Facharztprüfung
Kardiologie
in Fällen, Fragen und Antworten
Mit Beiträgen von:
Hagen Gross, Ralph Hein, Martin Hug, Volker Klauss, Andreas König, Florian Krötz, Marcus
Leibig, Stefan Lüftl, Johannes Rieber, Thomas Schiele, Sebastian Schmieder, Hae-Young Sohn,
Christoph Spes, Eva von Eckardstein-Thumb
Die Erkenntnisse in der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und klinische Erfahrungen. He-
rausgeber und Autoren dieses Werkes haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass die in diesem Werk gemachten
therapeutischen Angaben (insbesondere hinsichtlich Indikation, Dosierung und unerwünschter Wirkungen) dem
derzeitigen Wissensstand entsprechen. Das entbindet den Nutzer dieses Werkes aber nicht von der Verpflichtung,
anhand weiterer schriftlicher Informationsquellen zu überprüfen, ob die dort gemachten Angaben von denen in
diesem Werk abweichen und seine Verordnung in eigener Verantwortung zu treffen.
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men handelt.
11 12 13 5 4 3 2 1
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re für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektro-
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Um den Textfluss nicht zu stören, wurde bei Patienten und Berufsbezeichnungen die grammatikalisch maskuline
Form gewählt. Selbstverständlich sind in diesen Fällen immer Frauen und Männer gemeint.
ISBN 978-3-437-21103-4
Priv.-Doz. Dr. med. Andreas König Priv.-Doz. Dr. med. Hae-Young Sohn
Klinikum Innenstadt der LMU München Klinikum Innenstadt der LMU München
Ziemssenstr. 1 Ziemssenstr. 1
80336 München 80336 München
Priv.-Doz. Dr. med. Florian Krötz Prof. Dr. med. Christoph Spes
Klinikum Innenstadt der LMU München Praxis für Kardiologie und Angiologie
Ziemssenstr. 1 Heilig-Geist-Str. 24
80336 München 83022 Rosenheim
Abkürzungen
Abbildungsnachweis
Abb. 1.2, 1.9, 1.12, 1.15, 1.16, 1.24, 1.25, 2.8, 2.14, 3.12, Abb. 2.10 Sibylle Yorck von Wartenburg, München
3.22, 3.23, 3.24, 3.50, 3.56, 5.2, 5.4, 5.5, 5.7, 6.1, 8.4, Abb. 8.12 (Vorlage): Ligatur Verlag, Stuttgart
8.10, 8.11, 8.12
Henriette Rintelen, Velbert. Alle hier nicht genannten Abbildungen stammen von den
Abb. 3.30, 6.3, 6.4 Autoren der jeweiligen Kapitel.
Dr. Nina Wunderlich, Prof. Dr. Horst Sievert, Cardio
Vasculäres Centrum St. Katharinen, Frankfurt
KAPITEL
1 Leitsymptom Thoraxschmerz
1.1 Akuter Bauch- und Brustschmerz Johannes Rieber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
KASUISTIK
Sie haben Dienst in der Notaufnahme Ihres Krankenhauses. Gegen 18:00Uhr stellt sich ein 34-jähriger Mann vor, der über
Unwohlsein und Schmerzen im Bereich des Bauchs und des unteren Thorax klagt. Er habe sich den ganzen Tag eigentlich
sehr wohl gefühlt, bis es gegen Nachmittag relativ plötzlich zu dem Unwohlsein gekommen sei. Diese Beschwerden
hätten sich in der Stärke nicht verändert und seien auch jetzt noch vorhanden. Solche Beschwerden habe er früher auch
noch nie gehabt. Er treibe in Maßen Sport und fühle sich auch sonst sehr gut. Auf Nachfrage erfahren Sie, dass der Pati-
ent seit seinem 14. Lebensjahr an einem Diabetes mellitus Typ 1 leidet. Er sei damit regelmäßig beim Hausarzt in Kont-
rolle, die Einstellung sei aber leider nicht immer optimal. Ansonsten seien keine weiteren Erkrankungen oder familiäre
Dispositionen bekannt. Kein Nikotinkonsum, keine regelmäßige Medikamenteneinnahme (außer Insulin).
Körperliche Untersuchung: 186 cm großer und 95 kg schwerer Patient in gutem Allgemeinzustand und leicht adipö-
sem Ernährungszustand. AF 18/min, Jugularvenen nicht gestaut. RR 120/80; HF 63/min. Regelrechter 1. und 2. HT, keine
Extratöne. Bauchdecke weich, kein umschriebener Druckschmerz. Die übrige internistische Untersuchung ist unauffällig.
Beim Druck auf den Thorax gibt der Patient Schmerzen an, die sich jedoch von den von dem Patienten initial beschriebe-
nen Beschwerden unterscheiden.
2 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
• L abor: BB, Elektrolyte, kardiale Marker, Gerinnung, HbA1C, BZ, TSH, Kreatinin
1 • E KG.
Laborergebnisse: Leukozyten 20,6 G/l; Hb 15,8 g/dl; Na 143 mmol/l; K 3,7 mmol/l; CK 81 U/l; Troponin T < 0,010 ng/dl;
PTT 100 s; INR 1,0; HbA1c 10,6%; BZ 81 mg/dl; TSH 1,31 μU/ml; Kreatinin 1,0 mg/dl.
Rechtsseitige Brustwandableitungen. Da bei einem inferioren Infarkt nicht selten auch der rechte Ventrikel
(RV) mitbetroffen sein kann, wird nach den aktuellen Richtlinien empfohlen, hier auch die rechtsseitigen
Ableitungen VR 3–6 aufzuzeichnen. Sollte der rechte Ventrikel mitbetroffen sein (erkennbar an einer ST-He-
bung in den Ableitungen VR 3–6), ist dies mit einer deutlich höheren Mortalität assoziiert; außerdem unter-
scheidet sich das hämodynamische Management. Hier ist auf den Erhalt der RV-Funktion durch Aufrechter-
haltung der RV-Vorlast zu achten (ggf. Gabe von Volumen und/oder Dobutamin, Vermeiden von Nitraten)
sowie auf die Erniedrigung der RV-Nachlast (PA-PCW).
1.1 Akuter Bauch- und Brustschmerz 3
Nein, die Diagnosestellung erfolgte so früh, dass die kardialen Marker noch nicht positiv sind.
1
Myoglobin (Sensitivität 70–98%, Spezifität 60–100%): Anstieg nach ca. 1–4 Stunden. Troponin T (Sensiti
vität von 70–90% nach 6 h und 95–100% nach 12 h; Spezifität 85–95%): Anstieg nach 3–12 Stunden. Die
CK-MB bzw. das CK/CK-MB Verhältnis (Sensitivität nach 6 h 50–75% und nach 12 h 90–100%; Spezifität
90–99%) steigt nach ca. 4–6 h an und eignet sich aufgrund der kurzen Halbwertszeit (72–96 Stunden) im
Gegensatz zum Troponin T (HWZ 7–14 Tage) zur Verlaufskontrolle.
Mittel der Wahl sind Opiate (z.B. Morphinsulfat 2–4 mg i.v. alle 5–15 Minuten). Wegen häufig auftretender
Übelkeit sollten Antiemetika (z.B. Metoclopramid 1–3 × 10 mg i.v.) verabreicht werden. Selektive COX-2-
Hemmer und andere traditionelle NSAR sind wiederholt mit prothrombotischen Effekten assoziiert worden
und daher kontraindiziert. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Einerseits kann durch die meisten NSAR
keine anhaltende Thrombozytenhemmung erreicht werden, andererseits wurden für einzelne Stoffe direkte
prothrombotische Effekte und Wirkstoffinteraktionen beschrieben.
In der Regel wird heute vorwiegend unfraktioniertes Heparin (i.v.) eingesetzt (I C). Verschiedene Studien
konnten die Wirksamkeit von niedermolekularem Heparin (I C) oder Bivalirudin (direkter Thrombin-
hemmer) nachweisen. Speziell bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko wird, basierend auf der HORI-
ZONS-AMI-Studie, in den aktuellen Guidelines die Verwendung von Bivalirudin als Alternative angese-
hen (I B). Eine generelle Aussage, welche Substanz sich langfristig als überlegen erweist, ist jedoch derzeit
nicht möglich.
Das kommt ganz auf die Situation in Ihrem Krankenhaus an. Wenn das Krankenhaus über eine durchge-
hende Herzkatheterbereitschaft verfügt oder ein Krankenhaus mit dieser Möglichkeit schnell erreichbar
ist, ist die Therapie der Wahl eine primäre interventionelle Behandlung (primary PCI). Falls dies nicht
4 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
der Fall ist, sollte eine Thrombolyse-Therapie eingeleitet werden (z.B. mit Tenecteplase, gewichtsadap-
tiert, max. 1000 IU i.v. als Einmalgabe). Kriterium ist hier, innerhalb welcher Zeit eine PCI durchgeführt
werden kann. Ist dies mit einer Zeitverzögerung von maximal 90 Minuten möglich, ist eine PCI zu be-
vorzugen. Bei der Entscheidung zur Lysetherapie sollten die relevanten Kontraindikationen bedacht
werden (› Tab. 1.1). Für die PCI existieren demgegenüber keine relevanten Einschränkungen. Ebenso
existiert eine Reihe von Situationen, bei denen eine PCI auch bei Inkaufnahme einer längeren Transport-
zeit vorzuziehen ist. Eine Übersicht über den therapeutischen Algorithmus ist in › Abbildung 1.2
dargestellt.
Clopidogrel (Plavix; Iscover) sollte über die Dauer von 12 Monaten nach STEMI in einer Dosierung von
75 mg weitergegeben werden.
Prasugrel (Efient) ist ein neues Thienopyridin, das sich im Vergleich zu Clopidogrel durch eine schnel-
lere und stärkere Hemmung der Thrombozytenaggregation auszeichnet. Basierend auf den Daten der
1.1 Akuter Bauch- und Brustschmerz 5
STEMI-Patient,
bei dem eine Revaskularisation indiziert ist
1
Herzkatheter Herzkatheter
vorhanden nicht vorhanden
Auswahl der
Reperfusions-
Herzkatheter- Verlegung zum
strategie
untersuchung – Herzkatheter – Lysetherapie
„Primary PCI“ „Primary PCI“
Triton-Timi-38-Studie sollte Prasugrel vorrangig bei Patienten mit niedrigem Blutungsrisiko (z.B. Kör-
pergewicht > 60 kg und Alter < 75 J.) angewendet werden. Die Behandlung wird mit 60 mg Aufsättigungs-
dosis begonnen und dann mit einer Erhaltungsdosis von 10 mg/die bzw. 5 mg/die fortgesetzt.
Als Alternative (z.B. bei Allergie gegen Clopidogrel) kann Ticlopidin (Tiklyd) in einer Dosierung von 2 ×
250 mg/die eingesetzt werden. Aufgrund einer höheren Rate an Blutbildveränderungen sind hier Blutbild-
kontrollen im Verlauf erforderlich.
Bei einer nicht unerheblichen Anzahl von Patienten (5–10%) besteht ein zumindest abgeschwächtes An-
sprechen gegenüber Thienopyridinen. Diese Patienten haben ein erhöhtes Risiko, thrombotische Komplika-
tionen (z.B. Stentthrombose) zu erleiden. Das Ansprechen auf die antithrombozytäre Therapie kann heute
sehr einfach mit einem Bluttest (z.B. Multiplate Test) untersucht werden und ggf. die Dosis gesteigert oder
auf ein anderes Präparat ausgewichen werden.
Während Sie die Injektion des B-Blockers vorbereiten, sehen Sie auf dem Monitor
folgenden Rhythmus (› Abb. 1.3)?
6 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Halten Sie in der aktuellen Situation die Injektion des Betablockers für sinnvoll?
Nein, nach den neuesten Guidelines besteht bei Patienten mit einer Verlängerung des PR-Intervalls > 0,24 s
oder höhergradigen AV-Blockierungen eine Klasse-III-Indikation (› Tab. 1.2)
Basierend auf dem EKG, welche Koronararterie vermuten Sie als betroffen?
Die rechte Herzkranzarterie (RCA). In › Tabelle 1.3 finden Sie eine Aufstellung über die Infarktlokalisation
und die EKG-Manifestation.
1.1 Akuter Bauch- und Brustschmerz 7
Ausgeglichener koronarer Versorgungstyp. Die linke Herzkranzarterie weist keine relevanten Stenosierun-
gen auf. Es finden sich aber Kollateralen zur RCA. Die RCA ist nach Intubation mit dem Koronarkatheter
wieder spontan rekanalisert. Es zeigt sich eine große Thrombuslast.
8 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
• A SS 100 lebenslang
• Th
ienopyridin (Clopidogrel, Prasugrel) für 12 Monate
• A CE-Hemmer
• B etablocker
• C SE-Hemmer
• A ldosteronantagonisten bei EF < 40%
• O ptimierte Einstellung des Diabetes
• G ewichtsreduktion
• R egelmäßige körperliche Betätigung
• N ikotinverzicht, Nichtraucherschutz.
LITERATUR:
Antman EM, Anbe DT, Armstrong PW, et al. ACC/AHA guidelines for the management of patients with ST-elevation myocar-
dial infarction: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guideli-
nes (Committee to Revise the 1999 Guidelines for the Management of Patients with Acute Myocardial Infarction). Circula-
tion 2004; 110(9): e82–292.
Canadian Cardiovascular Society, American Academy of Family Physicians, American College of Cardiology, American Heart
Association, et al. 2007 focused update of the ACC/AHA 2004 guidelines for the management of patients with ST-elevati-
on myocardial infarction: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on
Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol. 2008; 51(2): 210–47.
Kushner FG, Hand M, Smith SC Jr, et al. 2009 focused updates: ACC/AHA guidelines for the management of patients with
ST-elevation myocardial infarction (updating the 2004 guideline and 2007 focused update) and ACC/AHA/SCAI guidelines
on percutaneous coronary intervention (updating the 2005 guideline and 2007 focused update) a report of the American
College of Cardiology Foundation/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol. 2009;
54(23): 2205–41.
1.2 Rezidivierende Brustschmerzen 9
KASUISTIK 1
Ein 61-jähriger Patient hat wegen seit 3 Tagen rezidivierender Brustschmerzen die Rettungsleitstelle alarmiert. Der Patient
wird in die Chest-Pain-Unit Ihrer Klinik verbracht. Bis zuletzt hätten keinerlei kardiale Symptome bestanden, keine we-
sentlichen Vorerkrankungen. An kardiovaskulären Risikofaktoren bestünde ein Nikotinkonsum, eine grenzwertige, nicht
medikamentös behandelte Hyperlipoproteinämie, eine eingestellte arterielle Hypertonie sowie eine familiäre Diathese.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 179 cm großer und 87 kg schwerer Patient in gutem Allgemeinzustand und
etwas adipösem Ernährungszustand. Puls 85 /min, regelmäßig, gelegentliche Extrasystolie, Blutdruck 140/85 mmHg,
normaler 1. und 2. Herzton, keine pathologischen Geräusche, normaler Jugularvenendruck, beiderseits Vesikuläratmung,
keine Rasselgeräusche. Ansonsten unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund.
Blutbild, Bestimmung von Glukose, Na, K, CK, GOT, LDH, Troponin, C-reaktivem Protein, Kreatinin, Harn-
stoff, PTT, TP, TSH, D-Dimer; EKG.
10 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Die Labordiagnostik ergibt: Troponin T 0,17 ng/ml (Norm < 0,01 ng/ml), restliche Laborparameter im Normbereich.
EKG (› Abb. 1.6):
Sinusrhythmus, Herzfrequenz 79/min, Linkstyp, regelrechte Zeitintervalle, präterminal negatives T in den Brustwandablei-
tungen V2 bis V5, ansonsten unauffällige Stromkurvenmorphologie.
• B ei Linksschenkelblock (neu aufgetreten oder unklaren Alters) erfolgt bei anhaltenden Brustschmerzen
eine Behandlung wie beim STEMI.
Risiko-Scores: Der GRACE-Risk-Score wird bevorzugt, da er aus einem großen Register erstellt wurde, das am
ehesten die Realität abbildet. Das Programm kann aus dem Internet (http://www.outcomes-umassmed.org/ 1
grace/) heruntergeladen werden. In den Score gehen Alter, Herzfrequenz, systolischer Blutdruck, Kreatinin,
Killip-Klasse bei der Einweisung, ST-Senkungen, kardiale Biomarker und ein eventueller Herzstillstand ein.
UKG: Die Echokardiographie ist als nichtinvasives, kostengünstiges Verfahren einzusetzen, sofern ent-
sprechende Kenntnisse vorliegen. Sie ist geeignet, die linksventrikuläre Funktion global und regional zu be-
urteilen und kann wichtige differenzialdiagnostische Hinweise wie Aortenstenose, Lungenembolie, hypertro-
phe Kardiomyopathie etc. liefern.
Ihr Patient hat bei anhaltenden Brustschmerzen ein positives Risikoprofil, das TpT ist erhöht, das EKG weist Erregungs-
rückbildungsstörungen auf, das noch durchgeführte UKG zeigt eine normale linksventrikuläre Funktion ohne regionale
Wandbewegungsstörungen.
Unter Monitorkontrolle und nach Legen eines i.v.-Zugangs erhält der Patient Sauerstoff über die Nasensonde
sowie zunächst Nitrospray, da er weiterhin Schmerzen hat.
Sie geben 250 mg ASS i.v. sowie 600 mg Clopidogrel per os.
Aufgrund der EKG-Veränderungen sowie der Klinik entschließen Sie sich zu einer baldigen Koronarangio-
graphie. Sie geben weiter 5000 I.E. UFH.
1
Bei Patienten mit mittlerem bis hohem Risiko (vor allem erhöhtem Troponin, Diabetes mellitus oder ST-
Senkung) wurde bis vor Kurzem Tirofiban oder Eptifibatide als initiale Therapie zusätzlich zu oralen
Thrombozytenhemmern empfohlen. Diese Strategie hat jetzt eine Klasse-IIIb-Empfehlung und sollte da-
her nicht weiter angewandt werden.
Nur bei angiographischem Hinweis einer ausgeprägten Thrombuslast wird der Einsatz eines IIb/IIIa-
Rezeptorantagonisten empfohlen, vorzugsweise Abciximab (Klasse I B).
Der PJ-Student fragt Sie weiter nach dem richtigen Zeitpunkt für eine invasive Strategie.
• F ür Hochrisikopatienten ist der Nutzen einer sofortigen (< 2 Stunden) invasiven Diagnostik mittels Herz-
katheteruntersuchung nachgewiesen (I C).
• B ei Patienten mit positivem Troponin, bei denen nach Applikation der Basismedikation völlige Be-
schwerdefreiheit erzielt wurde und die rhythmus- und hämodynamisch stabil sind, genügt die Durchfüh-
rung einer invasiven Diagnostik innerhalb von 72 h (I A).
• E ine routinemäßige Koronarangiographie bei Patienten mit niedrigen Risiko wird nicht empfohlen
(III C).
Inzwischen ist der Hintergrunddienst eingetroffen und führt die Koronarangiographie und Intervention durch.
Die Linksherzkatheteruntersuchung ergab folgenden Befund (› Abb. 1.7).
Deutliche diffuse Koronarsklerose, subtotale Stenosierung der LAD medial. Es erfolgte eine Stentimplantation mit gutem
Resultat.
1.2 Rezidivierende Brustschmerzen 13
Stent-Auswahl (BMS oder DES): nach Risiko/Nutzen-Profil, Begleiterkrankungen und evtl. erforderlichen
nicht-kardialen Operationen (Unterbrechung der Thrombozytenaggregationshemmung; I-C).
Die Therapie des NSTEMI unterscheidet sich vom STEMI im Wesentlichen nur durch den Zeitpunkt der
invasiven Maßnahmen. Eine Lysetherapie ist beim NSTEMI grundsätzlich kontraindiziert.
Hinsichtlich der Prognoseabschätzung und des weiteren Vorgehens siehe › Kapitel 1.1.
Besondere Patientengruppen
Bestimmte ACS-Patienten haben ein erhöhtes Risiko für kardiale Ereignisse und benötigen eine besondere
Behandlungsstrategie. Diese Subgruppen sind z. B. ältere Patienten, Frauen, Patienten mit Nierenfunktions-
einschränkungen, Diabetes mellitus und Anämie.
Ältere Patienten (> 75 J.) zeigen des Öfteren atypische Symptome, daher sollte eine Abklärung bereits bei
geringerem Verdacht als bei jüngeren Patienten erfolgen (I C). Älteren Patienten sollte eine invasive Diagnos-
tik nicht vorenthalten werden (I B).
Bei Frauen tritt ein ACS im Schnitt 10 Jahre später als bei Männern auf, daher sind sie bei Präsentation
älter und haben oft mehr Begleiterkrankungen. Dies ist bei der Indikation zu einem invasiven Vorgehen so-
wie bei der Auswahl der Antikoagulation und Plättchenhemmung zu berücksichtigen. Grundsätzlich sollten
das gleiche Vorgehen wie bei Männern gelten (I B).
Diabetiker haben eine doppelt so hohe Mortalität wie Nicht-Diabetiker und haben häufiger eine Nierenin-
suffizienz sowie eine Hypertonie. Eine frühzeitiges invasives Vorgehen wird empfohlen (I A). Die Indikation
zu GP-IIb/IIIa-Inhibitoren sollte großzügig gestellt werden (IIa-B).
Patienten mit Niereninsuffizienz werden häufig nicht optimal behandelt, obwohl sie ein sehr hohes Risiko
aufweisen. Die initiale Behandlung sollte wie bei jedem Patienten erfolgen (I B). Antikoagulanzien müssen
sorgfältig dosiert werden (I C). Bei einer Kreatinin-Clearance unter 60 ml/min ist das Risiko für weiter kardi-
ale Ereignisse hoch, deshalb sollte immer ein invasives Vorgehen angestrebt werden (IIa-B). Maßnahmen zur
Vorbeugung der kontrastmittelinduzierten Nephropathie müssen angewendet werden (I B).
14 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Eine Anämie ist ein unabhängiger Prädiktor für Komplikationen innerhalb der ersten 30 Tage nach ACS und
soll daher in der Risikostratifizierung berücksichtigt werden (I B). Besonders sollte auf die Vermeidung von
Blutungskomplikationen geachtet werden (I B). Die Indikation zu einer Bluttransfusion sollte sehr zurück-
1 haltend gestellt werden (I C).
LITERATUR
Bassand JP, Hamm CW, Ardissino D, et al. Guidelines for the diagnosis and treatment of non-ST-segment elevation acute
coronary syndromes. The Task Force for the Diagnosis and Treatment of Non-ST-Segment Elevation Acute Coronary Syn-
dromes of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 2007; 28(13): 1598–660.
Guidelines on myocardial revascularization. The Task Force on Myocardial Revascularization of the European Society of Car-
diology (ESC) and the European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS). Eur Heart J 2010; 31(20): 2501–55.
Hamm CW. Kommentar zu den Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) zur Diagnose und Therapie des akuten
Koronarsyndroms ohne ST-Strecken-Hebung (NSTE-ACS). Der Kardiologe 2009; 2: 81–100.
KASUISTIK
35-jähriger Soldat, Raucher, stellt sich mit heftigen stechenden linksthorakalen Schmerzen vor, die sich bei tiefer Inspira-
tion verstärken. Er fühlt sich insgesamt matt und hat subfebrile Temperaturen.
Der Patient gibt an, vor etwa 3 Wochen einen grippalen Infekt gehabt zu haben. Er sei zwar schnell wieder arbeitsfähig
gewesen, jedoch seither weniger gut belastbar. Außer Rauchen lägen keine atherogenen Risikofaktoren vor. Dyspnoe
oder Belastungsdyspnoe verneint er.
Körperliche Untersuchung: Guter Allgemein- und Ernährungszustand. BMI 23. RR 100/60 mmHg bds. Temperatur
38,8 °C (Ohr). JVD normal. Pulmo frei. Cor: regelmäßig, 68/min, deutliches Perikardreiben. Pulmo frei. Keine peripheren
Ödeme. Abdomen unauffällig. Periphere Pulse regelrecht tastbar. Unauffälliger neurologischer Status.
EKG (› Abb. 1.8):
1.3 Stechende linksthorakale Schmerzen 15
Abb. 1.8 SR, 80/min, LT. Angedeutete ST-Streckenhebungen in II, III, aVF, V5 und V6
Die ST-Hebungen können auf einen akuten Myokardinfarkt (inferolateral) oder eine Perimyokarditis
hinweisen.
Sie veranlassen ergänzend ein UKG: Normale globale Pumpfunktion. Bei mäßiger Schallbarkeit Hypokinesie
inferior. LV normal groß, normale Wanddicken. LA und RA gering vergrößert. RV normal groß. Aortenwurzel
normal weit. Klappen gering sklerosiert, regelrecht beweglich, kein Vitium. Kein Perikarderguss. VCI normal
weit, atemmoduliert.
16 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Der Patient hat Aspisol und 5000 IE Heparin sowie 4 mg Morphin i.v. erhalten und hat anhaltend Beschwer-
den, intermittierend jetzt auch thorakales Druckgefühl. Er erhält zusätzlich Clopidogrel (alternativ Prasugrel)
und es wird umgehend eine Herzkatheteruntersuchung veranlasst (› Kap. 1.1).
Herzkatheteruntersuchung: Ventrikulographie: (30° RAO und 60° LAO): umschriebene inferomediale Hypokinesie bei
normaler Globalfunktion.
Koronarangiographie: Relevante fixierte Stenosen der großen Kranzgefäße liegen nicht vor (die Wandbewegungsstö-
rung ist DD durch passageren Spasmus oder wahrscheinlicher durch eine Perimyokarditis zu erklären).
Bei Perikarditis im Unterschied zu den EKG-Veränderungen beim akuten ST-Hebungsinfarkt: meist nicht
auf Vorderwand- oder Hinterwandableitungen beschränkt; keine reziproken ST-Streckenveränderungen;
ST-Hebungen beginnen in der Regel direkt am J-Punkt, kaum höher als 5 mm, meist konkave Form erhalten;
meist keine simultane T-Wellen Inversion.
Labor:
Kalium 3,7 mmol//l
Kreatinin 1,0 mmol/l
Harnstoff 37 mg/dl
Leukozyten 11/nl
Hämoglobin 14,2 g/dl
CK 77 mg/dl
TNI 0,898 μg/l
1.3 Stechende linksthorakale Schmerzen 17
CRP 90 mg/dl
D-Dimer < 0,190 μg/l (Normwert bis 190 μg/l)
1
Wir gehen nun von einer akuten Perimyokarditis aus.
Können Sie einen kurzen Überblick über die mögliche Ätiologie einer Perikarditis
geben? Was ist hier nahe liegend? Welche ergänzenden Untersuchungen sind
nun noch sinnvoll?
• I nfektiös
• V iren (Adeno-, Entero-, CMV, Influenza, Hepatitis B, HSV)
• B akterien (Tbc), Pilze.
• A utoreaktiv: Vaskulitiden, Kollagenosen, Systemerkrankungen
• B ei Erkrankungen angrenzender Organe: Myokardinfarkt, Pleuritis, Pneumonie
• E ndokrin: Urämie
• N eoplastisch (häufig Mamma-, Bronchialkarzinom, Melanom)
• T raumatisch
• U nklar.
Aufgrund der Anamnese ist am ehesten von viraler Genese auszugehen. Virale und idiopathische Ursachen
sind mit Abstand die häufigste Genese der akuten Perikarditis.
Additiv sollten eine Röntgen-Thorax-Untersuchung erfolgen (Infiltrate? Malignom?), Tuberkulose ausge-
schlossen werden, eine HIV-Serologie, ggf. auch ANA-Titer abgenommen sowie bei Fieber > 38,5 °C Blutkul-
turen gewonnen werden.
Es sollte eine Rhythmusüberwachung und ein Verlaufs-UKG erfolgen.
Im Langzeit-EKG wurden lediglich VES dokumentiert, aber keine komplexen ventrikulären Arrhythmien; kein Vorhofflimmern.
Verlaufs-UKG (3 Tage später, vor Entlassung):
Jetzt geringer zirkulärer Perikarderguss ohne Zeichen der hämodynamischen Relevanz.
Ansonsten unveränderter Befund.
Eine Perikardtamponade kann klinisch festgestellt werden: erhöhter JVD, Tachykardie, Dyspnoe; evtl.
Schocksymptome.
Echokardiographisch sollte der Perikarderguss in unterschiedlichen Schnittebenen beurteilt werden, eine
Bestimmung der maximalen Ergussbreite enddiastolisch mittels M-Mode in parasternaler langer Achse sollte
erfolgen. Die Einteilung der Ergussmenge in klein (< 10 mm), mittelgradig (10–20 mm) und groß (> 20 mm)
ist sinnvoll.
Echokardiographie bei Tamponade: „swinging heart“, Kompression, diastolischer Kollaps der rechten, ggf.
auch der linken Herzhöhlen. Lebervenenstauung, eingeschränkte Atemvariabilität der VCI. Im Doppler: ge-
steigerte respiratorische Variabilität im transmitralen Dopplerprofil (inspiratorischer Abfall der E-Wellen-
Geschwindigkeit > 25%), inspiratorische Zunahme der trikuspidalen Einstromgeschwindigkeiten (> 40%;
Buck et al. 2009; › Tab. 1.6).
In den ESC-Leitlinien werden Perikardergüsse nach der Horowitz-Klassifikation (› Abb. 1.9) eingeteilt:
18 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
EKG EKG
EN EN
P EP
P
A B
EKG EKG
EN EN
EP EP
P P
C1 C2
EKG EKG
EN EN
EP EP
P P
D E
Abb. 1.9 Horowitz-Klassifikation. Typ A: kein Erguss; Typ B: Erguss zwischen Perikard und Epikard (3–16 ml); Typ C1: Trennung
von Epikard und Perikard in Systole und Diastole (Erguss > 16 ml); Typ C2: Trennung von Epikard und Perikard in Systole und
Diastole mit abgeschwächter Perikardbewegung; Typ D: deutliche Trennung von Epikard und Perikard mit großem echofreiem
Raum; Typ E: Perikardverdickung (> 4 mm).
Tab. 1.6 Empfehlungen zur Diagnose der Perikardtamponade (nach: Guideline on the Diagnosis and Management
of Pericardial Diseases 2004)
Klinik erhöhter Venendruck, Hypotension. Pulsus paradoxus, Tachykardie, Dyspnoe oder Tachypnoe
ohne pulmonale Stauung
Prädisponierende Medikamente (Cyclosporin, Antikoagulanzien, Thrombolytika, etc), kurz zurückliegende Herz-
Faktoren operation, Verweilkatheter, Thoraxtrauma, Malignität, Kollagenosen, Nierenversagen, Sepsis
EKG unauffällig oder unspezifisch verändert oder elektrisches Alternans. Bradykardie, elektromecha-
nische Entkoppelung (Endstadium)
Röntgen Thorax vergrößerter Herzschatten ohne pulmonale Stauung
UKG 2DE: diastolisches Kollabieren der freien RV-Wand, RA-Kollaps, LA und sehr selten LV-Kollaps,
„Pseudohypertrophie“ (diastolisch verdickte LV-Wand), weite VCI, fehlende Atemmodulation,
„swinging heart“
Doppler: inspiratorisch steigender Fluss über der TK, sinkender Fluss über MK. Verringerter systolischer
und diastolischer Fluss in den großen Venen bei Exspiration; Rückfluss bei atrialer Kontraktion erhöht
M-Mode-Farbdoppler: starke respirationsabhängige Fluktuation von Mitral- und Trikuspidalfluss
1.3 Stechende linksthorakale Schmerzen 19
Tab. 1.6 Empfehlungen zur Diagnose der Perikardtamponade (nach: Guideline on the Diagnosis and Management
of Pericardial Diseases 2004) (Forts.)
Herzkatheteruntersu- 1. Bestätigung der Diagnose und Quantifizierung des Ausmaßes der hämodynamischen Beein-
chung trächtigung (erhöhter RA-Druck, erhöhter intraperikardialer Druck – virtuell identisch mit RA- 1
Druck, RV mittdiastolischer Fluss erhöht und gleich dem RA und intraperikardialen Druck (keine
„dip-plateau“-Konfiguration). PA Druck leicht erhöht. PCWP erhöht und annähernd gleich dem
RA und intraperikardialen Druck. Systolischer LV- und aortaler Druck normal oder reduziert
2. Dokumentation der hämodynamischen Verbesserung nach Aspiration
3. Nachweis von koexistenten hämodynamischen Abnormalitäten (Herzinsuffizienz, Konstriktion,
pulmonale Hypertonie)
4. Nachweis von koexistenten kardiovaskulären Erkrankungen (KHK, KMP)
RV/LV-Angiographie Atrialer Kollaps und kleine hyperdyname Ventrikel
Koronarangiographie Koronarkompression diastolisch
CT Kein subepikardiales Fett entlang der Ventrikel sichtbar
Bei Ihrem Patienten liegt ein geringer zirkulärer Perikarderguss ohne hämody
namische Wirksamkeit vor. Im Labor sind die Entzündungszeichen mäßig erhöht,
die übrigen Werte sind unauffällig. Der Patient hat nach wie vor Beschwerden.
Was machen Sie therapeutisch?
Aspirin oder Ibuprofen ist bei viraler oder idiopathischer akuter Perikarditis wirksam; wenn nach einer
Woche darunter keine Beschwerdefreiheit erreicht wird, ist von einer anderen Genese auszugehen:
ESC-Guidelines 2004: 300–800 mg Ibuprofen alle 6–8 Stunden für Tage bis Wochen je nach Beschwerden.
Alternativ: 800 mg Aspirin alle 6–8 Stunden, ausschleichen je nach Befinden über 3–4 Wochen. Colchizin
(0,5–1 mg/d) als Monotherapie oder in Kombination mit NSAR (ESC-Guidelines 2004).
Glukokortikoide werden nur bei NSAR und Colchizin-refraktären Beschwerden gegeben und wenn eine
spezifische Ursache der Perikarditis ausgeschlossen werden konnte (ESC-Richtlinien: GK bei akuter Perikar-
ditis bei connective tissue disease, bei Autoimmun-Perikarditis und urämischer Perikarditis; empfohlen ist
dann eine Hochdosistherapie mit 1 mg/kg KG/d und rasches Ausschleichen).
Wie beraten Sie den Patienten? Ist eine stationäre Aufnahme und Weiter
behandlung notwendig?
Bei der rezidivierenden Perikarditis treten nach Wochen bis Jahren, üblicherweise jedoch innerhalb von 20
Monaten nach dem Erstereignis wieder Symptome auf. Zwei Formen werden unterschieden: „intermittend
type“: symptomfreie Intervalle ohne Therapie und „incessant type“: Rückfall bei Absetzten der medikamen-
tösen Therapie. Etwa die Hälfte der betroffenen Patienten hat 1–2 Rezidive in ihrem Leben, es gibt aber auch
Verläufe über Jahrzehnte mit regelmäßigen Rezidiven. Insgesamt ist die Prognose gut; es gibt bei der rezidi-
vierenden idiopathischen Perikarditis keine Assoziation mit einer konstriktiven Perikarditis. Komplikatio-
nen (Tamponade) sind sehr selten.
In der CORE-Studie (Imazioi et al. 2005) wurden als Definition für die rezidivierende Perikarditis eine
dokumentierte akute Perikarditis und rezidivierende Symptome oder eine anhaltend aktive Perikarditis (Kri-
terien für ein Rezidiv: neuerliche Schmerzen und mindestens eines der folgenden Kriterien: Fieber, Peri-
kardreiben, EKG-Veränderungen, Perikarderguss im UKG, Leukozytose, beschleunigte BSG, erhöhtes CRP)
festgelegt. Die ESC-Leitlinien verweisen auf das diagnostische (und therapeutische) Vorgehen wie bei der
akuten Perikarditis (› Tab. 1.7):
Vorgehen laut Task Force on Pericardial Disease der ESC: Perikardioskopie (ESC Empfehlungsgrad IIa,
wenn man sonst nicht weiterkommt) und multiple epikardiale Biopsien entnehmen (Punktat: Lymphozyten/
Monozytenzahlen, Tbc, Borrelien, Chlamydien und andere pathogene Keime mittels PCR/Kulturen ausschlie-
ßen; Entzündungsaktivität epikardialer und myokardialer Biopsien; zytologische Untersuchung des Punktats
und der Biopsien; systemische und metabolische Ursachen und Urämie ausschließen). In den USA ist eine
pragmatischere, weniger intensive und invasive Herangehensweise üblich.
• I buprofen, alternativ Acetylsalicylsäure wie bei akuter Perikarditis. Additiv Colchizin (vgl. CORE- und
COPE-Studie, s.o.).
• G
lukokortikoide wenn möglich vermeiden, da Hinweise auf erhöhte Rezidivraten nach GK-Therapie vor-
liegen. Wenn notwendig: Hochdosistherapie empfohlen (ESC-Richtlinien) mit 1–1,5 mg/kg KG/d über
1 Monat, dann unter klinischen/laborchemischen Kontrollen langsam ausschleichen.
1.3 Stechende linksthorakale Schmerzen 21
Tab. 1.7 Diagnostisches Vorgehen bei akuter Perikarditis – Evidenzlevel B für alle Prozeduren (nach: Guideline
on the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases 2004)
Obligat (Indikation Klasse I)
Auskultation Perikardreiben 1
EKG Stadium I: anterior und inferior konkave ST-Streckenhebungen. PR-Senkungen
(gegensätzlich zu P-Wellen-Polarität)
Frühes St. II: ST-Strecken normalisiert, PR-Abweichung
Spätes St. II: T-Wellen-Abflachung und Inversion
St. III: generalisierte T-Negativierungen
St. IV: EKG wieder wie vor Perikarditis
UKG Perikardergüsse Typ B–D (Horowitz), Tamponadezeichen
Labor Infektparameter erhöht, Myokardmarker erhöht
RTX Von unauffällig bis „Bocksbeutel“-Herzschatten
Mandatorisch bei Tamponade (Indikation Klasse I), optional bei großen oder wiederkehrenden Ergüssen
oder wenn Ergebnisse bisher nicht schlüssig (Indikation Klasse IIa). Bei kleinen Ergüssen (Indikation
Klasse IIb)
Perikardiozentese und Drainage PCR und Histologie (zur Eingrenzung Infektion, Neoplasie)
Optional oder wenn vorausgehende Ergebnisse nicht schlüssig sind
CT Ergüsse, Peri- und Epikard
MR Ergüsse, Peri- und Epikard
Perikardioskopie, Perikardbiopsie Sicherung der Ätiologie
• A
uch intraperikardiale GK-Gabe möglich, nebenwirkungsärmer; komplikationsreichere Applikationsform.
• A
zathioprin, Cyclophosphamid, Methotrexat, i.v. Immunglobulin: hierzu gibt es nur wenige Daten.
Eine Perikardiozentese ist bei Tamponade lebensrettend (Evidenzlevel B, Klasse-I-Indikation) und indiziert
bei Perikardergüssen von echokardiographisch > 20 mm enddiastolisch. Bei kleineren Perikardergüssen ist
sie indiziert, wenn dies diagnostisch wichtig ist (laborchemische, mikrobiologische und pathologische Analy-
se des PE), die Komplikationsrate ist hier jedoch höher. Hinweis zur Patientenaufklärung: Wenn eine elektive
Perikardpunktion ohne unmittelbar verfügbare Herzchirurgie erfolgt, sollte auf diesen Umstand explizit hin-
gewiesen und dies auch dokumentiert werden.
Eine Aortendissektion ist die Hauptkontraindikation. Relative Kontraindikationen sind: unkorrigierte Ko-
agulopathie, Antikoagulationstherapie, Thrombozytopenie < 50.000/mm3, kleiner posteriorer PE, lokalisierte
Perikardergüsse. Das chirurgische Einbringen einer Drainage wird bei traumatischem Hämoperikard und pu-
rulenter Perikarditis bevorzugt (Guideline on the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases 2004).
LITERATUR
Buck T, Breithardt OA, Faber L, et al. Manual zur Indikation und Durchführung der Echokardiographie. Clin Res Cardiol
2009; Supplement 4:3.
Imazio M, Brucato A, Trinchero R, et al. Colchicine as first-choice therapy for recurrent pericarditis: results of the CORE .
(COlchicine for REcurrent pericarditis) trial. Arch Intern Med 2005; 165: 1987.
Imazio M, Brucato A, Trinchero R, et al. Day hospital treatment of acute pericarditis: a management program for outpatient
therapy. J A Coll Cardiol 2004; 43: 1042.
Imazio, M, Brucato A, Trinchero R, et al. Indicators for poor prognosis of acute pericarditis. Circ 2007; 115: 2739.
Klatsky AL, Oehm R, Cooper RA. The early repolarisation normal variant electrocardiogram: correlates and consequences.
Am J Med 2003; 115(3), 171–7.
Maisch B, Seforovic Peter M, Ristic Arsen D, et al. Guideline on the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases. EHJ
2004; 25: 587–610.
22 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
1 KASUISTIK
Ein 65-jähriger Patient wird vom Hausarzt zum Ausschluss eines akuten Koronarsyndroms in Ihre Notaufnahme überwie-
sen. Seit etwa drei Stunden verspürt er intermittierend stärkste Schmerzen in der Brustgegend mit Ausstrahlung in den
Rücken. Er habe in der Vergangenheit nie Probleme gehabt. Seit einigen Jahren ist ein hoher Blutdruck bekannt. Da er
nie Beschwerden hatte, habe er die empfohlene Medikation nicht eingenommen. Der Hausarzt informiert Sie, dass ihm
im EKG eine ST-Streckensenkung aufgefallen sei.
Der körperliche Untersuchungsbefund bei Aufnahme lautet: Größe: 170 cm, Gewicht: 76 kg, reduzierter Allgemein-
zustand. Keine Zyanose, keine Ödeme. Blutdruck initial 130/80 mmHg re. und 100/70 mmHg li., Herzfrequenz 55/min,
Atemfrequenz 12/min. Keine Jugularvenenstauung. Cor: 4⁄6-Systolikum und 2⁄6-Diastolikum über der Aorta. Pulmo: Klopf-
schall sonor, Vesikuläratmung ubiquitär. Abdomen, Wirbelsäule, Fußpulse und die orientierende neurologische Untersu-
chung sind unauffällig.
Es zeigt sich ein Sinusrhythmus mit einer Herzfrequenz von 55/min; diskrete muldenförmige ST-Senkungen
in V5, V6 sowie diskrete Hebung in V1; EKG-Befunde bei Aortendissektion sind nicht spezifisch. Bei einem
Drittel der Patienten zeigen sich EKG-Veränderungen im Sinne einer linksventrikulären Hypertrophie. Bei
Verlegung einer Koronararterie durch ein Dissektionssegel können ST-Hebungen wie bei einem Myokardin- 1
farkt resultieren.
Am Monitor des Patienten sehen Sie einen Blutdruck von 80/60 mmHg re., HF: 55/min. Die Schmerzen des Patienten
persistieren. Die transthorakale Echokardiographie zeigt eine Dilatation (ca. 5 cm) der Aorta ascendens. Die Aortenklappe
selbst ist altersentsprechend und morphologisch unauffällig.
Akute Aorteninsuffizienz aufgrund einer Aortendissektion; diagnostisch stehen CT-Thorax, TEE und MRT
zur Verfügung. Die Auswahl der Bildgebung hängt von Kreislaufstabilität, Nierenfunktion, KM-Allergie und
Verfügbarkeit ab.
Methodenvergleich:
• T ransthorakale Echokardiographie: Beurteilung der proximalen Aorta ascendens möglich. Ausmaß der
Aorteninsuffizienz, Klappenmorphologie (Ursache) beurteilbar, Sensitivität: 80%, Spezifität: ca. 96%.
• T ransösophageale Echokardiographie: Sensitivität 89–99%, Spezifität 89%; schnelle Verfügbarkeit bei in-
stabilen Patienten.
• C T: Darstellung der gesamten Aorta bis in die Beckengefäße, genaue Lokalisierung und Ausdehnung.
Darstellung großer abgehender Gefäße sowie Diagnose der Organischämien möglich. Sensitivität 83–
94%, Spezifität 87–100%.
• M RT: Sensitivität und Spezifität höher als bei CT; Anfertigung einer MR-Aortographie möglich, jedoch
längere Untersuchungsdauer und geringere Verfügbarkeit.
• D SA: vorteilhaft zur Beurteilung der Organperfusion.
• K oronarangiographie: Der präoperative Einsatz zur Erhebung des Koronarstatus wird uneinheitlich beur-
teilt; Absprache mit dem Operateur wird empfohlen.
• T yp-B-Dissektion: Dissektion ist beschränkt auf die Aorta descendens (Eintritt ist distal der A. subclavia si-
nistra), eventuell bis in die Iliakalgefäße. Die Aorta ascendens und der Aortenbogen sind nicht betroffen.
Die akute Typ-A-Dissektion ist eine dringliche Operationsindikation. Die Typ-B-Dissektion kann primär
konservativ behandelt werden (Bettruhe, Blutdruckeinstellung). 1
• S tanford Typ-A-Dissektion: sehr schlecht. Bei konservativer Therapie Überlebensrate von 2% zwei Mona-
te nach Initialereignis
• S tanford Typ-B-Dissektion: Letalität bei konservativer Therapie niedriger als bei chirurgischer Therapie.
Die Stentbehandlung der akuten Aortendissektion ist Gegenstand laufender Studien.
Es erfolgt die umgehende Verlegung des Patienten in eine herzchirurgische Abteilung zur operativen Versorgung. Bei diesem
Krankheitsbild ist eine möglichst rasche Operation notwendig, da die Mortalität früh nach der Dissektion 1–2%/h beträgt!
LITERATUR
ACCF/AHA/AATS/ACR/ASA/SCA/SCAI/SIR/STS/SVM Guidelines for the Diagnosis and Management of Patients with Thoracic
Aortic Disease. J Am Coll Cardiol 2010; 55: 1509–44.
www.acc.org
www.americanheart.org
KASUISTIK
Es wird Ihnen ein 73-jähriger Patient ambulant überwiesen. Es besteht ein belastungsabhängiges Engegefühl über der
Brust sowie zunehmend Atemnot. Außerdem besteht eine Schwindelsymptomatik, jedoch keine Synkopen. An kardiovas-
kulären Risikofaktoren bestehen eine arterielle Hypertonie sowie eine Dyslipidämie.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Größe: 180 cm, Gewicht: 83 kg, guter AEZ, wach und orientiert. Keine Zyanose,
keine Ödeme. RR 160/80 mmHg, Herzfrequenz 65/min, unregelmäßig, Atemfrequenz: 12/min. keine Jugularvenenstau-
ung, Cor: Herztöne rein, raues 3⁄6-Systolikum über ICR III re. mit Fortleitung in die Karotiden; 1⁄6-Diastolikum; 1–2⁄6-Sys
tolikum über dem Mitralareal. Pulmo: auskultatorisch und perkutorisch unauffällig. Abdomen und peripherer Pulsstatus
o.p.B. Sie ordnen ein 12-Kanal-EKG, Röntgen-Thorax sowie eine Echokardiographie an.
• V
.a. hochgradige Aortenklappenstenose
• M
itralklappeninsuffizienz.
• E KG: Linkshypertrophiezeichen? (Sokolow-Lyon-Index: SV1 + RV5 oder 6 > 3,5 mV), ST-Senkung,
T-Negativierung
• R öntgen-Thorax: bei Dekompensation Linksherzverbreiterung, pulmonale Stauung
1 • E chokardiographie: Quantifizierung des Vitiums, kardiale Strukturen, Funktion.
Sinusrhythmus, Frequenz 56/min, Zeichen der linksventrikulären Hypertrophie (Sokolow-Index > 3,5 mV),
Erregungsrückbildungsstörungen.
Neben der bikuspiden Klappenanlage und der rheumatischen Aortenstenose liegt diesem häufigsten erwor-
benen Herzklappenfehler meist eine Degeneration und Verkalkung des Klappenapparats als Folge eines in-
flammatorischen, der Arteriosklerose ähnlichen Prozess zugrunde. Die Manifestation liegt zwischen der 6.
und 8. Dekade. Die Aortensklerose besteht bei ca. 25% der über 65-Jährigen. Sie ist assoziiert mit Alter,
männlichem Geschlecht, arterieller Hypertonie, Nikotinabusus, LDL- und Lp(a)-Spiegel und Diabetes
mellitus.
Die Entstehung einer relevanten Aortenklappenstenose verläuft gewöhnlich asymptomatisch über Jahrzehn-
te. Die hämodynamisch relevante Aortenstenose führt durch Zunahme der Wandspannung im linken Vent-
rikel zu einer konzentrischen Hypertrophie. Im Verlauf der Erkrankung kommt es nach Erschöpfung der
Kompensationsmechanismen zu einer Gefügedilatation mit Funktionseinschränkung, bedingt durch eine re-
duzierte Kontraktilität des linken Ventrikels oder die stark erhöhte Nachlast.
Mit der Entwicklung einer konzentrischen Hypertrophie kann der erhöhte intraventrikuläre Druck kom-
pensiert werden. Dies führt jedoch (auch ohne KHE) zu einer relativen Koronarinsuffizienz. Bei Belastung
oder tachykarden Rhythmusstörungen kann eine
subendokardiale Ischämie weiter begünstigt werden
und die systolische und diastolische Funktion des
Beginn der Mit Aorten-
linken Ventrikels beeinträchtigt werden. 100 Symptomatik klappenersatz
Während der langen Latenzzeit sind die Morbidi-
% Überleben
75
tät und Mortalität gering. Nach Entwicklung einer
mittelgradigen Stenose (Vmax < 3 m/s) muss jedoch 50 Asymptomatisches Ohne Aorten-
Stadium klappenersatz
mit einer jährlichen Progression gerechnet werden 25
(Erhöhung der Flussgeschwindigkeit um ca. 0,3 m/s
und des mittleren Druckgradienten um ca. 7 mmHg, 10 15 20 25 30 35 40
Reduktion der Klappenfläche um ca. 0,1 cm2). Alter (Jahre)
Auftretende Symptome (Angina pectoris, Synko-
Herzinsuffizienz
pe, Herzinsuffizienz) verändern die Prognose drama- Synkope
tisch (mittleres Überleben 2–3 Jahre) und triggern Angina pectoris
daher die Entscheidung zur Klappenintervention
(› Abb. 1.15). Abb. 1.15 Verlauf der Aortenstenose
28 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Wie beurteilen Sie den Stenosegrad, welche weitere Diagnostik ist erforderlich?
Hochgradig: KÖF <1,0 cm2; mittlerer Gradient > 40 mmHg; Jet-Geschwindigkeit > 4 m/sec.
1 Es liegt nach den hämodynamischen Parametern der Spitzenflussgeschwindigkeit über der Aortenklappe
(Vmax > 4 m/sec) eine hochgradige Aortenklappenstenose vor; die systolische Globalfunktion ist bei konzent-
rischer linksventrikulärer Hypertrophie gut erhalten. Damit sind die klinischen Beschwerden des Patienten
und das Klappenvitium gut vereinbar.
Beschreiben Sie anhand des Flussdiagramms (› Abb. 1.16) das weitere Vorgehen.
Schwere Aortenstenose
Herzchirugischer Vmax > 4 m/sec
Eingriff, z.B. CABG KÖF < 1,0 cm2
Mittlerer Gradient > 40 mmHg
Re-Evaluieren
ja nein
Symptomatik?
nicht eindeutig
normal
Belastungstest LV-Auswurffraktion?
ja Schwere Verkalkung,
rasche Progression
Klin. Follow-up,
Aortenklappenersatz Risikofaktoren?
Jährlich UKG
• M
echanischer AKE:
– bei vorbestehendem mechanischem Ersatz der Mitral- oder Trikuspidalklappe (Klasse I)
– bei Alter < 65 J., Antikoagulation möglich (Klasse IIa)
1.5 Belastungsabhängige Thoraxschmerzen 29
• B ioklappe:
– wenn Antikoagulation nicht möglich (Klasse I)
– bei Alter < 65 J., bei Patientenwunsch nach Risikoaufklärung (Klasse IIa)
– bei Alter > 65 J. ohne erhöhtes Thromboembolierisiko (Klasse IIa) 1
– bei Frauen mit Kinderwunsch (Klasse IIb).
ACE-Hemmer führen zu einer peripheren Vasodilatation, die bei schwerer Aortenklappenstenose nicht
durch eine Zunahme des Schlagvolumens kompensiert werden kann und somit zu einer ausgeprägten Hypo-
tonie führen kann. Neuere Studien zeigen, dass eine vorsichtige ACE-Hemmer-Therapie bei hypertensiven
Blutdruckwerten möglich ist.
• R aues, spindelförmiges Geräusch über Aorta und Erb mit Fortleitung in die Karotiden
• S chwirren über der Ausflussbahn
• H ebender Herzspitzenstoß
• P ulsus parvus et tardus
• E ventuell leiser 2. Herzton, paradoxe Spaltung.
Welche Therapie schlagen Sie dem Patienten bei der Aortenklappenstenose und
der koronaren Herzerkrankung vor?
Bei der hochgradigen symptomatischen Aortenklappenstenose und der koronaren Herzerkrankung ist eine
operative Therapie dringend indiziert (Aortenklappenersatz und Bypassversorgung).
Sobald eine Aortenklappenstenose Symptome verursacht, ist eine Operation aufgrund des dann sehr un-
günstigen natürlichen Verlaufs indiziert. Davon profitieren auch Patienten in hohem Lebensalter!
Dagegen haben Patienten mit asymptomatischer Aortenklappenstenose eine gute Prognose (nur 1–2% zei-
gen eine rasche Progression), sodass diese Patienten nur regelmäßig klinisch und echokardiographisch un-
tersucht werden sollten, um eine Progression rechtzeitig zu erkennen. Dabei ist der Druckgradient über der
Aortenklappe prädiktiv für die Entwicklung von Symptomen, d. h. je höher der Gradient, desto wahrschein-
licher das Auftreten von Symptomen.
Zusatzinformation: Zusammengefasst besteht für Patienten mit symptomatischer Aortenklappenstenose
eine eindeutige (Klasse I) Indikation zum Aortenklappenersatz, weiterhin für Patienten mit hochgradiger,
(noch) asymptomatischer Stenose, die sich einer Bypass-Operation oder anderen Klappenoperationen unter-
ziehen müssen.
Sogenannte Klappensprengungen (Valvuloplastie) haben bei der Aortenklappenstenose im Erwachsenen
alter nur palliative Indikationen, da sowohl die Akut- als auch Langzeitergebnisse sehr schlecht sind.
30 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
• F rühletalität des elektiven Aortenklappenersatzes 2–8%, sehr hohes Operationsrisiko bei Notfalloperation
1 mit einer Letalität von 10–25%.
• E rhöhtes Operationsrisiko bei ausgeprägter Symptomatik (NYHA III, IV), eingeschränkter linksventriku-
lärer Funktion, begleitender koronarer Herzerkrankung, ventrikulären Arrhythmien, begleitender mittel-
schwerer bis schwerer Aorteninsuffizienz, hohem Lebensalter.
• D urchschnittliche perioperative Letalität bei kombiniert AKE/ACB: 5,5–6,8% (Society of Thoracic Surgeons).
• L angzeitprognose: Zehn-Jahres-Überlebensrate: 70%, 15-Jahres-Überlebensrate: 50%, bei begleitender
koronarer Herzkrankheit sowie pulmonaler Hypertonie (pulmonal-arterieller Druck > 30 mmHg) deut-
lich schlechtere Prognose.
Bei leichter asymptomatischer Stenose sind im Intervall von einem Jahr und bei höhergradiger, asymptoma-
tischer Stenose im Intervall von drei bis sechs Monaten folgende Kontrollen angezeigt:
• A namnese: Angina pectoris? Schwindel? Synkopen? Zeichen der Herzinsuffizienz?
• E chokardiographie, EKG
• K eine Endokarditisprophylaxe mehr.
Die degenerative kalzifizierte Aortenklappenstenose ist eine Erkrankung, die in der 6.–8. Dekade auftritt. Der
Anteil der älteren Bevölkerung (Octogenerians, > 80 J.) wird zunehmen; damit auch die Inzidenz der Aorten
vitien. Die medikamentöse Therapie ist nicht effektiv und die Valvuloplastie hat nur palliativen Charakter; bei
symptomatischen Patienten muss daher ein Klappenersatz auch bei dieser Patientengruppe erwogen werden.
Patienten mit koronarer Herzerkrankung und reduzierter LV-Funktion haben eine eingeschränkte perioperati-
ve Prognose. Darüber hinaus spielt die erhöhte Komorbidität (maligne Erkrankungen, Insult) eine limitierende
Rolle; die operativen Komplikationen sind ebenfalls erhöht. Die kathetergeführte Aortenklappenimplantation
bietet hier ein neues Therapiekonzept für Patienten, die für einen Klappenersatz früher nicht in Betracht kamen.
LITERATUR
2008 Focused Update Incorporated into the ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients With Valvular Heart
Disease. Circulation 2008; 118: e523–e661 (Focus Update).
Kommentar zur Europäischen Leitlinie „Herzklappenerkrankungen“. Kardiologie 2009; 2: 101–7.
KASUISTIK
Eine 39-jährige Patientin bricht auf einem Platz in der Stadtmitte plötzlich zusammen. Durch Passanten wird der Rettungs-
dienst verständigt, der nach kurzer Zeit bei der Patientin eintrifft. Die Patientin ist ansprechbar, kreislaufstabil und wird
vom Rettungsdienst in die Notaufnahme gebracht.
1.6 Brustschmerzen und Kollaps 31
Die Patientin wirkt akut krank und berichtet, dass sie seit einiger Zeit häufiger Kopfschmerzen gehabt habe, gelegentlich
ein thorakales Druckgefühl verspürt habe, das jedoch unabhängig von Belastung gewesen sei. Wesentliche Vorerkran-
kungen werden verneint. An kardiovaskulären Risikofaktoren bestehe ein langjähriger Nikotinabusus (15 pack years),
eine Hypercholesterinämie sowie eine positive Familienanamnese. Der Vater der Patientin habe im Alter von 55 Jahren 1
einen Herzinfarkt erlitten.
Die derzeitige Medikamenteneinnahme beschränke sich auf orale Kontrazeptiva sowie häufiger Kopfschmerztabletten bei
„Migräneanfällen“.
Körperliche Untersuchung bei Aufnahme: 172 cm, 72 kg; Puls 120/min, regelmäßig. RR 220/120 mmHg, Jugularve-
nen gering gestaut. Regelrechter 1. und 2. HT, keine Extratöne. Keine vitientypischen Geräusche. Basal über beiden
Lungenflügeln beginnend feuchte Rasselgeräusche. Die übrige internistische und orientierende neurologische körperliche
Untersuchung war unauffällig.
Es besteht SR. HF ca. 120/min. Deutliche ST-Streckenhebung über II, III, aVF sowie V3–V6, angedeutet auch
in I, V2.
EKG-Diagnose: ubiquitäre ST-Streckenhebungen, formal STEMI, DD Perimyokarditis.
• L abor (CK, LDH, Troponin, Elektrolyte, Gerinnung, kleines BB, TSH, Krea, HN).
– Labor [Normwerte]: CK 262 [< 155] U/l; MB 19 [< 6]%; Troponin T 2,23 [< 0,010] ng/ml; Na 134
[135–145] mmol/l; K+ 4,6 [3,5–5,0] mmol/l Kreatinin 1,3 [0,5–1,3] mg/dl; TSH 4,45 [0,3–4,0] μU/l. Ge-
rinnung und kleines Blutbild normal.
• H
erzkatheteruntersuchung.
32 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Monitorkontrolle, Sauerstoffgabe (2–4 l/min), Betablocker (z.B. Metoprolol 5 mg i.v. trotz der basalen Rassel-
1 geräusche wegen des ausgeprägten Hypertonus), ASS (250 mg. i.v.) Heparin (z.B. 5000 IE), Clopidogrel/Pra-
sugrel (loading dose 600/60 mg). Kontrolle der Vitalparameter, Vorbereitung zur HK-Untersuchung.
Im weiteren Verlauf verschlechtert sich die Patientin respiratorisch. Die Sauerstoffsättigung (transkutan gemessen) beträgt
82% und die Patientin erschöpft sich respiratorisch (AF 30 min). Die Blutgasanalyse ergibt folgende Werte: pO2 53 mmHg
pCO2 25 mmHg. Trotz der Betablockergabe bleibt der Blutdruck unverändert hoch (RR 240/120 mmHg).
• I ntubation.
• M edikamentöse Blutdrucksenkung:
– Urapidil (z. B. Ebrantil) initial 12,5 mg i.v.
– Nitroglyzerin z. B. 50 mg/50 ml, 0,5–5 mg/h über Perfusor
– Clonidin (z. B. Catapresan) 0,045 mg/ml, Perfusor 0,9–2,7 mg/h
– Metoprolol (z.B. Beloc) 5 mg i.v.; Enalapril (z. B. Xanef) 1,25–5 mg i.v. oder Dihydralazin
(z. B. Nepresol) 6,25–12,5 mg langsam i.v.
Nach Intubation und Gabe von nochmals 5 mg Metoprolol sowie 25 mg Urapidil lässt sich der Blutdruck auf 180/100
senken. Die Patientin lässt sich mit 40% Sauerstoff bei einer AF von 14/min, PEEP von 8 mbar und AMV von 7,5 l gut
beatmen. Die BGA ergibt Werte von pO2 135 mmHg pCO2 35 mmHg.
Es zeigt sich eine normale rechte und linke Herzkranzarterie mit TIMI-III-Fluss. Relevante Stenosen oder
Verschlüsse der Koronararterien lassen sich nicht finden. Kein Hinweis auf Plaqueruptur, Spasmus oder dis-
tale Embolisation.
1
Sie führen nun ebenfalls noch eine Lävokardiographie durch. In › Abbildung 1.19
ist der Ventrikel in Diastole und Systole dargestellt. Bitte beschreiben Sie den
Befund.
Es zeigt sich eine global eingeschränkte linksventrikuläre Funktion. Zudem zeigen sich regionale Kontrakti-
onsstörungen. Die basalen Anteile des Ventrikels weisen eine normale bis hyperkontraktile Funktion auf. Die
apikalen Anteile sind deutlich hypokontraktil. Hieraus resultiert ein sog. „apikal ballooning“.
Erklärt der Befund der Koronarangiographie die Funktion des linken Ventrikels?
Nein; nachdem keine relevanten Stenosen oder Verschlüsse im Bereich der Koronararterien vorhanden sind,
scheidet eine koronare Herzerkrankung als Ursache für diese LV-Funktionsstörung aus.
Welche möglichen Ursachen für eine akute Einschränkung der LV-Funktion fallen
Ihnen ein?
Ist die Symptomatik dieser Patientin typisch für eine der genannten Ursachen?
Nein, die üblichen Formen der Kardiomyopathie führen typischerweise zu einer globalen Einschränkung der
LV-Funktion ohne deutlich ausgeprägte regionale Kontraktionsunterschiede.
34 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Welche weiteren diagnostischen Schritte leiten Sie bei der Patientin ein?
• A
bnahme der Katecholamine im Urin und Blut. Hier zeigten sich deutlich erhöhte Werte für Metanephri-
ne, Adrenalin und Noradrenalin im Blut sowie im Urin.
• B ildgebende Diagnostik: Oberbauchsonographie/CT-Abdomen (› Abb. 1.20). Bei der Patientin fand
sich eine ca. 5 × 6 cm große Raumforderung im Bereich der linken Nebenniere mit zentraler Einschmel-
zung.
• M
edikamentöse Stabilisierung: Alphablocker (z.B. Phenoxybenzamin) und danach Betablockade (z.B.
Bisoprolol) 1
• O perative Entfernung des Phäochromozytoms
• C ave: MEN II (a: C-Zell-Karzinom der Schilddrüse, Phäochromozytom, primärer Hyperparathyreoidis-
mus , ± b: Ganglionneuromatose, marfanoider Wuchs).
Die Prognose der Patienten ist ausgesprochen gut. Nahezu alle Patienten erholen sich nach Wegfall des pa-
thologischen Agens. Die Ventrikelfunktion ist innerhalb weniger Wochen wieder komplett normalisiert. Der
genaue pathophysiologische Zusammenhang, der zur Kontraktionsstörung führt, ist noch nicht geklärt. Die
Katecholamine sollen jedoch entweder über multiple Vasospasmen der epikardialen Koronararterien, Spas-
men der myokardialen Mikrozirkulation oder über eine direkte toxische Wirkung auf das Myokard zur
transitorischen Wandbewegungsstörung führen. Das apikale Myokard soll offenbar auch sensibler auf die
Katecholaminwirkung reagieren als die basalen Abschnitte, weshalb es zu dieser typischen apikalen Ballonie-
rung kommt.
Was hätte Sie bei der Betrachtung des EKGs misstrauisch werden lassen können?
Das EKG zeigt ubiquitäre ST-Streckenhebungen, die mehr als einem Koronarversorgungsgebiet zugeordnet
werden können (Hebungen sowohl über der Hinterwand wie auch über der Vorderwand).
LITERATUR
Kurisu S, Sato H, Kawagoe T, et al. Tako-tsubo-like left ventricular dysfunction with ST-segment elevation: a novel cardiac
syndrome mimicking acute myocardial. Am Heart J. 2002; 143(3): 448–55.
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Tsuchihashi K, Ueshima K, Uchida T, et al. Transient left ventricular apical ballooning without coronary artery stenosis; a no-
vel heart syndrome mimicking acute myocardial infarction. J Am Coll Cardiol 2001; 38: 11–8.
Wilkenfeld C, Cohen M, Lansman SL, et al. Heart transplantation for end-stage cardiomyopathy caused by an occult pheo-
chromocytoma. J Heart Lung Transplant 1992; 11: 363–6.
KASUISTIK
Ein 78-jähriger Patient stellt sich mit belastungsabhängiger Atemnot verbunden mit leichtem retrosternalen Druck in der
Ambulanz vor. Die Symptomatik bestehe schon seit ca. 8 Monaten und werde einfach nicht besser. Nach einem Stockwerk
gehe ihm die Luft aus, nach kurzer Ruhephase bessert sich die Symptomatik wieder. Eine abrupte Verschlechterung gab
es nicht. Die letzte kardiologische Vorstellung sei schon länger her. 1985 habe er einmal stundenlang Schmerzen in der
Herzgegend, verbunden mit Angst und Schweißausbrüchen, gehabt und sei deshalb vorübergehend nicht mehr Auto
gefahren. 1993 wurde ihm im Rahmen einer Magenspiegelung gesagt, dass er wahrscheinlich einmal einen Hinterwand-
infarkt durchgemacht habe. Nykturie (2–3 × pro Nacht).
36 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Vorerkrankungen: Diabetes mellitus Typ II (seit ∼ 30 Jahren), arterielle Hypertonie (seit ∼ 25 Jahren), Adipositas Grad
II (BMI 35), chronische Niereninsuffizienz Grad III (GRF 30–60 ml/min), Aortenklappenstenose Grad I.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Guter AZ und adipöser EZ. RR 140/85 mmHg, Puls 80/min. Jugularvenen nicht
1 adäquat beurteilbar. Cor: regelmäßig, 2⁄6 -Systolikum p.m. Aortenklappe. Pulmo: VA, AF 18/min, mittel-hochfrequente RG
in den basalen Lungenabschnitten bds. Abdomen unauffällig. Orientierende neurologische Untersuchung unauffällig.
Unterschenkelödeme bds., keine Stauungsdermatose.
Aktuelle Medikation: ASS 100 mg/d, Captopril 25 mg/d, Propranolol 40 mg/d, HCT 25 mg/d, Metformin 1000 mg/d.
Auswertung: Sinusrhythmus, HF 80/min, am ehesten S1Q3-Typ, AV-Block I.°, breites Q in III, q in II, aVF,
inadäquate R-Progression V1-4, um maximal 0,1 mV gesenkte ST-Strecken in II, V5,6, deszendierende ST-
Strecken in II, III, AVF, V5,6 mit präterminal negativer T-Welle , S-Zacken bis V6.
Interpretation: AV-Block I.°, alter inferiorer Infarkt möglich, unspezifische Erregungsrückbildungsstörun-
gen inferolateral.
UKG: Hypokinesie im Bereich der Vorder- und Hinterseitenwand, Akinesie der basal-mitt-inferioren Wandabschnitte.
Hochgradige Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion. Normale Wanddicken. Aortenklappensklerose ohne
relevanten Gradienten. Hinweis auf diastolische Dysfunktion. Linker Ventrikel und linker Vorhof deutlich erweitert. Rech-
te Herzhöhlen grenzwertig weit, leichte Trikuspidalklappeninsuffizienz mit einem dpmax von 28 mmHg. 1
Gemäß Nationaler Versorgungsleitline „Chronische KHK“ kann eine Herzkatheteruntersuchung bei Hoch
risikopatienten (Vortestwahrscheinlichkeit > 90%) auch ohne zuvorige nicht-invasive Ischämietestung
durchgeführt werden (Patel et al. 2009). Im aktuellen Fall liegt eine erheblich Risikokonstellation in Form
einer hochgradig eingeschränkten Pumpfunktion bei deutlichen regionalen Wandbewegungsstörungen in
Ruhe sowie der Risikofaktor Diabetes mellitus vor. Es wird direkt eine Koronarangiographie geplant.
Der Patient muss über die Indikation, das Verfahren selbst und mögliche assoziierte Komplikationen aufge-
klärt werden. Nephrotoxische Medikamente (Metformin, Aminoglykoside, Vancomycin, NSAR, Diuretika)
sollten pausiert werden (min. 24 h vor Intervention, besser 48 h). In vorliegendem Fall sollte die Metformin-
Therapie ohnehin beendet werden (Kontraindikationen: Niereninsuffizienz mit GFR < 60 ml/min, Herzinsuf-
fizienz ab NYHA III). Zur weiteren Prophylaxe einer kontrastmittelinduzierten Nephropathie sollte eine pati-
entenadjustierte Hydrierung, z.B. mit 0,9% Natriumchlorid-Lösung (NaCl) am Vor- und Untersuchungstag
stattfinden. Man kann auch Acetylcystein (2 × täglich 600 mg Acetylcystein am Vor- und Untersuchungstag)
applizieren. Effektive prophylaktische Wirkung zeigte auch die zusätzliche Verwendung einer isotonischen
Natriumbikarbonat-Lösung (eine Stunde vor der Untersuchung mit 3 ml/kg KG pro Stunde sowie über
6 Stunden nach Kontrastmittel-Applikation mit 1 ml/kg KG pro Stunde).
Auch Schilddrüsenerkrankungen sollten erfragt werden; routinemäßig muss der basale TSH-Wert vor der
Untersuchung kontrolliert werden.
Wie gehen Sie generell bei Verdacht auf eine Thyreopathie vor?
Tab. 1.8 Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf Thyreopathie (nach Fricke et al. 2004)
Laborchemisch Euthyreose, anamnestisch/klinisch Hinweis auf Struma nodosa:
→ Schilddrüsen-Sonographie → bei Knotenstruma:
• Ausschluss fokale Autonomie durch 99mTc-SD-Szintigramm
• Szintigramm nicht durchführbar: Perchlorat-Prophylaxe (PP)
Tab. 1.8 Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf Thyreopathie (nach Fricke et al. 2004) (Forts.)
Manifeste Hyperthyreose:
• Indikation überdenken, KM-Gabe kontraindiziert
1 • vitale Indikation:
– Perchlorat-Prophylaxe und weitere thyreostatische Therapie
– → Dosierung nach Stoffwechsellage, Rücksprache mit Endokrinologie
– postinterventionell (innerhalb 2 Wochen) ggf. operative Sanierung der Schilddrüse
Perchlorat-Prophylaxe (= Irenat: 1 ml = 15 gtt. = 344,2 mg):
• initial (ideal: 4 Stunden vor KM-Exposition): 45 gtt. Perchlorat-Lösung
• Standard-Therapie: 3 × 15 gtt. bis 3 × 20 gtt. für 14 Tage
Herzkatheteruntersuchung (› Abb. 1.22, › Abb. 1.23): Der Hauptstamm hat distal eine 50%ige Stenose. Der Ramus
interventricularis anterior ist proximal verschlossen. Der erste Diagonalast ist zu 90% stenosiert. Der Ramus circumflexus
hat proximal eine exzentische 90%ige Stenose. Die kräftigen Marginaläste sind mittel-hochgradig stenosiert. Retrograde
Darstellung der peripheren rechten Kranzarterie, die proximal verschlossen ist. Schwergradige linksventrikuläre Dysfunk-
tion (LVEF 25%). LVEDP 29 mmHg.
