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DIE DEUTSCHE T HOMAS - AU S GA B E

Vollständige, ungekürzte
deutsch-lateinische Ausgabe der

SUMM A TH EO LO G IC A

Ü b e rse tz t von

DOMINIKANERN UND BEN ED IKTIN ER N


DEUTSCHLANDS UND ÖSTERREICHS

H e ra u sg e g e b en v o n d e r

A I. B E R T U S - M A G N U S - A K A D E M I E
W ALBERBERG BEI KÖLN

H a u p tse h riftle ite r:

P. H E I N R I C H M. C H R I S T M A N N O .P.

15. BAND

1950

GEM EINSCHAFTSVERLAG

F. H. K E R L E ANTON PUSTET
HE ID E LB ER G -MÜNCHEN GRAZ-WIEN- SALZBURG
T H O M A S V O N A Q U I N

GLAUBE ALS TUGEND

i i — ii

1 — 16

1950

GEM EINSCHAFTSVERLAG

F. H. K E R L E ANTON PUSTE T
HEIDELBERG-MÜNCHEN GRAZ-WIEN-SALZBURG
Säm tlich e R echte für die d eutsche und la te in isc h e
Sprache und Ausgabe V orbehalten
C opyright 1950 by V erlag A nton Pustet, S a l z b u r g-
G raz-W ien — F. H. K e r l e , M ü n c h e n -H e id e lb e rg
Das I m p r im a tu r w urde e rte ilt vom P ro v in zial der
n o rd d e u ts c h e n D o m in ik a n e rp ro v in z P. D r . A u g u s t i ­
nus M. G i e r l i c h 0. P. u n d dem F ü rste rz b is c h ö f lic h e n
O rd in a ria t zu Salzburg

SCH RIFTLEI TER-KOLLEGIUM

H a u p ts c h r if tle ite r P. H einrich M. C h ris tm a n n O. P. ,


S. T h e o l . Lect. — P. D r . E b e rh a rd Welty O. P. , Regens
der A lb e rtu s -M a g n u s -A k a d e m ie zu W alberberg. —
P. Dr . A. F rid o lin Ut z O. P. , U n i v. - P r o f., F r e i b u r g,
S c h w e i z . — P. iß e r n w a r d D i e t s c h e O. P. , S. T h e o 1. L e c t . ,
W a lb e rb e rg bei Köln

1. b i s 4. T a u s e n d

E in b a n d e n tw u r f von Prof. Rudolf Koch, Offenbach

Druck: U n iv e r s itä ts - B u c h d r u c k e r e i „ S t y r i a“, G r a z


ZUM GELEIT

Sieben Jahre sind verflossen, seit der letzte Band der


Deutschen Thomas-Ausgabe erscheinen konnte. Über die
Gründe dieser langen Unterbrechung ist kein Wort zu ver­
lieren. Zwar sind die Horizonte auf allen Seiten auch
heute noch düster genug. Wenn Schriftleitung und Verleger
rein menschlichen Erwägungen und rein menschlicher
Berechnung folgen wollten, so müßte man wohl noch eine
gute W eile warten, bis die Zeiten sich so weit geklärt
haben werden, um die Fortsetzung eines so schwierigen
Unternehmens von der äußeren Weltlage her zu recht-
fertigen. Was Herausgeber und Verleger beseelt, ist die
Liebe zum Apostolat der Wahrheitskündung, die in Thomas
von Aquin einen ihrer besten und ruhmreichsten Meister
gefunden hat. Was Paulus aus dem Gefängnis heraus
schrieb, das sagen auch wir: Verbum Dei non est alliga-
tum — Das Wort Gottes läßt sich nicht fesseln, es wird
Seinen Weg machen, so oder so.
Im Vertrauen auf den Beistand dessen, der die Wahrheit
selbst ist, wagen wir es daher, trotz der dunklen Prognosen
für die Zukunft, das Werk mit erhöhter Sorgfalt für Inhalt
und Ausstattung auf den Weg zu schicken. Wir sind über­
zeugt, daß es heute mehr denn je seine Sendung hat.
In der Zwischenzeit sind zwei neue lateinische Ausgaben
der Summa theologica erschienen, bzw. in unsere Hände ge­
langt. Die eine bringt den Leonina-Text mit Anmerkungen
aus de Rubeis, Billuart, P. Fauch er O.P. u. a.; erschienen
bei Marietti, Turin und Rom 1948; die andere ist nach
dem Piana-Text gearbeitet und herausgegeben vom Institut
für mittelalterliche Theologie zu Ottawa (Kanada), er­
schienen 1941 bei Garden City Press ebendort. Die kriti­
schen Ergebnisse dieser beiden Ausgaben werden wir,

(5)
besonders was den geschichtlichen Kontext des thomasi-
schen Gedankens angeht, soweit möglich und notwendig
berücksichtigen.
Um nicht gleich beim neuen Start der Ausgabe den
normalen Umfang des Bandes erheblich überschreiten zu
müssen, haben Schriftleitung und Verleger nach reiflicher
Überlegung sich entschlossen, den Traktat über die Hoff­
nung nach Band 16 hinüberzunehmen. Da die Verweise
bei Thomas stets nach Frage und Artikel erfolgen, kann
aus dieser geringfügigen Verschiebung auch bei Verweisen
aus den bereits erschienenen Bänden für den Leser keine
Unklarheit entstehen.
Bedingt durch die politischen Ereignisse, hatte der Verlag
F. H. Kerle-Heidelberg im Jahre 1939 vom Verlag
A. Pustet-Salzburg, der von den Nationalsozialisten „über­
nommen“ worden war, das Verlagsrecht an der DThA
erworben. Nun haben sich beide Verleger zu einem
Gemeinschaftsverlag zusammengeschlossen.
Aus dem Kreise der Mitarbeiter wurden inzwischen in
die Ewigkeit abberufen P. Dr. Anselm Stolz O.S.B., der
Kommentator des 2. und 3. Bandes; außerdem aus dem
engeren Redaktions-Kollegium von Walberberg die beiden
stillen, unermüdlichen Mitarbeiter P. Gervasius M. Wulfert,
S. Theol. Lector (in Rußland vermißt), und P. Ansbert M.
Lotter (in Rußland gefallen). Unser aufrichtiger brüder­
licher Dank folgt ihnen in ihre bessere Heimat. R. i. p.

W a l b e r b e r g — G r a z — H e i d e l b e r g , im April
des Heiligen Jahres 1950.

D ie Schriftleitung.

(6)
EINLEITUNG

I m l o ta a m in u , lo te a m e n u :
W en n ih r n ic h t g la u b t, w e rd e t
ih r n ic h t b le ib e n . Is 7, 9
M ein G e re ch te r le b t
— au s d e m G eh eim nis.

Unsere von selbstgeschaffenen Ideologien, diesen selt­


samsten Kindern menschlicher Willkür, beherrschte Zeit
ist dem Glauben an eine göttliche Offenbarung nicht hold.
Sie wähnt zu wissen. So braucht sie den Glauben nicht.
Mehr noch: er ist ihr im Wege. Sie w ill die W elt und die
Dinge der Welt durch W issen und technisches Können be­
herrschen. Hier darf ihr keiner dreinreden, auch Gott nicht.
Je mehr aber die Ehrfurcht vor Gott und damit notwendig
vor dem Sein überhaupt schwindet, um so mehr geht auch
Forschung nicht mehr so sehr auf Welterkenntnis oder gar
Weltverständnis, sondern auf Weltveränderung, auf Aus­
beute, möglichst restlose Ausbeute der in der Erde inve­
stierten Werte und Energien. „Machet euch die Erde unter­
tan.“ Mehr denn je glaubt die Menschheit an den Auftrag,
sie glaubt nicht mehr an den Auftraggeber. Sie lehnt jeden
transzendenten Auftraggeber ab. Sie dünkt sich autonom,
selbst-herrlich. So w ill sie auch keine Hilfe von irgend­
woher, sie ist autark geworden. In einer autarken Mensch­
heit aber hat der Glaube keinen Platz. Denn der Glaube,
von dem in diesem Bande die Rede ist, er müßte das Gesetz
der Autarkie durchbrechen, nicht nur das der geistigen,
auch das der politischen und noch das der wirtschaftlichen
Autarkie. Ja, der Glaube erschüttert die längst unterhöhlten
Voraussetzungen dieser Autarkie und entlarvt ihre Sicher­
heit als Selbsttäuschung, ihre gesamte Politik als gefähr­
liches Vabanquespiel. In ihrem falsch verstandenen Selbst­
erhaltungstrieb spottet die Zeit der Offenbarung und weiß
doch nicht, was ihr wahrhaft „zum Frieden dient“. Sie ist
blind gegen ihr eigenes Heil und verbraucht in ihrer Blind­
heit alle ihre Reserven, um sich schließlich selbst zu zer­
stören.

(7)
GEIST IN GEFAHR

Dem Theologen sind diese Dinge nur allzu geläufig. Was


ihm aber nicht geläufig ist, ist die Erkenntnis, daß dem
Glauben eine vielleicht noch größere, w eil immanente Ge­
fahr von der Theologie selbst her droht. „Es ist mit der
Wissenschaft über Gott die Gefahr verbunden, daß sie
unser tiefstes Innere Gott entfremde, anstatt es Ihm zu
nähern.“ So schreibt vor etwas mehr als 60 Jahren Ceslaus
Maria Schneider, einer der großen Theologen des 19. Jahr­
hunderts, und man kann nicht sagen, daß die neuere
Theologie diese Gefahr in allweg erkannt und gemeistert
hätte. Es ist dieselbe Gefahr, die Heidegger auf deckt im
Verhältnis des Philosophen dem Sein gegenüber. Der
Philosoph, erst recht der Philosophiegelehrte, vergißt-zu
leicht, daß er es im Grunde nicht mit seinen Gedanken
ü b e r das Sein, sondern mit dem wirklichen Sein selbst
zu tun hat, und daß er auch die seienden Dinge, um deren
Wesenserkenntnis und W esensordnung er sich müht, so
lange nicht echt in den Blick bekommt, als sich ihm nicht
das Sein dieser seienden Dinge von sich aus „gelichtet“ hat.
Hier gilt, was Cajetan, der größte Kommentator des
hl. Thomas, schreibt: „Was es mit dem Sein als meta­
physischer Wirklichkeit auf sich hat, ist vielleicht den aller­
gelehrtesten Leuten noch nicht aufgegangen.“ 1 Die Fülle
der „Bilder“, d. h. hier die Gedanken und die Begriffe der
seienden Dinge, hindern oft genug den Geist, zur „Lichtung
des Seins“ durchzustoßen, das Sein zu sich hereinzulassen,
bzw. in das Sein „hinauszutreten“, hindern also die un­
mittelbare intentionale Berührung von Sein und Geist.
Auch hier scheinen die Bäume schuld zu sein, daß man den
Wald nicht sieht: vor lauter seienden Dingen kommt das
Sein dieser seienden Dinge nicht mehr in Sicht. Der Blick
des Geistes ist gewisserm aßen gefangen vom Vorder-
1 Es han d elt sich also nicht um den abstrakten, a llg e m ein sten
und daher in h altleersten B egriff d es S ein s, üb er d en z. B.
M authner sich lustig macht, son d ern gerad e um das w irk lich e
S e in in der ganzen F ü lle se in e r a n alogisch en D ifferen zierth eit,
doch nicht nur als W esen , son d ern als im k on k reten W esen
sich v erd ich ten d es S ein .

(8)
gründigen der Wirklichkeit, und so entgeht ihm völlig nicht
nur der Sinn des Gesamt-, sondern die in keiner W eise
selbstverständliche, ja geradezu geheimnisvolle Tatsache
des Seins überhaupt, das sich zu den seienden Dingen ver­
dichtet. Daher kommt es auch, daß die seienden Dinge den
Geist so oft verwunden. Das Sein allein heilt und beglückt.
Ähnlich ergeht es dem Gläubigen mit den Glaubenswahr­
heiten, dem Theologen mit seinen Theologoumena. Auch
ihm kann es geschehen, daß er vor lauter Beschäftigung
mit der Theologie und ihrer Geschichte den Theos, also
Gott, um den doch alle Theologie zuerst und zuletzt sich
mühen sollte, vergißt, ja, daß er Seiner gar nicht auf echte
W eise inne wird, daß er ü b e r Ihn befindet, sich Seiner
geistig zu bemächtigen sucht wie einer „Sache“, eines
„Gegenstandes“. Das theologische Denken kreist dann im
Grunde nicht mehr um Gott, sondern um die eigenen Ge­
danken über Gott. Gott wird herabgewürdigt zur Folie für
das eigene Denken, Theologie als „Wissenschaft“ wird zum
Sportplatz des Geistes, wo es dann sogar ohne echte Reli­
giosität zugehen mag.1
Diese Versuchung, das geistliche Leben vom geistigen
her zu übermächtigen, der Spekulation das Übergewicht zu
geben über die Kontemplation, der theologischen Wissen­
schaft mit ihrer Abstraktionstechnik die Ursprünglichkeit
des gelebten Glaubens zu opfern, diese Versuchung, die sich
bis zur völligen Zäsur beider Lebensbereiche, bzw. bis zur
gänzlichen Auslöschung des unterdrückten Bereiches aus­
wirken kann — die unselige Frucht der fortschreitenden
Säkularisierung (lies: Entgnadigung!) des gesamten
Geisteslebens —, diese Versuchung begleitet als latente
Gefahr die gesamte Geschichte der Theologie von ihren
Anfängen an, so daß schon Paulus vor ihr warnen muß.
Sie wurde nur so lange und so weit überwunden, als Theo­
logie und Heiligkeit in Personalunion lebten, w eil beim
heiligen Theologen Spekulation von selbst übergeht in
r
1 N ih il est p au p eriu s et m ise riu s m en te qu ae caret D eo et f
d e D eo ph ilosophatu r et disp utat: „Es gibt nichts A rm selig eres j
u nd T rostloseres als den G eist, der, selb st lee r von Gott, über
Gott red et und p h ilo so p h iert“ (Joh an n es K lim aku s).

II 16 (9)
Kontemplation und beides mit innerer Notwendigkeit zum
Gebet wird. Der wahre Theologe w eiß nur deshalb so tief
v o n Gott zu reden — denn das ist ja wohl Theologie:
„Rede von Gott“ —, w eil er zuvor so viel und so inbrünstig
lang m i t Ihm geredet hat im Gebete. Denn erst im
Gebete findet der Geist unmittelbar zu Gott. Gebete —
diese „leisen Dialoge mit der Ewigkeit“, besser: mit dem
Ewigen selbst, in denen die Begegnung des menschlichen
mit dem göttlichen Geiste zum beglückenden Ereignis
wird —, sie schaffen in der Gnade des H eiligen Geistes,
der „in uns fleht mit unaussprechlichen Seufzern“ (Rom 8,
26), als Hauch also vom Hauche Gottes, die Atmosphäre,
in der echte Theologie überhaupt erst atmen kann.

DER GLAUBE ALS WEG ZUM MENSCHEN

Voraussetzung für die Schaffung einer solchen geistig­


übernatürlichen Atmosphäre ist der lebendige Glaube, der
als Gnade, w ie Thomas sagt, nicht nur im Entstehen vom
•Heiligen Geist geschenkt wird, sondern in seiner ganzen
Dauer vom Wirken des Geistes getragen ist, so daß, wer
in hellwachem geistigem Bewußtsein unter dem Anhauch
der Gnade den Glaubensakt setzt, also das vorbehaltlose
Ja spricht zu Gott und Seiner Offenbarung in ihrem vollem
Umfange, in und mit diesem Akt sich der unmittelbaren
Berührung des Heiligen Geistes versichert halten und sich
über alle nur-menschliche Beglückung hinaus beglückt
halten darf; denn „der Geist Gottes selbst gibt unserem
Geiste Zeugnis, daß wir Kinder Gottes sind“ (Röm 8, 16).
Durch die gläubige Erkenntnis des sichtbaren, mensch­
gewordenen Gottes, in welchem alle Offenbarung gipfelt,
„zur Liebe des Unsichtbaren emporgerissen“ (Präfation
von Weihnachten), gewinnt nun der Mensch in Gott
jenen souveränen Standpunkt über allem Getriebe der Welt,
der ihn befähigt, lächelnd auf sich selbst und die Welt
herabzuschauen und alles, sich selbst und die Menschen
und die Welt, in der rechten, einzig gültigen, nicht mehr
menschlichen, sondern göttlichen Perspektive zu sehen und
zu beurteilen. „Der geistige Mensch (d. i. der Mensch des

(10)
Glaubens) — so verkündet Paulus — beurteilt alles, er
selbst aber wird von niemandem beurteilt“ (1 Kor 2, 15).
So zieht erst der Glaube, selbst ein „Erkennen im Spie­
gel wie im Rätsel“, die Schleier w eg von der Wirklichkeit
und läßt uns das wahre Gesicht der Welt und des Menschen
sehen. Das heißt aber: Erst wer im Glauben den Schritt
in die Offenbarung, den Schritt zu Gott hin wagt, stößt
durch zur echten geschichtlichen Situation des Menschen.
Denn die konkrete geschichtliche Situation der Menschheit
und jedes einzelnen ist zuletzt bestimmt von der Kata­
strophe, die d i e s e n Ablauf der Geschichte in allen seinen
Phasen, in seinen Aufstiegen und Abstürzen erst bedingt.
So daß man sinnvoll fragen kann, ob der Mensch überhaupt
Geschichte im modernen Sinne haben würde, wenn diese
Katastrophe sich nicht ereignet hätte. Sollte aber auch der
paradiesische Mensch Geschichte gehabt haben, so würde
diese Geschichte entscheidend anders ausgesehen haben
als das, was wir jetzt als Geschichte bezeichnen. Da wir
von jener Urkatastrophe Sicheres nur aus der Offenbarung
wissen, schenkt uns also erst der Glaube an die Offenbarung
das einzig echte und umfassende Apriori, von dem aus der
tatsächliche Ablauf der Geschichte allererst zu verstehen
ist. Der Glaube übersetzt so das „qualvoll uralte Rätsel“
der Welt und des Menschen ins Geheimnis und nimmt ihm
damit die Qual, wenn auch nicht alle Dunkelheit. Zugleich
erhebt er sich damit „himmelhoch“ über alle sogenannte
„Weltanschauung“.

DER GLAUBE ALS WEG ZU GOTT

Denn der eigentliche Gegenstand des Glaubens ist eben


nicht die Welt und nicht der Mensch, sondern Gott selbst,
und zwar als die Urwahrheit, als die Er zugleich das Sinn­
zentrum der Schöpfung ist, der Ursinn, von welchem über­
haupt erst alles Sein und Leben mit seiner Existenz zu­
gleich seinen ewigen Sinn empfängt. So hat von Gott her
unser Leben und alles, was ist, einen nicht bloß mensch­
lichen, sondern durchaus göttlichen Sinn. Dementsprechend
ist auch das Ziel des Glaubens nicht die Welt oder der

II* (11)
Mensch, sondern Gott, wiederum sofern der Mensch ange­
legt ist auf die volle Erkenntnis der Wirklichkeit schlecht­
hin, also auch der göttlichen, und nichts brennender ersehnt,
als Antwort zu erhalten auf die Sinnfrage, die Offenbarung
der hüllenlosen Wahrheit, der Wahrheit über Gott, über
sich selbst und über die Welt, über das Leben und über
den Tod und das, was sich hinter dem dunklen Vorhang
des Todes verbirgt. Im Glauben tendiert der Mensch nach
seiner eigenen Tiefe, dorthin, wo der geistige Schwerpunkt
seines W esens liegt, der identisch ist mit der geheimnis­
vollen Mitte der Welt. Zwar hat der Glaube es zunächst
nur mit der übernatürlichen Wahrheit und dem über­
natürlichen Ziel des Menschen zu tun und mit all dem,
was ihm Weg sein kann zu diesem Ziele. Aber dieses über­
natürliche Ziel umgreift als absolut letztes Ziel alle natür­
lichen Ziele. Ohnehin ist nur e i n letztes Ziel denkbar; es
kann nicht mehrere letzte Ziele geben, weder für den
einzelnen noch für die Menschheit als Gesamt. Von hier
aus wird ohne weiteres verständlich, weshalb keiner von
denen, die die Offenbarung ablehnen, ein konkretes Ziel,
sei es des Einzellebens, sei es der Universalgeschichte der
Menschheit, anzugeben imstande ist, um dessentwillen es
sich zu leben lohnen würde. Nachdem die These vom
unendlichen Fortschritt durch die Erfahrung der letzten Jahr­
zehnte so grausam ad absurdum geführt wurde, hat eine
große Ratlosigkeit und eine allgemeine Angst die Menschen
erfaßt. Was wir im Augenblick erleben, ist ein Treten auf
der Stelle, eine Bewegung um der Bewegung willen, ohne
Sinn, w eil ohne konkretes, klares Ziel.
Durch den Glauben an die Offenbarung wird der Geist
des Menschen aus der unseligen Zerstreuung wieder zu-
rückgerufen auf die e i n e Wahrheit, auf die wir nicht zu
warten brauchen bis zum Tode, die uns vielm ehr schon
jetzt im Glauben gegeben ist und dereinst in der unmittel­
baren Schau voll offenbar werden soll. Mit dieser Wahrheit
gibt uns der Glaube gleich das sichere und lockende Ziel,
ja verbindet uns r e a l schon jetzt mit unserem letzten
Ziel und führt uns damit heraus aus unserer größten Not,
der geistigen Orientierungslosigkeit.

(12)
Deshalb hört Thomas nicht auf zu betonen: Die erste
und wichtigste von allen Glaubenswahrheiten — Funda­
ment und Kreuzblume alles Glaubens — trägt den Namen:
Gott IST. Und mit diesem wirklichen Gott, mit dem
Seienden schlechthin, suchen wir im Glauben unmittelbar
in lebendigen Kontakt zu kommen. Zwischen Menschen­
geist und Gottesgeist glüht im Glauben eine geheimnisvolle,
geistinnere Berührung auf, nicht nur intentional w ie bei
der Berührung des Geistes mit dem Sein der seienden
Dinge, sondern real; im lebendigen Glauben, den doch, wie
wir sahen, Gott selbst in uns nicht nur entzünden, sondern,
soll er dauern, auch erhalten muß, wird unser Geist zur
Wohnung des Unendlichen. Denn „Hauptsache“ und Ziel
des Glaubens ist — wiederum nach Thomas — nicht der
Inhalt des Glaubens, sondern DER, dem man- glaubt; wie
Paulus 2 Tim 1, 12 ausruft: „Ich weiß, WEM ich geglaubt
habe!“ Der Glaube bedeutet die totale, vorbehaltlose und
rückhaltlose Hingabe des Tiefsten und Lebendigsten in uns
an Gott, wobei von Gott her ewiges Leben in unsern Geist
einströmt. „Wer aber dem Herrn anhängt, ist e i n Geist
mit Ihm“ (1 Kor 6, 17).
Nehmen wir nun noch das mittelste Geheimnis unseres
heiligen Glaubens, das Christus heißt, hinzu, so erkennen
wir erst, w ie diese Verbindung des Gottesgeistes mit dem
Menschengeiste im lebendigen Glauben nicht nur auf
göttliche, sondern auch auf tief menschliche W eise von
Gott gewirkt wird. Nun vollzieht sich diese Vereinigung
Gottes mit dem Menschen nicht nur mehr in den reinen
Sphären des Geistes, ist nicht nur Sache des kühlen Ver­
standes, des reinen Wollens, sie nimmt vielmehr den
ganzen Menschen „gefangen für den Gehorsam gegen
Christus“ (2 Kor 10, 5), so daß, wo dieser Glaube wirklich
die letzten Tiefen des Menschen erfaßt, der Mensch buch­
stäblich Geist in Geist, Herz in Herz, Seele in Seele mit
Christus, dem Gottmenschen, unserm Gottbruder, inner­
lichst verbunden ist. Auch für Thomas steht Christus im
Glaubensleben an erster Stelle, denn so unterscheidet er
die drei Stufen im Glaubensgegenstand: An der Spitze
steht Christus selbst als die Fülle der Offenbarung in Per­

( 13)
son; dann kommen die einzelnen Glaubenswahrheiten,
zusammengefaßt in den Glaubensartikeln, und schließlich
die Wahrheiten, aus deren Leugnung sich die Zerstörung
des Glaubens ergeben müßte.

(W ir se h e n , w ie w e it T hom as entfernt ist von dem , w as m an


ihm m it V orlieb e vorw irft: vom In tellek tu alism u s. D er ganze
G laubenstraktat w ie v ie le an d ere sin d e in e in zig e r ein d rin g ­
licher P rotest g e g en e in e solch e V erk ürzu ng se in e r th eologisch en
In ten tion en . T hom as m üßte k e in H eilig e r se in , w e n n er bloßer
V erstand esm en sch w äre, er, der d ie k lassisch e S en ten z geprägt
hat, d ie ein em Eckehart und e in em Thom as von K em p en Ehre
m achen w ü rd e: P riu s vita qu am doctrina, vita en im ducit in
scien tiam veritatis: „Erst das L eben, dann d ie L ehre; nur das
L eb en näm lich führt h in zum W issen der W ah rh eit.“ W ie blaß
nim m t sich geg en a lle s, w a s Thom as vom G lauben sagt, die
gebräuchliche K atechism u santw ort a u s: „G lau ben h eiß t: a lle s
fest fü r w ah r h alten, w a s Gott geoffenb art h a t . . . “ F reilich ,
b ei solch er F orm u lieru n g bleib t v o n der L eb en d igk eit und T iefe
und W eite des G lau bensaktes nicht v ie l m ehr als e in P etrefak t
übrig. G ew iß, der G laube ist a u c h e in F ür-w ahr-halten , aber
er ist un en d lich m ehr, als d ie se n ü ch terne B estim m u n g ahn en
läßt. D aß T hom as im S in n e d ie se r K atechism usantw ort so
radikal m iß verstan d en w ird , lie g t nicht a n ihm , son d ern an
uns, d ie w ir nicht m ehr le se n k ön n en , nicht nur, w e il un s d ie
sp ek u la tiv e K raft ab geh t, so n d ern zutiefst desh alb , w e il u n s
d ie leb e n d ig e n H altu ngen d e s glä u b ig en M enschen fe h len , w e il
so v ie le s verk ru stet ist, w a s eh ed em leb en d ig ste s L eb en w ar.)

DAS INEINANDER VON E R K E N N T N I S UND LIEBE

Das Apriori der Untersuchung über den Glauben w ie


jeder anderen Untersuchung bei Thomas Lt stets der
Wesensbegriff des zu untersuchenden Gegenstandes, hier
der lebendige W esensbegriff des Glaubensaktes; er ist
das Licht, das beim Suchen und Untersuchen den ganzen
Weg über leuchtet und das der Suchende nie aus den
Augen lassen darf, w ill er nicht Gefahr laufen, eine Fehl­
entscheidung zu fällen. Das W esen des Glaubensaktes
aber liegt für Thomas in dem vom Heiligen Geiste gewirk­
ten, als Gnade geschenkten Ineinander von gottbezogener
Erkenntnis und gottbezogener Liebe, von Licht und Be­
wegung, von Sich-versenken und Sich-verströmen.

(14)
Wenn wir die Qualität dieses Aktes näher untersuchen,
stoßen wir auf eine letzte Einfachheit bei letzter Totalität.
Wir sprechen von einer „Analyse“ des Glaubensaktes,
d. h. w ir lösen den in sich einfachen Akt in der reflexen
Erkenntnis in seine einzelnen Momente auf, um seiner
wissenschaftlich habhaft zu werden, vergessen aber zu oft,
daß wir ihn in seiner lebendigen Fülle und Unmittelbar-
• keit niemals wissenschaftlich zur Darstellung bringen kön­
nen, schon deshalb nicht, w eil er, w ie Thomas hervorhebt,
nach innerer Festigkeit und Klarheit, nach Bereitschaft,
Hingabe und Vertrauen in jedem Menschen verschieden
ist. So wenig das menschliche Sehen, etwa das Anschauen
einer Landschaft oder eines Gemäldes oder eines Men­
schen, als einfacher Totalakt sich spalten läßt in einen
sinnenhaften und einen geistigen Akt, so w enig läßt sich
der lebendige Glaube auf spalten in einen Akt des Ver­
standes und des W illens. Beide Kräfte fließen vielmehr
zusammen in einen einzigen unteilbaren Akt, in welchem
die persönliche Entscheidung des Menschen kulminiert,
worin er sich ausliefert an seinen Gott im Vertrauen auf
dessen Wort, worin er eine neue Freiheit gewinnt, eine
neue Ebene des Seins, eine neue Intensität des Lebens,
neuen Kontakt mit der Wirklichkeit, neue Weiten, neue
Horizonte. W ie ein Rausch mag es über ihn kommen,
wenn der Glaube über den Menschen kommt. Das muß
sein wie ein Pfingsterlebnis, von dem der Geist sich zeit­
lebens nicht wieder erholt. Der „kalte“ Verstand glüht
auf in der Liebe zur lebendigen Wahrheit Gottes, die
selbst nicht irgendwelches „Wort“, sondern ganz wesent­
lich ein verbum spirans amorem ist, ein Wort, das mit
dem unendlichen Hauch göttlicher Liebe geladen ist (I 43,
5: Bd. 1, S. 326). So werden Verstand und W ille eins im
Gegenstand und im Ziel, verschmelzen zu einem einzigen
von göttlichem Lichte durchfluteten Leben. Der Irrtum,
die empfindlichste Krankheit des Geistes, ist für immer
gebannt, letzte Erfüllung des wahrheitsuchenden Ver­
standes ist verbürgt durch das Wort des Gottessohnes:
„Wer glaubt, h a t ewiges Leben!“ (Jo 6, 47). Solange der
Mensch im Lichte des Glaubens steht, liegen auch die

(15)
Wege zum Glauben und die Voraussetzungen zu ihm offen
vor seinem inneren Auge. Wie jede Tugend sehend macht
in dem Bereich, der ihr zugehört, so macht auch der
Glaube sehend im Gesamtbereich der übernatürlichen
Wahrheitserkenntnis.

DER GLAUBE ALS ENTSCHEIDUNG

Der Glaube bedeutet das vorbehaltlose Ja zum Gesamt­


inhalt der göttlichen Offenbarung mit allen ihren Konse­
quenzen für das gelebte Leben; bedeutet daher eine Ent­
scheidung von letzter Tragweite, w eil sie die Totalität des
Lebens umgreift, w eil sie nicht nur einen Bereich, sondern
alle Bereiche, nicht nur eine Zeit, sondern alle Zeiten,
nicht nur eine Situation, sondern alle Situationen ent­
scheidend mitbestimmt. Wer zu Gott Ja sagt, bejaht Ihn
als Herrn der Gesamtwirklichkeit und kann keinen Sektor
aus Seiner Herrschaft „herausschneiden“ wollen, der Sei­
ner Oberhoheit entzogen sein könnte. Für irgendwelchen
Eklektizismus ist im Glauben kein Platz. Sobald der
Mensch unter den Glaubenswahrheiten nach eigenem Gut­
dünken auswählen wollte, würde er wieder ein mensch­
liches Moment in den Glauben hineintragen und damit
sofort die Gefahr des Irrtums heraufbeschwören, d. h.
aber, den Glauben im Innersten wieder zerstören. Hier
gilt: Entweder alles oder nichts. Der Eklektiker wird
notwendig zum Häretiker. Er schneidet den unteilbaren
Christus in Teile. Einfache Wahrheiten erkennt man ent­
weder ganz oder gar nicht. Entweder hat man den Gott
der Offenbarung ganz oder man hat Ihn überhaupt nicht.
„Keiner kommt zum Vater“, sagt Christus, „außer durch
Mich“ (Jo 14, 6). Deshalb ist der Glaube auch nicht zeit­
gebunden, sondern überzeitlich, ja, er umfaßt Zeit und
Ewigkeit. In ihm werden die fernsten Zeiten gegenwärtig
und der Raum sinkt, noch ehe Rundfunk und Flugzeug
antreten, in sich zusammen. Der Glaube ist seinem Wesen
nach universal und zeitüberlegen wie Gott, den er zum
wesentlichen Inhalt hat. In der Welt, die er bejaht, schenkt
er uns einen lebendigen Organismus, ein neues Univer­

(16)
sum von göttlichen Ausmaßen. Die unsichtbaren Pole
dieses geistigen Universums liegen der eine in der un­
endlichen Erhabenheit und W eltüberlegenheit Gottes, „der
in unzugänglichem Lichte wohnt“ (1 Tim 6 ,1 6 ), der andere
in der Kenosis Christi, der äußersten Herablassung Gottes
in der Menschwerdung, dem Sakrament der Hingabe. Zwi­
schen diesen beiden Polen schwingt der Glaube w ie in
einem Pendel mit unendlichem Radius, das alle Höhen
und Tiefen der geschaffenen und ungeschaffenen Wirklich­
keit durchschneidet. Was bedeutet es da noch Großes,
wenn auch das kleine menschliche Einzelleben sich dem
gewaltigen Rhythmus dieses wahrhaft gottmenschlichen
Lebens einordnet, um an seinen göttlichen und mensch­
lichen Höhen und Tiefen, seinen ascensus und descensus,
seinen Aufstiegen und Abstiegen ein wenig teilzuhaben.

GLAUBE UND LEBEN

So gesehen, sollten vom Glauben unerhörte Antriebs­


kräfte ausgehen, die in das gesamte menschliche Leben
ausstrahlen, alle seine Bereiche erfassen und alle unsere
Überlegungen für das private w ie für das öffentliche
Leben inspirieren und damit auf eine neue Basis stellen
müßten. Es müßte sich zeigen, daß das Dogma nicht
müßige Angelegenheit einer Amtskirche oder der theo­
logischen Schulen ist, sondern ein Lebenspotential von
göttlicher Tiefe und Kraft. Denn nachdem nun einmal
der Glaube als göttliches Agens in unser Leben eingeführt
wurde, verlangt er sein Recht. Es bestimmt sich fortan
alles, ausnahmslos alles, nach der Tiefe und Lebendigkeit
unseres Glaubens. Auch die gewöhnlichen Verrichtungen
des Lebens, meint Thomas, erhalten ein großes Gewicht,
sobald sie mit dem ewigen Gesetz und mit dem Ziel der
Seligkeit in Beziehung gesetzt werden. Das gesamte
Tugendleben des Menschen, d. h. aber die Entfaltung
seiner sittlichen Persönlichkeit, wird abhängig vom Glau­
ben. Das Wachstum des geistigen und geistlichen Lebens
bestimmt sich nach dem Wachstum des Glaubens. Alle
weiteren Hilfen, die sittlichen Tugenden w ie die Gaben

(17)
des Heiligen Geistes, sind nur Hilfen zur Vertiefung und
Intensivierung des Glaubenslebens. So wächst das viel­
schichtige, vielverzweigte und oft zersplitterte geistige
Leben des Menschen unter der Führung des Glaubens
langsam zu einer großartigen Einfachheit und inneren Ge­
schlossenheit heran. Das wahrhaft „einfache Leben“ ist
zuletzt das Leben aus dem Glauben, über dem das Wort
Christi steht: „Nur eines ist notwendig“ (Lk 10, 42). Aus
diesem Leben entspringt dann das, was Thomas einmal
„die Seligkeit des W eges“ nennt, die in der rechten Ein­
ordnung und im rechten Gebrauch aller geschöpflichen
Werte liegt.
Freilich, wenn wir fragen, woher denn der Glaube diese
erstaunliche Kraft habe, die starken, auseinanderstreben­
den Kräfte des Menschen in eins zu binden, sie auf ein
einziges, großes, klares Ziel zu verpflichten, so gibt es
nur eine Antwort: Diese Kraft kann er nur haben aus der
Liebe. In diesem Gedanken gipfelt zuletzt alles, was
Thomas über den Glauben zu sagen hat. „Der Gegenstand
des Glaubens fällt zusammen mit dem Gegenstand der
Liebe.“ „Das Ziel des Glaubens w ie aller anderen Tugen­
den muß in eins gesetzt werden mit dem Ziel der Liebe,
der (übernatürlichen) Gottes- und Nächstenliebe.“ Die
innere Wucht solcher Sätze wird nur der verstehen, der
weiß, welch überragende Stelle Gegenstand und Ziel bei
Thomas einnehmen. Eine stärkere Verschränkung und
Zusammenballung geistiger Kräfte läßt sich nicht gut
denken. „Der Glaube erhält also seine letzte Formung
und Vollendung erst durch die Liebe.“ „Ohne die Liebe
kann der Glaube nicht Fundament des übernatürlichen
Lebens sein.“ Auf dem Wege über die Gabe der W eis­
heit schenkt die Liebe unserm Geiste zudem eine natur­
innere Übereinstimmung mit der göttlichen Wahrheit,
dem göttlichen „Denken“, so daß der Mensch innerlich
mit der ewigen Wahrheit „verwächst“ (vgl. Hebr 4, 2).
Das kann nicht anders sein, wenn der Schüler, w ie Tho­
mas fordert, „sein Herz bei dem hat, was ihm als Lehre
vorgetragen wird“. Ohne die Liebe bedeutet der Glaube
dagegen nur eine furchtbare Verantwortung und Belastung.

(18)
„Geht -die Liebe fort, so bleibt nur noch die Furcht übrig.“
Erst die Liebe als die Kraft der Totalität überwindet den
toten Punkt und führt den Menschen hinein in das herr­
liche Leben, das mehr ein göttliches als menschliches zu
nennen ist. Erst die Liebe hebt den Glauben aus der
Sphäre der reinen Theorie heraus und stellt ihn als be­
wegende Kraft mitten ins wirkliche Leben.

DER WEG GOTTES ZUM MENSCHEN

Denn Liebe umwirbt immer nur das Konkrete. Wie


könnte ein Allgemeines, Nichtexistierendes, Abstraktes,
nur Gedachtes sich auch umwerben lassen ! Liebe also um­
wirbt immer ein „Seiendes“, nie das „Sein“, es sei denn,
daß der Mensch die unerhörte Kühnheit hätte, Gott selbst
zu umwerben, denn dann umwirbt er wahrhaftig das Sein
a l s Seiendes, umwirbt d e n „Seienden“ (nach Thomas der
eigentliche Eigenname Gottes! Vgl. Bd. 1, S. 301 ff.), der
nicht nur Sein h a t , w ie die seienden Dinge ihr schwaches
und doch schon so starkes, wenn auch begrenztes Sein nur
h a b e n , sondern der das Sein i s t, der alle Wahrheit und
alle Liebe, alle H eiligkeit und alle Schönheit in unendlicher
Verdichtung i s t. Keine Möglichkeit mehr, das Sein vom
Seienden zu unterscheiden, keine Gefahr mehr, das Sein
zu verfehlen oder zu vergessen, sobald man sich im Glau­
ben d e m „Seienden“ ausliefert; keine Enge mehr im
engen Hause der Welt, denn h i e r geschieht echte Trans­
zendenz, die wahrste und wirklichste „Ek-sistenz“, ein
Hinausschreiten des Menschen über sich selbst in die
vollste Lichtung des absoluten Seins, das sich dem Men­
schen schenkt, indem Er, der unendlich seinsmächtige, in
Dreieinigkeit wesende Seiende selbst, die drei göttlichen
Urenergien des Glaubens, Höffens und Liebens einsenkt
in den Geist des Menschen, damit er „mit der ganzen
Fülle Gottes erfüllt werde“ (Eph 3, 19).
Im lebendigen Glauben ist es demnach nicht der
Mensch, der Gott ergreift, sondern Gott, der den Menschen
ergreift und ihn über sich hinausführt, ihn hinaufhebt
auf die Ebene S e i n e s Erkennens und S e i n e s Lebens.

(19)
Kein Wunder, wenn der Glaube den Menschen kühn
macht über alle nur menschlichen Kühnheiten hinaus.
Was Hugo Ball von der Sprache Gottes sagt, gilt auch vom
Glauben, dem lebendigen Echo dieser göttlichen Sprache:
„Der Akzent ihrer Kühnheit kann nicht begriffen wer­
den.“ Der Glaube kann gar nicht kühn genug sein, da
doch die Gnade Gottes seine Wurzel, die Wahrheit Gottes
sein Licht, die Liebe Gottes der Grund seiner Ekstasen
ist. Als geistgewirktes Ineinander von Erkenntnis und
Liebe verbindet der Glaube die in Gott verankerte Ruhe
des beschaulichen Lebens mit der ungeheuren Dynamik
einer Gott und Welt umspannenden Werbung. Im Glauben
nehmen wir die Welt nicht mehr getrennt von Gott, sie
wird uns unmittelbar transparent zu Gott hin, ja, wir
nehmen sie i n Gott, empfangen uns selbst und alle Dinge
jeden Augenblick neu und unmittelbar aus der Hand
Gottes („In Ihm leben wir, bewegen uns und sind wir“
—- Apg 17, 28), ohne je zu vergessen, daß Er der A ll­
mächtige und Unendliche ist, der A llheilige, ein „ver­
zehrendes Feuer“ (Hebr 12, 29), in dessen Nähe wir ver­
brennen müßten, wollten wir es wagen, ungerufen und
als hätten wir ein Recht darauf, uns Ihm zu nahen. Aber
Gott ruft nicht nur, Er fordert, und Seine Forderung ist
unbedingt verbindlich für alle, die sie hören. In der Tat­
sache der Offenbarung, die mit dieser Forderung identisch
ist und deren Zuverlässigkeit dem Menschen durch Wun­
der bestätigt wird, sieht Thomas genügenden Anlaß (in-
ductivum), der Glaubensforderung stattzugeben. „Viel
mehr“ aber gilt bei ihm der innere Antrieb (instinctus
interior) des einladenden Gottes (D ei invitantis).
Nun ist es nicht mehr der Mensch, der Gott umwirbt,
sondern Gott, der den Menschen umwirbt. Das wäre un­
faßbar, wenn wir es nicht bei den großen Propheten des
Alten Bundes aus den erschütternden, nie ermüdenden
Ausbrüchen der göttlichen Liebe immer neu heraushören
würden, w ie wir es noch heraushören aus den Liebes-
gesprächen des Menschensohnes mit Seinen Jüngern, die
da anheben mit der fast zärtlichen Bitte: „Ihr glaubet an
Gott; so glaubet auch an Mich!“ Ja, die gesamte Offen­

(20)
barung des Alten und Neuen Bundes ist vor allem und
zuerst eine Offenbarung der Liebe Gottes, ein Werben um
den Glauben Seiner Menschen.

TORHEIT DES UNGLAUBENS

Gott also ist es, der einlädt. Der Mensch kann diese
Einladung Gottes annehmen oder abschlagen; er kann sich
der Wahrheit des Glaubens öffnen, er kann sich aber auch
gegen die Wahrheit sperren. Er kann sich Gott versagen.
So unerhört sich die Herablassung Gottes dadurch be­
weist, daß Er den Menschen, der Sein Geschöpf, zur
geistigen Lebens- und Liebesgemeinschaft einlädt, die sich
hier im Glauben anbahnen, dort im Schauen vollenden
soll, so unerhört und unbegreiflich ist es, daß der Mensch
sich dieser Einladung seines Gottes versagen kann und
versagt. Die Sünde des Unglaubens ist als Sünde wider
den Heiligen Geist zugleich eine Sünde gegen die Liebe,
nicht irgendeines, sondern des Absoluten. Deshalb ist
nach Thomas — er gibt hier nur die Meinung der Heiligen
Schrift wieder — die Sünde des Unglaubens d i e Sünde
schlechthin, w eil sie den Menschen radikal trennt vom
Ursinn alles Seins, weil sie Gott, der zuerst die Wahrheit
ist, noch bevor Er die Allmacht oder die A llw issen­
heit oder die Gerechtigkeit oder die Heiligkeit ist,
sozusagen mitten ins Herz trifft. „Die Sünde des Un­
glaubens ist daher die schwerste aller Sünden, die in der
Verkehrung der Sitten sich ereignen können.“ Die ob­
jektive Bosheit des Unglaubens ist gestaffelt, je nachdem
er, w ie die Heiden, überhaupt einen Gott, oder wie die
Juden, Christus, den metaphysischen Gottessohn, oder, wie
die Irrlehrer, einzelne Seiner Lehren ablehnt, wobei die
subjektive Schuld genau umgekehrt gestuft sein kann. Die
Sünde des Unglaubens ist nach Thomas widernatürlich;
denn sei es auch, daß der Glaube als solcher nicht im
Vermögen der Natur liegt, sondern über alle subjektiven
Möglichkeiten der menschlichen Natur, bzw. des mensch­
lichen Verstandes und W illens weit hinausgeht, so ist es
doch der Natur natürlich, dem inneren Instinkt oder der

(21)
äußeren Predigt der Wahrheit nicht zu widerstehen. Wer
das tut, handelt also gegen die innersten Impulse seines
eigenen Wesens. So gilt das immanente Gesetz, daß Glaube
und Heil, Unglaube und Unheil innerlich notwendig ent­
sprechen, w ie sich überhaupt ein letzter Maßstab für Sinn­
erfülltheit des menschlichen Lebens ergibt aus seiner Gott­
nähe oder Gottferne.

DER HOHLGLAUBE

Zwischen dem „lebendigen“, von der Liebe getragenen


und durchglühten Glauben und dem radikalen Unglauben
liegt aber noch ein M ittleres: der „tote“ Glaube, die fides
informis, w ie Thomas ihn nennt, w eil er ohne die Liebe
gestaltlos geworden ist, dieser Hohlglaube, w ie man ihn
nennen müßte, der sich ausnimmt w ie eine der Schatten­
gestalten der antiken Unterwelt, ein Schemen, der nur
noch die Umrisse der lebendigen Gestalt zeigt, selbst aber
allen Lebens bar ist. Er ist wie ein Bild, dem die Tiefen­
dimension fehlt; es wirkt flach, unwirklich, unfertig. Es
fehlt ihm das W esentliche zum echten Bild, die Raum­
wirkung. Dieser Glaube ist da und ist doch nicht da; er
ist, als wäre er nicht. Er ist der lebendige Widerspruch,
eine stille Lebenslüge. Vielleicht hat er noch den Namen,
daß er lebt, aber er ist tot (Offb 3, 1). „Scheinlebendig“
ist hier viel schlimmer als scheintot. „Daß du doch kalt
wärest oder w a r m ...! “ (ebd. 3, 15). Der schleichende
Unglaube, der lediglich aus Konvention, äußerlich, zum
Schein das Leben des Glaubens weiterführt, ist d e r
Krebsschaden am Leibe der Kirche, schlimmer als offener
Unglaube und Apostasie. So hat das verflachte Christen­
tum mancher Gegenden unseres Vaterlandes einen küm­
merlichen Restglauben konserviert, dem oft mit rührender
Sorge unter dem Titel „Blutskatholizismus“, mit dem man
noch einiges Vertrauen zu wecken hofft, Loblieder ge­
sungen werden. Gewiß, dieser Restglaube, der vielfach
nichts anderes ist als erstarrte Tradition, mag als Ansatz­
punkt für die Gnaden des H eiligen Geistes, der auch
einen Leichnam wieder zum Leben erwecken kann, seine

(22)
Bedeutung behalten. Für seine Sympathien zu einem
missionarisch christlichen Leben, für seine unverhohlene
Bejahung der Grundwerte abendländisch-christlicher Über­
lieferung mag man zur Not das Wort Christi gelten
lassen: ,;Wer nicht gegen euch ist, der ist für euch“
(Lk 9, 50).
Bei Thomas findet solcher Glaube keine Gnade. Hier
wird unbarmherzig das Urteil gesprochen: Der „unge-
formte“ Glaube, der nicht in der Ganzheit des Menschen
lebendige Wurzel schlägt, ist keine Tugend, schaltet da­
her als Aufbauelement, erst recht aber als tragendes Fun­
dament des christlichen Lebens aus. Denn darüber dürfen
wir uns keiner Täuschung hingeben: Wo der Glaube ver­
dirbt, reißt er alles in sein Verderben mit hinein. Wo der
Glaube im Menschen „tot“ ist, kann kein Funke über­
natürlichen Lebens mehr glühen. Es kann nicht der Glaube
den Charakter der Tugend verlieren, ohne daß alle Tugend
im Menschen stirbt. Der tote Glaube ist Glaube ohne Liebe,
und Tugend hat ihren hohen Namen und ihren innern
Adel w ie all ihr Leben ausschließlich von der Liebe. Was
wir gemeiniglich unter Tugend verstehen, hat mit dem, was
Thomas darunter verstand, fast nur noch den Namen ge­
mein. Die hohen Richtbilder seiner Tugendlehre sind zu
Schemen verblaßt oder ganz abhanden gekommen. Das im
Laufe der Jahrhunderte immer mehr eingeschrumpfte Vor­
stellungsbild von Tugend zeigt fast nur schwindsüchtige
oder gar lächerliche Züge, anstatt die kraftvolle, hinreißend
schöne Entfaltung seelischer Höchstwerte sichtbar zu ma­
chen. So ist es nicht verwunderlich, daß schon das Wort
Tugend in weiten Kreisen Befremden, vielleicht auch Mit­
leid erregt; es klingt nach ängstlicher Bewahrung, nach
saurem Verzicht, nach schlecht verdrängten Wünschen. In
der Schau unserer christlichen Vergangenheit jedoch ist
Tugend Ausstrahlung unsichtbarer Lebensfülle. Dieser
leuchtkräftige, randvoll gefüllte Tugendbegriff will, daß
der Mensch seine Lebensfülle in den beiden Grundkräften
Verstand und W ille betätige, verströme und sichtbar
mache in einer ganz bestimmten, jew eils zur Verwirk­
lichung gelangenden Verhaltensweise; daß er nicht nur

(23)
Übung und Sicherheit besitze in dieser Auswertung seiner
innersten Werte im Falle von Gefahren und Hemmnissen,
sondern daß ihm diese Verhaltensweise zur zweiten Natur
geworden sei. Kommt also eine der beiden Grundkräfte
des Menschen nicht zur Entfaltung, fehlt das Logoshafte
— der Verstand — oder fehlt das Pneumahafte — der
W ille —, so ist der menschliche Akt um eine W esenshälfte
verkürzt. Nur wenn die beiden Partner harmonisch inein­
anderspielen, ist Tugend vorhanden. Thomas setzt dieses
von männlicher Kraft und Unbeugsamkeit strotzende, ver­
schwenderisch reiche Richtbild der Tugend voraus, wenn
er dem Hohlglauben den Tugendcharakter abspricht.
Was aber bedeutet diese Erkenntnis in unserem geschicht­
lichen Raume, in unserem Vaterlande? Nichts anderes als
die Möglichkeit einer zukünftigen Katastrophe. Das
schwache, kaum noch glimmende Lichtlein wird beim ersten
starken Windhauch eines nahenden Sturmes erlöschen.
Man täusche sich nicht über die Haltlosigkeit und Unzu­
verlässigkeit weiter Landstriche. Bei der ersten Verfolgung
wird dieser von erfindungsreichen Apologeten so genannte
Blutskatholizismus eine Beute der Dämonen. Das Tauf­
scheinchristentum, das an einem oberflächlich zugebrachten
Sonntag sein Genügen findet oder gar in dessen modernen
Sensationen schwelgt, wird eine Einbruchsfront der Hölle.
Kann man echten von unechtem Glauben schärfer absetzen
als durch diesen im ganzen Mittelalter viel besprochenen
Begriff des Hohlglaubens (fides informis) ? Thomas hat ihn
als erster zur Klarheit gebracht (vgl. 4, 4 u. 6, 2). Sind
größere Gebiete durch diesen Hohlglauben epidemisch
infiziert, so ergeben sich, wenn wir den Vergleich ausbauen
dürfen, soziologisch zusammenhängende Hohlräume. Wie
leicht brechen diese Hohlräume ein, die man mit allen
Mitteln natürlicher Ordnung zu stützen versucht. Was keine
echte Tugend ist, verfällt dem Untergang: „Wohin der Baum
fällt, dort bleibt er liegen“ (Prd 11, 3). Und wenn er nicht
von selbst zum Stürzen kommt, sind Bäume ohne Saft der
Axt Vorbehalten: „Ein jeder Baum, der keine gute Frucht
bringt, wird umgehauen“ (Mt 7, 19). Demgegenüber wird
der echte, der gefüllte Glaube aufgezeigt als von der Liebe

(24)
beseelt, oder, w ie wir besser sagen möchten, von der Gottes­
minne durchstrahlt (4, 3). Damit ist der hohe Rang des
echten Glaubens, seine Transzendenz sichergestellt und alle
die Bedenken, die man gegen die von Luther mit Recht
angeprangerte „weltliche Sicherheit“ — die securitas
humana — gerade bezüglich katholischer Landstriche auch
neuerdings vorbringt, erfahren hier ihre Bestätigung. Nur
der vom Dreifältigen Gott selbst eingegossene Glaube, nur
das aus Himmelshöhen empfangene Geschenk kann „ge­
füllter Glaube“ sein. All die Leidenschaftlichkeit und Un­
erbittlichkeit, welche in neuerer Zeit die strenge Transzen­
denz des Glaubens in Erinnerung ruft — wir wollen uns
diese Rufer in der Wüste nicht unbequem sein lassen —,
wird auf ihr sachgerechtes Maß zurückgeführt durch die
Lehre vom Glauben als einer eingegossenen Fähigkeit
(6, 1): dieser durchformte Glaube ist im Entscheidenden, im
Höchsten keine „Leistung“ des Menschen, sondern ein
unverdientes, pures Angebinde Gottes, mit welchem Er den
an die Sinnlichkeit verlorenen, der Sünde verfallenen
Menschen hinaufreißt in Seine eigene Sphäre.

G L A U B F. U N D TOLERANZ

So unerbittlich Thomas im Grundsätzlichen gegenüber


jeder Form des Unglaubens oder des Hohlglaubens aber
auch vorgeht — die formalen Häretiker sind für ihn als
Glaubensfälscher schlimmer denn Falschmünzer und wie
diese, sollten sie hartnäckig in ihrem Irrtum verharren,
mit dem Tode zu bestrafen; Gotteslästerung ist für ihn
schlimmer als Mord; Apostasie vom Glauben geistiger
Selbstmord —, so unbestechlich er in allem die Rechte der
Gläubigen verteidigt, er verleugnet doch nie seine ihm an­
geborene Milde in der Sorge um die Irrenden, die auf alle
W eise vom Irrtum geheilt und dem Gott der Wahrheit
wieder zurückgewonnen werden müssen.
Auch in bezug auf die praktische Toleranz gegenüber
Heiden und Juden entwickelt Thomas eine bemerkenswerte
Weitherzigkeit, zu der die grausame Intoleranz moderner
Machtgruppen einen schreienden Kontrast bildet. Was

(25)
Thomas hier an Rechtsgrundsätzen aus seiner Auffassung
des Naturrechts im Verhältnis zum positiven göttlichen und
kirchlichen Recht aufstellt, dürfte auch heule noch zu
denken geben. — Die Behandlung der Hilfen und Gefahren,
die dem Glauben aus charakterlichen Anlagen oder sitt­
lichen Verhalteweisen erwachsen, geben eine wertvolle
Ergänzung und enthalten manche Ansatzpunkte für eine
Psychologie des Glaubens, die auch Rücksicht nimmt auf
die Schwierigkeiten, die dem gläubigen Verständnis ver­
schiedener Glaubenswahrheiten wegen ihrer spezifischen
Dunkelheit entgegenstehen und auch für den Erzieher
wichtig sind. Gegenüber dem lebendigen Glaubensakt und
der starken Glaubenshaltung fallen dagegen Fragen w ie
die der Dogmenentwicklung, die im Kommentar eine ihrer
heutigen Bedeutung gerecht werdende eingehende Behand­
lung findet, für Thomas selbst nicht so sehr ins Gewicht.
Der Geheimnischarakter des Glaubens, seine Dunkelheit,
die zu Gott hin zunimmt, zur Welt hin sich in eine Fülle
von Licht verwandelt, der Glaube als „Grundbestand
dessen, was wir hoffen“ (Hebr 11, 1) — das sind die Haupt­
gedanken, von denen die Seele des großen Theologen be­
wegt wird. Fast w ie heiliger Neid und w ie Heimweh des
Heiligen klingt es, wenn Thomas von dem „fernen Gott“
spricht, den wir „im Glauben suchen“ und der den Stamm­
eltern noch so ganz anders nahe gewesen sei, als Er uns
nahe ist, trotz Sakrament und trotz der Fülle der Offen­
barung, die uns in Christus geworden ist.

DAS HELLDUNKEL DES GLAUBENS

„Mein Gerechter lebt aus dem Glauben“ (Hebr 10, 38),


das heißt aber: er lebt — aus dem Geheimnis. Wer jedoch
den Mut hat, sich in das Dunkel des Geheimnisses hinein­
zuwagen, wird von der Lichtfülle, die ihm entgegenstrahlt,
fast geblendet. Hier erleben wir immer wieder das größte
Paradoxon der Geschichte: Wer den Glauben an die Offen­
barung, konkret gesprochen: den Glauben an Christus, den
metaphysischen Gottessohn, ablehnt und sich auf das Licht
der eigenen Vernunft verläßt, bleibt im Dunkel. Wer aber

(26)
das Dunkel dieses Gottgeheimnisses nicht scheut, kommt
zum Licht. „Wer Mir nachfolgt, wandelt nicht im Finstern,
sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Jo 8, 12). Der
Glaube allein — darin bewährt sich seine Lichtnatur —
gibt uns authentische Auskunft zuerst und zuletzt über
Gott, dann aber auch über den Menschen, sein Woher
und Wohin; er schenkt uns das geschichtliche Apriori für
die Frage nach dem Sinn der Gesamtgeschichte w ie der
einzelnen geschichtlichen Situation; er gibt die Welt ihrem
Sinnzentrum zurück und gibt ihr damit ihre ureigene Mitte
wieder; er holt Menschen und Dinge aus ihrer unseligen
Zerstreuung und führt das All wieder zur Einheit in seinem
Ursprung, macht es damit wieder zum echten Uni-versum;
er hebt den gefährlichen Dualismus von Verstandes- und
W illenssphäre im Menschen zwar nicht ganz auf, aber
bindet beide in das sanfte Joch einer unauflöslichen Ehe
zu einer unendlich fruchtbaren Lebensgemeinschaft; er
hebt den ursprünglichen Zwiespalt zwischen Gesetz und
Freiheit auf in der demütigen und freien Hingabe des
Geistes an den, der zugleich ewiges Gesetz und ewige
Liebe ist. Der Glaube allein könnte auch die W issenschaf­
ten zurückführen aus ihrer unseligen Zersplitterung und
sie wieder zusammenführen zu einer echten Universitas
literarum ; weit entfernt, die Forschung zu hemmen, ihr den
Weg zur Wirklichkeit zu versperren, müßte er sie „fördern
bis zu dem Punkte, daß die Vernunft selber vor über­
großem Lichte, nicht gehindert, sondern gesättigt und be­
friedigt, es laut kündet, welch unermeßlich großes Licht­
meer Gott in sich selber sein muß“ (C. M. Schneider).
Schließlich ist allein der Glaube imstande, von je ver­
feindete Völker und Nationen vor denselben Altar zu­
sammenzuführen, sie mit sanfter Gewalt v o n i n n e n
h e r zu einen und auf den Weg des Heiles zu leiten. Ohne
den Glauben aber verfällt der Mensch notwendig dem
Nihilismus. Ohne den Glauben gibt es kein Ziel und keinen
Weg (wie könnte ein Weg sein, wo kein Ziel ist!), ohne
den Glauben gibt es keine geistige Mitte der Welt, keinen
Schwerpunkt, der die gewaltigen Kräfte in eins binden
könnte. Ja, wo kein Schwerpunkt, wo kein Zentrum ist,

(27)
kann es weder zentripetale noch zentrifugale Kräfte geben;
es bricht alles auseinander, die W elt fällt und zerfällt,
fällt unaufhörlich, unaufhaltsam — ins Nichts. „Wenn ihr
nicht glaubt, werdet ihr nicht bleiben!“ — möge dieses
Wort des großen Propheten der Menschheit zur Warnung
dienen. Gott, dem Allwissenden, der Urwahrheit, dem
Urheber des Glaubens, ist sie ohnehin so oder so ver­
fallen.
Mein Gerechter lebt aus dem Geheimnis. Aber kann man
das denn? „Kann man auch schreiten ohne Schritte? Kann
man auch treten in die nackte Luft? Kann man auch lieben
ins Sprachlos-Ew’ge ?“ Gott hat uns aufgebürdet die ganze
Wucht Seiner Verborgenheit, wir sollen Ihn vor der Welt
vertreten als den verborgenen Gott, den Deus absconditus.
Denn Seine „Offenbarung“ bleibt eben doch dunkel, trotz
der Heiligen Schriften, und Seine Wunder sind nur allzu
sehr umschleiert, und beide sind für die meisten aus uns,
ja für alle, die nicht unmittelbar Zeugen waren, Geschichte
in der Form der Vergangenheit und nicht einmal selbst
erlebte. Was uns bleibt, sind einzig Seine Wunden; sie
sind das unauslöschliche Siegel im Antlitz der Erde, und
daß wir diesen Wunden glauben, selbst verwundet bis in
unsere letzte Tiefe — gerade das ist das Wunder.

(28)
EINRICHTUNG UND BANDEINTEILUNG DER
DEUTSCHEN TH0 MAS-AUSGABE

NB.: Um d en L eser auch b e i V erlu st d es b e ilie g e n d e n L e se ­


z eich en s über E inrichtu ng un d E in teilu n g des G esam tw erk es zu
orien tieren , g eb en w ir b e id e s jed em B and e an d ie se r S te lle bei.

I. A U F B A U DES ARTIKELS

1. D ie T itelfrage zum A rtik el stam m t n ich t von T hom as selb st,


son d ern ist entnom m en d em e in le ite n d e n V id etu r quod n on oder
V idetur quod.
2. A u f d ie T itelfrage fo lg en m eh rere, in d e r T hom as-L iteratur
a ls „O bjectiones“ b ezeich n ete A rgum ente, w e lch e d ie U n ter­
su ch un g e in le ite n . In der Ü b ersetzu ng sin d s ie m it 1., 2., 3. usw .,
b e i V e rw eise n m it E. ( = E inw an d) b ezeich net.
3. Im „Sed contra“ sucht Thom as d ie d en vorau sgeh en d en
A rgu m en ten e n tg eg en g esetzte T h ese zu b eg rü n d en und erw eist
sich durch d ie se s le b e n d ig e F ü r und W ider, das er in sein en
Q uaestiones disputatae b is zu je 30 A rgu m en ten für T h ese und
A n ti-T h ese au sw eitet, als ech ter A p oretiker. D ie Ü bersetzu ng
leitet d ieses „Sed contra“ e in m it „A n d erseits“.
4. Mit „R espondeo d icen d u m “ (in der Ü b ersetzu ng: „A n tw ort“)
beginn t der H au p tteil d e s A rtik els, der die eig e n tlich e L ehre
d es hl. T hom as enthält.
5. A u f d ie A ntw ort folgt un ter Ad prim um , A d se c u n d u m . . .
d ie L ösu ng der e in gan gs vorgeb rachten A rgum ente. S ie führt
oft d en in d er „A n tw ort“ en tw ick elten G ed ank en w esen tlich
w eiter. D ie Ü b ersetzu n g le ite t sie e in m it Zu 1., Zu 2. usw .
6. D ie A n gab e der F u n d stelle erfo lg t in der Ü b ersetzu n g nur
b e i Schriftzitaten , und zw ar in d e r h e u te üb lich en W eise. Bei
a lle n a n d eren Z itaten, in der R eg el au s A u toren, d ie nur dem
W issensch aftler zugänglich sin d , gibt d ie Ü b ersetzu n g den Na­
m en d es A utors, der la tein isch e T ext d en S tellen n a ch w eis. Ab-
kürzungs- und L iteraturverzeich nis am Schlu ß d es Bandes.

(29)
II. E I N T E I L U N G DER SUMMA THEOLOGICA

I. BUCH

Band 1. F rage 1— 13 G ottes D a sein und W esen.


Band 2. F rage 14— 26 G ottes L eb en ; se in E rk en n en und
W ollen.
Band 3. F rage 27— 43 Gott, der D reifältige.
Band 4. F rage 44— 64 S ch öp fu n g und E n gelw elt.
Band 5. F rage 65— 74 D as S ech stagew erk .
Band 6. F rage 75— 89 W esen un d A u sstattu ng des M en­
schen.
Band 7. F rage 9 0 —102 E rschaffung und U rzustand des
M enschen.
Band 8. F rage 103— 119 E rhaltung un d R egieru n g der W elt.

I. TEIL DES II. BUCHES

Band 9. F rage 1— 21 Z iel und H an d eln d es M enschen.


Band 10. F rage 22— 48 D ie m en sch lich en L eid en sch aften .
Band 11. F rage 49— 70 G ru nd lagen d er m enschlich en
H andlung.
Band 12. F rage 71— 89 D ie Sü nd e.
B and 13. F rage 9 0 - 1 0 5 D as G esetz.
Band 14. F rage 106— 114 D er N eu e Bund und d ie G nade.

II. TEIL DES II. BUCHES

Band 15. F rage 1— 16: G laube als T ugend.


B and 16. F rage 17— 33: H offnung; L ieb e (1. T e il).
Band 17. F rage 34— 56: L ieb e (2. T e il) ; K lu gheit.
Band 18. F rage 57— 79: G erechtigkeit.
Band 19. F rage 80—100: D ie T ugend der G ottesverehrung.
Band 20. F rage 101— 122: T u gen d en des G em ein schaftslebens.
Band 21. F rage 123— 150: Starkm ut und M äßigkeit (1. T e il).
Band 22. F rage 151— 170: M äßigkeit (2. T eil).
Band 23. F rage 171— 182: B eson d ere G nad en gaben und d ie
z w ei W ege m en sch lich en L ebens.
Band 24. F rage 183— 189: S tän de und S tan desp flich ten .

III. BUCH

Band 25. F rage 1— 15: D ie M en schw erd un g Christi.


Band 26. F rage 16— 34: D ie A u sw irk u n gen d e r M enschw er­
dung. D ie G ottesm utter.

(30)
Band 27. F rage 35— 45: Christi L eben.
Band 28. F rage 4 6 - 59: Christi L eid en und Erhöhung.
Band 29. F rage 60— 72: D ie S ak ram en te. T aufe u n d F ir­
m ung.
Band 30. F rage 7 3 - 83: D as G eh eim n is der E ucharistie.
Band 31. F rage 84— 90: D as B ußsakram ent.

ERG ÄN ZUNG ZUM III. BUCH


(Su pp lem en t)

(Band 31.) F rage 1— 16: (D as B ußsakram ent.)


Band 32. F rage 17— 40: S ch lü sselg ew a lt der K irche. Letzte
Ölung u n d P riesterw eih e.
Band 33. F rage 41— 54: D ie Ehe (1. T eil).
B and 34. F rage 55— 68: D ie Ehe (2. T e il).
Band 35. F rage 69— 87: A u fersteh u n g d es F leisch es.
Band 36. F rage 88— 99: D ie L etzten D in ge.
1. Zusatzband: G esam tregister (P erson en - und Sach verzeich n is
für säm tlich e B än d e).
2. Zusatzband: T hom as-L exikon (W örterbuch der p h ilosop h i­
sch en und th eologisch en F achausdrücke und
E infü hrung in die G ru nd begriffe d e s thom i-
stisch en System s).

(31)
GLAUBE ALS T UGEND
VORWORT

Nach der Betrachtung der Tugenden und Laster im all­


gemeinen und dessen, was sonst noch zum Bereich des
Sittlichen gehört, müssen wir nunmehr auf das Einzelne
im Besonderen eingehen. Denn allgemein gehaltene Worte
über das Sittliche sind weniger von Nutzen, w eil unser Tun
auf das Besondere geht. Im Bereich des Sittlichen kann
nun etwas auf doppelte W eise im Besonderen betrachtet
werden: einmal vom Bereich des Sittlichen selbst aus, wenn
ich z. B. eine bestimmte Tugend oder ein bestimmtes
Laster betrachte; sodann in Rücksicht auf einen besonderen
Stand der Menschen, wenn ich z. B. Vorgesetzte und Unter­
gebene betrachte, Tätige und Beschauliche oder irgend
einen anderen Unterschied bei den Menschen. Wir werden
also zuerst im Einzelnen betrachten, was den Ständen der
Menschen gemeinsam ist, zweitens das, was den Ständen
gesondert zukommt.
Beim ersten Punkt ist zu berücksichtigen: Wollten wir
die Tugenden, die Gaben, die Gebote und die Laster
einzeln für sich untersuchen, so müßten wir dasselbe so
und so oft sagen. Denn wer das Gebot: Du sollst nicht
ehebrechen, erschöpfend behandeln will, muß den Ehe­
bruch untersuchen, der eine Sünde ist; diese kann ihrer-

PROLOGUS

Post com m unem consideration em de virtu tib u s e t v itiis et


a liis ad m ateriam m oralem p ertin en tib u s, n e c e sse est con-
sid e r a re sin g u la in sp e c ia li. S e r m o n e s en im m o ra les u n iv er ­
sa le s m in u s su n t u tiles, eo quod action es in p articu laribus
sunt. P otest autem aliq u id in sp ec ia li considerari circa m oralia
du p liciter; uno m odo, e x parte m ateriae ip siu s m oralis, puta cum
eonsideratur de hac virtu te v e l hoc vitio ; a lio m odo, quantum ad
sp ec ia le s statu s hom inum , puta cum eonsideratur de su b d itis
et p raelatis, d e activ is et con tem p lativis, v e l q u ibuscu m qu e a liis
d ifferen tiis hom inum . P rim o ergo con sid erab im u s sp ecia liter de
h is q u ae p e r tin en t ad om n es 'hom inum statu s; secu n d o vero,
sp e c ia lite r de h is q u ae p ertin en t ad d eterm in atos status.
Est au tem considerandu m circa prim um quod, si seorsum
d eterm in arem u s de virtu tib u s, donis, v itiis et p raecep tis, opor-
teret idem m ultoties d icere. Qui em m su fflcien ter v u lt tractare de
hoc praecepto: „Non m oech ab eris“, n e c esse hab et in q u irere de
ad u lterio, quod est quoddam peccatum , cujus etiam cognitio

1* 3
seits wieder nicht erkannt werden ohne die Kenntnis der
entgegengesetzten Tugend. Es wird also ein kürzerer und
leichterer Weg der Betrachtung sein, wenn sie in derselben
Abhandlung zugleich handelt von der Tugend, der ihr
entsprechenden Gabe, den entgegenstehenden Lastern
sowie den Geboten und Verboten. Zudem wird diese Be­
trachtungsweise der Eigenart der Laster selbst gerecht.
Denn wir haben oben (I—II 18: Bd. 9; 72 u. 73: Bd. 12)
gezeigt, daß die Laster und Sünden artverschieden sind
nach ihrem Inhalt, bzw. ihrem Gegenstand, nicht aber nach
einem anderen Unterschied, wie z. B .: Sünden in Gedanken,
Worten und Werken, oder Sünden der Schwachheit, der
Unwissenheit und der Bosheit, oder was es sonst an der­
artigen Unterschieden gibt. Es ist aber dasselbe Gebiet,
auf dem die Tugend das Rechte wirkt, die entgegenstehen­
den Laster aber von der Rechtheit abweichen.
Nachdem wir so den ganzen Bereich des Sittlichen auf
die Betrachtung der Tugenden zurückgeführt haben, müs­
sen wir noch eine weitere Einschränkung vornehmen und
noch die Tugenden alle auf sieben zurückführen. Drei da­
von, über die zunächst zu handeln ist, sind die gotthaften
Tugenden; die vier anderen, von denen später zu sprechen
sein wird, sind die Kardinaltugenden. Von den verstand­
haften Tüchtigkeiten gehört eine, die Klugheit, zu den
Kardinaltugenden, unter denen sie auch aufgezählt wird;
die Kunsttüchtigkeit jedoch gehört nicht zur Sittenlehre,
da diese das Tun zum Gegenstände hat, die Kunsttüchtig-
PROLOGUS
d ep en d et e x cogn ition e op p ositae virtu tis. Erit igitu r com pen-
d iosior et ex p ed itio r consideration is via si sim u l su b eodem
tractatu con sid eratio proced it de virtu te et dono sib i corre-
sp on d en te, et v itiis oppositis, et p raeeep tis affirm ativis v e l
n e gativis. E rit au tem hic con sid eration is m odus co n v e n ien s ip sis
v itiis seeu n d u in propriam sp ec iem : ostensum est en im supra
quod v itia et peccata diversifican tu r sp e c ie secund um m ateriam
v e l objectum , non autem secu n d u m a lia s d ifleren tias pecca-
torum , pu ta cordis, oris et o p eris; v e l secu n d u m infirm itatem ,
/gnorantiam et m alitiam , et a lia s h u ju sm od i differentias. Est
au tem ea d em m ateria circa quam et virtu s recte operatur, et
vitia opp osita a rectitu d in e recedunt.
S ic igitu r tota m ateria m orali a d con sid eration em virtutum
reducta, om n es virtu tes sunt ulteriu s red u cen d ae ad s e p te m : qua-
rum tres su nt th eologicae, d e qu ib u s prim o est agen d u m ; a liae
vero quatuor sunt card in ales, de qu ib u s p osteriu s agetur. V ir ­
tutum autem in tellectu a liu m u n a q u id em est pru d en tia, quae
inter card in ales virtu tes continetur et nu m eratur; ars vero non
p ertin et ad scien tiam 1 m oralem , qu ae circa a g ib ilia versatur,
1 L om.

d
keit aber „die rechte Richtschnur für das Schaffen“ ist
(I—II 57, 3 u. 4: Bd. 11). Die anderen drei verstandhaften
Tüchtigkeiten, W eisheit nämlich, Einsicht und W issen­
schaft, kommen schon im Namen mit bestimmten Gaben
des Heiligen Geistes überein. Daher werden sie bei der
Behandlung der den Tugenden entsprechenden Gaben in
die Betrachtung mit einbezogen. Die anderen sittlichen
Tugenden aber lassen sich alle auf die Kardinaltugenden
zurückführen (I—II 61, 3: Bd. 11). Bei der Behandlung
einer Kardinaltugend werden also auch alle jene Tugen­
den zur Darstellung kommen, die mit ihr irgendwie Zu ­
sammenhängen, wie auch die entgegenstehenden Laster.
Auf diese W eise wird nichts übergangen, was zur Sitten­
lehre gehört.

P R O L O G US

cum ars sit „recta ratio fa ctib iliu m “, u t su p ra dictum est; aliae
vero tres in te lle ctu a le s virtu tes, scilicet sa p ien tia , in tellectu s et
sc ien tia , com m u nicant etiam in n om in e cum d on is quibusdam
S p ir itu s San cti, u n d e sim u l etiam d e e is co n sid erab itu r in con-
sid era tio n e donorum virtu tib u s correspon dentium . A lia e vero
virtu tes m orales om n es a liq u a lite r reducuntur ad virtu tes car­
din ales, ut e x su pra dictis patet: u n d e in consideration e alicuju s
virtu tis c ard in alis consid erab u n tu r etiam om n es v irtu tes ad eam
q u alitercum q ue p ertin en tes et vitia opposita. Et sic n ih il m ora-
liu m erit praeterm issum .
• ■

f e u u ',: :


I
1. F R A G E 1,
DER GEGENSTAND DES GLAUBENS
Hinsichtlich der gotthaften Tugenden wird also erstens
vom Glauben zu handeln sein, zweitens von der Hoff­
nung, drittens von der Liebe. Hinsichtlich des Glaubens
bietet sich eine vierfache Erörterung dar: 1. der Glaube
selbst, 2. die ihm entsprechenden Gaben der Einsicht und
der W issenschaft, 3. die ihm entgegengesetzten Laster,
4. die auf die Glaubenstugend sich beziehenden Gebote.
— Hinsichtlich des Glaubens selbst wird die Rede sein
müssen: 1. von seinem Gegenstand, 2. vom Akt des Glau­
bens, 3. vom Gehaben des Glaubens.
Zum 1. Punkt ergeben sich zehn Einzelfragen:
1. Ist Gegenstand des Glaubens die Erstwahrheit?
2. Ist Gegenstand des Glaubens etwas Zusammengesetz­
tes oder etwas Einfaches, d. h. ein bloßer Inhalt oder
etwas Aussagbares?
3. Kann dem Glauben Falsches unterliegen?
4. Kann der Glaubensgegenstand etwas Geschautes sein?
5. Kann er etwas Gewußtes sein?
6. Müssen die Glaubensgegenstände nach bestimmten
Artikeln unterschieden werden?
7. Unterliegen dem Glauben zu jedem Zeitpunkt die näm­
lichen Glaubensartikel?
8. Die Zahl der Glaubensartikel.
9. Darbietung der Glaubensartikel in einer Bekenntnis­
form.1
10. Wem steht es zu, eine Glaubensform aufzustellen?
Q U A E S T IO i
DE OBIECTO F ID E I
Circa virtu tes igitu r th eo lo g ica s p rim o erit con sid eran d u m de
fid e; secund o, d e s p e ; tertio, de caritate. Circa fidem vero quadru-
p le x co n sid era tio occurrit: p rim a q u id em d e ip sa fid e; secu n d a
de donis in te lle ctu s et sc ie n tia e sib i co rresp on d en tib u s; tertia de
v itiis o p p o sitis; quarta de p raecep tis ad hanc virtu tem p erti-
nen tib u s. — Circa fid em v e ro p rim o erit con sid eran d u m de
e ju s objecto; secund o, de e ju s actu; tertio, de ipso habitu fidei.
Circa prim um qu aeruntur d ecem : 1. U trum objectum fid e i sit
veritas prim a. — 2. Utrum objectum fidei sit aliq u id com p lexu m
v e l in com p lexu m , id est res aut en u n tia b ile. — 3. U trum fidei
p ossit su b esse falsum . — 4. Utrum objectum fid ei possit esse
a liq u id vi6um . — 5. U trum p ossit e sse a liq u id scitum . —
6. U trum cred ib ilia deb ean t d istin gu i p er certos articulos. —
7. Utrum iid em articuli su b sin t fid ei secund um om n e tem pus.
— 8. D e num ero articulorum . — 9. D e m odo tradendi articulos
in sym b olo. — 10. Cujus sit fid ei sym b olu m constituere.
i Z u m B egriff d e r B e k e n n tn isfo rm v g l. A nm . [11].

7
1,1 1. A R T I K E L
Ist G egenstand d es Glaubens die E rstiva h rkeit?
1. Das ist Glaubensgegenstand, was uns zu glauben vor­
gelegt wird. Zu glauben aber wird uns nicht nur vor­
gelegt, was sich auf die Gottheit, welche die Erstwahrheit
ist, sondern auch solches, was sich auf die Menschheit
Christi, die Sakramente der Kirche und den Zustand der
Geschöpfe bezieht. Also ist nicht nur die Erstwahrheit
Gegenstand des Glaubens.
2. Glaube und Unglaube gehen auf das nämliche, da
sie einander entgegen sind. Unglaube aber Kann es hin­
sichtlich alles dessen geben, was in der Hl. Schrift ent­
halten ist; denn wann immer ein Mensch etwas davon
bestreitet, so gilt er als ungläubig. Also bezieht sich auch
der Glaube auf alles, w as in der Hl. Schrift enthalten ist.
Nun steht aber vieles darin über die Menschen und die
anderen geschaffenen Dinge. Also ist nicht nur die Erst­
wahrheit, sondern auch geschaffene Wahrheit Gegenstand
des Glaubens.
3. Der Glaube wird der Gottesliebe in ein und derselben
Einteilung gegenübergestellt (I—II 62, 3: Bd. 11). Aber
vermöge der Gottesliebe lieben wir nicht nur Gott, die
höchste Gutheit, sondern auch den Nächsten. Also ist
nicht nur die Erstwahrheit Gegenstand des Glaubens.

QÜAESTIO 1, i

ARTICULUSI
Utrum objectam fidei sit veritas prima
[3 S en t., d ist. 24, a r t. 1, q a 1; De v e rlt., q . 14, a rt. 8; De Spe, a rt. 1]
AD PRIM UM sic proceditur. V id etu r quod objectum fid ei non
sit v e rita s prim a. Illu d enim vid etu r e sse objectum fid ei quod
n ob is propon itu r ad cred en d u m . S e d non solu m proponuntur
n o b is ad cred en d u m e a q u ae p e r tin en t ad D iv in ita tem , q u ae
est v e rita s prim a; se d etiam ea q u a e p ertin en t ad hum anitatem
Christi et E cclesiae sacram enta et creaturarum eonditionem .
Ergo n on solu m verita s prim a est fidei objectum .
2. PRAETEREA, fid es et in fid elitas sunt circa id em : cum sin t
opp osita. S e d circa om nia q u ae in sacra Scrip tu ra con tin en tu r
potest e sse in fid elitas: quidquid en im horum hom o n egaverit,
in fid elis reputatur. E rgo etia m fides est circa om nia q u ae in
sacra Scriptura continentur. S ed ibi m ulta de h o m in ib u s conti­
nentu r et de a liis reb us creatis. Ergo objectum fidei non solum
est veritas prim a, se d etiam veritas creata.
3. PRAETEREA, fides caritati condividitur, ut su pra dictum
est. S e d caritate non solu m d iligim u s D eum , qui est sum m a
bonitas, se d etiam d ilig im u s p roxim um . Ergo fid ei objectum non
est solum v e rita s prim a.

8
ANDERSEITS sagt Dionysius: „Der Glaube geht um 1, 1
die einfache und immer bestehende W ahrheit.“ D iese aber
ist die Erstwahrheit. Also ist Gegenstand des Glaubens
die Erstwahrheit.
ANTWORT: In dem Gegenstand jedes Erkenntnis­
gehabens ist zw eierlei enthalten: das, was inhaltlich er­
kannt wird, was den inhaltlichen Gegenstand ausmacht,
und das, wodurch dieser erkannt wird, was formgebender
Grund im Gegenstand ist. So sind in der Raumlehre die
Schlußfolgerungen inhaltlich gewußt; der formgebende
Grund aber des W issens sind die Beweism ittel, durch
welche die Schlußfolgerungen erkannt werden. So ist also
beim Glauben der formgebende Grund im Gegenstand —
um hierauf das Augenmerk zu richten — nichts anderes
als die Erstwahrheit. Denn der Glaube, von dem wir
sprechen, gibt nur deshalb zu etwas seine Zustimmung,
w eil es von Gott geoffenbart ist; also stützt sich der
Glaube unmittelbar auf die göttliche Wahrheit als auf sein
Erkenntnismittel. Wenn wir jedoch das, wozu der Glaube
seine Zustimmung gibt, inhaltlich ins Auge fassen, so ist
es nicht nur Gott selbst, sondern auch vieles andere.
Dieses fällt jedoch nur insofern unter die Glaubens­
zustimmung, als es eine Hinordnung auf Gott hat: je
nachdem nämlich dem Menschen durch irgendwelche
Wirkungen der Gottheit geholfen wird, nach göttlicher Be-
seligung zu streben. Darum ist auch von dieser Seite her

QUAESTI O l,i

SED CONTRA est quod D io n y siu s dicit 7 cap. d e D iv. N om . pg 3/874


[lect. 5 ] , quod „fides est circa sim p licem et sem p er e x isten tem soi. 1/412
v erita tem “. H aec autem est veritas prim a. Ergo objectum fidei
est veritas prim a.
RESPONDEO dicen du m quod cu ju slib et eognoscitivi hab itu s
objectum duo hab et: sc ilic et id quod m aterialiter cognoscitur,
quod est sicut m a teriale objectu m ; et id p er quod cognoscitur,
quod est form alis ratio objecti. Sicut in scien tia geom etriae
m a teria liter scita su nt con clu sion es; fo rm a lis v ero ratio scien d i
sunt m ed ia dem onstrationis, per qu ae conclu siones cognoscun-
tur. Sic igitu r in fide, si co n sid erem u s form alem rationem ob­
jecti, n ih il est aliu d quam veritas prim a: non enim fid es de qua
loqu im u r a ssen tit alicu i n isi qu ia est a D eo rev ela tu m ; u n d e
ip si veritati d ivin ae f id e s 1 in n ititu r tanquam m edio. S i vero
considerem u s m aterialiter ea quibus fides assen tit, non solum
e st ip se D eu s, se d etia m m ulta alia. Q uae tarnen su b assen su
fid ei non cadun t n isi secu n d u m quod h ab en t a liq u em ordinem
ad D eum : prout sc ilic et p er aliq uos D ivin itatis effectus hom o
ad ju vatu r ad ten d en d u m in divin am fru itio n em . Et id e o etiam
1 L om.

2 15 9
1, 2 Gegenstand des Glaubens in gew isser Weise die Erstwahr-
heit, insofern alles nur in seiner Hinordnung auf Gott
unter den Glauben fällt: w ie auch Gegenstand der H eil­
kunde die Gesundheit ist, denn die Heilkunde betrachtet
alles nur in Hinordnung auf die Gesundheit.
Z u l . Was sich auf die Menschheit Christi, auf die
Sakramente der Kirche oder auf irgendwelche Geschöpfe
bezieht, fällt nur insofern unter den Glauben, als wir
dadurch auf Gott hingeordnet werden. Und in der Tat
stimmen wir ihnen auch nur zu auf Grund der göttlichen
Wahrheit.
Z u 2. Ähnliches gilt von allem, was in der Hl. Schrift
überliefert ist.
Z u 3. Auch die Gottesliebe liebt den Nächsten um Gottes
w illen; und so ist ihr Gegenstand eigentlich Gott selbst,
w ie später (25, 1: Bd. IG) darzulegen sein wird.

2. A R T I K E L
Ist der Gegenstand des Glaubens etw as ZusammeXn-
g esetztes nach A rt einer A ussage? [1]
1. Gegenstand des Glaubens ist die Erstwahrheit (Art. 1).
Die Erstwahrheit aber ist etwas Unzusammengesetztes.

Q U A E S T I O 1, 2
e x hac p a rte ob jectu m fid e i est quodam m odo v e rita s prim a,
inquantum n ih il cadit su b fide n isi in ordine ad D eu m : sicut
etiam objectum m ed icin a e est san itas, qu ia n ih il m ed icin a con-
sid erat n isi in o rd in e ad san itatem .
A D PRIM UM ergo d icen d u m quod ea q u a e p e r tin en t ad hu-
m anitatem C hristi et ad sacram en ta E cclesia e v e l a d qu ascum q ue
creaturas cadunt su b fid e inquantum p er h aec ordinam ur ad
D eum . Et e is etiam assen tim u s propter divinam veritatem .
Et sim ilite r dicen du m est A D SEC U N D U M , de Omnibus illis
quae in sacra Scriptura traduntur.
A D TERTIUM dicen d u m quod etiam caritas d iligit nroxim um
propter D eu m ; et sic objectum e ju s prop rie est ip se D eus, ut
infra dicetur.

ARTICULUS II
Utrum objectum fidei sit aliquid coraplexnm
per modum en u n tia b ilis
[1 Seilt., d is t. 41, in E x p o s, litt.; .°», dist,. 24, a rt. 1, q a 2; 1 C ont. G ent.,
cap . 7; De v e rit., q. 14, a rt. 8 c o rp . e t a d 5 e t 12; a rt. 12 eorp.]

A D SEC U N D U M sic proceditur. V id etu r quod objectum fidei


uon sit a liq u id com p lexu m p e r m odum en u n tiab ilis. Objectum
enim .fidei est veritas prim a, sicu t dictum est. S e d prim a veritas

10
Also ist der Glaubensgegenstand nichts Zusammen- 1,
gesetztes.
2. Die Darlegung des Glaubens geschieht in der Be­
kenntnisform. In der Bekenntnisform aber stehen keine
Aussagen, sondern nur Inhalte, denn es heißt darin nicht:
Gott ist allmächtig, sondern: „Ich glaube an Gott den
Allmächtigen.“ Glaubensgegenstand ist also nicht eine
Aussage, sondern ein [bloßer] Inhalt.
3. Dem Glauben folgt die Schau, nach 1 Kor 13, 12:
„Wir sehen jetzt nur durch einen Spiegel im Rätsel, dann
aber von Angesicht zu Angesicht.“ Die Schau in der himm­
lischen Heimat aber geht, da sie die göttliche W esenheit
selbst zum Gegenstände hat, auf Unzusammengesetztes.
Also auch der Glaube der irdischen Wanderschaft.
ANDERSEITS nimmt der Glaube die M ittelstellung ein
zwischen W issen und Meinen [2 ]. Mitte und Außenglieder
aber sind von der nämlichen Gattung. Da nun W issen und
Meinen Aussagliches betreffen, so scheint es ebenfalls der
Glaube mit Aussaglichem zu tun zu haben. Demnach ist
der Glaubensgegenstand, da der Glaube sich auf Aussag­
liches bezieht, etwas Zusammengesetztes.
ANTWORT: Das Erkannte ist im Erkennenden nach
der W eise des Erkennenden. Es ist aber die eigentüm­
liche W eise menschlichen Verstehens, daß es durch Zu-

QUAESTIO 1, 2

est a liq u id in com p lexu m . Ergo objectum fidei non est aliq uid
com plexu m .
2. PRAETEREA, ex p o sitio fid ei in sym b olo continetur. S ed
in sym bolo non ponuntur en u n tiab ilia, se d res: non enim dicitur
ibi quod D eus sit om nipotens, sed , „Credo in D eum om ni­
p o ten tem “. E rgo objectum fid ei non est e n u n tia b ile , se d res.
3. PRAETEREA, fidei su cced it v isio , secu n d u m illu d 1 ad
Cor. 13: „ V id em u s nu nc p er sp ecu lu m in a en ig m a te, tune
autem facie ad fa c ie m ; n u n c 1 cognosco e x parte, tune 'autem
cognoscam sic u t et cogn itu s su m .“ S e d v isio p atriae est de in-
co m p lexo: cum sit ip siu s d iv in a e e ssen tia e. Ergo etiam fides
viae.
SED CONTRA, fides est m edia in ter scien tia m et opin ion em .
M edium autem et ex trem a su nt eju sd em gen eris. Cum igitu r
scien tia et op in io sin t circa en u n tiab ilia, vid etu r quod sim iliter
fides sit circa en u n tiab ilia. Et ita objectum fidei, cum sit circa
en u n tiab ilia, est a liq u id com plexu m .
RESPONDEO d icen d u m quod co g n ita su n t in cognoscente
secund um m odum cognoscentis. Est au tem m odus proprius
h um ani in tellectu s u t com ponend o et divid en d o veritatem
i L om .: n u n c — sum .

n
i, 2 sammenfügen und Trennen die W ahrheit erfaßt (I 85, 5:
ßd. 6). Und so erkennt der menschliche Verstand das, was
seiner Natur nach einfach ist, nur nach einer gewissen
Zusammensetzung, w ie umgekehrt der göttliche Verstand
unzusammengesetzt erkennt, was in sich zusammengesetzt
ist. So kann also der Glaubensgegenstand auf doppelte
W eise aufgefaßt werden. Einmal von der Seite des ge­
glaubten Inhaltes selbst her; und insofern ist der Glau­
bensgegenstand etwas Unzusammengesetztes, nämlich der
Inhalt selbst, an den man glaubt. Sodann von der Seite
des Glaubenden her, und danach ist der Glaubensgegen­
stand etwas Zusammengesetztes nach Art einer Aussage.
Und sonach ist es bei den Alten mit Recht zu beiden
Auffassungen gekommen, und irgendwie ist beides wahr.
Z u 1. Diese Auffassung geht vom Glaubensgegenstand
aus, unter dem Gesichtspunkt des Inhaltes, an den man
glaubt.
Z u 2. In der Bekeuntnisform wird das, worauf sich
der Glaube bezieht, ausgesprochen, insofern die Glaubens­
betätigung in ihm ihren Zielpunkt hat, w ie aus der Aus­
drucksweise [der Bekenntnisform] selbst erhellt. Der
Glaubensakt hat aber seinen Zielpunkt nicht bei der Aus­
sage, sondern beim Inhalt; denn wir bilden Aussagen nur,
um durch sie zur Erkenntnis der Inhalte zu gelangen, w ie
im W issen, so auch im Glauben.
Z u 3. Die Schau in der himmlischen Heimat wird Schau

QUAESTIO I, 2

cognoscat, sicut in P rim o dictum est. Et id eo ea qu ae secund um


s e sim p licia su n t in tellectu s hu m anu s cognoscit secu n d u m quam -
dam c o m p le x io n e m : sicu t e converso in tellectu s d ivin u s incom -
p le x e cognoscit ea qu ae su n t secu n d u m s e com p lexa. S ic igitu r
objectum fid ei du p lieiter considerari potest. U n o m odo, e x parte
ip siu s r e i cred itae: et sic objectum fidei est a liq u id in com p le-
xum , 'sc ilic e t res ip sa d e qua fides habetur. A lio m odo e x
p arte cred en tis: et secu n d u m hoc objectu m fid e i est a liq u id
com p lexu m p er m odum en u n tiab ilis. Et id eo utrum que vere
opin atu m fu it apud antiquos, et secundum . a liq u id utrum que
est verum .
AD PRIM UM ergo dicen du m quod ratio illa procedit de ob­
jecto fidei e x parte ip siu s rei creditae.
A D SEC U N D U M dicendum quod in sym b olo tanguntur ea
de q u ib u s est fides in q u an tu m ad ea te n n in a tu r actus creden-
tis; ut e x ip so m odo loq u en d i ap p aret. A ctus au tem credentis
non term inatu r ad en u n tiab ile, se d ad rem : non en im form a-
m u s en u n tiab ilia, n isi ut p er ea de reb u s cogn ition em hab e-
am us, sicut in scien tia , ita et in fide.
AD TERTIUM dicen du m quod visio patriae erit veritatis

12
der Erstwahrheit sein, w ie Sie in Sich ist, nach 1 Jo 3, ‘2: 1, 3
„Wir w issen, daß, wenn es offenbar wird, wir Ihm ähn­
lich sein werden, w eil wir Ihn sehen werden, w ie Er ist.“
Und also wird sich jene Schau nicht nach Art einer Aus­
sage vollziehen, sondern in der W eise einfacher Insicht.
Im Glauben aber erfassen wir die Erstwahrheit nicht, w ie
Sie in Sich ist. Also liegt nicht dieselbe Sachlage vor.

3. A R T I K E L
Kann dem Glauben Falsches u n terliegen ?
1. Der Glaube steht mit der Hoffnung und der Liebe
in einer Einteilung. Der Hoffnung kann aber etwas Fal­
sches unterliegen; viele nämlich hoffen das ew ige Leben
zu erlangen und werden es nicht erlangen. Ebenso auch
der Liebe; viele nämlich werden als gut geliebt und sind
es doch nicht. Also kann auch dem Glauben etwas Fal­
sches unterliegen.
2. Abraham glaubte an die künftige Geburt Christi;
nach Jo 8, 56: „Euer Vater Abraham jubelte, daß er
meinen Tag sehen sollte.“ Nach der Zeit Abrahams aber
war es [immer noch] möglich, daß Gott nicht Fleisch
annahm; denn lediglich nach Seinem W illen hat Er

QUAESTIO 1, 3

p rim ae secund um quod in se est: secu n d u m illu d 1 Joan. 3:


„Scim us qu oniam 1 cum ap p aru erit, sim ile s e i erim us, quoniam
vid eb im u s eum sicuti est.“ Et id eo v isio illa erit non p er m odum
e n u n tiab ilis, s e d p er m odu m sim p lic is in te llig e n tia e . S e d p er
fidem n on a p p relien d im u s v erita tem p rim am sicu t in s e est.
U n de non est sim ilis ratio.

ARTICULUS III
Utrum fidei possit subesse falsum
[III 46, 2 -ad 4; 3 Sen t., d is t. 24, a rt. 1, q. 3; De p o te n t., q. 4, a rt. 1 corp.]
A D TERTIUM sic p roced itu r. V id etu r quod fid e i p ossit su b esse
falsum . F id es enim con d ivid itu r sp e i et caritati. S ed sp e i potest
a liq u id su b e sse falsu m : m ulti en im sp era n t se h ab itu ros vitam
aeternam , qui non habebunt. S im ilite r etiam et caritati: m ulti
e n im diliiguntur tainquam bon i qui tarnen b on i non su n t. Ergo
et fid e i potest aliq u id su b e sse falsum .
2. PRAETEREA, A braham credidit Christum nasciturum : s e ­
cundum illu d Joan. 8: „A braham , pater v ester, ex u lta v it ut
vid eret diem m eum ; vidit,- et gavisu s est.“ S e d post tem p us
A brahae D eus poterat non incarn ari: so la enim su a volun tate
1 L o m ,: Scimus quoniam .
2 L om .: v id it — esfo

13
1,3 Fleisch angenommen, und so wäre es falsch gew esen, was
Abraham von Christus geglaubt hat. Also kann dem
Glauben Falsches unterliegen.
3. Es war der Glaube der Alten, daß Christus werde
geboren werden, und dieser Glaube hielt in vielen an bis
zur Predigt der Frohbotschaft. Nachdem Christus aber
bereits geboren war und ehe Er anfing zu predigen, war
es falsch [zu glauben], Christus werde [erst noch] ge­
boren werden. Also kann dem Glauben Falsches unter­
liegen.
4. Es gehört in den Bereich des Glaubens, daß jemand
glaubt, unter dem Sakrament des Altares sei der wahre
Leib Christi enthalten. Es kann aber Vorkommen, wenn
nämlich nicht richtig konsekriert ist, daß nicht der wahre
Leib Christi da ist, sondern nur Brot. Also kann dem
Glauben Falsches unterliegen.
ANDERSEITS richtet sich keine den Verstand voll­
endende Tugend auf Falsches, insoferne es ein Übel für
den Verstand ist (Aristoteles). Der Glaube aber ist eine
den Verstand vollendende Tugend (4, 2 u. 4). Also kann
ihm nichts Falsches unterliegen.
ANTWORT: Nichts unterliegt einem Vermögen oder
Gehaben oder auch einem Akt, es sei denn mittels des
formgebenden Grundes des Gegenstandes, w ie die Farbe
nur gesehen werden kann durch das Licht und ein Ver-

QUAESTIO 1, 3

carnem accepit: et ita esset falsum quod A braham de Christo


credidit. E rgo fid ei potest su b e sse falsum .
3. PRAETEREA, fid es an tiq u oru m fu it quod Christus esset
nasciturus, et h aec fid es du ravit ixi m u ltis u sq u e ad p raed ica-
tionem E van gelii. S ed Christo jam nato, etiam antequ am prae-
dicare in c ip er e t, falsu m erat Christum nasciturum . Ergo fidei
p o te st su b e ss e falsum .
4. PRAETEREA, un um d e p ertin en tib u s ad fidem est ut ali-
quis credat su b Sacram en to A ltaris veru m corpus Christi conti-
neri. P otest autem contingere, quando non recte consecratur,
quod non est ibi veru m corpus Christi, sed solum pan is. Ergo
fid ei potest su b e sse falsum .
SE D CONTRA, n u lla virtu s p erficien s m iellec tu m s e h ab et ad
falsum , secu n d u m qu od est m alum m tellectu s, u t Datet p e r P hilo-
1139a so p h u m in 6 Ethic. [cap. 2 ] . S e d fides est q u aed am virtu s per-
27 sq- fiele n s in tellectu m , ut in fra pateb it. Ergo e i n o n p otest su b esse
falsum .
RESPONDEO dicen du m quod n ih il su b est alicu i p o ten tia e v e l
iiabitui, au t etiam actui, n isi m ed ian te 1 ratione form ali objecti:
sicu t color v id eri n on potest n isi p er lucem , et conclusio sciri
i P : im m e d ia te .

