Sie sind auf Seite 1von 19

DIE JÜDISCHE SONDERBESTEUERUNG IN RUSSLAND: Ein Beitrag zur Geschichte der

russischen Judenpolitik
Author(s): REINHART MAURACH
Source: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft / Journal of Institutional and
Theoretical Economics, Bd. 99, H. 4. (1939), pp. 676-693
Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG
Stable URL: https://www.jstor.org/stable/40746992
Accessed: 26-09-2021 04:15 UTC

JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide
range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and
facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact support@jstor.org.

Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at
https://about.jstor.org/terms

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend
access to Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft / Journal of Institutional and
Theoretical Economics

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
676

DIE JÜDISCHE SONDERBESTEUERUNG


IN RUSSLAND
Ein Beitrag zur Geschichte der russischen Judenpoliti
von

REINHART MAURACH

Die Geschichte der russischen Judenpolitik beginnt erst in aller


letzter Zeit Gegenstand der vom nationalen Standpunkt beherrsc
ten Forschung zu werden. Nicht nur vor dem Weltkriege, sonder
auch noch geraume Zeit nach diesem lag die Forschung auf diesem
Gebiet ausschließlich in jüdischen Händen. Die auch in Deuts
land verbreiteten Werke von Hessen, Dubnow und Meisl ware
neben älteren (z. B. Graetz) oder aus zweiter Hand geschöpft
Forschungen (so Philippsohn) die Quelle der den Deutschen ve
mittelten Erkenntnisse über das Ostjudentum, insbesondere ü
die Geschichte der russischen Judenpolitik. Daß durch diese m
destens unbewußt einseitige Art der Berichterstattung ein schief
Bild vermittelt werden mußte, liegt auf der Hand. Erst in letzte
Zeit ist hier ein Wandel zu verzeichnen. Wohl grundlegend
die jüngst erschienene Schrift Serarphims (Das Judentum im ost
europäischen Raum). Die umfassende Aufgabe, die sich der Ve
fasser setzte, das Wirken des Judentums in Osteuropa sozio
gisch, wirtschaftlich, politisch, geistig zu erforschen, bedingte e
aber, daß der geschichtliche Teil seiner Ausführungen bewußt ge
drängt gehalten werden mußte. Auf dem historischen Gebi
bleibt daher noch vieles nachzuholen.
Unter den zahlreichen Problemen, die die verflossenen 150
Jahre der russischen Judenpolitik aufgeworfen haben, bean-
sprucht die Entwicklung und Systematik der jüdischen Sonder-
besteuerung eine besondere Bedeutung. Sie würde eine Sonder-
darstellung vielleicht dann nicht lohnen, wenn es sich um eine
bloße, aus Zweckmäßigkeitsgründen einer bestimmten Bevölke-

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die jüdische Sonderbesteuerung in Rußland 677

rungsgruppe auferlegte Finanzsteuer gehandelt hätte. Um eine


solche handelte es sich bei der russischen Judensteuer aber nicht ;
sie ist - in der Frühperiode der russischen Judenpolitik - als eine
ausgesprochene Kampfsteuer ins Leben gerufen worden. Später,
im Maße der Evolution der russischen Judenpolitik von unsyste-
matischer Unterdrückung zu planmäßiger Assimilierung des jüdi-
schen Elementes, wandelte sich auch diese Steuer, indem sie
- ohne eigentlich Finanzsteuer zu werden - zu einem Hilfsmittel
der vom Staat vergeblich versuchten Einfügung der Judenschaft
erhoben wurde. In dem Maße schließlich, in dem sich die amtliche
Politik von den hoffnungslosen Versuchen der Assimilierung ab-
wandte und sich auf Abwehr des Judentums beschränkte, beginnt
die Steuer zu erstarren: sie wird im bisherigen Umfange mitge-
schleppt, ohne daß der Staat die Entschlußkraft gefunden hätte,
auch die Besteuerung mit Entschiedenheit in den Dienst der Ab-
wehr einzuspannen.
So begleitet, als charakteristischer Exponent, die Judensteuer
die russische Judenpolitik auf deren schwierigem und nicht immer
folgerichtig eingehaltenem Wege. Und es ist gerade die Tatsache,
daß die jüdische Sondersteuer ein Spiegelbild der allgemeinen
russischen Judenpolitik darstellt, welche ihre Behandlung in den
folgenden Ausführungen rechtfertigt.
Als soziale Frage ist das Judenproblem für Rußland bekanntlich
erst mit der Aufteilung Polens akut geworden. Bis zu diesem Zeit-
punkt war das Reich bis auf geringfügige jüdische Splittersied-
lungen in dem zudem auch nur locker zu Rußland gehörenden Teil
der Ukraine judenrein; jüdischen reisenden Kaufleuten war seit
den Edikten Katharinas /. und Elisabeths der Zutritt verwehrt.
Gegenüber dieser verhältnismäßig sehr unkomplizierten Lage
brachten die Teilungen von 1772, 1793 und 1795 einen unerwünsch-
ten, in dieser Menge auch nicht annähernd erwarteten Zuwachs an
mehreren Hunderttausenden von Juden, die seit dem Ausgang des
Mittelalters, durch polnische Könige ins Land gerufen, die Rzecz
Pospolita zu zwei Dritteln als Stadt- und zu einem Drittel als
Landbewohner bevölkerten - letztere, Ursprung des Judenpro-
plems für Rußland, aber nicht etwa als Landwirte, sondern allen
nur denkbaren Zwischenhandels-, Makler- und Schankwirtsge-
schäften obliegend.
Gegenüber den trüben Berichten der örtlichen Gouverneure
über die zweifelhafte Rolle der sog. Landjuden konnten die von

