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Bernhard Hebert (Hrsg.) | St. Johann im Mauerthale und Ybbs an der Donau
Zwei neu entdeckte römische Militäranlagen am norischen Limes und ihre Nachfolgebauten
Horn–Wien | 2019
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DOI: 10.12905/0380.bdafd11-2019-0256
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INHALT
Der Limes 9
Martin Obenaus
Der römische Limes in Österreich 11
Michael Fröschl
Heiligenverehrung und Schifffahrt – historische Anmerkungen 71
Martin Obenaus
Die archäologischen Untersuchungen im Jahr 2016 89
Karin Wiltschke-Schrotta
Anthropologischer Befund zu den Gräbern
bei der Filialkirche St. Johann 131
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Martin Obenaus
Archäologische Untersuchungen im Passauer Kasten
(Schnitte 2–4) 207
Literaturverzeichnis 237
Abkürzungen 250
Abbildungsnachweis 251
VORWORT
In Ybbs an der Donau wurden in den 1980er-Jahren zahlreiche Projekte zur Altstadt-
sanierung in Gang gesetzt. Der Architekt Claudius Caravias verfolgte hier insbesondere
das Projekt »Fußgängeraufgang – Altes Stadtor«. Dabei sollte eine fußläufige Verbindung
zwischen Donaulände und Stadtzentrum im Bereich des Chordurchgangs geschaffen
werden. Im Jahr 1991 wurde der Durchgang unter dem Chor der Stadtpfarrkirche abgesenkt
und die Stadtmauer – trotz Negativbescheid des Bundesdenkmalamtes – abgerissen. Beim
Abtiefen des verbliebenen Erdreiches im Zwickel zwischen Stadtpfarrkirche und dem
»Passauer Kasten«, einem im Kern mittelalterlichen Gebäudekomplex, wurden eine um-
fangreiche Stratigrafie und Mauerzüge freigelegt. Aus den Akten des Bundesdenkmalamtes
ist ersichtlich, dass dabei keine archäologische Betreuung stattgefunden hat. Erst im Jahr
2013 führte eine Meldung, dass in diesem Bereich vorhandenes Mauerwerk durch massiven
Bewuchs geschädigt werde, zu einem Lokalaugenschein. Dabei konnte konstatiert wer-
den, dass der sichtbare Mauerzug auf jeden Fall älter als der Passauer Kasten sein muss.
Gemeinsam mit der Stadtgemeinde Ybbs an der Donau und der Diözese St. Pölten wurden
2014 erste Nachuntersuchungen durchgeführt, wobei festgestellt werden konnte, dass
es sich bei den Mauern um Überreste eines römischen Burgus handeln dürfte. In den
Folgejahren wurden diese Forschungen fortgesetzt und neben archäologischen Grabungen
in den Kellern des Passauer Kastens auch intensive bauhistorische und restauratorische
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7 Vorwort
In St. Johann im Mauerthale rückte eine Studienarbeit von Oliver Fries an der Donau-
universität Krems, in der er einen römischen Burgus in der südlichen Langhausmauer
wahrscheinlich machte, im Jahr 2015 die Kirche hl. Johannes der Täufer in den Fokus
der Forschung. Bis zur Entdeckung der romanischen beziehungsweise gotischen Wand-
malereien 1971 war dem kleinen Gotteshaus in St. Johann im Mauerthale wenig Aufmerk-
samkeit geschenkt worden. In der Literatur wurde dem Bau lediglich eine einphasige
Errichtung zugebilligt, die in die erste beziehungsweise zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts
datiert wurde. Adalbert Klaar, der im Auftrag des Bundesdenkmalamtes 1963 eine erste
Planaufnahme der Kirche anfertigte, erkannte zwar bereits, dass der Turm nicht recht-
winkelig zum restlichen Kirchenbau angeordnet ist, doch entging ihm der römische
Vorgängerbau. Eine erste Vermutung zu den römischen Ursprüngen äußerte Hannsjörg
Ubl – einer der besten Kenner des römischen Limes – in den 1980er-Jahren. Aber erst durch
die archäologischen Untersuchungen und vertieften bauhistorischen Analysen im Jahr 2016
gelang dann der eindeutige Nachweis eines römischen Burgus, dessen Nordmauer bis in
die Höhe des Dachraumes der Kirche erhalten geblieben ist. Als besondere Überraschung
stellte sich heraus, dass zwei Rundbogenfenster mit Originalfassung dieser Bauphase
zuzuordnen sind. Durch die weiteren archäologischen, geophysikalischen, historischen
sowie bau- und kunsthistorischen Untersuchungen konnten eine profane Nachnutzung
des römischen Turmes im Hochmittelalter, die auf eine gewisse Standortkontinuität
hinweist, sowie weitere Bauphasen der Kirche nachvollzogen werden. Die Bedeutung des
Bauwerks wird durch die um 1240 entstandenen Wandmalereien unterstrichen, die von
außergewöhnlicher Qualität sind.
DER LIMES
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MARTIN OBENAUS
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Militäranlagen des norischen Limesabschnittes in Österreich. 14 – Ybbs an der Donau, 18 – St. Johann im Mauerthale.
2
Ausschnitt aus der Tabula Peutingeriana mit einem Teilabschnitt des norischen Limes. Oben im Bild die Donau, am unteren Rand
zentral Aquileia. Darüber, unmittelbar an der Limesstraße, die Station Ad Pontem Ises, die derzeit mit großer Wahrscheinlichkeit
mit den Bauresten in Ybbs gleichgesetzt werden kann. Eine auf St. Johann im Mauerthale zu beziehende Nennung fehlt.
bona angenommen, die allerdings bereits regulierte und das Eindringen kleiner Räu-
in Pannonien liegen. Die Grenze zwischen berbanden verhindern sollte. Allerdings ver-
Noricum und Pannonien wird in dieser Zeit weist etwa Thomas Fischer13 zurecht darauf,
westlich von Klosterneuburg verortet.10 Die dass es sich beim sogenannten Donaulimes
Trasse der Limesstraße dürfte so knapp wie eigentlich um eine »ripa« (= Ufer) handelte;
möglich am südlichen Donauufer entlang- mit diesem Begriff wurden ›nasse Grenzen‹
geführt und den dortigen Geländegegeben- entlang eines Flusses bezeichnet. Diese
heiten angepasst worden sein.11 Legionsla- Sichtweise unterstützen auch Burgus-Bau-
ger und Auxiliarkastelle errichtete man ab inschriften aus dem pannonischen Raum
claudischer Zeit bis ins 3. Jahrhundert in aus der Zeit des Commodus, in denen die
Rechteckform mit abgerundeten Ecken Errichtung von Wachtürmen an der »ripa
(»Spielkartenschema«). Diese Bauwerke Danuvii« genannt wird.14
hatten bis in die mittlere Kaiserzeit die
Funktion befestigter Kasernen und waren Ab dem frühen 2. Jahrhundert n. Chr. wur-
nicht als langfristig verteidigungsfähige de unter Trajan (98–117 n. Chr.) mit dem
Festungen konzipiert. Wachtürme gewähr- Anlegen zusätzlicher neuer Kastelle in
leisteten die Kommunikation zwischen den Steinbauweise (zum Beispiel Wallsee und
militärischen Großbauten.12 Zeiselmauer) begonnen; bereits bestehende
Anlagen wurden in Stein ausgebaut. 15 Die-
Grundsätzlich hat sich in der Forschung für ser Trend nahm ab der mittleren Römischen
die militärisch kontrollierte und gesicherte Kaiserzeit (unter Hadrian) weiter zu, wie
Donaugrenze der Begriff »Limes« eingebür- etwa auch in Obergermanien und Britanni-
gert. Dieser bildete in Friedenszeiten ein en zu bemerken ist, wo ebenfalls ein Pro-
durchlässiges Kontrollsystem, das auch gramm zur Stärkung der Grenzverteidigung
den Handel mit den nördlichen Nachbarn verfolgt wurde.
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Der zunehmende Ausbau des Donaulimes die Aufwertung Noricums zu einer Einle-
soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, gionenprovinz mit sich. Zuvor waren dort
dass die ersten rund 150 Jahre nach der Ok- lediglich Auxiliareinheiten stationiert ge-
kupation von Noricum sowie der Einrich- wesen. Das Standlager der legio secunda Ita-
tung der Provinzen Raetien und Pannonien lica, der 2. italischen Legion, lag zunächst
verhältnismäßig ruhig verliefen. Bis ins 2. in Albing und später in Enns/Lauriacum.
Jahrhundert funktionierte das Klientelsys- Statthalter der Provinz war ab diesem Zeit-
tem mit den benachbarten germanischen punkt der Legionskommandant mit Sitz in
Stämmen, das sich sowohl im Warenver- Lauriacum, das als einzige Stadt Noricums
kehr (römische Luxuswaren nördlich der in der militärischen Limeszone lag.19 Nach
Donau) als auch in römischen Eingriffen den Markomannenkriegen dürften sich die
in die germanische Politik niederschlug. Größe des norischen Provinzheeres sowie
Als Beispiel wird gerne eine Münzemission die Anzahl der Lager nicht geändert haben.
des Antoninus Pius aus den Jahren 140 bis Die Zerstörungen in dieser Zeit20 nutzte
144 n. Chr. herangezogen, die am Revers die man unter Commodus (180–192 n. Chr.)
Legende »REX QUADIS DATUS« trägt und so- und Septimius Severus (193–211 n. Chr.) zur
mit die Einsetzung eines Quadenkönigs von weiteren Umgestaltung der meisten Lager
Roms Gnaden bezeugt.16 Zunehmende Un- in Steinbauweise.21
ruhen an der mittleren Donau und auch die
Bildung germanischer Koalitionen waren Unter Kaiser Septimius Severus, dem eins-
aber bereits erste Anzeichen für kommende tigen Legionskommandanten in Carnun-
Auseinandersetzungen, die mit derartigen tum und Statthalter von Pannonien, folgte
Aktionen im Zaum gehalten werden sollten. zumindest im norischen Limesabschnitt
Der Grund für die unruhige Situation wird wieder eine ruhigere Periode. Die legio
in größeren Bevölkerungsverschiebungen secunda Italica mit Standort Enns/Lauria-
von der Nord- und der Ostsee nach Süden cum verdiente sich durch die Unterstüt-
gesehen. Den betroffenen Stämmen wurde zung von Septimius Severus gegen andere
jedoch eine Aufnahme ins Imperium kon- ›Mitbewerber‹ den Beinamen fidelis (»die
sequent verweigert. Der Kaiser spricht hier treue«).22
von »armen und ertraglosen Völkern, die
ihm keinerlei Nutzen bringen könnten«; Meilensteine belegen zudem einen Aus-
zudem sollte das Imperium bewahrt wer- bau des Straßensystems im norisch-pan-
den, aber sich nicht uferlos ausbreiten.17 nonischen Grenzgebiet unter Septimius
Severus und Caracalla (211–217 n. Chr).23
Mit den Markomannenkriegen, die 166 n. Bereits durch Septimius Severus erfolgte
Chr. unter Kaiser Marc Aurel (161–180 n. eine Besserstellung der Armee mittels zahl-
Chr.) ausbrachen, eskalierte die Situation reicher Privilegien, die letztlich zu einer
vollends. Die Auseinandersetzungen, die Militarisierung der Gesellschaft führte. Die
anfangs auch Oberitalien (darunter Aqui- Trennung von Zivilbevölkerung und Mili-
leia) betrafen, werden in zwei große Etap- tär verschwamm zusehends, wie auch die
pen unterteilt, die als erster und zweiter Stellung der Provinzbevölkerung zuneh-
Markomannenkrieg (expedito Germanica mend an jene der römischen Bürger ange-
prima beziehungsweise secunda) bezeich- glichen wurde. Auch die neu rekrutierten
net werden. Ein Friedensschluss wurde Soldaten leisteten ihren Dienst nunmehr
erst unter Marc Aurels Nachfolger Com- meist in ihrer Heimatprovinz. Die Zuge-
modus (180–192 n. Chr.) im Jahr 180 n. Chr. ständnisse umfassten zunehmend auch
durchgesetzt.18 Eheschließungen während der Militärzeit,
und die Soldaten durften außerhalb ihres
Der langjährige Konflikt brachte schließ- Dienstes die Kasernen verlassen, um im
lich durch die Stationierung einer Legion Lagerdorf zu wohnen.24
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Raum war Galerius zuständig, der die der Führung von Diokletian getroffen wur-
Diözese Illyricum erhielt und in Sirmium den, hatten folglich nicht lange Bestand;
beziehungsweise Thessaloniki residierte.34 die anschließenden Konflikte mündeten
schließlich in die Alleinregentschaft Con-
Die auffälligsten Punkte der Reform in den stantins des Großen (324–337 n. Chr.).37 Als
Provinzen waren die Trennung der zivilen eine der bekanntesten Errungenschaften
und der militärischen Verwaltung sowie seiner Herrschaftszeit gilt das Recht zur
die Teilung der Provinzen. Noricum zerfiel freien Religionsausübung, das im Mailänder
in Noricum ripense (Ufernoricum) und Edikt von 313 n. Chr. festgeschrieben wurde.
Noricum mediterraneum (Binnennoricum), Der eigentliche Auslöser dieses Erlasses war
während Pannonia superior in Pannonia das Christentum, das nun in den Provinzen
prima und Pannonia Savia unterteilt wurde. zunehmend erstarkte.38
Den neuen Verwaltungseinheiten entlang
des Limes stand militärisch ein dux Pan- Sonst war die constantinische Zeit von
noniae primae et Norici ripensis vor, der weitgehender Ruhe am norischen Limesab-
seinen Kommandostandort weiterhin in schnitt geprägt. Dennoch fielen auch in die-
der Provinzhauptstadt Lauriacum hatte. Die se Periode Heeresreformen beziehungsweise
Teilung in ein Grenzheer und ein mobiles deren Vollendung sowie Baumaßnahmen an
Einsatzheer, die unter Gallienus eingesetzt der Donau, die die Grenzverteidigung weiter
hatte, wurde in der Folge beibehalten. stabilisieren sollten.39 Die Grenzheere in den
Provinzen wurden reduziert und auf eine
Das norische Provinzheer blieb vollständig zunehmende Anzahl von Kleinkastellen und
in Noricum ripense, das mit der neuen legio Burgi aufgeteilt. In den bestehenden Kastel-
prima Noricorum zur Zwei-Legionen-Provinz len erfolgte ein Ausbau durch die Errichtung
aufgewertet wurde. Zumindest ein Teil der verstärkter Mauern sowie von Hufeisen- und
Legion zog in das ehemalige Hilfstruppen- Fächertürmen, der sich wohl über mehrere
lager in Mautern/Favianis, das ausgebaut Jahrzehnte während der constantinischen
wurde.35 Diese Phase, in Mautern als Periode Dynastie hinzog und als längerfristiges Bau-
5 bezeichnet, brachte im Lager eine deutli- programm angesehen wird.40 Zunehmend
che Änderung der Baustruktur mit sich, die drängte nun auch die Zivilbevölkerung in
zeitlich zwischen dem ausgehenden 3. Jahr- die schwächer besetzten Lager und es be-
hundert (diokletianisch) und etwa 360/370 n. gann die Entwicklung hin zu befestigten
Chr. angesetzt wird. An das Ende der voran- Städten in den spätantiken Kastellen.41
gegangenen Periode 4 werden massive Zer-
störungen datiert, die eine Neukonzeption, Im Westreich lag der militärische Ober-
teilweise noch unter Bezugnahme auf ältere befehl bei einem magister militum bezie-
Baustrukturen, nach einem möglicherweise hungsweise peditum, einem Heermeister
geringen Hiatus notwendig machten. In Pe- im Rang eines vir illustris. Die Grenzen
riode 5 wurde die Lagermauer zudem durch betreuten unterstellte duces oder comites,
Fächer- und Hufeisentürme verstärkt, eine deren Machtbereich sich auch über mehre-
Baumaßnahme, die auch in anderen Kastel- re Provinzen erstrecken konnte. Die klaren
len deutlich greifbar ist.36 Rangschemata und die Kommandostruk-
turen der frühen und mittleren Kaiserzeit
Nach der Abdankung Diokletians und Maxi- wurden zunehmend aufgeweicht.42
mians im Jahr 305 n. Chr. folgten die beiden
Caesares als Augusti und sollten ihrerseits Ab der Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr.
neue Caesares adoptieren. Dabei wurden folgten wieder zunehmend unruhige, von
jedoch die leiblichen Söhne übergangen. Bürgerkriegen sowie von Osten und Norden
Die Beschlüsse, die 308 n. Chr. auf der her eindringenden Völkerschaften – vor al-
Vierkaiserkonferenz in Carnuntum unter lem Sarmaten und Quaden – erschütterte
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Richtung Westen und somit in das römi- stützten, die im Regelfall ›barbarischer‹ Her-
sche Reich. Bereits 376 n. Chr. wurden Go- kunft waren. Für das Westreich war der Van-
ten unter Valens (364–378 n. Chr.) im Reich dale Stilicho († 408 n. Chr.) verantwortlich,
aufgenommen. Zwei Jahre später, 378 n. der »magister peditum praesentalis« genannt
Chr., wurde das römische Heer von einer wird.57 In die Zeit von Stilichos Magister-
Allianz aus Goten, Alanen und Hunnen bei amt fallen Rekrutierungen unter den zuvor
Adrianopel, dem heutigen Edirne (Türkei), eingefallenen Markomannen.58 Im Feldzug
geschlagen; Valens selbst fiel.52 Auf dem gegen Alarich (397 n. Chr.) werden »Honoriani
Weg zur Unterstützung von Valens machte Marcomanni seniores« und »Honoriani Mar-
sein Mitkaiser Gratian (375–383 n. Chr.) 378 comanni juniores« unter den Gardetruppen
n. Chr. in Lauriacum/Enns Station.53 Eine erwähnt. In einem Briefwechsel zwischen
Münze dieses Herrschers fand sich auch im der Markomannenkönigin Fritigil und dem
Rahmen der Ausgrabungen 2016 im Burgus 397 verstorbenen Bischof Ambrosius von
von St. Johann im Mauerthale. Mailand rät ihr dieser, die römische Oberho-
heit anzuerkennen und sich in ihren Dienst
Theodosius I. (379–395 n. Chr.), der Nach- zu stellen. In Verbindung damit wird auch
folger von Valens, siedelte Teile der Sieger die Nennung eines »tribunus gentis Marco-
unter ihren Anführern Alatheus und Safrax mannorum« in der Notitia Dignitatum gese-
im östlichen Pannonien (Provinz Valeria) hen, der den Militärpräfekten der Provinz
an, was den Zusammenbruch des Limes in Pannonia prima unterstellt war.59 Denkbar
diesem Raum zur Folge hatte.54 Etwa um erscheint, dass hochrangige Föderaten in
diese Zeit lässt sich auch ein vermehrtes Herrschaftszentren in Höhenlagen residier-
Auftreten der sogenannten einglättverzier- ten, die nach spätantikem Geschmack errich-
ten Keramik feststellen, die mit der zuneh- tet wurden und aus Niederösterreich, Böh-
menden Anwesenheit von Föderaten in Zu- men, Mähren sowie der Südwestslowakei
sammenhang gebracht wird. In der ersten bekannt sind. Der nächstgelegene derartige
Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. entstand Baukomplex liegt auf dem Oberleiserberg
so eine spätantik-barbarische Mischkultur, bei Ernstbrunn (Niederösterreich) und wird
die auch entlang des norischen Limes ihre als spätsuebischer Herrenhof der zweiten
Spuren hinterlassen hat.55 Hälfte des 4. bis ersten Hälfte des 5. Jahrhun-
derts interpretiert.60
Nach dem Tod Theodosius’ I. kam es 395
n. Chr. zur endgültigen Reichsteilung, die 401 n. Chr. fielen Alanen und Vandalen
bereits unter Diokletian eingeleitet worden in Noricum und Raetien ein, die Stilicho
war. Die Hauptstadt des Westreiches, zu zurückdrängen konnte. Goten unter ihrem
dem auch Noricum und Pannonien gehör- König Alarich plünderten Norditalien und
ten, lag in Ravenna. Die Provinz Noricum kehrten danach in die ihnen zugestandenen
war zunehmend auf sich allein gestellt, was Wohnsitze in Illyricum zurück. Alanen und
zu Steuererhöhungen führte, um die Verwal- Vandalen erhielten einen Vertrag (foedus),
tung aufrechterhalten zu können. Ein daraus der ihnen auch die Ansiedlung in Noricum
resultierender Bevölkerungsaufstand wurde ermöglichte. Hier konnte in der Folge eine
430 n. Chr. militärisch niedergeschlagen. gewisse Grenzverteidigung aufrechter-
Deutlich zeigt sich diese Krisensituation in halten werden, während Pannonien und
dem massiven Rückgang des Geldumlaufes Raetien stark geschwächt wurden. Die
im archäologischen Kontext.56 romanisierte Bevölkerung dürfte sich nun
stärker auf Städte und feste Anlagen kon-
Die Nachfolge Theodosius’ I. traten seine zentriert haben, während die Föderaten
Söhne Honorius (395–423 n. Chr.) im Wes- im ländlichen Umland siedelten. Ebenso
ten und Arcadius (395–408 n. Chr.) im Osten ist eine religiöse Trennung in Arianer und
an, die sich zunehmend auf Heermeister orthodoxe Christen offensichtlich.61
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In die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts ist sich die jährlichen Tributzahlungen und
auch die – auf ältere Itinerarien zurückge- schließlich nahmen auch die Plünderungs-
hende – spätantike Letztversion der soge- züge der Hunnen und ihrer Verbündeten
nannten Tabula Peutingeriana zu datieren, wieder zu, die von Aëtius erst durch die
die in Form einer Kopie aus dem 12./13. Jahr- Schlacht auf den Katalaunischen Feldern
hundert überliefert ist.62 Sie stellt neben (bei Chalons-sur-Marne) 451 n. Chr. beendet
der Notitia Dignitatum, einem spätantiken werden konnten, im norischen Raum aber
Staatshandbuch, eine der wichtigsten Quel- praktisch keine Spuren hinterließen. Auf
len für diesen Zeitabschnitt dar. Die Nen- dem Rückzug des hunnisch-germanischen
nung und Zuordnung zahlreicher Orte im Heeres nach Pannonien wurde Norditalien
Arbeitsgebiet geht auf diese beiden Werke geplündert und Aquileia verwüstet, was in
zurück. der Folge zu Versorgungsengpässen auch im
Donauraum führte.65
Nach dem Tod Stilichos 408 n. Chr. en-
gagierte sich Alarich im weströmischen Verhandlungen am Attilahof, die nach der
Reich, wo er in Noricum, wahrscheinlich Verheerung der Donauprovinzen im Jahr
in der Gegend von Celeia/Celje, Quartier 449 n. Chr. abgehalten wurden, zeigen, dass
bezog, um Verhandlungen mit Honorius in Noricum auch während der Hunnenzeit
zu führen. Die ersten, nicht gewährten noch geringe Strukturen aufrechterhal-
Forderungen betrafen Siedlungsgebiet ten wurden. In dem Bericht werden drei
und Zahlungen; nach einem erneuten norische Beamte angeführt, der »Comes
Einfall in Italien umfassten sie Venetien, Romulus«, der »Praeses Promotus« und ein
Noricum und Dalmatien sowie Zahlungen »Romanus«, der »Anführer der Heerschar« ge-
und das Heermeisteramt. Als Reaktion auf nannt wird.66 Dennoch schien ab dieser Zeit
die Vorgangsweise Alarichs installierte man der kontinuierliche Zusammenbruch des
auf römischer Seite zwischen 408 und 409 (west)römischen Staates und somit auch
kurzfristig den Germanen Generidus als jener der Provinzverwaltung unaufhaltbar.
Kommandanten über die Truppenteile
in Raetien, Noricum und Pannonien, um Für die Epoche nach dem Tod Attilas (453 n.
die Grenzen wieder zu sichern.63 Erst nach Chr.) und des Aëtius (454 n. Chr.) ist die Vita
der Eroberung Roms und dem Abzug der Sancti Severini eine der wesentlichsten his-
Westgoten nach Südgallien im Jahr 412 war torischen Quellen für den norischen Limes-
die Bedrohung des Donaulimes wieder für bereich. Sie beginnt mit dem Satz: »Als Attila,
einige Jahre gebannt.64 der Hunnenkönig, gestorben war, befanden
sich die beiden pannonischen Provinzen und
Der Heermeister Aëtius hatte zu Beginn sei- die übrigen Länder an der Donau in einem
ner Amtszeit im Jahr 430/431 n. Chr. vorerst Zustand ständiger Unsicherheit.«67 Infolge
mit dem bereits genannten Bevölkerungs- des endgültigen Zerfalls des Hunnenreiches
aufstand in Raetien und Noricum zu kämp- nach der Schlacht am Nedao 454 n. Chr.
fen, der von einem Einfall der Juthungen wurden weitere Föderaten angesiedelt. Für
begünstigt wurde. In Ungnade gefallen, den Arbeitsraum sind vor allem die Rugier
strebte Aëtius 432 Verhandlungen mit den zu nennen, die nördlich der Donau im Be-
Hunnen in Pannonien an, die bisher zwi- reich von Favianis/Mautern verortet werden.
schen Donau und Theiß gesiedelt hatten. Auch mit ihnen musste Severin, der vor 467 n.
Dies führte zu seiner Wiedereinsetzung Chr. nach Noricum ripense gekommen war,
in das Heermeisteramt und einem foedus verhandeln, um Übergriffe zu verhindern.
mit den Hunnen, denen 433 n. Chr. die Daneben fand allerdings in Mautern ein wö-
Provinz Pannonien abgetreten wurde. Attila chentlicher Markt statt, der sowohl von der
wurde zum Heermeister »magister utrius- Provinzbevölkerung als auch von Germanen
que militiae« ernannt. Ab jetzt steigerten nördlich der Donau besucht wurde.
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Die Zivilbevölkerung lebte zu dieser Zeit der Romanen nach Italien zu organisie-
bereits weitestgehend in den Kastellen und ren, wobei der Leichnam des 482 n. Chr.
wirtschaftete auch von dort aus, wobei es verstorbenen Severin mitgeführt wurde.69
beständig zu Plünderungen und Übergrif- Als weitere Erklärung für diese Maßnahme
fen kam. Severin versuchte auch, die immer ist aber auch anzuführen, dass den Rugiern
wiederkehrenden Versorgungsengpässe zu und anderen Gentes keine Möglichkeit zum
beseitigen. Neben Lebensmittelknappheit Neuanfang auf der Basis ausbeutbarer Pro-
wird auch der Mangel an Kleidung erwähnt. vinzen gegeben werden sollte.70
In Teurnia/St. Peter in Holz wurden Kleider
für die ufernorische Bevölkerung gesam- In der Forschung ist heute unbestritten,
melt, die aber aufgrund der Belagerung dass nicht alle romanisierten Bevölke-
durch gotische Verbände nicht ausgeliefert rungsteile und anhängenden Gruppen aus
werden konnten und schließlich noch als dem Bereich des ehemaligen Ufernoricums
Teil der Zahlungen an die Goten eingezogen abgezogen sind. Eine Nachnutzung der
wurden. 468 n. Chr. konnte in Rom noch spätantiken Strukturen und Gebäude wird
einmal die Verteidigung von Noricum gegen angenommen, wobei oft nicht klar erkenn-
die Goten durch den Heermeister Rikimer bar ist, in welcher Form und welchem Zeit-
gefeiert werden.68 raum diese erfolgt ist (Stichwort »schwarze
Schicht«). In Favianis/Mautern wird sie als
Zusammengefasst ist in dieser Zeit mit die späteste Phase von Periode 7 bezeichnet,
einer zunehmenden Subsistenzwirtschaft in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts n.
im stetig zerfallenden Limesbereich zu Chr. datiert und in Zusammenhang mit zu-
rechnen. Möglicherweise hat auch die nehmender landwirtschaftlicher Nutzung
»schwarze Schicht«, die in zahlreichen Li- und Viehhaltung gesehen.71 In Arelape/Pöch-
mesbauwerken archäologisch beobachtet larn wird die »schwarze Schicht« in die Bau-
werden konnte, ihre Anfänge in dieser phase 6 gestellt, die als oberster Abschluss
Epoche. Sie geht mit einer Auflösung der der spätantiken Nutzung und Übergang zu
Bebauungsstrukturen in den Lagern sowie den Schichten jüngerer Perioden gesehen
einer oft nicht deutlich greifbaren Nachnut- und zwischen das spätere 5. Jahrhundert
zung bis ins Frühmittelalter einher. und die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts
datiert wird. Eine ähnliche Befundlage ist
Nach diesem kontinuierlichen Auflö- auch aus zahlreichen anderen Limesbefes-
sungsprozess und dem Ende der Provinz- tigungen bekannt.72
verwaltung in der zweiten Hälfte des 5.
Jahrhunderts n. Chr. kam schließlich 476 n. Als ›Nachfolger‹ der Rugier (und auch
Chr. das Ende des Westreiches. Der letzte der Heruler) werden die Langobarden
Kaiser, Romulus Augustulus (475–476 n. gesehen, die ab dem späten 5. bis frühen
Chr.), wurde von dem Skirenfürst Odoaker, 6. Jahrhundert im Arbeitsraum greifbar
der von den Föderaten 476 n. Chr. zu ihrem werden. Langobardenzeitliche Gräberfel-
König erhoben worden war, abgesetzt und der, die nicht immer ethnisch eindeutig
verbannt. In Odoakers Regierungszeit fielen zugewiesen werden können, liegen im
die Rugier 482 noch einmal – finanziert vom niederösterreichischen Donauraum und
oströmischen Kaiser Zeno (474–491 n. Chr.) auch in Pannonien in größerer Anzahl
– in Ufernoricum ein und wurden schließ- vor. Möglich erscheinen hier auch weitere
lich in zwei Feldzügen 487 und 488 n. Chr. polyethnische Verbindungen, wie etwa
vertrieben. Mit diesem Schachzug fehlte zu Baiuwaren und Franken, die auch in
nun aber auch der Schutz Ufernoricums den Gräbern ihren Niederschlag fanden,
vor weiteren Übergriffen durch andere welche häufig um ehemalige römische
Gruppen, sodass Odoaker seinen Bruder Gebäude angelegt wurden. Aus Carnuntum
Hunwulf 488 n. Chr. anwies, den Abzug sind meist unstratifizierte Streufunde aus
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3 (Doppelseite)
St. Johann i. Mauerthale.
Blick ins Donautal
Richtung Süden. Links
die Häuser von St.
Johann, rechts die
Kirche von Norden,
davor der Brunnen
mit Zwiebeldach
auf Pfeilern.
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9 Raum zur Verfügung stand. Bedenkt man, der Donau aus angelegt worden.7 In Zusam-
Kartenausschnitt
dass sich der Verlauf des Ufers aufgrund feh- menhang damit steht wohl auch die Mo-
mit den
Kirchenausrichtungen in lender Verbauung und Regulierung früher numentalmalerei des hl. Christophorus an
der Wachau nach Hochwassern viel stärker verändert der donauseitigen Fassade der Kirche von
(rot hervorgehoben: hat als heute, würde dies zum Beispiel auf St. Johann, die vom Fluss aus gut gesehen
St. Johann i. Mauerthale).
Deutlich ist erkennbar,
St. Johann, Schwallenbach, St. Michael, werden konnte.
wie sich die Kirchen St. Lorenz oder die ehemalige Stiftskirche
nach dem Verlauf von Dürnstein zutreffen. Dagegen spricht Im Rahmen seiner Überlegungen zur
der Donau richten. jedoch, dass zahlreiche Kirchen relativ weit Pfarrkirche von Spitz, die einen beson-
vom Donauufer entfernt und vollkommen ders ausgeprägten Achsknick zwischen
hochwassersicher auf Anhöhen liegen, wie Langhaus und Chor aufweist, stellt Peter
zum Beispiel die Kirchen von Spitz und Aichinger-Rosenberger überdies die These
Weißenkirchen sowie die ehemalige Pfarr- auf, dass die Ausrichtung von Kirchen am
kirche von Dürnstein. Die Ausrichtung zur Flusslauf erst in der Gotik üblich gewor-
Donau hin ist wohl eher auf das Bestreben den sei. Das Langhaus von Spitz, für das
zurückzuführen, die optische Wirkung der er einen romanischen Kernbau vermutet,
imposanten Gotteshäuser auf die am Fluss ist nämlich annähernd nach Osten ausge-
Reisenden zu verstärken.6 Die Donau stell- richtet, während der gotische Chor um 26°
te wohl als wichtigster Verkehrsweg den nach Norden verschwenkt ist.8 Tatsächlich
Hauptbezugspunkt für die Kirchen dar. Ge- handelt es sich bei jenen zwei Kirchen, die
rade jene Bauten, die in hochwassersicherer stark (über 30°) von der Ost-West-Achse ab-
Entfernung vom Ufer errichtet wurden, weichen und bereits in das 11./12. Jahrhun-
sind mit Bedacht auf ihre Fernwirkung von dert beziehungsweise die erste Hälfte des
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13. Jahrhunderts datiert werden, um St. Jo- auch die zahlreichen Sagen, überlieferten
hann und St. Lorenz, die beide einen römi- Wunder sowie Wallfahrtspraktiken rund
schen Wachturm in ihre Bausubstanz inte- um die Kirche eine wichtige Rolle.13
griert haben. Bei St. Lorenz dürfte die Lage
des Burgus tatsächlich ausschlaggebend für Die erste Planaufnahme der Kirche erfolgte
die Ausrichtung der Kirche gewesen sein, da 1963 durch Adalbert Klaar im Auftrag des
diese den römischen Baukörper rechtwink- Bundesdenkmalamtes. Er erkannte zwar,
lig – quasi als Westfassade – benutzt. Dies dass der Turm in keinem rechten Winkel
führte dazu, dass St. Lorenz etwas östlicher zum restlichen Kirchenbau steht, nicht
ausgerichtet ist, als es der Donauverlauf in aber, dass dies auf die gesamte Südwand
diesem Bereich vorgeben würde. Bei St. zutrifft. Dementsprechend gelangte er zu
Johann stellt sich dieser Umstand anders folgenden Bauphasen: »hochgot. Chorbau
dar. Hier wurde die Kirche nicht rechtwink- / spätgot. Turm / umgebautes Langhaus.«14
lig an den römischen Burgus angestellt, Klaar war damit jedoch der erste, der den
sondern weicht sogar noch weiter von der Bau des Presbyteriums nicht in die Spät-
West-Ost-Achse in Richtung Norden ab und gotik datierte. Den Turm stellte er jedoch
steht damit parallel zum Fluss. – wahrscheinlich aufgrund der Ähnlichkeit
mit Schwallenbach – immer noch in die
Spätgotik. Als Adalbert Klaar St. Johann in
Forschungsgeschichte den 1960er-Jahren besucht hat, muss sich
die Kirche in einem renovierungsbedürfti-
Die erste Beschreibung der Kirche in- gen Zustand befunden haben; zumindest
klusive bildlicher Darstellungen ist dem dürfte der Fassadenputz nicht mehr de-
Hofmeister Michael Stubenvoll zu ver- ckend vorhanden gewesen sein, da Klaar
danken, der 1637 St. Johann besuchte und im Süden der Langhauswestwand eine ver-
einen umfangreichen Bericht verfasste.9 mauerte gotische Tür eingezeichnet hat, die
Dieser beinhaltet auch eine Schilderung heute vollkommen unter Putz liegt.
des gemauerten Grabmals des hl. Adalwin
sowie eine Ansicht der Kirche von Osten So ist es nicht verwunderlich, dass bereits
und genaue Aufzeichnungen zweier Stif- 1970 eine umfassende Innen- und Außen-
terinschriften, die in späterer Zeit bereits renovierung in Angriff genommen wurde.
verloren waren.10 Beim Abschlagen des schadhaften Putzes in
den unteren Bereichen entdeckte man die
Bis zur Entdeckung der romanischen be- Fresken im Inneren der Kirche, wodurch
ziehungsweise gotischen Wandmalereien es in weiterer Folge zu einer völligen Neu-
1971 wurde dem kleinen Gotteshaus in bewertung der Baugeschichte kam. Das
weiterer Folge wenig Aufmerksamkeit ge- Vorhandensein von Wandbildern, die all-
schenkt. Die Mehrzahl der Autoren wies gemein um 124015 (Erstnennung der Kirche)
dem Bau eine einzige Bauphase zu, die in datiert wurden, stellte nicht nur das Alter
die erste beziehungsweise zweite Hälfte der Bausubstanz in ein neues Licht, son-
des 15. Jahrhunderts datiert wurde.11 Ins- dern war auch in Hinblick auf die spärlich
besondere wurde auf die Ähnlichkeit des erhaltenen Fresken aus dieser Zeit von
Turmes mit jenem von Schwallenbach – am besonderem kunsthistorischem Interesse.
gegenüberliegenden Donauufer gelegen – Wohl aufgrund dieser ›kleinen Sensation‹
hingewiesen, was Ignaz Keiblinger sogar verfasste Rudolf Diestelberger einen Restau-
zu der Annahme brachte, es ließe sich »mit rierungsbericht, der 1971 veröffentlicht wur-
Recht auf die gleichzeitige Erbauung bei- de.16 Auch Elga Lanc behandelte die Fresken
der Kirchen durch denselben Baumeister von St. Johann in ihrem 1983 erschienenen
schließen«12. Bei den vor 1971 erschienenen Corpus der mittelalterlichen Wandmalereien
Veröffentlichungen zu St. Johann spielten ausführlich.17
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10
St. Johann i. Mauerthale.
Baualterplan der Kirche.
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11 (links)
St. Johann i. Mauerthale.
Südfassade der Kirche
mit unregelmäßigen
Abtreppungen.
Die römische
Mauersubstanz ist
bis zur verdachten
Abtreppung unter dem
Giebelfenster erhalten.
12 (rechts)
St. Johann i. Mauerthale.
Aufriss der Südfassade
mit Teilansicht der
Ostfassade.
Die rote strichlierte
Linie markiert ungefähr
jene Höhe, auf der
sich eine ehemalige
Geschoßdecke
des römischen
Burgus befand.
14 (rechts)
St. Johann i. Mauerthale.
Südgiebel, vom Dach-
raum des Langhauses
aus gesehen (Blick
Richtung Süden).
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15
St. Johann i. Mauerthale.
Steingerechte
Zeichnung des
Südgiebels, vom
Langhausdachraum
aus gesehen. Die
verschiedenen
Bauphasen sind
farblich voneinander
unterschieden.
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16
St. Johann i. Mauerthale.
Westliches Burgus-
fenster im Dachraum
des Langhauses;
lediglich der linke
Bogenansatz ist
erhalten. Es handelt
sich um ein gerade
geschnittenes
Rundfenster mit zwei
Faschengestaltungen.
Die primäre zeigt ein
Ritzmuster im Putz
(4. Jahrhundert),
die sekundäre eine
Gestaltung mit roten
und weißen Streifen (9.
bis 12. Jahrhundert).
17
St. Johann i. Mauerthale.
Östliches Burgusfenster
im Dachraum des
Langhauses; der
Bogen ist komplett
erhalten. Hier ist
nur die sekundäre
Faschengestaltung
sichtbar. Sie zeigt
ein rot-weißes
Zackenmuster (9. bis
12. Jahrhundert).
18
Raabs an der
Thaya, Pfarrkirche.
Romanisches
Obergadenfenster
an der Südseite im
Dachraum des südlichen
Seitenschiffs. Die
Faschengestaltung
zeigt Ähnlichkeiten
mit jener der
Zweitnutzungsphase
des Burgus in
St. Johann.
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19
St. Johann i. Mauerthale.
Römisches Mauerwerk
im 1. Turmobergeschoß
(Blick auf die
Nordmauer). Rechts
ist das römische
Mauerwerk verzahnt,
links steht das gotische
Mauerwerk des Turmes
über eine Baufuge an.
20
St. Johann i. Mauerthale.
Römisches Mauerwerk
im 1. Turmobergeschoß
(Blick auf die
Ostmauer). Links ist das
römische Mauerwerk
verzahnt, rechts steht
das gotische Mauerwerk
des Turmes über
eine Baufuge an.
21
St. Johann i. Mauerthale.
Römisches Mauerwerk
im 1. Turmobergeschoß
(Detail). Der Mörtel
wurde meist Pietra-
rasa-artig verstrichen
und verpresst. An
einigen Stellen wie
etwa dem abgebildeten
Ausschnitt findet sich
ein zarter Kellenstrich.
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konservatorischen Gründen bewusst ab- nicht nur Details der bauzeitlichen Gestal-
geschlagen. Beim rechteckigen Einschnitt tung des Burgus offenbaren, sondern auch
rechts (Osten) handelt es sich wohl um ein Indizien für eine Nachnutzung des römi-
bauzeitliches Trichterfenster, dessen Sturz schen Bauwerks im Zeitraum zwischen
zusammen mit dem darüberliegenden Mau- dem 9. und dem 12. Jahrhundert liefern, als
erwerk im Zuge des Verfalls des Bauwerks der Sakralraum noch nicht bestanden hat.
eingebrochen ist. Vergleicht man die Lage Da die archäologische Untersuchung kei-
dieses Fensters mit jener des römischen ne Anhaltspunkte für eine nennenswerte
Rundbogenfensters, das im Dachraum Nachnutzung des römischen Wachturms in
sichtbar ist, zeigt sich, dass beide nicht der Zeit des späten Frühmittelalters bezie-
direkt übereinanderliegen. Da sich das mut- hungsweise frühen Hochmittelalters liefern
maßliche Trichterfenster allerdings in der konnte, erscheint dieser Befund besonders
Mittelachse des romanischen Langhauses spannend.29
befindet, wäre auch an ein romanisches
Westfenster zu denken. Eine Sondage in Die beiden Fenster waren gleichmäßig an
diesem Bereich zeigte, dass die getrichterte der Nordfassade des Burgus positioniert
Laibung verputzt und getüncht war, ehe der und belichteten wohl das ehemalige erste
Bereich vermauert worden ist.28 Obergeschoß. Das vom Dachraum aus gese-
hen rechte Fenster (Westen) wurde durch
Betrachtet man den Südgiebel des Langhau- den Abbruch für den romanischen Giebel
ses vom Dachraum aus, ist zu erkennen, wie stark reduziert. Der Bogenansatz zeigt al-
das römische Mauerwerk für den flachen lerdings deutlich die gerade geschnittene
romanischen Giebel abgerundet worden ist. Laibung sowie zwei Gestaltungsphasen der
Direkt über dem heutigen Bodenniveau sind Fensterfaschen. Das Fenster war primär
die oberen Abschlüsse zweier römischer durch einen in den glatt gepressten Putz
Rundbogenfenster erhalten geblieben, die geritzten Bogen sowie radial um die Fens-
teröffnung angeordnete Striche/Streifen
gegliedert. Diese Oberflächengestaltung
lässt sich gut mit der römischen Mauer-
werksgestaltung im Turm vergleichen.