Anamnestisch ist bei dem Patienten die Einteilung der Canadian Cardiovascular Society (CCS) bei Patienten mit
stabiler koronarer Gefäßerkrankung am zutreffendsten. Da die Beschwerden zu einer erheblichen Einschränkung
der körperlichen Aktivität führen, besteht Angina pectoris der CCS-Klasse III. In vorliegendem Fall muss aller-
dings auch an eine mögliche Kupierung typischer Angina-pectoris-Symptomatik durch den langjährig bestehen-
den Diabetes gedacht werden.
1.7 Belastungsabhängige Atemnot und Brustschmerzen 39
Welchen Score können Sie zusätzlich zur Evaluierung der Therapie bei Patienten
mit stabiler KHK heranziehen?
MACCE nach SYNTAX-Score 33+
Mittels SYNTAX-Score können die 2-Jahres-MACCE- 1
Sie kennen nun die MACCE-Ereignisrate für den Patienten im Fall einer avisierten
Katheterintervention oder Bypass-Operation. Welche Prognose hätte der Patient
ohne Intervention?
Um einen Richtwert zu erhalten, wie die Prognose von Patienten mit stabiler Angina pectoris ist, gibt es zahl-
reiche Score-Systeme oder Überlebenstabellen. In der Nationalen Versorgungsleitlinie „Chronische KHK“
wird z.B. ein Score-Modell aufgeführt, das die zu erwartende Wahrscheinlichkeit für Myokardinfarkt oder
Tod innerhalb der nächsten 12 Monate errechnet (http://www.khk.versorgungsleitlinien.de) (Anm.: Wert im
vorliegenden Fall = 23%). Das Ergebnis wird hierbei anhand verschiedener Risikofaktoren, wie z.B. linksven-
trikuläre Dysfunktion, Dauer der Beschwerden oder Stärke der Angina pectoris, festgemacht.
In der Zusammenschau der Befunde ist klar eine operative Therapieempfehlung auszusprechen. Gründe
hierfür sind:
• M ehrgefäßerkrankung mit hochgradigen proximalen Stenosen und Hauptstammbeteiligung sowie links-
ventrikulärer Dysfunktion.
• S YNTAX-Score > 33 bedeutet operative Therapie.
Bei o.g. Entitäten ist die Bypass-Operation der PCI und der konservativen Therapie in Bezug auf Überleben,
MACCE und Lebensqualität überlegen.
Was halten Sie davon, vor der Operation eine Vitalitätsdiagnostik durchzuführen?
Eine Vitalitätsdiagnostik, wie z.B. die Szintigraphie, eine Stress-Echokardiographie oder eine Stress-MRT,
wird insbesondere bei Patienten mit stabiler chronischer KHK, myokardialer Dysfunktion und Luftnot als
Hauptsymptom empfohlen (http://www.khk.versorgungsleitlinien.de). Es könnte also eine Vitalitätsdiagnos-
tik zur Evaluation einer adjustierten Bypassversorgung bei diesem Patienten stattfinden. Dies erhöht jedoch
nur theoretisch die Qualität der Diagnostik. Praktisch ist die Bypassversorgung stark vom angiographischen
Koronarbefund und der Anastomosierbarkeit des Gefäßsystems abhängig.
40 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Tab. 1.9 Empfehlungen zur Revaskularisationstherapie bei Patienten mit stabiler Angina pectoris (Fox et al. 2006)
Indikation Bzgl. Bzgl. Studien
Prognose a Symptome b
1 Perkutane Koronarintervention
Angina CCS-Klassifikation I–IV trotz medikamentöser Therapie IA ACME, MASS
• Koronare Eingefäßerkrankung
Vordringliches Ziel ist es eine optimale Einstellung der Risikofaktoren, um somit eine adäquate Prävention
kardiovaskulärer (Zweit-)Ereignisse zu erwirken. Die jeweiligen Ziele des Risikofaktorenmanagements sind
Gegenstand andauernder Forschung; es existieren Leitlinien unterschiedlicher Fachgesellschaften diesbezüg-
1.7 Belastungsabhängige Atemnot und Brustschmerzen 41
lich (Graham et al. 2007). Der Trend in aktuellen Studien deutet auf eine striktere Einstellung von LDL-Cho-
lesterin und Blutdruckwerten hin, insbesondere bei Diabetikern mit KHK (› Tab. 1.10).
Weiter sollte eine optimale medikamentöse Behandlung der schweren Herzinsuffizienz gewährleistet sein.
Es sollten regelmäßige echokardiographische Nachuntersuchungen folgen, um schließlich über die Indikati-
on einer ICD-Implantation zu entscheiden.
Hierzu werden hauptsächlich Nitrate, β-Blocker und Kalziumantagonisten, aber auch neuere Substanzen
wie Ivabradin (Sinuskonten-Modulator) verwendet (Fox et al. 2006). Ranolazin ist bislang nur bei chro-
nisch rezidivierender Angina pectoris, die auf die konventionelle Therapie nicht anspricht, zugelassen
(› Abb. 1.25).
• N itrate: Senkung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs durch Nach- und Vorlastsenkung. Hierdurch
Kupierung akuter Angina pectoris-Anfälle bei Patienten mit stabiler KHK. Kein Einfluss auf die Prognose
(Empfehlungsgrad IC).
• β -Blocker: Senkung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs durch Hemmung der Katecholaminwirkung
auf Herzfrequenz, Kontraktilität und Blutdruck. Hierdurch Verminderung der Angina pectoris Sympto-
matik und Verbesserung der Belastungstoleranz. Verbesserung der Prognose bei Patienten mit Myokard-
infarkt oder KHK und Herzinsuffizienz. Senkung von Letalität und Morbidität bei Patienten mit Hyperto-
nie (Empfehlungsgrad Ia).
• K alziumantagonisten: Senkung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs durch Reduktion der Nach-
last und der myokardialen Kontraktilität. Lang wirksame Kalziumantagonisten senken die Morbidität
bei Patienten mit KHK und Hypertonus (Empfehlungsgrad Ia). Nichtretardierte Kalziumantagonisten
vom Dihydropyridin-Typ sollten nicht eingesetzt werden (allenfalls in Kombination mit einem
β-Blocker).
• S inusknoten-Inhibitor (Ivabradin): Reduktion der Herzfrequenz (vergleichbar effektiv wie β-Blocker).
Bislang kein Effekt auf die Mortalität von Patienten, jedoch Senkung der Zahl an Hospitalisierungen und
koronaren Revaskularisierungen.
42 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Betablocker post-Myokardinfarkt A A
Kalziumantagonist oder
Intoleranz Symptome A/B
lang wirksames Nitrat
unkontrollierbar trotz
Symptom Dosisoptimierung
verbessernde
Medikation Symptome unkontrollierbar
trotz Dosisoptimierung
Wechsel zu Kombination
alternativer Nitrat und
Kalziumkanal- Kalzium-
subklasse oder antagonist oder B/C
lang wirksames Kaliumkanal-
Nitrat öffner
Abb. 1.25 Algorithmus zur medikamentösen Therapie bei Patienten mit stabiler Angina pectoris (nach Fox et al. 2006)
LITERATUR
Fox K, Garcia MA, Ardissino D, et al.; Task Force on the Management of Stable Angina Pectoris of the European Society of
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Fricke G, Fricke H, Esdorn E, et al. Scintigraphy for risk stratification of iodine-induced thyrotoxicosis in patients receiving
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ed Tomography. J Am Coll Cardiol. 2009; 53(6): 530–53.
http://www.khk.versorgungsleitlinien.de
KASUISTIK
Ein 75-jähriger Patient trifft auf der Chest-Pain-Unit ein. Dieser berichtet von linksthorakalem Schmerz (Stärke 5/10), der
nach starker körperlicher Belastung auftrat und über insgesamt 20 Minuten andauerte. Bei Ankunft der Erstversorger sei
der Blutdruck deutlich erhöht gewesen. Die gleichen Schmerzen hätten bereits mehrfach in der Vergangenheit, in unre-
gelmäßigen Abständen und strikt bei körperlicher Belastung, eingesetzt. Bereits vor einem Jahr sei deswegen eine Herz-
katheteruntersuchung vorgenommen worden, in der sich eine ca. 60%ige Verengung im Bereich der Herzvorderwand
versorgenden Arterie darstellte, die konservativ behandelt wurde. Vor drei Wochen fand sich zudem ein nicht eindeutiger
Befund in einem ambulant durchgeführten Myokard-SPECT mit fraglicher Minderbelegung im Bereich der Vorderwand; es
wurde ein konservatives Prozedere empfohlen. An Vorerkrankungen sind ein arterieller Hypertonus mit deutlicher links-
ventrikulärer Hypertrophie und ein Diabetes mellitus Typ II bekannt. Die körperliche Untersuchung ergibt einen alter-
sentsprechenden, unauffälligen Befund, RR 140/85 mmHg. Der TnI-Wert ca. 7 Stunden nach Einsetzen der Schmerzsym-
ptomatik liegt im Normbereich.
Aktuelle Medikation: ASS 100 mg/d, Ramipril 10 mg/d, Bisoprolol 10 mg/d, HCT 25 mg/d, Simvastatin 20 mg/d,
Metformin 1000 mg/d.
Der Patient hat definitionsgemäß stabile Angina pectoris CCS II. Zum einen ist eine Schmerzinduktion im
Sinne einer reversiblen myokardialen Hypoperfusion durch die vorbeschriebene Koronarverengung, zum
anderen durch eine hypertensive Entgleisung bei zugrunde liegender hypertensiver Herzerkrankung denk-
bar. Auch die Kombination aus epikardialen (koronare Gefäßerkrankung) und mikrovaskulären Zirkulati-
onsstörungen (Linksherzhypertrophie, Diabetes) kann diese Beschwerden verursachen.
44 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Bis zum Beweis des Gegenteils ist bei dem Patienten von einem akuten Koronarsyndrom auszugehen. Nebst
1 TnI-Kontrolle, Ruhe-EKG und medikamentöser Therapie (ASS, Heparin, RR-Kontrolle) sollte ein UKG zur
Beurteilung der globalen und regionalen Wandbewegung sowie zur Evaluation von Wandstärken und mögli-
chen Hinweisen auf eine diastolische Dysfunktion erfolgen. Des Weiteren ist die Wiederholung eines nicht-
invasiven Stresstests unter β-Blocker-Pause indiziert. Auch ist die Beschaffung von Angiographiebildern und
-befund der letzten Herzkatheteruntersuchung sinnvoll.
Das Ruhe-EKG ist unauffällig. In den Bildern der letzten Angiographie ist eine
mittelgradige Verengung des Ramus interventricularis anterior (RIVA) in zwei
Ebenen dargestellt. Wie valide ist die Angiographie im Hinblick auf die
Beurteilung des Stenosegrades?
Die Angiographie bietet – speziell im Bereich mittelgradiger Stenosen (40–70% Lumenreduktion) – nicht die
Möglichkeit einer exakten Messung des Stenosegrades und gibt zusätzlich auch keinerlei Aufschluss über die
hämodynamischen Auswirkungen einer epikardialen Gefäßstenose. Mittels digitaler Verfahren können zwar
visuelle Messungen vorgenommen werden, diese sind jedoch stark abhängig von Bildqualität, Gefäßkalzifizie-
rung etc. und lassen außerdem nur planare und keine dreidimensionalen Messungen zu. Somit obliegt die an-
giographische Stenosequantifizierung der subjektiven und visuellen Einschätzung des Untersuchers. Es werden
diesbezüglich jedoch gravierende intra- und interindividuelle Abweichungen in der Beurteilung von Stenosen
– auch bei sehr erfahrenen Untersuchern – mehrfach beschrieben (Tobis et al. 2007, White et al. 1984). Die
Prognose eines Patienten ist in jedem Fall abhängig vom Grad der koronaren Flussbehinderung, sowohl auf
epikardialer als auch auf kapillarer Ebene und nicht vom visuellen Stenosegrad in der Angiographie.
Das UKG zeigt eine normale globale und regionale Pumpfunktion mit vorbeschriebener Linksherzhypertrophie und Hin-
weisen auf eine diastolische Dysfunktion. In der Ultraschall-Fahrradergometrie entwickelt der Patient bei 125 Watt (Herz-
frequenz 165/min) typische Angina pectoris ohne eindeutigen H.a. regionale Wandbewegungsstörungen oder EKG-Ver-
änderungen und maximalem Blutdruck von 220 mmHg systolisch. In einer Laborkontrolle 6 Stunden nach der Belastungs-
untersuchung fällt ein TnI-Wert im Graubereich (0,05 μg/ml, Norm < 0,032 μg/ml) auf.
Das alleinige Auftreten von Angina pectoris als Zeichen einer Myokardischämie wird nur bei ca. 30% der
Patienten beobachtet. Das Ergebnis der Belastungsuntersuchung als auch der TnI-Wert sind prinzipiell mit
einer alleinigen hypertensiven Herzerkrankung zu vereinbaren. Ein Kompromittieren des koronaren Flusses
durch die vorbekannte RIVA-Verengung ist jedoch – auch angesichts des zeitnahen unklaren SPECT-Be-
funds – nicht auszuschließen.
Abgesehen von weiteren nicht-invasiven Untersuchungen wie z.B. dem hochauflösenden Kardio-CT, ist als
invasives Diagnostikum zur morphologischen Beurteilung einer Koronarstenose der intravaskuläre Ultra-
schall (IVUS) etabliert. Mittels IVUS kann ein exaktes intrakoronares Abbild von Ausmaß und Ausdehnung
1.8 Stabile Angina pectoris – Messung der fraktionellen Flussreserve (FFR) 45
Abb. 1.26 Darstellung der IVUS-RF-Analyse im Querschnittsbild sowie in der Längsansicht. Die Plaquekomponenten können
quantitativ für eine spezifische Läsion oder über das gesamte Segment der atherosklerotischen Läsion angegeben werden. Pla-
quekomponenten mit rot für nekrotisches Gewebe, grün für fibrotisches Gewebe, gelb für fibrotisch-lipidhaltiges Gewebe und weiß
für kalkhaltiges Gewebe
einer Koronarverengung angefertigt werden und somit etwaige Diskrepanzen zur Angiographie festgehalten
werden. Die Spektrumanalyse der mit IVUS abgeleiteten Radiofrequenzanalyse liefert darüber hinaus eine
detailliertere Untersuchung der Plaquekomposition und Plaquemorphologie. Die einzelnen Plaquekompo-
nenten (fibrotisch, fibrotisch-lipidhaltig, nekrotisch und kalzifiziert) werden hierbei farbkodiert abgebildet
(› Abb. 1.26). Durch Aufarbeitung der gewonnenen Daten mittels spezieller Software können schließlich
Hochrisiko-Läsionen detektiert werden. Derzeit besteht jedoch keine Evidenz für eine präventive Stent
implantation bei IVUS-diagnostizierten Hochrisikoläsionen, insbesondere da nach Studienlage die opti
mierte medikamentöse Therapie (Courage-Studie) bei geringem oder fehlendem Ischämienachweis gute
Ergebnisse gezeigt hat.
Häufige Einsatzmöglichkeiten des IVUS umfassen v.a. die morphologische Charakterisierung von Haupt-
stammstenosen sowie die mit dieser Technik mögliche postinterventionelle Stent-Kontrolle, indem Aussagen
über die Stent-Apposition getroffen werden können.
Des Weiteren wäre eine Herzkatheteruntersuchung mit kombinierter Messung der fraktionellen Flussre-
serve (FFR) möglich. Hiermit könnte die hämodynamische Relevanz der vorbekannten mittelgradigen RIVA-
Stenose evaluiert werden.
In der FFR-Messung wird unter maximaler Hyperämie der Quotient aus mittlerem poststenotischem und aorta-
lem Druck unter Verwendung eines speziellen Druckdrahtes ermittelt. Hierbei werden der poststenotische Druck
über den distalen Mikrotransducer des Druckdrahtes und der aortale Mitteldruck über den Führungskatheter
46 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
abgeleitet. Zur Induktion einer maximalen Vasodilatation wird zumeist intravenös oder intrakoronar applizier-
tes Adenosin verwendet. Die fraktionelle myokardiale Flussreserve (FFR) in einem nativen Gefäß ohne Fluss
hindernis beträgt normalerweise 1. Ein Wert ≤ 0,75 indiziert eine funktionell bedeutsame Stenose und entspricht
1 einer Flusseinschränkung von 25%. Gemäß aktueller Studienlage profitiert ein Patient ab einer FFR ≥ 0,8 nicht
mehr von einer Intervention (zu ca. 90% Ischämieausschluss; Silber et al. 2005). Werte innerhalb der Grauzone
von 0,76 bis 0,79 bedürfen gewöhnlich einer Abklärung hinsichtlich weiterer indikativer Kriterien z.B. Läsions-
morphologie, Patientenkomorbidität oder dem Ergebnis einer nicht-invasiven Ischämietestung. In der FAME-
Studie (Patienten mit Mehrgefäßerkrankung) wurde demgegenüber eine FFR ≤ 0,8 als Grenzwert verwendet.
Bei der intravenösen Gabe von Adenosin sollte auf einen ausreichend großen peripheren Zugang geachtet
werden, um Konzentrationsfluktuationen zu vermeiden. Bei der intrakoronaren Applikation in die rechte
Kranzarterie sollte auf imminente AV-Blockierungen geachtet werden. Ein vorbestehender AV-Block II. oder
III.° ist eine Kontraindikation für die Anwendung der Substanz. Koffein oder Theophyllin antagonisieren
bedarfsweise die Wirkung von Adenosin. Da Adenosin auf die Bronchialmuskulatur konstriktorisch wirkt,
sollte es bei Asthmatikern oder Patienten mit chronisch obstruktiver Atemwegs- bzw. Lungenerkrankung
nicht gegeben werden.
Bei der intravenösen Gabe von Adenosin kann es zu einem Abfall des systemischen Blutdrucks um 10–
15% kommen. Ferner kann die Substanz Angina pectoris ähnliche Symptome provozieren, die jedoch nicht
mit einer Ischämiereaktion assoziiert sind und daher als harmlos einzustufen sind.
› Abb. 1.27 und › Abb. 1.28 zeigen die FFR-Messung. In Zusammenschau der Befunde wurde eine Stentimplantation
in die LAD beschlossen (› Abb. 1.29).
Die Bestimmung der FFR ist derzeit nur bei Patienten mit stabiler Angina pectoris indiziert und kann in fol-
genden angiographischen Szenarien hilfreich sein (Kern und Samady 2010):
• U nklares bzw. grenzwertiges Ergebnis der nicht-invasiven Ischämietestung
• M ittelgradige Stenosen
• M ehrgefäßerkrankungen
• S erielle Stenosen (Druckdraht-Rückzugskurven)
• D iffuse Koronargefäßerkrankung
• H auptstammstenosen
• B ypassstenosen
• R e- und Reststenosen.
Bislang hauptsächlich in wissenschaftlichem Kontext werden auch Analysen im Stadium des subakuten Myo-
kardinfarkts durchgeführt.
LITERATUR
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48 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
1 KASUISTIK
Ein 78-jähriger Mann wird vom Notarzt unter der vorläufigen Diagnose „Akutes Koronarsyndrom“ auf die internistische
Notaufnahme gebracht. Seit 3 Stunden besteht anhaltend (auch nach mehrfacher Morphin-Gabe) retrosternaler Druck
verbunden mit Übelkeit. Gemäß Vorbefunden war der Patient zuletzt vor ca. 8 Jahren in der Endokrinologie des Hauses
zur Einstellung des Diabetes; damals unauffälliges EKG und UKG.
Begleiterkrankungen: Metabolisches Syndrom (inkl. IDDM), pAVK vom Unterschenkel-Typ Fontaine Stadium IIa.
sich die EKG-Veränderungen typischerweise in II, III, aVF, bei inferolateraler Beteiligung ebenfalls in V3‑6.
Im Fall einer rechtsventrikulären Beteiligung (z.B. proximale Stenose der rechten Kranzarterie) sind meist
auch EKG-Veränderungen (ST-Hebungen) in den rechtsventrikulären Ableitungen VR3–5 nachweisbar.
Bei einem Infarkt im Gebiet der strikt posterioren Wand („true posterior“, z.B. Stenose am distalen Ramus 1
posterolateralis sinister) finden sich als wegweisende EKG-Befunde ein R/S Verhältnis > 1 in V1 mit hohen
R-Zacken und T-Wellen in V1+2. Diese Veränderungen sind bedingt durch einen Amplituden-Verlust der
retrokardialen Ableitungen in V7–9, die als Gegenspieler zu den Vorderwandableitungen fungieren.
Welche Score-Systeme können Sie zur Vorhersage der operativen Mortalität bei
Patienten mit instabiler koronarer Gefäßerkrankung verwenden?
Hierzu kann der euroSCORE oder Parsonnet-Score benutzt werden (› Kap. 3.9).
Im weiteren stationären Verlauf optimieren Sie die medikamentöse Therapie (› Kap. 1.1) und organisieren eine kardio-
logische Anschluss-Rehabilitation.
Nach 5 Monaten wird der Patient erneut vom Notarzt in Ihre Notaufnahme gebracht. Der Patient gibt progrediente Kurz-
atmigkeit innerhalb der letzten Woche an. In der letzten Nacht konnte der Patient wegen stärkster Luftnot nicht mehr
schlafen. Die O2-Sättigung bei Aufnahme beträgt 85% unter Raumluft.
50 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Der körperliche Untersuchungsbefund lautet: Größe 175 cm, Gewicht 95 kg, BMI 31. Temperatur 36,9 °C. RR
140/75 mmHg, Puls 100/min. Jugularvenenstauung. Periphere und zentrale Zyanose. Cor: unregelmäßig, tachykard,
niederfrequentes 3⁄6-Holosystolikum p.m. linker Sternumrand und Apex mit Fortleitung in die linke Axilla, lauter 2. HT.
1 Pulmo: Vesikuläratmung, in den basalen Lungenabschnitten abgeschwächtes Atemgeräusch, mittel-hochfrequente RG
über den belüfteten Lungenabschnitten beidseits, AF 27/min. Abdomen: Weich, kein Druckschmerz, rege Darmgeräusche
ubiquitär. Deutliche Unterschenkelödeme beidseits.
Der körperliche Untersuchungsbefund und die Anamnese geben einige Hinweise auf eine akute Stauungsin-
suffizienz. Differenzialdiagnostisch muss jedoch auch an andere Ursachen der Symptomatik gedacht werden,
u.a. an Lungenembolie. BNP und NT-pro-BNP haben, als Marker der myokardialen Wandspannung, einen
hohen negativen prädiktiven Wert um eine antizipierte Herzinsuffizienz auszuschließen. Allerdings kann die
Bestimmung in spezifischen Situationen, z.B. bei akutem Myokardinfarkt mit pulmonaler Stauung, negativ
ausfallen.
In der Stratifizierung einer Herzinsuffizienz haben die B-Typ natriuretrischen Peptide ihren festen Stellen-
wert. Wiederholte Werte über 400 pg/ml für das BNP bzw. über 2000 pg/ml für das NT-pro-BNP machen eine
bestehende Herzinsuffizienz wahrscheinlich.
Im EKG zeigt sich tachykarder Sinusrhythmus um 100/min, dabei keine spezifischen Erregungsrückbil-
dungsstörungen, keine eindeutigen Ischämiezeichen.
Befundung: Cor global vergrößert. Hili bds. unscharf. Trachealwinkel vergrößert. Diffuse, rechtsbetonte
grobfleckige Verschattungen. Diffuse, ebenfalls rechtsbetonte Trübung, am ehesten hervorgerufen durch ei-
nen im Liegen nach kranial auslaufenden Erguss. Betonte periphere Gefäßzeichnung. Zusätzliche Infiltrate
können nicht ausgeschlossen werden. Korrekte Lage des ZVK mit Projektion auf den Übergang Vena cava
superior – rechter Vorhof.
Anmerkung: Ein Thoraxbild sollte optimalerweise im Stehen und in zwei Ebenen aufgenommen werden:
dies ist bei schwer kranken Patienten oft nicht möglich. Ebenso sollte darauf geachtet werden, dass die Lun-
genrandwinkel komplett auf dem Bild zu sehen sind.
1.9 Anhaltende Brustschmerzen und Übelkeit 51
Sie erhalten die Ergebnisse der arteriellen BGA unter 8 Liter/min O2-Insufflation
(› Tab. 1.11). Bitte beschreiben und interpretieren Sie diese.
Auswertung: Es zeigt sich eine deutliche metabolische Azidose, die respiratorisch nicht kompensiert ist
(bzw. werden kann). Die O2-Aufnahme ist angesichts der erheblichen nasalen Sauerstoffinsufflation deutlich
zu niedrig.
Interpretation: Trotz einer relativen Hyperventilation (AF von 27/min) besteht ein erhöhter pCO2 und ein
erniedrigter pO2. Auslöser für den erhöhten Atemantrieb kann in diesem Fall ein alveoläres Lungenödem
sein, das eine suffiziente arterielle Oxygenierung und gleichzeitige CO2-Abgabe erschwert. Die deutliche me-
tabolische Azidose ist am ehesten durch die hypoxämische Phase mit konsekutiv insuffizienter Gewebsoxyge-
nierung vor Krankenhausaufnahme verursacht.
Der Patient ist klinisch weiter stark dyspnoeisch, die Extremitäten sind kalt und zyanotisch. Auf die bereits vom Notarzt
applizierten intravenösen Diuretika beginnt der Patient nach kurzer Zeit suffizient auszuscheiden.
52 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Sie betreuen den Patienten auf der Intensivstation weiter. Nach welchen
Kriterien entscheiden Sie, ob der Patient zu beatmen ist?
Um eine Progression der KHK oder Restenosen im Bereich der beiden Stents auszuschließen, müssen Sie rasch eine erneute
Herzkatheteruntersuchung durchführen. Die Katheteruntersuchung würde der Patient in Flachlage ohne Beatmung respirato-
risch nicht tolerieren. Deshalb und aufgrund der progredienten respiratorischen Erschöpfung entschließen Sie sich, den Patien-
ten zu intubieren und zu beatmen. Die korrekte Tubuslage kontrollieren Sie dann später unter Durchleuchtung im Katheterlabor.
Sie erhalten folgende Laborparameter: Kalium 4,0 mmol/l, TnI 0,07 μg/ml (Norm < 0,032 μg/ml), CK im Referenzbe-
reich, Kreatinin 1,4 mg/dl, Harnstoff 69 mg/dl, Glukose 150 mg/dl, Hb 11,6 g/dl, INR 1,4, BNP 3041 ng/l, CRP 7,7 mg/l
(Norm < 5), GGT 115 U/l, GPT und GOT normal.
Sie führen ein UKG durch (› Abb.1.35, › Abb. 1.36): Linksventrikuläre Globalfunktion mittelgradig eingeschränkt,
Hypo-/Akinesie basal-mid posterolateral, sowie der apikalen Vorderwand und des mid-apikalen Septums. Linker Ventrikel
sphärisch erweitert (LVESD 52 mm), LA deutlich vergrößert. Klappen gering sklerosiert. Vorwölbung der Mitralsegel aus
der Klappenebene nach anterior, Restriktion des posterioren Segels durch Achsenabweichung des posterioren Papillarmus-
kels. Im Color Duplex Imaging (CDI) prominente Vena contracta, großes Pendelvolumen mit hoher frühdiastolischer trans-
mitraler Flussgeschwindigkeit, sowie verlangsamter systolischer Pulmonalvenenflussgeschwindigkeit. Deutliche Druckbe-
lastung des rechten Ventrikels mit einem dpmax von 58 mmHg + ZVD über der leicht insuffizienten Trikuspidalklappe.
1.9 Anhaltende Brustschmerzen und Übelkeit 53
Eine organische Mitralklappeninsuffizienz ist denkbar, angesichts fehlender Hinweise in der Anamnese (z.B.
Endokarditis etc.) und blandem UKG vor ca. 10 Jahren jedoch unwahrscheinlich.
1
Herzkatheteruntersuchung: Koronare Dreigefäßerkrankung mit ca. 50% Restenose im Bereich des im Hauptstamm
implantierten Stents. Gutes Ergebnis im Stentbereich des großen Ramus marginalis I. Progression im Bereich der RCA, hier
jetzt hochgradige Stenose.
In der Ventrikulographie zeigt sich jetzt eine hochgradige Mitralklappeninsuffizienz (› Kap. 3.9, ›Tab. 3.10).
Aufgrund der schweren Mitralklappenregurgitation und der koronaren Gefäßerkrankung sollte der Patient
einer kombinierten Bypass- und Mitralklappenersatz- bzw. Rekonstruktions-OP („undersized“ Ring-Anulo-
plastie, evtl. LV-Remodeling) unterzogen werden (› Tab. 1.13). Bis zur Operation muss der Patient inten-
sivmedizinisch überwacht werden. Im Zuge der OP-Vorbereitung ist ein TEE zur exakteren Darstellung der
intrakardialen (Klappen-)Morphologie sinnvoll.
Zusatzinformation: Abseits der operativen Therapiemodalitäten existieren verschiedene Systeme zur per
kutanen Annuloplastie via Koronarsinus oder den transventrikulären Zugang. Diese sind zwar vielverspre-
chend, befinden sich derzeit jedoch noch in klinischer Erprobung (z.B. Viacor, Edwards Monarc-System,
QuantumCor, Mitralign). Auch Mitralclips via transseptalem Zugang sind in klinischer Erprobung. Im aktu-
ellen Fall verweigerte der Patient nach der Rekompensation erneut strikt einen operativen Eingriff (Zeuge
Jehovas, Ablehnung von Erythrozytenkonzentraten). Er wurde deshalb einer perkutanen Annuloplastie mit
einem der o.g. Systeme unterzogen, die RCA gestentet und die Hauptstamm-Restenose mit einem Medika-
menten-beschichteten Ballon behandelt.
LITERATUR:
Levine RA, Schwammenthal E. Ischemic mitral regurgitation on the threshold of a solution: from paradoxes to unifying con-
cepts. Circulation 2005; 112(5): 745–58.
The Task Force for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure 2008 of the European Society of Cardiolo-
gy. ESC guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure 2008. Developed in collaboration
with the Heart Failure Association of the ESC (HFA) and endorsed by the European Society of Intensive Care Medicine
(ESICM). Eur J Heart Fail. 2008; 10(10): 933–89.
The Task Force on the Management of Valvular Heart Disease of the European Society of Cardiology; Vahanian A, Baum-
gartner H, Bax J, Butchart E, Dion R, Filippatos G, Flachskampf F, Hall R, Iung B, Kasprzak J, Nataf P, Tornos P, Torracca
L, Wenink A; Task Force on the Management of Valvular Hearth Disease of the European Society of Cardiology; ESC
Committee for Practice Guidelines. Guidelines on the management of valvular heart disease. Eur Heart J. 2007; 28(2):
230–68.
1.10 Brustschmerzen in Ruhe und bei Belastung 55
KASUISTIK 1
Ein 55-jähriger Mann stellt sich in der Sprechstunde vor. Er klagt über wiederkehrende linksthorakale Schmerzen, die bei
stärkerer Anstrengung auftreten und in die linke Halsseite und den linken Arm ausstrahlen. Einmal seien die Schmerzen
auch nachts aufgetreten mit Ausstrahlung in den Rücken. Bei Auftreten der Beschwerden sei der Blutdruck nicht gemes-
sen worden, er sei aber sonst beim Hausarzt immer normal, eher niedrig gewesen, mit Werten um 110/60–70 mmHg.
Der Patient rauchte seit 40 Jahren 10–20 Zigaretten pro Tag, hat dies wegen der Beschwerden aber vor einer Woche
aufgegeben. Herzkrankheiten in der Familie sind ihm nicht bekannt. Bei der letzten Blutuntersuchung sei das Cholesterin
leicht erhöht gewesen, der Blutzucker normal.
• K oronare Herzerkrankung
• A rterielle Hypertonie
• A ortensyndrom
• R efluxerkrankung
• P ulmonale Erkrankung
• M uskuloskelettale Problematik.
Die körperliche Untersuchung des Patienten (181 cm, 71 kg, RR 100/50 mmHg, Puls 96/min) ergibt keinerlei Auffäl-
ligkeiten.
Labor: Cholesterin gesamt 260 mg/dl, HDL 48 mg/dl, LDL 165 mg/ dl, TG 236 mg/dl; im Normbereich: BB, Gerinnung,
Retentionswerte, Elektrolyte, TSH, TNI.
12-Kanal-EKG in Ruhe (› Abb. 1.37): SR, HF 91/min, Indifferenztyp. Störung der frühen Repolarisation mit erhöhtem
ST-Abgang in den BW-Ableitungen und auch inferior. Rechtsverspätung.
Der EKG-Befund ist schon lange Zeit bekannt und hat sich nicht geändert (der Patient war vor 23 Jahren bereits wegen
subjektiv empfundener Extrasystolie erstmals in der Praxis, vor 10 Jahren wegen einer OP-Vorbereitung, damals war je-
weils kein relevanter pathologischer Befund zu erheben).
Diese Veränderungen wurden lange als prognostisch irrelevant betrachtet. Einzelne Untersuchungen sahen
1 einen Zusammenhang mit erhöhter Vulnerabilität für Kammerflimmern. In einer kürzlich publizierten finni-
schen Langzeit-Studie (Nachbeobachtungsdauer 30 ± 11 Jahre) an 10.864 Patienten zeigte sich allerdings
doch eine etwas erhöhte kardiale Mortalität bei Patienten mit Früh-Repolarisationsstörungen.
Echokardiographie: Herzhöhlen normal dimensioniert, normale globale und regionale LV-Funktion, keine LVH. Aorta
im eingesehenen Bereich normal weit ohne Dissektionsmembran. Klappen unauffällig, keine Druckerhöhung im kleinen
Kreislauf. Kein Perikarderguss. Zusammenfassend: Normalbefund.
Ergometrie (› Abb. 1.38): Stufenweise Belastung bis 150 W, HF-Anstieg von 101 auf 162/min, RR-Anstieg von
100/70 mmHg auf 160/80 mmHg. Abbruch wegen Erschöpfung und Atemnot. Unter Belastung stechende thorakale
Schmerzen, die bis kurz nach Belastungsende anhalten. Im EKG T-Wellen-Abflachung inferior, diskrete aszendierende
ST-Senkung V5/V6.
Der Patient erhält ein Nitrospray zur Testung sowie ASS 100mg/d. Es wird ein Termin zur Stressechokardio-
graphie vereinbart.
Zu diesem Termin erscheint der Patient eine Woche später. Er berichtet, das Nitropräparat habe beim Auftreten von Be-
schwerden prompt gewirkt. Er habe auch nochmals in der Familie nachgefragt und eruiert, dass eine Schwester wegen
Durchblutungsstörungen am Herzen behandelt werde, eine andere Schwester habe eine deutlich eingeschränkte Herz-
funktion (EF 28%). Näheres sei nicht bekannt.
Der Verdacht auf eine koronare Herzerkrankung erhärtet sich. Für eine hochdruckbedingte Symptomatik,
eine Aortenerkrankung oder eine Lungenerkrankung gibt es keine positiven Anhaltspunkte.
Dynamische Stressechokardiographie: Stufenweise Belastung bis 150 W, HF-Anstieg von 93 auf 150/min, RR-An-
stieg von 105/75 mmHg auf 185/80 mmHg. Abbruch wegen Erschöpfung und Atemnot. Unter Belastung stechende
thorakale Schmerzen mit Ausstrahlung in die Schulter links, die bis kurz nach Belastungsende anhalten. Echokardiogra-
phisch angedeutete septal-apikale Hypokinesie unter Belastung (nicht sehr ausgedehnter Befund).
Sie stellen die Indikation zur Koronarangiographie.
Herzkatheter:
Linke Kranzarterie: Keinerlei Stenosen, aber Flussverlangsamung in der peripheren LAD.
Rechte Kranzarterie: Die erste Darstellung zeigt einen langstreckige Verengung mit glatten Konturen (› Abb. 1.39). Es
besteht ein stark verlangsamter Fluss in der Peripherie der RCA. Nach einmaliger intrakoronarer Gabe von Nitroglyzerin
(0,25 mg) ist keinerlei Stenose mehr zu erkennen (› Abb. 1.40).
1.10 Brustschmerzen in Ruhe und bei Belastung 59
Es handelt sich um einen (evtl. auch durch den Katheter induzierten) Koronarspasmus der RCA. In der lin-
ken Kranzarterie könnte man versuchen, durch Gabe von Acetylcholin oder Ergonovin ebenfalls Spasmen
auszulösen. Therapeutische Konsequenzen hätte dies aber keine (wäre aber ein Risiko für den Patienten).
Zusätzlich weist der verlangsamte Kontrastmittelabfluss in LAD und RCA dieses Patienten auf eine mikro-
vaskuläre Dysfunktion hin.
Koronarspasmen können neben Beschwerden im EKG auch mit dem Bild eines ST-Hebungsinfarkts ein-
hergehen. Dies entspricht der klassischen Prinzmetal-Angina.
Es ist nachgewiesen, dass in „spastischen“ Koronararterien ein NO-Defizit besteht, weshalb die Behandlung
mit Nitraten sinnvoll ist. Betroffene Arterien reagieren gegenüber Nitraten überschießend im Vergleich zu
nicht von Spasmen betroffenen Arteriensegmenten beim gleichen Patienten. Ein additiver positiver Effekt
von Statinen zusätzlich zu Nitraten ist nachgewiesen worden. Auch Kalziumantagonisten werden zur Thera-
pie empfohlen, wenngleich die gefäßerweiternde Wirkung in spastischen und nicht spastischen Koronarseg-
menten vergleichbar scheint. Einige Autoren empfehlen Betablocker zu vermeiden, da – analog zum Phäo-
chromozytom – vermehrt Alpharezeptoren durch zirkulierende Katecholamine stimuliert und somit eine
Vasokonstriktion begünstigt werden könnte. Der Alphablocker Prazosin zeigte in einer Studie bei Prinzme-
tal-Angina ebenfalls positive Effekte. Die genannten Substanzen beeinflussen auch die mikrovaskuläre Dys-
funktion positiv.
60 1 Leitsymptom Thoraxschmerz
Der Patient sollte unbedingt permanent auf Nikotin verzichten und regelmäßig Sport treiben, auch im Hin-
1 blick auf die Endotheldysfunktion. Substanzen und Situationen, die Spasmen auslösen können, sollten ver-
mieden werden. Dazu gehören Serotonin und Ergotamin, Katecholaminexzesse, z.B. durch mentalen Stress,
Entzug (z.B. Alkohol), ebenso Hyperventilation und Chemotherapeutika (5-Fluorouracil, Cyclophosphamid).
Auch Magnesiummangel begünstigt Spasmen.
Der Patient sollte auch über mögliche Folgen eines etwaigen Kokainkonsums aufgeklärt werden. Kokain
ist ein potenter Vasokonstriktor und kann bei den Konsumenten zu Brustschmerzen und durchaus auch zu
Herzinfarkten führen. So wurden beispielsweise 2005 in den USA knapp 450.000 Personen kokainbedingt in
Notaufnahmen behandelt. 40% davon gaben Brustschmerzen an. Verschiedene Studien zeigten, dass etwa 6%
der Patienten mit kokainassoziierten Brustschmerzen einen Myokardinfarkt hatten! Bei kokaininduziertem
Infarkt wird die Gabe von Betablockern ausdrücklich nicht empfohlen (Klasse III, AHA 2008), da sie die
Spasmusneigung der Kranzgefäße erhöhen und den myokardialen Blutfluss reduzieren, zudem kommt es zu
einer Blutdrucksteigerung und erhöhten Krampfanfallsneigung.
LITERATUR:
McCord J, Jneid H, Hollander JE, et al. Management of Cocaine-Associated Chest Pain and Myocardial Infarction. A Scienti-
fic Statement From the American Heart Association Acute Cardiac Care Committee of the Council on Clinical Cardiology.
Circulation 2008; 117: 1897–907.
Tikkanen JT, Anttonen O, Juntilla JM, et al. Long-term outcome associated with early repolarization on electrocardiography.
N Engl J Med 2009; 361: 2529–37.
KAPITEL
2 Leitsymptom Herzrasen
2.1 Intermittierendes Herzrasen Marcus Leibig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
KASUISTIK
Ein 64-jähriger Patient bemerkt seit ca. 6 Monaten gelegentlich einen unregelmäßigen Puls, ein Hausarzt hätte mal ein
EKG geschrieben, dabei seien Herzrhythmusstörungen aufgefallen, zuletzt war jedoch wohl alles in Ordnung. Weiterhin
verspüre er bei starker körperlicher Belastung thorakale Druckgefühle. An internistischen Vorerkrankungen ist ein arteri-
eller Hypertonus bekannt, welcher seit 2 Jahren mit Ramipril 5 mg/d behandelt ist. An weiteren kardiovaskulären Risiko-
faktoren besteht ein Nikotinabusus bis vor 5 Jahren (40 py).
Körperlicher Untersuchungsbefund bei Aufnahme: 181 cm Körpergröße, 93 kg Gewicht, Puls 64/min, rhythmisch,
Blutdruck 150/90 mmHg, Herz- und Lungenauskultation unauffällig, keine vitientypischen Geräusche auskultierbar, bei-
derseits Vesikuläratmen, ansonsten unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund.
KASUISTIK
EKG: SR, 76/min, Linkstyp, keine Erregungsrückbildungsstörungen, grenzwertiger Sokolov-Index (S in V1 + R in V5 = 3,5 mV).
Im Herzultraschall zeigte sich eine normale systolische LV-Funktion ohne regionale Kontraktionsstörungen. Es liegt eine
diastolische Funktionsstörung Grad I vor bei geringer LV-Hypertrophie. Der linke Vorhof ist mit 43 mm im Durchmesser
leicht erweitert. Keine Auffälligkeiten der Aorten-, Mitral- und Trikuspidalklappe. Es ist kein Druckgradient über der Tri-
kuspidalklappe nachweisbar. Kein Perikarderguss.
Das Routinelabor ist bis auf eine Hypercholesterinämie (LDL 155 mg%, HDL 37 mg%) unauffällig.
Bei der Fahrradergometrie war der Patient bis 150 Watt (84% der submaximalen Herzfrequenz) belastbar. Der Abbruch-
grund war eine muskuläre Erschöpfung. Bei maximaler Belastung hatte der Patient leichte thorakale Beschwerden und si-
gnifikante ST-Senkungen (0,2 mV) in den Ableitungen V4–V6. Der Herzfrequenzanstieg unter Belastung war physiologisch,
der Blutdruckanstieg pathologisch (max. 220/120 mmHg bei 100 Watt). Es fanden sich keine Herzrhythmusstörungen.
62 2 Leitsymptom Herzrasen
Formal Ischämiereaktion bei diskreter Klinik, Differenzialdiagnose hypertensive Herzerkrankung als Ursa-
che.
260
240 190
220 180
200 170
180 160
160 150
140 140
120 130
100 120
80 110
60 100
40 90
20 80
0 70
60
50
40
9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Zeit
Es zeigt sich eine koronare Herzerkrankung mit einer hochgradigen, medialen LAD-Stenose. Der RCX und
die RKA zeigen nur Wandunregelmäßigkeiten.
Die LAD wird mit einem Stent versorgt. Da es sich um ein dominantes Gefäß handelt, wird trotz des
Durchmessers von 3,5 mm wegen der Stentlänge (23 mm) ein Everolimus-beschichteter Stent implantiert.
CHA2DS2-VASc-Score:
Der früher verwendete CHADS2-Score wurde von dem CHA2DS2-VASc-Score abgelöst, der an einer größeren
Patientenanzahl validiert ist. Im Unterschied zum bisherigen Score wird jetzt ein Alter über 65 Jahre schon
als Risiko mit einem Punkt bewertet, über 75 Jahre mit 2 Punkten. Außerdem werden zusätzliche Punkte
vergeben bei weiblichem Geschlecht und koexistenten Gefäßerkrankungen.
Tab. 2.2 Empfehlung zur Thrombozytenaggregation nach Stentimplantation (nach Bonzel et al. 2008)
Nach BMS 4 Wochen I-A
Nach PCI bei NSTEMI-ACS 12 Monate I-A
Nach PCI bei STEMI-ACS 9–12 Monate IIa-C
Nach DES 6–12 Monate I-C
2.1 Intermittierendes Herzrasen 65
Tripletherapie = OAK (INR = 2,0–2,5), Clopidogrel 75 mg/d, ASS < 100 mg/d.
Letztendlich kann diese Empfehlung durchaus kritisch diskutiert werden, da einige Leitlinien auch für
-limus-beschichtete Stents eine duale Plättchenhemmung für mindestens 6 Monate empfehlen. Einige Auto-
ren empfehlen als Langzeittherapie die orale Antikoagulation in Kombination mit einem Thrombozyten
aggregationshemmer; dies ist nicht ausreichend durch wissenschaftliche Daten abgesichert, daher empfehlen
die Autoren der Leitlinie die alleinige Antikoagulation.
Bei struktureller Herzerkrankung (unser Patient: hypertensive Herzerkrankung, KHE) ergibt sich für Klasse-
1c-Antiarrhythmika ein erhöhtes Risiko für eine medikamentös induzierte ventrikuläre Proarrhythmie.
Auch Sotalol sollte nur mit Vorsicht gegeben werden. Als wenig proarrhythmisch wirksam und daher bei
strukturellen Herzerkrankungen als unbedenklich gilt das Amiodaron, die Therapieeinleitung kann daher
auch ambulant erfolgen.
66 2 Leitsymptom Herzrasen
Amiodaron hat allerdings eine Vielzahl von Nebenwirkungen, daher wird im klinischen Alltag häufig ein
kardioselektiver Betablocker gegeben. In den Leitlinien gibt es hierfür klare Indikationen, zusätzlich haben
kardioselektive Betablocker positive Effekte auf die entsprechenden Begleiterkrankungen des Patienten.
Eine Alternative zu Amiodaron stellt Dronedaron dar. Es handelt sich dabei um ein neues Klasse-III-Anti-
arrhythmikum, das zur gleichen Wirkstofffamilie gehört. Dronedaron enthält keine Jodbestandteile und ist
seit Anfang 2010 für die Behandlung von nicht-permanentem Vorhofflimmern zugelassen.
2
Nennen Sie die Nebenwirkungen von Amiodaron!
LITERATUR
Bonzel T, Erbel R, Hamm CW, et al. Perkutane Koronarinterventionen (PCI). Clin Res Cardiol 2008; 97: 513–47.
Camm AJ, Kirchhof P, Lip GY, et al. Guidelines for the Management of atrial fibrillation. European Heart Journal 2010; 31:
2369–429.
KASUISTIK
Ein 39-jähriger Patient stellt sich in der Notaufnahme mit seit etwa 4 Stunden bestehendem Herzrasen und starkem
Angstgefühl vor. Unter diesen Symptomen leidet er schon mehrere Jahre, allerdings haben die Beschwerden nie so lange
angehalten.
Ein von Ihnen sofort veranlasstes EKG zeigt folgenden Befund (› Abb. 2.5).
Absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern, Herzfrequenz ca. 80/min, Indifferenztyp, unspezifische Erre-
gungsrückbildungsstörungen in II, aVF, V3–V6.
2.2 Plötzliches Herzrasen 67
Aufgrund der unterschiedlichen P-Wellenmorphologie (z.B. in V1) kann es sich nicht um Vorhofflattern han-
deln.
KASUISTIK
Körperlicher Untersuchungsbefund bei Aufnahme: 189 cm Körpergröße, 85 kg Gewicht, Puls 168/min, arrhyth-
misch, Blutdruck 110/70 mmHg, Herztöne rein, keine vitientypischen Geräusche auskultierbar, beiderseits Vesikulär
atmen, ansonsten unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund.
68 2 Leitsymptom Herzrasen
Herzecho, Routinelabor.
Im Herzultraschall zeigte sich eine normale systolische LV-Funktion ohne reg. Kontraktionsstörungen.
Wanddicken normal. Der linke Vorhof ist mit 39 mm im Durchmesser normal groß. Keine Auffälligkeiten
der Aorten-, Mitral- und Trikuspidalklappe. Es ist kein Druckgradient über der Trikuspidalklappe nachweis-
bar. Kein Perikarderguss.
2 Das Routinelabor zeigte keine Auffälligkeiten, insbesondere Troponin, basales TSH und die Elektrolyte
(K+) lagen im Normbereich.
Vorsichtige Frequenzsenkung mit einem Betablocker (z.B. Metoprolol 2,5–5 mg i.v.) oder einem Kalziuman-
tagonisten (Verapamil 5–10 mg i.v.) (bei i.v.-Gabe schnellerer Wirkungseintritt, prinzipiell auch orale Verab-
reichung möglich).
Die Herzfrequenz liegt unter Metoprolol 5 mg i.v. bei ca. 90/min, dem Patienten geht es schon deutlich
besser.
Nein, da er kreislaufstabil ist. Sie verordnen ein niedermolekulares Heparin in Vollwirkdosis (z.B. Enoxapa-
rin 2 × 80 mg) und Metoprolosuccinat 47,5 mg 2 × tägl. und bitten den Patienten, sich am nächsten Tag
nochmals vorzustellen.
Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit einer spontanen Konversion in den
Sinusrhythmus ein?
Ca. zwei Drittel der Patienten mit neu aufgetretenem Vorhofflimmern konvertiert innerhalb von 72 Stunden
in den Sinusrhythmus.
Ihr Patient stellt sich am nächsten Morgen vor und hat weiterhin Vorhofflimmern.
Sie besprechen mit ihm die Kardioversion für den nächsten Tag. Halten Sie eine
transösophageale Echokardiographie zum Ausschluss von Vorhofthromben für
sinnvoll?
Nach den Leitlinien ist eine Kardioversion bei Vorhofflimmern innerhalb von 48 Stunden ohne den echokar-
diographischen Ausschluss von Thromben gerechtfertigt, daher in unserem Fall nicht notwendig.
2.2 Plötzliches Herzrasen 69
Ihr Patient ist am nächsten Tag spontan in den Sinusrhythmus konvertiert, eine
medikamentöse Rezidivprophylaxe möchte er aber nicht einnehmen. Was raten
Sie ihm?
• Nach den Empfehlungen des CHA2DS2-VASc-Score (unser Patient hat einen Score von 0) sollte er täglich
ASS 75–325 mg einnehmen, alternativ kann auf eine antithrombotische Therapie verzichtet werden
(Camm et al. 2010).
• Wenn die Arrhythmie länger als 24 Stunden anhält, sollte eine umgehende ärztliche Vorstellung erfolgen, 2
um das 48-Stunden-Fenster der Kardioversionsmöglichkeit ohne Antikoagulation nicht zu verpassen.
• Da die Rhythmusstörungen bei diesem Patienten nur selten auftreten, ist eine „Pill in the pocket“-Thera-
pie gerechtfertigt.
Diese Therapie ist für Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern (Dauer < 7 Tage) geeignet, die keine
häufigen Episoden, d.h. maximal 2–3 pro Monat, haben. Die Erfolgsaussicht beträgt nach den heutigen Er-
fahrungen ca. 90%. Patienten mit weniger als 70 kg Körpergewicht nehmen 200 mg Flecainid oder 450 mg
Propafenon, Patienten über 70 kg Körpergewicht 300 mg Flecainid oder 600 mg Propafenon, sobald Vorhof-
flimmern auftritt.
Die Erstdosis muss unter Monitorüberwachung verabreicht werden, um proarrhythmische Effekte auszu-
schließen.
Ausschlusskriterien sind eine bekannte koronare Herzerkrankung, eine dilatative oder hypertrophe Kar-
diomyopathie, eine Herzinsuffizienz in der Vorgeschichte, Herzklappenerkrankungen, ein verlängertes QT-
Intervall, Bradykardien, Präexzitationssyndrome und höhergradige AV-Blockierungen.
KASUISTIK
Der Patient stellt sich ca. 9 Monate nach erfolgter Therapieeinleitung erneut vor. Er berichtet, dass die Häufigkeit der
Tachykardien inzwischen zunimmt. Vor einer Woche habe er über zwei Tage Vorhofflimmern verspürt, die „Pill in the
Pocket“-Therapie hat keinen Effekt gezeigt. Er bittet Sie um eine alternative Therapie, wobei er Betablocker aufgrund von
Potenzproblemen ablehnt.
Da die Klasse-Ic-Antiarrythmika versagt haben, wäre Amiodaron oder Dronedaron als Alternative angezeigt.
Der Patient hat sich inzwischen selbst informiert und lehnt die beiden Klasse-III-Antiarrhythmika wegen
den Nebenwirkungen ab. Er hat allerdings etwas von einer Verödungstherapie gehört.
Es konnte gezeigt werden, dass autonome Zentren der Lungenvenen die Auslöser von Vorhofflimmern
darstellen. Durch die Katheterablation werden deshalb die Lungenvenen elektrisch isoliert, man spricht von
der Pulmonalvenenisolation. Die technische Ausführung ist derzeit in der Entwicklung, die Erfolgsraten und
Komplikationen variieren teilweise erheblich in Abhängigkeit von dem jeweiligen Zentrum.
Rezidivraten:
• Bis zu 30% innerhalb von 12 Monaten.
• Bis zu 10% nach einem Jahr.
Komplikationen: in bis zu 6% der Fälle (meist vaskuläre Komplikationen; 1,2% Herzbeuteltamponaden).
70 2 Leitsymptom Herzrasen
„Optimale“ Patienten:
• Symptomatische Patienten (paroxysmal oder persistierend)
• < 70 Jahre alt
• Keine schweren Begleiterkrankungen
• Herzinsuffizienz in Verbindung mit nicht kontrollierbarem Vorhofflimmern
• Durchmesser des linken Vorhofs < 55 mm.
2 KASUISTIK
Ihr Patient entschließt sich zur Ablationsbehandlung. In unserem Zentrum ist eine 4-wöchige Antikoagulation präinter-
ventionell vorgeschrieben. Dieses Vorgehen wird allerdings sehr unterschiedlich gehandhabt, einige Zentren verlangen bei
einem niedrigen CHADS2-Score vor der Ablation ein TEE ohne vorherige Antikoagulation.
Innerhalb von 14 Tagen trat ein Frührezidiv auf. Stellt sich hiermit die Indikation
zur Re-Ablation?
Frührezidive innerhalb der ersten 4 Wochen nach der Ablation sind relativ häufig (bis zu 43%) und stellen
keine Indikation zur Re-Ablation dar, da bei ca. 60% der Patienten mit Frührezidiv in den folgenden Monaten
keine weiteren Rezidive auftreten.
LITERATUR:
Camm Kirchhof P, Lip GY, Schotten U, et al. Guidelines for the management of atrial fibrillation. European Heart Journal
2010; 31: 2369–429.
KASUISTIK
Eine 37-jährige Patientin stellt sich bei Ihnen in der Notaufnahme wegen Herzrasen und Schwindelgefühl vor. Die Frau
berichtet, dass die Symptomatik bereits seit ca. 2 Stunden besteht, gleichzeitig verspüre sie ein unangenehmes Klopfen
im Hals. Die Episode hätte schlagartig, ohne Vorankündigung begonnen. Bisher sei das Herzrasen ca. 5-mal aufgetreten,
dauerte aber jeweils nur wenige Minuten. Wie lange das Problem insgesamt besteht, könne sie nicht so genau sagen,
sicher jedoch nicht länger als zwei Jahre.
Körperlicher Untersuchungsbefund bei Aufnahme: 169 cm Körpergröße, 62 kg Gewicht, Puls 180/min, rhyth-
misch, Blutdruck 90/60 mmHg, Herztöne rein, keine vitientypischen Geräusche auskultierbar, sichtbare Pulsation der Ju-
gularvenen, beiderseits Vesikuläratmen, ansonsten unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund.
Befunden Sie bitte das nachfolgende Ruhe-EKG (25 mm/s) der Patientin bei
Aufnahme (› Abb. 2.6).
Ultraschallkardiographie (UKG) und Stress-Test zum Ausschluss einer strukturellen bzw. koronaren Herzer-
krankung, Routinelabor (Elektrolytentgleisungen, TSH).
Im UKG zeigt sich lediglich eine diastolische Funktionsstörung Grad 1, ansonsten findet sich ein altersentsprechender
Normalbefund.
72 2 Leitsymptom Herzrasen
Aufgrund der ST-Strecken-Senkungen im Ruhe-EKG ist ein Stress-Echo sinnvoll; keine Szintigraphie wegen
der Strahlenbelastung.
Im nachfolgenden Stress-Echo mit Dobutamin-Belastung ergab sich kein Hinweis für eine hämodynamisch relevante ko-
ronare Herzerkrankung.
Sehr wahrscheinlich liegt eine AV-Knoten-Reentrytachykardie vor. Es handelt sich dabei um die häufigste
paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie, die Inzidenz in der Gesamtbevölkerung beträgt ca. 5 : 1000. Die-
se Form der Herzrhythmusstörung wird als benigne betrachtet, allerdings kommen hämodynamische Beein-
trächtigungen bis zur Synkope vor. Für eine pharmakologische Rezidivtherapie eignen sich nur Präparate,
die den AV-Knoten in seinen Überleitungseigenschaften hemmen (z.B. Betablocker, Kalziumantagonisten
vom Verapamil- und Diltiazemtyp etc.). Da die individuelle Wirkung unsicher und eine Langzeittherapie zur
Verhinderung von seltenen Episoden nicht sinnvoll ist, gibt es derzeit keine Empfehlungen, Patienten primär
einer medikamentösen Rezidivprophylaxe zuzuführen.
Abhängig vom Leidensdruck und den hämodynamischen Auswirkungen während der Tachykardie ist eine
elektrophysiologische Untersuchung mit anschließender Radiofrequenzablation zu empfehlen. Vorab sollte die
Patienten allerdings über die potenziellen Risiken sowie die Strahlenbelastung genau aufgeklärt werden. Insbe-
sondere auf die Möglichkeit eines kompletten AV-Blocks bei der Modulation des langsamen Leitungswegs bei
AV-Knoten-Reentrytachykardie mit anschließender Schrittmacherpflichtigkeit in weniger als 3% der Fälle sind
2.3 Herzrasen und Schwindel 73
α β α β α β
Abb. 2.12 Modulation der langsamen Leitungsbahn: Nach Positionierung des Ablationskatheters im inferoposterioren Bereich des
Koch-Dreiecks (Definition: Das Koch‘sche Dreieck beinhaltet den AV-Knoten, es wird nach posterior durch die Todaro-Sehne, nach
medial durch den Ansatz der septalen Segel der Trikuspidalklappe und nach inferior durch das Koronarsinusostium begrenzt) wird
die Energie appliziert. Dabei zeigen sich sog. junktionale Schläge, die für eine erfolgsversprechende Lokalisation der Therapieabga-
be sprechen. Hierbei ist darauf zu achten, dass in den CS-Ableitungen sowohl Vorhof- als auch Kammerpotenziale erscheinen. Falls
dies nicht so ist, muss die Applikation sofort unterbrochen werden, da ein persistierender kompletter AV-Block droht.
KASUISTIK
Über den Notarzt wird ein 61-jähriger Mann in Ihre Notaufnahme eingewiesen. Der Notarzt wurde vom Patienten in den
Morgenstunden zu Hause alarmiert. Herr F. berichtet, dass es vor ca. 1½ Stunden plötzlich zu Luftnot gekommen sei,
76 2 Leitsymptom Herzrasen
zusätzlich sei ihm der Schweiß auf der Stirn gestanden. Ferner habe er einen schnellen Pulsschlag bemerkt.
Aus den Unterlagen des Patienten erfahren Sie, dass Herr F. Träger eines implantierten Defibrillators ist. Der ICD wurde
ohne vorangehende Rhythmusereignisse im Sinne einer Primärprävention bei deutlich reduzierter LV-Funktion und Zu-
stand nach Myokardinfarkt implantiert. Ihre Frage, ob der ICD spürbar reagiert habe, verneint der Patient, an eine Schock
abgabe kann er sich nicht erinnern. Eine Synkope oder einen Sturz verneint Herr F. ebenso.
Vitalparameter bei Eintreffen des Notarztes:
• Blutdruck: 96/65 mm Hg
• Herzfrequenz: 169/min
2 • Atemfrequenz: 16/min
• Blutzucker (Glukose-Stix): 116 mg/dl.
Befund des 12-Kanal-EKGs: Tachykardie mit breitem Kammerkomplex, HF 169/min. Keine Schrittmacher-
aktionen sichtbar. Atypischer Lagetyp (überdrehter Rechtstyp). Möglicherweise p-Wellen.
Die Differenzierung supraventrikulärer Tachykardien (SVT) mit breitem Kammerkomplex von ventri-
kulären Tachykardien ist insgesamt schwierig. In der Literatur sind immer wieder verschiedene Algorith-
men beschrieben worden, um anhand des 12-Kanal-EKGs eine möglichst sichere Unterscheidung zu
treffen.
2.4 ICD und Herzrasen 77
KASUISTIK
Der Patient wurde zwischenzeitlich an einen Monitor angeschlossen, die Vitalparameter sind unverändert. Herr F. ist
orientiert und ansprechbar.
Sie orientieren sich bei Ihrem weiteren Vorgehen am oben gezeigten Schema (› Abb. 2.14).
Sie kommen zu dem Schluss, dass der Patient noch hämodynamisch stabil genug ist, um auf eine sofortige
externe Kardioversion zu verzichten. Da der Patient ICD-Träger ist, bitten Sie einen Kollegen mit Erfahrung
in der Nachsorge von ICD-Aggregaten um Hilfe. Der Kollege ist wenige Minuten später mit einem Program-
miergerät vor Ort, um eine manuelle Überstimulation der laufenden VT durchzuführen.
KASUISTIK
Befund der ICD-Abfrage und Überstimulation: Im Speicher des ICD finden sich multiple Episoden einer langsamen
VT meist knapp an der unteren programmierten Detektionsgrenze v. 170/min (Monitorzone). Regelrechte Stimulations-
und Wahrnehmungsfunktion. Gute Reiz- und Wahrnehmungsschwellen, unauffällige Impedanz beider Sonden. Kammer-
frequenz > Vorhoffrequenz, damit VT bewiesen. Nach Absenkung der VT-Zone auf 160/min gelingt eine Terminierung der
VT mittels Überstimulation.
Nachdem Ihr Kollege die Tachykardie beenden konnte, ordnen Sie zur Dokumentation ein erneutes EKG an.
78 2 Leitsymptom Herzrasen
KASUISTIK
Sie erkundigen sich nach den Laborwerten.
Laborwerte:
Serumchemie
Natrium mmol/l 135−145 140
Kalium mmol/l 3,5−5,0 3,9
Blutzucker mg/dl 70−115 154
Kreatinin mg/dl 0,5−1,2 0,6
Kalzium (EW-korr.) mmol/l 2,15–2,60 2,23
Magnesium mmol/l 0,70−1,20 0,7
C-reakt. Protein mg/dl < 0,50 0,33
Eiweiß, gesamt g/dl 6,0 − 8,5 7,2
GOT [AST] (37°) U/l < 40 24
GPT [ALT] (37°) U/l < 45 28
Gamma-GT (37°) U/l < 55 30
LDH (37°) U/l < 250 212
CK-gesamt (37°) U/l < 180 64
CK-MB-Aktivität (37°) U/l < 15 entf.
2.4 ICD und Herzrasen 79
Sie bitten den in der Notaufnahme tätigen PJ-Studenten, per Fax Unterlagen über frühere Krankenhausaufenthalte und
Diagnosen des Patienten anzufordern. Nach kurzer Zeit erhalten Sie folgende Informationen:
Diagnosen:
• Koronare Dreigefäßerkrankung mit reduzierter LV-Funktion bei ischämischer Kardiomyopathie (EF 29%)
– Hinterwandinfarkt vor 10 Jahren
– Z. n. mehrfacher Koronarintervention mittels PTCA/Stentimplantation, letzter Herzkatheter vor 2 Monaten ohne
Hinweis auf Progression der bekannten KHK, kein Interventionsbedarf
– Z. n. Implantation eines ICD (Zweikammeraggregat) vor einem Jahr (Primärprävention)
• Arterielle Hypertonie (essenziell)
• Hypercholesterinämie
• Z. n. langjährigem Nikotinabusus
• Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (Stadium GOLD II).
Sie erhalten auch Kopien eines früheren EKGs des Patienten. Es sind keine wegweisenden Änderungen festzustellen.
Da der Patient eine bekannte KHK hat, denken Sie über ein invasives Vorgehen
(erneute Koronarangiographie) nach. Wie entscheiden Sie sich? Bitte begründen
Sie Ihre Entscheidung!
Sie entscheiden sich zunächst gegen die Durchführung einer Koronarangiographie. Mehrere Faktoren spie-
len eine Rolle für Ihre Entscheidung:
• Herr F. ist derzeit beschwerdefrei. Das EKG zeigt im Vergleich zu älteren Aufzeichnungen keine Ände-
rungen.
• Die kürzlich durchgeführte Herzkatheteruntersuchung ergab keinen Interventionsbedarf.
• Das aktuelle Labor zeigt keinerlei Hinweise für eine akute Koronarischämie, obwohl die Tachykardie des
Patienten für mindestens 1½ Stunden mit einer hohen Kammerfrequenz anhielt.
Sie entscheiden sich dennoch, Ihren Patienten zur weiteren Beobachtung stationär aufzunehmen zur Opti-
mierung der Medikation und Ischämiediagnostik.
KASUISTIK
Aktuelle Medikation bei Entlassung:
ASS 100 mg 1-0-0
Clopidogrelhydrogensulfat 75 mg 1-0-0
Ramipril 5 mg 1-0-0
Spironolacton 25 mg 1-0-0
Torasemid 20 mg 1-0-0
Simvastatin 20 mg 0-0-1
Bisoprolol 5 mg 1-0-1
Thiotropiumbromid 18 μg 1-0-0 (per inhalationem)
Budesonid/Formoterol 320/9 μg 1-0-1 (per inhalationem)
80 2 Leitsymptom Herzrasen
KASUISTIK
Sie haben Nachtdienst. Über den Notarzt wird gegen 22:30 Uhr ein 59-jähriger Mann (Schauspieler) in Ihre Notaufnahme
eingewiesen („chest pain“). Der Notarzt wurde vom Sicherheitsdienst des Theaters alarmiert. Der Notarzt berichtet, dass
er den Patienten kaltschweißig und präkollaptisch im Sitzen vorgefunden hat. Sie erfahren weiter, dass der Patient auf
der Bühne bei starker körperlicher Anstrengung über starkes thorakales Engegefühl geklagt hat und kollabierte. Das
Einsatzteam konnte eine schnelle, regelmäßige Tachykardie (HF 260/min) mittels 3-Kanal-EKG dokumentieren. Der Not-
arzt berichtet weiter, dass er die Arrhythmie mittels Vagusmanöver terminieren konnte und dann „Sinusrhythmus“ doku-
mentiert werden konnte, was Sie zunächst stutzig macht, als Sie einen ersten Blick auf das EKG werfen. Dem Notarztpro-
tokoll können Sie entnehmen, dass der Patient u. a. bereits mit ASS (500 mg i.v.), Clopidogrel (600 mg p.o.) und Heparin
(5.000 IE i.v.) behandelt wurde.
Nachdem die Arrhythmie scheinbar terminiert worden war, wurde folgender EKG-Streifen aufgezeichnet:.
KASUISTIK
Nachdem Blut abgenommen wurde, wenden Sie sich an den Patienten, um eine erste Anamnese zu erheben. Herr S.
berichtet, dass er bereits seit Jahren an Herzrhythmusstörungen leidet. Sein Hausarzt habe ihm auch einmal einen Beta-
blocker verschrieben. Er habe das Medikament aber nicht regelmäßig eingenommen. Das Gefühl von Brustenge und
-brennen kennt Herr S. auch schon länger, aber eigentlich immer nur in Zusammenhang mit einem schnellen Pulsschlag,
dieser sei oft regelmäßig schnell („Herzrasen“) oder auch als „Herzstolpern“ zu verspüren. Eine Herzerkrankung sei nicht
2.5 Herzrasen und Kollaps 81
Abb. 2.16 Befund des 3-Kanal-EKGs: Tachykardie mit breitem Kammerkomplex, HF 260/min. Keine eindeutigen P-Wellen
sichtbar.
Abb. 2.17 Befund des 2-Kanal-EKGs: Vorhofflattern mit negativen P-Wellen und 2:1-Überleitung. HF 130/min.
bekannt. Herr S. berichtet Ihnen aber einen erheblichen Alkoholkonsum von 6–7 Bier pro Tag und dazu auch Schnaps. In
den letzten Tagen habe er noch mehr getrunken als sonst und dabei auch vermehrt Rhythmusstörungen bemerkt. Mo-
mentan sei er beschwerdefrei.
Vitalparameter bei Eintreffen des Notarztes:
• Blutdruck: 159/96 mmHg
• Herzfrequenz: 79/min
• Atemfrequenz: 16/min
• Blutzucker (Glukose-Stix): 96 mg/dl
Welche Diagnosen können Sie bei Ihrem Patienten aus den bislang vorliegenden
Befunden stellen?
Die antiarrhythmische Therapie ist im Vergleich zur Katheterablation mit einer deutlich geringeren Erfolgs-
rate verbunden. Das Risiko eines iatrogenen AV-Blocks wird mit ca. 0,5–1% angegeben (Natale et al. 2000,
Spector et al. 2009).
LITERATUR
Natale A, Newby KH, Pisanó E, et al. Prospective randomized comparison of antiarrhythmic therapy versus first-line radio-
frequency ablation in patients with atrial flutter. J Am Coll Cardiol. 2000; 35(7): 1898–904.
Spector P, Reynolds MR, Calkins H, et al. Meta-Analysis of Ablation of Atrial Flutter and Supraventricular Tachycardia. Am J
Cardiol 2009; 104: 671–77 2
KAPITEL
3.1
3 Leitsymptom Dyspnoe,
Leistungsschwäche
Terminale Herzinsuffizienz Hae-Young Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
3.19 Progrediente Dyspnoe, Angina pectoris und Schwindel Andreas König . . . . . . . . . . . . . 185
KASUISTIK
Anamnese: Bei einem 48-jährigen Patienten ist seit ca. 5 Jahren eine dilatative Kardiomyopathie (DCM) bekannt. Der
Patient hat bereits einen CRT-ICD erhalten. Die klinische Situation hat sich rasch verschlechtert mit Dyspnoe bei NYHA-
Stufe III‑(IV), therapierefraktären Ödemen und nächtlicher Orthopnoe. Zusätzlich kommt es wiederholt zu ventrikulären
Tachykardien, die zwar erfolgreich durch den ICD terminiert werden, aber die Lebensqualität deutlich beeinträchtigen. Der
Patient wird zur Therapieoptimierung in einer Herzinsuffizienz-Spezialambulanz vorgestellt. Ansonsten bestehen keine
internistischen Vorerkrankungen. Der Patient ist verheiratet, hat 2 Kinder und ist von Beruf Steuerberater.
Körperliche Untersuchung: Leicht reduzierter Ernährungszustand (BMI 19,5 kg/m2), reduzierter Allgemeinzustand. Haut-
kolorit blass. Halsvenen deutlich gestaut. Prominente V-Welle als Hinweis auf relevante Trikuspidalinsuffizienz. Blutdruck
3 85/60 mmHg. Pulmo: vesikuläres Atemgeräusch, basale feinblasige RG bds. Puls 95/min. Herztöne rhythmisch, zahlreiche
Extrasystolen. Bandförmiges Holosystolikum über Mitralis mit Fortleitung in die Axilla. 3. Herzton. Abdomen: weich, Darm-
geräusche über allen vier Quadranten regelrecht. Leichte Unterschenkelödeme bds. Peripherer Pulsstatus unauffällig.
• R outine-Labor inklusive: Blutbild, Fe, Ferritin (Frage nach Anämie?), Na, K, Kreatinin, Harnstoff (Nie-
reninsuffizienz?), Leberwerte, (pro-)BNP, TSH, INR
• E KG: Relevante Brady- oder Tachykardien, Vorhofflimmern, Kammerkomplexbreite?