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
678 Reinhart Maurach

aufklärerischem Geist erfüllten Versprechung


manifestes Katharinas II. vom Jahre 1772 kein
haben. Einzelne Versuche der russischen Gouv
juden zur Unterbindung ihres volkswirtschaftlic
wünschten Gewerbes in die Städte und Flecken ab
den zwar durch Verfügung der Zentralregierung
rückgenommen, doch genügten etwa zwanzig
Herrschaft, um der Regierung ein zwar noch ver
großen ganzen aber doch zutreffendes Bild über
stark proletarisierte und daher in der Wahl seine
wählerische jüdische Element zu vermitteln. Im
auch jetzt noch das Hemd näher als der Rock;
ließ es grundsätzlich bei den Zusicherungen de
manif estes von 1772, welches den Juden die g
privatrechtlich unbeschränkten) Betätigungsm
sichert hatte, wie solche der jüdischen Bevölk
den Judenprivilegien, von Seiten der Könige Pole
den waren. Als aber der Zudrang jüdischer reis
die Residenzen einen beängstigenden Umfang
man ein - nicht zum Schutz der Stammbevöl
erworbenen Westprovinzen, sondern um die in
schaft des Altreiches vor dem unerwünschten
Konkurrenz zu schützen: im Jahre 1791 ergin
Folgezeit schlechthin grundlegende Gesetz über d
jüdischen Siedlungsgemarkung, Auf Grund die
jüdische Bevölkerung nur auf dem Gebiet der
provinzen und im sog. »Neurußland«, dem der
südlichen Teil des Reiches, freizügigkeitsberec
ins Altreich, in das eigentliche Großrußland
Ukraine, war ihr verschlossen. Damit war die s
jüdische Siedlungsrayon, begründet, eine Maß
folgenden hundertzwanzig Jahren der russischen
die geographische Schichtung der Juden und dam
frage auch in den Nachfolgestaaten einen best
ausüben sollte; für die nachfolgende Steuerpol
jüdischen Untertanen hat sich die Begründung
markung ebenfalls - wenn auch nicht in dem
gewünschten Sinne - nachhaltig ausgewirkt. E
ginn der neunziger Jahre des 18. Jahrhunde
Gleichheitszusicherungen des Manifestes von

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die jüdische Sonderbesteuerung in Rußland 679

nicht haltbar waren; die Begründung der Tscherta hatte auf


dem Gebiet der Beschränkungen einen Anfang gemacht. Einen
Anfang allerdings, der vom Standpunkt der christlichen Stamm-
bevölkerung innerhalb der Tscherta - der vom jüdischen Vor-
dringen am meisten bedrohten Schicht - keinerlei Erleichterung
brachte, und der nur das Altreich vor jüdischem Zuzug schützte;
die Verhältnisse innerhalb der Siedlungsgemarkung wurden durch
diese Maßnahme nicht nur zuungunsten der Juden kompliziert:
schon sehr früh erhob sich innerhalb der Tscherta der Ruf der
Stammbevölkerung nach Auflockerung der Siedlungsgemarkung,
um der Judenschaft ein Abströmen und der christlichen Bevölke-
rung damit eine Erleichterung zu ermöglichen.
Eine Aufhebung der Siedlungsgemarkung kam - das Altreich
ging in seinen Belangen nun einmal vor - für die Regierung nicht
in Betracht. Es mußte ein anderer Weg gefunden werden, um das
Monopol der Juden auf Handel und Gewerbe zu brechen, jene
Stellung, die dem praktisch alleinigen Konsumenten - dem
Bauern - ebenso verhängnisvoll war wie den unbedeutenden
Wettbewerbern aus der Stammbevölkerung. Man fand diesen Aus-
weg in einem überaus zweischneidigen Institut: der Doppelbe-
steuerung der Juden.
Das Manifest vom Jahre 1772 hatte ursprünglich für die jüdische
Bevölkerung die Beibehaltung der aus polnischer Zeit stammen-
den Kopfsteuer vorgesehen; aber schon durch den Ukas vom
3. Mai 1783 (VGS. Nr. 15 724) war bestimmt worden, daß die
Juden den Steuern unterliegen sollten, die für die Stände und
Korporationen, denen die Juden sich zugeschrieben hatten oder
zuschreiben würden, allgemein galten ; Nationalität oder Bekennt-
nis durften, wie der Ukas ausdrücklich erklärte, die Steuerpflicht
nicht beeinflussen. Nun brachte der Ukas vom 23. Juni 1794
(VGS. Nr. 17 224) einen völligen, vom Gesetz nicht motivierten
Umschwung. Er bestimmte schlechthin, daß Juden, die in den
Gouvernements des Ansiedlungsrayons als Kaufleute oder Klein-
bürger eingetragen seien (praktisch also: alle Juden ohne Aus-
nahme, denn anderen Ständen gehörten die Juden nicht an), vom
1. Juli 1795 ab die doppelten Steuern gegenüber ihren christlichen
Standesgenossen zu zahlen hätten. »Wer aber von den Juden nicht
bleiben will«, fuhr das Gesetz wörtlich fort, »der soll berechtigt sein,
nach Maßgabe der Städteordnung, nach Entrichtung der doppelten
Steuer für drei Jahre im voraus, unser Reichsgebiet zu verlassen.«

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
68o Reinhart Maurach

Diese Verordnung hat in der damalig


mischen wie wissenschaftlichen Literatur ein erbittertes Für und
Wider ausgelöst. Eines war klar: es handelte sich unzweifelhaft
um ein gegen die Juden gerichtetes Ausnahmegesetz. Zwar ist von
russischer Seite (Schtschugurow im »Russischen Archiv« 1895) die
Behauptung aufgestellt worden, daß entgegen dem Wortlaut des
Gesetzes eine einseitige Belastung der Juden nicht vorliege, doch
sind die zur Stützung dieser Ansicht vorgebrachten Argumente
wenig beweiskräftig. Es mag sein, daß Rußland in jener Zeit einen
erhöhten Geldbedarf gehabt hat, und es mag auch zutreffen, wie
Schtschugurow im einzelnen belegt, daß ζ. Β. die Steuern einzelner
Gewerbekategorien damals nahezu verdoppelt worden sind; trotz-
dem bleibt die Tatsache bestehen, daß in einem solchen Falle die
Juden eben das Doppelte des erhöhten Satzes zu entrichten hatten.
Wenn weiter angegeben wird, daß die Juden schon mit einer sol-
chen Verdienstspanne arbeiteten, daß sie die Steuer mit Leichtig-
keit aufbringen konnten, so geht auch das am Kern der Sache
weit vorbei. Der Charakter des Ukases von 1794 als eines Aus-
nahmegesetzes steht vielmehr einwandfrei fest. Warum wurde nun
dieses Ausnahmegesetz erlassen! Das Gesetz selbst gibt hierüber,
wie gesagt, keinen Aufschluß, es sei denn, daß man die Erklärung
dazu rechnet, daß es jedem, der die Steuer nicht bezahlen wolle,
freistehe, das Reichsgebiet zu verlassen; das könnte auf eine
typische Emigrationsförderungssteuer hinweisen, wenn dem nicht
wieder der Nachsatz im Wege stände: nach Bezahlung der doppel-
ten Steuer im voraus; dieser spricht vielmehr für eine Finanz-
steuer. Dennoch ist nicht anzunehmen, daß dieses Gesetz zur För-
derung der jüdischen Emigration erlassen wurde. Deren Aussich-
ten waren in jedem Falle sehr gering, eine fühlbare Entlastung
konnte sie nicht bringen. Die Aufnahme/äAigfoitf der Nachbar-
staaten Österreich und Preußen, die selbst einen nur schwer ver-
daulichen Anteil an der polnischen Judenschaft verschluckt hat-
ten, war beschränkt - ihre Aufnahmebereitschaft war gleich Null.
Zudem hätte nur ein sehr geringer Bruchteil der Judenschaft die
Voraussetzung der freien Emigration, die Vorauszahlung der
doppelten Steuer für drei Jahre, erfüllen können. Juden, die das
Reichsgebiet wirklich verlassen wollten, hatten zu diesem Zweck
den üblichen und weniger kostspieligen Weg des illegalen Grenz-
übertrittes. Diese Erwägung scheidet daher als unwahrscheinlich
aus.

