefirmt wird‘).
Unter den adjektivischen Derivaten dominiert das Suffix -isch (Weiteres
¢ 3.3.2.7[2]): akribisch, chronologisch, nomadisch. In manchen Fällen ist da-
neben die Form ohne -isch als Adjektiv geläufig: antik, synchron neben anti-
kisch, synchronisch.
Verbreitet ist auch -bar, vor allem bei Verben auf -ieren (definier-, kon-
struierbar).
Wortbildungen mit -sam fehlen und andere Modelle treten eher zurück,
vgl. -haft (desubstantivisch: anekdotenhaft, aber nicht deverbal: *diskutier-
haft). Seltener wird -ig genutzt (freakig ,in der Art eines Freaks‘, humorig,
spacig ,abgehoben‘, szenig). Es ist spezialisiert auf die Transposition substan-
tivischer Syntagmen zu Adjektiven (großkalibrig, vielatomig, zweimotorig).
Das Suffix -lich erscheint in einigen Wortbildungen wie appetitlich, kon-
traktlich sowie in einer Reihe von Derivaten mit einer Basis auf -ier, die sich
heute nicht mehr an ein Verb mit -ieren anschließen lässt (despektier-, kon-
tinuierlich); daraus ist wohl auf das Alter dieser Wortbildungen zu schließen.
Gelegentlich konkurriert -lich mit -ig bei der Adjektivierung substantivi-
scher Syntagmen: außertourlich (aber hochtourig), zweitinstanzlich, fein-
nervig (aber nervlich).
Stoffadjektive auf -en/-n sind nicht ungewöhnlich: damasten, papieren,
marmorn.
Suffixe wie -los und -mäßig, nicht zum alten Bestand gehörend, entspre-
chen in der Offenheit ihrer Verbindung mit Fremdbasen eher Wortstäm-
men.
Im Bereich der Adverbien finden sich relativ stark vertreten desubstan-
tivische Derivate auf -weise (portions-, quartals-, segmentweise). Seltener
114 1 Grundsätze und Grundbegriffe

wird wohl die Verbindung mit -wärts genutzt: „stieg er geruhsam caféwärts“
(L. Frank), happyendwärts (PDW 2005).
Was die Verben betrifft, so können Fremdlexeme ohne weitere Affixe
verbalisiert werden (chloren, interviewen); bevorzugt werden allerdings
Präfixderivate (vertrusten, verzinsen). Wortbildungen mit -el(n)/-l(n) und
-er(n)/-r(n) bleiben eher selten. Wohl in Anlehnung an kriseln ist okkasionell
touristeln belegt.

1.9.3.2.2 Indigene Basis und exogenes Suffix


Es bestehen erhebliche Unterschiede zum vorstehend behandelten Struk-
turtyp. Während das indigene Suffix eine stärkere Integration der fremden
Basis in das Deutsche bewirkt, erfolgt umgekehrt durch das Fremdsuffix
eine „Verfremdung“ der indigenen Basis.
Unter Substantiven bleiben entsprechende Wortbildungen vereinzelt.
Sie entstammen meist dem Studentenjargon vergangener Jahrhunderte,
wirken auffällig und sind verwendungsbeschränkt: Benehmität, Pfiffikus
nach GWDS ugs. scherzh., Luftikus ugs. abw., Schwulität ugs., Sammelsurium
scherzh., oft abw., Buckelinski nach WDG ugs. abw. (Letzteres im GWDS
nicht verzeichnet). Dazu passen Stellage und mundartliche Wortbildungen
wie Kledage/Kledasche ,Kleidung‘ (lt. Dudenband 1, 2009, 260 norddt.)
sowie Wortbildungen mit -alie/-alien wie Fressalien, Schmieralien, von
denen lediglich Lappalie stilistisch neutral ist.
Eine gewisse Sonderstellung hat das Suffix -ist (vgl. Paraschkewoff 1976),
z.B. in Lagerist und vor allem in Verbindung mit indigenen Bezeichnungen
von Musikinstrumenten (Hornist, Harfenist, Lautenist).
Das Suffix -ismus in Verbindungen wie Grobianismus (grobianische Li-
teratur des 15./16. Jh.) bleibt vereinzelt. Häufiger tritt es an Eigennamen,
auch an indigene: der vorsichtige Genscherismus der achtziger und neunziger
Jahre (PDW 2006).
Adjektive dieser Art sind noch seltener: schauderös nach WDG salopp
scherzh. (im GWDS nicht verzeichnet), schlageresk, schildbürgeresk (PDW
2005, 2006). Indigene Eigennamen treten auch hier auf: berlinesk, schröderesk
(PDW 2006, 2005), nussknackeresk (über Musik, bezogen auf P. Tschaikow-
skis Ballett „Der Nussknacker“; LVZ 2010); vgl. auch Wellmann 1975, 409ff.
Wohl ganz auf exogene Basen beschränkt bleiben bislang -al/-ell, -ant/-ent,
-ar/-är, -iv, -os/-ös.
Was die Verben betrifft, so ist seit Langem die Verbindung des Fremdsuf-
fixes -ier(en) mit indigener Basis geläufig (gastieren, inhaftieren); manche
dieser Wortbildungen sind allerdings – wie die meisten Substantive und
Adjektive (s.o.) – umgangssprachlich markiert (schnabulieren, sich verdün-
1.9 Zur Spezifik der Fremdwortbildung 115

nisieren) und im Übrigen ist die Produktivitätstendenz seit frühnhd. Zeit


stark rückläufig (vgl. Koskensalo 1986, 176). Infolge der besonderen mor-
phologischen Struktur des deutschen Verbs schließt das Fremdsuffix -ier(en)
die Form nicht ab, sondern wird stets durch eine indigene Personal- oder
Infinitendung „gedeckt“. So wird das beim Nomen gewonnene Bild durch
das Verb nicht grundsätzlich verändert.
Zum Ausbau der Wortfamilien von -ieren-Verben vgl. Munske 2009,
236 f.

1.9.3.2.3 Exogene Basis und indigenes Präfix


Von den indigenen Präfixen bei Substantiv und Adjektiv zeigt un- die stärks-
te Affinität zur Verbindung mit adjektivischer Fremdbasis, vgl. die jüngeren
Adjektive unclever (PDW 2006), uncool. Das WDG verzeichnet 71 entspre-
chende Adjektive (von unakademisch bis zu unpolitisch und unzivilisiert),
aber nur zwei Substantive (Unmoral, -natur; es fehlen dort noch die im
GWDS 1999 registrierten Unkultur, Unperson). Bei den Adjektiven überwie-
gen bestimmte Formativstrukturen: Rund 70 % der Adjektive sind durch
ein indigenes Suffix „gedeckt“ und damit assimiliert (-isch: unbürokratisch,
-lich: unappetitlich; -bar: undeklinierbar; Partizip: unkonzentriert). Nur etwa
30 % haben eine Fremdbasis ohne Suffix (unfair, unkorrekt) oder sind mit
einem Fremdsuffix kombiniert (undiskutabel, unkonventionell). Gelegent-
lich konkurrieren die Fremdpräfixe a- und in-: apolitisch, indiskutabel, in-
korrekt, dabei können sich semantische Unterschiede herausbilden, vgl. ahis-
torisch ,nicht historisch, von der Historie nicht beeinflusst, außerhalb der
Historie stehend‘ – unhistorisch ,die historische Bedingtheit einer Sache
außer Acht lassend‘ (GWDS; ¢ 3.4.3.1). Nach Müller (2000, 129) bleiben
entsprechende Konkurrenzbildungen allerdings selten.
Die indigenen Nominalpräfixe ur- und miss- zeigen ein noch krasseres
Bild. Substantive mit ur- kommen kaum vor (Urproduktion, -text, -typ; vgl.
auch mathematische Urintention, Spectrum 1989) und Adjektive fehlen fast
völlig (aber urcool, urkomisch). Mit miss- finden sich Misskredit (in Miss-
kredit geraten); Missidee (Th. Mann), Missinterpretation, Missmanagement.
Beim Verb sind die Verhältnisse sehr differenziert. Die Affinität der Verb-
präfixe zur Koppelung mit Fremdbasis ist insgesamt, gemessen an der ge-
nerellen Aktivität dieser Präfixe, relativ gering. Am stärksten ist sie bei dem
ausgeprägt polysemen Präfix ver- (verkalkulieren, verslumen); auch ent- ist
mehrfach vertreten: enttabuisieren, entmagnetisieren. Verbindungen der Prä-
fixe be-, er- und zer- mit Verben auf -ier(en) scheinen vereinzelt zu bleiben
oder ganz zu fehlen (GWDS verzeichnet nur bekomplimentieren); auch ihre
Neigung zur Verbindung mit anderen Fremdlexemen ist gering.
116 1 Grundsätze und Grundbegriffe

Die präpositionalen Verbpartikeln stehen der Komposition näher und


verbinden sich weitgehend unrestringiert mit Fremdbasen (aus-, ein-, um-
rangieren, überstrapazieren u.v.a.). Lexikalisierte Verben mit adverbialen
und adjektivischen Verbpartikeln finden sich vereinzelt herauskristallisieren,
hochstilisieren, wegrationalisieren, -sanieren.

1.9.3.2.4 Indigene Basis und exogenes Präfix


Hier bietet sich ein ganz anderes Bild als bei der Koppelung indigener Basis
mit Fremdsuffix – was zu den sonstigen Unterschieden zwischen Präfix und
Suffix passt.
Bei Substantiv und Adjektiv kommt die Affinität eines Teils der Fremd-
präfixe zur Verbindung mit indigener Basis der von Kompositionsgliedern
gleich: Antiheld, eine an ein „Anti-Bauhaus“ erinnernde Schau (PDW 2006),
Exbürgermeister, exdeutsch (Hoppe 1999), hypergenau, ultrakalte Neutronen.
Kaum mit indigener Basis verbinden sich dagegen die Negationspräfixe
a-, ab-, in-: statt *inschön, *aklug heißt es unschön, unklug. Klosa (1996, 417)
ermittelt als einzigen Beleg von a- + indigene Basis asinnlich. Die Konkur-
renz mit entsprechendem indigenem Element kann allerdings nicht allein
ausschlaggebend für diese Restriktion sein, denn sie gilt meist auch unter
den weiter oben genannten Fällen (anti – gegen, ex – alt, ehemalig).
Auch Ko- tritt nur selten auf in Verbindungen wie Ko-Vorsitz/Kovorsitz,
Ko-Vorsitzender, Kovorsitzender (PDW 2006); nicht *Koschüler statt Mitschü-
ler.
Die vor allem im Verbalbereich vorkommenden Fremdpräfixe, z. B. de-/
des-, dis-, in-, ko-, per-, prä-, sub-, trans-, verbinden sich offensichtlich nicht
mit indigener verbaler Basis (*koarbeiten; ¢ 5.2.4).
2 Wortbildung des Substantivs

2.1 Allgemeine Charakteristik

2.1.1 Produktivität

Substantive bilden den Hauptteil des Wortschatzes, etwa 50–60 % (so Erben
1980, 124). Dem entspricht auch ihre dominante Rolle in der Wortbildung,
was allerdings nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ bedingt ist. Die
Modelle für die Bildung von Substantiven zeigen eine Vielfalt und Produk-
tivität, die von den anderen Wortarten nicht erreicht wird.
Substantivische Komposita sind unter Verwendung von Einheiten aller
Wortarten als Erstglied bildbar; auch Adverbien, Präpositionen, Konjunk-
tionen und Partikeln können dabei Verwendung finden (¢ 2.2.2 –¢ 2.2.7).
Stark ausgeprägt ist die Determinativkomposition aus zwei Substantiven
(Günther 1981, 278: „uneingeschränkt produktiv“; 77,9 % im Innsbrucker
Korpus), während die kompositionelle Verbindung von Konstituenten der
gleichen Wortart beim Adjektiv etwas schwächer (53,3 % im Innsbrucker
Korpus) und beim Verb kaum entwickelt ist (DWb 5, 18). Dass sowohl
Verben als auch Adjektive nicht so häufig als Erstglieder substantivischer
Komposita fungieren (jeweils unter 7 % im Innsbrucker Korpus; DWb 4,
319), lässt sich auf bestimmte morphologische Eigenschaften dieser Wort-
arten zurückführen. So widersetzen sich z.B. suffigierte Adjektive weitge-
hend der Erstgliedposition (*Sandigboden, stattdessen Sandboden); ebenso
Verben mit adverbialer Verbpartikel. Entsprechende komplexe Substantive
entstehen in der Regel durch Derivation (hereinnehmen > Hereinnahme;
herausfordern > Herausforderer); aber Komposita kommen doch vereinzelt
vor (Wegwerfgesellschaft, -windel). Einzelne lexikalisierte Gegenbeispiele
finden sich auch mit derivierten Adjektiven in Erstgliedposition, vgl. Billig-
flug, Flüssiggas (¢ 2.2.3.1).
Beträchtlich stärker als bei den anderen Wortarten ist beim Substantiv die
polymorphemische Komposition (mit vier und mehr Grundmorphemen)
vertreten (dazu detailliert DWb 4, 13 ff.).
118 2 Wortbildung des Substantivs

Innerhalb der Derivation zeigt die Suffigierung die reichste Entfaltung.


Etwa 60 % aller Suffixe bilden Substantive. Beim Substantiv ist auch die
Derivation von Syntagmen stärker ausgebildet als bei den anderen Wortar-
ten. Das betrifft zunächst die Anzahl verschiedener Typen von Basissyntag-
men, aber auch die Zahl der dafür verwendeten Suffixe (-e, -ei, -er, -ler, -ner,
-ung). Die Präfixderivation bietet kein so deutliches Bild. Immerhin dürfte –
unter Einbeziehung allerdings der Fremdpräfixe – die Rolle des Präfixes in
der Substantivbildung doch nicht so gering sein, wie vielfach angenommen
worden ist. Die substantivischen Präfixbildungen erreichen allerdings nicht
die ausgeprägte Reihenbildung und starke Polysemie der verbalen. Die Mo-
delle der Zirkumfixderivation sind beim Substantiv nur schwach entwickelt.
Allenfalls wäre auf das Modell Verbstamm + ge-…-e (Ge sing e) zu verwei-
sen. Darüber hinaus ist diese Wortbildungsart beim Substantiv heute nur
noch durch unproduktive Modelle vertreten, vgl. Gelächter, Gespinst u.a.
Die Konversion dient vorrangig der Bildung von Substantiven; dabei gibt
es kaum Beschränkungen in der Wortart der Basis. Die Konversion von
Sätzen ist überhaupt nur zu Substantiven möglich (¢ 1.8.1.3).
Die Reduplikation begegnet – von einigen Fällen beim Adjektiv abgese-
hen – ebenso fast ausschließlich beim Substantiv; die Kontamination ist
auch beim Adjektiv und Verb zu finden. Nahezu ganz auf das Substantiv
konzentriert sind die verschiedenen Typen der Kurzwortbildung (¢ 2.7.1).
Schließlich ist zu vermerken, dass Eigennamen substantivischen Charak-
ter haben und die onymischen Modelle daher alle der Substantivbildung
dienen.

2.1.2 Aktivität

Auch im Hinblick auf die Wortbildungsaktivität nimmt das Substantiv eine


zentrale Stellung ein. Substantivische Erstglieder bilden mit Substantiven
und Adjektiven Komposita in großer Vielfalt (Sommermonat, Montagsauto,
handwarm, schokoladenbraun).
Kompositionsinaktiv verhält sich das Substantiv zu verschiedenen Sub-
klassen des Adverbs. So fehlen substantivische Erstglieder in Verbindung mit
Lokal- (dort, hier), Temporal- (dann, heute), Modal- (gern, anders, freilich)
und Kausaladverbien (also, nämlich). Üblich sind dagegen Komposita aus
Substantiv und einer Reihe von Präpositionen: bergab, -an, -auf, kopfüber,
tagsüber, reihum. Doch andere (bis, mit, nach usw.) fehlen hierbei (Weiteres
¢ 4.2.3). Auch Verben mit substantivischen Erstgliedern kommen nur ver-
einzelt vor (danksagen).
2.1 Allgemeine Charakteristik 119

Mit Konjunktionen und Pronomina gehen substantivische Erstglieder


keine kompositionelle Verbindung ein. Ein Sonderfall ist Weltall (seit Mitte
des 18. Jh. für Universum); hier ist das Pronomen all als substantivische
Konversion zu beurteilen.
Wortbildungssemantisch erweisen sich Komposita mit substantivischen
und verbalen Erstgliedern als besonders vielfältig, wie die Übersichten über
die Wortbildungsbedeutungen zeigen (¢ 2.2.2.3.1; ¢2.2.4.3). Die Komposition
mit Adjektiven als Erstglied (Kleingarten) tritt dagegen etwas zurück; die
semantischen Beziehungen zwischen den Konstituenten sind hier bei
weitem nicht so vielfältig.
Als Basis für Suffixderivationen steht das Substantiv ebenfalls an erster
Stelle: Nahezu die Hälfte der heute geläufigen Suffixe sind für desubstanti-
vische Bildungen verwendbar. Die Suffigierung substantivischer Basen er-
möglicht die Bildung nicht nur von Substantiven, Adjektiven und Verben,
sondern auch von Adverbien (nachts, wochenends, quartalsweise).
Die desubstantivische Konversion bildet vor allem Verben (strahlen,
¢ 5.5.2), seltener Adjektive (ernst, klasse) und Präpositionen (kraft, dank,
trotz, statt).
Die Entstehung von Präpositionen aus Syntagmen betrachten wir als Er-
gebnis einer Grammatikalisierung (infolge, inmitten, zu Gunsten/zugunsten,
zuliebe, auf Grund/aufgrund). Schon das Syntagma fungiert als eine Art Prä-
position, sodass die Deutung und Schreibung des Ausdrucks als komplexes
Wort als nachgeordneter Prozess gesehen werden kann (¢ 1.2.4).

2.1.3 Funktional-semantische Klassen

Die folgenden Übersichten berücksichtigen nur Modelle der indigenen


Wortbildung; die Fremdwortbildung wird bei der Behandlung der einzelnen
Affixe (¢ 2.3.3; ¢2.4.3) einbezogen.

2.1.3.1 Modifikationsarten
Die Wortbildung des Substantivs kennt die meisten funktional-semanti-
schen Klassen (¢ 1.8.2.1). Modifizierende Wortbildungen entstehen entwe-
der durch Komposition oder durch Derivation. Besonders reich entfaltet ist
die Modifikation durch Komposition; zur Übersicht über diese Modifika-
tionsarten ¢ 2.2.2.3.1.
Nachfolgend geht es um die Modifikationsarten der Derivation. Diese
Modifikationsarten sind z.T. bei allen drei Hauptwortarten anzutreffen, so
beispielsweise die Diminuierung (Häuschen, kränklich, lächeln). Beim Sub-
120 2 Wortbildung des Substantivs

stantiv ist sie in besonderer Weise ausgebaut. Sie kennt hier die geringsten
Restriktionen und weist wohl auch die höheren Textfrequenzen auf
(¢ 2.3.2.21). Augmentativa werden im Unterschied zu den Diminutiva vor-
wiegend durch Präfixe (Unmasse, Erzschurke) und spezielle kompositionelle
Erstglieder wie Rekord-, Schwerpunkt- gebildet (¢ 2.2.2.3.3). Sie sind auf Sub-
stantive und Adjektive beschränkt.
Bestimmte Arten der Modifikation – wie die Movierung – kommen nur
beim Substantiv vor.

Übersicht 11: Modifikationsarten beim Substantiv (nach Dudenband 4, 2009, 731f.)


Modifikationsart Affixe Beispiele Erläuterungen
Diminuierung -chen, -lein, das Häuschen, Bäch- verniedlichende,
(,diminutiv‘) -le, -el lein, Häusle, Kindel wohlwollend-iro-
nisierende Bewer-
tung; Koseform
Augmentation un-, erz- die Unsumme, der stark positiv oder
(,augmentativ‘) Erzrivale stark negativ wer-
tende Hervorhe-
bung
Taxation fehl-, miss-, die Fehlanzeige, ,falsch, schlecht‘
(,taxierend‘) un- Missernte, Unart

haupt- das Hauptargument ,wichtig‘

ur- der Urahn, Urtext ,schon immer‘,


,ursprünglich‘
Negation miss-, un- der Misserfolg, das ,kein, nicht‘
(,negierend‘) Unglück
Movierung -in die Köchin ,weiblich‘
(,movierend‘) -erich/-rich der Gänserich, Ente- ,männlich‘
rich
Kollektion -schaft die Bürgerschaft ,Menge, Gesamt-
(,kollektiv‘) -heit Menschheit heit‘
ge- das Gestühl
-werk das Laubwerk
2.1 Allgemeine Charakteristik 121

2.1.3.2 Transpositionsarten
Noch deutlicher dominiert das Substantiv gegenüber den anderen Wortar-
ten bei der Transposition; es nutzt alle Möglichkeiten. Die Transposition
innerhalb derselben Wortart (Schule > Schüler) begegnet überhaupt nur
beim Substantiv. Transponierende Wortbildungen entstehen durch Deri-
vation und Konversion.
Folgende Transpositionsarten, hier geordnet nach der Basiswortart,
bilden den Kernbereich: deverbal (bezogen auf die Rolle der Referenten in
dem vom Verb bezeichneten Geschehen): Nomina Actionis, Nomina Acti/
Patientis, Nomina Agentis, Nomina Instrumenti, Nomina Loci; deadjekti-
visch: Nomina Qualitatis, Bezeichnungen für Eigenschaftsträger (Personen,
Tiere, Pflanzen, Dinge); desubstantivisch: Bezeichnungen für Personen (vgl.
Motsch 2004, 324ff.; Erben 2006, 93 ff.; Dudenband 4, 2009, 726ff.; zu wei-
teren Transpositionsarten ¢ 2.3; ¢ 2.5; ¢2.6).
Im Folgenden werden die Transpositionsarten erläutert und die jeweils
dazugehörigen Modelle in Übersichten dargestellt.

Nomina Actionis
Unter Nomina Actionis (auch: Verbalabstrakta) werden Bezeichnungen
eines Geschehens bzw. einer Handlung als Einzelakt/punktuelles Geschehen
(Sprung) oder als Kontinuum (Denken, Gesinge) verstanden. Als Basis für
diese Transpositionsart fungieren Verbstämme und verbale Syntagmen.
Die Wortbildungen sind entweder nur Substantivierungen mit verbnaher
Bedeutung (Deutung) oder sie verfügen über zusätzliche Bedeutungskom-
ponenten (Gesinge ,das Singen‘, iterativ abwertend).
Viele Wortbildungen dieser Transpositionsart sind mehrdeutig. Die ver-
schiedenen Lesarten (meist Nomen Actionis und Nomen Acti) können an je
spezifische morphologische Typen geknüpft sein (das Denken ,Geschehen als
Kontinuum‘) oder auch – abhängig von der Basisbedeutung – durch ein und
dasselbe Modell zum Ausdruck kommen (Forschung ,Geschehen als Kon-
tinuum‘ oder ,Geschehen als Resultat‘).
122 2 Wortbildung des Substantivs

Übersicht 12: Nomina Actionis (deverbal)


Basis Affixe Beispiele Erläuterungen
Verb (Infinitiv, – der Pfiff, Ruf, Stoß, Geschehen meist
Infinitivstamm, Sprung als Einzelakt
Präterital- oder – das Überholen Geschehen als
Partizipialstamm) Kontinuum
-e die Folge, Vorhersage Geschehen als
Kontinuum und
Resultat
-er der Jauchzer, An- Geschehen als
schnauzer Einzelakt

ge-…-e/ge- das Gesinge, Ausge- iteratives, uner-


frage, Geplapper wünschtes Ge-
schehen
-ei/-erei die Meckerei, Heule- iteratives, uner-
rei wünschtes Ge-
schehen
-s der Knacks Geschehen als
Einzelakt
-ung die Deutung, Befesti- Geschehen als
gung Kontinuum und
Resultat
verbales Syntagma -e die Stellungnahme Geschehen als
Kontinuum und
Resultat
-erei die Besserwisserei, iteratives, uner-
Geheim(nis)tuerei wünschtes Ge-
schehen
-ung die Aufgabenstel- Geschehen als
lung Kontinuum und
Resultat

Zu zahlreichen Nomina Actionis haben sich systematisch sekundäre Prä-


gungen entwickelt (¢ 1.5.4.3). Das betrifft die Modelle Verb + -e, Verb +
ge-…-e, Verb + -ung sowie die Konversion des Infinitivs (vgl. Dudenband 4,
2009, 728):
– Annahme 1. ,das Annehmen‘, 2. ,Stelle, wo etw. angenommen wird‘;
Wache 1. ,das Wachen‘, 2. ,wachhabende Person‘;
2.1 Allgemeine Charakteristik 123

– Geschmiere 1. ,das Schmieren‘, 2. ugs. ,das Geschmierte‘;


– Sammlung 1. ,das Sammeln‘, 2. ,das Gesammelte‘; Begleitung: 1. ,das Be-
gleiten‘, 2. ,das Begleitpersonal‘;
– Schreiben 1. ,das Schreiben‘, 2. ,Brief‘.
Wenn sich die konkreten Lesarten (wie Sammlung 2. oder Schreiben 2.)
nicht auf Einzelfälle beschränken, werden sie nicht als gelegentliche Meto-
nymie betrachtet, sondern es werden spezifische Wortbildungsmodelle an-
genommen. Das erscheint insbesondere deshalb angemessen, weil bei man-
chen Beispielen wie Erzeugnis, Gefängnis, Kupplung der Bildungsweg über
ein Nomen Actionis synchron kaum plausibel ist.

Nomina Acti/Patientis
Nomina Acti/Patientis bezeichnen Referenten, die Resultat oder Betroffene
eines Geschehens sind (Motsch 2004, 346; vgl. Erben 2006, 98: „Themati-
sierung des Objekts“). Referenten sind Personen, Dinge und abstrakte Ge-
genstände.

Übersicht 13: Nomina Acti/Patientis (deverbal)


Basis Affixe Beispiele Besonderheiten
Verb -e die Spende oft auch als
Nomen Actionis
interpretierbar
-er der Aufkleber
-ling der Prüfling
-sel das Mitbringsel
-ung die Lieferung, oft auch als
Ordnung Nomen Actionis
interpretierbar
-werk Backwerk

Nomina Agentis
Die Referenten der Wortbildungen dieser Transpositionsart sind Hand-
lungsträger in einem Geschehen; in der Regel sind es Personen.
124 2 Wortbildung des Substantivs

Übersicht 14: Nomina Agentis (deverbal)


Basis Affixe Beispiele Konnotationen
Verb -bold der Raufbold abwertend, spöt-
tisch
-er der Dichter, Raucher,
Sieger
-i der/die Knacki ugs., wohlwol-
lend, ironisch di-
stanzierend
-ler der Abweichler abwertend

Syntagma -er der Auftraggeber

Nomina Instrumenti
Wortbildungen dieser Transpositionsart bezeichnen Gegenstände nach der
Tätigkeit, die mithilfe dieser Gegenstände ausgeführt werden kann (Entsaf-
ter).

Übersicht 15: Nomina Instrumenti (deverbal)


Basis Affixe Beispiele
Verb -e die Bremse
-el der Hebel
-er der Drucker
Syntagma -er der Wagenheber

Nomina Loci
Wortbildungen dieser Transpositionsart bezeichnen Orte bzw. Einrichtun-
gen nach dem in ihnen typischerweise ablaufenden Geschehen (Druckerei).
Besonders die Bildungen auf -ei/-erei bewahren neben der Ortsbedeutung
meist auch die Geschehensbedeutung, die jederzeit aktualisiert werden
kann, obwohl sie wohl nur selten lexikalisiert ist (die Druckerei/das Drucken
macht ihm keinen Spaß).
2.1 Allgemeine Charakteristik 125

Zu desubstantivischen Bildungen wie Käserei, Konditorei ¢ 2.3.2.2.


Mitunter ist Doppelmotivation gegeben: Mosterei < Most oder mosten.

Übersicht 16: Nomina Loci (deverbal)


Basis Affixe Beispiele Konnotationen
Verb -e die Bleibe, Tanke ugs.
-ei/-erei die Bügelei/Büglerei,
Druckerei

Nomina Qualitatis
Nomina Qualitatis entstehen aus Adjektiven und Partizipien durch Suffix-
derivation oder Konversion. Es sind sog. Adjektivabstrakta zur Bezeichnung
von Eigenschaften.

Übersicht 17: Nomina Qualitatis (deadjektivisch)


Basis Affixe Beispiele
Adjektiv – das Wahre, das Abstoßende
bzw. – das Rot, das Nass
Partizip -e die Breite
I und II -heit/-keit/-igkeit die Weisheit, Gereiztheit, Lächerlichkeit,
Mutlosigkeit
-nis die Düsternis
-schaft die Schwangerschaft, Gefangenschaft

Personen- und Sachbezeichnungen


Die Referenten dieser Transpositionsmodelle sind durch die im Basisstamm
genannten Eigenschaften charakterisiert.
126 2 Wortbildung des Substantivs

Übersicht 18: Personen- und Sachbezeichnungen (deadjektivisch)


Basis Affixe Beispiele Konnotationen
Adjektiv bzw. – der/die/das Alte
Partizip I und II – der/die Vorsitzende,
Angestellte, das
Gehackte
-chen das Frühchen
-i/-ie der Blödi, Softi/ ugs., wohlwollend
Softie
-ling der Schwächling
-o der Normalo ugs., wohlwol-
lend, ironisch
distanzierend bis
abwertend
Offenbar unter Einfluss englischer Entlehnungen wie Girlie, Yuppie er-
scheint das Suffix -i vor allem in deadjektivischen Derivaten mitunter als -ie
(Dummie, Softie, Smartie, Dudenband 1, 2009, 366, 992f.).

Personenbezeichnungen
Diese Derivate bezeichnen Personen nach Gegenständen, mit denen die
Personen umgehen bzw. die sie erzeugen; außerdem bezeichnen sie Perso-
nen, „die etwas besitzen, errungen haben, zur Verfügung haben“ und Per-
sonen, die „einem sozialen Bereich angehören“ (Motsch 2004, 366ff.).

Übersicht 19: Personenbezeichnungen (desubstantivisch)


Basis Affixe Beispiele Konnotationen
Substantiv -er der Töpfer

-ler der Künstler, An-


rechtler, ABMler, Ru-
heständler

-ner der Zöllner, Rentner

-ling der Häftling,


Ehrgeizling abwertend

-i der/die Knasti ironisch, wohl-


wollend
2.2 Komposition 127

Weitere Transpositionsarten des Substantivs (wie Käse > Käserei) werden bei
den einzelnen Suffixen behandelt (¢ 2.3).

2.2 Komposition

2.2.1 Grundsätzliches

2.2.1.1 Stabilität der Wortstruktur


Das typische substantivische Kompositum ist binär gegliedert (¢ 1.7.1.1) und
prinzipiell durch die Stabilität der Wortstruktur gekennzeichnet. Es ist ex-
pansionsfest, die Konstituenten werden zusammengeschrieben und sind
morphologisch und syntaktisch untrennbar. Der Hauptakzent liegt auf der
ersten unmittelbaren Konstituente (vgl. des Mòndes Lı́cht – Móndlı̀cht,
frèmde Spráche – Frémdspràche). Die Reihenfolge der unmittelbaren Kon-
stituenten des Kompositums ist grammatisch relevant (¢ 1.8.1.1). Zum Ver-
hältnis von Kompositum und Syntagma ¢ 1.2.2.
Die genannten prinzipiellen Strukturregeln gelten nicht ohne Ausnah-
men:
1) Die Zusammenschreibung ist nicht für alle Kompositionsarten obliga-
torisch. Komplexe Entlehnungen aus dem Englischen, bestehend aus Ad-
jektiv + Substantiv, sind z.T. auch in Getrenntschreibung zulässig (Soft
Drink, Hot Pants). Erstgliedbetonung sowie Unflektiertheit des Adjektivs als
dominante Kompositionsmerkmale sichern dennoch die Wahrnehmung
der Bildungen als ein Wort. Auch die Konstituenten mehrgliedriger kom-
positioneller Eigennamen stehen oft unverbunden nebeneinander, vgl. Erich
Schmidt Verlag, Ernst Klett Verlag.
Zu weiteren Lockerungen der Stabilität des Kompositums ¢ 2.2.1.2.
2) Wortinterne Flexion ist nicht gänzlich ausgeschlossen; sie tritt bei Phra-
senkomposita mit einem Erstglied aus Adjektiv und Substantiv auf, vgl. der
Roten-Kreuz-Schwester (woneben auch der Rotkreuzschwester u.a., vgl. Du-
denband 1, 2009, 912), aus der Kalten-Kriegs-Zeit (Lawrenz 2006, 71ff.;
¢ 2.2.9).
128 2 Wortbildung des Substantivs

Adjektivische Erstglieder können regulär mit superlativischem -st- ver-


wendet werden: Höchstleistung, Klein-/Kleinstminen, Reinstmetall.
Von der noch bis 1991 regelgerechten wortinternen Flexion in die Lang-
weile/Langeweile, der Lang(e)weile und Langenweile, ebenso in das Hohelied/
des Hohenliedes (Dudenband 1, 1991, 432, 342) sieht man heute ab. Die
Verbindungen werden bei flektiertem Erstglied jetzt als Syntagmen aufge-
fasst (das Ende der langen Weile, aus langer Weile; Hohes Lied, des Hohen
Liedes, dem Hohen Lied; Dudenband 1, 2009, 670, 547).
3) Ein abweichendes Akzentmuster haben
– einzelne Kopulativkomposita (Schlèswig-Hólstein, Bàden-Wűrttemberg);
– Konfixkomposita mit Fremdelementen wie Dı̀skothék (¢ 1.9.3.1);
– Komposita mit Durchkopplungsbindestrich (¢ 2.2.9; ¢2.2.12.5), unabhän-
gig davon, wie komplex das Erstglied ist (Èbbe-Flút-Wı̀rkung, Hàls-Nà-
sen-Óhren-Àrzt);
– sonstige polymorphemische Komposita (Dudenband 4, 2009, 50).
Bei Letztgenannten hat der Sprechrhythmus stärkeren Einfluss auf die
Akzentuierung (differenzierte Übersicht bei Stötzer 1977; zum Grundsätz-
lichen der Akzentuierung vgl. auch Wurzel 1980, 309ff.).
4) Nicht als Komposita gelten Wortbildungen wie ein Fußbreit, (nicht) um
ein Haarbreit, ein Maßvoll, eine Handvoll, eine Zeitlang, einen Mundvoll
Dampf herauspuffen (A. Seghers). Sie werden hier der Konversion zuge-
ordnet, weil das Zweitglied keine Kopffunktion übernimmt.
Dass sich unter den Komposita mit -mut nicht nur die zu erwartenden
Maskulina (der Hoch-, Gleichmut), sondern auch Feminina (die Groß-, Weh-
mut) finden, erklärt sich aus dem doppelten Genus des alten muot; deshalb
tritt es auch heute noch in Männer- wie Frauennamen als Zweitglied auf
(Hartmut – Almut).
Über die besonderen Verhältnisse bei den Kopulativkomposita und ihnen
nahe stehenden Wortbildungen ¢ 2.2.2.5; ¢ 2.2.2.6; zum interlingualen Ver-
gleich der Komposition Olsen 2000; Donalies 2003.

2.2.1.2 Lockerung der Stabilität


Lockerungserscheinungen in der Stabilität der kompositionellen Wortstruk-
tur sind in der Regel textgebunden, d.h. okkasionell. Sie können bis zur
Reduktion oder sogar zum Verlust des Kompositumscharakters führen.
Eine Lockerung der Wortstruktur stellt die sog. strukturelle Destruktion
bzw. Destabilisierung dar (vgl. Abramov 1970). Sie dient der Vermeidung
von störender ausdrucksseitiger Redundanz, indem das gleiche Komposi-
tionsglied in Reihen von Lexemen eliminiert und durch den Ergänzungs-
2.2 Komposition 129

bindestrich ersetzt wird: Haus- und Gewerbemüllentsorgung, Kanalreinigung


und -sanierung. Die separierten Teile müssen nicht Wortgrenzen entspre-
chen, vgl. Wasserab- und Überlaufventil, Be- und Entladerampe. In der Regel
treten keine Verstehensprobleme auf, auch nicht bei mehr als einer Auslas-
sung derselben Konstituente wie in Kommunal- sowie Bundes- und Landes-
politiker (LVZ 2010). Wenn allerdings die Komplexität der Komposita zu-
nimmt und in beiden der verbundenen Lexeme ein Segment eliminiert wird,
kann die Verständlichkeit des Ausdrucks beeinträchtigt sein wie in Selbsthil-
fekontakt- und -informationsstelle < Selbsthilfekontaktstelle und Selbsthilfe-
informationsstelle. Auch Derivate werden auf diese Weise koordiniert (Klar-
und Schlankheit, LVZ 2010).
Noch weiter geht die Destruktion, wenn die durch den Ergänzungsbin-
destrich ersetzte Konstituente mit adjektivischem Attribut durch und ange-
reiht wird: in der Berg- und metallurgischen Industrie. Bildet das attributive
Syntagma den ersten Bestandteil der Reihe, so entfällt das Substantiv und
das Adjektiv ist auf das Zweitglied des Kompositums zu beziehen: in poli-
tischen und Fernsehdiskussionen, keramische und Glasindustrie (weitere Bei-
spiele für diese „Verschränkungen von Wortbildungs- und syntaktischer
Determination“ bei Bär 2007, 325).
Um eine semantische Destabilisierung handelt es sich bei der Verlagerung
der Gesamtbedeutung eines Kompositums auf die erste oder die zweite un-
mittelbare Konstituente, die dann anstelle des Kompositums als eine Art
Kurzform gebraucht wird: Anwalt für Rechtsanwalt und Platte für Schall-
platte oder Plattenbau (¢ 1.3.3; ¢2.7.1).
Als Lockerung der Wortstruktur ist ferner die sog. Remotivation zu be-
trachten (Hoch-Zeit, ¢ 1.5.4.1).
Verschiebungen vom Kompositum zum Simplex ergeben sich über längere historische
Zeiträume durch Substanzreduktion un- oder schwachbetonter Glieder, vgl. z.B. Nach-
bar, mhd. nāchgebūre, Grum(me)t, mhd. gruonmāt ,zweite Mahd des Grases‘, Welt, ahd.
weralt ,Zeit-, Mannesalter‘. Die historische Wortbildungsforschung spricht von ver-
dunkelten Zusammensetzungen; die synchrone Beschreibung der Gegenwartssprache
hat derartige Wörter als Simplizia zu behandeln.

2.2.1.3 Semantische Eigenschaften


Der formativstrukturellen Stabilität des substantivischen Kompositums ent-
sprechen bestimmte semantische Eigenschaften.
Dabei unterscheiden wir konstruktionsexterne Beziehungen der Kom-
posita innerhalb von Satz und Text, wie beispielsweise die pronominale
Bezugnahme auf Komposita oder deren Attribuierung (¢ 1.2.2; ¢ 1.4;
¢ 1.8.1.1) sowie konstruktionsinterne Beziehungen zwischen den unmittel-
baren Konstituenten. Letztgenannte zeigen folgende Charakteristika:
130 2 Wortbildung des Substantivs

1) Die semantischen Beziehungen zwischen den unmittelbaren Konstitu-


enten des Kompositums (die Wortbildungsbedeutungen, ¢ 1.5.4.2) sind in
geringerem Maße explizit als in Syntagma und Satz. Auch im Syntagma
können dem gleichen Strukturmodell unterschiedliche Beziehungen zu-
grunde liegen, aber es besteht grundsätzlich die Möglichkeit der Verdeutli-
chung (z.B. durch Einschub lexikalischer Elemente) auf der gleichen Ebene.
Das ist beim Kompositum nicht der Fall. Die spezielle semantische Bezie-
hung zwischen den unmittelbaren Konstituenten kann nur durch Para-
phrasierung (¢ 1.1.4), d. h. durch den Übergang auf die Ebene des Syntagmas
bzw. Satzes explizit gemacht werden: Sonnenschutz – Schutz gegen die Sonne,
Kopfschutz – Schutz für den/am Kopf, Arbeitsschutz – Schutz (gegen Unfälle)
bei der Arbeit, Versicherungsschutz – Schutz durch eine Versicherung; vgl. auch
Minderheiten-, Mund-, Natur-, Quellen-, Schall-, Selbstschutz usw.
Damit werden die weitgehenden, nahezu unbegrenzten semantischen
Möglichkeiten der kompositionellen Verbindung von Wörtern deutlich.
Dennoch ist für unkonnotierte Neubildungen üblicherweise eine gewisse
semantische Nähe der Konstituenten erforderlich, vgl. z. B. die sich aus der
in wörtlicher Bedeutung unerwartete Verbindung ergebende Expressivität
von Komposita wie Pflanzenhölle (M. Mosebach), Mondwein (Ch. Wolf),
Sommerlügen (B. Schlink). Hier werden konzeptuell normalerweise nicht
miteinander in Beziehung stehende Begriffe zu einem neuen Begriff zusam-
mengefügt, den der Rezipient nicht allein mithilfe der Motivationsbedeu-
tung erschließen kann. Er muss bei der Rezeption nichtstandardisierte kon-
zeptuelle Verbindungen herstellen, sodass die Wortrezeption, vom Schreiber
beabsichtigt, bewusst erfolgt und entsprechende Wortneubildungen stilbil-
dend wirken (¢ 1.4.2.1).
2) Das Erstglied eines Kompositums verfügt nicht mehr ohne Weiteres
über die doppelten Möglichkeiten der Beziehung entweder auf eine Klasse
von Gegenständen oder einen bestimmten Einzelgegenstand, die einem Ap-
pellativum außerhalb von Wortbildungen gegeben sind: der Brief ,Klasse der
Briefe‘ oder ,dieser hier liegende Brief‘. In dem Kompositum Briefumschlag
ist die individualisierende Komponente eingeschränkt, es dominiert die ge-
nerelle Klassenbeziehung: ,Umschlag für die Klasse von Gegenständen
Brief‘. Dies gilt auf jeden Fall für lexikalisierte Bildungen. Für okkasionelle
Komposita können sich Ausnahmen ergeben (vgl. Ortner/Ortner 1984, 38).
3) Kompositionsglieder tendieren zur Reduzierung oder Beseitigung der
Polysemie. Im Kompositum Zugkraft ist nur eine der mehr als 10 Lesarten
von Zug und nur eine der 4 Lesarten von Kraft aktualisiert (Lesarten nach
GWDS). Andererseits ist die Polysemie teilweise bewahrt in Zugführer
2.2 Komposition 131

,Führer einer kleinen Truppeneinheit‘ oder ,verantwortlicher Begleitschaff-


ner eines Eisenbahnzuges‘. Schließlich kann das Zweitglied eines Kompo-
situms eine Lesart haben, die beim freien Substantiv fehlt, vgl. Reichstag,
Bundestag ,Parlament‘. Nach Schu (2005, 261) liegen in solchen Fällen
„morphologisch gebundene Grundwörter“ vor, vgl. auch -land ,Vergnü-
gungspark‘ in Legoland, Spielzeugland; -mobil ,Fahrzeug‘ in Elektro-, Kult-,
Luxusmobil (PDW 2005), Reise-, Spaß-, Wohnmobil; -telefon ,Beratungs-
stelle‘ in Krisen-, Kummer-, Nottelefon.
Bei lexikalisierten metaphorischen Komposita wie Hamsterkauf ,Einkauf
von [weit] über den unmittelbaren Bedarf hinausgehenden Mengen von
Waren zur Schaffung eines Vorrats‘ (GWDS); Hamsterpreis ,(durch Hams-
terkäufe) überhöhter Preis von bestimmten Waren‘ (GWDS) dominiert
meist die metaphorische Lesart; eine wörtliche Lesart ist im Text jedoch
unter Umständen aktualisierbar: Hamsterkauf scherzhaft ,der Kauf von
Hamstern‘ (hier mit Umdeutung des Erstgliedes vom Verb hamstern zum
Substantiv Hamster).

2.2.1.4 Kompositum und Syntagma


Die Genese substantivischer Komposita vollzieht sich in unterschiedlichen
Bildungsprozessen, gesteuert von unterschiedlichen kommunikativen und
kognitiven Bedürfnissen. Nicht in jedem Fall handelt es sich um die Uni-
verbierung eines bereits mehr oder weniger üblichen Syntagmas, und auch
wo dies zutrifft, müssen die Prozesse nicht gleichgeartet sein. Auf diese
Fragen kann hier nur kurz hingewiesen werden.
1) Die Univerbierung eines Syntagmas als „sachlicher“ Bezeichnung eines
Gegenstandes entspricht in der Regel den Bedürfnissen nach handlicher
Kürzung für den Alltagsgebrauch: acht Stunden währender Arbeitstag – acht-
stündiger Arbeitstag – Achtstundentag.
2) Etwas anders als bei der Bezeichnung von Gegenständen verhält es sich
bei einem Phänomen, das mit der Suche nach einer fixierenden sprachlichen
Bezeichnung erst an begrifflichen Konturen gewinnt: Der Prägung des Ro-
mantitels Kindheitsmuster durch Ch. Wolf (1976) gingen Umschreibungen
voraus wie „Verhaltensmuster […], die Kindheit und Jugend bestimmten“
(1974), „Reaktions- und Verhaltensweisen, die, in der Kindheit einge-
schleust, die Struktur der Beziehungen eines Charakters zu seiner Umwelt
weiter bestimmen“ (1974) sowie Komposita wie Erlebnismuster (1972),
Kindheitslandschaft (1974).
3) Entsprechend der syntaktischen Funktion der Wortbildung (¢ 1.2.2)
dient die kompositionelle Univerbierung auch der zusammenfassenden
132 2 Wortbildung des Substantivs

Wiederaufnahme des vorangehenden Satzinhalts in Folgesätzen: „Bisher gab


es keine Möglichkeiten, das Grundwasseralter direkt zu bestimmen […]. Die
Methoden der Grundwasser-Altersbestimmung können […]“ (TZ 1977).
4) Das substantivische Kompositum mit einem Adjektiv bietet die Mög-
lichkeit, ein weiteres adjektivisches bzw. partizipiales Attribut deutlich ab-
zusetzen: die folgenden Spätwirkungen sind noch nicht abzusehen (TZ 1978).
Die dem Verständnis der unterschiedlichen Gewichtung beider Attribute
u.U. hinderliche lineare Aufreihung (folgenden späten) wird so vermieden.
5) Im Dienste stilistischer Ausdrucksverbesserung – hier durch Vermei-
dung einer Attributdoppelung – steht die kompositionelle Univerbierung
des Syntagmas Neugründungen von Haushalten in der Rückgang von Haus-
haltsneugründungen (LVZ 2010) – und nicht: Rückgang von Neugründungen
von Haushalten; vgl. auch eine Überarbeitung des Konzepts des Winterdienstes
vs. eine Überarbeitung des Winterdienstkonzepts (LVZ 2010).
6) Modellbildungen ohne den Umweg über ein Syntagma sind für die
nominative Funktion der Wortbildung charakteristisch, vgl. das Komposi-
tionsmodell aus Verbstamm + Substantiv mit finaler Wortbildungsbedeu-
tung (Bohr-, Kehr-, Näh-, Suchmaschine).
7) Auch die Produkte analog-holistischer Wortbildung (¢ 1.7.2.1) sind
nicht als Univerbierung eines Syntagmas anzusehen; vgl. Kindergeld – El-
terngeld – Partnergeld; „Der Fahrstuhl im Landgericht ist ein Standstuhl“
(Beispiel in Poethe 2002, 25); sein Ohrenmerk auf etw. richten ,aufmerksam
zuhören‘ zu sein Augenmerk auf etwas richten.
8) Unmittelbare kompositionelle Bezeichnungen sind ferner metonymi-
sche und metaphorische Wortbildungen wie Bürgertelefon, Hoffnungsschim-
mer, Impfpistole, Fahrstuhlmannschaft ,Mannschaft, die häufig von einer
Spielklasse in die nächsthöhere aufsteigt und in der nächsten Saison wieder
absteigt‘ (GWDS) u. Ä.
9) Das prinzipielle Nebeneinander von zwei Bezeichnungsstrukturen
(Syntagma – Kompositum) führt nicht zu einer prinzipiellen praktischen
Koexistenz äquivalenter Nominationseinheiten in allen Fällen, obwohl auch
dies eintritt (soziale Leistungen – Sozialleistungen). Die Gebrauchsdifferen-
zen liegen dann auf textstruktureller bzw. stilistischer Ebene. Wie aus obigen
Darlegungen ersichtlich, vgl. besonders 6), 7), 8), ist als Nominationseinheit
aber vielfach nur das Kompositum verwendbar (Sozialminister, -partner).
Nur das Syntagma ist dagegen z.B. konventionalisiert in Bezeichnungen von
Kriegen nach ihrer Dauer (Dreißigjähriger Krieg) sowie in Fällen wie soziale
Frage/Schicht/Marktwirtschaft u.Ä. (¢ 2.2.11.3[5.2]).
2.2 Komposition 133

10) Bei aller Vielfalt möglicher Wortbildungsbedeutungen im Einzelnen


kommt es in manchen Fällen doch auch zur Herausbildung von Gruppen
mit dem gleichen Typ semantischer Differenzierung zwischen Kompositum
und Syntagma, vgl. z.B. Heuwagen – Wagen mit Heu, Bierglas – Glas (mit)
Bier, Schreibtisch – Tisch zum Schreiben. Mit den Komposita wird – ent-
sprechend dem unter 2.2.1.3(2) Gesagten – die dem Gegenstand als dauern-
des begriffliches Merkmal anhaftende Qualität, mit den Syntagmen die au-
genblickliche Verwendung angegeben. Syntagmen mit einer Negation ver-
mögen die Zuordnung eines Gegenstandes zu einem vorhandenen Begriff zu
negieren, Komposita mit nicht- dagegen konstituieren einen neuen Begriff:
Er ist kein Fachmann – Er ist (ein) Nichtfachmann, Nichtschwimmer, -raucher
(¢ 2.2.7.3).
2.2.1.5 Zur Kompositionsaktivität
Über die einleitenden allgemeinen Ausführungen zur Wortbildungsaktivität
des Substantivs hinaus (¢ 2.1.2) sollen im Folgenden einige ergänzende Be-
merkungen speziell zur substantivischen Kompositionsaktivität gemacht
werden. Es geht zum einen um ausgeprägte Tendenzen der Bildung von
Wortbildungsreihen (¢ 1.8.2.2), zum anderen um ein unterschiedliches
Kompositionsverhalten von Synonymen.
2.2.1.5.1 Reihenbildung
Sowohl Erst- als auch Zweitglieder können stark reihenbildend auftreten,
ohne deshalb zum Affix zu werden (zur Begründung ¢ 1.6.2.4). Zu Fällen wie
Riesen- u.Ä. ¢ 2.2.2.3.3, zu reihenbildenden Konfixen ¢ 2.2.8, zu Zweitglie-
dern wie -material ¢ 2.2.2.3.4(6).
Zweitglieder, die schon als frei vorkommende Wörter eine sehr allge-
meine Bedeutung und daher die Fähigkeit weiter semantischer Distribution
besitzen, sind z.B. Gut, Stelle und Zeug. Dennoch halten wir die semantische
und funktionale Spezifizierung nicht für ausreichend, um ihnen den Status
von Suffixen zuzuerkennen (was mit Bezug auf -gut und -zeug bei Fleischer
1983c, 175 ff. noch geschieht).
Das Zweitglied Gut bezeichnet in Verbindung mit verbalem Erstglied das
Material, den Stoff für einen bestimmten Arbeitsprozess (Back-, Mahl-,
Pflanz-, Röst-, Streu-, Walzgut) und in Verbindung mit abstrakten Substan-
tiven Komplexe ideeller Natur (Bildungs-, Gedanken-, Ideen-, Lied-, Wissens-
gut). Beide Reihen – in der Bedeutung von Kollektiva – lassen sich an Be-
deutungen des freien Substantivs anschließen (wobei allerdings ,Stoff, der
verarbeitet wird‘ im GWDS als veraltet bezeichnet wird); vgl. auch Ernte-,
Töpfer-, Saat-, Steingut sowie Beute-, Diebes-, Strandgut. Als Erstglied wird
Gut in dieser Bedeutung nicht verwendet.
134 2 Wortbildung des Substantivs

Stelle hat als Zweitglied allgemeine lokale Bedeutung (vereinzelt mit


einem Suffix konkurrierend: Auskunftsstelle – Auskunftei); es bezeichnet
– ein Amt, eine Behörde (Dienst-, Leit-, Melde-, Zollstelle);
– eine Örtlichkeit (abgeschlossen oder im Freien), wo bestimmte techni-
sche Tätigkeiten ausgeübt werden (Fernsprech-, Funk-, Tank-, Zapfstelle);
– eine Örtlichkeit im Freien, wo sich ein bestimmtes Ereignis zugetragen
hat (Absturz-, Fund-, Unglücksstelle);
– eine eng begrenzte Lokalität eines Körpers (Biss-, Bruch-, Schweiß-, Stoß-
stelle);
– eine berufliche Position (Assistenten-, Aufwarte-, Direktorenstelle, dazu
Planstelle und Stellenplan, Freistelle), teilweise synonym mit Posten (Ver-
trauensposten);
– ein Geschäft, eine Dienstleistungseinrichtung (Verkaufsstelle, Zweigstelle
für ,Filiale‘).
Ein konkretes Gerät, eine konkrete Vorrichtung bezeichnet Stelle nur ganz
selten (Bettstelle für Bettgestell). So stehen sich etwa in einer kompositio-
nellen Reihe gegenüber Stelle als Bezeichnung allgemein der Lokalität und
Anlage (auch Gerät) als Bezeichnung der dort in Tätigkeit befindlichen Ap-
paratur o. Ä.; vgl. Sende-, Funkstelle – Sende-, Funkanlage, Bohrstelle – Bohr-
anlage, Signalstelle – Signalanlage. Ganz anders dagegen Parkstelle ,Park-
platz‘ und Parkanlage.
In manchen Fällen hat -stelle älteres -statt verdrängt: Hofstatt – Hofstelle,
Freistatt – Freistelle, Lagerstatt – Lagerstelle. Werkstatt ist demotiviert, ebenso
Walstatt; hier ist -stelle nicht mehr eingedrungen.
Auch Zeug lässt sich als Zweitglied an die Bedeutung des freien Substan-
tivs ,Menge von Gegenständen, Sachen‘ anschließen, allerdings nicht mit
der pejorativen Konnotation: Hebezeug, Fahrzeug ,womit man hebt, fährt‘,
ferner Ess-, Näh-, Rasier-, Reiß-, Schlag-, Schleif-, Strick-, Werk-, Wickelzeug;
teilweise konkurriert -mittel (Verbandsmittel, -zeug); zu diesem ¢ 2.2.2.3.4(6).
Es gibt nur wenige Wortbildungen, in denen als Erstglied kein Verbstamm
bzw. kein deverbales Abstraktum erscheint, so Pferde-, Sattel-, Tafel-, Tisch-,
Bettzeug (auch hier ,Gerät bzw. Mittel für Pferd‘ usw.).
Pejorative Konnotation ist nur in wenigen Bildungen mit substantivi-
schem Erstglied vorhanden, z.B. Dreck/s-, Papier-, Viehzeug, die gegenüber
den Simplizia Dreck, Papier usw. nur eine geringe semantische Differenzie-
rung ausdrücken. Hier ergeben sich synonymische Berührungen mit -kram,
das allerdings stärker beschränkt ist (Papierkram, Trödelkram, -zeug).
Die Einheiten -werk und -wesen (Homonyme der Substantive Werk und
Wesen) werden als Suffixe behandelt.
2.2 Komposition 135

2.2.1.5.2 Unterschiede in der Kompositionsaktivität


Auf gegensätzliche Tendenzen in der Derivations- bzw. Kompositionsakti-
vität komplexer Wörter ist bereits hingewiesen worden (¢ 1.7.3). Zu beob-
achten ist ferner, dass polyseme Wörter (¢ 1.5.4.3) lesartenabhängige
Unterschiede in der Kompositionsaktivität und in der Verwendung als Erst-
bzw. Zweitglied aufweisen (vgl. -gut/Gut-). Im Folgenden sollen einige Be-
merkungen über auffällige Unterschiede im Kompositionsverhalten syno-
nymer Substantive gemacht werden, und zwar am Beispiel von die See – das
Meer. See in der entsprechenden Bedeutung ist nur als Erstglied stark kom-
positionsaktiv. Das WDG verzeichnet knapp 80 Komposita mit See-, mit
Meer- bzw. Meeres- dagegen nur 33. Ganz selten sind Konkurrenzbildungen
mit gleichem Zweitglied kodifiziert, z.B. Meer-, Seeaal, Meeres-, Seeklima,
aber nur Seefahrt, Meersalz, -wasser. Umgekehrt ist das Verhältnis bei der
Verwendung als Zweitglied; derartige Komposita sind zwar insgesamt weit
seltener und es handelt sich dabei meist um Eigennamen (Eis-, Mittelmeer,
Nord-, Ost-, Südsee). Aber während mit -see als nichtonymische Wortbil-
dung nur Übersee kodifiziert ist, finden sich mit -meer immerhin Binnen-,
Nebel-, Neben-, Rand-, Wattenmeer. Die Bedeutung von der See ,Binnen-
gewässer‘ und die übertragene Bedeutung von Meer (Blütenmeer) bleiben
dabei natürlich außer Betracht. Doch das unterschiedliche Kompositions-
verhalten ist zweifellos durch die unterschiedliche Bedeutungsstruktur mit-
bedingt.
Ein auffälliger Unterschied zeigt sich auch in der Kompositionsaktivität
der beiden Synonyme Anfang und Beginn. Als Zweitglieder begegnen beide
nebeneinander in einer stattlichen Zahl von Komposita (Arbeitsbeginn, -an-
fang, Herbstbeginn, -anfang, geläufiger allerdings -beginn in Bau-, Kriegs-,
Spielbeginn). Mit Beginn als Erstglied ist jedoch kein kodifiziertes Kompo-
situm zu finden, während das GWDS mit Anfangs- 21 Komposita verzeichnet
(Anfangsbuchstabe, -drittel, -erfolg, -gehalt, -verdacht usw.).
In metaphorischen Komposita sind die bildspendenden Konstituenten in
der Regel auf die Erstglied- oder die Zweitgliedposition festgelegt: Daten-,
Devisen-, Infoautobahn, aber Autobahndaten nur in nichtmetaphorischer
Bedeutung von Autobahn. Selbst wenn die metaphorische Zweitkonstitu-
ente auch frei in ebendieser Bedeutung vorkommt, vgl. Nachrichtenlawine –
Lawine von Nachrichten, kann die Erstgliedposition für diese Bedeutung
blockiert sein (Lawinennachricht – ,Nachricht über eine/die Lawine‘). In
beiden Positionen ist dagegen Killer in der Bedeutung ,eine Sache, eine
Substanz o. Ä., die etw. zerstört, beseitigt, für etw. schädlich ist‘ belegt
(GWDS): Killeralge, -spiel, -satellit, -virus, -zelle; Bakterien-, Job-, Lack-,
Staubkiller.
136 2 Wortbildung des Substantivs

2.2.2 Substantiv als Erstglied

2.2.2.1 Formativstrukturen des Determinativkompositums


Als Erst- und als Zweitglied treten sowohl einfache als auch komplexe
Stämme auf. Komplexe Stämme sind Komposita, Derivate oder Konversi-
onen. Liegen Komposita als Konstituenten vor, unterscheidet man je nach
Position der komplexen Stämme links-, rechts- oder beidseitig verzweigte
Konstituenten. Folgende Strukturen kommen vor.
1) Beide unmittelbaren Konstituenten sind Simplizia: Stadt bahn, Lie-
bes lied, Herden trieb.
2) Die erste oder/und zweite unmittelbare Konstituente ist ein Komposi-
tum; mit Linksverzweigung Großstadt kind, Vorstadt kino; mit Rechtsver-
zweigung Stadt autobahn, die Kosten der Not bargeldversorgung (LVZ 2010);
mit beidseitiger Verzweigung Gewandhaus kapellmeister, Autobahn tank-
stelle (¢ 2.2.2.2).
3) Das Erst- oder das Zweitglied ist ein Suffixderivat, das jeweils andere ein
Simplex oder Kompositum: Arbeiter vorstadt, Fremdsprachen lehrer, Frei-
heits kampf, Wirtschaftlichkeits reserve. Wortbildungen nach dem Modell
von Gerede fehlen als Erstglied.
4) Beide Glieder sind Suffixderivate: Lehrer bildung, Bildungs möglichkeit.
Als gleiches Suffix bei Erst- und Zweitglied erscheinen vor allem -er und
-ung, vgl. Lehrer ausbilder, Regierungs erklärung. Für die übrigen Suffixe
lassen sich kaum derartige Belege beibringen (aber Nachbarschaftsfeindschaft,
Internet 2010).
5) Die seit Wilmanns (1899, 514) wiederholt zu findenden Bemerkungen
(vgl. auch Henzen 1965, 48) über die Ungeläufigkeit eines Erstgliedes mit
Diminutivsuffix treffen heute nicht mehr zu. Es gibt nicht nur Fälle mit
demotivierten Diminutiva wie Mädchen schule, Kaninchen fell und Termini
wie Teilchen strahlung, -strom, sondern weitere wie Häschen gesicht, -kostüm,
-witz, Klötzchen firma Lego, -geschäft (PDW 2005), Hütchen pralinen, Löck-
chen haar (E. Strittmatter), Väterchen liebe (M. W. Schulz).
Dagegen scheint die Koppelung zweier diminuierter Konstituenten einer
Beschränkung zu unterliegen: *Häuschen türchen.
6) Auch Erstglieder mit Movierungssuffix -in, früher kaum üblich (Köni-
gin witwe, -mutter sind anders zu beurteilen), begegnen heute in großer
Zahl. Allerdings stets mit Fugenelement -en-, also -innen-: Kindergärtnerin-
nen schule, Käuferinnen schicht, Raucherinnen kinder, Studentinnen wohn-
heim, Wissenschaftlerinnen- Aussprache; ferner Göttinnen gewimmel
(Ch. Wolf), Kanzlerinnen gipfel.
2.2 Komposition 137

7) Die erste oder zweite unmittelbare Konstituente ist ein Präfixwort:


Urwald grenze, Reise unkosten. Komposita aus zwei Präfixwörtern bleiben
ungewöhnlich: Urwald unruhe, Unschulds urzustand, Mißerfolgs urerlebnis.
Doch die Modelle sind produktiv.
8) Erstglieder in der Form des Infinitivs sind in der Regel als Substantive
aufzufassen (Könnens entwicklung), lassen sich teilweise aber auch verbal
paraphrasieren: Überlebens methode – Methode des Überlebens oder Methode,
zu überleben; Näheres ¢ 2.2.4.1. Auch Adjektive und Partizipien sind zu Sub-
stantiven konvertiert in Studierenden vertretung, Promovierendenrat ,Inter-
essenvertretung von Doktoranden und Doktorandinnen‘, Angestellten ver-
trag.
9) Noch stärker ist die Berührung zwischen Verb- und Substantivstamm
in Fällen wie Schussfeld – Schießplatz; ¢ 2.2.4.1.
10) Wortbildungen mit substantiviertem Infinitiv als Zweitglied entstehen
nach zwei Modellen, als Kompositum, vgl. das Herbstabfischen (TZ 1974) –
Abfischen im Herbst oder als Konversion eines verbalen Syntagmas, vgl. das
Kopfzerbrechen aus dem verbalen Phrasem sich den Kopf zerbrechen. Die
Interpretation des Einzelfalles muss vielfach beide Möglichkeiten offenlas-
sen.
11) Konversion und Komposition konkurrieren auch bei der Erzeugung
von Wortbildungen mit substantiviertem Adjektiv; vgl. Erwerbsunfähiger
als substantivische Konversion des adjektivischen Kompositums erwerbsun-
fähig einerseits und Betriebsangehöriger – Angehöriger des/eines Betriebes als
Kompositum andererseits.
12) Wortbildungen, die ein substantivisches Derivat als Zweitglied enthal-
ten, entstehen nach drei Modellen: als Derivat eines Kompositums (Schul-
politik > Schulpolitiker), als Kompositum mit einem Suffixderivat als Zweit-
glied (Lehrer für Deutsch > Deutschlehrer) und als Suffixderivat von einem
Syntagma (Gepäck tragen > Gepäckträger).
Zu Doppelmotivationen in Fällen wie Film-, Musik-, Literaturkritiker vgl.
Ortner/Ortner 1984, 48.
13) Fremdelemente bilden untereinander und mit indigenen Grundmor-
phemen bzw. Morphemkomplexen prinzipiell in der gleichen Weise Kom-
posita (zu speziellen Erscheinungen ¢ 1.9). Auch hier herrschen die Bildun-
gen aus zwei, allenfalls drei Grundmorphemen vor: Kolportage literatur,
Virus infektion, Aggressions phänomen, Revolutions tribunal, Dixieland jazz,
Brutto sozialprodukt.
In Kombination mit einem indigenen Wort kann das Fremdelement als
Erst- wie auch als Zweitglied fungieren: Kontakt linse, Körper kontakt, Cock-
tail kleid; Begrüßungs cocktail, Haar spray, Spray dose.
138 2 Wortbildung des Substantivs

14) Über Eigennamen als Erstglied (Elbe-Radweg) ¢ 2.2.11.4.1.


15) Das Binaritätsprinzip der Komposition und das Streben nach Erleich-
terungsreduktion stimulieren eine gewisse Tendenz der Meidung bzw. Til-
gung eines dritten Grundmorphems in bestimmten Fällen. So entfällt die
Doppelung identischer Konstituenten in (Wasser-)Leitungswasser, (Zucker-)
Rohrzucker, (Sport-)Hallensport, S-(Bahn-)Bahnhof, wohingegen allerdings
Reisebüro reise. Das determinierende Erstglied eines Kompositums tendiert
zur Tilgung, wenn das Kompositum als Ganzes zum Erstglied eines erwei-
terten Kompositums wird: (Eisen-)Bahndamm, -körper, -polizei, -post u.v.a.
In diesen Zusammenhang sind auch textgebundene sog. Klammerformen
zu stellen (¢ 2.2.3.2). Sie entstehen bei dem Bemühen um ökonomischen
Ausdruck, etwa bei der Formulierung von Überschriften: Atomenergiebe-
hörde > Atombehörde, Ärztekammerpräsident > Ärztepräsident (Färber 2006,
78). Auch explikative Komposita mit verallgemeinernder Zweitkonstituente
(¢ 2.2.2.3.4[6]) wie Aktenmaterial werden so verkürzt, wenn sie in Komposita
eingehen, statt *Aktenmaterialaufbewahrung also Aktenaufbewahrung.

2.2.2.2 Polymorphemisches Kompositum


Als polymorphemische Komposita bezeichnen wir verzweigte Komposita
mit vier und mehr Grundmorphemen. Diese Entscheidung stützt sich auf
eine Reihe qualitativer Faktoren, die mit der quantitativen Differenzierung
zusammenhängen, ist aber natürlich nicht als absolute Grenzziehung anzu-
sehen. Derartige Komposita sind eine jüngere Erscheinung (keine Belege
„aus unserer alten Sprache“ bei Grimm 1878, 911, doch zunehmend seit
dem 16. Jh.). Am häufigsten sind heute die Bildungen aus vier Grundmor-
phemen, von denen eines bisweilen ein Adjektiv- oder Verbstamm, das
Erstglied insgesamt aber ein Substantiv ist: Autobahn raststätte, Braunkoh-
len tagebau; Roggen vollkornbrot, Welt- Tierärztegesellschaft, Waffenstill-
stands verhandlungen, Wohngebietsgestaltungs konzeption, Straßenverkehrs-
Zulassungs- Ordnung.
Über die Koppelung von vier Grundmorphemen hinaus werden die
Komposita zunehmend seltener (vgl. Muhamed-Aliewa 1986), z.B. Ab-
fallwirtschaftsgebührenänderungs satzung, Sonderpostwertzeichen heft, Haus-
halt(s) tiefkühlschrank, Haushaltgroßgeräte mechaniker, 1200-kW-Elektro-
nenstrahl -Mehrkammerofen.
Auch die polymorphemischen Komposita unterliegen dem Binaritäts-
prinzip, doch weisen sie gegenüber der Masse der zwei- und dreimorphe-
mischen Substantivkomposita eine Reihe von Besonderheiten auf. Diese
betreffen zunächst Formativcharakteristika, und zwar vor allem:
2.2 Komposition 139

– die Akzentsetzung (Dudenband 4, 2009, 50);


– die spezielle Handhabung des Bindestrichs (¢ 2.2.12.4);
– die Kompositionsfuge (¢ 2.2.12);
– die Tendenz zur Verkürzung, besonders die Initialkürzung: Straßenver-
kehrs-Zulassungs-Ordnung > StVZO (¢ 2.7.1).
Die polymorphemischen Komposita sind vorwiegend eine Erscheinung
geschriebener Sprache und ein erheblicher Teil davon ist als Terminus in
Fachwortschätzen fixiert (Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, Le-
bensmittelfarbstoffzulassungsverordnung, PDW 2004). Doch ihre Bildung
und Verwendung sind keineswegs darauf beschränkt; auch im nichtfach-
gebundenen Gebrauch wächst ihre Zahl: Fernsehdauerkonsum, Feuerleiter-
Hinterhof-Milieu, Sonnabendnachmittagsbehaglichkeit u. a.

2.2.2.3 Zur Semantik


Im Folgenden werden exemplarisch zentrale Wortbildungsbedeutungen
substantivischer Determinativkomposita beschrieben. Die Darstellung er-
folgt informell (¢ 1.1.5; ¢1.7.1.2). Zum Kopulativkompositum ¢ 2.2.2.5.
Nach ihrer Wortbildungsbedeutung werden die Komposita in drei Grup-
pen geordnet, von denen sich nur a. und b. systematisch erfassen lassen.
a. Komposita mit Wortbildungsbedeutungen, die sich relativ sicher aus va-
lenzbedingten und semantischen Eigenschaften der zweiten unmittelba-
ren Konstituente erschließen lassen;
b. Komposita, zwischen deren Konstituenten „semantische Grundrelati-
onen“ bestehen (Fandrych/Thurmair 1994, 39);
c. Komposita, deren Wortbildungsbedeutung singulär ist („Kontextkom-
posita“, Motsch 2004, 393).
Mit der Gliederung von a. und b. wird der Unterschied zwischen vieldeut-
baren Komposita wie Fischfrau und Holzkiste einerseits und relativ eindeu-
tigen wie Kindererziehung und Beamtensohn andererseits hervorgehoben.
Letztere sind Rektionskomposita sowie Komposita mit relationalem, d. h.
mit „semantisch ergänzungsbedürftigem“ oder (aufgrund von Sachwissen)
ergänzungsfähigem Zweitglied wie Sohn, Tochter, Fan (Fandrych/Thurmair
1994, 45). Rektionskomposita werden Determinativkomposita mit einem
deverbalen Zweitglied genannt, das eine valenzgrammatisch bedingte se-
mantische Leerstelle (Argumentstelle) vom Verb mitbringt, vgl. Romanleser
– Leser eines Romans – einen Roman lesen. Die vom Verb eröffnete und vom
abgeleiteten Substantiv „ererbte“ Valenzstelle wird im Kompositum vom
Erstglied ausgefüllt. Als Rektionskompositum lässt Romanleser nur diese
eine Lesart zu. Dasselbe Zweitglied kann allerdings auch in Komposita
nichtrektionaler Art auftreten (Durchschnittsleser, Zufallsleser), sodass die
140 2 Wortbildung des Substantivs

Rektionslesart für Komposita mit deverbalen Zweitgliedern nicht als obli-


gatorisch gelten kann.
„Der Unterschied zwischen Rektions- und Nichtrektionslesart liegt darin, daß bei den
Rektionskomposita die Relationalität durch die grammatisch charakterisierbare Rek-
tion eines der Glieder gegeben ist, während sie bei den Nichtrektionskomposita nicht
grammatischer Art ist und daher durch den Sprecher erst aus einem der Kompositi-
onsglieder erschlossen werden muß.“ (Olsen 1986a, 66). Wir fassen dagegen nur die
Rektion des Zweitgliedes als relevant für die Erklärung der Wortbildungsbedeutung
auf. Eichinger (2000, 128) begründet den Begriff Rektionskompositum ebenfalls mit
den grammatischen Eigenschaften des Zweitgliedes (nicht beider Glieder), fasst ihn
aber weiter: Rektionskomposita sind demnach „Bildungen, bei denen das Determi-
natum strukturelle Anknüpfungspunkte für das determinierende Element vorgibt oder
anbietet. Wir wollen hierbei nicht nur die strikt rektionalen Beziehungen gelten lassen,
sondern auch andere vom Kern der Szene eröffnete Abhängigkeiten.“

Bei den Komposita mit semantischen Grundrelationen besteht ein breiterer


Interpretationsspielraum in Bezug auf die Wortbildungsbedeutung
(¢ 1.5.4.2). In gewisser Weise entspricht dieser Offenheit diejenige der de-
substantivischen verbalen Konversionen (köpfen, salzen usw.; ¢ 5.5.2). Das
heißt, in Einzelfällen lassen sich Mehrfachinterpretationen von Beispielen
und folglich Überschneidungen bei deren Zuordnung zu den Modifikati-
onsarten nicht ganz ausschließen, wenngleich bei lexikalisierten Komposita
meist eine bestimmte Lesart dominiert: Schulbesuch ,das pflichtgemäße Be-
suchen der Schule‘ und nicht, was auch denkbar wäre, ,Besuch aus der
Schule‘.
Zur Problematik der Ermittlung von Wortbildungsbedeutungen vgl. auch
Heringer 1984; Fandrych/Thurmair 1994; Donalies 2005b, 155ff.
In diesem Sinne werden in der folgenden Darstellung Haupttypen der
Wortbildungsbedeutung exemplarisch analysiert, sozusagen als „Prototy-
pen“, ohne die mehrdeutigen Grenzfälle allzu sehr zu strapazieren.
In der Übersicht wird mittels einer verallgemeinernden Erläuterung aus-
gedrückt, in welcher Weise das Erstglied A das Zweitglied B modifiziert. Die
verkürzten Formulierungen sind folgendermaßen zu lesen, vgl. den ersten
Untertyp in a. ,agentiv‘: ,A bezeichnet die Person oder Sache (Ärzte, Zug),
die das in B bezeichnete Geschehen/die bezeichnete Handlung (Tagung,
Abfahrt) ausführt‘.
2.2 Komposition 141

2.2.2.3.1 Wortbildungsbedeutungen der Komposition

a. Rektionskomposita sowie Komposita mit relationalem Zweitglied:

1) ,agentiv‘
,A tut B‘: Ärztetagung, Zugabfahrt.
A bezeichnet den Handlungsträger des Geschehens in B.
2) ,thematisch‘
,A wird von B hervorgebracht bzw. ist von der Handlung in B betrof-
fen‘: Obstverkäufer, Kohleabbau, Friedenssehnsucht
A bezeichnet den vom Geschehen erzeugten oder betroffenen Gegen-
stand, das „Thema“ von B. Syntaktisch entspricht A einem akkusativi-
schen oder präpositionalen Komplement: etwas verkaufen, abbauen;
Sehnsucht nach etwas haben.
3) ,zugehörig‘
A besetzt eine semantische Leerstelle, die B eröffnet: Professorensohn,
Fußballfan.

b. Komposita mit semantischen Grundrelationen:

1) ,lokal‘
1.1) ,B befindet sich in A‘: Bankguthaben, Gartenbeet
1.2) ,B vollzieht sich in A‘: Büroarbeit
1.3) ,B stammt von A‘: Land-, Seewind
1.4) ,B führt zu A‘: Kellertreppe
2) ,temporal‘
,A ist Zeitpunkt/Zeitraum, an dem B stattfindet/für den B gilt‘: Morgen-
frühstück, Monatsplan, Tagesfahrt
3) ,final‘
,A gibt an, wofür B geeignet/bestimmt ist‘: Strandanzug, Fensterglas,
Damenkleid
4) ,kausal‘
4.1) ,B verursacht A‘: Tränengas
4.2) ,A gibt Ursache/Herkunft von B an‘: Schmerzensschrei, Bienenhonig
5) ,komparativ‘ (¢ 2.2.2.3.2)
5.1) ,B gleicht/ist wie A‘: Patchworkfamilie
5.2) ,A gleicht/ist wie B‘: Beifallssturm
6) ,possessiv‘
,A ist Besitzer von B‘: Gemeindewald
142 2 Wortbildung des Substantivs

7) ,partitiv‘/,adhäsiv‘,
7.1) ,A hat B‘: Buchrücken, Vereinsmitglied
7.2) ,B hat A‘: Henkelkorb, Rahmenerzählung
8) ,instrumental‘
,B funktioniert mithilfe von A‘: Handbremse
9) ,material‘
,B besteht aus A‘: Lederschuh
10) ,konstitutional‘ (DWb 4, 128)
,A ist Bestandteil von B‘: Blumenstrauß
11) ,graduierend‘
,A graduiert (vergrößert bzw. verkleinert) B‘: Riesenskandal, Zwerghuhn
12) ,explikativ‘
B bezeichnet den Oberbegriff zu A:
,B ist A‘: Auswertungsverfahren, Erziehungsprozess (¢ 2.2.2.3.4[6]).
Wegen des hohen Abstraktionsgrades von B „nähern sich diese Bildun-
gen in unterschiedlichem Maße der Derivation mittels Suffixen an.“
(Eichinger 2000, 77).

2.2.2.3.2 Metaphern
Komposita mit metaphorischen Erscheinungen, „Komposit(ions)meta-
phern“, sind differenziert zu betrachten (vgl. auch Käge 1980, 39 ff.; DWb 4,
194 ff.). Wir unterscheiden folgende Typen.
1) Komposita wie Augenblick ,Moment‘ und Fuchsschwanz ,Handsäge‘,
Geldsack ,reicher, geiziger Mann‘ sind als Ganzes metaphorisiert („kompa-
rativ-exozentrisch“, Ortner/Ortner 1984, 158ff.) und in dieser Hinsicht me-
taphorischen Simplizia gleichgestellt. Im Unterschied zu diesen bietet die
komplexe Formativstruktur der Wortbildung aber spezielle Möglichkeiten
der Remotivation (¢ 1.5.4.1), vgl. den Titel einer Keramik-Ausstellung Au-
gen-Blick (PDW 2005).
2) In Komposita wie Informationsflut, Kostenlawine, Reisewelle („kompa-
rativ-endozentrisch“, Ortner/Ortner 1984, 58; ¢ 2.2.2.3.1[5]) oder okkasi-
onell Insolvenz-Tsunami (in der Wirtschaft, LVZ 2010), Tomatenzwerge (Wer-
bung 2010) ist das Erstglied der Bildempfänger, das Zweitglied der Bildspen-
der. Das Zweitglied nennt eine Vergleichsgröße, die jedoch nicht die
Bezugsgröße darstellt (deshalb „endozentrisch“). Das Erstglied kann – dann
ohne metaphorisch-expressive Charakteristik – für das Ganze stehen, was für
Determinativkomposita bekanntlich ungewöhnlich ist. Wenn entsprechen-
de Komposita lexikalisiert sind, tendieren die metaphorischen Zweitglieder
zu starker Kompositionsaktivität (Ausgaben-, Brief-, Verpackungsflut; An-
2.2 Komposition 143

trags-, Preis-, Prozesslawine; Angriffs-, Hitze-, Streikwelle) und auch zum


freien Gebrauch in der metaphorischen Lesart (eine Flut von Anträgen, eine
Lawine von Zuschriften, eine Welle von Protesten; ¢ 1.5.2). Weitere in meta-
phorischer Lesart kompositionsaktive Substantive sind Fieber (Premierenfie-
ber), Front (Heiratsfront), Landschaft (Presselandschaft), Marathon (Sitzungs-
marathon), Paket (Sozialpaket), Schiene (Medienschiene), Stau (Karrierestau).
3) In Komposita wie Etuikleid, Kopfbahnhof, Salamitaktik, Salamispieltage
(im Fußball: ,Spiele eines Spieltags mit vielen unterschiedlichen Anstoßzei-
ten‘) ist umgekehrt das Erstglied der Bildspender und das Zweitglied der
Bildempfänger. Hier kann, wie im Determinativkompositum üblich, das
Zweitglied für das Ganze stehen, das Erstglied hingegen nicht.
Nur wenige Wörter werden sowohl als Erstglied wie auch Zweitglied als
Bildspender genutzt: Marathonprozess – Verhandlungsmarathon, Killervirus
– Staubkiller.
4) Ein Sonderfall metaphorischer Komposita sind Lexeme wie Ölpest. Hier
ist zwar auch das Zweitglied der Bildspender, aber im Unterschied zu Typ 2 ist
das Erstglied nicht ohne Weiteres mit dem Bildempfänger gleichzusetzen:
Ölpest „ist“ nicht in dem Sinne ,Öl‘, wie Informationsflut ,Information‘ „ist“.
Das Erstglied ist hier nicht – wie in 2) – „motivationssemantisch irregulär
dominierend“ (Käge 1980, 60), wenngleich es zur Motivation der Wortbil-
dung beiträgt: Es handelt sich um eine durch (Roh-)Öl verursachte pestähn-
liche Katastrophe (,Verschmutzung von Stränden, Küstengewässern und
dgl.‘). Weder Erst- noch Zweitglied können allein das Kompositum vertreten.
5) In diesen Zusammenhang stellen wir auch expressive Personenbezeich-
nungen mit metaphorischen Tier- oder Sachbezeichnungen als Zweitglied
(Bücherwurm, Pech-, Spaßvogel, Dreck-, Schmutzfink, Unglücksrabe; Jam-
merlappen, Ulknudel). Auch hier ist eine Teilmotivation durch das Erstglied
gegeben. Jedoch kann weder das Erst- noch das Zweitglied für das Ganze
stehen. Derartige Wortbildungen ersetzen im Deutschen weitgehend die in
anderen Sprachen, z.B. dem Russischen, zahlreicher vorhandenen Möglich-
keiten expressiver Nuancierung von Personenbezeichnungen durch Suffixe.

2.2.2.3.3 Augmentation
Mit den Metaphern berühren sich Modelle mit Riesen-, Heiden-, Spitzen-
u. a., die verstärkenden Präfixderivaten mit ur-, erz-, hyper- usw. nahekom-
men. Von unserer früheren Auffassung abweichend, ordnen wir diese Mo-
delle nunmehr in die Komposition ein.
Augmentativa charakterisieren ihre Referenten als (in Bezug auf einen
Standard) besonders groß, riesig bzw. wichtig, oft verbunden mit einer po-
144 2 Wortbildung des Substantivs

sitiven oder negativen Wertung. Im Deutschen fehlen die Augmentativsuf-


fixe mancher anderer, wie beispielsweise der romanischen Sprachen (Well-
mann 1998, 506) als Pendant zu den Diminutivsuffixen; die entsprechenden
Aufgaben übernehmen kompositionelle Erstglieder. Wir heben unter funk-
tional-semantischem Gesichtspunkt die folgenden heraus (vgl. auch Peter-
mann 1971; Ruf 1996, 53 ff.; Wiegand 2001).
Hochproduktiv ist das Modell mit Riesen- ,sehr groß‘; über Bildungen, die
einen expliziten Vergleich nachvollziehen lassen, wie Riesenmaß der Leiber
(Schiller), hinausgehend: Riesen-Geist (1764, vgl. Itkonen 1971, 216), Riesen-
fortschritt, -freude, -skandal, weiter mit komplexem Zweitglied Riesenakten-
stapel, -blumenbeet, -neuigkeit.
Damit kommt Riesen- dem Status eines Präfixes relativ nahe. Das Lexem
Riese lässt sich in gleicher Funktion metaphorisch verwenden (,großer, kräf-
tiger Mensch‘) und die Wortbildungen mit Riesen- sind durch semantisch
äquivalente Syntagmen mit dem Adjektiv riesig zu ersetzen: Riesenbahn-
hof – riesiger Bahnhof. Wo die Vergleichsparaphrase mit wie möglich ist,
kann die Reihenfolge der unmittelbaren Konstituenten z.T. auch variieren
(¢ 2.2.2.3.2): Riesenmaschine, -schlepper – Maschinen-Riese, Schlepper-Riese
(TZ 1966); vgl. ferner Riesensupermarkt – Supermarktriese (PDW 2005),
Kraftwerksriese. Die Wortbildungsbedeutung nähert sich derjenigen im Ko-
pulativkompositum: ,Maschine als Riese‘, ,Maschine und zugleich Riese‘
(¢ 2.2.2.5). Doch nicht alle Komposita mit -riese lassen sich so variieren.
Anders verhalten sich Touristikriese (Touristikunternehmen), Hochspan-
nungsriese (1,5-Millionen-Volt-Wechselspannungsprüfanlage), Energieriese,
Einzelhandelsriese – hier ist zu paraphrasieren Riese in Bezug auf Hochspan-
nung, Energie usw. Weitere kompositionelle Zweitglieder, die die durch das
Erstglied bezeichnete Größe als in hohem Maße vorhanden kennzeichnen,
sind z. B. -berg, -flut, -lawine, -sturm, vgl. Schuldenberg, Protestflut, Prozess-
lawine, Begeisterungssturm (¢ 2.2.2.3.2).
Antonymisch zu Riesen- bezeichnet Zwerg(en)- die Kleinheit: Zwergpudel,
Zwergtomate; Zwergenbörsengang, Zwergentastatur (PDW 2006), auch als
Zweitglied wie in Chip-, Fußballzwerg.
Für die Augmentation steht eine Fülle weiterer Erstglieder zur Verfügung,
deren Reihen allerdings meist weniger stark ausgebaut sind. Es handelt sich
dabei zunächst um konnotierte Substantive (meist in spezifischen Kompo-
sitionsstammformen) wie Bomben-, Heiden-, Höllen-, Mords- und Toten-
sowie um Tierbezeichnungen wie Affen-, Bullen-, Hunde- und Sau- (durch
ihre Verwendung als Schimpfwörter emotionalisiert): Bombenerfolg, -gehalt,
-geschäft, -reklame, -rolle, Heidenangst, -krach, Höllendurst, -tempo, Bullen-
hitze, Hundekälte, Saukälte, -wut; neuerdings auch Hammer-, vgl. DFB-Team
2.2 Komposition 145

droht Hammergruppe (LVZ 2007), Hammergegner, -restprogramm (im


Sport); Hammerwinter, ,sehr kalter Winter‘. Dazu treten – ebenfalls salopp
markierte – Modelle mit Dreck(s)- (-arbeit, -kerl, -loch ,schlechte Wohnung,
Zimmer‘, -nest ,Dorf‘, -wetter), Mist- (-kerl, -stück, -wetter), Scheiß- (-arbeit,
-kram, -musik). Auch auf Präfixmodelle (miss-, un-) ist zu verweisen.
Die Modelle sind umgangssprachlich bzw. salopp markiert; die entspre-
chenden Wortbildungen werden bevorzugt in affektbetonter Sprache ge-
braucht. Im Unterschied zum nichtkonnotierten Determinativkompositum
ist die Akzentuierung beider Konstituenten ausgewogen, „schwebend“:
Bómben wı́rkung ,große, starke Wirkung‘ – Bómben wı̀rkung ,Wirkung einer
Bombe‘, Tóten stı́lle ,große Stille‘ – Tóten stàrre ,Leichenstarre‘.
Weniger stark emotionalisiert und daher auch universeller verwendbar
sind kompositionelle Augmentativa mit metaphorisch gebrauchten Erst-
gliedern wie Herzens- (-angst, -bedürfnis, -freude, -güte, -lust), Jahrhundert-
(Das Jahrhundertwerk Deutsche Einheit – es droht zugleich als Jahrhundert-
Abzocke in die Geschichtsbücher einzugehen, PDW 2005), Mammutausschrei-
bung, -behörde, -prozess; Rekordernte, -tiefstand.
Das Erstglied Spitzen- hat ausgehend von der Bedeutung ,Höchstmaß‘
einen Superlativ positiver Wertung entwickelt, vgl. die Lesarten von Spitzen-
zeit: ,Zeit stärksten Verkehrs‘, ,Zeit maximaler Inanspruchnahme von Elek-
troenergie‘, ,Bestzeit von Sportlern‘. Vgl. auch Spitzenniveau (,Weltniveau,
-spitze‘), Spitzenbier, -film ,Bier, Film von höchster Qualität‘, Spitzenarbeits-
kräfte (PDW 2005). Teilweise konkurrieren Wortbildungen mit Höchst- wie
Höchst-/Spitzengeschwindigkeit. Zu Akzentverhältnissen in Wortbildungen
mit Spitzen- vgl. Grzega 2004, 324ff.
Positiv wertend sind ferner u. a. die Erstglieder Bilderbuch- (-landung,
-karriere), Glanz- (-leistung, -rolle), Klasse- (-fußball, -frau, dies ohne -n-,
vgl. Klassezimmer ,hervorragendes Zimmer‘ gegenüber Klassenzimmer
,Zimmer einer Schulklasse‘), Lieblings- (-dichter, -essen, -lied, -thema),
Luxus- (-ausgabe, -auto, -wohnung), Meister- (-detektiv, -leistung), Pracht-
(-exemplar, -junge, -weib), Traum- (-beruf, -frau, -note, -villa), Qualitäts-
(-arbeit, -möbel), Star- (-anwalt, -dirigent, -besetzung). Das gleiche Erstglied
kann neutral sein (Schulbeispiel ,typisches klassisches Beispiel‘) wie auch
negativ werten (Schulweisheit ,nur angelerntes Wissen‘). Stärker umgangs-
sprachlich markiert sind entsprechende Bildungen mit Pfunds- (-idee, -kerl,
-stimmung).
Eine Übersicht über augmentative Erstglieder geben Ruf 1996, 55 f.; Wellmann 1998,
506 ff. sowie Wiegand, der die Buchung augmentativer Erstglieder (123 Einheiten) in
einsprachigen Wörterbüchern diskutiert (2001, 109 ff.).
146 2 Wortbildung des Substantivs

2.2.2.3.4 Verdeutlichendes Kompositum


Die sogenannten „verdeutlichenden“ Komposita zeigen eine Art determi-
natives Verhältnis insofern, als eine der unmittelbaren Konstituenten für das
Ganze gebraucht werden kann – in manchen Fällen auch jede von beiden;
insofern stehen beide in einer subordinierenden (keiner koordinierenden)
Beziehung zueinander. Die Strukturtypen sind allerdings verschiedenartig
und nicht in jedem Falle hat das „determinierende“ Erstglied spezifizierende
Bedeutung (vgl. DWb 4, 174ff.).
1) Produktiv ist das Modell der Verdeutlichung von Fremdwörtern durch
Hinzufügung eines indigenen Kompositionsgliedes (¢ 1.9.3.1) entweder als
Erst- (Einzelindividuum) oder als Zweitglied (Containerbehälter). Dadurch
wird für das im Deutschen unmotivierte Fremdwort eine – zumindest par-
tielle – Motivation geschaffen (¢ 1.5.4 sowie Käge 1980, 114ff. über „Pseu-
domotivation“), die seine Vernetzung in Wortfamilien ermöglicht. Mit
Bezug auf – noch? – problematisch erscheinende Fälle wie Angebotsofferten
(immerhin 650 Belege bei Google, Januar 2010), Anwendungsapplikation
(EDV) u. Ä. artikulieren sich immer wieder Bedenken sprachbewusster
Menschen, doch ein beträchtlicher Teil derartiger Bildungen setzt sich
schließlich durch, da sie das legitime Bedürfnis des Durchschnittssprechers
nach Motivation befriedigen, vgl. ABM-Maßnahme, ¢ 2.7.2.
2) Eine ähnliche Tendenz wirkt bei indigenen (bzw. heute als indigen zu
betrachtenden) Wörtern, allerdings nicht so offensichtlich und erst über
längere Zeiträume. Sie hat zu Komposita wie Farnkraut und Kieselstein ge-
führt; hier bezeichnet das Zweitglied verdeutlichend einen Oberbegriff, der
bereits mit dem Erstglied gegeben ist: Farn und Kiesel haben die gleiche
Bedeutung wie jeweils das Kompositum. Damit kann das Erstglied für das
Ganze stehen.
In Tragbahre „wiederholt“ das Erstglied semantische Merkmale, die be-
reits das Zweitglied enthält (ahd. beran ,tragen‘); heute sind neben dem
Kompositum beide Glieder für sich mit teilweise gleichem Denotatsbezug
verwendbar: Bahre und Trage.
3) Fälle wie Rückgrat (ahd. grāt ,Rückgrat‘, mhd. grāt ,Bergrücken‘) und
Turteltaube (ahd. turtura ,Turteltaube‘) sind von 2) abzusetzen, da das ver-
deutlichte Element heute nicht mehr (bzw. wie -grat nicht mehr in der
entsprechenden Bedeutung) frei gebräuchlich ist.
4) Völlig demotiviert ist schließlich Lindwurm (ahd. lind ,Schlange‘), das
sich mit seinem zweiten Bestandteil zwar formal neben Regenwurm u.Ä.
stellen lässt, wo jedoch keine entsprechende semantische Beziehung mehr zu
erkennen ist.
2.2 Komposition 147

5) Als verdeutlichende Bildung ist auch Schwiegermutter entstanden; doch


das Element Schwieger- ist als Konfix reihenbildend geworden (¢ 2.2.8[3]).
6) Keine historisch zu erklärenden Relikte, sondern Repräsentanten
höchst produktiver Modelle stellen die beiden folgenden Teilgruppen mit
der Wortbildungsbedeutung ,explikativ‘ dar (vgl. auch Wellmann 1998, 487
zu „explikativen Zusammensetzungen, die eine sein-Prädikation ausdrü-
cken“ wie Verlustgeschäft; ¢ 2.2.2.3.1).
6.1) Bei Komposita wie Auswertungsverfahren, Übungsgeschehen, Wider-
spiegelungsprozess handelt es sich zwar in gewisser Hinsicht auch um eine
Verdeutlichung durch das Zweitglied, aber nicht weil das Erstglied sprach-
lich isoliert und etymologisch verdunkelt wäre, sondern weil die deverbalen
Erstglieder polysem sind, ,Prozess‘ wie ,Resultat‘ bezeichnen und z. T. noch
weitere Lesarten haben können. Durch die Zweitglieder wird ,Prozess‘ ak-
zentuiert. Insofern ließe sich auch das Zweitglied als übergeordnet ansehen,
obwohl – im Unterschied zu den meisten anderen Determinativkomposita
– hier wie in 2) das Erstglied für das Ganze stehen kann.
6.2) Das genannte Modell ist mit einem weiteren verbunden, mit dem es
die Tendenz zur Bezeichnung eines verallgemeinernden Oberbegriffs (dort
also ,Prozess‘) teilt: dem Kompositionsmodell mit einer verallgemeinernden
Bezeichnung für ,Stoff, Material‘ als Zweitglied: Aroma-, Gift-, Tatsachenstoff,
Arznei-, Beweis-, Futter-, Nahrungs-, Spendenmittel. In der Fixierung des
verallgemeinernden Oberbegriffs, die einem Kommunikations- und wohl
auch einem Kognitionsbedürfnis in Wissenschaft und Verwaltung ent-
spricht, lässt sich auch eine Art Verdeutlichung sehen. Döring (1975a, dort
die genannten und weitere Beispiele) hat sich eingehender mit dem Zweit-
glied -material beschäftigt und rechtfertigt den zunehmenden Gebrauch
dieser Bildungen als zweckmäßig, auch wenn das Anstoßnehmen an Ein-
zelbildungen berechtigt sein mag. Als Erstglied erscheinen vor allem Sub-
stantive (Akten-, Bild-, Prospekt-, Wortmaterial) und Verbstämme (Binde-,
Besohl-, Lehr-, Schreibmaterial), kaum dagegen Adjektive.
Als verallgemeinernde Bezeichnung für Personen dient -kräfte (Arbeits-
kräfte) in Kontroll-, Montage-, Servierkräfte, für Organisationseinheiten ent-
sprechend -einrichtung, vgl. Behandlungs-, Dienstleistungs-, Kur-, Vorschul-
einrichtung u. a.
Über -ebene und -zwecke in ähnlicher Funktion vgl. Döring (1975b).
Zu -gut, das sich auch in diesen Zusammenhang stellen ließe, ¢ 2.2.1.5.
7) Wortbildungen wie Hirschkuh, Rehkalb, Schafbock sind wohl am besten
doch nicht kopulativ (so noch Fleischer 1983c, 102 und Ortner/Ortner 1984,
53), sondern determinativ zu interpretieren – das Zweitglied als eine Art
148 2 Wortbildung des Substantivs

Movierungselement: ,Hirsch‘ + ,weiblich‘, ,Schaf‘ + ,männlich‘, ,Reh‘ +


,Junges‘. Allerdings können sowohl die Komposita als auch jedes der beiden
Einzelglieder für das Ganze stehen: Ein Schafbock ist ein Schaf und auch ein
Bock. Von den endozentrischen Kopulativkomposita (¢ 2.2.2.5[2]) ist dieser
Typ durch das semantische Ungleichgewicht zwischen den beiden Gliedern
unterschieden; -kuh, -bock und -kalb sind als stärker verallgemeinernd über-
geordnet.
In den Komposita Mutterhündin, -schwein u.Ä. (noch 1519 in Dresden
hundemutter) ist die Reihenfolge umgekehrt (vgl. auch Benzing 1968, 62 f.),
möglicherweise weil das Zweitglied -mutter den Bezug auf den Menschen
fixiert.
8) Als tautologisch könnte man nur solche Komposita bezeichnen, die aus
zwei auch frei noch geläufigen Synonymen bestehen (Trödelkram). Sie
werden offensichtlich gemieden. Haderlump (österr. pejorativ ,liederlicher
Mensch‘) und Schalksnarr (veralt. ,Hofnarr‘) sind dafür keine überzeugen-
den Beispiele.
2.2.2.4 Semantisch bedingte Bildungsrestriktionen
Bei der Komposition zweier Substantive scheint es hinsichtlich deren Aus-
wahl kaum semantische Beschränkungen zu geben, vgl. Auffälligkeitspool,
Menschenwürdekern (Wortwarte 2010); Waldwelt (B. Schlink); Schneeasche
(J. Franck). Die Beziehungen zwischen den unmittelbaren Konstituenten
sind potenziell so unendlich vielfältig wie denkbare Relationen zwischen
Begriffen. Allerdings ist der Ausdruck der Negation ausgeschlossen: Holz-
haus *,Haus, das nicht aus Holz ist‘ (vgl. Heringer 1984, 8 zu dem entspre-
chenden Hinweis von Motsch).
Bei genauerer Überprüfung hat sich herausgestellt, dass unter bestimm-
ten Bedingungen Komposita „mit sich selbst“, sog. „Selbstkomposita“,
möglich sind wie Bücherbuch ,Buch über (bestimmte) Bücher‘ (vgl. Günther
1981, 270), neben geläufigen Bildungen wie Kindeskind. Man wird also mit
absoluten Aussagen über Restriktionen zurückhaltend bleiben müssen. Al-
lerdings darf der Unterschied zwischen „unauffälligen“, ohne Weiteres als
üblich akzeptierten Bildungen einerseits und „auffälligen“, expressiven Bil-
dungen (oft textgebunden, meist in Verbindung mit zusätzlichen Mitteln
der Akzeptabilitätsförderung gebraucht) andererseits nicht übersehen wer-
den.
Die wenigen Beschränkungen (¢ 1.7.2.2) erscheinen vorwiegend als mehr
oder weniger ausgeprägte Tendenzen der Meidung entsprechender Kom-
posita, nicht als deren absolutes „Verbot“. Werden solche Wortbildungen
gebraucht, wirken sie in der Regel expressiv und eignen sich nicht für jede
Textsorte.
2.2 Komposition 149

1) Weitgehend gemieden wird die Kombination von Synonymen


(¢ 2.2.2.3.4), also nicht *Ursachengrund, *Dreckschmutz. Da bei polysemen
Lexemen die synonymische Beziehung in der Regel nicht für alle Lesarten
gilt, können sich allerdings Komposita ergeben wie Almosenspende, Folter-
qual, Grundursache. Nicht hierher gehören Koppelungen verschiedenspra-
chiger Eigennamen für das gleiche Objekt (z.B. Malvinas-Falklands bei Ort-
ner/Ortner 1984, 56 f.). Antonyme werden dagegen gelegentlich durchaus
miteinander verbunden (Hassliebe, Freundfeind).
2) Üblicherweise sind Komposita ausgeschlossen (wenn auch unter be-
stimmten textlichen und situativen Bedingungen denkbar), deren substan-
tivisches Erstglied einen Oberbegriff zum Zweitglied bezeichnet (vgl. Brekle
1970, 142 ff.), also nicht *Pflanzengras, *Tiervogel u.Ä.
3) In der kompositionellen Verbindung zweier Personenbezeichnungen
besteht offensichtlich eine gewisse Zurückhaltung; ungewöhnlich sind
*Vatermitarbeiter ,Mitarbeiter des Vaters‘, *Schwesterreisegefährte ,Reise-
gefährte der Schwester‘. Doch man vgl. – mit Verwandtschaftsbezeichnung
als Erst- oder Zweitglied – Enkelfreund, Patenkind; Werkleiterschwiegersohn
(Ch. Wolf), Komposita aus zwei Verwandtschaftsbezeichnungen wie Enkel-
kind, -sohn, -tochter sowie Rektionskomposita (¢ 2.2.2.3.1) wie Lehrlingsaus-
bilder.
Ist das Erstglied die Bezeichnung einer Menschengruppe, sind entspre-
chende Komposita ganz geläufig: Vereinsmitglied, Parteifreund, Familien-
schützling.
4) Stark eingeschränkt ist die Bildung eines Kompositums als Äquivalent
zu einem substantivischen Phrasem; vgl. Auge des Gesetzes – *Gesetzesauge
,Polizei‘, Ei des Kolumbus, Ernst des Lebens, Stein des Anstoßes, Rad der Ge-
schichte u.Ä. Diese Phraseme lassen eine Univerbierung zum Kompositum
kaum zu. Doch gewisse Ausnahmen von dieser Grundregel sind anzutreffen:
Abend des Lebens – Lebensabend, Faden der Ariadne – Ariadnefaden.

2.2.2.5 Kopulativkompositum
Kopulativkomposita (vgl. Paul 1920, § 7; Henzen 1965, 75 ff.) unterscheiden
sich von Determinativkomposita dadurch, dass beide unmittelbaren Kon-
stituenten in einem koordinierenden Verhältnis stehen (¢ 1.8.1.1). Damit
hängen weitere Merkmale zusammen:
Die unmittelbaren Konstituenten sind ohne prinzipielle semantische Ver-
änderung umstellbar, auch wenn das nicht in jedem Fall sprachüblich ist,
weil die Reihenfolge konventionalisiert ist: Pulloverjacke – Jackenpullover,
Strumpfhose – *Hosenstrumpf.
150 2 Wortbildung des Substantivs

Die unmittelbaren Konstituenten gehören der gleichen Wortart an, sind


bei einem substantivischen Kompositum also beide Substantive. Wie bei
den Determinativkomposita fungiert das Zweitglied als Kopf.
Das Kompositum als Ganzes kann keiner anderen semantischen Gruppe
angehören als seine beiden Konstituenten, die ihrerseits der gleichen se-
mantischen Klassifizierung unterliegen (dem gleichen „lexikalischen Para-
digma“ angehören: Neuß 1981, 43 ff.). Durch dieses semantische Charakte-
ristikum ist die Determination „neutralisiert“ (vgl. Neuß 1981, 46 ff., 62).
Manche Bildungen lassen doppelte Interpretation zu: Mannweib in älterer
Sprache kopulativ ,Mann und Weib, d. h. Zwitter‘ (vgl. auch Werwolf ,Mann
und Wolf‘); heute dagegen in der Regel wohl determinativ ,männlich wir-
kende Frau‘ (vgl. Neuß 1981, 50). Die genannten Merkmale gelten für zwei
Teilgruppen, die sich durch ein weiteres Merkmal unterscheiden (über ent-
sprechende Eigennamen ¢ 2.2.11.2).
1) Exozentrische Kopulativkomposita (Ortner/Ortner 1984, 66) sind sol-
che, bei denen weder das Erst- noch das Zweitglied das ganze Kompositum
semantisch repräsentieren kann: Eine Strumpfhose hat zwar „etwas“ von
einem Strumpf und von einer Hose, ist aber weder Strumpf noch Hose.
Komposita dieser Art bezeichnen vorzugsweise Kleidungsstücke; vgl. Klei-
derschürze – Schürzenkleid, Blusenjacke – Jackenbluse. Ein seltener Fall ist die
Bezeichnung Schafziege für eine Kreuzung aus Ziege und Schaf (auch kon-
taminiert zu Schiege; zur Kontamination ¢ 1.8.1.7).
2) Eine andere – stärker ausgebaute – Gruppe bilden die endozentrischen
oder konjunktiven Kopulativkomposita, deren unmittelbare Konstituenten
in einem additiven Verhältnis stehen und zwei Seiten eines Denotats be-
zeichnen. Gewöhnlich handelt es sich um Personenbezeichnungen. Das
Modell ist schon alt, vgl. pfaffenvürste (13. Jh.), Prinzregent, Dichterkompo-
nist, Waisenkind, -knabe (Kluge 1925, 65).
Neuere, mehr oder weniger geläufige Bildungen dieser Art sind Ingeni-
eurphilologe, Künstler-Kämpfer, Sänger-Darsteller (zugleich Sänger und
Schauspieler), Arbeiter-Schauspieler, Spielertrainer, Dichter-Präsident (für
V. Havel).
Die Gleichstellung beider Konstituenten kann so weit gehen, dass – zu-
mindest bei okkasionellen Bildungen – bei Flexion des Zweitgliedes auch das
Erstglied flektiert wird: dem Journalisten-Wissenschaftler (J. Brězan).
Koppelung von mehr als zwei Wörtern begegnet selten: der Berliner Au-
tor-Redakteur-Verleger (TZ 1983 mit Bezug auf Ch. F. Nicolai, 1733–1811),
Entdecker-Abenteurer-Freibeuter wie Raleigh (TZ 1981).
2.2 Komposition 151

Sachbezeichnungen sind nur vereinzelt vertreten, vgl. z.B. Strichpunkt,


Kinocafé; hierher auch Termini wie Schwefelwasserstoff (Neuß 1981, 58).
Okkasionelle spielerische Vertauschung der unmittelbaren Konstituenten
kann mit semantischen Nuancierungen verbunden sein, wobei das kopu-
lative Verhältnis fraglich wird, vgl. den Buchtitel Heitere Rätsel-Reime –
Reim-Rätsel (H. Topf, 1988); ferner: „Glanz und Elend dieser Methodenkom-
bination (oder dieser Kombinationsmethode)“ (Deutsche Literaturzeitung
1973.

2.2.2.6 Übergangsbereich zwischen Determinativ- und Kopulativkompositum


Bei den meisten Kopulativkomposita lässt sich auch eine Interpretation als
Determinativkompositum rechtfertigen (Breindl/Thurmair 1992; Motsch
2004, 377), wobei die adäquate Bedeutung jeweils aus dem Kontext abzulei-
ten ist.
Umgekehrt stehen einige Arten der Determinativkomposition an der Pe-
ripherie zu kopulativen Komposita; sie nähern sich der Kopulativkompo-
sition, ohne dass die oben genannten Merkmale aber ganz zutreffen. Beide
unmittelbaren Konstituenten sind ebenfalls Substantive. Das Erstglied hat
einerseits die Funktion eines attributiv gebrauchten Adjektivs (was ein de-
terminatives Verhältnis kennzeichnet), kann aber gleichzeitig auch – wie
beim Kopulativkompositum – als dem Zweitglied nebengeordnet aufgefasst
werden (vgl. den „appositionellen“ Typ girl friend bei Marchand 1969, 41).
Es gibt mehrere Untergruppen.
1) Das Erstglied ist eine Personenbezeichnung; das Verhältnis der unmit-
telbaren Konstituenten ist noch eher determinativ. Bevorzugt werden Wort-
bildungen mit Bruder- (18./19. Jh. auch Brüder-; Benzing 1968, 20): Bruder-
bund, -krieg, -volk und Schwester-: Schwesterstadt (1848), „ein Schwesterwerk
[…] zu den Rechtsaltertümern“ (Hübner über Grimm 1940), Schwesterdia-
lekte, -planet, -wissenschaften (der Namenkunde), -schiff, -firma. Das se-
mantische Hauptgewicht liegt auf dem Zweitglied: Ein Schwesterschiff ist ein
,Schiff gleicher Bauart‘; eine Vertauschung der Reihenfolge der unmittel-
baren Konstituenten ist nicht üblich. Dennoch ist auch die appositionelle
Deutung ,Schiff als Schwester‘ nicht völlig abwegig (vgl. auch Benzing 1968,
22, 50). Die Verteilung von Bruder- und Schwester- richtet sich nicht nach
dem Genus des Zweitgliedes (dazu auch Benzing 1968, 63 f.); eher scheint
Bruder- bei politisch bedeutungsvolleren Bezeichnungen bevorzugt zu wer-
den.
Beliebtes Zweitglied auch in Verbindung mit anderen Personenbezeich-
nungen sind -land, -staat: Ausgräberländer, Erbauerländer, Gastgeber-, Nach-
152 2 Wortbildung des Substantivs

barland, Anlieger-, Stellvertreter-, Sieger-, Unterzeichnerstaat; vgl. ferner Part-


nerstadt, Herstellerfirma, Wirtsorganismus.
2) Erst- und Zweitglied sind Personenbezeichnungen. Auch hier liegt das
semantische Hauptgewicht auf dem Zweitglied: Mördergeneral ist ein Gene-
ral, der zugleich als Mörder bezeichnet wird; General(s)mörder wäre der
,Mörder eines Generals‘. Das determinative Verhältnis ist demnach ebenfalls
dominierend, wenngleich das appositionelle nicht ganz auszuschließen ist
(,General als Mörder‘). Vgl. ferner – mit im Einzelnen unterschiedlicher
Gewichtung des determinativen bzw. appositionellen Verhältnisses – Ama-
teurfotograf, Laienforscher, -leser, Lehrerforscher, Schülerlotse (Schüler als
Lotse für kleinere Schüler), Gaststudent, -dirigent, -dozent, Handwerkerbrü-
der (,Brüder, die Handwerker sind‘, Ch. Wolf), Studenten-Urlauber
(Ch. Wolf), Freundbauer ,befreundeter Bauer‘ (E. Strittmatter), Frauenauto-
ren ,weibliche Autoren‘ (M. Jurgensen).
In einer anderen Teilgruppe scheint das semantische Gewicht eher auf
dem Erstglied zu liegen: Anwalts-, Fischer-, Schriftsteller-, Journalistenkollege,
Ministerfreund (,befreundeter Minister‘).
3) Wortbildungen dieser Art ohne Beteiligung von Personenbezeichnun-
gen begegnen seltener, doch auch dieses Modell ist produktiv: Flugzeugfackel
(TZ 1967) ,brennend abstürzendes Flugzeug‘, Hochhaushotel, Inselstaat
(Haiti); mit Vertauschungsmöglichkeit bei z. T. unterschiedlicher semanti-
scher Nuancierung: Telegrammantwort – Antworttelegramm, Schaumstahl –
Stahlschaum, Stabeisen – Eisenstab, Blitzlicht – Lichtblitz, Stoffrest – Reststoff.

2.2.3 Adjektiv als Erstglied

2.2.3.1 Formativstrukturen
Die Kombinationen mit adjektivischem Erstglied sind stärker beschränkt
(nach Wellmann 1998, 488 machen entsprechende Komposita im Innsbru-
cker Korpus weniger als 10 % aus).
1) Üblicherweise wird ein adjektivisches Simplex verwendet: Hochbahn,
Kleinreparatur, Leerkilometer. Adjektive mit fakultativer -e-Endung (blöd/e,
mürb/e, öd/e) bevorzugen meist die Kompositionstammform ohne -e: Blöd-
mann, Mürbfleisch (aber Mürbeteig), Ödland.
Die Kompositionsaktivität der einzelnen Adjektive ist sehr unterschied-
lich. So finden sich im GWDS keine substantivischen Komposita mit adjek-
tivischen Erstgliedern wie albern, barsch, behände, brav, drall, dreist, feil, flink,
flott, forsch, klug, knapp, krank, krass u. v.a. Dies bedeutet allerdings keine
2.2 Komposition 153

absolute Blockierung, vgl. mögliche Bildungen wie Drallweib oder Fach-


wörter wie Flottholz ,leichtes Holz als Schwimmkörper an Fangnetzen‘ (Fi-
schereiwesen).
Die Kompositionsaktivität wird auch durch die semantische Klasse der
substantivischen Zweitglieder mitbestimmt. So sind Verbindungen mit ein-
facher Personenbezeichnung wie -dame, -frau, -mann stark eingeschränkt.
Komposita wie *Gutkollege (aber Gutmensch, üblich seit Mitte der 1990er-
Jahre, vgl. Herberg/Kinne/Steffens 2004, 148), *Jungmensch, *Jungmann
(aber Jungtier), *Altmann, *Schönherr sind ungebräuchlich (die drei letzt-
genannten dagegen typische Personennamenstrukturen). Ein Kompositum
wie Dickweib (E. Strittmatter) wirkt daher expressiv. Mit semantisch spezi-
elleren Zweitgliedern sind dagegen zahlreiche Bildungen lexikalisiert: Jung-
lehrer, -unternehmer, -wähler; Altachtundsechziger, -kanzler.
Ein besonderes Problem stellen die Verbindungen von Adjektiven mit
Bezeichnungen der menschlichen Körperteile dar: Komposita wie Blauauge,
Blondkopf, Kurzhals werden gewöhnlich auf die ganze Person bezogen
(¢ 2.2.10), während das attributive Syntagma verwendet wird, wenn wirklich
nur der Körperteil gemeint ist: blaues Auge usw.
Bisweilen sind adjektivische und substantivische Erstglieder formal iden-
tisch und erst mithilfe von Paraphrasen differenzierbar. So liegt in Kom-
posita mit Fern- vielfach nicht das Adjektiv, sondern das Substantiv die Ferne
vor: Fernblick – Blick in die Ferne, ähnlich Fernfahrt, -leitung, -schuss, -sicht;
wohl auch Fernstudium, -student (Gegensatz: Direkt-).
Von substantivischen Komposita mit adjektivischem Erstglied wie Groß-
angriff sind die folgenden Strukturen zu unterscheiden:
– Frühaufsteher (-er-Derivat von verbalem Syntagma früh aufstehen);
– Feinnervigkeit (-keit-Derivat von komplexem Adjektiv feinnervig);
– Freilassung (-ung-Derivat von komplexem Verb freilassen);
– Kahlfraß (Konversion von komplexem Verb kahlfressen).
Manche Wortbildungen können doppelmotiviert sein, z.B. Feinbearbei-
tung: Fein bearbeitung oder Feinbearbeit ung (¢ 1.7.1.1).
2) Auch wenn einsilbige Adjektive als Erstglieder bevorzugt werden, sind
doch auch zweisilbige mit einer Schwa-Silbe üblich, vgl. die z.T. zahlreichen
lexikalisierten Wortbildungen mit Doppel- (-achse, -agent, -axt, -ehe, -erfolg,
-mitgliedschaft, -sieg, -spitze), Dunkel- (-kammer, -zelle, -ziffer), Edel- (-gas,
-holz, -kitsch, -obst), Einzel- (-aktion, -handel, -haus), Mittel- (-bau, -betrieb,
-feld), Eigen- (-art, -bau, -bedarf, -geschwindigkeit, -wille), Offenstall, Trocken-
(-anlage, -dock, -element, -masse, -rasierer, -spiritus), Bitter- (-klee, -salz,
-wasser), Bieder- (-mann, -sinn), Mager- (-milch, -quark, -sucht), Sauer-
(-braten, -brunnen, -gras, -kirsche, -kraut, -milch, -stoff, -teig) u.v. a.; dazu die
Komposita mit ober-, unter-, hinter-, vorder-.
154 2 Wortbildung des Substantivs

Dass Komposita mit heikel, eitel, simpel, düster, finster, hager, heiser, heiter,
lauter, munter, sicher, teuer offensichtlich ungeläufig sind, hat demnach eher
Gründe, die in der Semantik und in mangelnder begrifflicher Relevanz,
nicht dagegen in der prosodischen Struktur liegen.
3) Morphologisch begründet ist wohl die Seltenheit von Komposita mit
adjektivischem Derivat als Erstglied, soweit es sich um Adjektive mit indi-
genem Derivationssuffix (-bar, -ig, -isch, -lich usw.) handelt. Bei der Bildung
einschlägiger substantivischer Komposita wird gewöhnlich auf die substan-
tivische Basis dieser adjektivischen Derivate zurückgegriffen: pflanzliche
Kost – Pflanzenkost, nicht *Pflanzlichkost, menschliches Herz – Menschenherz,
farbiger Druck – Farbdruck, eiserne Truhe – Eisentruhe, schulische Angelegen-
heiten – Schulangelegenheiten; zu Vater – väterlich vgl. Benzing 1968; vgl.
auch Kurzfrist-Analysen (statt kurzfristige Analysen, Der Spiegel 1989). Ent-
sprechend sind Komposita aus Teil- und Nomina Actionis als Zweitglied
meist durch adjektivisches teilweise + Substantiv paraphrasierbar (Teilauto-
matisierung – nach teilweiser Automatisierung; nicht aber Teilaspekt, -menge).
Eine Ausnahme bilden – neben Einzelfällen wie Chemischreinigung – die
Derivate von Volks- bzw. Ländernamen wie Englischhorn, Französischlehrer,
Russischunterricht (vgl. Wilmanns 1899, 514) – wobei allerdings das Erst-
glied meist als substantiviertes Adjektiv aufzufassen ist –, ferner Farbbe-
zeichnungen wie ein schönes Rötlichblond (auch als Konversion interpretier-
bar) und schließlich Fachausdrücke, besonders mit Adjektiven auf -ig:
Billigflug, -produkt, -tarif, -ware; Fertigarzneimittel, -beton, -gericht, -haus,
-produkt; Flüssiggas, -dünger, -gut; Niedriglohnländer, -empfänger, Niedrig-
wasser; vgl. auch Endlosband, -formular, -moräne, -bauweise.
Bei Verwendung des Bindestrichs ist eine großzügigere Koppelung zu
finden: Farbig-Grafik wäre wohl möglich.
Substantivische Konversionen von flektierten Adjektiven auf -ig, -lich
u.Ä. sind als Erstglieder in der Kompositionsstammform auf -n durchaus
üblich, vgl. Freiwilligenarbeit, -jahr, -projekt (Internet 2010), Sachverständi-
gengutachten.
Sehr geläufig sind als Erstglieder adjektivische Derivate mit einigen
Fremdsuffixen wie -al (Kapitalverbrechen, Kolossalgemälde), -ar/-är (Elemen-
tarunterricht, Sekundärrohstoff), -at (Privatbesitz, Separatdruck) und -iv
(Exklusivbeitrag, Intensivkurs). Dies gilt dagegen nicht für Adjektive auf
-abel/-ibel (komfortabel, disponibel), -ant/-ent (amüsant, konsequent), -esk
(grotesk), -os/-ös (rigoros, skandalös). Auch das Adjektiv modern ist als Erst-
glied nicht kompositionsaktiv (wohl aber derivationsaktiv: Modernität, mo-
dernisieren). Mit Adjektiven auf -it gibt es einzelne geläufige Fachwörter wie
Indefinitpronomen, Infinitkonstruktion.
2.2 Komposition 155

4) Kompositionsinaktiv als Erstglied substantivischer Komposita sind


auch die Adjektive mit den Präfixen erz-, miss-, un-, ur-. Das GWDS kodi-
fiziert z.B. zahlreiche Adjektive mit un-, jedoch keinen einzigen Fall, der sich
eindeutig als substantivisches Kompositum mit dem un-Adjektiv als Erst-
glied auffassen ließe: Ungleichgewicht, Unpaarhufer sind Präfigierungen der
komplexen Substantive Gleichgewicht und Paarhufer; Unkenntlichmachung
und Unwohlsein sind Derivate bzw. Konversionen entsprechender verbaler
Syntagmen. Für unendlich- in dieser Position steht endlos- (s. o.).
Gleiches gilt für Adjektive mit den Präfixen erz- und miss-. Mit uralt sind
jedoch einige Komposita kodifiziert: Uraltauto, -mitglied, -schlager; Uralt-
guthaben ist dagegen als Präfigierung von Altguthaben zu interpretieren.
5) Über spezifische Kompositions- und auch Derivationsstammformen
verfügen besonder- (Sonderbedeutung, -druck, -regelung), doppelt (Doppel-,
s. o.), einzeln (Einzel-, s. o.); zu Derivaten wie Einzelheit, in Sonderheit
¢ 2.3.2.7.
6) Verbindungen mit zwei oder gar drei Adjektiven als Erstglied sind äu-
ßerst selten, vgl. etwa Schwarzweißmalerei, Helldunkel-Wirkung, Schwarz-
Rot-Gold-Bedeutung. Komposita wie Vollschlankfigur statt vollschlanke Figur
sind modellgerecht gebildet, aber nicht sehr üblich. Ähnliches gilt für Kom-
posita mit zwei Adjektiven, von denen das zweite Bestandteil des substan-
tivischen Zweitgliedes ist, wie Hart schwarzbrot statt hartes Schwarzbrot,
Alt großstadt. Dagegen sind komplexe substantivische Erstglieder, die ihrer-
seits ein Adjektiv als Erstglied enthalten, sehr geläufig: Doppelstock wagen,
Edelpilz käse, Mittelfeld spieler, Hartplatz turnier. Nach DWb (4, 10) handelt
es sich hierbei „um besonders moderne Bildungen“.
7) Wie Adjektive erscheinen – allerdings sehr selten – auch Partizipialfor-
men (ebenfalls unflektiert und nicht mehrere gekoppelt) als Erstglied, am
ehesten das Partizip II: Belebtschlamm, Gebrauchtwaren, -wagen, Gemischt-
waren, Vergriffenmeldung, Bewegtbildangebot der DB (DB Bahn mobil 2010);
vgl. auch Branntwein, mhd. gebranter wı̄n, mit getilgtem Verbalpräfix, im
18. Jh. gelegentlich noch Brandtenwein mit Flexion.
Das Partizip I als Erstglied ist noch ungeläufiger; vgl. Fachausdrücke wie
Liegendwässer ,Grundwässer im Liegenden von Lagerstätten, bes. Braun-
kohle‘, Lebendgewicht, -masse, -vieh. Formen wie Geltendmachung sind als
Derivat eines verbalen Syntagmas zu erklären.
8) Superlativformen adjektivischer Erstglieder sind heute relativ geläufig:
Dünnstbatterie, Kleinstminen, in Kürzestfassung (G. Kunert), Reinststoffe
(auch: ultrareine Stoffe), Schwerstarbeit, Tiefstbohrung. In manchen Fällen
sind die entsprechenden Komposita mit dem Positiv nicht üblich: Höchst-
156 2 Wortbildung des Substantivs

preis, -strafe, -temperatur, nicht *Hochpreis (aber hochpreisige, hochpreisliche


Waren; Hochpreissegment, -strategie).
Von den superlativischen Suppletivformen sind best- (von gut) und min-
dest- (von wenig; nicht dagegen wenigst-!) als Erstglieder sehr üblich: Best-
besetzung, -form, -marke; Mindestalter, -betrag, -geschwindigkeit, -lohn, -stra-
fe. Der Superlativ meist- tritt nur vereinzelt auf (Meistbegünstigung, -gebot).
Von den entsprechenden Komparativformen ist vor allem mehr sehr aktiv
(vgl. dabei auch das konvertierte Substantiv das Mehr): Mehrarbeit, -auf-
wand, -bedarf, -einnahme, -wert; in geringerem Maße minder-: Minderein-
nahme, -gebot, -zahl. Ältermann ,Zunftvorsteher‘, Ältermutter, -vater ,Ur-
ahn, Vorfahr‘ sind veraltet. Im Übrigen sind Komparativformen kaum aktiv.
Begegnen entsprechende komplexe Substantive, so handelt es sich in der
Regel um Konversionen oder Suffixderivate verbaler Syntagmen: das Rei-
cherwerden (Internet 2010), Besserverdienende, Besserverdiener, Höherstu-
fung.

2.2.3.2 Zur Semantik


Die Wortbildungsbedeutungen der Adjektiv-Substantiv-Komposita sind
weniger vielfältig als die der Substantiv-Substantiv-Komposita (vgl. DWb 4,
126 ff., 692). Bei den produktiven Modellen lassen sich zwei Hauptgruppen
unterscheiden: zum einen die Determination des Substantivs nach einer
herausragenden Eigenschaft des bezeichneten Gegenstandes, zum anderen
ganz allgemein ,Verstärkung, Intensivierung‘ bzw. ,Minderung der Intensi-
tät‘; dazu treten zwei weniger bedeutsame Nebengruppen (vgl. auch Fahim
1977, 151 ff.).
1) In der ersten Gruppe besteht der Unterschied zum adjektivisch-attribu-
tiven Syntagma in der Tendenz zu mehr oder weniger ausgeprägter Demo-
tivation (¢ 1.5.4.1). Die Eigenschaftsbezeichnungen beziehen sich vorwie-
gend auf die äußere Form (Breitbild, -schädel, -wand, Flachküste, Kraushaar,
Langzeile, Rundbau, -beet, -turm, Schmalfilm, -wand, Spitzbogen, Steilküste),
geben die Farbe (Blaulicht, Grünanlage, Schwarzerde), eine lokale (Hoch-
ebene, Nahkampf, -verkehr, -ziel) oder zeitliche Beziehung (Frühbarock,
-nebel, -sommer, Spätherbst, -winter) oder den Geschmack an (Bittersalz,
Sauerkraut, Süßkirsche); auf die innere Beschaffenheit beziehen sich schließ-
lich Derbholz, Dünnbier, Faulschlamm, Freibezirk, -staat, Frischfleisch, Kalt-
asphalt, -leim, Klarapfel, Magerkäse, Roheisen, -zucker.
Bisweilen sind die Wortbildungsbedeutungen durch ein ausgelassenes
bzw. getilgtes Zwischenelement vermittelt: Feinbäckerei (Herstellung von
feinem Gebäck), Frisch(gemüse/obst)markt, Grün(pflanzen)düngung, Kalt(ei-
sen)meißel. Zu ergänzen wäre, wie die Beispiele zeigen, meist der zweite Teil
2.2 Komposition 157

eines komplexen ersten Kompositionsgliedes (Wellmann 1998, 423). Bei


solchen lexikalisierten Komposita von einem besonderen Kompositions-
typ „Klammerform“ zu sprechen, wie es weithin üblich ist, erscheint uns
allerdings nicht erforderlich, v.a. deshalb nicht, weil die Motivationsbedeu-
tungen von Komposita grundsätzlich die lexikalische Bedeutung nicht „voll-
ständig“ ausdrücken und die jeweiligen syntaktischen Paraphrasen lexika-
lische Ergänzungen erfordern (vgl. Feinkeramik – feinporige Keramik u.Ä.).
Das betrifft auch entsprechende Verb-Substantiv- und Substantiv-Substan-
tiv-Komposita wie Lösch(wasser)teich, Bier(glas)deckel, die man als Beispiele
für „Klammerformen“ findet (dagegen trotz vergleichbarer „Ungenauigkeit“
keine „Klammerformen“: Löscharbeit, -boot, -einsatz, -fahrzeug, -gerät, -zug).
Sind kürzere und längere bedeutungsgleiche Komposita allerdings glei-
chermaßen lexikalisiert wie beispielsweise Fernstraße/Fernverkehrsstraße, ist
der Terminus Klammerform für die Bezeichnung der kürzeren Form eher
angebracht. Auch bei bestimmten Bezeichnungsvariationen in Texten
könnte man von Klammerformen sprechen, wie etwa bei der Wahl eines
kürzeren Kompositums in der Textüberschrift, wenn das getilgte Element in
einem längeren Kompositum im Text genannt und folglich eindeutig er-
kennbar ist, vgl. Hochwassergebiet – Hochwasserschutzgebiet, Kugel-Trio –
Kugelstoßer-Trio, Visa-Problem – Visavergabe-Problem (Färber 2006, 88).

