Sie sind auf Seite 1von 2

Geisterfotografie im 19. und 20.

Jahrhundert 25

Dennoch macht man es sich zu einfach,

Spiritisten, Scharlatane,
wenn man den „modernen Spiritismus“
einfach als antiaufklärerischen oder naiven
Versuch der Wiederverzauberung der
Welt oder als Überbleibsel eines aber-

Aufklärer
gläubischen Denkens abtut. In vielerlei
Hinsicht ist die Bewegung tatsächlich eine
im engeren Sinn „moderne“ Massenbewe-
gung, deren gesellschaftliche Bedeutung
nicht unterschätzt werden sollte: Die ver-
* meintlichen Geister äußern sich zunächst
bevorzugt durch Frauen und verleihen
Geisterfotografie im 19. und 20. Jahrhundert diesen dadurch eine zuvor kaum denkbare
Autorität. So überrascht es nicht, dass die
frühe amerikanische Frauenrechtsbewe-
von Dr. Dominik Schrey gung aus dem Spiritismus hervorgeht.
Außerdem vertritt die Bewegung einen
dezidiert wissenschaftlichen Anspruch.

Bildquelle / Getty‘s Open Content Program


Aus heutiger Sicht mag es verwundern,
wie viele prominente Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler des 19. und frühen
20. Jahrhunderts bekennende Spiritisten
sind: von William Crookes über Sir Alfred
Ungefähr zur selben Zeit, als Marx und zunehmend spektakuläre Séancen prä- „Summerland“ freuen, der im Wesent- Russel Wallace zu Oliver Lodge und
Engels ihr kommunistisches Manifest ver- sentiert. Andere „Medien“ und Geisterseher lichen so aussieht wie das Diesseits, nur Charles Richet, der heute wahrscheinlich
fassen, in dem es heißt, ein Gespenst gehe schließen sich der in rasantem Tempo dass das Wetter besser ist und es keinerlei weniger als Nobelpreisträger für Medizin
um in Europa, wird auch der Nordosten wachsenden Bewegung an und sorgen für Leiden gibt. 40 Jahre später, im Jahr 1888, bekannt sein dürfte denn als Erfinder des
der USA von einer Geistererscheinung deren theoretischen Unterbau. Dabei ist geben die Schwestern schließlich zu, die aus Ghost Busters bekannten „Ektoplas-
heimgesucht. Anders als in Europa äußert die Lehre des „modernen Spiritismus“ Klopfgeräusche selbst mit ihren Zehen mas“. Andere zählen sich zwar nicht der
diese sich jedoch nicht in politischen Un- deutlich versöhnlicher als die der christ- erzeugt zu haben, doch selbst dieses Bewegung zu, nehmen aber dennoch
ruhen, sondern vor allem in nächtlichen lichen Kirche: Statt sich vor Fegefeuer Geständnis kann die modische Bewegung interessiert an deren Séancen teil: so
Ruhestörungen: 1847/48 macht im Haus oder Hölle fürchten zu müssen, kann man zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ernsthaft etwa Marie und Pierre Curie, der Philo-
der Familie Fox in Hydesville bei Rochester sich nach dem Tod auf einen Ort namens diskreditieren. soph Henri Bergson oder Schriftsteller
wiederholt ein Poltergeist durch laute wie Thomas Mann und Rainer Maria Rilke.
Klopfgeräusche auf sich aufmerksam. Die William H. Mumler: Porträt von Bronson Murray mit dem Geist
drei Töchter der deutschen Einwanderer- Die meisten wissenschaftlichen und tech- seiner Frau (ca. 1870 und 1875)
familie erkennen diese Geräusche als ver- nischen Innovationen des 19. Jahrhun-
schlüsselte Botschaften und beginnen, sie derts werden in diesem Kontext schnell
einem Morsecode gleich zu dechiffrieren. eingesetzt, um die Existenz von Geistern Zu der damals dominanten Leitmetapher unterhalb der Wahrnehmungsschwelle
Nicht ganz unbedeutend für diese folgen- zu belegen oder mit diesen zu kommuni- einer gleichsam magischen „Selbstabbil- bleiben, und noch im 19. Jahrhundert
reiche Idee dürfte die Tatsache gewesen zieren. Die Spiritisten sind in vielerlei dung der Natur“ gesellt sich bald die Vor- gelingt es zum Beispiel Ernst Mach, die
sein, dass unmittelbar zuvor die ersten Hinsicht „early adopters“ neuer Medien- stellung, dass die Fotokamera auch Dinge Luftverdichtungswellen, die sich um ein
Telegrafenlinien durch Rochester verlegt technologien, deren Black Boxes „immer aufzeichnen könne, die dem menschlichen abgefeuertes Pistolenprojektil bilden,
wurden und die Zeitungen deshalb voll schon Gespenstererscheinungen“ liefern, Auge verborgen bleiben: Die Fotografie fotografisch festzuhalten.
von Artikeln über diese neue Kommunika- wie es bei Friedrich Kittler heißt. In ganz gebe die Realität also nicht nur exakt wie-
tionstechnologie sind. besonderem Maße trifft dies natürlich auf der, sondern sei zugleich auch „reichhal- In dieser Phase der wissenschaftlichen
Foto / dimitris_k / shutterstock.com