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die jüdische Sonderbesteuerung in Rußland 68 1

Vertreter des spärlichen jüdischen objektiven Schrifttums (so


ζ. Β. Hessen) vermuten gelegentlich, daß das Gesetz den Zweck
gehabt habe, die Auswanderung der Juden in die zum Reich ge-
hörenden Kolonialgebiete des Südens (Neurußland) zu fördern.
Das ist insoweit unwahrscheinlich, als die Anspornung der frei-
willigen Auswanderung gemeint ist, denn das Gesetz von 1794 sieht
für die in den Südgouvernements ansässigen Juden keinerlei
Steuererleichterungen vor; die Gesetzgebung über die jüdische
Agrarkolonisierung, die tatsächlich für jüdische Ackerbauer
Steuerermäßigungen und sogar Steuerfreiheit vorsah (Judenord-
nung von 1804 u. a.), erging zudem wesentlich später. Zutreffen
mag es äußerstenfalls, daß die Steuer endlich als Fonds für eine
zunächst nur in Erwägung gezogene jüdische Landansetzung im
Süden dienen sollte; konkrete Anhaltspunkte für diese Annahme
bestehen aber nicht.
So bleibt als einzige Möglichkeit tatsächlich die Annahme offen,
daß es sich bei dem Gesetz um ein Ausnahmegesetz im engen Sinne
dieses Wortes, um ein Kampfgesetz handelte, dazu bestimmt, den
Juden ein wirtschaftliches Hemmnis anzulegen. Bestätigt wird
diese Annahme auch durch die Steuerbestimmungen der zehn
JaJhre später erlassenen ersten Judenordnung (1804), auf die noch
zurückzukommen sein wird.
Es ist im übrigen für die Labilität und Unentschlossenheit der
russischen Judenpolitik recht bezeichnend, daß man es sogar in
den Kreisen der nationalrussischen Kommentatoren nicht gewagt
hat, das Kind beim richtigen Namen zu nennen. Statt offen zuzu-
geben, daß hier in der Tat eine wirtschaftliche Kampfmaßnahme
gegen das Judentum vorlag, ging man um die Sache herum und
verstieg sich gelegentlich zu der unwahrhaftigen Behauptung, daß
dieses Gesetz die Zusicherungen des Manifestes von 1772 nicht an-
taste. Auch hier finden wir die in der Folge so verhängnisvolle
Bagatellisierung oder Ignorierung der Judenpolitik durch die rus-
sische Öffentlichkeit.
Es ist allerdings zuzugeben, daß die Verteidigung dieser nicht
glücklich gewählten Beschränkungsmaßnahme keineswegs ein-
fach ist. Der Grundgedanke des Gesetzes, den indigenen Kaufmann
und Gewerbetreibenden vor der übermächtigen und geschlossenen
jüdischen Konkurrenz zu schützen, war an sich richtig - er ver-
trug sich aber nicht mit dem Grundgedanken der Siedlungsgemarkung.
Es bestanden, wenn man die Dinge auf den einfachsten Nenner

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
682 Reinhart Maurach

bringt, überhaupt nur zwei Möglich


das Ansiedlungsgebiet aufgehoben, m
dels- und Gewerbetreibenden in das A
deren drohender Konkurrenz durch
steuerung vor; oder man ließ die Tsc
dann aber auf die Doppelbesteuerung
rung der jüdischen Doppelbesteueru
Siedlungsgemarkung ein im gesamtst
licher und sinnloser Fehler. Mehr al
innerhalb der Tscherta waren ζ. Β
daher lediglich den internen Konkurre
einander, wenn man die Doppelbesteu
intensivierte man ihn zum Nachteil des
oder Verkäufers innerhalb der Tsche
doppelte Steuerlast abgewälzt wurde.
wurde aber nicht ausgeschaltet, denn
in den Gebieten der Ansiedlungszon
nämlich den jüdischen Handel, und
treibenden, nämlich wiederum den
antijüdische Konkurrenz bestand in die
- wohl aber ein schutzwürdiger Vert
dies nun der bewucherte Bauer oder
letzterer den Juden auch als unentbehr
betrachtete), der ausgenützte Heimarbe
diesen nützte aber die Doppelbesteue
Geringste, im Gegenteil: je mehr Ste
hatte, um so mehr wurden sie selbst
an sich richtige Abwehrmaßnahme d
mit einer anderen, für sich allein be
Beschränkungsanordnung (der Beg
rayons) in ihr Gegenteil verkehrt wu
fiskalische Erfolg. Dieser kann aber
setzes nicht herangezogen werden, d
bestimmt nicht Pate gestanden hat.
folgende Entwicklung lehrte, auch de
die jüdischen Gemeinden (Kahale),
Steuer unter eigener Haftung oblag,
für die Doppelbesteuerung die Kopfz
(durch Unterdrückung von Geburtsfäl
Todesfälle in den Registern, den berü

