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Einleitung
D er junge kroatische A delige P e t a r Š kerlec von L o m n ic a (1727—1761)2, der um
die M itte des 18. Jahrhunderts in W ien Philosophie und ròm isches R echt studiert hat-
te, m achte, um die im A usland universitatsgebildete Elite v om R est der dam aligen
kroatischen G esellschaft zu unterscheiden, die Feststellung: „Unzufriedene Blicke der
H eim atgenossen zogen w ir a u f uns wegen der Tatsache, dass w ir unsere Jugendzeit,
vielleicht beispiellos, aufierhalb der H eim at a u f so verschiedenen Plàtzen zubrach-
te n “.3 A us diesen W orten offenbart sich die intellektuelle Entfrem dung zu m eigenen
V olk, die a u f die Intensitat der persònlichen Erfahrung b eim A uslandsstudium zu-
riickgeht. D ie K luft driickt ŠKERLEC m it den W orten „wir, die w ir uns im Ausland
g eb ild et haben“ aus und betont entsprechend dem aufklarerischen D enken die eigene
Ù berlegenheit.4 D er junge A delige, der der G eburt die B ildung vorzieht (und dann
auch noch die auslandische der i'nlandischen) lasst eine R eihe von F ragen stellen: W ie
bildete sich die akadem ische Identitat dieses ju n g en M annes heraus? In w elcher W eise
begann er sich von der G esellschaft seiner H eim atgenossen ,en tfrem d et’ zu fuhlen?
W ie w irkte sich vor allem die- K ultur W iens als G rofistadt a u f sein A uslandsstudium
aus?
'D ieser A ufsatz w urde in verkiirzter F orm als R eferat b ei der Jahrestagung der Sud-
ostdeutschen H istorischen K om m ission zu m T hem a „K ulturaustausch in den D onau-
landem : D ie D eu tsch e n u n d ihre N ach b am im 18. -2 0 . Jahrhundert“ (Ulm , 13. -1 5 . 7.
2000) gehalten. Ich danke auch Prof. Dr. Iskra Iveljić und Dr. A ndrea M argits fur
deren K om m entare zu diesem A ufsatz.
2Vgl. TEODORA sh e k B r n a r d i Ć, Form iranje učenih državnih činovnika: B raća Petar
(1 7 2 7 -1 7 6 1 ) i N ikola Škrlec (17 2 9 -1 7 9 9 ) [Die Form ierung der gelehrten Staatsbe-
amten: D ie B riider P etar (172 7 -1 7 6 1 ) und N ikola Škrlec (1 7 2 9 -1 7 9 9 )], in: N ikola
Škrlec Lom nički (1 729-1799), hrsg. von E u g e n PUSIĆ et al., Bd. 3, Zagreb 2001, S.
61-76.
3“Invidos popularium oculos satis per hoc in nos convertim us, quod prorsus extra pa-
triam , quod in tam diversis locis, quod sine ullo fors exem plo iuventus nostra transacta
est” . D ialogus P ro Politica, tum de politica patria sive D e m odo vivendi in Croatia, in:
N ikola Škrlec L om nički 1729-1799, hrsg. von EUGEN PUSIĆ et al., Bd. 1, Zagreb,
1999, S.19.
4quin adm oneam eos qui extera im buti disciplina prae ceteris rationi co n ced u n t... [...
ich muB diejenigen w am en, die, m it auslandischer B ildung erfìillt, den V orrang der
V em unft vor den anderen einnehm en]. Ebenda., S. 36.
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Kroatische Studenten in der GroBstadt: Kulturaustausch durch das Studium in Wien
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Teodora Shek BrnardiĆ
der L eitung H erm Prof. Dr. N even B udak aus der Z agreber U niversitat durchgefuhrt
wurde, deren R esultate noch au f die V eròffentlichung warten. E in T hem a dieses Pro-
jektes beschaftigt sich m it den kroatischen Studenten an verschiedenen W iener Bil-
dungsanstalten. D ie existierende Forschung des K ulturaustausches konzentriert sich
iiberw iegend a u f die W issenschafts- und H ochkultureinfliisse W iens a u f Zagreb, oder
betrachtet die allgem eine R ezeption der deutschsprachigen Schriftsteller in K roatien.
Vgl. DAMIR BARBARIĆ (H rsg.), F in de siècle Z agreb-B eč, Zagreb, 1997; MARIO
STRECHA, Zur Frage der M etropole W ien a u f die T endenzen in der K ultur von Banal-
K roatien im 19. Jahrhundert am B eisp iel des T heater- und M usiklebens Zagrebs, in:
K roatien: Landeskunde, G eschichte, K ultur, Politik, W irtschaft, Recht, hrsg. von
N e v e n B u d a k et al., W ien, 1995, S. 5 7 9 -5 9 4 ; K rešim ir N em ec und M a r ijan
B o b in a c , D ie W iener und die K roatische M oderne, M ost/D ie Briicke, 1 -2 (1996), S.
139-150; BoRIS S en k e r , A ustausch von D ram atexten zw ischen W ien und Z agreb um
die Jahrhundertw ende. Ebenda, S. 151-163; MIRJANA STANČIĆ, M iroslav K rleža i
njem ačka književnost [M iroslav K rleža und die deutsche Literatur], Zagreb, 1990.
V on den politischen E infliissen W iens a u f Zagreb siehe M irja na G r o s s , D ie A nfàn-
ge des m odem en K roatiens: G esellschaft, P olitik und K ultur in Z ivil-K roatien und -
Slavonien in den dreissig Jahren n ach 1848, W ien 1993.
8A1s B eispiel kònnen die R evolution von 1848, aber auch verschiedene ideologische
Stròm ungen w ie der N ationalism us, Sozialism us kònnen u. a. dienen. M ehr von den
B egriffen der “sozialen und geschichtlichen G enerationen” und des G enerationskon-
fliktes siehe P hilip A b r a m s , The C onflict o f G enerations in Industriai Society, Jo u r
nal o f C ontem porary H istory, 1, 5 (1970), S. 181.
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Kroatische Studenten in der GroBstadt: Kulturaustausch durch das Studium in Wien
er aus K roatien | serstadt w ar fìir die K roaten von herausragender Bedeutung, und nach einigen A ussa-
fassen d zu sein, ì gen stellte fìir die B ew ohner insbesondere Z ivil-K roatiens9 W ien schon seit dem M it-
■aphien, Biogra- \ telalter „das Fenster nach E uropa” d ar.10
~ w ird also a u f ■| D ie zu betrachtende G rappe der A uslandsstudenten bleibt a u f die T rager der
:ht nur der Stu- 1 ,biirgerlichen B e ru fe’ beschrankt, d.h. au f Professionen w ie Juristen, À rzte, Professo-
;dergeben. Zeit-
:-eil in je n er Pe-
1 ren, L ehrer und, etwas spater, auch technische B erufe wie Ingenieure oder A rchitek-
! te n 11, und zw ar deshalb, w eil gerade jen es ,,Bildungsbiirgertum “ durch seinen Profes-
en iibem om m en ; sionalisierangsprozess hom ogenisiert w orden ist.12
's die Burschen-
lnisch von sich Studentengeschichte in der siidosteuropaischen historiographischen Tradition
r ihrer V ater zu D er traditionelle Z ugang zur Studentengeschichte in der S ùdostosteuropaforschung ist
i V orm arz, aber ; uberw iegend au f die A spekte des Sprachlichen, E thnischen und G eographischen aus-
:hnen die aktive gerichtet. D abei konzentrieren sich die T hem en hauptsachlich a u f die Intellektuellen-
e Studenten der forschung, d.h. a u f je n e A kadem iker, die ihre B ildung im A usland b eendet h ab e n .13
.en, deren L eben
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Teodora Shek BrnardiĆ
A usw ahlgrundlage ist m eist die geopolitische Situation der Z eit nach dem Zw eiten
W eltkrieg, w eshalb unter dem Sam m elbegriff ,Studierende aus S iidosteuropa’ “die
vom G ebiete des heutigen Rumanien (Walachei, M oldau m it Bessarabien, Siebenbur-
gen, Banat, Bukowina), des ehemaligen Jugoslawien, Griechenlands, Bulgariens und
Albaniens (...) stam m ende akadem ische Jugend zu verstehen i s f ’.u Im Z entrum der
A ufm erksam keit stehen fast im m er “die beruhmten und verdienstvollen M ànner“, die
,fachmànnisch, m oralisch und politiseli'' zur E ntw icklung ihres ,N ationalraum es’
betrachtlich beigetragen hab en .15 D er generelle SchluB lautet: ein A uslandsstudium
gehorte in diesen G ebieten bis w eit ins 20. Jahrhundert hinein ,^zur Grundausstattung
politiseh er K arrieren und sozialen Aufstiegs“} 6
R ein gesellschaftliche K ategorien w erden von geographischen D im ensionen
vorgegeben, w odurch B egriffe w ie “die siidosteuropaische G esellschaft” 17 angew endet
graški u niverzi 1884-1914. 1. del: G eografsko poreklo [Studenten aus den sloven i-
schen L andem an der Grazer U niversitat. T eil 1: die geographische H erkunft], Z god o-
vinski časop is, 46 (1992), S. 3 4 3 -3 5 5 ; D e r s ., Studenti iz slo v en sk ih d ežel na graški
univerzi 1884-1914. 2. del: narodnostno in socialn o poreklo [Studenten aus den
sloven isch en L andem an der Grazer U niversitat. T eil 1: nationale und so zia le Her
kunft], Z god ovin sk i časopis, 46 (1992), S. 4 6 9 -4 7 8 ; D e r s ., Studenti iz sloven sk ih
d ežel na graški u niverzi 1884—1914. 3. del: P o seb n osti študija [Studenten aus den
sloven isch en L an d em an der G razèr'Universitat. T e il 1: die B eson d erh eiten des Sttidi-
um s], Z god ovin sk i časop is, 47 (1993), S. 8 9 -9 3 ; C v e t a n a TODOROVA, M igrationen
bulgarischer Studenten an europaischen U niversitaten seit der B efreiun g v o n den Tiir-
ken bis zu m Ersten W eltkrieg, iff: W eg en etz des europaischen G eistes, hrsg. von
R ic h a r d G. P l a sc h k a und K at lh ein z M a c k , B d. 2. M iinchen 1987, S. 6 7 -8 2 , und
ELENA SlUPIUR, Intellektuelle aus R um anien und den siidosteuropaischen L andem an
deutschen U niversitaten im 19. Jahrhundert (I—II. T eil), R evue des études sud-est eu-
ropéennes, 33 (1995), S. 8 3 -1 0 0 und 2 5 1 -2 6 5 , als auch ibr reiches Literaturverzeich-
nis.