In dieser Stimmung berichten die Mäd- die Fotografie zu, die gleich im doppeltem tiger“ als deren Alltagswahrnehmung. Vor Erkundung des Sichtbaren mit Hilfe der
chen unter ebenfalls großem öffentlichen Sinn eine Black Box ist: einerseits als dem Hintergrund der zahlreichen wissen- neuen Medientechnologie entdeckt auch
Interesse über ihre Kommunikation mit Camera Obscura (Prinzip der Lochkamera) schaftlichen Anwendungen der Fotografie der Spiritismus die Fotografie als ideale
dem Geist eines – wie sie nun wissen – vor des Apparats, andererseits als Dunkel- und der dadurch angestoßenen Wissens- Methode für seine Bestrebungen, Geister-
Jahren in ihrem Familienheim ermordeten kammer für die Entwicklung. Ohnehin explosion wirkt diese Annahme durchaus erscheinungen empirisch nachweisbar zu
Hausierers. Schon bald gehen sie mitsamt wurden die „Lichtbilder“ seit ihrer Erfin- plausibel: Die Verbindung von Fotografie machen. Geleitet von der Hoffnung, dass
ihrem zahm gewordenen Poltergeist auf dung in den 1820er und 1830er Jahren mit Mikroskop und Teleskop vermittelt die visuelle Evidenz der fotografischen
eine kommerziell überaus erfolgreiche gerne mit Metaphern aus dem Bereich der erstmals einem breiteren Publikum Ein- Aufzeichnung die wachsende Zahl von
Tournee, die sie bis nach Europa führt. Magie, des Animismus oder auch der blicke in vorher unzugängliche Mikro- und Skeptikern von der Validität spiritistischer
Überall ist das Publikum fasziniert von Heilsgeschichte beschrieben, so irritierend Makrowelten, Langzeitbelichtungen ma- Glaubensinhalte überzeugt, entsteht um
den Performances der Schwestern, die so und faszinierend war das Verfahren, mit chen die Erdrotation im Bild sichtbar, die Mitte des 19. Jahrhunderts ein florie-
nicht nur eine quasireligiöse Bewegung dem erstmals automatisiert flüchtige Chronofotografien zerlegen komplexe render Markt für Geisterfotografien. Diese
begründen, sondern auch eine lukrative Bildeindrücke auf einem materiellen Trä- Bewegungsabläufe in zahlreiche Einzel- lassen sich grob in drei Kategorien unter-
Form der modernen Massenunterhaltung: ger gespeichert werden konnten, für die bilder und bringen so Details hervor, die teilen:
Für Eintrittsgeld bekommt das Publikum Medium mit Ektoplasma Zeitgenossen. sonst aufgrund ihrer Geschwindigkeit
Geisterfotografie im 19. und 20. Jahrhundert 27

1. Die Geisterfotografien im engeren Sinne:


Meistens handelt es sich um klassische
Porträtfotos, auf denen neben oder
hinter der fotografierten Person mehr
oder weniger schemenhafte Figuren
schweben, die jedoch erst bei der Ent-
wicklung „sichtbar werden“.