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die jüdische Sonderbesteuerung in Rußland 683

gering zu halten, daß die Steuereingänge stets weit hinter den An-
schlägen zurückblieben. So wurden in den Jahren 1816/1817 in
der Gegend von Minsk und Wüna »Seelenverheimlichungen« auf-
gedeckt, die sogar nach jüdischem Zugeständnis in die Zehntau-
sende gingen und den Staat um Millionen von Rubeln brachten.
Der Steuerukas wurde nachträglich auch auf die Landesteile
ausgedehnt, die infolge der letzten Teilung Polens erst nach seinem
Erlaß unter russische Oberhoheit traten, so im Jahre 1795 auf
Restpolen (anders aber lagen und blieben bis 1915 die Verhält-
nisse bezüglich des erst 1815 zu Rußland gekommenen »Zartums
Polen«, des ehemaligen Herzogtums Warschau, welches unter
Sonderrecht verblieb) und im Jahre 1799 auf Kurland. Hier wurde
jedoch bestimmt (VGS. Bd. XXV Nr. 18 889), daß die Auswande-
rungslustigen, die zur Entrichtung der doppelten Abgabe auf drei
Jahre im voraus nicht in der Lage wären, »unter Befreiung von
dieser Abgabe ins Ausland zu senden wären«; das im nächsten
Jahre bezüglich der (besonders unerwünschten) Juden in Kurland
ergehende Gesetz, welches diese Vergünstigung widerrief und für
die ohne Entrichtung der doppelten Steuer für drei Jahre im vor-
aus Fortziehenden Zwangsarbeit vorsah (Ukas vom 1. Mai 1800,
VGS. Bd. XXVI Nr. 19 409), ist praktisch wohl kaum zur An-
wendung gelangt, zeigt aber doch, daß die Doppelabgabe bestimmt
nicht zur Förderung der jüdischen Auswanderung dienen sollte.
Ein klareres Gesicht gewinnt die Judensteuer in der 1804 unter
der Ägide zuerst Dershawins, dann Speranskis erlassenen ersten
Judenordnung des Reiches. Dieses Gesetz läßt bereits die Grund-
züge der Politik erkennen, die in den folgenden fünfzig Jahren,
unter Alexander 7. und Nikolai /., durchgeführt werden sollte.
Das Gesetz ging etwa vom folgenden Standpunkt aus. Der Jude
in seiner überwältigenden Mehrheit war sozial unproduktiv; er
entzog sich nach Möglichkeit seinen staatsbürgerlichen Pflichten,
lag ungreifbaren und unkontrollierbaren Gewerben ob, hielt sich
in feindlicher Abschließung von der Stammbevölkerung fern,
durchsetzte diese aber wirtschaftlich in unerträglicher Weise; ins-
besondere das sog. Landjudentum fristete ein parasitäres, uner-
wünschtes Dasein. Demgemäß stellte das Gesetz auf die Besserung
des jüdischen Charakters ab. Dies sollte durch Förderung der jü-
dischen Schulbildung und durch die Erziehung der Juden zu ge-
regelten, sozial wertvollen Berufen angestrebt werden. Der länd-
liche Schnapshandel wurde den Juden untersagt, desgleichen hat-

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
684 Reinhart Maur ach

ten die Juden das flache Land binnen bestimmte


men (diese beiden Maßnahmen, die praktisch ein
des ganzen Gesetzes, blieben auf dem Papier).
Die jüdische Steuerpflicht wurde umfassend und
setzung geregelt : auch sie sollte das Ihrige dazu be
Juden an produktive Gewerbe zu gewöhnen. De
Juden, die sich dem Stande der Landwirte zuschre
auf dem Kolonialboden des Südens oder auch auf
senen Regierungsländereien in der alten Siedlung
Boden zu bearbeiten, für eine längere Zeitspann
Steuerfreiheit, im übrigen für immer Steuerpflich
nen Grundsätzen - d. h. Wegfall der Doppelbes
gesichert (Art. 19) ; Juden, die sich als Handw
kanten einschreiben ließen und derartige Gewer
trieben, sollten ebenfalls mit sofortiger Wirkung
steuerlichen Gleichstellung mit den Stammbewo
(Art. 21, 22).
Die im übrigen beibehaltene Doppelbesteuerung sollte daher
nach dem Willen des Gesetzgebers nur die Juden treffen, die fort-
fuhren, die als unproduktiv angesehenen Gewerbe auszuüben; als
solche unproduktiven Gewerbe bezeichnete der Gesetzgeber dabei
implizite die von den Juden bisher überwiegend gepflegten Er-
werbsarten, wie nicht gildenmäßig organisierten Handel, Zwischen-
geschäfte, vor allem aber die ungreifbare Tätigkeit der Landjuden.
Daß die insoweit beibehaltene Doppelsteuer eine ausgesprochene
Kampfsteuer darstellte, brachte der Gesetzgeber in Art. 29 selbst
unmißverständlich zum Ausdruck: »Wenn überhaupt alle Juden
in der Landwirtschaft, den Manufakturen und im Handel [d. h.
im gildenmäßig betriebenen, organisierten Handel, der nicht als
,unproduktiv' angesehen wurde] Stetigkeit und Fleiß zeigen wer-
den, so wird die Regierung Maßnahmen ergreifen, um sie in den
Steuern den übrigen Staatsbürgern gleichzustellen.«
Die an die Judenordnung von 1804 geknüpften Erwartungen
gingen jedoch in keiner Weise in Erfüllung. Versuche, die Land-
juden auszusiedeln und ihnen das Schnapsgewerbe abzuschneiden,
erlitten infolge der passiven Resistenz, wenn nicht infolge organi-
sierter Sabotage der mit der bestochenen Beamtenschaft zusam-
menarbeitenden Judenschaft vollen Schiffbruch. Die Zahl der
sich zur Kolonisierung im Süden Meldenden blieb weit hinter
den Erwartungen zurück; das gleiche galt für die Juden, welche