Gegen eine pauschale Verwendung des Terminus Klammerform spricht außerdem,


dass die fraglichen Komposita nicht zwingend aus einem komplexeren Kompositum
entstanden sein müssen. Zwar besteht z.B. in Frischmarkt, Feinbäckerei zwischen frisch
und Markt (*frischer Markt) bzw. fein und Bäckerei tatsächlich keine der üblichen
„Kollokationsgewohnheiten“ (DWb 4, 668f.; feine Bäckerei allenfalls in anderer Bedeu-
tung), die Verbindung von Adjektiv und Substantiv in Frischmarkt, Feinbäckerei ist
allerdings semantisch kaum vager als die anderer Komposita, die nicht zu den Klam-
merformen gezählt werden, vgl. z.B. Bleichsucht, Magersucht. Hier „wird das Adjektiv
nicht auf das Nomen bezogen, sondern auf implizit vorauszusetzende Lebewesen“
(Motsch 2004, 387). Es liegt demnach ein bestimmtes Modell der Adjektiv-Substantiv-
Komposition vor, kein „Sonderfall“. Zu weiteren Argumenten gegen die Klammerform
als Erklärungsmodell vgl. Donalies 2005b, 64 ff.

Zu den am häufigsten verwendeten adjektivischen Erstgliedern zählen alt,


edel, fein, flach, frei, frisch, früh, hart, hohl, jung, kalt, klein, kurz, lang, neu,
roh, sauer, schnell, süß, wild (vgl. die Aufstellung bei Fahim 1977, 32 f.) sowie
die Farbadjektive blau, braun, gelb, grau, grün, rot, schwarz, weiß; Letztge-
nannte insbesondere bei Pflanzen- und Tierbezeichnungen: Blaufuchs,
-meise, -tanne, Braunbär, Gelbbeere, -schnabel, Grauschimmel, Grünfink,
-kohl, -specht, Rotdorn, -schimmel, Weißfuchs, -buche.
158 2 Wortbildung des Substantivs

2) Die Gruppe mit adjektivischem Erstglied in ,verstärkender‘ bzw. ,ab-


schwächender‘ Bedeutung ist zu untergliedern.
Es handelt sich zunächst um Augmentativbildungen, vorwiegend mit
Groß- (-aktion, -alarm, -angriff, -aufnahme, -behälter, -betrieb, -brand,
-garage u. v.a.) und Hoch- (-achtung, -betrieb, -form, -glanz, -genuss, -kon-
junktur, -stimmung, -rüstung; terminologisch sind u.a. Hochdruck, -format,
-wild; zur weiteren Differenzierung vgl. Ortner/Ortner 1984, 85ff.); neuer-
dings auch Super- (-held, -model, -preis; -Ausgangsposition, -Bildbearbeitungs-
programm).
An der Ausprägung dieser Wortbildungsbedeutung ist auch Voll- betei-
ligt, wenngleich hier wenigstens drei verschiedene Lesarten zu unterschei-
den sind:
– ,vollständig‘ in Vollmitglied, Vollverpflegung, -beschäftigung (Gegensatz
Teil-), Vollwaise (gegenüber Halb-); synonymisch auch Ganz- (Ganzleder-
band, -massage);
– ,in höchstem Grade‘ in Volldampf, -gas, -kraft (vgl. auch Hoch-/Höchst-);
– ,positiv wertend‘ in Volldünger, -gefühl.
In einigen Fällen werden auch negativ bewertete Begriff verstärkt: Vollidiot.
Wie mit der Augmentation kann die positive Wertung auch mit anderen
Bedeutungen zusammengehen. So bezeichnet Fein- (Gegensatz vielfach
Grob-) als ,hochwertig‘ das Sorgfalt Erfordernde, bis ins Kleinste Differen-
zierte, einen hohen Grad an Reinheit Aufweisende (Feinarbeit, -mechanik,
-struktur; -blech, -brot, -gehalt, -keramik; -gold, -silber; übertragen schließlich
Feingefühl). Eine ähnliche Entwicklung zeigt Edel- (-metall, -stein; ,aufwer-
tend‘ in Edelkitsch, -marzipan, -nutte, -schnulze); stärker ironisierend ist
Nobel- (Nobelgegend, -herberge, -nachthemd, Ortner/Ortner 1984, 80).
Vereinzelt ist verstärkendes Heiß- in Heißhunger.
Den Diminutiva semantisch nahe stehen – z.T. negativ wertende – Kom-
posita mit Klein-/Kleinst- (-garten, -holz, -kram), Kurz- (-ausbildung, -fas-
sung, -meldung, -kommentar), mit geringer Reihenbildung auch Schmal-,
insbesondere Weiterbildungen mit Schmalspur- (-akademiker im Unter-
schied zu Voll-) und Schwach- (-kopf, -sinn, -strom).
Eine Sonderstellung nimmt Halb- ein. Es wird in hohem Maße zur Bil-
dung von Termini in den verschiedensten Bereichen genutzt; vgl. Halbedel-
stein, -fabrikat, -kreis, -leiter, -metall, -wertszeit, -zeug ,Halbfabrikat‘. Da-
neben hat sich mit der Bedeutung ,unvollständig, unvollkommen‘ eine
pejorative Konnotation ausgebildet in Halbbildung, -wahrheit, -wissen, -welt
(Lehnübersetzung von französ. demi monde), vgl. auch die deadjektivische
Konversion ein Halbstarker.
2.2 Komposition 159

Halb- kann im Gegensatz stehen zu Voll- (-blut), Ganz- (-ledereinband),


Fertig- (-fabrikat).
3) Eine Reihe adjektivischer Erstglieder ist für die Bezeichnung von Rang
und Titel wichtig geworden. Ein großer Teil dieser Komposita ist heute mehr
oder weniger veraltet (Edelmann, Freiherr, Großadmiral, -fürst, -herzog).
Produktiv sind noch die Modelle mit Alt- (-bundeskanzler, -präsident), Ober-
(-arzt, -aufseher, -bürgermeister, -inspektor, -landesgericht), weniger ausge-
bildet Unter- (-leutnant, -offizier).
4) Unter den Verwandtschaftsbezeichnungen ist neben den Konfixen
Schwieger-, Stief- (¢ 2.2.8[3]) und dem Präfix ur- vor allem das adjektivische
Erstglied Groß- von Bedeutung, vgl. Großeltern, -mutter, -vater, -onkel,
-tante, -cousin. Zu nennen ist hier auch Halb- (-bruder, -schwester).

2.2.4 Verbstamm als Erstglied


2.2.4.1 Grundsätzliches

1) Die Wortbildungsaktivität des Verbs ist formativstrukturell (ausdrucks-


seitig) dadurch gekennzeichnet, dass das Verb meist in verschiedenen
Kompositionsstammformen vorkommt: mit Fugenelement oder ohne (Le-
bewesen, Lebtag, Legehenne/Leghenne), mit Vokalveränderung oder ohne
(Fährmann, Fuhrunternehmen, Fahrschule; ¢ 1.6.1).
Am geläufigsten ist der Infinitivstamm (Bindfaden); die entsprechenden
Modelle stehen im Mittelpunkt dieses Abschnitts.
Die volle Form des Infinitivs ist unter den substantivischen Erstgliedern
behandelt worden (¢ 2.2.2). Konkurrenzen treten selten auf, vgl. Essenszeit –
Esszeit, Lebenszeit – (zu) Lebzeiten (mit Gebrauchsunterschieden); statt
Schaffenslust (analog zu -freude) wäre auch möglich Schafflust wie Kauflust
(wofür *Kaufenslust nicht üblich).
Kommt ein Präterital- oder Partizipialstamm als Substantiv vor (Band,
Bund), betrachten wir das entsprechende Erstglied als Substantiv- und nicht
als Verbstamm. Konvertierte Partizipien sind ebenfalls substantivische
Stämme (Angestelltentarif). Die Partizipialstämme wurden unter den adjek-
tivischen Erstgliedern mit behandelt (¢ 2.2.3).
Finite Verbformen sind als Kompositionsstammform außerordentlich selten; sie exis-
tieren dann zunächst als Substantiv und gehen als solche entsprechende Verbindungen
ein: Iststärke, Sollstärke. Anders Fälle wie Kannbestimmung, wo das Erstglied die un-
mittelbare Beziehung zum Verb bewahrt hat: ,eine Bestimmung, die berücksichtigt
werden kann, nicht muss‘; Kannkind ,ein Kind, das schon eingeschult werden kann,
aber noch nicht muss‘.
160 2 Wortbildung des Substantivs

Über Wortbildungen mit Satz- oder Syntagmenkonstituenten wie ihr Das-darf-


doch-nicht-wahr-sein-Gesicht Donalies 2005b, 73; ¢ 2.2.9.
„Satznamen“ wie Störenfried, Taugenichts werden als Konversion komplexer syntak-
tischer Einheiten gesondert betrachtet (¢ 2.6.2.3.2).

2) Ein besonderes Problem stellt die bereits erwähnte enge Berührung von
Substantiv- und Verbstamm dar. Sie besteht zunächst darin, dass in nicht
wenigen Komposita formal wie semantisch sowohl ein substantivisches als
auch ein verbales Erstglied vorliegen kann, in diesem Sinn Doppelmotiva-
tion gegeben ist: Reisezeit – Zeit für Reisen oder Zeit, in der jmd. reist. Die
gleiche Form kann in einem Kompositum als Verbstamm, in einem anderen
als Substantivstamm aufzufassen sein: Mietausfall, -preis (Miete) – Mietauto,
-wagen (mieten), Kochmütze (Koch) – Kochrezept, -salz (kochen). In Kien-
pointners Korpus von 6500 Wortbildungen ist das Verhältnis derartiger
Doppelmotivationen zu den eindeutig verbal motivierten immerhin – je
nach den unterschiedlichen semantischen Modellen – 1 : 3, 1 : 2 oder gar
1 : 1 (Kienpointner 1985, 193).
Die Möglichkeit der Doppelmotivation ist in den folgenden Beispielen
daher nicht immer auszuschließen. Maßgebend bleibt, dass die Beispiele
nach dem allgemeinen Strukturmodell Verbstamm + Substantiv gebildet
werden (bzw. worden sein) können. Die Feststellung der Doppelmotivation
ist eine Sache der Analyse, der Interpretation.
Die Berührung von substantivischem und verbalem Erstglied zeigt sich
auch noch in anderer Weise. Erstglieder der gleichen Wortfamilie können als
deverbaler Substantivstamm wie auch als Verbstamm nebeneinander fun-
gieren: Zugvogel – Ziehkind, Schussfeld – Schießplatz, Bandeisen – Bundpfahl
,verbindender Pfahl‘ – Bindfaden, Griffloch ,Flötenloch‘ – Greifvogel. Die
morphologisch unterschiedlichen Erstglieder können z.T. sogar mit dem
gleichen Zweitglied ohne wesentlichen Bedeutungsunterschied kombiniert
werden: Schiebkarre – Schubkarre, Treibrad – Triebrad, Ziehbrücke – Zug-
brücke.
Die grammatische Differenzierung zwischen Substantiv und Verb ist für
die Erstgliedposition in der Komposition irrelevant; maßgebend ist die se-
mantische Nähe der Stämme (vgl. auch Fundmunition ,gefundene Muniti-
on‘, was semantisch eher an das Verb anzuschließen ist).
In ähnlicher Weise kann der Verbstamm teilweise mit deverbalen -ung-
Derivaten als Erstglied konkurrieren, vgl. Heilprozess – Heilungsprozess, Ab-
schreck(ungs)maßnahme, Misch(ungs)verhältnis, Überhol(ungs)möglichkeit,
Bedien(ungs)komfort, -anleitung. In der Geläufigkeit des einen oder anderen
Typs sind historische Verschiebungen möglich. Bis ins 18. und 19. Jh. begeg-
nen noch Ankleidungszimmer, Bewegungsgrund, Deutungskraft (Paul 1920,
§ 18, Anm. 1).
2.2 Komposition 161

Ungeachtet der genannten Berührungen zwischen substantivischem und


verbalem Erstglied werden im folgenden Abschnitt lediglich die Modelle mit
verbalem Erstglied zugrunde gelegt.

2.2.4.2 Formativstrukturen

1) In der Regel werden simplizische, präfigierte Verbstämme oder Parti-


kelverbstämme als Erstglieder verwendet: Backofen, Streichgarn, Bestellnum-
mer, Entladerampe, Verwirrspiel, Anschnallpflicht, Umhängetasche; Musik in
Mitklatschqualität (LVZ 2009). Zu Fugenelement -e- ¢ 2.2.12.3.
Zu den besonders häufig auftretenden Erstgliedern dieser Art gehören im
Material von Kienpointner (1985, 390ff.) u. a. Abbau-, Abhör-, Back-, Bade-,
Bau-, Bohr-, Denk-, Dreh-, Druck-, Fahr-, Flimmer-, Förder-, Gefrier-, Heil-,
Heiz-, Koch-, Les(e)-, Leucht-, Reit-, Sammel-, Schreib-, Schwimm-, Sprech-,
Sterb(e)-, Stink(e)-, Wander-, Wasch-, Werbe-.
Die substantivischen Zweitglieder können neben Simplizia auch Wort-
bildungen sein: Abziehbildchen, Abwehrbereitschaft, Einsteigebahnhof, Koch-
anweisung.
Auch hier kann Doppelmotivation auftreten: Schreibfaulheit ist auch als
-heit-Derivat des adjektivischen Kompositums schreibfaul erklärbar.
Verben auf -ig(en) werden nicht als Erstglied verwendet; in den entspre-
chenden Fällen erscheint das substantivische Derivat mit -ung: Beglaubi-
gungsschreiben, Befähigungsnachweis, Verunreinigungsgefahr. Über Schad- zu
schädigen s. u.
2) Exogene Verbstämme sind prinzipiell möglich (vgl. Boxkampf, -ring,
Charterflugzeug, Mixbecher, -rezept), doch treten Verben dieser Art als Erst-
glied wenig in Erscheinung, abgesehen von der großen Zahl der Verben auf
-ier(en): Chiffrierschlüssel, Exerzierfeld, Experimentierfreude, Fabulierkunst,
Kopiergerät, Passierschein, Rasierapparat, Renommiersucht, Servierwagen, Ta-
peziernagel, Visierobjekt.
3) Koppelungen mehrerer Verbstämme als Erstglied sind sehr selten; sie
finden sich – von poetisch-expressiven Wortbildungen abgesehen – allen-
falls in der Terminologie der Technik: Mischsortier verfahren, Streckspinn ver-
fahren. Auch Kienpointner (1985, 195f.) findet nur ganz vereinzelte Fälle
wie Lese-Rechtschreib- Schwäche, Kühl-Gefrier- Bosch. – Nicht hierher ge-
hören Wortbildungen wie Schluck impfstoff, in denen der zweite Verbstamm
Bestandteil des Zweitgliedes ist.
4) Häufiger treten dagegen Erstglieder auf, in denen der Verbstamm mit
einem Substantiv oder Adjektiv (Adverb) gekoppelt ist (vgl. Kienpointner
1985, 196 ff., wo diese „Erweiterungen“ ca. 4 % des Materials ausmachen).
162 2 Wortbildung des Substantivs

Steht die Erweiterung vor dem Verbstamm, liegt als erste unmittelbare Kon-
stituente ein Syntagma vor (¢ 2.2.9.2): Leisesprech telefon, Lasthebe magnet,
Brötchenback linie, Schrotthole dienst, Spritspar- Auto u. a. Steht die Erwei-
terung nach dem Verbstamm, handelt es sich dagegen um ein Kompositum
aus zwei Substantiven: Fahrschein verkauf.
Wortbildungen wie Beton mischmaschine, Qualitäts trinkmilch sind zu er-
klären als Kompositum aus zwei Substantiven; erst die zweite unmittelbare
Konstituente enthält als Erstglied einen Verbstamm.
5) In manchen Fällen ist das simplizische verbale Erstglied auf ein kom-
plexes, meist linkserweitertes Verb mit einer spezifischen (gekürzten) Kom-
positionsstammform zurückzuführen: Lösegeld zu auslösen, Rieselfeld zu be-
rieseln, Flammpunkt zu entflammen, Zerrbild zu verzerren. In ähnlicher
Weise sind wohl manche Wortbildungen mit Schad- an (be)schädigen anzu-
schließen: Schadfraß, -holz.

2.2.4.3 Zur Semantik

2.2.4.3.1 Übersicht über die Wortbildungsbedeutungen


Unter Berücksichtigung von Ortner/Ortner (1984) und Kienpointner (1985)
geben wir im Folgenden eine Übersicht über die wichtigsten Wortbildungs-
bedeutungen der Determinativkomposita mit verbaler Erstkonstituente.
Dabei greifen wir – soweit angängig – auf die Übersicht der substantivischen
Erstglieder (¢ 2.2.2.3.1) zurück. Einige der dort auftretenden Wortbildungs-
bedeutungen finden sich auch hier, allerdings in wortartspezifischer Aus-
richtung und in anderen Proportionen. Am stärksten ausgebaut sind ,fi-
nal‘, ,aktivisch‘, ,passivisch‘, ,lokal‘, ,thematisch‘.
Auch hier steht A für das Erst- und B für das Zweitglied.
1) ,final‘
,B ist geeignet/bestimmt für A‘: Einweckgummi, Haltevorrichtung, Kläranlage,
Merkblatt, Riechorgan, Rasier-, Strickapparat, auch bei Abstrakta: Anspar-
Rate.
2) ,aktivisch‘
,B tut A‘: Hier findet sich ein großer Anteil von Personen-, Personengrup-
pen- und Tierbezeichnungen unter den Zweitgliedern, vgl. Putzfrau, Liefer-
betrieb, Löschkommando, Glühwürmchen, Lachtaube, Säugetier, Kletterrose,
Stechpalme, Suchtrupp (anders bei Substantiv-Substantiv-Komposita, dort
,A tut B‘; ¢ 2.2.2.3.1). – Der Unterschied zwischen hierher zu stellenden Ge-
rätebezeichnungen wie Fließband, Haftschale, Platzpatrone und zu 1) ge-
hörenden wie Kehrbesen besteht darin, dass bei Gruppe 1) eine Relation zum
2.2 Komposition 163

Menschen gegeben ist, der das „Instrument“ handhabt, bedient, ohne ex-
plizit genannt zu sein (zur Differenzierung und möglichen „Überlappun-
gen“ vgl. auch Kienpointner 1985, 56 f).
3) ,passivisch‘
3.1) ,A wird mit B getan‘, meist ,habituell‘: Ausbringmenge, Ein-
schreib(e)brief, Leihverpackung, Umhäng(e)tasche. – Der Unterschied zu 1)
besteht darin, dass B nicht das Mittel der Handlung bezeichnet, sondern das
affizierte (von der Handlung betroffene) Objekt.
3.2) ,A ist mit B getan worden‘ (,präterital-passivisch‘): Bratapfel, -hering,
-kartoffeln, Mischgemüse, Räucheraal, Setzei, Spritzkuchen, Strickmütze, Well-
fleisch (wellen ,zum Wallen bringen, aufkochen‘), Spargeld; sowohl 3.1) als
auch 3.2) Reibekäse, Schlagsahne.
4) ,referenziell‘ (DWb 4, 132)
,A ist thematischer Bezugspunkt von B‘: Bohrkapazität, Durchhaltefilm, Er-
zähl-, Maltalent, Sehvermögen.
5) ,lokal‘
,B ist Ort/Raum für A‘: Anlegeplatz, Bastelraum, Impfstelle, Kochecke, Plansch-
becken, Schaltzentrale, Verladestation. Eine „direktionale“ Komponente er-
scheint in seltenen Fällen wie Fliehburg (Kienpointner 1985, 116).
6) ,explikativ‘ (Kienpointner 1985, 160ff.; auch: ,verdeutlichend‘, DWb 4,
174)
,A expliziert B‘: Ausweichmanöver (,Manöver, das darin besteht, dass jmd.
ausweicht‘), Absperrmaßnahme, Kletterpartie, Lesewut, Nachholbedarf, Ra-
tespiel, Schießübung, Schmelzprozess, Suchaktion. – Es bestehen Berührungen
mit 4), z. B. bei Dichtkunst und auch mit explikativen Substantiv-Substantiv-
Komposita wie Bildungsprozess (¢ 2.2.2.3.1).
7) ,temporal‘
,B gibt Zeitpunkt/-raum für A an‘: Backtag, Bedenkzeit, Sendetermin, Ver-
weildauer, Sterbestunde.
8) ,kausal‘
8.1) ,A erzeugt/verursacht B‘: Auffahrunfall, Denkfalte, Kratzwunde, Spritz-
eisbahn, Weinkrampf; doppelmotiviert: Schussverletzung.
8.2) ,B verursacht A‘: Lachreiz, Niespulver.
Als „Negationsform“ von ,kausal‘ bezeichnet Kienpointner (1985, 135) den
Typ Beißkorb ,B ist Ursache für Nicht-A‘, wozu auch Gleitschutz, Scheuklappe
(bei Ortner/Ortner 1984, 146 als „prohibitiv“ gesondert gestellt); mit Erwei-
terung durch Anti-: Antiklopfmittel, Antirutschmaterial, Antitropfautomatik.
9) ,modal‘
,B hat A als Modus‘: Laufschritt, Polterabend, Stehbankett.
164 2 Wortbildung des Substantivs

Dass sich nicht alle Wortbildungen ohne Weiteres den genannten Modell-
bedeutungen zuordnen lassen, muss ebenso in Kauf genommen werden wie
das Auftreten potenzieller Mehrfachzuordnungen.

2.2.4.3.2 Komposita mit Fehl-


Die zahlreichen Komposita mit Fehl- sind am ehesten an den Verbstamm
fehl- ,nicht treffen, verfehlen; etwas Unrechtes tun‘ anzuschließen, nicht an
das Adverb fehl (als unikale phrasemische Komponente in fehl am Platz/Ort
sein) oder das Substantiv Fehl (als unikale phrasemische Komponente in
ohne Fehl und Tadel), vgl. Fehleinschätzung, -entscheidung, -planung; vielfach
mit Fremdwörtern wie -diagnose, -disposition, -interpretation, -konstruktion,
-spekulation, -start. In einer Reihe von Wortbildungen liegt der semantische
Akzent stärker auf ,Abweichung vom Normalen‘ (Fehlgeburt, -jahr ,Jahr mit
Missernte‘, Fehlbildung), wozu synonymisch teilweise auch Miss-; anders
Fehlmeldung ,Meldung über nicht Vorhandenes, Geschehenes‘, Fehlschicht,
-stunde. – Als deverbale Konversion ist Fehlgriff aus fehlgreifen zu erklären
(¢ 2.6).

2.2.5 Pronomen als Erstglied

Pronomina sind sehr selten Erstglied substantivischer Komposita und


zudem auf bestimmte Teilklassen bzw. Einzelfälle beschränkt. In der Über-
sicht über die semantischen „Typen der Substantivkomposition“ bei Ortner/
Ortner (1984, 142ff.) tauchen entsprechende Fälle nicht auf (doch vgl. die
Hinweise ebd., 118, 172). Im Korpus von DWb 4 beträgt ihr Anteil weniger
als 1 %.
1) Von den Personalpronomina erscheinen am ehesten ich und wir in
dieser Funktion: Ich-, Wirgefühl, Ichform, Wirbewusstsein.
2) Als sprachwissenschaftliche Termini sind teilweise noch gebräuchlich
Wer-, Wes-, Wem-, Wenfall für die vier Kasus – mit dem Fragepronomen als
Erstglied, weil man die entsprechenden Kasusformen so „erfragt“.
3) Okkasionell bleiben Fälle mit dem Possessivpronomen wie der Dein-
Tag und der Mein-Tag (Ortner/Ortner 1984, 118), sie sind nur textgebunden
verständlich.
4) Demonstrativpronomina treten nicht auf; das Diesseits/Jenseits sind
deadverbiale Konversionen.
5) Die Indefinitpronomina stehen den Substantiven bzw. Adjektiven
nahe. Daher sind manche von ihnen als Erstglieder nicht völlig ungeläufig.
2.2 Komposition 165

Unterschiedlich zu erklären sind die Wortbildungen mit All-, als substan-


tivisches Kompositum am ehesten Allheilmittel. Allmacht, -tag gehen als
Rückbildungen (¢ 1.8.1.6) auf allmächtig, -täglich zurück (vgl. Erben 1976,
231), ähnlich Allgegenwart. Allesfresser, -kleber, -könner sind -er-Derivate
von verbalen Syntagmen. Allstrom ist gekürzt aus Allstromgerät wie Allerhei-
ligen aus Allerheiligentag. Der vollen Form liegen Syntagmen als Erstglied
zugrunde wie in Allwetterjäger, -kleidung, Allerweltsgesicht, -kerl.
Wortbildungen mit Viel- wie Vieleck, -flach (so im GWDS, auch -flächner)
,Polyeder‘, Vielfuß (Insekt mit vielen Füßen) können als Possessivkomposita
(vgl. auch Vielfalt) oder als deadjektivische Rückbildungen aufgefasst
werden (schon mhd. vilecket ,vieleckig‘). Analog gebildet ist Vielzahl ,große
Zahl‘.
Substantivische Syntagmen liegen dem Erstglied zugrunde in den Wort-
bildungen Vielvölkerstaat, Vielzwecktuch, Vielzeller, Vielgötterei, -weiberei,
-staaterei; verbale Syntagmen in Vielschreiber, -wisser, -fraß. – Derivate ver-
baler Syntagmen sind auch Nichtskönner, -tuer.
Vereinzelt begegnen weitere Indefinitpronomina in Anderkonto ,Konto,
über das nicht der Vermögensbesitzer, sondern ein Treuhänder verfügt‘,
Jedermannfunk ,Sprechfunk, für den keine Lizenz benötigt wird‘ (beide im
GWDS), Niemandsland.
Die Gründe für die geringe Kompositionsaktivität der Pronomina wer-
den in ihren „situationsbestimmten Funktionswerten“ gesehen, womit sie
in dieser Hinsicht den „situationsvariablen grammatischen Kategorien
Tempus und Modus“ entsprechen (vgl. Erben 1976, 232).
6) Eine besondere Rolle als Erstglied spielt lediglich Selbst-, schon mhd.
selp-gewalt ,eigenmächtige Selbsthilfe‘ u. a. Der Komposition förderlich war
in jüngerer Zeit wohl auch die Entwicklung des Substantivs Selbst (1696 das
selbs); vgl. Selbstbekenntnis, -kritik, -mord, -studium, -zweck, -zweifel u. a.
sowie okkasionelle Wortbildungen wie Selbstbehaglichkeit, -misstrauen, -ver-
lorenheit (Ch. Wolf), Selbstgefühl, -ruin (W. Hildesheimer). Daneben stehen
vielfach Derivate von – reflexiven – verbalen Syntagmen: Selbstbefragung,
-bedienung, -darstellung, -entblößung, -inszenierung, -zurschaustellung.
Teilweise konkurriert das Adjektiv Eigen- (Selbst-/Eigenlob, -sucht, -tor);
doch andere Lesarten von eigen ,für jmdn. charakteristisch, merkwürdig‘
setzen der Konkurrenz Grenzen (semantisch differenziert Selbst-/Eigenstän-
digkeit; nur Eigenheim, -leistung, -leben).
Die Konkurrenz des Fremdelements auto- ist sehr beschränkt, da dieses
sich nur mit fremdsprachlicher Basis verbindet, die ihrerseits allerdings
mitunter mit selbst- ebenfalls kombinierbar ist: Auto-/Selbstbiografie, Auto-/
Selbsthypnose, Auto-/Selbstporträt.
166 2 Wortbildung des Substantivs

2.2.6 Numerale als Erstglied

1) Es erscheinen vorwiegend die Grundzahlen unter zehn. Nicht hierher


gehören die Modelle Zweibeiner (-er-Derivat von einem Syntagma; ¢ 2.3.2.4),
Einauge (Possessivkompositum; ¢ 2.2.10), Zweitaktmotor (Syntagma als
Erstglied). Es bleiben Fälle wie Einbaum, -ehe, Zweikampf (älter ist zwie-:
Zwielicht, -tracht, -back), Dreibund, -klang, Viergespann, Fünfkampf, Sieben-
gestirn u. a. Dabei bezieht sich die Zahl in der Regel nicht unmittelbar auf das
Zweitglied: Zweikampf nicht ,zwei Kämpfe‘, sondern ,Kampf zwischen zwei
Personen‘, Viergespann ,Gespann mit vier Pferden‘.
Formal abzusetzen sind: Achterbahn ,Berg- und Talbahn mit Doppel-
schleifen ähnlich einer liegenden Acht‘, Zweier-, Dreier-, Viererreihe.
In diesem Zusammenhang verweisen wir auch auf die Wortbildung Jahr-
hundert (für lat. saeculum seit 16./17. Jh.), wonach Jahrzehnt, -tausend u.Ä.
gebildet sind. Auszugehen ist hier wohl von einer Univerbierung zweier
Substantive: das Hundert von Jahren. Ausführlicher zum Verhältnis von
Kompositum und Syntagma Wellmann 1993, 147ff.; ¢ 2.2.1.4.
2) Mit Ordnungszahlen ergeben sich Wortbildungen wie Erstaufführung,
-ausgabe, -geburt, -wähler, Zweitfrisur ,Perücke‘, -wagen, -wohnung.
3) Eine Sonderstellung hat die Kardinalzahl Null. Sie bezieht sich entwe-
der auf den Wert ,Null‘ auf einer Skala (Nullpunkt, -stellung) oder drückt
eine Negation aus (Nullwachstum ,Nicht-, kein Wachstum‘; Nullschneepro-
gnose, TZ 1988; Nulllösung ,Null-Raketen-Lösung‘, Nulldiät ,Null-Nah-
rung-Diät‘, Nullrunde ,Lohnrunde ohne Lohnerhöhung‘).
4) Geläufig sind Wiederholungszahlwörter: Dreifach-Sieg, Vierfach-Imp-
fung, Mehrfachimpfstoff, -visum.

2.2.7 Flexionsloses Wort als Erstglied

2.2.7.1 Grundsätzliches
Im Vordergrund stehen hier die Wortbildungen mit präpositionalem Erst-
glied, die „systematisch ausgebaut“ sind (Wellmann 1998, 493), insbeson-
dere in antonymischen Paaren lokaler bzw. temporaler Bedeutung (vgl.
Henzen 1969). Angeschlossen werden Komposita mit adverbialem Erst-
glied. Unberücksichtigt bleiben solche mit Konjunktion (Dass-Satz), Inter-
jektion (Aha-Erlebnis, Pfuiruf) und Satzäquivalent (Jawort).
Zu Buchstaben als Erstglied ¢ 1.8.1.1.
2.2 Komposition 167

Von den hier behandelten Komposita sind zu unterscheiden Derivate von


einem komplexen Verb (Anhebung aus anheben) und einem verbalen Syn-
tagma (Vorneverteidigung aus vorne verteidigen). Außerdem sind abzuhe-
ben:
– Konversionsprodukte von einem komplexen Verb oder einem verbalen
Syntagma (das Dasein, Hierbleiben), ¢ 2.6.2.3;
– Phrasenkomposita mit substantivischem Syntagma als Erstglied (Hinter-
glasmalerei), ¢ 2.2.9.1;
– Komposita mit adjektivischem Erstglied wie Hinterachse ,hintere Achse‘.
Die meisten Komposita mit Hinter-, Nieder- und ein großer Teil derje-
nigen mit Unter- sind auf das gleichlautende Adjektiv zurückzuführen
(Niederholz, Unterarm); anders aber Untertasse (¢ 2.2.7.2 [13.1]).
Früher als Präfixbildungen qualifizierte Bildungen mit Ab-, An- usw. (Ab-
grund, Aufwind; vgl. Fleischer 1983c, 223ff.) werden hier als Komposita
behandelt. Auf die Schwierigkeiten der Abgrenzung wurde seinerzeit bereits
hingewiesen. Die Bedeutung der Erstglieder bleibt in den meisten Fällen
lokal und temporal bestimmt; nur vereinzelt sind kompliziertere semanti-
sche Strukturen entwickelt worden, und auch diese im Rahmen des seman-
tischen Potenzials der frei gebrauchten Präpositionen. So erscheint es nicht
gerechtfertigt, ihnen den Status von Präfixen zuzuerkennen, zumal sie auch
eine sehr unterschiedliche Reihenbildung aufweisen. Beim Verb sind die
Verhältnisse grundlegend anders.

2.2.7.2 Präposition als Erstglied


Nur ein Teil der Präpositionen ist als Erstglied geläufig; es sind vor allem
solche, die auch als Adverbien gebraucht werden und gleichlautende Verb-
partikeln neben sich haben. Es fehlen also fast ganz Erstglieder wie Bis-, Für-
(doch Fürwort, -bitte), In-, Ohne- (anders: Oben-ohne-Badeanzug, Ohne-
mich-Standpunkt), Von-, Wegen-; ebenso fehlt die Masse der komplexen
Präpositionen wie abzüglich, außer-/innerhalb, entlang, inmitten und dgl.
Danach verbleiben im Wesentlichen die im Folgenden behandelten Erst-
glieder (vgl. auch Morciniec 1964, 80 ff., wo sie als „Fügemorpheme“ be-
zeichnet werden).
1) Ab-
1.1) ,lokal, nach unten‘ (Gegensatz: Auf-): Abgrund, -wind
1.2) ,als Abfall nicht Verwertbares‘: Abdampf, -gas, -lauge, -produkt,
-wasser
1.3) im Zusammenhang mit 1.2) ,pejorativ‘: Abgott, -schaum, -scheu; teil-
weise synonymisch Un-, Miss-, Fehl-
168 2 Wortbildung des Substantivs

2) An- (nicht zu verwechseln mit dem negierenden Fremdpräfix An-,


s. d.): ,räumliche Berührung‘ in Ankreis, -kathete;
Komposita ohne stärkere semantische Differenzierung gegenüber dem
Zweitglied: Anhöhe ,Höhe‘, -recht, -verwandter, -zeichen.
3) Auf-
3.1) ,lokal, nach oben‘: Aufwind, -strom
3.2) ,lokal, oben befindlich‘: Aufglasur
3.3) ,zusätzlich‘: Aufgeld, -preis
3.4) ,Beginn‘: Aufgalopp, -takt
4) Aus-
4.1) ,lokal, außerhalb‘: Ausland
4.2) übertragen ,aus – heraus‘: Ausweg
4.3) ,von der Norm abweichend‘: Ausgeburt (übertragen)
5) Bei-
5.1) ,lokale/temporale Zuordnung‘: Beiblatt, -heft, -wagen
5.2) ,Unter-, Nebenordnung‘: Beikoch, -film, -kost, -werk; teilweise syn-
onymisch Neben-, mitunter antonymisch Haupt- (Hauptfilm)
5.3) ,unerwünscht nebensächlich Vorhandenes‘: Beigeschmack
6) Binnen-
Als freie Präposition nur temporal ,innerhalb‘, als Kompositionsglied nur
lokal ,innerhalb‘: Binnenfischerei, -gewässer, -hafen, -handel, -markt, -see,
-währung; vgl. auch Innen-, Inner- (¢ 2.2.7.3); Binnen- und Außengliederung
(TZ 1987)
7) Gegen-
7.1) ,lokal, entgegen, dynamisch‘: Gegenlicht, -verkehr, -wind
7.2) ,lokal, entgegen, statisch‘: Gegenpol, -wand
7.3) ,entgegengerichtet, mehr oder weniger feindlich‘: Gegenaktion, -ar-
gument, -beispiel, -demonstration, -gift, -kandidat, -kraft, -partei, -re-
formation, -revolution
7.4) ,ausgleichende Reaktion‘: Gegendienst, -geschenk, -gewicht, -gruß,
-wert, -liebe
8) Mit-
8.1) In Verbindung mit Personenbezeichnung Soziativbildung (,Gefähr-
te, Partner‘; „nur ganz vereinzelt“ – so Wellmann 1998, 508 – trifft
nicht zu): Mitbesitzer, -eigentümer; -gast (E. Agricola), -häftling; -le-
bewesen (Weltbühne 1979), -lehrling, -mensch, -reisender, Mitausge-
stoßener, Mitleidender, -verfasser, -verursacher. Vielfach auch mit exo-
genem Zweitglied: Mitautor, -passagier; -contrahent (Bismarck 1885),
2.2 Komposition 169

-initiator, -konkurrent; -literat (H. Mayer), -produzent; hierbei syno-


nymisch Ko-.
8.2) In Verbindung mit Nichtpersonenbezeichnung ,anteilig, teilweise‘:
Mitbesitz, -entscheidung, -hilfe; -reue (A. Seghers), -schuld; -ursache,
-verantwortung; synonymisch gelegentlich Teil-, antonymisch Allein-.
8.3) ,Parallelität, Gleichzeitigkeit‘: Vor- und Mitzeit Luthers (J. Erben),
seine Mit- und Nachwelt.

Als Suffixderivate bzw. Konversionen komplexer Verben bzw. verbaler Syn-


tagmen sind dagegen eher Fälle zu behandeln wie Mitbegründer, -denker,
-gestalter; -raucher (Sprachpflege 1979, 144), -streiter, ein aktives Mithan-
deln, konzeptionelles Mitwirken, schöpferisches Mitarbeiten.
9) Nach-
9.1) ,lokale/temporale Abfolge‘: Nachsilbe, -trupp, -welt
9.2) exozentrisch: Nachmittag ,Zeit nach dem Mittag‘, ähnlich Nachsom-
mer, -saison
10) Neben-
10.1) ,lokal, benachbart‘: Nebenhaus, -höhle, -mann, -zimmer
10.2) ,weniger wichtig‘ (Gegensatz: Haupt-): Nebenakzent, -bahn, -fach,
-figur, -gleis, -satz, -stelle, -straße
10.3) ,zusätzlich‘: Nebenabrede, -absicht, -beschäftigung, -effekt, -geräusch,
-produkt
11) Über-
11.1) ,lokal, über etwas befindlich‘: Übergardine, -schuh
11.2) ,von der Norm nach oben abweichend‘: Überangebot, -eifer, -gewicht,
-reife; Angst…Überangst…Überbesorgnis (Ch. Wolf);
exozentrisch: Übersee (vgl. Nachmittag)
12) Um-
12.1) ,lokal, um – herum, statisch‘: Umblatt, -feld, -karton ,zusätzliche Ver-
packung‘, -kreis, -land, -welt (mit Weiterbildungen wie Umweltmord,
-schutz, -waffen)
12.2) ,um – herum, dynamisch, z.T. in einer Art Kreislauf‘: Umluft ,Luft
klimatisierter Räume, die abgesaugt und zurückgeleitet wird‘, Um-
frage, -schicht ,Schichtwechsel‘, -trunk
12.3) ,nicht direkt‘: Umweg
13) Unter-
13.1) ,lokal, unter etwas befindlich, exozentrisch‘: Untergrund ,unter der
Erdoberfläche liegende Bodenschicht‘, -tasse ,unter der Tasse befind-
licher Teller‘
170 2 Wortbildung des Substantivs

13.2) ,einen Normwert nicht erreichend‘: Unterbilanz, -druck, -gewicht,


-temperatur
Antonymisch zu 13.1 und 13.2: Über-
13.3) ,zusätzlich, konkomitant‘: Unterton, -miete(r); dazu vgl. Neben-.
Adjektivisches Unter- (antonymisch: Ober-) liegt vor in Untergrenze, -kiefer,
-körper (,unterer Teil von etwas‘) sowie in der durch gegensätzliches Ober-
/Unter- ausgedrückten hierarchischen Begriffsgliederung (Unterklasse, -be-
griff, -gruppe); zu Titeln ¢ 2.2.3.2(3).
Unterglasurfarbe, Unterseeboot sind mit dem Erstglied an präpositionale
Syntagmen anzuschließen (¢ 2.2.9.1[2]).
14) Vor-
14.1) ,lokal bzw. temporal vor einer anderen Größe befindlich‘: Vorabend
,Abend vor einem Ereignis‘; -garten ,Garten vor dem Haus‘, -freude,
-gefühl, -geschmack, -strafe; antonymisch Hinter-, Nach-
14.2) ,lokal-temporale Vorzeitigkeit mit Wertung als vorläufig‘: Vorarbeit,
-gespräch, -trupp, -vertrag; antonymisch: Haupt-; Wertung als Vor-
bild, voranstehend: Vorarbeiter (vgl. Henzen 1969, 51 ff.)
14.3) exozentrisch: Vormittag ,Zeit vor dem Mittag‘ (vgl. Nachmittag, Über-
see)
14.4) ,vorderer Teil‘: Vordeck, -schiff, -arm; über Vor- und Vorder- vgl.
Henzen 1969, 86 ff.
15) Wider-
Kaum noch produktiv, beschränkt auftretend mit einigen Substantiven in
der Bedeutung ,gegen‘ (vgl. gegen- in 7), die Komposita mehr oder weniger
demotiviert: Widerhaken, -lager ,Auflagefläche für Bogen, Gewölbe, Trä-
ger‘, -part, -sacher, -see ,rückläufige Brandung‘, -sinn, -wille
16) Zu-
,zusätzlich‘: Zubrot, -erwerb, -kost, -name (vgl. Bei-, Neben-)
17) Zwischen-
17.1) ,lokale oder temporale Beziehung zwischen zwei Größen‘: Zwischenakt,
-deck, -kiefer, -raum, -zeit
17.2) ,vorläufig‘: Zwischenabrechnung, -bescheid, -ergebnis
17.3) ,nicht eindeutig festlegbar‘: Zwischending, -farbe

2.2.7.3 Adverb als Erstglied


Die Kompositionsaktivität der Adverbien ist je nach Subklasse unterschied-
lich ausgeprägt. Im GWDS sind z. B. mit folgenden adverbialen Erstgliedern
keine substantivischen Komposita kodifiziert: dann, dort, gestern, heute, hier,
hinten, morgen,nie, nun, oft, so, sonst, weg u. v.a. Manche Adverbien sind nur
2.2 Komposition 171

in vereinzelten Wortbildungen vertreten bzw. in ihrer Distribution be-


schränkt. So verzeichnet z. B. das GWDS Noch- als Strichlemma nur in Ver-
bindung mit Personenbezeichnungen in der Bedeutung ,einen bestimmten
Rang, Status o. Ä. nicht mehr lange innehabend‘, z.B. Nochintendant, -ober-
ligist, -vorsitzende. Belegt ist auch fachsprachlicher Gebrauch des Modells:
Nochgeschäft (Börsenwesen).
Die fehlende Kodifikation ist allerdings kein Indiz für eine Blockierung
der Modelle; vgl. etwa die in den letzten Monaten der DDR in großer Zahl
belegten Komposita wie Noch-DDR, -Minister, -NVA, beide deutsche Noch-
Staaten. Auch sonst begegnen textgebundene Okkasionalismen in großer
Zahl: ein Irgendwie-Verständnis von Wörtern (O. Reichmann), intuitives Vor-
wegwissen (H. Steger), Keineswegs-Selbstverständlichkeiten (TZ 1982), die
Dagegen-Republik (Der Spiegel 2010).
In DWb 4, 693 ff. werden entsprechende Komposita als „Bildungen mit
Null-Relation“ erfasst, z.B. Beinahe-Katastrophe, Fast-Komposita, Quasisy-
nonyme, Schlechthinchirurg, Nur-Hörfunkteilnehmer, da „die Relation im
Kompositum […] um nichts weniger explizit [ist] als die einer äquivalenten
syntaktischen Wortgruppe zwischen A- und B-Konstituente“ (DWb 4, 669).
Die Reihenbildung ist, wie schon bei Noch- gezeigt, auch bei diesen Mo-
dellen deutlich ausgeprägt, so z.B. – wie angenommen wird, nach englischen
Vorbildern (Lehnert 1986, 66) – Sofort- in Soforthilfe (schon seit 1944),
-aktion, -einsatz, -maßnahme, -rente; ähnlich auch Beinahe-Unfall, -Kollision,
-Verlobter, Fast-Nulltarif, -Weltmeister, -Präsident; außerdem Reihen mit
Quasi-, Nur-, Auch-, Als-ob-, De-facto-. Die Modelle gelten als „sehr pro-
duktiv“ (DWb 4, 696), auch wenn nur wenige Bildungen lexikalisiert sind.
Vgl. ferner Wortbildungen wie Auswärtsatmosphäre (beim Fußballspiel),
Heim-, Her-, Hinweg, Jetztzeit, -mensch, Rundumleuchte.
Hochproduktiv ist auch das Modell mit Nicht- (Nichtfachmann, -krieg,
-leiter, -metall, -nahrungsmittel, -schwarzerdezone), z. T. auf verbale Fü-
gungen zurückgehend: nicht rauchen/schwimmen/trinken > Nichtraucher,
-schwimmer, -trinker; in diesen Fällen eher Derivat von einem Syntagma als
substantivisches Kompositum. Mit dem verbalen Infinitiv geht nicht keine
festen Verbindungen ein; Konversionen von Syntagmen sind allerdings
möglich (das Nichterscheinen, Nichtzustandekommen); Weiteres vgl. Wilss
1994, 5.
Über das Verhältnis zu un- ¢ 2.4.2.5.
Während in Fällen wie hinten, oben, unten die Funktion als Erstglied
substantivischer Komposita von den Formen Hinter- usw. (s.o.) übernom-
men wird, werden außen und innen üblicherweise als Kompositionsglied
gebraucht: Außen-, Innenantenne, -beleuchtung, -dienst, -temperatur. Inner-
172 2 Wortbildung des Substantivs

dagegen nur bei geografischen Namen (aber nicht Außer-): Innerafrika,


-asien; anders inner-, außer- beim Adjektiv; zu binnen- ¢ 2.2.7.2.
Für zurück (vgl. Öhmann 1944) erscheint gewöhnlich Rück- (-fahrkarte,
-weg); beim Verb meist zurück- (¢ 5.3.2.2[2.3]).

2.2.8 Konfix als Erstglied

Zum Begriff ,Konfix‘ ¢ 1.6.3; zur Bestimmung der Konfixbildungen als Kom-
posita ¢ 1.8.1.1; zu Strukturtypen der Konfixkomposita ¢ 1.9.3.1. – Das Bild
ist hier nach mehreren Richtungen zu vervollständigen.
1) Einige exogene Konfixe treten reihenweise als positionsfeste Erstglieder
komplexer Substantive auf, vielfach auch mit indigenem Zweitglied. Es sind
vorwiegend solche aus lateinischem oder griechischem Material, z.T. über
das Englische ins Deutsche übernommen.
Das gilt beispielsweise für mikro- und makro- (,klein‘, ,groß‘). Erstge-
nanntes ist vor allem in Verbindung mit exogenen Substantiven, aber in-
zwischen auch mit indigenen weit verbreitet: Mikrochemie, -computer, -elek-
tronik, -film, -klima, -kosmos, -organismus; Mikroanlageplan (Finanzwesen),
-kühlanwendungen; Mikroschlaf (bei Autofahrern), -schaltung, -sender,
-welle. Das Gegenstück makro- begegnet seltener: Makrobereich, -ebene,
-klima, -kultur, -molekül.
Ein antonymisches Paar bilden auch mono- ,einzig, allein‘ und poly- ,viel,
mehr‘; mono- nicht nur in Verbindung mit Fremdwörtern (Monokultur,
-theismus) oder Konfixen (Monolog neben Dialog, Monopol), sondern auch
mit indigenen Wörtern wie in Monoempfänger (gegenüber Stereo-), -sen-
dung, -zelle. Poly- scheint dagegen auf die Verbindung mit fremden Zweit-
gliedern beschränkt zu sein: Polykultur, -phonie, -technikum; das GWDS ver-
zeichnet keine Komposita mit indigenem Zweitglied.
Mit poly- konkurriert lat. multi- ,viel, mehrfach‘: Multimillionär, -Effekt,
-Musikant.
Pseudo- ,scheinbar, vorgetäuscht‘ verbindet sich nicht nur mit Fremd-
wörtern (Pseudosouveränität, -synonymie, -kritik), sondern auch mit indi-
genen Wörtern (Pseudosinnlichkeit, -wissenschaft). Demgegenüber wird mit
proto- (griech. ,der Erste, Höchste‘) das Echte, Vorbildliche bezeichnet (Pro-
totyp); stets in Verbindung mit exogenem Zweitglied.
Auf die Verbindung mit Fremdwörtern weitgehend beschränkt (in Fach-
terminologie allerdings z.T. sehr verbreitet) sind auto- ,selbst, eigen‘ (Auto-
biografie, -pilot, -suggestion, -didakt gegenüber selbstständigem Didaktiker),
2.2 Komposition 173

nano- ,ein Milliardstel einer Einheit‘ (Nanometer, -sekunde, -technologie;


auch aktiv mit indigenen Zweitgliedern: Nanoforscher, -wunder; PDW 2006),
neo- ,neu‘ (Neofaschismus, -kolonialismus, -positivismus; massenweise seit
dem 19. Jh., vgl. Dreizehnter 1981), post- ,hinter, nach‘ (Postkommunion
,Schlussgebet der Messe‘, Postszenium ,Raum hinter der Bühne‘), semi-
,halb‘ (Semifinale bei Sportwettkämpfen, Semi-Dokumentarfilm, PDW
2006), vize- ,stellvertretend‘ (nur mit Personenbezeichnungen: Vizekanzler,
-kulturminister, -präsident, -direktor), umgangssprachlich auch als Lexem
Vize/Vizin ,Stellvertreter/in‘.
Auch fremdsprachliche Elemente aus modernen Sprachen wie dem Eng-
lischen, die im deutschen Satz nicht frei beweglich sind, können in Kom-
posita integriert werden wie allround ,vielseitig‘ in Allroundathlet, -musiker,
-sportler.
2) Entlehnte, allgemeinsprachlich verbreitete Konfixe tendieren stark zur
„Lexematisierung“ (Müller 2005, 26 ff.), d.h. zur Entwicklung zum Wort-
stamm.
Das im Deutschen zunächst nur gebunden gebrauchte top- ,Höchst-,
Spitzen-‘ wie in Topform, -leistung, -manager, -mannschaft (bei Schmidt
1990 noch als Präfix beschrieben) ist inzwischen auch als Substantiv (das Top
,ärmelloses Oberteil‘) und Adjektiv (er ist immer top gekleidet ,von höchster
Güte, hochmodern‘, Dudenband 1, 2009, 1066) geläufig, sodass Topform,
Topleistung usw. nicht mehr als Konfixkomposita gelten können, sondern in
den Lesarten ,Bestform‘, ,Spitzenleistung‘ als Kompositum aus Adjektiv und
Substantiv.
Gleiches gilt für mini ,sehr klein‘ (vgl. Minimum, Miniatur-; dazu Lehnert
1986, 70), das im Deutschen zunächst nur gebunden vorkam, jetzt aber auch
frei gebraucht wird. Als Adjektiv bedeutet es ,oberhalb des Knies endend‘
(der Rock ist mini) bzw. ,sehr klein‘ (Das Bild ist mini, dafür aber ziemlich
scharf, PDW 2006). Insbesondere umgangssprachlich hat es sich stark aus-
gebreitet.
Das GWDS verzeichnet 14 Komposita (nicht mehr nur auf Bekleidung zu
beziehen wie Minibikini, -kleid, -mode, -rock, sondern auch Miniauto, -bar,
-golf, -gruppe, -pille, -spion ,kleines Abhörgerät‘ u. a.). Damit wird die starke
Verbreitung von mini nur unvollkommen widergespiegelt; es verbindet sich
völlig unbeschränkt mit den strukturell und semantisch unterschiedlichsten
Zweitgliedern vgl. Minihafen, -meer (für ein Aquarium), -kampfgefährten,
-kickerturnier, -kino, -kirche, oft auch mit Bindestrich Mini-Abbild, -Abend-
kleid, -Abhörsender, -Abitur, -Abo, -Achterbahn, -Hackfleischbällchen, -Herz-
Lungen-Maschine, -Konsum-Boom u.v.a. (PDW 2005ff.). Die Wortbildun-
gen sind ebenfalls als Komposita aus Adjektiv und Substantiv zu interpre-
tieren.
174 2 Wortbildung des Substantivs

Das GWDS kodifiziert die Form mini auch als freies Substantiv (der/das
Mini) in den Bedeutungen ,Mode, Kleid, Rock‘. Als Substantiv fungiert Mini
außerdem noch als Markenname für Autos (Mini Cooper) und Computer
(Mac Mini). Die antonymische Entsprechung maxi (daneben noch seltener
midi-) ist in etwas geringerem Maße kompositionsaktiv geworden (Maxi-CD,
-kleid, -mode, -rock); auch diese Form wird im GWDS als Adjektiv (nur in
Bezug auf Bekleidung: der Mantel ist maxi) und Substantiv (der/die/das
Maxi) verzeichnet, sodass auch hier Lexematisierung zu konstatieren ist.
Ebenfalls nicht als Konfix zu behandeln ist extra (in Extraangebot, -aus-
gabe, -klasse, -tour, -wurst, konkurrierend mit Sonder-), denn es ist als frei
gebrauchtes Adverb üblich (extra bezahlen, extra starker Kaffee) und begeg-
net außerdem als Substantiv das Extra. In der Bedeutung der lat. Präposition
,außer(halb)‘ erscheint extra nur in Fachwortschätzen (Extraordinarius
u.a.).
Quasi ist ebenfalls als freies Adverb kodifziert (,sozusagen, gewisserma-
ßen, so gut wie‘), sodass Wortbildungen wie Quasisouveränität als Kompo-
sita mit adverbialem Erstglied zu betrachten sind.
Die in der vorherigen Auflage in diesem Abschnitt genannten Beispiele Toplessbedie-
nung, -nachtklub, Openend-Klavierabend können ebenfalls nicht mehr als Konfixkom-
posita angeführt werden, da inzwischen sowohl topless als Adjektiv in der Bedeutung
,mit unbedecktem Busen, busenfrei‘ (GWDS) als auch open end ,das Ende (der ange-
kündigten Veranstaltung) ist nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt festgesetzt‘
(GWDS) frei vorkommen; vgl. auch die Entwicklung des Präfixes ex- zum Lexem der/die
Ex in der Bedeutung ,ehemalige/r Partner/in‘ (¢ 1.4.2.1).

3) Als Konfixe sind einige indigene gebundene Einheiten zu qualifizieren,


die in mehr als einer Wortbildung mit gleicher Bedeutung gebraucht werden
(¢ 1.9.2.2.3). Positionsfeste Erstglieder sind Schwieger- (mhd. swiger
,Schwiegermutter‘, so noch in manchen mittel- und oberdeutschen Mund-
arten) in -mutter, -vater, -eltern, -tochter, -sohn (seit dem 16. Jh.) und – mit
den gleichen Kombinationen – Stief- (altnord. stjúpr ,Stiefsohn‘, vgl. ahd.
ar-, bi-stiufan ,der Kinder oder Eltern berauben‘). Zu -wart und weiteren
Bespielen ¢ 1.6.3.

2.2.9 Syntagma und Satz als Erstglied

Ein Syntagma als Erstglied liegt dann vor, wenn die erste unmittelbare Kon-
stituente nicht an einen Wortstamm außerhalb des Kompositums anzu-
schließen ist, sondern an eine syntaktische Wortverbindung (auch: Phrase;
2.2 Komposition 175

deshalb auch „Phrasenkomposition“, Lawrenz 2006a, 7; Meibauer 2007).


Dabei handelt es sich in der Regel um nichtsatzwertige Syntagmen, aller-
dings begegnen zunehmend auch Sätze. Syntagmen dienen außerdem als
Derivationsbasis (zur „Phrasenderivation“ ebd. 8f.); entsprechende Kon-
struktionen werden unter den einzelnen Suffixen (-er, -ung u.a.) behandelt;
¢ 1.8.1.1. – Zu einem aus einem Syntagma gekürzten Buchstabenkurzwort als
Erstglied ¢ 2.7.1; zur Phrasenkonversion ¢ 2.6.2.3.
2.2.9.1 Substantivisches Syntagma
Auch wenn es keine Beschränkungen zu geben scheint und „alle Phrasen-
typen als Erstglieder von nominalen Komposita auftreten können“ (La-
wrenz 2006a, 14), überwiegen in dieser Position substantivische Syntagmen.
1) Syntagmen aus Substantiv mit verschiedenen Arten von Attributen.
1.1) Fügungen aus adjektivischem Attribut + Substantiv, die als Kompo-
situm weniger problematisch sind denn als Syntagma (Typ heißer Wasser-
speicher – Heißwasserspeicher, detailliert zur Akzeptabilität entsprechender
Syntagmen im Vergleich zu den Komposita Bergmann 1980, 248ff.): Altfrau-
engesicht, Freilichtbühne, -museum, -veranstaltung, Freiluftbehandlung, -café,
Großmannssucht (nicht *Großmann als Kompositum), Rundtischkonferenz;
mit bewahrter Flexion (dann Durchkopplungsbindestrich): Frische-Luft-
Spaziergang; Kleine-Leute-Viertel (L. Frank), eine Erste-Liebe-Geschichte, der
Faule-Eier-Duft; ¢ 2.2.1.1(1); zu Komposita mit All- ¢ 2.2.5(5).
Hierher sind auch entsprechende Wortbildungen mit Kardinalzahl zu
stellen: Eintagsfliege, Zweitaktmotor, Zweiklassengesellschaft, Dreikant-
schlüssel, Drei-Gänge-Menü, Vierradbremse, Viermächtekonferenz, Sechsta-
gerennen, Siebenmonatskind, Achtstundentag; komplexere Bildungen sind
Vierfarbenkugelschreiber, Fünftage-Intensivkurs, Zweieinhalbstundenanstren-
gung, 290-Millionen-Dollar-Kredit.
1.2) Fügungen aus Substantiv + Genitiv- oder Präpositionalattribut: Re-
portage-vor-Ort-Übung (Weltbühne 1979), Kunst-am-Bau-Variante (Welt-
bühne 1982), ein Platz-an-der-Sonne-Haus (ARD 2010), eine Kauf-ohne-
Risiko-Garantie (Lawrenz 2006a, 14).
2) Substantivische Präpositionalphrasen als Erstglied haben Außer-Haus-
Kunden, -Lieferung, Unterwassermassage, Vorweihnachtszeit, Nach-Tokio-
Tage ,Tage nach den Olympischen Spielen in Tokio‘, Hinter-dem-Ohr-Hör-
gerät (Weiteres ¢ 2.2.7.2). Neben exogenen Präpositionen, die auch in freien
Fügungen vorkommen (Verbrauch pro Kopf > Pro-Kopf-Verbrauch), stehen
Fälle wie die feste Verbindung ad hoc in Ad-hoc-Bildung, -Entscheidung. Das
Phrasem unter vier Augen erscheint mit Tilgung der Präposition in Vierau-
gengespräch.
176 2 Wortbildung des Substantivs

3) Reihungen von Substantiven mit Durchkopplungsbindestrich zeigen


vorwiegend zwei syntaktisch unverbundene Substantive als Erstglied. (In-
sofern ist das Erstglied streng genommen kein Syntagma): Export-Import-
Quote, Flug-Schiffs-Reise, Herz-Lungen-Maschine, Inhalt-Form-Dialektik;
Magen-Darm-Entzündung, Nähe-Distanz-Problematik, Bild-Wort-Vergleich,
Erbe-Umwelt-Frage (Wilss 1993b, 24). Komposita dieser Art können durch-
aus als feste Nominationseinheit lexikalisiert werden.
Nach Wilss (1993b, 23) handelt es sich bei diesen Bildungen um ein relativ junges,
sowohl allgemeinsprachlich wie auch fachsprachlich gleichermaßen viel genutztes
Kompositionsmodell mit relativ „vage[n] semantische[n] Konturen“, das nicht nur im
Deutschen, sondern auch in der englischen Gegenwartssprache hochproduktiv ist (Leh-
rer/Lerner-Konflikt – teacher-learner-conflict).

Komplexere polymorphemische Konstruktionen sind Hochdruck-Heiß-


wasser-Waschanlage, Kraftstoff-Luft-Gemisch; im textgebundenen Extrem-
fall: ohne den einschläfernden Ursachen-Folgen-Lehren-Ermahnungen-Rhyth-
mus (Sonntag 1988). Wechsel von Schräg- und Bindestrich (dieser zur
Kennzeichnung der Hauptfuge) zeigt: der als Militär/Zivilist-Zwitter geklei-
dete Oberst (TZ 1989); zum Gebrauch der Virgel vgl. auch Ortner/Ortner
1984, 111; Wilss 1993b, 23f.
Selbst längere fremdsprachliche Syntagmen können mit einem indigenen
Zweitglied gekoppelt werden: Double-income-no-children-Paare (Sonntag
1988 in einer Reportage über New York).
4) In jüngerer Zeit vermehren sich die Komposita mit expliziter Verknüp-
fung zweier Substantive durch und innerhalb der ersten unmittelbaren Kon-
stituente: Fang-und-Verarbeitungs-Schiff (Fang allerdings auch verbal inter-
pretierbar).
Mehr oder weniger stabile Wortpaare bilden das Erstglied in Berg-und-Tal-
Bahn, Katz-und-Maus-Spiel (nicht: Katze-), Nacht-und-Nebel-Aktion; zu-
sammengeschrieben Tagundnachtgleiche (die Gleiche ,Gleichheit‘, vgl.
GWDS) ,Äquinoktium‘.
Pejorativ (,durchschnittlich‘) ist das komplexe Erstglied Feld-Wald-und-
Wiesen- in Verbindungen mit -Ansprache, -Dichter, -Erkältung u.Ä.
5) Sehr selten sind Verbindungen aus Adverb und Substantiv als Erstglied:
Niefrostboden.

2.2.9.2 Verbales Syntagma


Zu verbalen Syntagmen als Erstglied substantivischer Komposita ¢ 2.2.4.2(4).
Komplexere Komposita dieser Art sind z.B. Frühwarnradaranlage, Luftrein-
haltepolitik, Schnellschnapp-Festsitzschraube (Muhamed-Aliewa 1986, 40),
2.2 Komposition 177

Schnell-Abnehm-Produkte, Länger-leben-Diät, Aus-dem-Fenster-guck-Kissen


(Lawrenz 2006a, 63).
Es besteht nur eine geringe Affinität zur Lexikalisierung, doch die Kom-
posita sind – wie die Beispiele zeigen – im alltäglichen Sprachgebrauch kei-
neswegs vereinzelt.

2.2.9.3 Sonstige Syntagmen


Hierbei handelt es sich vor allem um Kombinationen von Präpositionen
und Konjunktionen als Erstglied: Oben-ohne-Bedienung, Von-bis-Spanne,
Hin-und-her-Gerede ,Gerede in Form planlos wechselnder Meinungs- bzw.
Gesprächsäußerungen‘, Hin-und-her-Gezerre (GWDS), Ja-aber-Demokraten
(Die Zeit 2002), Als-ob-Persönlichkeit (Die Zeit 2002), aber auch Numeralia
kommen vor: Vier-drei-drei-System (im Fußball).
Zu weiteren Arten phrasaler Kompositionserstglieder wie eine Knapp-
vorbei-Antwort; DSL zum Immergünstigpreis (Werbung 2010) sowie zu Fle-
xionsregeln für die Binnenflexion (der Deutsche-Bank-Sprecher/ein Deut-
scher-Bank-Sprecher) vgl. Lawrenz 2006a, 7, 32.

2.2.9.4 Sätze
Am geläufigsten und am ehesten lexikalisiert sind Komposita mit dem Im-
perativ eines komplexen oder reflexiven Verbs als Erstglied: Stehaufmänn-
chen, Trimm-dich-Pfad.
Andere erweiterte Imperative sind Rühr-mich-nicht-an-Lächeln, Sei-mein-
guter-Sohn-Blick, „Verbessern-Sie-Ihre-Rente“-Idee (diese und die folgenden
Beispiele bei Lawrenz 2006a, 155ff.); mit fremdsprachlichem Erstglied Do-
it-yourself-Methode.
Auch Aussage-, Frage- und Ausrufesätze kommen als Erstglieder vor:
Wir-sind-für-Sie-da-Kundendienst, Wie-werde-ich-noch-schöner-Software,
Es-gibt-ihn-also-wirklich-Miene.
Derartige Komposita können prinzipiell gebildet werden, sind aber in
ihrer Verwendung weitgehend auf belletristische, publizistische und kon-
ventionell werbende Texte beschränkt. Sie wirken mehr oder weniger stark
expressiv und bleiben textgebunden. Die einzelnen Wörter des satzwertigen
Erstgliedes behalten ihre Selbstständigkeit in Flexion und Differenzierung
von Groß- und Kleinschreibung, werden aber mit Durchkopplungsbinde-
strich verbunden. Bis auf – gelegentlich verwendete – Anführungs-, Ausrufe-
und eventuell Fragezeichen fehlen weitere Interpunktionselemente (verein-
zelt Belege mit Komma: Ortner/Ortner 1984, 113; mit Anführungszeichen:
Hoffmann 2008; zu orthografischen Besonderheiten phrasaler Wortbildung
insgesamt Lawrenz 2006a, 167ff.).
178 2 Wortbildung des Substantivs

Wie eine materialreiche Untersuchung Schmidts zeigt, sind es nicht beliebige freie
Syntagmen, die in hochkomplexe Komposita eingehen, sondern vorzugweise „stabile
funktionale Syntagmen, Allgemeinplätze, Trivialerfahrungen, Lebensweisheiten und
tradierte Zitate“, vgl. Wir-packen-es-an-Stimmung, Ach-das-wäre-doch-wirklich-nicht-
nötig-gewesen-Effekt, Wer-gut-schmiert-der-gut-fährt-Affäre (Schmidt 2000, 151ff.),
Rund-um-die-Uhr-Bewachung, Kaum-zu-glauben-Preise (Werbung 2000); vgl. auch
Hoffmann (2008, 208) über rededarstellende Sätze als Erstglied wie „Bestell-mich-so-
fort!“-Katalog.
Insbesondere Determinativkomposita mit solchen Erstgliedern, aber auch Konver-
sionen (das In-den-April-Schicken), nehmen nach diesen Erhebungen gegenwärtig
nicht nur in der Sprache der Medien, sondern auch im Alltag als eine modische Er-
scheinung deutlich zu. Eine plausible Erklärung für die Beliebtheit der unhandlichen
Bildungen scheint zu sein, dass die eingesetzten „Formulierungsstereotype“ […] „das
schnelle Verständnis hochkomplexer Bildungen sehr erleichtern“ (Schmidt 2000, 151).
Auch der meist „salopp-umgangssprachliche […] Stilwert“ der Bildungen (DWb 4,
400) mag dazu beitragen. Erheblicher Einfluss wird außerdem dem Englischen zuge-
sprochen (Lawrenz 2006b).

2.2.10 Possessivkompositum
Possessivkomposita (auch Bahuvrihi: Paul 1920 §§ 25 f.; Žepic" 1970, 116ff.)
sind Komposita mit determinativem (nicht kopulativem) Verhältnis der
unmittelbaren Konstituenten, doch bezeichnet das Zweitglied keinen Ober-
begriff, unter den sich das Denotat einordnen lässt: Langbein ist nicht
,Bein‘ wie Holzhaus ein ,Haus‘, sondern eine Person, die lange Beine „be-
sitzt“; die Bezeichnung für ,Person‘ ist nicht unmittelbar innerhalb des
Kompositums gegeben, sondern „außerhalb“ zu ergänzen, daher der Ter-
minus exozentrisches (gegenüber endozentrischem) Kompositum (vgl. z.B.
Morciniec 1964, 110ff.; dagegen Coseriu 1977, 50). Die determinative Bezie-
hung zwischen den unmittelbaren Konstituenten kann auch figurativ zu
deuten sein: Dickkopf.
Es handelt sich vorwiegend um Personen-, Pflanzen- und Tierbezeich-
nungen, wobei das Zweitglied meist einen Körperteil bezeichnet: Graukopf,
Lästerzunge, Grünschnabel, Spitzbauch; Hahnenfuß, Löwenzahn; Blauschwanz,
Neunauge, Rotkehlchen, Silbermund ,Schnecke‘. – Nicht in diese Gruppen
gehören vor allem einige Wortbildungen mit einem Numerale als Erstglied
(¢ 2.2.6) wie Dreizack ,Gerät mit drei Zacken‘, Achtzylinder ,Motor mit acht
Zylindern‘.
Manche Possessivkomposita sind heute durch Derivate auf -er bzw. -ler
ersetzt: Dickhäuter, -schnäbler, Tausendfüßler. Doch kann das Modell kaum
als unproduktiv bezeichnet werden.
2.2 Komposition 179

Ist – endozentrisch – der entsprechende Körperteil gemeint, muss in


manchen Fällen das attributive Syntagma verwendet werden: Rotbart be-
zieht sich nur auf den Träger, der rote Bart auf den Bart. In anderen Fällen
sind beide Beziehungen möglich: Er ist ein/hat einen Spitzbauch.
Auch Determinativkomposita, die üblicherweise keinen exozentrischen
Denotatsbezug aufweisen, können textgebunden so verwendet werden: „Die
Verkäuferin sprach […] mit einem Mann, der einen Lodenmantel trug […]
Der Lodenmantel sog an seiner Zigarre […]“ (J. R. Becher).
Beim Adjektiv ist das Possessivkompositum heute kein produktives
Modell mehr (¢ 3.1.1).

2.2.11 Onymische und deonymische Komposition

2.2.11.1 Grundsätzliches
Im Folgenden werden kompositionelle Strukturen behandelt, an denen Ei-
gennamen beteiligt sind, und zwar vorzugsweise Personennamen und geo-
grafische Namen. Onymische Komposita sind Eigennamen; deonymische
Komposita sind Appellativa mit einem Eigennamen als unmittelbarer Kon-
stituente. Die onymische und deonymische Derivation wird gesondert be-
handelt (¢ 2.3.4; vgl. auch Harnisch/Nübling 2004, 1906ff.). Wir können hier
keine onomastische Spezialdarstellung vorlegen, sondern konzentrieren uns
auf einige geläufige Modelle. Es soll deutlich werden, dass der Eigenname
innerhalb des Wortschatzes eine Sonderstellung einnimmt und sich daraus
auch Spezifika für die Wortbildung ergeben. Beschreibende semantische
Elemente können einen komplexen Namen stärker einem Appellativum
annähern; vgl. Erzgebirge gegenüber dem Simplex Alpen. Ein großer Teil der
formalen Besonderheiten des Namenschatzes erklärt sich durch das Be-
streben, die störende Homonymie zwischen Eigennamen und Appellativum
zu mindern.
Eigennamen sind an das System einer Einzelsprache durch gegebenenfalls
vorhandene semantische Elemente gebunden, ferner durch onymische De-
rivations- und Kompositionsmodelle sowie durch morphosyntaktische und
morphonologische Phänomene. Eine besondere Rolle spielen dabei die
Wechselprozesse der Onymisierung und Deonymisierung, der Verflechtung
von Eigennamen und Appellativa auch in der Wortbildung.
180 2 Wortbildung des Substantivs

2.2.11.2 Onymische Kompositionsmodelle


Hier geht es um die Komposition von mindestens zwei Eigennamen unter-
einander (vgl. auch Neuß 1981, 51ff.).
1) Koppelung von Vornamen. Es handelt sich um eine Art kopulativer
(additiver) Verbindung von Vornamen, entweder in Zusammenschreibung
oder durch Bindestrich: Hans-Gert, Hans-Christoph, Anne-Dore; Hans-
werner, Hansjoachim, Hannelore, Annegret, Annemarie. Den Vornamen Hans
in der Reihe der Doppelnamen als „Halbpräfix“ zu betrachten (Harnisch/
Nübling 2004, 1908) erscheint nicht zweckmäßig, da der Name auch separat
als Vorname für den betreffenden Namensträger fungieren kann.
2) Koppelung von Familiennamen – ebenfalls kopulativ-additiv – begeg-
net, wenn Verheiratete den Namen des Ehepartners mit ihrem eigenen ver-
binden, Doppelnamen wie Elly Beinhorn-Rosemeyer (die Fliegerin Elly Bein-
horn, nachdem sie den Rennfahrer Bernd Rosemeyer geheiratet hatte). Zum
gegenwärtigen Familiennamenrecht in Deutschland, Österreich und der
Schweiz vgl. im Überblick Koß 2002, 85 f.
3) Die Koppelung von Familien- und Ortsnamen (Geburts-, Wohnort) ist
im Unterschied zu 1) und 2) determinativ, wobei das Erstglied (der Fami-
lienname) das determinierte ist: Hermann Schulze-Delitzsch (H. Sch. aus
Delitzsch).
4) Die Koppelung von Ortsnamen kann determinativ wie auch kopulativ
sein. Sehr häufig ist der determinative Typ Leipzig-Grünau, Berlin-Pankow,
Rostock-Lütten Klein. Auch hier ist das Erstglied, in der Regel der Name einer
größeren Stadt, das determinierte. Die determinierende Zweitkonstituente
ist der Name eines ehemals selbstständigen, in der großen Stadt aufgegan-
genen Ortes. Das Kompositum als Ganzes bezeichnet einen Stadtteil: Berlin-
Pankow ist derjenige Teil von Berlin, der früher unter dem Namen Pankow
ein selbstständiger Ort war.
Kopulative Verbindung liegt dagegen vor, wenn die Namen zweier ur-
sprünglich getrennter Orte bei Vereinigung dieser Orte verschmolzen wer-
den: Ribnitz-Damgarten, Garmisch-Partenkirchen.
Ähnliches begegnet bei Ländernamen: Schleswig-Holstein.
5) Die Koppelung von Orts- mit Flussnamen ist nicht sehr häufig. Sie
dient im Syntagma einerseits der Differenzierung gleichnamiger Orte wie im
Falle Frankfurt an der Oder und Frankfurt am Main. Andererseits finden
sich expressive metaphorische Komposita wie Elbflorenz für Dresden und
Spree-Athen für Berlin. Hier ist das Zweitglied determiniert.
2.2 Komposition 181

2.2.11.3 Onymische Komposita mit appellativischen Elementen


Weit geläufiger sind die Verbindungen von Eigennamen mit Appellativen.
Sie werden ohne und auch mit Bindestrich geschrieben (Bachkantate, Mo-
zart-Konzertabend; Dudenband 1, 2009, 85). Bindestrich-Schreibung wird
zur Hervorhebung des Eigennamens gewählt oder bei komplexem Zweit-
glied.
Koppelungen wie Dieselmotor, Röntgenstrahlen gehören nicht hierher, da
die Eigennamen zu Appellativen geworden sind. Zu Fällen wie Heulsuse
¢ 2.2.11.4.2.
Wir behandeln hier nur die Fälle, die trotz Verbindung mit einem Ap-
pellativum als Ganzes Eigennamen geblieben sind.
1) Personennamen, vorwiegend Familiennamen, erhalten ein differenzie-
rendes Erstglied: Füllhalter-Stirl ,Mann namens Stirl, der mit Füllhaltern
handelt‘, Uhren-Schulze, Werbe-Rudolf. Doch haben diese Formen einen
etwas saloppen Charakter. Es ist das gleiche Modell, wie es auch in Spitz-
namen anzutreffen ist: In einem sächsischen Dorf wurden vier verschiedene
Familien namens Claus unterschieden als Goldzahn-Claus, Kiesgruben-Claus,
Leichenwagen-Claus, Sauf-Claus. – Heinrich Zille war bekannt als der Pin-
selheinrich.
2) Als eine Art hypokoristische Form finden sich seltener Vornamenkop-
pelungen wie „das Helgakind hier, meine Großnichte“ (E. Agricola, ähnlich
mein Gerdamädchen und dgl.)
3) Bei Differenzierung von Ortsnamen durch Adjektive steht gewöhnlich
der Bindestrich: Alt-Leipzig, Groß-Berlin. Bei Flussnamen ist Zusammen-
schreibung üblicher: Mittelelbe, Unterweser, Oberrhein. Geläufig sind solche
Komposita aber nur mit den Namen größerer Flüsse. Formen wie *Ober-
saale, *Untersaale machen einen auffälligen Eindruck, wohingegen die ent-
sprechenden Syntagmen obere/untere Saale durchaus gängig sind.
4) Die Koppelungen von Ortsnamen mit den substantivischen Bezeich-
nungen der Himmelsrichtungen treten in zwei Strukturtypen auf: mit
Nachstellung der Himmelsrichtung (Dresden-Nord, Dresden Nord) und mit
Voranstellung (Norddresden, Nord-Dresden). In beiden Fällen werden die
Bezeichnungen für die Himmelsrichtung ohne das im freien Gebrauch üb-
liche -en verwendet. Der Hauptakzent liegt im ersten Fall auf dem Zweitglied
(entgegen der bei Determinativkomposita sonst üblichen Akzentuierung);
im zweiten Fall schwankt er stärker. In beiden Fällen kann ein Bindestrich
gesetzt werden (Dudenband 1, 2009, 87).
Koppelungen mit Nachstellung von Adjektiven wie *Berlin-Alt sind nicht
üblich. Doch finden sich Koppelungen wie Dresden-Neustadt mit nachge-
stelltem determinierendem Substantiv, das auch den Hauptakzent trägt.
182 2 Wortbildung des Substantivs

5) Eigennamen mit einem Personennamen als Erst- und einem Appella-


tivum als Zweitglied erscheinen vor allem in zwei Modellen.
5.1) Das eine Modell gibt ein Rechts-(Besitz- u.ä.)Verhältnis an, so beson-
ders in alten Orts- und Flurnamen (Hempelsbusch, Wernersbach, Süßmilch-
garten); neu auch in Namen von Industriebetrieben u. Ä. (Klöckner-Werke).
In diesem Zusammenhang entstehende Markennamen sind eher als Ap-
pellativa anzusehen (Zeissglas).
5.2) Das zweite Modell ist die ehrende Bezeichnung. Es ist vertreten u. a. in
den modernen Straßennamen (Goethestraße, Willy-Brandt-Platz), durch
Namen von Institutionen, Betrieben, Universitäten u.Ä. wie z. B. Friedrich-
Schiller-Universität, Leibnizschule, Carl-Zeiss-Stiftung. Die Syntagmen sind
in diesen Fällen nicht verwendbar (*Universität Friedrich Schiller). Hierher
gehören auch Städtenamen wie Lutherstadt Wittenberg, Gellert-Stadt Hai-
nichen.
Historischer Ausgangspunkt dieser ehrenden Bezeichnungen ist der
Gebrauch von Heiligennamen in Ortsnamen (Maria-Zell, Benediktbeuren)
und von Namen landesherrlicher Universitätsgründer (Ruprecht-Karls-Uni-
versität Heidelberg). Abgesehen von den Universitätsnamen dieser Art, wird
in den ehrenden Bezeichnungen sonst kein Fugen-s gebraucht.
6) Für sich stehen die verdeutlichenden Bildungen (¢ 2.2.2.3.4) unter den
Namen, meist Flurnamen und vielfach Flussnamen. Fremdsprachliche
Namen werden mit indigener Entsprechung versehen (Horkenberg zu alt-
sorb. *gora ,Berg‘) oder erhalten ein Zweitglied, das in eine allgemeinere
Begriffsklasse einordnet (Daubenberg zu altsorb. dub ,Eiche‘, Lockwitzbach).
Der Name der Weißeritz (linker Nebenfluß der Elbe bei Dresden), zu alt-
sorb. *Bystrica ,die Schnelle, Wilde‘, erscheint 1573 als weisseriz Fluß, 1738
Weiseritz Bach, 1754 Der-Weißritz-Strom, noch 1926 in einem amtlichen
Bericht als Weißeritzfluß. In der Alltagskommunikation sind nur die Formen
ohne Verdeutlichung gebräuchlich; die unmittelbare Objektkenntnis macht
die Zusätze überflüssig. Ähnlich verfährt heute die Presse bei Namen aus
fremden Ländern, die nicht ohne Weiteres erkennen lassen, um welche Art
von Objekt es sich handelt: Bab-el-Mandeb-Straße (am südlichen Eingang
des Roten Meeres), Phu-Cu-Pass (Vietnam).
2.2 Komposition 183

2.2.11.4 Deonymische Komposita

2.2.11.4.1 Deonymisierung durch appellativisches Zweitglied


Die Deonymisierung wird durch das appellativische Zweitglied bewirkt.
1) Es überwiegen in der semantischen Vielfalt die Personennamen als
Erstglied. In der Fuge steht meist kein Fugenelement.
1.1) Das Kompositum ist bezogen auf den Familiennamen einer histori-
schen (oder fiktiven) Persönlichkeit, bezeichnet ein Werk von ihr oder über
sie, eine Eigenart oder eine allgemeinere Beziehung: Bach-Konzert, Shaw-
Aufführung, Wallenstein-Trilogie.
1.2) Das Kompositum ist bezogen auf den Namen eines Firmeninhabers
und bezeichnet ein Erzeugnis (Jacobs-Kaffee), einen Mitarbeiter (BMW-Fi-
nanzchef) oder drückt eine allgemeinere Beziehung aus (Opel-Erfolge).
1.3) Das Kompositum mit Familiennamen bezeichnet die genealogische
Zusammengehörigkeit (Somoza-Dynastie).
1.4) Das Kompositum mit dem Familiennamen einer historischen Per-
sönlichkeit fungiert als ehrende Bezeichnung für eine Auszeichnung (Büch-
ner-, Lessingpreis).
1.5) Das Kompositum ist ein Terminus, insbesondere innerhalb techni-
scher Fachwortschätze (Bunsen-Element, Seebeck-Effekt, Meißner-Schaltung).
1.6) Die okkasionelle Koppelung von Vor- und Familiennamen einer his-
torischen Persönlichkeit mit einem Appellativum wird benutzt, um mit dem
Namen verbundene Assoziationen zu wecken: Nun komme keiner auf die
Idee, die Insassen gucken den ganzen Tag zum Fenster hinaus und haben Cas-
par-David-Friedrich-Gefühle (Weltbühne 1979).
1.7) In ähnlicher Weise können die Namen von Märchengestalten, litera-
rischen Figuren u.Ä. gebraucht werden: „Mitleid … die Aschenputtel-Schwes-
ter der Liebe?“ (Ch. Wolf); vgl. ferner Adamskostüm, Evastochter, Dornrös-
chenschlaf.
2) Komposita mit Ortsnamen als Erstglied bringen meist eine lokale (Ber-
lin-Reise ,Reise nach Berlin‘) oder thematische Beziehung (Hamburg-Repor-
tage ,Reportage über Hamburg‘) zum Ausdruck, können aber auch kom-
pliziertere Beziehungen raffen: Helsinki-Prozess (bezogen auf Helsinki als
den Ort der Abschlusssitzung der ersten Konferenz für Sicherheit und Zu-
sammenarbeit in Europa 1975), Kyoto-Protokoll (Klimaschutzabkommen
1997, benannt nach dem japanischen Tagungsort Kyoto); auch ohne Bin-
destrich: Romfahrt (GWDS).
3) Bei den Komposita mit Flussnamen überwiegt Zusammenschreibung
ohne Bindestrich: Elbmündung, Rheindampfer, Donauwellen, Weserland-
184 2 Wortbildung des Substantivs

schaft, Saalequelle. Die Flussnamen stehen offensichtlich dem Appellativum


näher.
Bei Koppelung mehrerer Flussnamen als Erstglied steht allerdings der
Durchkopplungsbindestrich: Elbe-Saale-Gebiet.
4) Staats- und Landschaftsnamen werden mit und ohne Bindestrich ge-
koppelt; es überwiegt die lokale Beziehung (,nach, aus, in‘): Amerika-Gast-
spiel, Frankreich-Export, Vogtlandstadt, Sibirtiger (mit Tilgung von -ien). –
Onymische Syntagmen werden als Erstglied in Form des Buchstabenkurz-
wortes gebraucht (MDR-Programm; ¢ 2.7.3).

2.2.11.4.2 Deonymisierung des onymischen Zweitgliedes


Die Deonymisierung wird durch semantische Verallgemeinerung des ony-
mischen Zweitgliedes bewirkt. Das Modell ist ebenfalls produktiv. Neben
schon länger gebräuchlichen Wortbildungen wie Prahlhans, Heulsuse, Sup-
penkaspar, Zappelphilipp erscheinen – z.T. okkasionell – jüngere Bildungen
wie Film-, Fernseh-, Arbeitsschutzfritze, Pfeifenheini ,dummer Kerl, schlech-
ter Schiedsrichter‘. Das Modell mit Vornamen als Zweitglied wird heute
stärker genutzt als das entsprechende mit Familiennamen wie Drücke-,
Schlauberger, Kraftmeier.
Der deonymisierte Vorname enthält lediglich die Merkmale ,Person‘ und
,männlich‘ bzw. ,weiblich‘; außerdem ist eine mehr oder weniger starke
pejorative Konnotation (z. T. salopp) damit verbunden. Die Zahl der hierzu
verwendeten Vornamen ist relativ gering; sie sind z.T. auch als Lexeme in
deonymischer Bedeutung verwendbar und entsprechend kodifiziert, z.B.
Heini ,Dummkopf‘, Suse und Trine ,wenig geschickte‘ bzw. ,liederliche weib-
liche Person‘ (nach GWDS). In Wortbildungen sind die Vornamen weitge-
hend austauschbar. Aus den genannten Gründen ist der Status von Suffixen
nicht gegeben.
In diesem Zusammenhang sind auch Verwandtschaftsbezeichnungen zu nennen in
Komposita wie Klatschbase, Kaffeetante (woneben auch Klatschfritze, -trine), Hamster-,
Radau-, Zechbruder (woneben auch Radauheini) u. Ä. Zu weiteren – meist abwerten-
den – metaphorischen Personenbezeichnungen ¢ 2.2.2.3.2(5).
Deonymische Elemente wie -bold und -ian sind unter den Suffixen zu finden
(¢ 2.3.4.4).
2.2 Komposition 185

2.2.12 Form der Kompositionsfuge

2.2.12.1 Grundsätzliches

1) Die Nahtstelle zwischen den Konstituenten einer komplexen Wortbil-


dung wird als Fuge bezeichnet (¢ 1.6.6). Je nach der Wortbildungsart werden
Kompositions- und Derivationsfugen unterschieden. Sie sind durch ver-
schiedene morphonologische bzw. graphemische Erscheinungen gekenn-
zeichnet.
Die Fugengestaltung in Derivaten wird im Zusammenhang mit den ein-
zelnen Affixen behandelt, in Komposita bei den Wortarten Substantiv und
Adjektiv.
Im Folgenden geht es also um die Kompositionsfuge bei Determinativ-
und Kopulativkomposita des Substantivs in Verbindung mit verschiedenen
Erstgliedern. Sie ist unterschiedlich gestaltet, und zwar
– ohne Fugenelement („Nullfuge“): Stahl schrank,
– subtraktiv, d. h. mit Tilgung des Schwalautes im Auslaut des Erstgliedes:
Erd öl; dabei selten Ersatz von -e- durch -s- (Gebirg s zug),
– mit Fugenelement: Abfahrt s zeit.
Auch grafische Mittel wie Bindestrich, Binnenmajuskel und Spatium
spielen eine Rolle (vgl. Grube 1976, 208; Gallmann 1989; Stein 1999;
¢ 2.2.12.5).
Die meisten Substantivkomposita haben kein Fugenelement. Im Korpus
des Innsbrucker Projektes sind es knapp 72,8 %; mit Fugenelement werden
26,5 % gezählt. Die Menge der subtraktiven Fugen wird nicht angegeben; sie
ist in dieser Zählung Teil von 0,7 % „Sonstige“ (DWb 4, 54).
2) Die Fugenelemente sind im Großen und Ganzen auf Substantiv- oder
Verbstämme als Erstglieder beschränkt (von Konfixen hier abgesehen). Das
hängt mit ihrer Genese zusammen, worauf hier nur kurz hingewiesen
werden kann. Die Fugenelemente bei substantivischem Erstglied sind aus
einstigen Flexionssuffixen hervorgegangen, und zwar in sog. „uneigentli-
chen“ („unechten“) Komposita, die „für das erste Compositionsglied die
Form“ verlangen, „welche seinem syntaktischen Verhältnis zu dem folgen-
den Gliede entspricht“ (Wilmanns 1899, 518f.): ahd. der gotes poto (wone-
ben auch der poto gotes) wird zum „uneigentlichen“ Kompositum Gottesbote.
Daneben stand die Möglichkeit der „eigentlichen“ Komposition mit dem
ersten Substantiv „in reiner Stammform“ (ebd.): ahd. slagifedera ,Schlag-
feder‘ (mit -i- als Themavokal eines -i-Stammes). So erklären sich historisch
noch vereinzelte nhd. Paare wie Tagedieb, -lohn – Tageslicht (ahd. noch
tagalioht).
186 2 Wortbildung des Substantivs

Die weitere historische Entwicklung der Fugengestaltung ist durch zahl-


reiche Verschiebungen (infolge Reduktion der Mittelvokale, Wechsels der
Flexionsklassen u.a.), durch analogische Ausbreitung des -s- (auf feminine
Erstglieder und andere Strukturtypen) sowie durch Wechsel zwischen Til-
gung und Einschub von Fugenelementen gekennzeichnet (vgl. z.B. die Zu-
sammenstellungen bei Grimm 1878, 916ff., Wilmanns 1899, 521ff., Paul
1920, 8ff.). Daher kann sich die synchrone Beschreibung des heutigen Stan-
des nicht mehr an der Unterscheidung von „eigentlichen“ und „uneigent-
lichen“ Komposita orientieren; sie muss von den heutigen Möglichkeiten
der Fugengestaltung ausgehen.

2.2.12.2 Substantivisches Erstglied

2.2.12.2.1 Definition und Inventar


Unter einem Fugenelement wird das Element verstanden, über das ein
Kompositions- oder Derivationserstglied über seine Form im Nominativ
Singular hinaus verfügt.
Folgende Fugenelemente kommen vor: -e- (Hund e hütte), -s- (Krank-
heit s bild), -es- (Land es grenze), -n- (Kunde n service), -en- (Kandidat en vor-
stellung), -er- (Kind er garten), -ens- (Herz ens angelegenheit), -ns- (Na-
me ns tag). Bei verbalem Erstglied ist das an den Verbstamm angefügte -e-
das einzige mögliche Fugenelement (Bad e anzug). Zu den Fugenelementen
-i- und -o- in Konfixkomposita ¢ 1.9.2.3; in Derivaten ¢ 2.3.2.20.
Morphologisch gehört das Fugenelement zum Erstglied der Kompositi-
on, wie sich u.a. an der Koordination von Komposita mit Ergänzungsbin-
destrich zeigt: Sicherheits- und Geschwindigkeitskontrolle, Kandidatenvorstel-
lung und -wahl (Fuhrhop 1998, 187). Zusammen mit dem entsprechenden
Wortstamm bildet das Fugenelement die Kompositionsstammform (zur
Bildung von Derivationsstammformen ¢ 1.6.1). Ein und derselbe Wort-
stamm kann mehr als eine Kompositionsstammform aufweisen: Kindbett,
Kinderarzt, Kindesalter, Kindskopf.
Undeklinierbare Erstglieder (Vordach, Vorwärtsstrategie) verfügen nur
über jeweils eine Kompositionsstammform.
Insgesamt sind unterschiedliche Kompositionsstammformen eines Stammes relativ
selten. Von 4025 Substantiven findet Augst (1975, 134) nur 390 (= 9,3 %) mit zwei, 31
(= 0,7 %) mit drei und nur acht vereinzelte mit vier Formen.

Fugenelemente sind semantisch leer. Auch wenn Paraphrasen von Kom-


posita mitunter eine Genitiv- oder Pluralinterpretation der Fugenelemente
zulassen (Tagesform – Form des Tages; Frauenhaus – Haus für Frauen), gilt
2.2 Komposition 187

dennoch grundsätzlich, dass hier keine Flexionsfunktion vorliegt. Die Masse


der Gegenbeispiele ohne eine solche Interpretationsmöglichkeit und auch
die fehlende Binnenflexion in Komposita widerlegen den Status des Fugen-
elements als Flexionselement: Freundeskreis – Kreis der Freunde, Zahnrad –
Rad mit Zähnen. Hinzu kommt, dass Fugenelemente auch an solche Erst-
glieder treten, in deren Flexionsparadigma die entsprechenden Flexionssuf-
fixe nicht vorkommen, wie etwa -s- bei Feminina (Arbeitsanzug).
Komparativ- und Superlativendungen bei Adjektiven (Höchst grenze;
¢ 2.2.3.1[8]) sind keine Fugenelemente, sie haben Zeichencharakter.
2.2.12.2.2 Distribution
Da die Fugenelemente zum Erstglied des Kompositums gehören, sind die
Determinanten für ihre Distribution prinzipiell an das Erstglied gebunden;
das gilt für Determinativ- wie für Kopulativkomposita. Flexionsklasse, pho-
nologische und morphologische Struktur (Abhängigkeit vom Auslaut: be-
stimmte Suffixe und dgl.) sowie Komplexitätsgrad des Erstgliedes beein-
flussen den Gebrauch der Fugenelemente.
Die Beziehungen zwischen flexionsmorphologischen Eigenschaften des
Erstgliedes und dem jeweiligen Fugenelement werden erfasst mit der Un-
terscheidung von paradigmischen und unparadigmischen Fugenelementen
(Fuhrhop 1996, 528 nach Wellmann/Reindl/Fahrmaier 1974, 366).
Von paradigmischen Fugenelementen ist auszugehen, wenn es im Flexi-
onsparadigma des jeweiligen Stammes eine homophone Form gibt
(Tag es anfang – Anfang des Tages), von unparadigmischen, wenn das nicht
der Fall ist (Schwan en hals – Hals des Schwan[e]s; Geburt s stunde – Stunde
der Geburt). Als paradigmische Fugenelemente treten auf: -e-, -en-, -n-, -s-,
-es-, -ens-, -ns- und -er- in Komposita wie Wert e skala, Held en epos, Do-
se n pfand, Aufstieg s chance, Land es grenze, Herz ens angelegenheit, Na-
me ns vetter, Kind er stuhl.
Im Einzelnen bestehen folgende Gebrauchstendenzen hinsichtlich der
Beziehungen zur Morphologie des Erstgliedes.
Die Fugenelemente -en- und -n- erscheinen paradigmisch bei schwach
flektierenden Maskulina (Mensch en kette, Löwe n käfig), außerdem bei ei-
nigen Feminina (Frau en haus, Pute n braten) sowie bei Maskulina und
Neutra, die den Genitiv Singular auf -s/-es und den Nominativ Plural auf -en
bilden (Staat en gemeinschaft, Bett en mangel, Professor en titel, Motor en ge-
räusch). Gegenbeispiele mit einem anderen bzw. ohne Fugenelement
kommen vor (Staat s geheimnis, Bett gestell, Rektor rede, Autor referat, Mo-
tor boot). Auch deadjektivische und departizipiale Konversionen haben in
Erstgliedposition regelmäßig ein Fugenelement (Kranke n haus, Angestell-
te n verhältnis).
188 2 Wortbildung des Substantivs

Das paradigmische Fugen-s tritt homophon zum Genitiv-s der Maskulina


und Neutra auf (regelmäßig nach -ling und -tum: Frühling s fest, Alter-
tum s forschung), außerdem bei komplexen deverbalen Konversionen (An-
trieb s system) sowie bei substantivierten Infinitiven als Erstglied, markiert
bei Letzteren also die Wortart Substantiv (Vertrauen s krise). Substantive, die
ihren Plural auf -s bilden, haben in der Erstgliedposition niemals ein Fugen-s
(Test ergebnis, Auto haus).
Das Fugenelement -er- (bei umlautfähigem Vokal im Stamm mit Umlaut)
ist gebunden an Substantive mit dem entsprechenden Pluralzeichen
(Hühn er ei), wird jedoch nicht selten auch bei diesen Substantiven nicht
gesetzt: Büch er stube – Buch handlung, Bild er buch – Bild band, Räd er ge-
triebe – Rad kranz.
Relativ selten ist -e-: Schwein e fleisch, Pferd e markt; ohne Umlaut in
Hund e hütte, Maus e falle, Tag e buch; bei Pluralformen mit Umlaut ist
auch das Fugenelement meist mit Umlaut verbunden in Gäns e leber,
Frücht e brot, Gäst e haus (aber auch Gasthaus).
Bei Herz- steht -ens- (entsprechend dem Gen. Sing.) sowie in einigen
Koppelungen mit Mensch-, Frau-, Schmerz-, konkurriert aber in allen Fällen
mit anderer Fugengestaltung: Herzensangelegenheit – Herzschmerzen, Frau-
ensperson – Frauengestalt, Schmerzensschrei – Schmerztablette.
Das einzige auch in Wortneubildungen belegte unparadigmische Fugen-
element ist -s-. Es erscheint regelmäßig nach Suffixen, die feminine Sub-
stantive bilden (-heit/-keit/-igkeit, -schaft, -ung, -ion, -ität) und bei mehrsil-
bigen femininen Substantiven mit dem Auslaut -t (Aufsicht s person); nach
den genannten Suffixen mitunter auch dann, wenn das entsprechende Sub-
stantiv Teil eines Syntagmas ist, vgl. Versicherung s nehmer (aber s.u. Füh-
lung nahme).
Um synchron unparadigmische Fugenelemente, aber historisch paradig-
mische handelt es sich bei -en- in Hahn en schrei, Schwan en hals u. a. Die
Substantive gehörten früher zu den schwach flektierenden (mhd. der han,
des hanen), folgen aber heute dem Muster der starken Deklination (der
Hahn, des Hahnes; ebenso der Schwan).
Außerdem gilt: Personen- und Ortsnamen stehen prinzipiell ohne Fu-
genelement (¢ 2.2.11); Pluraliatantum in ihrer pluralischen Nominativform
(Alpenvorland, Ferienpass, Möbelhandlung, Trümmerfrau). Ohne Fugenele-
ment schließen auch Erstglieder auf -chen und -en an das Zweitglied an
(Mädchen ranzen, Wagen rad; dagegen stets mit -s- bei substantiviertem In-
finitiv wie in Vertrauen s vorschuss), des Weiteren -ei/-elei/-erei, -er, -ler, -ner,
ge-…-e, -i, -ich(t), -ig, -lein, -nis, -rich.
2.2 Komposition 189

Von den Komposita mit substantivischem Erstglied sind schließlich de-


phrasale Derivate zu unterscheiden (¢ 2.2.2.1[12]). Die Konstruktionen
können einander ähneln, zeigen aber nicht durchweg die gleichen Fugenei-
genschaften; so fehlt das -s nach -ung in Fühlungnahme sowie bei Konver-
sion eines Syntagmas: beim Zeitunglesen, das Arbeitsuchen (Wellmann/
Reindl/Fahrmaier 1974, 367).

2.2.12.2.3 Funktionen
Forschungen zum Gebrauch der Fugenelemente im Deutschen haben in den
letzten Jahren zwar zu wichtigen Entdeckungen geführt (DWb 4; Fuhrhop
1996, 1998; Gallmann 1998, Wellmann 1998; Wegener 2003; Eisenberg 2006;
Nübling/Szczepaniak 2009); noch immer gilt jedoch, dass nicht alle Er-
scheinungsweisen regelhaft erklärbar sind. Die Ursachen dafür liegen v.a.
darin, dass sich die verschiedenen Fugenelemente distributionell und funk-
tional unterschiedlich verhalten, und auch darin, dass die historische Ent-
wicklung des Auftretens von Fugenelementen bislang nur unzureichend
untersucht ist (zur Geschichte des Fugenelements zuletzt Demske 2001,
37 ff.). Nicht in jedem Fall ist eine eindeutige Voraussagbarkeit der Fugen-
gestaltung gegeben, was aber nicht bedeutet, dass Fugenelemente willkürlich
gesetzt werden können.
Wenngleich keine auf alle Fugenelemente gleichermaßen zutreffende
Funktion feststellbar ist, was besonders angesichts des hohen Anteils an
unverfugten Komposita plausibel erscheint, besteht weitgehend Konsens in
Bezug auf die folgenden Funktionen 1) bis 4), die entweder interagieren
oder sich auch separat nachweisen lassen.
1) Fugenelemente dienen in Komposita der „rhythmischen Optimierung
des Erstglieds“ (Nübling/Szczepaniak 2009, 203).
Für die Erklärung der Optimierungsthese ist zu unterscheiden zwischen
silbischen und unsilbischen Fugenelementen (Fuhrhop 1998, 188f.; Wege-
ner 2003, 446). Die silbischen Fugenelemente -en-, -er-, -es-, -ens- sorgen
dafür, dass ein einsilbiges Erstglied eine trochäische Struktur bekommt und
damit über die im Deutschen bevorzugte phonologische Struktur verfügt:
Bett en zahl, Kind er fest, Land es haushalt, Herz ens lust. „Unsilbische Ele-
mente [-n-, -ns-] bewahren bereits bestehende Trochäen“, vgl. Blume n topf,
Wille ns bekundung (Nübling/Szczepaniak 2009, 203).
2) Fugenelemente können eine morphologische Gliederungsfunktion
übernehmen. Sie kennzeichnen in mehrgliedrigen Komposita die Haupt-
fuge.
190 2 Wortbildung des Substantivs

Die Gliederungsfunktion lässt sich vor allem an Wortpaaren mit unter-


schiedlich komplexen Erstgliedern nachweisen: Hof mauer – Friedhof s mau-
er, Sicht weise – Vorsicht s maßnahme. Dabei begünstigen wohl v.a. kom-
plexe Derivate und Konversionen als Erstglied die Wahl des Fugen-s,
weniger kompositionelle Erstglieder (vgl. Nübling/Szczepaniak 2009, 205
unter Berufung auf Kürschner). In einigen entsprechenden Paaren
(Kauf preis – Verkauf s erfolg) lässt sich das simplizische Erstglied auch als
Verbstamm (und nicht als Substantiv) deuten, sodass hier die Wortart des
Erstgliedes die Erklärung für das Fehlen des Fugen-s liefert.
3) Fugenelemente kennzeichnen die Wortartzugehörigkeit des Erstgliedes.
Deadjektivische und departizipiale Konversionen als Erstglied in Kom-
posita weisen grundsätzlich das Fugenelement -n- auf und sind dadurch als
Substantive ausgewiesen (Sachverständige n gutachten, Studierende n vertre-
tung). Die konvertierten Infinitive haben das Fugenelement -s- (Verhal-
ten s auffälligkeit, Versagen s angst).
Eine Unterscheidung zwischen Verb und Substantiv ist durch -e- gegeben:
Land klima, -luft (,Nicht-Stadt‘) – Land e bahn, -platz (Verbstamm).
4) In wenigen Fällen dienen Fugenelemente einer semantischen Differen-
zierung von Erstgliedern oder geben einen Hinweis auf die Wortbildungsart.
Wenn im Erstglied eine Vielheit kontrastierend zu anderen Komposita
mit gleichem Erstglied ohne diese Bedeutung ausgedrückt werden soll,
können unterschiedliche Kompositionsstammformen gewählt werden (Min-
derheit s regierung – Minderheit en schutz; Geburt s tag – Geburt en kontrolle,
Staat s betrieb – Staat en bund, Stimmlage – Stimme n gewirr, Strahl triebwerk
– Strahl en bündel, Bett decke – Bett en zahl, Last gewicht – Last en aufzug
(weitere Beispiele bei Wurzel 1970, 99 f.).
Bei manchen Erstgliedern indiziert die Fugengestaltung Homonymen-
differenzierung und bisweilen auch idiosynkratische semantische Differen-
zen: Gut s hof, -verwalter (,landwirtschaftlicher Großbetrieb‘) – Güt er ab fer-
tigung, -austausch (,Waren‘) – Güte klasse – Gut punkt (Adjektiv gut);
Heide kraut – Heide n angst, Klasse zimmer – Klasse n zimmer (¢ 2.2.2.3.3),
Stab hochsprung – Stab s offizier, Hilfe ruf – Hilf s arbeiter, Geist es gegenwart
– Geist er stunde, Sonn tag – Sonn en tag u. a.

2.2.12.3 Verbales Erstglied


Bei verbalem Erstglied geht es um die Distribution des Fugenelements -e-. Es
überwiegen auch hier Komposita ohne Fugenelement. Dass der Auslaut des
Verbstamms für die Fugengestaltung maßgebend ist (vgl. Fleischer 1969b,
120), ist detailliert dargestellt worden (vgl. Žepic" 1970, 67 ff., insbesondere
2.2 Komposition 191

Kienpointner 1985, 23 ff. auf der Grundlage von ca. 6500 Stichwörtern).
Allerdings ist hier ebenfalls mit der für die Fugenelemente charakteristi-
schen Streuung zu rechnen. Nach Kienpointner fassen wir die Verteilung
folgendermaßen zusammen.
1) Das Fugenelement wird nicht gesetzt nach vokalischem Auslaut sowie
nach [p], [pf], [s], [r]; das gilt auch mit nur wenigen Ausnahmen für [m]
(Räumkommando, aber: Aufräumefrau), für [l] (Malkasten, aber: Einhol(e)ta-
sche), [x] (Lachmuskel, aber: Reinemach(e)frau), [ts] (Reizhusten, aber: Pres-
tige-Anheize-Kampagne), [∫] (Naschkatze, aber: Haschespiel), [k] (Lenkrad,
aber: Hinkebein). Auch verbale Erstglieder, deren Stämme auf -el, -er und -ier
enden, schließen ohne Fugenelement an das Zweitglied an (Bastelbuch, Kle-
ckerbetrag, Rangierbahnhof).
2) -e- begegnet demnach fast nur nach den stimmhaften Verschlusslauten
b, d, g, nach [z] sowie [t]; Komposita ohne Fugenelement sind jedoch ebenso
belegt. Am stärksten überwiegt -e- nach -d (Badestrand – schweiz. Badzim-
mer); es folgen -g (Vorbeugehaft – Schlagader), -ng (Hängelampe – Sing-
vogel), -s (Lösegeld – Blasinstrument), -b (Reib(e)käse – Reibfläche) und -t
(Ratespiel – Leithammel).
3) Die Verbstämme von rechnen, trocknen, zeichnen erscheinen als Erst-
glieder in den Formen Rechen-, Trocken-, Zeichen-. Ähnlich strukturierte
Verben wie ebnen, leugnen, ordnen, regnen, segnen, eignen lassen sich als
Erstglieder an homonyme Substantive anschließen (Regen-, Segen-) oder es
wird das deverbale -ung-Derivat als Kompositionsstammform verwendet
(Eignungstest, Ordnungsdienst).
4) In einer Reihe von Fällen sind verbales und substantivisches Erstglied
desselben Grundmorphems durch die Fugengestaltung zu unterscheiden:
Badeanzug – Badfenster, Rollschuh, -treppe – Rollenfach, Pfeifkonzert – Pfei-
fenkopf, Blasmusik – Blasenbildung, Pressluft, -stroh – Pressekonferenz (noch
Bismarck 1878: Preßthätigkeit); ¢ 2.2.12.2.3(3); vgl. auch Wellmann/Reindl/
Fahrmaier 1974, 371.

2.2.12.4 Schwankungen bei der Fugengestaltung


Unter Schwankungen im Gebrauch von Fugenelementen werden unter-
schiedliche Kompositionsstammformen eines Stammes in Verbindung mit
ein und demselben Zweitglied verstanden, vgl. Advent(s)zeit, Haus-
halt(s)sperre. Unterschiedliche Kompositionsstammformen desselben
Stammes in Verbindung mit unterschiedlichen Zweitgliedern wie Haus-
freund, Häusermeer werden nicht zu den Schwankungen gezählt, da sie dis-
tributionell jeweils fest sind (Nübling/Szczepaniak 2009, 217ff.).
192 2 Wortbildung des Substantivs

Unterschiede in der Fugengestaltung können national bzw. regional,


fachsprachlich oder stilistisch bedingt sein; sie können aber auch fakultativ
auftreten.
1) Österreich (z. T. auch Süddeutschland) und die Schweiz gehen in man-
chen Fällen eigene Wege (zum Folgenden Ammon 1995, 173, 277; Well-
mann 1998, 500f.); vgl. ohne Fugenelement österr. Adventkranz, Gansbraten,
Tagblatt, Toilettespiegel, -tisch, -frau; schweiz. Abfahrtzeit, Beileidkarte; Bad-
anstalt, Wartsaal, Zeigfinger.
-s- steht in österr. Fabriksarbeiter, Gepäcksträger, Gesangsbuch, Schweins-
braten, Werksangehöriger, Zugsabteil. In Aufnahmsprüfung, Ausnahmserschei-
nung u.a. wird -e-substituiert durch -s-.
-en- steht in schweiz. Krebsenmahl, Frachtenbahnhof, Stierenhalter, Hengs-
tendepot; ohne -e- werden Blasbalg, Fegfeuer, Mausfalle, Mausloch, Sägmehl
gebraucht; österr. schwankt hier der Gebrauch von -e-.
Tilgung von -e- findet sich in schweiz. Baustellbesichtigung, Tannast. Mit
Subtraktionsfuge erscheinen auch schweiz. Adressänderung, Adresskartei,
Sonnseite.
2) Fachsprachliche Unterschiede finden sich v.a. beim Vergleich juristi-
scher mit allgemeinsprachlichen Lexemen mit -steuer als Zweitglied, vgl.
Einkommen(s)-, Grunderwerb(s)-, Vermögen(s)steuer. In der Fachsprache
werden die Varianten ohne -s- gebraucht. Bei Schaden(s)ersatz entspricht
dagegen die Form mit -s- der fachsprachlichen Norm.
Weitere fachsprachliche Varianten sind Pflichtteilsberechtigter, Schulderlass,
Haltverbot (vs. allgemeinsprachl. Pflichtteilberechtigter, Schuldenerlass, Hal-
teverbot).
3) Die Möglichkeit stilistischer Differenzierung wird durch das Nebenein-
ander älterer und jüngerer Fugen-Formen genutzt, vgl. Mond schein/
Mond en schein, Mai nacht/Mai en nacht, Wald rand/Wald es rand (DWb 4,
78, 87 f.).
4) Fakultative Varianten finden sich u.a. bei Haushalt(s)ausgleich, -aus-
schuss, -buch, -debatte, -defizit, -kasse, Rechtsanwalt(s)büro, -kammer, -kanzlei
(aber nur: Anwaltskammer, -kanzlei); Verband(s)kasten, -material, -päckchen,
-platz, -zimmer; Verfall(s)datum, -tag, -zeit; Vorort(s)verkehr, -zug u. v.a.

2.2.12.5 Grafische Besonderheiten


Als Erscheinungen in der Kompositionsfuge sind noch der Bindestrich und
– erst in jüngster Zeit verstärkt auftretend – die sog. Binnenmajuskel sowie
das Spatium als Grenzsignale zu erwähnen.
2.2 Komposition 193

2.2.12.5.1 Bindestrich

1) Der Erläuterungsbindestrich (zum Ergänzungsbindestrich ¢ 2.2.1.2)


kann in normalerweise zusammengeschriebenen Komposita verwendet
werden, wenn eine unmittelbare Konstituente hervorgehoben (in der Wer-
bung: Damen-Schuhe) oder wenn ein Kompositum remotiviert werden soll
(aus Anzeigen von Tierversuchsgegnern: Zucht-Haus, Schmerz-Haft; zitiert
bei Stein 1999, 269).
Er ist obligatorisch bei Buchstabenkurzwörtern und Buchstaben als Erst-
oder Zweitglied von Komposita: US-Dollar, E-Lok, Eisschnellauf-WM
(¢ 2.7.2).
2) Er wird bevorzugt bei Personennamen als Erstglied; geläufigere Kom-
posita werden jedoch auch ohne Bindestrich zusammengeschrieben; das gilt
auch für Orts- und besonders Flussnamen (¢ 2.2.11).
Für Komposita, bei denen drei gleiche Vokalbuchstaben zusammentref-
fen, wird ebenfalls Bindestrichschreibung empfohlen: Schnee-Eule, Tee-
Ernte; bei drei gleichen Konsonanten gilt dagegen Zusammenschreibung als
Vorzugsvariante (Sauerstoffflasche, vgl. Dudenband 1, 2009).
3) Der Bindestrich wird zunehmend in Konfixkomposita verwendet, vor-
nehmlich in Pressetexten (Multi-Erfahrung, PDW 2005), doch sieht die amt-
liche Rechtschreibregelung hier Zusammenschreibung vor.
4) Ein Durchkopplungsbindestrich steht im Allgemeinen bei Syntagmen
und Sätzen als Erstglied (Erste-Hilfe-Lehrgang; ¢ 2.2.9), ist jedoch nicht
durchweg obligatorisch, vgl. Armeleuteessen, Tagundnachtgleiche.
5) In polymorphemischen Komposita wird gewöhnlich einmal der Erläu-
terungsbindestrich gesetzt, und zwar als Leseerleichterung in der Regel
zwischen den unmittelbaren Konstituenten: Herzinfarkt-Rehabilitations-
zentrum, Holzwolle-Leichtbauplatte, Ski-Freifahrtag (LVZ 2010).
6) Eine Kombination von Ergänzungs- und Erläuterungsbindestrich
zeigen Fälle wie Umwelt- und Technik-Erfordernisse (TZ 1989), Rechtschreib-
reform-Befürworter und -Kritiker (Dudenband 1, 2009, 40).
7) Der Bindestrich dient der Rezeptionserleichterung auch in Fällen, in
denen strukturbedingte semantische Konflikte auftreten können: Drucker-
Zeugnis – Druck-Erzeugnis, Wach-Stube – Wachs-Tube; Gipsschwefelsäure-
fabrik ,Fabrik, in der Schwefelsäure aus Gips hergestellt wird‘ – Gips-Schwe-
felsäure-Fabrik ,Fabrik, in der Gips und Schwefelsäure hergestellt werden‘
(mit entsprechenden Akzentunterschieden).
8) Der Bindestrich wird außerdem zur Remotivation lexikalisierter Wort-
bildungen genutzt (¢ 1.5.4.1).
194 2 Wortbildung des Substantivs

2.2.12.5.2 Binnenmajuskel und Spatium


Binnenmajuskel und Spatium werden gegenwärtig v. a. in komplexen
Namen für Firmen, Dienstleistungen und Produkte als Fugenmarkierungen
verwendet. Entsprechende Beispiele stammen vornehmlich aus Werbetex-
ten: BahnShop, BahnCard, EuroEyes (Klinikgruppe), ReiseCenter; Tomaten
Ketchup, Boden Service, Wüstenrot Bausparen. Beide Grenzmarkierungen
kennzeichnen meist die unmittelbaren Konstituenten von Komposita,
treten aber auch mehrfach im Wort – sogar kombiniert – auf: InterCityExpress,
SuperHaftCreme, BahnCard Kreditkarte. Auch Kurzwörter mit Binnenma-
juskel kommen vor: ElBa – Eltern-Baby-Programm, SeMi – Verein für Seni-
oren, Migranten und Familien (LVZ 2010).

Diese Schreibungen sind nicht neu. Seit der zweiten Hälfte des 16. und dann v.a. im 17.
Jh. werden Komposita zwar immer öfter zusammengeschrieben, aber daneben auch
noch getrennt (Rechts Sachen, Beispiel bei Demske 2001, 311) bzw. mit doppeltem
Bindestrich oder mit Binnenmajuskel (Rechts=Anmerckungen, HaubtSprache), um si-
multan „Einheit und Gegliedertheit“ der Komposita zu signalisieren (Pavlov 1995, 119;
vgl. auch Erben 2007). Noch bis ins 18. Jh. kommt die Binnenmajuskel gelegentlich vor;
möglicherweise eher für Ad-hoc-Bildungen als für lexikalisierte: IdeenMaße, TotalEin-
druck, ZwitterArt (Schiller 1794 in Briefen an Goethe).

Als Ursache für die zunehmende Verwendung von „Gliederungs- und Ver-
ständnishilfen“ im Kompositum seit dem 18. Jh. (einschließlich der Binde-
strichschreibung) macht Erben (2007, 118) unter diachronem Blickwinkel
u.a. „die Tendenz, umfangreiche, polymorphemische Wörter als komplexe
Nominationseinheiten aufzubauen,“ geltend. Als Ursachen für die deutliche
Ausbreitung dieser Schreibweisen in der Gegenwart werden die seit den
1980er-Jahren belegte Schreibung von Personenbezeichnungen mit dem
Großbuchstaben I im Wortinnern (LeserInnen) sowie der Einfluss des Eng-
lischen, insbesondere durch originalsprachlich getrennt geschriebene Ent-
lehnungen (Soft Drug), genannt (Stein 1999, 264f.).
Ein weiterer Grund könnte sein, dass der Bindestrich als Mittel der Her-
vorhebung von Konstituenten heute an Wirkung verloren hat und deshalb,
vor allem in der Werbung, durch auffälligere grafische Abweichungen er-
setzt wird. Er wird unter Beibehaltung des Spatiums getilgt oder auf beides –
Bindestrich und Spatium – wird verzichtet. Stattdessen schreibt man die
Komposita zusammen und wählt die Majuskel für das Zweitglied; zu wei-
teren möglichen Ursachen vgl. Dürscheid 2000.
Die abweichenden Schreibweisen stehen vornehmlich im Dienst von
Werbefunktionen: Aufmerksamkeit hervorrufen, Originalität signalisieren
und Einprägsamkeit unterstützen; ausführlich dazu Stein 1999.
2.3 Suffixderivation 195

2.3 Suffixderivation

2.3.1 Grundsätzliches

Es werden zunächst die produktiven indigenen Suffixe (worunter auch


-ei/-erei, -er; zu ihrer Herkunft ¢ 2.3.2.2; ¢2.3.2.4) in alphabetischer Reihen-
folge (mit gewissen Ausnahmen: Diminuierung und Movierung werden
zusammenfassend beschrieben, -ler und -ner im Anschluss an -er) behan-
delt; anschließend Fremdsuffixe, onymische (darunter auch die deonymi-
schen -bold, -ian/-jan, -ke, -rich) sowie unproduktive, soweit noch in Wort-
bildungsmodellen (¢ 1.7.1) vertreten. Die Wortbildungsbedeutungen der
jeweiligen Modelle werden entsprechend den in 2.1.3.1 und 2.1.3.2 aufge-
listeten Modifikations- und Transpositionsarten geordnet; gelegentlich auch
subklassifiziert bzw. um Unterarten erweitert.
Die alphabetische Anordnung nach dem Formativ der Affixe, eine seit
Langem kontrovers diskutierte Frage (vgl. z.B. Paul 1895, 82; Kramer 1962,
408; v. Polenz 1968b, bes. 10 ff., 25ff.; Gawełko 1982) wird beibehalten (zur
Begründung ¢ 1.1.4).

2.3.2 Indigene Suffixe

2.3.2.1 Suffix -e

1) Verbale Basis; Feminina; Umlaut nur selten


1.1) Infinitivstamm, schwache und starke Verben, simplizische und kom-
plexe Basis. Nicht von Verben auf -ier(en), doch anprobieren > Anprobe.
Wortbildungsbedeutungen:
a. Nomina Loci – Bleiche, Bleibe, Durchreiche, Kippe, Schwemme, Tanke
,Tankstelle‘, Umkleide;
b. Nomina Instrumenti – Binde, Bremse, Fähre, Klatsche, Liege, Pfeife, Picke,
Rinne, Stampfe, Wiege; darunter speziell Bezeichnungen für Küchenteile
und Haushaltgeräte wie Anrichte, Hänge, Plätte, Reibe, Spüle;
c. Nomina Actionis – Denke ,Denkart‘, Hetze, Pflege, Schalte ,Schaltung‘,
Suche, Absage, Abhorche, Anmache, Ansage, Aus-, Einreise, Verlade, Vorher-
sage, Nachfrage.
Zahlreiche Derivate sind als Zweitglied stark kompositionsaktiv: Buchstaben-,
Ideen-, Reihen-, Spielfolge; Farben-, Formen-, Harmonie-, Mengenlehre u. v.a.
196 2 Wortbildung des Substantivs

1.2) Verbale Syntagmen als Basis; Wortbildungsbedeutungen wie unter


1.1): Pferdeschwemme, Vogelscheuche, Schneeschmelze.
1.3) Abgelauteter Verbstamm (Präteritalstamm) als Basis; Strukturen und
Wortbildungsbedeutungen prinzipiell wie unter 1.1). Nomina Loci und In-
strumenti vorwiegend bei simplizischer Basis (gießen > Gosse, Grube, Stiege);
Nomina Actionis vorwiegend bei komplexer Basis (Ab-, Ein-, Entnahme,
Aus-, Vergabe, Vorwegnahme); verbales Syntagma als Basis oft phrasemisch:
Inbetrieb-, Inanspruch-, Inbesitz-, Inangriff-, Bezugnahme.
Zu sekundären Prägungen wie z.B. Ausgabe, Einnahme ,ausgegebenes/
eingenommenes Geld‘ ¢ 1.5.4.3.
Anders als Stellungnahme (zum Syntagma Stellung nehmen, so ursprüng-
lich auch Preis geben > Preisgabe zu entlehntem Preis ,Beute, Prise‘) sind
Wortbildungen wie Ehrengabe als Kompositum zu betrachten.
1.4) Die Derivation schwacher Maskulina als Nomina Agentis von ver-
baler Basis ist heute unproduktiv; vgl. schenken > der Schenk/Schenke (noch
in Mundschenk), bieten > Bote (Prät. bot), schießen > Schütze (Verhältnis von
-tz- und -ß- wie bei heiß > Hitze; siehe unter 2); ferner Nach-, Vorfahr(e),
Nachkomme.
2) Adjektivische Basis
In der Regel mit Umlaut (da ahd. -ı̄, -i, suozı̄ ,Süße‘), Feminina; Wort-
bildungsbedeutung: Nomina Qualitatis – Blässe, Bläue, zur Gänze (nur mit
Präposition), Güte, Frische, Nähe, Schnelle (meist mit Präposition: in/mit
größerer/auf die Schnelle; in Komposita: Blitzes-, Gedanken-, Sekundenschnel-
le), Schwäche, Stärke. Bei den Derivaten von Dimensionsadjektiven kon-
statiert Wurzel (1987, 504) eine „morphologische Einheitlichkeit der Plus-
polnominalisierung“ (Größe, Länge, Breite, Dicke …).
Historisch auch Hitze < heiß (Wechsel von -tz- und -ß- für lautverscho-
benes -t[t]-).
Sekundäre Prägung: Sachbezeichnung für einen Gegenstand, der die
durch das Adjektiv bezeichnete Eigenschaft besitzt: Fläche, Höhle, Sänfte (im
16. Jh. aus dem Abstraktum ,Sanftheit‘ für den Tragsessel), Säure, Weiche
(aus dem Abstraktum ,Weichheit‘ für den weichen Körperteil zwischen
Brustkorb und Becken; anders [aus]weichen > Weiche ,verstellbares Paar von
Schienen‘).
Neben dem genannten Modell stehen zwei Konversionsmodelle mit
Wortbildungen ohne Umlaut; das eine bildet nur Neutra (das Tief, Gut), das
andere Wortbildungen, die in allen drei Genera verwendbar sind (der/die/das
Gute); Näheres ¢ 2.6.2.2(1, 2).
Die -e-Derivate sind teilweise zugunsten von Derivaten auf -heit/-keit/
-igkeit (¢ 2.3.2.7) eingeschränkt worden; bisweilen stehen beide noch – meist
2.3 Suffixderivation 197

semantisch differenziert – nebeneinander: Höhe – Hoheit, Schwäche –


Schwachheit, Süße – Süßigkeit. Die Finster(e) ,Finsternis‘, die Wilde ,Wild-
nis‘ noch bei Schiller (vgl. Paul 1920, 68 f.).
Nicht üblich sind -e-Derivate von Adjektiven mit auslautendem Stamm
auf -e (bange, böse, feige, müde u. a.) sowie von zahlreichen Adjektiven, deren
substantivische Derivation durch -heit/-keit/-igkeit erfolgt (barsch, bieder,
bitter, blind, brav, derb, dumpf, echt, gesund, klug u. v.a.) oder zu denen auf
andere Weise gebildete Abstrakta gehören, wie alt – das Alter, arm – Armut,
jung – Jugend, reich – Reichtum, schwanger – Schwangerschaft.
Das Adjektiv öd(e) (ahd. ōdi) steht neben dem Substantiv Öde.
Im fachsprachlichen Gebrauch sind jedoch nicht selten Wortbildungen
üblich, die für den Allgemeinwortschatz als unzulässig oder ungewöhnlich
gelten, z. B. die Feste neben Festigkeit, die Hopfenbittere, die (Koch-)Kläre
(vgl. Fachwort 1984, 101, 53, 164).
3) Substantivische Basis
3.1) Maskuline Personenbezeichnungen, Zugehörigkeit zu einer Wissen-
schaftsdisziplin o.Ä. auf -(o)logie (unter Tilgung des -ie), vgl. Archäologie –
Archäologe, Biologe, Soziologe u.a. (DWb 2, 412). Das -e fehlt jedoch bei
entsprechenden Bezeichnungen auf -grafie, -onomie, -sophie, -urgie (Geograf,
Agronom, Philosoph, Chirurg).
3.2) Deonymische Bewohnerbezeichnungen zu Ländernamen auf -en, -ien
(zur Konkurrenz mit -er ¢ 2.3.2.4) sowie auf -ei (hier ist -e die Regel): Schwe-
de, Franke, Bulgare, Mongole.
Zahlreiche Ländernamen bilden spezifische Derivationsstammformen
auf -es-: Sudan > Sudanes e, Vietnames e; auch mit Tilgung des Basisauslau-
tes: Chines e.
Zum Nebeneinander von Ir e und Isländ er ¢ 2.3.2.4(2.2).
4) Adverbiale Basis
Nur Einzelfälle, nicht produktiv: bald > in Bälde, genug > zur Genüge. Die
Wortbildungen sind phrasemisch gebunden.
5) Zur Zirkumfigierung mit ge-…-e ¢ 2.5.
6) Zu -e zur Bildung movierter Feminina ¢ 2.3.2.22.
7) Abgesehen von den wenigen movierten Personenbezeichnungen mit -e
(Cousin > Cousine) gibt es substantivische Paare des gleichen Stammes mit
und ohne -e, wo -e nicht als Derivationsaffix, sondern eher als flexionsmor-
phologisches Element anzusehen ist (genusbestimmend, z.T. semantisch
nuancierend): das Eck – die Ecke, Idyll – Idylle, Rohr – Röhre; Muff – Muffe,
Tann – Tanne, Trupp – Truppe, Typ – Type, Zweck – Zwecke. Wegen der
Genusunterschiede und einer mitunter deutlichen semantischen Differen-
zierung ist von Homonymen auszugehen.
198 2 Wortbildung des Substantivs

Fraglich ist, ob das -e in Fällen wie Katze, Kerze, Linde, Pfütze, Steppe, Wiese als Mor-
phem zu segmentieren ist oder ob die betreffenden Wörter als monomorphemisch
anzusehen sind. Für unsere Behandlung des Derivationssuffixes -e ist diese Frage al-
lerdings von untergeordneter Bedeutung, denn die genannten Lexeme können nicht als
Derivate interpretiert werden; zur Diskussion dieses Phänomens vgl. Eisenberg 2006,
217, der die Kategorie „mophologischer Rest“ einführt.