14
nunftschluß nur eingesehen werden kann auf Grund des 1, 3
Beweism ittels. Der formgebende Grund des Glaubens­
gegenstandes ist aber die Erstwahrheit (Art. 1). Daher
kann nichts unter den Glauben fallen, außer sofern es
unter der Erstwahrheit steht. Unter dieser aber kann
nichts Falsches stehen, w ie auch nicht ein Nichtseiendes
unter einem Seiendem, und ein Ü bel unter einer Gutheit.
Daher bleibt nur, daß dem Glauben nichts Falsches unter­
liegen kann.
Z u l . W eil das Wahre ein Gut des Verstandes ist, nicht
aber ein Gut der Strebekraft, so schließen alle Tugenden,
die den Verstand vollenden, das Falsche gänzlich aus;
denn es liegt im W esen der Tugend, daß sie sich nur auf
Gutes richtet. Tugenden aber, die den Strebebereich voll­
enden, schließen nicht gänzlich Falsches aus; denn es kann
jemand nach Gerechtigkeit oder Maßhaltung handeln und
dabei eine falsche Ansicht von dem haben, worin er sich
gerade betätigt. Und so besteht, da der Glaube den Ver­
stand vollendet, die Hoffnung aber und die Liebe den
Strebebereich, hinsichtlich ihrer kein gleichartiges Ver­
hältnis.
Und dennoch unterliegt auch der Hoffnung nichts Fal­
sches. Denn niemand hofft das ew ige Leben zu erlangen
kraft eigenen Vermögens, dies wäre Verm essenheit, son­
dern mit H ilfe der Gnade; und wer in dieser verharrt,
wird durchaus und unfehlbar das ew ige Leben erlangen.
— ln ähnlicher W eise gehört es zur Liebe, Gott geneigt

qua e s T I O 1,3
non potest n isi per m edium dem onstrationis. Dictum est autem
quod ratio form alis objecti fid ei est v e rita s prim a. U n d e nihil
potest cadere su b fide n isi inquantum stat su b v e rita te prim a.
Su b qua nu llu m falsum stare potest: sicut n ec n on -en s su b ente,
nec m alum su b bonitate. U n d e relinqu itu r quod fid ei non potest
su b esse aliq uod falsum .
A D PRIM UM ergo dicen du m quod, q u ia veru m est bonum
in tellectu s, non au tem est bonum ap p etitiv a e virtutis. id eo om nes
virtu tes q u ae perficiu nt in tellectu m exclu d u n t totaliter falsum :
quia de ration e virtu tis est quod se h ab eat solum ad bonum .
V irtutes au tem perficien tes partem ap p etitivam non exclu d u n t
totaliter falsu m : potest en im aliq u is secu n d u m justitiam aut
tem p eran tiam a g e re h a b en s aliq uam falsam op in ion em de eo
circa quod agit. Et ita, cum fid es perficiat intellectu m , sp es autem
et caritas ap p etitivam partem , non est sim ilis ratio de eis.
. Et tarnen n eq u e etiam s p e i su b est fa lsu m . N on en im a liq u is
sp e r a t se hab itu ru m vitam a etern am secu n d u m propriam pote-
statem (hoc enim esset praesu m p tion is), sed secund um au xiliu m
gratiae: in qua si p erseveraverit, om nino et in fa llib iliter vitam
aeternam con seq u etu r. — S im ilite r etiam ad ca ritatem p ertin et

15
1, 3 zu sein, in wem auch immer Er sein mag. Daher ver­
schlägt es nichts hinsichtlich der Liehe, ob Gott wirklich
gerade in dem ist, der um Gottes w illen geliebt wird.
Z u 2. Daß Gott nicht im Fleische erscheine, war, an sich
betrachtet, auch nach der Zeit Abrahams noch möglich.
Aber insofern dies unter das göttliche Vorherwissen fällt,
ist ihm eine gewisse Notwendigkeit der Unfehlbarkeit
eigen (1 14, 13: Bd. 2). Und auf diese W eise fällt es unter
den Glauben. Daher kann es, in dem Maße es unter den
Glauben fällt, nicht falsch sein.
Z u 3. Es gehörte auch nach der Geburt Christi zum
Glauben des Gläubigen, daß er glaubte, Er werde zu
irgendeinem Zeitpunkt geboren. Aber die Bestimmung der
Zeit, worin er sich täuschte, fiel nicht unter den Glauben,
sondern unterlag menschlicher Vermutung. Denn es ist
möglich, daß der glaubende Mensch auf Grund mensch­
licher Vermutung etwas Falsches annimmt. Aber daß er
auf Grund des Glaubens Falsches annehme, das ist un­
möglich.
Z u 4. Der Glaube des Gläubigen bezieht sich nicht auf
diese oder jene bestimmten Gestalten des Brotes, sondern
darauf, daß der wahre Leib Christi unter den Gestalten
von sinnlich wahrnehmbarem Brote gegenwärtig sei, wenn
in rechter W eise konsekriert worden ist. W enn daher
nicht richtig konsekriert ist, unterläuft desw egen dem
Glauben nichts Falsches [3].

QUAESTIO 1, 3

d ilig e r e D eu m in q u ocu m q u e fu erit. U n d e n o n r efe rt ad cari-


tatem utrum in isto sit D eu s qui propter D eu m d iligitu r.
A D SEC U N D U M dicendum quod D eu m non incarn ari, se c u n ­
dum s e consideratum , fu it p o ssib ile etia m post tem p u s A b rah ae.
S e d secu n d u m quod cadit su b p ra escien tia divina, h ab et quam -
dam n ecessitatem in fa llib ilita tis, ut in P rim o dictum est. Et hoc
m odo cadit su b fide. U n d e prout cadit su b fide, non potest esse
falsum .
A D TERTIUM dicendum quod hoc ad fidem credentis p e r tin e ­
bat post Christi nativitatem quod cred eret eum q u and oqu e nasci.
S e d illa d eterm in atio tem p oris, in q u a d ecip iebatu r, n on erat
e x fide, se d e x conjectura hum ana. P o ssib ile est en im e x con-
jectura hum ana hom inem fid elem falsu m a liq u id aestim are. S ed
quod e x fide falsum aestim et, hoc est im p ossib ile.
A D QUARTUM dicen du m quod fides cred en tis non refertur
ad has sp e c ie s p a n is v e l illa s: sed ad hoc qu od veru m corpus
Christi sit su b sp ec ieb u s p an is se n sib ilis quando recte fu erit
consecratum . U n de si non sit recte consecratum , fid ei non su berit
propter hoc falsum .

16
4. A R T I K E L 1, 4
Kann der Glaubensgegenstand etw as Geschautes sein?
1. Der Herr sagt (Jo 20, 29) zu Thomas: „W eil du mich
gesehen hast, bist du gläubig geworden.“ Es gibt also von
dem näm lichen ein Sehen und ein Glauben.
2. Der Apostel sagt (1 Kor 13, 12): „Wir sehen jetzt
nur durch einen Spiegel im Rätsel.“ Dabei meint er die
Glaubenserkenntnis. Also wird das, was geglaubt wird,
gesehen.
3. Der Glaube ist eine Art geistiger Leuchte. Mit jeg­
licher Leuchte aber wird etwas gesehen. Also betrifft der
Glaube Dinge, die man sieht.
4. Jeder Sinn wird Gesicht genannt (Augustinus).
Der Glaube aber haftet an Gehörtem, nach Röm 10, 17:
„Der Glaube stammt vom Hören.“ Also betrifft der Glaube
Dinge, die man sieht.
ANDERSEITS sagt der A postel (Hebr 11, 1): „Der
Glaube ist die Überzeugung von Dingen, die man nicht
sieht.“
ANTWORT: Der Glaube bedeutet Zustimmung des Ver­
standes zu dem, was man glaubt. Der Verstand gibt aber
auf doppelte W eise seine Zustimmung zu etwas. Einmal,
indem er dazu bestimmt wird durch den Gegenstand

QUAESTIO 1, 4

ART1CULUS IV
Utrum objectum fidei possit esse aliquid
visum
[I—I I 67. 3 Corp. e t a d 1; I I I 7, 3 co rp . e t a d 3; 3 Sent., d is t. 21.
a rt. 2, q a 1: De v e rit., q. 14, a rt, 9; in H e b r. 11, le c t. 1]
AD QUARTUM sic proceditur. V id etu r quod objectum fidei
sit aliq uid visum . D icit enim D om inu s T hom ae, Joan. 20: „Quia
v id isti m e, cred id isti.“ Ergo de eodem est v isio et fides.
2. PRAETEREA, A postolus, [1 ad Cor. 13] dicit: „V idem us
nunc p e r sp ecu lu m in a e n ig m a te.“ Et loquitur de cognition e
fid ei. Ergo id quod creditur videtur.
3. PRAETEREA, fid es est quoddam sp ir itu a le lu m en . S e d sub
q u olib et lu m in e aliq u id vid etu r. Ergo fides est de reb us visis.
4. PRAETEREA, q u ilib e t se n su s v isu s n om inatu r: ut A u gu - p l 38/616
stin u s dicit, in lib . d e v e rb is D om in i (serm . 112, cap. 7). Sed
fides est de au d itis: secu n d u m illu d Rom. 10: „F id es e x au d itu .“
Ergo fides est de rebus visis.
SED CONTRA est quod A p ostolus dicit, ad H ebr. 11, quod „fides
est argum entum non a p p aren tiu m “.
RESPONDEO dicendum quod fides im portat assen su m in tellec-
tus ad id quod creditur. A ssen tit au tem in tellectu s alicu i dupli-
citer. U no m odo, quia ad hoc m ovetur ab ipso objecto, quod est

17
1, 4 selbst, der entweder durch sich selbst erkannt ist, w ie dies
von den ersten Ursätzen gilt, auf die sich die E in sich t1
bezieht, oder durch etwas anderes, w ie dies bei den Schluß­
folgerungen der Fall ist, mit denen sich das W issen be­
faßt. Sodann gibt er zu etwas seine Zustimmung, nicht
w eil er von dem Gegenstand als solchem hinreichend
bewegt würde, sondern vermöge einer Wahlentscheidung,
die sich w illentlich mehr nach der einen als nach der
anderen Seite wendet. Wenn dies nun geschieht unter
Zweifeln und unter einer Besorgnis zugunsten der anderen
Seite, so liegt eine Meinung vor; wenn aber mit Gewiß­
heit ohne eine solche Besorgnis, ein Glauben. Von dem
aber, was unsern Verstand oder unsern Sinn durch sich
selbst zu seiner Erkenntnis bestimmt, sagt man, es werde
gesehen. So ist offenkundig, daß es von dem, was entweder
sinnlich oder mittels des Verstandes geschaut wird, weder
einen Glauben noch eine Meinung geben kann.
Z u l . Thomas hat „etwas anderes gesehen und etwas
anderes im Glauben erfaßt. Er hat einen Menschen ge­
sehen, und im Glauben Gott bekannt, indem er sagte: Mein
Herr und mein Gott!“ [Gregorius],
Z u 2. Das, was dem Glauben unterliegt, kann auf dop­
pelte W eise in Betracht gezogen werden. Einerseits in
seiner Besonderheit, und so kann es, w ie gesagt, nicht in
einem geschaut und geglaubt sein. Anderseits in einem
allgem einen Bezug, nämlich unter dem allgem einen Be­
griff des Glaubwürdigen. Und auf diese W eise wird es

QUAESTIO 1, 4

v e l p er se ip su m cognitum , sicut p atet in p rin cip iis prim is, quo-


rum est in te lle ctu s; v e l est p er a liu d cognitum , sicu t patet d e con-
clu sionibu s, quarum est scien tia. A lio m odo in tellectu s assentit
alicu i non quia su fficien ter m oveatur ab objecto proprio, se d per
qu am dam e lectio n em vo lu n ta rie d eclin an s in un am partem m agis
quam in aliam . Et s i q u id em hoc fit cum d u bitatione et form id in e
a lte r iu s partis, erit o p in io : si au tem fit cum certitu d in e absqu e
tali form id in e, erit fides. Illa autem v id e ri dicuntur qu ae per
se ip sa m ovent intellectu m nostrum v e l sen su m ad su i cogni-
tionem . U n d e m an ifestu m est quod nec fid es n ec op in io potest
esse de v isis, aut secu n d u m sen su m , aut secund um intellectu m .
AD PRIM UM ergo dicen du m quod T hom as „aliu d v id it et
aliu d credidit. H om in em v id it et D eu m credens confessu s est,
cum d is it: D om inus m eu s et D e u s m e u s“.2
AD SEC U N D U M d icen d u m quod ea qu ae su bsunt fid ei du pli-
citer considerari possunt. U no m odo, in sp ec ia li: et sic non pos-
su nt esse sim u l visa et credita, sicut dictum est. A lio m odo, in
g en era li, sc ilic et su b com m u ni ration e cred ib ilis. Et sic su nt visa
1 D. h . d as G eh ab en d e r E in sic h t,
s Cf. Gregr. H om . 26 in E v. [MPL 76/1202J.

18
von dem, der glaubt, gesehen; denn er würde nicht glau- 1, 5
ben, wenn er nicht sähe, daß hier geglaubt werden muß,
entweder dank der Einsichtigkeit der Zeichen oder ver­
möge irgend etwas dergleichen [4].
Z u 3. Die Leuchte des Glaubens läßt das schauen, was
geglaubt wird. W ie der Mensch vermöge der anderen
Tugendgehaben das sieht, w as einem bestimmten Gehaben
nach ihm angemessen ist, so neigt auch der Geistgrund
des Menschen vermöge des Glaubensgehabens dazu, sol­
chem beizupflichten, was mit dem rechten Glauben über-
einkonnnt, und nicht anderem [5].
Z u 4. Das Hören geht auf die Worte, die das bezeich­
nen, was Sache des Glaubens ist, nicht aber auf die Dinge
selbst, um die es im Glauben geht. Und demnach brauchen
derartige Dinge nicht geschaut zu sein.

5. ARTIKEL
Kann das, w as des Glaubens ist, gew ußt sein?
1. Was man nicht weiß, scheint ungekannt zu sein, denn
Unkenntnis ist dem W issen entgegengesetzt. Was aber des
Glaubens ist, ist nicht ungekannt; denn solche Unkenntnis
fällt unter den Unglauben, nach 1 Tim 1 ,1 3 : „Ich handelte

QUAESTIO 1, s

ab eo qui credit: non en im cred eret n isi vid eret ea esse cre-
denda, v e l propter ev id en tia m sisn o ru m v e l propter aliq uid
hu jusm odi.
A D TERTIUM dicendum quod lu m en fid e i facit v id e r e ea
q u ae creduntur. Sicut en im p er alios hab itu s virtutum hom o v i-
det illu d quod est sib i co n v en ien s secu n d u m hab itu m illu m , ita
etiam p er habitum fidei inclin atu r m en s h om in is ad assen tien -
dum his qu ae con ven iu n t rectae fidei et non aliis.
A D Q UARTUM dicen du m quod au d itu s est verb oru m sign i-
ficantium ea q u ae sunt fid ei: non autem est ipsarum rerum de
qu ibus est fides. Et sic non oportet ut hujusm odi res sin t visae.

ARTICULUSV
Utrum e a quae sunt fidei possint esse s ci ta
[S upra 4; 4, 1; I I I 7, 3; 3 S en t.. d is t. 24, a r t. 2, (ja 2 e t 3; 1 C ont. G ent.,
cap. 8; De v e rit., q. 14, a rt. 9]
A D Q UINTUM sic proceditur. V id etu r quod ea q u ae su nt fidei
possint e sse scita. Ea en im q u a e non sciu n tu r v id en tu r e sse igno-
rata: quia ignorantia sc ien tia e opponitur. S e d qu ae su n t fidei
non sunt ignota: horum enim ignorantia ad infidelitatem perti-

19
1. 5 unwissend, im Unglauben.“ Was also des Glaubens ist,
kann gewußt sein.
2. W issen wird durch Gründe erworben. Zu dem aber,
was des Glaubens ist, werden durch die heiligen Schrift­
steller Gründe angeführt. Was also des Glaubens ist, kann
gewußt sein.
3. Was beweism äßig auf gezeigt wird, ist gewußt; denn
Beweisführung ist „Schlußfolgerung, die zum Wissen
führt“ (Aristoteles). Manches aber, was im Glauben ent­
halten ist, ist von Philosophen beweism äßig aufgezeigt
worden, z. B. daß Gott sei, und daß Gott einer sei, und
anderes Derartiges. Also kann, was des Glaubens ist, ge­
wußt sein.
4. Meinen ist weiter entfernt vom W issen als Glauben;
denn glauben, heißt es, steht zwischen Meinen und W is­
sen. A ber „Meinen und W issen kann es auf irgendeine
W eise von dem selben geben“ (A ristoteles). Also auch
Glauben und Wissen.
ANDERSEITS sagt Gregorius: „Das Offensichtliche
verursacht nicht Glauben, sondern genaues Erkennen.“
Was also unter den Glauben fällt, verursacht nicht genaues
Erkennen; wohl aber, w as gewußt ist. Von dem also, was
gewußt ist, kann es keinen Glauben geben.

(JDAESTIO 1, 5

net, secu n d u m illu d 1 ad Tim . 1: „Ign oran s fe c i in incred u litate


m e a “. Ergo ea q u ae su nt fidei possunt esse scita.
2. PRAETEREA, sc ie n tia p e r ra tio n es acquiritur. S e d ad e a
q u ae su n t fidei a sacris auctoribus ration es inducuntur. Ergo ea
qu ae su nt fid ei possunt esse scita.
3. PRAETEREA, ea qu ae dem onstrative probantur sunt scita:
quia dem onstratio est „Syllogism us fa c ie n s sc ir e “.1 S ed q u ae-
darn qu ae in fide con tin en tu r su nt dem onstrative probata a
p h ilosop h is: sicut D eu m e sse , et D eu m esse un um , et a lia liu jus-
m odi. E rgo ea qu ae su n t fid e i p o ssu n t e sse scita.
4. PRAETEREA, op in io p lu s distat a scien tia quam fides: cum
fides dicatur e sse m ed ia in ter op in ion em et scien tiam . Sed
„op in io et scien tia possunt esse aliq u o m odo de e o d e m “, ut diei-
89 a 25 tur in 1 P oster, [cap. 3 3 ]. Ergo etiam fides e t scien tia.
PL 76/1202 SED CONTRA est quod G regorius dicit [hom . 2 6 in E v a n g e l. j ,
q u od „ap p aren tia non h ab en t fidem . se d a g n itio n e m .“ Ea ergo d e
quibus est fides agn ition em non habent. S ed e a q u ae su nt scita,2
a gn ition em hab en t. Ergo de h is qu ae su n t scita non potest esse
fides.
1 A risl. P o st. A a a ly l. Ib. 1, e. 2 17.1 V> 17 sq.].
2 P : sicut. scita.

•20
ANTWORT: A lles W issen hat man durch irgendwelche 1, 5
in sich bekannte, folglich geschaute Ursätze. Also muß
alles, was gewußt ist, auf irgendeine W eise geschaut sein.
Es kann aber nicht das nämliche von dem selben Wesen
geschaut und geglaubt sein (Art. 4). Also ist es auch
unmöglich, daß das näm liche von ein und demselben
gewußt und geglaubt ist.
Wohl kann es aber Vorkommen, daß das, w as von dem
einen gesehen oder gewußt ist, von einem ändern geglaubt
ist. Was wir nämlich von der Dreieinigkeit glauben, hof­
fen wir einst zu schauen, nach 1 Kor 13, 12: „Wir schauen
jetzt durch einen Spiegel im Rätsel, dann aber von An­
gesicht zu Angesicht“, eine Schau, welche die Engel bereits
besitzen. Was wir also glauben, schauen jene. Und so kann
in ähnlicher W eise der Fall sein, daß das, was von dem
einen Menschen gesehen oder gewußt ist, auch im Zustande
der Pilgerschaft, von einem anderen geglaubt ist, der jenes
beweismäßig nicht erkannt hat. Das freilich, was ins­
gemein allen Menschen zum Glauben vorgelegt wird, ist
insgemein nicht gewußt. Und eben das ist es, was schlecht­
hin unter den Glauben fällt. Und demgemäß gibt es von
ein und demselben nicht Glauben und Wissen.
Z u l . Die Ungläubigen haben von dem, w as des Glau­
bens ist, Unkenntnis; denn weder sehen oder w issen sie
es in sich, noch erkennen sie es als glaubwürdig. Dagegen
haben die Gläubigen auf letztere W eise Kenntnis davon,

QUAESTIO 1, 5

RESPONDEO dicen du m quod om nis scien tia habetur per aliq ua


p rin cip ia p er s e nota, et p er con seq u en s visa. Et id eo oportet
qu aecu m q u e su n t scita aliq u o m odo esse visa. N on autem est
p o ssib ile quod id em ab eodem sit visum et creditum , sicut supra
dictum est. U n d e etiam im p o ssib ile est quod ab eod em id em sit
scitum et creditum .
P otest tarnen co n tin g ere ut id quod est visum v e l scitum ab
uno, sit creditum ab alio. E tenim q u a e de T rinitate credim us
n o s visu ros sp eram u s, se cu n d u m illu d 1 ad Cor. 13: „V id em u s
nunc p er sp ecu lu m in aen ig m a te, tune au tem fa c ie ad fa c ie m “ :
quam q u id em v isio n e m jam a n g e li hab en t: u n d e quod nos cre­
d im u s illi v id e n t. Et sic sim ilite r potest c o n tin g ere u t id quod
est visum v e l scitum ab uno hom in e, etiam in statu v ia e, sit ab
a lio creditum , qui hoc dem onstrative non novit. Id tarnen quod
com m u n iter o m n ib u s p rop on itu r h o m in ib u s ut credend um est
com m u niter non scitum . Et ista sunt q u ae sim p liciter fidei sub-
sunt. Et id eo fides et sc ien tia non su nt de eodem .
A D PRIM UM ergo d icen d u m quod in fid e le s eoru m q u ae sunt
fidei ign oran tiam h ab en t: qu ia n ec vid en t au t sciu n t ea in se ip -
sis, nec c o g n o sc u n t1 ea e sse cred ib ilia . S ed p er hunc m odum
i P: nec v id e n t n e c sc iu n t ea in seipsis, u t e o g n o scan t.

21
1,5 nicht sozusagen beweism äßig, sondern insofern sie .es ver­
möge der Leuchte des Glaubens als zu Glaubendes schauen
(Art. 4, Zu 3) [ 6 J.
Z u 2. Die Gründe, die von den H eiligen zum Erweis
dessen, was Sache des Glaubens ist, angeführt werden,
sind nicht beweism äßig, sondern eine Art Zurede, um zu
zeigen, was im Glauben vorgelegt wird, sei nicht unmög­
lich. Oder sie gehen von den Ursätzen des Glaubens aus,
z. B. von B ew eisstellen der Hl. Schrift (D ionysius). Von
diesen Ursätzen her wird der Nachweis bei den Gläubigen
in der Art geführt, w ie er sonst von naturhaft gekannten
Ursätzen aus bei allen geführt wird. Daher ist auch Theo­
logie eine Wissenschaft, w ie im Anfang des Werkes gesagt
wurde (I 1, 2: Bd. 1).
Z u 3. Das schlüssig Beweisbare wird unter das zu Glau­
bende gerechnet, nicht w eil sich darauf bei allen der
Glaube schlechthin bezieht, sondern w eil es vorgefordert
wird für das, w as [an sich ] unter den Glauben fällt und
wenigstens glaubensmäßig von solchen im voraus ange­
nommen werden muß, die den B ew eis dafür nicht zu
eigen haben.
Z u 4. „Verschiedene Menschen können durchaus von ein
und dem selben W issen und Meinung haben“ (A ristoteles),
w ie es auch oben (Antwort) von W issen und Glauben ge­
sagt wurde. Einer und derselbe aber kann zwar teilw eise
W issen und Glauben von dem Nämlichen, d. h. dem [näm-

QUAESTIO 1, »

fld e le s hab en t eorum n otitian i, non q u asi d em o n stra tiv e, se d in ­


qu antu m p er lu m en fidei v id en tu r e sse eredend a, ut dictum est.
A D SE C U N D U M dicendum quod ration es q u ae inducuntur a
Sanctis ad probandum e a q u ae su nt fid e i non su n t dem onstra-
tivae, s e d p ersu asion es quaedam m an ifestan tes n on e sse im p ossi­
b ile quod in fide p ropon itu r. V e l proeed unt e x p r in e ip iis fidei,
PG 3/639 scilicet e x auctoritatibus sacrae Scrip tu rae: sicut dicit D ionysiu s
Sol. I 2 cap. d e D iv. N om . E x h is autem p rin eip iis ita probatur ali-
677 b 69 qUj(j a pU(j flqe ]es sicut etiam e x p rin eip iis natu raliter notis pro­
batur a liq u id apud om nes. U n de etiam th e o U g ia sc ien tia est,
ut in princip io O peris dictum est.
A D TERTIUM dicendum quod ea qu ae d em onstrative probari
possunt in ter eredend a nu m erantur, non qu ia de ip sis sim p li­
c ite r sit fidas apu d om n es: se d q u ia p r a e ex ig u n tu r ad ea qu ae
sunt fidei, et oportet ea saltem p er fidem p raesu p p on i ab his
qui horum dem onstrationem non habent.
A D Q UARTUM dicen du m quod, sicut P h ilosop h u s ibidem d i­
cit, a d iversis h om inib us de eodem om nino potest h ab eri scien tia
et opin io, sicut et su p ra dictum est de scien tia et fide. S ed ab
uno et eodem potest hab eri scien tia et fides de eod em secund um

22
liehen] Satzgegenstand, nicht jedoch unter dem nämlichen 1,
Gesichtspunkt haben; denn es kann sein, daß jemand von
einem und dem nämlichen Ding etwas weiß und etwas
anderes meint; und ähnlich kann einer von Gott bew eis-
mäßig w issen, daß Er einer, und glauben, daß Er drei­
fältig sei. Aber von dem nämlichen Gegenstand kann es
nicht unter dem selben Gesichtspunkt in einem Menschen
W issen mit Meinen oder mit Glauben geben, jew eils je­
doch aus verschiedenem Grunde. Denn W issen kann be­
züglich des nämlichen mit Meinen nicht schlechthin Z u ­
sammengehen, w eil es zum W esen des W issens gehört,
daß man von dem, was gewußt ist, annimmt, es könne
sich nicht anders verhalten [als man w e iß ]; im Wesen
des Meinens aber liegt es, daß man von dem Gemeinten
annimmt, es könne sich auch anders verhalten. Was aber
im Glauben festgehalten wird, gilt um der Gewißheit des
Glaubens w illen ebenfalls als solches, von dem man über­
zeugt ist, daß es sich unmöglich anders verhalte. Aus dem
Grunde aber kann das nämliche und nach dem nämlichen
Gesichtspunkt nicht zugleich gewußt und geglaubt sein,
w eil gewußt gleich geschaut, und geglaubt gleich nicht-
geschaut ist (Antwort).

QÜAESTIO 1, 5

q u id , sc ilic et su b jecto, se d non secu n d u m id em : potest en im esse


quod de una et ead em re aliq u is a liq u id sciat et aliq u id aliud
op in etu r; et sim ilite r de D eo potest a liq u is dem onstrative scire
quod sit unus, et cred ere quod sit trinus. S e d de eodem secundum
id em non potest e sse sim u l in uno h om in e scien tia n e c cum
op in io n e n ee cum fide, a lia tarnen et a lia ration e. S cien tia enim
cum op in ion e sim u l esse non potest sim p liciter de eodem , quia
de ratione scien tia e est quod id quod scitur existim etu r esse
im p ossib ile aliter se h a b ere; de ratione autem op in ion is est quod
id quod est opinatum , e x is tim e tu r 1 p o ssib ile a lite r se habere.
S ed id quod fid e tenetur, propter fid ei certitu dinem , existim atu r
etiam im p o ssib ile a lite r s e h a b ere: s e d ea ration e non potest
sim u l id em et secu n d u m id em esse scitum et creditum , qu ia sci­
tum est visum , et ereditum est non visum , ut dictum est.
1 L: q u o d q u is e x istim a t, e x istim e t.

23
6. A R T I K E L
Müssen die Glaubensdinge nach bestim m ten A rtikeln
unterschieden w erden ? [7]
1. Mail muß Glauben haben an alles, was in der H eili­
gen Schrift enthalten ist. Dies aber läßt sich wegen seiner
Vielfältigkeit nicht auf eine bestimmte Zahl zurückführen.
Also scheint es überflüssig, eine Unterscheidung nach
Glaubensartikeln vorzunehmen.
2. Da die Unterscheidung nach stofflichen Gesichts­
punkten ins Unendliche getrieben werden kann, ist sie
von der W issenschaft zu unterlassen. Der formgebende
Gesichtspunkt des Glaubensgegenstandes ist jedoch einer
und unteilbar, nämlich die Erstwahrheit (Art. 1), und so
lassen sich die Glaubensdinge vermöge ihres formgeben­
den Grundes nicht unterscheiden. Also hat eine Scheidung
der Glaubensdinge nach stofflichen Gesichtspunkten in
Artikel zu unterbleiben.
3. Wie von manchen erklärt wird, ist ein Artikel „eine
unteilbare Wahrheit über Gott, die uns zum Glauben
drängt“. Glauben aber ist eine Sache der Freiw illigkeit,
denn, sagt Augustinus, „niemand glaubt, es sei denn w il­
lentlich“. Es scheint also unpassend, den Glaubensinhalt
nach Artikeln zu unterscheiden.

Q U A E S T I O 1, 6

ART1CULUS VI
Utrum credibilia sint per certos articulos
distinguenda
[3 S en t., d is t. 25, q. 1, a rt. 1, qa 1; a rt. 2 a d 6; 1 Cor. 15, le c t. 1]

AD SEX TU M sic proceditur. V id etu r quod cred ib ilia non sin t


p e r certos articulos d istin guenda. Eorum enim om nium qu ae in
sacra Scrip tura continentur est fides h ab en da. S e d illa non p os­
su nt red uci ad a liq u em certum nu m erum , propter su i m ultitu-
din em . Ergo su p erflu u m v id etu r articulos fidei distin gu ere.
2. PRAETEREA, m aterialis distinctio, cum in infinitum fieri pos­
sit, est ab arte p raeterm ittend a. S ed form alis ratio objecti credi-
b ilis est una et indiv-isibilis, ut su pra dictum est, sc ilic et veritas
prim a: et sic secu n d u m ration em form alem cred ib ilia d istin gu i
non possu nt. E rgo p raeterm itten d a est cred ib iliu m m aterialis
distinctio p er articulos.
3. PRAETEREA, sicut a qu ibusdam dicitur, articulus est „in ­
d iv isib ilis veritas de D eo arctans nos a d cred en d u m “.1 S ed cre-
PL 35/1807 d ere est v o lu n ta r iu m : quia, sicut A u gustin us dicit [tract. 26 in
J o a n .], „nu llu s credit n isi v o le n s“. Ergo vid etu r quod incon-
v en ien ter distinguantur cred ib ilia per articulos.
1 Cf. W ill), v. A u xerre. S u m m . A ur. lib . 3, tr . 8, cap . 2, q u . 1.

24
ANDERSEITS sagt Isidorus: „Ein Artikel ist die Er- 1, «
fassung der göttlichen Wahrheit mit der Hinwendung auf
diese selbst.“ D ie Erfassung der göttlichen Wahrheit aber
steht uns nur auf dem W ege einer gew issen Unterschei­
dung zu; denn was in Gott eines ist, vermannigfaltigt sich
in unserm Verstand. Der Glaubensinhalt bedarf also der
Unterscheidung in Artikel [8 ].
ANTWORT: Der Ausdruck „Artikel“ ist augenschein­
lich aus dem Griechischen abgeleitet. Denn das griechische
„arthron“, das im Lateinischen „articulus“ heißt, bedeutet
ein Gefüge von unterschiedenen Teilen. So heißen gegen­
seitig ineinandergefügte kleine Körperbestandteile Glied­
artikel (-gelenke). Und ähnlich heißen in der Grammatik bei
den Griechen „Artikel“ bestimmte Redeteile, die ändern
Ausdrücken beigefügt sind, um das Geschlecht, die Zahl
oder den Fall auszudrücken. Und wiederum heißen in der
Redekunst „Artikel“ gew isse W ortfügungen; Tullius
[Cicero] sagt nämlich in seiner „Rhetorik“ : „Von Artikel
spricht man da, wo einzelne Worte in abgebrochener Rede­
w eise durch Absätze voneinander geschieden werden,
z. B. ,Durch Schärfe, durch laute Stimme, durch deine
Miene hast du deine W idersacher außer Fassung ge­
bracht“.“ Demnach sagt man auch von den Gegenständen
des christlichen Glaubens, daß sie nach Artikeln unter­
schieden werden, sofern sie, in gew isse Abschnitte ge­
schieden, ein abgestimmtes Gefüge ergeben.

OÜAESTIO 1, e

SED CONTRA est quod Isid oru s dicit: „A rticulus est perceptio
d ivin ae v erita tis ten d en s in ip sam .“ S e d percep tio d iv in a e veri-
tatis com petit n ob is secu n d u m distin ctionem qu am dam : quae
en im in D eo un u m su nt in nostro in tellectu m u ltip lican tu r. Ergo
c re d ib ilia d eb en t p e r articulos d istin gu i.
RESPONDEO dicendum quod nom en „articuli“ e x graeco v i­
d etu r esse derivatum . ’A q'&qov en im in graeco, quod in latin o
articulus dicitur, sign iflcat quam dam coaptationem aliq uarum
partium distinctarum . Et id eo particu lae corporis sib i invicem
coaptatae dicuntur m em brorum articuli. Et sim ilite r in gram -
m atica apud G raecos dicuntur articuli q u aed am partes orationis
coaptatae a liis d iction ib us ad e x p rim en d u m earu m genus, nu-
m eru m , v e l casum . Et sim ilite r in rh etorica articu li dicuntur
q u aed am partium coap tation es: dicit en im T u lliu s in 4 Rhet.
[ad H eren , cap. 19] quod „ a rticu lu s dicitu r cum sin g u la verb a
in te r v a llis d istin gu u n tu r ca esa oration e, hoc m odo: A crim onia,
voce, v u ltu ad versarios p e r ter ru isti“. U n d e et c red ib ilia fid e i
C h ristianae dicuntur p er articulos d istin g u i inquantum in quas-
dam partes d ividu ntur h a b en tes aliq u am coap tation em ad in ­
vicem .

25
,6 Glaubeüsgegenstand aber ist Nichtgeschautes aus dem
Wahrheitsbereich des Göttlichen (Art. 4). Und so ergibl
sich da ein eigener Artikel, wo etwas unter einem beson­
deren Gesichtspunkt als nicht Geschautes auftritt; wo aber
mehreres nach derselben Beziehung bekannt oder nicht
bekannt ist, da gibt es auch keine Unterscheidung nacli
Artikeln. So bietet es eine andere Schwierigkeit, zu sehen,
daß Gott gelitten hat, und eine andere, daß er vom Tode
auf erstanden ist; daher unterscheidet man den Artikel der
Auferstehung vom Artikel des Leidens. Daß er aber
gelitten hat. gestorben ist und begraben wurde, liegt in
einer und derselben Linie der Schwierigkeit, so daß es
nicht schwierig ist, nach Annahme des einen die ändern
anzunehmen: und darum gehört alles dies zu einem ein­
zigen Artikel.
Z u 1. Es gibt einige Glaubensgegenstände, auf welche
sich der Glaube an und für sich bezieht; es gibt aber auch
Glaubensgegenstände, auf welche sich der Glaube nicht an
und für sich bezieht, sondern im Zusammenhang mit an­
deren Glaubensgegenständen. So werden auch im Bereich
der W issenschaften einige Wahrheiten als Hauptziel vor­
gelegt. einige zur Kundmachung anderer Wahrheiten. Weil
sich aber der Glaube hauptsächlich auf das bezieht, was
wir zu schauen hoffen in der himmlischen Heimat, im
Sinne von Hebr 11, 1: „Der Glaube ist Grundbestand des­
sen, was man erhofft“, darum gehört dasjenige an und für

QUAESTIO 1, e

Est autem objectum fid ei aliq u id non visum circa divina, ut


su p ra dictum est. Et id e o ubi occurrit aliq uid sp ec ia li ratione
non visum . ibi est sp ec ia lis articulus: ubi autem m ulta secundum
eam dem ration em su n t cogn ita v e l n o n cognita,1 ib i n on sunt
articuli d istin gu en d i. S icu t aliam difficultatem h ab et ad vid en -
dum quod D e u s sit passus, e t aliam quod m ortuus r e s u r r e x e r it:
et id eo distin guitur articulus resurrectionis ab articulo passionis.
S ed quod sit passus, m ortuus et sep u ltu s, unam et eam dem d if­
ficultatem hab en t, ita quod, uno su scep to, non est difficile alia
su sc ip er e : et p rop ter hoc om n ia h a e c p ertin en t ad u n u m arti-
culum .
A D PRIM UM ergo d icen d u m qu od aliq u a su n t cred ib ilia de
qu ibus est fid es secund um se ; a liq u a v e ro su nt c re d ib ilia de
qu ib u s non est fides secu n d u m se , se d solu m in ordine ad alia:
sicut etiam in a liis sc ie n tiis qu aed am propon un tur ut p er se
intenta, et q u aed am ad m an ifestation em aliorum . Q uia vero
fid es p rin cip aliter est de his q u ae v id en d a sp era m u s in patria,
secund um illu d H ebr. 11: „F id es est su b stan tia sp erand aru m
reru m “ ; id eo p er s e ad fidem p ertin en t illa q u a e d irecte nos
1 L: s u n t in c o g n ita

26
sich zum Glauben, was uns unmittelbar hinordnet zum 1, h
ewigen Leben; zum B eispiel die drei Personen, die A ll­
macht Gottes, das Geheimnis der Menschwerdung Christi
und anderes dergleichen, und unter solchen Gesichts­
punkten werden die Glaubensartikel unterschieden. Einiges
wiederum wird in der H eiligen Schrift zu glauben vor­
gelegt, nicht als Hauptziel, sondern zur Kundmachung der
vorerwähnten Geheimnisse, zum Beispiel, daß Abraham
zwei Söhne hatte, daß ein Toter bei Berührung der Ge­
beine des Elisäus wiedererweckt wurde und anderes der­
gleichen, das in der Heiligen Schrift berichtet wird zur
Kundmachung der göttlichen Majestät oder der Mensch­
werdung Christi. Und unter solchen Gesichtspunkten
braucht man die Glaubensartikel nicht zu unterscheiden.
Z u 2. Der formgebende Gesichtspunkt eines Glaubens­
gegenstandes kann in doppelter W eise aufgefaßt werden.
Einmal von Seiten der geglaubten Wahrheit her, und so
ist der formgebende Gesichtspunkt aller Glaubensgegen­
stände ein einziger, nämlich die Erstwahrheit. Und von
hier aus werden die Glaubensartikel nicht unterschieden.
Sodann kann der formgebende Gesichtspunkt der Glau­
bensgegenstände von unserer Seite her aufgefaßt werden
und so besteht der formgebende Gesichtspunkt des Glau­
bensgegenstandes darin, daß er nicht geschaut ist. Von
dieser Seite aus werden die Glaubensartikel unterschieden,
wrie wir gesehen haben (Antwort).
Z u 3. Jene Begriffsbestimmung eines Glaubensartikels

QUAESTIO 1, *

ordinant ad vitam a etern am : sicut sunt tres P erson ae om ni-


potentis D e i,1 m ysteriu m incarn ation is Christi, et a lia h u ju s­
m odi. Et secund um ista d istin guun tur articuli fidei. Q uaedam
vero proponuntur in sacra Scriptura ut ered en d a non q u asi prin-
c ip aliter intenta, se d ad praedictorum m a n ife sta tio n e m : sicut
quod Abraham hab uit duos filios, quod ad tactum ossium E lisaei
su scitatu s est m ortuus, et a lia hujusm odi, qu ae narrantur in
sacra Scriptura in ord in e ad m an ifestation em d iv in a e m ajestatis
v e l incarn ation is Christi. Et secundum talia non oportet articulos
distin gu ere.
A D SEC U N D U M dicen du m quod ratio form alis ob jecti fidei
p otest accip i dupliciter. U n o m odo, e x p arte ip siu s r ei creditae.
Et sic ratio form alis om nium cred ib iliu m est una, sc ilic et veritas
prim a. Et e x hac parte articuli non distin guun tur. A lio m odo
p otest accipi ratio form alis cred ib iliu m e x parte nostri. Et sie
ratio form alis c re d ib ilis est ut sit n on visum . Et e x hac parte
articuli fidei distin guun tur, ut visum est.
AD TERTIUM dicendum quod illa d efin itio datur de articulo
i L: o m n ip o te n tia Dei.

27
1,7 erfolgt mehr nach einer gewissen Ableitung des Namens,
sofern er eine lateinische Herkunft aufweist, als nach
seiner wahren Bedeutung, sofern er vom Griechischen
abgeleitet wird. Darum besitzt sie kein großes Gewicht. —
Man kann auch so sagen, daß, obwohl keiner durch Nöti­
gung des Zwanges zum Glauben hingedrängt wird — denn
Glauben ist Sache der Freiwilligkeit —, doch jeder hin­
gedrängt wird durch die Nötigung des Zieles, denn: „Wer
zu Gott hintritt, muß glauben“ und „Ohne Glauben ist es
unmöglich, Gott zu gefallen“, wie der Apostel sagt
(Hebr 11, 6).

7. A R T I K E L
Sind die Glaubensartikel in der Abfolge der Zeiten
gewachsen?
1. Der Apostel sagt Hebr. 11, 1: „Der Glaube ist der
Grundbestand dessen, was man erhofft.“ Zu jeder Zeit
aber ist dasselbe zu hoffen. Also ist zu jeder Zeit auch
dasselbe zu glauben.
2. In den von Menschen geordneten Wissenschaften hat
in der Abfolge der Zeiten ein Wachstum stattgefunden
wegen des Mangels an Erkenntnis bei den Ersten, welche
diese Wissenschaften begründet haben (Aristoteles). Die

QUAESTIO 1, 7

m agis secu n d u m qu am dam etym ologiam n om in is prout habet


d erivation em latinam , quam secu n d u m e ju s veram significatio-
nem prout a graeco derivatu r. U n d e non est m agn i p on d eris. —
P otest tarnen et sic dici, quod, licet ad credend um n ecessitate
coactionis nu llu s arctetur, cum cred ere sit volun tarium ; arctatur
tarnen n ecessitate finis, quia „accedentem ad D eum oportet cre­
d e r e “, et „ sin e fide im p o ssib ile est p la c er e D e o “, ut A p ostolus
dicit H ebr. 11.

ARTICULUS VI I
Utrum articuli fidei secundum successionem
temporum creverint
[In lra 2, 7; 174, 6 Corp.; 3 S en t., d is t. 25, q. 2, a rt. 2, q a 1]
AD SEPTIM U M sic proceditur. V id etu r quod articuli fid ei non
creverin t secu n d u m tem p oru m su ccession em . Q uia, ut A postolus
dicit, ad H ebr. 11, „fides est su b stan tia sp eran d aru m reru m “.
S ed om ni tem p ore su n t ead em sp eran d a. Ergo om ni tem p ore
sunt ead em eredenda.
2. PRAETEREA, in sc ien tiis h u m an itu s ordinatis p er succ
893 a sio n em tem p oru m au gm en tu m factu m est propter d efectu m co-
3 0 sqq. g n itio n is in p r iin is qui sc ien tia s in v en eru n t, ut p atet p e r P h ilo-

28
Lehre des Glaubens aber ist nicht von Menschen begrün­
det, sondern von Gott anvertraut worden: „denn sie ist
Gottes Geschenk“ (Eph 2, 3). Da nun kein Mangel an
W issen bei Gott zutrifft, scheint es, daß die Erkenntnis der
Glaubensgegenstände von Anfang an vollkommen war und
daß sie nicht gewachsen ist in der Abfolge der Zeiten.
3. Die Wirksamkeit der Gnade geht nicht weniger ge­
ordnet vor sich als die Wirksamkeit der Natur. Die Natur
aber nimmt ihren Anfang immer beim Vollkommenen
(Boethius). Also scheint es auch, daß die Wirksamkeit der
Gnade ihren Anfang vom Vollkommenen her genommen
hat, so nämlich, daß die Ersten, welche den Glauben über­
lieferten, ihn am vollkommensten erkannt haben.
4. Wie der Glaube Christi durch die Apostel zu uns
gelangt ist, so ist die Erkenntnis des Glaubens auch im
Alten Bunde durch die früheren Väter zu den späteren
gelangt: „Frage deinen Vater und er wird es dir ver­
künden“ (Dt 32, 7). Nun waren aber die Apostel am voll­
ständigsten unterrichtet über die Geheimnisse, denn sie
empfingen, w ie die Glosse sagt, „sowohl der Zeit nach
früher als auch überschwenglicher als die ändern“ in Aus­
legung von Röm 8, 23: „Wir selbst besitzen die Erstlings­
früchte des Geistes.“ Also scheint es, daß die Erkenntnis
der Glaubensgegenstände nicht gewachsen ist in der Ab­
folge der Zeiten.

Q U A E S T I O 1, 7

sop hu m in 2 M etaph. [cap. 1 ] . S e d doctrina fidei non est in-


ven ta hu m anitus, se d tradita a D e o : „ D ei en im donum e st“, ut
dicitu r Eph es. 2. Cum igitu r in D eu m n u llu s defectu s sc ien tia e
cadat, v id etu r quod a p rin cip io cognitio cred ib iliu m fu e r it p er­
fecta, et qu od n on creverit secu n d u m su ccession em tem porum .
3. PRAETEREA, operatio gratiae non m in u s Ordinate proce-
dit quam op eratio naturae. S e d natura sem p er in itiu m su m it a
p erfectis: ut B oetiu s dicit, in lib. de Consol. [lib . 3, pros. 10 ]. P L 6 3
Ergo etiam vid etu r quod operatio gratiae a p erfectis initium 765 s q .
CSEL
su m p serit, ita quod illi qui prim o tradideru nt fidem p erfectis- 6 7 / 6 4 s q
sim e eam cognoverunt.
4. PRAETEREA, sicut p er A p ostolos ad n os fid es Christi per-
ven it, ita etiam in v eteri T estam en to per priores P atres ad po­
steriores d e v e n it cognitio fid ei: secund um illu d D eut. 32: „Inter-
roga p atrem tuum et a n n u n tiab it tib i.“ S e d A p ostoli p le n issim e
fu eru n t instructi de m ysteriis: acceperu nt en im „sicut tem p ore
prius, ita et ceteris abu n d an tiu s“, ut dicit G lossa (in te rlin . Lom- P L 1 9 1
bardi), su p er illu d Rom. 8, „n os ip si p rim itias Sp iritu s h ab en - 1444
te s“. Ergo vid etu r quod cognitio credibiliu m non creverit per
tem porum su ccession em .

29
1, i ANDERSEITS sagt Gregor: „Nach dem Wachstum der
Zeiten wuchs auch das W issen der heiligen Väter; und
je näher sie der Ankunft des Erlösers standen, um so
reicher haben sie die Geheimnisse des Heils geschöpft.“
ANTWORT: Die Glaubensartikel verhalten sich in der
Glaubenslehre w ie die durch sich selbst einsichtigen Ur-
sätze in der Lehre, die durch natürliche Vernunft erreich­
bar ist. In diesen Ursätzen ist eine gew isse Ordnung auf­
findbar, so daß Einiges in Anderem einschlußweise ent­
halten ist; so werden alle Ursätze zurückgeführt auf
diesen als den ersten: „Es ist unmöglich, [ebendasselbe]
zugleich zu bejahen und zu verneinen“ (Aristoteles). So
sind in gleicher W eise die Glaubensartikel einschlußweise
enthalten in einigen ersten Glaubenswahrheiten, zum
Beispiel im Glauben, daß Gott ist und Vorsehung walten
läßt über das H eil der Menschen: „Wer sich Gott naht,
muß glauben, daß Er ist und denen, die Ihn suchen, ein
Vergelter wird“ (Hebr 11, 6). Denn im göttlichen Sein
ist alles eingeschlossen, was wir in Gott von Ewigkeit her
wesend glauben, worin unsere Seligkeit besteht. Im Glau­
ben endlich an die Vorsehung ist alles eingeschlossen, was
zeitlicherweise von Gott veranstaltet wird zum Heil der
Menschen und ein Weg ist zur Seligkeit [9]. Und auf
diese W eise sind auch einige der nachfolgenden Glaubens-

Q U A E S T I O t, 7

PL 76 980 SED CONTRA est quod G regorius dicit [hom . 4 in E zech. lib. 2]
quod „secundum in crem en ta tem porum crevit scien tia sanctorum
P atrum : et quanto v icin iores ad ven tu i S alvatoris fuerunt, tanto
sacram en ta sa lu tis p le n iu s p e r ce p e ru n t“.
RESPONDEO dicen du m quod ita s e h ab en t in doctrina fidei
articuli fid e i sicut p rin cip ia per s e nota in d octrin a qu ae per
ration em n atu ralem h ab etu r. In q u ib u s p r in e ip iis ordo quidam
in ven itu r, ut qu aed am in a liis im p licite con tin ean tu r: sicut om-
n ia princip ia reducuntur ad hoc sicut ad prim um : „Im p ossib ile
1011 est sim u l affirm are e t n e g a r e,“ ut patet p er P hilosoph um , in
b 20 4 M etaph. [cap. 3 ] . Et sim ilite r o m n es articuli im p lic ite con­
tin en tu r in aliq u ib u s prim is cred ib ilib u s, sc ilic et ut credatur
D eus e sse et p rovidentiam h ab ere circa hom inu m sa lu tem : s e ­
cundum illu d ad H ebr. 11: „A cced en tem ad D eu m oportet cre-
d ere qu ia est, et quod in q u iren tib u s s e rem u n erator s it.“ In esse
enim d ivin o inclu du ntur om nia q u ae credim us in D eo aetern a-
liter e x ister e, in qu ibus nostra beatitudo consistit: in fide autem
p rovid en tiae inclu du ntur om nia qu ae tem p oraliter a D eo disp en -
san tur ad hom inu m salu tem , qu ae su n t v ia in b eatitu d in em . Et
per hunc etiam m odum aliorum su b s e q u e n tiu m 1 articulorum
i P: su b ststen tiu m .

30
artikel in anderen enthalten, w ie im Glauben an die i ;
menschliehe Erlösung einschlußweise auch die Mensch­
werdung Christi und Sein Leiden und anderes dergleichen
enthalten ist.
So ist denn zu sagen, daß in betreff des Inhaltes der
Glaubensartikel kein Wachstum stattgefunden hat in der
Abfolge der Zeiten; denn was immer die Späteren ge­
glaubt haben, war enthalten im Glauben der vorhergehen­
den Väter, wenn auch einschlußweise [10]. Was aber die
Entfaltung betrifft, so ist die Zahl der Artikel gewachsen,
w eil einiges von den Späteren ausführlich erkannt wurde,
was von den Früheren nicht ausführlich erkannt wurde.
Darum sagt der Herr dem Moses: „Ich bin der Gott Abra­
hams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs; und Meinen
Namen Adonai habe Ich ihnen nicht kundgetan“ (Exod 6,
2. 3). Und David sagt: „Ich bin weiser als Greise“ (Ps 118,
100). Und der Apostel sagt: „Den früheren Geschlechtern
ward das Geheimnis Christi nicht kundgemacht, w ie es
jetzt geoffenbart ist Seinen heiligen Aposteln und Pro­
pheten“ (Eph 3, 5).
Z u l . Immer war dasselbe von Christus zu hoffen bei
allen Menschen. W eil aber die Menschen zur Hoffnung auf
diese Güter nur durch Christus hingelangten, darum waren
die Menschen um so mehr entfernt von der Erreichung
der erhofften Güter, je mehr sie von Christus der Zeit nach
entfernt waren. Darum sagt der Apostel: „Im Glauben

QUAESTIO 1, 7

quidam in a liis continentur: sicut in fide rodem ptionis hum anae


im p licite continentur et incarnatio Christi et e ju s p assio et oinnia
hujusm odi.
Sic igitu r dicen du m est quod, quantum ad substantiam arti-
culorum fidei, non est factum eorum au gm en tu m p er tem porum
su c c e ssio n e m : qu ia quaecum q ue posteriores credideru nt, contine-
bantur in fide p raeced en tiu m Patrum , licet im plicite. S e d quan­
tum ad exp lication em , crevit n u m eru s articulorum : qu ia q u ae­
dam e x p lic ite cognita sunt a p osterioribu s q u ae a prioribus non
oognoscebantur e x p lic ite. U n d e D om inus M oysi dicit Exod. 6:
„Ego su m D eus A braham , D eus Isaac, D eus Jacob: et nom en
m eum A donai non indicavi e is.“ Et D avid dicit [P salm . 11 8 ]:
„Su per s e n e s in te lle x i.“ Et A p ostolus dicit ad Ephes. 3: „In a liis
gen eration ib u s non est agnitum (m ysterium Christi), sicut nunc
revelatu m est san ctis A p ostolis eju s et p rop h etis.“
AD PRIM UM ergo dicen du m quod se m p e r fuerunt ead em
sp eran d a apu d h om in es a Christo.1 Q uia tarnen ad haec epe-
randa h om in es non p erv en eru n t n isi per Christum , quanto a
Christo fu eru n t rem otiores secund um tem p us, tanto a consecu-
tio n e sp eran d oru m lo n g in q u io res: u n d e A p ostolus dicit, ad
1 L : a p u d om nes.

31
1, 7 sind alle diese gestorben, ohne die Verheißungen erlangt
zu haben; nur von ferne haben sie diese gesehen“ (Hebr
11, 13). Je mehr aber etwas aus der Ferne erblickt wird,
um so weniger deutlich wird es erblickt. Und darum haben
diejenigen die erhofften Güter deutlicher gesehen, welche
der Ankunft Christi benachbart waren.
Z u 2. Der Fortschritt in der Erkenntnis hat auf zwei­
fache W eise statt. Einmal von seiten des Lehrenden, der
in der Erkenntnis vorwärtsschreitet, sei es nur einer, seien
es mehrere in der Abfolge der Zeiten. Und das ist der
Grund des Wachstums in den W issenschaften, die durch
menschliche Vernunft begründet werden. Sodann von
seiten des Lernenden. So überliefert ein Meister, der seine
ganze Wissenschaft beherrscht, diese nicht sofort von An­
fang an dem Jünger, w eil er sie nicht fassen könnte, son­
dern allmählich, indem er sich zu dessen Fassungskraft
herabläßt. Und in dieser W eise haben die Menschen Fort­
schritte gemacht in der Erkenntnis des Glaubens in der
Abfolge der Zeiten. Darum vergleicht der Apostel den
Stand des Alten Bundes mit der Kindheit (Gal 3 und 4).
Z u 3. Zum natürlichen Werdegang sind zwei Ursachen
erfordert: die Wirkursache und die Stoff Ursache. In der
Ordnung der Wirkursache also ist das Vollkommenere
früher, und so nimmt die Natur ihren Ausgang vom Voll­
kommenen her; denn das Unvollkommene wird nur durch
bereits vorher bestehende vollkommene Ursachen zur Voll-

QUAESTIO 1, 7

H ebr. 11: „Juxta fidem defun cti su nt om nes isti, non acceptis
rep rom ission ib u s, se d a lo n g e eas a sp ic ien tes.“ Q uanto au tem a li­
qu id a lo n gin q u iorib u s v id etu r, tanto m in u s d istin cte v id etu r. Et
id eo bona sp eran d a distin ctius cognoveru nt qui fu eru n t adventu i
Christi vicin i.
AD SEC U N D U M dicen du m qu od profectu s cogn ition is du pli-
citer contingit. U no m odo, e x p arte docentis, qui in cognition e
proficit, s iv e u n u s s iv e p lu res, p e r tem p oru m su ccessio n em . Et
ista est ratio a u g m en ti in sc ien tiis p e r ration em h u m an itu s in-
v en tis. A lio m odo e x p arte ad d iscen tis: sicut m agister qui novit
totam artem non statim a princip io tradit eam discipu lo, quia
cap ere non posset, se d pau latim , con d escen d en s e ju s capacitati.
Et hac ratione p rofeceru nt h om in es in cogn ition e fidei per tem ­
porum su ccession em . U n d e A postolus, ad Gal. 3, com parat statum
v e ter is T estam en ti p u eritia e.
AD TERTIUM dicen du m quod ad g en eration em naturalem
d u a e ca u sa e p r a e ex ig u n tu r , sc ilic et a g e n s et m ateria. S ecu n d u m
igitu r ordinem causae agen tis, n atu raliter p riu s est quod est per-
fectius, et sic natura a p erfectis su m it exord iu m : quia im p er­
fecta n on ducuntur ad p erfection em n isi p e r aliq ua perfecta

32
kommenheit geführt. In der Ordnung der Stoffursache 1, 7
aber ist das Unvollkommene früher, und in diesem Sinne
schreitet die Natur vom Unvollkommenen zum Voll­
kommenen vor. Nun verhält sich Gott in der Kund­
machung des Glaubens w ie der Wirkende, der von Ewig­
keit her ein vollkommenes W issen besitzt; der Mensch
hingegen ist gleichsam der Stoff, der den Einfluß des
wirkenden Gottes empfängt. Und darum gebührte es
sich, daß die Erkenntnis des Glaubens bei den Men­
schen vom Unvollkommenen zum Vollkommenen fort-
schritt. Obwohl sich einige Menschen im Sinne der Wirk­
ursache verhielten, w eil sie Lehrer des Glaubens waren,
so gilt doch: „Solchen wird die Offenbarung des Geistes
zu allgemeinem Nutzen gegeben“ (I Kor 12, 7). Darum
wurde den Vätern, welche Lehrer des Glaubens waren, so­
viel an Glaubenserkenntnis geschenkt, wie es sich gebührte
zur Überlieferung an das Volk in jener Zeit, sei es un­
verhüllt, sei es unter einem Bilde.
Z u 4. Die letzte Überhöhung der Gnade ist durch
Christus geschehen; darum heißt Seine Zeit die „Zeit der
Fülle“ (Gal 4, 4). Und darum haben jene, die Christus
näher standen, sei es vor Ihm, w ie Johannes der Täufer,
sei es nach Ihm, w ie die Apostel, die Geheimnisse des
Glaubens in größerer Fülle erkannt. Wir sehen ja auch
in bezug auf den Zustand des Menschen, daß die Voll­
kommenheit des Menschen in der Jugend liegt, und so

Q U A E S T I O 1, 7

p r a e ex iste n tia . S ecu n d u m v e ro ordinem c a u sa e m aterialis, p riu s


est quod est im p erfectiu s: et secu n d u m hoc natura proced it ab
im p erfecto ad perfectum . In m an ifestation e autem fidei D eus
est sicut agen s, qui hab et perfectam scien tiam ab a e te r n o : hom o
au tem est sicu t m ateria recip ien s in flu xu m D e i agen tis. Et id eo
op ortu it q u od ab im p erfectis ad p erfectu m p ro ced eret cogn itio
fid ei in h om inib us. Et lic e t in hom in ib u s qu idam s e hab uerin t
p e r m odum ca u sa e agen tis, q u ia fu eru n t fid ei doctores; tarnen
„m an ifestatio S p iritu s datur ta lib u s ad u tilita tem com m u n em “,
ut dicitur 1 ad Cor. 12. Et id eo tantum dabatur P atrib u s qui
eran t in stitu to r e s1 fid ei de cogn ition e fid ei, quantum oporte-
bat pro tem p ore illo p op u lo tradi v e l n u d e v e l in flgura.
A D QUARTUM dicen du m quod ultim a consum m atio gratiae
facta est p er Christum : u n d e et tem p u s e ju s dicitu r „tem p us
p le n itu d in is“, ad Gal. 4. Et id eo illi qui fu eru n t p ropin quiores
Christo v e l an te, sicut Joan n es Baptista, v e l post, sicut A postoli,
p le n iu s m ysteria fid ei cognoveru nt. Q uia et circa statum h om i­
nis hoc v id em u s, quod p erfectio est in ju ven tu te, et tanto habet
1 L : instructores.

33
1,8 ist der Zustand des Menschen um so vollkommener, vor­
her oder nachher, je näher er der Jugend steht.

8. ARTIKEL
Werden die Glaubensartikel richtig aufgezählt?
1. A lles, was kraft beweisender Schlußfolgerung ge­
wußt werden kann, gehört nicht zum Glauben, als wäre es
Glaubensgegenstand bei den Menschen (5, 3). Daß aber
Gott Einer ist, kann gewußt werden kraft einer B ew eis­
führung, weshalb dies der Philosoph beweist, und viele
andere Philosophen haben Beweisführungen zu diesem
Behuf aufgestellt. Also darf es nicht als Glaubensartikel
aufgestellt werden, daß Gott Einer ist.
2. W ie es zur Notwendigkeit des Glaubens gehört, daß
wir Gott, den Allmächtigen, glauben, so auch, daß wir
Ihn allwissend glauben und für alles vorsehend. Und
bezüglich beider Wahrheiten haben einige geirrt. Also
mußte in der Zahl der Glaubensartikel auch der W eisheit
und Vorsehung Gottes Erwähnung geschehen, ebenso wie
der Allmacht.

QUAESTIO 1, 8

hom o p erfectiorem statu m v e l an te v e l post, quanto est juven-


tuti propinquior.

ARTICULUS V lll
Utrum articuli.fidei convenienter
enumerentur
[3 S en t., d is t. 25, q. 1, a rt. 2; C o m p en d . T heo]., oap. 246]

A D OCTAVUM sic proceditur. V id etu r quod in con ven ien ter


articuli fidei en um eren tu r. E a en im q u ae possunt ration e dem on-
strativa sciri non p ertin en t ad fidem ut ap u d h o m in e s 1 sint
cred ib ilia, sicut su p ra dictum est. S e d D eum e sse unum potest
i074a esse scitum p er d em onstrationem ; u n d e et P h ilosop h u s hoc in
36sq. -|2 M etaph. jcap. 8] probat, et m ulti a lii ph ilosop h i ad hoc d e-
m onstrationes in d u xeru n t. Ergo D eu m esse unum non debet poni
u n us articulus fidei.
2. PRAETEREA, sicut de n ecessitate fidei est quod credam us
D eum om nipotentem , ita etiam qu od credam u s eum om nia scien -
tem et Omnibus p rovid en tem ; et circa utrum que horum aliqui
erraverunt. D eb u it ergo in ter articulos fid e i fieri m entio de
sa p ien tia et p rovid en tia divina. sicut et de om nipotentia.
1 L: om nes.

34
3. Die Kenntnis des Vaters und des Sohnes ist eine und 1, 8
dieselbe, nach Johannes 14, 9: „Wer Mich sieht, sieht
auch den Vater.“ Also darf nur ein Glaubensartikel Vor­
kommen bezüglich des Vaters und Sohnes; und aus dem­
selben Grunde auch bezüglich des H eiligen Geistes.
4. Die Person des Vaters ist nicht geringer als die des
Heiligen Geistes. Nun werden aber mehrere Artikel auf­
gestellt bezüglich der Person des H eiligen Geistes und
ähnlich bezüglich der Person des Sohnes. Also müssen
auch mehrere Artikel aufgestellt werden bezüglich der
Person des Vaters.
5. Wie der Person des Vaters und der Person des Heili­
gen Geistes etwas zugeeignet wird, so auch der Person des
Sohnes der Gottheit nach. Nun wird in den Glaubens­
artikeln ein dem Vater zugeeignetes Werk aufgestellt,
nämlich das Werk der Schöpfung; und ähnlich ein dem
Heiligen Geiste zugeeignetes Werk, nämlich daß Er „ge­
sprochen hat durch die Propheten“. Also muß in der Zahl
der Glaubensartikel auch ein Werk aufgestellt werden, das
dem Sohne Seiner Gottheit nach zukommt.
6. Das Sakrament der Eucharistie hat über viele andere
Artikel hinaus eine besondere Schwierigkeit. Also mußte
darüber ein besonderer Artikel aufgestellt werden. Es
scheint also, die Artikel seien der Zahl nach nicht voll­
ständig.

Q U A E S T I O 1, s
3. PRAETEREA, ead em est notitia P atris et F ilii: secundum
illu d Joan. 14: „Qui vid et m e, vid et et P atrem .“ Ergo u n u s tan-
tum articulus deb et e sse de P atre et F ilio ; et, eadem ratione, de
S p iritu Sancto.
4. PRAETEREA, p erson a P atris non est m inor quam F ilii et
S p iritu s Sancti. S ed p lu res articuli pon un tur circa personam
S p iritu s San cti, et sim ilite r circa personam F ilii. Ergo plu res
articuli d eb en t pon i circa personam Patris.
5. PRAETEREA, sicu ti p erson ae P atris et p erson ae Sp iritu s
S an cti a liq u id appropriatur, ita et p erson ae F ilii secu n d u m d ivi-
nitatem . S e d in articulis fid ei ponitur aliq u od opus appropriatum
Patri, sc ilic et opus creation is; et sim ilite r aliq uod opu s ap p ro­
priatum S p iritu i Sancto, scilicet quod „locutus est p er p rop h etas“.
Ergo etiam inter articulos fid e i debet aliq uod opus appropriari
F ilio secu n d u m divinitatem .
6. PRAETEREA, sacram entu m E udharistiae habet sp ec ia le m
d ifficultatem prae m u ltis articulis. Ergo de eo 1 d ebu it pon i sp e ­
cialis articulus. Non vid etu r ergo quod articuli su fficien ter en u ­
m erentur.
1 L; de ea.

b
1,8 ANDERSEITS widerspricht dem die Autorität der
Kirche, die auf solche W eise auf zählt.
ANTWORT: Zum Glauben gehört an sich das, was wir
im ewigen Leben durch Schau genießen, und das, wodurch
wir zum ewigen Leben geführt werden (Art. 4 u. 6). Zwei
Dinge aber werden uns als dort zu schauen vorgelegt,
nämlich das Verborgene der Gottheit, deren Schau uns
beseligt, und das Geheimnis der Menschheit Christi, durch
den wir „Zutritt haben zur Herrlichkeit der Söhne Gottes“,
wie es Röm 5, 2 heißt. Daher heißt es Jo 17, 3: „Di s
ist das ew ige Leben, daß sie Dich erkennen, den allein
wahren Gott, und den, den Du gesandt hast, Jesus Chri­
stus.“ Also ist die grundlegende Unterscheidung der Glau­
bensdinge, daß sich einiges bezieht auf die Erhabenheit
der Gottheit, einiges aber auf das Geheimnis der Mensch­
heit Christi, w elches nach 1 Tim 3, 16 „das Geheim nis
der Hingabe“ ist.
Hinsichtlich der Erhabenheit Gottes aber werden uns
drei Dinge als zu glauben vorgelegt. Erstens die Einheit
der Gottheit, und darauf bezieht sich der erste Artikel.
Zweitens die Dreiheit der Personen, und davon handeln
drei Artikel entsprechend den drei Personen. Drittens
aber werden uns die eigentümlichen W erke der Gottheit
vorgelegt, deren erstes das Sein der Natur angeht, und
so haben wir den Artikel von der Schöpfung. Das zweite

Q U A E S T I O 1, 8
SED IN CONTRARIUM est auctoritas E cclesiae sic enum eran-
tis.
RESPONDEO dicen du m quod, sicu t dictum est, illa p er se p e r ­
tinent ad fidem quorum v isio n e in vita aetern a p erfru em ur, et
per qu ae ducem ur a d vitam aetern am . D uo au tem n o b i s 1
vidend a propon un tur: scilicet occultum D ivin itatis, cujus v isio
nos b eatos facit; et m ysterium hu m anitatis Christi, p er qu em „in
gloriam filiorum D e i accessum h ab em u s“, ut dicitur ad Rom . 5.
U n de dicitu r Joan. 17: „H aec est vita aetern a , ut cognoscant te,
D eum veru m , et q u em m isisti J esu m C hristum .“ Et id e o prim a
distin ctio c red ib iliu m e st quod q u aed am p ertin en t ad m ajesta-
tem D iv in ita tis; qu aed am vero p ertin en t ad m ysteriu m h u m a­
nitatis Christi, quod est „ p ieta tis sacram en tu m “, u t dicitur 1 ad
Tim . 3.
Circa m ajestatem au tem D ivin itatis tria nobis eredend a propo­
nuntur. P rim o q u id em u n itas D ivin ita tis: et ad hoc pertin et
prim us articulus. Secu n d o T rinitas P erson aru m : et de hoc sunt
tres articuli secu n d u m tres personas. T ertio vero proponuntur
nob is opera D ivin itatis propria. Q uorum prim um p ertin et ad
esse n atu rae: et sic propon itu r n ob is articulus creation is. S e-
i L: adfi. ibi.

36
aber bezieht sich auf das Sein der Gnade, und so wird 1, »
uns unter einem einzigen Artikel alles vorgelegt, was sich
auf die Heiligung des Menschen bezieht. Das dritte aber
betrifft das Sein der Herrlichkeit, und so liegt ein an­
derer Artikel vor über die Auferstehung des Fleisches
und das ew ige Leben. Demgemäß handeln also sieben
Artikel von der Gottheit.
Ähnlich bestehen auch um die Menschheit Christi sieben
Artikel. Deren erster handelt von der Fleischwerdung
oder der Empfängnis Christi; der zw eite von Seiner Ge­
burt aus der Jungfrau; der dritte von Leiden, Tod und
Begräbnis; der vierte von Seiner Höllenfahrt; der fünfte
von der Auferstehung; der sechste von der Himmelfahrt;
der siebte von Seinem Kommen zum Gericht. Insgesamt
sind es also vierzehn.
Manche jedoch unterscheiden nur zwölf Glaubensartikel,
sechs auf die Gottheit bezüglich und sechs auf die
Menschheit. Sie fassen nämlich die drei Artikel von den
drei Personen unter einem einzigen zusammen, w eil die
Erkenntnis der drei Personen eine und dieselbe ist. Den
Artikel aber vom W erke der Verherrlichung scheiden sie
in zwei, die Auferstehung des Fleisches und die Ver­
herrlichung der Seele. Ähnlich fassen sie den Artikel von
der Empfängnis und der Geburt in einen einzigen zu­
sammen.

Q U A E S T I O 1, 8
cundum vero p e r tin et ad e sse gratiae: et sic proponuntur nobis
su b uno articulo om nia pertin en tia a d san ctificationem hum anam .
Tertium vero p ertin et ad e sse glo ria e. Et sic proponitur n ob is 1
aliu s articulus de resu rrectione carnis et de vita aetern a. Et ita
su n t sep tem articuli ad D ivin itatem p ertin en tes.
S im ilite r etiam circa hum anitatem Christi ponuntur septem
articuli. Q uorum prim us est de incarn ation e siv e de con cep tion e
Christi; secu n d u s d e n ativitate eju s e x V irg in e; tertiu s de pas-
sio n e eju s et m orte et sep u ltu ra ; quartus est de d escen su ad in-
fero s; quintus est de resu rrection e; se x tu s de ascen sion e; septi-
m u s d e a d v en tu ad jud icium . Et sic in u n iv erso su nt quatuor-
decim .
Q uidam tarnen distin guun t du odecim articulos fid ei, s e x p erti­
n en tes ad D ivin itatem et s e x p e r tin en tes ad hu m anitatem . Tres
enim articu los trium P ersonarum com preh en dun t su b uno: quia
eadem est cognitio trium P ersonarum . A rticulum vero d e opere
glorification is d istin gu u n t in duos, sc ilic et in resu rrection em car­
nis et gloriam an im ae. S im ilite r articulum concep tion is et nati-
vitatis conjungunt in unum .
i I,: ponitur alius . . .; om. nobis.

37
1, 8 Z u 1. V ieles halten wir im Glauben fest über Gott, was
die Philosophen mit der natürlichen Vernunft nicht haben
erspüren können; z. B. hinsichtlich Seiner Vorsehung und
Seiner Allmacht, ebenso daß Er allein anzubeten ist. Dies
alles ist unter dem Artikel von der Einheit Gottes zu­
sammengefaßt.
Z u 2. Schon der Name der Gottheit schließt den Be­
griff einer gewissen Vorsehung in sich, w ie im ersten
ißuche (13, 8: Bd. 1) gesagt ist. Macht wird aber in sol­
chen, die Verstand haben, nur kraft des W illens und der
Erkenntnis betätigt. Also schließt die Allmacht Gottes in
gew isser W eise das W issen und die alles um fassende
Vorsehung ein, denn Sie könnte nicht alles, was Sie will,
in unseren Niederungen vollbringen, wenn Sie keine Er­
kenntnis davon hätte und es nicht in Ihrer Vorsehung
einschlösse.
Z u 3. Die Erkenntnis des Vaters, des Sohnes und des
H eiligen Geistes ist eine und dieselbe hinsichtlich der Ein­
heit des W esens, die unter den ersten A rtikel fällt. Hin­
sichtlich der Unterscheidung der Personen aber, die ge­
mäß den Ursprungsbeziehungen stattfindet, ist auf gew isse
W eise in der Erkenntnis des Vaters die Erkenntnis des
Sohnes eingeschlossen, denn Er wäre nicht Vater, wenn
Er nicht den Sohn hätte; ihre Verbindung aber ist der
H eilige Geist. Und w as dies angeht, so haben diejenigen
ihre guten Gründe gehabt, die einen einzigen Artikel von
den drei Personen angenommen haben. W eil aber hin-

Q U A E S T I O 1, 8
A D PRIM UM ergo d icen d u m qu od m u lta per fidem ten em u s
de D eo q u a e n atu rali ration e in v e stig a re p h ilosop h i n on potu-
eru nt: puta circa p rovid en tiam e ju s et om n ip oten tiam , et quod
ip se so lu s sit colend us. Q uae om nia continentur su b articulo u n i-
tatis D ei.
AD SEC U N D U M dicen du m quod ipsu m nornen D iv in ita tis im -
portat p rovision em quam dam , ut in P rim o lib ro dictum est. Po-
teid ia autem in h ab en tib u s in tellectu m n on operatur n isi se c u n ­
dum volu n tatem et cogn ition em . Et id eo om n ip oten tia D e i in-
cludit quodam inodo om nium scien tiam et providentiam : non
en im p osset om nia q u ae v e lle t in istis in feriorib u s agere n isi ea
cognosceret et eorum provid en tiam haberet.
Ä D TERTIUM dicen du m quod P atris, et F ilii, et S p iritu s San cti
est una cognitio quantum ad u n itatem essen tiae, qu ae p ertin et
ad prim um articulum . Q uantum v e ro ad distin ction em P erso n a ­
rum, qu ae est p er rela tio n es origin is, quodam m odo in cognition e
P atris inclu ditur cognitio F ilii, n on en im esset P ater si F ilium
non h ab eret: quoruin n e x u s est S p iritu s Sanctus. Et quantum
ad hoc b e n e m oti sunt qui posueru nt unum articulum trium P er-

38
sichtlich der einzelnen Personen auf einiges zu achten 1, s
ist, worüber ein Irrtum Vorkommen kann, können inso­
fern über die drei Personen drei Artikel angenommen
werden. Arius nämlich glaubte den Vater als allmächtig
und von Ewigkeit her, aber er glaubte den Sohn nicht
gleichgeartet und gleichen Wesens mit dem Vater, und
so wurde es, um dies genau zu bestimmen, notwendig,
einen Artikel über die Person des Sohnes hinzuzufügen.
Und aus dem selben Grunde war gegen Macedonius 1 die
Aufstellung eines dritten Artikels über die Person des
H eiligen Geistes notwendig.
Und ebenso könnten auch die Empfängnis Christi,
Seine Geburt und auch die Auferstehung und das ewige
Leben nach der einen Erwägung unter einem einzigen
Artikel zusammengefaßt werden, insofern sie auf eines
hingeordnet sind, und nach einer ändern Erwägung un­
terschieden werden, sofern sie je für sich besondersartige
Schwierigkeiten bieten.
Z u 4. Dem Sohne und dem Heiligen Geiste kommt es
zu, zur Heiligung des Geschöpfes entsandt zu werden, hin­
sichtlich dessen eine Mehrheit von Dingen als zu glauben
sich darbietet. Und demnach vervielfältigen sich die Ar­
tikel um die Person des Sohnes und des H eiligen Geistes
zu einer größeren Zahl als die um die Person des Vaters,
die, w ie im ersten Buche (43, 4: Bd. 3) gesagt ist, niemals
gesandt wird.

Q U A E S T I O 1, 8
sonaruni. S ed qu ia circa sin g u la s P erson as sunt aliq ua atten-
d en d a circa q u a e contingit e sse errorem , quantum ad hoc de
tribus P erso n is possunt noni tres articuli. A rius enim credidit
P atrem om nipotentem et aeternu m , sed non credidit F iliu m
coaeq ualem et consu bstantialem P atri: e t id eo n ecessariu m fuit
a p p o n e re articu lu m d e person a F ilii ad h oc d eterm in an d u m . Et
eadem ration e contra M acedonium n ecesse fuit p on ere articulum
tertium de p erson a Sp iritu s Sancti.
Et sim ilite r etiam concep tio Christi et nativitas, et etiam resur-
rectio et vita aetern a , secu n d u m un am ration em possu nt com-
p r eh en d i su b uno articulo, inquantum ad unum ordinantur: et
secund um aliam ration em possunt distin gui, inquantum seorsum
h ab en t sp e c ia le s difficultates.
A D QUARTUM dicendum quod F ilio et S p iritu i Sancto con-
ven it m itti ad sanctificandam creaturam , circa quod p lu r im a 2
eredend a occurrunt. Et id eo circa personam F ilii et Sp iritus
Sancti plu res articuli m ultiplicantu r quam circa personam Patris,
quae 3 nunquam m ittitur, ut in P rim o dictum est.
1 I r r le h r e r des 4. J a h r h u n d e r ts , U rh e b e r d e r P n e u m a to m a c h e n .
2 L : p lu ra .
3 L: q ui.

39
1, 9 Z u 5. Die Heiligung des Geschöpfes durch die Gnade
und dessen Vollendung in der Herrlichkeit geschieht auch
durch das Geschenk der Gottesliebe, das dem Heiligen
Geiste, und durch die Gabe der W eisheit, d ie dem Sohne
zugeeignet wird. Und demnach bezieht sich dieses Werk
sowohl auf den Sohn als auf den H eiligen Geist durch
Zueignung gemäß den verschiedenen Beziehungen.
Z u 6. Im Sakramente der Eucharistie können zwei
Dinge in Erwägung gezogen werden. Einmal, daß es ein
Sakrament ist, und als solches hat es die nämliche Be­
wandtnis w ie die ändern Wirkungen der heiligenden
Gnade. Sodann, daß darin auf wunderbare W eise der Leib
Christi enthalten ist, und insofern ist es unter der A ll­
macht begriffen, w ie alle ändern Wunder, die der A ll­
macht zugeschrieben werden.

9. A R T I K E L
Ist es angem essen, d ie G laubensartikel in eine Bekennt­
nisform zu fassen? [11]
1. D ie Hl. Schrift ist die Richtschnur des Glaubens, der
weder etwas hinzuzufügen noch abzuziehen gestattet ist;
es heißt nämlich Dt 4, 2: „Tut nichts zu den Geboten, die
Ich euch gehe, und streicht nichts davon!“ Also war es

QUAESTJO 1, o

A D Q UIN TUM dicendum quod sanctificatio creaturae per gra-


tiam et consum m atio p er gloriam fit etiam per donum caritatis,
quod app rop riatur S p iritu i Sancto, et per donum sa p ien tia e,
quod appropriatur F ilio. Et id eo utrum que opus p ertin et et ad
F ilium et ad Sp iritum Sanctum per ap p rop riation em secundum
rationes diversas.
A D SEX TU M dicen d u m quod in sacram ento E ucharistiae duo
possunt considerari. U num scilicet quod sacram entu m est: et hoc
h ab et eam d em ration em cum a liis effectib u s gra tia e sanctifican-
tis. A liu d est quod m iraculose ibi corpus Christi continetur: et
sic concluditur su b om nipotentia, sicut et om nia a lia m iracula,
qu ae o m n ip oten tiae attribuuntur.

ARTICULUS IX
Ut rum c o n v e n i e n t e r ar t i c ul i f i de i in s ymbo l o
ponantur
[3 S en t., d is t. 25, q. 1, a r t. 1, q a 3]
AD NONUM sic proceditur. V id etu r quod in co n v en ien ter arti­
culi fid ei in sym b olo ponantur. Sacra enim Scrip tura est regu la
fid ei, cui nec ad d ere n ec su b tra h ere licet: d icitu r en im D eut. 4:
„N on ad d etis ad verb um quod vobis loquor, n eq u e a u feretis ab

40
unstatthaft, nachdem die Hl. Schrift vorlag, eine Bekennt- 1, 9
nisform als Richtschnur des Glaubens aufzustellen.
2. Der Apostel sagt Eph 4, 5: „Es ist nur ein Glaube.“
Eine Bekenntnisform ist aber eine Glaubensbekundung.
D ie überlieferten vielfältigen Bekenntnisform en sind also
unangebracht.
3. Das Glaubensbekenntnis, w ie es in der Bekenntnis­
form zusammengefaßt ist, gilt für alle Gläubigen. Aber
nicht für alle Gläubigen trifft zu, daß sie „an Gott“ glau­
ben, sondern nur für solche, die einen beformten Glauben
haben. In unangemessener W eise wird also die Bekennt­
nisform des Glaubens mit der Formel überliefert: „Ich
glaube an Einen Gott“ [12].
4. Die Höllenfahrt ist, w ie oben (8. Art.) gesagt, einer
der Glaubensartikel. Aber in der Bekenntnisform der
V ä ter1 geschieht der Höllenfahrt keine Erwähnung. Also
scheint sie unvollständig gefaßt zu sein.
5. W ie Augustinus bei der Auslegung von Jo 14, 1:
,Glaubet an Gott, glaubt auch an Mich!1 sagt, „glauben
wir dem Petrus oder dem Paulus, aber nur von Gott heißt
es, daß wir an Ihn glauben“. Da nun die katholische
Kirche etwas bloß Geschaffenes ist, scheint es unangemes­
sen, zu sagen: „An eine einzige, heilige, katholische und
apostolische Kirche.“ 2
q u a e s t i o 1, 9

e o .“ Ergo illicitu m fu it a liq u o d 3 syn ib olum constituere quasi


regulam fid ei, post sacram Scripturam editam .
2. PRAETEREA, sicut A p ostolu s dicit a d E phes. 4, „una est
fid e s“. S e d sym boluni est p rofessio fid ei. Ergo in co n v en ien ter
traditur m u ltip lex sym bolum .
3. PRAETEREA, con fessio fidei qu ae in sym b olo continetur
pertin et ad om nes fid eles. S ed non om nibus fid elib u s convenit
cred ere „in D e u m “, se d solu m illis qui h ab en t fidem form atam .
Ergo in co n v en ien ter sym b olu m fidei traditur su b hac form a ver-
borum : „Credo in unum D e u m .“
4. PRAETEREA, descen su s ad in feros est un us de articulis
fid ei, sicut su p ra dictum est. S ed in sym b olo P a tr u m 4 non fit
m entio d e d escen su ad in feros. Ergo v id e tu r in su fficien ter col-
lectum .
5. PRAETEREA, sicut A u gustin us dicit, e x p o n en s illu d Joan. 14 PL 35/1631
„C red itis in D eum , et in m e c r e d ite “ [tract. 2 9 ]: „P etro aut
P au lo credim us, se d non dicim u r c re d e re n is i in D eu m .“ Cum
igitu r E cclesia Catholica sit p u re aliq uid creatum , vid etu r quod
in c o n v e n ien ter d ica tu r: „In un am , san ctam , catholicam e t apo-
stolicam E cclesiam .“
1 V on N icaea.
2 V gl. A nm . [12],
3 P : a liu d .
4 P : a n tiq u o ru m P a tru m .

4 15 41
1,9 6. Eine Bekenntnisform wird gegeben, damit der Glaube
eine Richtschnur habe. Aber die Richtschnur des Glaubens
sollte allen vorgelegt werden und öffentlich. Jede Bekenn I-
uisform sollte also w ie die der Väter [von Nicäa] in der
Messe gesungen werden. D ie Herausgabe von Glaubens­
artikeln in einer Bekenntnisform scheint also unangemes­
sen zu sein.
ANDERSEITS: Die Kirche im Gesamten kann nicht
irren, da sie unter der Leitung des H eiligen Geistes steht,
der der Geist der Wahrheit ist; denn dies hat der Herr
Seinen Jüngern verheißen mit den Worten (Jo 16, 13):
„Wenn aber Jener kommt, der Geist der Wahrheit, Der
wird euch alle Wahrheit lehren.“ D ie Bekenntnisform ist
aber kraft der Autorität der Gesamtkirche gegeben. Also
ist nichts U nangem essenes darin enthalten.
ANTWORT: W ie der A postel Hebr 11, 6 sagt, „muß,
wer Gott naht, glauben“. Es kann aber niemand glauben,
wenn ihm nicht die W ahrheit vorgelegt wird, die er glau­
ben soll. Also wurde es notwendig, die Glaubenswahrheit
in eins zusammenzufassen, um leichter allen vorgelegt
werden zu können, damit nicht jemand aus Unkenntnis
von der Glaubenswahrheit abirre. Und von einer derar­
tigen Zusammenfassung von Glaubenssätzen ist die Be­
zeichnung „Symbolum“ [ = Bekenntnisform ] genommen.
Z u l . Die Glaubenswahrheit ist in der Hl. Schrift nur
zerstreut enthalten und in mannigfaltigen Ausdrucksweisen
und in manchen Dingen nur dunkel; dergestalt, daß, um

Q U A E S T I O 1, 9
6. PRAETEREA, sym b olu m ad hoc traditur ut sit regu la fidei.
S ed regu la fidei d eb et om nibus proponi et pu b lice. Q uodlibet ig i­
tur sym b olu m d eb eret in m issa cantari, sicut sym b olu m Patrum .
Non videtur ergo esse co n v en ien s ed itio artieulorum fid ei in
sym bolo.
SE D CONTRA est quod E cclesia u n iv ersa lis non potest errare,
qu ia S p iritu San cto gub ernatu r, qui est S p iritu s verita tis: hoc
enim p rom isit D om inu s d iscip u lis Joan. 16, d icen s: „Cum v e n e -
rit i ll e S p iritu s v erita tis, d o ceb it vos om nem v e rita tem .“ S ed
sym b olu m est au ctoritate u n iv e r sa lis E cclesiae editum . N ih il
ergo in c o n v e n ien s in eo continetur.
RESPONDEO dicen du m quod, sicut A p ostolus dicit ad H ebr. 11,
„accedentem ad D eum oportet c re d e re “. C redere autem non p o­
test a liq u is nisi ei veritas quam credat proponatur. Et id eo n eces-
sariu m fuit fidei veritatem in un um colligi, ut fa ciliu s posset
om nibus proponi, ne a liq u is per ignorantiam a fidei v eritate defi-
ceret. Et ab h u ju sm o d i se n te n tia r u m fid e i c o llectio n e nom en
„ sym b oli“ est acceptum .
AD PRIM UM ergo dicen du m quod veritas fid ei in sacra S crip­
tura diffuse con tin etu r et v a r iis m odis, et in qu ibusdam obscure;

42
die Glaubenswahrheit aus der Hl. Schrift herauszulösen, 1, 9
lange Bemühung und Übung erforderlich ist. Dazu können
aber nicht alle die gelangen, denen die Erkenntnis der
Glaubenswahrheit vonnöten ist; denn die m eisten Men­
schen haben, durch anderweitige Beschäftigungen in An­
spruch genommen, keine Muße für das Studium. So wurde
es notwendig, daß aus den Sätzen der Hl. Schrift etwas
Greifbares zusammenfassend gesammelt wurde, um es
allen zum Glauben vorzulegen. Das aber ist nun eben nicht
zur Hl. Schrift hinzugetan, sondern ihr vielmehr nur ent­
nommen.
Z u 2. In allen Bekenntnisformell wird die nämliche
Glaubenswahrheit gelehrt. Wo aber Irrtümer auftauchen,
muß das Volk genauer über die Glaubenswahrheit unter­
richtet werden, damit nicht der Glaube der schlichten
Menschen durch die Häretiker verdorben werde. Und dies
war der Grund, weshalb es notwendig wurde, mehrere
Glaubensformen auszugeben. D iese aber unterscheiden
sich in nichts, außer daß in der einen vollständiger ent­
faltet wird, w as in der ändern einschlußw eise enthalten
ist, je nachdem es das Leugnen der Häretiker erforderte.
Z u 3. Das Glaubensbekenntnis wird in der Bekenntnis­
form von der Gesamtkirche, die vermöge des Glaubens
eins ist, w ie von einer Person vorgelegt. Der Glaube der
Kirche aber ist beformter Glaube; denn ein solcher Glaube
findet sich in allen jenen, die nach Einreihung und Ver­
dienst zur Kirche gehören. Daher wird das Glaubens-

Q U A E S T I O 1,3

ita quod ad elicien d u m fid ei verita tem e x sacra Scrip tura req ui-
ritur longu m Studium et exercitiu m , ad quod non possunt per-
v e n ire om n es illi qu ibus n ecessariu m est cognoscere fid ei v e r i­
tatem , quorum p leriq u e, aliis n e g o tiis occupati, stu dio vacare non
possunt. Et id e o fu it n ecessariu m ut e x sen te n tiis sacrae Scrip-
turae aliq u id m an ifestu m su m m arie c olligeretu r quod proponere-
tur om n ib u s ad credend um . Quod q u id em non est additum sacrae
Scrip turae, se d potius e x sacra Scrip tura sum ptum .
A D SE C U N D U M dicen du m quod in om nibu s sym b olis eadem
fidei docetur veritas. S ed ib i oportet p op ulum d ilig e n tiu s instrui
d e fid e i v e r ita te ubi e rro res in su rgu n t, n e fides sim p liciu m p er
h aereticos corrum patur. Et h aee fu it causa q u are n e c esse fuit
e d e re p lu ra sym b ola. Q uae in n u llo d ifferu nt n isi qu od in uno
p le n iu s ex p lica n tu r q u ae in alio con tin en tu r im p licite, se c u n ­
dum quod e x ig e b a t h aereticoru m instan tia.
A D TERTIUM dicen du m qu od con fessio fid ei traditur in sy m ­
bolo q u asi e x persona totius E cclesiae, qu ae p er fidem unitur.
F id es au tem E cclesiae est fid es form ata: talis en im fides in ve-
nitur in om nibu s illis qui sunt nu m ero et m erito de Ecclesia.

q* 43
1, s bekenntnis in der Bekenntnisform so gegeben, w ie es dem
beformten Glauben gemäß ist, damit die Gläubigen, auch
wenn sie noch keinen beformten Glauben besitzen, nach
dieser Beformuug zu streben sich bemühen.
Z u 4. Über die Höllenfahrt hatte sich bei den Häreti­
kern kein Irrtum erhoben. Darum war eine Erläuterung
hierzu nicht notwendig. Deshalb wird dieser Punkt in der
Bekenntnisform der Väter nicht wiederholt, sondern als
in der Apostolischen Bekenntnisform im voraus entschie­
den vorausgesetzt. Denn eine spätere Bekenntnisform liebt
die vorausgehende nicht auf, sondern erläutert sie viel­
mehr (Zu 2).
Z u 5. Falls es heißt: „An die heilige, katholische
Kirche“, so ist dies dahin zu verstehen, daß unser Glaube
auf den H eiligen Geist zurückgeht, der die Kirche heiligt,
so daß der Sinn ist: „Ich glaube an den H eiligen Geist,
der die Kirche h eiligt.“ Aber es ist besser und entspricht
einem allgem einen Brauche, wenn an dieser Stelle nicht
„an“ steht, sondern wenn es einfach heißt: „die heilige,
katholische Kirche“, w ie auch Papst Leo sagt.
Z u 6. W eil die Bekenntnisform der Väter eine Erklä­
rung der Apostolischen Bekenntnisform ist und auch ge­
schaffen wurde, als der Glaube bereits an die Öffentlich­
keit getreten war und die Kirche im Frieden lebte, so
wird sie in der M esse gesungen. Die Apostolische Be-

Q U A E S T I O 1, 9
Et id eo confessio fid ei in sym bolo traditur secu n d u m quod con-
ven it fid ei form atae: ut etiam si qui fid eles fidem form atam
non hab en t, ad hanc form am p e rtin g ere stu deant.
AD QUARTXJM dicen du m quod de d escen su ad in fero s nu llu s
error erat exortu s apud h aereticos, et id eo non fu it necessariu m
aliquam exp lication em circa hoc fieri. E t propter hoc non reite-
ratur in sym b olo Patrum , se d su p p on itu r tanquam p raed eterm i-
natum in sym b olo A postolorum . N on en im sym b olu m se q u en s
abolet p raeced en s, se d p otiu s illu d exp on it, ut dictum est.
AD Q UIN TUM dicen du m quod, si dicatur: „In sanctam Eccle-
siam catholicam “, hoc est in tellig en d u m secund um quod fides
nostra refertu r ad S p iritu m Sanctum , q u i sanctificat E celesiam .
ut sit se n su s: „Credo in S p iritu m San ctu m san ctifican tem E ccle-
sia m .“ S e d m e liu s est, et secu n d u m com m u n iorem usum , u t non
ponatur ib i „ in “, se d sim p liciter dicatur: „Sanctam E celesiam
catholicam “, sicut etia m L eo p ap a dicit.1
AD SEX TU M d icen d u m quod, q u ia sym b olu m P atrum est de-
clarativu m sym b oli A p ostoloru m , et etiam fu it conditum fide jam
m anifestata et E cclesia p acem h a b en le, propter hoc p u b lice in
m issa cantatur. Sym b olu m autem A postolorum , quod tem p ore
i Cf. R u fin u s, C om m . in Sym b. A post. IMPL 21/373].

44
kenntnisform aber, die zur Zeit der Verfolgung gegeben 1,10
wurde, als der Glaube noch nicht öffentlich geworden war,
wird still gesprochen bei der Prim und bei der Complet,
gleichsam wider die Finsternisse vergangener und künf­
tiger Trrtümer.

10. A R T I K E L
Steht es dem Papste zu, eine Bekenntnisform aufzustellen?
1. Die Neuaufstellung einer Bekenntnisform wird not­
wendig zur näheren Erläuterung der Glaubensartikel
(Art. 9). Im Alten Bunde aber entfalteten sich die Glau­
bensartikel mehr und mehr im Laufe der Zeit, w eil die
Glaubenswahrheit entsprechend der größeren Nähe zu
Christus deutlicher wurde (Art. 7). Da ein solcher Grund
unter dem Neuen Gesetze wegfällt, braucht keine immer
mehr zunehmende Entfaltung der Glaubensartikel statt-
zufiuden. Also scheint die Neuaufstellung einer Bekennt­
nisform nicht unter die Autorität des Papstes zu fallen.
2. Was von der Gesamtkirche unter Bann verboten ist,
untersteht nicht der Gewalt irgendeines Menschen. Die
Neuaufstellung einer Bekenntnisform aber ist durch die
Autorität der Gesamtkirche unter Bann verboten. Es steht

QUAESTIO 1, io

p ersecu tion is editum fuit, fide nondum publicata, occulte dicitur


in P rim a et in C om pletorio, quasi contra ten eb ras errorum prae-
teritorum et futurorum .