Bildquelle / Metropolitan Museum of Art


2. Sogenannte Fluidal- oder Energiefoto-
grafien: Auch hier soll eigentlich Unsicht-
bares sichtbar gemacht werden, aller-
dings nicht Geister im figurativen Sinn,
sondern lediglich Spuren einer geister-
haften Sphäre jenseits unserer Wahr-
nehmungskapazitäten. Häufig handelt
es sich um kameralose Fotografien, die
etwa dadurch entstehen, dass sich ver-
meintlich medial begabte Personen
eine unbelichtete fotografische Platte
vor den Kopf halten, um ihre Gedanken
darauf zu projizieren. Einen Höhepunkt
erlebt diese Art von Fotografie nach der

Bildquelle / Library of Congress


Entdeckung der Röntgenstrahlung, die H. K. Browne: Stereogramm aus der Serie The Ghost in the Stereoscope (ca. 1859-1865)
von vielen Spiritisten gefeiert wird, weil Die Doppelbelichtung gehört spätestens ab den 1860er Jahren zum Standardinventar der Unterhaltungsbilder etwa des
sie die Annahme zu bestätigen scheint, Stereoskops. Eine der ältesten erhaltenen Geisterfotografien ist kein Foto mit Täuschungsabsicht, sondern erzählt eine
dass der Fotografie ein ungleich brei- explizit fiktionale Geschichte.
teres Wahrnehmungsspektrum als dem
menschlichen Auge zur Verfügung steht.
und explizit verspricht, durch Bildmani- im Zuge der Digitalisierung der Fotografie, Attraktionswert verfügten – und zwar
3. Die fotografische Dokumentation von pulation jede von den Kunden gewählte die heute häufig als Ursprung des verlore- unabhängig davon, ob man an Geister
Séancen, Levitationen (freies Schweben Person als Geist abbilden zu können. nen Vertrauens in die Fotografie betrach- glaubte oder nicht. Deshalb sollten diese
eines Objektes) und „Materialisations- tet wird. So wurden – durchaus vergleich- Praktiken nicht zuletzt als Teil einer frü-
phänomenen“ – etwa das Austreten Diese Geschichten haben jedoch mehr als bar mit heutigen Diskussionen über hen massenmedialen Unterhaltungskultur
des bereits erwähnten „Ektoplasmas“ anekdotischen Charakter. Tatsächlich be- online auftauchende Fotos unbekannten verstanden werden, wie zuletzt Simone
aus verschiedenen Körperöffnungen Plakat zu einer Bühnenshow von Harry Houdini (1909) legen sie, dass schon um 1870 ein Foto Ursprungs – auch damals vehemente Natale in seinem Buch Supernatural Enter­
eines „Mediums“. Hier ist die Fotografie selbst nicht mehr als beweiskräftig genug Debatten über die Authentizität dieser tainment bewiesen hat. Neben dieser Seite
auf ihre klassische Funktion beschränkt angesehen wird, um zweifelsfrei die Exis- Bilder geführt. Dies ging so weit, dass die des Massenkonsums gibt es aber auch
und bildet nur das ab, was auch die Mumler versicherte zeitlebens, zum Zeit- sind sich bereits die Zeitgenossen Mumlers tenz etwa von Geistern zu belegen. Viel- überzeugten Spiritisten verschiedene noch einen eher privaten Aspekt: Sicher-
Anwesenden sehen, sie ist also im punkt der Aufnahme nicht gewusst zu sehr wohl der vielfältigen Manipula- mehr ist eine begleitende Geschichte über wissenschaftliche Anordnungen erdachten, lich nicht zufällig erlebte das Genre seine
Gegensatz zu den ersten beiden Kate- haben, wen er da in seinem Studio foto- tionsmöglichkeiten fotografischer Bilder die Entstehung dieser Fotografie oder die die die Betrugsmöglichkeiten minimieren größten Konjunkturen nach den verschie-
gorien selbst nicht notwendiger Teil der grafiert hatte. Angeblich erkannte er erst bewusst. Dieselben Techniken – Doppel- moralische Integrität des Fotografen not- sollten. denen Kriegen auf dem amerikanischen
Anordnung. durch die Materialisation des toten Ex- belichtung, Retusche, der Einsatz soge- wendig, um die Glaubwürdigkeit des und europäischen Kontinent. Tatsächlich