22
St. Johann i. Mauerthale. Über dem spätantiken Putz liegt eine
1. Turmobergeschoß, weitere Putzschicht, die weniger geglättet
Südostecke. Das ist und in die Laibung zieht. Diese weist
römische Mauerwerk
(links) ist im
einen farbigen Dekor aus abwechselnd
oberen und unteren roten und weißen, radial angeordneten,
Bereich sichtbar. streifenförmigen Segmenten auf. Die se-
Das Mauerwerk des kundäre Faschengestaltung ist auch beim
gotischen Turmes
(rechts) steht am linken Fenster (Osten) zu erkennen. Hier
römischen Mauerwerk handelt es sich allerdings um ein umlau-
an. Bemerkenswert fendes Zackenband in Rot und Weiß mit
ist die Abböschung,
zumindest einem roten Begleitstrich.
die mit dem gotischen
Mauerwerk verzahnt ist. Diese Art der Fensterdekoration mit rot-
Es handelt sich um eine weiß-roten Streifen oder Zacken war vom
Sicherungsmaßnahme 9. bis ins 12. Jahrhundert weit verbreitet.
für den wohl
schon verwitterten
Ein geografisch relativ nahe gelegenes
Geschoßrücksprung Vergleichsbeispiel sind die romanischen
des Burgus, die im (Mitte 12. Jahrhundert) Obergadenfenster
Zuge des Turmbaus
der Pfarrkirche von Raabs an der Thaya,
im 14. Jahrhundert
durchgeführt die heute im Dachraum der Seitenschiffe
worden ist. verborgen liegen.30 Die Fensterfaschen
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werden hier aus in den Putz geritzten Ein Großteil des erhaltenen römischen 23
Streifen und Zacken gebildet und sind Mauerwerks befindet sich im Kirchturm Lage der bekannten
römischen Wachtürme
alternierend rot-weiß gefasst. Auch die (Nord- und Ostmauer). Die Süd- und die in der Wachau (rote
Laibung war farblich gestaltet; hier konnte Westmauer des gotischen Turmes stehen Markierung) mit dem
sich das Pigment aufgrund der geschützte- mit eindeutigen Baufugen an dem spätan- Kastell Mautern im
Nordosten und dem
ren Position wesentlich besser erhalten.31 tiken Baukörper. Der Kirchturm aus dem
Burgus von St. Johann
14. Jahrhundert wurde also in die Nord- im Mauerthale im
Eine Nachnutzung des römischen Burgus ostecke des römischen Burgus gestellt und Südwesten.
im späten Frühmittelalter beziehungsweise überbaut diesen ab einer Höhe von ca. 8 m
frühen Hochmittelalter – also bevor die Kir- an allen Seiten. Aufgrund des unverputz-
che angebaut wurde – scheint durch diesen ten Zustandes im Inneren des Turmes ist
Befund gesichert. Eine genauere zeitliche die spätantike Mauerwerksstruktur hier
Einordnung ist allerdings aufgrund der besonders gut sichtbar. Es handelt sich um
nur sehr grob zu datierenden Detailformen lagerhaftes Bruchsteinmauerwerk mit zum
(Faschengestaltung) sowie der spärlichen Teil beachtlichen Steinformaten. Das Stein-
archäologischen Funde aus dieser Zeit material wurde nicht besonders sorgfältig
nicht möglich. Es ist anzunehmen, dass sortiert, allerdings achtete man darauf,
der spätantike Wehrbau in dieser Zeit als flache Steinköpfe an der Mauerschale zu
Sitz eines Gefolgsmannes der Salzburger versetzen. In einem zweiten Arbeitsschritt
Erzbischöfe, die das Gebiet um St. Johann wurden die Setzfugen mit Mörtel verschlos-
wohl seit dem 9. Jahrhundert besaßen, in sen und Pietra-rasa-artig über die Fugen ver-
Verwendung stand.32 strichen, sodass nur die Steinköpfe sichtbar
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blieben. An einigen Stellen zeigt sich der römischen Wehrbauten der Wachau34 und
runde Abdruck der Kellenrückseite, mit der vergleicht sie mit jener des Burgus von St.
der Mörtel in die Fugen gepresst worden Johann, so fällt auf, dass die zwei durch
ist. Exakt in jener Höhe, in der sich heute die Schlingen des Flusses gebildeten Land-
der Sturz des sekundären Zugangs von der zungen (Sedimentationsflächen) in diesem
Empore in den Turm befindet, verläuft ein Bereich von Burgi quasi flankiert werden.35
Ankerbalkenkanal. Die Balken des hölzer- Die schmälere, auf der sich die Arnsdörfer36
nen Ringankers wurden im Baufortschritt befinden, wird im Westen unmittelbar dort,
mitvermauert und an den Ecken miteinan- wo das Steilufer endet und das flache,
der verbunden. Das Holz ist heute vollkom- nutzbare Land beginnt, durch den Burgus
men verrottet und lediglich als Negativ im von St. Johann gesichert. Am Ende dieser
Mauerkern erhalten. Ungefähr in derselben Sedimentfläche befindet sich der Burgus
Höhe (ca. 3,5 m über heutigem Bodenni- von Bacharnsdorf, ehe das Steilufer wieder
veau) befand sich eine ehemalige Geschoß- beginnt. Ähnlich stellt sich die Situation
decke des römischen Wehrbaus. Diese ist bei der breiteren Landzunge von Rossatz
durch die Anböschung an der Nord- und der dar. Der Burgus im Westen ist heute in die
Ostseite des Turmes gekennzeichnet und romanische Kirche St. Lorenz integriert,
setzt sich an der Südfassade der Kirche fort. während im Osten der Burgus »Windstall-
Diese Böschung kaschiert einen ehemali- graben« die nutzbare Landfläche sichert.
gen Mauerrücksprung, der zum Auflegen Zudem positionierte man die Wachtürme
der Deckenbalken genutzt wurde. Zum von St. Johann (Mauertal), Bacharnsdorf
Zeitpunkt des gotischen Turmbaus (erste (Kupfertal) und Windstallgraben jeweils am
Hälfte 14. Jahrhundert) muss sich der spät- Ausgang eines Tales, von dem aus römische
antike Burgus bereits in einem ruinösen Altwege von der im Dunkelsteinerwald lie-
Zustand befunden haben. Die wohl stark genden Limesstraße hinunter zur Donau
verwitterte Mauerkante wurde im Zuge führten.37 Seit wann eine durchgehende
der Bauarbeiten durch die Anböschung ge- Donauuferstraße in diesem Bereich bestan-
sichert, ehe man die römischen Mauerreste den hat, ist nicht ganz klar; noch im 17./18.
in den gotischen Turm integrierte. Wie die Jahrhundert mussten die Treidler in diesem
archäologische Untersuchung gezeigt hat, Abschnitt der Donau mehrmals das Ufer
wurden im Zuge dessen auch die übrigen wechseln, um ihre Pferdegespanne sicher
Reste des Wachturms abgetragen.33 flussaufwärts treiben zu können.
Zusammengefasst ist der spätantike Wehr- Ein bemerkenswerter Aspekt des Wach-
bau als annähernd quadratisches Bauwerk turms von St. Johann im Mauerthale ist die
mit einer Seitenlänge (Ost-West) von rund Integration eines Teils seiner Bausubstanz
12,40 m bei einer Mauerstärke von 1,60 m in einen romanischen Sakralbau, wobei
im Erdgeschoß zu beschreiben. Das Gebäu- auch noch beim Kirchturmbau in der ersten
de war über 8 m hoch und verfügte über Hälfte des 14. Jahrhunderts Mauerreste Ver-
mindestens zwei Geschoße (Erd- und Ober- wendung fanden. Im Hochmittelalter baute
geschoß). Das Erdgeschoß war wohl spärlich man die Kirche einfach an die Nordfassade
durch getrichterte Schlitzfenster beleuch- des Burgus an, sodass diese die Südfassade
tet. Das Obergeschoß besaß jedenfalls zwei des Langhauses bildete, und verzichtete
gerade geschnittene Rundbogenfenster an damit darauf, das Gotteshaus zu osten.
der Nordseite. Eine ähnliche Situation lässt sich wenige
Kilometer flussabwärts bei der Filialkirche
Der Burgus war parallel zur Donau, aber St. Lorenz feststellen: Auch hier nutzt ein
nahe den steil aufragenden Erhebungen des Sakralbau des 12. Jahrhunderts Teile eines
Dunkelsteinerwaldes positioniert. Betrach- mutmaßlichen römischen Wachturms, al-
tet man die Lage der restlichen bekannten lerdings auf etwas andere Weise als in St.
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Filialkirche St. Lorenz
(Gemeinde Rossatz),
Baualterplan. Auch
in die Kirche von St.
Lorenz wurde ein
römischer Wachturm
integriert, allerdings
auf andere Weise als in
St. Johann: Hier bildet
die Burgussüdmauer
die Kirchennordmauer.
Johann. Die Kirche wurde hier zwischen Kirche in der ersten Hälfte des 14. Jahrhun-
Burgus und (heutiger) Straße platziert derts gegen Norden erweitert wurde. Bei
und nutzte die donauabgewandte Seite Mauerwerksaufschlüssen an der West- und
des Wachturms als Langhausnordmauer.38 der Ostfassade konnte jeweils die Baufuge
Die Außenmauern des im Norden direkt zwischen dem quaderhaften romanischen
daran anschließenden Wohnhauses stam- Mauerwerk und der gotischen Erweiterung
men wohl ebenfalls noch vom römischen festgestellt werden. Die Georadaruntersu-
Gebäude.39 Die beiden Burgi könnten als chung im Innenraum der Kirche erbrachte
Ansitze Salzburger Gefolgsleute gedient Daten, die auf ein ehemaliges Chorquadrat
haben, woraufhin in weiterer Folge hier hinweisen: Zu erkennen sind hier eine
frühe Sakralbauten entstanden, die den Quermauer auf Höhe der befundeten Bau-
römischen Bestand integrierten.40 fugen sowie die rechte (östliche) Mauer des
mutmaßlichen Chorquadrates. Das Lang-
Der hochmittelalterliche Sakralraum haus der romanischen Kirche hatte dem-
(12. Jahrhundert) nach eine Länge von 13,90 m (Westen) bezie-
Die in der Romanik entstandene Kirche hungsweise 12 m (Osten); daran schloss ein
umfasste im Wesentlichen einen Großteil auf beiden Seiten um ca. 1 m eingezogenes
des heutigen Langhauses. Eine vertikaler Chorquadrat an, dessen exakte Länge un-
Mauerversprung sowie ein leichter Achs- klar bleibt. Die ursprüngliche Kirche war ca.
knick markieren jene Stelle, an der das 1,90 m niedriger als die heutige und besaß
romanische Langhaus endete, bevor die ein Satteldach mit einer für die Romanik
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25
St. Johann i. Mauerthale.
Links: Putzfenster an
der Langhauswestseite
mit romanischem
Mauerwerk (rechts) und
gotischem Mauerwerk
der Erweiterung (links).
Rechts: Putzfenster an
der Langhausostseite
(Raum unter dem
Kanzelaufgang)
mit romanischem
Mauerwerk (links)
und gotischem
Mauerwerk (rechts).
typischen flachen Neigung von ca. 30°. Der Datierung der Mauerstruktur ist aufgrund
Neigungswinkel des hochmittelalterlichen der vollflächigen Verputzung der gesamten
Daches und die Aufzonung sind vom Dach- Kirche nicht möglich. Bedauerlicherweise
raum aus am Südgiebel des Langhauses zu wurden die Restaurierungsarbeiten der
erschließen.41 1970er-Jahre – in deren Verlauf der alte Fas-
sadenputz fast vollständig entfernt wurde
Die zeitliche Einordnung dieses ersten – nicht ausreichend dokumentiert, weshalb
Sakralraumes gestaltet sich schwierig. Als auch keine Fotografien des romanischen
Terminus ante quem muss die Erstnennung Mauerbestandes der Kirche zur Verfügung
1240 gelten.42 In diese Zeit werden auch die stehen. Im Rahmen der Bauforschung wur-
romanischen Wandmalereien an der Innen- de der Putz an kleinen Stellen (ca. 0,70 × 1,0
seite der Langhauswestmauer gestellt.43 Eine m) der Ost- und der Westfassade entfernt,
26
St. Johann i. Mauerthale.
Aufriss der Westfassade
mit Orthofoto des hl.
Christophorus. Die
grüne Linie markiert
die Baufuge zwischen
romanischem Langhaus
(rechts) und gotischer
Erweiterung (erste
Hälfte 14. Jahrhundert)
des Langhauses
(links). Die rote Linie
markiert die ungefähre
Höhe des Langhauses
bis zur Aufzonung
kurz nach 1415.
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um die Baufuge zwischen romanischem Das letzte und schmälste Bildfeld ist heute
und gotischem Mauerwerk eindeutig fest- so stark reduziert, dass die Identifizierung
zustellen. Die hier zum Vorschein gekom- des Bildthemas unmöglich erscheint.47
mene Struktur lässt sich als grobblockiges, An dieser Stelle befindet sich, wie bereits
in Einzellagen versetztes, quaderhaftes Rudolf Distelberger richtig erkannt hat,
Bruchsteinmauerwerk beschreiben, dessen eine Baunaht, die mit jener an der Fassade
Steinformate im hier befundeten Eckver- übereinstimmt; hier endete das romanische
band der ehemaligen Chorschulter zum Langhaus und somit auch die romanische
Teil erheblich sind (ca. 50 × über 45 cm). Wandmalerei. Es folgt ein über die heutige
Die Putzaufschlüsse lassen aber aufgrund Chorschulter reichender Bildstreifen, der
ihres geringen Umfangs keine detaillierte Christus zwischen den zwölf Aposteln zeigt
Beurteilung der Mauerstruktur zu, weshalb und um 1330/1340 entstanden ist.48
lediglich eine sehr weit gefasste Datierung
in das (11. beziehungsweise) 12. Jahrhundert Distelberger weist darauf hin, dass die go-
möglich ist.44 tischen Wandmalereien die romanischen
an keiner Stelle überschneiden beziehungs-
Die romanischen Wandmalereien weise überlagern.49 Die Malereischicht ist
Als man bei der Innenrestaurierung 1970 zwar trotz vollflächiger Aufspitzungen in
an der Langhauswestmauer romanische gutem Zustand50, die Darstellungen sind
Wandmalereien entdeckte, war die Begeis- aber durch zwei Fenstereinbrüche, eine
terung groß, da der diesbezügliche Denk- Türe sowie die Orgelempore stark beein-
malbestand Niederösterreichs gering ist.45 trächtigt. Der grobe, unebene Putz des 13.
Die allgemein in die Zeit um 1240 datierten Jahrhunderts fand sich laut Distelberger
Fresken wurden in weiterer Folge freigelegt an der Süd- und zum Teil an der Ostwand,
und restauriert.46 Auf die immer wieder ge- wo allerdings keine Malereien festzustel-
äußerten Zweifel an der Datierung sowie len waren. Auch die Baunaht zwischen
der Zusammengehörigkeit der Bilder soll romanischen und gotischen Bauteilen
am Ende des Kapitels ausführlich eingegan- konnte an dieser Langhausseite nicht do-
gen werden. kumentiert werden. Da die Baufuge aber
– belegt durch eine Sondage an der Au-
Die Richtung Chor stufenweise abfallende ßenseite – auch an der Ostseite der Kirche
und zum Teil gerahmte Bilderfolge beginnt vorhanden ist, besteht der Verdacht, dass
im Süden mit der Darstellung eines beritte- der Putz der Langhausostmauer bereits
nen Heiligen (wahrscheinlich der hl. Georg). zuvor großflächig ausgetauscht worden
Der untere Teil des Bildes ist allerdings war. Zudem waren wahrscheinlich auch
beim Einbau der Orgelempore zerstört die Ostwand sowie das heute nicht mehr
worden; diese schneidet den anschließen- vorhandene Chorquadrat im Norden mit
den hl. Christophorus in Brusthöhe. Es ist Bildwerken ausgestattet, wie es für diese
anzunehmen, dass Letzterer ursprünglich Zeit als üblich angesehen werden kann.51
bis zum Boden gereicht hat; die unteren Ein weiterer aus der Norm fallender As-
Partien sind nicht mehr erhalten. Direkt pekt der Malereien in St. Johann ist das
anschließend folgt ein gerahmtes Bildfeld Nebeneinander von autonomen Darstel-
mit der Kreuzigung Christi. Das nächste lungen. Soweit es die spärlichen Reste er-
Bildfeld beginnt ca. 0,70 m weiter unten kennen lassen, handelt es sich hier weder
und zeigte wohl Szenen aus dem Leben der um einen zusammenhängenden Zyklus
hl. Margareta, von welchen heute nur mehr noch um ein ausgeklügeltes theologisches
die Auffahrung ihrer Seele in den Himmel Programm. Die Tatsache, dass sowohl in
in der rechten oberen Bildecke erhalten der Legende des hl. Georg als auch in
ist. Die Seele der Heiligen wird in einem jener der hl. Margareta der Kampf mit
Tuch von zwei Engeln nach oben getragen. einem Drachen und damit der Sieg über
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27 (oben) das personifizierte Böse überliefert ist, Christusträger wohl vom Boden bis zur
St. Johann i. Mauerthale. erscheint zu wenig stichhaltig, um einen Decke des Kirchenraumes reichte und so
Orthofoto der Malereien
an der Westmauer
gewollten Zusammenhang postulieren zu wortwörtlich jeden Rahmen sprengte.
des Langhauses. Links können.
die romanischen, Das Pferd des hl. Georg wird von der Seite
rechts die gotischen
Der hl. Georg und der hl. Christophorus gezeigt. In der Höhe des Bauches wird es
Wandmalereien.
wurden dicht nebeneinander und un- von der Empore geschnitten. Der auf dem
gerahmt dargestellt, was nach Rudolf Dis- Pferd sitzende Drachentöter hält einen
telberger und Elga Lanc ihren Realitäts- Speer, mit dem er von oben herab zum Stoß
28 (unten)
charakter im Vergleich zu den gerahmten ansetzt, in beiden Händen; seine Rechte ist
St. Johann i. Mauerthale. ›historischen‹ Szenen verstärken sollte.52 hinter dem Kopf erhoben. Aufgrund dieser
Längsschnitt durch Sie treten zudem in Beziehung mit der Haltung ist der von einem dunkelvioletten
Langhaus und Chor mit
Architektur, da der hl. Georg wahrschein- Umhang umschlungene Oberkörper des
Ansicht der Westmauer
sowie Abwicklung lich über einem ursprünglichen Portal Heiligen dem Betrachter frontal zugewandt.
der Wandbilder. angebracht war53 und der monumentale Der von ockerfarbenen Haaren umgebene
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1 2
3
4 5
30
St. Johann i. Mauerthale.
Fragment einer
Margaretenszene an
der Westwand mit
Aufnahme der Seele
der Heiligen in den
Himmel (um 1240).
32
St. Johann i. Mauerthale.
Orthofoto der
romanischen Malereien
(um 1240), die von der
Orgelempore aus zu
sehen sind. Von links
nach rechts: hl. Georg,
hl. Christophorus,
Kreuzigung.
Zusätzlich hat ein barockes Fenster die Die Gesichtszüge und der Bart sind mit
rechte Hälfte seines Gesichtes sowie den Ocker, Braun und Schwarz akzentuiert.
oberen Kopfbereich Christi zerstört. Dieser Christus ist als Pantokrator – mit Kreuz-
sitzt in Brusthöhe auf dem linken Arm des nimbus, zum Segensgestus erhobener
Heiligen. In seiner Rechten hält er einen rechter Hand und einem Buch in der linken
Stab mit fünf herzförmigen Blättern. Be- Hand – wiedergegeben, wie es bis ins 14.
kleidet ist der Christusträger mit einem Jahrhundert üblich war.60 Auch er ist mit
dunkelvioletten Mantel, der über der Brust einem Mantel bekleidet, allerdings befindet
mit einer Spange zusammengehalten wird. sich hier eine große Fehlstelle. Christus sitzt
Der bärtige Heilige besitzt braunes Haar auf dem gebauschten Mantel des Christo-
und einen ockerfarbenen Heiligenschein. phorus, den dieser in seinen Händen hält.
33
St. Johann i. Mauerthale,
Westwand. Hl. Georg im
Kampf mit dem Drachen
(um 1240). Das Pferd
wird im Brustbereich
von der Empore
geschnitten, weshalb
der untere Bereich des
Bildes mit dem Drachen
nicht mehr erhalten ist.
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39 (rechts)
St. Johann i. Mauerthale,
Westwand. Fragment
einer Kreuzigungsszene
(um 1240). Links der
Gekreuzigte, rechts eine
Gruppe von Soldaten
sowie der Centurio. Die
Figur des Stephaton
wird von der weiblichen
Skulptur verdeckt.
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40
St. Johann i. Mauerthale.
Details der
Kreuzigungsszene
(um 1240).
Links: Centurio.
Rechts: Soldaten.
dass hier nicht weiter darauf eingegangen Der Umstand, dass der hl. Georg und der
werden soll. Distelberger vermutet eine Dar- hl. Christophorus ungerahmt neben den in
stellung der Vertreibung aus dem Paradies.67 Bildfeldern strukturierten szenischen Dar-
stellungen stehen, und die augenfälligen
Die in der Fachwelt mehrfach geäußerten stilistischen Unterschiede zwischen den Fi-
Zweifel an der Datierung sowie der Gleich- guren der Kreuzigung und den beiden Heili-
zeitigkeit der Darstellungen formulierte Wil- gen, die sich vor allem in der Modellierung
libald Sauerländer kurz und bündig so: »[...] der Gesichter zeigen, unterstützen auf den
das Datum 1240 erscheint eher als zu spät. ersten Blick die Annahme unterschiedlicher
Ist das Fragment einer Margarethenszene Entstehungszeiten. Diese Zweifel müssen
wirklich gleichzeitig oder nicht doch deut- allerdings bei eingehender Betrachtung
lich jünger?«68 Wie bereits erwähnt, weist »aufgrund der eindeutigen Zusammenge-
das in scharfen Zacken endende Tuch, mit hörigkeit der Wandbilder zurückgewiesen
dem die Seele der Heiligen in den Himmel werden«.69 Diese Zusammengehörigkeit
getragen wird, stilistisch in die zweite Hälf- der Komposition offenbart sich in einem
te des 13. Jahrhunderts und steht somit in bereits erwähnten Detail zwischen dem hl.
scheinbarem Widerspruch zu konservative- Christophorus und der Kreuzigungsszene:
ren Stilelementen der anderen Bilder. Diese Der Rahmen des Bildfeldes wird sowohl
Beobachtungen sind allerdings zu relativie- vom gebauschten Mantel des Christopho-
ren, denn die ›altertümliche‹ Wirkung wird rus als auch vom Heiligenschein einer
sicher vom teilweisen Fehlen der schwarzen Assistenzfigur der Kreuzigungsszene ge-
Binnenzeichnung verstärkt, die sich heute – schnitten, nimmt also auf beide Darstel-
als Negativ erhalten – in hellen Linien zeigt. lungen Rücksicht. Darüber hinaus wurden
Zudem endet auch der wehende Umhang des alle Bilder zum Teil in Freskotechnik auf
hl. Georg in scharfen Zacken, was allerdings derselben Putzschicht ausgeführt, müs-
kaum mehr zu erkennen ist. sen also demnach rein technisch gesehen
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42
St. Johann i. Mauerthale.
Gewölbe des Chores
(Blick Richtung Norden).
15. Jahrhundert) vollständig zum Opfer. Die Darstellung weitgehend und gibt als Datie-
als Ganzfiguren dargestellten Männer sind rung »um 1330/40«81 an.
in einem 1,40 m breiten und insgesamt 9,15
m langen, gerahmten Bildfeld auf hellrotem Ebenfalls in dieser Zeit entstand das groß-
Grund aneinandergereiht. Sie interagieren formatige Bild (3,3 × 1,7 m) des Marientodes
gestenreich und sind von Schriftbändern an der Westwand des Chores. Es ist dicht
begleitet, die sie benennen. Rudolf Distel- mit Aufspitzungsspuren übersät und auch
berger stellt frappante Ähnlichkeiten zur sonst in einem eher schlechten Zustand.
Biblia pauperum aus Klosterneuburg (um In der Mitte erkennt man das in die Fläche
1331)79 fest und schlägt daher eine Einord- geklappte Bett Mariens, das mit Maßwerk
nung der Apostelreihe von St. Johann »an geschmückt zu sein scheint. Die Apostel
den Anfang der dreißiger Jahre des 14. Jahr- mit Christus in der Mitte reihen sich rechts,
hunderts [...] und in die Klosterneuburger links und hinter dem Bett in einer Linie
Malerschule«80 vor. Elga Lanc folgt dieser auf; sie sind über den Köpfen beschriftet.82
+lOIWH-K
9HUODXIGHVHUVWHQ/DQJKDXVGDFKHV
+lOIWH-KE]ZYRUG
9HUODXIGHV]ZHLWHQ/DQJKDXVGDFKHV
NXU]QDFKG
GULWWHU/DQJKDXVJLHEHOQDFK(UK|KXQJGHU7UDXIH
/DQJKDXVWUDXIHYRUG
44
St. Johann i. Mauerthale.
Querschnitt des
Langhauses in
Richtung Norden
(Chor) mit Orthofoto
des nördlichen
Langhausgiebels. Die
farbige Kartierung zeigt
den ungefähren Verlauf
der verschiedenen
Dächer seit dem Bau
des Chores in der
ersten Hälfte des
14. Jahrhunderts.
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Darüber befinden sich Engel. Aufgrund des Rahmen mit Eckrosetten eingefasst; auffäl-
schlechten Erhaltungszustandes ist eine ge- lig ist der tiefrote Hintergrund. In der Mitte
naue zeitliche Einordnung nicht möglich, erleidet der Heilige sein Martyrium im Dorn-
Distelberger und Lanc sprechen sich aber busch, die Arme wie am Kreuz ausgebreitet.
übereinstimmend für eine Datierung ins Rechts und links sind seine Gefährten zu
zweite Viertel des 14. Jahrhunderts aus.83 Zu sehen, die auf Geheiß des Königs (am linken
einem anderen Schluss gelangen die beiden Bildrand) von dessen Gefolge ebenfalls in
bezüglich des Wandbilds der Achtiusmarter den Dornbusch geworfen werden. Die Ma-
auf der gegenüberliegenden Wand. Es misst lerei ist wie jene mit dem Marientod nur
3,3 × 2 m und wird von einem dekorativen sehr schlecht erhalten. Distelberger datiert
U¸PHU]HLWOLFK-K
1RUGIDVVDGH%XUJXV]XIODFKHP*LHEHODEJHUXQGHW
45
St. Johann i. Mauerthale.
Querschnitt des
Langhauses in
Richtung Süden mit
Orthofoto des südlichen
Langhausgiebels. Die
farbige Kartierung zeigt
die zu einem flachen
Giebel abgerundeten
Reste der Nordfassade
des römischen Burgus,
Teile des beim Bau in
der ersten Hälfte des 14.
Jahrhunderts noch nicht
unter Dach befindlichen
Turmes sowie die
Giebel der beiden
darauffolgenden Dächer.
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47
St. Johann i. Mauerthale,
Chorjoch Westwand.
Marientod (zweites
Viertel 14. Jahrhundert).
Die stark reduzierte
Malerei gehört wohl zur
Erstausstattung der
gotischen Erweiterung.
48
St. Johann i. Mauerthale,
Chorjoch Ostwand.
Achatiusmarter (Anfang
15. Jahrhundert).
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49 (links)
St. Johann i. Mauerthale.
Übergang vom
polygonalen Dienst
zum Gewölbe (Blick
Richtung Südwesten).
Die gekehlten Keilrippen
entspringen ohne
Kapitellzone aus
polygonalen Diensten.
50 (rechts)
Krems an der Donau,
Ursulakapelle. Blick
ins Gewölbe (um
1300). Auch die
Ursulakapelle besitzt
gekehlte Keilrippen,
die ohne Kapitellzone
in die Dienste
übergehen, allerdings
handelt es sich hier
um Dienstbündel.
auf. Die gekehlten Keilrippen entspringen kann für die um 1300 entstandene Ursula-
in oktogonalen Basen am Boden und lau- kapelle in Krems gelten, die ebenfalls ge-
fen ohne Unterbrechung ins Gewölbe, ehe pflockte Rippenanläufe am Boden besitzt.
sie im Scheitel beim Schlussstein enden. Größere Ähnlichkeiten bestehen zwischen
Vergleichbare Gewölbeformen finden sich den Gewölben von St. Johann und dem
in der näheren Umgebung etwa in der Hauptchor der Gertrudskirche in Gars. Die
Göttweigerhofkapelle in Stein, der Ursu- gekehlten Keilrippen – beziehungsweise
lakapelle in Krems, dem Hauptchor der Birnstabprofile – entspringen polygona-
Gertrudskirche in Gars am Kamp sowie der len Basen und führen kapitelllos bis zum
südlichen Seitenkapelle in Altpölla. Scheitel; Pflockungen sind hier – wie auch
in der Südkapelle von Altpölla – nicht vor-
Bei der Göttweigerhofkapelle wird das für handen. Außerdem finden sich bei allen
die frühe Gotik kennzeichnende Element dreien Schlusssteine mit Rosettenmotiv, die
der Pflockung – mangels Kapitellzone – auf einander stark ähneln. Die Südkapelle von
den Boden projiziert. Als Terminus ante Altpölla wird von Gerhard Seebach in die
quem für die Entstehung des Kapellenge- Zeit um 1300 datiert87; Elga Lanc setzt die
wölbes gilt die Datierung der malerischen Entstehung eines Wandbildes an der Nord-
Ausstattung zwischen 1305 und 1310. 86 wand der Kapelle, das die Mantelspende des
Aufgrund des altertümlichen Motivs des hl. Martin zeigt, in das erste Drittel des 14.
gepflockten Anlaufs wird das Gewölbe Jahrhunderts88. Der dreischiffige Chor der
wohl kurz vor beziehungsweise um 1300 Gertrudskirche in Gars am Kamp wird von
entstanden sein und damit einige Jahre vor Oliver Fries aufgrund stilistischer Verglei-
dem Chor von St. Johann, der bereits kei- che in die Zeit um 1290/1310 datiert.89 Die
ne Pflockungen mehr aufweist. Ähnliches Rippen in den Seitenchören weisen hier
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51 (links)
Gars am Kamp,
Gertrudskirche.
Hauptchor (um 1300;
Blick Richtung Osten).
Hier führen Birnstab-
beziehungsweise
Keilrippen kapitelllos
über Dienstbündel
bis zu den Basen.
52 (rechts)
Altpölla, Pfarrkirche.
Südkapelle (um
1300; Blick Richtung
Osten). Die Birnstab-
beziehungsweise
Keilrippen laufen
gleichfalls kapitelllos
über Dienstbündel
bis zu den Basen.
53 (links)
Krems an der Donau,
Ursulakapelle. Basis
(um 1300; Blick
gegen Nordosten). Die
gekehlten Keilrippen,
die als Dienstbündel bis
zur Basis führen, weisen
dort Pflockungen auf.
54 (rechts)
Basen in den Chören
von St. Johann i.
Mauerthale (links)
und Gars am Kamp/
Getrudskirche (rechts).
Der keilförmige
Dienst geht bei
beiden Beispielen
ohne Pflockung in
die polygonale Basis
über; in Gars weist er
allerdings noch einen
zusätzlichen Wulst auf.
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56
St. Johann i. Mauerthale,
linke Chorschulter.
Hl. Nikolaus und hl.
Leonhard (um 1400).
Der hl. Nikolaus links ist
kaum mehr zu erkennen.
Die Gestaltung des
Triumphbogens mit
aufgemalten Quadern in
Ocker gehört ebenfalls
dieser Malschicht an.
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57 (links)
St. Johann i. Mauerthale,
Westfassade Langhaus.
Hl. Christophorus (um
1500 beziehungsweise
1508). Der obere Teil
des monumentalen
Wandbildes, der sich
im Bereich der etwas
zurückfallenden
Aufzonung des
Langhauses befindet,
ist wesentlich
besser erhalten.
58 (rechts)
St. Johann i. Mauerthale.
Holzskulptur des
hl. Albinus (15.
Jahrhundert). Die
sagenumwobene
Figur wurde ehemals
im Hochgrab des
Heiligen in einer
Nische präsentiert.
59
St. Johann i. Mauerthale.
Querschnitte durch
die Vollgespärre von
Chor (rechts; nach
1398d) und Langhaus
(links; 1415d).
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61
St. Johann i. Mauerthale.
Darstellungen des
Hochgrabs des hl.
Albinus aus dem
Bericht von Stubenvoll
1637 (Kopie aus der
zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts).
Links: Ansicht von
Norden und Grundriss.
Rechts: Ansicht von
Süden. Das Hochgrab
befand sich im Zentrum
des Langhauses. In der
dem Chor zugewandten
Nische wurde die
Skulptur des Heiligen
präsentiert. An der
gegenüberliegenden
Stirnseite der Tumba
befand sich eine kleine,
vergitterte Öffnung.
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62
St. Johann i. Mauerthale.
Links: Ehemaliger
linker Seitenaltar (1702)
mit Darstellung des
hl. Leonhard.
Rechts: Ehemaliger
rechter Seitenaltar
(1702) mit Darstellung
der Taufe Christi.
Die Altäre befinden sich
seit der Restaurierung
in den 1970er-Jahren in
der Kartause Aggsbach.
der hl. Barbara. Um den neuen, breiten 1719 entstand die neue Kanzel mit einem
Hochaltar richtig zur Geltung zu bringen, gemauerten Aufgang von der Sakristei und
wurde der enge gotische Triumphbogen einem »Waxcamerl« unter demselben. Den
zur heutigen Form ausgebrochen. Auftrag für die Bildhauerarbeiten an der
Kanzel führte »Andreen Khrüner Bürger
und Bildthauer zu Crembs« aus; mit der
farblichen Fassung sowie Vergoldung wur-
de »Mathiasen Pichler bürgerl. Mahler zu
Crembs« betraut.99 Im Jahr darauf bekamen
der Brunnen sowie der Kircheneingang im
Osten ein neues Dach auf gemauerten Säu-
len.100 Die Orgel samt Empore stammt aus
der Mitte des 18. Jahrhunderts (1745). Empo-
re und Orgelgehäuse zeigen frühklassizisti-
sche Elemente, während die Schnitzgitter
des Rokoko aus der Kirche in Hofarnsdorf
stammen.101
64
St. Johann i. Mauerthale.
Orgelempore (1745).
Die Orgel besitzt ein
frühklassizistisches
Gehäuse; die
Schnitzgitter mit
Rokokoelementen
stammen aus der
Kirche in Hofarnsdorf.
bestand aus einem länglichen Häuschen durch welche die Pilger heilsame Erde ent-
mit Satteldach und kleinen Öffnungen. An nehmen konnten.104
der Nordseite (zum Chor hin) befand sich
ein halbrunder Aufbau mit einer Nische, Die letzte große Renovierung (vor 1970)
in der die Holzskulptur des Heiligen prä- fand im Jahr 1894 statt.105 Aus dieser Zeit
sentiert wurde. An der anderen Seite gab es stammen auch die beiden runden De-
eine kleine, vergitterte spitzbogige Öffnung, ckenbilder (Öl auf Leinwand), die seit der
65 (links)
St. Johann i. Mauerthale.
Enthauptung des
hl. Johannes des
Täufers, ehemaliges
Deckengemälde
des Langhauses
(Franz Hölzl, Öl auf
Leinwand, 1894).
Das großformatige
Gemälde wurde im
Zuge der Restaurierung
1970/1971
abgenommen.
66 (rechts)
St. Johann i. Mauerthale.
Hl. Albinus, ehemaliges
Deckengemälde
des Langhauses
(Franz Hölzl, Öl auf
Leinwand, 1894).
Das Gemälde wurde
ebenfalls 1970/1971
abgenommen.
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Restaurierung 1970 zusammengelegt im über und unter den Fresken gerade abge-
Aufgang zur Kanzel lagern. Das größere Bild grenzt und dazwischen der alte Verputz
zeigt die Enthauptung Johannes des Täu- auch dort freigelegt, wo sich keine Bilder
fers und ist mit »Franz Hölzl in Melk 1894« befinden. Dadurch entstand eine einheitli-
bezeichnet. Das kleinere Gemälde stellt che Bildzone in der Wand, ein Bilderfries,
einen Bischof dar, bei dem es sich wohl der die alte Substanz verbindet. Da die
um den Salzburger Erzbischof Adalwin Kirche eine wertvolle barocke Einrichtung
handeln dürfte, auf den die Figur des hl. Al- besitzt, mußte auch auf die barocke Bau-
binus zurückgehen soll. Interessant ist die substanz Rücksicht genommen werden,
Darstellung des unkanonisierten Heiligen: so daß der mittelalterliche Verputz nicht
Er streift sich soeben das Bischofsgewand durchgehend in der ganzen Kirche freige-
ab, darunter kommt die typische Pilgerklei- legt werden konnte. In der Apsis wurde
dung zum Vorschein. Auf den Fotografien er an der ganzen Wand des Vorjoches bis
aus der Zeit vor der Restaurierung 1970 ist zum Gewölbe freigelegt, um den Bildern,
noch ein drittes Bild zu sehen, dessen Ver- welche die volle Jochbreite einnehmen,
bleib jedoch unbekannt ist. eine entsprechende Umgebung zu geben.
Es wurde also versucht, den Freskenfund
Die Restaurierung der 1970er-Jahre in den gewachsenen Zustand beziehungs-
Der Zustand des Innenraumes der Kirche weise die überlieferte Gesamterscheinung
von St. Johann direkt vor der Restaurie- der Filialkirche zu integrieren und nicht
rung im Jahr 1970 wurde fotografisch seinetwegen die späteren Gestaltungs-
festgehalten. Die Fotos zeigen ein relativ phasen zu liquidieren. Selbstverständlich
einheitliches barockes Erscheinungsbild, entsteht dadurch ein Zustand, der so nie
das von der letzten Renovierung im Jahr existiert hat; will man aber Fresken aus
1894 geprägt ist. Die Langhauswände sind dem 13., 14. und 15. Jahrhundert nebenein-
mit aufgemalten Säulen gegliedert und ander zeigen, die nie gleichzeitig zu sehen
die flache Decke des Langhauses mit den waren, wird die Wiederherstellung des ›ur-
drei Rundbildern sowie umlaufenden, sprünglichen‹ Zustandes von vornherein
gemalten Rahmen geschmückt. Die Bil- hinfällig.«107
der dokumentieren allerdings auch den
desolaten Zustand der Oberflächen; so Das Zitat macht das Dilemma deutlich, mit
hat sich ein Teil des Deckenputzes im dem man sich bei der Restaurierung des In-
Bereich der Orgel bereits gelöst. Beim nenraumes konfrontiert sah. Das Ergebnis
Abschlagen des beschädigten Putzes im kann als Kompromiss angesehen werden,
Sockelbereich stieß man auf die bereits der nicht immer zu optimalen Lösungen
ausführlich behandelten romanischen und geführt hat. Da sich die gotischen Malereien
gotischen Wandmalereien. Da es sich bei bis hinter die barocken Seitenaltäre zogen,
dieser Entdeckung – vor allem bezüglich wurden Letztere entfernt und befinden sich
der Malereien des 13. Jahrhunderts – um heute in der Kartause Aggsbach. Eine der
einen bedeutenden Neufund handelte, beiden Johannesschüsseln, die jeweils an
beschloss man, die Fresken freizulegen.106 der Predella der Seitenaltäre angebracht
Dies verlangte allerdings nach einer voll- waren, wurde über dem Scheitel des Tri-
ständigen Neukonzeption des Innenrau- umphbogens aufgehängt; die andere be-
mes. Distelberger beschreibt die damaligen findet sich heute im Diözesanmuseum St.
Überlegungen, die zur heutigen Gestaltung Pölten. Wohl um das Langhaus optisch zu
führten, wie folgt: beruhigen, entschied man sich dazu, die
runden Deckenbilder von 1894 abzunehmen
»Um die Bildfragmente nicht wie Briefmar- und die Decke weiß zu streichen.108 An der
ken an der Wand stehen zu lassen, wurde Westmauer, wo sich der Großteil der Fres-
der barocke Verputz in einigem Abstand ken befindet, wurden auch die vermauerten
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67
St. Johann i. Mauerthale.
Aufnahme des
Langhausinnenraumes
vor der Restaurierung
in den 1970er-Jahren
(Blick Richtung Süden).
gotischen Fenster teilweise freigelegt. Die unglücklich muss man die Neuaufstellung
Türöffnung unterhalb der Kreuzigungs- einer überlebensgroßen Kreuzigungsgruppe
szene ist verschlossen und ebenfalls weiß aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
gestrichen, wohl um eine optische Beruhi- bezeichnen, da sie einen Teil der romani-
gung der Westwand zu erzielen. Als etwas schen Wandmalerei verdeckt.
68
St. Johann i. Mauerthale.
Aufnahme des
Langhausinnenraumes
vor der Restaurierung
in den 1970er-Jahren
(Blick Richtung Norden).
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30 Vgl. Aichinger-Rosenberger und Fries 2009, 23. 54 Als älteste Darstellung nördlich der Alpen gilt das
31 Weitere Beispiele für ähnliche Fenster- Siegel der Kirche auf dem Georgenberg bei Goslar (um
beziehungsweise Bogengestaltungen finden 1230). Vgl. Volbach 1917, 38; Braunfels-Esche 1976, 87.
sich entweder gemalt oder aus alternierendem 55 Braunfels-Esche 1976, 22.
Steinmaterial gesetzt unter anderem an der 56 Volbach 1917, 39.
Klosterkirche von Müstair in der Schweiz (um 800), 57 Distelberger 1971, 14. – Lanc 1983, 193.
im Aachener Münster (um 800), im Essener Münster 58 Lanc 2002, 466–482.
(1039–1058), in St. Pantaleon in Köln (984–1000), in St. 59 Stampfer und Steppan 2008, 231.
Michael in Hildesheim (1010–1033), in St. Madeleine 60 Erst im Lauf des 14. Jahrhunderts setzt sich –
in Vézelay (um 1120 bis um 1150), in der Abteikirche inspiriert von den Schilderungen in der Legenda
in St. Albans (1077 bis um 1090) und an zahlreichen aurea – die Darstellungsweise des Christus als
weiteren Bauten. Datierungen aus: Fillitz 1969. Kind durch. Vgl. Lanc 1983, XXXV–XXXVI.
32 Siehe das Kapitel Heiligenverehrung und 61 Beispiele: hl. Christophorus im Gurker Dom
Schifffahrt – historische Anmerkungen. (Mitte 13. Jahrhundert); hl. Christophorus
33 Siehe das Kapitel Die archäologischen im Dom von Trient (um 1250).
Untersuchungen im Jahr 2016. 62 Beispiele: Gurk, Dom, Nordwand des nördlichen
34 Vom Burgus Blashausgraben (KG Seitenschiffs (Mitte 13. Jahrhundert); Trient,
Aggsbach) bis zum Kastell Mautern. Dom, Südquerhaus, Südwand (um 1250); Irschen,
35 Vgl. Fries 2015a, 288. Pfarrkirche (zweite Hälfte 13. Jahrhundert); St.
36 Ober-, Hof-, Bach- und Mitterarnsdorf sind Helena am Wieserberg, südliche Chorschulter
wahrscheinlich nach dem Salzburger Bischof (Fassade), im später angebauten Turm erhalten
Arn(o) benannt (785–821); vgl. Schuster 1989, 191. (erste Hälfte 13. Jahrhundert). Datierungen aus: Lanc
37 Fries 2015a, 288. 2002; Stampfer und Steppan 2008; Steppan 2009.
38 Aichinger-Rosenberger und Woldron 63 Landi u. a. 2011, 48.
2005. – Ployer 2018, 80–81. 64 Distelberger 1971, 18.
