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Pro und Kontra: Geschlechtergerechte Sprache

Von Renate Kortheuer-Schüring


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20. November 2018
"Geschlechtergerechte Sprache" ist eins der deutschen Top-Streitthemen. Der
Rat für deutsche Rechtsschreibung spricht sich gegen das Gendersternchen
(Kolleg*innen) aus, ebenso die Duden-Redaktion. Konflikt geht also weiter.
Gender-Befürworter engagieren sich für einen neuen geschlechter- und
hierarchiebewussten Sprachgebrauch. Sprachbewahrer kritisieren
dagegen eine ideologisch motivierte Verhunzung des Deutschen.
sonntagsblatt.de erläutert beide Positionen:

PRO
 Verfechter des "Genderns" betrachten die Sprache vor allem im Blick auf ihre
gesellschaftliche Dimension. Um die Gleichstellung der Geschlechter zu
fördern, wollen sie den Gebrauch der Sprache dort verändern, wo er der
Gleichberechtigung von Männern und Frauen ihrer Meinung nach
entgegenwirkt: Etwa dadurch, dass Frauen explizit genannt werden.

 Besonders lehnen die "Gendering"-Befürworter das "generische Maskulinum"


ab, wonach im Deutschen mit der grammatisch männlichen Form Männer und
Frauen gleichermaßen gemeint sind ("Der Bürger darf wählen.") Das
generische Maskulinum mache die Frauen "besser unsichtbar als jede Burka",
sagt die Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch.

 Diese Sprachregel, wonach Frauen "mitgemeint" sind, benachteilige Frauen,


finden Feministinnen und auch viele Linguisten beiderlei Geschlechts.
Maskuline Bezeichnungen ließen die meisten Menschen nämlich an
Männergruppen denken, egal ob es um stereotyp männliche Tätigkeiten
("Spion"), neutrale ("Zuschauer") oder weibliche Tätigkeiten ("Kosmetiker")
gehe. Studien haben den Forschern zufolge gezeigt, dass das Genus - das
grammatische Geschlecht "der, die, das" - konkrete Auswirkungen auf die
Vorstellung von Sexus, dem biologischen Geschlecht, hat.
Dass es zu dieser Wahrnehmung kommt und Personenbezeichnungen
wie "Terrorist", "Lehrer" oder auch "Kosmetiker" eher mit Männern
assoziiert werden, hat mit dem sogenannten sozialen Geschlecht (engl.
"Gender") zu tun. Dies leitet sich neben dem realen Anteil von
Männern oder Frauen in den jeweiligen Gruppen auch aus sozialen
Zuschreibungen ab und kann mehr oder wenig stark ausgeprägt sein:
So ist "Kosmetiker" weniger stark männlich besetzt als "Terrorist", weil
Kosmetik eher mit Frauen in Verbindung gebracht wird, Gewalt
dagegen eher mit Männern.

 Anhänger des "Genderns" betonen, dass Sprache die Wahrnehmung lenke und
eine bestimmte Sicht der Dinge verstärken oder abschwächen könne. So führe
die Verwendung des generischen Maskulinums in Stellenanzeigen zu einem
geringen Anteil von Bewerberinnen. Umgekehrt trauten sich Mädchen eher
typisch männliche, technische Berufe zu, wenn diese ihnen in männlicher und
weiblicher Form vermittelt werden ("Ingenieurinnen und Ingenieure").
Gender-Freunde leiten daraus die Verpflichtung ab, Sprache so zu verändern,
dass sie Chancengleichkeit nicht verhindert.

KONTRA
 Wer sich von "Genderwahn" genervt fühlt und die geltende, allgemein
gebräuchliche Sprachform verteidigt, argumentiert im Wesentlichen mit der
Sprachlogik. Jede Sprache hat demnach ihren eigenen logischen Aufbau: Im
Deutschen wird zwischen dem grammatischen Geschlecht (Genus) und dem
biologischen Geschlecht (Sexus) unterschieden. Als "generisches
Maskulinum" steht die männliche Form auch für Begriffe, die Männliches und
Weibliches zugleich umfassen, zum Beispiel im Satz "Der Bürger darf
wählen".

 Während es im Deutschen gleich drei grammatische Geschlechter gibt ("der",


"die" und "das"), sind andere Sprachen anders konstruiert: Einige haben viele
grammatische Geschlechter, klassifiziert etwa nach Eigenschaften von
Lebenwesen und Dingen. Andere wie das Türkische oder das Ungarische
haben gar kein Genus. Trotzdem denke man in diesen Sprachfamilien nicht
mehr oder weniger emanzipiert oder gleichberechtigt, halten Sprachbewahrer
denen entgegen, die die Gesellschaft durch einen veränderten Sprachgebrauch
"gerechter" machen wollen. So schrieb unlängst Ulrich Greiner in der "Zeit":
Türkische Frauen dürften aufgrund des fehlenden Genus keine Probleme mit
geschlechtergerechter Sprache haben: "Aber vielleicht haben sie dennoch ein
Problem mit Gleichstellung."

 In der Alltagsprache, in der es auf Kürze und Effizienz ankommt, hat sich
"geschlechtergerechte Sprache" kaum durchgesetzt. Sie ist in der Regel
behördlichen oder offiziellen Formularen und Dokumenten vorbehalten.
Zudem verwenden auch Politiker heute meist Doppelformen ("Wähler und
Wählerinnen"), um auch für die Geschlechterfrage sensible Menschen zu
erreichen. Dass eine durchgängige explizite Nennung beider Geschlechter in
der Praxis nicht umsetzbar ist, weil es die Sprache sehr verkompliziert, wird
als weiteres Argument gegen das "Gendern" angeführt.

 Auch die deutschen Nachrichtenagenturen sowie die meisten Zeitungen


"gendern" aus diesem Grund nicht. Neue Formen wie das große Binnen-I
(MitarbeiterInnen) oder das Gendersternchen (Kolleg*innen), die Frauen
sichtbar machen sollen oder Personen, die sich nicht als Mann oder Frau
begreifen, mindern die gute Lesbarkeit von Texten und funktionieren nicht,
wenn sie gesprochen werden. Kritiker sehen darin eine Sprachverhunzung.
Einen gewissen erzieherischen Ansatz der Gender-Anhänger, bestimmte
Sprachnormen durchsetzen wollen, halten sie für "undemokratisch".

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