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Christoph Spes, Volker Klauss (Hrsg.

Facharztprüfung
­Kardiologie
in Fällen, Fragen und Antworten
Mit Beiträgen von:

Hagen Gross, Ralph Hein, Martin Hug, Volker Klauss, Andreas König, Florian Krötz, Marcus
­Leibig, Stefan Lüftl, Johannes Rieber, Thomas Schiele, Sebastian Schmieder, Hae-Young Sohn,
Christoph Spes, Eva von Eckardstein-Thumb

Mit 180 Abbildungen


Zuschriften an:
Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, Hackerbrücke 6, 80335 München, E-Mail: medizin@elsevier.com

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Die Erkenntnisse in der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und klinische Erfahrungen. He-
rausgeber und Autoren dieses Werkes haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass die in diesem Werk gemachten
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1. Auflage 2011
© Elsevier GmbH, München
Der Urban & Fischer Verlag ist ein Imprint der Elsevier GmbH.

11 12 13 5 4 3 2 1

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nischen Systemen.

Um den Textfluss nicht zu stören, wurde bei Patienten und Berufsbezeichnungen die grammatikalisch maskuline
Form gewählt. Selbstverständlich sind in diesen Fällen immer Frauen und Männer gemeint.

Planung: Tino Heeg, Doris Funke, München


Lektorat: Dr. Bernhard Gall, München
Redaktion: Sonja Hinte, Bremen
Herstellung: Dietmar Radünz, München
Satz: abavo GmbH, Buchloe/Deutschland; TnQ, Chennai/Indien
Druck und Bindung: Grafos SA, Barcelona/Spanien
Umschlaggestaltung: Spiesz Design, Neu-Ulm

ISBN 978-3-437-21103-4

Aktuelle Informationen finden Sie im Internet unter www.elsevier.de und www.elsevier.com.


Geleitwort
Die Kardiologie hat in den letzten Dekaden eine ra- schrieben von sehr erfahrenen Prüfern in der Kar-
sche Entwicklung genommen. Eine weltweit intensi- diologie, sondern auch ein Lehrbuch für den Alltag,
ve Forschung in der kardiovaskulären Medizin, das uns vom Leitsymptom zu verschiedenen Leitsi-
Strukturen, die zur beschleunigten Umsetzung der tuationen und an Hand von Kasuistiken, die Schritt
Grundlagenforschung in der Klinik führen, und die für Schritt durchgearbeitet werden, zur Diagnose
relativ neue Disziplin der Versorgungsforschung und Therapie führt. Der Frage-und-Antwort-Stil
führen zu Korrekturen oder gar Paradigmenwech- baut nicht nur sehr wirklichkeitsnah die Prüfungssi-
seln bei diagnostischen und therapeutischen Kon- tuation auf, sondern trainiert auch ein systemati-
zepten. Dies stellt die praktisch tätigen Kardiologen sches Vorgehen in der alltäglichen Praxis. Ich wün-
vor große Herausforderungen. Auch die Lehrmittel sche diesem nützlichen und exquisit editierten Buch
müssen daran angepasst werden. Schließlich ist und seinen Lesern viel Erfolg.
auch die ärztliche Weiter- und Fortbildung gefor-
dert. Dies geschieht unter Ausnutzung neuer Medi-
en und neuer didaktischer Konzepte. Dennoch hat Würzburg, im Mai 2011
das Medium Buch seine Attraktion nicht verloren
und ist zum Lernen für die Meisten nach wie vor un- Prof. Dr. med. Georg Ertl
ersetzlich. Die sehr praktisch orientierte Systematik Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie
der „Kardiologie in Fällen, Fragen und Antworten“ Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I
ist hier nicht nur ein hilfreicher Examenstrainer, ge- Universitätsklinikum Würzburg
Vorwort
Sehr geehrte Frau Kollegin, lung der einzelnen Kapitel. Wir alle haben bei der
sehr geehrter Herr Kollege, Bearbeitung der Fälle gelernt, dass es „die richtige“
Lösung bei vielen Fällen nicht gibt; aber genau diese
mit diesem Buch möchten wir Ihnen eine Ergänzung Situation spiegelt sich in der alltäglichen Praxis wi-
der bekannten Lehrbücher der Kardiologie vorlegen. der.
Das Buch „Facharztprüfung Kardiologie“ ist eine Er- Wir hoffen somit, dass die Lektüre dieses Buches
weiterung der bewährten Reihe „Facharztprüfung“ auch Sie stimuliert und für Sie eine wertvolle Hilfe
des Elsevier-Verlages. bei der Vorbereitung auf die Facharztprüfung Kar-
Die Struktur dieses Buches soll Ihnen in der Vor- diologie sein wird. Für Verbesserungsvorschläge
bereitung auf die Facharztprüfung helfen, indem es während oder nach der Lektüre dieses Buches sind
speziell auf die Abläufe eines Prüfungsgespräches wir Ihnen natürlich sehr dankbar.
eingeht. So wird zu Beginn jedes Kapitels eine Kasu- Alle Autoren danken den Mitarbeitern des Else-
istik präsentiert, mittels strukturierter, praxisnaher vier-Verlages für ihre engagierte und professionelle
Fragen und entsprechender Antworten werden Sie Zusammenarbeit. Besonderer Dank sei an dieser
dann durch den Fall geleitet, der mit viel Bildmateri- Stelle Herrn Dr. Bernhard Gall ausgesprochen, der
al ausgestattet ist. Tabellen, Ablaufdiagramme und uns unermüdlich mit großem Einsatz und Sachver-
Literaturangaben ergänzen die jeweilige Thematik. stand unterstützt hat.
Als Autoren für die jeweiligen Kapitel konnten Wir wünschen Ihnen, sehr verehrte Frau Kollegin,
wir niedergelassene Kardiologen sowie Kollegen aus sehr verehrter Herr Kollege, eine stressarme und
einem kommunalen Lehrkrankenhaus und aus ei- fruchtbare Prüfungsvorbereitung.
nem Universitätsklinikum gewinnen. Damit sollte
gewährleistet werden, dass die Fälle nicht einseitig
oder praxisfern dargestellt und diskutiert werden. München, im Mai 2011
Die Herausgeber danken den Autoren für die
kompetente Zusammenarbeit und die fruchtbaren Prof. Dr. med. Christoph Spes
und teils sehr lebhaften Diskussionen bei der Erstel- Prof. Dr. med. Volker Klauss
Autorinnen und Autoren
Dr. med. Hagen Gross Dr. med. Stefan Lüftl
Isar Medizin Zentrum Praxis für Kardiologie und Angiologie
Sonnenstr. 24–26 Heilig-Geist-Str. 24
80331 München 83022 Rosenheim

Dr. med. Ralph Hein Priv.-Doz. Dr. med. Johannes Rieber


Klinikum Neuperlach Klinikum Bogenhausen
Städt. Klinikum München GmbH Städt. Klinikum München GmbH
Oskar-Maria-Graf-Ring 51 Englschalkingerstr. 77
81737 München 81925 München

Dr. med. Martin Hug Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Schiele


Klinikum Neuperlach Klinikum Innenstadt der LMU München
Städt. Klinikum München GmbH Ziemssenstr. 1
Oskar-Maria-Graf-Ring 51 80336 München
81737 München

Prof. Dr. med. Volker Klauss Dr. med. Sebastian Schmieder


Klinikum Innenstadt der LMU München Klinikum Innenstadt der LMU München
Ziemssenstr. 1 Ziemssenstr. 1
80336 München 80336 München

Priv.-Doz. Dr. med. Andreas König Priv.-Doz. Dr. med. Hae-Young Sohn
Klinikum Innenstadt der LMU München Klinikum Innenstadt der LMU München
Ziemssenstr. 1 Ziemssenstr. 1
80336 München 80336 München

Priv.-Doz. Dr. med. Florian Krötz Prof. Dr. med. Christoph Spes
Klinikum Innenstadt der LMU München Praxis für Kardiologie und Angiologie
Ziemssenstr. 1 Heilig-Geist-Str. 24
80336 München 83022 Rosenheim

Dr. med. Marcus Leibig Dr. med. Eva von Eckardstein-Thumb


Klinikum Innenstadt der LMU München Klinikum Neuperlach
Ziemssenstr. 1 Städt. Klinikum München GmbH
80336 München Oskar-Maria-Graf-Ring 51
81737 München
VIII Abkürzungen

Abkürzungen

AAI Schrittmacherfunktionsmodus (Vorhofsti- CDRIE Cardiac device-related infective endocar-


mulation und -wahrnehmung) ditis
ACA Arteria cerebri anterior CK Kreatininkinase
ACB Aorta-koronarer Bypass CKMB MB-Fraktion der CK
ACC American College of Cardiology CI Cardiac Index
ACC Arteria carotis communis CMP Kardiomyopathie
ACE Arteria carotis externa CMV Zytomegalie-Virus
ACE angiotensin converting enzyme COPD chronisch obstruktive Lungenerkrankung
ACI Arteria carotis interna CRP C-reaktives Protein
ACS Akutes Koronarsyndrom CRT kardiale Resynchronisationstherapie
ACVB Aortokoronarer Venenbypass CRT-D kardiale Resynchronisations- und
ADH Antidiuretisches Hormon Defibrillatortherapie
ADP Adenosin-Phosphat CSE Cholesterin-Synthese-Enzym
a.e. am ehesten CT Computertomographie
AF Atemfrequenz CTO chronic total occlusion
AH Zeitintervall Vorhof-His CVI chronische venöse Insuffizienz
AHA American Heart Association DD Differenzialdiagnose
AI Aortenklappeninsuffizienz DDD Zweikammer-Schrittmacherfunktions­
AK Aortenklappe modus, Steuerung dual
AKE Aortenklappenersatz DDI Zweikammer-Schrittmacherfunktions­
AML vorderes Mitralsegel (anterior mitral modus, Steuerung Inhibition
leaflet) DEGUM Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in
AMV Atemminutenvolumen der Medizin e.V.
ANA Antinukleäre Antikörper DES Medikamenten-beschichteter Stent (drug
AO Aorta eluting stent)
AÖF Aortenklappenöffnungsfläche DGK Deutsche Gesellschaft für Kardiologie
AP Angina pectoris DHL Deutsche Hochdruckliga
AP Vorhofstimulation (atrial pacing) dPmax maximaler Druckgradient
APC Aktiviertes Protein C dPmean mittlerer Druckgradient
ARQ Aldosteron-Renin-Quotient EBT Elektronenstrahltomographie
AS Vorhofwahrnehmung (atrial sensing) ed enddiastolisch
AS Aortenklappenstenose EDD enddiastolischer Durchmesser
ASA Vorhofseptumaneurysma EDP enddiastolischer Druck
AT1 Angiotensin-Rezeptor Typ 1 EF Auswurffraktion (ejection fraction)
ASD Vorhofseptumdefekt EKG Elektrokardiogramm
ASS Acetylsalicylsäure EPU elektrophysiologische Untersuchung
av atrioventrikulär ERBS(T) Erregungsrückbildungsstörungen
AV arteriovenös es endsystolisch
AVNRT AV-Knoten-Reentrytachykardie ESC European Society of Cardiology
AVSD atrioventrikulärer Septumdefekt ESD endsystolischer Durchmesser
AZ Allgemeinzustand EZ Ernährungszustand
BB Blutbild FEV1 forcierte Einsekundenkapazität
BGA Blutgasanalyse FFP fresh frozen plasma
BMI Body-Mass-Index FFR fraktionelle Flussreserve
BMS unbeschichteter Stent (bare metal stent) FKDS farbkodierte Duplexsonographie
BNP brain natriuretic peptide FS Durchmesserverkürzung (fractional
BSG Blutsenkungsgeschwindigkeit shortening)
BWS Brustwirbelsäule FVC forcierte Vitalkapazität
BZ Blutzucker GGT Gammaglutamyltransferase
CABG Coronary artery bypass graft = Koronare GFR glomeruläre Filtrationsrate
Bypassoperation GI gastrointestinal
CCS Canadian Cardiovascular Society GK Glukokortikoide
CCT kraniale Computertomographie GN Glomerulonephritis
CDI Colour Duplex Imaging GOT Glutamat-Oxalacetat-Transaminase
Abkürzungen IX

GPIIa/IIIb Glykoprotein IIa/IIIb LV linker Ventrikel


GPT Glutamat-Pyruvat-Transaminase LVEDP linksventrikulärer enddiastolischer Druck
Hb Hämoglobin LVEF linksventrikuläre Ejektionsfraktion
HBDH herzspezifische Isoenzyme 1 und 2 der LVH linksventrikuläre Hypertrophie
LDH MACCE Major Adverse Cardiac and Cerbrovascu-
HCT Hydrochlorothiazid lar Events
HDL High Density Lipoprotein MDRD Modifikation of Diet in Renal Disease
HF Herzfrequenz MEN multiple endokrine Neoplasie
HF Hämofiltration MK Mitralklappe
HK Herzkatheter MKE Mitralklappenersatz
HMV Herzminutenvolumen MKP Mitralklappenprolaps
HWS Halswirbelsäule MI Mitralklappeninsuffizienz
HOCM Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie MÖF Mitralklappenöffnungsfläche
HT Herzton MR(T) Magnetresonanz (Tomographie)
HZV Herzzeitvolumen MS Mitralklappenstenose
hsCRP hochsensitive Bestimmung des C-reak- MVP Mitralklappenvalvuloplastie
tiven Proteins NA Nierenarterie
HTX Herztransplantation (Heart exchange) NAST Nierenarterienstenose
HV Zeitintervall His-Ventrikel NHS Nierenholsystem
HWZ Halbwertszeit NMH Niedermolekulares Heparin
i.c. intrakoronar NNR Nebennierenrinde
ICD implantierbarer Cardioverter Defibrillator NO Nitrate oxide, Stickstoffmonoxid
ICR Interkostalraum NSAR nichtsteroidale Antirheumatika
IDDM Insulinpflichtiger Diabetes mellitus NSTEMI Non-ST-Elevation Myocardial Infarction
I.E. internationale Einheiten NT-pro BNP N-terminales pro brain natriuretic peptide
IMD Intima-Media-Dicke NYHA New York Heart Association (Schwere-
INR International Normalized Ratio, Pro- gradeinteilung Herzinsuffizienz)
thrombinratio OAK orale Antikoagulation
IT Indifferenztyp OGTT oraler Glukosetoleranztest
ITGV intrathorakales Gasvolumen PA Pulmonalarterie
ITN Intubationsnarkose PAP Pulmonalarteriendruck
IU international Units PAH pulmonale Hypertonie
i.v. intravenös PAVK periphere arterielle Verschlusskrankheit
IVS interventrikuläres Septum PCI perkutane Koronarintervention
IVUS intravaskulärer Ultraschall PCT Prokalzitonin
IVUS-RF Intravaskulärer Ultraschall mit Radiofre- PCW(P) pulmonalkapillärer Verschlussdruck
quenz-Analyse PCR Polymerase Kettenreaktion
JVD Jugularvenendruck PDE Phosphodiesterase
KHE koronare Herzerkrankung PE Perikarderguss
KHK koronare Herzkrankheit PEF maximaler exspiratorischer Fluss
KI Kontraindikation PFO persistierendes Foramen ovale
KM Kontrastmittel PHA primärer Hyperaldosteronismus
KMP Kardiomyopathie PHT pulmonale Hypertonie
KÖF Klappenöffnungsfläche PHT Druckhalbwertszeit (pressure half time)
LA linker Vorhof PI Pulmonalklappeninsuffizienz
LAA linkes Vorhofohr PK Pulmonalklappe
LAD left anterior descending (coronary artery) PS Pulmonalklappenstenose
LAO left anterior oblique PSA prostataspezifisches Antigen
LDH Laktatdehydrogenase PTA perkutane Angioplastie
LDL Low Density Lipoprotein PTT Prothrombinzeit
LE Lungenarterienembolie p.o per os
LHW linksventrikuläre Hinterwand py pack years
LIMA linke Arteria thoracica (= mammaria) QF Querfinger(-breite)
interna Qp pulmonales Flussvolumen
Lp(a) Lipoprotein (a) Qs systemisches Flussvolumen
LSB Linksschenkelblock QRS QRS-Komplex
LT Linkstyp RA Rechter Vorhof
X Abkürzungen

RAO Right anterior oblique TAVI Transkatheter-Aortenklappenimplantation


RAAS Renin-Angiotenin-Aldosteron-System TEE transösophageale Echokardiographie
RCA rechte Koronararterie (right coronary TEA Thrombendatherektomie
artery) TG Triglyzeride
RCX Ramus circumflexus TI Trikuspidalinsuffizienz
RF Risikofaktor TK Trikuspidalklappe
RG Rasselgeräusch TIA transitorische ischämische Attacke
RIVA Ramus interventricularis anterior TnI Troponin I
RKA rechte Herzkranzarterie TnT Troponin T
RL Raumluft TP Thromboplastin
RLS Reizleitungssystem TSH Thyreoidea-stimulierendes Hormon
RR Riva-Rocci; arterieller Blutdruck TTE transthorakale Echokardiographie
RR Zeitintervall zwischen zwei R-Zacken UF Unterfeld
RSB Rechtsschenkelblock UFH unfraktioniertes Heparin ´
RTX Röntgen-Thorax UKG Ultraschallkardiographie
RV Rechter Ventrikel VA Vesikuläratmung
RVEDP rechtsventrikulärer enddiastolischer va ventrikulo-atrial
Druck VCI Vena cava inferior
RVOT rechtsventrikulärer Ausflusstrakt VES ventrikuläre Extrasystole
SAT Sättigung VF Kammerflattern
s.l. sublingual Vmax Maximalgeschindigkeit
SLE systemischer Lupus erythematodes VS Ventrikelwahrnehmung (ventricular
SM Schrittmacher sensing)
SPECT Myokardperfusionsszintigraphie VSD Ventrikelseptumdefekt
SR Sinusrhythmus VP Ventrikelstimulation (ventricular pacing)
SSW Schwangerschaftswoche VT ventrikuläre Tachykardie
STEMI ST-Hebungsinfarkt (ST-elevation VVI Schrittmacherfunktionsmodus (Ventrikel-
myocardial infarction) stimulation und -wahrnehmung)
SV Schlagvolumen Z.n. Zustand nach
SVES supraventrikuläre Extrasystole ZVD zentraler Venendruck
SVT supraventrikuläre Tachykardie ZVK zentraler Venenkatheter
Abbildungsnachweis XI

Abbildungsnachweis

Abb. 1.2, 1.9, 1.12, 1.15, 1.16, 1.24, 1.25, 2.8, 2.14, 3.12, Abb. 2.10 Sibylle Yorck von Wartenburg, München
3.22, 3.23, 3.24, 3.50, 3.56, 5.2, 5.4, 5.5, 5.7, 6.1, 8.4, Abb. 8.12 (Vorlage): Ligatur Verlag, Stuttgart
8.10, 8.11, 8.12
Henriette Rintelen, Velbert. Alle hier nicht genannten Abbildungen stammen von den
Abb. 3.30, 6.3, 6.4 Autoren der jeweiligen Kapitel.
Dr. Nina Wunderlich, Prof. Dr. Horst Sievert, Cardio­
Vasculäres Centrum St. Katharinen, Frankfurt
KAPITEL

1 Leitsymptom Thoraxschmerz
1.1 Akuter Bauch- und Brustschmerz Johannes Rieber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1.2 Rezidivierende Brustschmerzen Thomas Schiele, Volker Klauss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1.3 Stechende linksthorakale Schmerzen Eva von Eckardstein-Thumb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

1.4 Akute Brustschmerzen Andreas König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

1.5 Belastungsabhängige Thoraxschmerzen Andreas König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

1.6 Brustschmerzen und Kollaps Johannes Rieber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

1.7 Belastungsabhängige Atemnot und Brustschmerzen Ralph Hein . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

1.8 Stabile Angina pectoris – Messung der fraktionellen


Flussreserve (FFR) Ralph Hein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

1.9 Anhaltende Brustschmerzen und Übelkeit Ralph Hein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

1.10 Brustschmerzen in Ruhe und bei Belastung Christoph Spes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

1.1  Akuter Bauch- und Brustschmerz


Johannes Rieber

KASUISTIK
Sie haben Dienst in der Notaufnahme Ihres Krankenhauses. Gegen 18:00Uhr stellt sich ein 34-jähriger Mann vor, der über
Unwohlsein und Schmerzen im Bereich des Bauchs und des unteren Thorax klagt. Er habe sich den ganzen Tag eigentlich
sehr wohl gefühlt, bis es gegen Nachmittag relativ plötzlich zu dem Unwohlsein gekommen sei. Diese Beschwerden
hätten sich in der Stärke nicht verändert und seien auch jetzt noch vorhanden. Solche Beschwerden habe er früher auch
noch nie gehabt. Er treibe in Maßen Sport und fühle sich auch sonst sehr gut. Auf Nachfrage erfahren Sie, dass der Pati-
ent seit seinem 14. Lebensjahr an einem Diabetes mellitus Typ 1 leidet. Er sei damit regelmäßig beim Hausarzt in Kont-
rolle, die Einstellung sei aber leider nicht immer optimal. Ansonsten seien keine weiteren Erkrankungen oder familiäre
Dispositionen bekannt. Kein Nikotinkonsum, keine regelmäßige Medikamenteneinnahme (außer Insulin).
Körperliche Untersuchung: 186 cm großer und 95 kg schwerer Patient in gutem Allgemeinzustand und leicht adipö-
sem Ernährungszustand. AF 18/min, Jugularvenen nicht gestaut. RR 120/80; HF 63/min. Regelrechter 1. und 2. HT, keine
Extratöne. Bauchdecke weich, kein umschriebener Druckschmerz. Die übrige internistische Untersuchung ist unauffällig.
Beim Druck auf den Thorax gibt der Patient Schmerzen an, die sich jedoch von den von dem Patienten initial beschriebe-
nen Beschwerden unterscheiden.
2 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Welche diagnostischen Schritte leiten Sie als Nächstes ein?

• L abor: BB, Elektrolyte, kardiale Marker, Gerinnung, HbA1C, BZ, TSH, Kreatinin
1 • E KG.

Laborergebnisse: Leukozyten 20,6 G/l; Hb 15,8 g/dl; Na 143 mmol/l; K 3,7 mmol/l; CK 81 U/l; Troponin T < 0,010 ng/dl;
PTT 100 s; INR 1,0; HbA1c 10,6%; BZ 81 mg/dl; TSH 1,31 μU/ml; Kreatinin 1,0 mg/dl.

Befunden Sie bitte das nachfolgende Ruhe-EKG (Extremitätenableitungen,


Brustwandableitungen) des Patienten bei Aufnahme (› Abb. 1.1).

Abb. 1.1  Ruhe-EKG


SR HF 63/min; IT, ST-Hebung in II; III; aVF; ST-Senkung in I und aVL.

Wie lautet Ihre Diagnose?

ST-Hebungsinfarkt (= STEMI) der Hinterwand.

Welche zusätzliche EKG-Diagnostik wäre sinnvoll?

Rechtsseitige Brustwandableitungen. Da bei einem inferioren Infarkt nicht selten auch der rechte Ventrikel
(RV) mitbetroffen sein kann, wird nach den aktuellen Richtlinien empfohlen, hier auch die rechtsseitigen
Ableitungen VR 3–6 aufzuzeichnen. Sollte der rechte Ventrikel mitbetroffen sein (erkennbar an einer ST-He-
bung in den Ableitungen VR 3–6), ist dies mit einer deutlich höheren Mortalität assoziiert; außerdem unter-
scheidet sich das hämodynamische Management. Hier ist auf den Erhalt der RV-Funktion durch Aufrechter-
haltung der RV-Vorlast zu achten (ggf. Gabe von Volumen und/oder Dobutamin, Vermeiden von Nitraten)
sowie auf die Erniedrigung der RV-Nachlast (PA-PCW).
1.1  Akuter Bauch- und Brustschmerz 3

Steht die Diagnose nicht im Widerspruch zu ihren Laborwerten?

Nein, die Diagnosestellung erfolgte so früh, dass die kardialen Marker noch nicht positiv sind.
1

Wie ist der zeitliche Verlauf der Myokardmarker?

Myoglobin (Sensitivität 70–98%, Spezifität 60–100%): Anstieg nach ca. 1–4 Stunden. Troponin T (Sensiti­
vität von 70–90% nach 6 h und 95–100% nach 12 h; Spezifität 85–95%): Anstieg nach 3–12 Stunden. Die
­CK-MB bzw. das CK/CK-MB Verhältnis (Sensitivität nach 6 h 50–75% und nach 12 h 90–100%; Spezifität
90–99%) steigt nach ca. 4–6 h an und eignet sich aufgrund der kurzen Halbwertszeit (72–96 Stunden) im
Gegensatz zum Troponin T (HWZ 7–14 Tage) zur Verlaufskontrolle.

Wie gehen Sie bei dem Patienten zunächst vor?

Kontinuierliche EKG-Kontrolle (Monitor), Sauerstoffgabe (2–4 l/min), Betablockergabe (z.B. Metoprolol


50 mg oral oder 5 mg i.v. – cave: immer auf Bradykardie und AV-Überleitungsstörungen achten, die wegen
möglicher Vagusaktivierung beim Hinterwandinfarkt nicht selten sind; ›  Abb. 1.3), ASS (250 mg. i.v.),
Clopidogrel 600 mg oder Prasugrel 60 mg (beachte KI), Antikoagulation, z.B. Heparin 5000 I.E i.v., Kontrolle
der Vitalparameter, Nitrolingual (wenn keine Rechtsherzbeteiligung vorliegt).

Welches Medikament verwenden Sie zur Analgesie?

Mittel der Wahl sind Opiate (z.B. Morphinsulfat 2–4 mg i.v. alle 5–15 Minuten). Wegen häufig auftretender
Übelkeit sollten Antiemetika (z.B. Metoclopramid 1–3 × 10 mg i.v.) verabreicht werden. Selektive COX-2-
Hemmer und andere traditionelle NSAR sind wiederholt mit prothrombotischen Effekten assoziiert worden
und daher kontraindiziert. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Einerseits kann durch die meisten NSAR
keine anhaltende Thrombozytenhemmung erreicht werden, andererseits wurden für einzelne Stoffe direkte
prothrombotische Effekte und Wirkstoffinteraktionen beschrieben.

Gibt es Alternativen zur Antikoagulation mit Heparin?

In der Regel wird heute vorwiegend unfraktioniertes Heparin (i.v.) eingesetzt (I C). Verschiedene Studien
konnten die Wirksamkeit von niedermolekularem Heparin (I C) oder Bivalirudin (direkter Thrombin-
hemmer) nachweisen. Speziell bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko wird, basierend auf der HORI-
ZONS-AMI-Studie, in den aktuellen Guidelines die Verwendung von Bivalirudin als Alternative angese-
hen (I B). Eine generelle Aussage, welche Substanz sich langfristig als überlegen erweist, ist jedoch derzeit
nicht möglich.

Zu welcher Reperfusionsstrategie würden Sie bei dem Patienten raten?

Das kommt ganz auf die Situation in Ihrem Krankenhaus an. Wenn das Krankenhaus über eine durchge-
hende Herzkatheterbereitschaft verfügt oder ein Krankenhaus mit dieser Möglichkeit schnell erreichbar
ist, ist die Therapie der Wahl eine primäre interventionelle Behandlung (primary PCI). Falls dies nicht
4 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Tab. 1.1  Absolute und relative Kontraindikationen zur Lysetherapie


Absolute Kontraindikationen:
Stattgehabte intrakranielle Blutung
1
Stattgehabter ischämischer Apoplex innerhalb der letzten 3 Monate
Zerebrale vaskuläre Malformation oder intrazerebrale Raumforderung
Aortendissektion
Hämorrhagische Diathese oder aktive Blutung
Signifikantes Schädel-Hirn-Trauma innerhalb der letzten 3 Monate
Relative Kontraindikationen:
Schwerer, schlecht eingestellter arterieller Hypertonus (> 180 mmHg systolisch und/oder > 110 mmHg diastolisch)
Stattgehabter ischämischer Apoplex > 3 Monate
Demenz
Jede intrakranielle Erkrankung, die keine absolute Kontraindikation darstellt
Traumatische oder prolongierte (> 10 min) Reanimation
Innere Blutungen innerhalb der letzten 4 Wochen oder aktives gastrointestinales Ulkus
Nicht komprimierbare Gefäßpunktionen
Schwangerschaft
Antikoagulation mit Marcumar oder Warfarin

der Fall ist, sollte eine Thrombolyse-Therapie eingeleitet werden (z.B. mit Tenecteplase, gewichtsadap-
tiert, max. 1000 IU i.v. als Einmalgabe). Kriterium ist hier, innerhalb welcher Zeit eine PCI durchgeführt
werden kann. Ist dies mit einer Zeitverzögerung von maximal 90 Minuten möglich, ist eine PCI zu be-
vorzugen. Bei der Entscheidung zur Lysetherapie sollten die relevanten Kontraindikationen bedacht
werden (› Tab. 1.1). Für die PCI existieren demgegenüber keine relevanten Einschränkungen. Ebenso
existiert eine Reihe von Situationen, bei denen eine PCI auch bei Inkaufnahme einer längeren Transport-
zeit vorzuziehen ist. Eine Übersicht über den therapeutischen Algorithmus ist in ›  Abbildung 1.2
­dargestellt.

Welche weitere antithrombozytäre Therapie könnten Sie einleiten?

Zusätzlich zu ASS und ADP-Rezeptorantagonisten kommen GPIIb-/IIIa-Blocker in Betracht. Zur Verfügung


stehen prinzipiell Abciximab (z.B. ReoPro), Tirofiban (z.B. Aggrastat) und Eptifibatide (z.B. Integrilin; alle
Klasse-IIa-Indikation), die auch beim akuten Koronarsyndrom in zahlreichen unterschiedlichen Studien ein-
gesetzt wurden. Nach den neuesten Empfehlungen sollen diese Substanzen aber nicht routinemäßig, sondern
selektiv eingesetzt werden (z.B. bei Nachweis einer großen Thrombuslast oder bei Patienten, die nicht mit
Thienopyridinen vorbehandelt wurden).

Was müssen Sie bei der Therapie mit ADP-Rezeptorantagonisten beachten?

Clopidogrel (Plavix; Iscover) sollte über die Dauer von 12 Monaten nach STEMI in einer Dosierung von
75 mg weitergegeben werden.
Prasugrel (Efient) ist ein neues Thienopyridin, das sich im Vergleich zu Clopidogrel durch eine schnel-
lere und stärkere Hemmung der Thrombozytenaggregation auszeichnet. Basierend auf den Daten der
1.1  Akuter Bauch- und Brustschmerz 5

STEMI-Patient,
bei dem eine Revaskularisation indiziert ist
1

Herzkatheter Herzkatheter
vorhanden nicht vorhanden

Auswahl der
Reperfusions-
Herzkatheter- Verlegung zum
strategie
untersuchung – Herzkatheter – Lysetherapie
„Primary PCI“ „Primary PCI“

Vorbehandlung mit Hoch-Risiko: Geringes Risiko:


antithrombozytärer und Umgehende Verlegung zur
antikoagulatorischer Therapie Verlegung zum Durchführung
Herzkatheter einer Herzkatheter-
und untersuchung,
Durchführung der insbesondere wenn
Diagnostische Angiographie Revaskularisation Patient nicht
(PTCA oder beschwerdefrei ist
Bypass) oder die Lyse
mutmaßlich nicht
erfolgreich war.
Ausschließlich
medikamentös- Bypass-
PTCA
konservative Operation
Therapie.
Bestimmung der Dringlichkeit der
Herzkatheteruntersuchung

Abb. 1.2  Therapeutischer Algorithmus

Triton-Timi-38-Studie sollte Prasugrel vorrangig bei Patienten mit niedrigem Blutungsrisiko (z.B. Kör-
pergewicht > 60 kg und Alter < 75 J.) angewendet werden. Die Behandlung wird mit 60 mg Aufsättigungs-
dosis begonnen und dann mit einer Erhaltungsdosis von 10 mg/die bzw. 5 mg/die fortgesetzt.
Als Alternative (z.B. bei Allergie gegen Clopidogrel) kann Ticlopidin (Tiklyd) in einer Dosierung von 2 ×
250 mg/die eingesetzt werden. Aufgrund einer höheren Rate an Blutbildveränderungen sind hier Blutbild-
kontrollen im Verlauf erforderlich.
Bei einer nicht unerheblichen Anzahl von Patienten (5–10%) besteht ein zumindest abgeschwächtes An-
sprechen gegenüber Thienopyridinen. Diese Patienten haben ein erhöhtes Risiko, thrombotische Komplika-
tionen (z.B. Stentthrombose) zu erleiden. Das Ansprechen auf die antithrombozytäre Therapie kann heute
sehr einfach mit einem Bluttest (z.B. Multiplate Test) untersucht werden und ggf. die Dosis gesteigert oder
auf ein anderes Präparat ausgewichen werden.

Während Sie die Injektion des B-Blockers vorbereiten, sehen Sie auf dem Monitor
folgenden Rhythmus (› Abb. 1.3)?
6 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Abb. 1.3  Monitorausdruck des Patienten aus der Notaufnahme

SR, AV-Block Typ II Wenckebach.

Halten Sie in der aktuellen Situation die Injektion des Betablockers für sinnvoll?

Nein, nach den neuesten Guidelines besteht bei Patienten mit einer Verlängerung des PR-Intervalls > 0,24 s
oder höhergradigen AV-Blockierungen eine Klasse-III-Indikation (› Tab. 1.2)

Tab. 1.2  Empfehlungen zur Therapie mit Betablockern nach Myokardinfarkt


Klasse-I-Indikation
Orale Betablockertherapie sollte in den ersten 24 h bei allen Patienten begonnen werden, die keine der folgenden
Merkmale aufweisen:
1. Zeichen der Herzinsuffizienz
2. Zeichen des „low cardiac output“
3. erhöhtes Risiko für kardiogenen Schock oder
4. andere relative Kontraindikationen für Betablocker (PR-Intervall > 0,24 s, AV-Block II° oder III°, Asthma)
Patienten mit Kontraindikationen gegen Betablocker in der Frühphase sollten bezüglich einer späteren Gabe im Sinne
der Sekundärprävention reevaluiert werden.
Patienten mit einer mittelgradig oder schwer eingeschränkten LV-Funktion sollten mit Betablockern entsprechend ei-
nem Titrationsschema behandelt werden
Klasse-IIa-Indikation
Die intravenöse Gabe von Betablockern ist sinnvoll bei Patienten mit STEMI, die zusätzlich hypertensiv sind und keine
der folgenden Merkmale aufweisen:
1. Zeichen der Herzinsuffizienz
2. Zeichen des „low cardiac output“
3. erhöhtes Risiko für kardiogenen Schock
4. andere relative Kontraindikationen für Betablocker (PR-Intervall > 0,24 s, AV-Block II° oder III°, Asthma)
Klasse-III-Indikation
Die intravenöse Gabe von Betablockern sollte nicht durchgeführt werden, wenn eines oder mehrere der folgenden
Merkmale vorhanden sind:
1. Zeichen der Herzinsuffizienz
2. Zeichen des „low cardiac output“
3. erhöhtes Risiko für kardiogenen Schock oder
4. andere relative Kontraindikationen für Betablocker (PR-Intervall > 0,24 s, AV-Block II° oder III°, Asthma)

Basierend auf dem EKG, welche Koronararterie vermuten Sie als betroffen?

Die rechte Herzkranzarterie (RCA). In › Tabelle 1.3 finden Sie eine Aufstellung über die Infarktlokalisation
und die EKG-Manifestation.
1.1  Akuter Bauch- und Brustschmerz 7

Tab. 1.3  Infarktlokalisation und EKG-Manifestation


Lokalisation I II III aVL aVR aVF V1 V2 V3 V4 V5 V6 betroffenes Gefäß
Links anteroseptal x x x ind. ind. proximale LAD, Septaläste
Supraapikal ind. x x x LAD, Diagonaläste
1
(­anteroapikal)
Apikal x x x LAD, Diagonaläste
Lateral x x (x) x LAD, Diagonaläste oder RCX
Hoch lateral x x Erster Diagonalast oder RCX
(­basal)
Anterolateral X ind. ind. x ind. x x x x x x LAD oder RCX
Inferior x x ind. x RCA, RCX, distale LAD
Inferolateral x x x x x RCA oder RCX
Posterior ST-Hebungen in V7–V9 ind. ind. ind. posteriorer Ast der RCA
oder RCX
Rechtsventrikulär St-Hebungen in V3r–V6r x ind. ind. proximale RCA
X = direkte Infarktzeichen: St-Streckenhebung > 0,2 mV in Brustwandableitungen oder > 0,1 mV in Extremitätenableitung
ind. = indirekte Infarktzeichen (ST-Senkung, T-Wellen-Negativierung)
LAD = „left anterior decending“ (auch Ramus interventricularis anterior)
RCX = Ramus circumflexus
RCA = „right coronary artery”

Zur Durchführung der Herzkatheteruntersuchung legen Sie eine arterielle und


eine venöse (zentraler Zugang, Möglichkeit der passageren Schrittmacheranlage)
Schleuse. Die Koronararterien stellen sich wie folgt dar (› Abb. 1.4). Beschreiben
Sie bitte den Koronarbefund.

Abb. 1.4  Herzkatheteruntersuchung

Ausgeglichener koronarer Versorgungstyp. Die linke Herzkranzarterie weist keine relevanten Stenosierun-
gen auf. Es finden sich aber Kollateralen zur RCA. Die RCA ist nach Intubation mit dem Koronarkatheter
wieder spontan rekanalisert. Es zeigt sich eine große Thrombuslast.
8 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Entsprechend den aktuellen Guidelines führen Sie eine Thrombusaspiration durch


(Klasse-IIa-Indikation). Danach zeigt sich die Thrombuslast stark ver­min­dert,
Sie entscheiden sich, die Läsion mit einem Stent zu versorgen (› Abb. 1.5).
1 Würden Sie bei dem Patienten einen medikamentenbeschichteten Stent (DES)
implantieren?

Die Entscheidung hierüber ist von den individuellen


Faktoren des Patienten abhängig. Die Implantation
eines medikamentenbeschichteten Stents bedingt
eine mindestens 6-, besser 12-monatige Gabe von
ASS und Thienopyridin, um eine Stentthrombose zu
vermeiden. Wenn bei dem Patienten hiergegen Kon-
traindikationen bestehen (Malignom, dringend not-
wendige Operation), sollte von der Anwendung ei-
nes medikamentenbeschichteten Stents Abstand ge-
nommen werden. Grundsätzlich sind sowohl medi-
kamentenbeschichtete Stents ebenso wie die
unbeschichteten Stents auch beim STEMI sicher.
Generell bieten beschichtete Stents Vorteile bezüg-
lich der Restenoserate bei langen Läsionen und ge-
ringem Gefäßdiameter.
Abb. 1.5  Abschlussergebnis nach Stentimplantation

Welche Empfehlungen zur


Sekundärprophylaxe geben Sie dem Patienten?

• A SS 100 lebenslang
• Th
 ienopyridin (Clopidogrel, Prasugrel) für 12 Monate
• A CE-Hemmer
• B etablocker
• C SE-Hemmer
• A ldosteronantagonisten bei EF < 40%
• O ptimierte Einstellung des Diabetes
• G ewichtsreduktion
• R egelmäßige körperliche Betätigung
• N ikotinverzicht, Nichtraucherschutz.
LITERATUR:
Antman EM, Anbe DT, Armstrong PW, et al. ACC/AHA guidelines for the management of patients with ST-elevation myocar-
dial infarction: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guideli-
nes (Committee to Revise the 1999 Guidelines for the Management of Patients with Acute Myocardial Infarction). Circula-
tion 2004; 110(9): e82–292.
Canadian Cardiovascular Society, American Academy of Family Physicians, American College of Cardiology, American Heart
Association, et al. 2007 focused update of the ACC/AHA 2004 guidelines for the management of patients with ST-elevati-
on myocardial infarction: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on
Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol. 2008; 51(2): 210–47.
Kushner FG, Hand M, Smith SC Jr, et al. 2009 focused updates: ACC/AHA guidelines for the management of patients with
ST-elevation myocardial infarction (updating the 2004 guideline and 2007 focused update) and ACC/AHA/SCAI guidelines
on percutaneous coronary intervention (updating the 2005 guideline and 2007 focused update) a report of the American
College of Cardiology Foundation/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol. 2009;
54(23): 2205–41.
1.2  Rezidivierende Brustschmerzen 9

1.2  Rezidivierende Brustschmerzen


Thomas Schiele, Volker Klauss

KASUISTIK 1
Ein 61-jähriger Patient hat wegen seit 3 Tagen rezidivierender Brustschmerzen die Rettungsleitstelle alarmiert. Der Patient
wird in die Chest-Pain-Unit Ihrer Klinik verbracht. Bis zuletzt hätten keinerlei kardiale Symptome bestanden, keine we-
sentlichen Vorerkrankungen. An kardiovaskulären Risikofaktoren bestünde ein Nikotinkonsum, eine grenzwertige, nicht
medikamentös behandelte Hyperlipoproteinämie, eine eingestellte arterielle Hypertonie sowie eine familiäre Diathese.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 179 cm großer und 87 kg schwerer Patient in gutem Allgemeinzustand und
etwas adipösem Ernährungszustand. Puls 85 /min, regelmäßig, gelegentliche Extrasystolie, Blutdruck 140/85 mmHg,
normaler 1. und 2. Herzton, keine pathologischen Geräusche, normaler Jugularvenendruck, beiderseits Vesikuläratmung,
keine Rasselgeräusche. Ansonsten unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund.

Skizzieren Sie die umfangreiche Differenzialdiagnose (› Tab. 1.4) möglichst


genau.

Tab. 1.4  Differenzialdiagnose der Angina pectoris (AP)


Kardiovaskuläre Erkrankungen koronare Herzerkrankung
Myokarditis, Perikarditis, Perimyokarditis
akutes Aortensyndrom (Aortendissektion, Aortenaneurysma)
hypertroph obstruktive Kardiomyopathie
Vitien (Aortenstenose)
hypertensive Herzkrankheit
tachykarde Rhythmusstörungen
Pulmonale Erkrankungen Pleuritis, Pneumonie, Pneumothorax
Lungenembolie (oft mit leichter Troponinerhöhung!)
Nerven- und Bewegungsapparat HWS- oder BWS-Syndrom
Rippenfraktur, Rippenprellung, Interkostalneuralgien
Tietze-Syndrom, Morbus Zoster, Myopathien, Metastasen
Gastrointestinale Erkrankungen Refluxösophagitis, Ösophagusruptur
Ösophagusspasmen, Achalasie
Gastritis, Ulkuskrankheit
akute Pankreatitis, Gallenkolik
Roemheld-Syndrom
Mediastinale Erkrankungen Raumforderungen, Mediastinitis
Funktionelle Herzbeschwerden Panikattacken, Hyperventilationssyndrom
somatisierte Depressionen
Rentenbegehren

Welche Primärdiagnostik würden Sie veranlassen?

Blutbild, Bestimmung von Glukose, Na, K, CK, GOT, LDH, Troponin, C-reaktivem Protein, Kreatinin, Harn-
stoff, PTT, TP, TSH, D-Dimer; EKG.
10 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Die Labordiagnostik ergibt: Troponin T 0,17 ng/ml (Norm < 0,01 ng/ml), restliche Laborparameter im Normbereich.
EKG (› Abb. 1.6):

Abb. 1.6  EKG

Sinusrhythmus, Herzfrequenz 79/min, Linkstyp, regelrechte Zeitintervalle, präterminal negatives T in den Brustwandablei-
tungen V2 bis V5, ansonsten unauffällige Stromkurvenmorphologie.

12-Kanal-EKG und Troponin-Bestimmung als Entscheidungsgrundlage:


• D iagnose STEMI: ST-Streckenhebungen von ≥ 0,2  mV in 2 Extremitätenableitungen oder ≥ 0,1 mV in
mindestens 2 benachbarten Brustwandableitungen (für V1, V2 und V3 gelten nur ST-Hebungen ≥ 0,2 mV
als infarkttypisch). Troponin positiv, Ergebnis muss jedoch nicht abgewartet werden.
• D iagnose NSTEMI: Kein Nachweis von ST-Hebungen entsprechend oben stehender Definition. Mögli-
cher Nachweis von horizontalen oder deszendierenden ST-Senkungen in 2 konsekutiven Ableitungen,
möglicher Nachweis von präterminal negativen oder invertierten T-Wellen. Troponin positiv. Ein unauf-
fälliges EKG schließt ein NSTEMI nicht aus, ebensowenig ein einmalig normaler Troponinwert. Bei nor-
malem Erstwert muss eine Wiederholung nach 6–12 Stunden erfolgen.
• D iagnose instabile Angina pectoris: Kein Nachweis von ST-Hebungen oder ST-Senkungen, Troponin
normal (2 Messungen im Abstand von 6–12 Stunden).
EKG:
• D as übliche 12-Kanal-EKG erfasst nicht alle Myokardinfarkte. Bei unklarem EKG an rechtspräkordiale
(Rechtsherzbeteiligung) und erweiterte Brustwandableitungen (posteriore Infarkte) denken.
• E in 12-Kanal-EKG muss innerhalb von 10 Minuten nach Erstkontakt mit dem Patienten aufgezeichnet
und von einem qualifizierten Arzt beurteilt werden.
• S T-Strecken-Senkungen ≥ 1 mm (0,1 mV) sind mit einem Risiko von 11% für Tod/Myokardinfarkt inner-
halb eines Jahres assoziiert sind. Eine Senkung von ≥ 2 mm erhöht das Sterblichkeitsrisiko um das
6-­fache. ST-Strecken-Senkungen, kombiniert mit transienten ST-Strecken-Hebungen, charakterisieren
eine Untergruppe mit besonders hohem Risiko.
1.2  Rezidivierende Brustschmerzen 11

• B ei Linksschenkelblock (neu aufgetreten oder unklaren Alters) erfolgt bei anhaltenden Brustschmerzen
eine Behandlung wie beim STEMI.
Risiko-Scores: Der GRACE-Risk-Score wird bevorzugt, da er aus einem großen Register erstellt wurde, das am
ehesten die Realität abbildet. Das Programm kann aus dem Internet (http://www.outcomes-umassmed.org/ 1
grace/) heruntergeladen werden. In den Score gehen Alter, Herzfrequenz, systolischer Blutdruck, Kreatinin,
Killip-Klasse bei der Einweisung, ST-Senkungen, kardiale Biomarker und ein eventueller Herzstillstand ein.
UKG: Die Echokardiographie ist als nichtinvasives, kostengünstiges Verfahren einzusetzen, sofern ent-
sprechende Kenntnisse vorliegen. Sie ist geeignet, die linksventrikuläre Funktion global und regional zu be-
urteilen und kann wichtige differenzialdiagnostische Hinweise wie Aortenstenose, Lungenembolie, hypertro-
phe Kardiomyopathie etc. liefern.

Ihr Patient hat bei anhaltenden Brustschmerzen ein positives Risikoprofil, das TpT ist erhöht, das EKG weist Erregungs-
rückbildungsstörungen auf, das noch durchgeführte UKG zeigt eine normale linksventrikuläre Funktion ohne regionale
Wandbewegungsstörungen.

Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose?

NSTEMI (Non-ST-Elevation Myocardial Infarction).

Welche primären therapeutischen Maßnahmen werden empfohlen?

• S auerstoff über Nasensonde oder Maske, EKG-Monitorüberwachung.


• S ymptomatisch Glyceroltrinitrat 0,4–0,8 mg s.l., bei Beschwerdepersistenz Infusion mit 1–6 mg/h, systo-
lischer Blutdruck nicht unter 90–100 mmHg, bei fehlender Schmerzfreiheit trotz Nitratgabe nach Präme-
dikation mit 10 mg Metoclopramid i.v. Gabe von 3–5 mg Morphin i.v. bis zur Schmerzfreiheit.
• A SS initial als Kautablette (160– 25 mg) oder i.v. (250–500 mg).
• 3 00 oder 600 mg Clopidogrel, alternativ 60 mg Prasugrel (cave: Kontraindikationen, › Kap. 1.1) nach
Angiographie mit Indikation zu PCI (noch nicht in die NSTEMI-Leitlinien aufgenommen).
• B etablocker (p.o.) bei Tachykardie oder erhöhtem Blutdruck ohne Zeichen der Herzinsuffizienz.
• A ntikoagulation: Wahl in Abhängigkeit vom geplanten Vorgehen (invasiv/nicht-invasiv) und Blutungsri-
siko (› Tab. 1.5)

Wie entscheiden Sie sich bei unserem Patienten?

Unter Monitorkontrolle und nach Legen eines i.v.-Zugangs erhält der Patient Sauerstoff über die Nasensonde
sowie zunächst Nitrospray, da er weiterhin Schmerzen hat.

Tab. 1.5  Wahl der Antikoagulanzien


• UFH-i.v.-Bolus 60–70 IU/kg (max. 5000 IU), danach Infusion 12–15 IU/kg/h (max. 1000 IU/h) titriert nach aPTT (1,5–2,5×)
• Fondaparinux 2,5 mg/Tag subkutan
• Enoxaparin 1 mg/kg 2-mal täglich subkutan
• Dalteparin 120 IU/kg 2-mal täglich subkutan
• Nadroparin 86 IU/kg 2-mal täglich subkutan: Bivalirudin 0,1 mg/kg Bolus, danach 0,25 mg/kg/h.
12 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Sie geben 250 mg ASS i.v. sowie 600 mg Clopidogrel per os.
Aufgrund der EKG-Veränderungen sowie der Klinik entschließen Sie sich zu einer baldigen Koronarangio-
graphie. Sie geben weiter 5000 I.E. UFH.
1

Der anwesende PJ-Student fragt nach dem Einsatz von IIb/IIIa-


Rezeptorantagonisten. Was antworten Sie ihm?

Bei Patienten mit mittlerem bis hohem Risiko (vor allem erhöhtem Troponin, Diabetes mellitus oder ST-
Senkung) wurde bis vor Kurzem Tirofiban oder Eptifibatide als initiale Therapie zusätzlich zu oralen
Thrombozytenhemmern empfohlen. Diese Strategie hat jetzt eine Klasse-IIIb-Empfehlung und sollte da-
her nicht weiter angewandt werden.
Nur bei angiographischem Hinweis einer ausgeprägten Thrombuslast wird der Einsatz eines IIb/IIIa-
Rezeptorantagonisten empfohlen, vorzugsweise Abciximab (Klasse I B).

Der PJ-Student fragt Sie weiter nach dem richtigen Zeitpunkt für eine invasive Strategie.

Wie beantworten Sie seine Frage?

• F ür Hochrisikopatienten ist der Nutzen einer sofortigen (< 2 Stunden) invasiven Diagnostik mittels Herz-
katheteruntersuchung nachgewiesen (I C).
• B ei Patienten mit positivem Troponin, bei denen nach Applikation der Basismedikation völlige Be-
schwerdefreiheit erzielt wurde und die rhythmus- und hämodynamisch stabil sind, genügt die Durchfüh-
rung einer invasiven Diagnostik innerhalb von 72 h (I A).
• E ine routinemäßige Koronarangiographie bei Patienten mit niedrigen Risiko wird nicht empfohlen
(III C).

Welche Kriterien kennzeichnen den Hochrisikopatienten?

Beschwerdepersistenz/-dynamik, fluktuierende EKG-Veränderungen, Rhythmusinstabilität, hämodynami-


sche Instabilität, Vorhandensein klinischer Risikofaktoren (Diabetes mellitus, Postinfarkt-Angina pectoris).
Bei diesen Patienten ist eine sofortige invasive Diagnostik indiziert.

Inzwischen ist der Hintergrunddienst eingetroffen und führt die Koronarangiographie und Intervention durch.
Die Linksherzkatheteruntersuchung ergab folgenden Befund (› Abb. 1.7).
Deutliche diffuse Koronarsklerose, subtotale Stenosierung der LAD medial. Es erfolgte eine Stentimplantation mit gutem
Resultat.
1.2  Rezidivierende Brustschmerzen 13

Abb. 1.7  Linksherzkatheteruntersuchung

Welche Kriterien sollten zur Auswahl von beschichtetem (DES) vs.


unbeschichtetem Stent (BMS) herangezogen werden?

Stent-Auswahl (BMS oder DES): nach Risiko/Nutzen-Profil, Begleiterkrankungen und evtl. erforderlichen
nicht-kardialen Operationen (Unterbrechung der Thrombozytenaggregationshemmung; I-C).
Die Therapie des NSTEMI unterscheidet sich vom STEMI im Wesentlichen nur durch den Zeitpunkt der
invasiven Maßnahmen. Eine Lysetherapie ist beim NSTEMI grundsätzlich kontraindiziert.
Hinsichtlich der Prognoseabschätzung und des weiteren Vorgehens siehe › Kapitel 1.1.

Besondere Patientengruppen
Bestimmte ACS-Patienten haben ein erhöhtes Risiko für kardiale Ereignisse und benötigen eine besondere
Behandlungsstrategie. Diese Subgruppen sind z. B. ältere Patienten, Frauen, Patienten mit Nierenfunktions-
einschränkungen, Diabetes mellitus und Anämie.
Ältere Patienten (> 75 J.) zeigen des Öfteren atypische Symptome, daher sollte eine Abklärung bereits bei
geringerem Verdacht als bei jüngeren Patienten erfolgen (I C). Älteren Patienten sollte eine invasive Diagnos-
tik nicht vorenthalten werden (I B).
Bei Frauen tritt ein ACS im Schnitt 10 Jahre später als bei Männern auf, daher sind sie bei Präsentation
älter und haben oft mehr Begleiterkrankungen. Dies ist bei der Indikation zu einem invasiven Vorgehen so-
wie bei der Auswahl der Antikoagulation und Plättchenhemmung zu berücksichtigen. Grundsätzlich sollten
das gleiche Vorgehen wie bei Männern gelten (I B).
Diabetiker haben eine doppelt so hohe Mortalität wie Nicht-Diabetiker und haben häufiger eine Nierenin-
suffizienz sowie eine Hypertonie. Eine frühzeitiges invasives Vorgehen wird empfohlen (I A). Die Indikation
zu GP-IIb/IIIa-Inhibitoren sollte großzügig gestellt werden (IIa-B).
Patienten mit Niereninsuffizienz werden häufig nicht optimal behandelt, obwohl sie ein sehr hohes Risiko
aufweisen. Die initiale Behandlung sollte wie bei jedem Patienten erfolgen (I B). Antikoagulanzien müssen
sorgfältig dosiert werden (I C). Bei einer Kreatinin-Clearance unter 60 ml/min ist das Risiko für weiter kardi-
ale Ereignisse hoch, deshalb sollte immer ein invasives Vorgehen angestrebt werden (IIa-B). Maßnahmen zur
Vorbeugung der kontrastmittelinduzierten Nephropathie müssen angewendet werden (I B).
14 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Eine Anämie ist ein unabhängiger Prädiktor für Komplikationen innerhalb der ersten 30 Tage nach ACS und
soll daher in der Risikostratifizierung berücksichtigt werden (I B). Besonders sollte auf die Vermeidung von
Blutungskomplikationen geachtet werden (I B). Die Indikation zu einer Bluttransfusion sollte sehr zurück-
1 haltend gestellt werden (I C).

LITERATUR
Bassand JP, Hamm CW, Ardissino D, et al. Guidelines for the diagnosis and treatment of non-ST-segment elevation acute
coronary syndromes. The Task Force for the Diagnosis and Treatment of Non-ST-Segment Elevation Acute Coronary Syn-
dromes of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 2007; 28(13): 1598–660.
Guidelines on myocardial revascularization. The Task Force on Myocardial Revascularization of the European Society of Car-
diology (ESC) and the European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS). Eur Heart J 2010; 31(20): 2501–55.
Hamm CW. Kommentar zu den Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) zur Diagnose und Therapie des akuten
Koronarsyndroms ohne ST-Strecken-Hebung (NSTE-ACS). Der Kardiologe 2009; 2: 81–100.

1.3  Stechende linksthorakale Schmerzen


Eva von Eckardstein-Thumb

KASUISTIK
35-jähriger Soldat, Raucher, stellt sich mit heftigen stechenden linksthorakalen Schmerzen vor, die sich bei tiefer Inspira-
tion verstärken. Er fühlt sich insgesamt matt und hat subfebrile Temperaturen.

Woran denken Sie differenzialdiagnostisch? Was tun Sie und in welcher


Reihenfolge?

Differenzialdiagnostisch denken Sie primär an eine Perikarditis/Myokarditis/Perimyokarditis oder einen


Myokardinfarkt, an eine Lungenembolie oder (Infarkt-)Pneumonie und (Begleit-)Pleuritis.
Sie veranlassen umgehend ein EKG, parallel erfolgen körperliche Untersuchung (JVD erhöht? peri-
phere Ödeme? pulmonale Stauung? HF, Auskultation, ggf. Oberkörper vorbeugen lassen, Luft anhalten,
am besten mit Membran des Stethoskops: Perikard- oder Pleura-Reiben?) Anamnese und Blutentnahme
(zumindest: BB, CRP, TNI, CK, D-Dimer, Elektrolyte, Nierenretentionswerte). Bei der Anamnese sind
insbesondere atherogene Risikofaktoren, zeitliche Entwicklung der Beschwerden, mögliche vorausge-
gangene grippale Erkrankung, schwere körperliche Anstrengung, Dyspnoe oder Belastungsdyspnoe
­abzufragen.

Der Patient gibt an, vor etwa 3 Wochen einen grippalen Infekt gehabt zu haben. Er sei zwar schnell wieder arbeitsfähig
gewesen, jedoch seither weniger gut belastbar. Außer Rauchen lägen keine atherogenen Risikofaktoren vor. Dyspnoe
oder Belastungsdyspnoe verneint er.
Körperliche Untersuchung: Guter Allgemein- und Ernährungszustand. BMI 23. RR 100/60 mmHg bds. Temperatur
38,8 °C (Ohr). JVD normal. Pulmo frei. Cor: regelmäßig, 68/min, deutliches Perikardreiben. Pulmo frei. Keine peripheren
Ödeme. Abdomen unauffällig. Periphere Pulse regelrecht tastbar. Unauffälliger neurologischer Status.
EKG (› Abb. 1.8):
1.3  Stechende linksthorakale Schmerzen 15

Abb. 1.8  SR, 80/min, LT. Angedeutete ST-Streckenhebungen in II, III, aVF, V5 und V6

Wie interpretieren Sie die ST-Streckenveränderungen?

Die ST-Hebungen können auf einen akuten Myokardinfarkt (inferolateral) oder eine Perimyokarditis
­hinweisen.

Wie verfahren Sie weiter?

Sie veranlassen ergänzend ein UKG: Normale globale Pumpfunktion. Bei mäßiger Schallbarkeit Hypokinesie
inferior. LV normal groß, normale Wanddicken. LA und RA gering vergrößert. RV normal groß. Aortenwurzel
normal weit. Klappen gering sklerosiert, regelrecht beweglich, kein Vitium. Kein Perikarderguss. VCI normal
weit, atemmoduliert.
16 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Wovon gehen Sie nun am ehesten aus?

Es sind weiterhin beide Differenzialdiagnosen möglich.


1 Bei einer Perimyokarditis kann eine diffuse, seltener auch eine regionale Pumpfunktionsstörung vorliegen;
häufig sieht man einen Perikarderguss. Letztlich schließt aber ein normaler UKG-Befund eine Perimyokardi-
tis nicht aus – ebenso wenig ein akutes Koronarsyndrom.
Da sich eine regionale inferiore Wandbewegungsstörung zeigt und die ST-Streckenveränderungen in II, III
und aVF am deutlichsten zu sehen sind, zudem ein atherogenes Risikoprofil mit Nikotinabusus (40 py) und
positiver Familienanamnese besteht, muss aus zeitlichen und prognostischen Gründen das Vorliegen eines
ST-Hebungsinfarkts bestätigt oder ausgeschlossen werden.

Wie gehen Sie weiter vor?

Der Patient hat Aspisol und 5000 IE Heparin sowie 4 mg Morphin i.v. erhalten und hat anhaltend Beschwer-
den, intermittierend jetzt auch thorakales Druckgefühl. Er erhält zusätzlich Clopidogrel (alternativ Prasugrel)
und es wird umgehend eine Herzkatheteruntersuchung veranlasst (› Kap. 1.1).

Herzkatheteruntersuchung: Ventrikulographie: (30° RAO und 60° LAO): umschriebene inferomediale Hypokinesie bei
normaler Globalfunktion.
Koronarangiographie: Relevante fixierte Stenosen der großen Kranzgefäße liegen nicht vor (die Wandbewegungsstö-
rung ist DD durch passageren Spasmus oder wahrscheinlicher durch eine Perimyokarditis zu erklären).

Können Sie noch etwas zur Differenzierung von ST-Streckenhebungen bei


akutem Myokardinfarkt versus akuter Perikarditis sagen?

Bei Perikarditis im Unterschied zu den EKG-Veränderungen beim akuten ST-Hebungsinfarkt: meist nicht
auf Vorderwand- oder Hinterwandableitungen beschränkt; keine reziproken ST-Streckenveränderungen;
ST-Hebungen beginnen in der Regel direkt am J-Punkt, kaum höher als 5 mm, meist konkave Form erhalten;
meist keine simultane T-Wellen Inversion.

Welchen EKG Befund erwarten Sie bei „early repolarisation“?

ST-Hebung im Bereich des J-Punkts, erhaltene normale Konfiguration, meist V3–V6.


Verhältnis ST-Hebung/T-Wellen-Amplitude in V6 (wenn > 0,24: akute Perikarditis; Klatsky et al. 2003).

Labor:
Kalium 3,7 mmol//l
Kreatinin 1,0 mmol/l
Harnstoff 37 mg/dl
Leukozyten 11/nl
Hämoglobin 14,2 g/dl
CK 77 mg/dl
TNI 0,898 μg/l
1.3  Stechende linksthorakale Schmerzen 17

CRP 90 mg/dl
D-Dimer < 0,190 μg/l (Normwert bis 190 μg/l)
1
Wir gehen nun von einer akuten Perimyokarditis aus.

Können Sie einen kurzen Überblick über die mögliche Ätiologie einer Perikarditis
geben? Was ist hier nahe liegend? Welche ergänzenden Untersuchungen sind
nun noch sinnvoll?

• I nfektiös
• V iren (Adeno-, Entero-, CMV, Influenza, Hepatitis B, HSV)
• B akterien (Tbc), Pilze.
• A utoreaktiv: Vaskulitiden, Kollagenosen, Systemerkrankungen
• B ei Erkrankungen angrenzender Organe: Myokardinfarkt, Pleuritis, Pneumonie
• E ndokrin: Urämie
• N eoplastisch (häufig Mamma-, Bronchialkarzinom, Melanom)
• T raumatisch
• U nklar.
Aufgrund der Anamnese ist am ehesten von viraler Genese auszugehen. Virale und idiopathische Ursachen
sind mit Abstand die häufigste Genese der akuten Perikarditis.
Additiv sollten eine Röntgen-Thorax-Untersuchung erfolgen (Infiltrate? Malignom?), Tuberkulose ausge-
schlossen werden, eine HIV-Serologie, ggf. auch ANA-Titer abgenommen sowie bei Fieber > 38,5 °C Blutkul-
turen gewonnen werden.
Es sollte eine Rhythmusüberwachung und ein Verlaufs-UKG erfolgen.

Im Langzeit-EKG wurden lediglich VES dokumentiert, aber keine komplexen ventrikulären Arrhythmien; kein Vorhofflimmern.
Verlaufs-UKG (3 Tage später, vor Entlassung):
Jetzt geringer zirkulärer Perikarderguss ohne Zeichen der hämodynamischen Relevanz.
Ansonsten unveränderter Befund.

Wie können Sie eine hämodynamische Wirksamkeit des Perikardergusses


beurteilen? Kennen Sie auch echokardiographische Kriterien?

Eine Perikardtamponade kann klinisch festgestellt werden: erhöhter JVD, Tachykardie, Dyspnoe; evtl.
Schocksymptome.
Echokardiographisch sollte der Perikarderguss in unterschiedlichen Schnittebenen beurteilt werden, eine
Bestimmung der maximalen Ergussbreite enddiastolisch mittels M-Mode in parasternaler langer Achse sollte
erfolgen. Die Einteilung der Ergussmenge in klein (< 10 mm), mittelgradig (10–20 mm) und groß (> 20 mm)
ist sinnvoll.
Echokardiographie bei Tamponade: „swinging heart“, Kompression, diastolischer Kollaps der rechten, ggf.
auch der linken Herzhöhlen. Lebervenenstauung, eingeschränkte Atemvariabilität der VCI. Im Doppler: ge-
steigerte respiratorische Variabilität im transmitralen Dopplerprofil (inspiratorischer Abfall der E-Wellen-
Geschwindigkeit > 25%), inspiratorische Zunahme der trikuspidalen Einstromgeschwindigkeiten (> 40%;
Buck et al. 2009; › Tab. 1.6).
In den ESC-Leitlinien werden Perikardergüsse nach der Horowitz-Klassifikation (› Abb. 1.9) eingeteilt:
18 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

EKG EKG

EN EN
P EP
P
A B

EKG EKG

EN EN
EP EP
P P
C1 C2

EKG EKG

EN EN
EP EP
P P
D E

Abb. 1.9  Horowitz-Klassifikation. Typ A: kein Erguss; Typ B: Erguss zwischen Perikard und Epikard (3–16 ml); Typ C1: Trennung
von Epikard und Perikard in Systole und Diastole (Erguss > 16 ml); Typ C2: Trennung von Epikard und Perikard in Systole und
Diastole mit abgeschwächter Perikardbewegung; Typ D: deutliche Trennung von Epikard und Perikard mit großem echofreiem
Raum; Typ E: Perikardverdickung (> 4 mm).

Tab. 1.6  Empfehlungen zur Diagnose der Perikardtamponade (nach: Guideline on the Diagnosis and Management
of Pericardial Diseases 2004)
Klinik erhöhter Venendruck, Hypotension. Pulsus paradoxus, Tachykardie, Dyspnoe oder Tachypnoe
ohne pulmonale Stauung
Prädisponierende Medikamente (Cyclosporin, Antikoagulanzien, Thrombolytika, etc), kurz zurückliegende Herz-
­Faktoren operation, Verweilkatheter, Thoraxtrauma, Malignität, Kollagenosen, Nierenversagen, Sepsis
EKG unauffällig oder unspezifisch verändert oder elektrisches Alternans. Bradykardie, elektromecha-
nische Entkoppelung (Endstadium)
Röntgen Thorax vergrößerter Herzschatten ohne pulmonale Stauung
UKG 2DE: diastolisches Kollabieren der freien RV-Wand, RA-Kollaps, LA und sehr selten LV-Kollaps,
„Pseudohypertrophie“ (diastolisch verdickte LV-Wand), weite VCI, fehlende Atemmodulation,
„swinging heart“
Doppler: inspiratorisch steigender Fluss über der TK, sinkender Fluss über MK. Verringerter systolischer
und diastolischer Fluss in den großen Venen bei Exspiration; Rückfluss bei atrialer Kontraktion erhöht
M-Mode-Farbdoppler: starke respirationsabhängige Fluktuation von Mitral- und Trikuspidalfluss
1.3  Stechende linksthorakale Schmerzen 19

Tab. 1.6  Empfehlungen zur Diagnose der Perikardtamponade (nach: Guideline on the Diagnosis and Management
of Pericardial Diseases 2004) (Forts.)
Herzkatheteruntersu- 1. Bestätigung der Diagnose und Quantifizierung des Ausmaßes der hämodynamischen Beein-
chung trächtigung (erhöhter RA-Druck, erhöhter intraperikardialer Druck – virtuell identisch mit RA- 1
Druck, RV mittdiastolischer Fluss erhöht und gleich dem RA und intraperikardialen Druck (keine
„dip-plateau“-Konfiguration). PA Druck leicht erhöht. PCWP erhöht und annähernd gleich dem
RA und intraperikardialen Druck. Systolischer LV- und aortaler Druck normal oder reduziert
2. Dokumentation der hämodynamischen Verbesserung nach Aspiration
3. Nachweis von koexistenten hämodynamischen Abnormalitäten (Herzinsuffizienz, Konstriktion,
pulmonale Hypertonie)
4. Nachweis von koexistenten kardiovaskulären Erkrankungen (KHK, KMP)
RV/LV-Angiographie Atrialer Kollaps und kleine hyperdyname Ventrikel
Koronarangiographie Koronarkompression diastolisch
CT Kein subepikardiales Fett entlang der Ventrikel sichtbar

Bei Ihrem Patienten liegt ein geringer zirkulärer Perikarderguss ohne hämo­dy­
namische Wirksamkeit vor. Im Labor sind die Entzündungszeichen mäßig er­höht,
die übrigen Werte sind unauffällig. Der Patient hat nach wie vor Be­schwer­den.
Was machen Sie therapeutisch?

Aspirin oder Ibuprofen ist bei viraler oder idiopathischer akuter Perikarditis wirksam; wenn nach einer
Woche darunter keine Beschwerdefreiheit erreicht wird, ist von einer anderen Genese auszugehen:
ESC-Guidelines 2004: 300–800 mg Ibuprofen alle 6–8 Stunden für Tage bis Wochen je nach Beschwerden.
Alternativ: 800 mg Aspirin alle 6–8 Stunden, ausschleichen je nach Befinden über 3–4 Wochen. Colchizin
(0,5–1 mg/d) als Monotherapie oder in Kombination mit NSAR (ESC-Guidelines 2004).
Glukokortikoide werden nur bei NSAR und Colchizin-refraktären Beschwerden gegeben und wenn eine
spezifische Ursache der Perikarditis ausgeschlossen werden konnte (ESC-Richtlinien: GK bei akuter Perikar-
ditis bei connective tissue disease, bei Autoimmun-Perikarditis und urämischer Perikarditis; empfohlen ist
dann eine Hochdosistherapie mit 1 mg/kg KG/d und rasches Ausschleichen).

Wie beraten Sie den Patienten? Ist eine stationäre Aufnahme und Weiter­
behandlung notwendig?

• K örperliche Schonung empfohlen


• M edikamentöse Therapie wie oben diskutiert
• S ehr gute Langzeitprognose bei akuter viraler oder idiopathischer Perikarditis. Tamponade ist eine ext-
rem seltenen Komplikation, der Patient sollte über damit verbundene Symptome aufgeklärt werden. Eine
konstriktive Perikarditis entwickelt sich in nur 1% der Fälle, kommt wesentlich häufiger bei Perikarditis
mit spezifischer Ätiologie vor.
• S ehr häufig kann die akute Perikarditis problemlos ambulant behandelt werden; klinische/ggf. laborchemi-
sche, elektrokardiographische und echokardiographische Kontrolluntersuchungen sind aber notwendig.
• H ochrisiko-Patienten sollten stationär behandelt werden (Imazio et al. 2004, 2007).
(Hoch-)Risikofaktoren:
• F ieber > 38 °C und Leukozytose
• E vtl. zu erwartende Tamponade bzw. großer Perikarderguss
• B estehende Immunsuppression
20 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

• V orbestehende orale Antikoagulation


• E rhöhte kardiale Markerenzyme, Perimyokarditis. (Die ESC-Guideline geht auf [klinische] Risikofaktoren
nicht ein!)
1
Nach 6 Wochen kommt der Patient zur vereinbarten echokardiographischen Verlaufskontrolle wieder; unter Einnahme
von Ibuprofen und Colchizin hatten sich die Beschwerden nach wenigen Tagen zurückgebildet, Nebenwirkungen hatte er
nicht beobachtet. Er hat die medikamentöse Therapie nach 3 Wochen beendet. Nun hat er seit ca. 1 Woche mehrfach
nach körperlicher Belastung wieder ähnliche Brustschmerzen wie vor 6 Wochen verspürt. Im UKG zeigt sich ein progre-
dienter, jetzt mäßiger zirkulärer Perikarderguss, nach wie vor ohne Zeichen der hämodynamischen Wirksamkeit.

Was liegt vor?

Ein Perikarditis-Rezidiv oder eine Persistenz.

Wie ist dieses Krankheitsbild definiert?

Bei der rezidivierenden Perikarditis treten nach Wochen bis Jahren, üblicherweise jedoch innerhalb von 20
Monaten nach dem Erstereignis wieder Symptome auf. Zwei Formen werden unterschieden: „intermittend
type“: symptomfreie Intervalle ohne Therapie und „incessant type“: Rückfall bei Absetzten der medikamen-
tösen Therapie. Etwa die Hälfte der betroffenen Patienten hat 1–2 Rezidive in ihrem Leben, es gibt aber auch
Verläufe über Jahrzehnte mit regelmäßigen Rezidiven. Insgesamt ist die Prognose gut; es gibt bei der rezidi-
vierenden idiopathischen Perikarditis keine Assoziation mit einer konstriktiven Perikarditis. Komplikatio-
nen (Tamponade) sind sehr selten.
In der CORE-Studie (Imazioi et al. 2005) wurden als Definition für die rezidivierende Perikarditis eine
dokumentierte akute Perikarditis und rezidivierende Symptome oder eine anhaltend aktive Perikarditis (Kri-
terien für ein Rezidiv: neuerliche Schmerzen und mindestens eines der folgenden Kriterien: Fieber, Peri-
kardreiben, EKG-Veränderungen, Perikarderguss im UKG, Leukozytose, beschleunigte BSG, erhöhtes CRP)
festgelegt. Die ESC-Leitlinien verweisen auf das diagnostische (und therapeutische) Vorgehen wie bei der
akuten Perikarditis (› Tab. 1.7):
Vorgehen laut Task Force on Pericardial Disease der ESC: Perikardioskopie (ESC Empfehlungsgrad IIa,
wenn man sonst nicht weiterkommt) und multiple epikardiale Biopsien entnehmen (Punktat: Lymphozyten/
Monozytenzahlen, Tbc, Borrelien, Chlamydien und andere pathogene Keime mittels PCR/Kulturen ausschlie-
ßen; Entzündungsaktivität epikardialer und myokardialer Biopsien; zytologische Untersuchung des Punktats
und der Biopsien; systemische und metabolische Ursachen und Urämie ausschließen). In den USA ist eine
pragmatischere, weniger intensive und invasive Herangehensweise üblich.

Wie lauten die therapeutischen Optionen und Empfehlungen?

• I buprofen, alternativ Acetylsalicylsäure wie bei akuter Perikarditis. Additiv Colchizin (vgl. CORE- und
COPE-Studie, s.o.).
• G
 lukokortikoide wenn möglich vermeiden, da Hinweise auf erhöhte Rezidivraten nach GK-Therapie vor-
liegen. Wenn notwendig: Hochdosistherapie empfohlen (ESC-Richtlinien) mit 1–1,5 mg/kg KG/d über
1 Monat, dann unter klinischen/laborchemischen Kontrollen langsam ausschleichen.
1.3  Stechende linksthorakale Schmerzen 21

Tab. 1.7  Diagnostisches Vorgehen bei akuter Perikarditis – Evidenzlevel B für alle Prozeduren (nach: Guideline
on the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases 2004)
Obligat (Indikation Klasse I)
Auskultation Perikardreiben 1
EKG Stadium I: anterior und inferior konkave ST-Streckenhebungen. PR-Senkungen
(gegensätzlich zu P-Wellen-Polarität)
Frühes St. II: ST-Strecken normalisiert, PR-Abweichung
Spätes St. II: T-Wellen-Abflachung und Inversion
St. III: generalisierte T-Negativierungen
St. IV: EKG wieder wie vor Perikarditis
UKG Perikardergüsse Typ B–D (Horowitz), Tamponadezeichen
Labor Infektparameter erhöht, Myokardmarker erhöht
RTX Von unauffällig bis „Bocksbeutel“-Herzschatten
Mandatorisch bei Tamponade (Indikation Klasse I), optional bei großen oder wiederkehrenden Ergüssen
oder wenn ­Ergebnisse bisher nicht schlüssig (Indikation Klasse IIa). Bei kleinen Ergüssen (Indikation
Klasse IIb)
Perikardiozentese und Drainage PCR und Histologie (zur Eingrenzung Infektion, Neoplasie)
Optional oder wenn vorausgehende Ergebnisse nicht schlüssig sind
CT Ergüsse, Peri- und Epikard
MR Ergüsse, Peri- und Epikard
Perikardioskopie, Perikardbiopsie Sicherung der Ätiologie

• A
 uch intraperikardiale GK-Gabe möglich, nebenwirkungsärmer; komplikationsreichere Applikationsform.
• A
 zathioprin, Cyclophosphamid, Methotrexat, i.v. Immunglobulin: hierzu gibt es nur wenige Daten.
Eine Perikardiozentese ist bei Tamponade lebensrettend (Evidenzlevel B, Klasse-I-Indikation) und indiziert
bei Perikardergüssen von echokardiographisch > 20 mm enddiastolisch. Bei kleineren Perikardergüssen ist
sie indiziert, wenn dies diagnostisch wichtig ist (laborchemische, mikrobiologische und pathologische Analy-
se des PE), die Komplikationsrate ist hier jedoch höher. Hinweis zur Patientenaufklärung: Wenn eine elektive
Perikardpunktion ohne unmittelbar verfügbare Herzchirurgie erfolgt, sollte auf diesen Umstand explizit hin-
gewiesen und dies auch dokumentiert werden.
Eine Aortendissektion ist die Hauptkontraindikation. Relative Kontraindikationen sind: unkorrigierte Ko-
agulopathie, Antikoagulationstherapie, Thrombozytopenie < 50.000/mm3, kleiner posteriorer PE, lokalisierte
Perikardergüsse. Das chirurgische Einbringen einer Drainage wird bei traumatischem Hämoperikard und pu-
rulenter Perikarditis bevorzugt (Guideline on the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases 2004).

LITERATUR
Buck T, Breithardt OA, Faber L, et al. Manual zur Indikation und Durchführung der Echokardiographie. Clin Res Cardiol
2009; Supplement 4:3.
Imazio M, Brucato A, Trinchero R, et al. Colchicine as first-choice therapy for recurrent pericarditis: results of the CORE .
(COlchicine for REcurrent pericarditis) trial. Arch Intern Med 2005; 165: 1987.
Imazio M, Brucato A, Trinchero R, et al. Day hospital treatment of acute pericarditis: a management program for outpatient
therapy. J A Coll Cardiol 2004; 43: 1042.
Imazio, M, Brucato A, Trinchero R, et al. Indicators for poor prognosis of acute pericarditis. Circ 2007; 115: 2739.
Klatsky AL, Oehm R, Cooper RA. The early repolarisation normal variant electrocardiogram: correlates and consequences.
Am J Med 2003; 115(3), 171–7.
Maisch B, Seforovic Peter M, Ristic Arsen D, et al. Guideline on the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases. EHJ
2004; 25: 587–610.
22 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

1.4  Akute Brustschmerzen


Andreas König

1 KASUISTIK
Ein 65-jähriger Patient wird vom Hausarzt zum Ausschluss eines akuten Koronarsyndroms in Ihre Notaufnahme überwie-
sen. Seit etwa drei Stunden verspürt er intermittierend stärkste Schmerzen in der Brustgegend mit Ausstrahlung in den
Rücken. Er habe in der Vergangenheit nie Probleme gehabt. Seit einigen Jahren ist ein hoher Blutdruck bekannt. Da er
nie Beschwerden hatte, habe er die empfohlene Medikation nicht eingenommen. Der Hausarzt informiert Sie, dass ihm
im EKG eine ST-Streckensenkung aufgefallen sei.
Der körperliche Untersuchungsbefund bei Aufnahme lautet: Größe: 170 cm, Gewicht: 76 kg, reduzierter Allgemein-
zustand. Keine Zyanose, keine Ödeme. Blutdruck initial 130/80 mmHg re. und 100/70 mmHg li., Herzfrequenz 55/min,
Atemfrequenz 12/min. Keine Jugularvenenstauung. Cor: 4⁄6-Systolikum und 2⁄6-Diastolikum über der Aorta. Pulmo: Klopf-
schall sonor, Vesikuläratmung ubiquitär. Abdomen, Wirbelsäule, Fußpulse und die orientierende neurologische Untersu-
chung sind unauffällig.

An welche Differenzialdiagnosen denken Sie?

• A kutes Koronarsyndrom, Aortendissektion


• P erikarditis, Refluxerkrankung
• P ankreatitis, muskuloskelettales Syndrom
• P leuritis, Lungenembolie.

Welches sind die ersten diagnostischen Schritte, die Sie durchführen?

Ein Ruhe-EKG, Laboranalyse zum Ausschluss eines akuten Koronarsyndroms.

Wie befunden Sie das folgende EKG (› Abb. 1.10)?

Abb. 1.10  EKG


1.4  Akute Brustschmerzen 23

Es zeigt sich ein Sinusrhythmus mit einer Herzfrequenz von 55/min; diskrete muldenförmige ST-Senkungen
in V5, V6 sowie diskrete Hebung in V1; EKG-Befunde bei Aortendissektion sind nicht spezifisch. Bei einem
Drittel der Patienten zeigen sich EKG-Veränderungen im Sinne einer linksventrikulären Hypertrophie. Bei
Verlegung einer Koronararterie durch ein Dissektionssegel können ST-Hebungen wie bei einem Myokardin- 1
farkt resultieren.

Am Monitor des Patienten sehen Sie einen Blutdruck von 80/60 mmHg re., HF: 55/min. Die Schmerzen des Patienten
persistieren. Die transthorakale Echokardiographie zeigt eine Dilatation (ca. 5 cm) der Aorta ascendens. Die Aortenklappe
selbst ist altersentsprechend und morphologisch unauffällig.

Welche Diagnose müssen Sie jetzt ausschließen, welche weiteren diagnostischen


Maßnahmen sind notwendig?

Akute Aorteninsuffizienz aufgrund einer Aortendissektion; diagnostisch stehen CT-Thorax, TEE und MRT
zur Verfügung. Die Auswahl der Bildgebung hängt von Kreislaufstabilität, Nierenfunktion, KM-Allergie und
Verfügbarkeit ab.
Methodenvergleich:
• T ransthorakale Echokardiographie: Beurteilung der proximalen Aorta ascendens möglich. Ausmaß der
Aorteninsuffizienz, Klappenmorphologie (Ursache) beurteilbar, Sensitivität: 80%, Spezifität: ca. 96%.
• T ransösophageale Echokardiographie: Sensitivität 89–99%, Spezifität 89%; schnelle Verfügbarkeit bei in-
stabilen Patienten.
• C T: Darstellung der gesamten Aorta bis in die Beckengefäße, genaue Lokalisierung und Ausdehnung.
Darstellung großer abgehender Gefäße sowie Diagnose der Organischämien möglich. Sensitivität 83–
94%, Spezifität 87–100%.
• M RT: Sensitivität und Spezifität höher als bei CT; Anfertigung einer MR-Aortographie möglich, jedoch
längere Untersuchungsdauer und geringere Verfügbarkeit.
• D SA: vorteilhaft zur Beurteilung der Organperfusion.
• K oronarangiographie: Der präoperative Einsatz zur Erhebung des Koronarstatus wird uneinheitlich beur-
teilt; Absprache mit dem Operateur wird empfohlen.

Nennen Sie die Ätiologie der akuten Aorteninsuffizienz

Bakterielle Endokarditis, Aortendissektion, Thoraxtrauma.

Welche sind die Risikofaktoren für eine thorakale Aortendissektion?

• E rhöhte Beanspruchung der Gefäßwand: arterielle Hypertonie, Phäochromozytom, Drogen (Kokain),


Dezeleration(-strauma).
• V
 eränderungen der Media:
– genetisch: Marfan-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom, bikuspide Aortenklappe, Turner-Syndrom,
familiäres thorakales Aortenaneurysma.
– Vaskulitis: Takayasu-, Riesenzell- und Behcet-Arteritis.
• S tattgehabte aortale Intervention (chirurgisch, Katheterverfahren).
24 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Abb. 1.11  CT-Aufnahmen

Was sehen Sie auf den CT-Aufnahmen (› Abb. 1.11)?

In den Bildausschnitten sieht man eine Dissektion


im Aortenbogen sowie in der Aorta descendens.
Diese beginnt anhand der Gesamtbefundung auf Proximal Distal
DeBakey I und II Proximal DeBakey IIIa und IIIb
der Höhe der Aortenklappe mit Ausdehnung bis in Stanford A Stanford B Stanford B
die Iliakalgefäße. Die supraaortalen Gefäße sind
ebenfalls betroffen. Der Truncus coeliacus, die A.
mesenterica superior und inferior sowie die Nieren-
arterien beidseits gehen vom wahren Lumen aus.
Aorta Aorten- Aorta
ascendens bogen descendens
und Aorten- und Aorta
Welche Klassifikation wird für die bogen descendens

Aortendissektionen verwendet und


welche Konsequenzen ergeben sich
daraus?

Die Stanford-Klassifikation (› Abb. 1.12):


Abb. 1.12  Einteilung der Aortendissektionen nach Stanford
• T yp-A-Dissektion (häufiger): Dissektion und DeBakey. Heute ist die Stanford-Klassifikation gebräuch-
von Aorta ascendens bis zum Aortenbogen, lich (modifiziert nach Guidelines for the Diagnosis and Manage-
­eventuell bis in die Iliakalgefäße. ment of Patients with Thoracic Aortic Disease 2010)
1.5  Belastungsabhängige Thoraxschmerzen 25

• T yp-B-Dissektion: Dissektion ist beschränkt auf die Aorta descendens (Eintritt ist distal der A. subclavia si-
nistra), eventuell bis in die Iliakalgefäße. Die Aorta ascendens und der Aortenbogen sind nicht betroffen.
Die akute Typ-A-Dissektion ist eine dringliche Operationsindikation. Die Typ-B-Dissektion kann primär
konservativ behandelt werden (Bettruhe, Blutdruckeinstellung). 1

Wie beurteilen Sie die Prognose der Aortendissektion?

• S tanford Typ-A-Dissektion: sehr schlecht. Bei konservativer Therapie Überlebensrate von 2% zwei Mona-
te nach Initialereignis
• S tanford Typ-B-Dissektion: Letalität bei konservativer Therapie niedriger als bei chirurgischer Therapie.
Die Stentbehandlung der akuten Aortendissektion ist Gegenstand laufender Studien.

Es erfolgt die umgehende Verlegung des Patienten in eine herzchirurgische Abteilung zur operativen Versorgung. Bei diesem
Krankheitsbild ist eine möglichst rasche Operation notwendig, da die Mortalität früh nach der Dissektion 1–2%/h beträgt!

LITERATUR
ACCF/AHA/AATS/ACR/ASA/SCA/SCAI/SIR/STS/SVM Guidelines for the Diagnosis and Management of Patients with Thoracic
Aortic Disease. J Am Coll Cardiol 2010; 55: 1509–44.
www.acc.org
www.americanheart.org

1.5  Belastungsabhängige Thoraxschmerzen


Andreas König

KASUISTIK
Es wird Ihnen ein 73-jähriger Patient ambulant überwiesen. Es besteht ein belastungsabhängiges Engegefühl über der
Brust sowie zunehmend Atemnot. Außerdem besteht eine Schwindelsymptomatik, jedoch keine Synkopen. An kardiovas-
kulären Risikofaktoren bestehen eine arterielle Hypertonie sowie eine Dyslipidämie.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Größe: 180 cm, Gewicht: 83 kg, guter AEZ, wach und orientiert. Keine Zyanose,
keine Ödeme. RR 160/80 mmHg, Herzfrequenz 65/min, unregelmäßig, Atemfrequenz: 12/min. keine Jugularvenenstau-
ung, Cor: Herztöne rein, raues 3⁄6-Systolikum über ICR III re. mit Fortleitung in die Karotiden; 1⁄6-Diastolikum; 1–2⁄6-Sys­
tolikum über dem Mitralareal. Pulmo: auskultatorisch und perkutorisch unauffällig. Abdomen und peripherer Pulsstatus
o.p.B. Sie ordnen ein 12-Kanal-EKG, Röntgen-Thorax sowie eine Echokardiographie an.

Welche sind die Differenzialdiagnosen nach Ausschluss eines akuten


Koronarsyndroms?

• V
 .a. hochgradige Aortenklappenstenose
• M
 itralklappeninsuffizienz.

Wie gehen Sie bei dem Patienten diagnostisch zunächst vor?

• L abor: Blutbild, Harnstoff, Kreatinin, Elektrolyte, Myokardmarker


26 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

• E KG: Linkshypertrophiezeichen? (Sokolow-Lyon-Index: SV1 + RV5 oder 6 > 3,5 mV), ST-Senkung,
­T-Negativierung
• R öntgen-Thorax: bei Dekompensation Linksherzverbreiterung, pulmonale Stauung
1 • E chokardiographie: Quantifizierung des Vitiums, kardiale Strukturen, Funktion.

Befunden Sie bitte das Aufnahme-EKG (Brustwandableitungen; › Abb. 1.13).

Abb. 1.13  EKG (Brustwandableitung)

Sinusrhythmus, Frequenz 56/min, Zeichen der linksventrikulären Hypertrophie (Sokolow-Index > 3,5 mV),
Erregungsrückbildungsstörungen.

Wie befunden Sie das folgende Röntgen-Thorax (› Abb. 1.14)?

Abb. 1.14  Röntgen-Thorax


1.5  Belastungsabhängige Thoraxschmerzen 27

Befund Röntgen-Thorax: Abgeflachtes Zwerchfell, Emphysemaspekt. Allseitige Herzvergrößerung mit prominenten


Hili. Aortenelongation und Aortensklerose. Unscharfe Gefäßzeichnung als Zeichen für eine akute pulmonalvenöse Stau-
ung. Basale Pleuraergüsse bds. Keine Atelektasen. Kein Pneumothorax. Kein frisches pneumonisches Infiltrat.
Befund Echokardiographie: Aortenwurzel normal weit (32 mm), Aorta ascendens normal weit. Aortenklappe: tri- 1
kuspid, verdickt, stark verkalkt, Öffnungsbewegung stark eingeschränkt, geringe, zentrale Insuffizienz. Spitzenflussge-
schwindigkeit: Vmax: 5,2 m/s, dpmax: 107 mmHg, dpmean: 57 mmHg, AÖF nach der Kontinuitätsgleichung: ca. 0,7 cm2. LV:
normale Größe (LVED: 55 mm, LVES: 28 mm), Wände mäßig verdickt mit septaler Betonung (IVS: 15 mm, LHW: 12 mm).
Systolische Globalfunktion normal, eher hyperkontraktil (FS: 49%). Keine reg. Kontraktionsstörungen. Diastolische Funk-
tionseinschränkung Grad 1. MK: geringe MK-Ringverkalkung, altersentsprechende Segel, Bewegung normal, geringe
Insuffizienz, keine Stenose. TK: altersentsprechend, Bewegung normal, physiologische Insuffizienz, dpmax RV/RA = 38 mmHg.

Was ist die häufigste Ätiologie einer Aortenklappenstenose?

Neben der bikuspiden Klappenanlage und der rheumatischen Aortenstenose liegt diesem häufigsten erwor-
benen Herzklappenfehler meist eine Degeneration und Verkalkung des Klappenapparats als Folge eines in-
flammatorischen, der Arteriosklerose ähnlichen Prozess zugrunde. Die Manifestation liegt zwischen der 6.
und 8. Dekade. Die Aortensklerose besteht bei ca. 25% der über 65-Jährigen. Sie ist assoziiert mit Alter,
männlichem Geschlecht, arterieller Hypertonie, Nikotinabusus, LDL- und Lp(a)-Spiegel und Diabetes
mellitus.

Erläutern Sie die Pathophysiologie und Evolution der Aortenklappenstenose

Die Entstehung einer relevanten Aortenklappenstenose verläuft gewöhnlich asymptomatisch über Jahrzehn-
te. Die hämodynamisch relevante Aortenstenose führt durch Zunahme der Wandspannung im linken Vent-
rikel zu einer konzentrischen Hypertrophie. Im Verlauf der Erkrankung kommt es nach Erschöpfung der
Kompensationsmechanismen zu einer Gefügedilatation mit Funktionseinschränkung, bedingt durch eine re-
duzierte Kontraktilität des linken Ventrikels oder die stark erhöhte Nachlast.
Mit der Entwicklung einer konzentrischen Hypertrophie kann der erhöhte intraventrikuläre Druck kom-
pensiert werden. Dies führt jedoch (auch ohne KHE) zu einer relativen Koronarinsuffizienz. Bei Belastung
oder tachykarden Rhythmusstörungen kann eine
subendokardiale Ischämie weiter begünstigt werden
und die systolische und diastolische Funktion des
Beginn der Mit Aorten-
linken Ventrikels beeinträchtigt werden. 100 Symptomatik klappenersatz
Während der langen Latenzzeit sind die Morbidi-
% Überleben

75
tät und Mortalität gering. Nach Entwicklung einer
mittelgradigen Stenose (Vmax < 3 m/s) muss jedoch 50 Asymptomatisches Ohne Aorten-
Stadium klappenersatz
mit einer jährlichen Progression gerechnet werden 25
(Erhöhung der Flussgeschwindigkeit um ca. 0,3 m/s
und des mittleren Druckgradienten um ca. 7 mmHg, 10 15 20 25 30 35 40
Reduktion der Klappenfläche um ca. 0,1 cm2). Alter (Jahre)
Auftretende Symptome (Angina pectoris, Synko-
Herzinsuffizienz
pe, Herzinsuffizienz) verändern die Prognose drama- Synkope
tisch (mittleres Überleben 2–3 Jahre) und triggern Angina pectoris
daher die Entscheidung zur Klappenintervention
(› Abb. 1.15). Abb. 1.15  Verlauf der Aortenstenose
28 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Wie beurteilen Sie den Stenosegrad, welche weitere Diagnostik ist erforderlich?

Hochgradig: KÖF <1,0 cm2; mittlerer Gradient > 40 mmHg; Jet-Geschwindigkeit > 4 m/sec.
1 Es liegt nach den hämodynamischen Parametern der Spitzenflussgeschwindigkeit über der Aortenklappe
(Vmax > 4 m/sec) eine hochgradige Aortenklappenstenose vor; die systolische Globalfunktion ist bei konzent-
rischer linksventrikulärer Hypertrophie gut erhalten. Damit sind die klinischen Beschwerden des Patienten
und das Klappenvitium gut vereinbar.

Beschreiben Sie anhand des Flussdiagramms (› Abb. 1.16) das weitere Vorgehen.

Schwere Aortenstenose
Herzchirugischer Vmax > 4 m/sec
Eingriff, z.B. CABG KÖF < 1,0 cm2
Mittlerer Gradient > 40 mmHg

Re-Evaluieren

ja nein
Symptomatik?

nicht eindeutig

normal
Belastungstest LV-Auswurffraktion?

Symptome < 50% normal


RR ↓

ja Schwere Verkalkung,
rasche Progression

Klasse-I- Klasse-I- Klasse-IIB- Klasse-I- Klasse-IIB-


nein
Empfehlung Empfehlung Empfehlung Empfehlung Empfehlung

Klin. Follow-up,
Aortenklappenersatz Risikofaktoren?
Jährlich UKG

Abb. 1.16  Strategie bei schwerer Aortenklappenstenose (nach AHA/ACC 2008)

Zur Planung der Klappenersatzoperation ist eine Herzkatheteruntersuchung vorgesehen.


Befund Herzkatheter: Die selektive Darstellung der linken Herzkranzarterie zeigt einen unauffälligen Hauptstamm. Der
Ramus descendens anterior zeigt proximal eine 50%ige und medial eine 50–75%ige Stenose. Der Ramus circumflexus
zeigt distal eine 50%ige Stenose. Die rechte Herzkranzarterie zeigt proximal eine subtotale Stenose.

Sie werden gefragt, welche Klappe (mechanische oder Bioklappe) am besten


geeignet ist?

• M
 echanischer AKE:
– bei vorbestehendem mechanischem Ersatz der Mitral- oder Trikuspidalklappe (Klasse I)
– bei Alter < 65 J., Antikoagulation möglich (Klasse IIa)
1.5  Belastungsabhängige Thoraxschmerzen 29

• B ioklappe:
– wenn Antikoagulation nicht möglich (Klasse I)
– bei Alter < 65 J., bei Patientenwunsch nach Risikoaufklärung (Klasse IIa)
– bei Alter > 65 J. ohne erhöhtes Thromboembolierisiko (Klasse IIa) 1
– bei Frauen mit Kinderwunsch (Klasse IIb).

Welche Medikamente sind bei einer manifesten Linksherzinsuffizienz aufgrund


einer schweren Aortenklappenstenose kontraindiziert?

ACE-Hemmer führen zu einer peripheren Vasodilatation, die bei schwerer Aortenklappenstenose nicht
durch eine Zunahme des Schlagvolumens kompensiert werden kann und somit zu einer ausgeprägten Hypo-
tonie führen kann. Neuere Studien zeigen, dass eine vorsichtige ACE-Hemmer-Therapie bei hypertensiven
Blutdruckwerten möglich ist.

Welche Befunde können Sie bei der körperlichen Untersuchung typischerweise


erheben?

• R aues, spindelförmiges Geräusch über Aorta und Erb mit Fortleitung in die Karotiden
• S chwirren über der Ausflussbahn
• H ebender Herzspitzenstoß
• P ulsus parvus et tardus
• E ventuell leiser 2. Herzton, paradoxe Spaltung.

Welche Therapie schlagen Sie dem Patienten bei der Aortenklappenstenose und
der koronaren Herzerkrankung vor?

Bei der hochgradigen symptomatischen Aortenklappenstenose und der koronaren Herzerkrankung ist eine
operative Therapie dringend indiziert (Aortenklappenersatz und Bypassversorgung).
Sobald eine Aortenklappenstenose Symptome verursacht, ist eine Operation aufgrund des dann sehr un-
günstigen natürlichen Verlaufs indiziert. Davon profitieren auch Patienten in hohem Lebensalter!
Dagegen haben Patienten mit asymptomatischer Aortenklappenstenose eine gute Prognose (nur 1–2% zei-
gen eine rasche Progression), sodass diese Patienten nur regelmäßig klinisch und echokardiographisch un-
tersucht werden sollten, um eine Progression rechtzeitig zu erkennen. Dabei ist der Druckgradient über der
Aortenklappe prädiktiv für die Entwicklung von Symptomen, d. h. je höher der Gradient, desto wahrschein-
licher das Auftreten von Symptomen.
Zusatzinformation: Zusammengefasst besteht für Patienten mit symptomatischer Aortenklappenstenose
eine eindeutige (Klasse I) Indikation zum Aortenklappenersatz, weiterhin für Patienten mit hochgradiger,
(noch) asymptomatischer Stenose, die sich einer Bypass-Operation oder anderen Klappenoperationen unter-
ziehen müssen.
Sogenannte Klappensprengungen (Valvuloplastie) haben bei der Aortenklappenstenose im Erwachsenen­
alter nur palliative Indikationen, da sowohl die Akut- als auch Langzeitergebnisse sehr schlecht sind.
30 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Wie schätzen Sie die Prognose nach Aortenklappenersatz ein?

• F rühletalität des elektiven Aortenklappenersatzes 2–8%, sehr hohes Operationsrisiko bei Notfalloperation
1 mit einer Letalität von 10–25%.
• E rhöhtes Operationsrisiko bei ausgeprägter Symptomatik (NYHA III, IV), eingeschränkter linksventriku-
lärer Funktion, begleitender koronarer Herzerkrankung, ventrikulären Arrhythmien, begleitender mittel-
schwerer bis schwerer Aorteninsuffizienz, hohem Lebensalter.
• D urchschnittliche perioperative Letalität bei kombiniert AKE/ACB: 5,5–6,8% (Society of Thoracic Surgeons).
• L angzeitprognose: Zehn-Jahres-Überlebensrate: 70%, 15-Jahres-Überlebensrate: 50%, bei begleitender
koronarer Herzkrankheit sowie pulmonaler Hypertonie (pulmonal-arterieller Druck > 30 mmHg) deut-
lich schlechtere Prognose.

Welche Kontrolluntersuchungen führen Sie als niedergelassener Kardiologe bei


bekannter, nicht operationspflichtiger Aortenklappenstenose durch?

Bei leichter asymptomatischer Stenose sind im Intervall von einem Jahr und bei höhergradiger, asymptoma-
tischer Stenose im Intervall von drei bis sechs Monaten folgende Kontrollen angezeigt:
• A namnese: Angina pectoris? Schwindel? Synkopen? Zeichen der Herzinsuffizienz?
• E chokardiographie, EKG
• K eine Endokarditisprophylaxe mehr.

Erläutern Sie die Bedeutung der demografischen Veränderung der Bevölkerung


für die Inzidenz und Therapie der Aortenklappenstenosen

Die degenerative kalzifizierte Aortenklappenstenose ist eine Erkrankung, die in der 6.–8. Dekade auftritt. Der
Anteil der älteren Bevölkerung (Octogenerians, > 80 J.) wird zunehmen; damit auch die Inzidenz der Aorten­
vitien. Die medikamentöse Therapie ist nicht effektiv und die Valvuloplastie hat nur palliativen Charakter; bei
symptomatischen Patienten muss daher ein Klappenersatz auch bei dieser Patientengruppe erwogen werden.
Patienten mit koronarer Herzerkrankung und reduzierter LV-Funktion haben eine eingeschränkte perioperati-
ve Prognose. Darüber hinaus spielt die erhöhte Komorbidität (maligne Erkrankungen, Insult) eine limitierende
Rolle; die operativen Komplikationen sind ebenfalls erhöht. Die kathetergeführte Aortenklappenimplantation
bietet hier ein neues Therapiekonzept für Patienten, die für einen Klappenersatz früher nicht in Betracht kamen.

LITERATUR
2008 Focused Update Incorporated into the ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients With Valvular Heart
Disease. Circulation 2008; 118: e523–e661 (Focus Update).
Kommentar zur Europäischen Leitlinie „Herzklappenerkrankungen“. Kardiologie 2009; 2: 101–7.

1.6  Brustschmerzen und Kollaps


Johannes Rieber

KASUISTIK
Eine 39-jährige Patientin bricht auf einem Platz in der Stadtmitte plötzlich zusammen. Durch Passanten wird der Rettungs-
dienst verständigt, der nach kurzer Zeit bei der Patientin eintrifft. Die Patientin ist ansprechbar, kreislaufstabil und wird
vom Rettungsdienst in die Notaufnahme gebracht.
1.6  Brustschmerzen und Kollaps 31

Die Patientin wirkt akut krank und berichtet, dass sie seit einiger Zeit häufiger Kopfschmerzen gehabt habe, gelegentlich
ein thorakales Druckgefühl verspürt habe, das jedoch unabhängig von Belastung gewesen sei. Wesentliche Vorerkran-
kungen werden verneint. An kardiovaskulären Risikofaktoren bestehe ein langjähriger Nikotinabusus (15 pack years),
eine Hypercholesterinämie sowie eine positive Familienanamnese. Der Vater der Patientin habe im Alter von 55 Jahren 1
einen Herzinfarkt erlitten.
Die derzeitige Medikamenteneinnahme beschränke sich auf orale Kontrazeptiva sowie häufiger Kopfschmerztabletten bei
„Migräneanfällen“.
Körperliche Untersuchung bei Aufnahme: 172 cm, 72 kg; Puls 120/min, regelmäßig. RR 220/120 mmHg, Jugularve-
nen gering gestaut. Regelrechter 1. und 2. HT, keine Extratöne. Keine vitientypischen Geräusche. Basal über beiden
Lungenflügeln beginnend feuchte Rasselgeräusche. Die übrige internistische und orientierende neurologische körperliche
Untersuchung war unauffällig.

Befunden Sie bitte das nachfolgende Ruhe-EKG (Extremitätenableitungen,


Brustwandableitungen) der Patientin bei Aufnahme (› Abb. 1.17).

Abb. 1.17  Ruhe-EKG (Extremitätenableitungen, Brustwandableitungen)

Es besteht SR. HF ca. 120/min. Deutliche ST-Streckenhebung über II, III, aVF sowie V3–V6, angedeutet auch
in I, V2.
EKG-Diagnose: ubiquitäre ST-Streckenhebungen, formal STEMI, DD Perimyokarditis.

Welche weitere Diagnostik würden Sie anordnen?

• L abor (CK, LDH, Troponin, Elektrolyte, Gerinnung, kleines BB, TSH, Krea, HN).
– Labor [Normwerte]: CK 262 [< 155] U/l; MB 19 [< 6]%; Troponin T 2,23 [< 0,010] ng/ml; Na 134
[135–145] mmol/l; K+ 4,6 [3,5–5,0] mmol/l Kreatinin 1,3 [0,5–1,3] mg/dl; TSH 4,45 [0,3–4,0] μU/l. Ge-
rinnung und kleines Blutbild normal.
• H
 erzkatheteruntersuchung.
32 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Wie würden Sie bei der Patientin zunächst vorgehen?

Monitorkontrolle, Sauerstoffgabe (2–4 l/min), Betablocker (z.B. Metoprolol 5 mg i.v. trotz der basalen Rassel-
1 geräusche wegen des ausgeprägten Hypertonus), ASS (250 mg. i.v.) Heparin (z.B. 5000 IE), Clopidogrel/Pra-
sugrel (loading dose 600/60 mg). Kontrolle der Vitalparameter, Vorbereitung zur HK-Untersuchung.

Im weiteren Verlauf verschlechtert sich die Patientin respiratorisch. Die Sauerstoffsättigung (transkutan gemessen) beträgt
82% und die Patientin erschöpft sich respiratorisch (AF 30 min). Die Blutgasanalyse ergibt folgende Werte: pO2 53 mmHg
pCO2 25 mmHg. Trotz der Betablockergabe bleibt der Blutdruck unverändert hoch (RR 240/120 mmHg).

Welches sind Ihre weiteren Schritte bei der Patientin?

