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Class- O5 Z- - --------
Book KS -
Acc. … 2 / 3 8S
32°“
III
-
* * * " -
Der Kunſtwart
Und Kulturwart
Herausgeber
Ferdinand Avenarius
München
Georg D. W. Callwey
Für das Inhaltsverzeichnis
Die erſte Ziffer
Aundſchau-Beiträge,Ä das Heft, die zweite die Seite an. Die „Größeren Aufſätze“, die
die letzteren in den Heften unter der Mberſchrift „Vom Heute fürs
Morgen“, ſind nach dem Erſcheinen, Bilder (dieſe ſoweit als möglich), die Woten und
die Bücherbeſprechungen nach dem Alphabet geordnet. Aber die Mitarbeiter unterrichtet
eine beſondere Zuſammenſtellung am Schluſſe des Verzeichniſſes.
-
Allgemeineres
Größere Aufſätze Zwei Gerichtsurteile 89
Wer ſind „wir“? (Bonus) 15 97 | „Meine Herren und
Pfingſten (Avenarius) 17 169 Frauen!“ (Avenarius) 95
Religion
Rundſchau-Aufſätze
Gelegentlich der Matthäus-Paſſion 14 94
Kirchengeſangbuch (Hundt) 17 200
Vom evangeliſchen
Kunſt
Größere Aufſätze Rundſchau-Aufſätze
Die feindlichen Kunſtraub Simmel und Volkelt über
pläne (Grautoff) 15 107 den Expreſſionismus 15 40
Zur zweiten Älage des Uberphotographie (Hanſen) 15 42
„Bildes als Aarr“ (Ave Aach Franz Metzners Tode
narius) 16 139 (Avenarius) 14 95
Sehnſucht nach dem Stil I Hingabe an Kunſtgenuß
Brieger) 17 177 (Schumann) 14 95
Leonardo da Vinci zu Ethiſches in der Kunſt
ſeinem 400. Todestag (Bekker) l5 125
(Hefele) 18 211 | Deutſche Freireich-Brief
Sehnſucht nach dem Stil marken mit Bildniſſen 15 126
Dichtungen
Vorſpiel zum Fauſt (Ave Dichterbekenntnis (Lerſch) 145
narius) 15 20 | Gedichte einer Deutſch
17
Helena-Sukkuba (Avena Öſterreicherin (Eckhel) 186
Literatur
Größere Aufſätze Rundſchau-Aufſätze
Um den Fauſt 1 (Avena Zu Gleims zweihundert
rius 15 ſtem Geburtstage (Hoff
32
Die deutſche Dichtung und mann) 15
Der Ziviliſationsliterat 32
das Ausland (Walzel) 15
Ju
15 9 |
- Die deutſche Dichtung und Keine Kriegsgreuel in
das Ausland (Schluß) gendbüchern! (Frone
(Walzel) 14 57 mann) 14 94
TUm den Fauſt 2 (Avena Zu Guſtav Landauers Tode
rius) 14 67 (Friedrich) 156
Klaus Groth (Hoffmann) 15 1 10 | Zum Thema Walt Whit
Aeuere ſkandinaviſche Er PIRON 18 252
3ählungen (Aidden) 17 174
Klabund (Schumann) 18 218
ll
D-
* -
s“.
--
2.
-- ...
»
Sprache
Rundſchau-Aufſätze
„Der Alp“ 194
1
?
Theater
Rundſchau-Aufſätze
Berliner Theater (Düſel) 15 54 | Theater-Kulturkampf
Die Poſſen-Grimaſſe (Schumann) 17 195
(Beyer) - 15 56 | Eine ſtaatliche Filmſtelle
Berliner Theater (Düſel) 14
90 in Wien (Joſch) 17 196
Berliner Theater (Düſel) 16 157 | Berliner Theater (Düſel) 18 235
Fauſt II auf der Dresdener
Bühne (Avenarius) 16 159
Muſik
Rundſchau-Aufſätze Zu Jacques Offenbachs
hundertjährigem
Paul Büttner (Liebſcher) 15 57
Geburtstage (Brandes) 17 198
Kunſttroſt und Politik 16 165
Philipp Wolfrum (Bran
Die Muſik ſeit 25 Jahren 200
des) 17
(L. S.) 17 U97
17
Rundſchau-Aufſätze
Arbeit (Hoffmann)
Der neue Literariſche Aat
Weltpolitik
Volksabſtimmungen und
Größere Aufſätze
Volksbeſtechungen 14 84
Die Oſtfragen: 1. Der Zur Kriegs-Gegenrechnung
Friede von Breſt-Litowsk (Taufkirchner) 14 85
(Rohrbach), Wilhelm über Bis
II.
15 U4 |
Oſtpolitik: Die ukrainiſche marcksEntlaſſung(Stern
2.
14
Frage (Rohrbach) 64 85
feld-Bonus) 14
Wiſſen ſie, was Die Schuld am Kriege
ſie
tun? 1G 150
(Avenarius)
U*
16
Elſäſſiſches 16 150
|
15 von
|
Volksbildung
Größere Aufſätze ANicht ableſen, verarbeiten! 16 165
Politik in der Schule
ch Politiſcher Mißbrauch der
(Cauer) 16 158 Kinder (Martin) 17 205
- - **Bildungsparlament?
(Bonus) 18 225
Rundſchau-Aufſätze
Von der guten „Kinder-
Ein deutſches Sittenbuch
(Haecker) 18 238
ſtube“ (Hoffmann) I5
Ju
44
ZFerienheime für unſre
gend (Hoffmann) 15 12?
Lebensordnung
Größere Aufſätze Das Freideutſchtum am
Philoſophie der Arbeits Scheidewege Hoffmann) 16 165
loſigkeit (Aatorp) U4 49 Keine „ Sommerzeit“
Vom Kulturſterben der (Streicher) 16 165
Menſchheit (Bauch) 17 U79 Das Wartezimmer(Fiſcher) 18 256
Kommunismus im Mittel
alter (Hoffmann) 18 245
Rundſchau-Aufſätze
Anreden 15 44
Zorderungen des Tages
(Züricher) U5 44
Unter uns
Dürervereine (Avenarius) 15 46 | Konſervative Mitarbeiter(A.)16 U67
Fünfundzwanzig Jahre „Dürergeſellſchaft Groß
mit Callwey (A.) 15 47 Berlin“ 16 168
AlfredH-Fried(Avenarius) 14 95 | Aachſicht! 17 207
ANach den Münchner Wo- Aus unſeren Aöten und
chen (Avenarius) 15 127 ANötchen U8 247
Totgemeldet (Schumann) 16 166
Lebende Worte
ammen übermaß(Goethe) 15 47 | Wolken und Regenbogen
Arbeit! (Wildenbruch) 14 96 (Luther) 17 208
Die ANot (Hölderlin) 15 128 | Erkenntnis und Liebe (nach
Trotz alledem! (Nobert Leonardo da Vinci) U8 247
Burns) 16 168
Vollbilder
Heft Heft
Proben aus Avenarius: Das Kreidolf, Ernſt: Blumenringel
Bild als Marr 16 reihen
Brendel, Alexander: Walther Leonardo da Vinci: Turiner
von der Vogelweide Selbſtbildnis
– – – Chriſtuskopf aus dem
17 U8
Budzinski, Robert: Frühling 16
Gamper, Guſtav: Mailänder Abendmahl
– – – Zeichnung
Aömiſche 18
Stadtmauer aus der Brera
–Straßburger
––
15 18
Gogh, Vincent van: Die Farm 14 Chriſtuskopf nach der
Kreidolf, Ernſt: Eitzenbergerin 15 Zeichnung 18
Olde, Hans: Klaus Groth 15
Textbilder
Heft Heft
Diefenbach - Fidus: Schlußſtück 13 Sieck, Rudolf: Kopfleiſte 6
Dürer: Kopfleiſte 14 Speckter: 5 Bilder zu Groths
Manes: Kopfleiſte U5 Gedichten U5
Aoegge, Wilhelm: Kopfleiſte 17 Volkert, Hans: Schlußſtück 18
Schmidt,. . Fritz Philipp: Weingärtner, Willibald:
Kopfleiſte
– – – Zeichnung
Schlußſtück 17 15
18
Illuſtrationsbeilagen Heft
- 8 Abbildungen zu Klopfer: „Aus der Praxis einer Bauſchule“ 18
Noten
Heft
Büttner, Paul: Aus der Des-dur-Sinfonie 15
Bücherbeſprechungen im Büchertiſch
Heft Heft
O. Hammann, Zur Vorgeſchichte ANordlandbücher 17
des Weltkrieges 18 E. Aaßmuſſen, Der Beichtteufel 17
W. Heilpern u. Otto Meurath: W. Aathenau, Zeitliches 18
Der Kompenſationsverkehr im W. Rathenau, Der Kaiſer 18
zwiſchenſtaatlichen Warenhandel 15 A. Strindberg: Die Schlüſſel
* G. Landauer: Aechenſchaft 15 des Himmelreichs 17
H. Mann, Der Untertan 17
VI
Verfaſſer
Anonym: 28; 52; 40; 44; 14,
15, Hanſen, Fritz: 15, 42.
8&; 89; 94 ; 15, 122; 16, 145; 149; Hefele, Hermann: 18,
21
U.
A50; 15 U; U56; 165; 65. Hoffmann, Paul Theodor: 15,.
Avenarius, Ferdinand: 15, 1; 52; 44; 15, 10; 127; 165; 17, 207;:
1
20; 51; 5 U; 46; 47; 14, 67; 71 ; 18, 245.
80; 88; 95; 94; 95; 95; 15, 120; undt, Paul: 17, 200.
121; 121; 125; 126; 127; 128; oſch, E: 17, 196.
eller, Adolf:
6;
16, 151; 139; 159; 167; 17, 169; 15, 14, 53.
194; 202; 18, 224; 252; 256; 245; Klopfer, Paul: 18, 257.
246 Krafft, Kurt: 15, 56.
Bauch, Bruno: 17, 179. Krojanker, Guſtav: 18, 219.
Bekker, Paul: 15, 125. Lemke, B: 16, 142.
Beyer, G.: 13, 56. Lerſch, Heinrich: 16, 145.
Böhm, Hans: 18, 222. Liebſcher, Artur: 15, 57.
Bonus, Artur: 15, 18; 25; 27; 14, Martin, Marie: 17, 205.
84; 85; 87; 15, 97; 122; 16, 157; Migge, Leberecht: 15, 12.
17,172; 201; 204; 18, 225; 228; Aatorp, Paul: 14, 49; 15, 100.
250; 251. Aidden, E: 17, 174.
Brandes, Friedrich: 198; ohrbach, Paul: 15, 14, 64
A
1?, 14;
200 Schairer, Erich: 15, 29; 15, 124;
Brieger, Lothar: 17, 177; 18, 215. 17, 204.
Cauer, Paul: 16, 138. Schumann Wolfgang: 15, 16;.
Düſel, Friedrich: 15, 54; 14,90; 50; 14, 89; 95; 152; 162; 166;
6,
U
16, 157; 18, 235. 17, 195; 18, 218.
Eckhel, Anna Hilaria von: 17, Spectator: 15, 25; 14, 80; 16, 146;
186. 17, 191.
Egloffſtein, Leo von: 5, Sternfeld,
29.
16, 165.
Fronemann, Wilhelm: 14, 94. Taufkirchner: 15, 29; 14, 85;
Grautoff Otto: 15, 107. 85; 190; 202; 205; 18, 250.
17,
Grimm, Ludwig: 15, 45; 17, 200. Ullmann, Hermann: 18, 209.
Groth, Klaus: Walzel, Oskar: 15,
9;
VII
Wirtſchaft und Lebensordnung
Anonym:
ſtem
ſchaft
in
Das Taylorſy
Zukunftswirt
der
55
Ä
ſchaftlicher 15
ſtrafen 15 53 Bauerngeiſt 14 62
und Sozialiſierung 15 54 Rodbertus - Jagetzow:
apitalismus und Straßen Stimmen d. Vergangen
architektur 14 64 heit 15, 56; 14., 64; 15, 71, 72.
Wiederaufnahme unſerer Schairer, Erich, Aufrei
andelsbeziehungen mit zendes 14 63.
Auslande
em 15 65 Schumann, W.: Die Angſt
Zur Aationaliſierung der um die geiſtigen Güter II 15 50.
Landwirtſchaft 15 69 Das Sozialiſierungsgeſetz
Geldwirtſchaftliches 15 71 des Aeichs 14 57
Freier Handel 17 79 Vom Handel I 14 60
Fon ſow: Sozialiſierung und Vom Handel II 15 67
Landwirtſchaft 18 87 Die Angſt um die geiſtigen
Frankenberg, G. von: Der Güter III 17 75.
Luxus und die Kunſt 18 81 Lenin d. ruſſiſche Wirt
George: Stimmen der Ver CI e 17 78
gangenheit 18 Vom Handel II (Fortſetzg.) 18 83
Grünfeld, E.: Gedanken Ein Sozialiſierungskongre ß 18 86.
über Völkerbund und Ko Vogelſang: Stimmen der
lonien 17 75 Vergangenheit 17 80.
Marx: Stimmen der Ver
gangenheit 14, 64; 15, 72
/> «Z» zz.»/«z/ º zzzo/
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E-F-S ---
UÄ
Um den Fauſt
nſer erſtes Heft, das wieder „Kunſtwart“ ſchlichtweg heißt! Wieder:
und wieder beſtimmt, wie ehedem, ein Stelldich
ein für Gedanken zu bieten nicht nur aus allen reichsdeutſchen Par
teien, ſondern aus allen Ländern der Erde, wo immer man als Angehörige
der deutſchen Sprachgemeinſchaft und Kulturverwandtſchaft ſich verſtehn
und ſich verſtändigen will. Welches Thema deutſcher als das vom Fauſt?
iſt
ob
auch aus ihrem Wirren und Weh unſerm dunklen Drange des rechten,
in
Weges bewußt ſind? Mit betrachtender Verſenkung darein und mit dem
einer dichtenden Weiterarbeit von Kräften, die
im
Verſuch Fauſtſtoffe
ich
MÄ annigfaltig
und Sagen können verſchieden
entſtehen, ſie können
befruchten, verengen
und ſeltſam miſchen und
ſich
und
zu
verflüchtigen,
ſo
daß ſchließlich nichts mehr von ihnen bleibt als ein buntes Kinderſpiel
oder ein grauer Aberglaube oder ein verflatternder Schleier Aedensart.
Sie können ins Scheinwachſen kommen durch Anballen von andern Sagen
ſtoffen, wie der Schnee, wenn rollt, aber auch ins Wachſen aus der
er
Seele treibt. Die Fauſtſage hat eine Geſchichte ſowohl des Scheinwachſens
wie des Wachſens aus Erzählerluſt, als auch jenes wertvollſten Wachſens, des
Treibens aus einem ſeeliſchen Kern ihrer Tiefe. Im Scheinwachſen
in
war ſie, zumal im Anfang, als mehr und mehr alte und neue Zauber
geſchichten dem Hexenmeiſter Fauſto zugeſchrieben wurden, Zaubergeſchichten
Aprilheft (XXXII.
v“
1.
1919 15)
1
von irgendwem, und weiter nichts, als eben Zaubergeſchichten. Im Wachſen
aus Luſt am Erzählen entfaltete ſie ſich, inſofern ein durch deutſche und
fremde Länder angeblich oder wirklich herumvagierender Tauſendkünſtler
beſonders reiche Gelegenheit bot, unterhaltend und nachdenkſam zu fabu
lieren, wobei denn auch beſagten Zauberers Perſönlichkeit je nach des
Verfaſſers Phantaſie feſteren Umriß annehmen mochte. Aber damit
iſt
noch nicht das berührt, was dem Fauſtſtoff allmählich dazu verholfen hat,
gewiß für den Deutſchen, vielleicht für die Menſchheit der größte Gegen
ſtand der Dichtung überhaupt Das tiefſte Treibende
zu
in
werden. der
Fauſtſage war, ſehe ich recht, das ſehnende und ſuchende und meiſt ganz
unbewußte, ganz verſteckte religiöſe
Gefühl.
Graben wir dem nach,führen uns Wurzelfäden, die unterm Boden
ſo
laufen, Sagen hin, die über Tag mit ganz andern Blumen blühn.
zu
Manche reichen hinüber bis ins Morgenland, manche ſenken ſich bis
ins Altertum hinab, geradezu ein Vorgänger der Fauſtſage aber,
in
der
ANähe auch nach Zeit und Raum, die Sage vom Tannhäuſer.
iſt
Auch
der „wollte groß Wunder ſchauen“, da zog „Venus der Düve
zu
er
linnen“, wie Fauſt Venus-Helena, immerhin, das
zu
iſt
Helena kam.
ein Aebenzug; der ſtarke gemeinſame Wurzelſtock, der die ältere wie die
jüngere Sage trieb, liegt tiefer. Aus dem Drange „groß Wunder zu
ſchauen“ freveln beide Sünder gegen das Kirchengebot, beide bereuen
–
nach geſchloſſenem Pakte, beide verdammt die Kirche trotz ihrer Reue
und bei beiden das Gefühl der Mythenbildner mit dieſem ihrem
iſt
oder
„Der Sünder mag ſein groß will,
er
ſo
zu
von Beunruhigung
iſt
–
nicht milder, ſondern ſchärfer bekämpft als Schwäche des Fleiſches und
ihr Gefühl kam ſeltſam Widerſpruch gegen das „er ſei
in
dennoch:
verdammt“. Anfangs ganz unbewußt; man ließ der Fauſt- Geſchichte
ihren Gang, aber man zeichnete ihren Träger Fauſt mit andern Zügen,
als man einen ſchlechtweg Verabſcheuungswürdigen zeichnet. Kann man
ſchon hier davon ſprechen, daß das germaniſche Gefühl für den bereuenden
Verbrecher gegen das Gottesgebot um Gottes Gnade wirbt? Jedenfalls:
mehr die Fauſtſage durch ſtarke und feurige Herzen,
ſie
je
je
mehr durch
die Fauſt
ſie
ſind, daß wir uns erſt bewußt machen müſſen, wie höchſt erſtaunlich
es
iſt: ein Sünder, der ſich dem Teufel verſchrieben hat, wird dem deutſchen
Dichten zur teuerſten Verkörperung des Idealismus.
2
Schon die älteſte „Hiſtoria von D. Johann Fauſten, dem weit be
ſchreyten Zauberer und Schwarzkünſtler“, die 1587 zu Mainz erſchien.
ſchon ſie zeugt davon, daß ſein Verfaſſer ein beſonderes Metall im Fauſt
ſtoffe geſpürt. Zwar gibt auch
ſie
eine Sammelſchnur für echte Perlen
und billige Glaskugeln alter Zaubergeſchichten, aber gibt mehr. Sie
ſie
zeichnet als ihren Träger einen Menſchen,
es
ganz deutlich, daß
iſt
und
ihr Verfaſſer den nicht nur verabſcheut, ſondern auch mit einer Art ſcheuer
und heimlicher Bewunderung ſieht. Die Renaiſſance war über ihre Blüte
hinweg, der Humanismus hatte verſagt und entſagt, die Reformation war
räumlich zurückgedrängt, die Entdeckungen der neuen Welt und die Er
oberungen des Geiſtes jenen großen Jahrzehnten ſchienen
in
in
ihrem
Segen nun zweifelhaft, auch die Befreiungskämpfe der Bauern waren
es
längſt niedergeſchlagen, die politiſchen Freiheiten überhaupt ſanken,
bereiteten ſich jene Verhältniſſe vor, aus denen dann der Dreißigjährige
Krieg erwuchs. Möglich, daß irgendwo ein Tauſendkünſtler und Aben
teurer namens Fauſt kürzlich gelebt hatte, möglich auch, daß der katholiſche
Verfaſſer den Mamen nicht ohne Abſicht vom Drucker von Luther-Bibeln
nahm. Mit erſtaunlicher Zurückhaltung, ohne jede aufdringliche Tendenz
gegen die Reformation, aber doch mit unmißverſtändlichen Anſpielungen auf
ſie, wollte am Leben und Sterben Fauſtens zeigen, wie übel das aus
er
geht, wenn der Menſch ſich allzu hoch vermißt. Und dieſer Verfaſſer war
auch ein Dichter, ſeinen Zaubermann ein. So trieb denn
er
in
fühlte ſich
jenes Schöpferiſche aus der dunklen Wurzel im Boden auch ihm. Schon
in
ſeinen Fauſt, der Wittenberg Theologie
iſt
erſtaunlich,
er
in
das wie
ſtudiert hat, dort der Mähe mit dem Teufel zuſammen bringt. Der
in
tut, als wolle nicht, erſchreckt dann Fauſten, Fauſt aber ſam
er
Teufel
melt ſich wieder und beſteht auf ſeinem Vorhaben: wie er's verſtehen
muß, zwingt
–
will's auch ſpäter nicht wahrhaben, daß der Hölle verfallen ſei, denn
er
ja
Himmel ſelber
zu
ſich ſogar durch die Hölle
zu
zu
in
daß
ſelige Paradies. Mit der Helena erzeugt ein „kluges Kind“,
er
verſchloſſene
das alles weiß und ihm Zukunft vorausſagt. Was ſind das für Züge!
Das weit unbedeutendere Widmannſche Fauſtbuch von 599 zeigt
ſo
gut wie nichts davon, die Puppenſpiele nicht viel mehr. Aber wenn auch
–
Stoffes
war nun der denkenden Welt. 1589 erſchien
in
des
England Marlowes Fauſt, zeigt an ſeinem Helden auch noch niedrige
er
ja
Züge, aber die edeln gewachſen, und ſogar ſchon jene Verſe
er
enthält
die Goethes einleitenden Monolog anregten. In Holland ſchuf dann
Rembrandt ſeine Aadierung vom beſchwörenden Fauſt, und die voll
iſt
ſo
Maler-Poet ein Entſager war (deſſen Züge trägt), wir Heutigen können uns
er
Fauſten, den immer Verlangenden, nicht als Entſager vorſtellen, hier alſo ging
ein Seitenweg der Entwicklung. Aber bei Rembrandt war Fauſt zum erſten
Male einem Kunſtwerk als eine ausſchließlich edle Geſtalt gegeben,
in
3
Eine edle Geſtalt behält er fortan, wo nicht Volksbücher und vom Hans
wurſt durchheiterte Puppenſpiele, ſondern innerlich ſuchende Kunſt mit dem
Worte bildet. Fauſts Geſtalt wird weiter veredelt. So wird er ſchließlich
zur Erlöſung reif. Langſam! * Für das Bewußtſein ſehr vieler war er das
noch nicht, als Goethes Erſter Teil ſchon längſt vorlag, ja vielleicht war
er das um dieſe Zeit noch nicht einmal für Goethen ſelbſt. Moch in dem
1797 erſchienenen Vorſpiel auf dem Theater verſpricht uns ja der Direktor
den Weg „vom Himmel durch die Welt zur Hölle“. Erſt der Zweite
Teil des Goetheſchen Fauſt brachte ſeinem Helden die Verzeihung, und da
noch, und noch länger gab es bei Leſern Widerſpruch genug: Fauſt gehöre
dem Teufel. Erſt uns im neunzehnten Jahrhundert Geborene wundert
das. Erſt uns ſcheint Goethes Auffaſſung ſelbſtverſtändlich. Wer heute
noch einen „Fauſt“ dichtete, der den „immer ſtrebend ſich Bemühenden“
ſchließlich der ewigen Qual überließe, käme uns überlebt bis ins Modrige
vor. Goethes Fauſt hat nicht nur unſre Dichtung mit ihrem edelſten Kleinod
bereichert, er hat auch das religiöſe Suchen der Gebildeten im deutſchen
- -
Volk reiner, weiter und freier gemacht.
Aber wer weiß, ob nicht gerade die Goetheſche Befreiungstat das von
ihr befreite religiöſe Gefühl ſo ſtark gefördert hat, daß ſein Verlangen nun
mehr auch über die Goetheſche Löſung ſelber hinausſtrebt? Mir ſcheint,
jetzt: das religiöſe Gefühl vieler deutſcher Gottſucher der Gegen
es
iſt
ſo
wart findet Goethes Zweitem Teile nicht mehr ſeinen eigenen letzten
in
Ausdruck. Und das liegt ſowohl am „Zweiten Teile“, als auch an uns.
Am Zweiten Teile, inſofern keine Gabe mehr der Goetheſchen Voll
er
daß
mit Theodor Viſcher gehe.“ Aber die Fragen des dichteriſchen Geſtaltens
Langſam wenigſtens da, wo Fauſtens Erlöſung ſchon vom religiöſen
*
Stücke, bei denen man wohl Freigeiſterei vermuten kann, aber kein Gottſuchertum,
und die durch die Verlegung ins Heidniſche auch etwaigen Neibungen mit der
zu
Titelheld, Schäfer und Poet dazu, ſündigt und verhöhnt die Tugend Chore
der Laſter, die ihn folgerecht die Unterwelt bringen. Apollo aber dringt dort
in
er,
ein uno verlangt ihn zurück, denn, ſagt ihm gehörten die Geiſter, die ihm
verwandt ſind. Trotz den Proteſten von Pluton, Rhadomand und Charon
auch wirklich den Frevler frei für ſein lichtes Reich, weil der Frevler
er
bekommt
–
eben ein Dichter iſt! Wirkt das nicht beinah wie modernſter Wſtheten-Größen
wahn?
die wichtigſten der zerſtreuten Wußerungen dieſes von
**
Ä
–
mir noch heute für Denk- und Phantaſiefreudige die beſte Einführung
in
den
Fauſt überhaupt. Wir haben geſammelt, der Kunſtwart gibt ſie neu heraus.
ſie
5
Goethe, Goethe, ſo läßt du Engel über die Erlöſung Fauſtens ſingen! –
Man kann vor dem Zweiten Teile noch ſehr viel weiteres fragen, und Viſcher
hat es getan, indem er nicht etwa gegen ſeinen teuern AMeiſter Goethe,
ſondern gegen die blinden unter ſeinen Auslegern eiferte und ſpottete. Aber
ſchon die Idee der Begnadigung von oben und ſogar die Schlußworte des
„Chorus myſticus“ vom Ewig-Weiblichen, das hinanzieht waren ſie –
wirklich zu Goethes Alterszeit das, was das religiöſe Gefühl der Ernſteſten
hier verlangte? -
Doch es liegt nicht nur am Werk, es liegt auch an uns, wenn unſer
religiöſes Gefühl über die Löſung des Zweiten Teiles hinausſtrebt. Iſt
denn nicht ſeitdem wieder ein Jahrhundert der Evolution und der Aevo
lution über die Welt gegangen? Und eines mit wie viel Arbeit, mit welchen
Kämpfen, mit welchen Erlebniſſen bis zu dieſen Jahren jetzt, die zum min
deſten an unſerer Welt bis in die Fundamente rütteln. Unmöglich, daß
das germaniſche religiöſe Bedürfnis ſich nicht weiter entwickelt hätte! Un
zweifelhaft, es träumt, es arbeitet unbewußt in allen fort, die auch Sehnende
und Suchende ſind, „in ſeinem dunkeln Drange“ „des rechten Weges wohl
bewußt“. So vielfach und ſo mannigfach ſucht es, wie unſre Perſönlichkeiten,
ſo dringend wie unſer Trieb nach einem Durchſeelen des Seins mit Sittlich
keit, um ſo ſtärker, je gewaltiger das Daſein ſelber mit großen Segnungen
und großen Freveln um uns lebt, und um ſo verlangender, je düſterer es
uns umdroht. Iſt nicht für viele der große Krieg und das Aingen, das ihm
folgt, geradezu ein Kampf zwiſchen dem Fauſtiſchen und Mephiſtopheliſchen
in der Menſchheit? Das Fauſtproblem
es
ewig, weil jede Zeit
iſt
wieder
(Schluß folgt) Avenarius
F.
gebärt.
Tiefenpſychologie
Wurzeln alles Lebens liegen im Verborgenen. Kein Denken gräbt
D.
ie
ihnen hinab. Was die Liebe beflügelt, was dem Dichter als
Gnade und Geſchenk die Seele fällt, was dem Seher das Auge
in
im
es
die
ſo,
Welt unſeres bewußten Lebens hinein und zwingt uns uns mit ihr
Aeligion und Kunſt und
zu
in
befaſſen.
Möglichkeiten der Divination auch
zu
ſoll, denn auch gar nichts anderes, als ein Verſuch, ſich dieſer innern
iſt
Welt einmal auf methodiſche Weiſe mit den Mitteln eines modernen
zu
ſie
laſſen, ihre Kräfte zu erfaſſen und ſie für das Leben des Ein
zu
reden
zu
iſt
pſychologiſches Verſtändnis und eine beſſere Heilung für die Aeuroſen
finden, als die bisherigen Methoden ſie geboten hatten. Man darf
zu
zu
bekämpfen. Breuer verſuchte das
Verdrängte durch Hypnoſe wieder heraufzuholen. Freud gab dieſe AMethode
bald auf und erſetzte ſie durch eine eigenartige Technik und Theorie,
deren Weſentliches ſich kurz auf folgende Weiſe zuſammenfaſſen läßt:
Erziehung und Kultur unterdrücken und verdrängen während der Kind
heit und ſpäter eine Aeihe von Triebäußerungen des Individuums, zu
zu
erſter Linie die geſchlechtlichen
in
boten hätte.
handlungen und unter beſondern Bedingungen den Pſychoneuroſen.
in
Hier öffnet ſich gleichſam ein Ventil für die verdrängten Energien des
Unterbewußten. Sie umgehen den Widerſtand, den die innere Zenſur
ihrer Betätigung oder Bewußtmachung entgegenſetzt, durch eine Mas
kierung oder Symboliſierung ihres Ausdrucks. Die Pſychoanalyſe ſucht
nun dieſe Verdrängungen rückgängig ins Be
zu
dem verdrängten,
terial. Von dieſen Grundlagen aus, die ich wohl im allgemeinen als
bekannt vorausſetzen darf, die weitere Entwicklung ausgegangen.
iſt
7
der Traumbildung aus unbewußten ſeeliſchen Vorgängen heraus zu ver
ſtehen geſucht. Auch wurde bald der Wert der neuen Theorie für die
Pädagogik erkannt. Hier ſind neben andern beſonders Jung, Pfiſter,
Häberlin zu nennen. Ihre Bedeutung für die Meligionskunde
- und Seel
ſorge hob vor allem Pfiſter hervor.
Die Pſychoanalyſe verbreitete ſich von ihren Herden Wien und Zürich
aus namentlich nach Amerika, Holland und neuerdings auch nach Eng=
land. Deutſchlands offizielle Pſychologie und Pſychiatrie ſtand zu ſehr
unter dem Bann der Bewußtſeinspſychologie und der Lehre von den
körperlichen Grundlagen der ſeeliſchen Erkrankungen, als daß eine Pſycho
logie des Unbewußten leicht hätte Eingang finden können. Immerhin haben
ſich auch in mehreren deutſchen Städten Ortsgruppen gebildet. Frankreich
war ſtehen geblieben bei den Theorien Charcots und Janets. Dieſer
konnte in der Pſychoanalyſe nichts anderes ſehen, als eine Weiterbildung
ſeiner pſychologiſchen Analyſe und eine unberechtigte Verallgemeinerung
ſeiner Theorie des pſychiſchen Automatismus des Unbewußten, der Diſſozia
tion des Bewußtſeins und der Verminderung der pſychiſchen Spannung,
ohne daß er damit zu einer einheitlichen Auffaſſung der neurotiſchen Er
ſcheinungen gelangt wäre.
Der allgemeinſte und ſtärkſte Widerſtand richtete ſich gegen Freuds
Sex u altheorie, die in der weitern Entwicklung immer mehr in den
Mittelpunkt ſeiner Lehre gerückt war. Er faßte den Geſchlechtstrieb, den
ſchon das Kind betätigen ſollte, als eine Zuſammenſetzung von Teiltrieben
auf, die an einzelnen „erogenen“ Zonen haften. Dieſe mannigfach ſich
äußernde „Sexuallibido“ ſollte dann verſchiedene Entwicklungsſtufen durch
laufen, bevor ſie ihren eigentlichen Gegenſtand endgültig wählt. In den
Hemmungen dieſer Entwicklung und namentlich in der „Firierung“ an
einzelne frühere ſexuelle Entwicklungsſtufen ſah Freud ſchließlich die
Haupturſache der Aeuroſenbildung. Vor allem machte er dafür verant
wortlich ein pſychiſches Syſtem, das er den „Inzeſt-“ oder „Ödipus-Komplex“
nannte. Er verſtand darunter die geſchlechtliche Haftung des Einzelnen
am erſten Liebesgegenſtand, den Eltern oder Geſchwiſtern. Sein Schüler
Aank
iſt
er
ihn mit Hilfe der Symbolik faſt überall Dichtung und Sage wieder.
in
Dieſe Abweichungen von der Theorie Freuds wurden leider von dem
verdienten Meiſter der Schule ſchwer vertragen und mit einem Autoritäts
anſpruch bekämpft, der zur vollſtändigen Loslöſung der Adlerſchen wie
der Zürcher Schule von der Wiener Aechtgläubigkeit führte. Die Ent
ſtehung dieſer Sonderrichtungen, die unter voller Anerkennung der blei
benden Verdienſte Freuds und unter Verarbeitung einer Fülle ſeiner
Anregungen doch eigene Wege
zu
werden.
Adler von Freud getrennt, indem ablehnte, im
er
es
Jahrhunderts
indem ſie bewußt die franzöſiſche klaſſiſche Kunſt ablehnte,
die bis dahin den Deutſchen ein bewundertes und maßgebendes
zu
ſeines neuen Buches „Die deutſche Dichtung ſeit Goethes Tod“ gedruckt, das
im
zweiter Auflage,
in
den Waffen, die in Frankreich ſelbſt dem Kampfe gegen die Dichtung der
Zeit Ludwigs XIV. dienten. Allein ſie verzichteten mit Freude auf eine
Abhängigkeit, die einer ſelbſtändigen Entwicklung deutſchen Dichtens im
Wege geſtanden hatte. Die Romantik lehnte Frankreich noch unbedingter
ab als der deutſche Klaſſizismus. Das lag zum Teil an dem Gegenſatz
zur Welt Aapoleons. Gegen 1850 hin begannen indes neue Berührungen
deutſcher und franzöſiſcher Kultur ſich einzuſtellen. Die franzöſiſche Aomantik
nahm nicht nur den Aamen ihrer deutſchen Vorgängerin auf. Mit Ge
nugtuung verfolgte der alte Goethe die Wirkungen, die von deutſcher
Dichtung endlich auf franzöſiſches Geiſtesweſen ausgeübt wurden. Sie
förderten einen Gedanken, dem er ſelbſt zuletzt gern ſeine Kräfte zur
Verfügung ſtellte: die Abſicht eines künſtleriſchen Zuſammenſchluſſes der
Kulturvölker, die Schaffung einer Weltliteratur.
Mit Stolz war Goethe ſich bewußt, daß Frankreich endlich von Deutſch
land zu lernen anfange, daß er ſelbſt und daß ſeine Leiſtungen dieſem
neuen Lehrberuf Deutſchlands die wichtigſten Vorbedingungen liehen. Wirk
lich ſetzte in Frankreich eine Verdeutſchung franzöſiſchen Weſens ein. Heine
beobachtete ſie aus nächſter Alähe und ſtellte mit Staunen, aber auch mit
Befriedigung feſt, wie franzöſiſche ſtrenge Form ſich unter deutſcher Ein
wirkung zu lockern begann. Aoch mehr: die Franzoſen übernahmen da
mals von den Deutſchen die Technik des Literatur- und Kunſtbetriebs.
Wie in Deutſchland wurde auch in Frankreich fortan und während des
ganzen 19. Jahrhunderts ein neues künſtleriſches Schlagwort nach dem
andern ausgegeben. Und ſeiner Verwirklichung dienten Gruppen von
Künſtlern, die ſich als mehr oder minder einheitliche und geſchloſſene
Schule auftaten. So hatte es der deutſche Sturm und Drang, ſo eine der
romantiſchen Gruppen nach der andern gehalten. Wenn ähnliches früher
auch in Frankreich ab und zu ſich antreffen ließ, ſo wurde doch nur im
19. Jahrhundert und nur nach deutſchem Vorgang ein raſches Aacheinander
der ARichtungen zur entſcheidenden Geſtalt der Literaturentwicklung, der
Kunſtentwicklung überhaupt. Als Ziel der Entwicklung enthüllte ſich über
dies immer mehr die Abkehr von dem franzöſiſchen Formbegriff, die Wen
dung zu einem beweglicheren Formwillen, der minder auf ſtrenggeordneten
Aufbau und mehr auf Ausſchöpfung des Einmaligen und Augenblick
lichen ausging, dem deutſchen Formwillen alſo näherſtand.
Der letzte und entſcheidende Schritt, der im 19. Jahrhundert nach der
Aichtung deutſcher Auffaſſung und deutſcher künſtleriſcher Arbeit von den
Franzoſen getan wurde, beſtand in der Abkehr von dem Brauche, Kunſt
bloß als AMittel und geeignetes Werkzeug zu erfolgreicher Löſung der
Aufgaben des Lebens zu faſſen. Aicht nur Frankreich, ſondern die ge
ſamten ſüd- und weſteuropäiſchen Kulturvölker hatten Wiſſenſchaft und
Kunſt nicht um ihrer ſelbſt willen betrieben, ſondern ſie in den ſchweren
Dienſt des Lebens geſtellt, um dem Menſchen im Kampfe gegen ſeine Um
welt zu dienen und ihm den Sieg über ſeine Mitbewerber und Gegner zu
erleichtern. Das Leben zu beherrſchen und ihm ſeinen höchſten Wert ab
zugewinnen, war das hohe Ziel. Das meint der Franzoſe, das meinen
gleichgeſinnte Völker, wenn ſie von Kultur ſprechen. Die Kunſt hat dann
gleich der Wiſſenſchaft die Aufgabe, einen Beſtand feſter Formen der
Lebensgeſtaltung zu ſchaffen und zu ſichern; ſie will zeigen, wie der Menſch
ſich zu ſeinen Mitmenſchen verhalten müſſe, wenn er im Leben nicht unter
liegen ſoll.
10
19.
Dieſes enge Verhältnis von Kunſt und Leben wurde im Jahrhundert
auf franzöſiſchem Boden erſchüttert, und zwar unter der Einwirkung der
künſtleriſchen Bräuche der Deutſchen, die ein gleiches Verhältnis meiden
und der Kunſt eine freiere und unabhängigere Stellung
in
der Welt ſchaffen
wollen. Die Franzoſen fingen an, gutdeutſch Kunſt um ihrer ſelbſt willen
treiben, Fortſchritte der Kunſt nicht vom Standpunkt des Autzens für
zu
zu
der der machen.
ging die bildende Kunſt, zunächſt die Malerei. Die Dichtung folgte. Das
Schlagwort Impreſſionismus war eine verhältnismäßig ſpäte Betätigung
ſolcher Abſichten.
Es wurde von Deutſchland ebenſo übernommen wie viele andere ähn
liche, jüngere und ältere Schlagworte, die zwar auf franzöſiſchem Boden
gewachſen waren, tatſächlich aber deutſcher Kunſtauffaſſung wurzelten.
in
ja
Auf Jahrzehnte hinaus, noch bis ins 20. Jahrhundert hinein ließen
ſich die Deutſchen gefügig von den Franzoſen die Wege weiſen, die von
den Deutſchen ſelbſt eröffnet worden waren. Wer von der Entwicklung
deutſcher Kunſt, beſonders aber wer von dem Gange deutſcher Dichtung
melden hat, muß dauernd der Schlagworte gedenken,
zu
in
Formel ſich umſetzte, was längſt
in
hohe Bedeutung für die Geſchichte der Welt erreicht hatte, wenn
es
zu
einer ungewöhnlichen Machtſtellung gelangt war, fand das erhöhte Lebens
gefühl, fand die Siegerſtimmung ſchöpferiſche Dichter, denen das ge
in
lehrten erbracht worden war, die Erkenntnis der eigentlich deutſchen Art
und Kunſt, die aus der ſchweren Erſchütterung des Dreißigjährigen Krieges
ſich ergeben hatte, ſind die Vorausſetzungen des deutſchen Klaſſizismus.
Auch der deutſche Gelehrte hatte nicht ſcheu und ängſtlich das Auge ab
gewendet von dem äußern Leben und von deſſen Forderungen. Im deutſchen
Klaſſizismus, beſonders ſeinen Anfängen,
zu
iſt
11
geſellſchaftlichen Wünſchen der Zeit. Aber er ſah ſich nicht getragen und
gefördert durch das Hochgefühl, in großem Augenblick kühn hineinzu
greifen in eine reiche und ſtolze Umwelt und aus ihr ſeine Stoffe zu holen,
ſondern er ſtellte mit Bewußtſein einer armen und beſchränkten Welt den
Aeichtumt innerer Erlebniſſe entgegen. Er verſinnlichte künſtleriſch den
Menſchen von geiſtiger und ſittlicher Größe, der den kleinen und klein
lichen AMenſchen ſeiner Umgebung zu höheren Zielen hinaufleiten ſollte.
Klaſſiſche Dichter anderer Völker hatten große Menſchen im Leben ange
troffen, hatten ſie erfolgreich tätig im Leben des Tages geſehen. Der
deutſche Klaſſiker fand im öffentlichen Leben nichts, was ihm förderlich
geweſen wäre. Seine Menſchen waren minder Abbilder beſtehender, als
Ziele künftiger Menſchheit. /
Politiſche Vorgänge wurden auch von den Deutſchen des 18. Jahrhun
derts mit Aufmerkſamkeit verfolgt, zumal ſeitdem die franzöſiſche Mevolu
tion in Gang gekommen war. Allein da der Träger deutſcher Geiſtesbildung
nur als Betrachter, nicht im Sinn irgendwelcher Betätigung zu den Zeit
vorgängen Stellung nehmen konnte, entwickelte ſich nicht viel mehr als
eine Art politiſcher Klatſchſucht. Kühl und vornehm wieſen daher Schillers
„Horen“ die Erörterung politiſcher Fragen von vornherein ab. Sie gingen
den letzten und ſchwerſten Fragen der Erziehung des Menſchen nach; nur
die eine Frage blieb ausgeſchloſſen, wieweit der Menſch unmittelbar in
den Dienſt des ſtaatlichen Lebens treten könne.
Durch Aapoleon und durch die Demütigungen, die er deutſchen Staaten
brachte, gewann Deutſchland ein anderes Verhältnis zu den Fragen des
ſtaatlichen Lebens. Schon die Momantik ließ ſich, zum Teil im bewußten
Gegenſatz zu dem Klaſſiker Goethe, von dem bewegten politiſchen Leben des
Tages tragen. Trotz allem Aückſchritt, den ſeit 1815 die Aegierungen deut
ſcher Länder durchſetzten, entwickelte ſich vom Anfang des 19. Jahrhunderts
ab in ſtetem Aufſtieg ein engeres Verhältnis zwiſchen Dichtung und öffent
lichem Leben. (Schluß folgt)
Dr e 3 den Oskar Walzel
Deutſche Krieger-Friedhöfe
F
riedhofsfragen ſind Gartenfragen. Jedenfalls in unſerm Vaterlande
die Geſchichte der Begräbnisſtätten, zeitweiſe von Technik und
Architektur angeregt und auch befruchtet, ſchließlich immer wieder
bei Blumen und Grün gelandet. So können auch die Friedhöfe des
deutſchen Krieges nicht weniger als ſchöne und feierliche Gärten ſein.
Die politiſche Umwälzung hat uns von der Verpflichtung, die irdiſchen
Aeſte der unzähligen Kriegsopfer – die im weiteren Sinne ja auch Revolu
tionsopfer ſind – zu achten und zu ehren nicht befreit. Soweit es uns
heute noch möglich iſt, werden wir deshalb Vorſorge zu treffen haben, daß
die Grabſtätten unſrer Gefallenen ein würdiges Ausſehen erhalten. Solche
auf dem Wil
ſie
Geiſt und Geld errichteten Garten gegen den Widerſtand der Anſtändigen
zu
an
zu
ſprechenden kurz berühren deren
Löſung man mich berief.“
Das Grab
I.
iſt
mir jede beſondere Hervorhebung, Ganzen (die Vor
iſt
die nicht dem
ausſetzung und Endzweck), ſondern dem irdiſchen Aeſt des einzelnen
Kämpfers zuteil wird, von Übel. Wie im Leben, ſie auch im gehören
ſo
Tode zuſammen; ihre Beziehung zueinander im beſten Sinne uniform
iſt
bis zum Staub. Der klare und erhebende Ausdruck der gemeinſamen
Hingabe, die ſinnvolle Übertragung des gemeinſamen Lebens das ge
iſt
meinſame Grab. Aicht Merkmal von ARaumbeſchränkung und Eile, ſon
dern Wille: beieinander ſein. Aicht materiell, ſondern ſeeliſch. Das
zu
die
Wilhelmshaven) geſchah, oder allmählich (als Lazarett
zu
Marinefriedhof
friedhof wie Brüſſel) vor ſich ging. Die Decke ihrer Gräber mir
in
iſt
ich
es
Bäume, aller Architektur, ihrer Farbe und Form faſt allein auf die
möglichſt vollkommene Ergänzung des Grabes hin. Sein Bild alles.
iſt
zu
mentiert
Die an dieſen Kriegsobjekten von denen leider das bedeutendere Brüſ
––
*
Hier empfahl zum Beiſpiel zum erſtenmal, unſer Obſt als Blüten-
Gemeindeblatt“,
S.
zu
Fruchtbaum „Techn.
Jahrg. XXI,
4.
AMr.
15
2. Die Form
Von dieſem Standpunkte her tritt dann die übliche und hochnotpein
liche Denkmalsfrage ein wenig in den Hintergrund. Das Pflanzenleben
voran! Tatſächlich kann ich „das Kriegerdenkmal“ auf Kriegsfriedhöfen
auch nur als, gelegentlich ſehr untergeordnetes, Glied des herrſchenden
Formgedankens anſehn, den ich eben mit meinen Pflanzen einleite. Die
große, alles umfaſſende Form Anfang und Ziel.
iſt
Durch beſondere
Linien und Farben (eben der Geſamtinhalt: „Form“) drückte ſich von jeher
das beſondere Trachten und Schaffen der Menſchen aus; „Form“ war das
Stabile, die geſchichtliche Sprache der Kulturwelten untereinander. Und
nur durch eine Form, eine neue, dem Erleben unſerer Zeit entſprechende
künſtleriſche Faſſung kann ich mir denken, was an dieſer Erregung
menſchlich wertvoll und im kosmiſchen Sinne allgemein gültig ſein ſollte,
uns ſelbſt dauernd gegenwärtig und für die Aachwelt aufnehmbar zu
machen. Aicht notwendige ſoziale Ausgleichungen und techniſche Er
rungenſchaften, nicht die noch großartigen Megiſtrierungen romantiſcher
ſo
ANiederſchläge werden berufen ſein, die Taten und Gedanken der erſchüt
terten Völker feſtzuhalten, ſondern zuerſt und zuhöchſt die im ſchönen
Sinne allgemein verſtändliche, weil alles Leiden und Freuen unterſchieds
los harmoniſch vereinigende, geiſtig künſtleriſche Form.
Dieſer Wille zur Form hat beſonders im Brüſſeler Plan, wo zwar
willkommene örtliche, aber kaum weſentliche ſachliche Hemmungen vor
lagen, zur Auswirkung kommen können.
Da er
3.