ARTICULUS X
U t r u m a d s u m m u m p o n t i f i c e m p e r t i ri e a t f i d e i
symbolum ordinäre
[In fra q. 11, a rt. 2 a d 3; De p o te n t., q. 10, a rt. 4 a d 13]

A D DECIM UM siic proced itu r. V id etu r quod non p e r tin ea t ad


Sum m um P ontificem fidei sym b olu m ordinäre. N ova enim editio
sym b oli n ecessaria est propter exp lication em articulorum fidei,
sicut dictum est. S e d in v eteri T estam ento articuli fid ei m agis ac
m agis exp licab an tu r secu n d u m tem p oru m su ccession em propter
hoc quod veritas fid ei m agis m anifestabatu r secu n d u m m ajorem
propin quitatem a d Christum , u t su p ra dictum est. C essante ergo
tali causa in nova L ege, non d eb et fieri m ajor ac m ajor e x p li-
catio articulorum fidei. Ergo non vid etu r ad auctoritatem Sum m i
P ontificis p e rtin ere nova ed itio sym b oli.
2. PRAETEREA, illu d qu od est su b an ath em ate iuterdictum ab
u n iversali E cclesia non su b est p otestati h o m in is alicuju s. Sed
nova sym b oli ed itio interd icta est su b an ath em ate auctoritate

45
1, io nämlich in den Akten des ersten Ephesinischen Konzils
[449], daß „nach Verlesung der Bekenntnisform der
Synode von Nicäa [325] die hl. Synode beschlossen habe,
keinem sei es erlaubt, einen anderen Glauben auszuspre-
chen, niederzuschreiben oder aufzusetzen außer dem von
den hl. Vätern bestimmten, die in Nicäa unter dem Bei­
stand des H eiligen Geistes versammelt w aren“ ; und es
wird die Androhung des Bannes hinzugefügt. Das näm­
liche wird in den Akten der Synode von Chalcedon [451]
wiederholt. Es scheint also, die Neuaufstellung einer B e­
kenntnisform falle nicht unter die Autorität des Papstes.
3. Athanasius war nicht Papst, sondern nur Patriarch
von Alexandria. Dennoch hat er die Bekenntnisform ver­
faßt, die in der Kirche gesungen wird. Also scheint die
Aufstellung einer Bekenntnisform ebensosehr anderen als
dem Papste zuzustehen.
ANDERSEITS: Die Aufstellung der Bekenntnisform ist
auf einer allgem einen Synode erfolgt. Aber eine derartige
Synode kann sich, w ie es im Rechtsbuch heißt, einzig
kraft der Autorität des Papstes versammeln. Also fällt
die Aufstellung einer Bekenntnisform unter die Autorität
des Papstes.
ANTWORT: W ie oben gesagt, ist die Neuaufstellung
einer Bekenntnisform notwendig, um aufsteigendeii Irr-
tümern zu begegnen. Unter die Autorität desjenigen also

QUAESTIO 1, io

A C O e i u n iv ersa lis E cclesiae. D icitur en im in g estis p rim ae E p h esin ae


vol. 3/83 sq. sy n o d i (p. 2, act. 6, in d ecreto d e fide) quod „p erlecto sym b olo
N icen a e syn od i, d e c re v it san cta sy n o d u s aliam fidem n u lli lic e re
proferre v e l con scrib ere v e l com p on ere p raeter definitam a
sa n ctis P atrib u s q u i in N icaea con gregati su n t cum S p iritu
S an cto“, et su bd itu r anath em atis p o en a ; et id em etiam reiteratur
ACOe II in gestis C h alcedonensis sy n o d i [p . 2, act. 5 ] . Ergo v id etu r quod
vol.3,2/138 non p e r tin ea t ad auctoritatem S u m m i P on tificis n ova ed itio
sym b oli.
3. PRAETEREA, A th anasiu s n on fuit S u m m u s P o n tifex , sed
A lexan d rin u s patriarcha. Et tarnen sym b olu m constituit quod in
E cclesia cantatur. Ergo non m agis vid etu r p e rtin ere ed itio sy m ­
b oli ad Su m m um P ontificem quam ad alios.
SE D CONTRA est quod editio sym b oli facta est in syn od o g e ­
n erali. S ed h u jusm odi syn odu s auctoritate so liu s S u m m i P onti-
Frdb. ficis potest congregari, ut habetur in D ecret. dist. 17. Ergo editio
1/51 sq. sym b oli ad au ctoritatem S u m m i P on tificis p ertin et.
RESPONDEO dicen d u m quod, sic u t su p ra d ictu m est, nova
e d itio sym b oli n ecessaria est ad vitandu m in su rgen tes errores.
Ad illiu s ergo auctoritatem p ertin et ed itio sym b oli ad cujus

46
fällt die Aufstellung einer Bekenutnisforni, unter dessen 1, in
Autorität es fällt, das, was Glaubens ist, lehrmäßig zu
entscheiden, damit es von allen in unerschüttertem Glau­
ben festgehalten werde. Dies aber obliegt der Autorität
des Papstes, „vor den“, w ie es im Rechtsbuch heißt, „die
größeren und schwierigeren Streitfragen der Kirche ge­
bracht werden“. Daher sagt auch der Herr, Lk 22, 32,
zu Petrus, den er zum obersten Priester eingesetzt: „Ich
habe für dich gebetet, Petrus, daß dein Glaube nicht ver­
sage; und du, wenn du einst bekehrt bist, stärke deine
Brüder!“ Uud der Grund dafür ist, daß der Glaube der
ganzen Kirche einer sein soll, gemäß 1 Kor 1, 10: „Führt
alle doch dieselbe Sprache und duldet keine Spaltungen
bei euch!“ Dies könnte aber nicht eingehalten werden,
wenn nicht eine über den Glauben auftauchende Frage
durch den entschieden würde, welcher der ganzen Kirche
vorsteht, auf daß dergestalt seine Entscheidung von der
ganzen Kirche unverbrüchlich festgehalten wird. Und also
unterliegt die Neuaufstellung einer Glaubensform einzig
der Autorität des Papstes, w ie auch alles andere, was die
ganze Kirche angeht, so die Berufung eines allgemeinen
Konzils und anderes Derartiges.
Z u 1. In der Lehre Christi und der Apostel ist die
Wahrheit des Glaubens genügend entfaltet. W eil aber ver­
kehrte Menschen die apostolische Lehre und die übrigen

Q U A E S T I O 1, io

auctoritatem p ertin et f in a lite r 1 determ inare ea q u ae su nt fidei,


ut ab om nibu s inconcussa fid e ten ean tu r. Hoc autem p ertin et ad
auctoritatem Su m m i P ontificis, „ad qu em m ajores et difficiliores
E cclesiae q u a estio n es r e fe ru n tu r “, u t d icitu r in D ecretis, d ist. 17 pr(ih.
[can. 5 ] . U n d e et D om inu s, Luc. 22, P etro d ixit, qu em Su m m um 1/51 sq.
P ontificem c o n stitu it: „Ego pro te rogavi, P etre, u t non d e - , f - I[/B44
ficiat fides tua: et tu aliq uan do conversus confirm a fratres tuos.“
Et h u ju s ratio est, qu ia un a fides d eb et esse totius E cclesiae:
secu n d u m illu d 1 ad Cor. 1: „Id ip su m d icatis om nes, et non sint
in vob is Schism ata.“ Quod se r v a ri non p osset n isi q u aestio fidei
de fide exorta determ in etu r 2 p er eu m qui toti E cclesiae praeest,
ut sic e ju s se n te n tia a tota E cclesia firm iter teneatu r. Et id eo
ad solam auctoritatem Su m m i P ontificis p ertin et nova editio
sym b oli: sicu t et om n ia a lia qu ae p ertin en t ad totam E celesiam ,
ut con gregare syn odu m g e n e ra lem et a lia hu jusm odi.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod in doctrina Christi et A p o­
stolorum verita s fid e i est su fficien ter exp licata. S e d qu ia per-
versi h om in es apostolicam doctrinam et ceteras doctrinas et
1 L: s e n te n tia lite r.
- L: d e te rm in a re tu r.

47
1, io Schriften zu ihrem eigenen Verderben mißdeuten, w ie es
2 Petr 3, 16 heißt, so wurde beim Fortschreiten der Zeit
die Erklärung des Glaubens gegen aufsteigende Irrtümer
unumgänglich.
Z u 2. Verbot und Spruch der Synode erstrecken sich
auf Privatpersonen, denen es nicht zusteht, über den Glau­
ben Entscheidungen zu treffen. Denn keinesw egs wurde
durch eine derartige Anordnung der allgem einen Synode
einer späteren Synode d ie Vollmacht entzogen, eine neue
Glaubensform zu verfassen, die dann frePich nicht einen
neuen Glauben ausspricht, sondern den nämlichen Glau­
ben, nur näher auseinandergesetzt. Denn daran hat sich
jegliche Synode gehalten, daß eine spätere Synode unter
dem Zwang irgendeiner H äresie, die sich erhoben, etwas
dartun konnte über das hinaus, w as die vorausgehende
dargetan hatte. Demnach ist der Papst zuständig, durch
dessen Autorität eine Synode versammelt und deren Ent­
scheidung bestätigt wird.
Z u 3. Athanasius hat seine Glaubeuserklärung nicht
verfaßt im Sinne einer Bekenntnisform, sondern mehr im
Sinne einer lehrhaften Unterweisung, w ie aus seiner Aus­
drucksweise selbst erhellt. W eil aber seine Unterweisung
die reine Glaubenswahrheit kurz zusammenfaßte, wurde
sie durch die Autorität des Papstes aufgegriffen, so daß
sie als Richtschnur des Glaubens gilt.

Q U A E S T I O 1, io
Scripturas 1 ,,pervertun t ad su i ipsorum p e r d itio n em “, sicut d ici­
tur 2 P etr. u lt.; id eo n ecessaria f u i t 2 tem p orib us p roced en tib us
e x p lic a t io 3 fid ei contra in su rg e n te s errores.
A D SE C U N D U M dicen du m quod prohib itio et se n te n tia syn odi
s e e x ten d it ad p rivatas personas, quarum non est determ in are
de fide. Non enim p er h u jusm odi sen ten tiam syn od i gen eralis
ablata est potestas se q u en ti syn od o novam ed ition em sym b oli
facere, non qu idem aliam fidem continentem , se d eam dem m agis
e xp ositam . S ic en im q u a elib e t sy n o d u s observavit, u t se q u e n s sy ­
nod u s aliq u id e x p o n e r et su p ra id quod p raeced en s syn odu s
exp osu erat, propter n ecessitatem alicu ju s h a e r esis insu rgentis.
U n d e p ertin et ad Sum m um P ontificem , cujus auctoritate syn odu s
congregatu r et e ju s se n te n tia confirm atur.
A D TERTIUM dicen du m quod A th anasiu s non com posuit m a n i­
festation em fid ei p er m odum sym b oli, se d m agis p e r m odum
cujusdam d octrin ae: ut e x ipso m odo loq u en d i ap p aret. S ed quia
integram fid ei veritatem e ju s doctrina b reviter continebat, auc­
toritate S u m m i P on tificis est recep ta, ut q u asi reg u la fid ei habe-
atur.
1 L o m .: d o c trin a s et.
2 L: est.
3 L: e x p la n a tio .

48
2. F RA GE 2, 1

DER INNERE AKT DES GLAUBENS

Nunmehr ist vom Akte des Glaubens zu handeln. Und


zwar erstens vom inneren, zweitens vom äußeren Akt.
Hinsichtlich des ersten Punktes ergeben sich zehn
Einzelfragen:
1. Was ist Glauben, d. h. der innere Glaubensakt?
2. Auf w ievielerlei W eise ist davon die Rede?
3. Ist es zum H eile notwendig, irgend etwas über die
natürliche Vernunft hinaus zu glauben?
4. Ist es notwendig, solches zu glauben, wozu die natür­
liche Vernunft gelangen kann?
5. Ist es zum H eile notwendig, irgendwelche Dinge aus­
drücklich zu glauben?
6. Sind alle gleichermaßen zu ausdrücklichem Glauben
verpflichtet?
7. Ist es zu allen Zeiten heilsnotwendig, einen ausdrück­
lichen Glauben hinsichtlich Christus zu haben?
8. Ist es heilsnotwendig, an die D reifaltigkeit ausdrück­
lich zu glauben?
9. Ist der Glaubensakt verdienstlich?
10. Verringert die menschliche Begründung das Glaubens­
verdienst?

QUAESTIO II

DE ACTU INTERIORI F ID E I

D ein d e considerandu m est de actu fidei. Et prim o de actu


in teriori; secu n d o de actu exteriori.
Circa prim um q u aerun tur decem :
1. Q uid sit cred ere quod est actus in terior fidei.
2. Quot m od is dicatur.
3. U trum cred ere aliq u id su pra ration em n atu ralem sit
n ecessariu m ad salutem .
4. Utrum c red ere e a ad qu ae ratio natu ralis p er v en ir e potest
sit necessariu m .
5. U trum sit necessariu m ad salu tem cred ere aliq u a ex p licite.
6. U trum ad credend um e x p lic ite om n es a eq u a liter teneantur.
7. Utrum h ab ere fidem exp licitam de Christo sem p er sit
n ecessariu m ad salutem .
8. Utrum cred ere T rin itatem e x p lic ite sit de n ecessitate salutis.
9. U trum actus fidei sit m eritorius.
10. Utrum; ratio h u m ana dim inuaf' m eritum fidei.

49
1. A R T I K E L
H eißt glauben beistim m endes Ü berdenken? [13]
1. Überdenkeu schließt ein gew isses Untersuchen ein;
denn mit Überdenken bezeichnet man eine Art gleich­
zeitigen Bedenkens. Der Damascener aber sagt: „Glaube
ist nicht-untersuchendes Beistimmen.“ überdenken also
gehört nicht zum Akte des Glaubens.
2. Der Glaube hat, w ie unten (4, 2) dargetan werden
wird, seinen Sitz in der Vernunft, überdenken aber ist
ein Akt der Überlegungskraft, die eine Beziehung zum
sinnlichen Teil hat (I 78, 4: Bd. 6). Also hat Überdenken
keine Beziehung zum Glauben.
3. Glauben ist ein Akt des Verstandes, denn sein Ge­
genstand ist das Wahre. Beistim m en aber scheint nicht ein
Akt des Verstandes zu sein, sondern des W illens, w ie
auch Zustimmen (I—II 15, 1: Bd. 9). Glauben heißt also
nicht „beistimmend überdenken“.
ANDERSEITS bestimmt Augustinus auf diese W eise
den Begriff „glauben“.
ANTWORT: Denken kann dreifach verstanden werden.
Einmal allgemein für jegliche gegenwärtige Erwägung des
Verstandes, w ie Augustinus sagt: „Das nenne ich hier

Q U A E S T I O 2, i
ARTICULUSI
Utrum credere sit cum a ss en si o n e cogitare
[3 Sent-, d ist. 23, q. 2, a rt. 2; De v e rit., q. 14, a r t. 1; in H e b r. 11, le c t. 1]

A D PRIM UM sic proceditur. V id etu r quod cred ere non sit


„cum assen sion e co g ita r e “. C ogitatio enim im portat quam dam
in q u isitio n em : dicitur en im cogitare q u asi „sim ul a g ita re“. S ed
p g 94/1127 D am ascenu s dicit, in 4 lib. [d e F id. Orth. eap. 1 1 ], quod „fides
est n on in q u isitu s c o n se n su s“. E rgo cogitare n on p e r tin et ad
actum fidei.
2. PRAETEREA, fides in ration e ponitur, ut in fra dicetur.
S ed cogitare est actus cogitativae p oten tiae, qu ae p ertin et ad
partem sen sitivam , ut in P rim o dictum est. Ergo cogitatio ad
fidem non pertin et.
3. PRAETEREA, cred ere est actus in tellectu s: qu ia eju s ob­
jectum est veru m . S e d a ssen tire non vid etu r e sse actus in te lle c ­
tus, se d volu n tatis, sicut etiam con sen tire, ut su p ra dictum est.
Ergo cred ere non est cum a ssen sio n e cogitare.
PL 44/963 SE D IN CONTRARIUM est qu od A u gustin us sic defin it cre­
d e r e in liib. d e P raed . Sanct. [cap. 2 ].
RESPONDEO dicen du m quod cogitare trip liciter su m i potest.
Uno m odo, com m u niter pro q u alib et actuali con sid eration e in-
p l 42 1044 tellectu s: sicut A u gustin us dicit, in 14 de Trin. [cap. 7 ] : „Hane

50
Verstand, womit wir im Überlegen verstehen." Auf an- 2, 1
dere W eise nennt man Denken eigentlicher ein Erwägen
des Verstandes, das mit einer gew issen Untersuchung
verbunden ist, ehe man zur vollendeten V erstandesein­
sicht auf Grund der in der Schau gelegenen Gewißheit
gelangt. Demgemäß sagt Augustinus: „Der Sohn Gottes
lxeißt nicht Gedanke Gottes, sondern WORT Gottes. Unser
Denken ist ja, wenn es bis zu dem vor dringt, was wir
wissen, und wenn es von daher geformt ist, unser Work
Darum ist das WORT Gottes ohne Denken von seiten
Gottes zu verstehen, da Es nichts Gestaltbares enthält,
das noch ungestaltet seiii könnte.“ Demnach bedeutet
Denken eigentlich eine Bewegung der überlegenden Seele,
die noch nicht durch die volle Schau der W ahrheit voll­
endet ist. W eil nun aber eine solche Bewegung stattfinden
kann, indem die Seele entweder über allgem eine Inhalte
Überlegungen anstellt, was zum verstehenden Teil ge­
hört, oder über besonderheitliche Inhalte, was unter den
sinnenhaften Teil fällt, so wird auf die zw eite W eise
„denken“ genom m en für den Akt des erwägenden Ver­
standes, auf die dritte W eise für den Akt der Über­
legungskraft.
Nimmt man also „denken“ im ersten Sinne, so besagt
„beistim m end überdenken“ nicht den ganzen Sinngehalt
dessen, w as glauben ist; denn auf diese W eise überdenkt

QUAESTI O 2, 1

nunc dico in te llig en tia m qua in tellig im u s cogitan tes.“ A lio m odo
dicitur cogitare m agis prop rie consideratio in te lle ctu s q u ae est
cum quadam in q u isition e, antequ am p erven iatu r ad p erfection em
in tellectu s p er certitu dinem v isio n is. Et secu n d u m hoc A u gu - p l 42/1079
stinu s, 15 de Trin. [cap. 1 6 ], dicit quod „D ei F iliu s non cogitatio
dicitur, se d V erb um D e i dicitur. Cogitatio q u ip p e nostra per-
v e n ien s 1 ad id quod scim u s atque in d e form ata verb u m nostrum
est. Et id e o V erb u m D e i s in e co g ita tio n e debet in te llig i, non
aliq uid h ab en s form ab ile, quod p ossit esse in form e.“ Et se c u n ­
dum hoc cogitatio proprie dicitur m otus an im i d elib eran tis non-
dum p e r fec ti p e r p len am v isio n e m veritatis. S e d q u ia ta lis m o­
tus potest e sse v e l a n im i d e lib er a n tis circa in te n tio n e s u n iv er ­
sa le s, quod p ertin et a d in tellectivam partem ; v e l circa in ten tio ­
n es particu lares, quod p e r tin et ad partem se n sitiv a m ; id eo co­
gitare secu n d o m odo su m itu r pro actu in tellectu s d elib era n tis;
tertio m odo, pro actu virtu tis cogitativae.
S i igitu r cogitare su m atur com m uniter, secund um prim um
m odum, sic hoc quod dicitur „cum assen sio n e co g ita re“ non
dicit totam ration em eju s quod est cred ere: nam p er hunc mo-
1 L: p ro v e n ie n s.

51
2, i beistim m end auch der, der das erwägt, was er weih oder
versteht. Wird aber Denken im zweiten Sinne genommen,
so wird darin der ganze Sinngehalt des Aktes, der glauben
heißt, erfaßt. Denn von den Akten, die dem Verstand zu­
gehören, enthalten einige eine feste Beistimmung ohne
solches Überdenken, w ie wenn einer das erwägt, was er
w eiß oder einsieht; eine solche Erwägung nämlich ist
bereits ausgestaltet. Einige Akte des Verstandes aber ent­
halten eine noch nicht ausgestaltete Überlegung [und
zwar] ohne feste Beistimmung, sei es, daß sie nach keiner
von beiden Seiten neigen, w ie es beim Zweifelnden der Fall
ist, oder daß sie zwar mehr nach einer Seite neigen, aber
dabei durch irgendein unerhebliches Zeichen angezogen
werden, w ie es dem' Vermutenden geschieht, oder daß sie
sich an eine Seite festhängen, jedoch mit einer Besorgnis
zugunsten der anderen, w ie es beim Meinenden der Fall
ist. Der Akt aber, der glauben heißt, besagt festes An­
hängen an eine Seite, worin der Glaubende mit dem W is­
senden und dem Einsehenden übereinkommt. Und den­
noch ist seine Erkenntnis noch nicht vermöge einsichtiger
Schau vollkommen, worin er übereinstim m t mit dem Zwei­
felnden, dem Vermutenden und dem Meinenden. Demnach
ist dem Glaubenden eigentümlich, daß er beistimmend
überdenkt. Und dadurch unterscheidet sich der Akt, der
glauben heißt, von allen Akten des Verstandes, die auf
wahr oder falsch bezogen sind.

QUAESTIO 2, i

dum etiam qui considerat ea q u ae seit v e l in te llig it cum a ssen ­


sio n e cogitat. S i vero su m atur cogitare secu n d o m odo, sic in hoc
in tellig itu r tota ratio h u ju s actus qui est cred ere. Actuum enim
ad in tellectu m pertin en tiu m quidam h ab en t firm am assen sion em
absqu e ta li cogitatione, sicut cum a liq u is considerat ea qu ae seit
v e l in te llig it: ta lis en im consideratio jam est form ata. Quidam
vero actus in te lle ctu s h ab en t qu id em cogitationem inform em
absqu e firm a assen sio n e: s iv e in neutram partem declin en t,
sicut aceidit du b itan ti; siv e in un am partem m agis d eclinent,
se d ten en tu r aliq u o le v i sign o, sicu t accidit su sp ican ti; siv e
un i parti ad h aerean t, tarnen cum form id in e alteriu s, quod acci­
d it o p in a n ti. S e d actus iste qui est cred ere h a b et firm am ad-
h aesion em ad unam partem , in quo convenit credens cum scien te
et in te llig en te: et tarnen eju s cogn itio non est p erfecta p er m ani-
f e s ta m 1 vision em , in quo con ven it cum dubitante, su sp icante
et opin ante. Et sic proprium est cred en tis ut cum assen su co-
gitet: et p er hoc d istin gu itu r iste actus q u i est cre d e re ab om n i­
bus actibus in tellectu s q u i su n t circa veru m v e l falsum .
i P : m a x im a m .

52
Z u l . Der Glaube enthält in sich keine Untersuchung 2, 1
der natürlichen Vernunft, die das, was geglaubt wird, be­
weist. Er enthält freilich eine gew isse Untersuchung des­
sen, wodurch der Mensch zum Glauben hingeführt wird,
z. B. daß es von Gott gesprochen und durch Wunder be­
stätigt ist.
Z u 2. Überdenken wird hier nicht genommen, sofern
es ein Akt des Überlegungsverm ögens ist, sondern sofern
es unter den Verstand fällt (Antwort).
Z u 3. Der Verstand des Glaubenden wird nicht durch
die vernünftige Beweisführung, sondern durch den W illen
in einer Richtung festgelegt. Demnach steht hier Beistim ­
mung für den Verstandesakt, insofern dieser vom W illen
auf eines hin festgelegt wird.

Q U A E S T I O 2, i
A D PRIM UM ergo dicen du m quod fides non hab et inq uisi-
tionem ration is riaturalis dem onstrantis id quod creditur. H abet
tarnen in q u isition em qu am dam eorum p er q u ae ind ucitu r hom o
ad cred en d u m : puta quia su n t dicta a D eo et m iraculis con-
firmata.
A D SE C U N D U M d icen d u m qu od cogitare non su m itu r hic
prout est actus co g ita tiv a e virtu tis: se d prout p e r tin e t ad in ­
tellectum , ut dictum est.
A D TERTIUM d icen d u m quod in tellectu s c red en tis determ i-
natur ad un um n on p e r ration em , se d p er volun tatem . Et id eo
assen su s hic accipitur pro actu in tellectu s secu n d u m quod a
volun tate determ inatu r ad unum .

53
2. A R T I K E L
Ist es angem essen, d ie A k te des Glaubens zu unterschei­
den als [ d e m ] Gott glauben, [ d e n ] Gott glauben und, auf
G ott hin g lau benP1
1. Von einem Gehaben gibt es auch nur einen Akt. Der
Glaube aber ist ein Gehaben, da er auch nur eine Tugend
ist. Es ist also unangem essen, m ehrere Akte des Glaubens
anzunehmen.
2. Was jedem Glaubensakt gleicherweise zukommt, darf
nicht als besondersartiger Glaubensakt hingestellt werden.
In jedem Glaubensakte aber findet sich in gleichartiger
W eise das „[dem ] Gott glauben“ ; denn der Glaube ruht
auf der Erstwahrheit. Es scheint also unangem essen, daß
es von gew issen anderen Akten des Glaubens unterschie­
den wird.
3. W as auch auf Nicht-Gläubige zutrifft, kann nicht un­
ter die Glaubensakte gerechnet werden. Aber glauben,
daß Gott sei, kommt auch Ungläubigen zu. Es darf also
nicht unter die Glaubensakte gerechnet werden.

QUAESTIO 2. 3

ARTICULUS II

Utrum convenienter distinguantur actus


f i d e i p e r h o c q u o d es t c r e d e r e Deo, c r e ­
d e r e D e u m et c r e d e r e in D e u m
[3 S en t., d is t. 23, q. 2, a r t. 2, q a 2; De y e rit., q. 14, a r t. 7 a d 7;
Jo a n ., c ap . 6, le c t. 3; in R om ., 4, le c t. 1]

AD SEC U N D U M sic proceditur. V idetur quod in con ven ien ter


d istin g u a n tu r 2 actus fid ei per hoc quod est „credere D eo, cre­
d ere D eu m et cred ere in D e u m “. U n iu s en im hab itu s unus est
actus. S e d fides est un us hab itu s: cum sit una virtu s. Ergo in ­
con ven ien ter ponuntur plu res actus fid ei.3
2. PRAETEREA, id quod est com m u ne om ni actui fid ei non
debet pon i ut p articu laris actus fid ei. S e d cred ere D eo in ven itu r
com m u niter in q u olib et actu fid ei: quia fid es inn ititur prim ae
veritati. Ergo vid etu r quod in co n v en ien ter distin guatur a qui-
busdam a liis actibus fidei.
3. PRAETEREA, id qu od con ven it etiam non fid elib u s non
potest pon i in ter fidei actus.4 S ed cred ere D eum e sse convenit
etiam in fid elib u s. Ergo non deb et pon i inter actus fidei.
1 V gl. A nm . [12].
2 L: d is tin g u a tu r.
3 L : eju s.
4 L: poni a ctu s fid ei. ,

54
4. Sich nach einem Ziel bewegen, fällt unter den
Willen, dessen Gegenstand das Gute und das Ziel ist.
Glauben aber ist kein Akt des W illens, sondern des Ver­
standes. Also darf glauben „auf Gott hin“, das eine Be­
wegung auf ein Ziel zu besagt, nicht als eine der Unter-
sehiedenheiten des Glaubens angesetzt werden.
ANDERSEITS: Augustinus nimmt diese Unterscheidung
vor.
ANTWORT: Der Akt eines jeden Vermögens oder Ge­
habens wird gemäß der Hinordnung des Vermögens oder
Gehabens auf seinen eigenen Gegenstand bestimmt. Der
Gegenstand des Glaubens aber kann auf dreifache W eise
betrachtet werden. Da nämlich Glauben zum Verstand ge­
hört, sofern er vom W illen zur Beistimmung bew egt ist
(Art. 1 Zu 3), so kann der Gegenstand des Glaubens ent­
weder von der Seite des Verstandes selber oder von der
Seite des den Verstand bewegenden W illens her aufgefaßt
werden. W enn von der Seite des Verstandes, so können
zw ei Dinge erwogen werden (1, 1). Davon ist das eine
das Inhaltliche im Gegenstand des Glaubens. Und so wird
das „ [d en ] Gott glauben“ als Glaubensakt hingestellt;
denn es wird uns nichts zum Glauben vorgehalten, außer
sofern es zu Gott in Beziehung steht (ebd.). — Das an­
dere ist der form gebende Grund im Gegenstand, gleich­
sam das Erkenntnism ittel, dessentw egen einem solchen

QUAESTI O 2. 2
4. PRAETEREA, m overi in finem p e r tin et ad volun tatem , cujus
objectum est bon um et fini.s. S e d cred ere n on est actus volun -
tatis, se d in tellectu s. E rgo non d eb et pon i d ifleren tia una eju s
quod est cred ere „in D e u m “, quod im portat m otum in finem .
SED CONTRA est quod A u gustin us hanc distin ctionem ponit, PL 38/788
in lib ris de verb . D om . et su p e r Joan. [tr. 2 9 ]. 35/1631
RESPONDEO dicen du m quod actus c u ju slib et p o ten tia e v e l
h ab itu s accipitur secu n d u m ordinem p o ten tia e v e l habitus ad
su u m objectum . O bjectum autem fidei potest trip liciter consi-
d e r a ri. Cum en im c red ere ad in tellectu m p e r tin ea t prout est a
v o lu n ta te m otu s ad assen tien d u m , ut dictum est, p o te st objectu m
fid ei accipi v e l e x parte ip siu s in tellectu s, v e l e x parte volun -
tatis intellectu m m oventis. S i quidem e x parte in tellectu s, sic
in o b je c to 1 fid e i duo possunt considerari, sicut su p ra dictum
est. Q uorum unum est m a teriale objectum fidei. Et sic ponitur
actus fidei „cred ere D e u m “ : 2 quia, sicut su p ra dictum est, n ih il
proponitur nob is ad credend um n isi secu n d u m quod ad Deum
pertin et. — A liu d autem est form alis ratio objecti, quod est
sicut m edium , propter quod tali cred ib ili assen titu r. Et sic poni-
1 P : su b jecto .
2 P : Deo.

55
2, 2 Glaubenssätze zugestimmt wird. Und so wird „[d em ]
Gott glauben“ als Glaubensakt erfaßt; denn der form­
gebende Gegenstand des Glaubens ist die Erstwahrheit,
welcher der Mensch anhängt, um ihretwegen dem Ge­
glaubten beizustimmen (ebd.). — Wird aber der Glaubens­
gegenstand auf die dritte W eise in Betracht gezogen, so­
fern nämlich der Verstand vom W illen bewegt ist, so wird
als Glaubensakt das „auf Gott hin glauben“ aufgestellt;
die Erstwahrheit nämlich wird, sofern sie die Bewandtnis
des Zieles hat, auf den W illen bezogen.
Z u l . Durch die genannte Dreiheit werden nicht ver­
schiedene Glaubensakte bezeichnet, sondern ein und der­
selbe Glaubensakt in seinen verschiedenen Beziehungen
zum Glaubensobjekt.
Daraus erhellt die Antwort Z u 2.
Z u 3. Das „ [d e n ] Gott glauben“ kommt Ungläubigen
nicht in der W eise zu, w ie es als Akt der Glaubenstugend
aufgestellt wird. Denn sie glauben an das Dasein Gottes
nicht entsprechend den W esensbedingungen, welche die
Glaubenstugend vorzeichnet. Also glauben sie Gott nicht
wahrhaft, weil, w ie Aristoteles sagt, bei den einfachen
Gegebenheiten das Versagen der Erkenntnis nur im gänz­
lichen Nicht-Erfassen besteht [14].
Z u 4. Der W ille bewegt den Verstand und die anderen
Seelenkräfte auf das Ziel hin (I—II 9, 1: Bd. 9). Und
demgemäß wird „auf Gott hin glauben“ als Glaubensakt
aufgestellt.
QUAESTIO 2. »
tur actus fid ei „ cred ere D e o “ ;1 quia, sicut su p ra est dictum ,
form ale objectum fid ei est veritas prim a, cui in k a er et hom o, ut
propter eam cred itis assen tiatu r. -— S i vero consideretu r tertio
m odo objectum fid ei, secu n d u m quod in tellectu s est m otus a
v olu n tate, sic ponitur actus fid ei „credere in D e u m “ : veritas
enim prim a ad volun tatem refertu r secund um quod h ab et ratio­
nem finis.
AD PRIM UM ergo dicen du m quod p er ista tria non designan -
tur d iversi actus fid ei: se d un us et id em actus h a b en s diversam
relation em ad fidei objectum .
Et p er hoc patet responsio A D SEC U N D U M .
A D TERTIUM dicendum quod cred ere D eu m non convenit
in ü d elib u s su b e a ration e qu a pon itu r actus fid ei. N on enim
credunt D eu m esse su b h is conditionibu s quas fid es determ inat.
Et id eo n ec v e re D eum credunt: quia, ut P h ilosop h u s dicit,
1051b 25 9 M etaph. [cap. 1 0 ], in sim p licib u s defectu s cogn ition is est
solum in non attingendo totaliter.
AD Q UARTUM dicen du m , quod, sicu t su p ra dictum est, vo-
lu n tas m ovet in tellectu m et a lias v ires an im ae in finem . Et s e ­
cundum hoc ponitur actus fidei cred ere in D eum .
i P : D eum .

56
3. A R T I K E L
Ist es zum H eile notw endig, irgend etw as über die' natür­
liche Vernunft hinaus zu glauben?
1. Zum H eile und zur Vollendung jedes D inges scheint
das zu genügen, was ihm seiner Natur nach zukommt.
Was aber des Glaubens ist, geht über das natürliche Er­
kennen des Menschen hinaus, da es Dinge sind, die man
nicht sieht (1, 4). Glauben scheint also zum H eile nicht
notwendig zu sein.
2. Es ist gefährlich, wenn ein Mensch solchem bei­
stimmt, w obei er nicht urteilen kann, ob das, w as ihm
vorgelegt wird, wahr ist oder falsch, nach Job 12, 11: „Ist
nicht das Ohr zum Worteprüfen geschaffen?“ Aber ein
solches [durch Prüfen gew onnenes] Urteil kann der
Mensch in dem, was des Glaubens ist, nicht ausüben; denn
der Mensch kann es nicht bis in die ersten Ursätze auf-
lösen, vermöge deren wir über alles urteilen. Also ist es
gefährlich, solchem Glauben zu schenken. Glauben ist dem­
nach zum H eile nicht notwendig.
3. Das H eil des Menschen beruht auf Gott, nach Ps 37
(36), 39: „Das H eil der Gerechten kommt vom Herrn.“
Aber „was an Gott nicht sichtbar ist, erkennt der denkende
Verstand in den Geschöpfen, auch Seine ew ige Allmacht

QUAESTIO 2, 3

ARTICULUS III
Utrum credere aliquid supra rationem
n a t u r a l e m sit n e c e s s a r i u m ad s a l u t e m
[3 Sent., d ist. 24, a rt. 3; 1 C ont. G ent., cap . 5; 3, cap. 118 e t 152; De v e rit.,
q. 14, a rt. 10]
A D TERTIUM sic proceditur. V id etu r quod cred ere n on sit
necessariu m a d salu tem . A d salu tem en im et p erfection em cu-
ju slib et rei ea su ffleere vid en tu r q u ae con ven iu n t e i secund um
su am naturam . S ed ea q u a e su n t fid ei exced u n t naturalem
h om in is rationem , cum sin t non ap p aren tia, ut su p ra dictum
est. Ergo cred ere non v id etu r n ecessariu m e sse ad salu tem .
2. PRAETEREA, p e r ic u lo se hom o a ssen tit illis in q u ib u s non
potest jud icare utrum illu d quod e i proponitur sit veru m v e l
falsu m : secund um illu d Job 12: „N on n e au ris verb a d iju d ica t? “
S ed ta le jud icium hom o h ab ere non potest in h is q u ae su n t fid ei:
quia hom o n on potest e a reso lv ere in p rin cip ia prim a, p er qu ae
de om nibu s judicam us. E rgo periculosu m est talib u s fid em ad-
h ib ere. C red ere ergo non est necessariu m ad salutem .
3. PRAETEREA, sa lu s hom inis in D eo consistit: secund um
illu d P salm . [3 6 ]: „Salus au tem justorum a D om in o.“ S e d „in-
v isib ilia D e i p er ea q u ae facta su n t in tellecta conspiciuntur;
sem p itern a q u oq u e v irtu s e ju s et D iv in ita s“, ut d icitu r Rom. 1.

57
2,3 und Gottheit“, w ie es Röm 1, ‘20 heißt. Was aber mit dem
Verstände erkannt wird, wird nicht geglaubt. Also ist es
zum H eile nicht nötig, daß der Mensch irgendwelche
Dinge glaubt.
ANDERSEITS heißt es Hebr 11, 6: „Ohne Glauben ist
es unmöglich, Gott zu gefallen.“
ANTWORT: Bei allen in einer Ordnung gestuften Naturen
findet man, daß zur Vollendung der unteren Natur zweier­
lei zusammenwirkt: eines, das der Eigenbewegung ent­
spricht, und ein zw eites, das der Bewegung der höheren
Natur gemäß ist; so w ie das W asser nach seiner Eigen­
bewegung sich zum Mittelpunkt bewegt, gemäß der Be­
wegung des Mondes aber in Flut und Ebbe um den Mittel­
punkt herum bewegt wird; ähnlich werden auch die Pla­
netenkreise durch ihre Eigenbewegungen von Westen
nach Osten bewegt, durch die Bewegung aber des ersten
K reises von Osten' nach W esten [15]. Indes hat nur die
vernunftbegabte geschaffene Natur eine unmittelbare Hin­
ordnung auf Gott. Denn die übrigen Geschöpfe langen
nicht an etwas Allesum greifendes hin, sondern nur an
das jew eils Einzelne, indem sie an der göttlichen Gutheit
entweder nur in ihrem Sein, w ie alles U nbeseelte, oder
auch im Leben und im Erkennen der Einzeldinge, w ie
Pflanzen und Sinnenwesen, teilnehmen. Die vernunft­
begabte Natur aber hat, insofern sie die allumfassende
W esenheit von Gut und Seiend erkennt, eine unmittelbare
Hinordnung auf den allum fassenden Ursprung des Seins.

QUAESTIO 2, 3

Q uae au tem con sp iciu n tu r in te lle ctu non creduntur. E rgo non
est n ecessa riu m ad sa lu te m ut hom o a liq u a credat.
SED CONTRA est quod dicitur [H ebr. 1 1 ]: „Sin e fide im ­
p ossib ile est p lacere D e o .“
RESPONDEO dicen du m quod in om n ib u s n atu ris ord in atis in-
ven itu r quod ad p erfection em natu rae in ferioris duo concurrunt:
unum qu idem quod est secu n d u m proprium m otum ; aliu d autem
quod est secund um m otum su p erio ris naturae. Sicut aqua se c u n ­
dum m otum proprium m ovetu r ad centrum , secund um autem
m otum lu n a e m ovetu r circa centrum secund um flu xu m et reflu-
xu m : sim ilite r etiam orbes p lan etarum m oventur prop riis m oti-
bu s ab occidente in orien tem , m otu autem p rim i orbis ab Oriente
in occidentem . S ola au tem natura ration alis creata h ab et im m e-
diatum ordinem ad D eum . Q uia c ete r a e creaturae n o n attingun t
ad a liq u id u n iv ersa le, se d solu m ad a liq u id particu lare, parti-
cip an tes divin am bon itatem v e l in essen d o tantum , sicu t in an i-
mata, v e l etiam in viv en d o et cognoscendo sin g u la ria , sicut plan-
tae et an im a lia : natura autem ration alis, inquantum cognoscit
u n iversalem boni et en tis rationem , hab et im m ed iatu m ordinem

58
Die Vollendung des vernunftbegabten Geschöpfes besteht 2, 3
also nicht nur in dem, was ihm seiner eigenen Natur nach
zusteht, sondern auch in solchem, was ihm aus einer über­
natürlichen Teilnahme an der göttlichen Gutheit verliehen
wird. Daher hat es auch früher (I—II 3, 8: Bd. 9) ge­
heißen, die letzte Beseligung des Menschen bestehe in
einer übernatürlichen Schau Gottes. Zu dieser Schau kann
nun der Mensch nur gelangen in der W eise, daß er von
Gott als seinem Lehrer lernt, gemäß Joh 6,45: „Wer immer
auf den Vater hört und sich belehren läßt, der kommt zu
Mir.“ D ieses Unterrichts wird aber der Mensch seiner
Natur entsprechend nicht auf einmal, sondern Stufe um
Stufe zuteil. Ein jeder, der in dieser Art sich belehren
läßt, muß glauben, um zu vollkommenem W issen zu ge­
langen, w ie auch Aristoteles sagt: „Der Lernende muß
glauben.“ Dazu also, daß der Mensch zur vollkommenen
Schau der Beseligung gelange, wird vorausgesetzt, daß
er Gott glaube w ie der Schüler dem lehrenden Meister.
Z u 1. W eil die Natur des Menschen von der höheren
Natur abhängt, genügt zu seiner Vollendung nicht die
natürliche Erkenntnis, sondern ist eine übernatürliche
Erkenntnis erforderlich (Antwort).
Z u 2. W ie der Mensch vermöge der natürlichen Leuchte
seines Verstandes den ersten Ursätzen beistimmt, so hat

q u a e s t i o 2, 3

ad u n iv er sa le essen d i prin cip iu m . P erfectio ergo ration alis crea-


tu rae non solu m con sistit in eo quod e i con ip etit secu n d u m su am
naturam , s e d in eo etiam quod e i attrib uitur e x q u adam su p er-
natu rali p a r tic ip a tio n e 1 d iv in a e bonitatis. U n d e et su p ra dic­
tum est qu od ultim a beatitudo h om in is consistit in quadam su p er-
natu rali D e i v isio n e . A d quam qu idem v isio n em hom o p ertin gere
non potest n isi p e r m odum ad d iscen tis a D eo doctore: secund um
illu d Joan. 6: „O m nis qui aud it a P atre et did icit v e n it ad m e.“
H ujus autem d iscip lin ae fit hom o p articeps non statim , se d suc-
cessive, secu n d u m m odum su a e natu rae. O m nis autem ta lis ad-
d iscen s oportet quod credat, ad hoc quod ad perfectam scien tiam
p e r v e n ia t: sicut etiam P h ilosop h u s d ic it2 quod „oportet addis-
cen tem c re d e re “. U n d e ad hoc quod hom o p erven iat ad p e r fec ­
tam v isio n e m b ea titu d in is p r a e e x ig itu r quod credat D eo tan-
quam d iscip u lu s m agistro docenti.
AD PRIM UM ergo dicen du m quod, quia natura hom inis de-
pen d et a su p erio ri natura, ad eju s p erfection em n on suffleit co­
gn itio n atu ralis, se d req u iritu r q u aed am su p ern atu ralis, ut
su p ra dictum est.
AD SEC U N D U M dicen du m quod, sicut hom o p er natu rale
turnen in tellectu s assen tit prin eip iis, ita hom o virtu osus p er habi-
1 P : p erfectio n e.
2 Cf. De S o p h ist. E len c h . lib . 1, cap. 2 [165 b 3].

59
, 4 der tugendhafte Mensch vermöge des Tugeudgehabens ein
richtiges Urteil über das, was der betreffenden Tugend
entspricht. Auf d iese W eise stimmt der Mensch auch ver­
möge der dem Menschen von Gott eingegossenen Glau­
benserleuchtung dem bei, was des Glaubens ist, nicht aber
solchem, was ihm widerspricht. So gibt es „für die, die
in Christus Jesus sind“, von Ihm erleuchtet durch den
Glauben, nichts mehr von Gefahr und „was zur Verdam­
mung führt“ (Röm 8, 2).
Z u 3. Das Unsichtbare an Gott nimmt der Glaube, nach
mehrfachen Hinsichten, auf eine höhere W eise wahr als
die natürliche Vernunft, die von den Geschöpfen aus zu
Gott aufsteigt. Daher heißt es Sir 3, 25: „Zuviel ist dir
gezeigt worden, was des Menschen Einsicht übersteigt.“

4.ARTIKEL
Ist es notwendig, zu glauben, w as sich durch die natürliche
Vernunft erw eisen läßt?
1. In den W erken Gottes findet sich nichts Überflüs­
siges, noch viel w eniger als in den W erken der Natur.
Es ist aber überflüssig, zu dem, was durch eines bewirkt
werden kann, noch ein zweites hinzuzutun. Es wäre also

QUAESTIO 2. 4

tum v ir tu tis 1 h ab et rectum jud icium d e h is qu ae con ven iu n t illi


virtu ti. Et hoc m odo etiam p er lu m en fid ei d ivin itu s in fu su m
hom ini hom o assen tit h is q u a e sunt fidei, non autem contrariis.
Et id eo „ n ih il“ p ericu li v e l „d am n ation is in est h is qui sunt in
Christo J e s u “, ab ipso illu m in a ti p er fidem [Rom. 8, 1 ].
AD TERTIUM dicendum quod in v isib ilia D e i altiori m odo,
quantum ad plura, percip it fid es qu am ratio natu ralis e x creatu-
ris in D eum proced en s. U n d e d icitu r Eccli. 3: „P lu rim a su p er
sen su m h o m in is osten sa su n t tib i.“

ARTICULUS IV
U t r u m c r e d e r e ea q u a e r at io n e n a t u r a l i
probari po s su nt sit ne c e s sa r i u m
[3 S en t., d is t. 24, a r t. 3, q a 1; 1 C ont. G en t., cap . 4; De v e rlt., q. 14,
a r t. 10 c o rp .; B oet., T rin ., q . 3. a r t. 1]

A D QUARTUM sic proeed itu r. V id e tu r quod ea q u ae ration e


n atu rali probari possu nt n on sit n ecessa riu m c re d e re . In op eri-
bus enim D ei n ih il su p erflu u m in ven itu r, m ulto m in u s quam in
op erib u s natu rae. S e d ad id quod per un um potest fieri su p er-
1 P: add. fidei.

ßO
überflüssig, was durch natürliches Denken zu erkennen 2,4
ist, durch den Glauben zu empfangen.
2. Glauben muß man in den Dingen, die zum Glauben
gehören. Aber bezüglich des nämlichen gibt es nicht Wis­
sen und Glauben (1, 4 u. 5). Da es also das W issen mit
alldem zu tun hat, was mit Hilfe natürlichen Denkens zu
erkennen ist, so scheint es nicht am Platze, solches zu
glauben, was auf dem W ege natürlichen Denkens erw ie­
sen wird.
3. A lles Wißbare scheint einer [Erkenntnis-JBewandt-
nis zu sein. W enn nun einiges davon dem Menschen als
zu glauben vorgelegt wird, so müßte man aus demselben
Grunde notwendig alles Derartige glauben. Das aber ist
falsch. Es ist also nicht nötig, solches zu glauben, w as auf
dem W ege natürlichen Denkens zu erkennen ist.
ANDERSEITS ist es unumgänglich, zu glauben, daß
Gott Einer und unkörperlich ist, was beides durch die
Philosophen auf Grund der natürlichen Vernunft erwiesen
wird.
ANTWORT: Es ist dem Menschen notwendig, glaubens­
mäßig nicht nur das anzunehmen, w as über die Vernunft
hinausgeht, sondern auch solches, w as auf dem W ege der
Vernunft erkannt werden kann. Und dies aus drei Grün­
den. Erstens, damit der Mensch rascher zur Erkenntnis
der göttlichen- Wahrheit gelangt. Denn die Wissenschaft,
in deren Bereich es gehört, zu erw eisen, daß Gott ist, und
anderes Derartiges von Gott, wird den Menschen erst zu-

QUAESTIO 2, 4

flu e ap p on itu r a liu d . Ergo e a q u ae p er n atu ralem ration em co-


gnosoi possu nt su p erflu u m esset p e r fid em accip ere.
2. PRAETEREA, ea n e c esse est cred ere de qu ibus est fides.
S e d non est de eodem sc ien tia et fides, ut su p ra habitum est.
Cum ergo sc ien tia sit de om nibus illis q u ae n atu rali ratione
cognosci possunt, vid etu r quod non oporteat cred ere ea q u ae per
natu ralem ration em probantur.
3. PRAETEREA, om nia scib ilia vid en tu r e sse u n iu s rationis.
Si igitu r qu aed am eorum proponuntur hom ini ut eredenda,
pari ratione om nia h u jusm odi n ecesse est cred ere. Hoc autem
est falsu m . N on ergo ea q u ae p er n atu ralem ration em c o ­
gnosci possunt n ecesse est credere.
SED CONTRA est qu ia n e c esse est cred ere D eum esse unum
et incorp oreum , q u ae natu rali ration e a p h ilosop h is probantur.
RESPONDEO dicen du m quod n ecessariu m est h om in i accip ere
p e r m odum fid ei non solu m ea q u a e su n t su p ra ration em , se d
etiam ea qu ae p er ration em cognosci possunt. Et hoc propter tria.
Prim o qu idem , ut citius hom o ad v eritatis d ivin ae cognition em
p erv en ia t. S c ien tia enim ad quam p e r tin et probare D eu m esse
et alia hu jusm odi de D eo, ultim o hom inib us ad d iscen d a propo-

61
2,4 letzt zur Erlernung vorgelegt, nachdem viele andere
W issenschaften vorausgegangen sind. Und so würde der
Mensch erst, nachdem viel Zeit von seinem Leben ver­
ronnen, zur Erkenntnis Gottes gelangen. — Zweitens,
damit die Erkenntnis Gottes allgem einer ist. V iele näm­
lich vermögen in ihrem Streben nach W issen nicht voran­
zukommen, entweder w egen der Schwäche ihrer Begabung
oder w egen sonstiger Inanspruchnahme durch die Bedürf­
nisse des irdischen Daseins, oder auch w egen ihrer Träg­
heit im Lernen. A lle diese nun würden gänzlich um die
Erkenntnis Gottes kommen, wenn ihnen das Göttliche
nicht auf die W eise des Glaubens dargeboten würde. —
Drittens um der Gewißheit willen. Denn die menschliche
Vernunft ist in göttlichen Dingen weitgehend unzulänglich.
Kennzeichnend dafür ist, daß die Philosophen, wenn sie in
[bloß] m enschlichen Dingen mit natürlicher Forschung
die Wahrheit suchten, in vielem geirrt und sich selbst
widersprochen haben. Damit es also eine zw eifelsfreie und
sichere Erkenntnis von Gott bei den Menschen gäbe,
wurde es nötig, ihnen das Göttliche auf die W eise des
Glaubens als von Gott mitgeteilt zu überliefern, der nichts
Unwahres sagen kann.
Z u l . Das Forschen mit H ilfe des natürlichen Denkens
genügt dem menschlichen Geschlechte nicht zur Erkennt­
nis des Göttlichen, auch nicht desjenigen Göttlichen, was
durch die Vernunft auf gew iesen werden kann. Demnach
ist es nicht überflüssig, daß solches geglaubt wird.
Z u 2. ü b e r das nämliche kann es wohl bei derselben

QUAESTI O 2, 4
nitur, p ra esu p p o sitis m u ltis a liis sc ie n tiis. Et sic n on n isi post
m ultum tem p u s vita e su a e hom o ad D ei eogn ition em p erven iret.
— S ecu n d o, u t cogn itio D e i sit com m unior. M ulti en im in stu d io
scien tia e proficere non possunt: v e l propter h eb etu d in em in g e n ii;
v el propter alias occu pationes et n ecessita tes tem p oralis vita e;
v e l etiam propter torporem add iscend i. Qui om nino a D ei co­
g n itio n e frau d aren tu r n isi p rop on eren tu r e is d ivin a p e r m odum
fidei. — T ertio m odo, propter certitu dinem . Ratio en im hum ana
in reb u s d ivin is est m ultum d eflcien s: cu ju s sign u m est quia
ph ilosophi, de reb us h u m an is n atu rali in vestigation e perscrutan-
tes, in m u ltis erraverun t et sib i ip sis contraria sen seru n t. Ut
ergo esset ind ubitata et certa cogn itio apud h om in es de Deo.
oportuit qu od d iv in a e is p er m odum fid ei trad eren tu r, q u asi a
D eo dicta, q u i m en tiri non potest.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod in vestigatio n atu ralis ra-
tio n is n on su fficit hu m an o g e n e r i ad eogn ition em divinorum
etiam q u a e ration e o sten d i possunt. Et id eo n on est su p erflu u m
ut ta lia credantur.
AD SE C U N D U M dicen du m quod de eodem non potest esse

62
Person nicht W issen und Glauben zugleich geben. Was
aber von dem einen gewußt ist, kann von einem anderen
geglaubt sein (1, 5).
Z u 3. Wenn auch alles W ißbare in der W esensart des
W issens übereinstimmt, so doch nicht darin, daß es gleich­
artig auf die Beseligung hinordnete. Daher wird nicht
alles in gleicher W eise zum Glauben vorgelegt.

5. A R T I K E L
Ist der Mensch verpflichtet, etw as ausdrücklich zu
glauben?
1. Niemand ist zu solchem verpflichtet, was nicht in
seiner Kraft liegt. Etwas ausdrücklich glauben aber liegt
nicht im Vermögen des Menschen. Es heißt nämlich
Röm 10, 14 f: „Wie sollen sie an Den nur glauben, von
dem sie nicht gehört? W ie können sie nur hören, wenn
ihnen nicht gepredigt w ird? W ie können sie denn predi­
gen, wenn sie nicht ausgesendet sind?“ Also ist der
Mensch nicht gehalten, etwas ausdrücklich zu glauben.
2. W ie wir durch den Glauben auf Gott hingeordnet
werden, so auch durch die [gotthafte ] Liebe. Der Mensch
aber ist nicht verpflichtet, die Gebote der Liebe zu er-

Q U A E S T I O 2, 5
scien tia et fides apud euind em . S ed id quod est ab uno scitum
potest e sse ab alio creditum , ut su pra dictum est.
A D TERTIUM dicen du m quod, si om nia scib ilia conveniant in
ration e sc ien tia e , non tarnen con ven iu n t in h oc quod a eq u a liter
ordinent ad b eatitu d in em . Et id eo non aeq u aliter om nia propo­
nuntur ut eredend a.

ARTICULUS V
U t r u m h o m o ten e a t u r ad c r e d e n d u m a l i q u i d
explicite
tl S ent., dist. 33, art. 5 Corp.; 3, dist. 25, q. 2, art. 1, q a 1 e t 2; De verit,.,
q. 14, art. 11]
A D Q UIN TUM sic proceditur. V id etu r quod non teneatu r
hom o ad cred en d u m a liq u id e x p lic ite . N u llu s en im ten etu r ad
id quod non est in e ju s potestate. S e d cred ere a liq u id e x p lic ite
non est in hom in is p otestate: dicitur en im Rom. 10: „Quomodo
credent in illu m 1 qu em n on a u d ieru n t? quom odo au d ien t sin e
praed ican te? quom odo autem praedicab un t n isi m ittan tu r?“ Ergo
cred ere a liq u id e x p lic ite hom o non tenetu r.
2. PRAETEREA, sicut p er fidem ordinam ur in D eu m , ita etiam
per caritatem . S ed ad servandu m praecepta caritatis hom o non
i L' ei.

63
2, 6 füllen, sondern es genügt die bloße Bereitw illigkeit im
Geiste, w ie es offensichtlich ist in jenem Gebote des
Herrn, das Mt 5, 39 steht: „Schlägt einer dich auf deine
rechte Wange, so halte ihm auch die andere hin“, und
in anderen ähnlichen [Geboten], w ie Augustinus ausein­
andersetzt. Also ist der Mensch auch nicht gehalten, irgend
etwas ausdrücklich zu glauben, sondern es genügt, daß er
in Bereitschaft stehe, das zu glauben, was von Gott vor­
gelegt wird.
3. Der Wert des Glaubens besteht in einem gewissen
Gehorsam, gemäß Röm 1, 5: „Zum Glaubensgehorsam
unter allen Völkern.“ Zur Tugend des Gehorsams aber
ist nicht erforderlich, daß der Mensch irgendwelche be­
stimmte Gebote erfülle, sondern es genügt, daß er w illi­
gen Sinnes sei zu gehorchen, gemäß Ps 119 (118), 60:
„Ich bin bereit und zaudere nicht, D eine Gebote zu hal­
ten.“ Auch zum Glauben scheint es also zu genügen, daß
der Mensch die Bereitw illigkeit habe, das zu glauben, was
ihm m öglicherweise von Gott her vorgelegt wird, ohne
daß er etwas ausdrücklich glaubt.
ANDERSEITS heißt es Hebr 11, 6: „Wer Gott naht,
muß glauben, daß Er ist, und daß Er denen, die Ihn
suchen, ein Vergelter ist.“
ANTWORT: Die Gebote des Gesetzes, die der Mensch

Q U A E S T I O 2, 5

ten etu r, se d su fficit so la praeparatio an im i: sicut p atet in illo


p raecep to D om in i quod p on itu r M atth. 5: „Si qu is p ercu sserit te
in u n a m a x illa , p r a e b e e i et a lia m “ ; et in a liis co n sim ilib u s, ut
PL 34/1260 A u gu stin u s exp on it, in lib. de Serm . D om . in M onte [1, cap. 19 ].
Ergo etia m n on ten etu r hom o e x p lic ite aliq u id cred ere, se d
su ffleit quod hab eat anim um praeparatum ad credend um ea
qu ae a D eo proponuntur.
3. PRAETEREA. bonum fidei in quadam ob ed ien tia consistit.
secu n d u m illud Rom. 1: „Ad obed ien d u m fid ei in om nibu s genti-
bu s.“ S e d ad virtu tem o b ed ien tia e n on req uiritur quod hom o
aliq u a d eterm in a ta p raecep ta ob servet, se d su fficit quod h ab eat
prom ptum an im u m ad o b e d ie n d u m :1 secu n d u m illu d P salm .
[1 1 8 ]: „P aratus sum , et non sum turbatus, ut custodiam m andata
tua.“ Ergo vid etu r quod etiam ad fidem su fficiat quod hom o
hab eat prom ptum anim um ad credend um e a qu ae e i d ivinitus
proponi possunt,2 absqu e hoc quod e x p lic ite aliq u id credat.
SED CONTRA est quod d icitu r ad H ebr. 11: „A ccedentem
ad D eu m oportet cred ere q u ia est, et quod in q u iren tib u s se
rem u n erator est.“
RESPONDEO dicendum quod p raecepta le g is qu ae hom o ten e-
t P : c re d e n d u m .
- L: possen t..

64
zu erfüllen gehalten ist, werden gegeben hinsichtlich 2, 5
solcher Tugendakte, die der Weg sind, auf dem wir das
Heil erreichen. Der Tugendakt aber wird gemäß dem Ver­
hältnis des Gehabens zu seinem Gegenstände betrachtet
(1—II 60, 5: Bd. 11). Beim Gegenstände jeglicher Tugend
aber kann zw eierlei in Erwägung gezogen werden: näm­
lich das, w as eigentlich und an sich Gegenstand der
Tugend ist, was bei jedem Tugendakte nötig ist; ander­
seits das, was außerwesentlich oder folgerungsw eise an
dem eigentümlichen W esen des Gegenstandes m itbeteiligt
ist. So gehört es eigentlich und an sich zum Gegenstand
der Tapferkeit, den Gefahren des Todes standzuhalten
und um des G em einwohles w illen den Feind unter Le­
bensgefahr anzugreifen; daß der Mensch aber bewaffnet
ist oder in gerechtem Kriege mit dem Schwerte zuschlägt
oder sonst derartiges tut, wird zwar mit zum Gegenstand
der Tapferkeit gerechnet, jedoch nur außerwesentlich. Die
Bestimmung des Tugendaktes hinsichtlich des eigentüm­
lichen und wesentlichen Gegenstandes der Tugend steht
unter der Unausweichlichkeit des Gebotes, wTie auch der
Tugendakt selbst. D ie Bestimmung aber des Tugendaktes
hinsichtlich dessen, was außerwesentlich oder in zweiter
Linie an dem eigentlichen und w esentlichen Gegenstand
der Tugend m itbeteiligt ist, fällt nicht unter ein zwingen­
des Gebot, es sei denn in Rücksicht auf Ort und Zeit.
Man muß also feststellen, daß das an sich Gegenstand
des Glaubens ist, wrodurch der Mensch selig wdrd (1, 8).

q u a e s t i o 2,5

tur im p ler e dantur de actib us virtu tum qui su nt v ia p e r v en ie n d i


ad sa lu tem . A ctus au tem virtu tis, sic u t su p ra dictum est, su m itu r
secund um h ab itu d in em hab itu s ad objectum . S e d in objecto
cuju slib et virtu tis duo possunt con sid erari: sc ilic et id quod pro­
p rie et p er s e est objectum virtutis, quod n ecessariu m est in
om ni actu virtu tis; et iterum id quod p er accid en s siv e con-
se q u en ter s e h ab et ad propriam ration em ob jecti. S icu t ad ob­
jectum fortitu dinis prop rie et per s e p ertin et su stin ere pericu la
m ortis et a ggred i h ostes cum perieulo propter bonum com m une:
se d quod hom o arm etur v e l e n se percu tiat in b e llo justo, aut
aliq uid hu jusm odi faciat, reducitur qu id em ad objectum forti­
tudinis, se d p er accidens. D eterm in atio igitu r virtu osi actus ad
proprium et p er s e objectum virtu tis est su b n ecessitate prae-
cepti, sicut et ip se v irtu tis actus. S e d d eterm in atio actus virtu osi
ad ea qu ae accid en taliter v e l secu n d ario se hab en t ad proprium
et per se virtu tis objectum non cadit su b n ecessitate p raecepti
n isi pro loco et tem p ore.
D icen dum est ergo quod fid ei objectum p er se est id p e r quod
hom o b eatu s efficitur, ut su p ra dictum est. P er accid en s autem

5 15 65
2, 5 Außerwesentlich aber oder in zweiter Linie ist am Glau-
bensgegenstande alles beteiligt, w as in der Schrift als von
Gott überliefert enthalten ist; z. B. daß Abraham zwei
Söhne hatte, daß David der Sohn Isais war, und anderes
Derartiges. Was nun die erstgenannten Glaubensdinge an­
geht, w elches die Glaubensartikel sind, so ist der Mensch
verpflichtet, sie ausdrücklich für wahr zu halten, w ie er
überhaupt gehalten ist, Glauben zu haben [16]. Hinsicht­
lich der anderen Glaubensdinge aber ist der Mensch nicht
verpflichtet, sie ausdrücklich für wahr zu halten, sondern
nur einschlußweise oder in der Bereitschaft des Geistes,
insofern er bereit ist, alles zu glauben, was die göttliche
Schrift enthält. Aber nur dann ist er gehalten, derartiges
ausdrücklich zu glauben, w enn es für ihn feststeht, daß
es in der Glaubenslehre mitenthalten ist.
Z u l . W enn davon die Rede ist, was der Mensch ver­
möge [oder nicht], unter Ausschluß der Gnadenhilfe, so
ist der Mensch zu vielem gehalten, w as er ohne die w ie­
derherstellende Gnade nicht leisten kann, z. B. Gott und
den Nächsten zu lieben; und ähnlich auch, die Artikel
des Glaubens für wahr zu halten. Aber jedenfalls vermag
er dies mit H ilfe der Gnade. Wem auch immer nun diese
von Gott gegeben wird, dem wird sie aus Erbarmen ge­
geben, wem aber nicht, dem wird sie aus Gerechtigkeit
nicht gegeben, zur Strafe für eine vorausgegangene Sünde,
wenigstens der Urschuld (Augustinus).

Q U A E S T I O 2, s
aut secu n d ario se h ab en t ad objectum f i d e i 1 om nia qu ae in
S crip tura d iv in itu s tradita con tin en tu r: sicu t qu od A braham
hab uit duos filios, quod D avid fu it filiu s Isai, et a lia hujusm odi.
Q uantum ergo ad prim a cred ib ilia, q u ae sunt articuli fidei, te n e ­
tur hom o e x p lic ite cred ere, sicut et ten etu r h ab ere fidem . Q uan­
tum autem ad alia cred ib ilia, non ten etu r hom o e x p lic ite cred ere,
se d solu m im p licite v e l in p raep aration e anim i, inquantum para-
tus est cred ere qu idqu id d ivin a Scriptura continet. S ed tune
solum h u jusm odi ten etu r e x p lic ite cred ere quando hoc e i con-
stiterit in doctrina fid ei contineri.
AD PRIM UM ergo dicen du m quod, s i in p otestate hom inis
esse dicatur aliq uid exclu so a u x ilio gratiae, sic ad m ulta te n e ­
tur hom o ad qu ae non potest sin e gratia rep aran te: sicut ad
d iligen d u m D eum et p roxim u m ; et sim ilite r ad credendum arti­
culos fidei. S e d tarnen hoc potest cum a u x ilio gratiae. Quod
qu idem au x iliu m quibuscu m qu e d ivin itu s datur, m isericorditer
datur; qu ibus autem non datur, e x justitia non datur, in poenam
PL 44/921 p raeced en tis peccati, saltem orig in a lis peccati; ut A u gustin us
cf. 33 dicit in lib. de correp tion e et gratia [cap. 6 ].
860 sq. -----------------
1 P: v irtutis.

66
Z u 2. Der Mensch ist verpflichtet, solche Gegenstände 2, «
der Liebe mit Bestimmtheit zu lieben, die eigentlich und
in sich Gegenstand der [gotthaften] Liebe sind, nämlich
Gott und den Nächsten. Der Einwand geht jedoch von sol­
chen Geboten der Liebe aus, die gleichsam nur in der
Folge eine Beziehung zum Gegenstand der Liebe haben.
Z u 3. D ie Tugend des Gehorsams hat in ausgesproche­
ner W eise ihren Sitz im Willen. Demnach genügt zu einem
Gehorsamsakt die Bereitschaft des W illens gegenüber dem
Gebietenden, die eigentlich und an sieh Gegenstand des
Gehorsams ist. Aber dieses oder jenes bestimmte Gebot
ist nur unwesenhaft oder in der Folge an dem eigent­
lichen und wesenhaften Gebot des Gehorsams mitbeteiligt.

6. ARTIKEL
Sind alle gleicherm aßen verpflichtet zu ausdrücklichem
Glauben?
1. Zu dem, was heilsnotw endig ist, sind alle verpflichtet,
w ie aus dem Gebote der Gottesliebe erhellt. Die Aus­
drücklichkeit des zu Glaubenden aber ist heilsnotwendig
(5. Art.). Also sind alle gleichmäßig gehalten, ausdrücklich
zu glauben.
Q U A E S T I O 2, 8
A D SEC U N D U M dicen du m quod hom o tenetu r ad determ inate
d iligen d u m e a d ilig ib ilia q u a e sunt p rop rie et p er s e caritatis
objecta, scilicet D eu s et proxim us. S e d ob jectio proced it de illis
p raecep tis caritatis q u ae quasi con seq u en ter p ertin en t ad ob­
jectum caritatis.
AD TERTIUM dicen du m quod virtu s o b ed ien tia e proprie in
volun tate consistit. Et id eo a d actum ob e d ie n tia e su fficit prom pti-
tudo volu n tatis s u b je c ta e 1 p ra ecip ien ti, qu ae est proprium et
p er se objectum ob ed ien tia e. S e d hoc praeceptu m v e l illu d per
a ccid en s v e l con seq u en ter se h a b et ad proprium et p er s e ob­
jectum ob ed ien tiae.

ARTICULUS VI
Utrum o m n e s a e q u a l i t e r t e n e a n t u r ad haben-
du m fidem explicitam
[3 S ent., d is t. 25, q. 2, a rt. 1, q a 2, 3 Pt 4; 4, d is t. 24, q. 1, a r t. 3. q a 2;
De v e rit., q. 14, a rt. 11; in H e b r. 11, le c t. 2]
A D SEX TU M sic proceditur. V id etu r quod a eq u a liter om nes
teneantur ad hab en du m fidem exp licitam . A d e a enim qu ae sunt
de n ecessitate sa lu tis om n es ten en tu r: sicut patet de praeceptis
caritatis. S e d ex p lica tio credend oru m est de n ecessita te salu tis,
ut dictum est. Ergo om n es a eq u a liter ten en tu r ad e x p lic ite cre­
dendum .
i L: su b je e ta .

5* 67
2, 6 2. Niemand braucht über solches geprüft zu werden,
was er nicht ausdrücklich zu glauben gehalten ist. Aber
bisw eilen werden auch einfache Menschen über Glaubens­
punkte von geringster Bedeutung geprüft. Also sind alle
verpflichtet, alles ausdrücklich zu glauben.
3. Wenn Untergeordnete nicht zu einem ausdrücklichen,
sondern nur zu einem einschlußw eisen Glauben verpflich­
tet sind, so brauchen sie nur einen im Glauben der Höher­
stehenden eingeschlossenen Glauben zu besitzen. Dies
aber scheint gefährlich; denn es könnte der Fall sein, daß
jene Höhergestellten irrten. Also scheint es, daß die Un­
tergeordneten ebenfalls einen ausdrücklichen Glauben
haben müssen. Demnach sind alle gleichm äßig zu aus­
drücklichem Glauben verpflichtet.
ANDERSEITS heißt es Job 1, 14: „Die Rinder zogen den
Ptlug auf dem Felde; die Eselinnen weideten daneben.“
Das heißt, die Untergeordneten, die mit den Eselinnen
versinnbildet sind, dürfen in dem zu Glaubenden den
Höhergestellten anhängen, die mit den Rindern versinn­
bildet sind (Gregorius).
ANTWORT: Die ausdrückliche Entfaltung des zu Glau­
benden erfolgt durch göttliche Offenbarung. Denn die
Glaubensdinge gehen über die natürliche Vernunft hinaus.
Die göttliche Offenbarung ist aber nach einer gew issen
Ordnung zu den Untergeordneten durch übergeordnete
gelangt, nämlich zu den Menschen durch Engel und zu

QUAESTIO 2, o

2. PRAETEREA, n u llu s d eb et e xam in ari de eo quod exp licite


cred ere non tenetu r. Sed qu and oqu e s im p lic e s 1 exam in antur
de m in im is articulis fidei. Ergo om n es ten en tu r e x p lic ite om nia
credere.
3. PRAETEREA, si m in ores non ten en tu r h ab ere fidem e x p li­
citam , se d solu m im plicitam , oportet quod hab ean t fidem im p li-
citam in fide m ajorum . S ed hoc vid etu r p ericulosu m : quia posset
contingere quod illi m ajores errarent. Ergo vid etu r quod m in o­
r es etiam deb ean t h a b er e fidem exp licitam . S ic ergo om nes
aeq u aliter ten en tu r ad e x p lic ite credendum .
SED CONTRA est quod dicitur Job 1, quod „b oves arabant
et a sin a e pasceban tur ju xta e o s“ : qu ia v id e lic et m inores, qui
sign ifican tu r p er asinos, d eb en t in cred en d is ad h aerere m ajori-
p l 75/878 bus, qui p er b oves significan tur; ut G regoriu s ex p o n it, in 2 Moral,
[cap. 3 0 ],
RESPONDEO dicen du m quod e xp licatio credend oru m fit per
revelation em d ivinain: cred ib ilia enim n atu ralem ration em ex-
cedunt. R e v ela tio au tem d ivin a o rd in e quodam ad in fe rio re s
p erven it per su p eriores: sicut ad h om in es per an gelos, et ad
i L: e tia m sim p lices.

68
den Engeln niederer Ordnung durch Engel höherer Ord­
nung (D ionysius). Und so gebührt es sich denn auch, daß
die Glaubensentfaltung gleichermaßen durch höhergeord­
nete zu den untergeordneten Menschen gelange. W ie also
die höheren Engel, w elche die untergeordneten erleuchten,
eine vollkom m enere Kenntnis in den göttlichen Dingen
besitzen als die untergeordneten (D ionysius), so sind auch
die höhergestellten Menschen, denen es obliegt, die ändern
[im Glauben] zu unterrichten, gehalten, eine vollstän­
digere Kenntnis von dem zu Glaubenden zu besitzen und
in höherem Maße ausdrücklich zu glauben.
Z u l . D ie ausdrückliche Entfaltung des zu Glaubenden
ist nicht gleicherm aßen in bezug auf alle heilsnotwendig.
Denn mehr sind die Höherstehenden ausdrücklich zu glau­
ben verpflichtet, denen das Amt anvertraut wurde, andere
zu unterrichten, als diese anderen.
Z u 2. Einfache M enschen sind über Feinheiten des
Glaubens nicht zu prüfen, außer wenn ein Verdacht besteht,
sie könnten von Häretikern verdorben sein, denn diese
pflegen gerade in dem, was zur Feinheit des Glaubens
gehört, den Glauben der Einfältigen zu verderben. Findet
man freilich, daß sie der verkehrten Lehre nicht hartnäckig
anhängen, so wird es ihnen nicht angerechnet, falls sie
in solchem nur aus Einfalt versagen [17].
Z u 3. Die Leute aus dem Volke besitzen nur insofern
einen im Glauben der H öhergestellten eingeschlossenen

Q U A E S T I O 2, ii
in ferio res an gelos per su p eriores, ut patet per D ionysiu m in PG 3,182.
C oelest. hierarch. [cap. 4, 7, 8 ]. Et id eo, pari ratione exp licatio 210 239 sqq.
Sol. 11/812
fidei oportet quod p erv en ia t ad in ferio res h om in es p er m ajores. 853, 881 f.
Et id eo sicut su p e rio r es an g eli, qui in fe rio re s illum inan t, habent
p len iorem notitiam de rebus d iv in is quam in feriores, ut dicit
D ionysiu s [C oelest. hierarch . cap. 1 2 ], ita etiam su p erio res ho­ PG 3/291
m ines, ad quos p ertin et alios eru dire, ten entur h ab ere pleniorem Sol II
93« f.
notitiam de cred en d is et m agis e x p lic ite cred ere.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod e xp licatio credend oru m non
a e q u a liter q u antu m ad om n es est de n e c essita te sa lu tis: quia
plu ra ten en tu r e x p lic ite cred ere m ajores, qui h ab en t officium
alios instruend i, quam alii.
A D SEC U N D U M dicen du m quod sim p lice s non su nt exam i-
nandi de su b tilitatib u s fid ei n isi quando hab etu r su sp icio quod
sin t ab h a e r e tic is d ep ra v a ti, q u i in h is q u ae ad su b tilitatem
fid e i p ertin en t so len t fidem sim p liciu m d epravare. S i tarnen in-
ven iu n tu r n on pertin aciter p erv ersa e doctrinae a d h aerere, s i in
talib u s e x sim p licitate deficiant, non e is im putatur.
A D TERTIUM dicen du m quod m in ores non h ab en t fidem
im plicitam in fide m ajorum n isi qn aten us m ajores adh aerent

69
2,7 Glauben, als diese wirklich der göttlichen Lehre anhän-
gen. Daher sagt auch der A postel 1 Kor 4, 16: „Werdet
m eine Nachahmer, w ie auch ich Christi.“ So wird nicht
menschliches Erkennen Richtschnur des Glaubens, son­
dern die göttliche Wahrheit. Wenn dann Höhergestellte
von ihr abweichen, so tut dies dem Glauben der Einfäl­
tigen keinen Eintrag, die glauben, jene besäßen den rech­
ten Glauben, es sei denn, sie würden hartnäckig in diesem
oder jenem Punkt den Irrtümern jener anhängen gegen
den Glauben der gesamten Kirche, der nicht versagen
kann, gemäß dem Worte des Herrn Luk 22, 32: „Ich habe
für dich gebetet, Petrus, daß dein Glaube nicht versage.“

7. A R T I K E L
Ist es für alle heilsnotwendig, das Geheim nis Christi aus­
drücklich zu glauben?
1. Der Mensch ist nicht verpflichtet, solches, wovon die
Engel kein W issen haben, ausdrücklich zu glauben; denn
die Entfaltung des Glaubens erfolgt durch göttliche Offen­
barung, die durch Vermittlung der Engel an die Men­
schen gelangt (Art. 6). Aber auch die Engel haben das

QUAESTI O 2, 7
doctrinae d iv in a e: u n de et A p ostolus dicit 1 ad Cor. 4: „Im i-
tatores m ei estote, sicu t et ego C hristi.“ U n d e h u m ana cognitio
non fit regu la fidei, se d verita s divina. A qua si aliq u i m ajoruni
deficiant, non p raejudicat fidei sim p liciu m , qui e o s rectam fidem
hab ere credunt, n isi pertin aciter eorum erroribus in particulari
ad h aerean t contra u n iv e r sa lis E cclesiae fidem , q u a e n on potest
deficere, D om ino dicen te Luc. 22: „Ego pro te rogavi, P etre, ut
non d eficia t fides tu a .“

ARTICULUS VI I
Utrum explicite credere mysterium Christi
sit de n e c e s s i t a t e s a l u t i s a p u d o m n e s
[3 S en t., d ist. 25, q. 2, a r t. 2, q a 2; 4, d is t. 6, q. 2, a r t. 2, q a 1 Corp.;
De v e rit., q . 14, a r t. 11; H e b r. 11, le c t. 2]

A D SEPTIM U M sic proceditur. V id etu r quod cred ere e x p li­


cite m ysteriu m In c a r n a tio n is1 Christi non sit d e n ecessita te sa lu ­
tis apu d o m n es. Non en im ten etu r hom o e x p lic ite c re d e re ea
q u a e a n g e li ignorant: q u ia e x p lic a tio fid ei fit p e r rev ela tio n em
divinam , qu ae p erven it ad h om in es m ed ian tib u s a n g elis, ut d ic­
tum est. S ed etiam a n g e li m ysterium In carnationis ig n o r a v er u n t:
i L: om.

70
Geheimnis der Fleischwerdung nicht gekannt; daher frag­
ten sie Ps 24 (23), 8: „Wer ist dieser König der Herrlich­
keit?“ und Is 63, 1: „Wer ist der, der von Edom kommt?“
(D ionysius). Also waren die Menschen nicht zum aus­
drücklichen Glauben an das Geheimnis der Fleischw er­
dung verpflichtet.
2. Gewiß gehörte der selige Johannes der Täufer zu den
Höhergeordneten und war Christus sehr nahe; von ihm
sagt der Herr Matth 11, 11: „Bei denen, die vom W eib
geboren sind, ist nie ein Größerer aufgestanden als er.“
Aber Johannes der Täufer scheint das Geheimnis Christi
nicht ausdrücklich erkannt zu haben, da er Christus
fragte: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir
auf einen anderen warten?“, w ie es Matth 11, 3 heißt. Also
waren auch Höhergeordnete nicht verpflichtet, einen aus­
drücklichen Glauben von Christus zu haben.
3. Manche von den H eiden haben durch den helfenden
Dienst der Engel das H eil erlangt (D ionysius). D iese H ei­
den aber haben offensichtlich keinen Glauben von Chri­
stus gehabt, w eder einen ausdrücklichen noch einen ein­
schlußweisen, da ihnen keine Offenbarung geworden ist.
Also scheint es, daß es nicht für alle zum H eile unumgäng­
lich war, ausdrücklich das Geheim nis Christi zu glauben.
ANDERSEITS sagt Augustinus: „D ies ist der gesunde
Glaube, in dem wir glauben, kein Mensch, sei es höheren,
sei es geringen Alters, bleibe von der Berührung des

QUAESTIO 2, 7

unde quaerebant in Psalmo: „Quis est iste R ex gloriae?“


et Is. 63: „Quis est iste qui venit de Edom?“ ut Dionysius expo- PG 3/210
nit [Coel. hierarch. cap. 7 ]. Ergo ad credendum explicite myste­ Sol II
854 f.
rium Incarnationis homines non tenebantur.
2. PRAETEREA, constat ibeatum Joannem Baptistam de majo-
ribus fuisse, et propinquissimum Christo, de quo Dominus dicit,
Matth. 11, quod „inter natos m ulierum nullus major eo surre-
x it“. Sed Joannes Baptista non videtur Christi mysterium ex ­
plicite cognovisse: cum a Christo quaesierit: „Tu es qui venturus
es, an alium expectam us?“ ut habetur Matth. 11. Ergo non ten e­
bantur etiam majores ad habendam explicite fidem de Christo.
3. PRAETEREA, multi gentilium adepti sunt salutem per mi-
nisterium angelorum : ut Dionysius dicit [Coelest.hierarch. cap.9 ]. PG 3/262
Sed gentiles non habuerunt fidem de Christo nec explicitam , nec Sol. 11/910
im plicitam , ut videtur, quia nulla eis revelatio facta est. Ergo
videtur quod credere explicite Christi mysterium non fuerit
omnibus necessarium ad salutem.
SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in libro de correp- PL 44/923
tione et gratia [cap. 7 ]: „lila fides sana est qua credimus nullum cf. 33/858
hominem, sive m ajoris sive parvae aetatis, liberari a contagio

71
2, 7 Todes und der Gebundenheit durch die Sünde befreit
außer durch den einen Mittler zwischen Gott und den
Menschen, Jesus Christus.“
ANTWORT: Dasjenige gehört eigentlich und an sich
zum Gegenstand des Glaubens, wodurch der Mensch die
Beseligung erlangt (Art. 5; 1, 6 Zu 1 u. 1, 8). Der Weg
aber, um zur Beseligung zu gelangen, ist für die Menschen
das Geheim nis der Fleischwerdung und des Leidens
Christi; denn es heißt Apg 4, 12: „Keinen ändern Namen
gibt es, der uns Menschen gegeben wäre, in dem wir selig
werden könnten.“ Also mußte das Geheim nis der Fleisch­
werdung Christi irgendwie zu jeder Zeit bei allen im
Glauben angenommen sein, verschiedenartig freilich, je
nach der Verschiedenheit der Zeiten und Personen.
Denn vor dem Zustand der Sünde hatte der Mensch
zwar einen ausdrücklichen Glauben hinsichtlich der
Fleischwerdung Christi, sofern sie auf die Vollendung der
Herrlichkeit hingeordnet war, nicht aber sofern sie der
Befreiung von der Sünde durch Leiden und Auferstehung
galt, w eil der Mensch kein Vorausw issen der künftigen
Sünde besaß. Die Fleischwerdung Christi scheint er aber
vorausgewußt zu haben, nach folgendem Wort, das er ge­
sprochen hat: „Darum verläßt der Mann Vater und Mutter
und hängt seinem W eibe an“, w ie es Gn 2, 24 heißt, und
davon sagt der A postel Eph 5, 32, es sei „ein großes Ge­
heim nis in Christus und der K irche“ ; es ist aber nicht

QUAESTIO 2, ;

mortis et obligatione peccati nisi per unum mediatorem D ei et


hominum Jesum Christum.“
RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est, illud pro­
prie et per se pertinet ad objectum fidei per quod homo beati-
tudinem consequitur. V ia autem hominibus veniendi ad beati-
tudinem est m ysterium incarnationis et passionis Christi: dicitur
enim Act. 4: „Non est aliud nomen datum hominibus in quo
oporteat nos salvos fieri.“ Et ideo mysterium Incarnationis Christi
aliqualiter oportuit omni tempore esse creditum apud omnes:
diversimode tarnen secundum diversitatem temporum et perso­
narum.
Nam ante statum peccati homo habuit explicitam fidem de
Christi incarnatione, secundum quod ordinabatur ad consum-
mationem gloriae: non autem secundum quod ordinabatur ad
liberationem a peccato per passionem et resurrectionem, quia
homo non fuit praescius peccati futuri. Videtur autem Incar­
nationis Christi praescius fuisse per hoc quod dixit: „Propter
hoc relinquet homo patrem et matrem et adhaerebit uxori su a e“,
ut habetur Gen. 2, et hoc Apostolus, ad Ephes. 5, dicit „saeramen-

72
glaubhaft, daß der erste Mensch dieses Geheimnis nicht 2, 7
gekannt habe [18].
Nach dem Sündenfall aber ist das Geheimnis Christi
ausdrücklich geglaubt worden, nicht nur hinsichtlich der
Fleischwerdung, sondern auch hinsichtlich des Leidens
und der Auferstehung, durch welche das Menschen­
geschlecht von Sünde und Tod erlöst wird. Denn sonst
hätte man Christi Leiden nicht durch Opfer, vor dem
Gesetze und unter dem Gesetze, sinnbildlich vorwegge­
nommen, Opfer, deren Bedeutung die Höhergeordneten
ausdrücklich erkannten; die Leute aus dem Volke aber
besaßen unter dem Schleier jener Opfer, da sie glaubten,
sie seien von Gott in Hinsicht auf den kommenden Chri­
stus angeordnet, in gew isser W eise eine verschleierte
Erkenntnis. Und w ie oben (1,7) gesagt, erkannten sie das,
was auf das Geheimnis Christi Bezug hat, um so deut­
licher, je näher sie Christus waren.
Seit der Offenbarung der Gnade aber sind sowohl die
Höhergeordneten als auch die einfachen Menschen ver­
pflichtet, einen ausdrücklichen Glauben vom Geheimnis
Christi zu haben, namentlich hinsichtlich dessen, was in
der Kirche allgem ein gefeiert und öffentlich vorgelegt
wird, w ie die Artikel von der Fleischwerdung, von denen
oben (1, 8) die Rede war. Andere genaue Erläuterungen
aber über die Artikel von der Fleischwerdung sind nur

q u a e s t i o 2, t

tum magnum esse in Christo et Ecclesia“ ; quod quidem sacra-


mentum non est credibile primum hominem ignorasse.
Post peccatum autem fuit explicite creditum mysterium Christi
non solum quantum ad incarnationem, sed etiam quantum ad
passionem et resurrectionem, quibus humanum genus a peccato
et morte liberatur. Aliter enim non praefigurassent Christi pas­
sionem quibusdam sacrificiis et ante legem et sub lege. Quorum
quidem sacrificiorum signiflcatum explicite majores cognosce-
bant: minores autem sub velam ine illorum sacrificiorum, cre-
dentes ea divinitus esse disposita de Christo venturo, quodam-
modo habebant velatam eognitionem. Et sicut supra dictum est,
ea quae ad mysteria Christi pertinent tanto distinctius 1 cogno-
verunt, quanto Christo propinquiores fuerunt.
Post tempus autem gratiae revelatae tarn majores quam mi­
nores tenentur habere fidem explicitam de m ysteriis Christi; prae-
cipue quantum ad ea quae com m uniter in Ecclesia solem nizan-
tur et publice proponuntur, sicut sunt articuli Incarnationis, de
quibus supra dictum est. A lias autem subtiles considerationes
circa Incarnationis articulos tenentur aliqui magis vel minus ex-
1 P : ta n to d ifficiliu s c o g n o v e ru n t q u a n to a C h risto re m o tio res fu e ru n t
e t ta n to fa c iliu s.

6 15 73
2, 7 einige mehr oder weniger ausdrücklich zu glauben ver­
pflichtet, entsprechend dem Stande oder dem Amte eines
j eden.
Z u l . „Den Engeln blieb das Geheim nis des Reiches
Gottes nicht gänzlich verborgen“ (Augustinus). Gewisse
W esenszüge dieses G eheim nisses jedoch erkannten sie
durch die Offenbarung Christi vollkommener.
Z u 2. Johannes der Täufer hat die Frage über das
Kommen Christi im Fleische nicht gestellt, als ob er dar­
über in Unkenntnis gew esen wäre, denn er hat es selbst
ausdrücklich bekannt mit den Worten: „Das habe ich ge­
sehen und bezeugt: Der da ist Gottes Sohn“, w ie es Jo 1, 34
heißt. Daher hat er auch nicht gesagt: „Bist Du es, der
gekommen ist?“, sondern: „Bist Du es, der da kommen
soll?“, so daß er fragte über Künftiges, nicht über Ver­
gangenes. — Ähnlich ist nicht anzunehmen, er habe nicht
gewußt, daß Er leiden werde; er selbst hatte ja, Seinen
künftigen Opfertod vorausverkündigend, gesagt: „Sehet
das Lamm Gottes, das die Sünden der W elt hinw eg­
nimmt“ (Jo 1, 29). Jedoch sind auch die anderen Pro­
pheten darüber nicht in Unkenntnis gew esen, sondern
haben es schon früher vorausgesagt, w ie es vor allem
bei Is 53 offenkundig ist. — Man kann also, wie Gregorius
meint, sagen: er hat die Frage gestellt, w eil er nicht
wußte, ob Er mit eigener Person in die Unterwelt hinab-

QUAESTIO 2,1

plicite credere secundum quod convenit statui et officio unius-


cujusque.
AD PRIMUM ergo dicendum quod „angelos non omnino latuit
PL 34/334 mysterium regni D e i“, sicut Augustinus dicit 5 super Gen. ad
28 /r62 fcaP' ^ ‘ Quasdam tarnen rationes hujus mysterii perfectius
cognoverunt, Christo revelante.
AD SECUNDUM dicendum quod Joannes Baptista de adventu
Christi in carnem non quaesivit quasi hoc ignoraret: cum ipse hoc
exp resse confessus fuerit, dicens. „Ego vidi, et testimonium per-
hibui, quia hic est F iliu s D ei“, ut habetur Joan. 1. Unde non diixit:
„Tu es qui venisti?“ sed: „Tu es qui venturus es? “ quaerens de
futuro, non de praeterito. — Sim iliter non est credendum quod
ignoraverit eum ad passionem venturum : ipse enim dixerat:
„Ecce Agnus D ei, ecce qui tollit peccata m undi“, praenuntians
ejus im molationem futuram; et tarnen hoc prophetae alii etiam
non ignoraverunt, sed ante praedixerunt,1 sicut praecipue patet
in Isaiae 53. — Potest ergo dici, sicut Gregorius dicit [hom. 6
PL 76 in Evang.], quod inquisivit ignorans an ad infernum esset in
1095 sq. propria persona descensurus. Sciebat autem quod virtus passionis

t L: e t cu m h o c p ro p h e ta e a lii a n te p ra e d ix e rin t.

74
steigen werde. Doch wußte er, daß die Kraft Seines Lei­
dens auch die erreichen mußte, die in der Unterwelt fest­
gehalten waren, nach Zach 9, 11: „Ja, im Blute Deines
Bundes hast Du die Gefangenen befreit aus der wasser­
leeren Grube.“ Doch war er nicht verpflichtet, dies aus­
drücklich zu glauben, ehe erfüllt war, daß Er in eigener
Person hinabsteigen sollte.
Man könnte auch sagen, w ie es Ambrosius tut, wo er
Luk 7, 18 erklärt, er habe nicht im Zw eifel oder aus Un­
w issenheit gefragt, sondern mehr aus Ergebenheit. —
Oder, w ie Chrysostomus sagt, er habe nicht gefragt, als
ob er selbst unwissend! gew esen wäre, sondern damit
durch Christus seinen Schülern die Frage gelöst werde.
Daher hat auch Christus zur Belehrung seiner Schüler
geantwortet unter Hinweis auf die Wunder Seiner Werke.
Z u 8. Manchen Heiden ist eine Offenbarung über Chri­
stus geworden, w ie aus dem oben Gesagten erhellt. Denn
Job 19, 25 heißt es: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt.“
Auch die Sibylle hat, w ie Augustinus berichtet, Gewisses
über Christus vorausverkündigt. Ebenso findet sich in den
Geschichtsbüchern der Römer, zur Zeit des Kaisers Kon­
stantin [VI.] und seiner Mutter Irene [II.] sei man auf
ein Grab gestoßen, in dem ein Mensch lag mit einer Gold­
platte auf der Brust, worauf geschrieben stand: „Christus

QUAESTIO 2, 1

ejus extendenda erat usque ad eos qui in limbo detinebantur:


secundum illud Zach. 9, 11: „Tu quoque in sanguine testamenti
tui em isisti vinctos de lacu in quo non est aqua.“ Nec hoc tene-
batur explicite credere, antequam esset impletum, quod per seip-
sum deberet descendere.
V el potest dici, sicut Ambrosius dicit, super Luc. [lib. 5, in PL 15/1748
cap. 7 ], quod non inquisivit ex dubitatione seu ignorantia, sed CSEL
32 IV/221
magis ex pietate. — V el potest dici, sicut Chrysostomus dicit PG 57/414 sq.
[hom. 36 in Matth.], quod non inquisivit, quia 1 ipse ignoraret:
sed ut per Christum satisfieret ejus discipulis. Unde et Christus
ad discipulorum instructionem respondit, signa operum osten-
dens.
AD TERTIUM dicendum quod multis gentilium facta fuit reve-
latio de Christo: ut patet per ea quae praedixerunt. Nam Job 19
dicitur: ,.Scio quod Redemptor meus vivit.“ Sibylla etiam prae-
nuntiavit quaedam de Christo, ut Augustinus dicit [Cont. Faust, PL 42/290
lib. 13, cap. 15], Invenitur etiam in historiis Romanorum quod CSEL
25 1/394
tempore Constantini Augusti et Irenae matris ejus inventum
fuit quoddam sepulcrum in quo jacebat homo auream laminam
habens in pectore in qua scriptum erat: „Christus nascetur ex
1 L : quaesiv it, q uasi.

6* 75
2,8 wird aus einer Jungfrau geboren werden, und ich glaube
an Ihn. Sonne, zur Zeit Irenes und Konstantins wirst du
mich Wiedersehen.“
Wenn dennoch einige erlöst worden sind, ohne daß
ihnen eine Offenbarung geworden ist, so wurden sie doch
nicht erlöst ohne den Glauben an den Mittler. Hatten sie
nämlich auch keinen ausdrücklichen Glauben, so hatten
sie doch einen einschlußw eisen in dem Glauben an die
göttliche Vorsehung, indem sie glaubten, Gott sei der Er­
löser der Menschen nach der Ihm jew eils gefallenden Weise
und gemäß dem, w as Er selbst einigen, w elche die Wahr­
heit zu erkennen suchten, offenbare: nach Job 35, 11: „Er
belehrt uns mehr als die Tiere des F eldes.“

8. A R T I K E L
Ist es heilsnotwendig, die D reifaltigkeit ausdrücklich zu
glauben?
1. Es sagt der Apostel Hebr 11, 6: „Wer Gott naht, muß
glauben, daß Er ist, und daß Er denen, die Ihn suchen,
ein Vergelter ist.“ Dies aber kann man glauben ohne den

QUAESTIO 2, s

V irgine et ego credo in eum. O Sol, sub Irenae et Constantini


temporibus iterum m e videbis.“ 1
Si qui tarnen salvati fuerunt quibus revelatio non fuit facta,
non fuerunt salvati absque fide Mediatoris. Quia etsi non habue-
runt fidem explicitam , habuerunt tarnen fidem implicitam in
divina providentia, credentes Deum esse liberatorem hominum
secundum modos sibi placitos et secundum quod aliquibus veri­
tatem cognoscentibus S p iritu s2 revelasset: secundum illud
■Job 35: „Qui docet nos super jum enta terrae.“

A R T I C U L U S VIII
U t r u m e x p l i c i t e c r e d e r e T r i n i t a t e m sit de
necessitate salutis
[3 S en t., d is t. 25, q. 2, a r t. 2, q a 4 c o rp . e t a d 1, e t in E xpos, litt;
4 S e n t., d is t. 6, q. 2, a rt. 2, q a 1' Corp.; De v e rit., q. 14, a rt. 11]

AD OCTAVUM sic proceditur. Videtur quod credere Trini­


tatem explicite non fuerit de necessitate salutis. Dicit enim
Apostolus ad Hebr. 11: „Credere oportet accedentem ad Deum
quia est, et quia inquirentibus se rem unerator est.“ Sed hoc po-
1 T h e o p h a n is C h ro n o g ra p h ia [Ree. C. d e B oor. I. 455. II, 302] z u m J a h re
773 (780); PG 108/918.
- f.: ipse.

76
Glauben an die Dreifaltigkeit. Mau mußte also keinen aus- 2, s
drücklichen Glauben an die Dreifaltigkeit haben.
2. Der Herr sagt Jo 17, 6: „Vater, Ich habe den Men­
schen Deinen Namen kundgetan“, zu dessen Erklärung
Augustinus sagt: „Nicht jenen Deiner Namen, durch den
Du Gott heißest, sondern jenen, durch den Du Mein Vater
genannt wirst“; und später fügt er noch hinzu: „Darin, daß
Gott diese W elt geschaffen hat, war Er unter allen Völ­
kern bekannt; darin, daß Er nicht zusammen mit falschen
Göttern anzubeten ist, war Er als Gott in Judaea bekannt;
darin aber, daß Er der Vater dieses Christus ist, durch
welchen Er die Sünde der Welt hinwegnimmt, hat Er den
Menschen diesen Seinen Namen, ehedem verborgen, jetzt
kundgetan.“ Vor der Ankunft Christi also war nicht er­
kannt, daß in der Gottheit Vaterschaft und Sohnschaft sei.
Demnach gab es keinen ausdrücklichen Glauben an die
Dreifaltigkeit.
8. Dasjenige sind wir gehalten in Gott ausdrücklich zu
glauben, was Gegenstand der Beseligung ist. Gegenstand
der Beseligung aber ist die höchste Gutheit, die in Gott
auch ohne Unterscheidung der Personen eingesehen wer­
den kann. Also war es nicht unumgänglich, ausdrücklich
die Dreifaltigkeit zu glauben.
ANDERSEITS ist im Alten Testament die Dreiheit der
Personen vielfach zum Ausdruck gebracht. So heißt es
gleich im Anfang, Gn 1, 26, zur Andeutung der Drei-

QUAESTI O 2, 8
test credi absque fide Trinitatis. Ergo non oportebat explicite
fidem de Trinitate habere.
2. PRAETEREA, Dominus dicit Joan. 17: „Pater, m anifestavi
nomen tuum hom inibus“ : quod exponens Augustinus [tract. 106 PL 35/1909
in Joan.] dicit: „Non illud nomen tuum quo vocaris Deus, sed
illud quo vocaris Pater m eus“ ; et postea subdit etiam : „In hoc
quod Deus fecit hunc mundum, notus in omnibus gentibus; in
hoc quod non est cum diis falsis colendus, notus in Judaea Deus;
in hoc vero quod Pater est hujus Christi per quem tollit peccatum
mundi, hoc nomen ejus, prius occultum, nunc manifestavit eis.“
Ergo ante Christi adventum non erat cognitum quod in deitate
esset paternitas et filiatio. Non ergo Trinitas explicite crede-
batur.
3. PRAETEREA, illud tenem ur explicite credere in Deo quod
est beatitudinis objectum. Sed objectum beatitudinis est bonitas
summa, quae potest intelligi in Deo etiam sine Personarum
distinctione. Ergo non fuit necessarium explicite credere Trini-
tatem.
SED CONTRA est quod in veteri Testamento multipliciter ex-
pressa est trinitas Personarum, sicut statim in principio Gen.
dicitur, ad expressionem Trinitatis: „Faciamus hom inem ad

77
2, 8 faltigkeit: „Lasset uns den Menschen machen nach unserm
Bild und Gleichnis.“ Also war es von Anfang an heilsnot­
wendig, die Dreifaltigkeit zu glauben [19].
ANTWORT: Das Geheim nis Christi kann man nicht aus­
drücklich glauben ohne den Glauben an die D reifaltigkeit;
denn im Geheim nis Christi ist das mitenthalten, daß der
Sohn Gottes Fleisch angenommen, daß Er durch die Gnade
des H eiligen G eistes d ie W elt erneuert hat, und ebenso,
daß Er vom H eiligen Geiste empfangen worden ist. W ie
also das G eheim nis Christi vor Christus zwar von Höher­
geordneten ausdrücklich geglaubt worden ist, von den
Untergeordneten aber nur einschlußw eise und gleichsam
umschattet, so auch das Geheim nis der Dreifaltigkeit. Und
demnach sind auch seit der allgem einen Offenbarung der
Gnade alle zum ausdrücklichen Glauben an das Geheimnis
der Dreifaltigkeit verpflichtet. A lle, die in Christus neu
geboren werden, erlangen dies durch die Anrufung der
Dreifaltigkeit, nach Mt 28, 19: „Gehet hin und lehret alle
Völker: taufet sie auf des Vaters und des Sohnes und des
H eiligen Geistes Namen.“
Z u l . Jene beiden Dinge von Gott ausdrücklich zu
glauben, war jederzeit und für alle unumgänglich, ist je­
doch nicht jederzeit und für alle ausreichend.
Z u 2. Vor Christi Ankunft war der Glaube an die D rei­
faltigkeit im Glauben der Höhergeordneten verborgen.