14Vgl. SlUPIUR, Intellektuelle, 251.
15D ie F rauen sind auch m anchm al in B etracht genom m en. Vgl. besonders SlUPIUR,
Intellektuelle, 252, und M a r ija n B r a jin o v ić , B eč-kultum o stjecište H rvata [W ien-
der kulturelle Sam m elpunkt der K roaten], Z bornik radova sa susreta hrvatskih stude
nata u inozem stvu, B ischofshofen 1976, S. 125-139.
16SUSANNE-S0PHIA SPILIOTIS, T ransterritorialitàt und N ationale A bgrenzung, K onsti-
tutionsprozesse der “griechischen G esellschaft” und A nsatze ihrer fasehistoiden
Transform ation, 1922/24-1941. D iss. B erlin 1997, S. 293, Anm. 27. Z itiert nach
HOLM SUNDHAUSSEN, Eliten, Biirgertum , politisehe K lasse? A nm erkungen zu den
O berschichten in den B alkanlandem des 19. und 20. Jahrhunderts, in: E liten in Siid-
osteuropa. Rolle, K ontinuitaten, B ruche in G eschichte und G egenw art
(=Siidosteuropa-Jahrbuch, 29. Band), hrsg. von W o lfg a n g H ò pk e n und HOLM
S u n d h a u s s e n , M iinchen, 1998, S. 16.
17Vgl. HARALD H e p p n e r , G edanken zum P roblem der M odem isierung der K ultur in
Siidosteuropa, R evue des études sud-est europeénnes, 33, 3-^4 (1995), S. 233.
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Kroatische Studenten in der GroBstadt: Kulturaustausch durch das Studium in Wien
ìc h dem Z w eiten werden, die a priori einen G egensatz zu dem B eg riff ,E u ro p a’ einfuhren.18 D eshalb
:dosteuropa’ “die konzentrieren sich die K ulturforscher/innen im sudòstlichen E uropa hauptsachlich au f
zòien, Siebenbur- ,K ulturbeziehungen’, um die A ndersartigkeit der ,sùdosteuropaischen G esellschaft’
Bidgariens und if im V ergleich zur ,w esteuropaischen’ zu beo b ach ten .19 ,S ùdosteuropa’ w ird dem ge-
Im Z entrum der ji mafi als eine eigenstandige K ulturregion angesehen - nach dem W o rt BENEDIKT
len M ànner“, die j' ANDERSONS eine “eingebildete G em einschaft”20 m it einer gem einsam en, aber ganz
.N ationalraum e s ’ 1: vagen T erritorialverw andschaft, die in einigen Facetten als Ù berbleibsel der Idee der
A uslandsstudium I “slavischen W echselseitigkeit” aus dem 19. Jahrhundert betrachtet w erden kann.
j ’iindausstattung 1 D er B e d arf nach System atiserung geht noch w eiter, w enn in der A rgum enta-
I tion der Forscher die L ander im Sùdosten E uropas als “Peripherien” b ezeichnet wer-
len D im ensionen 1 den21, die zum T eil oder ganzlich unter d e r O berhoheit dreier GroBmachte - des Os-
:. f r 1; angew endet I m anischen Reichs, des R ussischen R eichs und der H absburgerm onarchie - standen, da
I hierdurch die K riterien der iiberw iegend òkonom ischen Basis in G egensatz zu der
I vorbem erkten sym bolischen G eografie gesetzt w erden. Ohne in die E inzelheiten des
aus den sloveni- I schw ierigen Problem s des E ntstehens der ethnischen, nationalen und regionalen Iden-
’erkunft], Zgodo- I titaten einzutreten, ist es bem erkensw ert, daB so um fassende G eneralisierungen die
: đežel n a graški 1 groBen U nterschiede besagter G esellschaften nicht beriicksichtigen, die aus verschie-
:denten aus den I denen kulturellen, sozialen, und politischen H intergriinden und T raditionen stammten.
m d soziale H er-
id iz slovenskih
-d en ten aus den
r.eiten des Studi- 18Ebd., S. 231.
■a , M igrationen 19Vgl. FR1TZ V a l j a v e c , G eschichte der deutschen K ulturbeziehungen zu Stidosteuro-
n g von den Tur- pa, M iinchen, 1958; E m a n u e l T u r c z y n s k i, D ie deutsch-griechischen K ulturbezie
ristes, hrsg. von hungen bis zur Berufung K onig Ottos, M iinchen 1959; R u d o l d J a g o d its c h , Zur
S. 6 7 -8 2 , und G eschichte der òsterreichisch-siidslavischen K ulturbeziehung, in: O stpanoram a, Linz,
:hen L andem an 1965. Z um G esam tproblem der m itteleuropàischen, deutsch-osterreichischen, insb.
udes sud-est eu- der W iener kulturellen Strahlungsw irkung vgl. JOSEF M a t l , D ie E uropaisierung des
:*eraturverzeich- Siidostens, in: V olker und K ulturen Siidosteuropas (=Schriften der Sudosteuropa-
G esellschaft, 1. Bd.), M iinchen 1959, S. 2 1 8 -2 3 6 ; D e r s ., D ie deutsch-
m itteleuropaische W irkkom ponente in der kulturelen E ntw icklung der Siidslawen.
m d ers S iu piu r , versuch einer Synthese, in: Siidslaw ische Studien, M iinchen, 1965, S. 434 und D e r s .,
Hrvata [W ien- D ie kulturellen B eziehungen zw ischen dem deutschprachigen M itteleuropa und dem
hrvatskih stude- Sudosten in der G egenwart, in: Siidosteuropa-Jahrbuch, 4 (1960), S. 103-123.
20B e n e d ic t A n d e r s o n , Im agined Com m unities: Reflections on thè O rigin and
erizung, K onsti- Spread o f N ationalism , L ondon 1993.
: faschistoiden 21D ie von den ungarischen Ò konom en IVÀN T. BEREND und GYÒRGY RÀNKI entwik-
Z itiert nach kelte T heorie der “P eripherie” und des “K em s” im pliziert, daB der B eg riff “P erip h e
kungen zu den rie ” v om “K em ” abhangig ist. In den P eripherielandem hàngen die Ò konom ie, der
: E liten in Siid- AuBenhandel, die Zahlungsbilanz, und die Produktion m it den K em lan d em zusam -
:d G egenw art men. D iese B eziehung charakterisiert die A bhàngigkeit und die U nterordnung, was fìir
und H o lm die P eripherie sogar verheerend sein kann. A ndererseits kann sich die P eripherie ent-
w ickeln, und unter U m standen aus ihrer untergeordneten P osition herauskom m en.
; der K ultur in IVÀN T. BEREND und GYÒRGY RÀNKI, Evropska periferija i industrializacija, 1780—
r 233. 1914 [Die europaische P eripherie u n d die Industrialisierung] , Z agreb 1996, S. 2 5 -2 6 .