U
Aur von einer derartigen Erfaſſung der Verantwortlichkeit beim Bau
eines Kriegerfriedhofs kann ich letzten Endes auch Wert und Einwirkung
dieſer Tätigkeit auf unſre Friedens-Friedhöfe und -Gärten und damit
auf Lebensausdruck überhaupt künftig erhoffen. Wie viele denken heute
ſchon daran? Und gebe ich beinahe ein kleines Geheimnis preis,
ſo
zu
einzelnen, aber königlich und voll Anteil ſchönem Tun über das
Weltliche hinaus,
als Glied der „Großen
ſelbſtbewußt
fruchtbares
Maſſe“ mein Friedhof: ein Garten der Toten, die letzte Syntheſe
iſt
Blankeneſe Leb
Die Oſtfragen
Wº
Der Friede von Breſt-Litowsk
1.
enn man ein Schulbeiſpiel dafür haben will, wie durch eine falſche
Ausrichtung die Vorteile ſelbſt der beſten Stellung ver
dorben werden und ſtatt entſcheidenden Autzens die ſchwerſten
Schäden entſtehen können, muß man das deutſche Verhalten beim Frieden
ſo
14
von Breſt betrachten. hatte ſeinerzeit das gute Wort
Bethmann Hollweg
geſprochen, die Völker zwiſchen den wolhyniſchen Sümpfen und dem Ge
ſtade der Oſtſee ſollten nicht wieder unter die ruſſiſche Knute zurückkommen.
Damit war das Programm der Befreiung der ſogenannten Randvölker
wenigſtens zu einem bedeutenden Teil verkündet. Mach der ruſſiſchen Revo
lution traten und Ukrainer hinzu, und nun hieß es nicht
die Finnländer
mehr: von den wolhyniſchen Sümpfen bis zur Oſtſee, ſondern: vom Schwarzen
Meer bis zum Eismeer! In Deutſchland machte man aber den Fehler,
zu glauben, daß ſich mit dem Wechſel vom Zarismus zur Mepublik für
die Randvölker, oder nach ruſſiſcher Ausdrucksweiſe für die Fremdvölker, viel
geändert habe und daß von „Befreiung“ nicht mehr geredet zu werden
brauche. Ein großer Irrtum, der niemandem wunderlicher erſcheinen konnte,
als den Angehörigen der Fremdvölker ſelbſt, denn dieſe wußten ſehr gut,
daß der ſchroff nationaliſtiſche Charakter des herrſchenden Großruſſentums
ſich in der Aepublik ebenſowenig verleugnen würde, wie unter der Monarchie.
Ihr Programm hieß: los vom moskowitiſchen Außland, nicht nur: los vom
Zarentum. | | | | |
Aachdem der Zuſammenbruch der ruſſiſchen Wehrmacht zu den Verhand
lungen von Breſt-Litowsk geführt hatte, glaubten die deutſche Regierung
und die deutſche öffentliche Meinung, die ruſſiſchen Bolſchewiſten wollten
einen Frieden zuſtandebringen. Kenner Außlands warnten vom erſten
Augenblick an und ſagten: den Lenin, Trotzki und Genoſſen kommt es
gar nicht auf den Frieden an, ſondern darauf, die Verhandlungen ſo zu
wenden und ſo lange hinauszuziehen, daß mittlerweile die Mevolution ins
deutſche Heer und nach Deutſchland ſelbſt getragen werden kann. Aur ſehr
langſam und widerſtrebend begriffen endlich unſere Unterhändler die Lage.
nicht, weder anfangs noch
ſie
meiden
Mandat ar der ihre Freiheit verlangen den Rand völker
zu
47
H.
H.
v.
v.
daß
1.
ſeiner
2.
es
bis daß
land moraliſch-politiſch auszunutzen, indem man von vorneherein und
auf die nachdrücklichſte Art und Weiſe den Begriff des einheitlichen Ruß
land ausſchaltete. Man hätte den Standpunkt vertreten ſollen, von einer
Vergewaltigung Rußlands könne ſchon deshalb keine Aede ſein, weil das
bisherige Rußland ſelber ein durch Gewalt gegen den Willen der AMehrheit
der Völker, die
es
in
naliſten
und den Wert einer „moraliſchen Strategie des Weltkrieges“, als ſie der
deutſche Feld-, Wald- und Wieſenmilitarismus aufbrachte. Davon abge
15
-“
ſehen hätte dazu als eine große Hauptſache auch gehört, daß nicht zum
Schein, ſondern mit voller innerer Aufrichtigkeit und mit taktiſchem Geſchick
in den von Deutſchland beſetzten einſtmals ruſſiſchen Randgebieten eine
freiheitliche Politik gemacht wurde. Das geſchah nirgends. In Polen,
wo die Verhältniſſe wegen unſerer früheren Polenpolitik, wegen der unüber
legten Zerſtörung von Kaliſch zu Beginn des Krieges und wegen der Spal
tung der Polen in Ententiſten und mitteleuropäiſch Geſinnte ohnehin ſehr
ſchwierig lagen, wurde alles dadurch verdorben, daß man der nominell
geſchaffenen polniſchen Staatsform keinen Inhalt gab, die polniſch-deutſchen
Grenzgebiete abſchneiden wollte und dem Polentum auch nach Oſten keine
Ausdehnungsmöglichkeit gewährte. In Litauen herrſchte ein brutales Ge
waltſyſtem; im baltiſchen Gebiet konnte ſich die deutſche Verwaltung nicht
dazu entſchließen, gegenüber Letten und Eſten eine Politik ehrlicher und
genügender nationaler Zugeſtändniſſe namentlich in der Sprachenfrage
zu treiben; in der Ukraine endlich, die durch den Breſter Frieden als Staat
anerkannt worden war, ließen ſich die deutſchen Gewalten kritiklos für den
freiheitsfeindlichen und krypto-moskowitiſchen Kurs der Hetmansregierung
einfangen. So kam es, daß überall die Früchte des Oſtfriedens bitter wurden
und er ſtatt eines Friedens der Befreiung und der moraliſchen Eroberungs
kraft zum Mutzen Deutſchlands ſich in das Bild eines haſſenswerten Gewalt
friedens verkehrte. (Weitere Aufſätze über die Oſtfragen folgen.)
Paul Rohrbach
Der Kampf wider die Unruhen
nruhen ſind an der Tagesordnung. In Oberſchleſien, im Muhrrevier,
U. Mannheim, in Sachſen,
in Bayern, im Halliſchen, in Berlin;
wahrſcheinlich, wenn man kleinere Unruhen einrechnet, noch an Dutzen
den von weiteren Stellen. Schon die Unruhen ſelbſt koſten zumeiſt Menſchen
leben, die ja ſo „billig“ geworden ſind, daß ſich heut manche äußerlich und
innerlich kaum noch umblicken, wenn in der ANähe ein Menſchenbruder zuſam
menſinkt. Was tun wir gegen die Unruhen? Wir fahren Kanonen auf. Das
beruhigt ſie für den Augenblick, aber darüber hinaus nützt es letzten Endes
niemand, denn deutſche Volksgenoſſen, von deutſchen Volksgenoſſen nieder
geworfen, ſind kein Element einer ſittlichen oder wirtſchaftlich günſtigen
Lebensordnung; ſie bleiben immer unſichere Geſellen, bereit, morgen wieder
anzufangen. Ich kenne zahlreiche Mehrheitsſozialiſten, die mit tiefer Be
ſorgnis auf all dies Treiben blicken, auf dieſen organiſierten, mit möglichſt
viel Wohlwollen, aber doch mit unvermeidlicher Härte geführten Bürgerkrieg.
Mit Beſorgnis auch, weil
ſie
-
war. Endlich kam mit dem militäriſchen Zuſammenbruch die Aevolution.
Sie kam ſo, wie ſie kam, gegen die Abſicht der Mehrheitsſozialiſten, aber
dieſe mußten die Führung übernehmen, um das völlige Chaos zu verhüten.
Dies alles konnte ſo nur geſchehen, weil der Glaube an den Sozialismus
die Maſſen beſeelte, weil ſie von ihren alten Führern noch immer die
Verwirklichung ihres alten Ideals erwarteten. Die Maſſen werden nicht
von dieſem Glauben laſſen, ſolange ein Fünkchen von Hoffnung glimmt,
daß er ſie zum Siege führe. Und es glimmt in Wahrheit nicht nur ein
Fünkchen! Meben den Agitatoren, die nur mit Schlagworten arbeiten,
ſtehen einige Sozialiſten von geiſtigem Rang, die ein klares, den Maſſen
und manchen Führern einleuchtendes und ſie begeiſterndes ſozialiſtiſches
Programm entwickeln. Kann irgend jemand, der die Maſſen und –
die Demokratie! –
kennt, glauben, daß in einer ſolchen Zeit „Ruhe ein
tritt“? Daß Kanonen und Bürgerkrieg die Aufregung der Maſſen ſo
ſie
nicht
der Kern der Lage. Denn was für das Sozialiſieren bisher geſchehen?
iſt
Man hat unter Ausſchluß der Öffentlichkeit eine kleine Kommiſſion tagen
laſſen, die ſich damit befaßte. Auch eifrige Zeitungleſer erfuhren von
ihrer Arbeit gut wie nichts, geſchweige denn die Maſſen. Man hat
ſo
macht. Heute
ſie etwas gewollt hat. In den großen
ob
in
Ihr Verhalten ſcheint ihnen, als wenn ſie etwas verbergen wollten, und
demagogiſche Agitatoren nutzen das dann hetzend aus. Tatſache iſt, daß dieſes
paſſive, begeiſterungsloſe und tatenarme „Syſtem“ uns nicht retten kann.
„Uns“, nämlich Sozialiſten und Nicht-Sozialiſten, die wir beide gleicher
weiſe die entſetzlichen Folgen der ſtändigen Unruhen
zu
Zufällig
ich
könne
einem halben oder ganzen Jahr oder Jahren ausreichend
in
in
erſt zehn
ſozialiſiert werden. Was geböte dann die Stunde? Sie verlangte ein
Programm, und eines, auf das man vertrauen kann. Sie geböte
*
17
den ſozialdemokratiſchen Parteien, daß ſie mit allem erdenklichen Kräfte
aufgebot ein wirklich ſozialiſtiſches Wirtſchafts- und Bildungs
Programm in feierlichen Formen ausarbeiten ließen und es allem
Volk als das Bild ſeiner nahen Zukunft bekannt gäben. Er
arbeitet werden müßte es nicht in engen, geheimen Kommiſſionen ohne
Machtbefugniſſe und Volkstümlichkeit, ſondern auf einem ſtändigen Soziali
ſierungskongreß, deſſen öffentliche Verhandlungen fortwährend beruhigend
zu
Dieſes Programm hätte maßgebend
iſt
bewieſen: man am Werk.
ſein für alle kommenden Wahlkämpfe. In
den Verhandlungen mit Streiken
vorzugehen: für die nächſte lange bemeſſene Zeit
ſo
ſo
ſo
den wäre und
würde zugeſtanden, was zugeſtanden werden muß; gleichzeitig aber er
-
pflichteten ſich die Aegierungen, nach Ablauf dieſer Zeit die eigentliche
Sozialiſierung ohne Verzug Angriff nehmen und, wenn keine Einigung
zu
in
erreichen ſei, eben um das große Soziali
zu zu
darüber mit den Aichtſozialiſten
ſierungsprogramm Aeuwahlen veranſtalten. Mit voller Ausführlichkeit
und Deutlichkeit wäre allen Beteiligten darzulegen, was dieſes entſcheidende
Programm für das ganze Volk und für jeden einzelnen bedeutet.
Durch eine ſolche Aktion käme unſere Politik jene Großzügigkeit
in
und jener weitausſchauende Geiſt, den wir der Kleinlichkeit und Kurzſichtig
in
keit von heute Auch die nicht-ſozialiſtiſchen Parteien
ſo
bitter vermiſſen.
hätten dann Zeit, den Gedanken faſſen, daß die alte Lebensordnung nicht
zu
retten iſt, daß alle Kräfte mitarbeiten müſſen an der Verwirklichung
zu
des
wirken können. Es gibt Demokraten, Klerikale und andere Parteiangehörige
genug, die im Grunde die Zeichen der Zeit richtig deuten und nur darum
–
ſie
abwarten und ſich widerſetzen, weil mit Recht! von den heute
noch „maßgebenden“ ſozialiſtiſchen Plänen kaum etwas Ernſtliches erwarten,
den Entwürfen der Sozialiſierungskommiſſion und den Maß
ſie
weil
in
nahmen ſowohl der Aegierungen wie der ARäte den alten idealen Schwung
der ſozialiſtiſchen Bewegung nicht finden, weil ihnen ſcheint: der Sozialismus
halte nicht mehr das Banner der Gerechtigkeit, der Befreiung, der Brüder
treibe zwiſchen Lohnkampf, Demokratismus und
er
Kanonen hin und her. Wäre dem ſo, wäre unterm Druck der ANöte
von außen und innen erklärlich und entſchuldbar. Und die nicht-ſozialiſtiſchen
Parteien trügen ihr vollgemeſſen Teil an der Schuld. Ebenſo blind, wie
die preußiſchen Konſervativen immer und immer wieder die preußiſchen
Aeformen verhindert haben, ebenſo hartnäckig, kleinlich und zänkiſch wüten
der Mitte und rechts gegen die Sozialiſierung,
in
gewinnen.
Wolfgang Schumann
Die alte Kampfesweiſe
eigener Sache)
in
- (Auch
konſervativer Freund ſandte mir das „deutſchnationale“ Programm mit
in
ſie
gemachter veröffentlichte.
Ich ſprach von der Vergangenheit der Partei zur Zeit um 1890. Damals
zu
angefangen, ſtarke moraliſche Eroberungen
ſie
zu
Maſſen ergreifen.
deutſches Volk ſollte aufſtehen, wie man träumte, daß
es
der Urzeit gelebt
in
habe, und doch aus neueſten ATöten und Gedanken geboren. Der Volkskaiſer
Führer. Eine Reform an Haupt und Gliedern. Wir waren konſervativ und
ſozialdemokratiſch gleichzeitig und voller Hoffnung auf eine bruchloſe Über
führung unſres Volkes die neue Zeit und an die Spitze ihrer Entwicklung.
in
Alles das im Bunde mit den beſten Geiſtern unſres Volkes von Urzeiten her.
Da begann die AReinigungsarbeit des Freiherrn von ANanteuffel und des Herrn
von Hildebrandt, die die Partei kurzem ſozialinfrei machte, byzantiniſierte
und mit dem Kapitalismus verbündete. in Es folgten die Zerſchmetterungs- und
Die Epiſode, die uns hoffnungsvoll angemutet hatte, war
ſo
Zuchthausreden.
aus. Ich hatte nun angenommen, daß die Partei jetzt im Grunde wünſche, damals
ſein. Anſtatt deſſen bringt der Aufruf die ent
zu
das heißt,
der Poſten, der Eiſenbahnen, des Telegraphen und Telephons, ſowie der Kranken
und Altersverſicherung erfolgreich längſt beſchritten war.
ſo
Der plötzliche Umſchlag der Politik des Kaiſers von den arbeiterfreundlichen
Erlaſſen bis jene uns alle entſetzende Mede, welche die um ihr Recht kämpfenden
in
Arbeiter mit Zuchthaus bedrohte, und zwar, obgleich das Geſetz dem entgegen
Es folgte jene Politik des ruckweiſen. Hin und Her,
–
zu
bis ſelbſt die Konſervativen Einſpruch erhoben, den ernſthaft betätigen ihre
monarchiſche Geſinnung ihnen dann freilich doch nicht erlaubte. Was für ein
Kapital von Vertrauen und Begeiſterung im Innern, von Macht und Anſehen
außen wie kurzer Zeit verſchleudert und vertan! Das brachte uns zum
in
nach
Aachdenken über eine Regierungsform, die ſolche Entwicklungen hemmungslos
Verfolg davon
zu
Daß die monarchiſche Partei hier nicht mit kann, können wir verſtehen. Wir
ſelbſt aber ſind durch ſolche Erfahrungen dazu gekommen, die Republik für
zu
form“, wie
Am meiſten Bedenken indes haben wir über den Punkt,
in
welchem ſachlich am
wenigſten Abſtand zwiſchen uns iſt. Wir halten geradezu für verhängnisvoll,
es
zu
meinte
rufenden ſich vorſtellen. Das Volk könne bemerken, daß der moderne Sozialis
ja
mus gerade umgekehrt ein ſpezifiſch deutſches Gewächs ſei, ſich als Wieder
aufwachen natürlicherer und gerade germaniſcher Aechtsanſchauung gegen die
Heiligſprechung des Privateigentums im römiſchen Recht auffaſſen laſſe. Es
könnte dann die Verbindung doch noch wieder aufwachen, für die wir uns einſt
begeiſterten: der international arbeitende Sozialismus wird gleichzeitig die
eigentlich nationale Partei. Stolz auf das ſeinem Volkscharakter vor andern
der deutſchen Wiſſenſchaft ſchon heute ſtark ausgeprägte
in
naheliegende und
freie Verſtändnis Völker, ſieht um dieſes Verſtändniſſes
er
hier wiedergegeben
habe, charakteriſierte kurz nach ſeinem Erſcheinen die „Allgemeine Zeitung“
19
in Leipzig unter der Überſchrift „Die alte Kampfesweiſe“ dahin, daß „die
politiſche Kampfesweiſe der Demokratie zu den alten Mitteln der Entſtel -
lung und Maſſen täuſchung greift“.
ſei
Dazu mir ein kurzes Wort geſtattet.
im
Es arbeiten hier Kunſtwart Mitarbeiter aus allen Parteien zuſammen,
der Kunſtwart als ſolcher nimmt überhaupt nicht Partei, und manche von uns
ſehr nur Kulturpolitiker, daß
ſie
ſind auch abgeſehen von dieſer Zeitſchrift
ſo
ſich nur als Kulturpolitiker fühlen, die ihre höchſten Ideale auf die verſchiedenen
Parteien verteilt ſehen und ſich deshalb über den Parteien, die Parteien aber
jeweils als die Stätten für ihre Arbeit, Sinne: als ihre Mittel
in
gewiſſem
empfinden.
Wie wir nun darin ſtehen mögen, einigt uns jedem Fall die Über
in
ſo
Zeugung, daß gewiſſe Formen des politiſchen Kampfes uns als ſchlechthin lebens
antreffen, jedenfalls
ſie
feindlich vorkommen,
ſie
daß wir bekämpfen, wo wir
ſo
perſönlich nie mitmachen könnten.
ſie
Dazu gehören
in
aber mit Bewußtſein
erſter Linie die „Mittel der Entſtellung und Maſſentäuſchung“.
Ich habe deshalb den Gedankengang des Artikels kurz vorlegen wollen für
den Fall, daß mir wider Willen und unbewußt etwas zugeſtoßen ſein ſollte,
das ich mit Willen und Bewußtſein weit abweiſen würde. Die Leſer mögen
Ich ſelbſt habe nicht herausgefunden, worauf
es
zu
wicklungen auch für die Parteien ſelbſt nicht ganz ohne Autzen ſein braucht.
Sie kann ihnen zeigen, wie ihre Handlungen auf manche Menſchengruppen auf
treffen, an die Bonus
ſie
Loſe Blätter
Vorſpiel zum „Fauſt“ von Rvenarius
(Sturmnacht. Beim Blitzen flammt hinten als Schattenbild das Hochgericht
auf. Vorn der Bruder, der den ganz ermatteten Fauſt nach einer Brandſtätte
hinführt.)
-
Bruder:
–
ruÖ er:
B
Die Cuft
Und an der Richtſtätt hinter armen Seelen
Mit Pfiff und Peitſchknall hetzt der Teufel her
–
die
ſchon her, ſprich weiter, guter Mönch!
iſt
lang
's
213 261
Bruder:
Du ſollſt doch ſchlafen! Wie ich dich hier fand,
Ohnmächtig unterm Richtplatz, fieberheiſ,
Gebadet naß, durchkältet –
Freund, bedenk:
Du ſtürbſt vielleicht, bevor du Rom erreichſt,
Und brauchſt doch Rom ! . . .
Fauſt:
Hörſt du die Stimmen, die im Winde ſind? . . .
Bruder:
Ach, laß die Komm, wir beten noch:
Stimmen!
Das ſcheucht Böſen. (Betend): Unſer Vater du,
den
Hochheiliger, der du im Himmel biſt –
(ein ſtürzender Aſt)
Ja, krach nur, Teufel, auch der Herr iſt da! –
Vergib uns unſre Schuld, vergib ſie, Vater,
Dein iſt die Rache, nicht des Böſen iſt ſie.
Und wenn die ganze Hölle um uns tobt,
Wir ſchlafen ſicher, wie in deinem Schoß.
Dein Name ſei gelobt in Ewigkeit!
(laut, wie als Kampfruf:)
Amen! Amen !
(kleine Pauſe. Dann in anderm Ton, behaglich):
He, Fauſte, merkſt du was?
Die Geiſter werden leiſer! Eia, Bruder,
Sie ſpüren Ihn! Wie wöffte doch die Meute
Großmäulig, mit gefletſchten Zähnen! Jetzt
Kommt Er –
und hui, in alle Löcher kriecht's
Mit eingeklemmtem Schwanz . . . Eia, gut Nacht!
Heut ſchläft kein Murmeltier ſo feſt wie ich.
(Während ſich der Bruder zum Schlafe zurechtlegt und ſtill wird, beginnen
ſich aus den Stimmen im Winde geſungene und geſprochene Worte einer
Einzelſtimme zu löſen.)
Die Stimme (ſingend):
„Da Jeſus in den Garten ging
Und ihm ſein bitter Teiden anfing,
Da trauert alles, was da was.
Es trauert alles Caub und Gras.
„Maria, die hört ein Hämmerlein klingen:
O weh, o weh, meins lieben Kinds,
O weh, o weh, meins Herzens Kron,
Mein Sohn, mein Sohn will mich verlon.
„Maria kam unter das Kreuz gegangen,
Ihren Sohn, den ſah ſie am Kreuze hangen . . .“
(Die Stimme ſprechend:)
Gelt, das hab ich damals geſungen,
Im Garten, im Mai?
War aber kein rechte Andacht dabei.
Wie der Riegel klang, --
::::
,
War erſt der rechte Geſang! ; . . . . .
Und dann das Machtvöglein im alten Baum . . . . .
Und der mond im blauen Raum » - »* *2 -. ». , 3 . . . .“
- » -- „O
»
Und wir zwei. . .
21
(wieder ſingend:)
„Johannes, liebſter Diener mein,
Laſ dir mein Mutter befohlen ſein.“ . . .
(wieder ſprechend, fragend und klagend:)
Heinrich, wo iſt das Mütterlein ? . . .
Heinrich, wo iſt der Bruder mein ? . . .
Heinrich, wo bin ich ſelber ? . . .
(ſingend:)
„Nun bieg dich, Baum, nun bieg dich, Aſt,
Mein Kind hat weder Ruh noch Raſt“
(ſprechend, immer erregter:)
Ich kann das Lied nicht mehr ſingen.
Willſt du mich dazu zwingen ?
Sonſt hab ich bei den Küſſen
Doch grade ſchweigen müſſen . . .
Magſt mich noch küſſen ?
Auf den Mund? -
Der iſt nun wund –
Ich hab ihn zerbiſſen.
Magſt du noch auf die Augen ?
Werden dir nicht mehr taugen –
Seit zweien Wochen
Sind ſie gebrochen!
Streicheln willſt du mir noch den Zopf ?
Den ſchnitt ja der Henker vom Schopf!
(ängſtlich :)
Du, ſieh dich vor, faß mich nicht ſo am Kopf –
(Aufſchrei:)
Du behältſt ihn ja in den Händen! . . .
(Gelächter im Wind.)
Fauſt (aufſtöhnend):
Enden . . . enden!
(Plötzlich ſteht Mephiſtopheles da.)
Mephiſtopheles:
Hier war's. Hier ritt ich ſchon einmal zu Zwein
Mit dir vorbei, zur Nacht, am Rabenſtein.
Wo ſie die Kindesmörderin verſcharrt,
Treibt's dich nun um, wie wen der Drehwurm narrt!
Erwache, Doktor, ſcheint dir das ein Bett?
Cebendig ſind ja Sünderinnen nett,
Gerichtet ſind ſie braven Ceuten Pack.
Die du ſo hoch trugſt, deine weiſe Wlaſe,
Was ſchnüffelt ſie, wie Trüffeln nach, im Graſe?
Da unten ſtinkt's, Verehrter –
hab Geſchmack!
(kleine Pauſe)
Ja ſo, das iſt zur Kondolenz kein Ton:
Verſtändnis
s
Erſt heißt's: „Das Mädel her ſchon heut zur Macht –
Jch bin drauf geil!“ Man ſpringt! Und iſt's vollbracht,
So malt ihr euch aus eignem Farbenglanz
Ein Himmelsſchwangefieder auf die Gans –
Dann wird ſie, ſozuſagen, aufgezehrt,
Doch wenn der Braten euch den Leib beſchwert,
So barmt ihr: „Heilige Schönheit, die verglüht,
Wärſt du noch da!“ –
und nennt das dann Gemüt.
(Vertraulich näher an Fauſt:)
Wer wollt in den Tiefen der Sinnlichkeit
Glühende Leidenſchaften ſtillen ?
Beſter Doktor, Ihr ſeid ſo weit,
Und bekamt es nach Eurem Willen!
Wer wollte Schmerzen doch und Genuß,
Wer Gelingen und Verdruß
Wechſeln laſſen, wie's eben kann –
„Nur raſtlos betätigt ſich der Mann!“
Wollte ſich keinem Schmerze verſchließen,
Um alles in ſich ſelbſt zu genießen,
Häufen in ſich die Tief und Höh
Mit Wohl und Weh,
Um ſo ſein Jch im Dunkeln wie im Heitern
Zum Jch der ganzen Menſchheit zu erweitern ?
Wer war's, der ſprach vom Rauſchen der Zeit,
(Fauſt richtet ſich halb auf)
Vom Rollen der Begebenheit?
Wer, der von Zaubermänteln ſprach
Zu Wolkenflügen
Über den Cändern, den Meeren, den Vogelzügen
Machts unter den kreiſenden Sternen hin,
Tags der wandernden Sonne nach
Zum neuen Tag . . .
Ei nein, das erſte, was der Rede wert,
Zum ſanften Büßer hat's den Herrn bekehrt:
Der Übermenſch ſchöpft aus dem Tatenſtrudel
Die Götter-Weisheit vom gebrannten Pudel:
Du, Doktor Fauſtus, als ein Pilger trabſt,
Ein Mönchlein neben dir, zum Papa Papſt!
Fauſt (langſam und ſchwach):
Höhne die Kirche! Selber tat ich's oft.
Und liebt ſie doch nicht bloß zur Oſternacht.
Was Ahn auf Ahn in ehrlichem Gebet
Vom Ceuchtenden herniederzog: Geſchlechter
Sie bauten's in der Dome Dämmern ein –
Seit ich ein Frevler, ſingt's als Sehnſucht drin
Und taſtet klagend am Geſtein -hirtaz:ſ. -
(Er weckt den Knöric)
ich
... .
.
.
Mönch,
2
-
Komm, eh der Morgen Menſchen herführt, komm :
's iſt ſtiller worden, laß uns fürbaß ziehn!
(Der Mönch erwacht, ſpringt raſch auf und bemüht ſich helfend um Fauſt.
Da ſieht er Mephiſtopheles. Mißtrauen erwacht in ihm. Er ſtützt Fauſt
und geht mit ihm. Wie er zurückblickt, ſieht er, daß Mephiſtopheles nach
gehen will. Da wendet er ſich und hebt das Kreuz ſeines Roſenkranzes gegen
ihn. Mephiſtopheles zuckt zurück, dann folgt der Bruder Fauſt.)
Meph iſt op he les (mit dem Fuße ſtampfend):
Mich beißt's wie Flohbiß, das verdammte Kreuz!
Ich pfeif, ich ſpuck drauf, ich zerknack's, das Cuder,
Wo ich den Dreck nur an den Kleidern ſeh. . .
(auflachend)
Was, alter Herr, dich ſelbſt belügſt du auch?
Das laß den Pfaffen! Ich veracht' es nicht:
Ich ha ß das Kreuz: der, dem es dient, hat M a cht,
Und ihm beliebt's, mich ſeiner Macht zu ducken,
Verachtend e r . . . verachtend e r . . .
(ſtummes Spiel der Wut. Achſelzucken. Sichfaſſen)
Da geht der Narr und meint: ich find ihn nicht!
Und trinkt doch ſchon mit ſeinem nächſten Schluck
Den Cöffel Cethe, den ich dreingemiſcht,
Daß ihm das Weibsbild blaſſer Nebel werde,
Das jetzt rumorend meine Kreiſe ſtört.
Wo fänd ich nicht, was es zu töten gibt?
Zwar haſt du Recht, am Kreuz du, das ſtirbt nicht,
Was Herbſtens welkt. Ja, wär' das Saatkorn tot!
Doch das Gerippe mit der Senſe pfuſcht.
Bohr dich ins Hirn, in die Gedanken ein,
Erwürge die geſunden, bläh die kranken,
Kriech du ins Herz und ſaug und ſeuche drin,
Daß der Gefühle Kinder ſchon verderbt
Zu neuem Samen werden deinem Gift –
Cangſamer wirkt's, mein haſtiger Senſenmann,
Als dein Getölpel, doch es rottet aus.
jagenden
iſt
gekommen. ſteht
gewahrt ihn.)
Du die Macht gehenkter Schädel da,
in
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(vorhang)
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Vom Heute fürs Morgen
Das Feuer haben glaubt, indem man dieſe Ge
zu
E
iſt
–
die Zeit des Kaminfeuers. Und dann
haben. Man kauft
zu
Kohlen nicht die befreit rückſchlagende Flamme des
märchenhaften Preiſen Holz; aber
zu
Auferſtehenden.
man hat dann auch den Genuß, wie
in
Könnte das Schickſal des himm
Kinderzeiten wieder vorm offenen Feuer lichen Feuers nicht auch ein anderes
ſitzen und die Flamme an den brei
zu
zu
in
es
ſehen. Könnte nicht auf Erden bleiben?
man offen läßt, wird zum Kamin. Wir erleben wilde und zugleich feu
Man ſtarrt Brand. Immer
in
es
wieder dieſe charakteriſtiſche Flamme, riger Hoffnung. Wäre das nicht, wie
in
die ſpitz unten und ſich ertragen! Es gut,
ſie
wir
iſt
aufflackert könnten
Zipfel auseinanderſchlägt.
zu
drei eine Weile zuviel hoffen, damit
ſie
So
iſt
werde.
Grünewalds Auferſtehendem. Die gen
NÄ
Himmel zurückſchlagende Flamme. Aicht Neue Finſterniſſe
nur der Geſamtgeſtaltung. Jede ſprach
von Überſicht ohne
in
ich
Form, bis die Fleiſchfor Ausſicht; von
den Schwierigkeiten,
in
einzelne
men des Körpers, die Füße, die Beine die jedem Aegierungswillen die ſtei
hinauf, erſt recht die Gewandzipfel, gende Maſſe der Arbeitsſcheuen und
das alles hat Flammenart. Das das Syſtem der
iſt
–
Arbeitsloſen ſowie
an der aufleckenden Flamme beob Räte entgegenſetzen; von dem aus den
achtet. verſchiedenen Motiven gemiſchten Pro
Das ganze
Werk hat Feuercharak teſt gegen die Demokratie und ihren
ter. An den andern Teilſtücken fällt Verſuch einer Ordnung. Ordnung be
anderen Beziehungen auf. Zu
es
deutet jetzt
und Ge ſchon Bürgertum und Betrug um die
in
dieſem
dann das dunkle Bild, das gewaltigſte Verſtand heißt freilich nichts andres als
des Werkes. Wie ausgebrannt und ver Befriedigung der Bedürfniſſe aus den
kohlt hängt der ſchwere ungeheure Leich von den Leuten angenommenen reichen
nam, der trotz ſeiner unverhältnis Vorräten der Beſitzenden. Wäſche,
mäßigen Größe dennoch nicht unverhält Schuhe, Kleider, Lebensmittel ſollen
nismäßig wirkt, auf dieſe Art beſchafft werden. Das
iſt
Ausdruck
er
ſo
ſehr
eines übermächtigen Schickſals gewor alles die Wirkung der fortdauernden
iſt
ſo
ſeit
ſo
ſchon
es
im
man aufgeſchlagenen
Buche lieſt, lauten anders; die Worte, nicht geſehen werden dürfe. Andre
die man hört und ſeit immer gehört
ſei
es
25
wiſtiſcher Anſteckung, die jede Berüh
es
antwortete:
ſo
ſchlimm werde nicht
ſei
rung mit deutſchen Matroſen und werden, aber ganz heilſam, wenn
es
Schiffen ausſchließen wolle. Faſt muß die Bourgeoiſie ein bißchen Angſt vor
man den Gedanken für möglich halten, der Aevolution habe! Vor ein paar
den jüngſt ein engliſcher Arzt für ein Tagen war ein Abgeſandter einer ſchle
Jingo-Blatt formuliert hat: es werde ſiſchen politiſch-praktiſchen Vereinigung
Ge
zu
und ſolle nichts als rhachitiſches bei mir, um Unterſtützung ſuchen
ſindel in Deutſchland übrig bleiben. für die Forderung ſofortiger einſchnei
Aus dieſen Umſtänden erklärt ſich dender und ſichtbarer, auf die Phan
die immer neue Verfinſterung der eben taſie wirkender Sozialreformen; die
ſich etwas klärenden Lage von ſelbſt. Parteien müßten dafür die Initiative
Man braucht nur das heutige Berlin ergreifen und ſich nicht erſt drängen
zu ſehen: ſchmutzig, mit Papierfetzen laſſen; die Maſſen wollten keine Ord
überſät, die Sockel der Gebäude mit nung und AMajoritäten-Herrſchaft, ſon
Plakaten aller Art beklebt, auf den dern einen ſichtbaren und greifbaren
Straßen Soldaten mit Drehorgeln oder Fortſchritt; ſonſt ſei die ſchwerſte Er
fliegendem Kram, ſorgenvolle Geſichter ſchütterung und der Kampf gegen jeden
der Meiſten, raſende Amüſierſucht auf Anſatz irgendwelcher einheitlicher Ae
den Geſichtern der andern, zahlreiche
zu
gierung erwarten; die Gewalt könne
Läden aus Furcht vor Plünderung ge nur gelegentlich Putſche unterdrücken,
ſchloſſen, andere in Wohnräume not die Situation als ganze aber nicht hal
dürftig verwandelt, überall ſteigende ten; Unabhängigen diskreditieren
die
Preiſe und Entwertung des Papier jeden Verſuch demokratiſcher Ordnung
geldes. Dazwiſchen ein Hin- und Her und nähren die Hoffnung auf das
toben der Autos mit Soldatenmaſſen, große politiſche und ſoziale Wunder.
Schutzpatrouillen jugendlicher rauchen Am nächſten Tag brach der General
der Soldaten, die Kaſernen von Sol ſtreik aus und wurde der Aegierung
daten beſetzt, die nur an die Verteidi als Zweck des Streiks die Forderung
gung der Kaſerne als ihrer Exiſtenz der Aufrichtung des ruſſiſchen Sowjet
grundlage denken und ſonſt an nichts. Syſtems überreicht.
In dieſer Atmoſphäre Inder Tat: das
iſt
entſtehen die der Kern der
immer neuen Unruhen von ſelbſt und Lage. Das ſozialiſtiſche Programm hat
bieten den ſyſtematiſchen Politikern der ſich geſpalten. Die einen bleiben bei
immer neuen Revolution leicht verfüg der Demokratie und der Mehrheits
bare Mittel und Maſſen. herrſchaft als dem einzigen Mittel der
Ordnung und dem einzigen ANittel,
iſt
die Gemein
in
richt, der Kaiſer ſei ins Hauptquartier nötige Aückſichtsloſigkeit aufbringe, und
abgereiſt; fügte lakoniſch hinzu: jedes Programm Ord
er
bezeichnen der
„Das gefällt mir nicht, nung als bürgerlich, als Aeſtauration
in
es
hat
ſo
möge
ſo
auch
einer grö ſoziali
in
ger, mit den Unabhängigen vertrauter einen bleiben bei dem Gedanken des
Student, das Miniſterium Prinz Max Friedens, des Völkerbundes, der mög
ſei das deutſche Miniſterium Kerenski; lichſt friedlichen Durchſetzung auch der
inneren Aeformen, wozu man die Hilfe
es
wenn brauche.
ſozialen Aeformen hervortrete. Ein dern vertreten den Krieg und Kampf,
anweſender ſozialdemokratiſcher Führer die Hinübertragung der ARevolution zu
26
der
unſeren Feinden und die Auflöſung nalen Geſinnung Sozialdemokratie
des Staatenſyſtems der ganzen Welt, liege, die das einzige Mittel, die Ge
den rückſichtsloſen Kampf der ideen walt, nicht brauchen wolle! Wie viele
erfüllten Minorität gegen die bürger auf dem „Boden der neuen Tatſachen
liche und ſpießerhafte Majorität, die ſtehende“ Beamte treiben allmählich
überhaupt gar nicht mithelfen, ſondern ſtille Obſtruktionspolitik und glau
Aus
zu
zwangsmäßig dienen ſoll. Der ben, die Regierung zwingen können
einen Aichtung das Syſtem
zu
Energie
iſt
druck der und Konzeſſionen nach
der Konſtituanten, der der andern das rechts! Wie viele fühlen ſich heute noch
Syſtem der Sowjets. Unzählige ſchwan den bürgerlich-demokratiſchen Spießern
ken unklar und aufgeregt zwiſchen bei
zu
ſie
überlegen, denen auch die
den Syſtemen hin und her und glau Sozialdemokraten rechnen, und ſchwa
ben, eine Art von Kompromiß und dronieren von neuen Idealen und
Verbindung könne wenigſtens vorläufig neuer Seele, die an Stelle alles Alten
allein die Rettung bringen. treten müſſen!
In Bayern begann der blutige In Wahrheit liegt der Grund all die
Kampf gegen Aationalverſamm ſer Dinge der Entente-Politik, welche
in
die
lungen, obwohl das überwiegend bäuer die Lage fortwährend verſchärft; im
kleinbürgerliche Bayern ſicher ruſſiſchen Beiſpiel und der ruſſiſchen
in
liche und
der großen Majorität auf der Seite Agitation;
in
dem ſteigenden Elend
in
der letzteren ſtand. Aevolutionen ſind und dem damit ſteigenden Wahnſinn
Wahrheit eben Minoritätsherr der Maſſen, die eine glänzende Eri
in
aber
ſchaften, die im Beſitz der Waffen ſtenz erwarteten und nur entwertetes
Inſtitutionen von den Papiergeld ſehen; der mangelnden
in
und zentralen
Städten aus die Maſſe vergewaltigen. Einigkeit und Entſchloſſenheit derer,
In Preußen ſetzte ſich der Kampf gegen die die Ordnung jedem Sinne, ob
in
die Aationalverſammlung durch Ver ſozialiſtiſch oder demokratiſch, fördern
kehrsſtreik und Sabotage der Eiſen und ſich unterſtützen ſtatt befehden
bahnen fort. In Berlin bot man den müßten. Aur die Einſicht unſerer
Generalſtreik dagegen auf und ver ihren eigenen Vorteil und
in
Feinde
band mit ihm den Plan eines militäri eine endliche Durchführung der heilig
ſo
ſchen Aufſtandes, der von dem „roten verſprochenen Weltordnung, ſowie der
Soldatenbund“ oder „Klub der Deſer Zuſammenſchluß aller Beſonnenen zur
teure“ ſorgfältig vorbereitet war. Gegen Aufrechterhaltung von Ordnung und
die Reichsverſammlung und die Aeichs Geſetz unter gleichzeitigen großen
regierung, vor allem gegen die kleine Opfern und ſozialen Maßnahmen kön
ihr zur Verfügung ſtehende Schutz nen helfen, nicht bloß uns, ſondern
Kampf der Welt überhaupt. Der Weltkrieg
iſt
genden demgegenüber
Orga
ſie
gertum abſetzen,
wie die AMonarchie liche Heilkraft des menſchlichen
nismus, aber wirkt langſam. Wrzt
ſie
fen noch heute, daß alles nur an der auch auf mich
Schlappheit und mangelnden natio der Gorkijſche Aufſatz für den
27
Bolſchewismus ſo ſtarken Eindruck ge einen Augenblick die Stimmung des
in
macht hat. vorigen Frühjahrs zurück; denken Sie
Doch nicht. Und zwar vor allem, einen Augenblick, wir hätten den Sieg
weil ich weder beim Bolſchewismus errungen und wären den Beſitz der
– in
noch bei Spartakus nur Verbrechen Welternte gekommen, wer von uns
ſehe. Ich ſehe ja auch die andre Seite. würde bei allen zweifelloſen Schwierig
ANur wollen Sie beachten: Gorkij ſolcher Lage an die Möglich
in
keiten
Er
iſt
Ruſſe und ſchreibt als Auſſe. keit einer deutſchen Revolution gedacht
zeigt Verſtändnis dafür, daß der Bol haben! Und nun die Entente mit einem
ſchewismus eine furchtbare Methode Sieg von ſolcher Vollſtändigkeit hinter
ja
der Löſung ſei, eine tödliche. Er ſich, wie wir ihn nie hätten erringen
hat ſich nur davon überzeugt, daß können, und mit den demokratiſchen
er
Einrichtungen als alten Errungenſchaf
–
die für Rußland für Rußland! das
erſt hätten er
–
ſeit Jahrhunderten ſtumm gehaltene ten, die wir allenfalls
einzig mögliche ſei. Aber, geſteht kämpfen müſſen! Selbſt wenn wir
ſo
er, das ruſſiſche Volk wird dabei ge uns den Hungertyphus werfen woll
in
opfert! ten, nur als Brücke für den Bolſchewis
gewiß etwas Großes, doch mus, würde ſich darauf ſtauen,
–
Das
iſt
er
auch etwas Schreckliches. Gar nicht aber nicht hinüberkommen. Schwierig
auszudenken aber wäre die Schreck keiten, Streike, vielleicht ſogar Putſche,
lichkeit, wenn dieſes Opfer auch noch dazu würden wir
es
vielleicht drüben
zu
ein vergebliches wäre! wenn nicht es bringen können, mehr gewiß nicht!
zum Leben der übrigen AMenſchheit, Aber gibt nicht einen viel gerade
es
–
ſondern zum Weiterſterben auch aller ren, viel ſichreren und viel menſch
hin
ja
Dann war licheren Weg, die Weltrevolution
es es
andern würde.
kein Opfer mehr! Dann war der überzutragen?
Anfang einer Seuche. Wir gelänge uns, ein ge ord
es
gemeine Geſetzt,
-
unſer Volksopfer der Ae es ſozialiſtiſches Staats
et
in
haben
n
=
formation gebracht, die Holland, Eng weſen aufzurichten, würde dieſer
ſo
land, Amerika ſtark machte, uns poſitive Beweis, den wir lieferten, die
in
in
zu
das jetzige Opfer Außlands einem typhus gewiß nicht entwickeln könnte.
Wir können alſo die Weltrevolution
zu
unſre erſetzen?
.
iſt ..
Auch für mich das, was mir auf dem umgekehrten Weg, als den
-
am Spartakus am meiſten nahegeht, Spartakus will.
der Gedanke an die Weltrevolution. Wir würden unſre jetzigen Feinde
Aber hat denn dieſe Beziehung irgend dieſem Falle allerdings nicht
in
in
das
welche Wahrſcheinlichkeit? Wahrſchein Elend des Bolſchewismus mit hinab
–
daß
ſie
wir könnten
in
zunächſt ein Volkſterben bedeuten mit uns zuſammen
–
würde, dagegen die vier Jahre Krieg die Höhe reißen wäre das nicht alles
Kinderſpiel wären. Wo ſollten wir allem genommen nicht nur edler,
in
wenigen Induſtrie hatte, ſind für uns kleines Gedicht „Der alte
meiſter“ aus der von Frekſa heraus
ja
leicht denn
hungerten phor“:
und waren unzufrieden.
Aber wie die Entente? die die Welt „Richtendes Volk,
ſei
gerecht!
ernte für ſich hat! und den Sieg hinter Denk' deiner Väter und wache:
Zunge mache
an
28
Eherner alten Geſchlechts, immer als eine beſonders niederträch
War er immer der gleiche tige und grauſame Art der Kriegfüh
rung erachtet. Und als England
ſie
Arbeit- und gütereiche im
Burenkrieg anwandte, waren
ja
Waffenmeiſter des Aechts. auch die
Franzoſen noch der gleichen Meinung.
Alles um ihn ſchuf ſich neu,
Eiſernes morſchte und krankte, Darin liegt eine gewiſſe Entſchuldigung
Ewiges ſtürzte und wankte, für unſre Kurzſichtigkeit. Denn natür
eine Kriegführung,
iſt
lich welche die
Er nur blieb ſich getreu.
Engländer bevorzugen, dadurch von
Aun in Wirrnis und Aot ſelbſt als eine hochſittliche ausgewieſen.
Geht er durch blutende Tage So hören wir denn auch, daß viel
ſie
Wie jener Alte der Sage, mehr die Blüte der Kultur iſt. Die
Um ihn Trauer und Tod.“ Barbaren kämpfen mit den Waffen,
Aber in der Tat: er ſteht nicht nur, die Kultur führt nur „wirtſchaftliche“
aufrecht, er „geht“ auch, geht ſeinen
Kriege. Man erinnert ſich gewiß des
Gang, arbeitet, geht ſeinen Weg der gleichlaufenden Falls der mittelalter
*Pflicht, geht ihn in ſeinem achten Le lichen Kirche, welche das Blutvergießen
bensjahrzehnt, geht ihn ſchlicht weiter als heidniſch dadurch vermied, daß ſie
als der mit den verdienteſten Kränzen die Ketzer verbrannte. So wird nun
die neue Kirche des Völkerbundes mit
und Ehrungen aller Art wie kein
zweiter Geſchmückte, obgleich dieſer Weg dieſerwirtſchaftlichen Kulturwaffe be
gabt: Wer nicht hören will, muß hun
einem Geiſte wie ihm nur bitterſte
gern. Und Dante, als jene aller
er
Bitternis täglich und ſtündlich zu
gräßlichſte Geſchichte der Weltliteratur
koſten geben kann. Wenn Hindenburg
dichtete, die Geſchichte vom Hungerturm,
endlich doch zurücktritt, ſo darf er ſich
wußte nicht, daß er, indem glaubte,
er
ſagen: Der Blick auf ſein Verhalten
die infamſte Aiedertracht ſeiner und
nach dem Kampfe müßte ſogar dem
zu
in
den Hut vom Kopfe ziehn, der be
fangenen Auges die Größe ſeiner Siege die veredelte Kriegführung einer
höheren Kultur beſang. Sie wird
in
in Oſt und Weſt nur mit finſterm
- Staunen betrachten kann. Was der tiefſten Hölle erzählt. Im 55. Ge
es
iſt
wenig eingeführt
zu
beſeitigen. Aber
ſie
das Ganze und der Geſamtheit für die der Front geſtanden hat. Über Sol
Gewiß, ein alter Ge
datenräte kannaus viereinhalbjäh
ich
iſt
es
Glieder.
riger Kriegserfahrung ſprechen; denn
meinplatz, daß
es
kann ohne Pflichten. Aber die Men ich hatte ſeit den erſten
tagen ſtillſchweigend eingeführt. Wo
ſchen ſcheinen das Selbſtverſtändliche
ſich um Wohl und Wehe
es
am eheſten vergeſſen.
Adel und Beſitz, auch Aevolution ver meiner Soldaten handelte, habe ich Ver
trauensleute aus den Mannſchaften zu
pflichtet! Schairer
Rat gezogen. Auch wenn ſich's um
Ugolino die Mannszucht handelte und immer,
Kulturge
WI.ſinnung
erkennen die feine
der Entente noch nicht ge
wenn ich ſtrafen mußte.