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die jüdische Sonderbesteuerung in Rußland 685

sich als »Handwerker und Fabrikanten« zu betätigen gewillt


waren. Das Ghetto verharrte in voller Abschließung und bei
seinen bisherigen Geschäften ; sein einziger Wunsch war, daß die
Schranke der Siedlungsgemarkung fallen möchte, damit die Mög-
lichkeit bestand, in den freien Osten hineinzuströmen. Von einer
solchen Maßnahme mußte aber die Regierung wiederum weiter
entfernt sein denn je; die Parole lautete von jetzt ab erst recht:
erst Besserung - dann Verleihung der Rechte. Unter diesen Um-
ständen spielten die in Aussicht gestellten Steuererleichterungen
praktisch keine Rolle. Sie kamen nur einem verschwindend kleinen
Teil der Judenschaft zugute. Die große Masse des Ghettos nahm,
nur um nach seiner Fasson weiterleben zu können, die Doppelbe-
steuerung in Kauf. Eine willkommene Milderung dieser Last bestand
in den inoffiziellen Möglichkeiten der Abwälzung auf der einen, der
Steuerumgehung mittels der schon erwähnten systematischen Fäl-
schung der Standesregister auf der anderen Seite. Auch auf dem letz-
teren Felde leistete die russische Beamtenschaft, durch Bande der
Bestechung mit den Kahalen liiert, dem Judentum unwürdige Hilfe.
Die Maßnahmen, die zur Verhinderung der Umgehung der
Steuerpflicht von der Regierung getroffen worden waren, erschei-
nen teils unzureichend, zum andern Teil überstürzt scharf, ohne
jedoch auch hier konsequent durchgeführt zu werden. Nachdem in
den Jahren 1816/17 die in die Millionen gehenden Steuerunter-
schleife der Minsker und Wilnaer Kahale aufgedeckt worden wa-
ren, war ursprünglich in Aussicht genommen worden, nicht nur
die doppelte Steuer für die »verheimlichten Seelen«, sondern auch
die vom Gesetz vorgesehene strafweise vierfache Steuer für die
Seelenverheimlichungen abzufordern. Es gelang jedoch jüdischen
Petenten - den sog. »Kahaldeputierten« Dillon und Sonnenberg - ,
eine Audienz beim Kaiser zu erwirken, in deren Verfolg die rück-
ständigen wie die Strafsteuern niedergeschlagen wurden, so daß
es bei der Doppelbesteuerung auch hinsichtlich der verheimlichten
Seelen nur für die Zukunft sein Bewenden hatte (Ukas vom
19. April 1817, VGS. Bd. XXXIV Nr. 26 805).
Der Repressionskurs verschärfte sich, als mit Nikolai /. der
russische Herrscher den Thron bestieg, der als erster berufen war,
der russischen Judenpolitik eine kompromißlose Ausrichtung zu
geben. Im Jahre 1827 wurde die Naturalrekrutierung auch auf die
bisher von ihr ausgenommene jüdische Bevölkerung ausgedehnt
- nicht, um eine Heeresvermehrung durchzuführen, sondern,

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
686 Reinhart Maurach

weil man sich von einer Einreihung


besondere der jüngeren und beeinflu
Kantonistenschulen ujid Truppen e
sprach. Im Zusammenhang mit die
Gesetz vom 7. Oktober 1830 (VGS.
ordnete, daß die jüdischen Gemeinden
Rekruten bzw. Kantonisten zu stelle
Kantonisten für je 500 Rubel Rück
für je 1000 Rubel Rückstand. Die B
möglicht recht interessante Einblic
der Juden, auf der einen Seite der Re
deren Seite der Steuerpflicht zu en
worden, daß die Staatskasse so gut w
halte, obwohl diese unablässig die Re
ten, an Stelle der Naturalrekrutier
von ihnen entgegenzunehmen; hier
Beweis, daß sie durchaus in der Lage
zahlen, daß sie aber diese Pflicht au
gingen . . .«
Trotz dieser durchaus richtigen Erke
rekrutierung schon nach ganz kurzer
in Wirksamkeit getreten zu sein - wie
10. Dezember 1830, VGS. Bd. V, Nr
der Steuerschulden der angeblich ste
dessen in der gleichen Zeit über um
sierten Bestechung verfügten) füh
(VGS. Bd. XXV Nr. 24 769) die Ersa
rückstände wieder eingeführt wurd
dieser Maßnahme erfolgte erst 1857
als nach dem Tode Nikolais I. die Rekrutenlasten sukzessive ab-
gebaut wurden.
Das Jahr 1835, in dem die bedeutsame zweite (und letzte) Ju-
denordnung des Reiches, im wesentlichen die bisherige zersplit-
terte Einzelgesetzgebung zusammenfassend, erlassen wurde, ist
auch das Sterbejahr der jüdischen Doppelbesteuerung : an deren
Stelle trat die jüdische Sondersteuer, die berühmte »Korobka«, die
alle Stürme der nachfolgenden Perioden überdauerte und, wenn
auch in teilweise abgeänderter Form, bis zum Zusammenbruch des
Reiches fortbestand. Die Einführung dieser Steuer erfolgte durch
den Ukas vom 4. März 1835 (VGS. Bd. X Nr. 7919) in Verbindung

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die jüdische Sonderbesteuerung in Rußland 687

