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Landesmuseum
für Technik und Arbeit
in Manntreirr
Die Goldenen 20er in Bildern, Szenen
und Objekten
Normierung 2 K. Budde
Massensport H. Steffens/M.Unser
Bilderwelten H. Steffens
lmpressum
O beim Herausgeber:
Landesmuseum für Technik und Arbeit
in li.4annheim
Museunr.srraße 1, 681b5 Manrlrerm
Alle Rechte vorbehalten, l\4annheinr 1994
Gedruckt mit {reundlicher Unterstützung des
Museunrsvereins {ür Technik und Arbeit e.V
Die Weimarer Zeit war für den deutschen Vereinen. Vor allem die Zeit unmittelbar nach
Sport fruchtbar Carl Diem, über Jahrzehnte dem Krieg brachte den Verbänden und Ver-
hinweg der nicht unumstrittene ranghöchste einen einen starken Zustrom an Mitgliedern.
Sportfunktionär Deutschlands, hat diese Die "Deutschen Turner" (DT) konnten ihre
Aussage in einer ihrn eigenen Uneindeutig- Mitgliederzahlen zwischen 1919 und 1922
keit gemacht Lag die Betonung auf dem fast verdreifachen, dem "Arbeiter-Turn- und
"deutschen" oder doch eher auf "Sport"? Sportbund" (ATSB) gelang dagegen fast eine
Gleichwohl: beide Aussagen sind sachlich Verfünffachung seiner Mitglieder Die Zahl der
richtig, wären politisch jedoch unterschiedlich aktiven Fußballspieler irn "Deutschen Fußball-
einzuordnen. Sowohl der Sport im allgenrei- bund" (DFB) wuchs innerhalb eines Jahres,
nen, als auch die nationalistische deutsche, von 1920 bis 1921, um mehr als 300 000 auf
aber vor allem die Arbeiter-Sportbewegung rund 770 000
lraben in der Weimarer Republik einen er-
staunlichen Aufschwung genommen, haben Eine zweite Boomphase des Sports setzte
den Durchbruch zu einer Massenbewegung dann in der.r wirtschaftlich relativ stabilen Jah-
in einer Zeit geschafft, als die politischen und ren der Weirnarer Republik zwischen 1925
ökonomischen Rahmenbedingungen fur und 1929 ein: lm "Wettkampfsport" betätig-
sportliche Freizeitbetätigung und 5pitzen- ten sich 3,4 Millionen Menschen 'l 929
sport häufig alles andere als günstig waren. gegenLiber knapp 2,8 Millionen vier Jahre zu-
vor; die Zahl derer, die "Körperertuchtigung"
ohne Wettkampfregeln betrieben, stieg im
Sportboom: von deutscher Körper- gleichen Zeitraum von 2,8 auf mehr als 3,1
ertüchtigung und amerikanisiertem Sport
Millionen. Mit dieser Fntwicklung stellte der
Die Mitgliederzahlen der Dachverbände be- Sport andere Bereiche der "Kultur der Mo-
legen den sozialkulturellen Bedeutungs- derne" fast in den Schatten: Die Zahl der
zuwachs des Sports. Waren vor dem Ersten Fußballvereine übertraf die der Kinotheater
Weltkrieg (19'13) rLrnd zwei Millionen Ver- bei weitem, sportlich Aktive zählte man
einsspor'ler in Deutschland registriert, so be- genau so viele wie Rundfunkteilnehmer. Der
tätigten sich zu Beginn der 30er Jahre schon Fußball wurde so populär, daß man 926 '1
über sieben Millionen Menschen sportlich in dazu uberging, ihn auch bei Lampenlicht
2
OEUTSC}IER FUSSBATI.BUI{D Abb.1
I'dul Ri.lJter, der "Sieg-
IJTNDERSPIET fied" dils lrilz Ldngs
Nilrclurryerfiln, sPielte
sTAtlt0lt MANilHEIM
1927 die tulle dt's Tull
I ldrdet urn IISV.
