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Biomechanical issues in patellofemoral joint rehabilitation

Article  in  Der Orthopäde · September 2008


DOI: 10.1007/s00132-008-1293-6 · Source: PubMed

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4 authors, including:

Mario Bizzini Nicola Maffiuletti


Schulthess Klinik, Zürich Schulthess Clinic, Zürich
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Franco M Impellizzeri
University of Technology Sydney
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Leitthema

Orthopäde 2008 · 37:864–871 M. Bizzini1 · R. Biedert2 · N. Maffiuletti1 · F. Impellizzeri1


DOI 10.1007/s00132-008-1293-6 1 Neuromuscular Research Laboratory, Schulthess-Klinik, Zürich
Online publiziert: 3. August 2008 2 Sportclinic Villa Linde, Biel
© Springer Medizin Verlag 2008

Biomechanische Aspekte
in der Rehabilitation des
Patellofemoralgelenks

Die Biomechanik des Patellofemoral- Funktion der Patella la gegen das Femur. Der M. vastus medi-
gelenks (PFG) ist komplex [1]. Die pa- alis obliquus (VMO) hat eine leicht abge-
tellofemoralen und tibiofemoralen Die primäre Funktion der Patella ist die winkelte Insertion und kann eher media-
Gelenke agieren in Synergie und sor- Unterstützung der Quadrizepsarbeit, in- lisierend wirken. Hehne [13] konnte in ei-
gen für reibungslose Bewegungsab- dem sie den Abstand des Extensorenap- ner biomechanischen Studie zeigen, wie
läufe. Die retropatellare Gelenkflä- parats zur Kniegelenkachse erhöht. Wäh- komplex die Kraftvektoren der Quadri-
che erfährt teilweise enorme Scher- rend ihrem ganzen Bewegungsumfang zepsanteile interagieren. Im Optimalfall
und Kompressionskräfte (wie beim kann die Patella die Kraft des Streckappa- können sich die resultierenden Kräfte in
Treppensteigen oder bei der Knie- rats um bis zu 50% erhöhen [22]. In vol- der Femur- und Tibiaachse halten und ga-
beuge), welche normalerweise durch ler Flexion (die Kniescheibe ist in der Tro- rantieren damit die Zentrierung der Patel-
die ossären und Weichteilstruktu- chlea eingebettet) ist der Beitrag der Pa- la. In diesem Zusammenhang sind auch
ren absorbiert und kontrolliert wer- tella zur Länge des Quadrizepshebelarms das mediale patellofemorale Ligament
den. Jegliche, auch nur eine kleine minimal (10%). Richtung Extension wird (MPFL) und die Retinacula (medial/late-
Störung (z. B. eine Knorpelläsion) dieser Beitrag größer (um ca. 30% bei 45° ral) von Bedeutung: diese Strukturen wer-
in diesem System führt zur Dekom- Flexion), wobei er aber in voller Streckung den von den Mm. vastii dynamisiert und
pensation dieser fein abgestimm- wieder abnimmt [17]. helfen bei der Stabilisierung und Führung
ten Belastungstoleranz [7]. Patello- Die Patella ist auch im Zusammen- der Patella (neben der Trochlea als wich-
femorale Schmerzen und Symptome hang mit der Quadrizeps- und Patellar- tigster Faktor) [1].
werden typischerweise durch belas- sehne wichtig: sie hilft in der „Zentralisie- Einige Erkenntnisse aus den letzten
tende Aktivitäten (Alltag, Sport) aus- rung“ aller Kräfte, die aus den verschie- Jahren sind für das Verständnis der Qua-
löst. Die umliegenden Weichteilstruk- denen Anteilen der vorderen Oberschen- drizepsfunktion von Bedeutung. Hubbard
turen (u. a. reich an freien Nerven- kelmuskulatur entstehen (auch die kapsu-
Tab. 1  Schwerpunkte in der Rehabilita-
endigungen) werden dabei entspre- läre Spannung wird dadurch kontrolliert). tion des patellofemoralen Gelenks.  
chend deformiert/gereizt und kön- Die Gelenkfläche der Patella ist reich an (Mod. nach [29])
nen (wenn die Belastung supraphysi- hyalinem Knorpel und weist die dickste 1 Reduktion der Schwellung
ologisch ist) für den Patienten symp- Schicht im menschlichen Körper auf. Ei-
2 Reduktion des Schmerzes
tomatisch werden [3]. ne intakte Knorpelstruktur erlaubt so ei-
3 Verbesserung der Muskelaktivierung
ne optimale Übertragung der Scher- und
4 Berücksichtigung von biomechanischen
Bei einer konservativen oder postope- Kompressionskräfte in den subchond- Aspekten in der Übungsauswahl
rativen Behandlung versucht man die ralen Knochen und garantiert optimale 5 Kräftigung der Knieextensoren
Schmerzen/Symptome zu reduzieren und Bewegungsabläufe. 6 Verbesserung der Flexibilität (Weich­
die Funktion wiederherzustellen. Beson- teile/Gelenk)
ders in der Frührehabilitation ist die Wahl Funktion des Quadrizeps 7 Verbesserung der Mobilität (Weich­teile/
der Übungen, die mit minimaler Gelenk- Gelenk)
belastung verbunden sind, von Bedeu- Die verschiedenen Anteile der Quadri- 8 Verbesserung der neuromuskulären
tung. Um dieses Ziel zu realisieren, sind zepsmuskulatur stellen eine besonde- Kontrolle
spezifische Kenntnisse der Funktion und re Einheit dar: alle haben verschiedene 9 Normalisierung des Gangbildes
Biomechanik des PFG eminent wichtig Querschnitte und Insertionswinkel. Die 10 Korrektur von abnormaler Biomechanik
(. Tab. 1). Mm. vastii lateralis (VL) und vastii medi- der unteren Extremität
alis (VM) komprimieren wegen ihren dor- 11 Funktionelle Progression (Aktivitäten/
salen Lage zur Verlaufsrichtung die Patel- Übungen)