• E chokardiographie: Ventrikel- und Vorhofgrößen, Thromben, Klappeninsuffizienzen, Asynchronie?
• R öntgen-Thorax: Herzgröße, Stauungszeichen, Ergüsse, Infiltrate?
• I CD/CRT-Kontrolle: Herzfrequenzprofil, atriale oder ventrikuläre Tachykardien, ICD-Therapien (in der
fast-VT oder VF-Zone)?
KASUISTIK
Folgende Laborwerte wurden bestimmt: pro-BNP: 9735 pg/ml erhöht (Norm bis 180 pg/ml), alle übrigen Werte normal.
Welchen Stellenwert hat der Biomarker BNP/pro-BNP bei der Diagnostik und
Therapiesteuerung bei chronischer Herzinsuffizienz?
Die außerordentliche Rolle von BNP/pro-BNP bei der Erstdiagnostik der akuten oder chronischen Herzinsuf-
fizienz ist allgemein akzeptiert und wurde in den aktuellen Leitlinien als ein Standbein der Diagnostik imple-
mentiert. Ein erhöhtes BNP/pro-BNP scheint auch ein Prognosemarker zu sein. Allerdings ist eine Therapie-
führung bei chronisch herzinsuffizienten Patienten anhand der BNP/pro-BNP-Werte bisher nicht ausrei-
chend etabliert und evaluiert.
3.1 Terminale Herzinsuffizienz 89
KASUISTIK
Echokardiographie: Die Untersuchung zeigt einen außerordentlich vergrößerten linken Ventrikel mit einer LVEDD von
82 mm und einer LVEF von 12%. Es besteht eine mäßige Mitral- sowie eine schwere Trikuspidalinsuffizienz (PA-Druck
50 mmHg).
Über die Norm vergrößertes Herz. Keine Stauungszeichen. Kein umschriebenes Infiltrat abgrenzbar, keine
wesentlichen Ergüsse. CRT-ICD in situ mit 3 Sonden in RA, RV sowie posterolateraler Koronarvene.
• A
CE-Hemmer: Prognoseverbessernd, Basistherapie der Herzinsuffizienz. Bei unbehandelten Patienten
wird die Pharmakotherapie üblicherweise mit dem ACE-Hemmer begonnen (der Beginn mit dem Beta-
blocker Bisoprolol ist nach der CIBIS-III-Studie nicht nachteilig). Empfohlene Zieldosen sollten angestrebt
werden. Nebenwirkungen: Reizhusten, Übelkeit, Hyperkaliämie, Agranulozytose, Angioödem, Hypotonie,
Kreatininanstieg.
• A ngiotensin-II-Rezeptor-Blocker (ARB): Prognoseverbessernd. Die Head-to-head-Studien zur Therapie
der chronischen Herzinsuffizienz zeigten keine Überlegenheit der ARB gegenüber den ACE-Hemmern.
Die ARB gelten jedoch als gleichwertige Alternative bei ACE-Hemmer-Unverträglichkeit. Bestimmte
ARB sind für die Therapie der chronischen Herzinsuffizienz ebenfalls zugelassen (Losartan, Valsartan,
Candesartan). Wichtige Nebenwirkungen: Hyperkaliämie, Übelkeit, Hypotonie, Kreatininanstieg
• B etablocker: Nur die Substanzen Metoprololsuccinat, Bisoprolol und Carvedilol sind prognoseverbes-
sernd und gleichwertig einzusetzen. Nebivolol wird nur in Europa vertrieben, in der Indikation Herzin-
suffizienz wurde die prognoseverbessernde Wirkung der Substanz nur bei älteren Patienten (≥ 70 J.)
überprüft. Metoprololsuccinat sollte gegenüber Metoprololtartrat aufgrund besserer Wirkung bevorzugt
werden. Die günstigen Wirkungen der Betablocker setzen meist nach mehreren Wochen ein. Wichtige
Nebenwirkungen: Bradykardien, AV-Blockierungen, Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit,
Bronchospasmus, Raynaud-Symptomatik, Verschlechterung einer Psoriasis, Hypotonie.
• D ie Kombination ACE-Hemmer oder ARB mit einem der genannten Betablocker wird aus prognosti-
schen Gründen empfohlen. Bei Betablockerunverträglichkeit sollte bei fortgeschrittener, symptomati-
scher Herzinsuffizienz (NYHA III–IV) der ACE-Hemmer oder der ARB eher mit einem Aldosteronant
agonisten kombiniert werden (Klasse-IB-Empfehlung). Eine Dreifachkombination ACE-Hemmer, ARB
und Aldosteronantagonist ist aufgrund der Gefahr einer Hyperkaliämie potenziell gefährlich.
3.1 Terminale Herzinsuffizienz 91
Tab. 3.1 Therapie der chronischen Herzinsuffizienz (DGK 2005, die Basistherapie wurde in den neuen Leitlinien
der AHA/ACC von 2009 bzw. der ESC von 2008 nicht geändert)
Medikament Asymptomatische NYHA II NYHA III NYHA IV
LV-Dysfunktion/
NYHA I
ACE-Hemmer indiziert indiziert indiziert indiziert
Betablocker (ohne • nach Myokardin- indiziert* indiziert* indiziert*
ISA) farkt
• bei Hypertonie
Diurektika
Thiazide bei Hypertonie bei Flüssigkeitsretention • indiziert • indiziert
oder ehemals vorgelege- • zur Potenzierung der • zur Potenzierungder 3
ner Flüssigkeitsretention Schleifendiuretika Schleifendiuretika
Schleifendiuretika - bei Flüssigkeitsretention indiziert indiziert
oder ehemals vorgele-
gener Flüssigkeitsreten-
tion
Aldosteron- nach Myokardinfarkt nach Myokardinfarkt indiziert indiziert
Antagonisten
AT1-Rezeptor-Blocker bei ACE-Hemmer-In- bei ACE-Hemmer-Into- bei ACE-Hemmer-Into- bei ACE-Hemmer-Into-
toleranz leranz leranz leranz
Herzglykoside bei tachysystoli- • bei tachysystolischem indiziert** indiziert**
schem Vorhofflim- Vorhofflimmern
mern • im Sinusrhythmus
nach Besserung
schwerer Symptoma-
tik**
ISA = intrinsische Aktivität
* nur bei stabilen Patienten, langsam einschleichend unter engmaschiger Kontrolle
** mit niedrigen Zielserumspiegeln
• A
ldosteron-Antagonisten: Prognoseverbessernd. Spironolacton wurde bei Patienten mit fortgeschritte-
ner Herzinsuffizienz (NYHA III–IV) untersucht, während die Wirkung des selektiven Aldosteronantago-
nisten Eplerenon an Postinfarktpatienten mit eher leichter Herzinsuffizienz überprüft wurde. Eine Kom-
binationstherapie mit ACEH bzw. ARB mit Aldosteronantagonisten erhöht das Risiko für Hyperkali
ämien. Von einer Dreier-Kombination ACEH, ARB und Aldosteronantagonisten wird wegen Gefahr einer
Hyperkaliämie abgeraten. Wichtige Nebenwirkungen: Hyperkaliämie, Hyponatriämie, Gynäkomastie
(nur Spironolacton, nicht für Eplerenon).
• D
igoxin: Symptomatische Therapie. Für Digoxin gibt es lediglich eine randomisierte Studie, weswegen
die Evidenzstufe im Jahr 2005 von I auf IIa–B zurückgestuft wurde. Die Empfehlung gilt eher für Patien-
ten auf NYHA Stufe III–IV. Bei der Herzinsuffizienztherapie und Sinusrhythmus wird eher ein niedrig
normaler Plasmaspiegel empfohlen. Unabhängig von der Herzinsuffizienztherapie wird Digoxin zur Fre-
quenzkontrolle bei Vorhofflimmern empfohlen. Wichtige Nebenwirkungen: grundsätzlich jede Form von
Herzrhythmusstörungen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Sehstörungen. Verschiedene
Wechselwirkungen sind zu beachten.
• D
iuretika: Dienen der symptomatischen Behandlung, sind nicht prognoseverbessernd (Ausnahme Aldo
steronantagonisten, s.o.). Die Substanzwahl (Thiazide ± Kaliumsparer, Schleifendiuretika, Kombinations-
therapie als sequenzielle Nephronblockade) wird vom gewünschten Ausmaß der Diurese, der Nieren-
funktion und dem Serum-Kalium mit beeinflusst.
92 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Unser Patient erhält bereits eine vollständige Herzinsuffizienz-Therapie: Bisoprolol 5 mg/Tag, Candesartan
8 mg/Tag, Eplerenon 25 mg/Tag, Torasemid 80 mg/Tag, HCT 25 mg/Tag, sowie Amiodaron 200 mg/Tag.
Die „konventionelle“ Herzinsuffizienz-Therapie erscheint weitgehend erschöpft zu sein. Eine Höherdosie-
rung der Therapie mit Bisoprolol bzw. Candesartan ist wegen Hypotonie nicht realisierbar.
• D
igoxin: Als symptombessernde Therapiemaßnahme könnte Digoxin zusätzlich verordnet werden.
• K
atecholamine bzw. PDE- (Phosphodiesterase-III)-Hemmer: Diese Substanzen sind bei kompensierter
und stabiler Herzinsuffizienz nicht indiziert (Level IIA, ESC 2008).
3 • L evosimendan: Der Kalzium-Sensitizer wäre eine denkbare Option (Level IIA, ESC 2008), z.B. als inter-
mittierende Gabe als experimenteller Therapieversuch. Die sogenannte „Pulstherapie“ mit Levosimendan
wird derzeit im Rahmen einer randomisierten Studie untersucht.
• A
nämie: Zur Behandlung der Anämie bei chronischer Herzinsuffizienz mit Erythropoetin gibt bisher keine
ausreichende Datenlage (Level IIB, ESC 2008). Eine randomisierte Mortalitätsstudie mit Darbopoetin wird
derzeit durchgeführt (RED-HF). Die kürzlich publizierte FAIR-HF-Studie zeigte, dass die intravenöse Gabe
von Eisen eindrucksvoll zu einer Symptombesserung führen kann; Mortalitätsdaten liegen bisher nicht vor.
• A
denosin-A1-Antagonisten, Vasopressin-Rezeptorantagonisten, rekombinantes natriuretisches Pep-
tid Nesitritide: Diese Substanzen werden derzeit für die Behandlung von Patienten mit akut dekompen-
sierter Herzinsuffizienz überprüft und sind klinisch bisher nicht etabliert.
• A
liskiren: Die Rolle dieses Renin-Inhibitors bei der chronisch stabilen Herzinsuffizienz-Therapie wird
derzeit im Rahmen einer randomisierten Studie untersucht.
Herztransplantation (HTx): Diese Option stellt bei diesem Patienten die einzige Vorgehensweise dar, die eine
langfristige Prognose mit guter Lebensqualität ermöglicht.
Sie denken an die HTx als Therapieoption. Welche absoluten und relativen
Kontraindikationen sind für eine potenzielle Listung zu überprüfen?
• T umorerkrankung
• C hronische Infektionserkrankungen
• Technische Limitationen 3
• N otwendigkeit einer kombinierten Herz-Lungen-Transplantation (HLTx?) bei älteren Patienten
• C ompliance des Patienten.
Welche Untersuchungen sind für eine Listung für eine HTx notwendig?
• I nfektionsdiagnostik
• B lutgruppen- und HLA Typisierung
• R uhe-EKG
• S piroergometrie
• E chokardiographie
• G gf. Koronarangiographie
• R echtsherzkatheteruntersuchung
• R öntgen- bzw. CT-Thorax
• A bdomensonographie
• Ö sophago-Gastro-Duodenoskopie mit histologischen Untersuchungen
• G gf. Koloskopie mit histologischen Untersuchungen
• G gf. urologische Untersuchung bei Männern
• G gf. gynäkologische Untersuchung bei Frauen
• H als-Nasen-Ohren-ärztliche Untersuchung mit Röntgen der Nasennebenhöhlen
• Z ahnärztliche Untersuchung
• P sychiatrische Untersuchung.
KASUISTIK
Die Untersuchungen konnten eine Tumorerkrankung oder relevante Infektquellen ausschließen.
Die Rechtskatheteruntersuchung zeigte folgende Parameter (S/D/M): PA: 44/18/27 mmHg, PCW: 25 mmHg RV:
45/12 mmHg, Oxymetrie: zentralvenöse Sättigung: 52%, aortale SAT 96%, CI: 1,80 l/min. Der PCW-Wert wurde durch
die prominente V-Welle eher überschätzt.
94 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Es liegt eine leichtgradige postkapilläre pulmonale Hypertonie vor. Von zentraler Bedeutung ist eine normale
Wood-Einheit (in diesem Fall 1,8). Ab einer Wood-Einheit von 2,5 (–3,0) sollte auch die Reversibilitätsprü-
fung überprüft werden, da ansonsten bei alleiniger HTX ein Rechtsherzversagen des Transplantatherzens
3 droht (fixierte pulmonale Hypertonie). Beträgt die Wood-Einheit mehr als 5,0, oder steigt der transpulmona-
le Gradient auf einen Wert über 16–20 mmHg, liegt eine relative Kontraindikation für eine alleinige HTX vor,
da die Prognose durch ein Rechtsherzversagen des transplantierten Herzens limitiert ist.
Es wurden keine Kontraindikationen für eine HTX gefunden. Der Patient wurde
erfolgreich gelistet und steht auf der Warteliste von Eurotransplant. Kennen Sie
verschiedene Stufen der Dringlichkeit bei der HTX-Listung?
• H
ohe Dringlichkeit (high urgency – HU): Patienten in akut lebensbedrohlicher Situation, sie werden da-
her vorrangig transplantiert. Besondere Begründung notwendig: im Zentrum auf der Intensivstation nach
Ausschöpfung aller alternativer Behandlungsmöglichkeiten (ausgenommen ventrikuläre Unterstützungs-
systeme) trotz hoch dosierter Therapie mit Katecholaminen und Phosphodiesterase-Hemmern nicht re-
kompensierbar mit Zeichen des beginnenden Organversagens.
• D ringlich (urgency – U): Patienten, die aufgrund ihrer Herzerkrankung lebensbedrohlich gefährdet sind
und stationär behandelt werden müssen. Sie werden daher vorrangig vor den elektiven Patienten auf der
Warteliste transplantiert. Es handelt sich jedoch nicht um Patienten, die zur Beobachtung oder mit Low-
dose-Katecholaminen behandelt werden.
• E lektiv (transplantable – T): Diese Patientengruppe erfüllt die Kriterien zur Aufnahme in die Warteliste
zur Herztransplantation, jedoch nicht die Kriterien für die höchste oder die erhöhte Dringlichkeit.
• N icht transplantabel (not transplantable – NT): Bei einem auf der Warteliste geführten Patienten be-
steht vorübergehend eine Kontraindikationen zur Transplantation (z.B. Infekt).
Wenn Sie den Patienten über die HTX aufklären: Wie ist derzeit die Prognose der
Patienten nach HTX?
Nach den Daten des Jahresberichts der International Society for Heart and Lung Transplantation (ISHLT)
aus dem Jahr 2009 beträgt die 1- bzw. 5-Jahres-Überlebensrate bei Patienten, die innerhalb des ISHLT-Regis-
ters im Zeitraum von 2001–2007 transplantiert wurden ca. 90% bzw. 70%.
LITERATUR
Anker SD, Comin Colet J, Filippatos G, et al. Ferric carboxymaltose in patients with heart failure and iron deficiency. N Engl
J Med. 2009; 361(25): 2436–48.
Bekanntmachungen: Richtlinien zur Organtransplantation gemäß § 16 TPG. Dtsch Arztebl 2005; 102(22): A-1615 / B-1355 /
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Hunt SA, Abraham WT, Chin MH, et al. 2009 Focused update incorporated into the ACC/AHA 2005 Guidelines for the Diag-
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3.2 Herztransplantation 95
Heart Association Task Force on Practice Guidelines Developed in Collaboration With the International Society for Heart
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Jessup M, Banner N, Brozena S, et al. Optimal pharmacologic and non-pharmacologic management of cardiac transplant
candidates: approaches to be considered prior to transplant evaluation: International Society for Heart and Lung Trans-
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Leitlinie zur Therapie der chronischen Herzinsuffizienz. Z Kardiol. 2005; 94: 488–509
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http://www.eurotransplant.nl
3.2 Herztransplantation
Hae-Young Sohn
KASUISTIK
Anamnese: Ein 49-jähriger Patient mit terminaler Herzinsuffizienz bei dilatativer Kardiomyopathie (› Kap. 3.1) wurde
erfolgreich herztransplantiert. Der klinische Zustand ist stabil und der Patient frei von Herzinsuffizienzzeichen.
Nennen Sie die gängige Medikation zur Immunsuppression bei Patienten nach
HTX?
Zentrums gemeinsam mit dem Patienten, ob die Immunsuppression zugunsten einer moderneren Substanz
geändert werden soll. Oft limitieren beeinträchtigende Nebenwirkungen die „freie“ Auswahl der Medika-
mente.
Worauf ist bei Patienten mit Immunsuppression zu achten, wenn eine zusätzliche
Medikation notwendig ist oder wenn die Medikation geändert werden soll?
Es sollte unbedingt auf Arzneimittelinteraktionen mit den Immunsuppressiva geachtet werden. Hinweise da-
zu findet man im Beipackzettel oder in den Fachinformationen. Ist ein Einsatz von Substanzen mit potenziellen
Wechselwirkungen nicht zu umgehen, sind engmaschige Überprüfungen der Medikamentenspiegel notwen-
3 dig. Weiterhin können Umstände wie Genuss von Grapefruitsaft oder anhaltende Durchfälle die Aufnahme der
Immunsuppressiva, vor allem der Kalzineurin-Inhibitoren deutlich beeinflussen. Bei gleichzeitiger Anwen-
dung von Allopurinol soll die Dosis von Azathioprin auf ein Viertel der normalen Dosis reduziert werden.
Sie sehen den echokardiographischen Befund des Patienten 6 Wochen nach der
HTX (› Abb. 3.3). Wie interpretieren Sie den Befund?
Man erkennt im Vier-Kammerblick typischerweise deutlich vergrößerte Vorhöfe (Anastomose auf Vorhof
ebene) bei normaler Ventrikelgröße. Ein Perikarderguss ist in den ersten Wochen nach HTX ein häufiger
Befund. In diesem Fall liegt ein ausgeprägter Erguss vor, der nach 12 Monaten vollständig rückläufig war.
Der Patient nach HTX zeigt im Verlauf erneut Symptome einer Herzinsuffizienz.
An welche Differenzialdiagnosen sollten Sie denken?
• Z ugang über die V. jugularis interna oder V. femoralis, meist über eine 9F-Schleuse
• Spezielle flexible Biopsiezange
• E ntnahmen aus dem rechten Ventrikel (apikal–septal)
• M indestens 3‑4 Proben
• H istologische Kriterien: nach der Klassifikation der International Society of Heart and Lung Transplanta-
tion (ISHLT, revidierte Version von 2004).
In den meisten Fällen reicht eine Kortisonstoßtherapie, z.B. Prednisolon 500–1000 mg/d über 3 Tage aus. In
seltenen Fällen der steroidrefraktären Abstoßung kommen zytolytische Antikörper zum Einsatz. Bei V.a. hu-
morale Abstoßung kann als Therapieversuch eine Plasmapherese in Kombination mit einem Antikörper (Ri-
tuximab) durchgeführt werden.
LITERATUR
Cooper LT, Baughman KL, Feldman AM, et al. The role of endomyocardial biopsy in the management of cardiovascular di-
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KASUISTIK
Anamnese: Bei einer 59-jährigen Patientin ist ein CREST-Syndrom bekannt. Sie wird von der rheumatologischen Abtei-
lung in der Kardiologie vorgestellt wegen Leistungsminderung und Kurzatmigkeit bei körperlicher Belastung. Die Be-
schwerden bestehen seit wenigen Monaten und sind langsam progredient. In Ruhe besteht keine Dyspnoe. Die Patientin
3.3 Leistungsminderung bei rheumatologischer Grunderkrankung 99
ist zuletzt auf NYHA-Stufe (II–)III belastbar. Abends bestehen gelegentlich auch Beinödeme. Des Weiteren berichtet sie
über eine schlechte Verdauung mit Meteorismus, zudem Sodbrennen.
Körperliche Untersuchung: Guter EZ und reduzierter AZ. Haut: Teleangiektasien. Schilddrüse unauffällig. Halsvenen
gering gestaut. Pulmo: vesikuläres Atemgeräusch, basale mittelblasige RG bds. Cor: Blutdruck 130/80 mmHg. Puls
80/min. Herztöne rhythmisch, rein, keine vitientypischen Geräusche. Abdomen: gebläht, weich, Darmgeräusche über allen
vier Quadranten regelrecht. Nierenlager nicht klopfschmerzhaft, dezente Unterschenkelödeme bds. Peripherer Pulsstatus
unauffällig.
• H erzinsuffizienz/Kardiomyopathie 3
• K oronare Herzerkrankung
• V itium
• C hronische Lungenembolien
• S trukturelle Lungenerkrankung im Rahmen der Kollagenose
• P ulmonale Hypertonie im Rahmen der Kollagenose
• A nämie.
Neben der kardiologischen Standarddiagnostik ist bei der Patientin zu berücksichtigen, dass sie an einer Kol-
lagenose (CREST) erkrankt ist. Daher sind neben der üblichen kardiologischen Diagnostik erweiterte pneu-
mologische Funktionsuntersuchungen indiziert.
Befunden Sie bitte das nachfolgende Ruhe-EKG (› Abb. 3.6) der Patientin bei
Aufnahme.
Welche echokardiographischen
Parameter können zur Beurteilung von
Rechtsherzbelastung bzw. -insuffizienz
herangezogen werden?
• R V-Größe, RV-Wanddicke
• L V-Exzentrizitätsindex (B-Mode)
• T APSE (Tricuspid Annular Plane Systolic Excur-
sion, M-Mode)
• R V-Wandbewegung mittels Tissue Doppler (Tri-
cuspid Annular Systolic Velocity)
• T EI-Index (auch Myocardial Performance Index). 3
• T yp I: Pulmonalarterielle Hypertonie
• T yp II: Linksherzinsuffizienz-bedingte (pulmonalvenöse) pulmonale Hypertonie
• T yp III: Hypoxie-assoziierte pulmonale Hypertonie
• T yp IV: Pulmonale Hypertonie durch chronische Thrombembolien (CTEPH)
• T yp V: Besondere, sehr seltene Ursachen der pulmonalen Hypertonie.
Es sollte eine Rechtsherzkatheteruntersuchung folgen. Die invasive Diagnostik ist immer noch Standard, um
einerseits die PAH zu sichern und andererseits die weitere Therapieplanung bestimmen zu können.
102 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
KASUISTIK
Rechtsherzkatheter bei der Patientin (S/D/M):
PA: 65/25/44 mmHg. Nach Adenosin i.v. (250 μg/kg/min): PAPm 41 mmHg. PCWm: 9 mmHg. RV: 65/15 mmHg.
CI: 1,80 l/min/m2, WE: 11,8.
Bei Typ-II-pulmonaler Hypertonie: PCW↑, TPG↓, WE↓, PVR↓. Entscheidend ist, dass der PCW bei Links-
herzinsuffizienz erhöht ist. Damit wird der TPG erniedrigt und es errechnet sich ein erniedrigter PVR.
Bei der Differenzierung der prä- und postkapillären Formen der pulmonalen Hypertonie spielt die invasive
Diagnostik eine zentrale Rolle. Anhand der ermittelten Druckwerte wird der Parameter Transpulmonaler Gra-
dient berechnet. Zur Widerstandsberechnung (Wood-Einheit bzw. PVR) wird das Herzzeitvolumen benötigt.
Prinzipiell kommen im klinischen Alltag zwei unterschiedliche Verfahren zum Einsatz. Bei Verwendung des
Swan-Ganz-Einschwemmkatheters wird zur Berechnung des HMV die Thermodilutionsmethode herangezo-
gen. Als Indikator wird eine Flüssigkeit (physiologische Kochsalzlösung oder 5%ige Glukoselösung) mit defi-
nierter
FBk-1sp Temperatur injiziert, die dem Blut0,5
eine bestimmte
Sp. Wärmemenge entzieht. Dadurch werden1,0 im Gefäß
Sp.
distal eine Temperaturabsenkung verursacht, die
68 mm mit Hilfe eines Thermistors, der sich an der Spitze
141des
mm Ka-
theters befindet, registriert werden kann. Die wichtigste Fehlerquelle ist die Tricuspidalinsuffizienz.
V = Injektatvolumen
HZV =
(
V× T T
B I ×K ) TB = Bluttemperatur
TI = Injektattemperatur
ò∆TB × dt
ò DT × dt = Flä he unter der Thermodilutionskurve
B
K = Kalibrierungsffaktor
Beim Fick-Prinzip wird als Indikator „Sauerstoff“, der mittels Blutgasanalyse gemessen wird, verwendet.
Nach diesem Prinzip ist die arteriovenöse Differenz der Sauerstoffmenge gleich der in der Lunge aufgenom-
mene Sauerstoffmenge. Die zur Berechnung
FBk-1sp 0,5 herangezogene
Sp. Sauerstoffaufnahme wird jedoch aus1,0methodi-
Sp.
schen Gründen nicht direkt gemessen (aufwendige
68 mm Spirometrie notwendig), sondern aus Normtabellen
141 mm ent-
nommen.
3
O2 - Aufnahme (ml min )×100
HMV =
a.- v.O2 - Differenz (Vol.%)
Bei der Vasoreagibilitätsprüfung wird überprüft, ob die Gabe eines Vasodilatators eine relevante Senkung des
pulmonalarteriellen Drucks auslöst (› Tab. 3.4). Ist die Vasoreagibilitätsprüfung positiv, wäre prinzipiell
eine Therapie mit hoch dosiertem Kalziumantagonisten indiziert. Die Testung wird bei Patienten mit idiopa-
thischen und hereditären Formen der pulmonalarteriellen Hypertonie empfohlen (Level I-C). Für anderen
Formen der pulmonalen Hypertonie ist die Vasoreagibilitätsprüfung nach den Leitlinien der ESC von 2009
nicht zwingend (Level IIb-C).
Supportive Therapiemaßnahmen:
• S auerstoff-Langzeittherapie: Die Empfehlung richtet sich nach der allgemeinen Leitlinie für die Langzeit-
Sauerstofftherapie (Level I-C).
• A ntikoagulation: Es besteht eine Empfehlung für die idiopathischen und hereditären Formen der pulmonal
arteriellen Hypertonie (Level IIa-C) und für die pulmonale Hypertonie durch chronische Thrombembolien
(Level I-C). Bei Patienten mit assoziierter pulmonaler Hypertonie bestimmt die Grunderkrankung den Indi-
kationslevel (z.B. PAH im Rahmen von Kollagenose: Level IIa-C; PAH im Rahmen einer HIV-Infektion: Level
III-C).
• D iuretika: Sind indiziert bei Patienten mit Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz oder Flüssigkeitsretention
3 (Level I-C).
Medikamentöse Therapie:
• K alzium-Antagonisten: Die Indikation kann überprüft werden bei Patienten mit idiopathischen und he-
reditären Formen der pulmonalarteriellen Hypertonie (Level I-C für NYHA Klasse I‑III). Die hoch dosier-
te Therapie wird allerdings aufgrund Hypotonie schlecht vertragen. Insgesamt ist die Ansprechrate auf
hoch dosierte Kalzium-Antagonisten-Therapie gering.
• D igoxin: Bei Patienten mit Vorhofflimmern zur Frequenzkontrolle (Level IIb-C).
Spezifische medikamentöse Therapie:
• E ndothelinantagonisten: Bosentan, Ambrisentan (Level I-A für NYHA II-III); Sitaxentan wurde 12/2010
wegen Lebertoxizität vom Markt genommen.
• P hosphodiesterase(PDE)-5-Hemmer: Sildenafil (Level I-A für NYHA II‑III), Tadalafil (Level I-B für
NYHA II‑III).
• P rostazyklin: Iloprost inhalativ (Level I-A für NYHA III).
Grundsätzlich wird mit einer Monotherapie begonnen. Bei Progression der Erkrankung kann eine Kombina-
tion der spezifischen Substanzen erwogen werden, auch wenn bisher zur Kombinationstherapie Daten aus
randomisierten Studien fehlen.
Welche Typen der pulmonale Hypertonie sind bisher überprüft für den Einsatz
von Endothelinantagonisten, PDE-5-Hemmer und Prostanoide?
• T yp I (pulmonalarterielle Hypertonie): Die Indikation ist überprüft; es besteht eine Zulassung im Stadium
NYHA II–III (Level I-A).
• T yp II (postkapilläre Hypertonie bei Linksherzerkrankung): Bei Einsatz der Medikation wird eine ver-
mehrte linksventrikuläre Belastung mit Verschlechterung der Hämodynamik vermutet. Bisher liegen je-
doch keine ausreichenden Daten dazu vor. Der Einsatz spezifischer Medikation wird nicht empfohlen
(Level III-C).
• T yp III (Hypoxie-assoziiert): Es wird pathophysiologisch eine vermehrte Shunt-Durchblutung nicht-
ventilierter Lungenareale vermutet (durch Euler-Liljestrand-Mechanismus). Kleinere klinische Studien
zeigen daher eher eine Verschlechterung der Hypoxämie bei COPD-Patienten unter Endothelin-Blocker.
Der Einsatz spezifischer Medikation wird daher nicht empfohlen (Level III-C).
• T yp IV (chronisch thrombembolische Ursache, CTEPH): Bisherige klinische Studien zeigen, dass mögli-
cherweise Endothelinantagonisten bei CTEPH ein Therapieansatz darstellen könnte. Größere randomi-
sierte Studien liegen jedoch nicht vor. Der Einsatz spezifischer Medikation kann bei Patienten, die nicht
für die Pulmonalis-Endarterektomie in Frage kommen, diskutiert werden (Level IIb-C). Die randomisier-
te, kontrollierte BENEFiT-Studie hat bisher nur eine hämodynamische, aber keine funktionelle Besserung
der Patienten unter Bosentan-Therapie nachweisen können.
3.4 Belastungsabhängige Atemnot 105
Die Lebenserwartung bei Typ-I-PAH liegt bei wenigen Jahren. Die Prognose der Patienten mit Kollagenose
wird durch das Auftreten von PAH entscheidend beeinflusst.
Die Lungentransplantation (LTX) ist eine Therapieoption im terminalen Stadium der pulmonalarteriellen
Hypertonie. Der Erfolg der LTX wird deutlich durch eine fortgeschrittene rechtsventrikuläre Insuffizienz ein-
geschränkt, diese gilt als eine relative Kontraindikation für eine alleinige LTX. Grundsätzlich wird eine bilate-
rale LTX angestrebt. Die 5-Jahres-Überlebensrate nach LTX beträgt derzeit nach der letzten Datenauswer- 3
tung der International Society for Heart and Lung Transplantation bei Patienten mit PAH ca. 50–60%.
LITERATUR
Christie JD, Edwards LB, Aurora P, et al. The registry of the international society for heart and lung transplantation: twenty-
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KASUISTIK
Bei einer 57-jährigen Patientin besteht eine belastungsinduzierte Dyspnoe seit mehreren Monaten. Ihnen fällt bei einer
Routineuntersuchung eine große Blutdruckamplitude mit niedrigem diastolischem Druck auf. Bei der Herzauskultation
bemerken Sie ein diastolisches Decrescendogeräusch. Der Blutdruck beträgt 150/60 mmHg, Puls 75/min, regelmäßig. Die
weitere körperliche Untersuchung ist unauffällig; die Patientin gibt sonst keine weiteren Beschwerden an.
Kein Fieber; keine bekannten kardiovaskulären Risikofaktoren.
3
Welche Symptome und Befunde können bei Aortenklappeninsuffizienz erhoben
werden?
• P alpitationen, im weiteren Verlauf Abnahme der Leistungsbreite und Linksherzinsuffizienz mit nächtli-
cher paroxysmaler Dyspnoe, Belastungsdyspnoe, Lungenödem.
• P ulsatorische Phänomene als Folge der großen Blutdruckamplitude: pulssynchrones Dröhnen im Kopf,
sichtbare Pulsationen der Karotiden, sichtbarer Kapillarpuls nach leichtem Druck auf Fingernagel, puls-
synchrones Kopfnicken (Musset).
• H
erzspitzenstoß bei exzentrischer Linkshypertrophie verbreitert und nach unten außen verlagert.
• D
iastolisches Decrescendogeräusch sowie ggf. funktionelles spindelförmiges Systolikum infolge relativer
Aortenklappenstenose und Austin-Flint-Geräusch (rumpelndes spätdiastolisches Geräusch).
• A
typische Thoraxschmerzen, pektanginöse Beschwerden bei subendokardialer Ischämie.
Rhythmusstörungen, Angina pectoris und plötzlicher Herztod sind bei der Aortenklappeninsuffizienz selte-
ner als bei der Aortenklappenstenose.
• R
uhe-EKG: Linkstyp oder überdrehter Linkstyp,
Linkshypertrophiezeichen, unspezifische ST-Stre-
cken-Veränderungen bei lang dauernder Volu-
menbelastung, positiver Sokolow-Lyon-Index,
T-Negativierung in I, aVL, V5, V6.
• R öntgen-Thorax: großer nach links ausladender
linker Ventrikel, Dilatation und Elongation der
Aorta ascendens, prominenter Aortenknopf
(„Schuhform“ des Herzens; › Abb. 3.9, › Abb.
3.10).
• E chokardiographie: Refluxnachweis der Aorten-
insuffizienz mit Farbdoppler, semiquantitative
Einschätzung anhand der Druckhalbwertszeit
(PHT; › Abb. 3.11; › Tab. 3.5), Bestimmung
und Verlauf der LV-Funktion, Dilatation der Aor-
tenwurzel, Morphologie der Klappensegel (Ano-
malien, Verkalkung, endokarditische Vegetatio- Abb. 3.9 Beispiel für eine schwere Aortenklappeninsuffizienz
3.4 Belastungsabhängige Atemnot 107
nen), Abschätzung der Druckverhältnisse im kleinen Kreislauf. Eine bikuspid angelegte Aortenklappe
kann ebenfalls ursächlich für eine Insuffizienz sein (› Abb. 3.11).
• U
KG: Die Aortenwurzel ist gering dilatiert (Aow: 44 mm). Bikuspide Aortenklappe: mäßiger Insuffizienz-
jet (PHT: 253 ms, V. contracta: 6 mm), keine Stenose. RA: normale Größe (visuell beurteilt), LA: gering
vergrößert, RV: gering vergrößert, Wanddicke normal, RV-Funktion normal. LV: gering vergrößert
(LVES: 47 mm, LVED: 63 mm), Wände nicht verdickt. Systolische Globalfunktion noch normal (plani
Abb. 3.10 Röntgen-Thorax unserer Patientin: Allseits über die Norm vergrößertes Herz; Aorta ascendens in der p.a.-Aufnahme
rechts randbildend, Aufweitung des Aortenbogens, die Seitaufnahme zeigt eine Vorverlagerung der ventralen Kontur der A. ascen-
dens; kein umschriebenes Infiltrat, kein Pleuraerguss; Trachea ist mittelständig; prominentes Mediastinum.
Abb. 3.11 Echokardiogramm: Spektrumprofil des Insuffizienzjets mit Druckhalbwertszeit (PHT). Dargestellt wird oben links das
Flussgeschwindigkeitsprofil des Insuffizienzjets über der Aortenklappe mit Analyse über dem linksventrikulären Ausflusstrakt (kon-
tinuierlicher Doppler, 5-Kammerblick) mit der Ermittlung der Druckhalbwertszeit des Insuffizienzjets; diese beträgt > 250 ms. Oben
rechts in der parasternal kurzen Achse die Ansicht auf die bikuspide Aortenklappe.
108 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
metrische EF ~55%). Mitralklappe: Bewegung normal, geringe Insuffizienz, keine Stenose; TK: Bewegung
normal, geringe Insuffizienz, dpmax RV/RA = 27 mmHg.
Wenn nach nicht-invasiver Bildgebung Unklarheit oder eine Diskrepanz zu den klinischen Untersuchungser-
gebnissen besteht, ist eine Darstellung der Aortenwurzel sowie die Messung der linksventrikulären Füllungs-
drücke indiziert (Klasse IB). Vor geplanter Klappenersatzoperation ist eine Koronarangiographie indiziert
bei Patienten mit erhöhtem Risiko für eine koronare Herzerkrankung.
• G
rad I: geringe Kontrastmittelmenge erreicht diastolisch den linksventrikulären Ausflusstrakt und wird
systolisch wieder vollständig ausgeworfen; Regurgitationsfraktion < 20%
• G
rad II: diastolisch Anfärbung des gesamten linken Ventrikels (LV); Regurgitationsfraktion 20–40%
• G
rad III: deutliche Anfärbung des gesamten LV; gleiche Kontrastintensität im LV und in der Aorta; Re-
gurgitationsfraktion 40–60%
• G
rad IV: komplette Anfärbung des gesamten LV während eines Herzzyklus; Kontrastierung im LV inten-
siver als in der Aorta; Regurgitationsfraktion > 60%.
KASUISTIK
Die Verdachtsdiagnose einer Aortenklappeninsuffizienz hat sich damit bestätigt. Es handelt sich jedoch nicht um eine
schwere Aortenklappeninsuffizienz.
Wie gehen Sie weiter vor? Was ist die wahrscheinliche Ätiologie?
Bei akuter Aortenklappeninsuffizienz kommt es zum raschen Anstieg des linksventrikulären enddiastoli-
schen (LV-end) und atrialen Drucks. Aufgrund der fehlenden kompensatorischen Dilatation des linken Ven-
trikels resultiert eine Reduzierung des Schlagvolumens. Eine kompensatorische Tachykardie hält die Pump- 3
leistung aufrecht. Lungenödem und kardiogener Schock sind häufige Komplikationen. Die Annäherung des
LV-end an den diastolischen Aortendruck bzw. den koronaren Perfusionsdruck reduziert die myokardiale
Perfusion mit möglicher kardialer Ischämie.
Bei der chronischen Aortenklappeninsuffizienz resultiert ein vergrößertes Schlagvolumen mit nachfolgen-
der Volumenbelastung des linken Ventrikels. Durch eine Zunahme der Ventrikelcompliance kommt es zunächst
nicht zu einer Erhöhung des Füllungsdrucks. Es entwickelt sich eine kombiniert exzentrische und konzentrische
Linksherzhypertrophie. Die exzentrische Hypertrophie ist von einer Neuordnung myokardialer Muskelfasern
begleitet. Die andauernde systolische Wandbelastung erhöht die kardiale Nachlast (Kombination aus Volumen-
und Druckbelastung). Im Spätstadium kommt es zur Abnahme der Ventrikelcompliance, zum Anstieg des end-
diastolischen Ventrikeldrucks und des endsystolischen Volumens wie oben beschrieben. Bei lang andauernder
Insuffizienz drohen irreversible Myokardschäden. Die systolische LV-Funktion sowie endsystolische Dimension
sind die entscheidenden Prädiktoren für die Prognose und die postoperative Pumpfunktion.
Im Rahmen einer bakteriellen Endokarditis, nach einem Trauma oder bei einer
Aortendissektion Typ A kann es zu einer akuten Aortenklappeninsuffizienz
kommen. Welche Leitbefunde finden Sie dann?
Wann stellen Sie die Indikation zur chirurgischen Therapie (› Abb. 3.12)?
Aorteninsuffizienz
klinisch 6 Monate
UKG: 12 Monate
alle 6 Monate
Klinische Untersuchung,
alle 3 Monate Echokardiographie
alle 12 Monate
ja
Symptome?
3
Symptome
Belastungstest Klasse I
keine Symptome
Aorten-
Re-Evaluierung LV-Funktion?
klappenersatz
ESD > 55 mm
LV-Dimensionen? oder Klasse IIa
EDD > 75 mm
Im Verlauf
progredient
Im Verlauf
stabil
Abb. 3.12 Flussdiagramm für die chronische schwere Aortenklappeninsuffizienz, modifiziert nach ACC/AHA; Kontrollintervalle
(Echokardiographie) sind farblich gekennzeichnet.
• S chwere Aortenklappeninsuffizienz und normale linksventrikuläre Funktion, aber Dilatation des linken
Ventrikels
– endsystolischer Durchmesser > 55 mm, enddiastolisch > 75 mm: Klasse IIA;
– endsystolischer Durchmesser > 50 mm, enddiastolisch > 70 mm: Klasse IIB).
• U
nabhängig vom Schweregrad einer Aortenklappeninsuffizienz mit Dilatation der Aortenwurzel (wg.
Aortendissektion), bei Marfan-Syndrom ab 40–50 mm (Klasse IC),
bikuspide Klappe ab 40–50 mm (Klasse IC),
sonst ab 55 mm (IC).
3.4 Belastungsabhängige Atemnot 111
Wie schätzen Sie die Langzeitprognose bei schwerer symptomatischer AI ein, mit
und ohne Aortenklappenersatz?
Die Fünf-Jahres-Überlebensrate beträgt mit Aortenklappenersatz ca. 85%, ohne Ersatz ca. 40%, die Zehn-
Jahres-Überlebensrate mit Ersatz ca. 80%, ohne Ersatz ca. 30%.
Die Langzeitprognose ist umso besser, je geringer die präoperative linksventrikuläre Dysfunktion und je
jünger die Patienten zum Zeitpunkt des Klappenersatzes sind.
KASUISTIK
Unsere Patientin hat keine schwere AI, somit besteht derzeit keine Indikation für eine OP. Es wird zunächst eine medika-
mentöse Therapie zur Nachlastsenkung mit Vasodilatatoren sowie einem Diuretikum begonnen. Die Patientin war im
weiteren Verlauf asymptomatisch.
Bei Patienten mit einer bikuspiden Aortenklappe und Dilatation der Aortenwurzel oder A. ascendens (> 4 cm) sollten
jährliche Kontrollen durchgeführt werden (UKG, MRT) Klasse I-C.
Echokardiographische Kontrollen werden postoperativ durchgeführt zur Analyse der LV-Dimension und -Funkti-
on sowie Überprüfung der Prothesenfunktion. Die Normalisierung der enddiastolischen Dimensionen postopera-
tiv ist ein Prädiktor für eine Verbesserung der LV-Funktion im Verlauf. Kontrolluntersuchungen können nach in-
itialer Evaluierung nach 6 und 12 Monaten, dann jährlich bei klinischer Beschwerdefreiheit durchgeführt werden.
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112 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
KASUISTIK
Über die Notaufnahme wird ein 65-jähriger Patient stationär aufgenommen. Die Überweisung erfolgt durch den Hausarzt.
Seit ca. 2 Wochen besteht eine belastungsabhängige Atemnot.
Die körperliche Untersuchung zeigt einen Patienten mit normalem EZ und reduziertem AZ, keine Zyanose, kein Ikterus,
Jugularvenendruck gering erhöht, die Herzfrequenz liegt bei 145/min, der Puls ist arrhythmisch, die Atemfrequenz liegt
bei 18/min, RR: 120/85 mmHg, SO2: 95%; bei Auskultation sind die Herztöne rein, 2⁄6-Systolikum über Aorta mit Fortlei-
tung in die Karotiden, Pulmo: basal feuchte RG, kein Giemen.
BGA: SO2: 92%, pO2: 64,8, pCO2: 30,3, pH: 7,44
Labor: kardiale Marker und D-Dimer erhöht.
3
Die belastungsinduzierte Dyspnoe ist das Leitsymptom der Linksherzinsuffizienz (› Tab. 3.6).
• V
.a. Lungenembolie bei erhöhtem D-Dimer
Abb. 3.14 Röntgen-Thorax
114 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
• A kutes Koronarsyndrom nicht sicher ausgeschlossen bei Linksschenkelblock (nicht sicher vorbekannt)
• K ardiale Dekompensation mit beginnendem Lungenödem bei tachykard übergeleitetem Vorhofflimmern.
Bei führender Dyspnoe und fehlender AP wird zunächst ein CT-Thorax mit der Frage Lungenembolie durch-
geführt.
KASUISTIK
Befund CT-Angiographie Pulmonalis: Kein Nachweis einer zentralen oder peripheren Lungenembolie; keine Rechts-
3 herzbelastungszeichen; Pleuraergüsse beidseits, rechts führend (nicht punktionswürdig) mit angrenzenden Verdichtungs-
arealen rechts und Bronchialwandverdickungen/DD initiale Bronchopneumonie rechts/DD Atelektasen; kein Nachweis
von suspekten intrapulmonalen Rundherden oder eines Pneumothorax. Das Herz ist deutlich über die Norm vergrößert,
linksventrikulär konfiguriert; ausgeprägte Verkalkungen der Aortenklappe; die übrige Aorta thoracalis weist nur verein-
zelte kleine harte Plaques auf. Zudem zeigen sich Verkalkungen der LAD und der LCX. Die übrigen großen thorakalen
Gefäße stellen sich regelrecht dar.
Nach Ausschluss einer Lungenembolie und erhöhten kardialen Markern (Troponin) wird bei kardialer Dekompensation
und ACS eine invasive Diagnostik durchgeführt.
3.5 Progrediente Atemnot 115
Was haben Sie an der Lävokardiographie auszusetzen? Die halbtransparenten Blenden sind nicht optimal platziert.
Befund Linksherzkatheter:
• L ävokardiographie: Vergrößerter linker Ventrikel mit global eingeschränkter Funktion (LV-EF: 27%, LV-
end: 18 mmHg); regionale Kontraktionsstörungen anterior und apikal; keine relevante Mitralinsuffizienz.
Es findet sich ein Druckgradient über der Aortenklappe (peak to peak: 15 mmHg).
• K oronarangiographie: Der Hauptstamm ist distal mittelgradig stenosiert, der RIVA ab medial verschlos-
sen. Der RCX ist ostial sowie im Verlauf mehrfach hochgradig stenosiert. Die RKA ist mehrfach mittelgra-
dig stenosiert und versorgt über Kollaterale die distale RIVA als Hinweis für einen chronischen Ver-
schluss.
Die invasive Diagnostik ergibt jetzt eine ischämische Kardiomyopathie sowie einen Druckgradienten über
der Aortenklappe. Die akute kardiale Dekompensation ist am wahrscheinlichsten durch tachykard übergelei-
116 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
tetes Vorhofflimmern verursacht. Daher wird zunächst eine elektrische Kardioversion geplant. Davor soll ei-
ne Echokardiographie einschließlich TEE erfolgen.
KASUISTIK
Befund UKG: Die Aortenwurzel ist normal weit. Aortenklappe: mäßige Insuffizienz (PHT: 335 ms, V. contracta: 6 mm);
Hämodynamik: Vmax = 3,05 m/s, dpmax = 37 mmHg, dpmean = 22 mmHg. RA: normale Größe (visuell beurteilt), LA: gering
vergrößert, RV: normale Größe, Wanddicke normal, RV-Funktion gering eingeschränkt. LV: normale Größe, Wände gering
verdickt. Mäßige systolische Global-Funktionseinschränkung (planimetrische EF ~32%). Mitralklappe: Bewegung normal,
deutliche Insuffizienz (V. contracta: 8 mm), keine Stenose; TK: Bewegung normal, geringe Insuffizienz, dpmax RV/RA=
27 mmHg (› Abb. 3.16).
Abb. 3.16 Oben links dargestellt das Flussgeschwindigkeitsprofil mit Analyse über dem linksventrikulären Ausflusstrakt (kontinuier-
licher Doppler, 5-Kammerblick) sowie rechts die Ermittlung der Druckhalbwertszeit des Insuffizienzjets (cw-Doppler, 5-Kammerblick).
Befund TEE: Keine intrakavitären Thromben im eingesehenen Bereich (LA, LAA, RA, LV). Aortenklappe deutlich verdickt;
Öffnungsbewegung deutlich reduziert. Planimetrie der AK bei tachykarder Kammerfrequenz nicht durchgeführt.
Es besteht nun bei vorliegendem kombinierten Aortenklappenvitium der V.a. eine möglicherweise hochgra-
dige Aortenklappenstenose, die aufgrund der eingeschränkten LV-Funktion hämodynamisch nicht eindeutig
klassifiziert werden kann (Niedrig-Gradient-Aortenklappenstenose). Zunächst ist eine kardiale Rekompen-
sation notwendig.
Nach den Befunden der Echokardiographie kann eine elektrische Kardioversion durchgeführt werden; in
der Folge kann ein Sinusrhythmus installiert werden.
Die hämodynamisch relevante Aortenstenose führt durch Zunahme der Wandspannung im linken Ventrikel
zu einer konzentrischen Hypertrophie. Die reduzierte Compliance des Ventrikels und die Erhöhung des
linksventrikulären enddiastolischen Füllungsdrucks resultiert in einer diastolischen Dysfunktion.
Die vermehrte atriale Kontraktion trägt jetzt entscheidend zur Kammerfüllung bei, zunächst ohne Erhöhung des
mittleren atrialen oder pulmonal-venösen Drucks. Bei einem Ausfall der atrialen Kontraktion, wie z.B. bei Vorhof-
flimmern, kann es daher zu einer plötzlichen klinischen Verschlechterung kommen, wie im vorliegenden Fall.
3.5 Progrediente Atemnot 117
Im Verlauf der Erkrankung kommt es nach Erschöpfung der Kompensationsmechanismen zu einer Gefüge-
dilatation mit Funktionseinschränkung, bedingt durch eine reduzierte Kontraktilität des linken Ventrikels
oder die stark erhöhte Nachlast. Dadurch wird der transvalvuläre Gradient reduziert und die hochgradige
Aortenklappenstenose verkannt.
Die Echokardiographie unter niedrig dosierter Dobutaminstimulation ist hilfreich bei der Entscheidung zum
Aortenklappenersatz bei Patienten mit reduzierter linksventrikulärer Funktion, insbesondere zur Klärung der
Ursache der Funktionseinschränkung (klappenassoziiert oder eigenständige Dilatative Kardiomyopathie). 3
Unter einer Dosierung von Dobutamin bis 20 μg/kg/min kam es nach Studien nicht zu Komplikationen bei
Patienten mit Aortenstenosen. Bei dieser Untersuchung wird die Zunahme des linksventrikulären Schlagvo-
lumens (kontraktile Reserve) sowie des transvalvulären Druckgradienten gemessen.
Kommt es unter erhöhtem Schlagvolumen zu einer Erhöhung des Druckgradienten (fixierte Stenose), so
ist die Aortenstenose ursächlich für die Funktionsverschlechterung und eine OP-Indikation gegeben. Kommt
es hingegen unter erhöhtem Schlagvolumen zu einem Rückgang der Stenose mit größerer Klappenfläche
(Pseudostenose), ist von einer Operation keine Besserung zu erwarten.
Neben der diagnostischen Wertigkeit ermöglicht diese Methode auch eine Risikostratifizierung. Patienten
mit einer guten kontraktilen Reserve (Erhöhung der EF um ca. 20%) haben eine geringere perioperative Mor-
talität. Es besteht überdies bei diesen Patienten die Möglichkeit einer Verbesserung der Pumpfunktion post-
operativ. Bei fehlender kontraktiler Reserve ist offenbar der Myokardschaden irreversibel und das periopera-
tive Risko höher.
Eine weitere Diagnostik der Klappenöffnungsfläche kann durch TEE erfolgen (direkte Planimetrie).
KASUISTIK
Befund Dobutamin-Stressechokardiographie unter 20 μg/kg/min Dobutamin:
Aortenklappe mit hochgradiger Stenose; Klappenöffnungsfläche nach Kontinuitätsgleichung: 0,7 cm2; Steigerung der Vmax
von 3,40 m/s auf 4,50 m/s, des maximalen Gradienten dpmax von 47 mmHg auf 80 mmHg, des mittleren Gradienten
dpmean von 27 mmHg auf 44 mmHg. Im 4-Kammerblick zeigt sich unter Dobutamin eine Normalisierung der Pumpfunkti-
on, lediglich eine geringe Hypokinesie apikoseptal (› Abb. 3.17).
Abb. 3.17 Oben dargestellt das Flussgeschwindigkeitsprofil über der Aortenklappe vor Belastung (links) und nach Gabe von
20 μg/kg/min Dobutamin (rechts). Nach Kardioversion in Sinusrhythmus ist bereits der Ruhegradient über der Aortenklappe ange-
stiegen (Vmax: 3,05 m/s auf 3,42 m/s).
118 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Nach den vorliegenden Ergebnissen geht man aufgrund der Erhöhung des Stenosegrades unter Belas-
tung von einer relevanten Aortenklappenstenose mit linksventrikulärer Funktionseinschränkung aus.
Daneben besteht eine ischämische Kardiomyopathie mit einer schweren koronaren Dreigefäßerkran-
kung.
Mit Dobutamin-Stressechokardiographie konnte eine gute kontraktile Reserve mit deutlicher Verbesse-
rung der Pumpfunktion nachgewiesen werden. Dies stellt auch einen Vitalitätsnachweis für das Myokard,
insbesondere das RIVA-Stromgebiet dar.
Es besteht daher eine Indikation für eine Aortenklappenersatz-Operation sowie eine komplette Bypassver-
sorgung.
LITERATUR:
3 2008 Focused Update Incorporated into the ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients With Valvular Heart
Disease. Circulation 2008 118:e523–e661 (Focus Update).
KASUISTIK
Anamnese: Ein 75-jähriger Mann klagt über zunehmende Dyspnoe unter Belastung. Die Beschwerden traten zuletzt
bereits bei geringer Belastungsstufe (Treppensteigen ins 1. Stockwerk) auf. Anamnestisch besteht lediglich eine langjäh-
rige arterielle Hypertonie die mit Captopril 25 mg 1-0-1 behandelt worden sei.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 176 cm groß, 98 kg schwer, BMI 31,6, RR 155/95 mmHg, Herzfrequenz 88/min,
Herztöne rhythmisch, rein, keine Herzgeräusche. Über den basalen Lungenabschnitten geringe RGs. Der JVD ist erhöht.
Leber palpatorisch nicht beurteilbar bei Adipositas. Keine Beinödeme.
KASUISTIK
Röntgen-Thorax: Das Herz ist gering vergrößert. Keine pneumonietypischen Infiltrate. Diskrete pulmonalvenöse Stau-
ung. Keine Pleuraergüsse.
Lungenfunktionsdiagnostik (Bodyplethysmographie):
VK-Ist 2690 ml VK-Soll 3490 ml (68% vom Soll)
IGV-Ist 4320 ml IGV-Soll 3550 ml (122% vom Soll)
TLC-Ist 6050 ml TLC-Soll 6660 ml (91% vom Soll)
FEV1 1760 ml (60% vom Soll)
RAW 0,17 kPa/l×s (Soll < 0,3 kPa/l×s)
3.6 Dyspnoe bei langjährigem Bluthochdruck 119
Die am häufigsten durchgeführte Lungenfunktionsmessung ist die Spirometrie. Hierbei wird mit einem Fluss-
sensor der Luftstrom beim Atmen gemessen. Neben der Ruheatmung wird bei der Spirometrie eine maximale
Aus- und Einatmung gefordert. Da hierbei ständig die Strömung gemessen wird, lassen sich neben den Strö-
mungswerten wie Peak Flow (engl. peak expiratory flow, PEF) und verschiedenen exspiratorischen Atem-
stromstärken (zum Beispiel maximal expiratory flow, MEF) auch Lungenvolumina wie Vitalkapazität (VC),
exspiratorisches Reservevolumen (ERV) und Ruheatemzugvolumen (VT, auch TV von engl. Tidal Volume)
bestimmen. Die FEV1 (auch Tiffeneau-Test) entspricht dem forcierten exspiratorischen Volumen in einer Se-
kunde – das ist die Luftmenge, die der Patient mit aller Kraft und möglichst schnell innerhalb einer Sekunde
ausatmen kann. Neben den Messwerten wird die Spirometrie auch grafisch dargestellt. Die geläufigste Dar-
stellung ist die Fluss-Volumen-Kurve. Der Fluss des Atemstroms (y-Achse) wird hier nicht gegen die Zeit, 3
sondern gegen das ausgeatmete Volumen (x-Achse) aufgetragen. Mit dieser Darstellung lassen sich besonders
leicht krankhafte Veränderungen sehen. Auch ist die Grafik unerlässlich, um die Mitarbeit des Probanden bei
der Messung zu bewerten.
Eine weitere Methode der Lungenfunktionsmessung ist die Bodyplethysmographie mit der Messung des
Atemwegswiderstands. Das Problem einer Widerstandsmessung der gesamten Atemwege ist, den Luftdruck
in den Lungenbläschen zu bestimmen, der die gemessenen Luftströmung durch die Bronchien auslöst. Je hö-
her dieser in den Lungenbläschen aufgebaute Druck sein muss, um eine bestimmte Strömung zu erzeugen,
desto mehr muss man sich beim Atmen anstrengen und desto höher ist der Atemwegswiderstand (Resis-
tance). Da bei der Bodyplethysmographie das Luftvolumen in der Lunge bestimmt werden kann, sind weitere
Messgrößen möglich, zum Beispiel das maximal mögliche Luftvolumen in der Lunge (TLC) und das nicht
ausatembare Restvolumen der Lunge (RV). Für diese Werte ist es aber notwendig, während der Messung auch
eine Spirometrie durchzuführen. Dies wird in der Regel auch gemacht. Ebenso wird in der Regel auch eine
Blutgasanalyse im hyperämisierten Kapillarblut durchgeführt.
Die Lungenfunktionanalyse mit Spiroergometrie, Bodyplethysmographie und Blutgasanalyse liefert also
Hinweise für das Vorliegen einer obstruktiven oder restriktiven Lungenerkrankung, zu den Lungenvolumina
und zur Oxygenierung des Blutes.
Zusammengefasst ergibt sich bei unserem Patienten zunächst kein Hinweis auf das Vorliegen einer rele-
vanten, die Dyspnoe erklärenden pulmonalen Erkrankung.
EKG: SR, Frequenz 88/Minute, Linkstyp, P= 0,1 Sekunde, PQ = 0,18 Sekunde, QRS-Breite = 0,11 Sekunde, QT Zeit =
0,42 Sekunden. Sokolow-Lyon-Index = 4 mV, der Stromkurvenverlauf zeigt unspezifische Repolarisationsstörungen.
UKG: Normale systolische globale und regionale LV-Funktion. Linker Vorhof deutlich vergrößert, die Ventrikel normal groß.
Deutliche Linkshypertrophie (Septum 15 mm). Mitralanuluskalk. Aortenklappe gering sklerosiert, normal öffnend. Geringe
Trikuspidalklappeninsuffizienz mit Druckgradient von 35 mmHg, E/A = 0,6, Dezelerationszeit (Mitralklappe) 250 ms,
E/E`13.
Belastungs-EKG: Stufenweise Belastung über je zwei Minuten mit 50, 75, und1 Minute 100 Watt. Abbruch bei körper-
licher Erschöpfung und Dyspnoe. Maximale Herzfrequenz 112/Minute, entsprechend 77% vom Sollwert. Maximaler Blut-
druck 230 mmHG systolisch bei max. Belastung. Keine Änderung der vorbestehenden Repolarisationsstörungen.
Kann nach dem Belastungs-EKG eine koronare Herzerkrankung als Ursache der
Dyspnoe ausgeschlossen werden?
Mit einem Belastungs-EKG lässt sich eine koronare Herzerkrankung nie ausschließen! Selbst bei erreichter
Ausbelastungsfrequenz (nur 36% der Patienten erreichen die Ausbelastungsfrequenz) beträgt die Sensitivität
lediglich 68% (› Kap. 8.1, › Kap. 8.2)!
120 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
In unserem Fall dient das Belastungs-EKG zur Dokumentation der Belastbarkeit bis zum Auftreten der Dys-
pnoe und zur Beobachtung des Blutdruckverhaltens!
Kennen Sie Laborwerte, die für die Differenzialdiagnose der Dyspnoe hilfreich
sein können?
3 • D
as C-reaktive Protein (CRP) gibt Hinweise, ob eine entzündliche Erkrankung vorliegt.
• D
as Blutbild liefert ebenfalls Hinweise auf eine Entzündung (Leukozytose), auf ein Asthma bronchiale
(Eosinophilie) oder auf chronische Herz- und Lungenerkrankungen (Polyglobulie) oder eine Anämie.
• D
ie D-Dimere sind bei Lungenembolie erhöht.
• D
as BNP und NT-Pro-BNP sind bei Herzinsufffizienz erhöht (› Kap. 1.9).
• D
as Troponin ist bei Erkrankungen mit Untergang von Kardiomyozyten erhöht. Troponin ist nicht spezi-
fisch für eine Ischämie!
Bei unserem Patienten sind CRP, Blutbild, D-Dimere und Troponin im Normbereich. Das BNP ist mit
800 ng/dl (Norm < 190) deutlich erhöht.
Eine Dyspnoe unter Belastung kann durchaus als Äquivalent einer Angina pectoris angesehen werden. Das
Belastungs-EKG kann wie besprochen nicht zum Ausschluss einer KHK herangezogen werden. Das normale
Troponin schließt (bei zweifacher Bestimmung im Abstand von 6 Stunden) allerdings ein akutes Koronar-
syndrom aus. Da sich durch den deutlich erhöhten Wert für das BNP Hinweise auf eine kardiale Ursache der
Dyspnoe ergeben, haben wird bei unserem Patienten eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt.
Es zeigt sich ventrikulographisch eine normale systolische Kontraktion. LV-EDP 22 mmHg (Norm
< 12 mmHg). Die Aorta ascendens ist visuell gering erweitert und elongiert. Es zeigen sich keine Stenosen an den
Kranzgefäßen. Der Kontrastmittelfluss nach Injektion in das Koronarsystem ist jedoch verzögert (slow flow).
Fasst man die erhobenen Befund zusammen, ergibt sich als Diagnose eine diastolische Herzinsuffizienz im
Stadium NYHA III bei hypertensiver Herzerkrankung.
Der erhöhte BNP-Wert ist ein starker Indikator für das Vorliegen einer Herzinsuffizienz. Bei normaler systo-
lischer Funktion sowohl im Echokardiogramm als auch bei der Herzkatheteruntersuchung ist eine Einschrän-
kung der systolischen Pumpfunktion als Ursache der Herzinsuffizienz ausgeschlossen. Die echokardiographi-
schen Befunde ergeben jedoch Hinweise auf eine diastolische Dysfunktion. Linksherzhypertrophie, elongierte
und erweiterte Aorta ascendens bei der Ventrikulographie, Slow-flow-Phänomen bei der Koronarangiographie
und hypertensive Entgleisung beim Belastungs-EKG stützen die Diagnose einer hypertensiven Herzerkrankung.
Eine Erkrankung der Lunge ist bei normaler Lungenfunktion und bei weitgehend unauffälligem Röntgen-
bild weniger wahrscheinlich.
Als Standard sollten ein ACE-Hemmer, ein Diuretikum und ein Betablocker unter Frequenzkontrolle auch
unter Belastung gegeben werden.
Eine ACE-Hemmer-Medikation mit Captopril ist nicht zu empfehlen. Unter Berücksichtigung der Pharma-
kokinetik müsste Captopril 3- bis 4-mal täglich eingenommen werden, um stabile Wirkstoffspiegel zu erhal-
ten. Dies führt jedoch in aller Regel zu Problemen mit der Compliance. Besser wird hier ein lang wirkender
ACE-Hemmer verordnet (› Tab. 3.7).
Tab. 3.7 ACE-Hemmer-Dosierung bei arterieller Hypertonie und Herzinsuffizienz (mod. nach Fischer und Follath 3
1999). Bei Herzinsuffizienz ist die jeweilige Maximaldosis anzustreben.
Arterielle Hypertonie Herzinsuffizienz
Substanz (mg) ED (mg) D/Tag (mg) Tagesdosis (mg) ED (mg) D/Tag (mg) Tagesdosis (mg)
Benazepril 10–20 1–2 5–40 5–20 1 5–20
Captopril 50 1–3 50–150 50 2–3 18,75–150
Cilazapril 2,5–5 1 2,5–10 1–2,5 1 0,5–5
Enalapril 20 1 5–40 10 1–2 2,5–20
Fosinopril 20 1 10–40 10 1 5–40
Lisinopril 20 1 5–80 10 1–2 5–20
Perindopril 4–8 1 4–8 2–4 1 2–4
Quinapril 20–40 1–2 10–80 10–20 2 5–40
Ramipril 2,5–5 1 2,5–10 2,5–5 1–2 1,25–10
Trandolapril 4 1 2–6 1–4 1 1–4
ED = Erhaltungsdosis; ID = Initialdosis
LITERATUR
Fischler MP, Follath F. Vergleichende Evaluation der ACE-Hemmer: Welche Unterschiede sind relevant? Schweiz Med Wo-
chenschr 1999; 129: 1053–60.
Gianrossi R., R Detrano, D Mulvihill, et al. Exercise-induced ST depression in the diagnosis of coronary artery disease. A me-
ta-analysis. Circulation 1989; 80: 87–98.
KASUISTIK
Eine 63-jährige Patientin wird mit Verdacht auf Progression der bekannten KHK (Z.n. Myokardinfarkt und Dreifach-By-
pass-Operation vor 7 Jahren) bei pathologischer Ergometrie vom betreuenden Hausarzt stationär eingewiesen. Die Pati-
entin klagt über zunehmende Belastungsdyspnoe, belastungsinduzierte Angina pectoris wird verneint. Orthopnoe, sub-
jektiv bemerkte Rhythmusstörungen und Schwindel bestehen nicht. Seit 4 Wochen sei es gelegentlich zu Beinödemen
gekommen. Gewicht wurde nicht kontrolliert.
Kardiovaskuläre Risikofaktoren: Diabetes mellitus Typ 2, Hypercholesterinämie, kein Nikotin, Familienanamnese negativ,
schwer einstellbarer Hypertonus.
122 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Bei der körperlichen Untersuchung beträgt der Blutdruck am rechten Arm 190/110 mmHg, am linken Arm 200/110
mmHg, Frequenz 80/min, Gewicht 90 kg, Größe 164 cm. Pulmonale und kardiale Auskultation sind unauffällig.
In der Laboruntersuchung am Aufnahmetag sind pathologisch: Kreatinin 1,3 mg/dl, Glukose 220 mg/dl, HbA1c 9,0%,
LDL-Cholesterin 180 mg/dl. TpT ist negativ.
Die medikamentöse Therapie besteht aus ASS 100 mg, Enalapril 2 × 40 mg, Metoprolol 2 × 25 mg, HCT 25 mg,
Amlodipin 2 × 2,5 mg, Metformin 2 × 1000 mg, Candesartan 2 × 8 mg.
Fünffach-Kombination bei arterieller Hypertonie, offensichtlich bei nicht ausreichend eingestelltem Blut-
3 druck. Enalapril über die Empfehlung hinausgehend (2 × 20 mg/d) dosiert. Metoprolol sowie Amlodipin sind
noch unterhalb der empfohlenen oberen Tagesdosis. Es findet sich eine Kombination aus ACE- und AT1-
Blockern, die sinnvoll sein kann, allerdings sollte der zusätzliche RR-senkende Effekt dokumentiert und der
Kalium-Spiegel regelmäßig kontrolliert werden (Tripletherapie › Kap. 2.1).
In Einzelfällen sicher möglich, wenn therapeutischer Effekt dokumentiert werden kann, sollten grundsätzlich
aber vermieden werden, da außerhalb der Zulassung.
Es finden sich deszendierende ST-Streckenveränderungen über der Hinter- und Vorderwand, vereinbar mit
z.B. hypertensiver Herzerkrankung.
Z.n. Sternotomie. Global über die Norm vergrößertes Herz. Geringe Verbreiterung des oberen Mediastinums
nach rechts.
KASUISTIK
Die vom Hausarzt mitgegebene Ergometrie zeigt eine eindeutige Zunahme der vorbestehenden ST-Strecken-Senkungen.
Herzkatheter-Untersuchung.
3.7 Belastungsdyspnoe und Angina pectoris 123
KASUISTIK
Man beschließt, zunächst die blutdrucksenkende Behandlung weiter zu optimieren.
In 2 Tagen stationären Aufenthaltes wurden Amlodipin auf 1 × 10 mg sowie Metolprolol auf 2 × 50 mg erhöht. Enalapril
wurde auf 2 × 20 mg reduziert, Candesartan wurde pausiert, darunter jetzt RR-Werte zwischen 150 und 170 mmHg
systolisch. Der klinische Zustand ist deutlich gebessert.
Der Herzultraschall ergab den folgenden Befund:
Es zeigt sich eine deutliche Verdickung des linksventrikulären Septums sowie der posterioren Wand.
KASUISTIK
Am 3. Tag erfolgt die Herzkatheter-Untersuchung mit folgendem Ergebnis:
Die Lävokardiographie zeigt einen normal großen linken Ventrikel mit normaler Funktion, keine relevanten Kontraktions-
störungen, keine relevante Mitralinsuffizienz. Der Füllungsdruck war mit 16 mmHg erhöht. Die linke und die rechte
Herzkranzarterien waren Ostium-nah verschlossen.
Selektive Bypass-Darstellung: ACVB zum Ramus marginalis und zur RKA ohne Stenose, IMA zur LAD unauffällig. Die
mit dargestellten Nierenarterien waren unauffällig.
Im Anschluss an den Herzkatheter klagt der Patient über Kopfschmerzen, die Blutdruckmessung ergab folgende Werte:
240/140 mmHg.
Hypertensive Krise.
• U
rapidil: Mittel der 1. Wahl, initial 12,5 mg i.v.
• A
lternativ: (Nitroglyzerin) Glyzerintrinitrat z.B. 50 mg/50 ml, 0,5–5 ml/h über Perfusor, Clonidin
0,45 mg/ml, Perfusor 2–6 ml/h.
• E nalapril 1,25–2,5 mg i.v.
• M etoprolol 2,5–5 mg i.v.
Woran sollte sich die Therapie der arteriellen Hypertonie neben einer Senkung
der RR-Werte orientieren?
Nur ein geringer Prozentsatz der Patienten mit art. Hypertonie leidet an einer alleinigen Erhöhung der Blut-
druckwerte, die Mehrzahl der Patienten hat weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren.
Arterielle Hypertonie und metabolische Risikofaktoren potenzieren sich gegenseitig, führen also zu einem
kardiovaskulären Risiko, das größer als die Summe der einzelnen Komponenten ist.
3.7 Belastungsdyspnoe und Angina pectoris 127
Risikofaktoren:
• E rhöhter systolischer und diastolischer Blutdruck
• A lter (Männer > 65 J., Frauen > 55 J.)
• R auchen
• H yperlipidämie
– Gesamtcholesterin > 190 mg/dl oder
– LDL-Cholesterin > 115 mg/dl oder
– HDL-Cholesterin < 40 mg/dl (M), < 46 mg/dl (F) oder
– Triglyzeride > 150 mg/dl
• N üchtern-Blutzucker in einem Bereich zwischen 102–125 mg/dl
• P athologischer OGTT
• P athologischer Bauchumfang (> 102 cm [M], > 88 cm [F]) 3
• P ositive Familienanamnese bez. kardiovaskulärer Erkrankungen (M < 55 J., F < 65 J.)
• M anifester Diabetes mellitus.
Routineuntersuchungen:
• N üchtern-Glukose
• G esamtcholesterin
• L DL-Cholesterin
• H DL-Cholesterin
• N üchtern-Triglyzeride
• K alium
• H arnstoff-Stickstoff
• S erumkreatinin
• K reatininclearance
• H ämoglobin und Hämatokrit
• U rin (Stix, Mikroalbumin)
• E KG.
Weitere empfohlene Untersuchungen:
• U KG
• K arotis-Sonographie
• P roteinurie quantitativ (falls Stix positiv)
• K nöchel-Arm-Index
• B eurteilung des Augenhintergrunds
• O GTT
• 2 4-h-Blutdruckmessung.
Somit orientiert sich die Therapie sowohl an der Höhe der systolischen und diastolischen Blutdruckwerte als
auch der Anzahl und Ausprägung weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren (› Tab. 3.9).
Wie gehen Sie bei der Auswahl einer antihypertensiven Therapie vor?
Der Haupteffekt einer antihypertensiven Therapie liegt in der Blutdrucksenkung per se. Fünf große Klassen
an blutdrucksenkenden Medikamenten (Diuretika, Betablocker, Ca-Antagonisten, ACE-Hemmer und An-
128 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
giotensin-Rezeptor-Antagonisten) stehen allein oder in Kombination für die Einleitung und Aufrechterhal-
tung einer antihypertensiven Therapie zur Verfügung.