PAUL RICHTER
Auch in Mannheim, so notierte 1926 eine findet in Deutschland keine Parallele mehr. So-
einheimische Zeitung, verschloß man sich gar in Zeiten des ungebremsten Aufschwungs
den Forderungen der neu entstandenen des Massensports in der Bundesrepublik nach
Sportbewegung nicht, die wie eine Welle al- dem Zweiten Weltkrieg, als die Mitgliederzah-
les überflutete und unwiderstehlich mit sich len in den Sportverbänden sich bis 1980 ge-
fortriß. Ein Jahr später wurde im Anschluß genüber 1931 vervierfachten (!), erwies sich
an den Luisenpark die städtische Spielplatz- diese, nach und nach modernisierte, lnfrastruk-
anlage eingeweiht, deren "Hauptkampfbahn" tur durchaus noch als tragfähig.
etwa 25.000 Zuschauer faßte. Anläßlich Der "Zuschauersport", also das sensationslü-
des Festaktes bemerkte die "Neue Badische sterne Sich-Ergötzen an Kampf, Dramatik und
Landeszeitung" . Noch nie sah Mannheim Rekord, setzte sich durch, obwohl dieser Sport
eine solche Zuschauermenge auf einem von vielen Seiten kritisiert wurde. Die "Deut-
Sportfeld. schen Turner" etwa wandten sich vehement
gegen die Versportung des Turnens und der
Die "Amerikanisierung" des Sports und seine Gymnastik, ohne jedoch diese Entwicklung
Kommerzialisierung förderten auch den von aufhalten zu können; aus den Reihen des Ar-
Jahreszeiten und Witterungen unabhängigen beitersports wurde der konkurrenzkapitalr-
Hallensport, für den neue Sportstätten gebaut strche Charakter des Rekordsporfs ausdau-
werden mußten. Als die Dortmunder West- ernd entlarvt. Vielleicht konnten davon die
falenhalle 1925 feierlich eröffnet wurde, galt eigenen Aktivisten überzeugt werden, aber
sie als größter, freitragender Hallenbau Euro- die Masse der Bevölkerung erlebte den Sport
pas: 16.000 Zuschauer fanden in ihr Platz. "klassenneutral", wie auch Fritz Wildung
Motorrad- und Autorennstrecken wurden neu von der "Zentralkommission für Arbeitersport
angelegt, so die Opel-Rennbahn in Russels- und Körperpflege" 1929 zugeben mußte:
heim, die Berliner AVUS und der Nurburgring. Der Tagesgeschmack des Publikums ist nicht
lm Mai 1932 begeisterte das AVUS-Rennen auf ernste Erziehungsarbeit in den Leibes-
etwa 300.000 Zuschauer. Dieser massive Aus- übungen gerichtet, sondern auf die sportli-
bau der Sportstätteninfrastruktur fand und che Sensation im Wettkampf, man denke an
6
Boxkämpfe und Sechstagerennen. Auch ein folgten nun rasch der technischen Perfektio-
überaus großer Teil der Arbeiterschaft huldigt nierung der Sportgeräte, der Sportanlagen
noch diesen sportlichen Sensationen und und der Meßvorrichtungen. "Taylorismus"
stellt bei den Veranstaltungen einen großen und "Fordismus" wurden zu Maßstäben
Teil der Zuschauer. Aber es rsf kern Zweifel, auch im 5port. Erfahrunqen aus den Arbeits-
daß es sich dabei um sportliche Entartungen wissenschaften konnten auf Leistungstrain-
handelt, die geeignet sind, die gesellschaftli- ing und sportliche Techniken angewandt und
che Moral zu verderben. weiterentwickelt werden. Der Weltrekord-
läufer Otto Peltzer, der im September 1926
den finnischen Wunderläufer Paavo Nurmi in
('Welcher
Rekord lst noch zu brechen?a
7
neuer Weltrekordzeit geschlagen hatte, be-
merkte 1928 zum Kampf des Menschen um
Zehntelsekunden: Dieser Mensch zeigt - ge-
nau wie ein lngenieur, dem es gelingt ein
Auto herzustellen, das statt 350 Stundenkilo-
meter 400 fährt - was zu erreichen ist. Zeigt
genau wie der Erfinder des Fernhörens und
- sehens, daß Grenzen ntcht ewig sind. Er dreht
- es mag übertrieben klingen, ohne es zu
sein - das Rad der Entwicklung eine Speiche
vorwärts, er erschließt unbekanntes Land.