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: die passendste sche Pflichten vorsieht, befìirw orteten die Staatsbtirger oft auch die R eform en ,von
unten ’.25
s kerm zeichnend In feudaler Z eit spielte die V ielschichtigkeit der G esellschaft eine w ichtige,
:m oder, im Falle doch oft vem achlassigte Rolle, da die kulturellen V erschiedenheiten in ganz E uropa
riiche W andel in im 19. Jahrhundert m ehr a u f der K lasse bzw . dem Stand als a u f der Z ugehorigkeit zu
n e M al bem iihte einer E thnie gegriindet waren. W ie es der schw edische E thnizitatsforscher R u n e
der traditionsori- JOHANSSON hervorhebt, w aren kulturelle A bw eichungen, die zu dieser Z eit zw ischen
ufen konnte.23 verschiédenen ethnischen G ruppen auftauchten, eher das R esultat der „absichtlichen
ihrer P rovinzen K onstruktion”; als eine Parallele kann beispielsw eise der V ersuch des Schaffens der
ie s 18. Jahrhun- „bosnischen Identitàt” im 20. Jahrhundert dienen.26 In bezug d arau f ist es selbstver-
entwickeln, wo- standlich, w enn der Schw erpunkt dieses A ufsatzes a u f der bùrgerlichen K ultur und
rbiichem gelehrt deren P raktiken im „langen” 19. Jahrhundert und insbesondere a u f den F acetten des
Jahrhundert von A uslandsstudium s liegt.
img verm ittelte,
ei. D ies bezieht Auslandsstudium als Kulturtransfer
vodurch die Un- W ie kann m an K ulturtransfer defm ieren? U m den ProzeB der U bertragung zu bestim -
Rolle im A lltag men, muB m an zuerst erklaren, was unter dem B eg riff K ultur selbst verstanden wird.
ise .R eform von Indem er den Spuren des am erikanischen E thnologen CLIFFORD GEERTZ folgt, defi-
::lt. kann fìir die niert JURGEN KOCKA den B eg riff K ultur w ie folgt: ... [Das ist] ein System (ein “Ge-
weil gebildete w e b e ” oder “M u ster”) von Zeichnen ..., das fù r eine gròfiere Zahl von M enschen
offentlichen Le- feine Berufsgruppe, einen Stand, eine Klasse, eine Religionsgemeinschaft, ein D o rf
ìs auch patrioti- ein Volk, die M itglieder einer G esellschaft etc.) Wirklichkeit sinnvoll deutet und dam it
deren soziale Beziehungen (Kommunikation, Zm am m enangehòrigkeit und Abgren-
zung) ebenso erst ermòglicht, wie deren Verhàltnis zu sich selb st und zu ihrer Umge-
bung (einschliefilich der Natur). Solche Deutungen enthalten Informationen ùber
wahr und falsch, gu t und bose (gerecht und ungerecht), schòn und hàfilich. Sie be-
stimmen darùber mit, in welchen Zusammenhàngen die M enschen ihre Wirklichkeit
;chichte in Sùd-
m d Teaching in
:a l Perspectives
N'a u m o v ić und
im sch en R eich 23Solche B ehauptungen kann m an beispielw eise m it der betrachtlichen Z ahl der
: beiden R egio K roaten bew eisen (der bekannteste ist sicherlich der adelige politische Ò konom
die Intelligenz N ikola Š k rlec v o n L o m n ic a , dessen V orschlage fìir die N eueinrichtung des ungari-
The N ation- schen M arktes im 19. Jahrhundert. n och giiltig w aren), die im 18. Jahrhundert viele
rpires, in: hrsg. D enkschriften m it òkonom ischen Inhalten an den H o f richteten oder im R ahm en der
9~. S. 42. V on existierenden politischen Institutionen in der H eim at zu verw irklichen versuchten. In
esellschaften in H insicht d arau f ist die A usage F r a n c o V en tu r is sehr bem erkensw ert, die d arau f
Enlightenm ent hindeutet, daB das “A ufklarungsprojekt” des habsburgischen aufgeklàrten A bsolutis-
= o f thè B alkan mus, “die dauerhaftesten Friichte a u f dem europaischen B oden lieB”. F r a n c o
■1983), S. 5 1 - V en t u r i , Italy and thè Enlightenm ent. Studies in a C osm opolitan Cenury, N ew Y ork
1972, S. 20.
:s: E in M odell- ' sR u n e JOHANSSON, T he Im pact o f Im agination. H istory, T erritoriality and P erceived
;:deutsches Ar- Affinity, in: R egions in U pheaval: Ethnie C onflict and P oliticai M obilization, hrsg.
von Sven TÀGIL Solna, 1984, S. 14.
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Kroatische Studenten in der GroBstadt: Kulturaustausch durch das Studium in Wien
::ionen mora- Bilrgertums gerade durch seine Kultur und G eselligkeif’.il D urch alltagliche K om -
m unikation zeigte m an sein kulturelles und intellektuelles K apital, d.h. die B ildung,
:rbegriffs und w om it sich das B iirgertum vor denjenigen ausgezeichnete, die solche, gew óhnlich
trukturen hin. klassische B ildung nicht besaBen.32 D ie D efinitionen K o c k a s , G eertzs und
ellschaft, son- C h a r t ie r s , w onach K ulturaustausch eigentlich der A ustausch zw ischen zw ei Syste-
er C h artier m en ist, legt den SchluB nahe, daB die A ustauschgiiter allein W issen und andere kultu-
nehm ung und relle Innovationen sein konnten, w eil das vertikal ausgerichtete W ertesystem der biir-
lennt, die die gerlichen K ultur fìir alle G esellschaftsschichten verbindlich sein solite.33 Folglich
e um fassen.28 sollten alle dem gleichen B ildungsgrad zustreben, aber w arum erw iesen sich gerade
ie m A nliegen die auslandischen U niversitaten fìir die P rofessionalitàt als besser?
• erschiedenen Im soziologischen Sinne w ird die B ildung als eine untrennbare K om ponente
Zugehòrigkeit der Professionalisierung betrachtet, und fìir einen F achm ann b edeutet es den B esitz
“des theoretischen Wissens a u f spezialisierter und uniformer Ausbildung” ,34 D er
rlichen K ultur Platz, w o diese A rt des W issens erw orben w erden konnte, w ar die U niversitat oder
?sen, der den eine andere Fachschule. D ie K onkurrenzfàhigkeit der B ildungsanstalten spielte eine
v.cht Bildung, w ichtige Rolle in der A usw ahl des Studium splatzes. In der Fachliteratur w ird die U ni
d/i der in der versitat oft als “die M utter der Professionen” genannt, und je beriihm ter die besuchte
Diese Kom bi- Bildungsanstalt, desto gròBer die W ahrscheinlichkeit, einen guten A rbeitsplatz zu be-
~er sie breitet kom m en. Es muB betont w erden, daB die Schicht der akadem isch G ebildeten in den
Musik und kroatischen L àndem nach dem abgeschlossenen "Studium hauptsachlich im D ienstlei-
30
001 . stungssektor tatig war, zu dem die M ehrheit d er A kadem iker gehòrte. D ie R eform en
:en. vor allem und das Funktionieren der habsburgischen Staatsm aschinerie verlangten leistungsfàhi-
■ reicher war. gé Biirokraten, deren “intellektuelles K a p ita l die sin zig e G arantie ftir die Anpassung
~ eme M enge in der modernen Welt w a r” ,j5 ■ '■
was au f dem D ie zw eite A ntw ort a u f die oben gestellte. Frage ist m it der T radition der ,,pe-
rezifische des regrinatio academ ica" (das akadem ische W andem , d.h. der A ufenthalt im A usland zu
Studienzw ecken) oder „le grand T our” verbunden^ die schon seit dem 17. Jahrhundert.
ie. G ottingen unter den w ohlhabenden O berschichten in E uropa im B ildungsprozess als eine sehr
Drically trans-
f w hich m en
udes tow ards 3'jURGEN K o c k a , The M iddle Class in Europe, T he Journal o f M o d em H istory, 67, 4
. S. 89. (1995), S. 787.
in: M odem 32Ebenda.
. S t e v e n L. 33E in sehr gutes Beispiel, das diese These von rum anischen G esichtspunkt behauptet,
gibt MlCHAIL F. FRIDMAN, “E in Rum ane in W ien” . M ihail Em inescus Studentenjahre
. enn sie vom in der osterreichischen H aupstadt, in: W ien als M agnet? Schriftsteller aus Ost-, Ost-
. im 19. Jahr- m itel- und Sùdosteuropa iiber die Stadt, hrsg. von G e r t r a u d M ar inelli -K o nig und
;ciien und so- N in a P a v l o v a , W ien 1996, S. 515 -5 3 7 .
gen. M it den 34D ie anderen K om ponenten sind die O rganisation der F achm anner im G egensatz zu
rklaren sein.” den U nfachm annem , die A utonom ie in der A usùbung des spezialisierten W issens und
olen, in: Bil- der von der O bjektivitat kennzeichnete D ienst. H ilde d e R id d e r -S im o e n s , Training
lc-ex K ocka, und P rofessionalization, in: Pow er E lites and State Building, hrsg. von W olfgang
Reinhard, O xford 1996, S. 149.
■und Biirger- 35Vgl. E. D. HlRSCH, Jr., The Schools W e N eed and W hy W e D o n ’t H ave Them , N ew
■. 147. Y ork 1999, S. 22.