Sie waren durchaus kein Hemmnis
nügend an. So haben wir zum Bei ſtrenger Zucht. Im Gegenteil: Ob
ſpiel den Hungerkrieg der Engländer wohl ich ſie grundſätzlich nur nach Din
29
gen fragte, die zugunſten eines Täters Weg aber mit dem ſtrengen, dem
doch immer, daß Aus jahrzehntelangem
ich
ſprachen, ſo fand Dunkelarreſt!
ſie weit ſtrenger urteilten als ihr Kom Strafanſtaltsdienſt
er
weiß ich, daß der
mandeur, und ganz beſonders kritiſch körperlichen, geiſtigen und ſittlichen Ge
der Be
ſie
waren gegen Ausreden ſundheit ſehr gefährlich
iſt
und doch
A
ſchuldigten. Ich hätte dreimal häufiger nicht abſchreckt.
ſtrafen müſſen, wenn ich allein
von Ganz vortrefflich hat ſich die be
der Meinung meiner Vertrauensleute Beſtrafung bewährt, die
ich
dingte
mich hätte leiten laſſen. eigenmächtig bei meiner Kolonne ein
Ich galt als leidlich ſtreng, und geführt habe. Wenn ein braver Sol
man hat meiner Kolonne ſehr oft Leute dat ſich einmal vergeſſen hatte und eine
zugewieſen, die anderswo nicht gut ge Strafe unvermeidlich war, ſprach ich
ſo
drei die Arreſtſtrafe zwar aus, der Vollzug
in
tan hatten. Trotzdem habe ich
undfünfzig Kriegsmonaten nur acht Ar= aber hätte das Ehrgefühl des AMannes
reſtſtrafen vollzogen. Aber genau vielleicht für immer untergraben. Des
in
vielen Fällen haben mich meine Ver halb erließ ich die Strafe, wenn ſich
ſo
zu
mal und brauchte nie die Strafe
Aervenheilanſtalten verbracht, außer vollziehen. Die „Bewährung“ kann der
in
dem einer wegen Trunkſucht, einer we Soldatenrat weit beſſer überwachen als
gen Epilepſie, einer als geiſtesſchwach der Vorgeſetzte.
-
die Heimat entlaſſen. Einen Solda
in
in
ſoll der Soldatenrat
ANatürlich
ten wollte ich wegen Feigheit vor dem Strafſachen nur beraten, nicht richten.
Feinde dem Kriegsgericht ausliefern, Dagegen kann man ihm ein Beſchwerde
wies mir mein Vertrauensmann nach, da recht zugeſtehen. In dieſen Grenzen
daß der Mann ſchon von Kind auf wird der Mannszucht nur förderlich
er
nervenſchwach war; einen endlich konnte und dem Führer eine unerſetzliche Hilfe
ich vor der Strafe wegen Fahnen ſein. Leo von Egloffſtein
SÄ
flucht bewahren, weil die Vertrauens
leute ermittelt hatten, daß der Flücht „Zeitungsputſche“
ling vor einem Jahrzehnt aus einem Weimar für
es
hat
in
verſchütteten Keller ausgegraben wor den Gipfel
des Terrors erklärt, daß
den war. Dies alles wäre mir ohne Spartakiſten oder Unabhängige „bür
meinen Beirat entgangen. gerliche“ Blätter enteignet und für ſich
Erſt recht den Tagen der Um Benützung genommen
in
haben. ANa
in
auch ſchinengewehre,
bei uns alle Ordnung wankte, war der Totſchlag, ANord ſind
in
verletzung,
–
iſt
ſachen für Zucht und Ordnung ein wir weit gekommen ſind. Aber das
ſo
treten ſoll, muß freilich erſt die Programm „Gewalt wider Gewalt!“
Dienſt ſtra fordnung von Grund hilft uns alle in nicht weiter. Das
Beiſpiel der Zeitungen
da
iſt
iſt
weſen
ſziplinarordnung Willen ternehmertums und der Parteien
in
nach eignem
umgemodelt. Wo Tatbericht und ſonderbarer Miſchung. Ein Teil der
Stand- oder Kriegsgericht gefordert Zeitungen arbeitet nur auf Rein
war, genügte häufig eine kurze Arreſt gewinn; ein Teil arbeitet mit Unter
ſtrafe. Statt des ewigen Mittelarreſts, ſtützung durch reiche Parteifonds; ein
ohne den ſich der Soldat einen Haupt anderer Teil lebt nur von Zuſchüſſen.
mann gar nicht vorſtellen konnte, Dieſes Syſtem wird noch verſteift
reichten Strafdienſte aus. Der Solda durch die Papierkontingentierung. Wir
mit erzieheriſchem Ver ein Beiſpiel aus der Wirk
ſie
ſtändnis auszuwählen.
30
rund 100 000 nichtſozialiſtiſche Zei als mit „empire“, alſo „Deutſche Re
tungsleſer, aber 200 000 ſozialiſtiſche publik“. Wie langweilig, altbacken,
und doch erſcheinen dort täglich 270 000 nachgemacht das klingt! Warum nicht,
Exemplare von nichtſozialiſtiſchen Zei wie man vom „Freiſtaat“ ſpricht,
tungen, und nur 30 000 Exemplare von „Deutſches Freireich“? Wie ſie das
Aeugründungen erfor wollen,
iſt
ſozialiſtiſchen. überſetzen ſchließlich ihre
dern ſehr große Mittel und Zuſchüſſe, Sache, mit „empire“ werden ſie's
zumal man ein altes Papierkontingent ſchwerlich überſetzen, und wie viel ſtär
kaufen muß und nicht weſentlich neue ker und eigner klingt es! A
Bezugsrechte erhält. Danach ſind alſo
70 000 ſozialiſtiſche Leſer gezwun Einen andern Mann an Frieds Stelle!
gen, eine nichtſozialiſtiſche Zeitung zu ermann Popert, der ſchon längſt
ſich überhaupt regel
ſie
5)
kleinen Blättchen einſchränken. einem „Offenen
wirkt an ſich verbitternd, um In
H.
mehr, Briefe“ an Alfred Fried. Sein
ſo
iſt
halt
in
eine
Gedanken bekämpft, vielleicht gar fäl volle, im Verfahren nach Poperts Art
ſchend bekämpft, vieles verſchweigt, was juriſtiſch genau Punkt für Punkt be
im
die Sozialiſten angeht, vieles ver ſprechende und Ergebnis rückhalt
In loſe Ablehnung jenes Friedſchen Ver
ſie
ſich
fühl, daß die des Kapi haben (Kw. XXXII, Wer ſich über
7).
Übermacht
tals und die Starrheit der geltenden alles auch im Einzelnen klar werden
Wirtſchaftsordnung will, der findet hier Gelegenheit dazu.
ſie
um ihr Recht
auf eigene Blätter bringt. Plötzlich Popert fordert ſchließlich Fried dring
Dann heißt lich auf, den „Moorgrund“, auf den
es
vollem Recht:
äußerung“ werde bedroht und unter- „Kehren Sie um! Um Ihrer Sache
willen und um deſſen willen, was die
es
drückt.
vollem Recht. Aber die freie Mei den Völkern ſchuldig iſt!“ Da muß ich
nungsäußerung derjenigen, die kein nun freilich geſtehn: von einer ſolchen
Geld für eigene Zeitungsgründungen „Umkehr“ Frieds könnte ich mir weder
haben, derjenigen, deren Parteiblätter für den „ſentimentalen“ noch für den
keine bedürfnisgerechte Papierzuwei „wiſſenſchaftlichen“ Pazifismus jetzt
ſung erhalten, Fried nahm
iſt
ihr
in
nicht anders
Boden entziehen. Sch. nennen: durch ſein Kleinſehen und
Engfühlen, wie durch ſeine völlig par
Warum nicht: „Deutſches Freireich“? teiiſche Befangenheit ſeine eigene Ar
Im
zu
ge
zu
in
ſehr volkstümlich erſchienen, und
Zu Gleims zweihundertſtem Geburts denen mitunter immerhin wirklich
tage
dichteriſches Können aufblitzt.
VÄ Jahren war Gleims
im
ſechzehn Gleimt ſchuf guten Sinne des
Todestag, und nun
iſt
100. ſchon Wortes literariſche Sphäre,
er
hob
ſein 200. Geburtstag da. Was hat dadurch das Anſehen des geiſtigen
dieſer Dichter ſelbſt für eine inhalt Deutſchlands, Boden
er
lockerte den
ſchwere Spanne Literatur- und Geiſtes für vieles, was erſt kam. Wir
geſchichte durchlebt! Als anfing, war
er
hätten mehr Gleims haben ſollen,
Gottſched noch im aufſteigen den mehr Männer mit der Fähigkeit,
Glanze ſeines Auhmes, waren Klop Sphäre
zu
ſchaffen. AManches Dichter
ſtock und Leſſing noch unbekannt, als wie das Kleiſts, dem Gleim
ſchickſal,
aufhörte, ſchrieb Schiller bereits ſeine
er
n
Anakreontik des Jünglings laſſen wir „Betrachtungen eines Unpolitiſchen“
uns auf Beſuch einer freundlichen, ſpricht Thomas Mann auch über
in
aber auch wenig ſagenden Welt wohl den Typus des „deutſchen Ziviliſations
gefallen, aber eben doch nur auf Beſuch. literaten“, „dem ſein nationales Bei
Auf Beſuch
in
zu
dieſem und anderm wort ſonderbar ſteht,
in
ſo
Geſicht“
zu
Sinne war Gleim im Grunde ſeines deshalb immer „Geſinde
er
ohne daß
Weſens überhaupt eingerichtet. Sein und Geſindel“ gehörte. Indem man ihn
Halberſtadt hat faſt alle be bekämpft, der ſein Volk im Stich läßt,
in
Haus
werde man vorübergehend zum Politiker
zu
ſo
jungen talentvollen (oder talentloſen, vor politiſchen Laſtern zu hüten, wie
aber wenigſtens perſönlich liebens B. davor, dem Widerſacher ungei
z.
h.
unterſtützte
Aat, Tat
und bahnte Ver
Geld, ſchieben. Der Literat dieſer Art alſo
bindungen an; einer der ſchreib „gehört mit Leib und Seele zur En
ſeligſten AMenſchen ſeiner Zeit, hatte tente, zum Imperium der Ziviliſation.
kämpfen ge
in zu
Aicht, daß
er
Lebens zwar nicht ſeiner Hand, habt, daß die Zeit ihn ſchmerzlichen,
in
lichem Geiſtes- und Seelenaustauſch, digen und ſich, wie der ſanfte Romain
Nolland, über das Getümmel
zu
verſuchte:
–
er
den Standpunkt
–
in
oder
tums beigetragen. Seine Begeiſterung ſpäter Entente-Journaliſten oder En
für den Alten Fritz ließ ihn jene preußi tente-Miniſter ſagten. Er war kühn,
ſchen Lieder auf den Siebenjährigen war original, aber nur für deutſche
er
52
Begriffe, nur relativ. Ich glaube, er zum Lehrer der AMenſchheit berufen
machte Miene, Iſoliertheit für ſei, berufen, ihr »die Gerechtigkeit« zu
–
ſeine
tragiſch auszugeben, nicht ganz mit bringen, nachdem ihr »die Freiheit«
es
Aecht, denn ſie beſtand nur innerhalb gebracht hat (welche aber aus England
Deutſchlands, er dachte nicht eigentlich ſtammt). Er denkt nicht nur fran
in
einſame Gedanken; was er dachte, war Syntax und Grammatik,
er
zöſiſcher
weiter erhaben, überlegen, liebe franzöſiſchen Begriffen, fran
in
nicht denkt
voll umfaſſend: es hätte in jedem En zöſiſchen Antitheſen, franzöſiſchen Kon
tente-Blatt ſtehen können, und es ſtand flikten, franzöſiſchen Affären und
darin; kurzum, er dachte, wie im feind Der Krieg, dem wir
in
Skandalen.
lichen Ausland Johann und jedermann, ſtehen, erſcheint ihm, völlig entente
und das nenne ich nicht tragiſche Iſo korrekt, als ein Kampf zwiſchen »Macht
liertheit. Man darf ſagen: er hatte es ſeine oberſte Anti
–
iſt
und Geiſt« das
gut während jener erſten Wochen und theſe! –zwiſchen dem »Säbel« und
Monate des Krieges, an die ſeine nicht dem Gedanken, der Lüge und der
ziviliſations-literariſchen Landsleute Zeit Wahrheit, der Aoheit und dem ARecht.
ihres Lebens denken werden, damals, – Mit einem Worte: dieſer Krieg ſtellt
als die Welt, die demokratiſche öffent ſich ihm als eine Wiederholung der
Meinung Welt, gegen Deutſch Dreyfus-Affäre koloſſal vergrößer
–
in
liche der
land losgelaſſen war, und als es Kot
es
tem Maßſtabe dar wer nicht
regnete: er hatte es recht gut, ſage glaubt, dem will ich Dokumente unter
ich, denn alles, was damals und ſpäter breiten, die ihn vollkommen überzeu
hin dieſes »große, ſtolze und beſondere« gen werden. Ein Intellektueller iſt,
Volk ſich hat ſagen und antun laſſen nach der Analogie des Dreyfus-Pro
müſſen, ihn machte es weder heiß noch zeſſes, wer geiſtig auf ſeiten der Zivili
kalt, ihn berührte, ihn traf es nicht ſations-Entente gegen den »Säbel«,
– er nahm ſich ja aus, er gab den
es
gegen Deutſchland ficht. Wem anders
anderen recht; was ums Herz iſt, wer irgend welchen trü
ſie
er
ſagten, hatte
wörtlich ſchon längſt geſagt. Undeutſch? ben Inſtinkten folgend dieſem ge
Man kann höchſt deutſch ſein und dabei in
zu
iſt
deutſch,
ſehenswürdiges Beiſpiel dafür, wie weit und Wahrheit, und jede Verdächtigung
Selbſtekel und Ein ſeiner Motive fortan nicht nur ſtatt
es
iſt
der Deutſche
in
bung und Selbſtentäußerung heute noch die nette Gabe, von den Verhältniſſen
bringen kann. Zu ſagen, daß die Struk
zu
ſtatthaft ſein.
inſofern, daß ſie nicht deutſch-natio urteilten Konkurrenten bei dieſer Ge
mal, ſondern national franzöſiſch iſt: legenheit auszuſtechen und Vergeſ
in
–
vollkommen, daß
zu
es
ruhigerer Zeit ein wahres Vergnügen Treuherzigkeit, auf die der Ziviliſations
wäre, alle Hochherzigkeiten, Empfind literat nicht mit verzerrter Miene ver
ſamkeiten, Kindlichkeiten und Bösartig fiele, um die Parteinahme für »den
zu
nun
ſo
des
ſpricht der Ziviliſations
zu
ſo
35
literat in ſolchem Falle auch noch mit durch ſolche humanitären Beſchwichti
klarer Verachtung von »Tiefſchwätzerei«.“ gungen auf die Dauer nicht einſchläfern
Mann deutet mit dieſen Sätzen voll läßt; zu tief
iſt
ihm der Haß und die
kommen richtig an, daß es ſehr viel Zerſtörungswut gegen das Menſchen“
leichter iſt, »Ziviliſation«, als »Kultur« tum eingepflanzt. Eines Tages ex
zu erfaſſen. Ein im Kunſtwart ja oft plodiert das Gas, jener einzig und
behandeltes Thema. Die Vorliebe aller allein von dem Werk des Milliardär
Halbgebildeten in der deutſchen und der ſohnes hergeſtellte phantaſtiſche In
ausländiſchen Welt für das »á la tête duſtrieſtoff, der die geſamte Technik
de la civiliſation« marſchierende Frank der Welt ſpeiſt, und zerſtört mit zahl
reich ſtammt ja eben daher. reichen Menſchenleben auch den gan
zen Betrieb. Die Arbeiter ſuchen die
Berliner Theater Schuld des Unglücks der Formel
in
Male hat Georg Kai des Ingenieurs und verlangen deſſen
–
um erſten =
ſer erſt mit ſeinem ſechſten Entlaſſung. Der Milliardärſohn aber
Stücke, wie feſtgeſtellt werden muß – weiß, daß die Formel
er
ſieht tiefer:
in Berlin einen ſtarken Theatererfolg richtig war, daß ſich die nämliche Kata
errungen. Es wäre kurzſichtig und ſtrophe unter jedem andern Ingenieur
mir außerdem zu bequem, den Grund an jedem beliebigen Tage wiederholen
dafür allein in der augenblicklichen kann, daß auf Friede und Sicherheit
Zeitſtimmung und der beſonders ge nur
zu
hoffen iſt, wenn das Übel mit
arteten Zuhörerſchaft zu ſuchen. Micht der Wurzel ausgerodet, wenn der In
weil „Gas“ ſtatt im Deutſchen Thea duſtrialismus mit Stumpf und Stiel
ter, dem Kaiſer eigentlich mit all ſei beſeitigt wird. So reift ſein Plan,
nen Stücken verpflichtet iſt, in der an der Stelle der zerpulverten Fabrik
Volksbühne, nicht weil es in einer anlagen Siedlerſtätten entſtehen zu
ſozialiſtiſch aufs höchſte erregten Zeit laſſen, auf denen ſich die Arbeiter
geſpielt wird, hat es ſo gepackt, wie ihren Unterhalt von der untrüglichen
bisher keins der Kaiſerſchen Stücke, Mutter Erde holen. ANicht weiter auf
ſondern weil es –abſichtslos vielleicht dem alten Wege, nicht Arbeit um des
Gewinnes, nicht Arbeit um der Arbeit
und zum Trotz gegen all ſeine kühl
abgemeſſene Geiſtigkeit –
in den le willen
– nein, Umkehr zum grünen
Grund, zur Aatur!
bendigen Kern menſchlicher Willens Er wirbt um
und Gefühlskonflikte greift und von Bundesgenoſſen für dieſen Plan, aber
der natürlichen Wucht dieſer einan überall ſtößt auf Ablehnung, bei
er
der widerſtreitenden Kräfte ſo hin ſeinem Schreiber, der doch nur ein
geriſſen wird, daß wenigſtens in eini Sklave ſeines Pultes iſt, bei ſeinem
gen Szenen alle Gedanklichkeit von Schwiegerſohn, der ſeine Uniform nicht
dem Feuer auflodernder Leidenſchaften hergeben will für die AMitarbeit an
verzehrt wird . . . dem Menſchheitswerke und ſich, ſchul
„Gas“ knüpft an die „Koralle“ an. denüberladen, lieber eine Kugel vor
Dort ſuchte der Milliardär durch Ver den Kopf ſchießt, bei den Geldgebern
brechen und Sühne vergebens dem und Betriebsleitern, die nur eine Ver
Schreckbild ſeiner proletariſchen Jugend pflichtung vor der Welt, nicht vor der
zu entfliehen; hier hat ſein Sohn, der AMenſchheit anerkennen wollen, auch
ſchon dort nichts von kapitaliſtiſchen beim Ingenieur, den doch vor der
er
ſchützen geſonnen
ſelbſt an den glühenden Herd der Ar iſt, auf die heftigſte aber bei den Ar
beit ſtellte, Ernſt gemacht mit den beitern ſelbſt, die der Magnet der Ar
ſozialiſtiſchen Idealen ſeiner Jugend, beit nicht losläßt. Und nun entlädt
ſich im vierten Akt meiſterhaft auf
in
einem
unter ihnen verzichtete. Aber als Zuſammenſtoß, wie ihn unſre Bühne
Sechzigjähriger muß er erkennen, daß dramatiſch wuchtiger ſeit langem nicht
ſich der Dämon des Induſtrialismus geſehen hat. Da ſchreien und ſpeien
34
in nächtlicher Verſammlung zunächſt regie. Das Evangelium von dem ſelbſt
die Arbeiter ihre aufgeſpeicherte Em herrlichen Menſchentum, das der Mil
pörung, ihren Schmerz und ihre Wut liardärſohn vertrat,
iſt
alſo der Gewalt
heraus, und alles, was ſie vulkan der AMaterie unterlegen. Aber eine
artig herausſchleudern, gipfelt, ſcheint Hoffnung für die Zukunft bleibt ihm,
es, in der glühenden Anklage gegen die Hoffnung auf den neuen, ſeiner
den Moloch Arbeit, der ihnen den Würde und Schönheit bewußteren
Bruder, den Sohn, den Mann, den
–
zu
Menſchen, den ſeine Tochter gebären
Geliebten mit einem Wort: den hofft. Sie wenigſtens tröſtet den Ge
Menſchen fraß, längſt bevor die Kata
in
ſcheiterten ſeinem Zuſammenbruch.
ſtrophe den Leib zerſtörte, und findet Um volle Ehrlichkeit walten zu
andre Formel für laſſen, ſei ohne Rückhalt geſtanden:
es
doch keine allen
Zorn und alles Leid als: weg mit dem vor dem Erſcheinen dieſes Werkes
Ingenieur! Da ſteht plötzlich Mil kühlen, faſt ins Ab
ſo
der hätte ich einem
liardärſohn auf der Tribüne. Aicht ſtrakte getriebenen Sach- und Zweckſtil,
mehr, um bloß den Ingenieur zu ret wie hier waltet, eine hinreißende
er
ſo
ten, nein, um in dieſen wildaufge dramatiſche Gewalt auf der Bühne nie
pflügten Boden die frohe Botſchaft mals zugetraut. Die Wirkung allein
ſeines neuen Menſchentums zu pflan aus der flüchtigen, vorübergehenden
zen. Er redet mit feuriger Zunge und Hitze zu erklären, zu der ſich der Um
mit einer menſchlichen Wärme, wie trieb der Handlung ſozuſagen „warm
Kaiſer ſie bisher kaum je aufgebracht läuft“, geht nicht gut an. Es muß
hat, und eine Weile ſcheint es, als zwiſchen höchſter Geiſtigkeit und tiefſter
werde er die Köpfe und Herzen zwin Gefühlskraft irgendwo doch eine Be
gen. Da aber ſpringt der Ingenieur rührungsfläche, eine Verwandtſchaft der
auf die Tribüne. Und nun beginnt Kräfte vorhanden ſein, die beide ſonſt
ein Zweikampf des Willens und der feindlichen Mächte zu
einer verſöhnten,
Weltanſchauung zwiſchen den beiden: demſelben Ziele dienſtbaren Einheit
dort der Prophet des friedlichen Sied zwingt, deren Sinn und Erfüllung
lertums auf beſcheidener, doch eigner nicht anders als eben Kunſt, Dichtung,
und freier Scholle, hier der Verfechter Schöpfertum genannt werden kann.
der werktätigen, Macht und Kräfte Lieſt man das Buch (Berlin, S. Fiſcher),
ſchaffenden, alle Adern und Fibern an ahnt auch der Kenner aller Bühnen
ſo
Doch noch gibt ſich der Milliardärſohn umzulernen oder doch die Unzuläng
nicht gefangen. Hat er als der Aei lichkeit feſt geprägter Erkenntniſſe ein
fere nicht das Recht und die Macht, zugeſtehen gilt. Freilich taugt dies In
das Werk zu ſperren? Sei es ſelbſt ſtrument vielleicht nur einmal, jeden
mit Hilfe des herbeigerufenen Mili falls nur der Hand des einzelnen
in
tärs! Aber nun wendet ſich die Re AMeiſters; vor Aachahmung, zumal auf
gierung ſelbſt gegen ihn. Ein Krieg ſeiten unſers dramatiſchen Aachwuch
ſteht bevor, und die geſamte Aüſtungs dringend gewarnt! Und ſchließ
ſei
ſes,
auf Gas, auf noch immer eine einſt
iſt
es
jetzt unter
35
wenn aus Typen, aus Trägern ihrer Man braucht
es
nicht tragiſch zu
Gedanken und Sprechern ihrer Sache nehmen, daß junge Menſchen gibt,
es
Menſchen von Fleiſch und Blut, Per die revolutionär bewegte Tage als
Ak
ſie
in
ſönlichkeiten mit durchſichtigen Schick Kinoſtücke erleben, denen
ſalen und eigentümlichen Charakter teure ſind. Man mag ſogar ein Stil
zügen geworden wären. da
in
bedürfnis (das jedem ſteckt)
Friedrich Düſel hinter vermuten. Aber dieſer Film
lebt und rollt mit echten Waffen durch
Filmwirkungen die Straßen. Die bleichen Ideale ſteigen
unſere Truppen
AÄſtanden, noch im Felde von der Leinwand des verdunkelten
Naums
in
konnte ein ausländiſcher die helle, harte Wirklichkeit
Kriegsberichterſtatter die Sachlich - unſrer hemmungsloſen Tage und mit
keit des deutſchen Heeres rühmen, der Erinnerung an jene Poſen ſind
Allem präge ſich dieſe Sachlichkeit auf,
er, Bilder von Taten verbunden.
ſo meinte der Art des Dienſtes, dem Der Pſychologe verſteht, was das
Auftreten und Gebaren ganzer Trup Fällen heißt: die Bilder
in
ſolchen
penkörper wie des einzelnen Mannes. rufen dann nach Taten. Wir wiſ
Da ſei nirgendwo eine Spur theater ſen aus Gerichtsverhandlungen davon,
mäßiger Aufmachung oder romantiſchen wie leicht jugendlichen Köpfen Ge
in
Kriegsgepränges, Kri
zu
nur der allbeherr ſchichten der Film-„Poeſie“
ſchende Zweck gebe dem Ganzen einheit minalgeſchichten des wirklichen Lebens
Prägung.
zu
liche führen. Welche Gelegenheit einem
Als
in
dabei einer
Gegenteil jener Sachlichkeit. Mancher faſſung bedürften. Kurt Krafft
lei
die
Der Billettmann der Gala
in
ſondern auf belebten Straßen Ak aus dem Aaum der Muſiker ein wir
in
ſtrebt dieſes
bewußtſein entſchuldbarerweiſe nach im Fch ſehe mich um: alle Bänke ſind
ponierendem Ausdruck. Gleichviel, man voll beſetzt, bis oben hinauf. Da ſitzen
kommt damit zur Theatralik. Und faßt brave Pfahlbürgersleute, Soldaten mit
man die Poſen, die man bei ſolchen ihren Frauen, Arbeiter, ganz junge
Gelegenheiten ſieht, ſchärfer ins Auge, Mädchen; an einer Stelle hocken
un mehrere Frauen ſchwatzend und lachend
ſie
ſo
aus dem Kino. Ein Kinoſtammgaſt chen auf dem Schoß, ein blondes,
dürfte oft den Helden nennen können, zartes Kindchen von ſechs Fahren, das
Bild und jenem mit heißen Augen auf die grell bemal
da
in
deſſen dieſem
Kopfe ſpukt. ten Fratzen des Vorhangs ſtarrt.
36
Der geht endlich auf. Es gibt irgend mit einem unreinen Vergeſſensrauſche,
einen tollen Studentenſtreich: die ver mit einer gnadenloſen Entſpannung be
mieten die Wohnung ihres Onkels, um ſchenkt. Sie wollen fliehen aus harter
zu „Klamotten“ zu kommen. Die erſten Wirklichkeit und wiſſen ſonſt nichts.
Witze fliegen los, geſchminkte Dämchen Denn noch ſind die reinen Erhebungs
erſcheinen, die ſofort irgend einen flammen zu klein und zu ſelten; noch
Provinzonkel am Hälschen kraulen, was den vielen das große Befreiungs
iſt
der Alte unter verzückten Lauten dul wunder durch die Kunſt nicht erſchloſſen;
Es ergeben ſich ſangbare Hüpf ihnen die gröhlende Zote die
iſt
det. noch
Gelegenheiten mit einem Trallala-Re alleinige Erlöſung nach der Einöde des
frain, wobei man ſich reihenweiſe an AMaſchinenſaals und des Kontors.
den Beinen faßt. Das Kichern ſchwillt Gewiß, ich kenne die mühevollen Or
zu Jauch3-Orkanen, daß die Bänke ganiſierer und Bildungspioniere, denen
erſchütterten Körpern zittern;
es
unter ſchon gelang, Maſſen dem edleren
AMädchen faſſen krampfhaft bewegt die
E zu
Erbauungstriebe gewinnen. Aber
Hände ihrer Liebſten. Und das kleine in lnen auf:
–
ich rufe auch die
3
e
blonde Mädel, das zuckt auf dem wo bleibt ihr? Eine neue ſchöpferiſche
Schoße der Mutter und kräht ſo heiter, Generation will, vom Geiſtigen aus
daß die Aachbarn ſich doppelt beglückt gehend, eine Wende herbeiführen. Sie
fühlen. fange auch hier, im Kleinſten, an! Sie
Da kommt, am Schluſſe des zweiten laſſe ſich nicht nur von kosmiſchen
Aktes, der Höhepunkt! Da droben hat Dingen himmelwärts drängen; ſie haſte
die Schwiegermama Gatten und Toch nicht an denen vorbei, die ihr die
ter in lockrer Geſellſchaft aufgeſpürt. realc Umwelt zimmern. Und wenn die
Aber die Kataſtrophe löſt ſich ſchnell: neue Jugend laut die Zeit ruft,
in
der Kapellmeiſter neigt ſich weit vor, daß ſie nicht mehr bewegt ſein, ſondern
die Muſik gibt das anfeuernde Zeichen, ſelber bewegen will, gut, beginnt,
alles faßt ſich an und wackelt.
einmal packen die Damen ihre Aöcke
Auf
–
nehmt die Kellen zur Hand! Seht der
Poſſen-Grimaſſe ins lebendige Geſicht,
und zeigen Waden und Unterkleidung: und ihr müßt anfangen, be
zu
der Backfiſch zarte Jungmädchen-Ge wegen, denn heiße, ſehnſüchtige Men
bilde, Frage.
–
die
in
ſich in mir zu einem einzigen, zu bis dem Tage, an dem ihm die
einer einzigen furchtbaren, quälenden, Partitur mit der Bitte um Durchſicht
anklagenden Grimaſſe. Sie grinſt überreicht worden war, wahrſcheinlich
nicht mchr, aus ſchmerzlich verzogenem ebenſowenig eine Ahnung von dem
Munde ruft es: Daſein dieſes ausgeſprochen ſymphoni
Eure Schuld! Eure Schuld! ſchen Talentes gehabt, wie alle andern
Denn, Freunde, was ich euch er
zu
keiner
übervollen Häuſer an jeglichem Tag; auf die Uraufführung eines Werkes
für hunderttauſend, vielleicht Millionen von nicht alltäglicher Bedeutung vor
deutſcher Männer und Frauen war, ſpielte ſich das Konzert
iſt
dies bereitet
noch die geliebteſte Berührung mit der im weſentlichen dem üblichen engen
in
37
auch ohne die Aachhilfe einer künſtlich einen wirklichen Symphoniker. Das
herbeigeführten Feſtſtimmung berührte ſind doch wieder einmal klare Themen
die Symphonie überraſchend tief und voll innerer Muſik, Melodien von
ließ erkennen, daß hier ſeit langem zwingendem äußeren Aeiz und dabei
wieder einmal eine echte Muſikernatur von ſtarker, zur Verwendung im ſym
ihr erſtes Wort zur Öffentlichkeit ſprach. phoniſchen Sinne förmlich drängender
Jetzt erfuhr man im Anſchluſſe an die Kraft. Sie tragen die Kennzeichen
Aufführung auch einiges Aähere über muſikaliſcher Fortſchrittsbeſtrebungen
den Tonſetzer ſelbſt, in deſſen Pulte zwar nicht ſo aufdringlich an der Stirn,
außer einer Oper, einem Bühnenmär wie die Mehrzahl der Gebilde, die in
chen, einer Aeihe von Kammermuſik ihrer Geſamtheit allmählich anfangen,
werken und Chören unter mancherlei die Beſchäftigung mit der Muſik zu
anderen kleineren Sachen auch noch einer mitunter ziemlich unerquicklichen
zwei weitere große Symphonien der Angelegenheit zu machen, ſeitdem die
Erweckung harrten. Leicht hatte es ihm Forderung: „Du ſollſt und mußt um
ſein Schickſal nicht gemacht, den Künſt jeden Preis fortſchrittlich erſcheinen!“
leridealismus zu bewahren, als es ihn, zum oberſten Glaubensſatz in künſt
zwang, in der Jugend die Aächte hin leriſchen Dingen geworden
iſt
und die
durch auf den Tanzböden der Dörfer Angſt unſerer jungen Tonſetzer, un
um Dresden herum den Bauern auf
zu
modern ſein, die Entwicklung des
zuſpielen. Aber eine richtige deutſche muſikaliſchen Ausdruckes ihrem
in
Muſikantennnatur erträgt eben viel. ruhigen Ablauf behindert. Aber ge
Beim Fiedeln und Blaſen im Drei rade der Eindruck der inneren Wahr
takt entſtanden die Melodien ſeiner haftigkeit dieſer Muſik hebt ſie ſchon
erſten Symphonie, und was dann auf ganz allein über alles das hinaus,
dem ſtockfinſteren Heimweg im Kopfe was mit der Gebärde des Tiefſinnes
den Umriſſen nach fertig geworden war, und der Geſte des Weltſchmerzes den
zu
das fand ſchließlich zu Hauſe beim Lam Hörer von heute überreden ſucht,
penlicht auf dem Papiere noch feſte und die innere Wahrhaftigkeit bis
iſt
Geſtalt. In
der Jugend erträgt ſich her noch immer im letzten Grunde aus
das leicht, auf jeden Fall leichter als ſchlaggebend für die Lebensdauer eines
ſpäter das Warten auf Aufführungen jeden künſtleriſchen Werkes geweſen.
in den reiferen Jahren. Und mit „Küſſ' Büttner will nichts anderes als einfach
die Hand, Herr Redakteur!“ ſich zu Muſik machen. Aicht Muſik als tönende
empfehlen, war nicht ſeine Sache. Weltidee, nicht als Gefühl gewordene
Bruckner hatte es ja getan, war aber Philoſophie, nicht einmal als Klang
auch nicht beſſer gefahren dabei. So gewordenes Programm, ſondern ſchlecht
wurde Büttner fünfundvierzig Jahre hin Muſik als Muſik. Er wandelt
alt, bevor er zuerſt ſeine dritte, dann den von Schubert, Beethoven
in
dabei
in raſcher Folge ſeine erſte und zweite und Bruckner vorgezeichneten klaſſiſch
Symphonie und, da man plötzlich auf romantiſchen Bahnen. Das gilt man
ihn aufmerkſam geworden war, auch chem ſchon als unzeitgemäß. Wer aber
einige ſeiner Kammermuſikwerke öffent daraus ernſtlich ſchon einen Vorwurf
lich ſpielen hören konnte. Jetzt liegen gegen Büttners Muſik ableiten wollte,
bei C. F. Leuckart in Leipzig neben müßte zunächſt erſt einmal den Be
einem Streichquartett und einer Violin weis erbringen, daß die modern-futu
ſonate bereits alle drei Symphonien in riſtiſche Ausdrucksweiſe als am wei
Bearbeitungen vor, die über der gut teſten entwickelte Form auch zugleich
ſpielbaren Klavierübertragung dem Sinne ſei,
in
38
Schlag erſchöpft ſein, ihr der Prägung muſi
in
nachdem lichſten offenbart
in in
Bruckner noch zuletzt acht Koloſſe von kaliſch überzeugender Gedanken und
ſo gewaltigem abnötigte?
zu
Ausmaße deren Aufbau einem ſinnvollen,
nicht wahrſcheinlicher, daß
iſt
es
Oder ſich geſchloſſenen Gebilde. Daß der
der Verbrauch einer Form von der ganze große Apparat des nachwagner
Bedeutung der Symphonie allmählich ſchenOrcheſters dabei meiſterhaft ver
vor ſich gehen muß? Ganz ſicher ge wird, ſei, ſoweit die Farbe
in
wendet
nügen heute die fünf Finger einer Frage kommt, nur nebenher erwähnt,
Hand, um die Muſiker aufzuzählen, denn eine ſolche Behauptung läßt ſich
die ſich nach Bruckners Tode noch er nur den Aufführungen ſelbſt nach
in
folgreich auf rein ſymphoniſchem Ge prüfen. Aber auf die kontrapunktliche
bietebetätigt haben. Aur darf man Arbeit ſei wenigſtens hingewieſen. Sie
zu
iſt
Gründe dazu nicht einſeitig Teile
in
die der einem beſchränkten ſchon
Unzulänglichkeit der Form ſuchen. Viel dUS
dem Klavierbilde erſichtlich und
mehr wirkt hier eine ganze Aeihe beweiſt mit der ſcheinbaren Selbſtver
von Urſachen zuſammen, unter denen der ſich die themati
in
ſtändlichkeit,
als beſonders gewichtig die nicht über ſchen Gedanken zueinander finden und
ſehen ſein will, daß die rein ſym einander kontrapunktieren, mit dem von
phoniſche Muſik ſtärkere muſikaliſche den ſtrengen Feſſeln des Satzes kei
in
Aaturen erfordert, als die von einem ner Weiſe gehemmten Schwung und
Programm geſtützte. Jede Symphonie klanglichen Aeiz, wie tief dieſem Sym
verrät die ſchöpferiſchen Kräfte ihres phoniker die Muſik im Blute ſitzt. An
mit unverkennbarer Deut
ja
Urhebers ſich will bei den Freiheiten, die
verhältnismäßig zu
es
ſicht gewaltige Expoſition zur Büttner nehme den Auszug der auch ſonſt an
Des-Dur-Symphonie an, und überquellender Klangfreude
ſo
ſchen reichen
man wird ſchon nach dem Spiel dieſes G-Dur-Symphonie zur Hand und ver
Bruchſtückes aus dem Klavierauszuge folge im erſten Satze, wie kunſtvoll ſich
den Eindruck gewinnen, daß Beiſpiele dort Melodie Melodie ſchlingt, wie
in
–
zu
–
von einer ähnlichen Erhabenheit des ſich um im Bilde bleiben
aus der Addition der Tonreihen eine
in
Ausnahmen zählen.
Büttner hat der Des-Dur-Sym der überwiegenden Mehrzahl Geſangs
in
phonie bisher ſein Beſtes gegeben. themen. Das widerſpricht nicht der
Seine drei großen Werke zeigen Behauptung von der beſonderen Ver
ſo
ſichtbar eine immer fortſchreitende künſt anlagung des Künſtlers für die ſym
leriſche Aeife an, daß phoniſche Form, obwohl die Schul
es
ein Leichtes
wäre, aus der Muſik heraus die regel für dieſe ſcharf umriſſene Themen
Reihenfolge ihrer Entſtehung feſtzuſtel fordert und die weichen Linien im
len. Den Willen zum Großen haben Hauptſatze dem zweiten Gedanken vor
hundert andere um ihn auch. Das behält. Denn ſeit Mozart haben bei
hier das Ent
iſt
wenn
tät, das durch die Menge einzelner entſpricht. Wir begegnen hier wieder
verblüffender Klänge und ungewohnter einmal einem ſchöpferiſch bedeutſamen
be Muſiker, deſſen Ausdrucksweiſe
zu
im
39
von dieſer Eigenart trotzdem nicht auf glaubte man dem Leben endlich die
das Gebiet des Liedes, ſondern auf das ihm ganz angemeſſene, durch keine ihm
ihr ſcheinbar viel entfernter liegende äußere Form gefälſchte Ausſprache zu
Feld der Symphonie verwieſen wird. gewinnen. Allein ſcheint nun ein
es
Die weitgeſpannten Bogen der Büttner mal das Weſen des inneren Lebens
beſitzen Kraft genug, ein
es
ſchen AMelodik zu ſein, daß ſeinen Ausdruck immer
ſo monumental entworfenes Gebilde, nur Formen findet, die eine Ge
in
wie den erſten Satz der Des-Dur ſetzlichkeit, einen Sinn, eine Feſtigkeit
Symphonie, zu tragen, ohne auch nur einer gewiſſen
in
in
ſich ſelbſt haben,
einen Augenblick im Hörer das unge Abgelöſtheit und Selbſtändigkeit gegen
wiſſe Gefühl zu erwecken, einem ge über der ſeeliſchen Dynamik, die ſie
wagten Experimente gegenüberzuſtehen. ſchuf. Das ſchöpferiſche Leben erzeugt
Was Büttner will, ſo ſcheint es, das dauernd etwas, was nicht ſelbſt wieder
Leben iſt, etwas, woran ſich irgend
es
kann er. Und wenn die drei bisher
veröffentlichten Symphonien ganz ſicher wie totläuft, etwas, was ihm einen
nicht gleichwertig ſind, wenn die zweite eigenen Rechtsanſpruch entgegenſetzt.
Es kann ſich nicht ausſprechen,
es
einen unverkennbaren Fortſchritt gegen ſei
Formen, die etwas für ſich,
in
die erſte, und die dritte ebenſo deutlich denn
ein Hinauswachſen der Geſtaltungskraft unabhängig von ihm, ſind und be
über die zweite erkennen läßt, ſo Dieſer Widerſpruch
iſt
iſt
deuten. die
dieſe Stetigkeit der Entwicklung ein eigentliche und durchgehende Tragödie
Grund mehr, den kommenden Werken der Kultur. Was dem Genius und
den begnadeten Epochen gelingt, iſt, daß
in
in
zu ſich bewahrt und
keiner, ihm gleichſam feindſeligen
Simmel und Volkelt über den Ex
preſſionismus Selbſtändigkeit erſtarrt. In
den aller
meiſten Fällen indes ſolcher Wider
iſt
immel ſeiner Rede „Die Kriſis
in
zu
Krieg und die geiſtigen Entſcheidungen“
in
meiden, ſich ſozuſagen formfreier
abgedruckt iſt:
Aacktheit bieten will, kommt überhaupt
„Als gegen Ende des vorigen Jahr nichts eigentlich Verſtändliches heraus,
hunderts der künſtleriſche Aaturalismus ſondern ein unartikuliertes Sprechen,
ſich ausbreitete, war dies ein Zeichen, aber kein Ausſprechen, an Stelle des
daß die von der Klaſſik her herrſchen freilich Widerſpruchsvollen und fremd
den Kunſtformen das zur Wußerung Verhärteten einer Einheitsform ſchließ
drängende Leben nicht mehr
in
ſequenz
lichſt durch keine menſchliche Inten der Futurismus vorgedrungen: leiden
tion hindurchgegangenen Bilde der ge ſchaftliches Sichausſprechen wollen eines
gebenen Wirklichkeiten Lebens, das den überlieferten For
in
dieſes Leben
zu
unterbringen können. Allein der men nicht mehr unterkommt, neue noch
ANaturalismus hat den entſcheidenden
–
in in
entgehen.
Schöpfung fortſetzt, ſozuſagen ohne ſtärker als manchen Erſcheinungen
in
Aückſicht auf deren eigene Form und des Futurismus, daß dem Leben wieder
auf objektive, für ſie gültige Aormen, einmal die Formen,
es
die ſich zu
40
Wohnſtätten gebaut hatte, zum Ge ich,die Geiſtesverfaſſung geartet, von
fängnis geworden ſind.“ der aus auch fein- und hochgebildete
Bei welchen Sätzen zu beachten, AMenſchen den Expreſſionismus be
jahen.
ſie
in
viel aber bekennen oder ihn Schutz
tigen Expreſſioniſten nicht perſönlich nehmen, pflegt folgender Geſichtspunkt
Errungenes, ſondern nur „Richtung“,
zu
als entſcheidend geltend gemacht
mit andern Worten nur Suggeſtion werden. AMan ſagt: auch Richard Wag
von außen her? ner, auch Böcklin ſeien lange Zeit als
SP)
wahnwitzig verhöhnt worden; allmäh
lich aber habe ſich das Publikum
in
Auch Johannes Volkelt ſprach
in
der
„Königsberger Woche“ über den Ex das Fremdartige an ihnen hinein
preſſionismus, wie ihn ſieht. Wir und ſie ſtehen als unange
er
gefunden,
bringen daraus nur den Schluß, nur fochtene Größe da;
ſo
werde ſich auch
über den Expreſſionis das Schickſal des Expreſſionismus ge
er
das, was
mus als geiſtige Richtung, nennen wir's ſtalten. Derartige Wandlungen
in
der
kurz: als MM ode, ſagt: Bewertung neuer Kunſtrichtungen kom
„Wie kommt es, daß dem Expreſſio men zweifellos oft vor. Allein ſolche
zahlreiche, geiſtig hoch Urſachen dürfen doch nur dem Sinne
in
ſo
nismus
ſtehende, künſtleriſch durchgebildete verwertet werden, daß ſie vor vor
=
Vor allem ſchnellem Abſprechen warnen, und
iſt
Menſchen zuſtimmen?
aller all überhaupt zur Vorſicht gegenüber
zu
dieſer mahnen.
e
Kunſtrichtung, wenn man von der Art Aimmermehr aber folgt aus ihnen, daß
ihrer Verwirklichung abſieht, ein an man jede neue aufkommende Kunſt
nehmbares Bild bieten. Der Expreſſio richtung eherbietig anzuerkennen habe.
Feind aller platten
iſt
des oder
der Phantaſie ein, ſich ſelbſtherrlich ein des Jugendſtiles oder des dekadenten
will uns nicht an Wſthetentums jede dieſer Erſcheinungen
zu
ſchaffen,
er
Aeich
der Sinnenform haften laſſen, ſondern als ein Höhepunkt, wo nicht gar als
geheimnisvolle Ahnungen erwecken; das Endziel aller Kunſt gefeiert
er
will unſere Gefühle von der Laſt der werden müſſen. Jede Abgeſchmacktheit
Verwicklungen erlöſen und unſer und Verrücktheit irgendeines Halbgenies
Innenleben vereinfachen. Die abge wäre dann vor jeder Kritik ſicher.
ſchmackte Erfüllung, die dieſe Tenden Bei Beginn des Weltkrieges glaubte
zen im Expreſſionismus finden, ſcheint ich mit unzähligen andern, der Krieg
nun offenbar vielen, da ſie dieſen Ten mit ſeinen felſenharten, grimmigen
Allgemeinheit be
in
gleichen. Zugleich
Unter der Erde, auf
zu
in
Schweden lebende
weiſen von einer Grauenhaftigkeit er nationale Goodwin“, dieſer „Stock
ein biederer Oberbayer, heißt
iſt
zeugt, wie ſie ſich die Phantaſie eines holmer“
Heinrich Bürgel und ein Schüler
iſt
wüſten Dämons kaum furchtbarer hätte
Das Bild der Aicola Perſcheids Berlin.
in
ausdenken
können.
Menſchheit iſt verzerrt und Was dann von Edſchmid ge
in
v er häßlicht. Alles, was als Kultur
in
ſchraubten Wendungen über Kunſt
galt, aus den Fugen geriſſen und der Photographie geſagt wird,
iſt
iſt
von
umgeſtürzt. Da
iſt
es
wahrlich kein anderen vor ihm ſchon weſentlich beſſer
Wunder, wenn ſich ſolcher Umwelt gebracht
in
und klarer zum Ausdruck
das Bedürfnis nach allerſtärkſten Ein worden. So B. vollſtändig
iſt
es
z.
drücken, das Verlangen nach roher falſch, wenn Edſchmid ſchreibt, niemand
Phantaſtik und ausſchweifender Gräß wüßte, was von der Photographie zu
fein rangieren, wel
zu
verlangen, wohin ſie
in
lichkeit erzeugt. Beſonders
Kategorie
ſie
ſchmeckeriſch gearteten Aaturen kann cher zuzuweiſen ſei.
Schon längſt
iſt
bei ſolcher Umwelt leicht die Sucht feſtgeſtellt, daß die
aufkommen, aus dem Verzerrten und Photographie nicht Anſpruch darauf
So
zu
erheben kann, eine Kunſt ſein, wohl
zu
Chaotiſchen Genüſſe ſchöpfen.
konnte aus den Stimmungsverhält aber als Ausdrucksmittel künſtleriſcher
Weltkrieges
zu
niſſen des eine Kunſt Empfindungen dienen imſtande iſt.