• I ntubation.
• M edikamentöse Blutdrucksenkung:
– Urapidil (z. B. Ebrantil) initial 12,5 mg i.v.
– Nitroglyzerin z. B. 50 mg/50 ml, 0,5–5 mg/h über Perfusor
– Clonidin (z. B. Catapresan) 0,045 mg/ml, Perfusor 0,9–2,7 mg/h
– Metoprolol (z.B. Beloc) 5 mg i.v.; Enalapril (z. B. Xanef) 1,25–5 mg i.v. oder Dihydralazin
(z. B. Nepresol) 6,25–12,5 mg langsam i.v.

Nach Intubation und Gabe von nochmals 5 mg Metoprolol sowie 25 mg Urapidil lässt sich der Blutdruck auf 180/100
senken. Die Patientin lässt sich mit 40% Sauerstoff bei einer AF von 14/min, PEEP von 8 mbar und AMV von 7,5 l gut
beatmen. Die BGA ergibt Werte von pO2 135 mmHg pCO2 35 mmHg.

Was veranlassen Sie als nächstes?

Die Durchführung der Herzkatheteruntersuchung.

In der durchgeführten Herzkatheteruntersuchung stellen sich die Koronararterien


wie folgt dar (› Abb. 1.18). Beschreiben Sie bitten den Koronarbefund.

Abb. 1.18  Herzkatheteruntersuchung (links LCA, rechts RCA)


1.6  Brustschmerzen und Kollaps 33

Es zeigt sich eine normale rechte und linke Herzkranzarterie mit TIMI-III-Fluss. Relevante Stenosen oder
Verschlüsse der Koronararterien lassen sich nicht finden. Kein Hinweis auf Plaqueruptur, Spasmus oder dis-
tale Embolisation.
1

Sie führen nun ebenfalls noch eine Lävokardiographie durch. In › Abbildung 1.19
ist der Ventrikel in Diastole und Systole dargestellt. Bitte beschreiben Sie den
Befund.

Abb. 1.19  Lävokardiographie (links Diastole, rechts Systole)

Es zeigt sich eine global eingeschränkte linksventrikuläre Funktion. Zudem zeigen sich regionale Kontrakti-
onsstörungen. Die basalen Anteile des Ventrikels weisen eine normale bis hyperkontraktile Funktion auf. Die
apikalen Anteile sind deutlich hypokontraktil. Hieraus resultiert ein sog. „apikal ballooning“.

Erklärt der Befund der Koronarangiographie die Funktion des linken Ventrikels?

Nein; nachdem keine relevanten Stenosen oder Verschlüsse im Bereich der Koronararterien vorhanden sind,
scheidet eine koronare Herzerkrankung als Ursache für diese LV-Funktionsstörung aus.

Welche möglichen Ursachen für eine akute Einschränkung der LV-Funktion fallen
Ihnen ein?

Akute Virusmyokarditis, toxische Schädigung, Z.n. Koronarembolie, akute Klappeninsuffizienz.

Ist die Symptomatik dieser Patientin typisch für eine der genannten Ursachen?

Nein, die üblichen Formen der Kardiomyopathie führen typischerweise zu einer globalen Einschränkung der
LV-Funktion ohne deutlich ausgeprägte regionale Kontraktionsunterschiede.
34 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Welche Ursache fällt Ihnen für diese Symptomkombination ein?

Dieser Symptomkomplex aus Tachykardie, hypertensiver Kreislaufdysregulation, ST-Hebungen und apikal


1 betonter Einschränkung der linksventrikulären Funktion ist typisch für eine katecholaminbedingte Kardio-
myopathie.

Nennen Sie mögliche Ursachen für eine katecholaminbedingte Kardiomyopathie

• Z entrale Regulationsstörung, z.B. im Rahmen eines Schädel-Hirn-Traumas


• K atecholamin-produzierender Tumor (z.B. Phäochromozytom)
• P sychogene Ursache, „sog. Tako-Tsubo“-Kardiomyopathie: Dies ist eine Erkrankung, die nach schweren
emotional belastenden Ereignissen beschrieben wurde (Tod eines nahen Angehörigen, Autounfall, Ge-
richtsverhandlung o.Ä.) und typischerweise mit der Kombination aus ST-Hebungen im EKG und einer
apikal betonten Hypo- bis Akinesie des linken Ventrikels besteht. Die daraus resultierende Form des lin-
ken Ventrikels während der Systole ähnelt einer japanischen Tintenfischfalle, wonach die Krankheit be-
nannt wurde („Tako-Tsubo“ = [jap.] Tintenfischfalle).

Welche weiteren diagnostischen Schritte leiten Sie bei der Patientin ein?

• A
 bnahme der Katecholamine im Urin und Blut. Hier zeigten sich deutlich erhöhte Werte für Metanephri-
ne, Adrenalin und Noradrenalin im Blut sowie im Urin.
• B ildgebende Diagnostik: Oberbauchsonographie/CT-Abdomen (› Abb. 1.20). Bei der Patientin fand
sich eine ca. 5 × 6 cm große Raumforderung im Bereich der linken Nebenniere mit zentraler Einschmel-
zung.

Abb. 1.20  CT-Abdomen


1.7  Belastungsabhängige Atemnot und Brustschmerzen 35

Welche weitergehende Therapie schlagen Sie vor?

• M
 edikamentöse Stabilisierung: Alphablocker (z.B. Phenoxybenzamin) und danach Betablockade (z.B.
Bisoprolol) 1
• O perative Entfernung des Phäochromozytoms
• C ave: MEN II (a: C-Zell-Karzinom der Schilddrüse, Phäochromozytom, primärer Hyperparathyreoidis-
mus , ± b: Ganglionneuromatose, marfanoider Wuchs).

Wie lautet die Prognose der katecholaminbedingten Kardiomyopathie?

Die Prognose der Patienten ist ausgesprochen gut. Nahezu alle Patienten erholen sich nach Wegfall des pa-
thologischen Agens. Die Ventrikelfunktion ist innerhalb weniger Wochen wieder komplett normalisiert. Der
genaue pathophysiologische Zusammenhang, der zur Kontraktionsstörung führt, ist noch nicht geklärt. Die
Katecholamine sollen jedoch entweder über multiple Vasospasmen der epikardialen Koronararterien, Spas-
men der myokardialen Mikrozirkulation oder über eine direkte toxische Wirkung auf das Myokard zur
transi­torischen Wandbewegungsstörung führen. Das apikale Myokard soll offenbar auch sensibler auf die
Katecholaminwirkung reagieren als die basalen Abschnitte, weshalb es zu dieser typischen apikalen Ballonie-
rung kommt.

Was hätte Sie bei der Betrachtung des EKGs misstrauisch werden lassen können?

Das EKG zeigt ubiquitäre ST-Streckenhebungen, die mehr als einem Koronarversorgungsgebiet zugeordnet
werden können (Hebungen sowohl über der Hinterwand wie auch über der Vorderwand).

LITERATUR
Kurisu S, Sato H, Kawagoe T, et al. Tako-tsubo-like left ventricular dysfunction with ST-segment elevation: a novel cardiac
syndrome mimicking acute myocardial. Am Heart J. 2002; 143(3): 448–55.
Prasad A, Lerman A, Rihal CS. Apical ballooning syndrome (Tako-Tsubo or stress cardiomyopathy): a mimic of acute myo-
cardial infarction. Am Heart J. 2008; 155(3): 408–17.
Tsuchihashi K, Ueshima K, Uchida T, et al. Transient left ventricular apical ballooning without coronary artery stenosis; a no-
vel heart syndrome mimicking acute myocardial infarction. J Am Coll Cardiol 2001; 38: 11–8.
Wilkenfeld C, Cohen M, Lansman SL, et al. Heart transplantation for end-stage cardiomyopathy caused by an occult pheo-
chromocytoma. J Heart Lung Transplant 1992; 11: 363–6.

1.7  Belastungsabhängige Atemnot und Brustschmerzen


Ralph Hein

KASUISTIK
Ein 78-jähriger Patient stellt sich mit belastungsabhängiger Atemnot verbunden mit leichtem retrosternalen Druck in der
Ambulanz vor. Die Symptomatik bestehe schon seit ca. 8 Monaten und werde einfach nicht besser. Nach einem Stockwerk
gehe ihm die Luft aus, nach kurzer Ruhephase bessert sich die Symptomatik wieder. Eine abrupte Verschlechterung gab
es nicht. Die letzte kardiologische Vorstellung sei schon länger her. 1985 habe er einmal stundenlang Schmerzen in der
Herzgegend, verbunden mit Angst und Schweißausbrüchen, gehabt und sei deshalb vorübergehend nicht mehr Auto
gefahren. 1993 wurde ihm im Rahmen einer Magenspiegelung gesagt, dass er wahrscheinlich einmal einen Hinterwand-
infarkt durchgemacht habe. Nykturie (2–3 × pro Nacht).
36 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Vorerkrankungen: Diabetes mellitus Typ II (seit ∼ 30 Jahren), arterielle Hypertonie (seit ∼ 25 Jahren), Adipositas Grad
II (BMI 35), chronische Niereninsuffizienz Grad III (GRF 30–60 ml/min), Aortenklappenstenose Grad I.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Guter AZ und adipöser EZ. RR 140/85 mmHg, Puls 80/min. Jugularvenen nicht
1 adäquat beurteilbar. Cor: regelmäßig, 2⁄6 -Systolikum p.m. Aortenklappe. Pulmo: VA, AF 18/min, mittel-hochfrequente RG
in den basalen Lungenabschnitten bds. Abdomen unauffällig. Orientierende neurologische Untersuchung unauffällig.
Unterschenkelödeme bds., keine Stauungsdermatose.
Aktuelle Medikation: ASS 100 mg/d, Captopril 25 mg/d, Propranolol 40 mg/d, HCT 25 mg/d, Metformin 1000 mg/d.

Bitte befunden Sie folgendes EKG (› Abb. 1.21).

Abb. 1.21  EKG

Auswertung: Sinusrhythmus, HF 80/min, am ehesten S1Q3-Typ, AV-Block I.°, breites Q in III, q in II, aVF,
inadäquate R-Progression V1-4, um maximal 0,1  mV gesenkte ST-Strecken in II, V5,6, deszendierende ST-
Strecken in II, III, AVF, V5,6 mit präterminal negativer T-Welle , S-Zacken bis V6.
Interpretation: AV-Block I.°, alter inferiorer Infarkt möglich, unspezifische Erregungsrückbildungsstörun-
gen inferolateral.

Wie gehen Sie weiter vor?

Bei auffälligem EKG, Herzinsuffizienzsymptomen, Vitien-verdächtigem Geräusch sowie KHK-indikativer


Anamnese ist zunächst ein nicht-invasives bildgebendes Verfahren in Form eines UKG indiziert (http://
www.khk.versorgungsleitlinien.de).
1.7  Belastungsabhängige Atemnot und Brustschmerzen 37

UKG: Hypokinesie im Bereich der Vorder- und Hinterseitenwand, Akinesie der basal-mitt-inferioren Wandabschnitte.
Hochgradige Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion. Normale Wanddicken. Aortenklappensklerose ohne
relevanten Gradienten. Hinweis auf diastolische Dysfunktion. Linker Ventrikel und linker Vorhof deutlich erweitert. Rech-
te Herzhöhlen grenzwertig weit, leichte Trikuspidalklappeninsuffizienz mit einem dpmax von 28 mmHg. 1

Wie gehen Sie weiter vor?

Gemäß Nationaler Versorgungsleitline „Chronische KHK“ kann eine Herzkatheteruntersuchung bei Hoch­
risikopatienten (Vortestwahrscheinlichkeit > 90%) auch ohne zuvorige nicht-invasive Ischämietestung
durchgeführt werden (Patel et al. 2009). Im aktuellen Fall liegt eine erheblich Risikokonstellation in Form
einer hochgradig eingeschränkten Pumpfunktion bei deutlichen regionalen Wandbewegungsstörungen in
Ruhe sowie der Risikofaktor Diabetes mellitus vor. Es wird direkt eine Koronarangiographie geplant.

Was müssen Sie vor der Herzkatheteruntersuchung beachten?

Der Patient muss über die Indikation, das Verfahren selbst und mögliche assoziierte Komplikationen aufge-
klärt werden. Nephrotoxische Medikamente (Metformin, Aminoglykoside, Vancomycin, NSAR, Diuretika)
sollten pausiert werden (min. 24 h vor Intervention, besser 48 h). In vorliegendem Fall sollte die Metformin-
Therapie ohnehin beendet werden (Kontraindikationen: Niereninsuffizienz mit GFR < 60 ml/min, Herzinsuf-
fizienz ab NYHA III). Zur weiteren Prophylaxe einer kontrastmittelinduzierten Nephropathie sollte eine pati-
entenadjustierte Hydrierung, z.B. mit 0,9% Natriumchlorid-Lösung (NaCl) am Vor- und Untersuchungstag
stattfinden. Man kann auch Acetylcystein (2 × täglich 600 mg Acetylcystein am Vor- und Untersuchungstag)
applizieren. Effektive prophylaktische Wirkung zeigte auch die zusätzliche Verwendung einer isotonischen
Natriumbikarbonat-Lösung (eine Stunde vor der Untersuchung mit 3 ml/kg KG pro Stunde sowie über
6 Stunden nach Kontrastmittel-Applikation mit 1 ml/kg KG pro Stunde).
Auch Schilddrüsenerkrankungen sollten erfragt werden; routinemäßig muss der basale TSH-Wert vor der
Untersuchung kontrolliert werden.

Wie gehen Sie generell bei Verdacht auf eine Thyreopathie vor?

Tab. 1.8  Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf Thyreopathie (nach Fricke et al. 2004)
Laborchemisch Euthyreose, anamnestisch/klinisch Hinweis auf Struma nodosa:
→ Schilddrüsen-Sonographie → bei Knotenstruma:
• Ausschluss fokale Autonomie durch 99mTc-SD-Szintigramm
• Szintigramm nicht durchführbar: Perchlorat-Prophylaxe (PP)

Laborchemisch erniedrigtes TSH, periphere Euthyreose:


• KM-Untersuchung nicht dringlich → zunächst endokrinologische Abklärung
• KM-Untersuchung dringlich → 99mTc-SD-Szintigramm:
– Technetium-Uptake < 1%, autonomes Volumen < 5 ml: keine Prophylaxe
– Technetium-Uptake > 1%:
– autonomes Volumen < 5 ml → PP
– autonomes Volumen 5–10 ml → PP + 20 mg/d Thiamazol über 7 Tage
– autonomes Volumen > 10 ml → PP + Thiamazol mit 2 × 20–3 × 20 mg/d während der ersten Woche und
20 mg/d in der 2. Woche
– Szintigramm nicht durchführbar:
– Perchlorat-Prophylaxe + 20 mg/d Thiamazol für 2 Wochen
38 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Tab. 1.8  Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf Thyreopathie (nach Fricke et al. 2004) (Forts.)
Manifeste Hyperthyreose:
• Indikation überdenken, KM-Gabe kontraindiziert
1 • vitale Indikation:
– Perchlorat-Prophylaxe und weitere thyreostatische Therapie
– → Dosierung nach Stoffwechsellage, Rücksprache mit Endokrinologie
– postinterventionell (innerhalb 2 Wochen) ggf. operative Sanierung der Schilddrüse
Perchlorat-Prophylaxe (= Irenat: 1 ml = 15 gtt. = 344,2 mg):
• initial (ideal: 4 Stunden vor KM-Exposition): 45 gtt. Perchlorat-Lösung
• Standard-Therapie: 3 × 15 gtt. bis 3 × 20 gtt. für 14 Tage

Herzkatheteruntersuchung (› Abb. 1.22, › Abb. 1.23): Der Hauptstamm hat distal eine 50%ige Stenose. Der Ramus
interventricularis anterior ist proximal verschlossen. Der erste Diagonalast ist zu 90% stenosiert. Der Ramus circumflexus
hat proximal eine exzentische 90%ige Stenose. Die kräftigen Marginaläste sind mittel-hochgradig stenosiert. Retrograde
Darstellung der peripheren rechten Kranzarterie, die proximal verschlossen ist. Schwergradige linksventrikuläre Dysfunk-
tion (LVEF 25%). LVEDP 29 mmHg.

Abb. 1.23  LAO-Darstellung der rechten Koronararterie mit


o.g. Befund
Abb. 1.22  RAO-Darstellung der linken Koronararterie mit o.g.
Befund

Würden Sie die Angina als stabil oder instabil bezeichnen?

Anamnestisch ist bei dem Patienten die Einteilung der Canadian Cardiovascular Society (CCS) bei Patienten mit
stabiler koronarer Gefäßerkrankung am zutreffendsten. Da die Beschwerden zu einer erheblichen Einschränkung
der körperlichen Aktivität führen, besteht Angina pectoris der CCS-Klasse III. In vorliegendem Fall muss aller-
dings auch an eine mögliche Kupierung typischer Angina-pectoris-Symptomatik durch den langjährig bestehen-
den Diabetes gedacht werden.
1.7  Belastungsabhängige Atemnot und Brustschmerzen 39

Welchen Score können Sie zusätzlich zur Evaluierung der Therapie bei Patienten
mit stabiler KHK heranziehen?
MACCE nach SYNTAX-Score 33+
Mittels SYNTAX-Score können die 2-Jahres-MACCE- 1

Monate seit Behandlung


40
Raten sowohl für die Bypass- als auch für die katheter- 28,2 %
interventionelle Therapie der koronaren Herzerkran-
kung errechnet und somit direkt verglichen werden. 20 15,4%
Speziell bei komplexen Koronarbefunden kann und
sollte dieser Score zur Therapieentscheidung herange- 0
zogen werden (http://www.syntaxscore.com). 0 12 24
Ereignisrate (%)
Der SYNTAX-Score bei dem Patienten beträgt
62,5. Sie sehen (›  Abb. 1.24) die entsprechenden SYNTAX-Score P < 0.001
prädiktiven Ereignisraten (MACCE = Major Adverse CABG 41.5 ± 7.1 CABG (n = 315)
PCI 41.7 ± 7.8 PCI (n = 290)
Cardiac and Cerebrovascular Events) des Patienten
über die nächsten zwei Jahre in Abhängigkeit der ge- Abb. 1.24  Auswertung des SYNTAX-Score-Systems. Darstel-
wählten Revaskularisationstechnik. lung der 24-Monats-MACCE-Ereignisrate in Abhängigkeit von
der gewählten Revaskularisationstherapie

Sie kennen nun die MACCE-Ereignisrate für den Patienten im Fall einer avisierten
Katheterintervention oder Bypass-Operation. Welche Prognose hätte der Patient
ohne Intervention?

Um einen Richtwert zu erhalten, wie die Prognose von Patienten mit stabiler Angina pectoris ist, gibt es zahl-
reiche Score-Systeme oder Überlebenstabellen. In der Nationalen Versorgungsleitlinie „Chronische KHK“
wird z.B. ein Score-Modell aufgeführt, das die zu erwartende Wahrscheinlichkeit für Myokardinfarkt oder
Tod innerhalb der nächsten 12 Monate errechnet (http://www.khk.versorgungsleitlinien.de) (Anm.: Wert im
vorliegenden Fall = 23%). Das Ergebnis wird hierbei anhand verschiedener Risikofaktoren, wie z.B. linksven-
trikuläre Dysfunktion, Dauer der Beschwerden oder Stärke der Angina pectoris, festgemacht.

Für welche Therapie würden Sie sich nun entscheiden?

In der Zusammenschau der Befunde ist klar eine operative Therapieempfehlung auszusprechen. Gründe
hierfür sind:
• M ehrgefäßerkrankung mit hochgradigen proximalen Stenosen und Hauptstammbeteiligung sowie links-
ventrikulärer Dysfunktion.
• S YNTAX-Score > 33 bedeutet operative Therapie.
Bei o.g. Entitäten ist die Bypass-Operation der PCI und der konservativen Therapie in Bezug auf Überleben,
MACCE und Lebensqualität überlegen.

Was halten Sie davon, vor der Operation eine Vitalitätsdiagnostik durchzuführen?

Eine Vitalitätsdiagnostik, wie z.B. die Szintigraphie, eine Stress-Echokardiographie oder eine Stress-MRT,
wird insbesondere bei Patienten mit stabiler chronischer KHK, myokardialer Dysfunktion und Luftnot als
Hauptsymptom empfohlen (http://www.khk.versorgungsleitlinien.de). Es könnte also eine Vitalitätsdiagnos-
tik zur Evaluation einer adjustierten Bypassversorgung bei diesem Patienten stattfinden. Dies erhöht jedoch
nur theoretisch die Qualität der Diagnostik. Praktisch ist die Bypassversorgung stark vom angiographischen
Koronarbefund und der Anastomosierbarkeit des Gefäßsystems abhängig.
40 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Tab. 1.9  Empfehlungen zur Revaskularisationstherapie bei Patienten mit stabiler Angina pectoris (Fox et al. 2006)
Indikation Bzgl. Bzgl. Studien
Prognose a Symptome b
1 Perkutane Koronarintervention
Angina CCS-Klassifikation I–IV trotz medikamentöser Therapie IA ACME, MASS
• Koronare Eingefäßerkrankung

Angina CCS-Klassifikation I–IV trotz medikamentöser Therapie IA RITA 2,


• Mehrgefäßerkrankung (Nicht-Diabetiker) VA-ACME
Stabile Angina mit minimalen Symptomen (CCS I) unter IIbC ACIP
Medikation
• Ein- und Mehrgefäßerkrankung und objektiver Nachweis
einer großen Ischämie
Bypassoperation
Angina und Hauptstammstenose IA IA CASS, ECSS,
VA-Study, Yusef
­Metaanalyse
Angina und Dreigefäßerkrankung mit objektivem Nachweis einer IA IA
großen Ischämie
Angina und Dreigefäßerkrankung mit schlechter LV-Funktion IA IA
Angina mit Zwei- oder Dreigefäßerkrankung einschließlich IA IA
schwerer Erkrankung der proximalen LAD
Angina CCS-Klassifikation I–IV mit Mehrgefäßerkrankung IIaB IB BARI, GABI, ERACI-I,
(Diabetiker) SoS, ARTs, Yusef et
al., Hoffman et al.
Angina CCS-Klassifikation I–IV mit Mehrgefäßerkrankung IA
(Nicht-Diabetiker)
Angina CCS-Klassifikation I–IV trotz medikamentöser Therapie IB MASS
Koronare Eingefäßerkrankung mit schwerer Erkrankung der
proximalen LAD
Angina CCS-Klassifikation I–IV trotz medikamentöser Therapie IIbB
Koronare Eingefäßerkrankung ohne schwere Erkrankung der
proximalen LAD
Angina mit minimalen Symptomen (CCS I) unter Medikation IIbC ACIP
Ein- und Mehrgefäßerkrankung und objektivem Nachweis einer
großen Ischämie
a
Bezieht sich auf Mortalität, kardiale oder kardiovaskuläre Mortalität, oder Mortalität in Kombination mit Myokardinfarkt.
b
Bezieht sich auf Veränderung der Angina-Klassifikation, Belastungszeit, Zeit bis zum Auftreten von Angina während der Be-
lastungsuntersuchung, Hospitalisierung wegen Angina, oder anderer Parameter der funktionalen Kapazität oder Lebensqua-
lität.

Der Patient erhält eine Bypass-Versorgung des großen Ramus-circumflexus-


Endastsystems, der peripheren rechten Kranzarterie sowie des Ramus diagonalis.
Was gilt es nach Operation des Patienten zu beachten?

Vordringliches Ziel ist es eine optimale Einstellung der Risikofaktoren, um somit eine adäquate Prävention
kardiovaskulärer (Zweit-)Ereignisse zu erwirken. Die jeweiligen Ziele des Risikofaktorenmanagements sind
Gegenstand andauernder Forschung; es existieren Leitlinien unterschiedlicher Fachgesellschaften diesbezüg-
1.7  Belastungsabhängige Atemnot und Brustschmerzen 41

Tab. 1.10  Risikofaktorenmangement adaptiert nach Nationaler Versorgungsleitlinie „Chronische KHK“


Risikofaktor Empfehlung
Rauchen Beendigung
1
Arterielle Hypertonie mit Diabetes < 130/80 mmHg
ohne Diabetes < 130/85 mmHg
Diabetes HbA1c < 7,0% d. gesamt Hb
Nüchtern Gesamtcholesterin < 200 mg/dl
LDL-Cholesterin < 100 mg/dl bzw. < 60–85 mg/dl*
HDL-Cholesterin > 40 mg/dl
Triglyzeride < 150 mg/dl
Körperliche Aktivität min. 5 mal pro Woche 30–45 Minuten Bewegung bei
40–60% der maximalen Leistungsfähigkeit
Übergewicht BMI 25–27 Gewichtsabnahme BMI < 25
BMI > 27 10% Gewichtsabnahme in 6 Monaten
*  gemäß Protokoll zur Courage-Studie

lich (Graham et al. 2007). Der Trend in aktuellen Studien deutet auf eine striktere Einstellung von LDL-Cho-
lesterin und Blutdruckwerten hin, insbesondere bei Diabetikern mit KHK (› Tab. 1.10).
Weiter sollte eine optimale medikamentöse Behandlung der schweren Herzinsuffizienz gewährleistet sein.
Es sollten regelmäßige echokardiographische Nachuntersuchungen folgen, um schließlich über die Indikati-
on einer ICD-Implantation zu entscheiden.

Welche Medikamente werden zur anti-ischämischen Therapie bei Patienten


mit stabiler KHK verwendet?

Hierzu werden hauptsächlich Nitrate, β-Blocker und Kalziumantagonisten, aber auch neuere Substanzen
wie Ivabradin (Sinuskonten-Modulator) verwendet (Fox et al. 2006). Ranolazin ist bislang nur bei chro-
nisch rezidivierender Angina pectoris, die auf die konventionelle Therapie nicht anspricht, zugelassen
(› Abb. 1.25).
• N itrate: Senkung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs durch Nach- und Vorlastsenkung. Hierdurch
Kupierung akuter Angina pectoris-Anfälle bei Patienten mit stabiler KHK. Kein Einfluss auf die Prognose
(Empfehlungsgrad IC).
• β -Blocker: Senkung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs durch Hemmung der Katecholaminwirkung
auf Herzfrequenz, Kontraktilität und Blutdruck. Hierdurch Verminderung der Angina pectoris Sympto-
matik und Verbesserung der Belastungstoleranz. Verbesserung der Prognose bei Patienten mit Myokard-
infarkt oder KHK und Herzinsuffizienz. Senkung von Letalität und Morbidität bei Patienten mit Hyperto-
nie (Empfehlungsgrad Ia).
• K alziumantagonisten: Senkung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs durch Reduktion der Nach-
last und der myokardialen Kontraktilität. Lang wirksame Kalziumantagonisten senken die Morbidität
bei Patienten mit KHK und Hypertonus (Empfehlungsgrad Ia). Nichtretardierte Kalziumantagonisten
vom Dihydropyridin-Typ sollten nicht eingesetzt werden (allenfalls in Kombination mit einem
β-Blocker).
• S inusknoten-Inhibitor (Ivabradin): Reduktion der Herzfrequenz (vergleichbar effektiv wie β-Blocker).
Bislang kein Effekt auf die Mortalität von Patienten, jedoch Senkung der Zahl an Hospitalisierungen und
koronaren Revaskularisierungen.
42 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Medikamentöse Therapie der stabilen Angina Evidenzgrad


Sofortige,
kurzzeitige Prognose Symptome
Symptom-
1 Kurz wirksames sublinguales oder orales Nitrat B
linderung

Aspirin 75–150 mg pro Tag A


Kontraindikation Clopidogrel
B
(z.B. Aspirin-Allergie) 75 mg pro Tag
Statin (Dosistitration bis Ziel-Cholesterin) A

Wechsel des Statins,


Kombination Ezetimib
Prognose-
Intoleranz oder und niedriger dosiertes
verbessernde B/C
Kontraindikation Statin oder anderes
Medikation Lipid-senkendes
Medikament

ACE-Hemmer bei Pat. mit


A/B
kardiovaskulärer Erkrankung

Betablocker post-Myokardinfarkt A A

Betablocker ohne vorherigen Myokardinfarkt B A

Intoleranz oder Kontraindikation


Symptome unkontrollierbar
trotz Dosisoptimierung
Kalziumantagonist oder
lang wirksames Nitrat oder A/B
Kaliumkanal-Öffner

Kalziumantagonist oder
Intoleranz Symptome A/B
lang wirksames Nitrat
unkontrollierbar trotz
Symptom Dosisoptimierung
verbessernde
Medikation Symptome unkontrollierbar
trotz Dosisoptimierung
Wechsel zu Kombination
alternativer Nitrat und
Kalziumkanal- Kalzium-
subklasse oder antagonist oder B/C
lang wirksames Kaliumkanal-
Nitrat öffner

Evaluation bzgl. Symptome unkontrollierbar


Revaskularisierungs- trotz dualer Medikation und
möglichkeit Dosisoptimierung

Abb. 1.25  Algorithmus zur medikamentösen Therapie bei Patienten mit stabiler Angina pectoris (nach Fox et al. 2006)

• I Na-late-Inhibitor (Ranolazin): Ähnlicher Wirkmechanismus wie Kalziumantagonisten, ohne jedoch


Einfluss auf die Herzfrequenz oder Blutdruck zu haben. Bislang nur zugelassen als „on-top“-Gabe bei Pa-
tienten mit therapierefraktärer Angina pectoris. Eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse konnte bis-
lang nicht gezeigt werden, jedoch ein akzeptables Sicherheitsprofil. Noch nicht in aktuellen Leitlinien
­etabliert.
• K aliumkanalöffner: Blutdrucksenkender Effekt (Reserve-Antihypertensivum), zudem Koronardilatation
durch Relaxation der Gefäßmuskulatur. Cave: Nebenwirkungsprofil der jeweiligen Substanz!
1.8  Stabile Angina pectoris – Messung der fraktionellen Flussreserve (FFR) 43

LITERATUR
Fox K, Garcia MA, Ardissino D, et al.; Task Force on the Management of Stable Angina Pectoris of the European Society of
Cardiology; ESC Committee for Practice Guidelines (CPG). Guidelines on the management of stable angina pectoris: exe-
cutive summary: The Task Force on the Management of Stable Angina Pectoris of the European Society of Cardiology. Eur
Heart J. 2006; 27(11):1341–81. 1
Fricke G, Fricke H, Esdorn E, et al. Scintigraphy for risk stratification of iodine-induced thyrotoxicosis in patients receiving
contrast agent for coronaryangiography: a prospective study of patients with low thyrotropin. JCEM 2004; 89: 6092–8.
Graham I, Atar D, Borch-Johnsen K, et al. European guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice: exe-
cutive summary. Fourth Joint Task Force of the European Society of Cardiology and Other Societies on Cardiovascular Di-
sease Prevention in Clinical Practice (Constituted by representatives of nine societies and by invited experts). Eur Heart J.
2007; 28(19): 2375–414.
Guidelines on myocardial revascularization. The Task Force on Myocardial Revascularization of the European Society of
Cardiology (ESC) and the European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS). Eur Heart J 2010; 31(20): 2501–55.
Patel MR, Dehmer GJ, Hirshfeld JW, Smith PK, Spertus JA. ACCF/SCAI/STS/AATS/AHA/ASNC 2009 Appropriateness Criteria
for Coronary Revascularization: a report by the American College of Cardiology Foundation Appropriateness Criteria
Task Force, Society for Cardiovascular Angiography and Interventions, Society of Thoracic Surgeons, American Associati-
on for Thoracic Surgery, American Heart Association, and the American Society of Nuclear Cardiology Endorsed by the
American Society of Echocardiography, the Heart Failure Society of America, and the Society of Cardiovascular Comput-
ed Tomography. J Am Coll Cardiol. 2009; 53(6): 530–53.
http://www.khk.versorgungsleitlinien.de

1.8  Stabile Angina pectoris – Messung der fraktionellen


Flussreserve (FFR)
Ralph Hein

KASUISTIK
Ein 75-jähriger Patient trifft auf der Chest-Pain-Unit ein. Dieser berichtet von linksthorakalem Schmerz (Stärke 5/10), der
nach starker körperlicher Belastung auftrat und über insgesamt 20 Minuten andauerte. Bei Ankunft der Erstversorger sei
der Blutdruck deutlich erhöht gewesen. Die gleichen Schmerzen hätten bereits mehrfach in der Vergangenheit, in unre-
gelmäßigen Abständen und strikt bei körperlicher Belastung, eingesetzt. Bereits vor einem Jahr sei deswegen eine Herz-
katheteruntersuchung vorgenommen worden, in der sich eine ca. 60%ige Verengung im Bereich der Herzvorderwand
versorgenden Arterie darstellte, die konservativ behandelt wurde. Vor drei Wochen fand sich zudem ein nicht eindeutiger
Befund in einem ambulant durchgeführten Myokard-SPECT mit fraglicher Minderbelegung im Bereich der Vorderwand; es
wurde ein konservatives Prozedere empfohlen. An Vorerkrankungen sind ein arterieller Hypertonus mit deutlicher links-
ventrikulärer Hypertrophie und ein Diabetes mellitus Typ II bekannt. Die körperliche Untersuchung ergibt einen alter-
sentsprechenden, unauffälligen Befund, RR 140/85 mmHg. Der TnI-Wert ca. 7 Stunden nach Einsetzen der Schmerzsym-
ptomatik liegt im Normbereich.
Aktuelle Medikation: ASS 100 mg/d, Ramipril 10 mg/d, Bisoprolol 10 mg/d, HCT 25 mg/d, Simvastatin 20 mg/d,
Metformin 1000 mg/d.

Wie beschreiben Sie das Krankheitsbild?

Der Patient hat definitionsgemäß stabile Angina pectoris CCS II. Zum einen ist eine Schmerzinduktion im
Sinne einer reversiblen myokardialen Hypoperfusion durch die vorbeschriebene Koronarverengung, zum
anderen durch eine hypertensive Entgleisung bei zugrunde liegender hypertensiver Herzerkrankung denk-
bar. Auch die Kombination aus epikardialen (koronare Gefäßerkrankung) und mikrovaskulären Zirkulati-
onsstörungen (Linksherzhypertrophie, Diabetes) kann diese Beschwerden verursachen.
44 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Wie sieht Ihr weiteres Vorgehen aus?

Bis zum Beweis des Gegenteils ist bei dem Patienten von einem akuten Koronarsyndrom auszugehen. Nebst
1 TnI-Kontrolle, Ruhe-EKG und medikamentöser Therapie (ASS, Heparin, RR-Kontrolle) sollte ein UKG zur
Beurteilung der globalen und regionalen Wandbewegung sowie zur Evaluation von Wandstärken und mögli-
chen Hinweisen auf eine diastolische Dysfunktion erfolgen. Des Weiteren ist die Wiederholung eines nicht-
invasiven Stresstests unter β-Blocker-Pause indiziert. Auch ist die Beschaffung von Angiographiebildern und
-befund der letzten Herzkatheteruntersuchung sinnvoll.

Das Ruhe-EKG ist unauffällig. In den Bildern der letzten Angiographie ist eine
mittelgradige Verengung des Ramus interventricularis anterior (RIVA) in zwei
Ebenen dargestellt. Wie valide ist die Angiographie im Hinblick auf die
Beurteilung des Stenosegrades?

Die Angiographie bietet – speziell im Bereich mittelgradiger Stenosen (40–70% Lumenreduktion) – nicht die
Möglichkeit einer exakten Messung des Stenosegrades und gibt zusätzlich auch keinerlei Aufschluss über die
hämodynamischen Auswirkungen einer epikardialen Gefäßstenose. Mittels digitaler Verfahren können zwar
visuelle Messungen vorgenommen werden, diese sind jedoch stark abhängig von Bildqualität, Gefäßkalzifizie-
rung etc. und lassen außerdem nur planare und keine dreidimensionalen Messungen zu. Somit obliegt die an-
giographische Stenosequantifizierung der subjektiven und visuellen Einschätzung des Untersuchers. Es werden
diesbezüglich jedoch gravierende intra- und interindividuelle Abweichungen in der Beurteilung von Stenosen
– auch bei sehr erfahrenen Untersuchern – mehrfach beschrieben (Tobis et al. 2007, White et al. 1984). Die
Prognose eines Patienten ist in jedem Fall abhängig vom Grad der koronaren Flussbehinderung, sowohl auf
epikardialer als auch auf kapillarer Ebene und nicht vom visuellen Stenosegrad in der Angiographie.

Das UKG zeigt eine normale globale und regionale Pumpfunktion mit vorbeschriebener Linksherzhypertrophie und Hin-
weisen auf eine diastolische Dysfunktion. In der Ultraschall-Fahrradergometrie entwickelt der Patient bei 125 Watt (Herz-
frequenz 165/min) typische Angina pectoris ohne eindeutigen H.a. regionale Wandbewegungsstörungen oder EKG-Ver-
änderungen und maximalem Blutdruck von 220 mmHg systolisch. In einer Laborkontrolle 6 Stunden nach der Belastungs-
untersuchung fällt ein TnI-Wert im Graubereich (0,05 μg/ml, Norm < 0,032 μg/ml) auf.

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie?

Das alleinige Auftreten von Angina pectoris als Zeichen einer Myokardischämie wird nur bei ca. 30% der
Patienten beobachtet. Das Ergebnis der Belastungsuntersuchung als auch der TnI-Wert sind prinzipiell mit
einer alleinigen hypertensiven Herzerkrankung zu vereinbaren. Ein Kompromittieren des koronaren Flusses
durch die vorbekannte RIVA-Verengung ist jedoch – auch angesichts des zeitnahen unklaren SPECT-Be-
funds – nicht auszuschließen.

Welche weiteren Möglichkeiten insbesondere zur morphologischen und


funktionellen Beurteilung der LAD-Stenose stehen noch zur Verfügung?

Abgesehen von weiteren nicht-invasiven Untersuchungen wie z.B. dem hochauflösenden Kardio-CT, ist als
invasives Diagnostikum zur morphologischen Beurteilung einer Koronarstenose der intravaskuläre Ultra-
schall (IVUS) etabliert. Mittels IVUS kann ein exaktes intrakoronares Abbild von Ausmaß und Ausdehnung
1.8  Stabile Angina pectoris – Messung der fraktionellen Flussreserve (FFR) 45

Abb. 1.26  Darstellung der IVUS-RF-Analyse im Querschnittsbild sowie in der Längsansicht. Die Plaquekomponenten können
quantitativ für eine spezifische Läsion oder über das gesamte Segment der atherosklerotischen Läsion angegeben werden. Pla-
quekomponenten mit rot für nekrotisches Gewebe, grün für fibrotisches Gewebe, gelb für fibrotisch-lipidhaltiges Gewebe und weiß
für kalkhaltiges Gewebe

einer Koronarverengung angefertigt werden und somit etwaige Diskrepanzen zur Angiographie festgehalten
werden. Die Spektrumanalyse der mit IVUS abgeleiteten Radiofrequenzanalyse liefert darüber hinaus eine
detailliertere Untersuchung der Plaquekomposition und Plaquemorphologie. Die einzelnen Plaquekompo-
nenten (fibrotisch, fibrotisch-lipidhaltig, nekrotisch und kalzifiziert) werden hierbei farbkodiert abgebildet
(› Abb. 1.26). Durch Aufarbeitung der gewonnenen Daten mittels spezieller Software können schließlich
Hochrisiko-Läsionen detektiert werden. Derzeit besteht jedoch keine Evidenz für eine präventive Stent­
implantation bei IVUS-diagnostizierten Hochrisikoläsionen, insbesondere da nach Studienlage die opti­
mierte medikamentöse Therapie (Courage-Studie) bei geringem oder fehlendem Ischämienachweis gute
­Ergebnisse gezeigt hat.
Häufige Einsatzmöglichkeiten des IVUS umfassen v.a. die morphologische Charakterisierung von Haupt-
stammstenosen sowie die mit dieser Technik mögliche postinterventionelle Stent-Kontrolle, indem Aussagen
über die Stent-Apposition getroffen werden können.
Des Weiteren wäre eine Herzkatheteruntersuchung mit kombinierter Messung der fraktionellen Flussre-
serve (FFR) möglich. Hiermit könnte die hämodynamische Relevanz der vorbekannten mittelgradigen RIVA-
Stenose evaluiert werden.

Da Sie gerade selbst eine FFR-Messung vorgeschlagen haben, beschreiben Sie


doch kurz das zugrunde liegende Prinzip.

In der FFR-Messung wird unter maximaler Hyperämie der Quotient aus mittlerem poststenotischem und aorta-
lem Druck unter Verwendung eines speziellen Druckdrahtes ermittelt. Hierbei werden der poststenotische Druck
über den distalen Mikrotransducer des Druckdrahtes und der aortale Mitteldruck über den Führungskatheter
46 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

abgeleitet. Zur Induktion einer maximalen Vasodilatation wird zumeist intravenös oder intrakoronar applizier-
tes Adenosin verwendet. Die fraktionelle myokardiale Flussreserve (FFR) in einem nativen Gefäß ohne Fluss­
hindernis beträgt normalerweise 1. Ein Wert ≤ 0,75 indiziert eine funktionell bedeutsame Stenose und entspricht
1 einer Flusseinschränkung von 25%. Gemäß aktueller Studienlage profitiert ein Patient ab einer FFR ≥ 0,8 nicht
mehr von einer Intervention (zu ca. 90% Ischämieausschluss; Silber et al. 2005). Werte innerhalb der Grauzone
von 0,76 bis 0,79 bedürfen gewöhnlich einer Abklärung hinsichtlich weiterer indikativer Kriterien z.B. Läsions-
morphologie, Patientenkomorbidität oder dem Ergebnis einer nicht-invasiven Ischämietestung. In der FAME-
Studie (Patienten mit Mehrgefäßerkrankung) wurde demgegenüber eine FFR ≤ 0,8 als Grenzwert verwendet.

Welche potenziellen Nebenwirkungen kann die intrakoronare oder intravenöse


Applikation von Adenosin haben und welche Kontraindikationen gibt es?

Bei der intravenösen Gabe von Adenosin sollte auf einen ausreichend großen peripheren Zugang geachtet
werden, um Konzentrationsfluktuationen zu vermeiden. Bei der intrakoronaren Applikation in die rechte
Kranzarterie sollte auf imminente AV-Blockierungen geachtet werden. Ein vorbestehender AV-Block II. oder
III.° ist eine Kontraindikation für die Anwendung der Substanz. Koffein oder Theophyllin antagonisieren
bedarfsweise die Wirkung von Adenosin. Da Adenosin auf die Bronchialmuskulatur konstriktorisch wirkt,
sollte es bei Asthmatikern oder Patienten mit chronisch obstruktiver Atemwegs- bzw. Lungenerkrankung
nicht gegeben werden.
Bei der intravenösen Gabe von Adenosin kann es zu einem Abfall des systemischen Blutdrucks um 10–
15% kommen. Ferner kann die Substanz Angina pectoris ähnliche Symptome provozieren, die jedoch nicht
mit einer Ischämiereaktion assoziiert sind und daher als harmlos einzustufen sind.

› Abb. 1.27 und › Abb. 1.28 zeigen die FFR-Messung. In Zusammenschau der Befunde wurde eine Stentimplantation
in die LAD beschlossen (› Abb. 1.29).

Abb. 1.28  Grafische und numerische Analyse der Druck-


drahtableitung. Die roten Kurven zeigen die aortale, die grünen
Kurven die poststenotische Druckabnahme sowie jeweils den
mittleren Druck im Verlauf. In Gelb ist der FFR-Verlauf zu sehen.
Im Bereich der Stenose (weißer Pfeil) ist ein deutlicher Druck-
sprung zu verzeichnen. Der Druckgradient ist besonders wäh-
rend der Diastole ausgeprägt

Abb. 1.27  RAO-Projektion. Kontrastmittel-Anfärbung der lin-


ken Koronararterie. Weiß markiert zeigt sich die vorbeschriebe-
ne RIVA-Stenose
1.8  Stabile Angina pectoris – Messung der fraktionellen Flussreserve (FFR) 47

Abb. 1.29  LAD nach Stentimplantation (weißer Pfeil)

In welchen Situationen kann die funktionelle Beurteilung von Stenosen mittels


FFR-Messung außerdem sinnvoll sein?

Die Bestimmung der FFR ist derzeit nur bei Patienten mit stabiler Angina pectoris indiziert und kann in fol-
genden angiographischen Szenarien hilfreich sein (Kern und Samady 2010):
• U nklares bzw. grenzwertiges Ergebnis der nicht-invasiven Ischämietestung
• M ittelgradige Stenosen
• M ehrgefäßerkrankungen
• S erielle Stenosen (Druckdraht-Rückzugskurven)
• D iffuse Koronargefäßerkrankung
• H auptstammstenosen
• B ypassstenosen
• R e- und Reststenosen.
Bislang hauptsächlich in wissenschaftlichem Kontext werden auch Analysen im Stadium des subakuten Myo-
kardinfarkts durchgeführt.

LITERATUR
Kern MJ, Samady H. Current concepts of integrated coronary physiology in the catheterization laboratory. J Am Coll Cardiol.
2010; 55(3): 173–85.
Silber S, Albertsson P, Avilés FF, Camici PG, Colombo A, Hamm C, Jorgensen E, Marco J, Nordrehaug JE, Ruzyllo W, Urban
P, Stone GW, Wijns W; Task Force for Percutaneous Coronary Interventions of the European Society of Cardiology. Guide-
lines for percutaneous coronary interventions. Eur Heart J. 2005; 26: 804–47.
Tobis J, Azarbal B, Slavin L. Assessment of intermediate severity coronary lesions in the catheterization laboratory. J Am Coll
Cardiol. 2007; 49(8): 839–48. Epub 2007 Feb 9.
White CW, Wright CB, Doty DB, Hiratza LF, Eastham CL, Harrison DG, Marcus ML. Does visual interpretation of the coronary
arteriogram predict the physiologic importance of a coronary stenosis? N Engl J Med. 1984; 310(13): 819–24.
48 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

1.9  Anhaltende Brustschmerzen und Übelkeit


Ralph Hein

1 KASUISTIK
Ein 78-jähriger Mann wird vom Notarzt unter der vorläufigen Diagnose „Akutes Koronarsyndrom“ auf die internistische
Notaufnahme gebracht. Seit 3 Stunden besteht anhaltend (auch nach mehrfacher Morphin-Gabe) retrosternaler Druck
verbunden mit Übelkeit. Gemäß Vorbefunden war der Patient zuletzt vor ca. 8 Jahren in der Endokrinologie des Hauses
zur Einstellung des Diabetes; damals unauffälliges EKG und UKG.
Begleiterkrankungen: Metabolisches Syndrom (inkl. IDDM), pAVK vom Unterschenkel-Typ Fontaine Stadium IIa.

Bitte befunden Sie das umgehend abgeleitete EKG (› Abb. 1.30).

Zudem wurden die Ableitungen V7–9 aufgenommen (› Abb. 1.31):


Auswertung: Vorhofflimmern mit einer Kammerfrequenz von ∼80/min, Sagittal-S1S2S3-Typ, ventrikuläre Extra-
systolen, um maximal 0,2 mV gesenkter ST-Streckenabgang in V1-5, deszendierende ST-Streckenverläufe, sowie prä-
terminal negative T-Wellen in V1-4. Betonte U-Welle in den Brustwandableitungen. In den Ableitungen V7–9 grenz-
wertig erhöhter ST-Streckenabgang aus der R-Zacke (cave: 2. QRS-Komplex ist eine ventrikuläre Extrasystole).

Welche Diagnose stellen Sie nun und


wie gehen Sie weiter vor?

Die Konfiguration des Stromlinienverlaufs der retro-


kardialen Ableitungen deutet eine ST-Hebung i.S. ei-
nes Hinterwandmyokardinfarkts Stadium I an, die
maximale Hebung erreicht 0,05 mV. In Anbetracht
der kongruenten ST-Senkungen in V1‑4 und der an-
haltenden Beschwerdesymptomatik ist eine umge-
hende Herzkatheteruntersuchung indiziert (Vorbe-
handlung siehe Kapitel STEMI).

Wie kann sich ein Myokardinfarkt der


Hinterwand generell im EKG
manifestieren?

Bei einem inferioren Infarkt im Gebiet des Ramus


circumflexus oder der rechten Kranzarterie finden Abb. 1.30  EKG

Abb. 1.31  EKG – Ableitungen V7–9


1.9  Anhaltende Brustschmerzen und Übelkeit 49

sich die EKG-Veränderungen typischerweise in II, III, aVF, bei inferolateraler Beteiligung ebenfalls in V3‑6.
Im Fall einer rechtsventrikulären Beteiligung (z.B. proximale Stenose der rechten Kranzarterie) sind meist
auch EKG-Veränderungen (ST-Hebungen) in den rechtsventrikulären Ableitungen VR3–5 nachweisbar.
Bei einem Infarkt im Gebiet der strikt posterioren Wand („true posterior“, z.B. Stenose am distalen Ramus 1
posterolateralis sinister) finden sich als wegweisende EKG-Befunde ein R/S Verhältnis > 1 in V1 mit hohen
R-Zacken und T-Wellen in V1+2. Diese Veränderungen sind bedingt durch einen Amplituden-Verlust der
retrokardialen Ableitungen in V7–9, die als Gegenspieler zu den Vorderwandableitungen fungieren.

Herzkatheteruntersuchung: Schwere koronare Gefäßerkrankung mit hochgradiger distaler Hauptstammstenose und


ostialem Verschluss des großen Ramus marginalis I (› Abb. 1.32). RCA mit < 70% Stenose.
Der Patient lehnt kategorisch eine Bypass-Operation ab (Zeuge Jehovas). Daher erfolgt eine Intervention mit Wiedereröff-
nung und Stenting des Ramus marginalis und anschließender PCI des Hauptstamms unter IVUS-Kontrolle mit einem
Drug-eluting-Stent (› Abb. 1.33). In der Ventrikulographie zeigt sich neben einer mittelgradig eingeschränkten links-
ventrikulären Pumpfunktion auch eine mittelgradige Mitralklappeninsuffizienz. LVEDP 22 mmHg.

Abb. 1.33  RAO-Projektion. Kontrastmittel-Anfärbung der lin-


Abb. 1.32  RAO-Projektion. Kontrastmittel-Anfärbung der lin- ken Koronararterie nach Wiedereröffnung des Ramus margina-
ken Koronararterie. Weiß markiert zeigt sich die distale Haupt- lis sowie Stenting des Hauptstamms
stammstenose, schwarz markiert der Abgang des verschlosse-
nen Ramus marginalis I

Welche Score-Systeme können Sie zur Vorhersage der operativen Mortalität bei
Patienten mit instabiler koronarer Gefäßerkrankung verwenden?

Hierzu kann der euroSCORE oder Parsonnet-Score benutzt werden (› Kap. 3.9).

Im weiteren stationären Verlauf optimieren Sie die medikamentöse Therapie (› Kap. 1.1) und organisieren eine kardio-
logische Anschluss-Rehabilitation.
Nach 5 Monaten wird der Patient erneut vom Notarzt in Ihre Notaufnahme gebracht. Der Patient gibt progrediente Kurz-
atmigkeit innerhalb der letzten Woche an. In der letzten Nacht konnte der Patient wegen stärkster Luftnot nicht mehr
schlafen. Die O2-Sättigung bei Aufnahme beträgt 85% unter Raumluft.
50 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Der körperliche Untersuchungsbefund lautet: Größe 175 cm, Gewicht 95 kg, BMI 31. Temperatur 36,9 °C. RR
140/75 mmHg, Puls 100/min. Jugularvenenstauung. Periphere und zentrale Zyanose. Cor: unregelmäßig, tachykard,
niederfrequentes 3⁄6-Holosystolikum p.m. linker Sternumrand und Apex mit Fortleitung in die linke Axilla, lauter 2. HT.
1 Pulmo: Vesikuläratmung, in den basalen Lungenabschnitten abgeschwächtes Atemgeräusch, mittel-hochfrequente RG
über den belüfteten Lungenabschnitten beidseits, AF 27/min. Abdomen: Weich, kein Druckschmerz, rege Darmgeräusche
ubiquitär. Deutliche Unterschenkelödeme beidseits.

Welche Diagnostik schlagen Sie vor?

• 1 2-Kanal-EKG inklusive rechts- und retrokardialer Ableitungen


• B lutgase, Monitoring der O2-Sättigung
• L abor: Elektrolyte, Glukose, Nieren- und Leberwerte, Blutbild, Myokardmarker, Gerinnung, D-Dimer
• R öntgen-Thorax in 2 Ebenen
• U KG.

Was halten Sie davon, zusätzlich BNP bzw. NT-pro-BNP zu bestimmen?

Der körperliche Untersuchungsbefund und die Anamnese geben einige Hinweise auf eine akute Stauungsin-
suffizienz. Differenzialdiagnostisch muss jedoch auch an andere Ursachen der Symptomatik gedacht werden,
u.a. an Lungenembolie. BNP und NT-pro-BNP haben, als Marker der myokardialen Wandspannung, einen
hohen negativen prädiktiven Wert um eine antizipierte Herzinsuffizienz auszuschließen. Allerdings kann die
Bestimmung in spezifischen Situationen, z.B. bei akutem Myokardinfarkt mit pulmonaler Stauung, negativ
ausfallen.
In der Stratifizierung einer Herzinsuffizienz haben die B-Typ natriuretrischen Peptide ihren festen Stellen-
wert. Wiederholte Werte über 400 pg/ml für das BNP bzw. über 2000 pg/ml für das NT-pro-BNP machen eine
bestehende Herzinsuffizienz wahrscheinlich.
Im EKG zeigt sich tachykarder Sinusrhythmus um 100/min, dabei keine spezifischen Erregungsrückbil-
dungsstörungen, keine eindeutigen Ischämiezeichen.

Bitte befunden Sie das vorliegende Röntgen-Thorax-Bild im Liegen  


(› Abb. 1.34).

Befundung: Cor global vergrößert. Hili bds. unscharf. Trachealwinkel vergrößert. Diffuse, rechtsbetonte
grobfleckige Verschattungen. Diffuse, ebenfalls rechtsbetonte Trübung, am ehesten hervorgerufen durch ei-
nen im Liegen nach kranial auslaufenden Erguss. Betonte periphere Gefäßzeichnung. Zusätzliche Infiltrate
können nicht ausgeschlossen werden. Korrekte Lage des ZVK mit Projektion auf den Übergang Vena cava
superior – rechter Vorhof.
Anmerkung: Ein Thoraxbild sollte optimalerweise im Stehen und in zwei Ebenen aufgenommen werden:
dies ist bei schwer kranken Patienten oft nicht möglich. Ebenso sollte darauf geachtet werden, dass die Lun-
genrandwinkel komplett auf dem Bild zu sehen sind.
1.9  Anhaltende Brustschmerzen und Übelkeit 51

Abb. 1.34  Röntgen-Thorax

Sie erhalten die Ergebnisse der arteriellen BGA unter 8 Liter/min O2-Insufflation
(› Tab. 1.11). Bitte beschreiben und interpretieren Sie diese.

Tab. 1.11  Arterielle Blutgasanalyse und Elektrolyte


pH 7,14
pCO2 45,3 mmHg
pO2 67,2 mmHg

HCO3 15,1 mmHg
BE –13,6
Na 145,0 mmol/l
K+ 3,6 mmol/l
Cl‑ 108 mmol/l

Auswertung: Es zeigt sich eine deutliche metabolische Azidose, die respiratorisch nicht kompensiert ist
(bzw. werden kann). Die O2-Aufnahme ist angesichts der erheblichen nasalen Sauerstoffinsufflation deutlich
zu niedrig.
Interpretation: Trotz einer relativen Hyperventilation (AF von 27/min) besteht ein erhöhter pCO2 und ein
erniedrigter pO2. Auslöser für den erhöhten Atemantrieb kann in diesem Fall ein alveoläres Lungenödem
sein, das eine suffiziente arterielle Oxygenierung und gleichzeitige CO2-Abgabe erschwert. Die deutliche me-
tabolische Azidose ist am ehesten durch die hypoxämische Phase mit konsekutiv insuffizienter Gewebsoxyge-
nierung vor Krankenhausaufnahme verursacht.

Der Patient ist klinisch weiter stark dyspnoeisch, die Extremitäten sind kalt und zyanotisch. Auf die bereits vom Notarzt
applizierten intravenösen Diuretika beginnt der Patient nach kurzer Zeit suffizient auszuscheiden.
52 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Für welche weiteren Akutmaßnahmen entscheiden Sie sich?

• L agerung im Herzbett (halb sitzende Position)


1 • S auerstoffgabe über die Nasensonde
• S tressreduktion und Anxiolyse mittels Benzodiazepinderivaten (z.B. Diazepam) oder Opiaten (z.B. Mor-
phin oder Fentanyl)
• N
 achlastsenkung (z.B. durch Nitroglyzerin oder Nitroprussidnatrium) unter Beachtung des systemischen
Drucks
• W eitere intravenöse Diuretika-Applikation nach Klinik (Stundendiurese? Auskultation? Blutdruck?)
• R asche Verlegung auf die Intensivstation.

Sie betreuen den Patienten auf der Intensivstation weiter. Nach welchen
Kriterien entscheiden Sie, ob der Patient zu beatmen ist?

• B eachtung des Patientenwillens bezüglich einer invasiven Beatmung


• B eachtung der Indikationen/Kontraindikationen zur nicht-invasiven Beatmung (insbes. pH-Wert, Begleit­
erkrankungen)
• K linische Zeichen der Erschöpfungshypoventilation (› Tab. 1.12).

Tab. 1.12  Symptome und Therapie der respiratorischen Insuffizienz


pH pO2 pCO2 Symptom Therapie
sinkt sinkt steigt Dyspnoe Herzbett
Zyanose Sauerstoffgabe
Tachykardie Sedierung
Hypoventilation Diuretika, Nitrate
Herzrhythmusstörungen Kardioversion bzw. medikamentöse Rhythmusstabilisierung
Bewusstseinsverlust Narkose einleiten
Schnappatmung Intubation
Apnoe Kontrollierte Beatmung
Blutdruckabfall (Schock) Katecholamine
Lichtstarre Pupillen Reanimation
Bradykardie
Asystolie

Um eine Progression der KHK oder Restenosen im Bereich der beiden Stents auszuschließen, müssen Sie rasch eine erneute
Herzkatheteruntersuchung durchführen. Die Katheteruntersuchung würde der Patient in Flachlage ohne Beatmung respirato-
risch nicht tolerieren. Deshalb und aufgrund der progredienten respiratorischen Erschöpfung entschließen Sie sich, den Patien-
ten zu intubieren und zu beatmen. Die korrekte Tubuslage kontrollieren Sie dann später unter Durchleuchtung im Katheterlabor.
Sie erhalten folgende Laborparameter: Kalium 4,0 mmol/l, TnI 0,07 μg/ml (Norm < 0,032 μg/ml), CK im Referenzbe-
reich, Kreatinin 1,4 mg/dl, Harnstoff 69 mg/dl, Glukose 150 mg/dl, Hb 11,6 g/dl, INR 1,4, BNP 3041 ng/l, CRP 7,7 mg/l
(Norm < 5), GGT 115 U/l, GPT und GOT normal.
Sie führen ein UKG durch (› Abb.1.35, › Abb. 1.36): Linksventrikuläre Globalfunktion mittelgradig eingeschränkt,
Hypo-/Akinesie basal-mid posterolateral, sowie der apikalen Vorderwand und des mid-apikalen Septums. Linker Ventrikel
sphärisch erweitert (LVESD 52 mm), LA deutlich vergrößert. Klappen gering sklerosiert. Vorwölbung der Mitralsegel aus
der Klappenebene nach anterior, Restriktion des posterioren Segels durch Achsenabweichung des posterioren Papillarmus-
kels. Im Color Duplex Imaging (CDI) prominente Vena contracta, großes Pendelvolumen mit hoher frühdiastolischer trans-
mitraler Flussgeschwindigkeit, sowie verlangsamter systolischer Pulmonalvenenflussgeschwindigkeit. Deutliche Druckbe-
lastung des rechten Ventrikels mit einem dpmax von 58 mmHg + ZVD über der leicht insuffizienten Trikuspidalklappe.
1.9  Anhaltende Brustschmerzen und Übelkeit 53

Abb. 1.36  TTE-Standbild während der Systole, apikale Längs-


Abb. 1.35  TTE-Standbild während der Systole in der apikalen, achse. Durch Restriktion des posterioren Segels (weißer Pfeil)
langen Achse und CDI. Deutlicher, in dieser Einstellung bis an resultiert ein insuffizienter Klappenschluss (roter Pfeil). Große
die Hinterwand des Vorhofs reichender Mitralklappeninsuffizi- tenting area (gestrichelte Linie bis Klappensegel).
enzjet (blau), der das Blut auf der gegenüberliegenden Vorhof-
wand wirbelförmig in Richtung Schallkopf beschleunigt (rot).
Der rote Pfeil markiert die Flusskonvergenzzone.

Wie erklären Sie sich die erhebliche Mitralklappenregurgitation? Welche Formen


der ischämischen Mitralklappenregurgitation kennen Sie?

In Zusammenschau der Anamnese (Diabetes, Angina pectoris, Herzkatheteruntersuchung) ist am ehesten


von einer chronisch-ischämischen Mitralklappeninsuffizienz (MI) auszugehen. Folgende ätiologische Vari-
anten der ischämischen MI sind beschrieben worden:
• I schämische MI ohne Ruptur von Papillarmuskel bzw. Sehnenfäden:
Hierbei kommt es ischämiebedingt (z.B. Infarkt der rechten Kranzarterie oder des Ramus circumflexus)
zu einer Veränderung der Geometrie des linken Ventrikels. Dies führt zu einer Verlagerung des posterio-
ren Papillarmuskels nach außen und posterior („tethering“-Hypothese). Dies allein, oder in Kombination
mit einer verminderten linksventrikulären globalen Kontraktionskraft („closing force“ Hypothese; The
Task Force for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure 2008 of the European Socie-
ty of Cardiology 2008), kann zu einem insuffizienten Klappenschluss führen. Diese Form der ischämi-
schen MI wird am häufigsten als „chronisch-ischämische“ MI klassifiziert.
• P artielle Ruptur eines Papillarmuskels bzw. Sehnenfadenruptur: Bei einer direkten Papillarmuskelisch­
ämie kann es im Zuge der Nekroseabräumung zu einer kompletten oder teilweisen Ruptur eines Papillar-
muskels kommen. Die Inzidenz für diese Komplikation ist in der ersten Woche nach Myokardinfarkt am
höchsten und betrifft den posterioren Papillarmuskel ungefähr 5-mal häufiger als den anterioren. Das
Ausmaß der sekundären MI ist von der Lokalisation der Ruptur abhängig. Bei Papillarmuskelspitzenin-
farkten, bei denen z.B. nur einer der sechs Köpfe des Papillarmuskels betroffen ist, geht der Abriss eines
Sehnenfades mit der entsprechenden, kompensierbaren Symptomatik einer MI einher. Ein solches Ereig-
nis kann durchaus über längere Zeit überlebt werden bzw. unbemerkt bleiben.
• K omplette Ruptur eines Papillarmuskels: Bei einem kompletten Papillarmuskelabriss verlieren die
Sehnenfäden des betroffenen Muskels – welche zur Hälfte sowohl das anteriore als auch das posterio-
re Mitralklappensegel stabilisieren – ihre Haltefunktion. Dies führt fast immer zu einer schweren,
akuten MI, welche mit einer hohen Letalität einhergeht und eine sofortige Operationsindikation dar-
stellt.
54 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Eine organische Mitralklappeninsuffizienz ist denkbar, angesichts fehlender Hinweise in der Anamnese (z.B.
Endokarditis etc.) und blandem UKG vor ca. 10 Jahren jedoch unwahrscheinlich.

1
Herzkatheteruntersuchung: Koronare Dreigefäßerkrankung mit ca. 50% Restenose im Bereich des im Hauptstamm
implantierten Stents. Gutes Ergebnis im Stentbereich des großen Ramus marginalis I. Progression im Bereich der RCA, hier
jetzt hochgradige Stenose.
In der Ventrikulographie zeigt sich jetzt eine hochgradige Mitralklappeninsuffizienz (› Kap. 3.9, ›Tab. 3.10).

Welche Therapie schlagen Sie vor?

Aufgrund der schweren Mitralklappenregurgitation und der koronaren Gefäßerkrankung sollte der Patient
einer kombinierten Bypass- und Mitralklappenersatz- bzw. Rekonstruktions-OP („undersized“ Ring-Anulo-
plastie, evtl. LV-Remodeling) unterzogen werden (› Tab. 1.13). Bis zur Operation muss der Patient inten-
sivmedizinisch überwacht werden. Im Zuge der OP-Vorbereitung ist ein TEE zur exakteren Darstellung der
intrakardialen (Klappen-)Morphologie sinnvoll.

Tab. 1.13  Operationsindikationen bei ischämischer MI


Evidenzgrad
Patienten mit schwerer MI, LVEF > 30%, anstehende CABG-Operation IC
Patienten mit moderater MI, anstehende CABG-Operation, wenn Reparatur möglich ist IIaC
Symptomatische Patienten mit schwerer MI, LVEF < 30% und Option zur Revaskularisation IIaC
Patienten mit schwerer MI, LVEF > 30%, keine Option zur Revaskularisation, refraktär IIbC
gegenüber medikamentöser Therapie und niedriger Komobidität

Zusatzinformation: Abseits der operativen Therapiemodalitäten existieren verschiedene Systeme zur per­
kutanen Annuloplastie via Koronarsinus oder den transventrikulären Zugang. Diese sind zwar vielverspre-
chend, befinden sich derzeit jedoch noch in klinischer Erprobung (z.B. Viacor, Edwards Monarc-System,
QuantumCor, Mitralign). Auch Mitralclips via transseptalem Zugang sind in klinischer Erprobung. Im aktu-
ellen Fall verweigerte der Patient nach der Rekompensation erneut strikt einen operativen Eingriff (Zeuge
Jehovas, Ablehnung von Erythrozytenkonzentraten). Er wurde deshalb einer perkutanen Annuloplastie mit
einem der o.g. Systeme unterzogen, die RCA gestentet und die Hauptstamm-Restenose mit einem Medika-
menten-beschichteten Ballon behandelt.

LITERATUR:
Levine RA, Schwammenthal E. Ischemic mitral regurgitation on the threshold of a solution: from paradoxes to unifying con-
cepts. Circulation 2005; 112(5): 745–58.
The Task Force for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure 2008 of the European Society of Cardiolo-
gy. ESC guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure 2008. Developed in collaboration
with the Heart Failure Association of the ESC (HFA) and endorsed by the European Society of Intensive Care Medicine
(ESICM). Eur J Heart Fail. 2008; 10(10): 933–89.
The Task Force on the Management of Valvular Heart Disease of the European Society of Cardiology; Vahanian A, Baum-
gartner H, Bax J, Butchart E, Dion R, Filippatos G, Flachskampf F, Hall R, Iung B, Kasprzak J, Nataf P, Tornos P, Torracca
L, Wenink A; Task Force on the Management of Valvular Hearth Disease of the European Society of Cardiology; ESC
Committee for Practice Guidelines. Guidelines on the management of valvular heart disease. Eur Heart J. 2007; 28(2):
230–68.
1.10  Brustschmerzen in Ruhe und bei Belastung 55

1.10  Brustschmerzen in Ruhe und bei Belastung


Christoph Spes

KASUISTIK 1
Ein 55-jähriger Mann stellt sich in der Sprechstunde vor. Er klagt über wiederkehrende linksthorakale Schmerzen, die bei
stärkerer Anstrengung auftreten und in die linke Halsseite und den linken Arm ausstrahlen. Einmal seien die Schmerzen
auch nachts aufgetreten mit Ausstrahlung in den Rücken. Bei Auftreten der Beschwerden sei der Blutdruck nicht gemes-
sen worden, er sei aber sonst beim Hausarzt immer normal, eher niedrig gewesen, mit Werten um 110/60–70 mmHg.
Der Patient rauchte seit 40 Jahren 10–20 Zigaretten pro Tag, hat dies wegen der Beschwerden aber vor einer Woche
aufgegeben. Herzkrankheiten in der Familie sind ihm nicht bekannt. Bei der letzten Blutuntersuchung sei das Cholesterin
leicht erhöht gewesen, der Blutzucker normal.

Welche Differenzialdiagnosen ziehen Sie in Betracht?

• K oronare Herzerkrankung
• A rterielle Hypertonie
• A ortensyndrom
• R efluxerkrankung
• P ulmonale Erkrankung
• M uskuloskelettale Problematik.

Die körperliche Untersuchung des Patienten (181 cm, 71 kg, RR 100/50 mmHg, Puls 96/min) ergibt keinerlei Auffäl-
ligkeiten.
Labor: Cholesterin gesamt 260 mg/dl, HDL 48 mg/dl, LDL 165 mg/ dl, TG 236 mg/dl; im Normbereich: BB, Gerinnung,
Retentionswerte, Elektrolyte, TSH, TNI.
12-Kanal-EKG in Ruhe (› Abb. 1.37): SR, HF 91/min, Indifferenztyp. Störung der frühen Repolarisation mit erhöhtem
ST-Abgang in den BW-Ableitungen und auch inferior. Rechtsverspätung.
Der EKG-Befund ist schon lange Zeit bekannt und hat sich nicht geändert (der Patient war vor 23 Jahren bereits wegen
subjektiv empfundener Extrasystolie erstmals in der Praxis, vor 10 Jahren wegen einer OP-Vorbereitung, damals war je-
weils kein relevanter pathologischer Befund zu erheben).

Abb. 1.37  12-Kanal-EKG in Ruhe


56 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Abb. 1.38a  Ergometrie


1.10  Brustschmerzen in Ruhe und bei Belastung 57

Abb. 1.38b  Ergometrie


58 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Welchen Stellenwert haben die Früh-Repolarisationsstörungen?

Diese Veränderungen wurden lange als prognostisch irrelevant betrachtet. Einzelne Untersuchungen sahen
1 einen Zusammenhang mit erhöhter Vulnerabilität für Kammerflimmern. In einer kürzlich publizierten finni-
schen Langzeit-Studie (Nachbeobachtungsdauer 30 ± 11 Jahre) an 10.864 Patienten zeigte sich allerdings
doch eine etwas erhöhte kardiale Mortalität bei Patienten mit Früh-Repolarisationsstörungen.

Echokardiographie: Herzhöhlen normal dimensioniert, normale globale und regionale LV-Funktion, keine LVH. Aorta
im eingesehenen Bereich normal weit ohne Dissektionsmembran. Klappen unauffällig, keine Druckerhöhung im kleinen
Kreislauf. Kein Perikarderguss. Zusammenfassend: Normalbefund.
Ergometrie (›  Abb. 1.38): Stufenweise Belastung bis 150 W, HF-Anstieg von 101 auf 162/min, RR-Anstieg von
100/70 mmHg auf 160/80 mmHg. Abbruch wegen Erschöpfung und Atemnot. Unter Belastung stechende thorakale
Schmerzen, die bis kurz nach Belastungsende anhalten. Im EKG T-Wellen-Abflachung inferior, diskrete aszendierende
ST-Senkung V5/V6.

Wie beurteilen Sie die Ergometrie?

Klinisch vereinbar mit Ischämiereaktion ohne eindeutigen Hinweis im EKG.

Wie gehen Sie weiter vor?

Der Patient erhält ein Nitrospray zur Testung sowie ASS 100mg/d. Es wird ein Termin zur Stressechokardio-
graphie vereinbart.

Zu diesem Termin erscheint der Patient eine Woche später. Er berichtet, das Nitropräparat habe beim Auftreten von Be-
schwerden prompt gewirkt. Er habe auch nochmals in der Familie nachgefragt und eruiert, dass eine Schwester wegen
Durchblutungsstörungen am Herzen behandelt werde, eine andere Schwester habe eine deutlich eingeschränkte Herz-
funktion (EF 28%). Näheres sei nicht bekannt.

Wie interpretieren Sie die Zusatzinformationen?

Der Verdacht auf eine koronare Herzerkrankung erhärtet sich. Für eine hochdruckbedingte Symptomatik,
eine Aortenerkrankung oder eine Lungenerkrankung gibt es keine positiven Anhaltspunkte.

Dynamische Stressechokardiographie: Stufenweise Belastung bis 150 W, HF-Anstieg von 93 auf 150/min, RR-An-
stieg von 105/75 mmHg auf 185/80 mmHg. Abbruch wegen Erschöpfung und Atemnot. Unter Belastung stechende
thorakale Schmerzen mit Ausstrahlung in die Schulter links, die bis kurz nach Belastungsende anhalten. Echokardiogra-
phisch angedeutete septal-apikale Hypokinesie unter Belastung (nicht sehr ausgedehnter Befund).
Sie stellen die Indikation zur Koronarangiographie.
Herzkatheter:
Linke Kranzarterie: Keinerlei Stenosen, aber Flussverlangsamung in der peripheren LAD.
Rechte Kranzarterie: Die erste Darstellung zeigt einen langstreckige Verengung mit glatten Konturen (› Abb. 1.39). Es
besteht ein stark verlangsamter Fluss in der Peripherie der RCA. Nach einmaliger intrakoronarer Gabe von Nitroglyzerin
(0,25 mg) ist keinerlei Stenose mehr zu erkennen (› Abb. 1.40).
1.10  Brustschmerzen in Ruhe und bei Belastung 59

Abb. 1.39  Koronarspasmus Abb. 1.40  Koronarspasmus nach einmaliger Nitroglyzerin­


gabe

Welche Diagnose stellen Sie?

Es handelt sich um einen (evtl. auch durch den Katheter induzierten) Koronarspasmus der RCA. In der lin-
ken Kranzarterie könnte man versuchen, durch Gabe von Acetylcholin oder Ergonovin ebenfalls Spasmen
auszulösen. Therapeutische Konsequenzen hätte dies aber keine (wäre aber ein Risiko für den Patienten).
Zusätzlich weist der verlangsamte Kontrastmittelabfluss in LAD und RCA dieses Patienten auf eine mikro-
vaskuläre Dysfunktion hin.
Koronarspasmen können neben Beschwerden im EKG auch mit dem Bild eines ST-Hebungsinfarkts ein-
hergehen. Dies entspricht der klassischen Prinzmetal-Angina.

Welche Behandlung empfehlen Sie?

Es ist nachgewiesen, dass in „spastischen“ Koronararterien ein NO-Defizit besteht, weshalb die Behandlung
mit Nitraten sinnvoll ist. Betroffene Arterien reagieren gegenüber Nitraten überschießend im Vergleich zu
nicht von Spasmen betroffenen Arteriensegmenten beim gleichen Patienten. Ein additiver positiver Effekt
von Statinen zusätzlich zu Nitraten ist nachgewiesen worden. Auch Kalziumantagonisten werden zur Thera-
pie empfohlen, wenngleich die gefäßerweiternde Wirkung in spastischen und nicht spastischen Koronarseg-
menten vergleichbar scheint. Einige Autoren empfehlen Betablocker zu vermeiden, da – analog zum Phäo-
chromozytom – vermehrt Alpharezeptoren durch zirkulierende Katecholamine stimuliert und somit eine
Vasokonstriktion begünstigt werden könnte. Der Alphablocker Prazosin zeigte in einer Studie bei Prinzme-
tal-Angina ebenfalls positive Effekte. Die genannten Substanzen beeinflussen auch die mikrovaskuläre Dys-
funktion positiv.
60 1  Leitsymptom Thoraxschmerz

Was können Sie noch empfehlen?

Der Patient sollte unbedingt permanent auf Nikotin verzichten und regelmäßig Sport treiben, auch im Hin-
1 blick auf die Endotheldysfunktion. Substanzen und Situationen, die Spasmen auslösen können, sollten ver-
mieden werden. Dazu gehören Serotonin und Ergotamin, Katecholaminexzesse, z.B. durch mentalen Stress,
Entzug (z.B. Alkohol), ebenso Hyperventilation und Chemotherapeutika (5-Fluorouracil, Cyclophosphamid).
Auch Magnesiummangel begünstigt Spasmen.
Der Patient sollte auch über mögliche Folgen eines etwaigen Kokainkonsums aufgeklärt werden. Kokain
ist ein potenter Vasokonstriktor und kann bei den Konsumenten zu Brustschmerzen und durchaus auch zu
Herzinfarkten führen. So wurden beispielsweise 2005 in den USA knapp 450.000 Personen kokainbedingt in
Notaufnahmen behandelt. 40% davon gaben Brustschmerzen an. Verschiedene Studien zeigten, dass etwa 6%
der Patienten mit kokainassoziierten Brustschmerzen einen Myokardinfarkt hatten! Bei kokaininduziertem
Infarkt wird die Gabe von Betablockern ausdrücklich nicht empfohlen (Klasse III, AHA 2008), da sie die
Spasmusneigung der Kranzgefäße erhöhen und den myokardialen Blutfluss reduzieren, zudem kommt es zu
einer Blutdrucksteigerung und erhöhten Krampfanfallsneigung.

LITERATUR:
McCord J, Jneid H, Hollander JE, et al. Management of Cocaine-Associated Chest Pain and Myocardial Infarction. A Scienti-
fic Statement From the American Heart Association Acute Cardiac Care Committee of the Council on Clinical Cardiology.
Circulation 2008; 117: 1897–907.
Tikkanen JT, Anttonen O, Juntilla JM, et al. Long-term outcome associated with early repolarization on electrocardiography.
N Engl J Med 2009; 361: 2529–37.
KAPITEL

2 Leitsymptom Herzrasen
2.1  Intermittierendes Herzrasen Marcus Leibig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

2.2  Plötzliches Herzrasen Marcus Leibig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

2.3  Herzrasen und Schwindel Marcus Leibig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

2.4  ICD und Herzrasen Sebastian Schmieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

2.5  Herzrasen und Kollaps Sebastian Schmieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

2.1  Intermittierendes Herzrasen


Marcus Leibig

KASUISTIK
Ein 64-jähriger Patient bemerkt seit ca. 6 Monaten gelegentlich einen unregelmäßigen Puls, ein Hausarzt hätte mal ein
EKG geschrieben, dabei seien Herzrhythmusstörungen aufgefallen, zuletzt war jedoch wohl alles in Ordnung. Weiterhin
verspüre er bei starker körperlicher Belastung thorakale Druckgefühle. An internistischen Vorerkrankungen ist ein arteri-
eller Hypertonus bekannt, welcher seit 2 Jahren mit Ramipril 5 mg/d behandelt ist. An weiteren kardiovaskulären Risiko-
faktoren besteht ein Nikotinabusus bis vor 5 Jahren (40 py).
Körperlicher Untersuchungsbefund bei Aufnahme: 181 cm Körpergröße, 93 kg Gewicht, Puls 64/min, rhythmisch,
Blutdruck 150/90 mmHg, Herz- und Lungenauskultation unauffällig, keine vitientypischen Geräusche auskultierbar, bei-
derseits Vesikuläratmen, ansonsten unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund.

Welche weiteren Untersuchungen veranlassen Sie?

Ruhe-EKG, Herzecho, Belastungs-EKG, Langzeit-EKG, 24-Std.-RR, Routinelabor.

KASUISTIK
EKG: SR, 76/min, Linkstyp, keine Erregungsrückbildungsstörungen, grenzwertiger Sokolov-Index (S in V1 + R in V5 = 3,5 mV).
Im Herzultraschall zeigte sich eine normale systolische LV-Funktion ohne regionale Kontraktionsstörungen. Es liegt eine
diastolische Funktionsstörung Grad I vor bei geringer LV-Hypertrophie. Der linke Vorhof ist mit 43 mm im Durchmesser
leicht erweitert. Keine Auffälligkeiten der Aorten-, Mitral- und Trikuspidalklappe. Es ist kein Druckgradient über der Tri-
kuspidalklappe nachweisbar. Kein Perikarderguss.
Das Routinelabor ist bis auf eine Hypercholesterinämie (LDL 155 mg%, HDL 37 mg%) unauffällig.
Bei der Fahrradergometrie war der Patient bis 150 Watt (84% der submaximalen Herzfrequenz) belastbar. Der Abbruch-
grund war eine muskuläre Erschöpfung. Bei maximaler Belastung hatte der Patient leichte thorakale Beschwerden und si-
gnifikante ST-Senkungen (0,2 mV) in den Ableitungen V4–V6. Der Herzfrequenzanstieg unter Belastung war physiologisch,
der Blutdruckanstieg pathologisch (max. 220/120 mmHg bei 100 Watt). Es fanden sich keine Herzrhythmusstörungen.
62 2  Leitsymptom Herzrasen

Wie interpretieren Sie den Belastungstest?

Formal Ischämiereaktion bei diskreter Klinik, Differenzialdiagnose hypertensive Herzerkrankung als Ursa-
che.

Wie beurteilen Sie folgende Rhythmusstörung (› Abb. 2.1)?


2

Abb. 2.1  Langzeit-EKG


Paroxysmales Vorhofflimmern: Die erste Aktion ist eine Sinusaktion, nach einer VES folgt eine weitere Si-
nusaktion, im Anschluss zeigt sich Vorhofflimmern.

Wie beurteilen Sie die 24-Std.-RR-Messung (› Abb. 2.2)?

260
240 190
220 180
200 170
180 160
160 150
140 140
120 130
100 120
80 110
60 100
40 90
20 80
0 70
60
50
40

9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Zeit

Tag Nacht M = manuelle Messung


obere Grenzwerte (syst., diast.) F = Fehlmessung

Abb. 2.2  24-Std.-RR-Messung

Arterieller Hypertonus mit erhaltener Nachtabsenkung.


2.1  Intermittierendes Herzrasen 63

Was ist Ihr nächster Untersuchungsschritt?

Aufgrund der pathologischen Ergometrie ist eine diagnostische Herzkatheteruntersuchung indiziert


(› Abb. 2.3, › Abb. 2.4).

Abb. 2.3  Herzkatheteruntersuchung Abb. 2.4  Herzkatheteruntersuchung

Es zeigt sich eine koronare Herzerkrankung mit einer hochgradigen, medialen LAD-Stenose. Der RCX und
die RKA zeigen nur Wandunregelmäßigkeiten.
Die LAD wird mit einem Stent versorgt. Da es sich um ein dominantes Gefäß handelt, wird trotz des
Durchmessers von 3,5 mm wegen der Stentlänge (23 mm) ein Everolimus-beschichteter Stent implantiert.

Wie verhalten Sie sich bezüglich der Thrombozytenaggregationshemmung und


Antikoagulation?

Embolieprophylaxe bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern (Camm et al. 2010):

CHA2DS2-VASc-Score:

Congestive Heart Failure 1 Punkt


Hypertension 1 Punkt
Age > 75 Years 2 Punkte
Diabetes 1 Punkt
Stroke oder TIA anamnestisch 2 Punkte
Vascular disease 1 Punkt
Age 65–74 Years 1 Punkt
Sex category (female sex) 1 Punkt
64 2  Leitsymptom Herzrasen

Der früher verwendete CHADS2-Score wurde von dem CHA2DS2-VASc-Score abgelöst, der an einer größeren
Patientenanzahl validiert ist. Im Unterschied zum bisherigen Score wird jetzt ein Alter über 65 Jahre schon
als Risiko mit einem Punkt bewertet, über 75 Jahre mit 2 Punkten. Außerdem werden zusätzliche Punkte
vergeben bei weiblichem Geschlecht und koexistenten Gefäßerkrankungen.

Empfehlungen zur Embolieprophylaxe:


CHA2DS2-VASc-Score:
2
0 ASS 75–325 mg/d oder keine Therapie.
1 ASS 75–325 mg/d oder Antikoagulation (INR 2,0–3,0).
≥ 2 Antikoagulation (INR 2,0–3,0) (Camm et al. 2010).

Das jährliche Schlaganfallrisiko ist in › Tabelle 2.1 dargestellt.


Unser Patient hat eine klare Indikation sowohl zur dualen Plättchenhemmung nach DE-Stentimplantation
als auch zur oralen Antikoagulation (OAK) bei Vorhofflimmern.
Prinzipiell vermindert eine alleinige Thrombozytenaggregation das Risiko für eine Embolie bei Vorhof-
flimmern um ca. 30%, dennoch ist dies bei einem CHA2DS2-VASc-Score von 2 (Embolierisiko pro Jahr 2,2%)
nicht ausreichend, daher besteht prinzipiell eine Indikation zur Tripletherapie (duale Plättchenhemmung
plus Antikoagulation).
Die Tripletherapie ist mit einem erhöhten Blutungsrisiko verbunden. Aktuell wurde von der European
Heart Organisation ein Konsensus-Dokument hierfür erarbeitet (› Tab. 2.3, › Tab. 2.4).

Tab. 2.1  Jährliches Schlaganfallrisiko nach CHADS-Score


CHA2DS2-VASc-Score Patienten (n = 7329) Adjustierte Schlaganfallrate (%/Jahr)
0 1 0%
1 422 1,3%
2 1230 2,2%
3 1730 3,2%
4 1718 4,0%
5 1159 6,7%
6 679 9,8%
7 294 9,6%
8 82 6,7%
9 14 15,2%

Tab. 2.2  Empfehlung zur Thrombozytenaggregation nach Stentimplantation (nach Bonzel et al. 2008)
Nach BMS 4 Wochen I-A
Nach PCI bei NSTEMI-ACS 12 Monate I-A
Nach PCI bei STEMI-ACS 9–12 Monate IIa-C
Nach DES 6–12 Monate I-C
2.1  Intermittierendes Herzrasen 65

Tab. 2.3  Tripletherapie bei Patienten mit niedrigem/mittlerem/hohem Blutungsrisiko


Hämorrhagi- Klinische Stentart Antikoagulationsempfehlungen
sches Risiko S­ ituation
Niedrig bis mittel elektiv BMS 1 Monat Tripletherapie
z.B. HAS-BLED- lebenslang: nur OAK (INR = 2,0–3,0)
Score 0–2 elektiv DES 3 Monate (Sirolimus, Everolimus, Tacrolimus) bis
6 Monate (Paclitaxel) Tripletherapie
bis zu 12 Monate: OAK (INR = 2,0–2,5) und Clopidogrel 2
75 mg/d (oder ASS 100 mg)
lebenslang: nur OAK (INR = 2,0–3,0)
akutes Koro- BMS oder DES 6 Monate Tripletherapie
narsyndrom bis zu 12 Monate: OAK (INR = 2,0–2,5) und Clopidogrel
75 mg/d (oder ASS 100 mg)
Lebenslang: nur OAK (INR = 2,0–3,0)
Hoch elektiv BMS 2–4 Wochen Tripletherapie
z.B. HAS-BLED- lebenslang: nur OAK (INR = 2,0–3,0)
Score ≥ 3 akutes Koro- BMS 4 Wochen Tripletherapie
narsyndrom bis zu 12 Monate: OAK (INR= 2,0–2,5) und Clopidogrel
75 mg/d (oder ASS 100 mg)
lebenslang: nur OAK (INR = 2,0–3,0)

Tab. 2.4  HAS-BLED-Blutungsrisiko


Anfangsbuchstabe klinische Charakteristika Punkte
H hypertension 1
A abnormal renal and liverfunction (jeweils 1 Punkt) 1 bzw. 2
S stroke 1
B bleeding 1
L labile INRs 1
E elderly (e.g. age > 65 years) 1
D drugs or alcohol (jeweils 1 Punkt) 1 bzw. 2
HAS-BELD Score ≥ 3 Punkte entspricht hohem Blutungsrisiko.

Tripletherapie = OAK (INR = 2,0–2,5), Clopidogrel 75 mg/d, ASS < 100 mg/d.
Letztendlich kann diese Empfehlung durchaus kritisch diskutiert werden, da einige Leitlinien auch für
­-limus-beschichtete Stents eine duale Plättchenhemmung für mindestens 6 Monate empfehlen. Einige Auto-
ren empfehlen als Langzeittherapie die orale Antikoagulation in Kombination mit einem Thrombozyten­
aggregationshemmer; dies ist nicht ausreichend durch wissenschaftliche Daten abgesichert, daher empfehlen
die Autoren der Leitlinie die alleinige Antikoagulation.

Wie lauten Ihre Empfehlungen zur Rhythmuskontrolle?

Bei struktureller Herzerkrankung (unser Patient: hypertensive Herzerkrankung, KHE) ergibt sich für Klasse-
1c-Antiarrhythmika ein erhöhtes Risiko für eine medikamentös induzierte ventrikuläre Proarrhythmie.
Auch Sotalol sollte nur mit Vorsicht gegeben werden. Als wenig proarrhythmisch wirksam und daher bei
strukturellen Herzerkrankungen als unbedenklich gilt das Amiodaron, die Therapieeinleitung kann daher
auch ambulant erfolgen.
66 2  Leitsymptom Herzrasen

Amiodaron hat allerdings eine Vielzahl von Nebenwirkungen, daher wird im klinischen Alltag häufig ein
kardioselektiver Betablocker gegeben. In den Leitlinien gibt es hierfür klare Indikationen, zusätzlich haben
kardioselektive Betablocker positive Effekte auf die entsprechenden Begleiterkrankungen des Patienten.
Eine Alternative zu Amiodaron stellt Dronedaron dar. Es handelt sich dabei um ein neues Klasse-III-Anti-
arrhythmikum, das zur gleichen Wirkstofffamilie gehört. Dronedaron enthält keine Jodbestandteile und ist
seit Anfang 2010 für die Behandlung von nicht-permanentem Vorhofflimmern zugelassen.

2
Nennen Sie die Nebenwirkungen von Amiodaron!

Photosensitivität, Polyneuropathie, gastrointestinale Beschwerden, Bradykardien, Torsades de pointes (sel-


ten), pulmonale und hepatische Toxizität, Schilddrüsendysfunktion (Hyper- und Hypothyreose), ophthal-
mologische Nebenwirkungen, Interaktion mit Medikamenten, die über CYP-P450-3A4 (z.B. Simvastatin),
Cytochrom P450 2D6 und P450 2C9 metabolisiert werden.
Unter Therapie mit ACE-Hemmer und AT1-Rezeptorantagonisten wurde ebenfalls eine Verminderung
der Rezidivrate bei Vorhofflimmern beobachtet, auch dies schlägt sich in den Leitlinien nieder.
Unser Patient wurde zusätzlich mit Bisoprolol 5 mg/d behandelt. Hierunter hat er die Palpitationen nicht
mehr wahrgenommen, eine 24-Std-RR-Messung im Verlauf zeigte eine gute Blutdruckeinstellung. Aufgrund
der koronaren Herzerkrankung wurde eine Statintherapie mit Simvastatin 20 mg/d eingeleitet.
Als Thrombembolieprophylaxe wurde der Patient dauerhaft mit Phenprocoumon antikoaguliert. Für die
ersten 6 Monate nach DE-Stentimplantation erhielt der Patient zusätzlich eine duale Plättchenhemmung
(Clopidogrelsulfat 75 mg + ASS 100 mg 1 × die), während dieser Zeit wurde ein INR von 2,0–2,5 empfohlen.
Nach 6 Monaten wurde zusätzlich zur Antikoagulation ASS 100 mg dauerhaft verordnet.
Bei bekannter KHK wurde eine Statintherapie mit einem Ziel-LDL-Wert < 100/dl (optional < 70 mg/dl)
eingeleitet.

LITERATUR
Bonzel T, Erbel R, Hamm CW, et al. Perkutane Koronarinterventionen (PCI). Clin Res Cardiol 2008; 97: 513–47.
Camm AJ, Kirchhof P, Lip GY, et al. Guidelines for the Management of atrial fibrillation. European Heart Journal 2010; 31:
2369–429.

2.2  Plötzliches Herzrasen


Marcus Leibig

KASUISTIK
Ein 39-jähriger Patient stellt sich in der Notaufnahme mit seit etwa 4 Stunden bestehendem Herzrasen und starkem
Angstgefühl vor. Unter diesen Symptomen leidet er schon mehrere Jahre, allerdings haben die Beschwerden nie so lange
angehalten.
Ein von Ihnen sofort veranlasstes EKG zeigt folgenden Befund (› Abb. 2.5).

Welche Diagnose stellen Sie?

Absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern, Herzfrequenz ca. 80/min, Indifferenztyp, unspezifische Erre-
gungsrückbildungsstörungen in II, aVF, V3–V6.
2.2  Plötzliches Herzrasen 67

Abb. 2.5  EKG

Aufgrund der unterschiedlichen P-Wellenmorphologie (z.B. in V1) kann es sich nicht um Vorhofflattern han-
deln.

KASUISTIK
Körperlicher Untersuchungsbefund bei Aufnahme: 189 cm Körpergröße, 85 kg Gewicht, Puls 168/min, arrhyth-
misch, Blutdruck 110/70 mmHg, Herztöne rein, keine vitientypischen Geräusche auskultierbar, beiderseits Vesikulär­
atmen, ansonsten unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund.
68 2  Leitsymptom Herzrasen

Welche weitere Untersuchung veranlassen Sie?

Herzecho, Routinelabor.
Im Herzultraschall zeigte sich eine normale systolische LV-Funktion ohne reg. Kontraktionsstörungen.
Wanddicken normal. Der linke Vorhof ist mit 39 mm im Durchmesser normal groß. Keine Auffälligkeiten
der Aorten-, Mitral- und Trikuspidalklappe. Es ist kein Druckgradient über der Trikuspidalklappe nachweis-
bar. Kein Perikarderguss.
2 Das Routinelabor zeigte keine Auffälligkeiten, insbesondere Troponin, basales TSH und die Elektrolyte
(K+) lagen im Normbereich.

Welche Therapie leiten Sie ein?

Vorsichtige Frequenzsenkung mit einem Betablocker (z.B. Metoprolol 2,5–5 mg i.v.) oder einem Kalziuman-
tagonisten (Verapamil 5–10 mg i.v.) (bei i.v.-Gabe schnellerer Wirkungseintritt, prinzipiell auch orale Verab-
reichung möglich).
Die Herzfrequenz liegt unter Metoprolol 5 mg i.v. bei ca. 90/min, dem Patienten geht es schon deutlich
besser.

Muss der Patient stationär aufgenommen werden?

Nein, da er kreislaufstabil ist. Sie verordnen ein niedermolekulares Heparin in Vollwirkdosis (z.B. Enoxapa-
rin 2 × 80 mg) und Metoprolosuccinat 47,5 mg 2 × tägl. und bitten den Patienten, sich am nächsten Tag
nochmals vorzustellen.

Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit einer spontanen Konversion in den
Sinusrhythmus ein?

Ca. zwei Drittel der Patienten mit neu aufgetretenem Vorhofflimmern konvertiert innerhalb von 72 Stunden
in den Sinusrhythmus.

Ihr Patient stellt sich am nächsten Morgen vor und hat weiterhin Vorhof­flimmern.
Sie besprechen mit ihm die Kardioversion für den nächsten Tag. Halten Sie eine
transösophageale Echokardiographie zum Ausschluss von Vorhofthromben für
sinnvoll?

Nach den Leitlinien ist eine Kardioversion bei Vorhofflimmern innerhalb von 48 Stunden ohne den echokar-
diographischen Ausschluss von Thromben gerechtfertigt, daher in unserem Fall nicht notwendig.
2.2  Plötzliches Herzrasen 69

Ihr Patient ist am nächsten Tag spontan in den Sinusrhythmus konvertiert, eine
medikamentöse Rezidivprophylaxe möchte er aber nicht einnehmen. Was raten
Sie ihm?

• Nach den Empfehlungen des CHA2DS2-VASc-Score (unser Patient hat einen Score von 0) sollte er täglich
ASS 75–325 mg einnehmen, alternativ kann auf eine antithrombotische Therapie verzichtet werden
(Camm et al. 2010).
• Wenn die Arrhythmie länger als 24 Stunden anhält, sollte eine umgehende ärztliche Vorstellung erfolgen, 2
um das 48-Stunden-Fenster der Kardioversionsmöglichkeit ohne Antikoagulation nicht zu verpassen.
• Da die Rhythmusstörungen bei diesem Patienten nur selten auftreten, ist eine „Pill in the pocket“-Thera-
pie gerechtfertigt.

Bitte beschreiben Sie das Prinzip von „Pill in the Pocket“!

Diese Therapie ist für Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern (Dauer < 7 Tage) geeignet, die keine
häufigen Episoden, d.h. maximal 2–3 pro Monat, haben. Die Erfolgsaussicht beträgt nach den heutigen Er-
fahrungen ca. 90%. Patienten mit weniger als 70 kg Körpergewicht nehmen 200 mg Flecainid oder 450 mg
Propafenon, Patienten über 70 kg Körpergewicht 300 mg Flecainid oder 600 mg Propafenon, sobald Vorhof-
flimmern auftritt.
Die Erstdosis muss unter Monitorüberwachung verabreicht werden, um proarrhythmische Effekte auszu-
schließen.
Ausschlusskriterien sind eine bekannte koronare Herzerkrankung, eine dilatative oder hypertrophe Kar-
diomyopathie, eine Herzinsuffizienz in der Vorgeschichte, Herzklappenerkrankungen, ein verlängertes QT-
Intervall, Bradykardien, Präexzitationssyndrome und höhergradige AV-Blockierungen.

KASUISTIK
Der Patient stellt sich ca. 9 Monate nach erfolgter Therapieeinleitung erneut vor. Er berichtet, dass die Häufigkeit der
Tachykardien inzwischen zunimmt. Vor einer Woche habe er über zwei Tage Vorhofflimmern verspürt, die „Pill in the
Pocket“-Therapie hat keinen Effekt gezeigt. Er bittet Sie um eine alternative Therapie, wobei er Betablocker aufgrund von
Potenzproblemen ablehnt.

Da die Klasse-Ic-Antiarrythmika versagt haben, wäre Amiodaron oder Dronedaron als Alternative angezeigt.
Der Patient hat sich inzwischen selbst informiert und lehnt die beiden Klasse-III-Antiarrhythmika wegen
den Nebenwirkungen ab. Er hat allerdings etwas von einer Verödungstherapie gehört.
Es konnte gezeigt werden, dass autonome Zentren der Lungenvenen die Auslöser von Vorhofflimmern
darstellen. Durch die Katheterablation werden deshalb die Lungenvenen elektrisch isoliert, man spricht von
der Pulmonalvenenisolation. Die technische Ausführung ist derzeit in der Entwicklung, die Erfolgsraten und
Komplikationen variieren teilweise erheblich in Abhängigkeit von dem jeweiligen Zentrum.

Bitte beschreiben Sie die Indikationen und Komplikationen der Katheterablation


bei Vorhofflimmern.

Rezidivraten:
• Bis zu 30% innerhalb von 12 Monaten.
• Bis zu 10% nach einem Jahr.
Komplikationen: in bis zu 6% der Fälle (meist vaskuläre Komplikationen; 1,2% Herzbeuteltamponaden).
70 2  Leitsymptom Herzrasen

„Optimale“ Patienten:
• Symptomatische Patienten (paroxysmal oder persistierend)
• < 70 Jahre alt
• Keine schweren Begleiterkrankungen
• Herzinsuffizienz in Verbindung mit nicht kontrollierbarem Vorhofflimmern
• Durchmesser des linken Vorhofs < 55 mm.
2 KASUISTIK
Ihr Patient entschließt sich zur Ablationsbehandlung. In unserem Zentrum ist eine 4-wöchige Antikoagulation präinter-
ventionell vorgeschrieben. Dieses Vorgehen wird allerdings sehr unterschiedlich gehandhabt, einige Zentren verlangen bei
einem niedrigen CHADS2-Score vor der Ablation ein TEE ohne vorherige Antikoagulation.

Innerhalb von 14 Tagen trat ein Frührezidiv auf. Stellt sich hiermit die Indikation
zur Re-Ablation?

Frührezidive innerhalb der ersten 4 Wochen nach der Ablation sind relativ häufig (bis zu 43%) und stellen
keine Indikation zur Re-Ablation dar, da bei ca. 60% der Patienten mit Frührezidiv in den folgenden Monaten
keine weiteren Rezidive auftreten.

LITERATUR:
Camm Kirchhof P, Lip GY, Schotten U, et al. Guidelines for the management of atrial fibrillation. European Heart Journal
2010; 31: 2369–429.

2.3  Herzrasen und Schwindel


Marcus Leibig

KASUISTIK
Eine 37-jährige Patientin stellt sich bei Ihnen in der Notaufnahme wegen Herzrasen und Schwindelgefühl vor. Die Frau
berichtet, dass die Symptomatik bereits seit ca. 2 Stunden besteht, gleichzeitig verspüre sie ein unangenehmes Klopfen
im Hals. Die Episode hätte schlagartig, ohne Vorankündigung begonnen. Bisher sei das Herzrasen ca. 5-mal aufgetreten,
dauerte aber jeweils nur wenige Minuten. Wie lange das Problem insgesamt besteht, könne sie nicht so genau sagen,
sicher jedoch nicht länger als zwei Jahre.
Körperlicher Untersuchungsbefund bei Aufnahme: 169 cm Körpergröße, 62 kg Gewicht, Puls 180/min, rhyth-
misch, Blutdruck 90/60 mmHg, Herztöne rein, keine vitientypischen Geräusche auskultierbar, sichtbare Pulsation der Ju-
gularvenen, beiderseits Vesikuläratmen, ansonsten unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund.

Befunden Sie bitte das nachfolgende Ruhe-EKG (25 mm/s) der Patientin bei
Aufnahme (› Abb. 2.6).

Regelmäßige schmalkomplexige Tachykardie, 175/min, Indifferenztyp, ubiquitäre ST-Strecken-Senkungen,


P-Welle nicht abgrenzbar.
2.3  Herzrasen und Schwindel 71

Abb. 2.6  Ruhe-EKG

Wie lautet Ihre Diagnose?

Paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie.

Wie terminieren Sie diese Rhythmusstörung?

• Valsava-Manöver (cave: Karotisdruck bei älteren Patienten)


• Adenosin-Gabe (6–12 mg i.v. im Bolus)
• Verapamil 5–10 mg i.v.
Das EKG nach Terminierung (› Abb. 2.7) mit 9 mg Adenosin zeigt einen regelmäßigen Sinusrhythmus so-
wie persistierende ST-Strecken-Senkungen.

Welche erweiterte Diagnostik empfehlen Sie?

Ultraschallkardiographie (UKG) und Stress-Test zum Ausschluss einer strukturellen bzw. koronaren Herzer-
krankung, Routinelabor (Elektrolytentgleisungen, TSH).

Im UKG zeigt sich lediglich eine diastolische Funktionsstörung Grad 1, ansonsten findet sich ein altersentsprechender
Normalbefund.
72 2  Leitsymptom Herzrasen

Abb. 2.7  EKG nach Terminierung mit 9 mg Adenosin

Welchen Stress-Test schlagen Sie vor?

Aufgrund der ST-Strecken-Senkungen im Ruhe-EKG ist ein Stress-Echo sinnvoll; keine Szintigraphie wegen
der Strahlenbelastung.

Im nachfolgenden Stress-Echo mit Dobutamin-Belastung ergab sich kein Hinweis für eine hämodynamisch relevante ko-
ronare Herzerkrankung.

Was empfehlen Sie zur Rezidivprophylaxe?