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Teodora Shek BrnardiĆ
w ichtige form ative K om ponente galt.36 D abei besuchten die ju n g en A deligen die be-
kanntesten U niversitaten im A usland und m achten sich zusatzlich m it den kulturellen
Sehensw iirdigkeiten des A ufenthaltsortes sowie m it bertihm ten M annem und F rauen
vertraut, von denen m an viel N eues lem en konnte. D er K ulturtransfer spielte sich also
in der F orm der K om m unikation und der Inform ationssam m lung kultureller N euerun-
gen ab. W enn m an in B etracht nim m t, dass die besondere R echtsstellung des A dels
vom B urgertum nachgeahm t w orden ist, kom m t m an leicht zum SchluB, daB „peregri-
natio academ ica“ auch ein O bjekt des K ulturaustausches zw ischen zwei G esellschafts-
schichten sein konnte. D as A uslandsstudium w urde a u f diese W eise d^her auch eine
gesellschaftliche Praxis biirgerlicher Schichten.
E in eigenes P roblem stellte das Sprachproblem dar, das zu den charakteristi-
schen M erkm alen nationaler Identitat des 19. Jahrhunderts gehòrt und ein Stein des
A nstosses im B ildungsw esen gew esen ist. D enjenigen, die im A usland (besonders in
deutschsprachigen G ebieten) studiert haben, w urde der V o rw u rf der E ntfrem dung
bzw . G erm anisierung gem acht, und zw ar am H intergrund des Strebens der nichtdeut-
schen V òlker der H absburgerm onarchie in der ersten H alfte des 19. Jahrhunderts, den
jew eiligen N ationalsprachen des Status einer K ultursprache zu verschaffen.37 Die
deutsche Sprache hatte sich ja schon am Ende des 18. Jahrhunderts einen hoheren
R ang erw orben, w odurch sie als K om m unikationsm ittel zw ischen den G ebildeten
diente und u ber die Elem entarschulen und G ym nasien landesw eit eingefuhrt w orden
ist. In H insicht darauf sind einige A ùsòhnitte aus Ratio educationis (1777) fìir die La-
teinschulen bzw. G ym nasien in deri'L'àndem der Stefanskrone sehr instruktiv, da sie
die W ichtigkeit des E rlem ens der deUtschen Sprache und deren N utzen far die For-
36Im R ahm en der ad eligen K avalierstour galt W ien als ein unentbehrlicher Zielort.
“D ie K aiserstadt war fìir ein en ju n gen A d elig en zu g leich Bew ahrungsprobe des bisher
E rlem ten und Sprungbrett fìir die zukiinftige V erw endung in herrscherlichen D iensten,
H ofleb en und W eltstadterlebnis, zw ei H auptzuge adliger R eiseerfahrung, trafen hier
eng verquickt aufeinander” . W eiterhin betont WlNFRlED SlEBERS b esonders die Bunt-
heit der K leidung, die zu der W iener k osm op olitisch en A u ssich t gehòrte, und an kei-
nem Ort in der W elt auBer W ien zu seh en war. WlNFRlED SlEBERS, U n g leich e Lehr-
fahrten: K avaliere und Gelehrte, in: Reisekultur. V on der Pilgerfahrt zu m m od em en
Tourism us, hrsg. v o n H e r m a n n B a u s in g e r , K la us B e y r e r und G o ttfried K o r ff ,
M iinchen 1999, S. 51.
37V gl. die W orten eines P rotagonisten des kroatischen W iedergeburtes, der in 1885
schrieb: “W ie der M ensch w ahrend unzahliger Zeiten kam pfte, bis er sich bis zur heu-
tigen kulturellen H óhe em porhob, so bahnte sich unsere N ation einen W eg, u m sich
aus den Traum en zu w ecken, um sich den aufgeklàrten N ationen dieser W elt zu na-
h em ”. (K ao što se je čovjek borio tečajem neprebrojenih vrem enah, dok se je iskopao
do današnje kulturne visine, tako si je naš narod prokrčio put, da se probudi iz sna, da
se približi narodom prosvijetljenim ovoga svieta). L ju d ev it V u k o t in o v ić , U spom e
na na godine 1833-1835. [Die Erinnerung an den Jahren 1833-1835], in: Polem ike u
hrvatskoj književnosti [A useinandersetzungen in der kroatischen Literatur], hrsg. von
Iv a n K rtalić , B and 3, Zagreb 1982, S. 153.
54
Kroatische Studenten in der GroBstadt: Kulturaustausch durch das Studium in Wien
eligen die be- m ung eines gebildeten M enschen begriinden38, zum ai w eil nur ein G ebildeter ein
ien kulturellen niitzlicher B iirger sein kònne: ,J?s g ib t sehr wenìge Bucher a u f Latein oder a u f der
m und F rauen einheimischen Sprache, die so aufgezeichnet sind, und man kann sich die Hoffnungen
lielte sich also a u f die Ubersetzungen nur mit vieler M iihe und mit vielen Kosten machen. Im Gegen
;ller N euerun- satz dazu g ib t es sehr vorziigliche, a u f Deutsch geschriebene Bucher im Bereich vie
ing des A dels ler Kùnste und Wissenschaften, die sehr leicht anzuschaffen sind. D aher ist es offen-
daB „peregri- kundig, dafi ein sorgfaltiger M ensch sich darum kiimmern mufi, der lateinischen
G esellschafts- Sprache das Studieren der deutschen Sprache hinzu zufugen, besonders wo die letzte
.her auch eine alltaglich nicht ausgeubt ist".39 D as E rlem en der einheim ischen Sprachen als Z eichen
der A chtung vor der V ielsprachlichkeit lasst sich aus dem H inw eis entnehm en, wo-
charakteristi- nach derjenige dem V aterland niitzlicher sei, w er m ehr Sprachen k o im e 40
ein Stein des D ie F orderung nach B ildung spiegelt den W andel im W ertesystem der stan-
(besonders in dischen G esellschaft im U bergang zur burgerlichen G esellschaft w ider, wo das W is-
E ntfrem dung sen eine P restigerolle einnimmt. A ngesichts dessen w undert die T atsache nicht, w enn
der nichtdeut- w ohlhabende E ltem nicht nur adeliger, sondem auch bùrgerlicher Schichten fìir ihre
■hunderts, den K inder die besten P latze zu deren A usbildung ausw ahlen w ollten.41 W ien schien in
haffen.37 D ie dieser H insicht eine erste A dresse zu sein, insbesondere fìir die m od em en W issen-
;inen hòheren
n G ebildeten D iese V oraussetzung stim m t ganz m it dem neuhum anistischen K ulturbegriff, der
;fìihrt w orden auch in der Philosophie des deutschen Idealism us vorrherschend war. N ach dieser
~) fìir die La- V orstellung bildet sich der selbst vervollkom m ende sittliche M ensch m ittels der K ul
ruktiv, da sie tur, die je tz t eng a u f K unst, W issenschaft und Sprache ohne jew eilig e praktische N e-
i fìir die For- benbedeutung beschrankt wird, zu einer Einheit. -G eo rg B o l l e n b e c k , K ultur, in:
L exikon der A ufklarung, hrsg. von W erner Schneidèrs, M iinchen, 1995, S. 227.
39“ ...lib ri hujusm odi L atino aut vem aculo serm one exarati p erpauci sunt neque ex
icher Zielort. alienis linguis traductiones nisi adm odum operose' m agnoque sum ptum im pendio spe-
be des bisher rari possunt: contra G erm anice scripti in plerisque artibus et scientiis habenur p r e
den D iensten, stantissim i facillim eque parabiles; quare in aperto est diligentem dandam esse operam ,
g. trafen hier ut Latinitati studium G erm anicae linguae, m axim e ubi usus ejusdem vulgaris non est,
ers die Bunt- societur” . Ratio educationis, 1777, § 148 und § 149.
und an kei- 40Ebda. § 149.
d eich e Lehr- 41Im R ahm en der A nalysen der Studentenstruktur an der Z agreber U niversitat fìir den
m m odem en Z eitraum zw ischen 1791 und 1830 fallt eine interessante Tatsache in die A ugen, nam -
:RJED KORFF, lich, daB zu dieser Z eit der A nteil der Studenten, die direkt oder indirekt die elterliche
U nterstiitzung genossen, auBerordentlich stieg. A ndererseits, nahm die Z ahl derjeni-
der in 1885 gen, die sich die S tipendien der religiòsen Institutionen erw arben, stets ab. W ahrend
i bis zur heu- gegen Ende des 18. Jahrhunderts nur ein D rittel der Philosophiehòrer (34% ) von el-
•~eg, um sich terlichen M itteln lebte, erreichte dieser A nteil zeischen 1821 und 1830 sogar drei
W elt zu n a V iertel (73% ). IGOR K a r a m a n , “Socijalno i regionalno porijeklo studenata u zagre
še je iskopao bačkom visokom školstvu do prvog svjetskog rata [Die soziale und regionale H erkunft
idi iz sna, da der Studenten an der Z agreber H ochschule bis zum E rsten W eltkrieg],” in: Intem atio-
:c, U spom e- nales K ulturhistorisches Sym posion “M ogersdorf,” 8 (1978), S. 3 5 5 -3 5 6 . D azu siehe
: Polem ike u auch K re šim ir N e m e t h , Z agrebačka akadem ija uoči N arodnog p reporoda [Die Z ag
r \ hrsg. von reber A kadem ie am V orabend des N ationalw iedergeburtes], Iz starog i novog Z agre
ba, 1 (1957), S. 169-181.