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Leitthema

Abb. 1 9 Extension Abb. 2 9 Extensi-


(OK) in 0°-Winkelstel- on (OK): Bewegung
lung: statische Inner- zwischen 90° und
vationsaktivierung des 40° Flexion, dyna-
Quadrizeps mit Hilfe mische Quadrizeps-
der Elektrostimulation arbeit gegen Wider-
(portables Gerät) stand eines Thera-
bandes

Abb. 5 8 Beidbeinige Beinpresse: dynamische Arbeit zwischen


0° und 30–60° Flexion auf einer Leg-press-Maschine

Abb. 4 8 Bilaterale Kniebeuge: dyna-


mische Arbeit auf 2 Beinen zwischen 0°
und 30° Flexion auf einem computeri-
sierten Kreisel. Die (individuell abgestuf-
te) labile Unterlage fördert die musku-
läre Aktivierung und die neuromusku-
läre Kontrolle
Abb. 3 8 Fahrradergometer mit ver-
kürzter Pedalkurbel und hohem Sattel:
Es wird damit eine kleine Bewegungs-
amplitude mit ausgewogener Quadri-
zeps-/Hamstringsarbeit erzielt

Abb. 6 8 Einbeinige Kniebeuge in der Waagestellung: dyna-


mische Arbeit zwischen 0° und 30° Flexion auf einer weichen
Unterlage. Durch die Rumpfvorneigung wird die Quadrizepsak-
tivierung und damit auch die patellofemorale GRK reduziert

et al. [14] zeigten in einer Leichenstudie, turen sind. Im Gegensatz zur verbreite- us (VI, bei niedriger Intensität) und der
dass sowohl der VMO als auch der VML ten Meinung bezüglich der VM-Funkti- VL (bei hoher Intensität) die 2 Hauptmus-
(M. vastus medialis longus) keine signifi- on (aktiv während der letzten 30° der Ex- keln der Knieextension dar [30]. Außer-
kant abgrenzbaren anatomischen Struk- tension) stellen der M. vastus intermedi- dem zeigten Toumi et al. [24], wie der VM

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Zusammenfassung · Abstract

(mit VMO) und der VL während belas- Orthopäde 2008 · 37:864–871  DOI 10.1007/s00132-008-1293-6