2.3.2.2 Suffix -ei/-erei


Das Suffix -ei/-erei, mhd. -ı̄e, stets mit Hauptakzent, stammt aus mittellatei-
nischen Entlehnungen (abbateia schon im 10. Jh.) und ist durch französi-
sche Entlehnungen wie vilanı̄e ,bäurisches Benehmen‘ „entscheidend be-
einflusst und weitergeführt worden“ (Öhmann 1966; vgl. auch Kluge 1925,
21). In Einzelfällen ist auch die Form -elei reanalysiert worden. – Die Deri-
vate sind Feminina.
1) Substantivische Basis, simplizisch, Kartei, Pfarrei (Tilgung von -e), Kan-
torei, Ziegelei; komplex Auskunftei; Detektei (Tilgung von -iv, nicht vor Ende
des 19. Jh.).
Wortbildungsbedeutung: Nomina Loci.
Mit Fugenelement -n- zur Füllung des Hiats (Zusammentreffen zweier
Vokale): Wüstenei, schon mhd. wüestenı̄e.
Aus der lokalen Bedeutung hat sich -ei als toponymisches Suffix entwi-
ckelt (¢ 2.3.4.3).
Am häufigsten begegnet -ei in dieser Bedeutung heute in Verbindung mit
einer Basis in der Formativstruktur von Nomina Agentis; semantisch ist die
Wortbildung aber in einem Teil dieser Fälle eher unmittelbar an das letzten
Endes zugrunde liegende Verb anzuschließen: Bäckerei, Brauerei, Druckerei,
Färberei, Gießerei, Lackiererei, Wäscherei; „bei der Abschlepperei setzte M. ihn
ab“ (F. J. Degenhardt). Kein verbaler Bezug: Försterei, Gärtnerei, Reederei,
Konditorei.
1.1) Substantivische Basis als Personen- bzw. auf Personen übertragene
Tierbezeichnung.
Wortbildungsbedeutung: ,Art und Weise des Verhaltens (auch Ergebnis
solchen Verhaltens); wie die durch das Substantiv bezeichnete Person‘, in
der Regel pejorativ, wobei meist schon die Basis pejorativ konnotiert ist:
Eselei, Ferkelei, Flegelei, Kumpelei, Teufelei; auch mit komplexer Basis: Amts-
schimmelei, Eulenspiegelei.
1.2) Substantivische Basis als Sachbezeichnung ergibt einen selteneren Typ
von Kollektiva: Staffelei, Titelei. Er begegnet auch mit Personenbezeichnung
als Basis: von Karin K. und dieser ganzen Gangsterei (F. J. Degenhardt); hier-
her auch deonymische Kollektiva wie: die ganze Felgentreuerei/Treibelei
(Th. Fontane).
2.3 Suffixderivation 199

1.3) Aus Wortbildungen wie in 1.2) ist vereinzelt -elei als Suffixvariante
zur Bildung desubstantivischer Derivate mit pejorativer Konnotation re-
analysiert worden: Eifersüchtelei, Eigenbrötelei, Fremdwörtelei. Es bestehen
assoziative Beziehungen zu pejorativem -ler (Eigenbrötler, daher auch die
Variante Eigenbrötlerei) und zu den Verben mit -el(n)/-l(n) wie basteln, grü-
beln, werkeln.
1.4) Aus Derivaten wie in 1) hat sich auch die Suffixvariante -erei (zur
Geschichte Öhmann 1973) entwickelt, ebenfalls vorwiegend mit pejorativer
Konnotation: Dieberei, Lumperei, Schlafmützerei, Vielweiberei. Sie ist aller-
dings wesentlich produktiver als -elei.
Die pejorative Konnotation der Modelle 1.3) und 1.4) wird z.B. von
Campe (1813) genutzt zur Differenzierung indigener Äquivalente für die
entsprechenden Fremdwörter: Patriotismus – Vaterlandsliebe/Vaterländerei
(vgl. Dieckmann 1964, 138).
Nicht pejorativ, sondern an Derivate mit lokaler Bedeutung anzuschlie-
ßen sind Käserei, Mosterei, Molkerei (seit dem 19. Jh. zu Molke ,Käsewas-
ser‘). Anders Kokerei, wozu auch koken ,Koks herstellen‘ (so noch Fachwort
1984, 170) und Koker ,Koksarbeiter‘ geläufig waren.
2) Verbale Basis, in der Regel pejorative Nomina Actionis; bei Basen auf
-el(n), -er(n) erscheint -ei (Meckerei), sonst -erei: Brüllerei, Heulerei, Esserei;
neben pejorativem Bügelei steht als neutrales Nomen Loci Büglerei; gelegent-
lich im Plural: gliederschlenkernde Tanzereien (B. Reimann).
Neben simplizischer auch komplexe Basis (Aufschneiderei, Nachäfferei)
und – z.T. phrasemische – Syntagmen: Augenauswischerei/Augenwischerei,
Rechthaberei, Schaumschlägerei. – Bisweilen ist jedoch von einer komplexen
substantivischen Basis auszugehen: Drückebergerei.
2.1) Verbale Basis auf -el(n)/-l(n); ebenfalls pejorative Nomina Actionis,
z.T. mit sekundärer Prägung als Nomina Acti: Blödelei, Faselei, Liebäugelei
(PDW 2005), Liebelei, Heuchelei, Witzelei; Menschendünstelei (P. Süskind);
weniger pejorativ, sondern eher salopp-scherzhaft: die Rätselei um das Ge-
baren von H. Sch.… (PDW 2005).
Die deverbalen Substantive auf -ei/-erei konkurrieren mit den Deverba-
tiva auf ge-…-e (¢ 2.5).
2.2) Konkrete Sachbezeichnungen als sekundäre Prägungen sind z. B. Hä-
kelei, Stickerei, (Holz-)Schnitzerei; vielfach sind beide Lesarten (,Prozess‘ und
,durch den Prozess entstandene Sache‘) aktualisierbar, vgl. z.B. noch Rei-
merei, Schmiererei, Schreiberei (Ähnliches auch bei ge-…-e und -ung
¢ 2.3.2.18; ¢2.5).
Der Unterschied zwischen Nomina Loci und Nomina Actionis kann bis-
weilen durch Umlautdifferenzierung gekennzeichnet werden: Bäckerei (auf
Bäcker bezogen) – Backerei (auf backen bezogen), Wäscherei – Wascherei.
200 2 Wortbildung des Substantivs

2.3.2.3 Suffix -el


Im Unterschied zum Diminutivsuffix -el (¢ 2.3.2.21) ist das hier zu behan-
delnde -el allenfalls schwach produktiv. Doch sind entsprechende Bildungen
im Wortschatz noch reihenhaft vertreten. Die Derivate sind Maskulina;
einige wenige Feminina sind demotiviert (Spindel, Windel, Fuchtel; Henzen
1965, 157).
1) Verbale Basis
1.1) Wortbildungsbedeutung: Nomina Instrumenti – decken > Deckel;
Hebel, Schlägel (auch: Schlegel), von stechen sowohl Stichel als auch Stachel;
Stößel.
Nicht hierher Klingel (seit 17. Jh.), dies als Konversion zu klingeln, mhd.
klingelen; Wickel (Haar-, Kraut-) ist als Diminutivum auf mhd. wicke ,Fa-
serbündel, Docht‘ zurückzuführen.
Auch Fälle wie Flügel, Griffel, Zügel sind – über die entsprechenden Ver-
balsubstantive Flug, Griff, Zug – semantisch auf ein Verb zu beziehen. Einige
dieser Wortbildungen sind heute völlig demotiviert: Meißel (ahd. meizan
,schneiden‘), Löffel (ahd. laffan ,lecken‘), Wirbel (ahd. werban ,sich drehen‘)
u.a. (Wilmanns 1899, 263).
Die Zurückdrängung der -el-Derivate zugunsten von Nomina Instru-
menti auf -er (¢ 2.3.2.4) zeigt ein Vergleich mit dem Reimlexikon des Pe-
regrinus Syntax (1826). Dort werden z.B. noch 23 Wortbildungen mit -schlä-
gel verzeichnet (Ball-, Trommelschlägel u.a.). Muthmann (2001) dagegen
führt nur noch Schlägel auf, aber -schläger in Komposita wie Federball-, Golf-,
Pingpong-, Schnee-, Trommelschläger (vgl. auch Goodloe 1929 mit dem Ver-
such einer semantischen Differenzierung zwischen -el- und -er-Derivaten).
1.2) Die deverbalen Nomina Agentis sind nur in wenigen isolierten Lexe-
men erhalten geblieben (Büttel, ahd. butil zu biotan ,bieten‘), in den meisten
Fällen ebenfalls durch -er-Derivate ersetzt worden: ahd. tregil – nhd. Träger,
tribil – Treiber, mhd. kempfel – nhd. Kämpfer (vgl. Wilmanns 1899, 262f.).
Süffel ,Trinker‘ (lt. GWDS landschaftl. ugs. scherzh.) ist über das Verbal-
abstraktum Suff an saufen anzuschließen, wenn nicht – weniger wahrschein-
lich – Konversion vom Verb süffeln wie Klingel zu klingeln (s.o.); vgl. auch
Süffler, Süffling (GWDS).
2) Substantivische Basis
Heute unproduktiv. Das Modell mit der Wortbildungsbedeutung ,Zuge-
hörigkeit‘ ist noch in Einzelfällen vertreten wie Ärmel zu Arm, Eichel (als
seltenes Femininum) zu Eiche, Mündel (mit dem Neutrum der Diminutiva)
zu ahd./mhd. munt (vgl. Vormund).
Zu Derivaten wie Büschel zu Busch ¢ 2.3.2.21(5).
2.3 Suffixderivation 201

2.3.2.4 Suffix -er


Das Suffix -er ist an mehreren Modellen mit hoher Produktivität beteiligt,
einschließlich der – heute zu eigenständigen Suffixen gewordenen – einsti-
gen Suffixerweiterungen -ler und -ner. Es bildet ausschließlich Maskulina.
Das Suffix wird aus lat. -ārius hergeleitet (Wilmanns 1899, 263), woraus sich
der Umlaut der Derivationsbasis erklärt. Der Umlaut ist jedoch schon in
alter Zeit – in Abhängigkeit von umlauthemmenden Folgekonsonanten und
in regionaler Differenzierung – nicht konsequent eingetreten und durch
spätere umlautlose Neubildungen sind die Verhältnisse weiter kompliziert
worden. Verallgemeinerbare Umlautregeln lassen sich heute daher nicht
aufstellen. In wenigen Fällen zeigt Umlautdifferenzierung heute semanti-
sche Unterschiede an: Hocker ,Sitzmöbel ohne Lehne‘ – Höcker ,Wölbung
auf dem Körper von Mensch und Tier‘, Schlager – Schläger; anders Drucker
(zu drucken) – Drücker (zu drücken); vgl. ferner Bürger – Habs-, Luxemburger,
Häscher – Effekthascher (vgl. auch DWb 2, 37). – Abweichungen vom heu-
tigen Gebrauch finden sich bis ins 19. Jh.: Rauber (Gryphius), Abläder (Goe-
the), Täucher (J. Paul), Widersächer (Wieland), vgl. Paul 1920, 62.
1) Verbale Basis
1.1) Nur Infinitivstamm, starke und schwache Verben; vorwiegend sim-
plizische, gelegentlich auch komplexe Basis.
Wortbildungsbedeutung: Nomen Agentis; dabei lassen sich – allerdings
mit unscharfen Grenzen und nicht ohne Beispiele mit Neutralisierung
dieser Differenzierung – im Großen und Ganzen drei semantische Unter-
gruppen in Bezug auf den Status dieser Tätigkeit unterscheiden (vgl. Shin
1976, 23):
– ,professionell‘: Dreher, Gießer, Lehrer, Schneider, Verkäufer, Lackierer;
– ,habituell‘: Anlieger, Denker, Herumtreiber, Raucher;
– ,gelegentlich‘: Finder, Gewinner, Überbringer, Verlierer.
Derivate von Partikelverben mit adjektivischer oder adverbialer Verbpar-
tikel (bzw. von entsprechenden verbalen Syntagmen) sind auffallend selten
usuell (Beiseiteschieber, Bloßsteller, Entgegenführer; wir Wegschauer und Weg-
hörer [V. Mann]); stattdessen wird meist substantiviertes Partizip I verwen-
det (der/die Asylsuchende, Alleinerziehende; aber österr. Alleinerzieher).
Auch sonst konkurriert die Konversion des Partizips I. Der semantische
Unterschied zwischen beiden Bildungsweisen liegt vor allem darin, dass das
-er-Derivat in stärkerem Maße zur Bezeichnung eines Personenbegriffs mit
festen Merkmalen tendiert (vgl. die Untergruppen ,professionell‘, ,habi-
tuell‘), womit auch eine Demotivation verbunden sein kann: der Denkende –
der Denker, der Schiebende – der Schieber, der Kriechende – der Kriecher. Nur
202 2 Wortbildung des Substantivs

in den seltensten Fällen hat das konvertierte Partizip I einen ähnlichen se-
mantischen Charakter: der Vorsitzende (woneben auch Vorsitzer), Reisende,
Streikende (woneben keine -er-Derivate).
Die Bildung der -er-Derivate unterliegt stärkeren Beschränkungen als die universal
bildbaren Konversionen zum Partizip I. Von bestimmten verbalen Basen werden im
Allgemeinen keine -er-Derivate erzeugt. Das betrifft nullwertige Verben wie schneien,
dämmern, dunkeln, tauen, ziehen ,als Luftzug zu verspüren‘; DWb 2, 342), Modalverben
(aber Könner), Zustandsverben wie sich befinden, liegen, stehen, umgeben, wohnen (aber
Steher – im Radsport), zahlreiche Verben der Wahrnehmung und des Wissens wie
empfinden, sich freuen, glauben, vermissen, verstehen, wissen (aber Kenner, Denker); zur
Diskussion weiterer Beschränkungen, auch hinsichtlich des Outputs der Modelle vgl.
Scherer 2005, 91 ff.
Doch sind auch okkasionelle -er-Derivate zu beachten wie die Bestimmer (bezogen
auf Eltern und Lehrer gegenüber Jugendlichen, Sonntag 1988), die Sitzer (über Leute,
die das Sitzen in Sitzungen wirklich verstehen, Weltbühne 1980); (¢ 1.4.2).
Fachsprachlich sind noch Wortbildungen üblich, die in der Allgemeinsprache selten
oder ganz unüblich geworden sind, z. B. Geber, Nehmer, Schenker als juristische Ter-
mini; vgl. auch Geber- und Nehmersprache in der Linguistik.

1.2) Verbales Syntagma als Basis, vor allem mit Akkusativkomplement.


Die Univerbierung des Syntagmas fordert in der Regel das -er-Derivat, das
Partizip I wird seltener genutzt (Impulsgeber, Jobsucher, aber auch Jobsu-
chender);
Wortbildungsbedeutung wie unter 1.1): Buchbinder, Dachdecker, Filmvor-
führer, Hoteltester, Orgelbauer, Uhrmacher (zu entsprechenden Bildungen
im Frnhd. Meibauer 1998). – Außerhalb der Berufsbezeichnungen sind be-
sonders beliebt Syntagmen mit den Verben geben und nehmen, z.T. phra-
semisch; die substantivische Komponente ist entweder simplizisch oder
komplex, vgl. Auftrag-, Kredit-, Stundengeber, Versicherungs-, Vorschussneh-
mer; zu Geber, Nehmer vgl. 1.1).
Das Modell ist hochproduktiv; für die Basissyntagmen scheinen weder
semantische noch syntaktische Beschränkungen zu gelten. Auch Verben, die
normalerweise keine -er-Derivate bilden, können im Syntagma wortbil-
dungsaktiv werden, vgl. scherzhafte Derivate wie Sockenfalter, Klamotten-am-
Vortag-Rausleger, Vorabend-Einchecker, In-die-Hand-Huster, Überraschungs-
ei-Schüttler, Bei-Mami-Wäscher (Der Spiegel 2000).
Am vielfältigsten sind heute die Wortbildungen auf -macher (nach Leh-
nert 1986, 72f. unter englischem Einfluss). Da Macher gelegentlich selbst-
ständig begegnet, ist bei manchen Bildungen auch die Erklärung als Kom-
positum möglich, doch das Modell mit Syntagma ist hochproduktiv (über
100 Lemmata im GWDS). So sind neben den älteren Berufsbezeichnungen
2.3 Suffixderivation 203

wie Uhrmacher entsprechende Bezeichnungen für Künstler mehr und mehr


üblich geworden: Bildermacher (für einen Maler, TZ 1987), Filmemacher,
Liedermacher. Im Unterschied zu den älteren Wortbildungen steht die sub-
stantivische Komponente in Pluralform (schon Wieland Balladen-Macher
u. a.; Itkonen 1971, 99).
Weiterhin bildet -macher Personenbezeichnungen, die sich auf Verhal-
tensweisen und Charaktereigenschaften beziehen: Angst-, Pläne-, Radau-,
Schuldenmacher; sie sind vielfach pejorativ; vgl. auch Kanzler-, Meinungs-
macher. Bisweilen konkurriert damit eine andere Bildungsweise: Spaßmacher
– Spaßvogel, Karrieremacher – Karrierist. – Fachsprachlich ist Schrittmacher
(Radsport), metaphorisch (Herz)Schrittmacher (Medizin). Die substantivi-
sche Komponente des zugrunde liegenden Syntagmas kann auch präposi-
tional angeschlossen sein: in die Sterne gucken – Sterngucker (ohne -e).
Zu Wortbildungen mit nicht ¢2.2.7.3.
Verbale Syntagmen mit Adjektiv bzw. Adverb verbinden sich bevorzugt
mit tun: Groß-, Wichtig-, Nichtstuer; ferner Langschläfer, Schwarzseher
(schon bei Wieland auch Ausfindigmacher; Itkonen 1971, 97), okkasionell
Vorwärtseinparker (Der Spiegel 2000).
1.3) Basis wie 1.1) bzw. 1.2), aber Wortbildungsbedeutung: Nomen In-
strumenti und Nomen Acti (hier keine Konkurrenz mit substantiviertem
Partizip I wie unter 1.1), vgl. Blinker, Drücker, Kocher, Kühler, Schalter, Sum-
mer; Ausklopfer, Behälter, Entsafter, Verdampfer, Zubringer. Auch für eine
Chemikalie: (dem Zementbeton zugesetzter) Verflüssiger.
Verbales Syntagma als Basis: Feuerlöscher, Fleck(en)entferner, Staubsauger,
Gabelstapler, Wasserenthärter (auch als Kompositum deutbar); okkasionell
Duschkabinenabzieher, Haarwachstumsverzögerer (Werbung LVZ 2010). Be-
sonders aktiv sind Basen mit den Verben geben, halten, tragen: Blink-, Fun-
ken-, Signalgeber; Ärmel-, Büsten-, Hüft-, Sockenhalter; Balken-, Brücken-,
Hosenträger. Zur Berührung mit der substantivischen Komposition ¢ 1.8.1.2.
In Abhängigkeit von der Semantik des Verbs gibt es zahlreiche Wortbil-
dungen, die sowohl Personen als auch Geräte bezeichnen, sodass erst der
Kontext entscheidet: Bohrer, Heizer, Rechner, Schreiber, Verteiler u.a. Bis-
weilen ist eine der beiden Bedeutungen in höherem Grade usualisiert, teil-
weise im Zusammenwirken mit einem Kompositionsglied: Fahrschein-
drucker (Gerät) – Buchdrucker (Person), Scheibenwischer – Fensterputzer,
Plattenspieler – Kartenspieler. Bei Rechner hat sich in den letzten Jahrzehnten
eine Verschiebung in der Gewichtung der Lesarten vollzogen. Während das
WDG neben der Lesart ,Person‘ die Lesart ,Computer‘ an zweiter Stelle als
Neubedeutung markiert, verzeichnet Dudenband 10, 2002 nur noch die
Lesart ,Computer‘.
204 2 Wortbildung des Substantivs

Drückt die Semantik des Verbs eine nur auf Menschen beziehbare
Verhaltensweise aus, ist eindeutig eine Personenbezeichnung gegeben: Flun-
kerer, Stolperer, Stotterer.
Im Unterschied zur Personenbezeichnung ist die Geräte- bzw. Sachbe-
zeichnung nicht selten passivisch zu verstehen. Diese Bedeutung rechtfertigt
die Zuordnung der Bildungen zu den Nomina Acti (¢ 2.1.3.2): Untersetzer
,wird untergesetzt‘ – Übersetzer ,übersetzt‘, ferner Aufkleber ,aufklebbarer
Papierstreifen‘, Aufsteller ,aufstellbares Werbeelement‘, Senker ,abgetrenn-
ter Trieb von Pflanzen‘, Hefter.
1.4) Nahe stehen Bezeichnungen von Tieren, vorzugsweise Vögeln:
Laubsänger, Seetaucher, Strandläufer, Würger, Zaunschlüpfer. Zu Puter,
Tauber ¢ 2.3.2.22(7).
1.5) Basis wie 1.1); in der Regel simplizisch. Wortbildungsbedeutung:
Nomina Actionis, in einer Wortbildungsreihe ,menschliche Äußerung‘: Äch-
zer, Jauchzer, Jodler, Rülpser, Schluchzer, Schnarcher (Th. Storm; vgl. Paul
1920, 60), Nieser (H. Jobst).
Im Unterschied zu Gejodle, Jodlerei bezeichnet -er die Einzeläußerung.
Mündliche Äußerung als Tadel bezeichnen umgangssprachlich Anran-
zer/Anraunzer, Ansauser, Anschnauzer.
Manche Bildungen lassen daneben auch die Beziehung auf eine Person
zu, z.B. Lacher ,ein kurzes Lachen‘oder Ich bin Lacher (H. Böll).
Bewegungsformen, vor allem Tänze, bezeichnen Hopser, Plumpser, Dre-
her, Walzer, fehlerhafte Handlungen Abrutscher, Aufsitzer ,Reinfall‘, Fehler,
Patzer, Versager; vgl. ferner Abstecher, Stupser, Tupfer (im bunten Festpro-
gramm); Rempler; Strauchler (U. Saeger).
2) Substantivische Basis
Die desubstantivische -er-Derivation wird bisweilen als nicht mehr pro-
duktiv angesehen (vgl. Wilmanns 1899, 289; Henzen 1965, 161); doch diese
Annahmen sind inzwischen widerlegt (Scherer 2005, 151).
2.1) Hochproduktiv sind Personenbezeichnungen von exogenen Substan-
tiven auf -ik. Wortbildungsbedeutung: ,Zugehörigkeit‘ in einem weiten Sinn
– Anhänger bzw. Vertreter einer Richtung, Wissenschaftsdisziplin, z. T. auch
Berufsbezeichnung – vgl. Ethiker, Komiker, Musiker, Kritiker.
Aus solchen Derivaten hat sich die Suffixvariante -iker entwickelt, die an
Stämme (Alkoholiker, Asthmatiker, Phlegmatiker – mit den Derivations-
stammformen asthmat-, phlegmat-) und auch an Konfixe (Fanatiker, Zyni-
ker) tritt.
2.2) In diesen Zusammenhang sind heute die von Orts- und Länderna-
men, teilweise auch anderen geografischen Namen, abgeleiteten Bewohner-
bezeichnungen auf -er zu stellen. Hier liegt etymologisch allerdings nicht lat.
2.3 Suffixderivation 205

-ārius zugrunde, sondern ein germanisches Bildungselement -warja- (lat.


-uarii), das ,Gruppen, die vermutlich zu einem Herrschafts-, Verteidigungs-
oder Kultmittelpunkt gehörten‘, bezeichnete (vgl. Erben 2006, 154): Berliner,
Hamburger, Neustädter (mit Umlaut in Analogie zum Substantiv Städter);
Italiener, Österreicher, Schweizer, Kapverder.
Von Ländernamen auf -land lautet die Bewohnerbezeichnung entweder
-länder (Eng-, Isländer) oder -e (unter Tilgung von -land), vgl. Irland – Ire,
Russland – Russe (zu -e ¢ 2.3.2.1). Ländernamen auf -en, deren Bewohner-
bezeichnungen ebenfalls auf -e oder -er gebildet werden (Polen – Pole, Nor-
wegen – Norweger), tilgen das -en. Ländernamen auf -ien bilden die Bewoh-
nerbezeichnungen meist auf -er (unter Tilgung von -n): Argentinien – Ar-
gentinier, Äthiopier, Spanier, Sardinier; aber: Bulgare.
Bei deutschen Städtenamen auf -en, sofern mehr als zweisilbig, entfällt in
der Regel das -en (abgesehen von denen auf -hafen und -kirchen): Donau-
eschinger, Burghauser, Frankenhäuser, Solinger; aber Euskirchener, Friedrichs-
hafener. Bei der Mehrheit der zweisilbigen bleibt das -en erhalten: Dresdener,
Gießener, aber Bremer.
Weitere spezifische Derivationsstammformen von Onymen hängen mit
deren Lautgestalt bzw. mit fremdsprachlichen Einflüssen zusammen. Endet
die Kompositionsstammform auf einen Vokal (wie in Tokio-Reise), so wird
in der Regel der Hiat (das Aufeinandertreffen zweier Vokale) vermieden,
indem ein Konsonant eingeschoben oder das Allomorph -ner/-aner gewählt
wird: Tokio t er, Afrika ner (lat. africanus), Amerikaner, Mexikaner (aber
auch Europäer). Bei den auf -er auslautenden Städtenamen stört die Dop-
pelung -er-er; deshalb nicht *Münsterer u. Ä., sondern Münsteran er, Han-
noveran er; vgl. auch Brasilien – Brasilianer. – Andere Variationen zeigen
Damaskus – Damaszener, Florenz – Florentiner, Anhaltiner, Montenegrin er;
Verona – Veroneser, Malta – Malteser, Genua – Genueser u. a. Der Hauptak-
zent liegt auf der letzten Stammsilbe (vgl. dazu Gumirova 1981, 154ff.;
Fuhrhop 1998, 143ff.).
2.3) Produktiv ist auch das Modell mit komplexer Basis (meist Kompo-
situm), die Zugehörigkeit von Personen zu einem Betrieb o.Ä. bezeichnend:
Eisenbahner, Büromaschinenwerker, Stahlwerker, Walzwerker; Hochöfner.
Das Suffix -er ersetzt hier die Konstituente -arbeiter und verkürzt die Wort-
bildung.
Personen nach der Zugehörigkeit bezeichnen auch Gesellschafter, Gewerk-
schafter (etwas anders: Eigentümer).
2.4) Simplizische Basis für die Bildung von Personenbezeichnungen ist
heute selten. Neben älteren Bildungen wie Bürger, Krämer, Schäfer, Schüler,
Schlosser, Städter, Täter, Türmer, Reeder (16. Jh. aus Nd.) sind nur wenige
206 2 Wortbildung des Substantivs

neuere getreten wie Grenzer, Metaller, eventuell Texter (hier auch Derivation
von texten möglich, beides 20. Jh.), okkasionell Textiler (,am Textilstrand
Badender‘ im Gegensatz zu FKKler ,Anhänger der Freikörperkultur‘).
Aus dem Englischen kommen gegenwärtig zahlreiche Derivate von Sim-
plizia wie Surfer, Skater, Jobber, die entweder entlehnt oder – wenn das
entsprechende Verb bereits übernommen wurde – im Deutschen gebildet
sein können.
In wenigen Fällen stehen semantisch differenzierte Derivate mit Konver-
sionen wie Ritt, Schnitt, Schloss als Derivationsbasis neben denen mit Infi-
nitivstamm als Basis: Reiter – Ritter, Schneider – Schnitter, Schließer – Schlos-
ser.
Das Prinzip sekundärer Motivation („Verdeutlichung“; ¢ 1.5.4.1) liegt zu-
grunde, wenn teilweise noch bis ins 19. Jh -er an Fremdwörter angefügt
wird, die bereits als fertige Personenbezeichnungen ins Deutsche entlehnt
wurden (Belege nach Paul 1920, 62): Juwelierer, Officirer (Grimmelshausen),
Barbierer, Rentenirer (Nicolai), Rebeller (Hebel), Jesuiter.
Sachbezeichnungen erscheinen – bisweilen umgangssprachlich mar-
kiert – als eine Art Kurzform vor allem von Bezeichnungen für Fahrzeuge
u.Ä. (vgl. Lehnert 1986, 71ff.): Dampfschiff > Dampfer, Bomber, Frachter,
Laster; vgl. auch Münzer ,Münzfernsprecher‘ (nicht Fortsetzung von mhd.
münzer ,Münzarbeiter‘).
2.5) Stärker produktiv ist das Modell mit einem substantivischen Syntag-
ma als Basis. Wortbildungsbedeutung: ,Bezeichnung von Personen und
Tieren nach äußeren Merkmalen‘, vgl. Links-, Rechtshänder, Paarhufer,
Zehn-, Zwölfender.
An einen Teil der unter 2.4) genannten Fälle anzuschließen sind Bezeich-
nungen für Fahrzeuge wie Einachser, Zweimaster, Vier-, Fünfsitzer, Sechston-
ner.
Semantisch-onomasiologisch vereinzelt bleiben Ein-, Zweireiher (An-
zug), Vierzeiler (Gedicht), Zwölf-, Sechzehngeschosser (Wohnhochhaus).
3) Numerale als Basis
Die Basis bilden ausschließlich Kardinalzahlen. Die Wortbildungsbedeu-
tung ist unterschiedlich.
3.1) Einer, Zweier, Fünfer usw. können in bestimmten Kontexten für die
jeweilige Zahl stehen, meist mit umgangssprachlicher Markierung: ein
Fünfer im Zahlenlotto ,fünf Zahlen richtig‘, ein Zweier ,eine Zwei‘ auf dem
Zeugnis (besonders obd.).
Münzen und Geldscheine werden gekürzt nach der ihrem Wert entspre-
chenden Zahl benannt: Fünfer (in Berlin Sechser), Zehner, Zwanziger.
2.3 Suffixderivation 207

Vierer, Achter usw. sind Kurzformen für Vier-, Achtriemer, die ihrerseits
schon Kurzformen für ,Boot mit vier bzw. acht Riemen (Ruderern)‘ sind,
vgl. oben 2.5).
3.2) Die höheren Zahlen bezeichnen einen Menschen nach seinem unge-
fähren Alter: ein Dreißiger; mit Syntagma als Basis: eine Endzwanzigerin, ein
Mittvierziger.
4) Adjektivische Basis
Das Modell ist heute unproduktiv. Üblich ist allenfalls noch Gläubiger (seit
dem 15. Jh.); anders der Gläubige – ein Gläubiger (¢ 2.6.2.2).

2.3.2.5 Suffix -ler


Das Element -l- gehörte ursprünglich zur substantivischen Basis; mhd. be-
tel er (vom Substantiv betel ,das Betteln‘), satel er ergeben nach Ausfall des
unbetonten -e- der Mittelsilbe (Reanalyse, ¢ 1.6.2.4) nhd. Bett ler, Satt ler mit
Verschiebung der Sprechsilbengrenze. Daraus hat sich ein eigenes Suffix
entwickelt.
1) Substantivische Basis
1.1) Simplizische Basis ist selten, vgl. Dörfler, Häusler, Künstler, Sportler;
umgangssprachlich Postler ,Postangestellter‘, Protestler.
Es überwiegt bei weitem komplexe Basis (Kompositum oder Derivat):
Anrechtler, Ausflügler, Sommerfrischler, Erzgebirgler, Kunstgewerbler, Schwer-
gewichtler, Rohköstler; Ehrenamtler (LVZ 2010), Arbeits-, Bürger-, Völkerrecht-
ler, -kundler.
Wenig üblich sind z.B. Unzüchtler (F. Dürrenmatt), Ballungsgebietler
(E. Loest), Wortbrüchler, Winkelzügler (beide L. Feuchtwanger), Frühschopp-
ler (Weltbühne 1977), Nachtschichtler (Sonntag 1988).
1.2) Syntagma als Basis ist seltener als bei -er (¢ 2.3.2.4[2.5]), vgl. Altsprach-
ler, Dickbäuchler (Sonntag 1989), Doppelzüngler, Freiberufler, Einsilbler
neben Einsilber.
1.3) Auch Buchstabenkurzwort als Bezeichnung von Institutionen, Or-
ganisationen u.Ä. dient als Basis, begegnet allerdings relativ selten: ABMler;
¢ 2.7.3.
1.4) Als Wortbildungsbedeutung überwiegt ,Personenbezeichnung nach
Beruf oder sonstiger Tätigkeit, nach Wohnort, bestimmten Eigenschaften
oder anderer Zugehörigkeitsbeziehung‘. Einige Bildungen sind Pflanzen-
oder Tierbezeichnungen (Korbblütler, Tausendfüßler).
Die Bedeutung des Modells ist durch eine Neigung zu pejorativer Kon-
notation beeinflusst (was von Müller 1953 wohl zu stark verabsolutiert
wird); andererseits ist dies keine „irrtümliche Annahme“ (DWb 2, 377). Man
208 2 Wortbildung des Substantivs

vgl. die Konnotationen durch das Element -l- in der Verbindung -elei
(¢ 2.3.2.2[1.4]) und teilweise ironisierend bei den Verben auf -el(n)/-l(n)
(¢ 5.4.2). Der pejorative Charakter zeigt sich nicht nur in Fällen, in denen er
bereits der Bedeutung der Basis eigen ist (Halb-, Hinterwäldler), sondern
auch dort, wo er der Basis fehlt: vgl. Versöhnler unter 2).
1.5) In einzelnen Fällen steht -er neben -ler bei gleicher Basis mit semanti-
scher oder regionaler Differenzierung: Wirtschafterin – Wirtschaftlerin, Wis-
senschafter (österr., schweiz.) – Wissenschaftler. Variation ohne semantische
Differenzierung zeigen Zelter (Basis wohl zelten) – Zeltler (Basis Zelt).
1.6) Die Entfaltung des Suffixes -ler hat ihre Ursache zunächst sicherlich
nicht in dem Bestreben, von -er zu differenzieren. Es liegen andere Gründe
vor: Von Bedeutung ist, dass die substantivische Basis bei Verwendung von
-ler als Sprechsilbe erhalten bleibt, vgl. Sport ler, während bei Gebrauch von
-er abzuteilen wäre *Spor-ter. Auffällig ist ferner, dass die meisten Derivate
auf -ler eine Basis haben, die auf dentalen Verschlusslaut (-d, -t) auslautet.
Schließlich spielt natürlich auch die größere Eindeutigkeit gegenüber dem
stark polyfunktionalen -er (dies z.B. auch als Pluralsuffix) eine Rolle (vgl.
Müller 1953, 199).
2) Verbale Basis
Im Unterschied zu der dominierenden Rolle verbaler Basen bei -er tritt bei
-ler die verbale Basis, d. h. ohne -l- des Verbstamms, weitgehend zurück; nur
wenige Bildungen sind belegt, vgl. Abweichler, Ausweichler (Ch. Wolf), Ver-
söhnler. Eher auf substantivische als auf verbale Basis ist wohl zu beziehen
Umstürzler. Dieses Modell zeigt durchgehend pejorative Konnotation.

2.3.2.6 Suffix -ner


Zur Entstehung durch Verschiebung der Silbengrenze aus substantivischen
Basen auf -en (mhd. wagener > Wagner) vgl. das unter -ler Gesagte (¢ 2.3.2.5).
Das Modell ist nicht mehr produktiv. Die substantivische Basis ist in der
Regel ein Simplex, vgl. Brückner, Glöckner, Pförtner, Rentner, Söldner, Schuld-
ner, Täschner (Basis fast ausschließlich mit Plural auf -en; vgl. DWb 3, 399f.);
Büttner landschaftlich veraltet ,Böttcher‘ zu Bütte ,großes Gefäß‘.
Komplexe Basis haben Bühnenbildner; Flitterwöchner (J. Paul). Verbale
Basis und Syntagma als Basis fehlen.
Partner steht heute neben Part ,Anteil‘, sodass beide aufeinander zu be-
ziehen sind. Doch ist Part (vgl. auch halbpart seit dem 17. Jh. und Widerpart,
schon mhd.) bereits mhd. über das Französische entlehnt worden, während
Partner erst Anfang des 19. Jh. als fertige Bildung aus dem Englischen über-
nommen wurde (Paul 1992, 640).
2.3 Suffixderivation 209

Das Suffix -ner wird in manchen Arbeiten als Allomorph von -er bestimmt. Es lasse
„weder eine Spezialisierung noch Neubildungen erkennen, sodass es nicht als eigen-
ständiges Morphem betrachtet werden“ könne (Scherer 2005, 53 mit Bezug auf Eisen-
berg 1992 und Fuhrhop 1998).
Unter diachronem Aspekt nennt Erben (2006, 152) -ler und -ner „Erweiterungsfor-
men“ von -er. Er weist darauf hin, dass beide Einheiten im Unterschied zu -er fast
ausschließlich mit substantivischen Basen vorkommen. Bei Motsch (2004, 363 f.) ist
-ner einerseits Suffix an substantivischen Basiswörtern, die „einen Gegenstand“ be-
zeichnen, „mit dem sich Personen befassen“ oder über den sie verfügen (Pförtner,
Rentner), andererseits ein Allomorph zu -er an Basen auf -a, die „eine Gruppe oder
spezieller eine regionale Einheit“ bezeichnen (Primaner, Amerikaner).

2.3.2.7 Suffix -heit/-keit/-igkeit


Das Suffix -heit geht zurück auf das Substantiv mhd. heit (mask. und fem.;
Henzen 1965, 188) ,Art und Weise, Beschaffenheit, Eigenschaft, Person,
Stand‘. Es bildet feminine Substantive. Zur Geschichte des Suffixes und zur
Herausbildung der Varianten vgl. Oberle 1990, 77 ff.
Nach Fuhrhop (1998, 16 ff.) ist „zu fast jedem Adjektiv eine Ableitung mit
dem Suffix -heit bzw. mit seinen Varianten möglich, weitgehend ausgenom-
men sind Adjektive auf -voll, Partizipien I (*Lebendheit, aber Zutreffendheit,
Herbermann 1981, 233; Umfassendheit, Fandrych 1993, 4) sowie Partizipien
II, die nicht attributiv gebraucht werden (*Geregnetheit).
1) Adjektivische Basis
1.1) Bei adjektivischer Basis erscheint das Suffix in den drei kombinatori-
schen Varianten -heit/-keit/-igkeit. Endet die Basis auf -e (fade, müde), wird
das -e getilgt.
Die Form -keit ist aus der Verschmelzung der beiden Elemente mhd. -ec
und mhd. -heit in Derivaten wie güetecheit, trūrecheit u.Ä. entstanden (vgl.
Wilmanns 1899, 385f.; Vordringen von -keit im Hochdeutschen seit dem
12. Jh.; Kluge 1925, 20).
Die Form -igkeit entstand als „Verdeutlichung“ von -ekeit (mhd. trūre-
keit > trūrecheit) mit Ausrichtung auf das jeweilige -ig-Adjektiv (traurig),
sodass sich eine klare Explizierung des Derivationsverhältnisses ergab. Die
Verdeutlichungsform dehnte sich auch auf Derivate aus, deren Basis kein
Adjektiv auf -ig, sondern ein Simplex ist: genau > Genauigkeit, leicht > Leich-
tigkeit. Schon in mhd. Zeit stand neben miltecheit, miltekeit ,Fülle, Reich-
tum‘ kein Adjektiv miltec, sondern milte (vgl. Paul 1920, 86; Mitte des 15. Jh.
bereits parmherzigkeit, gerechtigkeit u. a.; Kluge 1925, 20). Andere Fälle „sind
erst durch den Untergang des Adjectivums auf -ec isoliert“ (Wilmanns 1899,
387); so existieren noch die Adjektive mhd. vrümec ,tüchtig‘ (nhd. Frömmig-
210 2 Wortbildung des Substantivs

keit), viuhtec ,feucht‘, niuwec ,neu‘. Obrigkeit ist im 16. Jh. aus älterem ober-
keit (so bei Luther; vgl. auch mhd. innerkeit ,Innerlichkeit‘, ūzerkeit ,Äu-
ßerlichkeit‘) entstanden (Wilmanns 1899, 387).
1.2) Die Distribution der drei Varianten zeigt – bei gewissen Überlappun-
gen – doch recht klare Verhältnisse; sie wird durch die Formativstruktur der
Basis in Verbindung mit verschiedenen Akzentmustern bestimmt (detail-
liert dazu Kolb 1985).
Am deutlichsten zeigt dies -keit; zu dessen „Wesen gehörig“ sei es (so
schon Wilmanns 1899, 386), „dass ihm eine unbetonte Silbe voranging“.
Daher steht -keit in Verbindung mit suffigierten Basen auf -bar (Unaustilg-
barkeit), -ig (Schäbigkeit), -lich (Erblichkeit), -sam (Betriebsamkeit).
Das Modell mit einer Basis auf -isch wird – entgegen unserer früheren
Annahme – gegenwärtig wohl nicht ausgebaut. Mater (1970) verzeichnet
lediglich Bäurisch-, Linkischkeit; doch vgl. weiter Selbstisch-, Herrisch-, Welt-
männischkeit (Schlaefer 1977, 82), Spielerischkeit (Kann 1972, 290), Jüdisch-
keit (Sonntag 1988); ferner die von Kolb (1985, 162) genannten Bildungen
Mürrisch-, Störrischkeit sowie: „jene Wildheit, Unvernunft, Tierischkeit“
(Ch. Wolf); Läppischkeiten (F. Fühmann). Statt Kindischheit (W. v. Hum-
boldt) ist heute Kindischkeit zu erwarten (vgl. Eichinger 1982, 173).
Oberle (1990, 137f.) begründet die schwache Aktivität der Adjektive auf -isch in diesem
Modell mit deren syntaktischen Eigenschaften. Nur zu prädikativ verwendbaren wer-
tenden Adjektiven werden Nomina Qualitatis gebildet, nicht aber zu Zugehörigkeits-
adjektiven (wie etwa städtisch ,zur Stadt gehörend‘ in städtische Bäder). Fuhrhop (1998,
219) nennt allerdings Städtischkeit als Übersetzung von Urbanität.

Das genannte Akzentmuster mit -keit zeigen ferner mehrsilbige simplizische


Basen vor allem auf -er (Bieder-, Bitter-, Hager-, Heiser-, Heiter-, Mager-,
Lauter-, Sauber-, Tapferkeit) und vereinzelte Fälle auf -el (Eitel-, Übelkeit).
Adjektivische Basen mit den Suffixen -en/-ern/-n und -icht verbinden sich
nicht mit -keit.
Die Variante -igkeit tritt weiter an Basen auf -haft (Ernst-, Fehler-, Glaub-
haftigkeit) und -los (Arglos-, Haltlos-, Interesselosigkeit; Weibslosigkeit bei
E. Strittmatter). Außerdem erscheint -igkeit in Verbindung mit zahlreichen
Adjektiven, die auf -e auslauten (behände > Behändigkeit, Müdigkeit, Sprö-
digkeit) oder auslauteten (Festigkeit, Süßigkeit, Dreistigkeit, Geschwindigkeit,
Leichtigkeit). Das heißt: Die Stelle des nebentonigen -e, das bei der Suffigie-
rung getilgt wird, wird durch ein anderes nebentoniges Element, eben -ig-,
besetzt, sodass vor -keit wieder eine unbetonte Silbe steht (¢ 1.7.2.2).
Wird auslautendes -e getilgt und nicht ersetzt, kommt als Suffix nur -heit
infrage (Blöd-, Fad-, Schönheit). So erklären sich weitgehend die nicht ganz
2.3 Suffixderivation 211

seltenen Wortpaare mit der Konkurrenz von -heit und -igkeit bei gleicher
Basis, z. T. ohne stärkere semantische Differenzierung (Mattheit/Mattigkeit,
Seichtheit/Seichtigkeit), z.T. aber mit deutlicher semantischer Differenzie-
rung (Kleinheit – Kleinigkeit, Neuheit –Neuigkeit).
Nicht hierher gehören Paare wie Einheit (Basis ein) und Einigkeit (Basis
einig). Zu differenzieren sind auch Paare wie Reinheit – Reinlichkeit, Vertraut-
heit – Vertraulichkeit: hier wird Vertrautheit zu sehr durch demonstrative Ver-
traulichkeiten ersetzt (Sonntag 1987).
Doppelbildungen mit -heit/-keit bei gleicher Basis existieren dagegen so
gut wie nicht (Ausnahme: Düsterheit/-keit; Kolb 1985, 160).
Am kompliziertesten zeigt sich die Distribution der Variante -heit. Diese
Derivate können dem einen wie auch dem anderen Akzentmuster folgen
(vgl. Kolb 1985, 160ff.).
a. Die Silbenfolge betont – unbetont gilt für zahlreiche Derivate mit ein-
silbiger Basis: Barsch-, Derb-, Feig-, Frech-, Hohl-, Klar-, Schlau-, Zartheit.
Das gilt auch für präfixale und kompositionale Weiterbildungen mit
diesen Adjektiven (wobei sich ja die Akzentverhältnisse verschieben): Su-
perklug-, Ungleichheit; Taubstumm-, Tollkühnheit; Schreibfaulheit; Lebens-
fremd-, Mannstoll-, Nachtblindheit.
b. Dem genannten Akzentmuster folgen auch die Derivate mit mehrsil-
biger Basis, aber Endbetonung (indigene wie exogene): Gesamt-, Gesund-,
Gewissheit; Adäquat-, Affektiert-, Borniert-, Exakt-, Korrekt-, Grandios-, Gro-
tesk-, Porös-, Saloppheit.
Mit Ausnahme der Basen auf -t werden die entsprechenden Substantive
von exogener Basis allerdings vorwiegend mit -ität gebildet (Universalität;
¢ 2.3.3.1[13]). Ob zwischen -heit/-keit/-igkeit und -ität Allomorphie ange-
nommen werden kann (so Fuhrhop 1998, 17), ist distributionell und se-
mantisch noch zu prüfen.
c. Mehrsilbige simplizische Basen, die auf Schwasilben enden, verbinden
sich hauptsächlich mit -heit: vorwiegend solche auf -en (Eigen-, Offen-, Sel-
ten-, Trockenheit), -ern (Albern-, Lüstern-, Nüchtern-, Schüchternheit), einige
auf -el (Einzel-, Dunkelheit; zur sprachgeschichtlichen Erklärung dieser „Ir-
regularität“ Kolb 1985, 161, Fn. 6) und -er (Locker-, Sicherheit). An solchen
Basen kommt aber auch -keit vor, s.o. (Sauberkeit, Eitelkeit).
Derivate von adjektivischen Basen mit den Suffixen -en/-ern/-n und -icht
werden relativ selten verwendet. Ganz ausgeschlossen von der Derivation
mit -heit, wie Oberle (1990, 277) vermutet (sie nennt als einziges Beispiel
Gläsernheit, ebd.), sind sie nicht, vgl. buddenbrookhafte Bleiernheit der Möbel
(sueddeutsche.de 2009), die Pracht funkelnder Silbernheit (Internet 2010).
Zum Adjektiv töricht findet sich gelegentlich Törichtheit.
212 2 Wortbildung des Substantivs

d. Unabhängig vom Akzentmuster wird das Partizip II (von einfachen wie


komplexen, indigenen wie exogenen Verben) stets mit -heit verbunden: Ge-
legen-, Gegeben-, Geneigt-, Gepflegt-, Gereizt-, Geschlossen-, Geübtheit; Be-
nommen-, Entschlossen-, Ergebenheit; Aufgeregt-, Ausgeglichen-, Ausgelassen-,
Übertriebenheit; Belebt-, Beliebt-, Erregt-, Verblüfft-, Zerknirschtheit; Herun-
tergekommen-, Zurückgezogenheit; Informiert-, Kompliziertheit; vgl. auch
„feudale Stehengebliebenheiten“ (I. v. Wangenheim).
e. Für sich stehen die Derivate von den Komparativformen Mehr-, Min-
derheit.
In Fällen wie Dienstbeflissenheit, Pflichtvergessenheit, Weltabgewandtheit
ist die erste Konstituente ein adjektivisches Kompositum. Zu fließenden
Grenzen zwischen Partizip und Adjektiv ¢ 3.6.2.2.
In Abwesen-, Anwesenheit sind synchron die Adjektive ab-, anwesend als
Basis zu anzusehen; sie erscheinen in der Verbindung mit -heit ohne -d;
ähnlich Zuvorkommen-, Unwissenheit.
Einige Derivate auf -keit/-igkeit sind sehr aktiv als kompositionelles
Zweitglied: -geschwindigkeit (GWDS hat 64 Komposita wie Fließ-, Durch-
schnittsgeschwindigkeit), ferner -tätigkeit (Darm-, Lehr-), -möglichkeit (Bil-
dungs-, Lebens-). Die über 150 im GWDS verzeichneten Bildungen auf -fä-
higkeit sind aber ausschließlich Derivate von Adjektiven auf -fähig (so teil-
weise auch die Bildungen auf -tätigkeit, -möglichkeit von Adjektiven auf
-tätig, -möglich): Aufnahme-, Ausdrucks-, Wandlungsfähigkeit.
1.3) In der semantischen Charakteristik der Modelle treten zwischen den
Formvarianten keine Unterschiede auf; -heit steht hier zusammenfassend
für alle drei.
Wortbildungsbedeutung: Nomen Qualitatis (z. T. in Konkurrenz mit sol-
chen auf -e bzw. diese ersetzend (¢ 2.3.2.1[2]). Eigenschaften von Menschen:
Ehrlich-, Wachsam-, Standhaftigkeit, Benommen-, Verlegen-, Zuvorkommen-
heit, Kühnheit; von Gegenständen: Belebtheit, Dunkelheit, Echtheit.
Als sekundäre Prägung (Plural möglich) Bezeichnung von Verhaltens-
weisen, Handlungen: Derb-, Frechheit, Anzüglichkeit, Schludrigkeit; ferner
von Personen: „Der Schlupf ist schon belegt, anscheinend von einer Weiblich-
keit“ (M. W. Schulz); von Gegenständen: Flüssigkeit, Köstlich-, Kostbarkeit,
Seltenheit; vgl. auch in kollektiver Bedeutung Öffentlichkeit ,Bevölkerung
außerhalb privater Sphäre‘, Obrigkeit, Geistlichkeit (nach DWb 2, 176 aller-
dings desubstantivisch von der Konversion Geistliche).
-heit ist weniger restriktiv als -e; es gibt nur wenige indigene Adjektive,
von denen weder mit -e noch mit -heit eine Substantivbildung üblich ist.
Nga (1989, 79) erwähnt rank.
2.3 Suffixderivation 213

2) Substantivische Basis
2.1) Die Variante -keit entfällt hier; es kommt fast ausschließlich -heit
infrage. Das Modell ist nur schwach produktiv und im Wortschatz mit we-
nigen Einheiten vertreten; zur historischen Entwicklung vgl. Wells 1964;
Oberle 1990, 314 ff.
Wortbildungsbedeutung: ,Kollektivum, bezogen auf Menschen‘ – Chris-
ten-, Juden-, Menschheit; Hexenheit (Goethe). Stärker produktiv ist in dieser
Bedeutung -schaft.
Daneben stehen einzelne semantisch abweichende Derivate wie Gott-,
Kind-, Narr-, Torheit. Wie Gottheit ,göttliches Wesen‘ war Menschheit im
18. Jh. noch als ,menschliches Wesen‘ üblich. Während sich hier nur die
kollektive Bedeutung erhalten hat, ist bei Gemeinheit – wohl im Zusam-
menhang mit der Bedeutungsveränderung des Adjektivs gemein (worauf die
Bildung bezogen wurde statt auf Gemeine) – die Bedeutung ,Gemeinde,
Rechtsverband‘ aufgegeben worden (vgl. Paul 1920, 85).
2.2) In wenigen Fällen sind synchron auch Derivate mit -igkeit auf ein
Substantiv beziehbar: Streit – Streitigkeit (mhd. strı̄tec ,streitsüchtig‘), Zwist
– Zwistigkeit, wobei die Derivate vor allem für den Plural zur Verfügung
stehen.
2.3) Auf andere Weise kommen Paare zustande wie Biss – Bissigkeit. Die
adjektivische Basis des substantivischen Derivats ist ihrerseits ein desub-
stantivisches Derivat: Geist > geistig > Geistigkeit. Die semantischen Bezie-
hungen zwischen den beiden Substantivtypen sind unterschiedlich.
a. Das primäre Substantiv (z.T. Konversion) bezeichnet eine einmalige
Handlung, einen bestimmten Vorgang, während das Derivat auf -keit/-
igkeit die Wiederholung oder das Potenzielle, die Anlage, Fähigkeit be-
zeichnet: Biss – Bissigkeit, Anfall – Anfälligkeit, Straffall – Straffälligkeit, Tat
– Tätigkeit.
b. Das primäre Substantiv steht als Sachbezeichnung (soweit nicht meta-
phorischer Gebrauch vorliegt) dem -keit-Derivat gegenüber: Farbe – Far-
bigkeit, Zopf – Zopfigkeit, Gift – Giftigkeit, Saft – Saftigkeit.
c. Nur geringer semantischer Unterschied besteht bei Paaren wie Eifer –
Eifrigkeit, Zufall – Zufälligkeit, Anmut – Anmutigkeit, Allmacht – Allmäch-
tigkeit. Bei mangelnder semantischer Differenzierung haben sich die
-keit-Derivate in der neuhochdeutschen Norm vielfach nicht gehalten:
Mutigkeit (Goethe, Arndt) nicht neben Mut, Neugierigkeit (Lessing, Wie-
land) nicht neben Neugier (und Neugierde) u. a. (vgl. Paul 1920, 87 f.).
3) Numerale als Basis erscheint nur in vereinzelten Fällen, die immerhin
analogische Neubildungen zulassen: Ein-, Zwei-, Dreiheit; daneben das In-
definitpronomen viel in Vielheit.
214 2 Wortbildung des Substantivs

Übersicht 20: Distribution der Suffixvarianten -heit/-keit/-igkeit


(Beispiele in Klammern bedeuten seltenere Fälle; (-e) bedeutet historisches
-e, das heute abgefallen ist.)
Basis Adjektiv -heit -keit -igkeit
Simplex, einsilbig Derbheit
Simplex auf -e bzw. Müdigkeit,
(-e) Süßigkeit
Simplex auf -el (Dunkelheit) Eitelkeit
Simplex auf -en, -ern Trockenheit,
Nüchternheit
Simplex auf -er (Sicherheit) Sauberkeit
Kompositum mit Sim- Schreibfaulheit
plex
sonstige mehrsilbige Gesundheit, Sa-
Adjektive mit Endak- loppheit
zent
auf -bar Ehrbarkeit
auf -haft Lebhaftigkeit
auf -ig Flüssigkeit
auf -isch Störrischkeit
auf -lich Lieblichkeit
auf -los Kraftlosigkeit
auf -mäßig Gesetzmäßigkeit
auf -sam Furchtsamkeit
Partizip II Besonnenheit,
Gereiztheit, Ver-
zagtheit

2.3.2.8 Suffix -i
Derivationsmodelle mit dem Suffix -i zur Bildung von Personenbezeich-
nungen (Gruft > Grufti) sind derzeit hochproduktiv, v.a. in Substandard-
schichten, seltener werden Sachbezeichnungen wie Kuli, Brummi, Trabi/
Trabbi gebildet (zur Produktivität der -i-Derivation ausführlich Glück/Sauer
1997, 69 ff.). Das seit dem Ahd. nachweisbare Suffix (zur Geschichte Henzen
1965, 143 ff.) diente zunächst bevorzugt zur Bildung hypokoristischer
2.3 Suffixderivation 215

Formen von Personennamen und Verwandtschaftsbezeichnungen (Hansi,


Hanni, Opi, Mutti; ¢ 2.3.4.1), hat sich inzwischen jedoch zu einem Suffix
außerhalb der Onomastik entwickelt, meist mit ironisch-scherzhafter, aber
auch hypokoristischer Bedeutung der Derivate (Letzteres insbesondere
beim Sprechen mit Kindern, Dressler/Barbaresi 1994, 108). Basen sind ein-
silbige bzw. auf eine Silbe reduzierte Substantive (Knasti, Schatzi, Studi <
Student, Ersti < Erstsemester, Fundi < Fundamentalist; ¢ 2.7.3), Adjektive
(Blödi, Dummi) und Verben (Schlucki, Schnaufi). Die umgangssprachliche,
teils verächtliche, teils vertraulich-wohlwollende Konnotation beschränkt
den Gebrauch der Bildungen weitgehend auf familiäre Situationen.
Köpcke (2002, 300) erklärt die gegenwärtige Beliebtheit des Modells v.a. mit phono-
logischen Eigenschaften des Outputs. Es entstehen Lexeme mit trochäischer Struktur,
was einer „phonologischen Optimierung“ gleichkomme. Gestützt werden die -i-Mo-
delle zusätzlich durch eine große Zahl zweisilbiger auf -ie oder -y endender Entleh-
nungen aus dem Englischen wie Baby, Girlie, Junkie, Hippie. Gelegentlich variiert dem-
entsprechend die Schreibung (Softi/Softie, Dummi/Dummie).
Abweichend von der Genushomogenität, über die typischerweise Suffixde-
rivate mit demselben Suffix verfügen, weist das Suffix -i seinen Outputs
unterschiedliche Genera zu. Während die modifizierten Namen und Ver-
wandtschaftsbezeichnungen das Genus der Basis übernehmen (die Rosi <
Rosemarie, Mutti, Omi; der Rolfi, Vati, Gorbi < Gorbatschow), entstehen
durch die Transpositionsmodelle in der Regel Maskulina. Wird allerdings
das grammatische Genus bei Personenbezeichnungen als Widerspruch zum
natürlichen Geschlecht der bezeichneten Person empfunden, sind zwei
Genera üblich. Der Dudenband 1, 2009 verzeichnet der/die Knacki, der/die
Ossi, der/dieWessi, aber nur der Hippie (dazu Hippiemädchen), der Junkie.
Zu -i als onymischem Suffix ¢ 2.3.4.1; zu -i beim Kurzwort ¢ 2.7.3.

2.3.2.9 Suffix -icht


Das Suffix bildet neutrale Substantive als Kollektiva:
1) von substantivischer Basis unter Tilgung des auslautenden -e, meist
Pflanzenbezeichnungen: Röhricht, Tännicht/Tannicht, Weidicht ,Ort, wo es
Rohr (Schilf) usw. gibt‘, Kräuticht veralt. von Kraut ,Abfall bei der Ernte‘
(GWDS); in Flurnamen noch Birkicht, Erlicht, Fichticht u. a.;
2) von verbaler Basis (Kehricht; Spülicht ,Menge dessen, was weggekehrt,
weggespült worden ist‘; Spülicht nach GWDS veraltend).
3) Ein Sonderfall ist Dickicht mit adjektivischer Basis dick ,dicht‘ als ,dick
bewachsene Stelle‘ (seit dem 17. Jh.), heute unterschieden von Dickung
,dicht geschlossener Jungbaumbestand‘ (15. Jh., Paul 1992, 173).
216 2 Wortbildung des Substantivs

Ein Fachwort ist deverbales Feilicht ,Abfall beim Feilen, Feilspäne‘ (im
GWDS veraltet). Außerdem begegnen expressive Okkasionalismen wie Wort-
spülicht (A. Ehrenstein), Wurmicht (F. Nietzsche).
Die Modelle sind nur noch schwach produktiv, aber die lexikalisierten
Bildungen analysierbar.
Historisch liegt ahd. -ahi, mhd. -ach, -ech vor, das sich seit dem 16. Jh. mit
dem -i-Vokal auch anderer Suffixe (-in, -ig, -isch) und mit euphonischem -t
(wie Axt, Obst) durchgesetzt hat. Das heute homonyme Adjektivsuffix -icht
(nur noch in töricht) hat andere historische Ausgangsformen.

2.3.2.10 Suffix -ling


Das Suffix -ling bildet Maskulina. Es hat sich ähnlich wie -ler (¢ 2.3.2.5) aus
Derivaten auf -ing entwickelt, deren Basis auf -l auslautete (ahd. ediling
,Edelmann‘ zu edili ,von adliger Abkunft‘; vgl. Wilmanns 1899, 372; aus-
führlich Munske 1964). Während aber -ling neben -ler und -er heute noch
produktiv ist, ist -ing im Deutschen unproduktiv geworden.
Ein anderes Suffix ist -ing in Entlehnungen aus dem Englischen. Es kennzeichnet Ver-
balabstrakta wie in Banking, Doping, Leasing u.Ä.; ¢ 2.3.3.5(3), fungiert allerdings in
deutschen Eigenbildungen im Standard bislang kaum als Suffix, von scherzhaft salop-
pen Bildungen mit indigenen Basen wie z. B. EM-Gruppen-Fußball-Gucking-und-Saufing
(Internet 2004) abgesehen.

1) Verbale Basis; simplizisch oder – seltener – präfigiert, gewöhnlich mit


Umlaut.
1.1) Wortbildungsbedeutung:
a. Nomen Acti; antonymisch in vielen Fällen -er: Findling – Finder, Lehrling
– Lehrer, Pflegling – Pfleger, Prüfling – Prüfer (vgl. Wellmann 1969). Als
Gegenstück zu Impfling, Liebling, Anlernling (,derjenige, der geimpft usw.
wird‘) dient das substantivierte Partizip I: der Impfende usw.
b. Nomen Acti als Sachbezeichnung: Setzling, Steckling als besondere Art
von Jungpflanzen (dazu -er nicht antonymisch, sondern synonymisch,
vgl. Senker), Pressling (ausgelaugte Rübenschnitzel), Einsprengling (in
Mineralien), Wirkling ,gewirkte Teigmenge‘ (für die Brötchenherstel-
lung).
1.2) Wortbildungsbedeutung: Nomen Agentis, vorwiegend von intransi-
tiven Verben, komplementär zu -er, das hier weitgehend fehlt; im Unter-
schied zu 1.1) synonymisch zum substantivierten Partizip I: Ankömmling –
der Ankommende (noch Kömmling bei Goethe), Eindringling, Schädling,
„Haltestellen hochdeutscher Vordringlinge“ (Th. Frings); z.T. mit pejorati-
ver Konnotation (Emporkömmling). Von reflexiven Verben: „[…] hieß der
2.3 Suffixderivation 217

Badehosenkumpel [mit der Badehose im Duschraum] Schämling“ (M. v.d.


Grün).
Eine seltene Vorgangsbezeichnung ist Bückling von bücken ,Verbeu-
gung‘ (nach GWDS ugs. scherzh.).
1.3) Ein Sonderfall mit Präteritalstamm als Basis ist Zögling, nach 1.1)
antonymisch dazu Erzieher.
2) Substantivische Basis, in der Regel simplizisch.
2.1) Wortbildungsbedeutung: ,Person nach besonderer Beziehung zu der
im Substantiv ausgedrückten Größe‘, Däumling (,klein wie der Daumen‘,
Märchengestalt), Lüst-, Genüssling (,nach Lust bzw. Genuss Strebender‘),
Söldling (dafür heute Söldner). Die Bildungen sind in der Mehrzahl pejorativ
konnotiert, vgl. Dichter-, Schreiberling.
2.2) Tier- und Pflanzenbezeichnung (meist Fische, Pilze), vgl. Gründ-,
Stich-, Strömling; Pfiffer-, Röhrling u.a. In einigen davon muss die Basis
heute als unikales Morphem betrachtet werden, wenn man nicht überhaupt
das Ganze als Simplex ansieht, vgl. Enger-, Sper-, Saibling (lachsartiger
Fisch); Ries-, Schier-, Spilling.
Ähnliches gilt für die Münzenbezeichnung Schilling (germ. *skilding
,eine Art Schild‘), während Silberling und heute nicht mehr geläufiges Kup-
ferling noch analysierbar sind.
2.3) Sachbezeichnung nach der Zugehörigkeit: Ärmling ,Ärmelschoner‘,
Fingerling ,was zum Finger gehört‘ (Schutzhülle für einen verletzten Finger),
Beinling ,Teil eines Kleidungsstückes, der die Beine bedeckt‘, Fäustling, Füß-
ling.
3) Adjektivische Basis, simplizisch.
3.1) ,Person mit durch das Adjektiv bezeichneter Eigenschaft, fast aus-
schließlich pejorativ‘, z.T. bereits im Basisadjektiv angelegt: Arglinge (Welt-
bühne 1982), Bösling (Weltbühne 1983), Dümm-, Feig-, Frech-, Primitiv-,
Rohling. Auch in dieser Hinsicht neutrale Adjektive bilden die Grundlage für
pejorative Derivate: Hübsch-, Schön-, Süß-, Zärtling; etwas anders wohl Wild-
ling. Stärker davon abzusetzen sind nur wenige Fälle wie etwa Erstling (auch
als Sachbezeichnung gebräuchlich: ,künstlerisches oder wissenschaftliches
Werk‘), Fremd-, Neuling. Dagegen wird heute Jüngling in Lesart 2) ebenfalls
mehr oder weniger pejorativ verwendet: 1) (geh.) ,noch nicht ganz erwach-
sener junger Mann‘; 2) (meist abwertend, ironisch) ,unreifer, unfertiger
junger Mann, Heranwachsender‘ (GWDS); ähnlich Naivling (GWDS ugs.
abwertend); okkasionell Unterling ,Untergebener‘ (LVZ 2010).
3.2) Bei Tier- und Pflanzenbezeichnungen fehlt die pejorative Konnota-
tion: Grünling, Gelbling (Goldammer), Frischling, Säuerling ,Saueramp-
fer‘.
218 2 Wortbildung des Substantivs

3.3) Nicht auf Lebendiges zu beziehende Derivate sind selten: Frühling


(bei Luther noch für ein im Frühjahr geborenes Lamm), Rundling (Dorf mit
kreisförmiger Anlage), Rohling (nicht nur zu [3.1]), sondern auch ,Erzeug-
nis im Rohzustand, Halbfertigprodukt‘.
3.4) Die Formativstruktur der Basis ist fast durchweg simplizisch. Adjek-
tivische Derivate werden als Basis von -ling-Derivaten durch Tilgung ihres
Suffixes „simplifiziert“ (vgl. Erben 1975, 304; Plank 1981, 136): winzig >
Winzling, zimperlich > Zimperling, ferner Jämmer-, Kümmer-, Sonder-, Wi-
derling. Kohlweißling gehört nicht hierher, sondern zu den Komposita.
4) Numerale als Basis. Mit Kardinalzahl Personenbezeichnung: Zwilling
(ahd. zwiniling zu zwinal ,doppelt‘), wobei heute die Basis als Variante von
zwei zu betrachten ist, Drilling, Vier-, Fünfling. Übertragung auf andere
Denotatgruppen zeigt Drilling ,Jagdgewehr mit drei Läufen‘.
2.3.2.11 Suffix -nis
Das Suffix -nis bildet feminine oder neutrale Abstrakta, in sekundärer Prä-
gung z.T. Sachbezeichnungen. Es erscheint in älterer Zeit mit sehr variablem
Vokalismus: ahd. -nassi (nur in manchen der ältesten Quellen), -nessi, -nissi,
-nussi mit neutralem und ahd. -nissa, -nissı̄, -nussa mit femininem Genus;
mhd. vor allem -nisse, z.T. auch -nusse (-nüsse); Weiteres zur Genese bei
Wilmanns (1899, 356ff., über den Umlaut 362); Paul (1920, 69 f.).
Die Form -nis ist zunächst mittel-, die Form -nus oberdeutsch. Doch seit
dem 15. Jh. erscheint -nus „auch mitteldeutsch als Leitgraphie“ (Grammatik
des Frühneuhochdeutschen 1978, 3, 53), vgl. noch im 18. Jh. Betrübnüß
(Goethe) u.Ä. (Paul 1920, § 53). Die Genusvariation hat sich bis heute ge-
halten (von der nhd. Norm abweichende Formen bis ins 19. Jh.: die Bedürf-
nis [Lessing], die Zerwürfnis [Grillparzer], vgl. Paul ebd.), doch überwiegt
das Neutrum. Zu den Feminina gehören u.a. noch Besorgnis, Bewandtnis,
Finsternis, Wildnis. Versäumnis, für das Pekrun (1934) auch noch das Fe-
mininum kodifiziert, wird heute nur als Neutrum gebraucht. Im Falle von
Erkenntnis ist die Genusdifferenzierung mit einer semantischen Unter-
scheidung verbunden: die Erkenntnis ,Einsicht‘, das Erkenntnis ,richterli-
ches Urteil‘ (nach GWDS österr., schweiz., sonst veraltet). Umlaut tritt bei
neutralem Genus weit häufiger auf (zu 80 %) als bei femininem (zu 30 %),
vgl. DWb 2, 39).
1) Verbale Basis ist am häufigsten, besonders präfigierte; Infinitivstamm:
Bedürf-, Befug-, Begräb-, Ereig-, Ergeb-, Erlaub-, Erleb-, Verlöbnis; daneben
auch simplizische Basis: Hemm-, Hinder-, Wag-, Zeugnis; hier ist z.T. auch
eine Motivationsbeziehung auf ein Adjektiv (Fäul-, Gleichnis) oder Substan-
tiv (Schrecknis) möglich.
2.3 Suffixderivation 219

Neben dem Infinitivstamm erscheint als Basis auch der Partizipialstamm,


vor allem von starken (Begäng-, Gefäng-, Geständnis), aber auch von schwa-
chen Verben (Gedächt-, Vermächtnis). In manchen Derivaten ist das -t der
schwachen Partizipform geschwunden, sodass die Basen synchron unter
dem Infinitivstamm einzuordnen sind: für Betrübnis ist älter Betrübtnis und
Paul (1920, § 53, Anm. 2) vermutet auch ein Befugtnis. Die historisch eben-
falls aus dem Partizip hervorgegangenen Derivationsbasen von Bekennt-,
Erkenntnis sind synchron auf die Personalformen mit -t (3. Pers. Sing.,
2. Pers. Plur.) zu beziehen, ebenso das ihnen nachgebildete Kenntnis (Paul
ebd.).
Auf den Präteritalstamm des Plurals (mhd. wurfen) geht zurück Zerwürfnis.
Wortbildungsbedeutung: Nomen Actionis oder Nomen Acti mit passi-
vischer oder aktivischer Verbbeziehung; aktivisch: Gleichnis, Hemmnis,
Schrecknis ,was hemmt, gleicht usw.‘; passivisch: Erlebnis, Gelöbnis, Geständ-
nis ,was erlebt, gelobt usw. wird bzw. worden ist‘; reflexivisch: Ereig-, Besäuf-
nis.
Als sekundäre Prägung auch Sachbezeichnungen: Erzeug-, Gefäng-, Ver-
zeich-, Zeugnis.
Etwas anders sind die semantischen Beziehungen in Fällen wie Bedürfnis
,der Zustand des Bedürfens‘, Begräbnis ,der Vorgang des Begrabens, Zu-
grabetragens‘. Okkasionelle Neubildung möglicherweise: die Widernisse des
Tages (U. Saeger), zu widern ,entgegen sein, sich sträuben‘ (nach GWDS
veraltet).
Bisweilen steht daneben ein -ung-Derivat, das meist den Prozesscharakter
als Abstraktum stärker zum Ausdruck bringt: Erzeugung – Erzeugnis, Hem-
mung – Hemmnis, Ersparung – Ersparnis(se). Dieser Unterschied zeigt sich
auch darin, dass die -nis-Derivate, auch wenn sie von einem transitiven Verb
abgeleitet sind, keinen objektiven Genitiv an sich binden können (vgl.
Schippan 1967, 80): die Verdammung seines Sohnes durch ihn, aber nicht: *die
Verdammnis seines Sohnes durch ihn.
Semantisch stärker differenziert sind Paare wie Gleichung – Gleichnis,
Zeugung – Zeugnis. Synonymisch sind Verlobung – Verlöbnis, wobei aber
auch das Erstgenannte stärker den Akt, das Letztgenannte eher den Zustand
akzentuiert.
2) Substantivische Basis ist selten und wohl nicht mehr produktiv. Es
findet sich nur simplizische Basis mit geringer semantischer Differenzierung
zwischen Basis und Derivat: Bild-, Bünd-, Kümmernis.
3) Adjektivische Basis ist ebenfalls selten; vgl. die semantische Differenzie-
rung zwischen Bitternis – Bitterkeit, Wildnis – Wildheit; ferner Finster-, Ge-
heimnis.
220 2 Wortbildung des Substantivs

2.3.2.12 Suffix -s
Über die Produktivität der Modelle mit -s lassen sich nur schwer Aussagen
machen, doch ist es mit Blick auf die Verbreitung in einzelnen Dialektge-
bieten (vgl. z. B. Werner 1963/64) und die semantische Durchschaubarkeit
lexikalisierter Wortbildungen wohl nicht angebracht, den Modellen eine –
wenn auch im Standard nur schwach ausgeprägte – Produktivität gänzlich
abzusprechen. Ein Teil der Derivate ist allerdings deutlich umgangssprach-
lich markiert.
1) Es handelt sich in erster Linie um deverbale Maskulina. Substantive wie
Klecks und Taps neben den Verben klecken – klecksen und tappen – tapsen
sind entweder als Konversionen von dem durch -s- suffigierten Verb (nur so,
wo das Verb ohne -s- fehlt: fipsen ,mit Daumen und Zeigefinger schnippen‘
> Fips ,kleiner unscheinbarer Mensch‘, vgl. GWDS) oder als -s-Derivate von
dem -s-losen Verb zu erklären (z.T. anders interpretiert bei Simmler 1998,
508 f.). Beide Modelle sind produktiv.
Die Bildungen sind in der Regel Nomina Actionis oder Nomina Acti:
knacken > Knacks, knicken > Knicks, merken > Merks ,Gedächtnis‘ (nach
GWDS landschaftl., besonders ostmitteldt.), mucken > Mucks, klappen >
Klaps, piepen > Pieps, schnieben (landschaftliche Nebenform zu schnauben)
> Schniebs, mitteldt. schuppen ,(an)stoßen‘ > Schubs, mundartl. schwippen
,wippen, schwappen‘ (GWDS) > Schwips ,leichter Rausch‘, mitteldt. stuppen
,stoßen‘ > Stups, vgl. Stupsnase.
Die Verben sind vielfach Schallnachahmungen; in manchen Fällen kann
daher auch von einer Interjektion bzw. dem entsprechenden Substantiv
auszugehen sein: Plumps > plumpsen, Pup/Pups ,Blähung‘ > pup(s)en.
Vereinzelt ist die Personenbezeichnung Taps ,unbeholfener Mensch‘.
Semantische Weiterentwicklung zur Sachbezeichnung zeigen mitteldt.
kloppen ,klopfen‘ > Klops, niederdt. mopen ,den Mund aufreißen‘ > Mops,
schnappen > Schnaps.
2) Vereinzelte Derivate von substantivischer Basis sind Dings (in allen drei
Genera verwendbar) ,unbestimmte Person bzw. unbestimmter Gegen-
stand‘ und das Neutrum Zeugs, ugs. abwertend für Gegenstände und Ge-
schwätz (GWDS). Ähnlich wohl auch nicht kodifiziertes Schriebs zu Schrieb
(dies als ,Schreiben, Brief‘ nach GWDS ugs., oft abwertend) und Flaps ,un-
geschliffener junger Mensch‘, wohl zu niederdt. Flappe ,schiefer, verzerrter
Mund‘ (so GWDS).
2.3 Suffixderivation 221

2.3.2.13 Suffix -sal


Das Suffix -sal, mhd. -sal (Weiteres zur Genese bei Wilmanns 1899, 275f.;
Henzen 1965, 182) erscheint heute nur in wenigen femininen oder neutra-
len Substantiven (ähnlich genusvariabel wie -nis), vor allem mit verbaler
(stets simplizischer) Basis; neutrales Genus: Lab-, Rinn-, Schick-, Wirrsal.
Substantivische, ebenfalls simplizische Basis haben die Feminina Drang-,
Mühsal; deadjektivisch ist das Femininum Trübsal. Die Modelle sind kaum
noch produktiv.

2.3.2.14 Suffix -schaft


Das Suffix -schaft gehört etymologisch zu schaffen, ahd. scaffan, dazu scaf
,Art und Weise‘, spätahd. -scaft (vgl. Wilmanns 1899, 389; Kluge 1926, 86).
Es bildet Feminina.
1) Substantivische Basis
1.1) Basis Personenbezeichnung (jedoch nicht Diminutiva), in der Regel
mit Fugenelement (¢ 2.3.2.20) bzw. Tilgung von auslautendem -e (Botschaft,
Sippschaft); simplizische oder komplexe Basis; in jüngerer Zeit auch movier-
te Feminina, z.T. mit Binnenmajuskel, als Basis (Lehrerinnen-, StudentInnen-
schaft).
Wortbildungsbedeutung: ,Kollektivum‘, vgl. Ärzte-, Bauern-, Beamten-,
Kollegen-, Nachkommen-, Studentenschaft. Fälle wie Bruder-, Mann-, Nach-
barschaft sind – mit anderer Derivationsstammform – Ausnahmen und
zudem stärker demotiviert.
1.2) Basis ebenfalls Personenbezeichnung, aber Wortbildungsbedeutung:
,Zustand, innere Beziehung‘; vgl. Freund-, Feindschaft ,Verhaltensweise, Be-
ziehung als Freund, Feind‘; vgl. weiter Autorschaft (ohne Fugenelement),
aber die Mentorenschaft über das Barockcollegium (TZ 1989), Kamerad-, Meis-
ter-, Mitwisser-, Staatsbürger-, Urheber-, Vater-, Patenschaft.
Demotiviert sind Botschaft (sowohl ,was ein Bote überbringt‘ als auch
,Vertretung in einem fremden Staat‘), Gesell-, Herr-, Wirtschaft. Wortbil-
dungsbedeutung sowohl nach 1.1) als auch nach 1.2) in Eltern-, Teilhaber-
schaft.
Formale wie semantische Differenzierung in Mitgliederschaft ,Gesamt-
heit der Mitglieder‘ – Mitgliedschaft (nach 1.2).
1.3) Substantive, die keine Personenbezeichnungen sind, erscheinen als
Basis nur vereinzelt; das Modell ist unproduktiv: Dorfschaft (schweiz.), Ort-,
Landschaft, Briefschaften (nur Plural), Gerätschaften (hier meist Plural).
Hierher bei synchroner Betrachtung auch Gewerkschaft, zu beziehen auf
Gewerk ,Handwerkszweig, besonders im Baugewerbe‘; historisch jedoch zu
222 2 Wortbildung des Substantivs

mhd. gewerke ,Handwerks-, Zunftgenosse‘ (Dudenband 7, 2007, 924). Vgl.


auch die verdeckte Personenbezeichnung Körperschaft ,Vereinigung von
Personen mit den Rechten einer juristischen Person‘.
2) Vorwiegend Partizip II als Basis. Wortbildungsbedeutung: Nomen Acti,
vgl. Errungenschaft ,was errungen worden ist‘, ähnlich Hinterlassenschaft;
stärker den Zustand akzentuierend: Gefangenschaft ,das Gefangensein‘; Be-
kannt-, Verwandtschaft; daneben auch Kollektiva.
Infinitiv als Basis: Leiden-, Liegen-, Machen-, Rechen-, Wissenschaft; alle
mehr oder weniger demotiviert.
Deverbale Wortbildungen, die sich unmittelbar an den Infinitivstamm
anschließen lassen, bleiben vereinzelt, z. B. das Kollektivum Belegschaft (ur-
sprünglich ein Ausdruck der Bergmannssprache).
Desubstantivisch oder deverbal können aufgefasst werden Bürg-, Erb-,
Liebschaft.
3) Adjektivische Basis nur noch vereinzelt; unproduktiv; bei Wilmanns
(1899, 391 f.) mehr geläufige ahd. und mhd. Derivate. Heute vgl. z.B. Bar-
schaft ,bares Geld‘, Eigenschaft ,das einem Menschen oder Ding Eigene‘,
ferner Bereitschaft ,das Bereitsein‘, Schwangerschaft ,das Schwangersein‘; de-
motiviert Gemeinschaft.
4) Semantisch berühren sich mit -schaft z.T. -heit und -tum: wie 1.1)
Christen-, Menschheit, wie 1.2) Heldentum. Jedoch gibt es nur wenige Fälle,
in denen sich alle drei Suffixe mit der gleichen Basis verbinden, dann in
unterschiedlichem Maße demotiviert: Eigentum, -schaft, -heit, Mannestum,
Mannschaft, -heit. Mehrfach konkurrieren hingegen -tum und -schaft bei
gleicher Basis: Beamtentum, -schaft, Bürgertum, -schaft, Bauerntum, -schaft,
Künstlertum, -schaft, Witwentum, -schaft. Diese Konkurrenzen erstrecken
sich nur auf Derivate mit einer Personenbezeichnung als Basis. Eine gewisse
semantische Differenzierung tendiert dahin, dass die Derivate auf -tum
mehr das innere Wesen, die auf -schaft mehr den äußeren Zustand zum
Ausdruck bringen, sofern sie nicht überhaupt nur als Kollektiva gebraucht
werden. GWDS verzeichnet unter Beamtentum. ,Stand der Beamten‘ und
,Beamtenschaft‘ unter Beamtenschaft ,Gesamtheit der Beamten‘. Doch
solche Differenzierungen sind nicht bei allen Derivaten in gleicher Weise
ausgeprägt; vgl. z.B. synonymisch Jungferntum, -schaft.
Die Zahl der Derivate auf -schaft ist geringer als die der Derivate auf -heit,
und die auf -tum sind noch seltener.
2.3 Suffixderivation 223

2.3.2.15 Suffix -sel


Das Suffix -sel, historisch z. T. aus -sal entwickelt, z. T. möglicherweise aus
dem Niederdeutschen in die nhd. Literatursprache eingedrungen (so Wil-
manns 1899, 274), ist stärker produktiv als -sal. Es bildet Neutra, wo möglich
mit Umlaut. Maskulina sind als Ausnahme die – wahrscheinlich durch die
maskulinen -el-Derivate beeinflussten – Sachbezeichnungen hacken > Häck-
sel und stopfen, stoppen > Stöpsel, hier möglicherweise auch Einfluss der
Synonyme Kork, Pfropfen.
Basis sind ausschließlich Verbstämme; simplizische seltener (Rätsel, Füll-
sel), komplexe häufiger: Anhängsel, Ab-, Einsprengsel, Mitbringsel (danach:
Mitgebsel ,kleines Geschenk für Gäste beim Kindergeburtstag‘); Nachlebsel
der niedrigsten Volkssprache (Th. Frings), Überbleibsel.
Wortbildungsbedeutung: Nomina Acti – Füllsel ,was füllt‘, Mitbringsel
,was mitgebracht wird‘. Überbleibsel ist standardsprachlich, die Basis über-
bleiben aber umgangssprachlich; im Standard dafür übrigbleiben, wozu kein
entsprechendes Derivat belegt ist. Die entsprechenden -ung-Derivate haben
ausgeprägteren Prozesscharakter, vgl. Absprengung – Absprengsel.
Die Tendenz zu diminuierend-pejorativer Konnotation (Überbleibsel) ist
besonders ausgeprägt bei Zirkumfixderivation mit ge- und -sel (Geschreibsel).
Nicht so Gerinnsel, wo ge- zur verbalen Basis (gerinnen) gehört.

2.3.2.16 Suffix -tel


Das Suffix -tel hat sich durch Reduktion aus Komposita mit -teil entwickelt
(mhd. virteil ,Viertel‘). Es bildet nach produktivem Modell Neutra mit Kar-
dinalzahl als Basis, von 20 ab mit der Variante -stel (Zwanzigstel, Hundertstel).
Wortbildungsbedeutung: ,Bruchzahl‘. Kompositionsaktiv ist Viertel als
Erstglied in Bildungen wie Vierteldrehung, -finale, -jahr, -pause, -stunde; als
Zweitglied demotiviert (,Stadtteil‘) in Geschäfts-, Stadt-, Rotlicht-, Wohnvier-
tel.

2.3.2.17 Suffix -tum


Das Suffix -tum hat sich aus mhd. tuom ,Herrschaft, Urteil, Satzung, Ruhm,
Besitz, Lebensverhältnisse‘ entwickelt (vgl. Tschentscher 1958). Es bildet
Neutra (außer den Maskulina Irr-, Reichtum, zur Genusvariation vgl. auch
-nis und -sal, ferner Paul 1920, § 61, Anm. 1) nach relativ schwach ausge-
bauten Modellen.
1) Substantivische Basis
1.1) Basis ist Personenbezeichnung, in der Regel (wie bei -schaft, -wesen)
mit Fugenelement (¢ 2.3.2.20): Banditen-, Piraten- Mannestum; daneben
224 2 Wortbildung des Substantivs

auch ohne Fugenelement: Herzog-, König-, Mucker-, Schmarotzer-, Sektierer-,


Strebertum, Unternehmer-, Versöhnlertum; Mönch[s]tum.
Wortbildungsbedeutung: ,Art des Verhaltens entsprechend dem durch
das Basissubstantiv bezeichneten Begriff‘, z. T. mit kollektiver Komponente,
dann Berührung mit -schaft (¢ 2.3.2.14), z.B. Beamtentum. Die Basissub-
stantive beziehen sich oft auf negativ bewertete Begriffe wie Bürokraten-,
Denunzianten-, Epigonen-, Ignorantentum; Söldnertum (Buchtitel; B. Feld-
kircher); seltenere Fälle sind Bauern-, Menschen-, Soldatentum, vgl. auch:
„[…] Lessings Dichtertum oder Nichtdichtertum […], Dichtertum und
Schriftstellertum“ (Th. Mann).
Ist die Basis die Bezeichnung eines Herrschers oder ein ähnlicher Titel, so
kann sich das Derivat auf das Herrschaftsgebiet beziehen: Fürsten-, Herzog-
tum; anders aber Kaiser-, Königtum gegenüber Kaiser-, Königreich.
Deonymische Derivate sind – seltener – unmittelbar von einem Perso-
nennamen abgeleitet (Luthertum) oder mittelbar über die Bezeichnung für
Anhänger (Hegelianer-, Kantianertum). Häufiger begegnen Derivate von
Völkernamen: Hellenen-, Germanen-, Griechen-, Judentum mit der Bedeu-
tung: ,philosophische, religiöse oder andere ideologische Richtung‘. – Über
Deutschtum s. u. 2).
1.2) Nicht-Personenbezeichnungen als Basis sind selten. Die Derivate sind
demotiviert, das Modell ist kaum noch produktiv: Altertum (bis ins 17. Jh.
,das Altsein‘, vgl. Paul 1920, § 61), heute ,die alte Zeit‘, Altertümer auch
konkret ,Gegenstände, Realien aus der alten Zeit‘; Besitztum (synonymisch
zu Besitz wie das unter -schaft genannte Ortschaft zu Ort); Brauchtum
,Komplex von Sitten und Gebräuchen‘; Schrifttum (bei Heine 1827 als Schrif-
tenthum) vielfach „Ersatzwort“ für Literatur.
2) Adjektivische Basis begegnet nur vereinzelt; es konkurriert z.T. -heit,
das hier insgesamt weit überwiegt: Siechtum – Krankheit, Reichtum – Karg-
heit; vgl. ferner Heilig-, Eigentum. – Ein Sonderfall ist Deutschtum, seman-
tisch entsprechend den obengenannten deonymischen Derivaten ,Gesamt-
heit der für die Deutschen typischen Lebensäußerungen; deutsche Wesens-
art‘, außerdem ,Zugehörigkeit zum deutschen Volk‘ und ,Gesamtheit der
deutschen Volksgruppen im Ausland‘ (nach GWDS).
3) An verbale Basis – jedoch ohne produktives Modell – sind heute anzu-
schließen Irr-, Wachstum, spätmhd. wahstuom, möglicherweise zu einem
Substantiv ahd. mhd. wahst ,Wuchs, Wachstum‘ (Wilmanns 1899, 393); vgl.
auch okkasionell Wandertum (DWb 2, 240).
2.3 Suffixderivation 225

2.3.2.18 Suffix -ung


Das Suffix -ung, mhd. -unge (zur Formgeschichte Wilmanns 1899, 369ff.)
gehört zu den produktivsten substantivbildenden Suffixen der deutschen
Gegenwartssprache. Das Suffix bildet Feminina, weit überwiegend von ver-
baler Basis. Die vielfältigen Konkurrenzen bestimmter Wortbildungsreihen
der -ung-Derivate mit anderen Wortbildungsmodellen und auch mit syn-
taktischen Konstruktionen lassen die -ung-Derivation als eine semantisch
offene und wenig festgelegte Bildungsweise erscheinen. Sie bildet „eine Syn-
these der Wortarten ,Verb‘ und ,Substantiv‘ mit wechselnder Dominanz der
verbalen und der substantivischen Eigenschaften“ (Schippan 1967, 63).
1) Verbale Basis
1.1) Formativstrukturen der Basis
Simplex, transitiv: Bind-, Duld-, Glätt-, Röst-, Spaltung; intransitiv: Atm-,
End-, Fahnd-, Gleich-, Schwank-, Zuckung; reflexiv (seltener): Ball-, Gabe-
lung.
Präfix- bzw. Partikelverb, transitiv: Ablös-, Aufheb-, Beleb-, Einführ-, Ent-
lüft-, Erreg-, Überrasch-, Verbindung; intransitiv: Abdank-, Einwirk-, Entsag-,
Erstark-, Verrohung; reflexiv: Aneign-, Auswirk-, Bemüh-, Einbild-, Entschließ-,
Erkält-, Verbeugung. Die Modelle mit Präfix- und Partikelverb werden stär-
ker ausgenutzt als die mit Simplizia, vgl. 1.2).
Komplexere verbale Basen: Abberuf-, Anerkenn-, Auserwähl-, Einverleib-,
Verabred-, Vorenthaltung. Da die Anzahl entsprechender Verben geringer ist,
sind auch die -ung-Derivate nicht so zahlreich.
Suffigiertes Verb (meist -ig[en], -ier/-isier/-ifizier[en]): Ängstig-, Festig-,
Huldig-, Peinigung; Blockier-, Lackier-, Profilierung; Katalogisier-, Normali-
sier-, Periodisierung; Elektrifizier-, Klassifizier-, Qualifizierung.
Desubstantivisches und deadjektivisches Verb: Entsittlich-, Verstaatlich-,
Verwirklichung. Die Derivate können noch komplizierter sein; mit vier
Ebenen hat man es zu tun bei Sinnbild > sinnbildlich > versinnbildlichen >
Versinnbildlichung.
Partikelverb mit adverbialer Verbpartikel Aneinanderkoppel-, Entgegen-
stell-, Hintereinanderschalt-, Übereinstimm-; Zurückverweisung.
Verbale Basissyntagmen sind vielfach phrasemisch. Am häufigsten begeg-
net wohl Verb + Akkusativ- oder Präpositionalkomplement, vgl. Farbgeb-,
Grundsteinleg-, Indienststell-, Zugrundelegung; mit komplexem Basisverb:
Bauausführ-, Berichterstatt-, Farbzerstreu-, Wasserverdrängung.
Zwischen Komposita mit einem Derivat auf -ung als Zweitglied und
Derivaten von Syntagmen ist von gleitenden Übergängen auszugehen
(¢ 1.8.1.2). Verzichtleistung wird man eher auf das Syntagma Verzicht leisten
226 2 Wortbildung des Substantivs

als Basis zurückführen; Durchschnittsleistung dagegen eher als Kompositum


aus Durchschnitt und Leistung ansehen. Maßgebend dafür sind Geläufigkeit
und Bedeutung der Konstituenten sowie ihr Verhältnis zur Bedeutung der
Wortbildung.
Das erste Element des Syntagmas kann auch ein Partizip II, ein Adverb,
Pronomen oder Adjektiv sein, vgl. Bekanntmachung, Kenntlichmach-, Selbst-
verstümmel-, Unschädlichmachung. Damit berühren sich die Derivate von
Partikelverben wie Freistellung.
1.2) Nicht alle genannten Formativstrukturen werden in gleicher Weise
genutzt. Es gibt Vorzugsbildungen und bestimmte Einschränkungen (vgl.
Schippan 1967, 62 ff.). Meier (1964) verzeichnet 1167 -ung-Derivate als
mindestens zehnmal belegt; dabei sind okkasionelle Bildungen ausgeschlos-
sen. Von diesen 1167 Derivaten hat fast die Hälfte der geläufigen -ung-De-
rivate ein Präfix- oder Partikelverb als Basis.
Demgegenüber ist in vielen Fällen das Derivat von einem verbalen Sim-
plex nicht geläufig: Anhörung – *Hörung, Besprechung – *Sprechung, Ausrau-
bung – *Raubung, Vernehmung – *Nehmung. Offenbar werden Simplizia
„mit durativer Bedeutung“ seltener als Basis verwendet (DWb 2, 213). Doch
auch die Präfix- und Partikelverben sind nicht gleichmäßig derivationsaktiv.
Vielfach fehlt das -ung-Derivat dort, wo nach einem anderen Modell gebil-
dete semantisch ähnliche Lexeme bzw. entsprechende Simplizia geläufig
sind (vgl. Wilmanns 1899, 388; Paul 1920, § 55; Schippan 1967, 62 ff.):
Abgabe – *Abgebung, Verrat – *Verratung, Aussage – *Aussagung. Doch sind
durchaus auch entsprechende Parallelbildungen gebräuchlich: Auslage –
Auslegung u. a. Dabei ist mit historischen Verschiebungen zu rechnen, vgl. in
der Dresdener Geschäftssprache des 16. Jh.: mit Nehmung (,Wegnahme‘) der
Maltz; eynnen pawer (,Bauern‘) beschedigt mit Wundung (Stadtarchiv Dres-
den. Gerichtsbuch 385, 46a, 4b). Auch fachsprachlich können entsprechen-
de Derivate – entgegen dem Allgemeinwortschatz – geläufig sein: vgl. bei der
Findung des Urteils (GWDS).
Derivationsinaktiv in Bezug auf -ung sind die modalen Hilfsverben sowie
komplexe Verben aus zwei Verbstämmen (rührbraten, saugbohnern).
Was suffigierte Verben betrifft, so sind -ung-Derivate von Verben auf
-ig(en) durchgängig möglich, weitgehend auch von Verben auf -ier(en).
Weniger einheitlich verhalten sich Verben auf -el(n)/-l(n). Offensichtlich
haben zahlreiche Verben mit diminuierender oder diminuierend-iterativer
Bedeutung eine geringe Derivationsaktivität, vgl. lächeln, sticheln, tröpfeln,
hüsteln, kränkeln u.a. (doch Partikel- und Präfixverben: Einträufelung, Ver-
ästelung). Blockiert ist die Derivation auch bei Verben onomatopoetischen
Charakters wie lispeln, murmeln u.Ä.
2.3 Suffixderivation 227

1.3) Die Wortbildungsbedeutung der -ung-Derivate ist durch die Ausbil-


dung verschiedener Wortbildungsreihen gekennzeichnet. Vielfach ist ein
und dasselbe Derivat mehrdeutig. Die Derivate müssen allerdings nicht alle
Lesarten des Basisverbs aufnehmen (¢ 1.5.4.3). Das Derivat Deckung über-
nimmt vom Basisverb decken die Lesarten ,Nachfrage befriedigen‘ (Deckung
des Bedarfs), ,Schutz gewähren‘ (Deckung des Rückzugs), ,für etwas aufkom-
men, Sicherheit gewähren‘ (Deckung des Wechsels), nicht jedoch ,etwas deckt
sich mit etwas‘ (*Deckung der Dreiecke).
a. Wortbildungsbedeutung: Nomina Actionis mit den vom Verb ererbten
Merkmalen der Transitivität und der Temporalität. Die Basis bilden transi-
tive Verben. Das Akkusativkomplement des Verbs erscheint beim -ung-De-
rivat als Genitivattribut, das Agens wird mit durch angeschlossen. Die mög-
liche Verbindung mit einer Temporalpräposition weist auf die bewahrte
Zeitlichkeit: Der Lehrer behandelte dieses Problem – während der Behandlung
dieses Problems durch den Lehrer; ähnlich während der Ausarbeitung der Vor-
tragskonzeption, der feierlichen Auszeichnung der Absolventen u.v.a.
Beschränkungen bzw. Modifikationen in der „Argumentvererbung“
(Olsen 1986a, 78 ff.) zeigen sich z.B. auch bei transitiven Verben darin, dass
sich ihr Akkusativobjekt dem -ung-Derivat nicht als Genitivattribut anfügen
lässt: Er hat gute Arbeit geleistet – *seine Leistung guter Arbeit (wohl aber: seine
gute Arbeitsleistung); vgl. ferner Bekanntmachung, Bemerkung, Fälschung,
Meldung, Verfügung u. Ä. Hier überwiegt offenbar die Bedeutung als Nomen
Acti (s.u.).
Die gleiche Wortbildungsbedeutung prägen aus – z. T. mit demselben
Basisverb –: Derivate auf -e, deverbale Konversionen sowie Derivate auf
-ion/-tion/-ation; dazu kommen Derivate auf -t (Fahrt), Bildungen nach
einem heute unproduktiven Modell.
Die Derivate auf -e neben denen auf -ung (Eingabe – Eingebung, Niederlage
– Niederlegung) haben sich teilweise zu Nomina Acti weiterentwickelt oder
sind demotiviert.
Die Derivate auf -ion/-tion/-ation sind an Verben auf -ier(en) gebunden:
Assimilierung – Assimilation, Proklamierung – Proklamation. Die konkurrie-
renden -ion/-tion/-ation-Derivate tendieren stärker zur Ausbildung der
zweiten Lesart als Nomina Acti: Klassifikation ist das Ergebnis der Klassifizie-
rung usw.; Delegierung (nur Prozess) – Delegation (Prozess und Ergebnis,
Nomen Actionis und Nomen Acti). Bei indigener Basis übernimmt -ung
beide Lesarten: Abordnung u. Ä. Weiteres dazu s.u.
Bei den Paaren Konversion einerseits und -ung-Derivat andererseits ten-
dieren die -ung-Derivate stärker zur Ausbildung von Nomina Acti: Erwerb
,Prozess des Erwerbens‘ – Erwerbung ,was erworben wurde‘. Steht neben der
228 2 Wortbildung des Substantivs

Konversion kein paralleles -ung-Derivat, kann auch den Erstgenannten die


Bedeutung als Nomen Acti zukommen: Ertrag, Vertrag. Bisweilen sind die
unterschiedlichen Bildungsweisen an verschiedene Lesarten des Basisverbs
gebunden: Vertreibung (,forttreiben‘, bezogen auf Lebewesen) – Vertrieb
(,verkaufen‘, bezogen auf Waren);¢ 1.5.4.3.
Kombinationsbeschränkungen von Infinitivkonversionen bzw. -ung-De-
rivaten zugunsten des jeweils anderen Modells finden sich in Funktions-
verbgefügen: eine Untersuchung vornehmen, ins Schwanken kommen. Au-
ßerhalb von Funktionsverbgefügen kommt es allerdings nicht selten zu syn-
onymischem Nebeneinander: während intensiven Untersuchens/intensiver
Untersuchung (vgl. Schäublin 1972, 40ff.).
b. Wortbildungsbedeutung: Nomina Actionis. Die Basis bilden intransi-
tive (z. T. reflexive) Verben; die Möglichkeit der Temporalpräposition ist
gegeben. Das Agens wird nicht mit durch, sondern als Genitivattribut (bzw.
ersatzweise mit von) angeschlossen: Das Flugzeug landet – während der Lan-
dung des Flugzeugs; vgl. Entstehung von Schwierigkeiten, Herausbildung der
Nationalsprache. Auch hier sind syntaktische Modifikationen zu beachten:
Präpositionale Rektion wird in der Regel vom Derivat in gleicher Weise
übernommen: Er bewirbt sich um die Stelle – seine Bewerbung um die Stelle.
Anders aber bei Dativkomplementen: Er entfremdet sich seinen Eltern – seine
Entfremdung von seinen Eltern.
Die Konkurrenz anderer Bildungsweisen ist hier weniger ausgeprägt, vor
allem ist auf die Infinitivkonversion hinzuweisen: bei der Entstehung/dem
Entstehen von Schwierigkeiten, während der Schwankung/des Schwankens der
Stromspannung. Die -ung-Derivate fassen im Unterschied zu den Infinitiv-
konversionen den Vorgang profilierter; er lässt sich vereinzeln und in vielen
Fällen lässt sich dann durch den Plural die Wiederholung mehrerer Einzel-
akte ausdrücken (Landungen, Schwankungen), während der substantivierte
Infinitiv in diesen Fällen nur ein ständiges Kontinuum auszudrücken ver-
mag. Das komplementäre Verhältnis beider Bildungsweisen zeigt sich auch
in unterschiedlichem Kompositionsverhalten: bei Erscheinen des Buches,
aber: Erscheinungsort, -jahr (nicht *Erscheinensort), Neuerscheinung.
In einem ähnlichen Verhältnis stehen auch die Paare von Verbstamm-
und Infinitivkonversion: der Ruf – das Rufen, der Zerfall – das Zerfallen.
c. In vielen Fällen findet sich eine ausgeprägte Verflechtung von Nomen
Actionis und Nomen Acti in der Bedeutungsstruktur eines Derivats: Schwä-
chung des Körpers, Verfeinerung der Sitten, ferner Abdichtung, Entblößung,
Rettung, Sättigung, Stärkung u.a. Der Gebrauch einer Temporalpräposition
ist an die Bedeutung Nomen Actionis gebunden.
2.3 Suffixderivation 229

Die sich mit der Bedeutung des Nomen Acti ergebende Beziehung zwi-
schen -ung-Derivat und Partizip II (die gute Übersetzung des Romans – der
Roman ist gut übersetzt) ermöglicht Synonymie zwischen -ung-Derivat und
departizipialem -heit-Derivat: Aufregung – Aufgeregtheit, Verstimmung –
Verstimmtheit. Diese Tendenz ist umso stärker, je mehr die als Basis der
-heit-Derivate dienenden Partizipien adjektivischen Charakter haben (des-
halb nicht: *Übersetztheit u. Ä.; vgl. Schäublin 1972, 49ff.). Hier bietet sich
auch ein Ausweg aus der starken Polysemie der -ung-Derivate.
Weitere Möglichkeiten der Differenzierung liegen in der substantivieren-
den Konversion infinitivischer Syntagmen: statt Auslieferung – das vollkom-
mene Ausgeliefertsein bzw. das Ausgeliefertwerden.
d. Nomina Acti: eine Sammlung von Briefmarken, verwertbare Erfindung,
Erfrischung, Lenkung ,Lenkvorrichtung‘, Kupplung u. v.a.
In Abhängigkeit von der Semantik des Basisverbs (insbesondere bei ver-
balen Ornativa) hat sich ein Modell der Bildung von Kollektiva entwickelt
(vgl. DWb 2, 181f., dort Hinweis auf Fachwortschätze): Bekleidung ,Ge-
samtheit der Kleidungsstücke‘, Dielung ,Gesamtheit der Dielen‘, ähnlich
Bebilderung, Bestuhlung, Bewölkung, Bezifferung ,Gesamtheit der Ziffern‘,
Schaltung, Täfelung, Takelung u. a.
Das -ung-Derivat tritt hier auch als verdeckte Personenbezeichnung auf,
meist ebenfalls als Kollektivum, z.T. aber auch auf Einzelpersonen bezogen,
vgl. Abteilung, Bedienung, Führung, Leitung, Regierung, Vereinigung, Vermitt-
lung, Vertretung, Begleitung. Ein Teil dieser Derivate hat eine lokale seman-
tische Komponente: Die Abteilung (,Stelle‘) ist heute geschlossen; vgl. auch
Ansiedlung ,Ort‘, Niederlassung, Wohnung, Mündung.
Angesichts der großen Zahl der polysemen Bildungen lässt sich u.E. nicht
von mehr oder weniger gelegentlichen Bezeichnungsübertragungen der fer-
tigen Derivate sprechen, sondern es liegen jeweils spezifische Bildungsmo-
delle der -ung-Derivation vor. In Fällen wie Kupplung und Täfelung ist der
Weg über eine Vorgangs- bzw. Handlungsbezeichnung zudem zweifelhaft.
2) Substantivische Basis begegnet in einem allenfalls noch schwach pro-
duktiven Modell als Kollektivum, vgl. Holzung, Satzung, Stallung, Waldung,
Wandung. Demotiviert ist Zeitung. Die Basis bilden ausschließlich Simplizia.
3) Adjektivische Basis – ein unproduktives Modell – ist in synchroner
Sicht anzusetzen bei Dickung, Niederung, vielleicht auch Wüstung (wüst statt
Wüste ?).
4) Nicht wenige -ung-Bildungen sind heute völlig demotiviert und die
Herstellung der Motivationsbeziehungen des Grundmorphems macht
Schwierigkeiten. Entweder ist das als Basis dienende Wort (meist ein Verb)
230 2 Wortbildung des Substantivs

im freien Gebrauch nicht mehr üblich oder es handelt sich um eine jüngere
Entlehnung. Vgl. Innung zu mhd. innen ,in einen Verband aufnehmen‘,
Losung ,Erkennungswort‘ zu mhd. lōzen ,ein Los ziehen‘, Schöpfung zu mhd.
schepfen ,(er)schaffen‘ (wozu Schöpfer, schöpferisch), Böschung zu aleman-
nisch Bosch ,Strauch‘, Dünung ,Seegang nach Sturm‘ zu niederdt. dūnen
,auf und nieder wogen‘ (vgl. Dudenband 7, 2007, 364, 494, 736, 107, 161).

2.3.2.19 Suffix -werk


Im Unterschied zu Zweitgliedern wie -gut und -zeug (¢ 2.2.1.5.1) betrachten
wir -werk (ebenso -wesen; ¢ 2.3.2.20) auch weiterhin (vgl. Fleischer 1969b,
162) als Suffix. In den Wortbildungsreihen mit dem Suffix -werk (neben
dem als Homonym das Substantiv Werk als Zweitglied in Komposita wie
Chemiewerk fungiert) hat sich dies so weit vom Bedeutungskomplex des
Substantivs Werk ,Schaffen, Handlung, Tat, Geschaffenes, Fabrik‘ gelöst
(dazu bereits Wilmanns 1899, 555 f.), dass der Status eines Suffixes anzu-
nehmen ist. Das Element -werk kann in diesen Fällen nicht mehr die ganze
Wortbildung vertreten, was bei den Determinativkomposita die Regel ist.
Die Derivate haben wie die Komposita neutrales Genus.
1) Substantivische Basis, Wortbildungsbedeutung: ,Kollektivum‘.
Als Basis werden bevorzugt Bezeichnungen von Pflanzen und Pflanzenteilen
(Ast-, Blatt-, Blätter-, Busch-, Kraut-, Kräuter-, Laubwerk) und von Stoffen
(Leder-, Pelz-, Zuckerwerk) benutzt, die nicht unmittelbar auf menschliche
Tätigkeit Bezug nehmen (wie dies für das freie Substantiv Werk gilt). Da-
neben stehen allerdings auch Fälle wie Balken-, Dach-, Gitter-, Mauer-,
Schuhwerk (dies neben -zeug). Personen- und Tierbezeichnungen fehlen als
Basis; seltener sind Abstrakta wie in Formel-, Regelwerk.
Die Textfrequenz derartiger Derivate wird als gering bezeichnet (DWb 2,
165).
2) Verbale Basis, Wortbildungsbedeutung: Nomen Acti, auch konkrete
Sachbezeichnung: Bauwerk ,was gebaut worden ist‘, ebenso Back-, Schnitz-,
Strickwerk. Synonymisch dazu Derivate auf -ei/-erei wie Schnitzerei, bei dem
allerdings die Bedeutung als Nomen Actionis dominiert.
In manchen Fällen (Bild-, Dichtwerk) ist die Abgrenzung zwischen Kom-
positionsglied und Suffix problematisch. Das gilt insbesondere für Bildun-
gen mit Verbstamm oder Verbalsubstantiv als Erstglied, die eine Gesamtheit
funktionierender Maschinenteile bezeichnen: Gang-, Lauf-, Schlag-, Schöpf-,
Triebwerk. Dabei besteht partiell eine komplementäre semantische Relation
zu -gut: Mahlwerk ,was mahlt‘ – Mahlgut ,was zum Mahlen bestimmt ist/
gemahlen wird‘, ähnlich Rührwerk – Rührgut.
2.3 Suffixderivation 231

2.3.2.20 Suffix -wesen


Das Suffix -wesen hat sich aus dem kompositionell gebrauchten substanti-
vierten Infinitiv des Verbs sein, ahd. wesan, entwickelt: mhd. wesen ,Aufent-
haltsort, Art zu sein‘. Es bildet Neutra. Fugenelemente treten auf wie bei
Komposita (¢ 2.2.12), was aber auch bei anderen Suffixen gilt (-schaft, -tum).
Basissubstantive auf -e haben meist -n (Hütten-, Rentenwesen). Hat das Sub-
stantiv keinen Plural, fehlt ein Fugenelement (Fürsorgewesen). Substantive
mit Pluralzeichen -e haben ebenfalls -e in der Fuge, gegebenenfalls mit
Umlaut (Städte-, Ständewesen). Von dem frei gebrauchten Substantiv das
Wesen ,kennzeichnende Eigenschaft einer Person, Erscheinung oder Sache,
lebendes Individuum‘ ist das Suffix -wesen semantisch stark differenziert
(vgl. Fleischer 1969b, 163f. mit Hinweis auf entsprechende Abstufung von
-gut, -zeug, -werk).
Das Derivationsmodell mit -wesen fungiert in der Regel mit simplizischer
oder komplexer substantivischer Basis, vorwiegend Abstrakta, seltener Per-
sonen- und Sachbezeichnungen.
Wortbildungsbedeutung: ,Kollektivum‘, ,Gesamtheit der Einrichtungen
oder Vorgänge, die zu einem Oberbegriff gehören‘, vgl. Film-, Flug-, Kredit-,
Rechts-, Schulwesen; Bibliotheks-, Bildungs-, Erziehungs-, Gesundheits-, Kran-
kenhaus-, Gießerei-, Rechnungs-; Hochschul-, Sozialversicherungs-, Wortbil-
dungswesen (v. d. Gabelentz), Privilegienwesen (Der Spiegel 1989).
Verbale Basis liegt vor in Melde-, Werbewesen. Adjektivische Basis fehlt.
Die Derivate sind Wörter der Verwaltung. Sie bezeichnen vor allem Teil-
bereiche des Organisationsapparats – nicht selten auch dort, wo die Basis
allein dazu auch ausreichte: Bildung, Sozialversicherung, Verwaltung. Die
Derivate auf -wesen sind allerdings stärker monosem als die Basisabstrakta.
Das Modell „ist um 1800 schon recht produktiv“, reicht aber noch weiter
zurück (DWb 2, 183).
2.3.2.21 Diminutivsuffixe

1) Diminuierung und Augmentation entsprechen einander als Verkleine-


rungs- bzw. Vergrößerungsbildung. Im Unterschied aber z.B. zu den ro-
manischen und den slawischen Sprachen kennt das Deutsche ein ausgebau-
tes System spezieller Wortbildungsaffixe nur für die Diminuierung. Die
Augmentation wird – wie die Diminuierung noch zusätzlich – im Wesent-
lichen durch das Kompositionsprinzip geleistet (¢ 2.2.2.3.3), wobei auch exo-
gene Konfixe beteiligt sind (¢ 2.2.8); des Weiteren sind bestimmte Wort-
bildungsreihen einzelner Präfixe (un-, erz-) zu nennen. Zum Vergleich von
Diminuierung und Augmentation in verschiedenen europäischen Sprachen
vgl. Würstle 1992, Dressler/Barbaresi 1994; Donalies 2005a.
232 2 Wortbildung des Substantivs

Diminutivsuffixe begegnen – mit semantischen Abschattungen – auch


beim Adjektiv (,graduierend‘ bläulich), beim Verb (,diminutiv-iterativ‘ hüs-
teln) sowie bei Grußpartikeln (ugs., v.a. in gesprochener Sprache, hallöchen;
vgl. Wiese 2006). Hier geht es jedoch zunächst nur um die Diminutivsuffixe
des Substantivs.
In ihrer Masse vertreten die Diminutiva die Wortbildungsart der sub-
stantivischen Derivation; die Basis ist ein Substantiv und das Derivat eben-
falls. Jedoch auch die Transposition mit Wortartwechsel (vor allem Adjektiv
> Substantiv wie Dummchen) fehlt nicht völlig.
Nicht nur in den Dialekten, von denen manche über eine Fülle von Di-
minutivsuffixen verfügen, sondern auch in der Standardsprache stehen
mehrere Suffixe zur Verfügung. Die wichtigsten sind -chen und -lein; eine
gewisse Rolle spielen auch -el, -le und -ke sowie einige Fremdsuffixe. Abge-
sehen von den Fremdsuffixen bilden die Diminutivsuffixe Neutra. Generelle
Beschränkungen für die Diminuierung gelten für die meisten Derivate
(außer -el und -er, dazu s. u.). Diminuierbar sind auch manche Pluraliatan-
tum (Geschwisterchen, Leutchen).
Das Suffix -chen, mhd. -chı̄n, ist entstanden durch Erweiterung des Suf-
fixes -ı̄n mit -ch-, niederdt. unverschoben -k-; es ist nicht diphthongiert zu
-chein, da -ı̄ gekürzt und dann zu -e- abgeschwächt wurde.
Das Suffix -lein, mhd. -lı̄n, ist entstanden durch Erweiterung von -ı̄n mit
-l- und anschließender Diphthongierung. So stehen nebeneinander Häus-
chen – Häuslein, Briefchen – Brieflein.
2) Die Verwendung von -chen und -lein zeigt phonologisch bedingte sowie
diatopische und wohl auch textsortenbedingte Unterschiede (prinzipiell zu
diesen Fragen Ettinger 1980; DWb 2, 127ff.).
Phonologische Unterschiede (zu phonologischen Bedingungen für Affix-
variation vgl. Plank 1981, 41; Würstle 1992, 57): An Substantive auf -l/-le
tritt -chen (sofern nicht -el den Auslaut bildet wie in Vogel, dazu s. u.), vgl.
Keul-, Röll-, Seel-, Spielchen. An Substantive auf -ch, -g und -ng tritt in der
Regel -lein: Bäch-, Ring-, Tüch-, Zweiglein; Flüchlein (LVZ 2010). Das Zu-
sammentreffen von -sch mit -ch stört dagegen nicht in Bröschchen (F. J.
Degenhardt), Fläschchen, Täschchen (doch Menschlein). Substantive auf -el
lassen -chen wie -lein zu (ausführlich dazu aus der Sicht einer „resultatsori-
entierten Beschreibung“ Plank 1981, 155ff.), bei Verwendung von -lein wird
der unbetonte Zwischenvokal -e- in der Regel (seltener: Engelein u.Ä.) ge-
tilgt: Englein – Engelchen, Mäntlein – Mäntelchen, Spieglein – Spiegelchen
(aber: Eselein, dazu Plank 1981, 157); doch Decklein – Deckchen zu Decke,
Deckelchen (nicht: Decklein) zu Deckel.
2.3 Suffixderivation 233

Substantive auf -e oder -en tilgen diesen Auslaut: Kiste – Kistchen,


Zapfen – Zäpfchen; Auge – Äuglein, Wagen – Wäglein.
Umlaut des Stammvokals der Basis tritt in Verbindung mit -lein stets ein,
unterbleibt dagegen in Verbindung mit -chen in bestimmten Fällen, z. B. in
einer Reihe von Rufnamen und ihnen nahe stehenden Personenbezeich-
nungen (Karlchen, Kurtchen, Dorchen, Trudchen, Muttchen, Onkelchen, Frau-
chen, aber Männchen, Fräulein). Auch bei Fremdwörtern steht in Verbin-
dung mit -chen vielfach Umlaut: Histörchen; Romänchen (V. Ebersbach), des
Bastärdchens (Th. Mann).
Geografische Differenzierung (zu Geografie und Geschichte vgl. Tiefen-
bach 1987): -lein ist vor allem oberdeutsch beliebt; die oberdeutschen
Mundarten kennen eine ganze Reihe von Varianten des -l-Diminutivums
(Rössel, Messerle, Raderl ,Rädchen‘, Blättli u.a.). Standardsprachlich ist
heute -chen am weitesten verbreitet, aber oberdeutsche Schriftsteller zeigen
bisweilen einen stärkeren Anteil von -lein-Bildungen. So verwendet H. Hes-
se in einem seiner frühen Romane („Gertrud“ 1910) 11 Wortbildungen mit
-lein (z. B. Bahnhöf-, Zimmerlein) neben 10 mit -chen. In späteren Werken ist
Hesses Sprache weniger oberdeutsch gebunden; „Narziß und Goldmund“
(1930): -chen : -lein = 61 : 14, „Das Glasperlenspiel“ (1943): 48 : 3.
Textsortenbedingte Differenzierung: Größere Textkorpora verschiedener
Textsorten lassen insgesamt ein Verhältnis -chen : -lein = 4 : 1 (im WDG,
Buchstaben A–H = 3 : 1) erkennen. Was Unterschiede nach bestimmten
Textsorten betrifft, so sinkt die Frequenz von -lein „von Märchen und Bal-
lade über die Erzählung und den Roman bis zu Dramatik und Lyrik“ (DWb
2, 131, 133). In einer Ausgabe von Grimms Märchen findet Scheidweiler
unter 508 -chen- und -lein-Bildungen 52,2 % mit -lein und in einer Samm-
lung luxemburgischer Kinderlieder unter 85 Diminutivbildungen sogar
73 % mit -lein, woraus er – zumindest für diese Sprachlandschaft – den
Schluss zieht (gestützt noch durch eine Reihe von Tests), dass dem Suffix
-lein eine Konnotation ,poetisch‘ und ,märchenhaft‘ zuzusprechen sei
(Scheidweiler 1984/85, 78 f.).
Semantische Differenzierung besteht zwischen -chen und -lein nur in ei-
nigen Fällen unterschiedlich starker Demotivation: Männchen und Weibchen
beziehen sich auch auf Tiere, Männlein und Weiblein nur auf Menschen; vgl.
ferner Frauchen – Fräulein, Fähnchen – Fähnlein ,Truppeneinheit‘ (histo-
risch).
3) Das Diminutivsuffix -chen tritt auch erweitert als -elchen und -erchen
auf.
-elchen, entstanden im Anschluss an Bildungen wie Vögelchen, wo -el zur
Basis gehört, sowie wohl auch durch Anfügung an landschaftlich diminu-
234 2 Wortbildung des Substantivs

ierendes -el („potenziert“) wie Buch > Büchel > Büchelchen, erscheint
schließlich auch in anderen Fällen: Blümelchen, Sächelchen (Goethe), Schlän-
gelchen (A. Seghers), Fenstervorhängelchen (M. W. Schulz), Schlägelchen
,leichter Schlaganfall‘, Löchel-, Wägelchen u. a. Dieses Modell ist für Mittel-
deutschland schon im 14./15. Jh. nachweisbar (Kluge 1925, 30).
-erchen (wie in Prösterchen) entstand in Anlehnung an
a. Fälle wie Äckerchen, Hämmerchen (-er = Basisauslaut);
b. Derivate von Pluralformen wie Dinger-, Kinderchen (Wörterchen bei Her-
der);
c. deverbale Derivate auf -er (Rülpserchen).
Damit ist die Möglichkeit diminuierender Derivation von verbaler Basis
geschaffen (Schmeckerchen, s.u.).
4) Zum meist hypokoristischen Suffix -i ¢ 2.3.2.8.
5) Die übrigen Diminutivsuffixe spielen – wie angedeutet – in der Stan-
dardsprache nur eine geringe Rolle; sie sind an bestimmte Lexeme gebun-
den.
So erscheint -el in Bündel, Büschel (Gras-, Haar-), Krümel, Ränzel (< Ran-
zen), Stadtsäckel (vereinzeltes Maskulinum; ebenso landschaftlich der Han-
sel); nur in Komposita z.B. Bänkelsänger (,der von einer Bank aus seine
Moritaten vortrug‘), Heinzelmännchen (zum Personennamen Heinz), Rös-
selsprung.
Okkasionell werden expressivitätssteigernd einzelne oberdeutsche Bil-
dungen auf -le in Publizistik und Belletristik verwendet: Heimat. Zuhause-
sein […] Häusle und Ländle (Sonntag 1989); usuell geworden sind Häusl-
bauer/Häuslebauer. Ländle verzeichnet Dudenband 1 (2009, 670) als
„landsch[aftliche] Bez[eichnung] für Baden-Württemberg od[er] Vorarl-
berg“.
Niederdeutschen Ursprungs ist -ke (vgl. Familiennamen wie Hartke), z. T.
diminuierend in Appellativa wie Steppke (¢ 2.3.4.4).
Von den Fremdsuffixen haben z.T. diminuierende Funktion (nur in Ver-
bindung mit Fremdwörtern, meist Feminina) -ine (Sonate – Sonatine, Viola
– Violine), -ette (Oper – Operette, Zigarre – Zigarette, Statue – Statuette),
vereinzelt -it (Meteor-it, Maskulinum). Die Basis von Bildungen auf -elle ist
im Deutschen synchron unanalysierbar, doch ist diminuierende Bedeutung
erkennbar in Fällen wie Novelle ,kleine Erzählung‘ (seit 1523), Bagatelle
,Kleinigkeit‘ (1688), Frikadelle ,kleiner Fleischkloß‘ (1692) u.a.
6) Wie bereits erwähnt, können substantivierende Diminutivsuffixe bis-
weilen auch an eine Basis anderer Wortart treten, vor allem an Adjektive:
Frühchen ,Frühgeborenes‘, Dumm(er)chen, Grauchen ,Esel‘, Bräunchen
2.3 Suffixderivation 235

,Mädchen mit braunem Haar‘ (Goethe), so ein Kleinchen (Th. Mann), Groß-
chen ,Großmutter‘ (regional in Hessen), vgl. auch den Märchentitel „Schnee-
weißchen und Rosenrot“ (niederdt. Schneewittchen); ferner über substanti-
viertes Adjektiv Alterchen, Dickerchen, mein Besterchen (M. W. Schulz).
Deverbale Diminutivbildung ermöglicht -erchen: Nickerchen (zu ein-
nicken ,einschlafen‘), Schmeckerchen ,Leckerbissen‘.
Substantiviertes Pronomen als Basis: Ichlein (Erben 1976a, 230).
7) Die Wortbildungsbedeutung der Diminutiva ist nicht nur ,Verkleine-
rung‘, sondern die Derivate (und zwar nicht nur Personenbezeichnungen
und sonstige Konkreta, sondern auch Abstrakta) erhalten in Verbindung
damit eine emotionale Konnotation, vgl. Städtchen gegenüber kleine Stadt,
Kleinstadt (Dressler/Barbaresi 1994). Unter diesem Gesichtspunkt sind auch
Rieslein und Zwerglein möglich (vgl. Plank 1981, 94). Die Konnotation kann
emotional-positiv (Mütterchen, Küsschen, Händchen, Kätzchen, ein Wein-
chen!) oder emotional-negativ, pejorativ sein: Muttersöhnchen (dazu Vater-
söhnchen, Th. Mann), Bürschchen, Freundchen, Jüngelchen, du Kavalierlein
(E. Strittmatter), sein persönliches Rühmlein (L. Feuchtwanger). Welcher Art
die ausgedrückte Konnotation in der Verwendung ist, hängt ganz wesentlich
vom Kontext ab (Wolf 1997, 395f.).
Die emotionale Konnotation behalten die Diminutiva auch bei adjekti-
vischer und verbaler Basis, nicht jedoch als Termini wie Elementarteilchen,
Blutkörperchen.
Hervorhebenswert ist die besondere Rolle des Diminutivsuffixes (in der
Regel -chen) bei Stoffbezeichnungen; es bewirkt hier eine Abgrenzung, Ver-
einzelung: Stäubchen ,Einzelteil von Staub‘, Lüftchen ,kleiner Luftzug‘, Zu-
ckerchen ,kleines Stück Zucker‘. Sie werden damit auch pluralfähig. In Hölz-
chen ,kleines Stück Holz‘, Gläschen ,kleines Trinkgefäß aus Glas‘ hat bereits
die polyseme Basis entsprechende Bedeutung.
Wie die meisten Diminutiva auf -el (s.o.) ist auch ein Teil derjenigen auf
-chen und -lein demotiviert: Veilchen und andere Pflanzenbezeichnungen,
Eichhörnchen, Frettchen und andere Tierbezeichnungen, Ohrläppchen, Kaf-
feekränzchen, Ständchen, Flittchen ,leichtlebiges Mädchen‘, Zipperlein (zu
mhd. zipfen ,trippeln‘) ,Gicht‘, Tötlein ,Totgeburt‘ (M. W. Schulz), Tödlein
(G. Keller), schon mittelniederdt. dödeken.
Nicht selten bilden Diminutiva eine stabile Komponente von Phrasemen;
-chen und -lein sind dann nicht austauschbar: aus dem Häuschen sein, sich ins
Fäustchen lachen, jmdm. ein Schnippchen schlagen.
236 2 Wortbildung des Substantivs

2.3.2.22 Movierung

1) Als Movierung oder Motion werden folgende Derivationsprozesse be-


zeichnet:
1.1) Bildung der femininen Entsprechung zu einem maskulinen Substan-
tiv (Arzt > Ärztin, Headhunter > Headhunterin);
1.2) Bildung eines als ,weiblich‘ (Sexus) markierten Substantivs zu einem
sexusneutralen Substantiv mit maskulinem oder femininem Genus (der
Storch > die Störchin, die Giraffe > die Giraffin);
1.3) Bildung eines als ,männlich‘ (Sexus) markierten Substantivs zu einem
als ,weiblich‘ (Sexus) markierten Substantiv (die Hexe > der Hexerich, Hexer);
1.4) Bildung eines als ,männlich‘ (Sexus) markierten Substantivs zu einem
sexusneutralen Substantiv mit femininem Genus (die Ente > der Enterich).
Die Movierung erfasst in der Regel Personen- und – seltener – auch Tier-
bezeichnungen; andere Fälle sind okkasionell-expressiv: die Glockentönin,
Schenkelinnen (Ljungerud 1973, 146).
Das dominierende Movierungssuffix ist heute -in, mhd. -ı̄n neben -inne
(zur Geschichte Wilmanns 1899, 311ff.); über weitere s.u.
Neben der „funktionellen“ Movierung (Ärztin ,weiblicher Arzt‘) spielt die
„matrimonielle“ (Generalin ,Ehefrau eines Generals‘) im heutigen Deut-
schen kaum noch eine Rolle (vgl. Plank 1981, 116ff.); doch vgl. die Namen
historischer Frauengestalten wie die Karschin, die Neuberin. In Substandard-
schichten werden diese Formen in Verbindung mit dem Familiennamen
z.T. heute noch gebraucht, meist mit zu -en/-n reduziertem -in: die Müllern,
Schulzen.
Ältere Bildungen mit -in zeigen meist Umlaut: Bäuerin, Köchin; Äffin,
Störchin. Der Umlaut unterbleibt gewöhnlich, wenn die Basis ein zweisil-
biges Wort mit unbetontem -e- in der zweiten Silbe ist (Kanzlerin, Malerin,
Stanzerin) sowie in den meisten wenig assimilierten Fremdwörtern und
anderen jungen Bildungen (Baronin, Bulgarin [aber Französin], Kameradin,
Pilotin, Sklavin; Soldatin, Botin, Gattin; Umlaut dagegen in „Die Päpstin“,
Titel von A. W. Cross).
Zeigt die Basis eine Folge von -erer im Auslaut, so wird bei Anfügung des
Movierungssuffixes -in ein -er getilgt (Haplologie): Hamsterer – Hamsterin,
Zauberin; Zögerin (LVZ 2010); über eine generelle „Tendenz der Gleichklang-
vermeidung“ vgl. Plank 1981, 153.
2) Das Movierungssuffix -in unterliegt verschiedenen Beschränkungen
(zur Suffixabfolge und entsprechenden Beschränkungen im Deutschen
grundsätzlich Eisenberg/Sayatz 2002, 144ff.).
2.3 Suffixderivation 237

2.1) Grammatisch-strukturell: Mit indigenen Derivaten wird -in nicht


kombiniert (*Raufboldin), ausgenommen mit solchen auf -er, wo es ganz
geläufig ist (Raucherin), und zunehmend auch auf -ling, obwohl hier eher
den Charakter des Okkasionellen tragend: Ankömmlingin, Flüchtlingin,
Günstlingin u.a. bei Ljungerud (1973, 150). Mehr als 1000 Google-Treffer
erreichen immerhin Fremdlingin, Lieblingin, Neulingin, mehr als 100 Feiglin-
gin, Flüchtlingin, Schreiberlingin, Zöglingin (20.07.2010). Eisenberg/Sayatz
halten solche Bildungen noch für ausgeschlossen; ebd., 152).
Für Fremdsuffixe gilt die Kombinationsbeschränkung nicht: Professorin,
Dekorateurin, Musikantin, Traktoristin. – Die deadjektivischen und depar-
tizipialen Konversionen werden ebenfalls nicht durch -in moviert (Ausnah-
men: Gesandtin, Freiin, Oberin); hier übernimmt der Artikel die entspre-
chende Funktion (der/die Alte, Angestellte, Vorsitzende).
2.2) Semantisch: Die Opposition ,männlich‘ – ,weiblich‘ kann durch gänz-
lich verschiedene Wörter ausgedrückt werden; dann fehlt gewöhnlich das
movierte Femininum: Mutter – Vater (*Vaterin), Hengst – Stute u.a.; hierzu
für die synchrone Beschreibung auch Hahn – Henne (ahd. hano – hennin,
henna; vgl. Wilmanns 1899, 309ff.). Fachsprachlich stehen gelegentlich
beide Ausdrucksmöglichkeiten nebeneinander: Fuchs – Füchsin neben
(Fuchs-)Rüde – (Fuchs-)Fähe.
2.3) Pragmatisch: Bei Tierbezeichnungen ist kein moviertes Femininum
üblich, wenn der Unterschied männlich – weiblich für den Menschen irre-
levant erscheint; vgl. Epicöna (undifferenzierte Bezeichnung für beide Ge-
schlechter) wie Aal, Floh, Wanze (*Wanzin), Specht u. a. Die Movierung er-
streckt sich also vorrangig auf „menschennahe Tiere, insbesondere bei Mut-
tertier-Jungtier- und Paarungs-Interaktionen“ (Plank 1981, 101). Hieraus
können sich fachsprachliche Spezifika in der Gebräuchlichkeit movierter
Feminina und auch andere spezielle Bildungen (vor allem in der Belletristik)
ergeben, vgl. den Roman „Die Rättin“ von G. Grass (allerdings feminine
Basis die Ratte) sowie Kalbin, Uhuin u.Ä. bei Ljungerud (1973, 148).
3) Unter den Personenbezeichnungen stellen die Berufsbezeichnungen
ein besonderes Problem dar. Zunächst steht nicht jeder weiblichen Berufs-
bezeichnung auf -in ein geläufiges männliches Gegenstück zur Seite, weil die
betreffenden Berufe eine Domäne von Frauen sind wie z.B. Kosmetikerin.
Doch die männlichen Gegenstücke ohne -in sind modellgerecht und stehen
bei Bedarf zur Verfügung.
Seit der ersten Auflage des vorliegenden Buches von 1992 hat sich in diesem Bereich
eine schnelle Entwicklung vollzogen. Zu den seinerzeit als Movierung ohne maskuline
Entsprechung genannten Beispielen Kindergärtnerin, Hortnerin, Stenotypistin sind
heute Kindergärtner, Hortner, Stenotypist durchaus üblich (Dudenband 1, 2009).
238 2 Wortbildung des Substantivs

Andererseits hat die männliche Form zwei Bedeutungen: Sie bezeichnet


erstens die Angehörigen eines Berufs mit dem zusätzlichen Merkmal
,männlich‘ und sie bezeichnet zweitens die Angehörigen eines Berufs unter
Neutralisierung der Opposition ,männlich‘ vs. ,weiblich‘ (was die Form auf
-in grundsätzlich nie kann): Minister, Monteur, Wissenschaftler. Die movier-
ten Formen sind heute uneingeschränkt üblich, da immer mehr Frauen
auch in traditionellen Männerberufen tätig sind (Bäckerin, Bundeskanzlerin,
Matrosin, Ministerin, Soldatin; auch Boxerin, Skispringerin). Sie werden vor
allem dann verwendet, wenn nicht der Allgemeinbegriff im Vordergrund
steht, sondern die „Berufsausübung durch eine Frau hervorgehoben wer-
den“ soll (Grundzüge 1981, 575).
Dass der Zunahme movierter Formen auch ein Schwund gegenübersteht,
zeigen Formen wie mhd. gestinne, heute okkasionell Gastin (L. Feuchtwan-
ger, vgl. Ljungerud 1973, 150), Gästin (Eva Strittmatter), frühnhd. knechtin
(Kluge 1925, 37), heute als ,Magd auf dem Lande‘ „wohl nur noch süd-
deutsch“ (Ljungerud 1973, 154).
4) Die Opposition ,männlich‘ vs. ,weiblich‘ kann auch noch auf andere
Weise ausgedrückt werden, insbesondere durch Komposita mit -mann, -frau
(Fachmann, -frau), durch Attribuierung mit den Adjektiven männlich, weib-
lich (männlicher/weiblicher Lehrling) sowie bei Tieren mit -männchen, -weib-
chen. Neben lange Zeit allein üblichen Komposita mit -mann treten bei
Bezug auf eine Frau immer mehr solche mit -frau: Business-, Fähr-, Feuer-
wehr-, Front-, Gefolgsfrau (des amerikanischen Präsidenten, PDW 2006), Ka-
mera-, Kauf-, Stroh-, Vertrauensfrau; im Sport: Schlag-, Schluss-, Steuer-,
Torfrau. Vereinzelt und stark expressiv dürfte dagegen noch sein Hinter-
frauen, Vorderfrauen statt Hintermänner, Vordermänner (immerhin über
3000 Treffer bei Google 2010 für Hinterfrauen, meist in der Verbindung
Hintermänner und Hinterfrauen). – Movierte Formen wie Landsmännin,
Namensvetterin stellen Ausnahmen dar. Neben -frau werden auch -dame
(Bar-, Vorführ-), -mädchen (Haus-, Stubenmädchen) und -schwester (Kran-
ken-, Säuglings-) verwendet. Partiell stehen Komposita mit -frau auch mehr
oder weniger synonymisch neben movierten Formen auf -in: Bauersfrau –
Bäuerin. Zum Teil haben die Komposita mit -frau stärker matrimonielle
Bedeutung: Arzt-, Gastwirtsfrau.
5) Im Sprachgebrauch der modernen Verwaltung lässt sich eine Tendenz
erkennen, den Sexus-Unterschied bei Berufsbezeichnungen in bestimmten
Fällen zurücktreten zu lassen; so entwickeln sich sexusneutrale Komposita
mit -hilfe (Büro-, Haushalts-, Küchen-, Reinigungshilfe) und -kraft (Lehr-,
Fach-, Schreib-, Reinigungs-). Ortner (1999, 338) verweist in dem Zusam-
menhang auf die Verwendung der „Schmeichelwörter“ Persönlichkeit, Profi,
2.3 Suffixderivation 239

Talent in österreichischen Zeitungen der 1990er-Jahre: Manager-, Unterneh-


merpersönlichkeit; Immobilien-, Kommunikations-, Werbeprofi; Führungs-,
Sekretariats-, Verkaufstalent.
6) Andere Movierungssuffixe treten gegenüber -in quantitativ zurück. Das
– vor allem matrimonielle – -sche ist auf die norddeutsche Umgangssprache
beschränkt (Bäckersche ,Bäckersfrau‘, vgl. DWb 2, 117ff.). An einzelne
Lexeme gebunden sind die Fremdsuffixe -ess/-esse/-isse (Stewardess, Clowness
,professionelle Clownin‘ (Internet 2010), Baronesse, Diakonisse), -euse (Fri-
seuse, Masseuse – daneben auch Friseurin, Masseurin), -ine (Cousin > Cou-
sine, blond > Blondine, ugs. scherzh. Azubine, obwohl Azubi bereits beide
Genera hat, vgl. Dudenband 1, 2009, 241), -ice (Direktrice, semantisch un-
terschieden von Direktorin).
Zu movierten Personenbezeichnungen, insbesondere zu Basen auf -eurin,
bildet -euse ironisch-scherzhafte Okkasionalismen: Kommandeurin – Kom-
mandeuse, Provokateuse (beide PDW 2005), Regisseuse (welt.de 2006). Auch
Nichtpersonenbezeichnungen können die Basis sein: Pedaleuse (,Radsport-
lerin‘), Serveuse (,Kellnerin‘; beide PDW 2005).
Zu -hans, -suse ¢ 2.2.11.4.2; zu -esse in Nomina Qualitatis ¢ 2.3.3.1(8).
7) Movierte Maskulina sind relativ selten und werden fast ausschließlich
zu Tierbezeichnungen gebildet, meist mit -rich/-erich: Ente > Enterich, ahd.
anutrehho (sekundär an -rı̄ch angelehnt), Gans > Gänserich, Täuberich, Mäu-
serich; okkasionelle Bildungen sind Bienerich, Schildkröterich (PDW 2006),
weitere Beispiele bei Ljungerud (1973, 147f.). Auch -er fungiert in Fällen wie
Hexe > Hexer (selten auch Hexerich), Witwe > Witwer; Puter, Tauber, Gan-
ser/Ganter als Movierungssuffix. Weiteres zur Maskulinmovierung durch
das Suffix -er bei Scherer 2005, 73 ff.