55
Teodora Shek BrnardiĆ
schaften. D iese T endenz stim m t m it den allgem einen V eranderungen in der Bildungs-
gesinnung der vorindustriellen G esellschaft uberein, vor allem angesichts der groBen
N achfrage nach geschulten B eam ten, die nicht ausschlieBlich aus dem h òheren A dels-
stand rekrutiert w erden konnten.
In den kroatischen bùrgerlichen Schichten herrschte w ie auch andersw o die
Tendenz vor, sich m it dem W ertesystem und den politischen Standpunkten der A ri-
stokratie zu identifizieren, w as die adelige B ildung einschloss. ,J e d e r A delige stu
dierte Jura“, berichtet in seinen „Jugenderinnerungen aus K roatien" der Philologe
I m b r o T k a l a c , „es w ar die grundlegende Bildung sow ohl fìir einen Grundherrn und
R ichter als auch fìir den Zagreber B isch o f‘.42 D urch das Jurastudium w urde m an zu
hòheren B erufen befàhigt, und es gab die Chance, am òffentlichen L eben teilzuneh-
m en43, sow ie in die F ùhrungsschichten aufzuriicken.
N ach A nsicht in der dam aligen kroatischen G esellschaft galt W ien als Stadt
des Sozialprestiges, w ohin studieren gehe, w er eine erfolgreiche K arriere in biirgerli-
chen B erufen anstrebe. D a das Jurastudium nach den W orten C a r l SCHORSKES den
„kòniglichen" W eg in die P olitik darstelle, w undert nicht, dass die Jurastudenten vor
den M edizinem und P hilosophen unter den K roaten an der W iener U niversitat zw i
schen 1790 und 1918 m ehr als d ie H a lfte ausmachten.
56
Kroatische Studenten in der GroBstadt: Kulturaustausch durch das Studium in Wien
in der Bildungs- den Teutschen, Welschen, Hungarn, Bòhmen, Polen und Slowaken gem einsam e Her-
:chts der groBen b erg zu seyn sch ein t” 45 A llerdings muB m an anm erken, daB dam als fast alle Stadte in
. hòheren A dels- der H absburgerm onarchie m ultikulturell gepràgt waren. K o n st a n t in o v ić driickt aber
passend die B esonderheit W iens vor den anderen Stadten aus, w enn er dessen kultu-
:h andersw o die relle A nziehungskraft zu erklaren versucht: “D iese F rage w ird nur zu beantworten
'unkten der A ri- sein, wenn man die Entwicklung der M ultikulturalitàt zur spezifischen M onokultura-
:er A delige stu- litàt dieser S tadt nachvollzieht, diesen spezifischen Weg vom Zusammenfliefien des
" der Philologe je w e ils national Individuellen zum M ondialen und U niversalen” 46 A ndererseits w ar
Gnindherrn und W ien neben B udapest und Prag eine der drei M etropolen der H absburgerm onarchie,
i w urde m an zu deren B evòlkerung bis 1910 a u f zw ei M illionen M enschen angew achsen ist.47 Als
.eben teilzuneh- solche w ar sie im 19. Jahrhundert nach den W orten des beruhm ten deutschen Ò kono-
m en A do lf W e b e r unbestreitbar „das schòpferische Zentrum intellektueller und
: W ien als Stadt kùnstlerischer Werte". D ie K ennzeichnung WEBERS „H unger nach W issen“ entspricht
iere in biirgerli- der liberalen Ideologie der Zeit, und die kulturelle B edeutung der GroBstadte hangt
S c h o r sk es den m it deren Streben zusam m en, W issenschaftszentren zu w erden.
irastudenten vor D er ehem alige Student JURAJ ŠPORER (1795—1884), der in der stiirm ischen
U niversitat zwi- Zeit des W iener K ongresses an der W iener U niversitat M edizin studierte, schildert die
Intensivierung seiner kulturellen Bedtirfhisse w ahrend des Studium s in seiner Auto-
biographie aus dem Jahr 18 6 3 48 D ie biederm eierliche Z eit ùbte ihre W irkung aus und
iftszentrum trieb den ju n g en Studenten an, sich den asthetischèn Seiten des Lebens zu w idm en, die
i Topos gew or-
rrock, zu eìnem 43GEORG K reck w itz iiber W ien, Totius R egni H ùngariae accurate descriptio ... d. i.
žonsfocus wer- Richtige B eschreibung sam m t allem was am D onaustrom befm dlich ist, Frankfurt
’sgut und einen 1683. Z itiert nach ZORAN K o n st a n t in o v ić , V òm W erden einer M etropole. A nm er-
: Donauraumes kungen zum Them a “W ien als M agnet,” in: W ien als M agnet? Schriftsteller aus Ost-,
'oderne des 20. O stmitel- und Siidosteuropa ùber die Stadt, hrsg’. v o n GERTRAUD M arinelli -KOn ig
igen und kùnst- und N in a P a v l o v a , W ien 1996, S. 21.
'en unabhàngig 46K0NSTANTIN0VIĆ, D as W erden, S. 33. Vgl. auch die FuBnote 36.
’ur g ib t uns die 47G e r h a r d M elinz und S u s a n Z im m e r m a n n , G roBstadtgeschichte und M o d em isie-
nach Bulgarien rung in der H absburgerm onarchie, in: W ien, Prag, B udapest. B lù tezeit der Habsbur-
:er zu einseitige germ etropole. U rbanisierung, K om m unalpolitik, gesellsch aftlich e K onflikte (1867—
; m it Betonung 1918), W ien, 1996, S. 22. A llerd in gs versteht m an unter dem B e g r iff “G roBstadt” eine
::h m a l in A ssi- Stadt, deren B evòlk eru n g 100.000 Einw ohner ubertritt. A do lf W e b e r , T he Cultural
ias Im age einer and S o cia l S ign ifican ce o f thè B ig City, in: The U rbanization o f European S o ciety in
5e und W eltan- thè N in eteen th Century, hrsg. vo n A n d r e w L ees und L y n n L e e s , L exin gton M ass
nde Zitat in ei- 1976, S. 65. D ie kroatische Hauptstadt Zagreb war zu derselben Z eit nur eine Provin-
" als M etropole zialstadt im dem ographischen Sinne. 1869 hatte sie 20.000 E inw ohner, und b is 1900
=>; .Xationen als w uchs sie bis zu 58.000 E inw ohner an. Ja m e s P. K r o k a r , N ation al Cultural Centers
o f thè Habsburg Em pire B efo re 1915: Zagreb, A ustrian H istory Y earbook, 1 9-20, 1
oatien], Zagreb (1983/84), S. 120-121.
’8Jur aj Š p o r e r , A n t u n M ih a n o v ić und A lek sa von P r a u n šp e r g e r hielt m an als
die ersten kroatischen Studenten in W ien, die eine G esellschaft griindeten und die
europa, in: D ie Ó ffentlichkeit m it ihren patriotischen Ideen vertraut m achen w ollten. F er d o Š lšlć, O
buch. B and 8), Š porerovim novinam a [Von der Zeitung Šporers], G rađa za p o v ijest književnosti
hrvatske, 7 (1912), S. 5 8 -5 9 .
57
Teodora Shek BrnardiĆ
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Kroatische Studenten in der GroBstadt: Kulturaustausch durch das Studium in Wien
elich e K ultur des ters, der O per und des Stadttheaters sah. Zudem horte ich zu und sah auch die Welt-
. fìir die deutschen grófien w ie Adelina Patti, die Nilson, den Nikolini u. a. “.5I
xi die rein kiinstle- D as studentische L eben in der GroBstadt hatte aber auch ihre dunklere Seite.