Seit 2007 hat der direkte Reninhemmer Aliskiren die Zulassung zur Behandlung der arteriellen Hyperto-
nie. Alpha-1-Rezeptorblocker sind ebenfalls weitere Alternativen in der Hypertoniebehandlung.
Je nach Patientencharakteristika und Begleiterkrankungen können verschiedene Gruppen von Antihyper-
tensiva bevorzugt werden (› Tab. 3.10).
Blutdruckeinstellung bei begleitendem Diabetes mellitus nach bisherigen Empfehlungen auf Werte
< 130/80 mmHg. Ein drastischeres Absenken der RR-Werte zeigt nach neueren Studien keine Vorteile.
Optimierung der BZ-Einstellung, Kontrolle der Cholesterin-Werte, Gewichtsreduktion, Kontrolle der Nie-
renfunktion.
3.7 Belastungsdyspnoe und Angina pectoris 129
Tab. 3.10 Auswahl der antihypertensiven Medikation unter Berücksichtigung klinischer Aspekte
Zeichen der Organschädigung
Linksventrikuläre Hypertrophie ACEI, CA, ARA
Asympt. Arteriosklerose CA, ACEI
Mikroalbuminurie ACEI, ARA
Niereninsuffizienz ACEI, ARA
Klinische Ereignisse
Schlaganfall jegliche Blutdruckmedikation
Herzinfarkt BB, ACEI, ARA
Angina pectoris BB, CA
3
Herzinsuffizienz Diuretika, CA, ACEI, ARA, Aldosteron-Antagonisten
Vorhofflimmern ARA, ACEI, BB, CA
Niereninsuffizienz ACEI, ARA, Schleifendiuretika
Periphere Verschlusserkrankung CA
Begleiterkrankungen
Isolierte systolische Hypertonie Diuretika, CA
Metabolisches Syndrom ACEI, ARA, CA
Diabetes mellitus ACEI, ARA
ACEI: ACE-Inhibitoren; ARA: Angiotensin-Rezeptor-Antagonisten; CA: Kalzium-Antagonisten; BB: Betablocker
ASS 100 mg, Enalapril 2 × 20 mg, Metoprolol 2 × 47,5–95 mg, HCT 25 mg, Amlodipin 10 mg, Metformin 2 ×
1000 mg, Simvastatin 20 mg.
Zur Überprüfung des Therapieerfolges empfehlen Sie Ihrer Patientin eine 24-h-Langzeitblutdruckmessung.
LITERATUR
2008 Guidelines for the Management of Arterial Hypertension. Journal of Hypertension 2007, 25:1105–87
130 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
KASUISTIK
Eine 60-jährige Patientin stellt sich bei Ihnen mit progredienter Belastungsdyspnoe (jetzt NYHA II–III), teilweise auch
thorakalem Druck im vergangenen halben Jahr vor. Seit einigen Tagen seien die Symptome nochmals deutlich aggraviert,
ein Akutereignis mit thorakalem Druck oder Luftnot wird verneint. Die Beschwerden träten häufiger bei Belastung jedoch
teilweise auch in Ruhe auf. Sie sei bereits zweimal deswegen beim Hausarzt gewesen, dieser habe jeweils ein EKG ge-
schrieben, welches unauffällig gewesen sei. Vor einer Woche habe er auch Blut abgenommen und festgestellt, dass kein
akuter Herzinfarkt vorliege und daraufhin einen Belastungstest veranlasst, der bei 100 Watt konditionsbedingt abgebro-
chen, bis dahin aber so weit in Ordnung gewesen sei. Bis auf eine seit ca 5 Jahren bekannte arterielle Hypertonie sind
keine Vorerkrankungen bekannt.
3
• A
therogene Risikofaktoren: Hypercholesterinämie? Diabetes mellitus? Nikotinkonsum? Positive Famili-
enanamnese in Bezug auf KHK/Apoplex?
• I nfekt in der Vorgeschichte? Fieber? Husten? Auswurf gehabt? Ungewollte Gewichtsabnahme?
• A llergien/Jahreszeiten-Abhängigkeit der Beschwerden? Haustiere?
• W ie wird der arterielle Hypertonus behandelt? Werden Selbstmessungen durchgeführt? Welche RR-
Werte werden gemessen?
• H
aben Sie auch Palpitationen verspürt?
• H
inweise auf Anämie im letzten Labor/Blutung?
KASUISTIK
Kein Diabetes, Familienanamnese negativ, Nichtraucherin seit 30 Jahren (davor ca. 5 Zigaretten täglich über 10 Jahre
lang), Cholesterinwerte nicht bekannt.
Keine Infekte in der Vorgeschichte.
Keine Allergien bekannt. Keine Haustiere.
Die Patientin misst mehrfach wöchentlich Blutdruck, sie nimmt unregelmäßig Enalapril 5 mg/d ein. Der Blutdruck sei meist
um 140–150/90 mmHg, teilweise auch niedriger, sie fühle sich dann aber nicht so gut. Die Herzfrequenz sei eigentlich
immer um 70/min, nur am Vortag mit 120/min höher gewesen. Palpitationen werden verneint.
EKG: Tacharrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern, Kammerfrequenz 119/min, LT. Keine ERBS.
3.8 Langsam zunehmende Belastungsdyspnoe 131
Labor:
Hb 13 g/dl
Leukozyten 10/nl
CRP 7g/dl
TNI neg.
CK 71 U/l
D-Dimer 0,5 ug/l (Norm bis 0,42)
Kreatinin 0,9 mmol/l
Harnstoff 46 mmol/l
3
TSH 2,4 ug/l
Kalium 3,6 mol/l
Wie schätzen Sie die Situation nun ein? Wie gehend Sie weiter vor? Benötigen Sie
weiterführende Diagnostik?
Eine akute Koronarischämie kann ausgeschlossen werden. Es gibt klinisch und laborchemisch keinen Anhalt
für eine Atemwegsinfektion. Ggf. kann weiterführend noch eine Lungenfunktionsuntersuchung und ein
Röntgen-Thorax erfolgen. Eine koronare Herzerkrankung ist mit einem vorausgehend normalen Belastungs-
test noch nicht sicher ausgeschlossen (Sensitivität › Kap.3.6, › Kap. 8.1, › Kap. 8.2), aber insgesamt
eher weniger wahrscheinlich.
Die aktuelle Symptomatik ist jedoch gut mit der vorliegenden Tachyarrhythmia absoluta bei Vorhofflim-
mern unklarer Dauer erklärt. Die Patientin wird zunächst mit Heparin antikoaguliert und erhält einen Beta-
blocker zur Frequenzsenkung.
Sie führen zusätzlich eine Echokardiographie durch, um einerseits bei minimal erhöhtem D-Dimer Rechts-
herzbelastungszeichen auszuschließen und andererseits das eventuelle Vorliegen einer strukturellen Herzer-
krankung zu dokumentieren – ggf. kann auch noch eine Beinvenenduplexuntersuchung zum Ausschluss ei-
ner TVT erfolgen.
KASUISTIK
UKG: TAA bei Vorhofflimmern.
Normale globale und regionale Pumpfunktion. LV normal groß, Septumhypertrophie (13 mm). LA mäßig vergrößert
(M-Mode: 48 mm), rechte Herzhöhlen normal groß. Klappen morphologisch unauffällig. Kein Vitium. Kein Perikarderguss.
VCI normal weit, atemmoduliert.
Die Patientin konvertiert nach einigen Stunden in den SR und ist beschwerdefrei, im Beinvenenduplex kein Nachweis einer
TVT.
Bei paroxysmalem Vorhofflimmern (unklarer Dauer) ist die Einstellung auf Marcumar mit Ziel-INR 2–3 für
mindestens 4 Wochen zu empfehlen. Bei konstantem Verbleiben im SR (Langzeit-EKG-Kontrolle veranlas-
sen! Mit Patientin tägliches RR-Messen vereinbaren und Vorstellung beim Hausarzt, wenn dabei sehr schnel-
ler Puls auffällt) dann Dauertherapie mit Azetylsalizylsäure 100 mg/d oder Marcumar (INR 2–3) und intensi-
viere/erweitere die antihypertensive Therapie: ACE-Hemmer regelmäßig und in gesteigerter Dosis sowie
frequenzstabilisierend additiv Betablockergabe.
132 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Der Score erlaubt eine Aussage zur zu erwartenden Schlaganfallrate bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern
3 (› Tab. 3.11).
Der neuere CHA2D22VASc-Score (› Kap. 2.1) erlaubt eine noch genauere Risikobeurteilung.
Wenn der Betablocker zur Rhythmuskontrolle nicht ausreicht, empfehlen AHA/ACC/ESC die in › Abb.
3.22 gezeigten Alternativen.
Bei vorliegender LVH würde also die Gabe von Amiodaron als nächste Therapie erfolgen.
Im Intervall sollte zum Ausschluss einer koronaren Herzerkrankung ein Ischämietest, z.B. eine Stressecho-
kardiographie unter Betablocker-Pause durchgeführt werden.
Stressechokardiographie: Beschwerdefreie fahrradergometrische Belastung bis 125 Watt (je 2 Minuten bei 50, 75,
100 und 125 Watt). Abbruch konditionsbedingt. Maximal erreichte Herzfrequenz 144/min, entspricht 90% der Ausbelas-
tungsfrequenz (definiert als 220 minus Alter).
Im EKG keine belastungsinduzierten ischämietypischen ERBS oder Rhythmusstörungen. Kein Vorhofflimmern. Im UKG bei
ausreichender Schallbarkeit regelrechte Kontraktilitätszunahme aller Wandabschnitte. Keine belastungsinduzierten
Wandbewegungsstörungen nachweisbar.
Leicht erhöhtes RR-Niveau unter Belastung.
Der Casus scheint gelöst, Ihre Therapieempfehlung ist sinnvoll. Die Patientin hat paroxysmales Vorhofflimmern, das ihre
Symptomatik verstärkt hat.
3.8 Langsam zunehmende Belastungsdyspnoe 133
Ablationstherapie
bei Vorhof-
flimmern*
Abb. 3.22 Therapieempfehlung nach ESC/ACC/AHA bei Vorhofflimmern (2010). LVH = linksventrikuläre Hypertrophie; * üblicher-
weise Pulmonalvenenisolation.
A d S
s
Restriktiv
a
E‘ A‘
Der Echokardiographie nach und passend zu dem nicht suffizient eingestellten, seit mehreren Jahren be-
kannten Hypertonus liegt eine hypertensive Herzerkrankung vor. Eine diastolische Funktionsstörung kann
hinzukommen.
Diastolische Funktionsstörung: Unvermögen des Herzens einen normalen diastolischen Druck während
der linskventrikulären Füllungsphase aufrechtzuerhalten (verursacht durch abnorme Relaxation bzw. größe-
re Steifigkeit des LV bzw. Kombination beider Pathomechanismen).
Die linksventrikuläre Füllung ist abhängig von der Dehnbarkeit des linken Ventrikels, welche auf unter-
schiedliche Weise eingeschränkt sein kann:
3 • R estriktion
• K onstriktion
• R elaxationsstörung.
Bei vielen Patienten mit klinischen Herzinsuffizienz-Symptomen – man geht sogar davon aus bei > 50%
(Paulus et al. 2007) – ist die linksventrikuläre Ejektionsfraktion normal.
Die Echokardiographie ist das Verfahren der Wahl, die Verdachtsdiagnose zu erhärten (› Abb. 3.23).
Klassischerweise wird das Mitraleinstromprofil
herangezogen, um Hinweise auf eine diastolische
S
Funktionsstörung zu erhalten. Die E-Welle be-
schreibt die frühe, schnelle LV-Füllung, die A-Welle
die späte Füllungsphase hervorgerufen durch die at-
riale Kontraktion.
Normal
Die Dezelerationszeit (DT, Normal: 160–220 ms)
ist die Zeit von der Spitze der E-Welle zur baseline.
Diese Parameter verändern sich in charakteristischer
Weise mit Fortschreiten der diastolischen Funkti- A‘
onseinschränkung des linken Ventrikels. S
E‘
Sie machen nun nach 6 Wochen ein Kontroll-UKG bei Ihrer Patientin
(› Abb. 3.25).
Es liegen kaum Studien zur Therapie der diastolischen Herzinsuffizienz mit erhaltener LV-Funktion vor.
Herzinsuffizienz-Therapie nach NYHA und Leitlinien (Beseitigung potenzieller Ursachen, nicht medika-
mentöse Therapie, Komorbiditäten beachten/behandeln, medikamentöse Herzinsuffizienz-Therapie). Klini-
sche und echokardiographische Verlaufskontrollen unter medikamentöser Therapie sinnvoll.
Hier: ACE-Hemmer und (in der Therapie entweder oder) AT1-Antagonisten verzögern das Remodeling
und sind daher indiziert. Betablocker bei Vorhofflimmern bzw. intermittierendem Vorhofflimmern fre-
quenzstabilisierend ebenfalls indiziert (s.o.).
LITERATUR
Buck T, et al. Manual zur Indikation und Durchführung der Echokardiographie. Clin Res Cardiol 2009; Suppl 4: 3.51.
Camm AJ, Kirchhof P, Lip GY, et al. Guidelines for the Management of atrial fibrillation. Eur Heart J. 2010;31:2369–429
Flachskampf FA. Praxis der Echokardiographie. Stuttgart: Thieme 2002.
Hillis GS, Pelikka, et al. Noninvasive etimation of left ventricular filling pressure. J Am Coll Cardiol 2004; 43: 360–7.
Oh JK, Seward JB, Jamil Tajik A. The Echomanual. 3rd edition. LWW Medical Book Collection 2006.
Paulus WJ, Anderson JE, et al. How to diagnose diastolic heart failure. Consensus statement by the Heart Failure and Echo-
cardiography Associations of ESC. Eur Heart J. 2007; 28: 2539–50.
136 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
KASUISTIK
Eine 74-jährige Frau wird stationär in der kardiologischen Abteilung mit der Einweisungsdiagnose „Herzinsuffizienz“ aufgenom-
men. Bezüglich der kardialen Vorgeschichte erzählt die Patientin von einer Herzoperation 1993 mit Bypass-Versorgung mehre-
rer Herzkranzgefäße kombiniert mit einem mechanischen Klappenersatz in Aortenposition (Medtronic Hall). 2003 sei auch die
native Mitralklappe durch eine mechanischen Prothese ersetzt worden (St. Jude Medical), seither bestünde Vorhofflimmern.
In den letzten Monaten habe die Frau eine zunehmende Beinschwellung und progredient Luftnot bemerkt, aktuell bereits
bei leichter Belastung (Entkleiden, Lagewechsel). Auf Nachfrage wird von der Patientin auch retrosternales Druckgefühl
bei stärkerer Anstrengung angegeben. Des Weiteren berichtet die Patientin über unspezifische Symptome wie Müdigkeit,
3
nächtlichen Husten, gelegentlich Übelkeit und leichten Schwindel.
Der körperliche Untersuchungsbefund lautet: Größe 150 cm, 60 kg, BMI 27. RR 110/55 mmHg, Puls ca. 90/min, AF
20/min. Jugularvenenstauung, v-Welle. Cor: Prothesenclicks in Aorten- und Mitralposition, kein Diastolikum, hyperdyna-
mer Herzspitzenstoß, 4/6 Holosystolikum p.m. Apex, 3. Herzton. Pulmo: Vesikuläratmung in beiden Ober- und Mittelfel-
dern, beidseits basal abgeschwächtes Atemgeräusch, mittel-hochfrequente Rasselgeräusche über den peripheren Lun-
genabschnitten. Unterschenkelödeme, beginnende Stauungsdermatose. Facies mitralis. Abdomen adipös, kein Undulati-
onsphänomen als Hinweis auf Aszites.
Eisen, Ferritin, Transferrin, Retikulozytenzahl, Bilirubin, Haptoglobin bzw. Hämopexin, Urobilinogen und
Fragmentozyten im Urin.
Die Retikulozytenzahl und Urobilinogen im Harn sind erhöht, Haptoglobin und Hämopexin erniedrigt. Sie stellen die Dia-
gnose einer extrakorpuskulären hämolytischen Anämie.
3.9 Progrediente Stauungsherzinsuffizienz nach Aorten- und Mitralklappenersatz 137
Die Patientin hat bereits zwei künstliche Herzklappen, somit ist eine mechanische Desintegration der Ery
throzyten durch die Klappenprothesen am wahrscheinlichsten.
Verlaufskontrollen beinhalten die regelmäßige Bestimmung von Hb, HBDH, LDH und Haptoglobin. Jede
künstliche Herzklappe hat ein eigenes Hämolyseprofil, das direkt nach Implantation erfasst und im Verlauf
beobachtet werden sollte. Eine leichte Hämolyse (LDH bis 400 U/l) ist mit einer normalen Klappenfunktion
vereinbar und relativ häufig zu finden. Intermittierende Erhöhungen der Hämolyseparameter finden sich
auch bei erhöhter körperlicher Belastung. Schwere Verläufe (LDH > 800 U/l) führen zu einer Hyperbilirubin-
ämie, reduziertem bis nicht mehr nachweisbarem Haptoglobin, einer Retikulozytose sowie Fragmentozyten
im Urin und bedürfen nicht selten wiederholter Bluttransfusionen.
Das Ausmaß der Hämolyse ist abhängig vom transvalvulären Gradienten, somit der Flussgeschwindigkeit,
sowie dem Klappentyp und der -größe.
Angesichts des Doppelklappenersatzes (Medtronic Hall und St. Jude Medical mit jeweils niedriger Thrombo-
genität) und einem zusätzlichen Risikofaktor für Thrombembolien (Vorhofflimmern) sollte leitliniengemäß
eine INR von 2,5–3,5 eingehalten werden (sowie zusätzlich ASS 100 mg/Tag).
Tab. 3.12 Empfehlungen zur antithrombotischen Therapie bei Patienten mit künstlicher Herzklappe (adaptiert
nach Bonow et al. 2008)
Aspirin OAK OAK Kein OAK
(75–100 mg) (INR 2,0–3,0) (INR 2,5–3,5)
Mechanische Klappenprothese
AKE – niedriges Risikoprofil
Weniger als 3 Monate (seit Implant) Klasse I Klasse I Klasse IIa
Mehr als 3 Monate Klasse I Klasse I
AKE – hohes Risikoprofil Klasse I Klasse I
MKE Klasse I Klasse I
3 Biologische Klappenprothese
AKE – niedriges Risikoprofil
Weniger als 3 Monate Klasse I Klasse IIa Klasse IIb
Mehr als 3 Monate Klasse I Klasse IIa
AKE – hohes Risikoprofil Klasse I Klasse I
MKE – niedriges Risikoprofil
Weniger als 3 Monate Klasse I Klasse IIa
Mehr als 3 Monate Klasse I Klasse IIa
MKE – hohes Risiko Klasse I Klasse I
OAK = Orale Antikoagulation
Anmerkung: Abhängig vom klinischen Status des Patienten muss die antithrombotische Therapie individuell angepasst werden.
Aspirin wird in nahezu allen Situationen empfohlen. Risikofaktoren: Vorhofflimmern, linksventrikuläre Dysfunktion, stattgehab-
te Thrombembolie und alle Situationen mit erhöhter Gerinnungsneigung. Eine INR zwischen 2,5 und 3,5 wird bei Patienten
nach mechanischem Aortenklappenersatz mit der Starr-Edwards-Klappe oder einflügligen Klappen (außer Medtronic Hall) emp-
fohlen.
In der UKG-Untersuchung zeigt sich nun folgender Befund: Mittelgradig eingeschränkte globale Pumpfunktion, keine
regionalen Wandbewegungsstörungen bei ausreichender Schallqualität. Rechte Herzhöhlen normal dimensioniert, LA
deutlich vergrößert (70 mm), LV normal groß. Keine Septumhypertrophie. Aortenwurzel normal weit. Aortenklappenpro-
these mit guter Funktion, leichtgradiger Insuffizienzjet, mittlerer Gradient 17 mmHg. Mitralklappe mit ausgeprägtem
Mitralannuluskalk, adäquate Prothesenöffnung, schwergradige paravalvuläre Insuffizienz, leichtgradige Stenose. Tri-
kuspidalklappe mit leicht- bis mittelgradiger Insuffizienz und einem dpmax von 39 mmHg. Kein Perikarderguss.
Mehr als die Hälfte aller paravalvulären Lecks werden innerhalb des ersten Jahres
nach Klappenoperation diagnostiziert. Welche Faktoren begünstigen die
Entstehung postoperativer paraprothetischer Insuffizienzen?
Häufigste Ursachen für die Entstehung paravalvulärer Lecks sind insuffiziente Nähte mit konsekutiver Naht-
dehiszenz und die Prothesen-Endokarditis. Verkalkungen der Aorta und ein Patient-Prothesen-Mismatch
sind begünstigende Faktoren hierfür.
3.9 Progrediente Stauungsherzinsuffizienz nach Aorten- und Mitralklappenersatz 139
Gemäß aktuellen Leitlinien besteht eine Indikation zur Re-Operation bei Patienten mit Endokarditis und
paravalvulärem Leck, im Fall von rezidivierender Transfusionspflichtigkeit oder bei Leck-assoziierten schwe-
ren Herzinsuffizienzsymptomen.
Im vorliegenden Fall ist die Patientin symptomatisch in Form von Belastungskurzatmigkeit NYHA-Klasse III,
außerdem ergeben sich laborchemisch Hinweise auf eine mechanische Hämolyse. Zusätzlich besteht eine mutmaß-
lich progrediente linksventrikuläre Dysfunktion. Daher muss eine erneute Operation in Betracht gezogen werden.
In mehreren Studien konnte, insbesondere für den Betablocker Carvedilol, ein positiver Langzeiteinfluss auf die
Herzfunktion im Sinne eines sogenannten „reverse remodeling“ gefunden werden. Im Speziellen zeigte sich, dass
durch einen verminderten linksventrikulären Volumenindex und eine reduzierte Regurgitationsfläche eine pro-
gressive linksventrikuläre Dilatation aufgehalten bzw. partiell rückgängig gemacht werden kann.
Eine Umstellung der Antikoagulation von Marcumar auf i.v.-Heparin im aPTT-wirksamen Bereich ist erfor-
derlich (› Kap. 8.4). Bei laborchemisch eingeschränkter Nierenfunktion sollte auf einen ausreichenden pe-
riprozeduralen Flüssigkeitsdurchsatz geachtet werden. Gleichzeitig gilt es, eine zu starke intravenöse Volu-
menbelastung zu vermeiden.
140 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Das bekannteste System zur Beurteilung der prädiktiven Mortalität bei kardiochirurgischen Eingriffen ist der
euroSCORE. Neben dem einfachen additiven „Standard“ euroSCORE existiert ein komplexerer logistischer
euroSCORE, der insbesondere bei Hochrisikopatienten zur Anwendung kommt. Beiden gemeinsam ist die
Berechnung der Mortalität anhand diverser Risikofaktoren wie z.B. Patientenalter und Parameter zum
Organstatus. Hinzu kommen operationsbezogene Risikofaktoren wie z.B. Notfall-Operation oder post-infar-
zielle Septumruptur (http://www.euroscore.org).
Ein weiterer, sehr differenzierter, jedoch hauptsächlich in den USA verwendeter Score ist der Parsonnet-
Score. In diesen Score gehen auch die Anzahl an Reoperationen und kombinierte koronare Bypass- plus
Klappenersatz-Prozeduren ein (http://www.sfar.org/scores2/parsonnet2.html).
LITERATUR
Bonow RO, Carabello BA, Chatterjee K, et al. 2008 focused up-
date incorporated into the ACC/AHA 2006 guidelines for the
management of patients with valvular heart disease: a re-
port of the American College of Cardiology/American Heart
Association Task Force on Practice Guidelines (Writing Com-
mittee to revise the 1998 guidelines for the management of
patients with valvular heart disease). Endorsed by the Socie-
ty of Cardiovascular Anesthesiologists, Society for Cardiova-
scular Angiography and Interventions, and Society of Thora-
cic Surgeons. J Am Coll Cardiol. 2008; 52(13): e1–142.
Hein R, Wunderlich N, Robertson G, Wilson N, Sievert H. Ca-
theter closure of paravalvular leak. EuroIntervention Abb. 3.27 3D-TEE-Bild eines paraprothetisch platzierten Am-
2006; 2(3): 318–25. platzer-Okkluders (Pfeil)
3.10 Rasch zunehmende Luftnot 141
Sellers RD, Levy MJ, Amplatz K, Lillehei CW. Left retrograde cardioangiography in acquired cardiac disease. Technic, indica-
tions and interpretations in 700 cases. Am J Cardiol. 1964; 14: 437–47.
KASUISTIK
Eine 80-jährige Frau wird nachts in die Krankenhaus-Notambulanz gebracht. Vor 10 Tagen sei sie wegen Knieschmerzen
einer Arthroskopie am rechten Knie mit Innenmeniskus-Teilresektion unterzogen worden. Postoperativ habe sie bereits
Luftnot und Schwäche verspürt, sei aber auf eigenen Wunsch am zweiten postoperativen Tag ohne weitere Abklärung 3
entlassen worden. Vor 5 Tagen habe sie erstmals starkes retrosternales Brennen verspürt, jetzt gehe ihr zunehmend die
Luft aus. Vom Notarzt wurden bereits ASS 500 mg und 5.000 I.E. Heparin i.v. appliziert. Bei der körperlichen Untersuchung
fallen ein leicht betonter zweiter Herzton sowie ein 3⁄6 -Holosystolikum p.m. 4./5. ICR parasternal links ohne Atemvaria-
bilität und ohne Ausstrahlung in die Axilla auf. Bei der Palpation des Thorax bemerken Sie ein leichtes Schwirren paraster-
nal links. Über den Lungen sind beidseits basal mittel-hochfrequente Rasselgeräusche zu hören. Unter Ruhebedingungen
liegen die Blutdruckwerte um 120–140 mmHg systolisch vor. Herzfrequenz 90/min. Jugularvenenstau beidseits.
Angesichts der Anamnese der Patientin liegen zwei Möglichkeiten nahe. Zum einen könnte es sich um eine
Ischämie-bedingte Mitralklappeninsuffizenz handeln. Typischerweise wäre das Geräusch hierbei jedoch über
dem 2./3. ICR links (exzentrischer Jet zur Vorhofwand) oder dem Apex zu hören und würde von einer Aus-
strahlung in die Axilla begleitet sein. Die zweite Möglichkeit wäre ein Post-Myokardinfarkt-Ventrikelseptum-
defekt, für den alle genannten Kriterien zutreffen würden. Bei großem VSD wären zusätzlich eine weite Spal-
tung des 2. Herztons sowie ein Pulmonalklappeninsuffizienzgeräusch möglich. Eine Trikuspidalklappeninsuf-
fizienz erscheint angesichts der Anamnese und einer oft deutlich hörbaren Atemvariabilität unwahrscheinlich.
Bei der vorliegenden Anamnese muss auch an eine bzw. rezidivierende Lungenarterienembolie(n) gedacht
werden. Hierfür sprechen die postoperativ aufgetretene Luftnot, die (leicht) erhöhte Herzfrequenz und der
erhöhte JVD bei der aktuellen Aufnahme. Auch gilt es, insbesondere bei fehlendem Nachweis eines Myokard-
infarkts und einer Lungenembolie, eine Aortendissektion auszuschließen.
Nach 5 Tagen zeigen sich typischerweise erhöhte Troponine. In der akuten Phase eines Herzinfarkts wird
hauptsächlich zytosolisches Troponin in die Blutbahn abgegeben, das normalerweise nach 2–3 Tagen deut-
lich abfällt. Nach ca. 3–6 Tagen kommt es erneut zu einem Troponin-Anstieg, diesmal des strukturgebunde-
nen Troponins. Auch LDH, HBDH und GOT sind am 5. Tag nach Myokardischämie im Serum oft noch nach-
weisbar. Die CK-MB-Fraktion der CK und Myoglobin sind zu diesem Zeitpunkt meist nicht mehr zu finden
(› Tab. 3.14).
142 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Tab. 3.14 Kardiale Enzymkinetik bei Myokardinfarkt (Zusammenstellung interner Angaben verschiedener zertifi-
zierter Labors)
Marker Nachweis Maximum In-vivo-Halbwertszeit Normalisierung
Myoglobin 2–6 h 6–12 h 10–20 min 1 Tag
Troponin-I 3–4 h 12–24 h 2h 5–10 Tage
Troponin-T 3–8 h 12–96 h 2h 2–3 Wochen
CK 3–12 h 12–24 h 16 h 3–6 Tage
CK-MB 3–12 h 12–24 h 12 h 2–3 Tage
GOT 6–12 h 18–36 h 17 h 3–6 Tage
LDH 6–12 h 48–144 h 24 h 7–15 Tage
3 HBDH 6–12 h 48–144 h 50–170 h 10–20 Tage
Insgesamt ist es jedoch wichtig zu erwähnen, dass die Kinetik der kardialen Ischämiemarker stark abhängig
ist von Art und Zeitpunkt der Reperfusionstherapie sowie Ausmaß und Art der Myokardischämie.
Das TnI der Patientin beträgt 2,5 μg/l (Norm < 0,032 μg/ml), die CK 189 U/l. Sie geben der Patientin Clopido-
grel in Aufsättigungsdosis, initiieren die Perfusor-gesteuerte Heparinisierung und führen ein UKG durch.
Mittelgradig eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion, ausgedehnte Akinesie der gesamten, leicht aneurysmatisch
erweiterten Herzspitze, sowie mitt-septal. Lateralwand und basale Hinterwand kontrahieren gut. Im Farbdoppler Nach-
weis einer Ventrikelseptumruptur im mittleren Bereich des Septums mit deutlichem Links-Rechts-Shunt. Leichtgradige
Mitralklappeninsuffizienz und mäßige Trikuspidalklappeninsuffizienz mit einem dpmax von 46 mmHg + erhöhtem ZVD.
Rechter Vorhof und Ventrikel vergrößert. Linkes Atrium vergrößert, Ventrikel normal groß. Kein PE.
Der z.B. mittels cw-Doppler im UKG gemessene Druckunterschied zwischen linkem und rechtem Ventrikel
zeigt an, ob ein druckangleichender Defekt oder ein drucktrennender Defekt vorliegt. Ein kleiner Defekt
(< 4 mm) ist meist, aufgrund des geringen Shuntvolumens, drucktrennend. Größere Defekte gehen demge-
genüber meist mit einem erhöhten rechtsventrikulären Spitzendruck einher und werden damit als druckan-
gleichend bezeichnet. Mögliche Einflussgrößen auf den Gradienten sind v.a. Vitien (Pulmonal-, Aortenklap-
penstenose) sowie rechts- und linksventrikuläre Pumpfunktion.
Jeder Patient mit einem (wenn auch subakuten) ST-Hebungs-Myokardinfarkt sollte intensivmedizinisch
überwacht werden. Patienten mit einem Myokardinfarkt-VSD gehören zu einem speziellen Hochrisiko
kollektiv mit einer extrem hohen Mortalitätsrate (Crenshaw et al. 2000, Thile et al. 2009). In der GUSTO-I-
Studie beispielsweise hatten Patienten mit ischämischem VSD, die rein medikamentös behandelt wurden,
eine 30-Tages-Mortalität von 94% gegenüber 47% bei operierten Patienten. Ungefähr ein Viertel der Patien-
ten mit akuter Septumruptur verstirbt innerhalb der ersten 24 Stunden und weniger als 10% der Patienten
überleben ohne Operation das erste Jahr. Neben allgemeinen Ischämie-bedingten Komplikationen (Herz-
rhythmusstörungen etc.) können weitere Komplikationen durch das den VSD umgebende nekrotisch-insta-
bile Gewebe entstehen, das möglicherweise noch weiter rupturiert oder multiple VSD hervorbringt.
Zur Planung der weiteren Therapie wird umgehend eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt.
Die Normwerte sind in › Tabelle 3.15 dargestellt. Es liegen normale systemische und deutlich erhöhte pul-
monal-vaskuläre Drücke vor. Leicht erhöhter Pulmonalkapillardruck. Die Fluss-Indizes zeigen ein erniedrig-
tes Herzzeit- und Schlagvolumen sowie einen niedrigen Herzindex. Des Weiteren finden sich erhöhte Wider-
standswerte im kleinen und großen Kreislauf, sowie ein deutlich erhöhter pulmonaler Blutfluss, entspre-
chend einem Qp/Qs-Quotienten von ca. 4 : 1.
Somit liegt eine erhebliche Volumenbelastung des rechten Ventrikels vor. Die konsekutive Volumenbelas-
tung von Pulmonalarterie und Lungenstrombahn über den linken Vorhof bis hin in den linken Ventrikel
bedingt eine reaktive pulmonale Widerstandserhöhung (durch Kontraktion der Lungenarteriolen). Die ein-
geschränkte Pumpfunktion des linken Ventrikels ist am ehesten primär Resultat der Ischämie, wird sekundär
durch das hohe Shuntvolumen jedoch sicherlich noch weiter negativ beeinflusst.
Tab. 3.15 Untersuchungsparameter Rechts- und Linksherzkatheter (in Ruhe; nach Lapp und Krakau 2010)
Druck Normwert
ZVD (CVP, zentraler Venendruck) < 10 mmHg
RAPm (rechtsatrialer Mitteldruck) < 5 mmHg
RVP (rechtsventrikulärer systolischer Druck) 20–30 mmHg
RVEDP (rechtsventrikulärer enddiastolischer Druck) 4–8 mmHg
PAPs (pulmonalarterieller systolischer Druck) 15–30 mmHg
PAPm (pulmonalarterieller Mitteldruck) 10–22 mmHg
PAPd (pulmonalarterieller diastolischer Druck) 5–16 mmHg
PCWP (pulmonalarterieller Verschlussdruck, wedge pressure) < 12 mmHg
3.10 Rasch zunehmende Luftnot 145
Tab. 3.15 Untersuchungsparameter Rechts- und Linksherzkatheter (in Ruhe; nach Lapp und Krakau 2010) (Forts.)
Druck Normwert
LVEDP (linksventrikulärer enddiastolischer Druck) 6–12 mmHg
Fluss Normwert
CI (Herzindex, cardiac index) 2,5–4 l/min/m2
SV (Schlagvolumen) 60–90 ml/S
SVI (Schlagvolumenindex) 30–60 ml/m2
Widerstand Normwert
TPR (totaler peripherer Widerstand) 900–1400 dyn × s × cm-5
PVR (pulmonal-vaskulärer Widerstand) 45–120 dyn × s × cm-5
3
Die Shuntberechnung ist u.a. abhängig von der Höhe des Hämoglobingehalts im Blut, sowie der Gesamtan-
zahl an Zellen im Blut (falsche Werte u.U. bei Polyglobulie). Die für die Berechnung des Shuntvolumens
(Fick-Prinzip) benötigte gemischt-venöse Sättigung ist außerdem abhängig vom systemischen Blutfluss, d.h.
bei erhöhtem Blutfluss (z.B. Tachykardie) zeigen sich korrespondierend erhöhte Werte für die venöse Sätti-
gung. Im Allgemeinen können alle Zustände, die eine Veränderung der peripheren Sauerstoffausschöpfung
oder eine Veränderung des Blutflusses bewirken, Einfluss auf die Oxymetrie nehmen und somit die Shuntbe-
rechnung verfälschen.
Wann ist der optimale Zeitpunkt für eine chirurgische Korrektur des VSD?
Aktuell gibt es keine eindeutigen Empfehlungen bezüglich des optimalen Operationszeitpunkts. Für eine
möglichst frühe Operation des VSD spricht, dass es beim Zuwarten zu einer möglichen Ausweitung des
Defekts aufgrund des instabilen angrenzenden Gewebes kommen kann. Insbesondere Patienten im kardio-
genen Schock mit großem post-ischämischen VSD sollten daher notfallmäßig einer Operation zugeführt
werden. Andererseits birgt die frühe Operation – eben aufgrund des noch nicht stabilen ischämischen Ge-
webes – ein erhöhtes Risiko für ein VSD-Rezidiv und ist mit einer hohen Letalität verbunden. Daher sollte
stets eine individuelle Risikoabwägung und Besprechung des Operationszeitpunkts mit den Chirurgen er-
folgen.
146 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Sie stellen die Patientin den Herzchirurgen vor. Eine Zuverlegung kann, bei aktuell hämodynamischer Stabilität, in den
nächsten Tagen erfolgen. Im Zuge der Operationsvorbereitungen wird eine TEE-Untersuchung durchgeführt (› Abb.
3.30).
Abb. 3.30 TEE-Standbild, kurze Achse im Farbdopplermodus. Darstellung zweier getrennter Links-Rechts-VSD-Jets, bedingt durch
einen post-ischämischen VSD im midseptalen-apikalen Septum. Leicht aneurysmatische Herzspitze
Ungefähr 60% der ischämischen VSD-Rupturen sind im Bereich des apikalen Septums lokalisiert. Insbeson-
dere die apikalen VSD werden nicht selten von einem Aneurysma begleitet bzw. begünstigt ein Aneurysma
selbst die Entstehung eines VSDs. Nicht nur das aneurysmatische Gewebe, sondern auch die angrenzenden
Myokardbezirke werden für gewöhnlich im Verlauf rigider und können, je nach Größe, einen Anstieg von
Wandspannung und somit des LVEDP bewirken. Die dadurch reduzierte Kontraktilität und progrediente
LV-Dilatation führt häufig zu einer Einschränkung der Herzleistung. Weitere Aneurysma-bedingte Kompli-
kationen sind Thrombenformation mit Emboliegefahr und ein gehäuftes Auftreten von ventrikulären Herz-
rhythmusstörungen.
Die Patientin wird von den Herzchirurgen übernommen und einer kombinierten Bypass (RCA)- und VSD-Operation mit
Ventrikelrekonstruktion unterzogen.
Die Patientin stellt sich bereits 4 Wochen nach der Operation erneut mit Brustschmerzen, Luftnot und erhöhter Tempera-
tur vor.
In den Untersuchungen (EKG, UKG, Röntgenaufnahme des Thorax) stellen Sie als auffällige Befunde einen Perikarderguss
und beidseitige Pleuraergüsse fest.
3.11 Belastungsdyspnoe und Leistungsschwäche nach Afrikareise 147
Die Befundkonstellation wäre typisch für das sog. Dressler-Syndrom, das auch Postperikardiotomie-Syn-
drom genannt wird. Ätiologisch wird v.a. eine autoimmune Genese diskutiert, d.h. bestimmte – im Rahmen
der Ischämie oder Operation freigesetzte myokardiale Antigene – rufen lokale Inflammationsprozesse am
Perikard und ggf. der Pleura hervor. Häufig finden sich in diesem Zusammenhang erhöhte Antimyokardiale-
Antikörper-Titer im Serum. Es tritt meist mit einer Latenzzeit von 4–6 Wochen nach Operation auf, kann
sich aber auch erst Monate später manifestieren. In den letzten Jahren hat die Inzidenz dieses Syndroms –
nicht zuletzt aufgrund der optimierten Reperfusionsstrategien – an Häufigkeit abgenommen.
3
Danksagung
UKG-Bildmaterial mit freundlicher Unterstützung von Frau Dr. Nina Wunderlich und Herrn Prof. Dr. Horst
Sievert, CardioVasculäres Centrum St. Katharinen, Frankfurt.
LITERATUR
Crenshaw BS, Granger CB, Birnbaum Y, et al. Risk factors, angiographic patterns, and outcomes in patients with ventricular
septal defect complicating acute myocardial infarction. GUSTO-I Trial Investigators. Circulation 2000; 101: 27–32.
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me 2010.
Van de Werf F, Bax J, Betriu A, et al. Management of acute myocardial infarction in patients presenting with persistent ST-
segment elevation: the Task Force on the Management of ST-Segment Elevation Acute Myocardial Infarction of the Euro-
pean Society of Cardiology. Eur Heart J. 2008; 29(23): 2909–45.
KASUISTIK
Anamnese: Ein 54-jähriger Patient wird mit progredienter Dyspnoe eingewiesen. Er sei bisher immer gesund gewesen.
Seit einer Dienstreise nach Afrika besteht eine Belastungsdyspnoe und eine allgemeine Leistungsschwäche. Der Patient
ist Nichtraucher. Keine Familienanamnese für Herz- und/oder Lungenerkrankungen.
Beim Leitsymptom Dyspnoe sollte immer eine genaue Berufsanamnese durchgeführt werden, auch unter
Berücksichtigung früher durchgeführter Tätigkeiten. Besonders die Pneumokoniosen sind oft berufsbedingt!
Die Pneumokoniose oder auch Staublunge entsteht durch die Inhalation von Staub unter Ablagerung von
festen, anorganischen oder – seltener – organischen Teilchen in Bronchien, Lymphknoten und/oder Paren-
chym, die Veränderungen der Lunge bewirken. Dies kann sowohl mit als auch ohne Funktionsstörung ein-
hergehen.
148 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Bei einer Leistungsschwäche nach einer Afrikareise ist insbesondere eine genaue Reiseanamnese hilfreich.
Erfragt werden muss, ob die Reise in ein Malariagebiet geführt hat, ob eine Malariaprophylaxe durchgeführt
wurde. Des Weiteren muss erfragt werden ob eine Infektion vorliegen könnte. Dies wäre besonders bei Rei-
sen in den Tropengürtel wichtig, um die Labordiagnostik auch auf Infektionserreger auszudehnen die bei uns
nicht vorkommen.
Die erweiterte Anamnese ergibt, dass der Patient als Ingenieur für eine Maschinenbaufirma arbeitet. Es besteht und be-
stand keine Steinstaubbelastung. Die Reise hatte nach Kapstadt geführt (Kapstadt ist malariafreies Gebiet). Der Patient
hat ausschließlich in gehobenen Hotels übernachtet. Eine HIV-Exposition bestand nicht. Während der Reise habe er keine
Anzeichen für eine Infektion bemerkt.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 176 cm groß, 108 kg schwer, BMI 34,9, RR 115/85 mm Hg, Herzfrequenz 106/min,
3 Herztöne rhythmisch, rein, keine Herzgeräusche, kein dritter Herzton. Über beiden Lungen Vesikuläratmen. Der JVD ist erhöht.
Leber palpatorisch nicht beurteilbar bei Adipositas. Geringe Beinschwellung mit Betonung des rechten Beins. AF 20/min.
Röntgen-Thorax: Das Herz ist gering vergrößert. Streifenatelektase rechts. Keine pulmonalvenöse Stauung. Geringer
Pleuraerguss rechts.
EKG: SR, Frequenz 106/Minute, Steiltyp, P = 0,1 Sekunde, PQ = 0,18 Sekunde, QRS-Breite = 0,13 Sekunde, QT-Zeit =
0,42 Sekunden. OUP in V1 0,08 Sekunden, kompletter Rechtsschenkelblock.
UKG: Normale systolische globale und regionale Funktion. Rechter Ventrikel gering vergrößert, linker Ventrikel normal
groß. Keine Linkshypertrophie. Trikuspidalinsuffizienz mit einem Druckgradienten von 30 mmHg.
Labor: Das C-reaktive Protein (CRP) gibt Hinweise, ob eine entzündliche Erkrankung vorliegt. Das Blutbild liefert ebenfalls
Hinweise auf eine Entzündung (Leukozytose), auf ein Asthma bronchiale (Eosinophilie) oder auf chronische Herz- und
Lungenerkrankungen (Polyglobulie). Die D-Dimere sind bei Lungenembolie erhöht. Das BNP und NT-Pro-BNP sind bei
Herzinsuffizienz erhöht (› Kap. 1.9).
Das Troponin ist bei Erkrankungen mit Untergang von Kardiomyozyten erhöht. Das Troponin ist nicht spezifisch für eine
Ischämie!
Bei unserem Patienten ist das CRP 88 mg/l (Norm < 5 mg/l), Leukozyten 12/nl (Norm 4–9/nl), Troponin I 0,6 μg/l (Norm
< 0,032 μg/l) D-Dimere 11 mg/l (Norm < 0,5 mg/l).
Die arterielle Sauerstoffsättigung ist mit 93% unter Raumluft vermindert.
Bei Dyspnoe mit erhöhten D-Dimeren in engem zeitlichen Zusammenhang mit einem 12-stündigen Flug
muss an eine tiefe Venenthrombose mit Lungenembolie gedacht werden.
Somit wären eine Duplexsonographie der peripheren Venen und eine CT-Untersuchung des Thorax zu
erwägen.
3.11 Belastungsdyspnoe und Leistungsschwäche nach Afrikareise 149
Kennen Sie die Sensitivität und Spezifität der Duplexuntersuchung mit der
Fragestellung tiefe Venenthrombose?
In 35 publizierten Studien mit insgesamt 4747 phlebographisch kontrollierten Patienten betrug die mediane
Sensitivität und Spezifität 95 respektive 97%. In lediglich 9 der genannten 35 Studien wurde auch nach Unter-
schenkelvenenthrombosen gefahndet mit einer medianen Sensitivität von 89% und medianen Spezifität von
92%. Diese Zahlen belegen, dass die diagnostische Lücke bisheriger nicht-invasiver Verfahren im Bereich der
Unterschenkelvenen durch die Duplexsonographie geschlossen werden kann.
Die Duplexsonographie ergibt bei unserem Patienten eine Mehretagenthrombose des rechten Beins.
Aufgrund der bisher erhobenen Befunde besteht nun der dringende Verdacht auf eine Lungenembolie. Hierfür sprechen
die Anamnese, die Laborbefunde, und das Echokardiogramm und der Nachweis einer tiefen Venenthrombose. 3
Mit dem Nachweis einer tiefen Venenthrombose besteht nun bei unserem
Patienten die Indikation zur Antikoagulation. Würden Sie trotzdem eine CT-
Untersuchung anordnen, um die Lungenembolie nachzuweisen? Wie hoch ist die
Strahlenbelastung bei einem Thorax-CT?
Bei einem hohen Prozentsatz von Patienten mit Lungenembolie kann mit Hilfe bildgebender Verfahren die
ursächliche Thrombose in den Beinvenen lokalisiert werden. Für den diagnostischen Ablauf bei Verdacht auf
LE ist diese Tatsache bedeutsam. Unter der Vorstellung, dass Akuttherapie und Sekundärprophylaxe für Pa-
tienten mit Beinvenenthrombose (TVT) und für hämodynamisch stabile Patienten mit LE gleich sind, kann
man den diagnostischen Prozess bei Verdacht auf LE in dem Moment abbrechen, in dem eine TVT gefunden
wurde. Das setzt voraus, dass es sich um vorausgewählte Patienten mit einer hohen klinischen Wahrschein-
lichkeit einer Lungenembolie handelt.
Die Strahlendosis bei einer CT-Untersuchung der Thoraxorgane beträgt circa 6 bis 10 Millisievert (Bundes-
amt für Strahlenschutz 2005).
Die CT-Untersuchung ist also bei unserem Patienten nicht zwingend nötig. Es wäre nur zu klären, ob die
Streifenatelektase im konventionellen Thoraxbild unter Therapie rückläufig ist. Ansonsten sollte ein Thorax-
CT mit der Frage nach einem zentralen Tumor durchgeführt werden.
Wie sehen Sie den Stellenwert der Echokardiographie bei der Lungenembolie?
Kennen Sie die Parameter, die eine rechtsventrikuläre Dysfunktion anzeigen?
Bei unserem Patienten liegt auch eine Erhöhung des Troponinspiegels vor.
Sollte bei ihm eine Koronarangiographie durchgeführt werden oder sind die
Troponinerhöhungen durch die Lungenembolie hinreichend erklärt?
Erhöhte Serumspiegel von Troponin I oder T kommen bei 11–15% aller Patienten mit Lungenembolie vor,
insbesondere wenn eine rechtsventrikuläre Dysfunktion nachgewiesen wird. Fehlende Troponinerhöhung
und auch ein Normalwert für BNP sind exzellente Marker für einen benignen Verlauf, wenn eine konsequen-
te Antikoagulation gewährleistet ist.
Bei normaler linksventrikulärer Funktion im Echokardiogramm und fehlenden Risikofaktoren für eine
KHK kann auf eine Koronarangiographie verzichtet werden.
3
Wie würden Sie den Patienten risikostratifiziert behandeln?
Nach den bisher erhobenen Befunden ist der Patient als hämodynamisch stabil mit rechtsventrikulärer Dys-
funktion einzustufen (› Tab. 3.16, › Tab. 3.17).
Tab. 3.17 Eine neue Einteilung nach der Frühmortalität wurde in den ESC-Guidelines publiziert
Risikomarker
Risikio der klinisch (Schock rechtsventrikuläre myokardialer mögliche therapeutische
Frühmortalität oder Hypotension) Dysfunktion Schaden Implikationen
Hoch > 15% + (+) (+) Lyse oder Thrombektomie
Intermediär 3–15% - + + stationäre Behandlung
Intermediär 3–15% - + - stationäre Behandlung
Intermediär 3–15% - - + stationäre Behandlung
Niedrig < 1% - - - ambulant oder frühe Entlassung
Somit ist eine Lysetherapie zunächst nicht indiziert. Eine Antikoagulanzientherapie ist indiziert. Bis zum
Erreichen des therapeutischen Bereichs muss eine Therapie mit Heparin fraktioniert oder unfraktioniert un-
ter PTT-Kontrolle durchgeführt werden (› Tab. 3.18).
Tab. 3.18 Bewährte Schemata für die initiale Antikoagulation, die ohne Verzögerung durchzuführen ist
Enoxaparin 1,0 mg/kg 2 × täglich
Tinzaparin 175 U/kg 1 × täglich
Fondaparinux 5 mg (Körpergewicht bis 50 kg) 1 × täglich
7,5 mg (Körpergewicht 50–100 kg)
10 mg (Körpergewicht über 100 kg)
3.12 Dyspnoe und Reizhusten 151
3
Über welchen Zeitraum sollte bei unserem Patienten eine orale Antikoagulation
mit Vitamin-K-Antagonisten durchgeführt werden?
Da eine reversible Ursache für die Thrombose mit Lungenembolie (Langstreckenflug) und keine Tumor
erkrankung vorliegt, sollte die orale Antikoagulation mit einem Ziel INR von 2,5 (Bereich 2,0–3,0) über drei
Monate durchgeführt werden.
Wie reagieren Sie, wenn der Patient im Verlauf eine anhaltende Hypotonie sowie
eine Hypoxie verbunden mit einer respiratorischen Azidose entwickelt?
Der Patient würde dann in das Stadium IV nach Grosser bzw. in die „high-risk“-Gruppe nach ESC fallen. In
diesem Fall wäre eine Thrombolyse indiziert. Anerkannte Lyseschemata zeigt die › Tabelle 3.19.
LITERATUR
Grosser KD. Akute Lungenembolie. Behandlung nach Schweregraden. Deutsches Ärzteblatt 1988; 85: B587–94.
Jäger K, Eichlisberger R, Frauchiger B: Stellenwert der bildgebenden Sonographie für die Diagnostik der Venenthrombose.
Hämostaseologie 1993; 13: 116–24.
Interdisziplinäre S2 Leitlinie Venenthrombose und Lungenembolie. VASA 2005; 34 (Suppl. 66).
Torbicki A, Perrier A, Konstantinides S, et al. Guidelines on the diagnosis and management of acute pulmonary embolism.
The Task Force for the Diagnosis and Management of Acute Pulmonary Embolism of the European Society of Cardiology
(ESC). European Heart Journal 2008; 29: 2276–315.
KASUISTIK
Ein 68-jähriger Patient stellt sich mit seit ca. 3 Wochen bestehender Dyspnoe und Reizhusten vor. Es besteht kein Auswurf.
In Seitenlage thorakale Schmerzen. Bis auf eine Pneumonie 5 Jahre zuvor keine ernsthaften Vorerkrankungen bekannt.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 172 cm, 67 kg, RR 140/80 mmHg, Puls 77/min, regelmäßig.
Cor auskultatorisch o.B., bei der Auskultation der Lunge hört man rechts ein Vesikuläratmen, links ist das Atemgeräusch
abgeschwächt. Perkutorisch hört man links eine Dämpfung bis zur Scapula.
152 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
• O
nkotisch hydrostatisch
– Herzinsuffizienz
– Pericarditis constriktive
– Hypoalbuminämie
• E ntzündlich infektiös
– Bakterien und Viren
– Pilze und Parasiten
– Parapneumonisch (z.B. bei Pneumokokken-Pneumonie)
– Pleuraempyem
• E ntzündlich nicht-infektiös
• P ara-/Neoplastisch: z.B. Pleuramesotheliom
• A utoimmun
• T raumatisch z.B.
– Rippenfraktur
– Postoperativ
– Chylothorax.
Die Laborwerte des Patienten zeigen: CRP 90 mg/l (< 5 mg/l), CK 388 U/l, LDH 284 U/l, GOT und GPT im Normbereich,
Gesamteiweiß 6,5 g/dl. TNI negativ. BNP nicht erhöht. Unauffälliges Differenzialblutbild. D-Dimer 2,94 mg/dl.
EKG: SR, Frequenz 70/Minute, Steiltyp, P 0,08 Sekunden, PQ 0,14 Sekunden, QRS 0,09 Sekunden, QT 0,38 Sekunden,
inkompletter Rechtsschenkelblock.
UKG: Normale globale und regionale Pumpfunktion. Herzhöhlen visuell normal groß. Keine Linkshypertrophie. Klappen
zart, kein Vitium. Kein Perikarderguss.
NB: großer Pleuraerguss links.
3.12 Dyspnoe und Reizhusten 153
Ein Pleuraerguss unklarer Ätiologie sollte immer punktiert werden. Das Punktat muss dann laborchemisch,
bakteriologisch und zytologisch untersucht werden (› Tab. 3.20).
Tab. 3.20 Klinisch relevante Untersuchungen aus Pleurapunktat (mod. nach Schmidt)
Inspektion Normale Ergussflüssigkeit ist bernsteinfarbig, klar
blutige Flüssigkeit: Hämatothorax (Pleura-Hkt > 50% des Blut-Hkt), hämorrhagischer Erguss
(Tumore, artefiziell durch die Punktion)
Trüber Erguss ist zellreich
milchiger Erguss enthält Fette: Chylothorax (Triglyzeride > 110 mg/dl) oder Pseudochylothorax
(Cholesterin > 200 mg/dl)
Eiter: Pleuraempyem 3
Labor Totalprotein (TP): Ein Exsudat liegt vor bei Pleura-TP: Serum-TP > 0,5 (nach LIGHT)
Laktatdehydrogenase (LDH): zweites Exsudatkriterium
Pleura-LDH: Serum-LDH > 0,6 (nach LIGHT)
Pleuraglukose < 60 mg/dl: Infektionen, Kollagenosen
Pleura-pH-Wert 7,2–7,0: parapneumonischer Erguss
pH < 7,0: Pleuraempyem mit Indikation zur chirurgischen Therapie
Zytologie Neutrophilenvermehrung: akute Entzündung
Monozytenvermehrung: chronische Entzündung
Lymphozytose: Tuberkulose, Tumoren
Eosinophile (selten): Pleuraasbestose, Churg-Strauss-Syndrom, Dressler-Syndrom, Pneumothorax,
durch Medikamente verursacht
Natürlich sucht man im Pleurapunktat immer nach Tumorzellen
Mikrobiologie Übliche Bakteriologie und Mykobakterien
Der Bakteriennachweis erfordert natives Material, das ohne Verzögerung im Labor eintrifft
Bei der Pleurapunktion unseres Patienten konnten 500 ml rötlich trübe Flüssigkeit abpunktiert werden.
Die laborchemische Untersuchung zeigt ein rötlich trübes Punktat mit klarem Überstand.
Gesamteiweiß 4,4 g/dl.
Ein kurativer Ansatz wäre eine ausgedehnte Resektion des Tumors. Dabei müssten auch eine Pneumonekto-
mie und eine Teilresektion der Thoraxwand erfolgen. Diese Option wurde vom Thoraxchirurgen wegen des
Alters des Patienten abgelehnt.
Palliativ wäre nun eine videoassistierte Dekortikation mit Stichkanalbestrahlung und Chemotherapie oder
alternativ eine Pleurodese mit Talkum, Stichkanalbestrahlung und Chemotherapie zu diskutieren.
LITERATUR
Schmidt M. Der Pleuraerguss: Differentialdiagnosen von Herzinsuffizienz bis Mesotheliom? http://www.bayer-internisten.de/
abstracts-pneumo/Schmidt.pdf
KASUISTIK
Vorgeschichte: Frau S. wird von ihrem Hausarzt wegen zunehmender Herzinsuffizienz in Ihre kardiologische Ambulanz
überwiesen.
Bei Frau S. war vor 20 Jahren ein Aortenklappenersatz bei hochgradiger Aorteninsuffizienz bei einer bikuspiden Aorten-
klappe durchgeführt worden. Vor 10 Jahren erfolgte ein erneuter Aortenklappenersatz (diesmal mit zusätzlichem Ersatz
der Aorta ascendens; Carboseal 25 mm mit klappentragendem Conduit). Bei einem postoperativ aufgetretenem AV-Block
III° wurde eine Schrittmacherimplantation durchgeführt.
Frau S. berichtet, dass ihre körperliche Leistungsfähigkeit in den letzten Jahren langsam abgenommen habe. Größere
körperliche Anstrengungen seien ihr nicht möglich. Treppensteigen sei nur bis zu einer Etage ohne große Anstrengung
möglich. Keine febrilen Episoden, der INR sei stets im Zielbereich gewesen.
Als regelmäßige Medikation nimmt Frau S. ein Diuretikum, einen ACE-Hemmer, einen Betablocker sowie einen Aldoste-
ron-Antagonisten und Phenprocoumon ein.
• K lappendysfunktion
• S M-Dysfunktion
3.13 Abnehmende Leistungsfähigkeit nach Aortenklappenersatz 155
• A nämie
• K oronarinsuffizienz (Reinsertion bei OP?), Koronarembolie
• Z .n. Myokarditis
• P hrenikusparese
• L ungenerkrankung.
Körperliche Untersuchung: 45-jährige schlanke Patientin in gering reduziertem Allgemeinzustand. Keine Zeichen der
akuten kardialen Dekompensation. Kunstklappentöne regelrecht, keine Aorteninsuffizienz auskultierbar.
Die apparativen Untersuchungen zeigen folgende Ergebnisse (› Abb. 3.33, › Abb. 3.34, › Abb. 3.35):
Deutliche linksventrikuläre Herzvergrößerung mit Z.n. AKE und Sternotomie. Regelrecht liegender Einkam-
merschrittmacher. Kein Pneumothorax. Kein Nachweis eines entzündlichen Infiltrats, keine Stauung, kein
Pleuraerguss.
Offensichtlich wurde trotz der Indikation AV-Block nur ein Einkammersystem implantiert und dieses nur
mit einer unipolaren Sonde.
Labor: kleines Blutbild, Retentionsparameter, Elektrolyte, LDH und Transaminasen liegen im Normbereich. INR mit 2,7
im Zielbereich bei oraler Antikoagulation bei Z.n. AKE.
156 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Liegt eine asynchrone Kontraktion des linken Ventrikels vor, so lässt sich diese in einem Teil der Fälle durch 3
eine biventrikuläre Stimulation resynchronisieren. Es hat sich gezeigt, dass sich hierdurch eine Herzinsuffizi-
enzsymptomatik als auch die Mortalität der Herzinsuffizienz günstig beeinflussen lässt.
Nach den derzeit gültigen Leitlinien der DGK (› Kap. 3.1) und ESC besteht übereinstimmend eine Indi-
kation zur Resychronisationtherapie bei Patienten im Stadium NYHA III–IV mit einer Auswurffraktion un-
ter 35%, die trotz optimaler medikamentöser Therapie weiterhin symptomatisch sind und eine Dilatation des
linken Ventrikels (LVED > 55 mm) aufweisen.
Die europäischen Leitlinien (ESC) sehen generell eine Indikation bei einem über 120 ms verbreiterten
QRS-Komplex, während die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie die Indikationen nach der QRS-Breite
stratifiziert (› Tab. 3.21).
Tab. 3.21 Indikationen zur biventrikulären Stimulation (nach Rybak et al. 2008)
ESC-Leitlinien DGK-Leitlinien
Herzinsuffizienz und Sinusrhythmus
QRS > 120 ms 1A LSB, QRS > 150 ms IA
LSB, QRS 120–150 ms IIa A
Kein LSB, QRS > 120 ms IIb B
k.A. NYHA II, LSB, QRS > 150 ms IIb B
CRT-D akzeptabel bei Lebenserwartung > 1 Jahr, guter AZ I B individuelle Prüfung der CRT-D-Indikation
Herzinsuffizienz und SM-Indikation
Definition: permanente Stimulation IIa C Definition: RV-Stimulation erforderlich IIb C
• Sinusrhythmus nicht gefordert • Sinusrhythmus nicht gefordert
• kein QRS-Kriterium • kein QRS-Kriterium
Kommt es bei allen Patienten unter CRT zu einer Verbesserung der Symptomatik?
Nein. Derzeit spricht man je nach gewähltem Endpunkt von einer Responderquote von 55–75% (Rybak et al.
2008). Bisher ist es noch nicht gelungen Kriterien zu entwickeln, um die Responderquote zu verbessern. Die
Echokardiographie, mit der man eine Asynchronie des linken Ventrikels gut beurteilen kann, hat in einer großen
158 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Studie (PROSPECT-Studie) keine höhere Voraussagekraft (sowohl der klinischen Verbesserung als auch Verbes-
serung der Auswurffraktion (echokardiographisch gemessen) herbeiführen können (Chung et al. 2008), sodass
die QRS-Breite im EKG weiterhin der beste Vorhersageparameter ist. Je breiter der QRS-Komplex, desto größer
ist die Chance einer Verbesserung der Herzleistung durch eine Resynchronisation der Kontraktion (hier liegt der
Grund für die Stratifizierung der Indikation nach QRS-Breite durch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie).
Nach den ESC-Leitlinien besteht eine Klasse-IIa-Indikation. Nach den DGK-Leitlinien besteht nur eine Klas-
3 se-IIb-Indikation.
Da bei der Patientin eine massive Dilatation des linken Ventrikels besteht und eine ständige rechtsventri-
kuläre Stimulation erforderlich ist, erscheint der Versuch einer kardialen Resynchronisationstherapie in die-
sem Fall sinnvoll.
Weiter auffällig ist bei der Patientin, dass nur ein VVI-Schrittmacher implantiert ist. Im normalen Oberflä-
chen-EKG ist nicht eindeutig erkennbar, ob es sich um eine ventrikuläre Schrittmacherstimulation bei Vor-
hofflimmern oder Sinusrhythmus handelt. Erst im EKG bei inhibierter Schrittmacheraktion zeigte sich über-
aschenderweise eine erhaltene Sinusaktion, sodass hier umso mehr von einer hämodynamsichen Verbesse-
rung durch eine AV-Synchronisation mit resynchronisierter ventrikulärer Stimulation auszugehen ist.
Aufgrund der hochgradig eingeschränkten Funktion sollte ein Schrittmacher mit ICD-Funktion (= CRT-D)
gewählt werden.
Sie besprechen mit der Patientin die Indikation zur Implantation eines CRT-D.
Worüber müssen Sie aufklären?
Die Aufklärung für eine Schrittmacher- bzw. ICD-Implantation ist recht aufwendig:
• Z unächst muss die Patientin, wie bei jedem Eingriff, über die Indikation und die Alternativen aufgeklärt
werden.
• D er chirurgische Eingriff an sich mit möglichen Komplikation (Schmerzen, Blutung, Gefäß- und Nerven-
verletzungen, Infektionen etc.) muss erläutert werden.
• A uf das Verhalten nach dem Eingriff (vermeiden der Elevation des betroffenen Arms) muss besonders
eingegangen werden.
• D ie Nachsorge (Notwendigkeit von regelmäßigen Schrittmacher-/ICD-Kontrollen) sollte unbedingt be-
sprochen werden, ebenso das Verhalten bei eventuellen Therapieabgaben.
• Ü ber das Verhalten mit dem Schrittmacher/ICD muss aufgeklärt werden (Kontrollen beim Flughafen,
Meiden von Magnetfeldern, insbesondere Kernspin (außer bei neuesten MR-fähigen Aggregaten), elektri-
schen Feldern, Probleme mit elektrischen Geräten, z.B. transkutane elektrische Nervenstimulation =
TENS, elektrische Bohrmaschine, elektrische Zündanlagen, größere elektrische Maschinen mit elektri-
schen Störfeldern, Diebstahlkontrolleinrichtungen in Kaufhäusern, elektrischen Weidezäunen u.a.).
• D ie Patienten müssen ein Merkblatt (z.B. Informationsbroschüre des Herstellers) mit Verhaltensregeln
erhalten.
• D ie Aufklärung sollte anhand eines entsprechenden Aufklärungsbogen erfolgen und sorgfältig dokumen-
tiert werden.
• I nsbesondere bei jungen Patienten ist auf die Fahrtüchtigkeit einzugehen:
– Die Fahrtauglichkeit eines ICD-Patienten kann durch die Gefahr von Bewusstseinsverlusten einge-
schränkt sein. Hier ist stets eine individuelle Beurteilung des Risikos eines Bewusstseinsverlusts erfor-
3.13 Abnehmende Leistungsfähigkeit nach Aortenklappenersatz 159
derlich. Ggf. ist bei einer Progredienz der Erkrankung oder beim häufigen Auftreten von Therapien ei-
ne Neubeurteilung erforderlich.
– In den Leitlinien werden zur Beurteilung der Fahrtauglichkeit zwei Gruppen von Kraftfahrzeugführern
unterschieden. Zur Gruppe I gehören kleine Fahrzeuge mit und ohne Anhänger, Motorradfahrer und
Autofahrer, zur Gruppe II gehören Kraftfahrzeugführer von LKW (> 3,5 t) und Fahrzeugführer, die von
Berufs wegen mehr als acht Passagiere befördern. Taxi- und Krankenwagenfahrer werden zwischen
diesen beiden Gruppen eingeordnet.
– Nach den aktuellen Leitlinien sollten den Fahrzeugführern der Gruppe I nur minimale und vorüberge-
hende Restriktionen verordnet werden. In den letzten Jahren wurden die Restriktionen tendenziell ge-
lockert und die Dauer der Fahrverbote reduziert. Bei niedrigem Risiko sollte die Dauer des Fahrverbots
3 Monate nicht überschreiten.
– Die Voraussetzungen für Personen und Güterverkehr (Gruppe II) erfüllen ICD-Patienten in aller Regel 3
nicht, sodass diese Patienten möglicherweise berufsunfähig sind.
– Der Patient muss vor Implantation hierüber genau aufgeklärt werden (Dokumentation). Die Ein-
schränkungen beruhen aber nicht auf der ICD-Implantation an sich, sondern auf der Gefahr von Be-
wusstseinsverlusten durch Rhythmusstörungen.
Frau S. stimmt der Implantation eines biventrikulären Schrittmachers mit ICD-Funktion zu. Der Eingriff verläuft ohne
Komplikationen. Das Aggregat wurde zur Optimierung des Schockfelds links implantiert. Die ursprüngliche unipolare
Ventrikelsonde wurde stillgelegt. Intraoperativ wurde der ICD den Leitlinien entsprechend getestet.
Nach den noch gültigen offiziellen Leitlinien sollte weiter getestet werden. Die aktuelle Expertenmeinung ten-
diert aber deutlich dazu, Routinefälle, insbesondere bei Primärprophylaxe, nicht mehr zu testen, da ein ICD-Test
immer das Risiko einer tödlichen Komplikationen beinhaltet. Auch wird inzwischen die Vorhersagekraft einer
erfolgreichen Therapie eines künstlich herbeigeführten Kammerflimmerns bezweifelt (Blatt et al. 2008, Kolb et
al. 2009).
Wahrscheinlich werden sich die entsprechenden Leitlinien in kürzerer Zeit ändern.
Nach dem Eingriff veranlassen Sie eine Röntgenaufnahme.
Die Röntgenaufnahme dient zur Überprüfung der (radiologisch) korrekten Sondenlage sowie zur entspre-
chenden Dokumentation. Ein Pneumothorax sollte ebenfalls ausgeschlossen werden.
• a : Anschluss der stillgelegten Ventrikelsonde
• b : CRT-D-Aggregat
• c : Aortenklappenprothese
• d : Sonde in der lateralen Koronarvene
• e : ICD-Sonde mit zwei Schockwendeln im rechten Ventrikel (Dual-coil-Sonde)
• f: Sondenspitze der alten stillgelegten Ventrikelsonde.
Radiologisch handelt es sich um eine korrekte Sondenlage. Ein Pneumothorax lässt sich nicht nachweisen.
160 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Weiterer Verlauf: Bei der Patientin kommt es innerhalb weniger Wochen zu einer deutlichen Zunahme der Belastbarkeit
(jetzt NYHA-Stadium II).
In der Echokardiographie 18 Monate nach CRT-Implantation hat sich die Ventrikelgröße normalisiert, die systolische
Funktion ist nunmehr nur noch mäßig eingeschränkt.
Anmerkung: Die Werte stimmen tatsächlich und wurden von mehreren Untersuchern praktisch gleich ge-
messen. Den enormen Erfolg kann der Autor nur durch die deletäre und vor allem nicht indizierte ventriku-
läre Stimulation erklären.
LITERATUR
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3.14 Plötzlicher Leistungsknick 161
KASUISTIK
Ein 62-jähriger Patient stellt sich in Ihrer Ambulanz mit einem Leistungsknick seit einer Woche vor. Kleinste Anstrengun-
gen sind für ihn kaum mehr zu schaffen. Beim Blutdruckmessen fällt ein sehr langsamer Puls auf.
In der Vorgeschichte ist eine KHE bekannt, in die LAD und die RKA wurden vor 4 Jahren jeweils Stents implantiert. Seitdem
sind keine pectanginösen Beschwerden aufgetreten.
Als kardiovaskuläre Risikofaktoren sind ein arterieller Hypertonus und ein Z. n. Nikotinabusus bekannt.
Im Routinelabor finden sich folgende pathologischen Werte: Kreatinin 2,0 mg/dl, Hb 11,9 g/dl, übrige Werte (ein-
schließlich TSH) sind unauffällig.
Echokardiogramm: Aortenwurzel normal weit, AK: verdickt, Öffnungsbewegung vermindert, keine Insuffizienz, Vmax =
3,45 m/s, dpmax = 48 mmHg, dpmean = 23 mmHg je nach RR-Intervall, prä. valv. 1,00 m/s, dpmax 4 mmHg, KÖF nach
Kontinuitätsgleichung 1,2 cm2, damit mittelgradige Stenose – RA: normale Größe (visuell beurteilt), LA: gering vergrößert,
RV: normale Größe, LV: gering vergrößert, Wanddicken normal. Systolische Globalfunktion grenzwertig (planimetrische
EF ∼ 55%). Diastolische Globalfunktion normal, MK: verdickt, Bewegung normal, geringe Insuffizienz, keine Stenose,
Ringkalk; TK: altersentsprechend, Bewegung normal, dpmax (RV/RA) nicht beurteilbar – kein Perikarderguss.
SR, Kammerfrequenz 44/min, Linkstyp, AV-Block Grad II, T-Negativierung in I und aVL.
Können Sie anhand des kurzen EKG-Streifens den AV-Block Grad II näher
klassifizieren?
Bei dem AV-Block Grad II wird der Mobitz Typ I (Wenkebach) vom Mobitz Typ II unterschieden. Bei dem
Mobitz Typ I wird die PQ-Zeit zunehmend länger, bis eine Vorhofaktion nicht mehr auf die Kammer überge-
162 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
leitet wird. Bei dem Mobitz Typ II ist die PQ-Zeit konstant, es kommt hier jedoch ebenfalls zu fehlenden
Überleitungen von Vorhofaktionen auf die Kammer. Der Ort der Blockierung ist bei beiden Typen unter-
schiedlich. Der Blockierung bei dem Mobitz Typ II liegt unterhalb des AV-Knotens (infrahisär) und ist mit
deutlich höherer Progression zu kompletten AV-Blockierungen vergesellschaftet.
In dem oben dargestellten EKG ist eine Unterscheidung zwischen einem AV-Block Grad II Typ I und eines
Typ II nicht möglich. Da jede zweite Kammerüberleitung ausfällt, kommen beide Typen in Frage.