Und seine Botschaft an die Öffentlichkeit war
Der Mensch ist nur ganz Mensch, wenn er
Abb.7
slegf Das war der Stoff, aus dem die Träume
Erstntdls itr einer Atts einer im Weltkrieg geschlagenen Nation wa-
stelltut!1 .tItf (lem eItro|(i- ren: Siegen, siegen - wenn nicht im "Felde",
is.hen Küttitrcnl zrr scb-
en: der Rentril'd!1(tl 'IJdbs' dann halt auf der Aschenbahn, im Stadion,
nüt eittt'tn -JOO I'S stttrkett auf der Rennstrecke, in der Luft ... . Natür-
l;l t t gz e I t gilx I o r, nt it de nt
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Abb.8
Die Rlttkuittit t\Ia:-
St ltnrclitrgs kttrtrtle keittt'
Grenzeil: Sc/l nt l9J(t
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il,ut'dL. crst Liebc in l?iilg ,
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ste jemals mit einem Auto erreichte Geschwin- dann aus dem Schatten heraus: 408,7 km/h
digkeit; '1926 erreichte der Brite Thomas mit Es gab kaum eine Variante des "Maschinen-
"Babs" schon 275 km/h, und als Major Se- sports", die nicht f ür die Ötfentlichkeit attral-
grave ein lahr später erstmals die magische tiv war. "Maschinensport" war im Zeitalter
300 km/h-Marke durchbrach, kannte die Be- von Weltraumträumen und Raketenkult dre
geisterung kaum mehr Grenzen adäquate Umsetzung des Technikenthusias-
Der Dramaturg der städtischen Bühne Essen mus: Er stand für den "Rekord" der kapitali-
beendete damals sein Gedicht "327 Stunden- stisch-technischen Entwicklung.
kilometer" mit den Versen: Es ist vollbracht,
das einmal einzige Ereignis,/denn:l Diese
Fahrt bleibt ewig ohne ein Gleichnis,/ und/ Schmeltng statt Lenin, Rademacher und Houben
statt Ebert und Hindenburg?
lene, die den Rekord überbieten, morgen oder
später,/ allel Müssen rasen im Schatten von Als im Februar 1926 der Deutsche Franz
5egraves 327 Stundenkilometer. 1932 raste Diener gegen den Spanier Paolino Uzcudun
Malcolm Campbell mit seinem "Blue Bird" um die Europameisterschaft im Schwerge-
9
Abb.9 und 1O
I I I rctrierler Filn-Kurie r
Nr. 723: Die Frau mit
dem Weltrekord, D 1927
In 130 Licbtspieltbeatern
in und um Berlin uurde
der Filn, zeitgleicb
außertibrt
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DIE MIT DEM WEL
ulntäi;'ifi;i^,-
il Abb. ro
schwamm. "Ete". wie er genannt wurde, ben im Mannheimer Stadion startete und
hielt damit sämtliche Weltrekorde im Brust- klar gewann.
schwimmen und wurde bei seiner Rückkehr
nach Deutschland begeistert empfangen. Gerade auch in der Arbeiterbewegung war
"Personenkult" nicht unbekannt; die Kraft der
Rekordsucht und kapitalistisches Konkurrenz- Bewegung erwuchs aus Solidarität und Ge-
denken waren die Hauptkritikpunkte, die von meinschaftsgefühl, die nach außen durch Mas-
Seiten des Arbeitersports gegen solche Kar- senaufmärsche und die kultische Hervorhe-
rieren und Einzelleistungen vorgebracht wur- bung einzelner demonstriert wurden: Marx-,
den. Wie ambivalent eine solche Kritik wat Lenin-, Bebel-, Kautsky- und Ebert-Bildnisse
demonstrierte der deutsche Ausnahmesprinter oder -Büsten schmückten Parteilokale und
der 20er Jahre. Hubert Houben, ausgerechnet Sportlerkneipen, während die nationalen Tur-
auf einem Berliner Arbeitersporffest: Er schlug ner natürlich ihren "Vater Jahn", "Willem
die nach den Olympischen Spielen 1924 in Zwo" oder Hindenburg verehrten. lm Sport
Paris durch Europa tingelnden amerikanischen konnte diese Distanz auf Dauer nicht durch-
Sprinter klar und stellte im gleichen Jahr noch gehalten werden. Max Schmeling, Erich Ra-
eine Weltjahresbestzeit auf. Solche Siege wa- demacher oder Hubert Houben waren in
ren Balsam auf deutschen Seelen, denn von diesem Sinne die ersten "gesamtdeutschen"
Olympischen Spielen war man ja noch aus- ldole. Oder, wie Hermann Kasack, der ehe-
geschlossen - eine Kriegsfolge eben, die auch malige Leiter des Kiepenheuer-Verlags, 1925
durch die "Deutschen Kampfspiele" nur min- im "Europa Almanach" durchaus weitsichtig
derwertig kompensiert werden konnte. Diese formulierte; Die groBen Sportvera nstaltu n-
lsolation, so diagnostizierte die "Neue Mann- gen des XX. lahrhundens werden wieder den
heimer Zeitung" damals, schüre den Hunger Begriff einer 'Gemeinde' wirklich machen,
des deutschen Sportpublikums nach Abwechs- deren Glauben / Ekstase/ Weltgefühl stärker
lung. Ersl1928 durfte eine deutsche Equipe und offenbarer ist als der einer KirchelNation/
in Amsterdam wieder an der Olympiade teil- oder Partei.