Q ü A E S T .I O 2, s

im aginem et sim ilitudinem nostram.“ Ergo a principio de neces­


sitate salutis fuit credere Trinitatem explicite1.
RESPONDEO dicendum quod mysterium Christi explicite credi
non potest sin e fide Trinitatis: quia in mysterio Christi hoc con­
tinetur quod Filius D ei carnem assumpserit, quod per gratiam
Spiritus Sancti mundum renovaverit, et iterum quod de Spiritu
Sancto conceptus fuerit. Et ideo eo modo quo mysterium Christi
ante Christum fuit quidem explicite creditum a majoribus, im pli­
cite autem et quasi obumbrate a minoribus, ita etiam et mysterium
Trinitatis. Et ideo etiam post tempus gratiae divulgatae tenen­
tur omnes ad explicite credendum mysterium Trinitatis. Et om­
nes qui renascuntur in Christo hoc adipiscuntur per invocationem
Trinitatis: secundum illud Matth, ult.: „Euntes, docete onmes
gentes, baptizantes eos in nom ine Patris et F ilii et Spiritus
Sancti“.
AD PRIMUM ergo dicendum quod illa duo explicite credere
de D eo omni tempore et quoad omnes necessarium fuit. Non
tarnen est sufficiens omni tempore et quoad omnes.
AD SECUNDUM dicendum quod ante Christi adventum fides
i L: om .

78
Aber nach Christi W eisung ist er der Welt durch die 2, 9
Apostel kundgetan worden.
Z u 3. D ie höchste Gutheit Gottes kann in der Art, w ie
sie jetzt durch ihre W irkungen eingesehen wird, in Ab-
sehung von der Dreiheit der Personen eingesehen werden.
Aber sofern Sie in Sich selbst erkannt wird, w ie Sie von
den Seligen geschaut wird, kann Sie ohne die Dreiheit
der Personen nicht eingesehen werden. Und anderseits
führt uns erst die Entsendung der göttlichen Personen
zur Beseligung.
9. ARTIKEL
Ist glauben verdienstlich?
1. Ursprung des Verdienstes ist die Liebe (I— II 114,
4: Bd. 14). Der Glaube aber ist nur Voraussetzung der
Liebe, so w ie auch die Natur. W ie also ein Akt der Natur
nicht verdienstlich ist (denn mit natürlichen Fähigkeiten
erwerben wir keine V erdienste), so auch nicht ein Akt
des Glaubens.
2. Glauben ist ein Mittleres zwischen Meinen und W is­
sen oder Nachdenken über Gewußtes. W issendes Nach­
denken aber ist nicht verdienstlich; ähnlich auch nicht
Meinen. A lso ist auch Glauben nicht verdienstlich.
q u a e s t i o 2, 0
Trinitatis erat occulta in fide majoruni. Sed per Christum mani-
festata est mundo per Apostolos.1
AD TERTIUM dicendum quod summa bonitas D ei secundum
modum quo nunc intelligitur per efiectus, potest in telligi absque
trinitate Personarum. Sed secundum quod intelligitur in seipso,
prout videtur a beatis, non potest intelligi sin e trinitate Perso­
narum. Et iterum ipsa m issio 2 Personarum divinarum perducit
nos in beatitudinem.

A R T I C U L U S IX
Utrum c r e d e r e sit me r i t o r i u m
[III 7, 3 a d 2; 3 S en t., d is t. 24, a rt. 3, q a 2: De v e rit. q. 14, a rt. 3;
De p o t., q. 6, a r t. 9; in H e b r. 11, le c t. 1]
AD NONUM sic proceditur. Videtur quod credere non sit m eri­
torium. Principium enim m erendi est caritas, ut supra dictum
est. Sed fides est praeambula ad caritatem, sicut et natura. Ergo
sicut actus naturae non est m eritorius (quia naturalibus non
m erem ur), ita etiam nec actus fidei.
2. PRAETEREA, credere medium est inter opinari et scire vel
considerare scita. Sed consideratio scientiae non est meritoria;
sim iliter autem nec opinio. Ergo etiam neque credere est m eri­
torium.
1 P : e t p e r A postolos.
2 P : visio.

79
2, 9 3. Wer im Glauben einer Sache beistimmt, hat entweder
einen Grund, der ihn hinreichend zum Glauben bestimmt,
oder nicht. Hat er einen hinreichenden Bestimmungsgrund
zum Glauben, so ist letzteres offensichtlich für ihn nicht
verdienstlich, w eil es ihm ja nicht mehr freisteht, zu glau­
ben oder nicht zu glauben. Hat er aber keinen ausreichen­
den Bestimmungsgrund zum Glauben, so ist es leichtfertig,
zu glauben, nach Sir 19, 4: „Wer schnell glaubt, ist leicht­
sinnig“, und also scheint es nicht verdienstlich. Glauben
also ist keinesfalls verdienstlich.
ANDERSEITS heißt es Hebr 11, 33: D ie H eiligen „er­
langten im Glauben Verheißungen“. Dies aber wäre nicht
der Fall, w enn sie es nicht durch Glauben verdienten. Also
ist das Glauben selbst verdienstlich.
ANTWORT: U nsere Akte sind verdienstlich, sofern sie
aus unserem freien W ollen hervorgehen, das von Gott
durch die Gnade bew egt ist (I—II 114, 3: Bd. 14). Dem ­
nach kann jeder m enschliche Akt, der dem freien W ollen
unterliegt, falls er auf Gott bezogen ist, verdienstlich sein.
Glauben an sich aber ist ein Akt des Verstandes, in w el­
chem dieser auf Geheiß des von Gott durch die Gnade
bewegten W illens der göttlichen Wahrheit beistim m t; er
unterliegt also freier Entscheidung in Hinordnung auf
Gott. Demnach kann der Glaubensakt verdienstlich sein.
Z u l . Die Natur steht zur Liebe, die der Ursprung
des V erdienstes ist, im Verhältnis w ie der Stoff zur We-
QUAESTIO?, o

3. PRAETEREA, ille qui assentit alicui rei credendo aut habet


causam sufficienter inducentem ipsum ad credendum, aut non.
Si habet sufficiens inductivum ad credendum, non videtur hoc
ei esse meritorium: quia non est ei jam liberum credere et non
credere. S i autem non habet sufficiens inductivum ad creden­
dum, levitatis est credere, secundum illud Eccli. 19, „Qui cito
credit levis est corde“ : et sic non videtur esse meritorium. Ergo
credere nullo modo est meritorium.
SED CONTRA est quod dicitur ad Hebr. 11, quod sancti „per
fidem adepti sunt reprom issiones“. Quod non esset nisi credendo
mererentur. Ergo ipsum credere est meritorium.
RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est, actus
nostri sunt meritorii inquantum procedunt ex libero arbitrio
moto a Deo per gratiam. Unde omnis actus huinanus qui subji-
citur libero arbitrio, si sit relatus in Deum, potest meritorius
esse. Ipsum autem credere est actus intellectus assentientis veri-
tati divinae ex im perio voluntatis a Deo motae per gratiam, et
sic subjacet libero arbitrio in ordine ad Deum. Unde actus fidei
potest esse meritorius.
AD PRIMUM ergo dicendum quod natura comparatur ad cari-
tatem, quae est merendi principium, sicut materia ad formam.

80
sensform, der Glaube aber zur Liebe w ie die Bereitung, 2, 9
die der letzten Formung vorausgeht. Es ist aber offensicht­
lich, daß das Tragende oder der W esensstoff nicht wirken
kann außer in Kraft der W esensform, und ebenso nicht
die vorausgehende Bereitung, bevor die W esensform
hinzukommt. Wenn aber einmal die W esensform hinzu­
gekommen ist, wirkt sowohl der Untergrund als die vor­
ausgehende Bereitung in Kraft der Form, die der Haupt-
wirkgrund ist, so w ie beim Feuer die Wärme in Kraft
seiner W esensform wirkt. So vermögen also weder die
Natur noch der Glaube ohne Liebe einen verdienstlichen
Akt hervorzubringen; kommt aber die Liebe hinzu, so
wird der Glaubensakt durch die Liebe verdienstlich, w ie
ebenso ein Akt der Natur und des natürlichen freien
W ollens [20],
Z u 2. Beim W issen kann man zw eierlei ins Auge fas­
sen, nämlich die eigentliche Beistimmung des W issenden
zu dem Gewußten, und die betrachtende Erwägung des
Gewußten. D ie im W issen gegebene Beistimmung aber
unterliegt nicht freier Entscheidung, denn der W issende
sieht sich durch die Durchschlagskraft der Beweisführung
zur Beistimmung genötigt. Also ist die im W issen gegebene
Beistimmung nicht verdienstlich. Dagegen unterliegt die
getätigte Erwägung des Gewußten dem freien Willen;
denn es liegt in dem Vermögen des Menschen, nachzu­
denken oder nicht nachzudenken. Also kann das w issende
Erwägen verdienstlich sein, wenn es auf das Ziel der
Liebe, d. h. auf die Ehre Gottes oder auf das Wohl des
q u a e s t i o 2,0
Fides autem comparatur ad caritatein sicut dispositio praecedens
ultimam formam. Manifestum est autem quod subjectum vel
materia non potest agere nisi virtute form ae, neque etiam dis­
positio praecedens, antequam forma adveniat. Sed postquam
forma advenerit, tarn subjectum quam dispositio praecedens agit
in virtute formae, quae est principale agendi principium :
sicut calor ignis agit in virtute formae substantialis. Sic ergo
neque natura neque fides sine caritate possunt producere actum
meritorium: sed caritate superveniente, actus fidei fit meritorius
per caritatem, sicut et actus naturae et naturalis liberi arbitrii.
AD SECUNDUM dicendum quod in scientia duo possunt con-
siderari: scilicet ipse assensus scientis in rem scitam, et consi-
deratio rei scitae. Assensus autem scientiae non subjicitur libero
arbitrio: quia sciens cogitur ad assentiendum per effieaciam
demonstrationis. Et ideo assensus scientiae non est meritorius.
S ed consideratio actualis rei scitae subjacet libero arbitrio: est
enim in potestate hom inis considerare v e l non considerare. Et
ideo consideratio scientiae potest esse meritoria, si referatur ad
finem caritatis, id est ad honorem Dei vel utilitatem proximi.

81
2, 10 Nächsten hingeordnet wird. Beim Glauben aber unter­
liegt beides dem freien W ollen, und demnach kann in
beider Hinsicht der Glaubensakt verdienstlich sein. Eine
bloße Meinung jedoch enthält keine feste Beistimmung;
denn sie ist, nach dem Philosophen, etwas Schwächliches
und Haltloses. Sie geht also offensichtlich nicht aus einem
vollkom m enen W ollen hervor. Demnach scheint sie unter
dem Gesichtspunkt der Beistimmung in geringem Maße
die Bewandtnis des V erdienstes zu besitzen; doch kann
sie unter dem Gesichtspunkt des jew eils vollzogenen Er-
wägens verdienstlich sein.
Z u 3. Wer glaubt, hat einen hinreichenden Bestim­
mungsgrund zum Glauben; denn er wird dazu veranlaßt
durch die Autorität der durch Wunder bestätigten gött­
lichen Lehre und, was mehr ist, durch einen inneren
Antrieb des ihn einladenden Gottes. Er glaubt also nicht
leichtfertig. Jedoch hat er keinen genügenden Bestim­
mungsgrund zum W issen. Und so ist die Bewandtnis des
Verdienstes nicht aufgehoben.

10. A R T I K E L
M indert die zu eirier G laubenssache herangezogene Ver -
nunftbegrünäung das Verdienst des G laubens? [21]
1. „D e r Glaube hat kein Verdienst, dem die mensch­
liche Vernunft den Erfahruugsbeweis leiht“ (Gregorius).
QUAESTIO 2, io

Sed in fide utrumque subjacet libero arbitrio. Et ideo quantum


ad utrumque actus fidei potest esse m eritorius. Sed opinio non
habet firmum assensum; est enim quoddam debile et infirmum,
89 a 5 sq. secundum Philosophum in 1 Poster, [cap. 3 2]. Unde non
videtur procedere ex perfecta voluntate. Et sic ex parte assen­
sus non multum videtur habere rationem meriti. Sed ex parte
considerationis actualis potest meritoria esse.
AD TERTIUM dicendum quod ille qui credit habet sufficiens
inductivum ad credendum: inducitur enim auctoritate divinae
doctrinae miraculis confirmatae, et, quod plus est, interiori in-
stinctu D ei invitantis. Unde non leviter credit. Tarnen non habet
sufficiens inductivum ad sciendum .1 Et ideo non tollitur ratio
meriti.

ARTICULUS X
U t r u m r a t i o i n d u c t a ad ea q u a e s u n t f i d e i
diminuat meritum fidei
[III 55, 5 a d 3; 3 Sen t., d is t. 24, a rt. 3, q a 3; 1 C ont. G ent-, cap. 8J
AD DECIMUM sic proceditur. V idetur quod ratio inductiva ad
PL 76 ea quae sunt fidei diminuat meritum fidei. Dicit enim Gregorius,
1 1 9 7 -----------------
i P : cu m h a b e a t su fficien s m o tiv u iu a d c re d e n d u m .

82
Wenn also die m enschliche Vernunft, indem sie einen 2, 10
hinreichenden Erfahrungsbeweis liefert, das Glaubens­
verdienst gänzlich ausschließt, so scheint es, daß jegliche
m enschliche Begründung, die zu dem, was Glaubenssache
ist, herangezogen wird, das Glaubensverdienst beein­
trächtigt.
2. A lles, was die Bewandtnis der Tugend vermindert,
vermindert auch die Bewandtnis des Verdienstes. „Be­
glückung ist der Tugend Lohn“ (Aristoteles). Die mensch­
liche Vernunft aber scheint die Bewandtnis der Tugend
gerade im Glauben zu beeinträchtigen, w eil es, w ie
oben (1, 4 u. 5) gesagt, im W esen des Glaubens liegt,
von Dingen zu handeln, die nicht einsichtig sind. Je mehr
Vernunftgründe aber für etw as angeführt werden, desto
w eniger ist es uneinsichtig. Also vermindert die mensch­
liche Begründung, wenn sie zu solchem herangezogen
wird, was Sache des Glaubens ist, das V erdienst des
Glaubens.
3. Die Gründe für Gegensätzliches sind auch ihrerseits
gegensätzlich. Das aber, was gegen den Glauben eingesetzt
wird, vermehrt das V erdienst des Glaubens, mag es Ver­
folgung sein von seiten eines, der zur Absage an den
Glauben nötigen w ill, oder auch irgendein Vernunft­
bew eis, der dazu beredet. Also vermindert die Vernunft­
begründung, w enn sie den Glauben unterstützt, das Ver­
dienst des Glaubens.
ANDERSEITS heißt es 1 Petr 3, 15: „A llzeit bereit
zur Verantwortung vor jedem , der von euch Rechenschaft
QUAESTIO 2, 10

in quadam hom ilia [26 in Evang.], quod „fides non habet meri-
tum cui humana ratio praehet experim entum “. Si ergo ratio
humana sufficienter experim entum praebens totaliter excludit
meritum fidei, videtur ergo quod qualiscumque ratio humana
inducta ad ea quae sunt fidei diminuat meritum fidei.
2. PRAETEREA, quidquid diminuit rationem virtutis diminuit
rationem m eriti: quia „felicitas virtutis est praemium“, ut etiam
Philosophus dicit in 1 Ethic. [cap. 10]. Sed ratio humana videtur 1099 b
dim inuere rationem virtutis ipsius fidei, quia de ratione fidei i6sq.
est quod sit non apparentium, ut supra dictum est. Quanto
autem plures rationes inducuntur ad aliquid, tanto minus est
non apparens. Ergo ratio humana inducta ad ea quae sunt fidei
meritum fidei dim inuit.
3. PRAETEREA, contrariorum eontrariae sunt causae. Sed id
quod inducitur in contrarium fidei äuget meritum fidei: sive sit
persecutio cogentis ad recedendum a fide, sive etiam sit ratio
aliqua hoc persuadens. Ergo ratio coadjuvans fidem diminuit
meritum fidei.
SED CONTRA est quod 1 Petr. 3 dicitur: „Parati sem per ad
satisfactionem omni poscenti vos rationem de ea quae in vobis

83
2, io fordert über den Glauben und die Hoffnung, die in euch
sind.“ Der Apostel würde aber dazu nicht auffordern,
wenn dadurch das Verdienst des Glaubens vermindert
würde. Vernunftgemäße Begründung vermindert also
nicht das Glaubensverdienst.
ANTWORT: Der Glaubensakt kann verdienstlich sein,
sofern er dem W illen unterliegt, nicht nur hinsichtlich
seines Vollzugs, sondern auch unter dem Gesichtspunkt
der Beistimmung (Art. 9). Die menschliche Begründung
aber, die zu dem herangezogen wird, was Sache des Glau­
bens ist, kann sich zum W ollen des Glaubenden auf dop­
pelte W eise verhalten. Einerseits als vorangehend, z. B.
indem jem and entweder überhaupt nicht den W illen oder
nicht einen bereiten W illen hätte, zu glauben, falls die
menschliche Vernunft nicht dazu hingeleitet würde. Und
in diesem Falle vermindert die angeführte m enschliche
Begründung das Verdienst des Glaubens, w ie auch die
der W ahlentscheidung vorausgehende Gemütsbewegung
bei moralischen Tugenden das Löbliche eines Tugendaktes
vermindert (I—II 24,3: Bd. 10 und 77,6: Bd. 12). W ie näm­
lich der Mensch die Akte der sittlichen Tugenden auf
Grund eines U rteils seiner Vernunft betätigen soll, nicht
vermöge einer Gemütsbewegung, so soll der Mensch das,
w as Sache des Glaubens ist, nicht auf Grund menschlicher
Überlegung glauben, sondern auf Grund göttlicher
Autorität.
Auf die andere W eise kann sich die m enschliche Ver-

QüAESTIO 2, io

est fide et sp e.“ Non autem ad hoc induceret Apostolus si per


hoc meritum fidei dim inueretur. Non ergo ratio dim inuit m eri­
tum fidei.
RESPONDEO dicendum quod, sicut dictum est, actus fidei
potest esse meritorius inquantum subjacet voluntati non solum
quantum ad usum, sed etiam quantum ad assensum. Ratio autem
humana inducta ad ea quae sunt fidei dupliciter se potest habere
ad voluntatem credentis. Uno quidem modo, sicut praecedens:
puta cum quis aut non 1 haberet voluntatem, aut non haberet
promptam voluntatem ad credendum, nisi ratio humana indu-
ceretur. Et sic ratio humana inducta dim inuit meritum fidei:
sicut etiam supra dictum est quod passio praecedens electionem
in virtutibus moralibus dim inuit laudem virtuosi actus. Sicut
enim homo actus virtutum inoralium debet exercere propter
judicium rationis, non propter passionem ; ita credere debet
homo ea quae sunt fidei non propter rationem humanam, sed
propter auctoritatem divinam.
Alio modo ratio humana potest se habere ad voluntatem cre-
i P : a liq u is a u t ta n tu m .

84
nunft zum W illen des Glaubenden nachfolgend verhalten. 2, 10
Wenn nämlich der Mensch einen entschiedenen W illen
zum Glauben besitzt, so liebt er die im Glauben erfaßte
Wahrheit, denkt darüber nach und greift nach allen Grün­
den, die er dazu nur auf finden kann. Und insofern schließt
die menschliche Begründung das Verdienst des Glaubens
nicht aus, sondern ist ein Merkmal höheren Verdienstes,
so w ie die nachfolgende Gemütsbewegung in den sitt­
lichen Tugenden Merkmal eines entschiedenen W ollens
ist (I—II 24, 3: Bd. 10). Das wird Jo 4, 42 angedeutet, wo
die Samaritaner zu dem W eibe, in welchem die menschliche
Vernunft versinnbildlicht ist, sagten: „Nicht mehr um
deines Redens willen glauben wir.“
Z u l . Gregorius spricht von dem Falle, daß ein Mensch
nur auf Grund der herangezogenen Überlegung den W il­
len zum Glauben hat. Dann aber, w enn ein Mensch w il­
lens ist, die Dinge des Glaubens lediglich auf Grund gött­
licher Autorität zu glauben, wird, auch falls er zu irgend
etwas davon, z. B. daß Gott ist, eine schlüssige Begrün­
dung hat, deshalb das Verdienst nicht aufgehoben oder
verringert.
Z u 2. D ie Gründe, w elche zur Autorität des Glaubens
noch herangezogen wrerden, sind keine strengen B ew eise,
w elche den m enschlichen Verstand zu einer verstandhaf­
ten Schau zu führen vermöchten. Also handelt es sich
immer noch um solches, was man nicht sieht. Vielm ehr

QUAESTIO 2, 10

den tis consequ en ter. Cum enim hom o h ab et prom ptam v o lu n ­


tatem ad credend um , d ilig it v eritatem creditam , et su p e r ea
excogitat et am p lectitu r si quas ration es ad hoc in v e n ire potest.
Et quantum ad hoc ratio humana non excludit meritum fidei,
sed est signum majoris m eriti: sicut etiam passio consequens
in virtutitous moralibus est signum promptioris voluntatis, ut
supra dictum est. Et hoc significatur Joan. 4, ubi Samaritani ad
mulierem , per quam ratio humana flguratur, dixerunt: „Jam
non propter tuam loquelam credimus.“
AD PRIMUM ergo dicendum quod Gregorius loquitur in casu
illo quando homo non habet voluntatem credendi nisi propter
rationem inductam. Quando autem homo habet voluntatem cre­
dendi ea quae sunt fidei ex sola auctoritate divina, etiamsi
habeat rationem demonstrativam ad aliquid eorum, puta ad
hoc quod est Deum esse, non propter hoc tollitur vel diminuitur
meritum fidei.
AD SECUNDUM dicendum quod rationes quae inducuntur
ad auctoritatem fidei non sunt demonstrationes quae in visionem
intelligibilem intellectum humanum reducere possunt. Et ideo
non desinunt esse non apparentia. Sed removent impedimenta

85
2, 10 räumen sie nur H indernisse des Glaubens hinweg, indem
sie zeigen, es sei nicht unmöglich, was im Glauben vor­
gelegt wird. Daher wird durch solche Gründe weder das
Verdienst des Glaubens beeinträchtigt noch die W esens­
art des Glaubens. Beweisgründe aber, die für Voraus­
setzungen des Glaubens angeführt werden, nicht je­
doch für eigentliche Glaubensartikel, auch wenn sie den
Sachverhalt des Glaubens beeinträchtigen, w eil sie das,
was vorgelegt wird, einleuchtend machen, vermindern
doch nicht den Grund der Liebe, vermöge deren der Wille
geneigt ist, jene [d. h. die Voraussetzungen des Glaubens]
zu glauben, auch wenn sie nicht einleuchtend würden. Also
wird die Bewandtnis des V erdienstes nicht vermindert.
Z u 3. Was dem Glauben zuwider ist, sei es im Denken
des Menschen, sei es in äußerer Verfolgung, vermehrt
in dem Maße das Verdienst des Glaubens, in welchem
sich der W ille entschiedener und fester im Glauben be­
währt. Und deshalb haben sich die Märtyrer ein höheres
Glaubensverdienst erworben, indem sie trotz der Ver­
folgungen nicht vom Glauben abwichen; und ebenso
haben die Geistesmänner ein größeres Glaubensverdienst,
indem sie trotz der von Philosophen oder Häretikern ge­
gen den Glauben vorgebrachten Gründe vom Glauben
nicht ablassen. Das aber, w as mit dem Glauben überein­
stimmt, vermindert nicht immer die Entschiedenheit des
W illens zum Glauben und beeinträchtigt deshalb auch
nicht immer das Glaubensverdienst.

QUAESTIO 2, io

fidei, ostendendo non esse im possibile quod in fide proponitur.


Unde per tales rationes non diminuitur meritum fidei nec ratio
fidei. Sed rationes demonstrativae inductae ad ea quae sunt
fidei praeambula, non tarnen 1 ad articulos, etsi diminuant ratio­
nem fidei, quia faciunt esse apparens id quod proponitur; non
tarnen dim inuunt rationem caritatis, per quam voluntas est
prompta ad ea credendum etiamsi non apparerent. Et ideo non
dim inuitur ratio meriti.
AD TERTIUM dicendum quod ea quae repugnant fidei, sive
in consideratione hominis sive in exteriori persecutione, intan-
tum augent meritum fidei inquantum ostenditur voluntas magis
prompta et firma in fide. Et ideo martyres majus fidei meritum
habuerunt non recedentes a fide propter persecutiones; et etiam
sapientes majus meritum fidei habent non recedentes a fide
propter rationes philosophorum v el haereticorum contra fidem
inductas. Sed ea quae conveniunt fidei non sem per diminuunt
prom ptitudinem voluntatis ad credendum. Et ideo non sem per
diminuunt meritum fidei.
i Tu q u a e s u n t fidei, p ra e a m b u la tarn en .

86
3. F R A G E
DER ÄUSSERE GLAUBENSAKT
Nunmehr ist der äußere Glaubensakt zu betrachten,
d. h. das Bekenntnis.
Hierzu ergeben sich zwei Einzelfragen:
1. Ist das Bekenntnis ein Glaubensakt?
2. Ist das Bekenntnis des Glaubens zum H eile not­
w endig?
1. ARTIKEL
Ist das Bekenntnis ein G laubensakt?
1. Ein und derselbe Akt ist nicht verschiedenartigen
Tugenden zu eigen. Das Bekenntnis aber gehört zur Buße.
Also ist es kein Glaubensakt.
2. Vom Bekenntnis des Glaubens wird der Mensch mit­
unter durch die Angst oder auch durch irgendeine andere
Verstörung abgehalten. Daher bittet sogar der Apostel,
Eph 6, 19, man möge für ihn beten, daß ihm gegeben
werde, „freimütig das Geheimnis des Evangeliums zu ver­
künden“. Vom Guten aber aus Verwirrung oder Angst
nicht zu lassen, fällt unter die Tapferkeit, welche die
Regungen des Wagemuts und der Angst zügelt. Das Be-

Q T J A E S T I O III

DE EXTERIORI ACTU FIDEI

D einde considerandum est de exteriori fidei actu, qui est


confessio.
Et circa hoc quaeruntur duo: 1. Utrum confessio sit actus
fidei. — 2. Utrum confessio fidei sit necessaria ad salutem.

ARTICULUSI
Utrum c o n f e s s i o sit actus fidei
[4 S en t., d is t. 17, q. 3, a r t. 2, q a 3; R o m . 10, le c t. 2]

AD PRIMUM sic proceditur. Videtur quod confessio non sit


actus fidei. Non enim idem actus pertinet ad diversas virtutes.
Sed confessio pertinet ad poenitentiam , cujus ponitur pars. Ergo
non est actus fidei.
2. PRAETEREA, ab hoc quod homo confiteatur fidem retra-
hitur interdum per timorem, vel etiam propter aliquam con-
fusionem : unde et Apostolus, ad Ephes. ult., petit orari pro se
ut detur sib i „cum fiducia notuin facere mysterium E vangelii“.
Sed non recedere a bono propter confusionem v el timorem
pertinet ad fortitudinem, quae moderatur audacias et timores.

87
3, i kenntnis scheint also nicht ein Akt des Glaubens, sondern
mehr der Tapferkeit und der Standhaftigkeit zu sein.
3. W ie jemand durch die Glut seines Glaubens getrieben
wird, den Glauben nach außen zu bekennen, so wird er
dadurch auch veranlaßt, andere äußere gute Werke zu
tun; es heißt ja Gal 5, 6: „Der Glaube ist durch die Liebe
tätig.“ Andere äußere W erke aber zählen nicht als Glau­
bensakte. Also auch nicht das Bekenntnis.
ANDERSEITS sagt die Glosse zu dem Ausdruck 2 Thess
1, 11 ,auch das Werk des Glaubens in Kraft*: „d. h. das
Bekenntnis, das im eigentlichen Sinne Werk des Glaubens
ist“ (Glosse).
ANTWORT: Die äußeren Akte sind im eigentlichen
Sinne Akte derjenigen Tugend, auf deren Ziele sie gemäß
ihrer jew eiligen Artbestimmung bezogen sind, w ie z. B.
das Fasten nach seiner Artbestimmung auf das Ziel der
Enthaltsamkeit, die in der Beherrschung des Fleisches
besteht, ausgerichtet und demnach ein Akt der Enthalt­
samkeit ist. Das Bekenntnis dessen aber, was Glaubens­
sache ist, ist seiner W esensart gemäß auf das, was des
Glaubens ist, als auf sein Ziel hingeordnet, gemäß 2 Kor
4, 13: „Da wir den gleichen Geist des Glaubens haben, so
glauben wir und reden deshalb auch.“ Denn das äußere
Aussprechen ist darauf gerichtet, das, was im Herzen ge­
dacht wird, kundzutun. W ie daher die innere Aufnahme
dessen, w as zum Glauben gehört, im eigentlichen Sinne
ein Glaubensakt ist, so auch das äußere Bekenntnis.
QUAESTIO 3, 1
Ergo vid etu r quod con fessio non sit actus fid ei, se d m agis forti-
tu d in is v e l constantiae.
3. PRAETEREA, sic u t p er fid e i fe rv o r em in d u citu r a liq u is
ad confiten dum fid em ex ter iu s, ita etiam in d u citu r ad a lia e x -
teriora bona opera facien d a: dicitur enim Gal. 5 quod „fides
per d ilection em op eratu r“. S e d alia exteriora opera non ponun-
tur actus fidei. Ergo etiam n eq u e confessio.
SE-D CONTRA est qu od 2 ad Thess. 1 su p er illu d : ,Et opus
PL 192 fidei in virtute*, dicit G lossa [o r d in .]: „id est con fession em , quae
315 B proprie est opu s fid e i.“
RESPONDEO dicendum quod actus exteriores illius virtutis
proprie sunt actus ad cujus fines secundum suas species referun-
tur: sicut jejunare secundum suam speciem refertur ad finem
abstinentiae, quae est compescere carnem, et ideo est actus ab-
stinentiae. Confessio autem eorum quae sunt fidei secundum
suam speciem ordinatur sicut ad finem ad id quod est fidei:
secundum illud 2 ad Cor. 4: „Habentes eumdem spiritum fidei
credimus: propter quod et loquimur“ : exterior enim locutio
ordinatur ad significandum id quod in corde concipitur. Unde
sicut conceptus inferior eorum quae sunt fidei est proprie fidei
actus, ita etiam et exterior confessio.

88
Z u 1. Dreifach ist das Bekenntnis, das in der Schrift 3, 1
gepriesen wird. Eines ist das Bekenntnis dessen, was des
Glaubens ist; und dies ist, als auf das Ziel des Glaubens
gerichtet, ein eigentlicher Glaubensakt (Antwort). — Das
zweite ist das Bekenntnis der Danksagung oder des Lobes;
und dies ist ein Akt der Anbetung, denn es ist darauf
gerichtet, Gott durch äußere Zeichen Ehre zu zollen, was
das Ziel der Anbetung ist. — Das dritte ist das Bekenntnis
der Sünden; und dies ist auf die Tilgung der Sünde ge­
richtet, welche das Ziel der Buße ist; demnach gehört es
zur Buße.
Z u 2. Das, w as ein Hindernis hinwegräumt, ist nicht
Ursache an sich, sondern nur beiläufig (A ristoteles). In­
sofern also die Tapferkeit ein Hindernis des Glaubens­
bekenntnisses, nämlich Angst oder Scham, entfernt, ist
sie nicht eigentlich und an sich Ursache des Bekennt­
nisses, sondern gleichsam nebenbei.
Z u 3. Der innere Glaube verursacht auf dem W ege über
die Liebe alle äußeren Tugendakte durch die anderen
Tugenden, gebietend, nicht selbst vollziehend; das Be­
kenntnis aber bringt er als seinen eigenen Akt hervor,
ohne Vermittlung einer anderen Tugend.

Q U A E S T I O 3, i

A D PRIM UM ergo d icen d u m quod tr ip le x est con fessio quae


in Scrip tu ris laudatur. U na est confessio eorum q u ae su n t fidei.
Et ista est proprius actus fid ei, utp ote relata ad fid ei finem ,
sicu t dictum est. — A lia est confessio gratiarum action is siv e
lau d is. Et ista est actus la tria e: ordinatur en im ad h on orem D eo
e x ter iu s exh ib en d u m , quod est finis latriae. — T ertia est con­
fe ssio peccatorum . Et h aec ordinatur ad d eletio n em peccati, quae
est fin is p o e n ite n tia e. U n d e p e r tin et a d p oenitentiam .
A D SE C U N D U M dicen du m quod rem oven s proh ib en s non
est causa p er se , se d p er accidens: ut p atet p e r P hilosoph um in 255b
8 Phys. [cap. 4 ] . U n d e fortitudo, quae rem ovet im pedim en tum 24 sqq.
con fession is fidei, sc ilic et tim orem v e l eru bescen tiam , non est
p rop rie et per se causa con fession is, se d q u asi p er accidens.
A D TERTIUM dicen du m , quod fid es inferior, m ed ian te dilec-
tion e causat om n es e x terio res actus virtutum m ediantibu s a liis
virtu tib us, im peran do, non elicien d o ; se d con fession em produ-
cit tanquam proprium actum , n u lla a lia virtute m ed ian te.

89
2. A R T I K E L
Ist das Bekenntnis des Glaubens zum Heile n otw endig?
1. D a s scheint zum H eile zu genügen, wodurch der
Mensch das Ziel der Tugend erlangt. Das eigentüm liche
Ziel des Glaubens aber ist die Begegnung des mensch­
lichen Geistes mit der göttlichen Wahrheit, welche auch
stattfinden kann ohne äußeres Bekenntnis. Also ist das
Bekenntnis des Glaubens zum H eile nicht notwendig.
2. Durch das äußere Glaubensbekenntnis tut der Mensch
einem anderen Menschen seinen Glauben kund. D ies ist
aber nur für solche nötig, die andere im Glauben zu unter­
w eisen haben. Also scheint es, daß die einfacheren Leute
zum Bekenntnis des Glaubens nicht verpflichtet sind.
3. Was zuin Ärgernis und zur Störung anderer führen
kann, ist zum H eile nicht notwendig; denn der Apostel sagt
1 Kor 10, 32: „Erreget keinen Anstoß weder bei den
Juden, noch bei den Heiden, noch in der Kirche Gottes.“
Durch das Bekenntnis des Glaubens aber werden bis­
w eilen die Ungläubigen zur Störung herausgefordert. Also
ist das Glaubensbekenntnis zum H eile nicht notwendig.
ANDERSEITS sagt der Apostel Röm 10, 10: „Mit dem
Herzen glaubt man, um gerecht zu werden, doch mit dem
Munde bekennt man, um Rettung zu erlangen.“
QUAESTIO 3, 2

ARTICULUS II
Utrum confessio f i d e i s i t n e c e s s a r i a ad
salutem
[3 S en t., d ist. 29, a rt. 8, q a 2 a d 3; Q u o d l. 9, q. 7, a rt. 1; R o m . 10, le c t. 2
14, le c t. 3]
A D SEC U N D U M sic proceditur. V id etu r quod confessio fidei
non sit n ecessaria ad salu tem . Illud en im vid etu r ad salu tem
su fficere p e r quod hom o attingit finem virtutis. S e d finis pro-
prius fid e i est conjunctio h u m an ae m en tis ad veritatem divinam ,
quod potest etiam esse sin e exteriori con fession e. Ergo confessio
fid ei non est n ecessa ria ad salutem .
2. PRAETEREA, p e r ex terio rem co n fession em fid ei hom o fidem
su am a lii h om in i patefacit. S ed hoc non est necessariu m nisi
illis q u i h ab en t a lios in fide in stru ere. Ergo vid etu r quod m i­
nores non ten ean tu r ad fidei confessionem .
3. PRAETEREA, illu d quod potest v e rg e re in scand alu m et
perturbationem aliorum non est necessariu m ad salu tem : dicit
en im A p ostolus 1 ad Cor. 10: „S in e offen sion e estote Ju d aeis
et g e n tib u s et E cclesiae D'ei.“ S ed p er c o n fessio n em fid ei quando-
que ad p erturbationem in fid eles provocantur. Ergo confessio
fidei non est n ecessa ria ad salutem .
SED CONTRA est quod A p ostolus dicit ad Rom . 10: „Corde
creditur ad justitiam , ore autem con fessio fit ad sa lu tem .“

90
ANTWORT: Was zum H eile notwendig ist, fällt unter 3,2
die Gebote des göttlichen Gesetzes. Das Bekenntnis des
Glaubens aber kann, da es etwas von einer Tat an sich hat,
nur unter ein tatforderndes Gebot fallen [22]. Also ge­
hört es nur in dem Maße unter die Heilsnotwendigkeiten,
als es unter ein tatforderndes Gebot des göttlichen Gesetzes
fallen kann. Tatfordernde Gebote aber verpflichten nicht
für immer, wenn sie auch im m er1 verpflichten (I—II 71,
5 Zu 3: Bd. 12; 100, 10: Bd. 13); sie verpflichten je
nach Ort und Zeit und anderen verbindlichen Um­
ständen, gemäß welchen das menschliche Handeln darauf­
hin zugeschnitten werden muß, daß es Tugendhandeln
sei. So ist das Bekenntnis des Glaubens nicht in jedem
Falle und an jedem Orte heilsnotwendig, sondern nur
je nach Ort und Zeit, dann nämlich, wenn durch Unter­
lassung dieses Bekenntnisses Gott die geschuldete Ehre
entzogen würde, oder auch ein den Mitmenschen zu lei­
stender guter Dienst, z. B. wenn jemand, um den Glauben
gefragt, schw iege und man infolgedessen glaubte, ent­
w eder er habe nicht den Glauben, oder der Glaube sei
nicht wahr, oder wenn andere durch sein Schweigen sich
vom Glauben abwendeten. In derartigen Fällen nämlich
ist das Bekenntnis des Glaubens heilsnotwendig.
Z u l . Das Ziel des Glaubens w ie auch das der anderen
Tugenden muß in Beziehung gesetzt werden zum Ziele
der [gotthaften] Liebe, welche die Liebe zu Gott und

QUAESTIO 3, 2

RESPONDEO dicen du m quod ea q u ae su n t n ecessaria ad sa lu ­


tem cadunt su b praecep tis d ivin ae leg is. C onfessio autem fidei,
cum sit qu odd am affirm ativum , non potest c a d e re n isi su b prae-
cepto affirm ativo. U n d e eo m odo est de n ecessariis ad salu tem
quo m odo potest cadere su b p raecepto affirm ativo d iv in a e legis.
P raecepta au tem affirm ativa, ut su pra dictum est, non obligant
ad sem p er, etsi sem p er ob ligen t: obligant autem pro loco et
tem p ore et secund um alias circum stantias debitas secu n d u m quas
oportet actum hu m anum lim itari ad hoc quod sit actus virtutis.
S ic igitu r confiteri fidem non sem p er n eq u e in q u olib et loco
est de n ecessita te salu tis: se d aliq uo loco et tem p ore, quando
scilicet p er om ission em h u ju s con fession is su b traheretur honor
d ebitus D eo, v e l etiam u tilita s p r o x im is im p e n d e n d a ; pu ta si
aliq uis interrogatus de fide taceret, et e x hoc cred eretu r v e l
quod non h ab eret fidem v e l quod fides n on esset vera, v e l a lii
p e r e ju s tacitu rn itatem a verteren tu r a fide. In h u ju sm od i enim
c a sib u s co n fessio fid ei est de n e c essita te salu tis.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod finis fid ei, sicu t et aliarum
virtutum , referri d e b e t ad finem caritatis, q u i est am or D e i et
i Vgl. Anmerk. [22].

91
3, 2 zum Nächsten ist. Dann also, wenn die Ehre Gottes oder
das Wohl des Nächsten es verlangt, darf sich der Mensch
nicht damit begnügen, daß er selbst durch den Glauben
mit der göttlichen Wahrheit eine Begegnung erfährt, son­
dern muß seinen Glauben nach außen bekennen.
Z u 2. Im Falle der Dringlichkeit, wo der Glaube Gefahr
läuft, ist jeglicher verpflichtet, seinen Glauben vor ändern
kundzutun, sei es zur Unterweisung der ändern Gläubigen,
oder zu ihrer Ermutigung, oder um den Hohn der Ungläu­
bigen zurückzuweisen. Zu anderen Zeiten jedoch obliegt
es nicht allen Gläubigen, die Menschen über den Glauben
zu unterrichten.
Z u 3. Falls unter den Ungläubigen über das offene Be­
kenntnis des Glaubens Erregung entsteht ohne irgend­
welchen Vorteil für den Glauben oder die Gläubigen, so
ist es nicht löblich, in solcher Lage den Glauben offen zu
bekennen; daher sagt der Herr Mt 7, 6: „Gebt das H eilige
nicht den Hunden, und werfet eure Perlen nicht den
Schweinen vor, damit sie sich nicht um wenden und euch
zerreißen.“ Sollte aber irgendwelcher Vorteil für den
Glauben zu hoffen sein oder eine Dringlichkeit vorliegen,
so muß der Mensch ohne Rücksicht auf die Erregung der
Ungläubigen öffentlich seinen Glauben bekennen. Daher
heißt es Mt 15, 12 ff., daß der Herr, als die Jünger Ihm
sagten, die Pharisäer nähmen Anstoß, da sie Sein Wort
hörten, antwortete: „Laßt sie“, nämlich sich aufregen,
„sie sind Blinde und Führer von Blinden.“

Q U A E ST IO 3, -

p roxim i. Et id eo quando hon or D e i v e l utilitas p roxim i hoc


exposcit, non d eb et e sse contentus hom o ut p er fidem suam
ip si veritati d ivin ae conjun gatur; se d d eb et fidem e x ter iu s
confiteri.
A D SEC U N D U M dicen du m , quod in casu n ecessitatis, u b i fides
periclitatu r, qu ilib et ten etu r fidem su am aliis propalare, v e l ad
instructionem a lio r u m fid eliu m s iv e confirm ationem , v e l ad
rep rim en d u m in fid eliu m in su ltation em . S ed a liis tem poribus
in stru ere h o m in e s d e fide non p ertin et ad o m n es fid eles.
AD TERTIUM dicendum quod, si turbatio in fid eliu m oriatur
de co n fessio n e fidei m an ifesta absque aliq u a u tilitate fid ei v el
fidelium , non est la u d a b ile in tali casu fidem p u b lice confiteri:
u n d e D om inu s dicit Matth. 7: „N olite sanctum dare canibus.
n eq u e m argaritas vestras sp argere ante porcos, n e conversi di-
rum pant v o s.“ S ed si u tilitas fidei aliq u a sp eretu r aut necessitas
adsit, con tem p ta tu rb ation e in fid eliu m , deb et hom o p u b lice fidem
confiteri. U n d e Matth. 15 dicitur quod, cum d iscip u li d ixissen t
D om ino, quod P h arisaei, audito e ju s verb o, scan d alizati sunt,
D om in u s resp on d it: „S in ite illo s“, sc ilic et tu rb ari: „caeei sunt
et du ces caecoru m “.

92
4. F R A G E 4,
DIE TUGEND DES GLAUBENS SELBST
Sodann sind über den Glauben als Tugend Erwägungen
anzustellen. Und zwar erstens über den Glauben selbst;
zweitens über diejenigen, die den Glauben haben; drittens
über die Ursache des Glaubens; viertens über seine Wir­
kungen.
Hinsichtlich des ersten Punktes ergeben sich acht
Einzelfragen:
1. Was ist der Glaube?
2. In welcher Kraft der Seele ist er als in seinem
Träger?
3. Ist seine Beformung die Gottesliebe?
4. Ist der beformte Glaube der Zahl nach ein und der­
selbe w ie der unbeformte?
5. Ist der Glaube Tugend?
6. Ist er eine Tugend?
7. Sein Verhältnis zu den ändern Tugenden.
8. Vergleich seiner Gewißheit mit der Gewißheit der
verstandhaften Tüchtigkeiten.
1. ARTIKEL
Ist diese Begriffsbestimmung des Glaubens: „Der Glaube
ist der Grundbestand 1 dessen, was man erhofft, ein Beweis
von Dingen, welche man nicht sieht“ zutreffend?
1. Keine Beschaffenheit ist Grundbestand. Der Glaube
aber ist eine Beschaffenheit, denn er ist eine gotthafte
Q U A E S T I O IV
DE IP SA F ID E I V IR TU TE
D ein d e considerandu m est d e ip sa fid ei virtu te. Et prim o qui­
dem , d e ip sa fid e; secu n d o, d e h ab en tib u s fid em ; tertio, de
causa fid ei; quarto de effectib us ejus.
Circa prim um qu aerun tur octo: 1. Q uid sit fides. — 2. In qua
vi an im ae sit sicu t in su bjecto. — 3. U trum form a eju s sit cari-
tas. — 4. U trum ead em nu m ero sit fides form ata et in form is. —
5. U trum fid es sit virtus. — 6. U trum sit u n a virtu s. — 7. D e
ord in e e ju s ad a lia s virtu tes. — 8. D e com p aration e certitu d in is
eju s ad certitu dinem virtu tum in tellectu aliu m .
ARTICULUS I
Ut rum haec sit c o m p e t e n s f i d e i d e f i n i t i o :
F i d e s est s u b s t a n t i a s p e r a n d a r u m rerum,
a r g um e ntum non a p p a r e n t i u m
[I—II 46, 3 c o rp .; 3 Sen t., d is t. 23, q. 2. a rt. 1; De v e rit., q. 14, a r t. 2:
R o m . 1, le c t. 6; H e b r. 111
A D PRIM UM sic proceditur. V id etu r quod sit in com p eten s fidei
d efinitio quam A p ostolus ponit, ad H ebr. 11, dicen s: „Est autem
1 Zum Begriff vgl. Anm erkung [23],

93
4, l Tugend (I—II 62, 3: Bd. 11). Also ist er nicht Grund­
bestand.
2. Artverschiedene Tugenden haben artverschiedene
Gegenstände. Das zu Erhoffende aber ist Gegenstand der
Hoffnung. Es darf also bei der Begriffsbestimmung des
Glaubens nicht als dessen Gegenstand angeführt werden.
3. Der Glaube wird mehr durch die Gottesliebe als
durch die Hoffnung vollendet; denn die Gottesliebe ist die
Beformung des Glaubens (Art. 3). Es hätte also eher das
zu Liebende als das zu Erhoffende in die Begriffsbestim­
mung des Glaubens eingesetzt w erden sollen.
4. Ein und dasselbe darf nicht in verschiedene Gat­
tungen eingereiht werden. Grundbestand aber und Bew eis
sind verschiedenartige Gattungen, von denen eines dem
ändern nicht untergeordnet ist. Es ist also unangebracht,
zu sagen, der Glaube sei Grundbestand und Beweis. Dem ­
nach ist der Glaube unangem essen beschrieben.
5. Durch den B ew eis wird die Wahrheit dessen dar­
getan, wozu der B ew eis augeführt wird. W essen Wahr­
heit aber offenkundig gemacht ist, davon sagt man, daß
es sichtbar sei. In dem Ausdruck „Beweis von Dingen, die
man nicht sieht,“ scheint also ein Widerspruch enthalten
zu sein. Denn ein B ew eis macht ein vorher nicht sicht­
bares Ding sichtbar. Es heißt also unrichtig: „von Dingen,

QUAESTIO 4, i

fides su bstantia sp eran d aru m rerum , argum entum non app aren-
tiu m .“ N u lla enim qu alitas est su bstantia. S ed fid es est qu ali-
tas: cum sit virtu s theologica, ut su p ra dictum est. Ergo non
est su bstantia.
2. PRAETEREA, diversaru m virtutum d iversa sunt objecta.
S ed res sp eran d a est objectum sp ei. Non ergo deb et poni in
d efin ition e fid ei tanquam e ju s objectum .
3. PRAETEREA, fides m agis perficitu r p er caritatem quam
p er sp em : quia caritas est form a fidei, ut infra dicetur. M agis
ergo poni d ebu it in d efin ition e fidei res d ilig en d a quam res
sp eran d a.
4. PRAETEREA, idem non deb et pon i in d iversis gen erib u s.
S e d su b stan tia et argum entum su n t d iversa g e n e ra n o n su b-
alternatim posita. E rgo in co n v en ien ter fid es dicitu r e sse su b ­
stan tia et argum entum . In co n v en ien ter ergo describitur fid es.1
5. PRAETEREA, p er argum entum verita s m anifestatur e ju s
ad quod ind ucitu r argum entum . S e d illu d dicitur e sse ap p aren s
cujus v e rita s est m anifestata. Ergo vid etu r oppositum im plicari
in hoc quod dicitur „argum entum non ap p aren tiu m “ ; quia argu­
m entum facit rem prius non ap p aren tem postea app arere. Ergo
i L : om . In c o n v e n ie n te r — fides.

94
die man nicht sieht“. Demnach ist der Glaube unange- 4. 1
messen beschrieben.
DAGEGEN spricht zur Genüge die Autorität des
Apostels.
ANTWORT: Zwar behaupten einige, die obengenann­
ten Worte des Apostels seien keine Begriffsbestimmung
des Glaubens, w eil die Begriffsbestimmung die Washeit
und die W esenheit eines Dinges angebe (A ristoteles).
Wenn man jedoch richtig zusieht, so wird in der oben
angeführten Beschreibung alles berührt, wonach der
Glaube begrifflich umschrieben w erden kann, mögen auch
die Worte nicht in der Form einer Begriffsbestimmung
angeordnet sein; so w ie auch bei den Philosophen unter
Verzicht auf die Form des Schlußverfahrens die Grund­
sätze des Schlußverfahrens gewahrt werden.
Um dies einsichtig zu machen, ist zu erwägen, daß, da
die Gehaben durch die Handlungen und die Handlungen
durch ihre Gegenstände erkannt werden, der Glaube, da
er ein bestimmtes Gehaben ist, begrifflich bestimmt wer­
den muß durch den ihm eigentümlichen Akt im Vergleich
zu seinem eigentüm lichen Gegenstand. Der Akt des Glau­
bens aber ist das Fürwahrhalten, das ein Akt des Ver­
standes ist, der auf Geheiß des W illens auf E ines hin be­
stimmt ist (2, 1 Zu 3; 2, 9). So hat also der Glaubensakt
eine Hinordnung einerseits auf den Gegenstand des W il­
lens, der das Gute und das Ziel ist, anderseits auf den
Gegenstand des Verstandes, der das Wahre ist. Und w eil
QUAESTIO 4, i

m ale d icitu r: „Rerum n on ap p aren tiu m .“ 1 In co n v en ien ter ergo


d escribitur fides.
IN CONTRARUM sufficit auctoritas A p ostoli.
RESPONDEO dicen d u m quod, licet quidam 2 dicant praedicta
A p ostoli verb a non e sse fid ei d efinition em , quia definitio indi-
cat rei qu idditatem et essen tiam , ut hab etu r 7 M etaph.,3 tarnen si 1042a 17
quis recte consideret, om nia e x qu ibus fides potest definiri in 1030a 6
praedicta descrip tion e tanguntur, licet verb a non ordinentur
su b form a d e fin itio n is: sicu t etiam ap u d P h ilosop h os, p raeter-
m issa sy llo g istica form a, syllogism oru m p rin cip ia tanguntur.
A d cujus e v id en tiam considerandu m est quod, cum habitus
cognoscantur p er actus et actus p er objecta, fides, cum sit h ab i­
tus quidam , d eb et definiri per proprium actum in com paratione
ad proprium objectum . Actus autem fidei est credere, sicut supra
dictum est, qui actus est in te lle ctu s d eterm in ati ad unum e x
im p erio volu n tatis. Sic ergo actus fidei h ab et o rd in em et ad ob­
jectum volun tatis, quod est bonum et finis; et ad objectum in tel-
1 L: om . q u ia — a p p a re n tiu m .
2 Cf. H ugo a S. V ictore, De S acram ., lib . 1, p. 10. c. 2 [ML 176/327 8801;
A lex. H a i., Sum m . T h eo l. p. 3, q u . 68, m . 5, a. 2.
3 L: om . q u ia — M etaph.

95
4,1 der Glaube, da er gotthafte Tugend ist (I—II 62, 3:
Bd. 11), das nämliche zum Gegenstand und zum Ziel hat,
so m üssen notwendig der Glaubensgegenstand und das
Glaubensziel einander verhältnism äßig entsprechen. Glau­
bensgegenstand ist aber die Erstwahrheit, sofern Sie selbst
nicht geschaut ist, und alles, dem man Ihretwegen anhängt
(1, 1 u. 4). Demgemäß muß die Erstwahrheit selbst zum
Glaubensakt sich verhalten als Ziel [und zwar] in der
Art eines Dinges, das nicht geschaut wird. Dies aber ge­
hört zur Bewandtnis eines Dinges, das erhofft wird, dem
Worte des Apostels Rörn 8, 25 gemäß: „was wir nicht
sehen, das erhoffen w ir“ ; die Wahrheit sehen nämlich
heißt sie besitzen; es hofft aber niemand auf das, was
er schon hat, vielm ehr geht die Hoffnung auf das, was
man nicht hat (I—II 67, 4: Bd. 11).
So wird das Verhältnis des Glaubensaktes zu seinem
Ziel, w elches der Gegenstand des W illens ist, damit be­
zeichnet, daß es heißt: „Der Glaube ist der Grundbestand
dessen, was man erhofft.“ Grundbestand nämlich pflegt
man zu nennen den ersten Seinsbeginn jedw eden Dinges,
und namentlich, wenn das ganze entstehende Ding der
Wirkkraft nach [bereits] im ersten Urgrund enthalten
ist, z. B. wenn wir sagen, die ersten unbeweisbaren Ur-
sätze seien der Grundbestand des W issens; denn das
erste, was vom W issen in uns ist, sind derartige Ursätze,
und in ihnen ist der Keimkraft nach die ganze W issen­
schaft enthalten. In dieser W eise also heißt es vom Glau-

QUAESTIO 4, l

lectus, quod est veru m . Et quia fides, cum sit virtu s theologica,
sicu t su p ra dictum est, hab et id em pro objecto et fine, n ecesse
est quod objectum fid ei et finis prop ortion aliter sib i eorrespon-
deant. Dictum est autem su pra, quod verita s prim a est objectum
fid ei secu n d u m quod ip sa est non visa et e a qu ibus propter ipsam
in h aeretu r. Et secund um hoc oportet quod ip sa verita s prim a se
hab eat ad actum fid ei p er m odum fin is secu n d u m ration em rei
n on visae. Quod p ertin et ad ration em rei sp era ta e, secund um
illu d A p ostoli ad R om . 8: „Quod n on vid em u s sp er a m u s“ : v e r i­
tatem en im v id e re est ipsam h a b er e ; non au tem sp erat a liq u is
id quod jam habet, se d sp e s est de hoc quod non habetur, ut
su pra dictum est.
S ic igitu r habitudo actus fidei ad finem , qui est objectum v o lu n ­
tatis, significatu r in hoc quod dicitur: „ F id es est su bstantia rerum
sp era n d a ru m .“ S u b stan tia enim so le t dici prim a in ch oatio cujus-
cum que rei, et m a x iin e qu and o tota r es seq u en s continetur v ir­
tute in prim o prin cip io: puta si dicam us quod prim a principia
in d em on strab ilia su nt su b stan tia scien tia e, qu ia scilicet p ri­
m um quod in n ob is est de scien tia su n t h u jusm odi p rincip ia, et
in eis virtu te continetur tota scien tia. P er hunc ergo m odum dici-

96
ben, er sei „der Grundbestand dessen, was man erhofft“ : 4, 1
denn der erste Seinsbeginn dessen, was wir erhoffen, ist
in uns durch die Glaubensbeistimmung, die der Keimkraft
nach alles enthält, w as wir erhoffen dürfen. Darin näm­
lich hoffen wir beseligt zu werden, daß wir iu offener
Schau die Wahrheit sehen, der wir im Glauben anhängen,
w ie es sich ergibt aus dem, was früher (I—II 3, 8 und 4,
3: Bd. 9) über die Seligkeit ausgeführt worden ist.
Das Verhältnis des Glaubensaktes zum Gegenstand des
Verstandes aber, sofern er Gegenstand des Glaubens ist,
wird damit bezeichnet, daß es heißt: „Beweis dessen, was
man nicht sieht“. Dabei wird „B ew eis“ für das Ergebnis
des B ew eises gesetzt. Durch einen B ew eis nämlich wird
der Verstand dahin gebracht, irgendeinem Wahren beizu­
pflichten; daher heißt die feste Beipflichtung des Ver­
standes zu der nicht sichtbaren Wahrheit des Glaubens
an dieser Stelle „B ew eis“. Eine andere Lesart hat deshalb
„Überführung“, w eil nämlich durch die göttliche Autorität
der Verstand des Glaubenden dazu überführt wird, sol­
chem beizustimmen, was er nicht sieht.
W ill also jemand diese Worte auf die Form einer Be­
griffsbestimmung bringen, so kann er sagen: „Der Glaube
ist ein Gehaben des Geistes, mit dem das ew ige Leben
in uns beginnt, und das den Verstand dahin bringt, sol­
chem beizustimmen, was er nicht sieht.“ Dadurch aber
unterscheidet sich der Glaube von allem ändern, w as mit
dem Verstand zu tun hat. Dadurch nämlich, daß es heißt
QUAESTIO 4, i

tur fides e sse „substantia rerum sp eran d aru m “ : qu ia scilicet


prim a inchoatio rerum sp erand aru m in nob is est p er assen su m
fid ei, q u ae virtu te continet om n es res sp eran d as. In hoc enim
sp eram u s beatificari quod vid eb iin u s aperta v isio n e veritatem
cui p er fidem ad h aerem u s: ut patet per ea quae su pra de feli-
citate dicta sunt.
H abitudo au tem actus fid ei ad objectum in tellectu s, secund um
quod est objectu m fid ei, d esignatu r in hoc quod dicitu r „argu­
m entum non ap p aren tiu m “. Et su m itu r argum entum pro argu-
m en ti e fle c tu : p e r argum entum enim in te lle ctu s in d u citu r ad in-
haeren d u m alicu i vero; u n d e ipsa firm a ad h aesio in tellectu s ad
veritatem fidei n on ap p aren tem vocatur hic argum entum . U n d e
alia littera hab et „convictio“ : qu ia sc ilic et p er auctoritatem divi-
nam in te lle ctu s c red en tis convincitu r ad a ssen tien d u m h is quae
non videt.
S i quis ergo in form am d efin itio n is h u jusm odi verb a red ucere
v e lit, potest dicere quod „fides est hab itu s m entis, quo inchoatur
vita a etern a in nob is, fa cien s in tellectu m a ssen tire non app aren-
tib u s“. P er hoc au tem fid es ab om nibu s a liis distin gu itu r qu ae
ad in tellectu m p ertin en t. P er hoc enim quod dicitur „argum en-

7 15 97
4, i „Bew eis“, unterscheidet sich der Glaube von der Mei­
nung, der Vermutung und dem Zweifel, durch welche
keine feste Beipflichtung des Verstandes zu irgend etwas
erfolgt. Dadurch aber, daß es heißt „von Dingen, die
man nicht sieht“, unterscheidet sich der Glaube vom
W issen und von der Einsicht, durch welche etwas offen­
sichtlich wird. Dadurch endlich, daß es heißt „Grund­
bestand der Dinge, die man erhofft“, unterscheidet sich
die Tugend des Glaubens vom Glauben insgem ein, welcher
nicht auf eine erhoffte Beseligung hingeordnet ist.
A lle ändern Begriffsbestimmungen des Glaubens aber,
die man vom Glauben gibt, sind Erklärungen der von dem
Apostel aufgestellten. Wenn nämlich Augustinus sagt:
„Der Glaube ist eine Tugend, kraft deren man glaubt,
was man nicht sieht“ ; und der Damascener: der Glaube
„ist eine nicht nachprüfende Beistim m ung“ ; und andere:
der Glaube ist „eine Art Gewißheit des Geistes über Ent­
ferntes, oberhalb der Meinung, aber unterhalb des W is­
sens“, so stimmt es immer mit dem überein, was der
Apostel sagt: „Beweis dessen, was man nicht sieht.“ Wenn
aber Dionysius sagt: der Glaube ist „die bleibende Grund­
feste der Gläubigen, die diese in der Wahrheit verankert
und in ihnen die Wahrheit“, so ist dies gleich dem: „Grund­
bestand der Dinge, die man erhofft“.
Z u l . „Grundbestand“ wird hier nicht als eine gegen
andere Gattungen abgesonderte allgem einste Gattung ge-
QUAESTIO 4, i

tu m “, distin guitur fid es ab op in ion e, su sp icio n e et dubitatione,


p er q u ae non est p rim a adh aasio in tellectu s firm a ad aliq u id .
P er hoc au tem quod dicitur „non ap p aren tiu m “, distin guitur
fid es a sc ien tia et in tellectu , p e r q u ae a liq u id fit ap p aren s. P er
hoc autem quod dicitur „substantia sp erand aru m reru m “, d istin ­
guitur virtu s fidei a fid e com m u niter sum pta, q u ae non ordina­
tur ad b eatitu d in em sp eratam .
O m nes au tem a lia e d efin ition es q u aecu m q u e de fid e dantur,
e x p lic a tio n e s su n t h u ju s quam A p ostolu s pon it. Q uod en im dicit
P L 35 A u gustin us [tract. 7 9 in Joan .; Quaest. E vang. lib. 2, qu. 3 9 ] :
1837,1352 „ F id es est v irtu s qu a creduntur, q u a e non v id e n tu r “ ; et quod
p g 94 dicit D am ascenu s [Orth. fid. lib. 4, cap. 1 1 ], quod fides est „non
1127 in q u isitiv u s con sen su s“ ; et a l i i 1 dicunt quod fides est „certitudo
an im i q u aed am de ab sen tib u s su p ra op in ion em et infra scien -
tiam “ ; id em est e i quod A p ostolu s dicit, „argum entum non appa-
p g 3/871 r en tiu m “. Quod vero D ion ysiu s dicit 7 cap. de D iv. Nom ., quod
Sol. 1/409 f. fides est „m an en s credentium fu n d am en tu m , collocans eos in
v erita te et in ip sis v e rita tem “, id em est e i quod dicitur, „substan­
tia rerum sp eran d aru m “.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod su bstantia non su m itu r hic
secu n d u m quod est g e n u s g e n e ra lissim u m contra a lia g en era
1 Cf. H u g o a St. V icto re, De Sacra w . L ib. I, p. X. c. 1; PL 176/330.

98
nommen, sondern insofern sich in jeder Gattung eine ge- 4, 1
w isse Ähnlichkeit des Grundbestandes findet, so w ie man
nämlich sagt, das Erste in jeder Gattung, w elches das
andere in sich der Wirkkraft nach enthält, sei der Grund­
bestand desselben [2B].
Z u 2. Da der Glaube den Verstand angeht, sofern dieser
unter dem Befehl des W illens steht, so muß er auf die
Gegenstände jener Tugenden, durch w elche sich der W ille
vollendet, als auf sein Ziel hingeordnet sein. Zu ihnen
gehört die Hoffnung (18, 1: Bd. 16). Daher wird bei der
Begriffsbestimmung des Glaubens der Gegenstand der Hoff­
nung eingesetzt.
Z u 3. Die Liebe kann Gesehenes und Nichtgesehenes,
Naheliegendes und Entferntes betreffen. Darum wird
das zu Liebende nicht in diesem eigentlichen Sinne dem
Glauben beigefügt w ie das zu Hoffende, da die Hoffnung
stets Entferntes und Nichtgesehenes betrifft.
Z u 4. „Grundbestand“ und „B ew eis“, als Bestandteile
der Begriffsbestimmung des Glaubens, besagen nicht ver­
schiedene Gattungen und auch nicht verschiedene Akte
des Glaubens, sondern das verschiedene Verhalten des
einen Aktes zu verschiedenen Gegenständen (Antwort).
Z u 5. Ein B ew eis, der aus den eigentüm lichen Urgrün­
den einer Sache genommen wird, macht die Sache offen­
sichtlich. Der B ew eis aber, den man aus der göttlichen
Offenbarung schöpft, macht die Sache nicht in sich offen­
sichtlich. Und um einen solchen B ew eis handelt es sich
in der Begriffsbestimmung des Glaubens.
QUAESTIO 4, i

divisu m : se d secu n d u m quod in q u olib et g e n e re in v en itu r q u ae­


dam sim ilitu d o su b stan tiae, prout scilicet prim um in q u olib et g e ­
nere, c o n tin en s in se a lia virtu te, dicitur e sse su bstantia illorum .
A D SE C U N D U M dicen du m quod, cum fides p ertin eat ad in tel-
leetum secu n d u m quod im peratu r a volu n tate, oportet quod ordi-
netur, sicu t ad finem , a d objecta illaru m virtu tum qu ibus per-
ficitur volun tas. In ter q u as est sp es, ut in fra patebit. Et id eo in
d efin ition e fid ei ponitur objectu m sp ei.
A D TERTIUM dicen du m quod dilectio potest esse et visorum
et non visorum , et p raesen tiu m et absen tiu m . Et id eo res dili-
gen d a non ita prop rie adaptatur fidei sicut res sp eran d a: cum
sp es se m p e r sit ab sen tiu m et non visorum .
A D Q UARTUM dicen du m , quod su b stan tia et argum entum ,
secundum quod in d efin ition e fid ei ponuntur, n on im portant di-
versa. g e n e ra fid ei n e q u e d iv erso s actus: se d d iversas h ab itu d in es
unius actus ad d iversa objecta, u t e x dictis patet.
A D Q UIN TUM dicen du m qu od argum entum quod su m itu r e x
propriis p rin eip iis rei facit rem esse ap p aren tem . S ed argu m en ­
tum quod su m itu r e x auctoritate divin a non facit rem in s e esse
ap p aren tem . Et ta le argum entum pon itu r in d efin ition e fidei.

7* 99
2. A R T I K E L
Ist der Glaube im Verstände als seinem T räger?
1. „Der Glaube bat seinen Sitz im W illen des Glauben­
den“ (Augustinus). Der W ille aber ist ein anderes Ver­
mögen als der Verstand. Der Glaube ist also nicht im
Verstand als seinem Träger.
2. Die Beistimmung des Glaubens, irgend etwas für wahr
zu halten, stammt aus dem W illen, der Gott gehorcht.
A lles Löbliche also am Glauben scheint auf dem Gehor­
sam zu ruhen. Der Gehorsam aber ist im W illen. Also
auch der Glaube. Demnach ist er nicht im Verstände.
3. Der Verstand ist entweder auf die Schau gerichtet
oder auf das Tun. Der Glaube aber ist nicht im schauenden
Verstand, der, w eil „er nichts aussagt über Nachzuah­
m endes und zu M eidendes“ (A ristoteles), nicht Tätigkeits­
grund ist; der Glaube aber ist es, der, w ie es Gal 5, 6
heißt, „durch die Liebe tätig ist“. Ebenso aber auch nicht
im Werkverstand, dessen Gegenstand das nicht fest­
liegende — zu schaffende oder zu tuende — Wahre ist.
Gegenstand des Glaubens nämlich ist das ew ige Wahre
(1, 1). Also ist der Glaube nicht in dem Verstände als
seinem Träger.
ANDERSEITS spricht dagegen, daß auf den Glauben
die Schau der ewigen Heimat folgt, nach 1 Kor 13, 12:
QUAESTIO 4, 2

ARTICULUS II
Utrum fi d e s sit in i n t e l l e c t u sicut in s u b j e c t o
[3 Sent., d is t. 23, q. 2, a rt. 3, q a 1; De v e rit., q. 14, a rt. 4]

A D SEC UND UM sic proceditur. V id etu r quod fid es non sit in


in tellectu sicut in su bjecto. D icit en im A u gustin us, in libro de
Praed. Sanct. [cap. 5 ] , quod „fides in credentium volu n tate con-
sistit“. S ed volu n tas est a lia p oten tia ab in tellectu . Ergo fides non
est in in te lle ctu sicu t in su bjecto.
2. PRAETEREA, assen su s fid ei ad a liq u id credendum provenit
ex volu n tate D eo ob ed ien te. Tota ergo la u s fid e i e x obedientia
esse vid etu r. S ed o b ed ien tia est in volun tate. Ergo et fides. Non
ergo e st in in tellectu .
3. PRAETEREA, in tellectu s est v e l sp ecu la tiv u s v e l practicus.
S ed fid es n o n est in in te lle c tu sp ecu la tiv o , qui, cum „ n ih il dicat
432 b de im itab ili et fu g ie n d o “, ut dicitur in 3 de A n im a [cap. 9 ], non
27 sq- est p rin cip iu m o p e r a tio n is: fid es autem est q u a e „per dilectio-
n em op eratu r“, ut dicitur ad Gal. 5. S im ilite r etiam n ec in in te l­
lectu practico, cujus objectu m est veru m con tin gen s fa ctib ile v e l
a g ib ile : objectum en im fid ei est veru m aeternu m , ut e x supra
dictis patet. N on ergo fides est in in te lle ctu sicut in su bjecto.
SED CONTRA est quod fid ei su cced it visio p a tria e: secund um

100
„Wir schauen jetzt durch einen Spiegel im Räteei; dann 4, 2
aber von Angesicht zu Angesicht.“ Die Schau aber ist im
Verstände. Also auch der Glaube.
ANTWORT: Da der Glaube Tugend ist, so gehört es
sich, daß sein Akt vollkommen sei. Zur Vollkommenheit
aber eines Aktes, der aus zwei wirkmächtigen Quell­
gründen hervorgeht, wird erfordert, daß jeder der beiden
Wirkgründe vollkommen sei; man kann nämlich nicht
gut schneiden, wenn nicht der Schneidende seine Arbeit
versteht und die Säge zum Schneiden gut bereitet ist.
Die Ausrichtung aber auf das richtige Tun in jenen
Seelenverm ögen, die [an sich] auf Entgegengesetztes ein­
gestellt sind, ist das Gehaben (I—II 49, 4 Zu 1, 2, 3:
Bd. 11). Und so muß der Akt, der aus zwei solchen Ver­
mögen hervorgeht, vollkommen sein kraft eines Gehabens,
das in jedem von beiden Vermögen vorgegeben ist. Nun
ist Glauben ein Akt des Verstandes, w obei dieser vom
W illen zur Beistimmung bewegt wird (2, 1 Zu 3; 2, 9;
4, 1); ein solcher Akt geht nämlich vom Willen u n d vom
Verstände aus, die beide von Natur so geartet sind, daß
sie durch ein Gehaben vervollkommnet werden können
(I—II 50, 4 u. 5: Bd. 11). Also muß sowohl im W illen
als auch im Verstände ein Gehaben sein, wenn der Glau­
bensakt vollkommen sein soll, so w ie dazu, daß ein Akt
des Begehrungsvermögens vollkommen sei, das Gehaben
der Klugheit in der Vernunft und das Gehaben der Mäßi­
gung im Begehrungsverm ögen vorhanden sein muß. Glau-

QÜAESTIO 4. 2

illud 1 ad Cor. 13: „V id em u s nunc per sp ecu lu m in aen igm ate,


tune au tem fa c ie ad fa c ie m .“ S e d v isio est in in tellectu . Ergo et
fides.
RESPONDEO dicen d u m quod, cum fid es sit qu aed am virtus,
oportet quod actus e ju s sit p erfectus. Ad p erfection em autem
actus qui e x duobus a ctiv is prin eip iis proced it req uiritur quod
utrum que activorum p rincip iorum sit p erfectum : non en im b en e
potest secari n isi et secan s hab eat artem et serra sit b e n e dis-
posita ad secandu m . D isp o sitio autem ad b e n e a g en d u m in illis
p oten tiis a n im a e q u ae s e h ab en t ad opp osita est hab itu s, ut
supra dictum est. Et id eo oportet quod actus p roced en s e x dua-
bus talib u s p o ten tiis sit p erfectu s habitu aliq uo p r a e ex iste n te in
utraque potentiarum . Dictum autem est su pra quod cred ere est
actus in tellectu s secu n d u m quod m ovetur a volu n tate ad assen-
tien d u m : procedit enim h u jusm odi actus a volu n tate et ab in te l­
lectu. Q uorum u terq u e n atu s est p e r hab itu m perfici, secund um
praedicta. Et id eo oportet quod tarn in volu n tate sit a liq u is h a b i­
tus quam in in tellectu , si d eb eat actus fid ei e sse p erfectu s: sicut
etiam ad hoc quod actus concu p iscib ilis sit perfectus, oportet quod
sil habitus p ru d en tiae in ratione et hab itu s tem p eran tiae in con-

101
4, 2 ben aber ist unmittelbar ein Akt des Verstandes; denn
der Gegenstand dieses Aktes ist das Wahre, das in aus­
gesprochener W eise dem Verstände zugehört. Also ist der
Glaube, welcher der eigentliche Quellgrund dieses Aktes
ist, notwendig im Verstände als seinem Träger [24].
Z u l . Augustinus nimmt Glauben als A k t des Glaubens,
von dem es heißt, er bestehe im W illen der Gläubigen,
sofern der Verstand auf Geheiß des W illens dem Glau­
bensgegenstand beistimmt.
Z u 2. Nicht nur muß der W ille bereit sein zum Ge­
horchen, sondern auch der Verstand richtig verfaßt sein,
um dem Geheiß des W illens zu folgen, wie auch die Be­
gierdekraft richtig verfaßt sein muß, um dem Geheiß der
Vernunft zu folgen. Demnach muß nicht nur im gebieten­
den W illen, sondern auch im beistimmenden Verstand das
Tugendgehaben vorhanden sein.
Z u 3. Der Glaube ist im schauenden Verstand als in
seinem Träger, w ie es sich aus dem Gegenstand des Glau­
bens deutlich ergibt. W eil aber die Erstwahrheit, der
Glaubensgegenstand, das Ziel aller unserer Sehnsüchte
und Handlungen ist (Augustinus), so kommt es, daß er
durch die Liebe tätig ist. So w ie auch der schauende Ver­
stand in seiner Auswirkung tatbezogen wird (A ristoteles).

QUAESTIO 4, 2

cupiscibili. C redere autem im m ed iate est actus in tellectu s: quia


objectum hu ju s actus est veru m , quod proprie p ertin et ad in tel-
leetum . Et id e o n e c esse est quod fid es, qu ae est proprium prin-
cip iu m h u ju s actus, s it in in te lle ctu sic u t in su bjecto.
AD PRIM UM ergo dicen du m quod A u gu stin u s fidem accipit
pro actu f id e i: qui d icitu r con sistere in cred en tiu m v o lu n ta te in ­
quantum e x im p erio vo lu n ta tis in te lle ctu s cre d ib ilib u s assentit.
AD SEC U N D U M dicen du m quod non solu m oportet volun tatem
esse prom ptam ad ob ed ien d u m , se d etiam in tellectu m esse b e n e
d isp ositum a d se q u en d u m im p eriu m v olu n tatis: sicu t oportet
co.ncupiscibilem esse b e n e d isp ositam ad seq u en d u m im perium
rationis. Et id eo non solu m oportet esse habitum virtu tis in
volu n tate im peran te, se d etiam in in tellectu assen tien te.
AD TERTIUM dicen du m quod fides est in in tellectu specu-
lativo sicut in su b jecto: ut m an ifeste patet e x fidei objecto. Sed
quia verita s prim a, quae est fidei objectum , est finis om nium
PL42 d esideriorum et actionum nostrarum , ut patet p er A u gustin um
8348sq ' rl 1 de Trin. [cap. 8 , 1 0 ] ; linde est quod p er d ilec tio n e m opera-
tur. Sicut etiam in tellectu s sp ecu lativu s ex ten sio n e fit practicus,
433a 14 ut d icitu r in 3 de A nim a [cap. 10].

102
3. A R T I K E L
Ist die Gottesliebe Form des Glaubens?
1. Ein jedes Ding kommt zu seiner Artbestimmtheit durch
seine Wesensform. Von Dingen also, die sich in Gegen­
überstellung scheiden w ie verschiedene Artbestimmtheiten
einer Gattung, kann eines nicht die W esensform des än­
dern sein. Glaube aber und Gottesliebe stehen sich ge­
trennt gegenüber w ie verschiedene Arten von Tugend
(1 Cor 13, 13). Also kann die Gottesliebe nicht die W esens­
form des Glaubens sein.
2. W esensform und dasjenige, zu dem die W esensform
gehört, sind in ein und dem selben; denn aus ihnen wird
ein einfachhin Eines. Der Glaube aber ist im Verstand,
die Gottesliebe im W illen. Also ist die Gottesliebe nicht
Form des Glaubens.
3. Die Wesensform ist Seinsgrund des Dinges. Seins­
grund des Glaubens scheint aber von seiten des W illens
mehr der Gehorsam als die Gottesliebe zu sein; nacli
Röm 1, 5: „Zum Glaubensgehorsam unter allen Völkern.“
Also ist eher der Gehorsam als die Gottesliebe Form des
Glaubens.
ANDERSEITS wirkt ein jegliches kraft seiner W esens­
form. Der Glaube aber „wirkt durch die Liebe“ [Gal 5, 6].
Also ist die Hingabe der Gottesliebe Form des Glaubens.

QUAESTIO 4, 3

ARTICULUS III
Utrurn caritas sit forma fidei
[In fra 23, 8; 3 S en t., d is t. 23, q. 3, a rt. 1, qa. 1; d ist. 27, q. 2, a rt. 4, q a 3;
De v e rit., q. 14, a rt. 5; De c h a rit., a rt. 3]
AD TERTIUM sic proceditur. V id etu r quod caritas non sit
form a fidei. U n um q uodq ue enim sortitur sp ec iem p e r su am for-
m am . Eorum ergo q u a e e x op p osito d ivid u n tu r sicu t d iv ersa e
sp e c ie s u n iu s g e n e ris, un um n on potest e sse form a alteriu s. S ed
fid e s et caritas dividu ntur e x opposito, 1 Cor. 13, sicut d iversae
sp e c ie s virtu tis. Ergo caritas non potest esse form a fidei.
2. PRAETEREA, form a et id cujus est form a su n t in eodem :
quia e x e is fit unum sim p liciter. S e d fides est in in tellectu , cari­
tas autem in volu n tate. E rgo caritas non est form a fidei.
3. PRAETEREA, form a est princip iu m rei. S e d principium
credend i e x parte volu n tatis m agis vid etu r esse o b ed ien tia quam
c a rita s: secu n d u m illu d ad Rom . 1 : „Ad obed ien d u m fid ei in Om­
n ib u s g e n tib u s.“ Ergo o b ed ien tia m agis est form a fid e i quam
caritas.
SED CONTRA est quod u n u m q u od q u e op eratur p e r su am for-
m am . F id es autem „per dilection em op eratu r“. Ergo dilectio cari-
ta tis est fid ei form a.

103
4, 3 ANTWORT: Die w illentlichen Handlungen empfangen
ihre Artbestimmtheit von dem Ziel, das Gegenstand des
W illens ist (I—II 1 , 8 ; 18, 6: Bd. 9). Das aber, wovon
etwas seine Artbestimmtheit erlangt, verhält sich nach Art
der W esensform in naturgeleiteten Dingen. Also ist in ge­
wissem Sinne Form einer jeglichen willentlichen Hand­
lung das Ziel, auf das sie hingeordnet ist, einerseits, w eil
sie von ihm ihre Artbestimmtheit erhält, anderseits, weil
auch die H andlungsweise in verhältnismäßiger Entspre­
chung zum Ziele stehen muß. Der Akt des Glaubens aber
ist auf den Gegenstand des W illens, w elcher das Gute ist,
als auf sein Ziel hingeordnet (Art. 1). D ieses Gute aber,
welches das Ziel des Glaubens ist, nämlich das göttliche
Gute, ist der eigentliche Gegenstand der Gottesliebe.
Darum heißt die Gottesliebe Form des Glaubens, sofern
durch die Gottesliebe der Glaubensakt vollendet und be-
formt wird [25].
Z u l . D ie Gottesliebe, sagt man, ist Form des Glaubens,
insofern sie den Akt desselben beformt. Nichts aber steht
im W ege, daß ein und derselbe Akt von verschiedenen
Gehaben durchformt wird und demgemäß nach bestimmter
Ordnung auf verschiedene Artbestimmtheiten zurückge­
führt wird, w ie früher (I—II 18, 7 Zu 1: Bd. 9) dargetan
wurde, als von den menschlichen Handlungen im allge­
m einen die Rede war.
Z u 2. Dieser Einwand geht von der inneren W esens­
form aus. In dieser W eise ist die Gottesliebe nicht Form
QUAESTIO 4, 3

RESPONDEO dicendum quod, sicut e x su p eriorib u s patet, actus


volu n tarii sp ec iem recip iu n t a fine, qui est volu n tatis objectum .
Id au tem a quo a liq u id sp ec iem sortitu r se h a b et ad m odum
form ae in reb us n atu ralib u s. Et id eo c u ju slib et actus volu n tarii
form a qu odam m odo est fin is ad q u em ordinatur: tum qu ia e x
ip so recip it sp e c ie m ;1 tum etiam qu ia m odus action is oportet
quod resp on d eat p r op ortion aliter fini. M anifestum est au tem e x
p raed ictis quod actus fid e i ordinatur ad objectu m volu n tatis,
quod est bonum , sicu t a d finem . H oc autem bon um qu od est
fin is fid ei, sc ilic et bon um divinu m , est prop riu m objectu m cari-
tatis. Et id e o caritas dicitur form a fid ei, inq uantu m p er cari-
tatem actus fidei perficitur et form atur.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod caritas dicitur e sse form a
fidei inquantum inform at actum ipsiu s. N ihil autem prohibet
unum actum a d iversis hab itib us inform ari, et secund um hoc ad
d iversas sp e c ie s red uci o rd in e q u o d a m : ut su pra dictum est, cum
de actib us hu m an is in com m uni ageretur.
A D SEC U N D U M dicen du m quod objectio illa proced it de form a
1 P : fo rm am .

104
des Glaubens, sondern nur insofern sie seinen Akt durch- 4, 4
formt (Antwort).
Z u 3. Auch der Gehorsam, ebenso die Hoffnung und
jede andere Tugend, die etwa dem Glaubensakt voran­
gehen kann, wird von der Gottesliebe beformt (23, 8:
Bd. 16). Darum wird gerade die Gottesliebe als Form des
Glaubens aufgestellt.
4. A R T I K E L
Kann der unbeformte Glaube ein beformter werden
und umgekehrt? [26]
1. 1 Kor 13, 10 heißt es: „Kommt das Vollendete, dann
wird das, was Stückwerk ist, abgetan werden.“ Der un­
beformte Glaube aber ist im Hinblick auf den beformten
unvollkommen. Kommt also der beformte Glaube hinzu,
so wird der unbeformte Glaube entfernt, so daß es sich
der Zahl nach nicht um ein und dasselbe Gehaben handelt.
2. Was tot ist, wird nicht wieder lebendig. Der unbe­
formte Glaube aber ist tot, nach Jak 2, 20: „Der Glaube
ohne Werke ist tot.“ Der unbeformte Glaube kann also
nicht zum beformten werden.
3. Die Gnade Gottes hat bei ihrem Kommen im gläubi-

QUAESTIO 4, i

intrin seca. Sic autem caritas non est form a fid ei, se d prout in-
form at actum eju s, ut su p ra dictum est.
A D TERTIUM d'icendum qu od etiam ip sa ob ed ien tia, et sim i­
lite r sp e s et qu aecum q ue alia virtu s posset p ra eced ere actum
fidei, r a tio n a b ilite r 1 form atur a caritate, sicut in fra patebit.
Et id eo ip sa caritas ponitur form a fidei.

A R T I C U L U S IV
Utrum f i d e s i n f o r m i s possit fi er i formata, vel
e converso
[3 Sent., d is t. 23, q. 3, a rt. 4; 4, d ist. 17, q. 2, a rt. 1, q a 3 Corp.;
De v e rit., q. 14, a rt. 7; R o m . 1, le c t. 6]
A D QUARTUM sic proced itu r. V id etu r quod fid es in form is non
fiat form ata, nec e converso. Q uia, ut dicitu r 1 ad Cor. 13, „cum
v e n e rit quod perfectum est, evacu abitur quod e x parte est“. Sed
fid es inform is im p erfecta est resp ectu form atae. Ergo, a d v en ien te
fid e form ata, fid es in form is exclu d itu r, u t non sit un us h ab itu s
num ero.
2. PRAETEREA, illu d quod est m ortuum , non fit vivum . S ed
fides in form is est m ortua: secund um illu d Jac. 2: „F id es sin e
op erib u s m ortu a est.“ Ergo fides in form is non potest fieri for­
m ata.
3. PRAETEREA, gratia D e i a d v e n ie n s non hab et m inorem
1 L om .

105
4, 4 gen Menschen keine geringere Wirkung als im ungläubi­
gen. Kommt sie aber zu einem ungläubigen Menschen,
so verursacht sie in ihm das Gehaben des Glaubens.
Kommt sie also zu einem gläubigen, der bisher das Ge­
haben des unbeformten Glaubens hatte, so verursacht sie
in ihm ein anderes Glaubensgehaben.
4. Ein B eiw esen kann nicht in ein anderes Beiwesen
verwandelt werden (Boethius). Der Glaube aber ist ein
Beiw esen. Also kann der näm liche Glaube nicht bald be-
formt, bald unbeformt sein.
ANDERSEITS sagt die Glosse bei Erklärung des Satzes
,Der Glaube ohne W erke ist tot“: „Durch sie lebt er w ie­
der auf.“ Also wird ein Glaube, der bisher tot und unbe­
formt war, beformt und lebendig.
ANTWORT: Es hat hierüber verschiedene Meinungen
gegeben. Einige nämlich sagten, das Gehaben des beform-
ten und das des unbeformten Glaubens sei ein je ver­
schiedenes Gehaben; kommt der beformte Glaube, so
schwindet der unbeformte. Begeht also der Mensch, der
bisher einen beformten Glauben besaß, eine Todsünde,
so tritt an dessen Stelle, von Gott eingegossen, ein anderes
Glaubensgehaben, das des unbeformten Glaubens. —
Solches aber ist wohl nicht angem essen, daß, wenn die
Gnade über einen Menschen kommt, sie irgendeine Gabe
Gottes ausschließen sollte, und ebenso nicht, daß einem
Menschen w egen einer Todsünde irgendeine Gabe Gottes
sollte eingegossen werden.

QUAESTIO 4, «

effectum in h om in e fid eli quam in fid eli. S ed a d v e n ie n s hom ini


in fid eli causat in eo habitum fidei. Ergo etiam a d v e n ie n s fid eli
q ui h ab eb at prius habitum fid ei in form is causat in eo aliu m
habitum fidei.
4. PRAETEREA, sicut B oetiu s dicit,1 aceidentia alterari non
possunt. S e d fid es est quoddam accidens. E rgo non potest eadem
fides q u and oqu e e sse form ata et qu and oqu e inform is.
SED CONTRA est quod su p er illu d : ,F id es sin e operib us
Ex B eda m ortua est“, dicit G lossa (in terlin .), „qu ibus r ev iv iscit“. Ergo
V en. fides q u a e erat p r iu s m ortu a et in fo rm is fit form ata et viven s.
P L 93/2i c RESPONDEO dicen du m quod circa hoc fu eru n t d iversae opi-
n ion es. Q uidam 2 en im d ixeru n t quod a liu s est habitus fidei for-
m atae et inform is, se d a d v en ien te fide form ata, tollitur fides in ­
form is. Et sim ilite r h om in e post fid e in form atam p eccan te m or-
taliter, su ccedit aliu s habitus fidei inform is a D eo infusus. — S ed
hoc non v id etu r esse co n v en ien s quod gratia a d v e n ie n s hom ini
aliq uod D e i donum exclud at: neq u e etiam quod aliquod D ei do-
num h o m in i in fun datu r propter peccatum m ortale.
1 Cf. In Categ'. A rist. Uh. 1, d e Su b st. (PL 64/199 sqq.l.
® Cf. W ilh . v. A u x e rre , Sum m . A ur. lib . 3, tr . 15, q u . 2, 3.

106
Darum sagten andere, das Gehaben des beformten und 4, 4
das des unbeformten Glaubens seien zwar je verschiedene
Gehaben; kommt aber der beformte Glaube, so wird das
Gehaben des unbeformten Glaubens nicht hinweggenom-
men, sondern bleibt in dem selben Menschen zusammen
mit dem Gehaben des beformten Glaubens. — Aber auch
dies scheint unangem essen, daß in dem, der einen beform­
ten Glauben hat, das Gehaben des unbeformten Glaubens
untätig Zurückbleiben soll.
Man muß also anders sagen: das Gehaben des beform­
ten und des unbeformten Glaubens ist ein und dasselbe.
Der Grund dafür ist, daß das Gehaben seine Unterschei­
dung aus dem nimmt, was in erster Linie das Gehaben
angeht. Da aber der Glaube eine Vollendung des Ver­
standes ist, so geht dasjenige in erster Linie den Glauben
an, was dem Verstand zugehört; w as aber dem W illen
zugehört, geht nicht in erster Linie den Glauben an, der­
art, daß das Gehaben des Glaubens etwa daraus eine Ver­
schiedenheit ziehen könnte. Die Unterscheidung von be-
formtem und unbeformtem Glauben aber richtet sich nach
dem, was den W illen angeht, d. h. nach der Gottesliebe,
nicht aber nach dem, w as den Verstand angeht. Demnach
sind beformter und unbeformter Glaube nicht verschie­
dene Gehaben.1
Z u l . Das Wort des Apostels ist zu verstehen von dem
Fall, daß die Unvollkom m enheit im W esen dessen liegt,
was unvollkommen ist. Dann natürlich, wenn das Voll-

QUAESTIO 4, 4

Et id e o a lii - d ixeru n t quod su nt qu idem d iversi h ab itu s fidei


form atae et inform is, se d tarnen, a d v e n ie n te fid e form ata, non
tollitur h ab itu s fid ei inform is, se d sim u l m anet in eod em cum
habitu fid ei form atae. — S e d hoc etiam vid etu r e sse in con ven ien s
quod hab itu s fid ei inform is in hab en te fidem form atam rem an eat
otiosus.
Et id eo a lite r dicen du m quod idem est hab itu s fidei form atae
et inform is. Cujus ratio est qu ia hab itu s diversificatu r secund um
illu d quod per s e ad habitum pertin et. Cum autem fides sit per-
fectio in tellectu s, illu d p er se ad fidem p ertin et quod p ertin et
ad in tellectu m : quod autem p ertin et ad volu n tatem non p er se
p ertin et ad fidem , ita quod per hoc fidei hab itu s possit d iversi-
ficari. D istinctio autem fidei form atae et in form is est secund um
id quod p ertin et ad volun tatem , id est secu n d u m caritatem : non
autem secu n d u m illu d quod pertin et ad intellectu m . U n d e fides
form ata et in form is n on su n t diversi habitus.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod verb u m A p ostoli est intel-
ligen d u m quando im p erfectio est de ration e im p erfecti. Tune
1 V gl. h ie rz u Bd. 11, 622.
2 Cf. A lex . H a len s., Sum m . T h eo l. p a rs 3, q u . 64, m . 6.

8* 107
4, 4 kommene eintritt, muß das Unvollkommene weichen, w ie
beim Eintreten der offenen Schau der Glaube weichen
wird, der aus seinem W esen heraus solches betrifft,
„was man nicht sieht“. Wenn aber die Unvollkommenheit
nicht zum W esen einer unvollkommenen Sache gehört,
dann wird jenes zahlenmäßig ein und selbige, das unvoll­
kommen war, vollkommen; so w ie Kindsein nicht zum
Wesen des Menschen gehört, und demnach eben der zahlen­
mäßig ein und selbige, der Kind war, zum Manne wird.
Unbeformtheit des Glaubens aber liegt nicht im Wesen
des Glaubens, sondern verhält sich zu ihm beiläufig (Ant­
wort). Darum wird der unbeformte Glaube selbst zum
beformten.
Z u 2. Das, w as das Leben im Sinnenw esen ausmacht,
gehört zu seinem eigenen W esen; denn es ist seine W e­
sensform, nämlich die Seele. Daher kann ein Totes nicht
zu einem Lebenden werden; w as tot ist, ist vielmehr
seiner Artbestimmtheit nach etwas anderes, als was lebend
ist. Was aber den Glauben zu einem beformten oder
lebendigen macht, liegt nicht im W esen des Glaubens.
Darum stimmt der Vergleich nicht.
Z u 3. Die Gnade bewirkt den Glauben nicht nur dann,
wenn der Glaube neu anfängt, im Menschen zu sein, son­
dern auch solange der Glaube anhält. Gott bewirkt näm­
lich stets die Rechtfertigung des Menschen, w ie die Sonne
stets die Durchleuchtung der Luft (I 104, 1: Bd. 8; I—II
109, 9: Bd. 14). Demnach bringt die Gnade nicht weniger

QUAESTIO 4, 4

enim oportet quod, a d v en ien te p erfecto, im perfectu m exclud a-


tur: sicut, a d v e n ie n te aperta v isio n e , exclu d itu r fides, de cujus
ratione est ut sit n on a p p aren tiu m . S e d quando in ip erfectio non
est de ration e r ei im p erfectae, tune illu d nu m ero id em quod erat
im perfectu m fit p erfectu m : sicut p u er itia non est de ratione
h om inis, et id e o id em nu m ero q u i erat p u er fit vir. In form itas
autem fid e i n on est de ratione fid ei, se d p er accidens se habet
ad ipsam , ut dictum est. U n d e ipsam et fid es inform is fit form ata.
A D SE C U N D U M dicen du m quod illu d quod facit vitam an i-
m alis est de ratione ip siu s, quia est form a e ssen tia lis eju s, scili-
cet anim a. Et id e o m ortuum fieri vivu m non potest, se d aliu d
sp ec ie est quod est m ortuum et quod est vivum . S ed id quod
facit fidem e sse form atam v e l v iv a m non est de essen tia fidei.
Et id e o n on est sim ile .
A D TERTIUM dicen du m quod gratia facit fidem non solum
quando fides de novo in cip it e sse in hom ine, se d etiam quam diu
fides durat: dictum est enim su pra quod D e u s sem p er operatur
justification em hom inis, sicut so l se m p e r operatur illum inatio-
nem aeris. U n d e g r a tia non m inus facit a d v e n ie n s fid eli quam

108
hervor, wenn sie zu einem Gläubigen kommt, als wenn 4, 5
sie zu einem Ungläubigen kommt; denn in beiden bewirkt
sie den Glauben, in dem einen zwar kräftigend und ver­
vollkommnend, in dem ändern neuschaffend.
Man kann auch sagen, es sei zufällig, nämlich wegen
der Verhaltungsweise des Trägers, daß die Gnade in dem,
der ihn bereits besitzt, den Glauben nicht mehr verursacht;
so w ie umgekehrt die zweite Todsünde die Gnade nicht
mehr von dem wegnimmt, der sie durch die vorausgehende
Todsünde bereits verloren hat.
Z u 4. Dadurch, daß ein beformter Glaube zu einem
unbeformten wird, wandelt sich nicht der Glaube selbst,
sondern wandelt sich der Träger des Glaubens, welcher
die Seele ist; dieser hat nämlich bisw eilen den Glauben
ohne die Liebe, bisw eilen aber zusammen mit der Liebe.

5. ARTIKEL
Ist der Glaube eine Tugend?
1. Die Tugend ist auf das Gute gerichtet, denn „Tugend
ist, was ihren Inhaber gut macht“ (Aristoteles). Der Glaube
aber ist auf das Wahre hingeordnet. Also ist der Glaube
keine Tugend.
2. Vollkommener ist die eingegossene als die erworbene
Tugend. Der Glaube aber wird w egen seiner Unvollendet-
QUAESTIO 4, 0
a d v en ien s in fid e li: qu ia in utroqu e operatur fidem , in uno q u i­
dem confirm ando et perficien d o, in a lio d e novo creando.
V e l potest d ici quod hoc est p er accidens, sc ilic et propter dis-
p osition em su bjecti, quod gratia n on causat fidem in eo qui
hab et. Sicut e contrario secund um peccatum m ortale non tollit
gratiam ab eo qui eam a m isit p er peccatum m ortale praeced en s.
A D Q UARTUM dicen du m quod p er hoc quod fid es form ata fit
in form is non m utatur ip sa fides, se d m utatur su b jectu m fidei,
quod est anim a: quod q u and oqu e qu id em hab et fidem sin e cari­
tate, qu and oqu e autem cum caritate.