tenden Situationen (wie bei der Landung © Springer Medizin Verlag 2008
nach einem Sprung) synergistisch aktiv
M. Bizzini · R. Biedert · N. Maffiuletti · F. Impellizzeri
sind, um die Patella- und Kniegelenksta-
Biomechanische Aspekte in der Rehabilitation
bilität zu kontrollieren.
des Patellofemoralgelenks
Patellakinematik Zusammenfassung
Spezifische Kenntnisse über die Biomecha- ringen patellofemoralen Gelenkreaktions-
Stabilität und Mobilität der Patella wer- nik des patellofemoralen Gelenks sind für ei- kräften gewährleisten. Die isolierte Extensi-
ne erfolgreiche konservative oder postope- onsbewegung in der offenen Kette (90–40°),
den durch eine komplexe Interaktion
rative Rehabilitation unentbehrlich. Die bio- die Kniebeuge (0–30–60°) und die Beinpres-
zwischen der ossären Geometrie und den mechanischen Aspekte in verschiedenen Si- se (0–30–60°) stellen die 3 Hauptübungssi-
umliegenden Weichteilen (Kapsel-Band- tuationen müssen in der Übungsauswahl be- tuationen in der Frührehabilitation des patel-
Apparat, Muskulatur) gewährleistet [1]. rücksichtigt werden. Gelenkreaktionskräf- lofemoralen Gelenk dar, wobei stets auf ei-
Bei der Flexion wird die Kniescheibe in te, Kontaktflächen, und der Gelenkdruck sind ne kontrollierte Körperstellung zu achten ist.
die Trochlea gepresst, währenddem sie im patellofemoralen Gelenk je nach Winkel- Schmerzen und Symptome sollten auf ein
stellung und Übungssituation unterschied- Minimum reduziert werden, um eine optima-
bei der Extension v. a. durch die Weich-
lich. Belastende Aktivitäten in Flexion beein- le funktionelle Progression in der neuromus-
teile kontrolliert wird. Der normale Bewe- flussen über die Muskelkraft des Quadrizeps kulären Kontrolle zu erlauben.
gungsablauf der Patella ist „C-förmig“ (la- die patellofemoralen Gelenkreaktionskräfte.
teral geöffnet) mit einer lateralisierten Pa- Übungen in der offenen und geschlossenen Schlüsselwörter
tella am Start (0°) und in der Endstellung Kette sollten in schonenden Bewegungsam- Biomechanik · Patellofemoralgelenk ·
(135°) [26]. plituden ausgeführt werden, indem sie ei- Übungen · Offene/geschlossene Kette · Re-
ne Quadrizepsaktivierung mit möglichst ge- habilitation
In voller Extension steht die Patella
(am mobilsten in dieser Position) in Kon-
takt mit dem Hoffa-Fettkörper. Bei der Biomechanical issues in patellofemoral joint rehabilitation
Quadrizepskontraktion verschiebt sich
die Patella wegen dem Valgusvektor un- Abstract
Specific knowledge of the biomechanics of in a safe range of motion to allow quadriceps
gefähr 8–10 mm nach kraniolateral [25].
the patellofemoral joint is crucial for suc- activation while minimizing patellofemoral
In Flexion (automatische Tibiainnenro- cessful nonoperative or postsurgical rehabil- joint reaction forces. The isolated knee exten-
tation gegenüber dem Femur) beginnt itation. The biomechanical aspects of differ- sion (90°–40°), the squat (0°–30°–60°), and
der Kontakt mit der Trochlea bei ca. 10°. ent situations should be considered when the leg press (0°–30°–60°) are the three main
Zwischen 20° und 30° Flexion erfährt die designing an exercise program. Joint reac- exercise situations in the acute rehabilitation
Patella durch die Trochlea einen leichten tion forces, contact area, and contact stress phase. Controlled body positions and low
are dependent on flexion angle and exer- levels of pain and symptoms should also be
Vorschub und ab 30° Flexion wird die Pa-
cise situations. In weight-bearing activities, emphasized to achieve a functional progres-
tella zunehmend in die Trochlea eingebet- the amount of knee flexion directly influenc- sion, focusing on neuromuscular control.
tet [26]. Diese Betrachtung gilt v. a. in der es the magnitude of quadriceps muscle force,
offenen Kette (OK), in der sich die Tibia which affects the magnitude of patellofem- Keywords
gegenüber einem fixen Femur bewegt. In- oral joint reaction forces. Open and closed Biomechanics · Patellofemoral joint · Exer-
teressanterweise agiert die Patella in der chain exercises should be performed with- cises · Open/closed chain · Rehabilitation
geschlossenen Kette (GK, wo das Femur
sich gegenüber der fixen Tibia bewegt)
wie eine Art „dynamisches Olecranon“.
Das Femur bewegt sich hinter der Patella
und seine Bewegungen (z. B. die Rotati-
onen) bestimmen sowohl die Stellung der
Patella als auch die Ausrichtung der Patel-
larsehne [20].