2.3.3 Exogene Suffixe

Exogene Suffixe verbinden sich nur in Ausnahmefällen mit indigener Basis


(¢ 1.9.3.2.2), sodass kaum Integrationstendenzen auszumachen sind. Daher
erscheint der Übersichtscharakter der folgenden Darstellung gerechtfertigt.
Einheiten, die auf spezielle Fachwortschätze begrenzt sind, werden hier
nicht behandelt.
Analysiert werden motivierte komplexe Fremdwörter, deren Zweitglied
ein Suffix ist. Da es sich hierbei sowohl um Entlehnungen als auch um
Bildungen im Deutschen handelt, sind nicht alle Bildungsmodelle im ge-
genwärtigen Deutsch gleichermaßen häufig vertreten. Ebenso sind nicht alle
240 2 Wortbildung des Substantivs

Modelle im Deutschen produktiv geworden. Nach Munske (2009, 240ff.)


entstehen seit dem 18. bzw. 19. Jh. neue substantivische Derivate v.a. durch
die Suffixe -ant/-ent, -ie, -ik, -ion/-tion/-ation, -ität, -ur, -itis, -ose, -eur, -ist
und -ismus, Lezteres „am produktivsten“ bei der Derivation von Substan-
tiven seit dem 18. Jh. (ebd., 242).
Nicht immer lässt sich bei exogenen Wortbildungen, die ihrer Struktur
nach Derivate sind, angeben, von welcher Basis sie abgeleitet sind. In Fällen,
bei denen die Motivationsbeziehungen nicht eindeutig gerichtet sind, ist
gegenseitige Motiviertheit anzunehmen. Substantive auf -anz/-enz stehen
z.B. oft neben Verben auf -ieren und Adjektiven auf -ant/-ent (Toleranz,
tolerieren, tolerant; Existenz, existieren, existent). Wir gehen hier von Suf-
fixsubstitution aus und bestimmen die Basen (toler-, exist-) als Konfixe.
Wenn das Suffix an einen im Deutschen geläufigen Stamm tritt (human >
Humanität), liegt dagegen Suffixaddition vor.
Damit im Zusammenhang steht das Verhältnis von Grundstammform
und Derivationsstammform, das bislang nicht in allen Einzelheiten geklärt
ist (grundsätzlich zur Bildung von „Stammparadigmen“ Fuhrhop 1998,
22 ff.).
Neben der Grundstammform verfügen viele Fremdwörter über eine oder
mehrere spezifische Derivationsstammformen: Problem > Problemat ik, pro-
blemat isieren, problemat isch; qualifiz ieren, Qualifik ation, qualifikator isch;
konzip ieren, Konzep tion; revid ieren, Revis ion. Problematisch ist in diesem
Zusammenhang auch die Segmentierung komplexer Fremdwörter (Deri-
vationsstammform vs. Suffixvariante: Konzept ion vs. Konzep tion). Sie er-
folgt hier weitgehend danach, wie Suffix bzw. Suffixformen einander in den
jeweiligen Wortfamilien ersetzen.
Wir ordnen die Darstellung nach den Genera und beginnen mit dem
Femininum, da der weitaus größte Teil der infrage kommenden Suffixe
feminine Substantive bildet. Übersicht 21 bietet eine nach Bezeichnungs-
klassen geordnete Zusammenfassung (S. 249).

2.3.3.1 Feminina

1) -ade/-iade: Sachbezeichnungen auf -ade stehen neben Verben auf -ieren


wie Marinade ,was zum Marinieren dient‘ – marinieren, Promenade ,wo man
promenieren kann‘. Desubstantivische Geschehensbezeichnung ist Kano-
nade < Kanone). Nicht hierher Parade (> paradieren). Robinsonade seman-
tisch zum Folgenden. – Das Allomorph -iade, gelöst aus Fällen wie Olympia
> Olympiade, tritt vorwiegend an Eigennamen und bildet Bezeichnungen
für sportliche oder künstlerische Wettbewerbe (Pamir-Alpiniade, Asiade
2.3 Suffixderivation 241

,Asienspiele‘, Schubertiade, Kaspariade ,Bühnenstück mit Kasperfigur‘ und


für Handlungen bzw. Verhaltensweisen (Chapliniade; I. Goll), meist gestal-
tet als Film, Theaterstück oder in Buchform (Boccacciade, Hanswurstiade,
Münchhausiade, Sibiriade (Filmtitel); vgl. auch Spartakiade, Universiade; his-
torische Galoppiade für einen historischen Abenteuerfilm; Köpenickiade
,Streich, Täuschungsmanöver, das durch das Obrigkeitsdenken der Men-
schen ermöglicht wird‘ (GWDS).
2) -age: Nomina Actionis stehen neben Verben auf -ieren wie Massage –
massieren, Passage, Sabotage, Spionage (z. T. mit Weiterentwicklung zur
Sachbezeichnung); eher Nomen Actionis ist Blamage; ggf. auch auf Sub-
stantive zu beziehen sind Sachbezeichnungen in der Art von Kollektiva Kar-
tonage, Trikotagen; zu Stellage ¢ 1.9.3.2.2.
3) -aille: Das Suffix ist reanalysiert aus Kanaille (seit Anfang des 17. Jh. aus
französ. canaille ,Hundepack‘ und wie dies auf Einzelpersonen anwendbar).
Okkasionell zur Bildung pejorativer Bezeichnungen von Personengruppen:
Diplomaille, Intellectuaille (E. Dühring), Generaille und Journaille
(K. Kraus).
4) -alien (aus lat. -ālia, vgl. Öhmann 1975) bildet Kollektiva, meist aus-
schließlich im Plural gebraucht: Archivalien, Formalien, Musikalien, Natu-
ralien, Personalien u. a.
5) -ante/-ente (aus lat. Partizipialformen wie -ans, -antis) bildet zu Verben
auf -ieren eine Art Nomina Agentis: Determinante ,was determiniert‘, Kon-
stituente, Tangente.
6) -anz/-enz (lat. -antia, -entia, französ. -ance, -ence) bildet Verbalsub-
stantive von Verben auf -ieren mit breiter semantischer Fächerung: Existenz,
Konferenz, Konkurrenz, Korrespondenz, Residenz, Tendenz. – Eine zweite
Reihe bilden die Eigenschafts- bzw. Zustandsbezeichnungen zu Adjektiven
auf -ant (dann -anz) oder -ent (dann -enz): Arroganz, Effizienz, Kompetenz,
Konsequenz; Sachbezeichnung ist Ambulanz (vgl. DWb 2, 272f.).
7) -erie (nach französ. -erie) bildet desubstantivische Bezeichnungen für
Verhaltensweisen (Clownerie, Scharlatanerie); in ähnlicher Weise von adjek-
tivischer Basis: Bigotterie, Galanterie, Koketterie. – Von Substantiven, die
keine Personenbezeichnungen sind, werden Kollektiva (z.T. mit Entwick-
lung lokaler Bedeutung) gebildet: Hotellerie, Maschinerie, Drogerie, Parfü-
merie, Szenerie.
8) -esse (französ. -esse, italien. -ezza) bildet vor allem deadjektivische Ei-
genschaftsbezeichnungen und konkurriert teilweise mit -heit: Akkuratesse –
Akkuratheit, Delikatesse, Noblesse.
Zu -esse als Movierungssuffix ¢ 2.3.2.22(6).
242 2 Wortbildung des Substantivs

9) -ie (lat. -ia, französ. -ie) bildet mit exogenen Basen Kollektiva (Aristo-
kratie, Bourgeoisie, Bürokratie), Bezeichnungen für Wissenschaftszweige
(Ökonomie, Philosophie) und für Regierungs- bzw. Staatsformen (Demokra-
tie, Monarchie). In Bezeichnungen mit -log- (Geolog-, Philolog-) ist von einer
Konfixkombination auszugehen, von der die Personenbezeichnung mit -e,
die Wissenschaftsbezeichnung mit -ie und das entsprechende Adjektiv auf
-isch gebildet werden. – Nebeneinander stehen auch auf ein Konfix zu be-
ziehendes Substantiv auf -ie und Adjektiv auf -isch in Bildungen wie Apathie
– apathisch, Ironie, Hierarchie, Dynastie, Empirie u.a.; ohne Adjektiv neben
sich, aber mit Verb: (Müll-)Deponie, deponieren.
Zur Bildung von Personenbezeichnungen zu Substantiven auf -ie Fuhr-
hop 1998, 124 ff.
10) -iere (französ. -ière): Die Bildungen lassen sich semantisch nicht zu-
sammenfassen. Motiviert sind Garderobiere durch Garderobe, Sauciere
durch Sauce; die übrigen Bildungen sind unanalysierbar. Portiere lässt sich
nicht auf Portier, Premiere (frz. premier ,erster‘) nicht auf Premier(minister)
beziehen.
11) -ik (griech.-lat. -ica, französ. -ique): Derivate von abstrakten Substan-
tivstämmen bzw. Konfixen sind Kollektiva: Motivik, Symbolik; z.T. mit
besonderen Derivationsstammformen: Gestik, Methodik, Rhythmik, Meta-
phorik; Problematik Programmatik, Thematik, Dramatik; zu Personenbe-
zeichnungen auf -ist: Germanistik, Publizistik, Realistik (konkurriert mit Re-
alismus). – Nebeneinander stehen, auf ein Konfix zu beziehen, Substantiv
auf -ik und Adjektiv auf -isch: Drastik – drastisch, Logik, Politik, Hektik,
Polemik, Spezifik, Kritik, Komik (vgl. DWb 2, 271ff.; Plank 1981, 217).
12) -ion (lat. -iō)/-tion/-ation bildet vorwiegend Verbalsubstantive zu
Verben auf -ieren; die Basis verfügt nicht selten über zwei Derivations-
stammformen: Explos ion – explod ieren, ferner Kollision, Division, Dekla-
mation, Delegation, Demonstration, Gestikulation, Variation, Kombination,
Konzentration.
Einige Wortbildungen sind den genannten Beispielen mit Beziehung auf
eine Verbalbasis anzuschließen, doch steht daneben auch noch ein Substan-
tiv oder Adjektiv: produzieren – Produktion – Produkt, abstrahieren – Ab-
straktion – abstrakt.
Die Überschneidung von -ion/-tion/-ation mit -ung (¢ 2.3.2.18[1.3]) – as-
similieren – Assimilation – Assimilierung – ist nur partiell; es gibt Verben auf
-ieren ohne Derivat auf -ion (nuancieren, plombieren u. a.), andererseits
solche ohne Derivat auf -ierung (vorwiegend intransitive Verben wie appel-
lieren, desertieren), und schließlich steht nicht neben allen Substantiven auf
2.3 Suffixderivation 243

-ion ein Verb auf -ieren (z. B. Resolution, Translation). Derivate auf -ion zu
Verben auf -ieren fehlen vor allem dann, wenn eine andere Ableitung ge-
bräuchlich ist: assistieren – Assistenz, bombardieren – Bombardement, kolpor-
tieren – Kolportage.
Mit den semantischen Unterschieden von -ion und -ung hängen syntak-
tische zusammen: Präzision des Ausdrucks (Genitivus subjectivus als Attri-
but) – aber Präzisierung der Aufgabe (die Aufgabe präzisieren – Genitivus
objectivus als Attribut); vgl. dazu Schäublin 1972, 81 f.
Eine Sondergruppe stellen -ion-Bildungen dar, die sich synchron nicht
auf ein Verb zurückführen lassen, ihrerseits aber zur Basis für Verben auf
-ieren (mit weiterer Derivation auf -ierung) geworden sind: Fusion – fusi-
onieren – Fusionierung, weiter Revolution, Subvention u. a.
Desubstantivische Derivate (selten) bezeichnen Vorgänge (Exkursion, Se-
kretion), z.T. einen höheren Grad der Abstraktheit als die Basis: Institut –
Institution.
Deadjektivische Derivate bezeichnen Eigenschaften bzw. Zustände von
Menschen: diskret – Diskretion, Desparation, Devotion; sie konkurrieren mit
Derivaten auf -heit ähnlich wie die Derivate auf -esse, vgl. Diskretheit. Die
Reihe ist nur schwach ausgebaut.
13) -ität (lat. -itās, -itātis, französ. -ité) ist nach -ion und -ie am stärksten
an der Bildung femininer Substantive beteiligt (zur Entwicklung der Lautge-
stalt von -teit über -tet zu -tät vgl. Öhmann 1967). Deadjektivische Wortbil-
dungen, meist Bezeichnungen von Eigenschaften und Zuständen, bilden die
größte Gruppe; bevorzugt werden (zum Folgenden DWb 2, 275f.) Adjektive
auf -abel/-ibel (Respektabilität, Disponibilität), auf -al und -il (Banalität,
Stabilität), -ell (aber mit Ersatz von -ell durch -al: individuell – Individualität,
ferner Aktualität, Provinzialität, Sexualität; ¢3.3.3[5]), -os (Burschikosität,
Grandiosität), -iv (Naivität, Objektivität); Basen anderer Lautstruktur haben
Absurdität, Humanität, Frivolität, Solidität. Basisvariation zeigen u.a. antik
> Antiquität, integer > Integrität, nervös > Nervosität, porös > Porosität (re-
gelmäßiger Wechsel von -ös zu -os bei Derivaten auf -ität). Konfixbasis
haben Substantive auf -izität (vgl. lat. simplicitas), dazu Adjektive auf -isch
Authentizität – authentisch, Elastizität – elastisch; Elektrizität – elektrisch;
Klassizität – klassizistisch und wenige andere.
Eine Wortbildungsreihe von Sachbezeichnungen ist etwas schwächer aus-
gebildet: Extremität, Lokalität, Rarität, Spezialität u.a.
Desubstantivische Bildungen bleiben vereinzelt: Moralität, Quantität (zu
Quantum).
Zu -ität mit indigener Basis ¢ 1.9.3.2.2.
244 2 Wortbildung des Substantivs

Das Suffix -ität konkurriert mit -heit/-keit/-igkeit, allerdings selten bei der
gleichen Basis (Absurdität, -heit, Naivität, -heit), andererseits mit entspre-
chender Fremdbasis gegenüber indigener Basis von -heit (Illegalität – Unge-
setzlichkeit, Stabilität – Festigkeit, Effektivität – Wirksamkeit). Wie beim Ne-
beneinander von -ion und -ung ist auch hier zu bemerken, dass die Distri-
bution des exogenen Suffixes stärker eingeschränkt ist als die des indigenen.
Die Form -tät ohne -i- findet sich fast ausschließlich in Bildungen, die im
Deutschen unanalysierbar sind: Fakultät, Majestät, Pietät, Pubertät.
14) -itis (griech. Adjektivsuffix zur Bezeichnung der Zugehörigkeit) bildet
medizinische Termini mit den Merkmalen ,krankhaft‘, ,entzündlich‘,
,akut‘ (Nortmeyer 1987, 395), vgl. Bronchie ,gegabelter Teil der Luftröhre in
der Lunge‘ – Bronchitis. In nichtterminologischer Verwendung bedeuten
-itis-Derivate ,etwas, was als zu oft, zu viel benutzt, getan angesehen wird‘
(GWDS), vgl. ugs. scherzhaft Telefonitis, Rederitis ,Sucht, dauernd zu tele-
fonieren, zu reden‘; zu Weiterem, insbesondere zur steigenden Produktiviät
des Modells vgl. DWb 2, 241; Feine 2003; Müller 2005, 35 f.
15) -ose (griech. -iōsis) bildet ebenfalls medizinische Termini als Krank-
heitsbezeichnung, im Unterschied zu -itis aber mit den Merkmalen ,dege-
nerativ, chronisch‘ bzw. ,Vergiftung‘ (vgl. Nortmeyer 1987, 394). Die Bil-
dungen sind teilweise weiter verbreitet; vgl. desubstantivisch: Furunkel –
Furunkulose, Tuberkel – Tuberkulose; Psyche – Psychose. Auf eine Konfixbasis
sind Verb und Substantiv zu beziehen in: Diagnose – diagnostizieren, Hypnose
– hypnotisieren. Von nicht dem medizinischen Sachbereich zugehörigen Bil-
dungen ist geläufiger Zellulose, daneben Zellstoff.
16) -ur (lat. ūra), -üre (französ. -ure), z.T. mit Allomorph -atur, bildet
Verbalsubstantive, vielfach zur Sachbezeichnung weiterentwickelt: broschie-
ren – Broschur, Broschüre; frisieren – Frisur, ferner Glasur, Lasur, Reparatur.
Desubstantivische Wortbildungen sind z.T. Kollektiva (Klaviatur, Line-
atur, Muskulatur, Tabulatur, Tastatur), z.T. zeigen sie eine breitere seman-
tische Fächerung: Agentur, Architektur, Kommandantur, Literatur.

2.3.3.2 Maskulina

1) -an (lat. ānus, Adjektivsuffix der Zugehörigkeit) begegnet nur in weni-


gen analysierbaren Personenbezeichnungen mit substantivischer Basis: Kas-
tellan ,Aufsichtsbeamter in Schlössern und dgl.‘ zu Kastell ,Burg, Schloss‘,
ähnlich Kapellan zu Kapelle; Galan ,vornehmer (schön gekleideter) Lieb-
haber‘ zu Gala ,Festkleidung‘. Dekan, Kumpan (neben Kumpel) im Deut-
schen unanalysierbar.
2.3 Suffixderivation 245

2) -and (lat. Gerundivum -ndus) bildet Nomina Patientis im Umkreis der


akademischen Ausbildung: Diplomand ,ein zu Diplomierender‘, Habilitand
,ein zu Habilitierender‘, ähnlich Doktorand, Examinand; im kirchlichen
Leben: Konfirmand.
3) -ant/-ent (lat. -ans, -antis, -ens, -entis) bildet vorwiegend Nomina Agen-
tis zu Verben auf -ieren: dirigieren > Dirigent, ferner Dozent, Konsument,
Konkurrent, Intrigant, Simulant, Querulant (querulieren ,nörgeln‘). Es kon-
kurrieren Konversionen des Partizips I: Gratulant – der Gratulierende, Kor-
respondent – der Korrespondierende; Derivate auf -er sind in diesen Fällen
ungewöhnlich. – Substantivische Basis ist seltener: Asylant, Diversant (zu
Diversion ,Sabotage o.Ä. gegen den Staat‘), Laborant, Musikant.
Sachbezeichnungen sind im Deutschen demotiviert oder völlig unanaly-
sierbar: Konsonant, Kontinent.
4) -är (lat. -ārius, französ. -aire) bildet von substantivischer Basis Perso-
nenbezeichnungen: Aktionär, Funktionär, Illusionär, Legionär, Pensionär,
Revolutionär, Millionär.
5) -ast (griech. -astēs) bildet Personenbezeichnungen; in den meisten
Fällen ist die Basis ein Konfix: Gymnasiast, Fantast, Enthusiast.
6) -eur (französ. -eur, eingedeutscht vereinzelt -ör) bildet Nomina Agentis
zu Verben auf -ieren (gewöhnlich in komplementärer Verteilung mit -ant
und -ator): Deserteur, Kontrolleur, Hypnotiseur; Berufsbezeichnungen wie
Friseur/Frisör, Masseur, Monteur, Graveur u.a.
Eher auf substantivische Basis zu beziehen sind Inspekteur (zu Inspektion),
Konstrukteur, Redakteur, Requisiteur, Bankrotteur.
7) -ier (lat. -ārius, französ. -ier) bildet Personenbezeichnungen, in der
Regel von substantivischer Basis, und zwar in dreierlei Lautform:
– in der dem Französischen entsprechenden Form [-ı̄e:], wie Bankier, Ho-
telier, Rentier (dazu deadjektivisch Privatier);
– in der Lautform [i:r], wie Kanonier und Brigadier (auch [je:]) ,Befehls-
haber einer Brigade‘;
– mit der Derivationsstammform auf -ar wie in Parlamentarier und Kon-
fixderivaten wie Proletarier, Vegetarier. Proletarier auf Prolet als Basis zu
beziehen erscheint aus semantischen Gründen weniger plausibel; Prolet
gilt als Rückbildung (GWDS).
Nicht hierher gehören Bewohnerbezeichnungen auf -ier; dazu ¢ 2.3.2.4(2.2).
Neutra wie Brevier, Pläsier sind im Deutschen unanalysierbar.
8) -ismus/-asmus (griech. -ismos, Nomina Actionis bildend) hat sich im
Deutschen – in anderen europäischen Sprachen z. T. schon eher – seit dem
18. Jh. (zunächst vorwiegend in Entlehnungen aus dem Englischen und
246 2 Wortbildung des Substantivs

Französischen, daher vielfach -ism, -isme) zu einem hochproduktiven Suffix


entwickelt. Mater (1970) registriert 350 entsprechende Wortbildungen (aus-
führlich Werner 1980); doch die Gebrauchsfrequenz ist – abgesehen von
Texten in Wissenschaft und Presse, wo sie hoch ist – insgesamt relativ nied-
rig (DWb 2, 279).
Die Basis bilden entweder Substantive oder Adjektive. Die Derivate be-
zeichnen politische und ökonomische, philosophische und religiöse Theo-
rien und Richtungen sowie damit zusammenhängende Verhaltensweisen,
Richtungen in Kunst und Literatur sowie in der Wissenschaft, „Epochen-
bezeichnungen“, „sprachliche […] Eigentümlichkeiten“, „Krankheiten
bzw. krankhafte Neigungen“ u. Ä. (Werner 1980, 489).
In vielen Fällen ist die Basis eine Personenbezeichnung oder ein Perso-
nenname: Barbarismus, Despotismus, Idiotismus, Patriotismus, Pedantismus,
Zarismus; Bonapartismus, Darwinismus, Epikurismus, Trotzkismus, Kalvinis-
mus, Buddhismus; mit spezifischer Derivationsstammform Hegelianismus,
Kantianismus (vgl. Bezeichnung für die Anhänger: Hegelianer).
Substantive anderer semantischer Klassen erscheinen als Basis in Bildun-
gen wie Fetischismus, Illusionismus, Kapitalismus, Protektionismus, Reformis-
mus, Revisionismus, Terrorismus, Vulkanismus.
Vielfach ist die Basis ein Konfix, auf das neben dem Derivat auf -ismus
weitere Derivate zu beziehen sind: mechan isch, Mechan ik, Mechan ismus,
mechan istisch; Optim ist, optim istisch, Optim ismus.
Wie bei exogenen Einheiten nicht selten anzutreffen, treten vokalisch und
konsonantisch differierende Derivationsstammformen auf: Militär – Milita-
rismus, Klassik – Klassizismus, Dogma – Dogmatismus u. a.
Die Masse der Derivate wird von Adjektiven auf -al gebildet: Feudalismus,
Idealismus, Klerikalismus, Liberalismus, Nationalismus; häufig auch von Ad-
jektiven auf -iv: Aktivismus, Positivismus, Relativismus; andere sind seltener:
Absolutismus, Humanismus, Separatismus.
Semantisch für sich stehen einzelne kollektive Sachbezeichnungen: Me-
chanismus, Organismus.
9) -ist (griech. -istēs, lat. -ista) bildet desubstantivische Personenbezeich-
nungen. Eine große Gruppe stellen Personenbezeichnungen zu den oben
genannten Derivaten auf -ismus dar: Terrorist – Terrorismus. Doch nicht
jedem -ismus-Derivat lässt sich ein solches auf -ist zuordnen; es fehlen z.B.
*Dogmatist (dafür Dogmatiker), *Patriotist (dafür Patriot) u. a. Umgekehrt
steht nicht bei jedem -ist-Derivat ein solches auf -ismus: Kontorist, Humorist,
Prokurist.
Den Spieler eines Musikinstruments bezeichnen Cellist, Pianist, Violinist;
zu indigenen Basen hierbei ¢ 1.9.3.2.2.
2.3 Suffixderivation 247

Konfixbasen sind seltener: komponieren – Komponist, Publizist.


10) -or/-ator/-itor (lat. -or) bildet deverbale Nomina Agentis bzw. Instru-
menti: Agitator zu agitieren, Illustrator, Mechanisator, Expeditor; Generator,
Isolator, Ventilator; ohne Verb: Aggressor, Inquisitor.

2.3.3.3 Maskulina und Neutra


Wenige Suffixe legen das Genus nicht fest; sie bilden vor allem Maskulina
(darunter sämtliche Personenbezeichnungen) und Neutra.
1) -al (lat. ālis) erscheint in einigen neutralen desubstantivischen Kollek-
tiva (Personal, Material zu Materie) und in dem Maskulinum Choral (zu
Chor).
2) -ar (lat. -ārius, -ārium) bildet Personenbezeichnungen von substanti-
vischer Basis (Bibliothekar, Missionar) sowie neutrale Kollektiva (Mobiliar,
Vokabular). Zu Verben gebildet sind die Sachbezeichnungen Kommentar
(Maskulinum) und Formular (Neutrum).
3) -at (lat. -ātus) bildet Neutra mit einer Personenbezeichnung als Basis
(in der Regel Amts-, Berufsbezeichnung); die Derivate bezeichnen Ort bzw.
Institution, z. T. mit Derivationsstammform auf -i-: Konsulat, Rektorat;
Kommissariat, Notariat. – Derivate mit Stamm- oder Konfix-Basis bezeich-
nen vielfach Vorgang und Ergebnis (Diktat, Telefonat, Testat), z.T. nur das
Ergebnis (Filtrat, Konzentrat). – Kollektiva sind Prekariat, Proletariat; ver-
einzelt deadjektivisches Internat.
Vereinzelt auch maskuline Personenbezeichnungen (Stipendiat).
4) -it (griech. -itos, -itēs, lat. -itus) ist in der Allgemeinsprache selten. Per-
sonenbezeichnungen sind Bandit, Kosmopolit; deonymisch Hussit, Jemenit,
Jesuit. – Neutra sind meist fachsprachlich, z. B. Bezeichnungen für Minerale
(Balkanit, gefunden im Balkan). Allgemeiner ist Kolorit zu kolorieren. Zu -it
als Diminutivsuffix ¢ 2.3.2.21(5).

2.3.3.4 Feminina und Neutra


Das Suffix -ee (französ. -é, -ée) bildet vorwiegend mit Konfixbasis Nomina
Acti als Neutra (Gelee zu gelieren, Haschee, Renommee, Resümee). Seltener
sind Feminina wie Armee (armieren) und deonymisches Odyssee; unanaly-
sierbar im Deutschen die Feminina Livree, Tournee.
248 2 Wortbildung des Substantivs

2.3.3.5 Neutra
Suffixe, die ausschließlich Neutra bilden, sind außerordentlich selten. Wir
nennen die folgenden.
1) -ament (lat. -mentum) mit der Lautform [ment] wie in Fundament bzw.
-ement (französ. -ment) mit der Lautform [mã:] wie in Bombardement.
Beide Varianten bilden Verbalsubstantive zu Verben auf -ieren. Die erste
Variante ist seltener, die Derivate haben sich zur Sachbezeichnung entwi-
ckelt: Fundament < fundieren), Postament, Traktament. Die – häufigeren –
mit der zweiten Variante gebildeten Derivate sind teilweise Nomina Actio-
nis, teilweise beziehen sie sich mit auf das Ergebnis der Handlung: Abonne-
ment < abonnieren, Avancement, Arrangement, Bombardement, Engagement,
Räsonnement. – Raffinement ist durch die adjektivische Partizipialform raf-
finiert motiviert, die sich semantisch vom Verb raffinieren gelöst hat.
2) -arium (lat.) bildet desubstantivische Nomina Loci, vorwiegend für
künstlich geschaffene Anlagen: Delphinarium, Insektarium (auch Insekten-
garten), Planetarium, Rosarium, Troparium (Warmhaus für Tropenpflan-
zen).
3) -ing kommt zunehmend mit englischen Wörtern ins Deutsche, die all-
mählich einzelne analysierbare Wortfamilien konstituieren: Camping –
Camp – Camper – campen, Leasing – leasen, Shopping – shoppen – Shop,
Trekking/Trecking zu Treck, trekken/trecken. An indigenen Basen ist -ing im
Standard noch selten (Mieting), in Substandardschichten dagegen wird es
für scherzhafte Bildungen (Nomina Actionis) relativ unrestringiert verwen-
det (kitchen hin und her laufing; Titel eines Amateurvideos, Internet 2010;
¢ 2.3.2.10).
2.3 Suffixderivation 249

Übersicht 21: Wortbildungsbedeutungen exogener Derivate


Wortbildungsbedeutungen Suffixe Beispiele

Nomina Agentis -an Kastellan


-ant/-ent Fabrikant, Dirigent
-ast Fantast
-ar/-är Bibliothekar, Legionär
-arier Proletarier
-ator Reformator
-and Diplomand
-eur Masseur
-ist Komponist
-ier Bankier
Nomina Instrumenti -ator Generator
Nomina Loci -ade Promenade
-arium Rosarium
-at/-iat Konsulat, Antiquariat
-erie Drogerie
-enz Residenz
-ität Lokalität
-ur Kommandantur
Sonstige Sachbezeichnungen -ade Marinade
-ar Formular
-ee Gelee
-esse Delikatesse
-ment Fundament
-ur Frisur
Kollektiva -age Kartonage
-aille Generaille
-al Personal
-alien Musikalien
-ar/-iar Glossar, Mobiliar
-atur Muskulatur
-erie Maschinerie
-iat Proletariat
-ie Bürokratie
-ik Motivik
-ismus Mechanismus
250 2 Wortbildung des Substantivs

Wortbildungsbedeutungen Suffixe Beispiele

Nomina Actionis und Acti -age Massage


-atur Reparatur
-enz Konferenz
-erie Clownerie
-ion Explosion
-ismus Vulkanismus
-ment Bombardement
Nomina Qualitatis -esse Akkuratesse
-ion Diskretion
-ismus Patriotismus
-ität Naivität
-ment Raffinement

2.3.4 Onymische und deonymische Suffixe

Zum Grundsätzlichen ¢ 2.2.11.1.


Unter onymischen Suffixen werden solche verstanden, die speziell der
Bildung von Eigennamen dienen, unter deonymischen solche, die im Be-
reich der Eigennamen entstanden sind, heute aber auch zur Bildung von
appellativischen Lexemen verwendet werden.
Einen Überblick über Grundfragen der „onymischen Morphologie“ geben Harnisch/
Nübling 2004, 1902 ff.

2.3.4.1 Onymische Suffixe von Personennamen


Die Personennamen sind morphologisch am wenigsten strukturiert. Die
Familiennamen sind – sofern nicht aus Rufnamen abgeleitet – größtenteils
aus Appellativen entstanden und zeigen, wenn sie überhaupt noch analy-
sierbar sind, im Allgemeinen die Suffixe der appellativischen Personenbe-
zeichnungen.
Der Bildung von Familiennamen aus Rufnamen dienen die Suffixe -s und
-sen (reduziert aus -sohn), vgl. Heinrichs, Dietrichs; Detlevsen, Petersen;
ferner -el (Hänsel, Künzel) und das Kompositionsglied -mann (Kindermann,
Petermann). Von Ortsnamen werden Familiennamen gewöhnlich mit dem
Suffix -er (¢ 2.3.2.4[2.2]) gebildet (Wiener).
2.3 Suffixderivation 251

Movierte Vornamen bilden -i(e) in Fritzi, Maxi, Stefanie (¢ 2.3.2.8) sowie


-a in Paula, Roberta, auch in Namen fremder Herkunft wie Alexandra, Clau-
dia (< Claudius), Julia, Martina.
Der Bildung hypokoristischer Namenformen dienen die Suffigierung mit
-i (Hans > Hansi) und verschiedene Arten von Kürzungen. Gekürzt werden
Vornamen bevorzugt auf zweisilbige Formen mit vokalischem Auslaut: Lie-
selotte > Lilo, Gabriele > Gabi, Johannes > Jojo (mit Reduplikation); Weiteres
hierzu bei Harnisch/Nübling 2004, 1909.

2.3.4.2 Onymische Suffixe von Ortsnamen


Die Ortsnamen sind vielfältig strukturiert. Die Komposita mit Zweitglie-
dern wie -bach, -berg, -dorf usw., auf die hier nicht näher eingegangen
werden kann, entsprechen in der morphologischen Struktur grundsätzlich
appellativischen Wortbildungen. Manche dieser Namenkonstituenten
kommen als appellativische Substantive allerdings nur noch stark einge-
schränkt vor, z.B. -hain (Dorf-, Grünhain).
Als onymische Derivationselemente in einem engeren Sinne sind solche
anzusehen, die im freien appellativischen Gebrauch überhaupt nicht mehr
begegnen, z. B. -hagen, -hausen, -reuth, -stedt. Diese Gruppe lässt noch einen
gewissen Zusammenhang mit appellativischen Grundmorphemen erken-
nen, ist jedoch formal mehr oder weniger davon differenziert. Sie sind ihrer
Funktion nach bereits onymische (und im engeren Sinne toponymische)
Suffixe; Wortbildungen wie *A-hagen, *B-hausen usw. werden ohne Weite-
res als Ortsnamen (bzw. sekundäre Familiennamen) aufgefasst.
Zum engeren Kernbestand der Suffixe gehört eine dritte Gruppe, die
keinen Zusammenhang zu appellativischen Grundmorphemen (insbeson-
dere Substantiven) erkennen lässt. So hat das Bestreben, die Homonymie
mit Appellativen wie Buche, Eiche, Heide, Weide zu vermeiden, zu einer
Ausbreitung des Elements -a in Ortsnamen wie Bucha, Eicha, Heyda, Weida
geführt. Darüber hinaus tritt -a als namenbildendes Suffix auch an Substan-
tive ohne auslautenden Vokal -e, vgl. Ortsnamen wie Borna, Schilfa, Steina;
seltener auch an Adjektive wie Schöna. Weiterhin ist zu verweisen auf die
toponymischen Suffixe -wang(en), -ach und -ingen/-ungen (verbreitet vor
allem im Westen und Südwesten des deutschen Sprachgebiets). Die Basis für
-ingen/-ungen sind Personennamen wie auch Appellativa: Bischofingen, Sig-
maringen, Birkungen, Salzungen, seltener Adjektive: Breitungen. Die Form
-ingen ist ein alter Dativ Plural von Namen auf -ing (-ung), das seit alters die
Zugehörigkeit ausdrückt (vgl. -ling).
Onymische Fremdsuffixe sind aus fremdsprachlichen Ortsnamen reana-
lysiert, die an das Deutsche assimiliert worden sind. Wir nennen hier die aus
252 2 Wortbildung des Substantivs

slawischen Ortsnamen stammenden Elemente -in, -itz und -ow; sie finden
sich auch in sekundären (detoponymischen) Personennamen. Entspre-
chend der fremdsprachlichen Herkunft dieser Elemente lässt sich die Basis
nur in einem Teil der Fälle mit einem deutschen Appellativum oder Perso-
nennamen in Verbindung bringen (unabhängig davon, wie die heutigen
Formen historisch entstanden sind): Albertitz, Bahnitz, Bornitz, in der mit
-w- erweiterten Form: Bellwitz, Bockwitz, Kalkwitz, Ihlewitz; zu -ow, Laut-
form [o:]: Bornow, Lindow, Ihlow.

2.3.4.3 Onymische Suffixe von Länder- und Landschaftsnamen


Ländernamen sind in noch höherem Maße morphologisch strukturiert als
die Ortsnamen, soweit es sich nicht um die Namen außereuropäischer Ge-
biete handelt, die erst in jüngerer Zeit in die deutsche Sprache Eingang
gefunden haben (z. B. Ghana, Chile).
Ein großer Teil dieser Namen wird durch Komposita mit Zweitgliedern
wie -land (Finnland), -mark (Dänemark), -reich (Frankreich) gebildet.
Von den eigentlichen Suffixen ist am häufigsten -ien, entstanden aus Län-
dernamen mit lat. -ia, mhd. -ı̌e. Sie schließen sich nicht dem romanischen -ı̄e
> -ei der Appellativa an (¢ 2.3.2.2), sondern den Ländernamen auf -en (Nor-
wegen), wodurch sich -ien ergibt; vgl. z.B. Persen neben Persia ,Persien‘ in
der Bibel von 1529; Sicilienland schon im 12. Jh. (vgl. Eremätsä 1956).
Neben offiziellen Staatsbezeichnungen wie Äthiopien, Brasilien, Bolivien,
Großbritannien, Italien stehen Namen von Inseln (Sizilien, Tasmanien nach
dem Seefahrer Tasman) und den verschiedensten Landschaften, z.B. Ana-
tolien, Andalusien, Dalmatien, Sibirien, Skandinavien, Thessalien; ferner die
Namen von Kontinenten Asien, Australien. – Von der gleichen Basis wird
mit -(i)er die Bewohnerbezeichnung, mit -isch das Zugehörigkeitsadjektiv
gebildet.

Eine umfangreiche Liste mit „Bezeichnungen für Länder und ihre Einwohner“ mit den
dazugehörigen Adjektiven hat Fuhrhop (1998, 233ff.) zusammengestellt (Karelien –
Karelier – karelisch; Sizilien – Sizilianer – sizilianisch).

Das Element -en begegnet nur noch selten. Es wird als Flexionssuffix im
appellativischen Wortschatz stark beansprucht, auch in der Verbalflexion,
dient als Derivationssuffix der Stoffadjektive und ist deshalb meist durch das
weniger belastete und eindeutigere -ien ersetzt worden. Man vgl. etwa noch
Norwegen, Polen, Schweden, Jemen, Libyen; ferner Hessen, Sachsen, Preußen.
Hierbei wird deutlich, dass es sich ursprünglich um die Bezeichnung der
Stämme handelte, die auf deren Territorium übertragen wurde.
2.3 Suffixderivation 253

Auch -ei (zur appellativischen Funktion ¢ 2.3.2.2) ist als toponymisches


Suffix weniger häufig als -ien, vgl. Lombardei, Mongolei, Slowakei, Türkei,
Walachei.

2.3.4.4 Deonymische Suffixe


Zu Eigennamen als kompositionelle Zweitglieder in deonymischer Funkti-
on wie -fritze, -heini ¢ 2.2.11.4.2.
Hier ist ergänzend auf entsprechende Suffixe zu verweisen. Die Modelle
sind unterschiedlich – im Allgemeinen nur schwach – produktiv. Sie bilden
in der Regel maskuline (auch dem Sexus nach) Personenbezeichnungen.
1) -bold, gelöst aus Namen wie Dietbold, tritt sowohl an substantivische
(Tugend-, Witz-, Lügenbold; Dünkelbold [Th. Mann], Spaßbold [PDW
2005]) als auch an verbale Basis (Rauf-, Sauf-, Trunkenbold). Scherzbold lässt
sich doppelt beziehen; vgl. auch Neid-, Schimpf-, Schmückebold (Kluge 1925,
34). Fast alle Bildungen sind umgangssprachlich und pejorativ konnotiert.
2) Das Element -ian/-jan kann verschiedene Quellen haben. In Dumm-
rian/Dummerjan, Liedrian/Liederjan wird der Vorname Jan (< Johannes)
anzunehmen sein (vgl. Dudenband 7, 1989, 140, 420); danach auch – mit
dem aus der Entstehung zu erklärenden -r- vor -ian/-jan – die deverbalen
Wortbildungen Poltrian, Schmierian, Stänkrian, Stolprian. Ob in Schlendrian
von einem frühnhd. jan ,Arbeitsgang‘ auszugehen ist (Dudenband 7, 2007,
724), erscheint uns fraglich; ursprünglich ,nachlässiger Kerl‘, seit dem 17. Jh.
,überalterter, nachlässiger Brauch‘. In Blödian, Grobian (seit dem 15. Jh.)
kann an das -ian von Heiligennamen wie Damian angeschlossen werden
(ohne -r); danach auch grober Jan, Grobhans (16. Jh.), vgl. Wilmanns 1899,
297.
3) -rich/-erich, gelöst aus Namen wie Fried(e)rich, bildet movierte Mas-
kulina (¢ 2.3.2.22[7]) sowie deverbale Personenbezeichnungen mit pejora-
tiver Konnotation: Lächerich ,lachsüchtiger Mensch‘ (Kluge 1925, 34),
Würgerich (M. W. Schulz). – Keine Personenbezeichnungen sind heute
Schlenk(e)rich ,Hieb mit den Händen‘, zu spätmhd. slenkern ,schleudern‘
und Tatterich ,Zittern der Hände‘, wozu tatterig ,zitternd‘. – Desubstanti-
visch sind Fähnrich (zu Fahne) und scherzhaft-okkasionell Postrich ,Post-
angestellter‘ (Weltbühne 1979), Politesserich ,männliche Politesse‘.
4) -ke hat sich als niederdeutsches Diminutiv- und Zugehörigkeitssuffix
(¢ 2.3.2.21[5]) in Familiennamen wie Steinke ausgebreitet, hat aber auch ein
– schwach produktives, landschaftlich-umgangssprachlich beschränktes –
Modell zur Bildung von Personenbezeichnungen, meist mit pejorativer
Konnotation, entwickelt: Raffke ,raffgieriger Mensch‘ < raffen, Steppke
254 2 Wortbildung des Substantivs

,kleiner Kerl‘ (wohl zur mitteldt.-niederdt. unverschobenen Form von Stop-


fen ,Korken‘, vgl. Dudenband 7, 2007, 817), Fatzke ,arroganter Mann‘ (zu
fatzen ,verspotten‘, Dudenband 7, 2007, 207).
Zu -i, das von hypokoristischen Namenformen wie Rudi aus zu einem
Suffix appellativischer Derivate geworden ist, ¢ 2.3.2.8.

2.3.5 Unproduktive Suffixe

Es kann nicht Aufgabe dieser Darstellung sein, auf die unproduktiven Suf-
fixe in aller Ausführlichkeit einzugehen. Doch entsprechend dem unter 1.1.3
und 1.7.1 Gesagten können sie nicht völlig ausgeschlossen werden. Wir
werden die Problematik am Suffix -t näher erörtern und danach einige
weitere Wortbildungsmodelle kurz skizzieren.
1) Paare wie fahren – Fahrt, nähen – Naht lassen den Motivationszusam-
menhang zwischen verbaler Basis und Verbalsubstantiv formal und seman-
tisch deutlich erkennen. Weniger deutlich, aber doch nachvollziehbar ist er
in tragen – Tracht, schlagen – Schlacht, fliehen – Flucht, ziehen – Zucht, schrei-
ben – Schrift, treiben – Trift und wohl auch in sehen – Sicht. Die formal gering
differenzierten Basen von Verb und Substantiv sind Stammvarianten. Die
Variante mit auslautendem Reibelaut tritt nur in Verbindung mit dem Sub-
stantivsuffix -t auf. Wortbildungen wie Abfahrt, Einsicht sind also deverbale
Derivate komplexer Verben, keine Komposita.
In Paaren wie pflegen – Pflicht, biegen – Bucht, drehen – Draht ist der
semantische Zusammenhang verdunkelt, sodass auf synchroner Ebene die
Substantive nicht mehr auf die Verben bezogen werden können, sondern als
Simplizia zu betrachten sind. Grenzfälle dürften vorliegen in graben – Gruft,
siechen – Sucht; doch liegt u.E. ihre Auffassung als Simplex näher.
Etwas anders sind die nicht seltenen Bildungen mit -kunft zu beurteilen,
vgl. An-, Ein-, Unter-, Zukunft. Sie lassen einen deutlichen semantischen
Zusammenhang mit den Partikelverben ankommen usw. erkennen, vgl. die
okkasionelle Kontamination Vergegenkunft („eine vierte Zeit“, G. Grass), die
durchaus verständlich ist. Im Unterschied zu -sicht, -sucht usw. existiert
-kunft nicht als freies Substantiv, jedenfalls nicht im allgemeinen Gebrauch.
Die Wortbildungen sind also wie das Modell abschreiben > Abschrif t zu
erklären: ankommen > ankunf t, wobei ankunf eine Variante von ankomm in
Verbindung mit -t darstellt. – In einigen Fällen stehen daneben deutlicher
motivierte Derivate mit -ung, teilweise semantisch differenziert: Abschrift –
Abschreibung, Vorsicht – Vorsehung.
2.4 Präfixderivation 255

2) Prinzipiell auf gleiche Weise sind die Wortbildungen auf -de zu behan-
deln (zur Geschichte vgl. Wilmanns 1899, 339ff.). Allerdings ist ihre Zahl
heute kleiner, und sie sind auch weniger frequentiert. Motivationsbeziehung
zu einem Verb ist noch erkennbar in sich beschweren – Beschwerde, sich
freuen – Freude, zieren – Zierde, ferner bei einigen Zirkumfixen mit ge-…-e
(¢ 2.5). Isoliert sind dagegen Fehde (mhd. vēhen ,feindlich behandeln‘), Be-
hörde (mhd. behœren ,zugehören, zukommen‘) u.a. Teilweise konkurrieren
Wörter ohne -de wie Zier/de, Neugier/de, Begier/de (so nicht selten schon
mhd.: Wilmanns 1899, § 260 Anm. 1).
Mit adjektivischer Basis waren die -de-Derivate besonders zahlreich
(mhd. ermede ,Armut‘, dünnede ,Dünnheit‘); davon sind heute nur mund-
artliche Wortbildungen wie Dickde ,Dicke‘, Längde, Wärmde erhalten.
3) Repräsentanten weiterer, heute unproduktiver Wortbildungsmodelle
im nhd. Wortschatz sind u.a.: arm – Armut, Heim – Heimat, Zierrat (ahd.
-ōti), freien – Freite ,Brautschau‘, vorwiegend im Phrasem auf die Freite
gehen (vgl. Wilmanns 1899, 348), blühen – Blüte, jagen – Jagd, mähen – Mahd.

2.4 Präfixderivation

2.4.1 Grundsätzliches

Zur Qualifizierung der Präfigierung als Derivation ¢ 1.8.1.2; zur Charakte-


risierung des Präfixes als Wortbildungseinheit ¢ 1.6.2.2.
Die meisten Modelle sind produktiv; auf einige unproduktive wird hin-
gewiesen. Indigene und exogene Präfixe werden gesondert dargestellt. Ony-
mische Präfixe – entsprechend den unter ¢ 2.3.4 behandelten Suffixen – gibt
es im Deutschen nicht.
Die indigenen Präfixe tragen den Wortakzent des komplexen Substantivs;
lediglich ge- weicht davon ab, es bleibt unbetont.

2.4.2 Indigene Präfixe

2.4.2.1 Präfix erz-


Das Präfix erz-, homonym mit dem Substantiv Erz, aber anderen Ursprungs
(griech. archi- ,der Erste, Oberste‘, zunächst in Wortbildungen wie ahd.
erzibischof im Deutschen geläufig; vgl. Kluge 1925, § 78a), tritt vorwiegend
an Personenbezeichnungen.
256 2 Wortbildung des Substantivs

Es bedeutet ,von Grund auf in Bezug auf das in der Basis Genannte; das
Genannte ganz und gar verkörpernd‘ (Dudenband 10, 2002, 343) und wirkt
emotional verstärkend (Erzmusikant, Erzrivale).
Die Basissubstantive sind hauptsächlich entweder pejorative Personen-
bezeichnungen (Erzbösewicht, -feind, -gauner, -halunke, -lügner, -lump,
-schurke, -spitzbube) oder Bezeichnungen für Personen nach ihrer religiösen
oder politischen Überzeugung (Erzdemokrat, -faschist, -kapitalist, -katholik,
-kommunist, -protestant). Okkasionelle Bildungen kommen vor, bleiben
allerdings selten: rechte Erzlustigmacher (J. J. Bodmer), Erz-Ästheten
(Th. Mann), Erz-Gegner, Erz-Islamist, Erz-Konkurrent, Erz-Mime, Erz-Non-
konformist (alle PDW 2005; in nicht regelgerechter Bindestrichschreibung
belegt).
Unproduktiv ist das Präfix heute in der ursprünglichen Bedeutung mit
Wörtern wie Erzkanzler, -herzog u. Ä.
In Verbindung mit Sachbezeichnungen tritt das Präfix nicht auf; mit Ab-
strakta nur vereinzelt: Erzdummheit, -feindschaft, -übel.
Zu gelegentlicher Konkurrenz mit ur- ¢ 2.4.2.6.

2.4.2.2 Präfix ge-


Das Präfix ge- ist zu unterscheiden vom Zirkumfix ge-…-e, das an anderer
Stelle behandelt wird und dessen Allomorph ebenfalls ge- lautet (¢ 2.5).
Die Präfixmodelle haben eine substantivische Basis und sind unproduk-
tiv. Fast alle Bildungen sind Kollektiva, vorwiegend Sachbezeichnungen:
Geäst, Gebälk, Gebüsch, Gedärm, Gehörn, Gemäuer, Gestein, Gesträuch, Ge-
täfel, Gewölk; Getier. Mit ihnen konkurrieren z.T. (schon mhd. schuohwerc –
geschüehe) die Derivate auf -werk (¢ 2.3.2.19): Buschwerk, Mauerwerk u.a.
(Wilmanns 1899, 555). Historisch war die Präfigierung mit einem -j-Suffix
gekoppelt (insofern historisch Zirkumfigierung), weswegen auch stets Um-
laut eintritt, vgl. ahd. gibirgi, gifildi ,Gefilde‘ (vgl. Wilmanns 1899, 242ff.).
Das -j-Suffix ist jedoch (bis auf den Umlautreflex) geschwunden, sodass
synchron von Präfixwörtern auszugehen ist. Einzelne, meist demotivierte
Bildungen mit dem Zirkumfix ge-…-e wie Gebirge zu Berg, Gemüse zu Mus,
des Weiteren Gehäuse, Gelände sind für das gegenwartssprachliche System
nicht bestimmend. Anders als bei deverbalen Bildungen mit dem Zirkumfix
ge-…-e konkurrieren bei den desubstantvischen Bildungen Zirkumfix und
Allomorph ohne -e in der Regel nicht an derselben Basis, vgl. Gemüse –
*Gemüs, aber Gebelle – Gebell (¢ 2.5); ein Sonderfall: Gesell (veraltet, zu Saal)
– Geselle.
Bei einer Reihe von Präfixderivaten ist der kollektive Charakter verloren
gegangen; zwischen Simplex und Derivat bestehen nur noch geringe oder
2.4 Präfixderivation 257

keine semantischen Unterschiede: Stern – Gestirn, Wasser – Gewässer, Sims –


Gesims, Trank – Getränk. Völlig demotiviert sind Bildungen wie Gefäß, Ge-
länder, Genick, Geweih, Gewitter, die, da sie nur noch strukturell als Wort-
bildungen gelten könnten, als Simplizia anzusehen sind.
Personenbezeichnungen des Typs sind selten (Ausnahme: Gebrüder, Ge-
schwister) und in der Regel ebenfalls demotiviert (Gefährte, Gesell[e], Gesin-
de).

2.4.2.3 Präfix haupt-


Das Präfix haupt-, homonym mit dem Substantiv Haupt und etymologisch
damit identisch, ist funktional davon zu sondern. Es hat sich schon im Mhd.
von den Lesarten des Substantivs (,Kopf‘, ,wichtigste Person‘, nach GWDS
geh.) gelöst und ist stark reihenbildend geworden (mhd. schon houbetlist
,große Klugheit‘ u. Ä.; Wilmanns 1899, 559; vgl. auch Klein/Solms/Wegera
2009, 158).
Dass der Entwicklung des Präfixes eine starke Einschränkung im Ge-
brauch des freien Substantivs parallel läuft, zeigt Mater (1970). Dort ist
-haupt als kompositionelles Zweitglied 19-mal aufgeführt (darunter aller-
dings so wenig geläufige wie Gorgonenhaupt), während sich -kopf in dieser
Funktion 171-mal findet. Andererseits wird auf die starke Produktivität des
Präfixmodells hingewiesen (über 200 Wortbildungen im GWDS, wenig text-
sortengebunden, vgl. DWb 2, 156f.).
Wortbildungsbedeutung: ,aus mehreren gleichgearteten Größen die
wichtigste herausgreifend‘, vgl. Hauptarbeit, -düse, -film, -instrument, -pro-
blem, -weg; mit komplexen Basen in Hauptbahnhof, -aufmerksamkeit, -eisen-
bahnlinie, -kettenglied, -produktionsrichtung, -umschlagplatz. Auch Perso-
nenbezeichnungen sind damit verbindbar: Hauptabnehmer, -angeklagter,
-autor, -darsteller, -erbe, -person, -störenfried, -verbündeter, -zeuge. In Ver-
bindung mit bestimmten Berufsbezeichnungen dienen die Wortbildungen
mit haupt- als terminologisierte Bezeichnung für Inhaber höherer Dienst-
stellungen: Hauptabteilungsleiter, -buchhalter, -kassierer, -referent u. a.
Antonymisch dazu vielfach Neben- (Haupt-/Nebeneingang, -linie, -ge-
bäude, -person), seltener Bei- (Haupt-/Beikoch, -film) und Vor- (Haupt-/
Vorkampf, -saison, -verhandlung).
Synonymisch dazu teilweise Komposita mit Grund- (¢ 2.2.2.3.3): Haupt-/
Grundfrage, -gedanke, -nahrungsmittel, -widerspruch. Doch es bestehen auch
distributionelle Unterschiede. Haupt- tendiert zum Gebrauch mit Personen-
und Sachbezeichnungen, Grund- wird dagegen bevorzugt mit Abstrakta
kombiniert. Grundneigung, -eindruck, -gedanke, -idee, -trieb gehören schon
zum Wortschatz des deutschen Pietismus (vgl. Langen 1954, 170). Grund-
258 2 Wortbildung des Substantivs

hebt das Wesentliche hervor, das einer Sache „zugrunde“ liegt (daher pa-
raphrasierbar durch Syntagmen mit zugrunde liegend, grundsätzlich), haupt-
hebt hervor, was als wichtig angesehen wird (daher paraphrasierbar durch
Syntagmen mit hauptsächlich). So kommt es zu semantischen Differenzen:
Grundbegriff – Hauptbegriff, Grundkenntnisse – Hauptkenntnisse.
In Ansätzen konkurrieren noch andere kompositionelle Erstglieder, z.B.
Kern- (Kern-, Haupt-, Grundproblem), Schwerpunkt- (Haupt-, Schwerpunkt-
aufgabe).

2.4.2.4 Präfix miss-


Das Präfix miss-, als ahd. missa-, missi- das Verkehrte, Verfehlte eines Tuns
bezeichnend (zur Geschichte Richter 1963), erscheint in Substantiven
(sowie Adjektiven und Verben) unterschiedlicher Struktur: Missbilligung ist
deverbales Derivat von missbilligen; Missliebigkeit ist deadjektivisches Deri-
vat, so auch Misshelligkeit. Präfixbildungen im eigentlichen Sinne sind da-
gegen Wortbildungen wie Missbild, -farbe, -heirat. Auch Suffixderivate be-
gegnen als Basis: Missverhältnis, -stimmung; ferner Infinitivkonversionen
wie Missbehagen, -vergnügen. Anders dagegen Missfallen (nicht Präfixbil-
dung mit dem substantivierten Infinitiv, sondern Konversionsprodukt des
Präfixverbs). Missbrauch könnte vom Verb missbrauchen als Konversions-
produkt abgeleitet sein wie auch als substantivische Präfixderivation be-
trachtet werden. In Missgriff und Misserfolg kommt nur die letzte Möglich-
keit infrage, da es wohl die Verben greifen, erfolgen, nicht aber *missgreifen,
-erfolgen gibt.
Komposita sind als Basis nicht geläufig, ebensowenig Substantive, die
schon ein anderes Substantivpräfix aufweisen (Ausnahme: ge- wie in Miss-
geschick).
Die Präfixvariante Misse- erscheint nur in Missetat (-täter).
Als Bedeutung des Modells ist anzusetzen: ,vom Normalen, zu Erwarten-
den zum Negativen hin als unzulänglich (vgl. Ros 1980, 125f.) abwei-
chend‘, vgl. Missernte, -geburt, -heirat, -laune, Missbeurtheilung (R. Haym).
Bloße Negation drückt miss- nicht aus, es ist stets mit einer aktiven Wer-
tungsumkehrung (vgl. Ros, ebd.) verbunden: Missachtung ist mehr als Nicht-
achtung, Missgunst impliziert aktive menschliche Negativemotionen im Un-
terschied zu Ungunst (der Verhältnisse, eher objektiv) und Misstrauen ist als
,Argwohn‘ mehr als ,mangelndes Vertrauen‘; vgl. auch: „Die Missidee, die
ihn ritt, war zu […] einer Verfolgungsmanie geworden“ (Th. Mann); „Wie
viel Missverständnis und Misskenntnis […] jeden trifft, der in die Öffentlich-
keit geht“ (Ch. Wolf).
2.4 Präfixderivation 259

Nahe stehen sich un- und miss- in Un-, Missmut, Un-, Missbehagen, Un-,
Missetat; Fehl-/Missgriff; antonymisch z.T. Wohl- (¢ 2.6.2.3.1).

2.4.2.5 Präfix un-


Das Präfix un-, im Ablautverhältnis zu ahd. mhd. ne, ni ,nicht‘ stehend,
begegnet nur bei Substantiven, Adjektiven und wenigen Adverbien, nicht –
wie miss- – auch bei Verben; es zeigt, gerade umgekehrt wie miss-, starke
Beschränkungen in der Verbindung mit Verbalsubstantiven. Beim substan-
tivierten Infinitiv fehlt es fast völlig (Ausnahme: Unvermögen); dafür wird
nicht- verwendet (vgl. Wilmanns 1899, 569; Wilss 1994): Nichterscheinen,
-bestehen, -duldung (aber: Unbildung).
Weiteres zu un- im Verhältnis zu anderen indigenen und exogenen Negationsaffixen
vgl. Lenz 1995, 126ff.; Klosa 1996, 86 ff.

Das Präfix wird mit simplizischem (Unart, -dank, -fall) oder komplexem
Substantiv (Untiefe, -dichte) sowie mit Präfixbildungen (Unursprünglichkeit)
verbunden. Die nicht seltenen Wortbildungen Unabhängigkeit, Unbeschei-
denheit, Unsicherheit u.Ä. können als Präfixbildung mit Substantiv als Basis
(Un abhängigkeit) oder als -heit/-keit-Derivat mit Adjektiv als Basis (Unab-
hängig keit) aufgefasst werden. Zahlreiche un-Substantive lassen sich nur als
Derivate mit dem Suffix -keit interpretieren: Unbändigkeit, -begreiflichkeit,
-nahbarkeit, -wirtlichkeit u. a.
Die Wortbildungsbedeutung zeigt auch hier – wie bei miss- – eine Ver-
flechtung von Negation und Wertungsumkehrung, vgl. z.B. „Da ich zwar
kein Widerkrist, kein Unkrist, aber doch ein dezidierter Nichtkrist bin …“
(Goethe an Lavater, zit. nach Weiß 1960, 336f.). Daher tendiert un- zur
Verbindung mit Substantiven, die sich auf positiv bewertete Begriffe bezie-
hen, deren Negation zugleich negative Wertung impliziert: Unaufrichtigkeit,
-anständigkeit, -geduld, -gehorsam, -ordnung, -ruhe u.v.a. Die umgekehrten
Fälle, Verbindung mit Wörtern für negativ bewertete Begriffe, ist viel selte-
ner: Unschuld, -missverständlichkeit; Letzteres allerdings auch als Suffixde-
rivat interpretierbar.
In einigen Fällen unterscheiden sich negierende un-Bildungen grammatisch von ihren
Basen, und zwar hinsichtlich des Zulassens von Komplementen: Dank für die Hilfe –
*Undank für die Hilfe; Lust zu einem Ausflug – *Unlust zu einem Ausflug; vgl. hierzu
detailliert Lenz 1995, 80 ff.

In einer zweiten Wortbildungsreihe liegt keine Negation mehr vor, es do-


miniert die Wertung ,vom Normalen abweichend, unzulänglich‘ (vgl. miss-):
Unfall (älter auch Missfall, mhd. nōtval; ganz anders dagegen: im Nichtfall
260 2 Wortbildung des Substantivs

,wenn das nicht der Fall ist‘, Meusebach an J. Grimm), Unkraut, Unsitte,
Untempus (Bezeichnung für das deutsche Präsens), Untier, Unwetter,
Unwort, zur Unzeit; „das Unbild dieser unausführbaren Gefräßigkeit“
(Th. Mann); hierher auch schweizerdeutsche abwertende Wortbildungen
wie Unkuh, -schaf. Zu den Motivationsbeziehungen in Wortbildungen wie
Unstern zu Stern ,glücklicher Zufall, Umstand‘, Unmensch zu Mensch ,be-
stimmte moralische Normen beachtende Person‘ vgl. Schnerrer (1982, 49).
Abgesehen von den genannten Unmensch sowie Unperson (nach engl.
unperson), werden Personenbezeichnungen selten durch un- präfigiert; vgl.
etwa noch: „Scher dich in die Küche, Unweib…“ (H. Baierl); Helden und
Unhelden (E. Strittmatter); Unsportler (PDW 2006), Unfrau, Untochter
(belegt bei Lenz 1995, 18 f.) Eine scheinbare Ausnahme machen zahlreiche
substantivierte Adjektive bzw. Partizipien: der Untätige, Unwissende, Unbe-
kannte. Hier sind jedoch in der Regel eher Konversionen adjektivischer bzw.
partizipialer Präfixbildungen anzunehmen (untätig > ein Untätiger).
In der Verflechtung von Negation und Wertungsumkehrung kann Letz-
tere auch zurücktreten, sodass zwischen Nicht- und un- kaum noch ein
Unterschied besteht. Das ist besonders in Texten der Wissenschaft der Fall,
vgl. z.B. Unparallelität – Nichtparallelität, Unschuld – Nichtschuld (Rechts-
sprache); ferner: bei der Nichterkennbarkeit und Unveränderbarkeit der Welt
(Weltbühne 1981). Dennoch bleibt die Konkurrenz selten.
In einer weiteren Wortbildungsreihe ist die Negation bei Zahlbegriffen als
,nicht bis zu Ende zählbar, nicht überschaubar‘ aufzufassen, woraus sich un-
bei Mengenbezeichnungen als Verstärkungs-, Steigerungspräfix entwickelt
hat: Unmasse ,ungeheuer große Masse‘, Unmenge, -summe, -zahl. Auch Un-
kosten als ,unvorhergesehene, neben den normalen Ausgaben entstehende
Kosten, zusätzlich‘ (vgl. auch älteres Ungeld ,Abgabe‘) ließen sich hierher-
stellen und die Doppeldeutigkeit von Untiefe, eigentlich ,nicht tiefe Stelle‘,
aber schon seit dem 18. Jh. auch als ,besonders tiefe Stelle‘ aufgefasst, rührt
hierher.
In einer Reihe von Un-Präfigierungen kommt die Basis als freies Simplex
nicht mehr vor (vgl. Schnerrer 1982, 49; Lenz 1995, 97 ff.; ¢ 1.6.5): Unflat
(mhd. vlāt ,Zierlichkeit, Schönheit‘); Ungeziefer (ahd. zebar ,Opfertier‘); z.T.
sind es unikale Komponenten von Phrasemen (mit Fug und Recht, dazu
Unfug).

2.4.2.6 Präfix ur-


Das Präfix ur-, etymologisch von dem homonymen Substantiv Ur ,Auer-
ochse‘ zu trennen, erscheint noch als freie Präposition ahd. ur ,aus – her-
aus‘. Es verbindet sich heute mit substantivischen Simplizia und mit Deri-
2.4 Präfixderivation 261

vaten in einer dominierenden Wortbildungsreihe mit der Wortbildungsbe-


deutung „des Ursprünglichen, Anfänglichen und chronologisch Vorherge-
henden“ (Kluge 1925, § 76): Urmensch, Urelefant, Ur-Lokomotive (,erste Lo-
komotive‘), Urwald, Urzeit, Urbrennstoff (Weltbühne 1979), Ursagen der
Welt (J. G. Herder), Ureinheit der Dinge und Künste (H. Hesse); weniger
chronologisch als vielmehr psychisch tiefliegend: Urangst vor der Wissen-
schaft (Weltbühne 1989), Urgefühl (Ch. Wolf), Urerlebnis, Urschrei. Chro-
nologisch dagegen: den Ur-Mitgliedern der Sektion (Sinn und Form 1975). –
Antonymisch z. T. Ab-, vgl. Ur-, Abschrift; Ur-, Abbild.
Einige Wortbildungen sind terminologisiert: Uraufführung ,allererste
Aufführung eines Werkes‘ – Erstaufführung ,erste Aufführung einer be-
stimmten Inszenierung an einem bestimmten Ort‘, vgl. auch Urgeschichte –
Frühgeschichte, Urabstimmung ,unmittelbare Abstimmung (nicht über
Wahlmänner)‘, Urfaust, Urmeister ,Urfassung des „Wilhelm Meister“‘,
Urtierchen ,einzelliges Tier‘.
In den Bezeichnungen für die direkte Verwandtschaft beziehen sich die
Wortbildungen mit ur- immer auf eine Generation weiter zurück: Großvater
– Urgroßvater – Ururgroßvater, ferner Urenkel, -ahn usw.; vgl. auch Ururahn;
unsere Ur-Urvorfahren.
Verstärkend wirkt ur- vor allem bei Adjektiven (¢ 3.4.2.4); es erscheint
dann auch in deadjektivischen Substantiven wie Urgemütlichkeit und in sub-
stantivischen Präfixderivaten wie Urmusikanten neben Erzmusikanten (im
gleichen Text, TZ 1962); hierher auch Urgewalt.
Die ältere privative Bedeutung von ur- ,Heraussein aus einem Zustand‘
(Paul 1992, 667) ist heute noch in dem Historismus Urfehde, eigentlich
,Fehdelosigkeit‘, später ,Beendigung der Fehde‘ erkennbar; vgl. auch mhd.
ursage ,Aufkündigung der Freundschaft‘ (Wilmanns 1899, 566f.).
Die Wortbildungen mit ur- sind z. T. in der Lyrik sehr beliebt (vgl. DWb 2,
158); im Verhältnis zu haupt- und Grund- zeigen die Wörter mit ur- insge-
samt allerdings (vgl. Haupt-, Grund-, Urbegriff) die geringste Frequenz
(ebd., 158 f.).

Übersicht 22: Augmentation und Diminuierung


Augmentation des Substantivs
1 Komposition
1.1 Substantiv als Erstglied (¢ 2.2.2.3.3)
Jahrhundert-, Mammut-, Monster-, Rekord-, Riesen-;
Grund-, Herzens-, Kern-, Schwerpunkt-, Spitzen-;
Affen-, Bullen-, Hunde-, Sau-, Bären-;
262 2 Wortbildung des Substantivs

1.2 Substantiv als Zweitglied (¢ 2.2.2.3.2)


-flut, -lawine, -riese, -sturm;
1.3 Adjektiv als Erstglied (¢ 2.2.3.2[2])
Groß-, Hoch- (Höchst-), Super-, Voll-;
1.4 Präposition als Erstglied (¢ 2.2.7.2[11])
Über-;
1.5 Konfix als Erstglied (¢ 2.2.8)
Makro-, Multi-, Poly-

2 Präfixderivation (Suffixderivation fehlt):


2.1 Erz- (¢ 2.4.2.1)
2.2 Haupt- (¢ 2.4.2.3)
2.3 Hyper- (¢ 2.4.3.1)
2.4 Un- (¢ 2.4.2.5)
2.5 Ur- (¢ 2.4.2.6)

Diminuierung des Substantivs


1 Komposition
1.1 Substantiv als Erstglied (¢ 2.2.2.3.3)
Teil-, Zwerg(en)-;
1.2 Substantiv als Zweitglied (¢ 2.2.2.3.2)
-zwerg;
1.3 Adjektiv als Erstglied (¢ 2.2.3.2[2])
Klein- (Kleinst-), Mini-, Schmal-, Schwach-, Halb-;
1.4 Konfix als Erstglied (¢ 2.2.8)
Mikro-, Nano-

2 Suffixderivation (Präfixderivation fehlt):


2.1 Diminutivsuffixe -chen, -el, -le, -lein, -ette, -ine (¢ 2.3.2.21)
2.2 Weitere Suffixe: -ling (¢ 2.3.2.10), -sel (¢ 2.3.2.15)

2.4.3 Exogene Präfixe

2.4.3.1 Negation und Augmentation

1) Die Negationspräfixe sind bei den Adjektiven stärker entwickelt als bei
den Substantiven. Hier begegnen selten a-, vor Vokalen an- (Analphabet),
ferner in- (Invariante), bisweilen auch in einer durch Assimilation an den
folgenden Konsonanten entstandenen Variante (Illegalität, Irregularität, hier
2.4 Präfixderivation 263

auch deadjektivisches Derivat möglich); weiter non- (lat. ,nicht‘) in Nonkon-


formismus. Weitere von Klosa (1996, 377) als exogene Präfixe bestimmte
Elemente ordnen wir den Konfixen (pseudo-, semi-) bzw. freien Lexemen
(contra, extra, quasi) zu.
Verflechtung von Negation und Wertungsumkehrung ähnlich wie miss-
zeigt dis- (lat. ,auseinander‘): Disproportion – Missverhältnis, Disharmonie,
Dissonanz, Disqualifikation.
2) Der Augmentation (vor allem als Verstärkung, Hervorhebung) dient
hyper- (griech. ,über‘), meist mit einer Tendenz emotional-negativer Wer-
tung: Hyperkultur ,Überfeinerung‘, Hyper-Intellektuelle (E. Strittmatter);
vgl. schon Hyperkritik gegenüber Superkraft bei Campe 1813 (vgl. Kluge
1925, § 78d). Präfixderivate mit hyper- finden sich v.a. in Fachsprachen,
dann ohne Wertungskomponente, vgl. Hyperfunktion, -ventilation (Medi-
zin), Hypermeter (Verslehre), Hyperschall (Physik).

2.4.3.2 Sonstige Präfixe

1) Das Element anti- (griech. ,gegen‘) entspricht weitgehend indigenem


gegen- und wider-, vgl. Antithese – Gegenthese; doch solche Dubletten sind
selten (zu einer differenzierten Darstellung unter Berücksichtigung auch
fachsprachlicher Entwicklungen von anti- vgl. Hoppe 1987); vgl. Antifaschis-
mus, Antialkoholiker, Antiheld, Antikörper, Antikritik; Anti-Resignation
(Ch. Wolf).
Einen charakteristischen Strukturtyp repräsentieren Wortbildungen wie
Antikriegs demonstration, Antiguerilla kampf, Antikrisen maßnahme, Antiha-
varie trainer, Anti-AKW- Demonstration. Das Erstglied ist nicht das Präfix,
sondern ein Syntagma anti- + Substantiv: anti- + Krieg ,gegen den Krieg‘,
anti + Guerilla ,gegen die Guerilla‘ usw. Doch frei kommt anti- in derartigen
Wortgruppen nicht vor; es wäre stets durch gegen zu ersetzen. – Sonderfall ist
die Doppelung Anti-Anti-Kommunisten (Weltbühne 1981), nicht als ver-
stärkende Doppelung, sondern in der Bedeutung ,Gegen-Antikommunis-
ten‘.
2) Das Präfix ex- (lat. ,aus – heraus‘) verbindet sich in der Regel mit – auch
indigenen – Personenbezeichnungen und bedeutet ,ehemals, gewesen‘ (seit
Ende 18. Jh. „nach dem Muster von lat. exconsul und französ. exministre“:
Kluge 1925, § 78d; Hoppe 1999): Expräsident, -weltmeister, Ex-Kolonial-
soldaten, Ex-Liebhaber, Ex-Theaterchefin; vgl. auch den Gedichttitel von
H. Heine Der Ex-Nachtwächter. – Bei Basen, die amtliche Titel bezeichnen,
konkurriert Alt- (-präsident, -magnifizenz).
264 2 Wortbildung des Substantivs

Rothstein (2009, 455) fasst ex-, alt-, noch- und jetzt- als „Wortbildungselemente mit
zeitlicher Bedeutung“ zusammen, die Basissubstantive temporal modifizieren, vgl.
unser Ex-Rentenstaatssekretär, Ex-IWF-Direktor und Jetzt-Bundespräsident (PDW 2006).

Fachsprachlich ist Ex- auch Kurzform für Explosions-: Exschutz (Fachwort


1984, 93); zu Ex ,ehemaliger Partner‘ ¢ 1.4.2.1; Hoppe 1999.
3) Das Präfix inter- (lat. ,zwischen‘) bedeutet ,zwischen‘ (vgl. etwa den
medizinischen Fachausdruck Intersex ,Einzelwesen, das Merkmale beider
Geschlechter aufweist‘), auch Interregnum ,Zwischenregierung‘, Interaktion.
Produktiv geworden ist es im Allgemeinwortschatz jedoch in der zweiten
Lesart ,international‘, gelöst aus dem Adjektiv international, insbesondere
im DDR-Wortschatz: Intertank, Interkosmonaut ,an internationalem Welt-
raumunternehmen beteiligter Kosmonaut‘, Interhotel, Intervision. Heute
sind Wortbildungen mit Inter- als Bezeichnung für internationale Unter-
nehmen, Veranstaltungen und dgl. verbreitet: Interbank; Intercamping, Inter-
Continental, Interpol, -regiozug, -werbung.
Wilss charakterisiert die hohe Produktivität der inter-Bildungen als „Allgegenwart“ des
Modells. An den Beispielen Interaktion, -disziplinarität, -nationalität und Mensch-Ma-
schine-Interaktion veranschaulicht er, „wie sich inter gegenwärtig zu einem Epochen-
begriff entwickelt“ (Wilss 1999, 126). Die Bildungen stünden für „Weltoffenheit und
Weitläufigkeit“, für „Modernität und Fortschritt“, wobei oft Vagheit des Ausdrucks
gegenüber semantischer Präzision überwiege. Es dominiere eine „ungefähre Vorstel-
lung vom jeweils Gemeinten“ (ebd., 128).
Einen Bedeutungswandel hat Intershop erfahren: DDR-geprägt bezeichnete Intershop
eine Einzelhandelskette, deren Waren nur mit konvertierbaren Währungen bezahlt
werden konnten; gegenwärtig kommt Intershop häufig in Namen von Kommuni-
kations- und anderen Unternehmen vor, vgl. Intershop Communications AG, Jena.

4) Das Präfix ko- (kon-, kol-, auch co-, lat. ,zusammen mit‘) entspricht
indigenem bei- oder mit-, vorwiegend bei Personenbezeichnungen wie Ko-
pilot/Copilot, Kollaborateur, Koregisseur, Kovorsitzender, Koautor. Ist die
Basis keine Personenbezeichnung, sind im Allgemeinen andere indigene
Entsprechungen üblich: Koexistenz ,(friedliches) Nebeneinanderleben‘, Ko-
edukation ,Gemeinschaftserziehung‘; Kontext ,Textzusammenhang‘, Koope-
ration ,Zusammenarbeit‘. Indigene Basen haben stattdessen bevorzugt mit-:
Miterbe, -häftling, -mensch (aber gelegentlich auch mit- an Fremdbasis: Mit-
autor). Okkasionell finden sich zahlreiche Belege für Wortbildungen mit co-
an indigener bzw. „gemischter“ Basis: Co-Besetzung, -Verwaltung, Co-Bun-
destrainer, Co-Aufsichtsratschef (PDW 2006); meist mit Bindestrich.
5) Das Präfix prä- (lat. ,vor‘) ist in analysierbaren Wortbildungen des All-
gemeinwortschatzes nur gering vertreten; es handelt sich meist um einzelne
2.4 Präfixderivation 265

Wörter aus Fachwortschätzen, stets mit exogener Basis: Prädisposition ,vor-


gegebene Disponiertheit‘, Prähistorie ,Vorgeschichte‘, Präexistenz, Präforma-
tion.
6) Das Präfix pro- (lat. ,vor, für, anstatt‘) bezeichnet in Prorektor, -dekan
den Stellvertreter, in Proseminar (gegenüber Haupt-, Spezialseminar) ein
Seminar für Studienanfänger. Syntagmen mit pro als Präposition bilden das
Erstglied in Wortbildungen wie Pro-forma-Rechnung, Pro-Kopf-Verbrauch.
7) Das Präfix re- (lat. ,zurück, wieder, entgegen‘) entspricht meist indi-
genem wieder: Reexport ,Wiederexport‘, Reinfektion ,Wiederansteckung‘, Re-
transfusion. Vielfach handelt es sich um deverbale Derivate von ausschließ-
lich exogener Basis.
8) Das Präfix trans- (lat. ,über – hin[aus], jenseits‘) tritt fast ausschließlich
in deverbalen Derivaten auf (Transformation), weiter in Fachwörtern wie
Transsexualismus, Transuran, in geografischen Namen wie Transjordanien
(östlich des Jordan), -kaukasien (südlich des Großen Kaukasus), -baikalien
(östlich des Baikals) sowie in Syntagmen (ähnlich pro-) wie Trans-Amerika-,
Trans-Europ-Express.
9) Das Präfix ultra- (lat. ,über – hinaus, jenseits‘) gibt in allgemeiner ver-
breiteten Fachwörtern (besonders der Physik) die Überschreitung bestimm-
ter Grenzwerte an und wird dabei auch mit heimischer Basis verbunden:
Ultrakurzwelle, -schall. Nach Wortbildungen wie ultrarechts, Ultrarechter,
-linker ist heute bereits ein Substantiv der Ultra ,Rechts-, Linksradikaler‘
gebräuchlich geworden.

2.4.4 Unproduktive Präfixe

1) Das Präfix mhd. aber- ,wieder, entgegen‘ (vgl. Wilmanns 1899, 575)
entwickelte die Bedeutung der Verstärkung, nhd. noch in Aberhundert(e),
-tausend(e), sowie die Bedeutung des Verkehrten, Falschen, nhd. noch in
Aberglaube, -witz ,Unsinnigkeit‘.
2) Das Präfix after-, homonym mit dem Substantiv der After und auch
etymologisch identisch damit, ist nhd. vertreten in analysierbaren Wortbil-
dungen wie Afterglaube ,Irrglaube‘, -lehre, -rede, -weisheit, vom GWDS als
veraltend kodifiziert, jedoch – im Unterschied zu den obengenannten Wort-
bildungen mit aber- – im Sprachgebrauch nicht mehr lebendig. Das ältere
Neuhochdeutsche kennt eine weit größere Zahl entsprechender Bildungen
(vgl. Kluge 1925, § 74); sie sind wegen des störenden semantischen Einflus-
ses von After durch andere ersetzt worden.
266 2 Wortbildung des Substantivs

2.5 Zirkumfixderivation
Die Zirkumfixderivation (¢ 1.8.1.2) ist im Bereich des Substantivs auf Kom-
binationen von ge-…-e mit verbaler Basis beschränkt (anders beim Verb;
¢ 5.4.6): fragen – Ge frag e, singen – Ge sing e, wobei das -e entfallen kann
(außer nach stimmhaftem Obstruenten im Basisauslaut; vgl. Olsen 1991,
349): quasseln – Ge quassel, stöbern – Ge stöber. Es fehlt meist bei Verben auf
-eln und -ern, kann aber stehen (Ge murmel e, Ge plauder e). Gebildet
werden Substantive mit neutralem Genus.
Als Basis dienen transitive und intransitive Verben; es scheiden aus: re-
flexive Verben (*Geschäme), Präfixverben (*Gebesuche), Verben mit dem
Suffix -ier(en) (*Gestudiere) und standardsprachlich auch modale Hilfsver-
ben (*Gekönne). Dagegen sind Bildungen mit Partikelverben als Basis nicht
eingeschränkt; ge- tritt dann allerdings zwischen Verbpartikel und Verb-
stamm: das Abgelese, Vorgesage, Fortgerenne, Hinausgelaufe.
Das Modell ist produktiv, und zwar mit der vollen Zirkumfixform (ohne
Apokope), auch mit entlehnten Verben als Basis: Gemaile, Gesurfe. Die be-
vorzugte Derivationsstammform ist der Infinitivstamm, in einigen Fällen
mit Umlaut (Gebläse); bei starken Verben tritt mehrfach der Präterital-
stamm auf, vgl. Gebot, Gelage, Geschoss, Getriebe. Zu phonologischen, mor-
phologischen, semantischen und stilistischen Bildungsrestriktionen vgl.
Olsen 1991, 353.
Es haben sich mehrere Wortbildungsreihen entwickelt. Dominierend ist
die Wortbildungsbedeutung Nomen Actionis („Vorgangskollektiva“, Erben
2006, 51): Gebrüll, Geheul, Geplapper, Gequassel, Gezänk; Geklopfe, Gepfeife,
Geprahle, Gesinge. Verbunden damit ist eine pejorative Konnotation, der
Ausdruck des Überdrüssigen, Lästigen, hervorgerufen „durch das Iterativ-
moment der Grundbedeutung“ (Olsen 1991, 352). Auch wenn apokopierte
Zirkumfixderivate z.T. ebenfalls als abwertend gelten (vgl. z. B. Gelaber
,dauerndes Labern, törichtes Geschwätz‘; meist abw., GWDS), wobei die
Basisbedeutung hierfür eine wichtige Rolle spielt, tritt bei der Gegenüber-
stellung von apokopierter und nichtapokopierter Form die Konnotation der
Letzeren deutlich stärker in Erscheinung: Gebelle – Gebell, Geschreie – Ge-
schrei. In vielen Fällen ist allerdings jeweils nur eine Form üblich: Gefluche,
Gehüpfe, Gerenne; Gehör, Geschwätz; zur historischen Erklärung diese Phä-
nomens vgl. Olsen 1991, 347ff.
Als Nomen Acti zu bestimmen sind Gebet, Gedanke, Gemenge, Gemisch,
Gefüge.
In Abhängigkeit von der Semantik der Basis ergeben sich schließlich auch
Nomina Instrumenti: Gebläse, Gesuch, Getriebe, Gewürz.
2.6 Konversion 267

Möglichkeiten zur Differenzierung der verschiedenen Wortbildungsbe-


deutungen liegen in der Ausnutzung der verschiedenen Stammformen (mit/
ohne Umlaut, Infinitiv- oder Präteritalstamm). Formale Identität mit dem
Infinitivstamm der Basis kennzeichnet stärker das Nomen Actionis: Geblase
– Gebläse, Gesauge – Gesäuge ,Milchdrüsen‘, Gelaufe – Geläuf ,Spur des
Federwildes‘ und ,Boden einer Pferderennbahn‘ (GWDS).
Die Beziehungen zum deverbalen Modell auf -erei sind eng; im Material
von DWb 2, 221 finden sich 78 Doppelbildungen (Geschreibe – Schreiberei).
Andererseits verhalten sich beide Modelle auch komplementär: ge-…-e
kann im Unterschied zu -erei auch mit Verben verbunden werden, die sich
auf Witterungserscheinungen beziehen (Geblitze, Geschneie), und -erei füllt
– weitgehend – die durch die obengenannten Restriktionen von ge-…-e
verursachten Lücken. Als weitere Basisverbklassen hat das Zirkumfix solche,
die „eine kaum unterscheidbare Masse als Handlungsträger haben (Getüm-
mel, Gedränge) oder nichtmenschliche Subjektgrößen (Gebell, Gedonner,
Gedröhne, Getöse)“ (Erben 2006, 53). Derivate auf -erei sind mit diesen
Basisverben meist nicht geläufig (aber: Bellerei).
Schließlich ist hervorzuheben, dass die Wortbildungen mit ge-…-e als
Nomina Actionis nur ein nichtpluralfähiges Kontinuum bezeichnen, wäh-
rend die Derivate auf -erei eine pluralfähige Vereinzelung erlauben: Ge-
schmiere – Schmierereien (ähnlich -ung und Infinitivkonversion).
Weitere Kombinationen mit ge- zeigen die heute unproduktiven Modelle
Ge wich t (zu wiegen), Ge schwul st (zu schwellen), Ge spin st (zu spinnen),
Ge bäu de (zu bauen), Ge mäl de (zu malen), Ge schreib sel (zu schreiben),
Ge läch ter (zu lachen).

2.6 Konversion
Grundsätzlich zum Begriff und zu den Arten der Konversion ¢ 1.8.3.1. Wir
unterscheiden zwischen morphologischer und syntaktischer Konversion
und gliedern innerhalb dieser Konversionsarten weiter nach dem mor-
phosyntaktischen Status der Konversionsbasen.

2.6.1 Morphologische Konversion

2.6.1.1 Verbale Basen


Konversion des Verbstamms, und zwar des Infinitiv-, Präterital- oder Par-
tizipialstammes, führt in der Regel zu Substantiven mit maskulinem (nur
268 2 Wortbildung des Substantivs

vereinzelt neutralem oder femininem) Genus: fallen > der Fall, greifen > der
Griff. Der Konversion unterliegen
– starke simplizische Verben: Bruch, Fang, Flug, Halt, Rat, Schein, Schluss,
Schrei, Sitz, Steig, Streich, Stoß, Treff;
– starke Präfixverben: Befehl, Befund, Beginn, Behelf, Bescheid, Betrag, Entgelt
(Neutrum!), Entscheid, Entwurf, Erhalt, Erlass, Ertrag, Erwerb, Gedeih
(nur in: auf Gedeih und Verderb), Verbleib, Verbot, Vetrieb, Verderb, Verfall,
Vergleich, Verlass, Zerfall;
– starke Partikelverben: Abbruch, Ablass, Abstoß, Abwurf, Anlass, Anstoß,
Antrag, Aufstieg, Auftrag, Beitrag, Einlass, Unterlass, Vortrag, Rückfall,
-lauf, -stoß (zu rück- in Verben ¢ 5.3.2.2[2.3]), Auseinander-, Zusammenfall,
Zusammenprall, Reinfall (*Hereinfall), Einblick (*Hineinblick) u. a.;
– schwache simplizische Verben: Blick, Hauch, Knall, Rutsch, Schwatz,
Schwenk, Schwindel, Trott;
– schwache Präfixverben: Begehr, Belang, Beleg, Besuch, Erfolg, Erlös, Ver-
brauch, Verhör (Neutrum), Verkehr, Vermerk, Verputz, Versteck, Verzehr;
– schwache Partikelverben: Abkehr, Abzweig, Ausguck.
Insgesamt ist ein Übergewicht der starken Verben als Basis offensichtlich,
ebenso die große Zahl von ver- und danach be-Verben. Nicht selten fehlen
die Konversionsprodukte entsprechender Simplizia: Be-, Er-, Vertrag, aber
nicht *Trag, ebenso wenig *Scheid, *Treib usw.; dafür z. T. Derivate auf -e,
-ung. Manche Konversionen sind nur in Komposita gebräuchlich: Sachver-
halt (Verhalt nach GWDS veraltet), Augenmerk (Neutrum), Pflanzenbezeich-
nungen wie Bein-, Steinbrech, Beinwell (vgl. GWDS).
Die Konversionsrichtung im Fall der Verbstammkonversion festzustellen
ist schwierig und nicht immer eindeutig möglich. Ein Paar wie Ruf – rufen
kann sowohl als Konversion von Substantiv > Verb als auch von Verbstamm
> Substantiv verstanden werden. Die synchrone Interpretation muss in sol-
chen Fällen davon ausgehen, dass beide Modelle zugrunde liegen können. In
der Gegenwartssprache ist die Produktivität beider Modelle unterschiedlich:
Substantiv > Verb ist hochproduktiv, Verbstamm > Substantiv dagegen (im
Unterschied zu Infinitiv > Substantiv) nur schwach. Die Beobachtung, dass
die vorhandenen Substantive dieser Art eine hohe Textfrequenz haben
(DWb 2, 230), sagt nichts über die Produktivität aus.
Außerdem gibt es einige Kriterien, die es erlauben, die Feststellung der
Konversionsrichtung in einer Reihe von Fällen zu präzisieren (vgl. Mar-
chand 1964b; Olsen 1986a, 122f.).
1) Ein formales Kriterium ist das Vorhandensein von Präfixen, die auf
Verbmodelle beschränkt sind (be-, ent-, er-, ver-, zer-). Substantiven mit
einem derartigen Präfix muss also ein Verb zugrunde liegen.
2.6 Konversion 269

2) Ein semantisches Kriterium bietet der Vergleich der Lesarten von Verb
und Substantiv. Verben wie fischen und sägen sind semantisch durch die
Substantive Fisch und Säge motiviert: fischen heißt ,Fische fangen‘, aber um-
gekehrt ist das Hauptmerkmal von Fisch nicht, das man ihn fischt; Gleiches
gilt für sägen ,mit der Säge hantieren‘. Anders Schau und schauen: Die Be-
deutung von schauen lässt sich nicht durch das Substantiv Schau bestimmen,
denn schauen heißt nicht ,sich mit einer Schau beschäftigen‘; hier muss also
das Verb als motivierende Basis angesehen werden.
Damit im Zusammenhang stehen u. U. Unterschiede in der Anzahl der
Lesarten; eine größere Zahl von Lesarten entweder beim Verb oder beim
Substantiv spräche dann dafür, dies als motivierend aufzufassen.
3) Schließlich könnte die Gebrauchshäufigkeit ein Kriterium sein: das
häufigere Wort wäre die Konversionsbasis. Doch dürfte dies nicht leicht zu
ermitteln sein.
Wo die Kriterien nicht greifen, was durchaus einzuräumen ist, muss die
Entscheidung offenbleiben, wenngleich im Hinblick auf die gegenwärtig
stärkere Produktivität von Substantiv > Verb (s.o.) am ehesten von diesem
Modell auszugehen ist (¢ 5.5.2).
Die Wortbildungsbedeutung der Konversion zeigt eine breite semanti-
sche Fächerung von Nomina Actionis (Verlauf) über Nomina Acti (Befehl,
Ruf) zu konkreten Sach- (Vertrag, Verschlag) und Personenbezeichnungen
(Besuch); vgl. die ausführliche Darstellung bei den -ung-Derivaten
(¢ 2.3.2.18[1.3]). – Nicht selten sind die Derivate mehr oder weniger stark
demotiviert und auch stark polysem (Schneid, Steig, Verkehr, Zug).

2.6.1.2 Sonstige Basen


Die morphologische Konversion anderer Formen bzw. Wortarten ist als
Möglichkeit prinzipiell gegeben, wird jedoch nur in geringem Maße ausge-
nutzt, und in der Regel bleiben die Konversionsprodukte okkasionell.
1) Finite Verbformen werden vereinzelt auch als usuelle Substantivierun-
gen gebraucht: ein hartes Muss, das Ist (Iststärke einer Gruppe), das Soll, der
Bedarf, Benimm (,Verhalten‘).
2) Von bestimmten Pronomina begegnen substantivierte Formen häufi-
ger, z.B. von Possessivpronomina (die Meinen, Deinen, Seinen, die Unsern);
von Personalpronomina (das eigne Ich, vom Ich zum Wir; bei Wilmanns
1899, 406 bereits mhd. Belege); ferner ein gewisser Jemand, kein verrückter
Irgendwer (Weltbühne 1979), ein Zuviel an Fähigkeiten (Ch. Wolf), das Was
und Wie kennen.
270 2 Wortbildung des Substantivs

3) Von Adverbien erscheinen manche Konversionsprodukte in phrase-


mischen Paarformeln (das Hier und Heute, Hin und Her, Oben und Unten,
Raus und Rein); ferner das eigene Zuhause, in einem Nu (vom Adverb nun
allerdings auch formal differenziert, vgl. Wilmanns 1899, 406), nach dem
Woher und Wohin fragen, ein entschiedenes Ja/Nein.
4) Ähnlich von Präpositionen und Konjunktionen: das Für und Wider, Auf
und Ab; das Wenn und Aber.
5) Numeralia erscheinen in Konversionsprodukten wie eine Eins bekom-
men, eine Fünfzehn an die Tafel schreiben, kurze Fünfzehn machen ,eine Sache
schnell zu Ende bringen‘ (nach GWDS landsch.).
6) Was die Konversion von Syntagmen und Sätzen nichtverbalen Charak-
ters betrifft (zu den verbalen ¢ 2.6.2.3), so ist zunächst auf entsprechende
Satznamen zu verweisen: Nimmersatt, Gernegroß (als Familienname schon
gerngroß 1333 in Augsburg), Dreikäsehoch, Garaus (jmdm. den Garaus ma-
chen), entstanden aus dem Ruf Gar aus ,vollständig vorbei‘ (Ende des Tages,
Polizeistunde), Sahnesteif (Sahnestabilisator). Hierher auch Arm-, Hand-,
Mundvoll, Fuß-, Hand-, Wegbreit.
Okkasionelle, meist expressive Bildungen begegnen vorwiegend in Bel-
letristik und Publizistik: das Ummichherum (Weltbühne 1983); Gedanken-
spiele Waswärewenn (Sonntag 1988).
7) Einen Sonderfall stellt die Konversion des Affixes der Ismus ,bloße
Theorie‘ dar, (nach GWDS abw.).

2.6.2 Syntaktische Konversion


2.6.2.1 Verbale Basen
Zur Charakterisierung der Infinitivkonversion ¢ 1.8.1.3.
Sie ist „das einfachste Mittel […], jedes Verbum zu substantivieren“ (Wil-
manns 1899, 405), d.h., es gibt hier die wenigsten Restriktionen. Aber die
reichen Möglichkeiten werden doch nicht voll ausgeschöpft. Die Zahl tat-
sächlich geläufiger Konversionsprodukte hält sich in Grenzen. Meier (1964)
verzeichnet etwa 220 (rund 12,5 % der angeführten Verbalsubstantive), dar-
unter z. B. Aufsehen, Bemühen, Bitten, Eingreifen, Essen, Können, Lärmen,
Tun, Wollen. Im Korpus von Wellmann machen sie 13,1 % der deverbalen
Substantive aus (DWb 2, 245). Die Analyse von Texten künstlerischer Lite-
ratur durch Schippan hat einen etwas höheren Prozentsatz ergeben: 23,7 %
bei H. Böll, „Und sagte kein einziges Wort“; 21,2 % in einem Sammelband
„Erkundungen“ (Schippan 1967, 46; über höhere Anteile in „manchen Er-
zählpartien“ vgl. auch DWb 2, 246).
2.6 Konversion 271

Insgesamt gibt es zwischen der nahezu universellen Bildbarkeit und dem


Gebrauch als Nominationseinheit eine nicht zu übersehende Diskrepanz.
Die Infinitivkonversion ist weniger ein Mittel zur Bereicherung des Wort-
schatzes (obwohl auch diese Seite nicht fehlt) als vielmehr ein syntaktisch
relevantes Nominalisierungsverfahren.
Die Konversionsprodukte (in der Regel Neutra; Ausnahmen der Schnup-
fen, Schlucken) erscheinen in verschiedenen Strukturtypen; es können zu-
grunde liegen:
– Infinitiv eines nichtkomplexen Verbs (Essen);
– Infinitiv eines Präfixverbs (Vermögen);
– Infinitiv eines Partikelverbs (Aufbrechen, Fortschreiten);
– Infinitiv eines Suffixverbs (Diskutieren, Lächeln).
Die Konversion ist von Wortbildungen zu scheiden, in denen der bereits
substantivierte Infinitiv als Zweitglied auftritt, wo es sich also um ein sub-
stantivisches Kompositum handelt (Abend essen, Gefühls leben).
Reflexive Verben können bei der Konversion das Reflexivum „vererben“
– was bei anderen Derivationsmodellen nicht der Fall ist –, vgl. „Die Bauern
[…] mimten Sich-Erhängen“ (F. Dürrenmatt); Impulse zum Sichdurchschla-
gen (taz 2004). In stärker lexikalisierten Beispielen kann das Reflexivpro-
nomen jedoch entfallen: sich bemühen um > das Bemühen um, sein Betragen,
Entspannen, Räuspern, Anbiedern; aber das Sichausweinen, Sich-gehen-Lassen
(Dudenband 1, 2009, 983f.).
Die Infinitivkonversion ist in manchen Fällen die einzige Möglichkeit der
Bildung eines Verbalsubstantivs, z.B. von intransitiven, meist durativen
Verben wie ausscheiden ,eine Arbeitsstelle aufgeben‘, eindringen, einlenken,
innehalten, kriechen, scheitern, schweigen, schwimmen, umdenken, warten:
„kein dumpfes Dahinwarten […], kein sehnsüchtiges Herbeiwarten, ein tä-
tiges Warten“ (P. Süskind). So auch bei Partikelverben mit adverbialen
Verbpartikeln (her-/hinaus, -auf, -unter): Hinaustreten (*Hinaustritt), Her-
unterspringen, Herauslaufen u.a. Dies wie auch die geringe Neigung der
Konversionsprodukte, sich (abgesehen von lexikalisiertem Unvermögen)
mit dem Präfix un- zu verbinden (dafür nicht-: Nichtlesen, -verstehen), un-
terstreicht die Nähe zum Verbalbereich.
Wie bei anderen Derivationsmodellen begegnet es auch hier, dass die
Basis nicht mehr geläufig ist (Ableben ,Sterben‘, Anwesen) oder dass im
Konversionsprodukt ältere Lesarten der Basis bewahrt sind (Abkommen
,Vereinbarung‘). Nicht wenige technische Fachausdrücke werden in der
Regel nur als Substantive gebraucht, besonders Komposita aus zwei Verb-
stämmen (Einstechschleifen; ¢ 5.7).
272 2 Wortbildung des Substantivs

Was die Wortbildungsbedeutung betrifft, so ist zunächst festzuhalten,


dass das Konversionsprodukt (wie auch Derivate) nicht alle Lesarten der
Basis übernehmen muss: z. B. das Geben nicht die Bedeutung von es gibt ein
Gewitter, und Beginnen nicht die räumliche Lesart von hier beginnt die Wüste
(vgl. Schippan 1967, 41 ff.). Als kategorielles semantisches Merkmal des Mo-
dells ist das mit dem neutralen Genus zusammenhängende Merkmal
,Nicht-Person‘ aufzufassen. – Im Übrigen kennt die Infinitivkonversion die
semantische Fächerung wie auch andere deverbale Modelle (Derivation mit
-ung, Verbstammkonversion). Entsprechend dem oben über die Verbnähe
und syntaktische Relevanz Gesagten dominiert die Wortbildungsbedeutung
Nomen Actionis mit Merkmalen der Transitivität und Zeitlichkeit (beim
Lesen des Buches), doch es findet sich auch die Weiterentwicklung zu
Nomina Acti (Erstaunen, Treffen) und zu konkreter Sachbezeichnung (das
zerrissene Schreiben).
Was die semantische Beziehung zwischen Verbstammkonversion und In-
finitivkonversion betrifft, so können sich beide Modelle sehr nahestehen
(beim Verzehr/Verzehren der Brötchen). Die Unterschiede entsprechen weit-
gehend dem Verhältnis von -ung-Derivaten und Infinitivkonversion
(¢ 2.3.2.18[1.3]): der Schrei (pluralfähig) – das Schreien (ohne Plural); das
Versteck (Sachbezeichnung) – das Verstecken (Prozess).

2.6.2.2 Adjektivische und partizipiale Basen

1) Die deadjektivischen und departizipialen Konversionsprodukte bewah-


ren die adjektivische Flexion und können alle drei Genera annehmen (Aus-
nahmen: der Junge ,Knabe‘, Kunde, Oberst; Gläubiger gegenüber der/die
Gläubige). Sie fungieren grundsätzlich als substantivische Nominations-
einheiten, wenngleich sie sich in syntaktischer Hinsicht (Verbindbarkeit mit
Gradadverbien, mit Komplementen) teilweise nicht wie Substantive, son-
dern wie attributive Adjektive bzw. Partizipien verhalten (vgl. Vater 1987,
282 ff., der deshalb von „Quasisubstantivierungen“ spricht; ebd., 287).
Die meisten maskulinen bzw. femininen Formen fungieren als Personen-
bezeichnungen
– von Adjektiven: der/die Alte, Berufstätige, Gleichaltrige, Liebste, Neue, Ob-
dachlose, Rangälteste, Verantwortliche, Vorlaute;
– von Partizipien I: der/die Ankommende, Andersdenkende, Auszubildende,
Außenstehende, Diensthabende, Leidtragende, Lesende, Reisende, Schreiben-
de, Streikende, Vorsitzende, Zivildienstleistende;
– von Partizipien II: der/die Angestellte, Abgeordnete, Delegierte, Erkrankte,
Erwachsene, Gefangene, Gelehrte, Geschworene, Hinterbliebene, Körperbe-
2.6 Konversion 273

hinderte, Schutzbefohlene, Teilnahmeberechtigte, Vermisste, Verunglückte,


Verwundete, Verstorbene.
Basen sind einfache und komplexe Verben sowie Syntagmen. Teilweise
konkurrieren -er-Derivate, selten solche auf -ling (¢ 2.3.2.10); vgl. die Dif-
ferenzierung von Schreiber – Schreibender – Schreiberling – Schriftsteller. In
vielen Fällen bietet diese Konversion die einzige Möglichkeit zur Gewinnung
substantivischer Personenbezeichnungen etwa aus Adjektiven auf -ig und
-lich: der Angehörige, Sachverständige, Schwerhörige, Jugendliche; ferner z.B.
noch der Intellektuelle, Industrielle, Fremde, Deutsche.
Entsprechend den Partizipialformen haben die Konversionsprodukte des
Partizips I die Bedeutung von Nomina Agentis, die des Partizips II von
Nomina Patientis, vgl. Paare wie der Begrüßende – der Begrüßte, der Delegie-
rende – der Delegierte. Bei Konversion intransitiver Verben ergibt sich die
Opposition durativ – perfektiv (worin sich wiederum eine Berührung mit
dem Verbalbereich zeigt): der Heimkehrende – Heimgekehrte, der Versinkende
– Versunkene. Doch nicht immer sind beide Formen gebräuchlich (*der
Gestreikte, *Außengestandene; *der Erwachsende, *Schutzbefehlende).
In manchen Fällen sind unterschiedliche Demotivationen eingetreten: der
Besitzende – der Besessene, der Bekennende – der Bekannte. – Nur selten
zeigen sich stärkere semantische Berührungen zwischen Partizip I und II: die
Hinterbliebenen – Zurückgebliebenen – Zurückbleibenden.
2) Bei Nicht-Personenbezeichnungen wird in der Regel die neutrale Form
verwendet, vgl. von Adjektiven: das Alte, Beste, Gesunde, Neue; von Partizi-
pien I: das Anziehende, Auffallende, Beklemmende, Fehlende, Folgende, Pas-
sende; von Partizipien II: das Erbrochene, Gedruckte, Gehackte, Geschehene,
Halbgefrorene, Verborgene.
In manchen Fällen, besonders bei adjektivischen Komposita, ist die Kon-
version die einzige Möglichkeit zur Bildung eines entsprechenden Substan-
tivs (das Schrecklich-Schöne, das Unzeitgemäß-Untechnische, Marginalien
1978). – In anderen Fällen konkurrieren Derivate auf -e und -heit: die Blässe
– das Blasse, die Schönheit – das Schöne. Auch Konversion des Komparativs
begegnet: „in diesem Zeit-Gelände, das man früher und, falls es ein Später
gab, sicher auch später für unbewohnbar gehalten hätte…“ (Ch. Wolf). Die
Derivate tendieren stärker zur Konsolidierung eines konturierten Begriffs,
nicht selten mit teilweiser Demotivation. Die Konversionen hingegen blei-
ben „im Vorfeld der Begrifflichkeit“ (Wilss 1993a, 202). Da sie semantisch
vage sind und leicht (ohne Beschränkungen) gebildet werden können, er-
leichtern sie ggf. die Kommunikation (Weiteres hierzu bei Wilss 1993a).
Mit Bezug auf Konversionsprodukte von Adjektiven auf -isch (das Besti-
alische gegenüber Bestialität) vermerkt Eichinger (1982, 176), dass diese
274 2 Wortbildung des Substantivs

dazu dienen, „eine Eigenschaft als Eigenschaft ihres Determinats themati-


sieren zu können“, dagegen „ungeeignet“ seien, „diese Eigenschaft als un-
eingeschränkten Allgemeinbegriff vorzustellen“. Doch vgl. etwa die Flucht
ins Schöpferische (W. Hildesheimer) oder – bei anderen Adjektiven – die
terminologisierten Konversionsprodukte das Allgemeine – Besondere – Ein-
zelne.
Werden Sachbezeichnungen als Maskulina oder Feminina gebraucht, so
handelt es sich eigentlich um elliptische Formen: ein Schwarzer (Kaffee), ein
Harter/Weißer (Schnaps), die Rechte/Linke (Hand); die Elektrische (Straßen-
bahn; veraltet), die Illustrierte (Zeitschrift).
3) In einigen Fällen steht neben dem Adjektiv ein gleichlautendes Sub-
stantiv mit neutralem Genus und substantivischer Flexion: das Gut, Leid. Als
Modell liegt hier wohl ein Relikt älteren Sprachzustands vor (Wilmanns
1899, 397), doch offensichtlich sind einzelne Neubildungen möglich: das
Rund, das Gesamt (nach GWDS selten), vgl. ferner das Nass, Hell und Dunkel,
Tief, Hoch. – Vgl. auch Zweitglieder substantivischer Komposita wie das
Gänseklein, Schwarzsauer, der (!) Magenbitter, Stich ins kitschige Postkar-
tenbunt (TZ 1969).
Von Farb- und Sprachbezeichnungen ist diese Form allgemein gebräuch-
lich, sodass hier teilweise vier oder doch drei substantivische Wortbildungen
nebeneinander stehen: blau – das Blau – das Blaue – der, die Blaue – die
Bläue. Das Blau bezieht sich auf den Farbstoff, die Bläue auf die Eigenschaft
bestimmter Objekte (doch berühren sich beide: das Blau/die Bläue des Him-
mels). Vgl. ferner: deutsch – das Deutsch – das Deutsche – der, die Deutsche.
Das Deutsche bezeichnet die deutsche Sprache allgemein, das Deutsch da-
gegen wird verwendet, wenn eine spezielle Beziehung auf eine bestimmte
Person hergestellt wird: Sein Deutsch ist ausgezeichnet.
4) Ein seltener Fall ist die Konversion eines Partizips II ohne Genus und
Flexion: Zuzug von Unbekannt, Anzeige gegen Unbekannt; Gespräch von Un-
bekannt zu Unbekannt (U. Saeger) wie schließlich auch die Konversion des
Gerundivs: Seien Sie neugierig auf selten zu Hörendes (Internet 2010).

2.6.2.3 Phrasale Basen

2.6.2.3.1 Syntagma als Basis


Die Konversion verbaler Syntagmen ist – wie auch die Derivation von Syn-
tagmen – mit Univerbierung verbunden. Prinzipiell können der Konversion
alle Arten von Syntagmen unterzogen werden: zwei Infinitive (Wirkenwollen,
aber nicht Wirkenkönnen, Ch. Wolf); analytische Verbformen (blinder Pas-
2.6 Konversion 275

sagier nach seinem Entdecktwerden, Horizont 1975); Verbindungen mit Ad-


verbien (das Französischtun, V. Ebersbach), mit Adjektiven (in den Momen-
ten ihres Menschlichseins, TZ 1987), Objekten (zum Menschenumbringen
präparierte „Tiere“, Weltbühne 1989), substantivischen Adverbialen (ein
Treppen-Hinunterpoltern von vielen Füßen, F. Dürrenmatt; des lauten Schen-
kelschlagens, Weltbühne 1988) und andere Konstruktionen (ins Nichtmehr-
müssenwollen, G. Kunert; die schönsten Bücher zum Vorlesen, Selbstlesen und
Immer-wieder-Lesen; Die Zeit 2006).
Die syntaktische Rolle, die Nähe zum Verb und die geringe Neigung zur
Ausbildung usueller Nominationseinheiten ist hier noch ausgeprägter als
bei der einfachen Infinitivkonversion. Immerhin zeigen Konversionspro-
dukte verbaler Phraseologismen Usualisierungstendenzen: das Kopfzerbre-
chen, Inkrafttreten, Naserümpfen. Das gilt auch für Wortgruppen mit wohl
(als altem Adverb von gut): sich wohl befinden/verhalten > das Wohlbefinden,
-verhalten, es/etwas behagt/gefällt/ergeht jmdm. wohl > Wohlbehagen, -gefal-
len, -ergehen.
Im Vergleich zur einfachen Infinitivkonversion gibt es offenbar mehr
Restriktionen, wozu allerdings noch weitere Untersuchungen nötig wären
(? beim Vaterhören).
2.6.2.3.2 Satz als Basis
Konversion von Sätzen der Art wie sein ständiges Morgenfangeichan sind
selten und taugen nicht zur Entwicklung einer Nominationseinheit. Ihre
Seltenheit führt zu orthografischen Schwankungen; es wäre auch die Schrei-
bung möglich: sein ständiges „Morgen fange ich an!“ Diese Konversion kann
als eine Art Ellipse aufgefasst werden für: seine ständige Rede „Morgen …!“
Die Konversion hat neutrales Genus.
Anders verhält es sich mit den sogenannten Satznamen. Es sind zu einem
großen Teil Substantive als Personenbezeichnungen: der Tunichtgut. Früher
wurden sie als Konkurrenzmodell zur Bildung deverbaler Nomina Agentis
auf -el und -er stärker genutzt als heute (vgl. Schützeichel 1982), was sich
in zahlreichen Familiennamen niedergeschlagen hat (Hebekanne, Redslob,
Lachnit, Greifzu). Als appellativische Personenbezeichnungen begegnen
heute noch Haudrauf, Störenfried, Wagehals, Springinsfeld, Taugenichts.
Pflanzenbezeichnungen sind Vergissmeinnicht, Rührmichnichtan; Sachbe-
zeichnungen (teils Maskulina, teils Neutra) Rollfix ,kleiner Handwagen‘,
Ladefix (Batterieladegerät), vgl. ferner Kehraus (Jahres-, Faschingskehraus),
Reißaus (in Verbindung mit nehmen), Schauinsland, Luginsland für hohe
Türme, Stelldichein (1791 von Campe für Rendezvous). – Entsprechungen
mit dem Verb an zweiter Stelle sind eventuell Fingerzeig, Zeitvertreib (vgl.
älter Nichtstaug, Stieler 1691, gegenüber Taugenichts).
276 2 Wortbildung des Substantivs

Wie manche neuere der oben genannten Beispiele zeigen, ist das Modell
noch produktiv; vgl. die Benennung des Spiels Mensch ärgere dich nicht,
auch als Erstglied in Komposita: Mensch-ärgere-dich-nicht-Turnier. – Die
Verbform kann vielfach imperativisch erklärt werden (vgl. Schützeichel
1982, 108), z. T. aber auch als 1. Pers. Präs.: Schlagetot ,einer, der ständig
droht: Ich schlage tot!‘. – Zu Satznamen ohne Verbform ¢ 2.6.1.2.

Übersicht 23: Deadjektivische Substantive: Konversion und -e-Derivation (ohne departizi-


piale Bildungen)

Adjek- Neutr., Mask., Fem., Neutr., Mask., Derivate


tiv adj. Flexion adj. Flexion subst. Fle- subst. Fle- auf -e
xion xion

gut das Gute der, die Gute das Gut – die Güte
hoch das Hohe der, die Hohe das Hoch – die Höhe
tief das Tiefe der, die Tiefe das Tief – die Tiefe
übel das Üble der, die Üble das Übel – –
dunkel das Dunkle der, die Dunkle das Dunkel – –
leid – – das Leid – –
stolz das Stolze der, die Stolze – der Stolz –
blass das Blasse der, die Blasse das Blass – die Blässe
laut das Laute der, die Laute – der Laut –
lieb das Liebe der, die Liebe – – die Liebe
gemein das Gemei- der, die Gemeine – – –
ne
jung das Junge der, die Junge – der Junge –
elend das Elende der, die Elende das Elend – –
blau das Blaue der, die Blaue das Blau – die Bläue
schwarz das Schwar- der, die Schwarze das Schwarz – die Schwär-
ze ze
deutsch das Deut- der, die Deutsche das Deutsch – –
sche
2.7 Kurzwortbildung 277

2.7 Kurzwortbildung

Kurzwortbildung ist eine Wortbildungsart (¢ 1.8.1.4), die sich von Kompo-


sition, Derivation und Konversion vor allem dadurch unterscheidet, dass
ihre Ausgangseinheiten, die Vollformen, semantisch meistens mit ihren
Wortbildungen, den Kurzwörtern, übereinstimmen, zumindest in der Phase
ihrer Bildung. Primärer Bildungsanlass ist das Bedürfnis nach ausdrucks-
seitig sprachökonomischer Benennungsvariation durch Reduktion der Aus-
gangseinheiten. Die Kürzung der Vollformen als eine Art der Variation
(Wohngemeinschaft > WG, Auszubildender/Auszubildende > Azubi) schafft
weder semantische Subklassen (¢ 1.8.2.1) noch eine veränderte Bedeutungs-
klasse, d. h., Kurzwortbildung führt nicht unmittelbar zu Modifikation oder
Transposition.
Der Motivationsverlust der Kurzwörter gegenüber ihren Vollformen als
Folge der Reduktion auf nichtbedeutungstragende Segmente wie Buchsta-
ben und Silben hat die Nicht-Erschließbarkeit ihrer Bedeutung zur Folge.
Eine Motivationsbedeutung (¢ 1.5.4.1) lässt sich für diese Kurzwörter nicht
ermitteln.
Kurzwortbildung erzeugt Kurzwörter verschiedenen Typs (¢ 2.7.1). Ihr
Wortstatus zeigt sich auf den einzelnen sprachlichen Ebenen (¢ 2.7.2). Sie
sind unterschiedlich wortbildungsaktiv (¢ 2.7.3), erweitern den Wortschatz
(¢ 2.7.4) und zeigen Besonderheiten in textueller Verwendung (¢ 2.7.5).

2.7.1 Kurzworttypen

Die Kurzworttypen unterscheiden sich sowohl nach Anzahl und Art der
beibehaltenen Segmente als auch nach deren Position in der Vollform. Die
Vollformen sind vielgliedrige, meist lexikalisierte Wortbildungen, aber auch
syntaktische Fügungen, selten ganze Sätze.
Entsprechend der Anzahl ihrer Segmente gibt es Kurzwörter, die entwe-
der aus mehreren Segmenten der Vollform bestehen – diese Kurzwörter sind
multisegmental (Kripo < Kriminalpolizei), oder die aus einem einzigen Seg-
ment der Vollform bestehen – diese Kurzwörter sind unisegmental (Krimi <
Kriminalroman/-film) (Bellmann 1977; Fleischer 2000, 894). Eine dritte
Gruppe bilden partielle Kurzwörter (Bellmann 1980, 372), die unter quan-
titativ-strukturellem Aspekt aus einem – nur in dieser Kombination – ge-
kürzten und einem unveränderten Teil der Vollform bestehen (H-Milch <
haltbare Milch, K-Frage < Kanzlerfrage).
278 2 Wortbildung des Substantivs

Die bestehenden Kurzworttypologien weichen aufgrund der Vielfalt an Kürzungs-


möglichkeiten sowie der unterschiedlichen Kriterien (nach Art, Anzahl, Hierarchie)
voneinander ab und weisen „fast ausnahmslos Defizite“ auf (Steinhauer 2000, 253; zu
Typologien vgl. Greule 1996, 197 ff.; Kobler-Trill 2002a, 454. Die hier gewählte Typolo-
gisierung deckt sich im Wesentlichen mit Donalies 2005b, 139ff.). Zu textsortentypi-
schen „Kurzschreibungen“ im Plauder-Chat ¢ 2.7.5.3.
Multisegmentale Kurzwörter bestehen aus mehreren Segmenten der Voll-
form. Sie werden gruppiert nach Art der verbliebenen Segmente in Buch-
stabenkurzwörter (DPD < Deutscher Paketdienst), in Silbenkurzwörter aus
silbenartigen Segmenten (Schiri) oder Silben (Kripo), in Mischkurzwörter
(Azubi), werden ggf. unterschieden nach ihrer Aussprache: lautiert (Fuzo <
Fußgängerzone) oder buchstabiert (IRK < Internationales Rotes Kreuz, FC <
Fußballclub), manche sind auch üblich in beiden Aussprachen (FAZ). Im
Gesamtbestand überwiegen Kurzwörter mit drei Segmenten, als Segmente
dominieren initiale Elemente: 90 % beträgt ihr Anteil an Namen von
„Staaten, Parteien, Vereinen, Verbänden, Organisationen, Institutionen, Pu-
blikationsorganen und Wirtschaftsunternehmen“ (Starke 1997, 93) wie
auch am Fachwortschatz in Fachzeitschriften zu Medizin, Technik, Wirt-
schaft (nach Steinhauer 2000, 257).
Multisegmentale Kurzwörter, die auf einzelne Buchstaben ihrer Vollformen reduziert
sind, bezeichnen wir als Buchstabenkurzwörter. In der einschlägigen Forschungslite-
ratur wird für diesen Typ Kurzwort neben Buchstaben(kurz)wort auch Initialwort
verwendet, in Definitionen oft als Definiens für das Buchstabenkurzwort (z. B. Stein-
hauer 2005, 10; Donalies 2005b, 146). Der Terminus Initialwort ist jedoch ungenau,
und zwar insofern, als die Buchstaben des Kurzwortes zwar meist Anfangsbuchstaben
der Vollformensegmente, also Initialen sind (LKW), aber nicht ausnahmslos bei allen
Buchstabenkurzwörtern (Tbc).
Unisegmentale Kurzwörter sind auf ein kontinuierliches Segment der Voll-
form reduziert. Unterteilt werden sie nach der Position des verbleibenden
Segments der Vollform in Anfangs- oder Endsegmente bzw. Kopf- und
Schwanzwörter. Anfangssegmente sind vor allem Appellativa (Abo, Akku,
Demo, Info). Endsegmente (Bus < Omnibus) sind als gekürzte Vornamen
beliebt (Achim < Joachim, Tina < Martina oder Christina), für die aber auch
Anfangsegmente (Max < Maximilian, Ben < Benjamin oder Benedict) oder
mittlere Bestandteile (Lisa < Elisabeth) üblich sind (dazu Debus 1988, 37).
Anfangs- oder Endsegment stecken in Bert < Berthold/Robert.
Unisegmentale Kurzwörter wie Mikro oder Bio lassen sich aus Konfix-
komposita herleiten. Sie sind Anfangssegmente, die sich als Kurzwörter ge-
genüber den gleichlautenden Konfixen (mikro- ,klein‘ in Mikrochip) ver-
selbstständigt haben, beispielsweise zu das Mikro < Mikrofon, der Mikro <
2.7 Kurzwortbildung 279

Mikrowellenherd (vgl. Dudenband 4, 2009, 684). Das Konfix bio- (¢ 1.9.2.2.3)


ist zum Kurzwort Bio, bio geworden, und zwar mit jeweils eigener Bedeu-
tung in Bio(logieunterricht), (aus) bio(logischem Anbau), neuerdings (2010)
auch im Namen einer Produktreihe GutBio ,Einfach gut leben‘ als zweiter
Bestandteil sowie als selbstständiges Markenzeichen BiO ,nach EG-Öko-
Verordnung‘ (zur steigenden Frequenz von Bio, bio vgl. Scheller-Boltz 2008,
256; zu bio und öko Dudenband 4, 2009, 744).
Es gibt Wörter wie Adresse, Bahn, Rad, von denen einzelne Lesarten mitunter als
unisegmentale Kurzwörter erklärt und entsprechend kodifiziert sind. Beispielsweise ist
Adresse < E-Mail-Adresse oder < Internetadresse als Kürzung, dagegen Adresse (EDV)
,Nummer einer bestimmten Speicherzelle im Speicher einer Rechenanlage‘ (< *Spei-
cheradresse) als weitere Lesart angegeben (DUW): Ob eine Bedeutungsübertragung oder
eine Kürzung stattgefunden hat, lässt sich hier und auch in anderen Fällen nicht sicher
ermitteln. Grenzfälle dieser Art bleiben in den folgenden Abschnitten außer Betracht.
Zur Bedeutungsbildung von Lexemen im Kompositum und nachfolgender Ver-
selbstständigung der zunächst gebundenen Lesarten ¢ 1.3.3 (Tochtergesellschaft > Toch-
ter); ¢ 1.5.3 (Sittenpolizei > Sitte); zur Erleichterungsreduktion ¢ 2.2.2.1(15).