nehmen. Natürlich standen bei den Vorbereit-
ungen darauf die Stars immer im Blickpunkt, Horst Steffens
so auch im September 1927, als Hubert Hou-
"Des Frei€n Sportes Siegeslauf ..."
Die deutsche Ärbeitersportbew€gung
in den 20€rJahren
Nach anfänglichen kleinen Stockungen wuchs Diese Sätze entstammen nicht einer Reporta-
unsere Olympiade zu giganttscher Größe em- ge über eine der letzten Olympiaden, sondern
por und über sich selbst hinaus. Es schien, als einer Erinnerungsschrift uber die Erste Inter-
habe die Riesenveranstaltung ihre eigene Dy- nationale Arbeiter-Olympiade in Frankfurt am
namik gefunden. Wie ein Riesenmechanismus Main im )uli 1925. Heute weitgehend in Ver
von wunderbarer Präzision, auf die Sekunde gessenheit geraten, erlebte die Arbeiter-Turn-
abgestimmt, wickelte sich die Veranstaltung und Sportbewegung in den 1920er Jahren
ohne die klernste Störung ab. ihre Blutezeit.
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freie Turnerei"
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I'lakat zur 1 . htt. Arbeiter-
O Q ntpiule irt Frtt*ft rt
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Abb.12
l?t t t tt lgatt'i c b t sr i ege des
VJK 1llli6 ]Iililtrbcinl
Schon 1893 wurde in Gera im Rahmen eines gedanke in der Arbeiterbewegung trug eben-
ersten allgemeinen Turntages der Arbeiter- falls dazu bei, daß Arbeiter-Turn-, Radfahrer-,
Turner-Bund (ATB) gegründet Drei Jahre wa- Gesanqs- und weitere Kulturvereine entstehen
ren seit der Aufhebung des Sozialistenge- kon nten.
setzes (1878-1890) vergangen. Dieses Gesetz
hatte die .1unge Arbeiterbewegung in ihrer
Entfaltung gehemmt und eine lnteressenver-
tretung durch eigenständige Arbeiterorga-
nisationen zunichte gemacht. Während dieser Abb.13
Gestic ktes lWttulbi ld des
Zeit waren sozialdemokratische Mitglieder Arlniter Radfabrcrbun-
schikaniert und aus den bürgerlichen Turnver- des ''Solidaität . unt
1 920
einen ausgeschlossen worden, denn diese
Vereine hatten sich, einst den Einheits- und
Freiheitsideen der 1848er Revolutionäre ver-
pflichtet, zu chauvinistischen kaisertreuen Ver-
einen gewandelt. Für Paul Franken, ein Partei-
theoretiker der Weimarer Sozialdemokratie,
war die logische Konsequenz, so in seinem
Buchlein "Vom Werden einer neuen Kultur",
daß neben der politischen und sozialen
Achtung auch K/assenbewußtsein und das
Gefühl der Klassenzugehörigkeit die Arbeiter
veranlaßten, sich in besorideren Arbeiterver-
einen zusammenzuschließen. Der Solidaritäts-
rj
Abb.14
Sc b tuur de r Arl:e ile ßporl le r
attf dern II. IJutrclesfest itt
Nlirnheryq, 1929
Gleichzeitig entdeckten die lndustriearbeiter Dachorganisation aller Verbände war die 1912
die Arbeiter-Turnvereine auch als Stätten gegrundete "Zentralkommission fur Arbeiter-
ausgleichender körperlicher Betätigung und sport und Körperpflege" mit den beiden 5e-
geselligen Beisammenseins. 5ie unterschie- kretären Fritz Wildung und Cornelius Gellert.