Es wird keine Vorhofaktion mehr auf die Kammern übergeleitet. Der Block kann intermittierend oder perma-
3 nent auftreten. Von einem untergeordneten Zentrum wird ein Kammerersatzrhythmus generiert. Befindet sich
das Kammerersatzzentrum im AV-Knoten oder His-Bündel, liegt die QRS-Dauer in der Regel unter 120 ms. Als
Faustregel gilt, je tiefer das sekundäre oder tertiäre Schrittmacherzentrum gelegen ist, desto langsamer ist der
Ersatzrhythmus. Insbesondere Patienten mit Kammerersatzrhythmen < 40/min haben häufig Synkopen.
Abgebildet sind drei Ableitungen. Zu beachten sind die mit den roten Pfeilen markierten Vorhofaktionen.
Man sieht, dass die PQ-Zeit von Herzzyklus zu Herzzyklus zunimmt. Die Vorhofaktion, die durch den 4. Pfeil
markiert ist, wird durch die Kammer nicht mehr beantwortet. Der anschließende Herzzyklus zeigt wieder
eine verkürzte PQ-Zeit.
Asymptomatischer AV-Block Grad III oder II (Mobitz I oder II) Klasse IIa C
Symptomatischer verlängerter AV-Block Grad I Klasse IIa C
Neuromuskuläre Erkrankung (z.B. myotonische muskuläre Dystrophie, Klasse IIb B
Kearns-Sayre-Syndrom, etc.) mit AV-Block Grad I
• Asymptomatischer AV-Block Grad I Klasse III C
• Asymptomatischer AV-Block Grad II Mobitz I mit supra-His-Überlei-
tungsblock
• AV-Block
mit erwarteter Rückbildung 3
Spontaner Sinusrhythmus, nach dem Ablauf des programmierten AV-Delay erfolgt die vorhofgetriggerte Sti-
mulation der Kammer.
Aufgrund von wissenschaftlichen Daten gibt es Hinweise, dass sich ein unnötig hoher Anteil an rechtsventri-
kulärer Stimulation negativ auswirken kann. Vor allem bei Vorliegen einer Herzinsuffizienz hat dies auch
prognostische Bedeutung. Auch bei erhaltener linksventrikulärer Funktion kommt es jedoch durch einen ho-
hen rechtsventrikulären Stimulationsanteil zu einem vermehrten Auftreten von Vorhofflimmern und nach
164 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
neusten Daten auch zu einer Verschlechterung der Ventrikelfunktion. Neue Schrittmacheralgorithmen erlau-
ben einen automatischen Moduswechsel zwischen AAI und DDD-Stimulation, um überflüssige rechtsventri-
kuläre Stimulation zu vermeiden. Bei unserem Patienten zeigte die weitere Verlängerung des AV-Delays (AV-
Hysterese) weiterhin eine rechtsventrikuläre Stimulation.
LITERATUR
Vardas PE, Auricchio A, Blanc JJ, et al. Guidelines for cardiac pacing and cardiac resynchronization therapy: The Task Force
for Cardiac Pacing and Cardiac Resynchronization Therapy of the European Society of Cardiology. Developed in Collabo-
ration with the European Heart Rhythm Association. Europace 2007; 9: 959–98.
KASUISTIK
Anamnese: Ein 62-jähriger Mann kommt in Ihre Praxis mit seit einigen Wochen bestehender Leistungsminderung und
Dyspnoe. Die Beschwerden traten initial vor allem beim Sport auf, zwischenzeitlich aber auch auf geringeren Belastungs-
stufen wie Treppensteigen, sodass der Patient zunehmend beeinträchtigt ist. Es bestehen keine Vorerkrankungen, keine
kardiovaskulären Risikofaktoren, keine typische Angina pectoris und auch keine klinischen Zeichen einer chronischen
Herzinsuffizienz.
Körperliche Untersuchung: Blutdruck am rechten Arm 140/90 mmHg, Herzfrequenz regelmäßig mit 60/min. Übrige
körperliche Untersuchung unauffällig.
Das Ruhe-EKG (Sr, etc.) und die Echokardiographie zeigen Normalbefunde (keine diastolische Funktionsstö-
rung). Bei der Fahrrad-Ergometrie fällt Ihnen auf, dass der Patient bei 75 Watt einen kompletten Linksschen-
kelblock entwickelt, einhergehend mit Dyspnoe und abrupter Leistungsminderung. Die Belastung wurde we-
gen neu auftretendem Linksschenkelblock abgebrochen. Nach kurzer Ruhephase war der LSB vollständig
rückläufig.
Es liegt eine positive Ergometrie bezüglich einer Ischämie vor. Es wird eine invasive Diagnostik vorgeschlagen.
Die Koronarangiographie zeigte einen Normalbefund ohne relevante Stenosen. Der Füllungsdruck im LV war leicht
erhöht (LV-end 16 mmHg).
Der Patient stellt sich nach wenigen Wochen erneut vor, weil die Symptome persistieren. Schwindelattacken oder synko-
pale Ereignisse werden explizit verneint. Sie beschließen, ein Langzeit-EKG durchzuführen.
Das Langzeit-EKG zeigte einen Sinusgrundrhythmus mit intermittierend kurzen Phasen von LSB. Insgesamt sind keine
längeren Pausen (> 3 s) nachzuweisen. Sie vermuten, dass die ausgeprägte Leistungsminderung auf einen Herzfrequenz-
assoziierten LSB zurückzuführen ist.
3.15 Dyspnoe und Leistungsschwäche bei Belastung 165
Eine Spiroergometrie (› Abb. 3.40; › Tab. 3.23) wäre eine Möglichkeit, um insgesamt die Leistungsfähig-
keit des Patienten zu objektivieren und gleichzeitig einzuordnen, inwiefern die Limitation eher kardial bzw.
pulmonal bedingt sein könnte.
KASUISTIK
Wie interpretieren Sie insgesamt den Befund? Ist der Patient kardial und
pulmonal ausbelastet?
Die Untersuchung wurde wegen Dyspnoe abgebrochen. Anstiege der Herzfrequenz und des Blutdrucks sind
adäquat und nicht pathologisch verändert. Der Patient ist kardial nicht ausbelastet (Herzfrequenz 79% Soll).
Pulmonal ist der Patient ebenfalls nicht ausbelastet, da die Atemreserve 52% beträgt.
Bei Gesunden ist bei kardialer Ausbelastung eine Atemreserve von ca. 25–30% erhalten. Die Atemreserve
bezieht sich dabei auf das MVV (maximales voluntäres Volumen, auch „Atemgrenzwert“). Das MVV wird in
den meisten Geräten anhand des forcierten exspiratorischen Volumens (FEV1) berechnet (FEV1 × 35). Bei
primär pulmonaler Limitation, z.B. bei fortgeschrittener COPD, kann die FEV1-bezogene Atemreserve unter
Belastung bereits „ausgeschöpft“ sein, bevor die Ziel-Herzfrequenz erreicht wird (z.B. 15%). Die Atemreserve
(breathing reserve, BR) wird auch in Panel 8 (› Abb. 3.40) dargestellt.
Die sogenannten kardiozirkulatorischen Parameter sind in › Abb. 3.40 in den Teilabbildungen 2, 3 und 5
dargestellt, während die vorwiegend ventilatorischen Parameter in den Teilabbildungen 1 sowie 7 und 8 ab-
gebildet sind (Einzelheiten zu ventilatorischer Limitation siehe weiterführende Literatur).
Eine im klinischen Alltag wichtige Kenngröße der Kardiozirkulation ist die maximale Sauerstoffaufnahme
(V’O2-max, ml/min/KG). Die V’O2-max liefert eine gute Übersicht über die kardiopulmonale Leistungsfähig-
keit eines Individuums und wird in %-Soll angegeben (verschiedene Normtabellen). Eine deutlich reduzierte
V’O2-max bzw. V’O2-AT (V’O2 zum Zeitpunkt der anaeroben Schwelle) ist ein schlechter Prognosemarker bei
Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz.
Der Patient hatte eine V’O2-max von 17,1 ml/min/KG und zeigt somit eine unterdurchschnittliche Leis-
tungsfähigkeit. Die anaerobe Schwelle liegt bei 53% der V’O2-max und liegt somit innerhalb der Norm. Bei
3.15 Dyspnoe und Leistungsschwäche bei Belastung 167
sehr gut trainierten Menschen wird die anaerobe Schwelle in Richtung V’O2-max verschoben (z.B. 80–90%
der V’O2-max). Bei Patienten mit fortgeschrittener COPD kann es vorkommen, dass die anaerobe Schwelle
gar nicht erreicht wird. Die anaerobe Schwelle kann durch die Interpretation von verschiedenen Kurven der
9-Felder-Grafik abgeschätzt werden. Eine serielle Laktatbestimmung ist daher nicht zwingend notwendig.
Wenn die pulmonale Sauerstoffaufnahme konstant bleibt (keine Diffusionsstörung), korreliert die pro Herz-
schlag transportierte Sauerstoffmenge gut mit dem Schlagvolumen. Dieser kardiozirkulatorische Parameter
wird in Abbildung 3.40, Panel 2 als „Sauerstoffpuls“ (als Sauerstoffaufnahme/Herzfrequenz, ml/Schlag) dar- 3
gestellt. Neben den Absolutwerten ist auch ein gleichmäßiger Anstieg des Sauerstoffpulses unter Belastung
zur Interpretation wichtig: Bei austrainierten Sportlern kommt es unter Belastung zu einem kontinuierlichen
Anstieg des Sauerstoffpulses, der die Normwerte (Normtabellen) üblicherweise deutlich übersteigt. Bei kar-
diozirkulatorischer Limitation kommt es hingegen typischerweise zu einer Abflachung bzw. Plateaubildung
der Sauerstoffpulskurve. Diese Plateaubildung ist allerdings nicht krankheitsspezifisch; so kann sowohl eine
Linksherzinsuffizienz als auch eine pulmonale Hypertonie eine Plateaubildung der Sauerstoffpulskurve be-
wirken.
Der Patient zeigt beginnend bei ca. 70 Watt bei einer Herzfrequenz von 80/min eine Plateaubildung der
Sauerstoffpulskurve (› Abb. 3.40, Panel 2). Diese Phase trat zeitgleich mit dem Auftreten eines LSB
(› Abb. 3.41) und Beginn einer klinischen Symptomatik (Dyspnoe und Gefühl von Leistungsminderung)
auf.
Der Patient wurde infolgedessen mit einem Betablocker (Bisoprolol 5 mg/die) behandelt, um einen Herzfre-
quenzanstieg unter einer körperlichen Belastung soweit abzuschwächen, dass der frequenzabhängige LSB
möglichst nicht auftritt. Die Medikation führte in der Tat zu einer deutlichen Besserung der subjektiven Leis-
tungsfähigkeit und zur Normalisierung des Alltags. Eine Indikation für weitere elektrophysiologische Unter-
suchungen bestand nicht. Ebenfalls ist eine Indikation für eine kardiale Resynchronisation nicht gegeben.
LITERATUR
Kroidl RF, Schwarz S, Lehnigk B. Kursbuch Spiroergometrie. Stuttgart: Thieme; 2010.
KASUISTIK
Eine 36-jährige Frau stellt sich in Ihrer kardiologischen Praxis vor. Seit ungefähr einem halben Jahr bemerkt sie eine zu-
nehmend eingeschränkte Ausdauer im Rahmen des regelmäßig durchgeführten Ausdauersports (ca. 1–2 Mal pro Woche
Jogging) und fühlt sich oft müde. Bei einer Blutuntersuchung des Hausarztes ergaben sich keine Auffälligkeiten. In der
Familie seien zudem keine Herzerkrankungen bekannt. Bislang war die junge Frau immer gesund gewesen. In der körper-
lichen Untersuchung fällt – besonders im Sitzen – ein 2⁄6 -Systolikum im 2. ICR parasternal links, sowie eine fixierte
Spaltung des 2. Herztons auf. Das EKG zeigt einen inkompletten Rechtsschenkelblock.
Anamnese, Untersuchungsbefund und EKG sind mit der Verdachtsdiagnose Vorhofseptumdefekt (ASD) ver-
einbar. Hierbei kommt es durch einen Shunt auf Vorhofebene zu einer Rechtsherzüberlastung, was die ge-
schilderte Symptomatik bedingen kann. Durch das erhöhte rechtsventrikuläre Volumen und die prolongierte
Auswurfphase resultieren in vielen Fällen eine Flussbeschleunigung über der Pulmonalklappe, sowie eine
atmungsunabhängige Spaltung des 2. Herztons. Ein inkompletter Rechtsschenkelblock kann in jungem Alter
sowohl physiologisch, als auch Ausdruck einer Rechtsherzbelastung sein.
Gelegentlich finden sich Vorhofseptumdefekte auch im Rahmen chromosomaler oder genetischer Syndrome
(Down-, Noonan-, Holt-Oram-Syndrom).
Bis zum Erwachsenenalter können Symptome komplett fehlen und ein ASD übersehen werden, da hier die
typischen Herzgeräusche oft noch nicht auskultierbar sind. Im Erwachsenenalter zeigen sich am häufigsten
Belastungsdyspnoe, Palpitationen, Müdigkeit und rezidivierende pulmonale Infektionen. Ebenso können pa-
radoxe Embolien – am häufigsten bei Vorliegen eines PFO – auftreten. In fortgeschrittenem Stadium treten
nicht selten Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflattern, Vorhofflimmern oder ein Sinusknotensyndrom auf.
Große Vorhofseptumdefekte führen unbehandelt zu einem pulmonalen Hypertonus durch pulmonal-vasku- 3
läre Widerstandserhöhung und entsprechenden (oft therapieresistenten) Symptomen. Kleine ASD (< 10 mm)
können lange unbemerkt bleiben, werden im höheren Lebensalter jedoch aufgrund einer eingeschränkten
Compliance des linken Ventrikels und daraus resultierendem größeren Shuntvolumen oft klinisch relevant.
Folgende Indikationen gelten als gesichert (Warnes et al. 2008, Baumgartner et al. 2010):
• Z eichen der rechtskardialen Volumenüberladung (vergrößerte rechte Herzhöhlen), unabhängig von der
Symptomatik (Klasse I, Evidenzgrad B)1
• P ulmonaler Blutfluss/systemischer Blutfluss (Qp/Qs) > 1,5 in der Rechtsherzkatheteruntersuchung (IIaC)
• P ulmonal-arterieller Druck weniger als 2⁄3 des system-arteriellen Druck, pulmonal-vaskulärer Widerstand
weniger als 2⁄3 des systemischen Widerstands, oder Ansprechen auf einen pulmonalen Vasodilatator oder
Probeokklusion (IIaC)1
• O kkluder-Verschlusssysteme sind die Therapie der Wahl bei ASD vom Secundum-Typ, wenn anwendbar
(IC)
• P aradoxe Embolisation (IIaC)
• D okumentierte Orthodeoxie/Platypnoe (Abfall der Sauerstoffsättigung in Abhängigkeit von der Körper-
position) (IIaB)
• E in ASD-Verschluss darf bei Patienten mit Eisenmenger-Syndrom nicht durchgeführt werden (IIIC)
Operation: Der operative ASD-Verschluss erfolgt mittels Patch-Plastik oder direktem Nahtverschluss via
rechtsseitiger Thorakotomie, Sternotomie oder neuen Mini-Thorakotomie-Verfahren. Begleitende Anomali-
en können und sollten während der Prozedur korrigiert werden, z.B. in Form einer Korrektur begleitender
Pulmonalvenenfehlmündungen, Trikuspidalklappen-Reparatur oder einer Maze-Prozedur bei begleitendem
Vorhofflimmern oder -flattern. Solange keine pulmonale Hypertonie oder andere schwere Begleiterkrankun-
gen vorliegen, ist die perioperative Mortalität niedrig (< 1%), das Langzeit-Outcome hervorragend und führt
meist zu einer deutlichen Verbesserung oder Sistieren der initialen Symptomatik.
1 In den ESC-Leitlinien wird in diesen Punkten zusätzlich zwischen Patienten mit einem pulmonal-vaskulären Widerstand kleiner
bzw. größer gleich 5 WU unterschieden (Baumgartner et al. 2010).
170 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Kathetergesteuerte Schirmimplantation: Hierbei wird via Femoralvene, Vena cava inferior, rechtem Vor-
hof der ASD sondiert und ein Katheter unter TEE- (oder intrakardialem Ultraschall) und Fluoroskopie-Kon-
trolle im linken Atrium positioniert. Nach Vermessung des Defekts mit einem Ballon (engl.: stretch diame-
ter), wird die linksatriale Scheibe des Doppelschirm-Verschlusssystems im linken Vorhof entfaltet und an
das interatriale Septum angelegt, wobei der Defekt komplett abgedeckt werden sollte. Bei adäquater Position
der linksatrialen Scheibe wird konsekutiv auch die rechtsatriale Scheibe eröffnet. Mittlerweile wurden ver-
schiedene Okkludersysteme für den perkutanen ASD-Verschluss zugelassen (Hein et al. 2005).
Anmerkung: Patienten, bei denen ein ASD-Verschluss vor dem 25. Lebensjahr erfolgt, haben eine norma-
le Lebenserwartung.
Ein ASD vom Primum-, Sinus-venosus-, oder Koronarsinus-Typ sollte in jedem Fall operativ versorgt wer-
den (IIaC), ebenso wie Patienten mit operationsbedürftigen kardialen Anomalien. Patienten mit ASD vom
Secundum-Typ und Kontraindikation zu einer perkutanen Intervention (z.B. fehlendes Septumgewebe am
anterioren oder posterioren Defektrand) bzw. Patienten bei denen eine Trikuspidalklappenoperation not-
wendig ist, sollten ebenfalls operiert werden (IIaC).
Anatomisch unkomplizierte ASD vom Secumdum-Typ sollten interventionell verschlossen werden. Voraus-
setzung ist ein Defektdiameter < 38 mm während der Ballonmessung und ein Rand > 5 mm (Ausnahme:
aortaler Defektrand). Die damit verbundenen peri- und postinterventionellen Komplikationsraten sind nied-
rig (schwere Komplikationen ≤1%). Sofern genügend Abstand zwischen den Defekten vorhanden ist
(> 7 mm) können auch multiple ASD während einer Prozedur verschlossen werden. Im Fall zwei nahe gele-
gener Defekte, ist oft auch ein einzelnes Schirmsystem zur Abdeckung beider Defekte geeignet.
• B ei grenzwertiger Indikation (z.B. kleiner ASD, grenzwertige rechte Herzhöhlen oder bei diskrepanten Befun-
den zwischen Symptomatik und Diagnostik) kann eine Stresstestung sinnvoll sein. Bei Patienten mit pulmona-
ler Hypertonie können mit dieser Methode auch Veränderungen in der Sauerstoffsättigung erfasst werden.
• D as TEE ist die primäre diagnostische Modalität, um einen interatrialen Shunt (Colour-Doppler-Modus)
und eine rechtskardiale Volumenüberladung zu evaluieren. Hierbei sollten die üblichen Standardschnitte
verwendet werden, mit besonderem Augenmerk auf subkostale Schnitte in tiefer Inspiration. Es gilt das
gesamte Septum, von der Einmündung der Vena cava superior bis zur Mündung der Vena cava inferior
darzustellen. Bei der Beurteilung einer rechtskardialen Belastung, sollten die rechten Herzhöhlen vermes-
sen werden. Weitere Anhaltspunkte sind eine paradoxe Bewegung des interventrikulären Septums mit
diastolischer Abflachung, sowie die Abschätzung des rechtsventrikulären Drucks anhand der systolischen
Spitzengeschwindigkeit über dem Trikuspidalklappenregurgitationsjet.
• Z ur exakten Beurteilung von Defektgröße und der Morphologie angrenzender Strukturen sowie um die
Insertationsstellen aller Pulmonalvenen erkennen zu können, ist ein TEE bzw. 3D-TEE sinnvoll. Speziell
bei komplexen ASD-Defekten (AVSD, Koronarsinus-Defekt) mit assoziierten intrakardialen Anomalien,
3.16 Eingeschränkte Belastbarkeit 171
bei der Vitiendiagnostik oder z.B. bei der Vermessung eines PFO-Tunnels liefert ein TEE – aufgrund der
besseren Bildqualität – eine präzise Information.
• E in Kardio-MRT liefert zwar detailreiche Informationen zur kardialen Anatomie und ebenso sind Be-
rechnungen von RV-Funktion und Shuntvolumen möglich, es wird jedoch nur im Falle schlechter Visua-
lisierungsmöglichkeiten mittels Ultraschall empfohlen.
Unabhängig von der Visualisierungsmodalität muss bei der Vorbereitung auf einen ASD-Verschluss eine ex-
akte Vermessung des Defekts und anliegender Strukturen erfolgen. Es sollte der maximale Defektdurchmesser
bestimmt werden, sowie der vordere und hintere Septumrand in verschiedenen Ebenen vermessen werden.
Voraussetzungen für eine interventionelle Behandlung des ASD sind ein maximaler aufdehnbarer Durchmes-
ser des Defekts < 38–40 mm und ausreichender Abstand (Randsaum ≥ 5 mm) vor allem zur freien Vorhof-
wand und den AV-Klappen.
3
Nein. Nur Patienten, die aufgrund ihres Alters möglicherweise begleitend eine koronare Herzerkrankung
aufweisen, oder Patienten ohne suffiziente nicht-invasive Diagnostik sollten einer Herzkatheteruntersuchung
zugeführt werden (Klasse IIIB).
Patienten mit einen Defekt < 5 mm ohne Nachweis von Symptomen und ohne Zeichen der Rechtsherzbelastung
benötigen normalerweise keinen Defektverschluss aufgrund des benignen Spontanverlaufs. Patienten mit
schwerer, irreversibler pulmonal-arterieller Hypertonie und ohne Nachweis eines Links-rechts-Shunts (Druckan-
gleich) sollten keinen ASD-Verschluss erhalten (Klasse III) und maximal medikamentös behandelt werden.
Spezielle Kontraindikationen beim perkutanen Defektverschluss:
• P atienten mit kongenitalen oder erworbenen kardialen Anomalien, die ohnehin ein chirurgisches Vorge-
hen rechtfertigen
• P atienten mit Sepsis innerhalb eines Monats vor Intervention, oder Patienten mit aktiver systemischer
Infektion
• P atienten mit Blutungsneigung, gastrointestinalen Ulzerationen, oder anderen Kontraindikationen ge-
genüber einer 6-monatigen antithrombozytären Therapie
• P atienten mit intrakardialem Thrombus
• P atienten deren Defektrand weniger als 5 mm von einer AV-Klappe, dem Koronarsinus oder der rechten
oberen Pulmonalvene entfernt ist
• P atienten mit bekannter Nickelallergie
• P atienten mit Kontraindikationen gegenüber der Durchführung eines TEEs (z.B. Ösophagusstenose,
-divertikel) oder gegenüber der Katheterprozedur selbst (z.B. komplizierter Gefäßzugang).
• R estshunt
• O kkluderembolisation, Luftembolisation
• O kkluderfraktur
172 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
• P erikarderguss/-tamponade
• R estshunt
• R echtsventrikuläre systolische und diastolische Dysfunktion
• M itral- oder Trikuspidalklappeninsuffizienz
• A rrhythmien
• P ulmonalvenen-Stenose oder Cava-Venen-Stenose (Sinus-venosus-Defekt)
• P ostperikardiotomie-Syndrom.
Im TEE der Patientin zeigen sich vergrößerte rechte Herzhöhlen und ein gut sichtbarer interatrialer Defekt ohne weitere
begleitende intrakardiale Anomalien. Systolischer Spitzengradient über der Trikuspidalklappe 40 mmHg + ZVD. Im 3D-
TEE findet sich ein suffizienter Defektrand (› Abb. 3.42).
Abb. 3.42 Links: TEE-Bild mit intermediärer Schnittführung. Längsachsendarstellung der oberen Hohlvene (VCS). Atrialer Septum-
defekt vom Secundum-Typ (Pfeil). Mitte: Ausgeprägter Links-Rechts-Shunt auf Vorhofebene im synchronen farbkodierten Doppler-
verfahren mit zentralem Farb-Alias nach gelb durch die relativ hohe Shuntflussgeschwindigkeit. Rechts: Linksatrialer Blick im 3D-
TEE auf den Defekt mit der Möglichkeit einer Vermessung des Abstands zu angrenzenden Strukturen.
3.16 Eingeschränkte Belastbarkeit 173
In Zusammenschau der Befunde (Alter, Symptome, Nachweis einer Rechtsherzbelastung, intrakardiale Anatomie)
ist – falls keine anderen Kontraindikationen bestehen – eine kathetergestützte Okkluderimplantation sinnvoll.
In der Rechtsherzkatheteruntersuchung zeigt sich ein Qp/Qs-Quotient von 1,6. Es wird komplikationslos ein Amplatzer-
Verschlusssystem eingesetzt (› Abb. 3.43, › Abb. 3.44, › Abb. 3.45).
Abb. 3.44 TEE mit intermediärer Schnittführung. Biplane Darstellung des Vorhofseptums während der Implantationsprozedur des
Amplatzer-Okkluders
174 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
• 6 Monate mindestens ASS-Therapie (Hein et al. 2005) (üblicherweise ASS + Clopidogrel), danach ist die
Endothelialisierung des Okkluders meist komplett.
• R egelmäßige kardiologische Nachuntersuchungen inklusive Evaluation eines Restshunts, Dokumentation
der Größe von rechtem Vorhof und Ventrikel, sowie Trikuspidalklappenregurgitation und pulmonal-arteri-
ellem Druck im UKG und ebenso Verlaufs-EKGs (ggf. Holter-EKG) zum Ausschluss etwaiger Arrhythmien.
• T ypische Nachuntersuchungsintervalle (ohne Restshunt oder andere Komplikationen): 4 Wochen, 6 Mo-
nate, 12 Monate, danach alle 2-4 Jahre.
• T ypische Spätkomplikation: atriale Tachykardie/-arrhythmie. Cave: transseptale Punktion bzgl. Ablati-
onsverfahren nicht mehr möglich!
3 • E ndokarditisprophylaxe innerhalb der ersten 6 Monate nach Implantation.
• K eine Restriktionen bzgl. sportlicher Aktivität bei asymptomatischen Patienten ohne pulmonale Hyperto-
nie, ohne Arrhythmien oder rechtsventrikuläre Dysfunktion.
• E in Okkluder in situ ist keine Kontraindikation für eine zukünftige Schwangerschaft bei asymptomati-
schen Patientinnen.
• R ücksprache mit den Radiologen/Okkluderhersteller bzgl. der MRT-Kompatibilität.
LITERATUR
Baumgartner H, Bonhoeffer P, De Groot NM, et al. ESC Guidelines for the management of grown-up congenital heart di-
sease (new version 2010): The Task Force on the Management of Grown-up Congenital Heart Disease of the European
Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J. 2010; 31: 2915–57.
Hein R, Buescheck F, Fischer E, et al. Atrial and Ventricular Septal Defects Can Safely Be Closed by Percutaneous Interventi-
on. J Interv Cardiol. 2005, 18(6): 515–22.
Warnes CA, Williams RG, Bashore TM, et al. ACC/AHA 2008 guidelines for the management of adults with congenital heart
disease: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines
(Writing Committee to Develop Guidelines on the Management of Adults With Congenital Heart Disease). Developed in
Collaboration With the American Society of Echocardiography, Heart Rhythm Society, International Society for Adult Con-
genital Heart Disease, Society for Cardiovascular Angiography and Interventions, and Society of Thoracic Surgeons. J Am
Coll Cardiol. 2008; 52(23): e1–121.
KASUISTIK
Ein 55-jähriger Patient stellt sich mit zunehmender Atemnot in der kardiologischen Ambulanz Ihrer Klinik vor. Er habe
bereits in den letzten Monaten über zunehmende Kurzatmigkeit und Müdigkeit geklagt. Der überweisende Hausarzt hat
bei Strömungsgeräuschen über dem Herzen den V.a. ein Herzklappenvitium.
Der körperliche Untersuchungsbefund lautet: 165 cm, 75 kg, reduzierter Allgemeinzustand. Keine Zyanose, periphe-
re Ödeme. RR: 150/70 mmHg, Frequenz 90/min, Atemfrequenz 18/min. Keine Jugularvenenstauung. Cor: 3⁄6 -Diastolikum
sowie betonter 1. Herzton über der Herzspitze. Pulmo: Klopfschall sonor, Vesikuläratmung; An Vorerkrankungen sind
bekannt: arterielle Hypertonie, paroxysmales Vorhofflimmern.
Sinusrhythmus, Rechtstyp, Frequenz 90/min, P mitrale (P verbreitert und doppelgipflig in Abl. I, biphasisch
in V1). Zeichen der rechtsventrikulären Hypertrophie.
Ein Rechtstyp ist ein eher seltener Befund. Wie können Sie feststellen, dass das
EKG nicht verpolt ist?
Eine positive p-Welle in Ableitung I bei SR spricht für eine korrekte Ableitung der Armelektroden.
Deutliche Vergrößerung des linken Vorhofs, Einengung des Retrokardialraums sowie Aufspreizung der Tra-
chea. Vergrößerter Herzschatten. Aortenelongation und Aortensklerose. Keine Stauungszeichen, keine Infil-
trate, Interlobärerguss. Insgesamt mitralkonfiguriertes Herz.
Echokardiographie: Aortenwurzel normal weit (32 mm), Aortenklappe: altersentsprechend, Öffnungsbewegung nor-
mal, keine Insuffizienz, keine Stenose. Rechter Vorhof: gering vergrößert (visuell beurteilt); linker Vorhof: deutlich vergrö-
ßert (63 mm); rechter Ventrikel: vergrößert; linker Ventrikel: normale Größe (LVED: 47,5 mm, LVES: 32,4 mm), Wanddi-
cken normal (IVS: 8,9 mm, LHW: 8 mm), systolische Global-Funktion noch normal (planimetrische EF ∼55%), paradoxe
Septumbewegung; Mitralklappe: deutlich verdickt, Bewegung verändert, geringe Insuffizienz, Stenose: Vmax: 2,5 m/s,
dpmax: 25 mmHg, PHT (pressure half time): 280 ms, Mitralklappenöffnungsfläche: 0,8cm2 (berechnet über PHT nach der
Formel 220/PHT); Trikuspidalklappe: altersentsprechend, Bewegung normal, deutliche Insuffizienz, dpmax RV/RA:
64 mmHg.
176 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Es handelt sich um den klassischen rheumatischen Herzklappenfehler, allerdings mit abnehmender Häufig-
keit in den Industrieländern. Zwei Drittel der Patienten sind weiblich.
Seltene Ursachen: Z.n. Endokarditis, kongenital, Karzinoid, SLE, Morbus Fabry, Morbus Whipple, Muko-
polysaccharidosen.
Bei rheumatischem Fieber als Ursache kommt es nach entzündlichen Prozessen zu einer Verdickung und Kalzifi-
zierung der Klappen; die Verschmelzung der Kommissuren und des Mitralklappenhalteapparats führt zur Steno-
sierung. Der transmitrale diastolische Druckgradient führt zu einer Drucksteigerung im linken Vorhof und Ein-
schränkung der linksventrikulären Füllung und des Herzzeitvolumens (HZV). Infolge der erhöhten pulmonal-ve-
3.17 Zunehmende Dyspnoe und Müdigkeit 177
nösen Drücke kann es zum Lungenödem kommen. Bei chronischer Mitralstenose kommt es zur Vasokonstriktion
und Wandhypertrophie der Pulmonalarterien/-arteriolen mit Entwicklung einer pulmonalen Hypertonie und in-
folge Rechtsherzbelastung. Die Vorhofvergrößerung begünstigt Vorhofflimmern. Durch den Wegfall der atrialen
Kontraktion wird das HZV weiter reduziert. Das Risiko für Thrombenbildung und systemische Embolien steigt.
Der transmitrale Gradient hängt von der Flussrate und der diastolischen Füllungszeit ab. Symptome entwi-
ckeln sich daher bei Belastung oder Vorhofflimmern. Es besteht eine exponenzielle Beziehung zwischen dem
transvalvulären Druckgradienten und dem Mitralfluss sowie eine relativ gute Korrelation zwischen der Mit-
ralklappenöffnungsfläche MÖF und der Klinik der Patienten. Die MÖF beträgt normalerweise 4–5 cm2. Ab 3
einer MÖF < 2,5 cm2 sind Beschwerden zu erwarten.
Mobilität, Grad der Verkalkung, Dicke der Klappen, Beteiligung des Halteapparats.
Lävokardiographie in zwei Ebenen: Die biplan durchgeführte Lävokardiographie zeigt einen vergrößerten linken
Ventrikel mit normaler Funktion (EF > 60%). Keine relevanten Kontraktionsstörungen. Keine relevante Mitral
insuffizienz.
Rechtsherzkatheter: Schwere pulmonale Hypertonie mit fast systemischen Drücken (PAs/d/m: 100/43/65 mmHg; PCm/
v-Welle 30/40 mmHg); berechnete MÖF: 0,7 cm2.
Selektive Koronarangiographie: Die selektive Darstellung der linken Herzkranzarterie zeigt einen unauffälligen
Hauptstamm. Der Ramus descendens anterior zeigt Wandunregelmäßigkeiten. Der Ramus circumflexus zeigt Wandunre-
gelmäßigkeiten und distal eine 30% Stenose. Ebenso zeigt die rechte Herzkranzarterie nur Wandunregelmäßigkeiten
ohne Stenosen.
• S ymptomatische Patienten (NYHA II–IV), MÖF < 1,5 cm2, geeignete Klappenmorphologie (Klasse I).
• Asymptomatische Patienten, MÖF < 1,5 cm2, pulmonale Hypertonie in Ruhe (PA-Druck > 50 mmHg)
oder unter Belastung (PA-Druck > 60 mmHg). (Klasse I).
Kontraindikation ist eine relevante begleitende Mitralklappeninsuffizienz und/oder ungünstige Klappen-
morphologie.
Zunächst Einführen eines Pigtail-Katheters in den linken Ventrikel sowie eines Rechtsherzkatheters in die
Pulmonalarterie mit Berechnung des transmitralen Gradienten und der Klappenöffnungsfläche sowie Lävo-
kardiogramm zur Beurteilung der Mitralinsuffizienz.
Nach transseptaler Punktion (› Abb. 3.49a) wird der Inoue-Ballonkatheter (› Abb. 3.49b) im lin-
ken Atrium platziert. Nach Vorführen über die Mitralklappe wird der Ballon aufgedehnt. Danach erfolgt
eine erneute Bestimmung des transmitralen Gradienten, der Klappenöffnungsfläche sowie der Mitralin-
suffizienz.
1. Symptomatischer Patient (NYHA III und IV) mit MS (MÖF < 1,5 cm2) und für MVP nicht geeigneter
Morphologie (Klasse I) .
2. Symptomatischer Patient (NYHA II) mit schwerer MS (MÖF < 1,0 cm2) und schwerer pulmonaler
(> 60 mmHg) Hypertonie (Klasse IIa).
Sie ist indiziert bei für die Valvuloplastie nicht geeigneter Mitralklappenmorphologie (einschließlich beglei-
tender relevanter Mitralklappeninsuffizienz), klinisch gelten ansonsten die gleichen Kriterien wie bei der Val-
vuloplastie (› Abb. 3.50).
Die Indikationen für eine Intervention orientieren sich an der Klappenöffnungsfläche und der Klinik des
Patienten. Bei Patienten mit NYHA III–IV (MÖF > 1,5 cm2) und fehlendem belastungsinduziertem Druckan-
stieg (PA > 60 mmHg, Wedge ≥ 25 mmHg) können andere Ursachen vorliegen. Bei asymptomatischen Patien-
ten mit schwerer Mitralstenose (MÖF ≤1,5 cm2 sowie PA-Druck > 50 mmHg) wird, sofern keine anderen
pulmonalen Erkrankungen vorliegen, bei geeigneter Morphologie eine Valvuloplastie (Klasse I) empfohlen.
180 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Mitralstenose
3
MÖF > 1,5 cm2 MÖF ≤ 1,5 cm2 MÖF > 1,5 cm2 MÖF ≤ 1,5 cm2
Belastung: Belastung:
PA-Druck > 60 mmHg PA-Druck > 60 mmHg
Wedge ≥ 25 mmHg Wedge ≥ 25 mmHg
nein ja ja
Jährliche Valvuloplastie
Kontrolle möglich?
Hohes PA-Druck
Op-Risiko? > 60–80 mmHg
ja nein ja nein
LITERATUR:
2008 Focused Update Incorporated Into the ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients with Valvular Heart
Disease. J Am Coll Cardiol 2008; 52: e1–e142.
http://content.onlinejacc.org/cgi/content/full/52713/e1
3.18 Dyspnoe, Leistungsschwäche und Beinödeme 181
KASUISTIK
Ein bei Erstkontakt 49-jähriger Patient wurde von der nephrologischen Ambulanz des Klinikums auf die kardiologische
Station eingewiesen.
Der Patient schildert eine seit einem Jahr zunehmende Belastungsdyspnoe beim schnellen Laufen und Treppensteigen
sowie eine Zunahme des Bauchumfangs. Seit ca. 6 Monaten werden außerdem Unterschenkelschwellungen bei längerem
Sitzen, verbunden mit einem Stauungsgefühl im Bauch beobachtet. Gewichtszunahme um 8 kg auf 88 kg in diesem
Zeitraum bei gleichbleibender Ernährung. Keine belastungsabhängigen Brustschmerzen.
Der Patient war bis vor einem Jahr bis zum Auftreten eines fieberhaften Infekts sehr sportlich gewesen. Damals seien
Pleura- und Perikardergüsse sowie ein diskreter Aszites diagnostiziert worden, die sich unter körperlicher Schonung
spontan wieder zurückgebildet hätten. Keine weiterführende Diagnostik damals. Subjektiv kein Fieber seitdem. 3
An kardiovaskulären Risikofaktoren bestehen eine labile arterielle Hypertonie sowie eine Hypercholesterinämie. Anam-
nestisch ist außerdem ein Asthma bronchiale bekannt, bei Bedarf behandelt mit Beta-Sympathomimetika.
Keine regelmäßige weitere Medikamenteneinnahme aktuell.
In dem von der nephrologischen Ambulanz erhobenen Labor waren pathologisch: Gamma-GT mit 111 U/l (Norm bis
80 U/l), APH mit 201 U/l (Norm bis 190 U/l), Quick 69% (Norm 70–120%), CRP 0,78mg/dl (Norm < 0,50 mg/dl). U-
Status unauffällig. Kein Hinweis auf eine Autoimmunerkrankung. Negativer Tuberkulintest.
Bei der körperlichen Untersuchung betrug das Gewicht 88 kg bei 188 cm Körpergröße, der Blutdruck am rechten Arm
150/100 mmHg, Herzfrequenz regelmäßig mit 84/min. Auskultation von Herz und Lunge unauffällig, die Jugularvenen
waren maximal gestaut, deutlicher Aszites, ausgeprägte prätibiale Ödeme bds. Temperatur axillär 36,5°C.
Rechtsführende Herzinsuffizienz, z.B. bei restriktiver Kardiomyopathie, Myokarditis, KHK (z.B. Rechtsventri-
kelinfarkt), chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, rez. Lungenembolien, chronischer Perikarditis, Vitien.
Eine renale Ursache ist bei den bisher erhobenen Befunden unwahrscheinlich.
SR, Steiltyp, Frequenz 86/min. Unspez. Erregungsrückbildungsstörungen über der Hinterwand und lateral.
Angesichts der Vorgeschichte sowie der jetzt erhobenen Befunde handelt es sich um eine Pericarditis con
strictiva als Folge einer vor einem Jahr wohl nicht ausgeheilten akuten Peri(myo)karditis (› Kap. 1.3), wo-
bei die dopplerechokardiographischen Befunde im Vergleich zur Klinik und zur invasiven Hämodynamik
ungewöhnlich diskret waren. 3
Die Perikardverdickungen können sich auf den linken oder rechten Ventrikel oder auch auf beide Ventrikel
erstrecken. Alle diese Formen können mit unterschiedlicher Ausbildung einer perimyokardialen Fibrose und
myokardialer Atrophie einhergehen, deren Ausmaß mitentscheidend ist für die postoperative Prognose der
Patienten. Die Vorhöfe können vergrößert sein, aber auch normale Dimensionen aufweisen.
Zusammenfassend sollten nach den ESC-Richtlinien von 2004 folgende diagnostische Schritte bei der Ver-
dachtsdiagnose einer chronischen Perikarditis beachtet werden:
• B ei der klinischen Untersuchung können sich Zeichen der systemischen venösen Stauung mit erniedrig-
ter Herzleistung finden mit peripheren Ödemen, gespanntem Abdomen, Jugularvenenstauung, niedrigem
Blutdruck, Pleuraergüssen und ggf. auch Muskelatrophie.
• D as EKG kann normal sein oder Zeichen eine Niedervoltage aufweisen, unspezifische Erregungsrückbil-
dungsstörungen, AV-Blockierungen, Vorhofflimmern sowie Zeichen intraventrikulären Erregungsaus-
breitungsstörungen.
• I n der Röntgen-Thorax-Aufnahme können Perikardverkalkungen und Pleuraergüsse imponieren.
• D ie transthorakale Ultraschalluntersuchung (2-D- und M-Mode) kann Perikardverdickung und Peri-
kardverkalkungen sowie indirekte Zeichen einer Konstriktion zeigen: Vergrößerung der Vorhöfe, in der
Regel normale systolische Funktion, auffällige Septumbewegung, erweiterte Vena cava inferior und Le-
bervenen. Im Doppler Parameter der diastolischen Dysfunktion.
• C T/MRT: Perikardverdickung bzw. -verkalkung, Vergrößerung der Vorhöfe, röhrenförmige Ventrikel-
konfiguration.
• H erzkatheteruntersuchung: Hämodynamik: „dip and plateau“- oder „square route”-Zeichen der Druck-
kurven des rechten und/oder linken Ventrikels. Angleichung der rechts- und linksventrikulären Füllungs-
drücke (< 5 mmHg oder weniger Unterschied).
• E ine Koronarangiographie wird bei Patienten über 35 Jahren empfohlen sowie bei Patienten mit voraus-
gegangener mediastinaler Bestrahlung, dann unabhängig vom Lebensalter.
184 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Wie kann man eine restriktive Form von einer konstriktiven Form einer
Kardiomyopathie unterschieden werden?
Das EKG ist diesbezüglich nicht wegführend. In der Thoraxübersicht finden sich bei der restriktiven Kardio-
myopathie keine Verkalkungen, diese müssen, wie bei unserem Fall, bei einer Pericarditis constrictiva auch
nicht vorhanden sein. In der 2-D-Echokardiographie sind bei der restriktiven CMP die Wände meist ver-
dickt und zeigen im Falle einer Amyloidose ein charakteristisches Echomuster. Bei der Pericarditis constric-
tiva sind die Wände meist normal, das Perikard ist verdickt und kann Verkalkungen aufweisen. Im Doppler
ist bei der restriktiven Kardiomyopathie im Mitralflussprofil die E-Welle unabhängig von In- und Exspirati-
on, die E/A-Ration > 2. Bei der Pericarditis constrictiva kommt es inspiratorisch zu einer Abnahme der
E-Welle, umgekehrt bei Exspiration zu einer Zunahme.
3 Bei invasiv ermittelten Hämodynamik ist bei der restriktiven Kardiomyopathie der LVEDP in der Regel
höher als der RVEDP, der systolische RV-Druck meist über 50 mmHg.
Bei der Pericarditis constrictiva sind die Füllungsdrücke in beiden Ventrikeln meist gleich, bei Inspiration
kann eine Zunahme des systolischen Drucks im RV und eine Abnahme im LV beobachtet werden, umgekehrt
bei Exspiration. Ein „dip und plateau“-Phänomen wird bei beiden Krankheitsbilder beobachtet.
Die Perikardektomie ist die einzig sinnvolle Option bei einer Konstriktion. Ein kardiopulmonaler Bypass ist
nicht erforderlich. Wichtige perioperative Komplikationen sind eine Ventrikelruptur sowie ein akutes Pump-
versagen. Eine ungünstige Prognose besteht bei präoperativ nicht erkannter Myokardfibrose oder -atrophie.
In größeren Untersuchungen wird eine Mortalität von 6–12% berichtet. Eine vollständige Normalisierung
der Hämodynamik nach Perikardektomie wird nur in ca. 60% erreicht.
Verlauf bei unserem Patienten: Unter einer Diuretikatherapie mit Torasemid 30 mg/d, verteilt über drei Einzeldosen
sowie Spironolacton 50 mg/d waren nach 3 Wochen die Pleuraergüsse sowie der Aszites nicht mehr nachweisbar, die
peripheren Ödeme fast vollständig verschwunden. Klinisch imponierte weiter ein erhöhter Jugularvenenpuls, die Belast-
barkeit des Patienten besserte sich, war aber weiterhin eingeschränkt im Vergleich zu früher.
Der Patient wurde daraufhin in der Herzchirurgie zur Perikardektomie aufgenommen.
Nach medianer Längssternotomie fand sich ein stark verdicktes und verschwieltes Perikard, das eine Wanddicke zwischen
5 und 8 mm aufwies. Durch Lösen von flächenhaften Verwachsungen wurde die Vorderwand des rechten Ventrikels
freigelegt. Unmittelbar postoperativ sank der zentralvenöse Druck von 20 auf 12 mmHg.
Im Verlauf der folgenden 2 Jahre normalisierten sich die Transaminasen, kein Nachweis mehr einer Hepatomegalie, nor-
maler Jugularvenendruck. Der Patient ist wieder sehr gut belastbar und treibt regelmäßig Ausdauersport.
LITERATUR:
Maisch B, Seferović PM, Ristić AD, et al. Guidelines on the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases. The Task
Force on the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases of the European Society of Cardiology. Eur Heart J. 2004;
25: 587–610.
3.19 Progrediente Dyspnoe, Angina pectoris und Schwindel 185
KASUISTIK
Es wird Ihnen ein 73-jähriger Patient stationär überwiesen. Es bestehen ein Engegefühl über der Brust und zunehmend
Atemnot unter körperlicher Belastung. Außerdem beklagt der Patient eine Schwindelsymptomatik und Müdigkeit. Ankar-
diovaskulären Risikofaktoren bestehen eine arterielle Hypertonie, eine Dyslipidämie sowie ein ausgeprägter Nikotin
abusus mit 27 pack years.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Größe: 176 cm, Gewicht: 66 kg, guter AZ, Bauchumfang: 87 cm, wach und
orientiert. Keine Zyanose, keine Ödeme. RR 125/70 mmHg, Herzfrequenz 70/min, Atemfrequenz: 12/min. Jugularvenen-
stauung bis 2 cm über Jugulum, Cor: Herztöne regelmäßig, raues 3⁄6-Systolikum über ICR III re. mit Fortleitung in die
Karotiden. Pulmo: auskultatorisch und perkutorisch unauffällig. Abdomen und peripherer Pulsstatus o.p.B.
Die kardialen Marker sind im Normbereich. Ein akutes Koronarsyndrom kann ausgeschlossen werden. Sie ordnen ein 3
12-Kanal-EKG, Röntgen-Thorax sowie eine Echokardiographie an.
Überdrehter Linkstyp, Sinusrhythmus mit Herzfrequenz: 59/min.; PQ Intervall: 148ms, QRS-Dauer: 108 ms,
P-Dauer: 112 ms. Regelrechte R-Progression. Keine ERBST.
Befund Echokardiographie: Aortenwurzel normal weit (34 mm), Aorta ascendens normal weit. AK: trikuspid, verdickt,
Öffnungsbewegung vermindert, geringe, zentrale Insuffizienz mit exzentrischem Jet zum AML. Hämodynamik: Vmax:
4,09 m/s, dpmax: 67 mmHg, dpmean: 36 mmHg (AÖF nach der Kontinuitätsgleichung: ca. 0,7 cm2, AÖF nach KOF: 0,4 cm2).
LV: normale Größe (LVED: 49 mm, LVES: 25 mm), Wände mäßig verdickt mit septaler Betonung (IVS: 16 mm, LHW: 15 mm).
Systolische Globalfunktion normal, eher hyperkontraktil (FS: 49%). Keine reg. Kontraktionsstörungen. Diastolische Funkti-
onseinschränkung Grad I. MK: geringe Mitralring-Verkalkung, altersentsprechende Segel, Bewegung normal, physiologische
Insuffizienz, keine Stenose. TK: altersentsprechend, Bewegung normal, physiologische Insuffizienz, dpmax RV/RA = 23 mmHg.
• G
eringgradig, mild: KÖF >1,5 cm2; mittlerer Gradient < 25 mmHg, Jet-Geschwindigkeit < 3,0 m/sec.
• M
ittelgradig, moderate: KÖF: 1,0–1,5 cm2; mittlerer Gradient: 25–40 mmHg; Jet-Geschwindigkeit: 3–4 m/sec.
• H
ochgradig, severe: KÖF < 1,0 cm2; mittlerer Gradient > 40 mmHg; Jet-Geschwindigkeit > 4 m/sec.
Es liegt nach den hämodynamischen Parametern der Jet-Geschwindigkeit (Vmax > 4 m/sec) eine hochgradige
Aortenklappenstenose vor; die systolische Globalfunktion ist bei konzentrischer linksventrikulärer Hypertro-
phie gut oder hyperkontraktil. Damit sind die klinischen Beschwerden des Patienten und die kardiale Struk-
turveränderung mit dem Klappenvitium zunächst gut vereinbar. Zur Planung der Klappenersatzoperation ist
eine Herzkatheteruntersuchung vorgesehen.
186 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Befund Herzkatheter: Die selektive Darstellung der linken Herzkranzarterie zeigt einen unauffälligen Hauptstamm. Der
Ramus descendens anterior zeigt proximal eine 50%-ige Stenose und medial eine 50- bis 75%ige Stenose. Der Ramus
circumflexus zeigt distal eine 50%ige Stenose. Die rechte Herzkranzarterie zeigt proximal eine subtotale Stenose. Eine
retrograde Sondierung der Aortenklappe erfolgt nicht, da die vorliegenden Befunde eine klare OP-Indikation ergeben und
keine zusätzlichen Informationen zu erwarten sind.
3.19 Progrediente Dyspnoe, Angina pectoris und Schwindel 187
Darüber hinaus wird auf Wunsch der Herzchirurgie präoperativ eine transösophageale Echokardiographie durchgeführt.
Befund transösophageale Echokardiographie (› Abb. 3.54): Aortenklappe: verdickt, geringe Verkalkung, reduzier-
te Öffnungsbewegung, trikuspid angelegt bei jedoch eingeschränkter Separation der links- und rechts-koronaren Tasche,
planimetrische KÖF 1,5cm2, mittelgradige zentrale Insuffizienz. Aorta asc./desc./thorac.: soweit einsehbar normal weit.
Welche Graduierung des Klappenvitiums nehmen Sie nun vor? Welche Methoden
zur Quantifizierung der Aortenklappenfläche kennen Sie; diskutieren Sie diese.
Auf welche Parameter der Echokardiographie stützen Sie sich?
Nach der durchgeführten Planimetrie der KÖF liegt eine mittelgradige Stenose vor.
Vor- und Nachteile der einzelnen Graduierungsverfahren in der Echokardiographie:
• B estimmung der Spitzenflussgeschwindigkeit (kontinuierlicher Doppler) über der Aortenklappe (m/s):
– Vorteile sind die direkte Messung der Geschwindigkeit, gilt als stärkster Prädiktor für das klinische Outcome
– Einschränkung: abhängig von der Qualität des Dopplersignals, Vmax niedrig bei eingeschränkter EF, AS wird
unterschätzt/nicht erkannt, selten: Überschätzung wg. Mitralinsuffizienz bzw. bei Aorteninsuffizienz
• B estimmung des Druckgradienten (kontinuierlicher Doppler) nach der Bernoulli-Gleichung (mmHg):
∆Pmean (mmHg) = 4 × Vmean2 bzw.
∆Pmax (mmHg) = 4 × Vmax2
– Vorteil ist die Ableitung aus dem Flussgeschwindigkeitsprofil, gute Korrelation mit den invasiven Mes-
sungen
188 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Es liegt nach der Planimetrie lediglich eine mittelgradige Aortenstenose vor. Die maximale Jet-Geschwindig-
keit ist grenzwertig „hochgradig” erhöht (Vmax: 4,09 m/s), der mittlere Gradient ist mit < 40 mmHg a.e. mit-
telgradig. Die aktuellen Beschwerden des Patienten sind somit durch die schwere koronare Herzerkrankung
oder das Klappenvitium erklärbar.
Wenn nach nicht-invasiver Bildgebung Unklarheit oder eine Diskrepanz zu den klinischen Untersuchungser-
gebnissen besteht, ist eine invasive Diagnostik zur hämodynamischen Evaluierung der Druckverhältnisse
indiziert (Klasse IC). Vor geplanter Klappenersatzoperation ist eine Koronarangiographie indiziert bei Pati-
enten mit erhöhtem Risiko für eine koronare Herzerkrankung.
Bei unklarer Zuordnung der nicht-invasiven Untersuchungsbefunde oder Diskrepanz ist eine erneute in-
vasive Katheterisierung zur Analyse der Druckkurven möglich. Hierbei müssen jedoch die beschriebenen
Risiken einer zerebralen Embolie bei retrograder Sondierung einer Aortenklappenstenose berücksichtigt
werden (Omran et al. 2003).
Herzkatheter: Gorlin-Formel, Peak-to-Peak-Gradient.
3.19 Progrediente Dyspnoe, Angina pectoris und Schwindel 189
Im vorliegenden Fall wurde aufgrund des morphologischen Befunds und der Klappenplanimetrie (mittelgradige Aorten-
klappenstenose) zunächst eine Koronarintervention in der hochgradigen RCA-Stenose durchgeführt. Der Patient ist im
Verlauf beschwerdefrei (asymptomatisch; › Abb. 3.55).
1,0
Der Patient ist jetzt asymptomatisch. Vmax < 3,0 m/s
0,8
Wie würden Sie im vorliegenden Fall
0,6
das Monitoring des Aortenklappen 3,0 ms – 4,0 m/s
LITERATUR
Omran H, Schmidt H, Hackenbroch M, et al. Silent and apparent cerebral embolism after retrograde catheterisation of the
aortic valve in valvular stenosis: a prospective, randomised study. Lancet. 2003; 361(9365): 1241–6.
Otto CM, Burwash IG, Legget ME, et al. Prospective study of asymptomatic valvular aortic stenosis. Clinical, echocardiogra-
phic, and exercise predictors of outcome. Circulation. 1997; 95(9): 2262–70.
KASUISTIK
3 In der Notaufnahme wird eine 85-jährige Patientin aufgenommen. Seit mittags besteht zunehmend Luftnot. Anam-
nestisch sind diese Beschwerden seit einigen Wochen progredient. Bei bekannter COPD war vor 1 Woche zunächst
die antiobstruktive Therapie sowie die Steroiddosis erhöht worden. Eine Besserung war jedoch nicht eingetreten.
Anamnestisch sind ferner eine koronare Herzerkrankung und eine gering- bis mäßiggradige Aortenklappenstenose
bekannt.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Größe: 158 cm, Gewicht: 72 kg, guter AZ und EZ, wach und orientiert. Keine
Zyanose, keine Ödeme. RR 140/80 mmHg, Herzfrequenz 70/min, Pulsus parvus et tardus, Atemfrequenz 12/min. Jugular-
venenstauung bis 2 cm über Jugulum, Cor: rhythmisch, der 2. Herzton ist abgeschwächt, raues 4⁄6-Systolikum mit Punctum
maximum über dem 2. ICR re., 2⁄6-Diastolikum über Aorta. Pulmo: Klopfschall sonor, Vesikuläratmung ubiquitär, keine RG,
kein Giemen.
• A kutes Koronarsyndrom
• L ungenembolie
• P neumothorax
• P rogression des Aortenklappenvitiums.
Herzschrittmacher rechts präpektoral, Elektroden regelrecht; Herz linksbetont vergrößert, Aorta elongiert
und sklerosiert; Oberes Mediastinum verbreitert, V.a. Struma; Keine pulmonalvenöse Stauung, kein H.a.
pneumonisches Infiltrat; kein Pneumothorax; Zwerchfellhochstand rechts; keine Pleuraergüsse.
192 3 Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche
Befund Echokardiographie: Aortenwurzel normal weit (32 mm), Aortenklappe: verdickt, Öffnungsbewegung einge-
schränkt; mäßige Insuffizienz (PHT: 450 ms, V. contracta: 4 mm); mäßig- bis hochgradige Stenose: Vmax: 4,03 m/s, dpmax:
62 mmHg, dpmean: 27 mmHg; Klappenöffnungsfläche nach Kontinuitätsformel: 0,8 cm2, RA: gering vergrößert; LA: mäßig
vergrößert (50 mm); Rechter Ventrikel vergrößert, Wanddicke normal; Linker Ventrikel: normale Größe (LVED: 56 mm,
LVES: 34 mm), Wanddicken normal (IVS: 11 mm, LHW: 10 mm), systolische Globalfunktion eingeschränkt, apikal-inferi-
ore Akinesie; MK: gering verdickt, Bewegung normal, geringe Insuffizienz, keine Stenose; TK: Bewegung normal, mäßige
Insuffizienz, dpmax RV/RA = 57 mmHg; kein Perikarderguss nachweisbar.
Wie beurteilen Sie die Situation, welche weitere Diagnostik ist erforderlich?
3 Es liegt ein kombiniertes schweres Aortenklappenvitium mit führender hochgradiger Stenose sowie mäßiger
Insuffizienz vor. Die linksventrikuläre Pumpfunktion ist eingeschränkt. Die pulmonal-arteriellen Drücke
sind erhöht.
Worauf führen Sie nach den genannten Informationen die akute Dyspnoe der
Patientin zurück?
Befund TEE: Aortenklappe: trikuspid, eingeschränkte Öffnungsbewegung, planimetrische KÖF: 0,7 cm2, mäßige Insuffi-
zienz (zentraler Insuffizienzjet), keine Endokarditis-typischen Auflagerungen, Diameter subvalv.: 18 mm, Höhe Sinus
valsalvae: 31 mm, Aorta asc.: 28 mm, Mitralklappe: gering verdickt, mäßige Insuffizienz, normale Öffnung; Aorta asc./
desc./thorac.: soweit einsehbar nur gering atherosklerotisch verändert.
Zusammenfassung: hochgradige Aortenstenose, planimetrische Öffnungsfläche 0,7 cm2.
Befund Herzkatheter: Rechtsherzkatheter: PCW mittel: 20 mmHg, PA (s/d/m): 63/30/45 mmHg; RV (s,fd,sd): 65/5/13
mmHg; RA mittel: 12 mmHg.
Koronarangiographie: Die selektive Darstellung der linken Herzkranzarterie zeigt einen unauffälligen Hauptstamm.
Der Ramus descendens anterior ist medial mittelgradig stenosiert. Der R. diagonalis I ist langstreckig stenosiert. Der Ra-
mus circumflexus zeigt sich proximal und distal hochgradig stenosiert. Die rechte Herzkranzarterie ist in den Endästen
hochgradig stenosiert. Es zeigt sich jetzt bei bekannter hochgradiger Aortenklappenstenose eine koronare Dreigefäßer-
krankung.
3.20 Progrediente Dyspnoe und COPD 193
Welche Therapien kommen bei der Patientin in Frage, wie verfahren Sie weiter?
• M
onitoring über 24 h wg. Gefahr von AV- oder intraventrikulären Leitungsstörungen sowie Überwa-
chung von möglichen Nachblutungen im Punktionsbereich
• D
uale Plättchenhemmung für 4–24 Wochen, wenn notwendig auch Tripletherapie > 3 Monate.
Aufgrund des hohen perioperativen Risikos und des ausdrücklichen Wunsches der Patientin planen wir einen katheter-
gestützten Klappenersatz sowie eine koronare Revaskularisierung in RCA und RCX. Zuvor erfolgt die Bildgebung der
Aorta und der Femoralarterien.
Befund CT-Angiographie, abdominelle und thorakale Aorta: Bis nach retrosternal reichende Struma. Es zeigen
sich Verkalkungen an der Aortenklappe, zudem etwas Koronarkalk, Klappenringdurchmesser: 17 mm. Im weiteren
Verlauf der Aorta zeigt sich im Aortenbogen, sowie in der Aorta descendens und der Aorta abdominalis massive Arte-
riosklerose. Hierbei teils deutliche Wandunregelmäßigkeiten der Aorta abdominalis mit weichen und harten Plaques.
3 Aufgrund der Morphologie der Aortenklappe mit einem Durchmesser des Klappenrings von 17 mm ist ein interventio-
neller Eingriff nicht möglich. Es erfolgt jetzt die Empfehlung für ein herzchirurgisches Vorgehen.
LITERATUR
2008 Focus Update. ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients with Valvular Heart Disease.
ESC Guidelines 2007
Kommentar zur Europäischen Leitlinie Herzklappenerkrankungen. Kardiologe 2009. DGK
Positionspapier zur kathetergestützten Aortenklappenintervention. Kardiologe 2009. DGK
KAPITEL
4 Leitsymptom Beinödeme
4.1 Rötung und Schwellung am Unterschenkel Stefan Lüftl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
KASUISTIK
Bei einem 39-jährigen Landwirt trat vor einer Woche ohne erfragbaren Auslöser eine Rötung und Schwellung des linken
Unterschenkels mit vorübergehendem Fiebergefühl auf. Seither besteht eine Knöchelschwellung links.
• L abor: Bestimmung von D-Dimer. Hohe Sensitivität, aber nur sehr geringe Spezifität zum Nachweis einer
Phlebothrombose. Negatives Ergebnis schließt allerdings Thrombose praktisch aus.
• S onographie: Bereits die Kompressionssonographie (B-Bild, Linearschallkopf, 7,5 MHz, Sonde rechtwink-
lig zum Gefäßverlauf) weist eine sehr hohe Sensitivität und Spezifität für die Diagnostik einer Beinvenen-
thrombose auf. Bei der Beurteilung von Vena cava inferior und der Beckenvenen ist die farbkodierte Du-
plexsonographie überlegen. Durch die Sonographie können auch weitere Differenzialdiagnosen (z.B. Ba-
4 ker-Zyste, Muskelfaserriss) erkannt werden.
• I n Zweifelsfällen sequenzielle Sonographie nach 2–3 Tagen, Phlebographie oder CT-Angiographie.
KASUISTIK
Die Sonographie bleibt beim vorgestellten Patienten unauffällig. Hingegen zeigen sich klinische Hinweise für ein Lymph
ödem.
KASUISTIK
Auf gezieltes Nachfragen berichtet der Patient, bereits früher mehrmals ähnliche, vorübergehende Beschwerden gehabt
zu haben. In der erweiterten klinischen Untersuchung zeigt sich eine Interdigitalmykose.
Rezidivierendes Erysipel.
• A
ntibiotische Behandlung, falls noch klinische Zeichen eines frischen Erysipels nachweisbar sind. Das
Präparat sollte gegen Streptokokken und Staphylokokken wirksam sein (z.B. Flucloxacillin, Amoxicillin/
Clavulansäure)
4.1 Rötung und Schwellung am Unterschenkel 197
• K ardiale Genese: z.B. Herzinsuffizienz, Klappenvitium, Cor pulmonale, Perikarditis, Perikarderguss, hä-
modynamisch relevante AV-Fistel
• P hlebologische Ursache: z.B. beidseitige Varikosis, chronisch venöse Insuffizienz oder postthromboti-
sches Syndrom
• H
ypalbuminämie: z.B. nephrotisches Syndrom, Leberzirrhose, exsudative Enteropathie, Mangelernäh-
rung
• M edikamentennebenwirkung 4
• L ymphödem: z.B. beidseitiger Lymphstau bei Lymphom
• V erschiedene weitere Ursachen: z.B. Gravidität, Myxödem bei Hypothyreose.
Kardial bedingte Ödeme betreffen die Beine und verschlimmern sich im Tagesverlauf. Ödeme bei Hypalbu-
minämie manifestieren sich häufig morgens und finden sich auch im Gesicht und an den Augenlidern sowie
periorbital.
Wie können Sie durch eine rationale Labordiagnostik den Verdacht auf renal
bedingte Ödeme erhärten?
LITERATUR
Fauci A, Braunwald E, Kasper D, Hauser S. Harrison‘s Principles of Internal Medicine. 17. Auflage. Columbus: McGraw-Hill;
2008.
Rieger H, Schoop W. Klinische Angiologie. Berlin: Springer; 1998.
198 4 Leitsymptom Beinödeme
KASUISTIK
Ein 58-jähriger Patient wird Ihnen vom Dermatologen, bei dem er wegen eines generalisierten Pruritus vorstellig gewor-
den ist, zur kardiologisch-internistischen Mitbeurteilung zugewiesen. Er berichtet, in den vergangenen Wochen außer
Juckreiz unter einer zunehmenden Verdickung der Beine zu leiden, der Juckreiz bestehe erst seit einigen Tagen. Der Pati-
ent berichtet weiter, täglich etwa zwei Flaschen Bier zu trinken sowie seit seinem 18. Lebensjahr zu rauchen, etwa eine
Packung am Tag. Die körperliche Belastbarkeit sei seit geraumer Zeit schlecht, bereits bei geringer Anstrengung träte
Luftnot auf. Im letzten Jahr war er bereits 3-mal in einer Lungenfachklinik in stationärer Behandlung gewesen. Beim
ersten Aufenthalt habe von dort außerdem eine Herzkatheteruntersuchung stattgefunden, bei der eine relevante korona-
re Herzerkrankung ausgeschlossen wurde.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Vom Aspekt eher kachektischer Patient, 172 cm Körpergröße, 64 kg Gewicht,
Puls 100/min, rhythmisch, Blutdruck 180/100 mmHg, 3⁄6- Decrescendo-Systolikum, p.m. rechtspräkordial, 2. Herzton laut,
Jugularvenen 3 QF gestaut, beidseits leises Atemgeräusch, Klopfschall hypersonor, vereinzelt Spider naevi, beidseits
deutliche Beinödeme, Bauchumfang 120 cm, leise Darmgeräusche, periphere Pulse schlecht tastbar, Trommelschlägelfin-
4 ger, periphere Zyanose.
Befunden Sie bitte das nachfolgende Ruhe-EKG des Patienten bei Aufnahme
(› Abb. 4.1)
• L abor: Blutbild, Harnstoff, Kreatinin, Elektrolyte, C-reaktives Protein (CRP), Transaminasen, γ-GT, Ei-
weiß, Albumin, Quickwert, PTT, LDH, Troponin T, Urinstix, Urinsediment
• P ro-BNP: Entsprechend der Leitlinien der Dt. Gesellschaft für Kardiologie kann die Bestimmung der Plas-
makonzentration von BNP oder NTproBNP für die Diagnosestellung einer Herzinsuffizienz hilfreich sein.
Sind die Konzentrationen niedrig normal, so ist eine Herzinsuffizienz unwahrscheinlich. Dies gilt insbe-
sondere für das Leitsymptom Luftnot. Bei Erhöhung sollte eine weitere kardiale Abklärung erfolgen.
• E chokardiographie mit der Frage RV-Belastung, Wandbewegungsstörungen, Vitien
• R öntgen-Thorax.
KASUISTIK
In der Blutuntersuchung finden sich ein Hb von 16 mg/dl,
Hk 52%, Thrombozyten 80 G/l, Na 125 mmol/l, K 4,5
mmol/l, Kreatinin 0,8 mg/dl, HN 26 mg/dl, Albumin 2,8
mg/dl, Bilirubin 2,8; γGT 243 U/l, GOT 112 U/l, GPT 124
U/l, INR 1,2, PTT 32 s, CK normal, TPT 0,065 ng/ml (Norm
< 0,010). NT-Pro-BNP 828 pg/ml (Norm < 194). Abb. 4.2 Röntgen-Thorax
Eine bei Herzinsuffizienz auftretende Hyponatriämie ist typischerweise durch Überwässerung, d.h. keinen
tatsächlichen, sondern einen relativen Natriummangel bedingt. Pathophysiologisch kommt es dabei durch
eine Barorezeptor-vermittelte ADH-Freisetzung zu einer Wasserretention mit hypoosmolarer Hyponatri
ämie. Therapie der Wahl ist daher die Flüssigkeitsrestriktion bzw. die Erhöhung der Wasserdiurese. Sie kann
von einer Verlusthyponatriämie durch die Klinik (Ödeme) bzw. weitere Laborparameter, die auf eine Ver-
dünnung hindeuten können (z.B. Hämatokrit), unterschieden werden.
KASUISTIK
Echokardiographie: Aortenwurzel und Aortenklappe unauffällig, rechter Ventrikel vergrößert mit reduzierter Funk-
tion, rechter Vorhof mäßig vergrößert, linker Vorhof und Ventrikel normal groß mit normaler Funktion, Wanddicken
normal, paradoxe systolische Septumbewegung, Mitralklappe mit physiologischer Insuffizienz, Bewegung normal,
Trikuspidalklappe mit mäßiger Insuffizienz, dpmax RV/RA nicht verlässlich messbar, kein Perikarderguss. Lebervenen
gestaut.
KASUISTIK
Die Lungenfunktionsuntersuchung ergibt bei Raumluft folgende Werte: pH 7,42, pO2 56,5 mmHg, pCO2 53,2 mmHg, FEV1
0,62l (19% des Solls), FEV1 %VCmax 29%, PEF 1,3 l/s (16% des Solls), R tot 0,83 kPa*s/l (275% Solls), ITGV 10,89 l
(302% Soll).
Cor pulmonale, a.e. bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) mit Lungenemphysem.
4.2 Zunehmende beidseitige Beinschwellung 201
Wie lautet die gängige Klassifizierung der COPD und welches Stadium liegt bei
dem vorgestellten Patienten vor?
Die GOLD-Klassifizierung teilt die COPD nach Einsekundenkapazität FEV1 bezogen auf die funktionelle Vi-
talkapazität (FEV1/FVC in %) und nach absolutem FEV1 in 4 Stadien ansteigenden Schweregrades ein. In al-
len Stadien muss eine FEV1/FVC < 70% vorliegen. Beträgt dann die absolute FEV1 > 80% des Sollwertes, liegt
Stadium I vor, bei 50–80% Stadium II, bei 30–50% Stadium III und bei < 30% Stadium IV.
Der Patient befindet sich in Stadium IV.
KASUISTIK 4
Im Rechtsherzkatheter werden folgende Drücke gemessen: RA (mittl.): 12 mmHg, RV (syst./diast./enddiast.):
48/0/10 mmHg, PA (syst./diast./mittl.): 48/18/28 mmHg, PCWP (mittl.): 5 mmHg.
Mittlerer PA-Druck unter 5-minütiger ergometrischer Belastung: 42 mmHg.
Das Herzzeitvolumen beträgt 5,1 l/min.
Invasiv kann das Herzzeitvolumen (ca. 5,5–8 l/min) durch die Thermodilutionsmethode, durch Farbstoffver-
fahren oder nach dem Fick-Gesetz entsprechend der Sauerstoffaufnahme, der zentralvenösen und der zent-
ralarteriellen Sättigung bestimmt werden. Bei der Thermodilutionsmethode wird eine definierte Menge
kalte Flüssigkeit injiziert und die Temperaturveränderung des Blutes invasiv gemessen. Anhand der Ge-
schwindigkeit der Temperaturnormalisierung wird dann das HMV berechnet. Ein ähnliches Prinzip wird bei
Farbstoffverdünnungsmethoden verwendet. Bei Anwendung des Fick-Gesetzes wird die durchschnittliche
Sauerstoffaufnahme (in ml/min, wird meist aus Nomogrammen ermittelt, kann aber auch direkt gemessen
werden) durch die zehnfache arteriovenöse Sauerstoffsättigungsdifferenz dividiert. Neben dem Herzzeitvolu-
men wird häufig auch der Cardiac Index (CI), d.h. das HZV bezogen auf die Körperoberfläche (l/min/m2)
angegeben, die Normwerte liegen hier bei > 2,5 l/min/m2.
Eine Rechtsherzkatheteruntersuchung sollte nur zur Sicherung der Diagnose (PA-Druck im UGK nicht
verlässlich bestimmbar) und bei therapeutischer Konsequenz durchgeführt werden. So kann durch Messung
des Wedge-(PCWP-) Drucks bei Unklarheiten definitiv eine postkapilläre Ursache der pulmonalen Hyperto-
nie ausgeschlossen werden.