39 Da es sich bei dem Gebäude um ein privates 65 Distelberger 1971, 19.
Wohnhaus handelt, das noch keiner bauhistorischen 66 Distelberger 1971, 21: »Die einzelnen Motive
Untersuchung unterzogen worden ist, bleibt es hier unserer Kreuzigung sind vorwiegend
vorläufig bei einer Vermutung. Die Abmessungen byzantinischer [Engelbüste am Kreuzquerbalken,
des Gebäudes sowie die überdurchschnittlichen in der Mitte geknotetes Lendentuch]
Mauerstärken weisen jedoch eindeutig darauf hin. beziehungsweise italo-byzantinischer Herkunft,
40 Aichinger-Rosenberger und Woldron doch kann kein eigentliches Vorbild für die
2005. – Fries 2015a, 288. Gesamtkonzeption namhaft gemacht werden«.
41 Die genaue Höhe der Aufzonung aus dem 14. 67 Distelberger 1971, 21.
Jahrhundert ist sowohl an den Wandmalereien 68 Sauerländer 1985, 178.
im Inneren der Kirche als auch am Rücksprung 69 Lanc 1998, 447.
der oberen Bereiche der Westfassade abzulesen. 70 Stampfer und Steppan 2008, 447.
42 Es handelt sich um eine Schenkungsurkunde an 71 Die genaue Lage des Hochgrabes, das 1862
das Stift St. Peter, die unter anderem Weingärten, abgebrochen wurde, lässt sich durch die
(Obst-)Gärten und Äcker bei St. Johann anführt. Beschreibung Michael Stubenvolls aus
Vgl. Archiv Erzabtei St. Peter, Urk. 75. dem Jahr 1637 sowie die Ergebnisse der
43 Distelberger 1971, 24. – Lanc 1983, 192. – Zajic 2008, 6. Georadaruntersuchung im Jahr 2016 feststellen.
44 Vgl. zur hochmittelalterlichen Mauertechnik: Im Boden der Kirche zeichnete sich die Stelle des
Kühtreiber 2006a; Fries 2015c. ehemaligen Hochgrabes durch eine Verfärbung
45 Die erhaltene Monumentalmalerei in der Kehlheimerplatten in diesem Bereich ab.
Niederösterreich umfasst zwei Objekte des 12. und 72 Da primäre Lüftungsschlitze für den Dachraum
13 Objekte des 13. Jahrhunderts; von Letzteren sind des Chores heute unter der Dachhaut des
allerdings viele bereits in der zweiten Hälfte des Langhauses liegen, war wohl nicht von
Jahrhunderts entstanden. Vgl. Lanc 1983, XXI. vornherein ein steileres Dach geplant.
46 Distelberger 1971, 12. – Lanc 1983, 194. 73 Keiblinger 1868, XCIII. – Tietze 1907, 74. –
47 Distelberger 1971, 21 erkennt Teile einer Architektur, Riesenhuber 1923, 123. – Dehio 1973, 233. – Eppel
Pflanzen, ein Schwert, das von einer Hand gehalten 1975, 180. – GB 1977, 566. – Zotti 1983, 127.
wird, sowie ein Fragment eines Flügels und deutet 74 Planaufnahme von Adalbert Klaar aus
die Szene als Vertreibung aus dem Paradies. dem Jahr 1963: »hochgotisch«. – Dehio
48 Lanc 1983, 194. 2003, 1926: »Ende 14. Jahrhundert«.
49 Distelberger 1971, 12. 75 Die einzige Probe, die aufgrund schlechter
50 Distelberger 1971, 12: »Zum Teil bis zur Zugänglichkeit beziehungsweise geringer Eignung
obersten Schicht erhalten.« Daher wurden der verwendeten Balken genommen werden
keine Ergänzungen vorgenommen. konnte, ergab bedauerlicherweise kein Datum.
51 Stampfer und Steppan 2008, 7. 76 Aichinger-Rosenberger 2015, 324.
52 Distelberger 1971, 13. – Lanc 1983, 191. 77 Siehe dazu das Kapitel Die Inschriften der Kirche.
53 Adalbert Klaar verzeichnet in seinem Plan 78 Zajic 2008, 22, Katnr. 18†.
von 1963 an dieser Stelle eine »got[ische] Tür«. 79 Nationalbibliothek, Codex 1198.
Bei dem Putzaufschluss an der Westfassade 80 Distelberger 1971, 25.
konnte die nördliche Laibungskante einer 81 Lanc 1983, 194.
ehemaligen Öffnung sondiert werden. 82 Siehe dazu das Kapitel Die Inschriften der Kirche.
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83 Distelberger 1971, 25. – Lanc 1983, 195. 98 Diözesanarchiv St. Pölten, Pfarrarchiv Arnsdorf,
84 Distelberger 1971, 25. Kirchenrechnungen St. Johann, 1578–1955.
85 Lanc 1983, 196. 99 Diözesanarchiv St. Pölten, Pfarrarchiv Arnsdorf,
86 Lanc 1983, 300. Kirchenrechnungen St. Johann, 1578–1955.
87 Seebach 1982, 154. 100 Diözesanarchiv St. Pölten, Pfarrarchiv Arnsdorf,
88 Lanc 1983, 51. Kirchenrechnungen St. Johann, 1578–1955.
89 Fries 2015b, 490. 101 Dehio 2003, 1927.
90 Für vier der beprobten Hölzer des 102 Keiblinger 1868, XCIII.
Chordachstuhls konnte dendrochronologisch 103 StiB Göttweig, Cod. rot 895 (Dückelmann), fol. 73r–74r.
das Fälldatum 1398 ermittelt werden. 104 Heller 1875, 207.
91 Für drei der beprobten Hölzer des Chordachstuhls 105 Tietze 1907, 76.
konnte dendrochronologisch das Fälldatum 106 Die Freilegung der Malereien sowie deren
1415 ermittelt werden. Drei weitere Proben Restaurierung (hauptsächlich Kittung
sind ebenfalls in das Jahr 1415 zu datieren, der Aufspitzungen) erfolgten durch den
weisen allerdings keine Waldkante auf. Restaurator und akademischen Maler Hubert
92 Distelberger 1971, 11. Pfaffenbichler. Vgl. Distelberger 1971, 12.
93 Lanc 1983, 196. 107 Distelberger 1971, 12.
94 Siehe dazu das Kapitel Die Inschriften der Kirche. 108 Die Lagerung zweier dieser Ölgemälde in
95 StiB Göttweig, Cod. rot 895 (Dückelmann), fol. 73r–74v. zusammengelegtem Zustand im Aufgang
96 Diözesanarchiv St. Pölten, Pfarrarchiv Arnsdorf, zur Kanzel ist aus konservatorischen
Kirchenrechnungen St. Johann, 1578–1955. Gründen jedenfalls bedenklich.
97 Diözesanarchiv St. Pölten, Pfarrarchiv Arnsdorf,
Kirchenrechnungen St. Johann, 1578–1955.
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71
MICHAEL FRÖSCHL
69
St. Johann i. Mauerthale.
Lithographie von
Jakob Alt (1826). Die
Lithographie zeigt die
Westfassade der Kirche
vom anderen Donauufer
aus (nach Kunike 1826).
Gärten und Äcker bei St. Johann. Laut einem wurden 200 Gulden des St. Johanner Kir-
Zehentverzeichnis von ca. 1250 erhielt das chenvermögens benutzt.18
Stift den Zehent von 57 Joch Weinbergen
und von sechs Äckern, die in Weingärten Die Salzburger Herrschaft in Arnsdorf – und
umgewandelt worden waren. 27 Personen damit auch St. Johann – endete 1803 mit
leisteten eine Abgabe für ihre Höfe und der Säkularisierung des Erzbistums. In der
Weingärten. Von 1272 bis 1366 verstärkte Folge wechselten die Besitzer rasch.19
sich die klösterliche Eigenbewirtschaftung
der Arnsdorfer Weingärten.15
Heiligenverehrung
Für die Zeit zwischen dem 14. und dem in St. Johann im Mauerthale
15. Jahrhundert sind noch einige private
Rechtsgeschäfte urkundlich überliefert.16 1875 legte Ambros Heller erstmals eine
Ab 1579 setzt die Überlieferung in den Hof- gedruckte Sammlung der Mehrzahl der
kammerprotokollen der erzbischöflichen St. Johann betreffenden Sagen vor; später
Kanzlei ein. In diesen ist auch der Schrift- folgten einige Ergänzungen durch andere
verkehr, den die Kanzlei mit den lokalen Forscher.20 In diesen Sagen spielt der hl.
Verwaltern des Salzburger Besitzes geführt Albinus oft eine tragende Rolle. Die Frage,
hat, enthalten. Beispielsweise kaufte das welche historische Persönlichkeit hinter
Erzbistum Salzburg 1622 für den Verwal- diesem Heiligen steckt, ist nicht leicht zu
tungsbezirk Arnsdorf das Landgericht.17 beantworten. Fest steht jedenfalls, dass
Am 10. Oktober 1690 hatte ein Sturm den keiner der drei kanonisierten Heiligen die-
Arnsdorfer Pfarrhof abgedeckt und dadurch ses Namens21 oder ein namensähnlicher
unbewohnbar gemacht. Zur Reparatur Heiliger22 mit dem St. Johanner Albinus
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70
St. Johann i. Mauerthale.
Farbradierung von
Walter Prinzl (ca. 1930).
Die Ansicht zeigt die
Kirche von Nordwesten;
rechts im Vordergrund
der Brunnen mit
Zwiebeldach.
völlig übereinstimmt. Auch ein Blick auf Ein Bericht über Zeugenbefragungen aus
den Kultgegenstand ist wenig hilfreich, dem Jahr 1637 gibt Auskunft über die Legen-
da die verehrte Statue den hl. Albinus als den von St. Johann.25 Der Hofmeister von
Pilger darstellt, was auf keinen der ande- Arnsdorf, Michael Stubenvoll, befragte in
ren zutrifft, auch nicht auf den oft mit ihm Anwesenheit des Arnsdorfer Pfarrers Georg
identifizierten Erzbischof Adalwin.23 Landvogt und des Richters Hans Wintsch
vier ältere Einwohner zu den Wundern des
Hinweise auf die lokale Verehrung finden hl. Adalwinus, weil es hier früher eine große
sich ab dem 14. Jahrhundert. Schon vor 1332 Wallfahrt gegeben habe. Eine detaillierte
dürften ein Bildfenster mit einer Gebetsan- Schilderung dieser Befragungen muss hier
rufung Adalwins und eine zugehörige Ge- unterbleiben, doch lässt sich erkennen,
denkinschrift gestiftet worden sein, was auf dass die Legenden um St. Johann und die
eine lokale Verehrung hinweist.24 Statue des hl. Albinus mindestens auf die
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71
St. Johann i. Mauerthale.
Mitte des 16. Jahrhunderts zurückgehen
Ansichtskarte mit
Kirche von Westen und die Verehrung schon wesentlich früher
(erste Hälfte stattgefunden hat.
20. Jahrhundert).
73
St. Johann i. Mauerthale.
Ansichtskarte mit
Kirche von Nordosten
(erste Hälfte
20. Jahrhundert).
Im Chorscheitel ist
ein vermauertes,
spitzbogiges Fenster
zu erkennen.
74
St. Johann i. Mauerthale.
Ansichtskarte mit
Kirche von Süden (erste
Hälfte 20. Jahrhundert).
konnte.34 Zwischen Wien und Passau war Mit den Schiffsführern kamen auch gewis-
dies neunmal der Fall.35 Ab Altenwörth se Sitten nach St. Johann. So war es etwa
bewegte sich ein derartiger Gegenzug auf üblich, dass Hufeisen der Schiffspferde an
dem linken Donauufer und blieb auf die- hölzernen Teilen der Kirche angebracht
sem bis Dürnstein. Dort wechselte man auf wurden.38 Derartige Opfergaben dürfte es
die rechte Seite nach Rossatz und reiste an Verkehrswegen öfter gegeben haben.39
dann unter anderem an St. Johann im Mau- Die Pferde wurden in St. Johann neu be-
erthale vorbei, bis man bei Aggsbach-Dorf schlagen; die Hufeisen sammelte man im
wieder die Donau überquerte.36 Die Eta- Dachraum der Kirche.40
blierung der Dampfschifffahrt ließ diese
Gegenschifffahrt mit dem ausgehenden Zwei Fresken im Innenbereich der
19. Jahrhundert letztlich ihr Ende finden.37 Kirche 41 sowie an deren donauseitiger
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Außenwand42, die den hl. Christophorus nichts Schlimmes geschehen könne.43 Ein
zeigen, stehen gleichfalls in Verbindung weiterer wichtiger Heiliger für die Schiff-
mit der Schifffahrt. Derartige Darstel- fahrt war aufgrund seiner Rolle als Retter
lungen entlang des Flusses sind nicht aus der Seenot der hl. Nikolaus. Dieser
selten; Hintergrund war der Glaube, dass Heilige ist in der Kirche St. Johann durch
den Schiffsleuten an einem Tag, an dem eine Statue sowie eine in Resten erhaltene
sie ein Abbild des Christophorus sahen, Wandmalerei vertreten.44
1 Huber 1875, 287–321. – Winter 1980, 17. – Brunner einen Grund in der Tätigkeit Adalwins als
1994, 392. – Weber 1999, 88–90. – Scheibelreiter Missionar haben; vgl. Arnsdorf 1990, 38.
2010, 37–38. – Zum Weinbau der Klöster im 24 Zajic 2008, 22–23; Katnr. 18†, 19†.
Donauraum siehe: Weber 1999, 250–305. 25 Überliefert durch eine Abschrift aus den Jahren
2 Brunner 1994, 390–391. 1776/1777 (siehe StiB Göttweig, Cod. rot 895, fol. 73–77);
3 Im lateinischen Original: vgl. Heller 1875, 209–211. – Abschrift des Berichtes bei
»Id est locum qui nuncupatur Uuahouua.« Heller 1875, 293–297; Abschriften der Beschreibung der
– Siehe MGH DD LD Nr. 2, 2–3. Statue auch bei Gugitz 1955, 168 und Eppel 1975, 180.
4 Posch 1961, 243, 248–249. 26 Gugitz 1955, 170.
5 Dopsch 1981, 179–181. 27 Peez 1899, 128, Anm. 1.
6 Kalchhauser 1967b, 79. 28 Vgl. StiB Göttweig, Cod. rot 895, fol. 75.
7 Arnsdorf 1990, 38–39. – Zajic 2008, XLII. 29 Schmidl 1835, 413. – Dem widersprechend
8 MGH DD Arn Nr. 184, 281–282. Schweickhardt 1835, 215, demzufolge es sich 1835
9 Weber 1999, 90 sieht als Terminus nicht mehr um einen Wallfahrtsort gehandelt
ante quem das Jahr 982. habe; dies sei jedoch früher der Fall gewesen.
10 HHStA AUR 0977 X 01. 30 Chaloupek u. a. 2003, 91. – Daneben gab es auch
11 Becker 1885, 78–79. eher kuriose Transportgüter, die sicherlich nicht in
12 Becker 1885, 79. großen Mengen verfrachtet wurden. 1681 schreibt der
13 Wolfram 1995, 175. Arnsdorfer Pfleger an die Salzburger Hofkammer, dass
14 Archiv Erzabtei St. Peter, Urk. 75. er wegen der hohen Kosten nicht die öffentliche Post
15 Weber 1999, 367. Die Handschriften, auf die Weber sich benützen, sondern stattdessen den Schiffsleuten die
bezieht, sind jene von 1250 (Archiv Erzabtei St. Peter, Briefe mitgeben möchte; vgl. Buchinger 1936, 12–13.
Hs.B 421), 1272 (Archiv Erzabtei St. Peter, Hs.B 2, f. 16r) 31 Becker 1885, 79.
und 1366 (Archiv Erzabtei St. Peter, Hs.B 413, f. 1v). 32 Kalchhauser 1967b, 81.
16 Vgl. HHStA AUR 1357 XI 23, AUR 1381 I 13, AUR 33 Vangerow 1985, 486.
1436 X 28, HHStA AUR 1488 X 13, AUR 1532 I 03, 34 Friedl 2017, 508.
Archiv Erzabtei St. Peter Urk. 1736 und 1776. 35 Chaloupek u. a. 2003, 93.
17 Buchinger 1936, 2. 36 Meißinger 1975, 34–36.
18 Buchinger 1936, 18. 37 Meißinger 1975, 41–42.
19 Becker 1885, 79. – Zotti 1983, 126. – Arnsdorf 1990, 51. 38 Meißinger 1975, 47.
20 Heller 1875, 207–209. – Nachgedruckt, aber zum 39 Steininger 1969, 12–13.
Teil auch durch neue Sagen ergänzt: Wichner 40 Alker 1952, 224.
1912, 64–67; Wichner 1916, 67–72; Kießling 1924, 65– 41 Distelberger 1971, 15–18. – Lanc 1983,
66; Kießling 1926, 95–98; Plöckinger 1926, 45–49; 191. – Lanc 1998, 446–447.
Kießling 1927, 72–73; Kießling 1928, 44–45, 72. 42 Lanc 1983, 191. – Zajic 2008, Katnr. 140†, 154.
21 Keiblinger 1868, 93. – Trubel 2015, 42. 43 Aichinger-Rosenberger 2006, 74.
22 Büttner 1949. 44 Lanc 1983, 194–196. – Arnsdorf 1990,
23 Zajic 2008, XLII. – Die Pilgerdarstellung soll 39–40. – Friedl 2017, 509.
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sowie zu dessen Füßen eine kniende männ- in der Aufzeichnung Dückelmanns nur
liche Stifterfigur und ein von deren Mund »Preid« in Großbuchstaben, die beiden
ausgehendes Spruchband mit der Inschrift anderen Inschriften hingegen in normaler
»Ora pro me Leutold«, andererseits der nie Textschrift wiedergegeben sind, dürften alle
kanonisierte Lokalheilige Adalwin14 in Pil- drei Inschriften des Glasfensters zeittypisch
gerkleidung mit Tasche und Pilgerstab in in der Schriftart der Gotischen Majuskel
der Hand samt der darüber befindlichen ausgeführt gewesen sein. Auch die Kon-
Beischrift »S(an)ct(us) Adelwinus« sowie zu traktionskürzung »Sct« ist ahistorisch und
dessen Füßen wiederum eine weibliche dürfte weniger dem Original entsprechen
Stifterfigur knielings mit der Beischrift als vielmehr frühneuzeitlichen Gepflogen-
»PREID« abgebildet.15 heiten geschuldet sein. Wahrscheinlich
waren sämtliche Heilige des Bildfensters
Da ein Heiliger namens Leutold nicht exis- mit Tituli versehen, die von Michael Stu-
tiert, dürfte sich die Gebetsanrufung nicht benvoll zwar zur Identifizierung herange-
auf diesen – im Bildfenster im Gegensatz zogen, aber in seinem Bericht nicht explizit
zur kopialen Überlieferung wohl räumlich als Inschriften ausgewiesen wurden.16 Unter 76
St. Johann i. Mauerthale.
klar abgetrennten – Namen, sondern auf der Annahme, dass die beiden Stiftungen
Wandmalerei an
den hl. Matthias bezogen haben. Dement- des Ehepaars Eyczner entweder gleichzeitig Langhauswestwand
sprechend handelt es sich sowohl bei »Leu- oder in geringem chronologischem Abstand und Triumphbogen.
told« als auch bei »Preid« um selbstständige erfolgt sind, können die zwei Inschriften Detail der Darstellung
von Christus und den
Namensbeischriften, die auf die beiden am Triumphbogen und im Bildfenster
zwölf Aposteln mit
Stifter Leutold Eyczner von Oberndorf und in den Zeitraum zwischen 1321 und 1332 Tituli (zweites Viertel
dessen Gattin Preid verweisen. Obwohl gestellt werden. 14. Jahrhundert).
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77
St. Johann i. Mauerthale.
Wandmalerei an der
Chorwestwand. Detail
der Darstellung des
Marientodes mit
Namensbeischriften
(zweites Viertel 14.
Jahrhundert).
Darüber hinaus haben sich noch weitere Bildfeld die in ihren Farbschichten und
Inschriften bei zwei aus kunsthistorischer Binnenzeichnungen schon stark reduzier-
Sicht in das zweite Viertel des 14. Jahrhun- te Darstellung des Marientods angebracht.
derts zu datierenden Wandmalereien im Diese setzt sich aus dem zentralen Bett
Kircheninneren erhalten, die 1970 freigelegt Mariens, dem die Seele der Gottesmutter
und restauriert worden sind. empfangenden Christus unmittelbar da-
hinter, den zu beiden Seiten angeordneten
Im nördlichen Abschnitt der Langhaus- Aposteln und vier halbfigurigen bezie-
westwand sowie am Triumphbogen findet hungsweise aus Wolkenbändern herab-
sich die Darstellung von Christus und den fliegenden Engeln zusammen. Über den
zwölf Aposteln. Der im Zentrum des ca. Köpfen der Apostel sind, von links nach
140 cm hohen und an der Langhauswand rechts, in roter Farbe mit 5 cm bis 6 cm
etwa 740 cm sowie am Triumphbogen ca. großen Buchstaben in Gotischer Majuskel
175 cm breiten Bildfeldes abgebildete Chris- nachstehende Namensbeischriften aufge-
tus wird darin von je sechs untereinander malt, die teils den Konturen der Nimben
gestikulierenden Aposteln samt Attributen folgen, teils zeilenförmig gestaltet sind:
und Spruchbändern flankiert. Durch späte- »MAT[HEVS]«, »· TOM/AS [·]«,»· JAC/OBV/S«,
re Fenstereinbauten wurden nicht nur die »· PAV/LUS ·«, »PET[R]VS«, »JOHANNES«,
Malereien, sondern auch die Tituli teilweise »SV/MO/N«, »· JACOBVS ·«, »· T//AT/EV/S«,
zerstört, sodass nur vier schwarz aufgemal- »· P//ART(HOLOMEVS)« und »· PH/ILJP/PVS«.18
te, stark verblasste und beschädigte Tituli
in Form von etwa 5 cm bis 6 cm großen Ferner waren außen an der westlichen, der
Buchstaben in Gotischer Majuskel über- Donau zugewandten Langhausseite des
dauert haben: »MATH(E)[VS]«, »ANDREAS«, Sakralbaus ehemals Inschriften vorhanden,
»[P]AVLUS« und »· SYMON ·«.17 die im Zusammenhang mit einer aufgemal-
ten, an der Oberfläche stark beschädigten
An der Chorwestwand ist zudem in einem und zudem durch einen in der Barockzeit
ca. 165 cm hohen und 330 cm breiten vorgenommenen Fenstereinbruch stark
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78
St. Johann i. Mauerthale.
Detail der ehemals
vorhandenen Graffiti
an der westlichen
Langhausaußenwand
(um 1606) (nach
Kalchhauser 1967a).
81
St. Johann i. Mauerthale.
Grabplatte des
Johannes Ubel (1686).
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1 Zajic 2008, XLII. – Fries 2015a, 282–285. abgetragenen Adalwin-Grabmals finden sich in StiB
2 Zajic 2008, XI–XII. Göttweig, Cod. rot 895 (Dückelmann), fol. 73r–74r.
3 Siehe das Kapitel St. Johann im Mauerthale – – Zu dem in St. Johann verehrten hl. Adalwin/
römischer Burgus und mittelalterliche Wallfahrtskirche. Albin vgl. Gugitz 1955, 168–171; Zajic 2008, XLII.
4 Zajic 2008, 5–6, Katnr. 2, Abb. 2. – Vgl. Lanc 15 StiB Göttweig, Cod. rot 895 (Dückelmann), fol. 76v.
1983, XXVIII (um 1240); 190–194, Abb. 329. 16 Zajic 2008, 22–23, Katnr. 18†.
5 Zum Göttweiger Kämmerer, Archivar und 17 Zajic 2008, 24–25, Katnr. 21; Abb. 16. – Vgl. Lanc 1983,
Bibliothekar Pater Hartmann Dückelmann 190–192, 194 (um 1330/1340); Abb. 332–334, Abb. 337.
und insbesondere zu seinen beiden großteils 18 Zajic 2008, 25–26, Katnr. 22; Abb. 18. – Vgl. Lanc 1983,
um 1776/1777 entstandenen dokumentarisch- 190–196 (zweites Viertel 14. Jahrhundert); Abb. 335.
antiquarischen Schriften, die in der Stiftsbibliothek 19 Zajic 2008, 154, Katnr. 140†. – Vgl. Lanc 1983,
Göttweig verwahrt sind: Zajic 2008, L–LI. 190–192, 196 (um 1500). – Siehe das Kapitel
6 StiB Göttweig, Cod. rot 895 (Dückelmann), fol. 75r–77r St. Johann im Mauerthale – römischer Burgus
(Kurzer Bericht oder Relacion etc. de Anno 1637). und mittelalterliche Wallfahrtskirche.
7 StiB Göttweig, Cod. rot 895 (Dückelmann), fol. 76v–77r. 20 Kalchhauser 1967a, 59 (mit Foto der Graffiti und
8 Zajic 2008, 22, Katnr. 18†. ungenauer Lesung »Hanns Ybbser von Arnstorf«).
9 Vgl. die Oberarnsdorf zugewiesenen 21 Geml 2009, 59–61.
Oberndorf-Nennungen in HONB 1, 69. 22 Gugitz 1955, 168.
10 Wilhelm 1916, 24–25, Nr. 26 (Arnsdorf, 1332 IV 5). 23 Bei der Umschrift am Rand sind lediglich die Worte
11 Zajic 2008, XLIX. »uxor Renouier« in Minuskelantiqua gehalten:
12 Zajic 2008, 22–23, Katnr. 18†, 19†. Zajic 2008, 398–399, Katnr. 401; Abb. 171.
13 Dückelmann hat die in seiner Vorlage verwendete 24 Zajic 2008, 399, Katnr. 402; Abb. 171.
Bezeichnung »Sct. Salomannus Rex« zwar 25 Die Jahreszahl von Wappenmedaillon
gewissenhaft notiert, aber zu unterbrochen; »Aprilis« in Minuskelantiqua;
»Sct. Colomannus Rex« uminterpretiert. StiB quadrangelförmige Trennzeichen.
Göttweig, Cod. rot 895 (Dückelmann), fol. 76v. 26 »Amen« in Minuskelantiqua;
14 Die Darstellung des Heiligen auf dem Glasfenster tildenartiges Trennzeichen.
soll laut dem Bericht von 1637 in ihren Farben 27 Vgl. Zajic 2008, 174, Katnr. 164: Mittelberg, Fußweg
und Attributen mit jener spätgotischen, ca. 105 nach Lengenfeld, Bildstock (»Binderkreuz«) mit
cm großen Schnitzfigur Adalwins (Pilgerstatue in Jahreszahl »1519« und reliefiertem Wappenschild
rotem Kleid und blauem Mantel mit schwarzem mit den Binderwerkzeugen Klopfholz, Klöpfel
Hut und Pilgerstab sowie schwarzen Stiefeln) und Reißzirkel; ebd., 224, Katnr. 222: Dürnstein
übereingestimmt haben, die ursprünglich in Nr. 12, Wandmalerei an der Gebäudeaußenseite
einer Sockelnische vor dessen Tumba stand und mit Bauzahl »1546« sowie Wappenschild
eine wichtige Rolle im Wallfahrtskult spielte. mit gekreuzten Binderwerkzeugen und
Eine zeichnerische Darstellung der heute hinter Reißzirkel; ebd., 290, Katnr. 295†: Rossatz Nr.
einem Eisengitter in einer Rundbogennische 14, eingeritzte Bauzahl »1578« über gekreuzten
unter der Orgelempore aufgestellten Statue Binderwerkzeugen im Dachboden des Gebäudes.
Adalwins sowie Pläne und Ansichten des 1862 28 Feigl 1998, 221.
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89
MARTIN OBENAUS
DIE ARCHÄOLOGISCHEN
UNTERSUCHUNGEN IM JAHR 2016
Die Filialkirche hl. Johannes der Täufer in deren Bereich die römischen Baureste
liegt heute auf einer durch spätere Ein- liegen, fließt der Mauertalbach vorbei, der
griffe stark veränderten und überprägten, aus dem Mauertal kommt, welches hier
leicht nach Westen abfallenden Hochter- ins Donautal einbindet. Diese Lage am
rasse1 in 211 m Seehöhe am orografisch Ausgang des Tales, das auch heute noch
rechten Ufer der Donau, die hier in Süd- eine Verbindung zu den Hochflächen des
Nord-Richtung vorbeifließt. Etwa 50 m Dunkelsteinerwaldes gewährleistet, bildet
nördlich der heutigen Kirchensüdfront, somit einen nahezu ›klassischen‹ Standort
82
St. Johann i. Mauerthale.
Spätantike Baubefunde !� �
und topografische !� ���
�
Lage der Filialkirche St. !� � !�
Johann im Mauerthale. !� �!�
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für ein kleineres römisches Militärbau- Ende im Bereich von Bacharnsdorf liegt, wo
werk entlang des norischen Limes, wie ebenfalls ein spätantiker Burgus seit dem
auch weitere Vergleichsbeispiele in der 19. Jahrhundert vermutet und 1970 durch
Region deutlich machen. archäologische Untersuchungen an der
Eimündung des verkehrsgünstigen Kupfer-
tales bestätigt werden konnte.4 Die Donau
Topografische fließt hier vorerst in Süd-Nord-Richtung
und historische Grundlagen und biegt schließlich bei Oberarnsdorf nach
Nordosten ab. Nördlich und südlich dieser
Unmittelbar östlich des einstigen Kirchho- Schwemmfläche fallen die Höhen des Dun-
fes führte die ehemalige Donauuferstraße kelsteinerwaldes auf längere Strecken wie-
entlang, die in der zweiten Hälfte des 20. der steil zur Donau hin ab und lassen somit
Jahrhunderts partiell weiter nach Westen kaum Platz für eine intensivere Nutzung
verlegt, begradigt und zur Aggsteiner Bun- beziehungsweise weitere Befestigungswer-
desstraße B 33 verbreitert wurde. Dieser ke im Rahmen des norischen Limes.
Aktion fiel auch die östliche Kirchhofmau-
er zum Opfer, die später in gerader Linie Eine zweite, topografisch sehr ähnliche Si-
entlang der Straße wiederaufgebaut wurde. tuation ergibt sich etwa 3,2 km nordöstlich
Auch ein südlich an den Kirchhof anschlie- von St. Johann, am westlichen und östli-
ßendes Haus mit einem Wirtschaftsgebäu- chen Ausgang der breiten Sedimentations-
de musste dem Straßenbau weichen, wobei fläche im Bereich der Gleithangsituation
man wahrscheinlich auch ältere Bauteile zwischen St. Lorenz und der Gegend um
beseitigte und das Gelände zu einer Ein- Rossatzbach. Auch hier sind der Beginn und
fahrt abtiefte. das Ende der Gunstlage mit jeweils einem
nachgewiesenen Militärbau versehen. Es
Aus geologischer Sicht stehen im nähe- handelt sich dabei im Westen um den
ren Umfeld der Filialkirche St. Johann Burgus im Bereich der Pfarrkirche von St.
im Mauerthale Paragneise und Amphi- Lorenz5 und im Osten um den Burgus im
bolite des Moldanubikums an2, die vor Bereich der Einmündung des verkehrsgüns-
allem an den mitunter später veränderten tigen Windstallgrabens6.
Steilabbrüchen des Dunkelsteinerwaldes
zutage treten (Steinbrüche und Straßener- Weiter donauaufwärts folgen diesen Mili-
weiterung). Mit diesen Baumaterialien sind täranlagen, von St. Johann im Mauerthale
auch die Kirche sowie der spätantike Mili- aus gesehen, die bekannten Burgi im Blas-
tärbau größtenteils errichtet worden. hausgraben7 und in Melk-Spielberg8 sowie
das Kastell Arelape/Pöchlarn9. Unmittelbar
Bezüglich der Kirche fallen vor allem deren donauabwärts des Burgus Windstallgraben
Nordausrichtung, der Achsknick zwischen liegt das Kastell Favianis/Mautern.10 Es
der Ostmauer des Langhauses und dem ergibt sich somit das Bild einer – mögli-
spätmittelalterlichen Kirchturm, die deut- cherweise auch noch nicht vollständig be-
liche Verschwenkung in der Südmauer des kannten – Kette an Kleinbefestigungen im
Baues und die abgeschrägten Abtreppungen Streckenabschnitt zwischen den zwei zuvor
in der Südmauer auf; vor der jüngst durch- genannten Kastellen, die beide bereits in
geführten Bauuntersuchung konnten diese die frühe Kaiserzeit zurückreichen und bis
Phänomene nicht schlüssig erklärt werden.3 in die Spätantike/Völkerwanderungszeit
besetzt waren.
Insgesamt bildet die Gegend von St. Johann
im Mauerthale das südliche Ende der teil- Aus der Gruppe der Burgi des besagten
weise breiten Sedimentationsflächen am Limesabschnitts zwischen Pöchlarn und
Gleithang des Stromes, deren nördliches Mautern sticht vor allem jener an der
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Einmündung des Windstallgrabens heraus, soll hier auch eine Einbeziehung der klei-
da in der Südostecke dieses spätantiken nen Wasserläufe ins Befestigungskonzept
Bauwerkes ein Wachturm des 2./3. Jahr- zur Diskussion gestellt werden. Man hätte
hunderts als Vorgängerbau nachgewiesen somit – eine nutzbare Wegmöglichkeit ent-
werden konnte.11 Alle übrigen bekannten lang der Schmalstellen der Donau voraus-
Anlagen dieses Bereiches werden beim der- gesetzt – erst den Burgus passieren müssen
zeitigen Kenntnisstand ausschließlich als und wäre danach mit den eingeschnittenen
spätantik angesehen und dem valentinia- Bachläufen vor einem weiteren Hindernis
nischen Limesausbau in der zweiten Hälfte in Richtung der erweiterten Sedimentati-
des 4. Jahrhunderts n. Chr. zugewiesen. onsflächen gestanden, das im Notfall auch
befestigt hätte werden können. Fraglich ist
Bei den im Bereich der zuvor genannten allerdings die Situation der Burgi im Rah-
Sedimentationsflächen gelegenen Be- men der Verbindungen vom Dunkelsteiner-
festigungswerken fällt auch auf, dass sie wald herab, da eine gesicherte Wegführung
immer an den donauaufwärts beziehungs- in römischer Zeit derzeit kaum bekannt ist.
weise -abwärts liegenden Ausgängen der
verbreiterten Gunstflächen entlang der Mit einer Nutzung der Limesorte und
Abfälle des Dunkelsteinerwaldes situiert Militärbauten nach der letzten großen
sind. Hier münden auch in allen Fällen – Neubefestigungskampagne unter Valenti-
mit Ausnahme des Burgus von St. Lorenz nian I. (364–375) wird, unter anderem auch
– verkehrsgünstige Einschnitte ins Donau- historisch begründet, zumindest noch bis
tal ein, die dieses mit der Hochfläche des ins 5. Jahrhundert (488 n. Chr.) gerechnet.
Dunkelsteinerwaldes und in weiterer Folge Im Burgus Windstallgraben konnte durch
mit der hier im Hinterland verlaufenden Li- die archäologischen Untersuchungen der
messtraße verbinden. Hier ist wiederum zu 1970er- und 1990er-Jahre Fundmaterial des
bemerken, dass die betreffenden Burgi (St. 5. Jahrhunderts belegt werden.12 Ob die
Johann/Mauertal, Bacharnsdorf/Kupfertal Kleinbefestigungen auch noch über die
und Windstallgraben), von den Schmalstel- Wende zum 6. Jahrhundert hinaus genutzt
len im Donautal aus gesehen, immer noch worden sind, wie dies unter anderem für
vor der Abzweigung der Täler liegen und das nächste Kastell Favianis/Mautern13 zur
diese somit scheinbar noch im Vorfeld der Diskussion gestellt wurde, ist zurzeit nicht
breiteren Sedimentationsflächen schützen. eindeutig belegbar, für St. Johann im Mau-
Zuletzt ist festzuhalten, dass bei den drei erthale aber ebenfalls denkbar.
zuletzt genannten Anlagen jene Bachläufe,
die aus den besagten Tälern austreten und Nach der ausgehenden Spätantike und der
in die Donau entwässern, von der ange- beginnenden Völkerwanderungszeit wird
nommenen Zugangsseite an den Schmal- die historische Quellenlage für den Arbeits-
stellen des südlichen Flussufers (zumindest raum erst wieder im Frühmittelalter dichter.
teilweise nutzbarer Donaubegleitweg) aus Das Hinterland des Dunkelsteinerwaldes
betrachtet gleichsam hinter dem Burgus wird erstmals in der Gründungsurkunde des
vorbeifließen. Klosters Kremsmünster von 777 als »[…] ad
Crvnzwitim […]« (im Grunzwitigau) gelegen
Da bisher bei keinem der vier Burgi zu- und zusammen mit einem zinspflichtigen
sätzliche Befestigungswerke, etwa in Form Slawen genannt.14 828 wird von Ludwig dem
von Gräben oder Palisaden, nachgewiesen Frommen und Lothar I. ein Gebiet »[…] in
werden konnten (was aber möglicherwei- pago Grvnzwiti iuxta montem Svmerberch
se auch auf die starke rezente Bebauung […]« an Kremsmünster gegeben. Hier wird
und Überformung des Geländes sowie die zwischen zinspflichtigen und freien Slawen
daraus resultierenden fehlenden Untersu- unterschieden; die Eigengüter Letzterer
chungsmöglichkeiten zurückzuführen ist), sind von der Schenkung ausgenommen.15
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Die in der Folge zunehmend wichtiger wieder ein Hof erwähnt (wohl im Bereich
werdende Salzburger Besitzgeschichte des Hofarnsdorf).23
Gebietes um die »Arnsdörfer« vom Früh-
mittelalter bis in die Neuzeit wird in dem Aufgrund der archäologischen Befundlage
Beitrag von Michael Fröschl ausführlich im Bereich der Filialkirche von St. Johann
abgehandelt.16 im Mauerthale ist eine Nachnutzung der
heute in den Kirchenbau integrierten
Dem Frühmittelalter entstammen noch spätantiken Strukturen wohl bereits ab
zwei weitere Quellen, die den Grunzwiti- diesem Zeitraum anzunehmen. Zumindest
gau erwähnen. Die ältere von 885/887 be- das Untergeschoß des ehemaligen Burgus
trifft eine Schenkungsbestätigung Kaiser erbrachte knapp über den spätantiken Stra-
Karls III. an seinen Getreuen Witigowo ten geringe Keramikfunde, die grob in den
über die Curtis Grunzwita ([…] hoc est cur- Zeitraum vom 11. bis zum 12. Jahrhundert
tem quae vocatur Grunzwita cum mansis zu datieren sind. Es ist wohl anzunehmen,
XV […]«).17 In der nur geringfügig jüngeren dass der Militärbau im frühen Hochmit-
und sicher auch bekannteren Quelle, dem telalter noch so weit erhalten war, dass er
sogenannten »Heimo Diplom« aus dem Jahr einer neuen Nutzung zugeführt werden
888, überträgt Arnulf von Kärnten seinem konnte; diese Funktion dürfte er spätes-
»[…] ministerialis nomine Heimo […]« die tens im 14. Jahrhundert mit dem Neubau
Gerichtsbarkeit auf dessen Eigengut im des heute bestehenden Kirchturmes ver-
Grunzwitigau (»[…] in pago Grunzuuiti […]«), loren haben. In diesem Zusammenhang
regelt weitere Gerichtskompetenzen und ist auch der Zeitpunkt des Anbaues der ro-
erlegt ihm auf, eine Fluchtburg zu bauen.18 manischen Kirche nördlich des Burgus we-
Heimo wird meist als Sohn des Witigowo sentlich. Aufgrund der bauhistorischen und
angesehen. Weiters wird eine baldige Be- geophysikalischen Untersuchungsergeb-
sitznachfolge der Salzburger Erzbischöfe nisse wird mit einem wesentlich kürzeren
in diesem Raum angenommen, da die bei- romanischen Sakralbau gerechnet, dessen
den Diplome in ihrem Archiv aufbewahrt Langhaus im Spätmittelalter in Richtung
worden sind.19 Norden bis zum heutigen Triumphbogen
und dem daran anschließenden Chor er-
Archäologisch sind aus dem unmittelba- weitert worden ist.24
ren Arbeitsraum südlich der Donau keine
frühmittelalterlichen Funde bekannt; die- In weiterer Folge werden in der ersten Hälf-
se treten erst wieder im nächstgelegenen te des 12. Jahrhunderts Angaben zum Raum
ehemaligen Kastellort Favianis/Mautern um Arnsdorf mit direkter Ortsnennung
stromabwärts sowie im südlichen und häufiger. Es handelt sich in erster Linie um
östlichen Umland des Dunkelsteinerwal- Schenkungen und Tauschhandlungen un-
des bis in die Gegend von Melk deutlich ter der Regierung von Erzbischof Eberhard
hervor.20 Als nahe gelegene Funde sind I. von Salzburg, meist zugunsten seiner
ein Ulfberht-Schwert aus der Donau bei Stifte und Klöster Admont, Nonnberg und
Aggsbach21 sowie nördlich des Stromes St. Peter. Sie werden in den Zeitraum zwi-
Grabfunde aus Joching22 zu nennen. schen 1117 und 1148 datiert.25 Die Filialkirche
St. Johann im Mauerthale selbst findet erst-
Die nächste historische Quelle ist dann mals 1240 Erwähnung und gehörte damals
erst in die Jahre 1074 bis 1088 zu datie- zur Pfarre St. Rupert in Hofarnsdorf.26
ren. Erzbischof Gebhard von Salzburg
überträgt mit dieser Urkunde dem – als Spätestens ab 1332 ist in St. Johann auch
Salzburger Eigenkloster gegründeten – mit der volkstümlichen Verehrung des hl.
Stift Admont verschiedene Besitzungen Albin(us) beziehungsweise hl. Adelwinus zu
in Arnsdorf. Auch hier wird unter anderem rechnen.27 Dieser war ein wichtiger, wenn
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auch nicht der erste Vertreter Salzburgs bei als dortiger Bürger ausgewiesen wird:
der Missionierung der slawischen Gebiete28 »[…] civis ad S:Joannem in Maurthal [sic!]
sowohl im baierischen Ostland als auch & filiale Ecclesia ibidem sepultas, matre
in Pannonien, Karantanien und dem so- Elisabetha.«34
genannten Großmährischen Reich29. Mög-
licherweise gründet sich die Darstellung
des hl. Albinus/Adelwinus als Pilger auf die Die archäologischen
Reise Adalwins nach Rom, um die Ernen- Untersuchungen 2016
nung zum Erzbischof entgegenzunehmen.