ANahrung ziehen, die das fratzenhaft Die Photographie will auch gar nicht,
Groteske, das ſinnlos Phantaſtiſche zu wie Edſchmid behauptet, Kunſt ſein,
ihrem Typus hat. Und begreiflich und das Beſtreben der Photographen,
iſt
Stimmungsluft „die Aatur äußerlichen Dingen zu
in
auch,
in
daß ſolcher
umgekehrt das Bedürfnis entſpringen wiederholen“, was Edſchmid „wider
kann, durch das Mittel der Phantaſtik lich“ findet, das, was
iſt
gerade
und Myſtik der Welt der Tatſachen andere Künſtler als das Weſentlichſte
an einem photographiſchen Bilde be
zu
lichkeit emporreißen laſſen. Auch über „jene fatale Wiedergabe der Whn
dieſem Bedürfnis kommt der Expreſſio lichkeit“ unwillkürlich an den Aus
nismus entgegen.“ ſpruch Max Liebermanns erinnert, der
Soweit Volkelt. Wie wir ſelber einmal einen Kritiker, der alle mög
lichen Vorzüge an einem Porträt Lie
ja
es
die Hauptſache!“ Edſchmid be
iſt
Lleberphotographie das
ährend zur Beurteilung der unbe hauptet: „Whnlichkeit heißt AMund,
deutendſten Leiſtungen auf dem Ge heißt Aaſe, heißt Farbe und Haar, heißt
biete der Malerei, Bildhauerei, Muſik, aber nicht Menſch.“ Schon andere aber
ſogar für den Tanz, beſonders ge haben lange vor ihm darauf hingewie
ja
ſchulte Kritiker entſandt werden, glaubt ſen, daß die Whnlichkeit irrelevant ſei,
ein ſubjektiver Begriff
iſt da
Arbeiten ſchreiben.
ſehen durch ein Temperament, iſt. Wenn
zu
ſich
mag,
es
wegen
Erfindung heute geſagt und gedruckt man dieſe Ausführungen auch auf die
wird, jenige Art von Bildniſſen ausdehnen,
im
in iſt
der Photographie
in
Objektiv vorausgeſetzt
zu
Um nehmen:
42
immer die im mathematiſchen Sinne entblößte Friſche der morgendlichen
genau ähnliche Abbildung der Zentral Landſchaft, ſtellt Figuren hinein, ſchafft
projektion des betreffenden Gegenſtan die Herbe des Mannes, bildet den Zau
des vom Orte des Objektivs aus ge ber des Glanzes von ARüſtungen und
ſehen. Das heißt, etwas weniger ab darunter unwiderſtehlich doch das
ſtrakt ausgedrückt: jedes Auge, das von Eigene hiſtoriſcher Figur.“ Und weiter:
der Stelle des Objektivs aus den abge „Alle Auancen des ſeeliſch irgendwie
bildeten Gegenſtand betrachtet, wird das temperierten Körpers entfaltet er:
genau gleiche Bild in ſich aufnehmen Talent, Wunſch, Haut, Atmoſphäre.“
wie der photographiſche Apparat. So „Das Porträt wird ihm nicht illuſtra
weit wäre ja die Sache für den Photo tiv, nicht erzählend von Laſter oder Se
graphen recht günſtig, denn er könnte ligkeit der Perſon.“ (Und das ſoll
es
genau genommen nie ein unähnliches doch gerade „Er wirkt ſich aus ſich
!)
er
Bild liefern. Dieſes an ſich ähnliche ſelbſt.“ (Kann gar nicht, denn
er
Bild kann aber der Photograph gleich an das photographiſche Objektiv und
iſt
falls durch ſeine „Kunſt“ ſchnell, an die Technik gebunden!)
ſicher und ſchmerzlos in ein vollkom Edſchmid behauptet von Bürgel:
men unähnliches verwandeln. Ed „Sein Gehirn arbeitet an anderen tech
ſchmid wendet ſich gegen das Impreſſio niſchen Möglichkeiten, an neuen Glä
niſtiſche, gegen die Erfaſſung des ANo ſern, neuen Linſen.“ InWirklichkeit
ments durch den Photographen, in dem aber denkt der brave Bürgel gar nicht
dieſem eine Bewegung der aufzuneh daran, denn arbeitet mit den gleichen
er
menden Perſon beſonders charakteriſtiſch AMitteln wie jeder andere Photograph
erſcheint. Er behauptet: „das gute und überläßt den Mathematikern die
photographiſche Bildnis muß »expreſ Konſtruktion neuer Linſen, die mehr
ſioniſtiſch« ſein, das heißt, es muß das davon verſtehen.
Unbedingte, das Wichtige des inneren Wann wird die Kritik an photo
Zuſtandes im Körper wiedergeben.“ graphiſchen Leiſtungen ſolchen Leuten
Aun weiß aber jeder, der ſich mit den anvertraut werden, die wenigſtens über
Anfangsgründen bildmäßiger Photo die Elemente der Photographie unter
graphie vertraut gemacht hat, daß ein richtet ſind? Fritz Hanſen
photographiſches Bildnis von Aatur
aus nie expreſſioniſtiſch, ſondern ge Zwiſchen den Giebeln der Altſtadt
rade nur immer impreſſioniſtiſch ſein mmer höher muß ich ſteigen, auf
kann, das liegt eben im Weſen der den ausgetretenen Treppen des
photographiſchen Technik begründet. überfüllten Gaſthauſes empor. Dafür
Gerade die Erfaſſung des charakte welch ein Anblick auch, als ich droben
riſtiſchen Eindrucks von Bewegung, endlich die Fenſterflügel aufſtoßen und
Haltung und Ausdruck eines Men Umſchau halten kann! Unſichtbar blei
ſchen zeigen das Können eines Photo ben die Menſchen, deren eilende Tritte
graphen an. von unten heraufhallen. Das Auge
Alle ſeine expreſſioniſtiſchen Prin aber ſchaut zwiſchen ſpitze und runde
zipien gibt Edſchmid zum beſten, um Giebel hinein, auf Ziegeldächer mit
die Kunſt Bürgels in das rechte Licht welligen „Fittichen“ und mörtelgeſicher
zu rücken. Aun kann man ſich zum ten Firſtſteinen, auf breite, altertüm
Expreſſionismus in der Kunſt ſtellen liche Eiſenköpfe und ganze Aeihen von
wie man will, aber in Bezug auf Erkern und „Chörlen“, die den Bie
Photographien ſind Satzgebilde wie die gungen der Straßen folgen, Haus
folgenden vollkommen unangebracht. zeichen oder kleine Turmknöpfe tragen
„Sein Aiveau Erſtaun eine Stadt- und Familien
iſt
enorm. und
ſo
licher noch ſein Gleichgewicht auf ſolcher chronik andeuten hoch über dem All
Höhe. Denn hat keine Manier. Er tagsleben der engen Gaſſe. Warum
er
genau, wie Körper wundervollen einem hier oben deutlich aber mehr
er
ja
lich auseinander. Da deuten breite ſtinkte und Leidenſchaften ganz be
Einblicke den noch immer licht um ſonders weſentliches Erfordernis. Aber
grünten Flußlauf an, um deſſen Brük
zu
iſt
wie die gute Kinderſtube ſchaffen?
ken ſich die erſten Anſiedlungen, Märkte Durch die Erwachſenen, die ihre Stube,
und Straßen drängten, heben ſich auf aufhalten,
in
denen ſich die Kinder
den Uferhöhen die wuchtigen Gottes zur guten Stube im Sinne einer
häuſer, auf welche die Gäßchen und geſund veredelteren Lebensordnung
Straßen geradlinig ſollen?
Das wird
in
ſtoßen, während machen den
weiter unten am Fuße der Hügel der meiſten Fällen ſchwer ſein, denn den
fehlt
ja
ſchöne Schwung der breiteren Straßen Eltern eben die gute Kinder
anſetzt, die ſich dem Gelände ſorglich kommen wir einen circulus.
in
ſtube,
ſo
anpaſſen und dadurch faſt jedem Feyſter Bliebe ein weſentlicher Faktor: die
einen hübſchen Ausſchnitt auf die ATach Kindergärten, die man mehr als jetzt
Stark umſchließen dieſe Aufgabe
in
barſchaft ſichern. einbeziehen ſollte.
hohe Mauern den Stadtkern. Indie Hier könnte dem Kinde das eingeimpft
Wehrgänge hinein dringt das ſuchende werden, wofür vielleicht im Elternhauſe
Auge, gewinnt neben den Aundtürmen der Sinn fehlt, oder wo vorhanden
er
den Blick in die troſtlos geraden Häuſer iſt, wäre das Gute
zu
unterſtreichen.
fluchten aus der Gründerzeit und ruht Elternhaus und Kindergarten ſollte
endlich auf dem Wieſengrün draußen, Verbindung ge
in
–
ebenſo ernſthaft
das von hohen Pappeln wie ſie wie Elternhaus und
–
bracht werden
Goethe als Einzelbäume geliebt hat Schule. Für dieſe zarteſten Jung
einen ſtarken Akzent erhält. Dorther kulturen müßten freilich ſehr gute
grüßen Landhäuſer, locken breitſchat Pfleger ausgebildet werden. Was hier
tende Fruchtbäume und waldwärts ver geſät wird, hätte die Schule Ge
in
laufende Parkwege aus alter Kultur mütspflege fortzuentwickeln;
ſo
würde
in die ewig jugendliche Aatur hinaus. allmählich durch die Generationen hin
Eben zieht ein Taubenſchwarm hoch unſer Volk zum Sinne für die Heilig
über der Stadtmauer dahin. Auf die keit der Stube,
in
der ſeine Kinder
tief P. Th.
H.
weißen Schwingen leuchtet die hauſen, erzogen werden.
ſtehende Abendſonne. Da wendet ſich
die geflügelte Schar weit hinaus ins Anreden
ſegenſchwere Fruchtland, auf deſſen Ge Univerſitätsprofeſſor ſchreibt uns:
in
biete die Stadt und all ihr Leben ſich „Lieber Herr Avenarius! So ſchreib
Sie, weil Sie mir lieb ſind. An
an
Er
M.
R.
dem
jene nicht geben: die gute Kinderſtube. Richtigſte iſt?“
Und doch auch ſie heute wichtiger
iſt
unſerm
Volke gerade die Aevolution hervor Bücher des Jahres. Es gibt Forde
gekehrt hat, Erziehung zur Sach rungen des Tages. Womit hältſt du's
iſt
44
heute? Ich halte es mit der Forderung zu heben! Kannſt du denn ein Schickſal
des Tages. ändern? Ja;
mit deiner Läſſigkeit zum
Tagesforderung? Ich weiß, du Schlimmern! Verlangt der Tag da
-
rümpfſt die Aaſe. Du belehrſt mich, ch? Menſch, ich ſage dir, pack deine
n
a
daß es andre Dinge gäbe, die der Ed Arbeit an, ſonſt packt die Arbeit
len Schweiß wert ſeien, heute, wo das dich an!
Es klopft. Schau ſchau,
da
Vaterland am Boden läge. Aber ich legt dir
ſehe durch deinen Tag, denn, Bruder, wer einen Plan vor, wie man jetzt im
Tag könnte. „Bei dem Kud
iſt
er
delmuddel
wie du dich durchs dunkle Zimmer hin und grinſt dazu. Deutſchland läge doch
zum Fenſter taſteſt. Stählern und mit am Boden, und wenn du nicht mittätſt,
leidslos der Morgenhimmel draußen! tät’s ein andrer. Alſo, ſagt er, hebe
Du würdeſt dich nicht wundern, ginge deine Hand und unterzeichne. Ja, rat
ich
ſie
nachher keine Sonne auf. Denn dein dir, erhebe
ſie
und ſchlag ihm ins
Deutſchland liegt am Boden und da Geſicht! Profitliche Lumperei mag nach
droben hängen noch die harten Sterne. vieler Meinung Forderung der Zeit ſein
Jetzt ſchlägt Dampfend Anſtändigkeit Forderung
–
es
iſt
ſechs. des
zieht dein Arbeitstag herauf. Schlaf Tages.
aus den Augen! Das die erſte For
iſt
iſt
derung des Tages. Ins Gewand, Ver über deiner Zeitung.
in
der Ecke
–
ehrter ſachte, bitte, daß der ehren Schüchtern kommen deine Kinder, doch
dünne Nock nicht reißt. Der Aot zum weil du ſtill hältſt, wächſt ihr Mut. Sie
Trotz ohne Löcher durch den Tag
zu
ſo
DeineMorgenſchale raucht. Du du nimmſt ihre Köpfe, einen um den
Kaffee. Alſo iſt's welcher. andern, die Hände: „Kind, unſre
in
nennſt's
Ge bös. Böſer kann die eure wer
iſt
bäck. kargen
Dinge deines Lebens dieſem unnach Kinder Frohſinn friert. „Iſt's wahr,
mit den Vater, „Ja“, ſagſt
–
und doch heiter das wahr?“
iſt
ſichtlich
Aamen vorzuſtellen, die dein Stolz dir du überlegen, „Deutſchland liegt am
Forderung des Tages. Der Teufel ſoll dich holen,
iſt
vorſchreibt, Boden.“
Dein Magen darf kein ſchiefes Maul Kindermut-Zerſchwätzer! Iſt dir dein
ziehn. Aber, ſagſt du, Deutſchland liegt Vaterland noch nicht genug im Sumpf?
Freu dich lieber, daß aus deines Weibes
es
die ſchauſt
ſelig deinem Aachbarn ins Geſicht. ſchreibſt du noch an einer Arbeit, um
zu
Denn, denkſt du, Deutſchland liegt am dein Gehalt, das hint und vorn knapp
Boden, und man wird hart, wie ſeine geworden, aufzubeſſern. An deiner
Sterne. Vermeinſt du die Sterne mit Seite ſtopft dein Weib mit irgend
zu
–
iſt
45
da noch an unſerm bißchen Liebe?“ Sie tung, dort Bilderkunſt, dort Heimat
„Alles“,
ſagt ſie. Und „grabt nur
–
aber lächelt. ſchutz als Hauptſache
ſiehſt du: nun weint ihr euch beide danach“, man kann von jedem An
aus. Da wirſt du ſtiller, da wirſt du griffspunkte aus
in
die Lebenstiefe der
ſtill. Denn plötzlich rauſcht warm in Kultur. Der Arbeitsausſchuß des
dir die ſilberne Erkenntnis hoch. So gar nicht drein
da
Dürerbundes hat ſich
es: Fünfzig Jahre haben wir am zumiſchen. Er arbeitet an den großen
iſt
Aeubau unſres Aeichs hinausgebaut gem einſamen Aufgaben, fragt bei
er
–
ins Leere mit lauter Zier-Erkern und den Vereinen an, wo meint,
er
er
Wehr-Türmen. Aun gilt es, von fährt was, und ſucht ſeinerſeits den
inn
zu
bauen. Deutſchlands Bau
zu
Vereinen vor allem dadurch nützen,
n
e
liegt am Boden, ja. Alſo Veröffent
iſt
es
an ihnen mit ſeinen
er
daß
dir und deinen Brüdern, deinen Schwe lichung Arbeitmaterial, vor allem
n
e
ſtern, daß ihr baut. Denn, Bruder, ſonſt nicht erhältliche Druckſachen vor
ſieh, du biſt das neue Deutſchland und bereitet.
ſollſt's von innen her, vom Und der Großſtadt? In allen
in
du
For Großſtädten ſind „Dürer
iſt
kleinſten her, bauen. Solches deutſchen
derung des Tages. Deines Tages, vereine“, wenn ſie auch nicht hei
ſo
meines Tages und des Tages von uns ßen, ſind dem Dürerbund angeſchloſ
allen. Fr. Zürich er ſene Vereine, die nur meiſtens älter
ſind als er, und deshalb und aus an
Dürervereine dern Gründen andre Aamen führen.
in Großſtädten und in Klein Unter den rund 400 dem Bunde an
ſtädten geſchloſſenen Vereinen ſind höchſt an
man
in
Friedensarbeit des Dürerbundes geſehene und ſehr verdiente,
ie
zu
wußt, und erklärt ſich die Tatſache neuer vorſichtig ſein, denn weder das
ſo
ſehr einfach, daß jetzt auch Anregungen Programm noch gar der Aame „Dürer
zur Gründung von „Dürervereinen“ Verein“ tut es. Das Geſamtgebiet der
wieder häufiger als ſeit lange an den
iſt
es
Bundesarbeit groß, daß ein
ſo
Ein paar
in
Arbeitsausſchuß kommen. einzelner Verein einer Großſtadt
Bemerkungen dazu. auch gar nicht verfolgen, geſchweige
Vor allem: kann, wenn
iſt
es
nicht fachmänniſch
Großſtadt oder einer Kle in
zu
Angeſtellte mit eignem Büro unter
in
ſtadt und vielleicht gar auf einem halten vermag. Kann man dem nicht
Dorfe gründen will. genügen, glaubt etwa gar irgendein
Kleinſtadt oder Dorf Begeiſterter, der gute Wille tät es,
in
Haben ſich
ein paar Gleichgeſinnte gefunden, die macht der betreffende „Dürer-Verein“
ſo
ernſt meinen und die auch arbeiten müßte ſehr ſeltſam zugehen, wenn
wollen, kann ein Dürerverein ſicher ihn durch die Stärke ſeiner Leiſtun
ſo
lich für ſein Heimatgebiet eine kleine gen nach und nach widerlegen könnte.
Kraftzentrale werden. Man ſoll ihn Die nicht Eingeweihten, das „große Pu
ja
nur nicht nach irgendeinem Schema blikum“ aber beurteilt dann wohl gar
einrichten, ſeine Stärke kann nicht im den allgemeinen deutſchen Dürerbund
Programm und am allerwenigſten ſelber nach ſolchen „wilden“ Dürer
in
Fähig
-
ſchuß
der Beteiligten. Geht man dungen. Daher kommt es, daß wir
in
it
ke
davon aus und von dem, was gerade Berlin, München, Dresden, Hamburg,
an dieſem Ort von Vorteil iſt, Frankfurt uſw. trotz unſrer zahlreichen
e
wird man das möglichſt Beſte leiſten. Mitglieder dort und trotz der ange
ſo
46
nannten „Dürervereine“ haben. In Zwiſt, ein Streit zwiſchen Callwey und
andern Großſtädten gibt es welche, die, mir gekommen wäre. Erſt durch ſchwie
wieder zu Kiel, ſehr nützlich wirken. rige, dann durch beſſere und gute,
Es hängt eben alles davon ab, ob ſchließlich durch ſchwere und böſe Zei
ſtarke, wohlvorgebildete und angeſehene
ten haben wir als Freunde zueinander
Kräfte für Dürervereine „zu haben“ geſtanden, weil wir als das Entſchei
ſind und welche andersbenannten Ver dende über uns beiden immer die Sache
eine etwa in ähnlicher Weiſe am Orte fühlten, und wollen wir's weiter
ſo
wirken. In
Großſtädten „Dürervereine“ halten. Den Tag begehn, dazu gibt
zu
zu gründen, damit eben welche da ſind, der Ernſt der Zeit keinen Aaum, ſeiner
nur in der Hoffnung, ſie mit dieſem Wort
zu
werden ſich gedenken, halte
dann ſchon „machen“, oder gar, um ich mich aber ſchon unſrer vielen alten
unerprobten Tätigkeitsluſtigen Ver Leſer wegen für befugt. A.
zu
iſt
es
Geheimniſſe der Gotik 2×o wenn ein ſehnend
SO Hoffen
betitelte Aufſatz von P. Th.
ſo
Hoffmann
verzeichnis des letzten Heftes ver gerungen,
ſehentlich weggelaſſen worden. Er Erfüllungspforten findet flügeloffen;
iſt
abgedruckt 150
Gründen
Fünfundzwanzig Jahre mit Callwey Ein Flammen übermaß, wir ſtehn be
nſeres ſiebenten Jahrgangs drei troffen;
zehntes Heft, alſo das erſte April Des Lebens Fackel wollten wir ent
heft 1894, war das erſte Kunſtwartheft, zünden,
D.
das
Callwey“ erſchien. Georg Callwey und ein Feuer!
ich, wir könnten alſo jetzt unſre „ſil Iſt's Lieb? iſt's Haß? die glühend uns
berne Hochzeit“ feiern. Ein Viertel umwinden,
jahrhundert lang haben wir Woche um Mit Schmerz und Freuden wechſelnd
Woche mitſammen gearbeitet, ohne daß ungeheuer.
all den Kämp Goethe
zu
Kunſtwartverlage
im
ſehr gut, daß nicht bloß die „Kleinen“ ihn kennen, denn bekom
ſo
men auch die Großen über die Kleinen hinweg oder an ihnen vorbei neben all
dem Aur-Artiſtiſchen oder bewußt auf verrückt Zurechtgemachten wenigſtens
zu
einen echten Maler-Phantaſten ſehn. Aber die Wenigſten wiſſen, daß auch
noch ein ganz andersartiger Kreidolf im nämlichen Herzen und Hirn lebts
Kreidolf bildet von Grund aus auf zweierlei verſchiedene Arten,
je
nachdem,
er's als Phantaſt oder als Realiſt tut. Hat ein Märchenbild im Kopf,
er
ſo ob
da
jetzt könnte
er
expreſſioniſtiſch“. Was
Expreſſionismus von echten Kräften treibt, das hat tatſächlich Kreidolfs
im
in
Märchenbildern ſchon lange rumort, ehe man was von Expreſſionismus wußte.
Da alles mit feinſtem Auge
in
iſt
47
zumal für Farbe, doch auch für Linie geſehn, aber keinerlei Trieb für Weſens
Veränderung macht ſich bemerkbar. Ein „Kreidolf“ ſolcher Art (den man vor
läufig noch in der Schweiz weit beſſer kennt und ſchätzt, als bei uns)
iſt
das
überaus charakteriſtiſche und zugleich ganz ungewöhnlich geſchmackvolle Blatt,
das wir heute bringen, die „Eitzenbergerin“. Freilich auch die Aeproduktion,
iſt
unſers „Steindrucks“ ſchön gelungen, wie das bei einer Farbenautotypie
ſo
uiemals möglich wäre.
Geben wir dieſem Hefte noch eine zweite Kunſtbeilage mit! Auch Guſtav
am per Wer die Campagna
iſt
ein Schweizer. „Aömiſche Stadtmauer.“
G
–
an dieſer Stelle kennt, den wird wundern, wie Gamper
es
ob bewußt oder
ihre ganz beſondere Stimmung hier herausgebracht hat. Heraus
–
unbewußt
gebracht recht eigentlich aus der Technik. Eine höchſte Vereinfachung, bei der
gerade nur ſtehn gelaſſen iſt, was charakteriſiert, im Sinne des ſeeliſchen Bildes,
welches den Künſtler innerlich leitete. Durch das Wegbleiben von allem Ent
behrlichen wird das Belaſſene monumentaliſiert.
zu
Die Kopfleiſte gibt ein altes Fauſtbildchen von dem Unrecht vergeſſenen
Man es wieder. Es nach einer frühen Auflage der illuſtrierten Ausgabe
iſt
Verlage
in
von Schwabs „Volksbüchern“ aus dem von Bertelsmann Gütersloh
photographiert worden. Übrigens ſind die Illuſtrationen auch
in
der ANeuausgabe
dieſer ſchönen Sammlung nicht ſchlecht.
Das Schlußfigürchen, hier als Probe aus dem „Fröhlichen Buche“, ſtammt
aus dem Diefenbach Fidus
ſchen Frieſe „Per aſpera ad aſtra“.
-
Paul Ein
ÜÄ Büttner und ſeine Des Dur-Symphonie, aus der wir die
leitung als Aotenbeilage dieſes Heftes geben, ſpricht ein eigener größerer
-
Beitrag
in
Herausgeber. Schumann
Zn Öſterreich-Ungarn für Herausgabe Schriftleitung verantwortlich: Dr. Aichard Batka Wien XIII6
in
u.
Sendungen
Dresden-Blaſewitz – Manuſkripte nur nach vorheriger Vereinbarung, widrigenfalls
Verlag von Georg D. W. Callwev, Druck von
–
Callwey, Buchdruckerei
W
in
Kaſtner AMünchen
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4.
I,
Kurfürſtenſtr.
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DES DUR-SINFONIE
Allegro (Bewegt, mit erhabenem Ausdruck)
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Bewilligung Leuckart,
des Verlags F. E. C. Leipzig. Alle Rechte vorbehalten
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„Arbeitsloſigkeit“ –
alſo es fehlt an Arbeit? Keineswegs, es gibt ſie,
Hülle und Fülle, ſie ſchreit geradezu, auf allen Gaſſen, nach dem Arbeiter.
die
an
allhin, macht ſich überall ſchaffen nur nicht mit ſeiner Arbeit. Immer
die der hin
ſie
aneinander vorbei, tun, als gingen
ſie
–
redet ihm guten zu: wir wollen uns doch wieder vertragen, wir
ja
es
wiſſen,
iſt
von dazu
gekommen?
Einſt ſprach man von einem „Recht auf Arbeit“. Das ſetzt voraus, daß
etwas ſei, wonach der Arbeiter ſelbſt verlangt. Allerdings verlangt
er
es
ſie
nicht nach der Arbeit, ihrer ſelbſt wegen, aber doch, daß als Kaufpreis
anerkannt werde für ein befriedigendes Leben, auf das der Arbeitende, als
er.
ein
haben,
–
er
er
verſchmäht
er
Heute könnte
mit Entrüſtung zurück.
ja es
du
Wir müſſen alle verhungern, ſelbſt mit, wenn nicht gearbeitet wird.
Er
er er
zu
Ernſt der Lage? Ich fürchte, verſteht ihn nur gut, weiß,
er er
nicht den
der Hand, und
iſt
in
Er
erlöſen.
er
Wenn
Von etwas, das
es
er
zu
Wovon erlöſen?
die
ihn zugrunde
es
zugrunde gerichtet
–
zu
ſich daß
wie
ſie
ganzes
an
an
aber ſich
Er
berkauft fühlt. würde arbeiten und mit ſeiner Arbeit ſein Leben
kein Leben, was
iſt
erlaufen; aber
er
Aprilheft (XXXII,
2.
1919 49
s
Arbeit erkauft; und er es kaufen, gar
iſt
doch muß denn es ihm nichts
andres übriggelaſſen.
Was Aur ihn, nicht etwa –
iſt
es
denn, was ihn zugrunde richtet?
ſo
auch uns? Wer den Dingen etwas tiefer auf den Grund ſieht, zweifelt
Aun, was iſt, er, der Arbeiter, weiß ſagen;
zu
es
es
nicht daran. nicht
will uns nicht ſagen, wir ſollen ſelber finden. Er
iſt
es
es
der
er
oder
Kranke, kann und mag nur ſagen: Hier ſchmerzt es. Wir aber wollen
er
die Wrzte ſein, wir haben ihn an die Arbeit geſtellt und möchten ihn jetzt
ja
ſei ſein Heil, drohend: Du ſtirbſt
es
wieder daran ſtellen, verſichernd,
Alſo liegt auf uns die Verpflichtung, den Sitz des Übels
zu
ſonſt. erforſchen
und, wenn wir's vermögen, ihm abzuhelfen.
das nicht; recht ſchwer ſchon das Erſte, was not tut: daß wir
iſt
–
Leicht
uns die Haut des andern wirklich hineinfühlen. Fragen denn wir
in
die „Geiſtigen“, wie wir uns gerne nennen erſt einmal uns ſelbſt. Wir
–
Immerfort brüſten wir uns und halten dem „Ar
es
arbeiten doch auch.
beiter“ vor: Es gar nicht wahr, daß du allein dich plagen mußt, wir
iſt
plagen uns auch früh und ſpät, mehr, aufreibender, anſtrengender als du,
bis die ſchlafloſen Aachtſtunden, die du nicht kennſt! Aber läßt's
er
in
nicht gelten. Warum? Weil wir mit dem Kopf arbeiten, nicht, oder nur
wenig, mit Händen und Füßen? ANein, das kann der Grund nicht ſein.
Der „Arbeiter“ arbeitet auch ſein Teil mit dem Kopf, wir oft ſehr mit Hand
und Fuß, und doch empfindet und empfinden wir ſelbſt (wenn wir über
er
haupt noch empfinden): ein ganz ander Ding. Er hat ganz recht:
es
iſt
er
in
es
trifft den Kern der Sache. Es nicht arbeiten,
–
ganz wahr: wir würden
iſt
es ſo
wie wir tun, wenn nicht unſre Arbeit uns lieb, wenn
es
nicht eben
unſre Arbeit wäre. Wohl haben wir auch manche unliebe Verpflichtung
erfüllen, ſind oft recht wenig Herren unſer ſelbſt und unſrer Zeit. Aber
zu
als ganze doch haben wir unſere Arbeit frei wählen und nach eigenem Trieb
zu der unſern geſtalten dürfen, ſie
iſt
mit unſerem Leben, unſer Leben
iſt
mit ihr verwachſen. So können wir ſie lieb haben, und auch ſie hat uns
lieb, ſie gibt unſrem Leben einen Inhalt, um deswillen ſich lohnt, zu
es
es
am Leben zehrt. Wie gerne verzehrt ſich die Flamme, darf ſie nur leuchten
und wärmen! Das aber hängt nicht an ſich an dem Maße, auch nicht an
der Art der Arbeit. Die geringwertigſte, ſauerſte, ungeiſtigſte Arbeit kann
befriedigen, die an ſich hochwertigſte, genußreichſte, geiſtigſte kann zur Qual
werden, etwa die des Lehrers, des Geiſtlichen, ſelbſt des Künſtlers, wenn
der Glaube an ſein Werk ihm abhanden gekommen iſt. Was tut die
Mutter groß Geiſtiges, die ihr Kindchen betreut und für ihre Lieben kocht,
die Läden läuft? Aber ſie tut
es
nicht über
es
es
ſo
50
einmal, ja es vielfach noch ſo, im Landbau, im bodenſtändigen Hand
iſt
doch
Kauf und Verkauf bei kleinen, überſehbaren Verhältniſſen, wo noch
werk,
in
etwas von perſönlicher Beziehung zwiſchen Verkäufer und Kunden beſteht;
aber auch im Fabrikbetrieb, irgend mit dem Leben der Bevölkerung
er
wo
verwachſen, durch örtliche Sitte und vielleicht Geſchlechter hindurch gepflegtes
gutes Verhältnis zwiſchen Arbeiter und Arbeitgeber einem gewiſſen ehren
in
iſt.
Fortgang nicht
im
feſten Stand verblieben
ſo
Aber ſehr der techniſchen
Entwicklung der Induſtrie ſelbſt als ihrer kommerziellen Ausbeutung
iſt
das mehr und mehr unterwühlt und faſt nur ausnahmsweiſe
in
verkümmerter
Geſtalt noch vorhanden. Die Zerſtörung war ſchon vor dem Krieg weit
fortgeſchritten, der Krieg hat nur den Strich unter die Aechnung gezogen,
hat das letzte getan, den Arbeiter ganz zu entwurzeln, das Tiſchtuch
er
der Arbeiter ge
zu
zwiſchen ihm und „ſeiner“ Arbeit So
iſt
zerſchneiden.
ſchieden von ihr,
ſie
er
iſt
entlaufen,
iſt
ihr ſie läuft hinter ihm her, aber holt ihn nicht
er
vielmehr
Was verwundern? Innerlich, grundſätzlich ſtand
zu
iſt iſt
Auch wer
nicht Wort haben will, ſich vielleicht gar nicht verſtandesmäßig darüber
klar iſt, empfindet doch ſo. „Arbeiten gut, nicht arbeiten beſſer“,
iſt
iſt
ſo
dreiſt herausſagt und die
es
Arbeit um
zu
dabei
allgemeine Prinzip jedes Geſchäfts: Größtmöglicher Gewinn
geringſten Einſatz, zuletzt an Arbeit? Im Idealfall be
–
um
ſchränkte aufs Kuponſchneiden und Kurszettelleſen,
ſich die Arbeit um die
günſtigſte Kapitalanlage auszuſtudieren, was noch ein gewiſſes geiſtiges
Vergnügen gewährt und Gott Mammon im Herzen erfreut. Wem aber
zu
auch das noch viel „Arbeit“ iſt, dem nimmt der befreundete Bankier
gerne die kleine Mühe ab, und das Kapital völlig für ſich
ſo
„arbeitet“
allein. Das nichts als der reine Fall deſſen, was, praktiſch und
iſt
ganz
theoretiſch, das Grundgeſetz alles Geſchäfts längſt war und immer noch iſt.
noch das Geſetz des Lebens, das Ge
iſt
deſſen Zwang
es
es ſo
muß meine Erſparniſſe zur Bank tragen und ſchmerzlos ſtatt meiner „ar
ich
beiten“ laſſen, oder darf mit den Meinen betteln gehn. Denn wer nicht
ich
mich auf dieſe Weiſe mitſchuldig mache an dem, was alle und alles verdirbt,
weiß ich ganz genau, aber „ich kann's nicht ändern“.
längſt klar, daß auch die Bäume des Kapitals nicht
in
Zwar
iſt
den
im
den Anteilen
gezwungener Arbeit und dadurch ſchwer erkauftem, kaum mehr erfreuenden
51
Gewinn ſich näher und näher. Das konnte in folgerechter Weiterentwicklung
zu gänzlicher Aivellierung führen –
die das Übel keineswegs beſeitigt,
kaum gemildert, nur gleichmäßig auf alle ausgebreitet hätte. Der Krieg
aber hat dieſe „Entwicklung“ gewaltſam beſchleunigt, ſo daß heute der „Ar
beitgeber“ vielfach ebenſo von ſeiner Arbeit innerlich losgeriſſen
iſt
wie der
„Arbeitnehmer“, oft genug auch die gleiche Konſequenz daraus zieht: ihr
den Laufpaß
ſo zu
geben.
es
Geht das weiter, zum allgemeinen Zuſammenbruch kommen,
ſo
muß
zum nicht bloß geldlichen, ſondern geiſtigen, ſittlichen Bankrott, zum Bankrott
ganzen Lebens der AMenſchheit. Darüber volle Klarheit ver
zu
des
zu
das Erſtnotwendige. Denn nur
iſt
hoffen, daß endlich Einſicht
iſt
ſo
breiten
und Wille aller für das, was not tut, geweckt wird. Wir müſſen eben
alle zugrunde gehn, wenn nicht der Weg gefunden und mit rückſichts
loſem Einſatz jeder Kraft beſchritten wird, der inneren Arbeitsloſigkeit Herr
werden, das heißt aber: zu erreichen, daß jeder Arbeiter ſeine Arbeit,
zu
jede Arbeit ihren Arbeiter findet. Was aber „ſeine“ Arbeit? Keine,
iſt
als die ihm ſelbſt durch ihn ſelbſt ſein Leben aufbaut. Das muß
war von ſelbſt; wieviel mehr müßte
ja
möglich ſein,
es
es
war doch ehedem,
möglich ſein durch die hoch entwickelte Einſicht und Technik der Willens
es
lenkung, deren ſich unſre Zeit nicht ohne Grund berühmt! Dafür müſſen,
wolle, alle Träger dieſer Einſicht und dieſer Technik ſich
es
zu
einſetzen, nicht um ein hohes, herrliches Ideal verwirklichen, nicht um
helfen, ſondern um unſer Leben, unſer aller Leben,
zu
dem Arbeiter
unſer Land, die AMenſchheit vom andernfalls ſicheren Untergang
zu
retten.
Denn der Herd der Krankheit längſt nicht mehr bloß eine kleine Klaſſe
iſt
von „Kapitaliſten“, und ihr gegenüber eine zwar größere, aber immer noch
begrenzte Klaſſe von „Arbeitern“, auch nicht einige wenige kapitaliſtiſche,
und andre der Ausſaugung durch das Kapital preisgegebene Länder, ſon
dern das Übel hat längſt alle, hat die ganze AMenſchheit ergriffen, alle
es
ſind Ausſauger zugleich und Ausgeſaugte, alle ſind dadurch heute ſchon
entwurzelt, heimatlos, bodenlos, glaubens- und gott- und heillos los –
es
von allem, und müſſen welken und ſterben; ſei denn, daß der Boden
ganz von friſchem bearbeitet und bepflanzt wird, wo ſie wieder wurzeln
Die allgemeine, furchtbare, der ganzen Weltgeſchichte
in
ſo
können. noch
nicht erlebte Zerſtörung aller ſittlichen
Begriffe bis zur völligen Um
kehrung ſollte dem Blindeſten darüber die Augen öffnen. Faſſen wir ſie
ganz ſchlicht den alten verachteten zehn Geboten: welches der zehn gilt
in
deinem Herzen
du willſt, „denn wie der Menſch, ſein Gott“; den Gott aber, den
iſt
ſo
–
einen AMenſchengott den ſollſt du von ſeinem Thron ſtoßen und ſeinen
Spott und Hohn
zu
Tage ſollſt du ſtreiken, den ſiebten aber fleißig damit begehen, unheilig
ſo
leben, wie du's nur über dich bringſt; Vater und Mutter, alles, was
zu
dir dein Leben geſchenkt und genährt und an dir erzogen hat, ſollſt du be
ſchimpfen und mit Füßen treten. Du ſollſt morden, huren, ſtehlen, verun
zu
glimpfen, nach allem und jedem gelüſten, wie dir's Sinn kommt,
iſt
es
nichts dabei. Woher ſolch wildes Wüten gegen alles, was heilig war? Der
je
einfache, klare Grund aller alten Gebote, der Grund des geſunden, men
-
ſchen würdigen Lebens aufb aus, ihnen unter den Füßen weg
iſt
gezogen, mußte auch alles, was darauf gebaut war, hinfallen. Das alles
ſo
52
hat offenkundig verſagt, es iſt, bei aller Predigt der zehn Gebote oder was
deren Stelle vertrat, kein menſchenwürdiges Leben erſtanden und will keines
erſtehen. So wirft man ſie weg, und da man einen andern Grund nicht zu
legen weiß, begnügt man ſich einſtweilen, alles in Grund und Boden
zu zerſtören, wartend, daß einer komme, den Boden wieder freizulegen
und ganz von friſchem zu bepflanzen.
Aber wer ſoll pflanzen? Und woher die Stecklinge nehmen, die in dem
ſchuttüberdeckten Boden Wurzel faſſen können? Das
iſt
gewiß nicht leicht;
ins Werk zu ſetzen der
es
es
auszufinden wird der Geiſt der Geiſtigſten,
Wille der Willigſten vielleicht nur gerade zureichen. Darum müſſen alle,
denen noch ein Funken Einſicht und AMenſchengefühl und Wille zur
in
zu
Menſchheit lebt, ſich jetzt zuſammenſchließen rückſichtslos ſich einſetzen
der edelſter Arbeit, um ein neues Volksleben aufzubauen, von der tiefſten
Wurzel bis zu den Höhen des Geiſtes, des Liebeswillens, der freien, kühnen
Schöpfung, bis hinauf zum demütig-erhobenen Bewußtſein des Göttlichen
der innerſten Menſchheit, auch im Verachtetſten, Verlorenſten, der Men
in
ſchenantlitz trägt. Geſchieht das nicht, dann geht alles, gehen wir alle zu
grunde, beſſer heute als morgen, denn ein ſchneller Losriß
iſt
erträglicher
als dies qualvolle, ſich ſelber von Sekunde zu Sekunde tat- und hoffnungslos
zuſchauende Hinſterben und doch nicht ſterben können.
Die Wege der Aettung erkennen, wird, wenn erſt einmal ernſtlich
zu
zu
die Aettung ſicher. Der alte Gott, von dem auch die gottloſeſte Menſch
iſt
heit nie ganz verlaſſen war, wird ſie aus der tiefſten Aot, gerade durch
ſie, zum Heile führen. Aber nicht von draußen ſoll ſie das Heil erwarten,
in ſie
es
muß näher, bei ſich ſelbſt ſuchen; ſie braucht den Gott ganz nah
der eignen Bruſt. Aur von innen her kann die Aettung ihr kommen.
wieder Wurzel, dann kann nichts Wußeres mehr ſie entwurzeln,
da
Faßt ſie
und ſie wird treiben und gedeihen wie noch nie. Dann wird ſie los ſein
von der Arbeit der Qual, der Gott- und Menſchen- und Selbſtentfremdung,
der Arbeit, die das Leben und den Menſchen und das
in
aber feſtwurzeln
ihr,
ſie
in
Selbſt ihr wieder baut und wieder freund macht dem Gotte
in
Tiefenpſychologie
(Schluß)
„Züricher Schule“ unter der Führung Jungs
Die
iſt
am weitſten von
Freud abgekommen und daher von ihm Weiſe auf den
in
beſonderer
Index geſetzt worden. Da ſie gerade
in
53
Auch dieſe Schule ſetzte ein bei einer Kritik der Freudſchen Sexual
theorie. Für Freud war, wie geſagt, die treibende Kraft des ſeeliſchen
Lebens vor allem in ſeinen neurotiſchen Erſcheinungen, im weſentlichen
„Sexuallibido“, Geſchlechtstrieb, dieſer allerdings im weitſten Sinne ver
ſtanden. Auf ſeine Grundformen wurden auch ganz hochwertige geiſtige
Bildungen zurückgeführt, was ihm dann den Vorwurf des „Panſexualis
mus“ eintrug. Für Jung nun
iſt
die Libido vielmehr jene pſychiſche
Energie, die der ganzen Fülle des Lebens, Be
in
iſt in
den verſchiedenſten
tätigungen als Drang und Streben lebendig und alles Wachſen und
Werden erhält. Jung vermeidet alſo, ſie mit einer konkreten Kraft, dem
Geſchlechtstrieb, gleichzuſetzen, ſondern faßt die „Libido“ als eine
Art „volitionales“ Prinzip, vergleichbar dem Willen Schopenhauers
„Elan vital“ Bergſons. Was als einzelne Triebkraft
in
oder dem der
Seele wirkſam iſt, wie der Aahrungs- oder Geſchlechtstrieb oder der Macht
wunſch, wird als Erſcheinungs- und Wirkungsweiſe einer
ſo
vielmehr
dahinterliegenden, im Grunde an ſich unbekannten ſeeliſchen Energie an
geſehen, die ſich bald ſo, bald anders kundgibt und unendlicher Wand
lungen und Differenzierungen fähig iſt. Die Wandlungs- und Verlage
rungsfähigkeit der Libido ermöglicht es, daß ſie ſich immer neuen
Zielen und Aufgaben des Aufbaus zuwenden kann.
iſt
Aber ebenſo
auch ein Zerfall der ſeeliſchen Energie möglich. Ihre Diſſoziation, ihre
Hemmungen ſehen wir den zahlloſen Formen der ANeuroſen. Sie läßt
in
ſich auffaſſen als ein Konflikt zwiſchen zwei oder mehreren Tendenzen,
in
welche die Einheit des Seelenlebens zerfallen iſt, und von denen die eine
unbewußt iſt. Der Aeurotiker kommt damit eine zwieſpältige „ambivalente“
in
Einſtellung zur Wirklichkeit. Einerſeits führt ihn das Leben ſelbſt ſtets neuen
Aufgaben zu und ſtellt ihn vor neue Leiſtungs- und Anpaſſungsforde
rungen. Anderſeits haftet ſeine Libido zum Teil unbewußt am Alten, an
der Gewohnheit, am Gattungsmäßigen, von dem herkommt, an der
er
Vergangenheit und ihrer Autorität, von der ſeiner Trägheit
in
er
ſich
nicht löſen will. Daher unendliche Konflikte zwiſchen dem Zug nach vor
wärts, der „Progreſſion“ zur Leiſtung und zur unabhängigen Perſönlich
keit, und dem Zuge nach rückwärts, der „Aegreſſion“ ins Kinderland,
in
die AMacht der Vergangenheit. Aur ſchwer entringt ſich dann der Einzelne
der ihn umfaſſenden Gemeinſchaft, die ihn urſprünglich hilfreich umgab
und trug, die ſich dann aber ſeiner weitern Differenzierung und Ver
ſelbſtändigung feindſelig entgegenſtellt und ihn vielfach am eigent
ſo
Dieſe kann als ſelbſtändiger erzieheriſcher Zweck neben den rein thera
peutiſchen geſtellt werden. Sie beſteht der Aückgewinnung jenes Eigenen
in
und der
und unterdrückt im Menſchen liegt und meiſt dem Kollektiven zum Opfer
54
gefallen iſt, in der Differenzierung derjenigen ſeeliſchen Tätigkeiten, die
unausgebildet und primitiv zurückgeblieben ſind. Das führt zu der eigen
tümlichen kompenſatoriſchen Funktion des Unbewußten. Der Menſch
gelangt nämlich infolge ſeines Hanges zur Wiederholung des Gewohnten,
zum Automatismus, nur ſchwer dazu, alle ſeine ſeeliſchen Fähigkeiten gleich
mäßig und harmoniſch auszubilden und in freiem Spiel für die Anpaſſung
und die Lebensleiſtung fruchtbar zu machen. Er wird durch Anlage oder durch
ſoziale Umſtände leicht dazu geführt, eine beſondere Funktion in ein
ſeitiger Weiſe in ſeinem bewußten Leben auszubilden. Dafür verkümmern
andere Fähigkeiten. Dieſe verdrängten oder unausgebildeten Funktionen
und ihre Inhalte verfallen dann leicht dem Unbewußten, von woher ſie
eine kompenſatoriſche Gegenwirkung ausüben. So kann beiſpielsweiſe
einem hochdifferenzierten, gut angepaßten Denken im Unbewußten ein ganz
undifferenziertes, primitives oder archaiſches Fühlen entgegenwirken.
Schreitet der neurotiſche Zerfall der Perſönlichkeit immer weiter fort, ſo
offenbart ſich der innere Zwieſpalt nicht zuletzt in einer eigentümlichen
geſpannten Gegenſätzlichkeit und Polarität, in die nach und nach alles
hineingeriſſen wird. Die analytiſche Erziehung ſucht in ſolchen Fällen die
nicht angepaßte Funktion, etwa ein kollektives undifferenziertes Fühlen,
das im Unbewußten verſenkt iſt, in ſeiner unentwickelten Form einmal
„zur Konſtellation zu bringen“, ſichtbar zu machen und für ſich zu ent
wickeln, zu differenzieren und dadurch die Harmonie der Perſönlichkeit
wieder herzuſtellen.
Dieſe Arbeit der Differenzierung oder „Individuation“ einirratio
iſt
=
naler Lebensprozeß. Er kann nicht durch eine bloß intellektuelle Beleh
rung oder Anſtrengung erſetzt werden, ſondern vollzieht ſich der Aus
in
wirkung der geſamten Perſönlichkeit. Daher kommt es, daß die Methode
erſcheint, denn die
ſo
in
affektiver
mäßiger Beziehungen zwiſchen dem Analytiker und dem Kranken. Wie
Beiſpiele wandelt nämlich
an
ab
zung
dieſem Prozeß nicht nur die Inhalte des perſönlichen Lebens, all das
Verdrängte und Vergeſſene, Unausgelebte aus dem Unbewußten heraus
ab. Sondern bei tieferm Eindringen
es
Behälter
drängte, Vergeſſene, Unausgeführte, ſondern ein weiteres umfaſſenderes
55
-
und kollektives Leben ſcheint in es hineinzuſchlagen wie das Weltmeer
in den Fjord. Der Einzelne ſcheint ſo in einem ungeheueren Zuſammen
hang zu ſtehen nicht nur mit der Gemeinſchaft der Familie oder der Raſſe
oder der AMenſchheit, ſondern auch mit kosmiſchen ANächten, die wohltätig
und gefährlich, befruchtend und bedrohend ihre Gegenwart im Menſchen
fühlbar machen.