In partiellen Kurzwörtern kann der – nur in dieser Kombination – gekürzte


Teil eine einzige Initiale sein (U-Haft), kann aber auch mehrere Initialen
(US-Amerikanerin, HNO-Ärztin) oder silbenähnliche Segmente (Schukoste-
cker) haben; möglich ist auch ein silbenübergreifendes Anfangssegment
(Pauschbetrag). Die Reduktion ist für die Bildung eines partiellen Kurzwor-
tes der entscheidende letzte Wortbildungsvorgang (U-Haft < Untersuchungs-
haft), wohingegen für die Bildung eines Kompositums mit Kurzwort
(MDR-Sendung) die Reduktion (MDR < Mitteldeutscher Rundfunk) der
Komposition vorausgegangen ist (vgl. Kobler-Trill 2002a, 454).
Wortbildungen wie Reha-Klinik, -Sport, -Messe, -Technik sind doppel-
motiviert: Sie können als partielle Kurzwörter oder Komposita mit einem
unisegmentalen Kurzwort aus Rehabilitation interpretiert werden (mit
beiden Möglichkeiten rechnet Kobler-Trill 1994, 72; Donalies 2005b, 144,
sieht in ihnen „stark etablierte Komposita“).
Kritik am typologischen Status des partiellen Kurzwortes begründet Steinhauer (2000,
35 ff.) damit, dass der ungekürzte Teil der Bildung (Haft) das Wort ausmache, und
deshalb nur der gekürzte Teil (U) als „gebundene Kurzform“ bezeichnet werden sollte.
Zur Expansion des Typs K-Frage Eroms 2002b, 24 ff.
Andere Wortbildungstypen, an denen auch ausdrucksseitige Kürzungen beteiligt
sind, werden nicht als Kurzwörter bestimmt, sondern an anderer Stelle behandelt. Es
sind dies Kunstwörter (Persil < Perborat + Silikat, ¢ 1.3.1), Kontaminationen (CamCor-
der < Camera + Recorder, ¢ 1.8.1.7) und sog. Klammerformen (Fernstraße < Fernverkehrs-
straße, ¢ 2.2.2.1[15]).
280 2 Wortbildung des Substantivs

Schreibabkürzungen wie usw., dt. sowie genormte Kürzel wie m (Meter) oder l (Liter)
bleiben hier außer Betracht. Sie werden nur verkürzt geschrieben, aber in vollem Wort-
laut gesprochen, sie besitzen keinen Wortstatus (¢ 2.7.2). Einen Überblick über „Ab-
kürzungen“ gibt Römer (1996). In „Das Wörterbuch der Abkürzungen“ (Steinhauer
2005) sind Schreibabkürzungen inventarisiert, zusammen mit Kurz- und Kunstwör-
tern, Buchstaben-, Silben- und Mischkurzwörtern. Zur terminologischen Uneinheit-
lichkeit bezüglich Abkürzung, Akronym, Kurzform, Kurzwort vgl. Schröder 2005b,
207.
Kurzwörter mit fremdsprachlichen Vollformen sind meist schon als Kurzwort ent-
lehnt und werden nicht gesondert beschrieben (in Übereinstimmung mit Nübling/
Duke 2007, 228; ¢ 1.3.2), was aber nicht ausschließt, sie als Beispiele für die Beschrei-
bung der Kurzwortbildung mit heranzuziehen (vgl. Bellmann 1980, 369; Kobler-Trill
1994, 14; Greule 1996, 195), und zwar sowohl als Wörter (CD) wie auch als Konstitu-
enten in Wortbildungen (CD-Vertrieb); zu Kombinationen aus exogenen und indige-
nen Einheiten ¢ 1.9.1. Obligatorischer Bestandteil sind entlehnte Kurzwörter in Kor-
pora für Untersuchungen zum Kurzwortgebrauch in der Fachkommunikation, in der
sie in Wirtschaft, Medizin und Technik mehr als 30 % ausmachen (im Überblick vgl.
Steinhauer 2000, 259).

2.7.2 Wortstatus

Kurzwörter haben, wie andere Wörter auch, ein eigenes Flexionsparadigma,


eine normierte Aussprache und Schreibweise, eine lexikalische Bedeutung
sowie Benennungsfunktion und sie besitzen dementsprechend Wortstatus
(¢ 1.6.1).
Die Auffassung, dass Kurzwörter neue Wörter sind, hat sich seit den 1990er-Jahren
weitgehend durchgesetzt; in diesem Sinn auch Weber 2002, 459; Donalies 2005b, 139 f.;
Eichinger (2000, 65) spricht vom „Kurzlexem“, Erben (2006, 38) von „Kurzformen“ im
Bereich der „Neuwörter“.
Kinne (1998, 83) führt Kurzwörter wie ICE bei den Neulexemen als Neologismustyp
an, bei denen „Form und Bedeutung neu sind“. „Neu“ in der Form erklärt sich aus
„Eingriffen in die Wort- bzw. Wortgruppenstruktur“, „neu“ in der Bedeutung kann
man mit Bellmann als „semantische Demotivierung“ verstehen (Bellmann 1988, 18).

Die flexionsmorphologischen Paradigmen (¢ 1.2.1) der Kurzwörter können


sich von denen ihrer Ausgangseinheiten unterscheiden, beispielsweise in der
Pluralbildung (Demos vs. Demonstrationen). Nach Ronneberger-Sibold
(2007, 284 f.) sind wichtige grammatische Erscheinungen der Kurzwörter
das starke Übergewicht der Pluralendung auf -s sowie eine deutliche Ten-
denz zur Flexionslosigkeit. Innerhalb beider Kategorien gibt es erhebliche
2.7 Kurzwortbildung 281

Freiräume – obligatorisch ist lediglich das Plural-s bei Kurzwörtern, die auf
einen Vollvokal enden: die Zivis, die UFOs, die Jusos. Die Tendenz zur Fle-
xionslosigkeit zeigt sich im gebräuchlichen Einsparen des Genitiv-s: des Lkw
gegenüber des Lkws (Steinhauer 2005, 12; zu Plural und Genitiv Dudenband
4, 2009, 190 bzw. 205f.).
Die erschwerte Genuszuweisung, besonders für fremdsprachliche, aber
auch für deutsche Buchstabenkurzwörter, kann erleichtert sein, wenn einer
der Buchstaben – meistens der letzte – in seiner ungekürzten Form Zweit-
glied eines Kompositums ist: In dem Kompositum DM-Markt steht Markt
tautologisch für M aus dem Kurzwort DM (< Drogeriemarkt). Das Zweit-
glied sichert nicht nur das Genus, sondern schafft Verständnis für die Be-
deutung des Kurzwortes DM. Tautologien dieser Art (ARD-Anstalt, ABM-
Maßnahme, BMW Werke, Castor-Transport, DIN-Norm, HIV-Virus, ISDN-,
PIN-Nummer) sind auch Ausdruck der „ganzheitlichen Bedeutung“ der
Kurzwörter“ und fallen „eher Sprachkritikern als naiven Sprechern“ auf
(vgl. Weber 2002, 458; ¢ 2.2.3.4[1]). Nach Donalies (2008) sind „Zusam-
mensetzungen mit einem solchen Buchstabenwort und einem Wort, das
dem letzten Bestandteil dieses Buchstabenwortes entspricht“ durchaus ak-
zeptabel, nicht zuletzt aufgrund ihrer hohen Frequenz (für ABM-Maßnahme
gab es im Juli 2008 im IDS-Korpus 365 Belege), darunter auch in „stilistisch
hoch angesehenen Zeitungen“, und ihres Gebrauchs (HIV-Virus) durch
„Fachleute, die die Langform natürlich kennen“.
Phonetisch merkmalhaft ist für Kurzwörter aus und mit Initialen die
Aussprache (¢ 2.7.1), und zwar entweder in Buchstabierweise (Kfz, ADAC;
HNO-Arzt) oder phonetisch gebunden (TÜV, Bafög), auch kombiniert in
CD-ROM, vereinzelt schwankend wie in FAZ (gebunden eher „umgangs-
sprachlich“ – vgl. Kobler-Trill 2002a, 456; nur gebunden üblich taz < tages-
zeitung). In seltenen Fällen werden die Buchstabennamen ausgeschrieben,
z.B. Edeka (< Einkaufsgenossenschaften deutscher Kolonialwaren- und Le-
bensmitteleinzelhändler, früher E. d.K.; vgl. Debus 2009, 178). Vermutlich
spielt die Sprechbarkeit für die „Segmentierung der Vollform und die Aus-
wahl der Segmente […] eine wichtige Rolle“ (Greule 1996, 197).
Phonologisch merkmalhaft ist, dass nicht wenige Silben- (Kripo) und
silbenähnliche (Schiri) Kurzwörter sowie Anfangssegmente (Demo) auf
einen vollen Vokal enden und damit, vom Standard abweichend, am Wort-
ende weder eine geschlossene Silbe noch den reduzierten e-Vokal, das
Schwa, haben (vgl. Eroms 2002a, 28 f.). Voller Vokal im Auslaut ist auch
typisch für gekürzte weibliche Vornamen (Lisa, Laura) nach dem Bildungs-
muster kvkv, wohingegen männliche Vornamen (Alex, Max) eher dem
Schema (v)kvk folgen. Zur phonologisch gesteuerten trochäischen Struktur
282 2 Wortbildung des Substantivs

¢ 1.2.3; zu Tendenzen im Gebrauch gekürzter Vornamen und zur Motivation


ihrer Wahl Seibicke 2007, 483.
Die Schreibung unisegmentaler Kurzwörter gleicht der ihrer Segmente in
der Vollform. Sie beginnen mit Großbuchstaben, und zwar als initiale (Abo),
mittlere (Lisa) oder finale Segmente (Bus). Multisegmentale Buchstaben-
kurzwörter bevorzugen die Großschreibung jedes einzelnen Buchstabens
(DPD), dabei sind Schreibvarianten nicht ausgeschlossen (LKW/Lkw, Soko/
SoKO/SOKO). Bei gebundener Lautung gibt es einen Trend hin zur normalen
Substantivschreibung, also DAF > Daf, BAföG > Bafög, TÜV > Tüv (Poethe
2000, 47). Üblich ist auch, dass Kurzwörter aus syntaktischen Fügungen die
Groß- und Kleinschreibung der Segmente übernehmen wie GmbH aus
Gesellschaft mit beschränkter Haftung. In der Rechtssprache dienen kleinge-
schriebene Buchstaben der Differenzierung, z.B. zwischen SGB < Sozialge-
setzbuch und StGB < Strafgesetzbuch (Steinhauer 2005, 11). Wie für Eigen-
namen üblich, ist die Schreibweise onymischer Kurzwörter obligatorisch,
z.B. für GEZ < Gebühreneinzugszentrale, B.S.A. < Baustellen-Absperr-Service,
ver.di < Vereinigte Dienstleistungsgesellschaft, LaboMed < Labormedizin. Ver-
bindlich geregelt ist die Bindestrichsetzung in Komposita mit Buchstaben-
kurzwörtern (¢ 2.2.12.5.1). In Komposita mit unisegmentalem Kurzwort
kann der Bindestrich zur Verdeutlichung gesetzt werden (Uni-Ausstellung),
jedoch nicht in Suffixderivaten (ABMler).
Schreibung mit Binnenmajuskel (¢ 2.2.12.5.2) ist gebräuchlich in SatAn <
Satellitenanlage, neuerdings in TaMu < Tagesmutter. Binnenmajuskeln
strukturieren optisch das onymische Kurzwort JaRiKo < „Jugend aktivieren,
Risikogruppen integrieren, Konzepte offerieren“ (Sozialer Ring GmbH). Die
Sprechbarkeit des Kurzwortes spielt eine Rolle, wenn eine Binnenmajuskel
aus der Vollform in die anderen Initialen des Kurzwortes integriert ist: Kultur
und InterakTiv Organisation (Bremen 2010) > KITO. Der Modernisierung
geschuldet ist offensichtlich die Schreibweise einer alten Inschrift GGGMF <
G(ott) g(ebe) G(lück) m(it) F(rieden), in Stein gehauen über dem Eingang
zum Schloss Glücksburg (1582 erbaut), die 2009 in einem Flyer mit Bin-
nenmajuskeln als GgGmF erscheint.
Zu den semantischen Besonderheiten der Kurzwörter gehört der Moti-
vationsverlust gegenüber ihren Vollformen als Folge der Reduktion auf
nichtbedeutungstragende Segmente wie Buchstaben und Silben. Auch wenn
die Kürzung aus der Vollform strukturell nachvollziehbar ist, lässt das fertige
Kurzwort keinen zwingenden, semantisch erhellenden Rückschluss auf die
zugrunde liegende Vollform zu.
Nahezu unbegrenzt sind Bezugsmöglichkeiten einzelner Buchstaben auf
verschiedene Wörter, Morpheme oder Silben (z.B. B in DB, BMW, ABM).
2.7 Kurzwortbildung 283

Erschwerend hinzu kommen unterschiedliche Kürzungsprinzipien, die


keinen festen Regeln folgen und im einzelnen Kurzwort nicht erkennbar
sind (z. B. bund silbenähnlich gekürzt in BUGA < Bundesgartenausstellung,
zur Initiale gekürzt in BRD), d.h., zur Erschließung des Kurzwortes können
Buchstaben nicht herangezogen werden.
Kurzwörter haben wie andere Wortbildungen Anteil an Bedeutungsbil-
dung (¢ 1.3.3) und an Lexikalisierung (¢ 1.3.5). In Übereinstimmung mit
Wortbildungen anderer Wortbildungsarten gibt es metonymische Bedeu-
tungsbildungen, z.B. ist BMW Markenname für das Produkt (einen BMW
fahren) und Eigenname für das Herstellerwerk (bei BMW arbeiten). Im Trend
sind auch Umdeutungen (¢ 2.7.4). Die relative Beliebigkeit von Buchstaben,
die für ganz unterschiedliche Segmente der Vollformen stehen können, be-
dingt eine Vielzahl homonymer Kurzwörter, wie ein Blick in „Das Wörter-
buch der Abkürzungen“ erkennen lässt; dabei ist die Mehrdeutigkeit von
Kurzwörtern aus zwei Großbuchstaben besonders hoch: UB mit elf Ho-
monymen (z. B. < Unbedenklichkeitsbescheinigung, Universitätsbibliothek),
TZ mit 16 (z. B. < technisches Zeichnen, Teuerungszulage; Steinhauer 2005).
Konnotative Differenzen zwischen Kurzwort und seiner Vollform können
sich durchaus herausbilden, da beide charakteristische Verwendungsunter-
schiede aufweisen können: Azubi ist ugs., Abi Schülersprache, Prof Studen-
tensprache (nach DUW); vgl. Eichinger 2000, 62 ff.; zu „Unterschieden in der
Evokation“ auch Weber 2002, 459; zu stilbildenden Potenzen ¢ 2.7.5.2.

2.7.3 Wortbildung mit Kurzwörtern

Kurzwörter können, wie Wortbildungen anderer Wortbildungsarten auch,


mit Wortstämmen oder Affixen kombiniert zu Komposita (AOK-Mitglied)
bzw. Derivaten (AOKler, abclich), seltener ohne Beteiligung weiterer Ele-
mente zu Konversionen (faxen) werden.
Als Kompositionsglieder in usuellen oder okkasionellen Komposita sind
Kurzwörter so stark verbreitet und – gegenüber anderen Kompositionsglie-
dern – unauffällig, dass sie z. B. in DWb 4 (9 ff.) nicht als besonderer Struk-
turtyp der Komposition behandelt werden. Sie sind Erst- oder Zweitglied in
AKW-Gegner, Bafög-Empfänger, GIFT-Online-Verlag, Demosprüche; Ich-AG,
Abgas-TÜV, Studentendemo, mitunter in auffälliger Schreibweise wie WestLB
(< Westlandesbank, LVZ 2010). Seltener sind beide unmittelbare Konstitu-
enten eines Kompositums: CD-ROM, Kombi-Kita, Lexi TV (Wissensmaga-
zin). Die hohe Frequenz erklärt sich vor allem daraus, dass die neu gebil-
deten Komposita wie USA-EU-Gipfel trotz ihrer mehrfachen Komplexität
284 2 Wortbildung des Substantivs

syntaktisch einfacher zu gebrauchen sind als die jeweiligen Vollformen.


Nach Fleischer (1997a, 189) trifft das besonders dann zu, wenn sie „ony-
mische Wortgruppen und Nominationsstereotype aus mehr als zwei Basis-
elementen als Kompositionsglieder“ enthalten wie in DRK-Mitglied anstelle
von *Deutsches-Rotes-Kreuz-Mitglied, in DPD-Lieferauto anstelle von *Deut-
scher/s-Paket-Dienst-Lieferauto.
Multisegmentale Kurzwörter können mit dem Suffix -ler Derivate bilden,
die bevorzugt Personen bezeichnen, ,zugehörig‘ zu einer mit dem Kurzwort
benannten Institution, Einrichtung o.Ä.: ABMler, DRKler, SPDler, WGler
(LVZ 2009). Movierungen sind nicht üblich. Manche Personenbezeichnun-
gen haben beide Genera: der/die OB (vgl. Steinhauer 2005, 13 f.).
Häufig genutzt für Personen-, seltener für Sachbezeichungen, werden
Derivate aus gekürzten Wortstämmen gebildet, die ohne ein Suffix nicht frei
vorkommen. Sie werden deshalb auch als „gebundene Kurzformen“ (Stein-
hauer 2000, 37) bezeichnet. Die Besonderheit der Bildungsweise dieser De-
rivate mit den Suffixen -i (¢ 2.3.2.8), seltener mit -o, besteht darin, dass
Reduktion und Derivation gleichzeitig erfolgen: Pull(over)i bzw. Anarch(ist)o,
Prol(et)o, Turb(in)o. Begünstigt ist die Produktivität dieses Derivationsmo-
dells durch die Analogie zur gleichfalls trochäischen Wortstruktur von Kurz-
wörtern, die auf einen Vokal auslauten (Krimi, Zivi, Demo; Schiri), und zu
deadjektivischen, deverbalen und desubstantivischen Derivaten (Blödi,
Brummi, Grufti; Brutalo). Zu „Neuschöpfungen mit dem Suffix -o“ in Ab-
grenzung zu seinen anderen Vorkommensweisen, z. B. in traditionellen
Namen (Bruno), Fremdwörtern (Scherzo), als Fugenelement (Serv o len-
kung), Zehetner 2004, 24f.

2.7.4 Wortschatzerweiterung

Die Erweiterung des Wortschatzes (¢ 1.3) durch Kurzwortbildung leisten


neu gebildete Kurzwörter, die in das Lexikon Eingang finden (vgl. Busse/
Schneider 2007, 173ff.). Hinzu kommt, dass gebräuchliche Kurzwörter wei-
tere Lesarten entwickeln (SMS nach ,Kurznachrichtendienst‘ auch ,Kurz-
nachricht‘; ¢ 2.7.2) oder umgedeutet werden (KGW vor 1989 Klement-Gott-
wald-Werk, nach 1989 Krane-Getriebe-Winden GmbH; vgl. Poethe 1997,
206, die in solchen Umdeutungen einen internationalen Trend sieht, ebd.,
210).
Nach Eroms (2002b, 22) sind die vielen Kurzwörter „eine Antwort auf die
immer größer werdende Komplexität unserer modernen Welt, sie machen
einen raschen Zugriff auf Dinge, Sachverhalte und Personen möglich,
2.7 Kurzwortbildung 285

indem man diese per ,Kurzwort-Button‘ einfach ,anklickt‘ und sich gar nicht
mehr vergegenwärtigt, dass […] ver.di die Vereinigte Dienstleistungsge-
werkschaft ist. […] Man sieht, wie die Kurzwörter, kaum sind sie da, ein
Eigenleben gewinnen.“ Um dieses „Eigenleben“ für den Sprachbenutzer
nutzbar – oder zumindest durchschaubarer – zu machen, werden Kurz-
wörter in vielfältiger Weise lexikografisch inventarisiert, auch online
(¢ 2.7.4.2).

2.7.4.1 Kurzwort-Neubildungen
Die Wortschatzerweiterung durch Kurzwort-Neubildungen lässt sich an
Neuaufnahmen in Wörterbüchern ablesen, was im Folgenden geschieht.
Diese Neuaufnahmen schließen auch Kurzwort-Neubedeutungen ein.
Die Auswahl der Beispiele beschränkt sich auf Neuaufnahmen in der 21. Auflage des
Dudenbandes 1, 1996; dazu Barz/Neudeck 1997; in der Neubearbeitung des LWB 1998;
dazu Schröder 2005a; in den „Lexikalischen Innovationen“ des IDS-Projekts; dazu
Steffens 2009.

1) Appellativa im Allgemeinwortschatz:
AG < Aktiengesellschaft, AKW < Atomkraftwerk, Alg I < Arbeitslosengeld I, AU <
Abgasuntersuchung, BLZ < Bankleitzahl, DAX < Deutscher Aktienindex, FH < Fach-
hochschule, Fon < Telefon, ICE < Intercityexpress, KG < Kommanditgesellschaft, PLZ <
Postleitzahl, PS < Postskript, TH < Technische Hochschule, TU < Technische Universität,
VHS < Volkshochschule.

Zu dem sprachhistorischen Sonderfall, dass Kurzwörter aus dem Wortge-


brauch der DDR-Bürger 1989 in kurzer Zeit verschwanden (EOS, VEB), da-
gegen viele andere aus westdeutschem Allgemeinwortschatz (ADAC, BfA)
Verbreitung fanden, vgl. Poethe 1997.
2) Eigennamen im Allgemeinwortschatz
Kurzwortbildung wird ständig genutzt für die Bildung von Firmen- und
Handelsnamen (DHL), für Bezeichnungen von Institutionen (IDS), Parteien
(SPD), Vereinen (SCL < Sportclub Leipzig), Veranstaltungen (CeBit ,Han-
nover-Messe‘) u.Ä.:

ADFC < Allgemeiner deutscher Fahrradclub, DAG < Deutsche Angestelltengewerkschaft,


DB < Deutsche Bundesbahn; Deutsche Bahn AG, DFB < Deutscher Fußballbund, dpa <
Deutsche Presse-Agentur, EU < Europäische Union, IHK < Industrie- und Handels-
kammer, ÖBB < Österreichische Bundesbahnen, SBB < Schweizerische Bundesbahnen,
StGB < Strafgesetzbuch.
286 2 Wortbildung des Substantivs

Der für appellativische Kurzwörter oft beklagte Motivationsverlust gegen-


über ihren Vollformen kann der Funktion des Eigennamens zugute kom-
men, denn die „Referenz erfolgt unmittelbar über die Kenntnis der Bezie-
hung zum Referenten und nicht über die Bedeutung der Langform“ (Weber
2002, 459). Für Firmennamen wie Dresdner Bank AG wäre eine Variation
von AG mit der Vollform (Aktiengesellschaft) gar nicht korrekt, da das Kurz-
wort AG ein rechtlich geschützter Bestandteil des Namens ist. Zur Häufigkeit
onymischer Buchstabenkurzwörter ¢ 2.7.2.

Im Grenzbereich zwischen Appellativum und Eigenname angesiedelt sind Produkt-


bezeichnungen (Dudenband 4, 2009, 740); die meisten von ihnen eher Kunstwort
(Steinhauer 2005, 10 f.: Fewa, Haribo) als Kurzwort (¢ 1.3.1). Zu Produktnamen und
Warenzeichen in der Chemie Steinhauer 2000, 114ff.; zu Produkt- und Firmennamen
Janich 2007, 443 ff.

3) Fachwörter
Die meisten fachsprachlichen Kurzwörter sind Buchstabenkurzwörter. Ein
großer Teil geht auf fremdsprachliche Vollformen zurück (vgl. Steinhauer
2000, 257 f.):
ADS < Aufmerksamkeitsdefizitstörung, BSE < bovine spongiform enzephalopathy, DNS
< Desoxyribonukleinsäure, ISDN < Integrated Services Digital Network, KB < Kilobyte,
Makro < Makrobefehl, MB < Megabyte, PDA < Periduralanästhesie.

Kurzwörter dienen in der Kommunikation unter Fachleuten einer ratio-


nellen Verständigung. Sie bieten aber auch Laien Vorteile, denn viele fach-
sprachliche Kurzwörter lassen sich leichter aussprechen, schreiben und ein-
prägen als ihre Vollformen, für die dem Laien in der Regel das genaue Ver-
ständnis fehlt (beispielsweise für Desoxyribonukleinsäure/DNS, Steinhauer
2005, 13).
Kurzwörter erweitern auch sondersprachlichen Wortschatz, wie den des MfS der DDR
(Poethe 1997, 203), den des Militärs (Michel 2009c) oder den des Internets (Duden
2009, 739).

2.7.4.2 Inventarisierung
Die Inventarisierung von Wortbildungen ist sichtbarer Ausdruck ihrer wort-
schatzerweiternden Funktion. Das Besondere in der Inventarisierung von
Kurzwortbildungen ist, dass sie eigens in Spezialwörterbüchern und -ver-
zeichnissen erfasst werden, was für Wortbildungen anderer Wortbildungs-
arten nicht üblich ist. In den meisten Verzeichnissen sind sie mit Schreibab-
kürzungen gemischt.
2.7 Kurzwortbildung 287

Häufig fungieren als sog. Bedeutungsangaben der Kurzwörter lediglich


die angeführten Vollformen, die aber nur ein Glied in der Kette der Bedeu-
tungserschließung sind: Im „Wörterbuch der Abkürzungen“ (Steinhauer
2005) ist beispielsweise zu dem Kurzwort FwZ die Vollform Fachwertziffer
angegeben, deren Bedeutung sich nicht aus der Motivationsbedeutung er-
schließen lässt und erst durch Nachschlagen in anderen Quellen gefunden
werden kann.
Die starke Zunahme von Kurzwörtern in Fachwortschätzen verursacht
eine steigende Anzahl von Abkürzungswörterbüchern und ständig wach-
senden Akronymverzeichnissen im Internet: „Inzwischen hat jede umfang-
reichere Fachsprache eigene Abkürzungswörterbücher, in manchen Fällen
gibt es gar mehrere für ein Fach“ (Steinhauer 2005, 9; Storrer/Freese 1996;
Schröder 2000a, 98f.).
In Spezial- oder allgemeinen Wörterbüchern finden sich drucktechnische
Hervorhebungen von Kurzwörtern, indem sie in Infokästen thematisch ge-
bündelt sind, wie beispielsweise im „Wörterbuch der Abkürzungen“: In
einer der zusätzlich eingefügten, alphabetisch geordneten „Abkürzungslis-
ten“ stehen die „geläufigste[n] Kürzel der elektronischen Kommunikation“
(Steinhauer 2005, 221ff.).
In allgemeinen Bedeutungswörterbüchern (Barz/Schröder 2001, 215ff.)
ist es üblich, Kurzformen verschiedener Art typgemäß metasprachlich zu
kennzeichnen, darunter auch Kurzwörter (vgl. Schröder 2005a, 272; 2005b,
213 f.).

2.7.5 Kurzwortbildung im Text


Kurzwortbildung ist wie andere Wortbildungsarten auch Gegenstand des
einführenden Kapitels zu Wortbildung und Text (¢ 1.4). Dass die Proble-
matik hier noch einmal aufgegriffen und vertieft wird, liegt insofern nahe,
als die Kurzwortbildung über gewisse Besonderheiten und Eigenheiten ver-
fügt.
Diese ergeben sich ausdrucksseitig aus ihrer spezifischen Struktur, se-
mantisch aus ihrem Motivationsverlust gegenüber den Vollformen. Damit
aufs Engste verknüpft ist der Aspekt einer Variation des Kurzwortes mit
seiner Vollform im Text. Dieser Aspekt spielt sowohl eine Rolle für die
textkonstitutive Funktion (¢ 2.7.5.1) als auch für die stilbildenden Potenzen
(¢ 2.7.5.2) und Textsortentypika (¢ 2.7.5.3). Nach Fleischer (1997b, 55) liegen
„die Unterschiede zwischen Voll- und Kurzform […] primär in kommuni-
kativen Bedingungen (der Satz- und Textstruktur, der Textsorte, des Stils,
der Situation, des Mediums)“.
288 2 Wortbildung des Substantivs

2.7.5.1 Textkonstitutive Funktion


Kurzwörter können wie Wortbildungen anderer Wortbildungsarten Anteil
haben an der Kohäsion in einem Text (¢ 1.4.1). Außer dem Wechsel zwischen
Kurzwort und seiner kompletten Vollform gibt es auch Fälle der partiellen
Rekurrenz. Diese zeigt sich nicht nur in der Wiederaufnahme ein und des-
selben Grundmorphems in unterschiedlichen Wortbildungen, sondern
auch in der Wiederaufnahme einzelner Teile des Kurzwortes.
Obwohl Buchstabenkurzwörter morphosemantisch nicht durch ihre ein-
zelnen Buchstaben motiviert sind, tragen sie zur Kohäsion bei. Mit dieser
Auffassung folgen wir Augst. Er rechnet Kurzwörter trotz formaler Verkür-
zungen rekurrenter Morpheme zu den Gliedern einer Wortfamilie; im
„Wortfamilienwörterbuch“ (Augst 1998) inventarisiert er unisegmentale
Kurzwörter wie Lok, Korn(branntwein) und integriert auch Buchstaben-
kurzwörter in Wortfamilien; beispielsweise sind FKK und EDV in den Wort-
familien zu frei, Körper, Kultur bzw. elektronisch angeführt.
Kohäsionsstiftende Potenzen von Buchstabenkurzwörtern zeigen sich in
einem Textkomplex aus Überschriften, Infokasten, Haupttext und Titelblatt
in einem Angebotskatalog.
– Haupt- und Zweitüberschrift: B.O.S.S. lichtet Angebotsdschungel. Angebotska-
talog und BO-Landkarte
– Infokasten: B.O.S.S. ist eine der drei Regionalinitiativen der sächsischen Landes-
servicestelle „Schule-Wirtschaft“. B.O.S.S. steht für „Berufliche Orientierung für
Schüler und Studierende in Mitteldeutschland“. […]
– Haupttext: Eine Flut von Angeboten zur Berufs- und Studienorientierung über-
schwemmt die Klassenzimmer in Sachsens Schulen. […] Die Initiative B.O.S.S. Mit-
teldeutschland hat die Angebotsflut geordnet und gebündelt und den regionalen
Angebotskatalog an mehr als 100 Schulen im Direktionsbezirk verteilt […].
Weitere Textbeispiele: Berufswahlpass, Berufs- und Studienordnung, berufliche Ori-
entierung, www.boss-mitteldeutschland.de, Berufsorientierungs-Landkarte, die BO-
Landkarte, Berufsorientierungsmaßnahmen, Landesservicestelle „Schule-Wirtschaft“
– Titelblatt (Abbildung): B.O.S.S. (= Logo). Regionaler Angebotskatalog zur beruf-
lichen Orientierung an allgemeinbildenden Schulen im Landkreis Leipzig. (LVZ 2010)
Einzelne Buchstaben von B.O.S.S. in der Hauptüberschrift kehren wieder in
einem zweiten Kurzwort (BO), aber auch anlautend in anderen Wörtern des
Textes (beruflich; berufliche Orientierung), die wiederum zu Bestandteilen
anderer Wortbildungen werden können (Berufsorientierungsmaßnahme, Be-
rufsorientierung).
Unterschiedliche Grundmorpheme (beruf, land) können mittelbar Ko-
häsion erzeugen, wenn sie – auch gekürzt – als Glieder einer gemeinsamen
Wortbildung (BO-Landkarte) weitere Isotopiestränge herstellen (Landkarte,
Landesservicestelle, Landkreis).
2.7 Kurzwortbildung 289

2.7.5.2 Stilbildende Potenzen


Die stilbildenden Potenzen der Kurzwortbildung beruhen auf konventio-
nellen und nichtkonventionellen Stilmitteln (¢ 1.4.2.1).
Konventionelle Stilmittel erwachsen aus Konnotationen und grafischen
Verfremdungen.
Konnotationen sind – im Rahmen einer weiten Bedeutungsauffassung –
nichtdenotative Informationen über „Verwendungsbeschränkungen“ oder
„Gefühlswert“ (vgl. Fix/Poethe/Yos 2003, 61). Sie unterscheiden in vielen
Fällen die Kurzwörter semantisch von ihren Vollformen (¢ 2.7.2). Im Sinne
von Gebrauchspräferenzen (ebd., 62, nach Ludwig 1991) ermöglichen
konnotierte Kurzwörter Rückschlüsse auf die soziale und fachliche Zuge-
hörigkeit des Sprechers: Prof < Professor im Studenten-, Elfer < Elfmeter im
Sportjargon, Mammo < Mammografie im medizinischen Fachjargon (vgl.
Steinhauer 2000, 177, 243).
Gefühlswert transportieren semantisch aufgeladene multisegmentale
Kurzwörter wie OPAL (< Objektbezogene Preis-, Aufwands- und Leistungser-
mittlung) oder GIFT (< Gesellschaft für interdisziplinäre Forschung). Als Ho-
monyme zu Opal bzw. Gift übernehmen sie aus ihren Bezugswörtern die
positiven oder negativen Wertungen (ausführlicher Kobler-Trill 1994,
92 ff.). Auch die Bildung homonymer Frauennamen wie Lili (< Zeitschrift
für Literaturwissenschaft und Linguistik) oder SOFI (< Soziologisches For-
schungsinstitut) zielen auf positive Assoziationen, die eine erwünschte Nähe
zum Referenzobjekt und seine Akzeptanz begünstigen (Steinhauer 2000,
134 f.; auch Poethe 2002, 36).
Grafische Verfremdungen fallen ganz unterschiedlich aus: als Kombina-
tion aus großen und kleinen Buchstaben in CIMsalabim, WAAhnsinn
(Kobler-Trill 1994, 198), als strukturgliedernde, angepasste Lesehilfe durch
eine Binnenmajuskel in StuRa; SoFi (Kobler-Trill 2002b, 45).
Zu Abweichungen auf der grafischen Ebene als Stilmittel Fix/Poethe/Yos
2003, 193; zu eingebundenen Zahlen und Smileys ¢ 2.7.5.3.4.
Zu den nichtkonventionellen Stilmitteln gehören wortspielerische Um-
deutungen, die im Text zu Stilmitteln werden (¢ 1.4.2.1). Auf diese Weise hat
Kurzwortbildung auch Anteil an Wortspielen, d.h. an „Verwendungsweisen,
mit denen durch bewußten, spielerischen Umgang […] besondere stilisti-
sche Effekte erzielt werden“ (Poethe 2002, 24; 35 f.; Kobler-Trill 1994, 198;
Ortner 2005, 217). Vermutlich begünstigt der Motivationsverlust des usuel-
len Kurzwortes gegenüber der Vollform seine Umdeutung im Text. Stilis-
tisch genutzt werden Umdeutungen gern für Titel, die auf Überraschung
zielen:
290 2 Wortbildung des Substantivs

Im Titel für die Berliner Lesebühne „LSD – Liebe Statt Drogen“ (LVZ 2009) ist das
geläufige Kurzwort LSD (< Lysergsäurediäthylamid ,ein Rauschgift‘) okkasionell zu
einem Homonym umgedeutet, wobei die usuelle Bedeutung von LSD assoziiert wird.

Als nichtkonventionelles Stilmittel wirksam werden Kurzwörter auch, wenn


sie reihenhaft in einem Text vorkommen, beispielsweise in Werbetexten
(¢ 2.7.5.3.3).

2.7.5.3 Textsortentypische Kurzwortbildung


Zum Zusammenhang von Textsorte und Kurzwortgebrauch gibt es bisher
keine umfassenden empirischen Untersuchungen. In den meisten textlin-
guistisch ausgerichteten Arbeiten zur Wortbildung werden Kurzwortbil-
dungen zwar berücksichtigt, aber nicht gesondert beschrieben. (Zu einer
sender- und empfängerorientierten Typologie der Kurzwortfunktionen
Michel 2006a, 72 ff.).
Im Beziehungsgefüge aus Textsorte und Kurzwortbildung geht es haupt-
sächlich um
– die Möglichkeiten und Funktionen ausdrucksseitiger Verkürzungen, die
mit quantitativen Begrenzungen solcher Textsorten wie Presseartikel ein-
schließlich Überschrift sowie Hörfunknachricht korrespondieren;
– die auffällige Schreibweise von Kurzwörtern in Werbetexten und Über-
schriften;
– die Variation zwischen Kurzwort und Vollform (vgl. Steinhauer 2001, 14).
Von den bereits oben ausgewählten Textsorten (¢ 1.4.2.2) werden hier
erneut aufgenommen: Pressetexte einschließlich Überschriften
(¢ 2.7.5.3.1) sowie Hörfunknachrichten (¢ 2.7.5.3.2); ergänzt um Werbetexte
(¢ 2.7.5.3.3) und den Plauder-Chat (¢ 2.7.5.3.4).
In der umfangreichen Darstellung der Kurzwörter nach „Bildung und Verwendung in
der Fachkommunikation“ (Steinhauer 2000, Untertitel) differenziert Verf. weniger
zwischen einzelnen Textsorten (ebd., 94 ff.), sondern analysiert Fachzeitschriftenartikel
nach Fachgebieten wie Chemie u. a.

2.7.5.3.1 Pressetexte einschließlich Überschriften


In Pressetexten verschiedener Textsorten werden zu Buchstabenkurzwör-
tern häufig die Vollformen als Verstehenshilfen angeführt (zu Einführungs-
praktiken Kobler-Trill 2002b, 44 ff.). Die Kurzwörter folgen der Vollform,
meist in Klammern: Mit ihrer Mobiltelefonkarte erhalten Sie Ihre 4-stellige
persönliche Identifikations-Nummer (PIN), oder gehen ihr voraus: Sie können
die PIN (Persönliche Identifikationsnummer) ändern. Einmal eingeführt,
steht der weiteren Verwendung der Kurzwörter im Text nichts mehr im
2.7 Kurzwortbildung 291

Wege, und zwar als Wort (PIN) oder auch als Bestandteil von komplexeren
Wortbildungen wie in Mobilteil-PIN, Telefon-PIN.
Ein wiederholter Wechsel zwischen Vollform und Kurzwort im weiteren
Textverlauf ist eher selten (anders noch Schröder 1985a).
Im folgenden Pressetext wird für das geläufige Kurzwort (DNA) nicht die
dem Laien kaum bekannte Vollform (deoxyribonucleic acid) angeführt. Das
weniger bekannte Kurzwort (Eva) jedoch kann sich der Leser über die un-
mittelbar vorangestellte Vollform (evolutionäre Anthropologie) erschließen:
Erbgut aus grauer Vorzeit rekonstruiert
Planck-Forscher offenbaren 30 000 Jahre alte DNA
Die 1956 […] geborgenen Überreste eines Homo sapiens […] sind jetzt von For-
schern des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (Eva) erfolgreich für
eine Erbgut-Rekonstruktion verwendet worden. […] Noch vor einem Jahr hätten es
Eva-Professor S. P. und seine Kollegen vom Eva nicht für möglich gehalten, aus dem
fossilen Material der DNA […]. (LVZ 2010)
Häufig wird aber auch auf die Fähigkeit des Lesers gesetzt, trotz Distanz-
stellung von Kurzwort und Vollform beide einander zuzuordnen:
Studierende bereiten Schüler auf Studium vor. Hilfe beim Einstieg in die Studien-
gänge Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik
Im Dezember startet ein neues Projekt der Stiftung der Deutschen Wirtschaft (sdw).
Der Titel des Projekts: „MINToring“. An den beiden Standorten werden etwa 60
Gymnasiasten auf den Übergang in ein Studium in den MINT-Fächern vorbereitet
[…]. Zu diesen Fächern gehören Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und
Technik. (LVZ 2009)
Eine Umstellung in der Vollform Bund für Umwelt- und Naturschutz
Deutschland (Bund aus Erst- in Letztposition) mit gleichzeitiger Verkürzung
(um Deutschland) dient als Lesehilfe:
Tierreport Wildkatzen
Eine Wildkatze – keine wilde Katze – bekommt man vielleicht nie zu Gesicht. […]
Der Umwelt- und Naturschutz-Bund (BUND) forstet deshalb Verbindungsschneisen
auf. (PRISMA 2010)
In Überschriften sind Kurzwörter gut geeignet, die angestrebte Knappheit in
der Formulierung zu realisieren und die gewünschte Aufmerksamkeit beim
Rezipienten hervorzurufen (¢ 1.4.2.2.2). Im Bezugstext kann die Vollform
stehen und es kann zur partiellen Rekurrenz kommen (¢ 2.7.5.1):
BioFach 2008
Frische, Internationalität und Innovationskraft zeichnen die BioFach als Weltleit-
messe für Bio-Produkte aus. Sie führt jedes Jahr […] über 45 000 Fachbesucher […] in
Nürnberg zusammen. (natur+kosmos 2008)
292 2 Wortbildung des Substantivs

Komposita mit einem Kurzwort als Erstglied wie HTWK-Projekt sind wegen
ihrer doppelten Verdichtung (Kürzung + Komposition) typischer Bestand-
teil von Überschriften:
HTWK-Projekt. Online-Portal zu Büchereien verbessert
Studenten der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig präsentieren das
Internet-Portal „Bibliotheken in Leipzig“ jetzt im überarbeiteten Design. (LVZ 2009)

Solche Kurzwort-Komposita in Überschriften sind häufig okkasionell: Ihre


Bedeutung erschließt sich in dem nachfolgenden Haupttext (Beispiele in
Färber 2006).

2.7.5.3.2 Hörfunknachrichten
Im Hörfunk gehört ein Wechsel zwischen Kurzwort und dessen Vollform zu
den journalistischen Grundregeln: „Abkürzungen mindestens einmal voll-
ständig aussprechen, in Zweifelsfällen erklären“ (Wachtel 2000, 75; Zehrt
1996, 77). Diese Empfehlung wird in Hörfunknachrichten (¢ 1.4.2.2.2) weit-
gehend eingehalten, es sei denn, dass sich allgemein bekannte Kurzwörter
wie ARD, MDR, Lkw gegenüber ihrer Vollform verselbstständigt haben. Bei
einem Wechsel geht die Vollform dem Kurzwort zugunsten des linearen
Hörverstehens voraus, beispielsweise bei LIREX, DFB, BKA, SSS:
Der verbotenen Neonazi-Gruppe „Skinheads Sächsische Schweiz“ wird heute vor
dem Landgericht erneut der Prozess gemacht. … – Die sogenannte „SSS“ gilt mit
etwa 125 Mitgliedern als zahlenmäßig stärkste Neonazi-Gruppe in Sachsen. (MDR
info 2002)

Nicht selten ersetzt der Heckenausdruck sogenannt schriftliche Signale wie


Anführungszeichen und Großbuchstaben. Der gleichen Funktion dient ein
vorangestellter appellativischer Oberbegriff (Neonazi-Gruppe) oder ein
Zweitglied (Abkommen) im Kompositum (Start-2-Abkommen):
Die USA und Russland haben sich auf den umfassendsten Abrüstungsvertrag seit fast
zwei Jahrzehnten geeinigt. In einem Telefonat klärten die Präsidenten Obama und
Medwedew heute letzte Einzelheiten des Start-2-Abkommens. (MDR info 2010)

Hier, wie auch in anderen Nachrichten, wird auf die fremdsprachliche Voll-
form Strategic Arms Reduction Treaty verzichtet, denn – nur einmal in der
Nachricht gehört – trägt sie kaum zum Verständnis des Kurzwortes START
bei und könnte den Hörer auch akustisch überfordern. In einigen Sendun-
gen hat der Sprecher START als Kurzwort verdeutlicht durch englische Lau-
tung (sta:t); in anderen Nachrichtentexten wird hörerfreundlich formuliert:
der Kernpunkt von Start […]; das Abkommen mit dem Namen Start […].
2.7 Kurzwortbildung 293

Onymische Kurzwörter sind wie ungekürzte Eigennamen auch als Rea-


lienbezeichnungen typisch für die Hörfunknachricht (Fix/Poethe/Yos 2003,
106). Sie identifizieren vor allem Institutionen (DIHT), Vereine (DFB), sel-
tener Veranstaltungen (EXPO). Die Verwendung der onymischen Kurzwör-
ter ist weniger der erforderlichen Knappheit der Hörfunknachricht ge-
schuldet, sondern vielmehr ihrer Funktion als Eigenname.

2.7.5.3.3 Werbetexte
Für die Gestaltung von Werbetexten stellen sich „ökonomische Grundsatz-
fragen […] bereits, wenn es um Herstellung, Umfang, Präsenz und Format
bzw. Länge von Werbung geht“ (Janich 2007, 435). In Abhängigkeit davon
erfolgt der Einsatz sprachlicher Mittel einschließlich der Kurzwörter. Sie
sind – im Einzelnen und in der Kombination – nicht nur kürzer und hand-
licher als ihre Vollformen, sondern sie bieten auch die Möglichkeit, „wer-
bewirksam remotiviert zu werden“ (Janich 2007, 454). So wirbt die AEG <
Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft umdeutend mit Aus Erfahrung gut (Stein-
hauer 2007, 150). „Abweichungen, Verstöße und Verfremdungen“ (Janich
2007, 455) können die Wirksamkeit der möglichst kurzen Werbebotschaft
verstärken. (Zur Dominanz entlehnter Kurzwörter, wie in HP-Drucker,
DSL-Flatrate, in der Anzeigenwerbung für technische Produkte Meliss 2008,
255).
Darüber hinaus werden nach Meliss (2008, 249) Kurzwörter in zuneh-
mender Anzahl eingesetzt, „um den Eindruck von einem hohen Grad an
technischer Qualität, Technologie und Modernität zu geben“, nachgewie-
senermaßen besonders in der Produktwerbung der Automobilbranche und
der Multimedia-Kommunikation. Sie dienen „nicht der möglichst verständ-
lichen Vermittlung von Fachinhalten, sondern sollen effektiv für das Pro-
dukt werben und Kaufinteresse wecken“ (ebd., 254). Wenn es um die
Werbung von Sponsoren geht, werden gehäuft onymische Kurzwörter ver-
wendet: Ihr Gebrauch rückt die potenziellen Sponsoren in die Rolle der
Insider und bestärkt sie in dem Gefühl, dass das beworbene Objekt solide,
zuverlässig sei:

TGFS: Innovation braucht Kapital. Technologiegründerfonds Sachsen. Venture Ca-


pital finanziert Spin-off aus der Uni Leipzig.
Die pluriSelect GmbH aus Leipzig ist eine echte Erfolgsgeschichte: Erfolgreich warb
das Biotech Start-up bereits Mittel aus dem Bundesprojekt Go-Bio ein. […] Finan-
ziell unterstützt durch den Technologie-Gründerfonds Sachsen (TGFS) und den
Hightech-Gründerfonds (HTGF), nahm das Unternehmen im Januar 2009 die ope-
rative Tätigkeit auf. (Journal Universität Leipzig 2009)
294 2 Wortbildung des Substantivs

Abkürzungen sind in Werbetexten ungeeignet. Sie „verstoßen gegen die Sprachästhetik


und erschweren das Lesen“, bleiben ggf. auf klein gedruckte Textelemente beschränkt
(Janich 2007, 455). In Annoncen sind sie aus Platzgründen dagegen notwendig, für
unerfahrene Leser aber schwer zu entschlüsseln: Für ein besseres Verständnis der An-
zeigen zum Immobilienmarkt gibt die Leipziger Volkszeitung neuerdings in einem
Info-Kasten 80 „Abkürzungen“ an (von Abst. […] bis Zi.), u. a. auch das Kurzwort WG
< Wohngemeinschaft, z.B. in der Annonce: 2-R.-WHg, WG-geeignet, saniert, 51 m2, KM
224†, zzgl. NK (LVZ 2009).
Zu dem eher informativen Charakter von Firmeninseraten gegenüber den werben-
den Standardanzeigen mit Sprachspielen, Superlativen u. Ä. vgl. Ortner 2005, 212.

2.7.5.3.4 Plauder-Chat
Mit der Einführung der Digitaltechnik haben sich neue Formen der Kom-
munikation entwickelt „mit Einfluss auf soziale Interaktionen und auf das
Sprachverhalten. Letzteres ist dadurch gekennzeichnet, dass die Nutzer […]
in der Regel die schnelle direkte Kommunikation bevorzugen und wenig
Wert auf sprachliche Feinheiten legen.“ (Abel 2009, 228). Diese Haltung
zeigt sich sowohl in SMS-Texten, deren Umfang stark begrenzt ist, wie auch
in Chat-Beiträgen. Beide erweitern in spezifischer Weise das bisherige Text-
spektrum und sind wegen ihrer Aktualität und Differenziertheit zunehmend
zum linguistischen Forschungsgegenstand geworden.
Terminologisch gibt es für diese jüngeren Texte die Bezeichnungen Textart, -form,
-sorte. Wir ordnen den Plauder-Chat den Textsorten zu, allerdings ohne dafür den
textlinguistischen Nachweis zu führen.

Chat-Kommunikation kommt „in Beruf, Bildung und Medien“ vor (Beiß-


wenger/Storrer 2005); neben dem Polit-Chat, dem Beratungs- oder Erotik-
Chat gibt es auch den Plauder-Chat. Die Verwendung „geschriebener Um-
gangssprache“ (Kilian 2001) und die gewollte Nähe zur „konzeptuellen
Mündlichkeit“ (Soldo 2001, 59) korrespondieren mit dem Verzicht auf
grammatische Endungen und auf reguläre Großschreibung; üblich sind au-
ßerdem phonetische Verschleifungen sowie verschiedene Verkürzungen –
alles Erscheinungen, die den Netsurferslang (vgl. Dudenband 4, 2009, 739)
ausmachen.
Mit „Plauder-Chat“, auch „freiem“ oder „unmoderiertem Chat“, werden
Chat-Angebote auf „Online-Plattformen im Bereich der Freizeitkommu-
nikation“ erfasst (Beißwenger 2007, 513). Die Beiträge werden in kurzer Zeit
geschrieben und gelangen auf elektronischem Wege vom Absender unmit-
telbar an den Empfänger. Das Tempo dieser medialen Übermittlung und die
zeitweilige kommunikative Gemeinschaft zwischen Sender und Empfänger
begünstigen die Schaffung und den Gebrauch typischer sprachlicher Ver-
2.7 Kurzwortbildung 295

kürzungen, die sowohl zeiteinsparend als auch gruppenindizierend wirken


(vgl. Dürscheid 2004, 147). Viele sind okkasionell und lassen Witz und
Ironie des Schreibers erkennen.
Die Listen üblicher Verkürzungen in der Chat-Kommunikation sind lang und wachsen
vermutlich ständig. Unüberschaubar viele Verzeichnisse im Internet geben darüber
Auskunft (¢ 2.7.4; www.chatiquette.de/abkuerzungen.htm, Internet 2010). Einen
großen Anteil haben aus dem Englischen entlehnte sowie fachsprachliche Kürzungen.

Zu den ausdrucksseitigen Verkürzungen als typischen sprachlichen Mitteln


im Plauder-Chat gehören neben Inflektiven (¢ 1.2.1), Ideogrammen/Smileys
, Kürzungen mit eingebundenen Zahlen N8 (,Nacht‘) auch Kurzwörter
der besonderen Art. Dürscheid (2004, 144f.) charakterisiert sie als „Kurz-
schreibungen, die in der Internetkommunikation gebräuchlich sind […]
und für ganze Propositionen stehen“, beispielsweise m.f.G./mfg (< mit
freundlichen Grüßen), ak (< alles klar). Kurzschreibungen dieser Art haben
Gemeinsamkeiten sowohl mit dem Kurzwort als auch mit der Abkürzung,
unterscheiden sich jedoch von beiden, sodass man in ihnen einen dritten
Typ sehen könnte (vgl. Eichinger 2000, 172).
Gegenüber den Kurzwörtern besteht ihre Besonderheit darin, dass sie –
durch das Medium der Übermittlung bedingt – nicht gesprochen werden,
also phonetisch nicht realisiert sind, wodurch ihr Wortstatus i.e. S. (¢ 2.7.2)
eingeschränkt ist; die Frage, ob DAU (< dümmster anzunehmender User)
buchstabiert oder lautiert wird, ist entsprechend irrelevant, wenn die Ver-
kürzung nur geschrieben verwendet wird. Grammatische Endungen (prob-s
für Plural Probleme) sind eher die Ausnahme. Die Schreibweisen in Texten,
Verzeichnissen und Listen sind extrem heterogen: Großschreibung wird
mitunter zur Hervorhebung eines Wortes gewählt, Kleinschreibung domi-
niert, vor allem, um Zeit beim Schreiben einzusparen.
(Zu Kurzschreibungen in E-Mails und SMS sowie in Web- oder Mail-
adressen vgl. Handler 2009, 1572).
Von den Abkürzungen i.e. S. (den sog. Schreibabkürzungen vgl. ¢ 2.7.2) unterscheiden
sich die Kurzschreibungen im Chat insofern, als sie zwar wie diese (usw., ggf.) verkürzt
geschrieben, aber nicht wie diese im Wortlaut ihrer Vollformen (und so weiter, gege-
benenfalls) gesprochen und keinesfalls durch abschließende Punkte o. Ä. gekennzeich-
net werden.

Im einzelnen Chatbeitrag sind die Kurzschreibungen grafisch nicht hervor-


gehoben (nur hier kursiv). Vollformen anzuführen ist nicht üblich.
296 2 Wortbildung des Substantivs

Ich DAU hab probs mit der Farbe, kann mir wer helfen?
Hihi… lolt
Ich bin Florian GuK
Nen Streuwasserwurf gemacht hab… lol
(Satzbeispiele aus einem Chat-Beitrag 2001)

In Hinblick auf Kurzworttypen (¢ 2.7.1) zeigen sich Entsprechungen: Ty-


pisch sind multisegmentale Verkürzungen aus zwei oder mehreren diskon-
tinuierlichen Segmenten, die vor allem auf syntagmatische Vollformen zu-
rückgehen (mfg), aber auch auf Komposita (GB < Gästebuch) oder Sätze (kgw
< komme gleich wieder). Seltener sind unisegmentale Verkürzungen, die nur
aus einem kontinuierlichen Segment der Vollform bestehen: Wortanfänge
aus einem einzelnen Buchstaben (m < männlich) oder aus mehreren Buch-
staben/silbenähnlichen Segmenten (prob < Problem). Nach Eichinger (2000,
65) bleibt nur „soviel Material […], bis die Differenzierungsfunktion geleis-
tet ist“.
3 Wortbildung des Adjektivs

3.1 Allgemeine Charakteristik

3.1.1 Produktivität

Adjektive bilden nur ca. 15 % des Gesamtwortschatzes (Erben 1980, 166)


und treten damit stark hinter dem Substantiv zurück (¢ 2.1.1). Die Zahl
adjektivischer Simplizia wird nur mit „einigen hundert“ angesetzt (Well-
mann 1998, 530). Adjektivische Wortbildungsmodelle erreichen bei Weitem
nicht die Vielfalt der substantivischen.
Die Spezifika der adjektivischen Wortbildung hängen damit zusammen,
dass „die typische Rolle des Adjektivs die des Determinans ist“ (Eichinger
1982, 69). Daraus ergeben sich einerseits – semantisch – eine gewisse „be-
deutungsmäßige Unselbständigkeit“ als „Strukturmerkmal“des Adjektivs
(Eichinger 1982, 73), andererseits – syntaktisch – die Attributfunktion als
Hauptfunktion (ebd., 70). Für die Wortbildung hat dies u. a. folgende Kon-
sequenzen:
1) Besonders entwickelt sind diejenigen Modelle, die der deverbalen und
desubstantivischen attributiven „Zurichtung“ dienen (Komposita mit Par-
tizip I und II; deverbale Derivate auf -bar; desubstantivische Derivate auf
-lich und -isch).
2) Besonders differenziert entwickelt sind ferner die Ausdrucksmöglich-
keiten der Gradation und des Vergleichs, und zwar mit einer Fülle unter-
schiedlicher Modelle. (Sie werden daher zusammenfassend dargestellt;
¢ 3.1.5; ¢3.1.6).
3) Die Konversion von Partizip I und II zu Adjektiven ist besonders aus-
geprägt. Andere Arten der Konversion sind nur in geringem Maße vertreten.
4) Die Wortbildungsbedeutung der Suffixmodelle ist vielfach – über die
syntaktische Transposition zum Adjektiv hinaus – nur vage bestimmbar und
lässt sich u.U. erst in Abhängigkeit von der Semantik auch des attribuierten
Substantivs spezifizieren. Einen gewissen Ausgleich für die semantische All-
gemeinheit der Suffixe bieten reihenbildende kompositionelle Zweitglieder
298 3 Wortbildung des Adjektivs

(¢ 3.1.3), „deren Semantik und Funktion eindeutiger und deren Expressi-


vität stärker ist“ (Fandrych 1993, 105).
5) Die Komplexität adjektivischer Wortbildungen ist stärker limitiert als
die der Substantive; die polymorphemische Komposition ist fast nur bei
Ad-hoc-Bildungen zu finden (DWb 5, 12 ff.).
Kurzwortbildung (¢ 1.8.1.4), Kontamination (¢ 1.8.1.7) und Reduplikati-
on (¢ 1.8.1.8) spielen nur eine geringe Rolle; Letztere als Mittel der Gradation
(¢ 3.1.5[1.1]).
Adjektivische Komposita sind – wie die Substantive – unter Verwendung
von Einheiten aller Wortarten als Erstglied bildbar, doch neben Substanti-
ven, Adjektiven und Verben treten andere Wortarten kaum in Erscheinung.
Wie beim Substantiv überwiegt auch beim Adjektiv die Komposition aus
zwei unmittelbaren Konstituenten der gleichen Wortart, also Adjektiv +
Adjektiv, „ein Ergebnis der allerjüngsten Sprachgeschichte“ (DWb 5, 18),
doch erreichen die semantischen Beziehungen nicht die Vielfalt der Kom-
position von Substantiv + Substantiv (¢ 2.2.3.2).
Die Kopulativkomposition ist stärker ausgeprägt als beim Substantiv.
Ein Relikt ist das adjektivische Possessivkompositum (zum Substantiv
¢ 2.2.10) barfuß ,einen baren (= nackten) Fuß habend‘; allenfalls begegnet
noch barhaupt, beide nicht attributiv verwendbar. Die ehemals stärker ver-
tretene Gruppe wurde durch Derivate auf -ig ersetzt (barfüßig, vgl. auch
hochnäsig u.Ä.). – Vielleicht gehört hierher außerdem heute nur adverbial
verwendbares lauthals ,aus voller Kehle‘.
Innerhalb der adjektivischen Komposition ist auch ein großer Teil der
frequenten Bildungen mit Partizip I oder II als Zweitglied zu behandeln
(wasserabweisend, gehbehindert).
Die Suffixderivation zeigt beim Adjektiv eine deutlich geringere Entfal-
tung als beim Substantiv. Dennoch gilt sie als der „zentrale Teil der adjek-
tivischen Wortbildung“ (Eichinger 2000, 88). Die meisten Suffixe sind in
dem Sinne universal, dass sie sich mit allen drei Hauptwortarten als Deri-
vationsbasis verbinden, wenngleich die Anteile unterschiedlich sind und die
substantivische Basis dominiert. Für verbale Derivationsbasen ist heute das
Suffix -bar spezialisiert. Syntagmen als Derivationsbasis haben sowohl sub-
stantivischen als auch verbalen Charakter.
Den von Wellmann (1998, 530) als „Hauptsuffixe(n)“ genannten -ig, -isch
und -lich, deren Modellen er „knapp 40 %“ adjektivischer Wortbildungen
zuschreibt, ist u. E. noch -bar an die Seite zu stellen, das in der Produktivität
deverbaler Adjektivbildung unerreicht ist.
Von den Präfixen sind die meisten nicht wortartspezifisch, sondern
kommen auch für die Substantivbildung infrage; miss- dazu noch für Ver-
ben.
3.1 Allgemeine Charakteristik 299

Zirkumfixderivation ist nicht nur – wie beim Substantiv – an ein Zirkum-


fix mit ge- gebunden (ge lehr ig), sondern es begegnen noch einige andere
Modelle wie ent mensch t ,grausam, gewissenlos‘, ver kopf t(e Gesellschaft).
Wortbildungen wie inner-, außerbetrieblich, nachkaiserlich stellen wir nicht
zur Zirkumfixderivation, sondern zur dephrasalen Derivation (innerhalb
des Betriebes > innerbetrieblich).

3.1.2 Aktivität

Die Wortart Adjektiv ist als Derivations- und Konversionsbasis an der Bil-
dung aller Hauptwortarten beteiligt. Außerdem gibt die vorliegende Dar-
stellung unmittelbar Aufschluss über die Rolle des Adjektivs als Erstglied
substantivischer (¢ 2.2.3), adjektivischer (¢ 3.2.3) und adverbialer (¢ 4.2)
Komposita und die Behandlung der Derivationssuffixe ist ebenfalls nach der
Wortart der jeweiligen Derivationsbasis gegliedert, sodass eine Gesamt-
übersicht über die Aktivität des Adjektivs zu erlangen ist.
Gekürzt werden Adjektive nur in Einzelfällen, die gekürzten Formen blei-
ben meist auf die gesprochene Sprache und Texte konzeptueller Mündlich-
keit beschränkt (biologisch > bio), kommen aber auch in Werbetexten vor
(¢ 2.7.1).
Kompositionsinaktiv verhält sich das Adjektiv – wie das Substantiv – zu
den verschiedenen Subklassen des Situierungsadverbs (Lokal-, Temporal-,
Modal-, Kausaladverbien; ¢ 4.1). Die Komposition mit einer Reihe von Prä-
positionen ist – wie beim Substantiv – üblich zur Bildung von Adverbien wie
frischauf, rundum. An der Adverbbildung ist das Adjektiv auch durch die
Komposition mit Richtungsadverbien wie -her, -hin, -heraus u. Ä. beteiligt
(späterhin, weither, rundheraus) sowie durch Konstruktionen wie insbeson-
dere und – mit dem Superlativ – zunächst.
Deadjektivische Transpositionsmodelle dienen vorwiegend der Bildung
von Substantiven; hierfür stehen die meisten Suffixe zur Verfügung (Traurig-
keit, Rohling). Auch die Konversion ist – ohne wesentliche Einschränkungen
– in erster Linie substantivisch gerichtet (der Neue, das Grün). Der Adverb-
bildung dient neben dem adverbialen Superlativ (am frühesten – frühestens)
vor allem das Suffix -weise/-erweise (erklärlicherweise). Deadjektivische
Verbbildung funktioniert hauptsächlich als Konversion (lahmen), als Prä-
fixderivation (erblinden) sowie – seltener – als Partikelverbbildung (aufhei-
tern).
Modifikationsmodelle mit adjektivischer Basis sind vor allem Präfixde-
rivate (unschön, uralt). Als Suffix spielt für die Modifikation nur graduie-
300 3 Wortbildung des Adjektivs

rendes -lich (weißlich) eine gewisse Rolle, andere bleiben vereinzelt (krank-
haft). – Zu den verschiedenen Modellen der Gradation ¢ 3.1.5.
Die substantivgerichteten Transpositionsmodelle bilden in erster Linie
Nomina Qualitatis (Schönheit, Blau) oder dienen der Bezeichnung von Per-
sonen als Trägern einer Eigenschaft (Feigling), wobei auch sekundäre Prä-
gungen auftreten (Schönheit ,schöne Frau‘, Gemeinheit ,gemeine Äußerung,
Handlung‘).
Die verbgerichteten Transpositionsmodelle sind gekennzeichnet durch
die Wortbildungsbedeutungen ,stativ‘ (wachen), ,kausativ‘ (härten, stärken),
,ingressiv‘ (erstarken, verarmen, reifen) und – seltener – ,agentiv‘ (sündigen).

3.1.3 Reihenbildung kompositioneller Zweitglieder

Die adjektivische Wortbildung ist durch eine im Vergleich zum Substantiv


noch stärker ausgeprägte Reihenbildung sowohl simplizischer (-arm, -reich)
als auch komplexer (-fähig, -technisch) adjektivischer Zweitglieder gekenn-
zeichnet, die teilweise als „suffixartige Funktionsträger“ oder Suffixoide be-
handelt werden. Dabei wird eingeräumt, dass „eine scharfe Grenzziehung
zwischen Derivation und Komposition kaum möglich“ ist (DWb 3, 427).
In der vorliegenden Darstellung wird nicht mit dem Begriff Suffixoid
gearbeitet (¢ 1.6.2.4).
1) Im Einzelnen klassifizieren wir die fraglichen Einheiten wie folgt.
1.1) In der Beurteilung adjektivischer Zweitglieder wie -arm, -fest, -frei,
-leer, -reich, -sicher, -voll schließen wir uns der Argumentation von Olsen
(1986b; 1988) an, die für die Interpretation als Kompositionsglied plädiert.
Auch -aktiv, -bereit, -dicht, -echt, -eigen, -fertig, -fremd, -froh, -gerecht,
-gleich, -intensiv, -müde, -nah, -reif, -schwach, -schwer, -stark, -tüchtig, -weit,
-wert werden als Kompositionsglieder bestimmt. Diese Auffassung ist vor
allem dadurch gerechtfertigt, dass die meisten der genannten Adjektive als
Kompositionsglied semantisch durchaus der freien Verwendung entspre-
chen, einige von ihnen in einer Lesart mit Argumentforderung (fettarm –
arm an Fett, schadstofffrei – frei von Schadstoffen). Im entsprechenden Kom-
positum besetzt das Erstglied die Argumentstelle (vgl. auch gedankenreich,
fälschungssicher, widerspruchsvoll; zu diesen Rektionskomposita ¢ 1.6.2.4).
Dass vereinzelt problematische Fälle bleiben, ist nicht zu leugnen; vgl. z.B.
mit Verbstamm als Erstglied bügelarme Hemden, knitterarme Stoffe, doch
lassen diese sich an arm ,wenig (habend)‘ anschließen: ,wenig Bügeln erfor-
dernd‘, ,wenig zum Knittern neigend‘.
3.1 Allgemeine Charakteristik 301

1.2) Sofern sich in den komplexen Wortbildungen neue Lesarten der sim-
plizischen oder komplexen Zweitglieder herausgebildet haben, die man im
freien Gebrauch nicht kennt, sind gebundene Stämme anzunehmen
(¢ 1.6.2.4), wie sich an -fähig gut veranschaulichen lässt. Das Zweitglied -fähig
(ausführlich dazu Wilss 1986, 137ff.) ist mit den Bedeutungen ,zu dem im
Bestimmungswort Genannten in der Lage‘ (agensorientiert: aufnahmefähige
Schüler), ,für das im Bestimmungswort Genannte geeignet‘ (patiensorien-
tiert: sendefähige Musik; auch komplexer: steuerabzugsfähige Kosten) und
,über die entsprechenden Eigenschaften verfügen‘ (mehrheitsfähig) im
GWDS gesondert lemmatisiert. Die Bedeutungsangaben zum freien Adjektiv
fähig dagegen (1. ,begabt, tüchtig, geschickt und daher gestellten Aufgaben
gewachsen‘; 2. ,zu etwas in der Lage, imstande sein‘, GWDS) lassen für dieses
nur die Beziehung auf Personen zu. An Wortbildungen wie explosionsfähige
Gaskonzentration, verkaufsfähige Produkte (PDW 2006), eintragungsfähiger
Vorname (Sprachpflege 1978) werden die semantischen Unterschiede zwi-
schen freiem und gebundenem Vorkommen recht deutlich, sodass neben
fähig als freiem Stamm -fähig als gebundener Stamm zu stellen ist. Das gilt
auch für -trächtig ,in beträchtlichem Maße von etw. erfüllt sein oder etw. in
sich tragen‘ (erfolgs-, profit-, kostenträchtig; unfallträchtige Situationen,
klatsch- und skandalträchtig, Bues 1997, 120ff.) neben trächtig in der Lesart
,Junge tragend‘. Zwar verfügt auch das freie Adjektiv trächtig lt. GWDS über
eine zweite Lesart ,von etwas erfüllt, mit etwas angefüllt sein‘ (dazu als
Beispiel ein von/mit Gedanken trächtiges Werk), doch gilt diese als gehoben
und ist wohl eher an den Kompositionskontext gebunden (vgl. auch
-schwanger in unheilschwanger).
Eine ähnliche Entwicklung ist zu beobachten bei -lustig (schau-, reiselustig)
mit Anschluss an Phraseme wie Lust haben, zu etwas lustig sein (nach GWDS
ugs.), bei -süchtig: telefoniersüchtig, glücksspielsüchtig, bildersüchtig (PDW
2005; 2006), menschensüchtig (Ch. Wolf) und auch bei -technisch. Letzteres
ist mit substantivischem Erstglied besonders stark reihenbildend. Adjektive
auf -technisch sind einerseits Derivate zu komplexen Substantiven (Gentech-
nik > gentechn isch), andererseits aber Bildungen, zu denen kein entspre-
chendes Substantiv üblich ist (aktien-, bikini-, wettertechnisch ,in Bezug auf
Aktien‘ usw.) und deren Bedeutung auch nicht durch Technik motiviert ist.
Ruge (2004, 31) konstatiert mit dem Verweis auf die verblasste Bedeutung
„funktionalen Wandel“.
Wie -trächtig sind auch andere kompositionelle Zweitglieder metapho-
risch erklärbar, vgl. -freundlich (benutzerfreundlich ,dem Benutzer entgegen-
kommend‘, hautfreundlich ,die Haut schonend‘), -feindlich (kinderfeindliche
Umwelt, ein System ist fehlerfeindlich, Weltbühne 1988), -freudig (ein litera-
302 3 Wortbildung des Adjektivs

turfreundliches und -freudiges Land, Weltbühne 1975; nicht bellfreudiger


Wohnungshund, TZ 1987), -würdig (zu fragwürdig Müller-Seedorf 1967).
Oksaar (1993, 217) verweist am Beispiel kinderfreundliche Spielplätze auf die
Rolle der Metapher als „Brücke zu einem neuen Inhalt des Einzellexems“. In
allen genannten Fällen ist die Metaphorisierung gegenwartssprachlich ohne
Weiteres zu erkennen.
Kompositionsglieder sind außerdem komplexe Zweitglieder wie -ähnlich,
-bedürftig, -beständig, -gemäß, -kundig, -tauglich, -widrig und -würdig.
1.3) Wortbildungen mit -selig sind differenziert zu betrachten. Ein Teil der
heute geläufigen ist historisch entstanden als -ig-Derivat von Substantiven
auf -sal: Trübsal > trübselig, mühselig, auch saumselig zu mhd. sūmesal
,Nachlässigkeit‘. Doch heute ist -selig von -sal isoliert. Bei saumselig handelt
es sich um eine Isolierung wie bei drollig und niedlich mit völligem Schwund
der einstigen Derivationsbasis. Gleichartiges feindselig (< *vı̄ntsal) ist dage-
gen noch partiell motivierbar, ähnlich holdselig. Wortbildungen wie redselig
,gern und viel redend, geschwätzig‘, vertrauensselig ,zu schnell vertrauend‘
entsprechen einem noch produktiven Modell zum tadelnden Ausdruck der
Normüberschreitung. Sie sind semantisch an das Adjektiv selig ,zutiefst
glücklich‘ (vgl. auch weinselig) anschließbar. Eine gewisse semantische Ver-
schiebung ist im Vergleich zum freien Adjektiv selig dabei sicher eingetreten,
doch ist sie als Metapher nachvollziehbar; es handelt sich auch hierbei um
Komposita.
2) Dass die genannten Kompositionsmodelle semantisch und syntaktisch
mit dem Suffixsystem eng verbunden sind – durch Synonymie, Antonymie
und semantische Ergänzung (Komplementarität) – konstituiert noch
keinen Derivationsstatus; derartige Erscheinungen begegnen auch beim
Substantiv (¢ 2.2.2.3.3).
Synonymisch berühren sich beispielsweise -frei und -leer mit dem Suffix
-los in privativen Modellen. Doch sind sie stärker spezialisiert: -leer bei
,Nichtvorhandensein als Mangel‘ (wasserleere Wüste). Wortbildungen mit
-leer sind insgesamt seltener, wohl auch deshalb, weil -los in ähnlichem
Verhältnis zu -frei stehen kann: arbeitslos (negativ) – arbeitsfrei (positiv).
Komplementär zu -los, -leer und -frei drückt -arm das Vorhandensein in
geringem Maß aus, wobei dies – in Abhängigkeit von den Bezugsgrößen – als
Vorzug wie als Mangel gewertet werden kann: geräuscharme Maschinen –
ideenarme Diskussionen. Neben -los stehen für den Ausdruck der Abstufun-
gen des Privativen keine weiteren Suffixe zur Verfügung (Fandrych 1993,
35).
Die Bildungen aus verbalem Infinitiv und -wert entsprechen z. T. den
Derivaten auf -bar: erwägbare/erwägenswerte Argumente; vielfach ist ein
3.1 Allgemeine Charakteristik 303

-bar-Derivat nicht geläufig, sodass -wert eine Lücke schließt: beneidens-,


beklagens-, empfehlens-, lobenswert u.a. Werden beide nebeneinander ge-
braucht, gibt das -bar-Derivat die grundsätzliche Möglichkeit der Verbal-
handlung an, während die Wortbildung mit -wert einen zusätzlichen posi-
tiven Akzent setzt: lesbar – lesenswert, hörbar – hörenswert. Mit -bar berührt
sich z.T. synonymisch auch -fähig (allerdings mit Verbalsubstantiv als Ba-
sis): diskussionsfähig – diskutierbar.
Die semantischen Beziehungen werden von der Semantik der Derivati-
onsbasen und der Bezugsgröße mitbestimmt; synonymisch sind koch- bzw.
waschbeständig, -echt, -fähig, -fest in Bezug auf Stoff, Wäsche, nicht aber z.B.
rutschfest ,widerstandsfähig gegen das Rutschen‘ und rutschfähig ,zum Rut-
schen geeignet‘; vgl. auch ausgehfähig, -fertig, bezugsfähige, -fertige Wohnung,
funktionsfähige, -tüchtige Maschinen.
Antonymisch zu -los, -leer, -frei, -arm werden -voll und -reich verwendet.
-voll verbindet sich kaum mit Personen- und Sachbezeichnungen (Ausnah-
men: blut-, dornen-, narben-, schmuckvoll, bevorzugt übertragen gebraucht),
sondern vorwiegend mit Abstrakta (vgl. Paul 1920, § 78) und gibt das
Vorhandensein an: gefühl-, hoffnungs-, kraft-, rücksichts-, vertrauensvoll.
Synonymisch können -ig und -haft auftreten: reuig – reuevoll, zweckhaft –
zweckvoll; bei Fremdwörtern auch -isch: problematisch – problemvoll. Die
Wortbildungen mit -voll sind hier eindeutiger, weil -haft, -ig, -isch verschie-
dene Wortbildungsreihen entwickelt haben, -voll dagegen auf die hier ge-
nannte beschränkt ist; auch ist die Bedeutung von -voll in geringerem Maße
abstrakt.
-reich verbindet sich im Unterschied zu -voll in größerem Umfang auch
mit Sachbezeichnungen (baum-, fisch-, hügel-, holz-, gewürzreich u. v.a.)
und bildet damit am antonymischen Pol von -los eine notwendige Ergän-
zung zu -voll.
Antonymisch stehen einander auch gegenüber -eigen und -fremd in be-
triebseigen, -fremd, wesenseigen, -fremd; -fremd bzw. -fern gegenüber -nah
(praxis-).
Semantisch komplementär sind kompromissfähig – kompromissbereit, ar-
beitsfähig – arbeitsbereit – arbeitsintensiv; antonymisch dazu arbeitsmüde.
Holst (1974, 217ff.) weist auf die – zumindest partielle – Synonymie von
-gerecht mit -gemäß, -getreu, -konform, -tauglich, -kompatibel u. a. hin (haut-
gerecht, -freundlich, -schonend, -sympathisch, -verträglich) sowie auf syno-
nymische syntaktische Verbindungen mit entsprechend, geeignet, angemessen
u. a. So bietet sich auch hier ein Beispiel für die nur begrenzte Gültigkeit der
Blockierung durch Synonymie (¢ 1.7.2.3; vgl. auch Plank 1981, 175ff.).
304 3 Wortbildung des Adjektivs

3) Gebundene Glieder wie -artig, -förmig, -haltig, -pflichtig, -seitig, die


nicht über eine wortfähige Entsprechung verfügen, betrachten wir nicht als
lesartenspezifisch gebundene Stämme, sodass komplexe Adjektive wie wol-
kenbruchartig, bogenförmig, säurehaltig, versicherungspflichtig, regierungsseitig
nicht als Komposita zu interpretieren sind. Die gebundenen Glieder sind
auch nicht als Suffixe zu bestimmen, denn sie sind morphosemantisch mo-
tiviert durch Lexeme (vgl. Art, Form, enthalten, Pflicht, Seite) und auf ent-
sprechende Syntagmen zurückführbar: kugelförmig – in Form einer Kugel,
wenngleich sie umfangreiche analogische Reihen ausprägen. Wir gehen bei
den Bildungen mit -förmig, -seitig usw. daher von Derivaten auf -ig aus,
wobei als Basis sowohl Komposita (Versicherungspflicht > versicherungs-
pflicht ig) als auch Syntagmen infrage kommen (von Seite[n] der Regierung >
regierungsseit ig) (¢ 1.6.2.4). Für manche Bildungen kann Doppelmotivation
angenommen werden: regierungsseitig kann auch als Derivat von Regierungs-
seite betrachtet werden, vgl. auch in Form einer Flasche/in Flaschenform >
flaschenförmig.
Einen gewissen Sonderfall stellt -artig in der Bedeutung ,so wie das im
Basiswort Genannte‘ (Dudenband 10, 2002, 116) in Bezug auf Bedeutung
und Distribution dar. Es ist hochproduktiv (nach Henzen 1965, 209 erst im
Nhd.) und adjektiviert verschiedene Arten substantivischer Syntagmen,
sodass als Erstglied Wörter verschiedener Wortarten auftreten: parkartig,
neuartig, andersartig. Semantisch sind Bildungen mit -artig durchaus auf Art
zu beziehen (parkartig – in der Art eines Parks), unterscheiden sich jedoch
von den Syntagmen dadurch, dass sie stark verallgemeinernd vergleichen
(,wie‘). Die Adjektive gehen auch meist nicht auf Komposita mit Art als
Zweitglied zurück: ein holzartiges Material ist ein Material wie Holz/ein Ma-
terial in der Art des Holzes, aber nicht Material aus einer bestimmten Holzart
wie Eiche, Buche usw. So gesehen, hat -artig durchaus Affixmerkmale.
Im Unterschied zu -förmig etwa, das sich auf die äußere Gestalt bezieht,
können die Bildungen auf -artig einen abstrahierenden Vergleich angeben
(wobei die äußere Gestalt einbezogen sein kann), vgl. glasförmig – glasartig;
doch kommt es auch zu Überschneidungen: schlauchartig, -förmig, wellen-
artig, -förmig. In der Verbindbarkeit mit Substantiven weist -artig kaum
Bildungsbeschränkungen auf (erdrutsch-, sentenz-, stichproben-, tranceartig,
GWDS).
3.1 Allgemeine Charakteristik 305

3.1.4 Funktional-semantische Klassen

Der folgende Abschnitt gibt eine Übersicht über die wichtigsten adjektivi-
schen Modifikations- und Transpositionsarten der Derivation. Wir folgen
hier im Wesentlichen der Darstellung in Dudenband 4 (2009, 754ff.). Zur
Wortbildungsbedeutung in Komposita ¢ 3.2.2.2; ¢ 3.2.3.2; ¢ 3.2.4.
Gradations- und Vergleichsbildungen werden anschließend (¢ 3.1.5;
¢ 3.1.6) im Zusammenhang dargestellt, da sie für die Wortbildung des Ad-
jektivs typisch sind.

3.1.4.1 Modifikationsarten
An der Adjektivmodifikation sind die Komposition (hellblau) und die De-
rivation beteiligt, Letztere mit Präfixen und mit dem Suffix -lich an adjek-
tivischen Basen. Die folgende Tabelle erfasst die wichtigsten Modifikations-
arten der Derivation mit nativen Affixen (Erben 2006, 111; Dudenband 4,
2009, 758).

Übersicht 24: Modifikation des Adjektivs

Modifikationsart weitere semanti- Affixe Beispiele


sche Merkmale
Gradation (,graduie- ,sehr, überaus‘/ erz-, ur- erzkonservativ,
rend‘) ,augmentativ‘ uralt
,nur annähernd‘, -lich rötlich
,ein wenig‘/ ,di-
minutiv‘
Negation (,negierend‘) un- unaufmerksam

Für die Negation stehen außerdem zahlreiche exogene Präfixe (mit Vari-
anten) zur Verfügung (vgl. Klosa 1996): atypisch, anorganisch, inakzeptabel,
illegal, irrational, immobil, außerdem die Komposition mit nicht wie in nicht-
öffentlich. Eine Quantifizierung drücken v.a. exogene Konfixe aus: mono-
kausal (vgl. hierzu Seiffert 2008a, 191ff.), bipolar, polymorph, multimedial.
Dem Ausdruck einer Normüberschreitung (,normativ-transgressiv‘) dient
das Präfix hyper-, vgl. hyperehrgeizig (spiegel.de 2006), -sensibel, -nervös.
306 3 Wortbildung des Adjektivs

3.1.4.2 Transpositionsarten
Für das Adjektiv ist charakteristisch, dass die Transpositionsarten der De-
rivation nahezu systematisch mit der Wortart der Derivationsbasen korre-
spondieren, d. h., deverbale und desubstantivische Derivate prägen jeweils
spezifische Transpositionsarten aus. Eine Transpositionsart, bei der die
Wortart der Basis unverändert bleibt und sich nur die Bezeichnungsklasse
ändert (wie substantivisch Stadt – Städter), kennt das Adjektiv nicht.
1) Deverbale Adjektivderivate haben in der Regel entweder 1.1) eine akti-
visch-modale oder 1.2) eine passivisch-modale Wortbildungsbedeutung.
1.1) Die aktivisch-modalen Derivate drücken aus, dass der im Bezugswort
bezeichnete Referent (Person oder Sache) zu einem bestimmten Tun neigt
bzw. dazu fähig oder veranlagt ist: eine schwatzhafte Schülerin – die Schülerin
neigt zum Schwatzen, verderbliche Lebensmittel – die Lebensmittel verderben
leicht/können verderben.

Übersicht 25: Deverbale Transposition: ,aktivisch-modal‘


Basis Affixe Beispiele (vgl. Dudenband 4, 2009,
754)
Verb -bar brennbar, entflammbar, schwimmbar
-isch misstrauisch, mürrisch, zänkisch
-lich befremdlich, beweglich, hinderlich,
vergänglich, weinerlich
-haft naschhaft, schwatzhaft
-ig rührig, säumig, wendig, zapp(e)lig,
zitt(e)rig
-sam arbeitsam, folgsam, fügsam, mitteilsam,
sparsam
un-…-lich unaufhörlich, unermüdlich, unaus-
bleiblich
verbales -ig feinfühlig, leichtlebig, kurzlebig
Syntagma

Komposita mit -fähig als Zweitglied haben die gleiche Wortbildungsbedeu-


tung: arbeits-, geh-, leit-, lese-, lern-, schwimm-, tauchfähig ,in der Lage sein
zu arbeiten‘ usw. Auch Partizipien I treten als alternative Formen auf: ver-
gänglich – vergehend, befremdlich – befremdend. Deren weitgehend unein-
3.1 Allgemeine Charakteristik 307

geschränkte Bildbarkeit bewirkt, dass die aktivisch-modalen Derivations-


modelle insgesamt wenig produktiv sind (Eichinger 2000, 154).
Die exogenen Suffixe -ant/-ent, -iv/-ativ, -abel/-ibel bilden aktivisch-
modale Adjektive zu -ieren-Verben: amüsant, kongruent, suggestiv, alternativ,
blamabel, explosibel ,leicht explodierend‘.
1.2) Bei den passivisch-modalen Bildungstypen drückt das Adjektiv aus,
was mit dem vom Bezugswort bezeichneten Referenten getan werden kann:
eine erträgliche, annehmbare, akzeptable Entscheidung – die Entscheidung
kann ertragen, angenommen, akzeptiert werden.

Übersicht 26: Deverbale Transposition: ,passivisch-modal‘


Basis Affixe Beispiele (vgl. Dudenband 4, 2009,
755)
Verb -bar aushandelbar, begehbar, bezahlbar,
entschuldbar, heilbar, lieferbar, ver-
wertbar
-lich begreiflich, erblich, erschwinglich, ver-
zeihlich
-sam biegsam
un-…-lich/-bar/-sam unglaublich, unverkennbar, unaufhalt-
sam

Die Derivation mit -bar gilt als hochproduktiv, semantische Restriktionen


bei transitiven Handlungsverben als Basis sind nicht bekannt, vgl. abschätz-,
abwasch-, akzeptier-, beherrsch-, entschuld-, erschließ-, erzieh-, herausnehm-,
operationalisier-, anfecht-, aussprech-, vorausberechenbar.
Auch -abel/-ibel bildet Adjektive mit passivisch-modaler Bedeutung
(praktikabel, kompressibel). Das Suffix -bar kann hierzu bei Basisverben auf
-ieren als Konkurrent auftreten (transportabel – transportierbar, akzeptabel –
akzeptierbar).
Wortbildungssemantisch ähnliche Komposita werden gebildet mit den
Zweitgliedern -fähig, -wert und -würdig: biegefähiges Metall, zitierfähige Ar-
beit; lesenswerter Roman, bewundernswürdige Leistung; ¢ 3.1.3(2) zu den se-
mantischen Beziehungen zwischen -wert und -bar.
2) Durch die desubstantivische Derivation werden Substantive als adjek-
tivisches Attribut verfügbar gemacht und können somit zu einem weiteren
Substantiv in Beziehung gesetzt werden, vgl. Staat > staatlich in staatliche
308 3 Wortbildung des Adjektivs

Aufgabe. Es entstehen „relative Adjektive“ (Helbig/Buscha 2001, 281; Frevel/


Knobloch 2005). In Abhängigkeit von der Bedeutung des Bezugssubstantivs
ist die Relation verschieden akzentuiert. Für staatlich finden sich folgende
Lesarten (nach GWDS):
– ,den Staat betreffend, zum Staat gehörend‘ wie in staatliche Interessen;
– ,dem Staat gehörend, vom Staat unterhalten, geführt‘ wie in staatliches
Museum;
– ,den Staat vertretend, vom Staat autorisiert‘ wie in staatliche Stellen;
– ,vom Staat ausgehend, veranlasst, durchgeführt‘ wie in staatliche Regle-
mentierung.
Nach den unterschiedlichen Wortbildungsbedeutungen der Modelle lassen
sich verschiedene Transpositionsarten unterscheiden. Beschrieben werden
hier exemplarisch vier Arten: 2.1) unspezifische relative Adjektive, denen
wir die Wortbildungsbedeutung ,relational‘ zuschreiben, des Weiteren Ad-
jektive mit den Wortbildungsbedeutungen 2.2) ,komparativ‘, 2.3) ,orna-
tiv‘ und ,privativ‘ sowie 2.4) ,material‘ (,bestehen aus‘); vgl. Dudenband 4,
2009, 756 ff.
2.1) Für die Bildung relationaler Adjektive werden hauptsächlich die Suf-
fixe -isch, -lich und -mäßig genutzt. Die Suffixe fungieren gleichsam als
„syntaktische Verbindungsstücke“ (Wellmann 1998, 544), da sie Basissub-
stantiv und Bezugswort weitgehend ohne semantische Anreicherung aufein-
ander beziehen: schulische Angelegenheit ,Angelegenheit der Schule‘, begriff-
liche Klarheit ,Klarheit in Bezug auf Begriffe‘, elterliche Einsicht, herbstliche
Witterung, verfassungsrechtliche Bedenken, dichterische Freiheit.
Hochproduktiv sind Derivate mit dem Suffix -mäßig, das sich nahezu
ohne Beschränkungen mit indigenen und exogenen substantivischen Basen
verbindet (gefühls-, charakter-, materialmäßig). Es tritt auch an Substantiv-
derivate, die sich gegen eine Adjektivierung mit -lich oder -isch sperren:
frühlings-, gewohnheits-, material-, verfassungs-, verhältnismäßig. Aus exo-
genen Basen leitet auch -isch relationale Adjektive ab: disziplinarische Maß-
nahmen, klinische Diagnose, symbolische Bedeutung.
2.2) Für die Bildung desubstantivischer Adjektive mit der Wortbildungs-
bedeutung ,komparativ‘ stehen – wie die Übersicht 27 zeigt – mehrere Suf-
fixe zur Verfügung.
3.1 Allgemeine Charakteristik 309

Übersicht 27: Desubstantivische Transposition: ,komparativ‘

Transpositionsart Basis Affixe Beispiele (Dudenband 4, 2009,


757)
komparativ Substantiv -haft clownhaft, feenhaft, frühlingshaft,
katzenhaft
-ig affig, bullig, glasig, goldig, seidig
-isch bäurisch, diktatorisch, hündisch,
tyrannisch
-lich feindlich, freundlich, menschlich
-mäßig discomäßig, schülermäßig
substantivisches
Syntagma -ig affenartig, kugelförmig

Komposita mit den Zweitgliedern -ähnlich, -gleich, -getreu und dephrasale


Derivate mit -artig, -förmig dienen ebenfalls dem Ausdruck einer Vergleichs-
relation: kautschuk-, fischgrätenähnlich, götter-, schlangengleich, originalge-
treu, lawinen-, treppenartig, rüssel-, halbmondförmig; dazu die exogenen Suf-
fixe -al, -esk, -ös: kolossal, genial, monumental, clownesk, skandalös.
2.3) Zum Ausdruck der Wortbildungsbedeutungen ,ornativ‘ (auch ,pos-
sessiv‘) und ,privativ‘ (Haben-/Nichthaben-Relation) stehen die folgenden
Derivationsmodelle zur Verfügung.

Übersicht 28: Desubstantivische Transposition: ,ornativ‘

Transpositionsart Basis Affixe Beispiele (Dudenband 4, 2009,


757)
ornativ (,haben; Substantiv -haft schamhaft, schmackhaft, skrupel-
versehen sein haft
mit‘)
-ig bärtig, staubig, waldig
-isch asthmatisch, höhnisch, neidisch
-lich ängstlich, leidenschaftlich
be-/ge-…-t bemoost, gestreift
substantivisches
Syntagma -ig braunäugig, vierhändig
privativ (,nicht Substantiv -los lustlos, leidenschaftslos
haben‘)
310 3 Wortbildung des Adjektivs

Auch diese Gruppe wird durch Kompositionsmodelle ergänzt: gehaltvoll,


vitaminreich, nikotinarm, schadstofffrei, außerdem durch dephrasale Deri-
vate mit -haltig (fett-, koffeinhaltig). Die Kompositionsglieder bezeichnen
Grade „des Enthaltenseins“ des in der Basis genannten Stoffes differenzierter
als die Suffixe (Fandrych 1993, 105ff.; Eichinger 2000, 202): fettarme, fettrei-
che, fettfreie Lebensmittel.
2.4) Als Basissubstantive für Derivate mit dem Suffix -en/-ern/-n und der
Wortbildungsbedeutung ,material‘ (,bestehen aus‘) fungieren Bezeichnun-
gen für Mineralien (golden, eisern), für pflanzliche und tierische Rohstoffe
(hölzern, ledern), für Stoffarten (seiden, samten) und für andere Materialien
(gläsern, blechern, papieren, stählern, plasten).

3.1.5 Gradation

Der semantischen und syntaktischen Eigenart des Adjektivs entspricht die


ausgeprägte Entwicklung des Gradationssystems, hier differenziert nach
Steigerung bzw. Verstärkung (,augmentativ‘; wobei die Komparation als
Flexionserscheinung ausgeklammert bleibt, ¢ 1.2.1), Normüberschreitung
(,normativ-transgressiv‘) und Einschränkung bzw. Abschwächung (,di-
minutiv‘). Dabei wirken in der Regel Komposition und Derivation zusam-
men. – Die Negation wird unter den entsprechenden Präfixen (vor allem
un-) behandelt (¢ 3.4.2.3).
1) Dem Ausdruck der Steigerung (,sehr, überaus‘) dienen einige für diese
Funktion typische Erstglieder, von denen die meisten jedoch keine umfang-
reichen Reihen entwickelt haben. Manche sind auf einzelne Bildungen be-
schränkt, sodass wir davon absehen, sie als Präfixe zu qualifizieren (zur
Begründung ¢ 1.6.2.4; anders noch Fleischer 1983c, 292f.).
1.1) Die Modelle mit einem Substantiv gehen auf Vergleichsbildungen
(¢ 3.1.6) zurück: stocksteif ,steif wie ein Stock‘, ,sehr steif‘ (ugs.). Schließlich
ist der Vergleich nur noch mittelbar erklärbar, z.B. stockdumm ,so dumm
wie ein Stock steif ist‘. Meist wird mit stock- Unangenehmes, Negatives
emotional verstärkt: stockbetrunken, -besoffen, -finster, -heiser, -konservativ,
-sauer, -taub; eher tadelnd wohl auch stockkatholisch; umgangssprachlich
sind auch Bildungen mit brand-, tod-: brandeilig ,so eilig, wie man es bei
einem Brand hat‘, brandneu, -aktuell (vgl. auch brennend aktuell), todsicher
,so sicher wie der Tod‘. Der schwebende Akzent (tódsı́cher, entsprechend
beim Substantiv ¢ 2.2.2.3.3) ist besonders deutlich in prädikativer Stellung.
3.1 Allgemeine Charakteristik 311

Metaphorisch erklärbar sind Bildungen mit grund-: grundehrlich ,bis auf


den Grund des Herzens, der Seele ehrlich‘, meist bei Adjektiven mit posi-
tiver Wertung (grundanständig, -gelehrt, -gescheit, -gütig, -solide), doch
fehlen andere nicht ganz (grundfalsch, -hässlich, -verkehrt, -verschieden). Im
Unterschied zum Substantiv (¢ 2.2.2.3.3) ist riesen- nur wenig verbreitet und
als direkter Vergleich erfassbar (riesengroß, -stark).
Eine besondere Rolle spielen Substantive mit Tendenz zu stärkerer Affekt-
betontheit, was ihre Verwendungsmöglichkeiten im Standard einschränkt
(„Volkssuperlativ“ nach Brückner, 1854; zit. bei Sachs 1963, 581): arschklar
(nach GWDS derb emotional abw.), arschruhig (Ch. Wolf), blitzgescheit, blut-
jung, -wenig, bombenfest ,unumstößlich‘, bombensicher ,ganz sicher‘, kreuz-
gefährlich, -langweilig, mordselend, scheißegal, todschick; hundeelend, -müde,
sauwohl; dazu auch: „sie ist nicht nur saulebenslustig gewesen, saureich und
saukatholisch, sie ist auch sauschön“ (F. Dürrenmatt).
Mehr oder weniger auf Einzelbildungen beschränkt sind die Erstglieder in
bierernst, hauptverantwortlich (auch dies im Unterschied zum Substantiv,
¢ 2.4.2.3), heilfroh, herzensgut (mit Partizip I: herzerfrischend, -erschütternd),
kerngesund, pudelnass, nagelneu, spinnefeind, splitternackt, wunderschön, klit-
zeklein (vgl. Wilss 1986, 120).
Komplexe Erstglieder dieser Art sind selten: fuchsteufelswild, mutterseelen-
allein, sperrangelweit geöffnet/offen, splitterfasernackt; mit Ablautdoppelung
(¢ 1.8.1.8): nigelnagelneu, pitschepatschenass, rippelrappeldürr.
1.2) Unter den adjektivischen Erstgliedern wird hoch- am stärksten ge-
nutzt (vgl. auch DWb 3, 197), allerdings nicht in Verbindung mit negativ
bewerteten Begriffen: hochfein, -intelligent, -modern, -wertvoll, -wirksam;
mit Partizip II: hochbegabt, -betagt, -gebildet, -automatisiert, -industrialisiert
u. v.a.; mit semantischer Differenzierung von Positiv und Superlativ (wie
beim Substantiv, ¢ 2.2.3.1[8]): hoch-/höchstfest, höchstwahrscheinlich, höchst-
zulässig.
Weitere adjektivische Erstglieder sind bitter- (-ernst, -böse, -kalt), hell-
(-begeistert), ober- (vielfach ironisierend: oberfaul, -schlau, eine oberböse Sa-
tire, PDW 2006), tief- (-ernst, -traurig; -besorgt, -erschüttert, -verschneit; an-
ders: tiefenscharf, tiefgefroren) und voll- ,vollständig‘ (vollautomatisch, -gültig,
-mechanisiert, -transistoriert), z. T. jedoch in -ig-Derivaten von Syntagmen
(vollwertig).
Extra konkurriert in Komposita z.T. mit super: extrafein, -stark.
Adjektivische Erstglieder steigern v.a. Farbadjektive: dunkel-, tiefblau,
hochrot; ungewöhnlich sind krankrot (W. Borchert, zit. bei Pümpel-Mader
1985, 283), scharfblau (A. Seghers).
312 3 Wortbildung des Adjektivs

Piekfein, -sauber wird auf niederdt. pük ,erlesen, ausgesucht‘ zurückge-


führt (GWDS); klammheimlich auf lat. clam ,heimlich‘ (GDWS); quicklebendig
auf niederdt. quick ,lebhaft‘ (GWDS) – alle also verdeutlichende Bildungen
(beim Substantiv ¢ 2.2.2.3.4).
1.3) Das Adverb viel ist reihenbildend in der Bedeutung ,sehr, oft, häufig‘
vorwiegend in Verbindung mit Partizip II: vielbefahren, -beschäftigt, -besun-
gen, -gelesen, -umworben, -zitiert; weniger mit Partizip I: vielsagend, -verhei-
ßend, -versprechend. Bei Wortbildungen wie vielstimmig, vielstrophig handelt
es sich um -ig-Derivate von Syntagmen mit attributiv gebrauchtem Indefi-
nitpronomen viel (beim Substantiv ¢ 2.2.5[5]).
In der Kombination mit Partizip wird wohl gegenüber gut bevorzugt
(beim Substantiv ¢ 2.6.2.3.1), das zumindest teilweise auch steigernd (und
zwar nicht auf Negatives bezogen) aufgefasst werden kann: wohlausgewogen,
-bedacht, -begründet, -behütet, -bekannt, -beraten, -erhalten, -erzogen, -geord-
net, -überlegt. Die Verbindungen von viel, wohl und Partizip können ohne
nennenswerte semantische Unterschiede auch als Syntagmen aufgefasst
werden.
1.4) Verbstämme als Erstglieder sind seltener, z.B. stinkfaul, -fein, -lang-
weilig, -reich, -besoffen; bettelarm, glührot (Pümpel-Mader 1985, 282), knall-
hart, -rot, quietschvergnügt. Infinitiv als Erstglied: sterbensmüde, -langweilig
(vgl. Phrasem zum Sterben langweilig).
1.5) In diesem Zusammenhang ist auch auf kompositionelle Zweitglieder
wie -intensiv (arbeits-, intelligenz-, kosten-, verkehrsintensiv) und -stark (ner-
ven-, willensstark; geburtenstarke Jahrgänge) zu verweisen. Hier wird aller-
dings kein Adjektiv gesteigert oder verstärkt, sondern das hohe Maß einer
substantivisch gefassten Größe ausgedrückt.
1.6) Als Mittel expressiver Verstärkung dient die Doppelung des gleichen
Adjektivs: mit tief-tiefer Sammetbläue (Th. Mann), grau-graue Hemden
(E. Strittmatter). Das Verfahren ist alt, vgl. Grimm (1878, 657). – Verstär-
kung eines Derivats durch Doppelung des Grundmorphems zeigen tagtäg-
lich, wortwörtlich.
1.7) Einschlägige heimische Präfixe sind erz- und ur-.
Erz- begegnet beim Adjektiv (zum Substantiv ¢ 2.4.2.1) nur in sehr be-
schränktem Ausmaß und der Gebrauch ist relativ jung (seit 17. Jh., vgl.
Kluge 1925, § 78a). Es steigert vorwiegend Adjektive negativer Wertung
(ähnlich stock-): erzdumm, -faul, -konservativ, -reaktionär; vgl. aber auch
erzattractiv (Th. Mann).
Im Präfix ur- verbindet sich die Bedeutung des zeitlich weit Zurücklie-
genden (¢zum Substantiv 2.4.2.6) mit der Steigerung; es konkurriert z.T.
synonymisch mit hoch- und grund- (ur-, hoch-, grundanständig), z. T. steht
3.1 Allgemeine Charakteristik 313

es dazu in einem komplementären Verhältnis: uralt, -gemütlich, -plötzlich,


ureigenste Angelegenheit.
Zur Konkurrenz mit erz- vgl. erzkomödiantisches, urkomisches Volksthea-
ter.
1.8) Mit den indigenen Präfixen konkurrieren – wie beim Substantiv –
super sowie die Fremdpräfixe hyper- und ultra-. Doch die beiden Letztge-
nannten bringen stärker das Merkmal der Normüberschreitung, des ,Zu-
viel‘ ins Spiel – wie sich überhaupt ,Steigerung‘ und ,Zuviel‘ berühren und in
manchen Wortbildungen nicht zu trennen sind. Wir verweisen hier vor
allem auf steigerndes super (schon im 16. Jh. superfein; Wolf 1969, 63, 419);
eines superklugen Neulings (L. Tieck), superschnelle Züge. Über hyper- und
ultra- s. u.
2) Mit der ,Steigerung‘ berührt sich – wie gesagt – der Ausdruck des ,Zu-
viel‘, der Normüberschreitung (,normativ-transgressiv‘).
2.1) Am ausgeprägtesten ist das Modell mit über- (zur Schwankungsbreite
zwischen ,sehr‘ z.B. in überglücklich und ,zuviel‘ vgl. DWb 3, 201f. mit Hin-
weis auf Kontextabhängigkeit); vgl. überempfindlich, -höflich, -elegant, -klug,
-laut, -lang, -schwer, -vorsichtig; von einem überdienstfertigen Galgenschwen-
gel (Wieland, zitiert nach Itkonen 1971, 253), übervorbildlicher Dienst
(U. Saeger); konvertiert: der miese Überböse (LVZ 2010).
2.2) Von den Fremdpräfixen nennen wir hyper- (mit hypermodern, -mys-
tisch u.Ä. schon bei den Romantikern beliebt, Maurer/Stroh 1959, 372), z.B.
hyperangespannt (PDW 2006), -elegant, -korrekt, -kritisch, und ultra- (-kon-
servativ, -linke/-rechte; auch fachsprachlich: ultrakalte Neutronen, TZ 1975),
„durch das ganze 19. Jh. […] zur Charakterisierung der übertriebenen
Form“ dienend, „womit man schlechthin jeden positiven Wert in sein Ge-
genteil verkehren konnte“ (Dieckmann 1964, 139 mit Beispielen wie ultra-
demokratisch, -liberal, -revolutionär und Hinweis auf die Ausgangsform ul-
tramontan ,jenseits der Alpen, wo der Vatikan liegt‘).
2.3) Ein ,Zuviel‘ drückt schließlich auch das Kompositionsmodell mit
-selig aus (dazu ¢ 3.1.3[1.3]).
3) Zum Ausdruck der Einschränkung und Abschwächung werden – mit
semantischen Differenzierungen – die folgenden Modelle genutzt.
3.1) Die Abschwächung einer adjektivischen Eigenschaftsbezeichnung
(Diminuierung) erfolgt durch -lich: ält-, bläu-, dümm-, rund-, säuer-,
schwächlich.
3.2) Das geringe Vorhandensein bzw. die unter der Erwartungsnorm blei-
bende Effektivität eines substantivisch gefassten Referenten drücken Kom-
positionsmodelle mit -arm (¢ 3.1.3[1]) und -schwach aus: alkohol-, men-
schenarm; funktions-, nerven-, willensschwach (antonymisch -stark).
314 3 Wortbildung des Adjektivs

3.3) Das Erstglied halb- kann einerseits ohne Abwertung (bisweilen dafür
auch teil-) die Nicht-Vollständigkeit ausdrücken: halb-, teilautomatisch,
halbhoch, -lang, andererseits aber auch abwertend das Unvollständige als
Mangel akzentuieren: halbgebildet, -herzig (dephrasal), -stark. Farbadjektive
werden mit hell-, blass- (-blau, -rot), zart- (-rosa) nuanciert.
3.4) Das Unechte, nur Vorgetäuschte – und damit eine Abschwächung des
durch ein Adjektiv benannten Begriffs – drücken die kompositionellen Erst-
glieder schein- (-revolutionär, -vornehm), pseudo- (-wissenschaftlich; mit Bin-
destrich pseudo-aggressiv, -dokumentarisch, -autobiographisch, PDW 2005)
und quasi- (-automatisch, -legal) aus.

3.1.6 Vergleichsbildungen

Als Vergleichsbildungen fassen wir Modelle zusammen, die dem Ausdruck


der Ähnlichkeit, der Gleichartigkeit wie auch des direkten Vergleichs dienen.
Es handelt sich um typische wortbildungssemantische Klassen des Adjektivs,
wobei auch hier Kompositions- und Derivationsmodelle zusammenwirken.
1) Hierher gehört ein großer Teil der Kompositionsmodelle mit substan-
tivischem Erstglied, von Lipka (1967) als Typ grasgrün allen anderen Kom-
posita mit substantivischem Erstglied gegenübergestellt. Neben Gegen-
stands- und Stoffbezeichnungen (fadendünn, handtuchschmal, pfenniggroß,
stahlhart, silberhell) finden vor allem Tier- und Körperteilbezeichnungen
Verwendung (bienenfleißig, wieselflink, lammfromm, aalglatt, rehscheu
(F. Fühmann); armdick, fingerlang, muskelhart; fledermausflügelfein (M.
Mosebach). Abstrakta begegnen seltener, z. B. „wie Jahrtausende tief, ewig-
keitstief, lag der See“ (J. R. Becher); mit ähnlich mittelbar zu paraphrasieren-
dem Vergleich: „hauchschmale […] Mondsichel“ (Ch. Wolf), ,so schmal,
dass sie wie ein Hauch kaum wahrzunehmen ist‘; glockenwach (A. Seghers).
Bei den Farbbezeichnungen sind die Kompositionsmodelle die mit dem
höchsten Ausnutzungsgrad; dabei überwiegen die Bildungen mit substan-
tivischem Erstglied (vgl. auch DWb 5, 83 ff.). Bevorzugt verwendet werden
Bezeichnungen von Edelsteinen und Mineralien (amethystblau, rubinrot,
smaragdgrün), Pflanzen(teilen) und Früchten (endivien-, eukalyptus-, gras-,
mandel-, oliv-, zypressengrün, maisgelb, kornblumenblau), Tieren (lachsrosa,
taubenblau, -grau), Metallen (goldgelb, -grün, silbergrau), Flüssigkeiten (es-
pressobraun, petrolblau, weinrot), Tages- und Jahreszeiten (nachtblau, herbst-
grün, winterweiß), Naturerscheinungen (eisblau, feuerrot, schneeweiß).
3.1 Allgemeine Charakteristik 315

Weniger klare Vergleichsbeziehungen zeigen Bildungen wie billardgrün,


naturschwarz, wollweiß (zur Erklärung vgl. Klaus 1989, 46 ff.), erdschwere
Herkunft der Sängerin (Der Spiegel 2005); vgl. auch todgrau, todviolett
(A. Seghers); das gilt auch für Adjektive von Völkernamen oder anderen
geografischen Namen (meist als Konversion kodifiziert): Englischrot, Rus-
sischgrün; capriblau (Oksaar 1961, 213).
Lexikalisierte Wortbildungen wie krebs-, puter-, schamrot, kreideweiß sind
wegen möglicher negativer Assoziationen offensichtlich als Modefarben-
wörter wenig geeignet (vgl. Klaus 1989, 32).
Stark ausgebaut sind die Reihen mit -farben (vgl. mhd. bluot-, rōsevar mit
deklinierten Formen wie -varwen, woraus nhd. -farben: Paul 1920, § 25),
seltener mit -farbig (bonbonfarbig, vgl. auch DWb 3, 499ff.). Mitunter stehen
Bildungen mit demselben Erstglied gleichbedeutend nebeneinander: erdfar-
ben, -farbig, fleischfarben, -farbig, fliederfarben, -farbig, goldfarben, -farbig
(GWDS).
Zur Berührung der Vergleichsbildungen mit Verstärkungsbildungen wie
in mäuschenstill ,still wie ein Mäuschen‘, ,sehr still‘ ¢ 3.1.5(1.1).
2) Auch kompositionelle Zweitglieder wie -ähnlich, -gleich drücken die
Ähnlichkeit bzw. Gleichartigkeit aus: bürgerkriegs-, fischgräten-, menschen-
ähnlich, engel-, schlangengleich.
3) Weitere Möglichkeiten zum Ausdruck eines Vergleichs bietet das Suf-
fixsystem mit einzelnen Wortbildungsreihen ¢ 3.1.4.2[2.2]).
3.1) Das Suffix -haft: vorwiegend mit Personenbezeichnungen als Basis:
clown-, helden-, schüler-, wirtinnenhaft (Ch. Wolf); ferner mit Tierbezeich-
nungen wie bären-, esel-, katzen-, papageien-, schlangenhaft; mit anderer
Basis: abenteuer-, märchen-, skizzenhaft. Synonymisch konkurrieren Deri-
vate auf -artig (nicht aber bei Personenbezeichnungen als Basis): bruchstück-
haft, -artig, panikhaft, -artig.
3.2) Das Suffix -ig: als Basis dienen Sach- und Stoffbezeichnungen (glasig,
goldig, kalkig, milchig, teigig) sowie Tier- und Personenbezeichnungen. Diese
Derivate sind fast durchweg pejorativ: affig, bullig, fischig, fuchsig; flegelig,
miesepetrig, krüppelig, lumpig, schuftig; synonymisch dazu -haft: riesenhaft –
riesig; ohne Wertung in Farbbezeichnungen: himbeerig (DWb 3, 500), und in
blau-, violettstichig).
3.3) Das Suffix -isch: vorwiegend mit Personen- und Tierbezeichnungen
als Basis. Die meisten Derivate sind – unter dem Einfluss des Basissubstan-
tivs, das sich in der Regel auf einen negativ bewerteten Begriff bezieht –
pejorativ: bäurisch, diebisch, duckmäuserisch, knechtisch, närrisch, sklavisch,
satanisch; viehisch, tierisch, äffisch, hündisch, säuisch, wölfisch, kätzisch (E.
Agricola). Unter diesem Einfluss haben auch Wortbildungen wie herrisch,
316 3 Wortbildung des Adjektivs

kindisch, männisch, weibisch die pejorative Abschattung erhalten (seit 18. Jh.;
Maurer/Stroh 1959, 231), die besonders deutlich wird, wenn man herrlich,
kindlich, männlich, weiblich danebenhält; vgl. auch dörflich – dörfisch, bäu-
erlich – bäurisch, launig – launisch.
Basen auf -er (blutsaugerisch, großsprecherisch, kriecherisch) zeigen z. T.
auch weniger pejorative Konnotation (dichterisch, erfinderisch).
Die Ähnlichkeits- und Vergleichsbezeichnungen berühren sich hier mit
relationalen Adjektiven: darstellerisch ,was die Darstellung betrifft‘
(¢ 3.1.4.2[2.1]).
Synonymisch auch hier -haft: knabenhaft – mein knäbischer Schwur, kon-
firmandenhaft – konfirmandisch (beide -isch bei H. Kant).
3.4) Das Suffix -lich ist nur in geringem Umfang beteiligt (freund-, feind-,
mensch-, schulmeisterlich); zudem begegnet hier auch Polysemie: väterliches
Erbe – väterlicher (,wie ein Vater‘) Freund.
3.5) Das Suffix -mäßig erscheint ebenfalls vorwiegend mit Personen- oder
Tierbezeichnungen als Basis: helden-, knaben-, schüler-, polizeimäßig; bären-,
giraffen-, löwenmäßig; seltener mit Sachbezeichnungen oder Abstrakta: ge-
schäftsmäßig, maschinen-, lehrbuchmäßig. Synonymisch konkurrieren -haft
und -artig mit -mäßig: das artikelartig angehängte Pronomen – des artikelhaft
gebrauchten Pronomens – der artikelmäßige Gebrauch des Pronomens
(W. Hodler); vom laienhaften zum berufsmäßigen Schreiben (Ch. Wolf).
3.6) Von Fremdsuffixen kommen infrage -al (kolossal ,wie ein Koloss‘,
genial, monumental), -esk (clownesk) und -ös (skandalös).

3.1.7 Deonymische Adjektivbildungen

Dass die Sonderstellung des Eigennamens, die die Wortbildung des Sub-
stantivs kennzeichnet (¢ 2.2.11; ¢ 2.3.4), sich auch in der adjektivischen
Wortbildung auswirkt, ist zu erwarten. Wir behandeln im Folgenden zu-
nächst Eigennamen als Erstglied adjektivischer und partizipialer Komposita
und anschließend deonymische Derivation und Konversion.

3.1.7.1 Onymische Erstglieder


Auch mit onymischen Erstgliedern verbundene Adjektive bleiben als Kom-
posita Adjektive. Die Kleinschreibung des onymischen Erstglieds entspricht
der Wortart des Kompositums, obwohl die Motivation durch den Eigen-
namen erhalten bleibt: goethefreundlich, castrobärtig (G. de Bruyn). Die
Wortbildungen tendieren kaum zur Lexikalisierung. Nicht selten gibt es
Konflikte zwischen dem Kleinschreibung fordernden Wortcharakter des ad-
3.1 Allgemeine Charakteristik 317

jektivischen Kompositums und dem – nach Großschreibung strebenden –


Eigennamencharakter des Erstglieds: im Virginia-ähnlichen Sachsen (Welt-
bühne 1981), den Hermlin-kundigen Zuhörern (TZ 1983), die Wittgenstein-
kongeniale Formulierung (R. Wimmer); vgl. auch: der nicht-Mozartschen und
nicht-Haydnschen Musik (W. Hildesheimer).
Mit Partizipien werden Personennamen offensichtlich nur sehr selten
verbunden: *schulzebedrohter Freund, *eine karlzugewandte Person; doch vgl.
immerhin – mit einem bekannten Familiennamen – in der Mozart-verwöhn-
ten Festspielstadt (TZ 1989), obamabegeisterte Stimmung (Welt-Online
2009); ferner mit geografischen Namen: berlinbegeisterte Jugendliche, frank-
reichinteressierte Intellektuelle.
Kurzwörter von onymischen Vollformen sind als Erstglieder nicht nur
substantivischer (¢ 2.7.3), sondern auch adjektivischer Komposita ganz ge-
läufig; die Großschreibung des Kurzwortes wird auch im Adjektiv beibe-
halten (US-amerikanisch, BND-intern; ¢ 3.2.5[3]).

3.1.7.2 Deonymische Derivation


Für die deonymische Adjektivderivation stehen mehrere Suffixmodelle zur
Verfügung; am stärksten darauf spezialisiert ist das Modell mit -isch (dazu
ausführlich Sugarewa 1974; DWb 3, 261f.). Es treten hauptsächlich zwei
Wortbildungsbedeutungen hervor: Ausdruck der Zugehörigkeit zu dem
durch den Eigennamen benannten Individuum bzw. Objekt und ,kompa-
rativ‘.
1) Das Suffix -isch (umfassend ¢ 3.3.2.7) hat eine Wortbildungsreihe von
unspezifischen relativen Adjektiven mit onymischer Basis entwickelt, mit
geringer Neigung zur Lexikalisierung. Das Modell hat in erster Linie syn-
taktische Funktion, indem es die Eigennamen adjektivisch-attributiv ver-
fügbar macht. Die ausgeprägte Motivation führt dazu, dass die Wortbildun-
gen in hohem Maße der Konkurrenz durch andere Wortbildungsmodelle
bzw. Syntagmen ausgesetzt sind: goethesches (auch: Goethe’sches/goethisches
Gedicht) – Goethegedicht – Gedicht von Goethe (vgl. Eichinger 1982, 129ff.).
Die nur attributiv mögliche Verwendung ist der „Normalfall“; „ob eine qua-
litative Variante entwickelt wird“, bestimmen „komplexe pragmatische Be-
dingungen“ (Eichinger 1982, 85 f.); diese ist dann auch für adverbiale und
prädikative Verwendung offen (spartanisch ,bewusst einfach‘, salomonisch
,klug, weise‘).
Bei den onymischen Basen sind vor allem geografische Namen und Per-
sonennamen zu unterscheiden.
318 3 Wortbildung des Adjektivs

Bei Ländernamen wird -isch gewöhnlich mit der Bewohnerbezeichnung,


dem Völkernamen (bisweilen überhaupt ohne Ländername: Goten – gotisch)
unter Tilgung des substantivischen Bewohnersuffixes (meist -e, ¢ 2.3.2.1[3.2]
oder -er, ¢ 2.3.2.4[2.2]) verbunden, während semantisch der Bezug auf den
Ländernamen dominiert: Finnland – Finne – finnisch, Portugal – Portugiese –
portugiesisch, Türkei – Türke – türkisch, Island – Isländer – isländisch, Schwe-
den – Schwede – schwedisch; Ausnahme z. B. Polen – Pole – polnisch, England
– Engländer – englisch, Schweiz – Schweizer – schweizerisch. Umlaut kann
auch auftreten, wo er bei der Bewohnerbezeichnung fehlt: Sachse – sächsisch,
fränkisch, schwäbisch, französisch.
Die Derivationsstammformen von Orts- und Ländernamen enden vor
allem auf -an, -in, -es: Florenz – florentinisch, Damaskus – damaszenisch,
Verona – veronesisch, China – chinesisch (ausführliche Übersicht bei Schlae-
fer 1977, 40 ff.). Zu einem Stamm existieren mitunter zwei Formen: brasili-
anisch/brasilisch, dalmatinisch/dalmatisch, nicht bei vietnamesisch.
Auch Gewässer- und Gebirgsnamen (nicht jedoch z.B. Harz, Fläming)
werden z. T. auf diese Weise adjektiviert: amazonisch, erzgebirgisch (anders:
gebirgig), mittelmeerisch, pyrenäisch, rechtselbisch.
Der semantische Bezug auf die onymische Derivationsbasis gestaltet sich
in Abhängigkeit von der Semantik des attributiv bestimmten Substantivs
z.B. nach Lage, Herkunft, Richtung, Urheber/Ursache, Zielgröße, Vergleich,
Sprache, vgl. mexikanischer Hafen, indischer Seeweg, französischer Angriff,
schwedischer König u. a. (Eichinger 1982, 129ff.).
Bei anthroponymischer Basis (und zwar nur Familiennamen; Rufnamen
sind nahezu völlig inaktiv: Sugarewa 1974, 202ff., 229ff.) ist eine Tendenz
zur Verwendung von -sch statt -isch erkennbar (grimmsche Märchen, klop-
stocksche Gedichte), wenngleich von einer „komplementären Distribution
beider Formen […] nur bedingt gesprochen werden kann“ (Schlaefer 1977,
92). Nach Sugarewa (1974, 227) kommt -sch statt -isch mehr in fachsprach-
lichen (vgl. Termini wie Bangsche Krankheit, Mendelsche Gesetze) als in pu-
blizistischen und belletristischen Texten vor. Außerdem ist -isch bei antiken
Namen üblich: horazisch, homerisch. Ist der Bezug auf die onymische Basis
allgemein als ,in der Art von‘ gegeben, wird wohl eher -isch bevorzugt, und
dann ist auch der adverbiale und prädikative Gebrauch möglich (vgl. auch
Eichinger 1982, 89 f.): „drapiert sich, […] nicht im mindesten so stark kan-
tisch und rousseauistisch wie seine Lyrik damals klopstockisch, kleistisch und
uzisch“ (W. Dietze über Herder).
2) Einige andere Suffixmodelle sind auf die deonymische Derivation nicht
in so hohem Maße spezialisiert. Zu nennen sind:
3.1 Allgemeine Charakteristik 319

2.1) Suffix -haft ,in der Art von‘ – in lessinghaften Polemiken (W. Harich);
2.2) Suffix -mäßig ,in der Art von‘ – „labanmäßig […] im Alten verharrt“
(Th. Mann);
2.3) Suffix -esk ,in der Art von‘ mit einer grundsätzlichen Bedeutungsab-
schattung, die durch grotesk beeinflusst ist – danteske Szenen (M. Walser), ein
wenig hoffmannesk-romantisch (Sonntag 1971), chaplinesk, kafkaesk.
2.4) Ganz vereinzelt und ungewöhnlich sind Derivate mit -en („braun und
barlachen, das ging nicht zusammen“, F. Fühmann) und -ös (ugs.-salopp
kilimandscharös ,vorzüglich‘, DWb 3, 337f.).

3.1.7.3 Deonymische Konversion


Detoponymische substantivische Bewohnerbezeichnungen auf -er (er ist ein
Berliner) werden nahezu regelmäßig zu Adjektiven konvertiert: Berliner Be-
völkerung, Frankfurter Würstchen, Kieler Woche, Lausitzer Eigenheiten, Meck-
lenburger Landschaft, Rostocker Hafen, Schweizer Käse (zur Bestimmung der
Bildungen als Derivate auf -er vgl. Fuhrhop 2003; zur Klassifizierung als
Adjektive Motsch 2004, 218). Die Formen sind identisch mit den Bewoh-
nerbezeichnungen, jedoch funktional davon zu unterscheiden. Gegen den
Adjektivstatus sprechen weder die – unangemessene – Großschreibung
noch die Unflektierbarkeit und Beschränkung auf attributiven Gebrauch,
was auch für andere Gruppen von Adjektiven gilt.
Zu einigen Konversionen sind keine homonymen substantivischen Be-
wohnerbezeichnungen üblich (jedoch regelmäßig bildbar): Teutoburger
Wald, Harzer Käse.
Das Nebeneinander von Konversionen und -isch-Derivaten ist das Ergeb-
nis eines historischen Prozesses, in dem seit dem 15. Jh. die Konversionen
zunehmend hervortreten (Dresden 1483 leipczscher ,Leipziger‘ Jarmarckt,
1592 Die Dreßdenische vnd Lausitzer Heide; vgl. auch Kluge 1925, § 56; Su-
garewa 1974, 249ff.). Heute dominiert das -er-Adjektiv bei Ortsnamen, wo
sich -isch nur in wenigen festen Bildungen erhalten hat (römisch, venezia-
nisch); auch substantivierbar ist nur das -isch-Derivat: das typisch Rostocki-
sche. Die Einschränkung der Konversionen auf attributiven Gebrauch führt
ebenfalls zum Ausweichen auf -isch-Derivate: er spricht mecklenburgisch,
hamburgisch. Bisweilen kommt es zu Schwankungen bei gleicher Basis (vgl.
auch Schlaefer 1977, 153ff.): Thüringer/thüringische Spezialitäten. Im Inter-
view eines Schriftstellers erscheinen nacheinander (mit Tendenz der -isch-
Derivate zu qualitativen Adjektiven): berlinisches Bewusstsein – berlinischer
Autor – Berliner Typ – berlinische Herkunft – Berliner Osten – Berliner Wahl-
kreis – berlinische Sprache (Sonntag 1987); vgl. auch: „Der Blick aus den
Fenstern ist der berlinischst mögliche.“ (www.berlinonline.de, 2010).
320 3 Wortbildung des Adjektivs

3.2 Komposition

3.2.1 Grundsätzliches

1) Allgemeine Charakteristika der substantivischen Komposition (¢ 2.2.1)


gelten weitgehend auch für die adjektivische. Die prinzipielle Stabilität der
Wortstruktur bestimmt das Kompositum. Eine gewisse Relativierung ist
auch hier gegeben
– durch konstruktionsinterne Komparativ- und Superlativformen (hoch-,
höher-, höchstempfindlich);
– durch Infigierung des Negationselements -un- (entscheidungs-un-freudig,
Weiteres ¢ 3.4.2.3[1]);
– durch Komposita mit Durchkopplungsbindestrich und gleichmäßiger
Akzentuierung der Konstituenten (unter lándsmännisch-heı́matlich-fést-
lichen Umständen, Th. Mann);
– durch Komposita mit onymischem Erstglied (¢ 3.1.7.1);
– durch Erscheinungen der Destruktion (¢ 2.2.1.2) wie z.B. lese- und schreib-
kundig.
Auch der Remotivation (¢ 1.5.4) ist die adjektivische Komposition zugäng-
lich: „werden andere Erinnerungszeichen […] merk-würdig“ (Ch. Wolf).
Die Unterscheidung von Determinativ- und Kopulativkomposition
(¢ 1.8.1.1) gilt ebenfalls für das Adjektiv.
Adjektivische Komposita und Derivate von substantivischen Komposita
können einander in der Form entsprechen. Erst die Strukturanalyse und die
durch Paraphrase zu ermittelnden Wortbildungsbedeutungen erlauben
dann eine Entscheidung über den Wortbildungsstatus: weltgeschicht lich ist
Derivat von Weltgeschichte, staats gefährlich dagegen adjektivisches Kom-
positum.
2) Wortbildungen mit partizipialem Zweitglied (Partizipialkomposita)
kommen auf verschiedene Weise zustande:
a. als adjektivisches Kompositum aus Substantiv bzw. Adjektiv + Partizip
außerhalb des Verbparadigmas (rot gestreift; s.u.);
b. als Rückbildung von einem substantivischen Kompositum: querschnitts-
gelähmte(r Patient) < Querschnittslähmung (¢ 1.8.1.6);
Komplexe Partizipien aus dem Paradigma eines komplexen Verbs (frei-
gesprochener Polizist; ¢ 5.3.3) werden hier nicht einbezogen; es sind Wort-
formen (freisprechen – freigesprochen).
3.2 Komposition 321

Die Fälle a. bis b. hingegen sind keine einem Verbparadigma zuzuord-


nenden Formen (wobei allerdings sekundärer Aufbau des Paradigmas eines
neuen komplexen Verbs – z.T. nur in Ansätzen – möglich ist, ¢ 5.6). Sie
fungieren syntaktisch wie Adjektive.
Innerhalb der adjektivischen Komposition nehmen die Partizipialkom-
posita eine besondere Stellung ein. Sie tendieren nur schwach zur Lexikali-
sierung (etwas anders Wilss 1986, 153, 166) und bleiben meist in hohem
Maße semantisch ähnliche Alternativkonstruktionen zu Syntagmen (praxis-
bewährte/in der Praxis bewährte Methoden (¢ 3.2.2.2), fahrradverrückte
Nachbarn, fernsehbekannter Selfmademan (DB Bahn mobil 2010); doch le-
xikalisiert: preisgekrönt, wolkenverhangen. Das Kompositum tendiert zu be-
grifflicher Fixierung, das Syntagma zum Ausdruck temporärer Eigenschaf-
ten. Bei Okkasionalismen zwingt die grafische Fixierung jeden Schreiber zu
einer individuellen Entscheidung (¢ 1.2.4).
Ist beim substantivischen Erstglied in seiner Beziehung zum Partizip se-
mantisch ein Plural anzunehmen, steht es vielfach auch in der Pluralform,
und es ist dann wohl problematisch, von einem bloßen Fugenelement zu
sprechen: bücherschreibend, kräftezehrend, ohrenbetäubend, steinewerfend,
völkerverbindend, zähnefletschend. Andererseits gibt es durchaus auch Neu-
tralisierungen der Numerusopposition wie in sonstigen Komposita: fach-
übergreifend (neben fächerübergreifend), fremdwortüberladen. Wie sich zeigt,
handelt es sich bei diesen Erstgliedern um Substantive, die auch mit dem
jeweiligen Verb Kollokationen eingehen (ein Buch schreiben, an der Kraft
zehren). Insofern liegt hier eine Art Rektionskomposition vor (Eichinger
2006, 1078).
Die Nähe dieser Wortbildungen zum Verbalbereich zeigt sich weiter
darin, dass sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht ins adjektivische
Komparationssystem integrierbar sind, obwohl doch ein „Übergewicht
attributiver Verwendungsweisen“ (Wilss 1986, 159) konstatiert wird. Au-
ßerdem sind sie im Allgemeinen der Negation durch das Adjektivpräfix
un- nicht zugänglich: kriegführend – *kriegunführend, *unkriegführend; preis-
reduziert – *preisunreduziert – *unpreisreduziert. Diese Stellung der Partizi-
pialkomposita verhindert nicht den Ausbau umfangreicher Reihen mit
bestimmten, semantisch relativ allgemeinen Partizipien wie -bestimmend,
-erregend, -sichernd, -fördernd; -basiert, -bedingt, -betont, -bezogen,
-gebunden, -gefährdet, -orientiert (dies wohl nach englischem und russi-
schem Vorbild: Lehnert 1986, 51) u. a. (vgl. Wilss 1986, 164f., 184ff.). Das
GWDS verzeichnet z.B. mit -erregend immerhin 18 Komposita (abscheu-,
aufsehen-, besorgnis-, ekel-, entsetzen-, furchterregend u .a.), mit -bedingt 21
(alters-, anlage-, berufs-, erb-, ernährungs-, funktions-, gefühlsbedingt u.a.).
322 3 Wortbildung des Adjektivs

Reihenbildung von Erstgliedern ist dagegen weniger ausgebaut, vgl. z.B.


zwangsevakuiert, -geräumt, -rekrutiert u. a. (Wilss 1986, 188).
Die Kombinationsmöglichkeiten mit Partizipien sind auch für adjekti-
vische Erstglieder vielfältig (vgl. Grimm 1878, 664ff.; Wilmanns 1899, 527;
Paul 1920, § 21): weitreichend, schwerwiegend, reichbegabt, frohgestimmt.
Die Verwendung der Partizipialkomposita ist in hohem Maße textsorten-
differenziert (¢ 1.4.2.2). Sie sind in unterschiedlicher Weise für Presse und
Publizistik sowie Verwaltung kennzeichnend; individuelle Prägungen für
die Belletristik (bergbachdurchrauschte Dörflichkeit, Th. Mann; blicksprengen-
de Größe, G. Maurer; quelldurchflossener Gottesgarten, M. Mosebach).
Eine kleine Gruppe älterer Partizipialkomposita mit substantivischem
oder adjektivischem Erstglied hat das -ge- des Partizips II in der tonschwa-
chen Mittelsilbe getilgt: alt-/neubacken (noch bei Stieler 1691 neugebacken
brot, heute noch: ein neugebackener Professor), hausbacken (17. Jh. hauszge-
backen brot), neuwaschen (14. Jh. ein neugewaschen hemd), hausschlachten,
rechtschaffen (rechtgeschaffen noch bei Goethe, Götz v. Berlichingen); vgl.
Grimm (1878, 666) mit weiteren Belegen aus älterer Zeit.