Denkbar wären aber auch seine Reisen zu Den grundlegenden Ausschlag zu den
zahlreichen Kirchenweihen in Pannonien kleinflächig gehaltenen archäologischen
und im Rahmen der weiteren Missionstä- Untersuchungen südlich der Filialkirche
tigkeit Salzburgs, die dann jedoch durch St. Johann im Mauerthale gaben die bauhis-
die Aktivitäten der ›Slawenapostel‹ Cyrill torischen Untersuchungen, die von Oliver
und Method einen Einbruch erfuhr; Adal- Fries im Rahmen seiner Masterthesis an
win wurde sogar kurzfristig abgesetzt und der Donauuniversität Krems durchgeführt
sollte nach Rom beordert werden, was er wurden; die umfangreichen Ergebnisse
allerdings nicht mehr erlebte.30 sind Teil des vorliegenden Bandes.35
Zu den archäologisch nachgewiesenen mit- In weiterer Folge galt es, die ursprüngli-
telalterlichen und vor allem neuzeitlichen che Funktion und eine nähere Datierung
Bestattungen im heutigen Kirchhof konn- des großteils abgebrochenen ältesten Ge-
ten kaum historische Quellen aufgefunden bäudeteiles der Filialkirche abzuklären.
werden. Lediglich in dem zwischen 1694 Zur Beantwortung dieser Fragen wurden
und 1784 angelegten Sterbebuch der Pfarre seitens der Abteilung für Archäologie des
St. Rupert in Hofarnsdorf ist ausdrücklich Bundesdenkmalamtes eine archäologische
auch von Begräbnissen um die Filialkirche Untersuchung (Firma SILVA NORTICA)36 so-
St. Johann im Mauerthale die Rede. Meist wie eine geophysikalische Prospektion im
scheint die Beerdigung auch Einwohner Innenbereich der Kirche und im Kirchhof
des Ortes betroffen zu haben. Im Tauf-, (Firma ARDIG)37 in Auftrag gegeben.
Trauungs- und Sterbebuch von 1625 bis
1651 sowie im Sterbebuch von 1784 bis 1839 Die archäologische Grabung wurde vom
ist wohl eher der Sterbeort, nicht aber der 20. Juni bis 15. Juli 2016 durchgeführt.
Bestattungsort angegeben.31 Die Fragestellung betraf vor allem den
weiteren Verlauf der abgebrochenen Mau-
Jedenfalls lässt die Quellenlage zumindest erbereiche des als römischer Militärbau
für den Zeitraum zwischen 1695 und 1755 interpretierten, bis zu 7 m hoch erhaltenen
den Schluss auf einen regulären Kirchen- älteren Baukörpers in der Südmauer des
friedhof zu, der möglicherweise sogar bis bestehenden Kirchenbaues. Weiters be-
1776 belegt worden ist. So ist zum Beispiel stand die Hoffnung, durch Fundmaterial
für die erste nachgewiesene Bestattung der aus ungestörten Schichtzusammenhängen
Maria Hofferin (?) am 12. März 1695 ange- das mutmaßlich römische Mauerwerk auch
geben: »[…] sepulta est ad Sanctus Joannes archäologisch näher datieren zu können.
[…].«32 Bei Susanna Singerin, die am 18. April
1714 bestattet wurde, wird festgehalten: »[…] Unmittelbar südlich des bestehenden
Paupercula vidua a Sto Joanne […] sepulta Sakralbaues wurden zwei kleinflächige
etia ibidem in eodem cöemeterio St:i Joannis Untersuchungsschnitte angelegt. Schnitt
[…].«33 Zuletzt sei noch das Begräbnis des 1 (2 × 1,20 m) lag südlich des im Spätmit-
Kleinkindes Joannes Holzmayr am 29. Mai telalter eingestellten, zum Langhaus leicht
1738 erwähnt, dessen Vater Adam Holzmayr verschwenkten Kirchturmes und folgte
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83 dem Verlauf seiner östlichen Front. Hier Im Rahmen der Auswertung der Befund-
St. Johann i. Mauerthale. war im unverputzten Innenraum des Tur- lage konnten sechs archäologische Nut-
Vereinfachter
Übersichtsplan der
mes deutlich zu erkennen, dass sich die zungsphasen (ANP) unterschieden werden.
Befundlage in den älteren Mauerzüge nach Süden fortgesetzt
Schnitten 1 und 2 haben müssen. Vorbauzeitliche Befunde
südlich der Kirche. (Archäologische Nutzungsphase/ANP 1)
Schnitt 2 wurde etwa L-förmig um die Neben einer mächtigen, Holzkohleflitter
Südwestecke des Langhauses angelegt, enthaltenden Schicht (SE 108=111=124=125),
um die möglichen weiteren Verläufe der in die das Fundament des spätantiken Mi-
dort abgebrochenen älteren Südmauerbe- litärbaues (ANP 2) eingetieft worden war
reiche erfassen zu können. Ursprünglich und auf der auch ein Mörtelabstrichkeil
betrugen seine Maße (um die Ecke) 3,6 lag, ist dieser Phase lediglich ein kleiner
× 2,6 m in West-Ost-Richtung. Nach der Rest eines pyrotechnischen Befundes zu-
Aufdeckung eines Mauerbefundes, der in zuweisen (SE 118, IF 122, SE 120, SE 121, SE
die östliche Schnittgrenze lief (Mauer 2), 123, IF 126), der ebenfalls vom Nordfun-
wurde Schnitt 2 in Absprache mit dem dament des Gebäudes geschnitten wurde.
Bundesdenkmalamt rund 1 m nach Süden Der Restbefund wurde erst erkennbar,
und Osten erweitert. Seine Abmessungen nachdem die darüberliegenden, vorbur-
betrugen daher letztendlich 4,7 ×3,6 m. guszeitlichen Überlagerungen aus san-
In der Südwestecke wurde zudem ein etwa digem Lehm abgetragen worden waren.
1 × 1 m messender Erdsockel belassen, Die Feuerstelle stellte sich als halbrunde,
um eine Starkstromleitung nicht völlig muldenförmige verziegelte Grube mit
freizulegen. einer Auskleidung aus angebrannten
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St. Johann i. Mauerthale.
Vom Burgusfundament
geschnittener Befund
einer Feuerstelle mit
Steinumstellung.
Aus dieser Phase ist abgesehen von einzel- Der spätantike Militärbau (ANP 2)
nen, sehr kleinteiligen Keramikfragmenten Grundsätzlich haben die bauhistorischen
kein datierbares Fundmaterial vorhanden. Untersuchungen von Oliver Fries gezeigt,
Die handgefertigten und teilweise nachge- dass spätantikes Mauerwerk entlang der
glätteten Scherben entziehen sich völlig verschwenkten Südmauer des Langhau-
einer Zuordnung. Lediglich ein kleines ses sowie in der daran anschließenden
Stückchen weicher, oranger Drehschei- Ostmauer des spätmittelalterlichen Kirch-
benware könnte mit Vorbehalt in die spä- turmes integriert worden ist. Es handelte
te Eisenzeit oder in die mittlere Römische sich somit offensichtlich um die Nordost-
Kaiserzeit gestellt werden. Eine Datierung ecke des Militärbaues, die sich aufgrund
der Feuerstelle wäre somit nur über die der steinsichtig belassenen Bereiche im
Holzkohle (SE 118) möglich. Dachgeschoß des Langhauses sowie im
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Kirchturminneren als älterer Bauteil deut- Es wäre gut möglich, dass die Umrisse die-
lich abzeichnete.38 ses Grundstücks noch Geländemerkmale
oder erhaltene Reste zitierten, bevor die
Erst im Lauf des Spätmittelalters wurden Kirchhofmauer verlegt wurde. Das besagte
– wohl im Zuge des Einbaues eines Kirch- Haus wurde nach Angaben der Anrainer
turms in die Nordostecke des spätantiken in den 1960er-Jahren abgerissen. Heute
Baukörpers – die nicht mehr benötigten befindet sich an seiner Stelle (Gst. Nr. .56)
Teile des römischen Bauwerks abgetragen. die abgeböschte Einfahrt zu einem Wohn-
Die Fundamente blieben teilweise unter haus (Gst. Nr. 373). Mit weiteren erhaltenen
dem heutigen Bodenniveau und in der spätantiken Bau- oder Schichtbefunden
westlichen Kirchhofmauer erhalten. In ist hier aufgrund des Niveauunterschiedes
diesem Bereich (in Richtung Gst. Nr. 373) nicht mehr zu rechnen.
zeigte sich nach der Entfernung des Efeube-
wuchses an der Maueraußenseite deutlich Die ehemalige Außenschale des spätanti-
die Baufuge zwischen der Nordwestecke ken Baues besteht aus lagerhaftem Bruch-
des spätantiken Baues und der nördlich da- steinmauerwerk mit einer Pietra-rasa-artig
ran anschließenden Kirchhofmauer. Somit gestalteten Oberfläche und stellenweise
konnte zumindest die West-Ost-Seitenlänge eingeritztem Fugennetz; dieser Befund
des Gebäudes mit rund 12,4 m bestimmt zeigte sich auch bei den archäologischen
werden. Untersuchungen im ehemaligen Innen-
raum des Burgus (Schnitt 2). In der südli-
Aufgrund der weiteren Grabungsergebnisse chen Langhausmauer sind noch die Reste
kann angenommen werden, dass annä- zweier vermauerter Rundbogenfenster zu
hernd die Nordhälfte des Militärbaues – ei- erkennen. An der Außenfassade der Lang-
nen quadratischen Grundriss vorausgesetzt haussüdmauer – der ehemaligen Innenseite
– aufgehend beziehungsweise zumindest der nördlichen Burgusmauer – zeigen sich
im Fundamentbereich erhalten ist. Zu zwei horizontale Abtreppungen westlich
welchem Zeitpunkt die südliche Bauhälfte, des Kirchturmes, die anhand der Ergeb-
die außerhalb der heutigen südlichen Kirch- nisse der Bauforschung als ehemalige Ge-
hofmauer lag, komplett abgetragen worden schoßabtreppungen des Militärbaues zu
ist, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit werten sind. Im unteren Absatz lässt sich
beantworten. zudem noch eine tiefer reichende, heute
vermauerte Öffnung erkennen, bei der es
Eine von einer Anrainerin übergebene sich eventuell auch um einen Hocheinstieg
Fotografie aus den 1950er- bis 1960er- in den spätantiken Turm gehandelt haben
Jahren zeigt südlich der Kirchhofmauer könnte.40
ein Wohnhaus mit im Westen angesetz-
tem, steingemauertem Wirtschaftsteil. Die bei der archäologischen Grabung 2016
Berücksichtigt man die Perspektive der festgestellte bauliche Befundlage zeigte
Aufnahme, so könnte die Westmauer des sich im Anschluss an jene der bauhistori-
Wirtschaftsgebäudes noch die Ostmauer schen Untersuchung wie folgt: In Schnitt
des spätantiken Baukörpers integriert oder 1 (südlich des bestehenden Kirchturmes)
zumindest zitiert haben. Eine ähnliche Si- konnte die weiterlaufende Abbruchober-
tuation ist auch schon in der Aufnahme des kante der Ostmauer des spätantiken Mi-
Franziszeischen Katasters von 1821 evident. litärbaues (Mauer 1) bereits in einer Tiefe
Hier ist hinter dem Haus Conscr. Nr. 56 – von rund 0,5 m – wenngleich durch jüngere
im Bereich der vermuteten Südhälfte des Eingriffe gestört (siehe unten) – angetroffen
Burgus – ein kleines, nicht nummeriertes werden. Die spätantike Mauer 1 (IF 26, SE
Grundstück eingetragen, das offensichtlich 28) zeichnete sich durch gut gemörteltes
noch zu Gst. Nr. 375 (Kirchhof) gehört hat.39 Schalenmauerwerk aus. Die Innenschale
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St. Johann i. Mauerthale.
In Schnitt 1 freigelegter
Abschnitt der Ostmauer
des spätantiken Burgus
(Mauer 1; IF 26, SE 28)
am Ende der Grabung.
bestand aus lagerhaft versetzten Bruchstei- Nordwestecke des Burgus, wie dies anhand
nen, während die Außenschale aufgrund der der Ergebnisse der Bauforschung und der
geringen Schnittdimension nicht dokumen- Radarmessungen vermutet worden war41,
tiert werden konnte. Die Steindimensionen sondern lief vorerst noch in der Flucht der
der Mauerschalen wichen kaum von jenen heutigen Langhaussüdmauer nach Westen
der Mauerspeise ab, weshalb diese nur un- weiter. Im Westprofil von Schnitt 2 konnte
deutlich voneinander abzugrenzen waren. schließlich die nordwestliche Innenecke
Offensichtlich wurde das Steinmaterial für des Baues dokumentiert werden. Der nicht
die steinsichtig ausgelegten Schauseiten vor untersuchte Bereich von der Innenkante der
allem aufgrund der qualitativ höherwerti- spätantiken Westmauer bis zur westlichen
gen Oberflächenbeschaffenheit ausgewählt. Außenkante der heutigen Kirchhofmauer
Es erscheint auch durchaus denkbar, dass entsprach etwa der gängigen Mauerstärke
die Mauerschalen im Baufortschritt nicht von 1,6 m und wies auch einen leichten
allzu hoch – möglicherweise nur ein- bis Knick im relevanten Abschnitt auf. Unter
zweilagig – aufgezogen worden sind, bevor dichtem Efeubewuchs konnte in der Folge
man die Mauerspeise eingebracht hat. Mau- eine deutliche vertikale Baufuge lokalisiert
er 1 wies eine durchschnittliche Breite von werden, die die nordwestliche Außenecke
rund 1,6 m auf und wurde auf einer Länge des spätantiken Baues wiedergibt.
von 1,15 m freigelegt. Mit ihrer Erhaltung
unter dem heutigen Niveau ist etwa bis an Zusammengefasst stellten sich die ausge-
die südliche Kirchhofmauer zu rechnen. grabenen Teilbereiche von Mauer 3 sehr
ähnlich wie jene von Mauer 1 dar. Sie waren
In Schnitt 2 (südwestliche Langhausecke) lediglich höher erhalten und wurden teil-
fand sich die Abbruchoberkante der Bur- weise bis unter die Fundamentoberkante
gusmauer (Mauer 3) in rund 0,4 m bis 0,6 m freigelegt, was auch nähere Aussagen zur
Tiefe. Auch hier waren jüngere Störungen Fundamentierung ermöglichte. Es handelte
festzustellen. Die Mauer bildete in die- sich ebenfalls um Schalenmauerwerk von
sem Bereich noch nicht unmittelbar die durchschnittlich 1,6 m Mauerstärke, dessen
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St. Johann i. Mauerthale.
Westliche Fortsetzung
der nördlichen
Burgusmauer (Mauer 3;
IF 128, SE 129), deren
Reste noch in deutlicher
Höhe in der südlichen
Langhausmauer
der Kirche erhalten
sind. Im Westprofil
des Schnittes 1 ist
auch die Innenkante
der Westmauer des
Baues zu erkennen.
Abbruchoberkante auf einer Länge von werden. Die Innenansicht der Westmauer
maximal 2,17 m freigelegt wurde. Die Innen- lag im westlichen Schnittprofil auf einer
ansicht der spätantiken Nordmauer konnte Länge von 0,9 m frei.
– abgesehen von den Bereichen der ange-
stellten jüngeren Baureste (Mauer 2, 4) – auf Die Mauerschalen wirkten hier etwas groß-
der gesamten Schnittlänge dokumentiert teiliger und gleichfalls lagerhaft, wobei
88
St. Johann i. Mauerthale.
Innenansicht des
westlichen Abschnittes
der nördlichen
Burgusmauer in
Schnitt 2 (Mauer 3;
IF 128, SE 129).
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St. Johann i. Mauerthale.
Innenansicht des
östlichen Abschnittes
der nördlichen
Burgusmauer in
Schnitt 2 (Mauer 3;
IF 128, SE 129) mit
erhaltenen Resten der
Pietra-rasa-artigen
Oberflächengestaltung.
offensichtlich ebenfalls auf glatte Schausei- Die Mauerspeise bestand aus ähnlich gro-
ten der Bruchsteine geachtet worden war. ßem Steinmaterial, wobei hier – aufgrund
In einem kleinen Teilbereich zwischen den der Störung durch das barocke Grab 1 – auch
angestellten Mauern 2 und 4 hatte sich auch stellenweise ein Opus-spicatum-artiger Ver-
im ehemaligen Gebäudeinneren die Pietra- satz der Füllung festgestellt werden konn-
rasa-artige Oberflächengestaltung erhalten. te. Ähnliche Versatzmuster ließen sich in
90
St. Johann i. Mauerthale.
Innenansicht
des freigelegten
Abschnittes
der westlichen
Burgusmauer in Schnitt
1 (Mauer 3; IF 128,
SE 129) im Bereich
der nordwestlichen
Innenecke. Deutlich
erkennbar sind die
Reste des anhaftenden
Mörtelabstrichkeiles,
eine Ausgleichslage
aus Steinplatten,
ein Opus-spicatum-
artiger Versatz im
Fundamentbereich
sowie Spuren von
Brandeinwirkung.
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91
St. Johann i. Mauerthale.
Kleinräumig
aufgeschlossene
verfalls- oder
nachnutzungszeitliche
Schicht SE 23 im
Burgusinneren
in Schnitt 1.
dieses weitgehende Fehlen ist vor allem eingetieft worden war. Diese Oberfläche mit
in den Störungen durch vier jüngere Gru- den darunterliegenden vorbauzeitlichen
benobjekte und das mutmaßlich hoch- bis Schichten konnte auch in Schnitt 2 doku-
spätmittelalterliche Grab 4 zu suchen. mentiert werden.
Durch diese Bodeneingriffe wurden die äl-
teren Nutzungsniveaus, aber auch mögliche In Schnitt 2 wurde der bereits erwähnte,
spätantike Zerstörungs- beziehungsweise mehrschichtige Mörtelkeil (SE 103–105, SE
Verfallsschichten weitgehend beseitigt. 107, SE 109) in der nordwestlichen Innenecke
Ebenso stammt das meist kleinteilige, ein- des Militärbaues, der das ebene Bauniveau
deutig spätantike Fundmaterial häufig aus
Schichtzusammenhängen, die bereits umge-
lagert worden sind. Somit konnte zwar die
spätantike Datierung der bis zu 7 m hoch
erhaltenen Baureste und die Zuordnung zu
einem Militärbau auch aus archäologischer
Sicht bestätigt werden, doch erscheint eine
feinchronologische Einordnung aufgrund 92
St. Johann i. Mauerthale.
der Befundlage und des meist relativ insig- SE 103 als oberste der
nifikanten Fundmaterials derzeit nur sehr Mörtelschichten entlang
bedingt möglich. der Innenkante der
Nordmauer des Burgus.
markierte, als spätantiker Schichtrest ange- die »schwarze Schicht« (Bauperiode 6) vor
sprochen. Beim Mörtel scheint es sich auf- allem durch spätantike Keramik, aber auch
grund seiner unterschiedlichen Konsistenz völkerwanderungszeitliches Fundmaterial
nicht nur um ein Ablagerungsereignis ge- gekennzeichnet. Geringfügig tritt auch
handelt zu haben. So erscheint es plausibel, frühmittelalterliche und spätere Keramik
die unteren und an der Mauer anhaftenden auf, die aber als Intrusion erachtet wird.
härteren Lagen als ›echten‹ bauzeitlichen Sebastian Schmid datiert den Befund in
Mörtelabstrich zu definieren, der auch Pöchlarn in die Periode zwischen 370/380
geringfügige Holzreste und Abdrücke und der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts47,
(Hackscharten) beinhaltete. Die jüngeren, also ähnlich wie die »schwarze Schicht« im
lockeren Lagen könnten hingegen aus aus- Burgus von St. Johann im Mauerthal.
gewittertem, spät- oder nachnutzungszeitli-
chem Mörtel gebildet worden sein. Im Kastell Favianis/Mautern entspricht die-
ser Zeithorizont etwa den Perioden 6 und
Unmittelbar darüber lag, ebenfalls bereits 7 nach Stefan Groh und Helga Sedlmayer,
von Grubenobjekten und Grab 4 gestört, die absolut zwischen 370/380 bis 450 und
eine deutliche Brandschicht (SE 79). Man- 450 bis 480/500 gestellt werden. In diesen
gels einordenbaren Fundmaterials ist eine Abschnitten wird mit zunehmender Subsis-
spätantike Datierung nicht geklärt, allen- tenzwirtschaft der Bevölkerung gerechnet.48
falls aus stratigrafischer Sicht wahrschein- Für die Grabungen in der Essigfabrik in Mau-
lich. An der inneren Mauerschale fanden tern können ebenfalls die Perioden 6 und
sich hier deutliche Spuren von Hitzeeinwir- 7 herangezogen werden, deren Übergang
kung in Form von Rot- und Schwarzfärbung durch Auflösung älterer Lagerbebauungs-
sowie hitzebedingter Absandung. strukturen und eine weiter eingeschränkte
Siedlungstätigkeit definiert wird.49
Teilweise wurde der Mörtelkeil auch von
der bereits erwähnten, nachnutzungszeitli- Südlich von Grab 4 (IF 82=83) und östlich
chen »schwarzen Schicht« (SE 85=86) über- der Grube IF 92 lag unter der »schwarzen
lagert, die annähernd mit seiner Oberkante Schicht« der Rest einer älteren spätantiken
abschloss und neben wenig hochmittelal- Nutzungsphase, dessen oberste Schicht
terlichem Keramikmaterial auch solches der (SE 97) mit hoher Wahrscheinlichkeit aus
Spätantike/Völkerwanderungszeit enthielt. einer Verfallszeit beziehungsweise einer
Ihre Oberkante ist somit als hoch- bis spät- Phase nach der intensiven Nutzung des ei-
mittelalterliches Nutzungsniveau noch vor gentlichen Militärbaues stammt und wohl
dem Abbruch der Burgusreste im Spätmit- mit SE 87 zu korrelieren ist, die durch den
telalter zu definieren. Die Ablagerung muss Sockel unter Mauer 2 davon getrennt war.
demnach zwischen dem 5. beziehungsweise Diese Straten waren, ähnlich wie SE 23 in
beginnenden 6. Jahrhundert n. Chr. und der Schnitt 1, mit Steinen, Mörtel und spätan-
hochmittelalterlichen Nutzungsphase statt- tikem Ziegelbruch durchsetzt. Ähnliches
gefunden haben. gilt auch für den kleinräumigen Bereich
zwischen den Störungen durch die Gruben
Derartige Schichtpakete werden häufig IF 92 und IF 93. Hier lag mit SE 103 des oben
mit einer Nachnutzung (Landwirtschaft/ besprochenen Mörtelkeiles ebenfalls eine
Tierhaltung) in Kastellen und Lagern in mutmaßlich verfallszeitliche Schicht vor.
Zusammenhang gebracht und mit der end-
gültigen Auflösung militärischer Strukturen Unter den Verfallsschichten lagen mit SE
parallelisiert. Sie versiegeln im Regelfall 102 und SE 106 zwei mit Mörtelbröckchen
die spätantiken Bauphasen nach oben durchsetzte nutzungs- beziehungsweise
und bilden einen Übergangshorizont zu bauzeitliche Niveaus, die sich mit SE 88
späteren Perioden. In Arelape/Pöchlarn ist jenseits von Mauer 2 korrelieren lassen. Ein
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Estrich wurde nirgendwo angetroffen. Dar- größere zentraler lag und in die südwestliche
unter war nur noch eine dünne schottrige Schnittkante lief. Der Umriss dieser Gruben
Sandschicht (SE 110) erkennbar, möglicher- war rund beziehungsweise unregelmäßig ge-
weise eine bauzeitliche Ausgleichsschicht/ rundet und ihre Durchmesser betrugen 0,47
Planierung. m und 0,92 m, bei erhaltenen Tiefen zwi-
schen 0,24 m und 0,68 m. Die Flanken waren
Als relativchronologisch jüngste spätantike/ nur zum Teil leicht unterschnitten und die
völkerwanderungszeitliche Befunde sind Sohlen muldenförmig. Am ehesten sind sie
zuletzt vier Grubenobjekte zu nennen, die somit als kleine ›Speichergruben‹ für die
unter der »schwarzen Schicht« lagen und Lagerhaltung in dem noch in Verwendung
alle älteren spätantiken Straten – inklusive stehenden Untergeschoß des spätantiken
jener, die als verfallszeitlich interpretiert Militärbaues zu interpretieren.
werden – störten. Diese Befunde wurden
zunächst50 als frühhochmittelalterliche Unter dem bereits mehrfach genannten
Objekte des 11. Jahrhunderts angesprochen Mörtelkeil (SE 103–105, SE 107, SE 109) und
(siehe auch ANP 3), doch weist die Neube- SE 110 folgte schließlich, ähnlich wie in
wertung des Fundmaterials sie nun einer Schnitt 1, das bau-/vorbauzeitliche Niveau,
spätantiken/völkerwanderungszeitlichen das durch die Oberkante der Schichten SE
Nutzung zu, worauf im Rahmen der Kera- 108=111=124=125 gebildet wurde; der Fun-
mikdiskussion (handgeformte Ware) näher damentgraben der Burgusmauern war in
eingegangen wird. Die Gruben SE 89/IF 92 diesen Horizont eingetieft worden.
und SE 90/IF 93 waren ab ihrer mutmaß-
lichen Oberkante erhalten, während die Das nutzungszeitliche Fundmaterial des
Gruben SE 95/IF 98 und SE 96/IF 99 bereits spätantiken Militärbaues stammt größten-
deutlich von dem jüngeren Grab 4 (IF 82=83) teils bereits aus Schichten, die im Zuge der
gestört waren. Die kleineren Objekte waren letzten spätantiken/völkerwanderungs-
unmittelbar am inneren Fundamentfuß der zeitlichen Nutzung des Baues umgelagert
Burgusmauer angelegt worden, während das worden sind.
94
St. Johann i. Mauerthale.
Links im Vordergrund
die Grube IF 92, die
bereits das östlich
danebenliegende
verfallszeitliche
Schuttpaket des
Burgus stört. Im
Hintergrund die durch
Grab 4 geschnittenen
Grubenverfüllungen
SE 95 und SE 96
an der Innenkante
der Nordmauer des
spätantiken Baues.
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95
St. Johann i. Mauerthale.
Gruben in Schnitt 2. Im
Vordergrund nochmals
IF 92 mit der östlich
davon sichtbaren
bau- beziehungsweise
nutzungszeitlichen
Schicht SE 102. Im
Hintergrund die Gruben
IF 98 und IF 99. An der
Sohle der Grube IF 98
ist bereits die durch
das Burgusfundament
gestörte Feuerstelle
SE 101 zu sehen.
97
St. Johann i. Mauerthale.
Spätantike
Drehscheibenware,
partiell mit linearer
Glättung, aus unter-
schiedlichen, teils
sekundär gestörten
Schichtzusammen-
hängen. 1 – SE 86,
2 – SE 89, 3 – SE
97, 4 – SE 103.
spätantiken Bauphase 5.1 auf, die absolut ab werden sie von der zweiten Hälfte des
270/280 angesetzt wird. Die folgende Bau- 4. Jahrhunderts bis ins 5. Jahrhundert 98
phase 5.2 würde grob der Errichtungszeit datiert. St. Johann i. Mauerthale.
Fragment eines
des Burgus von St. Johann ab der zweiten Faltenbechers mit
Hälfte des 4. Jahrhunderts entsprechen. Weiteres spätantikes Keramikmaterial Rollrädchenverzierung
Danach kommen glasierte Reibschüsseln schien vorerst zu fehlen. Erst durch die und Fragmente
glasierter
bis in Schichten der Bauperiode 6 vor, die teilweise Rekonstruktion des Teilprofils
Reibschüsseln.
in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts eines Gefäßes aus der »schwarzen Schicht« 1 – SE 85, 2 – SE
endet.53 Eine nähere Einordnung des vorlie- (SE 85=86) ergab sich eine Neubewertung 88, 3 – SE 89.
genden Randstückes kann aufgrund seiner
Fragmentierung kaum getroffen werden.54
99
St. Johann i. Mauerthale.
Fragment eines
handgeformten
spätantiken/völker-
wanderungszeitlichen
Gefäßes mit tief
sitzendem Umbruch
und Bodenmarke. Die
Fragmente stammen
größtenteils aus der
»schwarzen Schicht«
beziehungsweise dem
Übergangsbereich
zum darüberliegenden
Abbruchschutt.
1–4 – SE 64/86/88,
5 – SE 86/87.
einiger Funde, die zuvor ins frühe Hoch- die verrundet ›doppelkonisch‹ wirkende
mittelalter gestellt worden waren (siehe Gestaltung des Gefäßkörpers mit tief lie-
oben). Bei dem ausschlaggebenden Gefäß- gendem Bauchumbruch, relativ breiter
rest handelt es sich um das Fragment eines Standfläche und mehrzeiliger Rillenzier
groben und dickwandigen, handgeformten auf der Schulter dar.
Topfes mit unbekannter Randgestaltung.
Die Keramik ist sandig bis steinchenhaltig Vergleichbare Formen sind dem Verfasser
mit geringem Glimmeranteil, innen stark aus dem mitteleuropäischen ›slawischen‹
›schuppig‹ abgewittert und wirkt auf den Frühmittelalter oder dem frühen Hochmit-
ersten Blick ›frühmittelalterlich‹. Nach- telalter praktisch nicht geläufig. Denkbar
drehspuren sind aufgrund der schlechten wäre eine Ableitung von spätantik-völ-
Erhaltung der Oberfläche nicht erkennbar, kerwanderungszeitlichen Knickwandge-
wobei aber dennoch anzunehmen ist, dass fäßen, die an der Schulter meist Einglätt-
das Gefäß zumindest außen langsam über- verzierungen aufweisen. Handgeformte
dreht worden ist. Als Bodenmarke findet Gefäßfragmente bleiben in spätantiken
sich ein ›hausförmiges‹ Symbol, das vor Fundkomplexen – im Unterschied zur
der Restaurierung ausschlaggebend für die scheibengedrehten ›romanischen‹ Ware –
anfängliche Spätdatierung war. Das rele- meist weitgehend unbeachtet oder werden
vanteste Merkmal für eine Neueinordnung eben nur grob zwischen ausgehender Spät-
in die Spätantike/Völkerwanderungszeit antike und Frühmittelalter eingeordnet.58
(5. bis frühes 6. Jahrhundert) stellt jedoch Weiters weist die handgeformte spätantike/
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Im bajuwarischen Siedlungsgebiet stehen Das Exemplar aus St. Johann kann auf-
qualitätvollen Töpfen mit Oberflächenglät- grund seiner Fragmentierung keinem der
tung und dichter Stempelzier69 auch gröbere zuvor genannten Keramiktypen definitiv
Stücke gegenüber, die unverziert ausfallen zugeordnet werden, wodurch eine ge-
können und häufig eine breite Standfläche nauere zeitliche Einordnung erschwert
besitzen. Meist werden sie in die Zeit ab wird. Ebenso fehlt auch näher datierbares
dem 6. Jahrhundert datiert. Daneben sind Begleitmaterial aus diesen spätesten Nut-
vereinzelt auch formal ähnliche, handge- zungsschichten. Es bleibt somit vorerst
formte Krüge70 zu nennen. Dem fränkischen nur, das Gefäßfragment aus stratigrafischen
Bereich entlehnte Röhrenkannen wirken und typochronologischen Überlegungen
den Dimensionen nach oft ähnlich, sind in die letzte spätantik-völkerwanderungs-
aber meist qualitätvoller hergestellt.71 Im zeitliche Verwendungszeit des Burgus von
späteren 6. und im 7. Jahrhundert erschei- St. Johann im Mauerthale zu stellen, die
nen auch Flaschen mit Henkelösen (zum absolutchronologisch ab der ersten Hälfte
Beispiel im Gräberfeld von Dittenheim).72 des 5. Jahrhunderts anzusetzen wäre. Ver-
Diese zeigen eine dem Stück aus St. Johann gleichbare Keramikformen sind den eben
vergleichbare Gestaltung der unteren Ge- geschilderten Überlegungen zufolge aber
fäßpartie und werden auf fränkische Kon- auch noch im 6. Jahrhundert geläufig. So
takte zurückgeführt. stammen ein handgeformtes bikonisches
Gefäß und weitere derartige Fragmente
Aus dem nahe gelegenen, zunächst suebisch auch aus der »schwarzen Schicht« (Bau-
dominierten und später elbgermanisch- periode 6) des Kastells Arelape/Pöchlarn.
›langobardischen‹ Siedlungsraum in Süd- Hier wird eine Datierung in die erste
mähren stammt ein Vergleichsstück aus Hälfte des 6. Jahrhunderts vorgeschlagen
Grab 9 des Gräberfeldes von Velké Pavlo- und die Fragmente werden in die Zeit
vice. Die Belegungszeit wird von der zwei- der Ansiedlung langobardischer Gruppen
ten Hälfte des 5. bis zur zweiten Hälfte des im ostnorisch-westpannonischen Raum
6. Jahrhunderts angegeben, wobei der Topf gestellt, wobei eine ethnische Zuordnung
aufgrund der Vergesellschaftung mit einem des Stückes offen gelassen wird.77
stempelverzierten beutelförmigen Gefäß in
eine späte Phase gestellt wird. Ein weiterer Aus St. Johann sind noch weitere hand-
gedrungener handgeformter Topf liegt auch geformte Wand-, Rand- und Bodenfrag-
aus Borotice vor.73 mente erhalten, die gemeinsam mit grau-
toniger Scheibenware aus umgelagerten
Bereits zuvor treten grobe doppelkonische Schichten geborgen wurden. Die klein-
Töpfe mit tief liegendem Umbruch in teiligen Randfragmente wirken ebenfalls
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Die vorgestellte Situation offenbart die sind derzeit – wie beschrieben – aus dem
Problematik der Datierung einzelner, heutigen mährischen, niederösterreichi-
häufig insignifikanter frühgeschichtlicher schen und ostslowakischen Raum beizu-
Keramikfragmente beziehungsweise -kom- bringen, wo sie vorwiegend mit dem Ende
plexe, selbst wenn Befunde dazu vorliegen. der geschlossenen suebischen und dem
Oft bleibt – falls in mehrphasigen Siedlun- Beginn der elbgermanischen und somit
gen überhaupt die Trennung unverzierter frühlangobardischen Besiedlung in Zusam-
Fragmente von urgeschichtlichen Keramik- menhang gebracht werden.87
typen möglich ist – unklar, ob es sich
um spätantik-völkerwanderungszeit- Das mit Abstand feinchronologisch aussage-
liche oder bereits frühmittelalterliche kräftigste Fundstück stellt eine spätantike
Stücke handelt.86 Hinsichtlich der jüngs- Buntmetallmünze aus Schnitt 2 dar, die
ten spätantik-völkerwanderungszeit- allerdings unstratifiziert geborgen wur-
lichen Keramik-fragmente aus dem Burgus de. Es handelt sich um eine Prägung des
von St. Johann im Mauerthale wird einer Kaisers Gratian (Mitkaiser 367, Kaiser 375–
Datierung ab dem späteren 5. bis ins begin- 383), die somit die Datierung der wenigen
nende 6. Jahrhundert der Vorzug gegeben. und insignifikanten spätantiken Keramik-
Die besten Parallelen zu diesen Stücken funde der zweiten Hälfte des 4. und des 5.
Jahrhunderts ergänzt.88
Eine spätere Weiternutzung des Gebäudes Mauer 2 überlagert wurden (Länge 2,03 m,
ist neben der Stratigrafie auch durch hand- maximale Breite 0,81 m). Bei der Bestattung
geformte, allerdings kaum aussagekräftige (SE 70=80) handelte es sich um einen ma-
Keramikfragmente evident. Sie verweisen turen Mann89, der West-Ost ausgerichtet
auf eine Verwendung des Burgus noch bis in Rückenlage beigesetzt worden war. Die
ins 5. Jahrhundert, ohne diese jedoch dezi- Arme waren seitlich angelegt, der Schädel
diert eingrenzen zu können. Ebenso könn- war nach Süden verrollt. Aufgrund der
te das geringe Fundmaterial auch noch in Überlagerung durch Mauer 2 konnten die
Richtung des 6. Jahrhunderts verweisen. unteren Extremitäten ab dem Kniebereich
nicht geborgen werden. In der Verfüllung
Die hoch- bis spätmittelalterliche des Grabschachtes fand sich neben umge-
Nutzung des Burgus und die Errichtung lagertem spätantikem Fundmaterial auch
des romanischen Kirchenbaues (ANP 3) grafithaltige Keramik, die grob ins Hoch-
Als jüngster Befund unter dem abbruch- mittelalter gestellt werden kann.
zeitlichen Schuttpaket SE 64=68 des Spät-
mittelalters ist Grab 4 zu nennen, dessen Grab 4 störte das inhomogen wirkende
Grubenverfüllung unmittelbar nach dem Schichtpaket SE 85=86, das ebenfalls unter
Abtragen des Schutts erkennbar wurde. Das Mauer 2 verlief und mit seiner Oberkante
Grab (SE 67=77, SE 70=80, IF 82=83) besaß die letzte hoch- bis spätmittelalterliche
eine annähernd langovale, West-Ost ausge- Oberfläche im Burgusinneren vor der Zeit
richtete Grabgrube mit ebener Sohle, die seines Abbruches markierte. Insgesamt
unmittelbar an der südlichen Langhaus- be- können diese Straten wohl als jüngste Ab-
ziehungsweise nördlichen Burgusmauer lag lagerungen während der Nutzungszeit, aber
und auch hochmittelalterliche Schichten vor allem nach der Aufgabe des spätantiken
störte. Grabschacht und Bestattung wurden Militärbaues interpretiert werden (»schwar-
nicht komplett ausgegraben, da sie von der ze Schicht«; siehe ANP 2). In diesem weit-
in situ belassenen spätmittelalterlichen gehend eben abgelagerten Horizont war
104
St. Johann i. Mauerthale.
Ausgewählte Befunde
des spätantiken Burgus
�
und seiner Nutzungszeit
�� sowie das später
angelegte, wohl hoch-
� �
bis spätmittelalterliche
�
� � Grab 4 (archäologische
� � � � Nutzungsphasen 2
� und 3; rot hinterlegt).
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105
St. Johann i. Mauerthale.
Westlicher Ausschnitt
der Bestattung
SE 70=80 in Grab
4. Aufgrund der
darüberliegenden
Mauer 2 konnte
sie nicht komplett
dokumentiert und
entnommen werden.
wenig Fundmaterial (grafithaltige Keramik) – wie auch diese selbst – nun der archäolo-
wahrzunehmen, das neben der spätantiken/ gischen Nutzungsphase 2 (ANP 2) zugewie-
völkerwanderungszeitlichen Nutzung auch sen. Dem können auch die meist kleinteili-
eine hochmittelalterliche Nachnutzung – gen, handgeformten und maximal schwach
wohl des 11. bis 12. Jahrhunderts – nahelegt. überdrehten sowie leicht glimmerhaltigen
und sandigen Gefäßfragmente angeschlos-
Nach der Neubewertung des Fundmateri- sen werden, die gemeinsam mit den schei-
als (siehe oben) werden die unterhalb der bengedrehten Stücken ab der »schwarzen
»schwarzen Schicht« gelegenen Objekte Schicht« vorkommen. Es ist zwar noch
106
St. Johann i. Mauerthale.
Die nachnutzungs-
zeitliche »schwarze
Schicht« des Burgus
(SE 85=86), die neben
spätantik-völker-
wanderungszeitlichem
Fundmaterial auch
geringfügig solches
des Hochmittelalters
enthielt.
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107
St. Johann i. Mauerthale.
Strukturelle
Interpretation der
Ergebnisse der
Georadarprospektion
2016.
immer nicht ganz von der Hand zu weisen, Beobachtungen zur Baugenese ergaben sich
dass die Gruben erst im frühen Hochmittel- dennoch im Zuge der Neuvermessung des
alter angelegt worden sind und das ältere Kirchengrundrisses während der archäolo-
Fundmaterial seinen Weg erst durch Um- gischen Maßnahme von 2016. So konnte in
lagerungsprozesse dorthin gefunden hat, der Westmauer des heutigen Langhauses ein
doch erscheint dies eher unwahrscheinlich. schwacher Absatz (Baufuge) aufgenommen
werden, an den – mit einem kaum wahr-
Die wenigen vorhandenen Belege für eine nehmbaren Achsknick – der verlängerte
neue Nutzung des Burgus im Hochmittel- heutige Langhausbestand anschließt. Dieser
alter leiten nahezu zwangsläufig zur Fra- Befund kann im Moment nur von bauhisto-
ge nach der Errichtungszeit des ältesten rischer Seite gelöst werden. Putzsondagen
Kirchenbaues von St. Johann im Mauer- durch Oliver Fries erbrachten hier deutlich
thale über. Aus archäologischer Sicht kann die Mauer des romanischen Langhauses, die
mangels entsprechender Grabungsdoku- sich ab besagtem Knick (Chorschulteran-
mentationen der um 1970 durchgeführten satz) als spätmittelalterliches Mauerwerk
Ausgrabungen90 hier nur spekuliert werden. fortsetzt. Ein vergleichbarer Befund konnte
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auch in der – durch spätere Zubauten ver- war – offensichtlich unter dem Kirchen-
unklärten – Langhausostmauer angetroffen boden (Gruft) und wurde wohl erst später
werden.91 Diese Beobachtungen decken sich überbaut. In Frage käme hier die Bauphase,
nicht zuletzt auch mit der Wandmalerei- in der das romanische Langhaus verlängert
ausstattung (spätestens erste Hälfte 13. Jahr- und der Chorbereich, der von Oliver Fries in
hundert) im südlichen Langhaus, die vor die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts gesetzt
dem genannten älteren Chorschulteransatz wird96, nach Norden angesetzt wurde. Der
abbricht und durch jüngere Darstellungen Memorialbau (Hochgrab) lag danach zent-
in Richtung Chor fortgesetzt wird. Es ergibt ral im Langhaus und blockierte somit nicht
sich somit ein kunsthistorisch greifbarer mehr den romanischen Triumphbogen. Es
Terminus ante quem für den Kirchenbau, erscheint somit denkbar, dass ein älteres,
der demzufolge vor oder in der ersten Hälf- vor dem Chor der romanischen Kirche si-
te des 13. Jahrhunderts angesetzt werden tuiertes Grab (beziehungsweise eine Gruft)
muss.92 im Zuge des spätmittelalterlichen Ausbau-
es angefahren und zu einem Hochgrab,
Bestätigung findet der Befund eines ehe- das dem nicht kanonisierten hl. Albinus/
mals kürzeren romanischen Langhauses Adelwinus zugeschrieben wurde, umgestal-
durch die Ergebnisse der Radarmessungen, tet worden ist. Dies begründete spätestens
die seitens der Firma ARDIG (Volker Lin- in der Folgezeit eine – zumindest regional
dinger, Alexander Gorbach) im Innenraum nicht unwesentliche – Wallfahrtstätigkeit.
der Kirche vorgenommen worden sind.