Hier der Ort, wo ſich eine weite Ausſicht auftut die dich
in
iſt
teriſche Eingebung, die religiöſe Viſion ebenſo wie
in
in
die dämoniſche
und überperſönliche Beſeſſenheit des Krankheitswahns. Denn allen
in
es
dieſen Erlebniſſen handelt ſich darum, daß das Einzelweſen von einem
Größern, als ſelber iſt, ergriffen, erfüllt und hingeriſſen wird. Das
iſt
es
da Fauſt den Müttern hinabſteigt und „die Gefahr
zu
der Augenblick,
groß“ iſt, von dieſen überperſönlichen ANächten verſchlungen
zu
werden wie
im Gottähnlichkeitswahn und der Umnachtung. Die Geſchichte des
in
künſtleriſchen Schaffens und der religiöſen Krankheiten liefert uns eine
Fülle von Beiſpielen für dieſe geiſtige Gefahr. Dort handelt ſich darum,
es
daß der Einzelne von dieſem kollektiven Größern nicht verſchlungen wird,
Furcht und Ehrfurcht von ihm unter
in
ſondern ihm ſtandhält und ſich
ja
ſcheidet, ihm ſeine Gaben entreißt oder ſich von ihm beſchenken läßt
mit Anregungen und Einfällen, die durch bewußte Arbeit dann zu
er
geſtalten und durch die Formung erſt eigentlich für ſich und die Menſchheit
gewinnen hat.
zu
Das gelingt vor allem dem Dichter und dem Seher, die ſolche Urbilder
zu
und Urtümer des Unbewußten immer wieder aufzuſchöpfen, ſchauen
geſtalten verſtehen. In ihnen
zu
iſt
Mythos am Werke, der Zeiten der Hybris, des intellek
im
Menſchen nur
in
tuellen Hochmuts einſchläft, ſonſt aber raſtlos webt und im künſtleriſchen
und religiöſen Symbol Ausdruck, Form und Gemeinſchaft ſchafft.
Das Unbewußte wird gleichſam zum Ort, an dem die Seele Füh
in
ſo
lung tritt mit dem Umfaſſenderen, das ſie umgibt, ſei mit dem Kos
iſt es
mos oder mit dem Dämon oder mit dem Gotte. Bereits auch das Un
bewußte von der Aeligionspſychologie dieſem Sinne angeſprochen wor
in
den. Das Bewußtſein ſtellt dieſe Fühlung oder Verbindung ſtets nur
mittelbar her, vor allem mit Vorſtellungen und Begriffen. Die Sprache
das Symbol, das ſchöpferiſch immer wieder
iſt
von den Urſprüngen her von Geſchlecht Geſchlecht die goldnen Eimer
zu, und jede Generation und jeder Menſch füllt ſie wieder auf eigene
-
Weiſe.
zu
ſagen haben,
dem tiefſten Born geſchöpft. Die Wiſſenſchaft von geſtern. Sie ſchaut
iſt
hochmütig von ihren Begriffen auf dies Dämmerreich herab und hält
es
für phantaſtiſch. Aber das Leben ſelbſt bricht nicht aus ihren Labora
torien hervor, ſondern aus jenen Dämmergründen, aus der irrationalen
Innenwelt des urtümlichen ſeeliſchen Werdens und Webens.
56
Wir ſind im Begriffe, Weisheit wieder demütiger anzunehmen.
dieſe
Pendel einer Weltperiode am Ausſchwingen. In den
iſt
Das ganzen
es
letzten Jahrzehnten ſchwangſtark und ſteil das Reich der AMaterie,
in
der Zahl, der intellektuellen Begriffe hinaus. Jetzt fängt
an
es
zurück
in
zuſchwingen, das Wunderreich der Seele hinein. Der Menſch ſucht
den „Müttern“, den Weg ins Unbetretene, ins
zu
wieder einmal den Weg
Aeich des Aichtmehrſeienden und Aochnichtſeienden, wo die Samen neuer
Lebensformen keimen. Die Tiefenpſychologie ſucht dieſen Weg. Sie will
das werdende Leben der Tiefe nicht auf Begriffe ziehen und nur eine
Pſychologie daraus gewinnen. Sondern handelt ſich ihr darum, neue
es
Energien der Seele zu
finden, die
im
ſchöpferiſchen Grund der Seele
wirkſam ſind und für den Aufbau von neuen Einzelweſen und neuer Ge
meinſchaft gewonnen werden können.
Zürich Adolf Keller
Die deutſche Dichtung und das Ausland
(Schluß)
18.
Wer die Entwicklung der deutſchen
in
Literatur des Jahrhunderts
zu
iſt
für ihn das
Jahr, das den Anfang des „Meſſias“ brachte, oder das Jahr,
in
dem ſich
zu
1830 und 1848 gab keine ſolchen Augenblicke. Und der große Augenblick
von 1871 fand dichteriſch keinen ebenbürtigen Ausdruck.
Allein der Zuſammenhang zwiſchen dem öffentlichen Leben und der
Entwicklung des deutſchen Geiſtes, alſo auch ſeiner künſtleriſchen Aus
prägung der Dichtung, wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts feſter.
in
in
57
Gewohnheiten hinein neue und anſtrengende Forderungen, zu deren Be
wältigung die Kraft des Menſchen nicht immer ausreichen wollte. Das
Leben nahm einen ſo ſchnellen Schritt an, daß nur raſche Entſchlußfähigkeit
noch wertvoll ſchien, während für Stunden bedachtſamer Selbſtbeſinnung –
ſie hatten gerade dem Deutſchen einſt die beſten innern Gewinne geſichert –
kein Aaum übrig blieb. Der ganze Menſch wurde von innen nach außen
gekehrt. In dem geſteigerten Wettbewerb wollte der Deutſche nicht hinter
andern Völkern zurückbleiben, er wollte ſogar an die erſte Stelle treten.
Wirklich ſtieg das neue Deutſche Reich in den Friedensjahren von 1870 bis
1914 zu einer Betätigung auf dem Weltmarkt empor und zu Erfolgen, die
auf einzelnen Gebieten das AMutterland techniſcher Organiſation, England,
überflügelten und etwas von amerikaniſchem Weſen dem ganzen Deutſchen
Reich, vor allem aber der Reichshauptſtadt eigen machten.
Kaum dürfte ein anderes Volk innerhalb weniger Jahrzehnte jemals
eine gleich gründliche innere Umwandlung erfahren haben. Von dem
Lebensgefühl, das im Zeitalter des Klaſſizismus und der Aomantik ge
herrſcht hatte, kam das neue, das mechaniſierte Deutſchland völlig ab.
Geiſtige Tätigkeit, auch künſtleriſches Schaffen konnte unmöglich länger ſo
bewertet werden wie einſt. Mehr und mehr wurde Kunſt zu einem entbehr
lichen Schmuck techniſch hochgeſtiegener Lebensführung. Dieſer Schmuck
wurde gut bezahlt, aber er verlor die Aechte einer notwendigen Voraus
ſetzung der Lebensgeſtaltung. Die Anſicht kam auf, daß der Geſchäftsmann,
der mit Anſpannung aller Kräfte den ſchweren Kampf ums Daſein durch
zuführen hatte, für Kunſt und Dichtung kaum noch freie Zeit übrigbehalte,
ihnen beſtenfalls gelegentliche Stunden der Ermüdung widmen dürfe.
Dieſe Anſchauung, die immer auf einen Abſtieg der Kultur deutet, war von
den geiſtigen Führern der Zeit um 1800 mit Erfolg bekämpft und über
wunden worden. Schiller hatte der Muſe zugerufen: „Was ich ohne dich
wäre, ich weiß es nicht – aber mir grauet, ſeh' ich, was ohne dich Hundert'
und Tauſende ſind.“ Die Romantik verkündete in Schillers Sinn den not
wendigen Zuſammenhang zwiſchen Kunſt und Lebensführung. Wohl über
trieb der Deutſche nach 1815 die äſthetiſchen Lebensanſprüche; in einem Zeit
alter, das die neuerwachte öffentliche Betätigung des Menſchen, vor allem
ſein politiſches Wirken rückſchrittlich einengte, ja knebelte, ſchien zeitweilig
die Beſchäftigung mit künſtleriſchen Fragen alles andere in den Hintergrund
zu ſchieben. Doch im weitern Ablauf des Jahrhunderts ſetzte ſich ein völliger
Umſchwung durch. Der Grundſatz der Arbeitsteilung, der allein den hohen
Anforderungen an die Kraft des einzelnen erfolgreiche Erfüllung zu ſichern
ſchien, wurde auch auf das Feld der geiſtigen Bildung angewandt. Die
Frau, die ſeit 1800 ihre Kreiſe immer weiter zu ziehen gelernt hatte und
dem Manne auf ſeinem eigenen Arbeitsgebiet zur AMitarbeiterin, aber
auch zur gar nicht ungefährlichen Mitbewerberin geworden war, nahm
den innern und äußern Anteil, den um 1800 faſt die geſamte Geſellſchaft
noch der Kunſt und der Dichtung entgegenbrachte, immer ausſchließlicher
für ſich in Anſpruch. Es kam ſo weit, daß beinahe nur noch zu Frauen zu
ſprechen hatte, wer immer Fragen der geiſtigen Bildung zu löſen ſuchte.
Die Frau ging an die Löſung ſolcher Fragen ſelbſt und mit Erfolg heran.
Dichteriſche, überhaupt künſtleriſche Arbeit der Frau ſetzte ſich daneben
kraftvoll durch. Der Mann, der künſtleriſch ſchuf, ſah ſich auf die Seite
der Frau gedrängt, nicht nur auf ſie angewieſen. Er galt dem Träger der
Zeitaufgaben, dem Geſchäftsmann, dem Induſtriellen, wie etwas Minder
58
wertiges, das den hohen Anſprüchen des Augenblicks nicht gewachſen ſei
und dem nur der unaufhaltſam zunehmende Meichtum des Volks und das
Bedürfnis, dieſem Aeichtum eine prunkvolle Außenſeite zu leihen, den
Lebensunterhalt gewährleiſteten.
Vielleicht die ſeltſamſte Folge des überhitzten geſchäftlichen Betriebs,
der die Kräfte ſeiner Vertreter reſtlos in Anſpruch nahm, war die wachſende
Gleichgültigkeit gegen Fragen der Politik, beſonders der Weltpolitik. Die
Träger des gewaltigen geſchäftlichen Aufſchwungs in Deutſchland lebten
der Überzeugung, daß ſie aus eigener Kraft ſich auf dem Weltmarkt durch
ſetzen könnten und müßten, beklagten zwar die geringe Unterſtützung, die
ihnen vom Staate gewährt wurde, wendeten indes durchaus nicht alle Kräfte
daran, ihre gewaltige Arbeitsleiſtung im Ausland durch eine ebenbürtig
ſtarke und groß gedachte Politik zu ſichern. Der Weltkrieg deckte endlich
die böſen Folgen dieſes Verhaltens auf und bewies, daß ſogar ein Volk
von ungewöhnlicher Leiſtungsfähigkeit auf dem Gebiet des Handels und der
Induſtrie ſchweren Schaden leiden kann, wenn es nicht von einer ziel
gewiſſen Politik getragen wird.
Auch an dieſer Stelle verſagte der Grundſatz der Arbeitsteilung. Die
Kraft, die einen vielgeſtaltigen Meichtum von Einzelbetätigungen zu einem
Ganzen zuſammenfaßt, enthüllt ſich jetzt mehr und mehr als unbedingtes
Erfordernis. Wiederum war um 1800 deutſche Welt bemüht geweſen, dem
einzelnen Menſchen die Vielſeitigkeit zu wahren, die allein zu kraftvollen
Zuſammenfaſſungen führen kann. Das 19. Jahrhundert machte in vollem
Gegenſatz zu ſolchen Wünſchen den Menſchen immer einſeitiger und darum
das Ganze ärmer an ſichern Erfolgen.
Eine völlige Wandlung der Weltanſchauung war die Vorausſetzung.
Im Zeitalter des deutſchen Klaſſizismus und der deutſchen Romantik er
ſtieg die Philoſophie des deutſchen Idealismus ihre Höhe. In jäher WBen
dung folgte auf die Denkart Hegels, die dem Geiſte die unbeſchränkteſte
Herrſchaft ſichern wollte, eine durchaus gegenſätzliche Auffaſſung: der deutſche
Materialismus, der dem Stoff alle Anrechte gewährte, die von Hegel dem
Geiſte zugebilligt worden waren. Zwar bedeutete der Materialismus
durchaus nicht das letzte Wort, das auf deutſchem Boden während des
Dingen geſprochen worden iſt. Allein
19.
Jahrhunderts philoſophiſchen
in
die Macht einer Weltanſchauung, der das Wirkliche nur eine Erſcheinung,
bedingt durch die Einrichtung unſres auffaſſenden Bewußtſeins, iſt, war
auf lange gebrochen. Die eigentliche Philoſophie des ſpätern i9. Jahr
hunderts wurde der Poſitivismus mit ſeinen verſchiedenen Abſchattungen.
Ihn bezeichnet grundſätzliche Feindſchaft gegen alle Metaphyſik, die über
die Grenzen der Erfahrung hinausgehen will. Er entſpricht einer Welt
Richtung, wie
es
von naturwiſſenſchaftlicher
Jahrhundert war. Er verzichtet auf alle
19.
zu
antworten.
ja
zu
löſen wagt,
ihre Löſung für unmöglich und jeden Verſuch der Löſung für zwecklos er
klärt. Eine geſchloſſene Weltanſchauung, die eine einheitliche Verbindung
von Wiſſen und Wollen, von Erkenntnis und Sittlichkeit darſtellt, aus
iſt
59
ſolchen Vorausſetzungen nicht zu ſchaffen. Ja, ihre bloße AMöglichkeit muß
von poſitiviſtiſcher Zweifelſucht geleugnet werden.
Aach 1900 drang die Überzeugung immer ſtärker durch, daß die zage
Vorſicht einer weſentlich naturwiſſenſchaftlich gedachten Philoſophie, die
ängſtlich alle Verſuche, ins Metaphyſiſche überzugreifen, mied, Anſprüche
unerfüllt läßt, die ſich auf die Dauer nicht nur nicht unterdrücken laſſen,
die vielmehr dem geſamten geiſtigen Verhalten eines Volkes zur not
wendigen Vorbedingung dienen. Das neue Jahrhundert beginnt, beſon
ders ſeit dem Anfang des Weltkriegs, wieder von der bloßen Betrachtung
und Prüfung der Erſcheinungswelt weiterzuſchreiten zu der Erkundung des
menſchlichen Geiſtes und der Bedeutung, die er für die Erfaſſung, viel
mehr für die Geſtaltung der letzten und höchſten Bedingungen des menſch
lichen Daſeins hat.
Jüngſte deutſche Dichtung ſtellte ſich ſofort in den Dienſt der neuen Auf
Sie des Geiſtes. Sie wagt
iſt
es
gabe. der Herold der Wiedererweckung
endlich wieder, die Dinge vom Standpunkte des Ewigen zu nehmen, nach
dem gerade die Dichtung jahrzehntelang ſich begnügt hatte, bei der Dies
zu
ſeitswelt vorſichtig Halt machen. Sie ſchwingt ſich kühn empor über ihre
Umwelt, deren ſorgſame Wiedergabe dem 19. Jahrhundert als eigentliches
Ziel der Kunſt erſchienen war. Sie will nicht länger beobachten, ſie will
bekennen.
Beobachtung der ſogenannten Wirklichkeit, Wirklichkeitskunſt, Aealis
gewiß auch die große Leiſtung des 19. Jahr
iſt
der andern Kulturvölker, wie die geſamte Kunſt der Zeit dieſen Stand
punkt des Aealismus ein. Von vorläufigen Verſuchen, die ſchon innerhalb
von Goethes Klaſſizismus und bei einzelnen Aomantikern anzutreffen
zu
ſind, geht allmählichem Aufſtieg empor bis
in
es
zu
nächſte Aachfolge, die auf den erſten Blick eine Umkehr bedeuten ſcheint,
zu
beharrt bei hingebungsvollſter Abſpiegelung und geht nicht weiter kraft
voller geiſtiger Überwindung und Geſtaltung der Welt. ANatürlich fehlt
nicht an Anzeichen, die ſchon vor 1900 die kommende Wandlung an
es
kündigten. Aber das entſcheidende Kennzeichen der Zeit blieb immer noch
eine geiſtige Haltung, die ſich aufs engſte mit dem herrſchenden Poſitivis
mus berührte.
deutſche Dichter ſich vom Ausland die Wege
ob
in
Frankreich und
feſte Form gebracht. Der Zuſammenhang zwiſchen
in
feſtſtellen
immer behaupten, daß franzöſiſche Kunſt vor deutſcher Wiſſenſchaft die
weſentlichen Züge relativiſtiſcher Weltbetrachtung gewonnen habe.
Allein impreſſioniſtiſche Kunſt ſteht von vornherein franzöſiſchem Form
60
willen viel ferner als deutſchem. Der Impreſſionismus bricht mit den
ſtrengen, ein für allemal beſtimmten Geſtaltungsgrundſätzen, die nicht
deutſchem Formgefühl entſprechen. Er auf franzöſiſchem Boden unzwei
iſt
deutiger Verzicht auf die allgemein bindende Form, die über den einzelnen
Kunſtwerken ſteht und ihnen ein Geſetz vorſchreibt. Er lockert den Aufbau,
kennt keine Grenzen zwiſchen den Künſten und zwiſchen ihren Unter
er
iſt
ein
unverkennbares Zugeſtändnis an deutſche Form.
Die Entwicklung, die zur Zeit der franzöſiſchen Aomantik einſetzte und
ſie
den Franzoſen Eigenheiten deutſcher Dichtung liebmachte, zur Aach
bildung ſolcher Eigenheiten veranlaßte, erſtieg ihre Höhe im Impreſſionis
mus. Rückhaltloſer konnte franzöſiſche Kunſt deutſchem Formgefühl ſich
nicht hingeben.
Der ganze Vorgang bezeugt überdies, wie ſehr
im
19. Jahrhundert die
Entwicklung der Kunſt gemeinſame Arbeit der europäiſchen Kulturvölker
geworden iſt. Goethes Begriff einer Weltliteratur, der ſich die Dichtung
in
Volk hatte
meinſame Arbeit der Künſtler Europas förderte die Entwicklung der Kunſt.
Die Deutſchen erweckten abermals den Anſchein, als wollten
ſie
von den
deutſchem künſtleriſchen Gut ge
an
franzöſiſchen Impreſſionismus,
von franzöſiſchem. Doch gerade der deutſche Aealismus, der um 1840
Er
iſt
echtdeutſch
weiter auf dem Wege einer deutſchen Form, den mit Goethe die
zu
geht
Romantik beſchritten hatte. Und
er
legte nicht
zu
Drama.
deutſch auch den Bau des Bühnenſtücks
zu
lockern, aber
ſolchen Verſuchen Erfolg auf der Bühne. Er ſetzte durch, was bisher nur
vergebliches Wagnis geweſen
zu
ſein ſchien.
ja
zu
61
zicht auf allgemein bindende Formgeſetze weiter zu völliger Beſeitigung
von Formbedingungen. Untergrub ſchon der Hiſtorismus der Stilnach
ahmer das Stilgefühl, ſo verlor ſich auf der Suche nach dem perſönlichen
Stil des einzelnen Kunſtwerks leicht alles Gefühl für Stileigenheiten. Wie
in der bildenden Kunſt, wie im Kunſthandwerk bot man unter dem Vor
wand perſönlichen Stils einen Miſchmaſch von Stilen auch in dichteriſcher
Arbeit.
Je weiter das 19. Jahrhundert fortſchritt, deſto gefährlicher wurde das
Aachlaſſen eines ſtarken Formgefühls. Die tiefeingreifenden Verände
rungen, die ſich im Leben des Deutſchen einſtellten, nahmen auch der Kunſt
einen Aückhalt, der noch um 1850 beſtanden hatte. Unbegrenzte Möglich
keiten taten ſich auf. Aber geiſtige Grundſätze, die aus dem Chaos eine
neue Welt der Kunſt hätten erſtehen laſſen, fehlten einem Zeitalter, das
weſentlich materialiſtiſch geſinnt war. Auch hier gebrach es an der ſtarken
vereinheitlichenden Kraft, die aus vielgeſtaltigem Meichtum von Einzel
heiten eine große Zuſammenfaſſung hätte erzielen können.
Am Ende des Jahrhunderts ging es dieſem oder jenem endlich auf, daß
eine ſchwere Kulturaufgabe ſich den Deutſchen ergebe und daß ſie raſch
gelöſt werden müſſe, wenn nicht deutſches Weſen und deutſche Kunſt
Schaden leiden ſollten. Einer der machtvollſten Mahner war Alietzſche.
Dichter gaben ſeinen Ruf nach deutſcher Kultur weiter. Allein noch be
durfte es einer völligen Umkehr, um die Gefahren des beſtehenden Zu
ſtandes nicht bloß zu überwinden, ſie auch in vollem Umfang zu begreifen.
Dieſe Umkehr vollzieht ſich ſeit kurzem. Sie begann vor dem Weltkrieg.
Bezeichnet wird ſie durch grundſätzliche Abkehr von der poſitiviſtiſchen Welt
anſchauung und durch volles Bekenntnis zu einer neuen Herrſchaft des
Geiſtes über den Stoff. Zu großen Einheiten ſoll wieder zuſammengeballt
werden, was im Zeitalter des Mealismus und beſonders des Impreſſionis
mus ſich in Einzelheiten zerſplittert hatte. Der Geiſt ſoll wieder alle Er
ſcheinungen durchdringen und ihre Stellung zueinander und zum Ganzen
beſtimmen.
War der Impreſſionismus deutſchem Formgefühl entgegengekommen,
ſo liegt es nahe, daß die jüngſte, ganz anders gerichtete Dichtung von
deutſchem Formgefühl abweicht. Die jungen Bekenner verkünden die Heils
botſchaft einer neuen Herrſchaft des Geiſtes mit einer Stärke innerer Span
nung, die dem läſſigern Verhalten des deutſchen Lebensgefühls wider
ſpricht. Eine Form, die vom Leben wegſtrebt, das Leben überwinden und
hinter ſich laſſen will, kündigt ſich in ihnen an. Aicht im Spiegel des
Augenblicks, ſondern im Spiegel der Ewigkeit ſehen die neuen Propheten
ſich und ihre Welt. All das war einſt auch deutſchem Weſen ſchon eigen.
Ä
Allein es geht ab von dem deutſchen Lebensgefühl unſres Klaſſizismus
Es
iſt
und unſrer Aomantik. weit entfernt von Goethes Welt der edlen
und ſtillen Größe. Es nähert ſich eher dem Weſen Klopſtocks oder
illers.
Allerdings werden die Aamen Klopſtocks oder gar Schillers von jüngſten
deutſchen Dichtern nur ſehr ſelten angerufen. Weit mehr verpflichtet fühlen
ſie ſich den Strindberg, Claudel, Aimbaud, Verhaeren. Ihnen ſind ſie
verwandt ihrem Bekennerbedürfnis, von ihnen übernehmen ſie künſt
in
Umfangs, dem dieſe Ausländer deutſcher Art und Kunſt verpflichtet ſind.
in
62
Verhaeren und Claudel verzichten ſchon in der Geſtaltung ihrer Verſe
auf die altüberkommenen Grundſätze romaniſchen Ebenmaßes und romani
ſcher Vorliebe für ſcharfe und klare Umriſſe. Sie gehen mit Rimbaud
weiter auf den Wegen eines völlig unfranzöſiſchen freien Verſes. Wie
durchaus fremd die Wortkunſt Claudels franzöſiſchen Ohren tönt, beweiſt
der frohe Beifall, den ſeine Landsleute ihm ſpenden, wenn er ausnahms
weiſe eine Ode in gereimten Verſen franzöſiſcher Überlieferung ſchreibt.
Verlaine vollends hatte von den erſten franzöſiſchen Verſuchen im „vers
libre“ ironiſch geſagt, zu ſeiner Zeit habe das Proſa geheißen.
Die letzte Quelle des franzöſiſchen freien Verſes
iſt
freilich nicht der
deutſche freie Ahythmus, der von Klopſtock erfunden und von Goethe, Höl
–
derlin, der deutſchen Aomantik und Heine weiterentwickelt wurde, ſondern
dank einer Umdeutung künſtleriſcher Abſicht die ungebundene Form,
in
de
die Gérard Aerval Vierzeiler Heines übertragen hatte. Den Reiz dieſer
Verſuche Mervals entdeckte Marie Kryſinska den Franzoſen. Der Zuſam
menhang, der zwiſchen Heine und neuerer franzöſiſcher Dichtung ſich hier
zu
Allein der Weg einer Form war eröffnet, die ganz unfranzöſiſch den
Bau des Verſes lockerte. Mit der Strenge des Versbaus wurde auch die
logiſche Durchſichtigkeit franzöſiſcher Wortkunſt aufgegeben. Mit Willen
wurde man unüberſichtlich, ſuchte man das Undeutliche, betäubte und be
rauſchte man ſich an einem Gewühl und Gewimmel von Worteindrücken.
Claudels Sprache geht noch hinaus über Rimbaud, der Heines fran
zu
zöſiſcher Aachfolge zählt, und über den Flamen Verhaeren. Seine Sprache
zu zu
hat das raſtlos Anſtürmende, den Trieb, Geſagtes wieder und wieder
ſagen, die Aeigung, muſikgleich wirkende Wortmaſſen Bewegung
in
Goethes oder der romantiſchen Lyrik geartet. Dafür Klopſtock von dem
fühlbareren Formwillen altgermaniſcher Dichtung erfüllt,
er
hat einen
verwandten, raſtlos vorwärts drängenden, immer wieder neu anſetzenden,
Wiederholungen neigenden Schwung. Klopſtock fühlte ſich bei ſolchem
zu
Formgefühl einig mit der Bibel, aber auch mit der Geſtalt, die von James
Macpherſon dem „Oſſian“ geliehen worden war. Auch Claudels Sprache
urverwandt der Bibel. Sie ſteht ſchon deshalb der Klarheit und Sach
iſt
iſt
lichkeit des Franzoſen fern, ſie viel eher geneigt, einem rauſchenden
Strom von Wortgebilden die Überſichtlichkeit und Verſtändlichkeit aufzu
opfern. Sie wirkt durchaus unfranzöſiſch nicht auf den Verſtand.
Ein ganzes Jahrhundert deutſcher Einwirkung auf Frankreich konnte
der unfranzöſiſchen Kunſt Claudels und ſeiner Aach
zu
franzöſiſche Dichter
Franzoſen, die ſich die Ekſtaſen von Aichard Wagners
in
barn leiten.
Muſik erlebt und ſie mit Hingabe ausgekoſtet hatten, waren bereit, auch
der Dichtung auf die überlieferten Eigenheiten franzöſiſcher Formſtrenge
zu in
G5
Kunſt von deutſcher Prägung lieben. Von einer Prägung mindeſtens, die
zwar nicht auf Goethe zurückweiſt, aber von Klopſtock und ſeinem Gefolge
gewahrt wurde. Hie und da nur dämmert einem der neuſten Deutſchen
dieſer Zuſammenhang.
Dresden Oskar Walzel
Oſtpolitik
Die ukrainiſche Frage*
2.
Dº
ie oberſte Frageſtellung, von der für alle Oſtprobleme ausgegangen
muß, lautet: „Geſamt-Außland“ –
oder „Oſteuropa“?
Jaſtrow hat nach dem Frieden von Breſt-Litowsk in der „Deutſchen
Politik“ die Definition gegeben: Durch den Zuſammenſturz Außlands
auf dem ganzen Aaum von den Karpathen bis zum Stillen Ozean
iſt
in
des ruſſiſchen
Aeichs zuſammengeſchloſſen waren, der Weg zur Staatenbildung auf Grund
eigenen nationalen Aechts freigegeben worden! Finnland, die baltiſchen
Provinzen, Litauen, Polen, die Ukraine, Georgier, Armenier, die Muham
in
medaner Turkeſtan hatten, bevor ſie unter Außland kamen, eine mehr
oder minder entwickelte Staatlichkeit ſchon beſeſſen, waren aber nicht dazu
feſtigen, da Großrußland ſie verſchlang. In der europäiſchen
zu
gelangt, ſie
Auffaſſung der Geſchichte Außlands weiß man nicht genug von dieſem Vor
gang unausgeſetzter kriegeriſcher Eroberung und Unterdrückung, durch den
15.
ſich der moskowitiſche Staat ſeit dem Jahrhundert über ſeine Aachbar
iſt
völker ausbreitete, und am unbekannteſten der eigentlich entſcheidende Akt
geblieben, die Unterwerfung der Ukraine.
Man hat mit Aecht geſagt, daß drei Außlande gab: AM oskau,
es
dreien
Außland. Die ſlawiſchen Stämme, aus deren Zuſammenſetzung Auß
land erwuchs, hatten ihren Sitz im Gebiet der heutigen weſtlichen
und mittleren Ukraine: an den Karpathen und im Dnjeprgebiet. Durch
dieſes ging die große oſteuropäiſche Handelsſtraße zwiſchen der Oſtſee und
dem Schwarzen AMeere. Sie folgte dem Dnjepr, ging von deſſen Oberlauf
nordwärts zur Düna und zum Zuflußgebiet des Ilmenſees hinüber, ge
in
langte durch den Wolchow den Ladogaſee und durch die Alewa
in
den
Finniſchen Meerbuſen. Die beiden beherrſchenden Punkte an ihr waren
Kiew am Dnjepr und Aowgorod am Wolchow. Im Frühjahr, wenn die
Flüſſe Hochwaſſer führten, konnte faſt der ganze Weg
in
Booten zurück
gelegt werden, bis auf zwei kurze und niedrige Waſſerſcheiden, über die
zu
Jahrhundert Chr.
n.
denen
die alten ſchwediſchen Seekönige ihre Streitmacht organiſierten. Mit ihren
Auderbooten drangen die Warjager auf der Oſtſee, dem großen Waſſerweg
Der Verfaſſer
iſt
-
64
und dem Schwarzen Meere bis vor Konſtantinopel. Sie ſind die Gründer
ſie
Rußlands. Allmählich verſchmolzen mit den unterworfenen Slawen
Aamen Ruſſen einem Volk, aber noch im
zu
unter dem gemeinſamen
Chr. waren die politiſchen Grundzüge des alten Ruß
12.
Jahrhundert
n.
lands, des Staats von Kiew, der viele Teilfürſtentümer zerfiel,
in
d.
h.
germaniſch-normanniſcher Matur.
Dasjenige Land, das ſpäter Großrußland genannt wurde, war damals
noch von finniſchen Waldſtämmen bevölkert. Es wurde allmählich von
dem ukrainiſchen Außland aus durch unternehmende Teilfürſten mit ihren
Gefolgsleuten erobert und koloniſiert. In dieſem zweiten Rußland er
hielt die Bevölkerung durch den vorwiegenden Zuſatz von finniſchem Blut
einen anderen Typus als
in
der Ukraine. Auch die großruſſiſche Sprache
unterſcheidet ſich von der ukrainiſchen ſehr, daß beide Völker ſich nicht
ſo
verſtehen. Selbſt nach dem Gutachten der Petersburger Akademie der
es
im
ſiſch und 13. Jahrhundert
erhielt ſich das ukrainiſche Rußland noch eine Zeitlang unter eigenen
im
in
kommen,
an, war,
an
lehnten ſich die Ukrainer Moskau aber das Ende daß Polen
und Moskau übereinkamen, das reiche Land mit ſeiner kräftigen und
Bevölkerung untereinander Die öſtliche Ukraine,
zu
kriegeriſchen teilen.
die
an
rina
die ruſſiſche Provinzialverfaſſung
ſie
rich Wilhelm von Preußen ſchickten aber die Ukrainer, die ihre einſtige
Selbſtändigkeit nicht vergeſſen konnten, heimlich eine Geſandtſchaft nach
zu
einem
zu
in
richtete Deutſchland
gut wie unbekannt.
es
ſo
war
Ohne Kenntnis dieſer Grundzüge der tauſendjährigen Geſchichte des
nicht möglich, ſeine jetzige Wiedererhebung
zu
es
Volks
iſt
ukrainiſchen
Es
zu
iſt
65
als Ruſſen gefühlt. Der ukrainiſche Bauer ſagt zum Großruſſen: Kapaz,
was man ſinngemäß etwa mit Stinkbock überſetzen kann. In einer ukrai
niſchen Aedensart ſpricht der Sohn zum Vater: Sieh, da kriecht ein Teufel
in unſere Hütte! Macht nichts, antwortet der Alte, es kein Mos
ja
iſt
kowiter! Solche Worte zeugen für den Unterſchied des Stammesempfin
*
dens. Allerdings war aus dem Gefühl der ukrainiſchen Maſſen der Ge
danke national-politiſcher Selbſtändigkeit gegenüber Moskau allmählich
verſchwunden. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts aber entſtand von
neuem das Ideal der politiſchen Autonomie, zuerſt nur einem engen
in
Kreiſe und ohne das Ziel der vollſtändigen Trennung von Großrußland,
dann aber allmählich ſich ausbreitend und immer radikaleren Charakter
gewinnend. So wie Finnland das heutige kraftvolle ſtaatlich-nationale
in
Gefühl des finniſchen Volks ſich nicht hätte entwickeln können, wenn nicht
Jahren Elias Lönnrot das uralte finniſche Aationalepos aus der
70
vor
Verborgenheit, der ſeine Geſänge bei den oſtkareliſchen Bauern und
in
Fiſchern lebten, hervorgezogen, geſammelt und das Ganze ſeinem Volke
neu geſchenkt hätte, auch das heutige ukrainiſche Selbſtbewußtſein
iſt
ſo
undenkbar ohne die leidenſchaftlich nationalen Dichtungen Taras Schew
tſchenkos, der 1842 auf Befehl Aikolaus für ſein Ukrainertum als ge
I.
meiner Soldat die Kirgiſenſteppe verbannt wurde und dort über ein
in
ſie
Heimat- und Vaterlandsliebe, preiſen die Erinnerung an die Hetmanenzeit
und Haß gegen den Moskowiter.
Es mag unſerem kühl gewordenen Empfinden merkwürdig vorkommen,
40
daß ein Volk von Millionen Menſchen, das bisher gut wie niemand
ſo
gekannt hat, plötzlich aus der Verborgenheit auftaucht und den Willen
zur ſtaatlichen Selbſtändigkeit anmeldet. Als im Frieden von Breſt
Litowsk Deutſchland die Ukraine politiſch anerkannte, geſchah das leider
auch von vornherein mit dem Fehler, daß weder unſere politiſchen Unter
händler Breſt noch die öffentliche Meinung Deutſchland mit rechtem
in
in
Ernſt an das Ukrainertum glaubten. Das ging ſoweit, daß ſelbſt, rachdem
das deutſche Militäroberkommando und eine deutſche diplomatiſche Ver
tretung
in
es
Stellen den großen Fehler begingen, ſich von Leuten beraten laſſen,
die durch ihre Vorurteile und durch geſchäftliche Intereſſen auf der groß
ruſſiſchen Seite ſtanden, daher die Wiedervereinigung der Ukraine mit
Moskau und das tiefe Mißtrauen aller nationalen Ukrainer
anſtrebten
„Die deutſche Politik“, hieß bald bei den Ukrainern, „hat
es
erregten.
auch bei uns den Ruf ihrer Unzuverläſſigkeit bewährt! Erſt, als die
Ukraine entdeckt war, erkannte man uns an und verſprach, an unſerer
Unabhängigkeit feſtzuhalten, als aber Winke von ruſſiſcher Seite kamen,
eine deutſch-ruſſiſche Verſtändigung möglich ſei, wenn die Ukraine
ob
als
geopfert würde, war man auch dazu bereit!“
–
ne
66
für aus
iſt
Heute Deutſchland den Augenblick nicht imſtande, große
zu
wärtige Politik
es
machen, aber wäre trotzdem ein unermeßlicher
Fehler, wenn man darum prinzipiell und praktiſch auf eine deutſch
ukrainiſche Politik verzichten wollte. Der ukrainiſch-nationale Gedanke
und das Ziel der ſtaatlichen Selbſtändigkeit der Ukraine ſind heute
im
je.
ukrainiſchen Volk feſter gegründet als Vor allen Dingen weiß der
Bauer auch materiell, daß das Land der moskowitiſchen und polniſchen
er
18.
im
17.
Großgrundbeſitzer, das ſeinen Vorfahren und Jahrhundert
von den Königen von Polen und den Zaren fortgenommen wurde und
das jetzt zurückgefordert und unter ſich aufgeteilt hat, nur lange be
er
ſo
halten wird, wie Kommt der Mos
es
ob
es
kowiter wieder, nimmt ihm, gleichviel, Zar oder Bolſchewik.
er
ſo
In den großen Städten, wie Kiew, Charkow uſw. herrſcht das zugewanderte
großruſſiſche Element unter der Bevölkerung vor, und namentlich die ge
ruſſiſch oder auch polniſch, jüdiſch oder
iſt
der Tiefe des Volks zur Führung emporhebt, die Schullehrer und Dorf
prieſter, die Landärzte, Feldmeſſer, die Führer der bäuerlichen Genoſſen
ſchaften, die Gemeindevorſteher und das ganze Heer der Angeſtellten der
ländlichen Selbſtverwaltung, ſie ſind ukrainiſch-national bis auf die Knochen.
Von hier aus wird auch die Idee der politiſchen Selbſtändigkeit der Ukraine
auf die Dauer ihren unwiderſtehlichen Lauf nehmen, und darnach müſſen
wir uns auch im deutſchen politiſchen Intereſſe richten. Tun wir
es
nicht, ja
wird die Entente ſehr bald klüger ſein, als wir,
iſt
ſo
ſie ſchon am
Werk, Die Trennung der Ukraine von Außland
zu
es
das
iſt
ſein.
entſcheidende Moment dafür, daß der Einkreiſungsdruck von Oſten
her ſeine Kraft und ſeine Gefahr für uns verliert; und außer dem
wird die Ukraine unſer beſter Bundesgenoſſe gegen das
Polen um ſein. Paul Rohrbach
t
Um den Fauſt
(Schluß)
Was nun, das eigentliche Fauſtproblem?
Wie jedes echte Dichter
es
iſt
problem will
es
fühle das Fauſtproblem bei der Frage: wie wird geläutert, „wer immer
„irrt, ſolang
es
er
ja
auch wenn
iſt
wohl, was die Fauſtſage verwandelt und veredelt hat. Und was wird
es
weiter? Ich für mein Teil glaube, daß die Weiterentwicklung des religiöſen
Gefühls allmählich bei immer Mehrern ſtatt die Begnadigung die Selbſt
Erlöſung Fauſtens verlangen wird. Das heißt: Aicht einen Macht
ſpruch des Gottes, der außerhalb ſeiner iſt, ſondern den Sieg des Gottes
ihm. Auch Fauſt hat „ſeines Schickſals Sterne“ ſeiner Bruſt. Gott
in
in
ihm, und der Teufel wohnt Wohl: Die Kraft, „die ſtets
in
in
wohnt ihm.
ſie
das Böſe will und ſtets das Gute ſchafft“, muß wider Willen auch hier
das Göttliche fördern, gerade, indem Gerade der Kampf
ſie
es
bekämpft.
mit dem Böſen übt, erzieht, kräftigt, ſtählt, hebt das Gute, wenn der
er
(37
Böſe es nicht überwinden kann. So wächſt im teufelbeſeſſenen Fauſt fort
während das Göttliche. Schließltch kann Mephiſto wohl Fauſtens Leib noch
töten, aber der Gott in Fauſt tötet in ſeiner Seele ihn. „Du da? Du
biſt nicht mehr.“
„Aber der Pakt?“ Der Pakt Teufel
nicht erfüllt, denn dem
iſt
vom
ja
und mit Luſt, wie
zu
iſt
es
nicht gelungen, Fauſt Staub freſſen laſſen,
ſeine Muhme, die berühmte Schlange; hat nicht vermocht, den Geiſt
ſo
er
erniedrigen, daß der Leib ſich geſättigt aufs Faulbett legt. Freilich,
zu
weit
von der Sünde wider den heiligen Geiſt, die an ſich im Paktieren mit dem
Teufel, der Verbündung mit dem Böſen liegt, befreit dieſe Tatſache
in
Fauſten nicht. Da kann ihn nur eines befreien: die Selbſtaufopferung
für andere. Aicht die ſeines Erdenlebens, verſteht ſich, denn wenn damit
er
erwarten glaubt,
in
zu
dem entginge, was „drüben“ würde der Tauſch
er
ſo
Wahrheit alles andre eher, als eine Selbſtaufopferung ſein. Es gibt einen
Gedanken, der ungeheuerlich erſcheint und der deshalb der ganzen Fauſt
in
literatur, viel ich weiß, niemals gedacht worden und der doch allein
iſt
ſo
Fauſten aber,
„Ich wünſchte, daß ich ſelber verflucht wäre, weg von Chriſtus, für meine
3.) Ein Ausleger, Michaelis, nennt die Stelle „ein
9,
Brüder.“ (Römer
raſendes Gebet“. Der Fauſt, der, ſeiner Sünden bewußt, den Pakt beſtehen
fühlt, obgleich gar nicht beſteht, der Fauſt, der mit dem Weh des Menſchen
er
ſchickſals
und heiligen Wahnſinns „raſendem Gebet“ Gott nur anfleht, ſie als
in
zu
-
die Brüder, die verzweifelnden,
es
„Daß
Vom Bruder grüßt, der ihrer denkt genug,
–
–
Wenn mir die Glut kühlt eine Träne Dank“
gewiß befreit, wie der Gott der Sittlichkeit dieſes Opfer
ſo
Problem. Auch hier gilt das „Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht
erjagen“. In
dem Fühlen, Denken, Hoffen, Verzweifeln, dieſem ganzen
in
reichſten, heißeſten, ſtärkſten und tiefſten Erleben einer aus Aebeln und
Klarheit, aus Sonne und Macht gemiſchten Seele müſſen wir ſelber ſeeliſch zu
mitſein, um das Problem auch der Erlöſung Fauſtens nachempfinden
können. Der, der ſich ſchuldig fühlt und doch nicht fühlt, der gehofft hat,
verzweifelt und doch noch hofft, der ſich ſelbſt nicht im mindeſten mehr
wichtig nimmt, dem wichtig nur noch die „Brüder“ ſind, der antwortet auf
das Teufelsangebot: „Dein ſei die Welt“ mit dem Gedanken: „Kann ich
dann meine AMacht für die Leidenden nutzen?“ und mit der Bitte an Gott:
„Verfluche mich, aber nimm mich als Opfer für andre“. „So bete mich
an!“, triumphierte Satan als Sieger. „An be ten Dich, den Böſen?“
„Den Herrn der Welt, der dich zum Herrn erhebt“. „Anbeten dich, den
Es Folge, was der Satan verlangt,
ja
aber bricht
darum ringt, ſeine Ewigkeit dem Böſen hingeben, das kann er, aber
er
ſehr
ihn anbeten, das kann nicht. Gerade aus den dunkelſten Dunkeln
er
68
bricht die Gottheit als Licht. Das Böſe in ihm machtlos, trotzdem und
iſt
-
weil ſich weiter als Sünder fühlt.
er
iſt
Verſteht ſich, das nur ein Löſungsverſuch, wie meinem Gefühl
er
entſpricht, andern wird ſehr widerſprechen. Fauſt ins Unendliche fort
er
iſt
ſetzbar, hat, irre ich nicht, ſchon Viſcher geſagt. Warum hat man ſeit
Erſcheinen von Goethes Zweitem Teil Fauſtens Geſtalt wohl noch
ſo
dem
verwendet, aber nie wieder auch nur den Verſuch gemacht, das
ſo
oder
das Fauſtproblem ſelber den Mittelpunkt einer Menſch
in
Fauſtſchickſal,
ſtellen? Der Zweite Teil verſperrte eben den Weg. Er
zu
heitdichtung
war reich an „Hineingeheimniſtem“, daß der Zeit vor all den Kommen
in
ſo
zu
taren ſich auch keiner recht ſicher fühlte, ihn ganz verſtehen. Und dann
die Gewißheit, als „Konkurrent“ mit Goethe verlacht
zu
werden. Viſcher
ſpricht davon. Er hat ſogar den Plan eines Zweiten Teils entworfen,
welcher den Erſten Teil fortſpann, einen geſcheiten und feinen Plan, aber
freilich einen, der mehr den Philoſophen und Kritiker Viſcher zeigt, als
den Dichter, und ſelbſt erklärt ſich auch völlig deſſen bewußt, daß ſein
er
Grundriß nur eine „poſitive Kritik des Zweiten Teils ſein könne“ und
er,
„Goethe“, „hat im Erſten Teil das Fragment
ſo
nicht ohne einzelne tiefe und große Gedanken, aber hier flach und matt,
dort verſchnörkelt, ſelbſt Grundverhältniſſen und Struktur vielfach ver
in
fehlt und lückenhaft.“ „Aber wer,“ meint er, „um aus dem Ganzen nur
das eine herauszuheben, führt den AMephiſtopheles neuen Situationen
in
auf und getraut ſich, die andeutende Skizze auszuzeichnen und auszumalen,
damit ſein armer Verſuch neben Goethes Bild als eine Aull, ein Aichts
daſtehe?“ „Aur das
es
Löſung bleibt. Ich möchte auch glauben, daß ſolche Bedenken den Dichter
gar nicht abhalten dürften. Er darf nicht aus Furcht vor dem lächer
lichmachenden Vergleiche mit Goethe ein Weiterwachſen des Fauſtſtoffes
Auch ein Verſuch, der das Gewollte nicht erreicht,
in
ich
bis ins Dunkelſte gruben, trat daraus plötzlich Geſicht auf Geſicht mir
vor, mit Freund- und Feind-Geſtalten, die Liebe und Kampf ſchier körperlich
vor mir darlebten. Da begab ſich dann alles wieder „ganz anders“. Alicht
nur, als Viſchers Plan, auch, als
in
Erſten Teil nehme als gegeben an. Es würde mir als ein Freveler
ſcheinen, ihn nicht vorauszuſetzen. Ein „Vorſpiel“ verbindet mit ihm.
all
Goethes Zweiter Teil dagegen mit ſeinen hohen, aber ganz andersartigen
Werten blieb mir fern, daß man keine Berührungen mit ihm, als die
ſo
da
wird man zunächſt mißverſtehen, wie man und dort ſchon nach einem
69
Privat-Vordrucke in meinem Kaiſerakt Anſpielungen auf Wilhelm II. und
Bismarck gefunden hat, obgleich mein junges Kaiſerlein mit Wilhelm II.
noch weniger Ähnlichkeit hat, als mein Kanzler mit Bismarck was viel –
Mein Spiel Es verſucht eine
ja
ſagen will.
iſt
kein hiſtoriſches Stück.
Tragödie von den Kräften, die der Menſchheit
in
zuſammenfaſſende
wirkſam bleiben. Dazu gehört für mich das Monarchentum nicht. Son
gehören dazu den „Begriffen“ nach vor allem: der Sucher (Fauſt
es
dern
ſelbſt), der Denker (der Profeſſor), der ſchlichte Fromme (der Bruder), der
Künſtler (AMichelangelo), der Adelsmenſch im engeren Sinne (der Aitter),
der Helfer (für Kunſt: der Principe, für einfaches Leben: der Schulmeiſter)
und der politiſche Lenker (der Kanzler). Aus all dieſen „Begriffen“ mußten
wo etwas Allegorie geblieben ſein ſollte, Gefäß für
–
Menſchen werden
Gedanken, nicht Organismus, den ſein eigenes Herz durchblutet, wäre mein
Spiel mißglückt. Und dieſe Menſchen mußten alle teilnehmen dem Kampfe
an
um Finſternis oder Licht. Das bedeutet zugleich: ſchon wenn mein Spiel
nicht dramatiſch ſein ſollte, wäre als Dichtung verfehlt. Sein
es
Schluß iſt, wie das „Vorſpiel im Himmel“, Myſterium. gelungen
es
Wenn
iſt, eines der Art, daß man Gott nicht aus eines Schauſpielers Worten ſelber
ſprechen hört, ſondern ihn mit ſchweigendem Eingreifen gegenwärtig
-
fühlt.