ARTICULUS V
Utrum fides sit virtus
[I—I I 65, 4; 3 S en t., d is t. 23, q. 2, a rt. 4, q a 1; q. 3, a r t. 1, q a 2;
De v e rit., q. 14, a rt. 3 e t 6; in R o m . 1, le c t. 6]
A D Q UIN TUM sic proceditur. V id etu r quod fides non sit vir-
tus. V irtus en im ordinatur ad bonum : nam „virtu s est qu ae bo­
num facit h a b en tem “, ut dicit P h ilosop h u s in 2 Ethic. [cap. 5 ]. liotia
S ed fides ordinatur ad veru m . Ergo fides non est virtu s. 15 sq-
2. PRAETEREA, p erfeetior est virtu s in fu sa quam acquisita.
S ed fides, propter su i im p erfection em , n on ponitur inter virtu tes

109
4, 5 heit nicht unter die erworbenen Verstandestugenden ge­
rechnet (A ristoteles). Noch viel weniger kann er dem­
nach als eingegossene Tugend hingestellt werden.
3. Beformter und unbeformter Glaube sind von einer
und derselben Artbestimmtheit (Art. 4). Der unbeformte
Glaube aber ist keine Tugend, denn er hat keine Ver­
knüpfung mit anderen Tugenden. Also ist auch der be-
formte Glaube keine Tugend.
4. Die über Gebühr geschenkten Gnadengaben und die
Früchte [des H eiligen Geistes] werden von den Tugen­
den unterschieden. Der Glaube aber wird unter den über
Gebühr geschenkten Gnadengaben aufgezählt, 1 Kor 12, f),
und ebenso unter den Früchten [des H eiligen G eistes],
Gal 5, 23. Der Glaube ist also keine Tugend.
ANDERSEITS wird der Mensch durch die Tugenden
gerechtfertigt; denn „die Gerechtigkeit ist der Inbegriff
der Tugend“ (A ristoteles). Gerechtfertigt aber wird der
Mensch durch den Glauben, nach Röm 5, 1: „So laßt uns
denn, gerechtfertigt aus dem Glauben, im Frieden leben“
usw. Also ist der Glaube eine Tugend.
ANTWORT: Menschliche Tugend ist das, wodurch das
menschliche Handeln gut wird (I—II 55, 3 u. 4: Bd. 11).
Jedw edes Gehaben also, das stets Quellgrund guten Han­
delns ist, kann eine menschliche Tugend genannt wer­
den. Ein solches Gehaben aber ist der beformte Glaube.
Da nämlich glauben ein Akt des Verstandes ist, der [aller­
dings nur] auf Geheiß des W illens dem Wahren beistimmt,
so werden zur Vollkommenheit dieses Aktes zw ei Dinge
Q u a e s t i o 4, »
1139a in tellectu a les acquisitas: ut patet p er P hilosoph um in 6 Ethic.
i i 3 »b
l caP- 2, 3 ] . Ergo m ulto m in u s potest poni virtu s infusa.
15 sq q . 3- PRAETEREA, fides torm ata et inform is su nt eju sd em sp e-
ciei, u t dictum est. S e d fid es in form is non est virtu s: quia non
h a b et c o n n e x io n e m cum a liis virtu tib us. Ergo n ec fid e s form ata
est virtus
4. PRAETEREA, gratiae gratis datae et fructus distinguuntur
a virtu tib us. S ed fides enum eratu r inter gratias gratis datas, 1 ad
Cor. 12: et sim ilite r inter fructus, ad G al. 5. Ergo fides non est
virtus.
SED CONTRA est q u od hom o p e r v irtu tes justificatur: nam
U 30a9 „justitia est tota v irtu s“, ut dicitur in 5 Ethic. [cap. 3 ] , S ed per
fidem hom o justificatur: secu n d u m illu d ad Rom. 5: „Justificati
ergo e x fid e pacem h a b ea m u s“ etc. E rgo fid es est virtu s.
RESPO N D Eü d icen d u m quod, sic u t e x p raed ictis patet, virtu s
h u m ana est per quam actus hu m anu s redditur bonus. U n de
qu icum que hab itu s est sem p er princip iu m boni actus, potest dici
virtus hu m ana. T älis au tem h ab itu s est fides form ata. Cum enim
cred ere s it actus in tellectu s a sse n tie n tis vero e x im p erio v o lu n ­
tatis, ad hoc quod iste actus sit p e rfectu s duo req u iru n tu r. Quo-

110
erfordert. Einmal, daß der Verstand unfehlbar auf sein 4, 5
[Eigen-]Gut zielt, welches das Wahre ist; dann aber, daß
der W ille unfehlbar auf das letzte Ziel hingeordnet ist,
um dessentwegen der W ille dem Wahren beistimmt. Bei­
des findet sich in dem Akte des beformten Glaubens. Denn
' im W esen des Glaubens als solchen liegt es, daß der Ver­
stand stets auf Wahres zielt, w eil dem Glauben Falsches
nicht unterliegen kann (1, 3). Von der Gottesliebe aber,
welche den Glauben beformt, hat es die Seele, daß der
W ille unfehlbar auf das gute Ziel hingeordnet ist. Dem­
nach ist der beformte Glaube eine Tugend.
Der unbeformte Glaube aber ist keine Tugend. Denn
mag auch der Akt des unbeformten Glaubens von seiten
des Verstandes die gebührende Vollendung haben, so hat
er sie doch nicht von seiten des W illens, so w ie auch die
Maßhaltung in der Begehrungskraft ohne Klugheit im
Vernunft vermögen keine Tugend wäre ( I —II 58, 4 u.
65, 1: Bd. 11); denn zu einem Akt der Maßhaltung wird
sowohl ein Akt der Vernunft als auch ein Akt des B e­
gehrungsvermögens erfordert. Und so wird zu einem Akt
des Glaubens ein Akt des W illens und ein Akt des Ver­
standes verlangt.
Z u l . Das Wahre selbst ist das Gut des Verstandes, denn
es ist seine Vollendung. Demnach hat der Glaube, insofern
durch den Glauben der Verstand zum Wahren bestimmt
wird, die Hinordnung auf ein Gut. Aber darüber hinaus
hat der Glaube, sofern er durch die Gottesliebe geformt

QUAESTIO 4, 5

rum un um est ut in fa llib ilite r in tellectu s tendat in suum bonum


quod est veru m : aliu d au tem est ut volu n tas in fa llib ilite r ordi-
n etu r ad u ltim u m finem , propter q u em volu n tas assen tit vero.
Et u tru m q u e in v e n itu r in actu fid ei form atae. N ain e x ration e
ip siu s fid ei est quod in tellectu s se m p e r feratur in veru m , quia
fidei non potest su b e sse falsu m , ut su pra habitum est: ex caritate
autem , qu ae form at fidem , hab et anim a quod in fa llib ilite r volu n ­
tas ordinetur in finem bonum . Et id eo fides form ata est virtus.
F id es autem inform is non est virtu s: quia etsi hab eat p erfec-
tionem debitam actus fidei inform is e x parte in tellectu s, non
tarnen h a b et p erfectio n em debitam e x p arte volu n tatis. Sicut
etiam s i tem p era n tia esse t in con cu p iscib ili et p ru d en tia non
esset in ration ali, tem p eran tia non esset virtus, ut su p ra dictum
est: quia ad actum tem p eran tiae req uiritur et actus ration is et
actus concupiscibilis, sicut ad actum fidei requiritur actus v o lu n ­
tatis et actus intellectu s.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod ipsu m veru m est bonum
in tellectu s: cum sit e ju s p erfectio. Et id eo inq uantu m p er fidem
in tellectu s deterininatu r ad verum , fides hab et ordinem in bo­
nu m quoddam . S e d ulteriu s, inquantum fides form atur p er cari-

111
4, 5 wird, auch eine Hinordnung auf das Gute als Gegenstand
des W illens [27].
Z u 2. Der Glaube, von dem der Philosoph spricht, .stützt
sich auf die m enschliche Vernunft nicht als auf eine mit
Notwendigkeit schlußfolgernde, und so kann ihr Falsches
unterliegen. Darum ist solch ein Glaube keine Tugend.
Der Glaube aber, von dem wir sprechen, stützt sich auf die
göttliche Wahrheit, die unfehlbar ist; und so kann ihm
nichts Falsches unterliegen. Ein solcher Glaube kann also
Tugend sein.
Z u 3. Beformter und unbeformter Glaube unterscheiden
sich nicht nach ihrer Artbestimmtheit, als ob sie verschie­
denen Arten angehörten; sie unterscheiden sich vielmehr
als vollkommen und unvollkommen in der nämlichen Art­
bestimmtheit. Demnach kommt der unbeformte Glaube,
da er noch unvollkommen ist, nicht an den vollkommenen
Begriff der Tugend heran; denn „Tugend ist eine Voll­
kommenheit“ (A ristoteles).
Z u 4. Manche behaupten, der Glaube, der unter den
über Gebühr geschenkten Gnadengaben aufgezählt wird,
sei der unbeformte Glaube. — Aber diese Behauptung ist
unangebracht; denn die über Gebühr geschenkten Gnaden­
gaben, die an jener Stelle aufgezählt werden, sind nicht
allen Gliedern der Kirche gemeinsam; der Apostel sagt
dort: „Es gibt verschiedene Gnadengaben“ (1 Kor 12, 4),
und dann: „Dem einen wird dies gegeben, dem anderen
jen es“ (8 ff.). Der unbeformte Glaube aber ist allen Glie-

QU A EST IO 4, 5

tatem , h a b et etiam o rdinem ad bon um secu n d u m qu od est v o ­


lu n tatis objectum .
AD SEC U N D U M dicendum quod fides de qua P hilosoph us lo-
quitur in n ititu r ration i h u m anae non e x n ecessita te concludenti,
cu i p o test su b e sse falsu m . Et id e o ta lis fid es n on est virtu s. S ed
fid es de qua loqu im u r in n ititu r veritati d iv in a e q u ae est in fa lli-
b ilis: et ita non potest e i su b e sse falsu m . Et id e o ta lis fides
potest e sse virtus.
AD TERTIUM dicen du m quod fides form ata et inform is non
diflerun t sp e c ie sicut in d iv ersis sp ec ieb u s e x isten tes: differunt
autem sicu t perfectum et im perfectu m in eadem sp ec ie. U n de
fid es inform is, cum s it im perfecta, non p ertin git ad perfectam
rationem virtu tis: nam „virtus est p erfectio q u aed am “, ut dici-
248a 13 tur in 7 P hysic. [cap. 3 ] .
J ? 21 AD QUARTUM d icen d u m quod qu idam ponunt quod fides qu ae
a connum eratur in ter gratias gratis datas est fides inform is. — S ed
hoc non con ven ien ter dicitur. Q uia gratiae gratis datae, quae ibi
enum erantur, non su n t com m u nes om nibus m em b ris E cclesiae:
u n d e A postolus ibi dicit: „ D ivision es gratiarum su n t“ ; et h e ­
rum : „ A lb datur hoc, a lii datur illu d .“ F id e s au tem in form is est

112
dem der Kirche gemeinsam; denn die Unbeformtheit ge­
hört nicht zu seiner W esenheit, sofern er ungeschuldetes
Geschenk ist.
Demnach muß man sagen, daß er [der Glaube] an der
Stelle in irgendeinem ausgezeichneten Sinne genommen
ist, w ie im Sinne von „Standhaftigkeit im Glauben“, w ie
die Glosse meint, oder im Sinne von „Rede aus dem
Glauben“. — A ls Frucht [des H eiligen G eistes] aber ist
der Glaube gemeint, sofern er in seinem eigenen Akt um
seiner Gewißheit w illen eine Beglückung enthält. Daher
wird der Glaube Gal 5, ‘23, wo die Früchte [des H eiligen
G eistes] aufgezählt werden, als „Gewißheit über Unsicht­
bares“ erläutert [28].
6. ARTIKEL
Ist der Glaube nur einer?
1. W ie der Glaube „Gottes Gabe“ ist, nach Eph 2, 8, so
werden auch W eisheit und W issen unter die Gaben Gottes
gezählt, w ie man bei Is 11, 2 sieht. W eisheit und W issen
aber unterscheiden sich dadurch, daß die W eisheit das
Ewige, das W issen das Zeitliche betrifft (Augustinus). Da
nun der Glaube Ewiges und auch gew isses Zeitliches be­
trifft, so scheint es, daß der Glaube nicht einer sei, sondern
unterschieden in Teile.
2. Das Bekenntnis ist ein Akt des Glaubens (3, 1). Das
Glaubensbekenntnis aber ist nicht bei allen ein und das-
QUAESTIO 4, 6
com m unis Omnibus m em b ris E cclesiae: q u ia in form itas non est
de su b stan tia ejus, secu n d u m quod est donum gratuitum .
U n d e dicen du m est quod su m itu r ibi pro aliq u a fid ei e x ce l-
len tia : sicu t pro „constantia fid e i“, u t dicit G lossa (in terl.), v el cf. PL
pro „serm on e fid e i“. — F id es autem pon itu r fructus secund um 191/1653
quod hab et aliquam delectation em in su o actu, ration e certitu-
d in is. U n d e ad G al. 5, ubi en u m eran tu r fructus, e x p o n itu r fides cf. PL
„de in v isi’b ilib u s c er titu d o “. 192/160

A R T I C U L U S VI
Utrum fides sit una
[3 Sent., d ist. 23, q. 2, a r t. 4, q a 2; D e v e rit. 14, 12; E p h . 4, le c t. 2]
AD SEX TU M sic proceditur. V id etu r quod non sit una fides.
Sicut enim fid e s est „donum D e i“, ut dicitur ad Ephes. 2, ita
etiam sa p ie n tia e t sc ie n iia in ter d on a D e i com putantur; ut patet
Isa ia e 11. S e d sa p ie n tia et scien tia differunt p er hoc quod sa­
p ie n tia est de aetern is, scien tia vero de tem p oralib u s: ut patet
per A u gustin um 12 de Trin. [cap. 14, 1 5 ]. Cum ergo fid es sit de PL 42
ae ter n is et de qu ibusdam tem p oralib u s, vid etu r quod non sit una 1009,1012
fides, se d distin guatur in partes.
2. PRAETEREA, con fessio est actus fid ei, ut su p ra dictum est.
S e d n on est u n a et eadem confessio fid ei apud om nes: nam

113
4, 6 selbe; denn was wir als geschehen bekennen, haben die
alten Väter als künftig geschehend bekannt, w ie aus Is 7,
14 erhellt: „Siehe, die Jungfrau wird empfangen.“ Also
ist der Glaube nicht einer.
3. Der Glaube ist allen Christgläubigen gemeinsam.
Aber ein einzelnes B eiw esen kann nicht in verschiedenen
Trägern sein. Also kann der Glaube aller nicht einer sein.
ANDERSEITS sagt der Apostel Eph 4, 5: „Es ist nur
ein Herr, ein Glaube.“
ANTWORT: Wird der Glaube als Gehaben genommen,
so kann er zweifach ins Auge gefaßt werden. Einmal vom
Gegenstand her. Und insofern gibt es nur einen Glauben;
denn das Formgebende im Gegenstand des Glaubens ist die
Erstwahrheit, und ihr anhängend glauben wir alles, was
unter dem Glauben enthalten ist. Sodann vom Träger her.
Und insofern teilt sich der Glaube, insofern er verschiede­
nen angehört. Es ist aber offensichtlich, daß der Glaube,
wie auch jegliches andere Gehaben, vom formgebenden
Grunde seines Gegenstandes her seine Artbestimmtheit
erhält, von seinem Träger her jedoch einzelbestimmt wird.
Nimmt man also Glauben als Gehaben, vermöge dessen
wir glauben, so ist der Glaube einer seiner Artbestimmt­
heit nach, aber verschieden der Zahl nach in verschie­
denen. — Nimmt man ihn aber als das, was geglaubt
wird, so gibt es ebenfalls nur einen Glauben. Denn es ist
das näm liche, was von allen geglaubt wird. Mag nämlich
der Glaubensgegenstand, den alle gemeinschaftlich für

QUAESTIO 4, «

quod n o s confitem ur factum antiqui patres eonfitebantur fu tu ­


rum, ut patet Isa ia e 7: „Eece virgo con cip iet“. Ergo n on est u n a
fides.
3. PRAETEREA, fid es est com m u n is o m n ib u s fid e lib u s Christi.
S ed unum accidens non potest e sse in d iversis su b jectis. Ergo
non potest esse una fid es om nium .
SED CONTRA est qu od dicit A postolus, ad Ephes. 4: „U nus
D om inu s, u n a fid es.“
RESPONDEO dicendum quod fides, si sum atur pro habitu,
du p liciter potest considerari. U no m odo, e x parte objecti. Et sic
est un a fid es: objectum enim form ale fidei est verita s prim a,
cui in h a er en d o cred im u s q u aecu m q u e su b fide con tin en tu r. A lio
m odo, e x parte su b jecti. Et sic fid es diversificatu r secund um
quod est diversorum . M anifestum est autem quod fides, sicut et
q u ilib et a liu s habitus, e x form ali ration e objecti h a b et sp eciem ,
se d e x su b jecto ind ividu atur. Et ideo, si fides sum atur pro habitu
quo credim us, sic fides est una sp ec ie, et d ifier en s nu m ero in
d iversis. — S i vero su m atu r pro eo quod creditur, sic etiam est
una fides. Q uia id em est quod ab om nibus creditur: etsi sint

114
wahr halten, auch Verschiedenes enthalten, so geht doch 4, 7
alles auf eines zurück.
Z u l . Das Zeitliche, das im Glauben vorgelegt wird,
gehört zum Gegenstand des Glaubens nur in der Hinord­
nung auf ein Ewiges, w elches die Erstwahrheit ist (1, 1).
Also gibt es nur einen Glauben von Zeitlichem und Ewi­
gem. Anders aber ist es mit W eisheit und W issen, die
Zeitliches und Ewiges je entsprechend den diesen zuge­
hörigen Gesichtspunkten erwägen.
Z u 2. D iese Unterscheidung von Vergangenem und Zu­
künftigem findet nicht auf Grund irgendeiner Verschieden­
heit des Geglaubten statt, sondern auf Grund des verschie­
denen Verhältnisses der Glaubenden zu dem Geglaubten
(I—II 108, 4: Bd. 18; 107, 1 Zu 1: Bd. 14).
Z u 3. D iese Erwägung geht von der zahlenmäßigen
Verschiedenheit des Glaubens aus.
7. ARTIKEL
Ist der Glaube die erste unter den Tugenden?
1. ln der Glosse über die Stelle Lk 12, 4 ,Ich sage euch,
meinen Freunden“ heißt es: „Die Tapferkeit ist das Funda­
ment des Glaubens.“ Das Fundament aber ist eher denn
das, dessen Fundament es ist. Der Glaube ist also nicht
die erste Tugend.
QUAESTIO 4. 7
diversa cred ib ilia qu ae com m u niter om n es credunt, tarnen om ­
nia reducuntur ad unum .
AD PRIM UM ergo dic,endum quod tem p oralia qu ae in fide
proponuntur non p ertin en t ad objectum fidei n isi in ordine
ad aliq u od aeternu m , quod est veritas prim a, sicu t su p ra dictum
est. Et id eo fid es u n a est de tem p oralib u s et a etern is. S ecu s
autem est de sa p ie n tia et sc ien tia , q u ae considerant tem p oralia
e t a e ter n a se cu n d u m p rop rias r a tio n es utrorum qu e.
A D SEC U N D U M dicen du m quod illa d ifferen tia praeteriti et
fu tu ri non contingit e x aliq u a diversitate rei cred itae: se d e x
d iversa h ab itu d in e credentium ad unam rem creditam , ut etiam
su p ra habitum est.
AD TERTIUM dicen du m quod illa ratio proced it de d iver­
sita te fid ei secu n d u m nu m erum .

A R T I C U L U S VI I
Utrum fi des sit prima inter virtutes
[1—I I 62, 4, 6; 3 S en t., d is t. 23, y. 2, a r t. 5; De v e rit., q. 14, a l t . 2 corp.
e t a d 1, 2 e t 3]
A D SEPT1M UM sic proceditur. V id etu r quod fid es non sit
prim a in ter virtu tes. D icitu r en im Luc. 12, in G lossa [ordin. p l i h
Am br.] su p er illu d : ,D ico v o b is am icis m e is“, quod „fortitudo ®>4D
est fidei fu n d am en tu m “. S ed fun dam entu ni est prius eo cujus '
est fun dam entu m . Ergo fides non est prim a virtus.

115
4,7 2. Eine Glosse sagt zum Psalm 37[36] ,Beneide nicht“:
„Die Hoffnung führt zum Glauben hin.“ Die Hoffnung ist
aber eine der Tugenden (1 7 ,1 ). Also ist der Glaube nicht
die erste Tugend.
3. Der Verstand des Glaubenden neigt aus Gehorsam
gegen Gott dahin, dem beizustimmen, was des Glaubens ist
(Art. 2). Der Gehorsam ist aber ebenfalls ein e Tugend.
Der Glaube ist also nicht die erste Tugend.
4. Fundament ist nicht der unbeformte, sondern der be-
formte Glaube (Glosse zu 1 Kor 3, 11). Beformt aber wird
der Glaube durch die Gottesliebe (Art. 3). Der Glaube
hat es also von der Gottesliebe, daß er Fundament ist.
Also ist die Gottesliebe noch eher Fundament als der
Glaube; denn das Fundament ist der erste Teil eines Ge­
bäudes. Und so scheint es, daß sie früher ist als der Glaube.
5. Gemäß der Reihenfolge der Akte erkennt man die
Ordnung der Gehaben. Im Glaubensakt aber geht der Akt
des W illens, den die Gottesliebe vervollkommnet, dem
Akte des Verstandes, den die Glaubenstugend vervoll­
kommnet, voraus w ie die Ursache, die ihrer Wirkung vor­
ausgeht. Also geht die Gottesliebe dem Glauben voraus.
Also ist nicht der Glaube die erste der Tugenden.
ANDERSEITS sagt der Apostel Hebr 11, i : „Der Glaube
ist der Grundbestand dessen, was man erhofft.“ Der
Grundbestand aber hat die Bewandtnis des Ersten. Also
ist der Glaube die erste unter den Tugenden.
QUAESTIO 4, :

cf. PL 70 2. PRAETEREA, q u aed am G lossa [in terl. C assiod.] dicit, su p er


258 B dllum P salm um [3 6 ]: ,N oli aem u lari“, quod „sp es introducit ad
fid em “. S p e s autem est virtu s q u aed am , u t in fra dicetur. Ergo
fides n on est prim a virtutum .
3. PRAETEREA, su p ra dictum est quod in tellectu s credentis
inclin atu r ad a ssen tien d u m his qu ae su nt fid ei, e x ob ed ien tia
ad D eum . S ed o b ed ien tia est etiam q u aed am virtus. N on ergo
fides est prim a virtus.
4. PRAETEREA, fides in form is non est fun dam entu m , sed
cf. PL 40 fides form ata: sicut in G lossa [ord. A u g.] dicitur 1 ad Cor. 3.
215/233 Form atur autem fides p e r caritatem , ut su p ra dictum est. Ergo
191/1556
fides a caritate hab et quod sit fun dam entu m . Caritas ergo est
m agis fun dam entu m quam fid es: nam fun dam entu m est prim a
pars a ed ificii. Et ita v id etu r quod sit prior fide.
5. PRAETEREA, secund um ordinem actuum in tellig itu r ordo
habituum . S e d in actu fid ei actus volu n tatis, q u em perficit cari­
tas, p ra eced it actum in te lle ctu s, q u em p erficit fides, sic u t causa,
qu ae p raeced it effectum . Ergo caritas p raeced it fidem . N on ergo
fid es est prim a virtutum .
SED CONTRA est quod A p o sto lu s d ic it ad H ebr. 11, quod
„fides est su bstantia sp eran d aru m reru m “. S ed su bstantia habet
rationem prim i. Ergo fides est prim a in ter virtutes.

116
ANTWORT: Es kann etwas auf zw eierlei W eise früher 4 ,7
sein als ein anderes. Einmal wesentlich, sodann beiläufig.
W esentlich nun ist der Glaube die erste unter allen
Tugenden. Da nämlich in den Dingen, die das Handeln
betreffen, das Ziel der Ausgangsgrund ist (I—II 13, 3:
Bd. 9; 34, 4 Zu 1: Bd. 10; 57, 4: Bd. 11), so sind notwendig
die göttlichen Tugenden, deren Gegenstand das letzte Ziel
ist, früher als die ändern Tugenden. Das letzte Ziel muß
aber im Verstände früher gegeben sein als im W illen;
denn der W ille zielt auf etwas nur, sofern es im Ver­
stände begriffen ist. Da also das letzte Ziel verm ittels der
Hoffnung und der Liebe im W illen ist, vermittels des Glau­
bens aber im Verstände, ist notwendig der Glaube die
erste unter allen Tugenden; denn die natürliche Erkennt­
nis kann an Gott nicht heranreichen, sofern Er Gegen­
stand der Beseligung ist, als w elchen Glaube und Hoffnung
Ihn erstreben.
Beiläufig aber kann irgendeine Tugend früher sein als
der Glaube. Eine beiläufige Ursache ist nämlich beiläufig
früher. Ein Hindernis beseitigen gehört aber zur beiläufi­
gen Verursachung (A ristoteles). Und insofern können
Tugenden beiläufig früher genannt w erden als der Glaube,
sofern sie nämlich Hemmungen des Glaubens beseitigen;
so w ie die Tapferkeit die ungeordnete Furcht überwindet,
die den Glauben hemmt; die Demut aber den Stolz, des­
sentwegen der Verstand sich gegen die Unterwerfung un­
ter die Glaubenswahrheit sperrt. Und das nämliche kann
QUAESTI O 4, ;
RESPONDEO d icen d u m quod a liq u id p o te st e sse p riu s altero
d u p liciter: un o m odo, p er s e ; a lio m odo, p e r accidens. P er s e
qu id em in ter om n es virtu tes prim a est fides. Cum en im in agi-
b ilib u s fin is sit princip iu m , ut su p ra dictum est, n e c esse est
virtu tes theologicas, quarum objectum est ultim us finis, esse
priores c e te r is virtu tib us. Ip se autem u ltim u s finis oportet quod
p r iu s sit in in te lle ctu quam in v olu n tate: qu ia volu n tas non
fertur in aliq u id n isi prout est in in te lle ctu app reh en su m . U n d e
cum u ltim u s finis sit q u id em in volu n tate p e r sp em et caritatem ,
in in tellectu autem p er fidem , n ecesse est quod fid es sit prim a
in ter om n es virtu tes: qu ia n atu ralis cognitio non potest attingere
ad D eum secund um quod est objectum beatitu d in is, prout ten-
dit in ip su m s p e s et caritas.
S e d p e r a ccid en s p otest aliq u a v irtu s e sse prior fide. Causa
enim p er accidens est p er accidens prior. R em overe autem pro-
hib en s p ertin et ad causam p e r accidens, ut patet p er P hilo-
sop hu m in 8 P hysic. [cap. 4, n. 6 ]. Et secu n d u m hoc aliq u ae 255 b 27
virtu tes p ossu n t dici p er accidens p rio res fide, inq uantu m rem o-
ven t im p ed im en ta c red en d i: sicut fortitudo rem ovet inordina-
tum tim orem im p ed ien tem fid em ; h u m ilitas autem su perb iam ,
per quam in tellectu s reeusat se su b m ittere veritati fid ei. Et idem

117
4, 7 von irgendwelchen anderen Tugenden gesagt werden,
wenngleich sie nur wahre Tugenden sind unter Voraus­
setzung des Glaubens (Augustinus).1
Daraus ergibt sich die Antwort Z u 1.
Z u 2. Die Hoffnung kann, allgem ein gesprochen, nicht
zum Glauben hinführen. Denn man kann keine Hoffnung
hinsichtlich der ewigen Beseligung haben, wenn man nicht
an ihre Möglichkeit glaubt, w eil Unmögliches nicht unter
die Hoffnung fällt (I—II 40, 1: Bd. 10). Aber von der Hoff­
nung aus kann jemand dazu hingeführt werden, daß er
im Glauben beharrt, oder daß er mit Festigkeit dem Glau­
ben anhängt. Und in diesem Sinne sagt man, die Hoffnung
führe hin zum Glauben.
Z u 3. Von Gehorsam spricht man in zweifachem Sinne.
In manchen Fällen besagt er die Geneigtheit des W il­
lens, die göttlichen Gebote zu erfüllen. Und so verstanden
ist er keine besondersartige Tugend, sondern ist allgemein
in jeder Tugend beschlossen; denn alle Akte der Tugen­
den fallen unter die Gebote des göttlichen Gesetzes (I—II
100, 2: Bd. 13). Auf diese W eise wird also zum Glauben
Gehorsam erfordert. — Auf die andere W eise kann Ge­
horsam so verstanden werden, daß er eine Geneigtheit
bedeutet, die Gebote zu erfüllen, insofern sie die Bewandt­
nis des Geschuldeten haben. Und in diesem Sinne ist
Gehorsam eine besondersartige Tugend und ein Teil der
Gerechtigkeit; denn er leistet dem Oberen das Geschuldete,
indem er ihm gehorcht. Auf diese W eise ist er eine Folge
Q U A E S T I O 4, 1

p otest d ici d e a liq u ib u s a liis v ir tu tib u s: qu am vis n on sin t verae


pl 4 4 /7 4 3 v irtu tes n isi p raesu p p osita fide, ut patet per A u gustin um in
sqq- libro contra Ju lia n u m [lib . 4, cap. 3 ].
U n d e patet responsio A D PRIM UM .
A D SE C U N D U M dicen d u m quod sp es non potest u n iversaliter
in trod u cere ad fidem . Non en im potest sp e s hab eri de aeterna
b eatitu d in e n isi credatu r p o ssib ile: qu ia im p ossib ile non cadit
su b sp e, ut e x su pra dictis patet. S e d e x sp e aliq u is introduci
p otest ad hoc quod p e r se v er et in fide, v e l quod fid ei firm iter
adh aereat. Et secu n d u m hoc dicitur sp e s in troducere ad fidem .
A D TERTIUM dicen du m quod ob ed ien tia d u p liciter dicitur.
Q uandoque enim im portat in clin ation em volu n tatis ad im p len -
dum divin a m andata. Et sic non est sp e c ia lis virtu s, se d g e n e ra ­
lite r in clu d itu r in om ni virtu te: q u ia om n es actus virtu tum
cadun t su b p raecep tis le g is d iv in a e , u t su p ra dictum est. Et
hoc m odo ad fidem req u iritu r o b e d ie n tia . — A lio m odo potest
accipi o b e d ie n tia secu n d u m quod iinportat in c lin a tio n e m quan-
dam ,ad im p len d u m m andata secu n d u m quod h ab en t ration em
d ebiti. Et sic ob ed ien tia est sp ec ia lis virtu s et pars justitiae:
r ed d it en im su p erio ri debitum ob ed ien d o sib i. Et hoc m odo
i Ü b e r d ie T u g e n d e n im U n g lä u b ig e n vgl. K o m m en t, zu 10, 4.

118
des Glaubens, durch w elchen dem Menschen klar wird, 4,8
daß Gott ihm übergeordnet ist, so daß er Ihm zu gehorchen
hat.
Z u 4. Zum Begriff des Fundaments ist nicht nur erfor­
dert, daß es das Erste sei, sondern auch, daß es mit den
anderen Teilen des Gebäudes in Verbindung stehe; denn
es wäre nicht Fundament, wenn nicht die ändern T eile des
Gebäudes mit ihm zusammenhingen. Die Verbindung aber
besteht im geistigen Gebäude vermöge der Gottesliebe,
nach Kol 3, 14: „Über alles dies habet die Liebe, die das
Band der Vollkommenheit ist.“ Demnach kann der Glaube
ohne die Liebe nicht Fundament sein; dennoch braucht die
Liebe nicht früher zu sein als der Glaube.
Z u 5. Der Akt des W illens wird zum Glauben voraus­
gesetzt, jedoch nicht ein durch die Gottesliebe beformter
W illensakt. Vielm ehr setzt ein derartiger Akt den Glauben
voraus. Denn der W ille kann sich nicht mit vollkommener
Liebe auf Gott richten, wenn nicht der Verstand den rech­
ten Glauben von Ihm hat.
8. ARTIKEL
Ist der Glaube gewisser als das Wissen und die ändern
verstandhaften Tüchtigkeiten? [29]
1. Der Zw eifel ist das Gegenteil von G ewißheit; daher
scheint das gew isser zu sein, was weniger der Bezweiflung
QUAESTIO 4, 8
o b ed ien tia se q u itu r fidem , p e r quam m an ifestatu r h o m in i quod
D e u s s it su p erio r, cu i d e b e a t ob ed ire.
A D Q UARTUM dicen du m quod ad ration em fu n d am en ti non
solum req uiritur quod sit prim um , se d etiam quod sit a liis parti-
bus a ed ificii con n exu m : non enim esset fun dam entu m n isi ei
a lia e partes a ed ificii cohaererent. C on nexio autem sp iritu alis
a ed ificii est p er caritatem : secu n d u m illu d Col. 3: „Su per om nia
caritatem h ab ete, qu ae est vin eu lu m p erfectio n is.“ Et id eo fides
sin e caritate fu n d am en tu m esse non p otest: nec tarnen oportet
quod caritas sit prior fide.
A D Q U IN TU M dicen du m quod actus volu n tatis p raeexigitu r
ad fidem , n on tarnen actus v olu n tatis caritate inform atus: se d
ta lis actus praesu p p on it fidem , quia non potest volu n tas perfecto
arnore in D eum ten d ere n isi in tellectu s rectam fidem habeat
circa ipsum .
A R T I C U L U S V III
Utrum f i d e s s i t c e r t i o r s c i e n t i a et a l i i s
virtutibus intellectualibus
[3 S en t., d ist. 23, q. 2, a rt. 2, q a 3; 3 C ont. G ent., cap . 154; D e v e rit.,
q. 10, a r t. 12 a d 6 ln c o n tr.; q. 14, a rt. 1 a d 7; Jo a n . 4, le c t. 5]
AD OCTAVUM sic proceditur. V id etu r quod fides non sit
certior scien tia et a liis virtu tib u s in tellectu alib u s. D ubitatio enim

119
4, 8 unterliegen kann, so w ie in höherem Grade w eiß ist, was
weniger mit schwarz vermischt ist. Die Einsicht und das
W issen aber und ebenso die W eisheit enthalten keine Be­
zweiflung hinsichtlich dessen, wovon sie handeln; der
Glaubende aber kann bisw eilen eine Regung von Zweifel
haben und wirklich zweifeln bezüglich dessen, was des
Glaubens ist. Also ist der Glaube nicht gew isser als die
verstandhaften Tüchtigkeiten.
2. Schauen ist gew isser als Hören. „Der Glaube aber
kommt vom Hören“ (Röm 10, 17). In der Einsicht, im
W issen und in der W eisheit ist aber eine verstandhafte
Schau beschlossen. Also ist W issen oder Einsicht gew isser
als der Glaube.
3. Je vollkommener etwas im Bereich des Verstandes
ist, desto gew isser ist es. Einsicht aber ist vollkommener
als Glaube; denn durch Glauben gelangt man zur Ein­
sicht, nach Is 7, 9 in der ändern Lesart:1 „Wenn ihr nicht
glaubet, werdet ihr nicht zur Einsicht kommen.“ Und
Augustinus sagt ebenfalls vom W issen: „Durch die W is­
senschaft wird der Glaube bekräftigt.“ Es scheint also,
W issen oder Einsicht sei gew isser als der Glaube.
ANDERSEITS sagt der A postel 1 Thess 2, 13: „Als
ihr die Predigt des Wortes Gottes von uns aufnahmet“,
nämlich durch den Glauben, „nahmt ihr sie nicht als Men­
schenwort an, sondern was sie wirklich ist, als Gottes-
QUAESTIO 4. s

opponitur certitu d in i: u n d e videtur illu d e sse certiu s quod m inus


potest h a b e r e d e d u b ita tio n e ; sicu t est alibius quod est n igro
im p e rm ix tiu s. S e d in te lle ctu s et sc ien tia , et etiam sa p ie n tia , non
h ab en t d u b itation em circa ea quorum su n t: cred en s autem in-
terd um potest pati m otum d u bitationis et d u bitare de h is qu ae
su n t fid ei. Ergo fid es non est certior virtu tib u s in tellectu alib u s.
2. PRAETEREA, v isio est certior auditu. S e d „fides est ex
a u d itu “, u t dicitu r a d Rom . 10: in in te lle ctu au tem e t scien tia
et sa p ie n tia inclu ditur q u aed am in te lle ctu a lis visio. Ergo certior
est sc ien tia v e l in tellectu s quam fides.
3. PRAETEREA, quanto a liq u id est perfectiu s in bis qu ae ad
in tellectu m p ertin en t, tanto est certiu s. S e d in tellectu s est per-
fectior fide: q u ia p e r fidem ad in tellectu m perven itu r, secund um
illu d Is. 7: „ N isi cred id eritis, non in te llig e tis“, secund um aliam
PL 4-2 litteram [70 In te r p r .]. Et A u gu stin u s dicit etiam de scien tia 14 de
1037 T r i n . [cap. 1] quod „per scien tia m roboratur fid e s“. E rgo videtur
quod certior sit sc ien tia v e l in te lle ctu s quam fides.
SED CONTRA est quod A p ostolus dicit 1 ad T hess.: „Cum
ac ce p issetis a n o b is v erb u m a u d itu s“, sc ilic e t p er fid em , „aece-
p istis illu d , non ut verb um hom inum , se d sicut vere est, verbum
i S e p tu a g in ta .

120
wort.“ Nichts aber ist gew isser als das Wort Gottes. Also 4,»
ist weder das W issen noch sonst etwas gew isser als der
Glaube.
ANTWORT: Zwei der verstandhaften Tüchtigkeiten be­
fassen sich mit dem Zufälligen, nämlich die Klugheit und
die Kunsttüchtigkeit (I—II 57, 4 Zu 2: Bd. 11). Diese
überragt der Glaube in der Gewißheit vermöge seines
Stoffbereiches; denn er handelt vom Ewigen, das nicht
der Möglichkeit unterliegt, sich auch auf andere W eise
zu verhalten. — Die drei übrigen Verstandestüchtigkeiten
nun, nämlich W eisheit, W issenschaft und Einsicht, betref­
fen Notwendiges (I—II 57, 5 Zu 3: Bd. 11). Es ist aber
zu bedenken, daß von W eisheit, W issenschaft und Ein­
sicht auf zweifache W eise gesprochen wird: einmal, wie
sie vom Philosophen als Verstandestüchtigkeiten angenom­
men werden; sodann, w ie sie als Gaben des H eiligen Gei­
stes verstanden werden. Unter dem ersten Gesichtspunkt
nun muß man feststellen, daß Gewißheit zweifach in Be­
tracht gezogen werden kann. Auf die eine W eise kann
Gewißheit von der Begründung her ins Auge gefaßt wer­
den, und insofern sagt man, das sei gew isser, was die zu­
verlässigere Begründung habe. Und hiernach ist der
Glaube gew isser als die drei oben genannten [verstand­
haften Tüchtigkeiten]; denn der Glaube stützt sich auf die
göttliche Wahrheit, die drei genannten [verstandhaften
Tüchtigkeiten] aber auf die m enschliche Vernunft. Auf
die andere W eise läßt sich Gewißheit von der Seite des
Trägers aus betrachten, und insofern sagt man, gew isser

QUAESTIO 4, 3

D e i.“ S ed n ih il est certiu s verb o D ei. Ergo scien tia non est
certior fide, n ec a liq u id aliu d.
RESPONDEO d icen d u m quod, sic u t su p ra dictum est, virtu tum
in tellectu aliu m du ae su n t circa contingentia, scilicet p rud en tia
et ars. Q uibus praefertu r fid es in certitu dine, ratione su a e m ate-
r iae: qu ia est de a etern is, qu ae non contingit aliter s e hab ere.
— T res autem reliq u a e in tellectu a les virtu tes, sc ilic et sap ien tia,
scien tia et in tellectu s, su n t de n ecessariis, ut su pra dictum est.
S ed scien d u m est qu od sa p ie n tia et sc ien tia et in tellectu s du pli-
citer d icun tu r: uno m odo, secu n d u m quod ponuntur virtu tes
in te lle ctu a le s a P h ilosop h o in 6 Ethic. [cap. 2, 3 ] ; a lio m odo, 1139 a l
secund um quod ponuntur dona S p iritu s San cti. P rim o igitu r b
m odo d icen d u m est quod certitu d o p o te st co n sid era ri d u p liciter. sq'
U n o m odo e x causa certitu d in is: et sic dicitur esse certiu s illu d
quod hab et certiorem causam . Et hoc m odo fides est certior
trib us praed ictis: q u ia fides in n ititu r veritati d ivin ae, tria autem
p ra ed icta in n itu n tu r ration i h u m an ae. A lio m odo potest con si­
derari certitu do e x parte su b jecti: et sic dioitur e sse certius

121
4,8 sei, wovon der menschliche Verstand völligeren Besitz er­
greift. W eil nun, was des Glaubens ist, über den Verstand
des Menschen hinausgeht, nicht aber das, was den drei
genannten unterliegt, so ist unter diesem Gesichtspunkt
der Glaube w eniger gewiß. W eil aber ein jedes W esen
schlechthin beurteilt wird von seiner Begründung her,
gemäß der auf seiten des Trägers vorliegenden Verfassung
aber nur unter begrenztem Gesichtspunkt, so folgt, daß
der Glaube schlechthin gew isser ist. D ie ändern aber sind
nur unter begrenztem Gesichtspunkt gew isser, nämlich im
Hinblick auf uns. — Ähnlich nun verhalten sich die drei
genannten [verstandhaften V ollkom m enheiten], wenn man
sie als Gaben im gegenwärtigen Leben auffaßt, zum
Glauben w ie zu ihrer Grundlage, die sie voraussetzen.
Folglich ist auch insofern der Glaube gew isser als jene
[30].
Z u l . D ieser Zw eifel hat keine Beziehung auf die B e­
gründung des Glaubens, sondern geht nur auf uns zurück,
insofern wir durch den Verstand nicht vollständig be­
greifen, was des Glaubens ist.
Z u 2. Unter sonst gleichen Bedingungen ist Schauen ge­
w isser als Hören. Wenn aber der, von dem her etwas mit
dem Ohre vernommen wird, die Sicht des Sehenden um
vieles übertrifft, so ist Hören gew isser als Sehen. So w ie
einer von geringem W issen durch einen vieles Wissenden
über das, was er hört, in höherem Grade vergewissert wird
als über das, was ihm vermöge seiner eigenen Vernunft
QUAESTIO 4, s

quod p le n iu s consequ itu r in tellectu s hom inis. Et p er hunc mo-


dum, qu ia e a qu ae su n t fid ei su n t su p ra in tellectu m hom inis,
non au tem e a q u ae su b su n t tribus praedictis, id eo e x hac parte
fides est m in u s certa. S e d q u ia u n u m q u od q u e ju d icatu r sim p li­
citer q u id em secu n d u m cau sam su am , secu n d u m a u te m Dis­
p o sitio n em q u a e e x p a rte su b jecti est ju d icatu r secu n d u m qu id:
in d e est quod fid e s est sim p lic ite r certior, se d a lia su n t certiora
se cu n d u m quid, sc ilic et qu oad n os. — S im ilite r etia m si acci-
pia n tu r tria p raed icta secu n d u m q u od su n t dona p r a e se n tis
vitae, com parantur1 ad fidem sicut ad princip iu m quod prae-
su p p on u n t. U n d e etia m secu n d u m h o c fid es est e is certior.
AD PRIM UM ergo dicendum quod illa du bitatio n on est e x
parte causae fidei, se d quoad nos, inq uantu m n on p le n e asse-
quim ur p er intellectu m ea q u ae su n t fidei.
AD SEC U N D U M dicen du m quod, ceteris paribus, v isio est
certior aud itu . S ed si ille a quo auditur m ultum e x ce d it visum
vid en tis, sic certior est aud itu s quam visu s. S icu t a liq u is parvae
se ien tia e m agis certificatur de eo quod au d it ab aliq uo scien tis-
sim o quam de eo quod sib i secu n d u m su am ration em videtur.
1 P : cooperant.ur.

122
als wahr erscheint. Und in noch w eit höherem Grade ist 4, s
der Mensch über das, was er von Gott her, der Sich nicht
irren kann, mit dem Ohre vernimmt, gew isser als über
das, was er mit Hilfe der eigenen dem Irrtum unterworfe­
nen Vernunft sieht.
Z u 3. D ie Vollkom m enheit der Einsicht und des W is­
sens übertrifft die Erkenntnis des Glaubens hinsichtlich
der größeren Deutlichkeit, nicht jedoch hinsichtlich der
Gewißheit der Einwurzelung. Denn alle Gewißheit der
Einsicht oder des W issens, sofern sie Gaben sind, geht
auf die Gewißheit des Glaubens zurück; so w ie die Ge­
wißheit der Erkenntnis von Schlüssen auf die Gewißheit
der Ursätze zurückgeht. Sofern aber W issenschaft, W eis­
heit und Einsicht [nur] verstandhafte Tüchtigkeiten sind,
stützen sie sich auf die natürliche Leuchte der Vernunft,
welche nicht heranreicht an die Gewißheit und an das
Wort Gottes, auf welchem der Glaube beruht.1

QUAESTIO i, 8

Et m ulto m agis hom o certior est de e o quod aud it a D eo, qui


fa lli n on potest, quam de eo quod v id e t propria ration e, quae
fa lli potest.
A D TERTIUM dicen du m q u od p e r fec tio in te lle ctu s et sc ie n tia e
e xced it eogn ition em fid ei quantum ad m ajorem m an ifestation em :
non tarnen quantum ad certiorem in h a esio n em . Q uia tota certi­
tudo in te lle ctu s v e l sc ien tia e secu n d u m quod su n t dona, procedit
a certitu d in e fid ei: sicut certitudo cogn ition is conclu sionu m pro-
eed it e x certitu d in e princip iorum . S ecu n d u m au tem quod sc ie n ­
tia et sa p ie n tia et in tellectu s su n t virtu tes in te lle ctu a le s, in n i-
tuntur n a tu ra li lu m in i rationis, quod deficit a certitu d in e et
a v erb o D e i, c u i in n ititu r fides.
i V gl. A n m erk . [30].

123
5. F R A G E

DIE TRÄGER DES GLAUBENS


Sodann ist von denen zu handeln, die den Glauben
haben.
Darüber ergeben sich vier Einzelfragen:
1. Hatten Engel oder Mensch in ihrer ursprünglichen
Seinsw eise Glauben?
2. Haben die gefallenen Engel [noch] Glauben?
3. Haben Häretiker, die in einem einzelnen Glaubens­
artikel irren, hinsichtlich der ändern Artikel Glauben?
4. Hat von denen, welche Glauben haben, einer einen
größeren Glauben als der andere?

1. A R T I K E L
Hatten Engel oder Mensch in ihrer ursprünglichen
Seinsweise Glauben?
1. Hugo von St. Victor sagt in seinen Sentenzen: „Da
der Mensch nicht das Auge der Beschauung besitzt, so
vermag er Gott und w as in Gott ist, nicht zu sehen.“ Hin­
gegen besaß der Engel im Stande seiner ursprünglichen
S einsw eise vor seiner Befestigung [in der Gnade] oder
vor seinem Falle das Auge der Beschauung; denn er sah
die Dinge im WORTE (Augustinus). Und ähnlich scheint

q u a e s tio v

D E H A BEN TIBU S FIDEM


D e in d e con sid eran d u m est de h ab en tib u s fidem .
Et circa hoc q u aerun tur quatuor. 1. Utrum a n g elu s aut hom o
in prim a su i con d ition e hab u erit fidem . — 2. U trum d aem on es
h ab ean t fidem . — 3. U trum h a e r etici erran tes in u n o articu lo
fid ei h a b ea n t fidem d e a liis articulis. — 4. U trum fidem hab en -
tium un us alio hab eat m ajorem fidem .

ARTICULUSI
Utrum a n g e l u s aut ho mo in p r i m a sui condi­
tione habuerit fidem
[2. 7 Corp.; I 95, 3; I I I 1, 3 a d 5; 2 S en t., d is t. 29, a r t. 3; De v e rit., 18, 3]
AD PRIM UM sic proceditur. V id etu r quod an g elu s aut hom o
in su a prim a con d ition e fidem non h ab uerit. D icit en im H ugo
p l 17« de Sancto V ictore, in su is S e n te n tiis [D e sacram . lib . 1, part. 10,
329 sq. cap. 2 ] , quod „quia hom o oculum c o n tem p lation is non habet,
D eum et q u ae in D eo su n t v id e re non v a le t“. S e d an g elu s in
statu su a e p rim ae co n d ition is, a n te confirm ationem v e l lapsum ,
h ab u it oculum co n tem p la tio n is: v id e b a t en im r es in V erb o, ut
PL 34 A u gustin us dicit, in 2 su p e r G en. ad litt. [cap. 8 ] . Et sim ilite r
269 sq.
CS EL
28/44 124
der erste Mensch im Stande der Unschuld das offene Auge 5, 1
der Beschauung besessen zu haben; sagt doch Hugo von
St. Victor in seinen Sentenzen: „Der Mensch erkannte“,
im Urstande, „seinen Schöpfer, nicht mit einer Erkennt­
nis, bei der durch äußeres Hören begriffen wird, sondern
mit einer solchen, w elche innerlich durch Eingebung dar­
geboten wird; nicht so, w ie Gott jetzt, dem Gläubigen
noch fern, im Glauben gesucht wird, sondern so, daß Er
einleuchtender durch unmittelbare Beschauung wahr­
genommen w urde.“ Also hatten weder Mensch noch Engel
im Stande ihrer ursprünglichen Seinsw eise Glauben.
2. Die Erkenntnis des Glaubens ist rätselhaft und dun­
kel, nach 1 Kor 13, 12: „Wir sehen jetzt nur durch einen
Spiegel in rätselhafter W eise.“ Aber im Stande der ur­
sprünglichen S einsw eise war weder im Menschen noch
im Engel irgendwelche Dunkelheit; denn die Finsternis
ist Strafe für die Sünde. Also konnte weder im Menschen
noch im Engel im Stande der ursprünglichen Seinsw eise
Glaube sein.
3. Der Apostel sagt Röm 10, 17: „Der Glaube kommt
vom Hören.“ Solches aber hatte nicht statt in der ur­
sprünglichen Seinsweise, weder des Engels noch des Men­
schen; denn es gab dort kein Hören von einem ändern
her. Also gab es in jenem Stande weder beim Menschen
noch beim Engel Glauben.
ANDERSEITS sagt der Apostel Hebr 11, 6: „Wer Gott

QUAESTIO 5, i

p rim u s h om o in statu in n o cen tia e vid etu r h ab u isse oculum con-


tem p la tio n is apertum : dicit en im H ugo d e Sancto V ictore, in pl
su is S e n te n tiis [loc. cit. part. 6 , cap. 1 4 ], quod „novit h om o“ 176/271
in prim o statu „C reatorem su u m , n on ea c o g n itio n e qua foris
au d itu solo, p ercipitur, se d ea qu ae intus p er in sp iration em m ini-
stratur: n on ea qua D eu s m odo a cred en tib u s absen s fide qu ae-
ritur, se d ea q u a p er p r a e se n tia m co n tem p la tio n is m a n ifestiu s
cern eb atu r“. E rgo hom o v e l a n g e lu s in statu prim ae conditionis
fidem non habuit.
2. PRAETEREA, cognitio fidei est aen igm atica et obscura:
secu n d u m illu d 1 a d Cor. 13:„N unc v id e m u s p er sp ecu lu m in
a e n ig m a te.“ S ed in statu p rim ae c o n d itio n is non fu it aliq u a ob-
scuritas n eq u e in h om in e n eq u e in a n g e lo : quia ten eb rositas est
p oen a peccati. Ergo fid es in statu p rim ae con d ition is esse non
potu it in h om in e n eq u e in angelo.
3. PRAETEREA, A p ostolus dicit ad Rom. 10, quod „fides est
e x au d itu “. S e d hoc locum non hab uit in prim o statu a n gelicae
conditionis aut h u m an ae: n on enim erat ib i aud itu s ab alio. Ergo
fides in statu illo non erat n eq u e in h om in e n eq u e in an gelo.
SED CONTRA est quod A p ostolus dicit ad H ebr. 11: „Acce-

125
5, i naht, muß glauben.“ Der Engel aber und der Mensch wa­
ren in ihrer ursprünglichen Seinsw eise im Zustande des
Sich-Näherns zu Gott. Also bedurften sie des Glaubens.
ANTWORT: Einige behaupten, in den Engeln vor ihrer
Befestigung [in der Gnade] und vor ihrem Falle, und im
Menschen vor der Sünde habe es nicht Glauben gegeben,
dank der deutlichen Beschauung, die sie damals von den
göttlichen Dingen hatten. Da aber nach dem Apostel der
Glaube „der Erweis von Dingen ist, die nicht einleuchten“,
und, w ie Augustinus sagt, „vermöge des Glaubens solches
für wahr gehalten wird, w as man nicht sieht“, so schließt
nur jene Offenbarmachung die Bewandtnis des Glaubens
aus, durch welche dasjenige, wovon es urgrundhaft Glauben
gibt, einleuchtend oder zu G esehenem wird. Urgrundhafter
, Gegenstand des Glaubens aber ist die Erstwahrheit, deren
Schau zu Seligen macht und den Glauben ablöst. Da nun der
Engel vor seiner Befestigung [in der Gnade] und der
Mensch vor der Sünde nicht jene Seligkeit besaßen, in der
Gott Seiner W esenheit nach geschaut wird, so hatten sie
offensichtlich keine so einleuchtende Erkenntnis, daß durch
sie die Bewandtnis des Glaubens ausgeschlossen gew esen
wäre. Wenn sie Glauben nicht gehabt hätten, so konnte
dies demnach nur sein, wreil ihnen das gänzlich unbekannt
war, wovon es Glauben gibt. Wenn nun der Mensch und
der Engel, w ie m anch e1 behaupten, nur in der reinen
QUAESTIO 5, i
d en tem ad D eu m op ortet c re d e re .“ S e d a n g e lu s et h om o in su i
prim a con d ition e erant in statu acced en d i ad D eum . E rgo fide
ind igeban t.
RESPONDEO dicen d u m quod q u id a m 2 dicunt quod in a n g e-
lis an te confirm ationem et lapsu m , et in h om in e ante peccatum .
n on fu it fides, propter m anifestam con tem p lation em qu ae tune
erat de reb us d ivin is. S e d cum fid es sit „argum entum non appa-
r en tiu m “, secu n d u m A p ostolum , et „per fid em cred an tu r ea
pl 35 q u ae n on v id e n tu r “ ut A u gu stin u s dicit [Q uaest. E vang. lib. 2,
1352 qu aest. 3 9 ], illa so la m ianifestatio ex clu d it fid e i r ation em per
quam red ditur ap p aren s v e l vösum id d e qu o p rin cip aliter est
fides. P rin cip a le autem objectu m fid ei est veritas prim a, cujus
visio b eatos facit et fid ei su ccedit. Cum igitu r a n g elu s ante con ­
firm ationem , et h om o an te peccatu m n on hab uit illa m beatitu-
din em qua D e u s p e r essen tiam vid e tu r ; m an ifestu m est quod
non hab u it sic m anifestam cogn ition em quod e xclu d eretu r ratio
fid ei. U n d e quod n o n h a b u it fidem , hoc e sse n o n p o tu it n isi
quia p en itu s e i erat ignotum id d e quo est fides. Et s i hom o et
an gelu s fu eru n t creati in p u ris natu ralibu s, ut quidam 3 dicunt,
1 V gl. I 62, 3: B d. 4.
2 Cf. H u g o , loc. c it.; A lex. H a i., Sum m . T h eo l. p. 3, q u . 68, m . 8, a rt. 2, 3.
B onav. 2 S en t., d is t. 23, a . 2, q u . 3 [11/545]; L om b. 4 S e n t., d is t. I, c. 3
[PL 192/840].
3 Cf. B o n av . 2 Sen t., d is t. 29. a. 2, q u . 2. [Tl/703]; ef. B d. 7, A nm. [46].

126
Naturanlage geschaffen worden sind, so könnte man viel- 5, 1
leicht begreifen, daß es beim Engel vor seiner Befesti­
gung Glauben nicht gegeben hat, und ebenso nicht beim
Menschen vor der Sünde; denn die Erkenntnis des Glau­
bens geht über die natürliche Erkenntnis von Gott hin­
aus, nicht nur beim Menschen, sondern auch beim Engel.
W eil aber der Mensch und der Engel mit der Gnadengabe
geschaffen worden sind (I 62, 3: Bd. 4; 95, 1: Bd. 7), so
muß maii sagen, daß vermöge der em pfangenen und noch
nicht völlig vollendeten Gnade in ihnen ein Anfang der
erhofften Seligkeit gew esen ist; und zwar beginnt sie im
Willen durch die Hoffnung und die Liebe, im Verstand
aber durch den Glauben (4, 7). Demnach ist es notwendig
zu sagen, daß der Engel vor seiner Befestigung Glauben
gehabt hatte, und ebenso der Mensch vor der Sünde.
Man muß aber freilich im Auge behalten, daß im Ge­
genstand des Glaubens etwas als Form gebendes liegt,
nämlich die Erstwahrheit, die über alle natürliche Er­
kenntnis der geschaffenen Wahrheit hinausragt; und etwas
S to ffm ä ß ig e s a ls solches, dem wir beistimmen, indem wir
der Erstwahrheit anhängen. Was nun das erste davon an­
geht, so ist insgem ein Glaube in allen, die Erkenntnis von
Gott besitzen, aber noch nicht die künftige Beseligung er­
langt haben, indem sie der Erstwahrheit anhängen. Hin­
sichtlich dessen aber, was stoffmäßig als zu glauben vor­
gelegt wird, ist von dem einen manches geglaubt, was von

QUAESTIO 5, i

forte p osset te n e ri qu od fid es n on fu it in an g elo an te confirm a-


tio n em nec in homdne a n te p eccatu m : cogn itio en im fid e i est
su p ra n atu ralem eognition em de D eo non solu m hom inis, sed
etiam a n g e li. S e d q u ia in P rim o jam d ix im u s quod hom o et an-
g e lu s creati su n t cum dono g r a tia e , id e o n e c esse est d ic e r e
quod p e r gratiam acceptam et nondum consum m atam fu e r it in
e is inchoatio qu aed am sp era ta e b ea titu d in is: q u ae qu id em in-
choatur in volu n tate p er sp em et caritatem , se d in in tellectu per
fidem , ut su p ra dictum ast. E t id eo n e c esse est d icere quod an-
g e lu s an te confirm ationem h ab uerat fidem , et sim ilite r hom o
an te peccatum .
S e d tarnen con sid eran d u m est quod in objecto fidei est a li­
qu id q u asi form ale, sc ilic et v e rita s prim a su p e r om nem natu ra­
lem eogn ition em creatu rae e x isten s; et a liq u id m ateriale, sicut
id cui assen tim u s in h aeren d o p rim ae verita ti. Q uantum ergo ad
prim um horum , com m u niter fides est in om nibu s h ab en tib us
eogn ition em de D eo, futu ra b eatitu d in e non d u m adepta, in h a e ­
ren d o p rim ae v e rita ti. S e d qu antu m ad e a q u a e m a teria liter
ered en d a p ropon un tur, q u aed am su n t cred ita ab u n o q u a e su n t
* D. h . In h a ltlic h e s.

127
5, i dem ändern einleuchtend gewußt ist, auch im gegenwärti­
gen Zustande (1, 5; 2, 4 Zu 2). Und demnach kann man
auch sagen, daß der Engel vor seiner Befestigung und
der Mensch vor der Sünde manches über die göttlichen
G eheim nisse in einleuchtender Erkenntnis erkannt haben,
was wir jetzt nur im Glauben zu erkennen vermögen.
Z u l . Mögen auch die Aussprüche Hugos von St. Victor
Meistersprüche sein und die Kraft einer Lehrautorität
besitzen, so kann doch behauptet werden, daß die Beschau­
ung, welche die Notwendigkeit des Glaubens behebt, [erst]
die Beschauung der ewigen Heimat ist, in der die über­
natürliche Wahrheit wesenhaft geschaut wird. Eine solche
Beschauung aber besaß der Engel vor seiner Befestigung
nicht, und auch nicht der Mensch vor der Sünde. Doch
war ihre Beschauung 1 höher als die unsrige, so daß sie,
da sie in ihr Gott näher kamen, in die göttlichen W irkun­
gen und Geheim nisse offeneren Einblick erhielten, als
wir es können. Demnach besaßen sie nicht den Glauben,
durch welchen der ferne Gott derart gesucht worden wäre,
w ie Er von uns gesucht wird. Denn Er war ihnen durch
die Leuchte der W eisheit in höherem Grade gegenwärtig,
als Er es uns ist, wenngleich Er auch ihnen nicht in der
W eise gegenwärtig war, w ie Er den Seligen durch das
Licht der Herrlichkeit ist.
Z u 2. Im Stande der ursprünglichen Seinsw eise des
Menschen oder des Engels gab es keine Dunkelheit aus
QUAESTIO 5, i
m an ifeste scita ab alio, etiam in statu p raesen ti, ut su p ra dictum
est. Et secund um hoc etiam potest dici quod a n g elu s ante con-
firm ationem et h om o an te peccatum quaedam de d iv in is m yste-
riis m an ifesta cogn ition e cogn overu n t qu ae nunc non possum us
cogn oscere n isi credendo.
A D PRIM UM ergo dicen d u m quod, quam vis dicta H u gon is de
Sancto V ictore m agistralia sin t et robur auctoritatis h ab ean t,2
tarnen potest dici quod con tem p latio q u ae tollit necessitatem
fidei est con tem p latio p atriae, qua su p e rn a tu r a lis v e rita s p er
essen tiam vid etu r. H ane autem contem p lation em non habuit an­
g elu s an te confirm ationem nec hom o ante peccatum . S ed eorum
contem p latio erat altior quam nostra, per quam , m agis de pro-
pin quo acced en tes a d D eum , plura m an ifeste cognoscere pote-
rant de d iv in is effectib us et m ysteriis quam nos possum us. U n d e
non in erat e is fides qua ita q u aereretu r D eu s absen s sicut a
nobis qu aeritur. Erat enim eis m agis p raesen s p e r lu m en sa p ien -
tia e quam sit nob is: licet n ec e is esset ita p ra esen s sicu t est
beatis p er lu m en gloriae.
A D SEC U N D U M dicendum quod in statu p rim ae conditionis
hom in is v e l a n g e li non erat obscu ritas cu lp ae v e l p o en a e. In erat
1 S o w eit sie d iese im K ä h m en des G l a u b e n s h a tte n .
2 L: nnn habeant.

128
Schuld oder Strafe. Jedoch haftete dem Verstand des 5, 2
Menschen und des Engels eine gew isse natürliche Dunkel­
heit an, sofern jedes Geschöpf dunkel ist, verglichen mit
der Unermeßlichkeit des göttlichen Lichtes. Und [schon]
eine solche Dunkelheit genügt zur Bewandtnis des Glaubens.
Z u 3. Im Stande der ursprünglichen Seinsw eise gab es
kein Hören von einem äußerlich sprechenden Menschen
her, aber von dem innerlich einsprechenden Gott, so wie
auch die Propheten hörten, nach Ps 85 (84), 9: „Ich will
hören, was Gott, der Herr, in mir spricht.“

2. A R T I K E L
Ist in den gefallenen Engeln [n o c h ] Glaube? [31]
1. Augustinus sagt: „Der Glaube hat seinen Bestand im
W illen der Glaubenden.“ Der W ille aber, kraft dessen
jemand Gott zu glauben gew illt ist, ist guter W ille. Da
nun in den gefallenen Engeln keinerlei überlegter guter
W ille ist (I 64, 2 Zu 5: Bd. 4), so scheint es in den gefal­
lenen Engeln Glauben nicht zu geben.
2. Der Glaube ist ein Geschenk der göttlichen Gnade,
nach Eph 2, 8: „Durch Gnade seid ihr gerettet kraft des
Glaubens: Gottes Gabe ist er.“ Die gefallenen Engel aber
haben die Gnadengaben durch die Sünde eingebüßt, w ie
es steht in der Glosse über Os 3, 1: „Sie wenden sich an-
QUAESTIO 5, 2

tarnen in te lle ctu i h om in is e t a n g e li q u aed am obscu ritas natura-


lis, secu n d u m quod om nis creatura ten eb ra est com parata im -
m en sitati d iv in i lu m in is. Et ta lis obscuritas su fficit ad fid ei ra-
tion em .
A D TERTIUM dicen du m quod in statu p rim ae con d ition is non
erat aud itu s ab h om in e e x te r iu s loq u en te, se d a D eo in teriu s
insp iran te: sicut et p rop h etae aud ieb ant, secund um illu d Psalm .
[8 4 ]: „A u diam quid loquatur in m e D om inu s D e u s.“

A R T I C U L U S II
Utrum in d a e m o n i b u s sit f i d e s
[In lra 18, 3 a d 2; 3 S en t., d is t. 23, q. 3, a rt. 3, q a 1; d is t. 26, q. 2, a rt. 5,
qa 4 a d 2; 4. d ist. 10, q. 1, a rt. 4, q a 4; De v e rit., q. 14, a rt. 9 a d 4]
A D SE C U N D U M sic proceditur. V id etu r quod in daem onibu s
non sit fides. D icit enim A u gu stin u s in libro de P raed. Sanct. PL44
[cap. 5], quod „fides co n sistit in cre d e n tiu m v o lu n ta te “. H aec 968
autem volu n tas bona est qua qu is vu lt cred ere D eo. Cum ergo
in daem on ib u s non sit aliq u a volu n tas d elib erata bona, u t in
P rim o dictum est, vid etu r quod in d aem on ib u s non sit fides.
2. PRAETEREA, fides est quoddam donum d iv in a e gratiae:
secu n d u m illu d E phes. 2: „G ratia estis sa lv a ti p er fid em : donum
D e i est.“ Sed d aem on es dona gratu ita a in iseru n t p e r peccatu m :
ut d icitu r in G lossa [ordin. H ie r o n .], su p e r illu d O see 3: „ Ip si PL25
842 b

129
5, 2 dem Göttern zu und lieben Traubentrester.“ Also ist
in den gefallenen Engeln nach ihrem Sündenfall kein
Glaube zurückgeblieben.
3. Unglaube ist offensichtlich die schwerere unter den
Sünden, w ie durch Augustinus klargestellt ist in der Er­
klärung von Jo 15, 22: „Wäre ich nicht gekommen und
hätte ich nicht zu ihnen gesprochen, so hätten sie keine
Sünde; nun aber haben sie für ihre Sünde keine Ent­
schuldigung.“ In manchen Menschen nun ist die Sünde des
Unglaubens. Wenn also in den gefallenen Engeln Glaube
wäre, so wäre die Sünde mancher Menschen größer als
die der gefallenen Engel. Dies aber scheint unangemessen.
Also ist in den gefallenen Engeln kein Glaube.
ANDERSEITS heißt es Jak 2, 19: „D ie bösen Geister
glauben und zittern.“
ANTWORT: Der Verstand des Glaubenden stimmt dem
geglaubten Ding bei, nicht w eil er es schaut — weder
unmittelbar noch vermöge des Rückschlusses auf unmittel­
bar geschaute erste Ursätze —, sondern auf Geheiß des
W illens. Daß aber der W ille den Verstand zur Beistim­
mung bewegt, kann aus zw ei Gründen erfolgen. Einmal
auf Grund der Hinordnung des W illens auf das Gute.
Auf diese W eise ist Glauben ein Akt, dem Lob gebührt.
Zweitens, w eil der Verstand zu dem Urteil genötigt wird,
es sei zu glauben, was [ihm] gesagt wird, auch wenn er
QUAESTIO 5, 2

respicdunt ad deos a lie n o s, et d ilig u n t v in a c ia u v a ru m .“ Ergo


fid es in d aem on ib u s ,post peccatum non rem ansit.
3. PRAETEREA, in fid e lita s v id e tu r e sse g raviu s in ter
p l 35 cata: ut patet p er A u gu stin u m [tract. 89 in J o a n .], su p e r illu d
1856 sq. Joan. 15: „Si n on v en issem , et locu tus e is non fu issem , pecca­
tum non h ab eren t: nunc autem excu sation em non h ab en t de
peccato su o .“ S ed in q u ibusdam h o m in ib u s est peccatu m in-
fid elitatis. S i ergo fid es esse t in daem onibu s, aliq uorum hom i-
num peccatum esset g r a v iu s peccato daem onum . Q uod vid etu r
esse in con ven ien s. Non ergo fid es est in daem onibu s.
SED CONTRA est quod dicitur Jac. 2: „D aem on es credunt et
con trem iscu n t.“
RESPONDEO dicen d u m quod, sicut su p ra dictum est, in te l­
lectu s c re d e n tis assen tit rei cred itae non quia ip sam v id e a t vel
secu n d u m se v e l p e r resolu tion em a d prim a p rin cip ia p e r se
visa, se d propter im p eriu m volu n tatis.1 Quod au tem volun tas
m oveat in tellectu m a d a ssen tien d u m , potest c o n tin g ere e x du o-
bus. U n o m odo e x o r d in e v o lu n ta tis ad bon u m : e t sic cred ere
est actus lau d ab ilis. A lio m odo qu ia in tellectu s convincitur ad
hoc quod ju d icet e sse credend um h is qu ae dicuntur, lic e t non
1 P : sed q u ia c o n v in c itu r p e r a u c to rita te m d iv in a m a ss e n tire h is q u a e
n o n v id e t e t p ro p te r im p e riu m v o lu n ta tis m o v e n tis in te lle c tu m e t o b e d ie n tis
Deo.

130
nicht durch die Einsicht in den Sachverhalt dazu genötigt 5, 2
wird. So würde z. B., wenn ein Prophet kraft eines Spruches
des Herrn etwas Künftiges vorausverkündigte und durch
Erweckung eines Toten ein Wunderzeichen hinzufügte,
der Verstand des Zuschauers auf Grund dieses Zeichens
genötigt, zu erkennen, daß jene Aussage offensichtlich von
Gott stammt, der nicht die Unwahrheit sagt, wenngleich
das vorausgesagte künftige Ereignis in sich nicht einsichtig
ist. Die Bewandtnis des Glaubens würde also dadurch
nicht aufgehoben. Man muß demnach sagen, daß in den
Christgläubigen der Glaube nach der ersten W eise Lob
empfängt und es ihn in dieser W eise bei den bösen Geistern
nicht gibt, sondern nur in der zweiten. Sie sehen nämlich
viele offenkundige Anzeichen, aus denen sie entnehmen,
daß die Lehre der Kirche von Gott ist, mögen sie auch
ihrerseits die Dinge selbst, welche die Kirche lehrt, nicht
schauen, z. B. daß Gott dreifältig und Einer ist, oder sonst
Derartiges.
Z u l . Der Glaube der gefallenen Engel ist gew isser­
maßen erzwungen infolge der Offensichtlichkeit der Zei­
chen. Daß sie also glauben, hat nichts mit einem lobens­
werten W illen ihrerseits zu tun.
Z u 2. Der Glaube als Gnadengabe macht, auch als unbe-
formter, den Menschen auf Grund eines dem Guten Zu­
getanseins zum Glauben geneigt. Demnach ist der Glaube
in den gefallenen Engeln nicht Gnadengabe. Sie sind viel­
mehr vermöge der durchdringenden Kraft ihres natür­
lichen Verstandes zum Glauben genötigt.
QUAESTIO 5, 2
convincatur p e r evid en tiam r ei. S icu t s i a liq u is p roph eta prae-
nu n tiaret in serm on e D om in i aliq u id futurum , et ad h ib eret sig ­
num m ortuum suscitando, e x hoc sign o convinceretu r in tellectu s
v id e n tis ut cognosceret m a n ifeste hoc dici a D eo, qui non m en-
titur; lic e t illu d futu ru m qu od p ra ed icitu r in se e v id e n s non
esset, u n d e ratio fid ei non tolleretur. D icen d u m est ergo quod
in fid elib u s Christi laud atu r fid es secu n d u m prim um m odum .
Et secu n d u m hoc non est in daem onibu s, se d solu m secund o
m odo. V id e n t en im m ulta m an ifesta in d icia e x q u ib u s p ereip iu n t
doctrinam E cclesiae a D eo e sse ; q u am vis ip si r e s ipsas quas Ec­
cle sia d ocet n on vid ean t, puta D eu m e sse trin um et unum , v el
a liq u id hu jusm odi.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod d aem onu m fid es est quo-
dam m odo coacta e x sign oru m ev id en tia . Et ideo non p ertin et
ad lau d em volu n tatis ipsorum quod credunt.
A D SE C U N D U M dicen d u m quod fid es q u a e est donum gratiae
in clin at h om in em a d credend um secu n d u m a liq u em affectum
boni, etiam si sit inform is. U n d e fides qu ae est in daem on ib u s
non est donum g ratiae; se d m agis coguntur ad cred en d u m e x
p ersp icacitate n atu ralis intellectu s.

9* 131
Z u 3. Gerade dies mißfällt den gefallenen Engeln, daß
die Echtheitszeichen des Glaubens so einleuchtend sind,
daß sie durch sie zum Glauben gedrängt werden. Dadurch
also, daß sie glauben, vermindert sich in nichts ihre Bosheit.

3. A R T I K E L
Kann ein Häretiker, der einen Glaubensartikel leugnet,
hinsichtlich der anderen A rtikel einen unbeformten
Glauben haben?
. 1. Der Verstand des Häretikers ist in seiner Naturanlage
nicht mächtiger als der des Katholiken. Der Verstand des
Katholiken aber bedarf der H ilfe durch die Gabe des
Glaubens, um irgendeinen Glaubensartikel für wahr zu
halten. Scheinbar also können auch die Häretiker keinerlei
Glaubensartikel für wahr halten ohne die Gabe des unbe­
formten Glaubens.
2. W ie unter dem Glauben viele Glaubensartikel befaßt
sind, so sind unter einer W issenschaft, z. B. der Raum­
lehre, viele Vernunftschlüsse befaßt. Es ist nun möglich,
daß einer hinsichtlich bestimmter geometrischer Ableitun­
gen geometrisches W issen besitzt, andere aber nicht kennt.
Also kann auch ein Mensch hinsichtlich bestimmter Glau­
bensartikel Glauben haben, während er andere nicht für
wahr hält.
QUAESTIO 5, ::
A D TERTIUM dicendum quod hoc ipsu m daem on ib u s disp li-
cet quod sig n a fid ei su n t tarn e v id en tia ut per ea cred ere com-
pellan tu r. Et id e o in n u llo m alitia eorum m inuitu r p er hoc
quod credunt.
A R T I C U L U S 111
Utrum h a e r e t i c u s qui d i s c r e d i t un um articu-
lum f i d e i p o s s i t h a b e r e f i d e m i n f o r m e m de
aliis articulis
[3 S en t., d is t. 23. q . 3, a r t. 3, q a 2; De v e rit., q. 14, a r t. 10 a d 10;
Q u o d lib ., 6, q. 4, a r t. u n ic .; De c h a r., a rt. 13 a d 6]
A D TERTIUM sic p roced itu r. V id etu r qu od h a e r eticu s qui d is­
credit un um articulum fid ei p ossit h ab ere fidem inform em de
a liis articulis. Non en im in tellectu s natu ralis h a eretici est poten-
tior qu am in tellectu s catholici. S e d in te lle ctu s catholici in d iget
adju vari, ad cred en d u m qu em cum q ue articulum fidei, dono fidei.
Ergo vid etu r quod nee h aeretici aliq u os articulos fid ei credere
possint sin e dono fid ei inform is.
2. PRAETEREA, sicut su b fide continentur m ulti articuli fidei,
ita su b u n a scien tia, puta geom etria, continentur m ultae con-
clu sion es. S e d hom o a liq u is potest h ab ere scien tiam g eom etriae
circa quasdam geom etricas conclu siones, a liis ignoratis. Ergo
hom o a liq u is potest h ab ere fidem de aliq u ib u s articulis fidei,
a lio s non credendo.
3. Wie der Mensch Gott gehorcht, um die Glaubens- 5, 3
artikel für wahr zu halten, so auch, um die Gebote des
Gesetzes zu beobachten. Der Mensch kann aber hinsicht­
lich gew isser Gebote gehorsam sein und hinsichtlich an­
derer nicht. Also kann er auch hinsichtlich gew isser Ar­
tikel Glauben haben und hinsichtlich anderer nicht.
ANDERSEITS: W ie die Todsünde der Gottesliebe zu­
widerläuft, so ist dem Glauben zuwdder, einen aus den
Glaubensartikeln zu leugnen. Die Gottesliebe aber bleibt
nach einer einzigen Todsünde im Menschen nicht zurück.
A lso auch nicht der Glaube, nachdem er einem einzigen
Glaubensartikel den Glauben versagt hat.
ANTWORT: Der Häretiker, der einem einzigen Glau­
bensartikel den Glauben versagt, besitzt das Gehaben des
Glaubens nicht mehr, weder des beformten noch des un­
beformten. Grund dafür ist, w eil die Artwesenheit jeg­
lichen Gehabens von der formgebenden Seite des Gegen­
standes abhängt. Wird diese getilgt, so hat die Artwesen­
heit des Gehabens keinen Bestand mehr. Formgebend im
Gegenstand des Glaubens aber ist dieErstwahrheit, insofern
sie in den heiligen Schriften und in der Lehre der Kirche,
die aus der Erstwahrheit hervorgeht, offenbar gemacht ist
[32]. Wer also der Lehre der Kirche, die aus der in den
heiligen Schriften offenbar gemachten Erstwahrheit her­
vorgeht, nicht als unfehlbarer, göttlicher Richtschnur an­
hängt, besitzt das Gehaben des Glaubens nicht, sondern

QUAESTIO 5. 3

3. PRAETEREA, sicu t hom o obedit D eo ad credend um arti­


cu los fidei, ita etiam ad serv a n d a m and ata legis. S ed hom o po­
test e sse o b ed ien s circa qu aed am m andata et non circa alia.
Ergo potest h ab ere fidem circa quosdam articulos et non circa
alios.
SED CONTRA, sicut peccatum m ortale contrariatur caritati,
ita d iscred ere un um articulum contrariatur fidei. S ed caritas
n on rem an et in h o m in e post un um peccatum m ortale. E rgo n e ­
qu e fides postqpam discred it unum articulum fidei.
RESPONIDEO dicen du m quod in h a eretico discred en te unum
articulum fid ei non m an et fides n eq u e form ata n eq u e in fo rm is.1
Cujus ratio est quia sp e c ie s cu ju slib et h ab itu s d ep en d et e x for-
m ali ration e objecti, qua su blata, sp e c ie s hab itu s rem an ere non
potest. F orm ale autem objectum fid ei est veritas prim a se c u n ­
dum quod m anifestatur in S crip turis sacris et doctrina E cclesiae.2
U n de qu icu m q ue non in h aeret, sicut in fa llib ili et d ivin ae regu-
lae, doctrin ae E cclesiae, qu ae procedit e x verita te prim a in
Scrip tu ris sa cris m an ifestata, ille non h ab et h ab itu m fid ei, sed
1 L: d ic e n d u m q u o d h a e re tic u s q u i d is c re d it u n u m a rtic u lu m fidei n on
h a b e t h a b itu m fid ei n e q u e fo rm atae , n e q u e in fo rm is.
2 P a d d it: q u a e p ro c e d it ex v e rita te p rim a.

133
5, 3 hält an dem, was des Glaubens ist, auf andere W eise fest
als kraft des Glaubens. W ie jemand, wenn er in seinem
Denken irgendeinen Schlußsatz festhält, ohne das Mittel­
glied des betreffenden Bew eisganges zu kennen, offen­
sichtlich kein W issen davon hat, sondern nur eine Meinung.
Es ist aber klar, daß der, w elcher der Lehre der Kirche
als unfehlbarer Glaubensrichtschnur anhängt, allem bei­
stimmt, w as die Kirche lehrt. Andernfalls, wenn er von
der Lehre der Kirche das, was er w ill, festhält, und was
er w ill, nicht festhält, hängt er nicht mehr der Lehre der
Kirche als unfehlbarer Glaubensregel an, sondern seinem
eigenen W ollen. Und so ist eindeutig, daß der Häretiker,
der hartnäckig einem Glaubensartikel den Glauben ver­
sagt, nicht bereit ist, in allem der Kirchenlehre zu folgen;
wenn aber nicht hartnäckig, dann ist er kein Häretiker
mehr, sondern nur ein Irrender. Es ist also offensichtlich,
daß, w er in einem Glaubensartikel Häretiker ist, hinsicht­
lich der anderen Artikel keinen Glauben hat, sondern
eine bloße Meinung nach der Maßgabe seines eigenen Wol-
lens [33].
Z u l . Die ändern Glaubensartikel, hinsichtlich deren
der Häretiker nicht irrt, hält er nicht in derselben W eise
fest w ie der Gläubige, nämlich durch schlechthinnigen An­
schluß an die Erstwahrheit, wozu der Mensch der Hilfe
durch das Gehaben des Glaubens bedarf. Vielmehr steht
er zu dem, w as Sache des Glaubens ist, nur vermöge
seines eigenen W illens und Urteils.
QUAESTIO 5, 3

ea q u a e su n t fidei alio m odo te n e t quam p er fidem . Sicut si


a liq u is te n e t m en te aliq u am conclu sionem non cognoscens m e ­
dium illiu s d em on stration is, m anifestum est quod n o n h ab et eju s
scien tiam , se d o p in ion em solum .
M anifestum est au tem quod ille qui in h aeret doctrinae Eccle-
sia e tanquam in fa llib ili r egu lae, om nibu s assen tit qu ae Ecclesia
docet. A lioq u in , s i de h is qu ae E cclesia docet q u ae v u lt ten et et
q u ae vu lt non tenet, non jam in h a eret E cclesiaq doctrinae sicut
in fa llib ili regu lae, se d p rop riae volu n tati. Et sic m an ifestu m est
quod h aereticu s q u i p ertin aciter discred it unum articulum fidei
non est paratus se q u i in om n ib u s doctrinam E cclesiae; si enim
non p ertin aciter, jam non est haereticu s, se d solu m errans. U n de
m an ifestu m est quod ta lis h a ereticu s circa unum articulum fidem
non h a b et de a liis articulis, se d o p in ion em quam dam secund um
propriam voluntatem .
A D PRIM UM ergo dicen du m quod a lio s articulos fid ei, de qui-
bus h a e r eticu s non errat, n on te n e t eo d em m od o sic u t te n e t eos
fid elis, sc ilic et sim p liciter in h aeren d o prim ae v eritati, ad quod
in d iget hom o adju vari p er hab itu m fid ei: se d te n e t ea qu ae sunt
fid ei propria volun tate et judicio.

134
Z u 2. In den verschiedenen Schlußfolgerungen einer 5, *
und derselben W issenschaft stecken verschiedene Mittel­
sätze, durch welche der B ew eis erfolgt, und von denen
der eine ohne den anderen erkannt werden kann. Dem­
nach ist es möglich, daß der Mensch gew isse Schlußsätze
einer W issenschaft weiß, ohne die anderen zu kennen.
Allen Glaubensartikeln aber wohnt der Glaube vermöge
des einen Erkenntnismittels inne, nämlich vermöge der uns
in den heiligen Schriften vorgelegten und durch die Kirche
zu richtigem Verständnis gebrachten Erstwahrheit. Wer
also von diesem Erkenntnismittel abfällt, entbehrt gänz­
lich des Glaubens.
Z u 3. D ie verschiedenen Gebote des Gesetzes können
entweder auf verschiedene nächste Beweggründe zurück­
geführt werden, und so kann eines ohne das andere beob­
achtet werden, oder auf den einen Urbeweggrund, w elches
der vollkom m ene Gehorsam gegen Gott ist, und von die­
sem fällt jeder ab, der auch nur ein Gebot Übertritt, nach
Jak 2, 10: „Wer in einem einzigen Punkt gegen das Ge­
setz verstößt, hat gegen alle verstoßen.“
4. A R T I K E L
Kann der Glaube im einen größer sein als im ändern?
1. Das Maß eines Gehabens richtet sich nach dessen
Gegenständen. Jeder aber, der Glauben hat, glaubt alles,
QUAESTIO 5, *

A D SEC U N D U M dicen du m quod in d iv ersis conclu sionibu s


u n iu s sc ien tia e su n t d iversa m ed ia p er qu ae probantur, quorum
unum potest cognosci sin e alio. Et id eo hom o potest scire quas-
dam c on clu sion es u n iu s scien tia e, ign oratis aliis. S ed om nibus
articu lis fid ei in h aeret fid es propter unum m edium , sc ilic et p rop­
ter veritatem prim am propositam n ob is in Scrip tu ris secund um
doctrinam E cclesiae in t e llig e n tis 1 sa n e. Et id eo qui ab hoc m e­
dio decid it totaliter fide caret.
AD TERTIUM dicen du m quod diversa praecep ta le g is possunt
r efe rr i v e l ad d iversa m otiva p ro x im a : et sic un u m s in e alio
se r v a ri potest. V e l ad un um m otivum prim um , qu od est per-
fecte ob ed ire D e o : a quo decid it qu icum que un u m praeceptu m
transgreditur, secu n d u m illu d Jac. 2: „Qui o flen d it in uno, factus
est om nium reu s.“
A R T I C U L U S IV
U t r u m f i d e s p o s s i t e s s e m a j o r in u n o q u a m in
alio
[1—I I 112, 4; 3 S en t., d is t. 25, q. 2, a rt. 2, q a 1]
A D QUARTUM sic proced itu r. V id etu r quod fides non possit
e sse m ajor in un o quam in alio. Q uantitas enim h ab itu s attendi-
tur secu n d u m objecta. S e d qu icu m q ue h ab et fidem cred it om nia
i L: in te lle c tis.

135
5, 4 was zum Glauben gehört; denn wer von einem abfällt,
verliert gänzlich den Glauben (Art. 3). Also, scheint es,
kann der Glaube in dem einen nicht größer sein als in
dem ändern.
2. Was in einer Höchstleistung besteht, kennt kein Mehr
oder Minder. Das W esen des Glaubens ist aber das einer
Höchstleistung; denn zum Glauben ist erforderlich, daß
der Mensch der Erstwahrheit über alles anhängt (Art. 3).
Der Glaube gestattet also kein Mehr oder Weniger.
3. Der Glaube verhält sich in der gnadenhaften Er­
kenntnis w ie die Einsicht in die Ursätze in der natür­
lichen Erkenntnis; deshalb, w eil die Glaubensartikel die
ersten Ursätze der gnadenhaften Erkenntnis sind (1, 7).
Die Einsicht in die Ursätze findet sich aber gleichmäßig
in allen Menschen. Also findet sich auch der Glaube in
allen Menschen gleichmäßig.
ANDERSEITS: Wo sich K leines und Großes findet, da
findet sich auch Größer und Kleiner. Nun findet man aber
im Glauben Groß und Klein; sagt doch der Herr zu Petrus,
Mt 14, 31: „Kleingläubiger, warum hast du gezw eifelt?“
Und zu dem W eibe sagte Er, Mt 15, 28: „Weib, groß ist
dein Glaube.“ Also kann der Glaube größer sein in dem
einen als in dem ändern.
ANTWORT: Das Maß eines Gehabens kann von zwei
Gesichtspunkten her ins Auge gefaßt werden: einmal von
seinem Gegenstände her, sodann gemäß der Teilhabe des
Trägers (I—II 52, 1 u. 2: Bd. 11; 112, 4: Bd. 14). Der
QUAESTIO 5. 4

q u ae su n t fid ei: qu ia qui deficit ab u n o totaliter am ittit fidem ,


ut su p ra dictum est. Ergo vid etu r quod fides n on possit esse
m ajor in un o quam in alio.
2. PRAETEREA, ea q u ae su n t in su m m o non recip iu n t m agis
n eq u e m inus. S ed ratio fidei est in su m m o: req uiritur enim ad
fidem quod hom o in h aereat prim ae veritati su p e r om nia. E r g o ’
fides non recip it m agis et m inus.
3. PRAETEREA, ita se hab et fides in cognition e gratuita sicut
in tellectu s p rin cip ioru m in co g n itio n e n atu rali: eo quod articuli
fidei su nt prim a p rin cip ia gratuitae cognition is, ut e x dictis patet.
S ed in tellectu s princip iorum a eq u a liter in v en itu r in om nibus
h om inibus. Ergo et fides aeq u aliter in ven itu r in om nibu s fide-
libus.
SE D CONTRA, ub icu m q ue in v en itu r parvum et m agnum , ibi
in v en itu r m aju s et m inus. S ed in fide in ven itu r m agnu m et par­
vum : dicit en im D om inu s P etro Matth. 14: „M odicae fid ei, quare
d u b ita sti? “ Et m u lier i d ixit, M atth. 15: „M ulier, m agn a est fides
tu a.“ E rgo fid es potest e sse m ajor in uno quam in alio.
RESPÖNDEO dicendum quod, sicut su p ra dictum est, quanti-
tas hab itu s e x d u ob u s atten di potest: uno m odo, e x objecto, alio
modo, secund um participationem su b jecti. O bjectum autem fidei

136
Gegenstand des Glaubens kann wiederum auf doppelte 5. 4
W eise betrachtet werden: einerseits nach seinem form­
gebenden Grunde, anderseits nach dem, was inhaltlich zu
glauben vorgelegt wird. Der formgebende Gegenstand des
Glaubens aber ist einer und einfach, nämlich die Erst­
wahrheit (1, 1). Von dieser Seite also vermannigfaltigt
sich der Glaube in den Gläubigen nicht, sondern ist seiner
Artbestimmtheit nach einer in allen (4, 6). Was aber in­
haltlich als zu glauben vorgelegt wird, ist ein Mehrfaches
und kann mehr oder weniger ausdrücklich erfaßt werden.
Nach diesem Gesichtspunkt nun kann der eine Mensch
mehr ausdrücklich für wahr halten als der andere. Und
so kann in einem ein größerer Glaube sein nach dem
Maße der größeren Ausdrücklichkeit des Glaubens.
Die Betrachtung des Glaubens nun von seiten seines
Trägers kann auf zweifache W eise geschehen. Denn der
Glaubensakt geht sowohl vom Verstand als auch vom
W illen aus (Art. 2; 1, 4; 2, 1 Zu 3; 2, 9; 4, 1 u. 2). Es
kann also der Glaube in jemandem größer sein, einmal
von seiten des Verstandes, vermöge größerer Gewißheit
und Festigkeit; sodann von seiten des W illens, vermöge
größerer Glaubensfreudigkeit, Hingabe oder Zuversicht.
Z u l . Wer hartnäckig irgend etwas von dem, was unter
dem Glauben befaßt ist, leugnet, besitzt nicht das Gehaben
des Glaubens. Jedoch besitzt es derjenige, der zwar nicht
ausdrücklich alles glaubt, aber bereit ist, alles zu glauben.
Und in dieser W eise hat der eine unter dem Gesichtspunkt
QUAESTIO 5, 4
potest du p liciter con sid erari: un o m odo, secund um form alem
ration em ; a lio m odo, secu n d u m ea q u ae m aterialiter eredend a
proponuntur. F orm ale autem objectum fid ei est unum et sim p le x ,
sc ilic et v e rita s prim a, ut su p ra dictum est. U n d e e x hac parte
fides non d iversificatu r in cred en tib u s, se d est u n a sp ec ie in
om nibus, ut su p ra dictum est. S ed ea q u a e m a ter ia lite r eredend a
proponuntur su nt p lu ra: et possunt accipi v e l m agis v e l m in u s
e x p lic ite. Et secund um hoc potest un us hom o plu ra e x p lic ite cre­
d ere quam aliu s. Et sic in uno potest esse m ajor fides secund um
m ajorem fidei exp lica tio n em .
S i vero co n sid eretu r fides secu n d u m p articip ation em su b jecti,
hoc contingit dupliciter. Nam actus fidei procedit et e x in te l­
lectu et e x volu n tate, ut su p ra dictum est. P otest ergo fid es in
aliq u o dici m ajor uno m odo e x parte in tellectu s, propter m ajo­
rem certitu dinem et firm itatem : alio m odo e x parte volu n ta­
tis, propter m ajorem p rom p titu d in em se u d evotion em v e l confi-
dentiam .
AD PRIM UM ergo dicen d u m quod ille q u i p ertin aciter discre­
dit aliq u id eoru m qu ae su b fid e continentur non h ab et habitum
fid ei, quem tarnen h ab et ille qui non e x p lic ite credit om nia, sed
paratus est om nia cred ere. Et secu n d u m hoc e x parte objecti

10 15 137
5, 4 des Gegenstandes einen größeren Glauben als der andere,
sofern er mehr Dinge ausdrücklich als wahr annimml
(Antwort).
Z u 2. Es liegt im W esen des Glaubens, daß die Erst­
wahrheit allem vorgezogen wird. Dennoch aber unter­
werfen sich ihr von denen, die sie allem vorziehen, manche
mit größerer Gewißheit und Hingabe als andere. Und dem­
gemäß ist der Glaube in dem einen größer als in dem
ändern.
Z u 3. Die Einsicht in die Ursätze folgt aus der mensch­
lichen Natur als solcher, die sich in allen gleichmäßig
findet; der Glaube aber folgt aus dem Geschenk der Gnade,
welche nicht gleichmäßig in allen ist (I— II 112, 4: Bd. 14).
Demnach ist das Verhältnis nicht das nämliche. — Und
doch erkennt nach Maßgabe der größeren Auffassungskraft
des Verstandes einer mehr die Kraft der Ursätze als ein
anderer [34].
QUAESTIO 5, 4

un us h ab et m ajorem fidem quam a liu s, inquantum p lu ra e x p li-


cite credit, ut dictum est.
AD SEC U N D U M d icen d u m quod de ratione fid ei est ut v eri-
tas prim a om nibu s p raeferatu r. S e d tarnen eoru m q u i eam om ­
nibus p ra eferu n t quidam certiu s et d evotiu s s e e i su b jiciu n t
quam a lii. Et secu n d u m hoc fid es est m ajor in uno quam in a lio.
AD TERTIUM dicen du m quod in tellectu s princip iorum con-
seq u itu r ipsam naturam h u m anam , q u a e a e q u a liter in om nibu s
in v en itu r; se d fid e s con seq u itu r donum gra tia e, qu od non est
aeq u aliter in om nibus, ut su p ra dictum est. U n d e non est eadem
ratio. — Et tarnen secund um m ajorem capacitatem intellectu s,
unus m agis v e l m in u s cognoscit verdtatem 1 p rincip iorum quam
alius.
i L: u n u s m a g is c o g n o sc it v irtu te m .

138
6. F R A G E
DIE URSACHE DES GLAUBENS
Nunmehr ist von den Ursachen des Glaubens zu handeln.
Dazu ergeben sich zwei Einzelfragen:
1. Ist der Glaube dem Menschen von Gott eingegossen?
2. Ist der unbeformte Glaube eine Gabe [Gottes] ?
1. A R T I K E L
Ist der Glaube dem Menschen von Gott eingegossen?
1. Augustinus behauptet: „Durch W issenschaft wird in
uns der Glaube erzeugt, genährt, verteidigt und gestärkt.“
Was aber durch W issenschaft in uns erzeugt wird, scheint
eher erworben als eingegossen zu sein. Der Glaube scheint
also in uns nicht aus göttlicher Eingießung zu stammen.
2. Wozu der Mensch durch Hören und Sehen gelangt,
scheint vom Menschen erworben zu sein. Der Mensch ge­
langt aber zum Glauben einerseits, indem er die Wunder
sieht, anderseits, indem er die Lehre des Glaubens hörend
vernimmt; es heißt nämlich Jo 4, 53: „Da erkannte
der Vater, daß es jene Stunde war, da Jesus ihm gesagt:
Dein Sohn lebt. Und er wurde selbst gläubig und sein
ganzes Haus.“ Und Röm 10, 17 heißt es: „Der Glaube
kommt vom Hören.“ Also besitzt der Mensch den Glauben
als erworbenen.

QUAESTIO VI
DE C A U SA F ID E I
D ein d e considerandu m est d e causa fidei.
Et circa hoc q u aeru n tu r duo: 1. U trum fides sit h om in i infusa
a D eo. — 2. U trum fides in fo rm is s it donum .

ARTICULUSI
Utrum fides sit homini a Deo infusa
[I 111, 1 a d 1; 8 C ont. G ent., c ap . 152, 154; De v e rit., q. 18, a rt. 3, eorp.;
1 O pusc., cap . 30; E p h . 2, le c t. 3]
A D PRIM UM sic p roced itu r. V id e tu r quod fides n o n sit h om in i
in fu sa a D eo. D icit enim A u gustin us, 14 d e Trin. [cap. 1 ], quod PL 42
„ p er scien tia m gign itu r in n ob is fides, nutritur, d e fen d itu r et 1037
roboratur“. S e d ea q u ae p e r scien tiam in nobis gign u n tu r m agis
vid en tu r acquisita e sse qu am in fu sa. E rgo fides non v id etu r in
n o b is e sse e x in fu sio n e divina.
2. PRAETEREA, illu d ad quod h om o pertin git au d ien d o et
v id e n d o v id etu r e sse ab h o m in e acquisitum . S e d hom o per-
tin git ad credend um et v id en d o m iracula et au d ien d o fidei doctri-
n am : dicitur enim Joan. 4: „C ognovit p ater qu ia illa hora erat
in qua d ix it ei Jesu s, filiu s tu u s viv it: et cred id it ip se et dom us
e ju s tota“, et Rom. 10 d icitu r quod „fides est ex a u d itu “. Ergo
fides hab etu r ab h o m in e tanquam acquisita.