In der Höhe des beschriebenen leichten Insgesamt scheint sich somit für das Hoch-
Absatzes konnten hier Baureste aufgenom- mittelalter und wohl noch bis zur spät-
men werden, die als ältere Chorschultern mittelalterlichen Kirchenneugestaltung
interpretiert werden. Die Breite des mut- das Bild eines nachgenutzten spätantiken
maßlichen Triumphbogens wird mit 1,7 Militärbaues mit angestelltem hochmit-
m angegeben. Eine an der Ostseite nach telalterlichem Sakralbau zu ergeben, wie
Norden verlaufende Struktur ist als Rest es bereits Oliver Fries postuliert hat; eine
des ehemaligen Chores zu sehen. Weitere, ähnliche Situation ist für die Kirche in St.
kleinteiligere Baustrukturen entziehen sich Lorenz belegt.97 In welcher Form der spät-
einer Zuordnung. antike Bauteil nachgenutzt wurde und in
welchem Ausmaß seine aufgehende Sub-
Auffällig ist noch der Rest einer West-Ost stanz noch unbeschädigt vorhanden war,
ausgerichteten, rechteckigen Struktur, die lässt sich freilich nicht mehr beantworten.
unmittelbar vor dem mutmaßlichen roma- Die südlichen, spätantiken Teile des Burgus
nischen Triumphbogen liegt. Denkbar wäre wurden laut Grabungsbefund im Zuge der
hier eine gemauerte Gruft – höchstwahr- gotischen Kirchenumgestaltung und des
scheinlich die Reste des Memorialbaues dabei erfolgten Kirchturmeinbaues weitest-
für den hl. Albinus.93 Im Fundbericht der gehend abgetragen. Somit ist spätestens ab
Untersuchung von Herma Stieglitz (um dem beginnenden 14. Jahrhundert nur mehr
1970) wird das entdeckte Mauerwerk dem mit dem Sakralbau zu rechnen.
1862 abgetragenen Grabbau zugeordnet und
als nicht römerzeitlich klassifiziert.94 Der nachgenutzte spätantike Turm mit an-
gebauter romanischer Kirche könnte wohl
In einer Beschreibung des 17. Jahrhunderts am ehesten als Sitz eines Gefolgsmannes
wird ein Überbau in Form eines Hochgra- der Salzburger Erzbischöfe interpretiert
bes genannt, unter dem aber auf Kirchen- werden. Seine erhaltene Seitenlänge von
bodenniveau kein Pflaster, sondern »rogle« 12,4 m ließe, zum Quadrat ergänzt, jeden-
(also lockere, ›rohe‹ Erde) zu finden sei.95 falls eine beträchtliche Größe erkennen,
Die Bestattung lag somit – so sie vorhanden die durchaus auch einem repräsentativen,
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108
St. Johann i. Mauerthale.
SE 48, die jüngste
Schicht, die noch
vor das Anlegen des
barocken Friedhofes
gestellt werden kann.
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109
St. Johann i. Mauerthale.
Spätmittelalterliche
Befunde in den
Schnitten 1 und 2
(archäologische
Nutzungsphase 4; rot
hinterlegt). Neben dem
Fundamentabsatz des
Kirchturmes in Schnitt
1 und den Mauerresten
in Schnitt 2 sind vor
allem die flächigen
Mörtelschuttschichten
im ehemaligen
Innenraum des
Burgus zu nennen. Sie
rühren vom Abbruch �
der spätantiken � ���
Baureste im Zuge des
spätmittelalterlichen
� � ��
Kirchturmeinbaues her. �
�
�
Aufgrund dieser Beobachtungen stellt sich des spätantiken Baues. Dieser wird bauhis-
die Frage nach dem Zeitpunkt des Abbru- torisch derzeit ins 14. Jahrhundert gestellt;
ches der nicht in die Kirche integrierten für die Hölzer des Chordachstuhles wurden
Teile des spätantiken Militärbaues sowie Fälldaten um 1397d/1398d ermittelt, wobei
des Einbaues der qualitativ schlechteren auch der Langhausdachstuhl idente Kon-
Mauern 2 und 4. Die Abbruch- und Bau- struktionsmerkmale aufweist und wohl
maßnahmen sind aus rein stratigrafischen ähnlich zu datieren ist. Die auf dem spät-
Überlegungen in die Zeit vor dem Bele- antiken Mauerwerk mit dem älteren, fla-
gungsbeginn des barocken Friedhofes zu cheren Giebelbereich aufgesetzte südliche
stellen. Rechnet man auch überlagernde Giebelmauer des Langhauses bindet den
Planierungs- und Humusschichten ein, damals offensichtlich bereits bestehenden
scheint sich ein gewisser zeitlicher Abstand Kirchturm ein.98 Alle älteren und funktions-
zwischen diesen beiden Nutzungsphasen losen, möglicherweise bereits auch ruinö-
zu ergeben. Aufgrund mehrerer Überlegun- sen Mauerreste, die dem Ausbau der Kirche
gen bietet sich für den teilweisen Abbruch im gotischen Stil entgegenstanden, wurden
der spätantiken Bauteile eine spätmittel- nun offenbar abgetragen.
alterliche Datierung an. Am plausibels-
ten erscheint dieses Modell: Nach dem Weitere Überlegungen aus stratigrafischer
Funktionsverlust des hochmittelalterlich und bautechnischer Sicht unterstützen
nachgenutzten spätantiken Militärbaues dieses Denkmodell: In Schnitt 1 konnte
wurde dieser zugunsten der Neugestaltung festgestellt werden, dass die Oberkante des
der angestellten spätromanischen Kirche spätmittelalterlichen Fundamentabsatzes
großteils geschleift. der Kirchturmsüdmauer mit der Abbruch-
oberkante der Ostmauer des spätantiken
Für den Untersuchungsbereich südlich Bauwerks (Mauer 1) korrespondiert. Weiters
des Langhauses stellt sich somit neben der ist in der Südmauer des Kirchturmes die
Frage nach dem Abbruch auch jene nach vertikale Abbruchkante der teilintegrierten
dem Einbau des spätmittelalterlichen spätantiken Ostmauer nicht zu erkennen.
Kirchturmes in die nordöstliche Innenecke Sie wurde vielmehr – soweit feststellbar
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110
St. Johann i. Mauerthale.
Durch einen
Kabelgraben gestörtes
Abbruchniveau der
östlichen Burgusmauer
(Mauer 1, IF 26, SE 28)
in Schnitt 1. Westlich
daran anschließend der
spätmittelalterliche
Fundamentabsatz des
Kirchturmes (SE 21) und
der Abbruchschutt (SE
22), die das damalige
Bauniveau markieren.
– mit identem, kleinteiligerem Steinma- Eine ähnliche Situation findet sich an der
terial wie der übrige spätmittelalterliche abgefasten Südwestecke des Langhauses in
Turmbau ausgemauert. Eine Baufuge ist Schnitt 2. Die vertikale Abbruchkante der
von außen nicht sichtbar, sodass mit einer Nordmauer des spätantiken Baues wurde
Aufmauerung des Kirchturmes unmittel- ebenfalls mit kleinteiligerem Steinmaterial
bar nach dem Abbruch der Burgusreste zu ausgeflickt. In geringem Maß wurde hier of-
rechnen ist. fensichtlich auch mit Ziegeln nachgebessert.
111
St. Johann i. Mauerthale.
Aufgehende
spätmittelalterliche
Südmauer des
Kirchturmes (SE 35) in
Schnitt 1. Die vertikale
Abbruchkante des
ehemaligen Burgus ist
im spätmittelalterlichen
Mauerwerk nicht
zu erkennen.
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115
St. Johann i. Mauerthale.
Die beiden etwa Nord-
Süd verlaufenden Reste
von Mauer 2 (IF 72, SE
75) und Mauer 4 (IF
71, SE 73, SE 74), die
als spätmittelalterliche
Terrassierungs-/
Stützmauern für
den im Zuge des
Kirchturmbaues
angelagerten,
lockeren Mörtelschutt
gedeutet werden.
Schutt fundamentiert oder während dessen Der Abbruch großer Teile des spätantiken
Ablagerung eingestellt worden. Für den Baues und der Einbau des spätmittelal-
letzteren Fall spricht die auf Sicht gesetzte terlichen Kirchturmes sind somit in den
Westseite, während die unregelmäßige Ost- zeitlichen Rahmen des 14. Jahrhunderts
seite eine Futtermauer indiziert. zu stellen, aus bauhistorischen Überle-
gungen heraus allenfalls in die Zeit vor
Es ergibt sich somit eine Bauabfolge, bei 1398/1399. Eine Datierung der hölzernen
der Mauer 4 vor Mauer 2 errichtet worden Lehrgerüstteile des Turmhelms steht der-
ist. Denkbar wäre, dass es sich bei Mauer 4 zeit noch aus.99 Für die Verlängerung des
um eine Stützmaßnahme für den lockeren Langhaus-/Chorbaues legt eine überliefer-
Schutt rund um den in Bau befindlichen te Stifterinschrift Leutold Eyczingers im
spätmittelalterlichen Kirchturm gehandelt heutigen Triumphbogen einen Terminus
hat. Höchstwahrscheinlich nur wenig spä- ante quem von 1332 nahe.100 Denkbar ist
ter wurde – wohl aus ähnlichen Gründen somit auch der Turmbau bereits um diese
– Mauer 2 in den lockeren Mörtelschutt Zeit. Ebenso wird das Wandbild des »Ma-
gestellt, eventuell als eine Art weitere Ter- rientodes« im Chorbereich in das zweite
rassierung um das noch nicht konsolidierte Viertel des 14. Jahrhunderts datiert, was
Bauplatzumfeld. Die erhaltenen Oberkan- die gotische Umgestaltung der romani-
ten der beiden Bauteile korrespondieren schen Kirche ebenfalls vor dieser Zeit
mit geringfügigen Abweichungen wieder voraussetzt.101
mit der Abbruchoberkante des spätantiken
Baues sowie dem Fundamentabsatz des Aus dem Zeitraum des Abbruches großer
spätmittelalterlichen Kirchturmes, was Burgusteile und des weitgehend gleichzei-
einen Niveauausgleich während der Um- tigen Einbaues des spätmittelalterlichen
baumaßnahmen nahelegt. Kirchturmes ist ausgesprochen wenig
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118
St. Johann i. Mauerthale.
Die vier in Schnitt
2 dokumentierten
Gräber. Grab 1 bis
Grab 3 gehören
dem neuzeitlichen
Friedhof an, während
Grab 4 bereits vor
dem Teilabbruch
der Burgusreste
beziehungsweise Grab 2
vor dem Bau des
spätmittelalterlichen
Kirchturmes angelegt
worden sein muss.
Grab 1
Grab 4
Grab 3 0 0.5m
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119
St. Johann i. Mauerthale.
Grab 1 des
barockzeitlichen
Friedhofes mit
Bestattung SE 25.
120
St. Johann i. Mauerthale.
Grab 2 des
barockzeitlichen
Friedhofes mit
seicht liegender
Traufbestattung eines
Fetus (SE 58) im
lockeren Abbruchschutt.
121
St. Johann i. Mauerthale.
Grab 3 des
barockzeitlichen
Friedhofes mit
Bestattung SE 66.
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122
St. Johann i. Mauerthale.
Reste eines
gedrechselten
beinernen Rosenkranzes
aus Grab 1.
kaum erkennbare, muldenförmige und Grab 3 (SE 66, IF 69) störte die Mauer 4
seicht liegende Grabgrube mit gerundeten und wies daher eine sehr unregelmäßi-
Kanten (Länge 0,35 m, Breite 0,25 m). Die ge Form und Sohle des Grabschachtes
Bestattung (SE 58) war annähernd Nordost- auf. Lediglich das Nordwestende lag im
Südwest ausgerichtet; es handelte sich um lockeren Abbruchschutt und war daher
eine auf dem Rücken liegende Hockerbe- regelmäßiger gerundet. Die Bestattung (SE
stattung (Embryonalstellung) eines Fetus 66) lief in das östliche Profil von Schnitt 2
im 7. bis 8. Schwangerschaftsmonat.103 (ausgegrabene Länge 1,16 m, maxima-
Die unteren Extremitäten waren stark le Breite 0,64 m). Es handelte sich um
angewinkelt, während die Arme nur leicht einen senilen Mann 104, der annähernd
abgewinkelt seitlich des Oberkörpers la- Westnordwest-Ostsüdost ausgerichtet in
gen. Der Schädel war teilweise durch die Rückenlage beigesetzt worden war. Die
Grabungsarbeiten disloziert worden (locke- Unterarme waren unterhalb der Brust an-
rer Schutt). Hier wurden keine Beifunde nähernd rechtwinkelig verschränkt; der
geborgen. Schädel mit aufgeklapptem Unterkiefer
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123
St. Johann i. Mauerthale.
Eiserne Miederösen
oder Ringrosenkranz-
fragmente mit
Textilanhaftungen
aus Grab 1.
124
St. Johann i. Mauerthale.
Streifchen aus
Buntmetallblech (1)
und Buntmetallhafteln
(2) aus Grab 1.
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zeigte deutliche Kauleisten. Auch hier gab der Bekleidung oder weiterer Totenaus-
es keine Beifunde. stattung gebildet haben. Im Auffindungs-
zustand ist es zweifach gefaltet (Länge ca.
Aufgrund der enthaltenen Beifunde ist 2,5 cm, Breite 1,6 cm) und knapp vor den
lediglich Grab 1 chronologisch näher ein- Enden jeweils mit einem dünnen, durch-
zugrenzen. Eine zeitnahe Datierung der geschlagenen Loch versehen. Die beiden
beiden beifundlosen Gräber 2 und 3 ist Buntmetallhafteln aus Grab 1 bestehen
ausschließlich anhand stratigrafischer Be- jeweils aus einer Öse und einem Häkchen,
obachtungen möglich. die ineinandergehängt sind. Die Elemente
entsprechen der bis heute gängigen Form:
Bei den gedrechselten, beinernen Rosen- einer Ω-förmigen Drahtöse mit zwei end-
kranzfragmenten aus Grab 1 handelt es sich ständigen kleinen Befestigungsösen ist
um insgesamt 49 kleine, ovale bis kugelige ein ähnlich aufgebautes, aber zusammen-
unverzierte Perlen (Ave-Perlen) und ein gedrücktes Hakenende eingehängt (Breite
abgeplatztes Scheibchen einer solchen. rund 0,8 cm, Länge der ineinanderhängen-
Ihr Durchmesser beträgt rund 0,6 cm. den Elemente etwa 1,8–2 cm).
Von den großen kugeligen Perlen, die je-
weils mit zwei umlaufenden Rillen verziert Die Datierungsansätze für Grab 1, die sich
sind (Paternoster-Perlen), sind noch sechs aus den beschriebenen Funden ergeben,
Stück mit einem Durchmesser von rund 0,9 können nicht sehr präzise sein, da es sich
cm erhalten. Dazu kommt noch der längs- bei den Objekten um Gegenstände handelt,
und quergelochte Querbalken des mehrtei- die im mitteleuropäischen Raum vom
lig aufgefädelten Credo-Kreuzchens. Seine Spätmittelalter bis in die Neuzeit in Ver-
Länge beträgt etwa 1,5 cm, sein Durchmes- wendung standen und kaum Änderungen
ser rund 0,55 cm. unterworfen waren.
ist. In Schnitt 1 störte die Künette bereits Der Großteil des datierenden Fundmate-
deutlich die Abbruchoberkante von Mauer rials aus Störungen und Planierungshori-
1 des spätantiken Militärbaues im Bereich zonten entstammt dem 20. Jahrhundert.
der Kirche. Stellvertretend seien hier Fragmente von
bemalten Porzellantassen und Weingläsern,
Ein weiterer junger Eingriff wurde im Be- Kronkorken, die Achse eines Spielzeugautos
reich der Südwestecke des Langhauses in und Schmelzsicherungen genannt.
einem kleinen Ausschnitt dokumentiert.
Derzeit verläuft hier ein Fallrohr der Dach-
rinne, das damit in Zusammenhang zu
stehen scheint.
1 Die Terrasse wird ähnlich wie jene im Bereich 28 So sind bereits für 799 erste bayerische
von Rossatz und Rührsdorf zu den aufgrund Provinzialsynoden zur Mission östlich der Enns
der speziellen topografischen Situation noch genannt. Zumindest bei der in Reisbach, wenn nicht
nicht erodierten, höheren und somit älteren auch bei jener in Traismauer war auch Arn von
Fluren des jüngeren Anteiles (Postglazial) Salzburg anwesend. Eine weitere Quelle spricht von
der heutigen Talböden an der Donau gezählt Priwina, dem vertriebenen Fürsten von Nitra, der
(Gleithangsituation): Matura und Heinz 1989, 40. 833 in der Martinskirche des Salzburger Hofes in
2 Schnabel u. a. 2002, 45. Traismauer getauft wurde. Bereits davor, um 827/828,
3 Siehe das Kapitel St. Johann im Mauerthale – hatte Erzbischof Adalram von Salzburg eine Kirche
römischer Burgus und mittelalterliche Wallfahrtskirche. in Nitra geweiht. Vgl. Wolfram 2003, 225; 229–230.
– Zum alten Forschungsstand vgl. Tietze 1907, 75. 29 Wolfram 2003, 231–232.
4 Zabehlicky 1989b, 130–132. – Ubl 2005a, 203–206. 30 Wolfram 2003, 183–184, 231–232.
– Ployer 2015b, 200–201. – Ployer 2018, 76–79. 31 TTSB Arnsdorf 1625–1651. – SB Arnsdorf 1784–1893.
5 Ubl 2005b, 206–207. – Ployer 2015c, 32 SB Arnsdorf 1694–1784, Tod_0004.
202. – Ployer 2018, 80–81. 33 SB Arnsdorf 1694–1784, Tod_0029.
6 Zabehlicky 1989c, 133–134. – Ubl 2005c, 207– 34 SB Arnsdorf 1694–1784, Tod_0071.
208. – Ployer 2015d, 203. – Ployer 2018, 82–83. 35 Siehe das Kapitel St. Johann im Mauerthale
7 Zuletzt Ployer 2015e, 199. – römischer Burgus und mittelalterliche
8 Zuletzt Ployer 2015f, 198–199. Wallfahrtskirche. – Vgl. Fries 2015a, 282–288.
9 Hinterwallner und Schmid 2015, 194–198. 36 Maßnahmennummer 12189.16.01. – Vgl. Obenaus 2016.
10 Zuletzt Groh und Sedlmayer 2015, 37 Lindinger und Gorbach 2016.
204–209; Ployer 2018, 84–91. 38 Siehe das Kapitel St. Johann im Mauerthale –
11 Zabehlicky 1989c, 133–134. – Ubl 2005c, 207– römischer Burgus und mittelalterliche Wallfahrtskirche.
208. – Ployer 2015d, 203. – Ployer 2018, 82–83. 39 Franziszeischer Kataster Oberarnsdorf 1821, Blatt 2,
12 Zabehlicky 1989c, 133–134. – Ubl 2005c, 207– Niederösterreichisches Landesarchiv-Findbuch, FK
208. – Ployer 2015d, 203. – Ployer 2018, 82–83. Mappen OW 27_2, 1821, http://www.noela.findbuch.
13 Groh und Sedlmayer 2001, 186. – Wewerka 2004, 419. net/php/view.php?ar_id=3695&link=464b204d6170706
– Pieler und Obenaus 2005, 420–426. – Obenaus 2006, 56ex859#&contrast=0&path=&brightness=0.5&posY=-
585. – Zimmermann u. a. 2007, 589–590, 599–600. 0.2295238685349597&posX=-0.08914073071718538&rota
14 NÖUB I, Nr. 1, 4. tion=0&zoom=0.678235294117647 [Zugriff: 13. 11. 2017].
15 NÖUB I, Nr. 1a, 6–7. 40 Siehe das Kapitel St. Johann im Mauerthale –
16 Siehe das Kapitel Heiligenverehrung und römischer Burgus und mittelalterliche Wallfahrtskirche.
Schifffahrt – historische Anmerkungen. 41 Fries 2015a, Abb. 2; 287. – Lindinger
17 NÖUB I, Nr. 6a, 75. und Gorbach 2016, Abb. 15; 17.
18 NÖUB I, Nr. 6b, 77–78. 42 Lindinger und Gorbach 2016, Abb. 7–9.
19 NÖUB I, Kommentar Nr. 6–6b, 80–81. 43 Zabehlicky 1989b, 131. – Ubl 2005a, 204–205.
20 Sedlmayer 2013, Abb. 5. – Ployer 2015b, 200. – Ployer 2018, 77.
21 Szameit 1992, 215–221. 44 Die 9 m beziehen sich dabei auf die nicht mehr
22 Friesinger 1971/74, 49; Taf. 4. vollständig erhaltene Ost- und Westmauer. Vgl. Ubl
23 NÖUB I, Nr. 35b, 424. 2005c, 207; Ployer 2015d, 203; Ployer 2018, 82, Abb. 47.
24 Siehe das Kapitel St. Johann im Mauerthale – 45 Zabehlicky 1989c, 134 (Nachmessung der
römischer Burgus und mittelalterliche Wallfahrtskirche. konservierten Befunde durch Franz Perschl).
25 NÖUB II/1, Nr. 48–413; 141–147; Nr. 428; 161–162; Nr. 46 Klammer 2012, 41. – Fries 2015a, 288.
+51; 173–174; Nr. 55–59; 179–186; Nr. 511; 190–192, Nr. 47 Schmid 2017, 137–138.
527; 211–213; Kommentar Nr. 51–537; 233–239. 48 Groh und Sedlmayer 2002, 561–563.
26 Fries 2015a, 282–283. 49 Zimmermann u. a. 2007, 589–590, 599–600.
27 Siehe das Kapitel Heiligenverehrung und 50 Obenaus 2016, 232–235.
Schifffahrt – historische Anmerkungen. 51 Mosser 2016, 115.
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131
KARIN WILTSCHKE-SCHROTTA
ANTHROPOLOGISCHER BEFUND
ZU DEN GRÄBERN
BEI DER FILIALKIRCHE ST. JOHANN
Die menschlichen Überreste aus der Gra- Femurschaft sind robuster ausgebildet;
bung bei der Filialkirche St. Johann wur- Frau.
den der Anthropologischen Abteilung des
Naturhistorischen Museums Wien zur Sterbealtersbestimmung: Die Zahnabrasion
wissenschaftlichen Befundung übergeben. entspricht nach Brothwell 1981 einem Ster-
Die Skelette stammen aus Grab 1, Grab 2 bealter von 45 bis 50 Jahren; die Oberfläche
und Grab 3 (Archäologische Nutzungsphase der Facies symphysealis deutet ebenfalls
5) sowie Grab 4 (Archäologische Nutzungs- ein fortgeschrittenes Alter von 45 bis 50 Jah-
phase 3).1 Nach der Reinigung der Skelette ren an. Die Schädelnähte sind endocranial
(Horst Kitzmüller) wurden diese im Zuge verschlossen, ectokranial noch sichtbar.
eines osteologischen Praktikums nach Alles zusammen lässt auf ein Sterbealter in
den gängigen Methoden anthropologisch der maturen Altersklasse zwischen dem 45.
befundet.2 und dem 50. Lebensjahr schließen.
133 Karin Wiltschke-Schrotta: Anthropologischer Befund zu den Gräbern bei der Filialkirche St. Johann
Zusammenfassung
125 (Doppelseite)
Ybbs an der Donau.
Stadtansicht. Die
durchgehende
Gebäudefront schließt
die Stadt Richtung
Nordosten ab. Der
Passauer Kasten ist
links von der Pfarrkirche
St. Laurentius situiert.
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137
126
Ybbs an der Donau.
Ausschnitt der
Stadtansicht mit
dem zur Donaulände
gewandten
Bauensemble. Im
linken Bildabschnitt
der Passauer Kasten,
anschließend die
erhöht auf einem
Geländeplateau
liegende Pfarrkirche
St. Laurentius und die
Reste der St.-Michaels-
Kapelle (rechts).
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139 Martin Obenaus, Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Der Passauer Kasten in Ybbs und sein Umfeld
127
Geländemodell
der Stadt Ybbs
an der Donau. Die
unterschiedlichen
Farben und
Höhenschichten geben
die topografischen
Verhältnisse wieder.
Deutlich erkennbar sind
das erhöhte Plateau im
Westen sowie der die
Altstadt begrenzende
Graben der Stadtmauer.
Zur Donau (Richtung
Nordosten) fällt
das Gelände um
mehrere Meter ab.
Tod Ottokars II. fiel das Erbe der Babenber- dem Habsburger von Ersterem ab) dürfte in
ger den Habsburgern zu. den folgenden Jahren und Jahrzehnten – vor
allem auch dank der Zuwendung Herzog
Das gegenüber König Rudolf von Habsburg Friedrichs des Schönen – zu einer positiven
offene Verhalten der Stadt21 im Jahr 1278 Entwicklung und einem Aufstieg geführt ha-
(Ybbs wandte sich in der Auseinanderset- ben; diese Vermutung wird durch diverse an
zung zwischen König Ottokar II. 3ĜHP\VO und die Stadt verliehene Privilegien bestätigt.22
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Der Kernbereich der Stadt Ybbs mit der schließlich noch der teilweise massiv
mutmaßlichen Ybbsburg an der Donau ausgeprägte, halbkreisförmige Graben der
liegt am orografisch rechten Donauufer. mittelalterlichen Stadtbefestigung.
Der Strom beschreibt hier eine deutliche
Schlinge, in deren Prallhang – rund 1,5 km
nordwestlich der Ybbsmündung – mit der Römische Spuren in und um Ybbs
Pfarrkirche, dem Kirchenplatz sowie der
vermuteten, zumindest babenbergerzeitli- Bereits seit dem frühen 16. Jahrhundert ist
chen landesfürstlichen Burg das Zentrum der Altertumswissenschaft ein Beleg für
der Altstadt liegt. die römische Präsenz in Ybbs bekannt. Es
handelt sich um den sogenannten »Dreikai-
Die ehemalige topografische Situation ist serstein« (CIL III 5670a), eine Bauinschrift
in diesem Bereich aufgrund der dichten aus dem Jahr 370 n. Chr., die einen Burgus
Bebauung und der mittelalterlichen bis nennt, der in der Regierungszeit der Kaiser
neuzeitlichen Überprägung nur mehr Valentinian, Valens und Gratian von »milites
schwer zu erahnen. Dennoch zeichnet sich auxiliares Lauriacenses« unter der Aufsicht
in diesem nordwestlichen, höher gelegenen ihres Kommandanten Leontius errichtet
Altstadtbereich einer der bezüglich des Ge- worden ist. Angeblich wurde der Stein am
ländereliefs interessantesten Punkte für ei- Donauufer bei Ybbs24 ausgegraben und laut
nen repräsentativen Wehrbau unmittelbar den Humanisten Wolfgang Lazius und Pe-
über der Donau ab. Dabei handelt es sich trus Apianus von Johannes Fuchsmagen
um den östlichsten Ausläufer des Plateaus, – einem Gefolgsmann Kaiser Maximilians
der mit seinen deutlich überhöhten Kanten I. – um 1508 nach Wien gebracht. Aufgrund
in Richtung des Stromes und der südöstli- des angegebenen Fundzeitraumes könnten
chen Altstadt nahezu einen rechten Win- die damals vorgenommenen, umfassenden
kel bildet. Auf dieser breiten ›Spornlage‹ spätgotischen Umbauarbeiten an der Pfarr-
befindet sich die heutige Stadtpfarrkirche, kirche St. Laurentius als Auffindungsanlass
während an ihrem Abhang jene Mauerzüge in Frage kommen. So wurde das Netzgewöl-
und der Passauer Kasten situiert sind, die be in dem mutmaßlich auf einen älteren Ge-
im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen. bäudeteil zurückgehenden Chorbereich in
den Jahren zwischen 1502/150325 und 151226
Aus geologischer Sicht handelt es sich im errichtet, während jenes des Langhauses
besagten Bereich (Passauer Kasten) um erst 1521 geschlossen wurde27. Der Inschrif-
Flussablagerungen des jüngeren Holozäns, tenstein scheint bereits 1622 beim Bau des
die den jüngsten Talboden im Ybbstal bil- Jesuitenklosters verlorengegangen zu sein.
den. Ab diesem Bereich steigt das Gelände Dennoch existiert eine Abschrift, die nach
langsam in Richtung Nordwesten an. Hier, Andreas Hofeneder28 folgendermaßen zu
im Arbeitsgebiet, liegt »Älterer Schlier« übersetzen ist:
aus dem Egerium (sandiger bis toniger, ge-
schichteter Schluff) unter den holozänen »Auf heilbringenden Befehl unserer Herren,
Ablagerungen.23 der stets regierenden Kaiser Valentinianus,
Valens und Gratianus, haben diesen Burgus
Die Beschreibung als Plateau beziehungs- von den Fundamenten an bis zum äußers-
weise Spornlage soll aber nicht darüber ten Dachfirst aufgrund des Auftrags des vir
hinwegtäuschen, dass nur etwa 4,5 m bis clarissimus, des comes und Heermeisters
5 m Höhenunterschied zwischen dem heu- beider Truppenteile, Equitius sowie unter
tigen Niveau des Passauer Kastens (ca. 219 Aufsicht des Kommandanten Leontius die
m Seehöhe) und jenem der Pfarrkirche St. dessen Befehl unterstellten Auxiliarsoldaten
Laurentius (ca. 223,5–224 m Seehöhe) be- von Lauriacum im dritten Konsulat der oben
stehen. Um die gesamte Altstadt verläuft genannten Herren und Fürsten errichtet.«29
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141 Martin Obenaus, Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Der Passauer Kasten in Ybbs und sein Umfeld
Die bisher bekannt gewordenen römischen zur der bereits vorgeschlagenen Rekon-
Funde aus Ybbs und seiner Umgebung wer- struktionsmöglichkeit als Kastellecke45, wie
fen die Frage nach der Bedeutung dieser sie bei Lagergrundrissen im sogenannten
Gegend in der Römerzeit und möglichen Spielkartenformat (rechteckige Grundform
Namensnennungen auf. Zuletzt wurden mit abgerundeten Ecken) vorkommt, fehlen
das in der Notitia dignitatum40 genannte bislang weitere Untersuchungsergebnisse.
Adiuvense, aber auch das in der Tabula
Peutingeriana41 angeführte Ad pontem Ises Aufgrund der eher unregelmäßig-gerundet
zur Diskussion gestellt. Adiuvense wird je- bis polygonal wirkenden Form mit recht-
doch ebenso häufig mit dem Kastell Wallsee winkeliger Mauerecke im Südosten käme
gleichgesetzt, während für Ad pontem Ises aber auch ein spätantikes Kleinkastell in
auch der Wachturm bei Neumarkt an der Frage. Derartige verkleinerte Bauten zeich-
Ybbs in Frage kommt (siehe oben).42 nen sich neben rechteckigen bis quadra-
tischen Grundrissen (meist bei sogenannten
Hier stellt sich vor allem die Frage, welche Rest- beziehungsweise Binnenkastellen)
Lokalitäten überhaupt in der nur noch auch häufig durch ihre ›unkonzipiert‹ wir-
als Abschrift des 12./13. Jahrhunderts er- kende, oft massivere und vielfach deutlich
haltenen Tabula Peutingeriana43 vermerkt dem Gelände angepasste Bauweise aus46,
beziehungsweise als wichtiger Wegpunkt wodurch sie sich von älteren, strenger ge-
erachtet worden sind. Für das jüngste, über planten und größeren Kastellen abheben.
das Mittelalter bis heute tradierte Exemplar Kleinkastelle dieses Bautyps wurden neben
wird als Vorbild eine spätantike Überarbe- den turmartigen Gebäuden offensichtlich
itung auf Basis älterer Grundlagen (Itinera- synonym als Burgus bezeichnet.47 Diese Be-
rium Antonini) angenommen, da bereits der festigungen gingen mit der Verkleinerung
Name Constantinopolis verwendet wird. des fest stationierten Grenzheeres (limita-
Als Herstellungszeitraum wäre somit zum nei/riparienses) konform, mit der ab der
Beispiel das frühe 5. Jahrhundert n. Chr. constantinischen Heeresreform gerechnet
denkbar.44 wird. Diesem stand ein Bewegungsheer
(comitatenses) in wechselnden Garnisonen
Betrachtet man die von der Forschung heute gegenüber. In den nun in weit geringerem
lokalisierten und anerkannten Namen, so Ausmaß genutzten alten Lagern wurde auch
fällt auf, dass neben übergeordneten Sied- die Zivilbevölkerung untergebracht.48
lungen, Lagern und Kastellen etc. nicht
genügend Lokalitäten überbleiben würden, Falls somit die Deutung als spätantikes
um auch alle kleineren Anlagen benennen Klein-/Restkastell respektive als Lager im
zu können. Denkbar wäre somit, dass Spielkartenformat zutrifft, die in geringem
Bauwerke wie Wachtürme und Burgi gar Ausmaß auch durch umgelagertes Fundma-
keine Beachtung gefunden haben, sondern terial gestützt wird, wäre es durchaus denk-
beispielsweise nur größere Standorte mit bar, dass es sich bei Ybbs an der Donau um
etwaiger Möglichkeit einer Quartiernahme. das in der Tabula Peutingeriana genannte
und 8 Meilen von Arelape/Pöchlarn ent-
Hinsichtlich der Baubefunde im Passauer fernte Ad pontem Ises handelt. Ein Burgus im
Kasten ist derzeit ein Wachturm bezie- Sinn eines Wachturmes (wie zum Beispiel in
hungsweise Burgus in seiner klassischen Neumarkt an der Ybbs) wäre wohl in dem
Form auszuschließen. Der freigelegte Mau- Kartenwerk nicht berücksichtigt worden.
erzug der Bauphase I.1 ist – falls die postu- Nach der Messung der genannten Weg-
lierte römerzeitliche/spätantike Datierung strecke in rezenten Kartenwerken würde
zutrifft – gerundet bis polygonal ausgeführt Ybbs an der Donau ebenfalls besser ins Bild
und besitzt einen Mauerfuß mit einer Stärke passen als Neumarkt an der Ybbs. So liegt
von bis zu 2,15 m. Für eine konkrete Aussage Ersteres – trotz Unkenntnis der genauen
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143 Martin Obenaus, Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Der Passauer Kasten in Ybbs und sein Umfeld
Wegführung – etwa 12,2 km (rund 8,2 Meilen) Zieht man diese Indizien und auch die Lage
von Pöchlarn entfernt, während nach Neu- im weiter gefassten Mündungsbereich der
markt an der Ybbs zumindest eine Distanz Ybbs in die Donau in Betracht, scheint es
von rund 13,8 km (9,3 Meilen) überwunden somit durchaus plausibel, Ad pontem Ises
werden muss. Somit läge die mögliche mit Ybbs an der Donau gleichzusetzen.
Lokalisierung in dem Bereich um die heu- Spätestens im Hochmittelalter wurde der
tige Pfarrkirche St. Laurentius näher an der Standort des postulierten spätantiken
angegebenen Distanz als jene in Neumarkt. Militärbaues als Burgstandort wieder-
Auffällig dabei ist allerdings, dass beide genutzt (Ybbsburg), was möglicherweise
möglichen Lokalisierungen von Ad pontem durch eine massive, hangaufwärts ge-
Ises (»bei der Isesbrücke [Ybbsbrücke?]«) in legene Quadermauer und weitere Bauten
deutlicher Entfernung zum heutigen Verlauf (Michaelskapelle sowie der im Kern der
der Ybbs liegen. Diese Distanz beträgt bei Pfarrkirche St. Laurentius erhaltene Bau-
der Fundstelle in Neumarkt rund 1,24 km körper) belegt werden könnte.
und beim vermuteten Bereich in Ybbs etwa
1,45 km.
1 NÖUB I, Nr. 7, 92. – Zehetmayer 2007, 141–142. 24 Daneben wurde auch immer wieder Lauriacum/
2 NÖUB I, Nr. 3d, 34. Enns als Fundort der Inschrift in Betracht gezogen.
3 Kühtreiber 2017, 156–157. 25 Klaar 1961, 95.
4 NÖUB I, Nr. 3d, 34. 26 Bauinschrift über dem Triumphbogen, der
5 NÖUB I, Nr. 13, 157. das Langhaus vom Presbyterium trennt.
6 NÖUB I, Nr. 12g. 27 Klaar 1961, 95. – Dehio 2003, 2758.
7 NÖUB I, Nr. 29. 28 Ployer 2015a, 192.
8 NÖUB I, Nr. +32 und Varianten, 29 Übersetzung: Andreas Hofeneder.
408. – Kühtreiber 2017, 157. 30 Ebner und Ubl 1971, 87. – Eckhart 1976, 66, Nr. 97.
9 NÖUB II/1, 131–132. 31 Fleischer 1967, Nr. 205, 63.
10 NÖUB II/1, 135. 32 Moßler 1967, 18.
11 Obenaus 2017, 155. 33 Pink 1920/33, 29 Nr. 1.
12 Kühtreiber 2017, 156–157. – Obenaus 2017, 155–156. 34 Fundstellendatenbank der Abteilung für
13 Büttner 1985, 628. Archäologie des Bundesdenkmalamtes,
14 Deák 1982, 346. Fundplätze 14420.13 und 14420.26.
15 Reichhalter und Schicht 2007b, 392. 35 Moßler 1967, 18. – Genser 1986, 228–
16 Labuda 2008. – Zur Urkunde des Jahres 1239 siehe 231. – Zabehlicky 1989a, 122–123.
auch: Diözesanarchiv Graz-Seckau, Pfarrurkunden 36 Groh und Sedlmayer 2002, 560. – Gassner u. a.
II-4, http://monasterium.net/mom/AT-DAGS/ 2003, 310. – Hameter 2015, 24–25. – Ployer 2018, 14.
Pfarrurkunden/II-101_/charter [Zugriff: 3. 9. 2016]. 37 Fundstellendatenbank der Abteilung für
17 St. Pölten, Augustiner Chorherren (976– Archäologie des Bundesdenkmalamtes,
1668), 1232, http://monasterium.net/mom/ Fundplätze 14420.28, 14420.29 und 14420.30.
StPCanReg/1232/charter [Zugriff: 4. 12. 2017]. 38 Ployer 2015g, 193. – Ployer 2018, 119.
18 Oberösterreichisches Landesarchiv, Urkunden 39 Ployer 2015h, 191. – Ployer 2018, 60–61.
Garsten (1082–1778), 1247 III 13, http://monasterium. 40 Notitia dignitatum occ., XXXIV.40.
net/mom/AT-OOeLA/GarstenOSB/1247_ 41 Tabula Peutingeriana, segm. III.5.
III_13/charter [Zugriff: 4. 12. 2017]. 42 Ployer 2015a, 192.
19 Wiener Stadt- und Landesarchiv, Hauptarchiv – 43 Weber 2016, 23–26.
Urkunden (1177–1526) 2, http://monasterium.net/mom/ 44 Weber 2016, 37.
AT-WStLA/HAUrk/2/charter [Zugriff: 4. 12. 2017]. 45 Wie sie beispielsweise im nahe gelegenen Locus
20 Reichhalter und Schicht 2007b, 393. Felix (?)/Mauer an der Url (Steigberger 2015, 188–
21 1276 scheint Ybbs erstmals mit der 190; Ployer 2018, 58–59) sowie in Arelape/Pöchlarn
Bezeichnung »civitas« auf. Vgl. Reichhalter (Hinterwallner und Schmid 2015; Ployer 2018,
und Schicht 2007b, 393; Dehio 2003, 2754. 66), Schlögen (Ployer 2018, 22–23), Lauriacum/
22 Verleihung des Uferrechts im Jahr 1314, Verleihung Enns (Ployer 2018, 34–37) und Albing (Gugl 2015,
des Blutbanns im Jahr 1317: Dehio 2003, 2754; Labuda 178; Ployer 2018, 42–45) dokumentiert wurden.
2008. – Verleihung des Überfuhrrechts (Urfahr) im Jahr 46 Als Beispiele am norischen Limes sind die spätantiken
1319: Labuda 2008. – Bestätigung diverser Privilegien Kastelle von Boiotro/Passau und das Kleinkastell von
und des Burgfriedens innerhalb der angegebenen Stanacum (?)/Oberranna zu nennen: Moosbauer 2015,
Grenzen durch die Brüder Albrecht III. und Leopold 128–130; Ployer 2015i, 138–139; Ployer 2018, 20–21.
III. im Jahr 1377: Chmel 1838, 13–15; Labuda 2008. 47 Hock 2001, 143–144.
23 Schnabel u. a. 2002, 20, 28. 48 Fischer 2015, 35–36. – Ployer 2018, 13–15.
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145
BAUHISTORISCHE FORSCHUNGEN
UND BESITZGESCHICHTE
Im Anschluss an die in den Jahren 2014 bis beziehungsweise zu falsifizieren, war zuvor
2016 durchgeführten archäologischen Gra- bereits im Rahmen mehrerer Grabungs-
bungen fand 2016 – auf Initiative des Bun- kampagnen erfolgt, deren Ergebnisse im
desdenkmalamtes – eine bauhistorische Anschluss vorgestellt werden.1
Untersuchung im Bereich des sogenannten
Passauer Kastens statt. Im Fokus der Arbei-
ten stand die Erfassung und Erforschung Die Besitzgeschichte
des historischen Baubestandes sowie seiner des Passauer Kastens
Besitz- und Nutzungsgeschichte. Besondere
vom Mittelalter bis zur Neuzeit
Berücksichtigung fand dabei auch die Frage
nach möglichen römischen Siedlungsresten
im Passauer Kasten beziehungsweise sei- Die Besitzgeschichte des heute unter dem
nem näheren Umfeld. Ein erster Versuch, Namen »Passauer Kasten« bekannten Ob-
die Existenz eines römischen Burgus oder jektes wird in der einschlägigen Literatur
Kastells in Ybbs an der Donau zu verifizieren unterschiedlich dargestellt: So finden sich
130
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Ansicht der
Nordostfassade
(Hauptfassade
Richtung Donau).
Der zweigeschoßige
Saalbau grenzt
rechts direkt an
den Ostabschluss
der Pfarrkirche St.
Laurentius. Links
im Bild schließt das
Gebäude Hauptplatz
Nr. 6 an (Blick Richtung
Südwesten).
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131
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Ansicht der Nordost-
und der Südostfassade.
Der Baukörper
springt aus der
Bebauungsflucht der
zur Donau gerichteten
Häuserzeile vor.
Im Hintergrund
die Pfarrkirche St.