den sich anfänglich in ihrer Form nicht von Die Kommission verfolgte das Ziel, die Arbeiter
den bürgerlichen Vereinen. lm Gegenteil, sie durch systematische Agitation gegen die bür-
verharrten, so Paul Franken, tn Nachahmung gerlichen Vereine zu Austritten aus den bürger-
und Kopierung bürgerhcher Vorbilder. Die lichen Organisationen zu bewegen oder ihren
Mitglieder waren in erster Linie Turner und Beitritt zu verhindern. Es gelang allerdings nie,
dann erst Klassenkämpfer. Ganz allmählich dieses Ziel ganz zu erreichen. Noch 1929
entstanden erste Ansätze fur eine eigenstän- mahnte deshalb Fritz Wildung, es sei wichtig
dige Kulturarbeit, womit eine Trennung für die Arbeitersportverbände, von der Men-
der Arbeiterschaft vom Bürgertum auch auf ge der noch zum Sport stoßenden .Jugend
diesem Gebiet vollzogen werden konnte, einen höheren Anteil zu erhalten als bisher.
und noch vor dem Ersten Weltkrieg gelang 7ätsache ist ja, daß eine große Anzahl jugend-
der Wandel von einem reinen Turnverein Iicher Arbeiter noch zum bürgerlichen Sport
hin zu einer Organisation moderner Körper- geht. Diesen Zustrom umzuleiten, ist eine der
kultur. wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre.
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Abb.15
AttstccktttuIaI tIt's ,1'I SIJ
irt Silbt'r
ttDi.
d"itt. Front des Klassenkampfes" Der bewußteste Teil der Arbeiterbewegung,
Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich so Paul Franken, erkannte, daß nicht allein
die Arbeiter-Turn- und Sportbewegung zu der Kampf um höhere Löhne und kürzere Ar-
einer Massenbewegung. Zum Ende der Repu- beitszeit das Entscheidende ist, sondern da-
blik betrug die Gesamtmitgliederzahl 1,3 Mrl- rüber hinaus der Kampf um die Bedingungen
lionen, die sich auf einzelne Verbände wie der Menschwerdung überhaupt. Die politi-
z B den Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB), schen Führer versuchten, innerhalb der Ar-
r5
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Rrei6logen 0n$e [en [ein.
abb.17
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s16 des Statutes des AAD
Lncltilreite fönilcn uerdnüoftet oerben; ]J]et'oilten öiirfen nacb dert Bescblt:issen
nid)t $eroudgobt oerben, jebodl tönnen Gtlrenprei[e in des Burtdestages 1928 in
:Toim norr 6porlgeräten, ,$l[eibunq unb ,{iterotur tlnt'
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Oip{ome qel}iitef oert'en. €)c$ ;ltueifrimpien uon Gin6e[,
meil'lerf{oite n i1l nid?t geftotte t. Oic Gintei{ung ber $eil,
lidlfeiten unteriiegt bem Rreiduorflont'; ber[eIt'e Ict t'em
SunbeüDorflont\ 2ieridrt Äu crflolten.
ßür ofle !eronlloltungen i11 t,od oom tcd?niidlen ltu6,
rrlruF be[d)lotiene Ieglcnrent güllig.