10* 139
6, l 3. Was im W illen des Menschen seinen Bestand hat,
kann vom Menschen erworben werden. „Der Glaube aber
hat seinen Bestand im W illen der Glaubenden“ (Augu­
stinus). A lso kann der Glaube vom Menschen erworben
sein.
ANDERSEITS heißt es Eph 2, 8 f.: „Durch Gnade seid
ihr kraft des Glaubens gerettet, und nicht aus euch, auf
daß keiner sich rühme; denn er ist Gottes Geschenk.“
ANTWORT: Zum Glauben sind zwei Dinge erforder­
lich. Das eine ist, daß dem Menschen die Glaubensdinge
vorgelegt werden. Dies ist dazu erfordert, daß der Mensch
ausdrücklich etwas für wahr hält. Das andere aber, was
zum Glauben erfordert ist, ist die Beistimmung des Glau­
benden zu dem, was ihm vorgelegt wird. Was nun das
erste angeht, so ist der Glaube notwendig von Gott. Denn
was Sache des Glaubens ist, geht über die menschliche
Vernunft hinaus; es kommt also nur durch Offenbarung
Gottes zur Kenntnis des Menschen. Einigen zwar wird es
unmittelbar von Gott offenbart, w ie es den Aposteln und
Propheten offenbart worden ist. Anderen aber wird es von
Gott vorgelegt, indem Er Glaubensverkündiger sendet,
nach Röm 10, 15: „W ie können sie verkündigen, wenn sie
nicht entsandt w erden?“
Was aber das zw eite angeht, nämlich die Beistimmung
des Menschen zu dem, was Sache des Glaubens ist, so
kann eine zweifache Verursachung in Erwägung gezogen

QUAESTIO 6, i

3. PRAETEREA, illu d quod consistit in h om in is volu n tate


h om in e potest acquiri. S e d „fides consistit in credentium volun -
p l 44 tä te “, u t A u gu stin u s dicit in lib ro d e P raed. San ct. [cap. 5 ].
968 Ergo fid es potest e sse ab h om in e acquisita.
SED CONTRA est quod d icitu r ad E phes. 2: „G ratia estis sa l­
vati p e r fidem , et non e x vob is, n e q u is glorietu r: D e i enim
don um est.“
RESPONDEO dicen du m quod ad fidem d u o requiruntur. Q uo­
rum un um est ut h om in i cred ib ilia proponantur: quod req u iri­
tur a d hoc qu od hom o aliq u id e x p lic ite credat. A liu d autem
q u od ad fidem req u iritu r est a ssen su s c re d e n tis a d e a qu ae p ro­
ponuntur. Q uantum igitu r ad prim um horum , n e c esse est quod
fid es sit a D eo. Ea en im q u ae su n t fid ei ex ced u n t rationem
hum anam : u n d e non cadunt in e o g n itio n e m 1 h om in is n isi D eo
rev ela n te. S ed qu ibusdam q u id em revelan tu r im m ed ia te a D eo,
sicut su n t r ev e la ta A p ostolis et p rop h etis: qu ibusdam autem
propon un tur a D eo m itten te fid ei praedicatores, secu n d u m illu d
Rom. 10: „Q uom odo p raedicab un t n isi m ittantur?“
Q uantum vero ad secund um , sc ilic et ad assen su m h om in is in
ea q u ae su nt fidei, potest considerari d u p lex causa. U n a quidem
i L: in contem platione.

140
werden. Eine, die von außen hinführt, w ie ein Wunder,
das man gesehen hat, oder das Zureden eines Menschen,
der zum Glauben hinführt. K eines von beiden ist eine ge­
nügende Verursachung. Von denen nämlich, die ein und
dasselbe Wunder sehen, und von denen, die die nämliche
Verkündigung vernehmen, glauben nur einige, und einige
glauben nicht. Also muß man eine andere, innere Ver­
ursachung einsetzen, die den Menschen innerlich zur Bei­
stimmung zu dem, was Sache des Glaubens ist, bewegt.
Als diese Verursachung nahmen die P elagian er1 allein
den freien W illensentscheid des Menschen an, und des­
halb sagten sie, der Anfang des Glaubens stamme aus
uns, sofern nämlich aus uns die Bereitw illigkeit stamme,
dem beizustimmen, was des Glaubens ist; die Vollendung
des Glaubens aber sei von Gott, durch den uns vorgelegt
wird, was wir glauben sollen. D ies aber ist falsch. Da
nämlich der Mensch, indem er dem beistimmt, was des
Glaubens ist, über seine Natur hinausgehoben wird, so
muß dies in ihm notwendig auf Grund eines übernatür­
lichen Wirkgrundes geschehen, der ihn innerlich bewegt,
und dies ist Gott. Demnach stammt der Glaube hinsicht­
lich der Beistimmung, welche der ausschlaggebende Akt
des Glaubens ist, von Gott, der innerlich durch die Gnade
dazu bewegt.
Z u l . Durch W issenschaft wird der Glaube erzeugt und
genährt vermöge eines äußeren Zuredens, das aus irgend­
welchem Wissen stammt. Die ausschlaggebende uud eigent-

QUAESTIO 6, i

e x ter iu s in d u cen s: sicut 111i raculum visum , v e l p ersu asio h om in is


in d u cen tis ad fidem . Q uorum n eu trum est su ffic ien s causa: vid en -
tium en im un um et id em m iraculum , et au d ien tiu m eam dem
praed ication em , quidam credunt et quidam non credunt. Et ideo
oportet p on ere aliain causam in teriorem , q u ae m ovet hom inem
in teriu s ad a ssen tien d u m h is qu ae su nt fid ei. H ane autem cau­
sam P e la g ia n iä p on eb ant solum lib eru m arbitrium h o m in is: et cf. Mansi
propter hoc diceb an t quod in itiu m fid ei est e x nob is, inquantum 8/713
scilicet e x n ob is est quod parati su m u s ad a ssen tien d u m his
q u ae su n t fid ei; se d consum m atio fid ei est a D eo, p er quem
nob is propon un tur ea qu ae c red ere debem us. S ed hoc est fal-
sum . Q uia cum hom o, a ssen tien d o h is q u ae su n t fidei, elevetu r
su p ra naturam suam , oportet quod hoc insit ei e x supern atural i
princip io in teriu s m ovente, qu od est D eu s. Et id eo fides quan-
tum ad assen su m , qui est p rin cip a lis actus fidei, est a D eo in ­
te riu s m oven te p er gratiam .
A D PRIM UM ergo dicen du m quod p er scien tiam gign itu r fides
i*t nutritur p er m odum e x terio ris p ersu asion is, quae fit ab ali-
J E benso d ie S e m ip e la g ia n er.
2 Cf. Conc. A rau sic. II [529], c an . 5.

141
6, 2 liehe Verursachung des Glaubens aber ist das, was inner­
lich zur Beistimmung bewegt.
Z u 2. Auch dieser Gedankengang geht von derjenigen
Verursachung aus, die äußerlich vorlegt, was Sache des
Glaubens ist, oder die durch Wort oder Tat zum Fürwahr­
halten beredet.
Z u 3. Glauben ist zwar im W illen der Glaubenden be­
gründet; es ist aber nötig, daß der W ille des Menschen
von Gott durch die Gnade dazu bereitet wird, um sich
zu dem zu erheben, was über die Natur hinausgeht (Ant­
wort).
2. ARTIKEL
Ist der unbeformte Glaube eine Gabe Gottes?
1. Dt 32, 4 heißt es: „Gottes Werke sind vollkommen.“
Der unbeformte Glaube aber ist etwas Unvollkommenes.
Also ist der unbeformte Glaube nicht Gottes Werk.
2. W ie ein Akt deshalb, w eil er der ihm zugehörigen
Form entbehrt, formentstellt genannt wird, so heißt auch
der Glaube deshalb, w eil er der ihm zugehörigen Form
entbehrt, unbeformt. Der entstellte Akt der Sünde aber
ist nicht von Gott (I—II 79, 2: Bd. 12). Also ist auch der
unbeformte Glaube nicht von Gott.

QUAESTIO 6, 2

qua scien tia . S e d p rin cip a lis et propria causa fidei est id quod
in teriu s m ovet ad assen tien d u m .
A D SE C U N D U M dicen du m quod etiam ratio illa proced it d e
causa p rop on en te e x ter iu s e a q u a e su nt fid ei, v e l p ersu ad en te
ad credend um v e l verb o v e l facto.
A D TERTIUM dicen du m quod cred ere qu idem in volun tate
cred en tiu m consistit: se d oportet quod volu n tas h om in is prae-
paretur a D eo p e r gratiam ad hoc quod e lev etu r in e a quae
sunt su pra naturam , ut su p ra dictum est.

ARTICULUS II
Utrum fides informis sit donum Dei
[3 S en t., d is t. 23, q. 3, a r t. 2; De v e rit., q. 14, a rt. 7 c o rp .; R om . 8, le e t. 3]

A D SE C U N D U M sic proceditur. V id etu r quod fides inform is


non sit donum D ei. D icitur en im D eut. 32, quod „ D ei perfecta
su n t o p e r a “. F id e s autem in form is est quiddam im perfectu m .
Ergo fid e s in fo rm is n o n e st opu s D ei.
2. PRAETEREA, sicu t actus dicitur d eform is propter hoc quod
caret deb ita form a, ita etiam fides d icitu r in form is propter hoc
quod caret d eb ita form a. S ed actus deform is peccati non est a
D eo, ut su pra dictum est. Ergo n eq u e etiam fides in fo rm is est
a D eo.

142
3. A lles, was Gott heilt, heilt er gänzlich; es heißt näm- 6, 2
lieh Jo 7, 23: „Wenn ein Mensch am Sabbat die Beschnei­
dung empfängt, nur damit das Gesetz des Moses nicht
übertreten wird, wollt ihr Mir grollen, w eil Ich einen
ganzen Menschen am Sabbat gesund , gemacht habe?“
Durch den Glauben aber wird der Mensch vom Unglauben
geheilt. Jeder also, der von Gott die Gabe des Glaubens
empfängt, wird auf einmal von allen Sünden geheilt. Dies
aber geschieht nur durch den beformten Glauben. Dem­
nach ist nur der beformte Glaube Gabe Gottes, nicht also
der unbeformte Glaube.
ANDERSEITS sagt eine Glosse zu 1 Kor 13, 2: „Der
Glaube, der ohne Liebe ist, ist Gottes Gabe.“ Ein Glaube
aber, der ohne Liebe ist, ist unbeformter Glaube.
ANTWORT: Unbeformtheit ist ein Mangel. Man muß
aber im Auge behalten, daß ein Mangel bisw eilen w esent­
lich zur Artbestimmtheit gehört, bisw eilen jedoch nicht,
sondern zu einem Ding, das bereits die ihm zugehörige
Artbestimmtheit besitzt, hinzukommt. So gehört z. B. der
Mangel des angem essenen Maßverhältnisses der [Kör­
per-JSäfte zur Artbestimmtheit des Krankseins als sol­
chen; dagegen liegt Dunkelheit nicht im W esen des Durch­
sichtigen als solchen, sondern kommt zu ihm hinzu. W eil
nun bei der Bezeichnung der Ursache irgendeines Dinges
diese Angabe der Ursache in der W eise auf das Ding
bezogen verstanden wird, w ie es in seiner eigentümlichen
QUAESTIO 6, 2

3. PRAETEREA, q u aecum q ue D eu s san at totaliter san at; d ici­


tur en im Joan. 7: „S i circu m cision em accipit hom o in sabbato
ut non solvatu r le x M oysi, m ihi in d ign am in i, qu ia totum hom i-
n em san um fe c i in sa b b a to ? “ S ed p e r fidem hom o san atur ab
in fid elitate. Q uicum que ergo donum fid ei a D eo accipit sim u l
san atur ab om nibu s peccatis. S ed hoc non fit n isi p er fidem for-
m atam . Ergo sola fides form ata est donum D ei. Non ergo fides
inform is.
SED CONTRA est quod qu aed am G lossa dicit, 1 ad Cor. 13, cf. Lomb.
quod „fides q u ae est s in e caritate est don um D e i“. H aec au tem ^ 192
est in form is.1 Ergo fid es in fo rm is est donum D ei.
RESPONDEO dicendum quod inform itas privatio qu aed am est.
Est autem considerandum quod privatio quandoque qu idem per-
tinet ad ration em sp e c ie i: quand oqu e autem non, se d su p er-
v e n it r ei jam h a b en ti propriam sp eciem . Sicut privatio debitae
com m en su ration is hu m oru m est de ration e sp e c ie i ip siu s a eg ri-
tu d in is: ten eb rositas autem non est de ratione ip siu s diap hani,
se d su p erven it. Q uia igitu r cum assign atur causa alicu ju s rei,
in te llig itu r assig n a ri cau sa e ju s secu n d u m quod in propria sp ec ie
1 L : Sed fid es q u a e e st sin e c a rita te e st fides in fo rm is.

143
6, 2 Artbestimmtheit da ist, so kann, was nicht Ursache des
Mangels ist, nicht als Ursache desjenigen Dinges bezeich­
net werden, zu dem der Mangel, als in seiner Artbestimmt­
heit wesentlich beschlossen, gehört. Denn es kann nicht
Ursache des Krankseins genannt werden, was nicht Ur­
sache der Unordnung der Säfte ist. Jedoch kann etwas als
Ursache des Durchsichtigen bezeichnet werden, was durch­
aus nicht Ursache der Dunkelheit ist, w eil diese nicht w e­
sentlich in der Artbestimmtheit des Durchsichtigen liegt.
Die Unbeformtheit des Glaubens aber gehört nicht zur
Artbestimmtheit des Glaubens als solchen; denn der
Glaube heißt unbeformt wegen des Fehlens einer [der
Artbestimmtheit gegenüber noch] außen bleibenden Form
(4, 4; vgl. 4, 3 Zu 2). Demnach ist Ursache des unbeform­
ten Glaubens, was Ursache des Glaubens schlechthin ist.
Dies aber ist Gott (Art. 1). Also bleibt nur übrig, daß der
unbeformte Glaube Gabe Gottes ist [35].
Z u l . Obwohl der unbeformte Glaube nicht schlechthin
vollkommen ist nach Art einer vollkom m enen Tugend,
so ist er doch vollkommen auf Grund einer Vollkommen­
heit, die zur Bewandtnis des Glaubens genügt.
Z u 2. Die Entstelltheit des Aktes liegt w esentlich in der
Artbestimmtheit des Aktes selbst, sofern er ein sittlicher
Akt ist (I 48, 1 Zu 2: Bd. 4; I—II 18, 5: Bd. 9; 71, 6 :
Bd. 12); man spricht nämlich von einem formentstellten
Akt auf Grund des Mangels der inneren Beformung, die
in dem gebührenden Maßverhältnis der Umstände des
Aktes besteht. Also kann als Ursache des Aktes als eines

QUAESTIO 6, s

ex istit, ideo quod non est causa p rivation is non potest dici esse
causa illiu s rei ad quam p ertin et p rivatio sicut ex isten s d e ra­
tion e s p e c ie i ip siu s: non en im potest d ici causa a e g ritu d in is quod
non est causa d istem p eran tiae hum orum . P otest tarnen dici a li­
quid esse causa diap hani qu am vis n on sit causa obscuritatis,
q u ae non est de ration e sp e c ie i diap hani. In form itas autem
fidei non p ertin et ad ration em sp e c ie i ip siu s fid ei: cum fides
dicatur in form is prop ter d efectum eujusdam e x te r io r is form ae,
sicut dictum est. Et id eo illu d est causa fid ei inform is quod est
causa fidei sim p liciter dictae. Hoc au tem est D eu s, ut dictum
est. U n d e relinqu itu r quod fides in form is sit donum D ei.
AD PRIM UM ergo dicen du m quod fides inform is, etsi non sit
p erfecta sim p liciter p erfection e virtutis, est tarnen perfecta qua­
dam p erfectio n e qu ae sufficit ad fidei rationem .
A D SEC UND UM dicen du m quod d eform itas actus est de ra­
tio n e sp e c ie i ip siu s actus secu n d u m quod est a ctu s m oralis, ut
su pra dictum est: dicitur enim actus deform is p er p rivation em
form ae in trin secae, quae est debita com m ensuratio circum stan-

144
entstellten nicht Gott bezeichnet werden, der nicht Ur- 6, 2
sache der Entstelltheit ist, mag er auch Ursache des Aktes
[als solchen] sein.
Oder man kann sagen, die Entstelltheit bedeutet nicht
nur Mangel der gebührenden Form, sondern auch eine
gegensätzliche Ausrichtung. Dann verhält sich die Entstellt­
heit zum Akte w ie das Falschsein zum Glauben. W ie nun
ein entstellter Akt nicht von Gott ist, so auch nicht irgend­
ein falscher Glaube. Und wie der unbeformle Glaube von
Gott ist, so auch die Akte, die gattungsmäßig gut sind,
mögen sie auch nicht durch die Liebe beformt sein, wie
es meist bei Sündern der Fall ist [36].
Z u 3. Wer von Gott Glauben ohne die Liebe empfängt,
wird nicht schlechthin vom Unglauben geheilt, w eil die
Schuld des vorausgegangenen Unglaubens nicht behoben
wird; er wird vielm ehr nur in gew isser Hinsicht geheilt,
daß er nämlich von einer bestimmten Sünde läßt. Das
aber kommt häufig vor, daß jemand von dem einen sün­
digen Tun läßt, wobei auch dies Gott bewirkt, hingegen
vom Tun einer anderen Sünde nicht, zu der ihn die eigene
Sündhaftigkeit veranlaßt. Und auf diese W eise wird dem
Menschen bisw eilen von Gott gegeben, daß er glaubt, ohne
daß ihm die Gabe der Liebe gewährt wird, w ie ja auch
einigen, ohne daß sie die Liebe haben, die Gabe der W eis­
sagung oder etwas Ähnliches gegeben wird.

QUAESTIO 6, 2

tiarum actus. Et id eo non potest dici causa actus deform is D eus,


q ui non est causa d eform itatis: licet sit causa actus.
V e l dicen du m quod d eform itas n on solu m im portat privation em
d eb itae form ae, sed etiam contrariam d isp osition em . U n d e d e­
form itas s e h a b et ad actum , sicut falsitas ad fidem . Et id eo sicut
actus d eform is non est a D eo, ita n ec aliq u a fides falsa. Et sicut
fides inform is est a D eo, ita etiam actus qui su n t boni e x g en ere,
q u am vis non sin t caritate form ati, sicut p leru m q u e in peccato-
ribus contingit.
A D TERTIUM dicen du m quod ille qui accipit a D eo fidem
absque caritate non sim p liciter sanatur ab infid elitate, qu ia non
rem ovetur culpa p raeced en tis in fid elitatis: se d san atu r secun-
duin quid, ut sc ilic et cesset a tali peccato. Hoc autem freq uenter
contingit, quod aliq uis d esistit ab uno actu peccati, etiam D eo
hoc facien te, qui tarnen ab actu a lteriu s peccati non desistit,
propria in iq u itate su g g eren te. Et p er hunc etiam m odum datur
aliq uan do hom ini a D eo quod credat, non tarnen datur e i cari-
tatis donum : sicut etiam aliq u ib u s absqu e caritate datur donum
p rop h etiae v e l aliq u id sim ile .

145
7. F R A G E
DIE WIRKUNGEN DES GLAUBENS
Sodann sind die Wirkungen des Glaubens zu erwägen.
Dazu ergeben sich zwei Einzelfragen:
1. Ist die Furcht eine Wirkung des Glaubens?
2. Ist die Reinigung des Herzens eine Wirkung des
Glaubens?
1. A R T I K E L
Ist die Furcht eine Wirkung des Glaubens?
1. D ie Wirkung geht der Ursache nicht voraus. Die
Furcht aber geht dem Glauben voraus; es heißt nämlich
Sir 2, 8: „D ie ihr Gott fürchtet, glaubet Ihm !“ Also ist die
Furcht nicht Wirkung des Glaubens.
2. Das nämliche ist nicht Ursache von Gegensätzen.
Furcht und Hoffnung aber sind Gegensätze (I—II 23, 2;
40, 4 Zu 1: Bd. 10). „Der Glaube aber erzeugt Hoffnung“
(Glosse). Also ist er nicht Ursache der Furcht.
3. Gegensätzliches ist nicht Ursache seines Gegensatzes.
Gegenstand des Glaubens aber ist ein Gut, nämlich die
Erstwahrheit; Gegenstand der Furcht hingegen ist das
Übel (I—II 42, 1: Bd. 10). Die Akte aber haben ihre
Artbestimmtheit von ihrem Gegenstand (I—II 18, 2:
Bd. 9). Also ist der Glaube nicht Ursache der Furcht.

QUAESTI O VII
DE EFFEC TIBU S F ID E I
D ein d e considerandu m est de effectib us fidei.
Et circa hoc qu aeru n tu r duo: 1. Utrum tim or sit effectus
fid ei. — 2. Utrum pu rificatio cordis sit efiectu s fidei.

ARTICULUSI
Utrum timor sit effectus fidei
AD PRIM UM sic proceditur. V id etu r quod tim or non sit e fiec­
tus fid ei. Effectus enim non p raeced it causam . S ed tim or prae-
ced it fidem ; dicitur en im Eccli. 2: „Qui tim etis D eu m , credite
illi.“ Ergo tim or non est effectus fidei.
2. PRAETEREA, idem non est causa contrariorum . S ed tim or
et sp es su n t contraria, ut su pra dictum est: „F id es autem ge-
pl 162 nerat sp e m “,ut dicitur in G lossa [in te r l.], Matth. 1. Ergo non est
1230 D causa tim oris.
3. PRAETEREA, contrarium non est causa contrarii. S ed ob ­
jectum fidei est quoddam bonum , quod est veritas prim a: ob­
jectum autem tim oris est m alum , ut su pra dictum est. Actus
autem h ab en t sp eciem e x objecto, secu n d u m su pra dicta. Ergo
fides non est causa tim oris.

146
ANDERSEITS heißt es Jak 2, 19: „Die gefallenen Engel 7, i
glauben und zittern“ [37].
ANTWORT: Die Furcht ist eine Regung der Strebe­
kraft (I—II 41, 1; 42, 1: Bd. 10). Quellgrund aller Strebe­
bewegungen aber ist ein Gut oder Übel, das man erfaßt
hat. Demnach muß Quellgrund der Furcht und aller
Strebebewegungen irgendeine Erfassung sein. Durch den
Glauben aber erfolgt in uns eine Erfassung hinsichtlich
bestimmter Strafübel, die kraft göttlichen Gerichtes ver­
hängt werden; und auf diese W eise ist der Glaube Ver­
ursachung der Furcht, aus der jemand von Gott bestraft
zu werden fürchtet, und zwar ist dies knechtische Furcht.
Er ist aber auch Ursache kindhafter Furcht, aus welcher
jemand fürchtet, von Gott getrennt zu werden, oder aus
der sich jemand scheut, sich mit Gott zu vergleichen, aus
Ehrfurcht vor Ihm, da wir nämlich durch den Glauben
von Gott einen solchen Begriff haben, daß Er ein unermeß­
liches und allerhöchstes Gut ist, von dem getrennt zu wer­
den das größte Ü bel und dem sich gleichstellen zu wollen
böse ist. Ursache nun der erstgenannten Furcht, nämlich
der knechtischen, ist der unbeformte Glaube. Ursache aber
der zweitgenannten, nämlich der kindhaften, ist der be-
formte Glaube, der vermittels der Liebe den Menschen
veranlaßt, Gott anzuhangen und sich Ihm zu unterwerfen
[38].
Z u l . Die Gottesfurcht kann nicht allgem ein dem Glau­
ben vorangehen. Denn wenn wir von Ihm, was Belohnun-
QUAESTIO 7, i

SED CONTRA est quod dicitur Jac. 2: „D aem on es credunt


et con trem iscu n t.“
RESPONDEO dicen du m quod tim or est quidam m otus ap p e-
titiv a e virtu tis, ut su p ra dictum est. Om nium autem ap p etiti-
vorum m otuum p rincip iu m est bonum v e l m alum app rehensum .
U n d e oportet quod tim oris et om nium app etitivoru m m otuum
sit princip iu m aliq u a a p p reh en sio. P er fidem autem fit in nobis
qu aed am a p p reh en sio de qu ibusdam m alis p oen alib u s qu ae
secund um divinu m jud icium in feru n tu r: et per hunc modum
fid es est causa tim oris quo qu is tim et a D eo p u niri, qui tim or
est se r v ilis. Est etiam causa tim oris filialis, quo quis tim et sep a-
rari a D eo, v e l quo qu is refu git s e D eo com parare reveren d o
ipsu m ; inq uantu m p er fidem hanc ex istim ation em h ab em u s de
D eo, quod sit quoddam im m en sum et altissim um bonum , a quo
se p a r a r i est p essim u m et cui v e ile a eq u ari est m alum . S ed
prim i tim oris, scilicet se r v ilis, est causa fides inform is. S ed
secu n d i tim oris, sc ilic et filia lis, est causa fid es form ata, quae
p e r caritatem facit h om in em D eo a d h a erere et ei su bjici.
AD PRIM UM ergo dicen d u m quod tim or D ei non potest uni-
versaliter p raeced ere fid e m : qu ia si om nino e ju s ignorantiam

147
7, i geu und Strafe angeht, über die wir durch den Glauben
belehrt werden, überhaupt keine Kenntnis hätten, so wür­
den wir in keiner W eise Furcht vor Ihm hegen. Setzt man
aber über einige Glaubensartikel, z. B. über die göttliche
Erhabenheit, den Glauben voraus, so ergibt sich als Folge
die Furcht der Ehrfurcht, woraus w eiter folgt, daß der
Mensch seinen Verstand Gott unterwirft, um alles für wahr
zu halten, was von Gott verheißen ist. Daher heißt es an
jener Stelle weiter: „Und euer Lohn wird euch nicht ent­
gehen“ [39].
Z u 2. Das nämliche kann unter gegensätzlichen Gesichts­
punkten Ursache von Gegensätzen sein, nicht freilich das
nämliche unter dem nämlichen Gesichtspunkt. Der Glaube
nun erzeugt die Hoffnung, sofern er uns einen Begriff
von den Belohnungen gewährt, die Gott den Gerechten
zuteil werden läßt [40]. A nderseits ist er Ursache der
Furcht, sofern er uns einen Begriff gibt von den Strafen,
die Er den Sündern aufzuerlegen w illens ist.
Z u 3. Der erste und formgebende Gegenstand des Glau­
bens ist ein Gut, nämlich die Erstwahrheit. Inhaltlich aber
werden dem Glauben auch gew isse Ü bel als für wahr zu
halten vorgelegt, z. B. daß es ein Ü bel sei, sich Gott nicht
zu unterwerfen oder von Ihm getrennt zu werden, und
daß die Sünder Strafübel von Gott auf sich laden werden.
Und insofern kann der Glaube Ursache von Furcht sein.

QUAESTIO 7, l

h ab erem us quantum ad praem ia v e l p oen as de qu ibus per fidem


instruim ur, n u llo m odo eum tim erem u s. S ed su p p osita fide de
aliq u ib u s articulis fid ei, puta de e x ce lle n tia divina, sequ itu r
tim or r ev eren tia e, e x quo seq u itu r u lte riu s ut hom o in tellectu m
su um D eo su b jiciat ad credend um om n ia qu ae su nt p rom issa a
D eo. U n d e ib i seq u itu r: „Et n on evacu abitur merce.s vestra .“
AD SEC U N D U M dicen du m quod id em secu n d u m contraria
potest esse contrariorum causa, non au tem idem secu n d u m idem .
F id es autem gen erat sp em secu n d u m quod facit n ob is existi-
m ation em d e p r a e m iis q u ae D eu s retrib u it ju stis. Est autem
causa tim oris secund um quod facit n ob is aestim ation em de p oe-
n is qu as p eccatorib us in flig e r e vult.
AD TERTIUM dicen du m quod objectum fidei prim um et
form ale est bon um quod est veritas prim a. S ed m aterialiter fidei
proponuntur etiam ered en d a qu aed am m ala: puta quod m aluni
sit D eo non su b jici v e l ab eo sep arari, et quod peccatores poe-
ualia m ala su stin eb u n t a D eo. Et secund um hoc fides potest esse
causa tim oris.

148
2. A R T I K E L 7,2
Ist die Reinigung des Herzens eine Wirkung des
Glaubens?
1. Reinheit des Herzens besteht vornehmlich im W illen.
Der Glaube aber ist im Verstand. Also verursacht nicht
der Glaube die Reinigung des Herzens.
2. Was Reinigung des Herzens verursacht, kann nicht
gleichzeitig mit Unreinheit bestehen. Der Glaube aber
kann gleichzeitig mit der Unreinheit der Sünde da sein,
wie bei denen offensichtlich ist, die einen unbeformten
Glauben haben. Also macht der Glaube das Herz nicht
rein.
3. Wenn der Glaube in irgendeiner W eise das mensch­
liche Herz reinigte, würde er vor allem den Verstand des
Menschen reinigen. Er reinigt aber den Verstand nicht von
der Dunkelheit, da er ja nur rätselhafte Erkenntnis ist.
Also macht der Glaube in keiner W eise das Herz rein.
ANDERSEITS sagt Petrus Apg 15, 9: „Durch den Glau­
ben reinigt Er ihre Herzen.“
ANTWORT: Unreinheit eines jeden W esens besteht
darin, daß es mit geringeren Dingen vermengt ist. Vom
Silber sagt man ja nicht, es sei unrein durch die Ver­
mischung mit Gold, durch die e s vielm ehr veredelt wird,
sondern durch Vermischung mit Blei oder mit Zinn. Es

QUAESTIO 7, 2

ARTICULUS II
Utrum purificatio cordis sit effectus fidei
[4 Sent-, d is t. 14, q. 2, a rt. 4 a d 8; De v e rlt., q. 28, a rt. 1 a d 6]

A D SEC U N D U M sic proceditur. V idetur quod pu rificatio cor­


dis non sit effectus fidei. P uritas enim cordis p raecip u e in affectu
consistit. S ed fides in in tellectu est. Ergo fid es non causat cor­
d is purificationem .
2. PRAETEREA, illu d quod causat cordis p u rificationem non
potest sim u l e sse cum im puritate. S ed fides sim u l potest esse
cum im p u ritate peccati: sicut patet in illis qui h ab en t fidem
in form em . E rgo fid e s n o n purificat cor.
3. PRAETEREA, s i fides aliq u o m odo pu rificaret cor hum anum ,
m a x im e p u rificaret h om in is in tellectu m . S e d in tellectu m non
purificat ab obscu ritate: cum sit cognitio aenigm atica. Ergo fides
n u llo m odo purificat cor.
SED CONTRA est quod dicit P etrus, Act. 15: „F id e purificans
corda eoru m .“
RESPONDEO dicen du m quod im puritas u n iuscuju squ e rei con­
sistit in hoc quod rebus vilio rib u s im m iscetur: non enim dicitur
argen tum esse im purum e x p e r m ix tio n e auri, per quam m eliu s
redditur, se d e x p e r m ix tio n e plum bi v e l stan n i. M anifestum

149
7, 2 ist nun offensichtlich, daß das vernunftbegabte Geschöpf
wertvoller ist als alle vergänglichen und körperlichen
Geschöpfe. Also wird es dadurch unrein, daß es sich durch
Liebe Vergänglichem unterwirft. Von dieser Unreinheit
nun reinigt es sich durch die entgegengesetzte Regung,
indem es nämlich nach dem strebt, w as über ihm ist, d. h.
nach Gott. In dieser Regung nun ist erster Ausgangsgrund
der Glaube. Denn „wer sich Gott naht, muß glauben“,
w ie es Hebr 11, 6 heißt. Also ist erster Anfangsgrund der
Reinigung des Herzens der Glaube, durch den die Unrein­
heit des Irrtums behoben wird, und der, wenn er durch
die beformte Liebe [41 ] gereinigt wird, die vollkommene
Reinigung verursacht.
Z u l . Was im Verstand ist, ist Urgrund dessen, was im
W illen ist, insofern nämlich das erkannte Gute den Willen
in Bewegung setzt.
Z u 2. Auch der unbeformte Glaube schließt eine gewisse
ihm entgegengesetzte Unreinheit aus, nämlich die Unrein­
heit des Irrtums, die daher rührt, daß der menschliche
Verstand in ungeordneter W eise Dingen anhängt, die un­
ter ihm sind, indem er nämlich das Göttliche nach den
W esensbildern sinnlicher Dinge m essen w ill. Wenn der
Glaube aber durch die Liebe beformt ist, dann duldet
er keinerlei Unreinheit neben sich, denn „alle Sünden
deckt die Liebe zu“, w ie es Spr 10, 12 heißt.

QUAESTIO 7, 2

est autem quod ration alis creatura dign ior est om nibus tem po-
ralibu s et corp oralibus creaturis. Et ideo im pura red ditur e x
hoc quod tem p oralib u s s e su b jicit per am orem . A qua quidem
im puritate puriflcatur p er contrarium m otum : dum scilicet ten-
dit in id qu od est su p ra se , scilicet in D eum . In quo quidem
m otu prim um p rin cip iu m est fides: „A cced en tem en im ad D eum
oportet cre d e re “, ut dicitu r H ebr. 11. Et id eo prim um principium
pu rificationis cordis est fides, qua puriflcatur im puritas erroris,1
q u ae s i perficiatur p er caritatem form atam , p erfectam purifi-
cation em causat.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod ea qu ae su nt in intellectu
su n t p rin cip ia eorum q u ae su n t in affectu: inquantum scilicet
bonum in tellectu m m ovet affectum .
A D SE C U N D U M dicen du m quod fides etiam in form is exclu d it
quam dam im puritatem sib i oppositam , sc ilic et im puritatem er ­
roris, qu ae contingit e x hoc quod in tellectu s h u m anu s inordinate
in h aeret rebus s e in feriorib u s, dum sc ilic et vu lt secu n d u m ratio­
nes rerum se n sib iliu m m e tir i2 d iv in a . S ed quando p er cari­
tatem form atu r, tune n u llam im p u ritatem secu m coinpatitur:
q u ia „u n iversa d elicta op erit c a rita s“, ut dicitur P roverb. 10.
1 L o m .: q u a — e rro ris.
2 P : m e re ri.

150
Z u 3, Die Dunkelheit des Glaubens hat nichts zu tun 7, 2
mit der Unreinheit der Schuld, sondern vielm ehr mit der
natürlichen Mangelhaftigkeit des menschlichen Verstandes
im Zustande des gegenwärtigen Lebens.

QÜAESTIO 7, 2

A D TERTIUM dicen d u m quod obscuritas fidei non pertin et


ad im puritatem cu lp ae: se d m agis ad n atu ralem d e fectu m in ­
tellectu s hu m ani, secund um statum p raesen tis vitae.

151
8. F R A G E
DIE GABE DER EINSICHT'
Nunmehr sind die Gaben der Einsicht und der W issen­
schaft, die der Tugend des Glaubens entsprechen, ins
Auge zu fassen.
Hinsichtlich der Gabe der Einsicht erheben sich acht
Einzelfragen:
1. Ist die Einsicht eine Gabe des Heiligen Geistes?
2. Kann sie mit dem Glauben in dem nämlichen [Men­
schen] Zusammensein?
3. Ist die Einsicht als Gabe des H eiligen Geistes nur
auf die Schau gerichtet oder auch auf das Tun?
4. Besitzen alle, die in der Gnade sind, die Gabe der
Einsicht?
5. Findet sich diese Gabe in irgendeinem ohne die
Gnade ?
6. Wie verhält sich die Gabe der Einsicht zu den an­
deren Gaben?
7. Was dieser Gabe unter den Seligkeiten entspricht.
8. Was ihr unter den Früchten [des H eiligen G eistes]
entspricht.
1. A R T I K E L
Ist die Einsicht eine Gabe des Heiligen Geistes?
1. Die Gnadengaben unterscheiden sich von den natür­
lichen Gaben; denn sie werden über diese hinaus ver-

QUAESTIO V III
DE DONO IN TELLECTUS
D ein d e considerandu m est de dono in tellectu s et scien tia e,
qu ae respond en t virtuti fidei.
Et circa donum in te lle ctu s quaerun tur octo: 1. U trum in te l­
lectus sit donum S p iritu s Sancti. — 2. U trum p ossit sim u l esse
in eodem cum fide. — 3. U trum in tellectu s q u i est donum S p iri­
tus San cti sit sp ecu lativu s tantum , v e l etiam practicus. — 4. Utrum
om nes qui su nt in gratia h ab ean t donum in tellectu s. — 5. Utrum
hoc d on um in v en ia tu r in a liq u ib u s absqu e gratia. — 6. Quo-
m odo s e h ab eat donum in te lle ctu s ad a lia dona. — 7. D e eo
quod resp on d et hu ic dono in b e atitu d in ib u s. — 8. D e eo quod
resp on d et e i in fructib us.

ARTICULUSI
Utrum intellectu s sit donum Spiritus Sancti
[3 S en t., d is t. 35, q. 2, a rt. 2, q a 1; Isa i. 11, le c t. 2]
AD PRIM UM sic proceditur. V id etu r quod in tellectu s non sit
donum S p iritu s Sancti. D ona enim gratuita distin guun tur a donis
t Z u r Ü b e rse tz u n g v o n la t. .in te lle c tu s ' m it .E in s ic h t' v g l. B d. 11, 634.

152
liehen. Die Einsicht ist aber ein natürliches Gehaben in
der Seele, vermöge dessen die naturhaft bekannten Ur-
sätze erkannt werden (Aristoteles). Sie darf also nicht
als Gabe des H eiligen Geistes bezeichnet werden.
2. An den göttlichen Gaben bekommen die Geschöpfe
Anteil je nach ihrem Maßverhältnis und ihrer Seinsw eise
(D ionysius). Die Seinsw eise der menschlichen Natur ist
aber so geartet, daß sie die Wahrheit nicht in einfacher Er­
fassung erkennt — das gehört zum W esen der Einsicht —,
sondern fortschreitend, was das Eigentümliche der Ver­
nunft ist (D ionysius). Also muß die göttliche Erkenntnis,
die dem Menschen gegeben wird, vielm ehr als Gabe der
Vernunft denn als Gabe der Einsicht bezeichnet werden.
3. Unter den Vermögen der Seele wird die Einsicht
[ = der Verstand] gegen den W illen abgegrenzt (Aristo­
teles). Aber keine Gabe des Heiligen Geistes wird als
W ille bezeichnet. Also darf auch keine Gabe des Heiligen
Geistes als Einsicht bezeichnet werden.
ANDERSEITS heißt es Is 11, 2: „Der Geist des Herrn
wird auf Ihm ruhen, der Geist der W eisheit und der Ein­
sicht.“
ANTWORT: Der Begriff der Einsicht bedeutet ein e ge­
w isse inwendige Erkenntnis; einsehen heißt nämlich
gleichsam „inwendig lesen “. Und dies wird deutlich offen­
bar, wenn man den Unterschied von Einsicht und Sinnes­
erkenntnis erwägt; denn die sinnenhafte Erkenntnis be-
QUAESTI 0 8, l

n atu ralib u s: su p erad d u n tu r enim eis. S e d in tellectu s est quidam


hab itu s natu ralis in anim a, quo cognoscuntur p rin cip ia natura-
liter nota: ut patet in 6 Ethic. [cap. 6 ] . Ergo non d eb et poni 1141a
donum S p iritu s Sancti. 7 sq.
2. PRAETEREA, dona d ivin a participan tur a creaturis se c u n ­
dum earum p roportionem et m odum : ut patet p e r D ionysiu m PG 3/719
in libro de D iv. Nom . [cap. 6 ] . S e d m odus h u m an ae natu rae Sol. I
247 f.
est ut non sim p liciter v eritatem cognoscat (quod p ertin et ad
rationem in tellectu s), se d discursive (quod est proprium r a tio n is ):
ut patet p e r D ionysiu m , in 7 cap. de D iv. Nom . Ergo cognitio PG 3
d ivin a q u ae h om in ib u s datur m agis deb et dici donum ration is 867 sq.
Sol. L
quam in tellectu s. 390 f.
3. PRAETEREA, in p oten tiis a n im ae in tellectu s contra vo lu n ­
tatem d ivid itu r: ut patet in 3 de A n im a [cap. 9 ] . S e d nullum 432 b 5
donum S p iritu s San cti dicitur volun tas. Ergo etiam n u llu m do­ 433 a
9 sqq.
num S p iritu s San cti d eb et dici in tellectu s.
SED CONTRA est quod dicitu r Is. 11: „R equ iescet su p e r eum
S p iritu s D om in i, S p iritu s sa p ie n tia e et in tellectu s.“
RESPONDEO dicendum quod nom en in tellectu s quam dam in-
tim am eognition em im portat: dicitur en im in te llig er e q u asi „in ­
tus le g e r e “. Et hoc m an ifeste patet con sid eran tib u s diffierentiam
in tellectu s et sen su s: nam cognitio sen sitiv a occupatur circa

153
8, i schäftigt sich mit den sinnlichen äußeren Eigenschaften;
die einsehende Erkenntnis aber dringt bis zum W esen
eines Dinges vor; Gegenstand der Einsicht ist nämlich
das „Was etwas ist“ (Aristoteles). Es gibt aber viele Gat­
tungen von solchem, was inwendig verborgen liegt, zu dem
also die Erkenntnis des Menschen gleichsam einwärts Vor­
dringen muß. Denn unter den B eiw esen liegt die selb-
standhafte Natur des Dinges verborgen, unter den Worten
das mit den Worten Bezeichnete, unter den Gleichnissen
und Bildern die verbildlichte W ahrheit (auch die ver­
standesmäßigen W irklichkeiten sind in gew isser W eise
inwendig gegenüber den Sinnendingen, die von außen
wahrgenommen w erden), und unter den Ursachen liegen
die W irkungen verborgen, und ebenso umgekehrt. Im Hin­
blick auf alle diese Dinge also kann man von Einsicht
sprechen. Da aber die menschliche Erkenntnis mit der
Sinneswahrnehmung beginnt, also gleichsam von außen, so
ist klar, daß, je stärker die Leuchte der Einsicht ist, sie
desto mehr ins Inwendige [der Dinge] vorzudringen ver­
mag. Die natürliche Leuchte aber unseres Verstandes ist
von begrenzter Wirkkraft; daher kann sie nur bis zu einem
bestimmten Punkt gelangen. Es bedarf also der Mensch
einer übernatürlichen Leuchte, um darüber hinaus bis zur
Erkenntnis von solchem vorzudringen, was er durch die
natürliche Leuchte nicht zu erkennen vermag. Und jene
übernatürliche Leuchte, die dem Menschen gegeben wird,
heißt die Gabe der Einsicht.
Z u l . Durch das uns eingegebene natürliche Licht er-

QUAESTIO 8, i

q u a lita te s se n s ib ile s e x te r io r e s; cogn itio a u tem in te lle ctiv a p e-


netrat usq u e ad essen tiam rei, objectum en im in tellectu s est
430b 28 „quod quid est“, ut dicitu r in 3 de A n im a [cap. 6 ] . S u n t autem
m ulta g en era eorum qu ae in teriu s laten t, ad qu ae oportet cogni-
tionem h o m in is q u asi in trin secu s p en etrare. Nam su b accidenti-
bus latet natura rei su bstantialis, su b verb is laten t significata
verborum , su b sim ilitu d in ib u s et figu ris latet veritas figurata
(res etiam in te llig ib ile s su n t quodam m odo in terio res respectu
rerum sensdbilium , q u ae e x ter iu s se n tiu n tu r ), et in cau sis laten t
effectus et e converso. U n d e respectu horum om nium potest dici
intellectu s. S ed cum cognitio h om in is a sen su incip iat, quasi ab
exteriori, m anifestum est quod quanto lu m en in tellectu s est for-
tius, tanto potest m a g is a d in tim a p en etrare. L u m en au tem
n atu rale nostri in tellectu s est flnitae virtu tis: u n d e u squ e ad
determ inatu m a liq u id p ertin g ere potest. In d ig et ergo hom o su -
pern atu rali lu m in e ut u lteriu s p en etret ad cognoscendum q u ae­
dam q u ae p er lu m en n atu rale cogn oscere non valet. Et illu d
lu m en su p ern atu rale h om in i datum vocatur donum intellectu s.
AD PRIM UM ergo dicendum quod p e r lu m en natu rale n ob is

154
kennt man ohne weiteres gew isse allgem eine Ursätze, die 8, 1
naturhaft offenkundig sind. Da aber der Mensch auf über­
natürliche Beseligung hingeordnet ist (2, 3; I 12, 1: Bd. 1;
I—II 3, 8: Bd. 9), so muß er notwendig darüber hinaus
zu gewissen höheren Wahrheiten Vordringen. Und dazu
ist die Gabe der Einsicht erfordert.
Z u 2. Die Schlußfolgerung der Vernunft beginnt immer
mit Einsicht und hat ihren Endpunkt bei Einsicht; denn
wir denken schlußfolgernd, indem wir von gewissem Ein­
gesehenen ausgehen. Und die Schlußfolgerung ist dann
abgeschlossen, wenn wir dazu gelangt sind, daß wir ein-
sehen, was vorher unbekannt war. Was wir also im
Schlüsse folgern, geht aus einer vorausgegangenen Ein­
sicht hervor. Die Gnadengabe aber geht nicht vom Lichte
der Natur aus, sondern wird ihr hinzugegeben, um sie
gleichsam zu vollenden. Daher heißt diese Zugabe nicht
Vernunft, sondern vielm ehr Einsicht; denn das hinzu­
gegebene Licht verhält sich zu dem, was uns übernatür­
licherweise kund ist, w ie sich das natürliche Licht zu
dem verhält, wyas wir von vornherein erkennen.
Z u 3. W ille bezeichnet schlechthin eine Strebebewegung
unter Absehen von irgendeinem Vorzug. Einsicht aber be-
meint eine gew isse Vorzüglichkeit der ins Inwendige drin­
genden Erkenntnis. Demnach wird die übernatürliche Gabe
richtiger mit dem Namen Einsicht als mit dem Namen
Willen benannt.

QUAESTIO 8, i

ind itu m statim cognoscun tur q u aed am p r in c ip ia eom m u nia q u ae


su nt n atu raliter nota. S ed qu ia hom o ordinatur ad b eatitudin em
su p ern atu ralem , ut su p ra dictum est, n e c esse est quod hom o
u lteriu s pertin gat ad quaedam altiora. Et ad hoc req uiritur do­
num in tellectu s.
A D SE C U N D U M dicen d u m quod discursus ration is sem p er
incip it ab in tellectu et term inatu r ad in tellectu m : ratiocinam ur
enim proced en d o e x quibusdam in tellectis, et tune ration is d is­
cursus perficitu r quando ad hoc p erv en im u s ut in tellig a m u s id
quod prius erat ignotum . Q uod ergo ratiocinam ur e x aliq uo prae-
ced en ti in tellectu procedit. D onum autem gratiae non procedit
e x lu m in e natu rae, se d su p erad d itu r ei, quasi p erficien s ipsum .
Et id e o ista su p era d d itio non d icitu r ratio, se d m agis in tellectu s:
quia ita se h ab et lu m en su p erad d itu m ad ea qu ae n ob is su p er-
natu raliter inn otescun t sicut s e hab et lu m en n atu rale ad ea quae
p rim ord ialiter cognoscim us.
A D TERTIUM dicen du m quod volu n tas nom inat sim p liciter
ap p etitivu m m otum , absqu e d eterm in ation e alicu ju s e x ce lle n tia e.
S e d in tellectu s nom inat quam dam e x ce lle n tia m cogn ition is p en e-
trandi ad intim a. Et id eo su p ern atu rale donum m agis nom inatur
nom ine in tellectu s quam n om in e volun tatis.

155
8,2 2. A R T I K E L
Kann die Gabe der Einsicht zugleich neben dem Glauben
bestehen?
1. „Was man einsieht, wird durch das vollständige Er­
fassen dessen, der einsieht, bestim m t“ (Augustinus). Was
man aber glaubt, wird nicht vollständig erfaßt, nach dem
Wort des Apostels, Phil 3, 12: „Nicht als wenn ich es be­
reits erfaßt hätte oder bereits vollendet wäre.“ Es scheint
also, als könne es Glaube und Einsicht nicht in demselben
[M enschen] geben.
2. Jegliches, das man einsieht, wird durch Einsicht er­
schaut. Der Glaube aber betrifft solches, das man nicht
sieht (1, 4; 4, 1). Also kann in demselben [Menschen]
nicht Glauben mit Einsicht Zusammensein.
3. Einsicht ist gew isser als [bloßes] W issen. Wissen
und Glauben aber kann es nicht von dem nämlichen ge­
ben (1, 5). Noch viel w eniger also Einsicht und Glauben.
ANDERSEITS sagt Gregorius: „Einsicht auf Grund von
Gehörtem erleuchtet den Geist.“ Es kann aber einer, der
den Glauben hat, in seinem Geiste hinsichtlich Gehörtem
erleuchtet sein, weshalb es Lk 24, 45 heißt: Der Herr
„erschloß Seinen Jüngern den Sinn für das Verstehen der
Schriften“. Es kann also Einsicht zugleich mit dem Glauben
geben.
QUAESTIO 8, 2
A R T I C Ü L U S II
Utrum donum intellectus possit simul esse
cum fide
AD SEC U N D U M sic proceditur. V id etu r quod donum intel-
p l 40 lectu s n on sim u l hab eatu r cum fide. D icit en im A u gustin us, in
14 sq. libro O ctogintatrium Q uaest. [q u aest. 1 5 ] : „Id qu od in te llig itu r
in te llig e n tis com p reh en sion e finitur.“ S e d id quod creditur non
com p reh en d itu r: secu n d u m illu d A p ostoli ad P h ilip p . 3: „Non
quod jam eom p reh en d erim aut p erfectu s sim .“ E rgo vid etu r quod
fides e t in te lle ctu s n on possint e sse in eodem .
2. PRAETEREA, om ne quod in tellig itu r, in tellectu v id etu r.1
S ed fides est de non app arentibu s, ut su p ra dictum est. Ergo
fides non potest sim u l e sse in eod em cum in tellectu .
3. PRAETEREA, in tellectu s est certior quam scien tia. Sed
scien tia et fides non possunt e sse d e eodem , ut su p ra habitum
est. M ulto ergo m in u s in tellectu s et fides.
PL 75/547 SED CONTRA est quod G regoriu s dicit, in libro M oral, [lib . 1.
cap. 3 2 ], quod „ in te lle ctu s d e au d itis m en tem illu stra t“. S ed
a liq u is h ab en s fidem potest esse illustratu s m en te circa aud ita:
u n d e dicitur L ucae ult., quod D om in u s „aperuit d iscip u lis su is
sen su m ut in te llig er en t S crip tu ras“. Ergo in tellectu s potest sim u l
esse cum fide.
i P a d d .: n a tu ra lite r.

156
ANTWORT: Es ist hier eine zweifache Unterscheidung
vonnöten: einerseits von seiten des Glaubens, anderseits
von seiten der Einsicht. Von seiten des Glaubens ist aus­
einanderzuhalten, daß einiges, was über die natürliche
Vernunft hinausgeht, an sich und unmittelbar unter den
Glauben fällt; z. B. daß Gott dreifältig und Einer ist, daß
der Sohn Gottes Fleisch angenommen hat. Einiges aber
fällt unter den Glauben als in bestimmter W eise auf dieses
hingeordnet, z. B. alles, was in der göttlichen Schrift ent­
halten ist.1
Von seiten der Einsicht aber muß man unterscheiden,
daß ,etwas einsehen“ auf doppelte W eise gemeint sein kann.
Einerseits, vollkommen, wenn wir nämlich zur Erkenntnis
der W esenheit des eingesehenen Sachverhaltes und der
Wahrheit der eingesehenen Aussage gelangen, w ie sie der
W irklichkeit entspricht. Auf diese W eise nun können wir
das, was unmittelbar unter den Glauben fällt, solange der
Zustand des Glaubens dauert, nicht einsehen. Einiges
andere aber, wTas auf den Glauben nur hingeordnet ist,
kann auch auf die genannte W eise eingesehen werden.2 —
Anderseits kann etwas unvollkommen eingesehen wer­
den; wenn nämlich die W esenheit eines Dinges an sich
oder die Wahrheit einer Aussage zwar nicht nach Was-
heit und D aseinsw eise erkannt wird, doch aber erkannt
wird, daß das, was von außen sichtbar ist, der Wahrheit
nicht widerspricht; sofern nämlich der Mensch einsieht,

QUAESTI O 8, 2

RESPONDEO dicen du m quod hic du plici distin ction e est opus:


una qu idem e x parte fid ei; a lia autem e x parte in tellectu s. Ex
parte qu idem fid ei, d istin guendu m est quod qu aed am p er se et
d irecte cadunt su b fide, qu ae natu ralem rationem e xced u n t: sicut
D eum e sse trin um et unum , F iliu m D e i esse incarnatum . Q uae­
dam vero cadunt su b fide q u asi ordinata ad ista secund um ali-
qu em m odum : sicu t om nia qu ae in Scrip tura d iv in a continentur.
E x parte v ero in tellectu s, d istin gu en d u m est, quod du p liciter
dici possu m us aliq u a in te llig e r e . U n o m odo, p e r fec te: quando
scilicet p ertin g im u s ad cognoscendum essen tiam r ei in tellectae,
et ipsam v eritatem en u n tia b ilis in tellecti secund um quod in se
est. Et hoc m odo e a qu ae d irecte cadunt su b fide in te llig e r e non
possum us, durante statu fid ei. S e d q u aed am alia a d fidem ordi­
nata etiam hoc m odo in te llig i possunt. — A lio m odo contingit
a liq u id in te llig i im p erfecte: quando scilicet ipsa essen tia rei,
v e l veritas proposition is non cognoscitur quid sit aut quom odo
sit, se d tarnen cognoscitur, quod ea qu ae ex teriu s app arent v e r i­
tati non contrariantur; inquantum scilicet hom o in te llig it quod
1 V gl. A n m erk . [7].
- Hie n a tü rlic h e n V o ra u sse tz u n g en des G la u b en s w ie d ie G ottesbew eise.
8, 3 daß man w egen dessen, was äußerlich sichtbar ist, von
dem, was Sache des Glaubens ist, nicht abzugehen hat.
Und demgemäß hindert nichts, solange der Zustand des
Glaubens dauert, auch solches einzusehen, was an sich
unter den Glauben fällt.
Dadurch nun ergibt sich die Antwort auf die Einwürfe.
Denn die ersten drei Erwägungen entspringen der Vor­
aussetzung, daß etwas vollkommen eingesehen wird. Die
letzte Erwägung [Anderseits] aber geht von der Einsicht
dessen aus, was auf den Glauben [nur ] hingeordnet ist.

3. ARTIKEL
Ist die Einsicht, als Gabe, nur auf die Schau gerichtet
oder auch auf das T u n ?
1. „D ie Einsicht dringt zu gewissem Höherem vor“
(Gregorius). Was aber zu dem auf das Tun gerichteten
Verstand gehört, ist nicht Hohes, sondern Niederstes, näm­
lich das Einzelhaftige, dem die Tätigkeiten entsprechen.
Also ist die Einsicht, die als Gabe angenommen wird, nicht
auf das Tun gerichtete Einsicht.
2. Die Einsicht als Gabe ist etwas W ürdigeres denn die
Einsicht als Verstandestüchtigkeit. Die Einsicht als Ver­
standestüchtigkeit aber entspricht nur dem Notwendigen
(Aristoteles). In noch viel höherem Grade also entspricht

Q U A E S T I O 8, s

propter ea qu ae e x ter iu s app arent non est reced en d u m ab his


qu ae sunt fidei. Et secund um hoc n ih il prohib et, durante statu
fidei, in te llig e r e etiam e a q u ae p er se su b fid e cadunt.
Et p e r hoc patet resp on sio ad objecta. Nam p rim ae tres ra-
tio n es proced unt secu n d u m quod a liq u id p erfecte in telligitu r.
U ltim a autem ratio proced it de in tellectu eoru m qu ae ordinan-
tur ad fidem .

A R T I C U L U S III
Utrum i n t e ll e c t u s qui est don um sit specula-
t i v u s ta nt u m , an e t i a m p r a c t i c u s
[In fra a rt. 6 a d 3]
A D TERTIUM sic proceditur. V id etu r quod in tellectu s qui
pon itu r donum Sp iritu s San cti non sit practicus, se d sp ecu lati-
pl 75/547 vus tantum . In tellectu s en im , ut G regoriu s dicit in 1 Moral.
[cap. 3 2 ], „altiora q u aed am p en etra t“. S e d ea qu ae p ertin en t ad
intellectu m practicum non su n t alta, se d qu aed am infim a, sc ili­
cet sin gu laria, circa q u ae su nt actus. E rgo in tellectu s qui ponitur
donum non est in tellectu s practicus.
2. PRAETEREA, in tellectu s qui est donum est d ign iu s aliq uid
quam in tellectu s qui est v irtu s in tellectu a lis. S e d in te lle ctu s qui
est virtu s in te lle ctu a lis est solum circa n ecessaria: ut patet p er
1140b P hilosoph um , in 6 Ethic. [cap. fi]. Ergo m ulto m agis in tellectu s
31 sq.
1141a
7sq' 158
die Einsicht als Gabe nur dem Notwendigen. Der auf das 8, 3
Tun gerichtete Verstand aber entspricht nicht Notwendi­
gem, sondern solchem, das sich veränderlich verhalten
und durch m enschliches Handeln verwirklicht werden
kann. Also ist die Einsicht als Gabe nicht aufs Tun ge­
richtete Einsicht.
3. Die Gabe der Einsicht erleuchtet den Geist in dem,
was die Vernunft übersteigt. Das m enschliche Tun aber,
mit dem sich der auf das Tun gerichtete Verstand befaßt,
geht nicht über die natürliche Vernunft hinaus, die im
Bereich des Handelns die Richtschnur gibt (I—II 58, 2:
Bd. 11; 71, 6: Bd. 12). Also ist die Einsicht als Gabe nicht
aufs Tun gerichtete Einsicht.
ANDERSEITS heißt es Ps 111 (110), 10: „Treffliche
Einsicht allen, die sie [d. h. die Furcht des Herrn] be­
tätigen.“
ANTWORT: Die Gabe der Einsicht erstreckt sich nicht
nur auf das, was in erster Linie und vorzüglich unter
den Glauben fällt, sondern auch auf alles, was auf den
Glauben hingeordnet ist (Art. 2). Die guten Handlungen
aber haben eine bestimmte Hinordnung auf den Glauben;
denn „der Glaube betätigt sich durch die Liebe“, w ie der
Apostel, Gal 5, 6, sagt. Also dehnt sich die Gabe der Ein­
sicht auch auf gew isses Tun aus; nicht zwar so, daß sie
sich in erster Linie um solches kümmerte, sondern inso­
fern wir in unserm Tun geleitet werden „durch die ewi-

Q U A E S T I O 8, 3

qui est donum est solum circa n ecessaria. S ed in tellectu s prac-


ticus non est circa n ecessaria, se d circa con tin gen tia aliter se
h ab ere, qu ae op ere hum ano fieri possunt. Ergo in tellectu s qui
est donum non est in tellectu s practicus.
3. PRAETEREA, donum in tellectu s illustrat m entem ad ea quae
naturalem ration em exced u n t. S ed op erab ilia hum ana, quorum
est practicus in tellectu s, non exced u n t n atu ralem ration em , quae
d irigit in reb us ag en d is, ut e x su pra dictis patet. Ergo in te lle c ­
tus qui est don um non est in tellectu s practicus.
SED CONTRA est quod dicitur in P salm . [1 1 0 ]: „In tellectu s
bon us om nibu s facien tib u s e u m “.
RESPONDEO dicen du m quod, sicut dictum est, donum in te lle c ­
tus n on solu m s e hab et ad ea q u ae prim o et prin cip aliter cadunt
su b fide, se d etiam ad om nia qu ae a d fidem ordinantur. O peratio-
n e s au tem b o n a e qu em d am ordinem ad fidem h ab en t: nam
„fides p e r d ilection em op eratur“, ut A p ostolu s dicit ad G al. 5.
Et id eo donum in tellectu s etiam ad q u aed am op erab ilia s e e x -
ten d it: non qu id em ut circa ea p rin cip aliter v ersetu r; se d in ­
quantum in a g en d is regu lam u r „rationibus a etern is, q u ib u s con-

159
8, 3 gen W esensgründe, denen in Beschauung' und Erwägung
die höhere Vernunft anhängt“ (Augustinus), welche durch
die Gabe der Einsicht vervollkommnet wird.
Z u l . Das menschliche Tun, an sich betrachtet, besitzt
nicht irgendwelche auszeichnende Erhabenheit. Sofern es
aber nach der Richtschnur des ewigen Gesetzes und auf
das Ziel der göttlichen Beseligung ausgerichtet wird, besitzt
es eine Erhabenheit in solcher W eise, daß die Einsicht
sich mit ihm befassen kann.
Z u 2. Eben dies gehört zur Würde der Gabe, die in der
Einsicht besteht, daß sie die ewigen oder notwendigen
Erkenntnisgründe erwägt, nicht nur an sich, sondern auch
sofern sie Richtweisen der menschlichen Handlungen sind;
denn auf je mehr Dinge sich eine Erkenntniskraft aus­
dehnt, desto vorzüglicher ist sie.
Z u 3. Richtschnur der menschlichen Handlungen ist
sowohl die m enschliche Vernunft als auch das ewige Ge­
setz (I—II 71, 6: Bd. 12). Das ew ige Gesetz geht aber
über die natürliche Vernunft hinaus. Demnach überschrei­
tet die den menschlichen Handlungen zugrunde liegende
Erkenntnis, sofern sie vom ewigen Gesetz geleitet wird,
die m enschliche Vernunft und bedarf der übernatürlichen
Erleuchtung durch die Gabe des H eiligen Geistes.
QÜAESTIO 8, s

PL 42/1005 sp ic ien d is et co n su len d is“, secu n d u m A u gustin um in 12 d e T r in .


[cap. 7 ] , „in h aeret su p erior ratio“, q u ae dono in tellectu s perfi-
citur.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod op erab ilia hum ana, s e ­
cundum quod in se considerantur, non h ab en t aliq uam e x ce lle n -
tia e altitu d in em . S e d secu n d u m quod referu n tu r ad regulam
le g is a e ter n a e et ad flnem b eatitu d in is divin ae, sic altitu dinem
h abent, ut circa ea p ossit e sse in tellectu s.
A D SEC U N D U M dicen d u m quod hoc ipsu m p ertin et ad d ign i-
tatem doni quod est in tellectu s, quod in te llig ib ilia aetern a v e l
n ecessaria considerat non solum secu n d u m quod in se sunt, sed
etiam secund um quod su n t reg u la e q u aed am hum anorum a c tu u m :
quia quanto virtu s cognoscitiva ad plu ra s e exten d it, tanto nob i-
lior est.
A D TERTIUM dicen du m quod reg u la hum anorum actuum est
et ratio hum ana et le x aetern a, ut su p ra dictum est. L ex autem
a etern a e x ced it n atu ralem rationem . Et id eo cognitio hu m ano­
rum actuum secund um quod regu lan tur a le g e aetern a, exced it
natu ralem rationem , et in d iget su p ern atu rali lu m in e doni S p iri­
tus Sancti.

160
4. A R T I K E L 8, 4
Ist in allen, welche die Gnade besitzen, die Gabe der
Einsicht?
1. Gregorius behauptet, die Gabe der Einsicht werde
gegeben gegen „die Stumpfheit des Geistes“. Viele aber,
die im Besitz der Gnade sind, leiden noch an Stumpfheit
des Geistes. Also ist die Gabe der Einsicht nicht in allen,
welche die Gnade besitzen.
2. Unter den Dingen, die zum Bereich der Erkenntnis
gehören, ist offensichtlich allein der Glaube zum Heile
notwendig; denn, w ie es Eph 3, 17 heißt, wohnt [bereits]
durch den Glauben Christus in unseren Herzen. Aber
nicht alle, die den Glauben haben, haben auch die Gabe
der Einsicht; vielm ehr „haben diejenigen, welche glauben,
es nötig, um Einsicht zu beten“ (Augustinus). Also ist die
Gabe der Einsicht zum H eile nicht unumgänglich. Also
ist sie nicht in allen, welche die Gnade besitzen.
3. Was allen, welche die Gnade besitzen, gemeinsam ist,
wird solchen, welche die Gnade besitzen, niem als ent­
zogen. Die Gnade der Einsicht und der anderen Gaben
aber „entzieht sich bisw eilen, zum Vorteil“ ; zuweilen näm­
lich, „wenn der Geist sich ob erhabener Einsichten über­
hebt, ermattet er in schwerer Dumpfheit bei untersten
und wertlosen Dingen“ (Gregorius). Also ist die Gabe der
Einsicht nicht in allen, welche die Gnade besitzen.
QUAESTIO 8, 4
A R T I C U L U S IV
Utrum donum intellectus insit omnibus
habentibus gratiam
A D QUARTUM sic proceditur. V id etu r quod donum in te lle c ­
tus non in sit om nibus hab en tib us gratiam . D icit enim G regorius, PL 75/592
2 Moral, [cap. 4 9 ] , quod donum in tellectu s datur contra „hebe-
tud in em m e n tis“. S ed m ulti h ab en tes gratiam adhuc patiuntur
m entis h eb etu d in em . Ergo donum in tellectu s non est in om nibus
h ab en tib u s gratiam .
2. PRAETEREA, in ter ea qu ae ad eognition em p ertin en t sola
fides vid etu r e sse n ecessaria ad sa lu tem : quia p er fidem Chri­
stus hab itat in cordibus nostris, ut dicitur ad E phes. 3. S ed non
om nes h ab en tes fidem hab en t donum in tellectu s: im m o q u i cre­
dunt „debent orare ut in te llig a n t“, sicut A u gu stin u s dicit in libro PL 42
de Trin. [lib . 15, cap. 2 7 ], E rgo donum in tellectu s non est n eces­ 1096
sarium ad salutem . Non ergo est in om nibus hab en tib us gratiam .
3. PRAETEREA, ea q u ae su nt com m unia om nibus h ab en tib us
gratiam nunquam ab hab en tib us gratiam subtrahuntur. S ed gra­
tia in tellectu s et aliorum donorum „aliq uan do s e u tiliter sub-
trah it“ : quand oqu e enim „dum su b lim ia in tellig en d o in elatio-
nem se anim us erigit, in rebus im is et vilib u s gravi h eb etu d in e
p igrescit“, ut G regoriu s dicit in 2 M oral, [loc. c it .]. Ergo donum PL 75/593
in tellectu s non est in om nibus hab en tib us gratiam .

U 15 161
8,4 ANDERSEITS heißt es Ps 82 (81), 5: „Sie sind ohne
Einsicht und Verstand und wandeln dahin im Finstern.“
Keiner aber, der die Gnade besitzt, wandelt im Finstern,
nach Jo 8, 12: „Wer Mir nachfolgt, wird nicht im Finstern
wandeln.“ Also ist keiner, der die Gnade besitzt, ohne die
Gabe der Einsicht.
ANTWORT: In allen, w elche die Gnade besitzen, ist
notwendig die Rechtheit des W illens; denn „durch die
Gnade wird das W ollen des Menschen zum Guten be­
reitet“ (Augustinus). Der W ille kann aber nur unter Vor­
aussetzung irgendwelcher W ahrheitserkenntnis in rechter
W eise auf das Gute hingeordnet sein; denn Gegenstand
des W illens ist das erkannte Gute (Aristoteles). Wie aber
durch die Gabe der Liebe [42] der H eilige Geist den
Willen des Menschen darauf hinordnet, daß er sich un­
mittelbar auf ein übernatürliches Gut bewegt, so erleuchtet
Er auch durch die Gabe der Einsicht den Geist des Men­
schen, daß er eine bestimmte übernatürliche Wahrheit
erkennt, nach welcher der rechte W ille sich ausstrecken
muß. W ie also in allen, welche die heiligmachende Gnade
besitzen, die Gabe der Liebe ist, so auch die Gabe der
Einsicht.
Z u l . Manche, w elche die heiligm achende Gnade be­
sitzen, können in solchem, was außerhalb der Heilsnot­
wendigkeit liegt, an Stumpfheit leiden. Hinsichtlich dessen

QUAESTIO 8, 4

SED CONTRA est quod dicitur in P salm . [8 1 ]: „N escierun t


neq u e in tellex eru n t, in ten eb ris am b u lan t.“ S ed n u llu s h ab en s
gratiam am bulat in ten eb ris: secund um illu d Joan. 8: „Qui
seq u itu r m e non am bulat in ten eb ris.“ Ergo n u llu s h ab en s gra­
tiam caret dono in tellectu s.
RESPONDEO dicen du m quod in om nibus hab en tib us gratiam
n ecesse est esse rectitu dinem volu n tatis: quia „per gratiam prae-
P L 44 paratur volu n tas h om in is ad b on um “, ut A u gustin us dicit [Con-
743 sq. tra J u lian . P elag. 1. 4, c. 3 ] . V olu n tas autem non potest recte
ordinari in bon um n isi p r a e ex iste n te aliq u a cogn ition e veritatis:
qu ia objectum volu n tatis est bonum intellectu m , ut dicitur in
431 a 15 sq. 3 de A n im a [cap. 7, 1 0 ]. Sicut autem p e r donum caritatis Sp iri-
433 a 21 sq. tus Sanctus ordinat volun tatem h om in is ut d irecte m oveatu r in
bon um quoddam su p ern atu rale, ita etiam p er donum in te lle c ­
tus illustrat m en tem h om in is ut cognoscat verita tem quam dam
su p ern atu ralem , in quam oportet te n d e r e volun tatem rectam . Et
ideo, sicut don um caritatis est in om nibus h ab en tib u s gratiam
gratum facien tem , ita etiam donum intellectu s.
AD PRIM UM ergo dicendum , quod a liq u i h ab en tes gratiam
gratum facien tem , possunt heb etu dinem pati circa aliq u a quae
sunt praeter n ecessitatem salu tis. Sed circa ea q u ae sunt de

162
aber, was heilsnotwendig ist, werden sie vom Heiligen 8, 5
Geist hinreichend belehrt, nach 1 Jo 2, 27: „Seine Salbung
belehrt euch über alles.“
Z u 2. Wenn auch nicht alle, die den Glauben besitzen,
dasjenige, was ihnen als zu glauben vorgelegt wird, in
vollem Maße verstehen, so verstehen sie doch wenigstens,
daß es zu glauben ist und daß keinesfalls davon abgegan­
gen werden darf.
Z u 3. Die Gabe der Einsicht entzieht sich den Heiligen
niem als hinsichtlich dessen, was zum H eile notwendig ist.
Hinsichtlich des ändern aber entzieht sie sich zuweilen,
so daß sie nicht alles mit Einsicht bis zur Klarheit durch­
dringen können, um so der Überheblichkeit den Boden zu
entziehen.
5. ARTIKEL
Findet sich die Gabe der Einsicht auch in solchen, welche
die heiligmachende Gnade nicht besitzen?
1. In Auslegung der Stelle Ps 119 (118), 20 ,Meine Seele
sehnt sich voll Verlangen nach D einen Rechtssprüchen*,
sagt Augustinus: „Die Einsicht eilt voraus, ihr folgt nur
ein zaghaftes oder überhaupt kein W ollen.“ In allen aber,
welche die heiligm achende Gnade besitzen, ist das Wollen
frohbereit, dank der Gottesliebe. Also kann es die Gabe der
Q1IARSTIO 8, 5

n ecessitate sa lu tis su fficien ter instruuntur a S p iritu Sancto:


secund um illu d 1 Joan. 2: „U nctio docet vos de om nibu s.“
A D SEC U N D U M dicen du m quod etsi non om nes h ab en tes
fidem p le n e in tellig a n t ea qu ae proponuntur eredend a, in telli-
gun t tarnen e a e sse eredend a, et quod ab eis n u llo m odo est
deviand um .
A D TERTIUM dicen d u m quod donum in tellectu s nunq uam se
su btrahit san ctis circa ea qu ae su n t n ecessa ria ad salu tem . S ed
circa a lia in terd u m s e subtrahit, ut non om nia ad liquidum
p er in tellectu m p en etrare possint, ad hoc quod su p erb iae m ateria
subtrahatur.
ARTICULUS V
U t r u m d o n u m i n t e l l e c t u s i n v e n i a t u r e t i a m in
non h ab en tib u s gratiam gratum fa c ie n te m
AD QUINTUM sic proceditur. V idetur quod in tellectu s donum
inven iatu r etiam in non hab en tib us gratiam gratum facientem .
A u gustinus enim [Enarrat. in Ps. 1 1 8 , serm . 8 ] , e x p o n e n s PL 37
illud P salm i: „C oncupivit anim a m ea d esid erare justification es 1522
tu as“, dicit: „P raevolat in tellectu s, et tarde sequ itu r hum anus
atque infirm u s affectus.“ 1 S e d in om nibus hab en tib us gratiam
gratum facien tem est prom ptus affectus, propter caritatem . Ergo
1 L: d ic it q u o d ,,p ra e v o la t in te lle c tu s, s e q u itu r ta rd u s a u t m illu s a f­
fe c tu s “ .

11* 163
8,5 Einsicht in solchen geben, welche die heiligmachende
Gnade nicht besitzen.1
2. Dan 10, 1 heißt es: „Bei einem — prophetischen —
Gesicht bedarf es der Einsicht.“ Und so scheint es, daß es
keine Prophetie ohne die Gabe der Einsicht gibt. W eis­
sagung aber kann es geben ohne die heiligmachende
Gnade, w ie es sich ergibt aus Mt 7, 22, wo denen, die
sagen: „In Deinem Namen haben wir geweissagt“, geant­
wortet wird: „Niemals habe Ich euch gekannt.“ Also kann
es die Gabe der Einsicht geben ohne heiligmachende Gnade.
3. D ie Gabe der Einsicht entspricht der Tugend des
Glaubens, nach Is 7, 9, in der ändern Lesart'-: „Wenn ihr
nicht glaubt, werdet ihr nicht verstehen.“ Glauben aber
kann es geben ohne heiligmachende Gnade. Also auch
die Gabe der Einsicht.
ANDERSEITS sagt der Herr, Jo 6, 45: „Wer immer
auf den Vater hört und sich belehren läßt, der kommt zu
Mir.“ Durch die Einsicht aber eignen wir uns das Gehörte
an und durchdringen es (Gregorius). Wer immer also die
Gabe der Einsicht hat, kommt zu Christus. Dies aber ist
nicht möglich ohne die heiligm achende Gnade. Also gibt
es die Gabe der Einsicht nicht ohne die heiligmachende
Gnade.
ANTWORT: Die Gaben des H eiligen Geistes verleihen
der Seele die Vollkommenheit, so daß sie vom Heiligen
Geiste leicht bewegbar ist (I—II 68, 1. 2. 3: Bd. 11). In
QOAESTIO 8, 5
donum in tellectu s potest esse in h is qui non hab en t gratiam
gratum facientem .
2." PRAETEREA, D an. 10 dicitur quod „in tellig en tia opus est
in v isio n e “ p roph etica: et ita v id etu r quod prop h etia n on sit
sin e dono in tellectu s. S e d prop h etia potest esse sin e gratia
gratum fa c ie n te : ut p atet Matth. 7, ubi dicen tib us: „In n om in e
tuo p rop h etavim u s“, resp on d etu r: „N unquam n ovi v o s.“ Ergo
donum in tellectu s p otest e sse s in e gratia gratum faciente.
3. PRAETEREA, donum in te lle ctu s resp on d et virtu ti fidei:
secund um illu d Is. 7, secu n d u m aliam litteram [70 I n te r p r .]:
„ N isi cred id eritis, non in te llig e tis.“ S e d fides potest e sse 6ine
gratia gratum faciente. Ergo etiam donum intellectu s.
SED CONTRA est quod D om inu s dicit, Joan. 6: „O m nis qui
au d ivit a P atre et didicit, v e n it ad m e .“ S ed p er intellectu m
PL 75/547 audita ad d iscim u s v e l p en etram u s: ut patet p er G regorium
in 1 M oral, [cap. 3 2 ]. E rgo qu icu m q ue hab et in te lle ctu s donum
ven it ad Christum . Q uod non est s in e gratia gratum fa cien te
Ergo donum in tellectu s non est s in e gratia gratum facien te.
RESPONDEO dicen du m quod, sicu t su p ra dictum est, dona
S p iritu s S an cti perficiu nt anim am secund um quod est b e n e mo-
1 D. h . in so lch en , d ie k e in e n d u rc h d ie G o tte slieb e b e re ite te n W illen
haben.
2 S e p tu a g in ta .

164
dem Sinne also wird die geistige Leuchte der Gnade als 8, 5
Gabe der Einsicht begriffen, daß der Verstand des Men­
schen vom H eiligen Geist leicht bewegbar ist. D iese Be­
wegung wird so aufgefaßt, daß der Mensch die Wahrheit
in bezug auf sein Ziel ergreift. Wenn der menschliche
Verstand also vom Heiligen Geiste sich nicht bis dahin
führen läßt, daß er die richtige Wertung des Zieles hat,
so hat er die Gabe der Einsicht noch nicht erlangt, mag
er, vom Heiligen Geiste erleuchtet, auch noch so sehr andere
Voraussetzungen erkennen. Die rechte Wertung des letzten
Zieles hat aber nur der, der hinsichtlich des Zieles nicht
im Irrtum ist, sondern ihm als dem höchsten Gute anhängt.
Dies ist aber nur bei dem der Fall, der die heiligmachende
Gnade besitzt, so w ie der Mensch auch im Bereich der
sittlichen Tugenden nur durch das Gehaben der Tugend
den rechten Begriff von dem [entsprechenden] Ziele hat.
Also besitzt keiner die Gabe der Einsicht ohne die heilig­
machende Gnade.
Z u l . Augustinus meint mit Einsicht jegliche Verstan­
deserleuchtung. D iese erreicht jedoch nicht das vollkom­
mene W esen der Gabe, wenn der Geist des Menschen
sich nicht bis dahin führen läßt, daß er die rechte Wertung
des Zieles hat.
Z u 2. D ie Einsicht, die zur W eissagung vonnöten ist,
ist eine Erleuchtung des Geistes hinsichtlich dessen, was
den Propheten enthüllt wird. Dagegen ist sie nicht Er-
Q U A E S T I O 8, 5

b ilis a S p iritu Sancto. S ic ergo in tellectu a le lu m en gratiae p on i­


tur donum in tellectu s, inquantum in tellectu s hom in is est b ene
m ob ilis a S p iritu Sancto. H ujus autem m otus consideratio in
hoc est quod h om o ap p reh en d at verita tem circa finem . U n de
n isi u squ e ad hoc m oveatu r a S p iritu Sancto in te lle ctu s hu m anu s
ut rectam aestim ation em de fine habeat, non du m consecutus
est donum in tellectu s, qu antu m cu m que e x illu stration e Spiritus
a lia qu aed am praeam bula cognoscat. R ectam autem a estim a­
tionem de ultim o fin e n on h a b et n isi ille q u i circa finem non
errat, se d e i firm iter in h a eret tanquam optim o. Q uod est solum
h ab en tis gratiam gratum fa cien tem : sicut etiam in m oralibus
rectam aestim ation em hab et hom o de fine p er habitum virtutis.
U n d e donum in tellectu s h ab et n u llu s sin e gratia gratum fa-
ciente.
A D PRIM UM ergo dicendum quod A u gu stin u s nom inat in ­
tellectum quam cum que illu stration em in tellectu alem . Q uae ta­
rnen non p ertin git ad perfectam doni ration em n isi usqu e ad
hoc m ens hom in is deducatur ut rectam aestim ation em habeat
hom o circa finem .
A D SEC U N D U M dicendum quod in te llig en tia qu ae necessaria
est ad p roph etiam est qu aed am illustratio m en tis circa ea quae
p roph etis revelan tur. Non est autem illustratio m entis circa

165
8,6 leuchtung des Geistes zur rechten Wertung des letzten
Zieles, denn diese gehört zur Gabe der Einsicht.
Z u 3. Glaube besagt nur Beistimmung zu dem, was vor­
gelegt wird. Einsicht aber besagt ein gew isses Begreifen
der Wahrheit. D iese aber kann es hinsichtlich des Zieles
nur in dein geben, der die heiligmachende Gnade besitzt
(Antwort). Also hat es nicht die nämliche Bewandtnis
mit der Einsicht und mit dem Glauben.

6. A R T I K E L
Ist die Gabe der Einsicht von den ändern Gaben
unterschieden?
1. W esen, deren Gegensätze ein und dasselbe aus­
machen, sind auch selbst ein und dasselbe. Zur W eisheit
aber steht die Torheit, zur Stumpfheit die Einsicht, zur
Übereilung der R a t1, zur U nwissenheit die W issenschaft
im Gegensatz (Gregorius). Torheit, Stumpfheit, Unw issen­
heit und Übereilung scheinen sich aber nicht zu unter­
scheiden. Also unterscheidet man auch die Einsicht nicht
von den ändern Gaben.
2. D ie Einsicht als Verstandestüchtigkeit unterscheidet
sich von den ändern Verstandestüchtigkeiten durch das
ihr Eigentümliche, daß sie auf die in sich einsichtigen
QUAESTIO So

aestim ation em rectam de ultim o fine, q u ae p ertin et ad donum


intellectu s.
A D TERTIUM dicen du m quod fides im portat solu m assensum
ad ea qu ae proponuntur. S e d in tellectu s im portat quam dam per-
cep tio n em veritatis, qu ae non potest e sse circa fin em n isi in ,
eo q u i h ab et gratiam gratum facien tem , ut dictum est. Et id eo
non est sim ilis ratio de in tellectu et de fide.

ARTICULUS VI
Utrum donum intellectus distinguatur ab
a l i i s d o n is
[I—II, q u . 68, a r t, 4; 3 S en t., d ist. 35, q. 2, a. 2, q a 3]
A D SEX TU M sic proceditur. V id etu r quod donum in tellectu s
non distin guatur ab a liis donis. Q uorum enim opp osita sunt
eadem , ip sa qu oqu e su n t eadem . S e d sa p ie n tia e opponitur
stu ltitia, h eb etu d in i intellectu s, p raecip itation i consiliu m , igno-
p l 75 rantiae scien tia : ut patet p er G regorium 2 M oral, [cap. 4 9 ],
592 d Non vid en tu r autem d iS er re stu ltitia, h eb etu d o, ignorantia et
p raecipitatio. Ergo nec in tellectu s distin guitur ab a liis donis.
2. PRAETEREA, in tellectu s qui ponitur virtu s in tellectu a lis
d iö e r t ab a liis in tellectu alib u s virtu tib us per hoc sib i proprium ,
1 G e m ein t is t d ie G a b e des R ates w ie a u ch e n tsp re c h e n d d ie G aben
d e r W eish eit, d e r E in sic h t, d e r W issen sch aft.

166
Ursätze geht. Die Gabe der Einsicht aber betrifft nicht 8,6
irgendwelche in sich einsichtige Ursätze; denn zu solchem,
was naturhaft durch sich erkannt wird, genügt das Ge­
haben der ersten Grundsätze. Zu dem aber, w as über­
natürlich ist, genügt der Glaube; denn die Glaubensartikel
verhalten sich w ie Ursätze im Bereich der übernatürlichen
Erkenntnis (1, 7). Also unterscheidet man die Gabe der
Einsicht nicht von den ändern verstandhaften Gaben.
3. A lle Verstandeserkenntnis ist entweder auf Schau
oder auf Tun gerichtet. Die Gabe der Einsicht aber geht
auf beides (Art. 3). Also unterscheidet man sie nicht von
den ändern verstandhaften Gaben, vielmehr umfaßt sie
alle in sich.
ANDERSEITS muß, was nur immer gegenseitig zusam­
mengezählt wird, auf irgendeine W eise gegenseitig unter­
schieden sein; denn die Unterschiedenheit ist die Grund­
lage des Zählens. D ie Gabe der Einsicht aber wird, w ie
sich aus Is 11, 2 ergibt, mit ändern Gaben zusammen auf­
gezählt. Also ist die Gabe der Einsicht von den anderen
Gaben verschieden.
ANTWORT: Die Unterscheidung der Gabe der Einsicht
von dreien aus den ändern Gaben, nämlich Frömmigkeit,
Stärke und Furcht, liegt auf der Hand; denn die Gabe
der Einsicht gehört dem Erkenntnisvermögen an, jene drei
aber der Strebekraft. Dagegen ist die Unterscheidung der
Gabe der Einsicht von den drei ändern, nämlich W eisheit,

QUAESTIO 8, 6

quod est circa p rin cip ia p er s e nota. S e d donum in tellectu s


non est circa aliq u a p rin cip ia p e r s e nota: q u ia ad ea quae
natu raliter p er s e cognoscuntur su fficit n atu ralis h ab itu s pri-
m orum p rincip iorum ; ad ea vero q u ae su p ern atu ralia su n t su f­
ficit fides, quia articu li fid e i su nt sicut prim a p rin cip ia in su per-
naturali cogn ition e, sicut dictum est. Ergo don um in tellectu s
n on distin guitur ab a liis d on is in tellectu alib u s.
3. PRAETEREA, om nis cognitio in te lle ctiv a v e l est sp ecu la-
tiva v e l practica. S ed donum in tellectu s h a b et se ad utrum que,
ut dictum e.st. Ergo non distin guitur ab aliis d on is in te lle ctu a li­
bus, sed om nia in se com plectitur.
SED CONTRA est quod qu aecum q ue connum erantur ad in-
vicem oportet esse aliq uo m odo ab in vicem distincta: quia
distinctio est p rincip iu m nu m eri. S ed donum in tellectu s con-
nu m eratur aliis donis, u t patet Is. 11. Ergo donum in tellectu s est
distinctum ab a liis donis.
RESPONDEO dicendum quod distin ctio doni in tellectu s ab
a liis tribus donis, scilicet pietate, fortitu d in e et tim ore, m ani-
festa est: quia donum in tellectu s p ertin et ad vim cognoscitivam ,
illa vero tria pertin en t ad vim ap p etitivam . S e d differentia
hu jus don i in tellectu s ad alia tria, sc ilic et sap ien tiam , scien -

167
8,6 W issenschaft und Rat, die ebenfalls dem Erkenntnisver­
mögen zugehören, nicht ebenso eindeutig. Einigen nun
scheint es, als unterscheide man die Gabe der Einsicht von
der Gabe der Wissenschaft und des Rates insofern, als diese
zwei sich auf das dem Tun zugekehrte Erkennen bezögen,
die Gabe der Einsicht aber auf das der Schau zugewandte
Erkennen; von der Gabe der W eisheit aber, die sich eben­
falls auf das der Schau zugewandte Erkennen bezieht,
unterscheidet man sie insofern, als unter die W eisheit das
Urteilen fällt, unter die Einsicht aber die Aufnahmefähig­
keit des Verstandes für das, was vorgelegt wird, oder das
Eindringen in das Inwendige desselben. Und dementspre­
chend haben wir früher (I—II 68, 4: Bd. 11) die Auf­
zählung der Gaben vorgenommen. — Sieht man aber genau
zu, so hat die Gabe der Einsicht nicht nur eine Beziehung
auf das zu Schauende, sondern auch auf das zu Tuende
(Art. 3 ); und ähnlich hat auch die Gabe der W eisheit
eine Beziehung zu beiden (9, 3). Man muß ihre Unter­
scheidung also anders fassen.
A lle diese vier Gaben nämlich sind auf die übernatür­
liche Erkenntnis hingeordnet, die in uns durch den Glau­
ben grundgelegt wird. Der Glaube aber kommt „vom
Hören“, w ie es Röm 10, 17 heißt. Es muß also dem Men-
■sehen manches zum Glauben vorgelegt werden nicht w ie
Geschautes, sondern w ie Gehörtes, dem er durch den
Glauben beistimmen soll. Der Glaube aber richtet sich
in erster Linie und ursprünglich auf die Erstwahrheit, in

QUAESTIO 8, 6

tiam et consilium , qu ae etiam ad vim cognoscitivam p ertin en t,


non est adeo m anifesta. V id etu r autem quibusdam 1 quod do­
num in tellectu s distinguatur a dono scien tia e et con silii per
hoc quod illa duo p ertin ean t ad practicam cognition em , donum vero
in tellectu s ad sp ecu lativam . A dono vero sa p ie n tia e , quod etiam
ad sp ecu lativam cogn ition em pertin et, d istin gu itu r in hoc quod
ad sap ien tiam p ertin et jud icium , ad in tellectu m vero capacitas
in te lle ctu s eorum q u a e proponuntur, s e u pen etratio ad intim a
eorum . Et secu n d u m hoc su p ra n u m erum donorum assign avi-
m us. — S ed d ilig en ter in tuenti, donum in telleetu s n on solum
s e hab et circa sp ecu lan d a, se d etiam circa operanda, ut dictum
est: et sim ilite r etiam donum sc ien tia e circa utrum que se habet,
ut infra dicetu r. Et id eo oportet a lite r eorum distin ctionem
aecipere.
Om nia enim haec quatuor dona ordinantur ad su pern aturalem
cognition em , qu ae in n ob is p er fidem fundatur. F id es autem est
„ e x au d itu “, ut dicitur Rom . 10. U n d e oportet aliq u a proponi
hom ini ad credend um n on sicu t visa, sed sicut audita, quibus
per fidem assen tiat. F id es autem prim o qu id em et p rin cip aliter
1 Cf. G u ille l. A n tisio d ., S u m m A ur. p. 3, lib . 3, tr. 8, cap . 1, qu . 1.

168
zweiter Linie auf solches, was hinsichtlich der Geschöpfe 8, e
zu erwägen ist; und schließlich erstreckt er sich auch auf
die Leitung der menschlichen Handlungen, sofern er
„durch die Liebe tätig ist“ (Art. 3; 4, 2 Zu 3). So wer­
den von unserer Seite hinsichtlich dessen, w as dem Glau­
ben als wahr anzunehmen vorgelegt wird, zwei Dinge
erfordert. Erstens, daß es vom Verstand durchdrungen
oder erfaßt wird; und dies gehört zur Gabe der Einsicht.
Zweitens aber muß der Mensch ein richtiges Urteil dar­
über haben, so daß er erkennt, dem einen sei anzuhängen
und vom Entgegengesetzten zu lassen. D iese Entscheidung
nun in Hinsicht auf göttliche Dinge fällt unter die Gabe
der W eisheit; in Hinsicht auf geschaffene Dinge aber un­
ter die Gabe der W issenschaft, in Hinsicht schließlich auf
die Anwendung auf das einzelne Tun unter die Gabe des
Rates.
Z u 1. Die eben genannte Unterscheidung der vier Ga­
ben verträgt sich offensichtlich mit der Unterscheidung
dessen, was nach Gregorius ihnen entgegengesetzt ist.
Denn Stumpfheit ist der Schärfe entgegengesetzt; von der
Einsicht nämlich heißt es gleichnishaft, sie sei scharf, so­
fern sie zu dem Inwendigen dessen einzudringen vermag,
was vorgelegt ist. Es ist also Stumpfheit des Geistes, wenn
der Geist nicht ausreicht, um zum Inwendigen vorzudrin­
gen. — Töricht aber wird einer deshalb genannt, w eil er
über das allgem eine Ziel des Lebens ein verkehrtes Urteil
hat. Und so bildet er recht eigentlich den Gegensatz zur

QUAESTIO 8, o

se h ab et ad veritatem p rim am ; secund ario, ad q u aed am circa


creaturas consideranda; et u lteriu s se e x ten d it etiam ad direc-
tionem hum anorum operum , secund um quod „per dilection ein
op eratur“, ut e x dictis patet. Sic igitu r circa ea qu ae fidei
proponuntur eredend a duo req uiruntur e x parte nostra. Prim o
qu idem , ut in tellectu p en etren tu r v e l capiantur: et hoc p ertin et
ad donum in tellectu s. S ecu n d o autem oportet u t de e is hom o
h ab eat jud icium rectum , ut aestim et h is esse in h aeren du m et ab
eorum opp ositis reced en du m . Hoc ergo jud icium quantum ad
res d ivin as, p ertin et ad donum sa p ie n tia e ; quantum vero
ad res creatas, p ertin et ad donum sc ien tia e ; quantum vero ad
ap p lication em ad sin g u la ria opera, p ertin et ad donum consilii.
A D PRIM UM ergo dicendum quod praedicta d ifier en tia qua-
tuor donorum m an ifeste com petit distin ctioni eorum q u ae G re­
goriu s pon it e is e sse opp osita. H eb etu do en im aeuitati opp oni-
tur. D icitur en im p e r sim ilitu d in em in tellectu s acutus quando
potest p en etrare ad in tim a eorum qu ae proponuntur. U n d e
hebetud o m en tis est p er quam m en s ad intim a p en etrare non
sufficit. — S tu ltu s autem dicitur e x hoc quod p erv erse judicat
circa com m unem finem vita e. Et ideo prop rie opp onitur sap ien -

12 15 169
8, 7 Weisheit, welche ein richtiges Urteil über die allumfas­
sende Ursache ermöglicht. — U nwissenheit aber bedeutet
Versagen des Denkens auch hinsichtlich alles Einzelhaften.
Und so tritt sie in Gegensatz zur W issenschaft, vermöge
deren der Mensch ein richtiges Urteil über die Teil­
ursachen, d. h. über die Geschöpfe hat. — Übereilung
schließlich steht offensichtlich im Gegensatz zum Rate,
vermöge dessen der Mensch erst nach vernünftiger Über­
legung zum Handeln schreitet.
Z u 2. Die Gabe der Einsicht zielt auf die ersten Grund­
sätze der gnadenhaften Erkenntnis, anders jedoch als der
Glaube. Denn Sache des Glaubens ist es, ihnen beizu­
stimmen; unter die Gabe der Einsicht aber fällt es, mit
dem Geiste das zu durchdringen, was gemeint ist.
Z u 3. Die Gabe des Verstandes bezieht sich auf beide
Erkenntnisarten, auf die dem Schauen und auf die dem
Tun zugewandte, nicht in Hinsicht auf das Urteil, sondern
in Hinsicht auf die Erfassung, damit das begriffen wird,
was gemeint ist.
7. A R T I K E L
Entspricht der Gabe der Einsicht die sechste Seligkeit,
nämlich: „Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden
Gott schauen“ ?
1. Reinheit des Herzens bezieht sich offenbar vornehm-
Q U A E S T I O 8, 7
tiae, q u ae facit rectum jud icium circa u n iversalem causam . —
Ign oran tia vero im portat d efectum m en tis etiam circa quae-
cum que particu laria. Et id eo opp onitur scien tia e, p er quam hom o
habet rectum jud icium circa particu lares causas, scilicet circa
creaturas. —• P raecipitatio vero m an ifeste opp onitur consilio,
per quod hom o ad action em non proced it an te delib eration em
rationis.
A D SEC U N D U M dicen du m quod donum in tellectu s est circa
prim a princip ia cogn ition is gratuitae, aliter tarnen quam fides.
Nam ad fidem p ertin et eis assen tire: ad donum vero in tellectu s
pertin et m en te pen etrare ea qu ae dicuntur.
A D TERTIUM dicen du m quod donum in tellectu s p ertin et ad
utram que cognition em , scilicet sp ecu lativam et practicam , non
quantum ad jud icium , se d quantum ad ap p reh en sion em , ut
capiantur ea qu ae dicuntur.
A R T I C U L U S VI I
Utrum dono intellectus respondeat sexta
b e a t i t u d o , s c i l i c e t : B e a t i m u n d o co rd e, quo-
niam ipsi Deum videbunt
[3 S en t., d is t. 34, q. 1, a rt. 4]
AD SEPTIM U M sic proceditur. V id etu r quod dono in tellectu s
non respond eat beatitudo se x ta , scilicet: „Beati m undo corde,
quoniam ip si D eum v id eb u n t.“ M unditia enim eordis m axim e

170
lieh auf das Streben. Die Gabe der Einsicht aber gehört 8, 7
nicht dem Strebevermögen, sondern mehr dem Verstan­
desvermögen an. Die eben genannte Seligkeit entspricht
also nicht der Gabe der Einsicht.
2. Apg 15, 9 heißt es: „Durch den Glauben reinigte
Er ihre Herzen.“ Durch Reinigung des Herzens aber wird
Lauterkeit des Herzens erworben. Also bezieht sich die
oben genannte Seligkeit mehr auf die Tugend des Glaubens
als auf die Gabe der Einsicht.
3. Die Gaben des H eiligen Geistes vervollkommnen den
Menschen im gegenwärtigen Leben. Das Schauen Gottes
aber gehört nicht zum gegenwärtigen Leben; denn es
macht selig (I 12, 1: Bd. 1; I—II 3, 8: Bd. 9). Also hat
die sechste Seligkeit, die das Schauen Gottes enthält, zur
Gabe der Einsicht keine Beziehung.
ANDERSEITS sagt Augustinus: „D ie sechste Wirkung
des H eiligen Geistes, die Einsicht, kommt den Herzens­
reinen zu, die gereinigten Auges zu sehen vermögen, was
das Auge sonst nicht sieht.“
ANTWORT: In der sechsten Seligkeit, w ie auch in den
ändern, ist ein Zweifaches enthalten: eines nach Art des
Verdienstes, nämlich die Reinheit des Herzens; das andere
nach Art der Belohnung, nämlich das Schauen Gottes
(I—II 69, 2: Bd. 11). Und beides hat auf eine bestimmte
W eise eine Beziehung zur Gabe der Einsicht. Es gibt näm­
lich eine zweifache Reinheit. Die eine als Voraussetzung

QUAESTIO 8, ;

vid etu r p e rtin ere ad aflectum . S ed donum in tellectu s non p er­


tin et ad aflectum , se d m agis ad vim in tellectivam . E rgo p ra e­
dicta beatitudo non resp on d et dono intellectu s.
2. PRAETEREA, Act. 15 dicitur: „F id e purifleans corda
eoru m .“ S ed p e r p u rificationem cor d is acquiritur m un ditia cor-
dis. Ergo p raedicta beatitudo m agis p ertin et ad virtu tem 1 fidei
quam ad d on um in tellectu s.
3. PRAETEREA, dona S p iritu s San cti perficiu nt h om in em in
p raesen ti vita. S e d v isio D e i non pertin et ad vitam p raesen tem :
ip sa en im beatos facit, ut su p ra habitum est. Ergo se x ta b ea ti­
tudo, continens v ision em D ei, non p ertin et ad donum intellectu s.
SED CONTRA est quod A u gu stin u s dicit in lib ro de Serm . PL 34
Dom . in M onte [lib . 1, cap. 1 1 ]: „Sexta operatio Sp iritu s Sancti, 1235
q u ae est in tellectu s, con ven it m u n d is corde, qui purgato oculo
possunt v id e re quod oculus non v id it.“
RESPONDEO dicen du m quod in se x ta b eatitu d in e, sicut et
in aliis, duo continentur: unum p er m odum m eriti, scilicet
m un ditia eordis; aliu d p er m odum p raem ii, scilicet v isio D ei,
ut su pra dictum est. Et utrum q ue p ertin et aliq uo m odo ad do­
num in tellectu s. Est enim d u p le x m un ditia. U na qu idem prae-
1 P: veritatem .