In Ruhe findet sich im rechten Vorhof bei Gesunden abhängig vom Volumenstatus ein Druck von 1–5 mmHg,
im rechten Ventrikel systolisch von 15–30 mmHg. In der Pulmonalarterie entspricht der systolische Druck in
etwa dem systolischen Druck im rechten Ventrikel, der diastolische Druck liegt normalerweise bei 3–12
mmHg und der Mitteldruck bei 9–19 mmHg. Ab einem mittleren PA-Druck von > 25 mmHg in Ruhe bzw.
202 4 Leitsymptom Beinödeme
von > 30 mmHg unter Belastung spricht man von einer pulmonalen Hypertonie, wobei erste Symptome wie
Belastungsdyspnoe bei Werten zwischen 30–40 mmHg auftreten.
Systolische Druckbelastungen über 45–50 mmHg können zum Pumpversagen des rechten Ventrikels füh-
ren, wenn dieser nicht an erhöhte Drücke durch myokardiale Hypertrophie adaptiert ist. Dann können Drücke
bis zu 80–100 mmHg toleriert werden, ohne dass zwingend eine Rechtsherzdekompensation vorliegen muss.
Beim beschriebenen Patienten liegt mit einem mittleren PA-Druck von 28 mmHg in Ruhe nur eine gering-
gradige pulmonale Hypertonie vor, unter Belastung werden jedoch deutlich höhere Werte erreicht.
Neben den beschrieben Symptomen des Patienten (periphere Ödeme, Jugularvenenstau, Aszites, Trommel-
schlägelfinger, Zyanose), findet sich ggf. ein Pulmonalinsuffizienzgeräusch, eine palpable rechtsventrikuläre
Hebung, ein positiver hepatojugulärer Reflux, eine Hepatomegalie sowie Aszites.
4
Welche weiteren Untersuchungen sind zur Schweregradbestimmung bei
pulmonaler Hypertonie sinnvoll?
• D
urchführung einer Spiroergometrie zur Abschätzung der maximalen Sauerstoffaufnahme, des VE/
VCO2-Quotienten, des Blutdruckverhaltens und pCO2. Bei pulmonaler Hypertonie ist typischerweise un-
ter Belastung der Anstieg des Sauerstoffpulses reduziert.
• D
urchführung eines 6-Minuten-Gehtests zur Beurteilung der körperlichen Belastbarkeit.
Bei diesem Patienten ist keine der oben genannten Untersuchungen sinnvoll.
Üblicherweise erfolgt die Diagnose, wie im vorliegenden Fall, erst im fortgeschrittenen Stadium, da die Sympto-
me so unspezifisch sind, dass meist zunächst an andere kardiale oder pulmonale Erkrankungen gedacht wird.
Zur Typeneinteilung der pulmonalen Hypertonie s.a. › Kapitel 3.3.
• C T-Thorax
• T EE
• A bdomensonographie
• R heumatologische Abklärung; ANA, RF, Blutsenkungsgeschwindigkeit etc.
• G gf. serologische Untersuchungen
4.2 Zunehmende beidseitige Beinschwellung 203
• S chlaf-Apnoe-Screening
• B ei Verdacht: parasitologische Untersuchungen.
KASUISTIK
In der Abdomensonographie zeigt sich eine echoarme Struktur der Leber mit glatten Konturen und verbreiterten Gefäßen, dar-
über hinaus eine Verplumpung des Lobus caudatus und der Leberkapsel; mäßig Aszites, Splenomegalie, dilatierte VCI, Pfortader-
verbreiterung. Auffällig ist außerdem eine rekanalisierte Nabelvene. Der übrige abdomensongrapische Befund ist unauffällig.
• E thyltoxische Leberzirrhose
• V irushepatitis
• K ardiale Zirrhose (Cirrhose cardiaque)
• M ischbilder
• A lpha-1-Antitrypsinmangel.
Weniger wahrscheinlich erscheinen autoimmune Ursachen, primär biliäre Zirrhose, primär sklerosierende
Cholangitis, bei fehlender entsprechender Anamnese chemikalien- oder medikamenteninduzierte Leber-
schäden, Stoffwechselkrankheiten wie Hämochromatose, Morbus Wilson, Budd-Chiari-Syndrom, Bilharzio-
se oder andere Ursachen.
Am wahrscheinlichsten erscheint die Cirrhose cardiaque. Differenzialdiagnostisch kann aber auch eine ethyl-
toxische Leberzirrhose, ggf. auch als Mischbild mit Ersterer vorliegen. In Erwägung gezogen muss trotz des
typischen Risikoverhaltens des Patienten bei der Kombination Leberzirrhose und Lungenemphysem auch
ein Alpha-1-Antitrypsinmangel.
Eine weitere Abklärung ist aufgrund der typischen Befundkonstellation mit Pfortaderhochdruck bei Leber-
zirrhose, die regelhaft auch zum Hyperspleniesyndrom mit Thrombopenie bzw. Mangel mehrerer reifer Blut-
zellreihen und vermehrter Nachbildung führt, nicht notwendig.
Welche medikamentöse Therapie des chronischen Cor pulmonale ist bei unserem
Patienten indiziert?
Welche weiteren Probleme des Patienten müssen Sie therapieren? Wie gehen Sie
vor?
Zu initiieren ist eine stadiengerechte Therapie der COPD mittels inhalativer Anticholinergika, Beta-2-Sympa-
thomimetika und ggf. inhalativen Steroiden als Therapieversuch. Abgesehen werden sollte aufgrund des Vor-
hoflimmerns von einer Theophyllingabe. Daneben sollte strikte Nikotinkarenz eingehalten werden.
Bei der Behandlung der Leberzirrhose muss neben der absoluten Alkoholkarenz und dem Weglassen an-
derer vermeidbarer Noxen, dem Sicherstellen einer ausreichenden Protein- und Kalorienzufuhr und der Sub-
stitution von Vitamin B1 bei alkoholtoxischer Leberzirrhose der Schwerpunkt auf der Therapie/Vermeidung
von Komplikationen wie portaler Hypertension oder hepatischer Enzephalopathie (Eiweißreduktion, abfüh-
rende Maßnahmen, Darmdekontamination) liegen. Zur Behandlung des Aszites sollten Aldosteronantago-
nisten gegeben werden sowie eine Natriumrestriktion erfolgen. Ggf. müssen regelmäßige Parazentesen oder
die Anlage eines transjugulären portosystemischen Shunts durchgeführt werden.
4.2 Zunehmende beidseitige Beinschwellung 205
Eine Betablockertherapie, die auch bei COPD in der Mehrzahl der Fälle (70%) gut vertragen wird und
prognostisch günstig ist, sollte als Therapieversuch an erster Stelle stehen. Alternativ erscheint ein Kalzium-
antagonist mit frequenzkontrollierenden Eigenschaften geeignet. Aufgrund der gleichzeitigen vasodilatie
renden Eigenschaften bietet sich ein Kalziumantagonist vom Benzothiazintyp, z.B. Diltiazem, an. Ggf. kann
außerdem mit Digitalis therapiert werden.
Aufgrund der deutlichen Vergrößerung des rechten Vorhofs scheint eine Kardioversion mit lang anhalten-
dem Sinusrhythmus wenig Erfolg versprechend, sollte aber bei schlechter Frequenzkontrolle diskutiert wer-
den. Durch das gleichzeitig bestehende Vorhofflimmern ist die Indikation zur oralen Antikoagulation auch
bei Cor pulmonale bzw. pulmonaler Hypertonie aufgrund hypoxischer Grunderkrankung zu stellen.
4
LITERATUR
Fauci A. Harrison‘s principles of Internal medicine. 17th Ed. New York: McGraw-Hill, 2008.
Galie N, Hoeper MM, Humbert M, et al. Guidelines for the diagnosis and treatment of pulmonary hypertension: The Task
Force for the Diagnosis and Treatment of Pulmonary Hypertension of the European Society of Cardiology (ESC) and the
European Respiratory Society (ERS), endorsed by the International Society of Heart and Lung Transplantation (ISHLT). Eur
Heart J 2009; 30(20): 2493–537.
Hoeper MM, Ghofrani HA, Gorenflo M, Grünig E, Schranz D, Rosenkranz S. Diagnosis and treatment of pulmonary hyperten-
sion: European guidelines 2009. Pneumologie 2010; 64(7): 401-14.
Krakau I, Lapp H. Das Herzkatheterbuch. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme, 2009.
KAPITEL
5 Leitsymptom Fieber
5.1 Junger Patient mit hohem Fieber und Diarrhoe Sebastian Schmieder . . . . . . . . . . . . . . . 207
KASUISTIK
Sie werden vom diensthabenden Arzt der Notaufnahme Ihrer Klinik um eine konsiliarische Stellungnahme wegen eines
auffälligen EKG-Befunds gebeten. Das Ruhe-EKG stammt von einem 31 Jahre alten Mann. Er gibt an, seit einigen Tagen
an einer Diarrhoe, teilweise mit Blutbeimengungen, zu leiden. Erst kürzlich sei er von einem mehrere Monate dauernden
Aufenthalt in Indien zurückgekehrt. Von Ihren Kollegen erfahren Sie, dass der Patient an einem hochfieberhaften gastro-
intestinalen Infekt leidet, es besteht unter anderem der Verdacht auf eine Shigellenruhr.
der ST-Strecke von mindestens 0,2 Millivolt (mV) lässt ein Brugada-Syndrom möglich erscheinen, wenn
eines der o. g. klinischen Kriterien vorliegt. ST-Veränderungen von weniger als 0,2 mV gelten als unsi-
cher.
KASUISTIK
Sie lassen sich weitere Befunde des Patienten zeigen und teilen einem jungen Assistenten Ihre Verdachtsdiagnose mit. Er
räumt ein, den Namen der von Ihnen erwähnten Erkrankung höchstens einmal gehört zu haben.
Laborwerte: Normale Werte für Serumchemie einschließlich Elektrolyte; CRP erhöht mit 9 mg/dl, Leukozyten 13,4 G/l,
geringe Linksverschiebung.
Sie entscheiden sich, den Patienten selbst zu befragen.
V2 V2 V2
V3 V3 V3
KASUISTIK
Sie finden einen akut krank wirkenden Patienten vor. Dem Notaufnahmeprotokoll entnehmen Sie, dass Herr W. immer
noch hohes Fieber (39,8°C) hat. Der Patient berichtet, dass keine gehäuften Todesfälle in seiner Familie bekannt seien.
Medikamente werden nicht eingenommen. Synkopen sind nicht eruierbar. Gelegentlich habe er Schwindel, vor allem bei
schnellem Aufstehen aus dem Sitzen oder Liegen. Im Übrigen gibt Herr W. eine gute körperliche Belastbarkeit an, keiner-
lei Herzbeschwerden, keine gehäuften Palpitationen, keine relevante Dyspnoe. Ob bereits früher einmal ein EKG geschrie-
ben wurde, weiß Herr W. nicht so genau, einen Hausarzt hat er nicht.
Wegen der hoch fieberhaften Erkrankung und des reduzierten Allgemeinzustands des Patienten ist eine stationäre Auf-
nahme geplant.
Benötigen Sie weitere Untersuchungen für Ihre Entscheidung? Wenn ja, welche?
Da der Patient aktuell an einem akuten fieberhaften Infekt leidet, entschließen Sie sich, die EKG-Veränderun-
gen im Intervall erneut zu beurteilen (kardiologische Ambulanz).
Der Verdacht auf eine bakterielle Ruhr bestätigt sich nicht, der Patient kann nach 2 Tagen aus der stationären Behandlung
entlassen werden, er ist fieberfrei.
In der übernächsten Woche stellt sich der Patient erneut ambulant vor. Sie erhalten folgendes Ruhe-EKG (› Abb. 5.3):
210 5 Leitsymptom Fieber
Befund des 12-Kanal-EKGs: Regelmäßiger Sinusrhythmus, Indifferenz- bis Linkstyp, HF 87/min, unauffällige
Repolarisation. Rückbildung der während des Fiebers beobachteten EKG-Veränderungen.
Fieber kann die typischen EKG-Veränderungen beim Brugada-Syndrom demaskieren (Antzelekovitch
et al. 2005). Inwieweit dies für eine Prognoseabschätzung sicher verwertet werden kann, ist nicht ausrei-
chend belegt (› Abb. 5.4). Der Patient zeigt nach Abklingen des Fiebers nun ein unauffälliges EKG (sponta-
ne EKG-Veränderungen sind bei Ihrem Patienten somit per definitionem nicht vorhanden).
5.1 Junger Patient mit hohem Fieber und Diarrhoe 211
Spontanes Typ-I-EKG
Symptomatisch Asymptomatisch
Synkope
Überlebter Pos. Familienanamnese
Krampfanfall Neg.
Plötzlicher für Plötzlichen Herztod
Nächtliche (zentrale) Familienanamnese
Herztod durch Brugada-Syndrom
Atemstörung
– + + – + –
5
EPU empfohlen
zur Abklärung von SVT
Symptomatisch Asymptomatisch
Synkope
Überlebter Pos. Familienanamnese
Krampfanfall Neg.
Plötzlicher für Plötzlichen Herztod
Nächtliche (zentrale) Familienanamnese
Herztod durch Brugada-Syndrom
Atemstörung
– + + –
EPU empfohlen
zur Abklärung von SVT
Abb. 5.4 Indikation zur ICD-Implantation bei Patienten mit Brugada-Syndrom (modifiziert nach Antzelevitch et al. 2005)
212 5 Leitsymptom Fieber
Sie entscheiden, dass derzeit ein abwartendes Vorgehen gerechtfertigt scheint und bestellen Ihren Patienten
zu einem erneuten Kontrolltermin in 3 Monaten in die Ambulanz. Eine spezifische medikamentöse Therapie-
empfehlung existiert derzeit nicht. Sie raten Ihrem Patienten außerdem, bei etwaigen künftigen Medikamen-
tenverschreibungen nachzufragen, ob diese ein Brugada-EKG auslösen können. Wenn ja, sollten die entspre-
chenden Medikamente vermieden werden – ebenso auch Kokain- und Alkoholintoxikationen.
LITERATUR
Antzelevitch C, Brugada P, Borggrefe M, et al. Brugada syndrome: report of the second consensus conference. Circulation
2005;111: 659–70.
Brugada P, Benito B, Brugada R, Brugada J. Brugada syndrome: update 2009. Hellenic J Cardiol. 2009; 50: 352–72.
KASUISTIK
33-jähriger Mann, Erstdiagnose Morbus Crohn 2004, in den vergangenen 6 Monaten rezidivierend Schübe. Zunächst war
die Mesalazin-Dosis gesteigert worden, dann musste die medikamentöse Therapie um Prednisolon erweitert werden.
5 Hierunter war es vor 4 Wochen zu einem neuerlichen heftigen Schub gekommen, seither nahm der Patient additiv Aza-
thioprin ein. Bei zunehmender Verschlechterung des Allgemeinzustands und weiter rezidivierenden Fieberschüben erfolg-
te die stationäre Aufnahme. Am Aufnahmetag wird ein CT-Abdomen durchgeführt, es finden sich keine Hinweise auf
einen Abszess, keine sonstigen Auffälligkeiten, es zeigt sich lediglich eine ausgeprägte Splenomegalie. Der Patient wird
Ihnen vorgestellt, da bei der Auskultation ein lautes, bisher nicht bekanntes Systolikum aufgefallen war. Kardiale Vorer-
krankungen sind nicht bekannt.
Körperliche Untersuchung: Mäßiger Allgemeinzustand, reduzierter EZ. Pulmo frei, JVD normal. Cor: regelmäßig mit
120/min, raues frühsystolisch betontes 3⁄6 -Holosystolikum mit p.m. über Erb, keine Fortleitung in die Karotiden.
RR 90/60 mmHg. Abdomen: weich, diffus druckdolent, rege Darmgeräusche. Milz vergrößert palpabel, Leber o.B., Nie-
renlager bds. frei, periphere Pulse seitengleich tastbar. Keine peripheren Ödeme. Unauffälliger neurologischer Status.
Unauffällige Haut.
Labor: Infektkonstellation mit nur gering erhöhtem CRP, erhöhtem PCT und ausgeprägter Leukozytose sowie gering
beschleunigter Blutsenkungsgeschwindigkeit, zudem liegt eine normochrome normozytäre Anämie mit einem Hb von
9 g/dl sowie eine ausgeprägte Hypokaliämie (2,8 mmol/l) vor, die LDH ist erhöht. Nierenretentionswerte normal. TSH
normal. Gesamteiweiß und Albumin gering reduziert. Übrige Werte unauffällig.
Sie veranlassen ein EKG, UKG sowie die weitere Fokussuche (Röntgen-Thorax, Zahnstatus, ggf. trotz vorlie-
gendem CT Abdomensonographie, Urinstatus und Bakterien/Urin) und nehmen Blutkulturen ab (3 separa-
te Sets [aerob/anaerob] innerhalb von 24 h in jeweils mindestens 1-stündigem Abstand, ggf. auch Pilzkul-
turmedium).
KASUISTIK
EKG: Typisches Counterclockwise-Vorhofflattern mit überwiegend 3:1-Überleitung, Kammerfrequenz ∼110/min.
UKG: Hyperdynamisch kontrahierender LV, keine regionalen Wandbewegungsstörungen nachweisbar. LA mäßig vergrö-
ßert, übrige Herzhöhlen normal groß. AK, TK, PK gering sklerosiert, regelrecht beweglich. Reflux an der TK, RV/RA dpmax,
5.2 Rezidivierende Fieberschübe 213
25 mmHg plus ZVD (VCI normal weit, Atemmodulation regelrecht). Dem distalen Anteil des anterioren Mitralsegels ca.
6 mm lange, flottierende echoarme Struktur anhaftend. Stark exzentrischer Insuffizienzjet nach medial, V. contracta
4 mm, mittelgradige Mitralinsuffizienz. Im Bereich des Mitralannulus kein Hinweis auf Ringabszess. Kein Perikarderguss.
RTX: unauffällig.
Zahnstatus (klinisch und Röntgen): unauffällig.
Abdomensonographie: Splenomegalie, sonst unauffällig.
Welche Verdachtsdiagnose haben Sie? Wie können Sie die Diagnose erhärten?
Ihr Patient hat wahrscheinlich eine Mitralklappenendokarditis unter immunsuppressiver Therapie. Im TEE,
was Sie auch bei gut beurteilbarem transthorakalen Echo wie bei unserem Patienten in jedem Fall ergänzend
durchführen müssen (› Abb. 5.5), werden Sie Klappe und Vegetation noch genauer sehen (› Abb. 5.6).
Sie können die Größe der Vegetation beurteilen und ggf. einen paravalvulären Abszess identifizieren sowie
den Schweregrad der Mitralinsuffizienz mitbeurteilen.
KASUISTIK
Beide Mitralklappensegel sind gering sklerosiert, das anteriore Mitralsegel ist zudem verdickt, eine max. 10 mm lange
echoarme oszillierende Struktur anhaftend, a.e. einer Vegetation entsprechend. AK trikuspid, gering sklerosierte Taschen-
klappenränder, regelrecht öffnend, keine AI. Die übrigen Klappen sind morphologisch und im Doppler unauffällig. Nor- 5
male LV-Funktion, es liegt kein Perikarderguss vor. Die Vorhöfe sind visuell gering vergrößert. RV normal groß. Keine
Thromben im LA/LAA.
Klinischer Endokarditisverdacht
TTE
Klappenprothese, qualitativ
Intrakar- positiv negativ
schlechtes TTE
diales Fremd-
material
(intracardiac
devices) Endokarditisverdacht
stark gering
Abb. 5.5 Indikationen zur transthorakalen und transösophagealen Echokardiographie bei Endokarditisverdacht (nach Habib et al. 2009)
214 5 Leitsymptom Fieber
Zunächst ist die Gewinnung von Blutkulturen bei dieser Konstellation entscheidend, noch bevor eine Antibi-
ose begonnen wird.
Beim zu erwartenden typischen Erregerspektrum muss einerseits zwischen Nativ- und Kunstklappenendo-
karditiden differenziert werden, andererseits muss auch das Patientenalter berücksichtigt werden (› Tab. 5.2)
Bei möglichen assoziierten Befunden veranlassen Sie ergänzend ein HNO- (Fokussuche) sowie ein augenärzt-
liches Konsil (Suche nach Mikroembolien). In beiden Fällen ist der Befund bei unserem Patienten unauffällig.
Risikokonstellationen für Endokarditis: Am häufigsten betroffen sind Aorten- und Mitralklappe. Eine
isolierte AK-Endokarditis findet sich in 55–60% der Fälle, eine isolierte MK-Endokarditis in 25–30% der
Fälle. Kombinierte AK- und MK-Endokarditiden sind mit 15% und Rechtsherzendokarditiden mit 10–15% 5
weniger häufig. Man geht von sechs Neuerkrankungen jährlich pro 100.000 Einwohner aus. Prädisponieren-
de Faktoren sind angeborene oder erworbenen Herzklappenfehler, wobei hier noch zwischen einer Hochrisi-
kogruppe, einer Intermediärrisikogruppe und einer Niedrigrisikogruppe unterschieden wird:
• Hochrisikogruppe: Z.n. Herzklappenersatz, Z.n. Endokarditis, angeborene komplexe und zyanotische
Herzfehler, singulärer Ventrikel, Transposition der großen Arterien, Fallot-Tetralogie, offener Ductus bo-
talli, Koarktation der Aorta, bikuspide Aortenklappe, systemisch: pulmonale Shunts oder Conduits, Z.n.
Herzbeteiligung bei rheumatischem Fieber in der Vorgeschichte.
• Intermediärrisiko: andere kongenitale Herzfehlbildungen, arteriosklerotisch geschädigte Herzklappen,
MKP mit Herzgeräusch, MI oder verdickten Segeln, isolierte MS, Erkrankungen der TK, PS, H(O)CM.
• Niedrigrisiko: Vorhofseptumdefekt vom Sekundumtyp, ischämische Herzerkrankung, Z.n. Bypass-Opera-
tion, MKP ohne verdickte Segel oder Insuffizienz.
Ebenso sind jegliche Art intravasaler/kardialer Fremdkörper – deutlich zunehmend übrigens Schrittmacher
bzw. ICD-Sondenendokarditiden, da die Implantationsraten in den vergangenen Jahren hier deutlich zugenom-
men haben (z.B. Uslan et al. 2007) sowie eine Abwehrschwäche wie bei unserem Patienten prädisponierend.
Nun gehen Sie bitte auf Ihre therapeutischen Optionen bei Ihrem Patienten ein.
Welche Punkte müssen bei der Auswahl der Antibiose beachtet werden? Welches
Antibiotikaregime schlagen Sie in unserem Fall initial vor?
Nach Abnahme von Blutkulturen muss umgehend die intravenöse antibiotische Therapie eingeleitet werden.
Eine Endokarditis kann im Idealfall rein medikamentös behandelt werden, ggf. muss ein verbleibendes Vitium
– hier eine verbleibende beträchtliche Mitralinsuffizienz – jedoch im Intervall operiert werden (Mitralklappen-
ersatz, ggf. auch Mitralklappenrekonstruktion). Es kommt in jedem Fall eine antibiotische Kombinationsthe-
rapie zum Einsatz, die Auswahl der Substanzen richtet sich einerseits danach, ob eine Nativ- oder Kunstklap-
penendokarditis vorliegt und andererseits nach dem verursachenden Keim (› Tab. 5.3). Notwendig ist:
• Abdeckung der zu erwartenden Keime, im vorliegenden Fall sind bei chronischer Darmerkrankung insbe-
sondere Enterokokken mögliche Erreger, bei Immunsuppression ist aber auch eine Pilzinfektion denkbar
• Intravenöse Antibiotikagabe
• Anpassung der Antibiotika nach Vorliegen der bakteriologischen Ergebnisse.
5 Bei unbekanntem Erreger wie folgt beginnen (› Tab. 5.3):
Tab. 5.3 Initiale empirische Therapieempfehlung (vor oder ohne Identifizierung des Pathogens; nach Habib et al. 2009)
Antibiotikum Dosierungsschema Therapie Evidenz- Kommentar
dauer grad
(Wochen)
Nativklappen
Ampicillin-Sulbactam 12 g/d i.v. 4 ×/d 4–6 IIbC bei Patienten mit infektiöser
oder Endokarditis und negativen
Amoxicillin- 12 g/d i.v. 4 ×/d 4–6 IIbC Blutkulturen Mikrobiologen
Calvulansäure hinzuziehen
mit
Gentamicin 3 mg/kg KG/d i.v. oder i.m. 2 oder 4–6
3 ×/d
Vancomycin 30 mg/kg KG/d (2 × d) 4–6 IIbC wenn Betalaktam nicht ver-
mit tragen wird
Gentamicin 3 mg/kg KG/d i.v. oder i.m. (2 oder 3 4–6
mit × d)
Ciprofloxacin 1 g/d oral (2 × d) oder 800 mg/d i.v. keine alleinige Therapie bei
(2 × d) 4–6 Bartonella-Infektion – hier
ggf. additiv Doxycyclin
Kunstklappen, früh, < 12 Monate postoperativ
Vancomycin 30 mg/kgKG/d i.v. 6 IIbC falls keine klinische Besse-
mit (2 × d) rung, OP und evtl. Auswei-
Gentamicin 3 mg/kg KG/d i.v. oder i.m. (2 oder 3 2 tung der Antibiotikathera-
mit × d) pie, um gramnegative Kei-
Rifampicin 1200 mg/d oral (2 ×) me besser zu erfassen
Kunstklappen (spät, ≥ 12 Monate postoperativ)
Gleiche Therapie wie bei Nativklappen
5.2 Rezidivierende Fieberschübe 217
Tab. 5.4 Antibiotikatherapie bei infektiöser Endokarditis durch Enterokokken spp. (nach Habib et al. 2009)
Antibiotikum Dosierung Therapiedauer (Wochen) Evidenzgrad
Betalaktam- und Gentamicin-sensible Stämme
Amoxicillin 200 mg/kg KG/d i.v. (4–6 × d) 4–6 IB
mit
Gentamicin 3 mg/kg KG/d i.v. oder i.m. (2–3 × d) 4–6
oder
Ampicillin 200 mg/kg KG/d i.v. (4–6 × d) 4–6 IB
mit
Gentamicin 3 mg/kg KG/tgl i.v. oder i.m. (2–3 × d) 4–6
oder
Vancomycin 30 mg/kg KG/d i.v. (2 × d) 6 IC
mit
Gentamicin 3 mg/kg KG/d i.v. oder i.m. (2–3 × d) 6
5
Generell sind die empfohlenen Antibiotikaregimes nachzulesen/abzugleichen, zum Beispiel in der bereits
mehrfach zitierten Leitlinie der ESC (Habib et al. 2009).
KASUISTIK
Nach 10 Tagen antibiotischer Therapie – die laborchemischen Infektzeichen sind deutlich gebessert, kein Fieber mehr,
PCT ist nun negativ, der Patient hat die Antibiose bisher gut vertragen, die Vegetation stellt sich im TEE mit jetzt max.
10 mm Länge etwas größenprogredient dar, die MI wird nach wie vor mittelgradig eingeschätzt, Hinweise für einen pe-
rianulären Abszess finden sich nicht – erleidet der Patient eine TIA in den frühen Morgenstunden, gegen Mittag dann
nochmals. Sie veranlassen ein Schädel-CT, das einen unauffällig Befund zeigt.
Auch wenn das CT bisher kein Korrelat zeigt, muss man septische Embolisationen vermuten und nun eine
rasche Operation in Erwägung ziehen (› Abb. 5.7).
Indikationen und Evidenzgrad der chirurgischen Therapie (Naber 2004):
• IB: Akute AI oder MI mit hämodynamischer Instabilität, perivalvulärer Abszess, Fistelbildung
• IC: MRSA oder Pilzendokarditis, persistierende Fungämie/Bakteriämie trotz Therapie, rezidivierende
Embolien nach adäquater antibiotischer Therapie, Prothesenendokarditis (bei penicillinsensiblen Strepto-
kokken zunächst konservatives Vorgehen gerechtfertigt)
• IIaC: schwere Sepsis > 48 h, persistierend Fieber (cave: drug fever) trotz adäquater antibiotischer Thera-
pie über 5–10 Tage, frische mobile Vegetation > 10 mm an MK, Größenzunahme/Ausbreitung der Vege-
tation, akute zerebrale Embolie.
218 5 Leitsymptom Fieber
Neurologische Komplikation
CT
• Herzversagen
• Unkontrollierte Infektion
• Abszess
• Hohes Embolierisiko
ja nein
• Intrakranielle Blutung
• Koma ja
• Schwere Komorbiditäten
• Schwerer Schlaganfall
nein
Abb. 5.7 Therapeutische Strategie bei Patienten mit infektiöser Endokarditis und neurologischen Komplikationen (nach Habib
5 et al. 2009)
Gehen Sie nun bitte auch noch auf andere mögliche Komplikationen der
infektiösen Endokarditis ein.
Kardiale Komplikationen wie Herzinsuffizienz, Myokarditis, Perikarditis, Ausbildung eines perianulären Ab-
szesses, Abklatsch-Vegetationen und extrakardiale Komplikationen wie zerebrale Embolien und Einblutun-
gen, mykotische Aneurysmen, Milzabszesse, akutes Nierenversagen können auftreten, ebenso rheumatische
Komplikationen.
Grundsätzlich wird die antibiotische Therapie nach den Richtlinien durchführt, das heißt bei Nativklappen
endokarditis über 2–6 Wochen, bei Kunstklappendokarditis mindestens 6 Wochen lang.
Sollte bei einer Nativklappenendokarditis ein Klappenersatz notwendig werden, ist das präoperative „Na-
tivklappenregime“ fortzuführen. Die Dauer der antibiotischen Therapie wird ab dem ersten Tag effektiver
Antibiose gerechnet, postoperativ erfolgt nur dann ein neuer Zyklus Antibiotikagabe, wenn die intraoperativ
gewonnenen Klappenkulturen positiv sind. Die Auswahl des Antibiotikums richtet sich nach dem jeweils
zuletzt nachgewiesenen Keim.
Nur noch für Hochrisikopatienten wird eine Endokarditisprophylaxe empfohlen (› Tab. 5.5).
Unser Patient erfüllt somit die Kriterien und soll eine Endokarditisprophylaxe bei folgenden Eingriffen
erhalten (› Tab. 5.6, › Tab. 5.7).
5.2 Rezidivierende Fieberschübe 219
Noch eine abschließende Frage: Unser Patient hat sich im Aufnahme-EKG mit
Vorhofflattern präsentiert, im TEE waren keine intrakavitären Thromben
nachweisbar. Plädieren Sie für eine rasche Elektrokardioversion?
Wie antikoagulieren Sie Ihren Patienten?
Angesichts der großen mobilen Vegetation im Bereich der Mitralklappe muss eine Elektrokardioversion
sorgfältig abgewogen werden, insbesondere bei Kreislaufinstabilität infolge schneller Überleitung aber si-
cherlich in Erwägung gezogen werden.
220 5 Leitsymptom Fieber
Antikoagulieren würde man in unserem Fall PTT-wirksam mit i.v.-Heparin unter engmaschiger Gerinnungs-
kontrolle (› Tab. 5.8).
LITERATUR
Habib G, Hoen B, Tornos P, et al. Guideline on the prevention, diagnosis and treatment of infective endocarditis 2009. Euro-
pean Heart Journal 2009; 30: 2369–413.
Li JS, Sexton DJ, Fowler VG, et al. Proposed modification to the Duke criteria for the diagnosis of infective endocarditis. Clin
5 Infect. Dis 2000; 30: 633–8.
Mylonakis E, Calderwood SB. Infective Endocarditis in Adults. New Engl J Med 2001; 345: 1318–30.
Uslan DZ, Sohail MR, St. Sauver JL, et al. Permanent Pacemaker and Implantable Cardioverter Defibrillator Infection. Arch
Int Med. 2007; 167 (7): 669–75.
Naber CK. S2-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der infektiösen Endokarditis. Z. Kardiol 2004; 93: 1005–21.
KASUISTIK
Ein 75-jähriger Mann mit Oligurie und Dysurie, Z.n. rezidivierenden Harnwegsinfekten im vergangenen Jahr und bekannter
Prostatahypertropie stellt sich mit nun erstmals Schüttelfrost und allgemeinem Krankheitsgefühl in der Notaufnahme vor.
Körperliche Untersuchung und Erheben der detaillierten Anamnese, Urinstatus und Urin-Bakteriologie, ggf.
DK-Anlage, ggf. Abdomensonographie (NHS-Stau? Restharnmenge?), Blutentnahme (Infektparameter, klei-
nes Blutbild, Elektrolyte, Nierenretentionswerte, ggf. PSA-Bestimmung).
Körperliche Untersuchung: Mäßiger Allgemein- und guter Ernährungszustand. Blasses Hautkolorit. JVD normal. Pul-
mo frei, RR 90/60 mmHg. Cor: leises Systolikum p.m. über ERB kein Perikardreiben, unregelmäßig, ca. 100/min. Tempe-
ratur 39°C rektal. Abdomen: adipös, Meteorismus, weich, kein Druckschmerz, Harnblase nicht palpabel, Leber unauffäl-
lig. Milz nicht sicher beurteilbar. Keine Ödeme. Periphere Pulse regelrecht tastbar. Kein neurologisches Defizit.
Vorgeschichte: Z.n. 3-facher Bypass-OP bei koronarer Dreigefäßerkrankung mit vorbefundlich normaler LV-Funktion
und Z.n. Implantation eines Zweikammer-Schrittmachers bei intermittierendem AV-Block III vor 6 Monaten.
5.3 Fieber und Schüttelfrost 221
Bekannte arterielle Hypertonie. Prostathyperplasie; regelmäßige urologische Kontrollen bisher ohne Hinweis auf malignen
Prozess, Z.n. mehreren Harnwegsinfekten in den vergangenen Monaten, die auch mehrfach antibiotisch behandelt wer-
den mussten. Seit der Bypass-OP insgesamt stark reduzierter Allgemeinzustand.
Medikation: 100 mg Acetylsalicylsäure tgl., 5 mg Bisoprolol tgl., 2,5 mg Ramipril tgl., 20 mg Simvastatin tgl.
Urinstatus:
Nitrit pos.
Glukose neg.
Leukozyten +++
Blut +
Labor:
Leukozyten 14/nl
Hb 10,3 g/dl
Thrombozyten 244/nl
Kreatinin 2,1 mg/dl
Harnstoff 95 mg/dl
Kalium 4,8 mgdl
CRP 228 mg/dl
PSA 1,5 ng/ml
PCT 0,62 μg/l (Norm bis 0,5 μg/l)
Abdomensonographie: Bei Meteorismus eingeschränkt beurteilbar. Kein NHS-Stau bds., zwei Nierenzysten rechts,
linke Niere morphologisch unauffällig. Restharnmenge ∼ 400 ml. Geringe Splenomegalie. Z.n. Cholezystektomie. 5
Was sehen Sie im EKG (› Abb. 5.8)? Was empfehlen und rezeptieren Sie?
5
Behandeln Sie ambulant weiter?
Aufgrund der bisherigen Informationen sollte der Patient nicht entlassen werden, insbesondere wegen des
eingeschränkten Allgemeinzustands, der ausgeprägten Infektkonstellation, der Niereninsuffizienz (noch un-
klar, ob vorbestehend). Ein neuerlicher Harnwegsinfekt konnte bereits bestätigt werden, die klinische Prä-
sentation und die deutlich erhöhten laborchemischen Infektparameter sowie sonographisch die Splenomega-
lie weisen auf ein beginnendes septisches Krankheitsbild hin. Sie entnehmen Blutkulturen und beginnen
kalkuliert eine antibiotische Behandlung.
Zusätzlich besteht Vorhofflimmern (bisher nicht vorbekannt) unklarer Dauer, was im Hinblick auf eine
mittelfristig anzustrebende Kardioversion eine Antikoagulation erforderlich macht. Zudem liegt ein zumin-
dest intermittierender Sensingdefekt des Herzschrittmachers vor.
Definieren Sie bitte die Begriffe „Sensingdefekt“ und „Pacingdefekt“. Was sind
mögliche Ursachen und Symptome?
• Pacingdefekt: Der Schrittmacherimpuls wird nicht korrekt beantwortet (exit block). Die Ursache können
z.B. Sondendefekte, lokale Gewebsveränderungen mit Reizschwellenanstieg, Sondendislokation mit (pha-
senweise) Kontaktproblemen sein. Folgen sind Bradykardie, Schwindel, Synkopen bis hin zur tödlichen
Asystolie beim schrittmacherabhängigen Patienten.
Röntgen-Thorax: korrekte Sondenlage. Kein Pneumothorax. Keine Stauungszeichen, keine Infiltrate. Pleurawinkeler-
guss links.
UKG: Normale globale Pumpfunktion, asynchrone Septumbewegung, insgesamt hyperdynamisch kontrahierender LV.
Keine regionalen Wandbewegungsstörungen nachweisbar. LV normal groß, geringe LVH. Beide Vorhöfe mäßig vergrö-
ßert. RV normal groß. Aortenwurzel normal weit. Klappen gering sklerosiert, Reflux an MK und TK. Druckgradient RV/RA
max. 30 mmHg plus ZVD (VCI kollabiert). Schrittmachersonden regelrecht lokalisiert in RA und RV. Dem mittleren Anteil
der Ventrikelsonde anhaftend 2 echoweiche eigenbewegliche Strukturen von ca. 5 × 8 mm und 5 × 5 mm Größe, DD:
Thromben, Vegetationen. Insbesondere von subkostal gute Darstellbarkeit der Sonden! Kein Perikarderguss. 5
TEE: Hier lassen sich die Schrittmachersonden noch besser kontinuierlich im Verlauf darstellen. Der Ventrikelsonde anhaftend
finden sich mehrere aneinandergereihte echoarme eigenbewegliche Auflagerungen von bis zu 10 mm Durchmesser.
TK gering sklerosiert, geringer Reflux, keine Vegetationen der TK anhaftend, übrige Klappen gering sklerosiert, regelrecht
beweglich. Reflux an der MK.
Geringer Spontankontrast im LA, keine Thromben im LA und LAA. Niedrige Flussgeschwindigkeiten im LAA (bis 0,2 m/s).
Um was für ein Krankheitsbild handelt es sich? Wie gehen Sie nun weiter vor?
• Sondenentfernung: Sondenentfernung unabhängig von der Technik und vom Zeitraum nach der Implantati-
on.
• Sondenexplantation: Sondenentfernung ohne besondere Hilfsmittel, z.B. nur durch manuellen Zug über
die Implantationsvene bei einer Sonde, die < 1 Jahr implantiert ist
• Sondenextraktion:
– Sondenentfernung unter Zuhilfenahme besonderer Hilfsmittel, wie Entfernungsmandrains (locking
stylets), Laser oder elektrochirurgische Sheaths etc., unabhängig von der Implantationszeit der Sonde.
– Sondenentfernung, wenn die Sonde > 1 Jahr implantiert.
Die Empfehlungen zur Sondenentfernung, Sondenexplantation und Sondenextraktion sind der deutschen
Übersetzung der NASPE-Empfehlungen mit Kommentar der deutschen Gesellschaft für Kardiologie zu ent-
nehmen. Es wird hier auch auf empfohlene personelle und infrastrukturelle Voraussetzungen eingegangen
(Hemmer et al. 2002).
Die Sondenentfernung stellt die schwierigste Operation unter den SM-Eingriffen dar und setzt daher einen
entsprechend erfahrenen Operateur voraus.
Indikation zur Sondenentfernung (Hemmer et al. 2002):
Klasse I (Situationen, für die eine generelle Übereinstimmung besteht, dass die Sonde(n) entfernt werden
sollte(n)):
• Sepsis (= systemische Infektion) und/oder Endokarditis durch eine dokumentierte, d.h. mikrobiologisch
nachgewiesene Infektion eines intravaskulären Anteils des SM-Systems oder durch eine SM-Taschenin-
5 fektion, wenn der intravaskuläre Anteil der Sonde nicht sicher aseptisch abgesetzt werden kann.
• Lebensbedrohliche Arrhythmien, ausgelöst durch Sondenfragmente.
• Sonden, Sondenfragmente oder zurückgelassene Anteile von Entfernungshilfen, die für den Patienten ei-
ne Akutgefährdung oder eine ständige Bedrohung der Gesundheit bedeuten.
• Sonden, Sondenfragmente, die zu klinisch relevanten thromboembolischen Ereignissen führten.
Tab. 5.9 Endokarditis bei Patienten mit Herzschrittmacher/ICD (CDRIE: cardiac device-related infective endocardi-
tis): Behandlung und Vorbeugung (Habib et al. 2009)
Empfehlung: Schrittmacher/ICD (Sonden)-Endokarditis Evidenzgrad
A. Therapieprinzipien
Prolongierte Antibiotikatherapie und Entfernung des Schrittmachers/ICD bei gesicherter CDRIE emp- IB
fohlen
Entfernung des Device bei CDRIE Verdacht in Erwägung ziehen, wenn für eine okkulte Infektion kein IIa C
anderer Fokus gefunden werden kann
Bei Patienten mit Klappenendokarditis (native oder Kunstklappe) und zusätzlich vorhandenem intra- IIb C
kardialen Device, Extraktion desselben in Erwägung ziehen
B. Art der Device-Entfernung
Perkutane Extraktion empfohlen (auch bei Vegetationen > 10 mm) IB
Chirurgische Extraktion, wenn perkutan nur inkomplett – oder nicht möglich oder bei assoziierter IIa B
destruierender Trikuspidalklappenendokarditis
Chirurgische Extraktion bei Patienten mit sehr großen Vegetationen erwägen (> 25 mm) IIb C
C. Reimplantation
Nach Entfernung des Device, Indikation zur Reimplantation neu prüfen IB
Wenn Reimplantation notwendig, diese möglichst zumindest Tage bis Wochen aufschieben und anti- IIa B
biotisch weiterbehandeln
Passageres Pacen nicht empfohlen IIIC
D. Prophylaxe
Routinemäßig Antibiotikaprophylaxe vor Device-Implantation empfohlen IB
5.3 Fieber und Schüttelfrost 225
• Verlegung aller für eine Implantation nutzbaren Venen, wenn eine transvenöse Neuimplantation not-
wendig wird.
• Sonde(n), die mit der Funktion eines anderen Stimulationssystems (z. B. SM oder ICD) interferiert(en).
Bei einer solchen Konstellation sollte immer möglichst interdisziplinär (Herz-Thorax-Chirurgie) das Prob-
lem erörtert und ein für den Patienten geeignetes Procedere festgelegt werden. Die herzchirurgische Versor-
gung mittels epikardialer Sonden ist ein möglicher Weg.
Der hier besprochene Patient ist aktuell nicht Schrittmacher-abhängig. Bei V.a. Sondenendokarditis und vor einigen
Wochen neu aufgetretenem Vorhofflimmern erfolgte eine stationäre Aufnahme zur kalkulierten intravenösen Antibiotika-
therapie und PTT-wirksamen Antikoagulation mit Heparin mit dem Ziel einer Regularisierung des Vorhofflimmerns.
Nachdem in zwei separaten Blutkulturen Staphylococcus epidermidis nachgewiesen wurde, wurde die Antibiotikatherapie
entsprechend angepasst. Bei somit bestätigter Sondenendokarditis wurde die Sondenexplantation in einem hierin erfah-
renen Zentrum komplikationsfrei durchgeführt. Anschließend erfolgte eine erfolgreiche Elektrokardioversion.
Eine Kardioversion (auch Defibrillation natürlich) ist prinzipiell auch bei Schrittmacherpatienten möglich.
Es kann jedoch zu einem Verlust der Reizbeantwortung kommen (loss of capture), der Schrittmacher kann in
sehr seltenen Fällen irreversibel geschädigt werden, es kann vorübergehend zu einer Inhibierung des Schritt-
machers kommen. Die Elektrokardioversion kann zu einer Stimulation im VVI-Sicherheitsmodus oder asyn-
chron mit starrer Frequenz führen.
Folgendes sollte beachtet werden:
• Vor Kardioversion und unmittelbar danach sollten die Betriebsparameter, Messdaten und Stimulations-/
Wahrnehmungsschwellen aufgezeichnet werden, um die normale Funktion des Schrittmachers zu prüfen.
• Anterior/posteriores Anbringen der Elektroden (Energievektor senkrecht zur Elektrodenebene, dadurch
Minimierung der Energiekopplung in der Stimulationselektrode).
• Paddles mindestens in 15 cm Abstand von Schrittmacher aufbringen.
• Möglichst niedrige Energiestufen einstellen.
LITERATUR
Habib G, Hoen B, Tornos P, et al. Guideline on the prevention, diagnosis and treatment of infective endocarditis 2009. Euro-
pean Heart Journal 2009; 30: 2369–413.
Hemmer W, Fröhlig G, Markewitz A. Kommentar zu den NASPE-Empfehlungen zur Entfernung von permanent implantier-
ten, transvenösen Herzschrittmacher- und Defibrillatorsonden. Z Kardiol 2002; 91: 956–68.
Klug D, Lekieffre J. Systemic infection related to endocarditis on pacemaker leads: clinical presentation presentation and
management. Circulation 1997; 95: 2098–107.
Love CJ, Wilkoff BL, Byrd CL, et al. Recommendations for extraction of chronically implanted transvenous pacing and defib-
rillator leads: indications, facilities, training. PACE 2000; 3: 544–51
KAPITEL Leitsymptome Kollaps,
Synkope, Ohnmacht,
6 neurologische Ausfall
erscheinungen
6.1 Rezidivierende Synkopen Hagen Gross . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
KASUISTIK
Ein 32-jähriger Mann stellt sich in Ihrer Praxis vor. Er sei vor einigen Tagen plötzlich für einige Sekunden bewusstlos ge-
worden. Derartige Anfälle sind ihm seit der Jugend bekannt und treten in unregelmäßigen Abständen von einigen Jahren
auf. Dieses Jahr sei es allerdings bereits das zweite Ereignis. Prodromi lassen sich bei ihm nicht erfragen. Er sei sonst
immer gesund gewesen. Eine ärztliche Abklärung sei bisher nicht erfolgt.
Nach der Definition der ESC handelt es sich um einen kurzzeitigen Bewusstseinsverlust aufgrund einer glo-
balen zerebralen Hypoperfusion. Kennzeichen sind ein plötzlicher Beginn, eine kurze Dauer sowie eine spon-
tane komplette Erholung.
Abzugrenzen ist eine Synkope von Bewusstseinsverlusten ohne globale Hypoperfusion sowie Epilepsie,
metabolischen Entgleisungen wie Hypoglykämie, Hypoxie und Hyperventilation, Intoxikationen, vertebro-
basilarer TIA sowie von Ereignissen ohne Bewusstseinsverluste, wie Kataplexie, Drop Attacks, Stürze, psy-
chogene Pseudosynkopen, TIA.
– atypische Formen
• Synkopen durch orthostasebedingte Hypotension
– primäre autonome Dysfunktion
– sekundäre autonome Dysfunktion
– medikamentenassoziierte orthostatische Hypotension
– Volumendepletion
• Kardiale Synkopen
– Arrhythmie als primäre Ursache
– Bradykardien
– Tachykardien
– Medikamentös induzierte Rhythmusstörungen
– strukturelle Herzerkrankungen.
KASUISTIK
Der Patient berichtet, dass er sonst immer gesund gewesen sei. Einschränkungen in seiner körperlichen Belastbarkeit
bestünden nicht. Sein Hausarzt (bei dem er vor vielen Jahren zuletzt war) hatte ihm gute Gesundheit bescheinigt. Bei
betriebsärztlichen Untersuchungen sei ebenfalls nie etwas aufgefallen. Medikamente werden nicht eingenommen. Alko-
hol trinkt er nur selten, z.B. bei Feiern. Nikotinkonsum wird verneint.
Darüber hinaus schildert der Patient bei der weiteren Anamneseerhebung, dass er die „Anfälle“ nicht voraussehen kann.
Ein Muster habe er nicht erkennen können. Die Ereignisse seien jeweils tagsüber aufgetreten, meist bei leichter körperli-
cher Betätigung, zuletzt sei ihm während der Arbeit, beim langsamen Gehen, plötzlich flau geworden, dann sei ihm
schwarz vor Augen geworden. Als er (wie Kollegen ihm sagten) nach wenigen Sekunden wieder aufwachte, habe er auf
dem Boden gelegen, verletzt habe er sich nicht. Sein Vater habe im Alter von 50 Jahren einen Schrittmacher bekommen,
da er ebenfalls rezidivierend synkopiert sei. Nach der Schrittmacherimplantation sei er nie wieder synkopal geworden.
6 Die körperliche Untersuchung des schlanken Patienten zeigt keinerlei Auffälligkeiten. Der Blutdruck im Liegen ist
135/80 mmHg, im Stehen 125/85 mmHg, die Herzfrequenz 70/min bzw. 85/min.
Die Synkope ist ein sehr heterogenes Krankheitsbild mit völlig unterschiedlichen Ursachen für den Bewusstseins-
verlust. Entsprechend ist die Prognose von der zugrunde liegenden Erkrankung abhängig. Es gibt einige Scores,
um die Prognose von Synkopenpatienten abzuschätzen. Generell haben Patienten, bei denen sich EKG-Verände-
rungen bzw. eine strukturelle Herzerkrankung nachweisen lassen, eine schlechtere Prognose (› Abb. 6.1).
Zunächst müssen die Umstände näher geklärt werden, unter denen die Ereignisse stattfanden. Das heißt, die
Frage ist, ob wirklich eine klassische Synkope vorlag, oder ob es sich um ein ggf. differenzialdiagnostisch noch
zu klärendes Ereignis handelte, dass keine Synkope darstellt.
Häufig ist eine bestimmte Diagnose aufgrund des Hergangs wahrscheinlich.
Nach den aktuellen ESC-Leitlinien ist nicht die genaue Klärung der Synkope an sich wichtig, vielmehr müs-
sen Erkrankungen erkannt werden, die einer entsprechenden Behandlung bedürfen und eine schlechte Prog-
nose mit sich bringen, wie z.B. lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen. Entsprechend wird zunächst eine
initiale Evaluation mit einer Basisdiagnostik durchgeführt.
Die Basisdiagnostik umfasst eine sorgfältige Anamnese, körperliche Untersuchung, EKG sowie eine Blut-
druckmessung im Stehen und im Liegen, falls eine Reflex-Synkope vermutet wird. Abhängig von der wahr-
6.1 Rezidivierende Synkopen 229
1,0
0,8
Überlebenswahrscheinlichkeit
0,6
0,4
0,2
0,0
0 5 10 15 20 25
Follow-up (Jahre)
Abb. 6.1 Überlebensrate von Probanden mit Synkope, geordnet nach Ursachen, und Probanden ohne Synkope (nach Soteriades
et al. 2002) 6
scheinlichen Diagnose folgen ggf. weitere Untersuchungen (› Kap. 6.2). Nur falls als Ursache des Bewusst-
seinsverlusts z.B. eine neurologische Erkrankung in Betracht kommt, erfolgt eine dahin gehende Abklärung.
Nach der Anamnese sind bei dem Patienten bereits mehrfach Synkopen aufgetreten. Eine kardiale Ursache
ist aufgrund des Hergangs nicht auszuschließen, sodass zunächst eine entsprechende Diagnostik in diese
Richtung erfolgen sollte.
Es sollten also ein EKG, eine Echokardiographie, ein Belastungstest sowie ein Langzeit-EKG durchgeführt
werden.
Mit den Untersuchungen soll eine mögliche kardiale Genese (z.B. Aortenstenose, Kardiomyopathie, Tachykardie
bzw. Bradykardie, Herzrhythmusstörungen, Leitungsanomalien (AV-Block, Präexcitationssyndrom), Ionenka-
nalanomalien (Long/Short QT, Brugada) sowie eine relevante koronare Herzerkrankung) entdeckt werden.
Aufgrund der Anamnese und der bisherigen Untersuchungen werden die Echokardiographie und das Be-
lastungs-EKG unauffällig sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das Langzeit-EKG ebenfalls nicht auffällig
sein, da die Synkopen nicht so häufig auftreten, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass eine Synkope gerade zum
Aufzeichnungszeitraum auftritt.
230 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
KASUISTIK
Die Untersuchungen zeigen folgende Ergebnisse: In der Tat zeigt die Echokardiographie einen altersentsprechenden
Normalbefund. Das Ruhe-EKG ist normal, das Belastungs-EKG zeigt bei dem jungen, sportlichen Patienten eine über-
durchschnittliche Belastbarkeit und ist ansonsten unauffällig. Im Langzeit-EKG findet sich ein durchgehender Sinusrhyth-
mus mit einer Frequenz zwischen 64–105/min. SVES. Insgesamt 250 Asystolien > 1500 ms. Dauer der längsten Asystolie
2125 ms, HF dabei 39/min. Somit altersentsprechend bei einem sportlichen jungen Mann.
Ihr Patient stellt sich nach einigen Tagen zur Besprechung der Ergebnisse der
Untersuchungen erneut bei Ihnen vor. Was berichten Sie ihm?
Insgesamt besteht derzeit kein Hinweis auf eine kardiale Ursache der Synkopen. Vitien konnten ausgeschlos-
sen werden, für eine Kardiomyopathie sowie eine Ischämie gibt es keine Hinweise.
Somit besteht für eine kardiale Ursache, deren Abklärung aus prognostischen Gründen notwendig ist, kein
Hinweis.
Aufgrund des Alters und des Hergangs scheint eine vasovagale bzw. neurokardiogene Synkope mit guter
Prognose die wahrscheinlichste Diagnose. Falls sich für den Patienten hieraus Konsequenzen ergeben (z.B.
beruflich, Rezidivprophylaxe), so kann eine weitere Abklärung sinnvoll sein. Hierzu sollte eine Kipptischun-
tersuchung durchgeführt werden. Auch die Implantation eines Event-Rekorders kann erwogen werden.
6
Wann kann die Implantation eines Event-Rekorders sinnvoll sein?
Tab. 6.1 Indikationen (Auswahl) für einen Event-Rekorder (The Task Force for the Diagnosis and Management of
Syncope of the European Society of Cardiology [ESC] 2009)
Indikation Evidenzgrad
In der Frühphase der Abklärung bei rezidivierenden Synkopen unklarer Ursache bei Patienten mit nied- I B
rigem Risiko
Hochrisikopatienten, bei denen keine Synkopenursache gefunden werden konnte bzw. zu einer spezifi- I B
schen Behandlung führte
Die Implantation eines Event-Rekorders sollte vor einer Schrittmacherimplantation in Betracht gezogen II B
werden, um bei Patienten mit häufigen oder verletzungsassoziierten vermuteten oder gesicherten Re-
flexsynkopen den Zusammenhang mit einer Bradykardie zu ermitteln
Der Kipptischtest ist für folgende diagnostische Zwecke indiziert (Auszug aus den ESC-Leitlinien sowie den
Leitlinien der DGK (The Task Force for the Diagnosis and Management of Syncope of the European Society of
Cardiology [ESC] 2009, Seidl et al. 2005):
• Bei Patienten mit einer einzigen Synkope unklarer Genese und einer Hochrisikoumgebung (z.B. Auftre-
ten von oder mögliches Risiko für körperliche Verletzungen oder berufliche Konsequenzen).
• Bei Patienten ohne organische Herzerkrankung mit rezidivierenden Synkopen oder bei Patienten mit or-
ganischer Herzerkrankung mit rezidivierenden Synkopen, bei denen eine kardiale Ursache weitgehend
ausgeschlossen wurde.
6.1 Rezidivierende Synkopen 231
• Bei Patienten, bei denen es aus klinischer Sicht von Nutzen ist, die Diagnose neural vermittelte Synkope
zu bestätigen.
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie empfiehlt folgendes Vorgehen (Seidl et al. 2005):
• Vor dem Test sollte der Patient, wenn keine venöse Kanülierung erfolgt ist, für mindestens 5 Minuten,
wenn eine venöse Punktion erfolgt ist für mindestens 20 Minuten, liegen.
• Der Kipptischwinkel beträgt zwischen 60 und 70 Grad.
• Die passive Phase erstreckt sich minimal über 20 bis maximal 45 Minuten.
• Bei negativem passivem Test ist zur pharmakologischen Provokation entweder intravenös Isoproterenol/
Isoprenalin oder sublingual Nitroglyzerin zu geben. Die Dauer der pharmakologischen Provokation sollte
15–20 Minuten betragen.
• Bei Isoproterenolprovokation ist die Infusionsrate von 1 bis 3 µg/min zu steigern, wobei die mittlere
Herzfrequenz um 20–25% gegenüber dem Ausgangswert ansteigen sollte. Der Patient ist dafür nicht wie-
der in die liegende Position zurückzuführen.
• Bei Nitroglyzerinprovokation erhält der Patient die feste Dosis von 400 µg Nitroglyzerin sublingual in
aufrechter Position.
• Endpunkte der Untersuchung sind die Induktion einer Synkope oder die Beendigung der geplanten Test-
dauer nach pharmakologischer Provokation. Der Test ist diagnostisch beweisend, wenn eine Synkope
auftritt.
Unterschiedliche Meinungen liegen bei der Induktion einer Präsynkope vor.
6
Unser Patient willigt in die Kipptischuntersuchung ein. Nach ca. 20 Minuten kommt es zu einer Asystolie von 15 Sekun-
den, die zu einer Synkope führt. Nach Rückführung in die Horizontalposition erlangt der Patient sofort wieder das Be-
wusstsein.
• Keine Therapie: Patienten mit einer vagal bzw. neural vermittelten Synkope haben eine gute Prognose be-
züglich des Überlebens. Eine ausführliche Aufklärung des Patienten über Erkrankung und Prognose sollte
erfolgen. Falls möglich sollten auslösende Ursachen (z.B. langes Stehen) vermieden werden.
• Kipptischtraining/Stehtraining: In einigen Studien wurden hierdurch gute Erfolge erzielt (Seidl et al. 2005).
• Medikamentöse Therapie: Die medikamentöse Therapie hat insgesamt keine zufriedenstellenden Ergeb-
nisse gezeigt. Verschiedene Substanzklassen (u.a. Betablocker, Disopyramid, Scopolamin, Theophyllin,
Clonidin, Etilefrin, Midodrin, Serotonin Reuptake-Inhibitoren) wurden in zahlreichen Studien getestet,
häufig mit zunächst vielversprechenden Ergebnissen. In Placebo-kontrollierten Studien konnten die Re-
sultate nicht bestätigt werden (Seidl et al. 2005).
• Schrittmacherimplantation: Bei häufigen Synkopen mit Bradykardien und Asystolien > 3 Sekunden sowie
Verletzungen kann eine Schrittmacherimplantation in Erwägung gezogen werden. Die Studien zeigen un-
terschiedliche Ergebnisse. Eine Metaanalyse von 2007 findet eine nicht signifikante Reduktion der Synko-
penhäufigkeit um 17% durch Schrittmachertherapie (Sud et al. 2007).
• Akutinterventionen/isometrische Muskelkontraktionen: In einigen Studien konnten mit Interventionen,
wie z.B. isometrischen Arm- und Beinkontraktionen, gute Erfolge erzielt werden (Brignole et al. 2002).
232 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
KASUISTIK
Unser Patient wünschte nach ausführlicher Aufklärung eine Schrittmacherimplantation, die komplikationslos durchgeführt
werden konnte (Zweikammerschrittmacher mit Frequenzhysteresefunktion, die einen plötzlichen Frequenzabfall verhin-
dert). Der Patient ist daraufhin anfalls- und beschwerdefrei.
LITERATUR
Brignole M, Croci F, Menozzi C, et al. Isometric arm counter-pressure maneuvers to abort impending vasovagal syncope. J
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the diagnosis and management of syncope (version 2009). European Heart Journal 2009; 30: 2631–71.
KASUISTIK
Der 77-jährige Herr Mayr stellt sich in Ihrer kardiologischen Praxis vor; der Hausarzt habe ihn geschickt, er solle einmal
„durchgecheckt“ werden. Er kommt in Begleitung seiner Ehefrau sowie seiner Tochter.
Er gibt gutes Befinden und keinerlei Beschwerden an. Tochter und Frau berichten allerdings, dass er in der letzten Mona-
ten mehrmals kurzzeitig „abgetreten“ sei. Zuletzt sei er vor einer Woche gestürzt, habe sich aber nicht verletzt.
KASUISTIK
Die Tochter von Herrn Mayr berichtet, ihr Vater sei „einfach plötzlich am Tisch sitzend zusammengebrochen“. Danach sei
er für wenige Sekunden nicht ansprechbar gewesen, sei aber dann wieder ganz wach gewesen.
Herr Mayr kann sich selbst an nichts erinnern. Gestürzt sei er letzte Woche, da er gestolpert sei.
Herzklopfen habe er gelegentlich, wenn er Treppen steige. Schwindel habe er nicht.
Medikamente werden nicht regelmäßig eingenommen. Vor einigen Jahren habe er Tabletten gegen hohen Blutdruck
eingenommen, aber der sei nun wohl wieder in Ordnung, sodass er keine Tabletten mehr einnimmt.
6.2 Vorübergehende Absencen 233
Zunächst sollte nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie eine Basisdiagnostik er-
folgen. Diese hat die Aufgabe zu klären ob
• der Bewusstseinsverlust tatsächlich auf eine Synkope zurückzuführen ist,
• eine organische Herzerkrankung vorliegt,
• es anamnestische oder klinische Zeichen gibt, die eine bestimmte Diagnose sehr wahrscheinlich machen
(› Tab. 6.2).
Die Basisdiagnostik besteht aus:
• Anamnese
• Körperlicher Untersuchung
• Ruhe-EKG
• Blutdruckmessung im Stehen und im Liegen.
KASUISTIK
Körperliche Untersuchung: Bei der körperlichen Untersuchung findet sich ein 175 cm großer, 80 kg schwerer Patient
in altersentsprechend gutem AZ und unauffälligem EZ. RR145/85 mmHg. HF 70/min (im Liegen), 140/80 mmHg,
HF 80/min (im Stehen). Keine gestauten Jugularvenen. Keine Ödeme.
Tab. 6.2 Anamnestische Hinweise bei unklarer Bewusstlosigkeit (Leitlinien der DGK; Seidl et al. 2005)
Symptom „Bewusstlosigkeit“… Wahrscheinliche Ursache
nach unerwartet aufgetretenem Schmerz, Angst, Anblick, Geräusch vasovagale Synkope
oder Geruch
6
nach längerem Stehen unter Anspannung vasovagale Synkope
während Miktion, Defäkation, Husten, Erbrechen Situationssynkope
unmittelbar nach Lagewechsel orthostatische Synkope
nach Kopfbewegungen oder Druck auf den Karotissinus (Rasieren, Karotissinussyndrom
Waschen, Tumor)
nach Medikamenteneinnahme, die zu einer Verlängerung des medikamenteninduzierte Synkope
QT-Intervalls, zur Orthostase oder Bradykardie führten
das kurzzeitig und ohne Prodromi ist Arrhythmien
bei positiver Familienanamnese für plötzlichen Herztod Long-QT-Syndrom, arrhythmogene rechtsventriku-
läre Kardiomyopathie, Brugada-Syndrom
unter Anstrengung Aortenklappenstenose, hypertroph-obstruktive
Kardiomyopathie, pulmonale Hypertonie, Mit-
ralstenose, koronare Herzerkrankung
mit Herzgeräusch und nach Lagewechsel auftretend Vorhofmyxom, Thrombus
bei Kopfschmerzen Migräne, Krampfleiden
mit Verwirrtheit nach Synkope, Bewusstseinsverlust über mehr als 5 Krampfleiden
Minuten
verbunden mit Schwindel, Dysarthrie, Doppelsehen TIA, subclavian steal, zerebrale Durchblutungsstö-
rung
tritt bei Armbewegungen auf subclavian steal
bei Blutdruck- oder Pulsdifferenz zwischen beiden Armen subclavian steal, Aortendissektion
das häufig und mit somatischen Symptomen sowie ohne Herz psychiatrische Erkrankungen
erkrankung ist
234 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
Die Auskultation des Herzens zeigt einen unauffälligen Befund. Die Lunge ist perkutorisch und auskultatorisch ebenfalls
unauffällig. Die peripheren Pulse sind an den typischen Stellen tastbar. Auch die weitere Untersuchung zeigt einen alters
entsprechend unauffälligen Befund.
Ruhe-EKG (› Abb. 6.2):
Beurteilung: SR, IT, normale Zeitintervalle, unauffälliges Stromkurvenbild, periphere Niedervoltage.
Laut den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie sind die Ergebnisse der Basisdiagnostik
bei folgenden Bedingungen diagnostisch ausreichend, um die Ursache einer Synkope festzulegen (Auszug
aus den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie; Seidl et al. 2005):
1. Eine klassische vasovagale Synkope liegt vor, wenn der Synkope Ereignisse wie Angst, starke Schmerzen,
emotionale Bedrängung, Eingriff (Venenpunktion) oder längeres Stehen sowie typische Prodromi voraus-
gingen.
2. Eine Situationssynkope liegt vor, wenn der Synkope unmittelbar nach Miktion, Defäkation, Husten oder
Erbrechen auftrat.
3. Eine orthostatische Synkope liegt vor, wenn eine dokumentierte orthostatische Hypotension in Verbin-
dung mit einer Synkope oder Präsynkope auftrat. Der Patient sollte vor orthostatischen Blutdruckmes-
sungen 5 Minuten liegen. Die Messungen erfolgen nach 1 oder 3 Minuten Stehen und werden fortgeführt,
wenn der Blutdruck nach 3 Minuten weiter fällt. Wenn der Patient das Stehen über diese Zeit nicht tole-
riert, ist der niedrigste systolische Blutdruck aufzuzeichnen. Ein Abfall des Blutdrucks um > 20 mmHg
oder ein Abfall des systolischen Blutdruckes auf > 90 mmHg wird unabhängig vom Auftreten klinischer
Beschwerden als orthostatische Hypotension bezeichnet (die Diagnose „orthostatisch bedingte Synkope“
liegt bereits bei anamnestischem Verdacht [z.B. Volumenmangel, antihypertensive Medikamente] in Ver-
bindung mit einer pathologischen orthostatischen Blutdruckmessung nahe).
4. Eine kardiale, Ischämie-getriggerte Synkope liegt vor, wenn die Synkope zusammen mit EKG-Verände-
rungen als Hinweis für eine akute Myokardischämie mit oder ohne Myokardinfarkt auftrat.
5. Eine Arrhythmie-induzierte Synkope liegt bei folgenden EKG-Veränderungen vor:
a. Sinusbradykardie < 49/min oder wiederholte sinusatriale Blockierungen oder Sinuspausen >3 Sekunden.
b. AV-Blockierungen (2. Grades Typ Mobitz II, 3. Grades).
c. Alternierender Links- und Rechtsschenkelblock.
d. Schnelle paroxysmale supraventrikuläre oder ventrikuläre Tachykardien. 6
e. Schrittmacherfehlfunktion mit Pausen.
Können Sie aus den Ergebnissen der Basisdiagnostik bereits die Synkopenursache
festlegen?
Nein. Die vorliegen Untersuchungsergebnisse legen keine eindeutige Ursache nahe. Es ist eine weitere Dia
gnostik erforderlich.
Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie empfehlen folgendes Vorgehen (Auszug aus den
Leitlinien; Seidl et al. 2005):
1. Bei Patienten mit Verdacht auf Herzerkrankung werden als erste diagnostische Maßnahmen Echokardio-
graphie, EKG-Monitoring und, wenn dies nicht diagnostisch beweisend ist, eine elektrophsyiologische
Untersuchung empfohlen.
2. Allgemeine laborchemische Untersuchungen sind nur dann indiziert, wenn ein Verlust des zirkulieren-
den Volumens die Synkope verursacht oder wenn Synkopen-ähnliche Beschwerden eine metabolische
Ursache haben könnten.
3. Bei Patienten mit Palpitationen in Verbindung mit einer Synkope werden als erste diagnostische Maß-
nahmen EKG-Monitoring und Echokardiographie empfohlen.
4. Bei Patienten mit Brustschmerzen als Hinweis für eine Koronarischämie vor oder nach dem Bewusstseins-
verlust werden als erste diagnostische Maßnahmen Belastungs-Tests, Echokardiographie und EKG-Moni-
236 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
toring empfohlen. (Bei Patienten mit Brustschmerzen ist ein akutes Koronarsyndrom auszuschließen. In
diesem Fall sind Belastungstests nicht angezeigt. Es sollte zunächst eine Koronarangiographie erfolgen).
5. Bei jungen Patienten ohne Anhalt für eine kardiale oder neurologische Erkrankung und rezidivierende
Synkopen wird als erste diagnostische Maßnahme der Kipptischtest, bei älteren Patienten die Karotis
sinusmassage empfohlen Bei Patienten mit Synkope bei Halsdrehung wird eine Karotissinusmassage
empfohlen. (Bei klinischen Zeichen einer vasovagalen Synkope kann auf eine Kipptischuntersuchung ver-
zichtet werden. Die Indikation zum Kipptisch bei Patienten mit unklaren Synkopen sollte gestellt werden,
wenn eine kardiale oder neurologische Ursache unwahrscheinlich gemacht wurde).
6. Bei Patienten mit Synkope nach körperlicher Anstrengung werden als erste diagnostische Maßnahmen
Echokardiographie und Belastungstest nach Ausschluss einer LV-Obstruktion, zum Beispiel Aortensteno-
se, empfohlen.
7. Bei Patienten mit Zeichen autonomer Dysfunktion oder neurologischen Erkrankungen ist die spezifische
neurologische Diagnostik einzuleiten.
8. Bei Patienten mit häufigen rezidivierenden Synkopen, die multiple andere somatische Beschwerden ha-
ben und bei der ersten Evaluation sich Hinweise auf Stress, Angst und andere mögliche psychiatrische
Auffälligkeiten ergeben, wird eine psychiatrische Untersuchung empfohlen.
Nach den Leitlinien sollte bei älteren Patienten zunächst eine Karotissinusmassage durchgeführt werden. Bei
Verdacht auf eine Herzerkrankung sollten eine Echokardiographie und ein EKG-Monitoring erfolgen. Die
Echokardiographie ist gut geeignet zur Risikostratifizierung. Aufgrund des Alters unseres Patienten ist eine
6 koronare Herzerkrankung trotz fehlender Symptomatik nicht unwahrscheinlich, sodass ein Belastungs-EKG
durchgeführt werden sollte.
Bei der Karotissinusmassage beim liegenden Patienten erfolgt die Massage über maximal 5 Sekunden. Eine
pathologische Reaktion ist eine Asystolie über mehr als 3 Sekunden und/oder ein Blutdruckabfall von mehr
als 50 mmHg.
Bei einer alterativen Methode erfolgt die Massage des Karotissinus über 10 Sekunden sowohl im Stehen als
auch im Liegen. Hier wird zusätzlich das Auftreten von Symptomen gefordert.
KASUISTIK
Die von Ihnen vorgeschlagenen Untersuchungen zeigen folgende Ergebnisse:
Echokardiographie: Linker Vorhof gering vergrößert (43 mm). Rechter Vorhof normal groß. Gute linksventrikuläre
Globalfunktion, keine Wandbewegungsstörungen. Linksventrikuläre Wände gering verdickt (LVS 12 mm). Aortenklappe
gering sklerosiert. Keine Stenose. Geringe Insuffizienz. Mitralklappe unauffällig. Trikuspidalklappe gering insuffizient.
Gradient RV/RA = 28 mmHg. Kein Perikarderguss.
Zusammenfassung: Geringgradige linksventrikuläre Hypertrophie. Linker Vorhof gering vergrößert. Aortenklappensklerose.
Belastungs-EKG: Belastung bis 125 W. Maximale Herzfrequenz 145/min. Bei fehlender Ausbelastung keine signifikan-
ten ST-Streckenveränderungen.
Zusammenfassung: Bei eingeschränkter Aussagefähigkeit bei fehlender Ausbelastung kein H.a. eine hämodynamisch
relevante koronare Herzerkrankung.
Langzeit-EKG: Durchgehend Sinusrhythmus. 45 bis 145/min. Keine Asystolien > 1500 ms. 25 VES. 155 SVES.
Zusammenfassung: Kein H.a. Synkopenursache.