Patellofemorale Kontaktflächen

Die Patella gleitet ab ca. 10° Flexion in der


Trochlea. Bei ca. 20° Flexion steht der un-
tere Teil der Patella in Kontakt mit dem
oberen Teil der Trochlea und die Kon-
taktfläche beträgt ca. 1,0–1,5 cm2. Mit zu-
nehmender Flexion wird die Kontakt-
fläche größer. Bei ca. 60° Flexion steht

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Leitthema

Tab. 2  Frührehabilitation des patellofemoralen Gelenks. Übungssituationen mit den kann. Im Gegensatz dazu vergrößert sich
sicheren Bewegungsamplituden und anderen Charakteristiken. (Mod. nach [28]) die Kontaktfläche bei GK-Übungen mit
Übungs­ Offene vs. Ausführung:   Sichere Muskuläre Aktivität: zunehmender Flexion (z. B. „squat“ zwi-
situation geschlossene statisch vs. dyna- Bewegungs­ Verhältnis Quadrizeps: schen 0° und 60°), was zu einer Verteilung
Kette (OK/GK) misch (stat/dyn) amplitude [°] Hamstrings der GRK auf ein größeres Areal führt. Sol-
Extension I OK Stat 0 10:1 che Übungen können somit von Patienten
Extension II OK Dyn 90–40 6:1 mit symptomatischem PFG besser tole-
Flexion OK Dyn 0–90 1:10 riert werden.
Fahrrad­ Mix OK-GK Dyn Verkürzte Pedal- “1:1”
ergometer kurbel, Biomechanische Aspekte
hoher Sattel
von Übungen
Kniebeuge I GK Stat/dyn 0–30 1:1
(squat)
Die Verbesserung oder Wiederherstellung
Kniebeuge II GK Stat/dyn 0–60 2:1
(squat) der Quadrizepskraft ist einer der Schwer-
Beinpresse I GK Stat/dyn 0–30 2:1 punkte in der Rehabilitation von patello-
(leg press) femoralen Problemen [5, 29]. Die ver-
Beinpresse II GK Stat/dyn 0–60 3:1 schiedenen Übungen können verschie-
(leg press) dene GRK auslösen und sollten dement-
Stat statisch, dyn dynamisch. sprechend differenziert betrachtet werden
[19]. Die Übungen können in 2 Gruppen
kategorisiert werden: Übungen in der of-
der mittlere Teil der Patella in Kontakt wirkt eine Dorsalisierung des Körper- fenen Kette (OK, z. B. Beinstrecken aus
mit dem unteren/vorderen Teil der Tro- schwerpunktes eine Erhöhung des Hebel- dem Sitzen) und in der geschlossenen
chlea und die Kontaktfläche vergrößert arms und somit eine größere GRK. Kette (GK, z. B. Kniebeuge aus dem Ste-
sich auf ca. 2,5–3,5 cm2. In ca. 90° Flexion Reilly u. Martens [21] untersuchten die hen [22]). Übungen in der GK werden als
liegt die Kontaktzone im oberen Teil der GRK während verschiedenen Aktivitäten „funktioneller“ betrachtet, weil sie Alltags-
Patella und die Kontaktfläche beträgt ca. und fanden eine GRK von 0,5×Körperge- situationen (wie: Treppe auf-/abwärtsge-
3,5–6,0 cm2 [16]. Bei zunehmender Flexi- wicht (KG) beim flachen Gehen, 3,3×KG hen) besser simulieren, währendem klas-
on (ca. 135°) ändert sich die Situation: die beim Treppensteigen und bis zu 7- bis 8- sischerweise OK-Übungen als isolierte
Kontaktzonen der Patella (lateral und me- mal KG bei tiefen Kniebeugen (squats). Kräftigungsübungen (z. B. Knieextension
dial) sind lateral größer als medial [1] und Huberti u. Hayes [15] untersuchten in für Quadrizepsschwäche) gelten.
die Kontaktfläche ist kleiner als in 90° Fle- einer Kadaverstudie u. a. die Kontakt- Einige Autoren haben sich mit den bio-
xion. Gleichzeitig steht die Quadrizeps- flächen und die GRK in verschiedenen mechanischen Aspekten der verschie-
sehne ab 90° Flexion in Kontakt mit der Flexionswinkeln: die Kontaktfläche er- denen Übungen befasst [6, 9, 10, 23, 28].
Trochlea, wodurch die Kompressionskräf- höhte sich dabei progressiv bis 90° Flexi- Besonders interessant ist die Arbeit von
te zwischen der Sehne und der Patella ver- on, während die größte GRK zwischen 60° Steinkamp et al. [23]. Sie untersuchten die
teilt werden [11]. und 90° Flexion (und signifikant kleiner Biomechanik des PFG während Beinpress-
bei 20–30°) dokumentiert wurde. (leg press; GK) und Beinstreckübungen
Patellofemorale Gelenkreakti- (leg extension; OK) bei 20 gesunden Pro-
onskräfte (Kompressionskräfte) E Tiefe Kniebeugen können GRK banden. Dabei wurden das Kniegelenk-
am PFG vom 7- bis 8fachen drehmoment, die GRK und der Druck
Die patellofemorale Gelenkreaktionskraft Körpergewicht verursachen. (die 3 Parameter mit einer klinischen Be-
(GRK) ist die resultierende Kraft aus den deutung) in verschiedenen Winkeln be-
Quadrizeps- und Patellarsehnenkräf- rechnet. Im Vergleich waren alle 3 Para-
ten [1]. Die GRK erhöht sich mit zuneh- Patellofemoraler Druck meter in der „Leg-extension-Situation“
mender Flexion. Quadrizeps- und Patel- bei 0° und 30° Flexion signifikant höher.
larsehnenkraft sind nicht gleich und ihr Der patellofemorale Druck (Kontakt- Bei 60° und 90° Flexion waren alle 3 Pa-
Verhältnis ist während der ganzen Be- stress) wird mit der GRK geteilt durch rameter in der „Leg-press-Situation“ deut-
wegungsamplitude nie 1:1. In der Analy- die Kontaktfläche berechnet [1]. In den lich höher. Der patellofemorale Druck
se der GRK müssen auch das Femur und Winkelbereichen mit kleinen Kontaktflä- kreuzt sich für diese 2 Übungssituationen
das Hüftgelenk berücksichtigt werden [2]. chen (d. h. extensionsnah) kann ein ho- bei 48° Flexionswinkel. Auch die anderen
Wenn der Körperschwerpunkt (z. B. mit her retropatellarer Druck entstehen (z. B. 2 Parameter kreuzen sich in einem ähn-
einer Hüftflexion) nach vorne verlagert mit Quadrizepsübungen in der OK ge- lichen Flexionswinkel von ±2°.
wird, reduziert sich das Flexionsmoment: gen Widerstand zwischen 40° und 0°), Diese Intersektionspunkte sind inso-
eine kleinere Quadrizepskraft bedeutet welcher die Symptomatik (bei vorhande- fern wichtig, weil sie aufzeigen, in welcher
auch eine kleinere GRK. Anderseits be- nem Problem) potentiell verschlimmern Situation und in welchen Winkeln diese