ei und M usik.49 In Š po rer spricht in seiner A utobiographie sehr pragnant und bildlich von den groB-
iB ig en T heaterbe- stadtischen V ersuchungen w ahrscheinlich aus eigener Erfahrung. O bw ohl w ir uns hier
neftige Sehnsucht nicht m it der Jugendgeschichte beschaftigen und nur kulturelle Phanom ene in B etracht
dem ich im Fach ziehen, ist ŠPORERS A ussage fìir das Erlebnis der groBstadtischen K ultur unter den
ogesch ich te kauf- auslàndischen Studenten sehr kennzeichnend: „Ein noch ungeiibter und unerfahrener
es nicht ver stand, ju n g er Mann w ird in der grofien H auptstadt von mehr Gefahren als der Solclat in der
wial oder dreim al Schlacht bedroht. D er letzte ist nur eine Weile der Gefahr ausgesetzt, wàhrend der
■:aìb w ar fiir mich erste ruhelos nicht nur von vielen, manchmal zum Ruin treibenden Einflussen, son
:en, sondern auch dern auch von inneren Trieben zu weltlichen Genùssen gedrungen wird. D ìe stellen
eser Zeit a u f dem sich a u f einm al in voller F reiheit dar, wàhrend sie ihm friih er von alien Seiten ver-
■nann, Koch, Krù- weigert wurden. So ein ju n g er Mann, der nicht arm oder zu kaltblutig ist, fù h lt diese
rer. K riiger - sich Freiheit mit grofier Freude, und sucht das L eid durch frùhen Luxus nachzuholen. Wie
■ater hervortaten. er ziichtig, aufmerksam, nùchtern und gehorsam auch war, ist es ihm schwer, der
jìi Carlos und die M acht der Verlockungen zu widerstehen, die ihn umkreisen. H ier làdt ihn die Haus-
'■iele N àchte dem wirtin, bei der er wohnt, zu Besuch ein, dam it er sich m it ihr oder m it ihrer Tochter
59
Teodora Shek BrnardiĆ
unterha.lt, vielleicht dam it sie ihn wickell; dort locken ihn ju n g e Kam eraden ins K a f
feh aus oder in die Kneipe, zum Tanzen und zu anderen óffentlichen und geheimen
Freuden an: hier g ib t ihm die anscheinend zàrtliche und unschuldige Schónheit einen
Wink, die einen unerfahrenen Auslànder erblickte, um ihn mit jed em Trick zu iiber-
rumpeln und blind zu machen ; schliefilich warten a u f ihn verschiedene Vergnùgen im
Theater oder in dem beleuchteten oder dunklen M usiksaal; ùberall stellt die unreine
und lautlose Seele ihre Falien, um das unschuldige Opfer zu fangen" .5~ D ie negative
A usw irkung einer G rofistadt a u f die studentische Seele durfte am pragnantsten in der
N ovelle „Die groBe Stadt“ (W ien, 1901) von M ilu tin C i h la r - N e h a je v geschildert
sein, die einzige N ovelle m it d em T h em a W ien in der kroatischen L ite r a ta .33 ,,Fin-de-
siècle“-W ien w urde diese Schicksalsstadt bezeichnet, die im studentischen L eben ih-
ren T ribut verlangte. D as von triibseliger Stimmung, Lebensw illenkrise und Skepti-
zism us gezeichnete psychologische P rofil des W iener M edizinstudenten F ran M irko-
vić, der am E nde Selbstm ord begeht, entsprach ganzlich der schopferischen A tm o-
sphàre zur Zeit N e h a je v s - der M oderne: N iem and ist am U ngltick schuldig auBer die
GroBstadt. M irković w ar gekom m en, um jen e kennenzulem en, sie zu bew àltigen, um
m it denjenigen gleich zu sein, die dort leben kònnen. D ie groBe Stadt - dieses
,,schlam m ige“ und ,,entsetzliche“ W ien, das ihm so groBartig und bew undem sw ert
schien, so daB er sich aus tiefster Seele danach sehnte, sie besser kennenzulem en. Er
w ollte G ioBstadter w erden, alles w issen und sehen, und verlor deshalb seine Kraft. Es
gab nichts, das ihn an den H eim atboden band, er gab sich ganz der GroBstadt hin, die
52“M ladiću jo š nevjestu i slaba izkustva prieti u velikom glavnom gradu više opasnosti
nego vojniku u bitki, je r je ovaj samo za m alo doba pogibelji podložen, dočim onoga
b ez odm ora pritežu ne samo toliki izvanjski, m nogokrat do propasti tjerajući uplivi,
nego i nutarnji nagoni na svjetovna uživanja, koja mu se sada na je d a n p ut sa svom
slobodom prikazuju, dočim su m u prije na svih stranah uztezana. T ako mladić, koji
nije ubog, ili odveć hladne krvi, ćuti velikom radošću tu slobodu, te traži naknaditi
prijašnje stradanje tolikoga razkošja; pa bio m a kako čedan, pozoran, triezan i
pokoran, težko mu je odoljeti sili napastih, koje ga okružuju. T u ga prijazno zove na
pohode gazdarica, gdje stanuje, da se s njom ili kćerkom jo j zabavlja, p a m orda i
zaplete; ondje ga vabe m ladi sudruzi na igre u kavanu i krčm u, na pleše i na ina jav n a
i tajna veselja; tu m u nam iguje koja krasotica izlično nježna i nedužna, opazivša
nevještnoga tuđinca, da ga svakovrstnom varkom zaskoči i zasliepi; a napokon p ri
čekaju ga razna ugađanja u glum ioni ili u kojoj jasnoj oli tmastoj dvorani glasbenoj;
posvuda razgrta nečisti i m ukao duh svoje zam ke, da prihvati nedužnu žrtv u ” . Ebenda,
S. 38.
53“A lle unsere H erren Intellektuellen lebten in dieser Stadt jahrelang, aber auBer die
ser N ovelle N eh a je v s ist m ir kein einziger V ersuch eines kroatischen Literaten, W ien
in der K unst zu fixieren, bekannt”. M iro sla v K r l ež a , Izlet u R usiju [Ausflug nach
RuBland], Zagreb, 1926, S. 13. Zitiert nach A l e x s a n d a r F la k er , D as Stadtbild
W iens in der kroatischen L ite ra ta (19. und 20. Jahrhundert), in: W ien als M agnet?
Schriftsteller aus Ost-, Ostm ittel- und Siidosteuropa iiber die Stadt, hrsg. von
G e r t r a u d M a r inelli -K ònig und N in a P a v l o v a , W ien, 1996, S. 437.
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Kroatische Studenten in der GroBstadt: Kulturaustausch durch das Studium in Wien
meraden ins Kaf- ihn zum K ruppel und Schw achling m achte, u nterw arf und dessen Jugend, K raft und
en und geheimen L ebensw illen brach.54
e Schònheit einen Z u den H auptpflichten der Studenten gehòrte je d o ch der B esuch der U niver
’m Trick zu tiber sitat und das H òren der V ortrage, galt es doch, die neuesten w issenschaftlichen E rran-
ine Vergnùgen im genschaften aus erster H and verm ittelt zu bekom m en. O bw ohl die kroatischen Stu
stellt die unreine denten die W iener U niversitat seit dem M ittelalter frequentierten, steigerte sich deren
: D ie negative A nziehungskraft erst um die M itte des 18. Jahrhunderts.55 Zu je n er Z eit w urden viele
àgnantsten in der neuen B ildungsanstalten fìir den B e d arf des A dels und des M ilitars errichtet (unter
ìa je v geschildert denen das T heresianum und die T heresianische M ilitarakadem ie sicherlich die be-
:eratur.53 „Fin-de- rtihm testen w aren), doch trugen die von G erhard von Sw ieten durchgesetzten H och-
rischen L eben ih- schulreform en besonders hinsichtlich der m edizinischen Fakultat betrachtlich zum
■crise und Skepti- A nsehen der W iener U niversitat bei. „ Wirklich, wenn irgendwo in Europa wissen-
~ten Fran M irko- schaftliche A rbeit eingerichtet ist, dann ist es an der Wiener U n iversita t\ schrieb
iferischen A tm o- begeistert der bekannte kroatische H istoriker BALTAZAR A d a m K r ČELIĆ 1769 in sei-
chuldig auBer die nen M em oiren.56 Infolge der staatlichen F òrderung kam en im V orm arz in W ien weite-
i bew altigen, um re m oderne B ildungsanstalten w ie die Technische H ochschule und die A grarhoch-
; Stadt - dieses schule hinzu. D ie R eform des H ochschulw esens unter dem M inister Leo Thun-
bew undem sw ert H ohenstein um die M itte des 19. Jahrhunderts bew irkte zudem die Liberalisierung des
rmenzulemen. E r Lehr- und Forschungsprogram m s im W iener H ochschulw esen.57 H and in H and m it der
b seine K raft. Es R eform ging auch eine iiberaus fortschrittliche W issenschaftspolitik, die liberali zur
:roBstadt hin, die G riindung und reichlichen D otierung von Instituten, K liniken und L aboratorien
iu više opasnosti
en, dočim onoga
tjerajući uplivi, 34“N itko nije kriv njegovoj nesreći nego velegrad. O n je došao da ga upozna, da ga
la n p u t sa svom svlada, da bude je d n ak s onim a k o ji m ogu da žive u njem. ... V eliki grad - taj blatni i
ako m ladić, koji užasni B eč koji m u se tako veličajnim pričinjao i tako vrijednim udivljenja te je od
e traži naknaditi sve duše hlepio da ga upozna što bolje. H tio je da bude velegrađanin, da zna i vidi
zoran, triezan i sve, —a izgubio snagu kraj toga. N ije im ao ničega što b i ga vezalo uz rodnu grudu - i
prijazno zove na tako se sav podao velegradu d a j e taj od njega učinio bogalja i slabića, upokorio ga i
•lja. p a m orda i slom io m u i m ladost i snagu i volju za životom ” . N e h a je v , D ie groBe Stadt, S. 2 9 6 -
se i na ina jav n a 297. M ehr von W ien als literarisches M otiv siehe F l a k e r , D as Stadtbild W iens, S.
dužna, opazivša 4 37-464.
a napokon pri- 35D as Z agreber D om kapitel besitzte sogar von 1624 bis 1784 sein eigenes K roatisches
:cani glasbenoj; K olleg in W ien (Collegium Croaticum Viennense), das fìir die U nterbringung der
žrtvu” . Ebenda, D om herrkandidaten bestim m t war, die in W ien studierten. Jedoch muB m an betonen,
daB die L aien dort auch Z ugang hatten, von w elchen jah rlich drei bis sieben anw esend
aber auBer die- w aren. Vgl. KAMILO D o C k a l; H rvatski kolegij u B eču 1624-1784. [Das kroatische
L itera ten, W ien K olleg in W ien 1624-1784], W ien, 1996.