Laurentius und die St.-
Michaels-Kapelle (Blick
Richtung Westen).
die Angaben, dass das Objekt ursprünglich aus kirchengeschichtlicher Sicht, so zeigt
als Palas der urkundlich 1073 genannten sich zudem, dass das Hochstift Passau – mit
Ibseburch errichtet2 worden ist und sich – Ausnahme des von der Forschung postu-
gemeinsam mit dem im Südwesten angren- lierten Passauer Kastens – in Ybbs an der
zenden und als Passauer Hof (Hauptplatz Donau keinen Besitz hatte. In den Urbaren
Nr. 8) interpretierten Gebäude – seit dem 13. des 13. und 14. Jahrhunderts fehlt jeglicher
Jahrhundert3 bis in das Jahr 1822 im Besitz Hinweis, der »auf einen bischöflichen Be-
des Hochstiftes Passau befunden hat. Die sitz in der Stadt schließen ließe. Lediglich
Nutzung als Keller- und Kastenamt wird im Verzeichnis der Kirchenlehen in Nieder-
dabei seit dem 13. Jahrhundert angenom- österreich wird Ybbs genannt«.6 Bei diesem
men.4 Dem steht die These gegenüber, dass predium ecclesie handelt es sich um ein Re-
das Gebäude durch das Hochstift Passau im gister niederösterreichischer Kirchenlehen,
frühen 13. Jahrhundert als repräsentativer welches die Verhältnisse um die Mitte des
Verwaltungssitz erbaut und nach einem 13. Jahrhunderts darstellt, inhaltlich aber
Bedeutungsverlust im Lauf des 13./14. Jahr- teilweise auf ein älteres Schriftstück (mög-
hunderts als Speicher adaptiert worden ist.5 licherweise aus den Jahren um 1236) zu-
Beide angeführten Varianten weisen jeden- rückgreift.7 Im Fall von Ybbs an der Donau
falls seit dem 13. Jahrhundert das Hochstift wurde die Kirche durch den Herzog (dux)
Passau als Eigentümer des Objektes aus. vergeben – er verfügte über das Patronats-
recht der Kirche –, während der Pfarrbezirk
Im Zuge der Recherchen konnte der ange- dem Passauer Bischof zugesprochen wur-
führte mögliche Besitzwechsel des Saal- de; den Zehnt des Pfarrbezirkes bezogen
baus im 13. Jahrhundert zugunsten des die Passauer Kanoniker.8 Dieser Umstand
Hochstiftes Passau nicht bestätigt werden; unterstreicht den Einfluss der Babenberger
bis dato fehlen generell eindeutige Quel- in der Stadt Ybbs im 13. Jahrhundert, der es
len, die Informationen zur frühen Besitzge- dem Hochstift unmöglich gemacht haben
schichte des Objektes liefern könnten. Be- dürfte, sich dort zu entfalten. Im Gegen-
trachtet man die historische Entwicklung satz dazu war es Passau aber möglich, im
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147 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
132
Urkunde aus dem Jahr
1445 mit vier Siegeln.
Hans Feuchter verkauft
dem »Capitel des
Tumbs zu Passau« seine
beiden in der Stadt
Ybbs gelegenen Häuser.
Umfeld der Stadt Besitzungen und Rechte Jahr 1445 aus dem Besitz von Hans Feuchter
zu erwerben.9 in jenen des Hochstiftes Passau übergegan-
gen ist, eine Interpretation, die auch mit
Die älteste für die Autoren fassbare schrift- den Erkenntnissen Martin Hofbauers13 zu
liche Quelle, welche sich auf das Objekt den Herrschafts- und Besitzverhältnissen
Donaulände Nr. 7 (Passauer Kasten) und des Hochstiftes Passau im 13. und 14. Jahr-
den zum Hauptplatz gewandten Gebäude- hundert korreliert.
abschnitt (Hauptplatz Nr. 8, Kirchenplatz
Nr. 2) bezieht, stellt eine Verkaufsurkunde Eine Bestätigung dieses Besitzwechsels
zwischen »Hans Feuchter Pfarr[er] zu Ra- findet sich auch im Vetus Urbarium (um
velspach [...] Chastn[er] zu Ybs« und dem 1510–1520) des Domkapitels zu Passau, wel-
»Capitel des Tumbs zu Passau« (dem Dom- ches neben Zehnten in »Pesenpewg« und
kapitel zu Passau) aus dem Jahr 144510 dar. In »Krantz bey Ibbs« auch ein »haws zu Ybbs an
dieser verkauft Hans Feuchter seine beiden den freithof14« gelegen anführt; ein Passauer
in der Stadt Ybbs gelegenen Häuser, welche Kasten in Ybbs an der Donau wird im Rah-
im Siedlungsgefüge beieinander »zunagst men der Urbare des Passauer Domkapitels
zwischen dem freithof und Wolfgangen des vom 12. bis 16. Jahrhundert15 nicht explizit
Purchstaler hause [...] dem hinderm hause genannt.
gelegen auf die Tunau und stösst mit ei-
nem ozth an den Thor der Kirchen [...] dem Demgegenüber muss an dieser Stelle jedoch
vorderen hause das da ligt hinaus an den auf »Hanns Soher, Bürger und Stadtschrei-
Markcht«11 zu verorten sind. Aufgrund der ber zu Ybbs und des Passauer´schen Capi-
detaillierten Lagebeschreibung erlaubt die tels Kastner zu Ybbs«16 hingewiesen werden,
Urkunde mutmaßlich eine Identifizierung welcher in einer Quelle des Jahres 1552
mit den heute zu einem Gebäudekomplex aufscheint. Diese Nennung deutet bereits
zusammengewachsenen Baukörpern12 im auf das Bestehen eines Passauer Kastens
Südosten des Kirchenplatzes. Dies würde in Ybbs an der Donau um die Mitte des
bedeuten, dass der Passauer Kasten erst im 16. Jahrhunderts hin. Aufgrund des bereits
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'RQDXOÇQGH
,QQHQKRI
(UGJHVFKR
.LUFKHQSODW]
133 erwähnten Umstands, dass diese Bezeich- nachgewiesen werden. Neben der Nennung
Ybbs an der Donau,
nung in den Urbaren des Domkapitels aus eines Kastenhauses des Domkapitels von
Passauer Kasten.
Baualterplan des besagtem Zeitraum in Ybbs an der Donau Passau in einem Ratsprotokoll der Stadt
Erdgeschoßes. Saalbau nicht aufscheint, ist die Aussagekraft der Ybbs aus dem Jahr 160818 haben sich ein
mit spätmittelalterlicher Quelle jedoch zu hinterfragen. Im Rah- Steuerbuch des Passauer Kastenamts Ybbs
Erweiterung und den im
men der gegenständlichen Untersuchung für das Amt Struden19, welches den Zeitraum
Nordwesten liegenden
beziehungsweise konnte die Originalurkunde nicht ausfindig zwischen den Jahren 1637 und 1675/1676 er-
teilweise integrierten gemacht werden; sie lag den Autoren nur fasst, ein Zehentbuch des Domkapitels von
Mauerzügen der aus einem Regest des 19. Jahrhunderts vor. Passau über das Kastenamt zu Ybbs20 aus
Bauphasen I.1 und I.2.
Dasselbe gilt auch für die Nennung eines dem Jahr 1657 sowie ein Zehentbuch des
»Elias Wibmer, Passauischen Kastners zu passauischen Kastenamtes Ybbs21 von 1663
Stein und Ybbs und Zehentamtsverwalters (das den Getreidezehnt in und um Ybbs
zu Krems«17 im Jahr 1587. beinhaltet) erhalten. Dass es sich bei dem
Getreidespeicher – einem Passauer Kasten
Gesichert kann das Bestehen eines Passauer – um den im Fokus dieser Untersuchung
Kastenamtes in Ybbs an der Donau erst- stehenden Baukörper am »freithof« handelt,
mals ab dem Beginn des 17. Jahrhunderts kann aufgrund der bereits dargestellten
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149 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
Abb. 135
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Ansicht der
Nordostfassade.
Die repräsentative,
der Donaulände
zugewandte
Hauptfassade weist eine
Vielzahl von primären
Ausstattungselementen
sowie sekundär
eingebrochenen
Fensteröffnungen
auf (Blick Richtung
Südwesten).
151 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
138 (links)
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Wandfläche in
Raum 1.04 mit
einem als Auflager
einer Balkendecke
(Tramdecke?)
interpretierten
Mauerrücksprung. Im
linken Bildabschnitt die
nach unten verlängerte
Türnische eines
Rundbogenportals
(Blick Richtung
Nordosten).
0.03 und 0.05 verbindet), welches das Ge- Wie bereits die primären Architekturdetails
bäude von der zur Siedlung – der späteren (Fenstergliederung und Portale) der zur
Stadt Ybbs – gewandten Seite erschloss, Donau gerichteten Fassade vermuten las-
sowie eines einzelnen Baubefundes in sen, verfügte das Gebäude in seiner ersten
139 (rechts)
Form einer Tür- oder Fensternische im Nutzungsphase über zwei Geschoße (Erdge- Ybbs an der Donau,
Obergeschoß keine sichtbaren Elemente schoß und 1. Obergeschoß). Die Form der die Passauer Kasten.
erhalten. Im Bereich der Nordwestfassade Geschoße trennenden Deckenkonstruktion Wandfläche in
Raum 1.05 mit
befindet sich im Erdgeschoß ein weiteres, kann angesichts fehlender respektive stark einem als Auflager
noch nicht restauriertes Rundbogenfens- überprägter Befunde nicht gesichert rekon- einer Balkendecke
ter. Zur ursprünglichen Ausstattung des struiert werden. Ein in den Räumlichkeiten (Tramdecke?)
interpretierten
Innenraums kann mutmaßlich nur ein des 1. Obergeschoßes (Raum 1.02–1.05) etwa
Mauerrücksprung (Blick
weitgehend zerstörtes Portal im Bereich auf gleicher Höhe erkennbares Auflager Richtung Nordosten).
der Zwischenmauer des 1. Obergeschoßes erlaubt jedoch die Vermutung, dass es
gezählt werden. sich um eine Nordost-Südwest gespannte
140
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Geschoßeinteilung
in der Bauphase II.1
(Nordwest-Südost
verlaufender Schnitt
durch den Saalbau).
6FKQLWW)) Der Saalbau war
ursprünglich in zwei
Geschoße geteilt.
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141
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Ansicht der ehemaligen
Südwestfassade des
Saalbaus, die heute die
Räume 0.03 und 0.08
trennt. Das lagerhafte
Bruchsteinmauerwerk
in der Bildmitte stellt
die Bauphase II.1 dar.
Im linken Bildabschnitt
ist ein Teil des in den
Saalbau integrierten
Mauerzuges der
Bauphase I.1 erkennbar
(Blick Richtung
Nordosten).
Der Grundriss des rechteckigen Baukörpers Der Bauzustand zum Zeitpunkt der Unter-
wird durch eine massive Zwischenmauer suchungen erlaubte unter anderem eine
in einen 15,90–16,06 × 8,00 m großen Raum Beurteilung der Mauerwerksstruktur im
(Innenmaße) im Nordwesten sowie ei- Bereich der ehemaligen Südwestfassade
nen kleineren, 5,70 × 8,00–8,07 m großen (Raum 0.05, 0.08) und des Giebels (Raum
142 3.04). Die ausgeführte Versatztechnik33 ist
Ybbs an der Donau, für die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts ty-
Kirchendurchgang. pisch. Eine Betonung der Gebäudeecken in
Dokumentation im
Form von großformatigen Quadern, wie sie
Zuge der Erdarbeiten
im Jahr 1991. Die in diesem Zeitraum häufig auftritt34, kann
spätmittelalterliche im Fall des Passauer Kastens zumindest für
Stadtmauer wurde das Erdgeschoß ausgeschlossen werden35.
bereits teilweise
abgebrochen; im
Vordergrund die In der Nordostfassade des Obergeschoßes
Mauerzüge der (der Hauptfassade) hat sich ein profiliertes
Bauphasen I.1 und I.2,
Rundbogenportal erhalten, welches ur-
im Hintergrund der
Saalbau. Eine Betonung sprünglich den Zugang zu einem Balkon,
der nördlichen einer Freitreppe oder einer Altane ermög-
Gebäudeecke durch licht habe dürfte. Die Anläufe des Portals
großformatige
sind als »Hornanläufe« ausgeführt und
Mauersteine ist nicht
erkennbar (Blick konnten auch bei den Fenstergewänden
Richtung Südosten). der Biforien und den Gewänderesten des
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153 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
143
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Ansicht der
Nordostfassade mit
den im Bereich des
1. Obergeschoßes
erhaltenen primären
Ausstattungselementen
(Blick Richtung
Westen).
144 (links)
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Das erhöht liegende
Portal im Bereich
der Nordostfassade
in der Zwischenmauer des 1. Obergescho- Rundbogenportale gezählt werden und ist ermöglichte die
ßes situierten Portals beobachtet werden. eng mit dem Portal des Karners der ehema- Erschließung einer
Aufgrund der stilistischen Ausführung (in ligen Pfarrkirche St. Martin in Hainburg an Freitreppe oder eines
Balkons im Bereich
Form eines durch Wulst und Kehle profi- der Donau (Niederösterreich) – datiert in des 1. Obergeschoßes.
lierten Gewändes mit Hornanläufen nur die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts36 Kennzeichnend für das
wenige Zentimeter über der Türschwelle – verwandt. Einen weiteren Vergleich, der Rundbogenportal sind
die Profilierung durch
sowie mit einem ohne Kämpfer zum Rund- jedoch über mehrere Gewändestufen ver-
Wulst und Kehle, die
bogen übergehenden Abschluss) kann es fügt, bieten das Nord- und das Südportal Hornanläufe sowie der
zur Gruppe der kapitell- und kämpferlosen der im Jahr 1213 gestifteten37 und in Folge kapitell- und kämpferlos
ausgeführte Übergang
zum Rundbogen (Blick
Richtung Südwesten).
145 (rechts)
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Ansicht des die
Räume 1.05 und
1.06 verbindenden
Portals. Die Gestaltung
des erhaltenen
Steingewändes (im
Zuge der Veränderung
der Türöffnung
großteils zerstört) ist
ident mit jener des
Rundbogenportals in
der Nordostfassade
(Blick Richtung
Südosten).
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148 (rechts)
Bad Deutsch-Altenburg,
Pfarrkirche Maria
Himmelfahrt. Auch
dieses Portal zeigt –
trotz der Ausführung
mit mehreren
Gewändestufen – große
Ähnlichkeit zu den
primären Portalen des
Passauer Kastens in
Ybbs an der Donau.
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155 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
149 (links)
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Primäre Fensteröffnung
in Form eines Biforiums.
Kennzeichnend für das
Zwillingsfenster sind
die zwei spitzbogig
überfangenen
Öffnungen mit
profiliertem Gewände,
die durch eine
schlanke Mittelsäule
getrennt sind.
150 (rechts)
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Innenraumes erinnern jedoch markant an – mit einem nahezu exakten, jedoch nur Detail des oberen
Abschlusses der
die im Passauer Kasten befundete Situation. noch als Rekonstruktion50 erhaltenen Ver- Fensteröffnung.
Bei allen genannten Beispielen lassen sich gleichsbeispiel an. Bei der übrigen Gestal- Über der Mittelsäule
zudem – wie bei den Architekturdetails des tung der das Obergeschoß des Sommerpalas schließt ein
Kelchknospenkapitell
Passauer Kastens – profilierte Werksteine gliedernden Triforien lässt sich hingegen
(Knospen sind
mit Hornanläufen beobachten, ein Gestal- keine Übereinstimmung zu den Fenster- bereits abgebrochen)
tungselement, welches als Leitmotiv geho- befunden des Passauer Kastens von Ybbs an, darüber folgt
bener frühgotischer Baukunst gilt.44 beobachten. der Kämpfer mit
Hornanläufen.
Neben den angeführten Parallelen ist auch Der dargestellte Baubestand der Bauphase
eine Verwandtschaft mit einer Gruppe von II.1 – dazu zählt neben dem Baukörper in
Fensterformen landesfürstlicher Saalbau- Grund- und Aufriss auch die Bauplastik – ist
ten, deren Kapitelldekor den frühgotisch- mit einer Gruppe landesfürstlicher Saalbau-
französischen Typ repräsentiert45, erkenn- ten (sogenannter Hofresidenzen) in städti-
bar. Das Biforium der Babenberger Residenz schen Zentren wie Krems an der Donau51,
von Wiener Neustadt46 bietet aufgrund der Wiener Neustadt52 und Klosterneuburg53
erhaltenen Säulenkomposition wohl den
treffendsten Vergleich, wenngleich das
Kelchknospenkapitell durch den zusätz-
lichen Blattdekor von jenen des Passauer
Kastens zu unterscheiden ist. Fragmente
eines weiteren Kelchknospenkapitells mit
aufgesetzten Ahornblättern sowie Reste
eines schlanken Säulenschaftes wurden
aus Schuttschichten des 15. Jahrhunderts
im sogenannten Herzogshof in Krems an 151
der Donau geborgen.47 In beiden Fällen wur- Wiener Neustadt,
de bereits von den Bearbeitern48 die enge Biforium aus der
Propstei (heute
Beziehung zu den blattbesetzten Knos-
im Stadtmuseum
penkapitellen der »Capella Speciosa«49 in Wiener Neustadt).
Klosterneuburg herausgearbeitet. Direkt an Der Kapitelldekor
die Capella Speciosa grenzen die baulichen repräsentiert
ein Beispiel des
Reste des sogenannten Sommerpalas – ei- frühgotisch-
nes Teils der babenbergischen Herzogspfalz französischen Typs.
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157 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
Der Bautypus des Passauer Kastens entspricht einem Saalbau, im engeren Sinn einem
Saalgeschoßbau.58 Eine Ansprache als Palas wird aufgrund der möglichen Assoziation
des Objektes mit der im Bereich der Pfarrkirche St. Laurentius vermuteten Burganlage59
bewusst vermieden, da die Zugehörigkeit des Passauer Kastens zu einer Burg in ›klassischer‹
Form bis dato nicht geklärt ist. Architekturelemente mit wehrhaftem Charakter konnten
im Zuge der bauhistorischen Untersuchung des Objektes – wenngleich nicht überraschend
– nicht beobachtet werden.
Betrachtet man die Abmessungen60 und die Raumgliederung, so zeigt der Passauer Kasten
deutliche Parallelen zu Saalbauten des frühen 13. Jahrhunderts im städtischen Umfeld,
wie sie beispielsweise aus Krems an der Donau (Herzogshof)61 und Hainburg an der Do-
nau (Haus der Theodora)62 bekannt sind. Bis zu welchem Grad die baulichen Reste der
Babenbergerresidenz (Propstei) in Wiener Neustadt63 ein Vergleichsbeispiel darstellen,
ist aufgrund des nur partiell erhaltenen Grundrisses nicht gewiss. Die Baubefunde lassen
aber zumindest einen 6,5 × 8,6 m großen Raum64 sowie den Ansatz eines weiteren Raumes
im Südwesten der Anlage rekonstruieren.
Guts- und Lesehöfe dienten gleichermaßen als Sitz von Funktionsträgern sowie Zentren
der Verwaltungstätigkeit und als Wirtschaftsgebäude zur Lagerung und Verarbeitung des
Erntegutes – von der Weintraube bis hin zum Wein, einem bereits im Mittelalter bedeuten-
den Wirtschaftsgut. Errichtet wurden sie vorwiegend durch Klöster, aber ebenso durch den
Adel und die Landesfürsten. Ihr Vorkommen lässt sich nicht nur in den Weinbaugebieten
selbst, sondern auch in den nahe gelegenen Städten beobachten.68 Charakteristisch für
diesen Bautyp ist der zweigeschoßige Saalbau, welcher im Kellergeschoß als Lager- und
Arbeitsraum, im Obergeschoß für Wohn- und Repräsentationszwecke genutzt wurde.69
Neben den Saalbau treten diverse Nebengebäude, die den Baukomplex im Lauf der Zeit
ergänzen (etwa Toranlagen, Türme oder Umfassungsmauern). Auch das Vorkommen von
Kapellen, speziell bei Anlagen im Klosterbesitz, ist mehrfach belegt.70
Als frühes Beispiel kann unter anderem der Göttweigerhof in Stein an der Donau (Nie-
derösterreich) genannt werden. Der Baukomplex verfügt über einen ungegliederten Saal
mit Außenabmessungen von 21,2 × 8,6 m. Kunsthistorisch wird der vermutlich bereits als
Speicher konzipierte Bau in die Jahre um 1200 beziehungsweise in das 13. Jahrhundert
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152
Stein an der Donau,
Göttweigerhof. Ansicht
des Saalbaus (Blick
Richtung Nordwesten).
datiert.71 Ein ähnliches Bild zeigt das stark umgebaute Granarium (Korn- und Getreide-
speicher) im Bereich des Dominikanerklosters von Krems an der Donau: Der im Nordtrakt
der Klosteranlage integrierte, ungegliederte Speicherbau72 soll im 12. Jahrhundert73 als
Passauer Kasten74 entstanden sein. Nur wenige Meter östlich schließt der Gebäudekomplex
des im 12. Jahrhundert75 beziehungsweise um 130076 errichteten Passauerhofes (heutiger
Pfarrhof) an, der Franz Biberschick zufolge aus Wohn- und Wirtschaftsgebäuden sowie
einer Hauskapelle bestand. Zu den Wohn- und Wirtschaftsgebäuden ist auch ein in einer
Länge von 37 m und einer Breite zwischen 7,75 m und 9 m errichteter Saalbau zu zählen;
die primäre Gliederung des Gebäudes sowie seine bauzeitliche Ausstattung finden bei
Biberschick keine Erwähnung.77 Ebenfalls diesem Bautypus zugehörig, jedoch nur teilweise
archäologisch erfasst ist der in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erbaute Passauer
Hof in Klosterneuburg.78 Auch hier konnte ein rechteckiger, durch »Schwibbögen« in drei
Joche79 unterteilter Saalbau (rekonstruierte Außenabmessungen 29,4 × 9,7 m) freigelegt
werden.
Die Dimensionen der vermutlich bereits bauzeitlich zur Lagerung von Wein und Getreide
genutzten Objekte sind mit jenen des Passauer Kastens von Ybbs an der Donau vergleichbar,
während die Gliederung in zwei ungleiche Raumabschnitte im Erd- und im Obergeschoß
(!) sowie die herausragenden Architekturdetails – falls nicht durch spätere Umbauten zer-
stört – bei den angeführten Beispielen der Lesehöfe keine Erwähnung finden. Eine große
Einfahrt im Erdgeschoß, die für einen Lesehof unabdingbar war, konnte wiederum am
Passauer Kasten von Ybbs an der Donau nicht beobachtet werden. Der ab 126380 urkundlich
genannte Passauer Hof (Großer Passauer Hof81 und Kleiner Passauer Hof82) in Stein an der
Donau sowie eine Reihe von weiteren Lesehöfen in Niederösterreich83 wurden aufgrund
des Baualters nicht als direkte Vergleichsbeispiele herangezogen, wenngleich diese die
bauliche Tradition hinsichtlich Grundrisstypus und Funktionalität fortzusetzen scheinen.
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159 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
153
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Baualterplan des
Erdgeschoßes. Saalbau
(Bauphase II.1) mit
'RQDXOÇQGH
dem im Südwesten
anschließenden
Nachbargebäude
Kirchenplatz Nr.
2 (Bauphase II.2),
dem im Südosten
anschließenden
Nachbargebäude
Hauptplatz Nr. 6
(Bauphase III) sowie
der Erweiterung
(Bauphase IV).
,QQHQKRI
(UGJHVFKR
.LUFKHQSODW]
154
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Ansicht der ehemaligen
Nordostfassade des
Objektes Kirchenplatz
Nr. 2, die heute das
Nachbargebäude
von Raum 0.08
trennt. Das lagerhafte
Bruchsteinmauerwerk
stellt die Bauphase
II.2 dar; im oberen
Abschnitt wird die
Wandfläche durch das
Gewölbe der Bauphase
VI verdeckt (Blick
Richtung Südwesten).
weiter nach oben fortsetzt oder auf die (Kompartimente). Die Mauerwerksstruktur
Sockelzone beschränkt ist, kann aufgrund spricht für eine zeitliche Einordnung in die
der Befundsituation nicht beurteilt werden; erste Hälfte des 13. Jahrhunderts. Die zeit-
möglicherweise handelt es sich bereits liche Abfolge der Errichtung des Objektes
um eine Vorstufe von Ausgleichslagen der Bauphase II.2 und des Passauer Kastens
155
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Ansicht der ehemaligen
Nordostfassade des
Objektes Kirchenplatz
Nr. 2. Im Zuge der
archäologischen
Grabung wurde auch
der Fundamentbereich
freigelegt; die
unregelmäßigen
Bruchsteine wurden in
einzelnen, annähernd
horizontalen Lagen
versetzt (Blick Richtung
Südwesten).
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161 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
156
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Ansicht der ehemaligen
Nordwestfassade des
Objektes Hauptplatz
Nr. 6, die heute das
Nachbargebäude von
Raum 0.05 trennt (Blick
Richtung Südosten).
(Bauphase II.1) ist anhand der typologischen Periode mit dem heute zum Gebäude Haupt-
Merkmale nicht beurteilbar, doch spricht platz Nr. 6 zählenden nordöstlichen Trakt
die unterschiedliche Ausführung des Mau- (der Donaulände zugewandter Gebäudeab-
erwerks im Fundamentbereich sowie im schnitt) partiell bebaut. Der Baukomplex
Aufgehenden gegen eine Gleichzeitigkeit.
Diese Interpretation wird auch durch die
archäologischen Befunde bestärkt.85
Hauptplatz Nr. 6 war allerdings nicht Teil errichtet wurde. In welcher Form sich die
der bauhistorischen Untersuchung, weshalb Adaptierungen der Bauphase IV auch im
keine gesicherte Aussage zur Baugeschichte Bereich der südwestlich liegenden Gebäu-
des Gebäudes getroffen werden kann. detrakte (Hauptplatz Nr. 8, Kirchenplatz Nr.
2) fortgesetzt hat, ist derzeit ungewiss. Die
Die zeitliche Einordnung beruht auf den im einheitliche Gestaltung der Hoffassaden
Bereich des Erdgeschoßes der spätmittelal- sowie das von Südwesten nach Nordos-
terlichen Erweiterung des Passauer Kastens ten geführte Erschließungssystem lassen
(Bauphase IV, Mitte/zweite Hälfte 15. Jahr- aber ein übergeordnetes Konzept, welches
hundert) sichtbaren Baubefunden, welche den gesamten Baukomplex umfasste,
für eine Errichtung in der Zeit von der vermuten.
zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bis zum
14. Jahrhundert sprechen. Als datierendes Über den nordwestlichen Abschluss der an
Element ist das Kompartimentmauerwerk den Saalbau grenzenden Erweiterung kann
mit einer Kompartimenthöhe von bis zu mangels entsprechender Befunde derzeit
0,60 m zu nennen. Der in der Mitte/zweiten nur spekuliert werden: Die heute fassbare
Hälfte des 15. Jahrhunderts erfolgte Anbau Zwischen-/Außenmauer im Nordwesten
(siehe Bauphase IV) ist deutlich durch eine gehört zum Baukörper der angrenzenden
die Gebäude trennende Baufuge nachvoll- Pfarrkirche (Bauphase V), weshalb spätes-
ziehbar; die ehemalige Außenmauer des tens zu diesem Zeitpunkt eine ältere Lö-
Objektes Hauptplatz Nr. 6 dient seitdem sung – falls ein Raumabschluss in diesem
als Zwischenmauer zum Gebäudekomplex Abschnitt überhaupt vorhanden war und
des Passauer Kastens. der Bereich nicht als Innenhof genutzt
wurde – ersetzt worden sein muss. Eine
Die Erweiterung Möglichkeit wäre, dass ein Teil der Befes-
im Spätmittelalter (Bauphase IV) tigungsmauer (wie im Bereich des Saalbaus
In der Bauphase IV erfolgte erstmals eine aus Bauphase II.1) im Zuge der Umbauar-
Erweiterung des Saalbaus, indem parallel beiten in Bauphase IV als Außenmauer
zur Südwestfassade (Bauphase II.1) ein verwendet worden ist; diese Interpretation
rechteckiger Baukörper angefügt wurde. würde aber das Bestehen derselben zum
Dieser mutmaßlich im Erd- und 1. Oberge- damaligen Zeitpunkt über die heute erhal-
schoß in zwei Räume geteilte Anbau nahm tene Höhe voraussetzen. Die archäologi-
in seiner Planung und Ausführung auf die schen Befunde, konkret die Überlagerung
bereits bestehende Bebauung im Bereich der Mauerkrone der Bauphase I.1 durch die
von Gst. Nr. .115 (Saalbau aus Bauphase II.1, Planierungsschicht SE 36/12286, bieten ei-
Gebäude aus Bauphase II.2) und Gst. Nr. nen groben Terminus ante quem. Dadurch
.114 (Objekt Hauptplatz Nr. 6, Bauphase III) kann der Zeitraum des Mauerabbruchs vor
Bezug. Im Übergang zum Nachbargebäude beziehungsweise mit dem 15./16. Jahrhun-
Hauptplatz Nr. 6 (Bauphase III) wurde die dert eingegrenzt werden und würde somit
ehemalige Außenmauer als Zwischenmau- der vorgeschlagenen Interpretation nicht
er genutzt; ein Versatz im Verlauf der Par- widersprechen.
zellengrenze um wenige Meter in Richtung
Südosten war die Folge. Die Geschoßgliederung dürfte sich – den
Indizien durch die Baubefunde folgend
Die südwestliche Außenmauer der Erwei- – an der bereits bestehenden Einteilung
terung wird im ›nördlich‹ gelegenen Ab- und Raumhöhe des Saalbaus der Bau-
schnitt von der ehemaligen Außenmauer phase II.1 orientiert haben; demnach ist
des Baukörpers der Bauphase II.2 gebildet, von einer Gliederung des Anbaus in ein
während der ›südliche‹ Abschnitt als (dem Erd- und ein Obergeschoß auszugehen.
Innenhof zugewandte) Hoffassade neu Von der primären Deckenkonstruktion
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163 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
158
Ybbs an der
Donau, Passauer
Kasten. Ansicht der
Südwestfassade,
die den zum
Innenhof gewandten
Abschluss der
spätmittelalterlichen
Erweiterung (Bauphase
IV) bildet. Die
Fassadenfläche wird
durch zwei spitzbogige
Wandöffnungen
durchbrochen (Blick
Richtung Nordosten).
159
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Nordwestliche
Wandfläche in Raum
0.08. Seit den
Umbaumaßnahmen der
Bauphase V wird der
Raumabschluss durch
die Substruktion des
Kirchenchores gebildet.
Eine mögliche ältere
Außenmauer muss
spätestens zu dieser
Zeit abgebrochen
worden sein.
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161
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Eine von insgesamt
zwei spitzbogigen
Wandöffnungen in
Raum 0.05, welche
die Erschließung des
Gebäudekomplexes
über den Innenhof
erlaubten. Eine im
Bereich des Objektes
Hauptplatz Nr. 8
situierte, Nordost-
Südwest verlaufende
Durchfahrt ermöglichte
in weiterer Folge den
Zugang zum heutigen
Hauptplatz (Blick
Richtung Südwesten).
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165 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
167 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
164 (oben)
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Südöstliche Wandfläche
in Raum 2.06 mit
Negativabdrücken
eines Gewölbes und
unterschiedlichen
Putzsystemen,
die auf eine ältere
Geschoßlösung
hinweisen (Blick
Richtung Südosten).
165 (links)
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Südöstliche Wandfläche
in Raum 2.06
(Detailaufnahme). Die
nach dem Abbruch des
Gewölbes entstandenen
Fehlstellen wurden
sekundär ausgebessert.
Der geglättete Putz
der Bauphase IV
hat sich zwischen
der ehemaligen
Deckenkonstruktion
erhalten (Blick
Richtung Südosten).
166 (rechts)
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Detail des sekundär
eingebrochenen
Schulterbogenportals
Frage zu stellen, vielmehr ist lediglich von
im Obergeschoß. Der
einer Teilnutzung als Lagerraum im Spät- Schulterbogen ist
mittelalter auszugehen. bereits stark reduziert;
dies könnte als
Hinweis für eine späte
Der Umbau der Pfarrkirche
zeitliche Einordnung
St. Laurentius (Bauphase V) gewertet werden (Blick
Der Rechteckchor der im Westen angren- Richtung Nordosten).
zenden Pfarrkirche St. Laurentius bildet
die Bauphase V des Passauer Kastens. Im
Nordwesten des Erdgeschoßes (Raum 0.08)
überlagert der Mauerabschnitt der Baupha- 167 (unten)
Ybbs an der Donau,
se V partiell die rudimentär erhaltenen Bau- Passauer Kasten.
befunde der Befestigungsmauern (Bauphase Detailaufnahme
I.1, I.2). Seine Fortsetzung im 1. und im 2. des der Bauphase
IV zugeordneten
Obergeschoß (Raum 1.08, 2.07) ist aufgrund
Putzsystems.
der erhaltenen Putzflächen nur indirekt – Charakteristisch ist die
durch die Grundrisssituation – belegbar. Der geglättete Oberfläche.
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168 Mauerzug der Bauphase V wurde an die Au- nur wenige Zentimeter großen Steinen
Ybbs an der Donau, ßenmauer des im Südwesten angrenzenden aufgefüllt. Vereinzelt zu beobachtende Zie-
Passauer Kasten.
Baualterplan des
Nachbargebäudes Kirchenplatz Nr. 2 (Bau- gelfragmente könnten auch sekundär – als
1. Obergeschoßes. phase II.2) angestellt. Die im Erdgeschoß Ausbesserung – eingesetzt worden sein. In
Saalbau (Bauphase (Raum 0.08) erkennbare relative Bauabfolge der sich heute präsentierenden Form han-
II.1) mit Erweiterung wird jedoch durch die in diesem Bereich zu delt es sich um eine Mauerwerkstechnik,
der Bauphasen IV und
V im 1. Obergeschoß. rekonstruierende Gebäudeecke des Objek- die ab dem 14. Jahrhundert regional bis in
Die Bauphase V wird tes Kirchenplatz Nr. 2 verunklärt. das 20. Jahrhundert zu beobachten ist.
durch den Umbau
der Pfarrkirche St.
Neben den angeführten Superpositionen Aufgrund des bekannten Mauerverlaufs,
Laurentius gebildet,
die gleichzeitig den erlaubt auch hier wieder die Struktur des der Grundrisssituation und der typologi-
nordwestlichen Mauerwerks eine grobe zeitliche Einord- schen Aspekte ist eine Zuordnung zum
Abschluss des Raumes nung. In diesem Fall handelt es sich um ein Kirchengebäude, konkret als Ostabschluss
1.09 darstellt.
Zwickelmauerwerk, dessen Gefüge durch des Rechteckchors, möglich. Die massive
den regellosen Versatz von mittel- bis Mauerstärke im Erdgeschoß lässt sich (wie
großformatigen Bruchsteinen geprägt ist. bereits angeführt) auf die Integration der
Die zwischen den einzelnen Mauersteinen Befestigungsmauern der Bauphasen I.1 und
liegenden Fugen wurden vorwiegend mit I.2 sowie möglicherweise eines postulierten
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169 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
169
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Nordwestliche
Wandfläche in Raum
0.08. Im unteren
rechten Bildabschnitt
ist ein Teil der
Befestigungsmauer
der Bauphase I.1 und
möglicherweise der
Bauphase I.2 erkennbar.
Die darüber sowie
links anschließende
Wandfläche stellt
die Substruktion
des spätgotischen
Kirchenchores
(Bauphase V) dar (Blick
Richtung Nordwesten).
170 (links)
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten. Eine
Turm- oder Torbaus91 zurückführen. Im 1. Kirchendurchgang und dem darüberliegen-
Nordost-Südwest
und im 2. Obergeschoß trennt die Außen-/ den Presbyterium). verlaufende Baufuge
Zwischenmauer die Erweiterung der trennt den Baukörper
Bauphase IV vom westlich angrenzenden Der Chor der Pfarrkirche St. Laurentius des Objektes
Kirchenplatz Nr. 2
Kirchengebäude (im Detail betrachtet vom wurde im Zuge von Umbauarbeiten am (Bauphase II.2) vom
Beginn des 16. Jahrhunderts errichtet be- Ostabschluss des
ziehungsweise verändert. Der genaue Zeit- Kirchengebäudes
(Bauphase V). Der
punkt der Maßnahmen wird auf Basis der
Befund wird durch
schriftlichen Quellen unterschiedlich dar- die Ausbildung einer
gestellt: Sowohl bei Hans Tietze92 als auch Gebäudeecke des
bei Adalbert Klaar93 findet sich die Angabe, Objektes Kirchenplatz
Nr. 2 in besagtem
dass »das Presbyterium vom kaiserlichen
Abschnitt verunklärt
Mautner Hans Geier von Ochsenburg«94 in (Blick Richtung Süden).
den Jahren 1502 bis 1503 ausgeführt worden
ist. Über dem Triumphbogen – der den Chor
171 (rechts)
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten
und Pfarrkirche St.
Laurentius. Der Saalbau
schließt direkt an
den Ostabschluss
des Kirchengebäudes
(rechts) an. Unterhalb
des Presbyteriums ist
ein Südwest-Nordost
orientierter Durchgang
erkennbar (Blick
Richtung Südosten).
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171 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
173
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Deckenlösungen
von Bauphase II.1
bis Bauphase VII
(Nordwest-Südost
verlaufender Schnitt
durch den Saalbau).
Der Saalbau war ab
Bauphase VI in drei
Geschoße geteilt.
6FKQLWW))
174
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Das Erdgeschoß des
Saalbaus wird seit
Bauphase VI von
einem Ziegelgewölbe
überspannt. In der Mitte
des ehemaligen Einzel-
raumes tragen massive
Mauerpfeiler (rechts) die
Gewölbekonstruktion
(Blick Richtung
Nordwesten).
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angrenzende Bereich (Raum 0.06, 0.07, 0.08) auch der Raumhöhe) sowie der Spannrich-
besitzt hingegen eine Südwest-Nordost ge- tung möglich. Eine ähnliche Situation ist
spannte Ziegeltonne. auch im Bereich der ehemaligen Decken-
lösung zum Dachgeschoß des Saalbaus zu
Parallel zur Deckenkonstruktion zwischen beobachten: Diese wurde am Beginn des
dem Erd- und dem 1. Obergeschoß dürfte 18. Jahrhunderts im Zuge der Bauphase VII
auch die sekundär eingezogene Decken- ersetzt.
konstruktion zwischen dem 1. und dem 2.
Obergeschoß in Form einer Balkendecke Im Rahmen der neuen Geschoßlösung
entstanden sein. Zur Konstruktionsweise wurden nachweislich auch insgesamt
im Bereich des ehemaligen Saales (Raum sechs Fensteröffnungen eingebrochen
175 1.01–1.05/2.01–2.03) kann wegen der verklei- beziehungsweise die vorhandenen Aus-
Ybbs an der Donau,
deten Deckenuntersicht sowie des im 2. stattungselemente an die neuen Gege-
Passauer Kasten.
Ausschnitt aus Obergeschoß flächig erhaltenen Bodenbe- benheiten angepasst. Zur Belichtung der
dem »Plan zur lags keine Aussage getroffen werden. In Räumlichkeiten des 1. Obergeschoßes wur-
Tieferlegung einer dem im Südosten situierten Raum und den beispielsweise an der Nordostfassade
Tramdecke« (1944).
Der als Abbruch
der südwestlich angrenzenden Erweite- drei Fenster eingebrochen, während die
definierte Bestand ist rung (Bauphase IV) wurde die Deckenkon- Türlaibung des Rundbogenportals nach
gelb gekennzeichnet; struktion im Zuge jüngerer Umbauten unten – im Sinn eines Lichtschachtes
dazu zählte unter
(Bauphase VIII, IX) zerstört. Aufgrund der – erweitert wurde. Im südöstlich angren-
anderem die neu-
zeitliche Balkendecke Befundsituation ist aber zumindest die zenden Raum 1.06 überarbeitete man ein
der Bauphase VI. Rekonstruktion der Position (und somit bereits bestehendes Ausstattungselement
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173 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
176
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Nordwestliche
Wandfläche des
Raumes 2.04 mit
unterschiedlichen
Kanten/Zäsuren in der
Oberflächengestaltung,
die unter anderem
durch den Abbruch
der neuzeitlichen
Deckenkonstruktion
der Bauphase VI im
Jahr 1944 verursacht
wurden (Blick Richtung
Nordwesten).
und brach zwei weitere Fensteröffnungen Gleichzeitig bietet die Bauabfolge aufgrund
ein (eine in der nordöstlichen und eine in der absolutchronologischen Datierung der
der südöstlichen Außenmauer). Im 2. Ober- Bauphase V (siehe oben) einen Terminus
geschoß des ehemaligen Saales wurde die post quem von 1502/1503 beziehungsweise
im Nordwesten gelegene Fensteröffnung 1512 für die zeitliche Einordnung der Bau-
vermutlich neu geschaffen, während es sich phase VI. Die verwendeten Ziegelformate99
bei den Ausstattungselementen in Raum liefern hingegen nur einen sehr groben
2.03 um die primäre, partiell überarbeitete Datierungsansatz, da sie sich aufgrund
Fenstergliederung handelt. Der im Südos- ihres – im Gegensatz zu den Mauerziegeln
ten angrenzende Raum 2.04 verfügte in der Bauphase IV – deutlich homogeneren
der Bauphase VI über keine eigenständige Erscheinungsbildes und anhand von Ver-
Belichtung. gleichsfunden/Befunden100 lediglich in den
Zeitraum vom 16. bis zum 19. Jahrhundert
Die im Raum 0.08 des Erdgeschoßes erkenn- einordnen lassen. Auffällig ist jedoch, dass
bare stratigrafische Beziehung zwischen der die Ziegelstärke (meist 5,0–5,4 cm) unter dem
Deckenkonstruktion der Bauphase VI und Durchschnitt der Vergleichsobjekte liegt.
den angrenzenden Bauelementen98, spe-
ziell die Bauabfolge zum nordwestlichen Als weiteres Datierungskriterium können
Raumabschluss, erlaubt eine relativchrono- einfache Putzgrate, wie sie im Bereich der
logische Einordnung nach der Bauphase V. Gewölbeflächen des Saales im Erdgeschoß
177
Ybbs an der
Donau, Passauer
Kasten. Ansicht der
Nordostfassade. Bei
feuchter Witterung
zeichnen sich
die sekundären
Durchbrüche und
ihre Ausbesserungen
deutlich vom primären
Mauerwerk des
Saalbaus ab (Blick
Richtung Südwesten).
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178
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Nordöstliche
Wandfläche der Räume
1.06 und 2.04. Die
Fensteröffnungen
beziehen sich auf
die Geschoßhöhe
der Bauphase VI und
werden durch die
rezente, das 1. und
das 2. Obergeschoß
trennende
Deckenkonstruktion
der Bauphase IX
geteilt (Blick Richtung
Nordosten).
179
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Nordöstliche
Wandfläche in Raum
2.03 mit der im
nördlichen Abschnitt
liegenden, sekundär
(in Bauphase
VI) überformten
Fensteröffnung (Blick
Richtung Nordosten).
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175 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
180
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten. Das
Tonnengewölbe in
Raum 0.08 läuft stumpf
an die nordwestliche
Wandfläche an. Das
Gewölbe dürfte somit
nach der Errichtung
des nordwestlichen
Raumabschlusses
(Bauphase V)
eingezogen worden
sein (Blick Richtung
Nordwesten).