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2 Übungen kleinere Drehmomente, we- kraft und damit die resultierende GRK. Dennoch sollten Quadrizepsübungen
niger GRK und weniger Druck auslösen Bei der Kniebeuge (GK, squat) können in der OK aber nicht vernachlässigt wer-
können (und somit potentiell sicherer für die Mm. vastii ca. um 50% mehr aktiviert den, weil diese selektiv die Muskulatur
den Patienten sind). Zusammenfassend werden als bei OK-Übungen. Die größte am besten innervieren können. Solche
liegen die schonenden Winkelbereiche Quadrizepsaktivierung beim „squat“ er- Übungen können eine bis zu 45% stärkere
bei der Beinspresse <48° Flexion (also reicht ihr Maximum in ca. 80–90° Flexi- Aktivierung des M. rectus femoris bewir-
zwischen 0° und 50°) und bei der Bein- on. Escamilla et al. [9, 10] fanden bei der ken als Übungen in der GK [12, 19]. Der
streckübung >48° (also zwischen 50° und „leg press“ höhere GRK als bei den „squats“ Hebelarm des Quadrizeps vergrößert sich
90°). Zu ähnlichen Resultate kamen Es- in ca. 90° Flexion. Dies erklärt warum Pa- bei gleichzeitiger Reduktion der GRK mit
camilla et al. [9] in einer Studie über die tienten mit patellofemoralen Probleme in der Extension. Untersuchungen zeigten,
GRK während der OK-Extension (leg ex- der Frührehabilitation bei der Beinpresse dass in den letzten 30° zur vollen Extensi-
tension), der Beinpresse (leg press) und etwas mehr Beschwerden als in der Knie- on viel mehr Quadrizepskraft notwendig
der Kniebeuge (squat). beuge (auch bei kontrollierten Flexions- ist, um das Kniegelenk voll zu strecken (2-
winkeln) haben können. bis 3-mal mehr zwischen 30° und 0° als
E Leg-press-Übungen (GK) sollten Es scheint also logisch, dass die GRK zwischen 90° und 30°).
zwischen 0–50°, Leg-extension- (mit der assoziierten Symptomatik) am Die klinische Bedeutung einer Quadri-
Übungen (OK) zwischen 50–90° besten in reduzierter Flexion minimier- zepsschwäche (fehlende Kraft und Inner-
durchgeführt werden. bar und kontrollierbar sind. Da in vielen vation) ist die aktive Insuffizienz dieser
Alltags- und Sportsituationen das Kniege- wichtigen Muskulatur. Die dynamische
Während dynamischen Aktivitäten füh- lenk zwischen 0° und 50° Flexion belastet Aktivierung des Quadrizeps in der OK
ren sowohl die Quadrizepskontraktion wird, würde man postulieren, dass Reha- zwischen 40° und 0° wird in der Frühpha-
wie auch das Körpergewicht zu einwir- bilitationsübungen für das PFG am besten se nicht empfohlen (s. Begründung oben).
kenden Kräften im und um das PFG. In in dieser Bewegungsamplitude ausgeführt Eine statische Innervation des Quadri-
der Regel gilt, dass je höher der Flexions- werden sollten. zeps in der Streckung ist jedoch sinnvoll
winkel, desto höher ist die Quadrizeps- und wichtig: die Muskulatur soll die Pa-
Leitthema