12* 171
8, 7 und Zubereitung zur Gottesschau; sie besteht in der Reini­
gung des Strebens von ungeordneten Leidenschaften; und
diese Reinheit des Herzens wird bewirkt durch die Tugen­
den und Gaben, die sich auf das Strebevermögen beziehen.
Die andere Reinheit des Herzens ist gleichsam vollendend
im Hinblick auf die göttliche Schau; und diese ist die
Reinheit des von Sinnenbildern und Irrtümern gereinigten
Geistes, auf daß nämlich das, was über Gott vorgelegt
wird, nicht nach der W eise körperhafter Sinnenbilder und
nicht im Anschluß an häretische Verkehrtheiten aufgefaßt
wird. D iese Reinheit nun bewirkt die Gabe der Einsicht.
Gleicherweise ist auch das Schauen Gottes ein zw ei­
faches. Das eine das vollkommene, durch w elches die
W esenheit Gottes geschaut wird. Das andere ein unvoll­
kommenes, vermöge dessen wir zwar von Gott nicht sehen,
was Er ist, aber sehen, w as Er nicht ist; und um so voll­
kommener erkennen wir Gott in diesem Leben, je mehr wir
einsehen, daß Er alles überschreitet, w as im Verstehen
erfaßt wird. Und beiderlei Schauen Gottes hat eine Be­
ziehung zur Gabe der Einsicht; das erste zur vollendeten
Gabe der Einsicht, so w ie sie in der ew igen Heimat sein
wird [43]; das zweite zur Gabe der Einsicht in ihrem Be­
ginn, w ie man sie auf der Pilgerschaft besitzt.
Daraus ergibt sich die Antwort auf die Einwände. Denn
die beiden ersten Erwägungen gehen von der ersten Rein­
heit aus. Die dritte aber von der vollkommenen Schau
Gottes. Die Gaben jedoch vervollkommnen uns hier nur
QUAESTIO 8, 7

am bula et disp ositiva ad D e i vision em , qu ae est depu ratio affec-


tus ab in ord in atis affectionibu s: et haec qu id em m u n d itia cordis
fit p er virtu tes e t d on a q u ae p ertin en t ad vim app etitivam . A lia
vero m un ditia cordis est q u a e est q u asi com pletiva respectu
v isio n is d iv in a e: et haec qu id em est m un ditia m en tis depu ratae
a phantasm atibus et erroribus, ut sc ilic et ea q u ae de D eo pro-
ponuntur non accipiantur p er m odum corporalium phantasm a-
tum , n ec secund um h aereticas perversitates. Et hanc m unditiam
facit d on um intellectu s.
S im ilite r etiam d u p le x est D e i visio. U n a qu idem perfecta,
p er quam vid etu r D e i essen tia. A lia vero im p erfecta, p er quam,
etsi n on v id ea m u s d e D eo qu id est, vid em u s tarnen quid non
est: et tanto in hac vita D eum p erfectiu s cognoscim us quanto
m agis in tellig im u s eu m e x c e d e re qu idqu id in tellectu com pre-
h enditur. Et utraque D e i visio pertin et ad donum in tellectu s:
prim a qu idem ad donum in tellectu s consum m atum , secund um
quod erit in patria; secu n d a vero ad donum in tellectu s inchoa-
tum , secu n d u m quod hab etu r in via.
Et p er hoc patet responsio ad objecta. Nam prim ae duae
rationes proced unt de prim a m un ditia. T ertia vero de perfecta
D ei v isio n e : dona autem et hic nos perficiunt secund um quam -

172
anfangsweise; erst in der Zukunft [des Jenseits] werden 8,8
sie die Fülle erreichen (I—II 69, 2: Bd. 11).

8. ARTIKEL
Entspricht unter den Früchten [ d e s Heiligen Geistes] der
Glaube der Gabe der Einsicht?
1. Einsicht ist die Frucht des Glaubens; es heißt ja
Is 7, 9: „Wenn ihr nicht glaubt, werdet ihr nicht zur
Einsicht kommen“, nach der ändern Lesart [Septuaginta],
wo wir [in der Vulgata] haben: „Wenn ihr nicht glaubt,
werdet ihr nicht bleiben.“ Also ist der Glaube nicht Frucht
der Einsicht.
2. Das Frühere ist nicht Frucht des Späteren. Der
Glaube aber ist offensichtlich früher als die Einsicht; denn
der Glaube ist die Grundlage des ganzen geistlichen Auf­
baues (4, 7 E. 4; I—II 89, 2 Zu 2: Bd. 12). Also ist der
Glaube nicht Frucht der Einsicht.
3. Mehr sind es der Gaben, die sich auf den Verstand
beziehen als auf das Streben. Unter den Früchten wird
aber nur eines als zum Verstand gehörig bezeichnet, näm­
lich der Glaube; alles andere hingegen bezieht sich auf das
Streben. Also scheint der Glaube der Einsicht nicht in
höherem Maße als der W eisheit, der W issenschaft und
dem Rate zu entsprechen.
ANDERSEITS ist das Ziel eines jeglichen W esens seine
QUAESTIO 8, 8

dam inchoationem , et in futuro im pleb un tur, ut su p ra dictum


est.
A R T I C U L U S V III
Utrum in fructibus fides respondeat
dono intellectus
[3 Sen t., d is t. 34, q. 1, a rt. 5]
AD OCTAVUM sic proceditur. V id etu r quod in fructibus fides
non respond eat dono in tellectu s. In tellectu s enim est fructus
fid ei; dicitur enim Is. 7: „N isi cred id eritis, non in te llig e tis“, s e ­
cundum alia m litteram [70 In terp r.], ubi nos hab em u s: ,.Si non
credideritis, n on p erm an eb itis.“ N on ergo fides est fructus in te l­
lectus.
2. PRAETEREA, prius non est fructus p osterioris. S e d fides
vid etu r e sse prior in tellectu : qu ia fid es est fun d am en tu m totius
sp iritu a lis aed ificii, ut su p ra dictum est. E rgo fides n on est
fructus intellectu s.
3. PRAETEREA, plura su n t dona p ertin en tia ad intellectu m
quam p e rtin en tia ad app etitum . S ed in ter fructus ponitur tan-
tum unum p ertin en s ad in tellectu m , scilicet fid es: om nia vero
alia p ertin en t ad ap p etitu m . Ergo fid es non m agis vid etu r re-
sp on d ere in tellectu i quam sa p ie n tia e v e l scien tia e, se u consilio.
SED CONTRA est quod finis uniuscujusque rei est fructus

173
8, g Frucht. Die Gabe der Einsicht aber ist offenbar in der
Hauptsache auf Glaubensgewißheit als ihre Frucht hin­
geordnet; eine Glosse sagt nämlich zu Gal 5, 22 f.: Der
Glaube als Frucht ist „Gewißheit über Unsichtbares“. Also
entspricht unter den Früchten der Glaube der Gabe der
Einsicht.
ANTWORT: W ie früher (I—II 70, 1: Bd. 11) dargetan,
als von den Früchten die Rede war, meint man mit Früch­
ten des Geistes etwas Abschließendes und Erfreuung Be­
reitendes, das in uns aus der Kraft des H eiligen Geistes
erwächst. Das Abschließende und Erfreuung Bereitende
aber hat die Bewandtnis des Zieles, des eigentlichen Ge­
genstandes des W illens. Demnach muß das Abschließende
und Erfreuung Bereitende im W illen gewissermaßen die
Frucht [auch] alles dessen sein, was zu den ändern Ver­
mögen gehört. Demgemäß also kann von der Gabe oder
Tugend, die sonst ein Vermögen vollendet, eine doppelte
Frucht angenommen werden: die eine, die sich auf das
ihr zugehörige Vermögen, die andere, gleichsam letzte,
die sich auf den W illen bezieht. Demnach muß man
sagen: der Gabe der Einsicht entspricht als ihre eigen­
tümliche Frucht der Glaube, d. h. die Glaubensgewißheit;
als letzte Frucht aber entspricht ihr die Freude, und diese
gehört zum Willen.
Z u l . Einsicht ist Frucht des Glaubens, sofern dieser
Tugend ist. So aber wird der Glaube nicht verstanden,
wenn er Frucht genannt wird; vielm ehr als eine bestimmte

QUAESTIO 8, s

ejus. Sed donum intellectus videtur principaliter ordinari ad


PL 192 certitudinem fidei, quae ponitur fructus: dicit enim Glossa [in-
160 b terl.] ad Gal. 5, quod fides quae est fructus est „de invisibilibus
certitudo“. Ergo in fructibus fides respondet dono intellectus.
RESPONDEO dicen du m quod, sicut su p ra dictum est, cum de
fructibus ageretur, fructus S p iritu s dicuntur qu aed am ultim a
et d electa b ilia qu ae in nobis p roven iu n t 'ex virtu te Sp iritu s
Sancti. U ltim um au tem d electa b ile h ab et rationem finis, qui est
proprium objectum volu n tatis. Et ideo oportet quod illu d quod
est u ltim um et d electa b ile in volu n tate sit quodam m odo fructus
om nium aliorum qu ae p ertin en t ad a lias poten tias. Secundum
hoc ergo d on i v e l virtu tis perficien tis aliq uam potentiam potest
accipi d u p le x fructus: u n u s qu idem p ertin en s ad su am p o ten ­
tiam ; a liu s autem q u asi u ltim us, p ertin en s ad volun tatem . Et
secund um hoc dicen du m est quod dono in tellectu s respond et
pro proprio fructu fides, scilicet fidei certitudo: se d pro ultim o
Iructu resp on d et e i gaud ium , quod p ertin et ad voluntatem .
A D PRIM UM ergo dicen du m quod in tellectu s est fructu s fidei
qu ae est virtu s. Sic autem non accipitur fides cum dicitur fruc-

174
Glaubensgewißheit, zu welcher der Mensch durch die 8,8
Gabe der Einsicht gelangt.
Z u 2. Der Glaube kann nicht in jedem Sinne der Ein­
sicht vorangehen; denn der Mensch könnte nicht beistim ­
men, irgendwelches ihm Vorgelegtes für wahr anzuneh­
men, wenn er dieses nicht irgendwie verstünde. D ie Voll­
endung der Einsicht jedoch schließt sich erst dem Glauben
an, der Tugend ist; und auf diese Vollendung der Ein­
sicht folgt eine bestimmte Glaubensgewißheit [44],
Z u B. Die Frucht tatgerichteter Erkenntnis kann nicht
in dieser selbst liegen; denn solche Erkenntnis wird nicht
um ihrer selbst w illen gewußt, sondern um eines ändern
willen. Dagegen hat die schaugerichtete Erkenntnis ihre
Frucht in sich selbst, nämlich Gewißheit über ihren Inhalt.
Also entspricht der Gabe des Rates, die sich einzig auf tat­
gerichtete Erkenntnis bezieht, nicht irgendeine ihr eigen­
tümliche Frucht. Den Gaben der W eisheit aber, der Einsicht
und der W issenschaft, die sich auch auf die schaugerichtete
Erkenntnis beziehen können, entspricht nur eine einzige
Frucht, nämlich die Gewißheit, bezeichnet als „Glaube“.
Eine Mehrzahl aber von Früchten ist anzunehmen in bezug
auf den Strebebereich; denn die Bewandtnis des Zieles, das
mit dem Ausdruck ,Frucht‘ gemeint ist, gehört mehr zum
Strebe- als zum verstandhaften Vermögen.

QUAESTIO 8. »

tus: se d pro quadam certitu d in e fidei, ad quam hom o p erven it


p er donum in tellectu s.
A D SEC U N D U M d icen d u m quod fides n on potest u n iv ersa li-
ter p raeced ere in tellectu m : non en im p osset hom o assen tire
credendo aliq u ib u s p rop ositis n isi ea a liq u aliter in tellig eret.
S ed perfectio in tellectu s consequitur fidem q u ae est virtu s: ad
quam qu id em in tellectu s p erfection em seq u itu r qu aed am fidei
certitudo.
AD TERTIUM dicen du m quod cogn ition is practicae fructus
non potest esse in ipsa: qu ia talis cognitio non scitur propter
se, se d propter aliu d. S ed cogn itio sp ecu lativa h ab et fructum
in se ip sa , scilicet certitu d in em eorum quorum est. Et id eo dono
con silii, quod p ertin et solum ad eognition em practicam , non
respond et aliq u is fructu s proprius. D on is autem sa p ie n tia e , in ­
tellectu s et sc ien tia e , qu ae possunt etiam ad sp ecu lativam cogni-
tionem p ertin ere, resp on d et solum un us fructus, q u i est certi­
tudo sign ata n om in e fidei. P lu res au tem fructus ponuntur p e r ­
tin en tes ad partem ap p etitivam , quia, sicu t jam dictum est,
ratio finis, qui im portatur in n om in e fructus, m agis pertin et
ad vim ap p etitivam quam ad intellectivam .

175
9,1 9. F R A G E
DIE GABE DER WISSENSCHAFT
Anschließend ist von der Gabe der W issenschaft zu
handeln. Dazu ergeben sich vier Einzelfragen:
1. Ist die W issenschaft eine Gabe?
2. Betrifft sie das Göttliche?
3. Ist sie auf Schau oder auf Tun gerichtet?
4. W elche Seligkeit entspricht ihr?

1. A R T I K E L
Ist die Wissenschaft eine G abe?
1. Die Gaben des H eiligen Geistes gehen über das na­
türliche Vermögen hinaus. W issenschaft aber besagt eine
Leistung der natürlichen Vernunft; sagt doch Aristoteles:
B ew eisen ist „Schlußfolgern, das zum W issen führt“.
Also ist die W issenschaft nicht Gabe des H eiligen Geistes.
2. Die Gaben des Heiligen Geistes sind allen Heiligen
gem eineigen (8, 4; I—II 68, 2. 5: Bd. 11). Augustinus
aber sagt: „Die m eisten Gläubigen sind nicht der W issen­
schaft mächtig, mögen sie auch im Glauben selbst stark
sein.“ Die W issenschaft ist also keine Gabe.
3. Gabe ist etwas Vollkommeneres als Tugend (I—II 68,
8: Bd. 11). Also genügt eine einzige Gabe, um eine ein­
zelne Tugend zu vervollkommnen. Der Tugend des Glau-

QÜAESTIO IX

DE DONO SC IE N T IA E
D ein d e considerandu m est de don o scien tiae.
Et circa hoc qu aeruntur quatuor: 1. Utrum scien tia sit do­
num . — 2. U trum sit circa divina. — 3. U trum sit sp ecu lativa
v e l practica. •— 4. Q uae beatitudo e i respondeat.

ARTICULUS I
Utrum scien tia sit donum
[S upra 8, a r t. 6]
AD PRIM UM sic proceditur. V id etu r quod scien tia non sit
donum . D ona en im Sp iritu s San cti naturalem facultatem ex ce-
dunt. S e d scien tia im portat effectum qu em d am natu ralis rationis:
7tb I7sq. dicit en im P hilosoph us in 1 P oster, [cap. 2 ] , quod dem onstratio
est „Syllogism us facien s sc ir e “. E rgo scien tia non est donum
S p iritu s Sancti.
2. PRAETEREA, dona S p iritu s San cti su nt com m unia om nibus
PL 42 sanctis, ut su p ra dictum est. S ed A u gustin us, 14 de Trin. [cap. 1] ,
1037 dicit quod „scien tia non p o llen t p lu rim i fid eles, qu am vis pol-
lea n t ip sa fid e“. E rgo scien tia non est donum .
3. PRAETEREA, donum est p erfectiu s virtu te, ut su p ra dictum
est. Ergo unum donum sufficit ad p erfection em u n iu s virtutis.

176
bens aber entspricht die Gabe der Einsicht (8, 2). Also 9, l
entspricht ihr nicht die Gabe der W issenschaft. Es ist auch
nicht einzusehen, welcher ändern Tugend sie entsprechen
könnte. Da nun die Gaben Vervollkommnungen der Tu­
genden sind (I—II 68, 1. 2. 4 Zu 3. 8: Bd. 11), so ist die
Wissenschaft anscheinend keine Gabe.
ANDERSEITS wird sie Is 11, 2 unter den sieben Gaben
mitaufgezählt.
ANTWORT: Gnade ist vollkommener als Natur. Also
versagt sie nicht in den Dingen, in denen der Mensch
durch die Natur sich vervollkommnen kann. Wenn aber
der Mensch durch natürliche Begründung mit seinem Ver­
stand einer Wahrheit beistimmt, vervollkommnet er sich
im Hinblick auf diese Wahrheit in zweifacher W eise: er­
stens, w eil er sie erfaßt, zweitens, w eil er über sie ein
sicheres Urteil hat. Damit also der menschliche Verstand
in vollkommener W eise einer Glaubenswahrheit bei­
stimme, sind zwei Dinge erfordert. Deren eines ist, daß
er das wirklich erfaßt, was ihm vorgelegt wird; und dies
fällt unter die Gabe der Einsicht (8, 6). Das andere aber
ist, daß er darüber ein sicheres und richtiges Urteil hat,
indem er nämlich zu unterscheiden weiß, w as für wahr
zu halten ist und was nicht. Und dafür ist die Gabe der
Wissenschaft vonnöten.
Z u l . Gewißheit der Erkenntnis findet sich in den
verschiedenen Naturen in verschiedenem Maße, je nach
der verschiedenen [Seins-] Verfassung einer jeden Natur.

Q U A E S T I O 9, i
S ed virtu ti fidei resp on d et donum in tellectu s, ut su p ra dictum
est. Ergo non resp on d et e i donum sc ien tia e . N ec ap p aret cui
a lii virtu ti respond eat. Ergo cum dona sin t p erfectio n es virtutum ,
ut su pra dictum est, vid etu r quod scien tia non sit donum .
SED CONTRA est quod Is. 11 com putatur inter se p te m dona.
RESPONDEO dicen d u m quod gratia est perfectior quam na­
tura: u n d e non deficit in his in qu ibus hom o p er naturam
perfici potest. Cum autem hom o p er naturalem rationem as­
sen tit secu n d u m in tellectu m alicui veritati, du p liciter perficitur
circa veritatem illam : prim o qu idem , quia capit eam ; secundo,
quia de ea certum jud icium hab et. Et id eo ad hoc quod in te lle c ­
tus h u m anu s p erfecte assen tiat v eritati fid ei duo requiruntur.
Quorum un um est quod sa n e capiat ea q u ae proponuntur: quod
p ertin et ad don um in tellectu s, u t su pra dictum est. A liu d autem
est ut h ab eat certum et rectum jud icium d e eis, d iscern en d o
sc ilic et ered en d a a non cred en d is. Et ad hoc n ecessariu m est
donum scien tia e.
AD PRIM UM ergo dicendum quod certitudo cogn ition is in
d iversis naturis in ven itu r d iversim od e, secund um diversam con-
ditionem u n iu scu ju sq u e natu rae. Nam hom o consequitur certum

177
9, l Denn der Mensch gelangt zu einem gewißheitlichen Urteil
über eine Wahrheit durch fortschreitendes Erwägen, und
also wird menschliches W issen auf Grund beweisführenden
Denkens erworben. In Gott aber ist gewißheitliches Urteil
über die Wahrheit durch einfache Anschauung, ohne jedes
schlußfolgernde Verfahren (I 14, 7: Bd. 2; I—II 14,
1 Zu 2: Bd. 9); also ist das göttliche W issen nicht fort­
schreitend oder schlußfolgernd, sondern unbedingt und
einfach. Ihm aber ist das W issen ähnlich, das als Gabe des
Heiligen G eistes bezeichnet wird; denn es ist teilhabendes
Abbild von Ihm selbst.
Z u 2. Von dem zu Glaubenden kann man ein zweifaches
W issen haben. Vermöge des einen w eiß der Mensch, was
er glauben soll, indem er unterscheidet, was er glauben
muß und was nicht; und insofern ist das W issen eine Gabe
und kommt allen H eiligen zu. Das andere ist ein W issen
von dem zu Glaubenden, vermöge dessen der Mensch nicht
nur w eiß, was er glauben soll, sondern auch den Glauben
darzulegen, andere zum Glauben hinzuführen und Wider­
sacher zu widerlegen weiß. D ieses W issen zählt unter die
über Gebühr gewährten Gnadengaben;1 sie wird also nicht
allen gewährt, sondern nur manchen. Daher fährt Augu­
stinus nach den angeführten Worten fort: „Etwas anderes
ist es, nur zu wissen, was der Mensch glauben soll; etwas
anderes, zu wissen, wie zu dem, w as man glaubt, den
Frommen zu verhelfen und w ie es gegen Unfromme zu
verteidigen ist.“
QUAESTIO 9, 1

jud icium de v eritate p er discursum ration is: et id eo scien tia


hu m ana e x ratione d em onstrativa acquiritur. S e d in D eo est
certum jud icium v eritatis absqu e om ni discursu p er sim p licem
intuitu m , u t dictum est: et id eo d ivin a sc ien tia n on est discur-
siv a v e l ratiocinativa, se d absoluta et sim p le x . Cui sim ilis est
scien tia q u ae pon itu r donum S p iritu s San cti: cum sit quaedam
p articipativa sim ilitu d o ipsiu s.
A D SEC U N D U M dicen du m quod circa credend a d u p le x sc ien ­
tia potest hab eri. U n a qu idem per quam hom o seit quid credere
debeat, d iscern en s credend a a non cred en d is: et secu n d u m hoc
scien tia est donum , et convenit om nibus sanctis. A lia vero est
scien tia circa credend a p e r quam hom o n on solu m seit quid
credi d eb eat, sed etiam seit fidem m an ifestare et alios ad cre-
d endum in d u cere et contradictores revin cere. Et ista scien tia
ponitur in ter gratias gratis datas: qu ae non datur om nibus,
sed quibusdam . U n d e A u gustin us, post verb a inducta, su b ju n git:
„A liud est scire tantum m odo quid hom o credere deb eat: aliud
scire, qu em adm odum hoc ipsu m quod creditur et p iis opituletur
et contra im pios d efen d atu r.“
i V gl. A nm . [28].

178
Z u 3. Die Gaben sind vollkommener als die sittlichen 9, 2
und verstandhaften Tüchtigkeiten. Sie sind aber nicht voll­
kommener als die göttlichen Tugenden, sondern vielmehr
sind alle Gaben auf die Vervollkommnung der göttlichen
Tugenden als auf ihr Ziel hingeordnet. Also ist es auch
nicht unpassend, daß verschiedene Gaben auf eine einzige
göttliche Tugend hingeordnet sind.

2. A R T I K E L
Befaßt sich die Gabe der Wissenschaft mit göttlichen
Dingen ?
1. Augustinus sagt: Durch die W issenschaft „wird der
Glaube erzeugt, genährt und gestärkt“. Der Glaube aber
befaßt sich mit göttlichen Dingen; denn Gegenstand des
Glaubens ist die Erstwahrheit (1, 1). Also geht auch die
Gabe der W issenschaft auf göttliche Dinge.
2. Die Gabe der W issenschaft steht über der erworbenen
Wissenschaft. Es gibt aber erworbenes Wissen hinsichtlich
göttlicher Dinge, z. B. die W issenschaft der Metaphysik.
In noch viel höherem Grade also betrifft die Gabe der
W issenschaft die göttlichen Dinge.
3. W ie es Röm 1, 20 heißt, „wird, was an Gott unsicht­
bar ist, durch die Geschöpfe geistig erschaut“. Wenn sich
also die W issenschaft mit geschaffenen Dingen befaßt, so
scheint sie sich auch mit göttlichen zu befassen.
QUAESTIO 9, 2
AD TERTIUM dicen du m quod d on a su nt p erfectiora virtu ti­
bu s m oralibu s et in tellectu alib u s. N on su nt autem p erfectiora
virtu tib us th eologicis: se d m agis om n ia dona ad perfection em
theologicaru m virtutum ordinantur, sicu t ad finem . Et id eo non
est in co n v en ien s si d iversa dona ad unam virtu tem theologicam
ordinentur.
A R T I C U L U S II
Utrum sc ien tia e donum sit circa res divinas
[3 S en t., d is t. 35, q. 2, art. 3, q a 1 e t 2]
AD SEC U N D U M sic proceditur. V id etu r quod sc ien tia e donum
sit circa res divinas. D icit enim A u gustin us, 14 de Trin. [cap 1 ], p l 42
quod p er scien tiam „gignitur fides, nutritur et roboratur“. S ed 1037
fides est d e reb us d iv in is: qu ia objectum fidei est veritas prim a,
ut su pra habitum est. Ergo et donum sc ien tia e est de rebus
divinis.
2. PRAETEREA, donum sc ien tia e est dign iu s quam scien tia
acquisita. S e d aliq ua scien tia acquisita est circa res divin as,
sicut scien tia m etap hysicae. Ergo m ulto m agis donum scien tia e
est circa res divinas.
3. PRAETEREA, sicut dicitur Rom . 1, „ in v isib ilia D ei p er ea
qu ae facta su n t in tellecta con sp iciu n tu r“. S i ergo est scien tia
circa res creatas, vid etu r quod etiam sit circa res divinas.

179
9, 2 ANDERSEITS sagt Augustinus: „Das W issen von den
göttlichen Dingen im eigentlichen Sinne nenne man W eis­
heit, das von den eigentlich menschlichen Dingen behalte
die Bezeichnung W issenschaft!“
ANTWORT: Ein gewißheitliches Urteil über ein Wesen
ergibt sich am vorzüglichsten aus seiner Ursache. Ent­
sprechend der Ordnung der Ursachen muß also die Ord­
nung der Urteile sein; w ie nämlich die Erstursache Ur­
sache der Zweitursache ist, so wird nach der Erstursache
über die Zweitursache geurteilt. Über die Erstursache aber
kann man nicht nach einer ändern Ursache urteilen. Also
ist ein Urteil, das nach der Erstursache erfolgt, das rang­
höchste und vollkommenste. Im Bereich dessen aber, in
dem es ein Vollkommenstes gibt, wird die allgemeine
Gattungsbezeichnung dem beigelegt, das hinter dem Voll­
kommensten zurücksteht, dem Vollkommensten selbst aber
wird eine andere besondersartige Bezeichnung beigelegt,
w ie in der Logik klargelegt ist. Denn in der Gattung des­
sen [Begrifflichen], was vertauschbar ist, trägt dasjenige,
w elches das „Was etwas ist“ bezeichnet, die besonders­
artige Bezeichnung „W esensbestimmung“ ; was aber sonst
vertauschbar ist und hinter diesem zurücksteht, behält die
[allem Vertauschbaren] gem einsam e Bezeichnung, näm­
lich das „Eigentümliche“ [45].
Weil nun der Name „W issenschaft“ eine Sicherheit im
Urteil bedeutet (Art. 1), so erhält sie, wenn die Sicherheit
im Urteil durch die höchste Ursache zustande kommt,

QOAESTIÖ 9, »

PL 42 SED CONTRA est quod A u gustin us, 14 de Trin. [cap. 1 ],


1037 dicit: „Rerum divinarum scien tia prop rie sa p ie n tia n u ncup etu r;
hum anarum autem proprie sc ien tia e nom en ob tin eat.“
RESPONDEO dicen du m quod certum jud icium de re aliqua
m axim e datur e x su a causa. Et id e o secu n d u m ordinem cau-
sarum oportet esse ordinem jud icioru m : sicu t enim causa prim a
est causa secu n d ae, ita per causam prim am judicatur de causa
secund a. D e causa autem prim a non potest judicari per aliam
causam . Et id eo jud icium quod fit p er causam prim am est pri-
m um et p erfectissim um . In h is autem in q u ib u s aliq uid est
perfectissim um , nom en com m u ne g e n e ris appropriatur h is qu ae
deficiun t a p erfectissim o, ip si autem perfectissim o adaptatur
aliu d sp ec ia le n om en : ut patet in logicis. Nam in g e n e re con-
vertib iliu m illu d quod significat „quod quid e st“, sp ec ia li no­
m in e „ d efin itio“ vocatur: q u ae au tem ab hoc deficiun t converti-
b ilia e x isten tia n om en com m u ne sib i retin en t, scilicet quod
„propria“ dicuntur.
Q uia igitu r n om en sc ien tia e im portat quam dam certitu dinem
ju d icii, ut dictum est; s i qu idem certitudo jud icii fit p er altis-

180
eine besondersartige Bezeichnung, nämlich W eisheit. Der- 9, 2
jenige heißt nämlich in einem jeden [W issens-] Gebiet
w eise, der die höchste Ursache dieses Bereiches, nach
welcher er über alles zu urteilen vermag, erkannt hat.
Schlechthin w eise aber wird der genannt, der die schlecht­
hin erste Ursache erkannt hat, nämlich Gott. Daher heißt
die Erkenntnis der göttlichen Dinge W eisheit. Die Er­
kenntnis der menschlichen Dinge aber heißt W issenschaft,
womit die gewöhnliche Bezeichnung, welche die Sicher­
heit im Urteil besagt, dem Urteil zugeeignet ist, das auf
Grund von Zweitursachen erfolgt. Nimmt man also in die­
ser W eise die Bezeichnung W issenschaft, so wird eine
Gabe angenommen, die von der Gabe der W eisheit
unterschieden ist. Demnach betrifft die Gabe der W issen­
schaft nur menschliche oder nur geschaffene Dinge.
Z u l . Wenn auch das, wovon der Glaube handelt, gött­
liche und ew ige Dinge sind, so ist doch der Glaube selbst
etwas Vergängliches im Geiste des Glaubenden. Also ge­
hört W issen um das, was zu glauben ist, zur Gabe der
Wissenschaft. Um die geglaubten Dinge aber aus ihnen
selbst w issen, vermöge eines bestimmten Einsseins mit
ihnen, gehört zur Gabe der W eisheit. Daher entspricht die
Gabe der W eisheit mehr der Liebe, die das Denken des
Menschen mit Gott eint.1
Z u 2. D iese Erwägung geht davon aus, w ie gemeinhin
der Begriff W issenschaft genommen wird. In diesem Sinne
QUAESTIO 9, 3

sim am causam ,2 hab et sp ec ia le nom en, quod est sa p ien tia :


dicitur enim sa p ie n s in u n o q u o q u e.g en er e qui novit altissim am
causam illiu s g en eris, per quam potest de om nibu s judicare.
S im p liciter autem sa p ie n s dicitu r qui novit altissim am causam
sim p liciter, scilicet D eum . Et id eo cognitio divinarum rerum
vocatur sap ien tia. Cognitio vero rerum hum anarum vocatur scien ­
tia, q u asi com m u ni n om in e im portante certitu dinem ju d icii
appropriato ad jud icium qu od fit p er causas secu n d as. Et ideo,
sic accip ien d o sc ien tia e n om en , p on itu r d on um distinctum a
dono sa p ie n tia e . U n d e donum sc ien tia e est solu m circa res hu-
m anas, v e l solu m circa res creatas.
AD PRIM UM ergo dicen du m quod, licet ea de qu ibus est fides
sin t res d iv in a e et a e ter n a e , tarnen ip sa fid es est quoddam tem ­
p orale in anim o credentis. Et id eo scire quid credend um sit
pertin et ad donum scien tia e. S cire au tem ipsas res creditas
secund um se ip sa s p er quam dam u n ion em ad ipsas, p ertin et ad
donum sa p ien tia e. U n d e donum sa p ie n tia e m agis respond et
caritati, qu ae unit m entem h om in is D eo.
A D SEC UND UM dicen du m quod ratio illa procedit secundum
quod com m uniter n om en sc ien tia e sum itur. Sic autem scien tia
1 V gl. B d. 11, 633 f., 648.
2 P: p e r c au sa m illiu s generis* p e r q u a m p o te st de o m n ib u s ju d ic a re .

181
9, 3 aber wird W issenschaft nicht als besondersartige Gabe ver­
standen, sondern sofern sie auf ein Urteil beschränkt ist,
das auf Grund von Geschaffenem zustande kommt.
Z u 3. Jegliches Erkenntnisgehaben richtet sich im Form-
sinne auf das Beweism ittel, durch w elches etwas erkannt
wird, dem Inhalte nach aber auf das, was durch das Be­
weismittel erkannt wird (1, 1). Und w eil das, was das
Formgebende ist, das Vorzüglichere ist, so werden die­
jenigen W issenschaften, die aus mathematischen Ursätzen
hinsichtlich eines naturwissenschaftlichen Inhaltes Schlüsse
ziehen, mehr zu den mathematischen W issenschaften ge­
zählt, als den mit ihnen verwandteren, mögen sie auch dem
Inhalte nach mehr zur Naturwissenschaft passen, weshalb
es heißt, sie seien „mehr zur Naturwissenschaft gehörig“
(A ristoteles). Wenn also der Mensch durch die geschaffenen
Dinge Gott erkennt, so gehört dies offensichtlich mehr zur
W issenschaft, wohin es der Form nach gehört, als zur
W eisheit, wohin es dem Inhalt nach gehört. Und umge­
kehrt, wenn wir auf Grund göttlicher Dinge über Geschöpf-
liches urteilen, so gehört dies mehr zur W eisheit als zur
W issenschaft.
3. ARTIKEL
Ist die Gabe der Wissenschaft auf Tun gerichtetes Wissen ?
1. Augustinus sagt: „D ie Tätigkeit, in der wir die zeit­
lichen Dinge gebrauchen, wrird der W issenschaft zugeteilt.“
QUAESTIO 9, 3
non ponitur sp ec ia le donum , se d secu n d u m quod restringitur
ad jud icium quod fit p er res creatas.
AD TERTIUM d icen d u m quod, sic u t su pra dictum est, qu ili-
bet cognoscitivu s hab itu s form aliter q u id em resp icit m edium
p er quod aliq u id cognoscitur, m a terialiter autem id quod per
m ed iu m cognoscitur. Et quia id quod est form ale potius est.
id eo illa e sc ien tia e qu ae e x p rin cip iis m athem aticis concludunt
circa m ateriam natu ralem , m agis cum m athem aticis connum e-
rantur, u tp ote eis sim ilio res: licet quantum ad m ateriam m agis
i» 4 a 7 sq. con ven ian t cum natu rali, et propter hoc dicitur in 2 P hysic.
[cap. 2] quod su n t „m agis n atu rales“. Et ideo, cum hom o per
res creatas D eum cognoscit, m agis vid etu r hoc p ertin ere ad
scien tiam , ad quam p ertin et form aliter, quam ad sap ientiam ,
ad quam p ertin et m aterialiter. Et e converso, cum secundum
res d iv in a s jud icam us de reb us creatis, m agis hoc ad sap ientiam
quam ad scien tiam pertin et.

ARTICULUS III
Utrum s c ie n tia e donum sit scientia practica
[3 S e n t., d is t. 35, a r t. 3, q a 1]
AD TERTIUM sic proceditur. V id etu r quod scien tia qu ae po-
PL 42/1009 nitur donum sit scien tia practica. D icit en im A u gustin us, 12 de
Trin. [cap. 1 4 ], quod „actio qua ex terio rib u s reb u s utim ur

182
W issen aber, dem Tätigkeit zugeteilt wird, ist auf Tun ge- 9, 3
richtet. Also ist die W issenschaft als Gabe auf Tun ge­
richtetes W issen.
2. Gregorius sagt: „Das ist kein W issen, wenn es keinen
Nutzen für die Frommheit hat, und sehr unnütz ist die
Frommheit, wenn sie der Unterscheidung auf Grund des
W issens entbehrt.“ Aus diesem maßgebenden Lehrspruch
ergibt sich, daß das W issen die Frommheit leitet. Dies
kann aber nicht auf das der Schau zugewandte Wissen
zutreffen. Also ist W issen als Gabe nicht auf Schau, son­
dern auf Tun gerichtet.
3. Die Gaben des H eiligen Geistes finden sich nur bei
Gerechten (8, 5). Schaugerichtetes W issen kann sich aber
auch bei Ungerechten finden, nach Jak 4, 17: „Wer Gutes
weiß und es nicht tut, dem ist es Sünde.“ Also ist Wissen
als Gabe nicht auf Schau, sondern auf Tun gerichtet.
ANDERSEITS sagt Gregorius: „W issen bereitet an sei­
nem Tage ein Mahl, w eil es im Abgrund des Geistes die
Leere des Nichtwissens überwindet.“ Nichtwissen wird
aber gänzlich nur durch beiderlei W issen behoben, näm­
lich durch das auf Schau und das auf Tun gerichtete. Also
ist W issen als Gabe sowohl auf Schau als auch auf Tun
gerichtet.
ANTWORT: Die Gabe der W issenschaft ist, w ie auch
die Gabe der Einsicht, auf die Gewißheit des Glaubens

QUAESTIO 9, 3

sc ien tia e dep u tatu r“. S ed scien tia cui depu tatur actio est prac­
tica. Ergo scien tia q u ae est donum , est scien tia practica.
2. PRAETEREA, G regoriu s dicit, in 1 M oral, [cap. 3 2 ]: „N ulla PL 75/547
est scien tia si utilitatem p ietatis non h ab et: et va ld e in u tilis
est p ietas si scien tia e d iscretion e caret.“ E x qua a u c to r ita te 1
habetur quod scien tia dirigit p ietatem . S ed hoc non potest
com p etere sc ien tia e sp ecu la tiv a e. Ergo scien tia quae est donum
non est sp ecu lativa, se d practica.
3. PRAETEREA, dona S p iritu s San cti non hab en tur n isi a
justis, ut su pra habitum est. S e d scien tia sp ecu lativa potest
hab eri etiam ab in ju stis: secu n d u m illu d Jac. 4: „S cien ti bo­
num et n on facien ti, peccatum est illi.“ Ergo sc ien tia qu ae est
donum non est sp ecu lativa, se d practica.
SED CONTRA est quod G regorius dicit, in 1 M oral, [loco c i t . ] :
„S cien tia in d ie su o conviviu m parat, qu ia in v en tre m en tis
ign oran tiae jeju n iu m su p era t.“ S e d ign oran tia non tollitur to­
taliter n isi p er utram que scien tiam , sc ilic et et sp ecu lativam et
practicam . Ergo scien tia q u ae est donum est et sp ecu lativa et
practica.
RESPONDEO dicendum quod, sicut su p ra dictum est, donum
sc ien tia e ordinatur, sicut et donum in tellectu s, ad certitu dinem
i L : E x quo.

183
9,3 liingeordnet (Art. 1; 8, 8). Der Glaube aber besteht in
erster Linie und vorzüglich im Beschauen, sofern er näm­
lich der Erstwahrheit anhängt. W eil aber die Erstwahrheit
auch letztes Ziel ist, um dessentwillen wir tätig sind, so
dehnt sich der Glaube auch auf das Tätigsein aus, nach
Gal. 5, 6: „Der Glaube betätigt sich durch die Liebe.“
Daraus ergibt sich mit Notwendigkeit, daß die Gabe der
W issenschaft zwar zunächst und vornehmlich auf das Be­
schauen geht, sofern nämlich der Mensch w eiß, was er
im Glauben festzuhalten hat. In zweiter Linie aber er­
streckt sie sich auch auf das Tun, sofern wir nämlich durch
unser W issen von den Glaubensdingen und von dem, was
aus den Glaubensdingen sich ergibt, in unserm Handeln
geleitet werden.
Z u l . Augustinus spricht von der Gabe der W issen­
schaft in ihrer Ausdehnung auf das Tun. Es wird ihr näm­
lich das Tun zugeteilt, aber nicht allein und nicht in erster
Linie. Und auf die nämliche W eise leitet sie die Fromm­
heit.
Daraus ergibt sich die Lösung Z u 2.
Z u 8. Es wurde von der Gabe der Einsicht gesagt (8, 5),
daß nicht jeder, der Einsicht hat, die Gabe der Einsicht
besitzt, sondern nur, wer gleichsam aus dem Gehaben der
Gnade zur Einsicht kommt.1 So muß man sich auch hin­
sichtlich der Gabe der W issenschaft darüber klar sein, daß
nur solche die Gabe der W issenschaft besitzen, die dank
QUAESTIO 9, 3

fidei. F id e s au tem prim o e t p rin cip aliter in sp ec u la tio n e con-


sistit, inquantum sc ilic et in h a eret p rim ae verita ti. S e d quia
veritas prim a est etiam ultim us finis, propter q u em operam ur,
ind e etiam est quod fides ad op eration em se exten d it, secund um
illu d Gal. 5 : „F id es p e r d ilection em operatur.“ U n d e etiam
oportet quod donum sc ien tia e prim o qu id em et princip aliter
resp iciat sp ecu lation em , inquantum sc ilic et hom o seit qu id fide
ten ere d ebeat. S ecund ario autem s e ex ten d it etiam ad o p e ­
rationem , secund um quod per scien tiam ered ib iliu m , et eorum
qu ae ad cred ib ilia consequuntur, dirigim ur in agen d is.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod A u gustin us loquitur de
dono sc ien tia e secu n d u m quod se e x ten d it ad op eration em : attri-
buitur en im ei actio, s e d non sola nec prim o. Et hoc etiam m odo
dirigit pietatem .
U n d e patet solu tio A D SEC UND UM .
A D TERTIUM dicen du m quod, sicut dictum est, de dono
in tellectu s quod non qu icum que in te llig it hab et donum in te l­
lectus, se d qui in te llig it q u asi e x h ab itu gratiae; ita etiam de
dono sc ien tia e est in telligen d u m quod illi so li donum scien tiae
1 V gl. B d. 11, 634.

184
der Eingießung der Gnade über das, was zu glauben und 9,4
zu tun ist, ein sicheres Urteil haben, das in nichts von
der Rechtheit der Rechtschaffenheit abweicht. Das ist „das
W issen der H eiligen“, von dem es W eish 10, 10 heißt:
„Den Gerechten führte der Herr auf geraden Pfaden und
gab ihm die Wissenschaft der H eiligen.“

4. A R T I K E L
Entspricht der Gabe der Wissenschaft die dritte Seligkeit:
„Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet w erden“ ?
1. Wie das Ü bel Ursache von Betrübnis und Trauer ist,
so ist auch das Gute Ursache von Freude. Durch W issen
aber wird Gutes ursprünglicher denn Übles offenbar ge­
macht, welch letzteres erst durch das Gute erkannt wird;
denn „das Gerade ist Richte für sich selbst und für das
Ungerade“ (Aristoteles). Also entspricht die oben genannte
Seligkeit wohl nicht der Gabe der W issenschaft.
2. Die Erwägung der Wahrheit ist ein Akt des W issens.
In der Erwägung der Wahrheit aber liegt nicht Traurig­
keit, sondern vielm ehr Freude; denn W eish 8, 16 heißt es:
„Der Umgang mit ihr hat nichts Bitteres, das Zusammen­
leben mit ihr keinen Verdruß, sondern Lust und Freude.“

QUAESTIO 9, 4

h ab ean t q u i e x in fu sio n e gratiae rectum 1 jud icium hab en t circa


eredend a et agen d a, quod in n u llo d ev ia t a rectitu d in e justitiae.
Et haec est „scien tia san ctoru m “, de qua dicitur Sap . 10. „Justum
ded u xit D om inu s p er via s rectas et d ed it illi scien tiam san c­
torum .“
A R T I C U L U S IV
Utrum dono scientiae respond eat tertia
beatitudo, s c i li c e t : „Beati qui lugent, quo­
niam ipsi consolabuntur.“
[I—I I 69, 3 a d 2 e t 3: 3 Sent., d is t. 34, q . 1, a r t. 4]
AD Q UARTUM sic proceditur. V id etu r quod sc ien tia e non
respond eat tertia beatitudo, scilicet: „B eati qui lu gen t, quoniam
ip si consolabu ntu r.“ Sicut en im m alum est causa tristitiae et
luctus, ita etiam bonum est causa la etitia e. S ed p e r scien tiam
p rin cip aliu s m anifestantu r b on a quam m ala, q u ae per bona
cognoscuntur: „rectum “ en im „est ju d ex su i ip siu s et o b liq u i“,
ut dicitur in 1 de A n im a [cap. 5 ] . E rgo praedicta beatitudo 411 a 5 sq q .
non c o n v en ien ter resp on d et sc ien tia e dono.
2. PRAETEREA, consideratio v eritatis est actus sc ien tia e . Sed
in con sid eration e v eritatis non est tristitia, se d m agis gaud ium :
dicitur enim Sap . 8: „N on h ab et am aritu dinem illiu s conver-
satio, n ec taed iu m convictus illiu s, se d laetitiam e t gau d iu m .“
l L : c ertu m .

185
9,4 Also entspricht die eben genannte Seligkeit nicht in zu­
treffender W eise der Gabe der Wissenschaft.
3. Die Gabe der W issenschaft besteht eher im Schauen
als im Tun. Sofern sie aber im Schauen besteht, entspricht
ihr nicht Traurigkeit; denn der schauende Verstand „sagt
nichts über das Nachzuahmende und das zu Meidende“
(Aristoteles), und er sagt auch nichts Frohes und Betrüb­
liches aus. Also wird von der oben genannten Seligkeit
unzutreffend behauptet, sie entspreche der Gabe der W is­
senschaft.
ANDERSEITS sagt Augustinus: „W issen kommt den
Trauernden zu, die erfahren haben, von w elchen Übeln
sie gefesselt sind, nach denen sie w ie nach Gütern ver­
langten.“
ANTWORT: Zur W issenschaft gehört im eigentlichen
Sinne das rechte Urteil über die Geschöpfe. Die Geschöpfe
aber sind es, um derentwillen sich der Mensch unter Um­
ständen von Gott abwendet, nach W eish 14, 11: „Die Ge­
schöpfe wurden zum Greuel und zum Fallstrick für die
Füße der Toren“, d. h. für die, welche über jene kein
rechtes U rteil haben, indem sie meinen, in ihnen sei das
vollkommene Gut. Indem sie daher in ihnen ihr Ziel sehen,
sündigen sie und verlieren dadurch das wahre Gut. Dieser
Verlust nun wird dem Menschen klar durch das rechte
Urteil über die Geschöpfe, das ihm durch die Gabe der

QUAESTIO 9, 4

Ergo p raedicta b eatitudo non co n ven ien ter resp on d et dono


scien tia e.
3. PRAETEREA, donum sc ien tia e prius consistit in sp ecu
tio n e quam in op eration e. S ed secu n d u m quod consistit in
sp ecu lation e, non resp on d et sib i luctus: qu ia in tellectu s sp ecu la-
432b tivus „ n ih il dicit d e im itab ili et fu g ie n d o “, ut dicitur in 3 de
29 sqq. A n im a [cap. 9 ] ; n eq u e dicit aliq u id laetum et triste. Ergo
praedicta beatitudo non con ven ien ter ponitur resp on d ere dono
scien tiae.
PL 34/1234 SED CONTRA est quod A u gu stin u s dicit in libro de serm on e
D om in i in m onte [lib . 1, cap. 4 ] : „Scien tia con ven it lugentibu s,
qui did iceru n t qu ib u s m a lis vin cti su nt, qu ae q u asi bona p etie-
runt.“
RESPONDEO dicen du m quod ad scien tiam proprie pertin et
rectum judicium creaturarum . C reaturae autem sunt e x qu ibus
hom o occasion aliter a D eo avertitur: secu n d u m illu d Sap. 14:
„C reaturae factae sunt in odium et in m uscipu lam pedib us
in sip ie n tiu m “, qui scilicet rectum judicium de h is non habent,
dum aestim an t in eis esse perfectum bon um ; u n d e in eis finem
constituendo, peccant et verum bonum perdunt. Et hoc dam num
hom in i inn otescit per rectum jud icium de creaturis, quod habe-

186
Wissenschaft zuteil wird. Und darum sagt man, die Selig- 9, 4
keit der Trauer entspreche der Gabe der Wissenschaft.
Z u 1. Die geschaffenen Güter erregen keine geistige
Freude, außer wofern sie auf das göttliche Gut bezogen
werden, aus welchem erst die geistige Freude sich erhebt.
Der geistige Friede und die daraus folgende Freude ent­
spricht darum unmittelbar der Gabe der W eisheit. Der
Gabe der W issenschaft entspricht zunächst aber Trauer
über die vergangenen Irrtümer, und erst als Folge davon
Trost, indem der Mensch durch das richtige U rteil der
W issenschaft die Geschöpfe auf das göttliche Gut hinord­
net. Demnach wird in dieser Seligkeit Trauer als Verdienst
angegeben, und daraus folgend Trost als Belohnung. Die­
ser beginnt zwar in diesem Leben, vollendet aber wird
er erst im künftigen.
Z u 2. An der Erwägung der Wahrheit an sich freut sich
der Mensch; aber über das Was, hinsichtlich dessen er
die Erwägung aufstellt, kann er bisw eilen Trauer empfin­
den. Und demgemäß wird dem W issen Trauer zugeschrie­
ben.
Z u 3. Sofern die W issenschaft im Schauen besteht, ent­
spricht ihr keinerlei Seligkeit; denn die Beseligung des
Menschen liegt nicht in der Betrachtung der Geschöpfe,
sondern in der Schau Gottes. Irgendwie aber liegt Be­
seligung des Menschen in dem gebührenden Gebrauch der
Geschöpfe und der geordneten Einstellung zu ihnen; und

QUAESTIO 9, 4

tur p er donum scien tia e. Et id eo b eatitudo luctus ponitur respon-


dere dono scien tia e.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod bona creata non excitant
sp iritu a le gaud ium n isi qu aten us referu n tu r ad bonum d iv i­
num , e x quo proprie consurgit gaud ium sp iritu a le. Et ideo
directe qu idem sp iritu a lis p ax, et gaud ium consequ en s, resp on ­
det dono sa p ie n tia e . D ono autem sc ien tia e resp on d et qu idem
prim o luctus de p raeteritis erratis; et consequ en ter consolatio,
dum hom o p er rectum judicium sc ien tia e creaturas ordinat in
bonum divinu m . Et id eo in hac b eatitu d in e pon itu r luctus pro
m erito, et consolatio con seq u en s pro p raem io. Q uae q u id em in-
choatur in hac vita, perficitur au tem in futura.
A D SEC U N D U M dicen du m quod de ip sa con sid eration e v e r i­
tatis hom o ga u d et: sed de re circa quam considerat veritatem
p otest tristari quand oqu e. Et secund um hoc luctus scien tia e
attribuitur.
A D TERTIUM dicen du m quod sc ien tia e secund um quod in
sp ecu lation e consistit, non respond et beatitudo aliq u a: quia b e a ­
titudo h om in is non consistit in consideration e creaturarum , sed
in contem p lation e D ei. S ed aliq u aliter b eatitudo h om in is consi­
stit in debito usu creaturarum et ordinata affectione circa ipsas:

187
9, 4 zwar m eine ich dies von der Seligkeit der Piigerschaft.
Demnach wird der W issenschaft keinerlei Seligkeit zu­
geschrieben, die zur Beschauung gehört; sondern nur der
Einsicht und der W eisheit, deren Gegenstand das Gött­
liche ist.

QUAESTIO 9, 4

et hoc dico quantum ad b eatitu d in em v ia e. Et id e o scien tia e


non attribuitur aliq u a beatitudo p ertin en s ad contem p lation em ,
sed in tellectu i et sa p ie n tia e , qu ae su nt circa divina.

188
10. F R A G E 10, 1

DER UNGLAUBE IM ALLGEMEINEN

Folgerichtig müssen nun die entgegengesetzten Laster


ins Auge gefaßt werden. Und zwar an erster Stelle der
Unglaube als Gegensatz zum Glauben; an zweiter die
Gotteslästerung als Gegensatz zum Bekenntnis; an dritter
Stelle die U nw issenheit und die Stumpfheit als Gegen­
sätze zur W issenschaft und zur Einsicht.
Was das erste angeht, so ist [zuerst] der Unglaube im
allgem einen zu behandeln; dann die Häresie; schließlich
der Abfall vom Glauben.
Zum ersten Punkt ergeben sich zwölf Einzelfragen:
1. Ist Unglaube Sünde?
2. Worin hat er seinen Sitz?
3. Ist er die größte Sünde?
4. Ist jegliches Tun Ungläubiger Sünde?
5. Die Arten des Unglaubens.
6. Vergleich derselben untereinander.
7. Soll man sich mit Ungläubigen über den Glauben
auseinandersetzen ?
8. Soll man sie zum Glauben zwingen?
9. Darf man mit ihnen Gemeinschaft pflegen?
10. Können sie Christgläubigen als Obrigkeit vorstehen ?
11. Darf man die gottesdienstlichen Gebräuche der Un­
gläubigen dulden?
12. Darf man die Kinder von Ungläubigen gegen den
W illen ihrer Eltern taufen?

QUAESTIO X

D E IN FID E L IT A T E IN COMMUNI

C on sequ en ter considerandum est de v itiis opp ositis. Et prim o,


d e infid elitate, qu ae opp onitur fid ei; secu n d o, de blasp hem ia,
qu ae opp onitur co n fessio n i; tertio, de ignorantia et h eb etu d in e,
q u ae opponuntur scien tia e et in tellectu i. — Circa prim um con ­
sid eran d u m est de in fid elitate in com m uni; secund o de h a eresi;
tertio de apostasia a fide.
Circa prim um qu aeruntur d u od ecim : 1. U trum in fid elitas sit
peccatum . — 2. In quo s it sicut in su bjecto. — 3. U trum sit
m axim u m peccatorum . — 4. U trum om nis actio in fid eliu m sit
peccatum . — 5. D e sp ec ieb u s in fid elita tis 6. D e com paratione
earum ad invicem . — 7. U trum cum in fid elib u s sit disputandum
de fide. -— 8. Utrum sin t cogen di ad fidem . — 9. U trum sit cum
eis com m unicandum . — 10. Utrum possint C hristianis fid elib u s
p raeesse. — 11. Utrum ritus in fid eliu m sin t toleran d i. — 12. Utrum
pu eri in fid eliu m sin t in vitis paren tib u s baptizandi.

189
1. A R T I K E L
Ist Unglaube Sünde?
1. Jede Sünde ist gegen die Natur (Damascenus). Un­
glaube aber scheint nicht gegen die Natur zu sein; sagt
doch Augustinus: „Glauben haben können liegt, w ie Liebe
haben können, in der Natur der Menschen; Glauben wirk­
lich haben aber, w ie Liebe wirklich haben, ist Gnade für
die Gläubigen.“ Glauben also nicht haben, w as bei den
Ungläubigen der Fall ist, ist nicht gegen die Natur. Darum
ist ungläubig sein keine Sünde.
2. Keiner sündigt in dem, was er nicht vermeiden kann,
denn jede Sünde ist willentlich. Es liegt aber nicht im
Vermögen des Menschen, den Unglauben zu m eiden; denn
er kann ihn nicht umgehen, wenn er nicht den Glauben
besitzt; der Apostel sagt nämlich Röm 10, 14 f.: „Wie sollen
sie an Den glauben, von Dem sie nichts gehört? Wie kön­
nen sie aber hören, wenn ihnen nicht gepredigt w ird?“
Also scheint Unglaube keine Sünde zu sein.
3. Es gibt sieben Hauptlaster, auf welche alle Sünden
zurückgehen (I—II 84, 4: Bd. 12). Unter keinem von ihnen
aber scheint der Unglaube enthalten zu sein. Also ist Un­
glaube keine Sünde.

QUAESTIO 10, i

ARTICULUS I
Utrum infidelitas sit peccatum
[2 S en t., d is t. 39, q. 1, a rt. 2 a d 4]

A D PRIM UM sic proceditur. V id etu r quod in fid elitas non sit


peccatum . O m ne en im peccatu m est contra natu ram : ut patet
p g 9 4 /8 7 5 , p er D am ascenum , in 2 lib ro d e Orthod. fid. [cap. 4 et 3 0 ; lib . 4,
9 7 5 ,1 1 9 5 cap. 2 0 ] . S e d in fid elitas non vid etu r e sse contra n a tu ra m : dicit
P L 4 4 /9 6 8 enim A u gustin us in libro de P raed. Sanct. [cap. 5 ] , quod „posse
habere fidem , sicut p osse h ab ere caritatem , naturae est h o m in u m :
h ab ere autem fidem , quem ad m odu m h ab ere caritatem , gratiae
est fid e liu m “. Ergo non h ab ere fid em quod est in fid eliu m , non
est contra naturam . Et ita non est peccatu m .1
2. PRAETEREA, n u llu s peccat in eo quod vitare non potest;
quia om ne peccatum est volun tarium . S e d non est in potestate
h om in is quod in fid elitatem vitet, quam vitare n on potest nisi
fidem h ab en d o: dicit enim A postolus, ad Rom. 10: „Quomodo
credent e i quem non au d ieru n t? Q uom odo au tem au d ien t sin e
p r a ed ica n te? “ Ergo in fid elitas non vid etu r e sse peccatum .
3. PRAETEREA, sicu t su p ra dictum est, su n t sep tem vitia
capitalia, ad qu ae om n ia peccata reducuntur. Sub n u llo autem
horum v id etu r con tin eri infidelitas. E rgo in fid elitas non est pec-
catum.
i L : q u o d e st in fid ele m esse, non e st p e cc a tu m .

191)
ANDERSEITS ist der Tugend das Laster entgegen- 10, 1
gesetzt. Der Glaube aber ist eine Tugend, und ihr ent­
gegengesetzt ist der Unglaube. Unglaube ist also Sünde.
ANTWORT: Unglaube kann auf zweifache W eise ver­
standen werden. Einmal als bloßes Nichthaben, so daß man
von einem Ungläubigen lediglich deshalb spricht, w eil er
den Glauben nicht hat. Auf andere W eise kann Unglaube
als Widerspruch zum Glauben verstanden werden, weil
nämlich jemand dem Glauben sein Gehör verschließt oder
ihn geradezu verachtet, nach Is 53, 1: „Wer hat an das
geglaubt, was wir hören?“ Ebendarin vollendet sich im
eigentlichen Sinne das W esen des Unglaubens. Und in
diesem Sinne ist Unglaube Sünde.
Wird er aber als bloßes Nichthaben verstanden, wie bei
denen, die vom Glauben nichts gehört haben, so hat er
nicht die Bewandtnis der Sünde, sondern mehr der Strafe,
w eil ein solches Nichtwissen des Göttlichen die Folge der
Sünde des Stammvaters ist. Die nun auf diese W eise un­
gläubig sind, werden zwar wegen anderer Sünden verwor­
fen, die ohne den Glauben nicht vergeben werden können.
Sie werden aber nicht wegen der Sünde des Unglaubens
verworfen. Daher sagt der Herr Jo 15, 22: „Wenn Ich
nicht gekommen w äre und nicht zu ihnen gesprochen
hätte, so hätten sie keine Sünde“, wozu Augustinus be­
merkt, es sei die Rede „von jener Sünde, durch die sie
nicht an Christus geglaubt haben“.
Z u l . Glauben haben liegt nicht in der menschlichen
QÜAEST10 10, l

SED CONTRA, virtu ti contrariatur vitiu m . S ed fides est vir­


tus: cui contrariatur in fid elitas. Ergo in fid elitas est peccatum .
RESPONDEO dicen du m quod infidelitas du pliciter accipi po­
test. U no m odo, secu n d u m pu ram n eg a tio n em : u t dicatur in-
fid e lis e x hoc solo quod non h ab et fidem . A lio m odo potest in-
te llig i in fid elitas secu n d u m contrarietatem ad fidem : quia s c ili­
cet aliq u is rep ugnat au d itu i fid ei, v e l etiam contem n it ipsam ,
secu n d u m illu d Is. 53: „Quis credidit aud itu i nostro?“ Et in hoc
prop rie perficitur ratio in fid elitatis. Et secu n d u m hoc infidelitas
est peccatum .
S i au tem aceipiatur secu n d u m n egation em puram , sicu t in
illis q u i n ih il au d ieru n t d e fide, n on h a b et rationem peccati,
se d m agis p o en a e, quia ta lis ign oran tia divin oru m e x peccato
prim i paren tis conseeuta est. Qui autem sic sunt in fid eles dam -
nantur qu id em propter a lia peccata, qu ae sin e fide rem itti non
possunt: non autem dam nantur propter in fid elitatis peccatum .
U n de D om inus dicit, Joan. 15: „Si non v en issem , et locutus eis
n on fu issem , peccatum non h a b eren t“ : quod e x p o n e n s A u gu sti- PL 35/1857
n u s [Tract. 89 in Joan .] dicit quod loquitur „de illo peccato
quo n on credideru nt in Christum “.
AD PRIMUM ergo dicendum quod h ab ere fidem non est in

191
10, 2 Natur beschlossen; wohl aber liegt es in der menschlichen
Natur, daß das Denken des Menschen dem inneren Antrieb
und der äußeren Verkündigung der Wahrheit nicht wider­
strebe. Insofern also ist Unglaube gegen die Natur [46].
Z u 2. D iese Erwägung geht von dem Unglauben aus, so­
fern er einfaches Nichthaben bedeutet.
Z u 3. Unglaube, sofern er Sünde ist, entsteht aus dem
Hochmut, der schuld daran ist, daß der Mensch seinen
Verstand den Richtweisen des Glaubens und der gesun­
den Einsicht der Väter nicht unterwerfen will. Daher sagt
Gregorius: „Aus eitlem Rühmen entstehen die Anmaßun­
gen der Neuerungen.“
Übrigens könnte man sagen: Wie die göttlichen Tugen­
den nicht auf die Kardinaltugenden zurückzuführen sind,
sondern ihnen vorausgehen, so lassen sich auch die den
göttlichen Tugenden entgegengesetzten Laster nicht auf die
Hauptlaster zurückführen.
2. A R T I K E L
Hat der Unglaube seinen Sitz im Verstand als seinem
T räger?
1. Jede Sünde hat ihren Sitz im W illen (Augustinus).
Der Unglaube aber ist Sünde (Art. 1). Also hat der Un­
glaube seinen Sitz im W illen, nicht im Verstände.
Q UAESTIO 10, 2

natura h u m ana: se d in natura hu m an a est ut m e n s hom inis


non rep u g n et in teriori instin ctui et ex ter io r i v e rita tis praedi-
cationi. U n d e in fid elitas secu n d u m hoc est contra naturam .
A D SEC U N D U M dicen du m quod ratio illa procedit de infi-
d elitate secu n d u m quod im portat sim p lieem negation em .
AD TERTIUM dicen du m quod in fid elitas secund um quod est
peccatum , oritur e x su p erb ia, e x qua contingit quod hom o in ­
tellectu m su um non vu lt su b jicere regu lis fid ei et san o in tel-
pl 76/621 lectui Patrum . U n de G regoriu s dicit, 31 M oral. |ca p . 4 5 ], quod
„ e x in an i gloria oriuntur novitatum p raesu m p tion es“.
Q uam vis posset dici quod sicu t virtu tes th eologicae non redu-
cuntur ad virtu tes card in ales, se d sunt priores eis; ita etiam
v itia opposita virtu tib us th eo lo g icis non reducuntur ad vitia
capitalia.
A R T I C U L U S II
U t r u m i n f i d e l i t a s si t in i n t e l l e c t u s i c u t in
subjecto
[2 S en t., d is t. 39, q. 1, a r t. 2 a d 4; 3, d is t. 23, q. 2, a r t. 3, q a 1 a d 4)
A D SEC U N D U M sic proceditur. V id etu r qu od in fid elitas non
sit in in tellectu sicut in su bjecto. Omne en im peccatum in volun -
p l 42/103 täte est: ut A u gu stin u s dicit, in libro de D u abu s A n im . [cap. 10 ].
c s e l S ed in fid elitas est quoddam peccatum , ut dictum est. Ergo in-
251/68 fjdelitas est in volu n tate, n on in in tellectu .

192
2. Der Unglaube hat die Bewandtnis der Sünde daher, 10, 2
daß [in ihm] die Verkündigung des Glaubens mißachtet
wird. Mißachtung aber liegt im Willen. Also ist der Un­
glaube im W illen.
3. Über 2 Kor 11, 14 ,Satan selbst verwandelt sich in
einen Lichtengel1, sagt die Glosse: „Wenn ein böser Engel
sich als gut ausgibt und wenn man an seine Güte glaubt,
so unterliegt man keinem gefährdenden Irrtum, sofern
er tut oder spricht, was zu den guten Engeln paßt.“ Der
Grund dafür scheint in der Rechtheit des W illens des­
jenigen zu liegen, der ihm vertraut in der Meinung, einem
guten Engel zu vertrauen. Also scheint die ganze Sünde
des Unglaubens in dem verkehrten W illen zu liegen. Dem­
nach ist sie nicht im Verstände als ihrem Träger.
ANDERSEITS haben Gegensätze das nämliche zum
Träger. Der Glaube aber, zu dem der Unglaube den Ge­
gensatz bildet, ist im Verstände als seinem Träger. Also
ist auch der Unglaube im Verstände.
ANTWORT: Von einer Sünde sagt man, sie sei in dem­
jenigen Vermögen, das Quellgrund des sündigen Aktes ist
(I—II 7 4,1 u. 2: Bd. 12). Ein sündiger Akt aber kann einen
zweifachen Quellgrund haben. Der eine, der erste und
allumfassende, der alle sündigen Akte befiehlt; dieser
Quellgrund ist der W ille, w eil jede Sünde Sache des
W illens ist. Der andere Quellgrund des sündigen Aktes
QüAESTIO 10, 2

2. PRAETER EA, in fid elita s h ab et ration em peccati e x eo quod


praedicatio fid ei contem nitur. S ed contem p tus ad volun tatem
p ertin et. Ergo in fid elitas est in volun tate.
3. PRAETEREA, 2 ad Cor. 11, su p e r illu d : „Ip se Satanas
transfigurat s e i n an gelu m lu c is“, dicit G lossa [ord. A u gust.] PL 40/260
quod, „si a n g e lu s m alu s s e bonum flngat, et s i credatur bonus, 192/74
n on est error m orbidus,1 s i facit v e l d icit q u ae b on is a n g e lis
con gru u n t“. Cujus ratio e sse videtur propter rectitu dinem vo­
lu n tatis e ju s q u i ei in h aeret in ten d en s bono an gelo ad h aerere.
Ergo totum peccatum in fid elitatis esse vid etu r in p erversa v o ­
lun tate. Non ergo est in in tellectu sicut in su bjecto.
SED CONTRA, contraria su nt in eodem su bjecto. S e d fides,
cui contrariatur in fid elitas, est in in tellectu sicut in su bjecto.
Ergo et in fid elitas in in tellectu est.
RESPONDEO dicen du m quod, sicu t su p ra dictum est, p ec­
catum dicitur esse in illa p oten tia q u ae est p rincip iu m actus
peccati. A ctus autem peccati potest h ab ere d u p le x princip iu m .
U n um qu idem prim um et u n iv ersa le, quod im perat om nes actus
peccatorum : et hoc princip iu m est volun tas, q u ia om ne p ecca­
tum est volun tarium . A liu d autem p rincip iu m actus peccati est
i L: p e ric u lo su s aut. m o rb irtu s.

13 15 193
10, 2 aber ist der eigentliche und nächste, denn er vollzieht den
sündigen Akt; so w ie z. B. die Begierdekraft Quellgrund
der Gaumenlust und der Unkeuschheit ist und man dem­
gemäß von der Gaumenlust und der Unkeuschheit sagt, sie
seien in der Begierdekraft. Widersprechen aber, der
eigentliche Akt des Unglaubens, ist ein Akt des Verstandes,
freilich bewegt vom W illen, w ie auch das Beistimmen.
Demnach ist Unglaube, w ie auch der Glaube, zwar im
Verstände als seinem nächsten Träger, im W illen aber als
seinem ersten Erreger. Und in diesem Sinne heißt es, jede
Sünde sei im Willen.
Daraus ergibt sich die Antwort Z u l .
Z u 2. W illentliche Mißachtung verursacht Widerspruch
des Verstandes, worin sich die Bewandtnis des Unglaubens
erfüllt. Daher ist die Ursache des Unglaubens im W illen,
der Unglaube selbst aber im Verstände.
Z u 3. Wer glaubt, ein böser Engel sei ein guter, wider­
spricht nicht dem, was zum Glauben gehört; denn „nur
der körperliche Sinn läßt sich täuschen, der Geist aber ent­
fernt sich nicht von der wahren und richtigen D enkw eise“
(Glosse). Würde aber jemand dem Satan anhängen, „wenn
er es unternimmt, ihn auf seine Seite zu ziehen“, d. h.
zum Bösen und Falschen, dann ist er nicht ohne Sünde
(ebd.).
QUAESTIO 10, 2

proprium et p roxim um , quod elicit peccati actum : sicut con-


cu p iscib ilis est princip iu m g u la e et lu x u ria e, et secund um hoc
gula et lu x u ria dicuntur e sse in concupiscibili. D issen tire autem ,
qui est proprius actus in fid elitatis, est actus in tellectu s, se d moti
a volun tate, sicu t et assen tire. Et id eo in fid elitas, sicut et fides,
est qu id em in in tellectu sicut in p roxim o su bjecto, in volun tate
autem sicut in prim o 1 m otivo. Et hoc m odo d icitu r om ne p e c ­
catum e sse in volun tate.
U n d e patet responsio A D PRIM UM .
A D SEC U N D U M dicen du m , quod contem ptus volun tatis cau-
sat dissen su m in tellectu s, in quo perficitur ratio in fid elitatis.
U n d e causa in fid elita tis est in volu n tate, se d ip sa in fid elitas est
in in tellectu .
A D TERTIUM dicen du m quod ille q u i credit m alum angelum
e sse b on um non d issen tit ab eo quod est fid ei: qu ia „sensus cor­
poris fa llitu r, m en s vero non rem ovetu r a vera rectaque sen -
PL 192/74 te n tia “, ut ibidem d icit G lossa. S e d s i aliq u is S atan ae adh aereret
„cum incip it ad su a d u cere“, id est ad m ala et falsa, tune non
caret peccato, ut ib id em dicitur.
i P : p ro x im o .

194
3. A R T I K E L 10, 3
Ist Unglaube die größte Sünde?
1. Augustinus sagt, und es ist auch im sechsten Teile
[des Decret. Grat.] enthalten: „Ob wir einen Katholiken
von sehr schlechten Sitten einem Häretiker vorziehen dür­
fen, in dessen Leben die Menschen, außer daß er Häre­
tiker ist, nichts zu tadeln finden, darüber wage ich nicht
ohne w eiteres eine Meinung zu äußern.“ Der Häretiker
aber ist ungläubig. Man darf also nicht schlechthin sagen,
Unglaube sei die größte Sünde.
2. Was eine Sünde mindert oder entschuldigt, scheint
nicht die größte Sünde zu sein. Unglaube aber entschuldigt
oder mindert die Sünde; sagt doch der Apostel 1 Tim 1, 13:
„Ehedem war ich ein Lästerer, Verfolger und schmähsüch-
tig; aber ich fand Erbarmen, w eil ich unwissend, im Un­
glauben, gehandelt habe.“ Also ist Unglaube nicht die
größte Sünde.
3. Für die größere Sünde gebührt die größere Strafe,
nach Dt 25, 2: „Entsprechend dem Maß der Sünde soll
auch das Maß der Schläge sein.“ Größere Strafe aber ge­
bührt Gläubigen, wenn sie sündigen, als Ungläubigen,
nach Hebr. 10, 29: „Eine w ieviel schlimmere Strafe ver­
dient wohl der, der Gottes Sohn mit Füßen tritt und dei
QUAESTIO 10, 3

ARTICULUS III
Utrum infidelitas sit m axim um peccatorum
[In fra 20, 3; 34, 2 a d 2; 39, 2; I I I 80, 5; 4 S en t., d is t. 13, q . 2, a . 2;
De m alo , q. 2, a rt. 10; q. 3, a rt. 8 a d 1; 1 T im . c. 5, le c t. 1]
A D TERTIUM sic proceditur. V id etu r quod in fid elitas non
s it m axim u m peccatorum . D icit en im A u gu stin u s [D e Bapt. PL 43/171
contra D onatist. lib 4, cap. 2 0 ], et h ab etu r 6, quaest. 1: „Utrum CSEL
51 253
catholicum p e ssim is m oribus alicui h aeretico in cujus vita, p rae­ Frdb. 1/559
ter id quod h aereticu s est, non in v en iu n t h om in es qu od repre-
hend ant, p ra ep o n ere d eb eam u s, non a u d eo p raecip itare sen ten -
tiam .“ S e d h aereticu s est in fid elis. Ergo non est sim p liciter
dicen du m quod in fid elitas sit m axim um peccatorum .
2. PRAETEREA, illu d quod d im in u it v e l excu sat peccatum
non vid etu r esse m axim um peccatum . S e d in fid elitas excu sat vel
d im inu it peccatu m : d icit enim A postolus 1 ad Tim .: „P riu s fui
blasp h em u s et persecu tor et con tu m eliosu s: se d m isericordiam
consecutus su m , qu ia ign oran s feci in in cred u litate.“ Ergo in ­
fid elitas non est m axim um peccatum .
3. PRAETEREA, m ajori peccato deb etu r m ajor p oen a: secun-
duro illu d D eut. 25: „Pro m ensu ra peccati erit et plagarum
m odu s.“ S e d m ajor poena debetur fid elib u s peccan tib us quam
in fid elib u s: secu n d u m illu d ad H ebr. 10: „Quanto m agis pu tatis
deteriora m ereri su p p licia qui F ilium D ei conculcaverit, et

1-3* 195
10, 3 das Blut des Bundes, in dem er geheiligt worden, für
gemein erachtet?“ Also ist Unglaube nicht die größte
Sünde.
ANDERSEITS sagt Augustinus in Auslegung von Jo
15, 22 ,Wäre ich nicht gekommen und hätte nicht zu ihnen
gesprochen, so hätten sie keine Sünde1: „Eine große Sünde
w ill unter dem allgem einen Ausdruck verstanden werden.
Denn dies ist die Sünde (nämlich des Unglaubens), in der
alle Sünden enthalten sind.“ Also ist Unglaube die größte
aller Sünden.
ANTWORT: A lle Sünde besteht ihrem formgebenden
Grunde nach in der Abwendung von Gott (I—II 71, 6;
73, 3 Zu 2: Bd. 12). Also ist eine Sünde um so schwerer,
je mehr sich der Mensch durch sie von Gott absondert.
Durch den Unglauben aber entfernt sich der Mensch am
meisten von Gottt denn er hat nicht einmal die wahre
Erkenntnis Gottes. Auf Grund einer falschen Erkenntnis
von Ihm kommt er Ihm aber niemals näher, sondern
entfernt sich vielmehr von Ihm. Es ist auch nicht möglich,
daß in etwa Gott erkennt, wer eine falsche Auffassung
von Ihm hat; denn was er meint, ist nicht Gott.1 Demnach
ist offensichtlich, daß die Sünde des Unglaubens größer
ist als alle Sünden, die es sonst bei sittlicher Verkommen­
heit gibt. Anders freilich ist es mit Sünden, die den an­
deren göttlichen Tugenden entgegengesetzt sind, w ie un­
ten (20, 3) dargetan werden wird.
QUAESTIO 10, 3

sa n g u in em testam en ti pollutu m d u xerit, in quo sanctificatus


e st? “ Ergo in fid elitas non est m axim u m peccatum .
PL 35 SED CONTRA est quod A u gu stin u s dicit, e x p o n e n s illu d
1856 Joan. 15: „Si non venis-sem, et locutus eis non fu issem , peccatum
non h a b er e n t“ [Tract. 89 in J o a n .] : „M agnum “, inquit, „quod-
dam peccatum sub g e n e ra li n om in e vu lt in tellig i. Hoc enim est
peccatum (scilicet in fid elitatis) quo ten en tu r cuncta peccata.“
In fid elitas ergo est m axim u m peccatorum .2
RESPONDEO dicen du m quod om ne peccatum form aliter con­
sistit in av ersio n e a D eo, ut su pra dictum est. U n d e tanto a li­
quod peccatum est graviu s quanto p er ipsu m hom o m agis a
D eo sep aratu r. P er in fid elitatem autem m axi m e hom o a D eo
elon gatur: quia nec veram D e i eognition em h ab et; per falsam
autem eognition em ip siu s non app rop inqu at ei, se d m agis ab
eo elon gatur. Nec potest esse quod quantum ad quid D eum
cognoscat qui falsam o p in ion em d e eo h a b e t: q u ia id quod ip se
opinatur n on est D eu s. U n d e m an ifestu m est quod peccatum
in fid elitatis est m aju s om n ib u s peccatis q u ae contingun t in
p erversitate m orum . S ecu s autem est de peccatis qu ae opponun-
tur a liis virtu tib us theologicis, ut infra dicetur.
i V gl. A n m e rk . [14].
- L : o m n iu m p e c c a to ru m .

196
Z u l . Nichts hindert, daß eine Sünde, die ihrer Gattung 10, 3
nach schwerer ist, auf Grund gew isser Umstände weniger
schwer ist. Deshalb w ollte Augustinus sein Urteil über
den schlechten Katholiken und den Häretiker, wenn er
sonst nicht sündigt, nicht überstürzen. Denn die Sünde
des Häretikers kann, auch wenn sie ihrer Gattung nach
schwerer ist, dennoch infolge irgendeines Umstandes leich­
ter werden. Und umgekehrt kann die Sünde eines Katho­
liken infolge irgendeines Umstandes schwerer werden.
Z u 2. Unglaube führt Unwissenheit mit sich und enthält
Auflehnung gegen das, was im Glauben begriffen ist. Von
dieser Seite her hat er die Bewandtnis der schwersten
Sünde. Von der Seite der U nw issenheit her aber hat er
einen Grund zur Entschuldigung, vor allem, wenn einer
nicht aus Bosheit sündigt, w ie es beim Apostel der Fall
war.
Z u 3. Der Ungläubige wird für die Sünde des Un­
glaubens schwerer bestraft als ein anderer Sünder für
jedw ede andere Sünde, sofern man die Gattung der Sünde
in Betracht zieht. Bezüglich einer anderen Sünde aber —
z. B. des Ehebruchs —, die von einem Gläubigen und
einem Ungläubigen begangen wird, sündigt unter sonst
gleichen Umständen der Gläubige schwerer als der Un­
gläubige, einm al w egen seiner Kenntnis der Wahrheit
auf Grund des Glaubens, sodann auch wegen der Sakra­
mente des Glaubens, in die er eingetaucht ist, und denen
er Schmach antut, indem er sündigt.

«UAESTIO 10, 3

A D PRIM UM ergo dicen du m quod n ih il prohibet peccatum


quod est graviu s secu n d u m su um g en u s e sse m inus grave s e ­
cundum aliq u as circum stantias. Et id e o A u gustin us n olu it prae-
cip itare sen ten tiam d e m alo catholico et h aeretico a lia s non
p eccan te: quia peccatum haeretici, etsi sit graviu s e x genere,
potest tarnen e x aliq u a circum stantia a lle v ia r i; et e converso
peccatum catholici e x aliq u a circum stantia aggravari.
A D SEC U N D U M dicendum quod in fid elitas h ab et ignoran-
tiam adjunctam , et h a b et ren isum ad ea qu ae sunt fid ei: et ex
hac parte h a b et ration em peccati gravi&simi. E x parte autem
ign oran tiae h a b et aliq uam ration em excu sation is: et m axim e
quando a liq u is e x m alitia non peceat, sicut fu it in A postolo.
A D TERTIUM dicen du m quod in fid e lis pro peccato in fid eli­
tatis graviu s punitur quam aliu s peccator pro quocu m qu e alio
peccato, considerato peccati g en ere. S e d pro alio peccato, puta
pro adu lterio, si com m ittatur a fid eli et ab in fid eli, ceteris pari-
bus, graviu s peccat fid elis quam in fid elis: tum propter notitiam
veritatis e x fid e; tum etiam propter sacram enta fidei qu ibus est
im butus, qu ibus peccando contum eliam facit.

197
4. A R T I K E L
Ist jegliches Tun des Ungläubigen Sünde?
1. Über die Stelle Röm 14, 23 ,A lles, was nicht aus dem
Glauben kommt, ist Sünde*, sagt die Glosse: „Das ganze
Leben der Ungläubigen ist Sünde.“ Zum Leben der Un­
gläubigen aber gehört alles, was sie tun. Also ist alles
Tun des Ungläubigen Sünde.
2. Der Glaube bestimmt die Absicht. Es kann aber nichts
Gutes geben, das nicht aus rechter Absicht geschieht. Also
kann es in Ungläubigen kein gutes Tun geben.
3. Wenn das Vorausgehende verderbt ist, wird auch das
Nachfolgende verderbt. Den Akten aller Tugenden geht
aber der Glaubensakt voraus. Da es nun in Ungläubigen
keinen Glaubensakt gibt, können sie kein gutes Werk zu­
stande bringen, sondern sündigen in allem ihrem Tun.
ANDERSEITS ist von Cornelius, als er noch nicht gläu­
big war, berichtet, daß seine Alm osen Gott wohlgefällig
waren. Also ist nicht alles Tun eines Ungläubigen Sünde,
sondern manches Handeln von ihm ist gut.
ANTWORT: Die Todsünde hebt die heiligmachende
Gnade auf, aber sie verdirbt nicht gänzlich das Gute der
Natur (I—II 85, 2. 4: Bd. 12). Da nun der Unglaube eine

QUAESTIO 10, 4

ARTICULUS IV
Utrum omnis actio in fid elissit peccatum
[In fra 23, 7 a d 1; 2 S e n t., d is t. 41, q. 1, a rt, 2; 4, d is t. 39, a r t. 2 a d 5;
n e m alo , q. 2, a r t. 5 a d 7; R o m . 14, le c t. 3; T it. 1, le c t. 4]
AD Q UARTUM sic proceditur. V idetur quod q u aelib et actio
in fid elis sit peccatum . Q uia su p er illu d Rom. 14: „Om ne quod
PL 51 non est e x fide peccatum e st“, dicit Glossa [ord. et P r o s p .] :
441 c „Öinnis in fid eliu m vita est peccatu m .“ S e d ad vitam infidelium
p ertin et om ne quod agunt. Ergo om nis actio in fid e lis est pec-
eatum.
2. PRAETEREA, fides in ten tion em dirigit. S e d n u llu m bonum
potest esse quod non est e x in ten tio n e recta. Ergo in infid elib u s
nu lla actio potest esse bona.
3. PRAETEREA, corrupto priori, corrum pitur et posterius.
S ed actus fidei p raecedit actus om nium virtutum . Ergo, cum in
in fid elib u s non sit actus fidei, n u llu m bonum opu s facere pos­
sunt, se d in om ni actu su o peccant.
SED CONTRA est quod de C ornelio adhuc in fid eli ex isten te
dictum est quod accep tae erant e le em o sy n a e e ju s D eo. Ergo
non om nis actio in fid elis est peccatum , se d aliq u a e ju s actio
est bona.
RESPONDEO dicen du m quod, sicu t su p ra dictum est, peccatum
m ortale tollit gratiam gratum facien tem , non autem totaliter
corrum pit bonum natu rae. U n de cum in fid elitas sit quoddam

198
Todsünde ist, entbehren zwar die Ungläubigen der Gnade, 10, 4
es bleibt aber in ihnen irgendwie das Gute der Natur. Es
ist also offensichtlich, daß zwar die Ungläubigen gute
Werke, die aus der Gnade kommen, d. h. verdienstliche
Werke, nicht zu wirken vermögen; jedoch sind sie irgend­
wie zu solchen guten W erken fähig, zu denen das Gute der
Natur ausreicht. Sie sündigen also nicht notwendig in
allem ihrem Tun; sooft sie aber irgendein Tun aus dem
Unglauben wirken, sündigen sie. W ie nämlich der, welcher
den Glauben hat, eine Sünde, eine läßliche oder auch eine
Todsünde, begehen kann in einem Handeln, das er nicht
auf das Ziel des Glaubens ausrichtet, so kann auch der
Ungläubige irgendwelches gutes Tun zustande bringen in
solchem, was er nicht auf das Ziel des Unglaubens aus­
richtet.
Z u l . D ieses Wort ist entweder so zu verstehen, daß
das Leben der Ungläubigen nicht ohne Sünde sein kann,
da Sünden nicht ohne den Glauben weggenommen werden
können. Oder so, daß alles, was sie aus dem Unglauben
heraus tun, Sünde ist. Daher wird ebenda hinzugefügt:
„Denn jeder, der im Unglauben lebt oder handelt, sün­
digt gar sehr.“
Z u 2. Der G laube1 bestimmt die W illensrichtung in
Hinsicht auf das letzte übernatürliche Ziel. Aber auch das
Licht der natürlichen Vernunft kann die Willensrichtung
im Hinblick auf ein naturgemäßes Gut bestimmen.
QU a e s t 1o 10,4

peccatum m ortale, in fid eles qu idem gratia carent, rem an et tarnen


in e is aliq uod bon um natu rae. U n d e m anifestum est quod in fi­
d e le s non possunt operari bona op era q u ae su n t e x gratia,
scilicet op era m eritoria: tarnen bona opera ad qu ae su fficit bo­
num natu rae aliq u aliter operari possunt. U n d e non oportet quod
in om ni su o op ere peccen t: se d qu andocum que aliq uod opus
operantur e x in fid elitate, tune peccant. Sicut enim h a b en s fidem
p otest aliq u od peccatum com nüttere in actu qu em ■non refert
ad fidei finem , v e l v e n ia lite r v e l etiam m ortaliter peccando;
ita etiam in fid elis potest aliq u em actum bonum facere in eo
quod non refert ad finem infidelitatis.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod verb um illu d est in telli-
g en d u m v e l qu ia vita in fid eliu m n on potest e sse s in e peccato:
cum peccata s in e fide non tollantur. V e l qu ia qu idqu id agunt
e x in fid elitate peccatum est. U n d e ib i su bd itu r [e x L o m b a r d o ]: PL191
„Q uia om n is in fid eliter v iv e n s v e l ag en s v e h e m en te r p eccat.“ 1520 A
A D SEC U N D U M dicendum quod fides dirigit intentionem
respectu finis Ultimi supernaturalis. Sed lumen etiam naturalis
rationis potest dirigere intentionem respectu alicujus boni con-
naturalis.
1 D. h . d e r v o n d e r H e b e b e to rm te G laube.

199
10. 5 Z u 3. Durch den Unglauben wird in den Ungläubigen
nicht gänzlich die natürliche Vernunft verderbt, so daß in
ihnen nicht irgendwelche Erkenntnis des Wahren zurück­
bliebe, vermöge deren sie ein Werk aus dem Bereich des
Guten wirken können.
Was aber den Cornelius angeht, so muß man bedenken,
daß er nicht ungläubig war; sonst wäre sein Tun Gott
nicht genehm gew esen, denn ohne Glauben kann niemand
Gott gefallen. Er besaß allerdings [nur] einen einschluß­
w eisen Glauben, da ihm die Wahrheit des Evangeliums
noch nicht kund geworden war. Daher wird Petrus zu
ihm geschickt, um ihn im Glauben vollständig zu unter­
richten.
5. ARTIKEL
Gibt es mehrere Arten des Unglaubens?
1. Da Glaube und Unglaube Gegensätze sind, so müs­
sen sie das nämliche betreffen. Formgebender Gegenstand
des Glaubens aber ist die Erstwahrheit, von der er seine
Einheit hat, obwohl er inhaltlich vieles für wahr hält. Also
ist auch Gegenstand des Unglaubens die Erstwahrheit.
Dasjenige aber, wras der Ungläubige leugnet, erstreckt sich
im Unglauben auf den Inhalt. Die Artunterscheidung
richtet sich jedoch nicht nach inhaltlichen, sondern nach
den formgebenden Gesichtspunkten. Also gibt es unter
QUAESTI O 10, 5
AD TERTIUM dicen du m quod p er in fid elitatem non corrum -
pitur totaliter in in fid elib u s ratio natu ralis, qu in rem an eat in
e is aliq u a v e ri cognitio, p er quam fa cere possunt aliq uod opus
de g e n e r e bonorum .
D e C ornelio tarnen scien d u m est quod in fid elis non erat: alio-
qu in e ju s operatio accepta non fu isset D eo, cui sin e fid e nu llu s
potest placere. H abebat autem fidem im plicitam , nondum m ani-
festata E va n g elii veritate. U n d e ut eum in fide p len iu s instru-
eret, m ittitur ad eum P etrus.

ARTICULUS V
Utrum sint plures infidelitatis species
[In lr. 11. 1]
AD QUINTUM sic proceditur. V id etu r quod non sin t plu res
infidelitatis sp ec ies. Cum enim fides et in fid elitas sin t contraria,
oportet quod sin t circa idem . S ed form ale objectum fidei est
veritas prim a, a qua hab et un itatem , licet m ulta m aterialiter
credat, Ergo etiam objectum in fid elitatis est veritas prim a: ea
vero q u ae discredit in fid elis m aterialiter se h ab en t in infideli-
tate. S ed differen tia secund um sp eciem non atten ditur secund um
prin cip ia m aterialia, se d secu n d u m p rin cip ia forin alia. Ergo in-

200
dem Gesichtspunkt der Verschiedenheit dessen, worin die 10, 5
Ungläubigen irren, nicht verschiedene Arten des Un­
glaubens.
2. Auf unbestimmt viele W eisen kann jemand von der
Wahrheit des Glaubens abweichen. Wenn man nun nach
den Verschiedenheiten der Irrtümer verschiedene Arten
des Unglaubens bezeichnen wollte, so scheint zu folgen,
daß es unbestimmt viele Arten des Unglaubens gibt. Also
sind derartige Spielarten gar nicht ins Auge zu fassen.
3. Das nämliche findet sich nicht in verschiedenen
Arten. Es kommt aber vor, daß jemand ungläubig ist, w eil
er in verschiedenem irrt. Also bedeutet Verschiedenheit
der Irrtümer nicht auch verschiedene Arten des Unglau­
bens. Demnach gibt es keine Mehrzahl von Arten des Un­
glaubens.
ANDERSEITS werden einer jeden Tugend mehrere
Arten von Lastern gegenübergestellt. Denn „das Gute
kommt nur in einer einzigen W eise vor, das Böse aber
vielfältig“ (Dionysius, Aristoteles). Der Glaube aber ist eine
einzige Tugend. Also werden ihm m ehrere Arten von Un­
glauben gegenübergestellt.
ANTWORT: Jegliche Tugend besteht darin, daß sie
irgendeine Richtschnur menschlichen Erkennens oder Han­
delns einhält (I—II 64, 4: Bd. 11). Eine Richtschnur ein-
halten nun geschieht hinsichtlich eines einzigen Inhaltes
auf eine einzige W eise. Von einer Richtschnur aber ab­
w eichen ist auf vielfache W eise möglich. Und so werden

q u a e s t i o 10,5

fid elitatis n on su n t d iversae sp ec ies secund um diversitatem


eorum in qu ib u s in fld e le s errant.
2. PRAETEREA, in fin itis inod is potest a liq u is a v eritate fidei
d eviare. S i igitu r secund um d iv e rsita te s errorum d iversae sp e ­
cies in fid elitatis assign en tur, v id etu r se q u i quod sin t infinitae
in fid elitatis sp ec ies. Et ita hu jusm odi sp e c ie s non su n t consi-
derandae.
3. PRAETEREA, id em non in ven itu r in d iversis sp ecieb u s.
S ed contingit aliq u em e sse in fid elem e x eo quod errat circa
diversa. Ergo d iversitas errorum non facit d iversas sp ec ies in ­
fidelitatis. S ic ergo in fid elitatis non su nt p lu res sp ecies.
SED CONTRA est quod u n icu iq u e virtuti opponuntur plu res
sp ec ies vitiorum : „bonum “ enim „contingit uno m odo, m alum
vero m u ltip liciter“, ut patet p er D ionysiu m 4 cap. de D iv. Nom., p g 3/731,
et p er P hilosoph um in 2 Ethic. [cap. 5 ], S ed fides est una virtus. ®°^.Ib302f
Ergo e i opponuntur plu res in fid elitatis sp ecies. 28 sqq.
RESPONDEO dicendum quod q u aelib et virtu s consistit in hoc
quod attingat regu lam aliq u am cogn ition is v e l op eration is hu-
m anae, ut su pra dictum est. A ttin gere au tem regulam est uno
m odo circa un am m a ter ia m : se d a regu la d eviare contingit niulti-

14 13 201
10, 5 einer Tugend viele Laster gegenübergestellt. Die Verschie­
denheit der Laster aber, die einer jeden Tugend gegen­
übergestellt werden, kann auf zweifache W eise ins Auge
gefaßt werden. Einmal gemäß ihres verschiedenen Ver­
hältnisses zur Tugend. Und unter diesem Gesichtspunkt
sind bestimmte Arten von Lastern, die der Tugend ent­
gegengesetzt sind, festgelegt worden; w ie z. B. einer sitt­
lichen Tugend ein einziges Laster gegenübergestellt wird
unter dem Gesichtspunkt der Überschreitung der Tugend,
und ein anderes unter dem Gesichtspunkt der Unterschrei-
tung der Tugend. — Sodann kann die Verschiedenheit der
Laster, die einer einzelnen Tugend entgegengesetzt sind,
entsprechend der Aufhebung der verschiedenen Bedingun­
gen ins Auge gefaßt werden, die zu der Tugend erfordert
sind. Und danach werden einer Tugend, z. B. der Mäßig­
keit oder der Tapferkeit, imbestimmt viele Laster gegen­
übergestellt, sofern auf unbestimmt viele W eisen die ver­
schiedenen Umstände der Tugend beeinträchtigt sein kön­
nen, mit der Folge, daß von der Rechtheit der Tugend
abgewichen wird. Daher behaupteten auch die Pythagoräer,
das Böse sei unbegrenzt.
So muß man also feststellen, daß, wenn der Unglaube
in seinem Verhältnis zum Glauben in Betracht gezogen
wird, es verschiedene, der Zahl nach bestimmte Arten
des Unglaubens gibt. Da nämlich die Sünde des Unglau­
bens im Widerstand gegen den Glauben 1 besteht, so Kann
dies auf zweifache W eise der Fall sein. Denn entweder
widerstrebt man dem Glauben, den man noch nicht an-

QUAESTIO 10, 5

pliciter. Et id eo uni virtuti m ulta v itia opponuntur. D iversitas


autem vitiorum qu ae un icu iq u e virtuti opponuntur potest consi-
derari du p liciter. U no m odo secu n d u m diversam hab itu dinem
ad virtu tem . Et secund um hoc determ in atae su n t qu aed am sp e ­
cies vitioru m q u ae opponuntur virtu ti: sicut virtu ti m orali oppo-
nitur unum vitiu m secu n d u m excessu m ad virtu tem , et aliud
vitiu m secund um d efectum a virtu te. — A lio m odo potest consi-
derari d iversitas vitiorum oppasitorum u n i virtu ti secund um cor-
r u p tio n e m , diversorum q u ae ad virtu tem requiruntur. Et se c u n ­
dum hoc u n i virtu ti, puta tem p eran tiae v e l fortitu dini, opp onu n­
tur infinita v itia, secund um quod in fin itis m od is contingit diversas
circum stantias virtu tis corrum pi, ut a rectitu d in e virtu tis rece-
cf.Aristot. datur. U n d e et P ythagorici m alum posueru nt infinitum .
2 9 ifqb S ic ergo dicen du m quod, si in fid elitas attendatur secundum
com parationem ad fidem , d iversae su nt in fid elitatis sp ec ies et
num ero d eterm in atae. Cum enim peccatum in fid elitatis consistat
in ren iten d o fidei, hoc potest con tin gere dupliciter. Q uia aut
i D. h . d ie G la u b en sg n a d e.