(Raum 0.01, 0.02) punktuell erhalten geblie- Verwendung der Räumlichkeiten als Lager-
ben sind, genannt werden. Ihr Vorkommen und Speicherbau (als sogenannter Kasten),
ist für den Zeitraum vom späten 15. bis zum beispielsweise für Getreide und Korn, durch
frühen 17. Jahrhundert belegt.101 Einen Ter- das Domkapitel Passau würde die Notwen-
minus ante quem liefert die Ansicht des Pas- digkeit einer größeren Nutzfläche erklären.
sauer Kastens am Kupferstich von Matthäus Aufgrund der schriftlichen Quellen lassen
Merian (1649), der bereits die neuzeitliche sich dieser Funktionswechsel und der da-
Fenstergliederung (und somit die Teilung mit mutmaßlich einhergehende Umbau des
in drei Geschoße im Zuge der Bauphase VI) Objektes auf die zweite Hälfte des 16. und
wiedergibt. Die Umbauten müssen auf Basis den Beginn des 17. Jahrhunderts eingrenzen.
der Baubefunde im Zeitraum vom frühen Das Bestehen eines »Passauischen Kastens«
16. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des 17. in Ybbs an der Donau ist ab der zweiten
Jahrhunderts (konkret zwischen den Jahren Hälfte des 16. Jahrhunderts zu vermuten
1512 und 1649) durchgeführt worden sein. (siehe oben, Besitzgeschichte) und ab den
Jahren 1608102 beziehungsweise 1637 durch
Die Bauphase VI, welche durch die Teilung ein erhaltenes Steuerbuch des Passauer Kas-
des ehemals zweigeschoßigen Baukom- tenamts Ybbs für das Amt Struden103 (dieses
plexes (Bauphase II.1, IV) in drei Geschoße gibt Auskunft über die Abgaben zwischen
gekennzeichnet ist, könnte als bauliche den Jahren 1637 und 1675/1676) sicher belegt.
Reaktion auf eine geänderte Nutzung Trotz der beiden mutmaßlichen urkundli-
(oder geplante Umnutzung) interpretiert chen Nennungen eines Passauer Kastners
werden. Standen in den Bauphasen II.1 bis zu Ybbs aus den Jahren 1552 und 1587 finden
V noch die Verfügbarkeit von repräsenta- sich für das 16. Jahrhundert keine Hinweise
tiven Räumlichkeiten (speziell der Saal) in den Urbaren des Domkapitels, die auf das
im Obergeschoß und Lagerräumen im Erd- Vorhandensein eines Speichers in der Stadt
geschoß im Vordergrund, so wurde nun hindeuten würden, sodass eine Errichtung
die Einteilung zugunsten einer größeren des Kastenamtes erst zu Beginn des 17. Jahr-
Nutzfläche aufgegeben. Die ausschließliche hunderts wahrscheinlich ist.
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181
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten. Im
Bereich des den Raum
0.02 überspannenden
Gewölbes sind entlang
der Stichkappen
applizierte Putzgrate
erkennbar (Blick
Richtung Nordwesten).
177 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
184
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Deckenuntersicht
in Raum 2.03.
Die Balkendecke
(Tramdecke) trennt
das 2. Obergeschoß
vom Dachgeschoß;
in der Mitte der
Spannrichtung ist ein
Unterzug erkennbar
(Blick Richtung Norden).
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185 im Jahr 1716114 – bei dem neben der Kirche Die Baumaßnahmen des 19. Jahrhunderts
Ybbs an der Donau, (Bauphase VIII)
53 Häuser zerstört worden sein sollen115 –
Passauer Kasten.
Baualterplan des gehandelt hat. Die Baubefunde bestätigen Trenn- oder Zwischenwände aus Ziegel-
Dachgeschoßes eine Teilzerstörung der Pfarrkirche St. Lau- mauerwerk gliedern heute das ehemals
mit eingetragenem rentius und des Passauer Kastens. offene Raumgefüge des Baukomplexes im
Hauptgespärre.
Erdgeschoß in kleinere Abschnitte (Raum
Die unterschiedliche Gestaltung der Wand- 0.01, 0.02, 0.03); im 1. und 2. Obergeschoß
flächen im Obergeschoß (siehe Raum 2.03, konnten – mit Ausnahme der Trennwand
2.04) unterstreicht erneut die Annahme zwischen Dachboden (Raum 2.05) und Raum
einer differierenden Nutzung der Räum- 2.06 – keine vergleichbaren Umbaumaßnah-
lichkeiten. So unterstützt die malerische men beobachtet werden. Eine bauliche Ver-
Ausstattung des südöstlichen Raumes in bindung zwischen den einzelnen Einbauten
Kalkseccotechnik dessen Verwendung als ist nicht vorhanden, sodass ihre Zuordnung
Zimmer des Kastners, wohingegen die ge- zur Bauphase VIII ausschließlich anhand
ringe Anzahl an Kalktünchen im benach- der rekonstruierten Baugeschichte erfolgte.
bartem Raum die Funktion des nordwest-
lichen Gebäudeabschnittes als Lagerraum Bedingt durch fehlende absolutchronolo-
unterstreicht. gisch datierbare Befunde gibt die relative
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179 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
186
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Übersichtsaufnahme
des Raumes 3.04
mit dem barocken
Dachstuhl (dendro-
chronologisch
datiert 1715/1716)
der Bauphase VII.
Im Bildhintergrund
ein rezenter Einbau
(Wohneinheit; Blick
Richtung Nordwesten).
187
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Detail der barocken
Dachstuhlkonstruktion
mit Abbundzeichen
(Blick Richtung
Nordwesten).
Bauabfolge einen der wenigen Anhalts- in das 19. Jahrhundert spricht hingegen
punkte für die zeitliche Einordnung. Im der Umstand, dass keine Planunterlagen
Bereich des Erdgeschoßes liefert die strati- zu diesen Baumaßnahmen archiviert sind
grafische Beziehung zur Bauphase IX einen (im Gegensatz zu jenen des 20. Jahrhun-
Terminus ante quem von 1962 (Einbau von derts, die im Bauamt der Stadtgemeinde
Raumteilern für Propangasflaschen); eine Ybbs an der Donau aufliegen). Die Trenn-
Errichtung der Zwischenwände in der ers- wand zwischen den Räumen 2.05 und
ten Hälfte des 20. Jahrhunderts wäre daher 2.06 kann hingegen aufgrund der ver-
möglich. Für eine zeitliche Einordnung wendeten Ziegelformate116 (sogenanntes
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189
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Sekundär eingestellte
Zwischenwand
(Ziegelmauer) der
Bauphase VIII, welche
die Räume 2.05 und
2.06 trennt (Blick
Richtung Nordwesten).
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181 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
hin; so wurde der Passauer Kasten seit 1825 Obergeschoß seit der Bauphase VI getrennt
als Magazin118 verwendet. hatte. Gleichzeitig erfolgten der Einbau ei-
ner rund 0,80 m tiefer liegenden Tramdecke
Die jüngsten Umbauten sowie – wegen der Veränderung der Raum-
(Bauphase IX) höhe – die Adaptierung der Erschließungs-
Unter Bauphase IX wurden die jüngsten, situation und der bis zu diesem Zeitpunkt
meist punktuellen Baumaßnahmen des 20. bestehenden Fensternischen. Die neue
Jahrhunderts – trotz ihrer über das gesamte Position der Decke erlaubte eine bessere
Jahrhundert verteilten Umsetzung – zusam- Nutzbarkeit des Raumes 2.04, welcher bis
mengefasst; größere Um- und Ausbauten zu diesem Zeitpunkt lediglich eine Raum-
erfolgten nicht mehr. Die zeitliche Abfolge höhe von etwa 1,40 m besessen hatte.
der einzelnen Maßnahmen ist durch die
erhaltenen Planunterlagen und Protokol- 1943/1953 wurde in die südliche Gebäudeecke
le/Verhandlungsschriften im Bauamt der im Auftrag der Firma Leopold Lauffenthaler
Stadtgemeinde Ybbs an der Donau bezie- jun. ein elektrisch betriebener Lastenaufzug
hungsweise die dendrochronologische eingebaut, der eine Verbindung des Erdge-
Altersbestimmung belegt. schoßes zum 1. und 2. Obergeschoß schuf.
Wie der Aufschrift an der Aufzugstür zu ent-
Zu den ältesten fassbaren Umbautätigkei- nehmen ist, war jedoch das Mitfahren von
ten dieser Phase zählt die Gliederung des Personen verboten (»Vorsicht – Lastenauf-
1. Obergeschoßes in Form von einfachen, zug Mitfahren Verboten! Tragkraft 350 kg«).
nicht tragenden Zwischenwänden, die den Die Nutzung des »Gebäudetraktes« als Ma-
ehemaligen Saal in einzelne Raumabschnit- gazin wird in der Verhandlungsschrift von
te (Raum 1.01/1.02, 1.03, 1.04, 1.05) teilen. Die 1953 nochmals ausdrücklich erwähnt.
dendrochronologische Altersbestimmung
der Bauhölzer119 lässt die Durchführung der Der Einbau einer Ölfeuerungsanlage im Jahr
Umbaumaßnahme in den späten 1920er- bis 1962 (Planunterlagen und Verhandlungs-
1930er-Jahren vermuten. schrift 1962) in Raum 0.03 des Erdgeschoßes
sowie die Umnutzung des Raumes 0.02 zu
Nur wenige Jahre später – 1944 – kam es im einem Öl- und Propangasflaschenlager zäh-
südöstlich gelegenen Raum des Saalbaus len zu den jüngsten Umbaumaßnahmen in
zum Abbruch jener Balkendecke (zwischen diesem Geschoß. Von dieser Nutzungsphase
Raum 1.06 und 2.04), die das 1. und das 2. haben sich im Raum 0.02 noch Reste des
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190
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
»Plan zur Tieferlegung
einer Tramdecke«
aus dem Jahr 1944.
Der geplante Abbruch
der neuzeitlichen
Balkendecke (Bauphase
VI) ist gelb, die neu
geplante Tramdecke
(Bauphase IX) rot
dargestellt.
191
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten. Wand-
und Deckenfläche in
Raum 1.06. Die im Jahr
1944 eingereichten
Umbaumaßnahmen
können im heutigen
Baubestand exakt
nachverfolgt werden.
Auch die im historischen
Einreichplan
nachträglich
hinzugefügte Säule
wurde umgesetzt (Blick
Richtung Süden).
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183 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
192
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Ansicht des im Jahr
1953 errichteten,
elektrisch betriebenen
Lastenaufzugs
(Raum 0.04), der
die Räumlichkeiten
vom Erd- bis zum 2.
Obergeschoß verbindet
(Blick Richtung Süden).
›Auffangbeckens‹ für ein 200-Liter-Fass Bauphase IV, das Einziehen einer neuen Ge-
(den Tagesbehälter) in Form eines in der schoßteilung (trennt heute die Räume 1.08
Südostecke situierten Betonbeckens und und 2.06 voneinander) sowie der Einbau
eines an den Längswänden liegenden Ein- einer Kaffeeröstanlage der Firma Emmeri-
teilungssystems zur Lagerung jener Propan- cher Maschinenfabrik von Gimborn & Co.
gasflaschen, welche für die im Obergeschoß K.G. (Typ Junior LG 5) in der Südostecke
(Raum 2.06) betriebene Kaffeeröstanlage des nun als 2. Obergeschoß definierten
notwendig waren, erhalten. Niveaus (Raum 2.06). Betrieben wurde die
Kaffeeröstanlage im Passauer Kasten durch
Parallel dazu wurden auch bauliche Verän- die Firma Lauffenthaller, einen Gemischt-
derungen im Obergeschoß durchgeführt: So warenhandel. Die Verwendung der übrigen
erfolgten in der südwestlichen Erweiterung Räumlichkeiten des 2. Obergeschoßes als
(Raum 1.08, 2.06) mutmaßlich der Abbruch Lagerplatz ist auf den eingereichten Plan-
der historischen Deckenkonstruktion der unterlagen – durch den Raumstempel
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193
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Südöstliche Wandfläche
in Raum 0.03. Der Wand
ist ein Rohrsystem,
das den Standort
der nicht erhaltenen
Ölfeuerungsanlage
markiert, vorgelagert
(Blick Richtung
Südosten).
194
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Wandfläche in Raum
0.02. Entlang der
Längswände ist ein
Einteilungssystem
für die Lagerung von
Propangasflaschen
situiert. Der
Raum wurde
zuletzt als Öl- und
Propangasflaschenlager
genutzt (Blick
Richtung Norden).
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185 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
– eindeutig ausgewiesen. Ob die Ausstat- Der Einbau des in der Nordwestecke situ-
tung des 1. Obergeschoßes (es haben sich ierten Stiegenhauses, welches noch heute
Einbauten erhalten, die auf einen Verkaufs- den Zugang in das 1. und das 2. Obergeschoß
raum sowie eine Wohneinheit schließen ermöglicht, sowie der partielle Ausbau des
lassen) zeitgleich mit den angeführten Dachgeschoßes als Wohnfläche erfolgten
Umbaumaßnahmen entstanden ist, kann ebenfalls in der zweiten Hälfte des 20.
nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Jahrhunderts. Seit 1. September 1990120 wird
Ihre Datierung in die zweite Hälfte des 20. der Passauer Kasten an die Stadtgemeinde
Jahrhunderts ist aber anzunehmen. verpachtet.
1 Siehe die Kapitel Der römische Vorgängerbau 11 Wie Anm. 9. – Als »Thor der Kirchen« wird dabei
und Archäologische Untersuchungen im nicht der Westturm, sondern der den heutigen
Passauer Kasten (Schnitte 2–4). Ostabschluss des Kirchenbaus bildende Durchgang
2 Dehio 2003, 2765. – Vgl. Büttner 1985, 627; (welcher – wenn auch nicht in allen Details –
Caravias 1994, 32–34. – Eine ähnliche Auslegung Adalbert Klaar zufolge auf einem älteren Torbau
findet sich auch im Österreichischen aufbauen könnte) gedeutet: Klaar 1961, 95–96.
Städteatlas (siehe Labuda 2008). 12 Donaulände Nr. 7 (Passauer Kasten),
3 Im historischen Städteatlas wird Kirchenplatz Nr. 2 und Hauptplatz Nr. 8.
das Jahr 1222 genannt. 13 Hofbauer 2005.
4 Labuda 2008. – Büttner 1985, 627 und Caravias 14 Maidhof 1939a, 302.
1994, 37 geben ebenfalls an, dass das Gebäude im 15 Maidhof 1939a. – Maidhof 1939b.
Lauf der Zeit in den Besitz des Bistums Passau 16 Weiglsperger 1885, 83–84.
gewechselt sei, nennen jedoch keinen Zeitpunkt. 17 Weiglsperger 1878, 133.
5 Reichhalter und Schicht 2007a, 394. 18 Am 16. Dezember 1608 beschloss »der Rath von
6 Hofbauer 2005, 275. Ybbs beim Kaiser um Abstellung der Cassierung der
7 Maidhof 1933, 202–203, Anm. 1662. Salva Quardia, die das Domkapitel zu Passau für
8 Maidhof 1933, 239: »Item ecclesiam in Jbs contulit das hiesige Kastenhaus erworben« hatte, zu bitten.
dux, que iam episcopo vacat Pataviensi, et termini Vgl. Rathsprotokoll (Band 1605–1609) im Stadtarchiv
pertinent ad eundem et decime ad canonicos.« Ybbs an der Donau: Fuchs 1903, 252, Anm. 4).
9 Zu den Besitzungen im Gerichtsbezirk 19 AT-OeSTA/HHStA HS R 174.
Ybbs siehe: Hofbauer 2005, 275–279. 20 AT-OeStA/HHStA HS R 160.
10 München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, 21 AT-OeStA/HHStA HS R 192.
Hochstift Passau, Urkunden (802–1808), 1815, 22 AT-OeStA/HHStA HS R 173.
http://monasterium.net/mom/DE-BayHStA/ 23 AT-OeStA/HHStA HS R 191.
HUPassau/1815/charter [Zugriff: 14. 9. 2016]. – Die
Verfasser danken Gerhard Floßmann herzlich für die
Unterstützung bei der Transkription der Urkunde.
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24 Der Bischof von Passau informiert Josef Ruprecht, 51 Herzogshof; Datierung nach Reichhalter
seinen Kastengegenschreiber zu Ybbs, über eine u. a. 2009, 256 um 1220/1230.
angekündigte Sperre des Körnervertriebes über die 52 Babenberger-Residenz (Propstei von Wiener
Donau; siehe Niederösterreichisches Landesarchiv, Neustadt); Datierung nach Schicht und
Hardegger Urkunden – Herrschaftsarchiv Seefeld, Kaltenegger 2016a, 54 um 1220/1230.
Hardegger Urk 2203, http://monasterium.net/ 53 Herzogspfalz; Datierung nach Schwarz
mom/AT-NOeLA/HA_Seefeld-HardeggerUrk/ 1998d, 312–313 zwischen 1198 und 1222.
Hardegger_Urk_2203/charter [Zugriff: 12. 11. 2017]. 54 Schwarz 2013, 140.
25 Tropper 2003, 329–339. – Hofbauer 2005, 12. 55 Labuda 2008. – Zur Urkunde des Jahres 1239 siehe
26 Hofbauer 2005, 12. auch Diözesanarchiv Graz-Seckau, Pfarrurkunden
27 Espig 1839, 43. – Labuda 2008. II-4, http://monasterium.net/mom/AT-DAGS/
28 Zu Bauphase I siehe das Kapitel Pfarrurkunden/II-101_/charter [Zugriff: 5. 9. 2016].
Der römische Vorgängerbau. 56 Koch 1999.
29 Siehe das Kapitel Archäologische Untersuchungen 57 München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv,
im Passauer Kasten (Schnitte 2–4). Hochstift Passau, Urkunden (802–1808), 1815,
30 Merian 1649. http://monasterium.net/mom/DE-BayHStA/
31 Vgl. die aktuelle Geländesituation im HUPassau/1815/charter, [Zugriff: 5. 9. 2016].
Bereich des Durchgangs »Sandtörl« im 58 Zur uneinheitlichen Terminologie und der damit
nördlichen Abschnitt der Donaulände. verbundenen Diskussion siehe Krause und Reichhalter
32 1276 scheint Ybbs erstmals unter der 2009, 139–140 (mit weiterführender Literatur).
Bezeichnung »civitas« auf. 59 Klaar 1961, 91–98. – Caravias 1994, 28
33 Es herrschen lagerhaft versetzte, klein- bis –29, 32–34. – Dehio 2003, 2765.
mittelformatige Bruchsteine vor, wobei auch 60 Außenabmessungen Passauer Kasten:
abschnittsweise der Übergang von einer Lage zu 24,15–24,80 × 9,80–9,97 m.
zwei niedrigeren Einzellagen zu beobachten ist. 61 Außenabmessungen 10,95 × 30 (?) m (Längsseite
34 Zur Datierung von Mauerwerksstrukturen nicht vollständig erhalten); Datierung nach
in Ostösterreich: Kühtreiber 2006a. Reichhalter u. a. 2009, 256 um 1220/1230.
35 Die Fotodokumentation des Jahres 1991 (Fotoarchiv 62 Außenabmessungen 10,92 × 23,19 m (Petznek
Bundesdenkmalamt) und die heute noch 2012, D535); Datierung nach Pils und Scholz
ersichtlichen Befunde im Erdgeschoß erlauben eine 2002 erste Hälfte/Mitte 13. Jahrhundert.
Ersteinschätzung. So ist am Übergang zwischen Erd- 63 Außenabmessungen 8,30 × (?) m (Längsseite nicht
und Obergeschoß der Nordostecke ein einzelner vollständig erhalten); Datierung nach Schicht
Quaderstein erkennbar; ob eine Fortsetzung im und Kaltenegger 2016a, 54 um 1220/1230.
Obergeschoß gegeben ist, kann aufgrund des 64 Schicht und Kaltenegger 2016a, 46.
flächigen Verputzes nicht beantwortet werden. 65 Außenabmessungen 12,70 × 26 (?) m (Längsseite
36 Datierung nach Dehio 2003, 687–688: um 1220. nicht vollständig erhalten); Datierung
– Nach Pils und Scholz 2002 »[...] am ehesten nach Gröninger 2011, 81 um 1220.
noch unter Leopold VI. erbaut [...]«. 66 Schicht und Kaltenegger 2016a, 49.
37 Dehio 2003, 114. – Schwarz 2013, 200. 67 Reichhalter und Schicht 2007a, 394. –
38 Datierung der Rundbogenportale erfolgt nach Dehio Krause und Reichhalter 2009, 141.
2003, 115: um 1230. – Schwarz 2013, 201 spricht sich 68 Krause und Reichhalter 2009, 135–136. – Weitere
hingegen aufgrund der historischen Quellen für Überlegungen zu (Lese-)Höfen, speziell des
eine Datierung des Baus in das Jahr 1213 aus. Hochstiftes Passau, bei Kühtreiber 2016, 80–105.
39 Schwarz 1998a, 313: Datierung zwischen 1204 und 1227. 69 Krause und Reichhalter 2009, 137.
40 Die Errichtung des Brunnenhauses zählt zum 70 Göttweigerhof in Stein an der Donau, Passauerhof in
zweiten Bauabschnitt des Kreuzganges und Krems an der Donau, Passauerhof in Klosterneuburg;
erfolgte nach der Fertigstellung des Nordflügels; vgl. Krause und Reichhalter 2009, 137.
die Ausführung wird einem neuen Bautrupp 71 Kühnel 1983, 4. – Dehio 1990, 608.
zugeordnet: Schwarz 2013, 139–140. 72 Die heute den Baukörper gliedernden
41 Schwarz 1998b, 303–304: Baubeginn Zwischenwände dürften sekundär eingestellt
nach 1222, Vollendung vor 1230. worden sein: vgl. Kühnel 1971, Falttaf. 5; Dehio
42 Schwarz 1998c, 328–329: Baubeginn 1990, 562–564. – Die Außenabmessungen werden
nach 1226, Vollendung vor 1240. mit 31 × 10 m angegeben: Kühnel 1971, 138.
43 Die Klosteranlage entstand nach Dehio 1990, 564 73 Dehio 1990, 562–564. – Kühnel 1991.
zeitgleich mit dem Kirchenbau um 1240 bis 1265. 74 Kühnel 1971, 138. – Kühnel 1991.
44 Schicht und Kaltenegger 2016b, 92. 75 Gründung erfolgte im Jahr 1146: Biberschick 1993, 74–75.
45 Schicht und Kaltenegger 2016a, 49–50, 54. 76 Kühtreiber 2016, 101.
46 Zur Babenberger Residenz in Wiener Neustadt 77 Biberschick 1993, 74–75, 77/Abb.
siehe: Schicht und Kaltenegger 2016a, 46–54. 78 Als Errichtungszeit wird die zweite Hälfte des
47 Obenaus und Pieler 2005, 403–405. 13. Jahrhunderts angegeben: Koch 1999.
48 Obenaus und Pieler 2005, 403–405. – 79 Die Funktion der Gurtbögen wird durch eine
Schicht und Kaltenegger 2016a, 49–50. mögliche Raumgliederung im Obergeschoß
49 Zur Capella Speciosa siehe: Schwarz 2013, 96–133. erklärt (zur Lastableitung von darüberliegenden
50 Inwieweit die Rekonstruktion dem Originalbestand Zwischenwänden): Koch 1999.
entspricht, ist den Autoren nicht bekannt. 80 Dehio 1990, 602.
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187 Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Bauhistorische Forschungen und Besitzgeschichte
81 Das heutige Erscheinungsbild wird durch eine 98 Hierzu zählen der Baubestand des Saalbaus
Erweiterung der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Bauphase II.1), die gotische Erweiterung
geprägt, im Kern aus drei Einzelobjekten des (Bauphase IV) und die Umbauphase des
15. und 16. Jahrhunderts: Dehio 1990, 602. – angrenzenden Sakralbaus (Bauphase V).
Siehe auch Biberschick 1993, 289–291. 99 Die im Erdgeschoß der Bauphase VI zugeordneten
82 Der rechteckige Speicherbau wurde in der Ziegelgewölbe verfügen über Formate mit einer
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts errichtet hohen Schwankungsbreite (28–30 × 14,3–17,5 [?]
(bezeichnet 1573): Dehio 1990, 602. × 5,0–6,0 cm); die Stärke der Ziegel variiert meist
83 Krause und Reichhalter 2009, 124–175. zwischen 5,0 cm und 5,4 cm. Idealformate der Neuzeit
84 So konnte durch eine Teilvermessung der wären bei Mauerziegeln 27 × 13,5 × 6 cm und bei
nordöstlichen Raumsituation eine 2,10 m starke, Gewölbeziegeln 24 × 16 × 7 cm (Mitchell 2013, 66).
das Gebäude zum Kirchenplatz abschließende 100 Mitchell 2009, 223.
Außenmauer (Nordwestfassade) dokumentiert 101 Kühtreiber 2014, 333, Anm. 48.
werden. Der Verlauf und die Mauerstärke 102 Wie Anm. 18.
erlauben die Vermutung, dass es sich um die 103 AT-OeSTA/HHStA HS R 174.
Fortsetzung der Befestigungsmauer handelt. 104 Rathsprotokoll (Band 1610–1613) im Stadtarchiv
85 Siehe Archäologische Nutzungsphase 3. Ybbs an der Donau: Fuchs 1903, 252, Anm. 5.
86 Siehe Archäologische Nutzungsphase 4. 105 Labuda 2008.
87 Kühtreiber 2006a, 197, 202. 106 Reichhalter und Schicht 2007a, 394.
88 Die Ziegelformate (Arkade: 28–28,5 × ? × 4,5–4,6 107 Büttner 1985, 627. – Caravias 1994, 37.
cm, Ziegelform sehr unregelmäßig; Portal: 27– 108 Die restauratorische Untersuchung wurde von
28 × 14 × 4,5 cm, Ziegelform sehr unregelmäßig) Herwig Menner (Firma Preis & Preis) durchgeführt.
weisen aufgrund ihrer Abmessungen deutliche 109 Ziegelformat: 25,5–28 (?) × 16,4–16,8 × 5,4–6,5 cm.
Parallelen zu den in der Kremser Burg im Bereich 110 Mitchell 2009, 221, 223.
des Arkadenganges dokumentierten Ziegeln (28– 111 Probe 11a, Dachstuhl Passauer Kasten (Fichte, 1700
29 × 15 × 4,5–5 cm) auf, die nach Mitchell 2009, + min. 3 Jr., keine Waldkante, datiert mit AvnPA).
220–221 um 1448 datiert werden. Einen weiteren 112 Probe 6a, Dachstuhl Passauer Kasten (Fichte,
Vergleich bieten Befunde (Ziegelformat: 25,5– 1715, mit Waldkante, datiert mit SbHPA);
28,5 × 14–16,5 × 4–5,5 cm) in der Wehrkirche St. Probe 7a, Dachstuhl Passauer Kasten (Fichte,
Michael in der Wachau (Niederösterreich), deren 1715, mit Waldkante, datiert mit SbHPA).
Errichtung in den Zeitraum vom ausgehenden 113 Probe 20a, Dachstuhl Pfarrkirche St. Laurentius
15. Jahrhundert bis in das erste Viertel des 16. (Fichte, 1716, mit Waldkante, datiert mit AvnPA).
Jahrhunderts gestellt wird: Mitchell 2013, 66. 114 Dehio 2003, 2754.
89 München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, 115 Labuda 2008, Anm. 65.
Hochstift Passau, Urkunden (802–1808), 1815, 116 Ziegelformat: 28,8 × 14,2–14,4 × 7–7,1 cm
http://monasterium.net/mom/DE-BayHStA/ (altösterreichisches Format). Aufgrund der
HUPassau/1815/charter [Zugriff: 5. 9. 2016]. Ziegellänge in den Zeitraum ab dem 19.
90 Caravias 1994, 37. – Reichhalter und Jahrhundert datiert: Mitchell 2009, 223.
Schicht 2007a, 394. – Labuda 2008. 117 Espig 1839, 43. – Labuda 2008.
91 Klaar 1961, 93, 95. – Büttner 1985, 627. – Dehio 118 Espig 1839, 43. – Labuda 2008.
2003, 2757. – Die Interpretation einer direkten 119 Probe 13a, Unterzug Passauer Kasten (Fichte,
Verbindung vom Kirchenplatz zur Donaulände 1927, keine Waldkante, datiert mit OstPA);
über eine Toranlage wird von den Autoren nicht Probe 14a, Unterzug Passauer Kasten (Fichte,
geteilt; weder die Baubefunde der Bauphasen I.1 1910, keine Waldkante, datiert mit OstPA).
und I.2 noch die mittelalterliche Stadtmauer haben 120 Freundliche Mitteilung Wolfgang Anzenberger
in diesem Bereich über einen Durchgang verfügt. (Baudirektor der Stadtgemeinde Ybbs an der Donau).
92 Tietze 1909, 439.
93 Klaar 1961, 95.
94 Klaar 1961, 95. – Dehio 2003, 2758.
95 Datierung des Westturms auf Basis des Triforiums
um 1230: Dehio 2003, 2757. – Das Erscheinungsbild
des Mauerwerks (Betonung des Eckbereichs
durch großformatige, relativ exakt bearbeitete
Quader in Kombination mit lagig versetzten,
hammerrecht bearbeiteten Bruchsteinen) stellt eine
typische Entwicklung um 1200 beziehungsweise
in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts dar:
Kühtreiber 2006a, 197–198; Zorko 2013, 33–34.
96 Klaar 1961, 93, 95–96. – Büttner 1985, 627.
– Dehio 2003, 2757, 2758–2759.
97 Um dies zu klären, wären Sondagen im unteren
Abschnitt des Objektes – im Bereich des
Durchganges sowie dem darüber anschließenden
Mauerwerk – notwendig gewesen.
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189
191 Martin Obenaus, Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Der römische Vorgängerbau
Lager- und Stoßfugen nicht mehr erhalten 1991 dokumentierte Verlauf sowie dessen
war. Von der inneren Mauerschale waren – rekonstruierte Fortsetzung als Argumente
mit einer möglichen Ausnahme im Bereich für eine Gleichsetzung der Mauerabschnitte
des Kirchendurchgangs – zum Zeitpunkt angeführt werden können. Mit dieser Pro-
der Dokumentation keine Überreste er- blematik ist auch jene der Datierung der
sichtlich, weshalb die Mauerstärke nur mit Befestigungsmauer aus Bauphase I.1 eng
einem Mindestwert von 1,80 m bis 2,10 m verbunden (siehe unten).
angegeben werden kann.
Sowohl die Mauerstärke und der dokumen-
Ob der Befund im Innenraum des im Süden tierte Verlauf als auch die rekonstruierte
anschließenden Gebäudekomplexes Passau- Fortsetzung des Mauerzuges in Richtung
er Kasten (Raum 0.08, nordwestliche Wand- Süden/Südwesten (hypothetisch als Sub-
fläche) eine mögliche Fortsetzung dieses struktion des Kirchenchores, den Raum
Mauerzuges darstellt, wurde eingehend dis- 0.08 im Nordwesten begrenzend und im
kutiert; beim derzeitigen Forschungsstand Bereich des Gebäudes Kirchenplatz Nr. 2
kann diese Hypothese jedoch weder verifi- fortlaufend) erlauben die Interpretation
ziert noch falsifiziert werden. Im Detail be- als Befestigungsmauer. Die weiterführen-
trachtet zeigt der nordwestliche Abschluss de Frage nach der Art und dem Zweck
des Raumes 0.08 einen mehrphasigen dieser Befestigung (handelt es sich um 199
Wandaufbau. Der älteste Mauerabschnitt eine Umfassungsmauer der im Bereich der Ybbs an der Donau,
Kirchendurchgang/
wird der Bauphase I.1 zugeordnet; darüber Pfarrkirche St. Laurentius vermuteten Burg-
Passauer Kasten.
schließen mehrere Lagen aus klein- bis anlage, einen Teil der hochmittelalterlichen Dokumentation der
mittelformatigen Mauersteinen an, die dem Mauerzüge (Bauphase
Erscheinungsbild der Befunde im Bereich I.1 und I.2) im Zuge der
Erdarbeiten des Jahres
der Grabungsfläche ähneln. Bedingt durch 1991. Detail der äußeren,
jüngere Überbauungen (für den Außenbe- lagigen Mauerschale
reich ist der Chor, für den Innenraum die der Bauphase I.2. Im
Bildhintergrund die
als Substruktion definierte Bauphase V zu
Ostecke des nördlichen
nennen) war keine direkte stratigrafische Seitenschiffes
Verbindung gegeben respektive erkennbar; der Pfarrkirche
auch für eine eindeutige Identifizierung St. Laurentius,
möglicherweise mit
beziehungsweise Gleichsetzung anhand
einem zugehörigen
der Mauerwerksstruktur erscheint der Fundamentgraben (Blick
Abschnitt der Wandfläche im Bereich des Richtung Westen).
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193 Martin Obenaus, Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Der römische Vorgängerbau
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203
Ybbs an der Donau,
Ansicht der Pfarrkirche
St. Laurentius mit der
unter dem Presbyterium
(Rechteckchor)
geführten Durchfahrt.
Zum einen wäre eine Errichtung im Zeit- ein ähnliches Bild, etwa bei der »Burkhard-
raum 12. Jahrhundert bis erste Hälfte des 13. schen Stadtmauer« in Basel (Schweiz).14
Jahrhunderts denkbar. Ein Zusammenhang
mit der im Areal der Pfarrkirche St. Lauren- Zum anderen ist auch die Interpretation
tius vermuteten babenbergerzeitlichen Ibi- des Baubefundes als abgerundete bezie-
siburch9 oder auch Ibseburch10 – konkret als hungsweise polygonale Ecke einer rö-
Teil eines die Burganlage nach Nordosten mischen Lagermauer zu diskutieren, vor
hin abschließenden Berings – wäre dabei allem, wenn man das Fundmaterial der
naheliegend, doch ist auch die Interpre- Grabungskampagnen der Jahre 2015 und
tation als Rest einer älteren ›Stadtmauer‹, 2016 berücksichtigt. Unterstützt wird diese
welche die hochmittelalterliche Siedlung Hypothese durch die erhaltene Mauerstär-
umgeben hat, in Betracht zu ziehen. Der ke. Der bekannte Verlauf des Mauerzuges
heute bekannte Verlauf ermöglicht hier sowie die Versatzart finden sich sowohl bei
keine priorisierte Zuordnung. Mit einer hochmittelalterlichen Befestigungsbauten
Mauerstärke von mindestens 1,80 m bis als auch bei römischen Kastellen, beispiels-
2,10 m liegt der Baubefund in Ybbs an der weise in Carnuntum. Im letztgenannten
Donau jedoch über vergleichbaren Bei- Fall würde die Mauerwerksstruktur aber für
spielen von Befestigungsmauern des 12. eine Zeitstellung im 2. bis 3. Jahrhundert
und der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts n. Chr. sprechen und wäre somit älter als
in Ostösterreich. Als Beispiele verhältnis- der Mauerzug der Bauphase I.1 einzuord-
mäßig stark ausgeführter Beringmauern nen. Verfolgt man diese These weiter, so
von Burganlagen können beispielsweise ergibt sich ein Widerspruch zwischen der
Lichtenfels11, Ottenstein12 und Rastenberg Datierung und dem als mögliche Super-
(alle Niederösterreich)13 angeführt werden, position zwischen den Bauphasen I.1 und
während für die Stadtmauern als regionaler I.2 interpretierten Mauerbefund im Raum
Vergleich die Befestigung von Hainburg an 0.08; zudem würde dieser eine gleichzeitige
der Donau (Niederösterreich) zu nennen Nutzung der Befestigungsmauern – wie sie
ist; aber auch überregional zeigt sich bei etwa aus dem römischen Lager Arelape/
den Stadtmauern des 11. bis 12. Jahrhunderts Pöchlarn15 bekannt ist – ausschließen.
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195 Martin Obenaus, Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Der römische Vorgängerbau
Dies bedeutet zusammengefasst für diesen darf bezüglich der Schädigung durch die
Bauabschnitt, dass das aufgedeckte Quader- zu diesem Zeitpunkt starke Vegetation
mauerwerk mit gerundetem beziehungs- gemeldet hatte.
weise polygonalem Verlauf zumindest vor
der Mitte des 13. Jahrhunderts errichtet Die erste kleinflächige Nachuntersuchung
worden sein muss. Die Struktur und der des Areals wurde im Juli 2014 in einem
Verlauf des Mauerwerks würden sowohl Bereich von ca. 17 m2 (Schnitt 1) mit finan-
die Interpretation als hochmittelalterliche ziellen Mitteln des Bundesdenkmalamtes
Befestigungsmauer als auch eine Ansprache in Zusammenarbeit mit der Firma Tarcsay/
als Restbestand einer kaiserzeitlichen La- Zorko (Fachbüro für Bauforschung, histo-
germauer im »Spielkartenformat« erlauben. rische Archäologie und Denkmalpflege)
Ein gesichertes Ergebnis werden wohl erst durchgeführt. Dabei konnte bestätigt wer-
künftige Untersuchungen im Stadtzentrum, den, dass eine Superposition des Passauer
speziell im Areal um die Pfarrkirche St. Lau- Kastens zu dem genannten, 2,15 m breiten
rentius, liefern können. Mauerzug der Bauphase I.1 besteht und
Letzterer somit eindeutig älter sein muss
als der in der ersten Hälfte des 13. Jahrhun-
Die archäologischen Grabungen derts (um 1220/1230) errichtete17 Saalbau.
in den Jahren 2014 bis 2016 Aufgrund der restlosen Entfernung aller
anschließenden Schichten, die zu einer
Die Mauerreste der Bauphase I.1 boten genaueren Datierung des Baubefundes
schließlich auch den Anlass für die archäo- hätten herangezogen werden können, bei
logischen Untersuchungen ab 201416, da der den Eingriffen im Jahr 1991 blieb die Zeit-
Ybbser Kulturverein OKAY Handlungsbe- stellung des anhand seiner Gestalt keiner
204
Ybbs an der Donau,
Kirchendurchgang/
Passauer Kasten.
Schnitt 1 mit dem
Mauerzug der Bauphase
I.1 vor Beginn der
archäologischen
Untersuchungen
im Jahr 2014.
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205
Ybbs an der Donau,
Kirchendurchgang/
Passauer Kasten.
Archäologische
Untersuchung im
Jahr 2014. Die bis zu
2,15 m breite Mauer
der Bauphase I.1 wird
vom Baukörper des
Saalbaus (Bauphase
II.1) überlagert (Blick
Richtung Südwesten).
206
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Schnitt 2/2014 in Raum
0.08. Bereits in der
kleinflächigen Sondage
konnte die Fortsetzung
des Mauerzuges
der Bauphase I.1
freigelegt werden.
197 Martin Obenaus, Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Der römische Vorgängerbau
207
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Schnitt 3 am Ende der
Grabungskampagne im
Jahr 2015. Der Schnitt
stellte die Erweiterung
des Schnittes 2 in
Raum 0.08 dar.
208
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Schnitt 4 am Ende der
Grabungskampagne
im Jahr 2016. Dieser
Schnitt bildete die
Erweiterung des
Schnittes 3 und nahm
etwa die halbe Fläche
des Raumes 0.08 ein.
Saalbau angesetzten Erweiterung ebenfalls des Raumes die Fortsetzung der Mauer
Reste der teilweise integrierten Mauer zu erwarten ist. Aufgrund des unübli-
sichtbar waren (Schnitt 2, Raum 0.08). chen Grundrissrestes und der Massivität
Die kleinflächige Sondage (1,70 × 0,80 m) der ältesten Mauer im besagten Bereich
ergab, dass auch unter dem Bodenniveau wurde ein ›klassischer‹ Burgus mit großer
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'RQDXOÇQGH
P
Schnitt 1
P
A
P
P P
A
P
P
P
P
Schnitt 4
221.87 m
221.21 m
219.98 m
(UGJHVFKR
209
Ybbs an der Donau,
Kirchendurchgang/
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen und zeigte sich bereits, dass der hier in der
Passauer Kasten. Die eine mögliche Interpretation als Kastell Raummitte abrupt endende Mauerzug teil-
Bauphasen I.1 und I.2 beziehungsweise (eher) spätantikes Klein-/ weise von dem als Substruktion des Cho-
(Befestigungsmauern) Restkastell angedacht.19 res interpretierten Baubestand überlagert
im Bereich des
Passauer Kastens, des
wird. Auf die derzeit nicht zu klärende Pro-
Kirchendurchgangs 2015 wurde deshalb die Grabung auf einen blematik, ob der Chorunterbau (Bauphase
sowie der nordwestlich Streifen in der vollständigen nordwestli- V) auch Teile der Quadermauer (Bauphase
angrenzenden
chen Raumbreite von Raum 0.08 (entlang I.2) integriert, die somit wiederum die
Freifläche (bis zur
spätmittelalterlichen des Chorunterbaues der Pfarrkirche St. Mauer der Bauphase I.1 überlagern wür-
Stadtmauer). Laurentius) ausgedehnt (Schnitt 3). Dabei den, wurde bereits im vorangegangenen
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199 Martin Obenaus, Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Der römische Vorgängerbau
›Entschuttungsarbeiten‹ 1991 war der po- natürlichen Geländekante und wird mög-
lygonal bis gerundet verlaufende, massive licherweise als Unterkonstruktion der zur
Mauerzug der Bauphase I.1 (Bruchstein- Donaulände gerichteten spätmittelalterli-
mauerwerk), welcher im Bereich zwischen chen Stadtmauer genutzt. Wenige Meter
dem Kirchendurchgang, der im Nordosten nördlich des Passauer Kastens ändert sich
verlaufenden Stadtmauer sowie dem im – annähernd bogenförmig – die Richtung
Südosten angrenzenden Passauer Kasten des Mauerzuges nach Südwesten, wo sie
situiert ist. Schnitt 1 wurde daher im Jahr in Folge vom Saalbau überlagert wird. Die
2014 genau in diesem Bereich angelegt Fortsetzung im Erdgeschoß des Passauer
(siehe oben). Kastens (Raum 0.03) ist deutlich durch
211 (links)
Ybbs an der Donau,
Kirchendurchgang/
Passauer Kasten.
Dokumentation
der Mauerzüge der
Bauphasen I.1 und
I.2 im Zuge der
Erdarbeiten des Jahres
1991. Deutlich ist der
polygonale Verlauf der
Mauern zu erkennen
(Blick Richtung Süden).
212 (rechts)
Ybbs an der Donau,
Kirchendurchgang/
Passauer Kasten. Die
im Jahr 2014 erhaltene
Befundsituation
der Bauphase I.1;
der Mauerzug der
Bauphase I.2 wurde
nicht angeschnitten
(Blick Richtung Süden).
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214 (links)
Ybbs an der Donau,
Kirchendurchgang/
Passauer Kasten.
Befestigungsmauer der
Bauphase I.1. An der
inneren Mauerschale
ist knapp unter dem
Abbruchniveau der
Mauer ein 0,80 m
breiter Vorsprung
zu erkennen (Blick
Richtung Osten).