Sehr wahrscheinlich liegt eine AV-Knoten-Reentrytachykardie vor. Es handelt sich dabei um die häufigste
paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie, die Inzidenz in der Gesamtbevölkerung beträgt ca. 5 : 1000. Die-
se Form der Herzrhythmusstörung wird als benigne betrachtet, allerdings kommen hämodynamische Beein-
trächtigungen bis zur Synkope vor. Für eine pharmakologische Rezidivtherapie eignen sich nur Präparate,
die den AV-Knoten in seinen Überleitungseigenschaften hemmen (z.B. Betablocker, Kalziumantagonisten
vom Verapamil- und Diltiazemtyp etc.). Da die individuelle Wirkung unsicher und eine Langzeittherapie zur
Verhinderung von seltenen Episoden nicht sinnvoll ist, gibt es derzeit keine Empfehlungen, Patienten primär
einer medikamentösen Rezidivprophylaxe zuzuführen.
Abhängig vom Leidensdruck und den hämodynamischen Auswirkungen während der Tachykardie ist eine
elektrophysiologische Untersuchung mit anschließender Radiofrequenzablation zu empfehlen. Vorab sollte die
Patienten allerdings über die potenziellen Risiken sowie die Strahlenbelastung genau aufgeklärt werden. Insbe-
sondere auf die Möglichkeit eines kompletten AV-Blocks bei der Modulation des langsamen Leitungswegs bei
AV-Knoten-Reentrytachykardie mit anschließender Schrittmacherpflichtigkeit in weniger als 3% der Fälle sind
2.3  Herzrasen und Schwindel 73

Sinusrhythmus SVES AVNRT

α β α β α β

Abb. 2.8  Elektrophysiologischer Mechanismus der AV-Knotenreentrytachykardie

die nicht selten jungen Patienten hinzuweisen. Alter- I


nativ kann der weitere klinische Verlauf abgewartet
werden, da über keine relevante Morbidität oder Mor-
talität im Zusammenhang mit dieser Rhythmusstö- V6
rung berichtet wurde. Die Langzeiterfolgsrate ist hoch,
A
in ca. 1–6% der Fälle muss mit Spätrezidiven gerech- HRA
net werden.
›  Abbildung 2.8 zeigt einen schematisierten A H V
AV-Knoten. Es zeigen sich zwei Leitungsbahnen, die HIS
sich in ihren elektrophysiologischen Leitungseigen- A V
schaften unterscheiden. In Ruhe übernimmt die CSd
β-Leitungsbahn die Überleitung aufgrund der höhe-
ren Leitungsgeschwindigkeit. Im Fall einer supraven- A V
CSm
trikulären Extrasystole wird die β-Leitungsbahn auf-
grund der längeren Refraktärzeit blockiert. Aufgrund A V
der kürzeren Refraktärzeit leitet nun die langsamere CSp
α-Leitungsbahn auf die Ventrikel über. Im Oberflä-
chen-EKG zeigt sich ein AV-Block 1. Grades. Bei der V
RVA
AV-Knoten-Reentrytachykardie findet die Erregung
Anschluss an die β-Leitungsbahn, die nun retrograd
erregt wird. Aufgrund der kaudalen Lage des AV-
100 ms
Knotens im rechten Vorhof erscheint die P-Welle
Abb. 2.9  Intrakardiales EKG: Neben den beiden Oberflächen­
(negativ in den Ableitungen II, III und aVF) kurz
ableitungen sieht man das intrakardiale EKG von vier verschie-
nach oder im QRS-Komplex. Da Vorhöfe und Ventri- denen Ableitungsorten (vgl. ›  Abb. 2.10). Die Vorhofer­
kel fast gleichzeitig erregt werden, schlägt der rechte regung beginnt im hohen rechten Vorhof und erscheint kurze
Vorhof gegen die geschlossene Trikuspidalklappe, Zeit später im Bereich des AV-Knotens bzw. im His-Bündel. In
somit werden die Propfungswellen in die Jugularve- dieser Ableitung findet man auch physiologisch die erste Kam-
mererregung. Im Koronarvenensinus-Katheter ist die linksatria-
nen weitergeleitet (frog sign; ›  Abb. 2.9; ›  Abb.
le Erregungsausbreitung vom Ostium (CSp) nach linksanterior
2.10; › Abb. 2.11; › Abb. 2.12). (CSd) zu erkennen. Die hier erscheinenden Kammerpotenziale
›  Abbildung 2.11 zeigt das intrakardiale EKG sind entsprechend aus dem linken Ventrikel. RVA repräsentiert
während der elektrophysiologischen Untersuchung. Potenziale aus dem rechten Ventrikel.
74 2  Leitsymptom Herzrasen

Im CS7/8 (proximale CS-Elektroden, dadurch ist es


nicht notwendig, einen extra Katheter in der HRA zu
legen) erfolgt eine Basisstimulation (S1) des Vorhofs
über 8 Schläge mit 500 ms Zykluslänge. Daran ange-
fügt wird ein Extrastimulus (S2) mit einem kürzeren
Intervall, entsprechend einer Anhebung der Herz-
frequenz. Im Vergleich zur vorangegangenen Stimu-
2 lationssequenz wird der S2 um jeweils 10 ms ver-
kürzt. Zu sehen ist eine deutliche Verlängerung des
AH-Intervalls. Beträgt die Zunahme des AH-Inter-
valls im Vergleich zur vorangegangenen Stimulati-
onssequenz mehr als 50 ms, spricht man von einem
Jump. Dieser entspricht einem „Sprung“ der Erre-
gungsüberleitung von der schnellen auf die langsa-
me Bahn innerhalb des AV-Knotens. Anschließend
zeigt sich eine supraventrikuläre Tachykardie mit
fast gleichzeitiger Erregung der Vorhöfe (A) und
Ventrikel (V).
Im Anschluss ist zwar ein „Jump“ nachweisbar, die
AV-Knotenreentrytachykardie kann jedoch nicht
mehr ausgelöst werden.

Abb. 2.10  Lage der Katheterpositionen, von denen die in


›  Abb. 2.9 gezeigten EKGs stammen (Grafik: Sibylle Yorck
von Wartenburg).

Abb. 2.11  Intrakardiales EKG bei AVNRT


2.4  ICD und Herzrasen 75

Abb. 2.12  Modulation der langsamen Leitungsbahn: Nach Positionierung des Ablationskatheters im inferoposterioren Bereich des
Koch-Dreiecks (Definition: Das Koch‘sche Dreieck beinhaltet den AV-Knoten, es wird nach posterior durch die Todaro-Sehne, nach
medial durch den Ansatz der septalen Segel der Trikuspidalklappe und nach inferior durch das Koronarsinusostium begrenzt) wird
die Energie appliziert. Dabei zeigen sich sog. junktionale Schläge, die für eine erfolgsversprechende Lokalisation der Therapieabga-
be sprechen. Hierbei ist darauf zu achten, dass in den CS-Ableitungen sowohl Vorhof- als auch Kammerpotenziale erscheinen. Falls
dies nicht so ist, muss die Applikation sofort unterbrochen werden, da ein persistierender kompletter AV-Block droht.

Nennen Sie Differenzialdiagnosen für das Symptom Herzrasen!

• Paroxysmale SVT: AVRT, concealed WPW, WPW.


• Sinustachykardien.
• Vorhofflimmern, Vorhofflattern.
• Ventrikuläre Tachykardien.
LITERATUR
Blomström-Lundqvist C, et al. ACC/AHA/ESC Guidelines for the Management of Patients with Supraventricular Arrhythmias.
JACC 2003; 42 (8): 1493–531.

2.4  ICD und Herzrasen


Sebastian Schmieder

KASUISTIK
Über den Notarzt wird ein 61-jähriger Mann in Ihre Notaufnahme eingewiesen. Der Notarzt wurde vom Patienten in den
Morgenstunden zu Hause alarmiert. Herr F. berichtet, dass es vor ca. 1½ Stunden plötzlich zu Luftnot gekommen sei,
76 2  Leitsymptom Herzrasen

zusätzlich sei ihm der Schweiß auf der Stirn gestanden. Ferner habe er einen schnellen Pulsschlag bemerkt.
Aus den Unterlagen des Patienten erfahren Sie, dass Herr F. Träger eines implantierten Defibrillators ist. Der ICD wurde
ohne vorangehende Rhythmusereignisse im Sinne einer Primärprävention bei deutlich reduzierter LV-Funktion und Zu-
stand nach Myokardinfarkt implantiert. Ihre Frage, ob der ICD spürbar reagiert habe, verneint der Patient, an eine Schock­
abgabe kann er sich nicht erinnern. Eine Synkope oder einen Sturz verneint Herr F. ebenso.
Vitalparameter bei Eintreffen des Notarztes:
• Blutdruck: 96/65 mm Hg
• Herzfrequenz: 169/min
2 • Atemfrequenz: 16/min
• Blutzucker (Glukose-Stix): 116 mg/dl.

Welches sind Ihre ersten Schritte? Welche Untersuchungen veranlassen Sie


zuerst?

Sie veranlassen eine Blutentnahme und ein EKG.

Bitte befunden Sie das folgende EKG (› Abb. 2.13).

Abb. 2.13  Ruhe-EKG

Befund des 12-Kanal-EKGs: Tachykardie mit breitem Kammerkomplex, HF 169/min. Keine Schrittmacher-
aktionen sichtbar. Atypischer Lagetyp (überdrehter Rechtstyp). Möglicherweise p-Wellen.
Die Differenzierung supraventrikulärer Tachykardien (SVT) mit breitem Kammerkomplex von ventri-
kulären Tachykardien ist insgesamt schwierig. In der Literatur sind immer wieder verschiedene Algorith-
men beschrieben worden, um anhand des 12-Kanal-EKGs eine möglichst sichere Unterscheidung zu
treffen.
2.4  ICD und Herzrasen 77

Wichtige EKG-Differenzialdiagnosen zu einer VT Ventrikuläre Tachykardie


sind: SVT mit Schenkelblock, z.B.
• Sinustachykardie
• Vorhofflimmern und Vorhofflattern Instabil? Stabil
• Fokale atriale Tachykardie • Reduziertes Bewusstsein,
• AVNRT Schwindel
• Systolischer Blutdruck
• Orthodrome Tachykardie mit Schenkelblock bei < 90 mmHg
Medikamentöse Therapie
WPW-Syndrom • Thoraxschmerzen
• Amiodaron i.v. 2
• Antidrome Tachykardie bei WPW-Syndrom (150 mg über 10 Min.,
max. 2,2 g/24h)
• SVT mit Präexzitation über ein akzessorisches • Elektive Kardioversion
planen
Leitungsbündel bei WPW Elektrische
• Bei ICD-Trägern ggf.
• Stimulierter Rhythmus. Kardioversion
manuelle Überstimulation
Die wichtigsten Kriterien, die für das Vorliegen einer
VT sprechen, sind: Abb. 2.14  Entscheidungsbaum VT
• VA-Dissoziation (beweisend für eine VT)
• Fusionsschläge (simultane Erregung des ventriku-
lären Myokards durch das spezifische Reizleitungssystem und durch einen ventrikulären Fokus)
• Atypischer Lagetyp (Fehlen einer typischen Rechts- bzw. Linksschenkelblockkonfiguration).

KASUISTIK
Der Patient wurde zwischenzeitlich an einen Monitor angeschlossen, die Vitalparameter sind unverändert. Herr F. ist
orientiert und ansprechbar.

Wie entscheiden Sie, ob und welche Notfallmaßnahmen Sie ergreifen müssen?


Was unternehmen Sie als Nächstes?

Sie orientieren sich bei Ihrem weiteren Vorgehen am oben gezeigten Schema (› Abb. 2.14).
Sie kommen zu dem Schluss, dass der Patient noch hämodynamisch stabil genug ist, um auf eine sofortige
externe Kardioversion zu verzichten. Da der Patient ICD-Träger ist, bitten Sie einen Kollegen mit Erfahrung
in der Nachsorge von ICD-Aggregaten um Hilfe. Der Kollege ist wenige Minuten später mit einem Program-
miergerät vor Ort, um eine manuelle Überstimulation der laufenden VT durchzuführen.

KASUISTIK
Befund der ICD-Abfrage und Überstimulation: Im Speicher des ICD finden sich multiple Episoden einer langsamen
VT meist knapp an der unteren programmierten Detektionsgrenze v. 170/min (Monitorzone). Regelrechte Stimulations-
und Wahrnehmungsfunktion. Gute Reiz- und Wahrnehmungsschwellen, unauffällige Impedanz beider Sonden. Kammer-
frequenz > Vorhoffrequenz, damit VT bewiesen. Nach Absenkung der VT-Zone auf 160/min gelingt eine Terminierung der
VT mittels Überstimulation.
Nachdem Ihr Kollege die Tachykardie beenden konnte, ordnen Sie zur Dokumentation ein erneutes EKG an.
78 2  Leitsymptom Herzrasen

Bitte befunden Sie das folgende EKG (› Abb. 2.15).

Abb. 2.15  Ruhe-EKG

Befund des 12-Kanal-EKGs: Sinustachykardie, HF 106/min, überdrehter Linkstyp, T-Negativierung in Ablei-


tung I, aVL sowie V(2)3-6.

KASUISTIK
Sie erkundigen sich nach den Laborwerten.
Laborwerte:
Serumchemie
Natrium mmol/l 135−145 140
Kalium mmol/l 3,5−5,0 3,9
Blutzucker mg/dl 70−115 154
Kreatinin mg/dl 0,5−1,2 0,6
Kalzium (EW-korr.) mmol/l 2,15–2,60 2,23
Magnesium mmol/l 0,70−1,20 0,7
C-reakt. Protein mg/dl < 0,50 0,33
Eiweiß, gesamt g/dl 6,0 − 8,5 7,2
GOT [AST] (37°) U/l < 40 24
GPT [ALT] (37°) U/l < 45 28
Gamma-GT (37°) U/l < 55 30
LDH (37°) U/l < 250 212
CK-gesamt (37°) U/l < 180 64
CK-MB-Aktivität (37°) U/l < 15 entf.
2.4  ICD und Herzrasen 79

Troponin T ng/ml < 0,010 < ,010


Laktat mmol/l 0,5– ,2 2,1
Leukozyten G/l 4,0−11,0 9,3
Hämoglobin g/dl 14,0–18,0 14,8
TPZ (Quickwert) % 70−120 108
INR 0,8−1,2 1
PTT sec 25−42 29 2
TSH basal (sensitiv) μU/ml 0,30−4,00 0,97

Sie bitten den in der Notaufnahme tätigen PJ-Studenten, per Fax Unterlagen über frühere Krankenhausaufenthalte und
Diagnosen des Patienten anzufordern. Nach kurzer Zeit erhalten Sie folgende Informationen:
Diagnosen:
• Koronare Dreigefäßerkrankung mit reduzierter LV-Funktion bei ischämischer Kardiomyopathie (EF 29%)
– Hinterwandinfarkt vor 10 Jahren
– Z. n. mehrfacher Koronarintervention mittels PTCA/Stentimplantation, letzter Herzkatheter vor 2 Monaten ohne
Hinweis auf Progression der bekannten KHK, kein Interventionsbedarf
– Z. n. Implantation eines ICD (Zweikammeraggregat) vor einem Jahr (Primärprävention)
• Arterielle Hypertonie (essenziell)
• Hypercholesterinämie
• Z. n. langjährigem Nikotinabusus
• Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (Stadium GOLD II).
Sie erhalten auch Kopien eines früheren EKGs des Patienten. Es sind keine wegweisenden Änderungen festzustellen.

Da der Patient eine bekannte KHK hat, denken Sie über ein invasives Vorgehen
(erneute Koronarangiographie) nach. Wie entscheiden Sie sich? Bitte begründen
Sie Ihre Entscheidung!

Sie entscheiden sich zunächst gegen die Durchführung einer Koronarangiographie. Mehrere Faktoren spie-
len eine Rolle für Ihre Entscheidung:
• Herr F. ist derzeit beschwerdefrei. Das EKG zeigt im Vergleich zu älteren Aufzeichnungen keine Ände-
rungen.
• Die kürzlich durchgeführte Herzkatheteruntersuchung ergab keinen Interventionsbedarf.
• Das aktuelle Labor zeigt keinerlei Hinweise für eine akute Koronarischämie, obwohl die Tachykardie des
Patienten für mindestens 1½ Stunden mit einer hohen Kammerfrequenz anhielt.
Sie entscheiden sich dennoch, Ihren Patienten zur weiteren Beobachtung stationär aufzunehmen zur Opti-
mierung der Medikation und Ischämiediagnostik.

KASUISTIK
Aktuelle Medikation bei Entlassung:
ASS 100 mg 1-0-0
Clopidogrelhydrogensulfat 75 mg 1-0-0
Ramipril 5 mg 1-0-0
Spironolacton 25 mg 1-0-0
Torasemid 20 mg 1-0-0
Simvastatin 20 mg 0-0-1
Bisoprolol 5 mg 1-0-1
Thiotropiumbromid 18 μg 1-0-0 (per inhalationem)
Budesonid/Formoterol 320/9 μg 1-0-1 (per inhalationem)
80 2  Leitsymptom Herzrasen

Welche weiteren therapeutischen Möglichkeiten haben Sie im Falle erneuter


und ggf. gehäufter ICD-Therapien?

• Erweiterte antiarrhythmische Therapie, z.B. zusätzliche Behandlung mit Amiodaron


• Katheterablation.
LITERATUR
2 Calkins H, Epstein A, Packer D, et al. Catheter ablation of ventricular tachycardia in patients with structural heart disease
using cooled radiofrequency energy: results of a prospective multicenter study. J Am Coll Cardiol 2000; 35: 1905–14.
Connolly SJ, Dorian P, Roberts RS, et al. Comparison of beta-blockers, amiodarone plus beta-blockers, or sotalol for preven-
tion of shocks from implantable cardioverter defibrillators: The OPTIC study: a randomized trial. JAMA 2006; 295:  
165–71.
Marchlinski FE, Callans DJ, Gottlieb CD, Zado E. Linear ablation lesions for control of unmappable ventricular tachycardia in
patients with ischemic and nonischemic cardiomyopathy. Circulation 2000; 101: 1288–96.
Soejima K, Suzuki M, Maisel WH, et al. Catheter ablation in patients with multiple and unstable ventricular tachycardias af-
ter myocardial infarction: short ablation lines guided by reentry circuit isthmuses and sinus rhythm mapping. Circulation
2001; 104: 664–69.
Stevenson WG, Wilber DJ, Natale A, et al. Irrigated radiofrequency catheter ablation guided by electroanatomic mapping for
recurrent ventricular tachycardia after myocardial infarction: Multicenter Thermocool VT Ablation Trial Investigators. Cir-
culation. 2008; 118(25): 2773–82.

2.5  Herzrasen und Kollaps


Sebastian Schmieder

KASUISTIK
Sie haben Nachtdienst. Über den Notarzt wird gegen 22:30 Uhr ein 59-jähriger Mann (Schauspieler) in Ihre Notaufnahme
eingewiesen („chest pain“). Der Notarzt wurde vom Sicherheitsdienst des Theaters alarmiert. Der Notarzt berichtet, dass
er den Patienten kaltschweißig und präkollaptisch im Sitzen vorgefunden hat. Sie erfahren weiter, dass der Patient auf
der Bühne bei starker körperlicher Anstrengung über starkes thorakales Engegefühl geklagt hat und kollabierte. Das
Einsatzteam konnte eine schnelle, regelmäßige Tachykardie (HF 260/min) mittels 3-Kanal-EKG dokumentieren. Der Not-
arzt berichtet weiter, dass er die Arrhythmie mittels Vagusmanöver terminieren konnte und dann „Sinusrhythmus“ doku-
mentiert werden konnte, was Sie zunächst stutzig macht, als Sie einen ersten Blick auf das EKG werfen. Dem Notarztpro-
tokoll können Sie entnehmen, dass der Patient u. a. bereits mit ASS (500 mg i.v.), Clopidogrel (600 mg p.o.) und Heparin
(5.000 IE i.v.) behandelt wurde.

Bitte befunden Sie das folgende EKG (› Abb. 2.16).

Nachdem die Arrhythmie scheinbar terminiert worden war, wurde folgender EKG-Streifen aufgezeichnet:.

Bitte befunden Sie das folgende EKG (› Abb. 2.17).

KASUISTIK
Nachdem Blut abgenommen wurde, wenden Sie sich an den Patienten, um eine erste Anamnese zu erheben. Herr S.
berichtet, dass er bereits seit Jahren an Herzrhythmusstörungen leidet. Sein Hausarzt habe ihm auch einmal einen Beta-
blocker verschrieben. Er habe das Medikament aber nicht regelmäßig eingenommen. Das Gefühl von Brustenge und
-brennen kennt Herr S. auch schon länger, aber eigentlich immer nur in Zusammenhang mit einem schnellen Pulsschlag,
dieser sei oft regelmäßig schnell („Herzrasen“) oder auch als „Herzstolpern“ zu verspüren. Eine Herzerkrankung sei nicht
2.5  Herzrasen und Kollaps 81

Abb. 2.16  Befund des 3-Kanal-EKGs: Tachykardie mit breitem Kammerkomplex, HF 260/min. Keine eindeutigen P-Wellen
sichtbar.

Abb. 2.17  Befund des 2-Kanal-EKGs: Vorhofflattern mit negativen P-Wellen und 2:1-Überleitung. HF 130/min.

bekannt. Herr S. berichtet Ihnen aber einen erheblichen Alkoholkonsum von 6–7 Bier pro Tag und dazu auch Schnaps. In
den letzten Tagen habe er noch mehr getrunken als sonst und dabei auch vermehrt Rhythmusstörungen bemerkt. Mo-
mentan sei er beschwerdefrei.
Vitalparameter bei Eintreffen des Notarztes:
• Blutdruck: 159/96 mmHg
• Herzfrequenz: 79/min
• Atemfrequenz: 16/min
• Blutzucker (Glukose-Stix): 96 mg/dl

Welches sind Ihre ersten Schritte? Welche Untersuchungen veranlassen Sie


zuerst?

Sie veranlassen ein erneutes EKG (› Abb. 2.18).


82 2  Leitsymptom Herzrasen

Abb. 2.18  EKG

Abb. 2.19  EKG


2.5  Herzrasen und Kollaps 83

Bitte befunden Sie das oben stehende EKG (› Abb. 2.18).

Befund des 12-Kanal-EKGs: Sinusrhythmus, HF 79/min, Indifferenztyp, normale Zeitintervalle, ST-Senkun-


gen in V3–6 sowie angedeutet in I, aVF. Vereinzelt VES.
Noch während Sie auf das Ergebnis der Laboruntersuchungen warten, macht Sie die Pflegekraft auf einen
erneuten Anstieg der Herzfrequenz am Monitor aufmerksam. Sie ordnen eine erneute EKG-Untersuchung an
(› Abb. 2.19)
2

Bitte befunden Sie das oben stehende EKG (› Abb. 2.19).

Befund des 12-Kanal-EKGs: Vorhofflattern (Typ „counterclockwise“) mit regelmäßiger 2:1-Überleitung,


HF 131/min.

Sie erkundigen sich nach den Laborwerten.


Laborwerte:
Serumchemie
Natrium mmol/l 135−145 140
Kalium mmol/l 3,5–5,0 4,2
Blutzucker mg/dl 70−115 101
Harnstoff−N mg/dl 9−23 22
Kreatinin mg/dl 0,5−1,2 1,4
C-reakt. Protein mg/dl < 0,50 0,18
GOT [AST] (37°) U/l < 40 54
GPT [ALT] (37°) U/l < 45 60
Gamma-GT (37°) U/l < 55 92
Alk. Phosphatase (37°) U/l < 135 76
LDH (37°) U/l < 250 229
CK-Gesamt (37°) U/l < 180 98
Troponin T ng/ml < 0,010 0,02
Hämatologie
Blutbild
Leukozyten G/l 4,0−11,0 9,9
Hämoglobin g/dl 14,0−18,0 15,4
Thrombozyten G/l 150−440 215
Gerinnung
TPZ (Quickwert) % 70−120 54
INR 0,8−1,2 1,5
PTT sec 25−42 >  120
Endokrinologie
TSH basal (sensitiv) μU/ml 0,30−4,00 5,32
84 2  Leitsymptom Herzrasen

Welche Diagnosen können Sie bei Ihrem Patienten aus den bislang vorliegenden
Befunden stellen?

• Z.n. Präsynkope bei breitkomplexiger Tachykardie


• V.a. Vorhofflattern mit 1:1-Überleitung und Schenkelblockbild
• Alkoholabusus.
Ihr Patient ist derzeit beschwerdefrei. Wegen des erhöhten Troponinwerts denken Sie über ein invasives
2 Vorgehen (Koronarangiographie) nach.

Wie entscheiden Sie sich? Bitte begründen Sie Ihre Entscheidung!

Folgende Überlegungen sind hier von Bedeutung:


• Herr S. ist derzeit beschwerdefrei. Das initiale EKG zeigt keine Hinweise für einen akuten Myokardin-
farkt.
• Die Beschwerden des Patienten sind am ehesten mit einer relativen Ischämie in Zusammenhang mit der
deutlich erhöhten Kammerfrequenz von 260/min aufgetreten. Ein minimal erhöhter Wert für Troponin T
kann in dieser Situation einerseits Ausdruck einer verzögerten renalen Elimination bei Niereninsuffizienz
sein, andererseits wäre eine Troponinerhöhung nach einer anhaltenden Episode mit ausgeprägter Tachy-
kardie auch zu erwarten. Der Wert sollte ebenso wie der weitere klinische Verlauf kontrolliert werden.
• Sie gehen davon aus, dass es sich bei dem Ereignis nicht um eine ventrikuläre Tachykardie, sondern um
tachykard übergeleitetes Vorhofflattern handelte (zusätzlich funktionelles Blockbild im EKG).
Sie entscheiden sich zunächst gegen die Durchführung einer sofortigen Notfall-Koronarangiographie sowie
dafür, Ihren Patienten zur weiteren Beobachtung stationär aufzunehmen und zu überwachen. Eine erneute
Blutentnahme planen Sie im Intervall von 6 Stunden. Herr S. erhält von Ihnen 5 mg Metoprolol i.v. sowie
Metoprololsuccinat als orale Medikation. Da nun wieder Sinusrhythmus besteht, ist eine strenge Antikoagu-
lation nicht erforderlich.

Welche weiteren Behandlungsmaßnahmen während des stationären Aufenthalts


schlagen Sie vor?

Elektrophysiologische Untersuchung und Katheterablation (Isthmusablation; › Tab. 2.5).


Die Katheterablation gilt bei isthmusabhängigem Vorhofflattern heutzutage als Mittel der Wahl. Die pri-
märe Erfolgsrate liegt bei ca. ca. 90%, das Rezidivrisiko bei ca. 10%.

Tab. 2.5  Langzeitmanagement bei Patienten mit Vorhofflattern (AHA/ACC/ESC 2008)


Klinischer Status Empfehlung Grad der Evidenzlevel
Empfehlung
Erstmanifestation, Patient Kardioversion I B
­hämodynamisch stabil Katheterablation II a B
Rezidiv, Patient hämodynamisch Katheterablation I B
stabil Dofetilide (in Deutschland nicht zugelassen!) II a C
andere Antiarrhythmika (Klasse I/Klasse III) II b C
Patient hämodynamisch instabil Katheterablation* I B
*  gilt nur für die Langzeittherapie; akut auftretendes Vorhofflattern mit hämodynamischer Instabilität sollte unmittelbar kardio-
vertiert werden!
2.5  Herzrasen und Kollaps 85

Die antiarrhythmische Therapie ist im Vergleich zur Katheterablation mit einer deutlich geringeren Erfolgs-
rate verbunden. Das Risiko eines iatrogenen AV-Blocks wird mit ca. 0,5–1% angegeben (Natale et al. 2000,
Spector et al. 2009).

LITERATUR
Natale A, Newby KH, Pisanó E, et al. Prospective randomized comparison of antiarrhythmic therapy versus first-line radio-
frequency ablation in patients with atrial flutter. J Am Coll Cardiol. 2000; 35(7): 1898–904.
Spector P, Reynolds MR, Calkins H, et al. Meta-Analysis of Ablation of Atrial Flutter and Supraventricular Tachycardia. Am J
Cardiol 2009; 104: 671–77 2
KAPITEL

3.1
3 Leitsymptom Dyspnoe,
Leistungsschwäche
Terminale Herzinsuffizienz Hae-Young Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

3.2 Herztransplantation Hae-Young Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

3.3 Leistungsminderung bei rheumatologischer Grunderkrankung Hae-Young Sohn . . . . . 98

3.4 Belastungsabhängige Atemnot Andreas König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

3.5 Progrediente Atemnot Andreas König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

3.6 Dyspnoe bei langjährigem Bluthochdruck Martin Hug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

3.7 Belastungsdyspnoe und Angina pectoris Volker Klauss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

3.8 Langsam zunehmende Belastungsdyspnoe Eva von Eckardstein-Thumb . . . . . . . . . . . . . . 130

3.9 Progrediente Stauungsherzinsuffizienz nach Aorten-


und Mitralklappenersatz Ralph Hein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

3.10 Rasch zunehmende Luftnot Ralph Hein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

3.11 Belastungsdyspnoe und Leistungsschwäche nach Afrikareise Martin Hug . . . . . . . . . . 147

3.12 Dyspnoe und Reizhusten Martin Hug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

3.13 Abnehmende Leistungsfähigkeit nach Aortenklappenersatz Hagen Gross . . . . . . . . . . 154

3.14 Plötzlicher Leistungsknick Marcus Leibig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

3.15 Dyspnoe und Leistungsschwäche bei Belastung Hae-Young Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

3.16 Eingeschränkte Belastbarkeit Ralph Hein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

3.17 Zunehmende Dyspnoe und Müdigkeit Andreas König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

3.18 Dyspnoe, Leistungsschwäche und Beinödeme Volker Klauss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

3.19 Progrediente Dyspnoe, Angina pectoris und Schwindel Andreas König . . . . . . . . . . . . . 185

3.20 Progrediente Dyspnoe und COPD Andreas König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190


88 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

3.1  Terminale Herzinsuffizienz


Hae-Young Sohn

KASUISTIK
Anamnese: Bei einem 48-jährigen Patienten ist seit ca. 5 Jahren eine dilatative Kardiomyopathie (DCM) bekannt. Der
Patient hat bereits einen CRT-ICD erhalten. Die klinische Situation hat sich rasch verschlechtert mit Dyspnoe bei NYHA-
Stufe III‑(IV), therapierefraktären Ödemen und nächtlicher Orthopnoe. Zusätzlich kommt es wiederholt zu ventrikulären
Tachykardien, die zwar erfolgreich durch den ICD terminiert werden, aber die Lebensqualität deutlich beeinträchtigen. Der
Patient wird zur Therapieoptimierung in einer Herzinsuffizienz-Spezialambulanz vorgestellt. Ansonsten bestehen keine
internistischen Vorerkrankungen. Der Patient ist verheiratet, hat 2 Kinder und ist von Beruf Steuerberater.
Körperliche Untersuchung: Leicht reduzierter Ernährungszustand (BMI 19,5 kg/m2), reduzierter Allgemeinzustand. Haut-
kolorit blass. Halsvenen deutlich gestaut. Prominente V-Welle als Hinweis auf relevante Trikuspidalinsuffizienz. Blutdruck
3 85/60 mmHg. Pulmo: vesikuläres Atemgeräusch, basale feinblasige RG bds. Puls 95/min. Herztöne rhythmisch, zahlreiche
Extrasystolen. Bandförmiges Holosystolikum über Mitralis mit Fortleitung in die Axilla. 3. Herzton. Abdomen: weich, Darm-
geräusche über allen vier Quadranten regelrecht. Leichte Unterschenkelödeme bds. Peripherer Pulsstatus unauffällig.

Welche klinischen Parameter sind prognostisch ungünstig bei Patienten mit


chronischer Herzinsuffizienz?

• U ntergewicht/beginnende kardiale Kachexie


• R uhetachykardie
• A nämie
• H ypotonie
• R ezidivierende kardiale Dekompensationen.

Welche technischen Untersuchungen würden Sie durchführen?

• R outine-Labor inklusive: Blutbild, Fe, Ferritin (Frage nach Anämie?), Na, K, Kreatinin, Harnstoff (Nie-
reninsuffizienz?), Leberwerte, (pro-)BNP, TSH, INR
• E KG: Relevante Brady- oder Tachykardien, Vorhofflimmern, Kammerkomplexbreite?
• E chokardiographie: Ventrikel- und Vorhofgrößen, Thromben, Klappeninsuffizienzen, Asynchronie?
• R öntgen-Thorax: Herzgröße, Stauungszeichen, Ergüsse, Infiltrate?
• I CD/CRT-Kontrolle: Herzfrequenzprofil, atriale oder ventrikuläre Tachykardien, ICD-Therapien (in der
fast-VT oder VF-Zone)?

KASUISTIK
Folgende Laborwerte wurden bestimmt: pro-BNP: 9735 pg/ml erhöht (Norm bis 180 pg/ml), alle übrigen Werte normal.

Welchen Stellenwert hat der Biomarker BNP/pro-BNP bei der Diagnostik und
Therapiesteuerung bei chronischer Herzinsuffizienz?

Die außerordentliche Rolle von BNP/pro-BNP bei der Erstdiagnostik der akuten oder chronischen Herzinsuf-
fizienz ist allgemein akzeptiert und wurde in den aktuellen Leitlinien als ein Standbein der Diagnostik imple-
mentiert. Ein erhöhtes BNP/pro-BNP scheint auch ein Prognosemarker zu sein. Allerdings ist eine Therapie-
führung bei chronisch herzinsuffizienten Patienten anhand der BNP/pro-BNP-Werte bisher nicht ausrei-
chend etabliert und evaluiert.
3.1  Terminale Herzinsuffizienz 89

Wie interpretieren Sie den EKG-Befund (› Abb. 3.1)?

Abb. 3.1  EKG

SR, atrial-getriggerte und biventrikulär stimulierte Aktionen bei CRT-ICD.

KASUISTIK
Echokardiographie: Die Untersuchung zeigt einen außerordentlich vergrößerten linken Ventrikel mit einer LVEDD von
82 mm und einer LVEF von 12%. Es besteht eine mäßige Mitral- sowie eine schwere Trikuspidalinsuffizienz (PA-Druck
50 mmHg).

Wie interpretieren Sie den Röntgen-Thorax-Befund (› Abb. 3.2)?

Über die Norm vergrößertes Herz. Keine Stauungszeichen. Kein umschriebenes Infiltrat abgrenzbar, keine
wesentlichen Ergüsse. CRT-ICD in situ mit 3 Sonden in RA, RV sowie posterolateraler Koronarvene.

ICD-Kontrolle: Zahlreiche Therapieabgaben (ATP = antitachykardes Pacing) im fast-VT-Bereich.

Nennen Sie die evidenzbasierte Pharmakotherapie der chronischen systolischen


Herzinsuffizienz im Stadium III–IV (ESC 2008, AHA/ACC 2009).

• A CE-Hemmer/Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker (Level IA)


• β -Blocker (Level IA)
• A ldosteron-Antagonisten (Level IB)
• D iuretika (Level IC)
90 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Abb. 3.2 Röntgen-Thorax in zwei Ebenen

• I CD/CRT (Level IA)


• D igoxin (Level IIa-B bei Sinusrhythmus) (› Tab. 3.1).

Nennen Sie Besonderheiten und die wichtigsten Nebenwirkungen der


Pharmakotherapie.

• A
 CE-Hemmer: Prognoseverbessernd, Basistherapie der Herzinsuffizienz. Bei unbehandelten Patienten
wird die Pharmakotherapie üblicherweise mit dem ACE-Hemmer begonnen (der Beginn mit dem Beta-
blocker Bisoprolol ist nach der CIBIS-III-Studie nicht nachteilig). Empfohlene Zieldosen sollten angestrebt
werden. Nebenwirkungen: Reizhusten, Übelkeit, Hyperkaliämie, Agranulozytose, Angioödem, Hypotonie,
Kreatininanstieg.
• A ngiotensin-II-Rezeptor-Blocker (ARB): Prognoseverbessernd. Die Head-to-head-Studien zur Therapie
der chronischen Herzinsuffizienz zeigten keine Überlegenheit der ARB gegenüber den ACE-Hemmern.
Die ARB gelten jedoch als gleichwertige Alternative bei ACE-Hemmer-Unverträglichkeit. Bestimmte
ARB sind für die Therapie der chronischen Herzinsuffizienz ebenfalls zugelassen (Losartan, Valsartan,
Candesartan). Wichtige Nebenwirkungen: Hyperkaliämie, Übelkeit, Hypotonie, Kreatininanstieg
• B etablocker: Nur die Substanzen Metoprololsuccinat, Bisoprolol und Carvedilol sind prognoseverbes-
sernd und gleichwertig einzusetzen. Nebivolol wird nur in Europa vertrieben, in der Indikation Herzin-
suffizienz wurde die prognoseverbessernde Wirkung der Substanz nur bei älteren Patienten (≥ 70 J.)
überprüft. Metoprololsuccinat sollte gegenüber Metoprololtartrat aufgrund besserer Wirkung bevorzugt
werden. Die günstigen Wirkungen der Betablocker setzen meist nach mehreren Wochen ein. Wichtige
Nebenwirkungen: Bradykardien, AV-Blockierungen, Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit,
Bronchospasmus, Raynaud-Symptomatik, Verschlechterung einer Psoriasis, Hypotonie.
• D ie Kombination ACE-Hemmer oder ARB mit einem der genannten Betablocker wird aus prognosti-
schen Gründen empfohlen. Bei Betablockerunverträglichkeit sollte bei fortgeschrittener, symptomati-
scher Herzinsuffizienz (NYHA III–IV) der ACE-Hemmer oder der ARB eher mit einem Aldosteronant­
agonisten kombiniert werden (Klasse-IB-Empfehlung). Eine Dreifachkombination ACE-Hemmer, ARB
und Aldosteronantagonist ist aufgrund der Gefahr einer Hyperkaliämie potenziell gefährlich.
3.1  Terminale Herzinsuffizienz 91

Tab. 3.1  Therapie der chronischen Herzinsuffizienz (DGK 2005, die Basistherapie wurde in den neuen Leitlinien
der AHA/ACC von 2009 bzw. der ESC von 2008 nicht geändert)
Medikament Asymptomatische NYHA II NYHA III NYHA IV
LV-Dysfunktion/
NYHA I
ACE-Hemmer indiziert indiziert indiziert indiziert
Betablocker (ohne • nach Myokardin- indiziert* indiziert* indiziert*
ISA) farkt
• bei Hypertonie

Diurektika
Thiazide bei Hypertonie bei Flüssigkeitsretention • indiziert • indiziert
oder ehemals vorgelege- • zur Potenzierung der • zur Potenzierungder 3
ner Flüssigkeitsretention Schleifendiuretika Schleifendiuretika
Schleifendiuretika - bei Flüssigkeitsretention indiziert indiziert
oder ehemals vorgele-
gener Flüssigkeitsreten-
tion
Aldosteron-­ nach Myokardinfarkt nach Myokardinfarkt indiziert indiziert
Antagonisten
AT1-Rezeptor-Blocker bei ACE-Hemmer-In- bei ACE-Hemmer-Into- bei ACE-Hemmer-Into- bei ACE-Hemmer-Into-
toleranz leranz leranz leranz
Herzglykoside bei tachysystoli- • bei tachysystolischem indiziert** indiziert**
schem Vorhofflim- Vorhofflimmern
mern • im Sinusrhythmus
nach Besserung
schwerer Symptoma-
tik**
ISA = intrinsische Aktivität
*  nur bei stabilen Patienten, langsam einschleichend unter engmaschiger Kontrolle
**  mit niedrigen Zielserumspiegeln

• A
 ldosteron-Antagonisten: Prognoseverbessernd. Spironolacton wurde bei Patienten mit fortgeschritte-
ner Herzinsuffizienz (NYHA III–IV) untersucht, während die Wirkung des selektiven Aldosteronantago-
nisten Eplerenon an Postinfarktpatienten mit eher leichter Herzinsuffizienz überprüft wurde. Eine Kom-
binationstherapie mit ACEH bzw. ARB mit Aldosteronantagonisten erhöht das Risiko für Hyperkali­
ämien. Von einer Dreier-Kombination ACEH, ARB und Aldosteronantagonisten wird wegen Gefahr einer
Hyperkaliämie abgeraten. Wichtige Nebenwirkungen: Hyperkaliämie, Hyponatriämie, Gynäkomastie
(nur Spironolacton, nicht für Eplerenon).
• D
 igoxin: Symptomatische Therapie. Für Digoxin gibt es lediglich eine randomisierte Studie, weswegen
die Evidenzstufe im Jahr 2005 von I auf IIa–B zurückgestuft wurde. Die Empfehlung gilt eher für Patien-
ten auf NYHA Stufe III–IV. Bei der Herzinsuffizienztherapie und Sinusrhythmus wird eher ein niedrig
normaler Plasmaspiegel empfohlen. Unabhängig von der Herzinsuffizienztherapie wird Digoxin zur Fre-
quenzkontrolle bei Vorhofflimmern empfohlen. Wichtige Nebenwirkungen: grundsätzlich jede Form von
Herzrhythmusstörungen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Sehstörungen. Verschiedene
Wechselwirkungen sind zu beachten.
• D
 iuretika: Dienen der symptomatischen Behandlung, sind nicht prognoseverbessernd (Ausnahme Aldo­
steronantagonisten, s.o.). Die Substanzwahl (Thiazide ± Kaliumsparer, Schleifendiuretika, Kombinations-
therapie als sequenzielle Nephronblockade) wird vom gewünschten Ausmaß der Diurese, der Nieren-
funktion und dem Serum-Kalium mit beeinflusst.
92 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Unser Patient erhält bereits eine vollständige Herzinsuffizienz-Therapie: Bisoprolol 5 mg/Tag, Candesartan
8 mg/Tag, Eplerenon 25 mg/Tag, Torasemid 80 mg/Tag, HCT 25 mg/Tag, sowie Amiodaron 200 mg/Tag.
Die „konventionelle“ Herzinsuffizienz-Therapie erscheint weitgehend erschöpft zu sein. Eine Höherdosie-
rung der Therapie mit Bisoprolol bzw. Candesartan ist wegen Hypotonie nicht realisierbar.

Welche weiteren medikamentösen Therapieoptionen sind prinzipiell denkbar?

• D
 igoxin: Als symptombessernde Therapiemaßnahme könnte Digoxin zusätzlich verordnet werden.
• K
 atecholamine bzw. PDE- (Phosphodiesterase-III)-Hemmer: Diese Substanzen sind bei kompensierter
und stabiler Herzinsuffizienz nicht indiziert (Level IIA, ESC 2008).
3 • L evosimendan: Der Kalzium-Sensitizer wäre eine denkbare Option (Level IIA, ESC 2008), z.B. als inter-
mittierende Gabe als experimenteller Therapieversuch. Die sogenannte „Pulstherapie“ mit Levosimendan
wird derzeit im Rahmen einer randomisierten Studie untersucht.
• A
 nämie: Zur Behandlung der Anämie bei chronischer Herzinsuffizienz mit Erythropoetin gibt bisher keine
ausreichende Datenlage (Level IIB, ESC 2008). Eine randomisierte Mortalitätsstudie mit Darbopoetin wird
derzeit durchgeführt (RED-HF). Die kürzlich publizierte FAIR-HF-Studie zeigte, dass die intravenöse Gabe
von Eisen eindrucksvoll zu einer Symptombesserung führen kann; Mortalitätsdaten liegen bisher nicht vor.
• A
 denosin-A1-Antagonisten, Vasopressin-Rezeptorantagonisten, rekombinantes natriuretisches Pep-
tid Nesitritide: Diese Substanzen werden derzeit für die Behandlung von Patienten mit akut dekompen-
sierter Herzinsuffizienz überprüft und sind klinisch bisher nicht etabliert.
• A
 liskiren: Die Rolle dieses Renin-Inhibitors bei der chronisch stabilen Herzinsuffizienz-Therapie wird
derzeit im Rahmen einer randomisierten Studie untersucht.

Welche apparativen Therapieoptionen sind prinzipiell denkbar?

Eine kardiale Resynchronisierungstherapie zur Optimierung des Kontraktionsablaufs erfolgte bereits.


­Verschiedene mechanische Unterstützungssysteme (Ventricular Assist Device, VAD) wären prinzipiell mög-
lich und im Verlauf mit dem Patienten zu diskutieren. Die speziellen Schrittmachertherapien mit positiv
ino­tropem Wirkansatz (z.B. Cardiac Contractility Modulation, CCM) befinden sich im experimentellen
­Stadium.

Bei welchen Voraussetzungen ist eine kardiale Resynchronisationstherapie (CRT)


zu empfehlen (DGK 2008, die ESC-Leitlinien differieren etwas)?

Tab. 3.2  Empfehlungen zur CRT


NYHA III–IV und
SR, QRS ≥ 150 ms, LSB Klasse I A
SR, QRS 120–150 ms, LSB Klasse IIa A
SR, QRS >120, kein LSB Klasse IIb B
Schrittmacher erforderlich (Rhythmus, QRS Breite irrele- Klasse IIb C
vant)
Vorhofflimmern, QRS > 150 ms, LSB Klasse IIa C
NYHA II
SR, QRS >150 ms, LSB Klasse IIb B
3.1  Terminale Herzinsuffizienz 93

Welche weiteren Therapieoptionen stehen dem Patienten zur Verfügung?

Herztransplantation (HTx): Diese Option stellt bei diesem Patienten die einzige Vorgehensweise dar, die eine
langfristige Prognose mit guter Lebensqualität ermöglicht.

Sie denken an die HTx als Therapieoption. Welche absoluten und relativen
Kontraindikationen sind für eine potenzielle Listung zu überprüfen?

• T umorerkrankung
• C hronische Infektionserkrankungen
• Technische Limitationen 3
• N otwendigkeit einer kombinierten Herz-Lungen-Transplantation (HLTx?) bei älteren Patienten
• C ompliance des Patienten.

Welche Untersuchungen sind für eine Listung für eine HTx notwendig?

• I nfektionsdiagnostik
• B lutgruppen- und HLA Typisierung
• R uhe-EKG
• S piroergometrie
• E chokardiographie
• G gf. Koronarangiographie
• R echtsherzkatheteruntersuchung
• R öntgen- bzw. CT-Thorax
• A bdomensonographie
• Ö sophago-Gastro-Duodenoskopie mit histologischen Untersuchungen
• G gf. Koloskopie mit histologischen Untersuchungen
• G gf. urologische Untersuchung bei Männern
• G gf. gynäkologische Untersuchung bei Frauen
• H als-Nasen-Ohren-ärztliche Untersuchung mit Röntgen der Nasennebenhöhlen
• Z ahnärztliche Untersuchung
• P sychiatrische Untersuchung.

KASUISTIK
Die Untersuchungen konnten eine Tumorerkrankung oder relevante Infektquellen ausschließen.
Die Rechtskatheteruntersuchung zeigte folgende Parameter (S/D/M): PA: 44/18/27 mmHg, PCW: 25 mmHg RV:
45/12 mmHg, Oxymetrie: zentralvenöse Sättigung: 52%, aortale SAT 96%, CI: 1,80 l/min. Der PCW-Wert wurde durch
die prominente V-Welle eher überschätzt.
94 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Wie errechnen Sie den pulmonalvaskulären Widerstand?

(PAPm − PCWm) ÷ HMV = Wood-Einheiten WE: 1,8 (› Kap. 3.3).

Wie sind die hämodynamischen Daten bezüglich der geplanten HTX zu


interpretieren?

Es liegt eine leichtgradige postkapilläre pulmonale Hypertonie vor. Von zentraler Bedeutung ist eine normale
Wood-Einheit (in diesem Fall 1,8). Ab einer Wood-Einheit von 2,5 (–3,0) sollte auch die Reversibilitätsprü-
fung überprüft werden, da ansonsten bei alleiniger HTX ein Rechtsherzversagen des Transplantatherzens
3 droht (fixierte pulmonale Hypertonie). Beträgt die Wood-Einheit mehr als 5,0, oder steigt der transpulmona-
le Gradient auf einen Wert über 16–20 mmHg, liegt eine relative Kontraindikation für eine alleinige HTX vor,
da die Prognose durch ein Rechtsherzversagen des transplantierten Herzens limitiert ist.

Es wurden keine Kontraindikationen für eine HTX gefunden. Der Patient wurde
erfolgreich gelistet und steht auf der Warteliste von Eurotransplant. Kennen Sie
verschiedene Stufen der Dringlichkeit bei der HTX-Listung?

• H
 ohe Dringlichkeit (high urgency – HU): Patienten in akut lebensbedrohlicher Situation, sie werden da-
her vorrangig transplantiert. Besondere Begründung notwendig: im Zentrum auf der Intensivstation nach
Ausschöpfung aller alternativer Behandlungsmöglichkeiten (ausgenommen ventrikuläre Unterstützungs-
systeme) trotz hoch dosierter Therapie mit Katecholaminen und Phosphodiesterase-Hemmern nicht re-
kompensierbar mit Zeichen des beginnenden Organversagens.
• D ringlich (urgency – U): Patienten, die aufgrund ihrer Herzerkrankung lebensbedrohlich gefährdet sind
und stationär behandelt werden müssen. Sie werden daher vorrangig vor den elektiven Patienten auf der
Warteliste transplantiert. Es handelt sich jedoch nicht um Patienten, die zur Beobachtung oder mit Low-
dose-Katecholaminen behandelt werden.
• E lektiv (transplantable – T): Diese Patientengruppe erfüllt die Kriterien zur Aufnahme in die Warteliste
zur Herztransplantation, jedoch nicht die Kriterien für die höchste oder die erhöhte Dringlichkeit.
• N icht transplantabel (not transplantable – NT): Bei einem auf der Warteliste geführten Patienten be-
steht vorübergehend eine Kontraindikationen zur Transplantation (z.B. Infekt).

Wenn Sie den Patienten über die HTX aufklären: Wie ist derzeit die Prognose der
Patienten nach HTX?

Nach den Daten des Jahresberichts der International Society for Heart and Lung Transplantation (ISHLT)
aus dem Jahr 2009 beträgt die 1- bzw. 5-Jahres-Überlebensrate bei Patienten, die innerhalb des ISHLT-Regis-
ters im Zeitraum von 2001–2007 transplantiert wurden ca. 90% bzw. 70%.

LITERATUR
Anker SD, Comin Colet J, Filippatos G, et al. Ferric carboxymaltose in patients with heart failure and iron deficiency. N Engl
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3.2  Herztransplantation 95

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http://www.eurotransplant.nl

3.2  Herztransplantation
Hae-Young Sohn

KASUISTIK
Anamnese: Ein 49-jähriger Patient mit terminaler Herzinsuffizienz bei dilatativer Kardiomyopathie (› Kap. 3.1) wurde
erfolgreich herztransplantiert. Der klinische Zustand ist stabil und der Patient frei von Herzinsuffizienzzeichen.

Welche Follow-up-Untersuchungen werden neben den allgemeinen


kardiologischen Untersuchungen speziell bei HTX-Patienten durchgeführt
(Nachsorgeprogramm)?

• A bstoßungsdiagnostik: Endomyokardbiopsien, Echokardiographie


• Infektiologie: CMV-Neuerkrankung bzw. CMV-Reaktivierung
• R egelmäßiges Tumorscreening.

Nennen Sie die gängige Medikation zur Immunsuppression bei Patienten nach
HTX?

• K alzineurin-Inhibitoren: Cyclosporin, Tacrolimus


• H emmer der Inosinmonophosphat-Dehydrogenase: Mycophenolat-Mofetil
• m TOR(Target of Rapamycin)-Hemmer: Sirolimus, Everolimus
• B locker der Synthese von DNA und RNA: Azathioprin
• S teroide: Prednisolon.
Als Standard wird eine Kombination, die einen Kalzineurin-Inhibitor beinhaltet, eingesetzt, z.B. Tacrolimus +
Mycophenolat-Mofetil. Bei progressiver Niereninsuffizienz kann ein Kalzineurin-Inhibitor-freies Regime
überdacht werden, z.B. Everolimus + Mycophenolat-Mofetil. Bei langjährig transplantierten Patienten kann
durchaus die Kombination von Cyclosporin + Azathioprin weitergeführt werden. Es ist die Entscheidung des
96 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Zentrums gemeinsam mit dem Patienten, ob die Immunsuppression zugunsten einer moderneren Substanz
geändert werden soll. Oft limitieren beeinträchtigende Nebenwirkungen die „freie“ Auswahl der Medika-
mente.

Worauf ist bei Patienten mit Immunsuppression zu achten, wenn eine zusätzliche
Medikation notwendig ist oder wenn die Medikation geändert werden soll?

Es sollte unbedingt auf Arzneimittelinteraktionen mit den Immunsuppressiva geachtet werden. Hinweise da-
zu findet man im Beipackzettel oder in den Fachinformationen. Ist ein Einsatz von Substanzen mit potenziellen
Wechselwirkungen nicht zu umgehen, sind engmaschige Überprüfungen der Medikamentenspiegel notwen-
3 dig. Weiterhin können Umstände wie Genuss von Grapefruitsaft oder anhaltende Durchfälle die Aufnahme der
Immunsuppressiva, vor allem der Kalzineurin-Inhibitoren deutlich beeinflussen. Bei gleichzeitiger Anwen-
dung von Allopurinol soll die Dosis von Azathioprin auf ein Viertel der normalen Dosis reduziert werden.

Sie sehen den echokardiographischen Befund des Patienten 6 Wochen nach der
HTX (› Abb. 3.3). Wie interpretieren Sie den Befund?

Abb. 3.3  Echokardiographie

Man erkennt im Vier-Kammerblick typischerweise deutlich vergrößerte Vorhöfe (Anastomose auf Vorhof­
ebene) bei normaler Ventrikelgröße. Ein Perikarderguss ist in den ersten Wochen nach HTX ein häufiger
Befund. In diesem Fall liegt ein ausgeprägter Erguss vor, der nach 12 Monaten vollständig rückläufig war.

Der Patient nach HTX zeigt im Verlauf erneut Symptome einer Herzinsuffizienz.
An welche Differenzialdiagnosen sollten Sie denken?

• A kute Abstoßung (zellulär und humoral)


• C hronische Abstoßung
3.2  Herztransplantation 97

• Transplantatvaskulopathie (Atherosklerose des transplantierten Herzens), aber vom Zeitverlauf in die-


sem Fall eher unwahrscheinlich
• K lappeninsuffizienzen, insbesondere Trikuspidalinsuffizienz
• H erzrhythmusstörungen wie Sinus- und AV-Blockierungen, Vorhoftachykardien
• P erikarderguss
• R enal bedingte Flüssigkeitsretention.
• K linisch atypische Infektionen (Pneumocystispneumonie, atypische Pneumonien, Tbc).

Wie sichern Sie die Verdachtsdiagnose?

• A namnese und Bestimmung der Medikamentenspiegel (Immunsuppressiva) 3


• E ndomyokardbiopsie.

Wie wird eine Endomyokardbiopsie durchgeführt?

• Z ugang über die V. jugularis interna oder V. femoralis, meist über eine 9F-Schleuse
• Spezielle flexible Biopsiezange
• E ntnahmen aus dem rechten Ventrikel (apikal–septal)
• M indestens 3‑4 Proben
• H istologische Kriterien: nach der Klassifikation der International Society of Heart and Lung Transplanta-
tion (ISHLT, revidierte Version von 2004).

Wie wird eine akute Abstoßungsreaktion behandelt?

In den meisten Fällen reicht eine Kortisonstoßtherapie, z.B. Prednisolon 500–1000 mg/d über 3 Tage aus. In
seltenen Fällen der steroidrefraktären Abstoßung kommen zytolytische Antikörper zum Einsatz. Bei V.a. hu-
morale Abstoßung kann als Therapieversuch eine Plasmapherese in Kombination mit einem Antikörper (Ri-
tuximab) durchgeführt werden.

Sie sehen die Koronarangiographie


eines anderen Patienten 12 Jahre nach
HTX (› Abb. 3.4). Wie interpretieren
Sie den Befund?

Man erkennt in der Angiographie der linken Koronarie


eine typische, fortgeschrittene Transplantatvaskulopa-
thie mit diffuser Beteiligung sämtlicher Koronarseg-
mente. Die Rarefizierung der peripheren Gefäßab-
schnitte, wie bei oben gezeigtem Beispiel, ist ein häufi-
ger Befund bei der Transplantatvaskulopathie. Die
­Datenlage zur Therapie der progressiven Transplan­
tatvaskulopathie ist durchaus uneinheitlich. Daher ist
die Therapiestrategie der Transplantatvaskulopathie in
den einzelnen Zentren unterschiedlich, von primär kon- Abb. 3.4  Koronarangiographie 12 Jahre nach HTX
98 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

servativ bis hin zur großzügigen Indikationsstellung zur


Koronarintervention. In diesem Fall ist eine koronar­
interventionelle Vorgehensweise nicht sinnvoll.

Sie sehen die Koronarangiographie


einer anderen Patientin, Z.n. HTX vor
17 Jahren (› Abb. 3.5). Sie wurde mit
dem Bild der STEMI der Vorwand
stationär ausgenommen.

3 Es zeigte sich das Bild einer rasch progressiven Trans-


plantatvaskulopathie mit Abbruch des R. interventriku-
laris anterior und eines kräftigen R. marginalis. Hier
muss auch an eine akute Abstoßungsreaktion gedacht
werden, die in seltenen Fällen so spät nach HTX auftritt. Abb. 3.5  Koronarangiographie 17 Jahre nach HTX

Nennen Sie typische Langzeitkomplikationen nach HTX.

• T ransplantatvaskulopathie, limitiert signifikant das Langzeitüberleben nach HTX


• F olgen der immunsuppressiven Therapie:
– Tumorerkrankungen, vor allem Hauttumore, Lymphome, allerdings auch häufigeres Auftreten von so-
liden Tumoren
– Progressive Niereninsuffizienz bis hin zur Dialysepflichtigkeit
– Diabetes mellitus.

LITERATUR
Cooper LT, Baughman KL, Feldman AM, et al. The role of endomyocardial biopsy in the management of cardiovascular di-
sease: a scientific statement from the American Heart Association, the American College of Cardiology, and the European
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3.3  Leistungsminderung bei rheumatologischer Grunderkrankung


Hae-Young Sohn

KASUISTIK
Anamnese: Bei einer 59-jährigen Patientin ist ein CREST-Syndrom bekannt. Sie wird von der rheumatologischen Abtei-
lung in der Kardiologie vorgestellt wegen Leistungsminderung und Kurzatmigkeit bei körperlicher Belastung. Die Be-
schwerden bestehen seit wenigen Monaten und sind langsam progredient. In Ruhe besteht keine Dyspnoe. Die Patientin
3.3  Leistungsminderung bei rheumatologischer Grunderkrankung 99

ist zuletzt auf NYHA-Stufe (II–)III belastbar. Abends bestehen gelegentlich auch Beinödeme. Des Weiteren berichtet sie
über eine schlechte Verdauung mit Meteorismus, zudem Sodbrennen.
Körperliche Untersuchung: Guter EZ und reduzierter AZ. Haut: Teleangiektasien. Schilddrüse unauffällig. Halsvenen
gering gestaut. Pulmo: vesikuläres Atemgeräusch, basale mittelblasige RG bds. Cor: Blutdruck 130/80 mmHg. Puls
80/min. Herztöne rhythmisch, rein, keine vitientypischen Geräusche. Abdomen: gebläht, weich, Darmgeräusche über allen
vier Quadranten regelrecht. Nierenlager nicht klopfschmerzhaft, dezente Unterschenkelödeme bds. Peripherer Pulsstatus
unauffällig.

An welche Differenzialdiagnosen denken Sie?

• H erzinsuffizienz/Kardiomyopathie 3
• K oronare Herzerkrankung
• V itium
• C hronische Lungenembolien
• S trukturelle Lungenerkrankung im Rahmen der Kollagenose
• P ulmonale Hypertonie im Rahmen der Kollagenose
• A nämie.
Neben der kardiologischen Standarddiagnostik ist bei der Patientin zu berücksichtigen, dass sie an einer Kol-
lagenose (CREST) erkrankt ist. Daher sind neben der üblichen kardiologischen Diagnostik erweiterte pneu-
mologische Funktionsuntersuchungen indiziert.

Welche technischen Untersuchungen würden Sie anordnen?

• L abor: Routinelabor inklusive Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit und LDH (Tumorerkrankung?),


Blutbild (Anämie?), Kreatinin, Harnstoff (Niereninsuffizienz?), pro-BNP (Herzinsuffizienz?).
• E KG: Relevante Brady- oder Tachykardien? Vorhofflimmern? Links- oder rechtsventrikuläre Hypertro-
phie? Zeichen der Koronarischämie?
• E chokardiographie: Frage nach systolischer bzw. diastolischer Herzinsuffizienz? Zeichen der Rechtsherz-
belastung? Vitium? Perikarderguss?
• L ungenfunktion: Respiratorische Partial- oder Globalinsuffizienz, obstruktive oder restriktive Ventilati-
onsstörung? Einschränkung der Diffusionskapazität?
• R öntgen-Thorax: Herzgröße, Stauungszeichen, Ergüsse, Infiltrate, Neoplasien, Lungenparenchymerkran-
kungen.

Befunden Sie bitte das nachfolgende Ruhe-EKG (› Abb. 3.6) der Patientin bei
Aufnahme.

Sagittaltyp, Sinusrhythmus, Herzfrequenz 92/min. Verzögerte R-Progression. Rechtsverspätung, negative


T-Wellen in V 1 bis V 5. Abgeflachte T Wellen inferior. Fazit: Unspezifisch verändertes EKG; rechtsventriku-
läre Belastung ist möglich.
100 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Abb. 3.6  Ruhe-EKG bei Aufnahme

Interpretieren Sie den Röntgen-Thorax-


Befund (› Abb. 3.7) der Patientin.

Befund: Kardiomegalie. Kein Pleuraerguss. Schlan-


kes Mediastinum. Prominente Hili bds. mit Kaliber-
sprung. Emphysemaspekt.
Die Laborwerte zeigten keine richtungsweisend
veränderten Befunde. Pro-BNP war leicht erhöht.

Es wurde eine Echokardiographie


(› Abb. 3.8) durchgeführt. Was
können Sie erkennen? Wie lautet Ihre
Verdachtsdiagnose?

Linker Ventrikel mit normaler Größe, Wanddicken


normal. Linker Vorhof normal groß. Rechter Ventri- Abb. 3.7  Röntgen-Thorax
kel ist deutlich vergrößert, Wanddicke der freien
Wand des RV normal erscheint verdickt. RA vergrößert. Perikarderguss, ca. 3–4 mm vor RA und RV.
Weitere echokardiographische Befunde: Systolische Global-Funktion des LV normal. Diastolische Funk-
tionseinschränkung Grad 2 (Relaxationsstörung). Mitralklappe und Aortenklappe mit regelrechten Funktio-
nen, Funktion der freien rechtsventrikulären Wand ist deutlich eingeschränkt, paradoxe Septumbewegung.
Trikuspidalklappe mit mäßiger Insuffizienz, dpmax RV/RA = 50 mmHg (PAPs = 50 mmHg + ZVD). Vena ca-
va inferior ist mit 20 mm erweitert.
Fazit: Es liegt eine pulmonale Hypertonie mit Rechtsherzbelastung vor.
3.3  Leistungsminderung bei rheumatologischer Grunderkrankung 101

Welche echokardiographischen
Parameter können zur Beurteilung von
Rechtsherzbelastung bzw. -insuffizienz
herangezogen werden?

• R V-Größe, RV-Wanddicke
• L V-Exzentrizitätsindex (B-Mode)
• T APSE (Tricuspid Annular Plane Systolic Excur-
sion, M-Mode)
• R V-Wandbewegung mittels Tissue Doppler (Tri-
cuspid Annular Systolic Velocity)
• T EI-Index (auch Myocardial Performance Index). 3

Welche Druckwerte im kleinen Kreislauf


kann man via UKG abschätzen?

• P A-Systolischer Druck (PAPs): 4 × (Geschwindig-


keit der TI)2 + RA Druck.
• P A-Mitteldruck (PAPm): Anhand der PHT der
Pulmonalinsuffizienz; 4 × (max. Geschwindigkeit Abb. 3.8  Echokardiographie
2
der PI) .
• P A-Diastolischer Druck (PAPd) (anhand der PHT der Pulmonalinsuffizienz): 4 × (enddiastolische Ge-
schwindigkeit der PI)2 + RA Druck.

Nennen Sie die sogenannte Venedig-Klassifizierung der pulmonalen Hypertonie.

• T yp I: Pulmonalarterielle Hypertonie
• T yp II: Linksherzinsuffizienz-bedingte (pulmonalvenöse) pulmonale Hypertonie
• T yp III: Hypoxie-assoziierte pulmonale Hypertonie
• T yp IV: Pulmonale Hypertonie durch chronische Thrombembolien (CTEPH)
• T yp V: Besondere, sehr seltene Ursachen der pulmonalen Hypertonie.

Welche klinischen Hinweise können auf eine pulmonale Hypertonie hindeuten?

Abnehmende Belastbarkeit, Dyspnoe, Synkopen, Zeichen der Rechtsherz-Belastung (Hepatomegalie, Bein-


ödeme, Aszites, Stauungsgastritis), Uhrglasnägel, Trommelschlägelfinger. Auskultatorisch fixiert gespaltener
II. Herzton über Pulmonalisregion, Systolikum und betonte V-Welle im Jugularvenenpuls bei Trikuspidal-
klappen-Insuffizienz.

Welche Untersuchung sollte angeschlossen werden, um die Diagnose der PAH zu


sichern?

Es sollte eine Rechtsherzkatheteruntersuchung folgen. Die invasive Diagnostik ist immer noch Standard, um
einerseits die PAH zu sichern und andererseits die weitere Therapieplanung bestimmen zu können.
102 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

KASUISTIK
Rechtsherzkatheter bei der Patientin (S/D/M):
PA: 65/25/44 mmHg. Nach Adenosin i.v. (250 μg/kg/min): PAPm 41 mmHg. PCWm: 9 mmHg. RV: 65/15 mmHg.
CI: 1,80 l/min/m2, WE: 11,8.

Wie deuten Sie die Befunde der Rechtsherzkatheteruntersuchung?

V.a. präkapilläre PAH im Rahmen der Kollagenose (Typ I).

3 Welche invasiv bestimmten Parameter würden sich ändern, wenn eine


postkapilläre pulmonale Hypertonie (Typ II) vorläge?

Bei Typ-II-pulmonaler Hypertonie: PCW↑, TPG↓, WE↓, PVR↓. Entscheidend ist, dass der PCW bei Links-
herzinsuffizienz erhöht ist. Damit wird der TPG erniedrigt und es errechnet sich ein erniedrigter PVR.
Bei der Differenzierung der prä- und postkapillären Formen der pulmonalen Hypertonie spielt die invasive
Diagnostik eine zentrale Rolle. Anhand der ermittelten Druckwerte wird der Parameter Transpulmonaler Gra-
dient berechnet. Zur Widerstandsberechnung (Wood-Einheit bzw. PVR) wird das Herzzeitvolumen benötigt.

Wie wird das Herzminutenvolumen (HMV) berechnet?

Prinzipiell kommen im klinischen Alltag zwei unterschiedliche Verfahren zum Einsatz. Bei Verwendung des
Swan-Ganz-Einschwemmkatheters wird zur Berechnung des HMV die Thermodilutionsmethode herangezo-
gen. Als Indikator wird eine Flüssigkeit (physiologische Kochsalzlösung oder 5%ige Glukoselösung) mit defi-
nierter
FBk-1sp Temperatur injiziert, die dem Blut0,5
eine bestimmte
Sp. Wärmemenge entzieht. Dadurch werden1,0 im Gefäß
Sp.
distal eine Temperaturabsenkung verursacht, die
68 mm mit Hilfe eines Thermistors, der sich an der Spitze
141des
mm Ka-
theters befindet, registriert werden kann. Die wichtigste Fehlerquelle ist die Tricuspidalinsuffizienz.

V = Injektatvolumen

HZV =
(
V× T T
B I ×K ) TB = Bluttemperatur
TI = Injektattemperatur
ò∆TB × dt
ò DT × dt = Flä he unter der Thermodilutionskurve
B

K = Kalibrierungsffaktor

Tab. 3.3  Hämodynamische Messwerte mit Normwerten


PAPs (PA-Druck systolisch) 15–30 mmHg
PAPm (PA-Druck mittel) < 25 mmHg
PCWm (Wedge Druck = LA-Druck) 6–12 mmHg
RV (RV-Drücke, RV-Füllungsdruck) 0–6 mmHg
RA (Füllungsdruck des RA) 0–6 mmHg
CI (Herzindex = HMV/Körperoberfläche) 2,5–4 l/min/m2
3.3  Leistungsminderung bei rheumatologischer Grunderkrankung 103

Tab. 3.3  Hämodynamische Messwerte mit Normwerten (Forts.)


Transpulmonaler Gradient (TPG) PAPm (Lungen) – PCWm (LA-Druck)
Pulmonalvaskulärer Widerstand (PVR) TPG ÷ HMV = WE (Wood-Einheit)
PVR = WE x 80 (in dyn × s × cm-5)

Beim Fick-Prinzip wird als Indikator „Sauerstoff“, der mittels Blutgasanalyse gemessen wird, verwendet.
Nach diesem Prinzip ist die arteriovenöse Differenz der Sauerstoffmenge gleich der in der Lunge aufgenom-
mene Sauerstoffmenge. Die zur Berechnung
FBk-1sp 0,5 herangezogene
Sp. Sauerstoffaufnahme wird jedoch aus1,0methodi-
Sp.
schen Gründen nicht direkt gemessen (aufwendige
68 mm Spirometrie notwendig), sondern aus Normtabellen
141 mm ent-
nommen.
3
O2 - Aufnahme (ml min )×100
HMV =
a.- v.O2 - Differenz (Vol.%)

Was verstehen Sie unter der Vasoreagibilitätsprüfung bei der


Rechtsherzkatheteruntersuchung?

Bei der Vasoreagibilitätsprüfung wird überprüft, ob die Gabe eines Vasodilatators eine relevante Senkung des
pulmonalarteriellen Drucks auslöst (› Tab. 3.4). Ist die Vasoreagibilitätsprüfung positiv, wäre prinzipiell
eine Therapie mit hoch dosiertem Kalziumantagonisten indiziert. Die Testung wird bei Patienten mit idiopa-
thischen und hereditären Formen der pulmonalarteriellen Hypertonie empfohlen (Level I-C). Für anderen
Formen der pulmonalen Hypertonie ist die Vasoreagibilitätsprüfung nach den Leitlinien der ESC von 2009
nicht zwingend (Level IIb-C).

Tab. 3.4  Vasoreagibilitätsprüfung (Rechtsherzkatheter)


Responderkriterien
Abnahme des PAPm um 10 mmHg mit Absenkung des PAPm < 40 mmHg
Absenkung des PAPm um 10 mmHg (bei Adenosin bzw. Prostazyklin)
Abnahme des PVR > 20 % (bei Adenosin bzw. Prostazyklin)
Empfohlene Vasodilatoren
NO: inhalativ 10–50 ppm über 2–10 min
Iloprost: inhalativ 2,5–7,5 μg
Adenosin: i.v. 50–350 μg/kg/min

Welche weiteren diagnostischen Maßnahmen sind für den funktionellen Status


und zur Beurteilung der Therapieplanung (und des -verlaufs) bei PAH
empfohlen?

• 6 -Minuten-Gehtest (Gehstrecke sollte eingeschränkt sein)


• L ungenfunktion und Spiroergometrie (Testung der tatsächlichen Leistungsfähigkeit)
• E rmittlung des proBNP/BNP-Werts.
104 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Welche Therapieoptionen können Sie der Patientin anbieten?

Supportive Therapiemaßnahmen:
• S auerstoff-Langzeittherapie: Die Empfehlung richtet sich nach der allgemeinen Leitlinie für die Langzeit-
Sauerstofftherapie (Level I-C).
• A ntikoagulation: Es besteht eine Empfehlung für die idiopathischen und hereditären Formen der pulmonal­
arteriellen Hypertonie (Level IIa-C) und für die pulmonale Hypertonie durch chronische Thrombembolien
(Level I-C). Bei Patienten mit assoziierter pulmonaler Hypertonie bestimmt die Grunderkrankung den Indi-
kationslevel (z.B. PAH im Rahmen von Kollagenose: Level IIa-C; PAH im Rahmen einer HIV-Infektion: Level
III-C).
• D iuretika: Sind indiziert bei Patienten mit Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz oder Flüssigkeitsretention
3 (Level I-C).
Medikamentöse Therapie:
• K alzium-Antagonisten: Die Indikation kann überprüft werden bei Patienten mit idiopathischen und he-
reditären Formen der pulmonalarteriellen Hypertonie (Level I-C für NYHA Klasse I‑III). Die hoch dosier-
te Therapie wird allerdings aufgrund Hypotonie schlecht vertragen. Insgesamt ist die Ansprechrate auf
hoch dosierte Kalzium-Antagonisten-Therapie gering.
• D igoxin: Bei Patienten mit Vorhofflimmern zur Frequenzkontrolle (Level IIb-C).
Spezifische medikamentöse Therapie:
• E ndothelinantagonisten: Bosentan, Ambrisentan (Level I-A für NYHA II-III); Sitaxentan wurde 12/2010
wegen Lebertoxizität vom Markt genommen.
• P hosphodiesterase(PDE)-5-Hemmer: Sildenafil (Level I-A für NYHA II‑III), Tadalafil (Level I-B für
NYHA II‑III).
• P rostazyklin: Iloprost inhalativ (Level I-A für NYHA III).
Grundsätzlich wird mit einer Monotherapie begonnen. Bei Progression der Erkrankung kann eine Kombina-
tion der spezifischen Substanzen erwogen werden, auch wenn bisher zur Kombinationstherapie Daten aus
randomisierten Studien fehlen.

Welche Typen der pulmonale Hypertonie sind bisher überprüft für den Einsatz
von Endothelinantagonisten, PDE-5-Hemmer und Prostanoide?

• T yp I (pulmonalarterielle Hypertonie): Die Indikation ist überprüft; es besteht eine Zulassung im Stadium
NYHA II–III (Level I-A).
• T yp II (postkapilläre Hypertonie bei Linksherzerkrankung): Bei Einsatz der Medikation wird eine ver-
mehrte linksventrikuläre Belastung mit Verschlechterung der Hämodynamik vermutet. Bisher liegen je-
doch keine ausreichenden Daten dazu vor. Der Einsatz spezifischer Medikation wird nicht empfohlen
(Level III-C).
• T yp III (Hypoxie-assoziiert): Es wird pathophysiologisch eine vermehrte Shunt-Durchblutung nicht-
ventilierter Lungenareale vermutet (durch Euler-Liljestrand-Mechanismus). Kleinere klinische Studien
zeigen daher eher eine Verschlechterung der Hypoxämie bei COPD-Patienten unter Endothelin-Blocker.
Der Einsatz spezifischer Medikation wird daher nicht empfohlen (Level III-C).
• T yp IV (chronisch thrombembolische Ursache, CTEPH): Bisherige klinische Studien zeigen, dass mögli-
cherweise Endothelinantagonisten bei CTEPH ein Therapieansatz darstellen könnte. Größere randomi-
sierte Studien liegen jedoch nicht vor. Der Einsatz spezifischer Medikation kann bei Patienten, die nicht
für die Pulmonalis-Endarterektomie in Frage kommen, diskutiert werden (Level IIb-C). Die randomisier-
te, kontrollierte BENEFiT-Studie hat bisher nur eine hämodynamische, aber keine funktionelle Besserung
der Patienten unter Bosentan-Therapie nachweisen können.
3.4  Belastungsabhängige Atemnot 105

Wie schätzen Sie die Prognose der Patientin ein?

Die Lebenserwartung bei Typ-I-PAH liegt bei wenigen Jahren. Die Prognose der Patienten mit Kollagenose
wird durch das Auftreten von PAH entscheidend beeinflusst.

Welche Therapieansätze kommen prinzipiell bei „end stage disease“ infrage?

Die Lungentransplantation (LTX) ist eine Therapieoption im terminalen Stadium der pulmonalarteriellen
Hypertonie. Der Erfolg der LTX wird deutlich durch eine fortgeschrittene rechtsventrikuläre Insuffizienz ein-
geschränkt, diese gilt als eine relative Kontraindikation für eine alleinige LTX. Grundsätzlich wird eine bilate-
rale LTX angestrebt. Die 5-Jahres-Überlebensrate nach LTX beträgt derzeit nach der letzten Datenauswer- 3
tung der International Society for Heart and Lung Transplantation bei Patienten mit PAH ca. 50–60%.

LITERATUR
Christie JD, Edwards LB, Aurora P, et al. The registry of the international society for heart and lung transplantation: twenty-
sixth official adult lung and heart-lung transplantation Report-2009. J Heart Lung Transplant. 2009; 28(10): 1031–49.
Guidelines for the diagnosis and treatment of pulmonary hypertension: The Task Force for the Diagnosis and Treatment of
Pulmonary Hypertension of the European Society of Cardiology (ESC) and the European Respiratory Society (ERS), en-
dorsed by the International Society of Heart and Lung Transplantation (ISHLT). Eur Heart J. 2009; 30: 2493–537.
Jaïs X, D‘Armini A, Jansa P, et al. Bosentan for treatment of inoperable chronic thromboembolic pulmonary hypertension:
BENEFiT (Bosentan Effects in iNopErable Forms of chronIc Thromboembolic pulmonary hypertension), a randomized, pla-
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Leitlinien zur Langzeit-Sauerstofftherapie. Pneumologie 2008; 62: 748–56.
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Simonneau G, Galiè N, Rubin LJ, et al. Clinical classification of pulmonary hypertension. J Am Coll Cardiol 2004; 43: 5S–12S.
Simonneau G, Robbins I, Beghetti M, et al. Updated clinical classification of pulmonary hypertension. J Am Coll Cardiol
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Sitbon O, Humbert M, Jaïs X, et al. Long-term response to calcium channel blockers in idiopathic pulmonary arterial hyper-
tension. Circulation 2005; 111: 3105–11.

3.4  Belastungsabhängige Atemnot


Andreas König

KASUISTIK
Bei einer 57-jährigen Patientin besteht eine belastungsinduzierte Dyspnoe seit mehreren Monaten. Ihnen fällt bei einer
Routineuntersuchung eine große Blutdruckamplitude mit niedrigem diastolischem Druck auf. Bei der Herzauskultation
bemerken Sie ein diastolisches Decrescendogeräusch. Der Blutdruck beträgt 150/60 mmHg, Puls 75/min, regelmäßig. Die
weitere körperliche Untersuchung ist unauffällig; die Patientin gibt sonst keine weiteren Beschwerden an.
Kein Fieber; keine bekannten kardiovaskulären Risikofaktoren.

An welche Differenzialdiagnosen denken Sie?

Der Auskultationsbefund ist vereinbar mit:


• S tenose der AV-Klappen, meist Mitralstenose
• F unktionelles AV-Klappengeräusch bei erhöhtem Blutfluss
106 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

• I nsuffizienz der Semilunarklappen: Aortenklappeninsuffizienz durch organischen Klappenfehler oder


relative Pulmonalisinsuffizienz bei pulmonaler Hypertonie.
Eine hohe Blutdruckamplitude tritt auf bei:
• A ortenklappeninsuffizienz
• P eripherer Vasodilatation, z.B. Hyperthyreose.

Wie klären Sie Ihre Verdachtsdiagnose weiter ab?

Labordiagnostik, Ruhe-EKG, Röntgen-Thorax, Echokardiographie.

3
Welche Symptome und Befunde können bei Aortenklappeninsuffizienz erhoben
werden?

• P alpitationen, im weiteren Verlauf Abnahme der Leistungsbreite und Linksherzinsuffizienz mit nächtli-
cher paroxysmaler Dyspnoe, Belastungsdyspnoe, Lungenödem.
• P ulsatorische Phänomene als Folge der großen Blutdruckamplitude: pulssynchrones Dröhnen im Kopf,
sichtbare Pulsationen der Karotiden, sichtbarer Kapillarpuls nach leichtem Druck auf Fingernagel, puls-
synchrones Kopfnicken (Musset).
• H
 erzspitzenstoß bei exzentrischer Linkshypertrophie verbreitert und nach unten außen verlagert.
• D
 iastolisches Decrescendogeräusch sowie ggf. funktionelles spindelförmiges Systolikum infolge relativer
Aortenklappenstenose und Austin-Flint-Geräusch (rumpelndes spätdiastolisches Geräusch).
• A
 typische Thoraxschmerzen, pektanginöse Beschwerden bei subendokardialer Ischämie.
Rhythmusstörungen, Angina pectoris und plötzlicher Herztod sind bei der Aortenklappeninsuffizienz selte-
ner als bei der Aortenklappenstenose.

Welche technischen Befunde erwarten Sie bei einer Aortenklappeninsuffizienz


im Ruhe-EKG, Röntgen-Thorax und Echokardiogramm?

• R
 uhe-EKG: Linkstyp oder überdrehter Linkstyp,
Linkshypertrophiezeichen, unspezifische ST-Stre-
cken-Veränderungen bei lang dauernder Volu-
menbelastung, positiver Sokolow-Lyon-Index,
T-Negativierung in I, aVL, V5, V6.
• R öntgen-Thorax: großer nach links ausladender
linker Ventrikel, Dilatation und Elongation der
Aorta ascendens, prominenter Aortenknopf
(„Schuhform“ des Herzens; › Abb. 3.9, › Abb.
3.10).
• E chokardiographie: Refluxnachweis der Aorten-
insuffizienz mit Farbdoppler, semiquantitative
Einschätzung anhand der Druckhalbwertszeit
(PHT; › Abb. 3.11; › Tab. 3.5), Bestimmung
und Verlauf der LV-Funktion, Dilatation der Aor-
tenwurzel, Morphologie der Klappensegel (Ano-
malien, Verkalkung, endokarditische Vegetatio- Abb. 3.9  Beispiel für eine schwere Aortenklappeninsuffizienz
3.4  Belastungsabhängige Atemnot 107

nen), Abschätzung der Druckverhältnisse im kleinen Kreislauf. Eine bikuspid angelegte Aortenklappe
kann ebenfalls ursächlich für eine Insuffizienz sein (› Abb. 3.11).
• U
 KG: Die Aortenwurzel ist gering dilatiert (Aow: 44 mm). Bikuspide Aortenklappe: mäßiger Insuffizienz-
jet (PHT: 253 ms, V. contracta: 6 mm), keine Stenose. RA: normale Größe (visuell beurteilt), LA: gering
vergrößert, RV: gering vergrößert, Wanddicke normal, RV-Funktion normal. LV: gering vergrößert
(LVES: 47 mm, LVED: 63 mm), Wände nicht verdickt. Systolische Globalfunktion noch normal (plani­

Abb. 3.10  Röntgen-Thorax unserer Patientin: Allseits über die Norm vergrößertes Herz; Aorta ascendens in der p.a.-Aufnahme
rechts randbildend, Aufweitung des Aortenbogens, die Seitaufnahme zeigt eine Vorverlagerung der ventralen Kontur der A. ascen-
dens; kein umschriebenes Infiltrat, kein Pleuraerguss; Trachea ist mittelständig; prominentes Mediastinum.

Abb. 3.11  Echokardiogramm: Spektrumprofil des Insuffizienzjets mit Druckhalbwertszeit (PHT). Dargestellt wird oben links das
Flussgeschwindigkeitsprofil des Insuffizienzjets über der Aortenklappe mit Analyse über dem linksventrikulären Ausflusstrakt (kon-
tinuierlicher Doppler, 5-Kammerblick) mit der Ermittlung der Druckhalbwertszeit des Insuffizienzjets; diese beträgt > 250 ms. Oben
rechts in der parasternal kurzen Achse die Ansicht auf die bikuspide Aortenklappe.
108 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

metrische EF ~55%). Mitralklappe: Bewegung normal, geringe Insuffizienz, keine Stenose; TK: Bewegung
normal, geringe Insuffizienz, dpmax RV/RA = 27 mmHg.

Wie wird eine Aortenklappeninsuffizienz graduiert?

Die AI-Graduierung erfolgt zunächst echokardiographisch semiquantitativ; als nicht-invasive Diagnostik


steht alternativ die MR-Angiographie zur Verfügung, die auch eine Quantifizierung der Regurgitationsfrakti-
on erlaubt (› Tab. 3.5).

Tab. 3.5  Echokardiographie-Kriterien für die Graduierung der Aortenklappeninsuffizienz


3 Semiquantitative Analyse gering mäßig schwer
Fläche des farbkodierten Insuffizienzjets < 25% des LVOT > 25% des LVOT > 65% des LVOT
Jetdurchmesser, Vena contracta < 0,3 cm 0,3–0,6 cm > 0,6 cm
Diastolische Druckhalbwertszeit, ms > 500 ms 200–500 ms < 200 ms
LV-Dimensionen ESD < 45 mm ESD = 45–50 mm ESD = 50–55 mm
EDD < 60 mm EDD = 60–70 mm EDD = 70–75 mm

Wann halten Sie eine invasive Diagnostik für indiziert?

Wenn nach nicht-invasiver Bildgebung Unklarheit oder eine Diskrepanz zu den klinischen Untersuchungser-
gebnissen besteht, ist eine Darstellung der Aortenwurzel sowie die Messung der linksventrikulären Füllungs-
drücke indiziert (Klasse IB). Vor geplanter Klappenersatzoperation ist eine Koronarangiographie indiziert
bei Patienten mit erhöhtem Risiko für eine koronare Herzerkrankung.

Wie wird das Ausmaß der Aortenklappeninsuffizienz angiographisch beurteilt?

• G
 rad I: geringe Kontrastmittelmenge erreicht diastolisch den linksventrikulären Ausflusstrakt und wird
systolisch wieder vollständig ausgeworfen; Regurgitationsfraktion < 20%
• G
 rad II: diastolisch Anfärbung des gesamten linken Ventrikels (LV); Regurgitationsfraktion 20–40%
• G
 rad III: deutliche Anfärbung des gesamten LV; gleiche Kontrastintensität im LV und in der Aorta; Re-
gurgitationsfraktion 40–60%
• G
 rad IV: komplette Anfärbung des gesamten LV während eines Herzzyklus; Kontrastierung im LV inten-
siver als in der Aorta; Regurgitationsfraktion > 60%.

KASUISTIK
Die Verdachtsdiagnose einer Aortenklappeninsuffizienz hat sich damit bestätigt. Es handelt sich jedoch nicht um eine
schwere Aortenklappeninsuffizienz.

Wie gehen Sie weiter vor? Was ist die wahrscheinliche Ätiologie?

• C hronisch: kongenitale Klappenanomalien, V.a. bikuspide Aortenklappe, Verkalkung


• Z .n. rheumatischem Fieber, arterielle Hypertonie, Aortendilatation, Separation der Klappensegel
• A kut:  infektiöse Endokarditis, Aortendissektion, Trauma
3.4  Belastungsabhängige Atemnot 109

• E ntzündliche Ursachen: rheumatoide Arthritis, Spondylitis ankylopoetica, Lupus erythematodes dissemi-


natus, Syphilis (heute selten).
• S trukturelle Klappendefekte: rupturiertes Sinus-Valsalvae-Aneurysma.
Vom zeitlichen Verlauf her handelt es sich nicht um eine akute AI. Sie sehen auch keine Vegetationen oder
Dissektion.

Beschreiben Sie den Pathomechanismus der Aortenklappeninsuffizienz

Bei akuter Aortenklappeninsuffizienz kommt es zum raschen Anstieg des linksventrikulären enddiastoli-
schen (LV-end) und atrialen Drucks. Aufgrund der fehlenden kompensatorischen Dilatation des linken Ven-
trikels resultiert eine Reduzierung des Schlagvolumens. Eine kompensatorische Tachykardie hält die Pump- 3
leistung aufrecht. Lungenödem und kardiogener Schock sind häufige Komplikationen. Die Annäherung des
LV-end an den diastolischen Aortendruck bzw. den koronaren Perfusionsdruck reduziert die myokardiale
Perfusion mit möglicher kardialer Ischämie.
Bei der chronischen Aortenklappeninsuffizienz resultiert ein vergrößertes Schlagvolumen mit nachfolgen-
der Volumenbelastung des linken Ventrikels. Durch eine Zunahme der Ventrikelcompliance kommt es zunächst
nicht zu einer Erhöhung des Füllungsdrucks. Es entwickelt sich eine kombiniert exzentrische und konzentrische
Linksherzhypertrophie. Die exzentrische Hypertrophie ist von einer Neuordnung myokardialer Muskelfasern
begleitet. Die andauernde systolische Wandbelastung erhöht die kardiale Nachlast (Kombination aus Volumen-
und Druckbelastung). Im Spätstadium kommt es zur Abnahme der Ventrikelcompliance, zum Anstieg des end-
diastolischen Ventrikeldrucks und des endsystolischen Volumens wie oben beschrieben. Bei lang andauernder
Insuffizienz drohen irreversible Myokardschäden. Die systolische LV-Funktion sowie endsystolische Dimension
sind die entscheidenden Prädiktoren für die Prognose und die postoperative Pumpfunktion.

Im Rahmen einer bakteriellen Endokarditis, nach einem Trauma oder bei einer
Aortendissektion Typ A kann es zu einer akuten Aortenklappeninsuffizienz
kommen. Welche Leitbefunde finden Sie dann?

• A kute, schwere Herzinsuffizienz


• A kute Dyspnoe, Tachykardie, Schock, pulmonale Stauung und Low-output-Syndrom
• K eine Puls- und Auskultationsbefunde wie bei der chronischen Aortenklappeninsuffizienz.
Bei akuter Insuffizienz bei Aortendissektion können Betablocker die kompensatorische Tachykardie blockie-
ren. Patienten mit einer schweren akuten Insuffizienz aufgrund einer infektiösen Endokarditis mit infolge
kardialer Dekompensation müssen rasch einer Operation zugeführt werden.

Wann stellen Sie die Indikation zur chirurgischen Therapie (› Abb. 3.12)?

Beim symptomatischen Patienten:


• S chwere chronische symptomatische Aortenklappeninsuffizienz (Klasse I)
• A ortenklappenendokarditis mit Aortenklappeninsuffizienz und konservativ nicht beherrschbarer
• I nfektion
• S chwere, akute Aortenklappeninsuffizienz.
Beim asymptomatischen Patienten:
• S chwere chronische Aortenklappeninsuffizienz und linksventrikuläre Dysfunktion (Ejektionsfraktion
< 50%; Klasse IB)
110 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Aorteninsuffizienz

klinisch 6 Monate
UKG: 12 Monate
alle 6 Monate
Klinische Untersuchung,
alle 3 Monate Echokardiographie
alle 12 Monate

ja
Symptome?
3

Symptome
Belastungstest Klasse I

keine Symptome

Aorten-
Re-Evaluierung LV-Funktion?
klappenersatz

Ggf. RVG, MRT

EF normal EF ≤ 50% Klasse I

ESD > 55 mm
LV-Dimensionen? oder Klasse IIa
EDD > 75 mm

ESD < 45 mm ESD 45–50 mm ESD 50–55 mm


oder oder oder Klasse IIb
EDD < 60 mm EDD 60–70 mm EDD 70–75 mm

Im Verlauf
progredient

Im Verlauf
stabil

Abb. 3.12  Flussdiagramm für die chronische schwere Aortenklappeninsuffizienz, modifiziert nach ACC/AHA; Kontrollintervalle
(Echokardiographie) sind farblich gekennzeichnet.

• S chwere Aortenklappeninsuffizienz und normale linksventrikuläre Funktion, aber Dilatation des linken
Ventrikels
– endsystolischer Durchmesser > 55 mm, enddiastolisch > 75 mm: Klasse IIA;
– endsystolischer Durchmesser > 50 mm, enddiastolisch > 70 mm: Klasse IIB).
• U
 nabhängig vom Schweregrad einer Aortenklappeninsuffizienz mit Dilatation der Aortenwurzel (wg.
Aortendissektion), bei Marfan-Syndrom ab 40–50 mm (Klasse IC),
bikuspide Klappe ab 40–50 mm (Klasse IC),
sonst ab 55 mm (IC).
3.4  Belastungsabhängige Atemnot 111

Wie schätzen Sie die Langzeitprognose bei schwerer symptomatischer AI ein, mit
und ohne Aortenklappenersatz?

Die Fünf-Jahres-Überlebensrate beträgt mit Aortenklappenersatz ca. 85%, ohne Ersatz ca. 40%, die Zehn-
Jahres-Überlebensrate mit Ersatz ca. 80%, ohne Ersatz ca. 30%.
Die Langzeitprognose ist umso besser, je geringer die präoperative linksventrikuläre Dysfunktion und je
jünger die Patienten zum Zeitpunkt des Klappenersatzes sind.

Welche Empfehlungen zum weiteren Vorgehen geben Sie einem


asymptomatischen Patienten?
3
• R egelmäßige Verlaufskontrolle: bei erhaltener systolischer Ventrikelfunktion und endsystolischem
Durchmesser des linken Ventrikels < 50 mm alle 12 Monate Echokardiographie und klinische Evaluation.
• E ine Antibiotikaprophylaxe der infektiösen Endokarditis wird nach Aktualisierung der Leitlinien 2007
nur noch für kardiale Erkrankungen mit sehr hohem Risiko empfohlen.
• K örperliche Bewegung, jedoch kein Wettkampfsport oder schwere körperliche Belastung bei hämodyna-
misch signifikanter Aortenklappeninsuffizienz.
• V
 asodilatatoren bei Aorteninsuffizienz jeden Grades zusammen mit arterieller Hypertonie und bei schwe-
rer Aorteninsuffizienz mit vergrößertem linken Ventrikel.
• B radykardisierende Medikation eher zurückhaltend anwenden.

KASUISTIK
Unsere Patientin hat keine schwere AI, somit besteht derzeit keine Indikation für eine OP. Es wird zunächst eine medika-
mentöse Therapie zur Nachlastsenkung mit Vasodilatatoren sowie einem Diuretikum begonnen. Die Patientin war im
weiteren Verlauf asymptomatisch.
Bei Patienten mit einer bikuspiden Aortenklappe und Dilatation der Aortenwurzel oder A. ascendens (> 4 cm) sollten
jährliche Kontrollen durchgeführt werden (UKG, MRT) Klasse I-C.

Wie führen Sie die postoperativen Untersuchungen durch?

Echokardiographische Kontrollen werden postoperativ durchgeführt zur Analyse der LV-Dimension und -Funkti-
on sowie Überprüfung der Prothesenfunktion. Die Normalisierung der enddiastolischen Dimensionen postopera-
tiv ist ein Prädiktor für eine Verbesserung der LV-Funktion im Verlauf. Kontrolluntersuchungen können nach in-
itialer Evaluierung nach 6 und 12 Monaten, dann jährlich bei klinischer Beschwerdefreiheit durchgeführt werden.

LITERATUR:
2008 Focused Update Incorporated into th ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients With Valvular Hearts
Diease. Circulation 2008 118:e523–e661 (Focus Update).
ACC/AHA/AATS/ACR/ASA/SCA/SCAI/SIR/STS/SVM. Guidelines for the Diagnosis and Management of Patients with Thoracic
Aortic Disease. I Am Coll Cardiol 2010; 55: 1509–44.
Kommentar zur Europäischen Leitlinie „Herzklappenerkrankungen“. Kardiologie 2009: 2:101-7.
112 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

3.5  Progrediente Atemnot


Andreas König

KASUISTIK
Über die Notaufnahme wird ein 65-jähriger Patient stationär aufgenommen. Die Überweisung erfolgt durch den Hausarzt.
Seit ca. 2 Wochen besteht eine belastungsabhängige Atemnot.
Die körperliche Untersuchung zeigt einen Patienten mit normalem EZ und reduziertem AZ, keine Zyanose, kein Ikterus,
Jugularvenendruck gering erhöht, die Herzfrequenz liegt bei 145/min, der Puls ist arrhythmisch, die Atemfrequenz liegt
bei 18/min, RR: 120/85 mmHg, SO2: 95%; bei Auskultation sind die Herztöne rein, 2⁄6-Systolikum über Aorta mit Fortlei-
tung in die Karotiden, Pulmo: basal feuchte RG, kein Giemen.
BGA: SO2: 92%, pO2: 64,8, pCO2: 30,3, pH: 7,44
Labor: kardiale Marker und D-Dimer erhöht.
3

Welche möglichen Ursachen für die Belastungsdyspnoe müssen Sie ausschließen?

Die belastungsinduzierte Dyspnoe ist das Leitsymptom der Linksherzinsuffizienz (› Tab. 3.6).

Tab. 3.6  Ursachen für Belastungsdyspnoe


Ursache Differenzialdiagnosen
Kardial akutes Koronarsyndrom/instabile AP
stabile Angina pectoris
Herzrhythmusstörungen, z.B. tachykard übergeleitetes Vorhofflimmern
dilatative Kardiomyopathie
hämodynamisch relevantes Klappenvitium
hypertensive Entgleisung/hypertensive Herzerkrankung
Myokarditis/Perikarderguss
Pulmonal Lungenembolie
chronisch obstruktive Lungenerkrankung, exazerbiert
Pneumonie
Andere Anämie, Hyperthyreose
AV-Fistel, Sepsis
3.5  Progrediente Atemnot 113

Welches sind die ersten diagnostischen Schritte, die Sie durchführen?

Ein 12-Kanal-EKG sowie ein Röntgen-Thorax.

Wie befunden Sie das folgende EKG (› Abb. 3.13)?

Abb. 3.13  EKG

Vorhofflimmern mit tachykarder Überleitung, Kammerfrequenz: 145/min; verbreiterter Kammerkomplex


bei Linksschenkelblock.

Wie befunden Sie das folgende Röntgen-Thorax-Bild (› Abb. 3.14)?

Soweit in der Liegendposition beurteilbar, über


die Norm vergrößertes Herz; unscharfe pulmonal-
venöse Gefäße im Sinne einer Stauung; kein siche-
res umschriebenes Infiltrat; Trachea ist mittel-
ständig; prominentes Mediastinum; Minderbelüf-
tung basal /DD Erguss; geringe Verdichtung links
basal.

Welche Verdachtsdiagnosen sind


wahrscheinlich?

• V
 .a. Lungenembolie bei erhöhtem D-Dimer
Abb. 3.14  Röntgen-Thorax
114 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

• A kutes Koronarsyndrom nicht sicher ausgeschlossen bei Linksschenkelblock (nicht sicher vorbekannt)
• K ardiale Dekompensation mit beginnendem Lungenödem bei tachykard übergeleitetem Vorhofflimmern.

Welche weitere Diagnostik ist erforderlich?

Bei führender Dyspnoe und fehlender AP wird zunächst ein CT-Thorax mit der Frage Lungenembolie durch-
geführt.

KASUISTIK
Befund CT-Angiographie Pulmonalis: Kein Nachweis einer zentralen oder peripheren Lungenembolie; keine Rechts-
3 herzbelastungszeichen; Pleuraergüsse beidseits, rechts führend (nicht punktionswürdig) mit angrenzenden Verdichtungs-
arealen rechts und Bronchialwandverdickungen/DD initiale Bronchopneumonie rechts/DD Atelektasen; kein Nachweis
von suspekten intrapulmonalen Rundherden oder eines Pneumothorax. Das Herz ist deutlich über die Norm vergrößert,
linksventrikulär konfiguriert; ausgeprägte Verkalkungen der Aortenklappe; die übrige Aorta thoracalis weist nur verein-
zelte kleine harte Plaques auf. Zudem zeigen sich Verkalkungen der LAD und der LCX. Die übrigen großen thorakalen
Gefäße stellen sich regelrecht dar.
Nach Ausschluss einer Lungenembolie und erhöhten kardialen Markern (Troponin) wird bei kardialer Dekompensation
und ACS eine invasive Diagnostik durchgeführt.
3.5  Progrediente Atemnot 115

Beurteilen Sie den Herzkatheterbefund (› Abb. 3.15).

Abb. 3.15  Herzkatheterbefund

Was haben Sie an der Lävokardiographie auszusetzen? Die halbtransparenten Blenden sind nicht optimal platziert.
Befund Linksherzkatheter:
• L ävokardiographie: Vergrößerter linker Ventrikel mit global eingeschränkter Funktion (LV-EF: 27%, LV-
end: 18 mmHg); regionale Kontraktionsstörungen anterior und apikal; keine relevante Mitralinsuffizienz.
Es findet sich ein Druckgradient über der Aortenklappe (peak to peak: 15 mmHg).
• K oronarangiographie: Der Hauptstamm ist distal mittelgradig stenosiert, der RIVA ab medial verschlos-
sen. Der RCX ist ostial sowie im Verlauf mehrfach hochgradig stenosiert. Die RKA ist mehrfach mittelgra-
dig stenosiert und versorgt über Kollaterale die distale RIVA als Hinweis für einen chronischen Ver-
schluss.
Die invasive Diagnostik ergibt jetzt eine ischämische Kardiomyopathie sowie einen Druckgradienten über
der Aortenklappe. Die akute kardiale Dekompensation ist am wahrscheinlichsten durch tachykard übergelei-
116 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

tetes Vorhofflimmern verursacht. Daher wird zunächst eine elektrische Kardioversion geplant. Davor soll ei-
ne Echokardiographie einschließlich TEE erfolgen.

KASUISTIK
Befund UKG: Die Aortenwurzel ist normal weit. Aortenklappe: mäßige Insuffizienz (PHT: 335 ms, V. contracta: 6 mm);
Hämodynamik: Vmax = 3,05 m/s, dpmax = 37 mmHg, dpmean = 22 mmHg. RA: normale Größe (visuell beurteilt), LA: gering
vergrößert, RV: normale Größe, Wanddicke normal, RV-Funktion gering eingeschränkt. LV: normale Größe, Wände gering
verdickt. Mäßige systolische Global-Funktionseinschränkung (planimetrische EF ~32%). Mitralklappe: Bewegung normal,
deutliche Insuffizienz (V. contracta: 8 mm), keine Stenose; TK: Bewegung normal, geringe Insuffizienz, dpmax RV/RA=
27 mmHg (› Abb. 3.16).

Abb. 3.16  Oben links dargestellt das Flussgeschwindigkeitsprofil mit Analyse über dem linksventrikulären Ausflusstrakt (kontinuier-
licher Doppler, 5-Kammerblick) sowie rechts die Ermittlung der Druckhalbwertszeit des Insuffizienzjets (cw-Doppler, 5-Kammerblick).
Befund TEE: Keine intrakavitären Thromben im eingesehenen Bereich (LA, LAA, RA, LV). Aortenklappe deutlich verdickt;
Öffnungsbewegung deutlich reduziert. Planimetrie der AK bei tachykarder Kammerfrequenz nicht durchgeführt.

Es besteht nun bei vorliegendem kombinierten Aortenklappenvitium der V.a. eine möglicherweise hochgra-
dige Aortenklappenstenose, die aufgrund der eingeschränkten LV-Funktion hämodynamisch nicht eindeutig
klassifiziert werden kann (Niedrig-Gradient-Aortenklappenstenose). Zunächst ist eine kardiale Rekompen-
sation notwendig.
Nach den Befunden der Echokardiographie kann eine elektrische Kardioversion durchgeführt werden; in
der Folge kann ein Sinusrhythmus installiert werden.

Erläutern Sie die Problematik der linksventrikulären Funktionseinschränkung bei


Aortenklappenstenose, Niedrig-Gradient-Aortenklappenstenose und
Vorhofflimmern.

Die hämodynamisch relevante Aortenstenose führt durch Zunahme der Wandspannung im linken Ventrikel
zu einer konzentrischen Hypertrophie. Die reduzierte Compliance des Ventrikels und die Erhöhung des
linksventrikulären enddiastolischen Füllungsdrucks resultiert in einer diastolischen Dysfunktion.
Die vermehrte atriale Kontraktion trägt jetzt entscheidend zur Kammerfüllung bei, zunächst ohne Erhöhung des
mittleren atrialen oder pulmonal-venösen Drucks. Bei einem Ausfall der atrialen Kontraktion, wie z.B. bei Vorhof-
flimmern, kann es daher zu einer plötzlichen klinischen Verschlechterung kommen, wie im vorliegenden Fall.
3.5  Progrediente Atemnot 117

Im Verlauf der Erkrankung kommt es nach Erschöpfung der Kompensationsmechanismen zu einer Gefüge-
dilatation mit Funktionseinschränkung, bedingt durch eine reduzierte Kontraktilität des linken Ventrikels
oder die stark erhöhte Nachlast. Dadurch wird der transvalvuläre Gradient reduziert und die hochgradige
Aortenklappenstenose verkannt.

Welches ist die Rationale der niedrig dosierten Dobutamin-


Stressechokardiographie?

Die Echokardiographie unter niedrig dosierter Dobutaminstimulation ist hilfreich bei der Entscheidung zum
Aortenklappenersatz bei Patienten mit reduzierter linksventrikulärer Funktion, insbesondere zur Klärung der
Ursache der Funktionseinschränkung (klappenassoziiert oder eigenständige Dilatative Kardiomyopathie). 3
Unter einer Dosierung von Dobutamin bis 20 μg/kg/min kam es nach Studien nicht zu Komplikationen bei
Patienten mit Aortenstenosen. Bei dieser Untersuchung wird die Zunahme des linksventrikulären Schlagvo-
lumens (kontraktile Reserve) sowie des transvalvulären Druckgradienten gemessen.
Kommt es unter erhöhtem Schlagvolumen zu einer Erhöhung des Druckgradienten (fixierte Stenose), so
ist die Aortenstenose ursächlich für die Funktionsverschlechterung und eine OP-Indikation gegeben. Kommt
es hingegen unter erhöhtem Schlagvolumen zu einem Rückgang der Stenose mit größerer Klappenfläche
(Pseudostenose), ist von einer Operation keine Besserung zu erwarten.
Neben der diagnostischen Wertigkeit ermöglicht diese Methode auch eine Risikostratifizierung. Patienten
mit einer guten kontraktilen Reserve (Erhöhung der EF um ca. 20%) haben eine geringere perioperative Mor-
talität. Es besteht überdies bei diesen Patienten die Möglichkeit einer Verbesserung der Pumpfunktion post-
operativ. Bei fehlender kontraktiler Reserve ist offenbar der Myokardschaden irreversibel und das periopera-
tive Risko höher.
Eine weitere Diagnostik der Klappenöffnungsfläche kann durch TEE erfolgen (direkte Planimetrie).

KASUISTIK
Befund Dobutamin-Stressechokardiographie unter 20 μg/kg/min Dobutamin:
Aortenklappe mit hochgradiger Stenose; Klappenöffnungsfläche nach Kontinuitätsgleichung: 0,7 cm2; Steigerung der Vmax
von 3,40 m/s auf 4,50 m/s, des maximalen Gradienten dpmax von 47 mmHg auf 80 mmHg, des mittleren Gradienten
dpmean von 27 mmHg auf 44 mmHg. Im 4-Kammerblick zeigt sich unter Dobutamin eine Normalisierung der Pumpfunkti-
on, lediglich eine geringe Hypokinesie apikoseptal (› Abb. 3.17).

Abb. 3.17  Oben dargestellt das Flussgeschwindigkeitsprofil über der Aortenklappe vor Belastung (links) und nach Gabe von
20 μg/kg/min Dobutamin (rechts). Nach Kardioversion in Sinusrhythmus ist bereits der Ruhegradient über der Aortenklappe ange-
stiegen (Vmax: 3,05 m/s auf 3,42 m/s).
118 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Nach den vorliegenden Ergebnissen geht man aufgrund der Erhöhung des Stenosegrades unter Belas-
tung von einer relevanten Aortenklappenstenose mit linksventrikulärer Funktionseinschränkung aus.
Daneben besteht eine ischämische Kardiomyopathie mit einer schweren koronaren Dreigefäßerkran-
kung.
Mit Dobutamin-Stressechokardiographie konnte eine gute kontraktile Reserve mit deutlicher Verbesse-
rung der Pumpfunktion nachgewiesen werden. Dies stellt auch einen Vitalitätsnachweis für das Myokard,
insbesondere das RIVA-Stromgebiet dar.
Es besteht daher eine Indikation für eine Aortenklappenersatz-Operation sowie eine komplette Bypassver-
sorgung.

LITERATUR:
3 2008 Focused Update Incorporated into the ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients With Valvular Heart
Disease. Circulation 2008 118:e523–e661 (Focus Update).