In
-
Aber eine Inhaltsangabe meines Spiels bringe
ich
nicht zuſtande.
haltsangabe, das heißt Kunſtdingen, wenn ſie weſentlich ſein ſoll: Angabe
in
ſo
ihn immer wieder nur mit den Worten des Kunſtwerks ſelber darſtellen
er
in
könnte.
meinem Stücke könnte gerade ich wohl nur ſchlechter umſchreiben, als jeder
Andre, der freundwillig, aber doch nicht als Mitbeteiligter herantritt. Stil
proben kennen die Leſer mit dem Michelangelo, mit dem kleinen Kanzler
ſtück, mit dem „Vorſpiel“ und mit den Helena-Sukkuba-Szenen im vor
liegenden Hefte.
Ichwidme mein „Spiel“: Den Werden den. Es iſt das Beſte, was
ich geben kann.
Aun aber lenkt, wir bitten euch, den Blick,
Ihr Freunde, weg aus Hoffen und aus Sorgen
Von dieſer Aeuzeit Mittag
und zurück
ihrem Morgen!
zu
.
.
.
.
.
.
ſein
ſo
.
.
.
7O
Loſe Blätter
Helena-Sukkuda
(Im Untergeſchoß des Kapitols. In der Mitte nach dem Hintergrund
zu der geſchloſſene Sarkophag. Eine doppelte Kette von Schweizergarden
ſucht das Volk zurückzudrängen, muß einmal weichen, drängt dann mit
den Hellebarden vor.)
Der Hauptmann:
ie Heiligkeit hat's doch befohlen: keiner
Darf weiter an den Sarkophag!
„Sie treiben,“
Sprach ſeine Heiligkeit, „Jöolatrie!
Schließ du den Deckel!“, ſprach der Papſt zu mir,
„Und ſchließ die erznen Türen ſtählern zu!
Das Götzenbild, das ſchaff ich dann beiſeit!“
Stimmen der Alm drä ng en de n:
(eine große, im Einzelnen unkenntliche Maſſe, aus dem Halbdunkel
rhythmiſch):
Ein Menſch noch aus der großen Zeit!
Jahrtauſendalt
- ein ſchlummerndes Weib!
Der Hauptmann:
Ei was, 's iſt eine Ceiche, gut erhalten.
Nichts weiter, ſeid ihr närriſch hierzuland?
Stimmen (rhythmiſch):
Ein Menſch, der Cegionen
ſah. . .
Der Rom die Völker beherrſchen ſah. . . .
Ein Weib, dem Cäſar ins Auge geblickt. . .
Eine Eöle, der ſein Haupt genickt. . .
Unſre Ahnin! Unſre Ahnin!
Der Hauptmann:
Sie ſind verrückt, reicht euch die Hände, Buben,
Feſt, wie daheim beim Cupffeſt in der Schwyz,
Und drängt ſie weg!
Stimmen (wie vorhin):
Römer ſind wir . . . die Zeit iſt reif. . .
Öffne die Augen, öffne den Mund,
Schreit in den Tag, erwachtes Geſchlecht! . . .
Wir ſehnen uns! Wir ſehnen uns!
(Die Schweizer haben die Menſchen hinausgedrängt. Man hört noch ein
mal, verklingend, das „Wir ſehnen uns!“ und „Die Zeit iſt reif!“ Dann
dröhnen die Tore zu und werden von außen verſchloſſen und verriegelt.
Halbdunkel. Stille. Der Marmor-Sarkophag im ſäulengetragenen Raum
im grauen Cicht mitten im Hintergrund. Plötzlich ſteht eine rot aus dem
Boden geſchoſſene Stichflamme da Mephiſtopheles.) –
Meph iſt op he l es (zum Sarkophag):
Du hörſt Zeit reif,
a iſt
es, deine
ſo
komm!
le Stimme:
H
s
e
IÄ
dies bei der Feinheit ihrer Verkehrsformen plump auffällig wird.)
M. ep h iſt op h e le s (erzählend):
a, ſeltſam,
nicht ? –
ſeit jenem Unglückstag
ſie und ſchlief. Der Herzog hat nicht Müh
Wloch Geld geſcheut um prima Ürzte doch . . . –
Nun: Griechenland iſt türkiſch, und ihr wißt,
Wie's Türkenärzte machen: durch den Vorhang
Die Hand, und daraus wird kuriert. Was ſoll
Solch ein Kollege können? Alſo gut:
Der Griechen herzog ſchreibt ins Morgenland
Um 'nen berühmten Arzt. So komm ich hin.
Und mir gelingt's: ſie tat die Augen auf.
GZ i n er :
Und war geheilt?
Meph iſt op he les:
Nicht ganz, denn das Gedächtnis
War weg.
72
Ein an dr er :
Verſchwunden das Erinnern
An alles, was ihr einſt geſchehn?
Mephiſtopheles:
Weg war's!
Ich hab auf Salamankas hoher Schule
Doch viel gehört, und der arabiſchen
Genoſſen Schriften kenn ich wie mein Wams.
Nichts drin zu dieſem Fall! Da hört' ich nun,
Daß hier in Rom, das ſelbſt ſchon ſo geſcheit,
Die alte Welt, die noch geſcheiter war,
Zum zweiten Mal lebendig wird. 's iſt klar,
So dacht ich, die geſiebteſten Geſiebten
Gibt's alſo dort: die konſultieren wir.
Der Herzog gleich dabei. Wir auf ein Schiff.
Doch leider: die erleuchteten Kollegen,
Sie ſagen: „ah!“ und „Gott, wie
iſt
ſie ſchön!“
Und ſchicken Blumen, Bilder, Gold und Verſe
Samt eingewebten Küſſen, aber aufs
Gedächtnis, ſcheint's, legen ſie kein Gewicht.
Pr in
3:
nicht
Die holdaufrankende, ſie ſchützten mich.
Sie iſt nicht Buhlerin, was iſt ſie, Arzt?
Wir ſuchen Schönheit,
–
in
doch!“
e
.
.
.
Mephiſtopheles:
Recht, wenn's an dem. (Sich beſinnend) Ich meine, edler Herr,
.
.
73
Prinz:
Arzt, ſpielt Ihr mit uns? ––
(Der Prinz wendet ſich verletzt vom Arzt. Helena kommt, mit Fauſt im
Geſpräch.)
H e le na:
Schwerfälliger, der immer wiſſen will!
Was habt Ihr denn vom Wiſſen ? Suchen, Jrren
Und dunkle Tat und Allerlei, wovon
Mir zu erzählenIhr nicht laſſen könnt.
Ihr's
iſt
Ließet endlich! Meine Welt licht,
Weil das mir fehlt, was der
da
heilen ſoll.
Vergeßt das Einſtmals und genießt den Tag!
Fa ſt:
u
iſt
Das Heute des Geſtern Kind.
le na:
H
e
Für Euch,
Nicht für den Freien. Frei iſt, wer beherrſcht,
Und frei das Heut, das keine Eltern kennt.
Fauſt:
Zwar ſchließt nicht jed' Erleben jeden Tag
.
.
.
le na:
H
e
Ich
in
aus,
es
glaube öran:
Du ſiehſt ja: iſt ſchön“.
es
le na:
H
e
Sie
74
Lächelt mich aus. „Erfreut es denn nicht viele,
Das goldne Käferlein?“ Ei. Tauſende!
„Uun gut, ſo tat's genug.“ –
Du, hat ſie recht?
3 weiter:
Hört, neulich ſah ſie grad mein neueſtes Bild:
Maria mit dem Kind. Ich hatte mich
Gar ſehr bemüht, daß keuſch es ſei und fromm.
Sie lachte: „Haſt du keinen luſt'gern Schatz?
Und meinſt du nicht, mit dem erfreuſt du mehr?“ . . .
Dritter :
Jch war dabei, als ihr der Kardinal
Die Stelle wies, da Kaiſer Wero einſt
Lebendge Chriſten angebrannt, als Fackeln
Zu leuchten. Ihre Antwort? „Eminenz,
Schön muß es ſchon geweſen ſein.“ Der Alte,
Der griff ſich an den Kopf.
Er ſter:
Pfui über ſie!
Empört dich das denn nicht?
Dritter :
Mich ärgert's ſchon.
Doch mußt du's richtig nehmen, ſie betont
Die ſchöne Seite, die der Bürger ſtets
Zu wenig ſieht. Und wir, bedenk, ſind Künſtler! . . .
(Sie gehn weiter. Der Kardinal mit ſeinem Sekretär.)
Ka r Ö in a l:
Ja, ich verſteh es, daß dieZeit Euch drückt:
Ihr ſeid ein junger Prieſter, und wer jung,
Der überſchätzt wohl ſeines Amts Gewicht.
Ihr kennt mich, wißt, ich bin kein Sprudelkopf,
Und wißt auch, daß ich guten Wollens bin.
So darf ich offen reden, wie zum Sohn:
Jch, Lieber, weiß bei recht viel Dingen, die
Die Bibel lehrt, nicht, ob ich glauben ſoll.
Was tut's? Ich überlaſſ' es Gott. Meint Amt
Begleit' ich trotzdem ernſt. Die Kirche, Sohn,
Soll Glück verwalten; all das Menſchenglück
Verwalten, wie die Bank, die Anvertrautes
Bewahrt und mehrt. Das Volksglück iſt der Glaube,
Die Kirche nutzt ihn aus zu tauſend Zwecken,
Zu Orönung, Zucht, zum Wohltun und zur Kunſt,
Sie zinſt dabei an jeden, der ihr traut,
Und hält und mehrt das arme Menſchenglück,
Daß es das Sterben noch verſüßt. Mein Sohn:
Iſt das kein nützlich Tun? Nur will's von uns
Ein wenig – nenn es ſo: Schauſpielerkunſt.
Das lernt ſich, und ich treib's. Das Unbekannte,
Das uns regiert, wenn's ein Bewußtſein hat,
So wird es ſagen: ja, ſo ſollteſt du. . . .
(Abgezogen.)
Die Griechin dort. Seh ich dies Weib, ſo denk ich:
Vor fünfzig Jahren hätt' man ſie verbrannt.
Sie ſpricht als Ketzerin, ſie wirkt als Hege,
Und ihr Begleiter hat vom Teufel was.
Ein ſchön und kluges Weib aus edler Raſſe,
Als halbe Heidin ohne Kirchenzucht
So ausgewachſen, daß die Frauenhand
Das kecklich bietet, was als Feuer wir
Wohl pflegen, aber nicht berühren! Gift
Fürs Volk, doch uns gedeihlich anzuſehn.
Den Kopf mach auf, doch ſchließ das Herz, mein Sohn!
Der noröſche Schwärmer da fliegt grad ins Licht.
(Sie treten zurück. Fauſt und Helena kommen.)
Fauſt:
Was bös und gut! Mach Leben lechZ ich, Frau,
Mach Ungelognem, Unverſtecktem, Un
Verſchleiertem, nach Spitzen klimm ich, die
Mach irgendeiner Richtung hin das Sein
Als Vorſtoß in das Nichtſein trieb . .
letzten .
H e le na:
So will ich und ſo lieb ich dich: den Mann,
Der mich bezwingen will, mich, wie ich bin,
Den Feind, der mich ergänzt. Komm, wenn es Macht!
Jetzt geh!
(Fauſt tritt zurück. Die andern ſammeln ſich nach und nach. Großartige
und geſchmackvolle Feſtbeleuchtung im Garten.)
Prinz (Anſprache an alle Gäſte):
Schutt der Jahrhunderte und armer Zeit
Kärgliches Baun –
der Ahnen Atem blies
Durch ihrer Enkel Mund die Seele örein,
Und die geborſtnen Säulen reckten ſich,
Der Mauern Reſte wuchſen aus dem Grund
Und boten nun aus Kirchen und Paläſten
Die ſtolzen Wände dar: hier nehmt und füllt
Mit Spiegelbildern ſie des leuchtenden
Geſchlechts von einſt! Doch blieben's Bilder, Bilder –
Bis eine zu uns trat, wie ſie im Rom
Der Alten ſelbſt noch angebetet wäre
Als Aphrodite –
Griechenfürſtin, du!
(Alle blicken zur Helena, die bezaubernd ſchön vor den andern daſteht. Der
Prinz macht einen Schritt auf ſie zu, um ihr den Kranz zu reichen. Plötz
liche Rufe:)
„Die Heiligkeit! Die Heiligkeit! Der Papſt!“
(Als er eintritt, ſenken alle ihm gegenüber ein Knie, nur Helena bleibt
aufrecht.)
Der Papſt (vor Helena):
Wie Oſterglocken vom Erſtanönen läuten,
So ſingt von deiner Schönheit Romas Tuft
Durch alle Fenſter, wie der Glockenſang
Zur Andacht zieht, ſo zog es mich zu dir.
Du biſt die Einzige, die ſich mir nicht neigt.
Du haſt ein Recht dazu.
76
(Er nimmt dem Prinzen
den Kranz ab und ſetzt ihn der Helena auf. Mach
einer abermaligen kleinen Pauſe der Betrachtung mit einer leichten ſegnen
den Gebärde ringshin:)
Erhebt euch, Freunde,
Entſchuldigt, daß ich eingedrungen bin.
(Alle erheben ſich. Schweigen.)
H e le na:
Ja, Papſt, ich grüße als Gleich zu Gleich,
dich
Den höchſten Prieſter höchſte Prieſterin.
Papſt:
Wo liegt dein Reich?
H e le na:
In allen Ländern, Papſt,
Auf allen Gipfeln, wo die Sonne ſcheint.
Die Wälder huld'gen dunkel zu ihm auf,
Die Wolken breiten ſich zum Fußkuß hin,
Doch Dunſt und Cärm verzittert und verſtäubt:
Anbeten mag man uns, beläſt'gen nicht.
Was niedrig, Papſt, iſt unſern Sinnen nur,
Wenn's uns erreicht, ſei's Jubel, ſei's Geſchrei,
Ein fernes Spiel –
wie du im Bühnenhaus
Eins lächelnd ſiehſt, zeig's Trauer oder Cuſt:
Es ſpricht zu dir, doch von dir ſpricht es nicht –
Die drunten, die betrifft's. Die drunten, ach,
Sie ſind ja da, ſie wuſeln und ſie krümmen
Sich müö nach ihrem Bröckchen Glück. Zu Zeiten,
Da freilich formt das Niedrige den Geiſt,
Das Viele, das in Coch und Gang ſich drängt
Am Mleben kleinen, und der Große dulöet's
Und ſpricht in ſeinem Sprächelchen mit ihm –
Wie Öu.
Papſt:
Wer biſt du?
H e le na:
Helena,
die Griechin,
So ſagen ſie. Ich ſelber weiß es nicht,
Die Schönheit haben an öre mich genannt,
Und wieder an öre auch die Wahrheit. Papſt:
Das bin ich jedem, was ſein Innres ſucht
Und nirgends findet.
Papſt:
Wann erſcheinſt du, Weib ?
H e le na:
Wann mich die Zeit gebiert.
Papſt:
Und dieſe Zeit
Iſt deine, Griechin?
B e le na:
Und die deine, Chriſt!
Die ein und zwei Jahrtauſende getrennt,
Die beiden Reiche finden ſich im Heut.
Wage zu herrſchen; heb mit leichter Hand
Den Fron der Tiefen auf zu deinen Höhn,
Und er wird Höhe.
Papſt (leiſe zu Helena, mit der er immer ſo geſprochen hat, als ginge
er auf ein künſtleriſches Spiel ein):
Holde, Manche ſagen,
Das Weib ſei niemals große Künſtlerin.
Du widerlegſt die Toren, komm heut Abend,
Ich bitte dich, zum Vatikan.
(zu den Verſammelten laut:)
Ihr Freunde,
Für dieſes feine Spiel nun meinen Dank
Durch eine Botſchaft. Hört ihn, den Beſchluß:
Vom deutſchen Geld, das für den Ablaß fließt,
Erheb' ſich nach der größten Meiſter Plan
In Majeſtät, wie nichts auf Erden ſonſt,
Der neue Dom. Und über des Apoſtels
Geweihtem Grab. wo Pfeiler, rieſenhaft
Gleich Felſen, doch als Felſen höchſter Kunſt,
Die Andacht auf zu Schwebehöhen tragen,
Daß ſie die ſüßeſte Muſik der Welt
Mit Engelsfittichen empfängt –
dort ſchwinge
Des Pantheons, des Heidentempels Kuppel
Die ewigen Sphären überm Chriſten dom.
(Verabſchiedung. Der Papſt geht. Alle folgen ihm. Die Bühne wird leer.
Nur Helena ſteht in ihrer Mitte.)
Fauſt (öer ſie geſucht hat):
Die Macht iſt da, jetzt biſt du mein, du Weib.
Helena (lächelnd):
Der wack're Principe erwartet mich.
Er braucht Geduld, und du auch brauchſt ſie, Freund:
Du weißt wohl nicht, der Papſt begehrt mich heut.
Fauſt:
Der Papſt? Und auch der Prinz? Und wer denn noch?
B e le na:
Wen meine Schönheit ſchön zu finden und
Mein Geiſt als geiſtreich zu erkennen liebt.
Im Heut das Heut, das Morgen morgen. Frei
Iſtnur öas Beute, dem das Geſtern fehlt –
Weiß ich denn, wen ich morgen lieben mag?
Fauſt:
Helena, biſt du Teufelin?
Helena:
Was iſt das?
Fauſt:
Zum Abſchluß, Weib!
(In aufſchäumender Wut ſticht er nach ihr. Der Dolch bricht ab. Durch
Helena geht ein Erſtarren. Eine Statue bleibt an ihrer Stelle. Mit
ſchallendem Gelächter tritt Mephiſtopheles hervor.)
Mephiſtopheles (zur Statue):
Da hock nun drin, du erzkokettes Cuder,
Und werd uralt, du brauchſt doch keinen Puder!
Brauſt du fortan nur heimlich deinen Dunſt,
So merkt kein Menſch, woher es hitzt, wenn's ſchwält –
Wer Schönheit ſucht, den fangt ihr weg mit Brunſt!
(Zu Fauſt:)
Das lob ich mir, Ihr habt noch Temp'rament
Und Ihr verſteht's, für Kunſt Euch zu begeiſtern:
Wär's nicht aus einem Extraſtoff gemacht,
Ihr hättet ja mein Püppchen umgebracht!
Ein Mördchenmehr –an Euch hat's nicht gefehlt,
Ei was, Ihr ſeid der Alte –
Hand her, topp! –
Doch ich, gebt zu, bin auch nicht zu verachten
Als Reiſemarſchall mindeſtens –
wo ſind
Die Knaben, die Euch derlei netter machten?
Sprecht, wollt Ihr Weiber? Schwarz, blond, braun und rot –
Ein Rieſenlager ſtell ich zu Gebot.
Wollt Ihr die Augen ſüß und fromm und ſinnig?
Die Tippen herbe oder dick und minnig?
Wollt Ihr Gemütsgeflöt und langen Zopf,
Wollt Denkmechanik Ihr und Tituskopf?
Debattenraſſel und Ideenaufſchnapper?
Mlein? Seufzerröhr' und ſanfte Augenklapper?
Zum Malen? Zum Beſingen? Kalt und ſteif?
Wloch Grünfrucht oder lieber überreif?
Jch liefre dem Herrn Doktor, was er mag,
Und ſpringlebendig friſch an jedem Tag.
Was Ihr nur ausgeheckt im heißen Kopf,
Koch ich Euch täglich gar in meinem Topf,
Und dächte doch, die Probe gäb mir recht:
Mlahmt Ihr mein Hexlein etwa nicht für echt?
In Muſter eins habt Ihr Euch prompt verliebt
Und ahnt noch nicht, was es da alles gibt!
(Fauſt ſchweigt.)
Ihr ſchweigt? Ei: die Affaire war fatal!
Mit mir im Bund paſſiert ſie nicht nochmal!
(Fauſt ſchweigt noch.)
Ihr mögt nicht? Hm.
(in anderm Ton:)
Herr Doktor Fauſte, ſag:
Gibt's zwiſchen uns nicht was wie 'nen Vertrag?
Fauſt (gewinnt die Kraft über ſich zurück):
Bis meines Lebens letzter Stundenſchlag
Verhallt, verpflichtet der Vertrag nur dich
Und pflichtet dich, zu tun, wie ich befehle.
Und ſo befehl ich dir kraft des Vertrags:
Ich willdich nicht, ſo ſchweig du jetzt und ge h!
(Mephiſtopheles wie ein Raubtier unterm Blick ſeines Bändigers. Ge
bäröen und Geknurr. Er verſchwindet. Vorhang.)
-
Vom Heute fürs Morgen
Aufrecht! machen und nichts verheimlichen, weil
in halbes Jahr Trauerzeit liegt nun wir unſre eignen Wrzte ſein müſ
ſen. Aber Lebenswille gehört zum Heilen.
iſt
hinter uns. „Trauerzeit“ ein
äußerlicher Begriff, „Trauerzeit“, das Und den brauchen wir uns nicht anzu
erinnert daran, wie lange einer die ſuggerieren; den können wir aus der
ſchwarze Binde am Arm trägt, was doch Er kenntnis ſchöpfen: wir ſind jetzt
ſehr wenig darüber beſagt, wie hell Krankheit entgleiſtes, aber ganz
in
ein
ihm ausſieht. Bei
es
ſeinem Weſen tüchti
in
in
oder dunkel unzweifelhaft
vielen von uns wird die Trauer um ges Volk. Sobald wir geneſen ſind,
Begrabenes, die Trauer auch um be ſind wir's wieder. Die Reueſchmerzen
grabene Hoffnungen bleiben, ſolange und Trauerſchmerzen waren Läute
wir leben. Trauer darf ſchon den Ein rungsſchmerzen. Mun wieder den Blick
zelnen nicht und wie viel weniger ein auf unſre Stärken! ANeue Aufgaben
Volk erſchlaffen, geſchweige denn, ſich ſind uns nicht nur für unſer Land und
erniedrigen laſſen. Lange nicht viele,
ſo
nicht nur fürs Deutſchtum geſtellt, neue
überhaupt.
es
es
–
es
Aeihe wird
wollen wir uns wieder ſehn, wie
zu
ſo
in
der
wir trotz alledem ſind. Jämmerliche Scheinherrlichkeit vor dem Kriege.
Politiker, die ſich ſchließlich ſogar ſel
iſt
„Das ein Glaubensbekenntnis.“
ber entwaffneten, aber ein unbeſiegtes Ja, nicht nur ein Beruhigungs-Wort.
Volk, das ſich vier Jahre lang gegen Und inſofern noch mehr als ein Glau
die Kraft von drei Vierteln der Erde bensbekenntnis, als durch ruhige
es
hielt, und das ſelbſt jetzt trotz aller Erwägungen und Beobachtungen rein
Leiden und aller Aiedertracht ſittlich ſachlich geſtützt wird. Davon ſpäter,
über ſeinen Feinden ſteht. Wo
iſt
ſchämen.
dieſer Krankheit jetzt, die mit Hunger Reichsregierung gelungen,
iſt
der
G
Freiwilligen-Truppen und
zu
ſtreuen und
ren Fiebern gleich, die ihren ganzen die geſetzgebenden Verſammlungen zu
Körper neu aufbauen. behaupten oder durchzuſetzen. Am
ſind wir krank, gilt es, März Straßen
iſt
ſehn,
unſerm „Spectator“ an der Haupt gebracht worden. Es gilt nunmehr, auch
Berlin dankbar ſein, die preußiſche proviſoriſche Aegierung zu
in
beobachterſtelle
ohne alle roſigen Gläſer
ſie
80
parallel mit denen im Aeiche zu ge Gewalt nur allzu leicht die Wieder
ſtalten, d. h. das Zentrum mit Sozial herſtellung der bürgerlichen Herrſchaft
demokratie und Demokratie zur Majori folgen könne. Machte man
ſie
für die
tät und Aegierung zuſammenzufaſſen. Mitwirkung von Politikern bei jenen
Das die Vorausſetzung verantwortlich,
iſt
geradezu Putſchen erklärten
ſo
jeder Möglichkeit von Ordnung und ſie wiederum, daß das nicht ſie, ſondern
wenigſtens relativer Sicherung der Kommuniſten ſeien, mit denen ſie
Es
zu
Zukunftswege. tun hätten. Durch Vorſchüt
iſt
nächſten aber nichts
Preußen bedeutend ſchwieriger als zung der verſchiedenen Aamen bewie
in
im Aeiche, weil beim Einzelſtaat die ſo ſen ſie derart jedesmal ein moraliſches
genannten Kulturfragen, d. Kirche und Alibi und blieben bei ihrem ceterum
h.
Schule, eine weſentliche Rolle ſpielen censeo, „keine Gewalt und kein Mili
und hier das Zentrum ſehr viel größere tär“, da deſſen Wiederaufkommen die
Schwierigkeiten findet, als im Reich. „Früchte der Revolution“ bedrohe. Ne
Mühſame und eindringliche Verhand gierung und Mehrheit traten ihnen
ſchlagend und ſcharf entgegen, Juſtiz
im
ſie
mit einer
und von Kirchen- oder Katholiken großartigen und energiſchen Nede
feindſchaft nicht entfernt die Rede iſt, nieder; im Lande aber bleibt ihr Ein
aber dafür die Prinzipienfragen fluß und ihre Agitation. Und wie
es
um
größere Schwierigkeiten machen. Und immer geht, den Wolken von links
ſo
zwar
vorerſt allein das Prinzip der Simul die Konſervativen unter der Führung
tan- oder Gemeinſchaftsſchule, was die des früheren Finanzminiſters Hergt
grundlegende Schwierigkeit ausmacht. ſehr verſöhnliche und ordnungsliebende
Eine prinzipielle Verſtändigung un Erklärungen abgegeben, aber die Stim
iſt
möglich; ob ein praktiſcher Kompromiß mung der Fraktion entlud ſich ähn
in
noch un
iſt
Unterſchriften
Gruppen für Loslöſung
15
daß indem
Das zeigt, daß der Finſterniſſe genug ſich für die Wiederherſtellung der
geblieben ſind. In der Tat entluden Monarchie erklärte, dieſe nur im Sinne
die dunklen Wolken ſofort nach der einer ſtreng demokratiſchen und parla
Eröffnung ihre Blitze, inſoferne die
zu
bekannte.
die Miederwerfung des neuen Auf kenntnis der Fraktion. Das kann nur
ſtandes lostobten, die Selbſtentwaff heißen, daß man die demokratiſchen
nung der Regierung verlangten und Strömungen auf die Seite der Reſtau
die Greuel der Spartakiſten als Un
zu
81
Parlament
iſt
liche. Denn von danur noch ein neben dem demokratiſchen
Schritt bis zur Beförderung
praktiſchen aufzurichten. Bei ungeheuren
dem
des Chaos und Elends, um von
da
aus Überwiegen der Arbeiterſchaft unter
erzwingen. So Syſtems
zu
dann die Umkehr den Wählern eines ſolchen
erzählt man mir aus Greifswald, daß und dem Ausſchluß der Beſitzenden
dort bei den Konſervativen die Herr wäre das die Fortdauer einer ver
ſchaft des Bolſchewismus die Parole edelten „Diktatur des Proletariats“.
ja
Die letztere
iſt
ſei, der auch die Großſtädte viel und bleibt eben das
härter treffen werde als Land und Stichwort der Revolution und ſteht
Kleinſtadt und durch allgemeine Ver dem demokratiſchen, alle Bürger berück
elendung dann wieder zur alten Ord ſichtigenden Syſtem entgegen. Sozial
nung zurückführen werde. In der glei demokratie oder Sozialdiktatur, Min
chen Linie liegt ein Artikel der „Deut derheitsherrſchaft oder Verſtändigung
ſchen Tageszeitung“; die Frage. Mar
iſt
benutzt einen der Klaſſen: das
er
an ſich nicht ſehr geſchickten Aufruf xens Büchlein über die „Klaſſenkämpfe
von Häniſch an die Studenten, um heute eine lehr
in
iſt
Frankreich 1848“
ſagen, die Freiwilligen hätten über
zu
reiche Lektüre.
haupt keine Arbeiter unter ſich; die Das ſind wahrlich Finſterniſſe ge
Wiederherſtellung der Ordnung aus nug. Sie werden vielleicht
ſei
in
ihrer
ſchließlich das Werk der Gebildeten und ganzen Bedeutung deutlich, wenn ich
Das heißt, der Sozialdemo eine Beſprechung einem Kreiſe von
in
Beſitzenden.
kratie am gefährlichſten das Bein ſtellen Patrioten und Politikern wiedergebe,
und den Unabhängigen das beſte Waſ der ich kürzlich beiwohnte. Der Vor
ſer auf die Mühle geben. Whnlich ſitzende, ein glühender Patriot, der
wirkt ein Artikel des unverbeſſerlichen aber ſtets für Beendigung des Krieges
Generals Keim, der aus Anlaß dieſer und billige Verſtändigung geweſen war,
Freiwilligen-Korps den „Militaris bekannte angeſichts des drohenden Frie
mus“ als den einzigen Aetter feiert, dens mit ſeiner fürchterlichen Ver
der Ordnung bringe und ſich wieder krüppelung und Entwaffnung des
zu
glänzend bewähre. Dieſe Leute können Aeiches ſich einer völligen Verzweif
nicht ſchweigen und ihren Haß wenig lungspolitik; man ſolle ſich mit den
ſtens einige Zeit Auſſen verbinden, das ganze Bürger
in
ſich verſchließen.
tum opfern, Deutſchland zum Herd des
ſie
ſo
–
die Luft
in
ſelbſt und zugleich das mit ſich ſelbſt die tückiſche und teufliſche
Welt der Feinde den Abgrund ſtürzen;
in
Ganze.
ohne Wert und Hoff
ſei
ſo
Sowjetſyſtem von neuem auf
es
ſteigen. Aun ſind wieder Wahlen für Dazu bemerkte ein anweſender Diplo
mat: ähnliche Dinge würden Frank
in
einen neuen Zentralrat ausgeſchrieben,
deſſen Wahlmodus techniſch ganz un reich erwogen mit umgekehrtem Ergeb
klar und verworren iſt, deſſen Wähler nis; für die größte Gefahr halte man
aber jedenfalls auf die Leute unter dort eine Veredelung und Milderung
000 Mark Einkommen Deutſchland, da
in
10
den, und
ſo
möglich iſt, das Räteſyſtem als wirt nung dem Bolſchewismus völlig und
ſchaftliches und berufsſtändiſches Syſtem hilflos auszuliefern. Dazu bemerkte
82
ein Dritter, ein bekannter Ken
–
dann hat er's gekauft für werd' ich'm
4
ner Rußlands, der heute noch Be bieten 2!“
ziehungen dorthin hat, daß in Außland Den Verhältniſſen entſprechend et
ſelbſt der Bolſchewismus am Verhun was anders die Entente. Von Tag
ſei; die Tag werden uns neue Friedens
zu
gern Bauern
beſäen nur mehr
den nötigſten Boden, weil ſie nicht für bedingungen angedroht, eine immer
Aäuber arbeiten wollen; da drängen gruslicher als die andre. Auch die
die Banden nach Deutſchland, wie die Hälfte wäre noch unannehmbar. Aber
Heuſchrecken aus dem abgefreſſenen Ge darin liegt der Sinn der Drohungen.
biet; die ſog. rote Armee aber Man vervierfacht, was man will, da
ſei
eine
richtige und gute Armee unter Führung mit das Viertel als guter Friede er
der alten Generale und bereite den ſcheine.
Weltkrieg gegen die Entente vor, wo In der Tat meldet die engliſche
Preſſe, daß die Befürchtungen Deutſch
zu
H.
bedarf, und das führe wieder Franzoſen lands um 50 übertrieben ſeien.
v.
und Engländer dazu, Deutſchland vor Das wäre alſo bereits die Hälfte.
her völlig zu erdroſſeln. Zu Anfang hatten die Drohungen
Das alles im Zeichen des Völker ihren Zweck erreicht. Jetzt, wenn ich
bundes! Frankreich handelt auf Grund recht ſehe, beginnt eine leiſe Stim
eines Sieges, den
es
Denn
der Diplomat alten Stils gegen die ſieht man allmählich immer klarer, daß
Völker und wie der Großinquiſitor des
es
es
nun doch nicht gehen wird. Daß
Deutſchland um Ae zwar uns ſchlecht genug gehen wird;
da
zankt man
in
publik oder Aeſtauration, um Parti aber der Entente nicht viel beſſer,
ſo
kularismus oder Unitarismus! Wir meint. Schon weil, wer nichts
ſie
als
ſind im Elend und zerfleiſchen
zu
Ungarn.
in
gewinnen. Aber
–
nung wieder
Jetzt kommen wir dran. Das
iſt
um auch heute wieder mit einer Frage bitter. Denn einerſeits ſind wir nicht
–
fehlgerechnet.
Sp ct tor
auch. dennoch
die Rechnung des Beſitzen
iſt
es
a
Denn
e
ſo
6,
es
wert
ſo
ſo
8
„Strafe“
SÄ
Anſicht dank Wilſons Einfluß oder
Wir unterſcheiden zweierlei dank einerrechtzeitigen Erkenntnis der
„V-Strafe. Die Strafe des Geſchicks Folgen für die Zukunft dennoch irren
– ſagen wir: Gottes oder ſagen wir: und ein ehrlicher Völkerbund zuſtande
der Weltgeſchichte, aber der eigent kommen möchte. Im Vollſinn halte
lichen inneren, deren Spruch immer ich das für ausgeſchloſſen. Denn:
erſt nach Jahrhunderten oder noch „Über die ganze Erde hin ertönt das
ſpäter deutlich wird –und die
„Strafe“, die zu vollziehen die Über
Klirren der abgeſtreiften Ketten. Die
gefeſſelten Aationalitäten riefen uns
macht ſich den Schwächeren gegenüber aus der Tiefe ihres hundertjährigen
Hilfe“, wie der Cicero Poin
zu
das Recht zuſpricht. Kerkers
Im erſteren Sinn wiſſen wir vieles „Aiefen
–
caré
ſo
ſchön deklamiert hat.
–
uns die Alliierten!
zu
anzugeben, wofür wir Strafe verdient Hilfe.“
haben. Mir hat die ganze Kriegszeit Alſo nur die „Gefeſſelten“ im Lager
über die Geſchichte des Kriegsausgangs der Mittelmächte riefen und werden
in
vor zweihundert Jahren nicht aus dem befreit, während die andern ihren
Sinn kommen wollen. Damals hatten „Kerkern“ bleiben. Und wer glaubt,
England, Holland und Deutſchland über wird? Vielmehr werden
es
ſo
daß nicht
Frankreich geſiegt. England, das ſich für all die gefeſſelten
Völker drüben
an Frankreichs Kolonien ſatt gegeſſen von Irland bis Indien neue, feinere
hatte, erklärte ſich befriedigt. Deutſch und feſtere Ketten geſchmiedet. Immer
land und Holland konnten einen vor hin, Wünſche ſind frei und ich wünſche
alſo, daß meine Prognoſe falſch oder
ſie
in
hinein. Seit der Weltkrieg von unſern iſt, daß wir Würde bewahren und
Alldeutſchen aus dem Verteidigungs nicht mit unſrer Zuſtimmung
krieg, der geweſen war, einen Elſaß ohne ſeine eigne
in
er
das deutſche
Eroberungskrieg umgearbeitet war, gab Abſtimmung ausliefern und die uns
ver
zu
keine Möglichkeit,
es
ja
übergroße
es
die muß einen
mitſamt der leider ſchwachen Regierung geben, dem Zwang als Zwang zu
wollte den Verſtändigungsfrieden, die weichen, ohne eine Gerechtigkeit darin
Eroberungswütigen, die „Siegfriedens“ anzuerkennen. B on US
leute, machten ihn aber unmöglich.
Daß dieſe Stimmung aus unſern herr Volksabſtimmungen und Volks
ſchenden Kreiſen nicht weichen wollte, beſtechungen
daß wir ſie nicht auszutreiben ver Jahr großen
D#
1797 brachte einen
mochten, das war eine Schuld, und Aufſtand der Iren. Er wurde blutig
für ſie muß unſer Volk die Strafe des niedergeſchlagen, und Pitt faßte als
Ausweg aus den Schwierigkeiten den
Jr
Schickſals hinnehmen.
Schließlich haben wir doch ver Entſchluß eines für England und
es
werden konnten.
Dafür, daß Alli Mil
–
ſtraft“? den
ierten geglaubt hat. Dafür wird lionen Mark dafür aus. So kam die
Deutſchland tatſächlich „geſtraft“ Union mit großer Mehrheit zuſtande.
–
und manche werden ſagen: mit Aecht. Es kommt bei allen Beſtechungen
Ich habe aber zwei Wünſche: auf die gute Art an. Heute bietet ſie
Der erſte natürlich, daß dieſe meine ſich von ſelbſt. Alles Volk, das ſich
81
von Deutſchland losſtimmt, wird auto Viel größere Gegenrechnungen noch
matiſch frei von
Kriegsentſchädigung,
den
es ſie
iſt
an der Donau. ſich es, daß ſie uns nicht offen und
nicht ganz verrechnen, ſoweit auf geradezu genommen, ſondern von den
Abſtimmungen unſerm Aamen,
in
die augenblicklichen Intereſſenten nur
durch Hunger und Darben Erkrankter unſern Gunſten ver
zu
aber nicht
und Erſchlaffter ankommt. waltet werden ſollen. So kann man
Immerhin hat die Sache denſelben uns doppelt zahlen laſſen.
Pittſche Be Wir haben gewiß keine Aus
ja
Haken, den ſchon die
ſtechung hatte. Man ſchiebt mit ſolchen ſicht, dieſe unſre Gegenrechnungen an-.
Mitteln die Fragen hinaus, aber löſt
zu
erkannt ſehen. Aufgeſtellt müßten
nicht. Die iriſche Frage
ſie
iſt
ja
das
Wie auch heute ſtimmten Entwicklungsbedingungen auch
in
keiten vermehrt.
der Angſt vor Kriegslaſten und Un politiſch noch bedeutſam werden kann.
Den ungerechten Anſprüchen der Feinde
in
kommt Europa im nächſten Zeitalter und klar, für möglichſt jeden nach
kaum mehr. Aach einiger Zeit werden rechenbar. Iſt das vorbereitet?
Fragen Taufkirchner
in
AÄ
Zur Kriegs-Gegenrechnung hätte, ſcheint im Graus dieſer Tage
Es
iſt
zu
zu
völlig gerecht. Aur haben auch wir uns liegt, aufzuklären, ohne einer
zu
welche
und welche noch an ihren Folgen richten: das waren die kargen Bauſteine
ſterben werden. Das wären allein acht für ein Gebäude von Mutmaßungen
Milliarden Dollar, nach Vorkriegs über die wahren Gründe des Abgangs.
rechnung Um mehr fanden dann ſpätere und
ſo
85
gingen, während man auf kaiſerlicher Kaiſers zeigte Zwiſt
in
des ſich dieſem
Seite ſchwieg. ſtark,Bismarck dadurch
ſo
nicht daß
Da erſcheint nun dieſer Brief, tief verletzt wurde; die Verſicherungen der
erſchütternd für jeden, der nicht ganz Verehrung, der ſchonenden Behand
das Gefühl für die Tragik gefallener lung, des begütigenden Entgegenkom
Größen verloren hat, und reich an wich mens erſcheinen durchaus glaubhaft.
tigen Aufſchlüſſen. Man kann nicht Die Dinge lagen ſo, daß einer von
ſagen, daß er ganz Aeues brächte, aber beiden weichen mußte.
im einzelnen enthält er ſo viel Unbe Das Sachliche war eben mit dem
kanntes und Aufklärendes, daß die Tat
zu
Perſönlichen ſtark gemiſcht. Der
ſachen nun doch in einem andern Licht Kaiſer will den weiteren Ausbau des
erſcheinen. Arbeiterſchutzes, Bismarck will die Ge
Iſt der Schreiber befangen, ſtellt fahr des Sozialismus, der all ſeinen
er, gereizt und gekränkt, die Vorgänge, Aepreſſivmaßregeln getrotzt hat, mit
wenn auch unabſichtlich, übertrieben Gewalt bekämpfen. Zugleich empfindet
und parteiiſch dar, vielleicht um ſeine der Kanzler eine gewiſſe Eiferſucht
Handlungsweiſe zu rechtfertigen? AMan gegen „den jungen Mann“, der ſich
wird das kaum behaupten können; die von ihm löſen und eine bedeutende
Darſtellung überzeugender Aufgabe ſelbſtändig durchführen will.
iſt
von
Wahrhaftigkeit, wenn auch natürlich Er verſucht das oft erprobte Mittel,
ſubjektiv. Hat der Schreiber An mit ſeinem Abgang drohen, und
zu
in
in zu
ſehung des Empfängers gewiſſe Dinge ſieht ſeinem Wrger, daß man, wenn
verſchwiegen, ſo, wenn gleich an ſchonender Weiſe, darauf ein
er
auch
er,
fangs bemerkt, daß keine Frage der geht. Aun erklärt doch bleiben
zu
zu
auswärtigen Politik mitgeſpielt habe? wollen, um die Miniſter ärgern,
Man hat doch immer auch die ruſſi die zu frohe Geſichter gemacht haben.
Angelegenheiten herbeigezogen, In Wahrheit will abgehen,
er
ſchen nicht
beſonders, Bismarck ſelbſt die Be
da
ſeinem Entlaſſungsgeſuch erwähnt hat. den einzigen, der ihn dazu zwingen
möglich, daß Wilhelm II. kann. Sein Dämon kennt keine Gren
ja
Es
iſt
hier davon nichts ſagen mochte; aber zen mehr; der große Meiſter will ſein
eine weſentliche Rolle haben dieſe Fra eignes Werk zerſchlagen, das Uhrwerk
gen nicht geſpielt. Dagegen die ſo zerſtören, das ſeine hohe Kunſt ge
iſt
ziale Aeform mit Recht als Hauptgrund fertigt hat. Sein Wort: „Es muß
des Bruchs bezeichnet, wozu dann ſpä im Lande eine ſolche Verwirrung herr
ter „die vom Juden. Bleichröder in ſchen, daß kein Menſch mehr wiſſe,
ſzenierte Entrevue“ zwiſchen Bismarck wo der Kaiſer mit ſeiner Politik hin
und Windthorſt erſchwerend hinzu kam. aus wolle“, zeigt eine erſchreckende Gei
Aufs ſchärfſte aber treten nun die ſtesverfaſſung, der die perſönliche
in
alles allein
er
von Berlin fernzubleiben, ſein Wille zur ſeiner Politik geſcheitert ſei, als Titan
Macht, und ſich er endigen wollte, wie begonnen:
zu
er
der Macht
in
er
halten, ſein tyranniſches Weſen gegen habe durch eine Art Staatsſtreich die
über allen Miniſtern, aufs Reichsverfaſſung lange aufheben
er
die
ſo
äußerſte ausnützte und dabei jeder wollen, bis das, was als ſeinen
er
er
kraten zuſammengeſtoßen, die auf die Hypotheſe wird durch den nun ver
Dauer nicht nebeneinander herrſchen öffentlichten Brief jedenfalls eher be
konnten. Aber die Eigenwilligkeit ſtätigt als widerlegt. „Der Fürſt, von
86
Kampfesluſt beſeelt, bereitete im ſtillen, die jenen ſozialen Anfängen folgenden
zum Entſetzen der Eingeweihten (welche Neden und Taten bewieſen, daß ihn
mögen das geweſen ſein?), eine Kam kein ſozialer Wille, kein wirkliches ſo
pagne gegen den neuen Reichstag vor. ziales Bedürfnis oder Verſtändnis lei
Alle ſollten geärgert und geprügelt, teten. So etwas durchſchaut ein Mann
erſt die Kartellparteien abgetrumpft, wie Bismarck. Ein Mann wie Bis
dann die Sozialiſten gereizt werden, bis marck erkennt auch die politiſche Unzu
der ganze Aeichstag in die Luft flog länglichkeit, die auf Preſtige, Theater
und S. M. nun doch gezwungen werde, und Prachtentfaltung gerichtete AMache.
nolens volens zu ſchießen.“ Das Gehört dann ein perſönlicher ANacht
Sprengen des Reichstags war danach
zu
wahn dazu, verhindern wollen, daß
das Ziel, nicht die Auflöſung (denn das Land Abgrund regiert
in
den
Aeuwahlen hätten keine andre Zu werde?
–
II.
ſammenſetzung ergeben) nur die Dann aber: Wilhelm hat durch
Sprengung ließ ja auch einen Aufruhr ſeine ganze Aegierung bewieſen, daß
befürchten, der blutig unterdrückt wer die Dinge einer Weiſe falſch ſah,
in
er
den mußte. die nicht erlaubt, eine einſeitige Dar
Der letzte Abſchnitt von ergrei ſtellung von ihm als zwar ſubjektiv,
iſt
fendem Schmerz: „Der Mann, den ich aber doch der Hauptſache wahr an
in
ſie
mein lebelang vergöttert, für den ich Zumal wenn
ſo
zuſetzen. deutlich
im Elternhauſe wahre Höllenqualen auf Hilfewerbung angelegt iſt. Der
moraliſcher Verfolgung ausgeſtanden“ Brief, dann ſpäter Franz
er
in
dem
als furchtbar haben wir doch nicht Joſeph geradezu um Abweiſung Bis
–
ſo
die Gegenſätze zwiſchen Bismarck und marcks als eines unbotmäßigen Unter
Kaiſer Friedrich erkannt, auch nicht tans bittet, erlaubt auch nicht, das kai
daß der junge Wilhelm ſerliche Schweigen als ein „vornehmes“
es
gewußt,
war, der nach dem Tode des Groß anzuerkennen. Bonus
vaters die Entlaſſung Bismarcks ver
„den Zorn Zwei Anmerkungen zum Parlament
er
löſchlichen Haß ſeiner Mutter“ auf ſich Geiſt machen, glauben ihn dadurch
lud. Welche Abgründe tun ſich
da
zu
was
Miniſter, der ſie mit Gewalt löſen eine Idee, die möglichſt noch nicht da
will, und ſein Kaiſer, der das Odium geweſen iſt! Aber dieſe ſozialiſtiſche
der Entlaſſung auf ſich nimmt,
ja
um
es
ſind
an ihrer friedlichen Löſung arbeiten zu Wahr
–
kannten Geſichter, bekannten
können beide ſtürzten über dasſelbe heiten. Aur
allzu bekannt, nur allzu
zu
Hindernis, das ſie nicht beſeitigen wahr. Aber nichts erfriſchend Aeues.
vermochten. Die Aevolution, die der Kein Sturm und Drang. Keine über
Eiſerne Kanzler nicht ſcheute, der junge quellende Begeiſterung.
Fürſt durchaus verhüten wollte, ſie Ganz recht, ganz gut. Aber ſagt,
entthronte den Kaiſer, wie ſie das Werk was ihr eigentlich wollt! Den Aauſch
ſeines großen Miniſters zerſtört hat. einer allgemeinen Geiſtexploſion ge
Berlin chard Sternfeld nießen? Oder dem Volke helfen? Ein
A
i
zeihung!