Karotissinusmassage: Bei leichtem (!) Druck auf den Karotissinus rechts kommt es zu einer Asystolie von 7 s, der Pa-
tient verliert dabei kurzzeitig das Bewusstsein.
Tab. 6.3 Schrittmacherindikation Karotissinussyndrom (nach den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kar-
diologie sowie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie; Rybak et al. 2008, Vardas et al. 2007)
Symptomatik Indikation Evidenzgrad
Rezidivierende Synkopen, die in eindeutigem Zusammenhang mit einer Indikation (Klasse I) [C]
Reizung des Karotissinus stehen und die durch Alltagsbewegungen
(z.B. Drehen des Kopfes) auslösbar sind und dadurch zu einer Asystolie
von > 3 s führen
Rezidivierende, anderweitig nicht erklärbare Synkopen ohne eindeutig Indikation (Klasse IIa) [C]
auslösende Alltagsbewegungen, aber mit positivem Nachweis eines
symptomatischen hypersensitiven Karotissinusreflexes (Pause > 3 s)
Hinweis: Ein positiver Karotisdruckversuch ohne eine entsprechende Klinik (auch bei einer Asystolie > 3 s)
rechtfertigt eine Schrittmacherimplantation nicht. Bei Karotissinusmassage beim liegenden Patienten finden
sich in bis zu 38% der Fälle pathologische Befunde.
Wie bei jedem Eingriff kann es zu Komplikationen kommen. Rhythmusstörungen (Asystolie oder Kammer-
flimmern) werden in 0,2% der Fälle ausgelöst. Die häufigsten chirurgischen Probleme sind Sondendislokatio-
nen (im Vorhof ca. 1,5%, im Ventrikel ca. 1,1%), ein interventionsbedürftiger Pneumothorax (0,4%), Taschen-
238 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
hämatome (0,4%) und Infektionen (0,1%). Perforationen des Herzmuskels sind glücklicherweise selten und
verlaufen meist glimpflich (0,1%).
Es sollte vorzugsweise ein Zweikammerschrittmacher implantiert werden, der eine physiologische Stimulati-
on von Vorhof und Kammer ermöglicht. Wünschenswert wäre eine Frequenzhysterese-Funktion, die größere
Frequenzsprünge vermeiden hilft. Ein Schrittmacher ohne diese Funktion würde bei der eingestellten Grund-
frequenz einsetzen, sodass die Herzfrequenz des Patienten von z.B. 90/min auf 60/min fallen würde, was häu-
fig als sehr unangenehm empfunden wird und präsynkopale Zustände hervorrufen kann. Eine Frequenzadap-
tation ist bei unserem Patienten bei unauffälligem Herzfrequenzverlauf (siehe Befund Langzeit-EKG) nicht
notwendig. Bei unauffälligem Ruhe-EKG ist eine AV-Hysterese ebenfalls nicht notwendig. Bei entsprechenden
Befunden im Langzeit- bzw. Ruhe-EKG sollte ein Schrittmacher aber über entsprechende Algorithmen verfü-
gen, um einen optimalen physiologischen Erregungsablauf zu gewährleisten (insbesondere Vermeidung nicht
notwendiger rechtsventrikulärer Stimulation).
Ein alleiniger AAI-Schrittmacher ist beim Karotissinussyndrom nicht ausreichend, da beim Karotissinus-
syndrom neben der Inhibition des Sinusknotens häufig intermittierend AV-Blockierungen auftreten können
(in unserem EKG nicht beurteilbar, da ein Sinusarrest besteht, sodass die AV-Überleitung nicht beurteilt wer-
den kann).
Bei einem VVI-Schrittmacher kann die unphysiologische Stimulation des Ventrikels hämodynamisch so
ungünstig sein, dass trotzdem Synkopen auftreten können, außerdem ist es möglich, dass ein Schrittmacher-
6 syndrom auftritt (Vardas et al. 2007).
Die Tochter fragt nach den Zeitpunkten für die nächsten Kontrollen. Was
antworten Sie?
Die Intervalle der Nachsorge sind nur als Richtlinien zu sehen (› Tab. 6.4).
Aus klinischer Sicht können kürzere oder auch längere Intervalle sinnvoll sein. Dies hängt auch davon ab, ob
der Patient schrittmacherabhängig ist oder nicht. Bei hoher Laufzeit des Schrittmachers oder bei beginnen-
der Batterieerschöpfung können die Intervalle entsprechend verringert werden (< 3 Monate).
LITERATUR
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http://www.bqs-outcome.de/2008/ergebnisse/leistungsbereiche/HSM-IMPL/buaw/download (letzter Zugriff 08.03.2011)
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Seidl K, Schuchert A, Tebbenjohanns J, Hartung W. Kommentar zu den Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Synkopen
der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie 2001 und dem Update 2004. Z Kardiol. 2005; 94(9): 592–612.
6.3 Fokale neurologische Ausfallserscheinungen 239
The Task Force for the Diagnosis and Management of Syncope of the European Society of Cardiology (ESC).Guidelines for
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KASUISTIK
Eine 61-jährige Frau stellt sich zur Abklärung einer über ca. 10 Stunden anhaltenden Hyp-/Dysästhesie und Parese des rechten
Arms vor. Die Symptomatik wurde von der Patientin auf einen „eingeklemmten Nerv“ zurückgeführt, da sie am Aufnahmetag
unmittelbar nach Heben einer schweren Last während der Gartenarbeit auftrat. Im weiteren Anamnesegespräch stellt sich he-
raus, dass die Patientin bereits vor ca. 2 Jahren eine Episode mit Sprachstörungen hatte und seitdem ASS 100 mg pro Tag
einnimmt. Der körperliche Untersuchungsbefund ist unauffällig, insbesondere lässt sich die Symptomatik nicht durch eine
Faustschlussprobe oder Bewegungsmanöver des Arms provozieren; seitengleiche RR-Werte; keine fokalneurologischen Defizite.
Die Patientin betreibt regelmäßig „Nordic Walking“ und fühlt sich gut belastbar und gesund. Keine weiteren Vorerkrankungen.
Die Patientin fragt Sie, ob eine sofortige Entlassung möglich sei, denn Sie sei
schließlich nur auf Drängen ihrer Tochter vorstellig geworden und jetzt wieder
völlig beschwerdefrei. Was antworten Sie? 6
Eine sofortige Entlassung ist nicht zu empfehlen. Zwar sind neurovaskuläre/-muskuläre Ursachen für die
geschilderte Symptomatik denkbar (z.B. Thoracic-Outlet-Syndrom, fokale Nervenläsion), die geschilderte
Symptomatik lässt jedoch primär an eine transitorische Hirnischämie denken. Eine Abklärung des Ereignis-
ses hinsichtlich einer kardiovaskulären Genese, speziell bei mutmaßlich zweitem neurologischen Ereignis, ist
durchzuführen. Sollte sich die Verdachtsdiagnose einer fokalen Ischämie verifizieren lassen, ist die Inzidenz
für einen darauffolgenden Schlaganfall innerhalb der ersten drei Tag am höchsten.
Eine Verlegung der Patientin auf eine Stroke-Unit ist vorrangig. Nach Indexereignis erleiden in den ersten
zwei Tagen bis zu 10% und in den ersten 14 Tagen bis 15% der Patienten einen Schlaganfall. Bei transitori-
schen Fokalischämien < 24 Stunden (TIA) sind vor allem Patienten mit zerebralen Symptomen gegenüber
jenen mit retinalen Symptomen (Amaurosis fugax), Patienten über 60 Jahren mit einer Symptomdauer län-
ger als 10 Minuten sowie Patienten mit Lähmungen oder Sprachstörungen gefährdet.
Einen Tag später führen Sie konsiliarisch ein TTE bei der Patientin auf der Stroke-
Unit durch. Es finden sich außer einem hypermobilen Vorhofseptum keine
weiteren Auffälligkeiten. Empfehlen Sie weitere Untersuchungen?
Sofern o.g. Untersuchungen keine Hinweise auf die Ursache der Hirnischämie geben (= kryptogener bzw.
idiopathischer Schlaganfall, Inzidenz 40% aller embolisch bedingten Schlaganfälle) sollte eine Duplex-Sono-
graphie der Beinvenen und ein TEE zur exakten Darstellung des Vorhofseptums ergänzend durchgeführt
6 werden, um die Wahrscheinlichkeit einer gekreuzten (paradoxen) Embolie zu evaluieren oder einen intra-
kardialen Thrombus zu erkennen. Ein Valsalva-Manöver unter Verwendung einer Echokontrastverstärkung
kann hierbei die Visualisierung des offenen Foramen ovale erleichtern (Sensitivität und Spezifität 90–100%).
Als Screening-Methode findet auch der transkranielle Doppler mit gleichzeitiger Applikation eines nicht lun-
gengängigen Kontrastmittels Verwendung, allerdings fehlt hierbei die Möglichkeit zur erweiterten Beurtei-
lung der intrakardialen Morphologie. Insgesamt besitzen der transkranielle Doppler mit dem „power moti-
on-mode“ sowie das TEE eine Sensitivität > 90%. Im Vergleich hierzu werden mit dem TTE nur ungefähr
50–70% der PFO erkannt.
KASUISTIK
Eine Beinvenenthrombose konnte nicht gefunden werden. In der TEE-Untersuchung (› Abb. 6.3) finden Sie ein großes
atriales Septumaneurysma sowie einen PFO-Tunnel mit nachweisbarem Übertritt von kontrastverstärkten Mikro-Bubbles.
Die Rezidivprophylaxe kann in diesem Fall aus zwei unterschiedlichen Therapiekonzepten bestehen; medika-
mentös-konservativ oder eine Katheter-gestützte Schirm-Implantation.
Derzeit existieren zwei Empfehlungen unterschiedlicher ärztlicher Fachgesellschaften:
Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie:
• Bei Patienten mit alleinigem PFO, gleich welcher Größe, und erstem zerebralen ischämischen Ereignis er-
folgt eine Prophylaxe mit ASS (100 mg) (Evidenzgrad B).
• Kommt es zu einem Rezidiv unter ASS oder besteht ein PFO mit Vorhofseptumaneurysma (ASA), wird
eine orale Antikoagulation mit einer INR von 2,0–3,0 für mindestens 2 Jahre empfohlen (C).
6.3 Fokale neurologische Ausfallserscheinungen 241
Abb. 6.3 Links: TEE-Standbild, lange Achse. Darstellung von linkem Vorhof (LA), rechtem Vorhof (RA) sowie großem Vorhofsep-
tumaneurysma (roter Pfeil) und PFO (blauer Pfeil); Mitte: TEE-Standbild, lange Achse. Im Colour-Duplex-Imaging Darstellung eines
PFO (blauer Pfeil); rechts: TEE-Standbild, lange Achse. Übertritt von kontrastverstärkten Mikro-Bubbles entlang des PFO vom RA
zum LA unter Valsalva-Manöver (blauer Pfeil).
• Kommt es zu einem weiteren Rezidiv oder bestehen Kontraindikationen für eine orale Antikoagulation,
kann ein interventioneller PFO-Verschluss (Schirmverschluss) in Erwägung gezogen werden (C).
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie hat bislang keine schriftlichen Empfehlungen ausgegeben. Gemäß 6
Expertenmeinung (Taaffee et al. 2008) kann ein interventioneller Verschluss nach einmalig stattgehabtem
kryptogenem zerebral-ischämischen Ereignis und alleinigem PFO (auch ohne ASA) oder bei Tauchern mit
Dekompressionskrankheit und PFO erwogen werden. Die Leitlinien der amerikanischen Fachgesellschaften
AHA (American Heart Association), ASA (American Stroke Association) und ACCP (American College of
Chest Physicians) empfehlen derzeit eine antithrombozytäre Monotherapie bei Patienten mit ischämischem
Schlaganfall und PFO, solange keine zusätzliche Indikation für eine orale Antikoagulation besteht (Sacco et
al. 2006, Salem et al. 2008). In der Leitlinie zur Sekundärprävention von ischämischen Schlaganfällen und
TIA wird des Weiteren über eine „mangelnde Datenlage bei Patienten nach erstem Schlaganfall und PFO,
um eine definitive Empfehlung auszusprechen“ berichtet (Sacco et al. 2006). Die Datenlage zu mutmaßli-
chen Risikofaktoren für eine erneute kryptogene Hirnischämie, wie Alter (z.B. < 55 Jahre), die Kombination
aus PFO und ASA (= Septumexkursion > 10 mm) oder große PFO-Defekte, ist bislang nicht einheitlich
(O’Gara et al. 2009).
Aufgrund der unzureichenden Datenlage bezüglich der Sekundärprävention kryptogener Hirnischämien
wurde zuletzt von mehreren kardiologischen Fachgesellschaften zu einer verstärkten Aufklärung der Situati-
on durch Teilnahme an prospektiv-randomisierter Studien aufgerufen (O‘Gara et al. 2009).
In vorliegendem Fall könnte – rein hypothetisch – der Auslöser für die Embolie ein erhöhter rechtsatrialer
Druck beim Bücken während der Gartenarbeit gewesen sein. Es sollte die Indikation zur Okkluderimplanta-
tion gestellt werden, da nach dem Ausschlussprinzip von einer kryptogenen Rezidiv-Embolie (unter ASS)
ausgegangen werden muss und gleichzeitig ein potenzieller Rezidiv-Risikofaktor in Form des Vorhofseptum
aneurysmas vorliegt.
Bei der Patientin wurde ein kathetergesteuerter Verschluss des PFOs vorgenommen (› Abb. 6.4).
242 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
Danksagung
Bildmaterial mit freundlicher Unterstützung von Frau Dr. Nina Wunderlich und Herrn Prof. Dr. Horst Sie-
vert, CardioVasculäres Centrum St. Katharinen, Frankfurt.
6 LITERATUR
Taaffe M, Fischer E, Baranowski A, et al. Comparison of three patent foramen ovale closure devices in a randomized trial
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Stroke Association and the American College of Cardiology Foundation. J Am Coll Cardiol. 2009; 53(21): 2014–8.
KASUISTIK
Ein 81-jähriger Patient stellt sich in Ihrer kardiologischen Praxis vor. Am Tag zuvor hatte er über ca. 15 Minuten einen
„Vorhang vor dem rechten Auge“. Der Patient wurde vor 10 Jahren einer aortokoronaren Bypassoperation unterzogen.
In diesem Zusammenhang wurde auch eine filiforme Stenose der rechten Karotisarterie gefunden und später operiert,
obwohl der Patient nie Schlaganfall-ähnliche Symptome bemerkt hatte. An Nebenerkrankungen bestehe eine chronisch
obstruktive Atemwegserkrankung, er rauche ca. 10 Zigaretten pro Tag seit 50 Jahren. Sie führen eine Ultraschalluntersu-
chung der Karotiden durch.
6.4 Amaurosis fugax 243
Zur duplexsonographischen Graduierung von Stenosen der A. carotis interna (ACI) finden verschiedene
Techniken im klinischen Alltag Verwendung. Aktuell wird weltweit am häufigsten die Einteilung der Steno-
segrade nach den Definitionen der NASCET- oder ECST-Studie bzw. nach der „Common Carotid“(CC)-Me-
thode vorgenommen. Da sich während der letzten Jahre zunehmend unterschiedliche Grenzwerte für diese
Einteilungen fanden, wurde im Jahr 2003 ein Konsensus-Papier (Grant et al. 2003) in den USA etabliert, in
dem die in › Tabelle 6.5 dargestellten Werte festgelegt wurden. Diese Parameter orientieren sich eher an
den NASCET-Kriterien, korrelieren gut mit der angiographischen Referenzmessung nach NASCET (distaler
Stenosegrad) und können nicht der ECST-Graduierung gleichgesetzt werden.
In Deutschland wurde im Jahr 2010 eine Revision der DEGUM-Kriterien (Arning et al. 2010).und in die-
sem Zuge ein Transfer der korrespondierenden Werte in NASCET-Stenosegrade publiziert (› Tab. 6.6).
Die hier postulierten Werte weichen jedoch erheblich von denen im 2003 publizierten Konsensus-Papier
ab. Letztlich obliegt es dem jeweiligen Institut oder der Praxis, welches der o.g. Systeme zur Stenose-Quanti-
fizierung herangezogen wird. Wichtig ist eine standardisierte Untersuchungstechnik mit Angabe der o.g.
Hauptkriterien sowie evtl. der Plaquelast und Plaquekomposition. Im Fall einer eingeschränkten Ableitbar-
keit von intrastenotischen Strömungsgeschwindigkeiten können Zusatzkriterien zur Graduierung herange-
zogen werden, wie z.B. das Konfetti-Zeichen, Internalisierung der Arteria carotis externa sowie prä- und
poststenotisches Strömungsverhalten.
Wie wird eine „symptomatische Karotisstenose“ definiert und was sind typische
Symptome einer relevanten Verengung? 6
Für gewöhnlich wird eine Stenose der internen Karotisarterie als symptomatisch bezeichnet, wenn die Sym-
ptomatik nicht länger als 180 Tage zurückliegt. Anamnestisch hochverdächtig auf eine zerebrale Ischämie
reaktion im Gebiet der Arteria carotis interna sind jegliche Halbseitensymptome im Sinne von Extremitäten-
und/oder Gesichts-betonten sensiblen oder motorischen Alterationen (am häufigsten Parästhesie und Pare-
Tab. 6.5 Gray-Scale und Doppler-Ultraschall-Kriterien zur Einteilung von ACI-Stenosen gemäß amerikanischem
Konsensus-Ausschuss
Primäre Parameter Zusätzliche Parameter
Stenosegrad (%) ACI PSV1 Plaquelast ACI/ACC3 PSV-Verhältnis ACI EDV4 (cm/sec)
(cm/sec) (%)2
Normal < 125 Keine < 2,0 < 40
< 50 < 125 < 50 < 2,0 < 40
50–69 125–130 ≥ 50 2,0–4,0 40–100
≥ 70, aber weniger als > 230 ≥ 50 > 4,0 > 100
subtotal
Subtotaler Verschluss hoch, niedrig, oder sichtbar variabel variabel
nicht auffindbar
Totaler Verschluss nicht auffindbar sichtbar, kein Lumen nicht anwendbar nicht anwendbar
auffindbar
1
PSV = Peak Systolic Velocity = systolische Spitzengeschwindigkeit
2
Plaquelast (Diameterreduktion) mit Gray-Scale und Doppler-Ultraschall
3
ACC = Arteria carotis communis
4
EDV = Enddiastolic velocity = enddiastolische Geschwindigkeit
244 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
Tab. 6.6 DEGUM-Ultraschallkriterien zur Graduierung von ACI-Stenosen und Festlegung des NASCET-Stenose-
grads
Stenosegrad (NASCET-Definition) [%] 10 20–40 50 60 70 80 90 Ver
schluss
Stenosegrad alt (ECST-Definition) [%] 45 50–60 70 75 80 90 95 Ver
schluss
Hauptkriterien B-Bild +++ +
Farb-Doppler-Bild + +++ + + + + + +++
systolische Spitzenge- 200 250 300 350– 100–500
schwindigkeit im Stenose- 400
maximum [cm/sec] ca.
systolische Spitzenge- > 50 < 50 < 30
schwindigkeit poststeno-
tisch [cm/s]
Kollateralen und Vorstufen (+) ++ +++ +++
(Periorbitalarterien/ACA)
Zusatzkriterien diastolische Strömungsver- (+) ++ +++ +++
langsamung prästenostisch
(ACC)
Strömungsstörungen post- + + ++ +++ (+)
stenotisch
enddiastolische Strömungs- < < 100 > 100 > 100
geschwindigkeit im Steno- 100
6 semaximum [cm/s] ca.
Konfetti-Zeichen (+) ++ ++
Stenoseindex ACI/ACC ≥ 2 ≥ 2 ≥ 4 ≥ 4
se). Visuelle Symptome beinhalten die temporäre oder permanente einseitige Blindheit (Amaurosis) oder die
halbseitige Gesichtsfeldstörung (homonyme Hemianopsie). Die kontralaterale Blickdeviation (Patient blickt
auf die Bescherung) ist ebenso auf das Karotisstromgebiet hinweisend. Auch Sprech- und Sprachstörungen
wie z.B. Dysarthrie (sehr selten) und Aphasie können bei einer Fokalischämie im entsprechenden Hirnareal
ausgelöst werden. Bei der Diagnosestellung ist insbesondere das sofortige Einsetzen der Symptomatik in ma-
ximaler Ausprägung charakteristisch (DD Migräne: progredientes Einsetzen der Symptomatik, Augenflim-
mern, Parästhesien, typischerweise keine Paresen).
Karotisbedingte Symptome umfassen nicht Synkopen (Formatio reticularis), Drehschwindel (A. vertebra-
lis), Tinnitus, Diplopie, Dysphagie, Ataxie, Doppelbilder, Blitze vor den Augen und Kopfschmerzen.
Wider Ihre Erwartungen ist der Patient gut schallbar. Sie objektivieren eine
hochgradige (ca. 80% nach ECST) Stenose der rechten ACI (› Abb. 6.5).
Wie gehen Sie weiter vor?
Insgesamt ist ein möglichst rasches Vorgehen indiziert. Patienten mit hochgradiger ACI-Stenose und rezen-
ter Symptomatik profitieren besonders innerhalb der ersten zwei Wochen nach dem Ereignis von einer inva-
siven Therapie; dies gilt nur für reversible ischämische Hirninfarkte, nicht für Patienten mit persistierender
Symptomatik. Während dieses Zeitraums ist die Inzidenz für einen erneuten Hirninfarkt am höchsten.
6.4 Amaurosis fugax 245
Abb. 6.5 Duplexsonographie der rechten ACI. Links: intrastenotische Flussgeschwindigkeit gemäß Pw-Doppler. Systolische Vmax
∼3 m/s. Rechts: Colour-Duplex der ACI-Stenose
Symptomatische Patienten: Anders verhält sich die Studienlage im Stadium II der hochgradigen Karotis
stenose (= symptomatische Stenose). Hier beträgt das jährliche Risiko einen Apoplex zu erleiden ca. 10–15%.
Diesbezüglich erwirkt die Karotis-TEA eine deutliche Prognoseverbesserung sowohl bei 50–69%igen als auch
insbesondere bei 70–99%igen Karotisstenosen.
Bislang wurden in mehreren Studien die Akut- und Langzeitergebnisse der Karotis-PTA denen der Karo-
tis-TEA bei symptomatischen Patienten gegenübergestellt, es gelten jedoch – aufgrund teils gravierender me-
246 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
thodischer Mängel – nur wenige dieser Studien als aussagekräftig. Einige Studien zeigten zuletzt vergleichba-
re perioperative Komplikationsraten von Karotis-TEA gegenüber der PTA hinsichtlich schwerwiegender
Hirnischämien. Die chirurgische Revaskularisierung ist zwar mit einer höheren Inzidenz an perioperativen
Myokardinfarkten assoziiert, führt jedoch – gemäß einer neueren Studie (Brott et al. 2010) – weniger häufig
zu sog. minor strokes. Im Langzeitverlauf hingegen zeigen beide Verfahren ein gleiches Patienten-Outcome,
sodass im Falle einer > 50%igen Karotisstenose sowohl die interventionelle, als auch die operative Revaskula-
risation angewendet werden kann. Mehrere nationale und internationale Fachgesellschaften fordern eine in-
stitutspezifische perioperative bzw. periinterventionelle (30 Tage ± 3 Tage) Komplikationsrate von maximal
3% bei asymptomatischen und 6% bei symptomatischen Patienten für beide Therapieoptionen (Bates et al.
2007). Zudem wird postuliert, dass alle Institute, die interventionell oder operativ Karotisstenosen therapie-
ren, extern (in Form von prospektiven Registereingaben) kontrolliert werden sollen.
Einige Kriterien können jedoch verwendet werden, um eine Patientenauswahl vorzunehmen:
• Risikopatienten für eine Operation: klinisch relevante Herzerkrankung, schwere pulmonale Erkrankung,
kontralateraler Karotisverschluss, kontralaterale Larynx-Nervenschädigung, vorausgegangene radikale
Halsoperation oder Strahlentherapie, Restenose nach Karotisendatherektomie, Alter über 80 Jahre
• Risikopatienten für eine interventionelle Revaskularisierung: Zielgefäß mit komplizierter Anatomie (z.B.
torquierter Gefäßverlauf, Aortenbogen, arterieller Zugang), Niereninsuffizienz.
6 Im Fall einer relativ rezenten Symptomatik sollte selbstverständlich eine kranielle Bildgebung (CCT oder
MRT) durchgeführt werden. Hierbei ist zwar eine Visualisierung eines ischämischen Areals, insbesondere im
Fall einer transitorischen Symptomatik (z.B. TIA, Amaurosis fugax), nicht garantiert, es können jedoch evtl.
andere Pathologien ausgeschlossen werden (z.B. Tumor, Aneurysma, chronisches Subduralhämatom,
Thrombose, arteriovenöse Malformation).
Bei negativem Nachweis im CCT ist ggf. eine Ausschlussdiagnostik bezüglich anderer Faktoren, die die
initiale Symptomatik bedingen können, sinnvoll. Hierzu gehören:
• Ophthalmologisches Fachkonsil: differenzialdiagnostische Abklärung von akuter ischämischer Optikus-
neuropathie, paraneoplastische Neuropathie, retinale Vaskulitis, Papillenödem etc.
• Neurologisches Fachkonsil: differenzialdiagnostische Abklärung von multiple Sklerose (Optikusneuritis),
periphere Nervenläsionen, Myasthenia gravis, psychogene Störungen (Hyperventilation) etc.
• Duplexsonographie der hirnzuführenden Arterien: Verifizierung der hochgradigen ACI-Stenose nach der
institutspezifischen Referenzmethode. Ausschluss einer relevanten kontralateralen ACI-Stenose oder ei-
nes Verschlusses, was eine Überschätzung der ipsilateralen Stenose verursachen kann. Ausschluss rele-
vanter Stenosen der übrigen hirnversorgenden Arterien
• Langzeitblutdruckmessung: Abklärung inapparenter hypertensiver Entgleisungen. Risikofaktoren-
Screening
• Fakultative Untersuchungen: transösophageale Echokardiographie (z.B. bei bestehender Beinvenen-
thrombose oder Koagulopathie) zum Ausschluss einer paradoxen Embolie. Ausschluss intrakardialer
Thromben bei Patienten mit Vorhofflimmern. Transkranielle Doppleruntersuchung zum Nachweis mög-
licher paradoxer Embolien oder Evaluation der intrakraniellen Zirkulation und seitenübergreifender Kol-
lateralversorgung. Auch eine Koronarangiographie kann bei entsprechender Klinik (z.B. instabile AP)
sinnvoll sein. Je nach klinischer Relevanz ist eine Revaskularisierung der Koronargefäße der Karotisope-
ration oder -intervention vorzuziehen.
6.5 Zunächst ungeklärte Synkope 247
Unabhängig vom Ergebnis des CCT sollte ein Screening bezüglich anderer Pathologien erfolgen, die Einfluss
auf die anstehende Therapieentscheidung bzgl. der Karotisstenose haben. Hierzu zählen ein Holter-EKG
(Vorhofflimmern = Indikation zur Antikoagulation), UKG (Screening auf pulmonale Hypertonie und rechts-
oder linksventrikuläre Dysfunktion= Indikation zur Antikoagulation und erhöhtes Operationsrisiko) oder
eine duplexsonographische Darstellung der Becken-/Beinarterien (z.B. bei vorbekannter arterieller Ver-
schlusskrankheit oder stark torquiertem Gefäßverlauf = evtl. Ausschlusskriterium für eine perkutane
Karotisangioplastie).
LITERATUR
Arning C, Widder B, von Reutern GM, Stiegler H, Görtler M. Ultraschallkriterien zur Graduierung von Stenosen der A. carotis
interna. Revision der DEGUM-Kriterien und Transfer in NASCET-Stenosierungsgrade. Ultraschall in Med 2010; 31: 251-7.
Bates ER, et al. ACCF/SCAI/SVMB/SIR/ASITN 2007 Clinical Expert Consensus Document on Carotid Stenting. JACC 2007; 49:
126–70.
Brott TG, Hobson RW 2nd, Howard G, et al. Stenting versus endarterectomy for treatment of carotid-artery stenosis. N Engl
J Med. 2010; 363(1): 11–23.
Grant EG, Benson CB, Moneta GL, et al. Carotid artery stenosis: gray-scale and Doppler US diagnosis--Society of Radiolo-
gists in Ultrasound Consensus Conference. Radiology 2003; 229(2): 340–6..
KASUISTIK
Ein Allgemeinmediziner ruft Sie an: Er werde jetzt gleich einen 50-jährigen Patienten vorbeischicken, der 50 Meter von 6
seiner Praxis entfernt synkopiert sei. Er kenne den Mann sonst nicht. Der Kollege hat normale Vitalparameter dokumen-
tiert (HF 84, RR 110/70, AF 16), der Blutzucker betrug 87 mg/dl. Im EKG bestand ein Sinusrhythmus, nach seiner Ansicht
keine sonstigen Auffälligkeiten. Als einziger pathologischer Befund bei der körperlichen Untersuchung fand sich eine fri-
sche Abschürfung an der rechten Hand. Der Tetanusimpfschutz sei anamnestisch in Ordnung.
Etwas später stellt sich der schlanke und gesund wirkende Patient in Begleitung seiner Ehefrau vor. Er war plötzlich be-
wusstlos geworden und synkopiert. Fremdanamnestisch betrug die Dauer der Bewusstlosigkeit etwa 30 Sekunden, der
Patient bot keine Bewegungsmuster, die auf einen epileptischen Anfall hindeuteten; er hatte auch keine Enuresis oder
einen Zungenbiss. Es handelte sich um das erste derartige Ereignis. Der Patient gibt auf Ihr detailliertes Nachfragen an,
keinerlei Prodromi vor dem Ereignis verspürt zu haben: Ihm sei nicht „schwarz vor den Augen“ oder übel geworden, kein
Herzrasen, kein langsamer Puls, keine Kopfschmerzen, kein Schwindel. Nach dem Aufwachen aus der Bewusstlosigkeit
hatte der Patient keine Beschwerden und war voll orientiert. Vorerkrankungen sind nicht bekannt, keine Dauermedikati-
on, auch keine bedarfsweise eingenommenen Medikamente in den letzten Tagen. Der Patient ist Nichtraucher, trinkt nur
selten Alkohol und dann nur kleine Mengen. Die Familienanamnese ist bezüglich kardiovaskulärer und neurologischer
Erkrankungen unauffällig.
Bei der körperlichen Untersuchung finden Sie – wie der Allgemeinmediziner – außer der Abschürfung keine patholo-
gischen Befunde: normaler erster und zweiter Herzton, kein Geräusch, JVD normal, Pulmo unauffällig, keine Ödeme,
keine klinischen Hinweise auf tiefe Beinvenenthrombose.
EKG, Karotisdruckversuch, UKG, Ergometrie, LZ-EKG, Labor (Elektrolyte, TSH, Kreatinin, BZ, Lipidstatus).
Abb. 6.6 SR, 66/min, Indifferenztyp. PQ-Zeit normal, QT-/QTc-Zeit normal, keine Brugada-Konfiguration.
Ergometrie: Gute Belastbarkeit bis 250 W. Maximale HF 167/min, max. RR 220/80 mmHg. Abbruch wegen Ausbelas-
tung. Weder klinisch noch im EKG Hinweise auf Ischämiereaktion. Keine Arrhythmien.
Labor: Normwerte für BB, Gerinnung, Elektrolyte, Retentionsparameter, Nüchternglukose. Das TSH war mit 4,88 leicht
erhöht (latente Hypothyreose). Lipidstatus (jeweils mg/dl): Gesamtcholesterin 268, HDL 58, LDL 194.
Es gibt bislang keine Hinweise auf eine kardiale Strukturerkrankung oder eine rhythmogene Synkope. Ein-
ziger vaskulärer Risikofaktor ist ein erhöhtes LDL-Cholesterin bei normalem HDL-Wert. Sie besprechen mit
dem Patienten, zunächst zuzuwarten und vereinbaren eine neuerliche Vorstellung bei erneuten Sympto-
men.
KASUISTIK
Acht Wochen später berichtet der Patient, während des Frühstücks für etwa 20 Sekunden bewusstlos geworden zu sein.
Vorausgehend bestanden wie beim ersten Mal keine Symptome. Herzrhythmusstörungen wurden subjektiv nie bemerkt.
Der Hausarzt hatte zwischenzeitlich eine HNO-ärztliche und neurologische Untersuchung anberaumt, die aber keinen
auffälligen Befund gezeigt hätten.
Sie wiederholen das Langzeit-EKG. Angesichts des LDL-Cholesterins und der bekannt niedrigen Sensitivität
des Belastungs-EKGs etwa bei koronarer Eingefäßerkrankung (› Kap. 8.1) planen Sie eine Stressechokardio 6
graphie, außerdem eine Duplexsonographie der extrakraniellen hirnversorgenden Arterien (bisher noch
nicht erfolgt).
KASUISTIK
Stressechokardiographie (dynamische Belastung): Maximalwerte: Belastung 225 W, HF 166/min, RR 220/80 mmHg.
Abbruch wegen Ausbelastung. Keine AP-Beschwerden, keine Dyspnoe, keine ST-Streckensenkungen, keine regionale
Minderkontraktion. Normales Stressechokardiogramm ohne Ischämiehinweis.
Duplexsonographie: Intima-Media-Dicke 0,7 mm. Normale Flussgeschwindigkeiten ohne Hinweise auf Strombahnhin-
dernis in ACC, ACI und ACE auf beiden Seiten. A. vertebralis bds. orthograd perfundiert.
LZ-EKG: Wiederum durchgehend normofrequenter SR (45–140/min), keine relevanten Pausen oder Bradykardien. Keine
SVES. 11 VES. Eine kurze VT über 7 QRS-Komplexe, HF 182. Der Patient war klinisch asymptomatisch.
Es gibt keine Hinweise für ein embolisches Geschehen. Selbst der Nachweis eines PFO bei etwas redundant
angelegtem Vorhofseptum wäre momentan ohne Konsequenz – allenfalls kann man prophylaktisch ASS ge-
ben.
Der Patient hat zum wiederholten Mal eine Synkope erlitten. Einziger Hinweis zur Genese ist eine kurze, aber
schnelle VT. Diese trat jedoch nachts auf, man kann zur Symptomatik nichts aussagen. Sie überweisen den
250 6 Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen
Patienten zur Kipptischuntersuchung und besprechen die weiteren Maßnahmen, falls die Untersuchung ne-
gativ ist.
KASUISTIK
Das ist sie in der Tat. Sie veranlassen jetzt zum definitiven Ausschluss einer KHK eine Herzkatheteruntersuchung.
Lävokardiographie und Koronarangiographie: Normale globale und regionale LV-Funktion. Normale LV-Druckwer-
te. Unauffällige Herzkranzgefäße, keine Hinweise auf mikrovaskuläre Dysfunktion.
Nach DGK besteht eine Indikation zur EPU bei V.a. rhythmogene Synkopen. Eine orthostatische oder neuro-
kardiogene Synkope sollte ausgeschlossen sein. Eine EPU wird auch empfohlen vor Implantation eines
Event-Rekorders.
• Pathologisches Ruhe-12-Kanal-EKG oder LZ-EKG (z.B. LSB, bifaszikulärer Block, AV-Block II Mobitz,
Hinweis auf angeborene Ionenkanalerkrankungen, Sinusbradykardie < 50/min): I C
• Symptomatische Tachykardien: I C
• Organische Herzerkrankung: I C
• Evaluierung des Arrhythmiemechanismus bei anzunehmender oder dokumentierter tachykarder Herz-
rhythmusstörung: IIa B
• Ausschluss einer induzierbaren Tachyarrhythmie bei berufsbedingten Erfordernissen (z.B. Pilot): IIb C
Keine Indikation (III C) besteht bei:
6 • Arzneimittel-induzierten EKG-Veränderungen, die nach Absetzen reversibel sind
• Ausgeschlossener struktureller Herzerkrankung und fehlenden Hinweisen für eine rhythmogene Ge-
nese.
Unser Patient hat wiederholte Synkopen, als bisher einzige Hinweise auf eine mögliche Ursache ist eine VT
dokumentiert. Sie stellen daher die Indikation zur EPU.
KASUISTIK
Elektrophysiologische Untersuchung: SR, RR 1022 ms, QRS 97 ms, QT 395 ms, PQ 144 ms, AH 94 ms, HV 42 ms.
Vorhofstimulation: Sinusknotenerholungszeit 1237 ms, AV-nodale Leitung antegrad unauffällig, bei atrialer Stimulati-
on keine Tachykardieauslösung.
Ventrikelstimulation: Adäquate VA-Leitung, Bei programmierter RV-Stimulation an 2 unterschiedlichen Orten keine
Tachykardie auslösbar.
Ajmalintest (2 mg/kg KG): Kein induzierbares Brugada-Syndrom nachweisbar.
Sie besprechen die Ergebnisse mit dem Patienten. Er ist mittlerweile total verunsichert und fragt Sie, welche Diagnose-
möglichkeiten noch bestehen. Sie besprechen mit ihm die Implantation eines Event-Rekorders; der Patient entscheidet
sich dafür.
Neun Monate später sehen Sie den Patienten wieder. Er habe keine Synkope mehr erlitten, nur einmal eine Episode mit
Übelkeit.
Event-Rekorder-Abfrage: 3 Asystolien, max. 4,9 s Dauer. 148 VTs, maximale Dauer 9,2 s, maximale Frequenz 177/s.
Keine Korrelation zur Episode mit der Übelkeit.
Sie entschließen sich, die Situation weiter zu beobachten – es sind ja auch keine Synkopen mehr aufgetreten.
Gerade mal 4 Tage später sehen Sie den Patienten erneut: Er kommt aus der chirurgischen Notaufnahme. Er war am
Morgen mit dem Rad zur Arbeit gefahren und ohne erklärlichen Grund plötzlich gestürzt, sei auch kurz bewusstlos gewe-
sen. Er hat sich mehrere Rippenfrakturen zugezogen.
Event-Rekorder-Abfrage: Seit der letzten Abfrage 2 VT, 1 Asystolie (› Abb. 6.7, › Abb. 6.8, › Abb. 6.9).
6.5 Zunächst ungeklärte Synkope 251
Sie sehen sich die Ereignisse an. Die Asystolie passt zeitlich genau zum Unfallereignis.
Sie müssen nun also von einem intermittierenden Sinusarrest bei Sinusknotenerkrankung ausgehen und veranlassen die
umgehende Implantation eines Schrittmachers.
Der Patient hat nur selten Ereignisse. Als reines Absicherungssystem wäre somit ein Einkammerschrittma-
cher (VVI) ausreichend (DGK-Klasse I, B). Vom vermuteten Krankheitsmechanismus sollte eine alleinige
Vorhofstimulation [AAI] ebenfalls ausreichen [Klasse IIb, B]). Im vorliegenden Fall entschied man sich für
ein Zweikammersystem Modus DDD mit AV-überleitungserhaltender Programmierung (z.B. Moduswechsel
zwischen AAI und DDD zur Vermeidung unnötiger rechtsventrikulärer Stimulation, DGK-Klasse I B). Der
Event-Rekorder wurde explantiert.
KASUISTIK
Der Patient stellt sich 6 Monate nach der Optimierung der Stimulationsamplituden zur Kontrolle erneut vor. Synkopen sind
nicht mehr aufgetreten.
Schrittmacherkontrolle: Modus DDD, Interventionsfrequenz 50/min. Regelrechte Batteriedaten (3,01 V, Restlaufzeit
>12 Jahre). Regelrechte Reizschwellen (Vorhof 0,5 V bei 0,5 ms Impulsdauer, Ventrikel 0,625 V bei 0,5 ms). Wahrneh-
mung im Vorhof 1,0 mV, im Ventrikel > 12,5 mV.
Im Ereignisspeicher > 99% Eigenrhythmus AS-VS, < 1% AS-VP, < 1% AP-VP, < 1% AP-VS. Mode Switch < 1%. Vorhof-
frequenz maximal 192/min. 20 ventrikuläre Hochfrequenzepisoden, HF bis 180/min.
6
Was folgern Sie aus den gespeicherten Daten?
Die Funktion des Aggregats ist regelrecht. Der Schrittmacher kommt nur selten zum Einsatz, die Tatsache,
dass auch im Ventrikel stimuliert wird, spricht doch für möglicherweise intermittierende Überleitungsstö-
rungen und unterstützt die Wahl eines Zweikammeraggregats. Bei den Mode-Switch-Episoden (Umschal-
tung in Modus DDI, aktiviert bei Vorhoffrequenz > 180) kann es sich auch noch um SR gehandelt haben.
Nachdem die VT nicht sehr schnell sind, entscheiden Sie sich zunächst gegen eine Betablockergabe (um mög-
lichst den Eigenrhythmus zu bewahren und wenig Stimulation zu haben), zumal der Patient asymptomatisch
ist und eher niedrige Blutdruckwerte hat.
LITERATUR
Lemke B, Nowak B, Pfeiffer D. Leitlinien zur Herzschrittmachertherapie. Z. Kardiol. 2005; 94: 704–20.
Willems S, Eckardt L, Hoffmann E, et al. Leitlinie invasive elektrophysiologische Diagnostik. Clin Res Cardiol. 2007; 96: 634–51.
Seidl K, A. Schuchert A, Tebbenjohanns J, Hartung W. Kommentar zu den Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Synko-
pen der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie 2001 und dem Update 2004. Z. Kardiol. 2005; 94: 592-612.
KAPITEL
7
Kardiovaskuläre Erkran
kungen bei schwangeren
Patientinnen und Frauen mit
Kinderwunsch
7.1 Luftnot, Abgeschlagenheit und Gewichtszunahme
Thomas Schiele, Christoph Spes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
KASUISTIK
Eine 31-jährige Patientin in der 32. Schwangerschaftswoche stellt sich bei Ihnen wegen zunehmender Atemnot, Um-
fangszunahme der Beine, stark steigendem Körpergewicht und allgemeiner Abgeschlagenheit vor. Wesentliche kardi-
ale Vorerkrankungen seien nicht bekannt. In der Kindheit sei einmal ein Herzgeräusch vorhanden gewesen, der Haus-
arzt habe aber keine weiteren Untersuchungen veranlasst, da es der Patientin immer gut gegangen sei. An kardiovas-
kulären Risikofaktoren bestehen ein Nikotinkonsum bis zum Bekanntwerden der Schwangerschaft sowie eine familiäre
Diathese.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 173 cm große und 81 kg schwere Patientin in reduziertem Allgemeinzustand
und normalem Ernährungszustand. Puls 110 s/min, arrhythmisch, Blutdruck 105/75 mmHg, normaler 1. und 2. Herz-
ton, fraglicher 3. Herzton, 2⁄6-Holosystolikum über Erb‘schem Punkt und der Herzspitze, fortgeleitet in die Axilla, leicht
erhöhter Jugularvenendruck von 1 cm, beiderseits Vesikuläratmen, beidseits basal feinblasige feuchte Rasselgeräu-
sche, Dämpfung perkutorisch rechts bis knapp unterhalb der Skapula, ansonsten unauffälliger körperlicher Untersu-
chungsbefund.
• A
ufgrund von Veränderungen des Kollagenstoffwechsels erhöhte Gefäßfragilität mit klinisch bedeutsam
gesteigerter Dissektionsneigung von Gefäßen.
• L abor: Blutbild, CRP, Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, CK, LDH, GOT, GPT, Troponin, ggf. BNP, Urin-
status, ggf. 24-h-Sammelurin
• E KG (Rhythmus/Ischämiezeichen)
• U KG zur Beurteilung der Pumpfunktion des rechten und linken Ventrikels und zur ätiologischen Klärung
(vorbestehendes Vitium, hypertrophe Kardiomyopathie, Lungenarterienembolie, Myokardinfarkt).
• J e nach Befundlage können ggf. eine 24-h-Blutdruckmessung und eine Duplexsonographie der Beinvenen
sinnvoll sein. Erforderlich ist auch die Vorstellung beim Gynäkologen (u.a. Dopplersonographie der Aa.
uterinae, weitere Planung bei absehbarer Notwendigkeit einer vorzeitigen Entbindung).
Welche vorbestehende Vitien können in Frage kommen? Wie beurteilen Sie das
Risiko für den Verlauf der Schwangerschaft?
7
Indikatoren für ein hohes Risiko:
• V orausgegangene kardiovaskuläre Ereignisse (z.B. Herzinsuffizienz, TIA, Apoplex)
• V orausgegangene Arrhythmien
• N YHA > II oder Zyanose vor Eintritt der Schwangerschaft
• L inksherzobstruktion (Aortenstenose, Mitralstenose, LV-Ausflusstraktobstruktion mit Gradient
> 30 mmHg)
• L V-Funktion eingeschränkt (EF < 40 mmHg).
Bekannte Vitien machen bei geplanter und bestehender Schwangerschaft eine individuelle Beratung hin-
sichtlich des mütterlichen und fetalen Risikos notwendig. Bei mittlerem bis hohem Schwangerschaftsrisiko
ist eine Vorstellung in einem Schwerpunktzentrum ratsam. Mitral- und Aortenklappeninsuffizienzen sowie
Vorhofseptumdefekte sind häufig und werden bei erhaltener Ventrikelfunktion und NYHA-Stadium I–II zu-
meist gut toleriert. Komplexe korrigierte und nicht korrigierte Vitien bedürfen einer sorgfältigen Erhebung
aller vorhandenen Läsionen und Beurteilung der Ventrikelfunktion. Die Beurteilung des Schwangerschafts-
risikos ist schwierig, da hämodynamische Besonderheiten zu berücksichtigen sind und bei komplexen Vitien
bislang in der Literatur vielfach nur Einzelfälle beschrieben wurden. Zu den Vitien mit einem hohen mütter-
lichen und damit auch fetalen Risiko gehören symptomatische Patientinnen NYHA III/IV, linksventrikuläre
Obstruktionen wie die schwere Mitral- und Aortenklappenstenose, zyanotische Vitien, insbesondere mit pul-
monaler Hypertonie, eine schwer eingeschränkte Ventrikelfunktion unabhängig von der zugrunde liegenden
Erkrankung, ein mechanischer Klappenersatz, unoperierte Aortenisthmusstenosen, Aortendilatationen bei
Marfan-Syndrom oder auch Patientinnen mit bikuspider Aortenklappe. Die mütterliche Letalität variiert
7.1 Luftnot, Abgeschlagenheit und Gewichtszunahme 255
zwischen 10% bei schweren Aortenstenosen und 50% beim Eisenmenger-Syndrom. Das fetale Letalitätsrisiko
bei einer Patientin mit einer schweren Zyanose mit einer Sättigung < 85% beträgt 88%. Eine elektive Abort
induktion vor der 12. Schwangerschaftswoche hat ein geringeres mütterliches Risiko als das Austragen der
Schwangerschaft.
Potenzielle Indikation zum Schwangerschaftsabbruch:
• H öhergradige pulmonale Hypertonie (> 2⁄3 des Systemdrucks)
• S ymptomatische bzw. höhergradige Obstruktion im Bereich der Aortenklappe, des Bogens oder Aorten
isthmus
• M arfan-Syndrom mit erweiterter Aortenwurzel
• C hronische Herzinsuffizienz NYHA III, IV.
KASUISTIK
Die vorgestellte Patientin wies folgende Befunde auf:
Labordiagnostik: CK 192 U/l, LDH 304 U/l, GOT 45U/l, GPT 39 U/l, Troponin 0,13ng/ml, BNP 436 pg/ml, Hb 10,2 g/dl,
Differenzialblutbild unauffällig. D-Dimer sollte nicht bestimmt werden, da in der Schwangerschaft häufig unspezifisch erhöht.
EKG (› Abb. 7.1):
Der UKG-Befund ist vereinbar mit einer Kardiomyopathie bzw. Z.n. Myokarditis. Diese kann entweder
schon vor der Schwangerschaft bestanden haben (NYHA I) oder erst während der Schwangerschaft ent-
standen sein.
Die Peripartum-Kardiomyopathie (Inzidenz in Europa 1:3500) tritt innerhalb der letzten Schwanger-
schaftswochen bis zu 6 Monate nach der Geburt bevorzugt bei Hypertonie, Präeklampsie, Zwillingsschwan-
gerschaften, nach Tokolyse, bei Teenagern und älteren Müttern auf. Die Differenzialdiagnose gegenüber einer
linksventrikulären Funktionseinschränkung anderer Genese ergibt sich aus dem Zeitpunkt des Auftretens
und dem fehlenden Hinweis für eine andere kardiale Erkrankung. Eine Myokardbiopsie ist in der Regel nicht
7 indiziert, sie wird im Einzelfall bei Nichtansprechen auf die konventionelle Therapie empfohlen. Im Spontan-
verlauf ist in ca. einem Drittel der Fälle mit einer Ausheilung zu rechnen, bei einem Drittel verbleibt eine
leichte bis mäßige ventrikuläre Dysfunktion, bei einem Drittel das Vollbild einer schweren Kardiomyopathie.
Bei erneuter Schwangerschaft besteht ein hohes Rezidivrisiko.
Akute Myokardinfarkte gehören mit einer Inzidenz von 1:10.000 Schwangerschaften zu den seltenen
Schwangerschaftskomplikationen. Sie treten am häufigsten peripartal auf. Betroffen sind bevorzugt ältere
Multipara mit einer arteriellen Hypertonie, einer Präeklampsie oder einem Diabetes mellitus. Eine korona-
re Herzerkrankung liegt nur in 20% der Fälle vor. Am häufigsten tritt eine Dissektion des Ramus interven-
tricularis anterior auf. Die Letalität ist hoch (20–48,8%). Die Therapie der Wahl besteht in der Implantati-
on eines Stents. Eine Thrombolyse kann in Erwägung gezogen werden. Daten über die Sicherheit von Clo-
pidogrel während der Schwangerschaft und Stillzeit sind nicht verfügbar. Im Falle eines akuten Myokard-
infarkts überwiegt der therapeutische Nutzen das Risiko einer potenziellen Schädigung bei weitem. Der
Entbindungsmodus hängt von der kardialen Situation der Mutter und vom Zustand des Kindes ab.
Eine koronare Herzerkrankung tritt in der Schwangerschaft zunehmend häufiger auf, da zum einen ver-
änderte Rauchgewohnheiten bestehen, zum anderen eine andere Lebensplanung dazu geführt hat, dass Frau-
en in höherem Lebensalter schwanger werden. Eine Katheterdiagnostik ist bei einem eindeutigen Ischämie-
nachweis oder typischen nitrosensiblen thorakalen Schmerzen gerechtfertigt! Eine signifikante Stenose erfor-
dert ein frühes interventionelles Vorgehen, da mit zunehmender Schwangerschaftsdauer die Kreislaufbelas-
tung und Hyperkoagulabilität und somit das Infarktrisiko zunehmen. Bei Interventionen im 2. Trimenon
scheint der Einsatz unbeschichteter Stents eher gerechtfertigt, da in diesen Fällen eine Clopidogreltherapie
7.1 Luftnot, Abgeschlagenheit und Gewichtszunahme 257
nach 4 Wochen beendet werden kann und somit das Risiko von Blutungskomplikationen bei der Entbindung
verringert ist.
Diagnose: Im vorgestellten Fall liegt eine Peripartum-Kardiomyopathie vor. Die medikamentöse Thera-
pie während einer Schwangerschaft bedarf wegen der Plazentagängigkeit vieler Substanzen einer kritischen
Nutzen-Risiko-Abwägung. Größere randomisierte (RCT) Studien fehlen zumeist.
Mit welchen Substanzen würden Sie die Herzinsuffizienz Ihrer Patientin nun
behandeln?
Zur Thromboseprophylaxe bei schwangeren Patientinnen mit Vitien, Vorhofflimmern oder reduzierter
linksventrikulärer Funktion (EF < 35%), insbesondere mit Peripartum-Kardiomyopathie, ist eine wirksame
Antikoagulation indiziert. Die Verwendung von Cumarinen ist bis zur 6. Schwangerschaftswoche höchst- 7
wahrscheinlich sicher. Ab der 6. bis zur 12. Woche besteht jedoch – wahrscheinlich dosisabhängig – die Ge-
fahr einer Embryopathie, weswegen die Indikation für Cumarine streng in Abhängigkeit vom maternalen
Thromboserisiko zu stellen ist (dies gilt besonders für Mütter mit mechanischen Klappenprothesen, s.u.). Im
zweiten und dritten Trimenon gelten Cumarine als relativ sicher, Komplikationen (fetale intrakranielle Blu-
tungen) sind jedoch möglich. Heparine können unter Beachtung der spezifischen Risiken für Mutter und
Kind gegeben werden.
Heparin ist in der Langzeittherapie mit einem bis 3%igen Risiko für Osteoporose mit Spontanfrakturen und
Thrombopenie verbunden. Auch hier ist die Thromboembolierate und Klappenthromboserate höher als un-
ter OAK.
Die Ergebnisse einer Vergleichsstudie (OAK gesamte Schwangerschaft versus Heparin gesamte Schwan-
gerschaft versus initial Heparin, dann ab 1. Trimester OAK) zeigt Tabelle 7.1. Unter durchgehender Hepa-
ringabe ist die maternale Letalität am höchsten.
Nach Abstillen erfolgt die Herzinsuffizienztherapie wie bei Nichtschwangeren für 6–12 Monate nach Entbin-
dung. Die Patientinnen sind engmaschig zu überwachen, 50% der maternalen Todesfälle treten in den ersten
3–6 Monaten postpartal auf.
Die Patientinnen sind über das hohe Risiko einer Rezidiv-Peripartum-Kardiomyopathie zu unterrichten.
Eine Dobutamin-Stress-Echokardiographie zur Beurteilung der kontraktilen Reserve kann die Empfehlung
für oder gegen eine erneute Schwangerschaft untermauern. Bei fortbestehend stark reduzierter oder nicht
verbesserter LV-Funktion sollte von einer erneuten Schwangerschaft abgeraten werden (DGK IIa–C).
Eine Medikation mit Pentoxyphyllin, Immunglobulinen, Immunsuppressiva oder Bromocriptin zeigte in
kleinen Serien ermutigende Ergebnisse, randomisierte Studien sind noch nicht verfügbar.
7.2 Schwindel und Kopfschmerzen 259
Die Implantation von Assist-Devices, eine Herztransplantation oder Kardiomyoplastie ist therapierefraktä-
ren Fällen vorbehalten.
LITERATUR:
DGK-Leitlinien Herzerkrankungen in der Schwangerschaft. Clin Res Cardiol 2008; 97: 630–65.
DGK-Leitlinie zur Behandlung von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EMAH) Clin Res Cardiol 2008; 97: 194–214.
KASUISTIK
Eine 39-jährige Patientin, erste Schwangerschaft (24. Woche), wird vom Hausarzt überwiesen, da der Blutdruck zu hoch
sei. Sie klagt über Schwindel und gelegentliche Kopfschmerzen. Die Patientin war vor der Schwangerschaft nie beim
Arzt, da sie sich trotz ihres Übergewichts immer wohl gefühlt habe. Aktuell keine Medikation außer Jodid. Die Patientin
raucht nicht.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 163 cm große, 88 kg schwere, übergewichtige Patientin in normalem Allge-
meinzustand. Puls 100 s/min, rhythmisch, Blutdruck 160/95 mmHg, normaler 1. und 2. Herzton, JVD normal, unauffälliger
Untersuchungsbefund der Lunge. Keine Ödeme. Kein Strömungsgeräusch über den Karotiden oder periumbilikal. Ansons-
ten unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund.
Es besteht eine arterielle Hypertonie, wenn sich der Wert bei Kontrollmessungen bestätigt.
Die arterielle Hypertonie (RR > 140/90 mmHg) ist das häufigste medizinische Problem während der
Schwangerschaft und Ursache maternaler und fetaler Morbidität und Mortalität. Die Häufigkeit wird für 7
Westeuropa mit 5–7% angegeben.
Chronische arterielle Hypertonie (> 140/90 mmHg, vorbestehend bereits vor der 20. SS-Woche, Persistenz
post partum). Nur bei 3–5% der Patientinnen treten Komplikationen auf.
Gestationshypertonie (> 140/90 mmHg, Auftreten ab 20. Schwangerschaftswoche, keine Proteinurie oder
Ödeme, Normalisierung des Drucks postpartal innerhalb von 6 Wochen). Die Gestationshypertonie alleine
bedeutet nur ein geringes Risiko für Mutter und Kind. Es sollte nach möglichen Ursachen gesucht werden,
z.B. eine Plazentationsstörung. Engmaschige Kontrollen sind erforderlich, da etwa die Hälfte der Patientin-
nen mit Gestationshypertonie eine Präeklampsie entwickelt.
Präeklampsie (RR > 140/90 ab SSW 20, zusätzlich Proteinurie > 0,3 g/24 h, ggf. Ödeme, selten HELLP-
Syndrom mit Thrombopenie und erhöhten Leberwerten). Die Ätiologie ist weiterhin nicht eindeutig ge-
klärt, als Grundprinzip der Pathogenese vermutet man eine inadäquate Umwandlung der myometranen
Segmente der Spiralarterien in uteroplazentare Arterien durch eine unzureichende endovaskuläre Invasion
des Zytotrophoblasten. Die Inzidenz der Präeklampsie ist von bestimmten Risikofaktoren und einer vorbe-
stehenden Hypertonie abhängig und beträgt ca. 2–8%. Die Präeklampsie ist häufig nur wenig symptoma-
tisch und verschwindet meistens 24–48 h post partum, kann jedoch Frühgeburten verursachen. Eine Prä
eklampsie ist bei folgenden Symptome oder Laborwertänderungen wahrscheinlich: Kopfschmerzen, Seh-
260 7 Kardiovaskuläre Erkrankungen bei schwangeren Patientinnen und Frauen mit Kinderwunsch
Blutbild, Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, CK, LDH, GOT, GPT, Urinstatus, ggf. 24-h-Sammelurin, EKG,
UKG, 24-h-Blutdruckmessung.
KASUISTIK
Die vorgestellte Patientin wies folgende Befunde auf:
Labordiagnostik: Die genannten Parameter lagen im Normbereich. Keine Proteinurie.
EKG: SR, Frequenz 70/min., keine LVH-Zeichen, unauffälliges Stromkurvenbild.
UKG: Herzhöhlen normal groß. Normale Pumpfunktion. Keine Linkshypertrophie. Klappen zart, kein Vitium.
Langzeit-Blutdruckmessung: Mittelwert über 24 h 145/95 mmHg. Tagsüber 42% der systolischen und 31% der
diastolischen Werte erhöht, nachts 30 bzw. 25%.
Diagnose: arterielle Hypertonie. Es kann sich sowohl um eine neu aufgetretene Gestationshypertonie als auch um eine
vorbestehende Hypertonie handeln (das Fehlen einer LVH im UKG schließt dies nicht aus).
Der Nutzen einer Hochdrucktherapie bei leichter Präeklampsie, Gestationshypertonie und chronischer Hyper-
7 tonie (ohne zusätzliche Risikofaktoren) ist bisher nicht durch Studien belegt. Da die Hochdrucktherapie zu einer
plazentaren Hypoperfusion führen kann, wird die Behandlungsindikation nur bei schwerer Hypertonie gesehen:
• S chwere Hypertonie RR > 170/110
• S ekundäre Hypertonie
• M ild-moderate Hypertonie mit Risikofaktoren (maternale Endorganschäden, Alter > 40 Jahre, vorausge-
gangene Fehlgeburt, Z.n. TIA/Apoplex, bekannte mikrovaskuläre Erkrankungen).
Der Blutdruck sollte engmaschig kontrolliert werden, ebenso Zeichen einer Präeklampsie (Proteinurie!).
Zum jetzigen Zeitpunkt besteht noch keine Behandlungsnotwendigkeit der Hypertonie. Sie raten der Patien-
tin, eine inadäquate Gewichtszunahme zu vermeiden.
• A
lphamethyldopa: erste Wahl bei chronischer Gabe (DGK I–B). 15% Therapieabbruch aufgrund der Ne-
benwirkungen (Depression, Mundtrockenheit, Sedierung). Positiver Coombs-Test, hämolytische Anämie
möglich. Blutdruckkrisen bei plötzlichem Absetzen möglich!
7.2 Schwindel und Kopfschmerzen 261
LITERATUR:
DGK-Leitlinie: Herzerkrankungen in der Schwangerschaft. Clin Res Cardiol 2008; 97: 630–65. 7
KAPITEL
8 Kardialer Check-up
8.1 Keine Beschwerden – kardialer Check-up Christoph Spes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
KASUISTIK
Ein 49-jähriger Mann stellt sich in der Sprechstunde vor. Er sei gesund und komme ausschließlich auf Drängen seiner Frau,
deren beste Freundin gerade ihren Ehemann wegen eines tödlichen Herzinfarkts verloren habe. Er arbeitet als Wirt in
seiner eigenen Kneipe. Er ist 178 cm groß und wiegt 98 kg. Die Helferin hat am rechten Arm einen Blutdruck von
150/90 mmHg gemessen, links 160/90.
Der Patient hat einen Body-Mass-Index (BMI) von 98 ÷ (1,78×1,78) = 30,9, also eine Adipositas Grad I. BMI-
definierte Adipositas: Grad I: 30–34,9, Grad II: 35–39,9, Grad III > 40. BMI 25,0–29,9 gilt als Übergewicht,
noch nicht als Adipositas.
Eine Differenz der systolischen Werte > 20 mmHg kann auf eine Stenose hinweisen.
Sitzend nach 5 min Ruhephase, diastolischer Wert bei komplettem Verschwinden der Töne, adäquate Man-
schettenbreite bezogen auf den Oberarm
264 8 Kardialer Check-up
KASUISTIK
Der Patient weiß nicht, ob sein Blutdruck erhöht ist, er geht ja nie zum Arzt. Kopfschmerzen hat er nur gelegentlich, aber
öfter ein „rotes Gesicht“.
Ob er zuckerkrank ist, wisse er ebenfalls nicht. Er trinke ca. 3 l täglich, davon etwa 2 Halbe Bier und das eine oder ande-
re Glas Wein.
Die Blutfettwerte sind nicht bekannt.
Der Patient raucht seit dem 14. Lebensjahr, anfangs eine halbe Schachtel Zigaretten, seit etwa Mitte 20 eineinhalb
Schachteln Zigaretten pro Tag („wegen dem Stress im Geschäft, und außerdem sind ja immer weniger drin in den
Schachteln“).
Familienanamnese: Ob es in der Familie Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung gibt, weiß Ihr Patient nicht. Sie
präzisieren die Frage: „Hatte jemand von den leiblichen Angehörigen einen Herzinfarkt, eine Bypass-OP, einen Stent oder
eine Aufdehnung der Kranzgefäße oder einen Schlaganfall?“ Der Vater habe einen kleinen Herzinfarkt gehabt, als er 60
geworden sei. Der drei Jahre ältere Bruder habe „auch irgendwas mit dem Herz, er glaube einen Stent“, genaue Informa-
tionen hat der Patient aber nicht.
Bei körperlicher Belastung hat der Patient anamnestisch keine Brustschmerzen oder drückende oder brennende Beschwer-
den, auch keine Luftnot. Ziehende Schmerzen in den Waden oder Oberschenkeln beim Gehen werden verneint, ebenso
einseitige Sehstörungen, Gefühlsstörungen oder Lähmungserscheinungen.
Der Konsum einer Schachtel Zigaretten pro Tag über ein Jahr wird als ein „pack year“ quantifiziert. Der Pati-
ent raucht also ½ pack × 10 Jahre = 5 pack years plus 1,5 packs × 25 Jahre = 37,5 pack years, insgesamt also
über 42 pack years.
Es handelt sich um einen erheblichen Nikotiabusus. Zur kurzen Überprüfung des Lungenkrebsrisikos
könnten Sie fragen nach Husten, blutigem Sputum, Heiserkeit, wiederholten Infekten, Fieber, Gewichtsab-
8 nahme, Nachtschweiß.
Das Risiko für eine koronare Herzerkrankung ist höher, je näher der Verwandtschaftsgrad und je jünger das
Alter bei Erstmanifestation der KHE ist (insbesondere < 55 Jahren bei Männern und < 65 Jahren bei Frauen).
8.1 Keine Beschwerden – kardialer Check-up 265
Wenn der Bruder als erstgradiger Verwandter mit 52 Jahren eine manifeste KHE hat und der Vater als weite-
rer erstgradiger Verwandter ebenso, dann besteht eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Patient
ebenfalls erkranken wird.
KASUISTIK
Bei der körperlichen Untersuchung (Empfehlung nach Nationaler Versorgungsleitlinie KHK: Auskultation von Herz, Lunge,
Karotiden, Überprüfung des Jugularvenendrucks, ggf. der Lebergröße und des hapatojugulären Refluxes, Palpation der
Fußpulse, Suche nach peripheren Ödemen) stellen Sie keine Auffälligkeiten fest außer einem deutlichen Geruch nach Zi-
garettenrauch und leicht gelblich verfärbten Fingern an der rechten Hand.
• Taillenumfang: Ein Taillenumfang bei Männern > 94 cm, bei Frauen > 80 cm zeigt ein erhöhtes Risiko für
eine koronare Herzerkrankung an.
• ABI (ankle brachial index): Relation der systolischen Blutdruckwerte (gemessen mit Blutdruckmanschet-
te und Doppler) von A. tibialis posterior/A. dorsalis pedis und der A. brachialis. Wenn der Wert unter 0,9
liegt, bestehen eine arterielle Verschlusskrankheit und ein indirekter Hinweis auf eine koronare Herzer-
krankung (Leitlinien DHL). 8
KASUISTIK
Die Nüchternglukose liegt bei 84 mg/dl. Das Gesamtcholesterin beträgt 304 mg/dl, das LDL 212 mg/dl, das HDL
56 mg/dl, die Triglyzeride 181 mg/dl.
• Lipoprotein a
• Homocystein
• hsCRP.
Erforderliche Laboruntersuchungen zur Hypertonieabklärung und diesbezügliches Vorgehen › Kapitel 8.3.
Es existieren mehrere Scores zur Risikobeurteilung; zu den bekanntesten zählen die unten genannten:
• Procam-Score (Herzinfarktrisiko innerhalb von 10 Jahren für Männer; für Frauen gilt ein Viertel des für
Männer errechneten Wertes) http://www.chd-taskforce.com/
• ESC heart score (10-Jahresrisiko für tödliches kardiovaskuläres Ereignis): Hochrisiko wird ab 5% Wahr-
scheinlichkeit definiert. http://www.escardio.org/communities/eacpr/toolbox/health-professionals/pages/
score-risk-charts.aspx
• CARRISMA-Score (differenziertere Wertung von BMI, Zigarettenzahl und Aktivität):
http://www.carrisma.net/
Nach dem Procam-Score hat dieser Patient nach den vorliegenden Werten ein Risiko von 6,0%, innerhalb der
nächsten 10 Jahre einen Herzinfarkt zu erleiden, nach ESC ein Risiko von 2–3%, innerhalb der nächsten 10
Jahre einen kardiovaskulären Tod zu erleiden.
Sie veranlassen ein EKG sowie ein UKG und einen Ergometrie-Test.
EKG: unauffällig (SR, keine alten Infarktzeichen, keine deszendierenden oder horizontalen ST-Senkungen, kein
LVH-Hinweis).
Ergometrie: unauffällig (Frequenzziel erreicht, keine klinischen Beschwerden, kein Blutdruckabfall unter Belastung,
keine ERBST unter Belastung).
8 UKG: Wanddicken grenzwertig, normale systolische Global- und Regionalfunktion, keine diastolische Dysfunktion,
Klappen unauffällig.
Bei welchen EKG-Veränderungen unter Belastung gehen Sie von einer relevanten
koronaren Herzerkrankung aus?
Die folgenden Tabellen (› Tab. 8.2, › Tab. 8.3) zeigen die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer ko-
ronaren Herzerkrankung in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter, klinischer Symptomatik und Ergebnis des
Belastungs-EKGs (nach Diamond und Forrester 1979).
Was machen Sie, wenn das Ruhe-EKG einen Links- bzw. Rechtsschenkelblock
aufweist?
Beim RSB können die lateralen Brustwandableitungen V4–V6 regulär ausgewertet werden; die diagnostische
Wertigkeit kann erhöht werden, wenn die sechs Brustwandelektroden in den Positionen V4–V9 angebracht
werden.
Ein Problem der Belastungs-EKG-Untersuchung zur Ischämiediagnostik ist die teilweise recht niedrige Sen-
sitivität, die auch von der Stenoselokalisation und von der Anzahl betroffener Gefäße abhängt. In einer
268 8 Kardialer Check-up
etaanalyse von über 150 Studien an mehr als 24.000 Patienten wurde eine mittlere Sensitivität von 68% ±
M
16% ermittelt (Bandbreite 23–100%) bei einer Spezifität von 77% ± 17% (Bandbreite 17–100%). Die Aussage-
kraft wird reduziert, wenn der Patient die vorgesehene Ziel-Herzfrequenz nicht erreicht (220 minus Lebens-
alter bei Männern, 200 minus Lebensalter bei Frauen).
Schwierig ist die Beurteilung bei vorbestehenden Erregungsrückbildungsstörungen (ERBST). Die Zunah-
me vorbestehender ST-Senkungen um mehr als 0,1 mV gilt als Ischämiekriterium. Auch eine belastungsin-
duzierte Zunahme von ERBST unter Digitalis-Therapie kann eine Ischämie anzeigen; einige Autoren raten in
diesen Situationen aber primär zu alternativen Ischämie-Provokationstests.
Alternativ zum Belastungs-EKG kann die Ischämiediagnostik mit anderen Belastungs- und Diagnostikmodali-
täten erfolgen: pharmakologische Belastung mit Vasodilatatoren (Adenosin i.v.) oder Katecholaminderivaten
(Dobutamin i.v.) in Kombination mit Bildgebung mit Echokardiographie, MRT oder Myokardszintigraphie.
Die Szintigraphie vergleicht regionale Differenzen der Aktivitätsverteilung des eingesetzten Radiopharmakons.
Bei diffusen Koronarerkrankungen oder Stenosen aller drei Hauptäste können regionale Unterschiede verbor-
gen bleiben. Stressecho oder -MRT haben hier Vorteile, weil die regionale Kontraktilität beurteilt werden kann.
Karotis-Duplexuntersuchung: Man misst die Intima-Media-Dicke (IMD) an der A. carotis communis und
interna 1 cm von der Bifurkation entfernt an der schallkopfnahen und -fernen Seite des Gefäßes auf beiden
Seiten (hochauflösender Schallkopf > 8 MHz). Ein erhöhter Wert für die IMD korreliert mit erhöhtem kardi-
8 alem und zerebrovaskulärem Risiko. Als Grenzwert gilt eine IMD von 0,8 mm, eine andere Definition be-
trachtet 0,4 mm plus 0,1 mm pro Lebensdekade bei einem Alter von über 40 Jahren als Grenzwert.
Das Kalkscreening (Agatston-Score) ist kann zur Risikostratifizierung beitragen, geht aber mit einer mitun-
ter beachtlichen Strahlenbelastung einher (0,8–10,5 mSv, im Mittel 2,3 mSv). Therapeutische Konsequenzen
ergeben sich aber in der Regel nicht.
Noch nicht endgültig etabliert ist dagegen die CT-Angiographie der Koronarien (multislice CT). Die Strahlen-
belastung ist erheblich (5–30 mSv, im Mittel 12 mSv) und oft höher als bei der Koronarangiographie. Auch kann
nicht auf jodhaltiges Röntgenkontrastmittel verzichtet werden. Bei Patienten mit Arrhythmien, insbesondere Vor-
hofflimmern und bei schneller Herzfrequenz ist eine zuverlässige Untersuchung nicht immer möglich, ggf. sind
sehr hohe Strahlendosen erforderlich. Die CT-Angiographie wird nicht zum Screening bei asymptomatischen
Patienten empfohlen, da hierzu keine Studiendaten vorliegen. Die Durchführung einer CT-Koronarangiographie
gilt derzeit als vertretbar nur bei symptomatischen Patienten mit mittlerer Vortestwahrscheinlichkeit oder bei
8.1 Keine Beschwerden – kardialer Check-up 269
uneinheitlichen Belastungstests. Zu beachten ist auch, dass der Schweregrad von Stenosen häufig überschätzt
wird. Wir messen der Methode derzeit noch keinen relevanten Stellenwert bei und nutzen sie in der klinischen
Routine nicht, außer in Einzelfällen mit Koronaranomalien oder zur Darstellung von Bypässen und des Gefäßver-
laufs bei der Planung einer interventionellen Wiedereröffnung chronisch verschlossener Kranzgefäße (CTO).
