Der Vermieter ist nicht erfreut, als wir ihm mitteilen, dass wir trotz seiner guten Anreisewünsche sein
Quartier nunmehr nicht beanspruchen werden. Er fände diese ganze Scheiße ja auch bescheuert,
ranzt er durchs Telefon. Ja, sagen wir, leider nicht bescheuert genug und dass wir vierundzwanzig
Stunden vor Reiseantritt ein neues Quartier finden werden. Eines bei Vermietern, die trotz der
Strafandrohungen nicht darauf bestehen, dass wir unseren Enkel auch noch in seinen Ferien quälen
mit Schleimhautzerkratzungs-, Spuck- oder Leckerlolly-Testungen. Oder gar mit Maskenzwang unter
Strafandrohung bei Nichtbeachtung. Und obwohl der ranzende, nunmehr Ex-Vermieter uns
prophezeit, wir würden in seiner sauberen Stadt nahe der von uns zu durchwandernden Berge keine
anderen Vermieter finden, weil sie schließlich alle von was leben müssten – anders als wir, die wir
seiner unbekannten Ansicht nach offenbar von nix leben müssen, erfüllt sich seine Prophezeiung
nicht, denn wir finden ein Ersatzquartier nach zwei Telefonaten und einem Schriftverkehr, der
vermutlich jedem geheimdienstlichen Prozedere zu einer konspirativen Verabredung Ehre – wenn
auch zweifelhafte – gemacht hätte.
Das neue Quartier, stellt sich nach der Anreise heraus, ist nicht nur schöner und günstiger als das Ex-
Quartier gelegen und für den gleichen Preis besser ausgestattet, es hat zusätzlich ein unverrückbares
Gegenüber. Und dieses Gegenüber ist die Strafe vermutlich, weil wir so unsolidarisch sind mit
überfolgsamen Mitbürgern: Vom Wohnzimmer der Ferienwohnung sowie vom Schlafzimmer des
Enkels aus sehen wir auf das örtliche Robert-Koch-Institut. Und wenn es dunkel ist, in es hinein.
Wenn wir samt Enkel platt vom Wandern, Klettern und Steigen im Wohnzimmer verteilt auf der
blühenden Sofalandschaft herumlungern und es kaum mehr schaffen, ein Buch anzuheben oder auf
einer Fernbedienung für irgendeine Art von Hirnberieselung irgendwelche Tasten zu betätigen,
starren wir aus unseren Fenstern in die Fenster des Institutes hinein, hinter denen man im
Tageswechsel jeweils einen von zwei Mitarbeitern sieht, die sich darüber hinaus ähneln, wie wir trotz
raumgreifender Erschöpfung bis in unsere Hirnwindungen hinein, bemerken...
Man muss es gestehen: Ein schnell langweilendes Spiel. Bis zu jenem Ferientag, an dem der Enkel
beim Frühstück und kurz vor der Abreise zurück in langweiligere Topografien, uns berichtet, dass in
der letzten Nacht einer der einander ähnelnden Männer gegen drei Uhr morgens ausgrastet sei. Er
habe plötzlich mit der Faust auf den Tisch gehauen, irgendwelche Sachen vom Tisch gewischt, dann
sei er heftig aufgestanden, habe erneut über den Trapez-Tisch gewischt, auf dem leider gar keine
Sachen mehr gewesen seien, die man noch hätte herunterschleudern können, weiter hätte er dann
abermals auf den Tisch geschlagen mit der flachen Hand und sich danach krachend wieder
hingesetzt, wobei er die Höhe seines, unter seinem Körpergewicht stark federnden Bürostuhls,
mehrfach nachkorrigieren musste. Was sonst nie vorgekommen war, wenn er das Sitzmöbel während
seiner Dienststunden einmal für kurze Zeit verlassen hatte...
Seit diesem Tag haben wir ein neues Großeltern-Enkel-Spiel: Immer, wenn wir uns sehen und uns
nicht mehr für unsere bewältigten, abenteuerlichen gemeinsamen Wandertouren gegenseitig loben
wollen, weil es damit auch mal gut sein muss, und wir uns trotzdem irgendwie an die schöne
gemeinsame Zeit erinnern wollen, spielen wir das Spiel: Warum der Mann vom Robert Koch
ausgerastet ist so mitten in der Nacht...