-
87
gen Phraſen vom philiſtröſen Mehr AMann begeiſterte Zahl ihn ins Parla
heitsſozialismus drehorgeln, um ein po ment bringen. Er mochte dann die
ſitives Programm erſuchen. Und ſehen, etwa überzähligen Stimmen weiter
was dabei herauskäme. Man würde geben nach ſeiner Wahl oder wie man
bald bemerken, daß der Geiſt, wenn mit dieſen Stimmen ſonſt weiter fahren
er bauen will, Maſſe haben muß, um wollte. Man wendet oft die Um
ſo
verbauen. Sogar willige Maſſe, als Gegengrund ein. Iſt
ſie
zu
ſtändlichkeit
die mit ſich bauen läßt. das Verfahren wirklich gut,
ſo
ſcheint
Alſo Zügel dem allzu luftigen mir die Umſtändlichkeit bei der Wichtig
Ideenflug! keit der Sache kein Gegengrund. Ob
Wir brauchen jetzt nicht noch mehr man das Ergebnis eine Woche früher
explodierenden, wohl aber ruhig bauen oder ſpäter erfährt, macht ſchlechter
den, ſich einfügenden, entſagungsfähi dings gar nichts aus. Bonus
gen Geiſt, und vor allem brauchen wir
etwas mehr knetbare Maſſe für dieſen Mehr Obacht gegen das Verhetzen im
Geiſt. Arbeitender Geiſt ſetzt Maſſe Innern!
voraus, wie auch
erſelbſt um der
beit willen ſich muß zügeln und ſogar
Ar
UÄ gegen Verketzerung
Blatt hat
lange
es
gearbeitet, mit
ſo
ſich
fügen können. ſolchen Fragen überhaupt beſchäftigt;
es
Eine andere Frage iſt, vor dem Kriege insbeſondere
ob
iſt
trotz der
unſerm Volk, die eben Sozial
in
demokratie
ſich hinkreiſchen, nicht doch erheblich viel ſelber von rechts her verketzert worden;
mehr organiſationsfähiger Geiſt or– hat alſo ein Recht darauf, jetzt
es
ganiſationsfähig im aktiven wie paſſi auch vor Verketzerung von links her
–
zu
ven Sinn aus Deutſchland hätte warnen. Sicher, das Verketzern
herauskriſtalliſiert werden können für von rechts her geht auch jetzt weiter,
eine arbeitsfähige Aationalverſamm es treibt ſogar ganz tolle Blüten, muß
lung. man das aber auf der Linken nach
ahmen? „Ja“, ſagt man dort, „wegen
da
Beziehung gefaßt hatten. Wie wenige treibt ſie auf beiden Seiten weiter.
davon finden wir im Parlament wieder! Beiſpielsweiſe: der Abgeordnete von
Ja, wo ſind ſie und wie hätten Kardorff hat
in
einen
Zug von Menſchen, die ihn erkennen,
zu
er
Haus was
hältnismäßig kleine, aber für ihren Vorgange gemacht worden! Da Luden
88
dorff ſelber einen Prozeß gegen ſich das ausführte: die Strafkammer habe
verlangt hat, ſo mache man ihn, da die Beſtimmungen der Aeichsgetreide
mit alles geklärt wird, erweiſt ſich ordnung nicht verkannt, wenn ſie davon
dann, daß er ein Staatsverbrecher iſt, ausgehe, daß die nach der Aberntung
ſo handle man danach, vorläufig aber eines Feldes durch Whrenleſung von
nichts gegen ihn bewieſen, und gewonnenen
iſt
in
gefehlt
er
ſo
wenn ſtehen doch auch deſſen
weiß Gott gewaltige Leiſtungen auch der Beſchlagnahme ergriffen blieben.
auf ſeinem „Haben“-Konto. Wie kann Hieran könnten auch die Hinweiſe auf
man eine Haupt- und Staatsaktion die Unbilligkeit, die ſich aus allzu
daraus machen, daß die ihn für ſchuld ſtrenger Handhabung des Geſetzes im
los halten, unſern neben Hindenburg Falle der Verwendung nur ganz ge
bedeutendſten Feldherrn auch mit Dank ringfügiger Getreidemengen ergeben
barkeit er ehren? Wir haben uns würde, nichts ändern. In
ſolchen
v
bisher dem Kaiſer und den andern Fällen würde die Möglichkeit einer
„Gefallenen“ gegenüber beſonnener ge Beſtrafung ſchon im Hinblick auf die
zeigt, als das ein Volk ſlawiſchen aber Gutgläubigkeit des Täters ausſcheiden.
romaniſchen Blutes Die Tatſache, die Angeklagte
in
dabei nicht bleiben? Und was noch verbraucht oder verfüttert habe, recht
hundertmal wichtiger: wollen wir den fertigte ihre Beſtrafung nach der
Gedanken an eine Demokratie auf Aeichsgetreideordnung, wonach beſtraft
wer unbefugt beſchlagnahmte
in
ÄÄ
eide
blatt, aus Ar. 65 der „Rheiniſch Leſer des Kunſtwarts wiſſen,
Weſtfäliſchen Zeitung“ faſt unmit was „Ratgeber“ iſt: eine
in
der
telbarer Aufeinanderfolge: Sammlung von Aufſätzen über einzelne
„Düſſeldorf, 22. Jan. Zum Aachteil Gebiete des ſchönen und des wiſſen
des Preß- und Walzwerks Düſſel Schrifttums,
in
in
ſchaftlichen welchen
dorf-Reisholz hatte der dort beſchäftigte ſyſtematiſch die wichtigſten alten und
Maſchiniſt Antonwie der
Böſing neuen Bücher des betreffenden Ge
-
vom
zember, da die Eigentumsvergehen ſchmales Kunſtwartheft, vor zehn Jahren
einer Aotlage entſprungen und nicht ein dünner Band von 150 Seiten,
iſt
aus gewinnſüchtigen Gründen erfolgt der Ratgeber nun ein tüchtiger Wälzer,
ſeien.“ mehr als 500 Seiten großen Formats
„Dresden, 20. Jan. Eine Frau hatte und kleinen und engen Satzes ſtark;
abgeernteten Roggenfeldern damals umfaßte ganz
er
etwa 60 Pfd. Korn daraus gewonnen. vielleicht 15000 (nur Büchertitel); einſt
Abteilungen ins Leben,
40
Jahren waren
es
nach zehn
Unterabteilungen,
32
Sie
iſt
47
89
ſolche, die ſich „ein gutes Buch“ kaufen (gebunden 16) Mark
14
obwohl
er
ſchon
wollten. Er ein Wachſchlage hoffen wir, das Un
iſt
jetzt koſtet. Trotzdem
zu
werk, das für fremde Gebiete auch ternehmen am Leben halten. Eine
der Fachmann, als Ganzes der Biblio neue Auflage allerdings, die wieder er
thekar mit Erfolg benützt; und weitert werden müßte, wollen wir nicht
iſt
er
-
ein Leſe- und Lernbuch für den Ge ſofort folgen laſſen, ſondern zunächſt
bildeten ſchlechthin, der den Rat und uns mit Aachträgen begnügen. Erſt
die Sachkenntnis der Fachleute nicht wenn andere Verhältniſſe eingetreten
verachtet. Wir Mitarbeiter wünſchen ſind, können wir abermals an Erweite
ihm jedenfalls auch Leſer, nicht nur rung und Vertiefung des durch alle vier
Benutzer. Wer etwa raſch wiſſen Kriegsjahre hindurch neu bearbeiteten
will, welche wichtigeren und was für Buches denken. Eins aber erkennen wir
Bücher über Armenien, Brückenbau, heute ſchon: für das berechtigte Be
Intelligenzprüfung, Geſchichte der Bo dürfnis derer, die nur ein allgemein
tanik, Kriegshygiene, Opernregie, Luſt verſtändliches „gutes Buch“ empfohlen
maximum, Radioaktivität, AMoga oder haben wollen, und für die allerweite
Zollſtatiſtik vorliegen, braucht nur mit ſten ratbedürftigen Kreiſe des Volkes
Hilfe des Regiſters der Aatgeber ſeiner jetzigen Ge
in
iſt
nachzuſchlagen.
Aber der Ratgeber auch darauf ein ſtalt, die immerhin Anſprüche an den
iſt
gerichtet, dem Gebildeten einen Begriff Leſer ſtellt, kaum mehr geeignet. Wir
etwa vom Weſen des Katholizismus, planen darum eine Art Volksausgabe,
der Bevölkerungstheorie, der gegen einen Ratgeber, wie wir ihn früher
wärtigen Zoologie, der rechtswiſſen hatten, der nur die Gebiete allgemein
ſchaftlichen Literatur, der Anthropo ſten Intereſſes und nur allgemeinver
ſoziologie, von der Problematik der
–
ſtändliche gute Bücher umfaßt.
Pſychologie, von der Lage der Lite Die Ratgeber-Unternehmungen des
ratur- oder Muſikwiſſenſchaft, von der Dürerbundes, aus kleinen Anfängen
Bedeutung und Syſtematik der Moral hervorgewachſen, ſind nun ſchon eine
philoſophie oder von der Möglichkeit ganze große Abteilung der Dürerbund
Aatgeber, Jahres
zu
Zweige der älteren und neueren deut heute verbreitet ſein. Hoffentlich können
ſchen Dichtung, knappe Beſprechungen der wir zehn Jahren von Millionen
in
6
geſamten franzöſiſchen, italieniſchen, eng berichten. Den neuen „Aatgeber“ aber
ſchen, ſkandinaviſchen, antiken uſw. Lite kaufe ſich ſchnell, wer ihn haben mag,
ratur. Für Bühnenweſen und bildende denn trotz ſeiner großen Auflage wird
Kunſt, Aufſatzſammlungen, Lexika bald vergriffen ſein, und dann wird
er er
u.
v.
im Buchhandel fehlen.
a.
AMan
hat ſchon früher geſagt: Kein anderes Für den Dürer bund:
Volk beſitze ſolch ein Werk wie dieſes Wolfgang Schumann
Aur
in
in
geſtaltet, als beſondere Aatgeber-Schrift. und der Sieger nahm ſich ſeinen
90
Lohn . . . ungefähr haben die Ber
So geflügelte Wort vom „Toujours per
liner Theaterund ihr Publikum mit drix!“ geſchlüpft iſt. Ob nicht ſchließlich
der Revolution, mit der Staatsumwäl auch dem immer neu verliebten König
zung, mit der neuen Zeit geäugelt. Und die Gerichte des Eros widerſtanden, ver
haben das Spiel verloren ach, wie– ſchweigt die Höflichkeit der Geſchichte;
bald! Es war ihnen doch wohl zu un andernfalls hätte man im Büchmann
gemütlich auf die Dauer, einem ſolchen vielleicht leſen können: toujours amours
Partner ins Antlitz zu blicken; er oder toujours amourettes! Und das
machte auch gar keine Miene, ein
ſo wäre dann ein vortreffliches Motto für
wenig freundlich dreinzuſchauen! Da das Don-Juan-Drama geweſen, das
beſannen ſich die andern auf ihr altes Thaddäus Rittner, ein nach
Faſchings- und Frühlingsrecht und for Öſterreichiſch-Polen verſprengter Aach
derten Unterhaltungen, Spiele, Spie komme der provençaliſchen Trouba
lereien. Das tapfere Kleine Theater doure, ſeinem „Baron“ auf den 3ärt
unter den Linden machte noch einen lichen Leib geſchrieben hat. Glückliches
Verſuch, es ernſt zu nehmen Land, das oder gleich nach dem Welt
in
ernſten
mit der bitterböſen Zeit, und führte ein kriege einen ſolchen von allen Zeit-,
regelrechtes Revolutionsſtück auf, mit Aahrungs- und Vaterlandsſorgen ent
einem ſozialiſtiſch geſinnten Studenten laſteten Aur-Erotiker hervorbringen
an der Spitze, der es mit ſeiner Über konnte! Er hat ein Landgut, dieſer Ba
zeugung und Sache ſo heilig ernſt ron, aber
da
ſcheinen ſtatt der Kälber
meint, daß er aus den Konflikten des und Hühner nur Liebesgötter aufgezo
zu
Herzens und des Charakters, in denen gen werden; hat einen Gutsſekre
er
er ſich verfangen hat, keinen andern tär, der Herr Baron, aber der ſcheint
Ausweg als den Selbſtmord weiß. nur über alte und neue Liaiſons Buch
Aber dieſer „Revolutionär“ zu führen; hat einen Bruder, der
er
Wilhelm Speyers hat nur ſeinen Herr Baron, und der Gynäkologe,
iſt
zu
vorübergehenden Wohnſitz in Leipzig, aber kriegt nichts tun, denn
er
ſo
Außland,
es
iſt
Wahrheit noch von ihrer objektiven andern die Früchte, die doch meiſt
Aotwendigkeit: dieſer zwiſchen den Raſ ſauer ſind! Und wenn wirklich einmal
ſen und Aationen ſtehende junge Herr, das ganz gemeine bürgerliche Gewiſſen
ſeiner ruſſiſchen Kameradin bei ihm anklopfen wollte, hat ja
er
ſo
der ſich
und Geſinnungsgenoſſin um ein Haar ſeine höhere Philoſophie, ſeine Don
durch ein blondes deutſches Geheim Juan-Unſterblichkeitsidee zur Hand, die
ratstöchterlein abſpenſtig machen läßt hinauskomplimentiert:
es
kommt aus
er
polniſchen Wirtin nicht loskommt, hätte dem Ur- und dem Endliebhaber,
iſt
er
und ſein geiſtiger und ſittlicher Wert, Liebhabers, der fleiſch- und bein
iſt
er
zudem noch aus dem zariſtiſchen Ruß gewordene Titel des Stückes: „Unter
wegs“. So ſtirbt auch nur körper
iſt
mit ihm zittern, jubeln und zerbrechen lich, als ihn ſein allzeit getreuer Se
möchten. kretär und Liebeshelfer, alias Leporello,
Als IV. Frankreich, mit einem ausgeſuchten Mei
er
immer
auftragen Das Stück hat ſeine lyri
–
Geſchichte, aus der dann bekanntlich das ſchen Schönheiten, die noch um ein paar
91
Töne weicher ſind als die kränkliche humoriſtiſchen Menſchlichkeiten bauen,
Liebesſchwermut Schnitzlerſcher Stücke; die ſich wie feine Adern ſelbſtverſtänd
ſo, wenn der Baron ſich ſelbſt das Haupt lich auch durch dieſes ſterbliche
mit Aoſen und Dornen bekränzt als ein Schweſterſtück des unſterblichen „Re
Moriturus, ohne deſſen Huldigungen viſors“ ziehen, ſondern beherzt auf die
die Frauen ja gar nicht wüßten, wie Schwankkarte ſetzen, ſei's einer von
hold, wie ſüß, wie begehrenswert vier Freiersbuben, die hinter der
ſie
den
ſind; die von Frühlingsglanz und Coeur-Dame her ſind, ſei's Schellen
ſo
Blütenduft überſtrömte Liebesſzene mit daus, das Monſtrum von ruſſiſcher
brin
zu
der nur ſchwer zum Schmelzen Heiratsvermittlerin, die derbe Seele
genden Sekretärsfrau; das Schluß Spiels. Aber dazu fehlt
ſo
des derben
bild, wo die letzte Geliebte dieſes Don Kayßler an den rechten unverfrore
es
Juan ſich von dem Toten, der ihret nen Komikern, und wenn das nicht,
wegen hat ſein Leben laſſen müſſen, dem Leiter des Hauſes ſelbſt an
ſo
wiedergeküßt glaubt. Ja ſogar ein dra jener Komödianten-Unbekümmertheit,
matiſches Wetter zieht über den ſeiden mal nicht darauf ankommt, den
es
der
blauen Liebeshimmel. Der Baron, lieben Gott einen guten Mann ſein
in
dieſer Purzel
zu
laſſen. Freilich
iſt
Eitelkeit und Gefallſucht verweich
ſo
licht, daß das Publikum für ſeine baum am Bülowplatz noch immer weit
er
=
zählt ſeinem Sekretär die Geſchichte ta le“, den ein gewiſſer Paul
ſeines letzten Triumphes. Sein grauen Roſen yn mit drei „Kriminales
a
h
haft verwegener Drang, mit der äußer ken“ im Kleinen Theater unter den
ſpielen, begegnet der un „Ca
–
zu
–
erſättlichen dies ſchon ein
zu
zu
prickelnde Abenteuer Ende hören, wenig nach der Manege des Zirkus
obgleich ihm ſchon die Ahnung auf ſchmeckende Artiſtendeutſch, mit dem
dämmert, daß Ver
es
Atmoſphäre,
in
ſammen künſtleriſche der ſie ſich
zuckt: Leporello zum Mörder, Don Man weiß nun doch wieder,
iſt
bewegen.
Juan zur Leiche geworden Aber was die römiſche Plebs meinte, als ſie
Wi
.
.
.
circenses“ ſchrie.
zu
derwillen gegen die zeit- und ernſtver Die Luft reinigen, die entwür
zu
zu
geſſene Selbſtgefälligkeit beſiegen, digte Szene neu weihen, ohne doch
zu
mit der wir hier für fremde Liebes der Heiterkeit ein Haar krümmen
–
Hitze werden
ſollen, Abenteuer des Blutes, ein Shakeſpeariſches Luſtſpiel? Nein
in
denen
weder Mark noch Herz, weder Größe hardt führt im Deutſchen Theater
noch Gewiſſen ſteckt, für die deshalb „Wie es euch gefällt“ auf, dies
auch Harry Walden im Wiener Burg unter dem Anhauch der unverdorbenen
theater ſicherlich ein weit geeigneterer ANatur und unter dem dramatiſchen
Darſteller war als Alexander Moiſſi Segen der natürlichſten und lieb
im Kammerſpielhaus des Berliner reizendſten Herzenstriebe zur Komödie
Deutſchen Theaters. der Menſchlichkeit gekrönte Schäfer
-
An dem überſtürzten Wettlauf um ſpiel. Und da nun beides beherrſcht
er
rats geſchichte“
zu
92
Nach Franz Metzners Tode wenn man die „Richtung“ als ſolche
eder kennt den „neudeutſchen monu nicht mehr pflegen wird. W.
mentalen Stein-Stil“, ſagen wir
an
einmal: Roland-Stil, und wär'
den Hingabe Kunſtgenuß
je.
her. Aun mit Franz Metzner der Dichtung, Muſik heute mehr als
iſt
Stil Das
in
Bildhauer geſtorben, dem dieſer neu erwachte Leben hat uns
politiſches Handeln, menſchliche und
in
neben Lederer das meiſte verdankt. Und
wer einmal mit wirklicher Verſenkung ſachliche Zuſammenhänge hineingeriſſen,
vor dem Hamburger Bismarck oder die uns vor kurzem noch fremd waren.
in
der Aibelungen-„Krypta“ des Leipziger Lebensgebiete tun ſich auf mit ganz
Denkbaus geſtanden hat, dem haben anderen oberſten Werten und ganz
Anforderungen an die Men
zu
zu
iſt
in
iſt
falſch, wenn man die
Mächtiges im Eindruck mit, das ſich Frage nicht auf Viertel- und Halb
anderm Stile und gar anderm kunſt, ſondern auf volle und echte be
in
in
iſt
iſt
zieht. Kunſterlebnis
ſchon was dran am „Stein-Stil“. Stärkung des ganzen Jchs für alle
Aber wir dürfen uns nicht verheh ſeine Aufgaben, auch für die kunſt
Erlebnis dauer
es
fremdeſten, wenn
es
der Kunſt nicht etwa die „Richtung“ gültiger Werte iſt. Seit langem
iſt
„tut“, ſondern immer und überall aus mir das nicht klar geworden, wie
ſo
ſchließlich die perſönliche Kraft. Auch an einem Abend, den die frühere
bei Metzner war ſtellenweiſe ein Zu Dresdner Hofſchauſpielerin Gertrud
der Form, der nicht aus dem Treßnitz kürzlich dem Lyriker R. M.
in
ſchuß
Erleben von Material und Stoff beim Rilke widmete. Aur Rilkeſche Gedichte
Geſtalten kam, ſondern von außen her, und Proſa, einen ganzen Abend lang.
ſagen wir's ehrlich: eine Manier. Eine ANur Lyrik von weltfremdeſter Stim
Poſe von Muskelkraft, ein Gemachtes. mung, zeitfremdeſter Bildhaftigkeit;
Es religiöſe, mythiſche, kindtumſpiegelnde,
iſt
Und gelang.
bei Michelangelos „Aacht“ ſehn, und hatte Rilke ſtets hochgeſchätzt. Eine
einem ſogenannt ſtiliſierenden Aufbau bannende Gewalt ging aber diesmal
ſchen und Verrenken, das aus einer von ſeinem Schaffen aus, die ich früher
Art von ſchematiſcher Auffaſſung, aus empfunden Warum?
ſo
nicht hatte.
einer „Richtung“, aus einer Kunſtmode Jch begegnete ihm diesmal nicht
ſtammt. Es
ob
der Uraufführung
iſt
in
die
iſt
noch mehr, und auch Metzner eigenſte Welt des Poeten und ihn
in
nicht
Aicht „er
zu
Vergangenheit auch dann beſtehen, das Rechte: Kunſt ganz ohne Kunſt
95
vergleichung, ohne Bewerteln und Geht –
Wohin? –
Auf unſre Schuld.
Richteln erleben als eine der unentbehr Sehet ihn aus Lieb und Huld
lichen Formen des Göttlichen? Holz zum Kreuze ſelber tragen . . .
W. Sch. Oder wieder:
Was die Urſach' aller ſolcher Plagen?
iſt
Gelegentlich der Matthäus-Paſſion Ach, meine Sünden haben dich ge
omain Aolland in der Schilderung ſchlagen! uſw.
.
.
.
einer Aufführung der Matthäus Ein Ekel ergreift uns ob der müßi
Paſſion, welcher er im Basler Münſter gen Ergießungen tugendhafter Seelen,
beigewohnt, während vom Elſaß her die das Opfer Vergangenheit an
der
der Kanonendonner herüberrollte. Wir
es
beten und mit frommen Zähren
geben die Stelle nach der Verdeutſchung beweinen, das der Gegenwart aber hin
der „Basler Aachrichten“. morden laſſen und ſich von ihm gleich
„Jch mußte aller der aufrichtigen Her gültig oder gar mit boshafter Freude
zen gedenken, die in allen Ländern die abwenden. Und auch über die ergreift
Paſſion Chriſti feiern, die durch das uns ein Ekel, die die Kühnheiten gro
Leiden des Menſchenſohnes ſich erweichen ßer Künſtler aus fernen Jahrhunderten
oder empören laſſen, und die doch kei bewundern und nur allzu oft hin
es
nen Finger rühren würden, um die dern, daß ihren Zeiten gleiche Künſt
in
Leiden der Menſchenſöhne auf dieſer ler aufkommen. Die Bewunderung der
Erde auch nur um eine Stunde abzu Vergangenheit, die Aührung über ver
kürzen, die Leiden der Männer, die Opfer ein gar bequemes
iſt
gangene
hüben und drüben in den Schützen Ruhekiſſen für geiſtige Trägheit und
gräben ihr Martertum erdulden. In Eigenſucht des Herzens.
der Paſſion Bachs ſelber treibt ganz Darum ſeien wir doch aufrichtig:
unbefangen eine eigentümliche Ironie Begnügen wir uns nicht mehr leicht
ihr Weſen, deren tragiſche Wirklichkeit hin damit, Irrtümer und Verbrechen
der große Muſiker und ſein biederer zu beklagen, die ſich doch nicht mehr
Librettiſt Picander gewiß nicht vorher gutmachen laſſen. Es bleiben deren
geſehen hatten: die gleichen Chöre der Gegenwart immer noch ge
in
auch
ſingen bald „Herzliebſter Jeſu“ und nug übrig. Chriſtus hat nicht nur
„Mein Hirte, nimm mich an“, bald unter Pilatus den Tod erlitten. Er
ſchelten ſie die Peiniger Chriſti „Laßt ſtirbt noch täglich vor unſeren Augen,
ihn! Haltet! Bindet nicht!“ und im durch uns.“
nächſten Augenblick rufen ſie: „Laßt
ihn kreuzigen!“ oder beſchimpfen den Keine Kriegsgreuel in Jugendbüchern!
Heiland. Die gleiche Baßſtimme ſingt
DÄ Problem
in
ſeiner
ſcheint
Petrus und Judas Iſchariot. Der Schwere und weittragenden Bedeu
gleiche Alt, der den Gefühlen der be tung noch nicht genügend erkannt zu
trübten, Chriſtum liebenden Seele Aus ſein. Sonſt wäre
es
Wie leicht wäre es, viele dieſer band im zweiten Teil eine Sammlung
Texte aus der Paſſion des alten Jo von Greuelberichten darſtellt, ſchon
hann Sebaſtian anzuwenden auf die wieder aufgelegt werden mußte. Im
unſeligen Geſchehniſſe der Gegenwart Weſten müſſen die Heckenſchützen Bel
und auf die Opfer, die jeder dieſer giens den Stoff für grauſige Ge
Kanonenſchüſſe fordert! Kaum, daß ſchichten liefern, und im Oſten bieten
man ein oder das andere Wort zu än die Koſakengreuel Tatſachen Fülle.
in
Seht ihn Wie? Als wie ein Lamm. über die Gefährlichkeit der Feinde auf
– Was? – Seht die Geduld, klären wolle, um
ſie
94
tigen Gefährdungen wach zu halten. 1918 ein betriebſamer Kriegsbuchheraus
Das erſcheint als eine ſehr löbliche geber der deutſchen Jugend ſchwarz auf
vaterländiſche Abſicht; aber ſchließlich weiß, im ſcharfen Licht kritiſch geſich
Jugend
iſt
in
Kinderköpfen und -herzen breitmachen,
den ches unverantwortliche Beginnen auf
lehnen.
jedes andere Gefühl gegenüber fremden
Frankfurt M.
a.
Völkern verdrängen. Deshalb ſchrieb Wilhelm Fronemann
ich
meiner Kriegsliteratur-Aus
in
in
die
hafte Form angenommen, daß ſich ver Akten nahm, die über die Auſſen
nünftige Menſchen die Frage vorlegen greuel Oſtpreußen angelegt
ich in
ſind,
müſſen, ob
es
nicht beſſer ſei, all das fragte an, warum man das denn
Furchtbare bewußt im Gedächtnis des
ja
nicht veröffentliche: hier ſeien ent
heranwachſenden Geſchlechts auszu ſetzlichere Dinge bewieſen, als ſie
löſchen, damit eine reine Jugend mit von den Feinden zu unſrer Verleum
reinem Herzen wieder aufbaue, was dung der ganzen Welt über uns
der entſetzliche Krieg zertrümmert hat.“ in
auch nur behauptet würden. Die Ant
Dieſe und gleichgerichtete Warnungen wort war: „Wir ſchwiegen davon, um
ſind damals überhört worden; man unſre eigne Jugend vor Vergiftung
glaubte wohl gar, man müſſe die fran ihrer Phantaſie zu ſchützen.“ Und
zöſiſche Hetz- und Jugendliteratur mit jetzt müſſen wir derartigen Mißbrauch
ähnlichen Waffen bekämpfen. Schon erleben. Hüten wir uns bei den An
den aufdämmernden geſchichtlichen Sinn fängen, daß wir nicht auf die ſchiefe
der Jugend mit unheimlichem Grauen Bahn der Franzoſen kommen! A
ſeiner Folge mit tiefſter, brü
in
oder
Alfred H. Fried
zu
würden durch die volle Kenntnis der erhalte Ihren Aufſatz gegen den
Kriegsgreuel unheilbar verwundet wer Kunſtwart und mich
in
der „Friedens
den. Man hat im Bann der Kriegs warte“, ich konnte ihn alſo auch
in
Kunſt
her oder ſpäter ſchlimme Aachwir wart abzudrucken, Sie Ihrerſeits aber
kungen haben werden. Wie ſoll das verpflichten ſich, meine Antwort auf
Gefühl für feine ſittliche Werte ſich Ihren Aufſatz ebenfalls der „Frie
in
Gefühlen überlaſtet iſt, die ſittlich ſind, darf wohl von Ihrer Loyalität
zu
durchdringen keine kindliche Geiſtes erwarten, daß Sie dieſe Zeilen hier
kraft ausreicht? Dazu noch das Grauen ihnen mitteilen. In
vorzüglicher Hoch
F.
Mund ſich zuraunen werden, das wagt Anſprache die Mitglieder der
95
Aationalverſammlung im erſten Fe aber, das Geſchmeichel Formen, das
in
bruarheft hat da und dort Verwunde die „gute alte Zeit“ anwendete, während
rung erregt. Mit Aecht?
ſie
Üblich iſt: der Sache die Frauen benach
in
„Meine Damen und Herren“. Ich teiligte, das ſollten wir auch im Sprach
weiche alſo zunächſt dadurch ab, daß lichen los werden. A
ich
nicht „Damen“ ſage, ſondern
ANÄ
„Frauen“. Für das Fremdwort an Arbeit!
dieſer Stelle ſpricht aber nichts wei ganz entlaubt,
ſo
ter als die Gewohnheit, die der Menſch Menſchenſeele, die nicht mehr
„ſeine Amme nennt“. Deutſch heißt es: glaubt,
AMänner und Weiber, Herren und Glaube ans Schaffen!
Frauen. Das Wort „Frau“ für Aicht zum Erraffen und zum Erjagen,
iſt
genau ebenſo eine auszeich
zu
Deutſche ANicht, um blutende Wunden ſchlagen,
nende Benennung, ein Ehrentitel, wie erbauen die beſſere Welt,
zu
Um
für Franzoſen das Wort „dame“. Dazu als Brüder den Brüdern geſellt,
Dienet der Arbeit!
ich
iſt
nicht
wenigſtens nicht beim erſten Gebrauch. Iſt Erlöſung aus Qual und ANot.
ge
in zu
Unſre Bilder
iſt
Händen und Füßen gegeben werden.
andern Kreidolfſchen Blättern noch auffälliger, immerhin
iſt
auch hier ſchon
ganz klar, daß der Künſtler ſolchen Bildern unter einer ganz andern in
in
E
=
gebung geſtaltet, daß von einem andern Geiſte „beſeſſen“, daß eine
in
er
er
alles traummäßig geſehn. Auch dieſe
iſt
iſt
zu
können,
in
kleineren
lagen würde ſolch ein Blatt mehr koſten müſſen, als jetzt ein Jahrgang der
Zeitſchrift mit allen ihren Beilagen. Was wir erwähnen, weil für
es
ganzen
die Kunſtpflege im Zukunftsſtaate bedeutſam iſt.
Die Zeichnung einer Farm von van Gogh hinten am Heft gehört nicht
dieſes Kimpfers
zu
verantwortlich:
c.
Callwey, Buchdruckerei
in
AMünchen
&
Hſterreich-Ungarn für Herausgabe und Schriftleitung Dr. Aichard Batka Wien XIII6
in
verantwortlich:
-
FARM DIE GOGH VAN
KUNSTWARTVINCENT DEM AUS
*
-
-
-
--
MÄR.
-
-
-
-
-
--
-
--
f
AUS DEM KUNSTWART HANS OLDE: KLAUS GROTH
S
Ä. SS
S-ÄS
FSF -
§ =
in
werden ſie ſich darin ſcheiden, wie ſie ſich dieſer Schuld ſtellen. Die
ſo
zu
ſitzen
zu
(XXXII,
97
Maiheft
1.
1919 15)
beſten, wenn alle Völker, die beteiligt am Leiden dieſes Krieges waren,
auch beteiligt wären an der Frucht dieſes Leidens. Und ſollte der Völker
bund wachſen, ſo wäre er eine gemeinſame Frucht dieſes Krieges, und zwar
die einzige, welche die Schwere ſeines Leidens lohnte. Aber darüber
liegt die Entſcheidung nicht in unſrer Hand. Vorläufig lehnen die Feinde
dieſe Frucht des Leidens mit Heftigkeit ab. Wer weiß, wie wir es gemacht
hätten, wären wir die Sieger! Von dieſer Seite geſehen, hat das ſchwere
Schickſal der Aliederlage uns einen Vorſprung gegeben: Wir ſind gezwungen.
unſre Wiederherſtellung rein durch moraliſche Mittel zu ſuchen. Ein
einſichtsvolles, aber entſchloſſenes und ganzes Umbauen unſrer Arbeit,
Einſtellen unſrer Kräfte auf dieſes Ziel hin, das wäre der Sieg vor der
Geſchichte, die einſt das Weltgerichtsurteil ſprechen wird. Ein Sieg, der
um ſo vollkommener ſein würde, wenn er nicht zugleich ein Sieg über
konkurrierende Völker zu ſein brauchte, ſondern wenn auch ſie denſelben
Sieg erringen wollten.
Ichweiß nicht, wie weit dieſe Betrachtungen noch innerhalb der Spranger
ſchen Tendenz bleiben. Eine Ergänzungsfrage ſoll jedenfalls geſtellt werden;
und damit kommen wir zurück auf unſre Ausgangsfrage, wer die „wir“
von 1914 ſind. Es handelt ſich dabei um die richtige Deutung deſſen, was
wir erlebt haben, und damit der Wahrheit, der wir 1914 lebten.
AMan könnte Spranger dahin mißverſtehen, als halte er die Begeiſterung
vom Auguſt 1914 für eine völlig einheitliche und eindeutige, die ſich für
den Krieg an ſich entſchieden hätte, und die „wir“ nun ableugneten.
So war und ſo nach meiner Erfahrung doch nicht.
es
iſt
fraglich,
Aicht die Veränderung durch die zwiſchen beidem liegende Entwicklung
meine ich, nein, die Entwicklung ſelbſt kommt erſt dadurch zuſtande, daß
im AMenſchen mancherlei Leben zuſammengebunden iſt. Erinnern wir uns,
Verzweiflung ganz andere Aeihen von Bildern der Vergangenheit
in
daß
Mut und Hoffnung. Das ganze Leben
in
Ebenſo
iſt
in
die ſich wendet.
eine Einheit zuſammenzubinden, von einem Mittelpunkt aus einheitlich
zu regieren, einen einheitlichen Willen
–
iſt
das
in
ſie hineinzuſchaffen
erſt die Aufgabe des Menſchenlebens, nicht die Vorausſetzung. Bei einem
Volksganzen all das weit höherem, ausgeprägterem Maßſtab der
in
es iſt
Fall. Sind dieſelben „wir“, die vor vier Jahren begeiſtert und jetzt
niedergeſchlagen ſind?
Iſtdas Wort vom „Wahnſinn“ dieſes Krieges denn nicht Mund
in
und Gemüt ſehr vieler Menſchen geweſen ſchon damals? Auch ſolcher, die
ja
begeiſtert waren? Denn, zweitens, die Menſchen ſind nicht ein für
allemal fertige Statuen, ſelbſt wenn ſie
zu
es
und
als beſtimmte, bedingte, motivierte und mit den Bedingungen
ſo
ſo
und
zu
ja
Begeiſterung
zu
damit andere
iſt
98
mit dem Augenblick, wo man ihren Kampf aus einer notgedrungenen Ver
teidigung in eine Eroberung umzuwandeln verſuchte.
Jch habe durchaus den Eindruck, daß der weitaus größte Teil der Be
geiſterten von 1914 unſres Volkes mit dieſer Begeiſterung eine tiefe Ab
neigung gegen den Krieg verband. Sie fühlten ſich in den Krieg ge
zwungen, und ein guter Teil der gehobenen Stimmung, die man als Be
geiſterung in Anſpruch nahm, war Wut über die, welche ihrer Überzeugung
nach den Wahnſinn dieſes Mordens verſchuldet hatten. Aächſtdem bezog
ſich die Begeiſterung rückwärts auf die große Einigkeit, die in ihr ſelbſt
bemerkbar geworden war. Auch dieſe Einigkeit zerbrach ja leider bald
genug, ſeit ihre Vorausſetzung, die Anerkennung der Mündigkeit des Volkes,
ſich als eine Illuſion, ja nach vieler Eindruck als ein bewußter Täuſchungs
verſuch erwies.
Man könnte ſagen: Wenn der Krieg für die meiſten von uns längſt auf
gehört hatte, als reiner Verteidigungskrieg verſtändlich zu ſein,
ringsherum Kleid, ja
– jetzt,
wo unſre Aachbarn Stücke aus unſerm unſerm Leibe
ſuchen, jetzt reine Verteidigung nötig. Und wenn man
iſt
herauszureißen
Aufhören der Klaſſenunterſchiede wollte, jetzt ſind ſie aufgehoben. Soweit
alſo die Ideale von 1914 der Verteidigung und der Freiheit beſtanden,
in
in
dürften ſie nun wieder aufwachen.
Indeſſen, Ideale wachen nicht nach den Anweiſungen einer klügelnden
Logik auf; am wenigſten, wenn ihre Verwirklichung abſolut ausſichtlos ge
worden iſt. (Selbſt die ſchäbigen Angriffe der Polen und Tſchechen machen
durchaus den Eindruck, von unſern Feinden, mindeſtens von Frankreich
ja
angeregt ſein.
dann leicht werden, eine etwaige Verteidigung unſrerſeits als Bruch des
es
aber unſer Volk noch beſonders von der Pflicht der Tapferkeit abzieht,
iſt
eben
vielleicht rettet. Dies, daß
es
es
dasſelbe, das von der andern Seite geſehen
eine neue Aufgabe erblickt hat, die nur entgegengeſetzter Aichtung liegt.
in
es
in
Aufgabe! Daß da eine Aufgabe für uns wartete, das hat uns, dünkt mich,
gerade vor dem Bruch bewahrt.
-
Denn war
wir wiedererkannten als die längſt angegriffene, von den Fremden als im
99
beſondern Sinne deutſch empfundene und gewußte. Die Selbſtverſtändlich
keit, mit der die Aevolution ſich durchſetzte, beweiſt es. Wir ſchritten ja,
indem wir dieſe Aufgabe wieder aufnahmen, auf unſerm graden Wege
fort. Keinen Gedanken mehr mochte das Volk der als unmöglich ein
geſehenen kriegeriſchen Aufgabe zuwenden. Es iſt, als ſagte ihm ein wacher
Inſtinkt: Aur durch Tätigkeit kommt der Einzelne, wie Volk und Menſch
heit über ſchlimme Zeiten hinweg. Aur kein unfruchtbares Zurückträumen!
Gewiß, das hat ſeine Bedenken. Wie das Spranger ausgeführt hat.
Ein eigentlicher Bruch Wir haben auch kaum
iſt
es
doch wohl nicht.
Das wäre erſt der
zu
Urſache, daraufhin uns unſres Volkes ſchämen.
Fall, wenn die ihm geſtellte Aufgabe einer AReformation Haupt und
an
es
Gliedern ein zweites Mal durch inneren Hader Blut ſtatt ſie
in
erſtickte,
zu
Während dies geſchrieben wird, noch Grund,
zu
hoffen, daß
iſt
löſen.
dieſe, die eigentliche Aiederlage, uns erſpart bleibe. Bonu
8
Ein Weg der Rettung
[Der folgende Aufſatz war von Geheimrat ANatorp für den Kunſtwart geſchrie
ſofort
zu
ben, wurde aber zunächſt der Frkft. Ztg. abgedruckt, damit
in vielen
er
Leſern käme. Er erſcheint hier mit neuen Ergänzungen des Verfaſſers. Wer ſich
den hier entwickelten Gedanken und Plänen freundlich ſtellt, den bitten wir,
zu
iſt
an
darf ſich nicht verhehlen: unſer Land
in
ſchwerſter
be
zu
droht, wäre vielleicht
da
ANicht von außen allein. Was von
ſchwören geweſen, wenn nicht die traurige Schwäche unſrer inner
politiſchen Verfaſſung für den Feind die ſtärkſten Verlockungen einſchlöſſe, die
Hybris des Siegers an uns bis zur Schamloſigkeit auszulaſſen. Wenn das
zu
Haus brennt, keine Zeit, ſtreiten, wer ſchuld iſt. Aichts liegt der Abſicht
iſt
dieſer Zeilen ferner, als Anklagen gegen die Aegierung, die Parteien und das
zu
ganze, für beide zuletzt verantwortliche Volk erheben. Aber noch weniger
ver
zu
unſrer politiſchen Lage uns
es
Stärke umzudichten.
wo wahre Kraft Aur rückſichtsloſe Wahrheit
iſt
in
Hinſicht mit vorderſter Reihe, allen voranſtand, nun auf
in
in
manchem
völlige Ohnmacht und Haltloſigkeit geſunken wäre gleich
–
es
einmal wie
in
wohl
aber, daß unſer Staatsaufbau vom wahren Verhältnis
der
inneren Kräfte der tion kein zu treffen des Bild gibt.
AN
a
Es ja, wie jeder weiß, nur ein Aotbau, wie nach dem plötzlichen Einſturz
iſt
er
des alten Baus im Augenblick möglich war. Kein Wunder, wenn ihm ſchwere
iſt
waren gut regiert, darum lernten wir nicht uns ſelbſt regieren.
Jetzt, wo alles davon abhängt, daß wir uns zur Selbſtregierung fähig erweiſen,
muß die Folge dieſer Verſäumnis verhängnisvoll werden. Das alte Bevormun
dungsſyſtem der Beamtenbureaukratie war wenigſtens ruhigen Zeiten weniger
in
wenn auch
zu
100
R
türmenden Schwierigkeiten unſrer Lage nicht gewachſenen Oberleitung das ganze
Syſtem zuſammengebrochen iſt, ſtehen wir hilflos da, befreit und doch nicht frei.
Die Ketten ſind von uns abgefallen, aber innerlich blieben wir angekettet, der
Selbſttat, die jetzt von uns gefordert wird, unfähig, weil man uns allzuſehr
daran gewöhnt hat, daß wir gar nicht einzuſetzen brauchten,
ſie
denn alles
geſchah für uns, was durch uns hätte geſchehen müſſen. So blieben wir,
bei allem Scheinaufſtieg, immer weiter hinter dem zurück, was durch befreite
Selbſttat hätte geleiſtet werden können: die Aufgaben aber wuchſen ins Unge
meſſene; wurde das Mißverhältnis immer größer zwiſchen dem, was wir
ſo
politiſch leiſteten und was die von Tag zu Tag gefährlichere Lage verlangte.
lange, bis So mußte endlich
–
So etwas geht
es
nicht mehr geht.
ſo
eben
der Einſturz kommen. Aun ſollen wir unſern Staat neu bauen. Man verſucht
– nach den alten Methoden und überſieht, daß man nicht nur für die
es
ſo
Zukunft die gleichen Gefahren wieder heraufbeſchwört, ſondern auch den For
derungen des Augenblicks unmöglich genügen kann.
Vielleicht leuchtet das nicht jedem ſogleich ein, daß
es
die alten Methoden
bauen im Begriff ſteht.
zu
ſind, nach denen man den Staat jetzt neu Die
freie Volkswahl, meint man, doch eine Errungenſchaft,
ſei
durch die
der Staat auf völlig neuen Grund geſtellt ſei.
zu
Ich muß mich der Ketzerei
in
bekennen, daß ich dieſen Glauben nicht teile, vielmehr der demokratiſchen
Staatsform, heute ſich verwirklichen will, die alten Fehler nur ver
ſie
wie
ſo
ſtärkt wiederkehren ſehe. Die alte Beamtenbureaukratie war, wie geſagt, wenig
ſtens im Einzelnen, ſachverſtändig und hat ihre Sache gut
ſo
Techniſchen
gemacht, wie ſie unter dem alten Syſtem gemacht werden konnte. Die neue
Bürokratie, die der Parteien, tut auch das nicht und kann gar nicht tun.
es es
ſie iſt in nichts ſachverſtändig und kann
–
gezwungen iſt,
ſie
es
allem ſein
in
Sachverſtand, ſei eines Einzelnen oder einer Minderheit, oder einer Mehrheit
es
oder gar der Allheit, gibt nur einen Sachverſtand des Einzelnen, ſogar
es
dem, was
in
er
kennt
die von ſolchem Mittelpunkt dann auch weiter greift, ihn fähig und willig
zu
vielmehr mindert.
ſo
Zuſammenwirken nach dem Prinzip der Parteiwahl. Man wählt, ſagen wir,
einen als Vertreter ſeines politiſchen Willens. Ungefragt, ob
zu
tauſend
eine Vertretung des Willens überhaupt Sinn hat (ernſtes Wollen duldet
Stellvertretung), geht vom Willen jedes Einzelnen auf den einen
ſo
keine
–
politiſchen
aber nicht die einzige Bruchteilung, die dabei ſtattfindet. Man wählt ja,
immerhin ein Vorzug) bei der Ver
iſt
tiſchen Wirken darf der Mann davon ließe ſich noch ein beſonders ernſtes
Lied ſingen
–
1Ol
Sodann, wie kommt das Parteiprogramm zuſtande? Etwa durch lebendiges
Zuſammenwirken aller Parteiangehörigen? Entfernt nicht, ſondern es
iſt
die
kleine Gruppe Führender, die allgemeinen ſich ſelbſt dazu kreiert haben
im
und nun durch AMehrheitsbeſchluß das Programm feſtſetzen; wobei natürlich
wieder jeder von dem, was möchte, eine Subtraktion zugunſten deſſen,
er
was die andern Abweichendes wollen, ſich gefallen laſſen muß. So kommt
zu
notwendig etwas heraus, worin einen entſchiedenen poſitiven Willen noch
erkennen ſchwer hält. Einem ſolchen Programm kann dann begreiflich der
einzelne Wähler nur mit ernſten inneren Vorbehalten ſeine Stimme geben.
Das weiß die Partei ſelbſt gut genug und wird dadurch ihrer Wirkungskraft
in
nur weiter geſchwächt. Endlich aber, nachdem die Wahl gefallen iſt, geſchieht
darum noch lange nicht das, um deſſen willen man ſeinen Mann gewählt
hat, ſondern Par
ja
es
entſcheidet ſich nun erſt durch Mehrheitsbeſchluß im
im
lament, wobei wieder gegenſeitigen Abſtrich nur irgendein Bruchteil des
durch die Partei dargeſtellten ANinimums von politiſchem Willen Aktion
in
umgeſetzt wird; ein Bruchteil von Bruchteilen mehrfach gebrochenen Willens
Willenloſigkeit
.
.
.
Es gar kein Wille mehr, der Geſamtheit,
ſo iſt
iſt
es
die
ihren Ausdruck findet. Das ganze, das dabei herauskommt, ſozu
iſt
die
zu
leſen, drückt beſtenfalls aus, was die
es
ſagen mit negativem Vorzeichen
Aation nicht will, nicht, was poſitiv ihr Wille iſt.