mit § 72 der zweiten Judenordnung ; eine Ausgestaltung brachten


die folgenden Jahre. Die politische, aber auch wirtschaftliche
Bedeutung der Korobka rechtfertigt ihre eingehendere Unter-
suchung.
Schon in polnischer Zeit hatten die jüdischen Gemeinden
(Kahale) von ihren Mitgliedern neben den Staatssteuern eine interne
indirekte Abgabe zur Deckung der verschiedenen Gemeindebe-
dürfnisse (bei denen auch die Ansammlung illegaler Fonds eine
gewisse Rolle spielte) erhoben: es war dies die sog. Korobka-
(Korb-) oder Krugsteuer. Nach den Teilungen Polens wurde die
Erhebung der Korobkasteuer in den Gemeinden, in denen sie ein-
geführt war, vom Senat als interne jüdische Steuer anerkannt;
den Gemeinden verblieb nach wie vor freies Ermessen bei der Be-
stimmung der steuerpflichtigen Gegenstände und der Bemessung
der Steuersätze. Durchweg pflegten die jüdischen Gemeinden diese
Abgabe als Schlachtsteuer zu erheben, berechnet nach der Stück-
zahl des koscher geschlachteten Viehs oder Geflügels. Häufig wur-
den aber auch noch daneben unter dem gleichen Namen Abgaben
vom Verkauf von Koscherwaren, ferner von Salz, Fischen, Tabak
und Schnaps erhoben.
Im Laufe der Zeit begann die Korobka über ihren eigentlichen
Zweck (Deckung gemeindlicher Bedürfnisse, Besoldung der Ge-
meindefunktionäre u. a.) herauszuwachsen. Dies ergab sich aus
der Eigenart der Steuergesetzgebung in Polen wie auch in Ruß-
land. Wie die übrigen Stände unterlagen, wie wir sahen, die
Juden der Kopfsteuer (»Seelensteuer«), die stets in Abhängigkeit
von der ständischen Zuschreibung der Gemeindemitglieder ge-
staffelt war, indem der Kaufmann mehr bezahlte als der Klein-
händler, dieser wieder mehr als der Kleinbürger usw. ; für die Juden
kam in russischer Zeit noch die Verdoppelung der Sätze hinzu.
Diese Kopfsteuer wurde indessen nicht von den einzelnen »See-
len« eingezogen, sondern von den Gemeinden bzw. Standesvertre-
tungen - bei den Juden eben von den Kahalen. Diese hatten die
Zahl der jüdischen »Seelen« zu berechnen und die Gesamtkopf-
steuer als ihre eigene Schuld abzuführen - wie sie die Steuern von
ihren Gemeindegliedern hereinbekamen, das war ihre Sache. Bei
dieser Übung mußten die Gemeinden nun darauf bedacht sein, sich
selbst Einnahmequellen zu erschließen, aus denen sie ihre Steuer-
verpflichtungen decken, mindestens aber die unabweisbaren Aus-
fälle infolge der Zahlungsunfähigkeit einzelner Gemeindemitglieder

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
688 Reinhart Maurach

wettmachen konnten. Die jüdischen


und mehr dazu über, die Erträgniss
Deckung der Staatssteuern heranzu
ziehung war dies auch tatsächlich w
geübte Umlageverfahren. Es fielen d
bei der Einschätzung der einzelnen G
einzelne entrichtete die Steuer in Form einer Akzise und merkte
die Belastung weniger, und endlich bestand die Möglichkeit, die
Gemeindesteuern in Bausch und Bogen einem Pächter zu über-
tragen, der gegen Zahlung eines Abstandes an den Kahal das
Risiko der Beitreibung der Akzise übernahm, die er in diesem
Fall für sich behielt.
Der bewährte Finanzminister Nikolais /., Graf Cancrin, er-
kannte bald die auch für die Regierung nützliche Verwendungs-
möglichkeit der Korobka. In der Tat eröffnete sich hier ein Aus-
weg, die ständige, sich von Jahr zu Jahr steigernde Steuerver-
schuldung der jüdischen Gemeinden zu beheben. Es war an sich
auch der Regierung klar, daß diese zunehmende Verschuldung der
Kahale weniger auf der Pauperisierung der Juden und der dop-
pelten Staatssteuer beruhte, sondern daß die von den Kahalen
systematisch und mit größter Geschicklichkeit geübte Seelenver-
heimlichung im Falle ihrer Aufdeckung - und solche erfolgten
trotz allem von Zeit zu Zeit ! - und schließlich auch die passive
Resistenz der Kahale, die grundsätzlich auf einen »Nachlaß«
hofften, die Hauptschuld an dieser ungesunden Entwicklung
trugen - , noch war die richtige Feststellung der Regierung nicht
vergessen, die Judenschaft sei zwar angeblich nicht in der Lage,
Steuern zu bezahlen, auf der anderen Seite aber sei sie anstands-
los bereit, gewaltige Summen zur Ablösung der verhaßten Re-
krutenpflicht zu leisten.
Prima facie stellte daher die Legalisierung und Vereinheitlichung
der Korobka ein schlechthin ideales Mittel dar, um eine Sanierung
der Kahale herbeizuführen, zumal auch die Judenschaft selbst
diese indirekte Abgabe in ihrer charakteristischen Abneigung vor
Offenlegung ihrer Vermögensverhältnisse gegenüber dem Um-
lageverfahren bevorzugte. Eine erhebliche Schwierigkeit ergab sich
aber daraus, daß die Korobka, so wie sie gehandhabt wurde, zu
großen Teilen nicht die jüdische, sondern die christliche Bevölke-
rung bedrückte. Soweit sich die Korobka als reine Schlachtsteuer
auf Koscherfleisch oder als Besteuerung ritueller Gegenstände

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die jüdische Sonderbesteuerung in Rußland 689

(Lichte, Paradiesäpfel usw.) darstellte, blieb sie zwar im Rahmen


des intern jüdischen Lebens. Dieses Bild änderte sich aber, wenn
ζ. Β. der jüdische Kaufmann für Waren allgemeinen Verbrauches
die Korobkaakzise zu entrichten hatte. In diesem Falle war der
Aufschlag von dem christlichen Abnehmer zu tragen, die Abwäl-
zung ohne Schwierigkeiten vollzogen. Eine Schmälerung der Ko-
robka lag aber um so weniger im Interesse des Staates, als ziffern-
mäßig die Korobkasteuer in dem erhobenen Umfang annähernd
die Höhe der von den Juden erhobenen Staatssteuern erreichte!
Es ergab sich hieraus das mindestens eigenartige, mit Rück-
sicht auf die chronische Kahalverschuldung geradezu widersinnige
Bild, daß die Judenschaft in der Lage war, die gesamte von ihr
verlangte Steuer einschließlich anderer Abgaben (Postregal) aus
den Erträgnissen einer indirekten Steuer zu decken, die nach
jüdischem Zugeständnis nicht einmal besonders fühlbar war. Diese
Tatsache bedarf aus doppeltem Grund besonderer Unterstrei-
chung. Zunächst bestätigt sie erneut die schon an anderer Stelle
getroffene Feststellung, daß die jüdische Doppelbesteuerung des-
halb ein Schlag ins Wasser war, weil sie im Ergebnis den Christen
schwerer als den Juden traf. Ferner ergibt sich aus ihr, daß die
jüdische Doppelbesteuerung nicht so ruinös sein konnte, wenn es
schon möglich war, sie aus den Erträgnissen einer nicht besonders
fühlbaren Akzise zu bestreiten ; tatsächlich wurden durchschnitt-
lich je Stück Rindvieh nur 1 bis 2 Rubel, je Gans 4 bis 5 Kopeken
Korobka erhoben.
Die zu Beginn der dreißiger Jahre durch Cancrin eingeleitete
Reform der Korobka, für welche die geschilderten Gesichtspunkte
maßgebend waren, kann als gelungene Lösung betrachtet werden.
Cancrin teilte die Korobka in drei Kategorien. Die erste umfaßte
solche Handelsartikel, deren Umsatz und Verbrauch sich nur
auf jüdische Kreise beschränkte (Koschervieh und -geflügel; Lichte;
andere rituelle Gegenstände), so daß hier eine Abwälzung der
Steuer auf den Konsumenten ausschied. Zur zweiten Kategorie
gehörten Abgaben auf die von den Juden verkauften Waren des
allgemeinen Verbrauches. Hier war zwar eine Abwälzung möglich;
doch wurde sie nach Kräften dadurch beschränkt, daß eine Steuer
auf diese Waren zweiter Kategorie nur dann gelegt werden durfte,
wenn die Erträgnisse der ersten Kategorie nicht ausreichten. Zur
dritten Klasse gehörten endlich verschiedene Abgaben aus Beur-
kundungen, Geldstrafen und ähnlichen Posten.
Zeitschrift für die ges. Staatswissensch. 99. 4. 45