3.6  Dyspnoe bei langjährigem Bluthochdruck


Martin Hug

KASUISTIK
Anamnese: Ein 75-jähriger Mann klagt über zunehmende Dyspnoe unter Belastung. Die Beschwerden traten zuletzt
bereits bei geringer Belastungsstufe (Treppensteigen ins 1. Stockwerk) auf. Anamnestisch besteht lediglich eine langjäh-
rige arterielle Hypertonie die mit Captopril 25 mg 1-0-1 behandelt worden sei.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 176 cm groß, 98 kg schwer, BMI 31,6, RR 155/95 mmHg, Herzfrequenz 88/min,
Herztöne rhythmisch, rein, keine Herzgeräusche. Über den basalen Lungenabschnitten geringe RGs. Der JVD ist erhöht.
Leber palpatorisch nicht beurteilbar bei Adipositas. Keine Beinödeme.

Welche technischen Untersuchungen würden Sie anordnen, um die


Differenzialdiagnose der Dyspnoe abzuklären?

Röntgen-Thorax in zwei Ebenen. EKG, UKG, Belastungs-EKG, Lungenfunktionsuntersuchung.

KASUISTIK
Röntgen-Thorax: Das Herz ist gering vergrößert. Keine pneumonietypischen Infiltrate. Diskrete pulmonalvenöse Stau-
ung. Keine Pleuraergüsse.
Lungenfunktionsdiagnostik (Bodyplethysmographie):
VK-Ist 2690 ml VK-Soll 3490 ml (68% vom Soll)
IGV-Ist 4320 ml IGV-Soll 3550 ml (122% vom Soll)
TLC-Ist 6050 ml TLC-Soll 6660 ml (91% vom Soll)
FEV1 1760 ml (60% vom Soll)
RAW 0,17 kPa/l×s (Soll < 0,3 kPa/l×s)
3.6  Dyspnoe bei langjährigem Bluthochdruck 119

Welche Informationen erhalten Sie durch die Lungenfunktionsdiagnostik?

Die am häufigsten durchgeführte Lungenfunktionsmessung ist die Spirometrie. Hierbei wird mit einem Fluss-
sensor der Luftstrom beim Atmen gemessen. Neben der Ruheatmung wird bei der Spirometrie eine maximale
Aus- und Einatmung gefordert. Da hierbei ständig die Strömung gemessen wird, lassen sich neben den Strö-
mungswerten wie Peak Flow (engl. peak expiratory flow, PEF) und verschiedenen exspiratorischen Atem-
stromstärken (zum Beispiel maximal expiratory flow, MEF) auch Lungenvolumina wie Vitalkapazität (VC),
exspiratorisches Reservevolumen (ERV) und Ruheatemzugvolumen (VT, auch TV von engl. Tidal Volume)
bestimmen. Die FEV1 (auch Tiffeneau-Test) entspricht dem forcierten exspiratorischen Volumen in einer Se-
kunde – das ist die Luftmenge, die der Patient mit aller Kraft und möglichst schnell innerhalb einer Sekunde
ausatmen kann. Neben den Messwerten wird die Spirometrie auch grafisch dargestellt. Die geläufigste Dar-
stellung ist die Fluss-Volumen-Kurve. Der Fluss des Atemstroms (y-Achse) wird hier nicht gegen die Zeit, 3
sondern gegen das ausgeatmete Volumen (x-Achse) aufgetragen. Mit dieser Darstellung lassen sich besonders
leicht krankhafte Veränderungen sehen. Auch ist die Grafik unerlässlich, um die Mitarbeit des Probanden bei
der Messung zu bewerten.
Eine weitere Methode der Lungenfunktionsmessung ist die Bodyplethysmographie mit der Messung des
Atemwegswiderstands. Das Problem einer Widerstandsmessung der gesamten Atemwege ist, den Luftdruck
in den Lungenbläschen zu bestimmen, der die gemessenen Luftströmung durch die Bronchien auslöst. Je hö-
her dieser in den Lungenbläschen aufgebaute Druck sein muss, um eine bestimmte Strömung zu erzeugen,
desto mehr muss man sich beim Atmen anstrengen und desto höher ist der Atemwegswiderstand (Resis-
tance). Da bei der Bodyplethysmographie das Luftvolumen in der Lunge bestimmt werden kann, sind weitere
Messgrößen möglich, zum Beispiel das maximal mögliche Luftvolumen in der Lunge (TLC) und das nicht
ausatembare Restvolumen der Lunge (RV). Für diese Werte ist es aber notwendig, während der Messung auch
eine Spirometrie durchzuführen. Dies wird in der Regel auch gemacht. Ebenso wird in der Regel auch eine
Blutgasanalyse im hyperämisierten Kapillarblut durchgeführt.
Die Lungenfunktionanalyse mit Spiroergometrie, Bodyplethysmographie und Blutgasanalyse liefert also
Hinweise für das Vorliegen einer obstruktiven oder restriktiven Lungenerkrankung, zu den Lungenvolumina
und zur Oxygenierung des Blutes.
Zusammengefasst ergibt sich bei unserem Patienten zunächst kein Hinweis auf das Vorliegen einer rele-
vanten, die Dyspnoe erklärenden pulmonalen Erkrankung.

EKG: SR, Frequenz 88/Minute, Linkstyp, P= 0,1 Sekunde, PQ = 0,18 Sekunde, QRS-Breite = 0,11 Sekunde, QT Zeit =
0,42 Sekunden. Sokolow-Lyon-Index = 4 mV, der Stromkurvenverlauf zeigt unspezifische Repolarisationsstörungen.
UKG: Normale systolische globale und regionale LV-Funktion. Linker Vorhof deutlich vergrößert, die Ventrikel normal groß.
Deutliche Linkshypertrophie (Septum 15 mm). Mitralanuluskalk. Aortenklappe gering sklerosiert, normal öffnend. Geringe
Trikuspidalklappeninsuffizienz mit Druckgradient von 35 mmHg, E/A = 0,6, Dezelerationszeit (Mitralklappe) 250 ms,
E/E`13.
Belastungs-EKG: Stufenweise Belastung über je zwei Minuten mit 50, 75, und1 Minute 100 Watt. Abbruch bei körper-
licher Erschöpfung und Dyspnoe. Maximale Herzfrequenz 112/Minute, entsprechend 77% vom Sollwert. Maximaler Blut-
druck 230 mmHG systolisch bei max. Belastung. Keine Änderung der vorbestehenden Repolarisationsstörungen.

Kann nach dem Belastungs-EKG eine koronare Herzerkrankung als Ursache der
Dyspnoe ausgeschlossen werden?

Mit einem Belastungs-EKG lässt sich eine koronare Herzerkrankung nie ausschließen! Selbst bei erreichter
Ausbelastungsfrequenz (nur 36% der Patienten erreichen die Ausbelastungsfrequenz) beträgt die Sensitivität
lediglich 68% (› Kap. 8.1, › Kap. 8.2)!
120 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Testverfahren Patienten Sensitivität Spezifität prädiktiver Wert


Belastungs-EKG 24.047 68% 77% 73%

In unserem Fall dient das Belastungs-EKG zur Dokumentation der Belastbarkeit bis zum Auftreten der Dys-
pnoe und zur Beobachtung des Blutdruckverhaltens!

Kennen Sie Laborwerte, die für die Differenzialdiagnose der Dyspnoe hilfreich
sein können?

3 • D
 as C-reaktive Protein (CRP) gibt Hinweise, ob eine entzündliche Erkrankung vorliegt.
• D
 as Blutbild liefert ebenfalls Hinweise auf eine Entzündung (Leukozytose), auf ein Asthma bronchiale
(Eosinophilie) oder auf chronische Herz- und Lungenerkrankungen (Polyglobulie) oder eine Anämie.
• D
 ie D-Dimere sind bei Lungenembolie erhöht.
• D
 as BNP und NT-Pro-BNP sind bei Herzinsufffizienz erhöht (› Kap. 1.9).
• D
 as Troponin ist bei Erkrankungen mit Untergang von Kardiomyozyten erhöht. Troponin ist nicht spezi-
fisch für eine Ischämie!
Bei unserem Patienten sind CRP, Blutbild, D-Dimere und Troponin im Normbereich. Das BNP ist mit
800 ng/dl (Norm < 190) deutlich erhöht.

Muss bei unserem Patienten eine koronare Herzerkrankung in die Überlegungen


mit einbezogen werden?

Eine Dyspnoe unter Belastung kann durchaus als Äquivalent einer Angina pectoris angesehen werden. Das
Belastungs-EKG kann wie besprochen nicht zum Ausschluss einer KHK herangezogen werden. Das normale
Troponin schließt (bei zweifacher Bestimmung im Abstand von 6 Stunden) allerdings ein akutes Koronar-
syndrom aus. Da sich durch den deutlich erhöhten Wert für das BNP Hinweise auf eine kardiale Ursache der
Dyspnoe ergeben, haben wird bei unserem Patienten eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt.
Es zeigt sich ventrikulographisch eine normale systolische Kontraktion. LV-EDP 22 mmHg (Norm
< 12 mmHg). Die Aorta ascendens ist visuell gering erweitert und elongiert. Es zeigen sich keine Stenosen an den
Kranzgefäßen. Der Kontrastmittelfluss nach Injektion in das Koronarsystem ist jedoch verzögert (slow flow).
Fasst man die erhobenen Befund zusammen, ergibt sich als Diagnose eine diastolische Herzinsuffizienz im
Stadium NYHA III bei hypertensiver Herzerkrankung.
Der erhöhte BNP-Wert ist ein starker Indikator für das Vorliegen einer Herzinsuffizienz. Bei normaler systo-
lischer Funktion sowohl im Echokardiogramm als auch bei der Herzkatheteruntersuchung ist eine Einschrän-
kung der systolischen Pumpfunktion als Ursache der Herzinsuffizienz ausgeschlossen. Die echokardiographi-
schen Befunde ergeben jedoch Hinweise auf eine diastolische Dysfunktion. Linksherzhypertrophie, elongierte
und erweiterte Aorta ascendens bei der Ventrikulographie, Slow-flow-Phänomen bei der Koronarangiographie
und hypertensive Entgleisung beim Belastungs-EKG stützen die Diagnose einer hypertensiven Herzerkrankung.
Eine Erkrankung der Lunge ist bei normaler Lungenfunktion und bei weitgehend unauffälligem Röntgen-
bild weniger wahrscheinlich.

Welche Therapie empfehlen Sie unserem Patienten?

Behandelt werden sollten die arterielle Hypertonie und die Herzinsuffizienz.


3.7  Belastungsdyspnoe und Angina pectoris 121

Als Standard sollten ein ACE-Hemmer, ein Diuretikum und ein Betablocker unter Frequenzkontrolle auch
unter Belastung gegeben werden.

Würden Sie die Vormedikation mit Captopril weiterführen?

Eine ACE-Hemmer-Medikation mit Captopril ist nicht zu empfehlen. Unter Berücksichtigung der Pharma-
kokinetik müsste Captopril 3- bis 4-mal täglich eingenommen werden, um stabile Wirkstoffspiegel zu erhal-
ten. Dies führt jedoch in aller Regel zu Problemen mit der Compliance. Besser wird hier ein lang wirkender
ACE-Hemmer verordnet (› Tab. 3.7).

Tab. 3.7  ACE-Hemmer-Dosierung bei arterieller Hypertonie und Herzinsuffizienz (mod. nach Fischer und Follath 3
1999). Bei Herzinsuffizienz ist die jeweilige Maximaldosis anzustreben.
Arterielle Hypertonie Herzinsuffizienz
Substanz (mg) ED (mg) D/Tag (mg) Tagesdosis (mg) ED (mg) D/Tag (mg) Tagesdosis (mg)
Benazepril 10–20 1–2 5–40 5–20 1 5–20
Captopril 50 1–3 50–150 50 2–3 18,75–150
Cilazapril 2,5–5 1 2,5–10 1–2,5 1 0,5–5
Enalapril 20 1 5–40 10 1–2 2,5–20
Fosinopril 20 1 10–40 10 1 5–40
Lisinopril 20 1 5–80 10 1–2 5–20
Perindopril 4–8 1 4–8 2–4 1 2–4
Quinapril 20–40 1–2 10–80 10–20 2 5–40
Ramipril 2,5–5 1 2,5–10 2,5–5 1–2 1,25–10
Trandolapril 4 1 2–6 1–4 1 1–4
ED = Erhaltungsdosis; ID = Initialdosis

LITERATUR
Fischler MP, Follath F. Vergleichende Evaluation der ACE-Hemmer: Welche Unterschiede sind relevant? Schweiz Med Wo-
chenschr 1999; 129: 1053–60.
Gianrossi R., R Detrano, D Mulvihill, et al. Exercise-induced ST depression in the diagnosis of coronary artery disease. A me-
ta-analysis. Circulation 1989; 80: 87–98.

3.7  Belastungsdyspnoe und Angina pectoris


Volker Klauss

KASUISTIK
Eine 63-jährige Patientin wird mit Verdacht auf Progression der bekannten KHK (Z.n. Myokardinfarkt und Dreifach-By-
pass-Operation vor 7 Jahren) bei pathologischer Ergometrie vom betreuenden Hausarzt stationär eingewiesen. Die Pati-
entin klagt über zunehmende Belastungsdyspnoe, belastungsinduzierte Angina pectoris wird verneint. Orthopnoe, sub-
jektiv bemerkte Rhythmusstörungen und Schwindel bestehen nicht. Seit 4 Wochen sei es gelegentlich zu Beinödemen
gekommen. Gewicht wurde nicht kontrolliert.
Kardiovaskuläre Risikofaktoren: Diabetes mellitus Typ 2, Hypercholesterinämie, kein Nikotin, Familienanamnese negativ,
schwer einstellbarer Hypertonus.
122 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Bei der körperlichen Untersuchung beträgt der Blutdruck am rechten Arm 190/110 mmHg, am linken Arm 200/110
mmHg, Frequenz 80/min, Gewicht 90 kg, Größe 164 cm. Pulmonale und kardiale Auskultation sind unauffällig.
In der Laboruntersuchung am Aufnahmetag sind pathologisch: Kreatinin 1,3 mg/dl, Glukose 220 mg/dl, HbA1c 9,0%,
LDL-Cholesterin 180 mg/dl. TpT ist negativ.
Die medikamentöse Therapie besteht aus ASS 100 mg, Enalapril 2 × 40 mg, Metoprolol 2 × 25 mg, HCT 25 mg,
Amlodipin 2 × 2,5 mg, Metformin 2 × 1000 mg, Candesartan 2 × 8 mg.

Was fällt Ihnen bei dieser medikamentösen Einstellung auf?

Fünffach-Kombination bei arterieller Hypertonie, offensichtlich bei nicht ausreichend eingestelltem Blut-
3 druck. Enalapril über die Empfehlung hinausgehend (2 × 20 mg/d) dosiert. Metoprolol sowie Amlodipin sind
noch unterhalb der empfohlenen oberen Tagesdosis. Es findet sich eine Kombination aus ACE- und AT1-
Blockern, die sinnvoll sein kann, allerdings sollte der zusätzliche RR-senkende Effekt dokumentiert und der
Kalium-Spiegel regelmäßig kontrolliert werden (Tripletherapie › Kap. 2.1).

Sind solche über die Empfehlungen hinausgehenden Dosierungen sinnvoll?

In Einzelfällen sicher möglich, wenn therapeutischer Effekt dokumentiert werden kann, sollten grundsätzlich
aber vermieden werden, da außerhalb der Zulassung.

Das folgende Ruhe-EKG wurde bei Aufnahme der Patientin geschrieben  


(› Abb. 3.18). Bitte befunden Sie es!

Es finden sich deszendierende ST-Streckenveränderungen über der Hinter- und Vorderwand, vereinbar mit
z.B. hypertensiver Herzerkrankung.

Wie beurteilen Sie den Röntgen-Thorax der Patientin bei Aufnahme  


(› Abb. 3.19)?

Z.n. Sternotomie. Global über die Norm vergrößertes Herz. Geringe Verbreiterung des oberen Mediastinums
nach rechts.

KASUISTIK
Die vom Hausarzt mitgegebene Ergometrie zeigt eine eindeutige Zunahme der vorbestehenden ST-Strecken-Senkungen.

Welche Untersuchung schlagen Sie zur Abklärung der pathologischen Ergometrie


vor?

Herzkatheter-Untersuchung.
3.7  Belastungsdyspnoe und Angina pectoris 123

Abb. 3.18  EKG

Abb. 3.19  Röntgen-Thorax bei Aufnahme


124 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Der Stationsarzt möchte den Herzkatheter am gleichen Tag durchführen lassen.


Wie stehen Sie dazu?

Mehrere Gründe sprechen gegen diesen Zeitplan.


• E rstens nimmt der Patient Metformin ein und hat gleichzeitig eine eingeschränkte Nierenfunktion (Krea-
tinin 1,3 mg/dl). Hier wurde in – zwar nur – wenigen Fällen eine schwere Laktatazidose mit fatalem Aus-
gang beobachtet.
• Z weitens sind die aktuellen Blutdruckwerte im Hinblick auf eine invasive Untersuchung mit einer arteri-
ellen Punktion bei gleichzeitig bestehender Adipositas nicht unproblematisch. Hier ist, wenn entspre-
chende Erfahrung vorhanden ist, auch ein Radialis-Zugang zu überlegen.
• D rittens muss die Aufklärung zur elektiven Herzkatheteruntersuchung 24 Stunden vor der Untersuchung
3 erfolgen. Nur bei dringlichen bzw. notfallmäßigen Untersuchungen kann auf diese Frist verzichtet wer-
den, diese besonderen Indikationen treffen in unserem Fall aber nicht zu.

KASUISTIK
Man beschließt, zunächst die blutdrucksenkende Behandlung weiter zu optimieren.
In 2 Tagen stationären Aufenthaltes wurden Amlodipin auf 1 × 10 mg sowie Metolprolol auf 2 × 50 mg erhöht. Enala­pril
wurde auf 2 × 20 mg reduziert, Candesartan wurde pausiert, darunter jetzt RR-Werte zwischen 150 und 170 mmHg
systolisch. Der klinische Zustand ist deutlich gebessert.
Der Herzultraschall ergab den folgenden Befund:

Wie beurteilen Sie das Ultraschallbild (› Abb. 3.20)?

Abb. 3.20  Ultraschall

Es findet sich eine ausgeprägte linksventrikuläre Hypertrophie.


Das Ausmaß dieser Wandverdickung und die Echogenität passen nicht zu einer nur durch Hypertonie
bedingten Hypertrophie, sondern eher zu einer Speichererkrankung.
Es stellt sich heraus, dass diese Befunde von einem anderen Patienten stammen und irrtümlicherweise in
die Unterlagen aufgenommen wurden.
3.7  Belastungsdyspnoe und Angina pectoris 125

Nun liegt der richtige Herzultraschallbefund vor (› Abb. 3.21):

Abb. 3.21  Ultraschall

Wie beurteilen Sie den Befund?

Es zeigt sich eine deutliche Verdickung des linksventrikulären Septums sowie der posterioren Wand.

KASUISTIK
Am 3. Tag erfolgt die Herzkatheter-Untersuchung mit folgendem Ergebnis:
Die Lävokardiographie zeigt einen normal großen linken Ventrikel mit normaler Funktion, keine relevanten Kontraktions-
störungen, keine relevante Mitralinsuffizienz. Der Füllungsdruck war mit 16 mmHg erhöht. Die linke und die rechte
Herzkranzarterien waren Ostium-nah verschlossen.
Selektive Bypass-Darstellung: ACVB zum Ramus marginalis und zur RKA ohne Stenose, IMA zur LAD unauffällig. Die
mit dargestellten Nierenarterien waren unauffällig.
Im Anschluss an den Herzkatheter klagt der Patient über Kopfschmerzen, die Blutdruckmessung ergab folgende Werte:
240/140 mmHg.

Wie bezeichnen Sie diese Blutdruckerhöhung?

Hypertensive Krise.

Wie ist die hypertensive Krise definiert?

Anstieg des Blutdrucks über 230/130 mmHg ohne Organschädigung.


126 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Mit welcher i.v.-Therapie würden Sie den Blutdruckwert senken?

• U
 rapidil: Mittel der 1. Wahl, initial 12,5 mg i.v.
• A
 lternativ: (Nitroglyzerin) Glyzerintrinitrat z.B. 50 mg/50 ml, 0,5–5 ml/h über Perfusor, Clonidin
0,45 mg/ml, Perfusor 2–6 ml/h.
• E nalapril 1,25–2,5 mg i.v.
• M etoprolol 2,5–5 mg i.v.

Welche Therapiealternativen gibt es in der ambulanten Ersttherapie bei einer


hypertensiven Krise?
3
• E vtl. Gabe einer zusätzlichen Dosis des vom Patienten verwendeten Antihypertonikums
• Nitroglyzerin: Mittel der 1. Wahl bei Angina pectoris, Linksherzinsuffizienz oder Lungenödem, 0,8 mg als
Kapsel zerbeißen lassen
• A CE-Hemmer oral (Captopril)
• U rapidil (Ebrantil®): 12,5–25 mg langsam i.v., ggf. wiederholen
• C lonidin: 0,075 mg langsam i.v., ggf. wiederholen
• C ave: Kurz wirksame Kalziumantagonisten (z.B. 5 mg Nifedipin) kontraindiziert bei ACS.

Wie ist der hypertensive Notfall definiert?

Hypertensive Krise mit Organschäden, z.B. Hochdruckenzephalopathie, akute Linksherzinsuffizienz, Lun-


genödem, Angina pectoris, Herzinfarkt, Aortendissektion.

Wie wird die arterielle Hypertonie eingeteilt?

Tab. 3.8  Einteilung der arteriellen Hypertonie


Kategorie Systolisch Diastolisch
Optimal < 120 und < 80
Normal 120–129 und/oder 80–84
Hoch normal 130–139 und/oder 85–89
Hypertonie Grad 1 140–159 und/oder 90–99
Hypertonie Grad 2 160–179 und/oder 100–109
Hypertonie Grad 3 ≥ 180 und/oder ≥ 110
Isolierte systolische Hypertonie ≥ 140 und < 90

Woran sollte sich die Therapie der arteriellen Hypertonie neben einer Senkung
der RR-Werte orientieren?

Nur ein geringer Prozentsatz der Patienten mit art. Hypertonie leidet an einer alleinigen Erhöhung der Blut-
druckwerte, die Mehrzahl der Patienten hat weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren.
Arterielle Hypertonie und metabolische Risikofaktoren potenzieren sich gegenseitig, führen also zu einem
kardiovaskulären Risiko, das größer als die Summe der einzelnen Komponenten ist.
3.7  Belastungsdyspnoe und Angina pectoris 127

Risikofaktoren:
• E rhöhter systolischer und diastolischer Blutdruck
• A lter (Männer > 65 J., Frauen > 55 J.)
• R auchen
• H yperlipidämie
– Gesamtcholesterin > 190 mg/dl oder
– LDL-Cholesterin > 115 mg/dl oder
– HDL-Cholesterin < 40 mg/dl (M), < 46 mg/dl (F) oder
– Triglyzeride > 150 mg/dl
• N üchtern-Blutzucker in einem Bereich zwischen 102–125 mg/dl
• P athologischer OGTT
• P athologischer Bauchumfang (> 102 cm [M], > 88 cm [F]) 3
• P ositive Familienanamnese bez. kardiovaskulärer Erkrankungen (M < 55 J., F < 65 J.)
• M anifester Diabetes mellitus.

Welche weiteren Untersuchungen werden dementsprechend vorgeschlagen?

Routineuntersuchungen:
• N üchtern-Glukose
• G esamtcholesterin
• L DL-Cholesterin
• H DL-Cholesterin
• N üchtern-Triglyzeride
• K alium
• H arnstoff-Stickstoff
• S erumkreatinin
• K reatininclearance
• H ämoglobin und Hämatokrit
• U rin (Stix, Mikroalbumin)
• E KG.
Weitere empfohlene Untersuchungen:
• U KG
• K arotis-Sonographie
• P roteinurie quantitativ (falls Stix positiv)
• K nöchel-Arm-Index
• B eurteilung des Augenhintergrunds
• O GTT
• 2 4-h-Blutdruckmessung.
Somit orientiert sich die Therapie sowohl an der Höhe der systolischen und diastolischen Blutdruckwerte als
auch der Anzahl und Ausprägung weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren (› Tab. 3.9).

Wie gehen Sie bei der Auswahl einer antihypertensiven Therapie vor?

Der Haupteffekt einer antihypertensiven Therapie liegt in der Blutdrucksenkung per se. Fünf große Klassen
an blutdrucksenkenden Medikamenten (Diuretika, Betablocker, Ca-Antagonisten, ACE-Hemmer und An-
128 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Tab. 3.9  Therapie der Hypertonie


Blutdruck (mmHg)
Andere systolisch . systolisch . systolisch 140–159 systolisch 160–179 systolisch > 180
­Risikofaktoren, 120–129 130–139
­Organschädigungen diastolisch . diastolisch . diastolisch . diastolisch . diastolisch
oder ­Erkrankungen 80–84 85–89 90–99 100–109 > 110
Keine weiteren keine Inter- keine Änderungen des Le- Änderungen des Le- Änderungen des
­Risikofaktoren vention ­Intervention bensstils für mehrere bensstils für mehre- Lebensstils und
Monate, dann medi- re Wochen, dann sofortige medi-
kamentöse Therapie, medikamentöse kamentöse The-
falls Blutdruck unver- Therapie, falls Blut- rapie
ändert druck unverändert
3
1–2 Risikofaktoren Änderungen Änderungen des Änderungen des Le- Änderungen des Le- Änderungen des
des Lebens- Lebensstils bensstils für mehrere bensstils für mehre- Lebensstils und
stils Wochen, dann medi- re Wochen, dann sofortige medi-
kamentöse Therapie, medikamentöse kamentöse The-
falls Blutdruck unver- Therapie, falls Blut- rapie
ändert druck unverändert
≥ 3 Risikofaktoren, Änderungen Änderungen des Änderungen des Le- Änderungen des Le- Änderungen des
metabolisches Syn- des Lebens- Lebensstils und bensstils und medi- bensstils und medi- Lebensstils und
drom oder Organ- stils u.U. medika- kamentöse Therapie kamentöse Therapie sofortige medi-
schädigung mentöse Thera- kamentöse The-
pie rapie
Diabetes Änderungen Änderungen des
des Lebens- Lebensstils und
stils medikamentöse
Therapie
Kardiovaskuläre oder Änderungen Änderungen des Änderungen des Le- Änderungen des Le- Änderungen des
Nierenerkrankung des Lebens- Lebensstils und bensstils und soforti- bensstils und sofor- Lebensstils und
stils und so- sofortige medi- ge medikamentöse tige medikamentöse sofortige medi-
fortige medi- kamentöse The- Therapie Therapie kamentöse The-
kamentöse rapie rapie
Therapie

giotensin-Rezeptor-Antagonisten) stehen allein oder in Kombination für die Einleitung und Aufrechterhal-
tung einer antihypertensiven Therapie zur Verfügung.
Seit 2007 hat der direkte Reninhemmer Aliskiren die Zulassung zur Behandlung der arteriellen Hyperto-
nie. Alpha-1-Rezeptorblocker sind ebenfalls weitere Alternativen in der Hypertoniebehandlung.
Je nach Patientencharakteristika und Begleiterkrankungen können verschiedene Gruppen von Antihyper-
tensiva bevorzugt werden (› Tab. 3.10).

Formulieren Sie die Therapieziele für unsere Patientin.

Blutdruckeinstellung bei begleitendem Diabetes mellitus nach bisherigen Empfehlungen auf Werte
<  130/80 mmHg. Ein drastischeres Absenken der RR-Werte zeigt nach neueren Studien keine Vorteile.
Optimierung der BZ-Einstellung, Kontrolle der Cholesterin-Werte, Gewichtsreduktion, Kontrolle der Nie-
renfunktion.
3.7  Belastungsdyspnoe und Angina pectoris 129

Tab. 3.10  Auswahl der antihypertensiven Medikation unter Berücksichtigung klinischer Aspekte
Zeichen der Organschädigung
Linksventrikuläre Hypertrophie ACEI, CA, ARA
Asympt. Arteriosklerose CA, ACEI
Mikroalbuminurie ACEI, ARA
Niereninsuffizienz ACEI, ARA
Klinische Ereignisse
Schlaganfall jegliche Blutdruckmedikation
Herzinfarkt BB, ACEI, ARA
Angina pectoris BB, CA
3
Herzinsuffizienz Diuretika, CA, ACEI, ARA, Aldosteron-Antagonisten
Vorhofflimmern ARA, ACEI, BB, CA
Niereninsuffizienz ACEI, ARA, Schleifendiuretika
Periphere Verschlusserkrankung CA
Begleiterkrankungen
Isolierte systolische Hypertonie Diuretika, CA
Metabolisches Syndrom ACEI, ARA, CA
Diabetes mellitus ACEI, ARA
ACEI: ACE-Inhibitoren; ARA: Angiotensin-Rezeptor-Antagonisten; CA: Kalzium-Antagonisten; BB: Betablocker

Mit welcher medikamentösen Therapie würden Sie unsere Patientin entlassen?


Machen Sie einen Vorschlag.

ASS 100 mg, Enalapril 2 × 20 mg, Metoprolol 2 × 47,5–95 mg, HCT 25 mg, Amlodipin 10 mg, Metformin 2 ×
1000 mg, Simvastatin 20 mg.
Zur Überprüfung des Therapieerfolges empfehlen Sie Ihrer Patientin eine 24-h-Langzeitblutdruckmessung.

Nennen Sie die Normwerte.

• T agesmittelwert: max. 135/85 mmHg


• N ächtlicher Mittelwert: maximal 120/70 mmHg
• 2 4-Stunden-Mittelwert: maximal 130/80 mmHg
Zur Nacht sollte eine Senkung der Blutdruckwerte um mindestens 10% bestehen.

LITERATUR
2008 Guidelines for the Management of Arterial Hypertension. Journal of Hypertension 2007, 25:1105–87
130 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

3.8  Langsam zunehmende Belastungsdyspnoe


Eva von Eckardstein-Thumb

KASUISTIK
Eine 60-jährige Patientin stellt sich bei Ihnen mit progredienter Belastungsdyspnoe (jetzt NYHA II–III), teilweise auch
thorakalem Druck im vergangenen halben Jahr vor. Seit einigen Tagen seien die Symptome nochmals deutlich aggraviert,
ein Akutereignis mit thorakalem Druck oder Luftnot wird verneint. Die Beschwerden träten häufiger bei Belastung jedoch
teilweise auch in Ruhe auf. Sie sei bereits zweimal deswegen beim Hausarzt gewesen, dieser habe jeweils ein EKG ge-
schrieben, welches unauffällig gewesen sei. Vor einer Woche habe er auch Blut abgenommen und festgestellt, dass kein
akuter Herzinfarkt vorliege und daraufhin einen Belastungstest veranlasst, der bei 100 Watt konditionsbedingt abgebro-
chen, bis dahin aber so weit in Ordnung gewesen sei. Bis auf eine seit ca 5 Jahren bekannte arterielle Hypertonie sind
keine Vorerkrankungen bekannt.
3

Welche ergänzenden Fragen stellen Sie?

• A
 therogene Risikofaktoren: Hypercholesterinämie? Diabetes mellitus? Nikotinkonsum? Positive Famili-
enanamnese in Bezug auf KHK/Apoplex?
• I nfekt in der Vorgeschichte? Fieber? Husten? Auswurf gehabt? Ungewollte Gewichtsabnahme?
• A llergien/Jahreszeiten-Abhängigkeit der Beschwerden? Haustiere?
• W ie wird der arterielle Hypertonus behandelt? Werden Selbstmessungen durchgeführt? Welche RR-
Werte werden gemessen?
• H
 aben Sie auch Palpitationen verspürt?
• H
 inweise auf Anämie im letzten Labor/Blutung?

KASUISTIK
Kein Diabetes, Familienanamnese negativ, Nichtraucherin seit 30 Jahren (davor ca. 5 Zigaretten täglich über 10 Jahre
lang), Cholesterinwerte nicht bekannt.
Keine Infekte in der Vorgeschichte.
Keine Allergien bekannt. Keine Haustiere.
Die Patientin misst mehrfach wöchentlich Blutdruck, sie nimmt unregelmäßig Enalapril 5 mg/d ein. Der Blutdruck sei meist
um 140–150/90 mmHg, teilweise auch niedriger, sie fühle sich dann aber nicht so gut. Die Herzfrequenz sei eigentlich
immer um 70/min, nur am Vortag mit 120/min höher gewesen. Palpitationen werden verneint.

Wie gehen Sie weiter vor?

Körperliche Untersuchung: 60-jährige Patientin in gutem Allgemein- und adipösem Ernährungszustand


(BMI 35). JVD normal. Pulmo frei. Schilddrüse nicht vergrößert. RR 160/90 mmHg. Cor: rein, unregelmäßig,
~110/min. Keine Strömungsgeräusche über den Karotiden. Periphere Pulse regelrecht tastbar. Keine peri-
pheren Ödeme. Abdomen unauffällig. Neurologischer Status unauffällig.

Welche technischen Untersuchungen sind sinnvoll?

EKG: Tacharrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern, Kammerfrequenz 119/min, LT. Keine ERBS.
3.8  Langsam zunehmende Belastungsdyspnoe 131

Labor:
Hb 13 g/dl
Leukozyten 10/nl
CRP 7g/dl
TNI neg.
CK 71 U/l
D-Dimer 0,5 ug/l (Norm bis 0,42)
Kreatinin 0,9 mmol/l
Harnstoff 46 mmol/l
3
TSH 2,4 ug/l
Kalium 3,6 mol/l

Wie schätzen Sie die Situation nun ein? Wie gehend Sie weiter vor? Benötigen Sie
weiterführende Diagnostik?
Eine akute Koronarischämie kann ausgeschlossen werden. Es gibt klinisch und laborchemisch keinen Anhalt
für eine Atemwegsinfektion. Ggf. kann weiterführend noch eine Lungenfunktionsuntersuchung und ein
Röntgen-Thorax erfolgen. Eine koronare Herzerkrankung ist mit einem vorausgehend normalen Belastungs-
test noch nicht sicher ausgeschlossen (Sensitivität › Kap.3.6, › Kap. 8.1, ›  Kap. 8.2), aber insgesamt
eher weniger wahrscheinlich.
Die aktuelle Symptomatik ist jedoch gut mit der vorliegenden Tachyarrhythmia absoluta bei Vorhofflim-
mern unklarer Dauer erklärt. Die Patientin wird zunächst mit Heparin antikoaguliert und erhält einen Beta-
blocker zur Frequenzsenkung.
Sie führen zusätzlich eine Echokardiographie durch, um einerseits bei minimal erhöhtem D-Dimer Rechts-
herzbelastungszeichen auszuschließen und andererseits das eventuelle Vorliegen einer strukturellen Herzer-
krankung zu dokumentieren – ggf. kann auch noch eine Beinvenenduplexuntersuchung zum Ausschluss ei-
ner TVT erfolgen.

KASUISTIK
UKG: TAA bei Vorhofflimmern.
Normale globale und regionale Pumpfunktion. LV normal groß, Septumhypertrophie (13 mm). LA mäßig vergrößert
(M-Mode: 48 mm), rechte Herzhöhlen normal groß. Klappen morphologisch unauffällig. Kein Vitium. Kein Perikarderguss.
VCI normal weit, atemmoduliert.
Die Patientin konvertiert nach einigen Stunden in den SR und ist beschwerdefrei, im Beinvenenduplex kein Nachweis einer
TVT.

Bei paroxysmalem Vorhofflimmern (unklarer Dauer) ist die Einstellung auf Marcumar mit Ziel-INR 2–3 für
mindestens 4 Wochen zu empfehlen. Bei konstantem Verbleiben im SR (Langzeit-EKG-Kontrolle veranlas-
sen! Mit Patientin tägliches RR-Messen vereinbaren und Vorstellung beim Hausarzt, wenn dabei sehr schnel-
ler Puls auffällt) dann Dauertherapie mit Azetylsalizylsäure 100 mg/d oder Marcumar (INR 2–3) und intensi-
viere/erweitere die antihypertensive Therapie: ACE-Hemmer regelmäßig und in gesteigerter Dosis sowie
frequenzstabilisierend additiv Betablockergabe.
132 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Der CHADS2-Score beinhaltet folgende Kriterien:


C Congestive heart failure 1
H Hypertension 1
A Age > 75 y 1
D Diabetes 1
S Prior Stroke or TIA 2

Der Score erlaubt eine Aussage zur zu erwartenden Schlaganfallrate bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern
3 (› Tab. 3.11).

Tab. 3.11  CHADS2-Score


Punkte Jährliches Schlaganfallrisiko in %
0 1,9
1 2,8
2 4,0
3 5,9
4 8,5
5 12,5
6 18,2
0 Punkte: niedriges Risiko → ASS
1 Punkt: moderates Risiko → ASS oder orale Antikoagulation (Warfarin [Marcumar])
2 oder mehr Punkte: hohes Risiko → orale Antikoagulation empfohlen

Der neuere CHA2D22VASc-Score (› Kap. 2.1) erlaubt eine noch genauere Risikobeurteilung.
Wenn der Betablocker zur Rhythmuskontrolle nicht ausreicht, empfehlen AHA/ACC/ESC die in › Abb.
3.22 gezeigten Alternativen.
Bei vorliegender LVH würde also die Gabe von Amiodaron als nächste Therapie erfolgen.
Im Intervall sollte zum Ausschluss einer koronaren Herzerkrankung ein Ischämietest, z.B. eine Stressecho-
kardiographie unter Betablocker-Pause durchgeführt werden.

Stressechokardiographie: Beschwerdefreie fahrradergometrische Belastung bis 125 Watt (je 2 Minuten bei 50, 75,
100 und 125 Watt). Abbruch konditionsbedingt. Maximal erreichte Herzfrequenz 144/min, entspricht 90% der Ausbelas-
tungsfrequenz (definiert als 220 minus Alter).
Im EKG keine belastungsinduzierten ischämietypischen ERBS oder Rhythmusstörungen. Kein Vorhofflimmern. Im UKG bei
ausreichender Schallbarkeit regelrechte Kontraktilitätszunahme aller Wandabschnitte. Keine belastungsinduzierten
Wandbewegungsstörungen nachweisbar.
Leicht erhöhtes RR-Niveau unter Belastung.
Der Casus scheint gelöst, Ihre Therapieempfehlung ist sinnvoll. Die Patientin hat paroxysmales Vorhofflimmern, das ihre
Symptomatik verstärkt hat.
3.8  Langsam zunehmende Belastungsdyspnoe 133

Keine oder unbedeutende


Relevante zugrundeliegende Herzerkrankung (einschließlich
Herzerkrankung art. Hypertonie ohne LVH)

Herz- Paroxysmales Persistierendes


KHK Art. Hypertonie
insuffizienz Vorhofflimmern Vorhofflimmern
mit LVH

NYHA III/IV NYHA I/II


oder in stabilem
NYHA II Zustand
(instabil)
Dronedaron
Dronedaron Flecainid 3
Dronedaron Dronedaron
Sotalol Propafenon
Sotalol

Ablationstherapie
bei Vorhof-
flimmern*

Amiodaron Ablationstherapie Amiodaron


bei Vorhof-
flimmern

Abb. 3.22  Therapieempfehlung nach ESC/ACC/AHA bei Vorhofflimmern (2010). LVH = linksventrikuläre Hypertrophie; * üblicher-
weise Pulmonalvenenisolation.

Mitral- Pulmonal- Gewebe-


einstrom venenfluss doppler
E
A S
s
d
Normal
a
A‘
A
E E‘
s S
Gestörte d
Relaxation
a
E‘
E d A‘
A
s S
Pseudo-
normal
a
E E‘ A‘

A d S
s
Restriktiv
a
E‘ A‘

Abb. 3.23  Charakteristische Flussprofile bei diastolischer Dysfunktion


134 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Aber von welcher zugrunde liegenden Erkrankung müssen wir ausgehen?  


Wie kommen Sie weiter?

Der Echokardiographie nach und passend zu dem nicht suffizient eingestellten, seit mehreren Jahren be-
kannten Hypertonus liegt eine hypertensive Herzerkrankung vor. Eine diastolische Funktionsstörung kann
hinzukommen.
Diastolische Funktionsstörung: Unvermögen des Herzens einen normalen diastolischen Druck während
der linskventrikulären Füllungsphase aufrechtzuerhalten (verursacht durch abnorme Relaxation bzw. größe-
re Steifigkeit des LV bzw. Kombination beider Pathomechanismen).
Die linksventrikuläre Füllung ist abhängig von der Dehnbarkeit des linken Ventrikels, welche auf unter-
schiedliche Weise eingeschränkt sein kann:
3 • R estriktion
• K onstriktion
• R elaxationsstörung.
Bei vielen Patienten mit klinischen Herzinsuffizienz-Symptomen – man geht sogar davon aus bei > 50%
(Paulus et al. 2007) – ist die linksventrikuläre Ejektionsfraktion normal.
Die Echokardiographie ist das Verfahren der Wahl, die Verdachtsdiagnose zu erhärten (› Abb. 3.23).
Klassischerweise wird das Mitraleinstromprofil
herangezogen, um Hinweise auf eine diastolische
S
Funktionsstörung zu erhalten. Die E-Welle be-
schreibt die frühe, schnelle LV-Füllung, die A-Welle
die späte Füllungsphase hervorgerufen durch die at-
riale Kontraktion.
Normal
Die Dezelerationszeit (DT, Normal: 160–220 ms)
ist die Zeit von der Spitze der E-Welle zur baseline.
Diese Parameter verändern sich in charakteristischer
Weise mit Fortschreiten der diastolischen Funkti- A‘
onseinschränkung des linken Ventrikels. S
E‘

Als Parameter der gestörten Ventrikelfüllung soll-


te der LV-Füllungsdruck bevorzugt mittels Gewebe-
doppler (TD = tissue doppler) anhand der Mit- Diastolische
ralanulusgeschwindigkeit E‘ und Bestimmung des Dysfunktion

Verhältnisses von früher Mitralfüllungsgeschwin- E‘


digkeit E zu E` herangezogen werden (› Abb. 3.24).
Vorteile der Messung der TD-Geschwindigkeiten: S
A‘

• W esentlich lastunabhängiger als die Füllungspa-


rameter
• E s kommt zu keiner Pseudonormalisierung Diastolische
Herzinsuffizienz
• B eurteilung auch bei Vorhofflimmern möglich. E‘
Nicht suffizient verwertbar sind die Gewebedoppler-
kurven zur Beurteilung der diastolischen LV-Funkti- A‘

on bei deutlich eingeschränkter LV-Funktion (EF S


<  30%) und asynchroner Erregungsausbreitung. Es Systolische
sollten immer sowohl lateral als auch septal die Ge- Herzinsuffizienz
webedopplerkurven abgeleitet und verglichen wer- E‘ A‘
den und nur bei Übereinstimmung zur Beurteilung
herangezogen werden. Abb. 3.24  Charakteristische Gewebedopplerkurven
3.8  Langsam zunehmende Belastungsdyspnoe 135

Sie machen nun nach 6 Wochen ein Kontroll-UKG bei Ihrer Patientin  
(› Abb. 3.25).

Normale globale und regionale Pumpfunktion. LV


normal groß, grenzwertige Wanddicken (12,5/12
mm). LA 48 mm. Rechte Herzhöhlen normal groß.
Aortenwurzel normal weit. Klappe altersentspre-
chend morphologisch unauffällig. Kein Vitium. Kein
PE. E/E`= 14. DT 220 ms.

Wie lautet Ihre Interpretation? 3

Konstellation einer diastolischen Funktionsstö-


rung. Im Mitraleinstrom Pseudonormalisierung
zu erkennen.
Praktisches Vorgehen bei V.a. diastolische Funkti-
onsstörung bei normaler EF:
• A nhalt für Pericarditis constrictiva?
• L A vergrößert? Wenn nicht = keine diastolische
Abb. 3.25  Kontroll-UKG
Dysfunktion
• L VH? Wenn ja, diastolische Dysfunktion wahr-
scheinlich
• E /E` < 8: keine erhöhten Füllungsdrücke
• E /E` 8‑15: schwere diastolische Dysfunktion unwahrscheinlich
• B eurteilung Mitraleinstrom und Pulmonalvenenprofil
• E /E` > 15: erhöhte Füllungsdrücke; DT verkürzt, restriktives Mitraleinstromprofil?

Was ist die therapeutische Konsequenz der diastolischen Dysfunktion?

Es liegen kaum Studien zur Therapie der diastolischen Herzinsuffizienz mit erhaltener LV-Funktion vor.
Herzinsuffizienz-Therapie nach NYHA und Leitlinien (Beseitigung potenzieller Ursachen, nicht medika-
mentöse Therapie, Komorbiditäten beachten/behandeln, medikamentöse Herzinsuffizienz-Therapie). Klini-
sche und echokardiographische Verlaufskontrollen unter medikamentöser Therapie sinnvoll.
Hier: ACE-Hemmer und (in der Therapie entweder oder) AT1-Antagonisten verzögern das Remodeling
und sind daher indiziert. Betablocker bei Vorhofflimmern bzw. intermittierendem Vorhofflimmern fre-
quenzstabilisierend ebenfalls indiziert (s.o.).

LITERATUR
Buck T, et al. Manual zur Indikation und Durchführung der Echokardiographie. Clin Res Cardiol 2009; Suppl 4: 3.51.
Camm AJ, Kirchhof P, Lip GY, et al. Guidelines for the Management of atrial fibrillation. Eur Heart J. 2010;31:2369–429
Flachskampf FA. Praxis der Echokardiographie. Stuttgart: Thieme 2002.
Hillis GS, Pelikka, et al. Noninvasive etimation of left ventricular filling pressure. J Am Coll Cardiol 2004; 43: 360–7.
Oh JK, Seward JB, Jamil Tajik A. The Echomanual. 3rd edition. LWW Medical Book Collection 2006.
Paulus WJ, Anderson JE, et al. How to diagnose diastolic heart failure. Consensus statement by the Heart Failure and Echo-
cardiography Associations of ESC. Eur Heart J. 2007; 28: 2539–50.
136 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

3.9  Progrediente Stauungsherzinsuffizienz nach Aorten- und


Mitralklappenersatz
Ralph Hein

KASUISTIK
Eine 74-jährige Frau wird stationär in der kardiologischen Abteilung mit der Einweisungsdiagnose „Herzinsuffizienz“ aufgenom-
men. Bezüglich der kardialen Vorgeschichte erzählt die Patientin von einer Herzoperation 1993 mit Bypass-Versorgung mehre-
rer Herzkranzgefäße kombiniert mit einem mechanischen Klappenersatz in Aortenposition (Medtronic Hall). 2003 sei auch die
native Mitralklappe durch eine mechanischen Prothese ersetzt worden (St. Jude Medical), seither bestünde Vorhofflimmern.
In den letzten Monaten habe die Frau eine zunehmende Beinschwellung und progredient Luftnot bemerkt, aktuell bereits
bei leichter Belastung (Entkleiden, Lagewechsel). Auf Nachfrage wird von der Patientin auch retrosternales Druckgefühl
bei stärkerer Anstrengung angegeben. Des Weiteren berichtet die Patientin über unspezifische Symptome wie Müdigkeit,
3
nächtlichen Husten, gelegentlich Übelkeit und leichten Schwindel.
Der körperliche Untersuchungsbefund lautet: Größe 150 cm, 60 kg, BMI 27. RR 110/55 mmHg, Puls ca. 90/min, AF
20/min. Jugularvenenstauung, v-Welle. Cor: Prothesenclicks in Aorten- und Mitralposition, kein Diastolikum, hyperdyna-
mer Herzspitzenstoß, 4/6 Holosystolikum p.m. Apex, 3. Herzton. Pulmo: Vesikuläratmung in beiden Ober- und Mittelfel-
dern, beidseits basal abgeschwächtes Atemgeräusch, mittel-hochfrequente Rasselgeräusche über den peripheren Lun-
genabschnitten. Unterschenkelödeme, beginnende Stauungsdermatose. Facies mitralis. Abdomen adipös, kein Undulati-
onsphänomen als Hinweis auf Aszites.

Welche Diagnostik schlagen Sie vor, mit welcher Fragestellung?

• 1 2-Kanal-EKG: Bestimmung von Lagetyp, Ventrikelfrequenz bei Vorhofflimmern, Erregungsausbrei-


tungs- bzw. Rückbildungsstörungen
• R öntgen-Thorax in 2 Ebenen: Darstellung des Herzschattens, Stauungszeichen, Pleuraergüsse, Tracheal-
winkel, Zwerchfellstand, Bestimmung des Herz-Thorax-Quotienten
• U
 KG: Evaluation von globaler und regionaler Pumpfunktion, Dimension der Herzhöhlen, Prothesenfunk-
tion, Hinweis auf Rechtsherzbelastung oder Perikarderguss
• L abor: Elektrolyte, Glukose, Nieren- und Leberwerte, Blutbild, Myokardmarker, Gerinnung, D-Dimer,
LDH.

Sie erhalten folgende Befunde:


Röntgen-Thorax: Sie sehen einen prominenten Herzschatten mit Ausladung des linken Vorhofs, normale Herzgröße,
Spreizung des Trachealwinkels, mechanische Klappenprothesen in Aorten- und Mitralposition, sowie geringe pulmonal-
venöse Stauungszeichen und diskrete Pleuraergüsse beidseits.
Labor: Kalium 5,2 mmol/l, Harnstoff 70 mg/dl, normochrome, normozytäre Anämie mit einem Hb 9,5 mg/dl, minimal
erhöhtes TnI, unauffällige CK und CK-MB, LDH 400 U/l, INR 2,1.

Welche Laborparameter können Sie zur weiteren Differenzierung der Anämie


bestimmen?

Eisen, Ferritin, Transferrin, Retikulozytenzahl, Bilirubin, Haptoglobin bzw. Hämopexin, Urobilinogen und
Fragmentozyten im Urin.

Die Retikulozytenzahl und Urobilinogen im Harn sind erhöht, Haptoglobin und Hämopexin erniedrigt. Sie stellen die Dia-
gnose einer extrakorpuskulären hämolytischen Anämie.
3.9  Progrediente Stauungsherzinsuffizienz nach Aorten- und Mitralklappenersatz 137

Wodurch ist diese Anämieform bei den vorliegenden kardialen Befunden  


am ehesten verursacht?

Die Patientin hat bereits zwei künstliche Herzklappen, somit ist eine mechanische Desintegration der Ery­
throzyten durch die Klappenprothesen am wahrscheinlichsten.

Kennen Sie weitere kardiovaskuläre Ursachen für eine extrakorpuskuläre,


hämolytische Anämie?

Bei Herzklappenstenosen (insbesondere Aortenklappenstenose), rupturierten Aortenaneurysmen oder para-


valvulären Lecks, kann es durch erhöhte intravasale Scherkräfte zu einer Schädigung der Erythrozyten kom- 3
men, was einen Anstieg der Hämolyseparameter im Serum zur Folge hat.

Wie differenzieren Sie schwere von weniger schweren Verlaufsformen einer


Herzklappen-induzierten Hämolyse? Wovon hängt das Ausmaß der Hämolyse ab?

Verlaufskontrollen beinhalten die regelmäßige Bestimmung von Hb, HBDH, LDH und Haptoglobin. Jede
künstliche Herzklappe hat ein eigenes Hämolyseprofil, das direkt nach Implantation erfasst und im Verlauf
beobachtet werden sollte. Eine leichte Hämolyse (LDH bis 400 U/l) ist mit einer normalen Klappenfunktion
vereinbar und relativ häufig zu finden. Intermittierende Erhöhungen der Hämolyseparameter finden sich
auch bei erhöhter körperlicher Belastung. Schwere Verläufe (LDH > 800 U/l) führen zu einer Hyperbilirubin-
ämie, reduziertem bis nicht mehr nachweisbarem Haptoglobin, einer Retikulozytose sowie Fragmentozyten
im Urin und bedürfen nicht selten wiederholter Bluttransfusionen.
Das Ausmaß der Hämolyse ist abhängig vom transvalvulären Gradienten, somit der Flussgeschwindigkeit,
sowie dem Klappentyp und der -größe.

Was sagen Sie zu der INR der Patientin?

Angesichts des Doppelklappenersatzes (Medtronic Hall und St. Jude Medical mit jeweils niedriger Thrombo-
genität) und einem zusätzlichen Risikofaktor für Thrombembolien (Vorhofflimmern) sollte leitliniengemäß
eine INR von 2,5–3,5 eingehalten werden (sowie zusätzlich ASS 100 mg/Tag).

Welche Klappenpatienten benötigen eine Antikoagulation,  


welche Plättchenhemmer?

Eine orale Antikoagulation wird empfohlen (› Tab. 3.12):


• L ebenslang bei allen Patienten mit mechanischen Herzklappen und bei allen Patienten mit Bioprothesen,
bei denen eine zusätzliche Indikation zur Antikoagulation besteht (z.B. Vorhofflimmern, stattgehabte
Thrombembolie, LVEF < 30 etc.).
• B ei allen Patienten mit Bioprothesen innerhalb der ersten 3 Monate nach Klappenoperation mit einem
Ziel-INR von 2,5.
• B ei allen Klappenpatienten wird eine antithrombozytäre Therapie empfohlen.
138 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Tab. 3.12  Empfehlungen zur antithrombotischen Therapie bei Patienten mit künstlicher Herzklappe (adaptiert
nach Bonow et al. 2008)
Aspirin OAK OAK Kein OAK
(75–100 mg) (INR 2,0–3,0) (INR 2,5–3,5)
Mechanische Klappenprothese
AKE – niedriges Risikoprofil
Weniger als 3 Monate (seit Implant) Klasse I Klasse I Klasse IIa
Mehr als 3 Monate Klasse I Klasse I
AKE – hohes Risikoprofil Klasse I Klasse I
MKE Klasse I Klasse I
3 Biologische Klappenprothese
AKE – niedriges Risikoprofil
Weniger als 3 Monate Klasse I Klasse IIa Klasse IIb
Mehr als 3 Monate Klasse I Klasse IIa
AKE – hohes Risikoprofil Klasse I Klasse I
MKE – niedriges Risikoprofil
Weniger als 3 Monate Klasse I Klasse IIa
Mehr als 3 Monate Klasse I Klasse IIa
MKE – hohes Risiko Klasse I Klasse I
OAK = Orale Antikoagulation
Anmerkung: Abhängig vom klinischen Status des Patienten muss die antithrombotische Therapie individuell angepasst werden.
Aspirin wird in nahezu allen Situationen empfohlen. Risikofaktoren: Vorhofflimmern, linksventrikuläre Dysfunktion, stattgehab-
te Thrombembolie und alle Situationen mit erhöhter Gerinnungsneigung. Eine INR zwischen 2,5 und 3,5 wird bei Patienten
nach mechanischem Aortenklappenersatz mit der Starr-Edwards-Klappe oder einflügligen Klappen (außer Medtronic Hall) emp-
fohlen.

In der UKG-Untersuchung zeigt sich nun folgender Befund: Mittelgradig eingeschränkte globale Pumpfunktion, keine
regionalen Wandbewegungsstörungen bei ausreichender Schallqualität. Rechte Herzhöhlen normal dimensioniert, LA
deutlich vergrößert (70 mm), LV normal groß. Keine Septumhypertrophie. Aortenwurzel normal weit. Aortenklappenpro-
these mit guter Funktion, leichtgradiger Insuffizienzjet, mittlerer Gradient 17 mmHg. Mitralklappe mit ausgeprägtem
Mitralannuluskalk, adäquate Prothesenöffnung, schwergradige paravalvuläre Insuffizienz, leichtgradige Stenose. Tri-
kuspidalklappe mit leicht- bis mittelgradiger Insuffizienz und einem dpmax von 39 mmHg. Kein Perikard­erguss.

Wie lautet Ihre Arbeitsdiagnose?

Paravalvuläre Mitralklappeninsuffizienz mit konsekutiver linksatrialer, pulmonaler und rechtskardialer


Volumen- und Druckbelastung.

Mehr als die Hälfte aller paravalvulären Lecks werden innerhalb des ersten Jahres
nach Klappenoperation diagnostiziert. Welche Faktoren begünstigen die
Entstehung postoperativer paraprothetischer Insuffizienzen?

Häufigste Ursachen für die Entstehung paravalvulärer Lecks sind insuffiziente Nähte mit konsekutiver Naht-
dehiszenz und die Prothesen-Endokarditis. Verkalkungen der Aorta und ein Patient-Prothesen-Mismatch
sind begünstigende Faktoren hierfür.
3.9  Progrediente Stauungsherzinsuffizienz nach Aorten- und Mitralklappenersatz 139

Welche Therapie würden Sie Ihrer Patientin vorschlagen?

Gemäß aktuellen Leitlinien besteht eine Indikation zur Re-Operation bei Patienten mit Endokarditis und
paravalvulärem Leck, im Fall von rezidivierender Transfusionspflichtigkeit oder bei Leck-assoziierten schwe-
ren Herzinsuffizienzsymptomen.
Im vorliegenden Fall ist die Patientin symptomatisch in Form von Belastungskurzatmigkeit NYHA-Klasse III,
außerdem ergeben sich laborchemisch Hinweise auf eine mechanische Hämolyse. Zusätzlich besteht eine mutmaß-
lich progrediente linksventrikuläre Dysfunktion. Daher muss eine erneute Operation in Betracht gezogen werden.

Wie würde Ihre medikamentös-konservative Therapieempfehlung aussehen?


3
Bei Anzeichen einer relevanten Hämolyse sind bei Bedarf Eisensupplementierung (Eisenverlust als Hämoglobin
oder Hämosiderin im Urin) und ggf. Erythropoetin-Applikationen oder Erythrozytenkonzentrat-Substitutionen
indiziert. Die kardiale Therapie umfasst eine Patienten-adjustierte Einstellung mit Betablocker und Diuretikum.

Warum geben Sie der Patientin einen Betablocker?

In mehreren Studien konnte, insbesondere für den Betablocker Carvedilol, ein positiver Langzeiteinfluss auf die
Herzfunktion im Sinne eines sogenannten „reverse remodeling“ gefunden werden. Im Speziellen zeigte sich, dass
durch einen verminderten linksventrikulären Volumenindex und eine reduzierte Regurgitationsfläche eine pro-
gressive linksventrikuläre Dilatation aufgehalten bzw. partiell rückgängig gemacht werden kann.

Unternehmen Sie noch weitere


diagnostische Schritte, bevor Sie die
Patientin dem Herzchirurgen
vorstellen?

Ein TEE zur Darstellung der exakten paramitralen


Morphologie, Quantifizierung der paramitralen In-
suffizienz und zum Ausschluss intrakardialer
Thromben sowie Vegetationen sollte zuvor stattfin-
den (› Abb. 3.26). Ebenso ist eine selektive Koro-
narangiographie zur Darstellung der koronaren By-
pässe und etwaiger neuer Stenosen im Bereich des
nativen Gefäßsystems notwendig.

Welche Vorbereitungen treffen Sie vor


der Herzkatheteruntersuchung dieser Abb. 3.26  3D-TEE mit Kennzeichnung (Pfeil) des paravulvulä-
Patientin? ren Lecks neben einer mechanischen 29 mm St.-Jude-Klappen-
prothese

Eine Umstellung der Antikoagulation von Marcumar auf i.v.-Heparin im aPTT-wirksamen Bereich ist erfor-
derlich (› Kap. 8.4). Bei laborchemisch eingeschränkter Nierenfunktion sollte auf einen ausreichenden pe-
riprozeduralen Flüssigkeitsdurchsatz geachtet werden. Gleichzeitig gilt es, eine zu starke intravenöse Volu-
menbelastung zu vermeiden.
140 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Die Patientin wird einer Herzkatheteruntersuchung unterzogen. Es finden sich


keine interventionspflichtigen Koronarstenosen. Kennen Sie die angiographische
Schweregradeinteilung der Mitralklappeninsuffizienz nach Sellers (› Tab. 3.13)?

Tab. 3.13  Sellers-Klassifikation der Mitralklappeninsuffizienz (nach Sellers et al. 1964)


Graduierung Kontrastmittelreflux Regurgitationsfraktion
Grad I minimaler Reflux < 20%
keine vollständige LA-Anfärbung
Grad II schwache Anfärbung des LA nach mehreren Schlägen 20–39%
KM-Dichte im LA < LV
Grad III Komplette Anfärbung des LA 40–60%
3 KM-Dichte im LA = LV
Grad IV Sofortige Anfärbung des gesamten LA nach einem Schlag mit > 60%
sichtbarem Reflux in die Pulmonalvenen

Es gibt verschiedene Score-Systeme zur Vorhersage der perioperativen Mortalität


bei Patienten mit anstehender Herzoperation. Können Sie eines nennen und
erläutern?

Das bekannteste System zur Beurteilung der prädiktiven Mortalität bei kardiochirurgischen Eingriffen ist der
euroSCORE. Neben dem einfachen additiven „Standard“ euroSCORE existiert ein komplexerer logistischer
euroSCORE, der insbesondere bei Hochrisikopatienten zur Anwendung kommt. Beiden gemeinsam ist die
Berechnung der Mortalität anhand diverser Risikofaktoren wie z.B. Patientenalter und Parameter zum
Organstatus. Hinzu kommen operationsbezogene Risikofaktoren wie z.B. Notfall-Operation oder post-infar-
zielle Septumruptur (http://www.euroscore.org).
Ein weiterer, sehr differenzierter, jedoch hauptsächlich in den USA verwendeter Score ist der Parsonnet-
Score. In diesen Score gehen auch die Anzahl an Reoperationen und kombinierte koronare Bypass- plus
Klappenersatz-Prozeduren ein (http://www.sfar.org/scores2/parsonnet2.html).

Die Patientin wurde von den Herzchirurgen wegen massi-


ver Vernarbungen/Verwachsungen von Perikard mit Ster-
num und einem EuroScore von 32% abgelehnt. Als expe-
rimentelles Verfahren wurde Katheter-gestützt ein Amplat-
zer-Okkluder eingesetzt (Hein et al. 2006; › Abb. 3.27).

LITERATUR
Bonow RO, Carabello BA, Chatterjee K, et al. 2008 focused up-
date incorporated into the ACC/AHA 2006 guidelines for the
management of patients with valvular heart disease: a re-
port of the American College of Cardiology/American Heart
Association Task Force on Practice Guidelines (Writing Com-
mittee to revise the 1998 guidelines for the management of
patients with valvular heart disease). Endorsed by the Socie-
ty of Cardiovascular Anesthesiologists, Society for Cardiova-
scular Angiography and Interventions, and Society of Thora-
cic Surgeons. J Am Coll Cardiol. 2008; 52(13): e1–142.
Hein R, Wunderlich N, Robertson G, Wilson N, Sievert H. Ca-
theter closure of paravalvular leak. EuroIntervention Abb. 3.27  3D-TEE-Bild eines paraprothetisch platzierten Am-
2006; 2(3): 318–25. platzer-Okkluders (Pfeil)
3.10  Rasch zunehmende Luftnot 141

Sellers RD, Levy MJ, Amplatz K, Lillehei CW. Left retrograde cardioangiography in acquired cardiac disease. Technic, indica-
tions and interpretations in 700 cases. Am J Cardiol. 1964; 14: 437–47.

3.10  Rasch zunehmende Luftnot


Ralph Hein

KASUISTIK
Eine 80-jährige Frau wird nachts in die Krankenhaus-Notambulanz gebracht. Vor 10 Tagen sei sie wegen Knieschmerzen
einer Arthroskopie am rechten Knie mit Innenmeniskus-Teilresektion unterzogen worden. Postoperativ habe sie bereits
Luftnot und Schwäche verspürt, sei aber auf eigenen Wunsch am zweiten postoperativen Tag ohne weitere Abklärung 3
entlassen worden. Vor 5 Tagen habe sie erstmals starkes retrosternales Brennen verspürt, jetzt gehe ihr zunehmend die
Luft aus. Vom Notarzt wurden bereits ASS 500 mg und 5.000 I.E. Heparin i.v. appliziert. Bei der körperlichen Untersuchung
fallen ein leicht betonter zweiter Herzton sowie ein 3⁄6 -Holosystolikum p.m. 4./5. ICR parasternal links ohne Atemvaria-
bilität und ohne Ausstrahlung in die Axilla auf. Bei der Palpation des Thorax bemerken Sie ein leichtes Schwirren paraster-
nal links. Über den Lungen sind beidseits basal mittel-hochfrequente Rasselgeräusche zu hören. Unter Ruhebedingungen
liegen die Blutdruckwerte um 120–140 mmHg systolisch vor. Herzfrequenz 90/min. Jugularvenenstau beidseits.

Welche Differenzialdiagnosen passen zu diesem Auskultationsbefund?

Angesichts der Anamnese der Patientin liegen zwei Möglichkeiten nahe. Zum einen könnte es sich um eine
Ischämie-bedingte Mitralklappeninsuffizenz handeln. Typischerweise wäre das Geräusch hierbei jedoch über
dem 2./3. ICR links (exzentrischer Jet zur Vorhofwand) oder dem Apex zu hören und würde von einer Aus-
strahlung in die Axilla begleitet sein. Die zweite Möglichkeit wäre ein Post-Myokardinfarkt-Ventrikelseptum-
defekt, für den alle genannten Kriterien zutreffen würden. Bei großem VSD wären zusätzlich eine weite Spal-
tung des 2. Herztons sowie ein Pulmonalklappeninsuffizienzgeräusch möglich. Eine Trikuspidalklappeninsuf-
fizienz erscheint angesichts der Anamnese und einer oft deutlich hörbaren Atemvariabilität unwahrscheinlich.

An welche weiteren klinischen Differenzialdiagnosen bzw. Krankheitsbilder


müssen Sie denken?

Bei der vorliegenden Anamnese muss auch an eine bzw. rezidivierende Lungenarterienembolie(n) gedacht
werden. Hierfür sprechen die postoperativ aufgetretene Luftnot, die (leicht) erhöhte Herzfrequenz und der
erhöhte JVD bei der aktuellen Aufnahme. Auch gilt es, insbesondere bei fehlendem Nachweis eines Myokard-
infarkts und einer Lungenembolie, eine Aortendissektion auszuschließen.

Wie würde sich in der kardialen Enzymdiagnostik ein 5 Tage alter


Myokardinfarkt darstellen?

Nach 5 Tagen zeigen sich typischerweise erhöhte Troponine. In der akuten Phase eines Herzinfarkts wird
hauptsächlich zytosolisches Troponin in die Blutbahn abgegeben, das normalerweise nach 2–3 Tagen deut-
lich abfällt. Nach ca. 3–6 Tagen kommt es erneut zu einem Troponin-Anstieg, diesmal des strukturgebunde-
nen Troponins. Auch LDH, HBDH und GOT sind am 5. Tag nach Myokardischämie im Serum oft noch nach-
weisbar. Die CK-MB-Fraktion der CK und Myoglobin sind zu diesem Zeitpunkt meist nicht mehr zu finden
(› Tab. 3.14).
142 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Tab. 3.14  Kardiale Enzymkinetik bei Myokardinfarkt (Zusammenstellung interner Angaben verschiedener zertifi-
zierter Labors)
Marker Nachweis Maximum In-vivo-Halbwertszeit Normalisierung
Myoglobin 2–6 h 6–12 h 10–20 min 1 Tag
Troponin-I 3–4 h 12–24 h 2h 5–10 Tage
Troponin-T 3–8 h 12–96 h 2h 2–3 Wochen
CK 3–12 h 12–24 h 16 h 3–6 Tage
CK-MB 3–12 h 12–24 h 12 h 2–3 Tage
GOT 6–12 h 18–36 h 17 h 3–6 Tage
LDH 6–12 h 48–144 h 24 h 7–15 Tage
3 HBDH 6–12 h 48–144 h 50–170 h 10–20 Tage

Insgesamt ist es jedoch wichtig zu erwähnen, dass die Kinetik der kardialen Ischämiemarker stark abhängig
ist von Art und Zeitpunkt der Reperfusionstherapie sowie Ausmaß und Art der Myokardischämie.

Befunden Sie bitte das EKG der Patientin (› Abb. 3.28).

Abb. 3.28  EKG

Auswertung: Sinusrhythmus, Intermediärtyp, Herzfrequenz 62/min, ST-Strecken angehoben um maximal


0,2 mV in V1-4, R-Verlust von V1 zu V2, terminal negative T-Wellen in V1-4, präteminal in II, III, aVF, V5, 6.
Beurteilung: VW-Infarkt, unspezifische Erregungsrückbildungsstörungen im Bereich der Hinterwand.
3.10  Rasch zunehmende Luftnot 143

Das TnI der Patientin beträgt 2,5 μg/l (Norm < 0,032 μg/ml), die CK 189 U/l. Sie geben der Patientin Clopido-
grel in Aufsättigungsdosis, initiieren die Perfusor-gesteuerte Heparinisierung und führen ein UKG durch.

Mittelgradig eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion, ausgedehnte Akinesie der gesamten, leicht aneurysmatisch
erweiterten Herzspitze, sowie mitt-septal. Lateralwand und basale Hinterwand kontrahieren gut. Im Farbdoppler Nach-
weis einer Ventrikelseptumruptur im mittleren Bereich des Septums mit deutlichem Links-Rechts-Shunt. Leichtgradige
Mitralklappeninsuffizienz und mäßige Trikuspidalklappeninsuffizienz mit einem dpmax von 46 mmHg + erhöhtem ZVD.
Rechter Vorhof und Ventrikel vergrößert. Linkes Atrium vergrößert, Ventrikel normal groß. Kein PE.

Was versteht man unter einem druckangleichenden bzw. einem nicht


druckangleichenden VSD? 3

Der z.B. mittels cw-Doppler im UKG gemessene Druckunterschied zwischen linkem und rechtem Ventrikel
zeigt an, ob ein druckangleichender Defekt oder ein drucktrennender Defekt vorliegt. Ein kleiner Defekt
(< 4 mm) ist meist, aufgrund des geringen Shuntvolumens, drucktrennend. Größere Defekte gehen demge-
genüber meist mit einem erhöhten rechtsventrikulären Spitzendruck einher und werden damit als druckan-
gleichend bezeichnet. Mögliche Einflussgrößen auf den Gradienten sind v.a. Vitien (Pulmonal-, Aortenklap-
penstenose) sowie rechts- und linksventrikuläre Pumpfunktion.

Die Patientin bleibt weiterhin hämodynamisch stabil. Unter i.v.-Diuretika- 


Applikation scheidet sie gut aus, verspürt keine Angina pectoris. Stellen Sie die
Frau trotzdem noch während der Nacht auf der Intensivstation vor?

Jeder Patient mit einem (wenn auch subakuten) ST-Hebungs-Myokardinfarkt sollte intensivmedizinisch
überwacht werden. Patienten mit einem Myokardinfarkt-VSD gehören zu einem speziellen Hochrisiko­
kollektiv mit einer extrem hohen Mortalitätsrate (Crenshaw et al. 2000, Thile et al. 2009). In der GUSTO-I-
Studie beispielsweise hatten Patienten mit ischämischem VSD, die rein medikamentös behandelt wurden,
eine 30-Tages-Mortalität von 94% gegenüber 47% bei operierten Patienten. Ungefähr ein Viertel der Patien-
ten mit akuter Septumruptur verstirbt innerhalb der ersten 24 Stunden und weniger als 10% der Patienten
überleben ohne Operation das erste Jahr. Neben allgemeinen Ischämie-bedingten Komplikationen (Herz-
rhythmusstörungen etc.) können weitere Komplikationen durch das den VSD umgebende nekrotisch-insta-
bile Gewebe entstehen, das möglicherweise noch weiter rupturiert oder multiple VSD hervorbringt.
Zur Planung der weiteren Therapie wird umgehend eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt.

Hämodynamik: Aortendruck 114/64/84 mmHg. Pulmonalarteriendruck 62/20 mmHg, rechtsventrikulärer Druck


62/18 mmHg. Rechtsatrialer Mitteldruck 14 mmHg. Pulmonalkapillardruck 15 mmHg.
O2-Sättigungen (unter 2 l/min O2): RA 65%, RV 90%, PA 85%, pulmonalkapillär 100%, Aorta 100%.
Errechnete Parameter: HZV (nach Fick) 2,96 l/min, CI 1,73 l/min/m2, SV 35 ml bei Sinusrhythmus und einer HF von
85/min.
Peripherer Gesamtwiderstand 2.162, pulmonalvaskulärer Gesamtwiderstand 282, pulmonalarteriolärer Widerstand
118 dyn × s × cm-5.
Links-Rechts-Shunt von 71% (7,24 l/min).
Koronarangiographie: Hauptstamm unauffällig. LAD: funktionell verschlossen, jedoch verzögerte antegrade Füllung
bei von proximal nach distal mehrfachen höhergradigen Stenosierungen. Der RCX hat nur Wandunregelmäßigkeiten. Die
RCA hat eine 70% Stenosierung proximal.
Lävokardiographie: Akinesie im Vorderwandbereich. EF 42%. Kontrastmittelübertritt in den RV (› Abb. 3.29).
144 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Abb. 3.29  Lävokardiographische Darstellung eines Links-Rechts-Shunts auf Ventrikelebene

Welche generellen Informationen ziehen Sie aus den Hämodynamik-Daten?

Die Normwerte sind in › Tabelle 3.15 dargestellt. Es liegen normale systemische und deutlich erhöhte pul-
monal-vaskuläre Drücke vor. Leicht erhöhter Pulmonalkapillardruck. Die Fluss-Indizes zeigen ein erniedrig-
tes Herzzeit- und Schlagvolumen sowie einen niedrigen Herzindex. Des Weiteren finden sich erhöhte Wider-
standswerte im kleinen und großen Kreislauf, sowie ein deutlich erhöhter pulmonaler Blutfluss, entspre-
chend einem Qp/Qs-Quotienten von ca. 4 : 1.
Somit liegt eine erhebliche Volumenbelastung des rechten Ventrikels vor. Die konsekutive Volumenbelas-
tung von Pulmonalarterie und Lungenstrombahn über den linken Vorhof bis hin in den linken Ventrikel
bedingt eine reaktive pulmonale Widerstandserhöhung (durch Kontraktion der Lungenarteriolen). Die ein-
geschränkte Pumpfunktion des linken Ventrikels ist am ehesten primär Resultat der Ischämie, wird sekundär
durch das hohe Shuntvolumen jedoch sicherlich noch weiter negativ beeinflusst.

Tab. 3.15  Untersuchungsparameter Rechts- und Linksherzkatheter (in Ruhe; nach Lapp und Krakau 2010)
Druck Normwert
ZVD (CVP, zentraler Venendruck) < 10 mmHg
RAPm (rechtsatrialer Mitteldruck) < 5 mmHg
RVP (rechtsventrikulärer systolischer Druck) 20–30 mmHg
RVEDP (rechtsventrikulärer enddiastolischer Druck) 4–8 mmHg
PAPs (pulmonalarterieller systolischer Druck) 15–30 mmHg
PAPm (pulmonalarterieller Mitteldruck) 10–22 mmHg
PAPd (pulmonalarterieller diastolischer Druck) 5–16 mmHg
PCWP (pulmonalarterieller Verschlussdruck, wedge pressure) < 12 mmHg
3.10  Rasch zunehmende Luftnot 145

Tab. 3.15  Untersuchungsparameter Rechts- und Linksherzkatheter (in Ruhe; nach Lapp und Krakau 2010) (Forts.)
Druck Normwert
LVEDP (linksventrikulärer enddiastolischer Druck) 6–12 mmHg
Fluss Normwert
CI (Herzindex, cardiac index) 2,5–4 l/min/m2
SV (Schlagvolumen) 60–90 ml/S
SVI (Schlagvolumenindex) 30–60 ml/m2
Widerstand Normwert
TPR (totaler peripherer Widerstand) 900–1400 dyn × s × cm-5
PVR (pulmonal-vaskulärer Widerstand) 45–120 dyn × s × cm-5
3

Welche Störfaktoren können die Berechnung des Shuntvolumens beeinflussen?

Die Shuntberechnung ist u.a. abhängig von der Höhe des Hämoglobingehalts im Blut, sowie der Gesamtan-
zahl an Zellen im Blut (falsche Werte u.U. bei Polyglobulie). Die für die Berechnung des Shuntvolumens
(Fick-Prinzip) benötigte gemischt-venöse Sättigung ist außerdem abhängig vom systemischen Blutfluss, d.h.
bei erhöhtem Blutfluss (z.B. Tachykardie) zeigen sich korrespondierend erhöhte Werte für die venöse Sätti-
gung. Im Allgemeinen können alle Zustände, die eine Veränderung der peripheren Sauerstoffausschöpfung
oder eine Veränderung des Blutflusses bewirken, Einfluss auf die Oxymetrie nehmen und somit die Shuntbe-
rechnung verfälschen.

Wann ist der optimale Zeitpunkt für eine chirurgische Korrektur des VSD?

Aktuell gibt es keine eindeutigen Empfehlungen bezüglich des optimalen Operationszeitpunkts. Für eine
möglichst frühe Operation des VSD spricht, dass es beim Zuwarten zu einer möglichen Ausweitung des
Defekts aufgrund des instabilen angrenzenden Gewebes kommen kann. Insbesondere Patienten im kardio-
genen Schock mit großem post-ischämischen VSD sollten daher notfallmäßig einer Operation zugeführt
werden. Andererseits birgt die frühe Operation – eben aufgrund des noch nicht stabilen ischämischen Ge-
webes – ein erhöhtes Risiko für ein VSD-Rezidiv und ist mit einer hohen Letalität verbunden. Daher sollte
stets eine individuelle Risikoabwägung und Besprechung des Operationszeitpunkts mit den Chirurgen er-
folgen.
146 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Sie stellen die Patientin den Herzchirurgen vor. Eine Zuverlegung kann, bei aktuell hämodynamischer Stabilität, in den
nächsten Tagen erfolgen. Im Zuge der Operationsvorbereitungen wird eine TEE-Untersuchung durchgeführt (› Abb.
3.30).

Abb. 3.30  TEE-Standbild, kurze Achse im Farbdopplermodus. Darstellung zweier getrennter Links-Rechts-VSD-Jets, bedingt durch
einen post-ischämischen VSD im midseptalen-apikalen Septum. Leicht aneurysmatische Herzspitze

Im UKG und der TEE-Untersuchung wird ein Aneurysma der Vorderwand


beschrieben. Wie beurteilen Sie dies?

Ungefähr 60% der ischämischen VSD-Rupturen sind im Bereich des apikalen Septums lokalisiert. Insbeson-
dere die apikalen VSD werden nicht selten von einem Aneurysma begleitet bzw. begünstigt ein Aneurysma
selbst die Entstehung eines VSDs. Nicht nur das aneurysmatische Gewebe, sondern auch die angrenzenden
Myokardbezirke werden für gewöhnlich im Verlauf rigider und können, je nach Größe, einen Anstieg von
Wandspannung und somit des LVEDP bewirken. Die dadurch reduzierte Kontraktilität und progrediente
LV-Dilatation führt häufig zu einer Einschränkung der Herzleistung. Weitere Aneurysma-bedingte Kompli-
kationen sind Thrombenformation mit Emboliegefahr und ein gehäuftes Auftreten von ventrikulären Herz-
rhythmusstörungen.

Die Patientin wird von den Herzchirurgen übernommen und einer kombinierten Bypass (RCA)- und VSD-Operation mit
Ventrikelrekonstruktion unterzogen.
Die Patientin stellt sich bereits 4 Wochen nach der Operation erneut mit Brustschmerzen, Luftnot und erhöhter Tempera-
tur vor.
In den Untersuchungen (EKG, UKG, Röntgenaufnahme des Thorax) stellen Sie als auffällige Befunde einen Perikarderguss
und beidseitige Pleuraergüsse fest.
3.11  Belastungsdyspnoe und Leistungsschwäche nach Afrikareise 147

Reichen Ihnen diese Angaben – insbesondere in Anbetracht der Anamnese –


bereits für eine Verdachtsdiagnose aus?

Die Befundkonstellation wäre typisch für das sog. Dressler-Syndrom, das auch Postperikardiotomie-Syn-
drom genannt wird. Ätiologisch wird v.a. eine autoimmune Genese diskutiert, d.h. bestimmte – im Rahmen
der Ischämie oder Operation freigesetzte myokardiale Antigene – rufen lokale Inflammationsprozesse am
Perikard und ggf. der Pleura hervor. Häufig finden sich in diesem Zusammenhang erhöhte Antimyokardiale-
Antikörper-Titer im Serum. Es tritt meist mit einer Latenzzeit von 4–6 Wochen nach Operation auf, kann
sich aber auch erst Monate später manifestieren. In den letzten Jahren hat die Inzidenz dieses Syndroms –
nicht zuletzt aufgrund der optimierten Reperfusionsstrategien – an Häufigkeit abgenommen.

3
Danksagung

UKG-Bildmaterial mit freundlicher Unterstützung von Frau Dr. Nina Wunderlich und Herrn Prof. Dr. Horst
Sievert, CardioVasculäres Centrum St. Katharinen, Frankfurt.

LITERATUR
Crenshaw BS, Granger CB, Birnbaum Y, et al. Risk factors, angiographic patterns, and outcomes in patients with ventricular
septal defect complicating acute myocardial infarction. GUSTO-I Trial Investigators. Circulation 2000; 101: 27–32.
Thiele H, Kaulfersch C, Daehnert I, Schoenauer M, Eitel I, Borger M, Schuler G. Immediate primary transcatheter closure of
postinfarction ventricular septal defects. Eur Heart J. 2009; 30(1): 81–8.
Lapp H, Krakau I. Das Herzkatheterbuch. Diagnostische und interventionelle Kathetertechniken. 3. Auflage. Stuttgart, Thie-
me 2010.
Van de Werf F, Bax J, Betriu A, et al. Management of acute myocardial infarction in patients presenting with persistent ST-
segment elevation: the Task Force on the Management of ST-Segment Elevation Acute Myocardial Infarction of the Euro-
pean Society of Cardiology. Eur Heart J. 2008; 29(23): 2909–45.

3.11  Belastungsdyspnoe und Leistungsschwäche nach Afrikareise


Martin Hug

KASUISTIK
Anamnese: Ein 54-jähriger Patient wird mit progredienter Dyspnoe eingewiesen. Er sei bisher immer gesund gewesen.
Seit einer Dienstreise nach Afrika besteht eine Belastungsdyspnoe und eine allgemeine Leistungsschwäche. Der Patient
ist Nichtraucher. Keine Familienanamnese für Herz- und/oder Lungenerkrankungen.

Welche anamnestischen Angaben müssen Sie noch erfragen um die Ursache  


der Dyspnoe und der Leistungsschwäche einzugrenzen?

Beim Leitsymptom Dyspnoe sollte immer eine genaue Berufsanamnese durchgeführt werden, auch unter
Berücksichtigung früher durchgeführter Tätigkeiten. Besonders die Pneumokoniosen sind oft berufsbedingt!
Die Pneumokoniose oder auch Staublunge entsteht durch die Inhalation von Staub unter Ablagerung von
festen, anorganischen oder – seltener – organischen Teilchen in Bronchien, Lymphknoten und/oder Paren-
chym, die Veränderungen der Lunge bewirken. Dies kann sowohl mit als auch ohne Funktionsstörung ein-
hergehen.
148 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Bei einer Leistungsschwäche nach einer Afrikareise ist insbesondere eine genaue Reiseanamnese hilfreich.
Erfragt werden muss, ob die Reise in ein Malariagebiet geführt hat, ob eine Malariaprophylaxe durchgeführt
wurde. Des Weiteren muss erfragt werden ob eine Infektion vorliegen könnte. Dies wäre besonders bei Rei-
sen in den Tropengürtel wichtig, um die Labordiagnostik auch auf Infektionserreger auszudehnen die bei uns
nicht vorkommen.

Die erweiterte Anamnese ergibt, dass der Patient als Ingenieur für eine Maschinenbaufirma arbeitet. Es besteht und be-
stand keine Steinstaubbelastung. Die Reise hatte nach Kapstadt geführt (Kapstadt ist malariafreies Gebiet). Der Patient
hat ausschließlich in gehobenen Hotels übernachtet. Eine HIV-Exposition bestand nicht. Während der Reise habe er keine
Anzeichen für eine Infektion bemerkt.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 176 cm groß, 108 kg schwer, BMI 34,9, RR 115/85 mm Hg, Herzfrequenz 106/min,
3 Herztöne rhythmisch, rein, keine Herzgeräusche, kein dritter Herzton. Über beiden Lungen Vesikuläratmen. Der JVD ist erhöht.
Leber palpatorisch nicht beurteilbar bei Adipositas. Geringe Beinschwellung mit Betonung des rechten Beins. AF 20/min.

Welche technischen Untersuchungen würden Sie anordnen, um die


Differenzialdiagnose der Dyspnoe abzuklären?

Röntgen-Thorax in zwei Ebenen, EKG, UKG, Lungenfunktionstest.

Welche Laboruntersuchungen würden Sie anordnen, um die Differenzialdiagnose


der Dyspnoe mit Leistungsschwäche abzuklären?

Differenzialblutbild, CRP, D-Dimere, BNP, Troponin, Blutgasanalyse.

Röntgen-Thorax: Das Herz ist gering vergrößert. Streifenatelektase rechts. Keine pulmonalvenöse Stauung. Geringer
Pleuraerguss rechts.
EKG: SR, Frequenz 106/Minute, Steiltyp, P = 0,1 Sekunde, PQ = 0,18 Sekunde, QRS-Breite = 0,13 Sekunde, QT-Zeit =
0,42 Sekunden. OUP in V1 0,08 Sekunden, kompletter Rechtsschenkelblock.
UKG: Normale systolische globale und regionale Funktion. Rechter Ventrikel gering vergrößert, linker Ventrikel normal
groß. Keine Linkshypertrophie. Trikuspidalinsuffizienz mit einem Druckgradienten von 30 mmHg.
Labor: Das C-reaktive Protein (CRP) gibt Hinweise, ob eine entzündliche Erkrankung vorliegt. Das Blutbild liefert ebenfalls
Hinweise auf eine Entzündung (Leukozytose), auf ein Asthma bronchiale (Eosinophilie) oder auf chronische Herz- und
Lungenerkrankungen (Polyglobulie). Die D-Dimere sind bei Lungenembolie erhöht. Das BNP und NT-Pro-BNP sind bei
Herzinsuffizienz erhöht (› Kap. 1.9).
Das Troponin ist bei Erkrankungen mit Untergang von Kardiomyozyten erhöht. Das Troponin ist nicht spezifisch für eine
Ischämie!
Bei unserem Patienten ist das CRP 88 mg/l (Norm < 5 mg/l), Leukozyten 12/nl (Norm 4–9/nl), Troponin I 0,6 μg/l (Norm
< 0,032 μg/l) D-Dimere 11 mg/l (Norm < 0,5 mg/l).
Die arterielle Sauerstoffsättigung ist mit 93% unter Raumluft vermindert.

Welche Untersuchung würden Sie als Nächstes anordnen?

Bei Dyspnoe mit erhöhten D-Dimeren in engem zeitlichen Zusammenhang mit einem 12-stündigen Flug
muss an eine tiefe Venenthrombose mit Lungenembolie gedacht werden.
Somit wären eine Duplexsonographie der peripheren Venen und eine CT-Untersuchung des Thorax zu
erwägen.
3.11  Belastungsdyspnoe und Leistungsschwäche nach Afrikareise 149

Kennen Sie die Sensitivität und Spezifität der Duplexuntersuchung mit der
Fragestellung tiefe Venenthrombose?

In 35 publizierten Studien mit insgesamt 4747 phlebographisch kontrollierten Patienten betrug die mediane
Sensitivität und Spezifität 95 respektive 97%. In lediglich 9 der genannten 35 Studien wurde auch nach Unter-
schenkelvenenthrombosen gefahndet mit einer medianen Sensitivität von 89% und medianen Spezifität von
92%. Diese Zahlen belegen, dass die diagnostische Lücke bisheriger nicht-invasiver Verfahren im Bereich der
Unterschenkelvenen durch die Duplexsonographie geschlossen werden kann.

Die Duplexsonographie ergibt bei unserem Patienten eine Mehretagenthrombose des rechten Beins.
Aufgrund der bisher erhobenen Befunde besteht nun der dringende Verdacht auf eine Lungenembolie. Hierfür sprechen
die Anamnese, die Laborbefunde, und das Echokardiogramm und der Nachweis einer tiefen Venenthrombose. 3

Mit dem Nachweis einer tiefen Venenthrombose besteht nun bei unserem
Patienten die Indikation zur Antikoagulation. Würden Sie trotzdem eine CT-
Untersuchung anordnen, um die Lungenembolie nachzuweisen? Wie hoch ist die
Strahlenbelastung bei einem Thorax-CT?

Bei einem hohen Prozentsatz von Patienten mit Lungenembolie kann mit Hilfe bildgebender Verfahren die
ursächliche Thrombose in den Beinvenen lokalisiert werden. Für den diagnostischen Ablauf bei Verdacht auf
LE ist diese Tatsache bedeutsam. Unter der Vorstellung, dass Akuttherapie und Sekundärprophylaxe für Pa-
tienten mit Beinvenenthrombose (TVT) und für hämodynamisch stabile Patienten mit LE gleich sind, kann
man den diagnostischen Prozess bei Verdacht auf LE in dem Moment abbrechen, in dem eine TVT gefunden
wurde. Das setzt voraus, dass es sich um vorausgewählte Patienten mit einer hohen klinischen Wahrschein-
lichkeit einer Lungenembolie handelt.
Die Strahlendosis bei einer CT-Untersuchung der Thoraxorgane beträgt circa 6 bis 10 Millisievert (Bundes-
amt für Strahlenschutz 2005).
Die CT-Untersuchung ist also bei unserem Patienten nicht zwingend nötig. Es wäre nur zu klären, ob die
Streifenatelektase im konventionellen Thoraxbild unter Therapie rückläufig ist. Ansonsten sollte ein Thorax-
CT mit der Frage nach einem zentralen Tumor durchgeführt werden.

Wie sehen Sie den Stellenwert der Echokardiographie bei der Lungenembolie?
Kennen Sie die Parameter, die eine rechtsventrikuläre Dysfunktion anzeigen?

Die rechtsventrikuläre Dysfunktion wird echokardiographisch in unterschiedlicher Weise definiert. Kriterien


sind die eingeschränkte Wandbewegung des rechten Ventrikels, die rechtsventrikuläre Dilatation, die gestör-
te (paradoxe) Bewegung des interventrikulären Septums, der Nachweis einer Trikuspidalklappeninsuffizienz
und die darüber abgeschätzte Erhöhung des systolischen pulmonalarteriellen Drucks sowie die Erweiterung
(Stauung) der Vena cava inferior, einzeln oder in Kombination. Die genannten Parameter haben eine hohe
Sensitivität für die Diagnose einer hämodynamisch wirksamen LE, vor allem bei kombinierter Betrachtung.
Eine prognostische Einschätzung des Krankheitsverlaufs ist damit möglich. Die Spezifität der Parameter ist
allerdings bei Patienten mit vorbestehendem linksventrikulären Pumpversagen oder einem signifikanten Mi-
tralklappenvitium, d.h. bei Vorliegen einer postkapillären pulmonalen Hypertonie und rechtsventrikulären
Druckbelastung, gering. Darüber hinaus können ausgeprägtes Übergewicht, Lungenemphysem oder maschi-
nelle Beatmung die Aussagefähigkeit der Methode einschränken (S2-Leitline LE).
150 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Bei unserem Patienten liegt auch eine Erhöhung des Troponinspiegels vor.  
Sollte bei ihm eine Koronarangiographie durchgeführt werden oder sind die
Troponinerhöhungen durch die Lungenembolie hinreichend erklärt?

Erhöhte Serumspiegel von Troponin I oder T kommen bei 11–15% aller Patienten mit Lungenembolie vor,
insbesondere wenn eine rechtsventrikuläre Dysfunktion nachgewiesen wird. Fehlende Troponinerhöhung
und auch ein Normalwert für BNP sind exzellente Marker für einen benignen Verlauf, wenn eine konsequen-
te Antikoagulation gewährleistet ist.
Bei normaler linksventrikulärer Funktion im Echokardiogramm und fehlenden Risikofaktoren für eine
KHK kann auf eine Koronarangiographie verzichtet werden.

3
Wie würden Sie den Patienten risikostratifiziert behandeln?

Nach den bisher erhobenen Befunden ist der Patient als hämodynamisch stabil mit rechtsventrikulärer Dys-
funktion einzustufen (› Tab. 3.16, › Tab. 3.17).

Tab. 3.16  Klassische Stadieneinteilung der Lungenembolie nach Grosser


Stadium I keine hämodynamischen Auswirkungen, keine pathologischen arteriellen Blutgase
Stadium II mäßige hämodynamische Auswirkungen, d.h. pulmonal arterieller Mitteldruck 15–20 mm Hg, patho-
logische arterielle Blutgase: PaO2 erniedrigt, aber > 60 mmHg
Stadium III hämodynamische Auswirkungen, pathologische arterielle Blutgase: PaO2 < 60 mmHg
Stadium IV größere hämodynamische Auswirkungen, d.h. arterielle Hypotonie, Schock; pathologische arterielle
Blutgase: Hypoxie, Hyper- oder Hypokapnie, pH-Entgleisung

Tab. 3.17  Eine neue Einteilung nach der Frühmortalität wurde in den ESC-Guidelines publiziert
Risikomarker
Risikio der klinisch (Schock rechtsventrikuläre myokardialer mögliche therapeutische
­Frühmortalität oder Hypotension) Dysfunktion Schaden ­Implikationen
Hoch > 15% + (+) (+) Lyse oder Thrombektomie
Intermediär 3–15% - + + stationäre Behandlung
Intermediär 3–15% - + - stationäre Behandlung
Intermediär 3–15% - - + stationäre Behandlung
Niedrig < 1% - - - ambulant oder frühe Entlassung

Somit ist eine Lysetherapie zunächst nicht indiziert. Eine Antikoagulanzientherapie ist indiziert. Bis zum
Erreichen des therapeutischen Bereichs muss eine Therapie mit Heparin fraktioniert oder unfraktioniert un-
ter PTT-Kontrolle durchgeführt werden (› Tab. 3.18).

Tab. 3.18  Bewährte Schemata für die initiale Antikoagulation, die ohne Verzögerung durchzuführen ist
Enoxaparin 1,0 mg/kg 2 × täglich
Tinzaparin 175 U/kg 1 × täglich
Fondaparinux 5 mg (Körpergewicht bis 50 kg) 1 × täglich
7,5 mg (Körpergewicht 50–100 kg)
10 mg (Körpergewicht über 100 kg)
3.12  Dyspnoe und Reizhusten 151

Tab. 3.19  Lyseschemata


Streptokinase 250.000 IU als Bolus über 30 min, gefolgt von
100.000 IU/h über 12–24 h
Urokinase 4400 IU/kg als Bolus über 10 min, gefolgt von
4400 IU/kg/h über 12–24 h
akzeleriertes Schema: 3 Millionen IU über 2 h
rtPA 100 mg über 2 h
oder 0,6 mg/kg über 15 min (Maximaldosis 50 mg)
Kommentar zu Streptokinase und Urokinase: Streptokinase und Urokinase sind nur noch der Vollständigkeit halber aufgeführt.
Es werden heute nahezu ausschließlich nur noch rekombinante Plasminogenaktivatoren verwendet.

3
Über welchen Zeitraum sollte bei unserem Patienten eine orale Antikoagulation
mit Vitamin-K-Antagonisten durchgeführt werden?

Da eine reversible Ursache für die Thrombose mit Lungenembolie (Langstreckenflug) und keine Tumor­
erkrankung vorliegt, sollte die orale Antikoagulation mit einem Ziel INR von 2,5 (Bereich 2,0–3,0) über drei
Monate durchgeführt werden.

Wie reagieren Sie, wenn der Patient im Verlauf eine anhaltende Hypotonie sowie
eine Hypoxie verbunden mit einer respiratorischen Azidose entwickelt?

Der Patient würde dann in das Stadium IV nach Grosser bzw. in die „high-risk“-Gruppe nach ESC fallen. In
diesem Fall wäre eine Thrombolyse indiziert. Anerkannte Lyseschemata zeigt die › Tabelle 3.19.

LITERATUR
Grosser KD. Akute Lungenembolie. Behandlung nach Schweregraden. Deutsches Ärzteblatt 1988; 85: B587–94.
Jäger K, Eichlisberger R, Frauchiger B: Stellenwert der bildgebenden Sonographie für die Diagnostik der Venenthrombose.
Hämostaseologie 1993; 13: 116–24.
Interdisziplinäre S2 Leitlinie Venenthrombose und Lungenembolie. VASA 2005; 34 (Suppl. 66).
Torbicki A, Perrier A, Konstantinides S, et al. Guidelines on the diagnosis and management of acute pulmonary embolism.
The Task Force for the Diagnosis and Management of Acute Pulmonary Embolism of the European Society of Cardiology
(ESC). European Heart Journal 2008; 29: 2276–315.

3.12  Dyspnoe und Reizhusten


Martin Hug

KASUISTIK
Ein 68-jähriger Patient stellt sich mit seit ca. 3 Wochen bestehender Dyspnoe und Reizhusten vor. Es besteht kein Auswurf.
In Seitenlage thorakale Schmerzen. Bis auf eine Pneumonie 5 Jahre zuvor keine ernsthaften Vorerkrankungen bekannt.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 172 cm, 67 kg, RR 140/80 mmHg, Puls 77/min, regelmäßig.
Cor auskultatorisch o.B., bei der Auskultation der Lunge hört man rechts ein Vesikuläratmen, links ist das Atemgeräusch
abgeschwächt. Perkutorisch hört man links eine Dämpfung bis zur Scapula.
152 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Welche Diagnostik würden Sie


anordnen?

• B B, CRP, Elektrolyte, Kreatinin Harnstoff, CK,


LDH, GOT, GPT, BNP, TNI
• R öntgen-Thorax
• E KG, UKG.

Beurteilen Sie das Röntgenbild


(› Abb. 3.31).
3
Normal großes Cor. Keine Stauungszeichen. Keine
eindeutigen Infiltrate. Keine Mediastinalverbreite- Abb. 3.31  Röntgenbild
rung. Linksseitiger Pleuraerguss.
Cave: Ein Infiltrat oder eine Raumforderung kann durch die Verschattung durch den Pleuraerguss mas-
kiert sein!

Nennen Sie Erkrankungen die zu einem Pleuraerguss führen.

• O
 nkotisch hydrostatisch
– Herzinsuffizienz
– Pericarditis constriktive
– Hypoalbuminämie
• E ntzündlich infektiös
– Bakterien und Viren
– Pilze und Parasiten
– Parapneumonisch (z.B. bei Pneumokokken-Pneumonie)
– Pleuraempyem
• E ntzündlich nicht-infektiös
• P ara-/Neoplastisch: z.B. Pleuramesotheliom
• A utoimmun
• T raumatisch z.B.
– Rippenfraktur
– Postoperativ
– Chylothorax.

Die Laborwerte des Patienten zeigen: CRP 90 mg/l (< 5 mg/l), CK 388 U/l, LDH 284 U/l, GOT und GPT im Normbereich,
Gesamteiweiß 6,5 g/dl. TNI negativ. BNP nicht erhöht. Unauffälliges Differenzialblutbild. D-Dimer 2,94 mg/dl.
EKG: SR, Frequenz 70/Minute, Steiltyp, P 0,08 Sekunden, PQ 0,14 Sekunden, QRS 0,09 Sekunden, QT 0,38 Sekunden,
inkompletter Rechtsschenkelblock.
UKG: Normale globale und regionale Pumpfunktion. Herzhöhlen visuell normal groß. Keine Linkshypertrophie. Klappen
zart, kein Vitium. Kein Perikarderguss.
NB: großer Pleuraerguss links.
3.12  Dyspnoe und Reizhusten 153

Wie ist das weitere diagnostische Vorgehen?

Ein Pleuraerguss unklarer Ätiologie sollte immer punktiert werden. Das Punktat muss dann laborchemisch,
bakteriologisch und zytologisch untersucht werden (› Tab. 3.20).

Tab. 3.20  Klinisch relevante Untersuchungen aus Pleurapunktat (mod. nach Schmidt)
Inspektion Normale Ergussflüssigkeit ist bernsteinfarbig, klar
blutige Flüssigkeit: Hämatothorax (Pleura-Hkt > 50% des Blut-Hkt), hämorrhagischer Erguss
(­Tumore, artefiziell durch die Punktion)
Trüber Erguss ist zellreich
milchiger Erguss enthält Fette: Chylothorax (Triglyzeride > 110 mg/dl) oder Pseudochylothorax
(Cholesterin > 200 mg/dl)
Eiter: Pleuraempyem 3
Labor Totalprotein (TP): Ein Exsudat liegt vor bei Pleura-TP: Serum-TP > 0,5 (nach LIGHT)
Laktatdehydrogenase (LDH): zweites Exsudatkriterium
Pleura-LDH: Serum-LDH > 0,6 (nach LIGHT)
Pleuraglukose < 60 mg/dl: Infektionen, Kollagenosen
Pleura-pH-Wert 7,2–7,0: parapneumonischer Erguss
pH < 7,0: Pleuraempyem mit Indikation zur chirurgischen Therapie
Zytologie Neutrophilenvermehrung: akute Entzündung
Monozytenvermehrung: chronische Entzündung
Lymphozytose: Tuberkulose, Tumoren
Eosinophile (selten): Pleuraasbestose, Churg-Strauss-Syndrom, Dressler-Syndrom, Pneumothorax,
durch Medikamente verursacht
Natürlich sucht man im Pleurapunktat immer nach Tumorzellen
Mikrobiologie Übliche Bakteriologie und Mykobakterien
Der Bakteriennachweis erfordert natives Material, das ohne Verzögerung im Labor eintrifft

Bei der Pleurapunktion unseres Patienten konnten 500 ml rötlich trübe Flüssigkeit abpunktiert werden.
Die laborchemische Untersuchung zeigt ein rötlich trübes Punktat mit klarem Überstand.
Gesamteiweiß 4,4 g/dl.

Glukose 103 mg/dl


Cholesterin 110 mg/dl
Triglyzeride 30 mg/dl
LDH 934 U/l
Die mikrobiologische Untersuchung war mikroskopisch und kulturell unauffällig. Mikroskopisch nach Anreicherung keine
säurefesten Stäbchen. Kulturen auf Mykobakterien negativ.
Zytologisch konnten maligne Zellen nicht nachgewiesen werden.

Welches ist der nächste diagnostische Schritt?

Computertomographie des Thorax (› Abb. 3.32).


Die CT-Untersuchung zeigt einen Pleuraerguss links, eine 2 cm breite wandständige Gewebsvermehrung
an der lateralen Thoraxwand links (in dieser Schicht nicht erkennbar). Ausschluss einer Lungenembolie (bei
erhöhten D-Dimer). Lungenemphysem.
154 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Die nochmalige genauere Berufsanamnese ergibt, dass


der Patient vor ca. 20 Jahren ungeschützt Asbestarbeiten
durchgeführt hat und dass bereits zwei Arbeitskollegen
aus der damaligen Zeit an Pleuramesotheliomen verstor-
ben sind.
Der nächste Schritt ist nun die Sicherung der Diagnose
durch eine CT-gesteuerte Punktion mit Biopsieentnah-
me.
Die entnommenen Gewebeproben zeigen einen gering
differenzierten malignen Tumor, wobei die Tumorstruktur
sowie die immunhistochemische Konstellation für ein
malignes Mesotheliom vom gemischt epitheloiden/sar-
3 komatoiden Typ (biphasische Variante) sprechen. Abb. 3.32  CT-Thorax

Welche Therapieoptionen können für unseren Patienten in Frage kommen?

Ein kurativer Ansatz wäre eine ausgedehnte Resektion des Tumors. Dabei müssten auch eine Pneumonekto-
mie und eine Teilresektion der Thoraxwand erfolgen. Diese Option wurde vom Thoraxchirurgen wegen des
Alters des Patienten abgelehnt.
Palliativ wäre nun eine videoassistierte Dekortikation mit Stichkanalbestrahlung und Chemotherapie oder
alternativ eine Pleurodese mit Talkum, Stichkanalbestrahlung und Chemotherapie zu diskutieren.

LITERATUR
Schmidt M. Der Pleuraerguss: Differentialdiagnosen von Herzinsuffizienz bis Mesotheliom? http://www.bayer-internisten.de/
abstracts-pneumo/Schmidt.pdf

3.13  Abnehmende Leistungsfähigkeit nach Aortenklappenersatz


Hagen Gross

KASUISTIK
Vorgeschichte: Frau S. wird von ihrem Hausarzt wegen zunehmender Herzinsuffizienz in Ihre kardiologische Ambulanz
überwiesen.
Bei Frau S. war vor 20 Jahren ein Aortenklappenersatz bei hochgradiger Aorteninsuffizienz bei einer bikuspiden Aorten-
klappe durchgeführt worden. Vor 10 Jahren erfolgte ein erneuter Aortenklappenersatz (diesmal mit zusätzlichem Ersatz
der Aorta ascendens; Carboseal 25 mm mit klappentragendem Conduit). Bei einem postoperativ aufgetretenem AV-Block
III° wurde eine Schrittmacherimplantation durchgeführt.
Frau S. berichtet, dass ihre körperliche Leistungsfähigkeit in den letzten Jahren langsam abgenommen habe. Größere
körperliche Anstrengungen seien ihr nicht möglich. Treppensteigen sei nur bis zu einer Etage ohne große Anstrengung
möglich. Keine febrilen Episoden, der INR sei stets im Zielbereich gewesen.
Als regelmäßige Medikation nimmt Frau S. ein Diuretikum, einen ACE-Hemmer, einen Betablocker sowie einen Aldoste-
ron-Antagonisten und Phenprocoumon ein.