tella aktiv kranialisieren können. Falls


die willkürliche Innervation nicht genügt,
kann die Verwendung der Elektrostimu-
lation hilfreich sein [27].

Übungsauswahl

Basierend auf den biomechanischen As-


pekten von verschiedenen Übungen ist es
möglich, eine Auswahl an OK- und GK-
Übungen zu treffen. Das Ziel besteht dar-
in, eine optimale und sichere muskuläre
Aktivierung und Stabilisierung um das
patellofemorale Gelenk zu erreichen, oh-
ne dabei eine hohe GRK und/oder einen
hohen Druck (mit potentieller Sympto-
Abb. 7 8 Einbeinige Kniebeuge: dynamische matik als Folge) auszulösen. Die Übungen
Arbeit zwischen 0°und 30° gegen einen late-
ralen Theraband-Widerstand (um die neuro- sind in . Tab. 2 zusammengefasst.
muskuläre Kontrolle zu erschweren) Eine genügende Quadrizepsinnervati-
on und eine gute sensomotorische Kon-
trolle des Knies und des Körpers sind
Abb. 9 8 Kniebeugevariante „Step-down-
Voraussetzungen für eine optimale Trai-
Übungssituation“: dynamische Arbeit (Fo-
kus: eher exzentrische Quadrizepsarbeit) mit ningsbasis (. Abb. 1, 4, 7). Die Progres-
sukzessiver Anpassung der Kastenhöhe an sion in der Rehabilitation wird dann in-
die individuelle Kontrollfähigkeit. Die Stö- dividuell abgestimmt und ist abhängig
cke können hier auch eine entlastende Funk- vom Gelenkstatus (üben mit minimalen
tion haben
Schmerzen und Symptomen) und von
der jeweiligen neuromuskulären Kontrol-
le der verschiedenen Schwierigkeitsstufen
der Übungssituationen [4]. In der Praxis
hat sich ein Belastungsaufbau von 2 auf
1 Bein bewährt, wobei man sukzessiv die
statischen, dynamischen und reaktiven
Komponenten der Muskelaktivierungen
integriert. Hilfsmittel, wie labile Unterla-
gen, können auch in der Frührehabilita-
tion die neuromuskulären Stabilisations-
synergien gezielt fördern ([4], . Abb. 1,
2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9).

Biomechanische Dysfunktionen
der unteren Extremität
Abb. 8 8 Kniebeugevariante „Lateral-step-up-
Übungssituation“: dynamische Arbeit (Fokus: Intrinsische strukturelle Faktoren (wie
eher konzentrische Quadrizepsarbeit) mit suk- z. B. eine Trochleadysplasie) und extrin-
zessiver Anpassung der Kastenhöhe an die in-
sische strukturelle Dysfunktionen (wie
dividuelle Kontrollfähigkeit. Die Stöcke sollten
als Hilfe in der Gleichgewichterhaltung und z. B. eine vermehrte Pronation oder ei-
nicht als Stützen dienen Abb. 10 8 Destabilisierte Körperstellung ne insuffiziente neuromuskuläre Kontrol-
(„medialer Kollaps“) in der Einbeinbelastung le der unteren Extremität) sollten in der
als Zeichen der ungenügenden neuromusku- Rehabilitation berücksichtigt werden. Sol-
lären Kontrolle und insuffizientem Kraftpoten- che Problematiken beeinflussen ebenfalls
tial der Rumpf-Becken-Beinmuskulatur
die Biomechanik des PFG [29]. Bei den
intrinischen Faktoren ist die Kommuni-
kation zwischen Spezialist und Physiothe-
rapeut entscheidend: die genaue Kenntnis
von anatomischen Varianten ermöglichen