Schnell haben wir alle gängigsten Motive nächtlich einsamer Ausrastungen durchgespielt: Alle
Eifersuchtsvarianten, die sich irgend denken lassen. Die Nachricht vom Verlust des hohen Einsatzes
beim Onlinepoker während der Arbeitszeit. Die Entdeckung der verlustreichen Nebenbeschäftigung
durch eine unerwartbare Kontrolle. Den Ärger über die falsche Wurstsorte auf dem mitgeführten
Butterbrot...
Endlich kamen wir darauf, dass es sich um eine Wut auslösende Arbeitsaufgabe gehandelt haben
könnte. Wir spekulierten darüber, welche Arbeit allgemein einen wütend machen könnte... Dann
stellten wir fest, dass Wut über irgendwelche Arbeiten mit zunehmendem Alter abzunehmen schien,
weshalb die nächtliche Robert-Koch-Wut besser zu einem Kind als zu einem Mann gepasst hätte,
aber es sich in der Realität nun einmal um den Wutanfall eines mittelalterlichen Mannes gehandelt
hätte... Durch diesen Widerspruch erfrischt, kamen wir darauf, dass jemand, der kein Kind ist, im
Zusammenhang mit Arbeit vor allem wütend auf sich selbst sein könnte! Zum Beispiel, weil er eine
Aufgabe nicht lösen kann! Nicht einmal bei bestem Willen! Oder alternativ wütend sein kann auf
Vorgesetzte, die ihm eine eigentlich unlösbare Aufgabe gestellt haben und irgendetwas davon
abhängig gemacht haben, dass genau diese eine Aufgabe aber gelöst wird. Eine Gehaltserhöhung
etwa. Oder die erstrebenswerte Versetzung in die Tagschicht... Das gäbe auch weniger Eifersucht und
sei deshalb bestimmt sehr viel erstrebenswerter als Nachtarbeit. Für einen Mann. Sagt der Enkel. Ich
sage, das ist Robert-Koch-Institut, da sind alle Experten. Bei Experten ginge das ja gar nicht, dass die
eine Arbeitsaufgabe, die ihnen ihre Vorgesetzten vorsetzen, einmal nicht lösen könnten. Alle
Angestellten in namhaften Instituten stehen sozusagen stellvertretend für die Namensgeber und ein
Auftrag von Vorgesetzten im Robert-Koch-Institut wird deshalb von den angestellten Experten nicht
nur behandelt, als käme er von Robert Koch persönlich, sondern als würde er auch ausgeführt wie
von Robert Koch persönlich! Ungeachtet dessen, was man alles über dessen Werk und Wirken
mittlerweile wisse, steht fest, dass er ein übermenschliches, ja vom göttlich Guten durchdrungenes,
Genie gewesen sei – Das sei immer so bei Genies und die erkenne man zweifelsfrei daran, dass es
Institute- oder auch Flughäfen oder Schnellzüge - mit ihren Namen gibt.
Das überzeugt den Enkel und er will jetzt wissen, was dies wohl für eine unlösbare Aufgabe für die
Nachtschicht gewesen sein könne. Wir rätseln ein bisschen herum, aber nichts ist so richtig logisch.
Und dann fällt mir ein, dass ich ja gerade den frisch herausgegebenen Herbst-Winter-Plan des
inzwischen von jedem auf die abendlichen Nachrichtensendungen schwörenden Schulhausmeister
und jeder seit zwanzig Jahren wieder in den Beruf einsteigen wollenden, ehrgeizig am Puls der Zeit
gebliebenen Hausfrau, routiniert „RKI“ genannten Robert-Koch-Institutes zu meinen, mit Zweifeln
behafteten Akten gelegt habe.
Den zehnseitigen Plan gebe ich sogleich dem Enkel zum Lesen. Er reicht ihn mir nach drei und einer
halben Seite mit kraus gezogener Stirn – was nicht einfach zu machen ist, wenn man gerade vierzehn
Jahre alt ist und daher eine erbrachte Leistung angewandter Körperbeherrschung, zurück. Diesmal,
meint er, sei ich auf dem Holzweg, denn das verstehe kein Mensch. Weshalb das nur ein Experte
verfasst haben kann und ich hätte ja selbst gesagt, dass Experten keine unlösbaren Aufgaben kennen
würden. Damit fiele das Wutmotiv als Wutmotiv hier aus. Oh, sage ich, ich dächte, die unlösbare
Aufgabe, die seine Vorgesetzten ihm gestellt hätten, sei bestimmt eine gewesen, die unter seiner
Experten-Würde als optionaler Robert-Koch-persönlich gewesen war.