An welche Differenzialdiagnosen denken Sie?

• K lappendysfunktion
• S M-Dysfunktion
3.13  Abnehmende Leistungsfähigkeit nach Aortenklappenersatz 155

• A nämie
• K oronarinsuffizienz (Reinsertion bei OP?), Koronarembolie
• Z .n. Myokarditis
• P hrenikusparese
• L ungenerkrankung.

Körperliche Untersuchung: 45-jährige schlanke Patientin in gering reduziertem Allgemeinzustand. Keine Zeichen der
akuten kardialen Dekompensation. Kunstklappentöne regelrecht, keine Aorteninsuffizienz auskultierbar.
Die apparativen Untersuchungen zeigen folgende Ergebnisse (› Abb. 3.33, › Abb. 3.34, › Abb. 3.35):

Abb. 3.33  Röntgen-Thorax a.p. und seitlich

Bitte beschreiben Sie die Röntgenaufnahmen.

Deutliche linksventrikuläre Herzvergrößerung mit Z.n. AKE und Sternotomie. Regelrecht liegender Einkam-
merschrittmacher. Kein Pneumothorax. Kein Nachweis eines entzündlichen Infiltrats, keine Stauung, kein
Pleuraerguss.

Was finden Sie ungewöhnlich?

Offensichtlich wurde trotz der Indikation AV-Block nur ein Einkammersystem implantiert und dieses nur
mit einer unipolaren Sonde.

Labor: kleines Blutbild, Retentionsparameter, Elektrolyte, LDH und Transaminasen liegen im Normbereich. INR mit 2,7
im Zielbereich bei oraler Antikoagulation bei Z.n. AKE.
156 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Abb. 3.34  Ruhe-EKG, Extremitätenableitungen

Abb. 3.35  Ruhe-EKG, Brustwandableitungen

Beurteilung: Ventrikuläre SM-Stimulation, keine P-Wellen abgrenzbar.


SM-Kontrolle: Spontan durchgehend ventrikuläre Stimulation im VVI-Modus. Bei Inhibition Sinusrhythmus ~45/min mit
eigener Überleitung auf die Kammer. Regelrechte Sensing- und Pacingfunktion mit unauffälligen Werten für Wahrneh-
mung und Simulation.
Echokardiographie:
• Aortenwurzel normal weit
• AKE: Bewegungsmuster unauffällig, geringe Insuffizienz (2 kleine paravalvuläre Jets, vmax = 1,53 m/s dpmax = 9
mmHg, dpmean = 6 mmHg, prä. valv. < 1m/s)
• RA: gering vergrößert (visuell beurteilt)
• LA: mäßig vergrößert (51 mm)
• RV: normale Größe
• LV: deutlich vergrößert (LVED 76 mm, LVES 68 mm), Wanddicken normal. Globalfunktion deutlich eingeschränkt, re-
gional noch posterior relativ am besten erhaltene Pumpfunktion
• MK: minimal verdickt, Bewegung normal, geringe Insuffizienz, keine Stenose
• TK: altersentsprechend, dpmax RV/RA = 35 mmHg
• Kein Perikarderguss nachweisbar.
3.13  Abnehmende Leistungsfähigkeit nach Aortenklappenersatz 157

Welche Therapiemöglichkeiten bestehen bei einer Herzinsuffizienz?

• M edikamentöse konservative Therapie (› Kap. 3.1, › Kap. 3.6)


• K ardiale Resynchronisationstherapie (CRT)
• H erztransplantation (HTX)
• I CD-Implantation zur Vermeidung des plötzlichen Herztodes (beeinflusst aber nicht die Herzinsuffizienz).

Wann besteht eine Indikation zur Implantation eines biventrikulären


Schrittmachers/ICD?

Liegt eine asynchrone Kontraktion des linken Ventrikels vor, so lässt sich diese in einem Teil der Fälle durch 3
eine biventrikuläre Stimulation resynchronisieren. Es hat sich gezeigt, dass sich hierdurch eine Herzinsuffizi-
enzsymptomatik als auch die Mortalität der Herzinsuffizienz günstig beeinflussen lässt.
Nach den derzeit gültigen Leitlinien der DGK (› Kap. 3.1) und ESC besteht übereinstimmend eine Indi-
kation zur Resychronisationtherapie bei Patienten im Stadium NYHA III–IV mit einer Auswurffraktion un-
ter 35%, die trotz optimaler medikamentöser Therapie weiterhin symptomatisch sind und eine Dilatation des
linken Ventrikels (LVED > 55 mm) aufweisen.
Die europäischen Leitlinien (ESC) sehen generell eine Indikation bei einem über 120 ms verbreiterten
QRS-Komplex, während die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie die Indikationen nach der QRS-Breite
stratifiziert (› Tab. 3.21).

Tab. 3.21  Indikationen zur biventrikulären Stimulation (nach Rybak et al. 2008)
ESC-Leitlinien DGK-Leitlinien
Herzinsuffizienz und Sinusrhythmus
QRS > 120 ms 1A LSB, QRS > 150 ms IA
LSB, QRS 120–150 ms IIa A
Kein LSB, QRS > 120 ms IIb B
k.A. NYHA II, LSB, QRS > 150 ms IIb B
CRT-D akzeptabel bei Lebenserwartung > 1 Jahr, guter AZ I B individuelle Prüfung der CRT-D-Indikation
Herzinsuffizienz und SM-Indikation
Definition: permanente Stimulation IIa C Definition: RV-Stimulation erforderlich IIb C
• Sinusrhythmus nicht gefordert • Sinusrhythmus nicht gefordert
• kein QRS-Kriterium • kein QRS-Kriterium

Herzinsuffizienz und ICD-Indikation


QRS > 120 ms IB k.A.
Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern
Indikation zur Ablation kein QRS-Kriterium IIa C entspricht SM-Indikation IIb C
k.A. LSB, QRS > 150 ms IIa C

Kommt es bei allen Patienten unter CRT zu einer Verbesserung der Symptomatik?

Nein. Derzeit spricht man je nach gewähltem Endpunkt von einer Responderquote von 55–75% (Rybak et al.
2008). Bisher ist es noch nicht gelungen Kriterien zu entwickeln, um die Responderquote zu verbessern. Die
Echokardiographie, mit der man eine Asynchronie des linken Ventrikels gut beurteilen kann, hat in einer großen
158 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Studie (PROSPECT-Studie) keine höhere Voraussagekraft (sowohl der klinischen Verbesserung als auch Verbes-
serung der Auswurffraktion (echokardiographisch gemessen) herbeiführen können (Chung et al. 2008), sodass
die QRS-Breite im EKG weiterhin der beste Vorhersageparameter ist. Je breiter der QRS-Komplex, desto größer
ist die Chance einer Verbesserung der Herzleistung durch eine Resynchronisation der Kontraktion (hier liegt der
Grund für die Stratifizierung der Indikation nach QRS-Breite durch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie).

Halten Sie die besprochene Patientin geeignet für eine kardiale


Resynchronisationstherapie?

Nach den ESC-Leitlinien besteht eine Klasse-IIa-Indikation. Nach den DGK-Leitlinien besteht nur eine Klas-
3 se-IIb-Indikation.
Da bei der Patientin eine massive Dilatation des linken Ventrikels besteht und eine ständige rechtsventri-
kuläre Stimulation erforderlich ist, erscheint der Versuch einer kardialen Resynchronisationstherapie in die-
sem Fall sinnvoll.
Weiter auffällig ist bei der Patientin, dass nur ein VVI-Schrittmacher implantiert ist. Im normalen Oberflä-
chen-EKG ist nicht eindeutig erkennbar, ob es sich um eine ventrikuläre Schrittmacherstimulation bei Vor-
hofflimmern oder Sinusrhythmus handelt. Erst im EKG bei inhibierter Schrittmacheraktion zeigte sich über-
aschenderweise eine erhaltene Sinusaktion, sodass hier umso mehr von einer hämodynamsichen Verbesse-
rung durch eine AV-Synchronisation mit resynchronisierter ventrikulärer Stimulation auszugehen ist.
Aufgrund der hochgradig eingeschränkten Funktion sollte ein Schrittmacher mit ICD-Funktion (= CRT-D)
gewählt werden.

Sie besprechen mit der Patientin die Indikation zur Implantation eines CRT-D.
Worüber müssen Sie aufklären?

Die Aufklärung für eine Schrittmacher- bzw. ICD-Implantation ist recht aufwendig:
• Z unächst muss die Patientin, wie bei jedem Eingriff, über die Indikation und die Alternativen aufgeklärt
werden.
• D er chirurgische Eingriff an sich mit möglichen Komplikation (Schmerzen, Blutung, Gefäß- und Nerven-
verletzungen, Infektionen etc.) muss erläutert werden.
• A uf das Verhalten nach dem Eingriff (vermeiden der Elevation des betroffenen Arms) muss besonders
eingegangen werden.
• D ie Nachsorge (Notwendigkeit von regelmäßigen Schrittmacher-/ICD-Kontrollen) sollte unbedingt be-
sprochen werden, ebenso das Verhalten bei eventuellen Therapieabgaben.
• Ü ber das Verhalten mit dem Schrittmacher/ICD muss aufgeklärt werden (Kontrollen beim Flughafen,
Meiden von Magnetfeldern, insbesondere Kernspin (außer bei neuesten MR-fähigen Aggregaten), elektri-
schen Feldern, Probleme mit elektrischen Geräten, z.B. transkutane elektrische Nervenstimulation =
TENS, elektrische Bohrmaschine, elektrische Zündanlagen, größere elektrische Maschinen mit elektri-
schen Störfeldern, Diebstahlkontrolleinrichtungen in Kaufhäusern, elektrischen Weidezäunen u.a.).
• D ie Patienten müssen ein Merkblatt (z.B. Informationsbroschüre des Herstellers) mit Verhaltensregeln
erhalten.
• D ie Aufklärung sollte anhand eines entsprechenden Aufklärungsbogen erfolgen und sorgfältig dokumen-
tiert werden.
• I nsbesondere bei jungen Patienten ist auf die Fahrtüchtigkeit einzugehen:
– Die Fahrtauglichkeit eines ICD-Patienten kann durch die Gefahr von Bewusstseinsverlusten einge-
schränkt sein. Hier ist stets eine individuelle Beurteilung des Risikos eines Bewusstseinsverlusts erfor-
3.13  Abnehmende Leistungsfähigkeit nach Aortenklappenersatz 159

derlich. Ggf. ist bei einer Progredienz der Erkrankung oder beim häufigen Auftreten von Therapien ei-
ne Neubeurteilung erforderlich.
– In den Leitlinien werden zur Beurteilung der Fahrtauglichkeit zwei Gruppen von Kraftfahrzeugführern
unterschieden. Zur Gruppe I gehören kleine Fahrzeuge mit und ohne Anhänger, Motorradfahrer und
Autofahrer, zur Gruppe II gehören Kraftfahrzeugführer von LKW (> 3,5 t) und Fahrzeugführer, die von
Berufs wegen mehr als acht Passagiere befördern. Taxi- und Krankenwagenfahrer werden zwischen
diesen beiden Gruppen eingeordnet.
– Nach den aktuellen Leitlinien sollten den Fahrzeugführern der Gruppe I nur minimale und vorüberge-
hende Restriktionen verordnet werden. In den letzten Jahren wurden die Restriktionen tendenziell ge-
lockert und die Dauer der Fahrverbote reduziert. Bei niedrigem Risiko sollte die Dauer des Fahrverbots
3 Monate nicht überschreiten.
– Die Voraussetzungen für Personen und Güterverkehr (Gruppe II) erfüllen ICD-Patienten in aller Regel 3
nicht, sodass diese Patienten möglicherweise berufsunfähig sind.
– Der Patient muss vor Implantation hierüber genau aufgeklärt werden (Dokumentation). Die Ein-
schränkungen beruhen aber nicht auf der ICD-Implantation an sich, sondern auf der Gefahr von Be-
wusstseinsverlusten durch Rhythmusstörungen.

Frau S. stimmt der Implantation eines biventrikulären Schrittmachers mit ICD-Funktion zu. Der Eingriff verläuft ohne
Komplikationen. Das Aggregat wurde zur Optimierung des Schockfelds links implantiert. Die ursprüngliche unipolare
Ventrikelsonde wurde stillgelegt. Intraoperativ wurde der ICD den Leitlinien entsprechend getestet.

Würden Sie heute einen ICD-Test bei der Patientin durchführen?

Nach den noch gültigen offiziellen Leitlinien sollte weiter getestet werden. Die aktuelle Expertenmeinung ten-
diert aber deutlich dazu, Routinefälle, insbesondere bei Primärprophylaxe, nicht mehr zu testen, da ein ICD-Test
immer das Risiko einer tödlichen Komplikationen beinhaltet. Auch wird inzwischen die Vorhersagekraft einer
erfolgreichen Therapie eines künstlich herbeigeführten Kammerflimmerns bezweifelt (Blatt et al. 2008, Kolb et
al. 2009).
Wahrscheinlich werden sich die entsprechenden Leitlinien in kürzerer Zeit ändern.
Nach dem Eingriff veranlassen Sie eine Röntgenaufnahme.

Bitte betrachten Sie die folgende Röntgenaufnahme (› Abb. 3.36). Welche


Strukturen können Sie erkennen. Liegen die Sonden korrekt? Worauf achten Sie
besonders?

Die Röntgenaufnahme dient zur Überprüfung der (radiologisch) korrekten Sondenlage sowie zur entspre-
chenden Dokumentation. Ein Pneumothorax sollte ebenfalls ausgeschlossen werden.
• a : Anschluss der stillgelegten Ventrikelsonde
• b : CRT-D-Aggregat
• c : Aortenklappenprothese
• d : Sonde in der lateralen Koronarvene
• e : ICD-Sonde mit zwei Schockwendeln im rechten Ventrikel (Dual-coil-Sonde)
• f: Sondenspitze der alten stillgelegten Ventrikelsonde.
Radiologisch handelt es sich um eine korrekte Sondenlage. Ein Pneumothorax lässt sich nicht nachweisen.
160 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Abb. 3.36  Röntgenaufnahme nach ICD-Implantation

Weiterer Verlauf: Bei der Patientin kommt es innerhalb weniger Wochen zu einer deutlichen Zunahme der Belastbarkeit
(jetzt NYHA-Stadium II).
In der Echokardiographie 18 Monate nach CRT-Implantation hat sich die Ventrikelgröße normalisiert, die systolische
Funktion ist nunmehr nur noch mäßig eingeschränkt.

Anmerkung: Die Werte stimmen tatsächlich und wurden von mehreren Untersuchern praktisch gleich ge-
messen. Den enormen Erfolg kann der Autor nur durch die deletäre und vor allem nicht indizierte ventriku-
läre Stimulation erklären.

LITERATUR
Blatt JA, Poole JE, Johnson GW, et al. No benefit from defibrillation threshold testing in the SCD-HeFT (Sudden Cardiac
Death in Heart Failure Trial). J Am Coll Cardiol. 2008; 52(7): 551–6.
Chung ES, Leon AR, Tavazzi L, et al. Results of the Predictors of Response to CRT (PROSPECT) trial. Circulation. 2008;
117(20): 2608-16.
Jung W, Andresen D, Block M, et al. Leitlinien zur Implantation von Defibrillatoren. Clin Res Cardiol 2006; 95: 696–708.
Kolb C, Tzeis S, Zrenner B. Defibrillation threshold testing: tradition or necessity? Pacing Clin Electrophysiol. 2009; 32(5):
570–2; discussion 572.
Rybak K, Nowak B, Pfeiffer D, et al. Kommentar zu den ESC-Leitlinien „Guidelines for cardiac pacing and cardiac resynchro-
nization therapy“. Kardiologe 2008; 2: 463–78.
Tebbenjohanns J, Willems S, Antz M, et al. Kommentar zu den „ACC/AHA/ESC 2006 guidelines for management of patients
with ventricular arrhythmias and the prevention of sudden cardiac death – executive summary“. Kardiologe 2008; 2:
363–88.
The Task Force for Cardiac Pacing and Cardiac Resynchronization Therapy of the European Society of Cardiology. Developed
in Collaboration with the European Heart Rhythm Association. Guidelines for cardiac pacing and cardiac resynchronizati-
on therapy. European Heart Journal 2007; 28: 2256–95.
3.14  Plötzlicher Leistungsknick 161

3.14  Plötzlicher Leistungsknick


Marcus Leibig

KASUISTIK
Ein 62-jähriger Patient stellt sich in Ihrer Ambulanz mit einem Leistungsknick seit einer Woche vor. Kleinste Anstrengun-
gen sind für ihn kaum mehr zu schaffen. Beim Blutdruckmessen fällt ein sehr langsamer Puls auf.
In der Vorgeschichte ist eine KHE bekannt, in die LAD und die RKA wurden vor 4 Jahren jeweils Stents implantiert. Seitdem
sind keine pectanginösen Beschwerden aufgetreten.
Als kardiovaskuläre Risikofaktoren sind ein arterieller Hypertonus und ein Z. n. Nikotinabusus bekannt.

Welche Untersuchungen veranlassen Sie:


3
Routinelabor, EKG, LZ-EKG und Echo.

Im Routinelabor finden sich folgende pathologischen Werte: Kreatinin 2,0 mg/dl, Hb 11,9 g/dl, übrige Werte (ein-
schließlich TSH) sind unauffällig.
Echokardiogramm: Aortenwurzel normal weit, AK: verdickt, Öffnungsbewegung vermindert, keine Insuffizienz, Vmax =
3,45 m/s, dpmax = 48 mmHg, dpmean = 23 mmHg je nach RR-Intervall, prä. valv. 1,00 m/s, dpmax 4 mmHg, KÖF nach
Kontinuitätsgleichung 1,2 cm2, damit mittelgradige Stenose – RA: normale Größe (visuell beurteilt), LA: gering vergrößert,
RV: normale Größe, LV: gering vergrößert, Wanddicken normal. Systolische Globalfunktion grenzwertig (planimetrische
EF ∼ 55%). Diastolische Globalfunktion normal, MK: verdickt, Bewegung normal, geringe Insuffizienz, keine Stenose,
Ringkalk; TK: altersentsprechend, Bewegung normal, dpmax (RV/RA) nicht beurteilbar – kein Perikarderguss.

Wie beurteilen Sie das Ruhe-EKG (› Abb. 3.37)?

Abb. 3.37  Ruhe-EKG

SR, Kammerfrequenz 44/min, Linkstyp, AV-Block Grad II, T-Negativierung in I und aVL.

Können Sie anhand des kurzen EKG-Streifens den AV-Block Grad II näher
klassifizieren?

Bei dem AV-Block Grad II wird der Mobitz Typ I (Wenkebach) vom Mobitz Typ II unterschieden. Bei dem
Mobitz Typ I wird die PQ-Zeit zunehmend länger, bis eine Vorhofaktion nicht mehr auf die Kammer überge-
162 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

leitet wird. Bei dem Mobitz Typ II ist die PQ-Zeit konstant, es kommt hier jedoch ebenfalls zu fehlenden
Überleitungen von Vorhofaktionen auf die Kammer. Der Ort der Blockierung ist bei beiden Typen unter-
schiedlich. Der Blockierung bei dem Mobitz Typ II liegt unterhalb des AV-Knotens (infrahisär) und ist mit
deutlich höherer Progression zu kompletten AV-Blockierungen vergesellschaftet.
In dem oben dargestellten EKG ist eine Unterscheidung zwischen einem AV-Block Grad II Typ I und eines
Typ II nicht möglich. Da jede zweite Kammerüberleitung ausfällt, kommen beide Typen in Frage.

Wie definieren Sie einen AV-Block Grad III?

Es wird keine Vorhofaktion mehr auf die Kammern übergeleitet. Der Block kann intermittierend oder perma-
3 nent auftreten. Von einem untergeordneten Zentrum wird ein Kammerersatzrhythmus generiert. Befindet sich
das Kammerersatzzentrum im AV-Knoten oder His-Bündel, liegt die QRS-Dauer in der Regel unter 120 ms. Als
Faustregel gilt, je tiefer das sekundäre oder tertiäre Schrittmacherzentrum gelegen ist, desto langsamer ist der
Ersatzrhythmus. Insbesondere Patienten mit Kammerersatzrhythmen < 40/min haben häufig Synkopen.

Wie interpretieren Sie das LZ-EKG (› Abb. 3.38)?

Abb. 3.38  Langzeit-EKG

Abgebildet sind drei Ableitungen. Zu beachten sind die mit den roten Pfeilen markierten Vorhofaktionen.
Man sieht, dass die PQ-Zeit von Herzzyklus zu Herzzyklus zunimmt. Die Vorhofaktion, die durch den 4. Pfeil
markiert ist, wird durch die Kammer nicht mehr beantwortet. Der anschließende Herzzyklus zeigt wieder
eine verkürzte PQ-Zeit.

Wie sehen die aktuellen Indikationen zur Schrittmachertherapie bei


atrioventrikulären Überleitungsstörungen aus (› Tab. 3.22)?

Tab. 3.22  Indikationen zur Schrittmachertherapie bei atrioventrikulären Überleitungsstörungen


Chronisch symptomatischer AV-Block Grad III oder II (Mobitz I oder II) Klasse I C
Neuromuskuläre Erkrankung (z.B. myotonische muskuläre Dystrophie, Klasse I B
­Kearns-Sayre-Syndrom etc.) mit AV-Block Grad III oder II
3.14  Plötzlicher Leistungsknick 163

Tab. 3.22  Indikationen zur Schrittmachertherapie bei atrioventrikulären Überleitungsstörungen (Forts.)


AV-Block Grad III oder II (Mobitz I oder II): Klasse I C
• nach Katheterablation der atrioventricular junction
• nach Herzklappen-OP, wenn eine Rückbildung nicht zu erwarten ist

Asymptomatischer AV-Block Grad III oder II (Mobitz I oder II) Klasse IIa C
Symptomatischer verlängerter AV-Block Grad I Klasse IIa C
Neuromuskuläre Erkrankung (z.B. myotonische muskuläre Dystrophie, Klasse IIb B
Kearns-Sayre-Syndrom, etc.) mit AV-Block Grad I
• Asymptomatischer AV-Block Grad I Klasse III C
• Asymptomatischer AV-Block Grad II Mobitz I mit supra-His-Überlei-
tungsblock
• AV-Block
mit erwarteter Rückbildung 3

Inzwischen wurde ein Herzschrittmacher implantiert. Bitte interpretieren Sie das


EKG (› Abb. 3.39).

Abb. 3.39  EKG

Spontaner Sinusrhythmus, nach dem Ablauf des programmierten AV-Delay erfolgt die vorhofgetriggerte Sti-
mulation der Kammer.

Ist eine Verlängerung des AV-Delays zur Unterstützung der


Kammereigenaktionen sinnvoll?

Aufgrund von wissenschaftlichen Daten gibt es Hinweise, dass sich ein unnötig hoher Anteil an rechtsventri-
kulärer Stimulation negativ auswirken kann. Vor allem bei Vorliegen einer Herzinsuffizienz hat dies auch
prognostische Bedeutung. Auch bei erhaltener linksventrikulärer Funktion kommt es jedoch durch einen ho-
hen rechtsventrikulären Stimulationsanteil zu einem vermehrten Auftreten von Vorhofflimmern und nach
164 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

neusten Daten auch zu einer Verschlechterung der Ventrikelfunktion. Neue Schrittmacheralgorithmen erlau-
ben einen automatischen Moduswechsel zwischen AAI und DDD-Stimulation, um überflüssige rechtsventri-
kuläre Stimulation zu vermeiden. Bei unserem Patienten zeigte die weitere Verlängerung des AV-Delays (AV-
Hysterese) weiterhin eine rechtsventrikuläre Stimulation.

LITERATUR
Vardas PE, Auricchio A, Blanc JJ, et al. Guidelines for cardiac pacing and cardiac resynchronization therapy: The Task Force
for Cardiac Pacing and Cardiac Resynchronization Therapy of the European Society of Cardiology. Developed in Collabo-
ration with the European Heart Rhythm Association. Europace 2007; 9: 959–98.

3 3.15  Dyspnoe und Leistungsschwäche bei Belastung


Hae-Young Sohn

KASUISTIK
Anamnese: Ein 62-jähriger Mann kommt in Ihre Praxis mit seit einigen Wochen bestehender Leistungsminderung und
Dyspnoe. Die Beschwerden traten initial vor allem beim Sport auf, zwischenzeitlich aber auch auf geringeren Belastungs-
stufen wie Treppensteigen, sodass der Patient zunehmend beeinträchtigt ist. Es bestehen keine Vorerkrankungen, keine
kardiovaskulären Risikofaktoren, keine typische Angina pectoris und auch keine klinischen Zeichen einer chronischen
Herzinsuffizienz.
Körperliche Untersuchung: Blutdruck am rechten Arm 140/90 mmHg, Herzfrequenz regelmäßig mit 60/min. Übrige
körperliche Untersuchung unauffällig.

Welche Untersuchungen würden Sie durchführen?

Das Ruhe-EKG (Sr, etc.) und die Echokardiographie zeigen Normalbefunde (keine diastolische Funktionsstö-
rung). Bei der Fahrrad-Ergometrie fällt Ihnen auf, dass der Patient bei 75 Watt einen kompletten Linksschen-
kelblock entwickelt, einhergehend mit Dyspnoe und abrupter Leistungsminderung. Die Belastung wurde we-
gen neu auftretendem Linksschenkelblock abgebrochen. Nach kurzer Ruhephase war der LSB vollständig
rückläufig.

Was ist Ihr nächster Schritt?

Es liegt eine positive Ergometrie bezüglich einer Ischämie vor. Es wird eine invasive Diagnostik vorgeschlagen.

Die Koronarangiographie zeigte einen Normalbefund ohne relevante Stenosen. Der Füllungsdruck im LV war leicht
erhöht (LV-end 16 mmHg).
Der Patient stellt sich nach wenigen Wochen erneut vor, weil die Symptome persistieren. Schwindelattacken oder synko-
pale Ereignisse werden explizit verneint. Sie beschließen, ein Langzeit-EKG durchzuführen.
Das Langzeit-EKG zeigte einen Sinusgrundrhythmus mit intermittierend kurzen Phasen von LSB. Insgesamt sind keine
längeren Pausen (> 3 s) nachzuweisen. Sie vermuten, dass die ausgeprägte Leistungsminderung auf einen Herzfrequenz-
assoziierten LSB zurückzuführen ist.
3.15  Dyspnoe und Leistungsschwäche bei Belastung 165

Wie können Sie Ihre Vermutung der LSB-assoziierten Leistungsminderung


objektivieren?

Eine Spiroergometrie (› Abb. 3.40; › Tab. 3.23) wäre eine Möglichkeit, um insgesamt die Leistungsfähig-
keit des Patienten zu objektivieren und gleichzeitig einzuordnen, inwiefern die Limitation eher kardial bzw.
pulmonal bedingt sein könnte.

KASUISTIK

Abb. 3.40  9-Felder-Grafik der Spiroergometrie


166 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Tab. 3.23  Wichtige Eckdaten der Spiroergometrie


Maximale Leistung 159 Watt (93% Soll)
Grund für Abbruch der Belastung Dyspnoe
Belastungsdauer 9 Minuten
Herzfrequenz von 74/min auf maximal 123/min
Blutdruck von 135/90 auf maximal 175/95 mmHg
Maximale Sauerstoffausnahme (V‘O2) 1521 ml/min (60% Soll)
V‘O2 bezogen auf Körpergewicht 17,1 ml/min/KG
V‘O2 bei anaerober Schwelle 835 ml/min (60% Soll)
V‘O2/maximale V‘O2 53% [60–80%]
3
Sauerstoffpuls (O2/Herzfrequenz) 12,4 ml (81% Soll)
Atemreserve 52% [35–20%]

Wie interpretieren Sie insgesamt den Befund? Ist der Patient kardial und
pulmonal ausbelastet?

Die Untersuchung wurde wegen Dyspnoe abgebrochen. Anstiege der Herzfrequenz und des Blutdrucks sind
adäquat und nicht pathologisch verändert. Der Patient ist kardial nicht ausbelastet (Herzfrequenz 79% Soll).
Pulmonal ist der Patient ebenfalls nicht ausbelastet, da die Atemreserve 52% beträgt.

Was besagt die Atemreserve; wie wird sie bestimmt?

Bei Gesunden ist bei kardialer Ausbelastung eine Atemreserve von ca. 25–30% erhalten. Die Atemreserve
bezieht sich dabei auf das MVV (maximales voluntäres Volumen, auch „Atemgrenzwert“). Das MVV wird in
den meisten Geräten anhand des forcierten exspiratorischen Volumens (FEV1) berechnet (FEV1 × 35). Bei
primär pulmonaler Limitation, z.B. bei fortgeschrittener COPD, kann die FEV1-bezogene Atemreserve unter
Belastung bereits „ausgeschöpft“ sein, bevor die Ziel-Herzfrequenz erreicht wird (z.B. 15%). Die Atemreserve
(breathing reserve, BR) wird auch in Panel 8 (› Abb. 3.40) dargestellt.

An welchen Daten der 9-Felder-Grafik der Spiroergometrie (nach Wassermann)


erkennen Sie vorwiegend eine kardiale bzw. eine pulmonale Limitation?

Die sogenannten kardiozirkulatorischen Parameter sind in › Abb. 3.40 in den Teilabbildungen 2, 3 und 5
dargestellt, während die vorwiegend ventilatorischen Parameter in den Teilabbildungen 1 sowie 7 und 8 ab-
gebildet sind (Einzelheiten zu ventilatorischer Limitation siehe weiterführende Literatur).
Eine im klinischen Alltag wichtige Kenngröße der Kardiozirkulation ist die maximale Sauerstoffaufnahme
(V’O2-max, ml/min/KG). Die V’O2-max liefert eine gute Übersicht über die kardiopulmonale Leistungsfähig-
keit eines Individuums und wird in %-Soll angegeben (verschiedene Normtabellen). Eine deutlich reduzierte
V’O2-max bzw. V’O2-AT (V’O2 zum Zeitpunkt der anaeroben Schwelle) ist ein schlechter Prognosemarker bei
Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz.
Der Patient hatte eine V’O2-max von 17,1 ml/min/KG und zeigt somit eine unterdurchschnittliche Leis-
tungsfähigkeit. Die anaerobe Schwelle liegt bei 53% der V’O2-max und liegt somit innerhalb der Norm. Bei
3.15  Dyspnoe und Leistungsschwäche bei Belastung 167

sehr gut trainierten Menschen wird die anaerobe Schwelle in Richtung V’O2-max verschoben (z.B. 80–90%
der V’O2-max). Bei Patienten mit fortgeschrittener COPD kann es vorkommen, dass die anaerobe Schwelle
gar nicht erreicht wird. Die anaerobe Schwelle kann durch die Interpretation von verschiedenen Kurven der
9-Felder-Grafik abgeschätzt werden. Eine serielle Laktatbestimmung ist daher nicht zwingend notwendig.

Welche Daten geben Ihnen Hinweise, dass eine kardiozirkulatorische Limitation


vorliegt, die durch den LSB verursacht wird (ausgeprägte Asynchronie)?

Wenn die pulmonale Sauerstoffaufnahme konstant bleibt (keine Diffusionsstörung), korreliert die pro Herz-
schlag transportierte Sauerstoffmenge gut mit dem Schlagvolumen. Dieser kardiozirkulatorische Parameter
wird in Abbildung 3.40, Panel 2 als „Sauerstoffpuls“ (als Sauerstoffaufnahme/Herzfrequenz, ml/Schlag) dar- 3
gestellt. Neben den Absolutwerten ist auch ein gleichmäßiger Anstieg des Sauerstoffpulses unter Belastung
zur Interpretation wichtig: Bei austrainierten Sportlern kommt es unter Belastung zu einem kontinuierlichen
Anstieg des Sauerstoffpulses, der die Normwerte (Normtabellen) üblicherweise deutlich übersteigt. Bei kar-
diozirkulatorischer Limitation kommt es hingegen typischerweise zu einer Abflachung bzw. Plateaubildung
der Sauerstoffpulskurve. Diese Plateaubildung ist allerdings nicht krankheitsspezifisch; so kann sowohl eine
Linksherzinsuffizienz als auch eine pulmonale Hypertonie eine Plateaubildung der Sauerstoffpulskurve be-
wirken.
Der Patient zeigt beginnend bei ca. 70 Watt bei einer Herzfrequenz von 80/min eine Plateaubildung der
Sauerstoffpulskurve (›  Abb. 3.40, Panel 2). Diese Phase trat zeitgleich mit dem Auftreten eines LSB
(› Abb. 3.41) und Beginn einer klinischen Symptomatik (Dyspnoe und Gefühl von Leistungsminderung)
auf.

Abb. 3.41  12-Kanal Belastungs-EKG


168 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Der Patient wurde infolgedessen mit einem Betablocker (Bisoprolol 5 mg/die) behandelt, um einen Herzfre-
quenzanstieg unter einer körperlichen Belastung soweit abzuschwächen, dass der frequenzabhängige LSB
möglichst nicht auftritt. Die Medikation führte in der Tat zu einer deutlichen Besserung der subjektiven Leis-
tungsfähigkeit und zur Normalisierung des Alltags. Eine Indikation für weitere elektrophysiologische Unter-
suchungen bestand nicht. Ebenfalls ist eine Indikation für eine kardiale Resynchronisation nicht gegeben.

LITERATUR
Kroidl RF, Schwarz S, Lehnigk B. Kursbuch Spiroergometrie. Stuttgart: Thieme; 2010.

3 3.16  Eingeschränkte Belastbarkeit


Ralph Hein

KASUISTIK
Eine 36-jährige Frau stellt sich in Ihrer kardiologischen Praxis vor. Seit ungefähr einem halben Jahr bemerkt sie eine zu-
nehmend eingeschränkte Ausdauer im Rahmen des regelmäßig durchgeführten Ausdauersports (ca. 1–2 Mal pro Woche
Jogging) und fühlt sich oft müde. Bei einer Blutuntersuchung des Hausarztes ergaben sich keine Auffälligkeiten. In der
Familie seien zudem keine Herzerkrankungen bekannt. Bislang war die junge Frau immer gesund gewesen. In der körper-
lichen Untersuchung fällt – besonders im Sitzen – ein 2⁄6 -Systolikum im 2. ICR parasternal links, sowie eine fixierte
Spaltung des 2. Herztons auf. Das EKG zeigt einen inkompletten Rechtsschenkelblock.

Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose?

Anamnese, Untersuchungsbefund und EKG sind mit der Verdachtsdiagnose Vorhofseptumdefekt (ASD) ver-
einbar. Hierbei kommt es durch einen Shunt auf Vorhofebene zu einer Rechtsherzüberlastung, was die ge-
schilderte Symptomatik bedingen kann. Durch das erhöhte rechtsventrikuläre Volumen und die prolongierte
Auswurfphase resultieren in vielen Fällen eine Flussbeschleunigung über der Pulmonalklappe, sowie eine
atmungsunabhängige Spaltung des 2. Herztons. Ein inkompletter Rechtsschenkelblock kann in jungem Alter
sowohl physiologisch, als auch Ausdruck einer Rechtsherzbelastung sein.

Welche verschiedenen ASD-Typen kennen Sie?

Anatomisch können folgende Typen unterschieden werden:


• A
 SD vom Secundum-Typ, in der Region der Fossa ovalis (mit 75–80% häufigster Defekt)
• A
 SD vom Primum-Typ, inferior, nahe der Crux cordis (15–20%)
• A
 SD vom Sinus-venosus-Typ, nahe dem Eintritt der Vena cava superior oder Vena cava inferior (5–10%)
• A
 SD vom Koronarsinus-Typ (< 1%)
Nicht selten werden beim ASD vom Secundum-Typ multiple kleine atriale Septumdefekte beobachtet (multi-
fenestrierter ASD). Ein ASD vom Primum-Typ ist in der Mehrzahl aller Fälle ein atrioventrikulärer Defekt,
der mit einer Spaltung des anterioren Mitralsegels einhergeht. Bei einem ASD vom Sinus-venosus-Typ
kommt es oftmals zu einer partiellen Fehlmündung der rechten Pulmonalvenen in den rechten Vorhof. Ein
persistierendes Foramen ovale (PFO) ist eine Kurzschlussverbindung auf Vorhofebene, die anatomisch kei-
nem der o.g. Typen zugeordnet werden kann. Das PFO ist eine schlitzförmige interatriale Verbindung, die
auf der einen Seite vom Septum primum, auf der anderen Seite vom Septum secundum begrenzt wird und
durch fehlende Fusion beider Septen während der Perinatalperiode bestehen bleibt.
3.16  Eingeschränkte Belastbarkeit 169

Gelegentlich finden sich Vorhofseptumdefekte auch im Rahmen chromosomaler oder genetischer Syndrome
(Down-, Noonan-, Holt-Oram-Syndrom).

Wie können sich Symptome äußern?

Bis zum Erwachsenenalter können Symptome komplett fehlen und ein ASD übersehen werden, da hier die
typischen Herzgeräusche oft noch nicht auskultierbar sind. Im Erwachsenenalter zeigen sich am häufigsten
Belastungsdyspnoe, Palpitationen, Müdigkeit und rezidivierende pulmonale Infektionen. Ebenso können pa-
radoxe Embolien – am häufigsten bei Vorliegen eines PFO – auftreten. In fortgeschrittenem Stadium treten
nicht selten Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflattern, Vorhofflimmern oder ein Sinusknotensyndrom auf.
Große Vorhofseptumdefekte führen unbehandelt zu einem pulmonalen Hypertonus durch pulmonal-vasku- 3
läre Widerstandserhöhung und entsprechenden (oft therapieresistenten) Symptomen. Kleine ASD (< 10 mm)
können lange unbemerkt bleiben, werden im höheren Lebensalter jedoch aufgrund einer eingeschränkten
Compliance des linken Ventrikels und daraus resultierendem größeren Shuntvolumen oft klinisch relevant.

Wie stellt sich die Indikation zur invasiven Therapie?

Folgende Indikationen gelten als gesichert (Warnes et al. 2008, Baumgartner et al. 2010):
• Z eichen der rechtskardialen Volumenüberladung (vergrößerte rechte Herzhöhlen), unabhängig von der
Symptomatik (Klasse I, Evidenzgrad B)1
• P ulmonaler Blutfluss/systemischer Blutfluss (Qp/Qs) > 1,5 in der Rechtsherzkatheteruntersuchung (IIaC)
• P ulmonal-arterieller Druck weniger als 2⁄3 des system-arteriellen Druck, pulmonal-vaskulärer Widerstand
weniger als 2⁄3 des systemischen Widerstands, oder Ansprechen auf einen pulmonalen Vasodilatator oder
Probeokklusion (IIaC)1
• O kkluder-Verschlusssysteme sind die Therapie der Wahl bei ASD vom Secundum-Typ, wenn anwendbar
(IC)
• P aradoxe Embolisation (IIaC)
• D okumentierte Orthodeoxie/Platypnoe (Abfall der Sauerstoffsättigung in Abhängigkeit von der Körper-
position) (IIaB)
• E in ASD-Verschluss darf bei Patienten mit Eisenmenger-Syndrom nicht durchgeführt werden (IIIC)

Welche Verfahren existieren, um einen ASD zu verschließen?

Operation: Der operative ASD-Verschluss erfolgt mittels Patch-Plastik oder direktem Nahtverschluss via
rechtsseitiger Thorakotomie, Sternotomie oder neuen Mini-Thorakotomie-Verfahren. Begleitende Anomali-
en können und sollten während der Prozedur korrigiert werden, z.B. in Form einer Korrektur begleitender
Pulmonalvenenfehlmündungen, Trikuspidalklappen-Reparatur oder einer Maze-Prozedur bei begleitendem
Vorhofflimmern oder -flattern. Solange keine pulmonale Hypertonie oder andere schwere Begleiterkrankun-
gen vorliegen, ist die perioperative Mortalität niedrig (< 1%), das Langzeit-Outcome hervorragend und führt
meist zu einer deutlichen Verbesserung oder Sistieren der initialen Symptomatik.

1 In den ESC-Leitlinien wird in diesen Punkten zusätzlich zwischen Patienten mit einem pulmonal-vaskulären Widerstand kleiner
bzw. größer gleich 5 WU unterschieden (Baumgartner et al. 2010).
170 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Kathetergesteuerte Schirmimplantation: Hierbei wird via Femoralvene, Vena cava inferior, rechtem Vor-
hof der ASD sondiert und ein Katheter unter TEE- (oder intrakardialem Ultraschall) und Fluoroskopie-Kon-
trolle im linken Atrium positioniert. Nach Vermessung des Defekts mit einem Ballon (engl.: stretch diame-
ter), wird die linksatriale Scheibe des Doppelschirm-Verschlusssystems im linken Vorhof entfaltet und an
das interatriale Septum angelegt, wobei der Defekt komplett abgedeckt werden sollte. Bei adäquater Position
der linksatrialen Scheibe wird konsekutiv auch die rechtsatriale Scheibe eröffnet. Mittlerweile wurden ver-
schiedene Okkludersysteme für den perkutanen ASD-Verschluss zugelassen (Hein et al. 2005).
Anmerkung: Patienten, bei denen ein ASD-Verschluss vor dem 25. Lebensjahr erfolgt, haben eine norma-
le Lebenserwartung.

3 Welche ASD-Typen sollten bzw. müssen operiert werden?

Ein ASD vom Primum-, Sinus-venosus-, oder Koronarsinus-Typ sollte in jedem Fall operativ versorgt wer-
den (IIaC), ebenso wie Patienten mit operationsbedürftigen kardialen Anomalien. Patienten mit ASD vom
Secundum-Typ und Kontraindikation zu einer perkutanen Intervention (z.B. fehlendes Septumgewebe am
anterioren oder posterioren Defektrand) bzw. Patienten bei denen eine Trikuspidalklappenoperation not-
wendig ist, sollten ebenfalls operiert werden (IIaC).

Welche ASD-Typen sollten interventionell verschlossen werden?

Anatomisch unkomplizierte ASD vom Secumdum-Typ sollten interventionell verschlossen werden. Voraus-
setzung ist ein Defektdiameter < 38 mm während der Ballonmessung und ein Rand > 5 mm (Ausnahme:
aortaler Defektrand). Die damit verbundenen peri- und postinterventionellen Komplikationsraten sind nied-
rig (schwere Komplikationen ≤1%). Sofern genügend Abstand zwischen den Defekten vorhanden ist
(> 7 mm) können auch multiple ASD während einer Prozedur verschlossen werden. Im Fall zwei nahe gele-
gener Defekte, ist oft auch ein einzelnes Schirmsystem zur Abdeckung beider Defekte geeignet.

Welche Untersuchungen sollten Sie bei der Patientin primär durchführen?


Welche morphologischen Kriterien gilt es vor Verschluss des Defekts zu
evaluieren?

• B ei grenzwertiger Indikation (z.B. kleiner ASD, grenzwertige rechte Herzhöhlen oder bei diskrepanten Befun-
den zwischen Symptomatik und Diagnostik) kann eine Stresstestung sinnvoll sein. Bei Patienten mit pulmona-
ler Hypertonie können mit dieser Methode auch Veränderungen in der Sauerstoffsättigung erfasst werden.
• D as TEE ist die primäre diagnostische Modalität, um einen interatrialen Shunt (Colour-Doppler-Modus)
und eine rechtskardiale Volumenüberladung zu evaluieren. Hierbei sollten die üblichen Standardschnitte
verwendet werden, mit besonderem Augenmerk auf subkostale Schnitte in tiefer Inspiration. Es gilt das
gesamte Septum, von der Einmündung der Vena cava superior bis zur Mündung der Vena cava inferior
darzustellen. Bei der Beurteilung einer rechtskardialen Belastung, sollten die rechten Herzhöhlen vermes-
sen werden. Weitere Anhaltspunkte sind eine paradoxe Bewegung des interventrikulären Septums mit
diastolischer Abflachung, sowie die Abschätzung des rechtsventrikulären Drucks anhand der systolischen
Spitzengeschwindigkeit über dem Trikuspidalklappenregurgitationsjet.
• Z ur exakten Beurteilung von Defektgröße und der Morphologie angrenzender Strukturen sowie um die
Insertationsstellen aller Pulmonalvenen erkennen zu können, ist ein TEE bzw. 3D-TEE sinnvoll. Speziell
bei komplexen ASD-Defekten (AVSD, Koronarsinus-Defekt) mit assoziierten intrakardialen Anomalien,
3.16  Eingeschränkte Belastbarkeit 171

bei der Vitiendiagnostik oder z.B. bei der Vermessung eines PFO-Tunnels liefert ein TEE – aufgrund der
besseren Bildqualität – eine präzise Information.
• E in Kardio-MRT liefert zwar detailreiche Informationen zur kardialen Anatomie und ebenso sind Be-
rechnungen von RV-Funktion und Shuntvolumen möglich, es wird jedoch nur im Falle schlechter Visua-
lisierungsmöglichkeiten mittels Ultraschall empfohlen.
Unabhängig von der Visualisierungsmodalität muss bei der Vorbereitung auf einen ASD-Verschluss eine ex-
akte Vermessung des Defekts und anliegender Strukturen erfolgen. Es sollte der maximale Defektdurchmesser
bestimmt werden, sowie der vordere und hintere Septumrand in verschiedenen Ebenen vermessen werden.
Voraussetzungen für eine interventionelle Behandlung des ASD sind ein maximaler aufdehnbarer Durchmes-
ser des Defekts < 38–40 mm und ausreichender Abstand (Randsaum ≥ 5 mm) vor allem zur freien Vorhof-
wand und den AV-Klappen.
3

Ist eine routinemäßige diagnostische Herzkatheteruntersuchung vor einem


geplanten ASD-Verschluss notwendig?

Nein. Nur Patienten, die aufgrund ihres Alters möglicherweise begleitend eine koronare Herzerkrankung
aufweisen, oder Patienten ohne suffiziente nicht-invasive Diagnostik sollten einer Herzkatheteruntersuchung
zugeführt werden (Klasse IIIB).

Gibt es ASD, die nicht verschlossen werden müssen bzw. dürfen?

Patienten mit einen Defekt < 5 mm ohne Nachweis von Symptomen und ohne Zeichen der Rechtsherzbelastung
benötigen normalerweise keinen Defektverschluss aufgrund des benignen Spontanverlaufs. Patienten mit
schwerer, irreversibler pulmonal-arterieller Hypertonie und ohne Nachweis eines Links-rechts-Shunts (Druckan-
gleich) sollten keinen ASD-Verschluss erhalten (Klasse III) und maximal medikamentös behandelt werden.
Spezielle Kontraindikationen beim perkutanen Defektverschluss:
• P atienten mit kongenitalen oder erworbenen kardialen Anomalien, die ohnehin ein chirurgisches Vorge-
hen rechtfertigen
• P atienten mit Sepsis innerhalb eines Monats vor Intervention, oder Patienten mit aktiver systemischer
Infektion
• P atienten mit Blutungsneigung, gastrointestinalen Ulzerationen, oder anderen Kontraindikationen ge-
genüber einer 6-monatigen antithrombozytären Therapie
• P atienten mit intrakardialem Thrombus
• P atienten deren Defektrand weniger als 5 mm von einer AV-Klappe, dem Koronarsinus oder der rechten
oberen Pulmonalvene entfernt ist
• P atienten mit bekannter Nickelallergie
• P atienten mit Kontraindikationen gegenüber der Durchführung eines TEEs (z.B. Ösophagusstenose,
-divertikel) oder gegenüber der Katheterprozedur selbst (z.B. komplizierter Gefäßzugang).

Welche Komplikationen können während und/oder nach interventioneller


Schirmimplantation auftreten?

• R estshunt
• O kkluderembolisation, Luftembolisation
• O kkluderfraktur
172 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

• P erikarderguss/-tamponade, Myokardruptur, Dissektion


• E rosion der atrialen Wand oder Aortenwurzel durch den Okkluder
• O kkludermalpositionierung
• B ehinderung/Beeinträchtigung umliegender Strukturen (z.B. AV-Klappen, Pulmonalvenen etc.)
• H ämolyse
• O kkluderthrombose, Thrombusembolisation
• E ndokarditis (in den ersten 6 Monaten)
• A rrhythmien, Leitungsblockierungen.

Welche Komplikationen können während und/oder nach einer ASD-Operation


3 auftreten?

• P erikarderguss/-tamponade
• R estshunt
• R echtsventrikuläre systolische und diastolische Dysfunktion
• M itral- oder Trikuspidalklappeninsuffizienz
• A rrhythmien
• P ulmonalvenen-Stenose oder Cava-Venen-Stenose (Sinus-venosus-Defekt)
• P ostperikardiotomie-Syndrom.

Im TEE der Patientin zeigen sich vergrößerte rechte Herzhöhlen und ein gut sichtbarer interatrialer Defekt ohne weitere
begleitende intrakardiale Anomalien. Systolischer Spitzengradient über der Trikuspidalklappe 40 mmHg + ZVD. Im 3D-
TEE findet sich ein suffizienter Defektrand (› Abb. 3.42).

Abb. 3.42  Links: TEE-Bild mit intermediärer Schnittführung. Längsachsendarstellung der oberen Hohlvene (VCS). Atrialer Septum-
defekt vom Secundum-Typ (Pfeil). Mitte: Ausgeprägter Links-Rechts-Shunt auf Vorhofebene im synchronen farbkodierten Doppler-
verfahren mit zentralem Farb-Alias nach gelb durch die relativ hohe Shuntflussgeschwindigkeit. Rechts: Linksatrialer Blick im 3D-
TEE auf den Defekt mit der Möglichkeit einer Vermessung des Abstands zu angrenzenden Strukturen.
3.16  Eingeschränkte Belastbarkeit 173

Welche Therapie würden Sie vorschlagen?

In Zusammenschau der Befunde (Alter, Symptome, Nachweis einer Rechtsherzbelastung, intrakardiale Anatomie)
ist – falls keine anderen Kontraindikationen bestehen – eine kathetergestützte Okkluderimplantation sinnvoll.

In der Rechtsherzkatheteruntersuchung zeigt sich ein Qp/Qs-Quotient von 1,6. Es wird komplikationslos ein Amplatzer-
Verschlusssystem eingesetzt (› Abb. 3.43, › Abb. 3.44, › Abb. 3.45).

Abb. 3.43  3D-TEE mit linksatrialem Blick auf den Amplatzer-


Okkluder während der Implantationsprozedur (Pfeil).

Abb. 3.45  Darstellung des Amplatzer-Okkluders im Röntgen


des Thorax a.p.

Abb. 3.44  TEE mit intermediärer Schnittführung. Biplane Darstellung des Vorhofseptums während der Implantationsprozedur des
Amplatzer-Okkluders
174 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Was gilt es nach erfolgter Schirmimplantation zu beachten?

• 6 Monate mindestens ASS-Therapie (Hein et al. 2005) (üblicherweise ASS + Clopidogrel), danach ist die
Endothelialisierung des Okkluders meist komplett.
• R egelmäßige kardiologische Nachuntersuchungen inklusive Evaluation eines Restshunts, Dokumentation
der Größe von rechtem Vorhof und Ventrikel, sowie Trikuspidalklappenregurgitation und pulmonal-arteri-
ellem Druck im UKG und ebenso Verlaufs-EKGs (ggf. Holter-EKG) zum Ausschluss etwaiger Arrhythmien.
• T ypische Nachuntersuchungsintervalle (ohne Restshunt oder andere Komplikationen): 4 Wochen, 6 Mo-
nate, 12 Monate, danach alle 2-4 Jahre.
• T ypische Spätkomplikation: atriale Tachykardie/-arrhythmie. Cave: transseptale Punktion bzgl. Ablati-
onsverfahren nicht mehr möglich!
3 • E ndokarditisprophylaxe innerhalb der ersten 6 Monate nach Implantation.
• K eine Restriktionen bzgl. sportlicher Aktivität bei asymptomatischen Patienten ohne pulmonale Hyperto-
nie, ohne Arrhythmien oder rechtsventrikuläre Dysfunktion.
• E in Okkluder in situ ist keine Kontraindikation für eine zukünftige Schwangerschaft bei asymptomati-
schen Patientinnen.
• R ücksprache mit den Radiologen/Okkluderhersteller bzgl. der MRT-Kompatibilität.
LITERATUR
Baumgartner H, Bonhoeffer P, De Groot NM, et al. ESC Guidelines for the management of grown-up congenital heart di-
sease (new version 2010): The Task Force on the Management of Grown-up Congenital Heart Disease of the European
Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J. 2010; 31: 2915–57.
Hein R, Buescheck F, Fischer E, et al. Atrial and Ventricular Septal Defects Can Safely Be Closed by Percutaneous Interventi-
on. J Interv Cardiol. 2005, 18(6): 515–22.
Warnes CA, Williams RG, Bashore TM, et al. ACC/AHA 2008 guidelines for the management of adults with congenital heart
disease: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines
(Writing Committee to Develop Guidelines on the Management of Adults With Congenital Heart Disease). Developed in
Collaboration With the American Society of Echocardiography, Heart Rhythm Society, International Society for Adult Con-
genital Heart Disease, Society for Cardiovascular Angiography and Interventions, and Society of Thoracic Surgeons. J Am
Coll Cardiol. 2008; 52(23): e1–121.

3.17  Zunehmende Dyspnoe und Müdigkeit


Andreas König

KASUISTIK
Ein 55-jähriger Patient stellt sich mit zunehmender Atemnot in der kardiologischen Ambulanz Ihrer Klinik vor. Er habe
bereits in den letzten Monaten über zunehmende Kurzatmigkeit und Müdigkeit geklagt. Der überweisende Hausarzt hat
bei Strömungsgeräuschen über dem Herzen den V.a. ein Herzklappenvitium.
Der körperliche Untersuchungsbefund lautet: 165 cm, 75 kg, reduzierter Allgemeinzustand. Keine Zyanose, periphe-
re Ödeme. RR: 150/70 mmHg, Frequenz 90/min, Atemfrequenz 18/min. Keine Jugularvenenstauung. Cor: 3⁄6 -Diastolikum
sowie betonter 1. Herzton über der Herzspitze. Pulmo: Klopfschall sonor, Vesikuläratmung; An Vorerkrankungen sind
bekannt: arterielle Hypertonie, paroxysmales Vorhofflimmern.

Wie gehen Sie bei dem Patienten diagnostisch zunächst vor?

• L abor: Blutbild, Harnstoff, Kreatinin, Elektrolyte, Myokardmarker


• E KG: Hypertrophiezeichen? ST-Senkung, T-Negativierung
3.17  Zunehmende Dyspnoe und Müdigkeit 175

• R öntgen-Thorax: bei Dekompensation Linksherzverbreiterung, pulmonale Stauung


• E chokardiographie: Quantifizierung der Klappenvitien.

Befunden Sie bitte das Aufnahme-EKG (› Abb. 3.46).

Abb. 3.46  Aufnahme-EKG

Sinusrhythmus, Rechtstyp, Frequenz 90/min, P mitrale (P verbreitert und doppelgipflig in Abl. I, biphasisch
in V1). Zeichen der rechtsventrikulären Hypertrophie.

Ein Rechtstyp ist ein eher seltener Befund. Wie können Sie feststellen, dass das
EKG nicht verpolt ist?

Eine positive p-Welle in Ableitung I bei SR spricht für eine korrekte Ableitung der Armelektroden.

Befunden Sie die folgende Röntgenaufnahmen des Thorax (› Abb. 3.47).

Deutliche Vergrößerung des linken Vorhofs, Einengung des Retrokardialraums sowie Aufspreizung der Tra-
chea. Vergrößerter Herzschatten. Aortenelongation und Aortensklerose. Keine Stauungszeichen, keine Infil-
trate, Interlobärerguss. Insgesamt mitralkonfiguriertes Herz.

Echokardiographie: Aortenwurzel normal weit (32 mm), Aortenklappe: altersentsprechend, Öffnungsbewegung nor-
mal, keine Insuffizienz, keine Stenose. Rechter Vorhof: gering vergrößert (visuell beurteilt); linker Vorhof: deutlich vergrö-
ßert (63 mm); rechter Ventrikel: vergrößert; linker Ventrikel: normale Größe (LVED: 47,5 mm, LVES: 32,4 mm), Wanddi-
cken normal (IVS: 8,9 mm, LHW: 8 mm), systolische Global-Funktion noch normal (planimetrische EF ∼55%), paradoxe
Septumbewegung; Mitralklappe: deutlich verdickt, Bewegung verändert, geringe Insuffizienz, Stenose: Vmax: 2,5 m/s,
dpmax: 25 mmHg, PHT (pressure half time): 280 ms, Mitralklappenöffnungsfläche: 0,8cm2 (berechnet über PHT nach der
Formel 220/PHT); Trikuspidalklappe: altersentsprechend, Bewegung normal, deutliche Insuffizienz, dpmax RV/RA:
64 mmHg.
176 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Abb. 3.47  Röntgen-Thorax

Welcher Schweregrad einer Mitralklappenstenose liegt bei unserem Patienten


vor?

1. leicht: mittlerer Gradient < 5 mmHg, MÖF > 1,5 cm2


2. mittelgradig: mittlerer Gradient 5–10 mmHg, MÖF > 1,0–1,5 cm2
3. schwer: mittlerer Gradient > 10 mmHg, MÖF < 1,0 cm2

Welche Symptome würden Sie bei einem Patienten mit Mitralklappenstenose


erwarten?

Leistungsminderung, Belastungsdyspnoe, Atemnot in Ruhe, Symptomverstärkung durch Tachy­kardie/


Vorhofflimmern, evtl. embolische Komplikationen bei Vorhofflimmern.

Was ist die Ätiologie der Mitralklappenstenose?

Es handelt sich um den klassischen rheumatischen Herzklappenfehler, allerdings mit abnehmender Häufig-
keit in den Industrieländern. Zwei Drittel der Patienten sind weiblich.
Seltene Ursachen: Z.n. Endokarditis, kongenital, Karzinoid, SLE, Morbus Fabry, Morbus Whipple, Muko-
polysaccharidosen.

Erklären Sie die Pathophysiologie der Mitralklappenstenose

Bei rheumatischem Fieber als Ursache kommt es nach entzündlichen Prozessen zu einer Verdickung und Kalzifi-
zierung der Klappen; die Verschmelzung der Kommissuren und des Mitralklappenhalteapparats führt zur Steno-
sierung. Der transmitrale diastolische Druckgradient führt zu einer Drucksteigerung im linken Vorhof und Ein-
schränkung der linksventrikulären Füllung und des Herzzeitvolumens (HZV). Infolge der erhöhten pulmonal-ve-
3.17  Zunehmende Dyspnoe und Müdigkeit 177

nösen Drücke kann es zum Lungenödem kommen. Bei chronischer Mitralstenose kommt es zur Vasokonstriktion
und Wandhypertrophie der Pulmonalarterien/-arteriolen mit Entwicklung einer pulmonalen Hypertonie und in-
folge Rechtsherzbelastung. Die Vorhofvergrößerung begünstigt Vorhofflimmern. Durch den Wegfall der atrialen
Kontraktion wird das HZV weiter reduziert. Das Risiko für Thrombenbildung und systemische Embolien steigt.

Wie sind die Mitralklappenstenose und die Symptomatik verknüpft?

Der transmitrale Gradient hängt von der Flussrate und der diastolischen Füllungszeit ab. Symptome entwi-
ckeln sich daher bei Belastung oder Vorhofflimmern. Es besteht eine exponenzielle Beziehung zwischen dem
transvalvulären Druckgradienten und dem Mitralfluss sowie eine relativ gute Korrelation zwischen der Mit-
ralklappenöffnungsfläche MÖF und der Klinik der Patienten. Die MÖF beträgt normalerweise 4–5 cm2. Ab 3
einer MÖF < 2,5 cm2 sind Beschwerden zu erwarten.

Welche Besonderheiten erwarten Sie bei den weiteren technischen


Untersuchungen?

• T ransösophageale Echokardiographie (› Abb. 3.48): Thromben im linken Vorhof oder Vorhofohr.


• I nvasive Diagnostik: erhöhte Druckwerte im kleinen Kreislauf, Druckgradient zwischen pulmonal-kapil-
lärem Verschlussdruck und linksventrikulärem Füllungsdruck.

Transösophageales Echokardiogramm: Linker/rechter Vorhof/Vorhofohr: kein Thrombus, linker Vorhof vergrößert.


Trotz Sinusrhythmus nur schwacher Fluss im Vorhofohr (pw-Doppler: 0,2 m/s). Vorhofseptum: Kein H.a. einen Shunt auf
Vorhofebene im Farbdoppler. Mitralklappe: deutlich verdickt mit sehr geringer Öffnungsbewegung (MÖF: 1 cm2), mäßige
Insuffizienz, PHT: 198 ms, Vmax: 2,7 m/s. Wilkins-Score: ca. 14 Pkt. Eine Rekonstruktion oder MK-Sprengung erscheint
daher nicht vielversprechend.

Welche Kriterien gehen in den Wilkins-Score ein?

Mobilität, Grad der Verkalkung, Dicke der Klappen, Beteiligung des Halteapparats.

Benötigen Sie weitere invasive


Diagnostik?

Die invasive Diagnostik zur Graduierung des Viti-


ums ist bei eindeutigen echokardiographischen Be-
funden nicht notwendig, jedoch bei Diskrepanzen
zwischen klinischem und echokardiographischem
Befund (Klasse IIa). Lävokardiographie und Koro-
narangiographie werden vor Eingriffen (Sprengung
oder OP) empfohlen (Klasse I), außer bei sehr jungen
Patienten.
Abb. 3.48  Transösophageale Echokardiographie mit Beispiel
für einen Thrombus im Vorhofohr. Die Mitralklappe ist deutlich
verdickt
178 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Lävokardiographie in zwei Ebenen: Die biplan durchgeführte Lävokardiographie zeigt einen vergrößerten linken
Ventrikel mit normaler Funktion (EF > 60%). Keine relevanten Kontraktionsstörungen. Keine relevante Mitral­
insuffizienz.
Rechtsherzkatheter: Schwere pulmonale Hypertonie mit fast systemischen Drücken (PAs/d/m: 100/43/65 mmHg; PCm/
v-Welle 30/40 mmHg); berechnete MÖF: 0,7 cm2.
Selektive Koronarangiographie: Die selektive Darstellung der linken Herzkranzarterie zeigt einen unauffälligen
Hauptstamm. Der Ramus descendens anterior zeigt Wandunregelmäßigkeiten. Der Ramus circumflexus zeigt Wandunre-
gelmäßigkeiten und distal eine 30% Stenose. Ebenso zeigt die rechte Herzkranzarterie nur Wandunregelmäßigkeiten
ohne Stenosen.

Welche Therapieoptionen gibt es bei der Mitralklappenstenose?


3
• D iuretika, bei Vorhofflimmern Frequenzkontrolle (Digitalis, Kalziumantagonisten, Betablocker) und
• A ntikoagulation (auch bei Sinusrhythmus mit Z.n. Embolie)
• V alvuloplastie (Klappensprengung)
• K lappenrekonstruktion/-ersatz.

Nennen Sie Indikationen zur Mitralklappenvalvuloplastie

• S ymptomatische Patienten (NYHA II–IV), MÖF < 1,5 cm2, geeignete Klappenmorphologie (Klasse I).
• Asymptomatische Patienten, MÖF < 1,5 cm2, pulmonale Hypertonie in Ruhe (PA-Druck > 50 mmHg)
oder unter Belastung (PA-Druck > 60 mmHg). (Klasse I).
Kontraindikation ist eine relevante begleitende Mitralklappeninsuffizienz und/oder ungünstige Klappen-
morphologie.

Beschreiben Sie die Durchführung einer Mitralklappenvalvuloplastie

Zunächst Einführen eines Pigtail-Katheters in den linken Ventrikel sowie eines Rechtsherzkatheters in die
Pulmonalarterie mit Berechnung des transmitralen Gradienten und der Klappenöffnungsfläche sowie Lävo-
kardiogramm zur Beurteilung der Mitralinsuffizienz.
Nach transseptaler Punktion (› Abb. 3.49a) wird der Inoue-Ballonkatheter (› Abb. 3.49b) im lin-
ken Atrium platziert. Nach Vorführen über die Mitralklappe wird der Ballon aufgedehnt. Danach erfolgt
eine erneute Bestimmung des transmitralen Gradienten, der Klappenöffnungsfläche sowie der Mitralin-
suffizienz.

Welche Resultate sind von einer erfolgreichen Mitralklappenvalvuloplastie  


zu erwarten?

Eine erfolgreiche Mitralklappenvalvuloplastie führt im Schnitt zu einer Verdopplung der Mitralklappen-Öff-


nungsfläche bzw. zu einer 50- bis 60%igen Abnahme des transvalvulären Gradienten.
Die Mortalität liegt unter 1%; es besteht eine 80- bis 95%-ige Erfolgsrate (MK-Öffnungsfläche > 1,5 cm2
und LA-Druck < 18 mmHg).
3.17  Zunehmende Dyspnoe und Müdigkeit 179

Abb. 3.49  links: transseptale Punktion; rechts: Platzierung des Ballonkatheters

Nennen Sie Komplikationen der Mitralklappenvalvuloplastie

• N eue relevante Mitralklappeninsuffizienz in 2–10% der Fälle (meist OP-bedürftig)


• R elevanter residualer Vorhofseptumdefekt in < 5%
• E mbolische Komplikationen

Nennen Sie Indikationen zum Mitralklappenersatz bzw. -rekonstruktion.

1. Symptomatischer Patient (NYHA III und IV) mit MS (MÖF < 1,5 cm2) und für MVP nicht geeigneter
Morphologie (Klasse I) .
2. Symptomatischer Patient (NYHA II) mit schwerer MS (MÖF < 1,0 cm2) und schwerer pulmonaler
(> 60 mmHg) Hypertonie (Klasse IIa).
Sie ist indiziert bei für die Valvuloplastie nicht geeigneter Mitralklappenmorphologie (einschließlich beglei-
tender relevanter Mitralklappeninsuffizienz), klinisch gelten ansonsten die gleichen Kriterien wie bei der Val-
vuloplastie (› Abb. 3.50).
Die Indikationen für eine Intervention orientieren sich an der Klappenöffnungsfläche und der Klinik des
Patienten. Bei Patienten mit NYHA III–IV (MÖF > 1,5 cm2) und fehlendem belastungsinduziertem Druckan-
stieg (PA > 60 mmHg, Wedge ≥ 25 mmHg) können andere Ursachen vorliegen. Bei asymptomatischen Patien-
ten mit schwerer Mitralstenose (MÖF ≤1,5 cm2 sowie PA-Druck > 50 mmHg) wird, sofern keine anderen
pulmonalen Erkrankungen vorliegen, bei geeigneter Morphologie eine Valvuloplastie (Klasse I) empfohlen.
180 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Mitralstenose

Anamnese, körperliche Untersuchung,


Röntgen-Thorax, EKG, Echokardiographie

Symptomatisch, NYHA II Symptomatisch, NYHA III, IV

3
MÖF > 1,5 cm2 MÖF ≤ 1,5 cm2 MÖF > 1,5 cm2 MÖF ≤ 1,5 cm2

Belastung: Belastung:
PA-Druck > 60 mmHg PA-Druck > 60 mmHg
Wedge ≥ 25 mmHg Wedge ≥ 25 mmHg

nein ja ja

Jährliche Valvuloplastie
Kontrolle möglich?

ja ja ja ja nein nein nein

Hohes PA-Druck
Op-Risiko? > 60–80 mmHg

ja nein ja nein

Klasse IIB Klasse I Klasse IIa Klasse I Klasse IIa

Ggf. Kommissurotomie, ½-Jährliche


Ggf. Valvuloplastie
Mitralklappenersatz Kontrolle

Abb. 3.50  Flussdiagramm Mitralstenose modifiziert nach ACC/AHA (MÖF = Mitralklappenöffnungsfläche)

Welche Klappenart würden Sie empfehlen?

Prinzipiell mechanische Klappe.

LITERATUR:
2008 Focused Update Incorporated Into the ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients with Valvular Heart
Disease. J Am Coll Cardiol 2008; 52: e1–e142.
http://content.onlinejacc.org/cgi/content/full/52713/e1
3.18  Dyspnoe, Leistungsschwäche und Beinödeme 181

3.18  Dyspnoe, Leistungsschwäche und Beinödeme


Volker Klauss

KASUISTIK
Ein bei Erstkontakt 49-jähriger Patient wurde von der nephrologischen Ambulanz des Klinikums auf die kardiologische
Station eingewiesen.
Der Patient schildert eine seit einem Jahr zunehmende Belastungsdyspnoe beim schnellen Laufen und Treppensteigen
sowie eine Zunahme des Bauchumfangs. Seit ca. 6 Monaten werden außerdem Unterschenkelschwellungen bei längerem
Sitzen, verbunden mit einem Stauungsgefühl im Bauch beobachtet. Gewichtszunahme um 8 kg auf 88 kg in diesem
Zeitraum bei gleichbleibender Ernährung. Keine belastungsabhängigen Brustschmerzen.
Der Patient war bis vor einem Jahr bis zum Auftreten eines fieberhaften Infekts sehr sportlich gewesen. Damals seien
Pleura- und Perikardergüsse sowie ein diskreter Aszites diagnostiziert worden, die sich unter körperlicher Schonung
spontan wieder zurückgebildet hätten. Keine weiterführende Diagnostik damals. Subjektiv kein Fieber seitdem. 3
An kardiovaskulären Risikofaktoren bestehen eine labile arterielle Hypertonie sowie eine Hypercholesterinämie. Anam-
nestisch ist außerdem ein Asthma bronchiale bekannt, bei Bedarf behandelt mit Beta-Sympathomimetika.
Keine regelmäßige weitere Medikamenteneinnahme aktuell.
In dem von der nephrologischen Ambulanz erhobenen Labor waren pathologisch: Gamma-GT mit 111 U/l (Norm bis
80 U/l), APH mit 201 U/l (Norm bis 190 U/l), Quick 69% (Norm 70–120%), CRP 0,78mg/dl (Norm < 0,50 mg/dl). U-
Status unauffällig. Kein Hinweis auf eine Autoimmunerkrankung. Negativer Tuberkulintest.
Bei der körperlichen Untersuchung betrug das Gewicht 88 kg bei 188 cm Körpergröße, der Blutdruck am rechten Arm
150/100 mmHg, Herzfrequenz regelmäßig mit 84/min. Auskultation von Herz und Lunge unauffällig, die Jugularvenen
waren maximal gestaut, deutlicher Aszites, ausgeprägte prätibiale Ödeme bds. Temperatur axillär 36,5°C.

An welche Differenzialdiagnosen denken Sie?

Rechtsführende Herzinsuffizienz, z.B. bei restriktiver Kardiomyopathie, Myokarditis, KHK (z.B. Rechtsventri-
kelinfarkt), chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, rez. Lungenembolien, chronischer Perikarditis, Vitien.
Eine renale Ursache ist bei den bisher erhobenen Befunden unwahrscheinlich.

Welche weiteren diagnostischen Schritte schlagen Sie vor?

EKG, UKG, Röntgen-Thorax, Oberbauchsonographie, CT-Thorax, Links- und Rechtsherzkatheteruntersu-


chung, Virusserologie.
182 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Befunden Sie das vorliegende EKG (› Abb. 3.51).

Abb. 3.51  EKG

SR, Steiltyp, Frequenz 86/min. Unspez. Erregungsrückbildungsstörungen über der Hinterwand und lateral.

Im Röntgen-Thorax grenzwertige Herzgröße, fraglicher Randwinkelerguss links.


In der Oberbauchsonographie war die Leber vergrößert, die Lebervenen waren erweitert, die V. cava erweitert mit
starker Einschränkung des Atemspiels. Mäßiger Aszites im gesamten Bauchraum.
Im Herzultraschall war der linke Ventrikel nach Größe, Wanddicken und systolischer Funktion normal. Zweizeitige
Septumbewegung.
Der rechte Ventrikel mit eingeschränkter Kontraktion, die freie Wand vermehrt echodicht.
Nur geringe in- und exspiratorische Änderung der transmitralen Flussgeschwindigkeit bei gleichbleibendem E/A-Verhältnis.
Aorten-, Mitral- und Trikuspidalklappe morphologisch unauffällig, max. Druckgradient über der Trikuspidalklappe
14 mmHg. Kein Perikarderguss.
Thorax-CT mit Kontrastmittel: Perikardverdickung ventral bis 0,8 cm, keine Verkalkungen, keine Perikarderguss,
unauffällige Darstellung des Lungenparenchyms. Linksseitig diskreter Pleuraerguss, V. cava superior erweitert.
Virusserologie: Durchseuchungstiter für Parvo-Virus B 19, Mumps und Adenoviren. Negativ waren die Titer für Coxsa-
ckie A und B, Echoviren, Herpes simplex, Zytomegalie, EBV und HIV.
3.18  Dyspnoe, Leistungsschwäche und Beinödeme 183

Herzkatheteruntersuchung: Koronararterien mit Wandunregelmäßigkeiten. Normale linksventrikuläre Funktion. Kei-


ne Mitralklappeninsuffizienz.
Füllungsdrücke in beiden Ventrikeln angeglichen und erhöht (15 mmHg links und rechts), kein typisches „dip and plateau“-
Phänomen. Rechtsatrialer Mitteldruck 15 mmHg. Systolischer PA-Druck obere Norm (34 mmHg, Mittel: 14 mmHg).

Welche Verdachtsdiagnose halten Sie für am wahrscheinlichsten und warum?

Angesichts der Vorgeschichte sowie der jetzt erhobenen Befunde handelt es sich um eine Pericarditis con­
strictiva als Folge einer vor einem Jahr wohl nicht ausgeheilten akuten Peri(myo)karditis (› Kap. 1.3), wo-
bei die dopplerechokardiographischen Befunde im Vergleich zur Klinik und zur invasiven Hämodynamik
ungewöhnlich diskret waren. 3

Welche weiteren Ursachen für eine Pericarditis constrictiva kommen noch in


Frage?

Z.n. mediastinaler Bestrahlung, Z.n. kardialen Operationen.

Welche pathoanatomischen Formen dieser Erkrankung gibt es?

Die Perikardverdickungen können sich auf den linken oder rechten Ventrikel oder auch auf beide Ventrikel
erstrecken. Alle diese Formen können mit unterschiedlicher Ausbildung einer perimyokardialen Fibrose und
myokardialer Atrophie einhergehen, deren Ausmaß mitentscheidend ist für die postoperative Prognose der
Patienten. Die Vorhöfe können vergrößert sein, aber auch normale Dimensionen aufweisen.
Zusammenfassend sollten nach den ESC-Richtlinien von 2004 folgende diagnostische Schritte bei der Ver-
dachtsdiagnose einer chronischen Perikarditis beachtet werden:
• B ei der klinischen Untersuchung können sich Zeichen der systemischen venösen Stauung mit erniedrig-
ter Herzleistung finden mit peripheren Ödemen, gespanntem Abdomen, Jugularvenenstauung, niedrigem
Blutdruck, Pleuraergüssen und ggf. auch Muskelatrophie.
• D as EKG kann normal sein oder Zeichen eine Niedervoltage aufweisen, unspezifische Erregungsrückbil-
dungsstörungen, AV-Blockierungen, Vorhofflimmern sowie Zeichen intraventrikulären Erregungsaus-
breitungsstörungen.
• I n der Röntgen-Thorax-Aufnahme können Perikardverkalkungen und Pleuraergüsse imponieren.
• D ie transthorakale Ultraschalluntersuchung (2-D- und M-Mode) kann Perikardverdickung und Peri-
kardverkalkungen sowie indirekte Zeichen einer Konstriktion zeigen: Vergrößerung der Vorhöfe, in der
Regel normale systolische Funktion, auffällige Septumbewegung, erweiterte Vena cava inferior und Le-
bervenen. Im Doppler Parameter der diastolischen Dysfunktion.
• C T/MRT: Perikardverdickung bzw. -verkalkung, Vergrößerung der Vorhöfe, röhrenförmige Ventrikel-
konfiguration.
• H erzkatheteruntersuchung: Hämodynamik: „dip and plateau“- oder „square route”-Zeichen der Druck-
kurven des rechten und/oder linken Ventrikels. Angleichung der rechts- und linksventrikulären Füllungs-
drücke (< 5 mmHg oder weniger Unterschied).
• E ine Koronarangiographie wird bei Patienten über 35 Jahren empfohlen sowie bei Patienten mit voraus-
gegangener mediastinaler Bestrahlung, dann unabhängig vom Lebensalter.
184 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Wie kann man eine restriktive Form von einer konstriktiven Form einer
Kardiomyopathie unterschieden werden?

Das EKG ist diesbezüglich nicht wegführend. In der Thoraxübersicht finden sich bei der restriktiven Kardio-
myopathie keine Verkalkungen, diese müssen, wie bei unserem Fall, bei einer Pericarditis constrictiva auch
nicht vorhanden sein. In der 2-D-Echokardiographie sind bei der restriktiven CMP die Wände meist ver-
dickt und zeigen im Falle einer Amyloidose ein charakteristisches Echomuster. Bei der Pericarditis constric-
tiva sind die Wände meist normal, das Perikard ist verdickt und kann Verkalkungen aufweisen. Im Doppler
ist bei der restriktiven Kardiomyopathie im Mitralflussprofil die E-Welle unabhängig von In- und Exspirati-
on, die E/A-Ration > 2. Bei der Pericarditis constrictiva kommt es inspiratorisch zu einer Abnahme der
E-Welle, umgekehrt bei Exspiration zu einer Zunahme.
3 Bei invasiv ermittelten Hämodynamik ist bei der restriktiven Kardiomyopathie der LVEDP in der Regel
höher als der RVEDP, der systolische RV-Druck meist über 50 mmHg.
Bei der Pericarditis constrictiva sind die Füllungsdrücke in beiden Ventrikeln meist gleich, bei Inspiration
kann eine Zunahme des systolischen Drucks im RV und eine Abnahme im LV beobachtet werden, umgekehrt
bei Exspiration. Ein „dip und plateau“-Phänomen wird bei beiden Krankheitsbilder beobachtet.

Welche Therapieoptionen gibt es bei einer Pericarditis constrictiva?

Die Perikardektomie ist die einzig sinnvolle Option bei einer Konstriktion. Ein kardiopulmonaler Bypass ist
nicht erforderlich. Wichtige perioperative Komplikationen sind eine Ventrikelruptur sowie ein akutes Pump-
versagen. Eine ungünstige Prognose besteht bei präoperativ nicht erkannter Myokardfibrose oder -atrophie.
In größeren Untersuchungen wird eine Mortalität von 6–12% berichtet. Eine vollständige Normalisierung
der Hämodynamik nach Perikardektomie wird nur in ca. 60% erreicht.

Verlauf bei unserem Patienten: Unter einer Diuretikatherapie mit Torasemid 30 mg/d, verteilt über drei Einzeldosen
sowie Spironolacton 50 mg/d waren nach 3 Wochen die Pleuraergüsse sowie der Aszites nicht mehr nachweisbar, die
peripheren Ödeme fast vollständig verschwunden. Klinisch imponierte weiter ein erhöhter Jugularvenenpuls, die Belast-
barkeit des Patienten besserte sich, war aber weiterhin eingeschränkt im Vergleich zu früher.
Der Patient wurde daraufhin in der Herzchirurgie zur Perikardektomie aufgenommen.
Nach medianer Längssternotomie fand sich ein stark verdicktes und verschwieltes Perikard, das eine Wanddicke zwischen
5 und 8 mm aufwies. Durch Lösen von flächenhaften Verwachsungen wurde die Vorderwand des rechten Ventrikels
freigelegt. Unmittelbar postoperativ sank der zentralvenöse Druck von 20 auf 12 mmHg.
Im Verlauf der folgenden 2 Jahre normalisierten sich die Transaminasen, kein Nachweis mehr einer Hepatomegalie, nor-
maler Jugularvenendruck. Der Patient ist wieder sehr gut belastbar und treibt regelmäßig Ausdauersport.

LITERATUR:
Maisch B, Seferović PM, Ristić AD, et al. Guidelines on the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases. The Task
Force on the Diagnosis and Management of Pericardial Diseases of the European Society of Cardiology. Eur Heart J. 2004;
25: 587–610.
3.19  Progrediente Dyspnoe, Angina pectoris und Schwindel 185

3.19  Progrediente Dyspnoe, Angina pectoris und Schwindel


Andreas König

KASUISTIK
Es wird Ihnen ein 73-jähriger Patient stationär überwiesen. Es bestehen ein Engegefühl über der Brust und zunehmend
Atemnot unter körperlicher Belastung. Außerdem beklagt der Patient eine Schwindelsymptomatik und Müdigkeit. Ankar-
diovaskulären Risikofaktoren bestehen eine arterielle Hypertonie, eine Dyslipidämie sowie ein ausgeprägter Nikotin­
abusus mit 27 pack years.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Größe: 176 cm, Gewicht: 66 kg, guter AZ, Bauchumfang: 87 cm, wach und
orientiert. Keine Zyanose, keine Ödeme. RR 125/70 mmHg, Herzfrequenz 70/min, Atemfrequenz: 12/min. Jugularvenen-
stauung bis 2 cm über Jugulum, Cor: Herztöne regelmäßig, raues 3⁄6-Systolikum über ICR III re. mit Fortleitung in die
Karotiden. Pulmo: auskultatorisch und perkutorisch unauffällig. Abdomen und peripherer Pulsstatus o.p.B.
Die kardialen Marker sind im Normbereich. Ein akutes Koronarsyndrom kann ausgeschlossen werden. Sie ordnen ein 3
12-Kanal-EKG, Röntgen-Thorax sowie eine Echokardiographie an.

Wie befunden Sie das folgende EKG (› Abb. 3.52)?

Überdrehter Linkstyp, Sinusrhythmus mit Herzfrequenz: 59/min.; PQ Intervall: 148ms, QRS-Dauer: 108 ms,
P-Dauer: 112 ms. Regelrechte R-Progression. Keine ERBST.

Wie befunden Sie das folgende Röntgen-Thorax (› Abb. 3.53)?

Abgeflachtes Zwerchfell. Herzgröße im Normbereich. Aortenelongation. Aortensklerose. Oberes Mediastinum


prominent. Pulmonale Hili gefäßtypisch. Ausgeprägte peribronchiale Zeichnungsvermehrung, z.B. bei Nikotin­
abusus. Keine Stauung. Kein Pleuraerguss. Keine Atelektasen. Kein Pneumothorax. Kein umschriebenes Infiltrat.

Befund Echokardiographie: Aortenwurzel normal weit (34 mm), Aorta ascendens normal weit. AK: trikuspid, verdickt,
Öffnungsbewegung vermindert, geringe, zentrale Insuffizienz mit exzentrischem Jet zum AML. Hämodynamik: Vmax:
4,09 m/s, dpmax: 67 mmHg, dpmean: 36 mmHg (AÖF nach der Kontinuitätsgleichung: ca. 0,7 cm2, AÖF nach KOF: 0,4 cm2).
LV: normale Größe (LVED: 49 mm, LVES: 25 mm), Wände mäßig verdickt mit septaler Betonung (IVS: 16 mm, LHW: 15 mm).
Systolische Globalfunktion normal, eher hyperkontraktil (FS: 49%). Keine reg. Kontraktionsstörungen. Diastolische Funkti-
onseinschränkung Grad I. MK: geringe Mitralring-Verkalkung, altersentsprechende Segel, Bewegung normal, physiologische
Insuffizienz, keine Stenose. TK: altersentsprechend, Bewegung normal, physiologische Insuffizienz, dpmax RV/RA = 23 mmHg.

Wie beurteilen Sie den Stenosegrad der Aortenklappe, welche weitere


Diagnostik ist erforderlich?

• G
 eringgradig, mild: KÖF >1,5 cm2; mittlerer Gradient < 25 mmHg, Jet-Geschwindigkeit < 3,0 m/sec.
• M
 ittelgradig, moderate: KÖF: 1,0–1,5 cm2; mittlerer Gradient: 25–40 mmHg; Jet-Geschwindigkeit: 3–4 m/sec.
• H
 ochgradig, severe: KÖF < 1,0 cm2; mittlerer Gradient > 40 mmHg; Jet-Geschwindigkeit > 4 m/sec.
Es liegt nach den hämodynamischen Parametern der Jet-Geschwindigkeit (Vmax > 4 m/sec) eine hochgradige
Aortenklappenstenose vor; die systolische Globalfunktion ist bei konzentrischer linksventrikulärer Hypertro-
phie gut oder hyperkontraktil. Damit sind die klinischen Beschwerden des Patienten und die kardiale Struk-
turveränderung mit dem Klappenvitium zunächst gut vereinbar. Zur Planung der Klappenersatzoperation ist
eine Herzkatheteruntersuchung vorgesehen.
186 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Abb. 3.52  EKG

Befund Herzkatheter: Die selektive Darstellung der linken Herzkranzarterie zeigt einen unauffälligen Hauptstamm. Der
Ramus descendens anterior zeigt proximal eine 50%-ige Stenose und medial eine 50- bis 75%ige Stenose. Der Ramus
circumflexus zeigt distal eine 50%ige Stenose. Die rechte Herzkranzarterie zeigt proximal eine subtotale Stenose. Eine
retrograde Sondierung der Aortenklappe erfolgt nicht, da die vorliegenden Befunde eine klare OP-Indikation ergeben und
keine zusätzlichen Informationen zu erwarten sind.
3.19  Progrediente Dyspnoe, Angina pectoris und Schwindel 187

Abb. 3.53  Röntgen-Thorax

Sie planen nun eine Aortenklappenersatz-Operation mit kombinierter


Bypassversorgung des RIVA und der RKA. Welche Untersuchungen ordnen Sie
präoperativ an?

Karotiden-Duplex, HIV/Hep-Serologie, Lungenfunktionstest.

Darüber hinaus wird auf Wunsch der Herzchirurgie präoperativ eine transösophageale Echokardiographie durchgeführt.
Befund transösophageale Echokardiographie (› Abb. 3.54): Aortenklappe: verdickt, geringe Verkalkung, reduzier-
te Öffnungsbewegung, trikuspid angelegt bei jedoch eingeschränkter Separation der links- und rechts-koronaren Tasche,
planimetrische KÖF 1,5cm2, mittelgradige zentrale Insuffizienz. Aorta asc./desc./thorac.: soweit einsehbar normal weit.

Welche Graduierung des Klappenvitiums nehmen Sie nun vor? Welche Methoden
zur Quantifizierung der Aortenklappenfläche kennen Sie; diskutieren Sie diese.
Auf welche Parameter der Echokardiographie stützen Sie sich?

Nach der durchgeführten Planimetrie der KÖF liegt eine mittelgradige Stenose vor.
Vor- und Nachteile der einzelnen Graduierungsverfahren in der Echokardiographie:
• B estimmung der Spitzenflussgeschwindigkeit (kontinuierlicher Doppler) über der Aortenklappe (m/s):
– Vorteile sind die direkte Messung der Geschwindigkeit, gilt als stärkster Prädiktor für das klinische Outcome
– Einschränkung: abhängig von der Qualität des Dopplersignals, Vmax niedrig bei eingeschränkter EF, AS wird
unterschätzt/nicht erkannt, selten: Überschätzung wg. Mitralinsuffizienz bzw. bei Aorteninsuffizienz
• B estimmung des Druckgradienten (kontinuierlicher Doppler) nach der Bernoulli-Gleichung (mmHg):
∆Pmean (mmHg) = 4 × Vmean2 bzw.
∆Pmax (mmHg) = 4 × Vmax2
– Vorteil ist die Ableitung aus dem Flussgeschwindigkeitsprofil, gute Korrelation mit den invasiven Mes-
sungen
188 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

– Einschränkung: abhängig von der Qualität des


Dopplersignals
• B estimmung der Klappenöffnungsfläche (Konti-
nuitätsgleichung = effektive KÖF, cm2): Verein-
fachte Gleichung nach dem Konzept der Überein-
stimmung von Fläche und Flussgeschwindigkeit
über LVOT und Aortenklappe:
A1 × V1 = A2 × V2;
A2 = (A1 × V1) ÷ V2
= (((Diameter LVOT/2)2 × η) × V1) ÷ V2
(LVOT = Linksventrikulärer Ausflusstrakt; A1 =
3 Fläche LVOT; V1 = Flussgeschwindigkeit LVOT
(pw-Doppler, m/s); A2 = Klappenöffnungsfläche;
V2 = Geschwindigkeit über Aortenklappe (cw-
Doppler, m/s))
– Vorteil: Messung der effektiven Öffnungsfläche
– Einschränkung: viele einfließende Parameter Abb. 3.54  TEE: Schallkopfposition mittlerer Ösophagus, obe-
2 rer linker Vorhof; leichte Anteflexion 50°
wie Durchmesser des LVOT und Flussge-
schwindigkeit
• B estimmung der Klappenöffnungsfläche, planimetrisch (anatomisch), TEE
– Vorteil: Notwendig, wenn Dopplermessungen nicht möglich sind
– Nachteil: Abhängig von der Darstellbarkeit, Schallebene, ∼40% der Fälle nicht möglich wg. Verkalkung.

Welche Erklärungen haben Sie für die diskrepanten Befunde?

Es liegt nach der Planimetrie lediglich eine mittelgradige Aortenstenose vor. Die maximale Jet-Geschwindig-
keit ist grenzwertig „hochgradig” erhöht (Vmax: 4,09 m/s), der mittlere Gradient ist mit < 40 mmHg a.e. mit-
telgradig. Die aktuellen Beschwerden des Patienten sind somit durch die schwere koronare Herzerkrankung
oder das Klappenvitium erklärbar.

Wann halten Sie eine invasive Diagnostik für indiziert?

Wenn nach nicht-invasiver Bildgebung Unklarheit oder eine Diskrepanz zu den klinischen Untersuchungser-
gebnissen besteht, ist eine invasive Diagnostik zur hämodynamischen Evaluierung der Druckverhältnisse
indiziert (Klasse IC). Vor geplanter Klappenersatzoperation ist eine Koronarangiographie indiziert bei Pati-
enten mit erhöhtem Risiko für eine koronare Herzerkrankung.
Bei unklarer Zuordnung der nicht-invasiven Untersuchungsbefunde oder Diskrepanz ist eine erneute in-
vasive Katheterisierung zur Analyse der Druckkurven möglich. Hierbei müssen jedoch die beschriebenen
Risiken einer zerebralen Embolie bei retrograder Sondierung einer Aortenklappenstenose berücksichtigt
werden (Omran et al. 2003).
Herzkatheter: Gorlin-Formel, Peak-to-Peak-Gradient.
3.19  Progrediente Dyspnoe, Angina pectoris und Schwindel 189

Im vorliegenden Fall wurde aufgrund des morphologischen Befunds und der Klappenplanimetrie (mittelgradige Aorten-
klappenstenose) zunächst eine Koronarintervention in der hochgradigen RCA-Stenose durchgeführt. Der Patient ist im
Verlauf beschwerdefrei (asymptomatisch; › Abb. 3.55).

Abb. 3.55  Koronarintervention


Ereignisfreies Überleben

1,0
Der Patient ist jetzt asymptomatisch. Vmax < 3,0 m/s
0,8
Wie würden Sie im vorliegenden Fall
0,6
das Monitoring des Aorten­klappen­ 3,0 ms – 4,0 m/s

vitiums durchführen? 0,4


0,2 > 4,0 m/s

Asymptomatische Patienten mit einer raschen 0,0


0 12 24 36 48 60
Progression der Aortenstenose können nach klini-
Zeitraum seit Aufnahme
schen (Angina pectoris? Schwindel? Synkopen?
Zeichen der Herzinsuffizienz?) und echokardio- Abb. 3.56  Prognosediagramm (nach Otto et al. 1997)
graphischen Kriterien (Anstieg der Spitzenfluss-
geschwindigkeit > 0,3 m/s oder Reduzierung der
Klappenöffnungsfläche > 0,1 cm2 pro Jahr) diagnostiziert werden. Die Spitzenflussgeschwindigkeit spielt
prognostisch eine große Rolle (› Abb. 3.56). Patienten mit asymptomatischer schwerer Aortenstenose
und rascher Progression haben mittlerweile eine IIa-C-Indikation für einen Klappenersatz. Bei leichter
asymptomatischer Stenose sind im Intervall von einem Jahr und bei höhergradiger, asymptomatischer Ste-
nose im Intervall von drei bis sechs Monaten Kontrollen angezeigt. Eine hämodynamische Progression ist
wahrscheinlich bei Alter > 50 Jahre, schwerer Klappenverkalkung bzw. schwerer koronarer Herzerkran-
kung. Die meisten asymptomatischen Patienten mit hämodynamisch relevanter Aortenstenose entwickeln
in den folgenden fünf Jahren Symptome. Eine präventive Operation ist generell nicht gerechtfertigt. Es
kann jedoch bei diesen Patienten eine Risikostratifizierung mit Belastungs-EKG durchgeführt werden. Bei
pathologischer Reaktion (Angina pectoris, Dyspnoe, Hypotension, fehlender Blutdruckanstieg) entwickeln
ca. 80% dieser Patienten im weiteren Verlauf eine symptomatische Aortenklappenstenose. Damit ist bei
dieser Patientengruppe eine Operationsindikation zu bedenken.
190 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

LITERATUR
Omran H, Schmidt H, Hackenbroch M, et al. Silent and apparent cerebral embolism after retrograde catheterisation of the
aortic valve in valvular stenosis: a prospective, randomised study. Lancet. 2003; 361(9365): 1241–6.
Otto CM, Burwash IG, Legget ME, et al. Prospective study of asymptomatic valvular aortic stenosis. Clinical, echocardiogra-
phic, and exercise predictors of outcome. Circulation. 1997; 95(9): 2262–70.

3.20  Progrediente Dyspnoe und COPD


Andreas König

KASUISTIK
3 In der Notaufnahme wird eine 85-jährige Patientin aufgenommen. Seit mittags besteht zunehmend Luftnot. Anam-
nestisch sind diese Beschwerden seit einigen Wochen progredient. Bei bekannter COPD war vor 1 Woche zunächst
die antiobstruktive Therapie sowie die Steroiddosis erhöht worden. Eine Besserung war jedoch nicht eingetreten.
Anamnestisch sind ferner eine koronare Herzerkrankung und eine gering- bis mäßiggradige Aortenklappenstenose
bekannt.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Größe: 158 cm, Gewicht: 72 kg, guter AZ und EZ, wach und orientiert. Keine
Zyanose, keine Ödeme. RR 140/80 mmHg, Herzfrequenz 70/min, Pulsus parvus et tardus, Atemfrequenz 12/min. Jugular-
venenstauung bis 2 cm über Jugulum, Cor: rhythmisch, der 2. Herzton ist abgeschwächt, raues 4⁄6-Systolikum mit Punctum
maximum über dem 2. ICR re., 2⁄6-Diastolikum über Aorta. Pulmo: Klopfschall sonor, Vesikuläratmung ubiquitär, keine RG,
kein Giemen.

Welche möglichen Ursachen für die Belastungsdyspnoe müssen Sie ausschließen?

• A kutes Koronarsyndrom
• L ungenembolie
• P neumothorax
• P rogression des Aortenklappenvitiums.

Vom Hausarzt erfahren Sie weitere Diagnosen der Patientin:


• Koronare Herzerkrankung
• Mittelgradige AK-Stenose, geringe Insuffizienz, geringe Mitralklappeninsuffizienz
• Z.n. DDD-SM-Implantation bei Sinusknotenerkrankung mit paroxysmalem Vorhofflimmern
• Bek. COPD GOLD II
• Arterielle Hypertonie
• Chronische Niereninsuffizienz (Crea 2,8 mg/dl).

Die kardialen Marker sind im Normbereich. Die Blutgasanalyse ergibt:  


pO2: 70 mmHg, pCO2: 35 mmHg, SO2: 95 mmHg. Welches sind die nächsten
diagnostischen Schritte, die Sie durchführen?

Ein 12-Kanal-EKG, Röntgen-Thorax, Echokardiographie.

Wie befunden Sie das folgende EKG (› Abb. 3.57)?

Schrittmacherrhythmus mit atrialer und ventrikulärer Stimulation.


3.20  Progrediente Dyspnoe und COPD 191

Abb. 3.57  EKG

Wie befunden Sie den Röntgen-Thorax (› Abb. 3.58)?

Abb. 3.58  Röntgen-Thorax

Herzschrittmacher rechts präpektoral, Elektroden regelrecht; Herz linksbetont vergrößert, Aorta elongiert
und sklerosiert; Oberes Mediastinum verbreitert, V.a. Struma; Keine pulmonalvenöse Stauung, kein H.a.
pneumonisches Infiltrat; kein Pneumothorax; Zwerchfellhochstand rechts; keine Pleuraergüsse.
192 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

Befund Echokardiographie: Aortenwurzel normal weit (32 mm), Aortenklappe: verdickt, Öffnungsbewegung einge-
schränkt; mäßige Insuffizienz (PHT: 450 ms, V. contracta: 4 mm); mäßig- bis hochgradige Stenose: Vmax: 4,03 m/s, dpmax:
62 mmHg, dpmean: 27 mmHg; Klappenöffnungsfläche nach Kontinuitätsformel: 0,8 cm2, RA: gering vergrößert; LA: mäßig
vergrößert (50 mm); Rechter Ventrikel vergrößert, Wanddicke normal; Linker Ventrikel: normale Größe (LVED: 56 mm,
LVES: 34 mm), Wanddicken normal (IVS: 11 mm, LHW: 10 mm), systolische Globalfunktion eingeschränkt, apikal-inferi-
ore Akinesie; MK: gering verdickt, Bewegung normal, geringe Insuffizienz, keine Stenose; TK: Bewegung normal, mäßige
Insuffizienz, dpmax RV/RA = 57 mmHg; kein Perikarderguss nachweisbar.

Wie beurteilen Sie die Situation, welche weitere Diagnostik ist erforderlich?

3 Es liegt ein kombiniertes schweres Aortenklappenvitium mit führender hochgradiger Stenose sowie mäßiger
Insuffizienz vor. Die linksventrikuläre Pumpfunktion ist eingeschränkt. Die pulmonal-arteriellen Drücke
sind erhöht.

Worauf führen Sie nach den genannten Informationen die akute Dyspnoe der
Patientin zurück?

Auf eine beginnende Linksherzdekompensation bei Aortenklappenstenose und koronarer Herzerkrankung.


Das akute Koronarsyndrom ist ausgeschlossen.

Welche Diagnostik bringt weitere Information?

Befund TEE: Aortenklappe: trikuspid, eingeschränkte Öffnungsbewegung, planimetrische KÖF: 0,7 cm2, mäßige Insuffi-
zienz (zentraler Insuffizienzjet), keine Endokarditis-typischen Auflagerungen, Diameter subvalv.: 18 mm, Höhe Sinus
valsalvae: 31 mm, Aorta asc.: 28 mm, Mitralklappe: gering verdickt, mäßige Insuffizienz, normale Öffnung; Aorta asc./
desc./thorac.: soweit einsehbar nur gering atherosklerotisch verändert.
Zusammenfassung: hochgradige Aortenstenose, planimetrische Öffnungsfläche 0,7 cm2.

Wie ist das weitere Vorgehen?

Bei hochgradiger Aortenklappenstenose (prinzipiell OP-Indikation) mit gleichzeitig bekannter koronarer


Herzerkrankung wird eine Koronarangiographie sowie ein Rechtsherzkatheter durchgeführt.

Befund Herzkatheter: Rechtsherzkatheter: PCW mittel: 20 mmHg, PA (s/d/m): 63/30/45 mmHg; RV (s,fd,sd): 65/5/13
mmHg; RA mittel: 12 mmHg.
Koronarangiographie: Die selektive Darstellung der linken Herzkranzarterie zeigt einen unauffälligen Hauptstamm.
Der Ramus descendens anterior ist medial mittelgradig stenosiert. Der R. diagonalis I ist langstreckig stenosiert. Der Ra-
mus circumflexus zeigt sich proximal und distal hochgradig stenosiert. Die rechte Herzkranzarterie ist in den Endästen
hochgradig stenosiert. Es zeigt sich jetzt bei bekannter hochgradiger Aortenklappenstenose eine koronare Dreigefäßer-
krankung.
3.20  Progrediente Dyspnoe und COPD 193

Welche Therapien kommen bei der Patientin in Frage, wie verfahren Sie weiter?

• H erzchirurgisch: Aortenklappenersatz und Bypassversorgung


• K athetergestützte Verfahren: Koronarintervention und Implantation einer Stent-gestützten Klappe
­(TAVI: transfemoraler/transapikaler Zugang)
• K athetergestützt: Koronarintervention und Valvuloplastie.
Prinzipiell ist der herzchirurgische Klappenersatz die Therapie der Wahl. Lediglich bei sehr hohem OP-Risiko
(euroSCORE > 20) kann die kathetergestützte Klappenintervention als Alternative erwogen werden.
Das operative Risiko kann mit dem Euroscore ermittelt werden (http://www.euroscore.org).
Der additive „Standard euroSCORE” berücksichtigt:
• P atientenbezogene Parameter: Alter, Geschlecht, COPD, AVK, neurologische Erkrankungen, frühere Pe-
rikarderöffnung, Serumkreatinin > 200 μmol/l, akute Endokarditis, intensivstationärer Patient 3
• K ardiale Parameter: instabile A.p., EF: 30–50%, Myokardinfarkt < 90 Tage, pulmonale Hypertonie (PAP
> 60 mmHg)
• P rozedurbezogen: Notfallindikation, Kombinationseingriff, thorakaler Aorteneingriff, Postinfarkt-VSD.
Patienten mit hohem Risiko können mit dem „Logistic euroSCORE” exakter evaluiert werden.
Bei unserer Patientin liegt der euroSCORE > 17.

Beurteilen Sie die Indikationen für eine kathetergeführte


Aortenklappenimplantation

• I ndikationsstellung erfolgt gemeinsam zwischen Kardiologen und Herzchirurgen


• H ohes OP-Risiko (Letalität > 10%, euroSCORE > 20), Klasse IIA–C
• M alformation des Thorax, Porzellanaorta
• Z .n. Thorax-OP, Komorbidität, Radiatio
• A lte Patienten mit degenerierter Bioprothese

Benennen Sie die Voraussetzungen für ein solches Verfahren, welche


Informationen benötigen Sie?

• S ymptomatische degenerative Aortenklappenstenose


• E valuation mit Risiko-Score
• M essung der Klappenringgröße, TEE oder CT (≥ 18 mm, < 27 mm)
• A natomie der Aortenwurzel, Aortenbogen, Lokalisierung der Koronararterien, Durchmesser periphere
Arterien
• T rikuspide Aortenklappe, keine höhergradige AI.

Beschreiben Sie die Technik des Verfahrens.

• D urchführung der transfemoralen Technik in ITN oder Analgosedierung


• K oronarintervention können vorher oder zeitgleich durchgeführt werden
• W ährend der Implantation schnelles Pacing zur Herabsetzung des Schlagvolumens, dadurch ist eine
exakte Positionierung des Ballon-expandierbaren Systems möglich
194 3  Leitsymptom Dyspnoe, Leistungsschwäche

• M
 onitoring über 24 h wg. Gefahr von AV- oder intraventrikulären Leitungsstörungen sowie Überwa-
chung von möglichen Nachblutungen im Punktionsbereich
• D
 uale Plättchenhemmung für 4–24 Wochen, wenn notwendig auch Tripletherapie > 3 Monate.

Aufgrund des hohen perioperativen Risikos und des ausdrücklichen Wunsches der Patientin planen wir einen katheter-
gestützten Klappenersatz sowie eine koronare Revaskularisierung in RCA und RCX. Zuvor erfolgt die Bildgebung der
Aorta und der Femoralarterien.
Befund CT-Angiographie, abdominelle und thorakale Aorta: Bis nach retrosternal reichende Struma. Es zeigen
sich Verkalkungen an der Aortenklappe, zudem etwas Koronarkalk, Klappenringdurchmesser: 17 mm. Im weiteren
Verlauf der Aorta zeigt sich im Aortenbogen, sowie in der Aorta descendens und der Aorta abdominalis massive Arte-
riosklerose. Hierbei teils deutliche Wandunregelmäßigkeiten der Aorta abdominalis mit weichen und harten Plaques.
3 Aufgrund der Morphologie der Aortenklappe mit einem Durchmesser des Klappenrings von 17 mm ist ein interventio-
neller Eingriff nicht möglich. Es erfolgt jetzt die Empfehlung für ein herzchirurgisches Vorgehen.

LITERATUR
2008 Focus Update. ACC/AHA 2006 Guidelines for the Management of Patients with Valvular Heart Disease.
ESC Guidelines 2007
Kommentar zur Europäischen Leitlinie Herzklappenerkrankungen. Kardiologe 2009. DGK
Positionspapier zur kathetergestützten Aortenklappenintervention. Kardiologe 2009. DGK
KAPITEL

4 Leitsymptom Beinödeme
4.1 Rötung und Schwellung am Unterschenkel Stefan Lüftl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

4.2 Zunehmende beidseitige Beinschwellung Florian Krötz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

4.1  Rötung und Schwellung am Unterschenkel


Stefan Lüftl

KASUISTIK
Bei einem 39-jährigen Landwirt trat vor einer Woche ohne erfragbaren Auslöser eine Rötung und Schwellung des linken
Unterschenkels mit vorübergehendem Fiebergefühl auf. Seither besteht eine Knöchelschwellung links.

Nennen Sie Differenzialdiagnosen eines einseitigen Beinödems.

• P hlebologische Genese (z.B. Beinvenenthrombose, Thrombophlebitis, Varikosis, postthrombotisches Syn-


drom)
• L ymphödem
• O rthopädische Genese (z.B. Baker-Zyste, Morbus Sudeck, Muskelfaserriss, Gelenkerguss).