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einerseits die Anpassung des Programms, achtet werden. Eine destabilisierte unte- 15. Huberti HH, Hayes WC (1984) Patellofemoral con-
tact pressures. The influence of q-angle and tendo-
anderseits definiert sie die Grenzen der re Extremität kann eine patellofemorale femoral contact. J Bone Joint Surg Am 66(5): 715–
Übungsmöglichkeiten. Die extrinsischen Symptomatik zur Folge haben. 724
Faktoren sind oft nur durch eine sorgfäl- 16. Hungerford DS, Barry M (1979) Biomechanics of
the patellofemoral joint. Clin Orthop Relat Res
tige Anamnese und Untersuchung zu ent- Korrespondenzadresse (144): 9–15
decken: eine allgemeine Betrachtung des M. Bizzini  17. Lindahl O, Movin A (1967) The mechanics of exten-
Körpers in seiner statischen und dyna- Neuromuscular Research   sion of the knee-joint. Acta Orthop Scand 38(2):
Laboratory, Schulthess-Klinik 226–234
mischen Stabilisierungsfähigkeit ist dabei 18. Mascal CL, Landel R, Powers C (2003) Manage-
Lengghalde 2, CH-8008 Zürich
eminent wichtig [4]. Schweiz
ment of patellofemoral pain targeting hip, pel-
In der Praxis ist man oft mit dem vis and trunk muscle function: 2 case reports. J Or-
mario.bizzini@kws.ch thop Sports Phys Ther 33(11): 647–660
Bild des „medialen Kollaps“ konfrontiert 19. McGinty G, Irrgang JJ, Pezzullo D (2000) Biomecha-
(. Abb. 10): durch eine fehlende neuro- nical considerations for rehabilitation of the knee.
muskuläre Kontrolle drehen Femur und Clin Biomech 15(3): 160–166
Interessenskonflikt.  Der korrespondierende Autor 20. Müller W, Wirz D (2000) Anatomie, Biomechanik
Tibia nach innen und stabilisieren sich gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. und Dynamik des Patellofemoralgelenks. In: Wirth
v. a. in den Kapsel-Band-Strukturen [4]. C, Rudert M (Hrsg) Das patellofemorale Schmerz-
Die Situation ist auch oft mit einem un- syndrom. Steinkopff, Darmstadt
21. Reilly DT, Martens M (1972) Experimental analysis
genügenden Kraftpotential (Quadrizeps- Literatur of the quadriceps muscle force and patello-femo-
und Glutealmuskulatur) und einseitigen ral joint reaction force for various activities. Acta
muskulären Verhärtungen (VL, M. tensor   1. Amis A (2004) Patellofemoral joint biomechanics. Orthop Scand 43(2): 126–137
In: Biedert R (Hrsg) Patellofemoral disorders. Dia- 22. Steindler A (1955) Kinesiology of the human body.
fascia latae) assoziiert. gnosis and treatment. Wiley, Chichester, UK Thomas, Springfield, IL
In dieser Situation erfährt auch das   2. Bandi W (1972) Chondromalacia patellae and fe- 23. Steinkamp LA, Dillingham MF, Markel MD et al.
patellofemorale Gelenk (und seine um- moro-patellar arthrosis, etiology, clinical aspects (1993) Biomechanical considerations in patellofe-
and therapy. Helv Chir Acta 39(Suppl 11): 1–70 moral joint rehabilitation. Am J Sports Med 21(3):
liegenden Strukturen) abnormale Scher-   3. Biedert RM, Sanchis-Alfonso V (2002) Sources of 438–444
und Kompressionskräfte, die zu Symp- anterior knee pain. Clin Sports Med 21(3): 335– 24. Toumi H et al. (2007) New insights into the func-
tomen führen können. Hier kann ein 347 tion of the vastus medialis with clinical implica-
  4. Bizzini M (2000)Sensomotorische Rehabilitation tions. Med Sci Sports Exerc 39(7): 1153–1159
sensomotorsiches Training, welches auf nach Beinverletzungen. Thieme, Stuttgart 25. van Eijden TM, de Boer W, Weijs WA (1985) The ori-
die Verbesserung der neuromuskulären   5. Bizzini M, Childs JD, Piva SR, Delitto A (2003) Syste- entation of the distal part of the quadriceps femo-