Aha, sagt der Enkel. Ja, sag ich, das ist doch vollkommen logisch! Bei der Würde hört bestimmt auch
bei Experten der Spaß auf, wenn die von Vorgesetzten dazu verdonnert unter der ihnen zustehenden
bleiben müssten! Na gut, sagt der Enkel, der immer noch an dem Spiel festhalten will: Was war es für
eine Experten entwürdigende Aufgabe? Aber konkret!, mahnt der Enkel und imitiert seinen
Großvater, wie der mit mir zuweilen spricht. - Oh, sag ich, das wird, nehme ich an, eine Übersetzung
gewesen sein. Seine Vorgesetzten hatten ihm vielleicht die Aufgabe gestellt, den Herbst-Winter-
Viren-Plan so zu übersetzen, dass ihn auch Wetteransager in den Fernsehnachrichten oder
Abgeordnete so verstehen können, dass es ihrer jeweiligen Würde entspricht. So verstehen können,
dass die den Plan auch Lehrerinnen und Schulleitern und Amtspersonen und so erklären können. So
erklären, dass es wiederum deren Lehrerinnen- und Schulleiter- und Amtspersonen -Würde
entspricht. Oder der Würde gar von Polizistinnen entspricht! Solchen etwa, die gerade im
Krankenhaus liegen, weil sie von Dienstautos überfahren wurden mit Ministerpräsidenten hinten
drin. Welche vor den Fragen der Bevölkerung in ihnen, also in den Dienstautos, fluchtartig unter
Personenschutz Orte verlassen, an denen sie keine Antworten wissen. Das weiß man ja, dass man
Polizisten leicht mal übersehen kann, wenn man auf der Flucht ist...Der Enkel zieht wiederum die
Stirn kraus und meint wie sein Großvater persönlich, ich schweife wieder einmal ab und er will
einfach nur konkret wissen, wie die Übersetzung aussah, die den Nachtexperten von Robert Koch so
wütend gemacht hatte.
Das ist doch ganz einfach, sag ich, steht doch hier! Wo? fragt der Enkel, schaut auf das Zweifels-
Akten-Papier und sagt überlegen grinsend, weil ich jetzt von ihm in die Enge getrieben am Ende
meiner Fabulierkunst angelangt bin: Na dann lies mal vor, was da wirklich steht...
Gut, sage ich und beginne, nachdem ich ausufernd gründlich meine Brille geputzt habe, damit ich
nicht nur weit, sondern auch tief genug blicken kann, um den Enkel in seinem großväterlichen
Konkretheitswahn wenigstens halbwegs zufrieden stellen zu können:
„Sehr geehrter Herr Minister! Wie vor der Sommerpause verabredet, stellen wir Ihnen hierdurch
erneut Handlungsempfehlungen zur Verfügung, mit denen sie den Bundestag wie Bundesrat dazu
motivieren können, die Übergangsphase von einer weltweit deutschen Pandemie-Notlage in eine
deutsche Epidemie-Notlage zu verstetigen, welche den zumindest deutschen Markt für sämtliche
kurzfristig eingeführten Pharma- und Überwachungstechnologien sowie globalisierten
Finanzprodukte nachhaltig sichert.
Wir bezweifeln nicht, dass Ihnen dies mit unserer Hilfe gelingen wird, betonen jedoch, dass wir für
unsere rechnergestützt modellierten Szenarien keine Vergleiche auf der Basis empirischer Studien
heranziehen, wie das in der klassischen Wissenschaft für Analyseverfahren üblich ist. Wir freuen uns
jedoch, dass wir unter Ihrer Führung endgültig den Schritt weg von der lästigen, überprüfbaren
klassischen Wissenschaft hin zu einer modernen Modell-Wissenschaft, bewältigt haben.
Ist doch unsere Kreativität als Forscher damit nicht weiter in unwürdiger Weise beschnitten! Ein
medizinischer Forscher muss das Recht haben, frei darüber zu entscheiden, ob er sich vorstellt, dass
ein infektiöser Mensch einen weiteren ansteckt oder zum Beispiel fünf weitere Menschen! Ein
Forscher muss das Recht haben, größere Zahlen schöner finden zu können als kleinere und
dementsprechend seine spekulative Fantasie walten zu lassen, wenn er seinem Hochleistungsrechner
einfache Rechenaufgaben stellt!