Welche weiteren anamnestischen Angaben können zur Eingrenzung beitragen?

• L iegen Krampfadern vor?


• G ab es frühere Venenerkrankungen?
• B estehen Gelenkschmerzen?
• W urden Reisen unternommen (Thrombose nach Langstreckenflug oder längerer Auto- bzw. Busreise)?
• G ab es Tropenaufenthalte (Filarieninfektion)?

Wie gehen Sie bei der weiteren klinischen Untersuchung vor?

Klinische Zeichen einer Beinvenenthrombose abklären, z.B.:


• H omanns-Zeichen (schmerzhafte Dorsalflexion des Fußes)
• P ayr-Zeichen (Fußsohlendruckschmerz)
• V ermindertes Wadenballotement.
Hinweise für chronisch venöse Insuffizienz (CVI) beachten:
• V arikosis
• S tauungsekzeme.
196 4  Leitsymptom Beinödeme

Klinische Hinweise für Lymphödem beachten.


• S temmer-Zeichen (Hautfalte über den Zehen ist verdickt und lässt sich nicht oder nur wenig abheben)
• V orfußbeteiligung des Ödems
• V ergrößerte Lymphknoten.
Eine sichere differenzialdiagnostische Abgrenzung ist allein durch klinische Verfahren nicht möglich.

Welche diagnostischen Schritte möchten Sie jetzt anschließen?

• L abor: Bestimmung von D-Dimer. Hohe Sensitivität, aber nur sehr geringe Spezifität zum Nachweis einer
Phlebothrombose. Negatives Ergebnis schließt allerdings Thrombose praktisch aus.
• S onographie: Bereits die Kompressionssonographie (B-Bild, Linearschallkopf, 7,5 MHz, Sonde rechtwink-
lig zum Gefäßverlauf) weist eine sehr hohe Sensitivität und Spezifität für die Diagnostik einer Beinvenen-
thrombose auf. Bei der Beurteilung von Vena cava inferior und der Beckenvenen ist die farbkodierte Du-
plexsonographie überlegen. Durch die Sonographie können auch weitere Differenzialdiagnosen (z.B. Ba-
4 ker-Zyste, Muskelfaserriss) erkannt werden.
• I n Zweifelsfällen sequenzielle Sonographie nach 2–3 Tagen, Phlebographie oder CT-Angiographie.

KASUISTIK
Die Sonographie bleibt beim vorgestellten Patienten unauffällig. Hingegen zeigen sich klinische Hinweise für ein Lymph­
ödem.

Nennen Sie Ursachen eines sekundären Lymphödems.

• I nfektiös: rezidivierendes Erysipel, Filarieninfektion


• T umor: lymphoproliferative Erkrankung, Lymphknotenmetastasen, Verlegung von Lymphbahnen durch
Malignom im Beckenbereich
• L ymphknotenresektion, z.B. axillär bei Mammakarzinom
• R adiatio
• T raumatische Verletzung von Lymphbahnen, z.B. postoperativ nach Saphenaentnahme für koronare
Bypassoperation.

KASUISTIK
Auf gezieltes Nachfragen berichtet der Patient, bereits früher mehrmals ähnliche, vorübergehende Beschwerden gehabt
zu haben. In der erweiterten klinischen Untersuchung zeigt sich eine Interdigitalmykose.

Was ist die wahrscheinlichste Ursache des Lymphödems?

Rezidivierendes Erysipel.

Wie würden Sie therapeutisch vorgehen?

• A
 ntibiotische Behandlung, falls noch klinische Zeichen eines frischen Erysipels nachweisbar sind. Das
Präparat sollte gegen Streptokokken und Staphylokokken wirksam sein (z.B. Flucloxacillin, Amoxicillin/
Clavulansäure)
4.1  Rötung und Schwellung am Unterschenkel 197

• S anierung der Interdigitalmykose


• S ymptomatische Behandlung des Lymphödems durch manuelle Lymphdrainagen, bei Ineffektivität durch
flach gestrickten Kompressionsstrumpf, der tagsüber getragen wird
• U
 mgehende antibiotische Therapie bei erneutem Erysipel, evtl. Stand-by-Medikation rezeptieren.

Lassen Sie uns noch einen Abstecher zu beidseitigen Beinödemen machen.


Welche Differenzialdiagnosen kommen hier in Frage?

• K ardiale Genese: z.B. Herzinsuffizienz, Klappenvitium, Cor pulmonale, Perikarditis, Perikarderguss, hä-
modynamisch relevante AV-Fistel
• P hlebologische Ursache: z.B. beidseitige Varikosis, chronisch venöse Insuffizienz oder postthromboti-
sches Syndrom
• H
 ypalbuminämie: z.B. nephrotisches Syndrom, Leberzirrhose, exsudative Enteropathie, Mangelernäh-
rung
• M edikamentennebenwirkung 4
• L ymphödem: z.B. beidseitiger Lymphstau bei Lymphom
• V erschiedene weitere Ursachen: z.B. Gravidität, Myxödem bei Hypothyreose.

Nennen Sie Medikamente, die als Nebenwirkung Ödeme verursachen können.

Kalzium-Antagonisten vom Dihydropyridin-Typ (Amlodipin, Nifedipin), Clonidin, Hydralazin, Guanethi-


din, Minoxidil, nicht-steroidale Antirheumatika, Steroide, Östrogene, Glitazone.

Wie lassen sich kardial und hypalbuminämisch bedingte Ödeme klinisch


unterscheiden?

Kardial bedingte Ödeme betreffen die Beine und verschlimmern sich im Tagesverlauf. Ödeme bei Hypalbu-
minämie manifestieren sich häufig morgens und finden sich auch im Gesicht und an den Augenlidern sowie
periorbital.

Wie können Sie durch eine rationale Labordiagnostik den Verdacht auf renal
bedingte Ödeme erhärten?

Bestimmung von Serumalbumin, Serumkreatinin und -harnstoff sowie Eiweißausscheidung im Urin.

LITERATUR
Fauci A, Braunwald E, Kasper D, Hauser S. Harrison‘s Principles of Internal Medicine. 17. Auflage. Columbus: McGraw-Hill;
2008.
Rieger H, Schoop W. Klinische Angiologie. Berlin: Springer; 1998.
198 4  Leitsymptom Beinödeme

4.2  Zunehmende beidseitige Beinschwellung


Florian Krötz

KASUISTIK
Ein 58-jähriger Patient wird Ihnen vom Dermatologen, bei dem er wegen eines generalisierten Pruritus vorstellig gewor-
den ist, zur kardiologisch-internistischen Mitbeurteilung zugewiesen. Er berichtet, in den vergangenen Wochen außer
Juckreiz unter einer zunehmenden Verdickung der Beine zu leiden, der Juckreiz bestehe erst seit einigen Tagen. Der Pati-
ent berichtet weiter, täglich etwa zwei Flaschen Bier zu trinken sowie seit seinem 18. Lebensjahr zu rauchen, etwa eine
Packung am Tag. Die körperliche Belastbarkeit sei seit geraumer Zeit schlecht, bereits bei geringer Anstrengung träte
Luftnot auf. Im letzten Jahr war er bereits 3-mal in einer Lungenfachklinik in stationärer Behandlung gewesen. Beim
ersten Aufenthalt habe von dort außerdem eine Herzkatheteruntersuchung stattgefunden, bei der eine relevante korona-
re Herzerkrankung ausgeschlossen wurde.
Körperlicher Untersuchungsbefund: Vom Aspekt eher kachektischer Patient, 172 cm Körpergröße, 64 kg Gewicht,
Puls 100/min, rhythmisch, Blutdruck 180/100 mmHg, 3⁄6- Decrescendo-Systolikum, p.m. rechtspräkordial, 2. Herzton laut,
Jugularvenen 3 QF gestaut, beidseits leises Atemgeräusch, Klopfschall hypersonor, vereinzelt Spider naevi, beidseits
deutliche Beinödeme, Bauchumfang 120 cm, leise Darmgeräusche, periphere Pulse schlecht tastbar, Trommelschlägelfin-
4 ger, periphere Zyanose.

Befunden Sie bitte das nachfolgende Ruhe-EKG des Patienten bei Aufnahme
(› Abb. 4.1)

Abb. 4.1  Ruhe-EKG

Es besteht Vorhofflimmern (Kammerfrequenz ca. 85/min) sowie ein kompletter Rechtsschenkelblock.


4.2  Zunehmende beidseitige Beinschwellung 199

Welche weitere Diagnostik würden Sie anordnen?

• L abor: Blutbild, Harnstoff, Kreatinin, Elektrolyte, C-reaktives Protein (CRP), Transaminasen, γ-GT, Ei-
weiß, Albumin, Quickwert, PTT, LDH, Troponin T, Urinstix, Urinsediment
• P ro-BNP: Entsprechend der Leitlinien der Dt. Gesellschaft für Kardiologie kann die Bestimmung der Plas-
makonzentration von BNP oder NTproBNP für die Diagnosestellung einer Herzinsuffizienz hilfreich sein.
Sind die Konzentrationen niedrig normal, so ist eine Herzinsuffizienz unwahrscheinlich. Dies gilt insbe-
sondere für das Leitsymptom Luftnot. Bei Erhöhung sollte eine weitere kardiale Abklärung erfolgen.
• E chokardiographie mit der Frage RV-Belastung, Wandbewegungsstörungen, Vitien
• R öntgen-Thorax.

Wie beurteilen Sie den Röntgen-Thorax


des Patienten (› Abb. 4.2)

Emphysem mit Überblähung beider Lungenflügel. 4


Herzgröße normal. Keine pulmonalvenöse Stauung.
Keine entzündlichen Infiltrate abgrenzbar. Kein
Pneumothorax. Keine Ergüsse. Basale Pleuraschwar-
ten beidseits sowie apikohiläre Narbenzüge beidseits.
Ringförmige Verdichtung im Unterfeld rechts, am
ehesten Gefäßanschnitt entsprechend.

KASUISTIK
In der Blutuntersuchung finden sich ein Hb von 16 mg/dl,
Hk 52%, Thrombozyten 80 G/l, Na 125 mmol/l, K 4,5
mmol/l, Kreatinin 0,8 mg/dl, HN 26 mg/dl, Albumin 2,8
mg/dl, Bilirubin 2,8; γGT 243 U/l, GOT 112 U/l, GPT 124
U/l, INR 1,2, PTT 32 s, CK normal, TPT 0,065 ng/ml (Norm
< 0,010). NT-Pro-BNP 828 pg/ml (Norm < 194). Abb. 4.2  Röntgen-Thorax

Wie beurteilen Sie eine Hyponatriämie bei Herzinsuffizienz?

Eine bei Herzinsuffizienz auftretende Hyponatriämie ist typischerweise durch Überwässerung, d.h. keinen
tatsächlichen, sondern einen relativen Natriummangel bedingt. Pathophysiologisch kommt es dabei durch
eine Barorezeptor-vermittelte ADH-Freisetzung zu einer Wasserretention mit hypoosmolarer Hyponatri­
ämie. Therapie der Wahl ist daher die Flüssigkeitsrestriktion bzw. die Erhöhung der Wasserdiurese. Sie kann
von einer Verlusthyponatriämie durch die Klinik (Ödeme) bzw. weitere Laborparameter, die auf eine Ver-
dünnung hindeuten können (z.B. Hämatokrit), unterschieden werden.

Wie wird die Osmolarität berechnet?

Osmolarität [osmol/kg] = 1,86 × Na+ [mmol/l] + Glukose [mmol/l] + Harnstoff [mmol/l] + 9.


200 4  Leitsymptom Beinödeme

KASUISTIK
Echokardiographie: Aortenwurzel und Aortenklappe unauffällig, rechter Ventrikel vergrößert mit reduzierter Funk-
tion, rechter Vorhof mäßig vergrößert, linker Vorhof und Ventrikel normal groß mit normaler Funktion, Wanddicken
normal, paradoxe systolische Septumbewegung, Mitralklappe mit physiologischer Insuffizienz, Bewegung normal,
Trikuspidalklappe mit mäßiger Insuffizienz, dpmax RV/RA nicht verlässlich messbar, kein Perikarderguss. Lebervenen
gestaut.

Das Troponin ist positiv – veranlassen Sie eine erneute Koronarangiographie?

Nein, es bestehen weder akute Beschwerden noch ischämietypische EKG-Veränderungen. Anamnestisch


wurde bereits eine koronare Herzerkrankung ausgeschlossen. Im UKG zeigen sich keine Wandbewegungs-
störungen. Der echokardiograpisch dekompensierte rechte Ventrikel stellt eine ausreichende Erklärung für
das gering erhöhte Troponin dar.
Primär werden die Troponine zur Diagnostik des akuten Koronarsyndroms eingesetzt, da sie äußerst sen-
4 sitive Marker eines myokardialen Schadens sind. Jedoch sind sie auch bei einer Reihe weiterer kardialer Er-
krankungen erhöht. Neben Erkrankungen, bei denen eine relative Koronarinsuffizienz auftritt, die temporär
zu einem geringfügigen Troponinanstieg führen kann, wie z.B. bei Tachyarrhythmien, hypertrophe Kardio-
myopathien oder Aortenstenose, sind dies v.a. auch kardiale Erkrankungen, die mit einer erhöhten Wand-
spannung einhergehen, so z.B. schwere Herzinsuffizienz mit Volumenüberlastung des linken Ventrikels,
akute Lungenembolie oder schwerer pulmonaler Hypertonus. Weitere Ursachen eines erhöhten Troponins
stellen, Takotsubo-Kardiomyopathie, Myokarditiden, traumatische Herzschädigungen oder infiltrative Er-
krankungen des Herzmuskels, z.B. Amyloidose, dar.

Welche weiteren Untersuchungen veranlassen Sie?

Sie veranlassen eine Lungenfunktionsuntersuchung und Blutgasanalyse.

KASUISTIK
Die Lungenfunktionsuntersuchung ergibt bei Raumluft folgende Werte: pH 7,42, pO2 56,5 mmHg, pCO2 53,2 mmHg, FEV1
0,62l (19% des Solls), FEV1 %VCmax 29%, PEF 1,3 l/s (16% des Solls), R tot 0,83 kPa*s/l (275% Solls), ITGV 10,89 l
(302% Soll).

Wie befunden Sie die Lungenfunktionsuntersuchung?

Respiratorische Globalinsuffizienz mit kompensierter respiratorischer Azidose bei Lungenemphysem und


schwerer COPD.

Wie lautet Ihre Diagnose?

Cor pulmonale, a.e. bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) mit Lungenemphysem.
4.2  Zunehmende beidseitige Beinschwellung 201

Wie lautet die gängige Klassifizierung der COPD und welches Stadium liegt bei
dem vorgestellten Patienten vor?

Die GOLD-Klassifizierung teilt die COPD nach Einsekundenkapazität FEV1 bezogen auf die funktionelle Vi-
talkapazität (FEV1/FVC in %) und nach absolutem FEV1 in 4 Stadien ansteigenden Schweregrades ein. In al-
len Stadien muss eine FEV1/FVC < 70% vorliegen. Beträgt dann die absolute FEV1 > 80% des Sollwertes, liegt
Stadium I vor, bei 50–80% Stadium II, bei 30–50% Stadium III und bei < 30% Stadium IV.
Der Patient befindet sich in Stadium IV.

Welche weiteren Untersuchungen sind zur Sicherung der Diagnose pulmonale


Hypertonie sinnvoll?

Es sollte eine Rechtsherzkatheteruntersuchung erfolgen.

KASUISTIK 4
Im Rechtsherzkatheter werden folgende Drücke gemessen: RA (mittl.): 12 mmHg, RV (syst./diast./enddiast.):
48/0/10 mmHg, PA (syst./diast./mittl.): 48/18/28 mmHg, PCWP (mittl.): 5 mmHg.
Mittlerer PA-Druck unter 5-minütiger ergometrischer Belastung: 42 mmHg.
Das Herzzeitvolumen beträgt 5,1 l/min.

Wie kann das Herzzeitvolumen invasiv bestimmt werden?

Invasiv kann das Herzzeitvolumen (ca. 5,5–8 l/min) durch die Thermodilutionsmethode, durch Farbstoffver-
fahren oder nach dem Fick-Gesetz entsprechend der Sauerstoffaufnahme, der zentralvenösen und der zent-
ralarteriellen Sättigung bestimmt werden. Bei der Thermodilutionsmethode wird eine definierte Menge
kalte Flüssigkeit injiziert und die Temperaturveränderung des Blutes invasiv gemessen. Anhand der Ge-
schwindigkeit der Temperaturnormalisierung wird dann das HMV berechnet. Ein ähnliches Prinzip wird bei
Farbstoffverdünnungsmethoden verwendet. Bei Anwendung des Fick-Gesetzes wird die durchschnittliche
Sauerstoffaufnahme (in ml/min, wird meist aus Nomogrammen ermittelt, kann aber auch direkt gemessen
werden) durch die zehnfache arteriovenöse Sauerstoffsättigungsdifferenz dividiert. Neben dem Herzzeitvolu-
men wird häufig auch der Cardiac Index (CI), d.h. das HZV bezogen auf die Körperoberfläche (l/min/m2)
angegeben, die Normwerte liegen hier bei > 2,5 l/min/m2.
Eine Rechtsherzkatheteruntersuchung sollte nur zur Sicherung der Diagnose (PA-Druck im UGK nicht
verlässlich bestimmbar) und bei therapeutischer Konsequenz durchgeführt werden. So kann durch Messung
des Wedge-(PCWP-) Drucks bei Unklarheiten definitiv eine postkapilläre Ursache der pulmonalen Hyperto-
nie ausgeschlossen werden.

Ab wann spricht man von pulmonaler Hypertonie? Welche Druckwerte finden


sich im rechten Herzen normalerweise? Wie beurteilen Sie die Messwerte des
Patienten?

In Ruhe findet sich im rechten Vorhof bei Gesunden abhängig vom Volumenstatus ein Druck von 1–5 mmHg,
im rechten Ventrikel systolisch von 15–30 mmHg. In der Pulmonalarterie entspricht der systolische Druck in
etwa dem systolischen Druck im rechten Ventrikel, der diastolische Druck liegt normalerweise bei 3–12
mmHg und der Mitteldruck bei 9–19 mmHg. Ab einem mittleren PA-Druck von > 25 mmHg in Ruhe bzw.
202 4  Leitsymptom Beinödeme

von > 30 mmHg unter Belastung spricht man von einer pulmonalen Hypertonie, wobei erste Symptome wie
Belastungsdyspnoe bei Werten zwischen 30–40 mmHg auftreten.
Systolische Druckbelastungen über 45–50 mmHg können zum Pumpversagen des rechten Ventrikels füh-
ren, wenn dieser nicht an erhöhte Drücke durch myokardiale Hypertrophie adaptiert ist. Dann können Drücke
bis zu 80–100 mmHg toleriert werden, ohne dass zwingend eine Rechtsherzdekompensation vorliegen muss.
Beim beschriebenen Patienten liegt mit einem mittleren PA-Druck von 28 mmHg in Ruhe nur eine gering-
gradige pulmonale Hypertonie vor, unter Belastung werden jedoch deutlich höhere Werte erreicht.

Welche weiteren Symptome des chronischen Cor pulmonale kennen Sie?

Neben den beschrieben Symptomen des Patienten (periphere Ödeme, Jugularvenenstau, Aszites, Trommel-
schlägelfinger, Zyanose), findet sich ggf. ein Pulmonalinsuffizienzgeräusch, eine palpable rechtsventrikuläre
Hebung, ein positiver hepatojugulärer Reflux, eine Hepatomegalie sowie Aszites.

4
Welche weiteren Untersuchungen sind zur Schweregradbestimmung bei
pulmonaler Hypertonie sinnvoll?

• D
 urchführung einer Spiroergometrie zur Abschätzung der maximalen Sauerstoffaufnahme, des VE/
VCO2-Quotienten, des Blutdruckverhaltens und pCO2. Bei pulmonaler Hypertonie ist typischerweise un-
ter Belastung der Anstieg des Sauerstoffpulses reduziert.
• D
 urchführung eines 6-Minuten-Gehtests zur Beurteilung der körperlichen Belastbarkeit.

Welche Untersuchung würden Sie bei diesem Patienten durchführen?

Bei diesem Patienten ist keine der oben genannten Untersuchungen sinnvoll.

In welchem Stadium wird das Cor pulmonale chronicum am häufigsten


diagnostiziert?

Üblicherweise erfolgt die Diagnose, wie im vorliegenden Fall, erst im fortgeschrittenen Stadium, da die Sympto-
me so unspezifisch sind, dass meist zunächst an andere kardiale oder pulmonale Erkrankungen gedacht wird.
Zur Typeneinteilung der pulmonalen Hypertonie s.a. › Kapitel 3.3.

Welche weiteren, bisher nicht durchgeführten Untersuchungen können Sie bei


Cor pulmonale zur ätiologischen Abklärung veranlassen, wenn keine
ausgeprägte COPD vorläge?

• C T-Thorax
• T EE
• A bdomensonographie
• R heumatologische Abklärung; ANA, RF, Blutsenkungsgeschwindigkeit etc.
• G gf. serologische Untersuchungen
4.2  Zunehmende beidseitige Beinschwellung 203

• S chlaf-Apnoe-Screening
• B ei Verdacht: parasitologische Untersuchungen.

Welche weiteren Untersuchungen sind bei unserem Patienten sinnvoll?

Eine Abdomensonographie sollte durchgeführt werden.

KASUISTIK
In der Abdomensonographie zeigt sich eine echoarme Struktur der Leber mit glatten Konturen und verbreiterten Gefäßen, dar-
über hinaus eine Verplumpung des Lobus caudatus und der Leberkapsel; mäßig Aszites, Splenomegalie, dilatierte VCI, Pfortader-
verbreiterung. Auffällig ist außerdem eine rekanalisierte Nabelvene. Der übrige abdomensongrapische Befund ist unauffällig.

Liegt eine Leberzirrhose vor?


4
Ja, allein aufgrund der typischen Laborveränderungen mit Hypalbuminämie, Störung der Synthese (Quick),
Bilirubinerhöhung, Thrombopenie sowie dem Vorliegen von Aszites und Zeichen der chronischen Leber-
stauung muss die Diagnose Leberzirrhose gestellt werden. Die typischen sonographischen Zeichen einer
ethyltoxischen Leberzirrhose müssen hierzu nicht unbedingt vorliegen.

Welche Ursachen der Leberzirrhose kommen differenzialdiagnostisch infrage?

• E thyltoxische Leberzirrhose
• V irushepatitis
• K ardiale Zirrhose (Cirrhose cardiaque)
• M ischbilder
• A lpha-1-Antitrypsinmangel.
Weniger wahrscheinlich erscheinen autoimmune Ursachen, primär biliäre Zirrhose, primär sklerosierende
Cholangitis, bei fehlender entsprechender Anamnese chemikalien- oder medikamenteninduzierte Leber-
schäden, Stoffwechselkrankheiten wie Hämochromatose, Morbus Wilson, Budd-Chiari-Syndrom, Bilharzio-
se oder andere Ursachen.

Welche Form liegt hier vor?

Am wahrscheinlichsten erscheint die Cirrhose cardiaque. Differenzialdiagnostisch kann aber auch eine ethyl-
toxische Leberzirrhose, ggf. auch als Mischbild mit Ersterer vorliegen. In Erwägung gezogen muss trotz des
typischen Risikoverhaltens des Patienten bei der Kombination Leberzirrhose und Lungenemphysem auch
ein Alpha-1-Antitrypsinmangel.

Welche differenzialdiagnostischen Ursachen der Splenomegalie kennen Sie?

Pfortaderhochdruck, Infektionen (z.B. infektiöse Mononukleose, Endokarditis), hämolytische Anämien, my-


eloproliferative Erkrankungen (Leukämien, Morbus Hodgkin), Speicherkrankheiten (z.B. infektiöse Hämo-
chromatose), solide Tumoren und Metastasen.
204 4  Leitsymptom Beinödeme

Müssen diesbezüglich weitere Untersuchungen bei unserem Patienten erfolgen?

Eine weitere Abklärung ist aufgrund der typischen Befundkonstellation mit Pfortaderhochdruck bei Leber-
zirrhose, die regelhaft auch zum Hyperspleniesyndrom mit Thrombopenie bzw. Mangel mehrerer reifer Blut-
zellreihen und vermehrter Nachbildung führt, nicht notwendig.

Welche medikamentöse Therapie des chronischen Cor pulmonale ist bei unserem
Patienten indiziert?

• S auerstofflangzeittherapie (indiziert ab Ruhe-pO2 unter RL von 55 mmHg, verbessert Überlebenszeit und


resultiert in Senkung des pulmonalarteriellen Drucks (cave: weitere CO2-Retention). Eine Sauerstofflang-
zeittherapie sollte mindestens 16 h/d erfolgen (Compliance vs. Nikotinabusus, Kosten abwägen).
• D
 iuretikagabe zur Ödemreduzierung.
• G
 gf. könnten Kalziumantagonisten hoch dosiert bei relevanter pulmonaler Druckerhöhung verabreicht
4 werden, zuvor sollte eine invasive Vasoreagibilitätsprüfung mittels Drucksenkung im Rechtsherzkatheter
durchgeführt werden, um Responder einer Therapie mit Kalziumantagonisten zu identifizieren (nur 20%
der Patienten). Dies kommt in diesem Fall eher nicht in Frage.
• A
 ufgrund des gleichzeitigen Vorhofflimmerns sollte Marcumar und ggf. Digitalis gegeben werden (s.u.).
Zugelassen zur gezielten Therapie der pulmonalen Hypertonie ab NYHA-Stadium II–III sind außerdem En-
dothelin-Rezeptor-Antagonisten (Bosentan), Prostacyclin-Analoga (Alprostadil, Iloprost, Epoprostenol, Tre-
prostinil) und Phosphodiesterase-Hemmer wie Sildenafil. Im vorliegenden Fall ist jedoch aufgrund der respi-
ratorischen Globalinsuffizienz, der nur geringgradig erhöhten Drücke im kleinen Kreislauf und der hohen
Kosten von einer Gabe abzusehen.
Eine orale Antikoagulation ist bei den meisten Formen der pulmonalen Hypertonie aufgrund des hohen
kardialen Embolierisikos empfohlen. Eine Ausnahme stellt die in diesem Fall vorliegende pulmonale Hyper-
tonie aufgrund einer hypoxämischen Grunderkrankung wie COPD dar (cave: außerdem aufgrund der Leber-
zirrhose).
Nicht indiziert sind ACE-Hemmer, die nur bei gleichzeitiger Linksherzinsuffizienz empfohlen werden, und
Nitrate, für die keine positiven Langzeitdaten vorliegen.

Welche weiteren Probleme des Patienten müssen Sie therapieren? Wie gehen Sie
vor?

Zu initiieren ist eine stadiengerechte Therapie der COPD mittels inhalativer Anticholinergika, Beta-2-Sympa-
thomimetika und ggf. inhalativen Steroiden als Therapieversuch. Abgesehen werden sollte aufgrund des Vor-
hoflimmerns von einer Theophyllingabe. Daneben sollte strikte Nikotinkarenz eingehalten werden.
Bei der Behandlung der Leberzirrhose muss neben der absoluten Alkoholkarenz und dem Weglassen an-
derer vermeidbarer Noxen, dem Sicherstellen einer ausreichenden Protein- und Kalorienzufuhr und der Sub-
stitution von Vitamin B1 bei alkoholtoxischer Leberzirrhose der Schwerpunkt auf der Therapie/Vermeidung
von Komplikationen wie portaler Hypertension oder hepatischer Enzephalopathie (Eiweißreduktion, abfüh-
rende Maßnahmen, Darmdekontamination) liegen. Zur Behandlung des Aszites sollten Aldosteronantago-
nisten gegeben werden sowie eine Natriumrestriktion erfolgen. Ggf. müssen regelmäßige Parazentesen oder
die Anlage eines transjugulären portosystemischen Shunts durchgeführt werden.
4.2  Zunehmende beidseitige Beinschwellung 205

Bei dem Patienten besteht außerdem Vorhofflimmern; wie therapieren Sie?

Eine Betablockertherapie, die auch bei COPD in der Mehrzahl der Fälle (70%) gut vertragen wird und
­prognostisch günstig ist, sollte als Therapieversuch an erster Stelle stehen. Alternativ erscheint ein Kalzium-
antagonist mit frequenzkontrollierenden Eigenschaften geeignet. Aufgrund der gleichzeitigen vasodilatie­
renden Eigenschaften bietet sich ein Kalziumantagonist vom Benzothiazintyp, z.B. Diltiazem, an. Ggf. kann
außerdem mit Digitalis therapiert werden.

Würden Sie eine Kardioversion empfehlen und wenn ja wann?

Aufgrund der deutlichen Vergrößerung des rechten Vorhofs scheint eine Kardioversion mit lang anhalten-
dem Sinusrhythmus wenig Erfolg versprechend, sollte aber bei schlechter Frequenzkontrolle diskutiert wer-
den. Durch das gleichzeitig bestehende Vorhofflimmern ist die Indikation zur oralen Antikoagulation auch
bei Cor pulmonale bzw. pulmonaler Hypertonie aufgrund hypoxischer Grunderkrankung zu stellen.
4
LITERATUR
Fauci A. Harrison‘s principles of Internal medicine. 17th Ed. New York: McGraw-Hill, 2008.
Galie N, Hoeper MM, Humbert M, et al. Guidelines for the diagnosis and treatment of pulmonary hypertension: The Task
Force for the Diagnosis and Treatment of Pulmonary Hypertension of the European Society of Cardiology (ESC) and the
European Respiratory Society (ERS), endorsed by the International Society of Heart and Lung Transplantation (ISHLT). Eur
Heart J 2009; 30(20): 2493–537.
Hoeper MM, Ghofrani HA, Gorenflo M, Grünig E, Schranz D, Rosenkranz S. Diagnosis and treatment of pulmonary hyperten-
sion: European guidelines 2009. Pneumologie 2010; 64(7): 401-14.
Krakau I, Lapp H. Das Herzkatheterbuch. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme, 2009.
KAPITEL

5 Leitsymptom Fieber
5.1 Junger Patient mit hohem Fieber und Diarrhoe Sebastian Schmieder . . . . . . . . . . . . . . . 207

5.2 Rezidivierende Fieberschübe Eva von Eckardstein-Thumb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

5.3 Fieber und Schüttelfrost Eva von Eckardstein-Thumb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

5.1  Junger Patient mit hohem Fieber und Diarrhoe


Sebastian Schmieder

KASUISTIK
Sie werden vom diensthabenden Arzt der Notaufnahme Ihrer Klinik um eine konsiliarische Stellungnahme wegen eines
auffälligen EKG-Befunds gebeten. Das Ruhe-EKG stammt von einem 31 Jahre alten Mann. Er gibt an, seit einigen Tagen
an einer Diarrhoe, teilweise mit Blutbeimengungen, zu leiden. Erst kürzlich sei er von einem mehrere Monate dauernden
Aufenthalt in Indien zurückgekehrt. Von Ihren Kollegen erfahren Sie, dass der Patient an einem hochfieberhaften gastro-
intestinalen Infekt leidet, es besteht unter anderem der Verdacht auf eine Shigellenruhr.

Bitte befunden Sie das folgende EKG (› Abb. 5.1).

Befund des 12-Kanal-EKGs: Regelmäßiger Sinusrhythmus, Linkstyp, HF 96/min, verbreiterte QRS-Komplexe


in den Ableitungen V1-3 mit auffälliger Repolarisation.

Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? Was unternehmen Sie als Nächstes?

Die Verdachtsdiagnose ist ein Brugada-Syndrom.


Typische Befunde bei Brugada-Syndrom:
• Spontan gewölbte („coved“) ST-Streckenhebung (Typ 1) in mehr als einer rechtspräkordialen Brust­
wandableitung (V1-3) und eines der folgenden Kriterien:
– Dokumentiertes Kammerflimmern
– Selbstlimitierende polymorphe VT
– Plötzlicher Herztod bei Verwandten < 45 Jahre
– Typ-I-EKG bei Verwandten < 45 Jahre
– Synkope
– Auslösbarkeit ventrikulärer Arrhythmien in der elektrophysiologischen Untersuchung
– Unklare Synkope mit V.a. eine rhythmogene Ursache
• Eine ST-Streckenhebung vom „Typ 2“ oder „Typ 3“, die sich nach Gabe eines Natriumkanalblockers zu
einer „Typ 1“-Hebung wandelt, ist wie eine solche zu werten. Eine medikamentös verursachte Hebung
208 5  Leitsymptom Fieber

Abb. 5.1  Ruhe-EKG

Tab. 5.1  EKG-Veränderungen beim Brugada-Syndrom (› Abb. 5.2)


„Typ 1“ „Typ 2“ „Typ 3“
J-Amplitude ≥  0,2 mV ≥  0,2 mV ≥  0,2 mV
T-Welle negativ positiv oder biphasisch positiv
ST-T-Konfiguration gewölbt („coved“) sattelförmig („saddleback“) sattelförmig („saddleback“)
Terminale ST-Strecke leicht abfallend gehoben ≥  0,1 mV gehoben < 0,1 mV

der ST-Strecke von mindestens 0,2 Millivolt (mV) lässt ein Brugada-Syndrom möglich erscheinen, wenn
eines der o. g. klinischen Kriterien vorliegt. ST-Veränderungen von weniger als 0,2 mV gelten als unsi-
cher.

KASUISTIK
Sie lassen sich weitere Befunde des Patienten zeigen und teilen einem jungen Assistenten Ihre Verdachtsdiagnose mit. Er
räumt ein, den Namen der von Ihnen erwähnten Erkrankung höchstens einmal gehört zu haben.
Laborwerte: Normale Werte für Serumchemie einschließlich Elektrolyte; CRP erhöht mit 9 mg/dl, Leukozyten 13,4 G/l,
geringe Linksverschiebung.
Sie entscheiden sich, den Patienten selbst zu befragen.

Welche Informationen aus der Anamnese interessieren Sie besonders?

• Gibt es Hinweise auf eine Häufung plötzlicher Todesfälle in der Familie?


• Existieren Hinweise auf früher erlittene Synkopen?
• Rezidivierender Schwindel? Präsynkopen? Arrhythmien? Herzrasen?
5.1  Junger Patient mit hohem Fieber und Diarrhoe 209

Typ 1 Typ 2 Typ 3


V1 V1 V1

V2 V2 V2

V3 V3 V3

Abb. 5.2  EKG-Veränderungen beim Brugada-Syndrom (nach Brugada et al. 2009)

• Sind früher EKG-Aufzeichnungen durchgeführt worden?


• Medikamentenanamnese. 5

KASUISTIK
Sie finden einen akut krank wirkenden Patienten vor. Dem Notaufnahmeprotokoll entnehmen Sie, dass Herr W. immer
noch hohes Fieber (39,8°C) hat. Der Patient berichtet, dass keine gehäuften Todesfälle in seiner Familie bekannt seien.
Medikamente werden nicht eingenommen. Synkopen sind nicht eruierbar. Gelegentlich habe er Schwindel, vor allem bei
schnellem Aufstehen aus dem Sitzen oder Liegen. Im Übrigen gibt Herr W. eine gute körperliche Belastbarkeit an, keiner-
lei Herzbeschwerden, keine gehäuften Palpitationen, keine relevante Dyspnoe. Ob bereits früher einmal ein EKG geschrie-
ben wurde, weiß Herr W. nicht so genau, einen Hausarzt hat er nicht.
Wegen der hoch fieberhaften Erkrankung und des reduzierten Allgemeinzustands des Patienten ist eine stationäre Auf-
nahme geplant.

Benötigen Sie weitere Untersuchungen für Ihre Entscheidung? Wenn ja, welche?

Da der Patient aktuell an einem akuten fieberhaften Infekt leidet, entschließen Sie sich, die EKG-Veränderun-
gen im Intervall erneut zu beurteilen (kardiologische Ambulanz).

Welche prinzipiellen Überlegungen für das weitere Patientenmanagement


stellen Sie an?

• Besteht die Indikation für die Durchführung einer elektrophysiologischen Untersuchung?


• ICD-Versorgung?
• Soll eine medikamentöse Therapie eingeleitet werden?

Der Verdacht auf eine bakterielle Ruhr bestätigt sich nicht, der Patient kann nach 2 Tagen aus der stationären Behandlung
entlassen werden, er ist fieberfrei.
In der übernächsten Woche stellt sich der Patient erneut ambulant vor. Sie erhalten folgendes Ruhe-EKG (› Abb. 5.3):
210 5  Leitsymptom Fieber

Abb. 5.3  Ruhe-EKG (50 mm/s)

Bitte befunden Sie das oben stehende EKG (› Abb. 5.3).

Befund des 12-Kanal-EKGs: Regelmäßiger Sinusrhythmus, Indifferenz- bis Linkstyp, HF 87/min, unauffällige
Repolarisation. Rückbildung der während des Fiebers beobachteten EKG-Veränderungen.
Fieber kann die typischen EKG-Veränderungen beim Brugada-Syndrom demaskieren (Antzelekovitch
et al. 2005). Inwieweit dies für eine Prognoseabschätzung sicher verwertet werden kann, ist nicht ausrei-
chend belegt (› Abb. 5.4). Der Patient zeigt nach Abklingen des Fiebers nun ein unauffälliges EKG (sponta-
ne EKG-Veränderungen sind bei Ihrem Patienten somit per definitionem nicht vorhanden).
5.1  Junger Patient mit hohem Fieber und Diarrhoe 211

Spontanes Typ-I-EKG

Symptomatisch Asymptomatisch

Synkope
Überlebter Pos. Familienanamnese
Krampfanfall Neg.
Plötzlicher für Plötzlichen Herztod
Nächtliche (zentrale) Familienanamnese
Herztod durch Brugada-Syndrom
Atemstörung

Evaluation nicht- EPU EPU gerechtfertigt


kardialer Ursachen (Klasse IIa) (Klasse IIa)

– + + – + –

ICD ICD Engmaschiges ICD Engmaschiges ICD Engmaschiges


(Klasse I) (Klasse I) Follow Up (Klasse IIa) Follow Up (Klasse I) Follow Up

5
EPU empfohlen
zur Abklärung von SVT

Induziertes Typ-I-EKG (Na+-Kanalblocker)

Symptomatisch Asymptomatisch

Synkope
Überlebter Pos. Familienanamnese
Krampfanfall Neg.
Plötzlicher für Plötzlichen Herztod
Nächtliche (zentrale) Familienanamnese
Herztod durch Brugada-Syndrom
Atemstörung

Evaluation nicht- EPU Engmaschiges


kardialer Ursachen (Klasse IIb) Follow Up

– + + –

ICD ICD Engmaschiges ICD Engmaschiges


(Klasse I) (Klasse IIa) Follow Up (Klasse IIb) Follow Up

EPU empfohlen
zur Abklärung von SVT

Abb. 5.4  Indikation zur ICD-Implantation bei Patienten mit Brugada-Syndrom (modifiziert nach Antzelevitch et al. 2005)
212 5  Leitsymptom Fieber

Sie entscheiden, dass derzeit ein abwartendes Vorgehen gerechtfertigt scheint und bestellen Ihren Patienten
zu einem erneuten Kontrolltermin in 3 Monaten in die Ambulanz. Eine spezifische medikamentöse Therapie-
empfehlung existiert derzeit nicht. Sie raten Ihrem Patienten außerdem, bei etwaigen künftigen Medikamen-
tenverschreibungen nachzufragen, ob diese ein Brugada-EKG auslösen können. Wenn ja, sollten die entspre-
chenden Medikamente vermieden werden – ebenso auch Kokain- und Alkoholintoxikationen.

LITERATUR
Antzelevitch C, Brugada P, Borggrefe M, et al. Brugada syndrome: report of the second consensus conference. Circulation
2005;111: 659–70.
Brugada P, Benito B, Brugada R, Brugada J. Brugada syndrome: update 2009. Hellenic J Cardiol. 2009; 50: 352–72.

5.2  Rezidivierende Fieberschübe


Eva von Eckardstein-Thumb

KASUISTIK
33-jähriger Mann, Erstdiagnose Morbus Crohn 2004, in den vergangenen 6 Monaten rezidivierend Schübe. Zunächst war
die Mesalazin-Dosis gesteigert worden, dann musste die medikamentöse Therapie um Prednisolon erweitert werden.
5 Hierunter war es vor 4 Wochen zu einem neuerlichen heftigen Schub gekommen, seither nahm der Patient additiv Aza-
thioprin ein. Bei zunehmender Verschlechterung des Allgemeinzustands und weiter rezidivierenden Fieberschüben erfolg-
te die stationäre Aufnahme. Am Aufnahmetag wird ein CT-Abdomen durchgeführt, es finden sich keine Hinweise auf
einen Abszess, keine sonstigen Auffälligkeiten, es zeigt sich lediglich eine ausgeprägte Splenomegalie. Der Patient wird
Ihnen vorgestellt, da bei der Auskultation ein lautes, bisher nicht bekanntes Systolikum aufgefallen war. Kardiale Vorer-
krankungen sind nicht bekannt.
Körperliche Untersuchung: Mäßiger Allgemeinzustand, reduzierter EZ. Pulmo frei, JVD normal. Cor: regelmäßig mit
120/min, raues frühsystolisch betontes 3⁄6 -Holosystolikum mit p.m. über Erb, keine Fortleitung in die Karotiden.
RR 90/60 mmHg. Abdomen: weich, diffus druckdolent, rege Darmgeräusche. Milz vergrößert palpabel, Leber o.B., Nie-
renlager bds. frei, periphere Pulse seitengleich tastbar. Keine peripheren Ödeme. Unauffälliger neurologischer Status.
Unauffällige Haut.
Labor: Infektkonstellation mit nur gering erhöhtem CRP, erhöhtem PCT und ausgeprägter Leukozytose sowie gering
beschleunigter Blutsenkungsgeschwindigkeit, zudem liegt eine normochrome normozytäre Anämie mit einem Hb von
9 g/dl sowie eine ausgeprägte Hypokaliämie (2,8 mmol/l) vor, die LDH ist erhöht. Nierenretentionswerte normal. TSH
normal. Gesamteiweiß und Albumin gering reduziert. Übrige Werte unauffällig.

Wie gehen Sie weiter vor?

Sie veranlassen ein EKG, UKG sowie die weitere Fokussuche (Röntgen-Thorax, Zahnstatus, ggf. trotz vorlie-
gendem CT Abdomensonographie, Urinstatus und Bakterien/Urin) und nehmen Blutkulturen ab (3 separa-
te Sets [aerob/anaerob] innerhalb von 24 h in jeweils mindestens 1-stündigem Abstand, ggf. auch Pilzkul-
turmedium).

KASUISTIK
EKG: Typisches Counterclockwise-Vorhofflattern mit überwiegend 3:1-Überleitung, Kammerfrequenz ∼110/min.
UKG: Hyperdynamisch kontrahierender LV, keine regionalen Wandbewegungsstörungen nachweisbar. LA mäßig vergrö-
ßert, übrige Herzhöhlen normal groß. AK, TK, PK gering sklerosiert, regelrecht beweglich. Reflux an der TK, RV/RA dpmax,
5.2  Rezidivierende Fieberschübe 213

25 mmHg plus ZVD (VCI normal weit, Atemmodulation regelrecht). Dem distalen Anteil des anterioren Mitralsegels ca.
6  mm lange, flottierende echoarme Struktur anhaftend. Stark exzentrischer Insuffizienzjet nach medial, V. contracta
4 mm, mittelgradige Mitralinsuffizienz. Im Bereich des Mitralannulus kein Hinweis auf Ringabszess. Kein Perikarderguss.
RTX: unauffällig.
Zahnstatus (klinisch und Röntgen): unauffällig.
Abdomensonographie: Splenomegalie, sonst unauffällig.

Welche Verdachtsdiagnose haben Sie? Wie können Sie die Diagnose erhärten?

Ihr Patient hat wahrscheinlich eine Mitralklappenendokarditis unter immunsuppressiver Therapie. Im TEE,
was Sie auch bei gut beurteilbarem transthorakalen Echo wie bei unserem Patienten in jedem Fall ergänzend
durchführen müssen (› Abb. 5.5), werden Sie Klappe und Vegetation noch genauer sehen (› Abb. 5.6).
Sie können die Größe der Vegetation beurteilen und ggf. einen paravalvulären Abszess identifizieren sowie
den Schweregrad der Mitralinsuffizienz mitbeurteilen.

KASUISTIK
Beide Mitralklappensegel sind gering sklerosiert, das anteriore Mitralsegel ist zudem verdickt, eine max. 10 mm lange
echoarme oszillierende Struktur anhaftend, a.e. einer Vegetation entsprechend. AK trikuspid, gering sklerosierte Taschen-
klappenränder, regelrecht öffnend, keine AI. Die übrigen Klappen sind morphologisch und im Doppler unauffällig. Nor- 5
male LV-Funktion, es liegt kein Perikarderguss vor. Die Vorhöfe sind visuell gering vergrößert. RV normal groß. Keine
Thromben im LA/LAA.

Klinischer Endokarditisverdacht

TTE

Klappenprothese, qualitativ
Intrakar- positiv negativ
schlechtes TTE
diales Fremd-
material
(intracardiac
devices) Endokarditisverdacht

stark gering

TEE TEE Stop

Ist das initiale TEE negativ und der


Endokarditisverdacht besteht weiterhin,
TEE nach 7–10 Tagen wiederholen

Abb. 5.5  Indikationen zur transthorakalen und transösophagealen Echokardiographie bei Endokarditisverdacht (nach Habib et al. 2009)
214 5  Leitsymptom Fieber

Das TEE verstärkt die Verdachts­


diagnose einer Endokarditis. Skizzieren
Sie nun bitte möglichst detailliert die
Diagnosekriterien der Endokarditis

Zur Diagnosestellung müssen die Erkenntnisse der


klinischen, laborchemischen und echokardiographi-
schen Befunde zusammengefügt werden. Hilfreich
hierbei sind die Duke-Kriterien.
Modifizierte Duke-Kriterien (adaptiert aus Li et al.
2000 und ESC-Guidelines 2009):
Hauptkriterien
1. Positive Blutkulturen
a. Nachweis typischer Mikroorganismen der in-
fektiösen Endokarditis in 2 verschiedenen Blut-
kulturen
i. Streptokokken der Viridansgruppe, Strepto-
coccus bovis, Keime der HACEK-Gruppe
oder
5 ii. Staphylococcus aureus oder Enterokokken
bei fehlendem Primärfokus
b. Permanent positive Blutkulturen mit Nachweis
von Mikroorganismen, die eine infektiöse En-
dokarditis verursachen können, definiert als
i. ≥ 2 positive Blutkulturen bei einem Entnah-
meabstand von > 12 Stunden oder Abb. 5.6  TEE. Vegetation an der Mitralklappe
ii. 3 positive Blutkulturen oder positive Mehrzahl
von 4 oder mehr separaten Blutkulturen (Abstand der ersten und letzten Blutentnahme ≥ 1 Stunde)
2. Nachweis endokardialer Beteiligung
a. positives Echo definiert als
i. frei flottierende Struktur auf der Herzklappe oder in ihrer Umgebung, in einem Regurgitationsjet
oder an implantiertem Material nach Ausschluss einer alternativen anatomischen Erklärung oder
ii. Abszess oder
iii. neu aufgetretene Dehiszenz im Bereich einer künstlichen Herzklappe
b. Neue Regurgitation an einer Herzklappe
Nebenkriterien
1. Prädisposition
2. Fieber: Temperatur ≥ 38,0°C
3. Gefäßphänomene: Embolien in große Arterien, septische Lungeninfarkte, mykotische Aneurysmen, intra­
kranielle Blutungen, konjunktivale Blutungen, Janeway-Läsionen
4. Immunologische Phänomene: GN, Osler-Knötchen, Roth-Flecken, positive Rheumafaktoren
5. Mikrobiologischer Hinweis: positive Blutkulturen die nicht die Hauptkriterien erfüllen oder serologischer
Nachweis einer aktiven Entzündung durch einen mit einer infektiösen Endokarditis vereinbaren Erreger
6. Echokardiographische Kriterien: vereinbar mit einer infektiösen Endokarditis die jedoch die Hauptkrite-
rien nicht erfüllen.
Eine infektiöse Endokarditis ist nach den Duke-Kriterien
• gesichert bei Vorliegen von
– 2 Hauptkriterien oder
5.2  Rezidivierende Fieberschübe 215

– 1 Haupt- und 3 Nebenkriterien oder


– 5 Nebenkriterien
• möglich bei Vorliegen von
– 1 Haupt- und 1 Nebenkriterium oder
– 3 Nebenkriterien.
Unser Patient erfüllt hiermit folgende Kriterien: Hauptkriterien: II A 1 und II B sowie 2 Nebenkriterien. Von
einer Endokarditis muss auch bei noch ausstehenden mikrobiologischen Ergebnissen ausgegangen werden.

Gehen Sie auf das Erregerspektrum und die Erregerhäufigkeiten ein.

Zunächst ist die Gewinnung von Blutkulturen bei dieser Konstellation entscheidend, noch bevor eine Antibi-
ose begonnen wird.
Beim zu erwartenden typischen Erregerspektrum muss einerseits zwischen Nativ- und Kunstklappenendo-
karditiden differenziert werden, andererseits muss auch das Patientenalter berücksichtigt werden (› Tab. 5.2)
Bei möglichen assoziierten Befunden veranlassen Sie ergänzend ein HNO- (Fokussuche) sowie ein augenärzt-
liches Konsil (Suche nach Mikroembolien). In beiden Fällen ist der Befund bei unserem Patienten unauffällig.
Risikokonstellationen für Endokarditis: Am häufigsten betroffen sind Aorten- und Mitralklappe. Eine
isolierte AK-Endokarditis findet sich in 55–60% der Fälle, eine isolierte MK-Endokarditis in 25–30% der
Fälle. Kombinierte AK- und MK-Endokarditiden sind mit 15% und Rechtsherzendokarditiden mit 10–15% 5
weniger häufig. Man geht von sechs Neuerkrankungen jährlich pro 100.000 Einwohner aus. Prädisponieren-
de Faktoren sind angeborene oder erworbenen Herzklappenfehler, wobei hier noch zwischen einer Hochrisi-
kogruppe, einer Intermediärrisikogruppe und einer Niedrigrisikogruppe unterschieden wird:
• Hochrisikogruppe: Z.n. Herzklappenersatz, Z.n. Endokarditis, angeborene komplexe und zyanotische
Herzfehler, singulärer Ventrikel, Transposition der großen Arterien, Fallot-Tetralogie, offener Ductus bo-
talli, Koarktation der Aorta, bikuspide Aortenklappe, systemisch: pulmonale Shunts oder Conduits, Z.n.
Herzbeteiligung bei rheumatischem Fieber in der Vorgeschichte.
• Intermediärrisiko: andere kongenitale Herzfehlbildungen, arteriosklerotisch geschädigte Herzklappen,
MKP mit Herzgeräusch, MI oder verdickten Segeln, isolierte MS, Erkrankungen der TK, PS, H(O)CM.
• Niedrigrisiko: Vorhofseptumdefekt vom Sekundumtyp, ischämische Herzerkrankung, Z.n. Bypass-Opera-
tion, MKP ohne verdickte Segel oder Insuffizienz.

Tab. 5.2  Erregerspektrum bei Endokarditis (Mylonakis et al. 2001)


Endokarditis der nativen Klappe Kunstklappen-Endokarditis
Erreger (% der betroffenen Patientenalter postoperative Zeitdauer
Patienten)
< 60 Jahre > 60 Jahre < 60 Tage 60 Tage bis 1 Jahr >1 Jahr
Streptokokken 45–65 30–45 1 7–10 30–33
Staphylococcus aureus 30–40 25–30 20–24 10–15 15–20
Koag.-neg. Staphylokokken 4–8 3–5 30–35 30–35 10–12
Enterokokken 5–8 14–17 5–10 10–15 8–12
Gramnegative Bakterien 4–10 5 10–15 2–4 4–7
Pilze 1–3 1–2 5–10 10–15 1
Negative Blutkultur und 3–10 5 3–7 3–7 3–8
HACEK-Organismen
Corynebakterien <1 <1 5–7 2–5 2–3
216 5  Leitsymptom Fieber

Ebenso sind jegliche Art intravasaler/kardialer Fremdkörper – deutlich zunehmend übrigens Schrittmacher
bzw. ICD-Sondenendokarditiden, da die Implantationsraten in den vergangenen Jahren hier deutlich zugenom-
men haben (z.B. Uslan et al. 2007) sowie eine Abwehrschwäche wie bei unserem Patienten prädisponierend.

Nun gehen Sie bitte auf Ihre therapeutischen Optionen bei Ihrem Patienten ein.
Welche Punkte müssen bei der Auswahl der Antibiose beachtet werden? Welches
Antibiotikaregime schlagen Sie in unserem Fall initial vor?

Nach Abnahme von Blutkulturen muss umgehend die intravenöse antibiotische Therapie eingeleitet werden.
Eine Endokarditis kann im Idealfall rein medikamentös behandelt werden, ggf. muss ein verbleibendes Vitium
– hier eine verbleibende beträchtliche Mitralinsuffizienz – jedoch im Intervall operiert werden (Mitralklappen-
ersatz, ggf. auch Mitralklappenrekonstruktion). Es kommt in jedem Fall eine antibiotische Kombinationsthe-
rapie zum Einsatz, die Auswahl der Substanzen richtet sich einerseits danach, ob eine Nativ- oder Kunstklap-
penendokarditis vorliegt und andererseits nach dem verursachenden Keim (› Tab. 5.3). Notwendig ist:
• Abdeckung der zu erwartenden Keime, im vorliegenden Fall sind bei chronischer Darmerkrankung insbe-
sondere Enterokokken mögliche Erreger, bei Immunsuppression ist aber auch eine Pilzinfektion denkbar
• Intravenöse Antibiotikagabe
• Anpassung der Antibiotika nach Vorliegen der bakteriologischen Ergebnisse.
5 Bei unbekanntem Erreger wie folgt beginnen (› Tab. 5.3):

Tab. 5.3  Initiale empirische Therapieempfehlung (vor oder ohne Identifizierung des Pathogens; nach Habib et al. 2009)
Antibiotikum Dosierungsschema Therapie­ Evidenz- Kommentar
dauer grad
(Wochen)
Nativklappen
Ampicillin-Sulbactam 12 g/d i.v. 4 ×/d 4–6 IIbC bei Patienten mit infektiöser
oder Endokarditis und negativen
Amoxicillin-­ 12 g/d i.v. 4 ×/d 4–6 IIbC Blutkulturen Mikrobiologen
Calvulansäure hinzuziehen
mit
Gentamicin 3 mg/kg KG/d i.v. oder i.m. 2 oder 4–6
3 ×/d
Vancomycin 30 mg/kg KG/d (2 × d) 4–6 IIbC wenn Betalaktam nicht ver-
mit tragen wird
Gentamicin 3 mg/kg KG/d i.v. oder i.m. (2 oder 3 4–6
mit × d)
Ciprofloxacin 1 g/d oral (2 × d) oder 800 mg/d i.v. keine alleinige Therapie bei
(2 × d) 4–6 Bartonella-Infektion – hier
ggf. additiv Doxycyclin
Kunstklappen, früh, < 12 Monate postoperativ
Vancomycin 30 mg/kgKG/d i.v. 6 IIbC falls keine klinische Besse-
mit (2 × d) rung, OP und evtl. Auswei-
Gentamicin 3 mg/kg KG/d i.v. oder i.m. (2 oder 3 2 tung der Antibiotikathera-
mit × d) pie, um gramnegative Kei-
Rifampicin 1200 mg/d oral (2 ×) me besser zu erfassen
Kunstklappen (spät, ≥ 12 Monate postoperativ)
Gleiche Therapie wie bei Nativklappen
5.2  Rezidivierende Fieberschübe 217

Bei unserem Patienten werden am Folgetag Enterococcus faecium in zwei


separaten Blutkulturen nachgewiesen. Wie behandeln Sie nun weiter?

Sie behandeln nach folgendem Schema (› Tab. 5.4).

Tab. 5.4  Antibiotikatherapie bei infektiöser Endokarditis durch Enterokokken spp. (nach Habib et al. 2009)
Antibiotikum Dosierung Therapiedauer (Wochen) Evidenzgrad
Betalaktam- und Gentamicin-sensible Stämme
Amoxicillin 200 mg/kg KG/d i.v. (4–6 × d) 4–6 IB
mit
Gentamicin 3 mg/kg KG/d i.v. oder i.m. (2–3 × d) 4–6
oder
Ampicillin 200 mg/kg KG/d i.v. (4–6 × d) 4–6 IB
mit
Gentamicin 3 mg/kg KG/tgl i.v. oder i.m. (2–3 × d) 4–6
oder
Vancomycin 30 mg/kg KG/d i.v. (2 × d) 6 IC
mit
Gentamicin 3 mg/kg KG/d i.v. oder i.m. (2–3 × d) 6
5

Generell sind die empfohlenen Antibiotikaregimes nachzulesen/abzugleichen, zum Beispiel in der bereits
mehrfach zitierten Leitlinie der ESC (Habib et al. 2009).

KASUISTIK
Nach 10 Tagen antibiotischer Therapie – die laborchemischen Infektzeichen sind deutlich gebessert, kein Fieber mehr,
PCT ist nun negativ, der Patient hat die Antibiose bisher gut vertragen, die Vegetation stellt sich im TEE mit jetzt max.
10 mm Länge etwas größenprogredient dar, die MI wird nach wie vor mittelgradig eingeschätzt, Hinweise für einen pe-
rianulären Abszess finden sich nicht – erleidet der Patient eine TIA in den frühen Morgenstunden, gegen Mittag dann
nochmals. Sie veranlassen ein Schädel-CT, das einen unauffällig Befund zeigt.

Müssen Sie Ihr Therapiekonzept ändern?

Auch wenn das CT bisher kein Korrelat zeigt, muss man septische Embolisationen vermuten und nun eine
rasche Operation in Erwägung ziehen (› Abb. 5.7).
Indikationen und Evidenzgrad der chirurgischen Therapie (Naber 2004):
• IB: Akute AI oder MI mit hämodynamischer Instabilität, perivalvulärer Abszess, Fistelbildung
• IC: MRSA oder Pilzendokarditis, persistierende Fungämie/Bakteriämie trotz Therapie, rezidivierende
Embolien nach adäquater antibiotischer Therapie, Prothesenendokarditis (bei penicillinsensiblen Strepto-
kokken zunächst konservatives Vorgehen gerechtfertigt)
• IIaC: schwere Sepsis > 48 h, persistierend Fieber (cave: drug fever) trotz adäquater antibiotischer Thera-
pie über 5–10 Tage, frische mobile Vegetation > 10 mm an MK, Größenzunahme/Ausbreitung der Vege-
tation, akute zerebrale Embolie.
218 5  Leitsymptom Fieber

Neurologische Komplikation

CT

• Herzversagen
• Unkontrollierte Infektion
• Abszess
• Hohes Embolierisiko

ja nein

• Intrakranielle Blutung
• Koma ja
• Schwere Komorbiditäten
• Schwerer Schlaganfall

nein

Chirugische Therapie Konservative Behandlung


erwägen und Monitoring

Abb. 5.7  Therapeutische Strategie bei Patienten mit infektiöser Endokarditis und neurologischen Komplikationen (nach Habib
5 et al. 2009)

Gehen Sie nun bitte auch noch auf andere mögliche Komplikationen der
infektiösen Endokarditis ein.

Kardiale Komplikationen wie Herzinsuffizienz, Myokarditis, Perikarditis, Ausbildung eines perianulären Ab-
szesses, Abklatsch-Vegetationen und extrakardiale Komplikationen wie zerebrale Embolien und Einblutun-
gen, mykotische Aneurysmen, Milzabszesse, akutes Nierenversagen können auftreten, ebenso rheumatische
Komplikationen.

Muss Ihr Patient nach erfolgreicher Operation (Klappenersatz) einen Endo­kardi­


tisprophylaxe-Ausweis erhalten? Welche Patienten generell sollen eine
Endokarditisprophylaxe erhalten?

Muss der Patient postoperativ noch weiter antibiotisch behandelt werden?

Grundsätzlich wird die antibiotische Therapie nach den Richtlinien durchführt, das heißt bei Nativklappen­
endokarditis über 2–6 Wochen, bei Kunstklappendokarditis mindestens 6 Wochen lang.
Sollte bei einer Nativklappenendokarditis ein Klappenersatz notwendig werden, ist das präoperative „Na-
tivklappenregime“ fortzuführen. Die Dauer der antibiotischen Therapie wird ab dem ersten Tag effektiver
Antibiose gerechnet, postoperativ erfolgt nur dann ein neuer Zyklus Antibiotikagabe, wenn die intraoperativ
gewonnenen Klappenkulturen positiv sind. Die Auswahl des Antibiotikums richtet sich nach dem jeweils
zuletzt nachgewiesenen Keim.
Nur noch für Hochrisikopatienten wird eine Endokarditisprophylaxe empfohlen (› Tab. 5.5).
Unser Patient erfüllt somit die Kriterien und soll eine Endokarditisprophylaxe bei folgenden Eingriffen
erhalten (› Tab. 5.6, › Tab. 5.7).
5.2  Rezidivierende Fieberschübe 219

Tab. 5.5  Endokarditisprophylaxe (nach Habib et al. 2009)


Empfehlungen zur Endokarditisprophylaxe Evidenzgrad
Antibiotikaprophylaxe nur bei Patienten mit hohem Risiko für infektiöse Endokarditis IIa C
1. Patienten mit Kunstklappen oder nach Herzklappenrekonstruktion mit Verwendung von prostheti-
schem Material
2. Patienten mit stattgehabter Endokarditis
3. Patienten mit kongenitaler Herzerkrankung
a. nichtoperierte zyanotische kongenitale Herzerkrankung oder residuale Defekte, palliative Shunts
oder Conduits
b. komplett behandelte kongenitale Herzerkrankung wenn prothetisches Material verwendet wurde
(chirurgisch oder perkutan) bis 6 Monate nach der Prozedur
c. residualer Defekt nach Behandlung mit prosthetischem Material oder Device (herzchirurgische
oder perkutane Intervention)
Keine Empfehlung zur Antibiotikaprophylaxe bei anderen Arten valvulärer oder kongenitaler Herz­ IIIC
erkrankungen mehr

Tab. 5.6  Empfehlungen zur Endokarditisprophylaxe (nach Habib et al. 2009)


Empfehlungen: Prophylaxe Evidenzgrad
A. Dentale Prozeduren
Antibiotikaprophylaxe nur bei: Manipulation an Gingiva und periapikal, Perforation der Mukosa IIa C
Antibiotikaprophylaxe nicht empfohlen: Lokalanästhesie bei nicht infiziertem Gewebe, Ziehen von Fä- IIIC
5
den, Röntgen, Platzieren oder Adjustieren von Zahnspangen, Trauma an Lippen oder Mundschleimhaut
B. Respirationstrakt
Antibiotikaprophylaxe ist bei Prozeduren im Bereich des Respirationstrakts nicht empfohlen, inkludiert IIIC
sind: Bronchoskopie und Laryngoskopie, transnasale oder endotracheale Intubation
C. GI-Trakt, Urogenitaltrakt
Antibiotikaprophylaxe nicht empfohlen bei Gastroskopie, Koloskopie, Zystoskopie, transösophagealer IIIC
Echokardiographie
D. Haut und Weichteile
Antibiotikaprophylaxe ist hier nicht empfohlen IIIC

Tab. 5.7  Empfohlene Prophylaxe bei o.g. dentalen Eingriffen


Einzeldosis 30–60 Minuten vor der Prozedur
Situation Antibiotikum Erwachsene Kinder
Keine Penicillin- oder Ampi- Amoxicillin oder Ampicillin 2 g p.o. oder i.v. 50 mg/kg KG p.o. oder i.v.
cillin-Allergie
Penicillin- oder Ampicillin- Clindamycin 600 mg p.o. oder i.v. 20 mg/kg KG p.o. oder i.v.
Allergie

Noch eine abschließende Frage: Unser Patient hat sich im Aufnahme-EKG mit
Vorhofflattern präsentiert, im TEE waren keine intrakavitären Thromben
nachweisbar. Plädieren Sie für eine rasche Elektrokardioversion?  
Wie antikoagulieren Sie Ihren Patienten?

Angesichts der großen mobilen Vegetation im Bereich der Mitralklappe muss eine Elektrokardioversion
sorgfältig abgewogen werden, insbesondere bei Kreislaufinstabilität infolge schneller Überleitung aber si-
cherlich in Erwägung gezogen werden.
220 5  Leitsymptom Fieber

Tab. 5.8  Empfehlungen zur Antikoagulation


Empfehlung: Antikoagulation Evidenzgrad
Antithrombozytäre Therapie nur bei majorer Blutung unterbrechen. IB
Bei ischämischem Insult ohne intrazerebrale Blutung orale Antikoagulation unter strengem PTT bzw. IC
ACT-Monitoring für 2 Wochen durch unfraktioniertes Heparin ersetzen.
Bei intrazerebraler Blutung Antikoagulanzien absetzen. IC
Bei Patienten mit intrazerebraler Blutung und mechanischer Herzklappe sobald wie möglich Therapie IIa C
mit unfraktioniertem Heparin beginnen (unter strenger PTT bzw. ACT-Kontrolle), Entscheidung interdis-
ziplinär treffen.
Ohne Insult, orale Antikoagulation bei infektiöser Endokarditis durch S. aureus ggf. für 2 Wochen IIb C
durch unfraktioniertes Heparin (PTT bzw. ACT-gesteuert) ersetzen.

Antikoagulieren würde man in unserem Fall PTT-wirksam mit i.v.-Heparin unter engmaschiger Gerinnungs-
kontrolle (› Tab. 5.8).

LITERATUR
Habib G, Hoen B, Tornos P, et al. Guideline on the prevention, diagnosis and treatment of infective endocarditis 2009. Euro-
pean Heart Journal 2009; 30: 2369–413.
Li JS, Sexton DJ, Fowler VG, et al. Proposed modification to the Duke criteria for the diagnosis of infective endocarditis. Clin
5 Infect. Dis 2000; 30: 633–8.
Mylonakis E, Calderwood SB. Infective Endocarditis in Adults. New Engl J Med 2001; 345: 1318–30.
Uslan DZ, Sohail MR, St. Sauver JL, et al. Permanent Pacemaker and Implantable Cardioverter Defibrillator Infection. Arch
Int Med. 2007; 167 (7): 669–75.
Naber CK. S2-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der infektiösen Endokarditis. Z. Kardiol 2004; 93: 1005–21.

5.3  Fieber und Schüttelfrost


Eva von Eckardstein-Thumb

KASUISTIK
Ein 75-jähriger Mann mit Oligurie und Dysurie, Z.n. rezidivierenden Harnwegsinfekten im vergangenen Jahr und bekannter
Prostatahypertropie stellt sich mit nun erstmals Schüttelfrost und allgemeinem Krankheitsgefühl in der Notaufnahme vor.

Wie gehen Sie weiter vor?

Körperliche Untersuchung und Erheben der detaillierten Anamnese, Urinstatus und Urin-Bakteriologie, ggf.
DK-Anlage, ggf. Abdomensonographie (NHS-Stau? Restharnmenge?), Blutentnahme (Infektparameter, klei-
nes Blutbild, Elektrolyte, Nierenretentionswerte, ggf. PSA-Bestimmung).

Körperliche Untersuchung: Mäßiger Allgemein- und guter Ernährungszustand. Blasses Hautkolorit. JVD normal. Pul-
mo frei, RR 90/60 mmHg. Cor: leises Systolikum p.m. über ERB kein Perikardreiben, unregelmäßig, ca. 100/min. Tempe-
ratur 39°C rektal. Abdomen: adipös, Meteorismus, weich, kein Druckschmerz, Harnblase nicht palpabel, Leber unauffäl-
lig. Milz nicht sicher beurteilbar. Keine Ödeme. Periphere Pulse regelrecht tastbar. Kein neurologisches Defizit.
Vorgeschichte: Z.n. 3-facher Bypass-OP bei koronarer Dreigefäßerkrankung mit vorbefundlich normaler LV-Funktion
und Z.n. Implantation eines Zweikammer-Schrittmachers bei intermittierendem AV-Block III vor 6 Monaten.
5.3  Fieber und Schüttelfrost 221

Bekannte arterielle Hypertonie. Prostathyperplasie; regelmäßige urologische Kontrollen bisher ohne Hinweis auf malignen
Prozess, Z.n. mehreren Harnwegsinfekten in den vergangenen Monaten, die auch mehrfach antibiotisch behandelt wer-
den mussten. Seit der Bypass-OP insgesamt stark reduzierter Allgemeinzustand.
Medikation: 100 mg Acetylsalicylsäure tgl., 5 mg Bisoprolol tgl., 2,5 mg Ramipril tgl., 20 mg Simvastatin tgl.
Urinstatus:
Nitrit pos.
Glukose neg.
Leukozyten +++
Blut +
Labor:
Leukozyten 14/nl
Hb 10,3 g/dl
Thrombozyten 244/nl
Kreatinin 2,1 mg/dl
Harnstoff 95 mg/dl
Kalium 4,8 mgdl
CRP 228 mg/dl
PSA 1,5 ng/ml
PCT 0,62 μg/l (Norm bis 0,5 μg/l)
Abdomensonographie: Bei Meteorismus eingeschränkt beurteilbar. Kein NHS-Stau bds., zwei Nierenzysten rechts,
linke Niere morphologisch unauffällig. Restharnmenge ∼ 400 ml. Geringe Splenomegalie. Z.n. Cholezystektomie. 5

Was sehen Sie im EKG (› Abb. 5.8)? Was empfehlen und rezeptieren Sie?

Abb. 5.8  EKG


222 5  Leitsymptom Fieber

Das EKG zeigt normofrequentes Vorhofflimmern, ventrikuläre Schrittmacherstimulation, bipolar (wohl


VVI- Modus), teilweise eigene Aktionen. Es gibt des Weiteren Hinweise auf ein Sensingproblem (Undersen-
sing, trotz adäquatem Eigenrhythmus liegt keine Inhibition vor, da dieser nicht erkannt wird. Stattdessen
findet eine kontinuierliche SM-Stimulation statt. Diese führt teils zur vorzeitigen Stimulation wie nach dem
4. QRS-Komplex bzw. zu ineffektiven Stimuli, wenn diese in die ventrikuläre Refraktärphase fallen [nach dem
3. QRS-Komplex]).
Sie benötigen den Herzschrittmacherausweis des Patienten, um die Einstellungen zu überprüfen, führen
eine Schrittmacherkontrolle durch und antikoagulieren den Patienten.

Herzschrittmacherkontrolle: Mode Switch bei Vorhofflimmern bereits vor 8 Wochen.


Ventrikelsensing: stark schwankende Werte. Die Wahrnehmungsschwelle ist im Ventrikel insgesamt seit der Implanta-
tion deutlich abgefallen auf 2,0 mV (eingestellte Empfindlichkeit 2,0 mV).
Sprunghafter Impedanzanstieg der Ventrikelsonde von 600 auf 1500 Ω bereits wenige Wochen nach Implantation.

Was tun Sie nun?

Sie ändern die Empfindlichkeit auf 1,0 mV.

5
Behandeln Sie ambulant weiter?

Aufgrund der bisherigen Informationen sollte der Patient nicht entlassen werden, insbesondere wegen des
eingeschränkten Allgemeinzustands, der ausgeprägten Infektkonstellation, der Niereninsuffizienz (noch un-
klar, ob vorbestehend). Ein neuerlicher Harnwegsinfekt konnte bereits bestätigt werden, die klinische Prä-
sentation und die deutlich erhöhten laborchemischen Infektparameter sowie sonographisch die Splenomega-
lie weisen auf ein beginnendes septisches Krankheitsbild hin. Sie entnehmen Blutkulturen und beginnen
kalkuliert eine antibiotische Behandlung.
Zusätzlich besteht Vorhofflimmern (bisher nicht vorbekannt) unklarer Dauer, was im Hinblick auf eine
mittelfristig anzustrebende Kardioversion eine Antikoagulation erforderlich macht. Zudem liegt ein zumin-
dest intermittierender Sensingdefekt des Herzschrittmachers vor.

Definieren Sie bitte die Begriffe „Sensingdefekt“ und „Pacingdefekt“. Was sind
mögliche Ursachen und Symptome?

• Sensingdefekt: Fehlinterpretation von Aktionen der stimulierten Kammer.


• Undersensing: Eigenaktionen werden nicht richtig erkannt, der Pacer stimuliert somit unabhängig von
den Eigenaktionen. Der Schrittmacherimpuls kann in die vulnerable Phase hinein stimulieren. Ursachen
können z.B. eine falsch eingestellte Empfindlichkeit, Kabeldefekte, Sondendislokationen und Verände-
rungen im Gewebe (z.B. Narben, Entzündung, Ödem, Ischämie) im Bereich der Sondenspitze sein. Die
Symptome können bis hin zum plötzlichen Herztod reichen, sollte eine Stimulation in der vulnerablen
Phase eine nicht selbstlimitierende ventrikuläre Tachykardie auslösen.
• Oversensing: Der Schrittmacher erkennt Signale, die fälschlich als Aktionen der betreffenden Kammer in-
terpretiert werden. Ursachen sind z.B. falsch eingestellte Empfindlichkeit, exogene Störpotenziale (Elek­
trogeräte). Funktionell können Symptome auftreten wie beim Pacingdefekt, da der Pacer trotz fehlender
Eigenaktionen nicht stimuliert.
5.3  Fieber und Schüttelfrost 223

• Pacingdefekt: Der Schrittmacherimpuls wird nicht korrekt beantwortet (exit block). Die Ursache können
z.B. Sondendefekte, lokale Gewebsveränderungen mit Reizschwellenanstieg, Sondendislokation mit (pha-
senweise) Kontaktproblemen sein. Folgen sind Bradykardie, Schwindel, Synkopen bis hin zur tödlichen
Asystolie beim schrittmacherabhängigen Patienten.

Vielleicht können Sie ja die Probleme des Patienten doch zusammenbringen.


Welche Zusatzuntersuchungen könnten Ihnen weiterhelfen?

• Röntgen-Thorax: Sondenlage, Dislokation? Sondenbruch? Konnexion am Schrittmachergehäuse?


• UKG (ggf. TEE): Sondenlage? Perikarderguss?

Röntgen-Thorax: korrekte Sondenlage. Kein Pneumothorax. Keine Stauungszeichen, keine Infiltrate. Pleurawinkeler-
guss links.
UKG: Normale globale Pumpfunktion, asynchrone Septumbewegung, insgesamt hyperdynamisch kontrahierender LV.
Keine regionalen Wandbewegungsstörungen nachweisbar. LV normal groß, geringe LVH. Beide Vorhöfe mäßig vergrö-
ßert. RV normal groß. Aortenwurzel normal weit. Klappen gering sklerosiert, Reflux an MK und TK. Druckgradient RV/RA
max. 30 mmHg plus ZVD (VCI kollabiert). Schrittmachersonden regelrecht lokalisiert in RA und RV. Dem mittleren Anteil
der Ventrikelsonde anhaftend 2 echoweiche eigenbewegliche Strukturen von ca. 5 × 8 mm und 5 × 5 mm Größe, DD:
Thromben, Vegetationen. Insbesondere von subkostal gute Darstellbarkeit der Sonden! Kein Perikarderguss. 5
TEE: Hier lassen sich die Schrittmachersonden noch besser kontinuierlich im Verlauf darstellen. Der Ventrikelsonde ­anhaftend
finden sich mehrere aneinandergereihte echoarme eigenbewegliche Auflagerungen von bis zu 10 mm Durchmesser.
TK gering sklerosiert, geringer Reflux, keine Vegetationen der TK anhaftend, übrige Klappen gering sklerosiert, regelrecht
beweglich. Reflux an der MK.
Geringer Spontankontrast im LA, keine Thromben im LA und LAA. Niedrige Flussgeschwindigkeiten im LAA (bis 0,2 m/s).

Um was für ein Krankheitsbild handelt es sich? Wie gehen Sie nun weiter vor?

Es handelt sich um eine Schrittmacher-Sonden-Endokarditis.


Diese entsteht meist durch Kontamination mit lokaler Bakterienflora (überwiegend Staphylococcus aure-
us) bei Implantation. Die Infektion breitet sich entlang der Elektrode bis zum Endokard und der Elektroden-
spitze aus. Auch die hämatogene Streuung eines entfernten Infektionsherds ist eine mögliche Ursache.
Die Diagnosestellung ist schwieriger als bei der Endokarditis, insbesondere der linkskardialen Herzklappen,
da klinisch überwiegend wenig spezifische respiratorische Symptome (bedingt durch embolische Verschleppung
in die Lungenstrombahn), Infektzeichen und Immunphänomene auftreten, sonst für Endokarditis wegweisende
Zeichen einer Klappeninsuffizienz oder auch arterielle Embolien aber in der Regel nicht vorliegen (› Kap. 5.2).
Die Duke-Kriterien sind hier zur Diagnosestellung weniger sensitiv. Es wurde vorgeschlagen, die Duke-
Kriterien hierfür zu modifizieren und lokale Entzündungszeichen sowie eine pulmonale (septische) Embolie
als Hauptkriterien zu verwenden (Klug und Lekieffre 1997):
• Blutkulturen nach Guidelines
• Antibiose nach Richtlinien kalkuliert bis Keimnachweis, in jedem Fall prolongierte Therapie über 4–6
Wochen empfohlen
• Sondenextraktion/-explantation planen
• Beginn einer Antikoagulation nicht empfohlen
• Schrittmacherprogrammierung: Empfindlichkeiten erhöhen! (› Tab. 5.9)
Sondenentfernung, -explantation, -extraktion: mögliche praktische Vorgehensweisen bei CDRIE und Defini-
tionen:
224 5  Leitsymptom Fieber

• Sondenentfernung: Sondenentfernung unabhängig von der Technik und vom Zeitraum nach der Implantati-
on.
• Sondenexplantation: Sondenentfernung ohne besondere Hilfsmittel, z.B. nur durch manuellen Zug über
die Implantationsvene bei einer Sonde, die < 1 Jahr implantiert ist
• Sondenextraktion:
– Sondenentfernung unter Zuhilfenahme besonderer Hilfsmittel, wie Entfernungsmandrains (locking
stylets), Laser oder elektrochirurgische Sheaths etc., unabhängig von der Implantationszeit der Sonde.
– Sondenentfernung, wenn die Sonde > 1 Jahr implantiert.
Die Empfehlungen zur Sondenentfernung, Sondenexplantation und Sondenextraktion sind der deutschen
Übersetzung der NASPE-Empfehlungen mit Kommentar der deutschen Gesellschaft für Kardiologie zu ent-
nehmen. Es wird hier auch auf empfohlene personelle und infrastrukturelle Voraussetzungen eingegangen
(Hemmer et al. 2002).
Die Sondenentfernung stellt die schwierigste Operation unter den SM-Eingriffen dar und setzt daher einen
entsprechend erfahrenen Operateur voraus.
Indikation zur Sondenentfernung (Hemmer et al. 2002):
Klasse I (Situationen, für die eine generelle Übereinstimmung besteht, dass die Sonde(n) entfernt werden
sollte(n)):
• Sepsis (= systemische Infektion) und/oder Endokarditis durch eine dokumentierte, d.h. mikrobiologisch
nachgewiesene Infektion eines intravaskulären Anteils des SM-Systems oder durch eine SM-Taschenin-
5 fektion, wenn der intravaskuläre Anteil der Sonde nicht sicher aseptisch abgesetzt werden kann.
• Lebensbedrohliche Arrhythmien, ausgelöst durch Sondenfragmente.
• Sonden, Sondenfragmente oder zurückgelassene Anteile von Entfernungshilfen, die für den Patienten ei-
ne Akutgefährdung oder eine ständige Bedrohung der Gesundheit bedeuten.
• Sonden, Sondenfragmente, die zu klinisch relevanten thromboembolischen Ereignissen führten.
Tab. 5.9  Endokarditis bei Patienten mit Herzschrittmacher/ICD (CDRIE: cardiac device-related infective endocardi-
tis): Behandlung und Vorbeugung (Habib et al. 2009)
Empfehlung: Schrittmacher/ICD (Sonden)-Endokarditis Evidenzgrad
A. Therapieprinzipien
Prolongierte Antibiotikatherapie und Entfernung des Schrittmachers/ICD bei gesicherter CDRIE emp- IB
fohlen
Entfernung des Device bei CDRIE Verdacht in Erwägung ziehen, wenn für eine okkulte Infektion kein IIa C
anderer Fokus gefunden werden kann
Bei Patienten mit Klappenendokarditis (native oder Kunstklappe) und zusätzlich vorhandenem intra- IIb C
kardialen Device, Extraktion desselben in Erwägung ziehen
B. Art der Device-Entfernung
Perkutane Extraktion empfohlen (auch bei Vegetationen > 10 mm) IB
Chirurgische Extraktion, wenn perkutan nur inkomplett – oder nicht möglich oder bei assoziierter IIa B
destruierender Trikuspidalklappenendokarditis
Chirurgische Extraktion bei Patienten mit sehr großen Vegetationen erwägen (> 25 mm) IIb C
C. Reimplantation
Nach Entfernung des Device, Indikation zur Reimplantation neu prüfen IB
Wenn Reimplantation notwendig, diese möglichst zumindest Tage bis Wochen aufschieben und anti- IIa B
biotisch weiterbehandeln
Passageres Pacen nicht empfohlen IIIC
D. Prophylaxe
Routinemäßig Antibiotikaprophylaxe vor Device-Implantation empfohlen IB
5.3  Fieber und Schüttelfrost 225

• Verlegung aller für eine Implantation nutzbaren Venen, wenn eine transvenöse Neuimplantation not-
wendig wird.
• Sonde(n), die mit der Funktion eines anderen Stimulationssystems (z. B. SM oder ICD) interferiert(en).

Was ist zu tun, wenn der Patient Schrittmacher-abhängig ist?

Bei einer solchen Konstellation sollte immer möglichst interdisziplinär (Herz-Thorax-Chirurgie) das Prob-
lem erörtert und ein für den Patienten geeignetes Procedere festgelegt werden. Die herzchirurgische Versor-
gung mittels epikardialer Sonden ist ein möglicher Weg.

Der hier besprochene Patient ist aktuell nicht Schrittmacher-abhängig. Bei V.a. Sondenendokarditis und vor einigen
Wochen neu aufgetretenem Vorhofflimmern erfolgte eine stationäre Aufnahme zur kalkulierten intravenösen Antibiotika-
therapie und PTT-wirksamen Antikoagulation mit Heparin mit dem Ziel einer Regularisierung des Vorhofflimmerns.
Nachdem in zwei separaten Blutkulturen Staphylococcus epidermidis nachgewiesen wurde, wurde die Antibiotikatherapie
entsprechend angepasst. Bei somit bestätigter Sondenendokarditis wurde die Sondenexplantation in einem hierin erfah-
renen Zentrum komplikationsfrei durchgeführt. Anschließend erfolgte eine erfolgreiche Elektrokardioversion.

Was müssen Sie prinzipiell bei Schrittmacherpatienten beachten, die 5


elektrokardiovertiert werden müssen?

Eine Kardioversion (auch Defibrillation natürlich) ist prinzipiell auch bei Schrittmacherpatienten möglich.
Es kann jedoch zu einem Verlust der Reizbeantwortung kommen (loss of capture), der Schrittmacher kann in
sehr seltenen Fällen irreversibel geschädigt werden, es kann vorübergehend zu einer Inhibierung des Schritt-
machers kommen. Die Elektrokardioversion kann zu einer Stimulation im VVI-Sicherheitsmodus oder asyn-
chron mit starrer Frequenz führen.
Folgendes sollte beachtet werden:
• Vor Kardioversion und unmittelbar danach sollten die Betriebsparameter, Messdaten und Stimulations-/
Wahrnehmungsschwellen aufgezeichnet werden, um die normale Funktion des Schrittmachers zu prüfen.
• Anterior/posteriores Anbringen der Elektroden (Energievektor senkrecht zur Elektrodenebene, dadurch
Minimierung der Energiekopplung in der Stimulationselektrode).
• Paddles mindestens in 15 cm Abstand von Schrittmacher aufbringen.
• Möglichst niedrige Energiestufen einstellen.
LITERATUR
Habib G, Hoen B, Tornos P, et al. Guideline on the prevention, diagnosis and treatment of infective endocarditis 2009. Euro-
pean Heart Journal 2009; 30: 2369–413.
Hemmer W, Fröhlig G, Markewitz A. Kommentar zu den NASPE-Empfehlungen zur Entfernung von permanent implantier-
ten, transvenösen Herzschrittmacher- und Defibrillatorsonden. Z Kardiol 2002; 91: 956–68.
Klug D, Lekieffre J. Systemic infection related to endocarditis on pacemaker leads: clinical presentation presentation and
management. Circulation 1997; 95: 2098–107.
Love CJ, Wilkoff BL, Byrd CL, et al. Recommendations for extraction of chronically implanted transvenous pacing and defib-
rillator leads: indications, facilities, training. PACE 2000; 3: 544–51
KAPITEL Leitsymptome Kollaps,
Synkope, Ohnmacht,

6 neurologische Ausfall­
erscheinungen
6.1 Rezidivierende Synkopen Hagen Gross . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

6.2 Vorübergehende Absencen Hagen Gross . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

6.3 Fokale neurologische Ausfallserscheinungen Ralph Hein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

6.4 Amaurosis fugax Ralph Hein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

6.5 Zunächst ungeklärte Synkope Christoph Spes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

6.1  Rezidivierende Synkopen


Hagen Gross

KASUISTIK
Ein 32-jähriger Mann stellt sich in Ihrer Praxis vor. Er sei vor einigen Tagen plötzlich für einige Sekunden bewusstlos ge-
worden. Derartige Anfälle sind ihm seit der Jugend bekannt und treten in unregelmäßigen Abständen von einigen Jahren
auf. Dieses Jahr sei es allerdings bereits das zweite Ereignis. Prodromi lassen sich bei ihm nicht erfragen. Er sei sonst
immer gesund gewesen. Eine ärztliche Abklärung sei bisher nicht erfolgt.

Wie definieren Sie den Begriff Synkope?

Nach der Definition der ESC handelt es sich um einen kurzzeitigen Bewusstseinsverlust aufgrund einer glo-
balen zerebralen Hypoperfusion. Kennzeichen sind ein plötzlicher Beginn, eine kurze Dauer sowie eine spon-
tane komplette Erholung.
Abzugrenzen ist eine Synkope von Bewusstseinsverlusten ohne globale Hypoperfusion sowie Epilepsie,
metabolischen Entgleisungen wie Hypoglykämie, Hypoxie und Hyperventilation, Intoxikationen, vertebro-
basilarer TIA sowie von Ereignissen ohne Bewusstseinsverluste, wie Kataplexie, Drop Attacks, Stürze, psy-
chogene Pseudosynkopen, TIA.

Welche Synkopenformen kennen Sie?

In den aktuellen Guidelines der ESC werden folgen Synkopenformen unterschieden:


• Reflex-Synkopen
– vasovagal
– situationsbedingt
– Karotissinussynkope
228 6  Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen

– atypische Formen
• Synkopen durch orthostasebedingte Hypotension
– primäre autonome Dysfunktion
– sekundäre autonome Dysfunktion
– medikamentenassoziierte orthostatische Hypotension
– Volumendepletion
• Kardiale Synkopen
– Arrhythmie als primäre Ursache
– Bradykardien
– Tachykardien
– Medikamentös induzierte Rhythmusstörungen
– strukturelle Herzerkrankungen.

KASUISTIK
Der Patient berichtet, dass er sonst immer gesund gewesen sei. Einschränkungen in seiner körperlichen Belastbarkeit
bestünden nicht. Sein Hausarzt (bei dem er vor vielen Jahren zuletzt war) hatte ihm gute Gesundheit bescheinigt. Bei
betriebsärztlichen Untersuchungen sei ebenfalls nie etwas aufgefallen. Medikamente werden nicht eingenommen. Alko-
hol trinkt er nur selten, z.B. bei Feiern. Nikotinkonsum wird verneint.
Darüber hinaus schildert der Patient bei der weiteren Anamneseerhebung, dass er die „Anfälle“ nicht voraussehen kann.
Ein Muster habe er nicht erkennen können. Die Ereignisse seien jeweils tagsüber aufgetreten, meist bei leichter körperli-
cher Betätigung, zuletzt sei ihm während der Arbeit, beim langsamen Gehen, plötzlich flau geworden, dann sei ihm
schwarz vor Augen geworden. Als er (wie Kollegen ihm sagten) nach wenigen Sekunden wieder aufwachte, habe er auf
dem Boden gelegen, verletzt habe er sich nicht. Sein Vater habe im Alter von 50 Jahren einen Schrittmacher bekommen,
da er ebenfalls rezidivierend synkopiert sei. Nach der Schrittmacherimplantation sei er nie wieder synkopal geworden.
6 Die körperliche Untersuchung des schlanken Patienten zeigt keinerlei Auffälligkeiten. Der Blutdruck im Liegen ist
135/80 mmHg, im Stehen 125/85 mmHg, die Herzfrequenz 70/min bzw. 85/min.

Wie beurteilen Sie die Prognose einer Synkope?

Die Synkope ist ein sehr heterogenes Krankheitsbild mit völlig unterschiedlichen Ursachen für den Bewusstseins-
verlust. Entsprechend ist die Prognose von der zugrunde liegenden Erkrankung abhängig. Es gibt einige Scores,
um die Prognose von Synkopenpatienten abzuschätzen. Generell haben Patienten, bei denen sich EKG-Verände-
rungen bzw. eine strukturelle Herzerkrankung nachweisen lassen, eine schlechtere Prognose (› Abb. 6.1).

Welche weiteren Untersuchungen würden Sie bei unserem Patienten zunächst


durchführen?

Zunächst müssen die Umstände näher geklärt werden, unter denen die Ereignisse stattfanden. Das heißt, die
Frage ist, ob wirklich eine klassische Synkope vorlag, oder ob es sich um ein ggf. differenzialdiagnostisch noch
zu klärendes Ereignis handelte, dass keine Synkope darstellt.
Häufig ist eine bestimmte Diagnose aufgrund des Hergangs wahrscheinlich.
Nach den aktuellen ESC-Leitlinien ist nicht die genaue Klärung der Synkope an sich wichtig, vielmehr müs-
sen Erkrankungen erkannt werden, die einer entsprechenden Behandlung bedürfen und eine schlechte Prog-
nose mit sich bringen, wie z.B. lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen. Entsprechend wird zunächst eine
initiale Evaluation mit einer Basisdiagnostik durchgeführt.
Die Basisdiagnostik umfasst eine sorgfältige Anamnese, körperliche Untersuchung, EKG sowie eine Blut-
druckmessung im Stehen und im Liegen, falls eine Reflex-Synkope vermutet wird. Abhängig von der wahr-
6.1  Rezidivierende Synkopen 229

1,0

0,8
Überlebenswahrscheinlichkeit

0,6

0,4

0,2

0,0
0 5 10 15 20 25
Follow-up (Jahre)

Keine Synkope Unklare Ursache


Vasovagale oder Neurologische Ursache
andere Ursachen Kardiale Ursache

Abb. 6.1  Überlebensrate von Probanden mit Synkope, geordnet nach Ursachen, und Probanden ohne Synkope (nach Soteriades
et al. 2002) 6

scheinlichen Diagnose folgen ggf. weitere Untersuchungen (› Kap. 6.2). Nur falls als Ursache des Bewusst-
seinsverlusts z.B. eine neurologische Erkrankung in Betracht kommt, erfolgt eine dahin gehende Abklärung.

Ihr Vorschlag zum weiteren Vorgehen?

Nach der Anamnese sind bei dem Patienten bereits mehrfach Synkopen aufgetreten. Eine kardiale Ursache
ist aufgrund des Hergangs nicht auszuschließen, sodass zunächst eine entsprechende Diagnostik in diese
Richtung erfolgen sollte.
Es sollten also ein EKG, eine Echokardiographie, ein Belastungstest sowie ein Langzeit-EKG durchgeführt
werden.

Welche Ergebnisse erwarten Sie bei den Untersuchungen?

Mit den Untersuchungen soll eine mögliche kardiale Genese (z.B. Aortenstenose, Kardiomyopathie, Tachykardie
bzw. Bradykardie, Herzrhythmusstörungen, Leitungsanomalien (AV-Block, Präexcitationssyndrom), Ionenka-
nalanomalien (Long/Short QT, Brugada) sowie eine relevante koronare Herzerkrankung) entdeckt werden.
Aufgrund der Anamnese und der bisherigen Untersuchungen werden die Echokardiographie und das Be-
lastungs-EKG unauffällig sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das Langzeit-EKG ebenfalls nicht auffällig
sein, da die Synkopen nicht so häufig auftreten, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass eine Synkope gerade zum
Aufzeichnungszeitraum auftritt.
230 6  Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen

KASUISTIK
Die Untersuchungen zeigen folgende Ergebnisse: In der Tat zeigt die Echokardiographie einen altersentsprechenden
Normalbefund. Das Ruhe-EKG ist normal, das Belastungs-EKG zeigt bei dem jungen, sportlichen Patienten eine über-
durchschnittliche Belastbarkeit und ist ansonsten unauffällig. Im Langzeit-EKG findet sich ein durchgehender Sinusrhyth-
mus mit einer Frequenz zwischen 64–105/min. SVES. Insgesamt 250 Asystolien > 1500 ms. Dauer der längsten Asystolie
2125 ms, HF dabei 39/min. Somit altersentsprechend bei einem sportlichen jungen Mann.

Ihr Patient stellt sich nach einigen Tagen zur Besprechung der Ergebnisse der
Untersuchungen erneut bei Ihnen vor. Was berichten Sie ihm?

Insgesamt besteht derzeit kein Hinweis auf eine kardiale Ursache der Synkopen. Vitien konnten ausgeschlos-
sen werden, für eine Kardiomyopathie sowie eine Ischämie gibt es keine Hinweise.
Somit besteht für eine kardiale Ursache, deren Abklärung aus prognostischen Gründen notwendig ist, kein
Hinweis.

Empfehlen Sie dem Patienten eine weitere Abklärung?

Aufgrund des Alters und des Hergangs scheint eine vasovagale bzw. neurokardiogene Synkope mit guter
Prognose die wahrscheinlichste Diagnose. Falls sich für den Patienten hieraus Konsequenzen ergeben (z.B.
beruflich, Rezidivprophylaxe), so kann eine weitere Abklärung sinnvoll sein. Hierzu sollte eine Kipptischun-
tersuchung durchgeführt werden. Auch die Implantation eines Event-Rekorders kann erwogen werden.

6
Wann kann die Implantation eines Event-Rekorders sinnvoll sein?

Tab. 6.1  Indikationen (Auswahl) für einen Event-Rekorder (The Task Force for the Diagnosis and Management of
Syncope of the European Society of Cardiology [ESC] 2009)
Indikation Evidenzgrad
In der Frühphase der Abklärung bei rezidivierenden Synkopen unklarer Ursache bei Patienten mit nied- I B
rigem Risiko
Hochrisikopatienten, bei denen keine Synkopenursache gefunden werden konnte bzw. zu einer spezifi- I B
schen Behandlung führte
Die Implantation eines Event-Rekorders sollte vor einer Schrittmacherimplantation in Betracht gezogen II B
werden, um bei Patienten mit häufigen oder verletzungsassoziierten vermuteten oder gesicherten Re-
flexsynkopen den Zusammenhang mit einer Bradykardie zu ermitteln

Wann stellen Sie die Indikation für eine Kipptischuntersuchung?

Der Kipptischtest ist für folgende diagnostische Zwecke indiziert (Auszug aus den ESC-Leitlinien sowie den
Leitlinien der DGK (The Task Force for the Diagnosis and Management of Syncope of the European Society of
Cardiology [ESC] 2009, Seidl et al. 2005):
• Bei Patienten mit einer einzigen Synkope unklarer Genese und einer Hochrisikoumgebung (z.B. Auftre-
ten von oder mögliches Risiko für körperliche Verletzungen oder berufliche Konsequenzen).
• Bei Patienten ohne organische Herzerkrankung mit rezidivierenden Synkopen oder bei Patienten mit or-
ganischer Herzerkrankung mit rezidivierenden Synkopen, bei denen eine kardiale Ursache weitgehend
ausgeschlossen wurde.
6.1  Rezidivierende Synkopen 231

• Bei Patienten, bei denen es aus klinischer Sicht von Nutzen ist, die Diagnose neural vermittelte Synkope
zu bestätigen.

Wie führen Sie eine Kipptischuntersuchung durch?

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie empfiehlt folgendes Vorgehen (Seidl et al. 2005):
• Vor dem Test sollte der Patient, wenn keine venöse Kanülierung erfolgt ist, für mindestens 5 Minuten,
wenn eine venöse Punktion erfolgt ist für mindestens 20 Minuten, liegen.
• Der Kipptischwinkel beträgt zwischen 60 und 70 Grad.
• Die passive Phase erstreckt sich minimal über 20 bis maximal 45 Minuten.
• Bei negativem passivem Test ist zur pharmakologischen Provokation entweder intravenös Isoproterenol/
Isoprenalin oder sublingual Nitroglyzerin zu geben. Die Dauer der pharmakologischen Provokation sollte
15–20 Minuten betragen.
• Bei Isoproterenolprovokation ist die Infusionsrate von 1 bis 3 µg/min zu steigern, wobei die mittlere
Herzfrequenz um 20–25% gegenüber dem Ausgangswert ansteigen sollte. Der Patient ist dafür nicht wie-
der in die liegende Position zurückzuführen.
• Bei Nitroglyzerinprovokation erhält der Patient die feste Dosis von 400 µg Nitroglyzerin sublingual in
aufrechter Position.
• Endpunkte der Untersuchung sind die Induktion einer Synkope oder die Beendigung der geplanten Test-
dauer nach pharmakologischer Provokation. Der Test ist diagnostisch beweisend, wenn eine Synkope
auftritt.
Unterschiedliche Meinungen liegen bei der Induktion einer Präsynkope vor.
6
Unser Patient willigt in die Kipptischuntersuchung ein. Nach ca. 20 Minuten kommt es zu einer Asystolie von 15 Sekun-
den, die zu einer Synkope führt. Nach Rückführung in die Horizontalposition erlangt der Patient sofort wieder das Be-
wusstsein.

Welche Therapieoptionen besprechen Sie mit dem Patienten?

• Keine Therapie: Patienten mit einer vagal bzw. neural vermittelten Synkope haben eine gute Prognose be-
züglich des Überlebens. Eine ausführliche Aufklärung des Patienten über Erkrankung und Prognose sollte
erfolgen. Falls möglich sollten auslösende Ursachen (z.B. langes Stehen) vermieden werden.
• Kipptischtraining/Stehtraining: In einigen Studien wurden hierdurch gute Erfolge erzielt (Seidl et al. 2005).
• Medikamentöse Therapie: Die medikamentöse Therapie hat insgesamt keine zufriedenstellenden Ergeb-
nisse gezeigt. Verschiedene Substanzklassen (u.a. Betablocker, Disopyramid, Scopolamin, Theophyllin,
Clonidin, Etilefrin, Midodrin, Serotonin Reuptake-Inhibitoren) wurden in zahlreichen Studien getestet,
häufig mit zunächst vielversprechenden Ergebnissen. In Placebo-kontrollierten Studien konnten die Re-
sultate nicht bestätigt werden (Seidl et al. 2005).
• Schrittmacherimplantation: Bei häufigen Synkopen mit Bradykardien und Asystolien > 3 Sekunden sowie
Verletzungen kann eine Schrittmacherimplantation in Erwägung gezogen werden. Die Studien zeigen un-
terschiedliche Ergebnisse. Eine Metaanalyse von 2007 findet eine nicht signifikante Reduktion der Synko-
penhäufigkeit um 17% durch Schrittmachertherapie (Sud et al. 2007).
• Akutinterventionen/isometrische Muskelkontraktionen: In einigen Studien konnten mit Interventionen,
wie z.B. isometrischen Arm- und Beinkontraktionen, gute Erfolge erzielt werden (Brignole et al. 2002).
232 6  Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen

KASUISTIK
Unser Patient wünschte nach ausführlicher Aufklärung eine Schrittmacherimplantation, die komplikationslos durchgeführt
werden konnte (Zweikammerschrittmacher mit Frequenzhysteresefunktion, die einen plötzlichen Frequenzabfall verhin-
dert). Der Patient ist daraufhin anfalls- und beschwerdefrei.

LITERATUR
Brignole M, Croci F, Menozzi C, et al. Isometric arm counter-pressure maneuvers to abort impending vasovagal syncope. J
Am Coll Cardiol 2002; 40: 2053–9.
Di Girolamo E, Di Iorio C, Leonzio L, Sabatini P, Barsotti A. Usefulness of a tilt training program for the prevention of refrac-
tory neurocardiogenic syncope inadolescents: a controlled study. Circulation 1999; 100: 1798–801.
Krediet CT, van Dijk N, Linzer M, van Lieshout JJ, Wieling W. Management of vasovagal syncope: controlling or aborting
faints by leg crossing and muscle tensing. Circulation 2002; 106: 1684–9.
Reybrouck T, Heidbuchel H, Van De Werf F, Ector H. Long-term follow-up results of tilt training therapy in patients with re-
current neurocardiogenic syncope. Pacing Clin Electrophysiol 2002; 25: 1441–6.
Seidl K, Schuchert A, Tebbenjohanns J, Hartung W. Kommentar zu den Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Synkopen
der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie 2001 und dem Update 2004. Z Kardiol. 2005; 94(9): 592–612.
Soteriades ES, Evans JC, Larson MG, Chen MH, Chen L, Benjamin EJ, Levy D. Incidence and prognosis of syncope. N Engl J
Med. 2002; 347(12): 878–85.
Sud S, Massel D, Klein GJ et al. The expectation effect and cardiac pacing for refractory vasovagal syncope. Am J Med 2007;
120: 54–62.
The Task Force for the Diagnosis and Management of Syncope of the European Society of Cardiology (ESC). Guidelines for
the diagnosis and management of syncope (version 2009). European Heart Journal 2009; 30: 2631–71.

6.2  Vorübergehende Absencen


6 Hagen Gross

KASUISTIK
Der 77-jährige Herr Mayr stellt sich in Ihrer kardiologischen Praxis vor; der Hausarzt habe ihn geschickt, er solle einmal
„durchgecheckt“ werden. Er kommt in Begleitung seiner Ehefrau sowie seiner Tochter.
Er gibt gutes Befinden und keinerlei Beschwerden an. Tochter und Frau berichten allerdings, dass er in der letzten Mona-
ten mehrmals kurzzeitig „abgetreten“ sei. Zuletzt sei er vor einer Woche gestürzt, habe sich aber nicht verletzt.

Was möchten Sie noch wissen?

• Wie war der genaue Hergang der Ereignisse?


• Gab es auslösende Ursachen?
• Hat der Patient zuvor etwas bemerkt (Hitzegefühl, Herzklopfen, Schwindel, schwarz werden vor Augen)?
• Bestehen Vorerkrankungen bzw. eine Medikation?

KASUISTIK
Die Tochter von Herrn Mayr berichtet, ihr Vater sei „einfach plötzlich am Tisch sitzend zusammengebrochen“. Danach sei
er für wenige Sekunden nicht ansprechbar gewesen, sei aber dann wieder ganz wach gewesen.
Herr Mayr kann sich selbst an nichts erinnern. Gestürzt sei er letzte Woche, da er gestolpert sei.
Herzklopfen habe er gelegentlich, wenn er Treppen steige. Schwindel habe er nicht.
Medikamente werden nicht regelmäßig eingenommen. Vor einigen Jahren habe er Tabletten gegen hohen Blutdruck
eingenommen, aber der sei nun wohl wieder in Ordnung, sodass er keine Tabletten mehr einnimmt.
6.2  Vorübergehende Absencen 233

Welche Untersuchungen können weiterhelfen?

Zunächst sollte nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie eine Basisdiagnostik er-
folgen. Diese hat die Aufgabe zu klären ob
• der Bewusstseinsverlust tatsächlich auf eine Synkope zurückzuführen ist,
• eine organische Herzerkrankung vorliegt,
• es anamnestische oder klinische Zeichen gibt, die eine bestimmte Diagnose sehr wahrscheinlich machen
(› Tab. 6.2).
Die Basisdiagnostik besteht aus:
• Anamnese
• Körperlicher Untersuchung
• Ruhe-EKG
• Blutdruckmessung im Stehen und im Liegen.

KASUISTIK
Körperliche Untersuchung: Bei der körperlichen Untersuchung findet sich ein 175 cm großer, 80 kg schwerer Patient
in altersentsprechend gutem AZ und unauffälligem EZ. RR145/85 mmHg. HF 70/min (im Liegen), 140/80 mmHg,
HF 80/min (im Stehen). Keine gestauten Jugularvenen. Keine Ödeme.