Kontrolle fokusiert, entscheidend helfen matic review of the quality of randomized control- ris muscle as a function of the knee flexion-exten-
led trials for patellofemoral pain syndrome. J Or- sion angle. J Biomech 18(10): 803–809
[4, 18]. Es ist deswegen von Bedeutung, thop Sports Phys Ther 33(1): 4–20 26. van Kampen, A. Huiskes R (1990) The three-dimen-
dass bei den Übungen in der GK immer   6. Cohen ZA, Roglic H, Grelsamer RP et al. (2001) Pa- sional tracking pattern of the human patella. J Or-
auf eine optimale Körperkontrolle geach- tellofemoral stresses during open and closed kine- thop Res 8(3): 372–382
tic chain exercises. An analysis using computer si- 27. Werner S et al. (1993) Electrical stimulation of vas-
tet wird. Bei anderen Problematiken (z. B. mulation. Am J Sports Med 29(4): 480–487 tus medialis and stretching of lateral thigh musc-
verstärkte Pronation des Fußes) können   7. Dye SF (1996) The knee as a biologic transmissi- les in patients with patello-femoral symptoms.
spezielle Einlagen helfen [5, 8]. on with an envelope of function: a theory. Clin Or- Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 1(2): 85–92
thop Relat Res (325): 10–18 28. Wilk KE et al. (1996) A comparison of tibiofemo-
  8. Eng JJ, Pierrynowski MR (1993) Evaluation of soft ral joint forces and electromyographic activity du-
Fazit für die Praxis foot orthotics in the treatment of patellofemoral ring open and closed kinetic chain exercises. Am J
pain syndrome. Phys Ther 73(2): 62–70 Sports Med 24(4): 518–527
  9. Escamilla RF, Fleisig GS, Zheng N et al. (1998) Bio- 29. Wilk KE, MM R (2001) Principles of Patellofemoral
Durch seine besondere Anatomie, Bio- mechanics of the knee during closed kinetic chain Rehabilitation. Sports Med Arthrosc 9: 325–336
mechanik und Sensorik stellt das patello-  and open kinetic chain exercises. Med Sci Sports 30. Zhang LQ et al. (2003) In vivo load sharing among
femorale Gelenk eine echte Herausfor- Exerc 30(4): 556–569 the quadriceps components. J Orthop Res 21(3):
10. Escamilla RF, Fleisig GS, Lowry TM et al. (2001) Ef- 565–571
derung für den behandelnden Arzt und fects of technique variations on knee biomecha-
Physiotherapeuten dar. Nur Dank spe- nics during the squat and leg press. Med Sci Sports
zifischen Kenntnissen in diesen Berei- Exerc 33(9): 1552–1566
11. Goymann V, Haasters J, Heller W (1974) Procee-
chen ist es möglich, den Patienten op- dings: Current studies on the biomechanics of the
timal zu betreuen. Die Übungsauswahl patella. Z Orthop Ihre Grenzgeb 112(4): 623–625
ist in der Rehabilitation von Bedeu- 12. Grood ES, WJ Suntay, FR Noyes et al. (1984) Biome-
chanics of the knee-extension exercise. Effect of
tung: die Übungen sollten die umlie- cutting the anterior cruciate ligament. J Bone Joint
gende Muskulatur (v. a. Quadrizeps) be- Surg Am 66(5): 725–734
anspruchen, ohne jedoch große Gelenk- 13. Hehne HJ (1990) Biomechanics of the patellofe-
moral joint and its clinical relevance. Clin Orthop
reaktionskräfte auszulösen. Dies bedeu- Relat Res (258): 73–85
tet für die Frührehabilitation, dass so- 14. Hubbard JK, Sampson HW, Elledge JR (1997) Pre-
wohl Übungen in der offenen als auch in valence and morphology of the vastus media-
lis oblique muscle in human cadavers. Anat Rec
der geschlossenen Kette in schonenden 249(1): 135–242
Bewegungsamplituden auszuführen
sind. In jeglicher Übungssituation soll-
te auf eine optimale Körperkontrolle ge-

Der Orthopäde 9 · 2008  | 871

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