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
69O Reinhart Maurach

Die Vorschläge Cancrins wurden Gesetz; die


ordnung vom 25. Oktober 1839 (VGS. Bd. XIV
nahm sie vollständig ; nachdem schon die zweite J
Doppelbesteuerung abgeschafft hatte, war prak
liche Erleichterung der Lage der jüdischen Gem
die Kahale hatten jetzt nur die allgemeinen Sta
richten, und zur Begleichung dieser Steuern w
dem zulässig bleibenden Umlage verfahren (§
nung) durch das Gesetz von 1839 die Korobka a
gleichsteuer eingeräumt; erst ein halbes Jahrz
führte die jüdische Schulreform dazu, daß aus
besonderen jüdischen Schulen zu finanzieren w
Die Tatsache, daß diese - wenn auch kurzle
erleichterung zugunsten der jüdischen Bevölkerun
flut der Repressionsgesetzgebung unter Nikolai
läßt sich schwer einheitlich erklären. Da die F
zungsmöglichkeit dieser Steuer auf den christlich
Cancrin in hohem Maße bewegt hat, ist es am wah
daß er mit Rücksicht darauf, von der Nutzlosigke
Steuer als einer Kampfsteuer überzeugt, den
mag aber auch sein, daß zunächst eine durchgr
der Kahale herbeigeführt werden sollte, ehe neue
steuerlichem Gebiet gegen die Judenschaft eingel
Diese Erwägungen können indes auf sich b
Korobkasteuer in der geschilderten Form nur
bestanden hat. Schon kurze Zeit nach dem Erl
setzes von 1839 trat das sog. Fünfte Judenkomite
kräftigen Grafen Kisselew mit dem ihm vom
wordenen Auftrag zusammen, die »radikale U
entgegen allen bisherigen Bemühungen nicht as
denschaft in die Wege zu leiten; es begann die
zum Tode Nikolais währende Periode der »Einf
oder Brechen«. In Erfüllung dieser Aufgaben
mitee - neben anderen, weit einschneidenderen
eine grundlegende jüdische Schulreform (zur B
mudischen Geistes der Judenschaft) sowie die
jüdischen autonomen Verwaltung durch Beseit
Daraus ergab sich die Notwendigkeit einer dur
form der Korobkasteuer. Denn einmal sollt
Schulen weltlichen Typs aus den Erträgnissen der

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die jüdische Sonderbesteuerung in Rußland 69I

ziert werden ; zum anderen mußte die Erhebung der Steuer selbst
neuen Organen übertragen werden, die an Stelle der Kahale tra-
ten. Diese Reform wurde durch das Gesetz vom 19. Dezember
1844 (VGS. Bd. XIX Nr. 18 545) durchgeführt, dessen Urheber
der Staatssekretär im Finanzministerium Wrontschenko war.
Diese Reform, die für den einzelnen Juden eine Verschlechte-
rung seiner steuerlichen Behandlung brachte, lag durchaus im
Zuge der nach 1840 angebahnten Entwicklung, die den Kulmi-
nationspunkt der folgerichtigen repressiven Gesetzgebung dar-
stellte. Ihre leitenden Gesichtspunkte lassen sich kurz wie folgt
zusammenfassen. Schuldner der allgemeinstaatlichen, für die jüdi-
schen wie christlichen Stände gleichen Steuern sind nicht mehr
die Standesgesellschaften oder Gemeinden (Kahale), sondern die
einzelnen Steuerzahler; die Korobka wird zu einer unmittelbar
staatlichen Steuer und neben den übrigen Staatssteuern von den
Juden erhoben. Sie wird zwar im wesentlichen nach den bisherigen
Grundsätzen eingezogen, aber ausschließlich von den staatlichen
Behörden (Renteien) verwaltet. Nach dem neuen Gesetz war die
Korobka zu einer obligatorischen, genau normierten Abgabe ge-
worden, bei der Besteuerungskreis und Taxen der Entscheidungs-
gewalt der jüdischen Gemeinden entzogen waren. Der Kreis der
steuerpflichtigen Gegenstände und Handlungen war gegenüber
der früheren Regelung im großen und ganzen unverändert, mit
Ausnahme der Steuer auf Sabbathlichte (der sog. »Lichtsteuer«),
die jetzt eine besondere Ausgestaltung erfuhr. Das Charakteri-
stische dieser Sonderart der Korobka bestand darin, daß die Er-
trägnisse der Lichtsteuer ausschließlich zur Erhaltung der jüdischen
Schulen dienen sollten, während die übrigen Posten der Korobka
(Schlachtsteuern, Umsatzsteuern usw.) zur Erhaltung von Kran-
kenhäusern, Altersheimen u. a. (sog. »örtliche Ausgaben«) und zur
Deckung der Defizite unvermögender jüdischer Gemeinden (sog.
»Gouvernementsausgaben«) bestimmt waren. Besonderer Erwäh-
nung bedarf eine Form der Korobka, die als Kleidersteuer, nämlich
für das Tragen der spezifisch jüdischen Kleidung (der pelz verbräm-
ten Röcke und Mützen) in Erscheinung trat. Zweck dieser Vorschrift
waren weniger fiskalische Erwägungen als das Bestreben, die Ein-
fügung des jüdischen Elementes durch Erschwerung seiner äußer-
lichen Absonderung durch eigene Trachten zu fördern. Im Jahre
1850 erfolgte dann das endgültige Verbot jüdischer Kleidung.
Proteste und Widerstand rief diese Maßnahme übrigens nur im
45*