Tab. 6.2  Anamnestische Hinweise bei unklarer Bewusstlosigkeit (Leitlinien der DGK; Seidl et al. 2005)
Symptom „Bewusstlosigkeit“… Wahrscheinliche Ursache
nach unerwartet aufgetretenem Schmerz, Angst, Anblick, ­Geräusch vasovagale Synkope
oder Geruch
6
nach längerem Stehen unter Anspannung vasovagale Synkope
während Miktion, Defäkation, Husten, Erbrechen Situationssynkope
unmittelbar nach Lagewechsel orthostatische Synkope
nach Kopfbewegungen oder Druck auf den Karotissinus ­(Rasieren, Karotissinussyndrom
Waschen, Tumor)
nach Medikamenteneinnahme, die zu einer Verlängerung des medikamenteninduzierte Synkope
­QT-Intervalls, zur Orthostase oder Bradykardie führten
das kurzzeitig und ohne Prodromi ist Arrhythmien
bei positiver Familienanamnese für plötzlichen Herztod Long-QT-Syndrom, arrhythmogene rechtsventriku-
läre Kardiomyopathie, Brugada-Syndrom
unter Anstrengung Aortenklappenstenose, hypertroph-obstruktive
Kardiomyopathie, pulmonale Hypertonie, Mit-
ralstenose, koronare Herzerkrankung
mit Herzgeräusch und nach Lagewechsel auftretend Vorhofmyxom, Thrombus
bei Kopfschmerzen Migräne, Krampfleiden
mit Verwirrtheit nach Synkope, Bewusstseinsverlust über mehr als 5 Krampfleiden
Minuten
verbunden mit Schwindel, Dysarthrie, Doppelsehen TIA, subclavian steal, zerebrale Durchblutungsstö-
rung
tritt bei Armbewegungen auf subclavian steal
bei Blutdruck- oder Pulsdifferenz zwischen beiden Armen subclavian steal, Aortendissektion
das häufig und mit somatischen Symptomen sowie ohne Herz­ psychiatrische Erkrankungen
erkrankung ist
234 6  Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen

Die Auskultation des Herzens zeigt einen unauffälligen Befund. Die Lunge ist perkutorisch und auskultatorisch ebenfalls
unauffällig. Die peripheren Pulse sind an den typischen Stellen tastbar. Auch die weitere Untersuchung zeigt einen alters­
entsprechend unauffälligen Befund.
Ruhe-EKG (› Abb. 6.2):
Beurteilung: SR, IT, normale Zeitintervalle, unauffälliges Stromkurvenbild, periphere Niedervoltage.

Abb. 6.2  Ruhe-EKG


6.2  Vorübergehende Absencen 235

Laut den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie sind die Ergebnisse der Basisdiagnostik
bei folgenden Bedingungen diagnostisch ausreichend, um die Ursache einer Synkope festzulegen (Auszug
aus den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie; Seidl et al. 2005):
1. Eine klassische vasovagale Synkope liegt vor, wenn der Synkope Ereignisse wie Angst, starke Schmerzen,
emotionale Bedrängung, Eingriff (Venenpunktion) oder längeres Stehen sowie typische Prodromi voraus-
gingen.
2. Eine Situationssynkope liegt vor, wenn der Synkope unmittelbar nach Miktion, Defäkation, Husten oder
Erbrechen auftrat.
3. Eine orthostatische Synkope liegt vor, wenn eine dokumentierte orthostatische Hypotension in Verbin-
dung mit einer Synkope oder Präsynkope auftrat. Der Patient sollte vor orthostatischen Blutdruckmes-
sungen 5 Minuten liegen. Die Messungen erfolgen nach 1 oder 3 Minuten Stehen und werden fortgeführt,
wenn der Blutdruck nach 3 Minuten weiter fällt. Wenn der Patient das Stehen über diese Zeit nicht tole-
riert, ist der niedrigste systolische Blutdruck aufzuzeichnen. Ein Abfall des Blutdrucks um > 20 mmHg
oder ein Abfall des systolischen Blutdruckes auf > 90 mmHg wird unabhängig vom Auftreten klinischer
Beschwerden als orthostatische Hypotension bezeichnet (die Diagnose „orthostatisch bedingte Synkope“
liegt bereits bei anamnestischem Verdacht [z.B. Volumenmangel, antihypertensive Medikamente] in Ver-
bindung mit einer pathologischen orthostatischen Blutdruckmessung nahe).
4. Eine kardiale, Ischämie-getriggerte Synkope liegt vor, wenn die Synkope zusammen mit EKG-Verände-
rungen als Hinweis für eine akute Myokardischämie mit oder ohne Myokardinfarkt auftrat.
5. Eine Arrhythmie-induzierte Synkope liegt bei folgenden EKG-Veränderungen vor:
a. Sinusbradykardie < 49/min oder wiederholte sinusatriale Blockierungen oder Sinuspausen >3 Sekunden.
b. AV-Blockierungen (2. Grades Typ Mobitz II, 3. Grades).
c. Alternierender Links- und Rechtsschenkelblock.
d. Schnelle paroxysmale supraventrikuläre oder ventrikuläre Tachykardien. 6
e. Schrittmacherfehlfunktion mit Pausen.

Können Sie aus den Ergebnissen der Basisdiagnostik bereits die Synkopenursache
festlegen?

Nein. Die vorliegen Untersuchungsergebnisse legen keine eindeutige Ursache nahe. Es ist eine weitere Dia­
gnostik erforderlich.

Welche weitere Diagnostik wird in den Leitlinien empfohlen?

Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie empfehlen folgendes Vorgehen (Auszug aus den
Leitlinien; Seidl et al. 2005):
1. Bei Patienten mit Verdacht auf Herzerkrankung werden als erste diagnostische Maßnahmen Echokardio-
graphie, EKG-Monitoring und, wenn dies nicht diagnostisch beweisend ist, eine elektrophsyiologische
Untersuchung empfohlen.
2. Allgemeine laborchemische Untersuchungen sind nur dann indiziert, wenn ein Verlust des zirkulieren-
den Volumens die Synkope verursacht oder wenn Synkopen-ähnliche Beschwerden eine metabolische
Ursache haben könnten.
3. Bei Patienten mit Palpitationen in Verbindung mit einer Synkope werden als erste diagnostische Maß-
nahmen EKG-Monitoring und Echokardiographie empfohlen.
4. Bei Patienten mit Brustschmerzen als Hinweis für eine Koronarischämie vor oder nach dem Bewusstseins-
verlust werden als erste diagnostische Maßnahmen Belastungs-Tests, Echokardiographie und EKG-Moni-
236 6  Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen

toring empfohlen. (Bei Patienten mit Brustschmerzen ist ein akutes Koronarsyndrom auszuschließen. In
diesem Fall sind Belastungstests nicht angezeigt. Es sollte zunächst eine Koronarangiographie erfolgen).
5. Bei jungen Patienten ohne Anhalt für eine kardiale oder neurologische Erkrankung und rezidivierende
Synkopen wird als erste diagnostische Maßnahme der Kipptischtest, bei älteren Patienten die Karotis­
sinusmassage empfohlen Bei Patienten mit Synkope bei Halsdrehung wird eine Karotissinusmassage
empfohlen. (Bei klinischen Zeichen einer vasovagalen Synkope kann auf eine Kipptischuntersuchung ver-
zichtet werden. Die Indikation zum Kipptisch bei Patienten mit unklaren Synkopen sollte gestellt werden,
wenn eine kardiale oder neurologische Ursache unwahrscheinlich gemacht wurde).
6. Bei Patienten mit Synkope nach körperlicher Anstrengung werden als erste diagnostische Maßnahmen
Echokardiographie und Belastungstest nach Ausschluss einer LV-Obstruktion, zum Beispiel Aortensteno-
se, empfohlen.
7. Bei Patienten mit Zeichen autonomer Dysfunktion oder neurologischen Erkrankungen ist die spezifische
neurologische Diagnostik einzuleiten.
8. Bei Patienten mit häufigen rezidivierenden Synkopen, die multiple andere somatische Beschwerden ha-
ben und bei der ersten Evaluation sich Hinweise auf Stress, Angst und andere mögliche psychiatrische
Auffälligkeiten ergeben, wird eine psychiatrische Untersuchung empfohlen.

Welche weiteren Untersuchungen schlagen Sie vor?

Nach den Leitlinien sollte bei älteren Patienten zunächst eine Karotissinusmassage durchgeführt werden. Bei
Verdacht auf eine Herzerkrankung sollten eine Echokardiographie und ein EKG-Monitoring erfolgen. Die
Echokardiographie ist gut geeignet zur Risikostratifizierung. Aufgrund des Alters unseres Patienten ist eine
6 koronare Herzerkrankung trotz fehlender Symptomatik nicht unwahrscheinlich, sodass ein Belastungs-EKG
durchgeführt werden sollte.

Welche Diagnosen können Sie mit den oben vorgeschlagenen Untersuchungen


stellen bzw. ausschließen?

• Karotissinusmassage: Ein negativer Befund macht ein Karotissinussyndrom sehr unwahrscheinlich


• Echokardiographie: Ausschluss einer Aortenstenose und HOCM, Überprüfung der LV-/RV-Funktion.
Diagnose einer pulmonalen Hypertonie
• Langzeit-EKG: Signifikante bradykarde und tachykarde Rhythmusstörungen
• Belastungs-EKG: Hinweise für eine relevante koronare Herzerkrankung, chronotrope Inkompetenz, In-
duktion von Rhythmusstörungen unter Belastung. Blutdruckverhalten unter Belastung.

Wie führen Sie die Karotissinusmassage durch?

Vor der Karotissinusmassage sind beide Karotiden zu auskultieren.


Es ist darauf zu achten, dass keine Kompression des Karotissinus durch starken Druck, sondern eine Mas-
sage durchgeführt wird. Bei negativem Befund sollte die Gegenseite erst nach einer Pause von 1–2 Minuten
massiert werden.
Während der Untersuchung sollten eine kontinuierliche EKG-Aufzeichnung und Monitoring erfolgen. In
der Literatur finden sich verschiedene Vorgehensweisen (siehe Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für
Kardiologie sowie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (The Task Force for the Diagnosis and Manage-
ment of Syncope of the European Society of Cardiology [ESC] 2009, Seidl et al. 2005).
6.2  Vorübergehende Absencen 237

Bei der Karotissinusmassage beim liegenden Patienten erfolgt die Massage über maximal 5 Sekunden. Eine
pathologische Reaktion ist eine Asystolie über mehr als 3 Sekunden und/oder ein Blutdruckabfall von mehr
als 50 mmHg.
Bei einer alterativen Methode erfolgt die Massage des Karotissinus über 10 Sekunden sowohl im Stehen als
auch im Liegen. Hier wird zusätzlich das Auftreten von Symptomen gefordert.

KASUISTIK
Die von Ihnen vorgeschlagenen Untersuchungen zeigen folgende Ergebnisse:
Echokardiographie: Linker Vorhof gering vergrößert (43 mm). Rechter Vorhof normal groß. Gute linksventrikuläre
Globalfunktion, keine Wandbewegungsstörungen. Linksventrikuläre Wände gering verdickt (LVS 12 mm). Aortenklappe
gering sklerosiert. Keine Stenose. Geringe Insuffizienz. Mitralklappe unauffällig. Trikuspidalklappe gering insuffizient.
Gradient RV/RA = 28 mmHg. Kein Perikarderguss.
Zusammenfassung: Geringgradige linksventrikuläre Hypertrophie. Linker Vorhof gering vergrößert. Aortenklappensklerose.
Belastungs-EKG: Belastung bis 125 W. Maximale Herzfrequenz 145/min. Bei fehlender Ausbelastung keine signifikan-
ten ST-Streckenveränderungen.
Zusammenfassung: Bei eingeschränkter Aussagefähigkeit bei fehlender Ausbelastung kein H.a. eine hämodynamisch
relevante koronare Herzerkrankung.
Langzeit-EKG: Durchgehend Sinusrhythmus. 45 bis 145/min. Keine Asystolien > 1500 ms. 25 VES. 155 SVES.
Zusammenfassung: Kein H.a. Synkopenursache.
Karotissinusmassage: Bei leichtem (!) Druck auf den Karotissinus rechts kommt es zu einer Asystolie von 7 s, der Pa-
tient verliert dabei kurzzeitig das Bewusstsein.

Welchen Therapievorschlag machen Sie dem Patienten?


6
Aufgrund der eindeutigen Symptomatik beim Karotisdruck und der Anamnese von mehreren Synkopen be-
steht eine Klasse-I-Indikation für eine Herzschrittmacherimplantation (› Tab. 6.3).

Tab. 6.3  Schrittmacherindikation Karotissinussyndrom (nach den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kar-
diologie sowie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie; Rybak et al. 2008, Vardas et al. 2007)
Symptomatik Indikation Evidenzgrad
Rezidivierende Synkopen, die in eindeutigem Zusammenhang mit einer Indikation (Klasse I) [C]
Reizung des Karotissinus stehen und die durch Alltagsbewegungen
(z.B. Drehen des Kopfes) auslösbar sind und dadurch zu einer Asystolie
von > 3 s führen
Rezidivierende, anderweitig nicht erklärbare Synkopen ohne eindeutig Indikation (Klasse IIa) [C]
auslösende Alltagsbewegungen, aber mit positivem Nachweis eines
symptomatischen hypersensitiven Karotissinusreflexes (Pause > 3 s)

Hinweis: Ein positiver Karotisdruckversuch ohne eine entsprechende Klinik (auch bei einer Asystolie > 3 s)
rechtfertigt eine Schrittmacherimplantation nicht. Bei Karotissinusmassage beim liegenden Patienten finden
sich in bis zu 38% der Fälle pathologische Befunde.

Die Ehefrau fragt nach den Risiken des Eingriffs.

Wie bei jedem Eingriff kann es zu Komplikationen kommen. Rhythmusstörungen (Asystolie oder Kammer-
flimmern) werden in 0,2% der Fälle ausgelöst. Die häufigsten chirurgischen Probleme sind Sondendislokatio-
nen (im Vorhof ca. 1,5%, im Ventrikel ca. 1,1%), ein interventionsbedürftiger Pneumothorax (0,4%), Taschen-
238 6  Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen

hämatome (0,4%) und Infektionen (0,1%). Perforationen des Herzmuskels sind glücklicherweise selten und
verlaufen meist glimpflich (0,1%).

Welchen Schrittmachertyp schlagen Sie vor (Einkammer, Zweikammer,


Zusatzfunktionen)?

Es sollte vorzugsweise ein Zweikammerschrittmacher implantiert werden, der eine physiologische Stimulati-
on von Vorhof und Kammer ermöglicht. Wünschenswert wäre eine Frequenzhysterese-Funktion, die größere
Frequenzsprünge vermeiden hilft. Ein Schrittmacher ohne diese Funktion würde bei der eingestellten Grund-
frequenz einsetzen, sodass die Herzfrequenz des Patienten von z.B. 90/min auf 60/min fallen würde, was häu-
fig als sehr unangenehm empfunden wird und präsynkopale Zustände hervorrufen kann. Eine Frequenzadap-
tation ist bei unserem Patienten bei unauffälligem Herzfrequenzverlauf (siehe Befund Langzeit-EKG) nicht
notwendig. Bei unauffälligem Ruhe-EKG ist eine AV-Hysterese ebenfalls nicht notwendig. Bei entsprechenden
Befunden im Langzeit- bzw. Ruhe-EKG sollte ein Schrittmacher aber über entsprechende Algorithmen verfü-
gen, um einen optimalen physiologischen Erregungsablauf zu gewährleisten (insbesondere Vermeidung nicht
notwendiger rechtsventrikulärer Stimulation).
Ein alleiniger AAI-Schrittmacher ist beim Karotissinussyndrom nicht ausreichend, da beim Karotissinus-
syndrom neben der Inhibition des Sinusknotens häufig intermittierend AV-Blockierungen auftreten können
(in unserem EKG nicht beurteilbar, da ein Sinusarrest besteht, sodass die AV-Überleitung nicht beurteilt wer-
den kann).
Bei einem VVI-Schrittmacher kann die unphysiologische Stimulation des Ventrikels hämodynamisch so
ungünstig sein, dass trotzdem Synkopen auftreten können, außerdem ist es möglich, dass ein Schrittmacher-
6 syndrom auftritt (Vardas et al. 2007).

Die Tochter fragt nach den Zeitpunkten für die nächsten Kontrollen. Was
antworten Sie?

Die Intervalle der Nachsorge sind nur als Richtlinien zu sehen (› Tab. 6.4).

Tab. 6.4  Übersicht Nachsorgeintervalle bei Herzschrittmachern und ICD


Schrittmachertyp nach Neuimplantation reguläre Nachsorge
Einkammerschrittmacher nach 1 Monat 6–12 Monate
Zweikammerschrittmacher nach 1 Monat 6 Monate
ICD/CRT nach 1 Monat 3–6 Monate

Aus klinischer Sicht können kürzere oder auch längere Intervalle sinnvoll sein. Dies hängt auch davon ab, ob
der Patient schrittmacherabhängig ist oder nicht. Bei hoher Laufzeit des Schrittmachers oder bei beginnen-
der Batterieerschöpfung können die Intervalle entsprechend verringert werden (< 3 Monate).

LITERATUR
BQS Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH. BQS-Bundesauswertung 2008 Herzschrittmacher-Implantation .
http://www.bqs-outcome.de/2008/ergebnisse/leistungsbereiche/HSM-IMPL/buaw/download (letzter Zugriff 08.03.2011)
Rybak K, Nowak B, Pfeiffer D, Fröhlig G, Lemke B. Kommentar zu den ESC-Leitlinien „Guidelines for cardiac pacing and car-
diac resynchronization therapy“. Kardiologe 2008; 2: 463–78.
Seidl K, Schuchert A, Tebbenjohanns J, Hartung W. Kommentar zu den Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Synkopen
der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie 2001 und dem Update 2004. Z Kardiol. 2005; 94(9): 592–612.
6.3  Fokale neurologische Ausfallserscheinungen 239

The Task Force for the Diagnosis and Management of Syncope of the European Society of Cardiology (ESC).Guidelines for
the diagnosis and management of syncope (version 2009). European Heart Journal 2009; 30: 2631–71.
Vardas PE, Auricchio A, Blanc JJ, et al.; European Society of Cardiology; European Heart Rhythm Association. Guidelines for
cardiac pacing and cardiac resynchronization therapy: The Task Force for Cardiac Pacing and Cardiac Resynchronization
Therapy of the European Society of Cardiology. Developed in collaboration with the European Heart Rhythm Association.
Eur Heart J. 2007; 28(18): 2256–95.

6.3  Fokale neurologische Ausfallserscheinungen


Ralph Hein

KASUISTIK
Eine 61-jährige Frau stellt sich zur Abklärung einer über ca. 10 Stunden anhaltenden Hyp-/Dysästhesie und Parese des rechten
Arms vor. Die Symptomatik wurde von der Patientin auf einen „eingeklemmten Nerv“ zurückgeführt, da sie am Aufnahmetag
unmittelbar nach Heben einer schweren Last während der Gartenarbeit auftrat. Im weiteren Anamnesegespräch stellt sich he-
raus, dass die Patientin bereits vor ca. 2 Jahren eine Episode mit Sprachstörungen hatte und seitdem ASS 100 mg pro Tag
einnimmt. Der körperliche Untersuchungsbefund ist unauffällig, insbesondere lässt sich die Symptomatik nicht durch eine
Faustschlussprobe oder Bewegungsmanöver des Arms provozieren; seitengleiche RR-Werte; keine fokalneurologischen Defizite.
Die Patientin betreibt regelmäßig „Nordic Walking“ und fühlt sich gut belastbar und gesund. Keine weiteren Vorerkrankungen.

Die Patientin fragt Sie, ob eine sofortige Entlassung möglich sei, denn Sie sei
schließlich nur auf Drängen ihrer Tochter vorstellig geworden und jetzt wieder
völlig beschwerdefrei. Was antworten Sie? 6

Eine sofortige Entlassung ist nicht zu empfehlen. Zwar sind neurovaskuläre/-muskuläre Ursachen für die
geschilderte Symptomatik denkbar (z.B. Thoracic-Outlet-Syndrom, fokale Nervenläsion), die geschilderte
Symptomatik lässt jedoch primär an eine transitorische Hirnischämie denken. Eine Abklärung des Ereignis-
ses hinsichtlich einer kardiovaskulären Genese, speziell bei mutmaßlich zweitem neurologischen Ereignis, ist
durchzuführen. Sollte sich die Verdachtsdiagnose einer fokalen Ischämie verifizieren lassen, ist die Inzidenz
für einen darauffolgenden Schlaganfall innerhalb der ersten drei Tag am höchsten.

Welche Diagnostik schlagen Sie der Patientin vor?

Die Diagnostik sollte umfassen:


• CCT (Sensitivität frischer Infarkt < 25%) oder MRT (Sensitivität frischer Infarkt 50%) zur Klärung der
Lokalisation und Ätiologie eines etwaigen subakuten Infarkts; evtl. Wiederholungsuntersuchung im Ver-
lauf bei geringer initialer Sensitivität
• 12-Kanal-EKG und Holter-EKG zur Erfassung von Herzrhythmusstörungen, insbesondere Vorhofflim-
mern
• 24-Stunden-Blutdruckmessung zur Erfassung hypertensiver Blutdruckwerte
• Farbkodierte extra-/intrazerebrale Duplexsonographie zur Evaluation einer Erkrankung der hirnzufüh-
renden Gefäße
• Transthorakale oder transösophageale Echokardiographie zur Abschätzung eines Rezidivs der zerebro-
vaskulären Erkrankung (z.B. Herzklappenerkrankungen, Aortenbogenstudie bzgl. Plaques, linksventriku-
läres Aneurysma, PFO)
240 6  Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen

• Gerinnungsdiagnostik (Antithrombin- und Protein-C- oder S-Inhibitoren-Mangel, APC-Resistenz, Fak-


tor-V-Leiden oder Prothrombin-Mutation)
• Vaskulitisscreening gemäß Klinik, z.B. Nachtschweiß, Gewichtsverlust, Adynamie, Gelenkbeschwerden,
Erhöhung von Akute-Phase-Proteinen (BSG, CRP), Leukozytopenie, Thrombozytopenie oder Anämie.

Tatsächlich zeigt sich in der CCT-Untersuchung eine frische Infarktdemarkierung


im Mediastromgebiet links. Welche Maßnahme unternehmen Sie zunächst?

Eine Verlegung der Patientin auf eine Stroke-Unit ist vorrangig. Nach Indexereignis erleiden in den ersten
zwei Tagen bis zu 10% und in den ersten 14 Tagen bis 15% der Patienten einen Schlaganfall. Bei transitori-
schen Fokalischämien < 24 Stunden (TIA) sind vor allem Patienten mit zerebralen Symptomen gegenüber
jenen mit retinalen Symptomen (Amaurosis fugax), Patienten über 60 Jahren mit einer Symptomdauer län-
ger als 10 Minuten sowie Patienten mit Lähmungen oder Sprachstörungen gefährdet.

Einen Tag später führen Sie konsiliarisch ein TTE bei der Patientin auf der Stroke-
Unit durch. Es finden sich außer einem hypermobilen Vorhofseptum keine
weiteren Auffälligkeiten. Empfehlen Sie weitere Untersuchungen?

Sofern o.g. Untersuchungen keine Hinweise auf die Ursache der Hirnischämie geben (= kryptogener bzw.
idiopathischer Schlaganfall, Inzidenz 40% aller embolisch bedingten Schlaganfälle) sollte eine Duplex-Sono-
graphie der Beinvenen und ein TEE zur exakten Darstellung des Vorhofseptums ergänzend durchgeführt
6 werden, um die Wahrscheinlichkeit einer gekreuzten (paradoxen) Embolie zu evaluieren oder einen intra-
kardialen Thrombus zu erkennen. Ein Valsalva-Manöver unter Verwendung einer Echokontrastverstärkung
kann hierbei die Visualisierung des offenen Foramen ovale erleichtern (Sensitivität und Spezifität 90–100%).
Als Screening-Methode findet auch der transkranielle Doppler mit gleichzeitiger Applikation eines nicht lun-
gengängigen Kontrastmittels Verwendung, allerdings fehlt hierbei die Möglichkeit zur erweiterten Beurtei-
lung der intrakardialen Morphologie. Insgesamt besitzen der transkranielle Doppler mit dem „power moti-
on-mode“ sowie das TEE eine Sensitivität > 90%. Im Vergleich hierzu werden mit dem TTE nur ungefähr
50–70% der PFO erkannt.

KASUISTIK
Eine Beinvenenthrombose konnte nicht gefunden werden. In der TEE-Untersuchung (› Abb. 6.3) finden Sie ein großes
atriales Septumaneurysma sowie einen PFO-Tunnel mit nachweisbarem Übertritt von kontrastverstärkten Mikro-Bubbles.

Welche Empfehlung zur Rezidivprophylaxe würden Sie aussprechen?

Die Rezidivprophylaxe kann in diesem Fall aus zwei unterschiedlichen Therapiekonzepten bestehen; medika-
mentös-konservativ oder eine Katheter-gestützte Schirm-Implantation.
Derzeit existieren zwei Empfehlungen unterschiedlicher ärztlicher Fachgesellschaften:
Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie:
• Bei Patienten mit alleinigem PFO, gleich welcher Größe, und erstem zerebralen ischämischen Ereignis er-
folgt eine Prophylaxe mit ASS (100 mg) (Evidenzgrad B).
• Kommt es zu einem Rezidiv unter ASS oder besteht ein PFO mit Vorhofseptumaneurysma (ASA), wird
eine orale Antikoagulation mit einer INR von 2,0–3,0 für mindestens 2 Jahre empfohlen (C).
6.3  Fokale neurologische Ausfallserscheinungen 241

Abb. 6.3  Links: TEE-Standbild, lange Achse. Darstellung von linkem Vorhof (LA), rechtem Vorhof (RA) sowie großem Vorhofsep-
tumaneurysma (roter Pfeil) und PFO (blauer Pfeil); Mitte: TEE-Standbild, lange Achse. Im Colour-Duplex-Imaging Darstellung eines
PFO (blauer Pfeil); rechts: TEE-Standbild, lange Achse. Übertritt von kontrastverstärkten Mikro-Bubbles entlang des PFO vom RA
zum LA unter Valsalva-Manöver (blauer Pfeil).

• Kommt es zu einem weiteren Rezidiv oder bestehen Kontraindikationen für eine orale Antikoagulation,
kann ein interventioneller PFO-Verschluss (Schirmverschluss) in Erwägung gezogen werden (C).
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie hat bislang keine schriftlichen Empfehlungen ausgegeben. Gemäß 6
Expertenmeinung (Taaffee et al. 2008) kann ein interventioneller Verschluss nach einmalig stattgehabtem
kryptogenem zerebral-ischämischen Ereignis und alleinigem PFO (auch ohne ASA) oder bei Tauchern mit
Dekompressionskrankheit und PFO erwogen werden. Die Leitlinien der amerikanischen Fachgesellschaften
AHA (American Heart Association), ASA (American Stroke Association) und ACCP (American College of
Chest Physicians) empfehlen derzeit eine antithrombozytäre Monotherapie bei Patienten mit ischämischem
Schlaganfall und PFO, solange keine zusätzliche Indikation für eine orale Antikoagulation besteht (Sacco et
al. 2006, Salem et al. 2008). In der Leitlinie zur Sekundärprävention von ischämischen Schlaganfällen und
TIA wird des Weiteren über eine „mangelnde Datenlage bei Patienten nach erstem Schlaganfall und PFO,
um eine definitive Empfehlung auszusprechen“ berichtet (Sacco et al. 2006). Die Datenlage zu mutmaßli-
chen Risikofaktoren für eine erneute kryptogene Hirnischämie, wie Alter (z.B. < 55 Jahre), die Kombination
aus PFO und ASA (= Septumexkursion > 10 mm) oder große PFO-Defekte, ist bislang nicht einheitlich
(O’Gara et al. 2009).
Aufgrund der unzureichenden Datenlage bezüglich der Sekundärprävention kryptogener Hirnischämien
wurde zuletzt von mehreren kardiologischen Fachgesellschaften zu einer verstärkten Aufklärung der Situati-
on durch Teilnahme an prospektiv-randomisierter Studien aufgerufen (O‘Gara et al. 2009).
In vorliegendem Fall könnte – rein hypothetisch – der Auslöser für die Embolie ein erhöhter rechtsatrialer
Druck beim Bücken während der Gartenarbeit gewesen sein. Es sollte die Indikation zur Okkluderimplanta-
tion gestellt werden, da nach dem Ausschlussprinzip von einer kryptogenen Rezidiv-Embolie (unter ASS)
ausgegangen werden muss und gleichzeitig ein potenzieller Rezidiv-Risikofaktor in Form des Vorhofseptum­
aneurysmas vorliegt.
Bei der Patientin wurde ein kathetergesteuerter Verschluss des PFOs vorgenommen (› Abb. 6.4).
242 6  Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen

Was müssen Patienten nach


Schirmimplantation generell beachten?

Zur Verhinderung einer Thrombusformation auf


dem Implantat sollte die Kombination aus ASS und
Clopidogrel über insgesamt 6 Monate eingenom-
men werden. Es wird angenommen, dass danach
der Endothelialisierungsprozess abgeschlossen ist.
Innerhalb der ersten 6 Monate sollte auch eine En-
dokarditis-Prophylaxe gemäß aktuellen Leitlinien
erwogen werden (›  Kap. 5.2). Nachuntersuchun-
gen inklusive Shunt- und Komplikations-Screening
(Thrombusformation, Schirmdislokation etc.) mit-
tels TEE werden an vielen Zentren im Rahmen der
Studienprotokolle nach 4 Wochen und 6 Monaten Abb. 6.4  3D-TEE-Standaufnahme eines Amplatzer®-Okklu­
empfohlen. ders, der das PFO verschließt

Danksagung

Bildmaterial mit freundlicher Unterstützung von Frau Dr. Nina Wunderlich und Herrn Prof. Dr. Horst Sie-
vert, CardioVasculäres Centrum St. Katharinen, Frankfurt.

6 LITERATUR
Taaffe M, Fischer E, Baranowski A, et al. Comparison of three patent foramen ovale closure devices in a randomized trial
(Amplatzer versus CardioSEAL-STARflex versus Helex occluder). Am J Cardiol. 2008; 101(9): 1353–8.
Sacco RL, Adams R, Albers G, et al. Guidelines for prevention of stroke in patients with ischemic stroke or transient ische-
mic attack: a statement for healthcare professionals from the American Heart Association/American Stroke Association
Council on Stroke: cosponsored by the Council on Cardiovascular Radiology and Intervention. Circulation 2006; 113:
e409–49.
Salem DN, O‘Gara PT, Madias C, et al. Valvular and structural heart disease: American College of Chest Physicians Evi-
dence-Based Clinical Practice Guidelines (8th Edition). Chest 2008; 133(suppl): 593S–629S.
O‘Gara PT, Messe SR, Tuzcu EM, et al. Percutaneous device closure of patent foramen ovale for secondary stroke preventi-
on: a call for completion of randomized clinical trials. A science advisory from the American Heart Association/American
Stroke Association and the American College of Cardiology Foundation. J Am Coll Cardiol. 2009; 53(21): 2014–8.

6.4  Amaurosis fugax


Ralph Hein

KASUISTIK
Ein 81-jähriger Patient stellt sich in Ihrer kardiologischen Praxis vor. Am Tag zuvor hatte er über ca. 15 Minuten einen
„Vorhang vor dem rechten Auge“. Der Patient wurde vor 10 Jahren einer aortokoronaren Bypassoperation unterzogen.
In diesem Zusammenhang wurde auch eine filiforme Stenose der rechten Karotisarterie gefunden und später operiert,
obwohl der Patient nie Schlaganfall-ähnliche Symptome bemerkt hatte. An Nebenerkrankungen bestehe eine chronisch
obstruktive Atemwegserkrankung, er rauche ca. 10 Zigaretten pro Tag seit 50 Jahren. Sie führen eine Ultraschalluntersu-
chung der Karotiden durch.
6.4  Amaurosis fugax 243

Welche Ultraschallkriterien zur exakten Graduierung einer Karotisstenose


kennen Sie?

Zur duplexsonographischen Graduierung von Stenosen der A. carotis interna (ACI) finden verschiedene
Techniken im klinischen Alltag Verwendung. Aktuell wird weltweit am häufigsten die Einteilung der Steno-
segrade nach den Definitionen der NASCET- oder ECST-Studie bzw. nach der „Common Carotid“(CC)-Me-
thode vorgenommen. Da sich während der letzten Jahre zunehmend unterschiedliche Grenzwerte für diese
Einteilungen fanden, wurde im Jahr 2003 ein Konsensus-Papier (Grant et al. 2003) in den USA etabliert, in
dem die in › Tabelle 6.5 dargestellten Werte festgelegt wurden. Diese Parameter orientieren sich eher an
den NASCET-Kriterien, korrelieren gut mit der angiographischen Referenzmessung nach NASCET (distaler
Stenosegrad) und können nicht der ECST-Graduierung gleichgesetzt werden.
In Deutschland wurde im Jahr 2010 eine Revision der DEGUM-Kriterien (Arning et al. 2010).und in die-
sem Zuge ein Transfer der korrespondierenden Werte in NASCET-Stenosegrade publiziert (› Tab. 6.6).
Die hier postulierten Werte weichen jedoch erheblich von denen im 2003 publizierten Konsensus-Papier
ab. Letztlich obliegt es dem jeweiligen Institut oder der Praxis, welches der o.g. Systeme zur Stenose-Quanti-
fizierung herangezogen wird. Wichtig ist eine standardisierte Untersuchungstechnik mit Angabe der o.g.
Hauptkriterien sowie evtl. der Plaquelast und Plaquekomposition. Im Fall einer eingeschränkten Ableitbar-
keit von intrastenotischen Strömungsgeschwindigkeiten können Zusatzkriterien zur Graduierung herange-
zogen werden, wie z.B. das Konfetti-Zeichen, Internalisierung der Arteria carotis externa sowie prä- und
poststenotisches Strömungsverhalten.

Wie wird eine „symptomatische Karotisstenose“ definiert und was sind typische
Symptome einer relevanten Verengung? 6

Für gewöhnlich wird eine Stenose der internen Karotisarterie als symptomatisch bezeichnet, wenn die Sym-
ptomatik nicht länger als 180 Tage zurückliegt. Anamnestisch hochverdächtig auf eine zerebrale Ischämie­
reaktion im Gebiet der Arteria carotis interna sind jegliche Halbseitensymptome im Sinne von Extremitäten-
und/oder Gesichts-betonten sensiblen oder motorischen Alterationen (am häufigsten Parästhesie und Pare-
Tab. 6.5  Gray-Scale und Doppler-Ultraschall-Kriterien zur Einteilung von ACI-Stenosen gemäß amerikanischem
Konsensus-Ausschuss
Primäre Parameter Zusätzliche Parameter
Stenosegrad (%) ACI PSV1 Plaquelast ACI/ACC3 PSV-Verhältnis ACI EDV4 (cm/sec)
(cm/sec) (%)2
Normal < 125 Keine < 2,0 < 40
< 50 < 125 < 50 < 2,0 < 40
50–69 125–130 ≥ 50 2,0–4,0 40–100
≥ 70, aber weniger als > 230 ≥ 50 > 4,0 > 100
subtotal
Subtotaler Verschluss hoch, niedrig, oder sichtbar variabel variabel
nicht auffindbar
Totaler Verschluss nicht auffindbar sichtbar, kein Lumen nicht anwendbar nicht anwendbar
auffindbar
1
  PSV = Peak Systolic Velocity = systolische Spitzengeschwindigkeit
2
  Plaquelast (Diameterreduktion) mit Gray-Scale und Doppler-Ultraschall
3
  ACC = Arteria carotis communis
4
  EDV = Enddiastolic velocity = enddiastolische Geschwindigkeit
244 6  Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen

Tab. 6.6  DEGUM-Ultraschallkriterien zur Graduierung von ACI-Stenosen und Festlegung des NASCET-Stenose-
grads
Stenosegrad (NASCET-Definition) [%] 10 20–40 50 60 70 80 90 Ver­
schluss
Stenosegrad alt (ECST-Definition) [%] 45 50–60 70 75 80 90 95 Ver­
schluss
Hauptkriterien B-Bild +++ +
Farb-Doppler-Bild + +++ + + + + + +++
systolische Spitzenge- 200 250 300 350– 100–500
schwindigkeit im Stenose- 400
maximum [cm/sec] ca.
systolische Spitzenge- > 50 < 50 < 30
schwindigkeit poststeno-
tisch [cm/s]
Kollateralen und Vorstufen (+) ++ +++ +++
(Periorbitalarterien/ACA)
Zusatzkriterien diastolische Strömungsver- (+) ++ +++ +++
langsamung prästenostisch
(ACC)
Strömungsstörungen post- + + ++ +++ (+)
stenotisch
enddiastolische Strömungs- < < 100 > 100 > 100
geschwindigkeit im Steno- 100
6 semaximum [cm/s] ca.
Konfetti-Zeichen (+) ++ ++
Stenoseindex ACI/ACC ≥ 2 ≥ 2 ≥ 4 ≥ 4

se). Visuelle Symptome beinhalten die temporäre oder permanente einseitige Blindheit (Amaurosis) oder die
halbseitige Gesichtsfeldstörung (homonyme Hemianopsie). Die kontralaterale Blickdeviation (Patient blickt
auf die Bescherung) ist ebenso auf das Karotisstromgebiet hinweisend. Auch Sprech- und Sprachstörungen
wie z.B. Dysarthrie (sehr selten) und Aphasie können bei einer Fokalischämie im entsprechenden Hirnareal
ausgelöst werden. Bei der Diagnosestellung ist insbesondere das sofortige Einsetzen der Symptomatik in ma-
ximaler Ausprägung charakteristisch (DD Migräne: progredientes Einsetzen der Symptomatik, Augenflim-
mern, Parästhesien, typischerweise keine Paresen).
Karotisbedingte Symptome umfassen nicht Synkopen (Formatio reticularis), Drehschwindel (A. vertebra-
lis), Tinnitus, Diplopie, Dysphagie, Ataxie, Doppelbilder, Blitze vor den Augen und Kopfschmerzen.

Wider Ihre Erwartungen ist der Patient gut schallbar. Sie objektivieren eine
hochgradige (ca. 80% nach ECST) Stenose der rechten ACI (› Abb. 6.5).
Wie gehen Sie weiter vor?

Insgesamt ist ein möglichst rasches Vorgehen indiziert. Patienten mit hochgradiger ACI-Stenose und rezen-
ter Symptomatik profitieren besonders innerhalb der ersten zwei Wochen nach dem Ereignis von einer inva-
siven Therapie; dies gilt nur für reversible ischämische Hirninfarkte, nicht für Patienten mit persistierender
Symptomatik. Während dieses Zeitraums ist die Inzidenz für einen erneuten Hirninfarkt am höchsten.
6.4  Amaurosis fugax 245

Abb. 6.5  Duplexsonographie der rechten ACI. Links: intrastenotische Flussgeschwindigkeit gemäß Pw-Doppler. Systolische Vmax
∼3 m/s. Rechts: Colour-Duplex der ACI-Stenose

Welche Patienten sollten einer chirurgischen, welche einer interventionellen und


welche einer rein medikamentösen Therapie unterzogen werden?

Die Entscheidung muss dem Risikoprofil des Patienten angepasst sein.


6
Asymptomatische Patienten:  Die Inzidenz einer Hirnischämie bei bislang asymptomatischen Patienten
(klinisches Stadium I) liegt unter maximaler konservativer Therapie bei ungefähr 2–5% pro Jahr. Diese Zahl
berücksichtigt jedoch weder die Fortschritte in der konservativ-medikamentösen Primärprophylaxe inner-
halb der letzten Jahre noch die individuelle Risikofaktorenkonstellation und Stenosemorphologie. Aufgrund
dieser ohnehin niedrigen jährlichen Ereignisrate ergibt sich ein Vorteil durch die Karotis-TEA – je nach Be-
wertung der Literatur – nur bei hochgradigen Stenosen > 60–70%. Die Indikation zur perkutanen Karotis­
intervention wird derzeit – je nach Bewertung der Literatur – durch eine hochgradige Stenose > 70–80%
nach NASCET-Kriterien gegeben. Es gibt Hinweise darauf, dass Frauen (insbesondere > 75 Jahre) weniger
deutlich (oder auch gar nicht) von einer invasiven Sanierung einer asymptomatischen Karotisstenose profi-
tieren. Kriterien, die für eine operative oder interventionelle Therapie bei asymptomatischen Patienten spre-
chen, sind eine rasch progrediente Stenoseformation oder eine mutmaßlich instabile Plaquestruktur (gerin-
ger Evidenzgrad). Bei asymptomatischen Patienten wird ferner eine voraussichtliche Lebenserwartung von
mindestens 5 Jahren gefordert, um ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zu gewährleisten. Insgesamt ist
die Evidenzlage zur Primärprophylaxe bei hochgradigen Karotisstenosen schwach. Vielleicht können zu-
künftige Studien auf diesem Gebiet (SPACE-2, TACIT, ACST-2, ACT I) mehr Klarheit bringen. Diese Studien
sollen auch den Stellenwert einer aktuell als optimal betrachteten medikamentösen Therapie bei Patienten
mit asymptomatischer Karotisstenose evaluieren.

Symptomatische Patienten:  Anders verhält sich die Studienlage im Stadium II der hochgradigen Karotis­
stenose (= symptomatische Stenose). Hier beträgt das jährliche Risiko einen Apoplex zu erleiden ca. 10–15%.
Diesbezüglich erwirkt die Karotis-TEA eine deutliche Prognoseverbesserung sowohl bei 50–69%igen als auch
insbesondere bei 70–99%igen Karotisstenosen.
Bislang wurden in mehreren Studien die Akut- und Langzeitergebnisse der Karotis-PTA denen der Karo-
tis-TEA bei symptomatischen Patienten gegenübergestellt, es gelten jedoch – aufgrund teils gravierender me-
246 6  Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen

thodischer Mängel – nur wenige dieser Studien als aussagekräftig. Einige Studien zeigten zuletzt vergleichba-
re perioperative Komplikationsraten von Karotis-TEA gegenüber der PTA hinsichtlich schwerwiegender
Hirnischämien. Die chirurgische Revaskularisierung ist zwar mit einer höheren Inzidenz an perioperativen
Myokardinfarkten assoziiert, führt jedoch – gemäß einer neueren Studie (Brott et al. 2010) – weniger häufig
zu sog. minor strokes. Im Langzeitverlauf hingegen zeigen beide Verfahren ein gleiches Patienten-Outcome,
sodass im Falle einer > 50%igen Karotisstenose sowohl die interventionelle, als auch die operative Revaskula-
risation angewendet werden kann. Mehrere nationale und internationale Fachgesellschaften fordern eine in-
stitutspezifische perioperative bzw. periinterventionelle (30 Tage ± 3 Tage) Komplikationsrate von maximal
3% bei asymptomatischen und 6% bei symptomatischen Patienten für beide Therapieoptionen (Bates et al.
2007). Zudem wird postuliert, dass alle Institute, die interventionell oder operativ Karotisstenosen therapie-
ren, extern (in Form von prospektiven Registereingaben) kontrolliert werden sollen.
Einige Kriterien können jedoch verwendet werden, um eine Patientenauswahl vorzunehmen:
• Risikopatienten für eine Operation: klinisch relevante Herzerkrankung, schwere pulmonale Erkrankung,
kontralateraler Karotisverschluss, kontralaterale Larynx-Nervenschädigung, vorausgegangene radikale
Halsoperation oder Strahlentherapie, Restenose nach Karotisendatherektomie, Alter über 80 Jahre
• Risikopatienten für eine interventionelle Revaskularisierung: Zielgefäß mit komplizierter Anatomie (z.B.
torquierter Gefäßverlauf, Aortenbogen, arterieller Zugang), Niereninsuffizienz.

Der Patient wird in die kardiologische Abteilung eines Krankenhauses


überwiesen. Welche Untersuchungen sollten vor Therapieevaluation der
Karotisstenose stattfinden?

6 Im Fall einer relativ rezenten Symptomatik sollte selbstverständlich eine kranielle Bildgebung (CCT oder
MRT) durchgeführt werden. Hierbei ist zwar eine Visualisierung eines ischämischen Areals, insbesondere im
Fall einer transitorischen Symptomatik (z.B. TIA, Amaurosis fugax), nicht garantiert, es können jedoch evtl.
andere Pathologien ausgeschlossen werden (z.B. Tumor, Aneurysma, chronisches Subduralhämatom,
Thrombose, arteriovenöse Malformation).
Bei negativem Nachweis im CCT ist ggf. eine Ausschlussdiagnostik bezüglich anderer Faktoren, die die
initiale Symptomatik bedingen können, sinnvoll. Hierzu gehören:
• Ophthalmologisches Fachkonsil: differenzialdiagnostische Abklärung von akuter ischämischer Optikus-
neuropathie, paraneoplastische Neuropathie, retinale Vaskulitis, Papillenödem etc.
• Neurologisches Fachkonsil: differenzialdiagnostische Abklärung von multiple Sklerose (Optikusneuritis),
periphere Nervenläsionen, Myasthenia gravis, psychogene Störungen (Hyperventilation) etc.
• Duplexsonographie der hirnzuführenden Arterien: Verifizierung der hochgradigen ACI-Stenose nach der
institutspezifischen Referenzmethode. Ausschluss einer relevanten kontralateralen ACI-Stenose oder ei-
nes Verschlusses, was eine Überschätzung der ipsilateralen Stenose verursachen kann. Ausschluss rele-
vanter Stenosen der übrigen hirnversorgenden Arterien
• Langzeitblutdruckmessung: Abklärung inapparenter hypertensiver Entgleisungen. Risikofaktoren-
Screening
• Fakultative Untersuchungen: transösophageale Echokardiographie (z.B. bei bestehender Beinvenen-
thrombose oder Koagulopathie) zum Ausschluss einer paradoxen Embolie. Ausschluss intrakardialer
Thromben bei Patienten mit Vorhofflimmern. Transkranielle Doppleruntersuchung zum Nachweis mög-
licher paradoxer Embolien oder Evaluation der intrakraniellen Zirkulation und seitenübergreifender Kol-
lateralversorgung. Auch eine Koronarangiographie kann bei entsprechender Klinik (z.B. instabile AP)
sinnvoll sein. Je nach klinischer Relevanz ist eine Revaskularisierung der Koronargefäße der Karotisope-
ration oder -intervention vorzuziehen.
6.5  Zunächst ungeklärte Synkope 247

Unabhängig vom Ergebnis des CCT sollte ein Screening bezüglich anderer Pathologien erfolgen, die Einfluss
auf die anstehende Therapieentscheidung bzgl. der Karotisstenose haben. Hierzu zählen ein Holter-EKG
(Vorhofflimmern = Indikation zur Antikoagulation), UKG (Screening auf pulmonale Hypertonie und rechts-
oder linksventrikuläre Dysfunktion= Indikation zur Antikoagulation und erhöhtes Operationsrisiko) oder
eine duplexsonographische Darstellung der Becken-/Beinarterien (z.B. bei vorbekannter arterieller Ver-
schlusskrankheit oder stark torquiertem Gefäßverlauf = evtl. Ausschlusskriterium für eine perkutane
Karotis­angioplastie).

LITERATUR
Arning C, Widder B, von Reutern GM, Stiegler H, Görtler M. Ultraschallkriterien zur Graduierung von Stenosen der A. carotis
interna. Revision der DEGUM-Kriterien und Transfer in NASCET-Stenosierungsgrade. Ultraschall in Med 2010; 31: 251-7.
Bates ER, et al. ACCF/SCAI/SVMB/SIR/ASITN 2007 Clinical Expert Consensus Document on Carotid Stenting. JACC 2007; 49:
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Brott TG, Hobson RW 2nd, Howard G, et al. Stenting versus endarterectomy for treatment of carotid-artery stenosis. N Engl
J Med. 2010; 363(1): 11–23.
Grant EG, Benson CB, Moneta GL, et al. Carotid artery stenosis: gray-scale and Doppler US diagnosis--Society of Radiolo-
gists in Ultrasound Consensus Conference. Radiology 2003; 229(2): 340–6..

6.5  Zunächst ungeklärte Synkope


Christoph Spes

KASUISTIK
Ein Allgemeinmediziner ruft Sie an: Er werde jetzt gleich einen 50-jährigen Patienten vorbeischicken, der 50 Meter von 6
seiner Praxis entfernt synkopiert sei. Er kenne den Mann sonst nicht. Der Kollege hat normale Vitalparameter dokumen-
tiert (HF 84, RR 110/70, AF 16), der Blutzucker betrug 87 mg/dl. Im EKG bestand ein Sinusrhythmus, nach seiner Ansicht
keine sonstigen Auffälligkeiten. Als einziger pathologischer Befund bei der körperlichen Untersuchung fand sich eine fri-
sche Abschürfung an der rechten Hand. Der Tetanusimpfschutz sei anamnestisch in Ordnung.
Etwas später stellt sich der schlanke und gesund wirkende Patient in Begleitung seiner Ehefrau vor. Er war plötzlich be-
wusstlos geworden und synkopiert. Fremdanamnestisch betrug die Dauer der Bewusstlosigkeit etwa 30 Sekunden, der
Patient bot keine Bewegungsmuster, die auf einen epileptischen Anfall hindeuteten; er hatte auch keine Enuresis oder
einen Zungenbiss. Es handelte sich um das erste derartige Ereignis. Der Patient gibt auf Ihr detailliertes Nachfragen an,
keinerlei Prodromi vor dem Ereignis verspürt zu haben: Ihm sei nicht „schwarz vor den Augen“ oder übel geworden, kein
Herzrasen, kein langsamer Puls, keine Kopfschmerzen, kein Schwindel. Nach dem Aufwachen aus der Bewusstlosigkeit
hatte der Patient keine Beschwerden und war voll orientiert. Vorerkrankungen sind nicht bekannt, keine Dauermedikati-
on, auch keine bedarfsweise eingenommenen Medikamente in den letzten Tagen. Der Patient ist Nichtraucher, trinkt nur
selten Alkohol und dann nur kleine Mengen. Die Familienanamnese ist bezüglich kardiovaskulärer und neurologischer
Erkrankungen unauffällig.
Bei der körperlichen Untersuchung finden Sie – wie der Allgemeinmediziner – außer der Abschürfung keine patholo-
gischen Befunde: normaler erster und zweiter Herzton, kein Geräusch, JVD normal, Pulmo unauffällig, keine Ödeme,
keine klinischen Hinweise auf tiefe Beinvenenthrombose.

Welche weiterführenden Untersuchungen wollen Sie zunächst durchführen?

EKG, Karotisdruckversuch, UKG, Ergometrie, LZ-EKG, Labor (Elektrolyte, TSH, Kreatinin, BZ, Lipidstatus).

Sie erhalten folgende Resultate:


EKG (› Abb. 6.6)
248 6  Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen

Abb. 6.6  SR, 66/min, Indifferenztyp. PQ-Zeit normal, QT-/QTc-Zeit normal, keine Brugada-Konfiguration.

Karotisdruckversuch: Kein Frequenzabfall bds.


UKG: Alle Dimensionen normal. Normale globale und regionale Funktion des LV, keine LVH. Kein Hinweis auf arrhyth-
mogene rechtsventrikuläre Dysplasie. Kein Klappenvitium. Vermehrt bewegliches Vorhofseptum, jedoch kein eindeutiges
Aneurysma. Im Farbdoppler kein Shuntnachweis.
LZ-EKG: SR, HF 48–122/min, im Mittel 68. Keine VES, keine SVES. Niedrigste HF nachts 42/min. Keine AV-Blockierung,
keine relevanten Pausen. Keine pathologische ST-Senkung.
6.5  Zunächst ungeklärte Synkope 249

Ergometrie: Gute Belastbarkeit bis 250 W. Maximale HF 167/min, max. RR 220/80 mmHg. Abbruch wegen Ausbelas-
tung. Weder klinisch noch im EKG Hinweise auf Ischämiereaktion. Keine Arrhythmien.
Labor: Normwerte für BB, Gerinnung, Elektrolyte, Retentionsparameter, Nüchternglukose. Das TSH war mit 4,88 leicht
erhöht (latente Hypothyreose). Lipidstatus (jeweils mg/dl): Gesamtcholesterin 268, HDL 58, LDL 194.

Wie gehen Sie weiter vor?

Es gibt bislang keine Hinweise auf eine kardiale Strukturerkrankung oder eine rhythmogene Synkope. Ein-
ziger vaskulärer Risikofaktor ist ein erhöhtes LDL-Cholesterin bei normalem HDL-Wert. Sie besprechen mit
dem Patienten, zunächst zuzuwarten und vereinbaren eine neuerliche Vorstellung bei erneuten Sympto-
men.

KASUISTIK
Acht Wochen später berichtet der Patient, während des Frühstücks für etwa 20 Sekunden bewusstlos geworden zu sein.
Vorausgehend bestanden wie beim ersten Mal keine Symptome. Herzrhythmusstörungen wurden subjektiv nie bemerkt.
Der Hausarzt hatte zwischenzeitlich eine HNO-ärztliche und neurologische Untersuchung anberaumt, die aber keinen
auffälligen Befund gezeigt hätten.

Was machen Sie jetzt?

Sie wiederholen das Langzeit-EKG. Angesichts des LDL-Cholesterins und der bekannt niedrigen Sensitivität
des Belastungs-EKGs etwa bei koronarer Eingefäßerkrankung (› Kap. 8.1) planen Sie eine Stressechokardio­ 6
graphie, außerdem eine Duplexsonographie der extrakraniellen hirnversorgenden Arterien (bisher noch
nicht erfolgt).

KASUISTIK
Stressechokardiographie (dynamische Belastung): Maximalwerte: Belastung 225 W, HF 166/min, RR 220/80 mmHg.
Abbruch wegen Ausbelastung. Keine AP-Beschwerden, keine Dyspnoe, keine ST-Streckensenkungen, keine regionale
Minderkontraktion. Normales Stressechokardiogramm ohne Ischämiehinweis.
Duplexsonographie: Intima-Media-Dicke 0,7 mm. Normale Flussgeschwindigkeiten ohne Hinweise auf Strombahnhin-
dernis in ACC, ACI und ACE auf beiden Seiten. A. vertebralis bds. orthograd perfundiert.
LZ-EKG: Wiederum durchgehend normofrequenter SR (45–140/min), keine relevanten Pausen oder Bradykardien. Keine
SVES. 11 VES. Eine kurze VT über 7 QRS-Komplexe, HF 182. Der Patient war klinisch asymptomatisch.

Ist ein TEE weiterführend?

Es gibt keine Hinweise für ein embolisches Geschehen. Selbst der Nachweis eines PFO bei etwas redundant
angelegtem Vorhofseptum wäre momentan ohne Konsequenz – allenfalls kann man prophylaktisch ASS ge-
ben.

Welches sind die nächsten Schritte?

Der Patient hat zum wiederholten Mal eine Synkope erlitten. Einziger Hinweis zur Genese ist eine kurze, aber
schnelle VT. Diese trat jedoch nachts auf, man kann zur Symptomatik nichts aussagen. Sie überweisen den
250 6  Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen

Patienten zur Kipptischuntersuchung und besprechen die weiteren Maßnahmen, falls die Untersuchung ne-
gativ ist.

KASUISTIK
Das ist sie in der Tat. Sie veranlassen jetzt zum definitiven Ausschluss einer KHK eine Herzkatheteruntersuchung.
Lävokardiographie und Koronarangiographie: Normale globale und regionale LV-Funktion. Normale LV-Druckwer-
te. Unauffällige Herzkranzgefäße, keine Hinweise auf mikrovaskuläre Dysfunktion.

Wann sollte bei unklarer Synkope eine elektrophysiologische Untersuchung


erfolgen?

Nach DGK besteht eine Indikation zur EPU bei V.a. rhythmogene Synkopen. Eine orthostatische oder neuro-
kardiogene Synkope sollte ausgeschlossen sein. Eine EPU wird auch empfohlen vor Implantation eines
Event-Rekorders.
• Pathologisches Ruhe-12-Kanal-EKG oder LZ-EKG (z.B. LSB, bifaszikulärer Block, AV-Block II Mobitz,
Hinweis auf angeborene Ionenkanalerkrankungen, Sinusbradykardie < 50/min): I C
• Symptomatische Tachykardien: I C
• Organische Herzerkrankung: I C
• Evaluierung des Arrhythmiemechanismus bei anzunehmender oder dokumentierter tachykarder Herz-
rhythmusstörung: IIa B
• Ausschluss einer induzierbaren Tachyarrhythmie bei berufsbedingten Erfordernissen (z.B. Pilot): IIb C
Keine Indikation (III C) besteht bei:
6 • Arzneimittel-induzierten EKG-Veränderungen, die nach Absetzen reversibel sind
• Ausgeschlossener struktureller Herzerkrankung und fehlenden Hinweisen für eine rhythmogene Ge-
nese.
Unser Patient hat wiederholte Synkopen, als bisher einzige Hinweise auf eine mögliche Ursache ist eine VT
dokumentiert. Sie stellen daher die Indikation zur EPU.

KASUISTIK
Elektrophysiologische Untersuchung: SR, RR 1022 ms, QRS 97 ms, QT 395 ms, PQ 144 ms, AH 94 ms, HV 42 ms.
Vorhofstimulation: Sinusknotenerholungszeit 1237 ms, AV-nodale Leitung antegrad unauffällig, bei atrialer Stimulati-
on keine Tachykardieauslösung.
Ventrikelstimulation: Adäquate VA-Leitung, Bei programmierter RV-Stimulation an 2 unterschiedlichen Orten keine
Tachykardie auslösbar.
Ajmalintest (2 mg/kg KG): Kein induzierbares Brugada-Syndrom nachweisbar.
Sie besprechen die Ergebnisse mit dem Patienten. Er ist mittlerweile total verunsichert und fragt Sie, welche Diagnose-
möglichkeiten noch bestehen. Sie besprechen mit ihm die Implantation eines Event-Rekorders; der Patient entscheidet
sich dafür.
Neun Monate später sehen Sie den Patienten wieder. Er habe keine Synkope mehr erlitten, nur einmal eine Episode mit
Übelkeit.
Event-Rekorder-Abfrage: 3 Asystolien, max. 4,9 s Dauer. 148 VTs, maximale Dauer 9,2 s, maximale Frequenz 177/s.
Keine Korrelation zur Episode mit der Übelkeit.
Sie entschließen sich, die Situation weiter zu beobachten – es sind ja auch keine Synkopen mehr aufgetreten.
Gerade mal 4 Tage später sehen Sie den Patienten erneut: Er kommt aus der chirurgischen Notaufnahme. Er war am
Morgen mit dem Rad zur Arbeit gefahren und ohne erklärlichen Grund plötzlich gestürzt, sei auch kurz bewusstlos gewe-
sen. Er hat sich mehrere Rippenfrakturen zugezogen.
Event-Rekorder-Abfrage: Seit der letzten Abfrage 2 VT, 1 Asystolie (› Abb. 6.7, › Abb. 6.8, › Abb. 6.9).
6.5  Zunächst ungeklärte Synkope 251

Abb. 6.8  Asystolie:


Abb. 6.7  VT1: am ehesten Asystolie über 7,5 s, Abb. 6.9  VT2: am ehesten Ta-
Artefakt, keine VT lediglich 1 Ersatzsystole chyarrhythmia absoluta
252 6  Leitsymptome Kollaps, Synkope, Ohnmacht, neurologische Ausfallerscheinungen

Sie sehen sich die Ereignisse an. Die Asystolie passt zeitlich genau zum Unfallereignis.
Sie müssen nun also von einem intermittierenden Sinusarrest bei Sinusknotenerkrankung ausgehen und veranlassen die
umgehende Implantation eines Schrittmachers.

Welches Aggregat schlagen Sie vor?

Der Patient hat nur selten Ereignisse. Als reines Absicherungssystem wäre somit ein Einkammerschrittma-
cher (VVI) ausreichend (DGK-Klasse I, B). Vom vermuteten Krankheitsmechanismus sollte eine alleinige
Vorhofstimulation [AAI] ebenfalls ausreichen [Klasse IIb, B]). Im vorliegenden Fall entschied man sich für
ein Zweikammersystem Modus DDD mit AV-überleitungserhaltender Programmierung (z.B. Moduswechsel
zwischen AAI und DDD zur Vermeidung unnötiger rechtsventrikulärer Stimulation, DGK-Klasse I B). Der
Event-Rekorder wurde explantiert.

KASUISTIK
Der Patient stellt sich 6 Monate nach der Optimierung der Stimulationsamplituden zur Kontrolle erneut vor. Synkopen sind
nicht mehr aufgetreten.
Schrittmacherkontrolle: Modus DDD, Interventionsfrequenz 50/min. Regelrechte Batteriedaten (3,01 V, Restlaufzeit
>12 Jahre). Regelrechte Reizschwellen (Vorhof 0,5 V bei 0,5 ms Impulsdauer, Ventrikel 0,625 V bei 0,5 ms). Wahrneh-
mung im Vorhof 1,0 mV, im Ventrikel > 12,5 mV.
Im Ereignisspeicher > 99% Eigenrhythmus AS-VS, < 1% AS-VP, < 1% AP-VP, < 1% AP-VS. Mode Switch < 1%. Vorhof-
frequenz maximal 192/min. 20 ventrikuläre Hochfrequenzepisoden, HF bis 180/min.

6
Was folgern Sie aus den gespeicherten Daten?

Die Funktion des Aggregats ist regelrecht. Der Schrittmacher kommt nur selten zum Einsatz, die Tatsache,
dass auch im Ventrikel stimuliert wird, spricht doch für möglicherweise intermittierende Überleitungsstö-
rungen und unterstützt die Wahl eines Zweikammeraggregats. Bei den Mode-Switch-Episoden (Umschal-
tung in Modus DDI, aktiviert bei Vorhoffrequenz > 180) kann es sich auch noch um SR gehandelt haben.
Nachdem die VT nicht sehr schnell sind, entscheiden Sie sich zunächst gegen eine Betablockergabe (um mög-
lichst den Eigenrhythmus zu bewahren und wenig Stimulation zu haben), zumal der Patient asymptomatisch
ist und eher niedrige Blutdruckwerte hat.

Wann soll sich der Patient wieder vorstellen?

In 6–12 Monaten zur Routine-Schrittmacherkontrolle oder bei erneuten Beschwerden.

LITERATUR
Lemke B, Nowak B, Pfeiffer D. Leitlinien zur Herzschrittmachertherapie. Z. Kardiol. 2005; 94: 704–20.
Willems S, Eckardt L, Hoffmann E, et al. Leitlinie invasive elektrophysiologische Diagnostik. Clin Res Cardiol. 2007; 96: 634–51.
Seidl K, A. Schuchert A, Tebbenjohanns J, Hartung W. Kommentar zu den Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Synko-
pen der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie 2001 und dem Update 2004. Z. Kardiol. 2005; 94: 592-612.
KAPITEL

7
Kardiovaskuläre Erkran­
kungen bei schwangeren
Patientinnen und Frauen mit
Kinder­wunsch
7.1 Luftnot, Abgeschlagenheit und Gewichtszunahme
Thomas Schiele, Christoph Spes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

7.2 Schwindel und Kopfschmerzen Thomas Schiele, Christoph Spes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

7.1  Luftnot, Abgeschlagenheit und Gewichtszunahme


Thomas Schiele, Christoph Spes

KASUISTIK
Eine 31-jährige Patientin in der 32. Schwangerschaftswoche stellt sich bei Ihnen wegen zunehmender Atemnot, Um-
fangszunahme der Beine, stark steigendem Körpergewicht und allgemeiner Abgeschlagenheit vor. Wesentliche kardi-
ale Vorerkrankungen seien nicht bekannt. In der Kindheit sei einmal ein Herzgeräusch vorhanden gewesen, der Haus-
arzt habe aber keine weiteren Untersuchungen veranlasst, da es der Patientin immer gut gegangen sei. An kardiovas-
kulären Risikofaktoren bestehen ein Nikotinkonsum bis zum Bekanntwerden der Schwangerschaft sowie eine familiäre
Diathese.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 173 cm große und 81 kg schwere Patientin in reduziertem Allgemeinzustand
und normalem Ernährungszustand. Puls 110 s/min, arrhythmisch, Blutdruck 105/75 mmHg, normaler 1. und 2. Herz-
ton, fraglicher 3. Herzton, 2⁄6-Holosystolikum über Erb‘schem Punkt und der Herzspitze, fortgeleitet in die Axilla, leicht
erhöhter Jugularvenendruck von 1 cm, beiderseits Vesikuläratmen, beidseits basal feinblasige feuchte Rasselgeräu-
sche, Dämpfung perkutorisch rechts bis knapp unterhalb der Skapula, ansonsten unauffälliger körperlicher Untersu-
chungsbefund.

Welche wesentlichen pathophysiologischen Veränderungen müssen Sie während


der Schwangerschaft und der Geburt bedenken?

• S teigerung des Herzzeitvolumens im 2. Trimenon um 30–50%, Maximum in der 32.–34. Schwanger-


schaftswoche. Zunahme der Herzfrequenz um 10–30%. Der systolische Blutdruck fällt zunächst bis zur
Schwangerschaftsmitte ab, steigt dann wieder an, wobei gegen Schwangerschaftsende durch kompressi-
onsbedingten verminderten venösen Rückfluss und Vasodilatation der Beine auch hypotensive Episoden
auftreten können. Während einer Spontangeburt nimmt das Herzzeitvolumen um 50% zu. Potenziell kri-
tische Hämodynamik bei Herzkranken durch Blutdruckanstieg in den Wehen (um 20%, Spitzen bis
200 mmHg) bei vaginaler Geburt und durch peripartalen Blutverlust bei Sectio. Nach der Entbindung
normalisiert sich die Hämodynamik innerhalb von 2–6 Wochen.
• H
 yperkoagulabilität aufgrund erhöhter Konzentration der Gerinnungsfaktoren II, VII, VIII und X sowie
von Fibrinogen mit klinisch erhöhtem Thrombembolierisiko bis 6 Wochen post partum.
254 7  Kardiovaskuläre Erkrankungen bei schwangeren Patientinnen und Frauen mit Kinderwunsch

• A
 ufgrund von Veränderungen des Kollagenstoffwechsels erhöhte Gefäßfragilität mit klinisch bedeutsam
gesteigerter Dissektionsneigung von Gefäßen.

Nennen Sie die mögliche Differenzialdiagnosen für das Krankheitsbild.

• S chwangerschaftshypertonie (gemessener Blutdruck spricht dagegen)


• B estehende oder operierte Vitien
• P eripartum-Kardiomyopathie
• L ungenembolie
• A kuter Myokardinfarkt.

Welche Diagnostik würden Sie anordnen?

• L abor: Blutbild, CRP, Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, CK, LDH, GOT, GPT, Troponin, ggf. BNP, Urin-
status, ggf. 24-h-Sammelurin
• E KG (Rhythmus/Ischämiezeichen)
• U KG zur Beurteilung der Pumpfunktion des rechten und linken Ventrikels und zur ätiologischen Klärung
(vorbestehendes Vitium, hypertrophe Kardiomyopathie, Lungenarterienembolie, Myokardinfarkt).
• J e nach Befundlage können ggf. eine 24-h-Blutdruckmessung und eine Duplexsonographie der Beinvenen
sinnvoll sein. Erforderlich ist auch die Vorstellung beim Gynäkologen (u.a. Dopplersonographie der Aa.
uterinae, weitere Planung bei absehbarer Notwendigkeit einer vorzeitigen Entbindung).

Welche vorbestehende Vitien können in Frage kommen? Wie beurteilen Sie das
Risiko für den Verlauf der Schwangerschaft?
7
Indikatoren für ein hohes Risiko:
• V orausgegangene kardiovaskuläre Ereignisse (z.B. Herzinsuffizienz, TIA, Apoplex)
• V orausgegangene Arrhythmien
• N YHA > II oder Zyanose vor Eintritt der Schwangerschaft
• L inksherzobstruktion (Aortenstenose, Mitralstenose, LV-Ausflusstraktobstruktion mit Gradient
> 30 mmHg)
• L V-Funktion eingeschränkt (EF < 40 mmHg).
Bekannte Vitien machen bei geplanter und bestehender Schwangerschaft eine individuelle Beratung hin-
sichtlich des mütterlichen und fetalen Risikos notwendig. Bei mittlerem bis hohem Schwangerschaftsrisiko
ist eine Vorstellung in einem Schwerpunktzentrum ratsam. Mitral- und Aortenklappeninsuffizienzen sowie
Vorhofseptumdefekte sind häufig und werden bei erhaltener Ventrikelfunktion und NYHA-Stadium I–II zu-
meist gut toleriert. Komplexe korrigierte und nicht korrigierte Vitien bedürfen einer sorgfältigen Erhebung
aller vorhandenen Läsionen und Beurteilung der Ventrikelfunktion. Die Beurteilung des Schwangerschafts-
risikos ist schwierig, da hämodynamische Besonderheiten zu berücksichtigen sind und bei komplexen Vitien
bislang in der Literatur vielfach nur Einzelfälle beschrieben wurden. Zu den Vitien mit einem hohen mütter-
lichen und damit auch fetalen Risiko gehören symptomatische Patientinnen NYHA III/IV, linksventrikuläre
Obstruktionen wie die schwere Mitral- und Aortenklappenstenose, zyanotische Vitien, insbesondere mit pul-
monaler Hypertonie, eine schwer eingeschränkte Ventrikelfunktion unabhängig von der zugrunde liegenden
Erkrankung, ein mechanischer Klappenersatz, unoperierte Aortenisthmusstenosen, Aortendilatationen bei
Marfan-Syndrom oder auch Patientinnen mit bikuspider Aortenklappe. Die mütterliche Letalität variiert
7.1  Luftnot, Abgeschlagenheit und Gewichtszunahme 255

zwischen 10% bei schweren Aortenstenosen und 50% beim Eisenmenger-Syndrom. Das fetale Letalitätsrisiko
bei einer Patientin mit einer schweren Zyanose mit einer Sättigung < 85% beträgt 88%. Eine elektive Abort­
induktion vor der 12. Schwangerschaftswoche hat ein geringeres mütterliches Risiko als das Austragen der
Schwangerschaft.
Potenzielle Indikation zum Schwangerschaftsabbruch:
• H öhergradige pulmonale Hypertonie (> 2⁄3 des Systemdrucks)
• S ymptomatische bzw. höhergradige Obstruktion im Bereich der Aortenklappe, des Bogens oder Aorten­
isthmus
• M arfan-Syndrom mit erweiterter Aortenwurzel
• C hronische Herzinsuffizienz NYHA III, IV.

KASUISTIK
Die vorgestellte Patientin wies folgende Befunde auf:
Labordiagnostik: CK 192 U/l, LDH 304 U/l, GOT 45U/l, GPT 39 U/l, Troponin 0,13ng/ml, BNP 436 pg/ml, Hb 10,2 g/dl,
Differenzialblutbild unauffällig. D-Dimer sollte nicht bestimmt werden, da in der Schwangerschaft häufig unspezifisch erhöht.
EKG (› Abb. 7.1):

Abb. 7.1  EKG


SR, Frequenz 70/min., Linkstyp, P 0,07 Sekunden, PQ 0,16 Sekunden, QRS 0,11 Sekunden, QT 0,38 Sekunden, inkom-
pletter Linksschenkelblock.
UKG (› Abb. 7.2): global reduzierte linksventrikuläre Pumpfunktion bei vergrößerter Kammer. Restliche Herzhöhlen
normal groß. Keine Linkshypertrophie. Klappen zart, kein Vitium. Geringer Perikarderguss.
256 7  Kardiovaskuläre Erkrankungen bei schwangeren Patientinnen und Frauen mit Kinderwunsch

Abb. 7.2  UKG

Der UKG-Befund ist vereinbar mit einer Kardiomyopathie bzw. Z.n. Myokarditis. Diese kann entweder
schon vor der Schwangerschaft bestanden haben (NYHA I) oder erst während der Schwangerschaft ent-
standen sein.
Die Peripartum-Kardiomyopathie (Inzidenz in Europa 1:3500) tritt innerhalb der letzten Schwanger-
schaftswochen bis zu 6 Monate nach der Geburt bevorzugt bei Hypertonie, Präeklampsie, Zwillingsschwan-
gerschaften, nach Tokolyse, bei Teenagern und älteren Müttern auf. Die Differenzialdiagnose gegenüber einer
linksventrikulären Funktionseinschränkung anderer Genese ergibt sich aus dem Zeitpunkt des Auftretens
und dem fehlenden Hinweis für eine andere kardiale Erkrankung. Eine Myokardbiopsie ist in der Regel nicht
7 indiziert, sie wird im Einzelfall bei Nichtansprechen auf die konventionelle Therapie empfohlen. Im Spontan-
verlauf ist in ca. einem Drittel der Fälle mit einer Ausheilung zu rechnen, bei einem Drittel verbleibt eine
leichte bis mäßige ventrikuläre Dysfunktion, bei einem Drittel das Vollbild einer schweren Kardiomyopathie.
Bei erneuter Schwangerschaft besteht ein hohes Rezidivrisiko.
Akute Myokardinfarkte gehören mit einer Inzidenz von 1:10.000 Schwangerschaften zu den seltenen
Schwangerschaftskomplikationen. Sie treten am häufigsten peripartal auf. Betroffen sind bevorzugt ältere
Multipara mit einer arteriellen Hypertonie, einer Präeklampsie oder einem Diabetes mellitus. Eine korona-
re Herzerkrankung liegt nur in 20% der Fälle vor. Am häufigsten tritt eine Dissektion des Ramus interven-
tricularis anterior auf. Die Letalität ist hoch (20–48,8%). Die Therapie der Wahl besteht in der Implantati-
on eines Stents. Eine Thrombolyse kann in Erwägung gezogen werden. Daten über die Sicherheit von Clo-
pidogrel während der Schwangerschaft und Stillzeit sind nicht verfügbar. Im Falle eines akuten Myokard-
infarkts überwiegt der therapeutische Nutzen das Risiko einer potenziellen Schädigung bei weitem. Der
Entbindungsmodus hängt von der kardialen Situation der Mutter und vom Zustand des Kindes ab.
Eine koronare Herzerkrankung tritt in der Schwangerschaft zunehmend häufiger auf, da zum einen ver-
änderte Rauchgewohnheiten bestehen, zum anderen eine andere Lebensplanung dazu geführt hat, dass Frau-
en in höherem Lebensalter schwanger werden. Eine Katheterdiagnostik ist bei einem eindeutigen Ischämie-
nachweis oder typischen nitrosensiblen thorakalen Schmerzen gerechtfertigt! Eine signifikante Stenose erfor-
dert ein frühes interventionelles Vorgehen, da mit zunehmender Schwangerschaftsdauer die Kreislaufbelas-
tung und Hyperkoagulabilität und somit das Infarktrisiko zunehmen. Bei Interventionen im 2.  Trimenon
scheint der Einsatz unbeschichteter Stents eher gerechtfertigt, da in diesen Fällen eine Clopidogreltherapie
7.1  Luftnot, Abgeschlagenheit und Gewichtszunahme 257

nach 4 Wochen beendet werden kann und somit das Risiko von Blutungskomplikationen bei der Entbindung
verringert ist.
Diagnose: Im vorgestellten Fall liegt eine Peripartum-Kardiomyopathie vor. Die medikamentöse Thera-
pie während einer Schwangerschaft bedarf wegen der Plazentagängigkeit vieler Substanzen einer kritischen
Nutzen-Risiko-Abwägung. Größere randomisierte (RCT) Studien fehlen zumeist.

Mit welchen Substanzen würden Sie die Herzinsuffizienz Ihrer Patientin nun
behandeln?

• ACE-Hemmer, AT1-Blocker: sollten nicht eingesetzt werden (DGK I C; › Kap. 7.2)


• A
 ldosteronantagonisten: keine Erfahrungswerte, kein Einsatz (DGK I C)
• D
 iuretika: Einsatz sinnvoll bei Stauungszeichen (II a–C). Es besteht das Risiko einer Minderperfusion der
Plazenta. Mit HCT und Furosemid liegen die meisten Erfahrungen vor.
• H ydralazin, Nitrate: Einsatz zur Nachlastsenkung möglich (IIa–C)
• B etablocker: nur kardioselektive Betablocker empfehlenswert (I–C). Die meisten Erfahrungen bestehen
mit Metoprolol. Succinat sollte bevorzugt werden.
• P ositiv inotrope Substanzen: Dopamin und Dobutamin, evtl. auch Levosimendan können eingesetzt
­werden.
• D
 igitalis: Einsatz ist prinzipiell möglich (I–C). Der Spiegel sollte unter 0,8 ng/ml liegen.

Was ist hinsichtlich einer eventuell notwendigen Antikoagulation bei


Schwangeren zu beachten?

Zur Thromboseprophylaxe bei schwangeren Patientinnen mit Vitien, Vorhofflimmern oder reduzierter
linksventrikulärer Funktion (EF < 35%), insbesondere mit Peripartum-Kardiomyopathie, ist eine wirksame
Antikoagulation indiziert. Die Verwendung von Cumarinen ist bis zur 6. Schwangerschaftswoche höchst- 7
wahrscheinlich sicher. Ab der 6. bis zur 12. Woche besteht jedoch – wahrscheinlich dosisabhängig – die Ge-
fahr einer Embryopathie, weswegen die Indikation für Cumarine streng in Abhängigkeit vom maternalen
Thromboserisiko zu stellen ist (dies gilt besonders für Mütter mit mechanischen Klappenprothesen, s.u.). Im
zweiten und dritten Trimenon gelten Cumarine als relativ sicher, Komplikationen (fetale intrakranielle Blu-
tungen) sind jedoch möglich. Heparine können unter Beachtung der spezifischen Risiken für Mutter und
Kind gegeben werden.

Exkurs: Antikoagulation bei schwangeren Patientinnen mit mechanischen


Klappenprothesen
Prinzipiell stehen Vitamin-K-Antagonisten (orale Antikoagulation, OAK), Heparine und niedermolekulare
Heparine zur Verfügung.
OAK sind ab der 6. Schwangerschaftswoche (8. Woche nach letzter Regelblutung) bis zur 12. SSW mit dem
Risiko der Cumarinembryopathie behaftet. Es gibt jedoch Hinweise, dass niedrige Dosen (Warfarin < 5 mg/d)
keine Embryopathie verursachen.
Niedermolekulare Heparine sind in der genannten Indikation nicht zugelassen. Eine multizentrische Stu-
die zu diesem Thema wurde wegen gehäufter Klappenthrombosen abgebrochen. Die FDA empfiehlt den Ein-
satz von niedermolekularen Heparinen nicht. Wenn sie nach Aufklärung trotzdem eingesetzt werden, sollte
die Anti-Faktor-Xa-Aktivität regelmäßig gemessen werden.
258 7  Kardiovaskuläre Erkrankungen bei schwangeren Patientinnen und Frauen mit Kinderwunsch

Tab. 7.1  Antikoagulation (modifiziert nach DGK-Leitlinie 2008)


Blutverdünnung Embryopathie (%) Spontanabort (%) Thromboem­bolie (%) Tod der
­Mutter (%)
OAK gesamte Schwangerschaft 6,4 25 3,9 1,8
Heparin 1. Trimenon, dann OAK 3,4 25 9,2 4,2
Heparin gesamte Schwanger- 0 24 33 15
schaft
• niedrige Dosis 0 20 60 40
• adjustierte Dosis 0 25 25 6,7

Heparin ist in der Langzeittherapie mit einem bis 3%igen Risiko für Osteoporose mit Spontanfrakturen und
Thrombopenie verbunden. Auch hier ist die Thromboembolierate und Klappenthromboserate höher als un-
ter OAK.
Die Ergebnisse einer Vergleichsstudie (OAK gesamte Schwangerschaft versus Heparin gesamte Schwan-
gerschaft versus initial Heparin, dann ab 1. Trimester OAK) zeigt Tabelle 7.1. Unter durchgehender Hepa-
ringabe ist die maternale Letalität am höchsten.

Was ist im Erkrankungsverlauf zu beachten?

• M aternale Komplikationen: Dekompensation, Thromboembolien, Herzrhythmusstörungen


• F etale Komplikationen: plazentare Hypoperfusion, fetale Retardierung.
Die Kooperation zwischen Gynäkologen und Kardiologen ist unabdingbar.

Was ist während der Entbindung zu beachten?


7
• E inrichtungen mit hämodynamischer Überwachungsmöglichkeit und erfahrenem anästhesiologischem
Team sind erforderlich.
• E ine Endokarditisprophylaxe mit Breitbandpenicillinen oder Erythromycin wird bei palliativ behandelten
oder nicht operierten zyanotischen Vitien, Zustand nach Klappenersatz, Zustand nach Endokarditis, ope-
rierten Herzfehlern mit Implantation eines Conduits oder residuellen Defekten empfohlen, für sonstige
Vitien fehlt die Evidenz, eine Endokarditisprophylaxe wird jedoch häufig dennoch praktiziert.

Was ist post partum zu tun?

Nach Abstillen erfolgt die Herzinsuffizienztherapie wie bei Nichtschwangeren für 6–12 Monate nach Entbin-
dung. Die Patientinnen sind engmaschig zu überwachen, 50% der maternalen Todesfälle treten in den ersten
3–6 Monaten postpartal auf.
Die Patientinnen sind über das hohe Risiko einer Rezidiv-Peripartum-Kardiomyopathie zu unterrichten.
Eine Dobutamin-Stress-Echokardiographie zur Beurteilung der kontraktilen Reserve kann die Empfehlung
für oder gegen eine erneute Schwangerschaft untermauern. Bei fortbestehend stark reduzierter oder nicht
verbesserter LV-Funktion sollte von einer erneuten Schwangerschaft abgeraten werden (DGK IIa–C).
Eine Medikation mit Pentoxyphyllin, Immunglobulinen, Immunsuppressiva oder Bromocriptin zeigte in
kleinen Serien ermutigende Ergebnisse, randomisierte Studien sind noch nicht verfügbar.
7.2  Schwindel und Kopfschmerzen 259

Die Implantation von Assist-Devices, eine Herztransplantation oder Kardiomyoplastie ist therapierefraktä-
ren Fällen vorbehalten.

LITERATUR:
DGK-Leitlinien Herzerkrankungen in der Schwangerschaft. Clin Res Cardiol 2008; 97: 630–65.
DGK-Leitlinie zur Behandlung von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EMAH) Clin Res Cardiol 2008; 97: 194–214.

7.2  Schwindel und Kopfschmerzen


Thomas Schiele, Christoph Spes

KASUISTIK
Eine 39-jährige Patientin, erste Schwangerschaft (24. Woche), wird vom Hausarzt überwiesen, da der Blutdruck zu hoch
sei. Sie klagt über Schwindel und gelegentliche Kopfschmerzen. Die Patientin war vor der Schwangerschaft nie beim
Arzt, da sie sich trotz ihres Übergewichts immer wohl gefühlt habe. Aktuell keine Medikation außer Jodid. Die Patientin
raucht nicht.
Körperlicher Untersuchungsbefund: 163 cm große, 88 kg schwere, übergewichtige Patientin in normalem Allge-
meinzustand. Puls 100 s/min, rhythmisch, Blutdruck 160/95 mmHg, normaler 1. und 2. Herzton, JVD normal, unauffälliger
Untersuchungsbefund der Lunge. Keine Ödeme. Kein Strömungsgeräusch über den Karotiden oder periumbilikal. Ansons-
ten unauffälliger körperlicher Untersuchungsbefund.

Wie beurteilen Sie den Blutdruck?

Es besteht eine arterielle Hypertonie, wenn sich der Wert bei Kontrollmessungen bestätigt.
Die arterielle Hypertonie (RR > 140/90 mmHg) ist das häufigste medizinische Problem während der
Schwangerschaft und Ursache maternaler und fetaler Morbidität und Mortalität. Die Häufigkeit wird für 7
Westeuropa mit 5–7% angegeben.

Wie wird die Hypertonie bei Schwangeren unterteilt?

Chronische arterielle Hypertonie (> 140/90 mmHg, vorbestehend bereits vor der 20. SS-Woche, Persistenz
post partum). Nur bei 3–5% der Patientinnen treten Komplikationen auf.
Gestationshypertonie (> 140/90 mmHg, Auftreten ab 20. Schwangerschaftswoche, keine Proteinurie oder
Ödeme, Normalisierung des Drucks postpartal innerhalb von 6 Wochen). Die Gestationshypertonie alleine
bedeutet nur ein geringes Risiko für Mutter und Kind. Es sollte nach möglichen Ursachen gesucht werden,
z.B. eine Plazentationsstörung. Engmaschige Kontrollen sind erforderlich, da etwa die Hälfte der Patientin-
nen mit Gestationshypertonie eine Präeklampsie entwickelt.
Präeklampsie (RR > 140/90 ab SSW 20, zusätzlich Proteinurie > 0,3 g/24 h, ggf. Ödeme, selten HELLP-
Syndrom mit Thrombopenie und erhöhten Leberwerten). Die Ätiologie ist weiterhin nicht eindeutig ge-
klärt, als Grundprinzip der Pathogenese vermutet man eine inadäquate Umwandlung der myometranen
Segmente der Spiralarterien in uteroplazentare Arterien durch eine unzureichende endovaskuläre Invasion
des Zytotrophoblasten. Die Inzidenz der Präeklampsie ist von bestimmten Risikofaktoren und einer vorbe-
stehenden Hypertonie abhängig und beträgt ca. 2–8%. Die Präeklampsie ist häufig nur wenig symptoma-
tisch und verschwindet meistens 24–48 h post partum, kann jedoch Frühgeburten verursachen. Eine Prä­
eklampsie ist bei folgenden Symptome oder Laborwertänderungen wahrscheinlich: Kopfschmerzen, Seh-
260 7  Kardiovaskuläre Erkrankungen bei schwangeren Patientinnen und Frauen mit Kinderwunsch

störungen, plötzliche Erblindung, Bewusstseinsveränderungen, neurologische Ausfälle, Krampfanfälle,


Dyspnoe, Angina pectoris, Oberbauchschmerzen, Anstieg der Leberenzyme und des Kreatinins, Abfall der
Thrombozyten.
Bei der Eklampsie treten bedingt durch zerebrale Gefäßspasmen generalisierte tonisch-klonische Krampf-
anfälle auf. Nach Durchbrechung des akuten Krampfanfalls und Stabilisierung der Patientin ist die sofortige
Entbindung die Therapie der Wahl.

Welche Diagnostik würden Sie bei Ihrer Patientin jetzt anordnen?

Blutbild, Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, CK, LDH, GOT, GPT, Urinstatus, ggf. 24-h-Sammelurin, EKG,
UKG, 24-h-Blutdruckmessung.

KASUISTIK
Die vorgestellte Patientin wies folgende Befunde auf:
Labordiagnostik: Die genannten Parameter lagen im Normbereich. Keine Proteinurie.
EKG: SR, Frequenz 70/min., keine LVH-Zeichen, unauffälliges Stromkurvenbild.
UKG: Herzhöhlen normal groß. Normale Pumpfunktion. Keine Linkshypertrophie. Klappen zart, kein Vitium.
Langzeit-Blutdruckmessung: Mittelwert über 24 h 145/95 mmHg. Tagsüber 42% der systolischen und 31% der
diastolischen Werte erhöht, nachts 30 bzw. 25%.
Diagnose: arterielle Hypertonie. Es kann sich sowohl um eine neu aufgetretene Gestationshypertonie als auch um eine
vorbestehende Hypertonie handeln (das Fehlen einer LVH im UKG schließt dies nicht aus).

Wann besteht eine Indikation zur Hochdrucktherapie in der Schwangerschaft?

Der Nutzen einer Hochdrucktherapie bei leichter Präeklampsie, Gestationshypertonie und chronischer Hyper-
7 tonie (ohne zusätzliche Risikofaktoren) ist bisher nicht durch Studien belegt. Da die Hochdrucktherapie zu einer
plazentaren Hypoperfusion führen kann, wird die Behandlungsindikation nur bei schwerer Hypertonie gesehen:
• S chwere Hypertonie RR > 170/110
• S ekundäre Hypertonie
• M ild-moderate Hypertonie mit Risikofaktoren (maternale Endorganschäden, Alter > 40 Jahre, vorausge-
gangene Fehlgeburt, Z.n. TIA/Apoplex, bekannte mikrovaskuläre Erkrankungen).

Wie gehen Sie weiter vor?

Der Blutdruck sollte engmaschig kontrolliert werden, ebenso Zeichen einer Präeklampsie (Proteinurie!).
Zum jetzigen Zeitpunkt besteht noch keine Behandlungsnotwendigkeit der Hypertonie. Sie raten der Patien-
tin, eine inadäquate Gewichtszunahme zu vermeiden.

Welche Medikamente würden Sie zur dauerhaften Hypertoniebehandlung


einsetzen?

• A
 lphamethyldopa: erste Wahl bei chronischer Gabe (DGK I–B). 15% Therapieabbruch aufgrund der Ne-
benwirkungen (Depression, Mundtrockenheit, Sedierung). Positiver Coombs-Test, hämolytische Anämie
möglich. Blutdruckkrisen bei plötzlichem Absetzen möglich!
7.2  Schwindel und Kopfschmerzen 261

• β 1-selektive Betablocker: zweite Wahl (DGK I. B)


• H ochselektive β1-Blocker bevorzugen, da die Blockade der β2-Rezeptoren den Uterustonus erhöhen und
Wehen auslösen kann. Die umfangreichsten Erfahrungen bestehen mit Metoprolol.
• K alziumantagonisten (IIa–C): Nifedipin und Diltiazem zeigen hoch dosiert im Tierversuch teratogene Ef-
fekte, in einer randomisierten Studie bei Schwangeren jedoch nicht. Verapamil kann zu AV-Blockierun-
gen und Bradykardien beim Kind führen. Zu neueren Kalziumantagonisten liegen keine ausreichenden
Erfahrungen vor.
• D
 ihydralazin (IIa–C): Kann ohne negative Auswirkungen auf das Kind während der gesamten Schwan-
gerschaft gegeben werden, hat aber häufig Nebenwirkungen bei der Mutter (Schwindel, Flush, Kopf-
schmerzen, Herzklopfen). Wird meist intravenös eingesetzt bei Hochdruckkrisen.
• D
 iuretika (IIb–C): Zur Hochdruck-Dauertherapie eher zurückhaltend einzusetzen, da plazentare Minder-
perfusion und Wachstumsretardierung drohen.
• A
 CE-Hemmer und AT1-Blocker (IIb–C) wirken fetotoxisch. Klinisch gibt es noch keine eindeutigen Da-
ten, die Substanzen sollten nicht eingesetzt werden.

Was können Sie zur Behandlung akuter hypertensiver Entgleisungen einsetzen?

Empfohlen werden (DGK IIa–C):


• N
 ifedipin 5–10 mg s.l., 10–20 mg alle 4–6 h
• N
 itrendipin 1 ml s.l.
• U
 rapidil 25 mg i.v., Wiederholung im Bedarfsfall nach 2 min, danach steigern auf 50 mg, ggf. Dauerinfusion
• D
 ihydralazin 25 mg i.v., Dauerinfusion 2–20 mg/h.
Bei Eklampsie mit Konvulsionen Magnesium (DGK I-A) 4–6 mg i.v. über 15–20 min, dann 1–2 g/h
Bei Lungenödem/Herzinsuffizienz: Furosemid 10–40 mg.

LITERATUR:
DGK-Leitlinie: Herzerkrankungen in der Schwangerschaft. Clin Res Cardiol 2008; 97: 630–65. 7
KAPITEL

8 Kardialer Check-up
8.1 Keine Beschwerden – kardialer Check-up Christoph Spes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

8.2 Check-up bei lange bekanntem Herzgeräusch Christoph Spes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

8.3 Check-up bei zufällig festgestelltem Bluthochdruck Volker Klauss . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

8.4 Überbrückung einer Dauertherapie mit Plättchenhemmern


und/oder oraler Antikoagulation Christoph Spes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

8.5 Perioperative Risikoabschätzung Martin Hug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

8.6 Kontrolle nach Herzoperation im Kindesalter Christoph Spes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

8.1  Keine Beschwerden – kardialer Check-up


Christoph Spes

KASUISTIK
Ein 49-jähriger Mann stellt sich in der Sprechstunde vor. Er sei gesund und komme ausschließlich auf Drängen seiner Frau,
deren beste Freundin gerade ihren Ehemann wegen eines tödlichen Herzinfarkts verloren habe. Er arbeitet als Wirt in
seiner eigenen Kneipe. Er ist 178 cm groß und wiegt 98 kg. Die Helferin hat am rechten Arm einen Blutdruck von
150/90 mmHg gemessen, links 160/90.

Ist der Patient adipös? Kennen Sie die Definition?

Der Patient hat einen Body-Mass-Index (BMI) von 98 ÷ (1,78×1,78) = 30,9, also eine Adipositas Grad I. BMI-
definierte Adipositas: Grad I: 30–34,9, Grad II: 35–39,9, Grad III > 40. BMI 25,0–29,9 gilt als Übergewicht,
noch nicht als Adipositas.

Ist die Blutdruckdifferenz zwischen den beiden Armen relevant?

Eine Differenz der systolischen Werte > 20 mmHg kann auf eine Stenose hinweisen.

Wie sollte der Blutdruck gemessen werden?

Sitzend nach 5 min Ruhephase, diastolischer Wert bei komplettem Verschwinden der Töne, adäquate Man-
schettenbreite bezogen auf den Oberarm
264 8  Kardialer Check-up

Welche anamnestischen Daten sollten Sie gezielt erheben?

• Fragen zum Risikoprofil zur Einschätzung des kardiovaskulären Risikos


• Fragen zu Leitsymptomen einer koronaren Herzerkrankung und einer hypertensiven Herzerkrankung,
orientierend auch zur paVK und zur Karotisstenose.

KASUISTIK
Der Patient weiß nicht, ob sein Blutdruck erhöht ist, er geht ja nie zum Arzt. Kopfschmerzen hat er nur gelegentlich, aber
öfter ein „rotes Gesicht“.
Ob er zuckerkrank ist, wisse er ebenfalls nicht. Er trinke ca. 3 l täglich, davon etwa 2 Halbe Bier und das eine oder ande-
re Glas Wein.
Die Blutfettwerte sind nicht bekannt.
Der Patient raucht seit dem 14. Lebensjahr, anfangs eine halbe Schachtel Zigaretten, seit etwa Mitte 20 eineinhalb
Schachteln Zigaretten pro Tag („wegen dem Stress im Geschäft, und außerdem sind ja immer weniger drin in den
Schachteln“).
Familienanamnese: Ob es in der Familie Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung gibt, weiß Ihr Patient nicht. Sie
präzisieren die Frage: „Hatte jemand von den leiblichen Angehörigen einen Herzinfarkt, eine Bypass-OP, einen Stent oder
eine Aufdehnung der Kranzgefäße oder einen Schlaganfall?“ Der Vater habe einen kleinen Herzinfarkt gehabt, als er 60
geworden sei. Der drei Jahre ältere Bruder habe „auch irgendwas mit dem Herz, er glaube einen Stent“, genaue Informa-
tionen hat der Patient aber nicht.
Bei körperlicher Belastung hat der Patient anamnestisch keine Brustschmerzen oder drückende oder brennende Beschwer-
den, auch keine Luftnot. Ziehende Schmerzen in den Waden oder Oberschenkeln beim Gehen werden verneint, ebenso
einseitige Sehstörungen, Gefühlsstörungen oder Lähmungserscheinungen.

Wie quantifizieren Sie den Nikotinkonsum?

Der Konsum einer Schachtel Zigaretten pro Tag über ein Jahr wird als ein „pack year“ quantifiziert. Der Pati-
ent raucht also ½ pack × 10 Jahre = 5 pack years plus 1,5 packs × 25 Jahre = 37,5 pack years, insgesamt also
über 42 pack years.
Es handelt sich um einen erheblichen Nikotiabusus. Zur kurzen Überprüfung des Lungenkrebsrisikos
könnten Sie fragen nach Husten, blutigem Sputum, Heiserkeit, wiederholten Infekten, Fieber, Gewichtsab-
8 nahme, Nachtschweiß.

Wie stufen Sie den Blutdruck ein?

Der Blutdruck ist zu hoch (› Tab. 8.1).


Es kann sich im vorliegenden Fall aber auch nur um einen sogenannten „Praxishochdruck“ handeln, Sie
müssen die Messung also wiederholen. Eine Langzeit-Blutdruckmessung ist bei divergierenden Einzelmes-
sungen sinnvoll zur Objektivierung, ob eine Hypertonie vorliegt oder nicht. Normwerte der Langzeit-Blut-
druckmessung: 24-h-Mittelwert < 130/80 mmHg; Tagesmittelwert < 135/85 mmHg; Nachtmittelwert
< 125/75 mmHg.

Wie beurteilen Sie die Familienanamnese?

Das Risiko für eine koronare Herzerkrankung ist höher, je näher der Verwandtschaftsgrad und je jünger das
Alter bei Erstmanifestation der KHE ist (insbesondere < 55 Jahren bei Männern und < 65 Jahren bei Frauen).
8.1  Keine Beschwerden – kardialer Check-up 265

Tab. 8.1  Definitionen und Klassifikation der Blutdruckwerte (mmHg)


Kategorie systolisch diastolisch
Optimal < 120 < 80
Normal 120–129 80–84
Hoch normal 130–139 85–89
Grad-1-Hypertonie (leicht) 140–159 90–99
Grad-2-Hypertonie (mittelschwer) 160–179 100–109
Grad-3-Hypertonie (schwer) ≥ 180 ≥ 110
Isolierte systolische Hypertonie ≥ 140 < 90

Wenn der Bruder als erstgradiger Verwandter mit 52 Jahren eine manifeste KHE hat und der Vater als weite-
rer erstgradiger Verwandter ebenso, dann besteht eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Patient
ebenfalls erkranken wird.

KASUISTIK
Bei der körperlichen Untersuchung (Empfehlung nach Nationaler Versorgungsleitlinie KHK: Auskultation von Herz, Lunge,
Karotiden, Überprüfung des Jugularvenendrucks, ggf. der Lebergröße und des hapatojugulären Refluxes, Palpation der
Fußpulse, Suche nach peripheren Ödemen) stellen Sie keine Auffälligkeiten fest außer einem deutlichen Geruch nach Zi-
garettenrauch und leicht gelblich verfärbten Fingern an der rechten Hand.

Welche einfachen Messungen können Ihnen zur Risikobeurteilung  


weiterhelfen?

• Taillenumfang: Ein Taillenumfang bei Männern > 94 cm, bei Frauen > 80 cm zeigt ein erhöhtes Risiko für
eine koronare Herzerkrankung an.
• ABI (ankle brachial index): Relation der systolischen Blutdruckwerte (gemessen mit Blutdruckmanschet-
te und Doppler) von A. tibialis posterior/A. dorsalis pedis und der A. brachialis. Wenn der Wert unter 0,9
liegt, bestehen eine arterielle Verschlusskrankheit und ein indirekter Hinweis auf eine koronare Herzer-
krankung (Leitlinien DHL). 8

Welche Laboruntersuchungen sind unabdingbar zur Risikobeurteilung


(PROCAM)?

• Lipidstatus (Cholesterin gesamt, LDL, HDL, Triglyzeride; morgens nüchtern)


• Nüchternblutzucker.

KASUISTIK
Die Nüchternglukose liegt bei 84 mg/dl. Das Gesamtcholesterin beträgt 304 mg/dl, das LDL 212 mg/dl, das HDL
56 mg/dl, die Triglyzeride 181 mg/dl.

Wie stufen Sie die Werte ein?

Glukose: normal. LDL-Cholesterin erhöht. HDL normal. TG leicht erhöht.


266 8  Kardialer Check-up

Welche weiteren Laborparameter können zur Risikobeurteilung beitragen?

• Lipoprotein a
• Homocystein
• hsCRP.
Erforderliche Laboruntersuchungen zur Hypertonieabklärung und diesbezügliches Vorgehen › Kapitel 8.3.

Wie beurteilen Sie jetzt das kardiovaskuläre Risiko dieses Patienten?

Es existieren mehrere Scores zur Risikobeurteilung; zu den bekanntesten zählen die unten genannten:
• Procam-Score (Herzinfarktrisiko innerhalb von 10 Jahren für Männer; für Frauen gilt ein Viertel des für
Männer errechneten Wertes) http://www.chd-taskforce.com/
• ESC heart score (10-Jahresrisiko für tödliches kardiovaskuläres Ereignis): Hochrisiko wird ab 5% Wahr-
scheinlichkeit definiert. http://www.escardio.org/communities/eacpr/toolbox/health-professionals/pages/
score-risk-charts.aspx
• CARRISMA-Score (differenziertere Wertung von BMI, Zigarettenzahl und Aktivität):
http://www.carrisma.net/
Nach dem Procam-Score hat dieser Patient nach den vorliegenden Werten ein Risiko von 6,0%, innerhalb der
nächsten 10 Jahre einen Herzinfarkt zu erleiden, nach ESC ein Risiko von 2–3%, innerhalb der nächsten 10
Jahre einen kardiovaskulären Tod zu erleiden.

Wie gehen Sie weiter vor?

Sie veranlassen ein EKG sowie ein UKG und einen Ergometrie-Test.

EKG: unauffällig (SR, keine alten Infarktzeichen, keine deszendierenden oder horizontalen ST-Senkungen, kein
LVH-Hinweis).
Ergometrie: unauffällig (Frequenzziel erreicht, keine klinischen Beschwerden, kein Blutdruckabfall unter Belastung,
keine ERBST unter Belastung).
8 UKG: Wanddicken grenzwertig, normale systolische Global- und Regionalfunktion, keine diastolische Dysfunktion,
Klappen unauffällig.

Bei welchen EKG-Veränderungen unter Belastung gehen Sie von einer relevanten
koronaren Herzerkrankung aus?

Die folgenden Tabellen (› Tab. 8.2, › Tab. 8.3) zeigen die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer ko-
ronaren Herzerkrankung in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter, klinischer Symptomatik und Ergebnis des
Belastungs-EKGs (nach Diamond und Forrester 1979).

Was machen Sie, wenn das Ruhe-EKG einen Links- bzw. Rechtsschenkelblock
aufweist?

Beim LSB ist das EKG nicht wertbar.


8.1  Keine Beschwerden – kardialer Check-up 267

Tab. 8.2  KHK-Wahrscheinlichkeit in % bei Frauen


Alter Schmerzsymptome ST-Streckensenkung im Belastungs-EKG (mm)
< 0,5 0,5–0,9 1,0–1,4 1,5–1,9 2,0–2,4 2,5
> 30 typisch 7 24 42 59 79 93
atypisch 1 4 9 16 32 63
*
nicht anginös * * * * *
> 40 typisch 22 53 72 84 93 98
atypisch 3 12 25 39 63 86
nicht anginös 0,7 3 6 11 24 53
> 50 typisch 47 78 89 94 98 99
atypisch 10 31 50 67 84 95
nicht anginös 2 8 16 28 50 78
> 60 typisch * * * * * *
atypisch 21 52 72 83 93 98
nicht anginös 5 17 33 49 72 90
*  KHK sehr unwahrscheinlich (grün) bzw. wahrscheinlich (gelb), ein Belastungs-EKG ist hier nicht zwingend erforderlich

Tab. 8.3  KHK-Wahrscheinlichkeit in % (gelb markiert: ≥ 90%) bei Männern


Alter Schmerzsymptome ST-Streckensenkung im Belastungs-EKG (mm)
< 0,5 0,5–0,9 1,0–1,4 1,5–1,9 2,0–2,4 2,5
> 30 typisch 25 68 83 91 96 99
atypisch 6 21 38 55 76 92
nicht anginös 1 5 10 19 38 68
> 40 typisch 61 86 94 97 99 99
atypisch 16 44 64 78 91 97
nicht anginös 4 13 26 41 65 87
> 50 typisch * * * * * *
8
atypisch 25 57 75 86 94 98
Nicht anginös 6 20 37 53 75 91
> 60 typisch * * * * * *
atypisch 32 65 81 90 96 99
nicht anginös 8 26 45 62 81 94

Beim RSB können die lateralen Brustwandableitungen V4–V6 regulär ausgewertet werden; die diagnostische
Wertigkeit kann erhöht werden, wenn die sechs Brustwandelektroden in den Positionen V4–V9 angebracht
werden.

Wie beurteilen Sie generell die Aussagekraft des Belastungs-EKGs?

Ein Problem der Belastungs-EKG-Untersuchung zur Ischämiediagnostik ist die teilweise recht niedrige Sen-
sitivität, die auch von der Stenoselokalisation und von der Anzahl betroffener Gefäße abhängt. In einer
268 8  Kardialer Check-up

­ etaanalyse von über 150 Studien an mehr als 24.000 Patienten wurde eine mittlere Sensitivität von 68% ±
M
16% ermittelt (Bandbreite 23–100%) bei einer Spezifität von 77% ± 17% (Bandbreite 17–100%). Die Aussage-
kraft wird reduziert, wenn der Patient die vorgesehene Ziel-Herzfrequenz nicht erreicht (220 minus Lebens-
alter bei Männern, 200 minus Lebensalter bei Frauen).
Schwierig ist die Beurteilung bei vorbestehenden Erregungsrückbildungsstörungen (ERBST). Die Zunah-
me vorbestehender ST-Senkungen um mehr als 0,1 mV gilt als Ischämiekriterium. Auch eine belastungsin-
duzierte Zunahme von ERBST unter Digitalis-Therapie kann eine Ischämie anzeigen; einige Autoren raten in
diesen Situationen aber primär zu alternativen Ischämie-Provokationstests.

Welche alternativen Ischämie-Provokationstests kennen Sie?

Alternativ zum Belastungs-EKG kann die Ischämiediagnostik mit anderen Belastungs- und Diagnostikmodali-
täten erfolgen: pharmakologische Belastung mit Vasodilatatoren (Adenosin i.v.) oder Katecholaminderivaten
(Dobutamin i.v.) in Kombination mit Bildgebung mit Echokardiographie, MRT oder Myokardszintigraphie.

Sie entscheiden sich bei einem Patienten mit LSB zur


Myokardperfusionsszintigraphie. Wann kann diese Methode  
falsch-negativ sein, d.h. eine vorliegende Erkrankung nicht erkennen?

Die Szintigraphie vergleicht regionale Differenzen der Aktivitätsverteilung des eingesetzten Radiopharmakons.
Bei diffusen Koronarerkrankungen oder Stenosen aller drei Hauptäste können regionale Unterschiede verbor-
gen bleiben. Stressecho oder -MRT haben hier Vorteile, weil die regionale Kontraktilität beurteilt werden kann.