; [Ausflug nach 56B a l t a z a r A d am K r ČELIĆ, A nnuae ili H istorija 1748-1767 [Annuae oder G e
. Das Stadtbild schichte 1748-1767], Zagreb, 1952, S. 394.
eu als M agnet? 57V om G rafen L eo T h u n -H o h e n st e in siehe PETER WOZNIAK, C ount Leo Thun: A
adi. hrsg. von C onservative Savior o f E ducational R eform in thè D ecade o f N eoabsolutism , A ustrian
H istory Y earbook, 26 (1995), S. 6 1 -8 1 .
61
Teodora Shek BrnardiĆ
fìihrte.58 A us der kroatischen Perspektive w urde W ien allm ahlich das W issenschafts-
zentram , wo sich alle entw ickelten K apazitàten konzentrierten. ,J~Iier in dieser frem -
den Stadt haben wir genug und sogar zu viel M ittel und Anregungen zu unserer wis-
senschaftlichen Ausbìldung“, sagte 1896 der M edizinstudent Ivo GREGUREVIĆ.59
H and in H and m it dem w issenschaftlichen A ufschw ung der W iener U niver
sitat vertiefte sich der akadem ische A bstand zw ischen Z agreb und W ien im m er mehr,
w eil es in Z agreb die làngste Z eit nur eine A kadem ie m it den F achem Philosophie und
T heologie gab, zu denen 1776 noch R echtsw esen hinzukam. Jene A kadem ie w urde
erst 1874 in eine U niversitat um gewandelt, die bis 1904 zu den osterreichischen U n i
versitaten keine R eziprozitat besaB, denn deren D iplom e galten nur in K roatien und
Slaw onien (U ngarische R eichshhalfte), aber nicht in D alm atien und Istrien (Ó sterrei-
chische R eichshalfte).60 E ine M edizinische Fakultat b ek am die Z agreber U niversitat
gar erst 1917; auBerdem fehlte es in Z agreb an technischen Schulen.
60Z um V ergleich siehe die folgende T abelle, die die Struktur und die F requenz der
Studenten an der Z agreber U niversitat im Z eitraum zw ischen 1875 und 1910 darstellt
(aus: K a r a m a n , D ie Sozialstruktur, S. 364):
j
Kroatische Studenten nach Fakultaten
Theologie Jura Philosophie Insgesamt
1875-1910 716 2309 1124 4149
62
Kroatische Studenten in der GroBstadt: Kulturaustausch durch das Studium in Wien
is W issenschafts- D ie Biute der W iener U niversitat zur Zeit der liberalen Periode fìihrte ebenso
t in dieser frem - zu einem im m er gròBeren Z u lau f an kroatischen Studenten w ie der A ufschw ung der
n m unserer wis- N ationalideologien, da die kroatische liberale Landesregierung nach dem A usgleich
lGUREVIĆ.59 m it U ngam 1868 die Entw icklung K roatiens a u f w issenschaftlichen G rundlagen vor-
• W iener U niver- antreiben w ollte gemaB dem liberalen Schlagw ort A nton R itter von Schm erlings „Wis-
’ien im m er mehr, sen m acht fr e i“. D ie nach dem A usgleich eingerichtete A bteilung “fìir K ultus und
. Philosophie und U nterricht” (O djel za „bogoštovlje i nastavu”), system atisierte, was der kroatische
Akademie w urde Landtag schon friiher praktiziert hat: sie vergab an arm e Studenten Stipendien.61 Jene
T eichischen Uni- konnten Studienuntersttitzungen fìir M edizin, Chirurgie, Tierheilkunde, Technik, Kiin-
in K ro atien und ste und spàter auch H andel erhalten, d.h. fìir alle je n e Facher, die an der Z agreber
Istrien (Ò sterrei- U niversitat vorerst fehlten.62 D iese Stipendiaten w aren in der R egel verpflichtet, nach
reber U niversitat Ende des Studium s zum indest zehn Jahre in K roatien zu arbeiten.63
n ______
Kroatische Studenten nach Regionen
? Insgesamt
1875- K roatien R ijeka Istrien D alm a- Bosnien Sonsti- Ins
-________ 1943
1910 Slavo- (Stadt) tien H erzego- ge gesamt
~ 179T
nien w ina
__________ 90
3542 47 76 331 223 470 4689
1082
!________ 930
! 5836 61M an soli nicht aus den A ugen verlieren, daB die katholische K irche m it ihren Stif-
tungen eine groBe Rolle spielte. B isch o f Strossm ayer aus Đ akovo, einer der H auptbe-
e Frequenz der furw orter der jugoslaw ischen (=sùdslaw ischen) Idee in K roatien, erteilte sogar S tipen
i 1910 darstellt dien an bulgarische Studenten, dam it sie an der Z agreber A kadem ie studieren.
62In bezug a u f W iener K iinstlerschulen scheint es ganz ùberfliissig anzum erken, was
fìir einen EinfluB sie a u f die Form ung des kroatischen G eschm acks ausiibten.
63I s k r a I v e u iĆ , D ie Studenten aus dem D reieinigen K ònigreich und Istrien in W ien
Insgesamt (1790-1918), siehe der unveròffentliche B ericht iiber das Projekt “K roaten in W ien
___ 4149 1790-1918”, S. 5.
64M ehr von SERGIO LUZZATTO, Y oung Rebels and Revolutionaries, 1789-1917, in: A
H istory o f Y oung People in thè W est, hrsg. von G io v a n n i L evi und Je a n -C l a u d e
S c h m itt , Cam bridge, 1997, S. 174-231.
63
Teodora Shek Brnardić
w ohl entgegengesetzt, gleichzeitig zur G eltung gekom m en sind.65 Paradoxerw eise hat
dies dazu gefuhrt, dass die K aiserstadt m it ihrer reichhaltigen kulturellen und intel-
lektuellen Infrastruktur das Z entrum der slaw ischen N ationalbew egung und der Idee
der slaw ischen W echselseitigkeit gew orden ist, gerade w eil das Studium B eziehungen
m it alien m òglichen in- und auslandischen A ltersgenossen erm òglicht hat.
Im V orm àrz w aren die W iener B urschenschaften noch kosm opolitisch orien-
tiert, und ,,M itkneipant“ konnte je d er ehrenw erte Student ohne R ùcksicht a u f die re
gionale oder soziale H erkunft werden. D ie N euordnung Europas am W iener K ongress,
verbunden m it den Studentenunruhen in D eutschland und deren freiheitlichem P ro
grammi, trug w esentlich zur Starkung des Selbstbew usstseins und der nationalen Iden-
titat der W iener Studenten, unter ihnen auch der K roaten, bei. D er schon erw ahnte
M edizinstudent aus K arlovac JURAJ ŠPORER schreibt in seiner A utobiographie, er ha-
be sich w àhrend seines M edizinstudium s an der W iener U niversitat neben der Litera-
tur auch einer anderen W issenschaft nicht w idersetzen kònnen, nàm lich der Politik,
„die in je n e r stiirmischen Zeit atterri voranging“ 66 D ie Situation in den kroatischen
L andem , die nach dem W iener K ongress geteilt blieben, erm unterte ŠPORER und seine
zw ei F reunde67, sich gesellschaftlich zu betatigen und die ersten kroatischen Z eitungen
m it politischem und asthetischem Inhalt zu griinden.68 O bw ohl ein solches U ntem eh-
m en scheiterte, w ar es das erste M al, dass sich kroatische Studenten in W ien a u f na-
tionaler Basis versam m elten und gesellschaftlich fìir ihre H eim at niitzlich w erden
w ollten. W ien als Inform ationszentrum in der M onarchie, wo es zahlreiche Buch-
handlungen, A rchive sow ie private und offentliche B ibliotheken (die bedeutsam ste
w ar w ohl die H ofbibliothek) gab, rie f auch a u f kroatischer Seite den W unsch nach
Erforschung der eigenen G eschichte und Literatur wach. D ie A nw esenheit der be-
kannten Slaw isten Jem ej K opitar und V uk K aradžić und die Griindung des Instituts
fìir Slaw istik an der W iener U niversitat, wo V atroslav Jagić und M ilan R ešetar
auftraten, erm òglichte die E ntw icklung panslaw ischer Ideen, die die slaw ischen Stu
denten in W ien zusam m engefuhrt hat. In der Zeit der R evolution von 1848 bezog sich
der K e m aller politischen A ktivitàten der Studenten in W ien je d o ch a u f die Idee der
Freiheit. D em zufolge traten die kroatischen Studenten in W ien und Z agreb unter der
F ùhrung des W ortfuhrers der Idee der kroatischen ,,W iedergeburt“, L judevit Gaj, ganz
im E inklang m it der W iener A kadem ischen L egion auf. „Sie sin d unsere B efreier ",
bezeichnete Gaj die studentischen W achen vor der W iener U niversitat im M arz 1848.