Die Indikation zur Koronarangiographie besteht (nach Hamm et al. 2008) bei folgenden Patienten:
Empfehlungsgrad I:
• AP-Beschwerden CCS III oder IV, neu oder unter Therapie (Evidenzgrad A)
• Hochrisikopatienten bei nicht-invasiver Testung unabhängig vom Schweregrad der AP (A/C)
Empfehlungsgrad IIa:
• AP-Beschwerden CCS I oder II mit Intoleranz oder fehlender Ansprechbarkeit auf eine medikamentöse
Therapie, oder bei wiederkehrender AP trotz medikamentöser Therapie (C)
• Verschlechterung eines Belastungstest-Befunds (bei identischem Protokoll) (C)
• Patienten mit AP-Beschwerden und V.a. KHK (hohe Vortestwahrscheinlichkeit), bei denen eine Belas-
tungsuntersuchung aufgrund von Behinderung oder Erkrankung nicht möglich ist (C)
• Verdacht auf hochgradige Stenose in den proximalen Gefäßabschnitten oder im linken Hauptstamm in
der CT-Angiographie im Mehrzeilen-Spiral-CT (C)
• Personen, bei denen berufsbedingt (z.B. Fremdgefährdung, Piloten) ein sicherer Ausschluss einer KHK
bei entsprechendem Verdacht (abnormale Belastungsuntersuchung auch ohne Hochrisikomerkmale oder
andere Risikomerkmale) unabdingbar ist (C)
• Asymptomatische Männer oder postmenopausale Frauen ohne bekannte KHK mit 2 oder mehr Risiko-
faktoren mit abnormalem Befund in den nicht-invasiven Untersuchungen (C)
• Asymptomatische Patienten mit früherem Infarkt und Ischämienachweis (C)
Empfehlungsgrad IIb:
• Stabile AP (CCS I oder II) mit gutem Ansprechen auf medikamentöse Behandlung und fehlendem Isch
ämienachweis (Entscheidung im Einzelfall) (C)
• Bekannte invasiv gesicherte KHK mit Änderung der Symptomatik oder nicht-invasiver Untersuchungs
ergebnisse (C) 8
• Periodische Evaluation nach Herztransplantation (C)
Keine Indikation (Empfehlungsgrad III, Evidenzgrad jeweils C):
• Patient stimmt therapeutischen Konsequenzen grundsätzlich nicht zu
• Patienten mit hoher Komorbidität, deren Untersuchungsrisiko höher ist als der Nutzen durch Sicherung
der Diagnose
• Als Screeningmethode für eine KHK beim asymptomatischen Patienten
• Nachweis von Kalk im Herz-CT (EBT oder Spiral-CT).
Sie sehen also aufgrund der genanten Kriterien keine Indikation für eine invasive Diagnostik.
• Gewichtsreduktion (erforderlich bei BMI > 30, anzuraten bei BMI 25–30. Ziel BMI < 25, Vermeidung
zentraler Adipositas)
• Ernährungszusammensetzung:
– Mittelmeer-Kost; abwechslungsreich, häufig Obst, Gemüse, Fisch, Hülsenfrüchte. Fettarme Diät. Ver-
meidung gesättigter Fettsäuren zugunsten ungesättigter, insbes. Omega-3-FS.
– Kochsalzreduktion bei Hochdruck
• Alkoholkonsum: sollte < 30 g/d sein
• Nikotinkarenz: unbedingt erforderlich! Ggf. auch mit pharmakologischer Hilfe durch Nikotinersatz, Anti-
depressiva, Vareniclin (Nikotin-Acetylcholin-Rezeptorentagonist). Häufiges Nachfragen nach dem aktu-
ellen Nikotinkonsum bei jeder Gelegenheit! Wenn keine vollständige Abstinenz erzielt werden kann, ist
zumindest eine Dosisreduktion anzustreben.
• Medikamentöse Primärprävention:
– ASS: 100 mg/d in jedem Fall indiziert bei > 20% Infarktrisiko in 10 Jahren. Die prophylaktische Gabe
ist vertretbar bei 10–20% Risiko/10 Jahre
– Statine: Indikationsstellung wie ASS
– Antihypertensiva bei bestätigter Hypertonie.
LITERATUR
Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin. Leitlinie: Diagnostik und Therapie der peripheren ar-
teriellen Verschlusskrankheit (PAVK) http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/065-003.htm
Deutsche Hypertonie Gesellschaft. http://leitlinien.net/046-001.pdf
Diamond GA, Forrester JS. Analysis of probabilità a san aid in the clinical diagnosis of coronary artery disease. N Engl J Med
1979; 300: 1350–57.
Gianrossi R, Detrano R, Mulvihill D, et al. Exercise-induced ST depression in the diagnosis of coronary artery disease. Circu-
lation 1989; 80: 87–98.
Graham I, Atar, D, Borch-Johnsen K, et al. European guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Eu-
ropean Journal of Cardiovascular Prevention and Rehabilitation 2007; 14 (suppl 2): E1–E40.
Hamm CW, Albrecht A, Bonzel T, et al. DGK-Leitlinie: Diagnostische Herzkatheteruntersuchung. Clin Res Cardiol 2008; 97: 475–512.
Leitlinien zur Behandlung der arteriellen Hypertonie. Deutsche Hochdruckliga e.V. DHL
Sechtem U, Geissler A, Athanasiadis A, Ong P, Mahrholdt H. Diagnostik der koronaren Herzerkrankung mit Computer- und
Magnetresonanztomographie. Internist 2010; 51: 625–38.
Trappe HJ, Löllgen H. Leitlinien zur Ergometrie. Z. Kardiol 2000; 89: 821–37.
KASUISTIK
Ein 57-jähriger Mann stellt sich zu einer Vorsorgeuntersuchung vor, da er mit Freunden eine Alpenüberquerung mit dem
Mountainbike plant. Er gibt an, gesund zu sein. Medikamente werden nicht eingenommen. Beruf: Leitender Angestellter
eines großen Unternehmens. Bei der Frage nach der Vorgeschichte berichtet der Patient, bei der Musterung zur Bundes-
wehr habe man ein Herzgeräusch gehört, er sei aber nicht ausgemustert worden und immer voll belastbar gewesen.
Gelegentliche kardiologische Untersuchungen, zuletzt vor 12 Jahren, seien immer ohne medikamentöse oder sonstige
Behandlungsvorschläge geblieben. Gezielte Fragen nach Angina pectoris, Dyspnoe, Herzrhythmusstörungen, Schwindel
und Ödemen werden verneint. Vaskuläres Risikoprofil: Nichtraucher, keine familiäre Disposition, Blutdruck grenzwertig
(Gelegenheitsmessungen mit dem Gerät der Ehefrau, die Diabetikerin ist, ergaben systolische Werte von 140–150 mmHg,
diastolisch um 80 mmHg). Eine Laboruntersuchung vor etwa einem Jahr habe eine normale Nüchternglukose ergeben, das
Gesamtcholesterin war bei 212 mg/dl, HDL bei 69 mg/dl.
Der Patient nimmt die Gelegenheit wahr, Sie zu fragen, wie hoch sein Risiko ist, ebenso wie seine Frau an Diabetes
mellitus zu erkranken.
8.2 Check-up bei lange bekanntem Herzgeräusch 271
Tab. 8.4 Kriterien zur Beurteilung des Risikos, an Diabetes mellitus zu erkranken
Kriterium Punkte
0 1 2 3 4 5
Alter < 35 35–44 45–54 55–64 64
Familienanamnese Diabetes nein entfernter Verwand- nahe Verwandte:
te (Großeltern, On- E ltern, Geschwis-
kel/Tante, Cousin(e)) ter, Kinder
Taillen-Umfang in Bauchnabelhöhe (cm)
Frau < 80 80–88 > 88
Mann < 94 94–102 > 102
Körperliche Bewegung täglich mindestens ja nein
30 min
Ernährung: täglich Obst, Gemüse, dunkles ja nein
Brot
Wurden früher schon einmal nein ja
ntihypertensiva verordnet?
A
Wurden früher erhöhte Glukosewerte ge- nein ja
messen?
BMI < 25 25–30 > 30
Es gibt Scores zur Berechnung des individuellen Diabetes-Risikos (www.diabetes-risiko.de). Nach Beantwor-
tung der nachstehend genannten 8 Kriterien (› Tab. 8.4) beispielsweise zeigt eine Gesamtpunktzahl < 7 ein
Risiko von 1% an, innerhalb der nächsten 10 Jahre an Diabetes zu erkranken. Bei 7–11 Punkten liegt das Risiko
bei 4%, bei 12–14 Punkten bei 17%, bei 15–20 Punkten bei 33%, bei über 20 Punkten beträgt das Risiko 50%!
Die körperliche Untersuchung des 179 cm großen, 74 kg schweren Mannes in gutem AZ, RR 140/90, HF 64 ergibt einen
unauffälligen pulmonalen Befund. Bei der kardialen Auskultation ist ein bandförmiges 4⁄6-Systolikum mit p.m. über Mitral
areal und Ausstrahlung in die Axilla zu hören. Kein Strömungsgeräusch über den Karotiden. JVD ist normal, keine Ödeme,
periphere Pulse seitengleich tastbar. 8
Ihre Verdachtsdiagnose lautet: Mitralklappeninsuffizienz.
Zur weiteren Klärung veranlassen Sie ein Echokardiogramm, zusätzlich ein EKG und eine Ergometrie.
Transthorakales Echokardiogramm: M-mode: Ao 33 mm, LA 46 mm, LVEDD 60 mm, LVESD 36 mm, FS 40%. IVSed
13,8 mm, LWHed 12,4 mm. 2D-Befund: leichte LVH, keine regionale Wandbewegungsstörung. Ausgeprägter Prolaps der
hinteren Mitralsegels, kein erkennbarer Sehnenfadenabriss. Dopplersonographisch höhergradige Mitralinsuffizienz. Über
Tricuspidalsignal ist ein RV-Druck von 28 mmHg (plus normaler JVD) zu bestimmen (› Abb. 8.1).
Abb. 8.1 TTE: links: deutlicher Prolaps der hinteren Mitralsegels im 2D-Vierkammerblick; rechts: im Farbdoppler ausgeprägte
Mitralinsuffizienz mit Jetrichtung zum Vorhofseptum
Wie gehen Sie weiter vor? Welche weiteren Untersuchungen sind sinnvoll?
LZ-EKG: Sinnvoll, wenn Sie paroxysmales Vorhofflimmern vermuten. Die Angaben dieses Patienten lassen
aber nur eine geringe „Trefferwahrscheinlichkeit“ vermuten.
In der Tat bestand durchgehend SR, Durchschnitts-HF 73/min (52–123). Mäßig viele VES, keine komple-
xen Arrhythmien.
Röntgen-Thorax: Sinnvoll als Ausgangsbefund zur Verlaufsbeurteilung, aber nicht zwingend erforderlich,
wenn Sie jetzt keine Operation planen.
Herzkatheter mit Koronarangiographie, Lävokardiographie: Wäre zur weiteren Planung erforderlich,
wenn Sie jetzt eine Operation in die Wege leiten würden. Außerdem sollten Sie die invasive Diagnostik
um eine Rechtsherzkatheteruntersuchung mit Oxymetrie erweitern, um evtl. Shunts (z.B. ASD/PFO) zu
erkennen.
Die AHA/ACC-Empfehlungen zur invasiven Diagnostik bei Mitralinsuffizienz:
274 8 Kardialer Check-up
Klasse I:
• Lävokardiographie und hämodynamische Messungen sind indiziert, wenn nichtinvasive Untersuchungen
inkonklusiv sind bezüglich des Schweregrads der Mitralinsuffizienz, der LV-Funktion oder der Indikation
zur Operation (Klasse I C)
• Hämodynamische Messungen sind indiziert, wenn der Pulmonalarteriendruck unproportional ist zum
Schwergrad der MI, bestimmt durch nichtinvasive Tests (Klasse I C)
• Lävokardiographie und hämodynamische Messungen sind indiziert, wenn zwischen klinischen und nichtin-
vasiven Befunden Diskrepanzen bestehen bezüglich des Schweregrads der Mitralinsuffizienz (Klasse I C)
• Eine Koronarangiographie ist indiziert vor Mitralklappenoperation bei Patienten mit KHK-Risiko (Klase I C).
Klasse III:
• Lävokardiographie und hämodynamische Messungen sind nicht indiziert, wenn keine Klappenoperation
bei MI vorgesehen ist (Klasse III C)
Nach ESC-Empfehlungen ist eine Koronarangiographie bei Klappenerkrankungen präoperativ erforderlich
bei Vorliegen folgender Bedingungen: vermutete Ischämie, mehr als ein kardiovaskulärer Risikofaktor, be-
kannte koronare Herzerkrankung, linksventrikuläre Dysfunktion, Alter über 40 Jahre bei Männern bzw.
Postmenopause bei Frauen (jeweils Klasse I C).
TEE: Wäre zur weiteren Planung erforderlich, wenn Sie jetzt eine Operation in die Wege leiten würden.
Die AHA/ACC-Empfehlungen zur TEE:
Klasse I:
• Präoperative oder intraoperative TEE ist indiziert zur Analyse der Anatomie bei Patienten mit schwerer MI,
um die Möglichkeit der Klappenrekonstruktion zu evaluieren bzw. diese intraoperativ zu steuern (Klasse I B)
• Transösophageale Echokardiographie ist indiziert zur Evaluation der Mitralinsuffizienz bei Patienten, de-
ren transthorakales Echokardiogramm keine diagnostischen Informationen zu Schweregrad der MI, Me-
chanismus der MI und/oder zur LV-Funktion geben kann (Klasse I B).
Klasse IIa: Präoperative transösophageale Echokardiographie ist sinnvoll bei asymptomatischen Patienten
mit schwerer MI zur Analyse der Rekonstruktionsmöglichkeit, wenn eine Operation geplant ist (Klasse IIa C).
Klasse III: Transösophageale Echokardiographie ist nicht indiziert zum Routine-Follow-up oder zur Ver-
laufsbeurteilung von asymptomatischen Patienten mit Nativklappen-MI (Klasse III C).
8 Wollen Sie aufgrund der Daten, die Ihnen jetzt vorliegen, bereits eine OP planen?
Der Patient ist asymptomatisch (NYHA I), EF ist normal, LVESD < 40 mm, er hat SR und keine PHT (wenn man
nur den TI-Wert ohne JVD nimmt): Vertretbar ist die Empfehlung zur Kontrolle in sechs Monaten (› Abb. 8.4).
Da sehr wahrscheinlich eine Rekonstruktion möglich ist (bei Prolaps des posterioren Segels höhere Wahr-
scheinlichkeit als bei Prolaps des anterioren Segels), könnte man aber auch schon jetzt die Operation in ei-
nem erfahrenen Zentrum in die Wege leiten.
Sie entscheiden sich, dem Patienten, der sich schlagartig vom gesunden Mountainbiker zum herzchirurgi-
schen OP-Kandidaten gewandelt sieht und ziemlich beunruhigt ist, eine Kontrolluntersuchung in drei bis
sechs Monaten vorzuschlagen.
Mögliche Alternativen zur Analyse, ob eine KHK vorliegt, sind ein Stressecho oder eine Myokardszintigra-
phie. Wenn eine baldige Klappenoperation geplant ist, kann man auf diese Untersuchungen jedoch verzichten
– angesichts des Patientenalters über 40 Jahre ist präoperativ ohnehin eine Koronarangiographie erforderlich
(ESC, Klasse IC).
8.2 Check-up bei lange bekanntem Herzgeräusch 275
Reevaluation
Klinische Beurteilung + Echo
Symptome?
nein ja
LV-Funktion? LV-Funktion?
Normale LV-Dysfunktion
LV-Funktion EF < 0.30
EF ≤ 0.60 EF > 0.30
und/oder
EF > 0.60 und/oder ESD ≤ 55 mm
ESD > 55 mm
ESD < 40 mm ESD ≥ 40 mm
Mitralklappen-
ja rekonstruktion ja
Klasse IIa Klasse IIa
wenn nicht möglich,
Mitralklappenersatz
nein nein
Mitralklappen-
Medikamentöse
rekonstruktion
Therapie
wahrscheinlich?*
8
ja* Mitralklappen-
Klasse IIa
rekonstruktion
nein
Klinische Beurteilung
alle 6 Monate
Echo alle 6 Monate
Abb. 8.4 Vorgehen bei schwerer chronischer Mitralinsuffizienz (nach AHA). VHF = Vorhofflimmern, HT = Hypertonie, EF = Aus-
wurffraktion, ESD = endsystolischer Durchmessser; *eine Mitralklappenrekonstruktion kann bei asymptomatischen Patienten mit
normaler LV-Funktion erfolgen, wenn sie von einem erfahrenen Operateur vorgenommen wird und die Wahrscheinlichkeit einer
erfolgreichen Klappenrekonstruktion über 90% liegt.
276 8 Kardialer Check-up
Stressecho: Abbruch wegen Ausbelastung bei 200 W (HF 143/min, RR 230/100 mmHg). Keine AP-Beschwerden. In
Ruhe und unter Belastung keine regionale Kontraktionsstörung.
Der PA-Druck unter Belastung wurde nicht abgeleitet.
Duplex-A.-carotis: kalkdichte Plaques, IMD mit 1,5 mm verbreitert. Mäßige Atherosklerose ohne relevantes Strom-
bahnhindernis.
Das Stressecho spricht gegen eine prognostisch relevante Koronarischämie, die EKG-Veränderungen können
durch den MKP und die LVH mit bedingt sein. Der Duplexbefund zeigt eine mäßige Atherosklerose. Präope-
rativ sollte aber dennoch eine Koronarangiographie erfolgen, wie nach den ESC-Guidelines empfohlen (s.o.).
Es sollte eine Blutdruckkontrolle stattfinden (auch 24-h-RR), bei Bestätigung der jetzigen Werte sollte eine
Nachlastsenkung erfolgen (z.B. ACE-Hemmer plus Diuretikum auch wegen des PA-Drucks).
Sie empfehlen dem Patienten, starke ruckartige Nachlasterhöhungen (Gewichtheben, auch Mountain
biken) möglichst zu vermeiden, da ein gewisses Rupturrisiko der Chordae besteht. Sie raten zur umgehenden
Wiedervorstellung bei akuter Luftnot und beim Auftreten einer absoluten Arrhythmie.
Sie besprechen die prinzipiellen OP-Möglichkeiten. Klappenrekonstruktion und Ringimplantation offen
oder minimal-invasiv sind die erste Wahl, ein Klappenersatz mit mechanischer Prothese ist die zweite Wahl,
wenn eine Rekonstruktion nicht möglich ist. Eine Bioprothese würde man generell primär nur implantieren
bei ausdrücklichem Wunsch des aufgeklärten Patienten, Unmöglichkeit einer adäquaten oralen Antikoagula-
tion (jeweils ESC Klasse IC), bei eingeschränkter Lebenserwartung oder schweren Zusatzerkrankungen, bei
8 Alter über 65–70 Jahren, bei geringem Re-OP-Risiko bei erforderlichem Klappenwechsel (jeweils Klasse IIa
C) oder – was hier ja nicht vorliegt – bei jüngeren Frauen mit Kinderwunsch (Klasse IIb C).
Eine Endokarditisprophylaxe ist nach den derzeit geltenden Leitlinien nicht erforderlich, aber als Einzelfall-
entscheidung zulässig. Entsprechend der Meinung des Autors wird die Durchführung der Prophylaxe nach den
bis 2007 gültigen „alten“ Regeln in diesem Fall empfohlen, der Patient wird aber über den aktuellen Diskussi-
onsstand aufgeklärt. Der Patient hat keine bekannte Antibiotikaallergie, er entschließt sich zur Prophylaxe.
Kontrolluntersuchung: Der Patient kommt nach 5 Monaten zur Kontrolluntersuchung. Er hat einiges hinter sich: We-
gen der für ihn unerwarteten kardialen Befunde ließ er – beschwerde- und symptomfrei – eine Vorsorge-Koloskopie
durchführen, bei der ein Kolonkarzinom diagnostiziert und anschließend operativ reseziert wurde. Lokale oder Fernmeta-
stasen bestehen nicht.
Der kardiale Untersuchungsbefund ist unverändert.
Verlaufs-Echokardiogramm (Vorwerte in Klammern): M-mode: Ao 35 (33) mm, LA 48(46) mm. Wohl keine Änderung,
nachdem auch die Aorta größer gemessen wurde (etwas schrägere Anlotung?), LVEDD 64 (60) mm, LVESD 36 (36) mm,
FS 43 (40)%. LVEDD hat gering zugenommen.
IVSed 13,6 mm, LWHed 12,7mm. Unverändert. Spricht für vergleichbare Anlotungsebene auch der LV-Messung.
2D-Befund: unverändert
8.3 Check-up bei zufällig festgestelltem Bluthochdruck 277
Dopplersonographisch unverändert höhergradige Mitralinsuffizienz. Über Trikuspidalsignal RV-Druck von 24 (28) mmHg
(plus normaler JVD) zu bestimmen. Es bestätigt sich, dass keine relevante PHT vorliegt.
EKG: SR, 65/min. Unverändert.
Sie empfehlen, weitere drei bis sechs Monate zu warten, auch wenn jetzt durchaus eine Rekonstruktion sinn-
voll und indiziert wäre. Aber: es könnten jetzt Probleme auftreten im Hinblick auf die Neoplasie; der Patient
müsste postoperativ auch nach einer Rekonstruktion mit Ringimplantation (oder nach Implantation einer
Bioprothese) für drei Monate oral antikoaguliert werden.
Indikation zur Mitralklappenoperation bei Mitralinsuffizienz (nach AHA/ACC 2008):
• Gering – mittelgradige Mitralinsuffizienz: Eine isolierte Mitralklappenoperation ist generell nicht indi-
ziert (Klasse III C).
• Schwergradige Mitralklappeninsuffizienz: Generell gilt: Rekonstruktion ist einem Klappenersatz vorzuzie-
hen, es sollte ein erfahrenes Zentrum gewählt werden (Klasse I C).
• Akute schwere MI, Patient symptomatisch: OP indiziert (Klasse I B).
• Chronische schwere MI bei symptomatischen Patienten: OP indiziert bei
– NYHA II–IV, keine schwere LV-Dysfunktion (EF > 30%, ±ESD < 55mm): Klasse I B;
– NYHA III–IV, schwere LV-Dysfunktion (EF < 30%, ESD > 55mm) mit primärer Pathologie des Mitral-
halteapparates als MI-Ursache: Klasse IIa C.
– NYHA III–IV, schwere LV-Dysfunktion (EF < 30%, ESD > 55mm) mit LV-Dysfunktion als MI-Ursache
und Symptomen trotz optimaler medikamentöser Therapie, incl. ggf. CRT: Klasse IIb C.
• Chronische schwere MI bei asymptomatischen Patienten: OP indiziert bei
– milder bis moderater LV-Dysfunktion (EF 30–60%, ESD ≥ 40 mm: Klasse I, B.
– erhaltener LV-Funktion (EF > 60%, ESD < 40 mm), wenn eine Rekonstruktion (über 90% Wahrschein-
lichkeit) in einem erfahrenen Zentrum erfolgt: Klasse IIa B.
– erhaltener LV-Funktion (EF > 60%, ESD < 40 mm) bei neu aufgetretenem Vorhofflimmern: Klasse IIa C.
– erhaltener LV-Funktion (EF > 60%, ESD < 40 mm) bei deutlicher pulmonaler Hypertonie (> 50 mmHg
in Ruhe oder > 60 mmHg unter Belastung): Klasse IIa C.
Keine OP: Klasse III, C; erhaltene LV-Funktion (EF > 60%, ESD < 40 mm), wenn Zweifel an der Möglichkeit
einer Rekonstruktion bestehen. 8
LITERATUR
Nishimura, RA, Carabello, BA, Faxon DP, et al. 2008 Focused Update Incorporated Into the ACC/AHA 2006 Guidelines for
the Management of Patients With Valvular Heart Disease. J Am Coll Cardiol 2008; 52 (http://content.onlinejacc.org/cgi/
content/full/52/13/e1)
Vahanian, A, Baumgartner H, Bax J, et al. Guidelines on the management of valvular heart disease. The Task Force on the
Management of Valvular Heart Disease of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 2007; 28: 230–68.
KASUISTIK
Bei einem 40-jährigen Patienten wurde bei einer Betriebsuntersuchung ein erhöhter Blutdruck sowie eine Hypercholeste-
rinämie festgestellt. Der Hausarzt stellt den Patienten ohne weitere Ursachenabklärung in den folgenden Wochen auf
eine Medikation mit Amlodipin 2 × 5 mg, Enalapril 2 × 20 mg, HCT 12,5 mg 1 ×/d ein.
278 8 Kardialer Check-up
Nachdem bei Eigenmessungen RR-Werte von 160/100 mmHg erhoben werden, sucht der Patient einen Kardiologen zur
weiteren Abklärung und Einstellung auf.
Sie überzeugen sich zunächst durch eigene Messungen und ggf. durch die Durchführung einer Langzeit-
RR-Messung davon, dass eine arterielle Hypertonie wirklich vorliegt.
24-h-Mittelwert < 130/80 mmHg; Tagesmittelwert < 135/85 mmHg; Nachtmittelwert < 125/75 mmHg.
KASUISTIK
Die Familienanamnese ist unauffällig. Der Patient ist beschwerdefrei, treibt unregelmäßig Sport, rauchte (20 Zigaretten/d
bis vor 2 Jahren, seit dem 20. LJ). Weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren sind nicht bekannt. Keine regelmäßige Medika-
menteneinnahme bisher.
Messung der RR-Werte an beiden Armen und am Bein (z.B. Aortenisthmusstenose). Strömungsgeräusche
abdominell (Nierenarterienstenose).
KASUISTIK
Die Messungen ergeben gleiche Werte an beiden Oberarmen (160/110 mmHg), am rechten Bein 180 mmHg systolisch
palpatorisch. Keine Strömungsgeräusche auskultierbar. Gewicht 75 kg, Größe 175 cm.
Woran müssen Sie bei einem 40-jährigen Patienten mit diesen ausgeprägten
8 RR-Werten denken?
Bei einem relativ jungen Patienten müssen bei diesen Blutdruckwerten sekundäre Hypertonieformen abge-
klärt werden.
Wie häufig sind sie und welche sind die klinisch relevantesten?
10–15% aller Hypertoniker leiden an einer sekundären Hypertonieform. Renoparenchymatöse und renovas-
kuläre Formen sowie endokrine Hochdruckformen (primärer Hyperaldosteronismus [PHA], Hyperkortisolis-
mus und Phäochromozytom) sind klinisch relevant (Relevanz in absteigender Reihenfolge).
Sie bestimmen BB, Na, K, Harnstoff, Kreatinin, BZ, Cholesterin, TG, TSH, Urin-Stix, Alb/Eiweiß im Urin und
führen eine Nierensonographie durch. Außerdem ermitteln Sie die glomeruläre Filtrationsrate (GFR).
8.3 Check-up bei zufällig festgestelltem Bluthochdruck 279
KASUISTIK
Bei dem Patienten finden sich keine der hier genannten Zeichen oder Symptome.
Der Kreatininwert betrug 1,2 mg/dl (Norm < 1,2 mg/dl), K+ mit 3,5 mmol/l im unteren Grenzbereich (Norm 3,5–
5,0 mmol/l). Gesamtcholesterin 245 mg/dl, LDL 170 mg/dl und HDL 40 mg/dl. Alle übrigen oben genannten Laborpara-
meter sind unauffällig, ebenso die Nierensonographie. 8
Im EKG und UKG finden sich keine Zeichen einer Hypertrophie.
Gegen regelmäßige sportliche Aktivitäten ist natürlich nichts einzuwenden, eine weitere Abklärung der Hy-
pertonie sollte jedoch jetzt stattfinden.
Cushing-Syndrom und Phäochromozytom sind klinisch sehr unwahrscheinlich, ebenso eine renoparenchy-
matöse Hypertonie. Ein PHA (auch bei Fehlen des klassischen Vollbilds) sowie eine renovaskuläre Ursache
der Hypertonie müssen noch abgeklärt werden.
280 8 Kardialer Check-up
PHA: Bei der Mehrzahl der Patienten findet sich entgegen früherer Annahmen ein normokaliämischer Ver-
lauf, die Häufigkeit beträgt ca. 5–12% aller Patienten mit arterieller Hypertonie. Für die Diagnostik essenziell
ist die Bestimmung der Renin- sowie der Aldosteron-Konzentration und des Aldosteron-Renin-Quotienten
(ARQ). Verschiedene Antihypertensiva beeinflussen den ARQ und müssen daher vor der Bestimmung pau-
siert werden (Betablocker, Schleifendiuretika, Sartane sowie ACE-Hemmer 1 Woche, Aldosteronantagonis-
ten 4 Wochen). Bei einem pathologischen Screeningtest ist ein Bestätigungstest notwendig (Aldosteronmeta-
boliten im Urin, Kochsalzbelastungstest).
Ursache des PHA ist zu je 50% ein Aldosteron-produzierendes NNR-Adenom bzw. eine bilaterale idiopa-
thische NNR-Hyperplasie. Die Therapie besteht in der unilateralen Adrenalektomie bzw. einer lebenslangen
Therapie mit Aldosteronantagonisten.
Nach den Praxisrichtlinien der Endocrine Society von 2008 sollten folgende Patienten einem Screening auf
PHA unterzogen werden:
• Patienten mit schwerer (Grad 3, RR > 180/110 mmHg) oder therapieresistenter Hypertonie (Nicht-Errei-
chen der Zielblutdruckwerte < 140/90 mmHg trotz geeigneter, maximal dosierter antihypertensiver Drei-
fachkombination, welche ein Diuretikum beinhaltet (< 130/80 mmHg bei Diabetes oder Nierenerkrankung).
• Patienten mit spontaner oder Diuretika-assoziierter Hypokaliämie.
• Patienten mit zufällig diagnostizierter Raumforderung im Bereich der NR und bestehender Hypertonie.
KASUISTIK
Bei unserem Patienten betrugen nach 1-wöchigem Pausieren von Enalapril sowie HCT das aktive Renin 1255 mU/L und
Aldosteron 65 ng/l, der Aldosteron/Renin-Quotient 0,1, somit liegt kein Hinweis auf einen PHA vor.
Es muss jetzt eine renovaskuläre Ursache der Hypertonie abgeklärt werden.
zelniere mit NAST. Weiterhin ist der RI abhängig von Parenchymerkrankungen, Alter und Hämodynamik.
Sensitivität und Spezifität sollen durch die Kombination beider Parameter bei über 85% liegen für das Erken-
nen von relevanten NAST. Die MR-Angiographie ist kostenintensiv und neigt zum Überschätzen der Stenose.
Die CT-Angiographie ist ebenfalls kostenintensiv, mit Strahlenbelastung und KM-Nebenwirkung verbunden.
Der Vergleich aller drei Verfahren mit der invasiven Diagnostik ergab eine Überlegenheit der CT- und MR-
Angiographie gegenüber der FKDS.
KASUISTIK
Bei unserem Patienten wurde zunächst eine FKDS durchgeführt mit folgendem Ergebnis: Mittelgradige Abgangsstenose
der linken Nierenarterie (408 cm/sec), rechte Nierenarterie unauffällig. RI rechts 0,55, links 0,56.
Sehen Sie die Indikation für eine invasive Diagnostik gegeben? Nennen Sie
Kriterien für ein invasives Vorgehen (› Tab. 8.5)
Tab. 8.5 Indikationen zum invasiven Vorgehen bei Patienten mit Nierenarterienstenosen (nach Voiculescu und
Rump 2009)
Mindestens 70%ige Nierenarterienstenose
Und schwer einstellbare Hypertonie
• Versagen der medikamentösen Therapie
• ACE-Hemmerbedarf und/oder Verschlechterung der Nierenfunktion unter ACE-Hemmer
Die Frage, ob eine Revaskularisierung einer alleinigen konservativen Therapie gleichwertig oder überlegen
ist, ist noch nicht abschließend beantwortet. Bei Patienten mit fibromuskulärer Dysplasie ist eine alleinige
Ballondilatation vorteilhaft im Hinblick auf eine Besserung der Hypertonie.
Bei Patienten mit atherosklerotischer NAST wird in der Regel die PTA mit einer Stentimplantation kombiniert.
Die Angaben zum Erfolg dieser Therapie – Verbesserung der Hypertonie und/oder Nierenfunktion – schwanken in 8
der Literatur stark (in 40–80% der Fälle Hypertoniebesserung und in 10–50% Verbesserung der Nierenfunktion).
Vergleiche zwischen operativer und interventioneller Therapie der NAST sind schwierig, da die Patienten-
gruppen in der Literatur nicht vergleichbar waren.
Tab. 8.6 Prädiktoren für die Verbesserung der Hypertonie und Nierenfunktion nach invasiver Therapie einer
Nierenarterienstenose (nach Voiculescu und Rump 2009)
Prädiktoren für die Verbesserung der Prädiktoren für die Verbesserung der
Hypertonie Nierenfunktion
Hoher systolischer Blutdruck Schneller Anstieg des Kreatinins im Laufe der letzten Monate
Diastolischer Druck > 95 mmHg Glomeruläre Filtrationsrate in Szintigraphie erniedrigt
Mittlerer Druck > 110 mmHg Resistance-Index < 0,55
Höhergradige Stenose
Bilaterale Stenosen
Positive Captoprilszintigraphie
Renin-Ratio > 1:2
Resistance-Index < 0,55
282 8 Kardialer Check-up
Der Patient fragt anschließend nach dem weiteren Vorgehen. Welche Angaben
machen Sie?
Nach der mechanischen Beseitigung der NAST muss Clopidogrel in Analogie zur koronaren Stentimplantati-
on für 4 Wochen eingenommen werden. ASS 100 mg/d wird als dauerhafte Therapie empfohlen. Gleichzeitig
müssen die vaskulären Risikofaktoren kontrolliert werden (Cholesterinsenkung, regelmäßige Blutdruckkont-
rollen mit Senkung der Werte in den therapeutischen Bereich). Die FKDS eignet sich als nicht-invasive Kont-
rolle zur Erkennung von möglichen Restenosen.
Der Patient zeigt sich besorgt über die Möglichkeit des Auftretens einer
Wiederverengung, er möchte wissen, wie häufig diese ist. Wie beantworten Sie
die Frage?
Eine Restenose kann in 10–30% der Fälle auftreten, die Therapie besteht in einer erneuten PTA (mit und ohne
Stent), in manchen Fällen ist auch eine OP notwendig. Beschichtete Stents scheinen keine Vorteile im Hinblick
auf Restenosen zu bringen.
KASUISTIK
Der Patient stellt sich 6 Wochen nach der PTA wieder in Ihrer Praxis vor. Unter einer Therapie mit Ramipril 5 mg/d
(sowie ASS 100 mg/d) sind die RR-Werte jetzt normal, wie die dokumentierten Eigenmessungen zeigen. Eine Statin-
therapie verweigerte der Patient, er wolle zunächst den Effekt einer Lebensstiländerung auf die Cholesterinwerte ab-
warten.
LITERATUR
Voiculescu A, Rump LC. Hypertonie bei Patienten mit Nierenarterienstenosen. Internist 2009; 50: 42–50.
KASUISTIK 1
In Ihrer Sprechstunde sind heute mehrere Patienten angemeldet, die operiert werden sollen, aber gegenwärtig orale Anti-
koagulanzien und/oder Plättchenhemmer einnehmen. Die überweisenden Kollegen erbitten diesbezüglich Ihre Stellungnah-
me.
Patient A, ein 76-jähriger Hypertoniker, ist bei permanentem Vorhofflimmern seit 3 Jahren oral antikoaguliert (Ziel INR
2,0–3,0). Herzinsuffizienzsymptome gibt der Patient nicht an, ebenso wenig Angina pectoris. Der Patient ist Nichtraucher.
Auf Nachfragen berichtet er, vor 3 Jahren eine TIA mit Sprachstörung und armbetonter Sensibilitätsstörung gehabt zu
haben. Jetzt soll eine laparoskopische Cholezystektomie durchgeführt werden. Medikation: Marcumar, Ramipril 10 mg/d,
Bisoprolol 5 mg/d, HCT 12,5 mg/d.
Die mitgegeben Laborwerte: INR 2,2, Normwerte für BB, Leberwerte, Kreatinin, Na, K. Cholesterin: LDL 138, HDL 45 mg/dl,
Glukose 92 mg/dl.
284 8 Kardialer Check-up
Der CHADS2-Score (validiert für das Schlaganfallrisiko im Langzeitverlauf bei nicht-valvulärem Vor-
hofflimmern (› Kap. 3.8)) dieses Patienten ist 4 („H, A, S2“ = Alter, Hypertonus, Z.n. neurologischem
Ereignis, zweifach gewertet). Er hat also ein relativ hohes Schlaganfallrisiko ohne Langzeit-Antikoagu-
lation.
Man könnte als Analogieschluss annehmen, dass dieser Patient nach Absetzen einer Antikoagulation
ebenfalls ein höheres Schlaganfallrisiko hat. Das Blutungsrisiko bei der Operation ist nicht sehr hoch.
Man kann also nach Absetzen der oralen Antikoagulation (OAK) überlappend Heparin in Therapiedosis
geben. Niedermolekulares Heparin s.c. erfordert keine Therapiekontrolle und ist einfach zu handhaben
(› Abb. 8.10).
Eingriff
Vit.-K- Vit.-K-
Antagonist Antagonist
absetzen ansetzen
INR-
kontrolle
INR-
kontrolle NMH NMH
Zeit
ca. Tag 7 Tag 4–5 INR < 2 sobald wenn
Blutungs- INR > 2
gefahr vorbei
Nach den Empfehlungen der ESC 2006 kann bei Patienten mit Vorhofflimmern ohne mechanische Klappen-
prothesen, extrapoliert von den jährlichen Thromboembolieraten bei Patienten mit nichtvalvulärem Vorhof-
flimmern, die Antikoagulation ohne Heparinsubstitution für bis zu eine Woche unterbrochen werden, wenn
8 chirurgische oder diagnostische Prozeduren, verbunden mit einem Blutungsrisiko, erforderlich sind. Bei
Hochrisikopatienten (insbesondere bei Patienten mit zurückliegendem Schlaganfall, TIA, oder systemischer
Embolie), oder bei einer länger dauernden Unterbrechung der oralen Antikoagulation kann Heparin (nieder-
molekular oder unfraktioniert) gegeben werden (subkutan oder intravenös).
Das Positionspapier der DGK (2010) stuft die Risikosituation bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern fol-
gendermaßen ein:
• Gering: CHADS2-Score 0–2 (keinesfalls frühere zerebrale Embolie)
• Mittel: CHADS2-Score 3 oder 4
• Hoch: CHADS2-Score 5 und 6, Z.n. zerebraler Embolie in den letzten 3 Monaten.
KASUISTIK 2
Patientin B, eine 79-jährige, recht rüstige Dame ist ebenfalls wegen permanentem Vorhofflimmern oral antikoaguliert. Sie
hat vor 25 Jahren wegen eines Mitralvitiums (kombiniert mit führender Stenose, Z.n. rheumatischem Fieber) einen Mit-
ralklappenersatz erhalten (mechanische Prothese, Björk Shiley Gr. 27). Sie hat keine Beschwerden, fährt täglich ca. 12 km
mit dem Fahrrad zu ihrer Großnichte, um auf deren Kinder aufzupassen. Dabei ist sie leider gestürzt. Es wurde eine
Schenkelhalsfraktur diagnostiziert, die operiert werden muss. Die Medikation besteht seit Jahren unverändert aus Marcu-
mar (Ziel INR 2,5–3,5) und β-Acetyldigoxin.
Wie beurteilen Sie das Thromboembolierisiko, was empfehlen Sie bzgl. der
Antikoagulation?
Das Positionspapier der DGK (2010) beurteilt das thromboembolische Risiko nach Herzklappenoperation
wie folgt (› Tab. 8.7):
Die Patientin hat ein sehr hohes Embolierisiko (mechanischer MKE, Kippscheibe, Vorhofflimmern). Zu-
sätzlich ist das Risiko einer Thrombose der mechanischen Klappenprothese gegeben. Auch der operative Ein-
griff selbst hat ein relativ hohes (Venen)Thrombose-Risiko. Es muss überlappend auf alle Fälle eine therapeu-
tisch ausreichende Blutverdünnung erfolgen. Dazu ist eine kontinuierliche i.v.-Heparingabe mittels Perfusor
mit regelmäßiger PTT-Kontrolle erforderlich (AHA/ACC Klasse I, B; nach ESC IIa, B). Die dazu erforderliche
stationäre Aufnahme ist bei dieser Patientin ohnehin ratsam.
Alternativ zur intravenösen Gabe von Heparin ist nach Empfehlungen der Fachgesellschaften auch die überlap-
pende subkutane Gabe von niedermolekularen Heparinen möglich (AHA/ACC Klasse IIb, ESC Ib C), obwohl es zu
dieser Indikation keine ausreichende Datenlage gibt. Es ist auch kein einziges niedermolekulares Heparin in dieser
Indikation zugelassen. Nicht eingesetzt werden sollten niedermolekulare Heparine bei schwangeren Klappenpati-
entinnen, bei höhergradiger Niereninsuffizienz und deutlich übergewichtigen Patienten. Generell, und besonders
bei Hochrisikosituationen bzgl. Hyperkoagulabilität (Neoplasien, Infekte), sollte man i.v.-Heparin bevorzugen.
Empfehlung AHA/ACC 2008 für Klappenprothesen:
• Klasse IB: Bei Patienten mit hohem Thromboserisiko – d.h. mechanischer Klappenprothese in Mitralposi-
tion oder mechanischer Klappe in Aortenposition mit einem Risikofaktor (Vorhofflimmern, Z.n. Throm-
boembolie, LV-Dysfunktion, Hyperkoagulabilität, ältere thrombogene Klappenmodelle, mechanische Tri-
kuspidalprothese, mehr als eine mechanische Klappenprothese) – sollte eine intravenöse Gabe von un-
fraktioniertem Heparin in Therapiedosis begonnen werden, wenn der INR 2,0 unterschreitet. Heparin 8
sollte 4–6 h vor dem Eingriff pausiert und so früh wie möglich danach wieder aufgenommen werden, bis
der INR-Wert wieder im therapeutischen Bereich liegt.
• Klasse IIb B: Bei Patienten mit hohem Thromboserisiko können subkutane Gaben in therapeutische Dosie-
rungen von unfraktioniertem Heparin (15.000 E alle 12 h) oder niedermolekularem Heparin (100 E pro kg
KG alle 12 h) während der Phase erwogen werden, in der INR-Wert im subtherapeutischen Bereich liegt.
Nachfolgend ein mögliches Schema für Patientin B (› Abb. 8.11), wenn die an sich vorzuziehende kontinu-
ierliche i.v.-Gabe von unfraktioniertem Heparin nicht erfolgt und stattdessen niedermolekulares Heparin
(volle Therapiedosis) gegeben werden soll.
KASUISTIK 3
Patient C, 81 Jahre alt, hat seit 5 Jahren eine mechanischen Klappenprothese in Aortenposition (Doppelflügelprothese
Gr. 28). Implantationsgrund war eine schwere Aortenklappenstenose. Er ist oral antikoaguliert (INR 2,0–3,0) und nimmt
zur Hochdruckbehandlung Ramipril/HCT ein. Es soll jetzt wegen eines AV-Blocks (nachgewiesen ist Grad II mit 2:1-Über-
leitung, der Patient hatte aber mehrere Synkopen) ein Zweikammerschrittmacher implantiert werden.
Das Risiko für eine Klappenthrombose ist geringer als bei Patientin B.
Die Empfehlung der AHA /ACC 2008 lautet:
• Klasse I B: Bei Patienten mit niedrigem Thromboserisiko – d.h. mechanische Klappe in Aortenposition
8 ohne Risikofaktor (Vorhofflimmen, Z.n. Thromboembolie, LV-Dysfunktion, Hyperkoagulabilität, ältere
thrombogene Klappenmodelle, mechanische Trikuspidalprothese, mehr als eine mechanische Klappen-
prothese), kann Warfarin 48–72 h vor dem Eingriff beendet werden (sodass INR unter 1,5 fällt) und in-
nerhalb von 24 h nach dem Eingriff wieder begonnen werden. Heparin ist üblicherweise nicht erforderlich
Eingriff
Vit.-K- Vit.-K-
Antagonist Antagonist
absetzen ansetzen
INR-
Kontrolle
INR-
Kontrolle NMH NMH
Zeit
ca. Tag 7 Tag 4–5 INR < 2,5 INR < 1,5 sobald wenn
Blutungs- INR > 2,5
gefahr vorbei
Abb. 8.11 Bridging-Schema – hohes Risiko
8.4 Überbrückung einer Dauertherapie mit Plättchenhemmern und/oder oraler Antikoagulation 287
Bei den Zeitangaben dieser Empfehlung ist zu beachten, dass Warfarin (Coumadin) eine deutlich kürzere
Halbwertszeit hat (Eliminationshalbwertszeit 50 h, Wirkdauer 3–5 d) als das hierzulande übliche Phenpro-
coumon (Marcumar, Eliminationshalbwertszeit 150 h, Wirkdauer 7–10 d). Acenocoumarin (Sintrom; Elimi-
nationshalbwertszeit 9 h, Wirkdauer 1–3 d) wird in Deutschland aktuell nicht vertrieben.
Bei Pausieren der OAK muss bei unserem Patienten C eine überlappende Gabe von Heparin nach den AHA-
Leitlinien also nicht zwingend erfolgen. Die ESC schließt sich dieser Empfehlung jedoch nicht an. Mit der
überlappenden subkutanen Gabe von niedermolekularem Heparin (oder auch von i.v.-Heparin) in Therapie-
dosis macht man daher sicher auch keinen Fehler – die Autoren würden so vorgehen.
Drei Monate später muss bei Herrn C. ein Weisheitszahn gezogen werden. Ihre
Empfehlung?
8
Was machen Sie bei Notfalloperationen Ihres Klappenpatienten? Vitamin-K-Gabe?
KASUISTIK 4
Patient D. ist ein 75-jähriger Herr. Es soll ein Weisheitszahn gezogen werden. Er hat paroxysmales Vorhofflimmern und
einen nicht insulinpflichtigen Diabetes mellitus. Kardiale Beschwerden bestehen nicht. Der Blutdruck und die Cholesterin-
werte sind normal. Therapie: Marcumar (INR 2,0–3,0), Bisoprolol 5 mg/d, Metformin 1 × 850 mg/d.
288 8 Kardialer Check-up
Der Patient liegt mit einem CHADS2-Score von 1–2 (Alter grenzwertig, Diabetes) im niedrigen Risikobereich.
Aber auch das Blutungsrisiko bei der Zahnextraktion ist relativ gering. In einer Analyse von 774 Zahnextrak-
tionen unter OAK waren nur 12 Nachblutungen zu verzeichnen (sieben der Patienten hatten eine INR > 4,0,
fünf > 2,5).
Man kann also, wenn der Zahnarzt keine größeren Schwierigkeiten bei der Blutstillung sieht, den INR-
Wert auf 2,0 absenken und darunter den zahnärztlichen Eingriff machen (analog zur ESC-Klasse-I-B-Emp-
fehlung bei Klappenpatienten). Alternativ könnte man auch die orale Antikoagulation pausieren, ohne über-
brückende Heparinisierung (› Kasuistik 1).
KASUISTIK 5
Patient E. ist 68 Jahre alt. Er erhielt vor 10 Jahren eine Bypassoperation (LIMA auf LAD, Venengrafts auf RCA und
RCX bei zugrunde liegender Hauptstammstenose und kollateralisiertem RCA-Verschluss). Eine Koronarangiogra-
phie vor 7 Monaten (uncharakteristische Beschwerden, aber Ischämiezeichen in der Ergometrie) zeigte keinen Re-
vaskularisationsbedarf, die Bypässe waren in Ordnung. Die Ventrikelfunktion war normal, es wurde eine hyperten-
sive Herzerkrankung diagnostiziert. Es besteht Sinusrhythmus. Der Patient soll sich jetzt wegen eines karzinomver-
dächtigen Befunds einer Oberlappenteilresektion der linken Lunge unterziehen. Medikation: ASS 100 mg/d, Sim-
vastatin 20 mg/d, Metoprolol 2 × 47,5 mg/d, Enalapril 2 × 10 mg/d. Der Chirurg möchte im ASS-freien Intervall
operieren.
Systematische Untersuchungen zeigten, dass die Unterbrechung einer Plättchenhemmertherapie bei bekann-
ter KHK zu einer über dreifachen Erhöhung größerer perioperativer kardialer Komplikationen führt. Ande-
rerseits besteht beim Eingriff an der Lunge ein hohes Blutungsrisiko (› Tab. 8.8).
Die ESC-Leitlinien empfehlen die perioperative Fortsetzung einer ASS-Therapie (IIa B). Das Absetzen von
ASS sollte nur bei Patienten erwogen werden, bei denen intraoperativ eine erschwerte Blutstillung zu erwar-
ten ist (IIa B).
Bei Patient E. ist es daher vertretbar, ASS zu pausieren, wenn dies vom Operateur gefordert wird. Postope-
rativ sollte möglichst früh wieder mit ASS begonnen werden.
8
KASUISTIK 6
Patient F., 68 Jahre, starker Raucher, hat eine generalisierte Arteriosklerose. Er hat bereits mehrfach Koronarstents erhal-
ten, zuletzt vor 2 Monaten. Jetzt soll ein infrarenales größenprogredientes, aber nicht rupturiertes Bauchaortenaneurysma
operiert werden. Medikation: ASS, Bisoprolol, Ramipril, Diuretikum, Statin. Nähere Angaben liegen nicht vor.
Sie müssen herausfinden, welche Koronarstents (bare metal stents, BMS oder drug eluting stents, DES) zu
welchem Zeitpunkt implantiert wurden. Die Tatsache, dass der Patient nur ASS einnimmt und keine Kom-
bination mit Clopidogrel, weist darauf hin, dass zuletzt ein BMS implantiert wurde. Wenn dies korrekt ist
8.4 Überbrückung einer Dauertherapie mit Plättchenhemmern und/oder oraler Antikoagulation 289
und innerhalb der letzten 12 Monate auch kein DES an anderer Stelle eingesetzt wurde, könnte man ASS
pausieren, wenn der Operateur dies fordert und der Eingriff nicht verschoben werden kann. Besser wäre
jedoch die OP unter ASS oder ein Verschieben der OP, wenn der Eingriff ohne ASS durchgeführt werden
soll.
Das Risiko peripoerativer Komplikationen unter ASS-Pause ist höher als bei Patient E., da ein zusätzliches
Stentthrombose-Risiko vorliegt!
KASUISTIK 7
Patient G., 63 Jahre, insulinpflichtiger Diabetiker, metabolisches Syndrom, hat eine koronare Dreigefäßerkrankung. Es
wurden mehrfach Koronarstents implantiert: in die LAD medial ein DES vor 4 Monaten, in den RCX ein DES proximal vor
5 Monaten, in die RCA proximal langstreckig drei DES überlappend vor 9 Monaten. Ein Stressechokardiogramm vor 2
Monaten war ohne Ischämienachweis. Der Patient soll wegen zunehmender Beschwerden bei zugrunde liegender Cox
arthrose beidseits eine Hüftendoprothese erhalten. Er nimmt unter anderem ASS 100 mg und Clopidogrel 75 mg ein.
Der Patient hat ein relativ hohes Stentthrombose-Risiko. Es handelt sich um eine elektive Operation. Es wäre
zu empfehlen abzuwarten, die duale Plättchenhemmung bis 12 Monate nach der letzten DE-Stentimplantati-
on fortzuführen und danach unter Fortsetzung der ASS-Therapie zu operieren. Es sollte auch der Einsatz von
Ibuprofen vermieden werden, da ein Interaktionspotenzial mit Wirkverlust von ASS möglich ist!
Das Vorgehen bei bestehender dualer Plättchenhemmung kann nach folgendem Schema erfolgen (› Abb. 8.12):
KASUISTIK 8
Patient H., 77 Jahre alt, hat seit Jahren eine arterielle Hypertonie und permanentes Vorhofflimmern. Er ist jetzt herzinsuf-
fizient (NYHA II–III) bei Z.n. Vorderwandinfarkt vor 3 Monaten. Damals wurde in der Akutsituation ein DES in die proxi-
male LAD implantiert bei Dreigefäßerkrankung (sonstiger Koronarstatus: die RCA, kleines Gefäß, war distal diffus 50–75%
stenosiert, der groß angelegte RCX war medial 50–75% stenosiert). Die aktuelle Therapie besteht aus ASS 100 mg/d,
Clopidogrel 75 mg/d, Marcumar (Ziel INR 2,0–2,5, aktueller Wert 2,4), Bisoprolol, Ramipril, Torasemid, Eplerenone sowie 8
Simvastatin. Jetzt verschlechtert sich das Befinden, der Patient hat Angina pectoris unter Belastung (auch während der
Ergometrie), aber keinen objektiven Ischämienachweis. Es ist eine erneute Herzkatheteruntersuchung geplant mit ggf.
Druckdrahtevaluation des RCX.
Die Kombinationstherapie ASS und Clopidogrel sollte unbedingt beibehalten werden, gerade wenn an eine
Progression der KHK oder eine Instent-Restenose gedacht wird und möglicherweise erneut interveniert wer-
den muss. Außerdem liegt die DES-Implantation relativ kurz zurück, hier droht bei Absetzten der Plättchen-
hemmer eine akute Stentthrombose. Risikofaktoren für eine Stentthrombose sind nachfolgend zusammen-
gestellt. Die orale Antikoagulation sollte aber zurückgenommen werden. Bei elektiven Katheteruntersuchun-
gen wird generell eine INR < 1,8–2,0 zum Eingriffszeitpunkt angestrebt. Bei Patient G. mit einem CHADS2-
Score von 3 („C, H, A“) besteht kein hochgradiges Embolierisiko. In dieser Situation würde man auch
angesichts der fortgeführten dualen Plättchenhemmung keine überlappende LMW-Heparingabe empfehlen
(› Kasuistik 1).
290 8 Kardialer Check-up
lebensbedrohlich/
dringlich elektiv
nicht aufschiebbar
Thromboembolie-
Risiko:
hoch moderat
erwägen
Clopidogrel Eingriff
OP unter
OP unter absetzten aufschieben bis
Bridging
fortgesetzter zum Ende der
mittels
Plättchen- invasiver Eingriff Indikation zur
kurzwirksamen
hemmung unter alleiniger Plättchen-
IIb/IIIa-Hemmern
ASS-Therapie hemmung
Thrombozyten- Monitoring
konzentrale empfehlenswert
bereithalten oder
prophylaktische
Gabe erwägen
Abb. 8.12 Indikation für OP oder anderen invasiven Eingriff (nach Spannagl und Spannagel: Bridging, 2. Auflage, Ligatur Verlag
2011; Nachdruck mit freundlicher Genehmigung).
LITERATUR
Bonow RO, Carabello BA, Chatterjee K, et al. Management of Patients With Valvular Heart Disease. J Am Coll Cardiol. 2008;
52: e1–e142.
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Hoffmeister HM, Bode C, Darius H, Huber K, Rybak K, Silber S. Unterbrechung antithrombotischer Behandlung (Bridging) bei
kardialen Erkrankungen. Positionspapier der DGK. Kardiologe 2010; 4: 365–74.
Poldermans D, Bax JJ, Boersma E, et al. Guidelines for pre-operative cardiac risk assessment and perioperative cardiac ma-
nagement in non-cardiac surgery. European Heart Journal 2009; 30: 2769–812.
Regitz-Zagrosek V, Gohlke-Bärwolf C, Geibel-Zehender A, et al. Herzerkrankungen in der Schwangerschaft. Clin Res Cardiol
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Spannagl M, Spannagel U. Bridging. 2. Auflage; Stuttgart: Ligatur; 2011.
Vahanian A, Baumgartner H, Bax J, et al. Guidelines on the management of valvular heart disease. The Task Force on the
Management of Valvular Heart Disease of the European Society of Cardiology. European Heart Journal 2007; 28: 230–68.
KASUISTIK
Sie kommen als Konsiliarius auf eine gefäßchirurgische Station und werden gebeten, ein kardiologisches Konsil für einen
Patienten, der an einem 5,5 cm großen Bauchaortenaneurysma offen operiert werden soll, abzugeben.
Beim präoperativen Konsil muss man sich zunächst klar machen, wie risikoreich der geplante Eingriff sein
wird. In den ESC-Guidelines finden sich dazu folgende Angaben (› Tab. 8.9).
KASUISTIK
Unser Patient soll sich also einem Eingriff mit einem hohen perioperativen Risiko unterziehen.
Sie erheben folgende anamnestische Befunde: 72-jähriger Patient, 172 cm groß und 91 kg schwer (BMI 30,76), arte-
rielle Hypertonie seit 22 Jahren. Diabetes mellitus, der seit 3 Jahren mit Metformin behandelt wird. Der Patient raucht seit
seinem 20. Lebensjahr (52 pack years).
Das Bauchaortenaneurysma wurde anlässlich einer Routineuntersuchung beim Hausarzt diagnostiziert, der Patient ist
klinisch beschwerdefrei. Die aktuelle Dauermedikation besteht aus:
Sind diese Angaben für die Entscheidung über das weitere Prozedere ausreichend?
Die Guidelines empfehlen die Anwendung von Risikoindices, insbesondere des Lee-Indexes zur präoperati-
ven Risikostratifiziering (Klasse 1 A; Lee 1999).
LEE-Index:
• Kriterien
– Hochrisikochirurgie 1 Punkt
– Koronare Herzerkrankung 1 Punkt
– Herzinsuffizienz 1 Punkt
– Zerebrovaskuläre Erkrankungen 1 Punkt
– Insulinpflichtiger Diabetes mellitus 1 Punkt
– Serum-Kreatinin > 2 mg/dl 1 Punkt
• Interpretation:
– 0 Punkte: Klasse 1, sehr niedriges Risiko (0,4% Komplikationen)
– 1 Punkt: Klasse 2, niedriges Risiko (0,9% Komplikationen)
– 2 Punkte: Klasse 3, mittleres Risiko (6,6% Komplikationen)
– 3 Punkte: Klasse 4, hohes Risiko (> 11% Komplikationen)
• Durch das Score-System vorhergesagte Komplikationen:
– Herzinfarkt
– Lungenembolie
– Kammerflimmern
– Herzstillstand
– AV-Block Grad III.
Sie brauchen somit noch Angaben über frühere Herzinfarkte, Schlaganfälle, Herzinsuffizienz und Nierenwerte.
Des Weiteren sollten Sie sich ein Bild über die funktionelle Kapazität – gemessen in Metabolic Equivalents (MET)
– machen. Dies kann entweder durch eine Belastungsuntersuchung oder durch Erfragen von Alltagsaktivitäten er-
folgen. Geht man beim Grundumsatz von 1 MET aus, so leistet ein Patient, der sich selbst versorgen kann, der zwei
Treppen hochsteigen und auf der Ebene 100 Meter mit einer Geschwindigkeit von 3 bis 5 km/h gehen kann, 4 MET.
Die „Grenze“ von 4 MET geht in die Empfehlungen der ESC und der AHA /ACC ein.
Sie sehen also, dass die Stressechokardiographie nach Ansicht der ESC nicht zwingend notwendig gewesen wäre.
Auch eine präoperative Koronarangiographie ist nicht zwingend indiziert (IIb B nach ESC; › Tab. 8.14).
• Herzinsuffizienz
• Schlaganfall/TIA
• Niereninsuffizienz (Serum Kreatinin 170 mmol/l oder 2 mg/dl oder eine Kreatinin-Clearance unter
60 ml/min)
• Diabetes mellitus (insulinpflichtig).
KASUISTIK
Die angeordneten Untersuchungen ergeben folgende Befunde:
EKG SR, Frequenz 80/ Minute, Linkstyp, P = 0,11 sec, PQ = 0,18 sec, QRS = 0,11 sec, QT =
0,38 sec. Unauffälliger Stromkurvenverlauf.
UKG Normale globale Pumpfunktion, linker Vorhof vergrößert, übrige Herzhöhlen normal groß.
Linkshypertrophie (Septum 14 mm, HW 13 mm). Keine regionalen Wandbewegungsstö-
rungen. Die Aortenklappe ist sklerosiert, aber mit regelrechter Öffnung, keine Flussbe-
schleunigung über der Aortenklappe. Übrige Herzklappen regelrecht.
Stressechokardiogramm Stufenweise Belastung über je 2 Minuten mit 25, 50, 75 und 10 Watt. Abbruch bei zu-
(› Abb. 8.13) nehmender Dyspnoe und Ischämiezeichen.
Bereits bei 50 Watt beginnend ischämietypische EKG Veränderungen in den Brustwandablei-
tungen und regionale Hypokinesie anterior medial bis apikal sowie septal.
Kreatinin-Clearence 52 ml/Minute
Die Operation eines Bauchaortenaneurysmas von 5,5 cm Größe ist eine rein prophylaktische Maßnahme. Die
beschriebenen Vorteile für das operative Vorgehen kommen nur bei niedrigem perioperativen Risiko zum
Tragen. Bei dokumentierter KHK mit Ischämienachweis bereits bei geringer Belastung sollte zunächst eine
Revaskularisation des RIVA durchgeführt werden. Im Idealfall kann dies durch Implantation eines unbe-
schichteten Stents erfolgen. Die Operation am Bauchaortenaneurysma kann dann im Intervall nach Beendi-
gung der dualen Plättchenhemmung unter Weiterführung einer antithrombozytären Monotherapie erfolgen.
Bei komplexer Morphologie der RIVA-Stenose ist zu entscheiden, ob ein oder mehrere Drug-eluting-Stents
implantiert werden oder ob eine minimal-invasive Bypass-Technik (MIDCAB) zur Anwendung kommt.
Operation des Bauchaortenaneurysmas unter konsequentem perioperativen Monitoring der kardialen Funk-
tion und des Blutzuckerspiegels. Metformin sollte pausiert werden, gegebenenfalls Umstellung auf Insulin-
therapie erfolgen.
Die Medikation mit dem ACE-Hemmer kann perioperativ pausiert werden, da eine normale linksventriku-
läre Funktion besteht (IIa C). Die zusätzliche Medikation mit einem Betablocker ist empfehlenswert (Klasse
1 B). Es sollte 30 bis spätestens 7 Tage vor der Operation eine Statintherapie eingeleitet (ESC Klasse I B) und
diese dann auch perioperative fortgesetzt werden (Klase I C).
LITERATUR
Boersma E, Kertai MD, Schouten O. Perioperative cardiovascular mortality in noncardiac surgery: validation of the Lee cardi-
ac risk index. Am J Med 2005; 118: 1134–41.
Lee TH, Marcantonio ER, Mangione CM, et al. Derivation and prospective validation of a simple index for prediction of car-
diac risk of major noncardiac surgery. Circulation 1999; 100: 1043–9.
Poldermans, D, Bax JJ, Boersma E, et al. Guidelines for pre-operative cardiac risk assessment and perioperative cardiac ma-
nagement in non-cardiac surgery. European Heart Journal 2009; 30: 2769–812.
KASUISTIK
Ein 22-jähriger Mann stellt sich in der Sprechstunde vor. Der Hausarzt hatte dazu geraten, weil im Alter von einem Jahr
eine Operation eines angeborenen Herzfehlers erfolgte. Die letzte kardiologische Untersuchung erfolgte vor über 10
Jahren, eine Röntgenaufnahme der Lunge vor einem Jahr. Er fühlt sich gut belastbar, hat keine Luftnot, Ödeme oder
subjektiv empfundene Herzrhythmusstörungen. Keine AP-Beschwerden. An Medikamenten wird Rocaltrol und Kalzium
wegen niedriger Kalziumwerte eingenommen. Der Patient raucht Zigaretten (bisher 7 pack years).
Die körperliche Untersuchung des 176 cm großen, 78 kg schweren Patienten zeigt einen guten Allgemeinzustand. Die Gesichts-
züge scheinen etwas auffällig. Der Blutdruck beträgt 110/70 mmHg, Herzfrequenz 80, Puls regelmäßig. Normaler JVD, kein
hepatojugulärer Reflux. Keine Trommelschlägelfinger, keine Ödeme. Der pulmonale Untersuchungsbefund ist unauffällig. Die
Herzauskultation ergibt ein 2⁄6-Systolikum über ERB und dem Pulmonalareal. Der 2. Herzton ist weit gespalten, aber atemvariabel.
Sie fordern nähere Unterlagen vom Hausarzt an.
296 8 Kardialer Check-up
8
Abb. 8.14 EKG
SR, Frequenz 76/min, LT. Kompletter RSB mit blockbedingten ERBST rechtspräkordial.
Die Echokardiographie zeigt normale Dimensionen von LA (36 mm) und Aortenwurzel (36 mm). Die Aortenklappe ist zart,
trikuspid, regelrecht beweglich, im Doppler keine Insuffizienz. Der linke Ventrikel ist unauffällig (50/30 mm, FS 40%,
Wanddicken je 11 mm). Farbdopplersonographisch keine Shunthinweise auf Vorhof- oder Ventrikelebene. Rechter Vorhof
und Ventrikel erscheinen visuell nicht vergrößert, keine Hypertrophie. Die Trikuspidalklappe sieht morphologisch unauf-
fällig aus, Refluxgeschwindigkeit 2,32 m/s, entsprechend 22 mmHg, Druckgradient zwischen RV und RA. Die Pulmonal-
klappe weist keine Stenose auf, man sieht eine geringe Insuffizienz. Eine RVOT-Obstruktion ist nicht zu erkennen.
Die erhobenen Befunde sprechen dafür, dass eine Korrekturoperation erfolgte, keine Palliativoperation.
Welche ist die Methode der Wahl, wenn die RV-Funktion nicht eindeutig mit der
Echokardiographie zu beurteilen ist?
Herzschatten vergrößert, etwas angehobene Herzspitze. Keine Zeichen einer pulmonalen Minderperfusion.
Keine Stauungszeichen, Infiltrate oder Ergüsse. Rechts verlaufender Aortenbogen.
KASUISTIK
Das Fax mit den Vorbefunden trifft ein:
Z.n. Korrektur-OP bei Fallot-Tetralogie mit VSD-Patch, Pulmonalkommissurotomie, Infundibulumresektion, Direktverschluss
ASD Typ 2. Rechtsseitiger Aortenbogen. Mikrodeletion 22q11 mit partiellem DiGeorge-Syndrom. Hypoparathyreoidismus.
Die Kombination von angeborenen Herzfehlern mit sonstigen Fehlbildungen ist nicht selten. Bei Fallot-Pati-
enten ist der rechtsverlaufende Aortenbogen in 25% der Fälle zu finden. Beim DiGeorge-Syndrom kann es
durch embryonale Entwicklungsstörungen im Bereich der 3. und 4. Schlundtasche neben Anomalien an Herz 8
und Aorta auch zu Nichtanlage der Nebenschilddrüsen, des Thymus und zu fazialen Fehlbildungen kommen.
Da diese Patienten eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Herzrhythmusstörungen haben,
sollte ein Langzeit-EKG erfolgen. Es zeigte im vorliegenden Fall außer vereinzelten VES und SVES keine we-
sentlichen Auffälligkeiten, insbesondere keine komplexen ventrikulären Arrhythmien oder Vorhofflimmern.
Es besteht bei diesem Krankheitsbild die Möglichkeit, dass periphere Pulmonalarterienstenosen vorliegen.
Klinisch und nach dem Röntgenbild zu urteilen spricht jetzt wenig dafür. Falls ein diesbezüglicher Verdacht
bestünde, würde man eine MRT durchführen. Bei relevanten Stenosen würde man dann ein interventionelles
Stenting der Stenosen anschließen.
298 8 Kardialer Check-up
LITERATUR
Baumgartner H, Bonhoeffer P, De Groot NM, et al. ESC Guidelines for the management of grown-up congenital heart di-
sease (new version 2010): The Task Force on the Management of Grown-up Congenital Heart Disease of the European
Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J. 2010; 31(23): 2915-57.
Schmaltz AA, Bauer U, Baumgartner H, et al. Medizinische Leitlinie zur Behandlung von Erwachsenen mit angeborenen
Herzfehlern (EMAH). Clin Res Cardiol 2008; 97: 194–214.
8
Register 299
Register
O R ––rhythmogene 250
Ödeme 197 Rechtsherzbelastung 101 ––Therapieoptionen 231
Osmolarität, Berechnung 199 Resynchronisationstherapie 158 ––Ursachen 235
Risikostratifiziering, präopera- Synkopen
P tive 292 ––Diagnostik 235
Pacingdefekt 223 ––rezidivierende 236
Pericarditis constrictiva 184 S ––Schrittmachertypen 238
––Formen 183 Sauerstoffaufnahme, ––Therapie 237
––Therapieoptionen 184 maximale 166 Synkopenformen 227
Perikarderguss Schirmimplantation 242 SYNTAX-Score 39
––hämodynamische ––kathetergesteuerte 170
Wirksamkeit 17 ––Komplikationen 172 T
––Therapie 19 ––Nachsorge 174 Tachykardie 71, 72, 76
Perikardiozentese 21 Schlaganfallrisiko, jährliches 64 Tako-Tsubo-Kardiomyopathie
Perikarditis 17 Schrittmacherimplantation, 34
––Ätiologie 17 Risiken 237 TAVI 193
––rezidivierende 20 Schrittmacher-Sonden-Endokardi- Thrombembolieprophylaxe 66
––ST-Streckenhebungen 16 tis 223 Thyreopathie 37
––Therapie 20 Schwangerschaftsabbruch, Indikati- ––Kontrastmittelgabe 30
––Ursachen 17 on bei mütterlicher Herzerkran- Transplantatvaskulopathie 97, 98
Perimyokarditis 16 kung 255 Tripletherapie 64, 65
Peripartum-Kardiomyopathie 254, Schwangerschaftshypertonie 254 Troponinanstieg 200
256 Sensingdefekt 222 Troponinerhöhung 84, 200
––Komplikationen 258 Septumruptur 143
––Nachsorge 258 Shuntberechnung 145 U
––Therapie 257 Sinusarrest 252 Überleitungsstörungen, Schrittma-
––Thromboseprophylaxe 257 Sinusknotenerkrankung, chertherapie 162
Persistierendes Foramen ovale 168 Schrittmacher 252
Phäochromozytom 279 Sondenendokarditis 225 V
„Pill in the pocket“-Therapie, Sondenentfernung, Indikation 224 Vasoreagibilitätsprüfung 103
Ausschlusskriterien 69 Spiroergometrie 166 Venenthrombose 148
Plättchenhemmung 288 Splenomegalie, Ursachen 203 ––Duplexuntersuchung 149
––akutes Koronarsyndrom 64 Stanford-Klassifikation 24 Ventrikelseptumdefekt 143
––Bridging 284 STEMI 2 Vorhofflimmern 66, 68
––duale 64, 65 ––ADP-Rezeptorantagonisten 4 ––paroxysmales 53, 69
––invasive Koronardiagnostik 289 ––Analgesie 3 ––Therapie 205
Pleuraerguss 152 ––Antikoagulation 3 Vorhofseptumaneurysma 240
Pneumokoniose 147 ––antithrombozytäre Therapie 4 Vorhofseptumdefekt 168
Post-Myokardinfarkt-Ventrikelsep- ––EKG-Diagnostik 2 ––Defektverschluss 169, 171
tumdefekt 141, 143 ––Reperfusionsstrategie 3 ––invasive Therapie 169
––Operation 145 ––Sekundärprophylaxe 8 ––Symptome 169
Postperikardiotomie-Syndrom 147 Stentthrombose 8 ––Typen 168
Präeklampsie 256, 259, 260 ––Risiko 289
Präexzitation 69, 77 ––Risikofaktoren 290 W
PROCAM-Score 266 ST-Hebungsinfarkt, Siehe STEMI Wilkins-Score 177
Pulmonalarterienstenosen 297 Stress-Test 71
Pulmonalvaskulärer Wider- Synkope 227, 228, 249
stand 94 ––Basisdiagnostik 228
Pulmonalvenenisolation 69 ––Prognose 228