Kennen Sie andere Verfahren zur Risikobeurteilung?

Karotis-Duplexuntersuchung: Man misst die Intima-Media-Dicke (IMD) an der A. carotis communis und
interna 1 cm von der Bifurkation entfernt an der schallkopfnahen und -fernen Seite des Gefäßes auf beiden
Seiten (hochauflösender Schallkopf > 8 MHz). Ein erhöhter Wert für die IMD korreliert mit erhöhtem kardi-
8 alem und zerebrovaskulärem Risiko. Als Grenzwert gilt eine IMD von 0,8 mm, eine andere Definition be-
trachtet 0,4 mm plus 0,1 mm pro Lebensdekade bei einem Alter von über 40 Jahren als Grenzwert.

Was halten Sie von den nicht-invasiven CT-Verfahren zur  


Risikobeurteilung und Diagnostik der KHK?

Das Kalkscreening (Agatston-Score) ist kann zur Risikostratifizierung beitragen, geht aber mit einer mitun-
ter beachtlichen Strahlenbelastung einher (0,8–10,5 mSv, im Mittel 2,3 mSv). Therapeutische Konsequenzen
ergeben sich aber in der Regel nicht.
Noch nicht endgültig etabliert ist dagegen die CT-Angiographie der Koronarien (multislice CT). Die Strahlen-
belastung ist erheblich (5–30 mSv, im Mittel 12 mSv) und oft höher als bei der Koronarangiographie. Auch kann
nicht auf jodhaltiges Röntgenkontrastmittel verzichtet werden. Bei Patienten mit Arrhythmien, insbesondere Vor-
hofflimmern und bei schneller Herzfrequenz ist eine zuverlässige Untersuchung nicht immer möglich, ggf. sind
sehr hohe Strahlendosen erforderlich. Die CT-Angiographie wird nicht zum Screening bei asymptomatischen
Patienten empfohlen, da hierzu keine Studiendaten vorliegen. Die Durchführung ­einer CT-Koronarangiographie
gilt derzeit als vertretbar nur bei symptomatischen Patienten mit mittlerer Vortestwahrscheinlichkeit oder bei
8.1  Keine Beschwerden – kardialer Check-up 269

uneinheitlichen Belastungstests. Zu beachten ist auch, dass der Schweregrad von Stenosen häufig überschätzt
wird. Wir messen der Methode derzeit noch keinen relevanten Stellenwert bei und nutzen sie in der klinischen
Routine nicht, außer in Einzelfällen mit Koronaranomalien oder zur Darstellung von Bypässen und des Gefäßver-
laufs bei der Planung einer interventionellen Wiedereröffnung chronisch verschlossener Kranzgefäße (CTO).

Wann stellen Sie die Indikation zur Herzkatheteruntersuchung zur  


KHK-Diagnostik?

Die Indikation zur Koronarangiographie besteht (nach Hamm et al. 2008) bei folgenden Patienten:
Empfehlungsgrad I:
• AP-Beschwerden CCS III oder IV, neu oder unter Therapie (Evidenzgrad A)
• Hochrisikopatienten bei nicht-invasiver Testung unabhängig vom Schweregrad der AP (A/C)
Empfehlungsgrad IIa:
• AP-Beschwerden CCS I oder II mit Intoleranz oder fehlender Ansprechbarkeit auf eine medikamentöse
Therapie, oder bei wiederkehrender AP trotz medikamentöser Therapie (C)
• Verschlechterung eines Belastungstest-Befunds (bei identischem Protokoll) (C)
• Patienten mit AP-Beschwerden und V.a. KHK (hohe Vortestwahrscheinlichkeit), bei denen eine Belas-
tungsuntersuchung aufgrund von Behinderung oder Erkrankung nicht möglich ist (C)
• Verdacht auf hochgradige Stenose in den proximalen Gefäßabschnitten oder im linken Hauptstamm in
der CT-Angiographie im Mehrzeilen-Spiral-CT (C)
• Personen, bei denen berufsbedingt (z.B. Fremdgefährdung, Piloten) ein sicherer Ausschluss einer KHK
bei entsprechendem Verdacht (abnormale Belastungsuntersuchung auch ohne Hochrisikomerkmale oder
andere Risikomerkmale) unabdingbar ist (C)
• Asymptomatische Männer oder postmenopausale Frauen ohne bekannte KHK mit 2 oder mehr Risiko-
faktoren mit abnormalem Befund in den nicht-invasiven Untersuchungen (C)
• Asymptomatische Patienten mit früherem Infarkt und Ischämienachweis (C)
Empfehlungsgrad IIb:
• Stabile AP (CCS I oder II) mit gutem Ansprechen auf medikamentöse Behandlung und fehlendem Isch­
ämienachweis (Entscheidung im Einzelfall) (C)
• Bekannte invasiv gesicherte KHK mit Änderung der Symptomatik oder nicht-invasiver Untersuchungs­
ergebnisse (C) 8
• Periodische Evaluation nach Herztransplantation (C)
Keine Indikation (Empfehlungsgrad III, Evidenzgrad jeweils C):
• Patient stimmt therapeutischen Konsequenzen grundsätzlich nicht zu
• Patienten mit hoher Komorbidität, deren Untersuchungsrisiko höher ist als der Nutzen durch Sicherung
der Diagnose
• Als Screeningmethode für eine KHK beim asymptomatischen Patienten
• Nachweis von Kalk im Herz-CT (EBT oder Spiral-CT).
Sie sehen also aufgrund der genanten Kriterien keine Indikation für eine invasive Diagnostik.

Welche Maßnahmen empfehlen Sie unserem Patienten?

Sie empfehlen eine Lebensstiländerung:


• Psychosoziale Faktoren: Vermeidung von Stress, sozialer Isolation und negativen Emotionen inkl. De-
pression und Aggression
• Körperliche Bewegung, täglich > 30 min
270 8  Kardialer Check-up

• Gewichtsreduktion (erforderlich bei BMI > 30, anzuraten bei BMI 25–30. Ziel BMI < 25, Vermeidung
zentraler Adipositas)
• Ernährungszusammensetzung:
– Mittelmeer-Kost; abwechslungsreich, häufig Obst, Gemüse, Fisch, Hülsenfrüchte. Fettarme Diät. Ver-
meidung gesättigter Fettsäuren zugunsten ungesättigter, insbes. Omega-3-FS.
– Kochsalzreduktion bei Hochdruck
• Alkoholkonsum: sollte < 30 g/d sein
• Nikotinkarenz: unbedingt erforderlich! Ggf. auch mit pharmakologischer Hilfe durch Nikotinersatz, Anti-
depressiva, Vareniclin (Nikotin-Acetylcholin-Rezeptorentagonist). Häufiges Nachfragen nach dem aktu-
ellen Nikotinkonsum bei jeder Gelegenheit! Wenn keine vollständige Abstinenz erzielt werden kann, ist
zumindest eine Dosisreduktion anzustreben.
• Medikamentöse Primärprävention:
– ASS: 100 mg/d in jedem Fall indiziert bei > 20% Infarktrisiko in 10 Jahren. Die prophylaktische Gabe
ist vertretbar bei 10–20% Risiko/10 Jahre
– Statine: Indikationsstellung wie ASS
– Antihypertensiva bei bestätigter Hypertonie.

LITERATUR
Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin. Leitlinie: Diagnostik und Therapie der peripheren ar-
teriellen Verschlusskrankheit (PAVK) http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/065-003.htm
Deutsche Hypertonie Gesellschaft. http://leitlinien.net/046-001.pdf
Diamond GA, Forrester JS. Analysis of probabilità a san aid in the clinical diagnosis of coronary artery disease. N Engl J Med
1979; 300: 1350–57.
Gianrossi R, Detrano R, Mulvihill D, et al. Exercise-induced ST depression in the diagnosis of coronary artery disease. Circu-
lation 1989; 80: 87–98.
Graham I, Atar, D, Borch-Johnsen K, et al. European guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. Eu-
ropean Journal of Cardiovascular Prevention and Rehabilitation 2007; 14 (suppl 2): E1–E40.
Hamm CW, Albrecht A, Bonzel T, et al. DGK-Leitlinie: Diagnostische Herzkatheteruntersuchung. Clin Res Cardiol 2008; 97: 475–512.
Leitlinien zur Behandlung der arteriellen Hypertonie. Deutsche Hochdruckliga e.V. DHL
Sechtem U, Geissler A, Athanasiadis A, Ong P, Mahrholdt H. Diagnostik der koronaren Herzerkrankung mit Computer- und
Magnetresonanztomographie. Internist 2010; 51: 625–38.
Trappe HJ, Löllgen H. Leitlinien zur Ergometrie. Z. Kardiol 2000; 89: 821–37.

8.2  Check-up bei lange bekanntem Herzgeräusch


Christoph Spes

KASUISTIK
Ein 57-jähriger Mann stellt sich zu einer Vorsorgeuntersuchung vor, da er mit Freunden eine Alpenüberquerung mit dem
Mountainbike plant. Er gibt an, gesund zu sein. Medikamente werden nicht eingenommen. Beruf: Leitender Angestellter
eines großen Unternehmens. Bei der Frage nach der Vorgeschichte berichtet der Patient, bei der Musterung zur Bundes-
wehr habe man ein Herzgeräusch gehört, er sei aber nicht ausgemustert worden und immer voll belastbar gewesen.
Gelegentliche kardiologische Untersuchungen, zuletzt vor 12 Jahren, seien immer ohne medikamentöse oder sonstige
Behandlungsvorschläge geblieben. Gezielte Fragen nach Angina pectoris, Dyspnoe, Herzrhythmusstörungen, Schwindel
und Ödemen werden verneint. Vaskuläres Risikoprofil: Nichtraucher, keine familiäre Disposition, Blutdruck grenzwertig
(Gelegenheitsmessungen mit dem Gerät der Ehefrau, die Diabetikerin ist, ergaben systolische Werte von 140–150 mmHg,
diastolisch um 80 mmHg). Eine Laboruntersuchung vor etwa einem Jahr habe eine normale Nüchternglukose ergeben, das
Gesamtcholesterin war bei 212 mg/dl, HDL bei 69 mg/dl.
Der Patient nimmt die Gelegenheit wahr, Sie zu fragen, wie hoch sein Risiko ist, ebenso wie seine Frau an Diabetes
mellitus zu erkranken.
8.2  Check-up bei lange bekanntem Herzgeräusch 271

Tab. 8.4  Kriterien zur Beurteilung des Risikos, an Diabetes mellitus zu erkranken
Kriterium Punkte
0 1 2 3 4 5
Alter < 35 35–44 45–54 55–64 64
Familienanamnese ­Diabetes nein entfernter Verwand- nahe Verwandte:
te (Großeltern, On- E­ ltern, Geschwis-
kel/Tante, Cousin(e)) ter, Kinder
Taillen-Umfang in Bauchnabelhöhe (cm)
Frau < 80 80–88 > 88
Mann < 94 94–102 > 102
Körperliche Bewegung täglich mindestens ja nein
30 min
Ernährung: täglich Obst, Gemüse, dunkles ja nein
Brot
Wurden früher schon einmal nein ja
­ ntihypertensiva verordnet?
A
Wurden früher erhöhte ­Glukosewerte ge- nein ja
messen?
BMI < 25 25–30 > 30

Was sagen Sie ihm?

Es gibt Scores zur Berechnung des individuellen Diabetes-Risikos (www.diabetes-risiko.de). Nach Beantwor-
tung der nachstehend genannten 8 Kriterien (› Tab. 8.4) beispielsweise zeigt eine Gesamtpunktzahl < 7 ein
Risiko von 1% an, innerhalb der nächsten 10 Jahre an Diabetes zu erkranken. Bei 7–11 Punkten liegt das Risiko
bei 4%, bei 12–14 Punkten bei 17%, bei 15–20 Punkten bei 33%, bei über 20 Punkten beträgt das Risiko 50%!

Die körperliche Untersuchung des 179 cm großen, 74 kg schweren Mannes in gutem AZ, RR 140/90, HF 64 ergibt einen
unauffälligen pulmonalen Befund. Bei der kardialen Auskultation ist ein bandförmiges 4⁄6-Systolikum mit p.m. über Mitral­
areal und Ausstrahlung in die Axilla zu hören. Kein Strömungsgeräusch über den Karotiden. JVD ist normal, keine Ödeme,
periphere Pulse seitengleich tastbar. 8
Ihre Verdachtsdiagnose lautet: Mitralklappeninsuffizienz.

Welche Ursachen kommen in Frage?

• Relative MI, z.B. bei Kardiomyopathie: unwahrscheinlich, da keinerlei Herzinsuffizienzzeichen bestehen,


aber nicht ausgeschlossen. Lange bekanntes Geräusch spricht dagegen.
• MKP oder anderes kongenitales Mitralvitium: gut möglich. Das lange vorhandene Geräusch würde auch
passen. Für einen Sehnenfadenabriss gibt es anamnestisch keine Anhaltspunkte (keine akute Verschlech-
terung des Befindens oder Leistungsminderung).
• Endokarditis: sehr unwahrscheinlich, da kein Fieber, keine entsprechenden Symptome (Dukes-Kriterien
siehe › Kap. 5.2). Man könnte noch gezielt nachfragen, die Milz tasten und Endokarditishautzeichen su-
chen. Das lange bekannte Geräusch spricht auch dagegen.
• Z.n. rheumatischem Fieber: anamnestisch keine Anhaltspunkte.
• Papillarmuskeldysfunktion bei KHK: unwahrscheinlich, da keine KHK-Symptomatik sowie geringes Risi-
koprofil. Außerdem: Geräusch ist lange bekannt.
272 8  Kardialer Check-up

Zur weiteren Klärung veranlassen Sie ein Echokardiogramm, zusätzlich ein EKG und eine Ergometrie.
Transthorakales Echokardiogramm: M-mode: Ao 33 mm, LA 46 mm, LVEDD 60 mm, LVESD 36 mm, FS 40%. IVSed
13,8 mm, LWHed 12,4 mm. 2D-Befund: leichte LVH, keine regionale Wandbewegungsstörung. Ausgeprägter Prolaps der
hinteren Mitralsegels, kein erkennbarer Sehnenfadenabriss. Dopplersonographisch höhergradige Mitralinsuffizienz. Über
Tricuspidalsignal ist ein RV-Druck von 28 mmHg (plus normaler JVD) zu bestimmen (› Abb. 8.1).

Abb. 8.1  TTE: links: deutlicher Prolaps der hinteren Mitralsegels im 2D-Vierkammerblick; rechts: im Farbdoppler ausgeprägte
Mitralinsuffizienz mit Jetrichtung zum Vorhofseptum

Abb. 8.2  EKG


8.2  Check-up bei lange bekanntem Herzgeräusch 273

EKG: SR, 71/min, Steiltyp. Sonst unauffälliges Stromkurvenbild (› Abb. 8.2).


Ergometrie: Abbruch wegen horizontaler ST-Streckensenkung V4–6 bis 0,26 mV bei 175 W. Keine AP-Beschwerden,
keine Dyspnoe. Max. RR 190/90 mmHg, HF 123/min. Formal vereinbar mit Ischämiereaktion ohne klinische Beschwerden,
DD falsch positive EKG-Reaktion bei MKP/LVH (› Abb. 8.3).

Abb. 8.3  Ergometrie 8

Wie gehen Sie weiter vor? Welche weiteren Untersuchungen sind sinnvoll?

LZ-EKG: Sinnvoll, wenn Sie paroxysmales Vorhofflimmern vermuten. Die Angaben dieses Patienten lassen
aber nur eine geringe „Trefferwahrscheinlichkeit“ vermuten.
In der Tat bestand durchgehend SR, Durchschnitts-HF 73/min (52–123). Mäßig viele VES, keine komple-
xen Arrhythmien.
Röntgen-Thorax: Sinnvoll als Ausgangsbefund zur Verlaufsbeurteilung, aber nicht zwingend erforderlich,
wenn Sie jetzt keine Operation planen.
Herzkatheter mit Koronarangiographie, Lävokardiographie: Wäre zur weiteren Planung erforderlich,
wenn Sie jetzt eine Operation in die Wege leiten würden. Außerdem sollten Sie die invasive Diagnostik
um eine Rechtsherzkatheteruntersuchung mit Oxymetrie erweitern, um evtl. Shunts (z.B. ASD/PFO) zu
­erkennen.
Die AHA/ACC-Empfehlungen zur invasiven Diagnostik bei Mitralinsuffizienz:
274 8  Kardialer Check-up

Klasse I:
• Lävokardiographie und hämodynamische Messungen sind indiziert, wenn nichtinvasive Untersuchungen
inkonklusiv sind bezüglich des Schweregrads der Mitralinsuffizienz, der LV-Funktion oder der Indikation
zur Operation (Klasse I C)
• Hämodynamische Messungen sind indiziert, wenn der Pulmonalarteriendruck unproportional ist zum
Schwergrad der MI, bestimmt durch nichtinvasive Tests (Klasse I C)
• Lävokardiographie und hämodynamische Messungen sind indiziert, wenn zwischen klinischen und nichtin-
vasiven Befunden Diskrepanzen bestehen bezüglich des Schweregrads der Mitralinsuffizienz (Klasse I C)
• Eine Koronarangiographie ist indiziert vor Mitralklappenoperation bei Patienten mit KHK-Risiko (Klase I C).
Klasse III:
• Lävokardiographie und hämodynamische Messungen sind nicht indiziert, wenn keine Klappenoperation
bei MI vorgesehen ist (Klasse III C)
Nach ESC-Empfehlungen ist eine Koronarangiographie bei Klappenerkrankungen präoperativ erforderlich
bei Vorliegen folgender Bedingungen: vermutete Ischämie, mehr als ein kardiovaskulärer Risikofaktor, be-
kannte koronare Herzerkrankung, linksventrikuläre Dysfunktion, Alter über 40 Jahre bei Männern bzw.
Postmenopause bei Frauen (jeweils Klasse I C).

TEE: Wäre zur weiteren Planung erforderlich, wenn Sie jetzt eine Operation in die Wege leiten würden.
Die AHA/ACC-Empfehlungen zur TEE:
Klasse I:
• Präoperative oder intraoperative TEE ist indiziert zur Analyse der Anatomie bei Patienten mit schwerer MI,
um die Möglichkeit der Klappenrekonstruktion zu evaluieren bzw. diese intraoperativ zu steuern (Klasse I B)
• Transösophageale Echokardiographie ist indiziert zur Evaluation der Mitralinsuffizienz bei Patienten, de-
ren transthorakales Echokardiogramm keine diagnostischen Informationen zu Schweregrad der MI, Me-
chanismus der MI und/oder zur LV-Funktion geben kann (Klasse I B).
Klasse IIa: Präoperative transösophageale Echokardiographie ist sinnvoll bei asymptomatischen Patienten
mit schwerer MI zur Analyse der Rekonstruktionsmöglichkeit, wenn eine Operation geplant ist (Klasse IIa C).
Klasse III: Transösophageale Echokardiographie ist nicht indiziert zum Routine-Follow-up oder zur Ver-
laufsbeurteilung von asymptomatischen Patienten mit Nativklappen-MI (Klasse III C).

8 Wollen Sie aufgrund der Daten, die Ihnen jetzt vorliegen, bereits eine OP planen?

Der Patient ist asymptomatisch (NYHA I), EF ist normal, LVESD < 40 mm, er hat SR und keine PHT (wenn man
nur den TI-Wert ohne JVD nimmt): Vertretbar ist die Empfehlung zur Kontrolle in sechs Monaten (› Abb. 8.4).
Da sehr wahrscheinlich eine Rekonstruktion möglich ist (bei Prolaps des posterioren Segels höhere Wahr-
scheinlichkeit als bei Prolaps des anterioren Segels), könnte man aber auch schon jetzt die Operation in ei-
nem erfahrenen Zentrum in die Wege leiten.
Sie entscheiden sich, dem Patienten, der sich schlagartig vom gesunden Mountainbiker zum herzchirurgi-
schen OP-Kandidaten gewandelt sieht und ziemlich beunruhigt ist, eine Kontrolluntersuchung in drei bis
sechs Monaten vorzuschlagen.

Was tun Sie wegen des Ergometriebefunds?

Mögliche Alternativen zur Analyse, ob eine KHK vorliegt, sind ein Stressecho oder eine Myokardszintigra-
phie. Wenn eine baldige Klappenoperation geplant ist, kann man auf diese Untersuchungen jedoch verzichten
– angesichts des Patientenalters über 40 Jahre ist präoperativ ohnehin eine Koronarangiographie erforderlich
(ESC, Klasse IC).
8.2  Check-up bei lange bekanntem Herzgeräusch 275

Chronische, schwere Mitralinsuffizienz

Reevaluation
Klinische Beurteilung + Echo

Symptome?
nein ja

LV-Funktion? LV-Funktion?

Normale LV-Dysfunktion
LV-Funktion EF < 0.30
EF ≤ 0.60 EF > 0.30
und/oder
EF > 0.60 und/oder ESD ≤ 55 mm
ESD > 55 mm
ESD < 40 mm ESD ≥ 40 mm

Neu aufgetretenes Erhalt der


Vorhofflimmern? Chordae
Klasse I Klasse I
Pulmonale wahr-
Hypertonie? scheinlich?

Mitralklappen-
ja rekonstruktion ja
Klasse IIa Klasse IIa
wenn nicht möglich,
Mitralklappenersatz
nein nein

Mitralklappen-
Medikamentöse
rekonstruktion
Therapie
wahrscheinlich?*
8

ja* Mitralklappen-
Klasse IIa
rekonstruktion

nein

Klinische Beurteilung
alle 6 Monate
Echo alle 6 Monate

Abb. 8.4  Vorgehen bei schwerer chronischer Mitralinsuffizienz (nach AHA). VHF = Vorhofflimmern, HT = Hypertonie, EF = Aus-
wurffraktion, ESD = endsystolischer Durchmessser; *eine Mitralklappenrekonstruktion kann bei asymptomatischen Patienten mit
normaler LV-Funktion erfolgen, wenn sie von einem erfahrenen Operateur vorgenommen wird und die Wahrscheinlichkeit einer
erfolgreichen Klappenrekonstruktion über 90% liegt.
276 8  Kardialer Check-up

Welche zusätzliche Information – über die Koronardiagnostik hinaus – könnte


das Stressecho bieten?

Man kann das Verhalten des PA-Drucks beurteilen:


• AHA/ACC: Klasse IIa: Belastungs-Dopplerechokardiographie ist sinnvoll bei asymptomatischen Patien-
ten mit schwerer MI zur Beurteilung der Belastbarkeit und der Auswirkungen der Belastung auf Pulmo-
nalarteriendruck und den Schweregrad der MI (Klasse IIa C).

Stressecho: Abbruch wegen Ausbelastung bei 200 W (HF 143/min, RR 230/100 mmHg). Keine AP-Beschwerden. In
Ruhe und unter Belastung keine regionale Kontraktionsstörung.
Der PA-Druck unter Belastung wurde nicht abgeleitet.
Duplex-A.-carotis: kalkdichte Plaques, IMD mit 1,5 mm verbreitert. Mäßige Atherosklerose ohne relevantes Strom-
bahnhindernis.

Das Stressecho spricht gegen eine prognostisch relevante Koronarischämie, die EKG-Veränderungen können
durch den MKP und die LVH mit bedingt sein. Der Duplexbefund zeigt eine mäßige Atherosklerose. Präope-
rativ sollte aber dennoch eine Koronarangiographie erfolgen, wie nach den ESC-Guidelines empfohlen (s.o.).

Was besprechen Sie noch mit Ihrem Patienten?

Es sollte eine Blutdruckkontrolle stattfinden (auch 24-h-RR), bei Bestätigung der jetzigen Werte sollte eine
Nachlastsenkung erfolgen (z.B. ACE-Hemmer plus Diuretikum auch wegen des PA-Drucks).
Sie empfehlen dem Patienten, starke ruckartige Nachlasterhöhungen (Gewichtheben, auch Mountain­
biken) möglichst zu vermeiden, da ein gewisses Rupturrisiko der Chordae besteht. Sie raten zur umgehenden
Wiedervorstellung bei akuter Luftnot und beim Auftreten einer absoluten Arrhythmie.
Sie besprechen die prinzipiellen OP-Möglichkeiten. Klappenrekonstruktion und Ringimplantation offen
oder minimal-invasiv sind die erste Wahl, ein Klappenersatz mit mechanischer Prothese ist die zweite Wahl,
wenn eine Rekonstruktion nicht möglich ist. Eine Bioprothese würde man generell primär nur implantieren
bei ausdrücklichem Wunsch des aufgeklärten Patienten, Unmöglichkeit einer adäquaten oralen Antikoagula-
tion (jeweils ESC Klasse IC), bei eingeschränkter Lebenserwartung oder schweren Zusatzerkrankungen, bei
8 Alter über 65–70 Jahren, bei geringem Re-OP-Risiko bei erforderlichem Klappenwechsel (jeweils Klasse IIa
C) oder – was hier ja nicht vorliegt – bei jüngeren Frauen mit Kinderwunsch (Klasse IIb C).
Eine Endokarditisprophylaxe ist nach den derzeit geltenden Leitlinien nicht erforderlich, aber als Einzelfall-
entscheidung zulässig. Entsprechend der Meinung des Autors wird die Durchführung der Prophylaxe nach den
bis 2007 gültigen „alten“ Regeln in diesem Fall empfohlen, der Patient wird aber über den aktuellen Diskussi-
onsstand aufgeklärt. Der Patient hat keine bekannte Antibiotikaallergie, er entschließt sich zur Prophylaxe.

Kontrolluntersuchung: Der Patient kommt nach 5 Monaten zur Kontrolluntersuchung. Er hat einiges hinter sich: We-
gen der für ihn unerwarteten kardialen Befunde ließ er – beschwerde- und symptomfrei – eine Vorsorge-Koloskopie
durchführen, bei der ein Kolonkarzinom diagnostiziert und anschließend operativ reseziert wurde. Lokale oder Fernmeta-
stasen bestehen nicht.
Der kardiale Untersuchungsbefund ist unverändert.
Verlaufs-Echokardiogramm (Vorwerte in Klammern): M-mode: Ao 35 (33) mm, LA 48(46) mm. Wohl keine Änderung,
nachdem auch die Aorta größer gemessen wurde (etwas schrägere Anlotung?), LVEDD 64 (60) mm, LVESD 36 (36) mm,
FS 43 (40)%. LVEDD hat gering zugenommen.
IVSed 13,6 mm, LWHed 12,7mm. Unverändert. Spricht für vergleichbare Anlotungsebene auch der LV-Messung.
2D-Befund: unverändert
8.3  Check-up bei zufällig festgestelltem Bluthochdruck 277

Dopplersonographisch unverändert höhergradige Mitralinsuffizienz. Über Trikuspidalsignal RV-Druck von 24 (28) mmHg
(plus normaler JVD) zu bestimmen. Es bestätigt sich, dass keine relevante PHT vorliegt.
EKG: SR, 65/min. Unverändert.

Was empfehlen Sie dem Patienten?

Sie empfehlen, weitere drei bis sechs Monate zu warten, auch wenn jetzt durchaus eine Rekonstruktion sinn-
voll und indiziert wäre. Aber: es könnten jetzt Probleme auftreten im Hinblick auf die Neoplasie; der Patient
müsste postoperativ auch nach einer Rekonstruktion mit Ringimplantation (oder nach Implantation einer
Bioprothese) für drei Monate oral antikoaguliert werden.
Indikation zur Mitralklappenoperation bei Mitralinsuffizienz (nach AHA/ACC 2008):
• Gering – mittelgradige Mitralinsuffizienz: Eine isolierte Mitralklappenoperation ist generell nicht indi-
ziert (Klasse III C).
• Schwergradige Mitralklappeninsuffizienz: Generell gilt: Rekonstruktion ist einem Klappenersatz vorzuzie-
hen, es sollte ein erfahrenes Zentrum gewählt werden (Klasse I C).
• Akute schwere MI, Patient symptomatisch: OP indiziert (Klasse I B).
• Chronische schwere MI bei symptomatischen Patienten: OP indiziert bei
– NYHA II–IV, keine schwere LV-Dysfunktion (EF > 30%, ±ESD < 55mm): Klasse I B;
– NYHA III–IV, schwere LV-Dysfunktion (EF < 30%, ESD > 55mm) mit primärer Pathologie des Mitral-
halteapparates als MI-Ursache: Klasse IIa C.
– NYHA III–IV, schwere LV-Dysfunktion (EF < 30%, ESD > 55mm) mit LV-Dysfunktion als MI-Ursache
und Symptomen trotz optimaler medikamentöser Therapie, incl. ggf. CRT: Klasse IIb C.
• Chronische schwere MI bei asymptomatischen Patienten: OP indiziert bei
– milder bis moderater LV-Dysfunktion (EF 30–60%, ESD ≥ 40 mm: Klasse I, B.
– erhaltener LV-Funktion (EF > 60%, ESD < 40 mm), wenn eine Rekonstruktion (über 90% Wahrschein-
lichkeit) in einem erfahrenen Zentrum erfolgt: Klasse IIa B.
– erhaltener LV-Funktion (EF > 60%, ESD < 40 mm) bei neu aufgetretenem Vorhofflimmern: Klasse IIa C.
– erhaltener LV-Funktion (EF > 60%, ESD < 40 mm) bei deutlicher pulmonaler Hypertonie (> 50 mmHg
in Ruhe oder > 60 mmHg unter Belastung): Klasse IIa C.
Keine OP: Klasse III, C; erhaltene LV-Funktion (EF > 60%, ESD < 40 mm), wenn Zweifel an der Möglichkeit
einer Rekonstruktion bestehen. 8

LITERATUR
Nishimura, RA, Carabello, BA, Faxon DP, et al. 2008 Focused Update Incorporated Into the ACC/AHA 2006 Guidelines for
the Management of Patients With Valvular Heart Disease. J Am Coll Cardiol 2008; 52 (http://content.onlinejacc.org/cgi/
content/full/52/13/e1)
Vahanian, A, Baumgartner H, Bax J, et al. Guidelines on the management of valvular heart disease. The Task Force on the
Management of Valvular Heart Disease of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 2007; 28: 230–68.

8.3  Check-up bei zufällig festgestelltem Bluthochdruck


Volker Klauss

KASUISTIK
Bei einem 40-jährigen Patienten wurde bei einer Betriebsuntersuchung ein erhöhter Blutdruck sowie eine Hypercholeste-
rinämie festgestellt. Der Hausarzt stellt den Patienten ohne weitere Ursachenabklärung in den folgenden Wochen auf
eine Medikation mit Amlodipin 2 × 5 mg, Enalapril 2 × 20 mg, HCT 12,5 mg 1 ×/d ein.
278 8  Kardialer Check-up

Nachdem bei Eigenmessungen RR-Werte von 160/100 mmHg erhoben werden, sucht der Patient einen Kardiologen zur
weiteren Abklärung und Einstellung auf.

Wie gehen Sie weiter vor?

Sie überzeugen sich zunächst durch eigene Messungen und ggf. durch die Durchführung einer Langzeit-
RR-Messung davon, dass eine arterielle Hypertonie wirklich vorliegt.

Nennen Sie die Grenzwerte bei der 24-h-Langzeit-Blutdruckmessung.

24-h-Mittelwert < 130/80 mmHg; Tagesmittelwert < 135/85 mmHg; Nachtmittelwert < 125/75 mmHg.

KASUISTIK
Die Familienanamnese ist unauffällig. Der Patient ist beschwerdefrei, treibt unregelmäßig Sport, rauchte (20 Zigaretten/d
bis vor 2 Jahren, seit dem 20. LJ). Weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren sind nicht bekannt. Keine regelmäßige Medika-
menteneinnahme bisher.

Worauf achten Sie bei der körperlichen Untersuchung?

Messung der RR-Werte an beiden Armen und am Bein (z.B. Aortenisthmusstenose). Strömungsgeräusche
abdominell (Nierenarterienstenose).

KASUISTIK
Die Messungen ergeben gleiche Werte an beiden Oberarmen (160/110 mmHg), am rechten Bein 180 mmHg systolisch
palpatorisch. Keine Strömungsgeräusche auskultierbar. Gewicht 75 kg, Größe 175 cm.

Woran müssen Sie bei einem 40-jährigen Patienten mit diesen ausgeprägten ­ 
8 RR-Werten denken?

Bei einem relativ jungen Patienten müssen bei diesen Blutdruckwerten sekundäre Hypertonieformen abge-
klärt werden.

Wie häufig sind sie und welche sind die klinisch relevantesten?

10–15% aller Hypertoniker leiden an einer sekundären Hypertonieform. Renoparenchymatöse und renovas-
kuläre Formen sowie endokrine Hochdruckformen (primärer Hyperaldosteronismus [PHA], Hyperkortisolis-
mus und Phäochromozytom) sind klinisch relevant (Relevanz in absteigender ­Reihenfolge).

Welche diagnostischen Maßnahmen schlagen Sie zunächst vor?

Sie bestimmen BB, Na, K, Harnstoff, Kreatinin, BZ, Cholesterin, TG, TSH, Urin-Stix, Alb/Eiweiß im Urin und
führen eine Nierensonographie durch. Außerdem ermitteln Sie die glomeruläre Filtrationsrate (GFR).
8.3  Check-up bei zufällig festgestelltem Bluthochdruck 279

Wie bestimmen Sie die GFR?

Über die Cockroft-Gault- oder MDRD-Formel.


Cockroft-Gault-Formel:
Kr.Clearance [ml/min] = (((140 – Alter) × Gewicht) / (72 × Skr)) × (0,85 bei Frauen)
Skr = Serumkreatinin in mg/dl
MDRD-Formel:
GFR [ml/min/1,73m2] = 186 × (Kreatinin [mg/dl] exp (-1,154) × Alter [Jahre] exp (-0,203) × Korrekturfaktor *
* Korrekturfaktor: 0,742 bei Frauen, kein Korrekturfaktor bei Männern

Welche Parameter gehen in die Berechnung ein?

Serum-Kreatinin, Geschlecht, Alter, Gewicht (nur Cockroft-Gault).

Welche klinischen Manifestationen können auf eine sekundäre Hypertonieform


hinweisen?

• Kopfschmerzen, Schweißausbruch, Palpitationen, Gesichtsblässe: Phäochromozytom


• Muskelschwund, atrophe Haut, Büffelnacken, Stammfettsucht, Osteoporose, Hirsutismus, Amenorrhoe:
Cushing-Syndrom
• Kopfschmerzen, Retinopathie, Sehstörungen, hypokaliämische Hypertonie: klassisches Vollbild des PHA.

KASUISTIK
Bei dem Patienten finden sich keine der hier genannten Zeichen oder Symptome.
Der Kreatininwert betrug 1,2 mg/dl (Norm < 1,2 mg/dl), K+ mit 3,5 mmol/l im unteren Grenzbereich (Norm 3,5–
5,0 mmol/l). Gesamtcholesterin 245 mg/dl, LDL 170 mg/dl und HDL 40 mg/dl. Alle übrigen oben genannten Laborpara-
meter sind unauffällig, ebenso die Nierensonographie. 8
Im EKG und UKG finden sich keine Zeichen einer Hypertrophie.

Ihr Praxisassistent schlägt dem Patienten zunächst vor, regelmäßig Ausdauersport


zu betreiben und sich dann wieder in einem halben Jahr in der Praxis
vorzustellen. Was halten Sie davon?

Gegen regelmäßige sportliche Aktivitäten ist natürlich nichts einzuwenden, eine weitere Abklärung der Hy-
pertonie sollte jedoch jetzt stattfinden.

Wie gehen Sie weiter vor?

Cushing-Syndrom und Phäochromozytom sind klinisch sehr unwahrscheinlich, ebenso eine renoparenchy-
matöse Hypertonie. Ein PHA (auch bei Fehlen des klassischen Vollbilds) sowie eine renovaskuläre Ursache
der Hypertonie müssen noch abgeklärt werden.
280 8  Kardialer Check-up

PHA: Bei der Mehrzahl der Patienten findet sich entgegen früherer Annahmen ein normokaliämischer Ver-
lauf, die Häufigkeit beträgt ca. 5–12% aller Patienten mit arterieller Hypertonie. Für die Diagnostik essenziell
ist die Bestimmung der Renin- sowie der Aldosteron-Konzentration und des Aldosteron-Renin-Quotienten
(ARQ). Verschiedene Antihypertensiva beeinflussen den ARQ und müssen daher vor der Bestimmung pau-
siert werden (Betablocker, Schleifendiuretika, Sartane sowie ACE-Hemmer 1 Woche, Aldosteronantagonis-
ten 4 Wochen). Bei einem pathologischen Screeningtest ist ein Bestätigungstest notwendig (Aldosteronmeta-
boliten im Urin, Kochsalzbelastungstest).
Ursache des PHA ist zu je 50% ein Aldosteron-produzierendes NNR-Adenom bzw. eine bilaterale idiopa-
thische NNR-Hyperplasie. Die Therapie besteht in der unilateralen Adrenalektomie bzw. einer lebenslangen
Therapie mit Aldosteronantagonisten.
Nach den Praxisrichtlinien der Endocrine Society von 2008 sollten folgende Patienten einem Screening auf
PHA unterzogen werden:
• Patienten mit schwerer (Grad 3, RR > 180/110 mmHg) oder therapieresistenter Hypertonie (Nicht-Errei-
chen der Zielblutdruckwerte < 140/90 mmHg trotz geeigneter, maximal dosierter antihypertensiver Drei-
fachkombination, welche ein Diuretikum beinhaltet (< 130/80 mmHg bei Diabetes oder Nierenerkrankung).
• Patienten mit spontaner oder Diuretika-assoziierter Hypokaliämie.
• Patienten mit zufällig diagnostizierter Raumforderung im Bereich der NR und bestehender Hypertonie.

KASUISTIK
Bei unserem Patienten betrugen nach 1-wöchigem Pausieren von Enalapril sowie HCT das aktive Renin 1255 mU/L und
Aldosteron 65 ng/l, der Aldosteron/Renin-Quotient 0,1, somit liegt kein Hinweis auf einen PHA vor.
Es muss jetzt eine renovaskuläre Ursache der Hypertonie abgeklärt werden.

Wann sollten Sie grundsätzlich an das Vorliegen einer NA-Stenose denken?


Nennen Sie 3 klinische Situationen.

Klinische Indikatoren für das Vorliegen einer Nierenarterienstenosen (nach V


­ oiculescu und Rump 2009):
• Neu aufgetretene Hypertonie vor dem 30. oder nach dem 55. Lebensjahr
• Verschlechterung einer zuvor gut eingestellten Hypertonie
• Therapierefraktäre Hypertonie (RR > 140/90 mmHg) trotz 3 verschiedener antihypertensiver Substanzen
8 inkl. eines Diuretikums
• Erhöhtes Kreatinin ohne Proteinurie oder Erythrozyturie im Urinstatus
• Erhöhung von Serumkreatinin > 20% unter ACE-Hemmer/AT1-Blocker
• Seitenunterschied in Nierengröße von > 1 cm
• Rezidivierendes Lungenödem („flash pulmonary edema“)
• Signifikante Atherosklerose anderer Lokalisation und/oder Vorhandensein von Risikofaktoren
• Hypokaliämie und Hypertonie.

Welche Screeningmethoden stehen zur Verfügung?

Farbkodierte Duplexsonographie (FKDS), MR-Angiographie und CT-Angiographie.


Die intraarterielle Angiographie ist der Goldstandard zur Diagnostik einer NAST.
Die FKDS eignet sich als nicht-invasives Verfahren besonders gut als Screeningmethode. Eine Flussbe-
schleunigung > 180–200 cm/sec in der NA gilt als direkter Hinweis für das Vorliegen einer Stenose, ­indirekter
Hinweis ist ein Unterschied im sog. Resistanceindex (RI) von > 5% zwischen beiden Nieren (niedrigerer
­Index weist auf NAST hin). Problematisch ist die Interpretation des RI bei beidseitigen NAST sowie bei Ein-
8.3  Check-up bei zufällig festgestelltem Bluthochdruck 281

zelniere mit NAST. Weiterhin ist der RI abhängig von Parenchymerkrankungen, Alter und Hämodynamik.
Sensitivität und Spezifität sollen durch die Kombination beider Parameter bei über 85% liegen für das Erken-
nen von relevanten NAST. Die MR-Angiographie ist kostenintensiv und neigt zum Überschätzen der Stenose.
Die CT-Angiographie ist ebenfalls kostenintensiv, mit Strahlenbelastung und KM-Nebenwirkung ­verbunden.
Der Vergleich aller drei Verfahren mit der invasiven Diagnostik ergab eine Überlegenheit der CT- und MR-
Angiographie gegenüber der FKDS.

KASUISTIK
Bei unserem Patienten wurde zunächst eine FKDS durchgeführt mit folgendem Ergebnis: Mittelgradige Abgangsstenose
der linken Nierenarterie (408 cm/sec), rechte Nierenarterie unauffällig. RI rechts 0,55, links 0,56.

Sehen Sie die Indikation für eine invasive Diagnostik gegeben? Nennen Sie
Kriterien für ein invasives Vorgehen (› Tab. 8.5)

Tab. 8.5  Indikationen zum invasiven Vorgehen bei Patienten mit Nierenarterienstenosen (nach Voiculescu und
Rump 2009)
Mindestens 70%ige Nierenarterienstenose
Und schwer einstellbare Hypertonie
• Versagen der medikamentösen Therapie
• ACE-Hemmerbedarf und/oder Verschlechterung der Nierenfunktion unter ACE-Hemmer

Und/oder progrediente Nierenfunktionsverschlechterung


• Anstieg des Kreatininwerts im Laufe der letzten Monate
• Anstieg des Kreatinins unter ACE-Hemmer
• Dialysepflichtigkeit ohne Hinweise für andere Parenchymerkrankung und normale Nierengröße
Und/oder rezidivierendes Lungenödem („flash pulmonary edema“)

Die Frage, ob eine Revaskularisierung einer alleinigen konservativen Therapie gleichwertig oder überlegen
ist, ist noch nicht abschließend beantwortet. Bei Patienten mit fibromuskulärer Dysplasie ist eine alleinige
Ballondilatation vorteilhaft im Hinblick auf eine Besserung der Hypertonie.
Bei Patienten mit atherosklerotischer NAST wird in der Regel die PTA mit einer Stentimplantation kombiniert.
Die Angaben zum Erfolg dieser Therapie – Verbesserung der Hypertonie und/oder Nierenfunktion – schwanken in 8
der Literatur stark (in 40–80% der Fälle Hypertoniebesserung und in 10–50% Verbesserung der Nierenfunktion).
Vergleiche zwischen operativer und interventioneller Therapie der NAST sind schwierig, da die Patienten-
gruppen in der Literatur nicht vergleichbar waren.

Tab. 8.6  Prädiktoren für die Verbesserung der Hypertonie und Nierenfunktion nach invasiver Therapie einer
­Nierenarterienstenose (nach Voiculescu und Rump 2009)
Prädiktoren für die Verbesserung der Prädiktoren für die Verbesserung der
Hypertonie Nierenfunktion
Hoher systolischer Blutdruck Schneller Anstieg des Kreatinins im Laufe der letzten Monate
Diastolischer Druck > 95 mmHg Glomeruläre Filtrationsrate in Szintigraphie erniedrigt
Mittlerer Druck > 110 mmHg Resistance-Index < 0,55
Höhergradige Stenose
Bilaterale Stenosen
Positive Captoprilszintigraphie
Renin-Ratio > 1:2
Resistance-Index < 0,55
282 8  Kardialer Check-up

Mögliche Prädiktoren für eine Verbesserung von


Hypertonie und/oder Nierenfunktion sind in › Ta-
belle 8.6 genannt.
Bei unserem Patienten liegen erhöhte Blutdruck-
werte, der bildmorphologische Nachweis einer NAST
sowie eine Aktivierung der RAAS-Systems vor, somit
ist ein invasives Vorgehen in PTA-Bereitschaft ge-
rechtfertigt.
Bei unserem Patienten bestätigt sich in der invasi-
ven Diagnostik der Befund einer hochgradigen
NAST, zusätzlich zeigt sich eine in der MR-Angiogra-
phie (nicht abgebildet) nicht erkennbare Abgangs-
stenose der oberen Polarterie (› Abb. 8.5, › Abb.
8.6, › Abb. 8.7, › Abb. 8.8, › Abb. 8.9).

Abb. 8.5  Angiographie

Abb. 8.6  Implantation des Nierenstents in das Hauptgefäß


Abb. 8.7  Stent im Hauptgefäß mit durch den Stent kompro-
mittiertem Abgang der oberen Polarterie
8

Abb. 8.8  Alleinige Ballondehnung der Polarterie


Abb. 8.9  Abschließende Angiographie, noch leichter Spasmus
in der Polarterie
8.4  Überbrückung einer Dauertherapie mit Plättchenhemmern und/oder oraler Antikoagulation 283

Der Patient fragt anschließend nach dem weiteren Vorgehen. Welche Angaben
machen Sie?

Nach der mechanischen Beseitigung der NAST muss Clopidogrel in Analogie zur koronaren Stentimplantati-
on für 4 Wochen eingenommen werden. ASS 100 mg/d wird als dauerhafte Therapie empfohlen. Gleichzeitig
müssen die vaskulären Risikofaktoren kontrolliert werden (Cholesterinsenkung, regelmäßige Blutdruckkont-
rollen mit Senkung der Werte in den therapeutischen Bereich). Die FKDS eignet sich als nicht-invasive Kont-
rolle zur Erkennung von möglichen Restenosen.

Der Patient zeigt sich besorgt über die Möglichkeit des Auftretens einer
Wiederverengung, er möchte wissen, wie häufig diese ist. Wie beantworten Sie
die Frage?

Eine Restenose kann in 10–30% der Fälle auftreten, die Therapie besteht in einer erneuten PTA (mit und ohne
Stent), in manchen Fällen ist auch eine OP notwendig. Beschichtete Stents scheinen keine Vorteile im Hinblick
auf Restenosen zu bringen.

KASUISTIK
Der Patient stellt sich 6 Wochen nach der PTA wieder in Ihrer Praxis vor. Unter einer Therapie mit Ramipril 5 mg/d
(sowie ASS 100 mg/d) sind die RR-Werte jetzt normal, wie die dokumentierten Eigenmessungen zeigen. Eine Statin-
therapie verweigerte der Patient, er wolle zunächst den Effekt einer Lebensstiländerung auf die Cholesterinwerte ab-
warten.

LITERATUR
Voiculescu A, Rump LC. Hypertonie bei Patienten mit Nierenarterienstenosen. Internist 2009; 50: 42–50.

8.4  Überbrückung einer Dauertherapie mit Plättchenhemmern


und/oder oraler Antikoagulation 8
Christoph Spes

KASUISTIK 1
In Ihrer Sprechstunde sind heute mehrere Patienten angemeldet, die operiert werden sollen, aber gegenwärtig orale Anti-
koagulanzien und/oder Plättchenhemmer einnehmen. Die überweisenden Kollegen erbitten diesbezüglich Ihre Stellungnah-
me.
Patient A, ein 76-jähriger Hypertoniker, ist bei permanentem Vorhofflimmern seit 3 Jahren oral antikoaguliert (Ziel INR
2,0–3,0). Herzinsuffizienzsymptome gibt der Patient nicht an, ebenso wenig Angina pectoris. Der Patient ist Nichtraucher.
Auf Nachfragen berichtet er, vor 3 Jahren eine TIA mit Sprachstörung und armbetonter Sensibilitätsstörung gehabt zu
haben. Jetzt soll eine laparoskopische Cholezystektomie durchgeführt werden. Medikation: Marcumar, Ramipril 10 mg/d,
Bisoprolol 5 mg/d, HCT 12,5 mg/d.
Die mitgegeben Laborwerte: INR 2,2, Normwerte für BB, Leberwerte, Kreatinin, Na, K. Cholesterin: LDL 138, HDL 45 mg/dl,
Glukose 92 mg/dl.
284 8  Kardialer Check-up

Was empfehlen Sie bzgl. der Antikoagulation?

Der CHADS2-Score (validiert für das Schlaganfallrisiko im Langzeitverlauf bei nicht-valvulärem Vor-
hofflimmern (› Kap. 3.8)) dieses Patienten ist 4 („H, A, S2“ = Alter, Hypertonus, Z.n. neurologischem
Ereignis, zweifach gewertet). Er hat also ein relativ hohes Schlaganfallrisiko ohne Langzeit-Antikoagu-
lation.
Man könnte als Analogieschluss annehmen, dass dieser Patient nach Absetzen einer Antikoagulation
ebenfalls ein höheres Schlaganfallrisiko hat. Das Blutungsrisiko bei der Operation ist nicht sehr hoch.
Man kann also nach Absetzen der oralen Antikoagulation (OAK) überlappend Heparin in Therapiedosis
geben. Niedermolekulares Heparin s.c. erfordert keine Therapiekontrolle und ist einfach zu handhaben
(› Abb. 8.10).

Eingriff
Vit.-K- Vit.-K-
Antagonist Antagonist
absetzen ansetzen

INR-
kontrolle
INR-
kontrolle NMH NMH

Zeit
ca. Tag 7 Tag 4–5 INR < 2 sobald wenn
Blutungs- INR > 2
gefahr vorbei

Abb. 8.10  Bridging-Schema

Was empfehlen die Leitlinien?

Nach den Empfehlungen der ESC 2006 kann bei Patienten mit Vorhofflimmern ohne mechanische Klappen-
prothesen, extrapoliert von den jährlichen Thromboembolieraten bei Patienten mit nichtvalvulärem Vorhof-
flimmern, die Antikoagulation ohne Heparinsubstitution für bis zu eine Woche unterbrochen werden, wenn
8 chirurgische oder diagnostische Prozeduren, verbunden mit einem Blutungsrisiko, erforderlich sind. Bei
Hochrisikopatienten (insbesondere bei Patienten mit zurückliegendem Schlaganfall, TIA, oder systemischer
Embolie), oder bei einer länger dauernden Unterbrechung der oralen Antikoagulation kann Heparin (nieder-
molekular oder unfraktioniert) gegeben werden (subkutan oder intravenös).
Das Positionspapier der DGK (2010) stuft die Risikosituation bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern fol-
gendermaßen ein:
• Gering: CHADS2-Score 0–2 (keinesfalls frühere zerebrale Embolie)
• Mittel: CHADS2-Score 3 oder 4
• Hoch: CHADS2-Score 5 und 6, Z.n. zerebraler Embolie in den letzten 3 Monaten.

Ist eine weitere präoperative Diagnostik erforderlich?

Nein, vergleiche › Kapitel 8.5.


8.4  Überbrückung einer Dauertherapie mit Plättchenhemmern und/oder oraler Antikoagulation 285

KASUISTIK 2
Patientin B, eine 79-jährige, recht rüstige Dame ist ebenfalls wegen permanentem Vorhofflimmern oral antikoaguliert. Sie
hat vor 25 Jahren wegen eines Mitralvitiums (kombiniert mit führender Stenose, Z.n. rheumatischem Fieber) einen Mit-
ralklappenersatz erhalten (mechanische Prothese, Björk Shiley Gr. 27). Sie hat keine Beschwerden, fährt täglich ca. 12 km
mit dem Fahrrad zu ihrer Großnichte, um auf deren Kinder aufzupassen. Dabei ist sie leider gestürzt. Es wurde eine
Schenkelhalsfraktur diagnostiziert, die operiert werden muss. Die Medikation besteht seit Jahren unverändert aus Marcu-
mar (Ziel INR 2,5–3,5) und β-Acetyldigoxin.

Wie beurteilen Sie das Thromboembolierisiko, was empfehlen Sie bzgl. der
Antikoagulation?

Das Positionspapier der DGK (2010) beurteilt das thromboembolische Risiko nach Herzklappenoperation
wie folgt (› Tab. 8.7):
Die Patientin hat ein sehr hohes Embolierisiko (mechanischer MKE, Kippscheibe, Vorhofflimmern). Zu-
sätzlich ist das Risiko einer Thrombose der mechanischen Klappenprothese gegeben. Auch der operative Ein-
griff selbst hat ein relativ hohes (Venen)Thrombose-Risiko. Es muss überlappend auf alle Fälle eine therapeu-
tisch ausreichende Blutverdünnung erfolgen. Dazu ist eine kontinuierliche i.v.-Heparingabe mittels Perfusor
mit regelmäßiger PTT-Kontrolle erforderlich (AHA/ACC Klasse I, B; nach ESC IIa, B). Die dazu erforderliche
stationäre Aufnahme ist bei dieser Patientin ohnehin ratsam.
Alternativ zur intravenösen Gabe von Heparin ist nach Empfehlungen der Fachgesellschaften auch die überlap-
pende subkutane Gabe von niedermolekularen Heparinen möglich (AHA/ACC Klasse IIb, ESC Ib C), obwohl es zu
dieser Indikation keine ausreichende Datenlage gibt. Es ist auch kein einziges niedermolekulares Heparin in dieser
Indikation zugelassen. Nicht eingesetzt werden sollten niedermolekulare Heparine bei schwangeren Klappenpati-
entinnen, bei höhergradiger Niereninsuffizienz und deutlich übergewichtigen Patienten. Generell, und besonders
bei Hochrisikosituationen bzgl. Hyperkoagulabilität (Neoplasien, Infekte), sollte man i.v.-Heparin bevorzugen.
Empfehlung AHA/ACC 2008 für Klappenprothesen:
• Klasse IB: Bei Patienten mit hohem Thromboserisiko – d.h. mechanischer Klappenprothese in Mitralposi-
tion oder mechanischer Klappe in Aortenposition mit einem Risikofaktor (Vorhofflimmern, Z.n. Throm-
boembolie, LV-Dysfunktion, Hyperkoagulabilität, ältere thrombogene Klappenmodelle, mechanische Tri-
kuspidalprothese, mehr als eine mechanische Klappenprothese) – sollte eine intravenöse Gabe von un-
fraktioniertem Heparin in Therapiedosis begonnen werden, wenn der INR 2,0 unterschreitet. Heparin 8
sollte 4–6 h vor dem Eingriff pausiert und so früh wie möglich danach wieder aufgenommen werden, bis
der INR-Wert wieder im therapeutischen Bereich liegt.

Tab. 8.7  Thromboembolisches Risiko nach Herzklappenoperation


Gering bis mittel Doppelflügel-Aortenklappenprothese (≥ 3 Monate) bei Sinusrhythmus ohne weitere Risikofaktoren
Mittel Doppelflügel-Aortenklappenprothese und ein zusätzlicher Risikofaktor
(Vorhofflimmern, Hochdruck, Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz, Alter ≥ 75 Jahre)
biologische Klappenprothese (erste drei Monate postoperativ bei SR)
Herzklappenrekonstruktion (erste drei Monate postoperativ bei SR)
Hoch mechanischer Mitralklappenersatz
Kippscheiben- und ältere Herzklappenprothesen
Doppelflügel-Aortenklappenprothese und mehr als einer der oben genannten Risikofaktoren
Doppelklappenersatz
biologische Mitralklappenprothese mit Vorhofflimmern
286 8  Kardialer Check-up

• Klasse IIb B: Bei Patienten mit hohem Thromboserisiko können subkutane Gaben in therapeutische Dosie-
rungen von unfraktioniertem Heparin (15.000 E alle 12 h) oder niedermolekularem Heparin (100 E pro kg
KG alle 12 h) während der Phase erwogen werden, in der INR-Wert im subtherapeutischen Bereich liegt.
Nachfolgend ein mögliches Schema für Patientin B (› Abb. 8.11), wenn die an sich vorzuziehende kontinu-
ierliche i.v.-Gabe von unfraktioniertem Heparin nicht erfolgt und stattdessen niedermolekulares Heparin
(volle Therapiedosis) gegeben werden soll.

Was müssen Sie bei Frau B. noch beachten?

Zur Endokarditisprophylaxe › Kapitel 5.2.


Bei eingeschränkter Nierenfunktion können die LMW-Heparine kumulieren und somit überdosiert sein.
Im Zweifelsfall ist die Faktor-Xa-Aktivität zu monitoren.
Außerdem ist eine präoperative Echokardiographie zu empfehlen, auch um Vergleichsdaten bei eventuellen
postoperativen Komplikationen zu haben (Endokarditisverdacht, Lungenembolieverdacht).
Nach der Operation werden Sie der Patientin raten, zusätzlich zur oralen Antikoagulation (Ziel INR 2,5–
3,5 wie bisher) ASS 100 mg/d einzunehmen – Sie haben sich ja zwischenzeitlich › Tabelle 3.12 angesehen
und festgestellt, dass dies eine Klasse-I-Empfehlung ist (AHA /ACC 2008).

KASUISTIK 3
Patient C, 81 Jahre alt, hat seit 5 Jahren eine mechanischen Klappenprothese in Aortenposition (Doppelflügelprothese
Gr. 28). Implantationsgrund war eine schwere Aortenklappenstenose. Er ist oral antikoaguliert (INR 2,0–3,0) und nimmt
zur Hochdruckbehandlung Ramipril/HCT ein. Es soll jetzt wegen eines AV-Blocks (nachgewiesen ist Grad II mit 2:1-Über-
leitung, der Patient hatte aber mehrere Synkopen) ein Zweikammerschrittmacher implantiert werden.

Was empfehlen Sie bzgl. der Antikoagulation?

Das Risiko für eine Klappenthrombose ist geringer als bei Patientin B.
Die Empfehlung der AHA /ACC 2008 lautet:
• Klasse I B: Bei Patienten mit niedrigem Thromboserisiko – d.h. mechanische Klappe in Aortenposition
8 ohne Risikofaktor (Vorhofflimmen, Z.n. Thromboembolie, LV-Dysfunktion, Hyperkoagulabilität, ältere
thrombogene Klappenmodelle, mechanische Trikuspidalprothese, mehr als eine mechanische Klappen-
prothese), kann Warfarin 48–72 h vor dem Eingriff beendet werden (sodass INR unter 1,5 fällt) und in-
nerhalb von 24 h nach dem Eingriff wieder begonnen werden. Heparin ist üblicherweise nicht erforderlich

Eingriff
Vit.-K- Vit.-K-
Antagonist Antagonist
absetzen ansetzen

INR-
Kontrolle
INR-
Kontrolle NMH NMH

Zeit
ca. Tag 7 Tag 4–5 INR < 2,5 INR < 1,5 sobald wenn
Blutungs- INR > 2,5
gefahr vorbei
Abb. 8.11  Bridging-Schema – hohes Risiko
8.4  Überbrückung einer Dauertherapie mit Plättchenhemmern und/oder oraler Antikoagulation 287

Bei den Zeitangaben dieser Empfehlung ist zu beachten, dass Warfarin (Coumadin) eine deutlich kürzere
Halbwertszeit hat (Eliminationshalbwertszeit 50 h, Wirkdauer 3–5 d) als das hierzulande übliche Phenpro-
coumon (Marcumar, Eliminationshalbwertszeit 150 h, Wirkdauer 7–10 d). Acenocoumarin (Sintrom; Elimi-
nationshalbwertszeit 9 h, Wirkdauer 1–3 d) wird in Deutschland aktuell nicht vertrieben.
Bei Pausieren der OAK muss bei unserem Patienten C eine überlappende Gabe von Heparin nach den AHA-
Leitlinien also nicht zwingend erfolgen. Die ESC schließt sich dieser Empfehlung jedoch nicht an. Mit der
überlappenden subkutanen Gabe von niedermolekularem Heparin (oder auch von i.v.-Heparin) in Therapie-
dosis macht man daher sicher auch keinen Fehler – die Autoren würden so vorgehen.

Drei Monate später muss bei Herrn C. ein Weisheitszahn gezogen werden. Ihre
Empfehlung?

Erstens: Endokarditisprophylaxe 30 min vor dem Eingriff (› Kap. 5.2).


Bezüglich der Antikoagulation: Absenken des INR auf 2,0, dann Zahnextraktion ohne OAK-Pause
(› Tab. 8.8). Dieses Vorgehen folgt einer Empfehlung der ESC 2007 (Klasse I B).

Tab. 8.8  Blutungsrisiko bei verschiedenen Eingriffen (DGK 2010)


Niedriges Blutungsrisiko Hohes Blutungsrisiko
Diagnostische Endoskopie Große Bauchoperation
Transösophageale Echokardiographie Große Gefäßoperation
Kataraktoperation Große orthopädische Operation (z.B. Hüfte)
Zahnextraktion/Dentalchirurgie Große intrathorakale Chirurgie
Punktion komprimierbarer Gefäße Koronare Bypassoperation
Dermatologische Chirurgie Herzklappenersatz
Hernienoperation Neurochirurgische Operationen
Skrotaloperation Prostataresektion, Blasenoperation
Komplexe Tumorchirurgie
Punktion nicht komprimierbarer Gefäße

8
Was machen Sie bei Notfalloperationen Ihres Klappenpatienten? Vitamin-K-Gabe?

Nein. Die AHA/ACC-Empfehlung 2008 lautet:


• Klasse IIa: Die Gabe von FFP ist sinnvoll bei Patienten mit mechanischen Klappenprothesen, bei denen eine
Unterbrechung der oralen Antikoagulation für notfallmäßige nichtkardiale Operationen, invasive Prozedu-
ren oder Zahnbehandlungen erforderlich ist. FFP ist der Gabe von hoch dosiertem Vitamin K1 vorzuziehen.
• Klasse III B (d.h. nicht indiziert): Patienten mit mechanischen Klappenprothesen, bei denen eine Unter-
brechung der oralen Antikoagulation für nichtkardiale Operationen, invasive Prozeduren oder Zahnbe-
handlungen erforderlich ist, sollten nicht routinemäßig Vitamin K1 erhalten, da dies einen Zustand der
Hyperkoagulabilität auslösen kann.

KASUISTIK 4
Patient D. ist ein 75-jähriger Herr. Es soll ein Weisheitszahn gezogen werden. Er hat paroxysmales Vorhofflimmern und
einen nicht insulinpflichtigen Diabetes mellitus. Kardiale Beschwerden bestehen nicht. Der Blutdruck und die Cholesterin-
werte sind normal. Therapie: Marcumar (INR 2,0–3,0), Bisoprolol 5 mg/d, Metformin 1 × 850 mg/d.
288 8  Kardialer Check-up

Was empfehlen Sie bzgl. der Antikoagulation?

Der Patient liegt mit einem CHADS2-Score von 1–2 (Alter grenzwertig, Diabetes) im niedrigen Risikobereich.
Aber auch das Blutungsrisiko bei der Zahnextraktion ist relativ gering. In einer Analyse von 774 Zahnextrak-
tionen unter OAK waren nur 12 Nachblutungen zu verzeichnen (sieben der Patienten hatten eine INR > 4,0,
fünf > 2,5).
Man kann also, wenn der Zahnarzt keine größeren Schwierigkeiten bei der Blutstillung sieht, den INR-
Wert auf 2,0 absenken und darunter den zahnärztlichen Eingriff machen (analog zur ESC-Klasse-I-B-Emp-
fehlung bei Klappenpatienten). Alternativ könnte man auch die orale Antikoagulation pausieren, ohne über-
brückende Heparinisierung (› Kasuistik 1).

KASUISTIK 5
Patient E. ist 68 Jahre alt. Er erhielt vor 10 Jahren eine Bypassoperation (LIMA auf LAD, Venengrafts auf RCA und
RCX bei zugrunde liegender Hauptstammstenose und kollateralisiertem RCA-Verschluss). Eine Koronarangiogra-
phie vor 7 Monaten (uncharakteristische Beschwerden, aber Ischämiezeichen in der Ergometrie) zeigte keinen Re-
vaskularisationsbedarf, die Bypässe waren in Ordnung. Die Ventrikelfunktion war normal, es wurde eine hyperten-
sive Herzerkrankung diagnostiziert. Es besteht Sinusrhythmus. Der Patient soll sich jetzt wegen eines karzinomver-
dächtigen Befunds einer Oberlappenteilresektion der linken Lunge unterziehen. Medikation: ASS 100 mg/d, Sim-
vastatin 20 mg/d, Metoprolol 2 × 47,5 mg/d, Enalapril 2 × 10 mg/d. Der Chirurg möchte im ASS-freien Intervall
operieren.

Wie lautet Ihr Rat?

Systematische Untersuchungen zeigten, dass die Unterbrechung einer Plättchenhemmertherapie bei bekann-
ter KHK zu einer über dreifachen Erhöhung größerer perioperativer kardialer Komplikationen führt. Ande-
rerseits besteht beim Eingriff an der Lunge ein hohes Blutungsrisiko (› Tab. 8.8).
Die ESC-Leitlinien empfehlen die perioperative Fortsetzung einer ASS-Therapie (IIa B). Das Absetzen von
ASS sollte nur bei Patienten erwogen werden, bei denen intraoperativ eine erschwerte Blutstillung zu erwar-
ten ist (IIa B).
Bei Patient E. ist es daher vertretbar, ASS zu pausieren, wenn dies vom Operateur gefordert wird. Postope-
rativ sollte möglichst früh wieder mit ASS begonnen werden.
8

Ist eine weitere kardiale Diagnostik erforderlich?

Nein, vergleiche › Kapitel 8.5.

KASUISTIK 6
Patient F., 68 Jahre, starker Raucher, hat eine generalisierte Arteriosklerose. Er hat bereits mehrfach Koronarstents erhal-
ten, zuletzt vor 2 Monaten. Jetzt soll ein infrarenales größenprogredientes, aber nicht rupturiertes Bauchaortenaneurysma
operiert werden. Medikation: ASS, Bisoprolol, Ramipril, Diuretikum, Statin. Nähere Angaben liegen nicht vor.

Was wollen Sie tun?

Sie müssen herausfinden, welche Koronarstents (bare metal stents, BMS oder drug eluting stents, DES) zu
welchem Zeitpunkt implantiert wurden. Die Tatsache, dass der Patient nur ASS einnimmt und keine Kom-
bination mit Clopidogrel, weist darauf hin, dass zuletzt ein BMS implantiert wurde. Wenn dies korrekt ist
8.4  Überbrückung einer Dauertherapie mit Plättchenhemmern und/oder oraler Antikoagulation 289

und innerhalb der letzten 12 Monate auch kein DES an anderer Stelle eingesetzt wurde, könnte man ASS
pausieren, wenn der Operateur dies fordert und der Eingriff nicht verschoben werden kann. Besser wäre
jedoch die OP unter ASS oder ein Verschieben der OP, wenn der Eingriff ohne ASS durchgeführt werden
soll.
Das Risiko peripoerativer Komplikationen unter ASS-Pause ist höher als bei Patient E., da ein zusätzliches
Stentthrombose-Risiko vorliegt!

KASUISTIK 7
Patient G., 63 Jahre, insulinpflichtiger Diabetiker, metabolisches Syndrom, hat eine koronare Dreigefäßerkrankung. Es
wurden mehrfach Koronarstents implantiert: in die LAD medial ein DES vor 4 Monaten, in den RCX ein DES proximal vor
5 Monaten, in die RCA proximal langstreckig drei DES überlappend vor 9 Monaten. Ein Stressechokardiogramm vor 2
Monaten war ohne Ischämienachweis. Der Patient soll wegen zunehmender Beschwerden bei zugrunde liegender Cox­
arthrose beidseits eine Hüftendoprothese erhalten. Er nimmt unter anderem ASS 100 mg und Clopidogrel 75 mg ein.

Was schlagen Sie vor?

Der Patient hat ein relativ hohes Stentthrombose-Risiko. Es handelt sich um eine elektive Operation. Es wäre
zu empfehlen abzuwarten, die duale Plättchenhemmung bis 12 Monate nach der letzten DE-Stentimplantati-
on fortzuführen und danach unter Fortsetzung der ASS-Therapie zu operieren. Es sollte auch der Einsatz von
Ibuprofen vermieden werden, da ein Interaktionspotenzial mit Wirkverlust von ASS möglich ist!

Was raten Sie, wenn gleich operiert werden muss?

Das Vorgehen bei bestehender dualer Plättchenhemmung kann nach folgendem Schema erfolgen (› Abb. 8.12):

KASUISTIK 8
Patient H., 77 Jahre alt, hat seit Jahren eine arterielle Hypertonie und permanentes Vorhofflimmern. Er ist jetzt herzinsuf-
fizient (NYHA II–III) bei Z.n. Vorderwandinfarkt vor 3 Monaten. Damals wurde in der Akutsituation ein DES in die proxi-
male LAD implantiert bei Dreigefäßerkrankung (sonstiger Koronarstatus: die RCA, kleines Gefäß, war distal diffus 50–75%
stenosiert, der groß angelegte RCX war medial 50–75% stenosiert). Die aktuelle Therapie besteht aus ASS 100 mg/d,
Clopidogrel 75 mg/d, Marcumar (Ziel INR 2,0–2,5, aktueller Wert 2,4), Bisoprolol, Ramipril, Torasemid, Eplerenone sowie 8
Simvastatin. Jetzt verschlechtert sich das Befinden, der Patient hat Angina pectoris unter Belastung (auch während der
Ergometrie), aber keinen objektiven Ischämienachweis. Es ist eine erneute Herzkatheteruntersuchung geplant mit ggf.
Druckdrahtevaluation des RCX.

Was empfehlen Sie bezüglich der Plättchenhemmertherapie und der


Antikoagulation vor der invasiven Koronardiagnostik?

Die Kombinationstherapie ASS und Clopidogrel sollte unbedingt beibehalten werden, gerade wenn an eine
Progression der KHK oder eine Instent-Restenose gedacht wird und möglicherweise erneut interveniert wer-
den muss. Außerdem liegt die DES-Implantation relativ kurz zurück, hier droht bei Absetzten der Plättchen-
hemmer eine akute Stentthrombose. Risikofaktoren für eine Stentthrombose sind nachfolgend zusammen-
gestellt. Die orale Antikoagulation sollte aber zurückgenommen werden. Bei elektiven Katheteruntersuchun-
gen wird generell eine INR < 1,8–2,0 zum Eingriffszeitpunkt angestrebt. Bei Patient G. mit einem CHADS2-
Score von 3 („C, H, A“) besteht kein hochgradiges Embolierisiko. In dieser Situation würde man auch
angesichts der fortgeführten dualen Plättchenhemmung keine überlappende LMW-Heparingabe empfehlen
(› Kasuistik 1).
290 8  Kardialer Check-up

Indikation für OP oder anderen invasiven Eingriff

lebensbedrohlich/
dringlich elektiv
nicht aufschiebbar

Trauma durch den Eingriff


bzw. Blutungsrisiko:
gering mittel hoch

Thromboembolie-
Risiko:
hoch moderat

erwägen

Clopidogrel Eingriff
OP unter
OP unter absetzten aufschieben bis
Bridging
fortgesetzter zum Ende der
mittels
Plättchen- invasiver Eingriff Indikation zur
kurzwirksamen
hemmung unter alleiniger Plättchen-
IIb/IIIa-Hemmern
ASS-Therapie hemmung

Thrombozyten- Monitoring
konzentrale empfehlenswert
bereithalten oder
prophylaktische
Gabe erwägen

Abb. 8.12  Indikation für OP oder anderen invasiven Eingriff (nach Spannagl und Spannagel: Bridging, 2. Auflage, Ligatur Verlag
2011; Nachdruck mit freundlicher Genehmigung).

Risikofaktoren für Stentthrombose:


8 • Therapiebezogen: (gilt für DES und BMS): Vorzeitiges Absetzen der Plättchenhemmertherapie (unter-
schiedliche Zeitvorgaben für BMS und DES)
• Patientenbezogen: (gilt für DES und BMS):
– eingeschränkte LV-Funktion
– Diabetes mellitus
– Niereninsuffizienz
– akutes Koronarsyndrom
– ASS- und/oder Clopidogrelresistenz
• Prozedurbezogen: (DES und BMS)
– Bifurkationen
– lange Läsionen
– kleine Gefäße
– mehrfache Stents
– inkomplette Stentapposition
– Hauptstammintervention
– Z.n. Brachytherapie
– Überlappende Stents (nur bei DES).
8.5  Perioperative Risikoabschätzung 291

LITERATUR
Bonow RO, Carabello BA, Chatterjee K, et al. Management of Patients With Valvular Heart Disease. J Am Coll Cardiol. 2008;
52: e1–e142.
Fuster V, Ryden LE, Cannom DS, et al. ACC/AHA/ESC 2006 guidelines for the management of patients with atrial fibrillation.
Europace 2006; 8: 651–745.
Hoffmeister HM, Bode C, Darius H, Huber K, Rybak K, Silber S. Unterbrechung antithrombotischer Behandlung (Bridging) bei
kardialen Erkrankungen. Positionspapier der DGK. Kardiologe 2010; 4: 365–74.
Poldermans D, Bax JJ, Boersma E, et al. Guidelines for pre-operative cardiac risk assessment and perioperative cardiac ma-
nagement in non-cardiac surgery. European Heart Journal 2009; 30: 2769–812.
Regitz-Zagrosek V, Gohlke-Bärwolf C, Geibel-Zehender A, et al. Herzerkrankungen in der Schwangerschaft. Clin Res Cardiol
2008; 97: 630–65.
Silber S, Borggrefe M, Böhm M, et al. Medikamente freisetzende Koronarstents (DES) und Medikamente freisetzende Bal-
lonkatheter (DEB): Aktualisierung des Positionspapiers der DGK. Clin Res Cardiol 2008; 97: 548–63
Spannagl M, Spannagel U. Bridging. 2. Auflage; Stuttgart: Ligatur; 2011.
Vahanian A, Baumgartner H, Bax J, et al. Guidelines on the management of valvular heart disease. The Task Force on the
Management of Valvular Heart Disease of the European Society of Cardiology. European Heart Journal 2007; 28: 230–68.

8.5  Perioperative Risikoabschätzung


Martin Hug

KASUISTIK
Sie kommen als Konsiliarius auf eine gefäßchirurgische Station und werden gebeten, ein kardiologisches Konsil für einen
Patienten, der an einem 5,5 cm großen Bauchaortenaneurysma offen operiert werden soll, abzugeben.

Beim präoperativen Konsil muss man sich zunächst klar machen, wie risikoreich der geplante Eingriff sein
wird. In den ESC-Guidelines finden sich dazu folgende Angaben (› Tab. 8.9).

Tab. 8.9  Risikoeinschätzung operativer Eingriffe (mod. nach Boersma)


Geringes Risiko < 1% Mittleres Risiko 1–5% Hohes Risiko > 5%
Brustchirurgie Abdominelle Eingriffe Aorten- und große Gefäßchirurgie
Zahneingriffe Karotischirurgie Periphere Gefäßchirurgie
Endokrine Chirurgie Periphere Angioplastie
8
Augenchirurgie Endovaskuläre Therapie
Gynäkologische Eingriffe Kopf- und Halseingriffe
Rekonstruktive Chirurgie Transplantationen
Kleinere orthopädische Eingriffe (Knie) Große orthopädische Chirurgie (Hüfte)
Kleinere urologische Eingriffe Große urologische Chirurgie

KASUISTIK
Unser Patient soll sich also einem Eingriff mit einem hohen perioperativen Risiko unterziehen.
Sie erheben folgende anamnestische Befunde: 72-jähriger Patient, 172 cm groß und 91 kg schwer (BMI 30,76), arte-
rielle Hypertonie seit 22 Jahren. Diabetes mellitus, der seit 3 Jahren mit Metformin behandelt wird. Der Patient raucht seit
seinem 20. Lebensjahr (52 pack years).
Das Bauchaortenaneurysma wurde anlässlich einer Routineuntersuchung beim Hausarzt diagnostiziert, der Patient ist
klinisch beschwerdefrei. Die aktuelle Dauermedikation besteht aus:

Metformin 850 mg 1–0–1


Ramipril 5 mg 1–0–1
292 8  Kardialer Check-up

Sind diese Angaben für die Entscheidung über das weitere Prozedere ausreichend?

Die Guidelines empfehlen die Anwendung von Risikoindices, insbesondere des Lee-Indexes zur präoperati-
ven Risikostratifiziering (Klasse 1 A; Lee 1999).
LEE-Index:
• Kriterien
– Hochrisikochirurgie 1 Punkt
– Koronare Herzerkrankung 1 Punkt
– Herzinsuffizienz 1 Punkt
– Zerebrovaskuläre Erkrankungen 1 Punkt
– Insulinpflichtiger Diabetes mellitus 1 Punkt
– Serum-Kreatinin > 2 mg/dl 1 Punkt
• Interpretation:
– 0 Punkte: Klasse 1, sehr niedriges Risiko (0,4% Komplikationen)
– 1 Punkt: Klasse 2, niedriges Risiko (0,9% Komplikationen)
– 2 Punkte: Klasse 3, mittleres Risiko (6,6% Komplikationen)
– 3 Punkte: Klasse 4, hohes Risiko (> 11% Komplikationen)
• Durch das Score-System vorhergesagte Komplikationen:
– Herzinfarkt
– Lungenembolie
– Kammerflimmern
– Herzstillstand
– AV-Block Grad III.
Sie brauchen somit noch Angaben über frühere Herzinfarkte, Schlaganfälle, Herzinsuffizienz und Nierenwerte.
Des Weiteren sollten Sie sich ein Bild über die funktionelle Kapazität – gemessen in Metabolic Equivalents (MET)
– machen. Dies kann entweder durch eine Belastungsuntersuchung oder durch Erfragen von Alltagsaktivitäten er-
folgen. Geht man beim Grundumsatz von 1 MET aus, so leistet ein Patient, der sich selbst versorgen kann, der zwei
Treppen hochsteigen und auf der Ebene 100 Meter mit einer Geschwindigkeit von 3 bis 5 km/h gehen kann, 4 MET.
Die „Grenze“ von 4 MET geht in die Empfehlungen der ESC und der AHA /ACC ein.

8 Welche Untersuchungen veranlassen Sie?

EKG, UKG, Stressechokardiogramm, Bestimmung der Kreatinin-Clearence.


Die ESC-Guidelines geben bei unserem Patienten für die Durchführung der genannten Untersuchungen
nachfolgende Evidenzniveaus an (› Tab. 8.10; › Tab. 8.11; › Tab.8.12; › Tab. 8.13):

Tab. 8.10  Evidenzniveaus für präoperative kardiologische Untersuchungen


Untersuchung Evidenzniveau
EKG 1B
UKG IIa C
Stresstest IIb B

Tab. 8.11  Empfehlungen zur präoperativen Echokardiographie


Empfehlung Klasse Evidenzlevel
Eine echokardiographische Untersuchung der linksventrikulären Funktion sollte bei Patienten, IIa C
die sich einem Hochrisikoeingriff unterziehen müssen, erwogen werden.
8.5  Perioperative Risikoabschätzung 293

Tab. 8.11  Empfehlungen zur präoperativen Echokardiographie (Forts.)


Empfehlung Klasse Evidenzlevel
Eine echokardiographische Untersuchung der linksventrikulären Funktion bei asymptomati- III B
schen Patienten wird nicht empfohlen.

Tab. 8.12  Empfehlungen zum präoperativen EKG


Empfehlung Klasse Evidenzlevel
Ein präoperatives EKG wird empfohlen für Patienten, die Risikofaktoren haben und bei denen I B
ein Eingriff mit mittlerem oder hohem Risiko geplant ist.
Ein präoperatives EKG sollte bei Patienten mit Risikofaktoren, die sich einem Niedrigrisikoein- IIa B
griff unterziehen müssen, erwogen werden.
Ein präoperatives EKG kann bei Patienten ohne Risikofaktoren bei Eingriffen mit mittlerem Ri- IIb B
siko erwogen werden.
Ein präoperatives EKG wird nicht empfohlen bei Patienten ohne Risikofaktoren und geplanter
OP mit niedrigem Risiko.

Tab. 8.13  Empfehlungen für die Durchführung präoperativer Stresstests


Empfehlung Klasse Evidenzlevel
Ein Belastungstest wird empfohlen bei Patienten mit drei oder mehr klinischen Risikofakto- I C
ren, bei denen ein Hochrisikoeingriff geplant ist.
Ein Belastungstest kann erwogen werden bei Patienten, die bis zu zwei klinische Risikofakto- IIb B
ren haben und bei denen ein Hochrisikoeingriff geplant ist.
Ein Belastungstest kann erwogen werden bei Eingriffen mit mittlerem Risiko. IIb C
Ein Belastungstest wird nicht empfohlen bei Eingriffen mit niedrigem Risiko. III C

Sie sehen also, dass die Stressechokardiographie nach Ansicht der ESC nicht zwingend notwendig gewesen wäre.
Auch eine präoperative Koronarangiographie ist nicht zwingend indiziert (IIb B nach ESC; › Tab. 8.14).

Tab. 8.14  Empfehlung zur Durchführung einer präoperativen Koronarangiographie


Empfehlung Klasse Evidenzlevel
Eine präoperative Herzkatheteruntersuchung wird bei Patienten mit akutem ST-Hebungsin- I A 8
farkt empfohlen.
Eine präoperative Herzkatheteruntersuchung wird bei Patienten mit akutem Nicht-ST-He- I A
bungsinfarkt und instabiler Angina pectoris empfohlen.
Eine präoperative Herzkatheteruntersuchung wird bei Patienten mit medikamentös intrakta- I A
bler Angina pectoris empfohlen.
Eine präoperative Herzkatheteruntersuchung kann bei kardial stabilen Patienten vor einem IIb B
Hochrisikoeingriff erwogen werden.
Eine präoperative Herzkatheteruntersuchung kann bei kardial stabilen Patienten vor einem IIb C
Eingriff mit mittlerem Risiko erwogen werden.
Eine Herzkatheteruntersuchung bei kardial stabilen Patienten mit Niedrigrisikoeingriff wird III C
nicht empfohlen.

Klinische Risikofaktoren im Sinne der ESC-Guidelines sind lediglich:


• Angina pectoris
• Früherer Myokardinfarkt
294 8  Kardialer Check-up

• Herzinsuffizienz
• Schlaganfall/TIA
• Niereninsuffizienz (Serum Kreatinin 170 mmol/l oder 2 mg/dl oder eine Kreatinin-Clearance unter
60 ml/min)
• Diabetes mellitus (insulinpflichtig).

KASUISTIK
Die angeordneten Untersuchungen ergeben folgende Befunde:
EKG SR, Frequenz 80/ Minute, Linkstyp, P = 0,11 sec, PQ = 0,18 sec, QRS = 0,11 sec, QT =
0,38 sec. Unauffälliger Stromkurvenverlauf.
UKG Normale globale Pumpfunktion, linker Vorhof vergrößert, übrige Herzhöhlen normal groß.
Linkshypertrophie (Septum 14 mm, HW 13 mm). Keine regionalen Wandbewegungsstö-
rungen. Die Aortenklappe ist sklerosiert, aber mit regelrechter Öffnung, keine Flussbe-
schleunigung über der Aortenklappe. Übrige Herzklappen regelrecht.
Stressechokardiogramm Stufenweise Belastung über je 2 Minuten mit 25, 50, 75 und 10 Watt. Abbruch bei zu-
(› Abb. 8.13) nehmender Dyspnoe und Ischämiezeichen.
Bereits bei 50 Watt beginnend ischämietypische EKG Veränderungen in den Brustwandablei-
tungen und regionale Hypokinesie anterior medial bis apikal sowie septal.
Kreatinin-Clearence 52 ml/Minute

Abb. 8.13  EKG während Stressechokardiographie.


Aufgrund der erhobenen Befunde veranlassen Sie nun eine Koronarangiographie.
Hier ergibt sich als Befund eine koronare Herzerkrankung mit einer 75%igen Stenose am Ramus interventrikularis ante-
rior (RIVA) sowie diffusen nicht hochgradigen Stenosen am Ramus circumflexus und an der rechten Kranzarterie.
8.6  Kontrolle nach Herzoperation im Kindesalter 295

Welches Vorgehen empfehlen Sie nun bei unserem klinisch asymptomatischen


Patienten?

Die Operation eines Bauchaortenaneurysmas von 5,5 cm Größe ist eine rein prophylaktische Maßnahme. Die
beschriebenen Vorteile für das operative Vorgehen kommen nur bei niedrigem perioperativen Risiko zum
Tragen. Bei dokumentierter KHK mit Ischämienachweis bereits bei geringer Belastung sollte zunächst eine
Revaskularisation des RIVA durchgeführt werden. Im Idealfall kann dies durch Implantation eines unbe-
schichteten Stents erfolgen. Die Operation am Bauchaortenaneurysma kann dann im Intervall nach Beendi-
gung der dualen Plättchenhemmung unter Weiterführung einer antithrombozytären Monotherapie erfolgen.
Bei komplexer Morphologie der RIVA-Stenose ist zu entscheiden, ob ein oder mehrere Drug-eluting-Stents
implantiert werden oder ob eine minimal-invasive Bypass-Technik (MIDCAB) zur Anwendung kommt.

Wie hätte Ihre Empfehlung gelautet, wenn das Stressechokardiogramm keinen


Hinweis auf eine KHK gezeigt hätte?

Operation des Bauchaortenaneurysmas unter konsequentem perioperativen Monitoring der kardialen Funk-
tion und des Blutzuckerspiegels. Metformin sollte pausiert werden, gegebenenfalls Umstellung auf Insulin-
therapie erfolgen.
Die Medikation mit dem ACE-Hemmer kann perioperativ pausiert werden, da eine normale linksventriku-
läre Funktion besteht (IIa C). Die zusätzliche Medikation mit einem Betablocker ist empfehlenswert (Klasse
1 B). Es sollte 30 bis spätestens 7 Tage vor der Operation eine Statintherapie eingeleitet (ESC Klasse I B) und
diese dann auch perioperative fortgesetzt werden (Klase I C).

LITERATUR
Boersma E, Kertai MD, Schouten O. Perioperative cardiovascular mortality in noncardiac surgery: validation of the Lee cardi-
ac risk index. Am J Med 2005; 118: 1134–41.
Lee TH, Marcantonio ER, Mangione CM, et al. Derivation and prospective validation of a simple index for prediction of car-
diac risk of major noncardiac surgery. Circulation 1999; 100: 1043–9.
Poldermans, D, Bax JJ, Boersma E, et al. Guidelines for pre-operative cardiac risk assessment and perioperative cardiac ma-
nagement in non-cardiac surgery. European Heart Journal 2009; 30: 2769–812.

8.6  Kontrolle nach Herzoperation im Kindesalter


Christoph Spes

KASUISTIK
Ein 22-jähriger Mann stellt sich in der Sprechstunde vor. Der Hausarzt hatte dazu geraten, weil im Alter von einem Jahr
eine Operation eines angeborenen Herzfehlers erfolgte. Die letzte kardiologische Untersuchung erfolgte vor über 10
Jahren, eine Röntgenaufnahme der Lunge vor einem Jahr. Er fühlt sich gut belastbar, hat keine Luftnot, Ödeme oder
subjektiv empfundene Herzrhythmusstörungen. Keine AP-Beschwerden. An Medikamenten wird Rocaltrol und Kalzium
wegen niedriger Kalziumwerte eingenommen. Der Patient raucht Zigaretten (bisher 7 pack years).
Die körperliche Untersuchung des 176 cm großen, 78 kg schweren Patienten zeigt einen guten Allgemeinzustand. Die Gesichts-
züge scheinen etwas auffällig. Der Blutdruck beträgt 110/70 mmHg, Herzfrequenz 80, Puls regelmäßig. Normaler JVD, kein
hepatojugulärer Reflux. Keine Trommelschlägelfinger, keine Ödeme. Der pulmonale Untersuchungsbefund ist unauffällig. Die
Herzauskultation ergibt ein 2⁄6-Systolikum über ERB und dem Pulmonalareal. Der 2. Herzton ist weit gespalten, aber atemvariabel.
Sie fordern nähere Unterlagen vom Hausarzt an.
296 8  Kardialer Check-up

Beurteilen Sie das nachstehende EKG (› Abb. 8.14)


KASUISTIK

8
Abb. 8.14  EKG

SR, Frequenz 76/min, LT. Kompletter RSB mit blockbedingten ERBST rechtspräkordial.
Die Echokardiographie zeigt normale Dimensionen von LA (36 mm) und Aortenwurzel (36 mm). Die Aortenklappe ist zart,
trikuspid, regelrecht beweglich, im Doppler keine Insuffizienz. Der linke Ventrikel ist unauffällig (50/30 mm, FS 40%,
Wanddicken je 11 mm). Farbdopplersonographisch keine Shunthinweise auf Vorhof- oder Ventrikelebene. Rechter Vorhof
und Ventrikel erscheinen visuell nicht vergrößert, keine Hypertrophie. Die Trikuspidalklappe sieht morphologisch unauf-
fällig aus, Refluxgeschwindigkeit 2,32 m/s, entsprechend 22 mmHg, Druckgradient zwischen RV und RA. Die Pulmonal-
klappe weist keine Stenose auf, man sieht eine geringe Insuffizienz. Eine RVOT-Obstruktion ist nicht zu erkennen.
Die erhobenen Befunde sprechen dafür, dass eine Korrekturoperation erfolgte, keine Palliativoperation.

Welche ist die Methode der Wahl, wenn die RV-Funktion nicht eindeutig mit der
Echokardiographie zu beurteilen ist?

Kernspintomographie (MRT), auch ein CT wäre als Alternative möglich.


8.6  Kontrolle nach Herzoperation im Kindesalter 297

Beurteilen Sie das mitgebrachte Röntgenbild (› Abb. 8.15)

Abb. 8.15  Röntgenbild des Patienten

Herzschatten vergrößert, etwas angehobene Herzspitze. Keine Zeichen einer pulmonalen Minderperfusion.
Keine Stauungszeichen, Infiltrate oder Ergüsse. Rechts verlaufender Aortenbogen.

KASUISTIK
Das Fax mit den Vorbefunden trifft ein:
Z.n. Korrektur-OP bei Fallot-Tetralogie mit VSD-Patch, Pulmonalkommissurotomie, Infundibulumresektion, Direktverschluss
ASD Typ 2. Rechtsseitiger Aortenbogen. Mikrodeletion 22q11 mit partiellem DiGeorge-Syndrom. Hypoparathyreoidismus.

Die Kombination von angeborenen Herzfehlern mit sonstigen Fehlbildungen ist nicht selten. Bei Fallot-Pati-
enten ist der rechtsverlaufende Aortenbogen in 25% der Fälle zu finden. Beim DiGeorge-Syndrom kann es
durch embryonale Entwicklungsstörungen im Bereich der 3. und 4. Schlundtasche neben Anomalien an Herz 8
und Aorta auch zu Nichtanlage der Nebenschilddrüsen, des Thymus und zu fazialen Fehlbildungen kommen.

Was sollten Sie noch unternehmen?

Da diese Patienten eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Herzrhythmusstörungen haben,
sollte ein Langzeit-EKG erfolgen. Es zeigte im vorliegenden Fall außer vereinzelten VES und SVES keine we-
sentlichen Auffälligkeiten, insbesondere keine komplexen ventrikulären Arrhythmien oder Vorhofflimmern.

Was könnte noch vorliegen?

Es besteht bei diesem Krankheitsbild die Möglichkeit, dass periphere Pulmonalarterienstenosen vorliegen.
Klinisch und nach dem Röntgenbild zu urteilen spricht jetzt wenig dafür. Falls ein diesbezüglicher Verdacht
bestünde, würde man eine MRT durchführen. Bei relevanten Stenosen würde man dann ein interventionelles
Stenting der Stenosen anschließen.
298 8  Kardialer Check-up

Wie oft sollten kardiologische Kontrolluntersuchungen erfolgen?

Nach Empfehlung der DGK symptomorientiert, mindestens aber einmal jährlich.


Bei diesem offensichtlich sehr schönen Langzeitresultat nach Korrekturoperation entscheiden Sie sich, die
weitere Betreuung zunächst selbst zu übernehmen. Bei Befundverschlechterung und auch bei Patienten mit
Residualdefekten oder insbesondere unkorrigierten oder palliativ operierten Vitien müssen Sie, falls Sie kei-
ne ausgewiesene Erfahrung auf dem Gebiet der Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EMAH) haben,
unbedingt mit diesbezüglich spezialisierten Kollegen bzw. Zentren zusammenarbeiten!

LITERATUR
Baumgartner H, Bonhoeffer P, De Groot NM, et al. ESC Guidelines for the management of grown-up congenital heart di-
sease (new version 2010): The Task Force on the Management of Grown-up Congenital Heart Disease of the European
Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J. 2010; 31(23): 2915-57.
Schmaltz AA, Bauer U, Baumgartner H, et al. Medizinische Leitlinie zur Behandlung von Erwachsenen mit angeborenen
Herzfehlern (EMAH). Clin Res Cardiol 2008; 97: 194–214.

8
Register 299

Register

Symbole Aszites, Therapie  204 Dobutamin-Stressechokardiogra-


24-h-Langzeit-Blutdruckmes- Atemreserve  166 phie  117
sung  278 AV-Block  161 Dressler-Syndrom  147
––Grad II  161 Duke-Kriterien  214
A ––Grad III  162 Dyspnoe
ACE-Hemmer, Siehe Angiotensin- AV-Knoten-Reentrytachykar- ––Anamnese  147
Rezeptor-Antagonist die  72, 73 ––belastungsinduzierte  105
Adenosingabe ––Laboruntersuchung  148
––Kontraindikationen  46 B ––Laborwerte  120
––Nebenwirkungen  46 Beatmung  52 ––technische Untersuchungen  102,
Akutes Koronarsyndrom  13, 14, Beinödem  195 118–120, 134, 148, 165
114, 126 Beinödeme, beidseitige  197
Aldosteron-Renin-Quotient  280 Beinvenenthrombose  195 E
Alpha-1-Antitrypsinmangel  203 Belastungsdyspnoe  113, 190 Echokardiographie  236
Anämie, extrakorpuskuläre hämoly- ––Diagnostik  114 Eklampsie  260, 261
tische  136 Belastungs-EKG  236 Elektrokardioversion  219, 225
Angina pectoris  39, 43 Belastungs-EKG-Untersu- ––Schrittmacherpatienten  225
––Differenzialdiagnose  9 chung  267 Elektrophysiologische Untersu-
Angiotensin-Rezeptor-Antago- Betablocker, kardioselektiver  66 chung  201
nist  29, 42, 66, 89–91, 121, 127, Beurteilung des Schwangerschaftsri- Embolieprophylaxe  63
131, 135, 154,204, 257, 261, 276, sikos  254 Endokarditis  215, 223
280, 281, 295 Biologische Herzklappe  29 ––Antibiotikatherapie  216, 218
Antikoagulation, Klappenpati- Blutdruck, Schwangerschaft  253 ––Diagnosekriterien  214
enten  137 Blutdruckmessung  263 ––infektiöse  214
Aortendissektion BNP  50, 199 ––Komplikationen  218
––Prognose  20 ––NT-pro-BNP  41 ––Risikokonstellation  215
––Risikofaktoren  25 Brugada-Syndrom  207, 210 Endokarditisprophylaxe  218
––Klassifikation  24, 25 Bypass-Operation, Vitalitätsdiagnos- Endomyokardbiopsie  97
Aortenklappenersatz  28, 29 tik  39 Ergometrie  44, 58, 61, 273
Aortenklappenimplantation ––zur KHK-Diagnostik  267
––Indikationen  193 C EUROSCORE  49, 140, 193
––Technik  193 Cardiac Index  201 Event-Rekorder, Implantation   
––Voraussetzungen  193 CHADS2-Score  64, 70, 132, 184, 230
Aortenklappeninsuffizienz  106 288, 289
––Ätiologie  20, 108 CHA2DS2-VASc-Score  63, 69 F
––chirurgische Therapie  109 Chronisch venöse Insuffizienz  195, FFR-Messung  45, 47
––Einteilung  108 197 Filtrationsrate, glomeruläre  279
––Graduierung  108 Cirrhose cardiaque  203 Fokalischämie  240, 244
––Langzeitprognose  111 Cockroft-Gault-Formel  279 Foramen ovale
––Leitbefunde  109 COPD  200 ––offenes  240
––Pathomechanismus  109 ––Klassifizierung  201 ––persistierendes  249
––Schwangerschaft  254 ––Therapie  204 ––Therapie  240
––Symptome  106 Cor pulmonale  202 Früh-Repolarisationsstörungen  58
––technische Befunde  106 ––ätiologische Abklärung  202
Aortenklappenstenose  27, 29, 106, ––Therapie  204, 205 G
116, 118, 192, 286 CREST-Syndrom  98 Gerinnungsdiagnostik  240
––Aortenklappenöffnungsfläche, Be- CT-Angiographie  268 Gestationshypertonie  259
rechnung, Graduierung  146, 185 Cushing-Syndrom  279 ––Therapie  260
––Ätiologie  27
––Pathophysiologie  27 D H
––Symptome  27 Diabetes mellitus  256 HAS-BLED-Score  65
––Therapie, interventionell  193 Diastolische Dysfunktion  37, 44, Hämolyse
120, 134, 135, 172 ––Herzklappen-induzierte  137
––Therapie, operativ  29
DiGeorge-Syndrom  297 ––Therapie  139
Arrhythmie, absolute  66
300 Register

Herzerkrankung Infarkt, kokaininduzierter  60 Leistungsminderung, LSB-­


––koronare  256 Intima-Media-Dicke  268 assoziierte  165
––strukturelle  65 Intravaskulärer Ultraschall  44, 45 Lungenembolie  148, 149, 200, 254
Herzinsuffizienz Ischämiediagnostik  268 ––Antikoagulation  150, 151
––BNP/pro-BNP  88 Ischämie-Provokationstests  268 ––Echokardiographie  149
––Pharmakotherapie  89, 90, 92 ––Stadien  150
––Prognose  88 K ––Troponin  150
––Therapie  157 Kalkscreening  268 Lungenfunktionsdiagnostik  119
Herzkatheteruntersuchung  37 Kalzineurin-Inhibitoren  95 Lungenkrebsrisiko  264
––Linksherzkatheter Indikation  5, Kardiomyopathie  256 Lungentransplantation  105
12, 37, 124, 269, 293 ––ischämische  115 LV-Funktionseinschränkung,
––Rechtsherzkatheter  93, 101–103, ––dilatative  88, 95, 112, 117 ­Ursachen  33
169, 173, 178, 201 ––hypertrophe  9, 11, 25, 233 Lymphödem  196, 197
Herzminutenvolumen  102, 103, ––konstriktive  184
201 ––restriktive  181, 184 M
Herzrasen  75 ––katecholaminbedingte  34, 35 Marfan-Syndrom  255
––intermittierendes  61 Kardioversion  68, 77, 116, 205 MDRD-Formel  279
Herzrhythmusstörungen  239 Karotis-Duplexuntersuchung  268 Mitralklappeninsuffizienz  44, 107,
Herztransplantation  93, 94 Karotisintervention,   220
––Abstoßungsreaktion  97 perkutane  245 ––Ätiologie  43, 53
––Dringlichkeitsstufen  94 Karotissinusmassage  236, 237 ––invasive Diagnostik  274
––Herzinsuffizienz  97 Karotissinussyndrom, Schrittma- ––OP-Möglichkeiten  276
––Immunsuppression  95 cher  238 ––Schweregradeinteilung  109, 140
––Kontraindikationen  93 Karotisstenose  247 ––Therapie  44
––Langzeitkomplikationen  98 ––Ausschlussdiagnostik  246 Mitralklappenendokarditis  213
––Listung  93 ––Primärprophylaxe  245 Mitralklappenersatz,
––Nachsorgeprogramm  95 ––Stenosegrade  243 ­Indikation  179, 224, 275, 277
––Perikarderguss  96 ––symptomatische  243, 245 Mitralklappenprolaps  272
––Prognose  94 ––Therapie  245 Mitralklappenrekonstruktion,
Herzzeitvolumen  201 ––Untersuchungen  246 ­Indikationen  179, 275, 277
––Schwangerschaft  253 Katheterablation, bei Mitralklappenstenose
Herzzeitvolumenbestimmung  201 ­Vorhofflimmern  69 ––Ätiologie  176
––Fick-Gesetz  201 Kipptischuntersuchung  231, 250 ––Pathophysiologie  176
––Thermodilutionsmethode  201 ––Indikation  230 ––Schweregrade  176
Hirnischämie  239, 240, 241, 245 Klappenpatienten ––Symptome  176
Hyperaldosteronismus  279, 280 ––Notfalloperationen  287 ––Therapieoptionen  178
Hypertensive Krise  125 ––Re-Operation  139 Mitralklappenvalvuloplastie   
––i.v.-Therapie  126 Klappenprothese, Antikoagulation    178
––Therapie  126 138, 285, 286 ––Indikationen  178
Hypertensiver Notfall  126 ––Schwangerschaft  257 ––Komplikationen  179
Hypertonie, arterielle  256, 259, 278 ––Bridging  286 Myokardinfarkt
––Diagnostik  278 Koronarangiographie  79, 269 ––akuter  256
––Einteilung  126 ––Indikation bei KHK  217 ––Markerdiagnostik  141
––medikamentöse Therapie  104 ––Niereninsuffizienz  37 ––NSTEMI, Siehe NSTEMI
––Schwangerschaft  210 Koronare Herzerkrankung ––STEMI, Siehe STEMI
––sekundäre Formen  225, 226 ––Laborwerte  265 ––Rechtsherzbeteiligung  3, 10
Hypertonie, pulmonale  101, 202 ––Risikobeurteilung  268 Myokardperfusionsszintigra-
––Definition  201 Koronarspasmus phie  268
––Typen  104 ––auslösende Substanzen  60
––Venedig-Klassifizierung  101 ––Therapie  59 N
Hypertrophie, linksventriku- Nierenarterienstenosen  280
läre  124, 129, 237 L ––Diagnostik  280
Hyponatriämie  199 Langzeit-EKG  236 ––Nachsorge  283
Leberzirrhose  203, 204 ––Restenose  283
I ––Therapie  204 ––Therapie  281
ICD-Implantation, Aufklärung  158 Leck, paravalvuläres  138 NSTEMI  11
ICD-Patienten, Fahrtauglich- Leistungsfähigkeit,   ––Hochrisikopatienten  12
keit  158 kardiopulmonale  166 ––Therapie  13
Register 301

O R ––rhythmogene  250
Ödeme  197 Rechtsherzbelastung  101 ––Therapieoptionen  231
Osmolarität, Berechnung  199 Resynchronisationstherapie  158 ––Ursachen  235
Risikostratifiziering, präopera- Synkopen
P tive  292 ––Diagnostik  235
Pacingdefekt  223 ––rezidivierende  236
Pericarditis constrictiva  184 S ––Schrittmachertypen  238
––Formen  183 Sauerstoffaufnahme, ––Therapie  237
––Therapieoptionen  184 ­maximale  166 Synkopenformen  227
Perikarderguss Schirmimplantation  242 SYNTAX-Score  39
––hämodynamische ––kathetergesteuerte  170
­Wirksamkeit  17 ––Komplikationen  172 T
––Therapie  19 ––Nachsorge  174 Tachykardie  71, 72, 76
Perikardiozentese  21 Schlaganfallrisiko, jährliches  64 Tako-Tsubo-Kardiomyopathie   
Perikarditis  17 Schrittmacherimplantation, 34
––Ätiologie  17 ­Risiken  237 TAVI  193
––rezidivierende  20 Schrittmacher-Sonden-Endokardi- Thrombembolieprophylaxe  66
––ST-Streckenhebungen  16 tis  223 Thyreopathie  37
––Therapie  20 Schwangerschaftsabbruch, Indikati- ––Kontrastmittelgabe  30
––Ursachen  17 on bei mütterlicher Herzerkran- Transplantatvaskulopathie  97, 98
Perimyokarditis  16 kung  255 Tripletherapie  64, 65
Peripartum-Kardiomyopathie  254, Schwangerschaftshypertonie  254 Troponinanstieg  200
256 Sensingdefekt  222 Troponinerhöhung  84, 200
––Komplikationen  258 Septumruptur  143
––Nachsorge  258 Shuntberechnung  145 U
––Therapie  257 Sinusarrest  252 Überleitungsstörungen, Schrittma-
––Thromboseprophylaxe  257 Sinusknotenerkrankung, chertherapie  162
Persistierendes Foramen ovale  168 ­Schrittmacher  252
Phäochromozytom  279 Sondenendokarditis  225 V
„Pill in the pocket“-Therapie, Sondenentfernung, Indikation  224 Vasoreagibilitätsprüfung  103
­Ausschlusskriterien  69 Spiroergometrie  166 Venenthrombose  148
Plättchenhemmung  288 Splenomegalie, Ursachen  203 ––Duplexuntersuchung  149
––akutes Koronarsyndrom  64 Stanford-Klassifikation  24 Ventrikelseptumdefekt   143
––Bridging  284 STEMI  2 Vorhofflimmern  66, 68
––duale  64, 65 ––ADP-Rezeptorantagonisten  4 ––paroxysmales  53, 69
––invasive Koronardiagnostik  289 ––Analgesie  3 ––Therapie  205
Pleuraerguss  152 ––Antikoagulation  3 Vorhofseptumaneurysma  240
Pneumokoniose  147 ––antithrombozytäre Therapie  4 Vorhofseptumdefekt  168
Post-Myokardinfarkt-Ventrikelsep- ––EKG-Diagnostik  2 ––Defektverschluss  169, 171
tumdefekt  141, 143 ––Reperfusionsstrategie  3 ––invasive Therapie  169
––Operation  145 ––Sekundärprophylaxe  8 ––Symptome  169
Postperikardiotomie-Syndrom  147 Stentthrombose  8 ––Typen  168
Präeklampsie  256, 259, 260 ––Risiko  289
Präexzitation  69, 77 ––Risikofaktoren  290 W
PROCAM-Score  266 ST-Hebungsinfarkt, Siehe STEMI Wilkins-Score  177
Pulmonalarterienstenosen  297 Stress-Test  71
Pulmonalvaskulärer Wider- Synkope  227, 228, 249
stand  94 ––Basisdiagnostik  228
Pulmonalvenenisolation  69 ––Prognose  228

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