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201 Martin Obenaus, Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Der römische Vorgängerbau
Nr. 2) ließ zudem deutliche Parallelen gefasster Zeitrahmen für die Errichtung
zwischen der Nordwestmauer (die dem definiert werden: So liefert das stratigrafi-
Kirchenplatz zugewandte Fassade weist sche Verhältnis zwischen dem im Zentrum
eine Mauerstärke von 2,10 m auf) und dem stehenden Mauerrest (SE 9, Bauphase I.1)
Abschnitt der Befestigungsmauer weiter und der Nordwestmauer (SE 11a+11b) des
nordöstlich erkennen. Eine stratigrafische Saalbaues (Bauphase II.1), welcher die Be-
Verbindung konnte jedoch nicht festge- festigungsmauer in der ersten Hälfte des
stellt werden, da der Mauerzug der Baupha- 13. Jahrhunderts überlagerte, einen Termi-
se I.1 (SE 9) in Raum 0.08 abrupt abbricht. Es nus ante quem für die Errichtung der Bau-
kann daher nicht mit Gewissheit von einer phase I.1. Dies erlaubt die Schlussfolgerung,
Fortsetzung der Bauphase I.1 im südwest- dass der Mauerzug zur Zeit der Errichtung
lich angrenzenden Gebäudetrakt ausgegan- des Saalbaues zumindest in der auch heute
gen werden, zumal auch die Möglichkeit in noch erhaltenen Höhe sichtbar gewesen
Betracht gezogen werden muss, dass es sich sein muss und in den Neubau integriert
um die Fortsetzung der Umfassungsmauer worden ist. Ein kleines Rundbogenfenster
der Bauphase I.2 handeln könnte. Analog in der Nordwestfassade nimmt ebenfalls
zum Mauerzug der Bauphase I.2 stellt sich Bezug auf ihn.23 Die Superposition im Be-
auch hier die Frage nach Art und Funkti- reich des mehrphasigen Nordwestabschlus-
on der Befestigungsmauer, wobei auch in ses von Raum 0.08 – der Mauerzug der
diesem Fall eine nähere Zuordnung erst Bauphase I.1 hat sich in diesem Abschnitt
mit einer – bislang nicht erfolgten – gesi- in der Sockelzone erhalten, direkt darüber
cherten Datierung möglich wäre. schließt möglicherweise das Mauerwerk der
Befestigungsmauer der Bauphase I.2, gesi-
Durch den Einsatz unterschiedlicher chert aber jenes der spätgotischen Bauphase
Methoden konnte zumindest ein breit V an – kann derzeit nicht zufriedenstellend
217
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Übersicht der
Grabungsbefunde der
Bauphase I.1 und der
Mauer 3. Die Bauphase
I.1 endet abrupt im
ersten Drittel des
Raumes 0.08. Im
Nordwesten wird sie
vom Mauerwerk der
Bauphasen I.2 (?)
und V überlagert.
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203 Martin Obenaus, Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Der römische Vorgängerbau
aufgelöst werden (siehe oben). Die Mauer- Fundaments ließen sich ebenfalls Paralle-
werksstruktur – partiell regelmäßiges bis len finden. So wies die äußere Wehrmauer
unregelmäßiges, in Kalkmörtel versetztes von Arelape/Pöchlarn, die bis zu 1,20 m bis
Bruchsteinmauerwerk – entspricht nicht 1,37 m29 starke Lagermauer (LM1), im Fun-
den typologischen Merkmalen des Mauer- damentbereich sowie am Übergang zum
werks im 11. oder 12. Jahrhundert, sodass aufgehenden Mauerwerk einen Rücksprung
eine frühere Zeitstellung anzunehmen ist. auf; die Wehrmauern (es handelt sich ei-
gentlich um eine Doppelmauer) werden »in
Als mögliche Interpretation wird derzeit die erste Hälfte des 2. Jhs. n. Chr.«30 bezie-
folgende Hypothese aufgestellt: Die Bau- hungsweise »vor 170/180«31 datiert. Auch der
befunde könnten als Teil einer im Eckbe- nahe gelegene Burgus Hirschleitengraben32
reich abgerundeten Lagermauer – wie sie weist mehrere Mauerrücksprünge auf (sie-
beispielsweise in Locus Felix (?)/Mauer an he oben).
der Url24, Arelape/Pöchlarn25, Schlögen26,
Lauriacum/Enns27 und Albing28 befundet Falls es sich bei dem freigelegten Bereich
wurden – gedeutet werden. Diese Bauweise der Bauphase I.1 tatsächlich um die Reste
ist unter der Bezeichnung »Spielkartenfor- einer römischen Lagerbefestigung handelt,
mat« bekannt und zeichnet sich durch eine stellt sich auch die Frage, ob diese mit dem
rechteckige Grundform mit abgerundeten Baukörper der Bauphase I.2 möglicherweise
Ecken aus. Die Struktur des Mauerwerks eine Doppelmauer – wie in Arelape/Pöch-
und die Mauerstärke der Bauphase I.1 larn – gebildet hat. Die Befunddokumenta-
sind mit jenen römischer Baubefunde aus tion zeigt in Ybbs an der Donau zwei neben-
Ostösterreich durchaus vergleichbar. Zur einander verlaufende Mauerzüge, wobei
Ausbildung mehrerer Mauervorsprünge im sich der Abstand zwischen den Baukörpern
Bereich des Mauerfußes beziehungsweise deutlich in Richtung Süden verringert.
218
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten. Detail
des nordwestlichen
Raumabschlusses
von Raum 0.08. Die
innere Mauerschale der
Bauphase I.1 wurde in
die Bauphasen I.2 (?)
und V (Substruktion
des Kirchenchores)
integriert (Blick
Richtung Norden).
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219
Ybbs an der Donau.
Rekonstruktion eines
hypothetischen
Lagerverlaufes auf
Basis des Befundes
der Bauphase I.1.
Eine zeitgleiche Nutzung mit einer dazwi- nennen. Hinzu kommt, dass Kleinkastelle
schenliegenden Freifläche erscheint somit neben den charakteristischerweise aus
unwahrscheinlich. Die stark voneinander einem turmartigen Gebäude bestehenden
abweichenden Mauerwerksstrukturen der Militärbauten manchmal synonym als Bur-
beiden Mauern scheinen diese Vermutung gus bezeichnet wurden.35
zu bestätigen. Der als mögliche Superposi-
tion interpretierte Befund im Bereich des Neben der Interpretation als kaiserzeitli-
Nordwestabschlusses von Raum 0.08 (siehe ches beziehungsweise spätantikes Bauwerk
unten) spricht nicht nur für eine divergie- kommt zuletzt noch die Ansprache als früh-
rende Zeitstellung, sondern auch für eine mittelalterlicher Befestigungsabschnitt aus
frühere Entstehungszeit des Baukörpers der relativchronologischer Sicht gleichermaßen
Bauphase I.1 als jenes der Bauphase I.2. Die in Frage. Nach derzeitigem Forschungsstand
Deutung, dass beide Mauerzüge römisch spricht das vereinzelt im Grabungsbereich
sind, wäre unter Berücksichtigung der – wenn auch sekundär verlagert – sowie
Mauerwerksstrukturen nur dann möglich, bereits in der Vergangenheit in und um
wenn sich die Superposition in Raum 0.08 die Stadt Ybbs geborgene römische Fund-
falsifizieren ließe. material eher für eine Zuordnung in die
Spätantike, da bislang keine Funde früh-
Ebenso denkbar ist, dass ein Teilbereich mittelalterlicher Zeitstellung beobachtet
eines spätantiken Kleinkastells freigelegt werden konnten.
worden ist, da sich gerade diese Anlagen –
wie bereits weiter oben ausgeführt – durch Resümierend kann die Mauer der Bau-
einen unregelmäßigen Grundrissverlauf phase I.1 mangels erhaltener Schichtzu-
von älteren, mehrheitlich streng geomet- sammenhänge oder stratifizierten Fund-
risch errichteten römischen Militärbauten materials allein aufgrund ihrer Struktur
unterscheiden. Als Beispiele am norischen im diskutierten Zeitrahmen kaum näher
Limes wären die Kleinkastelle von Boiotro/ datiert werden. Die Überbauung durch
Passau33 und Stanacum (?)/Oberranna34 zu den Passauer Kasten in der ersten Hälfte
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205 Martin Obenaus, Gábor Tarcsay und Michaela Zorko: Der römische Vorgängerbau
des 13. Jahrhunderts erlaubt lediglich eine des Mauerabschnittes der Bauphase I.1 im
Einordnung vor diesem Zeitabschnitt, doch ausgehenden 7. und der ersten Hälfte des
erscheint eine Errichtung im 11. und 12. 8. Jahrhunderts nahelegen, was aus archäo-
Jahrhundert aufgrund der für diesen Zeit- logischer Sicht jedoch eher unwahrschein-
abschnitt untypischen Mauerwerksstruktur lich ist. Grundsätzlich haben die bisherigen
eher unwahrscheinlich. Beprobungen mehrheitlich ein deutlich zu
junges Alter der untersuchten Strukturen
Aufgrund der dargelegten Datierungsproble- angezeigt, während zu alte Datierungen
matik wurden mehrere Proben des Setzmör- nicht vorkommen. Denkbar wäre, dass diese
tels dieses Mauerzuges vom Bundesdenkmal- Diskrepanz mit den langen Aushärtungszei-
amt zur Altersbestimmung an das Institut ten des Mörtels im Mauerkern – gerade bei
für Angewandte Geowissenschaften der dicken Mauern – zusammenhängt. Somit
Technischen Universität Graz (Martin Dietzel ist im Rahmen einer jedenfalls vorhochmit-
und Ronny Boch) und in Folge an die BETA telalterlichen Einordnung des Baubefundes
Analytic Inc. übermittelt. Die Ergebnisse der aus Ybbs eher einer (spät)antiken Datierung
Analyse36 unterliegen einer großen Schwan- der Vorzug zu geben.39
kungsbreite37. Bedingt durch die Qualität der
Proben ist das Ergebnis von Sample 1174-3 Die detaillierte Darstellung der gesamten
(655 bis 720 AD und 740 bis 765 AD, 2 Sigma) Befund- und Fundsituation im Bereich der
am wahrscheinlichsten einzustufen38; die Schnitte 2, 3 und 4 im Gebäudekomplex des
naturwissenschaftliche Analyse des Setz- Passauer Kastens erfolgt im anschließenden
mörtels würde demnach eine Errichtung Kapitel.
1 Caravias 1994, 53–55, 133–136. 18 Auf die Problematik der Zuordnung allein auf
2 Die folgenden Angaben entstammen dem Bericht über Basis typologischer Aspekte des Mauerwerks
die Grabung am Ybbser Kirchenplatz: Oberleitner 1989. wird weiter unten eingegangen.
3 Im Bericht fälschlicherweise Nordwestecke. 19 Hinterwallner u. a. 2014.
4 Oberleitner 1989. 20 Klaar 1961, 95. – Schicht 2017.
5 Hinterwallner u. a. 2014. 21 Ployer 2018, 26, Abb. 5. Die Beschreibung im Text
6 Klaar 1961, 93, 95–96. – Büttner 1985, weicht von den in der Grabungsdokumentation
627. – Dehio 2003, 2757–2759. dargestellten Baubefunden ab; die Angaben
7 Klaar 1961, 93, 95–96. – Dehio 2003, 2757–2759. des vorliegenden Beitrags beziehen sich auf
8 Klaar 1961, 95–96. die abgebildete Befunddokumentation.
9 Nennung einer »Ibisiburch« im Jahr 22 Vergleiche hierzu die Befestigung von
1111: NÖUB II/1, 131, 132. Nabburg: Hensch 2016, 273–275.
10 Nennung einer »Ibseburch« im Jahr 1136: NÖUB II/1, 135. 23 Hinterwallner u. a. 2014.
11 Abmessungen gemäß dem Bauphasenplan 24 Steigberger 2015, 188–190. – Ployer 2018, 58.
in Kühtreiber und Reichhalter 2009, 594. Die 25 Hinterwallner und Schmid 2015, 194–
Umfassungsmauer misst im Süden 0,95 m, im 197. – Ployer 2018, 66, Abb. 32.
Norden 1,25 m und an der Feldseite 1,50 m; sie wird 26 Ployer 2018, 23, Abb. 03.
in das ausgehende 12. Jahrhundert oder in die erste 27 Ployer 2018, 36.
Hälfte des 13. Jahrhunderts datiert (ebd., 594–595). 28 Gugl 2015, 178. – Ployer 2018, 43–44.
12 Abmessungen gemäß dem Bauphasenplan in 29 Schmid 2017, 32.
Reichhalter 2009a, 423. Die Umfassungsmauer misst 30 Hinterwallner und Schmid 2015, 196.
im Osten 1,15 m und im Westen zwischen 1,53 m und 31 Schmid 2017, 37.
1,75 m; sie wird dem 12. Jahrhundert zugeordnet (ebd.). 32 Wie Anm. 21.
13 Durchschnittlich 1,80 m starker Bering, datiert 33 Moosbauer 2015, 128–130.
um 1200 (aufgrund der dendrochronologischen 34 Ployer 2015i, 138–139. – Ployer 2018, 20–21.
Beprobung nach 1193): Reichhalter 2009b, 426–429. 35 Hock 2001, 143–144.
14 Die Mauerstärke der Burkhardschen Stadtmauer 36 Siehe das Kapitel Radiometrische Altersdatierung
variiert im Aufgehenden zwischen 0,9 m und 1,20 von historischem Kalkmörtel.
m; sie wird in das vierte Viertel des 11. Jahrhunderts 37 Kalibriertes Kalenderalter Sample 1174-1b: 895 bis
datiert: D’Aujourd’hui und Helmig 1996, 41–46. 1020 AD (2 Sigma). – Kalibriertes Kalenderalter
15 Zur Datierung und Nutzung der Doppelmauer Sample 1174-3: 655 bis 720 AD und 740 bis 765
in Arelape siehe Schmid 2017, 36–37. AD (2 Sigma). – Kalibriertes Kalenderalter
16 Maßnahmennummern 14420.14.01, Sample 1174-5: 4030 bis 4025 BC (2 Sigma).
14420.15.01, 14420.15.03 und 14420.16.01. 38 Freundliche Mitteilung von Ronny Boch.
17 Schicht 2007, 393–395. 39 Freundliche Mitteilung von Bernhard Hebert.
– Vgl. Hebert und Steinklauber 2015.
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207
MARTIN OBENAUS
ARCHÄOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN
IM PASSAUER KASTEN (SCHNITTE 2–4)
220
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Ausgewählte
archäologische
Befunde der Schnitte
1 bis 4 (2014–2016).
Nordwestmauer von Raum 0.08 (Chor- Als Indizien für eine mögliche spätanti-
unterbau Pfarrkirche; SE 19) fortsetzt, ist ke Zeitstellung zumindest von Mauer 1
derzeit nicht zufriedenstellend zu klären. (Bauphase I.1) und dem mutmaßlichen,
Das geringe vorhandene Fotomaterial lässt davorliegenden Graben sind wenige, meist
jedenfalls mehrere Denkvarianten zu. Da sekundär verlagerte Keramik- beziehungs-
somit der weitere Verlauf der Quadermau- weise Tegulafragmente anzuführen, die
er unklar bleibt, ist derzeit fraglich, ob sie den Zeitraum von der zweiten Hälfte des
Mauer 1 (Bauphase I.1) überlagert und so- 4. bis zum beginnenden 5. Jahrhundert n.
mit jünger wäre. Chr. abdecken.
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222
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Überblicksaufnahme
der in Schnitt 1
aufgedeckten
polygonalen
Mauerstruktur SE 9, die
vom Passauer Kasten
integriert wird und sich
in Raum 0.08 fortsetzt.
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223
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten. Der
in den Schnitten 2 bis
4 freigelegte Abschnitt
der Mauern 1 und 2.
die Verlängerung jener massiven Quader- Erklärungsmodelle an, von welchen beim
mauer von etwa 1,80 m bis 2,10 m Mauerstär- aktuellen Kenntnisstand der Befundlage
ke bilden würde, die 1989/1991 im Bereich keinem der Vorzug gegeben werden kann:
des Kirchendurchganges angeschnitten Neben einer Einordnung als Militärbau
worden war (Bauphase I.2). Im Rauminne- (Lagerecke) der Römischen Kaiserzeit, dem
ren war die mögliche ehemalige Außenscha- später die mutmaßlich spätantike Mauer
le allerdings durch Auszwickelungen derart der Bauphase I.1 vorgelagert wurde, käme
verunklärt, dass keine klaren Aussagen ge- auch eine hochmittelalterliche Errichtung
troffen werden konnten. Denkbar ist auch, innerhalb der spätantiken Befunde in Fra-
dass es sich bei den in SE 19 verwendeten ge. In letzterem Fall könnte es sich dabei
Quadern lediglich um spoliertes Bauma- um einen hochmittelalterlichen Bauteil der
terial handelt. Der südliche Abschnitt von ehemaligen Burganlage gehandelt haben,
Mauer SE 19 – ab dem genannten Knick der ebenso wie die Mauer der Bauphase I.1
– war jedenfalls als stark ausgeprägtes die nordöstliche Spitze des Plateaus, das
Zwickelmauerwerk ausgeführt und kann heute die Pfarrkirche trägt, umschloss. Erst
somit als Neubau oder Ausbesserung aus später wurde der rund 4 m tiefer liegende,
der Zeit des spätgotischen Kirchenbaues im hochwertige Saalbau des Passauer Kastens
frühen 16. Jahrhundert angesehen werden errichtet.
(Bauphase V).
Mangels entsprechender Schichtan-
Der Quadermauerabschnitt der Bauphase schlüsse mit datierbarem Material kann
I.2, der nur aus Fotografien von 1991 bekannt die Erbauung der beiden Mauerbefunde
ist, kann somit vorläufig nur bauhistorisch jedenfalls nur sehr allgemein ab der Rö-
beurteilt werden. Weitgehend unbestritten mischen Kaiserzeit/Spätantike bis spätes-
scheint eine Errichtung noch vor dem Bau tens im frühen Hochmittelalter angesetzt
des Passauer Kastens, obwohl keine direk- werden. In Sondage 3 an der Feldseite von
te Superposition nachgewiesen werden Mauer 1 konnte – neben zwei schmalen
konnte. Es bieten sich somit zurzeit zwei Absätzen – auch die Fundamentunterkante
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224
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Profil durch die
Planierungsschichten
mit spätmittelalterlich-
frühneuzeitlicher
Störung (SE 123, IF
129) des mutmaßlichen
Befestigungsgrabens
in der Südostecke
von Schnitt 4. Im
Vordergrund ist die
Grabenflanke (IF
200) im anstehenden
Schotter zu erkennen.
ausgegraben werden. Hier wurde deutlich, Aufgrund des ins frühe 13. Jahrhundert zu
dass diese dem ehemaligen, nach Norden datierenden Fundmaterials aus SE 184, die
abfallenden Hanggefälle gefolgt war. Die vom Fundament der Mauer 2 überlagert
erhaltene Höhe von Mauer 1 (SE 203=205) wurde, jedoch an die ältere Mauer 1 lief, ist
betrug maximal 1,8 m. Hofseitig waren der Fundamentrest als späterer Anbau zu
aus statischen und räumlichen Gründen klassifizieren. Möglicherweise fand dieser
keine weiteren Sondierungen möglich. Die weitgehend zeitgleich mit dem Bau des Pas-
Breite der Abbruchoberkante von Mauer sauer Kastens um 1220/1230 statt. Zu dieser
1 (Bauphase I.1) könnte nahelegen, dass – Zeit war, wie bereits erwähnt, der Bestand
analog zum Mauerbefund außerhalb des von Mauer 1 noch soweit erhalten, dass er
Passauerkastens (SE 9) – nur ein auf dem weitergenutzt beziehungsweise integriert
Fundament aufsitzender schmälerer Mau- werden konnte.
erabschnitt angefahren wurde. Gegen eine
durchgehende, breite Innenstufe, wie sie Als zweiter Befund aus der Zeit vor dem Bau
im Außenbereich (Schnitt 1) dokumentiert des Passauer Kastens ist eine in der Nord-
werden konnte, sprechen allerdings die Ni- ostecke von Schnitt 4 gelegene Böschungs-
veauunterschiede. Denkbar ist auch, dass kante anzuführen, die in einem Winkel von
es sich lediglich um die Außenschale des ca. 45° nach Südwesten abfiel (IF 200). Da
Mauerzuges handelte, dessen Kern durch eine natürliche Böschung in diesem Winkel
die spätere Errichtung des nordwestlichen im anstehenden Schotter kaum denkbar er-
Raumabschlusses (SE 19) gestört worden scheint, liegt hier die Vermutung einer Gra-
ist. benflanke nahe, die in einem Abstand von
etwa 1,5 m vor Mauer 1 lag. Setzt man die
Südlich der rechtwinkeligen Ecke der – nicht belegbare – Zusammengehörigkeit
wesentlich tiefer fundamentierten Mauer von Mauer und Graben voraus, so wären
1 (Bauphase I.1) schloss mit Mauer 2 (SE der Befestigungsmauer in besagtem Bereich
204) ein nur noch sehr seichter Funda- eine Berme und ein Graben unbestimmten
mentrest an, der sich deutlich absetzte. Ausmaßes vorgelagert gewesen.
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Aufgrund der Störung der Grabenver- Mauer 1 (Bauphase I.1) näher eingrenzen
füllung durch die spätmittelalterlich- könnte, in situ enthielten. Es bleibt also
frühneuzeitliche Grube IF 129 konnten vorerst nur, e silentio Schlüsse aus jenen
Verfüllungsschichten des Grabenbefundes wenigen Funden zu ziehen, die älter als
nur in einem äußerst kleinen Ausschnitt der Saalbau vom Beginn des 13. Jahrhun-
am Südostprofil von Schnitt 4 untersucht derts datiert werden können. Abgesehen
werden. Ihr oberster Abschnitt (SE 183) von einem Randfragment, das mit Vorbe-
war verhältnismäßig fein geschichtet und halt ins 11./12. Jahrhundert zu stellen ist,
erbrachte – abgesehen von einem winzi- gehört die einzige ›größere‹ Fundgruppe
gen spätmittelalterlichen Wandstück und der Spätantike an. Mit Ausnahme des mög-
einem Glasfragment – kaum datierbare licherweise bereits in der Nutzungszeit im
Funde. Hervorzuheben ist allerdings ein Grabenbereich abgelagerten Tegulafrag-
spätantikes Tegulafragment, das direkt über ments handelt es sich in allen Fällen um
der Grabenflanke (IF 200) aus dem Profil umgelagertes Fundmaterial aus jüngeren
entnommen wurde. Möglicherweise gibt Schichten vom ausgehenden Hochmittel-
dieser Fund einen Anhaltspunkt bezüglich alter bis zur Neuzeit.
der frühesten Ablagerungen im Graben ab
spätantiker Zeit. Die ›stärkste‹ Häufung war dabei in der
spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Gru-
Die sehr undeutliche Befundlage mit unre- benverfüllung SE 123 zu bemerken, welche
gelmäßig gerundeter bis polygonaler Befes- die Grabenverfüllung SE 183 schnitt. Even-
tigungsmauer (Mauer 1, Bauphase I.1), die tuell stammen die vier aufgefundenen spät-
offensichtlich zumindest vorhochmittel- antiken Keramikfragmente also aus dem
alterlich zu datieren ist und mit einem bereits verfüllten Graben, möglicherweise
vorgelagerten Graben versehen war, scheint aus nachgerutschten Randbereichen. Es
anhand von Analogien auf ein spätantikes handelt sich dabei um ein graues schei-
Militärbauwerk hinzuweisen. Auf unregel- bengedrehtes Bodenfragment und eine
mäßige beziehungsweise stark dem Gelände handgeformte, leicht überglättete Rand-
angepasste Kleinkastelle dieser Zeitstellung scherbe ›germanischer‹ Machart, die typo-
wurde bereits weiter oben hingewiesen. logisch nicht genauer anzusprechen sind.
Für eine genauere Bewertung der Mauer Klarer einzuordnen sind hingegen zwei
und ihres weiteren Verlaufs wären weitere Fragmente von Schüsseln mit Wandknick,
Aufschlüsse im Bereich nördlich der Pfarr- wie sie auch aus anderen Befunden des 4./5.
kirche St. Laurentius beziehungsweise in Jahrhunderts in größerer Zahl bekannt sind.
bestehenden Gebäuden hilfreich. Denkbar Bei einem Stück handelt es sich um gröbere
wäre auch eine spätere Nachnutzung, mög- graue Drehscheibenware1, während das an-
licherweise im Frühmittelalter bis frühen dere Fragment feiner gearbeitet ist und im
Hochmittelalter (Eparesburg/Ybbsburg?), Innenbereich spärliche Reste von Einglätt-
von welcher aber das Fundmaterial fehlt. verzierung2 aufweist. Im Kastell von Arela-
Ungestörte Schichtzusammenhänge könn- pe/Pöchlarn liegt die Masse an derartigen
ten hier nur noch nördlich der Kirche oder Keramikformen ab den Bauphasen 5.2 bis
aber im Bereich des Kirchenplatzes ange- 5.5 und in Bauperiode 6 vor. Letztere stellt
troffen werden. bereits eine Planierungsschicht (»schwarze
Schicht«) dar, die ähnlich wie in anderen
Da abgesehen vom Grabenbereich alle Kastellorten mit der Aufgabe militärischer
älteren Schichten offensichtlich vor dem Strukturen in Zusammenhang gebracht
Bau des Passauer Kastens in den 1220er-/ wird. Die Datierung dieser letzten Nutzungs-
1230er-Jahren abgetragen worden sind, phase ist schwer zu greifen und wird für das
waren auch keine Schichten erhalten, die Kastell Arelape in der Zeit zwischen etwa
älteres Fundmaterial, das den Bau von 370/380 und der ersten Hälfte des 6. Jahr-
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225
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Detailaufnahme eines
runden Rüstloches
in der Füllung der
Schalenmauer SE
9 in Schnitt 1.
hunderts angesetzt. Vereinzelt kommt auch Eine kleine, handgeformte Scherbe, die auf-
frühmittelalterliche Keramik vor, die als grund ihrer wirren Oberflächenrauung an
Intrusion gewertet wird. Zwei Exemplare spätantike Horreumware erinnert, stammt
stammen auch aus einem Grubenbefund, aus der umgelagerten Schotterschicht SE
der der Bauphase 5.1 zugeordnet wird, wo- 198, direkt am Übergang zum anstehenden
bei seine Verfüllung anhand einer Münze Schotter. Hier könnte an eine primäre
des Gratian oder Valentinian II. erst im letz- Lagerung im Bereich der Berme gedacht
ten Viertel des 4. Jahrhunderts erfolgt ist.3 werden. Möglicherweise handelt es sich bei
226
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Zwei Tegulafragmente
aus Schnitt 4. 1 – SE
142, 2 – SE 183.
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227
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Scheibengedrehte
spätantike Keramik,
teils mit Glättungen,
sowie grün glasierte
Reibschüsselfragmente
aus unterschiedlichen
Befunden. 1–3 – SE
123, 4 – SE 160, 5 –
SE 53, 6 – SE 189.
228
Ybbs an der
Donau, Passauer
Kasten. Spätantike,
handgeformte
›germanische‹ Keramik
aus unterschiedlichen
Befunden. 1 – SE 69,
2 – SE 198, 3 – SE 123.
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dem kleinteiligen Fragment um sogenannte befundes sowie des Grabens ins 4. Jahr-
»späte Horreumkeramik«, die als typisch für hundert n. Chr. nicht eindeutig belegen,
die Periode 7 des Kastells Favianis/Mautern würde eine solche aber durchaus zulassen.
erachtet wird und ihre spätesten Parallelen Dazu ist noch einmal die vorläufig unklare
im langobardenzeitlichen Gräberfeld von chronologische Einordnung der Quader-
Maria Ponsee findet.4 mauer zu nennen, die 1991 im Bereich des
Kirchendurchganges freigelegt worden ist.
Die wenigen weiteren Fundstücke spätan- Diese Befund- und Fundlage lässt bei aller
tiker Zeitstellung sind in allen Fällen als Lückenhaftigkeit die Möglichkeit, im Be-
umgelagerte Altstücke in mittelalterlichen reich des Plateaus der Pfarrkirche St. Lau-
bis neuzeitlichen Schichten anzusehen. Zu rentius und des Passauer Kastens zumindest
nennen sind zwei grünbraun glasierte Reib- ein spätantikes Militärbauwerk zu vermu-
schüsselfragmente aus SE 53 und SE 160=162, ten, dessen Befestigungsmauer teilweise in
die typologisch nicht näher angesprochen die ehemalige Hanglage gebaut worden ist.
werden können, sich aber in den spätanti- Über eine mögliche ältere kaiserzeitliche
ken Zeitrahmen ab der zweiten Hälfte des Bauphase, die durch besagte Quadermauer
4. Jahrhunderts einordnen. Ebenso wenig markiert werden könnte, kann derzeit nur
genauer datierbar ist ein scheibengedrehtes spekuliert werden.
Bodenfragment aus SE 189.
Hochmittelalterliche Schichten bis zum
Ein einzelnes handgeformtes Bodenfrag- Bau des Passauer Kastens
ment mit »baumförmiger« Ritzmarke (ANP 2, Bauphase I.1/I.2–II.1)
auf der Standfläche aus SE 69 ist wieder Das deutlichste Indiz für ein bauzeitliches
dem Dunstkreis der spätantiken ›germa- Niveau des eigentlichen Passauer Kastens,
nischen‹ Ware zuzuordnen. Derartige der um 1220/1230 datiert wird, stellte ein
einfache Markierungen sind – wie auch durchlaufendes Mörtelabstrichband (IF 146,
plastisch erhabene Bodenmarken – sel- SE 47=139) dar, das in der gesamten Länge
ten, aber dennoch geläufig. Belege dafür der Grabungsfläche an der südwestlichen
existieren ab der mittleren Römischen Außenmauer des Saalbaues dokumen-
Kaiserzeit5, aber auch aus der Spätantike/ tiert werden konnte. Darüber lag mit SE
Völkerwanderungszeit. Eine Schüssel mit 130 noch ein deutlicher schottriger, aber
andreaskreuzförmiger Marke stammt aus fundloser Planierungskeil über der offen-
Grab 10 des Gräberfeldes des 5. Jahrhun- sichtlich ehemals schrägen Hanglage hinter
derts von Grafenwörth.6 dem Bauwerk, die erst nach der Errichtung
gänzlich ausgeglichen wurde.
Zuletzt ist noch auf ein zweites, sekundär
umgelagertes Tegulafragment aus SE 142 Unter dem genannten bauzeitlichen Mörtel-
hinzuweisen, für das wohl ebenfalls eine abstrich folgten ältere Planierungen aus der
spätantike Zeitstellung angenommen wer- Zeit vor oder während des Baues (SE 46=133,
den darf. Auf weitere spätantike Ziegelfrag- SE 61=140), die die ehemalige Hanglage zu-
mente aus dem unmittelbaren Umfeld des nehmend verflachten. Die randliche, von
Passauer Kastens (Hauptplatz Nr. 6, Gst. Nr. der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen
144), von denen eines den Stempel der 1. no- Grube IF 129 geschnittene Verfüllung SE
rischen Legion trägt, wurde bereits weiter 141 enthielt nur geringes Fundmaterial, das
oben hingewiesen. Sie belegen offensicht- allgemein ins Hoch- bis beginnende Spät-
lich eine wohl militärische Bebauung im mittelalter zu stellen ist. Sie überlagerte wie
Nahbereich der behandelten Fundstelle. auch SE 152 die viereckige, trocken gesetzte
Steinlage IF 173, SE 176, die mit Vorbehalt
Die nicht allzu üppige Fundlage der Spät- als Fundamentrest (eines Pfeilers?) anzu-
antike kann eine Datierung des Mauer- sprechen ist.
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229
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten. In der
rechten Bildhälfte die an
die Südwestmauer des
Passauer Kastens
anlaufende Planierungs-
schicht SE 133 aus der
Bauzeit beziehungs-
weise der Zeit knapp
vor Errichtung des
Repräsentationsbaues.
Entlang der Mauer
ist darüber das
Mörtelabstrichband
SE 139 zu erkennen.
Offensichtlich wurde
mit dieser und den
darunter folgenden
Planierungen das
ehemalige Hanggefälle
in Richtung Donau
ausgeglichen.
231
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Südöstlicher Bereich
von Schnitt 4 mit der
Steinlage SE 176 und
der zentralen Reihe
von bereits zum
Teil ausgegrabenen
Pfostengruben (IF 170,
IF 171, IF 172, SE 175).
Mauerwerks bezeichnen. In diese frühen Wie lang die Mauern 1 und 2 nach den Bau-
Schichten schnitt auch bereits die zuvor arbeiten noch sichtbar waren und welche
genannte Steinlage IF 173/SE 176 ein. Funktion sie in dieser Phase erfüllten, lässt
sich derzeit kaum beantworten. Ob der
Die ebenfalls nur dünnen, stärker holzkoh- nördliche Abschnitt des Chorunterbaues
lehaltigen Straten (etwa SE 174, SE 177, SE der Pfarrkirche (Nordwestmauer von Raum
178, SE 180, SE 181, SE 185) könnten somit 0.08) die Fortsetzung der 1991 freigelegten
eine vorbauzeitliche Humus- oder Kultur- Quadermauer bildet, ist derzeit ebenfalls
schicht darstellen, die größtenteils direkt nicht zufriedenstellend zu klären (siehe
auf beziehungsweise am Übergang zu dem oben). Auf jeden Fall überlagerte die Mauer
anstehenden Schotter lag und die ältere des Nordwestabschlusses von Raum 0.08
Grabenverfüllung SE 183 überlagerte. auch deutlich die Mauer 1 (Bauphase I.1),
die in diesem Bereich rechtwinkelig umbog.
Nicht damit in Zusammenhang stand Entweder wurde die Nordwestmauer somit
die Steinschuttschicht SE 184 südlich der über die bereits schadhafte Mauer 1 gesetzt
Mauern 1 und 2. Diese Schicht, die eben- oder es erfolgte ein Teilabbruch der älteren
falls noch Keramik des 12./13. Jahrhunderts Substanz.
enthielt, könnte während des Baues des
Passauer Kastens beziehungsweise im Zuge Wann der Fundamentrest von Mauer 2
des Abbruches von Teilbereichen der älte- abgetragen wurde, ist weitgehend unklar.
ren Mauer 1, an deren Fundamentbereich Allerdings wurde er bereits von einer spät-
sie anlief, entstanden sein. Dagegen zog sie mittelalterlichen Grube in der Südwestecke
unter den offensichtlich später angesetzten von Raum 0.08 gestört. Hier war auch noch
und wesentlich seichter fundamentierten der Rest eines Ausrissgrabens beziehungs-
Rest von Mauer 2, die somit auch in einen weise einer inhomogen verdichteten Flä-
ähnlichen Zeitrahmen wie der spätroma- che (SE 189/IF 194), die in Richtung Süden
nisch-frühgotische Saalbau zu datieren ist bis ans Nachbargebäude weiterlief, unter
(siehe oben). dem Fundament von Mauer 2 zu erkennen.
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235
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Fragmente von
Bügelkannen des
Hochmittelalters
bis beginnenden
Spätmittelalters aus
unterschiedlichen
Befunden. 1 – SE 184,
2–3 – SE 152, 4–5 –
SE 140, 6 – SE 68.
236
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Keramikfragmente
des Hochmittelalters
bis beginnenden
Spätmittelalters aus
unterschiedlichen
Befunden. 1 – SE 34,
2 – SE 42, 3 – SE 53.
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237
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Zweireihiges
Einlagenkämmchen
aus der
hochmittelalterlichen
Kulturschicht SE 180.
umlaufendes Wellenband auf, das eine Sie wurde offensichtlich angelegt, um ein
grobe Datierung ins 11./12. Jahrhundert noch bestehendes Nordosthanggefälle in
ermöglicht. Richtung der Außenmauer des Saalbaues
einzuebnen. Hangaufwärts, in Richtung des
Die Beobachtung, dass die ältesten fund- südwestlich von Raum 0.08 anschließenden
führenden Schichten – abgesehen von dem Gebäudes, fehlte diese Planierung bereits,
bereits angesprochenen Grabenbefund in war also offensichtlich zu einem späteren
der Nordostecke von Schnitt 4 – nahezu Zeitpunkt abgetragen worden (spätmittel-
unmittelbar auf dem anstehenden Schotter alterliche Einebnung der Fläche). In diesem
beziehungsweise Schluff/Wellsand lagen, Bereich ist nur noch SE 128 zu nennen, die
lässt an eine Überformung des ehemaligen neben älteren Stücken auch eindeutig
Hangverlaufes bereits im Zuge des Baues spätmittelalterliches Material enthielt
des Passauer Kastens denken. Dabei wurden und in Richtung des Saalbaues – wie auch
offensichtlich alle älteren, auf dem Hang der genannte Mörtelabstrich – die bau-
abgelagerten Kulturschichten bis auf den beziehungsweise vorbauzeitliche Planie-
anstehenden Boden abgetragen. Erhalten rungsschicht SE 133 überlagerte. Darunter
blieben nur deutlich eingetiefte Befunde lag noch SE 132, die ebenfalls reduzierend
wie die Grabenverfüllungen/Planierungen gebrannte spätmittelalterliche Keramik
ab SE 183. enthielt.
238 � �
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Ausgewählte römische
bis spätmittelalterlich-
frühneuzeitliche
Befunde in den
Schnitten 2 bis 4.
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239 (links)
Ybbs an der Donau,
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Passauer Kasten.
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Die Verfüllung (SE 123)
der spätmittelalterlich-
frühneuzeitlichen
Grube.
240 (rechts)
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Die ausgenommene
spätmittelalterlich-
frühneuzeitliche Grube
IF 129 am südlichen
Abschluss von Schnitt 4.
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241
Ybbs an der
Donau, Passauer
Kasten. Auswahl
spätmittelalterlicher
Keramikfragmente aus
unterschiedlichen, teils
umgelagerten Straten.
1–3 – SE 15, 4 – SE 36,
5 – SE 37, 6 – SE 122.
242
Ybbs an der
Donau, Passauer
Kasten. Fragmente
spätmittelalterlicher
Vorratsgefäße aus
teilweise gestörten
Schichten. 1 – SE
136, 2–3 – SE 159.
246
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Das Rollsteinpflaster
(IF 67/SE 68) in Schnitt
4. Die nordwestlichen
Bereiche (im Bild oben)
wurden bereits beim
Anlegen der Schnitte
2 und 3 abgetragen.
Auf die vier in der Scheitelachse des Ton- Eingriffe und Schichten des 19./20.
nengewölbes liegenden und zwei weitere, und 21. Jahrhunderts
randständige Pfostengruben wurde bereits (ANP 6, Bauphase VIII–IX)
hingewiesen. Anfangs interpretierte man Als jüngste Befunde, die in Raum 0.08 des
sie als Hinweise auf ein Lehrgerüst von der Passauer Kastens angetroffen wurden, sind
Einwölbung des Raumes, was aber nach vor allem die Überreste von Tankstellen-
genauerer Sichtung der stratigrafischen infrastruktur (Zapfanlagen, Werbeschilder
Situation nicht mehr haltbar ist. etc.) zu nennen, die hier gelagert wurden.
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247
Ybbs an der Donau,
Passauer Kasten.
Frühneuzeitliche
Kachelfragmente
aus SE 28.
229
RADIOMETRISCHE ALTERSDATIERUNG
VON HISTORISCHEM KALKMÖRTEL
Einleitung dem Brennprozess erzeugtes Kalziumoxid
(CaO) reagiert anschließend mit Wasser zu
Historische Bauten sind zumeist aus kom- Kalziumhydroxid (als Mineral Portlandit;
plexen Verbundsystemen von Materialien Ca[OH]2), dem sogenannten gelöschten
unterschiedlicher natürlicher wie synthe- Kalk. Die erneute Verfestigung basiert auf
tischer Herkunft aufgebaut.1 Kalkmörtel der Reaktion der wässrigen Paste gelösch-
haben die Funktion, Fragmente natürli- ten Kalks mit atmosphärischem Kohlendi-
cher Gesteine oder künstlich hergestellter oxid und der Kristallisation von Kalzium-
Festkörper (zum Beispiel Ziegel) möglichst karbonat (als Mineral hauptsächlich Kalzit;
dauerhaft zu verbinden. CaCO3), welches den Kalkzement (Bindemit-
tel) des Gemenges durch die Vernetzung
Die Zusammensetzung von historischen neugebildeter Kalzitkristalle bildet. Der
Mörteln ist mineralogisch-chemisch viel- letztgenannte Mechanismus führt zur suk-
fältig und hängt im Wesentlichen von zessiven Verfestigung des Kalkmörtels und
Faktoren wie regionaler Verfügbarkeit der kennzeichnet den Abbindeprozess.
Ausgangsstoffe, Transportwegen, techno-
logischer Entwicklung und spezifischer
Verwendungsabsicht ab. Dennoch stellt der Auswahl von geeignetem Kalk-
Brand von Kalkstein bei ausreichend hoher mörtel zur Radiokarbondatierung
Temperatur die Grundlage aller verwen-
deten Kalkmörtel dar. Die anschließende Entscheidend für eine erfolgreiche Radio-
(Wieder-)Verfestigung dieses Mörteltyps ist karbondatierung von Kalkmörtel ist die Aus-
an den Abbindeprozess, also die Aufnah- wahl von geeignetem Probenmaterial. Eine
me von CO2 aus der Atmosphäre in sich Vorauswahl solcher Proben erfolgt über die
bildenden Kalziumkarbonat-Kristallen, ge- strukturelle, mineralogische und geochemi-
bunden. Die Radiokarbonanalyse an gezielt sche Charakterisierung des zur Verfügung
ausgewählten Kalkmörtelproben kann den stehenden Kalkmörtelmaterials, etwa aus
vergangenen Zeitraum dieses Abbindepro- Mauerresten. Makroskopische (visuelle
zesses angeben. Begutachtung) und mikrostrukturelle Un-
tersuchungen mittels Durchlicht-/Auflicht-
mikroskopie an Kalkmörteldünnschliffen
Prinzip der Herstellung und ermöglichen die Identifizierung von Anrei-
Anwendung von Kalkmörtel cherungshorizonten des Kalkbindemittels
für punktuelle Probenentnahmen, häufig
Kalkzement (Branntkalk) wird grundsätz- mittels eines feinen Handbohrers. Die ali-
lich durch die sogenannte Kalzinierung quoten Pulverproben (ca. 10–50 mg) sind
von natürlichem Kalkstein hergestellt. Aus sodann über Röntgendiffraktometrie (XRD)
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Übersicht der wesent-
lichen Arbeitsschritte
hinsichtlich radio-
metrischer Alters-
datierung von Kalk-
mörtel. Die Punkte
1 bis 4 umfassen
die Probenahme,
die mineralogisch-
geochemische Proben-
charakterisierung
und -auswahl sowie
deren massenspektro-
metrische Radio-
karbondatierung.
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231 Martin Dietzel und Ronny Boch: Radiometrische Altersdatierung von historischem Kalkmörtel
233 Martin Dietzel und Ronny Boch: Radiometrische Altersdatierung von historischem Kalkmörtel
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