6$eiben ?Jlitglieber oud, [o f].rben fie bod EunOcd'
ot6ei{en ot'3ulicfcrn, nofür ihrren öie lirilite t'ed R0ut,
praiie; jurüdcrllottet oirt', Denn eti ii6 noth in gebrou{d,
iöfigern juftonb beiinöet.
beiterbewegung das Bewußtsein dafur zu kale waren und blieben verpönt. Ebenso die
wecken, daß eine Umgestaltung der Gesell- Teilnahme an den Olympischen Spielen mit der
schaft nur möglich sei, wenn sich der ein- Jagd nach Rekorden, der Kommerzialisierung
zelne Arbeiter die geistigen und moralischen des Sports und dem Nationalismus der teil-
Fähigkeiten aneigne, um die Machtfrage zu nehmenden Mannschaften. Die Arbeiter-Turn-
seinen Gunsten zu entscheiden. Auch setzte und Sportzeitung von 1931 rechtfertigte das
srch der ArbeitersportzumZiel, den bei der Leistungsstreben der Arbeitersportler wie
lndustriearbeit geschundenen und verunstal- folgl. lm Sport selbst fragt der sozialistische
teten menschlichen Körper zu regenerieren. Sportler nicht, wie komme "ich" zu Höchst-
Der Arbeiter sollte aus seiner sportlichen Be- leistungen, sondern wie kommen "wir" zu
tätigung neue Kraft schöpfen für den Kampf Höchstleistungen, wir als aufsteigende Klas-
um bessere Lebensbedingungen. se. Der sozialistische Sportler hat mehr als
Rekorde, er hat eine ganze Welt zu gewin-
nen. Der tiefste Sinn, der letzte Zweck, der
sVom
Kampfrekord zum Mrosensport( seine ganze Tätigkeit krönt und adelt, ist
Eines der auffälligsten Merkmale des Arbei- der Sozialßmus.
tersports bestand in der Ablehnung des
Wettkampfes, wie ihn die bürgerlichen Ver- Als größte eigenständige Arbeiterkulturorga-
eine betrieben. Das Prinzip "Solidarität" soll- nisation spielte der Arbeitersport eine wichtige
te den Konkurrenzgedanken ausschalten, öffentlichkeitswirksame Rolle bei den Festver-
die proletarischen Massenübungen die indivt- anstaltungen der Arbeiterbewegung. Bei den
duelle Jagd nach Rekordmarken, die Körper- traditionellen Umzügen am 1. Mai zeigten
hygiene den Körperverschleiß. Nach einem Arbeitersportler Menschenpyramiden und
anfänglichen Verbot ledes Preisturnens im "lebende Bilder" mit historischer oder allego-
19. Jahrhundert trat allmählich, nicht zuletzt rischer Thematik als Ausdruck von Solidarität.
16
Abb.18 cl
4-
Eri ttr te ru ngs tiic b le ir t ftli r
die Teihtelsrrter arr rler I
2. Arbeiler Ol.yn4)iade i,t
$
W'iett, Juli 19.31
.fs-dP
195?
'(Die Prol.tarier der ganzen welt in Antwerpen lg3itSieWaren mit ihren
vereinigen sich im Sport!'(
Leitmotiven "Nie wiedel i'ileg" machtvolle
Die wohl fur jedes Sportlerleben bedeutend- Manifestationen der internationalen Solida-
sten Feste waren die Arbeiterolympiaden ritat und der Einheit der Arbeiterklasse. Auf
in Frankfurt a.M. 1925, in Wien 1931 und ihnen kamen nicht nur der sportliche Ehrgeiz
der Arbeitersportler zum Vorschein, sondern
Abb.19 auch Elemente einer sozialistischen Festkultur
[]rkttrtcle u)nt 1ll. Be- mit ihren Umzügen, Massenübungen und
zi|ks-Tttnt utl(l SpotT
Weihespielen.
fest irt Martrtlteint
Srnrlbofen, ./ttli P21
1
17
Abb.20
Plakdl t'on 7. Kreis-ntrn
trild Spor{est des ATSB,
19.1O in Karlsrulre
Weihespiele gaben dem Sehnen und Hoffen, kommunistische Mehrheiten in den Vereinen
dem Willen und Kampfgeist der arbeitenden wurden auf Betreiben der sozialdemokrati-
Massen Ausdruck. schen Führung des ATSB ausgeschlossen. Bei-
de Lager beschuldigten sich gegenseitig, die
Arbeitersportbewegung spalten zu wollen Bis
'(Arbeltersportler (( Ende 1929 schloß der Bundesvorstand des
slnd Soldaten der Revolution
ATSB über 33 000 Mitglieder und 367 Ver-
Die Spaltung der politisch organisierten nati- eine aus dem ATSB aus.