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
692 Reinhart Maurach

Ghetto hervor, denn das Reformjudentum ha


den Wert äußerlicher Mimikry erkannt und d
bot bei der Regierung selbst angeregt. In der
Trachtenverbot indes nicht genau eingehalten w
Kleidersteuer bis zum Ausbruch des Weltkrieg
gespielt hat; so waren für das Recht zum Trag
»Jermolka« jährlich 5 Rubel in Silber zu entric
Die Höhe der Korobkasteuer richtete sich nach
sprechend der Größe der Städte und Flecken ab
Die Erhebung der Korobka erfolgte zum Teil d
Stadtverwaltungen, überwiegend aber durch Steue
die letzteren wurden insbesondere die Schlacht- und Lichtsteuern
eingezogen; Mißbräuche durch die durchweg jüdischen Steuer-
pächter waren sogar nach jüdischen Angaben durchaus an der
Tagesordnung. Aber auch dort, wo die Korobka ohne »Entre-
prise«, mithin direkt erhoben wurde, wurde ihre Eintreibung be-
sonderen Steuereinnehmern übertragen, die - um durch genaue
Kenntnis der Verhältnisse Hinterziehungen vorzubeugen - aus-
nahmslos selbst Juden waren, ebenso wie auch die »Taxatoren«,
die ihre Stellung zu dreister Ausbeutung ihrer Rassegenossen miß-
brauchten. Welche Versuche im übrigen zur Umgehung der Steuer
von Seiten der Juden durch Führung falscher Bücher, Benutzung
falscher Waagen und ähnliche Kunstgriffe unternommen wurden,
lassen die zahlreichen Bestimmungen des Gesetzes von 1844 selbst
am besten erkennen.
Der Verwendungszweck der Korobka im allgemeinen, die, wie
nochmals zu betonen ist, neben den allgemeinen Staatssteuern
erhoben wurde, ist bereits im vorhergehenden erwähnt worden.
Die Verwaltung der nur für die jüdischen Schulen bestimmten
Lichtsteuer als einer Unterart der Korobka erfolgte durch das
Kultusministerium, im übrigen durch die im einzelnen zuständigen
Staatsbehörden - eine notwendige Folge aus der Beseitigung der
jüdischen Autonomie im Wege der Abschaffung der Kahale. Übri-
gens waren schon allein die durch die Lichtsteuer zusammenge-
kommenen, lediglich für das jüdische Schulwesen bestimmten Be-
träge nicht ganz unerheblich ; so geht aus dem Reichsratsgutachten
vom 31. Dezember 1851 hervor, daß die Lichtsteuer für das letzte
Rechnungsjahr allein 230 000 Rubel erbracht hatte.
Mit der Jahrhundertmitte schließt die Evolution der Juden-
steuergesetzgebung. Die folgenden Jahrzehnte, und zwar sowohl

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms
Die jüdische Sonderbesteuerung in Rußland 693

die judenfreundliche Gesetzgebung Alexanders II. als auch der


mit Alexander III. einsetzende und unter Nikolai II. fortgeführte
Kurs der Abwehr, ließen die Steuer unangetastet. Erst die Stürme
der Revolution von 1917 beseitigten diese Maßnahme, an der die
Regierung, wie es den Anschein hatte, zuletzt jedes Interesse ver-
loren hatte.
Rückschauend werden wir die jüdische Sondersteuer unter den
speziellen Umständen und Verhältnissen des Reiches als Fehlschlag
bezeichnen können. Sie war, daran besteht kein Zweifel, als Kampf-
steuer eingeführt worden ; als man sich, schon unter Cancrin und
Wrontschenko, davon überzeugt hatte, daß Judensteuer und Sied-
lungsrayon zwar getrennt geeignete Beschränkungen darstellten,
daß sie aber vereint einander widersprachen, kam es dazu, daß
man sie - und das angesichts des Hochkampfes gegen das Juden-
tum in den vierziger und fünfziger Jahren ! - halb zu einer Finanz-
steuer, halb zu einer jüdischen Belangen dienenden Steuer aus-
baute, ihren Kampfcharakter aber zurückdrängte. Soweit es dabei
um die Verhältnisse innerhalb der Tscherta ging, vielleicht mit
Recht. Seit Alexander II. war aber der eigentlich gefährliche Geg-
ner nicht mehr der im »Rayon« verharrende Mann aus dem Ghetto,
nicht mehr der orthodoxe, an seiner Kleidung und Gewohnheit
haftende Jude, sondern der Jude, der auf Grund der Lockerungs-
gesetzgebung der sechziger und siebziger Jahre die Tscherta durch-
brochen hatte: der Großhändler, der Geschäftsmann, der Akade-
miker. Gegenüber diesen Elementen war die Neubegründung oder
Intensivierung einer ausgesprochenen Beschränkungs-, mithin
Kampfsteuer unbedingt am Platze; denn hier, außerhalb der
Tscherta, bestand tatsächlich eine schutzbedürftige nicht jüdi-
sche Konkurrenz, und hier - nur hier - hätte die folgerichtig
ausgestattete Kampfsteuer das erreichen können, was die Doppel-
steuer für den Mann aus dem Ghetto nicht geschafft hatte. Tat-
sächlich verblieb es aber auch außerhalb des Rayons bei der prak-
tisch kaum fühlbaren, die Wettbewerbsfähigkeit keineswegs be-
einträchtigenden, den christlichen Wettbewerber in keiner Weise
schützenden Korobka. Der Elan des Jahres 1794 war verflogen ;
und als das Jahr 1882 unter Alexander III. die entscheidende
Umkehr zur Abwehr des fremden Elementes brachte, war die
Entschlußkraft zur Wiederherstellung der alten Kampfsteuer in
neuer, wirksamerer Form nicht mehr vorhanden.

This content downloaded from 132.174.250.76 on Sun, 26 Sep 2021 04:15:55 UTC
All use subject to https://about.jstor.org/terms

Das könnte Ihnen auch gefallen