L aut Z eugenaussagen flatterte dam als an der W iener U niversitat neben der schwarz-
rot-goldenen Fahne, die sich W iener Studenten zu E igen m achten, auch die kroatische
N ationalfahne.69
65M ehr iiber die Rolle W iens als H auptverm ittler der verschiedenen L iteraturen in der
M onarchie siehe GYÒRGY M . V a j d a , W ien und die L iteraturen in der D onaum onar-
chie. Z ur K ulturgeschichte M itteleuropas 1740-1918, W ien, 1994.
66“ ... koja je u ono burno doba svem u pred n jačila”. ŠPORER, das Echo aus der V er-
gangenheit, S. 48.
67Siehe A nm erkung 48.
68M ehr dartiber siehe ŠlŠlć,Von der Zeitung Šporers, S. 4 9 -9 4 .
69Ja c q u e s L e R id e r , M itteleuropa, Zagreb 1998, S. 56.
64
t
f
aradoxerw eìse hat In dieser Zeit nahm en in W ien auch die verschiedenen Studentenverbindun-
rurellen u n d intel- ;e n ihren A ufschw ung. D en ersten P latz in punkto GroBe und EinfluB nahm der ,,Le-
;ung u n d der Idee ir'. erein der deutschen Studenten" ein.70 Indem jen er dem deutschen V orbild folgte,
iium B eziehungen ::ganisierten die kroatischen Studenten ihre Studentenverbindungen m it verschiede-
t hat. zen N am en (w ie z. B. „V elebit" 1865-1880, „Zvonim ir", gegriindet 1880, oder die
nop o litisch orien- V erbindung kroatischer T echniker", gegriindet 1872), die enge B eziehungen zur
ksicht a u f die re- He imat pflegten und auch verschiedene A lm anache herausgaben.71 D ie M itgliederzahl
W iener K ongress, 5:hwankte von Jahr zu Jahr; die V erbindung “V elebit” z.B. konnte m it 88 M itgliedem
eiheitlichem Pro- rrahlen, als ihr 1871 von der N iederosterreichischen Statthalterei das V ersam m lungs-
: nationalen Iden- recht erteilt w orden ist. B ald danach konnten sich in diesem R ahm en K roaten aller
r schon erw àhnte Berufsgebiete òffentlich versam m eln, u m verschiedenste literarische u n d w issen-
Diographìe, er ha- schaftliche T hem en zu erortem , aber auch kulturelle Feste (z.B. K onzerte) zu organi-
neben der Litera- sieren. D ie Idee der slaw ischen W echselseitigkeit spiegelte sich im stàndigen Streben
nlich der Politik, i s r kroatischen V erbindungen w ider, einen prom inenten P latz im K reis des “W iener
i den kroatischen Slaw entum s” zu b esetzen.72
ÌPORER u n d seine W ahrend sich die deutschen Studenten hauptsachlich au f die K ritik der libe-
ischen Z eitungen ralen P olitik ihrer V ater konzentrierten und von der V ereinigung m it dem D eutschen
olches U ntem eh- Reich traum ten, unterlag die politische O rientierung der kroatischen Studenten der
in W ien a u f na- jew eiligen vorherrschenden politischen K onstellation zu H ause. Einm al w aren sie
nùtzlich w erden siidslawisch, ein anderes M al rechtsparteilich, dann w ieder austroslaw isch orientiert,
lahlreiche B uch
ile bedeutsam ste
;n W unsch nach Vgl. W illiam J. M cG r a t h , Student R adicalism in V ienna, T he Journal o f Contem -
esenheit der be- porary H istory, 2, 3 (1967), S. 183-201. D ie RiValitàt m it dem deutschen Leseverein,
m g des Instituts der pangerm anische Ideen verbreitete, bew eist die Tatsache, daB gerade seine Exi-
. M ilan R ešetar stenz die kroatischen Studentenverbindung “V elebit” einen ahnlichen, aber slaw ischen
slaw ischen Stu- Lesesaal 1868 zu griinden aufm unterte. Siehe V elebit: zabavnik hrvatske om ladine,
1848 bezo g sich Zagreb 1874, S. 8.
a u f die Idee der !D iese A lm anache eignen sich als sehr gute Q uellen fìir die studentischen A ktivitaten
'agreb unter der innerhalb der V erbindungen. M ehrere sind in der Z agreber N ationalbibliothek noch
idevit Gaj, ganz erhaltlich: V elebit: zabavnik hrvatske om ladine [Velebit: das M agazin der kroatischen
-.sere Befreier", Jugend], hrsg. von D jačko društvo “V elebit” u B eču [die Studentenverbindung “V ele
im M àrz 1848. bit” in W ien] Zagreb 1874; H rvatski dom: zabavnik hrvatske om ladine [K roatische
;n der schwarz- Heim at: das M agazin der kroatischen Jugend], hrsg. von D jačko društvo H rvatski dom
i die kroatische na I. hrvatskom sveučilištu [die Studentenverbindung “K roatische H eim at” an der
ersten kroatischen U niversitat], Bd. 3, Z agreb 1878; Zvonim ir: ljetopis hrvatskoga
akadem sko-literam og društva “Z vonim ir” u B eču [Zvonim ir: das Jahrbuch der kroati
tsraturen in der schen akadem isch-literarischen V erbindung “Z vonim ir” in W ien], Z agreb 1886 i
r Donaumonar- 1889; Ivo I. GrgUREVIĆ, B ečki “Z vonim ir” nekoć i sada [W iener “Z vonim ir” einst
u n d je tz t], Z agreb 1896.
o aus der Ver- 72N ach den W orten des M edizinstudenten Iv o G r g u r e v ić s muBte das L eben einer
V erbindung von drei Standpunkten beobachtet und bew ertet w erden. D iese drei
Punkte waren: a) das innere L eben in der V erbindung; b) die w issenschaftliche A rbeit
in der V erbindung; c) die B eziehung der V erbindung zur Ò ffentlichkeit. GRGUREVIĆ,
W iener “Zvonim ir,” S. 11-12.
65
Teodora Shek Brnardić
doch traum ten sie a u f alle Falle von kultureller Integration und m anchm al auch von
der politischen Selbstandigkeit ihrer Heim at. Innerhalb der zeitgenòssischen politi-
schen Stròm ungen w aren alle Studentenverbindungen in W ien am m eisten v om N atio-
nalgefìihl erfasst, das neben den Studien das w ichtigste K ulturtauschobjekt auch fìir
die kroatischen Studenten gew orden ist.73
U m die Jahrhundertw ende vereinigten die Sezession und die kosm opolitisch
orientierte Jugendbew egung die W iener Studenten zum letzten M al D ie kroatischen
M odem isten um die Zeitschrift “Jugend” ktindigten in W ien die A bkehr von den Le-
bens- und K unstvorstellungen ihrer V àter und V orfahren an, u n d das w ar das zw eite
M al seit der R enaissance, dass die kroatische L iteratur m it den europaischen H aupt-
stròm ungen Schritt gehalten hat. D ie nationalistisch orientierte kroatische Ó ffentlich-
keit hatte fìir die neuen W eltanschauungen ihrer Jugend, die ihren Z ufluchtsort in
1895 im sezessionistischen W ien fand, je d o ch kein G ehòr.74 A r t u r G r a d o bem erkt
in seinem A ufsatz „Das junge K roatien" aus dem Jahr 1898, dass das A uslandsstudi-
um eine der entscheidenden R ollen in dem T ransfer neuer Ideen spielte: „ Unter diesen
Leuten g ib t es meistens diejenigen, die mehrere Fremdsprachen erlernten, das Studi
um in gròfteren Stadten beendeten, einen akademischen G rad erwarben, viele Bucher
verschiedener Richtungen und a u f verschiedenen Sprachen lasen, und auch selbst
etwas aufzuschreiben versuchten“ ,75"
AbschlieBend ist festzustellen, dass diese Schilderung dem P rofil der kroatischen
K ulturtrager vorw iegend biirgerlicher H erkunft entspricht, die durch ihr S tudium in
W ien in interkulturelle K om m unikation geraten sind. D ie kroatischen Studenten nah-
m en W ien als B ildungszentrum , GroBstadt und, was am w ichtigsten ist, vielleicht als
H auptstadt wahr, deren H auptfunktion darin bestand, durch ihre B ildungsanstalten den
V olkem der H absburgerm onarchie fortschrittliche und universale Ideen zu verm itteln.
D ie deutsche Sprache spielte dabei eine integrative Rolle, w eil sie nicht nur als die
Sprache der O berschichten, sondem auch als lingua franca aller W issenschaftszw eige
in der ganzen M onarchie. SchlieBlich besteht kein Zweifel, dass die kroatischen Stu
denten ihre an den W iener H ochschulen erw orbenen K enntnisse und die politische
K ultur in ihrem H eim atland anw andten. D er K ulturaustausch in W ien im R ahm en der
U niversitatsausbildung trug also w esentlich zur B ildung der kroatischen biirgerlichen
Identitat bei.
66