3.2.2 Substantiv als Erstglied

3.2.2.1 Formativstrukturen
Als Erst- wie als Zweitglied können (wie beim Substantiv, ¢ 2.2.2.1) einfache
und komplexe Wörter verwendet werden.
1) Die unmittelbaren Konstituenten sind Simplizia: fuß kalt, wesens fremd,
arten reich.
2) Das Erstglied ist ein Kompositum: kornblumen blau, zigarrenkisten groß;
fledermausflügel feine Ohren (M. Mosebach). Kompositionelles Zweitglied
sowie die Kombination zweier Komposita treten nur selten auf (tau-
ben graublau, bierflaschen dunkelgrün, DWb 5, 12). Diese komplexen Bil-
dungen bleiben meist okkasionell (Donalies 2005b, 76).
3) Das Erst- oder das Zweitglied ist ein Suffixderivat, das jeweils andere ein
Simplex: preis ehrlich, stellungs fest.
4) Das Erstglied ist ein Kompositum, das Zweitglied ein Suffixderivat:
rüstungskontroll politisch(e Verhandlungen).
5) Beide Konstituenten sind Suffixderivate: bildungs feindlich, fische-
rei schädlich. Erstglieder als Diminutiva oder Movierungen sind offensicht-
lich selten, aber wohl nicht modellwidrig (schwesterchen gleich, lehrerin-
nen ähnlich).
3.2 Komposition 323

6) Eine der beiden unmittelbaren Konstituenten ist ein Präfixwort: un-


schuldsvoll. Komposita aus zwei Präfixderivaten sind – wie beim Substantiv
(¢ 2.2.2.1[7]) – ungewöhnlich.
7) Erstglieder in der Form des Infinitivs sind beschränkt verwendbar: als
Verstärkungselement wie in sterbenselend (¢ 3.1.5[1.4]) oder in Verbindung
mit -wert (buchens-, lebens-, lobenswert), wo der Verbstamm als Konstitu-
ente nicht gebräuchlich ist; wohl aber kann ein -ung-Derivat konkurrieren:
erwägens-, erwägungswert.
8) Fremdelemente bilden untereinander und mit indigenen Grundmor-
phemen bzw. Morphemkomplexen prinzipiell in der gleichen Weise Kom-
posita: system immanent, medien proportional, devisen rentable Erzeugnisse,
struktur elastisch. Gesondert hinzuweisen ist auf Modelle mit den Zweitglie-
dern -intern, -extern, die mit den Modellen inner-/außer-…-lich konkurrie-
ren: betriebsintern – innerbetrieblich. Das Modell mit -intern (vermutlich seit
den 1960er-Jahren zunehmend; Latour 1976, 338) schließt insofern eine
Lücke, als es auch in Verbindung mit Substantiven auf -ung und Buchsta-
benkurzwörtern (die kein Adjektivsuffix annehmen, sodass das Modell in-
ner-…-lich ausfällt) funktioniert: regierungsintern, CDU-intern (vgl. Latour
1976, 345 ff.).
9) Die Struktur der Partizipialkomposita gestaltet sich ähnlich wie die der
Komposita mit adjektivischem Zweitglied. Allerdings treten dabei die Par-
tizipien der Präfixderivate besonders hervor: preisverbilligend, umweltzerstö-
rend, glasfaserverstärkt.
10) Zu Eigennamen als Erstglied ¢ 3.1.7.1.

3.2.2.2 Zur Semantik


Komplexe Adjektive mit substantivischem Erstglied sind durchweg Deter-
minativkomposita. Die Wortbildungsbedeutungen sind weniger vielfältig
als bei der substantivischen Komposition (¢ 2.2.2.3), doch sind die für das
Adjektiv charakteristischen weitgehend beim Substantiv auch zu finden,
wenn auch z.T. in anderen Proportionen. Was zur Problematik der seman-
tischen Modellierung beim Substantiv gesagt wurde (¢ 2.2.1.3), gilt auch
hier.
Wir verzeichnen als Wortbildungsbedeutungen die folgenden, wobei A =
substantivisches Erstglied, B = adjektivisches Zweitglied (hierzu auch de-
motivierte departizipiale Adjektive wie bekannt, berühmt), X = substanti-
visches Bezugswort:
324 3 Wortbildung des Adjektivs

1) ,graduierend‘; dazu ausführlich ¢ 3.1.5


2) ,komparativ‘; dazu ausführlich ¢ 3.1.6
3) ,lokal‘
3.1) ,X ist B an/in A‘: augenkrank, gliederlahm, stadtbekannt
3.2) ,X ist B bis (zu) A‘: knietief, randvoll
3.3) ,X ist B aus/von A‘: allgäufrisch, ofenwarm
4) ,temporal‘ – ,X ist B zum Zeitpunkt/-raum A‘: tagesaktuell, nachtblind
5) ,final‘ – ,X ist B für den Zweck A‘: diensttauglich, hilfsbereit, feuersicher,
wasserdicht
6) ,kausal‘
6.1) ,X ist B als Ursache von A‘: altersschwach, regenfeucht, staubstumpf
6.2) ,X ist B als Ursache von Nicht-A‘: verkehrsstill (Seitenstraße)
7) ,mensurativ‘ – ,X ist B in einem bestimmten Maß‘: kilometerlang, ton-
nenschwer
8) ,qualitativ‘ – ,X hat A mit der Qualität B‘: verkehrsdicht
9) ,limitativ-relational‘ – ,X ist B in Bezug auf A‘: funktionsgleich, lebens-
fremd, realitätskräftig, ressortverantwortlich, zugempfindlich(er Greis).
Die Wortbildungsbedeutungen der Partizipialkomposita entsprechen im
Wesentlichen den syntaktisch-semantischen Beziehungen der alternativen
syntaktischen Verbkonstruktionen (¢ 3.2.1).
Bei Komposita mit Partizip I handelt es sich überwiegend um Entspre-
chungen eines Patiens-Verhältnisses (die Arbeit erleichtern > arbeitserleich-
ternd, den Schmerz stillen > schmerzstillend); anders z.B. bikinibadende ,im
Bikini badende‘ Damen, sonnenstrahlender ,von Sonne strahlender‘ Oktober,
griechenlandschwärmende ,von Griechenland schwärmende‘ Autoren (vgl.
Wilss 1986, 153).
Bei Komposita mit Partizip II sind als Wortbildungsbedeutungen, die bei
adjektivischem Zweitglied nicht oder kaum auftreten, besonders hervorzu-
heben:
– ,agentiv‘ (mondbeschienen, neugiermotiviert, regimegelenkt);
– ,ornativ‘ (pelzgefüttert, schmutzbedeckt, schuldbeladen);
– ,instrumental‘ (handgeschrieben, medienberieselt, kontextdeterminiert, an-
hängertransportiert);
– ,material‘ (blechgestanzt, holzgeschnitzt, kunststoffverpackt, weidengefloch-
ten).
3.2 Komposition 325

3.2.3 Adjektiv als Erstglied

3.2.3.1 Determinativkompositum
1) Die unmittelbaren Konstituenten sind Simplizia oder Derivate:
schwer krank, früh reif, alt klug, salzig -feuchte Erinnerung, knusprig -braunes
Spanferkel, dünn flüssig, schwer verdaulich, objektiv -wissenschaftliche Grund-
lagen, wissenschaftlich -technischer Fortschritt; „nicht grandios-dämonisch,
sondern clownhaft-dämonisch“ (W. Hildesheimer). Kompositionelle Kon-
stituenten kommen kaum vor. Im Material von DWb 5 (12ff.) finden sich
u. a. hellbraun gesund, dunkel graubraun. Die Bezeichnungen der Himmels-
richtungen werden als Kompositionsglieder – wie beim Substantiv – in den
„Kurzformen“ verwendet, vgl. nord-, süddeutsch usw.
Für die Partizipialkomposita gelten ähnliche Strukturen: klein denkend,
neu geboren, reich geschmückt, schwer verletzt; kräftig-schmeidigende Spiele
(Th. Mann). Auch hier treten komplexere Strukturen äußerst selten in Er-
scheinung (DWb 5, 12 nennt nur ein Beispiel: bedrohlich -unglücksbereitend)
2) Das Erstglied ist in der Regel attributive Bestimmung des Zweitgliedes;
die Wortbildung entspricht damit semantisch meistens dem alternativen
Syntagma (schwerkrank – schwer krank). Doch werden beide durch einen
deutlichen Akzentunterschied auseinandergehalten: frǘhreı̀f – frǘh reı"f. Bei
komplexeren Bildungen wie schwerverdaulich ist dieser Akzentunterschied
weniger ausgeprägt.
Demotivationen sind relativ selten (altklug, neureich); hier fehlt dann das
Syntagma. Besonders vielfältig entwickelt sind die Modelle zum Ausdruck
der Gradation (¢ 3.1.5).
3) Bei Bindestrichkomposita wie mathematisch-naturwissenschaftliche Ge-
sichtspunkte, wissenschaftlich-technischer Fortschritt lassen sich z.T. entweder
das Erst- oder das Zweitglied – oder beide – in Substantive umsetzen: Fort-
schritt in Wissenschaft und Technik. Eine derartige Umsetzung ist möglich
wegen der engen semantischen Beziehungen, die zwischen den adjektivi-
schen Derivaten und ihrer substantivischen Basis bestehen. Kaum möglich
ist diese Paraphrasierung in Fällen wie freundschaftlich-kameradschaftlicher
Händedruck. Hierbei ergänzen oder verstärken die Konstituenten einander,
ohne dass von Koordination gesprochen werden könnte (¢ 3.2.3.2).
4) In Verbindung mit Partizip II tritt stark reihenbildend z.B. alt- ,seit
Langem‘ auf: altangesehen, -bekannt, -berühmt, -bewährt, -eingesessen, -ein-
gewurzelt, -erprobt, -gewohnt u.v. a.
5) Gesondert zu erwähnen sind die Bildungen mit einem Superlativ als
Erstglied. Am geläufigsten sind die Kombinationen mit möglich: kleinstmög-
326 3 Wortbildung des Adjektivs

lich ,so klein wie möglich‘, größt-, schönst-, kürzestmöglich; brutalstmögliche


Aufklärung (R. Koch); seit dem 18. Jh. häufig auch Doppelungen wie größt-
möglichst (DWB IV, 1, 6, Sp. 513f.); mit anderem Zweitglied: das nächster-
reichbare Hotel, die höchstliegenden Orte.
Mit Partizip II sind geläufig meist- und – im Wesentlichen gleichbedeu-
tendes – best-: meistgespielte Autoren, meistbefahrene Kreuzungen, einer der
meistgehassten (auch: bestgehassten) Dichter; bestrenommiert, -informiert;
seltener mit Partizip I: meistbietend.
Wie stark der adjektivische Charakter der Partizipialkomposita empfun-
den wird, zeigen Superlativformen: schwachdenkendster Teil (Lessing), den
schöngefärbtesten Smaragd (Goethe; vgl. Paul 1920, § 21); diese Formen ent-
sprechen heute nicht der standardsprachlichen Norm, kommen aber gele-
gentlich vor: der besteingerichtetste Laden (Dudenband 4, 2009, 370).

3.2.3.2 Kopulativkompositum
Adjektivische Kopulativkomposita sind – wie substantivische – durch ein
Syntagma mit und paraphrasierbar („er war taub und blind, wollte taubblind
sein“, Pümpel-Mader 1985, 283; ein fröhlich-chefiger Auftritt, Der Spiegel
2005), werden jedoch, anders als diese, relativ häufig gebraucht. Im Inns-
brucker Korpus machen die „additiv“-Bildungen etwa 1/4 des Gesamtkor-
pus aus (DWb 5, 43).
Wie beim Substantiv (¢ 1.8.1.1; ¢2.2.2.5) sind Erst- und Zweitglied, der
gleichen Wortart angehörend, in den meisten Fällen ohne wesentliche se-
mantische Differenzierung vertauschbar: im gleichen Text z.B. metaphorisch-
assoziativ und assoziativ-metaphorisch (Pümpel-Mader 1985, 283); im glei-
chen Satz orientalisch-asiatisch und asiatisch-orientalisch (M. Mosebach).
Auch für die Adjektive dieses Modells gilt das für das Substantiv Gesagte:
„Bei einem Großteil der Bildungen sind verschiedene Interpretationen [sub-
oder koordinativ] möglich“ (DWb 5, 40).
1) Wortbildungen wie dummdreist, -stolz, -faul; blöd-robust (J. R. Becher),
taubstumm benennen jeweils zwei Eigenschaften einer Person; vgl. schon
mhd. edelarm ,edel und arm‘, „Lear, der […] edelschwache Greis“ (J. G.
Herder); ferner nasskalt, süßsauer; schelmisch-schroffe Videos (Der Spiegel
2010).
2) Eine weitere Gruppe bilden Koppelungen mit relativen Adjektiven,
die bei der Paraphrasierung in ein semantisch äquivalentes Syntagma in
Substantive transformiert werden (so auch Determinativkomposita;
¢ 3.2.3.1[1]): polnisch-französische Verhandlungen – Verhandlungen zwischen
Polen und Frankreich (nach Kluge 1925, § 88 seit dem 19. Jh.). Anders dage-
3.2 Komposition 327

gen bei Sprachbezeichnungen wie deutsch-russisches bzw. russisch-deutsches


Wörterbuch mit semantischer Relevanz der Reihenfolge. – Die Wortbildun-
gen sind erweiterbar: deutsch-englisch-französisch-russisches …
3) Kombinationen aus mehreren Farbadjektiven können determinativ
(grauweiß, rotbraun) oder kopulativ (schwarzweiß, gelbrosagrünlich, rosa-
gelblichgrün, Pümpel-Mader 1985, 282) aufgefasst werden; als Kopulativ-
komposita vorzugsweise mit Bindestrich und mit gleich akzentuierten un-
mittelbaren Konstituenten (Neuß 1981, 51).
4) Gesondert zu nennen sind Oxymora mit antonymischen unmittelbaren
Konstituenten, vorwiegend in belletristischen Texten zur Erzielung expres-
siver Wirkungen: engweit, nahfern; ernstheiter (Goethe), heißkühl (H.
Broch), quicklebendig-sterbensmüde, herzlich-barsch (beide M. W. Schulz). –
Nicht immer muss es sich dabei um koordinierende Koppelungen handeln;
so spielt der Autor mit einem determinativen Verhältnis antonymischer
Glieder in folgendem Satz: „Er kann sowohl scharf-gütig als auch gütig-scharf
sein“ (E. Strittmatter).
5) Neben die additiven Komposita stellt DWb 5 (53ff.) als weiteres koor-
dinatives Kompositionsmodell sog. „verdeutlichende Gleichsetzungskom-
posita“ mit der Wortbildungsbedeutung ,äquativ-explikativ‘. In Beispielen
wie komplex-vielschichtig(es Gebiet), rundlich-herzförmig(e Blätter) steht das
Zweitglied zum Erstglied in einer Art appositionellem Verhältnis: Blätter, die
rundlich, genaugenommen herzförmig/die rundlich, fast herzförmig sind. Un-
terschieden werden eine Präzisierung durch das Zweitglied wie in aroma-
tisch-bitter(erGeschmack)undeineGeneralisierungwieindruidisch-keltisch(e
Mythik) (ebd. 55). Handelt es sich bei den Konstituenten um Synonyme wie
in absichtsvoll-willenmäßig(e Einwirkung), ließe sich von tautologischen Ko-
pulativkomposita sprechen. Während dieses Modell beim Substantiv kaum
belegt ist (¢ 2.2.2.3.4), nennt DWb 5 (57) zahlreiche okkasionelle adjektivi-
sche Beispiele (rhythmisch-taktmäßig, langweilig-eintönig u.a.). Auch in zier-
lich-zarte Frau (Goethe) könnten Erst- und Zweitglied synonymisch ver-
standen werden; vgl. ferner mhd. altgrı̄s, heiterlieht. Nhd. Wortbildungen
wie wildfremd, winzigklein, tollkühn sind heute als Verstärkungen zu behan-
deln (¢ 3.1.5[1.3]).
6) Zur expressiven Doppelung des gleichen Adjektivs ¢ 3.1.5(1.7).
328 3 Wortbildung des Adjektivs

3.2.4 Verbstamm als Erstglied


Die adjektivische Komposition mit verbalem Erstglied ist in stetigem
Ausbau begriffen (Kienpointner 1985, 204 verzeichnet fast 500 entspre-
chende Wortbildungen), insbesondere in Textsorten der technischen Fach-
sprachen (Hölzer pass- und pressdicht einbauen, LVZ 2010), der Werbung und
in der Lyrik (¢ 1.4.2.2). Im Vergleich zu substantivischen und adjektivischen
Erstgliedern ist der Bestand an verbalen Erstgliedern allerdings verschwin-
dend gering (nur 1,6 % im Innsbrucker Korpus; DWb 5, 19).
Zur Verbindung mit Verbstamm neigen besonders Adjektive wie fähig,
fest, kundig, sicher, tüchtig u.a. (¢ 3.1.3[1.2]): erb-, geh-, tragfähig; beiß-, bügel-,
koch-, kratz-, klopf-, knitter-, zerreißfest; lese-, medien-, schreibkundig; fäl-
schungs-, gleit-, schneesicher; fahr-, flug-, lebenstüchtig; ferner bedienarme
thermischeSchneidmaschine(Internet2010),röstfrisch,triefnass,schlachtwarm
und Verstärkungsbildungen wie prasseldürr.
Zum Modell sehenswert ¢ 3.1.3(2).
Nach Kienpointner (1985, 221ff.) unterscheiden wir folgende Wortbil-
dungsbedeutungen: A = verbales Erstglied, B = adjektivisches Zweitglied
(einschließlich departizipialer Adjektive); X = substantivisches Bezugswort:
1) ,konsekutiv‘ – , X ist so B, dass A‘: siedeheiß, hüpfgesund (Sittich), treff-
genau;
2) ,limitativ-relational‘ – ,X ist B in Bezug auf A‘: bremssicher, denkfaul,
werbewirksam, schreibgewandt;
3) ,kausal-modal‘– ,X ist B wegen A‘: lachheiß, saufselig.
Partizipialkomposita mit verbalem Erstglied sind seltener: gefriergetrock-
net, -konzentriert (Kienpointner 1985, 269); denkbar wären auch: X ist
geh-, Y ist fahrorientiert u. Ä.

3.2.5 Sonstige Erstglieder

Unter sonstigen Erstgliedern fassen wir 1) Pronomen, 2) Wörter unflektier-


barer Wortarten, 3) Kurzwörter, 4) Konfixe sowie 5) Syntagmen.
1) Die Verbindung mit pronominalem Erstglied ist ähnlich beschränkt wie
beim Substantiv (¢ 2.2.5).
Auch hier ist selbst- am aktivsten: selbstsicher, -herrlich, -tätig, -verständlich,
-zufrieden; -bewusst, -gebacken, -gemacht, -gestrickt; selbstvernarrt (Ch.
Wolf). Das WDG registriert 17 Wortbildungen mit Partizip II und zwei mit
Partizip I (selbstredend, -tragend; vgl. auch: des selbstbeobachtenden Alters-
chronisten, Sonntag 1978).
3.2 Komposition 329

Die Wortbildungsbedeutungen sind unterschiedlich. Ein beträchtlicher


Teil der Bildungen ist demotiviert. In anderen lässt sich die Wortbildung
durch ein Syntagma ,von selbst + Adjektiv‘ paraphrasieren (selbsttätig – von
selbst tätig).
Die beim Substantiv z.T. auftretende Synonymie mit eigen- ist hier we-
niger ausgeprägt: eigenständig und selbstständig sind keine Synonyme.
Unter den Kombinationen mit all- sind die Derivate von einem Syntagma
(allabendlich) auszuklammern. Dann bleiben nur wenige: allgegenwärtig
(auch als Derivat von Allgegenwart denkbar), -bekannt, -verehrt (,von allen
verehrt‘, GWDS).
Vereinzelt sind Kombinationen mit dem Personalpronomen: ichbezogen.
2) Unflektierbare Erstglieder sind Adverbien und Präpositionen.
2.1) Adverbien sind nahezu kompositionsinaktiv, vgl. allenfalls baldmög-
lichst, rechts-, linksextrem, -radikal. Eine aktive Ausnahme verkörpert wohl-
(überwiegend in Verbindung mit Partizip I und II: -lautend, -riechend, -aus-
gewogen, -bedacht); allerdings kaum mit semantischer Differenzierung
gegenüber den entsprechenden Syntagmen mit wohl bzw. gut. Die nicht-
partizipialen Wortbildungen sind zu einem großen Teil demotiviert (wohlfeil,
-gefällig, -gemut, -weislich).
2.2) Präpositionen begegnen vor allem in Verbindung mit Partizipien
(nicht selten ohne verbales Paradigma, mitunter – wenn ein solches vor-
handen ist – stärker demotiviert). Sie entsprechen semantisch weitgehend
den Verbpartikeln (¢ 5.3.1): abgefeimt (demotiviert, eigentlich ,abge-
schäumt‘, zu Feim ,Schaum‘), abgekartet, -gelegen, -geneigt, -gestanden; an-
gekränkelt, -geschlagen; umflort; zugetan, -geknöpft; umstritten.
Einen Sonderfall stellen Bildungen mit nur gebunden vorkommenden
denominalen Zweitgliedern dar. Die Partizipform der Zweitglieder entsteht
durch Zirkumfigierung: angeheitert, angejahrt(e Fahrzeugmodelle); (¢ 3.5[5]).
Nichtpartizipiale Zweitglieder sind, mit Ausnahme bei über-, unter- und
vor-, sehr selten: abhold, aufrecht. Wortbildungen wie widernatürlich, zwi-
schenstaatlich sind Derivate von präpositionalen Syntagmen und gehören
nicht hierher.
Systemhaft ausgebaut ist über- (¢ 3.1.5[2.1]), die Normüberschreitung
kennzeichnend; bei Partizipien antonymisch dazu z.T. unter-: über-, unter-
ernährt.
Ansätze zu einer Reihenbildung zeigt vor- in vorschnell, -laut, -eilig, auch
hier wird ein ,Zuviel‘ ausgedrückt. Anders (,temporal‘) in vorgenerative Lin-
guistik, vorwissenschaftlich, vorvoriges Jahr.
Das Element mit- ist weniger stark vertreten als bei Substantiv
(¢ 2.2.7.2[8]) und Verb (¢ 5.3.2.3[3]); Wortbildungsbedeutung ,Beteiligt-
330 3 Wortbildung des Adjektivs

sein‘: mitschuldig, -verantwortlich. Einige Partizipialformen werden eher ad-


jektivisch verwendet: mitangeklagt, -betroffen. Andere stehen dem Verbpa-
radigma näher: von mitentscheidender Bedeutung, das von jmdm. mitgeleitete
Ministerium.
3) Die Verbindungen mit Buchstabenkurzwörtern (zum Substantiv
¢ 2.7.3) bewahren meist die Großschreibung der Anfangsbuchstaben auch
als Erstglied adjektivischer Komposita; Bindestrich ist obligatorisch; vgl.
EU-weit, PVC-beschichtet. Seltener sind Fälle in Kleinschreibung wie iga-
spezifisch.
4) Die hier verwendeten Konfixe begegnen auch beim Substantiv, wo sie
ausführlicher dargestellt sind (¢ 2.2.8); insgesamt sind die Reihen dort stär-
ker ausgebaut. Zahlreiche Adjektive sind Derivate substantivischer Konfix-
komposita (autodidaktisch < Autodidakt). Adjektivische Komposita bilden
u.a. uni- und multi- (uni-, multilateral ,ein-, mehrseitig‘, multinationale
Konzerne, multivalent ,viel-, mehrwertig‘), ähnlich mono- und poly-, aller-
dings vorwiegend mit Konfixen als Zweitglied (mono-, polygam ,ein-, viel-
ehig‘, mono-, polychrom ,ein-, vielfarbig‘, frankophil, anglophob; vgl. Seiffert
2008a); vgl. ferner semi- ,halb-‘ (semifaschistisch), thermo- (-elektrisch, -ma-
gnetisch), elektro- (-chemisch) u.Ä.
5) Syntagmen als Erstglied adjektivischer Komposita bleiben vereinzelt
(anders beim Substantiv, ¢ 2.2.9): halbmeter-dick, vielhundertmetertiefe Ab-
gründe (Weltbühne 1979).

3.2.6 Form der Kompositionsfuge

Die Problematik ist grundsätzlich erörtert beim Substantiv (¢ 2.2.12).


1) Bei substantivischem Erstglied begegnen auch hier im Wesentlichen die
gleichen Fugenelemente (vgl. Žepic" 1970, 63 f.) und es treten auch fakulta-
tive Varianten auf: kampf(es)lustig, sieg(es)gewohnt, -sicher, liebe(s)bedürftig.
Insbesondere stehen:
1.1) -s- nach bestimmten Suffixen: gesundheit s förderlich, gemein-
schaft s bezogen, geltung s bedürftig, universität s eigen, tradition s bewusst;
auch nach substantiviertem Infinitiv (erstreben s wert); fakultativ bei rich-
tung(s)weisend.
1.2) -(e)s- bei Erstgliedern mit gleichem Fugenelement wie in entspre-
chenden substantivischen Komposita (Arbeit s alltag): arbeit s aufwendig,
einkauf s eilig, verband s eigen, geschlecht s spezifisch; land es üblich, tag es ak-
tuell.
3.2 Komposition 331

1.3) -(e)n- bei Feminina mit -en-Plural: brille n ähnlich, frau en freundlich,
hymne n artig, maschine n genau, seite n richtig. – Singulariatantum haben
dagegen in der Regel kein -n: rache durstig.
Wie stark die Schwankungen sein können, zeigen im gleichen Text die
Formen einheiten-/kombinationenbezogene Beschreibungsimplikationen und
morphem- und kombinationsorientierte Etymologie (Nortmeyer 1987, 333).
Darüber hinaus sind für die Partizipialkomposita einige Sonderregelun-
gen zu beachten. Komposita mit Partizip I verdeutlichen in der Fuge nicht
selten die pluralische Beziehung des Erstgliedes: händereibend (¢ 3.2.1[2]), die
nestersuchenden Schwalben (Ch. Wolf). Einige Feminina auf -e tilgen dies:
Friede > friedliebend, strafmildernd, sprachvergleichend (aber: hilferufend, ge-
werbetreibend). Maskuline und neutrale Erstglieder haben in Verbindung
mit Partizip II vielfach -s-: bezugsberechtigt, aufbruchsgestimmt, bewusstseins-
getrübt; z.T. auch feminine Erstglieder: zukunftsverpflichtet.
2) Bei verbalem Erstglied entspricht die Verteilung von unverfugter Ver-
bindung und Fugenelement -e- den Verhältnissen beim Substantiv insofern
prinzipiell, als sich auch hier der Stammauslaut des Verbs als ausschlagge-
bend herausstellt. Auf entsprechende regionale Varianten verweist Fuhrhop
(1996, 546): heil(e)froh, knall(e)rot, stink(e)sauer. Weiteres beim Substantiv
¢ 2.2.12.3.
3) Der Bindestrich findet sich nur selten bei substantivischem Erstglied,
außer wenn es ein Eigenname ist (¢ 3.1.7.1). Er wird dagegen stets verwendet
bei Buchstabenkurzwörtern als Erstglied (Tbc-krank). Bevorzugt wird er
bei Komposita aus komplexen (affigierten) adjektivischen unmittelbaren
Konstituenten: gotisch-spitzbogiger Eingang, wissenschaftlich-theoretische Er-
kenntnisse (dazu vgl. Rosengren 1972, 342f.). Verfügen die so verbundenen
Adjektive im Erstglied über eine fremdsprachliche Basis, wird gelegentlich
(besonders fachsprachlich) das erste Suffix -isch getilgt und durch das Fu-
genelement -o- ersetzt: lexiko-grammatische Mittel, syntakto-semantisches
Doppelgesicht (Eichinger 2000, 85f.), dagegen ohne Bindestrich krypto-
religiöse Rhetorik (LVZ 2010), auch bei stärkerer Lexikalisierung: morphoge-
netisch, morphophonologisch.
Das Fugenelement -o- tritt in der Regel auch in Konfixkomposita aus zwei
Konfixen auf: german o phob, frank o phon.
332 3 Wortbildung des Adjektivs

3.3 Suffixderivation

3.3.1 Grundsätzliches

Die Beschreibung der Suffixderivation des Adjektivs entspricht im Aufbau


der Behandlung beim Substantiv (¢ 2.3.1). In die zusammenfassende Dar-
stellung der Gradation (¢ 3.1.5), der Vergleichsbildungen (¢ 3.1.6) und der
deonymischen Adjektivbildung (¢ 3.1.7) sind allerdings die mit entspre-
chenden Wortbildungsreihen beteiligten Suffixe eingegangen, sodass in der
hier folgenden alphabetischen Beschreibung auf diese Derivationsmodelle
verwiesen werden kann. Spezielle Erscheinungen im Grenzbereich von
Komposition und Derivation sind unter 3.1.3 erörtert worden.
Ein Teil der exogenen Suffixe bildet – im Unterschied zu den indigenen –
sowohl Substantive als auch Adjektive; daher werden manche der bereits
beim Substantiv erwähnten auch hier wieder aufgeführt.

3.3.2 Indigene Suffixe

3.3.2.1 Suffix -bar


Mit dem Suffix -bar (zur Genese aus altem Verbaladjektiv von ahd. beran
,tragen‘, -bāri, mhd. -bære vgl. Wilmanns 1899, 496) fungiert heute das
produktivste Modell deverbaler Adjektivbildung. Es bereichert v.a. die
Möglichkeiten passivischer Ausdrucksweise und ist in erster Linie ein
Modell zur Bildung syntaktischer Alternativkonstruktionen, weniger zur
Bereicherung des Wortschatzes (dazu auch Trost 2006, 215). Die Tendenz
zur Lexikalisierung ist gering. Das Suffix wird nicht nur in attributiven
Konstruktionen gebraucht, sondern bevorzugt auch in Konstruktionen wie:
die Wahrheit begreifbar, Wohnung beziehbar, Theorie lehrbar machen; das
Unternehmen nahbar und authentischer machen (DB Bahn mobil 2010);
nahbar wohl okkasionell gebildet, um das Gegenteil von unnahbar auszu-
drücken.
Auf syntaktische Beschränkungen in der Verwendung von -bar-Derivaten
anstelle des Passivs verweist Toman (1986, 13): Statt draußen kann fortgesetzt
werden nicht *draußen ist fortsetzbar. – Das deverbale -bar-Modell hat dar-
über hinaus einen bedeutsamen Stellenwert als Vermittler zwischen Verb
und Substantiv. Es ermöglicht die Substantivierung von Verben mit der
Wortbildungsbedeutung des Potenziellen: machen – machbar – Machbarkeit,
verwerten – verwertbar – Verwertbarkeit.
3.3 Suffixderivation 333

1) Verbale Basis
1.1) Infinitivstamm; starke und schwache Verben, simplizische wie kom-
plexe Basis: brauch-, dreh-, trink-, waschbar; bezweifel-, entzünd-, zerleg-,
auffindbar; auseinanderschieb-, zusammendrück-, wiederverwertbar.
Verben mit dem Präfix ge- bilden nur vereinzelt Derivate mit -bar (genieß-,
gewinnbar; zu gebrauchen gehört brauchbar (nicht *gebrauchbar, aber ge-
bräuchlich), zu gestatten gehört statthaft, zu gewahren stellt sich wahrnehmbar.
Es fehlen -bar-Derivate zu den intransitiven Verben gebühren, gedenken,
gelingen u.a. (aber 1.3).
Als Basis sind -ier-Verben sehr verbreitet: abstrahier-, konstruier-, techni-
sierbar, z.T. neben -abel/-ibel: deklinierbar – deklinabel, passierbar – passabel.
Verben auf -(e)l(n) (sofern das -el- nicht zur Basis gehört wie in verriegeln)
fehlen nahezu (aber: fädelbar). Verben auf -ig- tilgen z. T. -ig-: kündbar <
kündigen; entschuldbar, aber bewältigbar, beschleunigbar; vgl. ferner ab-, aus-,
berechenbar (< ab-, aus-, berechnen).
Neben dem Infinitivstamm bei gehen (begehbar) erscheint auch noch die
ältere Nebenform gang- in gangbar; vgl. auch sichtbar neben voraus-, einseh-
bar.
1.2) Die Masse der Basisverben ist transitiv und passivfähig; Wortbil-
dungsbedeutung: ,passivisch-modal‘: essbare Früchte, heilbare Krankheit;
vgl. ferner anfecht-, ausführ-, entzifferbar, heute noch übbare Musikkritik
(F. Fühmann), Ausdruck tastbarer Körperlichkeit (Kunstkalender 1980).
In manchen Fällen tritt dazu noch eine Bewertung ,leicht‘ oder ,gut‘:
(leicht) beeinflussbarer Mensch, (gut) lesbares Buch, biegbares Material. Bei
einem Nebeneinander von -bar- und -lich-Derivat hat die wertende Nuance
,leicht‘ eher das -lich-Derivat: erklärbar – (leicht) erklärlich.
1.3) Weniger stark ausgebaut ist das Modell der Derivation von intransi-
tiven Verben. Wortbildungsbedeutung: ,aktivisch-modal‘. Hier ist keine
passivische Paraphrase möglich: brennbarer Stoff, gerinnbare Flüssigkeit, vor-
wiegend oder ausschließlich mit Negation durch un-: unsinkbares Schiff,
unversiegbarer Strom. In einigen Fällen wird nicht die Möglichkeit, sondern
die Notwendigkeit ausgedrückt: X ist haftbar ,muss haften‘. Anders zu pa-
raphrasieren sind: un entrinn bares Schicksal – Schicksal, dem man nicht ent-
rinnen kann, un nah bare Person – Person, der man sich nicht nähern kann. –
1.4) Derivate von echten Reflexiva (sich schämen) und intransitiven Du-
rativa (liegen, blühen) sind nicht modellgerecht – und dementsprechend
auffällig –, kommen aber vereinzelt vor: schlafbare Bodenkammer, Nacht
(Internet 2010); „maximales Gaming zu einem leistbaren Preis“ (Werbung
für Laptops 2010). Auch Verben mit präpositionaler Rektion wie verfügen
über, verzichten auf lassen die Bildung eines -bar-Derivats mit passivisch-
334 3 Wortbildung des Adjektivs

modaler Wortbildungsbedeutung zu: verfügbare Kräfte ,über die verfügt


werden kann‘ (auch: disponierbar, -ibel), unverzichtbare Forderung. Als tran-
sitives Verb ist leben behandelt in: „Trakls Leben […] war nicht lebbar“
(S. Hermlin).
2) Substantivische Basis
Diese Derivate treten heute stark zurück. Nach Flury (1964, 94) beträgt
der Anteil von Deverbativa an den Neubildungen im 15. Jh. rund 33 % und
wächst auf 98 % im 20. Jh. Flury nennt insgesamt 34 noch heute gebräuch-
liche desubstantivische -bar-Derivate, die aber keineswegs alle gleich geläu-
fig sind. Das Modell ist kaum noch produktiv; vgl. akzisbar (,akzisepflich-
tig‘), dienstbare Geister (,Dienst leistend‘, aktivisch). Die Eignung drücken
aus: jagdbare Tiere, schiffbare Flüsse.
Neben dem alten fruchtbar ,fähig, Frucht hervorzubringen‘ stehen noch
die selteneren heu-, milchbar. Demotiviert sind furcht-, mittel-, schandbar.
Die Basis in ruchbar ist an Gerücht anzuschließen.
Auf einen Verb- oder Substantivstamm ist die Basis beziehbar z.B. in
dank-, streit-, wandelbar (aktivisch); klag-, nutzbar (passivisch). Demotiviert
sind kost-, wunderbar. Zur Doppelmotivation als Ursache des Ausbaus der
deverbalen Derivation mit -bar vgl. Wellmann 1997, 84.
3) Adjektivische Basis ist noch seltener. Geläufig sind noch offen-, sonder-
bar. Kund-, lautbar (dazu verlautbaren) unterscheiden sich semantisch von
den einfachen Adjektiven kund, laut kaum noch und werden deshalb ent-
behrlich.
4) Konkurrenzen von -bar mit anderen deverbalen Modellen sind auf
verschiedene Weise entstanden. Modelle deverbaler Derivation auf -lich und
-sam sind durch -bar abgelöst worden; im Wortschatz sind jedoch entspre-
chende Wortbildungen als Vertreter noch analysierbarer Modelle bewahrt
geblieben, z.T. mit gleicher Basis (erklärlich, -bar).
4.1) Ein Teil der -lich-Derivate ist durch Demotivierung deutlich abgeho-
ben: anschaulich – anschaubar, einschließlich – einschließbar.
Eine weitere Gruppe von -lich-Derivaten steht mit aktivischer Beziehung
des Verbs passivischen -bar-Derivaten gegenüber: begehrlich – begehrbar,
verantwortlich – verantwortbar, vergesslich – vergessbar.
Mit unterschiedlichen Lesarten des Basisverbs sind verbunden z.B. löslich
(in Flüssigkeit) – lösbar(e Aufgabe).
Synonymische Konkurrenz zeigen u. a.: bestechlich, -bar, verzeihlich, -bar,
unwiderleglich, -bar.
Bei Präfixverben erscheint vielfach noch -lich neben -bar (vgl. Flury 1964,
118 ff.); bei einsilbigen hat sich -lich weniger verbreitet erhalten (dreh-,
3.3 Suffixderivation 335

nenn-, sprechbar, aber: käuflich, merklich); es fehlt bei Verbstämmen auf -l


(feststellbar).
4.2) Das Nebeneinander von -bar und -sam ist z.T. durch unsystematische
semantische Differenzierungen gekennzeichnet, vgl. lenkbar – lenksam (nur
übertragen), furchtbar – furchtsam, regbar – regsam u.a.
Passivische -bar-Derivate stehen aktivischen mit -sam gegenüber in
Paaren wie achtbar – achtsam, heilbar – heilsam, mitteilbar – mitteilsam.
4.3) Ähnlich passivische Wortbildungen mit -bar gegenüber aktivischen
mit -fähig (¢ 3.1.3[1.2]), diese vor allem mit Bezug auf Personenbezeichnun-
gen: gehbarer Weg – gehfähiger Patient, denkbar – denkfähig, lieferbar – lie-
ferfähig, tragbar – tragfähig.
Synonymische Konkurrenzen treten nur selten auf: steuerbares, -fähiges
Fahrzeug. Vielfach ist das Erstglied bei -fähig nicht der Infinitivstamm, son-
dern ein deverbales Substantiv: angriffs-, entwicklungs-, versandfähig – an-
greif-, entwickel-, versendbar.

3.3.2.2 Suffix -en/-ern/-n

1) Das Suffix -en, mhd. -ı̄n, und seine Varianten verbinden sich aus-
schließlich mit substantivischer Basis, und zwar vorwiegend mit Stoff- und
Pflanzenbezeichnungen. Die Umlautformen sind heute fast ganz veraltet:
gülden; isoliert ist hanebüchen, mhd. hagenbüechı̄n ,aus dem Holz der Ha-
gebuche‘, heute ,empörend, skandalös‘.
Wortbildungsbedeutung: ,material‘ (Stoffadjektiv): graniten, wollen, gol-
den, metallen, papieren, samten, seiden, eichen, tannen, buchen. Das Modell
ist schwach produktiv: eine plastene Murmelmulde (L. Scherzer); auch von
Substantiven auf -in wie in rubinene Glut (S. Hermlin). Komposita als Basis
sind selten; in schwarzholzene Lehnstühle (E. Strittmatter) liegt wohl ein Syn-
tagma zugrunde.
2) Bei Basisauslaut -er tritt nur -n an (kupfer n, leder n); nach eiser n (mhd.
ı̄serı̄n, zu ı̄ser als Nebenform von ı̄sen) die Suffixvariante -ern auch an Basen
ohne -er: blech ern, stähl ern, stein ern; in der Regel mit Umlaut (abgesehen
etwa von stroh ern neben ströh ern, auch flächs en/flächs ern, porzellan en/
porzellän ern; Paul 1920, § 66).
Die Formen mit -ern haben z. T. ältere mit -en verdrängt (noch bis ins 17.
Jh. hölzen, hülzen; ebd.); so konnte Homonymie zu Verbformen beseitigt
werden: stählen – stählern, tönen – tönern.
Die Basis ist ein substantivisches Kompositum in schmiedeeisern.
3) Dem Modell mit -en/-ern/-n ,aus dem betreffenden Stoff‘ steht ein
Modell mit -ig ,wie der betreffende Stoff‘ (,komparativ‘, dazu ¢ 3.1.6[3.2])
336 3 Wortbildung des Adjektivs

gegenüber: seidenes Kleid – seidiges Haar, silberner Löffel – silbriger Tau. Die
Funktion des -en-Derivats, das nicht von allen Stoffbezeichnungen ge-
bräuchlich ist, kann auch ein Substantiv als Erstglied eines Kompositums
übernehmen: *eisen – Eisblock ,Block aus Eis‘ – Eiseskälte, eisige Kälte ,Kälte
wie Eis‘. Auch wenn ein -en-Derivat existiert, wird bisweilen das Kompo-
situm vorgezogen: Goldschmuck, Papiertüte (vgl. detailliert hierzu Inghult
1997).
3.3.2.3 Suffix -er
Das Suffix -er bildet Adjektive von Kardinalzahlen: die zwanziger, dreißiger
Jahre; zur Doppelmotivation entsprechender Komposita (Zwanzigerjahre)
vgl. Scherer 2005, 72f.

3.3.2.4 Suffix -fach


Das Suffix -fach (mhd. vach ,Stück, Teil einer Mauer, Wand‘, übertragen auf
,Zeitspanne‘) bildet von Kardinalzahlen die adjektivischen Vervielfälti-
gungszahlen (vgl. Helbig/Buscha 2001, 300): zwei-, drei-, hundert-, tausend-
fach; entsprechend mannig-, mehr-, vielfach. Sie bezeichnen eine „nicht-
zeitliche Reihenfolge (= Nebeneinander)“ (ebd.).

3.3.2.5 Suffix -haft


Das Suffix -haft, mhd. -haft (noch ahd. mhd. haft ,gefesselt, gebunden‘:
Wilmanns 1899, 501) tritt hauptsächlich an substantivische, seltener an ad-
jektivische und verbale Basen.
1) Substantivische Basis
1.1) Simplizische und komplexe Basis: bild-, glück-, mann-, prunk-, zwei-
felhaft; streber-, bruchstück-, schulmeisterhaft.
Charakteristisch ist das Fugenelement -en-, vorwiegend bei Substantiven
mit dem Pluralsuffix -en: bären-, epigonen-, grillen-, phrasenhaft; doch auch
in anderen Fällen: zwergen-, maienhaft.
Basisauslaut -e wird getilgt (erd-, sündhaft) oder um das Fugenelement -n-
erweitert (laienhaft); Ausnahmen sind Fremdwörter wie genre-, routinehaft.
Andere Fugenelemente sind seltener: fakultativ -s- in frühling(s)-, jüng-
ling(s)haft; -er- in geister-, gespensterhaft.
1.2) Basis vorwiegend Personen- und Tierbezeichnungen; Wortbildungs-
bedeutung: ,komparativ‘ (greisenhaft, katzenhaft); ¢ 3.1.6(3.1); gelegentlich
auch deonymisch; ¢ 3.1.7(2.1).
1.3) Basis ausschließlich Nicht-Personenbezeichnungen; Wortbildungs-
bedeutung: ,ornativ‘; vgl. skrupelhaft ,mit Skrupeln behaftet‘, fieber-, krampf-,
scham-, schwung-, tugendhaft, auch schmackhaft (zu Geschmack).
3.3 Suffixderivation 337

Synonymisch dazu -voll und -reich: grauenhaft, -voll, prunkhaft, -voll, sieg-
haft, -reich. – Antonymisch -los, -leer, -frei.
Doppeldeutig nach 1.2) wie nach 1.3) sind z.B. flitter-, mythen-, zauber-
haft. Demotiviert sind erd-, fabel-, gewissen-, teilhaft; statthaft, mhd. statehaft
,mit Mitteln versehen‘ zu mhd. state ,gute Gelegenheit, Hilfe‘.
2) Verbale Basis ist seltener; Wortbildungsbedeutung ,aktivisch-modal‘,
vgl. flunker-, nasch-, schwatz-, wehr-, zaghaft. Passivisch aufzufassen ist
schreckhaft (oder zu intransitivem erschrecken). Demotiviert ist lebhaft; in
geringerem Maße lachhaft (nicht auf Personen bezogen: lachhafte Ausrede),
wohnhaft.
3) Adjektivische Basis ist noch seltener; vgl. bos-, krank-, wahrhaft; Wort-
bildungsbedeutung: ,zu der durch das Adjektiv bezeichneten Eigenschaft
geneigt‘. Historisch liegen Substantive zugrunde: mhd. mitteldt. bōs ,Bos-
heit‘, mhd. kranc ,Krankheit‘, mhd. wār ,Wahrheit‘ (vgl. Wilmanns 1899,
503). – Ernsthaft ist auf Substantiv wie Adjektiv als Basis beziehbar.
4) Wortbildungen wie leib-, teil-, wahrhaftig sind Relikte einer besonders
seit dem 14. Jh. zunehmenden Erweiterung von -haft durch -ig; vgl. sige-,
tiuvel-, tugendhaftic (Paul 1920, § 73; Kluge 1925, § 61). Einfaches -haft hat
sich heute wieder durchgesetzt, doch alle substantivischen Derivate haben
die Variante -igkeit (Tugendhaftigkeit).

3.3.2.6 Suffix -ig


Das Suffix -ig hat stark genutzte Modelle entwickelt und bildet mit substan-
tivischen, adjektivischen, verbalen und adverbialen Basen umfangreiche
Wortbildungsreihen aus; zur Geschichte vgl. Wilmanns (1899, 455ff.): ahd.
-ag, -ig, -ı̄g, mhd. -ec, -ic.
1) Substantivische Basis
1.1) Simplizische und kompositionelle Basis: berg-, freud-, kitsch-, staubig;
brandfleckig, glatzköpfig; kleinwagig(es Auto; Die Zeit 2005), langweilig, recht-
eckig.
Suffixderivate als Basis sind beschränkt, allenfalls begegnet -(er)ig (schläf-
rig, doch s. u. [2]); es fehlen Derivate von Substantiven auf -heit, -ling, -nis,
-schaft, -tum, -ung.
Stark genutzt wird das Modell mit substantivischem Syntagma (Adjektiv
+ Substantiv): achtsilbig, kurzbeinig; hartkernige Leserschar (Die Zeit 1988);
ferner reihenhaft voll- + Substantiv: vollbusig, -jährig, -saftig, -zählig, voll-
ständig ,vollen Bestand habend‘ (über voll- bei Substantiven ¢ 2.2.3.2[2]).
Derivate von präpositionalen Syntagmen sind ablandig, abseitig, ausmittig,
unterschwellig.
338 3 Wortbildung des Adjektivs

Basisauslaute -e und -en werden getilgt: Flocke > flockig, Striemen > strie-
mig. Bei Basisauslauten -el, -er wird -e z.T. bewahrt, z.T. getilgt: Hügel >
hügelig/hüglig, Wasser > wässerig/wässrig, Winkel > winkelig/winklig, Trauer
> traurig. Basisauslaut mit betontem Langvokal oder Diphthong ist selten:
böig, geleeig, schneeig, reuig.
Die Umlautverhältnisse sind sehr differenziert. Bei simplizischer Basis
meist kein Umlaut, bei komplexer Basis häufig (vgl. DWb 3, 56). Meist steht
Umlaut entsprechend dem Pluralumlaut der Basis: bärtig, körnig, mächtig;
leichtfüßig, vierhändig u. v.a.; doch vgl. andererseits duftig, buschig, glasig,
spaßig. Schwankungen bei einem Derivat sind relativ selten (ca. 15 % nach
DWb 3, 55): aderig/äderig, pausbackig, -bäckig. Semantisch differenziert:
zugig – zügig.
Die unterschiedlichen Formen erklären sich durch ältere Umlauthem-
mungen vor bestimmten Konsonantenverbindungen, z.T. auch durch das
Nebeneinander von -ag und -ig im Althochdeutschen sowie durch jüngere
Neubildungen. Über historische Verschiebungen im Umlaut vgl. Paul 1920,
§ 68.
1.2) Basis ist Nicht-Personenbezeichnung; Wortbildungsbedeutung: ,or-
nativ‘, vgl. narbige Haut, waldig, wolkig, kantig, rostig, bucklig; schokoladige
Creme (DWDS); dickwandig, zweireihig, stockfleckig. – Synonymisch konkur-
rieren Bildungen mit partizipialem Zweitglied: dunkellockig – dunkelgelockt.
Bei Abstraktum als Basis: auf Menschen bezogene Eigenschaften wie flei-
ßig, geizig, gierig, stumpfsinnig, trotzig.
1.3) Basis sind Personen- und Nicht-Personenbezeichnungen; Wortbil-
dungsbedeutung: ,komparativ‘, vgl. schuftig, fischig; ¢ 3.1.6(3.2).
1.4) Demotiviert sind Wortbildungen wie kernig, lumpig, pfundig, willig,
zeitig u. a.; unikale Morpheme als Basis haben drollig (niederdt. drol
,Knirps, Possenreißer‘), patzig (zu Batzen, eigentlich ,klumpig, dick‘), hurtig
(mhd. hurt ,Lanzenstoß‘), schwierig (mhd. swer ,leiblicher Schmerz, Ge-
schwür‘), sämig (mhd. seim ,Wabenhonig‘).
2) Verbale Basis; Wortbildungsbedeutung: ,aktivisch-modal‘, auf Perso-
nen beziehbar: findig, faselig, protzig, taumelig, zappelig, wendig (< sich wen-
den); ,passivisch-modal‘ dagegen kitzlig ,leicht empfindlich gegen Kitzeln‘.
Auf Sachen beziehbar: flackerig, holp(e)rig, rutschig, wacklig, ergiebig;
lärmig (A. Seghers); nur noch schwach motiviert ist schneidig ,forsch, drauf-
gängerisch‘ (nach GWDS).
Verbale Syntagmen als Basis: lang-, leicht-, zählebig, zielstrebig; dazu in
Konkurrenz Wortbildungen mit Partizip I: feinfühlig – feinfühlend.
Die Verbindung von -ig mit verbaler Basis ist offensichtlich rückläufig.
Bevorzugt sind Verbstämme auf -el und -er; auch als alternative Derivati-
3.3 Suffixderivation 339

onsstammform von Verben ohne -er im Infinitivstamm: klebr ig < kleben,


schläfrig, schlüpfrig. Außerdem ist eine Tendenz erkennbar, das Suffix nicht
mit dem Infinitiv-, sondern mit dem abgelauteten Präteritalstamm zu ver-
binden (erbötig, schnittig, strittig), der formal vielfach auf ein Verbalsubstan-
tiv, semantisch aber eher auf das Verb zu beziehen ist (vgl. Fleischer 1980,
51): bündig, flüssig, griffig, weitsichtig, wildwüchsig. In manchen Fällen tritt
der Ablautvokal der Basis im Paradigma des Verbs heute gar nicht mehr auf:
anrüchig (mhd. riechen – Plur. Prät. ruchen), abtrünnig (mhd. trinnen ,sich
absondern‘ – Plur. Prät. trunnen), freizügig (mhd. ziehen – zugen).
Synchron nicht mehr analysierbar sind u. a. abspenstig (mhd. spanen
,locken‘, spenstec ,verlockend‘), schleunig (mhd. sliunen ,sich beeilen‘), fahr-
lässig (mhd. varn lān ,vernachlässigen‘), zuverlässig zu einem älteren Verb
zuverlassen.
3) Adjektivische Basis ist ganz vereinzelt und kein produktives Modell, vgl.
voll – völlig, kund (nur prädikativ) – kundig, nieder(er) – niedrig, untertan –
untertänig, lebend – lebendig. Als Simplex zu bestimmen ist emsig, ahd. emiz
,beständig‘.
4) Adverbiale Basen bilden mit -ig ein produktives Modell der Adjektivie-
rung von Adverbien, die ohne weitere semantische Veränderungen auf diese
Weise flektierbar und adjektivisch-attributiv verwendungsfähig gemacht
werden: alleinig, baldig, dortig, einstig, nachherig, sofortig, sonstig, vorig,
wohlig (aber: *oftig). – Basen mit adverbialisierendem -s geben dies in Ver-
bindung mit -ig auf: abseits – abseitig, rückwärts – rückwärtig, damalig, je-
weilig. Weitere Basisveränderungen zeigen u.a. oben – obig, gestern – gestrig,
über – übrig, hier – hiesig.

3.3.2.7 Suffix -isch


Das Suffix -isch, ahd. -isc, dient in noch ausgeprägterer Weise als -ig der
desubstantivischen Adjektivbildung.
1) Substantivische Basis
1.1) Vorwiegend heimische Personen- und Tierbezeichnungen, simplizi-
sche und komplexe Basis: heldisch, schurkisch, hündisch, tierisch, höfisch;
abendländisch, sports-, weltmännisch, bundesgenössisch.
Im Unterschied zu -ig sind hier Suffixderivate auf -er und -ist (über
Fremdwörter s. u. 2) charakteristisch: grüblerisch, kriecherisch, mörderisch,
träumerisch, versöhnlerisch (anders: versöhnlich), schlafwandlerisch. Die Basis
mit -er ist nicht immer auf eine Personenbezeichnung als -er-Derivat zu
beziehen, sondern bisweilen auf ein Verbalabstraktum oder ein Verb (vgl.
Spycher 1955, 83): sprachpflegerisch < Sprachpflege, gestalterisch < Gestaltung,
340 3 Wortbildung des Adjektivs

feldforscherisch < Feldforschung, wortbildnerisch < Wortbildung, selbstzerstö-


rerisch < Selbstzerstörung. Derivate auf -ung werden damit adjektivierungs-
fähig gemacht; vgl. auch läuferisch < laufen, erfinderisch < erfinden.
Umlaut tritt bei den desubstantivischen Derivaten nur in bestimmten
Fällen – und nicht bei Fremdwörtern – ein (vgl. DWb 3, 57 f.):
– bei Personenbezeichnungen (altväterisch, närrisch, pfäffisch, sauer-
töpfisch);
– bei Tierbezeichnungen (äffisch, wölfisch), also anders als -ig;
– bei Personengruppenbezeichnungen mit Pluralumlaut (bündisch, stän-
disch, städtisch);
– bei Länder-, Landschaftsnamen mit umgelauteter Bewohnerbezeichnung
(europäisch, pfälzisch) sowie wenigen weiteren (fränkisch, sächsisch, schwä-
bisch);
– bei einzelnen Abstrakta (abergläubisch, aufständisch).
Sonstige Basisvariationen wie bei -ig (Schule > schulisch, Tropen > tropisch);
dazu noch: Tölpel > tölpisch; über Fremdwörter s. u. 2).
1.2) Als Wortbildungsbedeutung überwiegt ,komparativ‘, z.T. mit pejo-
rativer Konnotation (sklavisch; ¢ 3.1.6[3.3]).
1.3) Bei Nicht-Personenbezeichnungen als Basis z.T. auch Wortbildungs-
bedeutung ,ornativ‘: argwöhnisch, höhnisch, neidisch, tückisch. Die Basis be-
zeichnet in der Regel negativ bewertete Begriffe.
1.4) Adjektive mit der Wortbildungsbedeutung ,relational‘ sind rassisch
(neben positiv wertendem rassig), seelisch, die Zwänge der zünftischen Ord-
nung (anders: zünftig). Positiv wertend sind himmlisch, paradiesisch.
Auch von den zahlreichen Derivaten auf -erisch (s.o.) sind nicht alle
pejorativ, vgl. dichterisch, darstellerisch u.a.
1.5) Demotiviert sind heute läppisch (zu Lapp[e] als Schelte des Haltlo-
sen), schnippisch (ostmd. aufschnüppen ,die Luft heftig durch die Nase zie-
hen‘), störrisch (zu Storren ,Baumstumpf‘, auch störrig); zu einst isoliertem
hämisch (mhd. hem ,zu Schaden beflissen‘, ahd. hamo ,Hülle‘) heute die
Rückbildung Häme (¢ 1.8.1.6).
2) Substantivische Basis: Fremdwörter
Während die Substantive eine große Zahl von exogenen Suffixen verwenden
(¢ 2.3.3), ist dies bei den Adjektiven nur begrenzt der Fall. Hier ist vorwie-
gend das heimische Suffix -isch auf die Integration substantivischer Fremd-
wörter in das morphologische System des Deutschen (mit Flexionserleich-
terung bei attributivem Gebrauch, ¢ 1.9.3.2) spezialisiert (vgl. Wilmanns
1899, 475; Paul 1920, § 67). In diesen Fällen herrscht nur eine geringe Ten-
denz zur Lexikalisierung. Als Basis treten vielfach nicht wortartgeprägte
Substantive, sondern Konfixe auf: elektr isch, therm isch (¢ 1.9.2.2).
3.3 Suffixderivation 341

Bei einem großen Teil der infrage kommenden Fremdwörter handelt es


sich wiederum um Personenbezeichnungen: dämonisch, diktatorisch, no-
madisch, plebejisch, titanisch, tyrannisch. – Manche Derivate, besonders auf
-istisch, sind auch auf ein Abstraktum auf -ismus beziehbar: atheistisch, for-
malistisch, realistisch. Bei anderen steht neben der Personenbezeichnung auf
-ist das Abstraktum auf -ie oder in anderer Form, vgl. monarchistisch, anar-
chistisch, stilistisch (eher zu Stil), novellistisch (zu Novelle).
Eine Derivationsstammform auf -ist- kann auch auftreten, wo keine Per-
sonenbezeichnung auf -ist existiert: atomist isch, inflationist isch, charakte-
rist isch. Bildungen mit -ist- (zu beziehen auf substantivische -ismus-Deri-
vate) sind semantisch differenziert von solchen ohne -ist: futuristisch – fu-
turisch, mechanistisch – mechanisch, symbolistisch – symbolisch.
Ist die Basis keine Personenbezeichnung, ergeben sich fast ausschließlich
Adjektive mit der Wortbildungsbedeutung ,relational‘, vgl. biologisch, phra-
seologisch, klinisch, mathematisch, produktionstechnisch. Hier erscheint
mehrfach eine Derivationsstammform auf -ar- (vgl. Solidar ität – soli-
dar isch): dokumentar isch, disziplinar isch, konsular isch, protokollar isch, ta-
bellar isch.
3) Substantivische Basis: Eigennamen
Zu deonymischer Derivation ¢ 3.1.7.2(1).
4) Verbale Basis
Unmittelbar vom Infinitivstamm abgeleitete Derivate – meist negativ wer-
tend – bleiben vereinzelt, vgl. mürrisch, neckisch, täppisch, misstrauisch. –
Stärker besetzt sind die Derivate mit der Derivationsstammform auf -er-
(s.o.), z.T. ohne dass ein -er-Substantiv als Basis infrage kommt: regner isch,
trüger isch; dephrasemisch: haushälterisch, dicke-, groß-, wichtigtuerisch.
5) Als adjektivische Basis sind (abgesehen von link – linkisch) Fremdwör-
ter anzusehen, neben denen -isch-Derivate existieren: antik > antik isch,
autark isch, hybrid isch, perfektiv isch. In älterer Zeit waren die -isch-Derivate
offenbar weiter verbreitet (kollegial – kollegialisch noch „gleich üblich“ nach
Paul 1920, § 67). – Etwas anders zu bewerten sind Paare wie extrem – extre-
mistisch, fatal – fatalistisch, feudalistisch, nationalistisch. Wie unter 2) sind
die Derivate mit -ist- an ein Substantiv auf -ismus anzuschließen und haben
nicht selten eine pejorative Abschattung (formalistisch, objektivistisch); diese
gilt nicht für realistisch, rationalistisch.
6) Adverbiale Basis liegt wohl vor in: hinterrückische Dame (H. Baierl), zu
hinterrücks.
342 3 Wortbildung des Adjektivs

3.3.2.8 Suffix -lich


Das Suffix -lich (mhd. -lı̄ch zum Substantiv lı̄ch ,Leib, Körper‘, nhd. Leiche)
gehört mit -ig und -isch zu den wichtigsten Suffixen für die desubstantivi-
sche Adjektivderivation, ist aber darüber hinaus in starkem Maße auch mit
Verben und Adjektiven verbindbar.
1) Substantivische Basis
1.1) Simplizische oder komplexe Basis: ärzt-, täg-, weib-, zeitlich; arbeits-
gericht-, buchstäblich, hochsommer-, jungfräulich, jetztzeitlich, erzbischöf-, ur-
zeitlich.
Die Fähigkeit zur Verbindung mit Suffixderivaten ist ausgeprägter als bei
-ig und -isch (dort vorwiegend -erisch): schiedsrichter-, irrtüm-, freiheit-,
wissenschaftlich; blockiert bleiben allerdings auch hier Verbindungen mit
-ling und -ung (expressive Sonderfälle ausgenommen wie: im frühlinglichen
Rasen, R. M. Rilke).
Syntagmen als Basis erscheinen als substantivische Attribut- oder Prä-
postionalgruppen: altsprach-, gutnachbarlich; allabend-, allmonatlich; außer-
ehelich, innerbetrieblich (¢ 3.2.2.1[8]), zwischenbetrieblich, nachkaiserliche Re-
gierung, widergesetzlich (vgl. gesetzwidrig; ¢ 3.1.3[1]).
Umlaut tritt meist ein bei umgelauteter Pluralform der Basis (vgl. DWb 3,
53 f.): anlässlich, bräutlich, häuslich. Im Gegensatz zur Pluralform steht der
Umlaut in bäuer-, buchstäb-, natürlich.
Semantisch differenziert sind sachlich – sächlich, vertraglich – verträglich <
sich vertragen).
Weitere Basisvariationen meist ähnlich wie bei -ig, -isch: Friede > fried lich;
Abfall von -en (Süden > süd lich) oder Einschub eines Gleitkonsonanten -t-,
-d- (wesent lich, morgend lich); Anfügung von -nt auch an Basen auf -e (wö-
chent lich, nament lich), -ent- statt des zu erwartenden -el- in freventlich <
Frevel; von Substantiven auf -el sonst keine -lich-Derivate (Spycher 1955,
416); Abfall von -ung (Weltanschauung > weltanschaulich). – Zu -erlich s. u.
1.2) Vorwiegend Adjektive mit der Wortbildungsbedeutung ,relational‘ in
Ergänzung zu den -isch-Modellen, wo die Basis meist ein Fremdwort ist
(¢ 3.3.2.7[2]): amtsärztlich, begrifflich, abendlich, elterlich, herbstlich, verfas-
sungsrechtlich. Von den etwa 1300 bei Mater (1970) verzeichneten Adjekti-
ven auf -lich sind mehr als ein Drittel „Bezugsadjektive“ (Schäublin 1972,
88).
1.3) Die Wortbildungsbedeutung ,komparativ‘ zeigt eine kleinere Gruppe
mit Personenbezeichnung als Basis: menschlich; ¢ 3.1.6(3.4).
1.4) Wortbildungsbedeutung ,ornativ‘ in Verbindung mit Abstrakta als
Basis: widersprüchliche Darlegungen, gegensätzliche Auffassungen, leiden-
schaftliche Liebe, schmerzliche Erfahrungen.
3.3 Suffixderivation 343

1.5) Mehr oder weniger demotiviert sind Wortbildungen mit Sachbe-


zeichnungen als Basis wie gründ-, häus-, hand-, leib-, münd-, sachlich; neben
brieflich ,in Form eines Briefes‘ lassen sich noch stellen ding-, stoff-, schriftlich.
Als unikale Morpheme zu bestimmen sind die Erstglieder in dämlich (zu
niederdt. dämelen ,nicht recht bei Sinnen sein‘), niedlich (ahd. niotsam zu
niot ,Verlangen, Begierde‘), stattlich (mittelniederdt. statelik ,ansehnlich‘ zu
Staat ,Aufwand‘).
1.6) Die distributionelle und semantische Überschneidung der Modelle
mit -lich, -ig und (in geringerem Maße) -isch führt nur in wenigen Fällen zu
synonymischen Doppelungen bei gleicher Basis, etwa schaurig – schauerlich,
zugängig – zugänglich (nach GWDS).
Bei sonstigen Verbindungen von -ig und -lich mit gleicher Basis hat viel-
fach Demotivation zur semantischen Differenzierung geführt: geistig – geist-
lich, geschäftig – geschäftlich, leidig – leidlich, tätig – tätlich, heimisch – heim-
lich – heimelig, gläubig – glaublich – (aber)gläubisch. Der Unterschied
zwischen dem ornativen -ig-Modell und dem relationalen -lich-Modell ist
deutlich in farbig ,mit Farbe versehen‘ – farblich ,in Bezug auf die Farbe‘.
In Verbindung mit Zeitraumbezeichnungen als Basis hat sich eine se-
mantische Oppostition zwischen -ig- und -lich-Modell herausgebildet: -ig
bezeichnet die Dauer oder das Alter (zweistündige Sitzung, elfjähriger Schü-
ler), -lich den gleichmäßigen zeitlichen Rhythmus sich wiederholender Pro-
zesse (zweistündliche Kontrolle ,alle zwei Stunden‘); ebenso -tägig – -täglich,
-monatig – -monatlich u.Ä.
In anderen Fällen sind gleichbedeutende -ig-, -isch- und -lich-Modelle –
jeweils mit anderer Basis – komplementär verteilt, vgl. ,relational‘: erziehe-
risch – richterlich, schulisch – unterrichtlich; ,ornativ‘: stockfleckig – wider-
sprüchlich; vgl. die differenzierte Beschreibung der Beziehungen zwischen
-ig-, -isch- und -lich-Adjektiven bei Eichinger 2000, 88 ff.
2) Verbale Basis
Die verbale Basis ist in der Regel der Infinitivstamm, in einigen relikthaften
Typen auch der Infinitiv (s. u.).
2.1) Das -lich-Modell mit Infinitivstamm wird durch das -bar-Modell
heute eingeschränkt, doch sind noch zahlreiche -lich-Derivate gespeichert
(zum Verhältnis ¢ 3.3.2.1[4.1]). Die Wortbildungsbedeutung entspricht bei
transitiven Verben dem -bar-Modell. In einigen Fällen wird nicht die Mög-
lichkeit, sondern das tatsächliche Eintreten oder die Notwendigkeit ausge-
drückt: beachtliche Erfolge (,sollen, müssen beachtet werden‘), bedrohliche,
hinderliche Konzentrationen (,bedrohen, hindern‘), befremdliche Äußerun-
gen, erforderliche Mengen, verwerfliche Pläne. – Intransitive Verben sind nur
aktivisch zu verstehen: abkömmliche Mitarbeiter, verderbliche Speisen.
344 3 Wortbildung des Adjektivs

Synonymisch konkurrieren Formen des Partizips I: maßgeblich – maß-


gebend, nachdenklich – nachdenkend. Das Partizip I bezieht sich eher auf
einen aktuellen Vorgang, das -lich-Derivat auf eine menschliche Eigenschaft;
so auch tendenziell in zögerlich – zögernd.
Stärker demotiviert sind u.a. angeblich, erheblich, ersprießlich, möglich,
redlich, trefflich, üblich, ziemlich.
2.2) Unmittelbar auf den Infinitivstamm zu beziehen sind auch die Deri-
vate auf -erlich (vgl. -erig, -erisch) wie lächerlich, leserlich, weinerlich, fürch-
terlich. Hier liegt wohl doch Einfluss der verbalen „Desiderativa“ (vgl. Kluge
1925, § 6) vor (mich schläfert), sodass es sich um „Neigungsadjektive“ han-
delt.
2.3) Doppelte Beziehung – auf substantivische wie verbale Basis – erlau-
ben u.a. leidlich, löblich, sträflich. Manche Bildungen mit einem Verbalsub-
stantiv als Basis sind z.T. besser auf das Verb zu beziehen: verständlich zu
verstehen, nicht Verstand, ferner rückbezüglich, ab-, an-, zuzüglich, unver-
brüchlich, zugänglich, vergänglich (ohne Verbalsubstantiv).
Als Konfix ist die Basis anzusehen in despektierlich, kontinuierlich, reputier-
lich.
Demotiviert sind Bildungen wie possierlich (zu älterem possieren, einem
Derivat von Posse), scheußlich (mhd. schiuzen ,Abscheu empfinden‘).
2.4) Infinite Verbformen als Basis sind heute inaktiv (im Ahd. stark ver-
treten: Wilmanns 1899, 482ff.), in der Regel mit -t- als Gleitkonsonanten:
flehentlich, hoffentlich, wissentlich, beziehentlich, versehentlich; geflissentlich,
gelegentlich. Ohne -t- nur tu(n)-, zutu(n)lich; vgl. ferner erkenntlich (mhd.
erkennen ,dankbar anerkennen‘), vermeintlich. Über -nt- bei substantivi-
scher Basis vgl. oben 1.1).
3) Adjektivische Basis
3.1) Wortbildungsbedeutung: ,graduierend‘; Abschwächung bzw. „Annä-
herung“ (so Wilmanns 1899, 482; -loht > -licht > -licht, gelblicht u.a. noch
bei Schiller; Paul 1920, § 75), vgl. dümmlich; weitere Beispiele ¢ 3.1.5(3.1).
3.2) Wortbildungsbedeutung: ,Neigung zu der durch das Adjektiv be-
zeichneten Eigenschaft‘ in Verbindung mit Personenbezeichnungen: klein-
lich, reinlich, weichlich, zärtlich, wohl auch kränklich.
3.3) Die alte Kennzeichnung von Averbien durch -lich(en) ist heute noch
in lexikalischen Resten bewahrt (vgl. Fleischer 1983b, 58; ¢ 4.3.1.1): bitterlich,
frei-, gänz-, kürz-, schwer-, sicherlich. Sie sind mehr oder weniger demotiviert
und entsprechend ihrer Genese meist von attributivem Gebrauch ausge-
schlossen, wenngleich eine gewisse Tendenz auch dazu zu erkennen ist: eine
Darstellung des kürzlichen Zwischenfalls; ein gänzlicher Mangel an Bereitschaft
(GWDS). Synonymisch berühren sich Basis und Derivat z. B. in fröh-, gröb-,
3.3 Suffixderivation 345

kärg-, reichlich, säuberlich; einige der -lich-Derivate werden im adverbialen


Gebrauch vorgezogen oder sind auf ihn beschränkt.
Die Adverbialbildung auf -lich war besonders ausgeprägt bei den Adjek-
tiven auf -ig; Reste sind noch elendiglich, gnädiglich, lediglich, wonniglich,
inniglich.
Ein formaler Sonderfall ist neuerlich ,wiederholt‘ neben neulich ,vor kur-
zem‘ (nur adverbial).
4) Adverbiale Basis bleibt vereinzelt (Adjektivierung von Adverbien gene-
rell durch -ig): sämtlich (ahd. samant ,zusammen‘, spätmhd. samentlich),
sonderlich, widerlich.
5) Umgekehrt wird die Ordinalzahl adverbialisiert durch -lich in erstlich
,erstens‘ (nach GWDS veraltend).

3.3.2.9 Suffix -los


Die Form los erscheint im freien Gebrauch als neutrales Substantiv Los, als
Adjektiv los (wovon lose zu trennen ist) ,gelöst, abgetrennt‘ (auf nichtattri-
butiven Gebrauch beschränkt und zur Univerbierung mit dem jeweiligen
Verb tendierend: etw. loswerden ,von etw. befreit werden‘, ,etw. verkaufen‘),
als Adverb los ,ab, weg‘, gebunden als adverbiale Verbpartikel los- beim Verb
(¢ 5.3.2.2[2.2]) und als Adjektivsuffix -los. Die Qualifizierung als Suffix ergibt
sich aus der distributionellen und semantischen Differenzierung von der als
Adverb und Adjektiv zunehmend eingeschränkten bzw. auf das formdiffe-
renzierte lose ausweichenden frei gebrauchten Form; -los zeigt eine starke
privative Verallgemeinerung, die die semantischen Beziehungen zwischen
den beiden unmittelbaren Konstituenten bestimmt, und ist stark reihenbil-
dend. Desubstantivische Derivate mit -los sind alt (vgl. Wilmanns 1899, 525,
557); die Statusprofilierung als Suffix ist erst allmählich erfolgt.
1) Fast ausschließlich substantivische Basis (vereinzelte Ausnahmen s.u.);
simplizisch oder komplex: ast-, neid-, mühe-, schamlos; grundsatz-, vater-
landslos; ahnungs-, hoffnungs-, fahrerlos; unkraut-, ergebnislos.
Die Distribution ist kaum beschränkt durch die morphologische Struktur
der Basis; außer den genannten Suffixderivaten auf -er, -nis, -ung begegnen
weitere: -el (ärmellos), -ion (konzeptionslos), -enz (konkurrenzlos) u. a.
Fremdsuffixe.
Fugenelemente treten ähnlich wie bei -haft auf und entsprechen dem
Verfahren bei der substantivischen Komposition (¢ 2.2.12). Basisauslaut -e
wird entweder getilgt (end-, lieb-, sprachlos), bleibt bisweilen erhalten (ehe-,
interesse-, würdelos) oder wird auf -en erweitert (fugen-, herren-, staatenlos).
Sonderfälle sind ausnahms-, teilnahmslos.
346 3 Wortbildung des Adjektivs

2) Wortbildungsbedeutung ausschließlich ,privativ‘: freund-, führer-,


schaffnerlos; bart-, fleisch-, motorlos; freud-, gedanken-, heimat-, vorurteilslos;
semantische Äquivalente sind Syntagmen mit ohne: fraglos – ohne Frage. Da
das ,Nichtvorhandensein‘ als Mangel (charakter-, mut-, treulos) oder als
Vorzug (fehler-, furcht-, tadellos) gewertet werden kann, ist eine Tendenz der
Entwicklung zum wertenden Adjektiv zu beobachten; dies ist dann kom-
parierbar mit weiteren syntaktischen und semantischen Konsequenzen: ein-
fallslos, sorglos, skrupellos (vgl. Iluk 1987).
Über synonymische Beziehungen zu -frei und -leer ¢3.1.3(2), zu un-
¢ 3.4.2.3 (auch Fandrych 1993, 121ff.), über antonymische zu -haft, -voll, -ig
¢ 3.1.3(1); Lenz 1995, 137ff. Dazu tritt antonymisch die departizipiale Kon-
version: fassungslos – gefasst. Die differenziert entwickelten Ausdrucksmög-
lichkeiten der Negation zeigen konkurrierende Bildungen wie salzlos, salzfrei,
ungesalzen, entsalzt (vgl. Lenz 1995, 138).
3) Nichtsubstantivische Basis haben nur bewusstlos (vielleicht aus *be-
wusstseinslos), reglos (woneben noch regungslos, aus dem durch Kürzung die
Parallelform entstand) und schließlich selbstlos. – Auf eine verbale Basis
könnten auch bezogen werden leb-, neid-, schlaf-, straflos u.a. Hier liegen
eventuell Ausbaumöglichkeiten, ausgelöst von solchen Doppelmotivatio-
nen. Lenz verweist allerdings auf die Blockierung der Basiswortarten Verb
und Adjektiv. Sie hält deverbale und deadjektivische Ad-hoc-Derivate mit
-los für „völlig unmöglich“ (*schreib-, *beweg-, *sicher-, *glattlos; Lenz 1995,
142).
4) Demotiviert sind nur wenige Derivate (harm-, heillos).

3.3.2.10 Suffix -mäßig


Das bereits von Hirt (1921, 117) in typologischen Zusammenhang mit -bar
gestellte und als Suffix qualifizierte Suffix -mäßig, ahd. -māzi ,die Dimension
habend von‘ neben māzig, hat sich seit mhd. Zeit zunehmend entfaltet und
als Suffix (nach 1650: Inghult 1975, 131) profiliert (ausführlich Inghult
1975). Auf die starke Verbreitung in der Rechts- und Kanzleisprache sowie
in den Verdeutschungswörterbüchern seit dem 14. Jh. verweist Seibicke
(1963, 36 ff.). Das Modell ist hochproduktiv. Es bedeutet – unter lexikalisch-
nominativem Gesichtspunkt – eine Bereicherung, indem es die Struktur-
beschränkungen anderer Adjektivsuffixe (-ig, -isch) nicht kennt und die
Möglichkeiten zur Bildung von relationalen Adjektiven komplementär zu
-lich und -isch erweitert. Außerdem ist das Modell von erheblicher syntak-
tischer Bedeutung, indem es Komprimierungen mit einem „Höchstmaß an
syntaktischer Verfügbarkeit“ (Seibicke 1963, 74f.) erlaubt. In dieser Hin-
3.3 Suffixderivation 347

sicht steht es mit seiner relativen Fixierung auf den substantivisch gefassten
Begriff in einem komplementären Verhältnis zu -bar mit seiner Fixierung
auf verbal gefasste Begriffe.
1) Substantivische Basis dominiert (kriegs-, etat-, turnus-, behelfs-, gesetz-
mäßig); dabei – wie bei -los – keine Strukturbeschränkung der Basis, sondern
Kombinationsfähigkeit mit den verschiedensten Suffixderivaten: schüler-,
frühlings-, verfassungs-, verhältnis-, gewohnheits-, bergwerksordnungs-
(1795), kaufmannsmäßig.
Basisauslaut -e wird in der Regel zu -en erweitert: akten-, bühnen-, klassen-,
mengenmäßig; nur vereinzelt parade-, routinemäßig. – Im Übrigen ent-
spricht der Gebrauch der Fugenelemente dem bei -haft und -los.
Präpositionale Syntagmen als Basis: übersatzmäßige sprachliche Einheit
(D. Viehweger).
2) Nach der Wortbildungsbedeutung sind auf der Grundlage einer allge-
meinen Beziehung zu der durch das Basissubstantiv bezeichneten Größe
mehrere Submodelle zu unterscheiden. Inghult (1975, 35 ff.) kommt zu
einer weitgehenden Differenzierung von sieben Bedeutungsgruppen, die
sich u. E. im Wesentlichen zu drei Gruppen zusammenfassen lassen (dazu
auch Seibicke 1963).
2.1) ,komparativ‘, vorwiegend bei Personen- und Tierbezeichnungen als
Basis, vgl. derwisch-, jünglings-, schiffsmannmäßig (Th. Mann); ¢ 3.1.6 (3.5).
2.2) ,Obligatorische Entsprechung, wie es … verlangt‘; vgl. fahrplan-, ka-
lender-, luftschutz-, vorschrifts-, partei-, rechtmäßig. Hier stehen nebeneinan-
der Bildungen mit -gemäß, -gerecht und -mäßig: plangemäß, -gerecht, -mäßig,
bühnengemäß, -gerecht, -mäßig. Das gilt jedoch nicht für alle Wortbildungs-
reihen von -mäßig; differenziert sind befehlsmäßiger Ton ,in der Art eines
Befehls‘ – befehlsgemäß handeln ,wie es der Befehl verlangt‘.
2.3) ,Einschränkung‘, ,limitativ‘, ,in Bezug auf, was … betrifft‘, vgl. alters-
mäßige Entwicklung, gefühlsmäßig zustimmen, überlieferungsmäßige Schwie-
rigkeiten, wettbewerbsmäßige Benachteiligung, wohnraummäßige Ausdeh-
nung u.v.a.
3) Nichtsubstantivische Basis bleibt selten: denkmäßig, liefermäßig ,was
das Denken, Liefern betrifft‘, schreib-, sitzmäßig. Das Modell ist weniger
produktiv und hat salopp-umgangssprachlichen Charakter (vgl. Seibicke
1963, 41). Im GWDS ist nur das doppelmotivierte (deverbal oder desubstan-
tivisch) lehrmäßig verzeichnet.
348 3 Wortbildung des Adjektivs

3.3.2.11 Suffix -sam


Das Suffix -sam, ahd. sama, samo, mhd. sam ,ebenso‘ (nhd. gleichsam) (vgl.
Wilmanns 1899, 493; Paul 1920, § 74) ist heute nur noch von begrenzter
Bedeutung.
1) Schwach produktiv ist wohl noch das Modell mit verbaler Basis. Es
überwiegen simplizische Verbstämme (bieg-, folg-, strebsam; auch Reflexiva
begegnen (sich regen > regsam). Präfix- und Partikelverben sind seltener
(beharr-, geruh-, einprägsam).
2) Die Wortbildungsbedeutung ist in mehrere Wortbildungsreihen diffe-
renziert.
2.1) ,passivisch-modal‘ bei transitiven Verben als Basis: biegsam ,was leicht
gebogen werden kann‘, ferner bild-, einprägsam; nur mit Präfix un- ge-
bräuchlich: unaufhaltsam, unbeugsam. Synonymisch konkurriert -bar; zum
Verhältnis beider ¢ 3.3.2.1(4.2).
2.2) ,aktivisch-modal‘, vgl. arbeit-, anschmieg-, empfind-, folg-, spar-,
wachsam; ferner: seine gleichmäßige lehrsame Stimme, „[…] tanzte schamlos
und rührsam“ (L. Feuchtwanger).
2.3) ,ornativ‘, vgl. bedeutsam ,voller Bedeutung‘, erholsam, wirksam.
3) ,ornativ‘ auch die auf eine substantivische Basis beziehbaren Bildungen:
betrieb-, ehr-, fried-, sitt-, tugend-, wundersam.
4) Die vereinzelten deadjektivischen Bildungen repräsentieren ein un-
produktives Modell: gemeinsam, sattsam, vgl. auch mit adverbialer Basis
genugsam, mit Numerale einsam. Synchron betrachtet ist auch langsam hier-
herzustellen, älter ,lange dauernd‘, die heutige Bedeutung nach mhd. lanc-
seime; ferner seltsam, mhd. seltsæne.

3.3.3 Exogene Suffixe

Exogene Suffixe verbinden sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nur


mit exogenen Basen (¢ 1.9.3.2.2).
1) -abel/-ibel (lat. -ā/-ibilis, franz. -able, -ible): Basis in der Regel ein Kon-
fix; vgl. diskut abel, dispon ibel, akzept abel. Entsprechend den lateinischen
Formen treten z.T. alternative Derivationskonfixformen auf: explod ieren –
explos ibel, praktiz ieren – praktik abel, komprimieren – kompress ibel, expan-
dieren – expans ibel.
Wortbildungsbedeutung: Entsprechend dem heimischen Modell mit -bar
(¢ 3.3.2.1) bei transitivem Basisverb vorwiegend ,passivisch-modal‘ (imitabel
3.3 Suffixderivation 349

,was imitiert werden kann‘, tolerabel); aber auch ,aktivisch-modal‘ (explosibel


,kann explodieren‘) oder auch ,faktisch eintretend‘ (blamabel, spendabel).
Vielfach steht -bar (mit Bewahrung von -ier-) neben -abel: reparabel –
reparierbar. Nur -bar in der Regel (Ausnahme: realisabel) bei Verben mit
-isieren und -ifizieren (autorisierbar, qualifizierbar); auch zu informieren, stu-
dieren gibt es keine -abel-Bildung.
Substantivische Basisbeziehung ist möglich in komfort abel, liegt auch
näher (als zu honorieren, profitieren) in honor abel, profit abel; Wortbil-
dungsbedeutung ,ornativ‘.
2) -al (lat. -ālis): Basis in der Regel ein Substantiv bzw. Konfix, vgl. form al,
fundament al, orchestr al, geni al, univers al, zentr al; zur Konkurrenz mit -ell
siehe unten 5).
Wortbildungsbedeutung:
2.1) ,komparativ‘: kolossal; ¢ 3.1.6(3.6).
2.2) ,relational‘, vgl. embryonal, national, horizontal; differenzierend zu
-ell: formal ,in Bezug auf die Form‘ – formell (steigerungsfähiges qualitatives
Adjektiv) ,die Form übermäßig betonend‘. Zu -alisch und -alistisch
¢3.3.2.7(5).
3) -ant, -ent (lat. -antis, -entis, Partizip I): Basis in der Regel ein Konfix:
brill ant, toler ant, mok ant (dazu die Verben brillieren, tolerieren, sich mo-
kieren). Wortbildungsbedeutung: ,faktisch eintretend‘ oder ,Neigung‘, stets
aktivisch. Synonymisch konkurriert z.T. das Partizip I (brillierend, tolerie-
rend).
An substantivische Basis sind anzuschließen: interessant, charmant mit
der Wortbildungsbedeutung: ,ornativ‘. Ebenso ist -ent auf Substantive mit
-enz beziehbar: impertinent – Impertinenz, intelligent, konsequent.
4) -ar, -är (lat. -aris, franz. -aire): Basis in der Regel ein Substantiv, vgl.
atom ar, illusion är, station är. Mit spezifischer Derivationsstammform mo-
lekul ar, insul ar, regul är, line ar. – Wortbildungsbedeutung: ,relational‘, vgl.
muskulär ,Muskel betreffend‘ – muskulös ,reich an Muskeln‘ (,ornativ‘).
Manche Bildungen verfügen über beide Wortbildungsbedeutungen, vgl.
polar ,auf Pol bezogen‘ und ,Pole besitzend‘, regulär ,Regeln folgend‘. – In
identischer Form auch als Substantiv (¢ 2.3.3.2[4]): revolutionär, reaktionär.
5) -ell (franz. -el, lat. -ālis): Basis in der Regel ein Substantiv. Derivations-
stammform mit Tilgung von -e bei Basis auf -ie: bakteri ell, industri ell, ma-
teri ell, zeremoni ell; ritu ell (Ritus), usu ell (Usus). Danach analog -iell und
-uell: adverbiell, prinzipiell, provinziell; aktuell, intellektuell. Wortbildungs-
bedeutung: ,relational‘, z.T.,ornativ‘ (z. B. sensationell). Verhältnis zu -al
z.T. synonymisch (formal, -ell, funktional, -ell, universal, -ell), z.T. seman-
350 3 Wortbildung des Adjektivs

tisch differenziert (nominal, -ell), z. T. fehlt das Gegenstück -al (konfessionell,


redaktionell). Im Kompositum erscheinen -al-Formen als gebundene Kom-
positionsstammformen der Adjektive auf -ell: Eventualfall, Experimentalphy-
sik, Konventionalstrafe, Kriminalpolizei. Etwas anders zu beurteilen ist das
Paar spezial – speziell (Spezialgebiet). Die Form auf -al kommt gelegentlich
auch frei vor, gilt jedoch in dieser Verwendung als veraltet (GWDS).
6) -esk (italien. -esco, franz. -esque): Basis in der Regel ein Substantiv, und
zwar vorwiegend Eigennamen (danteske Szenen, hoffmannesk-romantisch;
trappatoniesk dozieren [spiegel.de 2006]), z. T. auch appellativische Perso-
nenbezeichnungen (clownesk, mannequinesk) und Bezeichnungen literari-
scher und musikalischer Formen (balladesk, das novelleske Genre, romanesk);
nur vereinzelt auch sonstige Substantive boulevardesk, karnevalesk (PDW
2005, 2006). Wortbildungsbedeutung: ,komparativ‘ (¢ 3.1.6[3.6]).
Das Modell wird bevorzugt in Feuilleton und Essay für eine „Gebildeten-
gruppe, die sich mit Kunst und Literatur beschäftigt“ (Wellmann 1975, 423).
7) -iv/-ativ (lat. -ı̄vus, franz. -if, -ive): Basis in der Regel ein Konfix (das
auch in Substantiven auf -ion vorkommt): Attraktion – attraktiv, spekulativ.
Wortbildungsbedeutung: ,ornativ‘, z. T. sich berührend mit ,komparativ‘,
vgl. aggressiv, affektiv, impulsiv, instinktiv, effektiv, informativ, vgl. auch ef-
fektvoll u.Ä.; ,relational‘: assoziativ, deskriptiv, quantitativ u.a.
8) -oid (griech.): Basis in der Regel ein Substantiv, in der Mehrzahl Per-
sonen- und Krankheitsbezeichnungen (vgl. DWb 3, 336f.). Wortbildungs-
bedeutung: ,Annäherung, Ähnlichkeit, Nicht-Gleichheit‘, vgl. faschistoid,
anarchistoide Straßenkämpfe, snoboides Verhalten; grippoid, typhoid.
9) -os, -ös (lat. -ōsus, franz. -ieux, -ieuse): Basis in der Regel Substantive in
spezifischen Derivationsstammformen: Volumen – voluminös, Schikane –
schikanös. Wortbildungsbedeutung: ,ornativ‘, vgl. nebulos/nebulös, religiös,
tuberkulös, porös, pompös; z.T. auch ,komparativ‘, vgl. mirakulös, monströs,
mysteriös; infektiös, luxuriös, tendenziös (lat. -iosus). – Synonymisch kon-
kurrieren -haft (graziös – grazienhaft), -ig (porös – porig), seltener -isch (me-
lodiös – melodisch).
Die Variante -os kommt nahezu ausschließlich in fachsprachlichen Ad-
jektiven vor (humos, lepros/leprös), vgl. Wellmann 1998, 548. In Derivaten
auf -ität finden sich meist Formen auf -os als Basis: Monstrosität, Religiosität
(doch Mysteriösität); gelegentlich sind Doppelformen wie Seriosität/Seriö-
sität geläufig,¢ 2.3.3.
3.4 Präfixderivation 351

Übersicht 29: Synonymie adjektivischer Derivations- und Kompositionsmodelle


Suffix synonym mit Beispiele
-bar -lich erklärbar, -lich
unwiderlegbar, -lich
-abel akzeptierbar, -abel
-haft -artig panikhaft, -artig
-ig bullenhaft, -ig
-mäßig schülerhaft, -mäßig
-voll grauenhaft, -voll
-esk clownhaft, -esk
-ial kollegenhaft, kollegial
-iös grazienhaft, graziös
be-…-t herzhaft, beherzt
-ig -lich schaurig, schauerlich
-artig breiig, -artig
-förmig glockig, glockenförmig
-voll anmutig, anmut(s)voll
-ös porig, -ös
ge-…-t blumig, geblumt
-isch -ös melodisch, melodiös
-los -frei fehlerlos, -frei, vorurteilslos, -frei
-leer wasserlos, -leer
-iv -mäßig quantitativ, quantitätsmäßig
-voll effektiv, -voll

3.4 Präfixderivation

3.4.1 Grundsätzliches
Die im Deutschen ohnehin kleine Zahl indigener nominaler Präfixe ist beim
Adjektiv noch geringer als beim Substantiv, da hier ge- und haupt- nicht an
produktiven Modellen beteiligt sind. Auch die Gradation (¢ 3.1.5) kennt nur
relativ wenige Präfixe. Wortbildungen mit über-, vor- werden wie beim Sub-
stantiv als Komposita behandelt (¢ 3.2.5).
352 3 Wortbildung des Adjektivs

3.4.2 Indigene Präfixe

3.4.2.1 Präfix erz-


Das Präfix hat die Wortbildungsbedeutung ,graduierend‘, und zwar ,Stei-
gerung‘: erzkonservativ, ¢ 3.1.4.1; ¢3.1.5(1.8).

3.4.2.2 Präfix miss-


Das Präfix miss- verbindet sich nicht mit adjektivischen Simplizia und ist
insgesamt selten, vgl. missliebig. In Formen mit partizipialem Zweitglied
(missgelaunt, -vergnügt) ist z.T. auch an Rückbildung aus präfigierten Sub-
stantiven (¢ 3.2.1[2]) zu denken: missgestimmt < Missstimmung. Zur Bedeu-
tung wie beim Substantiv ¢ 2.4.2.4.

3.4.2.3 Präfix un-


Beim Adjektiv wird un- stärker genutzt als beim Substantiv; von 800 Deri-
vaten mit un- verzeichnet Böhnke (1972, 188) 72 % Adjektive, davon 36 %
mit partizipialem Zweitglied. Ähnliche Daten liefert das Korpus von Lenz
(1995, 5): 1661 Adjektive einschließlich Partizipien mit un- und nur 618
Substantive.
Distributionell und semantisch ist das adjektivische un- nicht völlig iden-
tisch mit dem substantivischen; formal zu scheiden sind adjektivische und
partizipiale Basis.
1) Adjektivische Basis
Die Basis kann ein Simplex sein (unfrei, -klug, -schwer), ist aber in vielen
Fällen ein Derivat: unverständig, -vorsichtig, -zweckmäßig, -gefährlich. Zahl-
reiche Derivate sind nur in Verbindung mit un- üblich, wie z. B. unabänder-
lich, unauslöschlich, unaufhaltsam, unverkennbar; hier ist von Zirkumfigie-
rung auszugehen. Eine annähernd vollständige Übersicht über gegenwärtig
übliche un-Bildungen mit „nicht-existierendem Basiswort“ gibt Lenz 1995,
100 ff.
Ist die Basis ein Kompositum, wird -un- in die Kompositionsfuge gesetzt:
koch un fertig, verhandlungs un fähig, verkehrs un tauglich, lebens un wert,
arbeits un willig. Zwar existieren die Zweitglieder meist auch selbstständig
mit un- (unfähig, -tauglich usw.), sodass man die Bildung als Kompositum
aus Substantiv + un-Adjektiv qualifizieren könnte, aber die semantische
Beziehung ist in der Regel doch die der Negation des Kompositums als
Ganzen, was in Fällen wie entscheidungs un freudig besonders deutlich wird.
Die Stellung von un- vor dem Kompositum ist in der Regel blockiert (Aus-
nahmen: un selbstkritisch, un zurechnungsfähig) oder sie negiert nur das
3.4 Präfixderivation 353

Erstglied: unwahrheits fähig ,der Unwahrheit fähig‘. Das Negationselement


nicht- dagegen muss vor dem Kompositum stehen: nicht pausfähig (*paus-
nicht fähig), nichtarbeitsfähig – arbeitsunfähig. Beide Strukturtypen sind
schon alt (vgl. Grimm 1878, 989f.). Die Verbindung von nicht + Adjektiv
kann auch als Syntagma aufgefasst werden.
Tendenzen der Bildungsbeschränkung sind struktureller und semanti-
scher Art:
– keine un-Negation von Bindestrichkomposita (*un wissenschaftlich-tech-
nisch);
– keine Verbindung mit desubstantivischen Konversionen: *unfeind, *un-
gram, *unpleite, *unschade, *unschuld, *ununtertan (Lenz 1995, 28);
– auch mit weiteren nichtkomparierbaren Adjektiven keine un- Negation:
*untäglich, *ungolden;
– geringe Affinität der Verbindung mit relationalen Adjektiven: *unbetrieb-
lich, *unamtsärztlich; hier ist nur nicht- möglich. Wird un- mit einem
relationalen Adjektiv verbunden, wird dies in der Regel zum – steige-
rungsfähigen – qualitativen Adjektiv: nichtenglisch – unenglisch, nicht-
menschlich(e Lebewesen) – unmenschlich (vgl. Schäublin 1972, 105);
– geringe Affinität zur Verbindung mit dem „Minuspol“ bei Paaren wie
schön – hässlich, gut – schlecht, klug – dumm: unschön, ungut, unklug.
Der Schluss, dass un- prinzipiell einer Verbindung mit negativ wertenden
Adjektiven widerstrebe, ist zwar nicht zu ziehen, doch eine entsprechende
Tendenz ist unverkennbar. Die von Schnerrer (1978, 384) in diesem Zu-
sammenhang genannten Verbindungen von un- mit negativ wertenden
Adjektiven beschränken sich fast durchweg (Ausnahmen: unalt, -bitter,
-eitel, -naiv; vgl. auch unschwierig, A. Muschg) auf Derivate wie unanstö-
ßig usw.
2) Partizipiale Basis
Bei den Verbindungen von un- mit Partizip sind Abstufungen in der Di-
stanzierung vom Verbalbereich zu beobachten (ausführlicher dazu Schner-
rer 1978, 258 ff.; Lenz 1993). Bei Verwendung des Partizips II als Subjekts-
oder Objektsprädikativ mit bleiben, lassen, finden u.Ä. steht un- obligato-
risch für die Satznegation nicht und hat damit rein syntaktische Funktion:
Der Brief bleibt ungeöffnet. Er lässt/findet den Brief ungeöffnet. Fakultativ steht
un- neben nicht bei attributiver Verwendung des Partizips: Der nicht geöff-
nete/ungeöffnete Brief lag auf dem Tisch. Dagegen steht obligatorisch nicht,
wenn das Partizip Bestandteil des komplexen Prädikats ist: Er hat den Brief
nicht geöffnet. Der Brief wird nicht geöffnet.
Mit der wachsenden Distanzierung der durch un- präfigierten Partizipien
von den entsprechenden Verben verändern sich – auch bei gleichbleibenden
354 3 Wortbildung des Adjektivs

semantischen Merkmalen – die Valenzbindungen, und das Partizip erhält


stärker adjektivischen Charakter (¢ 3.6.2.2): unbedachte Worte, unangemeldete
Veranstaltung, unartikulierte Laute, völlig unhinterfragte Selbstgerechtigkeit
(U. Wetz).
Die letzte Stufe der Adjektivierung ist bei – teilweiser oder völliger –
Demotivation des Partizips erreicht: ungehobelter Mensch, unerhörtes Ereig-
nis.
3) Wortbildungsbedeutungen: un- negiert die Bedeutung von Basen. Es
bildet sowohl konträre (unweit, ungleichmäßig, unglücklich) als auch kom-
plementäre (unverheiratet) Gegensatzwörter. Welche Art von Gegensatz
ausgedrückt wird, hängt von der Basisbedeutung ab.
In Verbindung mit Adjektiven positiver Wertung kann sich durch die
Antonymisierung eine Pejorisierung ergeben (unanständig, -aufrichtig, -mo-
ralisch); das Umgekehrte ist der Fall in unaufdringlich, -snobistisch, -zwei-
deutig. Die wertenden Merkmale können schließlich in den Vordergrund
treten und die antonymische Beziehung überdecken: Ein unschönes Verhal-
ten entspricht nicht antonymisch einem schönen Verhalten; positiv wertend
dagegen unbefangen.
In Reihen wie klug – unklug – dumm, sauber – unsauber – schmutzig
schwächt das un-Adjektiv gegenüber dem negativen Antonym die Wertung
ab (vgl. ausführliche Tabelle bei Schnerrer 1978, 377).
,Verstärkung‘ bewirkt un- vor allem in einer substantivischen Wortbil-
dungsreihe (¢ 2.4.2.5). Beim Adjektiv ist in diesem Zusammenhang nur auf
die Gesamtbedeutung metaphorischer Wortbildungen als ,sehr‘ hinzuwei-
sen: unaussprechlich, unbeschreiblich, unvorstellbar (vgl. Schnerrer 1978,
416 f.).
4) Über die Konkurrenz der negierenden Wortbildungseinheiten a-, in-,
non-, de-, dis-, -los sowie -leer und -frei ¢ 3.4.3.1; ¢ 3.3.2.9; vgl. auch Lenz 1995,
126 ff.; Klosa 1996, 86 ff., 128ff.

3.4.2.4 Präfix ur-


Das Präfix ur- hat beim Adjektiv noch ausgeprägter als beim Substantiv
(¢ 2.4.2.6) die Wortbildungsreihe der ,Steigerung‘ entwickelt (urgemütlich);
dazu ¢ 3.1.5(1.8).
3.4 Präfixderivation 355

3.4.3 Exogene Präfixe


3.4.3.1 Negation
Die Negationsmöglichkeiten werden durch eine Reihe von exogenen Prä-
fixen bereichert, die sich jedoch ausschließlich mit exogenen Zweitgliedern
verbinden und zudem distributionell mehr oder weniger weit beschränkt
sind.
1) Das Präfix a- (an-, ar-) ist auf die Negation in Fachwortschätzen kon-
zentriert (agrammatisch, anorganisch, arrhythmisch), begegnet in bestimm-
ten Derivaten jedoch auch darüber hinaus (amusisch, analphabetisch, anor-
mal). Differenzierung von a- und un- zeigen: asozial ,gegen die Gesellschaft
gerichtet, sie schädigend‘ – unsozial ,nicht den Interessen breiter Bevölke-
rungskreise entsprechend‘ (asozialer Mensch – unsoziale Gesetzgebung); vgl.
ferner apolitisch – unpolitisch, amoralisch – unmoralisch.
2) Das Präfix in- (il-, im-, ir-) wird nur mit mehrsilbigen Fremdwörtern
verbunden (Schnerrer 1978, 292): inaktiv, -stabil, -tolerant, illegal, immate-
riell, irrational, irregulär. Es ist auch im Allgemeinwortschatz stark verbrei-
tet. Zur Konkurrenz von in- und un- ¢ 1.9.3.2.3(1).
3) Das Präfix non- (nach DWb 3, 187 erst seit dem 20. Jh. im Deutschen)
bildet mit adjektivischer Basis kaum ein produktives Modell. Nur wenige
Derivate sind belegt: non-direktiv, nonkonsistent, non-rassistisch, nonverbal
(Beispiele siehe Klosa 1996, 148); andere Bildungen sind wohl entlehnt:
nonchalant, nonkonform.
4) Das Präfix de- ist beim Adjektiv ebenfalls kaum vertreten; vgl. allenfalls
dezentral, devital.
5) Auch das Präfix dis- (di-, dif-) ist beim Adjektiv nur schwach entwickelt,
neben der Negation mit der Abschattung des Pejorativen vgl. disharmonisch,
-kontinuierlich, -proportional.

3.4.3.2 Sonstige exogene Präfixe


Die übrigen Fremdpräfixe unterscheiden sich semantisch nicht von ihrem
Vorkommen beim Substantiv (¢ 2.4.3.2).
1) Das Präfix anti- ,gerichtet gegen‘ ist auch beim Adjektiv recht häufig,
vgl. antiautoritär, -demokratisch, -feudal, -national, -parlamentarisch. Es ist
sehr geläufig in Verbindung mit Adjektiven von Länder- oder Völkernamen
wie antideutsch, -englisch, -amerikanisch (kaum dagegen in Verbindung mit
den Staatsnamen selbst). Wie Substantive mit anti- werden auch Adjektive
mit anti- in Pressetexten häufig regelabweichend mit Bindestrich geschrie-
ben: anti-amerikanisch, anti-demokratisch, anti-bürgerlich (so in PDW 2005).
356 3 Wortbildung des Adjektivs

2) Das Präfix ex- ,aus – heraus‘ ist beim Adjektiv selten: exhaustiv ,er-
schöpfend‘, exterritorial ,außerhalb des Territoriums‘, ,den Gesetzen des
Aufenthaltslandes nicht unterworfen‘, exotherm ,unter Freiwerden von
Wärme ablaufend‘. Nach Hoppe (1999, 92) tritt es möglicherweise zuneh-
mend auf, v.a. in Adjektiven für „ethnische Charakterisierungen“: exdeutsch,
-jugoslawisch, -sowjetisch, aber auch in weiteren Fällen wie exkommunistisch,
-konsularisch, -radikal.
3) Das Präfix ko- (kon-, kor-) findet sich in kongenial, -form, korrelativ.
4) Das Präfix para- (griech. ,neben‘) begegnet vorwiegend in Fachwort-
schätzen (paralingual ,sprachbegleitend‘, -normal ,nicht auf normale Weise
erklärbar‘, -psychisch ,übersinnlich‘), doch vgl. auch paramilitärisch ,halb-
militärisch‘.
5) Das Präfix post- (lat. ,nach‘) steht, vorwiegend in Fachwortschätzen,
antonymisch zu prä- (s.d.), aber nicht zwingend: postgradual ,nach dem
Erwerb eines akademischen Grades‘ (*prägradual), -natal ,nach der Ge-
burt‘, -glazial ,nach der Eiszeit‘, -kommunistisch, -operativ ,nach der Ope-
ration‘, -traumatisch ,nach einer Verletzung auftretend‘.
6) Das Präfix prä- (lat. ,vor‘) antonymisch zu post- (s.d.) in pränatal,
-glazial, -operativ.
7) Das Präfix pro- (lat. ,für‘) antonymisch zu anti- (s.d.) in prodemo-
kratisch, -englisch usw.
Zu den Präfixen hyper- (hyperaktiv) und ultra- (ultraweich) ¢ 3.1.5(2.3), zu
super als Kompositionsglied (superfein) ¢ 3.1.5(1.8), zu inter- und trans- (in-
terozeanisch, transsibirisch) ¢ 3.5(3); ¢ 3.5.(4).

3.4.4 Unproduktive Präfixe

1) Das Präfix ge- ist beim Adjektiv – anders als beim Substantiv (¢ 2.4.2.2)
– nicht mehr mit einem produktiven Modell vertreten, doch sind etliche
entsprechende Bildungen noch im Wortschatz repräsentiert.
Desubstantivisch sind z.B. geheim (ursprünglich ,zum Haus gehörig‘,
dann ,vertraut‘), geraum (nur attributiv: geraume Zeit), getrost (ahd. gitrōst
,mit Vertrauen erfüllt‘), ferner -gemut in froh-, wohlgemut (mhd. gemuot
,gesinnt‘, geherze ,beherzt‘; vgl. Wilmanns 1899, 422 f.; Kluge 1925, § 75).
Deadjektivisch sind u.a. gelind, gestreng, getreu, gewahr (jmdn., etw.
gewahr werden ,bemerken‘); die erstgenannten mit Verstärkung gegenüber
dem Simplex und der Markierung veraltend. Zu ge-…-ig (gehässig) ¢ 3.5(1).
3.5 Zirkumfixderivation 357

2) Andere unproduktive Präfixmodelle sind nur noch in vereinzelten Le-


xemen vertreten, vgl. u.a.: abhold, abschätzig mit negierendem und pejori-
sierendem ab- (vgl. Wilmanns 1899, 574); anrüchig ,was anfängt zu riechen‘
mit abschwächendem an- (Wilmanns 1899, 578); inbrünstig, -grimmig mit
verstärkendem in- (Wilmanns 1899, 577), auch als -ig-Derivat von Inbrunst
und Ingrimm, ähnlich aberwitzig ,unsinnig‘ von Aberwitz (zu substantivi-
schem aber- ¢ 2.4.4).

3.5 Zirkumfixderivation
Die Zirkumfixderivation ist – anders als beim Substantiv (¢ 2.5) – nicht auf
Kombinationen mit ge- beschränkt, wenngleich diese auch hier noch die
bedeutendsten Wortbildungsreihen aufweisen.
1) Deverbal sind Zirkumfixderivate mit ge-…-ig, Wortbildungsbedeutung
,Neigung‘ oder ,Eignung‘, vgl. ge fräß ig, ge häss ig, ge läuf ig, ge lehr ig. –
Nicht hierher gelenk ig (-ig-Derivat von Gelenk), gespräch ig (von Gespräch)
sowie ge räum ig (zum Substantiv Raum).
2) Weitere deverbale Bildungen sind vereinzelte – heute demotivierte –
Fälle wie aufsässig (zu aufsitzen in der älteren Bedeutung ,sich widerset-
zen‘), ansässig.
3) Die exogene Einheit inter- hat das Zirkumfixmodell stark ausgebaut;
wie bei in 4) folgendem trans- ist die Wortbildung semantisch wohl öfter
auch dann auf substantivische Basis zu beziehen, wenn ein desubstantivi-
sches Adjektiv existiert: interkontinental ,zwischen den Kontinenten‘ (nicht
inter + kontinental), ähnlich interozeanisch, -parlamentarisch, -konfessionell,
-planetar; mit heimischer Basis: interbegriffliche Beziehungen (D. Viehwe-
ger), dem interfachlichen Gebrauch (H. E. Wiegand). Eher als Präfixderivat
zu bestimmen sind intersubjektiv, -textuell, -kulturell.
4) Das exogene trans- (beim Substantiv ¢ 2.4.3.2[8]) beschränkt sich auf
Fremdbasen mit indigenem -isch: transatlantisch ,über den Atlantik hin-
weg‘, -kontinental, -sibirisch; transisthmische Eisenbahn (Die Zeit 1980).
5) Als Zirkumfixderivation sind schließlich auch Modelle anzusehen, die
nach der partizipialen Struktur aufgebaut sind, ohne dass die Formen als
Partizip einem Verbparadigma zuzuordnen wären (¢ 3.2.5[2.2]). Soweit es
sich um Kombinationen mit ge-, be- und einer substantivischen Basis han-
delt, liegt die Wortbildungsbedeutung ,ornativ‘ vor: geblumtes/geblümtes
Kleid, gebuchtete Küste, ferner gehörnt, genarbt, gerippt, gestiefelt; z. T. syno-
nymisch zu -ig (blumig, narbig); bebrillt, behelmt, beherzt, bejahrt, benachbart,
bestrumpft, bereits Wieland: bemaulkorbte Bären (Itkonen 1971, 101).
358 3 Wortbildung des Adjektivs

Neben den genannten Zirkumfixen ge-/be-…-t erscheinen vereinzelt


auch andere Modelle: entmenschtes Wesen (Infinitiv entmenschen allerdings
noch in Wielands ,Oberon‘: Itkonen 1971, 74), entgeistert, vertiert, verfrüht,
ausgefuchst, eingefleischt, übernächtigt (bei Hentschel/Vogel 2009, 34
„Scheinpartizipialadjektive“). Semantisch sind sie an die Wortbildungsrei-
hen der jeweiligen Präfixe bzw. Verbpartikeln anzuschließen.

3.6 Konversion
Die adjektivgerichtete Konversion ist weit weniger entwickelt als die sub-
stantivgerichtete (¢ 2.6), abgesehen von dem hochproduktiven Modell der
departizipialen Konversion.

3.6.1 Morphologische Konversion

Beim Nebeneinander gleichlautender adjektivischer und substantivischer


Formen ist in zahlreichen Fällen vom Adjektiv als motivierender Basis aus-
zugehen (nass > das Nass; ¢ 2.6.2). Umgekehrt liegt nach den in 2.6.1.1
erörterten Kriterien eher ein Substantiv als motivierende Basis zugrunde in
Fällen wie: angst, ernst, feind, freund, schuld, not, schmuck („unser schmuck
[…] angelegter Friedhof“, F. Dürrenmatt), ein klasse Wagen. Die meisten
dieser Adjektive (außer ernst, schmuck) werden nicht dekliniert, nicht kom-
pariert und auch nicht attributiv gebraucht. Bei Fremdwörtern ist aber auch
dies möglich: Barock – barock (barocker Bau), Revolutionär – revolutionär
(revolutionäre Bewegung) u.a. (Trost 2006, 78, 298).
Stark genutzt wird die desubstantivische Konversion vor allem zur Bil-
dung von Farbbezeichnungen: bordeaux, cognac, flieder, havanna, indigo,
lind, mango, orange, sand, schilf, vanille. Bei attributiver Verwendung erge-
ben sich allerdings Flexionsprobleme, die durch – zudem semantisch prä-
zisierende – Kombination mit einem Farbwort (koralle > korallenrot, -rosa)
oder mit -farben/-farbig (goldtopas > goldtopasfarben, Klaus 1989, 34) gelöst
werden können. Umgangssprachlich finden sich auch flektierte Formen wie
ein orangenes Tuch, ein rosanes Hemd.
Weiteres vgl. DWb 3, 500; zu jugendsprachlichen Konversionen wie schrott, hammer
vgl. Pittner/Berman 2006.
3.6 Konversion 359

3.6.2 Syntaktische Konversion

3.6.2.1 Infinitivstammkonversion
Die Infinitivstammkonversion ist kaum produktiv und nur historisch klar
nachweisbar; vgl. z. B. rege < sich regen, starr < starren, wach < wachen, wirr <
wirren. Sie wird gelegentlich als Rückbildung aufgefasst (Erben 2003b,
93 ff.).

3.6.2.2 Departizipiale Konversion


Die departizipiale Konversion wird zur Bereicherung des adjektivischen
Wortschatzes stark genutzt. Auszuklammern von der synchronen Analyse
sind historische Partizipialformen, die heute keinen Zusammenhang zum
Verb mehr zeigen (einleuchtend, ausfallend, spannend; berühmt), sowie – als
Output einer anderen Wortbildungsart – die Zirkumfixderivate (¢ 3.5[4]).
Der Übergang vom Partizip I oder II zum Adjektiv (vgl. auch un- +
Partizip ¢ 3.4.2.3[2]) ist durch semantische und syntaktische Kriterien be-
stimmt: Lösung von der aktuellen Situation mit Verlust der „aspektualen
Bedeutung“ und feste Bezeichnung einer Eigenschaft bzw. Beziehung
(„Habitualität“: Kramer 1976, § 4.3.2), Verwendung unterschiedlicher Ad-
verbien und Erwerb der Gradationsfähigkeit (ein sehr/früh/zu aufgeweckter
Junge), prädikativer Gebrauch, Erwerb adjektivischer Wortbildungscharak-
teristika (un- u.a.). Dabei kann sich der adjektivische Gebrauch vom ver-
balen weiter semantisch unterscheiden: ergriffenes Schweigen (das Schweigen
ergreift), gelernter Dreher (der Dreher hat gelernt), verschwiegener Mensch (der
Mensch verschweigt), die am Fluss gelegene Stadt (die Stadt liegt am Fluss),
eingebildete Person (die Person bildet sich etwas ein) (vgl. Wilmanns 1899,
506 ff.; Lenz 1993). Bei Demotivation sind verbales Partizip und partizipiales
Adjektiv als Homonyme zu betrachten: reizende Kinder, glänzende Leistung,
bedeutende Persönlichkeit, treffende Antwort; anerkannter Schriftsteller, ge-
fragte Erzeugnisse, abgebrühte Banditen.
Da die Partizipien die adjektivischen Merkmale in unterschiedlicher Kombination und
Vollständigkeit erwerben, ist ihr Adjektivstatus graduell verschieden ausgeprägt; aus-
führlich hierzu Lenz 1993. Zur syntaktischen Inhomogenität der Partizipien II und
einem daraus ableitbaren Unterschied zwischen einer lexikalischen und einer phrasa-
len Adjektivierung vgl. Rothstein 2007.
4 Wortbildung des Adverbs

4.1 Allgemeine Charakteristik


Die Adverbien unterscheiden sich erheblich von den anderen hier behan-
delten Wortarten Substantiv, Adjektiv und Verb. Sie sind unflektierbar
(einige mit beschränkter Komparationsfähigkeit), können jedoch – im Un-
terschied zu anderen unflektierbaren Wortarten – als Satzglied oder Satz-
äquivalent fungieren. Sie sind als Wortart außerordentlich heterogen
(Dudenband 4, 2009, 569), woraus sich unterschiedliche Klassifizierungs-
möglichkeiten ergeben. Wir folgen hier dem Vorschlag von Nübling (Du-
denband 4, 2009, 572ff.).
Danach werden auf der funktionalen Ebene absolute Adverbien (montags,
überall) und Proadverbien unterschieden. Proadverbien sind phorisch-
deiktisch oder interrogativ/relativ, jeweils entweder mit Präposition (dar auf,
wo durch) oder aus anderen Segmenten gebildet (wo hin) oder durch
Konversion entstanden (derart). Nach syntaktischen und semantischen
Kriterien sind Situierungsadverbien, und zwar lokale (darüber, bergab),
temporale (übermorgen, sogleich), modale (ebenfalls, bestens) und kausale
(seinetwegen), Konjunktionaladverbien (folglich, dagegen) sowie Kommen-
taradverbien (bedauerlicherweise) zu unterscheiden.
Die funktionalen, semantischen und syntaktischen Merkmale der Adver-
bien korrespondieren allerdings nicht systematisch mit wortbildungsmor-
phologischen, sodass sich in Bezug auf die Wortbildung Kreuzklassifikati-
onen ergeben. Zu den Lokaladverbien gehören beispielsweise Adverbien
ganz unterschiedlicher Struktur: Simplizia (dort, weg), Präpositionaladver-
bien (darin; Dudenband 4, 2009, 579ff.) und weitere komplexe Bildungen
(auswärts, bergab, nirgendwo).
Nicht nur die strukturelle Heterogenität der Adverbien erschwert die
Wortbildungsanalyse, sondern auch der meist sehr niedrige Motivations-
grad vieler komplexer Bildungen (immerhin, durchaus; vgl. Altmann/Kem-
merling 2005, 154). Schließlich sind auch die Wortbildungsarten z. T. un-
typisch ausgeprägt, sodass sich mannigfaltige Grenzfälle ergeben (vgl. z.B.
zur Begründung der Annahme „kompositionsähnlicher Strukturen“,
Simmler 1998, 449). Hierzu sind noch spezifizierende Untersuchungen er-
forderlich (ausführlicher zum Forschungsstand Heinle 2004, 48 ff.).
4.1 Allgemeine Charakteristik 361

4.1.1 Produktivität
Die Wortbildungsmöglichkeiten der Adverbien sind im Vergleich zu Sub-
stantiv, Adjektiv und Verb erheblich eingeschränkt; das Bedürfnis nach
Neubildungen ist relativ gering. Die allgemeinen Beziehungen innerhalb
einer Sachverhaltsdarstellung (temporal, lokal, modal, kausal) und in der
Kommunikationssituation werden durch außersprachliche Entwicklungen
nicht so beeinflusst wie das Benennungspotenzial.
Von den Wortbildungsarten fehlen die Kurzwortbildung sowie die Präfix-
und Zirkumfixderivation fast ganz. Die Relationsbedeutungen der Adver-
bien sind mit den Gradations- und Wertungselementen, auf die sich die
Präfixfunktionen außerhalb des Verbalbereichs im Großen und Ganzen be-
schränken, wenig kompatibel. Komposition und Suffixderivation sind aus-
geprägt, allerdings formativstrukturell und semantisch weniger differenziert
als bei Substantiv und Adjektiv. Exogene Suffixe fehlen; -lei (aus dem Frz.)
ist synchron als ein indigenes Suffix anzusehen. Es verbindet sich ausschließ-
lich mit indigenen Stämmen. Von besonderer Relevanz ist die Konversion
von Syntagmen (früher der „Zusammenrückung“ zugeordnet; vgl. Fleischer
1983c, 297; ¢ 1.8.1.3).
An der Erweiterung des Adverbbestandes durch Komposition und Kon-
version sind neben Adverbien selbst und Präpositionen auch Substantive
und Adjektive beteiligt, das Verb nur vereinzelt mit dem Infinitivstamm,
etwas mehr durch Partizipialformen.
Es gibt heute im Deutschen kein grammatisches Adverbialsuffix (wie z.B.
im Englischen, Französischen, Russischen) für Adjektive in adverbialer
Funktion (¢ 4.3.1.1), aber es gibt Modelle, nach denen Adjektive (bzw. Par-
tizipien) wortbildungsmorphologisch adverbialisiert werden (Komposita
mit -hin, -hinaus, -auf, -um u. a.; Derivate mit -ens, -maßen, -weg, -weise).
Andererseits werden Adverbien vor allem durch -ig adjektiviert (heute >
heutig; ¢ 3.3.2.6[4]).

4.1.2 Aktivität

Aus der in 4.1 skizzierten Charakteristik der Wortart Adverb ergibt sich auch
ihre Wortbildungsaktivität. Das Adverb ist wenig kompositionsaktiv mit
einem Substantiv (Soforthilfe; ¢ 2.2.7.3) und noch weniger mit einem Adjek-
tiv (linksextrem; ¢ 3.2.5[2.1]). Starke Reihenbildung zeigt sich dagegen in der
Komposition von Adverbien untereinander (dorthinab, untenherum; ¢ 4.2.1)
sowie bei der Verwendung der Adverbien als Verbpartikeln (herüberfliegen;
¢ 5.3.2).
362 4 Wortbildung des Adverbs

Die Konversionsaktivität des Adverbs ist vor allem in der substantivge-


richteten Transposition entwickelt. Die deadverbialen substantivischen
Konversionsprodukte können zu selbstständigen Wortschatzeinheiten mit
semantischer Eigenentwicklung werden (mein Gegenüber, ein tätiges Mitein-
ander u. a.; ¢ 2.6.1.2). Die Konversion zum Verb fehlt dagegen.
Die Suffigierung von Adverbien ist fast ganz (Ausnahme: bald > in Bälde)
auf die adjektivgerichtete Transposition durch -ig beschränkt, vor allem bei
Situierungsadverbien (hier > hiesig, dortig, nochmalig).

4.2 Komposition

4.2.1 Grundsätzliches

Die adverbbildende Komposition ist weitgehend dadurch gekennzeichnet,


dass Einheiten kombiniert werden, die in Syntagmen aufeinander folgen,
etwa wie bei der adjektivischen Partizipialkomposition (¢ 3.2.1[2]). Damit
ergeben sich auch ähnliche Probleme für bestimmte Fälle des Nebeneinan-
ders von adverbialer Wortbildung und Syntagma, vgl. dort hinab – dorthin-
ab. Insgesamt ist der Adverbbestand durch eine große Zahl von – vor allem
präpositionalen – Syntagmen phrasemischen Charakters gekennzeichnet
(aufs Neue), die nicht als adverbiale Wortbildungen betrachtet werden.
Von Komposition sprechen wir, wenn als Zweitglied ein Adverb (dar-
auf hin) oder eine Präposition auftritt (dar auf); ist das nicht der Fall und
wird durch Wortbildung ein Syntagma univerbiert und als Ganzes zum
Adverb transponiert (kurzerhand), handelt es sich um Konversion (zur ähn-
lichen Behandlung von Substantiven wie Maßvoll ¢ 2.2.1.1[4]).
Bei daraufhin, daran, darauf u. a. Komposition anzunehmen ist freilich
nicht unproblematisch, denn es handelt sich morphologisch und seman-
tisch um untypische Vertreter dieser Wortbildungsart. Zwar sind jeweils
beide unmittelbaren Konstituenten wortfähig, doch fungiert das Zweitglied
nicht durchweg als Kopf des komplexen Wortes. Während hin das komplexe
Adverb daraufhin als Adverb ausweist, gilt das für an, auf in daran, darauf
nur dann, wenn man berücksichtigt, dass die meisten Präpositionen, wenn
auch auf bestimmte Konstruktionen eingeschränkt, entsprechend ihrer
Herkunft auch noch als Adverb vorkommen (der Knopf ist ab, an die 20 Jahre
alt, Mund auf) und insofern doch als adverbialer Kopf des Kompositums
gelten könnten.
4.2 Komposition 363

Die Präpositionen ab, an, auf usw. wegen ihres Doppelcharakters (Präposition und
zugleich Adverb) als Präpositionaladverb zu bezeichnen (so noch in der vorherigen
Auflage dieses Buches) erscheint nicht zweckmäßig, da der Terminus heute meist
anders besetzt ist. Bezeichnet werden damit gemeinhin komplexe Adverbien aus da-/
dar-, hier- und wo-/wor- als Erstglied und -ab, -an, -auf usw. als Zweitglied (vgl. Du-
denband 4, 2009, 579).
Zur Diskussion anderer Klassifizierungen adverbieller Wortbildungen vgl. Altmann/
Kemmerling 2005, 155 ff. Die Autoren ordnen die meisten der hier als Komposita
klassifizierten Bildungen der Zusammenrückung zu, wobei sie einräumen, dass es nicht
in jedem Fall gelingt, „eine geeignete syntaktische Basisstruktur für die Einordnung als
Zusammenrückung zu finden“ (ebd., 157).