Aber wie ſoll denn anders gemacht werden? wird jeder fragen. Wie
es
da
der Fakultät einer Hochſchule, anders?
iſt
es
wie etwa
in
denn weſentlich
Gewiß, überall gilt es: Soviel Köpfe, ſoviel Sinne. Aber gibt doch
es
ſo
B. Wiſſenſchaft. hat jeder ſeine Überzeugung
da
etwas wie Zwar auch
z.
und verteidigt ſie vielleicht mit großer Zähigkeit. Aber erſtens, wenn ihm
ſo,
klar und ſtreng bewieſen wird, wird endlich zugeben.
iſt
es
es
er
ſo
nicht
Und dann: wenn man ſich nicht einigt, bleibt die Sache eben im Stadium
ſo
der Frage, der Hypotheſe, des Verſuchs; der Verſuch aber muß endlich zur
Entſcheidung führen. gibt einen ſicheren Fortſchritt der Erkenntnis.
es
ſo
Und
So allem, wo Sachen rein dem ſachlichen Urteil der Sachkenner
in
iſt
es
wegen kurzem
gilt ähnliches. In der Politik dagegen gibt faſt nur vergebliche Anläufe
es
und Umſtürze; etwa wie der alten unkritiſchen AMetaphyſik oder vormetho
in
gelegt wird, dem nachher die Tatſachen ſich anbequemen ſollen. Der Grund
des Fehlers dabei auffallend entſprechend dem der alten Metaphyſik. Die
iſt
theſe wird lahm gelegt durch die rückwärts gewandte, nur Haltpunkte
ſetzende, die lebendige Fortſchreitung ſtillſtellende Analyſe. Die Subſtanz der
Formung. Eine ſolche
iſt
zu
iſt
entbehren, aber
aus ſich gar nicht Lebensfähiges, geſchweige Schöpferiſches, ſondern nichts
als Krücke, vorübergehender Haltpunkt. Wird das verkannt, maßt dieſe durchaus
nur dienende Funktion ſich die Herrſchaft an, dann wird die Subſtanz der
Sache geſchädigt zugunſten der alsdann leeren, ſubſtanzloſen Form. Politik
iſt
auch etwas
Weſentliches. Zum guten Bild gehört ein guter Aahmen, aber der Rahmen
ſoll ſich nach dem Bilde richten, nicht aber verlangen, daß das Bild ſich nach
102
ihm richte. Aecht oder Staat (der nichts als konkrete Rechtsformung iſt) ſchafft
weder Wiſſenſchaft noch ſittliche Ordnungen, noch gar Kunſtgeſtaltung, er formt
bloß, gibt ihnen äußeren Halt, die innere Kraft muß unabhängig von ihm
ſie
da ſein. Ganz wenig aber darf das Mecht oder der Staat die Wirtſchaft
ſo
beſtimmen wollen, dieſe doch ſelbſt Sache der Wiſſenſchaft,
iſt
der ſittlichen
Ordnungen, und auch einer höchſten Kunſt (der Lebensgeſtaltung) jeden
–
falls der Idee nach; wenn nicht auch tatſächlich, eben darum nicht, weil
ſo
tauſendfach unter dem Einfluß der Willkür der politiſchen Mächte, der
ſie
iſt
geſellſchaftlichen
fremde Gewalt deſſen, der zufällig zunächſt am Auder ſitzt und nun,
ſtatt des erfahrenen Steuerers, ſich ſeiner bemächtigt; wie das ſchon Plato
ergreifender Wahrheit, für alle Zeitalter ſcharf treffend, dargelegt hat. So
iſt in
–
die ganze bisherige politiſche Aegierung
–
und erſt recht die heutige
der Wirtſchaft wie der Geiſtespflege, die, wenn ſolcher Uſurpation nicht endlich
ein Ziel geſetzt wird, das Schiff nur den Grund ſteuern kann.
in
s
Wie kann ihr ein Ziel geſetzt werden? Es gibt nur eine Möglichkeit:
die politiſche Gewalt muß ſelber ein ſehen und ſich beſcheiden, nichts
es
zu
andres ſein wollen, als ſie ihrem Weſen nach iſt. Heute aber ſcheint
der Augenblick gekommen, wo ihr das nicht ſchwer fallen ſollte. Sie ſelbſt
muß heute erkennen, daß ſie das gar nicht leiſten kann, was ihr, ſehr
ungewollt, als Aufgabe zugefallen iſt. Sie ſieht
es
ohne Zweifel heute ſchon
ſelbſt, ihre bewußte Unfähigkeit, das, was die wahrlich ſchwere Lage
zu
fordert, leiſten, das ja, was die entſetzliche, die äußerſten Gefahren
iſt
es
nicht
brächte das wieder zurecht, nicht der unwahrſcheinlichſte Gewaltmenſch ver
wieder herbeizuzwingen. Es bleibt nur eins: der Aufbau von
es
möchte
unten, Geſtalt einer doppelten Sachverſtändigen Vertre
in
-
-
ſetzte. Für den Aeubau unſrer Wirtſchaft hat der Abgeordnete Kaliski
Frkf. Ztg. 5/III. Mgbl., vgl. 19/III. ANgbl.), wie ich glaube, einen gang
(ſ.
1.
baren Weg gezeigt. Der Aufruf von Rudolf Steiner (Frkf. Ztg. 6/III.
Mgbl.), deſſen nähere Ausführung freilich noch abzuwarten iſt, ſcheint
1.
(Bd.
6,
in
4)
u.
mehreren
3
gründen werde. Der gleiche Gedanke taucht auch ſonſt jetzt an den verſchie
denſten Stellen auf. Ich fordere alſo, daß beide Organiſationen, die der Wirt
ſchaft und der Geiſtespflege, ganz von unten, von den unmittelbar
a
r
-
beiten den Organen beider aus, und zwar jede ihrem vollen Umfang
zu
nach, Stufe um Stufe bis der gedachten Spitze eines Zentralrats, als
Vollvertretung der geſamten wirtſchaftlichen und der geſamten Kultur
arbeit der Aation ſich aufbauen; beide iſch ohne unmittelbar
in d.
h.
p
n
u
o
l
t
i
103
verſtands und das Gewicht der hinter ihnen ſtehenden wirtſchaftlich und geiſtig
ſchaffenden Arbeit der ANation den politiſchen Inſtanzen gegenüber geben muß
und zweifellos geben würde, während den letzteren allein das bliebe, was
in der Tat nur ihr Weſen ausmacht: die die Rechtskraft begründende
Form gebung. Jede die Gebiete der Wirtſchaft und der Geiſtespflege
berührende Geſetzesvorlage (oder nicht bloß exekutive Verwaltungsanordnung)
müßte der Begutachtung des zuſtändigen Zentralrats unterliegen, oder von
dieſen ſelbſt eingebracht ſein, mit der Verpflichtung auf Seiten der politiſchen
FInſtanz, ihn zur Beſchlußfaſſung zu bringen, gegebenenfalls im Wege des
Aeferendums. Daß die völlige politiſche Autonomie der geiſtigen
Arbeit notwendig, faſt noch dringlicher als die der Wirtſchaft,
iſt
ebenſo
Es ſollte genügen, daran
zu
bedarf kaum der Begründung. erinnern, daß im
Gemeinleben doch wohl nicht minder als im Leben des Individuums der
Geiſt herrſchend, Wirtſchaft und Politik dienend ſein müſſen.
Aahe verwandt Vorſchlag die ſchon alte Forderung berufs
iſt
unſerem
=
ſtändiſcher Organiſationen, deren Verhältnis zur politiſchen aber nicht
immer hinlänglicher Klarheit gedacht war. Auf die eben angegebene Art
in
in
aber ſachlich? Würde nicht eine berufsſtändiſche Vertretung nur ein neues
Kampffeld bedeuten, auf dem die tauſendfach miteinander ſtreitenden, eines
inneren Ausgleichs gar nicht fähigen ſelbſtſüchtigen Wünſche der verſchie
denen Berufsklaſſen, insbeſondere der Bürgerlichen und der Arbeitermaſſen,
entweder, ſofern ſie ernſthaft und unbeugſam ſind, zum unerbittlichen inneren
zu
Kriege, oder, ſoweit ſchwach und biegſam, wieder einem mechaniſchen, bloß
negativen Ausgleich durch gegenſeitige Abſtriche führen müßten, der
an
allen
oben aufgezeigten Schäden krankt? Hat doch dieſer, am 30. März zuerſt
veröffentlichte Aufſatz bereits ſelbigen Tags den Verhandlungen des „Aeichs
in
zu
bürgerrates“ Berlin eine Antwort erhalten, die das volle Gegenteil deſſen
beſagt, was hier gefordert wird. Die Bürgerräte (ich zitiere den Bericht der
Frankfurter Zeitung vom 31. März, Abendblatt) wurden allgemein als eine
„notwendige Konſequenz“ der Arbeiterräte aufgefaßt. Ihr erſter Grundſatz
aber müſſe ſein: Kampf, nicht etwa bloß gegen die wirtſchaftlichen und
politiſchen Ziele der ſozialdemokratiſchen Parteien, ſondern gegen die ſozialiſtiſche
Idee, die ſozialiſtiſche Welt anſchauung. Kampf
–
doch wohl mit
geiſtigen Waffen, mit Waffen der Idee? Aein, ſondern: „Wir ſind noch
im er die Mehrheit. Wir müſſen nur den Mut und den Stolz dazu
m
ſetzen.
allen zuläſſigen Mitteln, auch durch bürgerlichen Generalſtreik, ver
zu
iſt
fechten und
ſequenz“. Die Drohung, nein der Verſuch der radikalen Arbeiterſchaft, ihre
Forderungen, als die der Arbeiterſchaft überhaupt, durch Gewalt, durch den
Generalſtreik mit allem, was im Gefolge haben mußte, ſchließlich durch den
er
letzte
ſein kann, darüber ſcheint man ſich auf beiden Seiten noch immer nicht klar
zu ſein. Die Konſequenz iſt der feſſel loſe innere Krieg im
ganzen Land, ein Krieg, der nur enden kann mit der gänzlichen, hoffnungsloſen
Verſklavung des einen oder andern Teils, oder mit der Auflöſung aller
Bande ſozialen, ſtaatlichen und ſittlichen Lebens, durch die ganze traurige
Skala: ANichtarbeit, Hungersnot, Bankrott bis zur Vernichtung aller Jahr
in
tauſenden heiß erarbeiteten Güter der Menſchheit; mit dem Herabſinken des
104
Menſchen zum Wüſtentier, nein, unter die Tierheit. Soll und darf das
nicht ſein, ſo ſoll und darf eben der Gewalt wille nicht Herr
bleiben, ſondern es muß um jeden Preis eine Verſöhnung erzielt
werden, nicht durch Mehrheitsbeſchluß, durch den die Minderheit vergewaltigt
wird, ſondern durch eine gemeinſame Beratung, getragen von allſeitig gutem
Willen, den verlorenen Einheitsgrund wieder zu gewinnen. Darum muß
der „erſte Grundſatz“ nicht eines Bürgerrats und eines Arbeiterrats, ſondern
eines Einheitsrates der Wirtſchaft und eines Einheitsrates der Geiſtes
arbeit ſein: Von heute ab keine Bürgerſchaft, keine Arbeiterſchaft, keine wirt
ſchaftliche, keine politiſche, keine Weltanſchauungs-Partei, keine Klaſſe, keine
Klaſſenwirtſchaft, kein Klaſſenſtaat, keine Klaſſen-Weltanſchauung, kein Mehr
heits-, kein Macht-, kein Gewaltrecht, ſondern das Recht allein, das gleiche
Recht des Menſchen, das aus der gleichen Pflicht jedes Menſchen fließt,
dem Menſchen, jedem Menſchen ein menſchliches Leben aufzubauen auf dem
ſchlichten, heiligen, unverletzlichen Grunde der Arbeit und der Ordnung, an
dem jedem ſein menſchlicher Anteil zufällt: „gleicher“ Anteil im Sinne ver
hältnismäßiger Gleichheit, das heißt nach Art und Maß ſeiner Leiſtungs
kraft, an der Stelle, wo er dieſe am beſten, zur eignen Befriedigung wie zum
Heil des Ganzen, betätigen Das allein „Sozialismus“ und
iſt
iſt
kann.
„Bürgertum“ echter Art, aber dem Sozialismus wie dem Bürgertum
iſt
es
in
.
fühlen, ſobald die entſetzlichen Worte Klaſſenſinn und Klaſſenkampf ihm auf
die Lippen wollen. Solange man das nicht fühlt und aus dem Gefühl zur
klaren Einſicht und reiner Entſchließung ſich bringt, und ſolcher Geſinnung
in
in
mit dem deutſchen Bruder, und Klaſſe mit Klaſſe, ſchließen. Unſer Vorſchlag
hat beſonders auch dieſen Sinn,
zu
zu
n
a
e
r
ſation geſchehen kann. Ihre eigenſte Wirkung aber würde ſein, alle wirtſchaft
lichen wie politiſchen wie Weltanſchauungsparteien mit allem, was ſie im
Gefolge haben nicht auszuſchalten, aber für die Einheit des Ganzen un
–
ſchädlich machen.
Abſicht auf dieſe auch Parteien, würden zwar bleiben, aber ſie müßten
in
ſich dann ſelbſt mit ſoviel Sachverſtand und reinem Sachwillen ausrüſten,
daß ſie nicht gegen die ganz und nur nach den Forderungen der ſtrengſten
Sachlichkeit aufgebauten berufsſtändiſchen Vertretungen völlig ins Hintertreffen
geraten. Ihr eigentümlicher Sachverſtand würde Technik der
in
der
rechtlichen Form ung beſtehen.
105
Werden ſie es einſehen? Sie müſſen! Denn –das Verhängnis
iſt
das
kann, wenn wir wollen, unſere Aettung werden:
es
unſrer Lage, aber
bleibt keine Wahl als zwiſchen Vernunft und nt gang;
er
es
U
ein Fall der Wahl, wo, die nötige Klarheit der Sachlage vorausgeſetzt, doch
wohl allſeitige Einigkeit ſich ergeben müßte. Sache der zur geiſtigen Führung
es, dieſe Klarheit zu ſchaffen, ſie
iſt
Berufenen ſich ſelbſt zuerſt
in
zu unzweideutigem Siege bringen, dann auch gemein
zu
zu
packendem,
ſo
zu
faßlichem, gemeinüberzeugendem Ausdruck prägen, daß ſie, durch den inneren
Zwang der Wahrheit, auch allgemein durchdringen muß. Dem dunklen Drang
der ſozialiſtiſch nicht denkenden, aber fühlenden und innerlich geſtimmten ANaſſen
käme ſolche Klarheit offenbar entgegen. Sie würde ihnen eine Hilfe und Auf
richtung bringen, nach der ſie ſchmerzlich verlangen, und ihnen die Arbeit
wie der lieb machen durch die Sicherheit, daß ſie nicht umſonſt, ſondern
für den von Grund aus neuen, endlich einmal voll menſchenwürdigen Lebens
aufbau, der ihnen längſt als Ziel vor Augen ſteht, arbeiten. Für die Träger
der geiſtigen Arbeit aber unabweisbare Pflicht,
iſt
es
in je
heute mehr denn
jede Faſer anſtrengen,
ſie
in
daß ſich ſelbſt und allen dieſe Fackel anzuzünden
beweiſen, daß „Idee“ nichts Kraftloſes,
zu
und voranzutragen; endlich einmal
bloß nach innen Wirkſames iſt, das nach außen ſich verkriechen und
in
der
Welt draußen das weiter raſen laſſen muß, was doch nun offenbar zum Zu
ſammenbruch geführt hat – jene „geringſten der Übel“, die Wahrheit die
in
gefährlichſten eben darum ſind, weil ſie die Übel verſtecken und für Güter,
das Aegative für Poſitives ausgeben. Die bisherigen politiſchen Inſtanzen,
wie ſie auch heißen, um jeden Preis, um den Preis nicht des Beſſern, ſondern
des einzig Guten halten zu wollen, weil doch für den Augenblick die
ſie
Ordnung vertreten, doch nur ſozuſagen aus dem
ſie
verfehlte Politik. Leben
iſt
Reiſekoffer. Erreichen wird man mit ihnen nichts, was Dauer und Kraft hat.
ANur das Eine von ihnen zu erwarten und zu fordern: daß ſie dies
iſt
rechtzeitig dahin beſcheiden, das allein beſorgen, was allein ihres Amtes
iſt: jene Formgebung, die allerdings allein eine Polis, das heißt eine konkrete
Rechtsgeſtalt des Zeit und Raum jetzt und hier möglichen Ganzen ausmacht;
in
dagegen jene andern Inſtanzen ſelber ein ſetzen, die allein der Form
allein die poſitiv ſchaffenden,
ſie
wachſen nichts.
Licht und Luft richtig zuleiten, kurz
in
um das
–
wo
Freiheit. Aach der
zu
hintertreiben. Sollten
Deutſchland nicht viel innerlich Freie ſich zuſammenfinden, um mit
in
ſo
zu
zu
zu
frei ſein wollen, ſammeln, dann aber auch „der Freiheit eine Gaſſe“
mit ihren Leibern? Dann verdienten wir den Untergang,
es
Allzulange haben wir „Geiſtigen“ beiſeite geſtanden und das mit allen
zu
zu
Unkraut ſtehen
Heraus mit dem Zeug, von der Wurzel an, und den Boden
iſt
vertan.
er
106
-
ordentlich um- und umgepflügt: das heißt echt radikal ſein und revolutionär.
Dann wird der Boden auch empfänglich ſein zur friſchen Saat, und durſtig
ſie
–
aufnehmen. Dazu helfe jeder, zuerſt einmal durch Bekennen!
arb urg. Paul at rp
A
AN
o
Die feindlichen Kunſtraubpläne
DÄ
allen Zeiten das Kunſtgut fremder Länder ge
zu
eutſchland hat
Die kaiſerlichen, königlichen und republikaniſchen Regierungen
Frankreichs haben dagegen ſtets den Kunſtraub als ihr gutes Necht
angeſehen, ſobald ſie ſich als die Stärkeren fühlten. Franz hat ſich
I.
von Papſt Leo den Laokoon erbeten. Ludwig XII. erwog den Plan,
X.
zu
hat die Bibliothek Aeapel ihrer hervorragendſten Der
in
Schätze beraubt.
Siegerſinn Ludwig XIV. ging noch weiter. Er ließ ſich von ſeinem Hof
theologen beweiſen, daß nicht nur der Beſitz der Beſiegten, ſondern auch
ihre Perſon dem Sieger gehörten.
Trotz des Verlangens nach fremdem Kunſtbeſitz waren die Franzoſen
keine vorbildlichen Hüter des eigenen. Als am Ende des 18. Jahrhunderts
die Nevolution über Frankreich dahinbrauſte, wurden nicht nur durch den
Pöbel, ſondern auch durch fanatiſierte AMaler, Schriftſteller und Ideo
wenigen Jahren mehr Kunſtwerke vernichtet, als die Kriegs
in
logen
zu
vue wurden geplündert und teilweiſe zerſtört, die Königsgräber St. Denis
in
geſchändet, Hunderte von Königsdenkmälern niedergeriſſen und zahlreiche
Kirchen ihrer Statuen und Kulturgegenſtände beraubt. Auch das Straß
burger Münſter hat unter den damaligen franzöſiſchen Terroriſten ſchwer
gelitten. Am 24. Aovember erließen St. Juſt und Lebas den Befehl an
die Stadtverwaltung Straßburg: „innerhalb Tagen alle Steinbilder
in
arbeiten
Gründlichkeit auch durchgeführt. Wie im Elſaß damals zahlreiche Kirchen
in
ein Geſchenk Karls IV., und 5000 Bücher hergeben, Sainte Gudule
in
ſo
worden, wie von den Franzoſen während des Krieges. Aunmehr jedoch
ſtellen ſie Anſprüche auf mobile und immobile Werke dieſer verhaßten
völlig wertloſen und unſelbſtändigen Kunſt. Aach
–
108
fordert André Charles Coppier in der ehrwürdigſten und ernſthafteſten
Zeitſchrift Frankreichs, der „Aevue des deux mondes“, als Kriegsentſchä
digung die Reiterſtatue Kaiſer Konrads aus Bamberg und die Stifter
figuren aus Alaumburg und Magdeburg.
Der erſte Franzoſe, der in dieſem Krieg die Beutepolitik der erſten
Aepublik und des erſten Kaiſerreiches wieder aufgegriffen hat, war Auguſte
Marguillier, der Schriftleiter der „Gazette des Beaux-Arts“ und der Ae
ferent des „Mercure de France“ in Muſeumsfragen. Er ſtellte eine
Forderungsliſte auf, die gegen dreihundert Kunſtwerke aus den öffentlichen
Sammlungen von Berlin, Potsdam, Braunſchweig, Kaſſel, Dresden, Frank
furt, Karlsruhe, München, Schwerin, Wien, Augsburg, Danzig, Leipzig,
Köln, Stuttgart aufzählt. -
Vertreter von 500 Ligen, Ausſchüſſen und Vereinen mit etwa Mil
12
die Regierung den Erſatz für die zerſtörten Baudenkmäler und vernichteten
Kunſtwerke durch Statuen und Gemälde aus deutſchen Muſeen und Privat
beſitz. Das franzöſiſche Kriegsminiſterium hat eine Abteilung zur Auf
ſuchung der verſchollenen Kunſtwerke ins Leben gerufen und die Forde
rung der Kriegsentſchädigung durch Kunſtwerke aus deutſchem AMuſeums
Anlehnung an die Liſte von Auguſte Marguillier, die
in
in
beſitz der
„Jlluſtration“ erſchienen iſt, aufgeſtellt.
März 1919 wurde ferner von Lyon aus durch Funkſpruch der
2.
Am
Wortlaut einer Petition verbreitet, welche die franzöſiſche Akademie der
Schönen Künſte ihrer Sitzung am Dezember 1918 abgefaßt und dem
in
7.
109
Kabinett überreicht hat. Die Hauptſätze dieſes Dokumentes lauten: „Die
Unterzeichner der Petition fordern, daß folgender Grundſatz in den Frie
densvertrag mit aufgenommen werde: der dem Kunſtbeſitz der betroffenen
ANächte zugefügte Schaden müſſe durch die Auslieferung von Kunſtwerken
von ſeiten der Mächte, welche die Zerſtörung verſchuldet haben, erſetzt werden.“
ANicht nur franzöſiſche Meiſter ſollen aus den deutſchen Muſeen und
königlichen Schlöſſern als Kompenſationen genommen werden, ſondern auch
ANiederländer und Flamen, wie die Antwerpener Vereinigung von Freun
den des Muſeums von Antwerpen in der belgiſchen Regierung forderte.
Anfang März hat einer der bedeutendſten Politiker Frankreichs, der
frühere AMiniſterpräſident Louis Bathou, im Aamen der parlamentariſchen
Gruppe „Les Republicains de Gauche“ Clemenceau eine Aote überreicht,
in der ebenfalls die Entſchädigung durch Kunſtwerke aus deutſchem Beſitz
gefordert wird.
Endlich hat Arſène Alexandre im Aprilheft der Zeitſchrift „La Re
naiſſance de l'art français“ eine Liſte veröffentlicht, die ebenfalls einige
hundert Gemälde aus den Muſeen Deutſchlands enthält. Alexandre und
Dampierre haben der franzöſiſchen Verwaltung der Schönen Künſte einen
dementſprechenden Bericht überreicht.
Aus der Flut von Neſolutionen, Artikeln, Flugſchriften und Büchern
konnte hier nur das Wichtigſte hervorgehoben werden. Wenn dieſes Mate
rial auch ſchon deutlich genug die Abſichten der intereſſierten Kreiſe erkennen
läßt, ſo jedoch ein offizieller Schritt der Entente bisher noch nicht erfolgt.
iſt
Darum
und Kunſtfreunde Berlin, Breslau, Dresden, Düſſeldorf, Karlsruhe,
in
öffentlichen
gemacht haben, damit ſie mit Würde und Entſchiedenheit dieſe rechtloſen
Aaubpläne zurückweiſt.
Leipzig Otto Graut off
Klaus Groth
Sº
Zu ſeinem 100. Geburtstage
hat binnen neun Jahren drei Dichter von über
chleswig-Holſtein
Bedeutung hervorgebracht: 1813 Hebbel, 1817 Storm, 1819
Klaus Groth. Von den dreien
iſt
leriſch; die Jugend hat verloren und erwirbt erſt nach langer Wande
er
er
derung, nach Italien, die Fähigkeit, glücklich ſein; Storm hat etwas
zu
Gedichten abgewellt
ſeine Schöpfungen nie verläßt. Die beiden wirken die ihnen eigentüm
liche Kunſt Begrenzung, wie ein Bildſtil, der ſich auf beſtimmte Farben
in
beſchränkt.
Freude, Beſchaulichkeit und Feuer, Sonntag und Alltag, Weltmenſch und
Bauer, Verſtand und Gemüt, Härte und Weichheit. Er einer der
iſt
wenigen Dichter, die an ſich nicht „etwas Beſonderes“ ſind, die nicht „einen
Stich haben“, ihm ſpricht ſich ſchlechthin das Leben aus, das Einzel
in
in
110
heiten unendlich verwickelt und als Ganzes äußerſt einfach erſcheint. Von
den dreien verkörpert darum auch Groth vortrefflich den Dithmarſchen,
„Volk“ und feſter erdgeborener Miederſachſe.
iſt
Alle drei waren große Lyriker; alle drei haben lyriſche „Kriſtalle“ ge
im
ſchaffen, alle drei hierin ihrer Art nach verſchieden, Werte kaum einer
es
hinter dem andern zurückſtehend, ſoweit ſich um die einzelnen Schöpfungen
als ſolche handelt. Der fruchtbarſte Lyriker unter ihnen war Klaus Groth.
Gleichwohl ſind noch heute Hebbelſche und Stormſche Gedichte bekannter,
als Grothſche. Das liegt einmal an dem „bequemen“ Urteil der Literar
hiſtorik, wie Bartels
es
nennt, die Groth mit der ein- und abſperrenden
Aubrizierung „Dialektdichter“ abgeſpeiſt hat; dann freilich daran, daß
plattdeutſche Dichtungen noch heute außerhalb des niederdeutſchen Landes
nicht genügend geleſen werden. Aichts ſchwerer überſetzbar als ein
iſt
lyriſches Gedicht. Zu den ſchwerſten Überſetzungskünſten aber gehört die
Übertragung altdeutſcher und neuniederdeutſcher Lyrik ins Aeuhochdeutſche.
Sprache und Seele bilden bei Groths Gedichten eine innige Einheit wie Leib
iſt ſo
und Leben. In ſeinen echten lyriſchen Leiſtungen alles mit ſolch innerer
Aotwendigkeit geſagt, fügen ſich Klang, Rhythmus, Gedanke, Stimmung ſo,
daß jede Wnderung an einem Gliede des ſprachlichen Leibes das Ganze angreift.
zu
Wenn der Hochdeutſche ſich bequemt, plattdeutſche Werke leſen,
ſo
vielfach, bei Aeuter anzufangen aufzuhören, das
er
und die zarteſten Tiefen der niederdeutſchen Seele offenbaren ſich kaum
bei Aeuter, wo ſie leicht ins Sentimentale ausarten, ſondern eben bei Groth.
Aeuter arbeitet mit derben Mitteln, auch mit viel Routine, Groth ver
all das; als ſchaffender Künſtler wie ein großes Kind.
er
iſt
ſchmäht
Aicht „vieles“ aber „viel“ ſind ſeine Werke, als deren Hauptſchöpfung
der „Quickborn“ zu gelten hat.
„Volksleben plattdeutſchen Gedichten“ nannte Groth den Inhalt des
in
Quickborns.
Volksliedmäßige. Bei unſern großen Lyrikern Goethe, Uhland, Heine,
Mörike, Storm, Keller und wie ſie alle heißen, vernehmen wir Klänge des
Volksliedes; aber dieſe dienen, wie Bartels ſagt „dem ſubjektiven Bedürf
*,
doch, ſtreng
iſt
Damit
als die andern ſei, nur anders geartet. Er hat die Töne gefunden,
er
iſt
dem
Wort kommt. Wir möchten bei dieſer Gelegenheit auch auf Bartels' Er
zu
Ä
ſind. Auch für das Verſtändnis Theodor Storms wird hier mancher manches
Sie ſind Verlag von Moritz Dieſterweg Frankfurt am Main er
im
in
t&Iten.
1U
in denen mit aller Innigkeit, Zartheit, Güte, mit Humor, auch mit Derb
heit die Seele des Volkes ſich ſelber kundtut. Er objektiv wie ein Volks
iſt
er
dichter, nicht lacht, weint,
es
ſpricht, ſondern das Volk ſpricht ihm:
in
jauchzt, liebt und freut ſich, neckt und trauert, es, das Volk. Klaus
das große Kind, das ſtillhält und das Göttliche des Volkes
in
Groth
iſt
ſich und aus ſich reden läßt. Dieſes Kindliche macht, daß ein Grothſches
Gedicht ganz perſönlich und zugleich ganz volksliedmäßig ſein kann. Das
Erlebnis, das Groth etwa beim Abſchied hatte („As
iſt
weggung“),
ik
In
es
Form gefaßt, jeder Menſch genau
in
ſo
ſo
daß erleben könnte.
dieſem Sinne ſpricht einem „aus der Seele“. Eine helle einfache Gefühls
es
poeſie macht bei ihm das Selbſtverſtändliche, Volkstümliche aus. In ihr
liegt auch der Zauber ſeiner Alaturlyrik. Ganz ſchlicht und ungeſucht
ſind die Bilder, die Groth gebraucht: die Sonne, die ins Fenſter ſcheint,
das warme Himmelsblau eines löſenden Frühlingstages, das Dorf im
Aauhreif, Mauch, der vom Schornſtein aufſteigt,
im
Schnee, Weiden
Kaſtanienblüten, die auf den Boden herniederrieſeln, der Brunnen im
Hofe, das AMoor, das braut; gerade die Selbſtverſtändlichkeit, mit der
dieſe Bilder gegeben ſind, machen Darum wird
ſo
ſie wirklichkeitvoll.
uns wohl, wenn wir Groth leſen oder hören: wir wandern ſelbſt über
ſo
die braune Heide, hören wo der Ferne verloren eine Abendglocke, fühlen
in
ſelbſt den ſüßen Frieden, der mit der Dämmerung ſich übers Land legt,
reden mit den Bauern, ſehen ihre feſten Geſtalten über das Feld ſchreiten,
und all das nicht von uns aus als Hochdeutſche, als Fremde, ſondern als
Menſch unter Menſchen, als ein Stück ANatur ſelbſt. Die Naturlyrik
Groths knüpft an Einzelnes, Allgemeines, meinetwegen Konventionelles
an und erhebt dann alles durch unmerkliche feine Wendung ins Perſön
liche, Eigene, ins Aeich der echten Lyrik. Wunderbar zart, dabei ganz un
ſentimental ſind die Liebeslieder. So innig, durch und durch realiſtiſch
und zugleich poetiſch wie das Gedicht „Voer Doer“, dem die Scheide
in
der Aacht dargeſtellt wird,
iſt
ſtunde zweier Liebenden ſpät kaum ein
in
die Grothſche
Goern“ bringen das volle Glück aus der
de
ſchalkhaft
„AMatten Has“, ſagt Hebbel einmal: „Das nicht nur eine Spitze lyriſchen
iſt
iſt
iſt
Ton zugleich, dem gegenüber verhalten ſich alle Gedanken- und Emp
findungsgedichte, ſie mögen trefflich ſein, wie ſie wollen, wie Schatten
ſo
zu
In den Balladen zeigt Groth ſich als ein Meiſter der Konzentration.
„Ol Büſum“, „Dat ſtoent int Moor“, „He wak“ wirken deshalb
u.
a.
packend, von
ſo
knapp und gewichtig. Die Schwere der gefüllten Verſe wirkt auf den Leſer
wie ganz alter Wein, von dem jeder Tropfen das Blut erregt. Wie ſein
norddeutſcher Landsmann Johann Heinrich Voß hat Groth auch Idyllen
geſchaffen. Die ganze Behaglichkeit, das „Vollglück der Beſchränkung“,
in
112
des Siebzigſten Geburtstages
ſie
zu
wie der Dichter geben weiß, erblüht
auch bei Groth; aber Voß kommt über das Behagen nicht hinaus, während
Groth dem Alltäglichſten den Schimmer verleiht, der das Ewige im Aeiche
der Kunſt ausmacht. Die Miſchung von Wirklichkeit und Idealität gelingt
Groth immer aufs glücklichſte. Ein Griff ins volle Menſchenleben be
deuten ferner die Erzählungen Verſen, die uns die Handwerker, Fiſcher,
in
die Heider bei ſonntäglichen Freuden, das Armenhaus, vergangene Liebe,
vergangenes Weh, das Schlichte und Einfache wie das Komplizierte, Aben
einer Komödiantin,
zu
teuerliche, Beſondere, die Liebe eines Bauernburſchen
die Tragödie einer Kindesmörderin, aber auch eine ſonnige ſtille Liebes
farbenreichen Schilderungen vorführen.
ſie
in
Klaus Groth hat aber auch die plattdeutſche Proſaliteratur gegründet.
Fünf Jahre vor Aeuters „Franzoſentid“ erſchien ſeine Geſchichte „Detelf“,
Holſteenſchen Jung drömt, dacht und belevt
en
voer, un na
in
hett
der garnicht anders kann als deutſch ſein, deſſen Leben ſeiner tief mit
in
dem Volk verbundenen Art ſchlechtweg niederſächſiſch denkt und fühlt. Wie
des Helden der Ge
im
de
erſcheinen. („Um Heid“) und
aus der Kinderzeit („AMin Jungsparadies“) der packenden Wirk
in
können
lichkeitswucht ihrer Darſtellung durchaus mit Zolaſcher Kunſt verglichen
Groth erzählt ganz anders als Storm oder Reuter, nicht
ſo
werden.
ſonntäglich wie jener, hat nicht die glänzende Verve des Mecklenburgers;
er
im
iſt
bezeichnen“.
Wir leben jetzt trüber ſchwerer Zeit,
es
in
der
gilt,
es
zu
das hochdeutſcher
zu
wenig ihrem Rechte, und doch ruhen ihr mit die beſten Kräfte unſeres
in
zu
zu
Volkes. Einen beſſeren Zugang ihr als den von Klaus Groth geſchaffenen
können wir uns nicht denken und wünſchen. Mögen ſich aus ſeinem
lebendigen Quickborn, ſeinem „lebendigen Brunnen“, auf den der Kunſt
wart* von jeher hingewieſen hat, viel mehr Deutſche als bisher Erquickung
und Bereicherung holen, und dem niederdeutſchen Geiſtesgut die Stelle
unſerem geſamten Leben verſchaffen, die ihm gebührt!
in
beſonderen Groth war einer der allererſten, die für ihn eintraten, und
Dank.
Das Wort „mit dem Kunſtwart für jeden
iſt
einem beſondern „Feuilleton“ über unſer Blatt der „Kieler Zeitung“ aus.
in
es
in
113
Loſe Blätter
Fünf Gedichte von Klaus Groth
mit Bildern von Otto Speckter
iſt
ihm ſchon
es
es
viel geſagt worden, aber weiß noch immer nicht. Kein Unglück, wenn
das nur nicht wüßte läſe
–
es
es
ihn nur mehr! Aber außerhalb
des niederdeutſchen Kreiſes, wer vertieft ſich da Grothſche Gedichte, die
in
Anthologien findet? Die Kunſtwart-Propaganda für
er
in
nicht etwa
Mörike, Keller und Hebbel als Lyriker ihrerzeit durchgedrungen, die
iſt
für Klaus Groths Lyrik hat eine Art Achtungserfolg gehabt, mehr nicht.
Sprachſchwierigkeiten – Groth lieſt ſich für den Mittel- und Süddeutſchen
nicht leicht, und überſetzbar Klaus Groth nicht leſen
er
iſt
nicht.
heißt aber nicht weniger, als auf das AN leben mit
it
Allerbeſtem, mit ller ſtärkſtem, mit All er innerlichſtem
A
des deutſchen Volk stums verzichten. Man darf Ruhe
in
ſagen: Wer ſich Groth nicht verſenkt hat, bis ganz ſein eigen iſt, der
er
in
entbehrt einen Lebensſchatz, aus dem Wärme, aus dem Liebe mit einer
ſtillen Fülle immer und immer wieder leuchtet und entzückt. Klaus Groth
iſt
iſt
nicht etwa nur „einer unſrer beſten Dialektdichter“, ſondern einer
er
der vier oder fünf größten deutſchen Lyriker. Und, nochmals, un
er
iſt
überſetzbar.
Wir haben vor zehn Jahren darauf hingewieſen, daß vom „Quick
es
born“ auch eine köſtlich illuſtrierte
Ausgabe gibt, ſie mit den
iſt
Bildern von Otto Speckt er bei Lipſius und Tiſcher Kiel erſchienen.
in
Gaern“ hat kein Geringerer als Ludwig Richter illuſtriert, aber
de
„Vaer
Schönes das Buch enthält –
Aichter war nicht wie Speckter ein Lands
ſo
mann Groths, und ſeine Kunſt war auch ihrem Weſen nach viel weniger
„einfühlſam“ als die Speckters. Die Speckterſchen Quickborn-Jlluſtrationen
ſind ſchon als Kulturſchilderungen wegen ihrer Treue wertvoll, als Kunſt
werke aber bezeugen ſie eine Andacht zum Gedicht und eine mitlebende
Liebe zum niederdeutſchen Volkstum, die uns Speckter neben Groth wie
den jüngern Bruder fühlen läßt. Der ältere erzählt ihm von Vater und
Mutter, und der jüngere ergänzt das ehrfürchtig mit dem, was weiß.
Man braucht nur die paar an und für ſich ganz guten Jlluſtrationen er an
zuſehn, mit denen Olde die letzten Auflagen ergänzt hat, um den Unter
ſchied zwiſchen alter und neuer Auffaſſung des Begriffs „Jlluſtration“
Bei Speckter in
zu
iſt
den
ziehungen ſind ihm neuere weit über. Aber die modernen Buch-Bilder
möchte ich ſehn, die beſſerer Weiſe den poetiſchen Faden aus dem Ge
in
SP)
114
Min Jehann
115
at will He miint Finſter lüſtern?
Jk ſeet je ganz tofredn in Düſtern
Un hör min braten Appeln grüſtern
– Dat magik geern –
Un will mi ebnen Pip anpüſtern
Un ſpikeleern.
en ik
So ward mi
op
Art elenni,
Mikamt, ikmark rechwodenni,
mi
De Rimelſchop,
Im,
as
Un brummt mi, de
lebenni
Kopp.
in
Herum
mi
Un dreiht
–
Geſpinſter
en
denn
Vaern Ogen rund
JkFk
kenn
dwattſche Hund.
unHe
Ik
ſünd
Un mank Aimſmed nich mal zünfti,
Ok
(16
Vun jede Aachtigal un Singel
trüdjen, wat rimt,
Un denkt, man ſleiten ut den Swingel,
Wenn man't verſümt.
Marſch rut,
de
man
ut
Vertreck He
anner Marſchrout,
en
Un nehm He man
Dat nimt ſik plattdütſch gar narrſchut,
- to
Dat Maanſchinfewer:
Wi ſeggt uns Menung grad un barſch rut,
Friſch vunne Lewer.
ik
wenn de,
Koppheiſter oewer.
Dat Glück
to
ſöken.
(17
De hilli Eek
F.
in Karkhof dal, to Enn' dat Dörp, darſteit en Bomann Bek,
De Junges ſtigt in alle Böm, doch nie in diſſe Eek.
De ſteit der knurri ganz alleen, en Stubben old un krumm,
N Un ſtreckten Aſt nan Heben rop, as lang der'n Arm herum.
De Junges ſtigt in alle Böm, doch diſſe ſteit in Auh,
Denn Abends draut he mit ſin Arm un makt ſe ſtill un ſchu,
Denn Abends draut he in den Wind un makt ſe ſchu un ſtummt,
Denn geit keen Fru, denn geit keen Kind alleen na'n Karkhof rum.
De Vageln flegt in alle Böm un ſingt er Leed hendal,
Hier kumt keen Flünk, hier kumt keen Lünk, un Ulun Krei nimal
Hoch inne Spitz dar ſitt en Meſt, dat ward ni eenmal klar,
En ſwarten Klunkrav ſitt derbi un ſchriggt dat ganze Jahr.
He ſchriggt ſo holl biDag un Macht, de Stimm is heeſch un drang
So ſchriggt he dar dat ganze Jahr al Menſchendenken lang.
Se ſeggt, ſo ſchriggt he hunnert Jahr, denn flüggt he opna't Morn,
Denn drift de Bom en annern Tilg, hoch as de Karkenthorn.
Den ſchallen annern Vagel kam mit Flünken hell un witt,
ſik
Un ſett
de
de
Denn hebbt
er
Freid,
er
de
de
he de
Bom
Mi
as
blev
118
Se lengt
DDeSünn
Hadbar
de ſackt int Water,
kumt ut't Aeth.
De See is noch int Wogen,
Se ſingt er Abendleed.
U9
IM–
Kºsi “LE
= daß
ſuggeſtion. leitet und mißleitet werden kann, wie
Ihr müßt es wiſſen, daß die Was gebotene Aufgabe
iſt
mag.
er
Maſſenſeele nicht dasſelbe iſt, wie die für euch, als mit der Überlegenheit,
Summe oder der vervielfachte Durch die euch das beſſere Sachverſtändnis
120
z
verſchafft, ſtets auf dem Poſten zu ſein, hörte? Den Zuſtand, daß man nach
ob etwa der Aauſch die Einſicht ab Deutſchland hinein alles ſprechen darf,
löſe, ob etwa eine Suggeriertheit auf was man will, daß aber aus Deutſch
komme, ob etwa eine Maſſenſeele ſich land heraus jeder Gedanke, jedes Wort
bilden will? durch den Filter geht, eh er von den
Wo ihr ſtehn möget, da helft die Völkern der Entente gehört werden
Beſonnenheit wahren, und wo ihr darf? Wenn man ſich in Frankreich
ſtehn mögt, da werdet ihr nützen! Ql und drüben ſonſt der eigenen Völker
ſicher fühlte, warum ließe man dann
Die chineſiſche Mauer nicht auch unſer Volk zu ihnen ſpre
unſerm Volke wird,
Wº die
ſchwer
Bedeutung
es
des Suggerier
chen, wie ſie zu uns?
daß ſie zur Verſtändigung
Man weiß,
kommen
kriegs zu verſtehn! Er
hat ermöglicht, würden, das aber würde bedeuten: zur
daß man nach und nach faſt alle Völ Klarheit über die Regierungen, die
ker der Erde gegen uns als den Feind Intereſſen, denen ſie dienen, die Sug
ſammeln konnte, er , geſtionen, mit denen
ſie
der Menſchheit ihre eigenen
daß ſich bei ihnen allen zweierlei Maß Völker betrügen. Ein Frieden der
einbürgerte, je nachdem die andern oder Verſtändigung, ein Aeuaufbau der
wir etwas wollten und taten, er, daß ganzen Menſchheit auf das von den
man unſer Volk mit dem ungeheuerſten Feinden angebotene und von uns an
Betrug der Geſchichte zur Waffenſtrek genommene Wilſonſche Programm hin
kung verführen, er, daß man das war möglich. Der Suggerierkrieg ver
Aushungern der ANichtkämpfer über die eitelt ihn. Vereitelt dasſelbe, was
er
Waffenſtreckung der Kämpfer fortſetzen Feind und Freund, was allen Völ
er
und zum Erpreſſungsſyſtem kern der Erde als das Ziel derer vor
–
ausbauen
konnte ohne daß die AMenſchheit ſich geſpiegelt hat, die ihn führten, ver
darüber empörte. Er
hat, um Baden eitelt auf unberechenbare Zeit hin die
Powells befriedigte Worte vom Blok Beruhigung der Menſchheit. A
kade-Erfolg zu gebrauchen, „die deutſche
Aaſſe ruiniert“, ſeine Folgen haben Alfred H. Fried
uns krank und Tauſende in der Krank hat mir vorgeſchlagen, unſre öffent
heit raſen gemacht, bis auch die ge liche Auseinanderſetzung „bis nach
wünſchte Selbſtzerfleiſchung kam, er, Unterzeichnung des Präliminarfriedens
der Suggeſtionskrieg, ſingt nun über zu vertagen“, und ich habe mich damit
Entſittlichen derer ſeinen Cant, die einverſtanden erklärt.
er entſittlicht hat. Er wird ihn wei
terſingen, wo immer der niedergelo= Wo geht der Schnitt durch unſer Volk?
halbverhungerte, halbverlumpte ſozialiſiert muß, ent
D#
gene, werden
ſchloſſen, energiſch, durchgreifend
–
Volk beachtet höchſtens den einzelnen ſonſt an einen inneren Frieden gar
Aein, der
zu
zeugen ſogar davon, daß viele unſrer „Bürgerlichen“. Sondern läuft er,
eigenen ermatteten Gehirne ihm erliegen. wo man noch heutigen Tages ein
Wer unter unſerm Publikum hat Klaſſen bewußt ſein gelten läßt
jetzt in der Tagespreſſe oder ſonſtwo oder gar wiſſentlich pflegt. Es darf
den gegenwärtigen Stand des Sugge ke in Klaſſen mehr geben.
es es e
rierkriegs ſo geſchildert, daß man ſeine Und liegt auch unſrer Macht,
in
zu
ſtachelt, manche bureaukratiſche Feſſel
iſt); im Aahmen feſteſter Aeichs
iſt
der handelt damit nicht nur unſozia
liſtiſch und undemokratiſch, ſondern einheit Dezentraliſation und Selbſt
ſchlechtweg reaktionär, und wenn verwaltung! Gelingt es, hier die Tra
er auf der äußerſten Linken ſtünde. Al ditionen fortzuführen, nicht: ſie zu
brechen, wird auch das neue Deutſch
ſo
Der Ruf nach einer ſozialiſtiſchen kon land auf den Schultern unſerer großen
ſervativen Partei Erneuerer ſtehen: Scharnhorſts und
ja
Boyens,
iſt
anz neu nicht, Friedrich Wilhelms und
er
er
iſt
ſchon
I.
vor dem Kriege
da
und dort hörbar des großen Friedrich, Bismarcks und
geworden. Jetzt richtet ihn im frei des Größten unter ihnen: des Frei
in Abgrund
–
konſervativen „Aeuen Deutſchland“ (9) herrn vom Stein!
E
Victor Ehrenberg, und zwar als „offe klafft allerdings noch zwiſchen uns und
nen Brief“ an Herrn von Kardorff, der dem Sozialismus. Er
iſt
(nicht der
ja
mit ſeiner Liſſaer Rede Weitblick Erſcheinung, wohl aber der Idee nach)
und Vorurteilsloſigkeit bewieſen hat. international, die »deutſche« Revolution
Er fordert geradezu: „Schaffen Sie eine Und
iſt
im Grunde Weltrevolution.
neue konſervative Partei!“ wir müſſen uns klar ſein, daß der
„Die geiſtige Idee der ARevolution ſozialiſtiſchen Idee Zwang geſchieht,
der Sozialismus. Der Sozialis ein nationales Ge
iſt
in
.
.
mus als Idee kennt nur einen ent wand preſſen. Hier müſſen wir das
ſchiedenen Gegner: den Liberalis tun, was der Politiker ſtets tun muß:
mus. Sie ſind Antipoden. Dem Kompromiſſe ſchließen. Das
iſt
weder
.
.
im Grunde leichter
ſo
als die Konſolidie die Meinung nicht
es
iſt
ja
nichts anderes ſchaffen, als
rung der ARevolution, die Konſolidie der ſchlechteſten Sozialiſten iſt, daß es
rung der Revolution durch ihre Ein Deutſchlands eigenſte und heilige Miſ
führung die Bahnen alter Tradi ſion iſt, der Welt das Vorbild des
in
zu
der neuen ſozialiſtiſchen Epoche, ſchenken.“
Wir, wir von Fried
–
erſehnen. die
rich dem Großen und Bismarck her Die Ausbreitung der Spartakusgeſin
kommen, wir müſſen gewißlich um nung
nicht leugnen: wir
Wº
es
harrt
Welt, die ſich aufbauen ſoll, gilt es, land außerhalb des Spartakus ſich
koſtbarſtes Erbe der alten Zeit hin natürlich nicht gern geſteht, gibt eine
Zwar ſind wir, wie
zu
ſchen
Wert gab. Was vember vorigen Jahres im Vertrauen
zu
bewahren gilt,
iſt
es
in
der
bewußte Beamtentum (wenn auch abrechnung wohl das Schlimmſte iſt,
122
Wer kann von jungen heißen
es
da dieſes Übel Deutſchland von der
Aotwendigkeit entlaſten wird, ſich der Menſchen nicht begrüßen, wenn ſie ſich
artigen Forderungen zu beugen.“ Dieſe ſagen: dann ſoll der Feind mit hinab!
Beobachtung des Holländers beſtätigt Dann die Weltrevolution, nicht im
ſich leider. Sinn der Weltreform, ſondern des Zer
ja
Man beginnt ſich zu fragen: wes ſchlagens aller Form. Man kann
halb konnte ſich doch Mußland „wür nicht einmal ſagen, daß hier eine un
diger“ benehmen, als wir? Gewiß auch, edle Rache ſpreche, die nur das eigne
weil Deutſchland den Frieden nicht viel Unglück auf den Feind übertragen will,
weniger brauchte, als es ſelbſt; vor ohne daß uns eine Hilfe daraus er
weil es ſeine Rechnung wüchſe. Die Rechnung anders. Man
iſt
allem aber,
auf die tabula