Wir wissen es zu würdigen, dass es Sie und Ihre Kollegen und Kolleginnen umtreibt, besonders schnell
und flexibel auf frei erfunden möglicherweise vorkommende Vorkommnisse zu reagieren, weil Sie
Menschen vor einer lebensbedrohlichen Erkrankung schützen wollen, für den Fall, eine solche
Erkrankung käme einmal vollkommen unberechenbar in echt vor. Wir wissen zu würdigen, dass Sie
mit nahezu übermenschlicher Kraft vor allem jene Menschen vor solchen möglicherweise
vorkommenden Krankheitsausbreitungs-Vorkommnissen schützen wollen, die gar nicht Gefahr
laufen, dass ihr Leben durch diese real bedroht wird. Jedenfalls nicht direkt.
Unsere große– sonders tiermedizinische - praktische Erfahrung – dies bleibt aber bitte nur Ihrem
geschulten Verständnis anheimgegeben, lässt uns Ihnen versichern: Menschen können effektiv nur
dann vor Erkrankungen jeglicher Art geschützt werden, wenn sie nichts berühren, sich nicht bewegen
und nicht atmen. Im Grunde können sie nur dann nicht krank werden, wenn sie tot sind. Deshalb sind
sämtliche gesellschaftsrelevante Maßnahmen, die Sie politisch ergreifen, ebenso sinnvoll wie sinnlos
gleichermaßen. Weshalb sie unsere modisch wissenschaftlichen Empfehlungen eigentlich gar nicht
benötigen. Es freut uns, dass Sie dies verstanden haben.
Da Sie aber trotzdem auf unseren Empfehlungen bestehen, um wegen der Wahrung des inneren
Landesfriedens Ihre politisch-ökonomischen Entscheidungen als medizinwissenschaftlich erforderliche
Entscheidungen auszugeben, teilen wir Ihnen nunmehr erneut mit allem gut versteckten Nachdruck
mit, dass wir für Ihre politisch-ökonomischen Entscheidungen und deren volksgesundheitliche
Konsequenzen keinerlei Verantwortung übernehmen.
Weil wir als nach Ihrem Willen endlich moderne Wissenschaft auf gezielte Empirische Studien
verzichten, die wir zum Vergleich unserer modellierten Szenarien für eine klassisch vernunftbasierte
Analyse der gegenwärtigen Realitäten der Bevölkerungsgesundheit heranziehen könnten. Jedoch
nach Ihrem Willen nicht wollen können. Es ist nämlich viel einfacher und sehr viel billiger, aus drei mit
Forscherfantasie erdachten Zahlen, die für eine überschaubare Anzahl szenischer Grundannahmen
stehen, ein ganz großes Kopfkino für medizinische Laien zu veranstalten als diese ganzen einzelnen,
umständlich extra zu benennenden Daten-Parameter, die einem aus Obduktionsberichten und
Krankenakten zu diversen Krankheitsverläufen oder ermittelten Todesursachen von so vielen
unterschiedlichen Orten gezielt angefragt und geliefert werden, in diese klappernden Tastaturen
einzugeben. Auch ist das überhaupt keine kreative Arbeit und deshalb ist die sehr langweilig und
damit zumindest unter der Würde der Mitarbeiter eines bitte ja: ROBERT KOCH! Institutes.
Wir hoffen, unsere neuen Szenarien für den Herbst gefallen Ihnen so, dass Sie weiter an Ihrem
Drehbuch für die deutsche Bevölkerung schreiben, ohne dass die merkt, dass sie für Politiker eher so
eine Art Komparserie in einem Film mit beeindruckenden Massenszenen ist, der nur für
Privatvorstellungen von superreichen Zombies gedreht wird. Wenn die Bevölkerung es doch merken
sollte, sollten Sie sich aber bis zu unseren nächsten Planspiel-Empfehlungen unbedingt merken, dass
WIR nicht schuld sind an IHRER ressortübergreifenden Wirtschafts-Politik. Hochachtungsvoll im
Auftrag usw.“ ...
Der Enkel bekommt seine Stirn gar nicht mehr glatt und sagt, dass dies ein echt mieser Brief sei und
er sich nun gar nicht mehr wundert, wenn der Robert-Koch-Mann wegen der Übersetzung einen
unkontrolliert kindischen, nächtlichen Wutanfall bekommen hat... Das war doch nicht die
Übersetzung!, sag ich - DAS war das Original!