In den adverbialen Komposita ist semantisch nicht durchweg das Zweitglied


durch das Erstglied determiniert wie beim typischen Determinativkompo-
situm, sondern es handelt sich nicht selten eher um ein additiv-kopulatives
Verhältnis (hierher, wohin, nebenan), freilich nicht mit Vertauschungsmög-
lichkeit der unmittelbaren Konstituenten. Auf die Subklassifikation der
Komposition wird daher hier verzichtet.
Die unmittelbaren Konstituenten sind in der Regel Simplizia; es gibt nur
wenige Arten komplexer unmittelbarer Konstituenten (z.B. mit Richtungs-
adverbien wie in dort hinaus, rund heraus). Der hohe Grad kompositioneller
Komplexität, wie er insbesondere beim Substantiv begegnet, ist beim
Adverb nicht zu finden.
Die Stabilität der Wortstruktur ist auch hier nicht immer gegeben (beim
Substantiv ¢ 2.2.1.2, beim Adjektiv ¢ 3.2.1, beim Verb ¢ 5.1.1; ¢5.3.): Hierher
kommst du nicht. – Hier kommst du nicht her. Wo gehst du hin? – Wohin gehst
du? Das Richtungsadverb allein am Satzende trägt einen stärkeren Akzent.

4.2.2 Komposita mit her und hin

Her und hin sind Richtungsadverbien, die bei selbstständigem Gebrauch


und auch in den Komposita eine Bewegung auf den Sprecher zu (her) oder
von ihm weg (hin) bezeichnen (zu mir her, heran; nach Süden hin, hinüber).
1) In Erstgliedposition vor Präpositionen bewahren die Bildungen im All-
gemeinen die dynamisch-lokale Bedeutung, vgl. her-/hinauf, her-/hinüber,
her-/hinunter. Nicht mit allen Präpositionen sind die Verbindungen geläu-
fig, nicht z. B. mit -hinter, -in (dafür her-/hinein), -mit, -neben, -von. Nur mit
her-: herbei, -nach, -vor; nur mit hin-: hindurch, -gegen.
Auch in komplexeren Komposita bewahren die Richtungsadverbien ihre
Bedeutung, vgl. z.B. dorthinab, dahinauf, dahinüber, hierherauf.
364 4 Wortbildung des Adverbs

2) In Zweitgliedposition sind die Richtungsadverbien her und hin mit


Erstgliedern unterschiedlicher Wortart stark reihenbildend. Sie signalisieren
ebenfalls den Sprecherbezug.
2.1) Proadverbien als Erstglied: Die statischen Lageadverbien da, dort, hier
ergeben mit -her und -hin Richtungsadverbien: dorther ,von dort‘, dorthin
,nach dort‘. Die Verbindungen mit dem Interrogativadverb wo (wohin, -her)
zeigen die gleichen semantischen Verhältnisse.
Als Ausnahme konkurriert hierhin synonymisch mit hierher; in der Be-
deutung ,von hier weg‘ ist es nicht geläufig.
2.2) Andere Adverbien (meist lokaler Bedeutung) als Erstglied: überallher
,von überall‘ – überallhin ,in alle Richtungen‘; ferner irgendwoher, -hin, nir-
gendher, -hin, links-, rechtshin. – Demotiviert ist immerhin, wo -hin keine
Richtung angibt.
2.3) Präpositionen als Erstglied: Diese Komposition ist nur teilweise aus-
gebaut, die Bildungen sind vielfach demotiviert; der oben erläuterte Spre-
cherbezug wird nicht ausgedrückt (nachher). Die Reihen sind nicht syste-
matisch ausgebaut. So fehlen Verbindungen von -her, -hin mit ab-, an-
(schweizerisch anhin in bis anhin ,bis jetzt‘), auf-, aus-, bei-, zu- u.a.; vgl.
aber hinterher, mithin (nicht: -her), nachher, nebenhin, -her, umher, -hin,
vorher, -hin, zwischenher, -hin, bisher, ohnehin.
2.4) Adjektiv als Erstglied: Das Element -hin dient der Verdeutlichung der
adverbialen Funktion von Komparativen, vgl. ferner-, länger-, später-, wei-
terhin, ebenso beim Positiv in künftighin. – Mit lokaler Bedeutung dagegen
weither, weithin, fernhin.
Demotiviert sind gemeinhin, letzthin, schlechthin ,geradezu, ganz einfach‘
(mit Bewahrung der älteren Bedeutung von schlecht); geradeheraus ,offen,
freimütig‘.

4.2.3 Komposita mit Präpositionen

Adverbien mit präpositionalen Zweitgliedern (zur Bestimmung als Kom-


position ¢ 4.2.1) sind mit verschiedenartigen Erstgliedern reihenbildend.
Erstglieder können Adverbien, Präpositionen, Adjektive und Substantive
sein.
1) Adverbien als Erstglied
Die Proadverbien da-/dar-, hier- und wo-/wor- bilden in Erstgliedposition
und mit einer einfachen Präposition als Zweitglied Präpositionaladverbien
(auch: Pronominaladverbien; vgl. zur Konkurrenz der Termini Dudenband
4.2 Komposition 365

4, 2009, 579) wie daneben, darauf, hierauf, hierüber, wobei, woran. Sie stellen
eine geschlossene Gruppe ohne Neubildungen dar, dafür mit zahlreichen
Archaismen (darob, darwider), vgl. dazu die Liste in Dudenband 4, 2009,
580. Wortbildungsaktiv sind sie kaum, als Erstglied gehen sie komplexe Ver-
bindungen mit -hin ein (daraufhin, woraufhin), als Zweitglied kommen dar-
Adverbien in Kombination mit Lageadverbien vor; meist in gesprochener
Sprache in kontrahierter Form ohne den Vokal a: hintendran, obendrauf,
obendrüber, untendrunter.
Bildungen mit anderen Adverbien sind motivierte Richtungs- bzw. La-
geangaben: heimzu, hint-/hinten-, oben-, vorn-/vornean.
2) Präpositionen als Erstglied
Die Wortbildungen sind fast alle demotiviert, vgl. durchaus, inzwischen, mit-
unter, nebenan, voran, vorbei, überaus. Es gibt unsystematische Beschrän-
kungen, so fehlen z.B. *aufaus, *ausauf, *nebenauf. Die Adverbien gegen-
über, zuwider fungieren auch als Präposition.
3) Adjektive als Erstglied
Es handelt sich um Einzelbildungen wie kurzum, frisch-, hell-, vollauf, weit-
aus, rundum, schrägüber (,schräg gegenüber‘), querdurch.
4) Substantive als Erstglied
Die Bildungen sind weitgehend motiviert und entsprechen meist Syntag-
men mit komplexen Richtungsangaben, vgl. bergan – den Berg hinan, bergab,
landauf, -ab, flussauf, -ab, straßauf, -ab, tagsüber, reihum, kopfüber. Unsys-
tematische Beschränkungen treten auch hier auf; es fehlen Elemente wie -bis,
-mit, -nach, -von, -vor, -zwischen in diesen Verbindungen. Ein Sonderfall
(Kompositum mit einem Adverb als Zweitglied) ist kieloben.

4.2.4 Sonstige Komposita

Komposita ohne Beteiligung von Richtungs- und Proadverbien sind nicht


sehr zahlreich.
1) Eine umfangreichere Reihe hat das steigernde Erstglied aller- entwickelt
wie in allerfrühestens, -spätestens, -wenigstens, mit weitersteigernder Dop-
pelung: allerallerwenigstens; vgl. auch allerschlimmstenfalls.
2) Kombinationen mit so als erster Konstituente sind stärker, als zweiter
weniger häufig vertreten: sodann, soeben, sofort, sogar, sowohl (alle demoti-
viert); ebenso, geradeso, sowieso.
366 4 Wortbildung des Adverbs

3) In diesem Zusammenhang sind ferner einzelne Wortbildungen mit se-


mantisch dominierendem Erstglied zu nennen wie immerfort, nunmehr,
nimmermehr sowie demotivierte wie obendrein, gleichwohl, anderswo – wo-
anders.
4) Präpositionen als Erstglied erscheinen in übermorgen, vorgestern (beide
zu doppeln: überüber-, vorvor-); hinterdrein sowie – demotiviert – in umsonst.

4.3 Derivation

4.3.1 Suffixderivation

4.3.1.1 Grundsätzliches
Aus erstarrten substantivischen Flexionsformen haben sich die Adverbial-
suffixe -s (Genitiv Singular) und -en (Dativ Plural) entwickelt (vgl. Wil-
manns 1899, 617ff.; ausführlich Heinle 2004). Während -s sich stark ausge-
breitet hat, auch in Verbindungen wie -dings, -lings, die zu eigenen Suffixen
geworden sind, ist -en heute nur noch relikthaft vertreten (einstweilen).
Auch Suffixe wie -halben, -malen sind kaum noch produktiv. Lediglich in
der Verbindung mit -s zu -ens (Wilmanns 1899, 630f.) ist -en noch an einem
produktiven Modell beteiligt.
Ein genetisch anderes -en ist zudem älteres Adverbialsuffix (heute un-
produktiv) und scheidet noch heute einen Typ von Adverbien und Adjek-
tiven: außen – äußer(e), hinten – hinter(e), oben – ober(e) (Wilmanns 1899,
649 f.). Auch „das im Frnhd. produktivste Adverbsuffix -(ig)lich“ ist heute
unproduktiv und nur noch in wenigen demotivierten Adverbien erhalten
(ewiglich, neulich, schwerlich, wahrlich, hoffentlich; Heinle 2000, 1915).

4.3.1.2 Suffix -dings


Das Suffix verbindet sich mit Pronominal- und Adjektivformen mit dem
Fugenelement -er- (historisch adverbialer Genitiv Plural, doch synchron ist
kaum von Syntagmen wie aller Dinge usw. auszugehen): aller-, neuer-, plat-
ter-, schlechterdings, blankerdings (M. Frisch, zit. Ronca 1975, 40); glatter-
dings; den Gegner leichterdings überrollen (PDW 2005). Das Modell ist wohl
noch schwach produktiv zur adverbialen Markierung von Adjektiven; in
etlichen Fällen Demotivation zu ,durchaus, ganz und gar‘.
4.3 Derivation 367

4.3.1.3 Suffix -ens


Die Form -ens als selbstständiges Suffix ist abzuheben von Fällen, wo sich
-ens aus der entsprechenden Genitivendung des zugrundeliegenden Sub-
stantivs ergibt und damit nach ¢ 4.3.1.9 -s vorliegt (namens – des Namens,
willens).
Das heute unproduktive Modell mit dem Suffix -ens vertreten übrigens,
einstens, vollends (mhd. vollen + -s, -d- in Analogie zu Partizip-I-Formen);
nächtens (nach GWDS geh.), rechtens ,von Rechts wegen‘ (nach GWDS ver-
altet).
Produktiv ist demgegenüber wohl noch die Adverbialisierung von Su-
perlativformen wie best-, ehest-, frühest-, höchst-, jüngst-, längst-, schnellst-,
mindest-, neuest-, schönstens (Einzelfälle seit dem 16./17. Jh., die meisten erst
seit dem 18. Jh.; Kluge 1925, § 67). Zur Bildungsweise mit am + Superlativ
besteht ein semantischer Unterschied: Er kann frühestens ,im frühestmög-
lichen Fall‘ morgen zurück sein („einen Grad, der im äußersten Falle nicht
überschritten wird“, Paul 1920, § 93, Anm. 1) – Er kam am frühesten zurück
(Rückkehr ,als Frühester‘). Die Form mit -ens kann bisweilen auch den
Elativ ausdrücken: Er macht die Arbeit bestens ,sehr gut‘. – Vgl. auch die
Adverbialisierung von Superlativformen durch zu- (¢ 4.3.2).
Von „niedrigen Ordinalia“ werden die „Einteilungszahlen“ (Helbig/
Buscha 2001, 299) gebildet: erstens, zweitens, drittens.
4.3.1.4 Suffix -halben/-halber
Das Suffix -halber (mhd. halbe ,Seite, Richtung‘) bildet ein produktives
Modell in Verbindung mit abstrakten Substantiven; Wortbildungsbedeu-
tung heute ,kausal‘ (ursprünglich ,lokal‘): vgl. anstands-, ehren-, interesse-,
kürze-, ordnungs-, studien-, vorsichtshalber.
Die Form -halben verbindet sich mit pronominaler Basis (meinet-, unsert-,
allent-, dessenthalben). Das Modell ist kaum noch produktiv, ebensowenig
-halb in Verbindung mit Basen anderer Wortart (außer-, inner-, ober-, unter-,
des-, weshalb).
4.3.1.5 Suffix -lei
Das Suffix -lei (franz. ley ,Art‘, vgl. Öhmann 1969) verbindet sich – stets in
Kombination mit -er- – mit Kardinalzahlen zur Bildung der Gattungszahl-
wörter, die „eine bestimmte Anzahl verschiedener Arten von Personen und
Nicht-Personen“ bezeichnen (Helbig/Buscha 2001, 331): zweier-, dreier-,
hunderterlei (dies „eine unbestimmte sehr große Zahl“, ebd.). Mit prono-
minaler Basis: beiderlei ,in beiden Arten‘ (Kinder beiderlei Geschlechts), jeder-,
keiner-, mancher-, solcher-, welcherlei; seltener mit adjektivischer Basis: ver-
schiedenerlei, bunterlei (E. Lasker-Schüler).
368 4 Wortbildung des Adverbs

4.3.1.6 Suffix -lings


Das Suffix -lings (mhd. noch allgemein -lingen; Wilmanns 1899, 633f.) ver-
bindet sich mit substantivischen Körperteilbezeichnungen und gibt eine
Körperhaltung an (vgl. Ronca 1975, 85): ärsch-, bäuch-, füß-, rücklings ,auf
dem, den Rücken‘, dazu fachsprachl. vorlings ,vorwärts, mit der vorderen
Seite des Körpers dem Turngerät zugewandt‘ (GWDS). In Verbindung mit
Adjektiven dient -lings der adverbialen Markierung ohne deutlichere se-
mantische Zusätze (blind-, jählings); mit Verbstamm in meuchlings Adver-
bialisierung der Verbhandlung (meucheln ,heimtückisch ermorden‘). Die
Modelle sind unproduktiv (Simmler 1998, 583).

4.3.1.7 Suffix -mals


Das Suffix -mals (zu Wortbildungen mit -mal ¢ 4.4.1) erscheint vorwiegend
mit flexionslosem Wort als Basis: da-, oft-, je-, nie-, noch-, ehe-, einst-, vormals
(aber vielmals neben veraltet vielmal). Es handelt sich um ein kaum pro-
duktives Modell. Auch hier stehen Adverbien auf -s und Adjektive auf -ig
nebeneinander: ehemals – ehemalig, vormals – vormalig.

4.3.1.8 Suffix -maßen


Das Suffix -maßen (mhd. māze ,Maß, Art und Weise‘) verbindet sich in
einem produktiven Modell mit partizipialer Basis, immer in Kombination
mit -er-. Die Derivate sind oft paraphrasierbar durch ,wie [Partizip] ist‘,
vgl. anerkanntermaßen ,wie anerkannt ist‘, bekannter-, erwiesener-, nachge-
wiesener-, gezwungener-, eingestandener-, zugegebenermaßen. Synonymisch
konkurriert -weise (¢ 4.3.1.12).
Das Modell mit adjektivischer Basis ist nicht ausgebaut; einiger-, gewis-
sermaßen sind demotiviert.

4.3.1.9 Suffix -s
1) In vielen Fällen ist neben einem desubstantivischen Adverb auf -s noch
heute eine substantivische Genitivform gebräuchlich, vgl. abends, anfangs,
eingangs, flugs, mittags, namens, rings, sommers, teils; vortags (G. Grass) u. a.
Ähnliches gilt für Syntagmen wie des heutigen Tags – heutigentags, anderen-
falls, erforderlichenfalls, großenteils (aber mancherorts – manchen Orts).
2) Dass die Adverbien mit -s nicht die bei einem Teil der Substantive
mögliche Variation von -es/-s zulassen und dass ein Femininum wie Nacht
in der adverbialen Form nachts (schon ahd., Wilmanns 1899, 628) erscheint,
zeigt bereits die Verselbstständigung des Adverbialsuffixes -s. Sie prägt sich
weiter aus in Bildungen, neben denen keine homonymen substantivischen
Kasusformen mehr stehen. Die Basen sind dabei:
4.3 Derivation 369

– Pronomina (anders);
– Adjektive (bereits, besonders, stets, eigens, links, auch Komparative wie
öfters, weiters, ferners [vgl. Paul 1920, § 93, Anm. 2]);
– Partizipien (eilends, zusehends, durchgehends; mhd. vergebene ,ge-
schenkt‘, Adverb zum Partizip II vergeben > vergebens ,vergeblich‘);
– substantivische Syntagmen (allerorts, hinterrücks, deutscher-, kirchlicher-
seits; zur Produktivität Ronca 1975, 111ff.).

4.3.1.10 Suffix -wärts


Das Suffix -wärts (mhd. -wertes ,auf etwas hin gerichtet‘, urverwandt mit lat.
vertere ,wenden‘, vgl. Paul 1992, 1023) verbindet sich mit Adverbien und
Substantiven; Wortbildungsbedeutung: ,auf den durch das Basissubstantiv
bezeichneten Gegenstand hin‘, vgl. berg-, land-, see-, tal-, himmelwärts, ost-
wärts; caféwärts (L. Frank), frankreichwärts (Weltbühne 1979); stromab-,
rheinauf-, waldein-, stadtauswärts. In Verbindung mit Präpositionen und
Adverbien verdeutlicht -wärts lediglich die Richtungsbedeutung, vgl. ab-,
aus-, ein-, hinter-, unter-, vorwärts; hin-, her-, hinaus-, hinabwärts. – Zu
-wärts – -wärtig ¢ 3.3.2.6(4).

4.3.1.11 Suffix -weg


Das Suffix -weg (mhd. in welhen wec ,auf welche Weise‘, vgl. Wilmanns 1899,
635), vom Substantiv Weg auch durch die unterschiedliche Vokalquantität
geschieden, verbindet sich mit präpositionaler, adverbialer und adjektivi-
scher Basis: durch-, hin-, vorweg; frei-, glatt-, kurz-, rein(e)-, rund-, schlank-,
schlechtweg. Die meisten Derivate sind demotiviert und z. T. untereinander
oder mit der Basis in bestimmten Lesarten synonymisch (rund-, reineweg;
rein gar nichts – reinweg gar nichts), z.T. mit Komposita mit -heraus (rundweg
– rundheraus).
Die Form -wegen verbindet sich mit pronominaler Basis und ist syno-
nymisch mit -halben (deinet-, dessent-) oder mit -halb (des-, wes-).

4.3.1.12 Suffix -weise/-erweise


Das Suffix -(er)weise (mhd. manege wı̄s, in manege wı̄s ,auf manche Weise‘,
vgl. Wilmanns 1899, 634) ist an den produktivsten adverbbildenden Mo-
dellen der deutschen Gegenwartssprache beteiligt (Heinle 2000, 1915).
Muthmann 2001 verzeichnet über 300 Bildungen.
1) Substantivische Basis (häufiger seit dem 16./17. Jh.: Kluge 1925, § 70):
Wortbildungsbedeutung ,in der Form/Art von‘, vgl. bruchstück-, auszugs-,
andeutungs-, beispiels-, gruppen-, massen-, scharen-, kolonnen-, herden-, hor-
370 4 Wortbildung des Adverbs

den-, portions-, vermutungsweise; Wortbildungsbedeutung ,aufgeteilt nach‘


in abschnitts-, gebiets-, monats-, quartals-, fass-, schicht-, riegen-, familienwei-
se.
Bildungen dieses Modells werden zunehmend auch attributiv zu dever-
balen Substantiven verwendet: auszugsweise Abschrift, stundenweise Vertre-
tung.
2) Adjektivische und partizipiale Basis (seit dem 19. Jh. häufiger: Kluge
1925, § 70); stets als Allomorph -erweise, Wortbildungsbedeutung ,in [Ad-
jektiv] Art‘, vgl. anständiger-, eigenartiger-, herkömmlicher-, lächerlicher-,
ordentlicher-, heimtückischer-, unverschuldeter-, schreibenderweise.
Kommentaradverbien sind erklärlicher-, fälschlicher-, notwendiger-, selt-
samer-, begrüßenswerter-, dankenswerterweise.
3) Verbale Basis ist sehr selten (borg-, leihweise). Wo doppelte Beziehung
möglich ist, wird man an das Substantiv anschließen: austauschweise nach
Amerika gehen (GWDS), blick-, bittweise.

4.3.2 Präfixderivation

Präfixderivation kennt das Adverb so gut wie nicht. Am ehesten lässt sich die
Adverbialisierung der Superlativformen mithilfe von zu- als Präfigierung
qualifizieren (vgl. auch zu- als Verbpartikel, ¢ 5.3.1.17): zuäußerst, -frühst,
-höchst, -innerst, -meist, -nächst, -oberst, -tiefst. Es handelt sich dabei fast
ausschließlich um Superlativformen von Lokaladjektiven. Teilweise kon-
kurrieren synonymisch Konstruktionen mit am + Superlativ (die jedoch
genereller verwendbar sind): Am nächsten/zunächst liegt A-Dorf. – Ein Teil
der zu-Konstruktionen wird bevorzugt metaphorisch verwendet: zutiefst
empört.
Vgl. auch die Adverbialisierung von Superlativformen durch -ens
(¢ 4.3.1.3).

4.4 Konversion

Die adverbgerichtete Konversion erstreckt sich vor allem auf substantivische


Syntagmen unterschiedlicher Struktur. Konversion einzelner Substantive ist
auf wenige Fälle beschränkt (Heim > heim, Weg > weg); von anderen Wort-
arten fehlt sie ganz.
4.4 Konversion 371

4.4.1 Konversion substantivischer Syntagmen

1) Pronomen + Substantiv: derart, allerart; dergestalt, solchergestalt (,sol-


cherart‘, nach GWDS selten); der-, jeder-, seinerzeit; dies-, manch-, allemal.
Die Bildungen sind meist demotiviert und vertreten kein produktives
Modell (vgl. Ronca 1975).
2) Adjektiv + Substantiv: mittler-, nächtlicherweile; kurzerhand; vgl. auch
kühnerhand setzt er literarische Grabmale (TZ 1988). Das Modell ist noch
produktiv (entgegen Ronca 1975, 73).
3) Präposition + Substantiv: beiseite – bei Seite, zugunsten – zu Gunsten;
vgl. ferner außer-, imstande, beizeiten, überhaupt, zuhauf, -frieden, -mal,
-schanden, -tage, -teil, -wege, -weilen. Die Bildungen sind demotiviert. Auf
der semantischen und syntaktisch-funktionellen Sonderung vom substan-
tivischen Syntagma beruht gerade die univerbierende Transposition zur
Wortart Adverb. – Eine Anzahl dieser Bildungen ist als Präposition ge-
bräuchlich: anstatt, in-, zufolge. Die Übergangszone kennzeichnen Fälle mit
Schwankungen in der Schreibweise; Dudenband 1 (2009) erlaubt: an Stel-
le/anstelle des Vaters. – Andere Bildungen sind attributiv und flektiert bei
einem Substantiv verwendbar und damit zu Adjektiven geworden (vorhan-
den, zufrieden).
Bewahrung des Artikels innerhalb des Konversionsprodukts ist seltener:
unterderhand, vorderhand.
Erweiterte Syntagmen als Basis zeigen: dort-, hierzulande (anders: zu
Lande – zu Wasser); querfeldein, vielleicht aus quer (in das) Feld (hin)ein (so
GWDS).
4) Für sich steht zeitlebens, wohl aus der Genitivfügung in der Zeit des/
jmds. Lebens.

4.4.2 Konversion sonstiger Syntagmen

1) Adjektivische Syntagmen sind heranzuziehen in tage-, jahre-, meterlang;


mit ins- in insgeheim, -gemein, -gesamt, -besondere, wo von einem phrase-
mischen Syntagma mit substantiviertem Adjektiv auszugehen ist (vgl. in
Getrennt- und Großschreibung: aufs Neue, im Stillen). Beschränkt bleiben
auch Verbindungen mit zwischengeschaltetem so bzw. wie (insofern – in-
wiefern, insoweit – inwieweit) und aus Präposition + Adjektiv (bislang, für-
wahr, vorlieb, zugleich).
372 4 Wortbildung des Adverbs

2) Konversionsprodukte aus Präposition + Pronomen sind großenteils


auch als Konjunktion gebräuchlich, v.a. mit einem pronominalen Dativ wie
außer-, in-, nach-, seit-, trotz-, über-, vor-, zudem; ferner in-, unter-, während-
dessen; ohne-, überdies (synonymisch zu außerdem). Die pronominalen Ak-
kusative haben offenbar nicht die starke Verschmelzungsaffinität, vgl. ohne
das – ohnedem (nur ugs.), über das – überdem (veraltet ,außerdem‘) usw. –
Außer den Demonstrativpronomina kommen noch andere infrage: beiein-
ander, durch-, gegen-, hinter-, miteinander.
Nur in Einzelfällen folgt – mit umgekehrter Reihenfolge – die Präposition
auf das pronominale Element: demnach, dessenungeachtet.
5 Wortbildung des Verbs

5.1 Allgemeine Charakteristik


Bei der verbalen Wortbildung besteht – deutlicher als bei den anderen Wort-
arten – ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den morphosyntakti-
schen Eigenschaften, über die das Verb als Wortart verfügt, und der
Ausprägung seiner Wortbildung. Die daraus resultierenden spezifischen
Wortbildungsmerkmale betreffen vornehmlich den Ausbau der Wortbil-
dungsarten (¢ 5.1.1), den Bestand an Wortbildungsmorphemen (¢ 5.1.2)
sowie die semantischen und syntaktischen Folgen für den Output linkser-
weiternder Wortbildungsarten (¢ 5.1.3).

5.1.1 Wortbildungsarten

Im Zentrum der verbalen Wortbildung stehen die Präfixderivation (¢ 1.8.1.2;


¢ 5.2) und die Partikelverbbildung (¢ 1.8.1.5; ¢5.3). Mit der semantischen
und syntaktischen Modifikation des verbalen Grundwortschatzes erfüllen
beide Wortbildungsarten eine besonders wichtige Aufgabe bei der Differen-
zierung der verbalen Ausdrucksmöglichkeiten.
Suffixderivation (lächeln) und Zirkumfixderivation (beerdigen) treten
quantitativ gegenüber der Präfixderivation und Partikelverbbildung weit
zurück. Durch Suffigierung entstehen vor allem Substantive und Adjektive
und „nur zu einem zehnmal geringeren Anteil Verben“ (Wellmann 1998,
441).
1) Die Präfixderivation ist eine linkserweiternde verbale Wortbildungsart,
vgl. bedecken, entkernen, erkämpfen, unterkellern, verarmen, zersägen, deren
Output untrennbare Verben sind.
2) Durch die Partikelverbbildung, ebenfalls linkserweiternd, entstehen
mit präpositionaler, adverbialer, adjektivischer oder substantivischer Verb-
partikel syntaktisch und morphologisch trennbare komplexe Verben: abrei-
sen – der Gast reist ab, ist abgereist; hinaufsteigen, freistellen, teilnehmen. Die
syntaktisch trennbaren erstgliedbetonten Verben stützen die für den deut-
schen Satzbau obligatorische Klammerbildung, indem sie im Verberst- und
374 5 Wortbildung des Verbs

im Verbzweitsatz in Distanzstellung erscheinen. Diese syntaktische Funkti-


onalität der Wortbildungsart Partikelverbbildung erklärt zum einen ihren
differenzierten Ausbau sowie die hohe Produktivität der meisten Modelle,
zum anderen den relativ geringen Entfaltungsgrad anderer Wortbildungs-
arten mit einem untrennbaren erstgliedbetonten Verb als Output wie die
Konversion komplexer Substantive (Frühstück > frühstücken; ¢ 5.5) oder die
Komposition aus Verbstamm und Infinitiv (sprechend singen/sprechen und
singen > sprechsingen; ¢ 5.7).
Als „Partikelverben an der Grenze zur Syntax“ bezeichnet Eisenberg (2006, 267) neben
den Adjektiv-Verb-Verbindungen und den Substantiv-Verb-Verbindungen auch kom-
plexe Verben mit einem Infinitiv als Erstglied (kennenlernen, liegenlassen, sitzenbleiben).
Diese Verbindungen, meist sowohl als Wort wie auch als Syntagma aufzufassen (ken-
nenlernen – kennen lernen), beschränken sich auf wenige Basisverben. Ihre Bildungs-
weise, die Univerbierung „syntaktischer Nachbarn“, lässt sich nicht als Modell verall-
gemeinern (singen lernen > *singenlernen, *schlafenlassen). Wir folgen Fuhrhop (2007b,
51), wonach die Zweitglieder die jeweiligen Erstglieder regieren. Sie sind mit Modal-
verbgruppen vergleichbar (singen wollen) und nicht als Komposita zu erklären.

3) Die verbale Komposition ist sowohl quantitativ als auch hinsichtlich


der Vielfalt der Modelle im Vergleich zu den übrigen Wortbildungsarten
beim Verb und auch im Vergleich zur substantivischen und adjektivischen
Komposition insgesamt kaum entwickelt.
Verbale Komposita sind untrennbar; sie bestehen aus Verbstamm und
Infinitiv (ziehschleifen, grinskeuchen). Grundsätzlich können nicht mehr als
zwei Verbstämme miteinander kombiniert werden. Man kann sie sowohl
determinativ (,ziehend schleifen‘) als auch kopulativ (,ziehen und schlei-
fen‘) interpretieren (vgl. Wellmann 1998, 450f.); Fuhrhop (2007b, 51) ten-
diert zu „eindeutig determinativ“ (,eine besondere Art des Schleifens‘).
4) Gut ausgebaut sind dagegen die desubstantivische und die deadjekti-
vische Konversion (fischen, weiten), Letztere etwas schwächer (¢ 1.8.1.3).
Auch bei diesen Modellen begegnen simplizische und komplexe Basislexe-
me (weißen, computern, schriftstellern), bei Adjektiven tritt in wenigen Fällen
der Komparativ als Basis auf (mildern), bei Substantiven der Plural (rädern).
5) Einen interessanten Sonderfall stellt die verbale Rückbildung dar
(¢ 1.8.1.6; ¢5.6). Ihr Output ist insofern grammatisch „minderwertig“, als
rückgebildete Verben meist nicht über ein vollständiges Flexionsparadigma
verfügen, d.h. keine finiten Formen haben und für die Bildung des Prädikats
im Satz Hilfsverben brauchen (er soll/muss das Haus zwangsversteigern usw.).
Dennoch begegnen solche Verben – besonders okkasionell – gar nicht selten
(Großverdiener > großverdienen; Erben 2003, 97; Wortbildung > wortbilden).
5.1 Allgemeine Charakteristik 375

Basen rückgebildeter Verben sind komplexer substantivierter Infinitiv


(das Bruchrechnen – bruchrechnen), substantivisches Kompositum mit
Zweitglied auf -ung (Notlandung – notlanden) bzw. -er (Kurpfuscher – kur-
pfuschen) und zusammengesetztes Partizip II mit einem Substantiv oder
Adjektiv als Erstglied (zweckentfremdet – zweckentfremden, ferngesteuert –
fernsteuern). Angesichts der starken Produktivität der Komposition von
Substantiven und Adjektiven mit Partizipien (vgl. Kann 1974, 160; Åsdahl-
Holmberg 1976, 38; Wilss 1986, 167ff.) kann mit weiteren Neubildungen
gerechnet werden, vgl. korrekturgelesen – korrekturlesen, möglicherweise
auch computergesteuert – *computersteuern. Begünstigt wird die Bildung
eines Verbs in den Fällen, in denen sowohl der substantivierte Infinitiv ge-
läufig ist (das Korrekturlesen) als auch das zusammengesetzte Partizip (kor-
rekturgelesen).
Da Rückbildungen in ihrer Morphemstruktur den Konversionen glei-
chen können, ist die Entscheidung zwischen diesen Wortbildungsarten im
Einzelfall schwierig und nicht immer eindeutig möglich (vgl. Wunderlich
1987, 100; ¢ 1.8.1.6). Maßgebend für die Entscheidungsfindung sollte der
Motivationszusammenhang zwischen Basis und Wortbildung sein, wobei
Doppelmotivationen durchaus zu akzeptieren sind.
6) Die Reduplikation (¢ 1.8.1.8) fehlt beim Verb, soweit wir sehen; die
Kontamination (¢ 1.8.1.7) ist auf die Bildung weniger Okkasionalismen be-
schränkt.
7) Schließlich ist noch die Kurzwortbildung zu erwähnen, die sich erst in
jüngster Zeit v. a. in Diskussionsforen im Internet ausgebreitet hat und wohl
nicht als standardsprachlich einzustufen ist (¢ 2.7.5.3.4). Meist sind es Verben
auf -ieren, die durch Stammreduzierung, gelegentlich auch begleitet von
Phonemvariation, gekürzt werden, vgl. funktionieren > funzen, fotografieren
> foten, registrieren > reggen.
8) Nicht mehr produktiv ist heute die deverbale Ableitung kausativer Ver-
ben. Nur noch wenige entsprechende Wortpaare (duratives und davon ab-
geleitetes kausatives Verb) lassen sich nebeneinander stellen: trinken – trän-
ken, fallen – fällen, sinken – senken. Bei zahlreichen anderen ist die Motiva-
tionsbeziehung synchron nicht mehr ohne Weiteres zu ermitteln, vgl.
schwimmen – schwemmen. In der Gegenwartssprache wird die kausative
Bedeutung bevorzugt durch Funktionsverbgefüge ausgedrückt wie in zu Fall
bringen, zum Sinken bringen (vgl. DWb 1, 113f.).

Die abgeleiteten Verben drücken „ein Bewirken der im Grundwort genannten Tätig-
keit“ aus (Henzen 1965, 212; vgl. dazu v. Polenz 1968b, 140 f.), z. B. fallen – etw. fällen
,veranlassen, dass etw. (ein Baum) fällt‘. Meist ist ein schwaches Verb als Kausativum
376 5 Wortbildung des Verbs

von einer Ablautform eines starken Verbs abgeleitet, vgl. saugen – säugen, liegen – legen,
sitzen – setzen, fahren – führen.
Schon in dem letztgenannten Paar ist der Zusammenhang nicht mehr so deutlich
wie in den anderen Fällen. Lautliche Veränderungen und semantische Entwicklungen
haben nicht selten dazu geführt, dass die Motivationsbeziehungen heute verdunkelt
sind. Bisweilen ist auch eines der ursprünglich zusammengehörigen Verben unterge-
gangen. So kann nur noch etymologische Forschung aufhellen, dass die folgenden
Verben einmal in einem ähnlichen Verhältnis wie die oben genannten Paare gestanden
haben: essen – ätzen, rinnen – rennen, springen – sprengen, reißen – reizen, winden –
wenden, beißen – beizen, biegen – beugen, dringen – drängen, genesen – nähren u. a.
Manche Paare sind nur noch mit bestimmten Präfixen in Gebrauch, so z.B. vergessen –
ergötzen (mhd. ergetzen), schwinden – verschwenden u. a.
Es sind auch noch Relikte einer Gruppe von Verben erkennbar, die mit inlautendem
-pf-, -tz-, -ck- (zurückgehend auf eine alte Doppelung -bb-, -dd-, -gg-, -pp-, -tt-, -kk-)
neben Verben mit inlautendem -f(f)-, -ss-, -ch- (zurückgehend auf die alten einfachen
Konsonanten -b-, -d-, -g-, -p-, -t-, -k-) stehen und sich als eine Bedeutungsgruppe mit
dem Ausdruck des Intensiven, Iterativen zusammenfassen lassen. Allerdings sind die
semantischen Beziehungen nicht mehr in jedem Falle klar und deutlich: biegen –
bücken, neigen – nicken, schmiegen – schmücken (mhd. smücken ,in etwas eng Umschlie-
ßendes drücken, an sich drücken‘, danach erst nhd. Schmuck); triefen – tropfen,
schnieben, schnauben – schnupfen; stechen – sticken, ziehen – zücken, zucken; gleißen –
glitze(r)n, reißen – ritzen, schleißen – schlitzen, sprießen – spritzen (älter sprützen),
(ge)nießen – nützen, schneiden – schnitzen (vgl. dazu ausführlich Wilmanns 1899, 86 ff.;
Paul 1920, § 91).

5.1.2 Affixbestand

Die unterschiedliche Nutzung der Präfixderivation und Suffixderivation zur


Verbbildung korrespondiert mit der Anzahl der vorhandenen Affixe. Beim
Verb steht wenigen Suffixen eine größere Zahl polyfunktionaler Präfixe ge-
genüber (¢ 1.6.2.3; ¢1.9.2.2.2). In der nominalen Wortbildung ist es umge-
kehrt.
1) Die Suffixe -ier(en)/-isier(en)/-ifizier(en), -ig(en) und -el(n)/-l(n) die-
nen vornehmlich der Transposition nominaler Basen: spion ieren, fest igen,
blöd eln; nur -el(n)/-l(n) und -er(n)/-r(n) leiten Verben auch aus verbalen
Basen ab: husten > hüsteln, blinken > blinkern.
Nur noch relikthaft erhalten haben sich das Suffix -z(en)/-enz(en) wie in
faul enzen, sie zen, hun zen ,nachlässig arbeiten‘, dazu auch schallnachah-
mende Verben wie ächzen, grunzen (¢ 5.4.1); das Suffix -s(en) wie in knacken
> knacksen (dazu auch ¢ 2.3.2.12), einheimsen und das Suffix -sch(en) (aus
ahd. -isōn) wie in feilschen, herrschen.
5.1 Allgemeine Charakteristik 377

2) Die verbalen Präfixe sind stets unbetont. Sie bilden nur untrennbare,
„nicht distanzierbare“ (Šimečkova 1984, 133), „feste“ (Henzen 1965, 87)
Verben. Außer miss- und ge- sind sie auf das Verb beschränkt. Komplexe
Substantive mit den Präfixen be-, ent-, er-, ver-, zer- wie Besuch, Vertrag u. a.
sind folglich deverbal zu deuten. Substantivische Bildungen mit miss-
müssen unterschiedlich bewertet werden: Missernte als Präfixderivation,
Missbrauch als Konversion.
Zu unterscheiden sind Präfixe ohne homonyme Verbpartikel (be-, ent-,
er-, miss-, ver-, zer-) von denen mit homonymer Verbpartikel (durch-, hinter-,
über-, um-, unter-, wider-). Zu Letzteren existieren eine gleichlautende Prä-
position und ein Funktionswort, vgl. das Kind umsórgen, den Stuhl úmwer-
fen, um den See gehen.
Zur Interpretation präpositionaler Erstglieder beim Substantiv ¢ 2.2.7.1.
Präfixderivat und Partikelverb unterscheiden sich durch die Betonung und
die Trennbarkeit (¢ 1.8.1.5).
Wie die nominalen Präfixe treten auch die verbalen ausschließlich an
Wörter (¢ 1.6.2.2); Syntagmen und Konfixe sind als Basis ausgeschlossen,
ebenso syntaktisch trennbare Verben.
Nicht alle der genannten Präfixe sind produktiv. So finden sich beispiels-
weise keine neueren Bildungen mit hinter- (Ausnahme: hinterfragen), unter-
und wider-. Zudem sind viele usuelle Verben mit diesen Präfixen kaum noch
motiviert, vgl. z.B. hinterbringen, hinterlassen, unterbieten, unterschlagen,
untertreiben, widerrufen, widersetzen.
3) Die älteren Präfixe dar-, ge- und ob- bleiben in unserer Darstellung
außer Betracht, da sie fast nur noch in demotivierten Wortbildungen vor-
kommen: darlegen, -bieten, -tun; gebieten, -fallen, -hören, -loben, -währen;
obliegen, -siegen, -walten. (Zur Entwicklung der Präfixderivate mit dar- und
ob- seit dem Althochdeutschen bis zur Gegenwart vgl. Kiesewetter 1988.)
Nur bei einigen ge-Verben lässt der Motivationsgrad die Ermittlung einer
Wortbildungsbedeutung noch zu. Das betrifft die Wortbildungsbedeutung
,egressiv‘ bei gefrieren, -rinnen, -brauchen (detailliert Fleischer 1980, 56 f.).
Wenn gegenwärtig sonst sowohl das ge-Verb als auch das gleichlautende
Simplex geläufig sind, ist das Präfixderivat meist als gehoben oder veraltet
markiert, vgl. gedenken, sich -haben, -loben, -mahnen, -reichen, -reuen,
-ruhen. Bei einem Teil dieser Verben kann ge- „als semantisch redundant
angesehen werden“ (Fleischer 1980, 57), vgl. (ge)mahnen, (ge)reuen, (ge)zie-
men.
In den meisten Paaren aus Präfixderivat und Simplex lässt sich jedoch keine semanti-
sche Beziehung mehr nachweisen (geloben – loben, gehören – hören), sodass die Derivate
378 5 Wortbildung des Verbs

synchron nicht analysiert werden können. Auch demotivierte Präfixderivate mit an-
deren Präfixen wie besuchen, entsprechen, verstehen, sich vertragen werden nicht in die
Analyse einbezogen. Das betrifft ebenso Derivate mit unikalen Basen wie ergötzen,
vergeuden und isolierte Partizipien, zu denen kein Verbalparadigma existiert, wie an-
geboren, entlegen, zerknirscht.

5.1.3 Semantische und syntaktische Modifikation

Die Wortbildungsarten Präfixderivation und Partikelverbbildung zeichnen


sich vor den übrigen dadurch aus, dass im Zuge der Wortbildung bei vielen
deverbalen Modellen neben den funktional-semantischen auch syntaktische
Veränderungen der Basisverben eintreten, und zwar Änderungen des Va-
lenzrahmens. Die Definition der Modifikation (¢ 1.8.2.1.1) muss daher für
das Verb erweitert werden um den syntaktischen Aspekt, sodass von seman-
tischer und syntaktischer Modifikation zu sprechen ist (Erben 2006, 50).
Nach Eichinger (2000, 223) haben Präfixderivate sogar „ihre zentrale Funk-
tion im Bereich grammatischer Kategorisierungen“, was allerdings für die
einzelnen Präfixe in unterschiedlicher Striktheit gilt.
Syntaktische und semantische Modifikation überlagern einander oft in
ein und demselben Bildungsmodell. Die folgende exemplarische Auflistung
der Arten syntaktischer Modifikation vernachlässigt im Dienst der Über-
sichtlichkeit mögliche semantische Konsequenzen der jeweiligen Modelle.
Wichtige Arten syntaktischer Modifikation sind (vgl. Erben 2006, 88 f.):
– Transitivierung: lügen > jmdn. belügen; jmdm. folgen > jmdn. verfolgen;
– Transitivierung mit Inkorporation: um etw. ringen – etw. erringen; steigen
auf etw. > etw. besteigen;
– Reflexivierung: laufen > sich verlaufen; kennen > sich auskennen;
– Inkorporation: Sahne über den Auflauf gießen > den Auflauf mit Sahne
begießen/übergießen; Striche an die Tafel malen > die Tafel mit Strichen
bemalen; die Leiter an den Baum lehnen > die Leiter anlehnen.
Die Inkorporation entspricht einer Umstrukturierung des Valenzrah-
mens, bei der sich die Verteilung der semantischen Rollen der Komplemente
ändert, und zwar in Richtung Objektfokussierung wie bei der Transitivie-
rung (Eichinger 2000, 160ff.). Aus einem präpositionalen Komplement
(Direktiv; in den Beispielen über den Auflauf, an die Tafel) wird in der Ver-
bindung mit dem Präfixderivat bzw. mit dem Partikelverb ein Akkusativ-
komplement (Patiens; den Auflauf, die Tafel). Die Bedeutung der Präposi-
tion verlagert sich dabei in das Verb (über-/begießen). Von Inkorporation
spricht man auch dann, wenn das präpositionale Komplement (an den
5.1 Allgemeine Charakteristik 379

Baum) „eingespart“ wird; auch dabei geht die Bedeutung des Komplements
partiell in das Verb ein, nach Eroms (2010, 32) liegt hier eine „mikrovalen-
zielle Leerstellenbesetzung“ vor.
Zu Übersichten über die Arten der semantischen Modifikation (Bezeich-
nung von Phasen bzw. Verlaufsweisen des Geschehens) ¢ 5.2.1; ¢ 5.3.1.

5.1.4 Komplexes Verb und Syntagma

Während verbale Präfixderivate (begrüßen), Komposita (hörverstehen) und


Suffixderivate (lächeln) morphologisch und syntaktisch untrennbare
Wörter sind, ist die Entscheidung über den Wortstatus trennbarer kom-
plexer Verben schwieriger (¢ 1.2.2; ¢1.2.4). Das betrifft in erster Linie Par-
tikelverben mit adjektivischer (warmmachen, ¢ 5.3.3) oder substantivischer
(eislaufen, ¢ 5.3.4) Verbpartikel.
Das Erstglied in solchen komplexen Verben kann als selbstständiges Wort
in einem Satz grundsätzlich die Position vor dem infiniten Verb einnehmen:
mit dem Rad fahren – radfahren, zusámmen kómmen – zusámmenkommen.
Syntaktisch gesehen, liegt bei der Wortbildung somit eine bloße „Zusam-
menrückung“ benachbarter Elemente vor (so auch Wunderlich 1987, 97).
Aus der besonderen Bildungsweise ergibt sich, dass die verbalen Syntagmen
gegenüber den gleichlautenden komplexen Verben nicht durch eine „flexi-
visch-formale Kennzeichnung“ (Stepanowa/Fleischer 1985, 130) markiert
sind. Deren Identifizierung wird außerdem erschwert durch die Distanz-
stellung der unmittelbaren Konstituenten im Verberst- und im Verbzweit-
satz. Anders als beim Substantiv werden daher beim Verb für die Unter-
scheidung zwischen Wortbildung und Syntagma in stärkerem Maße seman-
tische Kriterien, der Lexikalisierungsgrad und die Akzentverhältnisse
berücksichtigt.
Grundsätzlich kann man solche Verbindungen sowohl als komplexes
Wort als auch als Syntagma ansehen. Die jeweilige Interpretation entschei-
det über die Schreibung. Als Prinzip gilt das sog. „Relationsprinzip“: Wenn
Erstglieder nicht „in syntaktischer Relation zu anderen Einheiten in einem
Satz stehen, sind [sie] Bestandteile von Wörtern“ (Fuhrhop 2005, 57). Zwei-
felsfälle ergeben sich deshalb, weil man entsprechende Erstglieder mitunter
sowohl syntaktisch interpretieren als auch als Wortbestandteil auffassen
kann.
Bei adjektivischer Verbpartikel kann die Valenz des Verbs Hinweise auf
eine Vorzugsinterpretation geben. Unterscheiden sich die Valenz des Basis-
verbs und die Valenz des komplexen Verbs voneinander, liegt eine Wortbil-
380 5 Wortbildung des Verbs

dung vor: den Termin festlegen vs. etwas wohin legen; sich gesundschlafen vs.
schlafen (Fuhrhop 2005, 74). Hinzu kommt meist „eine neue, als solche
verfestigte Gesamtbedeutung“ (Dudenband 1, 2009, 52), die den Wortstatus
stützt. Fehlen entsprechende Merkmale, kann ein und dieselbe Verbindung
als Wort oder als Syntagma aufgefasst werden: die Arbeit fertigmachen oder
fertig machen. Möglichkeiten der Doppelinterpretation bestehen in erster
Linie bei solchen Verbindungen, bei denen syntaktisch eine Resultativkon-
struktion vorliegt, d. h., bei denen das Adjektiv das Resultat der vom Verb
bezeichneten Handlung angibt (Dudenband 4, 2009, 790).
Zu Substantiv-Verb-Verbindungen ¢ 1.2.2; ¢ 5.4.3; Fuhrhop 2005, 70 ff.;
Munske 2005a, 98 ff.

5.2 Präfixderivation

5.2.1 Grundsätzliches

Die Präfixderivation gehört neben der Partikelverbbildung (¢ 5.3) zu den in


der verbalen Wortbildung am häufigsten genutzten Wortbildungsarten. Es
gibt wohl „kaum ein Verb […], das sich der Präfigierung [und der Partikel-
verbbildung, I. B.] gänzlich entzieht“ (DWb 1, 143).
Verbale Präfixderivate sind untrennbar; sie bilden folglich keine Satz-
klammer. Ihr spezifischer Bezug zur Verbgrammatik besteht vielmehr darin,
dass viele Modelle die Valenz ihrer Basisverben umgestalten (an etw. arbeiten
> etw. bearbeiten). Die Präfixe werden nicht betont.
Verbale Präfixderivate sind komplexe Verben mit verbaler, substantivi-
scher oder adjektivischer Basis: ver arbeiten, ent grät(en), er blind(en).
Andere Basiswortarten sind selten: nein > etw. verneinen, ja > etw. bejahen,
mundartlich jawohl > bejawohlen (Henzen 1965, 105). Auf das Numerale
zwei ist sich entzweien zu beziehen (mhd. zweien ,sich vereinigen‘ oder ,in
zwei Teile zerlegen‘). Man kann gegenwartssprachlich auch entzwei als Basis
annehmen, dann wäre entzweien als Konversion zu bestimmen.
Die Basisverben sind meist Simplizia; Partikelverben (abfahren, weglegen,
freistellen) werden wegen ihrer syntaktischen Trennbarkeit nicht präfigiert.
Auch komplexe substantivische und adjektivische Basen wie in ver stoffwech-
sel(n), be zuschuss(en), ver einheitlich(en) kommen nicht so häufig vor wie
simplizische. Umgekehrt sind jedoch Präfixverben durchaus Basis von Par-
tikelverben, vgl. wieder erkennen, weg verhandeln.
5.2 Präfixderivation 381

Bei Suffixderivaten scheint es keine Restriktionen für die Präfigierung zu


geben, die sich aus dem Derivat-Status der Basen ableiten ließen, vgl. belä-
cheln, entdramatisieren.
Ein Präfix bildet in der Regel mehrere Wortbildungsreihen aus, die sich
mitunter noch in semantische Subreihen untergliedern lassen. Semantische
Nuancen, die nur für wenige oder einzelne Derivate mit einem bestimmten
Präfix gelten, bleiben hier zugunsten einer überschaubaren Darstellung
weitgehend unberücksichtigt.
Die syntaktischen Modifikationen werden v.a. dann systematisch erfasst,
wenn sie nicht singulär auftreten, sondern Gruppen von Verben betreffen
oder zu den wichtigsten Funktionen eines Präfixes gehören, wie z.B. die
Transitivierung bei be-.
Die Polysemie fast aller Verben bedingt, dass die Einordnung eines Verbs
in eine Wortbildungsreihe und auch die Bestimmung seiner Valenz nicht
zwingend für alle Lesarten gelten. Auf eine explizite Lesartengliederung der
Verben muss aus Raumgründen verzichtet werden. Die jeweils gemeinte
Lesart wird bei besonders stark polysemen Verben durch die pronominale
Angabe von Kontextpartnern (jmd./etw.) verdeutlicht.
Bei den angeführten Beispielen handelt es sich – wie in der gesamten
Darstellung – immer um eine Auswahl. Vollständigkeit ist angesichts der
Menge existierender komplexer Verben nicht möglich (bei Tellenbach 1976
z.B. über 1000 ver-Verben). Das gilt auch für die Angaben zu synonymi-
schen und antonymischen Relationen zwischen Verben unterschiedlicher
Bildungsmodelle. Sie beziehen sich jeweils nur auf bestimmte Teilgruppen
oder Einzelpaare.
Die wichtigsten Arten der semantischen Modifikation und der durch
Transposition nominaler Basen entstehenden Wortbildungsbedeutungen
systematisiert die folgende Übersicht in alphabetischer Ordnung (zu den
Arten der syntaktischen Modifikation ¢ 5.1.3; zu exogenen Präfixderivaten
¢ 5.2.4).
382 5 Wortbildung des Verbs

Übersicht 30: Wortbildungsbedeutungen indigener verbaler Präfixderivate (Auswahl)


Basis Wortbildungs- Beispiele
bedeutung
Verb egressiv verblühen, erjagen
falsch sich verlaufen, missdeuten
ingressiv entbrennen, erblühen
intensiv beschützen
normabweichend überdüngen, unterfordern
reversativ verachten
weg entlaufen
zerstörend zerschlagen
Substantiv agentiv bemuttern
ingressiv vergreisen
instrumentativ zerbomben, verketten
kausativ verschrotten
ornativ bebildern, überdachen
privativ entasten, entflecken
Adjektiv ingressiv erbleichen, ergrauen
kausativ befreien, entfremden, verherrlichen

Ingressive und egressive Verben bezeichnen Handlungsphasen: das Eintre-


ten bzw. das Ende eines Geschehens oder die vollständige Durchführung
einer Handlung. Die übrigen Wortbildungsbedeutungen deverbaler Präfix-
verben kennzeichnen das Geschehen in Bezug auf die Bedeutung des Basis-
verbs als ,weg‘, ,falsch‘, ,gegensätzlich/reversativ‘, ,intensiv(er)‘, ,normab-
weichend‘ und ,zerstörend‘.
Die Wortbildungsbedeutungen desubstantivischer und deadjektivischer
Verben werden entsprechend dem Vorschlag Marchands (1964a, 105ff.)
nach den morphosyntaktischen Merkmalen des Basissubstantivs bzw. Ba-
sisadjektivs in einer weitgehend äquivalenten Paraphrase gruppiert. Das gilt
auch für konvertierte Verben und Suffixderivate auf -ier(en)/-isier(en)/
-ifizier(en) (¢ 5.4.5; ¢ 5.5.3; ¢5.5.4). Folgende Gruppen sind zu unterscheiden
(vgl. v. Polenz 1968b, 148ff.):
– Desubstantivische Verben aus Nominativsyntagmen (Basissubstantiv als
subjektbezogenes Prädikativ oder als Subjekt), z.B. sich verhalten wie ein
Wirt > jmdn. bewirten, deadjektivische Verben aus Adjektiven in adver-
bialer Funktion, z.B. sich schnell bewegen > schnellen; Wortbildungsbe-
deutung ,agentiv‘;
5.2 Präfixderivation 383

– Verben aus Akkusativsyntagmen (Basissubstantiv meist als affiziertes


oder effiziertes Objekt, teilweise phrasemisch gebunden), z.B. Henkel an
der Tasche anbringen > die Tasche behenkeln. Wortbildungsbedeutungen
,ornativ‘, ,zufügend‘: ,etw. mit [Basissubstantiv] ausstatten, versehen‘
oder ,jmdm. etw. zufügen, geben‘ (besohlen, beauftragen); ,privativ‘:
,[Basissubstantiv] entfernen‘ (entgräten);
– Verben aus Präpositionalsyntagmen, z. B. etw. zu Schrott machen > ver-
schrotten; Wortbildungsbedeutungen ,ingressiv‘: ,zu [Basissubstantiv]
werden‘ (versumpfen) bzw. ,jmd./etw. wird [Basisadjektiv]‘ (erröten);
,kausativ‘: ,jmdn./etw. zu [Basissubstantiv] machen‘ (jmdn. versklaven)
bzw. ,etw. [Basisadjektiv] machen‘ (etw. veredeln), ,instrumentativ‘: ,etw.
mit Hilfe von [Basissubstantiv] tun‘ (etw. verketten).
Zu den Wortbildungsbedeutungen der denominalen Konversionen ¢ 5.5.2;
¢ 5.5.3; zur semantischen Differenzierung von Verben grundsätzlich vgl. Du-
denband 4, 2009, 408ff.

5.2.2 Präfixe ohne homonyme Verbpartikel

5.2.2.1 Präfix be-


Das Präfix be- (ahd. bı̄, ,um – herum‘, vgl. bei) dient sowohl der semanti-
schen und der syntaktischen Modifikation verbaler Basen als auch der
Transposition von Substantiven und Adjektiven zu Verben. be-Derivate
machen etwa ein Viertel aller Präfixderivate aus (Wellmann 1998, 459). Die
Beschreibung konzentriert sich hier auf die wichtigsten Wortbildungsrei-
hen.
Als demotiviert bzw. mit unikaler Konstituente ausgestattet entfallen für
die synchrone Analyse Verben wie bedingen, -gehren, -ginnen.
1) Verbale Basis
Die verbalen Basen sind vornehmlich Simplizia oder Suffixderivate (be-
kennen, belächeln), kaum jedoch Verben auf -ieren. Das einzige Beispiel im
GWDS ist bekomplimentieren, das allerdings auch desubstantivisch aufgefasst
werden kann, denn komplexere be-Verben sind in der Regel Output einer
denominalen Derivation (beglückwünschen) oder Zirkumfixderivation (be-
seitigen; ¢ 5.4).
1.1) Die Hauptfunktion von be- besteht in der Transitivierung des Basis-
verbs, entweder ohne eine semantische Nuancierung oder mit nur „vager
semantischer Wirkung“ (v. Polenz 1980, 176). Bei Günther (1974, 147ff.)
werden dennoch semantische Nuancen der syntaktisch modifizierten
384 5 Wortbildung des Verbs

Verben wie ,resultativ‘ in etw. besteigen oder ,punktuell‘ in etw. betreten


herausgearbeitet, die allerdings wesentlich von der lexikalischen Besetzung
der Valenzstellen des Verbs abhängen (zu den semantischen Umgebungen
der be-Verben detailliert auch v. Polenz 1968b; Eroms 1980; Schröder 1983).
Die Basisverben sind intransitiv; entweder einwertig (lügen) oder zwei-
wertig mit Dativ- oder Präpositionalkomplement: jmdm. dienen > jmdn.
bedienen, ebenso bedrohen; über jmdn./etw. lächeln > jmdn./etw. belächeln,
ebenso -klagen, -kämpfen, -lauern, -schimpfen, -siegen; auf etw. fahren – etw.
befahren, ebenso befliegen, -reisen, -segeln, -steigen, -treten, -wohnen.
Dazu finden sich zahlreiche Okkasionalismen, vgl. „Die Kameraden be-
klopfen, befühlen und behorchen den verunglückten Brigadier…“ (E. Stritt-
matter); wird der Akrobat beklatscht, bestaunt, bekreischt, beseufzt (Weltbüh-
ne 1989).
Die Präfigierung transitiver Basen mit präpositionalem Komplement
kann als Inkorporation erklärt werden. Die Bedeutung der Präposition ver-
lagert sich in das komplexe Verb: Sand auf den Wagen laden > den Wagen mit
Sand beladen; vgl. ebenso bebauen, -decken, -drucken, -hängen, -kleben, -krit-
zeln, -pflanzen, -schreiben, -streichen.
Die meisten Verben dieser Gruppe wie z.B. bedrucken, -schreiben, -pflanzen
drücken aus, dass der durch das Akkusativkomplement des Derivats be-
zeichnete Gegenstand vollständig von der entsprechenden Tätigkeit betrof-
fen ist. Das nichtpräfigierte Verb impliziert diese Nuance nicht, vgl. Sand auf
den Wagen laden – den Wagen mit Sand beladen, d. h., den Wagen vollladen
(vgl. Brauße 1980, 13).
Dem letztgenannten Modell folgen gegenwärtig viele Neuprägungen (vgl.
Braun 1982, 216ff.). Der Wegfall des präpositionalen Anschlusses, verbun-
den mit der Fassung des Handlungsortes als Akkusativkomplement (bei
Eroms [1987, 109] als „Konversion“ der Präpositionalphrase erklärt), führt
zu einem leicht handhabbaren Satzmodell, sodass die be-Derivate dem Stre-
ben nach Vereinfachung syntaktischer Strukturen entgegenkommen. Au-
ßerdem stellen sie eine „Erweiterung konstruktioneller Möglichkeiten ge-
genüber ihren […] Basen“ dar (Eroms 1987, 109). Das v.a. erklärt ihre
Zunahme in der Gegenwartssprache.
1.2) Das Modell mit der Wortbildungsbedeutung ,intensiv‘ bildet eine we-
sentlich kleinere Wortbildungsreihe aus. Diese Derivate sind meist nicht mit
einer syntaktischen Modifikation verbunden. Sie regieren wie die Basisver-
ben einen Akkusativ: befragen, -fördern, -fühlen, -fürchten, -grüßen, -kleiden,
-schützen, -strafen. Mitunter ist die Intensivierung nur schwach ausgeprägt,
sodass be- als weglassbar erscheint wie in jmdn. befragen – jmdn. fragen, sich
mühen – sich bemühen; das gilt auch für jüngere Bildungen wie die Schule
beheizen, Rüben behacken.
5.2 Präfixderivation 385

2) Substantivische Basis
Desubstantivische be-Verben prägen im Kernbereich zwei Wortbildungs-
reihen aus.
2.1) Wortbildungsbedeutung ,agentiv‘: Von Personenbezeichnungen ab-
geleitet sind jmdn. befeinden, sich mit jmdm. befreunden, jmdn. bemuttern,
-spitzeln, -vormunden, -wirten.
2.2) Wortbildungsbedeutung ,ornativ‘: Die Basen sind Konkreta, vgl. etw.
bebildern, -dachen, -flaggen, -schottern, -solden, -wässern, und auch Abstrak-
ta (Wortbildungsbedeutung dann eher ,zufügend‘): jmdn. beauftragen, -glü-
cken, -glückwünschen, -mitleiden, -neiden, -noten, -rauschen, -seelen, -urlau-
ben, -vorzugen, -zuschussen. Bisweilen ergeben sich Doppelmotivationen wie
bei beneiden, motiviert durch Neid oder neiden.
3) Adjektivische Basis
Die Wortbildungsbedeutungen deadjektivischer Verben sind ,ingressiv‘: sich
befleißigen, bereichern, bemächtigen und ,kausativ‘: jmdn. befähigen, -günsti-
gen, -richtigen, -ruhigen, -sänftigen; etw. bekräftigen.

5.2.2.2 Präfix ent-


Die meisten Verben mit ent- (ahd. int-, älter ant- ,gegen‘, vgl. noch in Antwort,
Antlitz) sind Ergebnis einer Präfigierung simplizischer Verben, ein kleinerer
Teil hat eine nominale Basis. Ent- ist etwa zu 15 % an der Verbbildung durch
Präfixderivation beteiligt (Wellmann 1998, 459).
Die semantischen Modifikationen sind bei einigen Verben mit syntakti-
schen verbunden, z.B. bei entschlüpfen, -stammen (schlüpfen aus dem Ei >
dem Ei entschlüpfen), entnehmen (Brot aus der Tüte nehmen > der Tüte Brot
entnehmen). Genaueres zur quantitativen Valenz sowie zur lexikalischen
Besetzung der Valenzstellen der ent-Verben bei Schröder (1985, 333ff.).
Die Zahl demotivierter ent-Verben ist relativ hoch, vgl. z.B. entbehren
(unikale Basis), -gelten, -halten, -lehnen, -richten, -rüsten, -scheiden, -schlie-
ßen, -setzen, -sinnen, -sprechen, -stehen, -stellen, -wenden, -werfen, -wickeln,
-zücken. Nicht mehr segmentierbar sind heute Verben mit f im Anlaut, bei
denen ein ursprüngliches ent- durch Assimilation zu emp- geworden ist:
empfehlen, -finden.
1) Verbale Basis
1.1) Verben mit ent- bezeichnen ein ,Entfernen‘ von etwas, „meist mit dem
Nebensinn einer Bewegung aus etw. heraus“ (DWb 1, 218), ohne dass bei
Bewegungsverben ein Ziel der Bewegung impliziert ist. Dazu gehören entei-
len, -gehen, -kommen, -laden (Waggon), -laufen, -leihen, -nehmen, -schweben.
Mit den Verben verbundene Dativkomplemente können als Ausgangsbe-
386 5 Wortbildung des Verbs

reiche oder -punkte der Bewegung gedeutet werden: dem Feuer entkommen
,vom Feuer wegkommen‘. In Verben wie entfallen, -fliehen, -reißen, -schwin-
den, -senden, -weichen, deren Basen schon ein ,Entfernen‘ bezeichnen, er-
gänzt ent- die Wortbildungsbedeutung ,intensiv‘. In entsprießen, -springen,
-stammen, -strömen ist die Wortbildungsbedeutung vergleichbar mit der
von aus-Verben (¢ 5.3.1.5). Synonymisch sind in dieser Subreihe ent-, aus-
strömen; vergleichbar damit die Paare ent-, ausladen, -leihen, -senden, wobei
die ent-Verben wegen ihrer stilistischen Markierung ,gehoben‘ stärkeren
Verwendungsbeschränkungen unterliegen. Das trifft auch auf Paare wie ent-,
losreißen, ent-, loskommen, ent-, verschwinden zu; antonymisch sind ent-,
versorgen, ent-, verhaften.
1.2) Den „aufhebenden Gegensatz“ (Henzen 1965, 106) bezeichnen ent-
binden, -ehren, -erben, -fesseln, -fetten, -färben, -flechten, -hemmen, -kleiden,
-kuppeln (synonymisch ab-), -laden (Batterie), -loben. Antonymisch ver- bei
-flechten, -loben, ein- bei -fetten, auf- bei -laden.
1.3) Ingressive Verben (mit historisch anderem Präfix: ahd. in-) werden
als gehoben empfunden, vgl. auch 1.1). Sie haben in der Regel eine nicht-
markierte synonymische Entsprechung mit einer Verbpartikel; vgl. mit an-:
entbrennen, -fachen, -zünden; mit ein-: entschlafen, -schlummern; aber wegen
sich ausschließender Konnotation nicht *entpennen, *-dösen. Sie machen
nur einen kleinen Teil der ent-Verben aus.
2) Substantivische Basis
Desubstantivische ent-Verben sind ,privativ‘: entgiften, -gräten, -haupten,
-keimen, -kernen, -korken, -kräften, -larven, -motten, -schlammen, -steinen.
Sie können in antonymischen Beziehungen zu ver- und be-Verben stehen:
ent-, beschleunigen (veraltete Basis schleunig ,schnell‘), ent-, verschlüsseln,
ent-, versiegeln; ent-, bevölkern.
3) Adjektivische Basis
Deadjektivische ent-Verben bezeichnen das Aufheben eines Zustands: ent-
fremden, entmündigen, entmutigen, entstofflichen oder das Bewirken eines
Zustands: entblößen. Doppelmotiviert sind entleeren (deadjektivisch oder
deverbal), „ein Gesicht beim Zeichnen entschönen“ (A. Mueller-Stahl).

5.2.2.3 Präfix er-


er- (ahd. ur- ,aus – heraus‘) tritt zur Bildung von Verben an verbale und
adjektivische Basen und wohl nur in einem Fall (ermannen) an ein Substan-
tiv. Die verbalen Basen sind in der Regel Simplizia. er-Verben fungieren
relativ häufig als Basis von Partikelverben: aberkennen, anerkennen, aufer-
stehen, auserwählen, nacherzählen, umerziehen, zuerkennen.
5.2 Präfixderivation 387

Bei einem Teil der Verben ist die semantische Modifikation mit einer
syntaktischen verbunden. Die Basisverben werden durch Transitivierung
bzw. Inkorporation syntaktisch verändert: auf etw./jmdn. blicken –
etw./jmdn. erblicken, des Weiteren erbetteln, -forschen, -lauschen, -ringen,
-streiten, -hoffen, -streben, -zwingen; jmdn. um etw. bitten – etw. von jmdm.
erbitten.
Transitiv wie ihre Basis bleiben erdichten, -dulden, -erben, -finden, -lernen,
-raten, -rechnen, -retten, -schaffen.
Demotiviert sind sich ereignen, etw. -fahren, -halten, sich -holen, etw.
-obern, -zählen; mit unikaler Basis jmdn. ergötzen, jmdn./sich -innern, etw.
-lauben.
1) Verbale Basis
1.1) Die Hauptfunktion der Präfigierung von Simplizia mit er- besteht in
der Bildung egressiver Verben. Sie bezeichnen das Anstreben bzw. Erreichen
eines Resultats des vom Basisverb bezeichneten Geschehens oder nur das
Ende des Geschehens; sie „führen zu einem Zustand hin“ (Eichinger 2000,
226). Impliziert ist dabei häufig die Wortbildungsbedeutung ,intensiv‘. Fast
die Hälfte aller er-Verben gehört zu dieser Wortbildungsreihe (vgl. DWb 1,
342; Eroms 1980, 61 ff.): etw. erarbeiten, etw. -fassen, etw. -greifen, etw. -kau-
fen, -messen, jmdn. -pressen, etw. -rechnen, etw. -schwindeln. Die sehr zahl-
reich auftretenden Okkasionalismen können in der Mehrzahl auch dieser
Reihe zugeordnet werden, vgl. etw. erbäckern, -büffeln, -ramschen, -reden,
-spaßen, -züchten (E. Strittmatter), -googeln.
Synonymie mit anderen Präfixen und mit Verbpartikeln besteht z. B. bei
arbeiten, denken, rechnen mit aus-, bei löschen mit ver-, bei streben mit an-.
Zu den egressiven Verben gehören auch solche, die das ,Sterben‘ oder
,Töten‘ bezeichnen. Die Semantik der Basis verweist auf die Art und Weise
des Todes. Transitiv sind jmdn. erdrosseln, jmdn./sich -schießen, jmdn. -schla-
gen, -stechen, -tränken, -würgen; intransitiv erfrieren, -trinken.
Die Komponente ,intensiv‘ dominiert bei Zustandsverben: erahnen, -dul-
den, -freuen, -leiden, -strecken.
Schließlich sind auch Verben hierher zu stellen, die nach Kühnhold (DWb
1, 171) eine Aufwärtsbewegung bezeichnen wie etw. erbauen, -heben, jmdn.
-regen, -ziehen. Die Wortbildungsbedeutung ,lokativ‘ lässt sich in diesen
Verben allerdings kaum (noch) nachweisen (vgl. Hundsnurscher 1968, 226).
Konkurrierende Bildungen mit auf- sind deutlicher räumlich orientierend
(aufbauen, -heben). Auch Partikelverben wie auferstehen, anerziehen mit lo-
kativer Wortbildungsbedeutung zeigen, dass bei er- die räumliche Kompo-
nente in den Hintergrund tritt.
388 5 Wortbildung des Verbs

1.2) Eine kleinere Gruppe ingressiver er-Verben bezeichnet den (plötzli-


chen) Beginn oder die Einmaligkeit eines Geschehens: erbeben, -glühen, -klin-
gen, -öffnen, -schallen, -strahlen, -tönen, -zittern. Bei glühen und klingen kon-
kurriert auf-.
ent-, das ebenfalls ingressive Verben bildet (entflammen), kann nicht an
die gleichen Basen treten.
Zahlreiche er-Verben gehören der gehobenen Stilschicht an, oft auch
dann, wenn die Basis neutral ist: ergießen, -ahnen, -sprießen, -stürmen.
2) Adjektivische Basis
2.1) Ingressive Verben sind intransitiv oder reflexiv: erbleichen, -blinden,
-grauen, -kalten, -kranken, -starken; sich erdreisten, -kühnen.
2.2) Kausative Verben sind transitiv: jmdn. erheitern, -muntern, -mächti-
gen; etw. ermöglichen, -neuern, -niedrigen, -weitern.
5.2.2.4 Präfix miss-
Miss- stellt insofern eine Ausnahme innerhalb der Präfixe dar, als es nicht
nur Verben präfigiert, sondern auch der Modifikation von Substantiven und
Adjektiven dient (¢ 2.4.2.4; ¢3.4.2.2). Für die Verbbildung tritt es ausschließ-
lich an verbale Basen, ist gegenwärtig jedoch kaum produktiv. Eine jüngere
Bildung ist wohl missinterpretieren, die sich im Dudenband 1, 2004 findet,
noch nicht jedoch in der 22. Auflage von 2000 (auch als Rückbildung aus
Missinterpretation deutbar). Verben mit miss- sind auch insofern ein Son-
derfall innerhalb der Präfixderivation, als miss- betont sein kann wie in den
Doppelpräfigierungen missbehagen, -verstehen und in missinterpretieren.
Der Bestand an usuellen Verben mit miss- ist vergleichsweise gering. Das
GWDS verzeichnet nur 23 Bildungen, darunter zahlreiche veraltete wie
missblicken, -hören, -kennen, -klingen, -reden.
Die Wortbildungsbedeutung der motivierten Verben mit miss- ist
,falsch‘ (missbrauchen, -deuten, -verstehen, -leiten [synonymisch ver-, fehl-,
irreleiten]) und ,reversativ‘ (jmdn./etw. missachten [synonymisch ver-], miss-
behagen, -billigen, -glücken, jmdm. etw. missgönnen). Nach Eichinger (2000,
229) ist miss- „ein Präfix für das Nicht-Glücken von Handlungen“.
Bei missbrauchen, -fallen, -lingen, -raten liegt streng genommen keine
Präfixderivation durch Anfügen des Präfixes an eine simplizische Basis vor,
sondern eine Substitution des Präfixes ge- bei gebrauchen, -fallen, -lingen,
-raten. Die entsprechenden Simplizia kommen entweder nicht mehr vor
(lingen mhd. ,gedeihen‘) oder die Präfixderivate sind demotiviert (gefallen,
-raten). Lediglich brauchen ist noch in der Lesart ,verwenden‘ geläufig, al-
lerdings ist wohl gebrauchen dafür üblicher, vgl. seinen Verstand brauchen/
gebrauchen.
5.2 Präfixderivation 389

5.2.2.5 Präfix ver-


Ver- modifiziert Verben und dient außerdem der Transposition von Sub-
stantiven und Adjektiven zu Verben. Die verbalen Basen sind Simplizia (ver-
graben) oder Suffixderivate (vertelefonieren). Mit dem stark polyfunktiona-
len ver- entstehen ca. 45 % aller Präfixderivate (Wellmann 1998, 459).
Relativ vielfältig sind die Kombinationen der ver-Verben mit Verbparti-
keln (anvertrauen, abverlangen, ausverkaufen, einvernehmen, nachverlangen,
umverteilen, vorverlegen).
Das Präfix ver- ist eine Verschmelzung aus drei ursprünglich verschie-
denen Präpositionen, die im Gotischen noch getrennt erscheinen als faur
,vor, vorbei‘, fra ,weg‘ und fair ,heraus, hindurch‘ (dazu eine ausführliche
Übersicht bei Mungan 1986, 133). Aus dieser Etymologie ergeben sich für
die Gegenwartssprache eine extreme semantische Vielfalt der ver-Verben
und auch ihre zahlenmäßige Dominanz im Vergleich zu anderen Präfixver-
ben (Henzen 1956, 173ff.; Tellenbach 1976, 5 ff.).
Die Präfixderivation ist von Transitivierung (jubeln > etw. verjubeln,
jmdm. folgen > jmdn. verfolgen) und Inkorporation (etw. wohin schmieren –
etw. mit etw. verschmieren) begleitet.
Nicht in die Analyse einzubeziehen sind demotivierte Verben, z.T. mit
unikalen Basen, wie verlieren, -geuden, -lottern, -bleuen, -hohnepiepeln,
-leumden, -wamsen.
1) Verbale Basis
1.1) Wie bei er- besteht auch bei ver- die Hauptfunktion in der Bildung
egressiver Verben. Die Verben bezeichnen die Vollendung eines Geschehens:
verändern, -folgen, -gären, -heilen, -reisen, -schlingen, -sinken. Auf der all-
mählichen Beendigung eines Vorgangs liegt die Betonung bei verhallen, -klin-
gen, -löschen, auf dem zweckorientierten Verarbeiten, Aufbrauchen oder
Beseitigen eines Stoffes bei etw. verarbeiten, -backen, -braten, -füttern, -gie-
ßen, -heizen, -mahlen, -mauern, -speisen, -streichen (Farbe), -wirtschaften,
-zehren. Synonyme bilden auf- bei arbeiten, zehren; aus- bei gießen, schütten,
streuen mit deutlicher lokativer Komponente ,heraus‘.
Hierher ist auch eine Reihe von meist umgangssprachlichen Verben mit
der Bedeutung ,etw. (Zeit/Geld) vergeuden‘ zu stellen: verdösen, -fressen,
-jubeln, -juxen, -naschen, -pennen, -plaudern, -plempern, -saufen, -schleudern,
-spielen, -tun, -trödeln. Bei intransitiven Basen tritt Transitivierung ein: Zeit
verdösen, -warten, Geld verjubeln. Dieses Modell ist hochproduktiv. Henzen
(1956, 187) verzeichnet eine Vielzahl jüngerer Verben, z.B. mit der Bedeu-
tung ,die Zeit mit etwas zubringen‘: vergondeln, -golfen, -paddeln, -segeln,
-skaten, -telefonieren; vgl. auch versurfen.
390 5 Wortbildung des Verbs

Zu den Verben mit egressiver Bedeutung gehören schließlich solche, die


das Vergehen, Verschwinden oder Sterben von Stoffen bzw. Lebewesen be-
zeichnen, sie sind wie ihre Basen intransitiv: verblühen, -bluten, -dampfen,
-enden, -glimmen, -hungern, -scheiden, -trocknen (hierzu komplementär er-,
¢ 5.2.2.3[1.1]).
Auch Verben, deren Basen ein Bewegen oder Transportieren bezeichnen,
lassen sich in diese Wortbildungsreihe einordnen, vgl. verdrängen, -jagen,
-rutschen, -schieben, -schleppen, -setzen, -stoßen, -treiben. Synonymisch ist in
vielen Fällen die adverbiale Verbpartikel weg- (wegjagen).
Verben, die sich unter dem Oberbegriff ,Verprügeln‘ zusammenfassen
lassen, haben diese Bedeutung in der Regel schon in der Basis: verdreschen,
-hauen, -pochen, -prügeln. Vertrimmen und verwichsen sind aber nicht mo-
tiviert. Die Basen trimmen und wichsen bedeuten ,leistungsfähig machen‘
bzw. ,(Leder) mit Creme/Wachs einschmieren‘.
Bei Verben des Verbindens markiert ver- die vollständige Durchführung
der Handlung: verhaken, -heiraten, -kitten, -knüpfen, -mischen, -quirlen,
-sammeln, -wachsen. Synonymisch sind teilweise Bildungen mit zusammen,
antonymisch mit ent-, z.B. bei flechten, vgl. auch ver-, entloben (allerdings
demotiviert).
Konkurrierend treten auf ab- bei ändern, heilen, sinken, aus- bei klingen,
aus- und er- bei löschen; antonymisch er- bei klingen.
1.2) Eine kleinere Gruppe von ver-Verben markiert die Durchführung der
Handlung als abwegig oder fehlerhaft (Wortbildungsbedeutung ,falsch‘).
Die Verben sind gegenüber ihren Basen teilweise syntaktisch modifiziert zu
reflexiven Verben: sich verfahren, -hören, -schlucken, -sprechen, -wählen,
-rechnen. Eine zusätzliche semantische Komponente ,zu viel‘ enthalten etw.
versalzen, -pfeffern, -würzen.
In enger semantischer Verbindung zu dieser Gruppe stehen Verben mit
reversativer Bedeutung wie verachten (Synonymie mit miss-). Sonderfälle
sind verlernen ,vergessen‘ und versagen ,etw. nicht gewähren‘ oder ,schei-
tern‘, da sie ihrer lexikalischen Bedeutung nach in diese Reihe gehören, aber
teilweise demotiviert sind.
1.3) Eine Intensivierung der Basisbedeutung bewirkt ver- in verbleiben,
-helfen, -meiden, -melden, -schonen, -spüren, -schwinden, -sterben, -trauen,
-warnen.
Verdeutlichend, mitunter pleonastisch, tritt ver- in zahlreichen Verben
mit -ier(en) auf: verklausulieren (Basis ohne Präfix nicht selbstständig vor-
kommend), verkomplizieren, -konsumieren, -simplifizieren (¢ 1.9.3.2.3). Das
Präfix kann, wenn es als redundant empfunden wird, auch getilgt werden:
verinteressieren, -maskieren, -sortieren – so noch im DWB – sind heute nur
ohne Präfix geläufig (weitere Belege bei Henzen 1956, 179).
5.2 Präfixderivation 391

2) Substantivische Basis
Desubstantivische Präfixverben mit ver- haben die Wortbildungsbedeutun-
gen ,ingressiv‘ (verbauern, -greisen, -harschen, -schilfen, -städtern, -sumpfen,
-trotteln), ,kausativ‘ (jmdn./etw. verfilmen, -göttern, -ketzern, -kitschen,
-koken, -mosten, -saften, -schulen, -schrotten, -sklaven, -trusten), ,ornativ‘
(verchromen, -golden, -krusten, -minen, -rohren ,Rohre verlegen‘, -siegeln,
-silbern, -zinnen). Weniger motiviert sind sich verausgaben, etw. verauslagen
,auslegen‘. Okkasionelle Neubildungen zeugen von hoher Produktivität des
Modells: vergewerkschaften, -mauten, -stichworten (Poethe 2007, 216); wer
Raps verdieselt und Wein versprittet (Der Spiegel 2006).
3) Adjektivische Basis
Deadjektivische Verben sind ,ingressiv‘ (verarmen, -blassen, -flachen) oder
,kausativ‘ (veralltäglichen, -anschaulichen, -billigen, -einfachen, -einseitigen,
-feinern, -harmlosen, -unmöglichen). Die Basisadjektive sind, wie die Bei-
spiele zeigen, einfach oder komplex.

5.2.2.6 Präfix zer-


Die meisten Verben mit zer- haben eine verbale Basis; nahezu alle Basen sind
Simplizia (aber: zerbröckeln). Intransitive Basisverben werden durch zer-
meistens transitiv wie reden – etw. zerreden. Auch Reflexivierung kommt
vor: streiten > sich zerstreiten.
1) Verbale Basis
Die deverbalen Verben bezeichnen ein Geschehen als ,Zerstören‘ (dazu
Schröder 1986, 333): zerblasen, -drücken, -flattern, -pflücken. Oft ist die Be-
deutungskomponente ,auseinander‘ schon im Simplex enthalten, dann
wirkt das Präfix intensivierend mit einer Betonung des Abschlusses des Ge-
schehens: zerbeißen, -bersten, -brechen, -bröckeln, -gliedern, -hacken, -mahlen,
-schneiden, -spalten, -streuen, -stückeln, -teilen, -trennen. Die Komponente
,Erreichen eines Flüssigzustands des Vorgangsträgers‘ implizieren zerfließen,
-gehen, -laufen, -rinnen.
Bei Verben, deren Basen nicht über eine semantische Komponente ,Tei-
lung‘ verfügen (vgl. Vaño"-Cerda 1987, 301), signalisiert zer- eine beschädi-
gende, meist unerwünschte Veränderung des Normalzustands eines Ob-
jekts. Hier ist zu unterscheiden zwischen Verben mit dieser Bedeutungs-
komponente in der Basis wie zerknittern, -knüllen, -kratzen und jenen, die
eine solche Bedeutung durch die Präfigierung bekommen können wie zer-
bohren, -kochen, -klopfen, -liegen, -reden, -stechen, -schlagen, -singen, -stören,
-trampeln, -treten, -wühlen.
392 5 Wortbildung des Verbs

2) Substantivische Basis
Kausativ sind zerbröseln, -fleischen, -krümeln, -pulvern (,pulverisieren‘),
-spanen, -stäuben, -trümmern; instrumentativ ist zerbomben.
3) Adjektivische Basis
Die deadjektivischen Verben – nur wenige sind belegt – haben die Wort-
bildungsbedeutung ,kausativ‘: zerkleinern, -mürben.

5.2.3 Präfixe mit homonymer Verbpartikel

5.2.3.1 Grundsätzliches
Zu den Präfixen durch-, hinter-, über-, um-, unter-, wider- existieren formal
gleiche Verbpartikeln (und auch Präpositionen; ¢ 5.1.2; ¢5.3). In vielen
Fällen konkurrieren sie an demselben Basisverb, besonders häufig v.a. bei
durch- und um-Verben: er wandert durch (das Tal) – er durchwandert das Tal;
er fährt um das Hindernis – er umfährt das Hindernis. Šimečkova" (1984, 135)
betrachtet diese Konkurrenz (Trennbar-/Untrennbarkeit der formal glei-
chen Verben) als den Normalfall. Verben, die entweder nur untrennbar
(unterbréchen) oder nur trennbar (dúrchhalten) vorkommen, stellen danach
die Peripherie der Gruppe dar (Šimečkova" 1984, 136). Präfix- und Partikel-
verben unterscheiden sich durch den Wortakzent (¢ 1.8.1.5).
Die Formenbildung kann „mit größter Sicherheit aufgrund der Valenz
des komplexen Verbs vorausgesagt werden“ (Šimečkova" 1984, 140). Un-
trennbarkeit korreliert in der Regel mit Transitivität; trennbare Verben sind
syntaktisch weniger einheitlich (Eroms 1982, 36).
Formal identische Präfix- und Partikelverben können semantische und
weitere syntaktische Unterschiede aufweisen: eine Jacke únterziehen – sich
einer Operation unterzı́ehen, eine Jacke ǘberziehen – die Zeit überzı́ehen. Bei
Fällen wie únterziehen – unterzı́ehen usw. grundsätzlich von Homonymie
auszugehen, wie das Horlitz für durch-Verben vorschlägt, scheint uns ange-
sichts vielfältiger semantischer Beziehungen zwischen den Varianten (vgl.
durchkreuzen, -leuchten) nicht gerechtfertigt zu sein (vgl. Horlitz 1982, 261).
Als allgemeine semantisch differenzierende Tendenz zeigt sich, dass un-
trennbare Verben zur Ausprägung abstrakterer Bedeutungen neigen (vgl.
Eroms 1982, 38).
Insgesamt ist seit frühmhd. Zeit eine Zunahme der trennbaren Verben zu
verzeichnen (vgl. zu durch- Horlitz 1982, 259; zu über- Henzen 1969, 191).
5.2 Präfixderivation 393

5.2.3.2 Präfix durch-


Durch- präfigiert vornehmlich simplizische Verben (durchbrechen). Sub-
stantivische und adjektivische Basen sind relativ selten (durchlöchern,
-feuchten).
Mit der Präfigierung ist meist Transitivierung verbunden: durch etw.
fahren – etw. durchfahren. Die direktionale Bedeutung des Adverbials wird
mit der Verbpartikel durch- in die Verbbedeutung inkorporiert, sodass an-
stelle des Adverbials ein Akkusativkomplement erscheint (durch den Tunnel
fahren – den Tunnel durchfahren). Zur Valenzreduktion bei fachsprachlich
gebrauchten Verben vgl. Horlitz 1982, 265ff.
Präfixverben mit durch- haben meist egressive Bedeutung. Sie bezeichnen
die Durchführung der Handlung bis zu einem Abschluss, auch ,gründli-
ches, intensives Handeln‘: durchdenken, -leben (synonymisch erleben, aller-
dings ohne die Komponente ,intensiv‘), -suchen, -wühlen. Es kommt zum
Ausdruck, dass das betroffene Objekt vollständig von der Handlung erfasst
wird (räumlich ,in etw. hinein und wieder hinaus‘): etw. durchdringen,
-jagen, -fliegen, -reisen.
Demotiviert ist desubstantivisches durchforsten ,kritisch durchsehen‘.

5.2.3.3 Präfix hinter-


Die Präfixderivation mit hinter- ist nicht mehr produktiv; nur wenige
schwach motivierte Verben kommen vor: hinterbringen, -lassen, -legen; mit
der „Zusatzbedeutung ,heimlich‘, ,unehrlich‘“ (Altmann/Kemmerling 2005,
80) hintergehen, -treiben, -ziehen (Steuern). Als eine jüngere Bildung hat sich
hinterfragen durchgesetzt. Fachsprachlich markiert sind hintergießen, hinter-
mauern.

5.2.3.4 Präfix über-


Über- präfigiert simplizische und komplexe Verben: etw. überdehnen, -liefern,
sich -anstrengen, etw. überbelichten, -organisieren, ebenso – wenn auch sel-
tener – Substantive, aber kaum Adjektive: überdachen, -listen, -lappen, -nach-
ten, -schatten, -tölpeln, -vorteilen, -wintern; -höhen, -müden. Bei präfigierten
Verben und -ieren-Verben als Basis wird über- betont: überbelasten, -reagie-
ren.
Intransitive Basisverben werden transitiviert: blicken – etw. überblicken,
eilen > etw. übereilen.
Zahlreiche Verben sind demotiviert, z.B. jmdn. überflügeln, sich überge-
ben, etw. -legen, jmdn. -mannen, -rumpeln, -trumpfen, sich mit jmdm. -wer-
fen.
394 5 Wortbildung des Verbs

Die Bedeutungen der Verben sind in Abhängigkeit von der Basissemantik


in Subgruppen stark differenziert; insgesamt aber handelt es sich um do-
minant egressive Verben (vgl. detailliert zu semantischen Unterschieden
zwischen trennbaren und untrennbaren über-Verben Henzen 1969, 182).
Über eine lokative Komponente (,optisches Erfassen eines Gebietes‘) ver-
fügen etw. überblicken, -sehen, -schauen. Auf eine lokative Bedeutung zu-
rückführbar sind auch Verben, die das Überschreiten einer Grenze, eines
Maßes oder das Überlegensein bezeichnen wie etw. überbelichten, jmdn./etw.
überbieten, -dauern, -fordern, -fragen, -leben, -schätzen, -schreiten, -stehen;
jmd./etw. überholen, -ragen, -stimmen, -treffen, -winden.
Weitere Wortbildungsreihen sind nur schwach ausgeprägt: ,Besitzwech-
sel‘ (Mungan 1986, 131) jmdm. etw. überantworten, -eignen, -schreiben;
,etw. flüchtig tun‘ etw. überbacken, -fliegen (,lesen‘), ,Negation‘ etw. über-
hören, -lesen; ,Wiederholung‘ etw. überdenken, -prüfen, -rechnen; desubstan-
tivisch ,ornativ‘ überbrücken, -dachen, (einen Zahn) -kronen; ,temporal‘
übernachten, -wintern.

5.2.3.5 Präfix um-


Um- präfigiert vorrangig einfache Verben wie umdrängen, -fangen, -flechten,
-gehen und transponiert Adjektive und Substantive zu Verben wie in um-
düstern, -armen. Deverbale Verben haben eine lokative Bedeutung, vgl. etw.
umfahren, -fließen, -fluten, -toben, -schweben, wobei Transitivierung eintritt,
denominale bedeuten ,etw. rundum mit etw. umgeben‘, vgl. umarmen, -gar-
nen, -gittern, -manteln, -runden. Bei Fortbewegungsverben als Basis sind
um-Verben als Entsprechungen zu durch-Verben mit der Bedeutung ,hin-
durch‘ anzusehen, vgl. durchfahren vs. umfahren (Eroms 1982, 44).
Zum formal gleichen Partikelverb bestehen in der Regel deutliche seman-
tische Unterschiede, vgl. jmdn./etw. úmfahren – jmdn./etw. umfáhren.

5.2.3.6 Präfix unter-


Unter- präfigiert einfache und komplexe Verben: etw. unterbieten, -bewerten
(mit betontem unter-, vgl. über-), -malen. Transpositionen von Substantiven
bleiben vereinzelt: etw. unterkellern, -tunneln, jmdn. unterjochen.
Demotiviert sind z. B. unterbleiben, etw. -binden, sich -halten, etw. -neh-
men, -schlagen, -sagen, sich -stehen, jmdn. -weisen sowie deadjektivisch jmdm.
etw. unterbreiten.
Bei den meisten Verben ist eine lokative Bedeutung auszumachen
(,darunter, unterhalb von etw.‘, ,dazwischen‘), wenn auch mitunter nur
metaphorisch:
5.2 Präfixderivation 395

etw. unterlinieren, -schreiben, -streichen, -zeichnen; unterscheiden, -teilen.


In zahlreichen Fällen bildet unter- Antonyme zu Verben mit über-: etw.
unter-, überbelichten, etw. unter-, überbieten, etw. unter-, übertreiben
(¢ 5.2.3.4).

5.2.3.7 Präfix wider-


Mit wider- sind nur wenige Verben belegt. Sie haben ausnahmslos Simplizia
als Basis, das Modell ist unproduktiv. Wider- signalisiert die Bedeutung
,dagegen‘, vgl. etw. widerlegen, -rufen, sich -setzen, jmdm. -sprechen.
Anders als beim Substantiv (vgl. Widerrede – Gegenrede) ist wider- bei
Verben nicht durch gegen- ersetzbar; zu gegen- als Verbpartikel ¢ 5.3.1.9.

5.2.4 Exogene Präfixe

Zum Grundsätzlichen über die Wortbildung mit Fremdelementen ¢ 1.9.


Wir behandeln im Folgenden die Präfixe de-/des-, dis-, in-, ko-/kom-/kon-/
kor- und re-, und zwar bei solchen Verben, die ein Sprecher des Deutschen
ohne systematische Fremdsprachenkenntnisse sinnvoll morphemisch seg-
mentieren kann (nicht möglich z. B. bei korrodieren, korrumpieren). Ver-
nachlässigt werden die bei allgemeinsprachlichen Verben relativ seltenen
Präfixe ex- (exkommunizieren), per- (perzipieren), prä- (prädisponieren), sub-
(subordinieren) und trans- (transformieren).
Die exogenen verbalen Präfixe sind morphologisch und syntaktisch un-
trennbar. Ihre Basen sind meist Verben auf -ier(en) (¢ 1.9.3.2.4). Bildungen
aus exogenem Präfix und indigener Basis fehlen, die Umkehrung – indige-
nes Präfix, exogene Basis – begegnet hingegen öfter; die entsprechenden
Modelle sind auch produktiv (¢ 1.9.3.2.3 sowie diesbezügliche Angaben bei
den einzelnen Präfixen).
1) de-, vor Vokal des- (lat. ,von – weg‘, ,von – herab‘) bildet Verben mit der
Wortbildungsbedeutung ,reversativ‘: dekompensieren, desorientieren; dekon-
struieren (Der Spiegel 2010). Indigene Entsprechungen werden oft mit ent-
oder ab- gebildet: dechiffrieren – entschlüsseln, desinfizieren – entseuchen,
demaskieren – entlarven, demilitarisieren – entmilitarisieren (synonymisch an
derselben Basis); demontieren – abbauen.
2) dis- (lat. ,auseinander‘) signalisiert wie de-/des- die Wortbildungsbe-
deutung ,reversativ‘: disharmonieren, -qualifizieren, -soziieren.
3) in-, vor l il-, vor b, m, p im-, vor r ir- (lat. ,in, an, auf‘), nicht zu
verwechseln mit in- beim Adjektiv (¢ 3.4.3.1[2]), entspricht beim Verb dem
396 5 Wortbildung des Verbs

indigenen lokativen ein-: infiltrieren – einfüllen, inskribieren – einschreiben,


mit unselbstständiger Basis; wie -skribieren auch injizieren, -korporieren,
-stallieren; illuminieren, implantieren, irritieren.
4) kon-, vor Vokal ko-, vor r ko- oder kor-, vor b, p kom- (lat. ,mit‘) be-
deutet ,zusammen‘, ,mit‘: kooperieren ,zusammenarbeiten‘, des Weiteren ko-
existieren, konzentrieren, ko-/korreferieren.
5) re- (lat. ,zurück‘, ,wieder‘) bezeichnet eine Wiederholung, Erneuerung
und steht bisweilen in Beziehung zu auf-: regenerieren – aufbauen, rezitieren
– aufsagen, des Weiteren jmdn. reamateurisieren ,in den Amateurstatus zu-
rückversetzen‘, rekonstruieren, -okkupieren, -produzieren.
Nicht selten tritt re- in Verben auf, deren Zweitglied heute auch ohne
Präfix geläufig ist, jedoch mit anderer Bedeutung, sodass die Präfixderivate
demotiviert sind: reflektieren – flektieren, reparieren – parieren, reservieren –
servieren.
6) Für die Präfigierung mit Fremdpräfixen insgesamt ist charakteristisch,
dass vielfach das gleiche Basisverb mit mehreren Präfixen vorkommt, als
selbstständiges Verb jedoch nicht gebräuchlich ist: de-, dis-, pro-, reponieren;
ex-, kon-, subtrahieren.

5.3 Partikelverbbildung
Zur morphologischen und syntaktischen Trennbarkeit der Partikelverben
sowie zur Klassifizierung der Verbpartikeln ¢ 1.8.1.5; zur semantischen und
syntaktischen Modifikation ¢ 5.1.3.
Die meisten Verbpartikeln verbinden sich ausschließlich mit verbalen
Basen; einige wie ab-, an-, auf-, aus-, ein-, über-, unter- leiten Verben auch
aus nominalen Basen ab (abflauen, eintakten).
Die Semantik der Partikelverben gestaltet sich wegen der vielen verschie-
denen Arten der Verbpartikeln außerordentlich heterogen, sodass hier nur
die zentralen Modifikations- und Transpositionsarten beschrieben werden
können, und diese auch nur in ihren typischen Ausprägungen.

5.3.1 Präpositionale Verbpartikeln

5.3.1.1 Grundsätzliches

1) In der Regel steht eine präpositionale Verbpartikel vor einem simplizi-


schen Verb; präfigierte Basen wie in auf erstehen, an erziehen machen nur ca.
5.3 Partikelverbbildung 397

2 % des Gesamtbestandes an Partikelverben aus (vgl. Kühnhold 1974, 193).


Bei Suffixderivaten und Konversionsprodukten scheint es keine Restrikti-
onen für die Verbindung mit präpositionalen Verbpartikeln zu geben, die
sich aus dem Derivat- bzw. Konversions-Status der Basen ableiten ließen,
vgl. anlächeln, anschwärzen, einölen. Präpositionale Verbpartikeln bilden
auch Verben aus Substantiven (ausufern) und Adjektiven (ausdünnen).
2) Die semantische Modifikation von Basisverben durch präpositionale
Verbpartikeln umfasst verschiedene Prozesse. Sie kann das Geschehen
räumlich (,lokativ‘) und zeitlich (,temporal‘) einordnen sowie Phasen und
Verlaufsweisen des Geschehens charakterisieren.
In Anlehnung an Eichinger (1989, 18 f. u.ö.) unterscheiden wir bei der
räumlichen Einordnung eines statischen oder dynamischen Geschehens
durch die präpositionalen Verbpartikeln an verbalen Basen zwischen den
Wortbildungsbedeutungen ,lokativ, dimensional‘ und ,lokativ, relational‘.
Verben mit der Wortbildungsbedeutung ,lokativ, dimensional‘ beinhalten
eine „adverbiale“ Angabe (ebd.) zur Lage- oder Verlaufsrichtung des be-
zeichneten Geschehens gemäß der Sprecherorientierung im dreidimensi-
onalen Raum (aufschauen ,nach oben schauen‘); Verben mit der Wortbil-
dungsbedeutung ,lokativ, relational‘ setzen das Geschehen räumlich zu
einem Gegenstand in Beziehung (etw. ankleben – an die Wand kleben). Sie
haben eine „präpositionale Bedeutung“ (Eichinger 1989, 9).
Bei der zeitlichen Einordnung durch Verbpartikeln (,temporal‘) werden
Handlungen meist auf einer gedachten Zeitachse zueinander in Beziehung
gesetzt (vorkeimen ,vorher, vor dem eigentlichen Keimprozess, keimen‘;
nachbestellen ,erneut, nach dem eigentlichen Bestellen, bestellen‘) oder in
ihrem zeitlichen Ablauf in Richtung Zukunft dargestellt (für zwei Tage vor-
kochen ,im Voraus kochen‘).
Die Spezifizierung von Verlaufsweisen besteht in der Ergänzung der Ba-
sisverbbedeutung um Bedeutungskomponenten wie ,öffnen‘ (aufmachen),
,schließen‘ (zuklappen), ,reversativ‘ (abbestellen), ,intensiv‘ (aufzeigen).
Die Phasen des Geschehens schließlich werden differenziert mit ,ingres-
siv‘ (aufschreien), ,egressiv‘ (austrocknen); zur Differenzierung von Aktions-
arten in der Wortbildung v. Polenz 1968b, 9ff.; Zifonun 1973, 138.
Die genannten Wortbildungsbedeutungen lassen sich nicht immer deut-
lich voneinander abheben und sind auch häufig bei ein und demselben Verb
miteinander gekoppelt, wie etwa ,dimensional‘ und ,relational‘ bei vor-Ver-
ben (¢ 5.3.1.15).
Die desubstantivischen und deadjektivischen Partikelverben (anleinen,
aufhübschen) folgen weitgehend der semantischen Gruppierung der Präfix-
verben, sodass hier auf die entsprechenden Erläuterungen verwiesen werden
kann (¢ 5.2.1).
398 5 Wortbildung des Verbs

Die meisten Partikelverben sind – wie auch die Präfixverben – polysem


(zum Umgang mit der Polysemie bei der Beschreibung ¢ 5.2.1). Die Mehr-
deutigkeit geht mitunter so weit, dass manche Verben zwei antonymische
Lesarten in sich vereinen: auflöten ,etw. durch Löten auflösen‘ und auch
,etw. durch Löten verbinden‘, abdecken ,den Deckel abnehmen‘ und auch
,mit einem Deckel verschließen‘; vgl. ferner einen Satz wie die Bewegung hält
an ,kommt zum Stillstand‘ oder ,setzt sich fort‘.
3) Bei einer Vielzahl von Verben wird die semantische Modifikation be-
gleitet von syntaktischen Modifikationen. Es handelt sich dabei meist um
Inkorporationen (¢ 5.1.3). Nach Eroms (2010, 33) lassen sich die Verbparti-
keln „als Inkorporationsmarker“ auffassen. Syntaktische Modifikationen
werden im Folgenden nur dann systematisch erfasst, wenn sie nicht singulär
auftreten, sondern Gruppen von Verben betreffen.

Übersicht 31: Wortbildungsbedeutungen indigener Partikelverben mit präpositionaler


Verbpartikel (Auswahl)

Basis Wortbildungs- Beispiele


bedeutung
Verb egressiv abheilen, ausklingen
ingressiv anschalten, aufschreien
intensiv aufzeigen, ausdeuten
lokativ – dimensional abspringen, aufschauen
lokativ – relational abfahren, ankleben
öffnen aufmachen
reversativ abbestellen
schließen zuklappen
temporal nachnutzen, vorkeimen
verändern umbauen
verbessern aufbügeln
Substantiv instrumentativ anketten
lokativ aufhalsen
ornativ auspolstern
privativ absahnen, auskernen
Adjektiv kausativ aufmuntern
5.3 Partikelverbbildung 399

5.3.1.2 Verbpartikel ab-


Ab- dient der semantischen und syntaktischen Modifikation von Verben
und – relativ selten – der Transposition von Adjektiven (abflauen) und Sub-
stantiven (absahnen). Die verbalen Basen der Bildungen sind einfache oder
komplexe Verben (abtrennen, -verlangen, -transportieren). Verben mit ab- an
zweiter Stelle nach einem Präfix (verabreichen, -absäumen) stammen ver-
mutlich aus der frnhd. Kanzleisprache. Andere sind desubstantivische De-
rivate (Absicht > beabsichtigen, Abschied > verabschieden).
Die semantische Modifikation ist oft mit einer Transitivierung des Verbs
und Inkorporation verbunden: brennen – etw. abbrennen, klingeln – etw.
abklingeln, um etw. betteln – jmdm. etw. abbetteln.
Demotiviert sind etw. abfackeln, jmdn. abkanzeln.
1) Verbale Basis
1.1) Wortbildungsbedeutung ,lokativ‘
Die Bezeichnung der „Distanzierung zweier Größen“ (Tippe 1976, 97) ist
die Hauptfunktion der ab-Verben; bei Mungan (1986, 61) immerhin 54 %
des Materialbestandes. Je nach Basisbedeutung dominiert in einem Verb die
relationale oder die dimensionale Bedeutung. Eichinger (1989, 185) spricht
von einer „variierenden Verteilung der Bedeutungsbestandteile“. Bei der
folgenden Gliederung wird die jeweils dominierende Komponente als rei-
henbildend angenommen. In Klammern werden semantische Spezifizierun-
gen angegeben.
a. ,relational‘: ,distanzieren‘
Hierzu gehören intransitive Verben wie abfahren, -fliegen, -gehen, -heben,
-laufen, -marschieren, -reisen; transitive wie (Farbe) abbrennen, (den
Schmutz/Mantel) -bürsten, -hängen, -klopfen, -legen, -nehmen, -reißen,
-schlagen, (ein Pferd) -spannen, -stoßen, -werfen, -wischen. Als Synonyme
konkurrieren Verben mit weg- und los-, besonders Verben der Fortbewe-
gung wie fahren, fliegen. Antonyme bildet an- z. B. bei hängen, legen, reisen,
schrauben, spannen (¢ 5.3.1.3[1.1]; vgl. Eroms 2007).
Die Wortbildungsbedeutung ,distanzieren‘ realisiert ab- auch bei Verben
mit einer weniger konkreten lokativen Bedeutung wie abstammen, -buchen,
-gewinnen, -leiten; bei Verben mit der Bedeutung ,etw. von jmdm. erbitten‘
wie abbetteln, -locken, -nötigen (antonymisch auf-), -schmeicheln und bei
solchen mit der Bedeutung ,Kopieren, Nachahmen einer Vorlage‘ wie ab-
malen, -schreiben, -zeichnen; fachsprachlich sind abformen, -gießen, dazu
okkasionell abnotieren, -filmen (vgl. Tippe 1976, 213).
Das ,Trennen eines Teils von einem Ganzen‘ bezeichnen etw. abbrechen,
-beißen, -hacken, -hauen, -schneiden, wobei die Basisverben in der Regel
400 5 Wortbildung des Verbs

schon über eine Bedeutungskomponente ,teilen‘ in verschiedenen Nuancen


verfügen (ähnlich zer-, ¢ 5.2.2.6).
b. ,relational‘: ,beenden‘
Bei Simplizia mit den Bedeutungen ,Betätigen einer Vorrichtung‘, ,ein Zei-
chen geben‘ (vgl. Tippe 1976, 192) bezeichnen die entsprechenden Prä-
fixderivate das Unterbrechen, Beenden eines Prozesses, wobei der jeweilige
Prozess mit dem an das Verb anzuschließenden Akkusativkomplement prä-
zisiert ist, vgl. den Strom abdrehen, -klemmen, -schalten, -stellen; ein Fußball-
spiel, die Veranstaltung abblasen, -klingeln, -läuten, -pfeifen. Synonymisch
zur ersten Gruppe aus-, antonymisch zu beiden an- und teilweise ein-.
c. ,dimensional‘: ,nach unten‘
Zu dieser Reihe sind Präfixderivate mit ab- zu zählen, deren Basen bereits
eine Abwärtsbewegung ausdrücken oder bei denen sie „die wahrscheinlichs-
te Bewegungsrichtung“ ist (Eichinger 1989, 184), vgl. intransitiv abgleiten,
-hängen (jugendsprachl. ,passiv entspannen‘), -fallen, -perlen, -rutschen, -sin-
ken, -tropfen. Die Bildung von Antonymen mit auf- ist nur bei Basisverben
möglich, denen nicht die Bedeutungskomponente ,abwärts‘ inhärent ist:
ab-/aufsetzen, -sitzen, -springen, -steigen, (eine Zahl) -runden, aber nicht
*aufsinken, *-senken.
Als Verben mit dimensionaler Bedeutung können auch Verben des ,Be-
wertens‘ wie jmdn./etw. abqualifizieren, -werten aufgefasst werden, die auf
einer vorgestellten vertikalen Werteskala die Richtung nach unten auf den
negativen Pol zu bezeichnen; vgl. auch jmdn./etw. herabsetzen, ugs. jmdn.
heruntermachen, -putzen ,jmdn. negativ beurteilen‘.
Dass ab-Verben mit der Wortbildungsbedeutung ,dimensional‘ oft auch
die relationale Komponente mit realisieren, zeigt der Bedeutungsvergleich
zwischen Partikelverb mit präpositionaler und mit adverbialer Verbpartikel:
Abfließen bedeutet außer ,nach unten fließen‘ auch ,sich fließend entfernen,
wegfließen‘, während herab-, hinabfließen eindeutig die Richtung ,nach
unten‘ mit der Sprecherperspektive (sprecherzugewandt, -abgewandt) an-
geben (vgl. Eichinger 1989, 185); vgl. auch ab-, herablaufen, ab-, herabtragen,
ab-, herabspringen; des Weiteren (von der Bühne) abgehen, (den Deckel) ab-
heben, (die Kleidung) ablegen, (die Tasche) abstellen. In allen Fällen realisie-
ren die Verben neben der mehr oder weniger deutlichen Bedeutung ,nach
unten‘ auch die Bedeutung ,distanzieren‘. Verglichen mit Verben mit ad-
verbialer Verbpartikel, unterliegen sie stärkeren Beschränkungen hinsicht-
lich der Verbindbarkeit auf der syntagmatischen Ebene. Nach den Unter-
suchungen Eichingers (ebd.) weisen die ab-Verben mit dimensionaler Be-
deutung gegenüber den Bildungen mit herab und hinab insgesamt deutliche
Spezialisierungen und die Tendenz zur Demotivation auf, sodass Synonymie
5.3 Partikelverbbildung 401

zwischen basisgleichen Verben kaum besteht. Über die lokative Bedeutung


hinaus können allerdings auch die Verben mit adverbialer Verbpartikel
(¢ 5.3.2) semantisch weiter gefächert sein (vgl. Hinderling 1982, 84 f.).
1.2) Wortbildungsbedeutung ,egressiv‘
Verben dieser Reihe geben an, dass sich die bezeichnete Handlung „ganz
über eine bestimmte Größe“ erstreckt (Tippe 1976, 171) und damit als
abgeschlossen erscheint. Bei intransitiven Verben wird diese Größe durch
das Nominativ-, bei transitiven Verben durch die Akkusativkomplement
repräsentiert; vgl. abarbeiten, -blühen (synonymisch ver-), -brennen (syno-
nymisch ver-), -dienen, (die Strecke) -fahren , (Überstunden) -feiern, (den
Rock) -füttern, -heilen (synonymisch ver-, aus-), -horchen, -laufen, -leisten,
-putzen, -schätzen, -schmieren, -singen, (die Zeit) -sitzen, -speichern, -wiegen.
Ein ,allmähliches Beenden des Vorgangs‘ betonen (der Schmerz wird) ab-
klingen, -sterben, -zahlen (,in Raten zahlen‘).
Von einer starken Produktivität dieses Modells zeugt eine Vielzahl von
Okkasionalismen wie (das Gesicht) abcremen, -düngen, -föhnen, (die Wiese)
-hüten, -radeln, -pirschen, -pilgern, -trampen (Tippe 1976, 176ff.).
Wie bei den er- und ver-Verben ist die Wortbildungsbedeutung ,egres-
siv‘ auch bei ab- gelegentlich mit ,intensiv‘ gekoppelt. Wenn das Basisverb
bereits eine egressive Bedeutungskomponente enthält, kann das Präfix als
redundant empfunden werden, vgl. etw. abändern, -prüfen, -saven (,Datei-
en sichern‘), -stoppen, -stützen, -töten, -trennen. Intensivierend wirkt ab- bei
Basisverben mit der Bedeutung ,schwer arbeiten‘: sich abmühen, -plagen,
-quälen, -rackern, -schuften.
1.3) Wortbildungsbedeutung ,reversativ‘
In wenigen Fällen drückt ab- den aufhebenden Gegensatz aus: jmdn. ab-
berufen, etw./jmdn. abbestellen, -melden (antonymisch an-), -rüsten (anto-
nymisch auf-).
Hierher sind wohl auch absagen, -telefonieren, -telegrafieren zu stellen,
obwohl absagen nicht ,reversativ‘ im Verhältnis zu sagen, sondern zu zusagen
gesehen werden muss. Bei abtelefonieren, -telegrafieren fehlen die entspre-
chenden Verben mit zu-.
2) Substantivische Basis
Als Basis treten bevorzugt Simplizia auf, und zwar Konkreta. Reihenhaft
ausgeprägt sind v.a. privative Verben: abbalgen, -beeren, -sahnen, -stielen,
-schuppen.
3) Adjektivische Basis
Deadjektische Verben haben kausative und ingressive Bedeutung: abflachen,
-schrägen; abflauen, -magern, -stumpfen.
402 5 Wortbildung des Verbs

5.3.1.3 Verbpartikel an-


An- modifiziert einfache und komplexe verbale Basen (anweisen, -erziehen)
und dient außerdem, wenn auch recht selten, der Ableitung von Verben aus
Substantiven (anketten) und Adjektiven (anfeuchten). Präfixverben mit an-
an zweiter Stelle sind vor allem denominale Derivate (beanspruchen, veran-
schaulichen).
Die semantische Modifikation ist mit Inkorporation verbunden: den
Kragen an das Kleid heften – den Kragen anheften, Erde in den Graben füllen –
den Graben mit Erde anfüllen.
1) Verbale Basis
1.1) Wortbildungsbedeutung ,lokativ, relational‘: ,annähern/verbinden‘
An- signalisiert die Gerichtetheit des durch das Basisverb bezeichneten Ge-
schehens an eine Person oder Sache. Die Basisverben lassen sich teilweise
semantisch gruppieren. Es sind z. B. Verben des Sehens und Sprechens: jmdn.
anblicken, -blinzeln, -brüllen, -fauchen, -flehen, -funkeln, -glotzen, -grinsen,
-lachen, -meckern, -schauen, -schwindeln, -sprechen, -staunen; Verben der
Fortbewegung: (eine Stadt) anfahren, etw. -fliegen, -segeln, -steuern; Verben,
die ein Messen oder Zielen bezeichnen: etw. anpeilen, -visieren, -zielen.
Eine besondere Möglichkeit, die Bewegung eines Objekts auf den Spre-
cher zu auszudrücken, ergibt sich durch die Verbindung eines Fortbewe-
gungsverbs mit an- und kommen: angebraust, -gedampft, -geflitzt, -geflogen,
-gehetzt, -geholpert, -gesaust, -geschlurft, -gesprungen, -gestürmt, -gewetzt,
-gezittert kommen. Manche dieser Verben sind nur als Partizip in Verbin-
dung mit kommen geläufig, nicht aber im Infinitiv: *anbrausen, *ansausen.
Verben, die Lautäußerungen allgemeinerer Art oder Atemgeräusche be-
zeichnen, dienen als Partizip in der Verbindung mit kommen ebenfalls zur
Bezeichnung der Annäherung eines Objekts an den Sprecher: angebellt, -ge-
heult, -gekeucht, -gerauscht, -gewinselt, -gezetert kommen.
Das ,Berühren‘ oder ,Verbinden‘ markiert an- in etw. anbauen, -binden,
-fügen, -fühlen, -gliedern, -greifen, -heften, -kitten, -kleben, -klopfen, -knüpfen,
-legen, -schrauben, -steppen, -stoßen, -tippen, wobei die Basisverben meist
schon eine Annäherung oder Verbindung zweier Größen bezeichnen. Im
Unterschied zu entsprechenden Verben mit auf- betont an- bei Bezug der
Handlung auf einen deutlich dimensionierten Körper dessen Berührung an
einer Seitenfläche (nicht Oberseite), vgl. an-/aufbinden. Antonyme bilden
ab- und los-, z.B. bei binden, löten, montieren, schrauben (vgl. Eroms 2007).
Die spezifische Bedeutung ,ein Hindernis zu überwinden versuchen‘ ent-
halten Präfixderivate, die ein Komplement mit gegen regieren: ankämpfen,
-stürmen gegen etw. Diese Reihe ist nur schwach ausgeprägt.
Da an- keine Wortbildungsreihe mit einer dominierenden dimensionalen
5.3 Partikelverbbildung 403

Bedeutung entwickelt hat, existieren zu an-Verben kaum Synonyme mit


heran-/hinan-. Eine Ausnahme bilden die Fügungen aus Partizip II + kom-
men, bei denen heran für an- eingesetzt werden kann, vgl. angekeucht, her-
angekeucht kommen; außerdem einige Verben des Beförderns in spezifischen
Kontexten Kartoffeln an-/heranfahren (an die Verkaufsstelle).
1.2) Wortbildungsbedeutung ,ingressiv‘
Den Beginn (intransitive Verben) bzw. das Ingangsetzen (transitive Verben)
eines Prozesses bezeichnen anbrennen, -fahren, -gehen (Fest), -laufen (Ver-
anstaltung), -pfeifen (Spiel), -singen, -spielen (Lied); die ,Inbetriebnahme‘
eines Gerätes (vgl. antonymisch dazu ab-) andrehen, -knipsen, -schalten;
speziell eines Motors ankurbeln, -lassen, -reißen, -schmeißen, -treten (Mo-
torrad), -werfen; den ,nicht zu Ende gebrachten Prozess‘, besonders Verben
der Speisezubereitung wie anbraten, -bräunen, -dünsten, -kochen, -rösten,
-schwitzen, aber auch anbeißen, -fressen, -hacken, -knabbern, -lesen, -schnei-
den, -sengen, -stechen, -stecken, -reißen, -zahlen. Bei letztgenannten Verben
signalisiert an-, dass der von der Handlung betroffene Gegenstand nur teil-
weise erfasst wird. In dieser Bedeutung kommen zahlreiche Verben in Par-
tizipform vor, zu der der entsprechende Infinitiv wenig oder gar nicht ge-
läufig ist: angegangen ,verdorben‘, -gegraut, -geheitert, -gekränkelt, -geschim-
melt, -geschmutzt, -gestaubt (¢ 3.2.5).
Ingressiv sind auch Verben zu deuten, die das ,Aktivieren von Personen‘
bezeichnen, wobei hier bei den meist metaphorischen Bedeutungen die lo-
kative Bedeutungskomponente deutlich mitschwingt, vgl. jmdn. anfeuern,
-machen, -regen, -reizen, -spitzen, -stacheln, -stoßen, -treiben, sodass die Zu-
ordnung zu Gruppe 1.1) ebenfalls gerechtfertigt wäre.
Erst in der Gegenwartssprache entstanden sind Verben zur Bezeichnung
der Saisoneröffnung in verschiedenen Sportarten (Kempcke 1965, 408): an-
baden, -grillen, -paddeln, -rudern, -schwimmen, -wandern.
1.3) Wortbildungsbedeutung ,intensiv‘
Eine Intensivierung drückt an- bei Verben aus, deren Basis eine vertikale
Bewegung, verbunden mit der Bedeutung ,mengenmäßiges Vermehren‘
(Hundsnurscher 1968, 247), bezeichnet oder durativen Charakter hat: an-
häufen, -heben, -steigen (Straße), -schwellen, -wachsen; andauern, -halten
(,fortdauern‘).
2) Substantivische Basis
Die Verben haben eine lokative oder instrumentative Wortbildungsbedeu-
tung: anketten, -kreiden (,jmdm. etw. zur Last legen‘), -leinen, -nadeln, -pflo-
cken, -seilen.
3) Adjektivische Basis
Die wenigen lexikalisierten Verben sind kausativ: anfeuchten, -rauen.
404 5 Wortbildung des Verbs

5.3.1.4 Verbpartikel auf-


Auf- modifiziert bevorzugt einfache und komplexe verbale Basen, deno-
minale Derivate sind – wie auch bei ab- und an- – vergleichsweise selten
(aufbahren, auffrischen). Bei komplexen Verben mit auf- an zweiter Stelle
handelt es sich um desubstantivische Derivate (be auskunften) oder Zirkum-
fixderivate (be aufsicht igen). Uraufführen ist als Rückbildung (¢ 5.6) zu be-
stimmen.
Die Verbbildung wird von verschiedenen syntaktischen Prozessen beglei-
tet: auf das Fahrrad steigen – aufsteigen, jmdn. zu etw. nötigen – jmdm. etw.
aufnötigen, mit jmdm. schwatzen – jmdm. etw. aufschwatzen.
1) Verbale Basis
1.1) Wortbildungsbedeutung ,lokativ‘
a. ,dimensional‘: ,nach oben‘
Die Richtungsbedeutung ist in Abhängigkeit von der Basisbedeutung un-
terschiedlich deutlich ausgeprägt. In aufsteigen (Dampf) z.B. wird die schon
steigen inhärente Richtungskomponente durch auf- nur verdeutlicht. Bei
anderen Verben wird das bezeichnete Geschehen um die Komponente
,nach oben‘ ergänzt, z.B. bei Verben des Sehens: aufblicken, -schauen, -sehen;
ebenso bei Verben, die die Bewegung des Agens in eine aufrechte Körper-
haltung ausdrücken: auffahren, -hasten, sich -rappeln, sich -richten, -springen;
hierzu auch demotiviert aufstehen; zur Erläuterung weiterer Subreihen wie
jmdn. aufschrecken (vgl. Eichinger 1989, 111ff.; 2000, 237ff.).
Bei anderen Verben wird die Richtung der bezeichneten Bewegung prag-
matisch spezifiziert. Sie wird als begrenzt durch die „Normalhöhe“ des Ge-
genstandes oder die „Normalstellung des Sprechers“ (Eichinger 1989, 118)
dargestellt. Dazu gehören aufheben, -nehmen, -raffen, -sammeln, -stellen.
Dieser Reihe lassen sich als analoge Bildungen auch Verben mit der Bedeu-
tung ,säubern, aufräumen‘ zuordnen: auffegen, -kehren, -wischen.
Schließlich sind Verben hierher zu stellen, die das ,Bewegen‘ einer Person
im übertragenen Sinn, das Aufregen bezeichnen: jmdn. aufbringen, -hetzen,
-rühren, -rütteln, -scheuchen, -stacheln, -wiegeln (zu wiegeln landsch. ,leise
wiegen‘); vgl. hierzu Verben mit an- (¢ 5.3.1.3).
Die Vorstellung einer vertikalen Bewegung beinhalten des Weiteren Ver-
ben, die eine „Umfangsvergrößerung“ (DWb 1, 171) eines Gegenstandes
bezeichnen: etw. aufbauschen, -blasen, -plustern, -pumpen, -schwellen,
-schwemmen.
Wie ein Vergleich mit herauf-, hinauf- ergibt, ist generell bei den dimen-
sionalen Verben mit auf- in stärkerem Maße mit einer Spezialisierung bzw.
Demotivation der Bedeutung zu rechnen, vgl. auf-, hinaufscheuchen, auf-,
hinaufstellen, auf-, hinaufpumpen (dazu Eichinger 1989, 155f.).
5.3 Partikelverbbildung 405

b. ,relational‘: ,auf der/die Oberfläche‘


Die Verben bezeichnen das Herstellen oder Entstehen eines Kontakts zwi-
schen zwei Größen (vgl. Plank 1981, 47). Je nach der Bedeutung der Basis
handelt es sich dabei um eine lose, vorübergehende Verbindung (aufsteigen
auf etw.) oder um eine stabile (aufkleben, -pressen). Der Prozess der ,Kon-
taktaufnahme‘ kann mit der Vorstellung einer vertikalen Bewegung verbun-
den sein wie in aufsteigen, aufbauen, -schichten. Auf- betont bei diesen
Verben die Kontaktaufnahme mit der Oberseite des betroffenen Gegenstan-
des. Das gilt auch für Verben, die keine spezifische Richtung implizieren, wie
(eine Platte) auflegen. Als Synonyme fungieren Verben mit darauf-/drauf-.
Weitere Verben sind aufdrücken, -gießen, -liegen, -malen, -montieren, -nähen,
-prallen, -pressen, -schreiben, -steppen, -treffen, -zeichnen.
Wenn die Verben ein ,dauerhaftes Befestigen einer Größe‘ bezeichnen,
bildet an- Synonyme, vgl. an-, aufkleben, an-, aufleimen, an-, aufnähen,
allerdings ohne Betonung einer bestimmten Dimension (anders bei expli-
ziter Opposition zu an-, ¢ 5.3.1.3).
Die Vorstellung eines Kontakts implizieren im übertragenen Sinn auch
Verben, die das Einwirken auf eine Person als (seelische) Belastung bezeich-
nen: jmdm. etw. aufnötigen, -tragen, -brummen, -dränge(l)n, -schwatzen,
-zwingen; vgl. dazu die antonymische Gruppe mit ab- (¢ 5.3.1.2).
1.2) Wortbildungsbedeutung ,öffnen‘
Entsprechend dem Adverb auf ,offen‘ bildet auf- Verben mit der Bedeu-
tung ,öffnen‘. Das Basisverb spezifiziert die jeweilige Art des Öffnens: auf-
beißen, -bekommen (,mit Mühe‘), -blättern, -brechen, -gehen, -hauen, -klap-
pen, -klopfen, -machen, -platzen, -schlagen (Buch), -schließen, -schneiden; mit
Bezug auf Personen: sich aufliegen, -reiben. Antonymisch ist zu- bei -gehen,
-klappen, -machen, -schließen (auch ab-, ver-), -schlagen (¢ 5.3.1.17).
Die Bildungen aufbleiben, -lassen, -stehen sind umgangssprachlich mar-
kiert; die neutralen Entsprechungen werden mit offen im Syntagma gebildet:
offen bleiben, lassen usw.
1.3) Wortbildungsbedeutung ,verbessern‘
Das Präfix gibt an, dass der von der Handlung betroffene Gegenstand,
mitunter durch Wiederholung der Handlung, in einen besseren Zustand
versetzt wird: etw. aufbacken, -braten, -bügeln, -bürsten, -kochen, -polstern,
-polieren, -wärmen; hierher auch intransitiv aufleben.
1.4) Wortbildungsbedeutung ,ingressiv‘
Die Signalisierung des Beginns eines Prozesses ist bei auf-Verben deutli-
cher als bei er-Verben (¢ 5.2.2.3) mit der Nuance ,punktuell‘ verbunden (vgl.
Kühnhold 1969, 327ff.). Die Basisverben sind intransitiv, sie bezeichnen
optische und akustische Wahrnehmungen sowie Lautäußerungen: aufblitzen,
406 5 Wortbildung des Verbs

-brüllen, -funkeln, -heulen, -jubeln, -klingen, -kreischen, -leuchten, -rauschen,


-scheinen, -schluchzen, -seufzen, -stöhnen, -wachen, -zucken.
1.5) Wortbildungsbedeutung ,egressiv‘
Die Verben bezeichnen die „Bewältigung bzw. Beseitigung eines Objekts“
(DWb 1, 325) in etw. aufbrauchen, -essen, -kaufen, -rauchen, -reiben (Kraft),
-teilen, -zehren. Synonymisch tritt ver- auf bei arbeiten, brauchen, teilen,
zehren.
Hierher gehören auch die Verben mit der Wortbildungsbedeutung ,in-
tensiv‘ wie etw. aufbieten, -gliedern, -fangen, -finden, -nehmen, sich -opfern,
etw. -sparen, -speichern, -stapeln, -wecken (mit spezifischer Bedeutung geh.
auferwecken), -weisen, -zeigen; tautologisch aufoktroyieren.
2) Substantivische Basis
Die Verben haben lokative Bedeutung: aufbuckeln, -bürden, -halsen, -tischen
(,zum Essen auf den Tisch bringen‘), fachsprachliches aufforsten bedeutet
,ein abgeholztes Waldstück wieder mit Bäumen bepflanzen‘, ugs. sich auf-
brezeln ,sich auffällig kleiden und schminken‘, vgl. 1.3 ,verbessern‘.
3) Adjektivisches Basis
Die Verben sind kausativ: etw./jmdn. auffrischen, -heitern, -muntern.