onalen und internationalen Arbeiterklasse
wirkte sich nach 1918 auch auf den Arbeiter- Die abgespaltene revolutionäre Opposition
sport aus. Ebenso wie in den Gewerkschaf- gründete darauf hin in Berlin eine " lnteressen-
ten begannen die Kommunisten auch in den gemeinschaft zur Wiederherstellung der Ein-
Vereinen eine revolutionäre Opposition auf- heit im Arbeitersport" (später "Kampfgemein-
zubauen. Mit einem theoretischen Konstrukt schaft fur Rote Sporteinheit") Da die lnteres-
der "Gleichberechtigung und Neutralität" ver- sengemeinschaft von Behördenseite nicht als
suchten die Funktionäre im ATSB, die organi- Sportverband anerkannt wurde, blieben ihr
satorische Einheit zu wahren. Dies gelang staatliche und städtische Beihilfen weitestge-
mehr oder weniger bis 1927/28.In den Jah- hend versagt. Hauptziele dieser Organisation,
ren 1926/27 setzte sich auch in der interna- in der sich die ausgeschlossenen Arbeiter-
tionalen Arbeitersportbewegung die Einheits- sportler zusammenfanden, war die Organisie-
frontpolitik durch und bescherte dem ATSB rung von Sportwettkämpfen, auch auf inter-
einen regen Sportverkehr mit der Sowjetuni- nationaler Ebene, und der Kampf qeqen Mili-
on. Nachdem der Bundesvorstand des ATSB tarismus und Faschismus.
im Sommer 1927 die Sporbeziehungen zur
Sowjetunion abrupt einstellte, brach die Die Spaltung trug nicht nur zur Schwächung
"Sozialistische Arbeitersportinternationale " der Arbeitersportbewegung, sondern der ge-
in Luzern auf Betreiben von Fritz Wildung im samten Arbeiterbewegung bei. Bis zur End-
Herbst 1927 mit der kommunistischen "Ro- phase der Weimarer Republik standen sich auf
ten Sportinternationale" in Moskau. Kommu- Reichsebene die Sportfunktionäre der beiden
nisten in den Vorständen der Verbände und Organisationen verfeindet gegenuber.
1a
Abb.23
Ld z tc 11 i t,lll ia( I s nk t rkc t t
(las,lrbLtiter Atlt l.tt) il-
Iltutdas r.\)r (lan l;arbot
19]J
19
Abb.21 und 22
Aüeit.'r Slrofildg iil
,lI(uütl.)ainr, I9.J0
( ]i'e i ii b t I t gct t M ai n t rc r)
r
Mit der Besetzung der Leipziger Bundes-
schule irn März 1933 durch die 5A war
das Ende der Arbeitersportbewegung
besiegelt. Trotz der Bemühungen fuhren-
der sozraldemokratischer Sportf unktio-
näre, den Nationalsozialisten mit Lippen-
bekenntnissen die Arbeitersportbeweg-
ung anzudienen, wurde der ATSB am 30.
April 1933 offiziell verboten. Viele der
Arbeitersportler wechselten daraufhin in
bürgerliche Vereine über, n jcht wenige
wurden zu aktiven Widerstandskänrpfern
gegen das NS-Regime.
Margit Unser
19
ZitTerte und weiterführende Literatur
Kasack, Hermann:
Sport als Lebensgef ühl.
ln: Die Weltbühne 24, N(.41/1928. S.557 - 560
Blldnachweise
Titelbild Rückseite
Festzeitung zum 13. Deutschen Turnfest München 1923 Freiübungen auf dem l. Bundesfest in Leipzig 1922
Deutsches Sportmuseum, Köln Hans Schulenburg, Karlsruhe
Kunstwerk:
@ VG Bild-Kunst, 1994
Abb.3
Büchergilde Gutenberg
Aufnahme: Landesmuseum für Technik und Arbeit in
Mannheim (Buchtitel)
Abb. 5,6
Adam Opel AG, Rüsselsheim
Abb.7
Welsh lndustrial and Maritime Museum, Cardiff
Abb.8
Sti{tung Deutsche Kinemathek, Berlin
Abb. 11
Volkstümlicher Wassersport Mannheim e.V
Abb. 12
Siegfried Angelis, Mannheim
Abb. 14
Otto Bauder. Mannheim
Abb.19
Kätchen Erny, Mannheim