Präsidenten auf der fotografischen Platte nannter Geisterstempel und verschiedener Fotos überhaupt erst zu erzeugen. Damit Zudem verstellt dieser Fokus auf die De- scheint es einen regelrechten Markt für
Als erster professioneller Geisterfotograf die inkognito reisende Witwe Lincoln. chemischer Substanzen – finden gleich- soll nicht behauptet werden, dass es batte zwischen Skeptikern und Gläubigen Geisterfotografien als Auftragsarbeiten
gilt William H. Mumler aus Boston, dessen Noch im frühen 20. Jahrhundert sind pro- zeitig auch in anderen populären Anwen- einen Glauben an die fotografische Objek- den Blick auf die vielfältigen sozialen zu Zwecken der Trauerarbeit gegeben zu
Berühmtheit auf ein spektakuläres Ge- minente Verteidiger des mittlerweile an dungen der Fotografie breiten Einsatz tivität im 19. Jahrhundert nicht gab, Praktiken, die mit der Geisterfotografie haben: Nach dem Tod von Angehörigen
richtsverfahren wegen Betruges zurück- Relevanz verlierenden Spiritismus wie und werden in zahlreichen Fach- und sondern, dass es gerade die Geisterfoto- im 19. Jahrhundert verbunden waren. konnte man diese so zumindest im Bild
geht, über das auch international breit etwa Sir Arthur Conan Doyle von der Echt- Publikumszeitschriften ausführlich vorge- grafie ist, die diesen Glauben zum ersten Man sollte nicht vergessen, dass die spiri- wieder in den Kreis der Familie einglie-
berichtet wurde. Vom Gericht in Auftrag heit dieses Fotos überzeugt. Um den stellt. Neben den vorgeblich authentischen Mal nachhaltig erschüttert – und zwar tistischen Fotografien genauso wie auch dern.
gegebene Fachgutachten belegen 1869, sonst eher für seinen rationalen Scharf- Geisterfotografien zirkulieren in der zwei- über hundert Jahre vor den Diskussionen die Séancen über einen erheblichen
dass es sich bei seinen Arbeiten um Dop- sinn bekannten Autor der Sherlock- ten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch zahl-
pelbelichtungen handelt, dennoch wird er Holmes-Geschichten zu provozieren, lässt reiche offenkundig ironische Fotos mit
mangels Beweisen für eine absichtliche 1920 auch der Bühnenmagier Harry Geistern, Elfen und ähnlichen Wesen, die
Täuschung freigesprochen. Der Prozess Houdini Fotos von sich mit dem Geist aus ihrem Status als Fälschungen über-
kann seiner Popularität jedoch nicht Lincolns anfertigen und erklärt öffentlich, haupt keinen Hehl machen. Dem Franzosen
schaden – anders als oft behauptet stam- wie man solche Bilder einfach erzeugen Édouard Buguet, einem der Stars der Dr. Dominik Schrey
men seine bekanntesten Fotografien sogar kann. spiritistischen Fotografie in Europa, wird arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Karlsruher Institut für Techno-
aus der Zeit danach, als er eigentlich 1875 gerichtlich verboten, weiterhin Geis- logie (KIT) und als externer Dozent an der Universität Wien. Nachdem er als
bereits als Lügner entlarvt war. Bekannt Vergleichbare Aufklärungsversuche gibt terfotografien anzufertigen und zu ver- Student bereits in den Räumlichkeiten des KITs lernte, steht er heute auf der
ist vor allem sein Foto von Mary Todd es aber auch bereits im 19. Jahrhundert. kaufen. Er dreht sein Geschäftsmodell anderen Seite des Pults und hält interessante Veranstaltungen – unter
Lincoln aus dem Jahr 1870, auf dem sie Dem heute verbreiteten Bild eines damals daraufhin einfach um und lässt neue Visi- anderem über Fotografie. Sein aktuelles Buch Analoge Nostalgie in der digi­
mit dem Geist ihres fünf Jahre zuvor noch ungebrochenen naiven Glaubens an tenkarten drucken, auf denen er sich nun talen Medienkultur, das sich mit der Bedeutung analoger Medien in der
ermordeten Ehemanns abgebildet ist. die fotografische Objektivität zum Trotz als „Antigeisterfotografen“ bezeichnet heutigen Zeit beschäftigt, wurde 2017 publiziert.

Das könnte Ihnen auch gefallen