5.3.1.5 Verbpartikel aus-


Aus- verbindet sich v. a. mit einfachen, seltener komplexen Verben (ausrufen,
-bezahlen, -erwählen) und leitet nur wenige Verben aus nominalen Basen ab
(ausarten, -dünnen). Verben mit aus- an zweiter Stelle sind desubstantivi-
sche Derivate (verausgaben, -auslagen).
Bei der begleitenden Transitivierung wird das präpositionale Komple-
ment der Basis zum Akkusativkomplement des Derivats: über jmdn. lachen –
jmdn. auslachen.
Syntaktische Unterschiede bestehen auch zwischen bitten um etwas – sich
etw. ausbitten, ruhen – sich ausruhen.
1) Verbale Basis
1.1) Wortbildungsbedeutung ,lokativ, relational‘: ,aus etw. heraus‘
Aus- kennzeichnet in Verbindung mit Verben die Richtung nach außen.
Durch den mit dem Basisverb bezeichneten Prozess wird eine Grenze über-
wunden, die typischerweise von Gebäuden oder Behältnissen gesetzt ist, wie
etwa bei aussteigen (aus dem Zug). Aber auch andere Bereiche werden als
Ausgangsort der Bewegung dreidimensional gedeutet wie Land, Staat bei
ausführen (Ware), -reisen, -wandern, -weisen.
Weitere Verben mit relationaler Bedeutung entstehen mit Fortbewe-
gungsverben als Basen: -fahren, -fliegen, -gehen, -kriechen, -laufen, -marschie-
5.3 Partikelverbbildung 407

ren, -reiten. Im Unterschied zu den entsprechenden Bildungen mit hinaus-


und heraus- sind die aus-Verben in der Regel in ihrer Verwendung auf be-
stimmte Sachbereiche beschränkt und haben neben der lokativen Bedeu-
tung weitere semantische Nuancen entwickelt: aus dem Zimmer hinausge-
hen, aber nicht ausgehen (vgl. Eichinger 1989, 276). Ausgehen bedeutet ,zu
einem bestimmten Zweck die Wohnung verlassen, auf die Straße gehen‘
oder ,in ein Lokal gehen‘. In vergleichbarer Weise spezialisiert sind die lo-
kativen Bedeutungen von ausbrechen, -rücken, -scheren, -schlüpfen, -schwär-
men, -treten, -ziehen (Eichinger, ebd.; zum diachronen Ersatz von aus-
durch heraus- vgl. Hinderling 1982, 96).
Bei den zahlreichen synonymischen Entsprechungen mit ent- fehlt die
Deutung der Bewegung als ein Entfernen aus einem umgrenzten Bereich,
vgl. ent-, aussenden, ent-, ausladen, ent-, ausschlüpfen (¢ 5.2.2.2).
Bei einigen Verben des Sprechens als Basis signalisiert aus- die Bedeutung
,etwas Geheimes preisgeben‘ wie in ausplaudern, -quatschen, -posaunen,
dazu auch salopp auspacken ,alles verraten‘. Bei reflexivem Gebrauch be-
deuten die Verben des Sprechens ,alles äußern, was einen bewegt‘: sich aus-
sprechen, -quatschen, -heulen, -weinen; demotiviert sind aussagen (bei Ge-
richt) und ausreden ,zu Ende reden‘. Verben, die die Modalität des Sprechens
spezifizieren, wie flüstern, lispeln, stottern, entziehen sich der Präfigierung
mit aus-.
Auch bei Nicht-Fortbewegungsverben gibt aus- die Bewegung ,von innen
nach außen‘ an; ein- bildet teilweise Antonyme: ausatmen, etw. -bauen,
-graben (antonymisch ver-), -kehren, -montieren, -spucken, -wickeln.
1.2) Wortbildungsbedeutung ,egressiv‘
Das Ende des Geschehens signalisiert aus- bei -lernen, -heilen, -reifen, -trock-
nen, -sterben. Hierher ist auch sich aussöhnen zu stellen, dessen Basis nur
noch im synonymischen sich versöhnen erhalten ist. Synonyme bildet ver-
auch bei glühen, klingen, heilen, trocknen; Antonyme er- bei glühen, klingen.
Zur Synonymie zwischen aus- und er-Verben s. u.
Bei transitiven Verben wird der betroffene Gegenstand, und zwar sein
Innenraum, als ,vollständig von der Handlung erfasst‘ markiert, z. B. bei etw.
ausbetonieren, -gestalten, -gießen (Form), -kleiden (synonymisch ver- mit der
Nuance des „Überdeckens“, Hundsnurscher 1968, 236), -legen, -leuchten,
-malen. Hierzu auch Verben des Reinigens wie ausreiben, -scheuern, -schrub-
ben, -wischen (vgl. ab-, das in Verbindung mit solchen Verben die Behand-
lung bzw. das Erfassen der Oberfläche des Gegenstandes bezeichnet).
Das Unterbrechen und damit Beenden des Leuchtens oder Klingens be-
nennen (das Licht/den Ton) ausblasen, -blenden, -knipsen, -pusten, -schalten;
die Beseitigung von etwas etw. ausradieren, -rasieren (mit Objektverschie-
408 5 Wortbildung des Verbs

bung Haare/Nacken); mit unikaler Basis ausmerzen (mhd. mërzen ,handeln,


schachern‘), mit exogener Basis jmdn. ausknocken ,beim Boxkampf durch
K. o. besiegen‘ (von knockout).
Eine Sondergruppe bilden Verben des Sprechens im weiteren Sinn, die das
negative Sichäußern gegenüber einer Person bezeichnen: jmdn. auslachen,
-spotten (zu beiden Verben synonymisch ver-), -pfeifen, -schelten, -schimpfen,
-zischen.
Eine resultative Komponente realisieren Verben des Denkens wie ausden-
ken, -rechnen, -sinnen. Synonyme dazu bildet er-, wobei der Abstraktions-
grad der er-Verben höher ist und die aus-Verben zusätzliche modifizierende
Bedeutungselemente enthalten können, vgl. z.B. erdenken ,etwas durch
Denken, Nachdenken als gedankliches Ganzes schaffen‘ – ausdenken ,durch
längeres Nachdenken etw. in allen Einzelheiten gedanklich fassen‘, vgl. auch
er-, ausarbeiten, er-, ausbitten, er-, ausforschen (vgl. zur Analyse der Bedeu-
tungsnuancen bei Synonymen Hundsnurscher 1968, 233ff.). Bisweilen sind
die er-Verben gehoben, vgl. erwählen gegenüber auswählen (¢ 5.2.2.3).
1.3) Wortbildungsbedeutung ,intensiv‘
Bei einigen Verben mit aus- wird eine Intensivierung der durch die Basis
bezeichneten Handlung ausgedrückt: ausbitten, -borgen, -deuten, -ruhen,
-säen (mit zugrunde liegender lokativer Deutung), -wechseln. Aus- kann
meist ohne deutlichen semantischen Unterschied entfallen, z.B. bei ausbor-
gen, -deuten, -säen.
2) Substantivische Basis
Die Verben haben die Wortbildungsbedeutungen ,privativ‘: etw. ausästen,
-beulen (Kotflügel des Autos), -höhlen, -holzen, -kernen, -misten, -pellen,
-schachten, -schälen, -steinen und ,ornativ‘: ausflaggen, -füttern, -polstern
(Letztere ggf. auch deverbal); -preisen.
3) Adjektivische Basis
Die wenigen Verben sind meist kausativ: ausdünnen, -höhlen, -nüchtern;
nicht mehr klar motiviert ist ausbreiten ,sich nach allen Richtungen ausdeh-
nen‘.

5.3.1.6 Verbpartikel bei-


Bei- ist nur an verbalen Basen belegt, ausgenommen desubstantivisches,
allerdings demotiviertes beipflichten. Es dominieren einfache Basisverben;
komplexe Basen sind selten (beibehalten, -gesellen).
Demotiviert sind die usuellen Verben jmdn. beisetzen ,bestatten‘, jmdm.
etw. beibringen, jmdm. beipflichten, einer Sache beikommen; in fester Verbin-
dung einer Sache Bedeutung beimessen.
5.3 Partikelverbbildung 409

Mater (1967, 57) verzeichnet insgesamt 45 Verben, darunter zahlreiche


ungeläufige wie beibleiben, -drücken, -holen, -schreiben, -treiben. Für die Zeit
zwischen dem 15. und 19. Jh. ermittelt Kiesewetter (1988, 86) eine wesent-
lich größere Zahl von Verben mit bei- als Erstglied, so z. B. als Synonyme für
beisetzen: beischaffen, -graben, -räumen, -scharren, -roden. Viele dieser Bil-
dungen sind heute verloren gegangen (z.B. auch beilieben, -warten ,sich
angenehm machen, jmdm. schmeicheln‘) oder eine andere Verbpartikel hat
die Funktion von bei- übernommen, vgl. die Tür bei-, anlehnen, beifallen
,eine Idee haben‘, dafür heute einfallen (ebd. 78, 91). Auch adverbiale Verb-
partikeln übernehmen in einigen Fällen die Funktion von bei-, vgl. bei-,
heranwachsen, bei-, dazukaufen.
Neue Verben entstehen nicht mehr. Das erst nach 1945 belegte beifüttern
,Beifutter geben‘ ist als Konversion von Beifutter zu bestimmen. Lediglich in
der norddeutschen Umgangssprache ist bei- mit Verben, die „das ,Zerklei-
nern, Umformen/Bearbeiten einer Größe‘ oder das ,Befördern, Verbringen
von Flüssigkeiten‘ meinen“ (Kiesewetter 1988, 131), in der Bedeutung
,hinzufügen‘ produktiv, vgl. beigießen, -panschen, -rühren, -schnippeln,
-schmeißen, -streuen.
Die bei-Verben haben die Wortbildungsbedeutung ,lokativ, relational‘,
und zwar in drei Spezifizierungen: 1) als ein ,Hinzufügen‘ wie in beifügen
(synonymisch an-), -geben, -legen, -mengen, -mischen, -packen, -steuern, -tra-
gen. Synonymisch für die meisten Verben dieser Reihe sind Bildungen mit
hinzu- oder dazu-; 2) als ein ,Unterstützen‘ bei Bezug auf Personen wie in
beispringen, -stehen; 3) als ,anwesend sein‘ wie in beisitzen ,teilnehmen an
Prüfung, Gerichtsverhandlung‘, beiwohnen geh. ,dabeisein‘, wobei die lo-
kative Bedeutung in allen Fällen mitgedacht wird. Die entsprechenden Bil-
dungen mit dabei und herbei haben im Vergleich zu den bei-Verben nur die
konkret räumliche Bedeutung, vgl. dabeistehen, -sitzen, herbeispringen, -tra-
gen.

5.3.1.7 Verbpartikel durch-


Durch- tritt vornehmlich an simplizische Verben. Komplexe Basen sind re-
lativ selten: durchkriechen, durchbekommen; nominale Basen fehlen.
1) Wortbildungsbedeutung ,lokativ, relational‘: ,in etw. hinein und wieder
hinaus‘
Die Basen bezeichnen bevorzugt eine Fortbewegung: durchkriechen, -laufen,
-marschieren, -reisen (in allen Fällen auch hindurch-). Der „durchquerte“
Gegenstand kann eine Fläche, ein Hindernis, eine Öffnung (durchfädeln)
sein (vgl. Mungan 1986, 117). Auch Verben mit anderen Bedeutungen
410 5 Wortbildung des Verbs

kommen als Basen vor: etw. durchgeben, sich -finden, -regnen, -schimmern.
Das Modell ist hochproduktiv.
Zur Valenzreduktion bei fachsprachlich gebrauchten Verben vgl. Horlitz
1982, 265 ff.
2) Wortbildungsbedeutung ,egressiv‘
Die Verben bezeichnen die Durchführung der Handlung bis zu einem Ab-
schluss, auch ,gründliches Handeln‘: durchatmen, etw. -braten, -diskutieren;
jmdn. durchhauen, -prügeln (so auch die Präfixverben mit durch- ¢ 5.2.3.2)
mit der Nuance ,ohne Unterbrechung‘, ,intensiv‘: die Nacht durcharbeiten,
-feiern, -schlafen.

5.3.1.8 Verbpartikel ein-


Ein- (mhd. ı̄n) modifiziert einfache, seltener komplexe Verben wie einbe-
halten, -berufen und transponiert Substantive (sich einigeln, eintüten) und
sehr selten Adjektive (eindeutschen) zu Verben. Präfixverben mit ein- an
zweiter Stelle sind desubstantivische Präfixderivate: beeindrucken, -einflussen.
Demotiviert sind einmotten, -verleiben, -wecken, -blauen, -schweren (wei-
tere Beispiele aus Wörterbüchern des 19. und 20. Jh. bei Fehlisch 1998, 161);
fachsprachlich ist eintiefen.
Ein- entspricht etymologisch der Präposition in; vgl. heute das Nebenein-
ander von ein-/inbegriffen (im Infinitiv dagegen nur ein-, substantivisches
Derivat aber Inbegriff); deshalb wird ein- den präpositionalen Verbpartikeln
zugeordnet. Als Adverb begegnet ein nur phrasemisch gebunden mit dy-
namischer Bedeutung: bei jmdm. ein und aus gehen, nicht ein noch aus wissen
sowie in den Wortbildungen hinein, herein. Als Verbpartikel hat es ebenfalls
dynamische Bedeutung, seine Entsprechung bei statischen Verben ist das
frei nicht vorkommende inne- (mhd. inne ,inwendig‘), das sich in innehaben,
-halten (dafür landsch. auch ein-), -werden, -wohnen (aber Einwohner) er-
halten hat. Abweichend davon fachsprachlich einsitzen ,inhaftiert sein‘, wo
eigentlich *in(ne)sitzen zu erwarten wäre, in- dagegen mit statischer Bedeu-
tung bei inliegend (Infinitiv einlegen; das GWDS verzeichnet auch – als pa-
pierdeutsch – einliegend).
1) Verbale Basis
1.1) Wortbildungsbedeutung ,lokativ, relational‘: ,in etw. hinein‘
Ein- signalisiert die Bewegung in einen bestimmten Bereich hinein, wobei
diese bei konkret räumlicher Bedeutung ein (gedachtes) Hindernis, eine
Begrenzung zwischen ,außen‘ und ,innen‘ zu überwinden hat (Eichinger
1989, 266). Die Basen sind Verben der Fortbewegung (intransitiv): eindrin-
gen, -fahren, -fallen, -fliegen, -gehen, -kommen, -laufen, -marschieren, -parken,
5.3 Partikelverbbildung 411

-reisen, -reiten, -rücken, -schleichen, -schreiten, -steigen, -treten, -wandern


und Verben des Beförderns (transitiv): etw. einbauen, -binden, -füllen, -gie-
ßen, -heften, -kleben, -legen, -massieren, -schließen, -sperren, -stecken, -weisen,
-wickeln.
Die Gegenrichtung der Bewegung bezeichnen Partikelverben mit aus- (zu
diesem Verhältnis detailliert Hundsnurscher 1968, 264ff.; Eichinger 2000,
231 ff.). Das betrifft vor allem Fortbewegungsverben (ein-/ausmarschieren),
aber auch Verben, die das ,Fließen‘, das ,Bewegen von Flüssigkeiten‘ be-
zeichnen (ein-/ausfließen, -sickern, -strömen, -gießen, -pumpen, -schenken,
-schöpfen, -schütten); Verben zur Bezeichnung mechanischer Vorgänge (etw.
ein-/ausbauen, -drehen, -haken, -hängen, -klinken, -montieren, -schrauben);
Verben zur Bezeichnung von Erdarbeiten (etw. ein-/ausackern, -baggern,
-graben, -scharren, -schaufeln); vgl. weitere Reihen bei Hundsnurscher, ebd.
Lokativ verstehbar sind auch folgende Verben mit spezifischen Bedeutun-
gen.
Die Bewegung auf das Agens zu, „auf den eigenen Besitz“, materiell oder
geistig (DWb 1, 185), bezeichnen etw. einfordern, -kaufen, -mahnen, -treiben,
-ziehen; etw. einüben, -trainieren, -nehmen (Medizin), -saugen, -schlürfen;
das intensive, gewaltsame Einwirken auf Personen oder Gegenstände auf
jmdn. eindreschen, -schlagen, -stechen; etw. eintreten, -schlagen, -werfen
(Fenster); auch bei Verben des Sprechens: auf jmdn. einreden, -schreien. Das
Zugrundegehen drücken aus: einfallen (Haus), -gehen (Pflanze), -stürzen;
das Konservieren: einfrieren, -kochen, -legen, -pökeln; demotiviert einwecken.
Die in DWb 1, 355 als Verben mit „weglaßbarer Intensivierungspartikel“
bestimmten ein-Verben sind ebenfalls weitgehend lokativ zu deuten und
daher hier anzuordnen: etw. einflechten, -halten, -streuen.
1.2) Wortbildungsbedeutung ,ingressiv‘
Ein- signalisiert den Beginn eines Prozesses z.B. bei intransitiven Verben des
Schlafens: eindösen, -nicken, -pennen, -schlafen, -schlummern; dazu transitiv
jmdn. einlullen, -singen (in den Schlaf).
Die allmähliche Gewöhnung bezeichnen sich einarbeiten, -hören, -laufen
(,vor dem Wettkampf erwärmen‘), -leben, -lesen, -schwimmen. Die gleiche
Wortbildungsbedeutung ,etw. allmählich zur vollen Leistung bringen‘
haben transitive Verben wie etw. einfahren (Motor), -schreiben (Stift), -schie-
ßen (Waffe).
2) Substantivische Basis
Ein-Verben von Substantiven haben die Wortbildungsbedeutung ,lokativ‘,
und zwar in der Ausprägung ,etw. wohin befördern‘: einärmeln, landsch. sich
einhenkeln ,sich bei jmdm. einhaken‘, etw. einkellern, -kapseln, -kesseln, jmdn.
-kerkern, -lochen, etw. -sacken, jmdn. -sargen, -schulen, etw. -tüten. Eine wei-
412 5 Wortbildung des Verbs

tere Wortbildungsreihe stellen Verben mit der Wortbildungsbedeutung ,in-


strumentativ‘ dar: eingipsen, -hämmern, -meißeln. Zu denominalen ein-Ver-
ben ausführlich Fehlisch 1998, 149ff.
3) Adjektivische Basis
Adjektivische Basen werden kaum mit ein- verbalisiert: eindicken, -engen,
-schüchtern.

5.3.1.9 Verbpartikel gegen-


Komplexe Verben mit gegen- als Erstglied treten erst seit Ende des 20. Jh.
verstärkt auf. Klosa (2003, 469) nennt als Ergebnis einer Analyse gegen-
wartssprachlicher Texte einen aktuellen Bestand von 53 Verben wie z.B.
gegenargumentieren, -checken, -darstellen, -finanzieren, -gründen, -halten,
-lenken, -lesen, -rechnen, von denen 64 % erst seit 1990 belegt sind; bei den
früher belegten nimmt der Gebrauch bis heute stetig zu.
Die Wortbildungsart dieser Verben ist nicht eindeutig zu bestimmen. Sie
stammen zum Teil von komplexen Substantiven (Gegengründung > gegen-
gründen, Gegenleistung > gegenleisten) und verfügen (noch) nicht über ein
vollständiges Formenparadigma; zum Teil haben sie alle Formen ausgeprägt,
sind wie andere Partikelverben morphologisch und syntaktisch trennbar
und nicht desubstantivisch zu erklären (gegenhalten, -lesen, -steuern). Im
ersten Fall ist Rückbildung anzunehmen, im zweiten Partikelverbbildung,
möglicherweise als umgangssprachliche Verkürzung von Verben mit dage-
gen als Erstglied. Da sich bei verstärktem Gebrauch auch bei den Rückbil-
dungen allmählich finite Formen durchsetzen können, lässt sich eine ent-
sprechende Zuordnung nicht immer eindeutig vornehmen, vgl. gegenprüfen,
gegenstempeln. Über vollständige Formenparadigmen verfügen nach Klosa
(2003, 483) gegenchecken, -finanzieren, -halten, -lenken, -lesen, -rechnen,
-steuern, -zeichnen.
Die Verben haben die Wortbildungsbedeutungen ,lokativ‘, und zwar v. a.
,da-/entgegen‘, ,zurück‘ (gegenkandidieren, -fragen) oder ,überprüfend‘ (ge-
genlesen, -rechnen, -zeichnen); detailliert vgl. Klosa 2003, 484ff.

5.3.1.10 Verbpartikel hinter-


In trennbaren Verben bedeutet hinter- ,nach hinten‘; die Verben haben meist
simplizische verbale Basen und sind landschaftlich-umgangssprachlich
markiert: etw. hinterbringen, -gehen, -laufen, -tragen, -transportieren; in der
Bedeutung ,hinunter‘ hinterschlingen, -schlucken; hinteressen ,unwillig es-
sen‘.
5.3 Partikelverbbildung 413

5.3.1.11 Verbpartikel nach-


Nach- modifiziert einfache und komplexe Verben (nachmessen, -bezahlen)
und transponiert nur in wenigen Fällen Substantive zu Verben (nachäffen).
Präfixverben mit nach- an zweiter Stelle sind desubstantivische oder dead-
jektivische Derivate (Nachricht > benachrichtigen, nachlässig > vernachlässi-
gen).
Wie ab- und auf- als komplementäre Verbpartikeln zur Bezeichnung der
vertikalen Bewegungsrichtung fungieren können, so ist nach- Entsprechung
zu vor- für die horizontale Bewegung und für temporale Bezüge, ohne dass
vor- und nach- jedoch bei den gleichen Basisverben beliebig ausgetauscht
werden können. Die Bewegung ,nach hinten‘ allerdings wird bevorzugt von
Verben mit zurück- (oder landsch. begrenzt mit hinter-) signalisiert
(¢ 5.3.1.10).
1) Wortbildungsbedeutung ,lokativ, relational‘: ,Reihenfolge‘
In Verbindung mit Verben der Fortbewegung und des Beförderns drückt
nach- die Bewegung ,hinter jmdm./etw. her‘ aus: jmdm. nacheilen, -fahren,
-laufen, -rennen, -sausen; jmdm. etw. nachsenden, -schicken, -werfen.
Die räumliche Einordnung der Tätigkeit liegt auch Verben wie nachfragen,
-forschen, -sehen, -weisen zugrunde. Wie vor-Verben bezeichnen Verben mit
nach- schließlich in einer Überlagerung der Raum-Zeit-Einordnung Tätig-
keiten, die sich als Nachahmung eines Musters vollziehen: etw. nachdrucken,
-machen, -malen, -singen, -spielen, -sprechen.
2) Wortbildungsbedeutung ,temporal‘
Nach-Verben mit temporaler Bedeutung bezeichnen das Stattfinden eines
Prozesses nach einem anderen; sie stellen eine Reihenfolge zwischen den
Prozessen her: vorbehandeln – behandeln – nachbehandeln (vgl. Eichinger
1989, 382). Dabei realisieren sie die Nuancen des erneuten Handelns (nach-
bestellen, -nutzen), der Überprüfung (nachzählen, nachrecherchieren), des
nachträglichen Miterlebens oder Korrigierens (nachempfinden, -färben; vgl.
DWb 1, 274). Bei Verben der akustischen Wahrnehmung geben sie das Fort-
dauern des Geschehens an: nachhallen, -schwingen, -tönen.
5.3.1.12 Verbpartikel über-
Über- tritt an simplizische und auch an zahlreiche komplexe Verben (über-
greifen, -bekommen. Die Wortbildung ist häufig mit Valenzreduktion ver-
bunden wie in die Milch kocht über den Rand – kocht über.
Demotiviert ist überschnappen ,durchdrehen‘.
Die Wortbildungsbedeutung der Verben ist ,lokativ‘, in Abhängigkeit von
der Basissemantik allerdings äußerst vielfältig nuanciert (vgl. Henzen 1969,
182).
414 5 Wortbildung des Verbs

Das Übertreten einer Flüssigkeit über einen Rand bezeichnen überkochen,


-laufen, -schäumen, -schwappen; die Bewegung eines Agens von einem Ort
zum anderen übersiedeln, -wechseln; das Tragen eines Kleidungsstückes über
einem anderen etw. überhängen, -nehmen, -streifen, -stülpen, -tun, -werfen,
-ziehen.
Die Bedeutung ,übrig‘ realisiert über- in ugs. überbleiben, -haben, -lassen.

5.3.1.13 Verbpartikel um-


Um- tritt an einfache und komplexe Verben wie umpflanzen, -bestellen,
-gruppieren. Deutlicher als bei den anderen Verbpartikeln mit homonymem
Präfix korrespondiert mit der Opposition trennbar/untrennbar eine seman-
tische Differenzierung: Partikelverben bezeichnen oft die Änderung einer
Bewegungsrichtung oder eines Zustands (umgucken, -schauen, -sehen; etw.
umrühren, -schaufeln; umfallen, -sinken, -knicken), Präfixverben eine Rund-
umbewegung (umfahren; ¢ 5.2.3.5).
Die Wortbildungsbedeutung ,verändern‘ haben etw. umbauen, -buchen,
-deuten, -färben, -füllen, -funktionieren, -gruppieren, -leiten, -lenken, sich
-ziehen.

5.3.1.14 Verbpartikel unter-


Unter- verbindet sich mit einfachen und komplexen Verben: etw. untermi-
schen, -bewerten.
Die Wortbildungsbedeutung ist ,lokativ, relational‘: ,darunter, unterhalb
von etw.‘ oder ,dazwischen‘. Bei den Partikelverben ist der lokative Bezug
deutlicher als bei den Präfixverben mit unter- (vgl. Henzen 1969, 191):
untergehen, -kommen, -kriechen, -tauchen; etw. unterhacken, -heften, -legen,
-pflügen im Vergleich zu den Präfixverben etw. unterschreiben, -streichen,
-zeichnen (¢ 5.2.3.6).
Ein ,Verbinden‘ bezeichnen etw. untermengen, -mischen.

5.3.1.15 Verbpartikel vor-


Vor- tritt ausschließlich an Verben, und zwar sowohl an einfache als auch an
komplexe: vorwerfen, -behandeln, -fertigen. Nach dem Verzeichnis von
Mater (1967, 104f.) existieren keine vor-Verben mit substantivischer und
adjektivischer Basis. Bei Präfixverben mit vor- an zweiter Stelle handelt es
sich um Derivate von komplexen Substantiven wie Vorrat – bevorraten,
Vorzug – bevorzugen.
5.3 Partikelverbbildung 415

1) Wortbildungsbedeutung ,lokativ‘: ,nach vorn‘/,Reihenfolge‘


In den lokativen Verben mit vor- überlagern einander in vielen Fällen die
sprecherbezogene Orientierung der Bewegung ,nach vorn‘ (entsprechend
der natürlichen horizontalen Bewegungsrichtung des Sprechers) und die
relationale Bedeutung ,vor etwas, davor‘, ,an die Vorderseite von etwas‘, vgl.
ein Stück vorfahren ,weiter in der Blickrichtung des Sprechers fahren‘; das
Auto vorfahren (vor das Haus) ,davorfahren‘ (vgl. Eichinger 1989, 228ff.).
Weitere in diesem Sinn polyseme Verben sind vor allem Fortbewegungs-
und Beförderungsverben wie vorsetzen, -springen, -stoßen, -stürmen, -treten,
-ziehen. Bei vielen dieser Verben ist zusätzlich die Sprecherzugewandtheit
der Basisverbhandlung ausgedrückt: hinter der Gardine vorspringen ,aus
einer verborgenen Position im Gesichtsfeld des Sprechers erscheinen‘ (vgl.
Eichinger 1989, 221). In diesen Fällen kann statt vor- auch hervor- auftreten,
vgl. (her)vorholen, (her)vorkriechen, (her)vorstürzen. Angaben zum Aus-
gangspunkt der Bewegung werden mit den Präpositionen aus, hinter, unter,
zwischen angeschlossen.
Lokativ deutbar, und zwar im Sinne des Handelns eines Agens „vor einer
Person oder einem Publikum“ (DWb 1, 232) sind Verben des Sprechens oder
Agierens, meist mit dem Dativ der Person verbunden, vgl. jmdm. etw. vor-
führen, -lesen, -singen, -tanzen, -weinen; hierzu auch Verben, die das Lügen
bezeichnen: jmdm. etw. vorflunkern, -lügen, -machen, -schwindeln.
2) Wortbildungsbedeutung ,temporal‘
Analog zu den lokativen Bedeutungen der vor-Verben lassen sich bei den
temporalen zwei verschiedene Sichtweisen auf Zeitabläufe unterscheiden:
zum einen das ,Vorherstattfinden‘ einer Handlung vor einer anderen (vor-
beraten ,vor der eigentlichen Verhandlung besprechen‘), zum anderen das
Handeln ,im Voraus‘ (das Gepäck vorschicken), wobei im zweiten Fall der
zeitliche Sprecherstandort als Bezugspunkt gilt (vgl. Eichinger 1989, 349);
vgl. z. B. vorfertigen, -fühlen, -greifen, -kochen, -merken, -notieren, -schießen
(Geld). Beide Bedeutungen können in ein und demselben Verb enthalten
sein: etw. vorbedenken ,vorher überlegen‘; ,im Voraus bedenken‘.
Sowohl ,lokativ‘ als auch ,temporal‘ interpretierbar sind Verben, mit
denen eine musterhafte, teilweise lehrende Tätigkeit bezeichnet wird: vor-
drucken, -leben, -machen, -malen, -sagen, -schaffen, -schreiben, -turnen. Sie
stehen in komplementärer Beziehung zu Verben mit nach- (¢ 5.3.1.11).
416 5 Wortbildung des Verbs

5.3.1.16 Verbpartikel wider-


Wider kommt nur in wenigen Verben als Erstglied vor: widerhallen, -klingen,
-schallen. Es bedeutet ,zurück‘.
Das Modell ist unproduktiv wie auch die Präfixderivation mit wider-
(widerlegen, rufen, -sprechen) in der Bedeutung ,dagegen‘.
5.3.1.17 Verbpartikel zu-
Zu- modifiziert einfache und komplexe Verben (zusagen, -bereiten) und
transponiert Substantive zu Verben (demotiviert: zumuten). Mit der seman-
tischen Modifikation treten bei einzelnen Verbgruppen syntaktische Verän-
derungen auf, wie z. B. blinzeln – jmdm. zublinzeln, ebenso zujubeln, -lächeln,
-nicken; zu jmdm. fliegen – jmdm. zufliegen, ebenso zufließen, -streben; etw.
erkennen – jmdm. etw. zuerkennen, ebenso zuarbeiten, -flüstern, -ordnen,
-rufen, -treiben; jmdn. hören – jmdm. zuhören, ebenso zusehen; zu jmdm.
fahren – auf jmdn. zufahren, ebenso zugehen, -kriechen, -schwimmen.
1) Wortbildungsbedeutung ,lokativ, relational‘: ,annähern‘
Wie an- (¢ 5.3.1.3) signalisiert zu- die Gerichtetheit der Basisverbhandlung
an eine Person oder Sache, vgl. jmdn. anlächeln – jmdm. zulächeln. Das
GWDS bucht für diese beiden Verben annähernd die gleiche Bedeutung
,jmdn. lächelnd ansehen‘. Geringfügige Unterschiede mögen in der Inten-
sität der Handlung liegen: zulächeln scheint ein flüchtigeres Lächeln zu be-
zeichnen als anlächeln. Insgesamt sind solche Synonyme jedoch selten.
Nicht durch an- ersetzbar ist zu- bei jmdm. zujubeln, -nicken; an- nicht
durch zu- bei jmdn. anfauchen, -flehen, -glotzen.
Weitere Verben dieser Reihe sind jmdm. zublinzeln, -fliegen, -hören; -kom-
men, -neigen, -treiben, -treten; mit Wortbildungsbedeutung ,intensiv‘ zuhö-
ren, -sehen.
Das gewaltsame Einwirken auf Personen oder Sachen bezeichnen zuhau-
en, -schlagen, -stechen, -stoßen. Im Unterschied zu den entsprechenden
Verben mit ein- (auf jmdn. einschlagen) geben die zu-Verben nur allgemein
eine Gerichtetheit der Handlung an, weniger die Intensität; kontextabhän-
gig ist die Bedeutungsnuance ,punktuell‘ aktualisierbar (vgl. ein- ¢ 5.3.1.8).
Ein ,Hinzufügen‘ (vgl. bei-; ¢ 5.3.1.6) bezeichnen zugeben, -schießen
(Geld), -steuern, -zahlen; etwas für einen bestimmten Zweck angemessen
gestalten: zubereiten, -richten, -rüsten, -schneiden.
2) Wortbildungsbedeutung ,schließen‘
Diese Wortbildungsbedeutung realisiert zu- sowohl bei statischen Verben
wie ugs. zubleiben als auch bei dynamischen intransitiven und transitiven
wie zugehen, -schnappen; etw. zudrücken, -klappen, -kleben, -nageln. Anto-
nyme bildet auf- (¢ 5.3.1.4).
5.3 Partikelverbbildung 417

5.3.1.18 Verbpartikel zwischen-


Wie bei Verben mit gegen- als Erstglied und verbaler Basis (¢ 5.3.1.9) handelt
es sich auch bei den zwischen-Verben um ein jüngeres Wortbildungsmodell
zwischen Rückbildung und Partikelverbbildung. Verben wie zwischenfinan-
zieren, -fragen, -lagern, -parken, -schalten, -schneiden, -speichern, -vermieten
sind erst seit den 80er- und 90er-Jahren des 20. Jh. belegt. Älter ist nur
zwischenlanden (Klosa 2004, 16).
Entstanden sind die Verben entweder durch Rückbildung aus komplexen
Substantiven (Zwischenfinanzierung > zwischenfinanzieren) – dann haben
sie meist die Wortbildungsbedeutungen ,vorläufig‘ oder ,unterbrechend‘ –
oder auch als synonymische Entsprechung zu Syntagmen mit dazwischen.
Letztere tragen die Wortbildungsbedeutung ,lokativ‘ (dazwischen schieben –
zwischenschieben).
Die meisten zwischen-Verben sind nur im Infinitiv und in den Partizip-
formen gebräuchlich, solche mit vollständigem Formenparadigma bilden
noch eine Minderheit. Nur Letztere sind typische Partikelverben (im Ma-
terial von Klosa ein Viertel aller belegten zwischen-Verben).

Übersicht 32: Synonymie deverbaler Präfix- und Partikelverben


(lesartengebundene Auswahl)
Präfix/Verb- synonym mit bei
partikel
be- er- steigen
über- gießen, ziehen
ver- decken, kleben
ent- ab- kuppeln, sagen
an- brennen, zünden
aus- laden, leihen, strömen
ein- schlafen, schlummern
los- kommen, reißen
ver- schwinden
er- ab- betteln
an- streben
auf- bauen, klingen, richten, wachen
aus- denken, rechnen
durch- leben, leiden
ver- löschen
418 5 Wortbildung des Verbs

Präfix/Verb- synonym mit bei


partikel
ver- ab- ändern, blühen
auf- schieben, zehren
aus- heilen, klingen, lachen, löschen
miss- achten, leiten
zer- reiben, rinnen
zu- decken, schließen
ab- aus- heilen, schalten
los- fahren, lösen
an- bei- fügen
zu- lächeln

Übersicht 33: Antonymie deverbaler Präfix- und Partikelverben


(lesartengebundene Auswahl)
Präfix/Verb- antonym mit bei
partikel
ab- an- binden, hängen, schalten
auf- montieren, nötigen, springen
ein- schalten
er- schaffen
vor- malen, zeichnen
zu- leiten, steigen
auf- ent- laden
ver- decken, schließen
zu- schlagen, schließen
aus- ein- atmen, bauen, drehen, marschieren
ver- graben, packen
zu- steigen
ein- ent- fetten, ölen
ent- ver- flechten, sorgen
er- ver- blühen, klingen
nach- vor- bestellen, singen
miss- ver- gönnen, trauen
über- unter- belichten, bieten, treiben
5.3 Partikelverbbildung 419

5.3.2 Adverbiale Verbpartikeln

5.3.2.1 Grundsätzliches
Die Verbbildung mit adverbialen Verbpartikeln ist im Deutschen reich ent-
faltet. Die meisten Verbpartikeln entsprechen Lokaladverbien wie z.B. da,
darauf, her, hier, hin, herüber, hinüber, empor, entgegen. Dazu kommen sol-
che, die sowohl lokale als auch temporale Bedeutung haben wie z.B. voran,
voraus, vorbei, vorüber, zurück; außerdem noch mit jeweils spezifischen Be-
deutungen los-, mit-, wieder, zusammen, zurecht. Besonders häufig treten
direktionale Verbpartikeln als Erstglieder auf (¢ 5.3.2.2). Sie verbinden sich
mit Verben unterschiedlichster semantischer Klassen (vgl. Henzen 1969;
Hinderling 1982, 97), Neubildungen fallen kaum als neu auf: deren Wasser
verführerisch blau zu uns hinaufstrahlte; dass sich eine Eigendynamik nicht
herbeibefehlen lässt (PDW 2006).
Ihrer Struktur nach sind die Verbpartikeln Simplizia wie in dalassen, fort-
fahren, hierlassen, heimkommen, weggehen, wiederbringen, wohltun; Kom-
posita wie in beiseite legen, dabei sitzen, drauflos reden, daraufhin arbeiten,
dazwischen fallen, herbei rufen, gegenüber liegen, hintan halten, hinterher-,
hinterdrein laufen, hintenüber fallen, vorüber gehen, zwischendrein schlagen,
zwischendrin liegen, zwischendurch fallen (ugs. für dazwischen hindurchfal-
len) oder Derivate auf -wärts wie in aufwärts gehen, vorwärts entwickeln.
Adverbien mit hier- (hieran) und wo- (woran) werden nicht als Verbpar-
tikeln gebraucht, ebensowenig adverbiale Derivate auf -s (nachts), -lich (frei-
lich), -lings, -maßen, -weise, -mal.
Die entstehenden Verben sind stets trennbar, die Verbpartikeln tragen
den Ton. Bei zweisilbigen Erstgliedern (außer bei wieder) liegt der Akzent
auf der zweiten Silbe der Verbpartikel. Ein zusätzlicher Akzent auf dem
Verbstamm kennzeichnet das Syntagma: davór stéllen, nicht setzen. Verben
mit komplexen Verbpartikeln wie da + hin oder da + hinaus usw. erscheinen
ohne greifbaren Bedeutungsunterschied in zwei grafischen Varianten: dahin-
gehen, dahinausgehen oder da hingehen, da hinausgehen.

5.3.2.2 Direktionale Verbpartikeln

1) Besonders aktiv sind her und hin sowie die entsprechenden Komposita
mit Präpositionen wie herauf, hinunter (¢ 4.2.2). Sie verbinden sich nahezu
unbeschränkt mit Verben der Fortbewegung, dabei okkasionell auch mit
solchen, die eine relativ spezifische Bedeutung haben und sonst kaum wort-
bildungsaktiv sind: herbeitrippeln, hinüberwatscheln, hinauskutschen. Auch
Verben anderer semantischer Klassen gehen in großer Zahl Verbindungen
420 5 Wortbildung des Verbs

mit diesen Adverbien ein, wodurch ihre Bedeutung um die Richtungskom-


ponente ergänzt wird: etw. hervorzaubern, sich hineindenken, jmdn. heraus-
locken; dazu okkasionell das Ende der Militärdiktatur herbeigestreikt haben
(PDW 2006). Im Unterschied zu Okkasionalismen anderer Bildungsarten
sind diese Verben kaum auffällig oder besonders expressiv, was von einer
hohen Produktivität der Modelle zeugt. Diese ergibt sich vornehmlich aus
dem besonderen Charakter der Erstglieder. Sie können bei wörtlicher Be-
deutung des Verbs (,Richtung + Verbbedeutung‘) „als eine Art Pronomi-
nalform für Präpositionalphrasen“ (Hinderling 1982, 83) aufgefasst werden:
auf den Berg steigen – hinauf-, heraufsteigen. Die präpositionale Gruppe und
das komplexe Verb werden auch nebeneinander verwendet: auf den Berg
hinaufsteigen (zu weiteren Verwendungsvarianten wie z. B. hinauf auf den
Berg steigen, auf den Berg hinauf steigen und deren semantischer Spezifik vgl.
Harnisch 1982; Zintl 1982). Her- und hin- ergänzen in diesen Sätzen den
Bezug der Bewegungsrichtung auf den Sprecherstandpunkt. Hin- markiert
die sprecherabgewandte, her- die sprecherzugewandte Richtung. In den
meist umgangssprachlichen Kürzungen wie rausgehen, runterfallen ist dieser
Unterschied neutralisiert, die verkürzten Verben werden für beide Richtun-
gen verwendet (raus, runter usw. als r-Partikeln ausführlich analysiert bei
Thurmair 2008, 317ff.).
Die Verbbildung mit direktionalen Verbpartikeln bewirkt mitunter eine
Valenzänderung des Basisverbs: sich setzen – sich über etw. hinwegsetzen.
Zahlreiche Verbpartikeln mit her-/hin- haben neben der räumlichen Be-
deutung weitere Bedeutungen ansatzweise als semantische Reihen entwi-
ckelt, vgl. hinweg- in hinweglassen, -reden, -setzen ,etw. flüchtig tun, etw.
nicht beachten‘; heraus- in herausbekommen, -bringen, -klamüsern, -kriegen,
-haben ,etw. ergründen‘ (vgl. Hinderling 1982, 85), wobei sich bei diesen
Bedeutungen räumliche Assoziationen durchaus noch einstellen. Allerdings
zeugt die Nichtersetzbarkeit von heraus- durch hinaus- in den letztgenann-
ten Beispielen von einer gewissen Bedeutungsisolierung.
Weitere produktive Modelle mit nichträumlicher Bedeutung sind z.B.
herum- (ugs. rum-) + Verb in der Bedeutung ,etw. planlos, ziellos tun‘ (her-
umliegen, -bummeln, -reden, -sitzen), heran- + Verb zur Bezeichnung einer
,Aufwärtsentwicklung‘ (heranbilden, -führen, -wachsen), hin- + Verb zur
Bezeichnung des ,Aufhörens der Existenz‘ (hinsiechen, hinschwinden, auch
dahin-), hin- + Verb zur Bezeichnung eines ,flüchtigen Tuns‘ (hinsagen,
-reden, auch dahin-; pejorativ bei Basisverben, die bereits eine solche Kon-
notation haben: hinschmieren, -kritzeln, -schludern).
In stärkerem Maße als Präfixverben bilden diese Modelle Wortfelder aus,
d. h. Verbgruppen, bei denen nicht nur die Wortbildungsbedeutung der
5.3 Partikelverbbildung 421

Verben übereinstimmt, sondern auch die lexikalischen Bedeutungen in


einer engen Beziehung (Synonymie oder Kohyponymie) stehen, vgl. ,jmdn.
rücksichtslos aus dem Haus weisen‘; dafür stehen zur Verfügung hinausbe-
fördern, -ekeln, -feuern, -graulen, -kanten, -öden, -schmeißen, -setzen, -werfen
(Beispiele bei Hinderling 1982, 85), dazu vgl. auch die oben genannten
Verben mit heraus- für ,etw. ergründen‘ oder mit hin- zur Bezeichnung des
,Aufhörens der Existenz‘.
Bei vielen Verben ist die räumliche Bedeutung eng mit einer zeitlichen
verbunden, vgl. sich hinziehen 1. ,in eine bestimmte Richtung ziehen‘, 2.
,lange dauern‘ (dazu detailliert Eichinger 1989, 361ff.). Das gilt besonders
für Verben mit Adverbien aus vor + Präposition wie vorbei-, voran-, voraus-,
vorübergehen sowie mit hinterher- und vorher-, Letzteres fast ausschließlich
zeitlich.
Sehr oft gestalten sich die sekundären semantischen Prozesse bei den
polysemen Verben allerdings nicht regelmäßig in dem erläuterten Sinn,
sodass die nichträumlichen Lesarten idiosynkratisch bleiben und sich einer
Systematisierung entziehen, vgl. z. B. herunterreißen: 1. ,etw. von dort oben
hierher nach unten reißen‘, ,etwas durch Reißen entfernen‘, 2. landsch.
,Kleidung durch Tragen abnutzen‘, 3. ugs. ,etw./jmdn. herabsetzend beur-
teilen‘, 4. ugs. ,etw. schnell, lustlos erledigen‘ (nach GWDS).
2) Als Auswahl aus weiteren adverbialen Verbpartikeln mit primär direk-
tionaler Bedeutung werden im Folgenden Verben mit den Erstgliedern
empor, los, zurück, fort, weg, entgegen, zuwider erläutert.
2.1) Verben mit empor bezeichnen die Richtung ,nach oben‘ (sich empor-
arbeiten, -bäumen, -blicken, -blühen, -branden, -brodeln, -schrauben). Im
Unterschied zu synonymischen Entsprechungen mit hoch oder hinauf
(hocharbeiten, hinaufblicken) gehören sie der gehobenen Stilschicht an.
2.2) Die Verbpartikel los- tritt vornehmlich an einfache Verben. Das GWDS
bucht mit komplexer Basis nur losbekommen, -galoppieren, -marschieren.
Eine desubstantivische Bildung ist ugs. sich loseisen ,sich mit Mühe von einer
Verpflichtung lösen‘, ursprünglich ,ein Schiff aus dem Eis befreien‘.
Vergleichbar mit ab- (¢ 5.3.1.2) realisiert los- die lokative Lesart bei Basis-
verben, die im weitesten Sinn ein ,Teilen‘ bezeichnen, vgl. losbrechen, -hacken,
-hauen, -lösen, -reißen, -schneiden oder das ,Lösen einer Verbindung‘ wie
losbinden, -koppeln, -montieren. Ab- und weg- bilden Synonyme, an- im
zweiten Fall (anbinden usw.) Antonyme.
Verben mit nichtlokativer Bedeutung können durch los- eine Richtungs-
bedeutung bekommen, vgl. losbekommen, -kriegen, -lassen, ugs. -machen,
ugs. -werden.
422 5 Wortbildung des Verbs

Demotiviert, aber noch schwach lokativ deutbar sind sich lossagen ,eine
Beziehung für gelöst erklären‘ und jmdn. lossprechen ,jmdn. von etw., das
ihn belastet, freisprechen‘. Los- bildet außerdem Verben mit ingressiver Be-
deutung. Vornehmlich bei Verben der Fortbewegung und der Lautäußerung
bezeichnet los- den (plötzlichen) Beginn eines Geschehens: losfahren, -gehen,
-laufen, -marschieren, -rennen, -ziehen; losbrüllen, -heulen, -lachen, -platzen,
-prusten. Entsprechende Synonyme mit auf- (aufheulen, -lachen) betonen
stärker das punktuelle Geschehen. Synonyme zu den Fortbewegungsverben
entstehen durch ab- oder weg-, wobei die Verben mit los- die Bewegung
deutlicher als zielorientiert erfassen.
Die umgangssprachlichen Verben mit drauflos wie drauflosfahren, -gehen,
-laufen, -reden, -wirtschaften haben die zusätzliche Nuance ,die Tätigkeit
unbesonnen, schnell beginnen‘, meist mit pejorativer Komponente.
2.3) Zurück realisiert neben den räumlichen Lesarten ,nach hinten‘ oder
,an den Ausgangspunkt‘ (zurückfahren, -legen; Spieleinsätze zurückverlangen
[Der Spiegel 2006]) auch eine zeitliche (zurückdenken, sich zurückversetzen).
Seit dem 16. Jh. konkurriert mit zurück als Kompositionsglied die Vari-
ante rück- (vgl. Henzen 1969, 110). Sie kann grundsätzlich immer für zurück
stehen, begegnet in der Gegenwartssprache jedoch bevorzugt bei zusam-
mengesetzten oder von Verben abgeleiteten Substantiven: Rückweg, -seite,
-schritt, -zug. Verben mit rück- sind vor allem in den Fachsprachen üblich:
rückspulen, -koppeln, -blenden, in beschränktem Umfang aber auch im All-
gemeinwortschatz: rückfragen, -übersetzen. Generell dominiert im Verbal-
bereich jedoch die Form zurück als Erstglied. Die Ursache für diese Domi-
nanz liegt in der Tendenz der komplexen Verben zur Trennbarkeit in den
finiten Formen. Im Unterschied zu rück- kann zurück vom Basisverb ge-
trennt stehen. Verben mit rück- werden meist nur in den infiniten Formen
oder in Verbletztsätzen (während er rückfragt) gebraucht (dazu Henzen
1969, 110). Bei gleichzeitiger Existenz deverbaler Substantive mit rück- und
entsprechender Verben wie Rücksendung – rücksenden, Rückfrage – rückfra-
gen, Rückübersetzung – rückübersetzen können die Verben sowohl als Parti-
kelverb (Variante zu zurücksenden usw.) wie auch als desubstantivische
Rückbildung aufgefasst werden.
2.4) Fort und weg bilden Verben mit der Lesart ,von einem Punkt weg; an
einer bestimmten Stelle nicht mehr sein‘. Sie sind in motivierten Bildungen
oft ohne semantische Veränderung des Verbs austauschbar: fort-/wegziehen,
fort-/wegfahren, fort-/wegreißen; nicht in den Neubildungen wegklicken,
-zappen (Herberg/Kinne/Steffens 2004, 373 f.), die Reibereien [in einem
Sportclub, I. B.] einfach wegsiegen (Stern 2010). Mitunter lassen sich noch
Synonyme mit davon- und ab- ergänzen: davonziehen, -fahren, abfahren. Fort
5.3 Partikelverbbildung 423

hat darüber hinaus eine zeitliche Lesart entwickelt (fortbestehen, -dauern,


-wirken) und ist in dieser Lesart synonymisch mit weiter- (fort-, weiterent-
wickeln usw.). Ein polysemes Verb wie fortkommen hat demzufolge unter-
schiedliche Synonyme (wegkommen und weiterkommen).
2.5) Verben mit entgegen bedeuten ,Bewegung auf jmdn./etw. zu‘ (entge-
genfahren, -gehen), werden häufig aber auch übertragen verwendet: der Zeit
entgegengehen, einem Ziel entgegensehen. Bei einigen Verben bedeutet ent-
gegen ,einer Sache zuwider‘: entgegentreten, -stehen, -setzen.
Mit der Bedeutung ,dagegen‘ sind Verben mit zuwider noch geläufig, und
zwar zuwiderlaufen, zuwiderhandeln, Letzteres bevorzugt fachsprachlich (zu
dieser Bedeutung bei den Präfixverben ¢ 5.2.3.7). Zuwider hat darüber
hinaus als Adverb die Bedeutung ,unangenehm, ekelhaft‘ wie auch wider in
anwidern, widerlich, widerwärtig.

5.3.2.3 Nichtdirektionale Verbpartikeln

1) Von den adverbialen Verbpartikeln mit nichträumlicher Bedeutung sei


hier zunächst auf zurecht- verwiesen. Zurecht- kommt frei nicht vor, son-
dern nur in Verbindung mit Verben: zurechtbiegen, -finden, -kommen, -legen,
-machen, -rücken, -schneiden, -stutzen, -weisen. Der Struktur nach sind diese
Verben vergleichbar mit Konstruktionen wie abhanden kommen, außerstande
sein, instand halten, vonstatten gehen, zugrunde gehen/richten, zugute hal-
ten/kommen, zuleide tun, zunichte machen, sich zuschulden kommen lassen,
zuwege bekommen/bringen. Noch im 18. Jh. werden Präposition und Sub-
stantiv in diesen Fügungen getrennt geschrieben: zu Grunde richten, von
Statten gehen, zu Wege bringen (vgl. heute in Frage kommen/infrage kommen,
zu Rate ziehen/zurate ziehen), während Wilmanns (1899, 126) für seine Zeit
bereits Zusammenschreibung konstatiert. Die so entstandenen Adverbien
kommen frei kaum vor, sondern sind phrasemisch an eine begrenzte Anzahl
von Verben mit relativ allgemeiner Bedeutung gebunden. Die Bedeutungen
der Syntagmen sind in unterschiedlichem Grade durch die den Adverbien
zugrunde liegenden Substantive motiviert. Bei den Verben mit zurecht- ist in
der Regel ein Bezug zu ,richtig‘ herstellbar: zurechtbiegen, -stutzen ,in die
richtige, brauchbare Form bringen‘, zurechtmachen, -rücken ,in die richtige
Lage bringen‘.
2) Verben mit zusammen als Erstglied verdienen wegen ihrer verschiede-
nen Bedeutungen besondere Beachtung. Sie haben folgende semantische
Reihen entwickelt: 1. ,beieinander‘: zusammenbleiben, -leben; 2. ,vereinen,
addieren‘: zusammenbinden, -bauen, -rechnen, -tragen, -zählen; 3. ,den
Umfang verkleinern‘: zusammenfalten, -drücken, -pressen; 4. ,nach unten‘:
424 5 Wortbildung des Verbs

zusammenfallen, -sinken, -stürzen; 5. ,ruckartige Bewegung‘: zusammenfah-


ren, -zucken; 6. salopp ugs. ,etwas flüchtig, unüberlegt tun‘: zusammen-
schreiben, -reden.
3) Auch mit-Verben sind als Partikelverben zu interpretieren, wobei mit
als präpositionale oder adverbiale Verbpartikel aufgefasst werden kann. Das
Besondere der mit-Verben ist, dass parallel zu ihnen meist eine syntaktische
Fügung aus Adverb + Verb gebraucht werden kann, wobei leichte seman-
tische Unterschiede bestehen: Mit bedeutet als Verbpartikel ,gemeinsam,
gleichzeitig‘, als Adverb eher ,auch‘. Mit dem Syntagma wird eine nur vor-
übergehende Beteiligung des Agens am Geschehen ausgedrückt: du kannst
(eine Weile) mit arbeiten. Sowohl mit als auch arbeiten tragen einen Akzent.
Eine dauernde Teilnahme des Agens am Geschehen oder die Signalisierung
von ,Gemeinsamkeit‘ erfolgt durch das komplexe Verb. Der Akzent liegt
dann auf mit-: am Projekt mitarbeiten, in der Vorlesung mitschreiben.
Nicht nur simplizische, sondern auch komplexe Basisverben haben mit
als Erstglied, z.B. mitbefördern, -entscheiden, -erleben, -unterzeichnen.
Demotiviert sind mit jmdm. mithalten ,die gleiche Leistung wie andere
erreichen‘, etw. mitteilen. Sekundäre semantische Sonderentwicklungen ein-
zelner Verben liegen vor bei jmdm. (übel) mitspielen ,jmdm. zusetzen‘ oder
ugs. mitziehen ,sich beteiligen‘.

5.3.3 Adjektivische Verbpartikeln

Die Partikelverben mit adjektivischem Erstglied (festfrieren) berühren sich


formal-strukturell mit Konversionen aus komplexen Substantiven (Früh-
stück > frühstücken) oder Rückbildungen aus Substantiven (Fernbedienung
> fernbedienen). Entscheidend für die Bestimmung der Wortbildungsart
sind auch hier die Motivationsbeziehungen.
1) Die Adjektiv-Verb-Verbindungen sind in der Mehrzahl trennbar, außer
z.B. liebäugeln, frohlocken sowie einigen Bildungen mit voll (mit Akzent auf
dem Verbstamm wie in vollbrı́ngen, vollénden).
Auf älterer Sprachstufe gab es zunächst nur wenige Adjektive, die mit
einem Verb verschmolzen, z.B. mhd. misseraten (miss- heute Präfix), volfü-
eren ,vollführen‘, ebenmāzen ,gleichstellen‘ (vgl. Henzen 1965, 91 f.). Im
Neuhochdeutschen vermehrt sich die Zahl dieser Verbindungen durch se-
mantische Veränderungen der Syntagmen. Da einerseits die Univerbie-
rungstendenzen fortschreiten (vgl. freihalten), andererseits aber teilweise
trotz semantischer Verschmelzung von Adjektiv und Verb der Syntagmen-
5.3 Partikelverbbildung 425

Status beibehalten wird (locker sitzen), bestehen zwischen Wortbildung und


Syntagma unscharfe Grenzen. In vielen Fällen stehen komplexes Verb und
Syntagma ohne semantischen Unterschied nebeneinander: fertigbekommen,
-bringen, -kochen, -stellen – fertig bekommen, fertig bringen usw.; kahlfressen
– kahl fressen.
2) Die meisten adjektivischen Erstglieder sind Simplizia; komplexe Adjek-
tive, maximal aus zwei Morphemen bestehend, stellen eher die Ausnahme
dar. Schröder (1976, 114ff.) verzeichnet z.B. aufrechterhalten, einiggehen,
flüssigmachen, geheimtun, geringachten, -schätzen, gesundbeten, -pflegen, -sto-
ßen, geradebiegen, -halten, -liegen, -legen, -machen, -sitzen, -stellen (wobei die
Adjektive mit ge- nur noch strukturell durchsichtig sind), heilighalten,
-sprechen, dazu auch richtigstellen, zufriedengeben, -lassen. Selten erscheinen
die Adjektive im Komparativ wie in näherbringen, -kommen, -stehen, -treten,
weiterarbeiten, -befördern, -bestehen, -bilden, -geben, -gehen, -kämpfen, -rei-
sen, -zahlen. Wenn das adjektivische Erstglied bei anderen Verben in den
Komparativ gesetzt wird, wird die Verbindung in der Regel als Syntagma
aufgefasst: leichtfallen, aber leichter fallen (¢ 1.2.2; ¢1.2.4).
Komplexe Adjektive mit den Präfixen un-, ur-, erz-, miss-, mit Fremd-
präfixen sowie mit sämtlichen Suffixen außer -ig treten nicht als Erstglieder
bei Verben auf, ebensowenig Komposita wie spiegelblank (aber: blankpolie-
ren). Bei der Verwendung der komplexen Adjektive ist das entsprechende
Syntagma zu wählen: den Stiefel spiegelblank polieren.
Auch die verbalen Zweitglieder sind in der Mehrzahl Simplizia (von -en
als grammatischem Morphem hier abgesehen), seltener Morphemgefüge
wie aufrechterhalten, fertigbekommen.
3) Die Aktivität der an diesen Bildungen beteiligten Adjektive ist sehr
unterschiedlich. Sie reicht von der Bildung jeweils nur weniger Verben
(dichthalten, -machen, flachfallen, -halten, -machen, flüssigmachen, kahlfres-
sen) bis zur Ausbildung umfangreicher Gruppen wie festbacken, -beißen,
-binden, -bleiben, -fahren, -fressen, -frieren, -haken, -halten, -klammern, -kle-
ben, -klopfen, -krallen, -laufen, -legen, -liegen, -machen, -nageln, -nähen, -neh-
men, -rennen, -saugen, -schnallen, -schrauben, -schreiben, -setzen, -sitzen, -ste-
hen, -stellen, -treten, -wachsen, -ziehen, -zurren. Ähnlich aktiv sind auch frei-,
hoch- und voll-.
Eine besondere Neigung bestimmter semantischer Klassen von Adjekti-
ven zur Verbindung mit bestimmten Klassen von Verben oder auch ent-
sprechende Restriktionen lassen sich kaum ausmachen. Nur beim einzelnen
Adjektiv als Erstglied werden gewisse semantische Restriktionen deutlich,
die auf der Unvereinbarkeit der Bedeutung des Adjektivs mit der des Verbs
beruhen: Mit fest- nicht verbindbar sind z.B. Verben der Sinneswahrneh-
426 5 Wortbildung des Verbs

mung, des Sprechens (aber: ugs. sich festquasseln), Verben zur Bezeichnung
von Witterungserscheinungen (aber: festfrieren). Mit Verben der Fortbe-
wegung kommen sich festfahren, -rennen, fachspr. auch festlaufen vor, fest-
rennen in übertragener Bedeutung ,sich in etw. verrennen, festbeißen‘. Be-
vorzugte Vereinbarkeitspartner von fest- sind Verben, die das ,Verbinden von
Teilen‘ sowie ein ,Befestigen‘ bezeichnen, vgl. festbinden, -haken, -keilen,
-klammern, -klemmen, -nageln, -schrauben.
4) Die Wortbildungsbedeutungen der Partikelverben mit adjektivischer
Verbpartikel ergeben sich aus den potenziellen syntaktischen Beziehungen
eines Adjektivs im Satz. Es kann einem prädikativen Attribut zum Subjekt
(I) oder Objekt (II) des Satzes entsprechen (krankfeiern, gesundpflegen) oder
sich als Adverbial direkt auf das Prädikat (III) beziehen (hochbinden). In-
nerhalb dieser drei Gruppen lassen sich weitere Untergliederungen vorneh-
men (vgl. Schröder 1976, 103), z.B. nach ,Resultat‘ (I: festfahren, II: gesund-
pflegen), ,Zustand‘ (II: gutheißen), ,modal‘ (III: leichtfallen). Entsprechend
den syntaktischen Gegebenheiten (der zweiseitigen syntaktischen Bezogen-
heit des prädikativen Attributs auf Subjekt oder Objekt einerseits und Prä-
dikat andererseits) vereinen zahlreiche Verben in sich Bedeutungsmerkmale
sowohl von Gruppe I und II als auch solche von Gruppe III, z. B. den Tisch
hochklappen impliziert ,der Tisch ist hoch/oben‘ (II) und ,das Klappen ge-
schieht nach oben‘ (III).
Bei demotivierten Verben wie kurzhalten ,streng behandeln‘, krummneh-
men ,verübeln‘ muss auf die Bestimmung der Wortbildungsbedeutung ver-
zichtet werden. Bei noch durchschaubarer Metaphorisierung wie in hoch-
halten ,schätzen‘, geradebiegen ,regeln, in Ordnung bringen‘ kann die Ana-
lyse der Wortbildungsbedeutung des Verbs in der wörtlichen Bedeutung das
Nachvollziehen der Metaphorisierung erleichtern.
5) Verben wie fehlgehen, feilbieten, kehrtmachen, kundtun und wettmachen
vertreten eine Sondergruppe. Die jeweiligen Erstglieder begegnen in der
Gegenwartssprache nur noch in teilweise veralteten Wortbildungen oder
Phrasemen: fehl am Platz(e) sein, wohlfeil, kund und zu wissen tun, wobei das
GWDS feil und kund noch als veraltete Adjektive lemmatisiert. Kehrt lässt
sich auf den Imperativ von kehren beziehen. Lediglich fehl- und kund- haben
ansatzweise Reihen ausgebildet: fehlgehen, -greifen, -leiten, -schießen, -schla-
gen, -treten, kundgeben, -machen, -tun, -werden (¢ 2.2.4.3.2).
Differenziert zu beurteilen sind die Verben mit wett- als Erstglied. In
wettmachen ist wett noch adjektivisch mit der Bedeutung ,frei von Verbind-
lichkeiten‘ gebraucht (vgl. wett sein ,quitt sein‘). Wettmachen hat ein voll-
ständiges Paradigma und ist trennbar: er macht wett, wettgemacht, wettzu-
5.3 Partikelverbbildung 427

machen. Die untrennbaren Verben wetteifern, -laufen, -rennen, -streiten,


-turnen hingegen sind Konversionen oder Rückbildungen von den ent-
sprechenden Substantiven. Außer wetteifern sind sie nur im Infinitiv ge-
bräuchlich.

5.3.4 Substantivische Verbpartikeln

1) Substantiv-Verb-Verbindungen bilden nur einen kleinen Teil der kom-


plexen Verben, vgl. z. B. eislaufen, gewährleisten, haltmachen, kopfstehen, seil-
tanzen, -hüpfen, standhalten, teilhaben, -nehmen. Sie unterliegen nicht wie
die verbalen Komposita (ziehschleifen) deutlich fassbaren funktionalen Be-
schränkungen. Auf eine gewisse Bevorzugung des Typs in den Fachsprachen
verweist Wellmann (1998, 449).
Substantiv-Verb-Verbindungen stellen eine in sich äußerst heterogene
Gruppe dar. Nicht jedes komplexe Verb, das seinem formativstrukturellen
Erscheinungsbild nach ein Partikelverb mit substantivischem Erstglied sein
könnte, ist auch als solches entstanden. In zahlreichen Fällen ist vielmehr
von Rückbildung auszugehen. Der Unterscheidung beider Wortbildungsar-
ten dienen die Motivationsbeziehungen und das verbale Formenparadigma.
Eine klare Grenze lässt sich allerdings kaum ermitteln.
Wenn das Verb als Ganzes durch ein Substantiv morphosemantisch mo-
tiviert ist wie notlanden, zwangsversteigern ,eine Notlandung, Zwangsver-
steigerung vornehmen‘, liegt eine Rückbildung vor (¢ 1.5.4; ¢5.6). Ist da-
gegen die Annahme der Motivation durch ein Syntagma sinnvoll wie bei
kopfstehen ,auf dem Kopf stehen‘, handelt es sich um ein Partikelverb. Par-
tikelverben sind trennbar und in den finiten Formen auch gebräuchlich (er
hält stand, steht kopf). Als Merkmal der Rückbildung gilt dagegen ein un-
vollständiges Formenparadigma wie bei seiltanzen, -springen, wellenreiten.
Diese Verben werden vorwiegend im Infinitiv und im Partizip II oder nur im
Infinitiv gebraucht und wären demnach als Rückbildungen zu bestimmen.
Da jedoch die Motivation durch ein entsprechendes Syntagma nicht gänz-
lich ausgeschlossen ist, sind hier meist beide Erklärungen akzeptabel. Auf
diesbezügliche Übergänge verweisen z.B. Åsdahl-Holmberg (1976, 61);
Moser (1979, 57); Wellmann (1998, 448ff.), Erben (2006, 39 ff.).
2) Zwischen den Partikelverben mit substantivischer Verbpartikel und
entsprechenden Syntagmen bestehen fließende Übergänge (¢ 1.2.2; ¢5.1.4).
Anders als die Syntagmen Auto fahren, Bock springen, Gefahr laufen, Feuer
fangen, Rad fahren, Schlange stehen gelten eislaufen, kopfstehen als Wörter. In
428 5 Wortbildung des Verbs

beiden Fällen liegt „Objektinkorporation“ vor (Zifonun u.a. 1997, 1069).


Kriterien für den Wortstatus sind die Semantik (semantisch „verblasstes“
Substantiv) und die (reduzierte) grammatische Eigenständigkeit des Erst-
gliedes, zu messen an der Vorfeldfähigkeit, Attribuierbarkeit und Artikel-
fähigkeit (Pittner 1998; Fuhrhop 2005, 70 ff.). Generell stehen bei diesem
Bildungsmodell wie auch bei den Adjektiv-Verb-Verbindungen „gewisse
Freiräume für eigene Entscheidungen offen“ (Dudenband 1, 2009, 49),
sodass im Zweifelsfall getrennt oder zusammengeschrieben werden kann.

5.4 Suffix- und Zirkumfixderivation

5.4.1 Grundsätzliches

1) Für die Suffixderivation stehen vergleichsweise wenige, unterschiedlich


produktive Suffixe zur Verfügung, und zwar -el(n)/-l(n), -er(n)/-r(n),
-ier(en)/-isier(en)/-ifizier(en) und -ig(en).
Die „Suffixarmut“ des Verbs ist zwar teilweise historisch angelegt, hat sich
aber im Verlauf der Sprachgeschichte noch verstärkt. Das Althochdeutsche
kannte mit den Infinitivmorphemen -an (starke Verben), -en, -ēn und -ōn
(schwache Verben) Möglichkeiten, durch das Verbalsuffix gleichzeitig mit
der Verbalisierung semantische Differenzierungen auszudrücken, z.B. rotēn
,erröten‘ – rōten ,rot machen‘, altēn ,alt werden‘ – alten (elten) ,alt machen‘,
brehhan ,brechen‘ – brehhōn ,heimsuchen, übel zurichten‘ u.a. (vgl. Wil-
manns 1899, 44 ff.). Infolge der Reduktion der Endsilbenvokale mussten die
verschiedenen Infinitivmorpheme des Althochdeutschen zu einheitlichem
-(e)n zusammenfallen, was sich auch auf die Konjugation auswirkte.
Um die semantischen Unterschiede auszudrücken, wurden die bereits
vorhandenen Möglichkeiten der Präfixderivation ausgebaut. So steht viel-
fach einem althochdeutschen Verb ohne Präfix die neuhochdeutsche geläu-
fige Entsprechung mit Präfix gegenüber: soufen – ersäufen, gerōn – begehren,
entōn – beenden, niuwōn – erneuern. Durch die Präfixderivation, Partikel-
verbbildung, die Konversion nominaler Basen und schließlich auch durch
Phraseologisierung wird die Suffixarmut in der Gegenwart ausgeglichen.
Die Suffixderivate stellen quantitativ neben der Masse an Präfixderivaten
und Partikelverben nur eine Randerscheinung dar, sind allerdings insofern
nicht unwichtig, als sie zum Teil spezifische Wortbildungsbedeutungen
haben, die durch Präfixe und Verbpartikeln nicht ausgedrückt werden kön-
nen, z.B. ,diminutiv-iterativ‘ wie in spötteln.
5.4 Suffix- und Zirkumfixderivation 429

Neben Substantiv, Adjektiv und Verb treten andere Wortarten nur verein-
zelt als Basen für verbale Suffixderivate auf: Interjektionen wie ach sind die
Basen für die lautmalenden Verben ächzen, juchzen/jauchzen, dazu weiter
– mitunter mit Konfix als Basis – grunzen, maunzen, raunzen, krächzen,
piepsen, tirilieren, wiehern; auf Pronomen zu beziehen sind jmdn. duzen,
siezen.
2) Die Zirkumfixderivation kennt nur nominale, nicht verbale Basen. Ihre
unmittelbaren Konstituenten sind Substantiv bzw. Adjektiv sowie diskon-
tinuierliches Zirkumfix: bevollmächtigen ist demnach zu segmentieren in
Vollmacht + be-…-ig(en).
Quantitativ gesehen spielt diese Wortbildungsart wie auch die Suffixde-
rivation für die Verbbildung in der Gegenwart nur eine untergeordnete
Rolle. Von Unproduktivität kann aber nicht generell gesprochen werden.
Zwar wird z.B. bei einigen ver-Verben das Suffix -ig in der Gegenwart getilgt,
so finden sich noch im Grimmschen Wörterbuch vergiftigen, -hehligen, -nich-
tigen, in anderen Fällen aber erscheinen ursprünglich suffixlose Verben erst
in jüngerer Zeit mit -ig: Goethe verwendet z.B. noch verängsten (weitere
Beispiele bei Henzen 1956, 179). Gelegentlich stehen heute beide Formen
nebeneinander, meist mit deutlichen Distributions- und Bedeutungsunter-
schieden, vgl. befrieden – befriedigen, erkunden – erkundigen, verkünden –
verkündigen.
Verben, bei denen die suffigierte Form auch ohne Präfix geläufig ist (ver-
ängstigen – ängstigen, entschädigen – schädigen, zerstückeln – stückeln)
werden als deverbale Präfigierungen betrachtet. Auch Suffixderivate von
deverbalen Substantiven wie verdächt igen von Verdacht, verständ igen von
Verstand gehören nicht hierher.

5.4.2 Suffix -el(n)/-l(n)

1) Verbale Basis
Das Suffix -(e)l(n) realisiert die Wortbildungsbedeutung ,diminutiv-itera-
tiv‘, vgl. lachen – lächeln, ebenso brummeln, deuteln, drängeln, hüsteln, liebeln,
spötteln, schnitzeln, streicheln, tappeln, trotteln, tänzeln, zischeln, zuckeln. Bei
umlautfähigem Stammvokal des Verbs tritt in der Mehrzahl der Fälle
Umlaut ein.
Semantisch nicht aufeinander zu beziehen sind in synchroner Sicht Paare
wie betten – betteln, funken – funkeln, gründen – gründeln ,auf dem Grund
von Gewässern nach Nahrung suchen‘, heften – hefteln, stoppen – stoppeln,
tippen – tippeln u. a.
430 5 Wortbildung des Verbs

Eine erhebliche Anzahl von Verben gehört in den Bereich der Schallnach-
ahmungen und ähnlicher mehr oder weniger expressiver, nicht mehr seg-
mentierbarer Bildungen: babbeln, bimmeln, buddeln, gammeln, krabbeln,
kribbeln, hätscheln, lispeln, muddeln, munkeln, nuscheln, quabbeln, quasseln,
quakeln, prickeln, pinkeln, rappeln, sabbeln, schwappeln, schunkeln, tätscheln,
torkeln, watscheln, wimmeln, zappeln.
2) Substantivische Basis
Die Zahl desubstantivischer Derivate mit -(e)l(n) ist relativ klein. Bis auf
eifersüchteln haben sie simplizische Basen.
Semantisch lassen sich die Derivate in zwei Wortbildungsreihen gliedern,
wobei innerhalb von b. zahlreiche Spezialisierungen auftreten: a. etw. fälteln,
häufeln, stückeln ,etw. in eine bestimmte Form bringen‘ und b. die Reihe mit
diminutiv-iterativer Bedeutung: etw. fädeln (synonymisch auf-, einfädeln),
süddt., österr. fensterln, frösteln (dagegen fachspr. frosten), herbsteln, kriseln,
pejorativ kritteln, ugs. radeln, sich schlängeln, ugs. scherzh. sporteln, süffeln,
landsch. werkeln, witzeln; mit Personenbezeichnungen als Basen französeln,
sächseln, schwäbeln ,ein wenig/in der Art eines Franzosen usw. sprechen‘;
ugs. menscheln ,menschliche Schwächen deutlich werden lasssen‘ (Duden-
band 1, 2009, 727).
Demotiviert sind jmdn. hänseln ,necken‘, landsch. salopp scherbeln ,tan-
zen gehen‘, salopp wursteln ,langsam arbeiten‘ (auch rum-, dahinwursteln).
3) Adjektivische Basis
Von adjektivischen Basen werden nur wenige Verben mit -(e)l(n) abgeleitet:
frömmeln, blödeln, klügeln, kränkeln (wobei kränkeln auch deverbal erklärbar
ist), schwächeln. Sie haben die Bedeutungen ,fromm, blöd sein‘ oder ,sich so
benehmen, als sei man fromm, blöd‘ usw. und werden – außer kränkeln –
meist ironisierend gebraucht. Nicht als Derivat auf -(e)l(n) ist ähneln zu
bestimmen. Das Verb gilt als unregelmäßige Kürzung (17. Jh.) aus älterem
ähnlichen (Kluge 1999, 20).

5.4.3 Suffix -er(n)/-r(n)

1) Verbale Basis
Verben auf -(e)r(n) haben die Wortbildungsbedeutung ,iterativ‘ ohne die
diminutive Komponente: blinkern, schleckern. Stärker demotiviert sind z.B.
folgern, schlingern, steigern. Die Wortbildungsbedeutung ,kausativ‘ hat jmdn.
einschläfern (von intransitivem einschlafen).
5.4 Suffix- und Zirkumfixderivation 431

Auch mit -(e)r(n) existieren zahlreiche lautmalende, in der Regel nicht


segmentierbare Verben, vgl. bibbern, blubbern, giepern, gluckern, knabbern,
knattern, knistern, knuspern, labern, plappern, poltern, rattern, räuspern, sab-
bern, schlabbern, schlittern, schmettern, schwabbern, wimmern, wispern.
2) Substantivische Basis
Von Substantiven leitet -(e)r(n) nur einzelne Verben ab: ugs. dreckern ,im
Dreck spielen‘, vielleicht auch ugs. kleckern. Bei Verben mit der Lautgruppe
-ern am Wortende liegen sonst entweder Konversionen vor, bei denen -er
Teil des Stammes ist (hungern, trauern), oder Pluralendungen der substan-
tivischen Basen (blättern, gliedern, löchern).

5.4.4 Suffix -ig(en)


Das Affix ist durch Reanalyse („Suffixübertragung“, Henzen 1965, 114) ent-
standen. Nach dem Muster Substantiv > Adjektiv auf -ig > Verb wie Kraft >
kräftig > kräftigen, dem sehr viele Verben folgen, wird schon mhd. -ig(en)
auch direkt an Substantive angeschlossen, ohne dass ein Adjektiv als Zwi-
schenstufe existiert: ängstigen, endigen (mit Tilgung des -e), meist als Zir-
kumfigierung (¢ 5.4.6) mit be- wie befriedigen (mit Tilgung des -en der Basis,
daneben noch befrieden), begnadigen (woneben nhd. noch begnadet ,sehr
begabt‘ von mhd. begnāden).
Die meisten Derivate haben die Wortbildungsbedeutung ,jmdm. etw. zu-
teil werden lassen, antun‘: jmdn. ängstigen, peinigen, schädigen, steinigen;
jmdm. huldigen (dagegen anders endigen). Diese semantische Einheitlichkeit
spricht gegen die Behandlung der -ig(en)-Verben als Simplizia, wie sie Gün-
ther (1974, 81) vorschlägt, wenngleich keine neuen -ig(en)-Verben mehr
entstehen.
An adjektivischer Basis sind nur noch geläufig etw. festigen, reinigen, jmdn.
sättigen, alle mit der Wortbildungsbedeutung ,kausativ‘.

5.4.5 Suffix -ier(en)/-isier(en)/-ifizier(en)


Verben auf -ier(en) begegnen im Deutschen seit dem 12. Jh. als Eindeut-
schung französischer Verben auf -er; französische Substantive auf -ier „be-
günstigen die Form -ieren“ (Fleischer 1969b, 322). Seit dem 14. Jh. kommen
Ableitungen von heimischer Basis hinzu, vgl. amtieren, buchstabieren, hau-
sieren, ihre Zahl bleibt aber bis in die Gegenwartssprache niedrig, auch die
okkasioneller Bildungen wie der Sänger schlagerte und klammotierte durch
achtzig Filme (sueddeutsche.de 2006). Koskensalo (1986, 175ff.) registriert
17 desubstantivische und drei deadjektivische Verben.
432 5 Wortbildung des Verbs

Die Masse der heute gebräuchlichen Verben mit -ier(en) einschließlich


der Varianten hat eine fremdsprachliche Basis, vgl. disputieren, formalisieren.
Diese ist im Deutschen nicht immer als Wort geläufig, sondern oft als Konfix
(¢ 1.6.3) zu bestimmen wie in informieren. Verben mit Konfix als Basis
werden hier weitgehend ausgeklammert.
1) Substantivische Basis
Für die Alternation der Suffixvarianten -ier(en) und -isier(en) lassen sich
gewisse Regelmäßigkeiten erkennen: -isier(en) folgt der betonten Silbe der
Basis, bei Basisauslaut -se mit zusätzlichem -t: narkotisieren (aber auch dra-
matisieren), wobei das -e im Basisauslaut und auch -ie getilgt werden: har-
monisieren. Die Variante -isier(en) begegnet seit dem 17. Jh. und wird bei
neueren Bildungen wie autorisieren, kritisieren, politisieren, schematisieren,
signalisieren (vgl. Marchand 1969, 160ff.) bevorzugt.
Die Variante -ifizier(en), entstanden nach Wörtern wie infizieren und la-
teinischen Verben wie aedificare ,bauen‘, beatificare ,glücklich machen‘ (vgl.
Fleischer 1969b, 323), kommt nur bei wenigen desubstantivischen Verben
vor: exemplifizieren (mit Tilgung des schwachtonigen -e- der Basis), klassifi-
zieren (mit Tilgung des auslautenden -e wie auch in klassisch), ebenso mu-
mifizieren, personifizieren. Das Nebeneinander von elektrisieren – elektrifizie-
ren mit Bedeutungsunterschied ist ein Sonderfall.
Semantisch lassen sich die Verben den gleichen Wortbildungsreihen wie
Präfixderivate und Konversionen zuordnen (¢ 5.2.1; ¢ 5.5.2; ¢ 5.5.3, vgl. auch
v. Polenz 1968b, 148ff.; außerdem die Übersicht in DWb 1, 36 ff.).
1.1) Wortbildungsbedeutung ,agentiv‘: gastieren, rebellieren, spionieren, ty-
rannisieren; ähnlich, aber ohne das Vergleichsmoment rivalisieren ,Rivale
sein für jmdn.‘
1.2) Wortbildungsbedeutung ,zufügend‘ (jmdm. etw. geben) (DWb 1, 36):
jmdn. amnestieren, jmdn./etw. bandagieren, boykottieren, jmdn. diplomieren,
drangsalieren, honorieren (zu Honorar), präm(i)ieren, privilegieren, etw. si-
gnalisieren.
1.3) Wortbildungsbedeutung ,privativ‘: skalpieren.
1.4) Wortbildungsbedeutung ,effizierend‘; auch ,etw. tun, was das Basis-
substantiv ausdrückt‘ (vgl. auch 1.1): Die Verben sind intransitiv und tran-
sitiv, vgl. amtieren, appellieren, argumentieren, debütieren, experimentieren,
fotokopieren, intrigieren, kommandieren, kontrollieren, konzertieren, musizie-
ren, porträtieren, protestieren, prozessieren, skizzieren; dazu auch eine Traum-
welt, in der Millionen Beine cancanierten (Leipziger Theater, Programmheft
1986/87).
1.5) Wortbildungsbedeutung ,stativ‘: harmonieren, sich interessieren, sym-
pathisieren, triumphieren.
5.4 Suffix- und Zirkumfixderivation 433

1.6) Wortbildungsbedeutung ,ingressiv‘: gelieren, kristallisieren.


1.7) Wortbildungsbedeutung ,kausativ‘: etw. bagatellisieren, idealisieren
(auch deadjektivisch aufzufassen), mumifizieren, personifizieren, pulverisie-
ren, tabuisieren; belletrisierte Sachbücher (Weimarer Beiträge 1987). Dieses
Modell wird bevorzugt in Fachsprachen genutzt (vgl. DWb 1, 58).
1.8) Wortbildungsbedeutung ,ornativ‘: etw. asphaltieren, colorieren, kana-
lisieren, motorisieren, plombieren.
1.9) Wortbildungsbedeutung ,instrumentativ‘: etw. filtrieren, harpunieren,
torpedieren, zentrifugieren; intransitiv ,etw. als Werkzeug, Mittel benutzen‘:
telefonieren, telegrafieren.
1.10) Wortbildungsbedeutung ,lokativ‘: jmdn. arretieren (zu Arrest), bi-
wakieren, veraltend logieren (synonymisch sich einlogieren), veraltend ka-
sernieren, magazinieren.
2) Adjektivische Basis
Das Suffix -ier(en) bildet kausative Verben (jmdn./etw. blondieren, etw. mat-
tieren mit heimischer Basis, außerdem mit Fremdbasis z.B. jmdn./etw. mo-
bilisieren, neutralisieren) sowie Verben mit der Wortbildungsbedeutung
,agentiv‘ (jmdn. brüskieren, jmdn./etw. ironisieren). Bei fremdsprachlichen
komplexen (Konfix-)Basen werden die adjektivischen Suffixe -ent/-ant und
-isch substituiert, vgl. dominant – dominieren, ironisch – ironisieren; das
Suffix -ell wird durch -al ersetzt: aktuell – aktualisieren.

5.4.6 Zirkumfixe

Die Derivation mit den Zirkumfixen be-/ver-…-ig(en) und ver-…-ier(en) ist


nur schwach ausgebaut. Es entstehen untrennbare Verben. Einzelbeispiele
mit anderen Zirkumfixen sind trennbar (einäschern).
Als Basis fungieren Substantive (be nachricht igen) und Adjektive (etw.
ver absolut ieren, ugs. sich ver dünn isieren ,sich unauffällig entfernen‘).
Von demotivierten Gefügen wie jmdm. etw. genehmigen; vermasseln, sich
vergaloppieren ,sich irren‘ (eventuell auch deverbal) abgesehen, schließen
sich die Zirkumfixderivate den für die Konversion ermittelten Wortbil-
dungsreihen an (¢ 5.5), vgl. ,kausativ‘ etw. begradigen, jmdn. besänftigen, etw.
verunreinigen.
Die Wortbildungsbedeutung ,etw./jmdm. etw. geben‘ bzw. bei einem
Konkretum als Basis (jmdn. be-/verköstigen) wohl auch ,ornativ‘, haben
jmdn. beaufsichtigen, -gnadigen, -günstigen (wenn zu Gunst), -lästigen, -lei-
digen, -nachrichtigen, -nachteiligen, etw. bescheinigen, jmdn. vereidigen, -ge-
waltigen (teilweise demotiviert), etw. verschandeln, sich -barrikadieren. Ent-
434 5 Wortbildung des Verbs

nazifizieren ist ,reversativ‘, etw./jmdn. beerdigen, -seitigen, einkästeln haben


die Wortbildungsbedeutung ,lokativ‘. Von einer phrasemischen Basis abge-
leitet sind etw. beabsichtigen < die Absicht haben, berücksichtigen < Rücksicht
nehmen auf.

5.5 Konversion

5.5.1 Grundsätzliches

Konvertiert werden Substantive (kuren), Adjektive (gleichen) und nur selten


Wörter anderer Wortarten (miauen). Es handelt sich um die morphologi-
sche Konversion; ¢ 1.8.1.3.
Die konvertierten Verben werden schwach konjugiert und sind – bei
komplexer Basis – weder morphologisch noch syntaktisch trennbar (früh-
stücken).

5.5.2 Substantivische Basis

1) Die Basen der Konversionsprodukte sind meist Simplizia: dampfen,


hechten, kleiden, kuren, ölen, schroten, urlauben; jugendsprachl. Rolex, Botox
(Markennamen) > rolexen ,angeben‘, botoxen ,Falten wegspritzen‘. Kom-
posita und Derivate werden selten konvertiert: schlagzeilen, schriftstellern,
untertiteln, weihnachten. Deverbale komplexe Substantive, z. B. solche auf
-ung, -ling, -nis, sowie Substantive auf -heit/-keit/-igkeit treten nicht als
Basen für die Konversion auf. Deverbale Personenbezeichnungen auf -er
sind dagegen häufiger Basen konvertierter Verben (mit -n als Infinitiven-
dung), vgl. bildhauern, gärtnern, malern, schauspielern, schneidern. Bei den
wenigen zusammengesetzten Basen handelt es sich in der Regel um demo-
tivierte Komposita, vgl. Argwohn > argwöhnen, ebenso beckmessern, liebedie-
nern, ohrfeigen, quacksalbern, schulmeistern.
Endet die Basis auf -e, -el oder -er (s.o.), wird nur -n als Infinitivmorphem
angefügt (schulen, klingeln, trauern; „[…] leitartikelt die sonst so bedächtige
,Times‘ […]“, St. Zweig). Weitere morphemisch markierte Konversions-
produkte entstehen durch verschiedene, die Konversion begleitende Pro-
zesse: durch Tilgung des schwachtonigen -e- bei Basen auf -en (Regen >
regnen) oder Uminterpretation des -en als Infinitivmorphem (Rahmen >
5.5 Konversion 435

rahmen) zur Vermeidung der -en-Doppelung beim Verb; durch Substitution


des schwachtonigen -o- bei Basen auf -or (Doktor > ugs. doktern, Sponsor >
sponsern); durch Umlautung des Stammvokals, vor allem bei der Bildung
transitiver Verben (kämmen), seltener bei intransitiven, insgesamt aber ohne
feste Regeln (vgl. DWb 1, 24). Gelegentlich differenziert der Umlaut basis-
gleiche transitive und intransitive Verben wie dampfen – etw. dämpfen (vgl.
ebd.; ¢ 5.5.3).
2) Bei der semantischen Beschreibung verbaler Konversionsprodukte
gehen wir davon aus, dass die Bedeutung konvertierter Verben grundsätzlich
durch die Bedeutung der Basissubstantive motiviert ist: ölen bedeutet ,etw.
mit (Maschinen-)Öl versehen‘, schriftstellern ,als Schriftsteller/in der Art
eines Schriftstellers arbeiten‘. Dass man beim Nebeneinander von Verb und
abstraktem Substantiv mitunter synchron nicht eindeutig über die Konver-
sionsrichtung befinden kann, wie etwa bei Ehre – ehren, Teil – teilen, Antwort
– antworten, ist im Wesen der Wortbildungsart begründet (¢ 2.6.1.1). Kri-
terien für die Betrachtung des Verbs als sekundär sind neben der Motivation
durch das Substantiv der mögliche Anschluss des Verbs an ein Konversi-
onsmodell sowie seine paradigmatischen Beziehungen zu den anderen
Arten desubstantivischer Verbbildung, v.a. Präfixderivation (¢ 5.2) und Par-
tikelverbbildung (¢ 5.3).
Charakteristisch für das Deutsch der Gegenwart ist eine Vielzahl entlehn-
ter Wortpaare aus Substantiv und Verb aus dem Englischen, bei denen nicht
eindeutig zu ermitteln ist, ob jeweils Verb oder Substantiv primär ist oder ob
beide Wörter entlehnt und nicht im Deutschen gebildet sind, vgl. Boom –
boomen, Job – jobben, Layout – layouten, Shop – shoppen, Talk – talken.
Nach Basissemantik und Wortbildungsbedeutung gliedern sich die Wort-
bildungsmodelle in die folgenden drei Gruppen. Innerhalb der Gruppen
werden jeweils mehrere Wortbildungsreihen unterschieden. Zwischen den
Gruppen ist entsprechend den unterschiedlichen Transformationsmöglich-
keiten mit fließenden Grenzen zu rechnen: pfeffern in Gruppe 2.3) z.B. kann
auch mit Pfeffer dazugeben paraphrasiert und dann Gruppe 2.2) zugeordnet
werden.
2.1) Verben aus Nominativsyntagmen, vgl. jmd. arbeitet (in der Freizeit) als
Tischler – tischlert.
– Wortbildungsbedeutung ,agentiv‘ (,als jmd. arbeiten/tätig sein‘, ,sich wie
jmd./etw. verhalten‘). Die Basen sind vor allem Personen-, Tier- und
seltener Sachbezeichnungen: sich flegeln, lümmeln, etw. malern, jmdn.
schulmeistern; bocken, büffeln, etw. hamstern, kiebitzen, etw. mausen,
salopp ochsen, robben, ugs. etw. stibitzen ,sich etw. listig aneignen‘ – Kut-
zelnigg (1982, 197) vermutet als Basis Stiebitz, eine sächsische Variante zu
436 5 Wortbildung des Verbs

Kiebitz – stieren, unken, stärker demotiviert jmdn. fuchst, wurmt etw.,


jmdm. schwant etw.; eiern ,sich wie ein Ei drehen‘, federn, pendeln, perlen,
schaukeln, wirbeln, wogen; dazu pfeilen für den Flug der Schwalben bei
E. Strittmatter. Auch Familiennamen von Persönlichkeiten werden als
Basis genutzt, so entstehen vor allem Okkasionalismen: denn wer einmal
pirckheimert, der hört nie wieder auf damit (Weltbühne 1986), nach
W. Pirckheimer (1470–1530); hierher auch hegeln, mosern, riestern.
– Wortbildungsbedeutung ,etw. ist vorhanden, tritt ein‘. Die Basissubstan-
tive bezeichnen Witterungserscheinungen, Tageszeiten, Festtage, seltener
Gegenstände (vgl. DWb 1, 42). Das grammatische Subjekt der Verben ist
es: es blitzt, donnert, hagelt, regnet, stürmt, windet (Hörbeleg); tagt, weih-
nachtet, staubt.
2.2) Verben aus Akkusativsyntagmen, vgl. jmd. hat Hunger – hungert.
– Wortbildungsbedeutung ,zufügend‘ (,etw./jmdm. etw. zufügen, geben‘):
Es entstehen transitive Verben, semantisch den Ornativa in 2.3) ähnlich:
jmdn. ehren, füttern, grüßen, hassen, langweilen, ohrfeigen, quälen, schän-
den, schützen, trösten.
– Wortbildungsbedeutung ,privativ‘ (,etw. von etw. entfernen, wegneh-
men‘). Die Verben sind transitiv, vgl. jmdn./etw. flöhen, häuten, köpfen,
lausen, pellen, schuppen; synonymisch Präfixverben mit ab- wie abhäuten.
– Wortbildungsbedeutung ,effizierend‘ (,etw. erzeugen, hervorbringen‘).
Die substantivischen Basen entsprechen einem effizierten Objekt in der
Paraphrase, z.B. bei buttern, filmen, münzen; mit Tierbezeichnungen als
Basis bei ferkeln, fohlen, kalben, lammen (dazu Plank 1981, 107ff.); des
Weiteren bei bluten, duften, eitern, keimen, qualmen, rußen, schäumen.
Hierher lassen sich schließlich auch Verben stellen, denen eine relativ feste
Verbindung des Substantivs mit machen entspricht wie Lärm machen
– lärmen, ebenso dienern, putschen, spaßen, sowie Verben, deren Basissub-
stantiv eine Lautäußerung bezeichnet wie fluchen, lügen, wehklagen; au-
ßerdem flüchten, touren, katzbuckeln; stabreimen.
– Wortbildungsbedeutung ,stativ‘ (,etw. empfinden, in einem bestimmten
Zustand sein‘). Auch hier sind viele Basen, meist Abstrakta (daher die
Verben bei Wellmann 1998, 473 als „Abstraktionsverben“ bezeichnet),
phrasemisch an haben gebunden: dursten, veraltend geh. noch dürsten,
hungern, sich sorgen, zweifeln; des Weiteren sich fürchten, trauern, träumen,
geh. mit jmdm. zürnen.
2.3) Verben aus Präpositionalsyntagmen: etw. zerfällt in Krümel – krümelt,
mit Pfeffer würzen – pfeffern.
– Wortbildungsbedeutung ,ingressiv‘ (,zu etw. werden, in etw. überge-
hen‘). Aus Sachbezeichnungen entstehen intransitive Verben: klumpen,
krümeln, modern, splittern, rosten (vgl. dazu Storch 1978);
5.5 Konversion 437

– Wortbildungsbedeutung ,kausativ‘ (,etw. zu etw. machen‘): hierzu etw.


brocken, bündeln, häckseln, häufen, schroten, teilen; des Weiteren jmdn.
knechten, narren ,zum Knecht/Narren machen‘ (vgl. v. Polenz 1968b,
155);
– Wortbildungsbedeutung ,ornativ‘ (,etw. mit etw. versehen‘). Die Basen
sind meist Stoffbezeichnungen: etw. chloren, färben, fetten, jauchen, kenn-
zeichnen, ölen, panzern, pflastern, polstern, pfeffern, rahmen, salzen, stem-
peln, teeren, tünchen, würzen, zuckern;
– Wortbildungsbedeutung ,instrumentativ‘ (,etw. mit etw. bearbeiten, be-
handeln‘). Die Basen bezeichnen ein Werkzeug oder Mittel; es entstehen
sowohl intransitive als auch transitive Verben: baggern, bremsen, feilen,
filtern, hobeln, leimen, nieten, paddeln, pinseln, pumpen, rudern, schaufeln.
Hierher gehören auch Konversionen von Bezeichnungen für Musikin-
strumente wie flöten, geigen, trommeln;
– Wortbildungsbedeutung ,lokativ‘ (,sich wo befinden, etw. wohin beför-
dern‘). Intransitiv sind hausen, nisten, landen, stranden, tafeln, thronen,
wässern, zelten; transitiv etw. lagern, schultern, speichern, stapeln.

5.5.3 Adjektivische Basis

1) Die Basen sind bei der Konversion meist Simplizia im Positiv (weiten)
und vereinzelt im Komparativ (bessern), nur selten Derivate (kräftigen).
Adjektivische Derivate aus Syntagmen wie blauäugig und Komposita wie
hell-, himmelblau werden nicht konvertiert. Auch nicht von allen Simplizia
sind verbale Konversionsprodukte üblich; sie fehlen z.B. bei fad(e), fahl,
herb, klamm, schal, schlank, schwül, zäh (zu potenziellen Ursachen Motsch
1977, 184).
2) Adjektive werden durch die Konversion in vielen Fällen formal unver-
ändert in die Wortart Verb transponiert (Anfügen von Infinitivmorphem
-en, bei Basisendung -e nur -n), vgl. kranken, trüben, Sonderfall ist albern.
Hier sind Adjektiv und Verb formal identisch (vgl. auch die Partikelverben
nüchtern > ausnüchtern, schüchtern > einschüchtern).
Von formalen Veränderungen können Basisendung und Stammvokal be-
troffen sein. Wenn die Basis auf -en endet, entfällt bei der Konversion das
schwachtonige -e-: trocken > trocknen. Bei Adjektiven mit umlautfähigem
Stammvokal tritt sehr oft Umlaut ein, und zwar vor allem bei transitiven
Verben (zu etwa 80 %; DWb 1, 25), wie bei kürzen. Bei den meisten intran-
sitiven Verben ändert sich der Stammvokal nicht: dunkeln.
438 5 Wortbildung des Verbs

In einigen Fällen unterscheidet der Umlaut basisgleiche Transitiva und


Intransitiva: kranken – jmdn. kränken, lahmen – etw./jmdn. lähmen. Diese
Opposition ist jedoch nicht systematisch ausgebaut (vgl. DWb ebd.; zur
historischen Grundlage der unterschiedlichen Umlautverhältnisse vgl. Wil-
manns 1899, 44 ff.).
3) Wie die desubstantivischen konvertierten Verben (¢ 5.5.2) lassen sich
auch die deadjektivischen nach den möglichen syntaktischen Funktionen
der Basen in äquivalenten Syntagmen semantisch ordnen. Es ergeben sich
vier Klassen (vgl. DWb 1, 97 ff.), wobei die ingressiven 3.2) und kausativen
3.3) Verben am zahlreichsten vertreten sind.
3.1) Stative Verben aus Adjektiven als subjektbezogenen Prädikativen
beim Verb sein: lahm sein – lahmen, jmdm./etw. gleich sein – jmdm./etw.
gleichen.
Die Zahl der so gebildeten Verben ist relativ klein: um jmdn./etw. bangen,
etw. eignet, genügt jmdm., an etw. kranken, nässen, sich regen, wachen.
Manche Verben sind sowohl stativ als auch ingressiv interpretierbar: grünen
,grün sein/werden‘, ebenso blauen, grauen; dunkeln, sich runden (vgl. v. Po-
lenz 1968b, 145).
3.2) Ingressive Verben aus Adjektiven als subjektbezogenen Prädikativen
beim Verb werden: besser werden – sich bessern. Die Verben sind intransitiv
(reifen) oder reflexiv (sich füllen, glätten, öffnen). Letztere können auch tran-
sitiv und damit als kausative Verben gebraucht werden, vgl. etw. füllen,
glätten, öffnen.
Die Wortbildungsbedeutung ,ingressiv‘ haben weiterhin faulen, heilen,
welken, reflexiv sich ändern, bessern, leeren.
3.3) Kausative Verben aus Adjektiven als objektbezogenen Prädikativen
beim Verb etw. machen: den Rock kurz machen – kürzen, ebenso ebnen, härten,
klären, lösen, schwärzen, stärken; dazu existieren bisweilen synonymische
Partikel- und Präfixverben wie einebnen, aufklären, verstärken.
3.4) Verben mit der Wortbildungsbedeutung ,agentiv‘ aus Adjektiven in
adverbialer Funktion: sich schnell bewegen – schnellen, schrill klingen – schril-
len, ebenso sündigen, tollen (vgl. blödeln usw.; ¢ 5.4.2[3]). Diese Gruppe ist
nur schwach besetzt. (DWb 1, 113 verzeichnet 9 Konversionen.)

5.5.4 Andere Basen

Besonders onomatopoetische Bezeichnungen für Lautäußerungen werden


als Basis für Verben genutzt: iahen (Esel), miauen, muhen, piepsen, ticken,
tuten.
5.6 Rückbildung 439

Doppelmotiviert ist exen. Es kann als eine Konversion des Adverbs ex


oder als eine Kürzung von exmatrikulieren interpretiert werden. Outen ist
eine Entlehnung aus dem Englischen (to out) und demzufolge im Deutschen
nicht als Konversion zu bestimmen.

Übersicht 34: Wortbildungsbedeutungen konvertierter und suffigierter Verben (Auswahl)


Basis Wortbildungs- Beispiele
bedeutung
Verb diminutiv-iterativ brummeln, hüsteln
iterativ blinkern
Substantiv agentiv malern, gastieren
diminutiv-iterativ frösteln
effizierend ferkeln, qualmen
ingressiv rosten
instrumentativ bremsen
kausativ schroten
lokativ stranden
ornativ fetten
privativ häuten, skalpieren
stativ träumen
zufügend ohrfeigen, quälen
Adjektiv agentiv schwächeln, schnellen, ironisieren
ingressiv faulen, bessern
kausativ härten, reinigen, blondieren
stativ gleichen, harmonieren

5.6 Rückbildung

Da Rückbildungen in ihrer Morphemstruktur den Derivaten, Konversionen


und auch Partikelverben gleichen können (¢ 1.8.1.6), ist die Entscheidung
zwischen diesen Wortbildungsarten im Einzelfall schwierig und nicht immer
eindeutig möglich (vgl. Wunderlich 1987, 100). Maßgebend für die Ent-
scheidungsfindung sollten der Motivationszusammenhang zwischen Basis
und Wortbildung sein, wobei Doppelmotivationen durchaus zu akzeptieren
sind, sowie die grammatischen Eigenschaften des Outputs der Modelle.
440 5 Wortbildung des Verbs

Die Wortbildungsart Rückbildung schließt beim Verb verschiedene Mo-


delle ein. Rückgebildete Verben entstehen
1) aus substantivischen Komposita mit einem deverbalen Zweitglied auf
-ung oder -er durch Suffixtilgung (Runderneuerung > runderneuern, Schleich-
werbung > schleichwerben, Videoüberwachung > videoüberwachen, Wert-
schätzung > wertschätzen, Zwangsräumung > zwangsräumen; Kurpfuscher >
kurpfuschen);
2) aus substantivischen Komposita mit einem deverbalen Konversions-
produkt als Zweitglied (Kopfrechnen > kopfrechnen, Ehebruch > ehebrechen,
Letzteres evtl. auch aus Ehebrecher, dann 1);
3) durch Ableitung des verbalen Infinitivs aus einem komplexen Partizip
mit adjektivischem oder substantivischem Erstglied (ferngelenkt > fernlen-
ken, schutzgeimpft > schutzimpfen; evtl. auch aus Schutzimpfung, dann 1).
Zahlreiche Verben lassen sich jeweils zwei Modellen zuordnen, z.B. kor-
rekturlesen 2) oder 3); mähdreschen 1) oder 2).
Flexionsmorphologisch gesehen, stellen die verbalen Rückbildungen
keine einheitliche Klasse dar. Es gibt untrennbare (geschlussfolgert, zu
schlussfolgern) und trennbare Verben (ferngelenkt, fernzulenken), wobei au-
ßerdem morphologische und syntaktische Trennbarkeit nicht regelmäßig
aneinander gekoppelt sind. Laut Dudenband 1 (2009, 783) ist notlanden
syntaktisch untrennbar (ich notlande), die infiniten Formen werden jedoch
wie die der trennbaren Partikelverben gebildet: notgelandet, notzulanden.
Die meisten Rückbildungen haben (noch) kein vollständiges Verbalparadigma ausge-
bildet: ehebrechen, segelfliegen, seitenschwimmen, wellenreiten stehen nur im Infinitiv,
generalüberholen, kunststopfen, zweckentfremden nur im Infinitiv und Partizip II. Finite
Formen entwickeln sich zuerst in Verbletztsätzen. Korpusanalysen und Informanten-
befragungen belegen insgesamt bei Schwankungsfällen eine zunehmende Tendenz zur
Vervollständigung der Paradigmen, und zwar zu untrennbarem Gebrauch der Verben
in den finiten Formen (staubsaugen: ich staubsauge, habe gestaubsaugt; aber: um staub-
zusaugen).

5.7 Komposition

Zur Komposition allgemein ¢ 1.8.1.1; zur Komposition beim Verb ¢ 5.1.1(3).


Die Relevanz des Modells Verbstamm + Verb ist stark textsortenabhängig.
Abgesehen vom Fachwortschatz (dazu unten) haben entsprechende Verben
kaum Verbreitung gefunden. Allgemeinsprachliche Neuprägungen wie rühr-
braten (Das Magazin 1989), sprechsingen bleiben die Ausnahme. Allenfalls in
5.7 Komposition 441

belletristischen Texten begegnet das Modell hin und wieder. Wegen dessen
Seltenheit wirken diese Komposita stark expressiv, vgl. grinskeuchen, stöhn-
schnappen, zuckschlingern, schnaufwittern (A. Holz), rollrasseln (A. Kerr),
schwatzlachen (J. Ponten); fluchbeten (M. v.d. Grün); Belege bei Schneider
(1959, 205); weitere Belege bei Erben (1980, 65).
Im Unterschied zum meist autorspezifischen Vorkommen in der Belle-
tristik gilt die Komposition aus Verbstamm und Verb in Fachsprachen „als
systematisch ausgeprägt“ (Kienpointner 1985, 268). Die entsprechenden
Bildungen sind nicht expressiv, vgl. brennhärten, presspolieren, spülbohren.
Reinhardt (1966, 186) registriert für die erste Hälfte des 20. Jh. eine zuneh-
mende Produktivität des Modells in technischen Fachsprachen, die sich
sowohl an der Vielzahl der Belege als auch an einer in Ansätzen zu verzeich-
nenden Reihenbildung zeigt, vgl. gleit-, polier-, reib-, schwing-, trenn-, zieh-
schleifen. Nach Reinhardt (1966, 191) ist die „normale Anwendungsform“
dieser Komposita der substantivierte Infinitiv wie das Spritzpressen, Streck-
walzen, Spülbohren, Schälfräsen (¢ 2.6.2.1), vgl. ebenso das Drohstarren, Hör-
verstehen. Sie kommen auch häufig als Partizipien vor (presspoliert, press-
geschweißt). Die entsprechenden Infinitive sind jederzeit bildbar. Wenn sie
aus diesen Nominalformen abgeleitet und nicht direkt aus Verbstamm und
Verb zusammengesetzt werden, sind sie als Rückbildungen zu bestimmen.
Im Einzelfall ist der Bildungsweg jedoch kaum sicher nachzuvollziehen
(¢ 1.8.1.6). Mit den durch Rückbildung entstandenen „Pseudokomposita“
(Åsdahl-Holmberg 1976, 19) aus substantivischem Erstglied und Verb
(zwangsversteigern) haben sie gemeinsam, dass sie nur in Ausnahmefällen in
den finiten Formen gebraucht werden, und zwar untrennbar: man fließpresst
[…] Formteile (Beleg bei Reinhardt 1966, 191).
Je nach der Bedeutung der komplexen Verben kann das Verhältnis zwi-
schen ihren unmittelbaren Konstituenten als Subordination oder Koordi-
nation aufgefasst werden (¢ 5.1.1). Für die fachsprachlichen Verben scheint
die Annahme eines determinierenden Verhältnisses näherliegend zu sein, da
das Erstglied in der Regel als modale Spezifizierung des Zweitgliedes ver-
standen wird und eine Vertauschung der Reihenfolge der Konstituenten mit
einer Bedeutungsänderung verbunden ist, vgl. spülbohren – ,spülend boh-
ren‘ oder ,bohren, indem dabei gleichzeitig gespült wird‘, aber nicht bohr-
spülen (vgl. Kienpointner 1985, 267). Die in der Belletristik belegten Verben
lassen eher beide Interpretationen zu: grinskeuchen – ,grinsend keuchen‘
oder ,grinsen und keuchen‘. Die Umkehrung der Reihenfolge der unmit-
telbaren Konstituenten bewirkt keine fassbare Bedeutungsveränderung:
keuchgrinsen, vgl. auch sprechsingen vs. singsprechen.
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Formenregister

a-/an-/ar- 122f., 262, 355 be- 383ff. -erie 241


-a 251 be-...-ig(en) 433f. -(e)r(n) 430f.
ab- 399ff. be-…-t 357 -ern siehe -en
-abel/-ibel 307, 348f. bei- 408f. erz- 58, 255f., 312f., 352
aber- 265 bio- 108, 279, 299 -esk 309, 316, 319, 350
-ade/-iade 240f. -bold 254 -ess/-esse/-isse 239, 241
after- 265 -chen 78, 232ff. -ette 234
-age 241 de-/des- 395 -eur 245
-aholic/-oholic/-oholiker -de 255 -euse 239
21, 69 -dings 366 ex- 32, 104, 263f., 356
-aille 241 dis- 263, 355, 395 -fach 336
-al 247, 349 -drom 108 -fähig 307
-al/-ell 114, 309, 316, durch- 392f., 409f. fanat- 63, 108
349 -e 195ff. fehl- 164, 426
-ament/-ement 248 -ee 247 fest- 425f.
an- siehe a- -ei/-erei 106, 113, 198f., -förmig 62, 304
an- 402ff. 267 fort- 422f.
-an 244 ein- 410ff. ge- 12, 256f., 356, 377
-and 245 -el 200 ge-...-e 266f.
-ant/-ent 114, 245, 307, -elchen/-erchen 233f. ge-...-ig 357
349 elektr-/elektro- 108, 330 ge-…-sel 223
-ante/-ente 241 -ell siehe all- ge-…-t 357f.
anti- 263, 355 -elle 234 gegen- 412
-anz/-enz 241 -(e)l(n) 429f. geo- 108f.
ar- siehe a- -ement siehe -ament -graf- 108f.
-ar/-är 114, 245, 247, 349 empor- 421 -haft 315, 319, 336f.
-arium 248 -en/-ern/-n 310, 335f. -halben/-halber 367
-arm 61 -ens 367 -haltig 62, 304
-artig 62, 304, 309 ent- 385f. haupt- 257f.
-asmus siehe -ismus -ent siehe -ant -heit/-keit/-igkeit 78, 113,
-ast 245 -ente siehe -ante 209ff.
-at 247 entgegen- 423 her- 363, 419f.
-ation siehe -ion -enz siehe -anz -her 364
-ativ siehe -iv -(en)z(en) 376 herunter-/hinunter- 363,
-ator siehe -or er- 54, 58, 386ff. 419
auf- 404ff. -er 12, 55, 58, 112, 201ff., hin- 363, 419f.
aus- 406ff. 319, 336 -hin 364
auto- 172 -erchen siehe -elchen hinunter- siehe herunter-
-bar 16, 55, 75, 113, 307, -erei siehe -ei hinter- 393, 412
332ff. -erich siehe -rich hyper- 263, 305, 313
476 Formenregister

-i(e) 214f., 251, 284 ko-/kol-/kom-/kon-/kor- -phob- 108


-iade siehe -ade 264f., 356, 396 poly- 108, 172, 330
-ian/-jan 253 kund- 426 post- 173, 356
-ibel siehe -abel -le 234 prä- 264f., 356
-ice 239 -lei 368 pro- 265, 356
-icht 215f. -lein 78, 233 proto- 172
ident- 108 -lekt 108 pseudo- 172, 314
-ie 242 -ler 207f., 284 quasi- 314
-ein 252 -lich 113, 308, 313, 334, re- 265, 396
-ier 245 342ff. -reich 60, 303
-ier(en)/-ifizier(en)/ -ling 113, 216ff. -rich/-erich 240, 253
-isier(en) 112f., 114f., -lings 368 riesen- 58, 143f.
431ff. -lon 110 rück- 422
-iere 242f. los- 421f. -s 220, 250, 368f.
-ig 55, 312, 315, 337ff., -los 59, 345f. -sal 221
361f., 368 makro- 172 -sam 334f., 348
-ig(en) 431 -mals 368 -schaft 58f., 113, 221f.
-igkeit siehe -heit -maßen 368 -sche 239
-ik 242 -mäßig 308, 316, 319, schwieger- 174
-iker 204 346f. -seitig 304
il- siehe in- maxi- 174 -sel 223
im- siehe in- mega- 108 semi- 173, 330
in-/il-/im-/ir- 54, 58, 262, mikro- 172, 278f. -sen 250
355, 395f. -minator 25 -skop 104
-in 54, 58, 113, 136, mini- 173f. stereo- 110
236ff. miss- 115, 258f., 352, 388 stief- 174
-ine 234, 239 mit- 424 -t 254
-ing 248 mono- 172, 330 -tät siehe -ität
-ingen/-ungen 251 multi- 172 -tel 223
inne- 410 -n siehe -en tele- 104
inter- 53, 264, 357 nach- 413 -tex 110
-ion/-tion/-ation 227, nano- 173 -thek 63, 103, 108
242f. -naut- 108 -therm-/thermo- 107f.,
ir- siehe in- neo- 173 330
-isch 113, 210, 308, 315f., -ner 208f. -tion siehe -ion
317f., 319, 339ff. -nis 218f. -trächtig 61, 301
-ismus/-asmus 114, 245f. non- 263, 355 trans- 265, 357
-isse siehe -ess -o 284 -tum 113, 223f.
-ist 53, 114, 341 -oholic siehe -aholic über- 313, 393f., 413f.
-it 247 -oid 350 ultra- 265, 313
-ität/-tät 243f. -ol 110 um- 394, 414
-itis 244 -or/-ator/-itor 247 un- 115, 259ff., 352ff.
-itor siehe -or -os/-ös 115, 154, 350 -ung 112, 225ff.
-itz 252 -ose 244 -ungen siehe -ingen
-iv/-ativ 307, 350 -ow 252 uni- 330
-jan siehe -ian para- 356 unter- 394f., 414
-ke 253 -pflichtig 304 ur- 115, 260f., 312f.,
-keit siehe -heit -phil- 108 354
Formenregister 477

-ur 244 -wärts 369 zer- 391f.


ver- 115, 389ff. weg- 399, 422f. -zid 108
ver-...-ig(en) 433f. -weg 369 zu- 370, 416
vize- 173 -weise 113, 369f. zurecht- 423
-voll 61, 303 -werk 58, 134, 230 zurück- 422
vor- 414f. -wesen 231 zusammen- 423f.
-wang/-wangen 251 wett- 426f. zuwider- 423
-wart 64 wider- 395, 416 zwischen- 417
Sachregister

Abkürzung 280 Bindestrich 193, 282, 331 Distribution 20, 33, 59,
Adverbialsuffix 361 Binnenmajuskel 194, 282 109, 171, 187, 210, 214,
Affix 20, 32, 52ff., 78, 84, Blockierung 179 304, 318, 345
86, 98, 105ff. s. auch Bildungsbe- Doppelmotivation 69,
produktives 75 schränkung 159f., 304, 375, 379f.,
Affix- Buchstabenkurzwort 439
-art 54ff. 278, 280ff., 286, 288 Doppelpräfigierung 388
-bestand 56ff., 106f., s. auch Kurzwort, mul- Eigenname 179
376ff. tisegmentales s. auch Onym
-entstehung 59 Demotivation 45 Einheit 51
Affixoid 59 Deonymisierung 183f. exogene 102, 104f.,
Akkusativsyntagma 436 Derivat 86f. 108ff.
Akzentmuster 128, 210 deonymisches 224 indigene 102
Akzeptabilität 30, 80 dephrasales 309 Entlehnung 20f., 102
Allomorph 209, 256 konkurrierendes 228 Erstglied, onymisches
Alternativkonstruktion implizites 89 316f.
332 Derivation 86f. Fachwort 286
analog-holistisch 76 deonymische 317ff. Familienname 180, 181,
Arbitrarität 42 dephrasale 62, 189 183, 253
Augmentation 143ff., derivationsaktiv 226 Flexions-
263 Derivationsbasis 86 -morphem 11, 53
Bedeutungs- exogene/fremdsprach- -morphologie 9ff.
-bildung 21 liche 112ff., 115f., -suffix 10
-wandel 21 340f., 432f. Formativstruktur 136,
Beziehung indigene/heimische 152ff., 161f.
konstruktionsexterne 114f., 116, 431 Formenparadigma 412,
129 Derivations- 417, 374
konstruktionsinterne -modell 77 Fremd-
129 -stammform 52, 240 -basis 113
syntaktische 426 Destruktion 128 -element 112, 128,
Bildung, verdeutlichen- Determinativkompositum 137, 323
de 112, 146, 312, 72, 85, 139, 150, 323f., -präfix 116, 425
390 325f. -suffix 114f.
Bildungs- diachron 4 Fremdwortbildung
-beschränkung 148f., Diminutivum 136, 232 102ff.
202, 236f., 353 Diminuierung 231ff. Fuge 185
-restriktion 77, 148f. Diminutivsuffix 136, Fugenelement 66f., 110f.,
s. auch Blockierung 232ff. 186, 187f., 189f., 190f.,
binär 69, 83 Distanzstellung 374 191f., 330f., 336, 366
Binarität 69 s. auch Trennbarkeit Gegensatzrelation 101
Sachregister 479

Genus 71, 85, 89, 151, verbale 374, 440f. Kürzung 82f.
215, 218, 274 Kompositionsaktivität Kurzwort 91
Gradation 310ff. 133f., 135, 152f., 170ff. multisegmentales
s. auch Verstärkung Kompositionsstammform 277
Grammatikalisierung 52, 186 s. auch Buchstaben-
61ff. Kompositum 84f. kurzwort
Grundmorphem 27, 53 deonymisches 183f. partielles 277
appellativisches 251 eigentliches 185 unisegmentales 277
rekurrentes 27 onymisches 181f. verbales 91
Grundstammform 52, polymorphemisches Kurzwort-
240 128, 138f. -aussprache 281
Handlungsbezeichnung uneigentliches 185 -bedeutung 277
229 verdeutlichendes Kurzwortbildung 91, 277
s. auch Nomen Actio- 146ff., 327 stilbildende 289f.
nis Komprimierung 41, textkonstitutive 288
hochproduktiv 75, 144, 346f. textsortentypische
171, 202, 214, 307, 346, Konfix 63f., 107f. 290ff.
389 exogenes 172f. Kurzwort-
Homonym 54, 58, 111f., indigenes 174 -flexion 280f.
134, 289, 359 Konfixkompositum 84, -kompositum 283f.
Homonymie 179, 251 110f., 278 -neubildung 285f.
Hörfunknachricht 38f., Konnotation 9, 24, 32, -schreibung 282
292f. 78f., 124, 134, 184, 199, -typ 277
Hybridbildung 102 207f., 215, 235, 253, Ländername 180, 197,
Idiomatisierung 47 266, 289, 316, 420 204f., 252f., 318
Infigierung 320 Konstituente, unmittelba- Lautäußerung 438
Infinitivkonversion 89, re 69, 83 Lexem 51
270ff. Kontamination 93f. primäres 2, 21
Inflektiv 11, 36, 295 Konversion 87, 428, sekundäres 2, 21
Initialwort 278 434ff., 437ff. Lexikalisierung 23
Inkorporation 378, 387 adverbgerichtete Lexikalisierungsaffinität
Inventarisierung 286 370ff. 25
Isotopie 27 deadjektivische 272ff. Lexikon 17f.
Isotopiekette 27, 33, 38 deonymische 319 Modellierung 67ff.
Kernlexem 99 departizipiale 272ff., Modellierungsschritte
Klammerform 157 359 73f.
Klasse, funktional-seman- morphologische 88, Modifikation 97, 119f.
tische 47f., 96, 97f., 267ff., 358 semantische 378, 397
119f., 121ff., 305, syntaktische 88, 267, syntaktische 378, 381,
306ff. 270ff., 359 387, 398
kohäsionsbildend 26 Konversions- Morphem 52f.
Kombination 82f. -basis 87 Morphem, unikales 65f.,
Komposit(ions)metapher -richtung 88, 268f. 217
142f. Kopulativkompositum Morphematisierung 53,
Komposition 84f., 111f. 85, 149ff., 326f. 104
substantivische 127f. endozentrisches 150 Morpheminventar 53
adjektivische 320ff. exozentrisches 150 Motivation 42
adverbiale 362f. Kurzschreibung 295 figurative 43f.
480 Sachregister

morphosemantische Personenbezeichnung Restriktion 25, 123, 146


44ff. 126, 150f., 197, 203, Rückbildung 92f., 374f.,
phonetisch-pho- 207, 217, 221, 241, 417, 427, 439f.
nemische 42f. 244f., 247, 256, 272f., Sachbezeichnung 126,
sekundäre 46 284 151, 196, 198f., 206,
Motivations- Personenname 179, 181, 214, 216f., 218f., 248,
-bedeutung 44, 72 183, 188, 193, 224, 233, 256, 272, 274, 303,
-beziehung 240, 424 246, 250, 251f. 435f.
Motiviertheit 38, 42, 240 Phrasem 22f. Sachwissen 50
Movierung 236ff. Phrasenkompositum 22 Satzname 160, 270, 275f.
Movierungssuffix 236ff. Phraseologisierung 22f., Schallnachahmung 430
Musterwissen 50 428 schwach produktiv 75
Negation 259, 262f., 354, Plauder-Chat 294ff. Spatium 194
355 Polysemie 48f., 82, 130f. Sprachspiel 36
Negationspräfix 101, Possessivkompositum Stabilität 127, 363
116, 262 178f. Städtename 182, 205
nichtbinär 69, 83 Präfix 54f. Stamm 51f., 58, 67, 83f.,
Nomen Acti 49, 123, 203, exogenes 105ff., 116, 97
216, 219, 220, 222, 227 355f., 395f. exogener 105, 161
Nomen Actionis 122, indigenes 115, 255, gebundener 301
195, 220, 227, 266 256, 257, 258, 259, 260, Stilmittel
Nomen Agentis 123f., 352 konventionelles 31ff.
201, 216, 245 nominales 54 nichtkonventionelles
Nomen Instrumenti 124, unproduktives 265 31ff.
196, 200, 203 verbales 377 Struktur, trochäische 67,
Nomen Loci 124f., 196, Präfixderivation 86, 255, 215
198, 248 256, 257, 258, 259, 260, Substantivierung 89, 121
Nomen Patientis 123, 351, 352f., 354, 370, Suffigierung 86, 118
245 373, 380f., 428 Suffix 54f.
Nomen Qualitatis 125, Prägung, sekundäre 49, antonymisches 101,
196, 212 196, 212, 218 303
Nominativsyntagma 435 Präpositionalsyntagma deonymisches 253f.
Nullmorphem 70f. 436f. exogenes 105ff.,
Okkasionalismus 24, 40, Pressetext 290ff. 114f., 239f., 240ff.,
387 produktiv 68, 74 244ff., 247, 248, 348ff.
okkasionell 23, 32 Produktivität 74ff., 117f., indigenes 112ff., 195
Onomatopoeticum 19, 297ff., 361, 374 komplementäres 302
42f. Produktname 19f. nominales 54
Onym 205 Reanalyse 53, 62, 104, onymisches 250, 251,
s. auch Eigenname 431 252f.
Opposition 237, 343 Reduplikation 94ff. synonymisches 100,
Ortsname 180, 181f., Reflexivierung 378 302
183, 188, 250, 251, 252 Reihenbildung 55, 133f., toponymisches 198
Paraphrasierung 7, 72f. 171, 300ff., 361 unproduktives 254f.
Partikelverbbildung 91f., Rektionskompositum Suffix-
373f., 396, 428 15, 60, 86, 139f., 300 -armut 428
Partizipialkompositum Relationsprinzip 379 -derivation 195ff.,
321, 325f., 375 Remotivation 33, 46 332ff., 428ff.
Sachregister 481

-variante 432 trennbares 373f., 392, -familie 99


-erweiterung 201, 232 419 -kreuzung 93
synchron 4 untrennbares 373f., -neubildung 2, 18,
Syntagma 65, 131ff., 392, 434 24f., 38ff., 81
174ff., 424ff. Verbpartikel 91f., 396ff. -schöpfung 18ff.
onymisches 87 adjektivische 424ff. -spiel 33, 37
substantivisches adverbiale 419ff., -stamm 51f.
175f., 371 423f. -status 280, 379, 428
verbales 176f. direktionale 419ff. -überschneidung 93
Text homonyme 392 Wortart 82f., 88, 373
belletristischer 35ff. nichtdirektionale Wortart-
gesprochener 40f. 423f. -markierung 54
journalistischer 37ff., präpositionale 396ff. -wechsel 83
290ff. substantivische 427f. wortartspezifisch 6, 9
textdistinktiv 26, 30f. Verbstamm 52, 159ff., Wortbildung 1ff.
textkonstitutiv 26, 288 328, 440f. Wortbildungs-
Textmodul 30 Verbstammkonversion -aktivität 81f., 118f.,
textsortentypisch 34f., 267ff. 159, 361f.
290 Vergleichsbildung 314ff. -antonymie 101
textverflechtend 27 Verstärkung 158, 263, -art 83, 373ff., 412
Textwissen 50 310ff., 327 -bedeutung 47f.,
Transitivierung 378, s. auch Gradation 71ff., 139ff., 156ff.,
383f., 387 Verstärkungs- 162f., 381ff.
Transposition 97f., 121 -bildung 315 -modell 67f., 74ff.
Trennbarkeit 91, 373f. -präfix 260 -morphem 53
s. auch Distanzstellung Verwandtschafts- -nest 99
Überschrift 291f. bezeichnung 149, -paradigma 96
Umlaut 201, 233, 429, 159, 184, 215 -reihe 98f., 381
435 Vollform 277, 290ff., 292, -synonymie 100f.
Univerbierung 87, 131f., 293f., 295 Wortschatzerweiterung
166, 202, 274, 345, 374 Vorgangsbezeichnung 2, 284f.
unproduktiv 68f., 75ff. 217 Zirkumfix 54f., 429,
usuell 23f. Vorname 180, 181, 184, 433f.
Valenzreduktion 393, 251, 253, 278 Zirkumfixderivation
410, 413 Werbetext 293f. 266f., 357f., 429
Variante 209ff., 233, 432 Wertung 258f. Zusammenbildung 86f.
Verb Wort 51f. Zusammenrückung 87f.,
kausatives 375 Wort- 361
lautmalendes 431 -fähigkeit 83f., 108 Zustandsbezeichnung
221f., 243
Verzeichnis der Übersichten

1. Topikalisierung durch Wortbildung . . . . . . . . . . . 29


2. Indigene substantivische Affixe . . . . . . . . . . . . . 56
3. Indigene adjektivische Affixe . . . . . . . . . . . . . . 57
4. Indigene verbale Affixe . . . . . . . . . . . . . . . . 57
5. Indigene adverbiale Affixe . . . . . . . . . . . . . . . 58
6. Einheiten der Wortbildung . . . . . . . . . . . . . . . 64
7. Konversionsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
8. Exogene substantivische Affixe . . . . . . . . . . . . . 106
9. Exogene adjektivische Affixe . . . . . . . . . . . . . . 107
10. Exogene verbale Affixe . . . . . . . . . . . . . . . . 107
11. Modifikationsarten beim Substantiv . . . . . . . . . . . 120
12. Nomina Actionis (deverbal) . . . . . . . . . . . . . . 122
13. Nomina Acti/Patientis (deverbal) . . . . . . . . . . . . 123
14. Nomina Agentis (deverbal) . . . . . . . . . . . . . . . 124
15. Nomina Instrumenti (deverbal) . . . . . . . . . . . . . 124
16. Nomina Loci (deverbal) . . . . . . . . . . . . . . . . 125
17. Nomina Qualitatis (deadjektivisch) . . . . . . . . . . . 125
18. Personen- und Sachbezeichnungen (deadjektivisch) . . . . . 126
19. Personenbezeichnungen (desubstantivisch) . . . . . . . . 126
20. Distribution der Suffixvarianten -heit/-keit/-igkeit . . . . . . 214
21. Wortbildungsbedeutungen exogener Derivate . . . . . . . 249
22. Augmentation und Diminuierung . . . . . . . . . . . . 261
23. Deadjektivische Substantive: Konversion und -e-Derivation . . 276
24. Modifikation des Adjektivs . . . . . . . . . . . . . . . 305
25. Deverbale Transposition: ,aktivisch-modal‘ . . . . . . . . 306
26. Deverbale Transposition: ,passivisch-modal‘ . . . . . . . . 307
27. Desubstantivische Transposition: ,komparativ‘ . . . . . . . 309
28. Desubstantivische Transposition: ,ornativ‘ . . . . . . . . . 309
29. Synonymie adjektivischer Derivations- und
Kompositionsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
30. Wortbildungsbedeutungen indigener verbaler Präfixderivate
(Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
484 Verzeichnis der Übersichten

31. Wortbildungsbedeutungen indigener Partikelverben mit


präpositionaler Verbpartikel (Auswahl) . . . . . . . . . . 398
32. Synonymie deverbaler Präfix- und Partikelverben
(lesartengebundene Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . 417
33. Antonymie deverbaler Präfix- und Partikelverben
(lesartengebundene Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . 418
34. Wortbildungsbedeutungen konvertierter und suffigierter Verben
(Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

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