202
genommen hat, und derart ist der Unglaube der Heiden. 10, 5
Oder man widerstrebt dem bereits angenommenen christ­
lichen Glauben; und zwar entweder in seinem Vorbild,
und derart ist der Unglaube der Juden; oder in der offe­
nen Darlegung der Wahrheit, und derart ist der Unglaube
der Häretiker. Also kann man allgemein die drei eben
genannten Arten des Unglaubens aufzeigen. — Unter­
scheidet man aber die Arten des Unglaubens, je nachdem
jemand irrt hinsichtlich des Mannigfaltigen, was zum Glau­
ben gehört, dann gibt es unbestimmt viele Arten des Un­
glaubens; denn Irrtümer kann es unbestimmt viele geben
(Augustinus) [47].
Zu 1. Der formgebende Grund irgendeiner Sünde kann
auf zweifache W eise gefaßt werden. Einmal nach der Ab­
sicht des Sündigenden; und insofern ist dasjenige, zu dem
der Sündigende sich hinwendet, der formgebende Gegen­
stand der Sünde; und entsprechend vermaunigfachen sich
ihre Spielarten. Sodann nach der W esensbestim m theit des
Bösen; und insofern ist das Gute, von dem man sich ab­
kehrt, der formgebende Gegenstand der Sünde; unter die­
sem Gesichtspunkte aber hat die Sünde überhaupt keine
Artbestimmtheit, vielmehr ist sie ein Artausfall. Dem­
nach muß man also sagen, daß Gegenstand des Unglaubens
die Erstwahrheit ist als das, von dem er sich abkehrt.
Sein formgebender Gegenstand aber als das, zu welchem
man sich hinwendet, ist die falsche Behauptung, der man
folgt. Und unter diesem Gesichtspunkt vermannigfachen

QüAESTIO 10, 5

ren ititur fid ei nondum su scep tae: et talis in fid elitas est paga-
norum siv e gen tiliu m . A u t ren ititu r fid ei C hristianae su scep tae:
v e l in figura, et sic est in fid elitas Ju d aeoru m ; v e l in ip sa m ani-
fastatione veritatis, et sic est in fid elitas haereticorum . U n d e in
g e n e ra li possunt a ssign ari tres praedictae sp ec ies infidelitatis.
— S i vero distin guantu r in fid elitatis sp e c ie s secu n d u m errorem
in d iv e r sis q u ae ad fidem p ertin en t, tune n on su n t determ inatae
in fid elitatis sp e c ie s: possunt enim errores in infinitum m ulti-
plicari, ut p atet p er A u gu stin u m in lib ro de H aeresib u s [vers. PL 42/49
f in .].
A D PRIM UM ergo dicen du m quod form alis ratio alicujus
peccati potest accipi dupliciter. U no m odo secund um in ten tion em
p eccan tis: et secu n d u m hoc id ad quod convertitur peccan s est
form ale objectu m peccati; et e x hoc diversificantur e ju s sp ecies.
A lio m odo secu n d u m ration em m ali: et sic illu d bonum a quo
reced itu r est form ale objectum peccati; se d e x hac parte pecca­
tum non h ab et sp eciem , im m o est privatio sp ec iei. S ic igitur
dicen du m est quod in fid elitatis objectum est veritas prim a sicut
a qua reced it: se d form ale e ju s objectum sicut ad quod conver­
titur est se n te n tia falsa quam seq u itu r; et e x hac parte e ju s

14* 203
10, 5 sich seine Arten. Wie daher die Liebe nur eine ist, die dem
höchsten Gute anhängt, mannigfach aber die der Liebe ent­
gegengesetzten Laster, die in Hinwendung zu mannigfachen
vergänglichen Gütern von dem einen höchsten Gut sich
abkehren, und dies wiederum nach verschiedenen ungeord­
neten Verhaltungsweisen gegenüber Gott, so ist auch der
Glaube eine Tugend, w eil er der einen Erstwahrheit an­
hängt, aber der Arten des Unglaubens gibt es viele, w eil
die Ungläubigen mannigfachen falschen Behauptungen
folgen.1
Z u 2. Dieser Einwand geht aus von der Unterscheidung
der Arten des Unglaubens gemäß den mannigfachen In­
halten, in denen man irrt.
Z u 3. Wie der Glaube einer ist, w eil er zwar vieles
für wahr hält, aber in Hinordnung auf eines, so kann der
Unglaube, auch w enn er in vielen Dingen irrt, einer sein,
insofern alle eine Hinordnung auf eines haben. — Nichts
jedoch steht im W ege, daß der Mensch in verschiedenen
Spielarten des Unglaubens irrt, w ie ja auch ein einzelner
Mensch verschiedenen Lastern unterliegen kann und ver­
schiedenen körperlichen Krankheiten.

QUAESTI O 10, 5
sp e c ie s diversificantur. U n d e sicut caritas est una, qu ae in h aeret
sum m o bono, su nt au tem d iversa v itia caritati opposita, quae
p er conversion em ad d iversa bona tem p oralia reced un t ab uno
sum m o bono, et iteru m secu n d u m d iversas h ab itu d in es inordi-
natas ad D eu m ; sic etiam fides est u n a virtus, e x hoc quod ad-
h aeret u n i p rim ae v erita ti; se d in fid elita tis sp e c ie s su n t m ultae,
ex hoc quod in fid eles diversas fa lsa s se n te n tia s sequuntur.
A D SEC UND UM dicen du m quod objectio illa procedit d e
d istin ction e sp ecieru m in fid elitatis secu n d u m d iversa in quibus
erratur. , ; -! |;|: |* |
A D TERTIUM dicen du m qu od sicut fides est u n a quia m ulta
cred it in o rd in e ad unum , ita in fid elitas potest e sse una, etiam si
in m ultis erret, inquantum om nia h ab en t ordinem ad un um . —
N ihil tarnen prohib et h om inem in d iv ersis in fid elitatis sp ecieb u s
errare: sicut etiam potest un us hom o d iversis v itiis su b jacere
et d iversis corp oralibus m orbis.
l Vgl. A nm erk, f-171-

204
6. A R T I K E L 10 , 6
Ist der Unglaube der Heiden schwerer als der der ändern?
1. W ie eine körperliche Krankheit schwerer ist, je mehr
sie der Gesundheit eines Hauptgliedes zuwider ist, so
scheint eine Sünde desto schwerer, je mehr sie dem ent­
gegen ist, w as in der Tugend das W ichtigere ist. Das
Wichtigere aber im Glauben ist der Glaube an die gött­
liche Einzigkeit, hinsichtlich derer die Heiden versagen,
indem sie eine Vielheit von Göttern glauben. Also ist ihr
Unglaube der schwerste.
2. Unter den Häretikern ist die H äresie einiger desto
verwerflicher, in je mehr und wichtigeren Punkten sie
der Wahrheit des Glaubens widersprechen; w ie z. B. die
Häresie des Arius, der die Gottheit trennte, verwerflicher
war als die Häresie des Nestorius, der die Menschheit
Christi trennte von der Person des Sohnes Gottes. Die
Heiden aber weichen in mehr und wichtigeren Punkten
vom Glauben ab als die Juden und die Häretiker; denn sie
nehmen überhaupt nichts vom Glauben an. Also ist ihr
Unglaube der schwerwiegendste.
3. Jegliches Gute ist eine Verminderung des Bösen. Aber
irgend etwas Gutes ist in den Juden; denn sie bekennen,
daß das Alte Testament von Gott herrührt. Gutes ist auch
in den Häretikern; denn sie halten das Neue Testament
QUAESTIO 10, 6
A R T I C U L U S VI
Utrum in fid e lita s gen tiliu m seu paganorum
sit ceteris gravior
[In fra 94, 8]
A D SEX TU M sic proceditur. V id etu r quod in fid elitas g e n ti­
lium siv e paganorum sit gravior ceteris. Sicut en im corporalis
m orbus tanto est gravior quanto sa lu ti p rin cip alioris m em bri
m agis contrariatur, ita peccatum tanto v id etu r e sse gravius
quanto contrariatur e i quod est p rin cip a liu s in virtu te. S ed
p rin cip a liu s in fide est fid e s un itatis d iv in a e , a qua deficiunt
gen tiles, m ultitudin em deorum cred en tes. Ergo in fid elita s eorum
est gravissim a.
2. PRAETEREA, inter h aereticos tanto h a eresis aliquorum
d etestab ilior est quanto in plu ribu s et prin cip aliorib u s veritati
fidei contradicunt: sicut h a e r esis A rii, qui sep aravit divinitatem ,
detestab ilior fu it quam h a e r esis N estorii, qui sep a ra v it hum ani-
tatem Christi a persona F ilii D ei. S ed g e n tile s in plu ribu s et
prin cip aliorib u s reced un t a fide quam Ju d a ei et h a eretici: quia
om nino n ih il de fide recip iunt. Ergo eorum in fid elitas est gra­
vissim a.
3. PRAETEREA, om ne bonum est d im inu tivu m m ali. Sed
aliquod bonum est in J u d a eis: quia confitentur vetu s T estam en-
tum esse a D eo, Bonum etiam est in haeretici«: quia venerantur

205
10, 6 in Ehren. Also sündigen sie weniger als die Heiden, die
beide Testamente verwerfen.
ANDERSEITS heißt es 2 Petr 2, 21: „Besser wäre es
für sie, sie hätten nie den Weg der Gerechtigkeit gewußt,
als daß sie ihn erkannten und dann wiederum sich ab­
wandten.“ Die Heiden aber haben den W eg der Gerech­
tigkeit nicht erkannt. Die Häretiker und die Juden aber,
die ihn in etwa erkannten, haben ihn verlassen. A lso ist
ihre Sünde die schwerere.
ANTWORT: Beim Unglauben können zwei Dinge ins
Auge gefaßt werden (Art. 5). Das eine davon ist sein
Verhältnis zum Glauben. Und aus diesem Gesichts­
punkt sündigt einer schwerer gegen den Glauben, der sich
gegen den bereits angenommenen Glauben auflehnt, als
der dem Glauben widerstrebt, den er noch gar nicht an­
genommen hat, w ie der schwerer sündigt, der nicht er­
füllt, w as er versprochen hat, als wenn er nicht erfüllt,
was er nie versprochen hat. Und insofern ist der Unglaube
der Häretiker, die den Glauben des Evangeliums bekennen
und ihm widersprechen, indem sie ihn entstellen, eine
schwerere Sünde als diejenige der Juden, die den Glauben
des Evangeliums niemals angenommen haben. W eil sie
aber sein Vorbild im Alten Gesetz angenommen haben,
das sie falsch deuten und entstellen, so ist auch ihr Un­
glaube eine schwerere Sünde als der Unglaube der Heiden,
die in keiner W eise den Glauben des Evangeliums an­
genommen haben. — Das andere, was beim Unglauben

QUAESTI O 10, 6
novum T estam en tum . E rgo m in u s peccant quam g en tiles, qui
utrum q ue T estam en tum detestantur.
SED CONTRA est quod dicitur 2 P etr.: „M elius erat illis non
cognoscere viam ju stitia e quam post eogn ition em retrorsum
con verti.“ S e d g e n tile s n on cognoveru nt viam ju stitia e: h aere-
tici autem et Ju d a ei a liq u a liter cognoscentes d eserueru nt. Ergo
eorum peccatum est gravius.
RESPONDEO dicen du m quod in in fid elitate, sicu t dictum est,
duo possunt considerari. Q uorum unum est com paratio e ju s ad
fidem . Et e x hac parte a liq u is graviu s contra fidem peccat qui
fid ei ren ititu r su scep tae quam qui ren ititu r fid ei nondum sus-
cep tae: sicu t graviu s peccat qui non im p let quod p rom isit quam
si non dm pleat quod nunquam prom isit. Et secu n d u m hoc in ­
fid elita s h aereticorum , qui profitentur fidem E v a n g e lii et ei
ren itu ntur eam corrum p en tes, graviu s est peccatum quam Ju -
d aeorum , qui fidem E va n g elii nunq uam su scep eru n t. S ed quia
su scep eru n t eju s figuram in v e ter i leg e , quam m ale interp retan-
te s corrum punt, id e o etiam eorum in fid elita s est graviu s pecca­
tum quam in fid elitas g en tiliu m , qui n u llo m odo fidem E vangelii
su scep eru n t. — A liud quod in in fid elitate eonsideratur est cor-

206
ins Auge gefaßt wird, ist die Verderbnis dessen, was zum 10, 7
Glauben gehört. Und in diesem Betracht ist, da die Hei­
den in mehr Dingen irren als die Juden, und die Juden
in mehr als die Häretiker, der Unglaube der Heiden
schwerwiegender als der der Juden, und derjenige der
Juden schwerwiegender als der der Häretiker, außer etwa
bei einigen, z. B. den Manichäern, die auch hinsichtlich
der Glaubensdinge mehr irren als die Heiden. — Von die­
sen beiden Gewichtigkeiten übertrifft jedoch die erste die
zweite hinsichtlich der Bewandtnis der Schuld. Denn der
Unglaube hat die Bewandtnis der Schuld mehr deshalb,
w7eil er dem Glauben widerstrebt, als deshalb, w eil er das
nicht enthält, was zum Glauben gehört; denn dies scheint
mehr zur Bewandtnis der Strafe zu gehören (Art. 1).
Schlechthin gesprochen also ist der Unglaube der Häretiker
der schlimmste.
Hieraus ergibt sich die Antwort auf die Einwände.

7. A R T I K E L
Soll man sich mit Ungläubigen öffentlich auseinander­
setzen ?
1. Der Apostel sagt 2 Tim 2, 14: „Streite nicht mit Wor­
ten; es nützt ja nichts und führt nur zum Verderben der
Zuhörer.“ öffentliche Auseinandersetzung aber mit Un-

QU A E S T I O 10, 7

ruptio eoru m q u a e ad fidem p ertin en t. Et secund um hoc, cum


in plu rib u s erren t g e n tile s quam Ju d aei, et J u d a ei quam h a e r e ­
tici, gravior est in fid elitas g e n tiliu m quam Jud aeorum , et Ju-
daeorum quam h aereticoru m : n isi forte quorum dam , puta Ma-
nichaeoru m , qui etiam circa cred ib ilia p lu s errant quam g e n ­
tiles. — H arum tarnen duarum gravitatum prim a praepond erat
secu n d ae quantum ad ration em cu lp ae. Q uia in fid elitas habet
rationem culpae, u t su pra dictum est, m agis e x hoc quod ren i­
titur fid ei quam e x hoc quod non hab et ea qu ae sunt fidei:
hoc enim vid etu r, ut dictum est, m agis ad rationem p o en a e per-
tinere. U n d e sim p liciter loqu en do, in fid elitas haereticorum est
pessim a.
Et p er hoc patet responsio ad objecta.

ARTICULUS VI I
Utrum sit cum i n f i d e li b u s publice .
disputandum
12 T im . 2, le c t. 2]
A D SEPTIM U M sic proceditur. V id etu r quod non sit cum
in fid elib u s p u b lice disputandum . D icit en im A postolus, 2 ad
Tim . 2: „N oli verb is co n ten d ere: ad n ih il en im u tile est nisi
ad Subversionen! au d ien tiu m .“ Sed disputatio publica cum in-

207
10, 7 gläubigen ist ohne Wortstreit nicht möglich. Also soll mau
sich mit Ungläubigen nicht öffentlich auseinandersetzen.
2. Ein durch das Kirchenrecht bestätigtes Gesetz des
Kaisers Marcianus besagt: „Es tut der Entscheidung der
hl. Synode Eintrag, wenn einer es darauf anlegt, etwas ein
für allem al Entschiedenes oder rechtmäßig Angeordnetes
noch einmal vorzunehmen und sich darüber in öffentliche
Auseinandersetzungen einzulassen.“ A lles aber, was zum
Glauben gehört, ist durch die heiligen K onzilien entschie­
den. Also sündigt jemand schwer und vergeht sich gegen
das Konzil, wenn er sich anmaßt, über solches, w'as zum
Glauben gehört, öffentliche Auseinandersetzungen zu ver­
anlassen.
3. Eine Auseinandersetzung wird mit irgendwelchen
Beweisstücken geführt. Ein B ew eis aber ist „vernünftiges
Nachdenken über eine zw eifelhafte Sache, um Glauben zu
wecken“ (Cicero). Was aber zum Glauben gehört, darf
nicht in Zweifel gezogen werden, da es vollkommen sicher
ist. Also sind über solches, was zum Glauben gehört, keine
öffentlichen Auseinandersetzungen abzuhalten.
ANDERSEITS heißt es Apg 9, 22. 29: „Saulus trat
immer wirksamer auf und brachte die Juden in Ver­
wirrung“, und: „er redete mit den Heiden und setzte sich
mit den Griechen auseinander“.
ANTWORT: Bei einer Auseinandersetzung über den
Glauben sind zwei Dinge ins Auge zu fassen: eines im
Hinblick auf den Wortführenden, das andere im Hinblick
auf die Hörenden. Hinsichtlich des Wortführenden ist die
QUAESTIO 10, 7

fid elib u s fieri non potest sin e con ten tion e verborum . Ergo non
est p u b lice disputandum cum infidelibu s.
ACOe ii 2. PRAETEREA, l e x M arciani A u gusti p e r C anones eonfir-
v o i.2,2/22 mata sic dicit: „In juriam facit jud icio relig io sissim a e Synodi,
si q u is s e m e l judicata aut recte d isp osita rev o lv ere et p u b lice
disp utare contendit.“ S e d om nia qu ae ad fidem pertin en t sunt
p er sacra concilia determ in ata. Ergo graviter peccat, injuriam
syn od o facien s, si q u is de h is q u ae su n t fidei p u b lice disp utare
praesum at.
3. PRAETEREA, disp utatio argu m en tis aliq u ib u s agitur. Sed
argum entum est „ratio rei d u biae facien s fid em “ [T u llii Topic.
cap. 2 ] . Ea autem qu ae sunt fid ei, cum sin t certissim a, non
su nt in du bitationem adducenda. Ergo de h is q u ae sunt fidei
n on est p u b lice disputandum .
SED CONTRA est quod Act. 9 dicitur quod „Saulus invales-
cebat et confun debat J u d a eo s“ ; et quod „loquebatur gentibus
et disputabat cum G raecis“.
RESPONDEO dicendum quod in disp u tation e fidei duo sunt
consideranda: unum qu idem e x parte disp utan tis; aliu d autem
e x parte au d ien tiu m . Ex parte qu id em d isp utan tis est consi-

208
Absicht zu erwägen. Wenn er nämlich den Wortstreit führt 10, 7
wie einer, der am Glauben zw eifelt und die Wahrheit
des Glaubens nicht voraussetzt, sondern beabsichtigt, ihn
erst noch durch B ew eise zu prüfen, so sündigt er ohne
Zweifel als einer, der im Glauben schwankt, und als Un­
gläubiger. Wenn aber jemand einen Wortstreit über den
Glauben führt, um Irrtümer zurückzuweisen oder auch
zur Schulung, so ist es lobenswert.
Hinsichtlich der Hörenden aber ist zu erwägen, ob die­
jenigen, welche eine Auseinandersetzung anhören, im
Glauben unterrichtet und fest sind, oder ob es einfache
und im Glauben hilflose Leute sind. Vor W issenden, die
im Glauben fest sind, ist es ungefährlich, über den Glau­
ben zu verhandeln. — Bei einfachen Leuten aber muß man
unterscheiden. Denn entweder sind sie beunruhigt oder be­
arbeitet durch Ungläubige, z. B. Juden oder Häretiker oder
auch Heiden, die den Glauben in ihnen zu brechen suchen;
oder sie sind darin gänzlich unbehelligt, w ie in Ländern,
in denen es keine Ungläubigen gibt. Im ersten Fall ist es
notwendig, öffentlich sich über den Glauben auseinander­
zusetzen, sofern sich etwelche finden, die dazu befähigt
und geeignet sind, Irrtümer zu widerlegen. Denn dadurch
werden die einfachen Menschen im Glauben gefestigt wer­
den, und den Ungläubigen wird die Möglichkeit genom­
men, sie irrezuführen. Ja, das Schweigen solcher, die den
die Wahrheit des Glaubens Bedrohenden widerstehen
müßten, wäre Bestärkung im Irrtum. Daher sagt Grego­
rius: „Wie unvorsichtiges Reden in Irrtum führt, so läßt
QÜAESTIO 10, 7

deranda in ten tio. S i enim d isp u tet tanquam d e fide dubitans,


et v eritatem fid ei pro certo n on su p p on en s, se d argu m en tis ex-
periri in ten d en s, procul dubio peccat, tanquam d u b iu s in fide
et in fid elis. S i autem disp u tet a liq u is de fide ad confutandum
errores, v e l etiam ad exercitiu m , la u d a b ile est.
Ex parte vero au d ien tiu m considerandu m est utrum illi qui
disp utationem au d iu n t sin t instructi et firm i in fide, aut sim -
plices et in fide titubantes. Et qu id em coram sap ien tib u s in fide
firm is n u llu m pericu lu m est d isp u tare d e fide. — S e d circa sim -
plices est distin guendu m . Q uia aut su n t sollicitati siv e pulsati
ab infidelibu s, puta Ju d a eis v e l h aereticis siv e pagan is, nitenti-
bus corrum pere in e is fidem : aut om nino non su n t sollicitati
su p e r hoc, sicu t in terris in qu ibus non su n t in fid eles. In prim o
casu necessariu m est p u b lice d isp u tare de fide: duinm odo in-
v en ian tu r a liq u i ad hoc su fficien tes et id on ei, qui errores con-
fu tare possint. P er hoc enim sim p lice s in fide firm abuntur; et
tolletu r in fid elib u s d e c ip ie n d i facu ltas; et ip sa tacitu rn itas eorum
qui resistere d eb eren t p erverten tib u s fid ei veritatem esset er-
roris confirm atio. U n d e G regorius, in 2 Pastorat, [cap. 4 ] : „Si­ PL 77/30
cut incauta locutio in errorem pertrahit, ita indiscretum silen -

209
10, 7 unbedachtes Schweigen diejenigen im Irrtum, die belehrt
werden konnten.“ — Im zweiten Falle aber ist es gefähr­
lich, vor einfachen Menschen öffentlich über den Glauben
zu verhandeln; denn ihr Glaube ist darum fester, w eil sie
nichts davon gehört haben, was von dem verschieden ist,
was sie für wahr halten. Also ist es nicht gut für sie, die
Reden Ungläubiger zu hören, die gegen den Glauben
streiten.
Z u l . Der Apostel verwehrt nicht gänzlich die Aus­
einandersetzung, sondern nur die ungeordnete, die mehr
auf Wortklauberei als auf klar formulierten Sätzen beruht.
Z u 2, D ieses Gesetz verbietet die öffentliche Auseinan­
dersetzung über den Glauben, sow eit sie aus Zweifel am
Glauben herrührt; nicht aber jene, die der Bewahrung
des Glaubens dient.
Z u 3. Man darf über solches, was Glaubenssäche ist,
nicht verhandeln, als zw eifelte man daran, wohl aber, um
die Wahrheit klarzulegen und Irrtümer zu widerlegen.
Bisw eilen nämlich ist es erforderlich, zur Bekräftigung
des Glaubens mit Ungläubigen sich auseinanderzusetzen,
bald, indem man den Glauben verteidigt, nach 1 Petr 3 ,15:
„Seid stets bereit, euch jedem gegenüber zu verantworten,
der über die Hoffnung und den Glauben, der in euch ist,
Rechenschaft von euch verlangt“ ; bald aber, um Irrende
zu überzeugen, nach Tit 1, 9: „auf daß er im Stande sei,
nach der gesunden Lehre zu ermahnen und die Gegner
zu w iderlegen“.

QUAESTIO 10, 7

tium eos qui eru d iri poterant in errore d erelin q u it.“ — In


secu n d o vero casu periculosu m est p u b lice d isp u tare de fide
coram sim p licib u s; quorum fides e x hoc est firm ior quod nihil
diversum au d ieru n t ab eo quod credunt. Et id e o n on ex p ed it
e is ut verb a infid eliu m au d ian t d isp utan tiu m contra fidem .
AD PRIM UM ergo dicen du m quod A p ostolus non prohibet
totaliter disputationem , se d inordinatam , q u ae m agis fit conten-
tione verb oru m quam firm itate sen ten tiaru m .
A D SEC U N D U M dicen du m quod le x illa proh ib et publicam
d isp utationem de fide qu ae proced it e x d u bitatione fid ei: non
autem illam q u a e est ad fidei conservation em .
A D TERTIUM dicen du m , quod non debet d isp u tari d e his
q u ae su nt fid ei q u asi de e is dubitando: se d propter veritatem
m anifestand am et errores confutandos. O portet enim ad fidei
confirm ationem aliq uan do cum in fid elib u s disputare, quandoque
qu idem d efen d en d o fidem , secu n d u m illu d 1 Petr. 3: „Parati
sem p er ad satisfactionem om ni p oscen ti vos rationem de ea
q u ae est in v o b is sp e et fid e “ ; quandoque autem ad convincen-
dos errantes, secu n d u m illu d ad Tit. 1: „Ut sit potens exhortari
in doctrina san a, et e o s qui contradicunt a rg u ere.“

210
8. A R T I K E L 10, 8
Soll m an U ngläubige zu m G lauben z w in g e n ?
1. Mt 13, 27 ff. heißt es, daß das Gesinde des Hausvaters,
auf dessen Acker Unkraut gesät worden war, ihn fragte:
„Willst du, daß wir hingehen und es ausjäten?“ Und er
habe geantwortet: „Nein, ihr möchtet sonst, wenn ihr das
Unkraut ausreißt, zugleich den W eizen mit herausreißen.“
Dazu sagt Chrysostomus: „Dies hat der Herr gesagt, um
zu verhindern, daß Tötungen Vorkommen. Denn man darf
Häretiker nicht töten; wenn ihr sie nämlich tötet, ist es
unvermeidlich, daß zugleich viele von den H eiligen um­
kommen.“ Anscheinend also dürfen aus dem gleichen
Grunde auch nicht irgendwelche Ungläubige zum Glauben
gezwungen werden.
2. In der Gesetzessammlung [des Gratian] heißt es:
„Hinsichtlich der Juden ordnet die hl. Synode an, künftig
keinen mit Gewalt zum Glauben zu bringen.“ Aus dem
gleichen Grunde darf man auch andere Ungläubige nicht
zum Glauben zwingen.
3. Augustinus sagt, anderes könne der Mensch auch
wider seinen W illen, „glauben aber nur mit seinem Wil­
len “. W ollen aber läßt sich nicht erzwingen. Also scheint
es, daß man Ungläubige nicht zum Glauben zwingen soll.
4. Ez 18, 32 heißt es aus dem Munde Gottes: „Ich will
nicht den Tod des Sünders.“ Wir müssen aber unsern
Q C A E S T I O lü, 8
A R T I C U L U S V III
Utrum infideles com pellen di sint ad fidem
[In M atth., cap. 13]
A D OCTAVUM sic proceditur. V id etu r quod in fid e le s nu llo
m odo co m p ellen d i sin t ad fidem . D icitur en im Matth. 13 quod
se r v i p atrisfam ilias in cu ju s agro eran t zizania sem in a ta quae-
sie ru n t ab eo: „V is, im us ef colligim u s e a ? “ et ip se respond it:
„N on: n e forte co llig en tes zizania, erad icetis sim u l cum eis et
triticum .“ U b i dicit C hrysostom us [hom . 46 in M a tth .]: „H aec p g 58/477
dicit D om in u s proh ib en s o ccision es fieri. N ec enim oportet in-
terficere h a eretico s: q u ia si eos occideritis n ecesse est m ultos
sanctorum sim u l su b v e rti.“ Ergo v id etu r quod pari ration e nec
aliq u i in fid eles sin t ad fidem cogendi.
2. PRAETEREA, in D ecr., dist. 45 [Can. D e J u d a e is], sic dici- Frdb. 1/161
tur: „D e J u d a eis praecep it sancta S yn od u s n e m in i d ein cep s ad
credend um vim in fe rr e.“ Ergo pari ratione nec a lii infid eles
su n t ad fidem cogendi.
3. PRAETEREA, A u gu stin u s dicit [Tract. 26 in Joan .] quod PL35
cetera potest hom o n olen s, „credere vero non n isi v o le n s“. S ed 1007
volu n tas cogi non potest. Ergo vid etu r quod in fid eles non sint
ad fidem cogen d i.
4. PRAETEREA, Ezeoh. 18 dicitur e x persona D e i: „Nolo
m ortem p eccatoris.“ S ed iio,s d eb em u s volun tatem nostram con-

211
10, 8 W illen dem göttlichen W illen angleichen (I—II 19, 9 u. 11:
Bd. 9). Also dürfen auch wir nicht wünschen, daß Un­
gläubige getötet werden.
ANDERSEITS heißt es Lk 14, 23: „Gehe hinaus an die
W ege und Zäune und nötige sie, hereinzukommen, damit
mein Haus voll w erde.“ Die Menschen aber treten in das
Haus Gottes, d. h. in die Kirche verm ittels des Glaubens
ein. Also dürfen etwelche zum Glauben gezwungen w er­
den.
ANTWORT: Von den Ungläubigen haben einige nie­
mals den Glauben angenommen, wie die Heiden und
Juden.1 Solche sind denn auf keine W eise zum Glauben
zu nötigen, damit sie aus sich glauben; denn Glauben
ist Sache des W illens. Doch müssen sie von den Gläubigen,
wenn die Möglichkeit besteht, genötigt werden, dem Glau­
ben nichts in den Weg zu legen, sei es durch Lästerungen
oder durch bösartiges Zureden oder gar durch offene Ver­
folgungen. Und aus diesem Grunde führen die Christ­
gläubigen häufig Krieg gegen die Ungläubigen, nicht um
sie zum Glauben zu zwingen, denn wenn sie sie auch be­
siegten und gefangen hielten, würden sie es doch ihrer
Freiheit überlassen, ob sie glauben wollen; sondern nur
deshalb, um sie zu nötigen, den Glauben an Christus nicht
zu hindern.
Es gibt aber andere Ungläubige, die einmal den Glau-
beu angenommen haben und ihn offen bekennen, w ie die
Q U A E S T I O 10, s
form are d ivin ae, ut su p ra dictum est. Ergo etiam nos non debe-
m us v e ile qu od in fid eles occidantur.
SE D CONTRA est quod dicitur Luc. 14: „E xi in v ia s et sae-
p e s et co m p elle intrare, u t im p leatu r dom us m e a .“ S ed hom ines
in donium D ei, id est in E celesiam , intrant per fidem . Ergo aliqui
sunt co m p ellen d i ad fidem .
RESPONDEO dicen du m quod in fid eliu m qu idam su nt qui
nunquam su scep eru n t fidem , sicut g e n tile s et Ju d a ei: Et tales
n u llo m odo su nt ad fidem com p ellen d i, ut ip si credant: quia
cred ere volu n tatis est. S u n t tarnen co m p ellen d i a fid elib u s, si
adsit facultas, ut fidem non im p ed ian t v e l b lasp h em iis, v e l m alis
persuasion ibus, v e l etiam a p ertis persecu tion ib u s. Et propter
hoc fid e le s Christi freq u en ter contra in fid e le s b ellu m m ovent,
non q u id em u t eos ad credend um cogant, q u ia s i etiam eos
vicissen t et captivos h ab erent, in eoru m lib ertate relin q u eren t
an cre d e re v e lle n t: se d propter hoc ut eos com pellant, n e fidem
Christi im p ed ian t.
A lii v e ro su n t in fid eles q u i qu an d oq u e fidem su scep eru n t et
eam profitentur: sic u t h a e r etici e t q u icu m q u e 2 apostatae. Et
i G e m ein t s in d d ie z eitg en ö ssisc h e n J u d e n , n ic h t d ie J u d e n des A lten
B undes.
- P: quandoque.

212
Häretiker und alle Abtrünnigen. Und solche sind auch mit 10, g
körperlichen Mitteln zu nötigen, zu erfüllen, was sie ver­
sprochen, und festzuhalten, was sie ein für allem al ange­
nommen haben.
Z u l . Durch diese Schriftstelle, so haben es manche
verstanden, sei zwar nicht der Bann gegen die Häretiker,
wohl aber ihre Tötung verwehrt, w ie es die angeführte
Stelle des Chrysostomus zeigt. Und Augustinus sagt von
sich: „D ies war ursprünglich m eine eigene Auffassung,
niemand sei zur Einheit Christi zu zwingen, es sei alles
durch das Wort auszurichten und nur im Streitgespräch
zu kämpfen. Aber diese m eine Meinung wird nicht durch
das Wort der Andersgesinnten, sondern durch Erfahrungs­
bew eise widerlegt. Die Furcht vor den Gesetzen hat näm­
lich so vorteilhaft gewirkt, daß viele bekennen: Gott Dank,
der unsere Fesseln gebrochen hat!“ Wie nun das Wort des
Herrn: „Lasset beides wachsen bis zur Ernte“, zu ver­
stehen ist, ergibt sich aus dem, was hinzugefügt ist: „Ihr
möchtet sonst, wenn ihr das Unkraut ausreißt, zugleich
den Weizen mit herausreißen.“ Damit zeigt Er zur Ge­
nüge, w ie Augustinus sagt: „Wenn diese Befürchtung nicht
besteht, d. h. wenn die Schuld eines jeden so bekannt und
ihre Verwerflichkeit so allgem ein anerkannt ist, daß sie
überhaupt keine Verteidiger hat oder nicht solche, durch
die es zu einer Spaltung kommen könnte, so soll die
Strenge der Zucht nicht schlafen.“
Z u 2. Wenn Juden in keiner W eise den Glauben an-
Q U A E S T IO 10, 8

tales su nt etiam corp oraliter co m p ellen d i ut im p lean t quod pro-


m iseru nt et te n e a n t qu od s e m e l su scep erun t.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod p e r illam auctoritatem
qu idam in te lle x er u n t e sse prohibitam non qu id em excom m uni-
cation em h aereticorum , se d eorum occisionem : ut patet per
auctoritatem C hrysostom i inductarn. Et A u gustin us, ad V incen- PL 33
tium [E pist. 93, cap. 5] de s e dicit: „H aec p rim itu s m ea sen - 323 sq.
ten tia erat, n em in em ad un itatem Christi esse cogendum , verbo CSEL 34
11/461 sqq.
esse agendu m , d isp u tation e pugnan du m . S e d haec op in io m ea
non contradicentium verb is, se d dem onstrantium su peratu r
e x em p lis. L egum en im terror ita profu it ut m ulti dicant: Gra­
tias D om ino, qui vin cu la nostra diru p it.“ Quod ergo D om inus
dicit: „S in ite utraqu e crescere u squ e ad m essem “, q u aliter in-
lellig e n d u m sit app aret e x hoc quod su bd itu r: „N e forte col-
lig e n te s zizania, erad icetis sim u l cum e is et triticu m .“ „U bi satis
osten d it“, sicu t A u gustin us dicit [Contra E pistolam Parm en. PL 43/92
lib. 3, cap. 2 ] , „cum m etu s iste non su b est, id est quando ita CSEL
51/115
cu jusqu e crim en notum est et om nibus e x ec ra b ile ap p aret ut
v e l n u llos prorsus, v e l non ta le s h ab eat d efen so res per quos
possit schism a contingere, non dorm iat sev erita s d isc ip lin a e.“
AD SEC UND UM dicen du m quod Ju d aei, s i n u llo m odo acce-

213
10, 8 genommen haben, so sind sie auch auf keine W eise zum
Glauben zu nötigen. Haben sie aber den Glauben einmal
angenommen, so „müssen sie unausweichlich gezwungen
werden, den Glauben festzuhalten“, wie es in demselben
Kapitel ausgesprochen ist.
Z u 3. W ie „geloben Sache des [freien ] W illens ist,
leisten aber unerläßliche Forderung“ (Glosse), so ist es
Sache des [freien] W illens, den Glauben anzunehmen,
unerläßliche Forderung aber, den einmal angenommenen
Glauben festzuhalten [48]. Demnach sind Häretiker zu
nötigen, den Glauben festzuhalten. Augustinus sagt näm­
lich: „Wo steht es, was diese immer rufen: ,Es steht im
freien Belieben, zu glauben oder nicht zu glauben: wem
hat Christus Gewalt angetan ?‘ Mögen sie an Paulus den
Christus erkennen, der zuerst zwingt und nachher belehrt.“
Z u 4. W ie Augustinus in dem nämlichen Briefe sagt:
„Keiner von uns w ill, daß irgendein Häretiker umkomme.
Aber anders hätte das Haus Davids nicht Frieden haben
können, wenn nicht Absalom, sein Sohn, in dem Kriege,
den er gegen seinen Vater führte, vertilgt worden wäre. So
heilt auch die Kirche, wenn sie durch die Vernichtung
einiger die übrigen zusammenhält, den Schmerz ihres
mütterlichen Herzens durch die Befreiung so großer
Scharen.“
QUAESTIO 10, 8

perunt fidem , n u llo m odo su nt cogen d i ad fidem . S i autem acce-


p erunt fidem , „oportet ut fidem n ecessita te cogantur r e tin e r e “ ;
sicut eodem cap itu lo dicitur.
A D TERTIUM dicen du m quod, sicu t „vovere est voluntatis,
PL 191 red d ere autem n e c essita tis“ [G loss. Lomb. in Ps. 75, vers. 12 ],
709 a ita a ccip ere fidem est volun tatis, se d teu ere e a m 1 acceptam
est n ecessitatis. Et id eo h a eretici su n t co m p ellen d i ut fidem
PL 33/803 ten ean t. D icit en im A u gustin us, ad B onifacium C om item [ep . 185,
CSEL57/21 cap. 6 ] : „U bi est qu od isti clam are consu everunt: L iberum est
cred ere v e l non c red ere: cui vim Christus intulit? A gnoscant
in P aulo prius c o g e n te m 2 Christum et p ostea d ocen tem .“
PL 33/807 A D QUARTUM dicen du m quod, sicut in ead em epistola
csel 57/29 [cap. 8 ] A u gu stin u s dicit, „n u llu s nostrum vu lt aliq u em h aere-
ticum p erire. S ed a lite r n on m eru it h ab ere pacem dom us D avid,
n isi A b salom filiu s e ju s in b ello quod contra patrem gereb at
fu isset extin ctu s. S ic E cclesia Catholica, s i aliq uorum p erd ition e
ceteros colligit, dolorem m aterni san at cordis tantorum lib era-
tio n e pop u loru m .“
1 L : ia m .
2 P : c o g n o scen tem .

214
9. A R T I K E L ,9
10
D a rf man m it U ngläubigen Gem einschaft p f le g e n ?
1. Der Apostel sagt 1 Kor 10, 27: „Wenn einer der Un­
gläubigen euch zu Tische bittet, und ihr möchtet gerne hin­
gehen, so esset jegliches, was euch vorgesetzt wird.“ Und
Chrysostomus erklärt: „W illst du zum Tische von Heiden
gehen, so gestatten wir das ohne irgendwelche Hinderung.“
Zum Tische irgend jemandes gehen aber heißt mit ihm
Gemeinschaft haben. Also ist es erlaubt, mit Ungläubigen
Gemeinschaft zu pflegen.
2. Der Apostel sagt 1 Kor 5, 12: „Was habe ich über
solche, die draußen stehen, zu richten?“ Draußen aber
stehen die Ungläubigen. Obwohl also durch den Entscheid
der Kirche den Gläubigen die Gemeinschaft mit dem einen
oder anderen verboten wird, so ist doch scheinbar den
Gläubigen die Gemeinschaft mit Ungläubigen nicht zu ver­
bieten.
3. Ein Herr kann sich seines Knechtes nicht bedienen,
ohne mit ihm zu verkehren, wenigstens mit Worten; denn
der Herr versetzt den Knecht durch sein Gebot in Tätig­
keit. Christen können aber ungläubige Knechte haben,
Juden oder auch Heiden oder Sarazenen. Also können sie
erlaubterweise mit ihnen Umgang haben.
ANDERSEITS heißt es Dt 7, 2 f.: „Schließe keinen Bund
QDAESTIO 10, 0
A R T I C U L U S IX
Utrum cum infidelibus possit communicari
[4 Sent., dist. 13, q. 2, art. 3; Q uodlib. 10, q. 7, art. 1; in 1 Cor., cap. 5,
lect. 3]
A D NONUM sic proceditur. V id etu r quod cum in fid elib u s
possit com m unicari. D icit enim A p ostolu s 1 ad Cor. 10: „Si
qu is vocat vos infidelium ad coenam , et v u ltis ire, om ne quod
vobis app onitur m and ucate.“ Et C hrysostom us dicit [H om . 25 PG 63/176
su p e r epist. ad H ebr. vers. f i n . ] : „A d m ensam paganorum si cf. F rdb. I
650can.24
v o lu eris ire, sin e u lla p roh ib ition e perm ittim u s.“ S ed ad coenam
a licu ju s ire est e i com m unicare. Ergo in fid elib u s licet com m u-
nicare.
2. PRAETEREA, A p ostolu s dicit 1 ad Cor. 5: „Quid m ihi est
de h is qui foris su nt ju d ic a r e? “ F oris autem su nt in fid eles. Cum
igitu r per jud icium E cclesiae aliq uorum com m unio fid elib u s in-
hib eatur, vid etu r quod non sit in'hibendum fid elib u s cum in fi­
d elib u s com m unicare.
3. PRAETEREA, d om inu s non potest uti servo n isi e i com-
m unicando sa ltem verb o: qu ia d om inu s m ovet servu m p er im ­
periu m . S e d C hristiani possu nt h ab ere serv o s in fid eles, v e l J u ­
d a eo s v e l etiam p agan os siv e Saracenos. Ergo possunt licite
cum e is com m unicare.
SED CONTRA est quod dicitur D eut, 7: „Non in ib is cum eis

215
10, 9 mit ihnen, übe keine Gnade an ihnen und schließe keine
Ehen mit ihnen.“ Und über die Stelle Lv 15, 19 ,Das
Weib, das bei seiner monatlichen Reinigung usw .“ sagt
die Glosse: „So sehr müssen wir uns vom Götzendienst fern­
halten, daß wir weder mit den Götzendienern noch mit
ihren Jüngern in Berührung kommen und keinerlei Ge­
meinschaft mit ihnen haben.“
ANTWORT: Gemeinschaft mit irgendeiner Person wird
den Gläubigen in zweifachem Sinne untersagt: einmal zur
Bestrafung desjenigen, dem die Gemeinschaft der Gläubi­
gen entzogen wird; sodann zur Sicherung derjenigen,
denen verboten wird, mit anderen zu verkehren. Und
beide Gründe können dem Worte des Apostels 1 Kor 5, 6
entnommen werden. Denn nachdem er den Spruch der Aus­
schließung aus der Gemeinschaft gefällt hat, fügt er als
Begründung hinzu: „Wißt ihr nicht, daß schon ein wenig’
Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert?“ Und nachher
läßt er die Begründung aus der durch das Urteil der
Kirche verhängten Strafe folgen mit den Worten: „Sollt
nicht ihr die richten, die zu uns gehören?“
Auf die erste W eise nun untersagt die Kirche den Gläu­
bigen nicht die Gemeinschaft mit solchen Ungläubigen,
die in keiner W eise den christlichen Glauben angenommen
haben, d. h. mit Heiden oder Juden; denn über sie hat
sie nicht mit geistlichem Urteil zu richten, sondern nur
mit weltlichem, im Falle sie, unter Christen lebend, irgend
etwas Strafwürdiges begehen und dafür durch Gläubige

quaestio io ,»
foedus, nec m isereb eris eorum , n eq u e sociab is cum eis con-
n u b ia .“ Et su p er illu d L evit. 15: „M ulier qu ae red eu n te m e n se “
PL lis etc., dicit G lossa [o r d in .] : „Sic oportet ab id ololatria abstin ere
340 B u { nec idololatras n ec eorum d iscip u los contingam us, n ec cum
e is com m u nionem h a b ea m u s.“
RESPONDEO dicen du m quod com m unio alicu ju s p erson ae in-
terd icitu r fid elib u s d u p liciter: uno m odo, in poenam illiu s cui
com m unio fid eliu m subtrahitur; a lio m odo, ad cautelam eorum
q u ib u s interd icitur n e a liis com m unicent. Et utraque causa ex
verb is A p ostoli accipi potest, 1 ad Cor. 5. Nam postquam se n -
tentiam excom m u n ication is protulit, su bd it pro ration e: „Ne-
scitis q u ia m odicum ferm entum totam m assam corrum p it?“ Et
postea ration em su bd it e x parte p o en a e p er jud icium E cclesiae
illatae, cum d icit: „N onne de h is q u i intus su nt vos ju d icatis?“
P rim o igitu r m odo non interd icit E cclesia fid elib u s com m u nio­
n em in fid eliu m qui n u llo modo fidem C hristianam receperunt.
scilicet paganorum v e l Jud aeorum : q u ia non habet d e eis ju d i­
care sp iritu a li judicio, se d tem p orali, in casu cum in ter Christia-
n os com m orantes, aliq u am culpam com m ittunt et p er fideles

216
auf dem bürgerlichen Rechtswege bestraft werden.1 Auf 10, 9
die genannte W eise aber, d. h. zur Strafe, verbietet die
Kirche den Gläubigen die Gemeinschaft mit solchen Un­
gläubigen, die von dem angenommenen Glauben abwei­
chen, entweder indem sie den Glauben entstellen, w ie die
Häretiker, oder auch den Glauben aufgeben, w ie die Ab­
trünnigen; denn gegen diese beiden verhängt die Kirche
den Rechtsspruch der Ausschließung aus der Gemein­
schaft.
Was aber den zwmiten Fall angeht, so ist w ohl eine
Unterscheidung zu treffen je nach der Beschaffenheit der
Personen, der Geschäfte und der Zeiten. Wenn nämlich
irgendwelche fest im Glauben geworden sind, so daß aus
ihrem Umgang mit Ungläubigen eher die Bekehrung der
Ungläubigen zu erhoffen ist als die Abwendung der Gläu­
bigen vom Glauben, so ist ihnen der Umgang mit solchen
Ungläubigen nicht zu verbieten, die den Glauben nie an­
genommen haben, d. h. mit Heiden und Juden, und
namentlich wenn eine dringende Notwendigkeit vorliegt.
Handelt es sich aber um einfache Menschen, die im Glau­
ben nicht gefestigt sind, so daß man vermutlich um ihre
Abkehr bangen kann, so ist ihnen der Umgang mit Un­
gläubigen verboten; und vor allem, daß sie mit ihnen enge
Vertraulichkeit pflegen oder ohne Notwendigkeit mit
ihnen verkehren.
Daraus ergibt sich die Lösung Z u l .
Z u 2. Die Kirche besitzt gegen Ungläubige keine Ur-
QUAESTIO 10, 9

tem p oraliter puniun tur. S e d isto m odo, scilicet in poen am , in-


terd icit E cclesia fid elib u s com m u nionem illorum in fid eliu m qui
a fide su scep ta deviant, v e l corrum pendo fidem sicut haeretici,
v e l etiam totaliter a fid e reced en d o, sicut ap ostatae; in utrosque
enim horum excom m u n ication is sen ten tia m p rofert E cclesia.
S ed quantum ad secu n d u m m odum , vid etu r esse d istin guen-
dum secund um diversas con d ition es personarum et negotiorum
et tem porum . S i enim a liq u i fu erin t firm i in fide, ita quod ex
com m u nione eorum cum in fid elib u s conversio in fid eliu m m agis
sp erari p ossit quam fid eliu m a fide av ersio ; non su n t prohib en di
infid elib u s com m u nicare qui fidem non su scep eru n t, sc ilic et pa-
g a n is v e l Ju d aeis, et m a x im e si n ecessitas urgeat. S i autem sint
sim p lice s et infirm i in fide, de quorum su b v ersio n e probab iliter
tim eri possit, p roh ib en d i su nt ab in fid eliu m com m u nione: et
p raecip u e ne m agnam fam iliaritatem cum eis hab ean t, v el
absque n ecessitate eis com m unicent.
Et sic p er haec patet solu tio A D PRIM UM .
AD SEC U N D U M dicendum quod E cclesia contra in fid eles non
1 V o ra u sse tz u n g is t n a tü rlic h d a b e i d ie w e ltlic h e M ac h tste llu n g d er
K irch e, w ie sie im M itte la lte r b e sta n d .

217
10, 9 teilsgewalt, insoweit über sie eine geistliche Strafe zu
verhängen wäre. Jedoch besitzt sie über manche Un­
gläubige Urteilsgewalt, soweit irdische Strafe zu verhän­
gen ist.1 Dazu nun gehört es, daß die Kirche zuweilen
wegen irgendwelcher besondersartiger schuldhafter Hand­
lungen manchen Ungläubigen den Verkehr mit den Gläu­
bigen verwehrt.
Z u 3. Es ist wahrscheinlicher, daß der Knecht, der durch
das Gebot seines Herrn geleitet wird, zum Glauben seines
gläubigen Herrn bekehrt wird, als umgekehrt.2 Deshalb ist
es nicht verboten, daß Gläubige ungläubige Knechte hal­
ten. Würde jedoch dem Herrn aus dem Umgang mit einem
solchen Knechte Gefahr drohen, so müßte er ihn ent­
lassen, gemäß dem Gebote des Herrn: „Wenn dein Fuß
dir zum Ärgernis wird, so haue ihn ab und wirf ihn von
dir“ (Mt 5, 2 9 f.; 18, 8).
ZU ANDERSEITS: Der Herr gibt jene Vorschrift hin­
sichtlich jener Völker, deren Land zu betreten die Juden
im Begriffe waren, die ihrerseits zum Götzendienst neig­
ten. Es war also zu befürchten, daß sie durch dauernden
Umgang mit ihnen ihrem Glauben entfremdet würden.
Deshalb heißt es an derselben Stelle w eiter: „Denn er
wird deinen Sohn verführen, Mir nicht zu folgen.“

Q U A E S T I O 10, 9

habet jud icium quoad poenam sp iritu alem eis in fligen d am . H abet
tarnen ju d iciu m su p e r aliq uos in fid eles qu oad tem p oralem p o e ­
nam in fligen d am : a d quod p ertin et quod E cclesia aliquando,
p ropter aliq u as sp e c ia le s culpas, su btrahit aliq u ib u s infid elib u s
com m u nionem fidelium .
AD TERTIUM dicen du m quod m agis est prob ab ile quod ser-
vus, q u i regitur im p erio d oin in i, convertatur ad fidem dom ini
fidel is, quam e converso. Et id eo non est prohibituin qu in fid eles
hab ean t servos in fid eles. S i tarnen dom ino p ericulum im m in eret
e x com m u nione talis se r v i. d eb eret eum a se a b jic er e: secund um
illud m andatum D om ini, M atth. 5 et 18: „Si p e s tuu s scan d ali-
za v erit te, abscind e eum et p rojice ab s te .“
A D ARGUM ENTUM IN OPPOSITUM dicen du m quod D om i­
nu s illu d p raecipit de illis g en tib u s quarum terram in gressu ri
eran t J u d a ei, q u i eran t proni ad id o lo la tr ia m : et id eo tim en -
du m erat n e p er continuam con versation em cum e is alien aren -
tur a fide. Et id eo ib id em su bd itu r: „Quia sed u cet filium tuum
n e seq u atu r m e .“
1 V gl. v o rh e rg e h e n d e F u ß n o te .
2 So b e te t m an , n a c h e in e r M itte ilu n g d es k a th o lis c h e n B ischofs von
N o ttin g h a m , in E n g la n d in a lle m E r n s t u m M ischehen, w e il n a c h den
E rfa h ru n g e n in 80 P ro z e n t d e r F ä lle d e r n ic h t-k a th o lis c h e T e il schon v o r
d e r T ra u u n g z u m k a th o lis c h e n G la u b en k o m m t, b e i d e n ü b rig e n 20 P ro z e n t
sp ä te s te n s in d e n e rs te n d re i J a h r e n n a c h d e r T r a u u n g . So s ta r k w irk t
das le b e n d ig e B eisp iel d es k a th o lis c h e n E h e p a rtn e rs .

218
10. A R T I K E L 10, io
Können Ungläubige eine obrigkeitliche Stellung oder
Herrschaftsgewalt über Gläubige besitzen?
1. Der Apostel sagt 1 Tim 6, 1: „Alle, die das Joch des
Sklaventums tragen, sollen ihre Herren aller Ehre würdig
halten.“ Daß er dabei von Ungläubigen spricht, erhellt
aus dem, was er anschließend sagt: „D ie aber, welche
Gläubige zu Herren haben, sollen diese nicht für gering
achten.“ Und 1 Petr 2, 18 heißt es: „Ihr Sklaven, seid
euren Herren untertan in aller Furcht, nicht bloß den
gütigen und maßvollen, sondern auch den launenhaften.“
Solches aber würde durch die apostolische Lehre nicht
anbefohlen, wenn Ungläubige den Gläubigen nicht vorge­
setzt sein könnten. Also, scheint es, können Ungläubige
über Gläubige gesetzt sein.
2. A lle, die zum Gesinde eines Fürsten gehören, sind
diesem untertan. Es gehörten aber Gläubige zum Gesinde
ungläubiger Fürsten; daher heißt es Phil 4, 22: „Es grü­
ßen euch die H eiligen alle, besonders aber die vom Haus­
wesen des Kaisers“, d. h. Neros, der ein Ungläubiger war.
Also können Ungläubige über Gläubige gesetzt sein.
3. Der Sklave ist ein W erkzeug seines Herrn in dem,
was zum menschlichen Leben dient, w ie auch der Gehilfe
eines W erkmeisters ein W erkzeug des Meisters ist in dem,
was zur Ausübung seines Gewerbes gehört (Aristoteles).
q u a e s T i o 10, io
ARTICULUS X
Utrum infideles possint habere praelationem
seu dominium supra fideles
A D DECIM UM sic proceditur. V id etu r quod in fid eles possint
h ab ere p raelation em v e l d o m in iu m su pra fid eles. D icit enim
A postolus, 1 ad Tim . 6: „Q uicum que su nt su b jugo se r v i dom inos
su o s om ni hon ore dign os arbitrentu r“ ; et quod loquatur de in ­
fid elib u s patet p er hoc quod su bd it: „Qui autem fid eles habent
dom inos non contem n ant.“ Et 1 Petr. 2 dicitur: „Servi, subditi
estote in om ni tim ore dom inis, non tantum b on is et m odestis,
se d etiam dyscolis.“ N on autem hoc p raecip eretu r p er doctri-
nam apostolicam n isi in fid e le s possent fid elib u s p ra eesse. Ergo
vid etu r quod in fid eles possint fid elib u s p raeesse.
2. PRAETEREA, qu icum que sunt de fa m ilia alicu ju s principis
subsunt ei. S e d fid eles aliq u i erant de fam ilia infid eliu m prin-
cip um : u n d e dicitur ad P h ilip p . 4: „Salutant vos om n es sancti,
m axim e au tem q u i de C aesaris dom o su n t“, sc ilic et N eronis,
qui in fid elis erat. Ergo in fid eles possunt fid elib u s p raeesse.
3. PRAETEREA, sicu t P h ilosop h u s d icit in 1 P olit. [cap. 4J, 1253 b
serv u s est instrum entum d o m in i in his qu ae ad hum anam vitam 30 sqq.
pertin en t, sicu t et m inister artificis est instrum entum artificis
in h is qu ae pertin en t ad operation em artis. S ed in ta lib u s po-

219
10. io In solchem 111111 kann der Gläubige einem Ungläubigen
unterstellt sein; denn es können Gläubige Hintersassen
von Ungläubigen sein. Ungläubige können also Gläubigen
auch mit Herrschaftsgewalt übergeordnet sein.
ANDERSEITS gehört es in die Zuständigkeit des Über­
geordneten, Gericht zu halten über die, denen er über­
geordnet ist. Ungläubige aber können über Gläubige nicht
richten; denn der Apostel sagt 1 Kor 6, 1: „Wagt es wirk­
lich einer unter euch, der mit einem anderen einen Rechts­
streit hat, bei den Ungerechten“, d. h. bei den Ungläubi­
gen, „Recht zu suchen und nicht vielm ehr bei den H eili­
gen?“ Demnach, scheint es, können Ungläubige Gläubigen
nicht übergeordnet sein.
ANTWORT: ü b er diesen Gegenstand kann man in
zweifachem Sinne sprechen. Einmal hinsichtlich der Herr­
schaftsstellung oder Überordnung von Ungläubigen gegen­
über Gläubigen, die neu eingeführt werden soll. Und dies
kann auf keine W eise gestattet werden. Denn es würde
zum Ärgernis und zur Gefährdung des Glaubens führen.
Leicht nämlich könnten solche, die der Rechtsprechung
anderer unterworfen sind, von ihren Vorgesetzten umge­
stimmt werden, so daß sie ihrem Geheiß folgten, es sei
denn, die Untergebenen hätten sich eine große Entschie­
denheit angeeignet. Anderseits verachten die Ungläubigen
den Glauben, wenn sie Gläubige abfallen sehen. Deshalb
verbot der Apostel den Gläubigen, vor einem ungläubigen
Richter einen Rechtsstreit auszufechten. Und aus dem
QUAESTI O 10, 10
test fid elis in fid eli su b jici: possunt en im fid eles in fid eliu m co-
lon i esse. Ergo in fid eles possunt fidelibu s praefici etiam quantum
ad dom inium .
SED CONTRA est quod ad eum qui p raeest pertin et h ab ere
jud icium su p er eos qu ibus praeest. S e d in fid eles non possunt
judicare de fid elib u s: dicit en im A postolus, 1 ad Cor. 6: „A udet
a liq u is vestru m , h a b en s n egotiu m adversus alterum , judicari
apu d in iq u o s“, id est, in fid eles, „et non apu d san ctos?“ Ergo
vid etu r quod in fid eles fid elib u s p ra eesse non possint.
RESPONDEO dicen du m quod circa hoc d u p liciter loq u i p os­
su m us. U no m odo, de dom inio v e l p ra ela tio n e in fid eliu m su p er
fid e le s de novo in stitu en d a. Et h oe n u llo m odo perm itti debet.
C e d e r e t1 en im hoc in scandalum et in p ericulum f id e i: de
facili en im illi qui su b jiciu n tu r aliorum jurisd iction i im m utari
possunt ab eis qu ibus su bsunt ut sequ antu r eorum im perium ,
n isi illi qui su b su n t fu e r in t m agn ae virtu tis. Et sim ilite r in fid eles
contem nunt fidem s i fid eliu m d efectu s cognoscant. Et id eo A p o­
stolu s prohib uit ut fid e le s non contendant jud icio coram jud ice
1 L: c ed it.

220
selben Grunde gestattet die Kirche in keiner W eise, daß 10,10
Ungläubige Herrschaftsgewalt über Gläubige erwerben
oder w ie auch immer ihnen in irgendeinem Amt vorgesetzt
werden.
Sodann kann man es zu tun haben mit einer Herr­
schaftsstellung und Überordnung, die bereits besteht. Da­
bei ist zu beachten, daß Herrschaftsgewalt und Überord­
nung nach menschlichem Rechte zustandegekommen sind.
Die Unterscheidung aber von Gläubigen und Ungläubigen
beruht auf göttlichem Recht. Das göttliche Recht aber,
das auf der Gnade beruht, hebt das m enschliche Recht,
das aus der menschlichen Vernunft stammt, nicht auf.
Also hebt die Scheidung von Gläubigen und Ungläubigen,
an sich betrachtet, die Herrschaftsstellung und Überord­
nung von Ungläubigen gegenüber Gläubigen nicht auf.
Wohl kann aber in rechtmäßiger W eise durch Entschei­
dung oder Anordnung der Kirche, welche die Autorität
Gottes ausübt, solches Herrschaftsrecht und solche Über­
ordnung aufgehoben werden; denn Ungläubige verdienen
es auf Grund ihres eigenen Unglaubens, die Gewalt über
Gläubige zu verlieren, die in Söhne Gottes umgewandelt
sind. D ies tut die Kirche allerdings nur bisw eilen; bis­
w eilen aber tut sie es nicht. Bei jenen Ungläubigen näm­
lich, die der Kirche und ihren Gliedern auch in irdischer
Unterwerfung untertan sind, hat die Kirche dies als Recht
gesetzt, daß ein Sklave von Juden, wenn er Christ ge­
worden ist, sofort von der Sklaverei frei wird, ohne Ent­
gelt, falls er von Haus aus Sklave, d. h. in der Sklaverei

QÜAKSTIO 10, 10
in fid eli. Et id eo n u llo m odo perm ittit E cclesia quod in fid eles
acquirant dom iniu m su p er fid eles, v e l q u alitercum q ue eis prae-
ficiantur in aliq uo officio.
A lio m odo possum us loqu i de dom in io v e l p raelation e jam
p ra eex isten ti. U bi considerandu m est quod dom inium et prae-
latio introducta su nt e x ju re h u m ano: distin ctio au tem fid eliu m
et in fid eliu m est e x ju re divino. Jus autem divinu m , quod est
e x gratia, non tollit jus hu m anu m , quod est e x n atu rali ratione.
Id eo distinctio fid eliu m et infidelium , secu n d u m se considerata,
non tollit d om in iu m et p raelation em in fid eliu m su p ra fideles.
P otest tarnen juste p er sen ten tia m v e l ord in ation em E cclesiae,
auctoritatem D e i h ab en tis, ta le jus d om in ii v e l p raelation is t o lli:
q u ia in fid eles m erito su a e in fid elita tis m eren tu r potestatem
am ittere su p e r fid eles, qui transferu ntu r in filios D ei. S e d hoc
q u idem E cclesia qu and oqu e facit, q u and oqu e autem non facit.
In illis en im in fid elib u s qui etiam tem p orali su b jectio n e sub-
jiciun tur E cclesiae et m em b ris ejus, hoc jus E cclesia statuit, ut
serv u s Jud aeorum , cum fu erit factus christianus, statim a Ser­
vitu te lib e r e tu r ,-n u llo pretio dato, si fu erit vern acu lu s, id est,

221
lO.io geboren ist; desgleichen, wenn er als Ungläubiger zum
Sklavendienst gekauft worden ist. Ist er aber zum W eiter­
verkauf erworben worden, so besteht die Pflicht, ihn in­
nerhalb von drei Monaten zum Verkaufe anzubieten. Da­
mit tut die Kirche kein Unrecht; denn da die Juden ihrer­
seits Sklaven der Kirche sind, kann sie über ihr Eigen­
tum verfügen, w ie auch die weltlichen Fürsten hinsicht­
lich ihrer Untertanen viele Gesetze zugunsten der Freiheit
erlassen haben. — Bei jenen Ungläubigen aber, welche der
irdischen Gewalt der Kirche oder ihrer Glieder nicht un­
terliegen, hat die Kirche das oben genannte Recht nicht
eingeführt, obwohl sie es von Rechts wegen könnte.Und
zwar handelt sie so, um Anstoß zu vermeiden. So hat auch
der Herr Mt 17, 24 ff. gezeigt, daß Er sich von der Steuer
hätte freisprechen können, weil „die Söhne frei sind“ ; den­
noch ordnete Er, um Anstoß zu vermeiden, an, die Steuer
zu bezahlen. G leicherweise hat auch Paulus, nachdem er
gesagt hatte, die Sklaven sollten ihre Herren ehren, hinzu­
gefügt: „Damit der Name des Herrn und die Lehre nicht
gelästert wird“ (1 Tim 6, 1) [49].
Daraus ergibt sich die Antwort Z u l .
Z u 2. Diese Überordnung des Kaisers bestand vor der
Scheidung der Gläubigen von den Ungläubigen. Also
wurde sie durch die Bekehrung einiger nicht hinfällig.
Es war auch von Vorteil, daß einige Gläubige ihren Platz
im Gesinde des Kaisers behielten, um andere Gläubige in
Schutz zu nehmen, w ie der hl. Sebastian die Christen, die

Q U A E S T I O 10, io
in serv itu te natu s; et sim ilite r si, in fid e lis ex isten s, fu erit em p-
tus ad servitiu m . S i autem fu erit em ptus ad m ercation em , tenetu r
eum infra tres m en ses e x p o n e r e ad v en d en d u m . N ec in hoc in ­
juriam facit E cclesia: quia, cum ip si Ju d a ei sin t se r v i E cclesiae,
potest d isp on ere de reb u s eoru m ; sicu t etiam p rin cip es saecu -
lares m ultas le g e s ed id eru n t circa su o s su b d itos in favorem
lib ertatis. —- In illis v ero in fid elib u s q u i tem p oraliter E cclesiae
v e l e ju s m em bris non su bjacen t, praedictum jus E cclesia non
statu it: licet posset in stitu ere de jure. Et hoc facit ad scandalum
vitandum . Sicut etiam D om inus, Matth. 17, ostend it quod poterat
se a tributo excu sare quia „lib eri su n t filii“ : se d tarnen m anda-
vit tributuni so lv i ad scand alu m vitandum . Ita etiam et P aulus,
cum d ix isset quod se r v i dom inos su os bon orarent, su b ju n git:
„N e n o m en D om in i et doctrina b lasp h em etu r.“
U n d e patet responsio AD PRIM UM .
AD SEC UND UM dicen du m quod illa p raelatio C aesaris prae-
existeb at distinctioni fidelium ab in fid e lib u s: u n d e non solvebatur
per con version em aliq uorum ad fidem . Et u tile erat quod aliq ui
fid e le s locum in fa m ilia Im p eratoris hab eren t, ad d efen d en d u m
alios fid eles: sicut beatu s S eb a stia n u s C hristianorum anim os,

222
er auf der Polter schwach werden sah, bestärkte und noch 10,11
weiterhin in der Leibwache Diokletians unter dem Sol­
datenmantel unerkannt lebte.
Z u 3. Sklaven unterstehen ihren Herren f ür das ganze
Leben und Untergebene ihren Vorgesetzten zu jeglicher
Dienstleistung; die Gehilfen von W erkmeistern aber unter­
stehen diesen nur zu bestimmten Arbeiten. Daher ist es
gefahrvoller, wenn Ungläubige Herrschaftsgewalt oder
eine obrigkeitliche Stellung über Gläubige erhalten, als
wenn sie von ihnen Dienstleistung in irgendeinem Hand­
werk empfangen. Darum läßt es die Kirche zu, daß Chri­
sten die Ländereien von Juden bebauen können; denn
sie befinden sich deshalb nicht in der Notwendigkeit, mit
ihnen zusammen zu leben. So hat auch Salomon von dem
König von Tyrus W erkmeister erbeten, um Bäume zu
fällen (1 [3] Kg 5, 2 ff.). — Dennoch wäre, wenn aus sol­
chem Umgang und Zusammensein ein Abfall der Gläubigen
zu besorgen wäre, dieses gänzlich zu verbieten.

11. A R T I K E L
Darf man die gottesdienstlichen Gebräuche der
Ungläubigen dulden?
1. Es liegt auf der Hand, daß die Ungläubigen durch
Beobachtung ihrer Religionsbräuche sündigen. Der Sünde
aber scheint zuzustimmen, wer sie nicht verhindert, ob-

QÜAESTIO 10, 11
quos in torm entis viele,bat deficere, confortabat, et adh uc lateb at
su b m ilitari chlam yde in dom o D iocletian i.
AD TERTIUM dicendum quod serv i su b jiciu n tu r d om in is su is
ad totam vitam , et su b d iti p ra efectis ad om nia n eg o tia : se d
m inistri artificum su bduntur eis ad aliq u a sp eoialia opera. U n de
p ericu losiu s est quod in fid e le s accipiant dom inium v e l p ra ela ­
tionem su p e r fid e le s quam quod accipiant ab e is m in isteriu m in
aliq u o artificio. Et id eo p erm ittit E cclesia quod C hristiani pos­
sin t colere terras Ju d aeoru m : quia per hoc non h ab en t n ecesse
conversari cum eis. S alom on etiam ex p etiit a rege T yri m agistros
operum ad lig n a caed en d a ut hab etu r 3 Reg. 5. — Et tarnen
s i e x tali com m u nication e v e l convictu su b versio fid eliu m tim e-
retur esset p en itu s interd icen du m .

ARTICULUS XI
Utrum infidelium ritus sint tolerandi
A D UNDECIM UM sic proceditur. V id etu r quod ritu s infi-
deliu m non sin t toleran d i. M anifestum est enim quod in fid eles
in su is ritibus peccant eos servan d o. Sed peccato vid etu r consen-

223
10, ii wohl er es konnte. So äußert sich auch die Glosse über
Röm 1, 32: „Nicht nur, die es selbst tun, sondern auch die,
die Beifall spenden denen, die es tun.“ Also sündigen die,
die ihre Religionsbräuche dulden.
2. Die Religionsbräuche der Juden werden dem Götzen­
dienst an die Seite gestellt; denn über Gal 5, 1 ,Laßt euch
nicht wiederum das Joch der Sklaverei aufbürden“ sagt die
Glosse: „D ie Sklaverei dieses Gesetzes ist nicht leichter
als die des Götzendienstes.“ Nun würde man aber nicht
zugeben, daß irgendwelche einen Götzendienst ausübten.
Und in der Tat haben die christlichen Fürsten, w ie Augu­
stinus berichtet, die Götzentempel zunächst schließen,
dann zerstören lassen. Demnach dürften auch die Reli­
gionsbräuche der Juden nicht geduldet werden.
3. Die Sünde des Unglaubens ist die schwerste Sünde
(Art. 3). Andere Sünden aber werden nicht geduldet,
sondern nach dem Gesetze bestraft, z. B. Ehebruch, D ieb­
stahl und anderes Derartiges. Also dürfen auch die Reli­
gionsbräuche der Ungläubigen nicht geduldet werden.
ANDERSEITS sagt Gregorius: „So, w ie sie bisher selbst
und ihre Väter durch lange Zeiträume hindurch an ihren
Festen eifrig festgehalten haben, sollen sie sie alle in
voller Freiheit beobachten und feiern können.“
ANTWORT: Menschliches Regieren hat seine Quelle im
göttlichen Regieren, muß sich also dieses zum Vorbild
QUAESTI O 10, u
tire qui n on proh ib et cum prohib ere possit: u t h ab etu r in
PU 17 G lossa Rom . 1 [A m b ros.] su p e r illu d „Non solu m qui faciunt,
« ® (£ se d et qui consentiun t fa cien tib u s.“ Ergo peccan t q u i eorum
ritus tolerant.
2. PRAETEREA, ritu s Jud aeorum id o lo la tria e com parantur:
quia su p er illu d Gal. 5 : „N olite iteru m ju go servitu tis co n tin eri“,
PL 192 d icit G lossa. [Lom bard, e x A u g .]: „Non est levior hujus
26/394 leSis se r v itu s quam id olo la tria e.“ S e d non su stin eretu r quod
id ololatriae ritum aliq u i ex erceren t: qu inim m o C hristianorum
p rin cip es tem p la idoloru m prim o claudi, et postea dirui fece-
pl 41/620 runt, ut A u gu stin u s narrat, 18 de Civ. D e i [cap. 54], Ergo
secu n d u m hoc etiam ritus Ju d aeoru m tolerari non d ebent.
3. PRAETEREA, peccatum in fid elitatis est gravissim um , ut
su p ra dictum est. S ed alia peccata non tolerantur, se d le g e
pu niun tur: sicu t adu lteriu in , furtum et alia hu jusm odi. Ergo
etiam ritu s in fid eliu m toleran d i non sunt.
Frdb. 1/161 SED CONTRA est quod in D ecretis, dist. 45, can. „Qui sin-
PL77/1268 cera“, dicit G regorius de J u d a eis [E pist. lib. 13, n. 12] : „Omnes
festiv ita tes su as, sicut hactenus ip si et p atres eoru m p er longa
co len tes tem pora ten u eru n t, lib eram hab ean t observand i cele-
bran d iq u e lic e n tia m .“
RESPONDEO dicen du m quod h u m anu m reg im en d erivatu r a
d ivin o regim in e, et ipsu m d eb et im itari. D eu s autem , quam vis

224
nehmen. Gott nun läßt, w iew ohl er allmächtig und im 10,11
höchsten Grade vollkommen ist, dennoch innerhalb des
Weltganzen manche Übel, die Er verhindern könnte, zu,
damit nicht durch ihre Beseitigung Gutes von höherem
Wert unterbunden oder gar schlimmere Übel als Folge
eintreten würden. So nun dulden auch im Bereich mensch­
lichen Regierens die Vorsteher in berechtigter W eise
manche Übel, damit Gutes nicht verhindert werde, oder
auch, damit man sich nicht noch schlimmeren Übeln aus­
setze. So sagt z. B. Augustinus: „Entferne die Buhlerinnen
aus der menschlichen Gesellschaft, und du wirst durch die
sinnlichen Leidenschaften alles in Unordnung bringen.“ So
können also die Ungläubigen in ihren Religionsgebräuchen
geduldet werden, obwohl sie damit sündigen; sei es wegen
eines Guten, das daraus erwächst, oder um eines Übels
willen, dem man damit vorbeugt.
Daraus aber, daß die Juden ihre Religionsgebräuche
hüten, in denen einst die Wahrheit des von uns festgehal­
tenen Glaubens vorgebildet war, erwächst dieses Gute, daß
wir von seiten unserer Feinde ein Zeugnis für unsern
Glauben haben und daß uns gleichsam im Bilde vor Augen
steht, was wir glauben. Eben deshalb werden sie in ihren
Gebräuchen geduldet. — Die Gebräuche anderer Ungläu­
biger aber, die keinerlei Wahrheit oder Nutzen an die
Hand geben, darf man nicht dulden, außer etwa, um einem
Übel vorzubeugen, z. B. um Anstoß zu vermeiden oder
Zwietracht, die daraus erwachsen könnte, oder um der
Rettung solcher nichts in den Weg zu legen, die, solcher-

QUAESTIO 10, 11
sit om nipotens et su m m e bonus, p erm ittit tarnen aliq u a m ala
fleri in u n iverso, q u ae p roh ib ere posset, n e, eis su b latis, m ajora
bona tollerentu r, v e l etiam p ejo ra m ala seq u eren tu r. S ic igitu r et
in r eg im in e hum ano illi qui p raesun t recte aliq u a m ala tolerant,
n e aliq ua b on a im pediantu r, v e l etiam n e aliq u a m ala p ejora
incurrantur: sicut A u gu stin u s dicit in 2 d e O rdine [cap. 4 ] : PL 32/1000
„A u fer m eretrices de rebus hum anis, tu rb averis om nia lib id in i-
bu s.“ S ic igitu r, qu am vis in fid eles in su is ritibu s peccent, tolerari
possunt v e l prop ter aliq u od bonum quod e x eis p rovenit, v el
propter aliq uod m alum quod vitatur.
E x hoc au tem quod Ju d a ei ritus su os observant, in quibus
olim praefigurabatur verita s fidei quam ten em u s, hoc bonum
p rovenit quod testim on ium fidei nostrae hab em u s ab hostibus,
et q u asi in figura n ob is rep raesen tatu r quod credim us. Et id eo
in s u is ritib u s tolerantur. — A lioru m vero in fid eliu m ritus, qui
n ih il v eritatis aut u tilitatis afferunt, non su nt a liq u a liter to le­
randi, n isi forte ad aliquod m alum vitan d u m : scilicet ad vitan-
dum scand alu m v e l dissidium quod e x hoc posset p roven ire, v e l
im p ed im en tu m sa lu tis eorum , qui pau latim , sic tolerati, conver-

15 15 225
10,12 maßen geduldet, sich allmählich zum Glauben bekehren.
Aus diesem Grunde nämlich hat die Kirche zuzeiten auch
die Religionsgebräuche von Häretikern und Heiden ge­
duldet, wenn die Zahl der Ungläubigen sehr groß war.
Daraus ergibt sich die Antwort auf die Einwände.

12. ARTIKEL
Darf man die Kinder von Juden oder anderen Ungläubigen
gegen den Willen ihrer Eltern taufen?
1. Das Eheband ist stärker als das Recht der väterlichen
Gewalt über die Kinder; denn das Recht der väterlichen
Gewalt kann durch den Menschen aufgelöst werden, da
der Sohn dem Fam ilienbande entwächst; das Eheband
jedoch kann durch den Menschen nicht aufgelöst werden,
nach Mt 19, 6: „Was Gott verbunden hat, soll der Mensch
nicht trennen.“ Nun wird aber des Unglaubens wegen das
eheliche Band gelöst; denn der Apostel sagt 1 Kor 7, 15:
„Will der Ungläubige sich scheiden lassen, so mag er es
tun; in solchen Fällen ist der Bruder oder die Schwester
nicht gebunden“ ; und die Gesetzessammlung [des Gratian ]
sagt, wenn der ungläubige Eheteil mit dem ändern nicht,
ohne seinen Schöpfer zu beleidigen, Zusammenleben wolle,
so dürfe der andere nicht mit ihm gemeinsam wohnen.“
Um w ieviel mehr wird durch den Unglauben das Recht
Ql'AESTIO 10, is

tuntur ad fidem . P rop ter hoc enim etiam h aereticorum et pa­


ganorum ritus aliq uan do E cclesia toleravit, quando erat m agna
in fid eliu m m ultitudo.
Et p er hoc patet responsio ad objecta.

A R T I C U L U S X II
Utrum p u e r i J u d a e o r u m e t a l i o r u m infidelium
sint invitis parentibus baptizandi
[III 68, 10; 2 Q u o d llb ., q. 4, a r t. 21
AD DUODECIM UM sic proceditur. V id etu r quod p u eri Jud ae-
orum et aliorum infid eliu m sin t bap tizand i paren tib u s invitis.
M ajus en im est vin cu lu m m atrim on iale quam ju s p atriae po-
testatis in p u ero: qu ia ju s p atriae p otestatis potest p e r hom inem
so lv i, cum filiu s fa m ilia s em an cip etu r; vin cu lu m au tem m atri­
m on iale n on potest so lv i p er hom inem , secu n d u m illu d Matth. 19:
„Quod D eu s con ju n xit hom o non se p a r e t.“ S e d propter in fid e-
litatem solvitu r vinculum m atrim on iale: dicit enim A p ostolus 1 ad
Cor. 7: „Quod si in fid e lis discedit, discedat: non enim servitu ti
Frdb. su bjectu s est frater aut soror in h u ju sm o d i“ ; et Canon [caus. 28,
1/1090 qU 2 ] dicit quod s i co n ju x in fid e lis non vu lt sin e contum eiia
su i C reatoris cum altero stare, tune a lter conjugu m non debet
ei cohabitare. Ergo nuilto m agis propter in fidelitatem tollitur

226
der väterlichen Gewalt über die eigenen Kinder aufgeho- 10,12
ben. Also können die Kinder solcher gegen deren W illen
getauft werden.
2. In höherem Maße ist man verpflichtet, einem Men­
schen in der Gefahr des ewigen Todes beizuspringen als
in der Gefahr des leiblichen Todes. Sähe nun aber jemand
einen Menschen in der Gefahr des leiblichen Todes und
brächte ihm keine Hilfe, so würde er sündigen. Also
scheint es: da die Kinder der Juden und anderer Ungläu­
biger in der Gefahr des ewigen Todes sind, wenn sie ihren
Eltern, die sie in ihrem eigenen Unglauben unterweisen,
überlassen bleiben, so sind sie ihnen wegzunehmen, zu
taufen und im Glauben zu unterrichten.
3. Die Kinder von Sklaven sind wiederum Sklaven und
in der Gewalt ihrer Herren. Die Juden aber sind Sklaven
der Könige und Fürsten. Also auch ihre Kinder. Dem­
nach haben die Könige und Fürsten die Befugnis, mit den
Kindern der Juden zu machen, was sie wollen. Also wird
es auch kein Unrecht sein, wenn sie gegen den W illen der
Eltern sie taufen.
4. Jeglicher Mensch gehört in höherem Grade Gott, von
dem er die Seele hat, als seinem leiblichen Vater, von
dem er nur den Leib hat. Es ist also kein Unrecht, wenn
die Kinder der Juden ihren leiblichen Eltern genommen
und durch die Taufe Gott geheiligt werden.
5. Die Taufe ist zum H eile wirksamer als die Predigt;
denn durch die Taufe wird auf der Stelle die Befleckung
QUAESTIO 10, is

ju s p atriae p otestatis in su os filios. P ossu nt ergo eorum filii


baptizari e is in vitis.
2. PRAETEREA, m agis d eb et h om in i su b v e n iri circa peri-
culum m ortis a e ter n a e quam circa p ericulum m ortis tem p oralis.
S e d s i aliq u is v id eret h o m in em in p ericu lo m ortis tem p oralis
et ei non fe rr et a u xiliu m , peccaret. Cum ergo filii Jud aeorum
et aliorum in fid eliu m sin t in pericu lo m ortis a e ter n a e s i paren ti-
bus relinqu un tur, q u i e o s in su a in fid elita te inform ant, videtur
quod sin t e is a u fe r en d i et b ap tizan d i et in fid e in stru en d i.
3. PRAETEREA, filii servoru m su nt servi et in potestate dom i-
norum . S e d J u d a ei su n t se r v i regum et principuin. Ergo et filii
eorum . R eges ergo et p rin eip es hab en t p otestatem de filiis J u ­
daeorum fa cere quod volu erin t. N ulla ergo erit in ju ria si eos
b aptizent in v itis parentibus.
4. PRAETEREA, q u ilib e t hom o m agis est D ei, a quo habet
anim am , quam patris carn alis, a quo h ab et corpus. N on ergo
est injustum s i p u eri Ju d aeoru m carn alibu s p aren tib u s auferan-
tur et D eo p er baptism um consecrentur.
5. PRAETEREA, bap tism us efficacior est ad salu tem quam
p raedicatio: quia per baptism um statim tollitur peccati m acula,

15* 227
10,12 durch die Sünde, der Grund zur Bestrafung, hinweggenom-
men und der Zugang zum Himmel eröffnet. W enn aber
aus Unterlassung der Predigt Gefahr folgt, so fällt dies
dem zur Last, der nicht gepredigt hat, w ie es Ez 3, 18; 33 ,6
von dem [Wächter] heißt, der „ein Schwert kommen sieht
und doch nicht in die Trompete stößt“. W erden also die
Kinder der Juden w egen Unterlassung der Taufe verwor­
fen, so wird es um so mehr denen zur Sünde angerechnet,
die sie hätten taufen können und es nicht getan haben.
ANDERSEITS darf niemand ein Unrecht angetan wer­
den. Es würde aber den Juden Unrecht geschehen, wenn
ihre Kinder gegen ihren W illen getauft würden; denn sie
verlören dann das Recht der väterlichen Gewalt über ihre
nunmehr gläubigen Kinder. Also dürfen diese nicht gegen
ihren [der Eltern] W illen getauft werden.
ANTWORT: Maßgebendes Ansehen hat der Brauch der
Kirche. Ihm ist immer und in allem nachzueifern. Emp­
fängt doch selbst die Lehre der katholischen Lehrer von
der Kirche Autorität, weshalb man sich mehr an die Auto­
rität der Kirche als an die Autorität eines Augustinus
oder eines Hieronymus oder jeglichen sonstigen Lehrers
zu halten hat. Nun ist es niem als Übung der Kirche ge­
w esen, daß die Kinder der Juden gegen den W illen der
Eltern getauft wurden, obgleich es in den zurückliegenden
Zeiten viele sehr mächtige katholische Fürsten gegeben
hat, w ie Konstantin oder Theodosius, denen hervorragend
heilige Bischöfe nahegestanden haben, w ie Silvester dem
Konstantin und Ambrosius dem Theodosius, die es keines-
q u a e s t i o 10, 12

reatu s p o en a e, et a p eritu r jan u a coeli. S ed si pericu lu m seq u itu r


e x d efectu praed ication is, im putatur e i qui non p raed icavit: ut
hab etu r Ezech. 3, et 33 de eo q u i „vid et gladium v e n ien tem et
non in son u erit tu b a“. Ergo m ulto m agis, si p u eri Jud aeorum
dam n en tur propter d efectum bap tism i im p u tatu r ad peccatum
e is q u i potu erun t bap tizare et non baptizaverunt.
SED CONTRA, n em in i facien d a est injuria. F ie re t autem
J u d a eis in ju ria s i eorum filii b ap tizaren tur e is in vitis: quia
am itteren t jus p atriae potestatis in filio s jam fid eles. Ergo eis
in v itis non su nt baptizandi.
RESPONDEO dicen du m qu od m axim am h ab et auctoritatem
E cclesiae consu etu do, q u ae sem p er est in om nibus aem ulanda.
Q uia et ip sa doctrina Catholicorum Doctorum ab E cclesia auc­
toritatem h ab et: u n d e m agis standum est auctoritati E cclesiae
quam auctoritati v e l A u gu stin i v e l H ieron ym i v e l cujuscum que
D octoris. H oc au tem E celesiae u su s nunq uam h a b u it quod J u d a e­
orum filii in v itis p aren tib u s bap tizaren tur: qu am vis fu e r in t re-
troactis tem p orib us m ulti Catholici p rin cip es poten tissim i, ut
Constantinus, T heodosius, qu ib u s fa m iliä res fu eru n t sanctissim i
episcopi, ut S ilv ester C onstantino et A m b rosiu s T heodosio, qui

228
falls unterlassen hätten, etwas von ihnen zu erwirken, 10, 12
wenn dies mit der Vernunft übereingestimmt hätte. So
scheint es denn gefährlich, ganz neu die Behauptung auf­
zustellen, gegen die bisher in der Kirche beobachtete Ge­
wohnheit seien die Judenkinder gegen den W illen ihrer
Eltern zu taufen.
Der Grund dafür ist ein zweifacher. Der eine liegt in
der Gefahr für den Glauben. Empfingen nämlich die Kin­
der, ehe sie zum Vernunftgebrauch gelangt sind, die Taufe,
so könnten sie nachträglich, wenn sie die Reife erreichten,
leicht von ihren Eltern dazu gebracht werden, aufzugeben,
was sie noch unwissend auf sich genommen haben. Dies
aber würde zum Schaden für den Glauben ausschlagen.
Der andere Grund ist der, daß es der natürlichen Ge­
rechtigkeit widerstrebt. Denn der Sohn ist von Natur aus
etwas vom Vater. Und zwar unterscheidet er sich zunächst,
solange er im Leibe der Mutter ist, dem Leibe nach über­
haupt nicht von seinen Erzeugern. Und nachher, wenn
er den Mutterleib verlassen hat, aber noch keiner freien
W illensentscheidung fähig ist, ist er unter der Obhut der
Eltern w ie in einem geistigen Mutterschoß eingeschlossen.
Denn solange das Kind seiner Vernunft nicht mächtig ist,
unterscheidet es sich nicht von einem vernunftlosen Lebe­
wesen. W ie also ein Rind oder ein Pferd jemandem ge­
hört, der sich nach bürgerlichem Recht seiner nach freiem
Ermessen w ie eines in seinem Eigentum stehenden Werk­
zeuges bedient, so steht der Sohn nach natürlichem Recht,
ehe er seiner Vernunft mächtig ist, unter der Vormünd­

ern a e s t 1 0 10, 12
nu llo m odo p ra eterm isissen t ab e is im p etrare, s i hoc esse t con-
son um rationi. Et id eo p ericu losu m v id etu r hanc assertionem
d e novo in d u cere, ut praeter con su etu d in em in E cclesia hac-
ten u s ohservatam , Judaeorum filii in vitis paren tib u s baptizentur.
Et hu jus ratio est d u p lex . U na qu id em propter periculum
fidei. S i enim p u er i nondum usum ration is h ab en tes baptism um
su scip eren t, postm odum , cum ad p erfectam aetatem p erven iren t,
de fa c ili p ossen t a p aren tib u s ind uci u t relin q u eren t quod ig n o ­
ran tes su scep eru n t. Quod v e rg e re t in fid ei d etrim entu m .
A lia vero ratio est qu ia rep u gn at ju stitia e natu rali. F iliu s
enim n atu raliter est a liq u id patris. Et prim o qu idem a p a ren ti­
bus non d istin gu itu r secu n d u m corpus, q u am diu in m atris utero
continetur. Postm odum vero, postquam ab utero egreditur, ante-
quam usum lib er i arbitrii h ab eat, con tin etu r su b p arentum cura
sicut su b quodam sp iritu a li utero. Q uam diu enim usum rationis
non h a b et pu er, non differt ab a n im ali irration ali. U n d e sicut
bos v e l eq u u s est alicu ju s ut utatur eo cum volu erit, secundum
jus c iv ile, sicut proprio instrum ento; ita de ju re n atu rali est
quod filius, antequ am hab eat usum rationis, sit su b cura patris.

229
10, 12 schaft des Vaters. Es wäre also gegen das natürliche Recht,
wenn ein Kind, ehe es den Gebrauch der Vernunft hat, der
Vormundschaft der Eltern entzogen würde, oder wenn
über es etwas gegen den Willen der Eltern verfügt würde.
Sowie es aber anfängt, den freien Willensgebrauch zu
haben, fängt es an, sein eigener Herr zu sein, und kann im
Bereich des göttlichen oder natürlichen Rechts über sich
selbst verfügen. Und nun ist es zum Glauben anzuhalten,
nicht durch Nötigung, sondern durch Zureden, und es
kann jetzt auch gegen den W illen der Eltern dem Glauben
beistimmen und sich taufen lassen; nicht aber, ehe es den
Gebrauch der Vernunft hat. Daher heißt es von den Kin­
dern der Väter der Vorzeit: „Im Glauben der Eltern haben
sie das Heil erlangt.“ Dadurch wird zu verstehen gegeben,
daß es den Eltern zusteht, für ihre Kinder hinsichtlich
ihres Heiles Vorsorge zu treffen, namentlich, ehe sie den
Gebrauch der Vernunft haben [50].
Z u l . In der Ehe hat jeder Eheteil den freien W illens­
gebrauch, und jeder kann, auch gegen den W illen des än­
dern, dem Glauben beistimmen. Dies aber ist nicht der
Fall bei einem Kind, bevor es seiner Vernunft mächtig
ist. Erst wenn e s'd ie s ist, liegt der Fall ähnlich, falls es
den W illen hat, sich zu bekehren.
Z u 2. Dem leiblichen Tode darf niemand gegen die
staatliche Rechtsordnung entrissen werden. Z. B. wenn
einer von dem zuständigen Richter zum leiblichen Tode

QUAESTIO 10, 12

U n d e contra justitiam naturalem esset si puer, antequ am habeat


usum rationis, a cura parentum subtrahatur, v e l de eo aliquid
ordinetur in vitis parentibus. Postquam autem in cip it h ab ere usum
liberi arbitrii, jam in cip it esse suus, et potest, quantum ad ea
qu ae su n t juris divin i v e l natu ralis, sib i ip si p rovid ere. Et tune
est ind ucen dus ad fidem non coactione, se d p ersu asion e; et potest
etiam in v itis p arentibus consentire fid ei, et b ap tizari: non autem
antequ am h ab eat usum rationis. U n d e de p u eris antiquorum
Patrum dicitu r quod „salvati su n t in fide p aren tu m “ :1 p er quod
datur in te llig i quod ad p aren tes p ertin et p rovid ere filiis de sua
salu te, p raecip u e antequ am h ab ean t usum rationis.
AD PRIM UM ergo dicendum quod in vin cu lo m atrim oniali
uterq u e conjugu m h ab et usum lib e r i arbitrii, et u terq u e potest
in vito altero fid ei assen tire. S ed hoc n on h a b et loeu m in pu ero
antequ am h a b ea t usum ration is. S e d postquam h a b et usum
rationis, tune ten et sim ilitu d o, s i con verti voluerit.
A D SEC U N D U M dicen du m q u od a m orte n atu rali non est
a liq u is e rip ien d u s contra ordinem ju ris c iv ilis: puta si quis
a su o jud ice condem netur ad m ortem tem p oralem , n u llu s debet
1 Cf. L o m b . IV S en t., d ist. 1, c. 7; PL 192/841 A.

230
verurteilt ist, darf ihn niemand mit Gewalt befreien. Ent- 10, 12
sprechend darf auch niemand die Ordnung des natürlichen
Rechtes stören, kraft dessen der Sohn unter der Vormund­
schaft des Vaters steht, um ihn der Gefahr des ewigen
Todes zu entreißen.
Z u 3. Die Juden sind Sklaven der Fürsten im staats­
rechtlichen Sinne, eine Leibeigenschaft, welche die natur­
hafte und göttliche Rechtsordnung nicht ausschließt.
Z u 4. Der Mensch ist auf Gott hingeordnet vermöge der
Vernunft, durch die er Ihn zu erkennen vermag. Ehe das
Kind also seiner Vernunft mächtig ist, ist es der natür­
lichen Ordnung nach auf Gott hingeordnet verm ittels der
Vernunft seiner Eltern, deren Obhut es natürlicherweise
untersteht. Und nach ihrer Anordnung sind seine religiö­
sen Verhältnisse zu behandeln.
Z u 5. Die Gefahr, die aus Unterlassung der Predigt
folgt, fällt einzig denen zur Last, denen das Predigtamt
aufgetragen ist. Darum ist Ez 3, 17 vorausgeschickt: „Dich
habe ich zum Wächter über die Söhne Israels bestellt.“
Vorsorge zu treffen aber für die Kinder der Ungläubigen
hinsichtlich der Sakramente des Heils steht ihren Eltern
zu. Daher liegt auf ihnen die Verantwortung, w enn ihre
Kinder wegen Vorenthaltung der Sakramente hinsichtlich
ihres H eiles Schaden erleiden.

QUAESTIO 10, 12

eum v io le n te r erip e re . U n d e n ec a liq u is d eb et ru m pere ordinem


ju ris natu ralis, qu o filiu s est su b cura patris, ut eum lib eret
a pericu lo m ortis a e tern a e.
A D TERTIUM dicen du m quod Ju d a ei su n t se r v i principum
serv itu te civili, q u a e non ex clu d it ordinem juris n atu ralis v e l
d ivin i.
A D QUARTUM d icen d u m quod hom o ordinatur ad D eu m per
rationem , p er quam eum cognoscere potest. U n d e pu er, ante-
quam usum ration is hab eat, naturali o rd in e ordinatur in D eum
p er rationem parentum , quorum cu rae n atu raliter su b jacet: et
secu n d u m eoru m d isp ositio n em sunt circa ipsum divin a agenda.
AD Q UINTUM dicen du m quod pericu lu m quod seq u itu r de
praed ication e om issa non im m in et n isi e is qu ib u s com m issum
est officium praed ican d i: u n d e in Ezech. praem ittitur: „Specula-
torem d ed i te filiis Isra e l.“ P rovid ere autem p u eris infidelium
de sa cram en tis sa lu tis p ertin et ad p a ren tes eorum . U n d e eis
im m in et pericu lu m si propter su btractionem sacram entorum ,
eorum parvuli detrim entu m sa lu tis patiantur.

231
11,1 11. F R A G E
DIE HÄRESIE
Nunmehr ist die Häresie ins Auge zu fassen. Dazu
ergeben sich vier Einzelfragen:
1. Ist die Häresie eine Art von Unglauben?
2. Der Inhalt, auf den sie sich bezieht.
3. Sollen Häretiker geduldet werden?
4. Sollen sie wieder aufgenommen werden, wenn sie
umkehren?
1. ARTIKEL
Ist Häresie eine A rt von Unglauben?
1. Der Unglaube hat seinen Sitz im Verstände (10, 2).
Häresie aber scheint nicht dem Verstand zuzugehören,
sondern eher dem Strebevermögen. Hieronymus sagt näm­
lich darüber, und es steht auch in der Gesetzessammlung
[des G ratian]: „Das griechische Wort Häresie bedeutet
Wahl, w eil nämlich ein jeder für sich diejenige Lehre
wählt, die er für die bessere hält.“ Wählen aber ist ein
Akt des Strebevermögens (I—II 13, 1: Bd. 9). Also ist
Häresie nicht eine Art von Unglauben.
2. Ein Laster empfängt seine Artbesonderheit vornehm­
lich von seinem Ziele; daher sagt Aristoteles: „Wer Ehe­
bruch treibt, um zu stehlen, ist mehr ein Dieb als ein
Ehebrecher.“ Ziel der Häresie aber ist ein irdischer Vor-

QUAESTIO XI

D E H AERESI
D e in d e considerandu m est de h aeresi.
Circa quam q u aerun tur quatuor: 1. U trum h a eresis sit infi­
d elitatis sp ecies. — 2. D e m ateria e ju s circa quam est. —
3. Utrum h aeretici sin t toleran d i. — 4. Utrum rev erten tes sin t
recip ien d i.
ARTICULUSI
Utrum h a er es is sit i n f i d e l i t a t i s sp ec i es
[Supra 10, 5; in fra 94, 1 ad 1; 4 Sent., dist. 13, q. 2, a. 1]
A D PRIM UM sic proceditur. V id etu r quod h a e r esis non sit
in fid elitatis sp ec ies. In fid elitas enim in in tellectu est, ut su pra
dictum est. S e d h a e r esis non v id etu r ad intellectu m p ertin ere,
PL 26/417 se d m agis ad vim ap p etitivam . D icit en im H ieron ym u s [Comm.
F id b .
1/997 sq. su p. Ep. ad Gal. lib. 3. ad cap. 5, vers. 19 sqq.] et h ab etu r in
D ecret. 24, quaest. 3: „H aeresis graece ab electio n e dicitur, quod
scilicet eam sib i u n u sq u isq u e elig a t discip lin am qu am putat esse
m elio rem .“ E lectio a u tem e st actus a p p etitiv a e virtu tis, ut su pra
dictum est. Ergo h a e r esis n on est in fid elitatis sp ec ies.
2. PRAETER EA, vitiu m p ra ecip u e accipit sp ec iem a fine:
1130 a u n de P h ilosop h u s dicit in 5 Ethic. [cap. 4 ] , quod „ ille qui m oe-
24 sqq.
chatur ut furetu r, m agis e st für quam m oech u s“. S e d finis h aere-

232
teil, und zwar meistens Geltung und Ehre, und dies fällt 11, 1
unter das Laster des Hochmuts oder der Begierlichkeit.
Augustinus sagt näm lich: „Ein Häretiker ist einer, der um
eines irdischen Vorteils w illen und vornehmlich aus Ehr­
geiz und Herrschsucht unwahre und neue Meinungen auf-
bringt oder sich solchen anschließt.“ Also ist Häresie nicht
eine Art von Unglauben, sondern mehr von Hochmut.
3. Da der Unglaube seinen Sitz im Verstände hat, so
scheint er nichts mit dem Fleische zu tun zu haben. Häre­
sie aber gehört zu den Werken des Fleisches. Der Apostel
sagt nämlich (Gal 5, 1 9 f.): „Offenkundig sind die Werke
des Fleisches: Unzucht, Unkeuschheit“ ; und unter den
übrigen nennt er dann sogleich: „Spaltungen, Lehrabson-
derungen“, die dasselbe bedeuten w ie Häresien. Also ist
Häresie nicht eine Art von Unglauben.
ANDERSEITS bildet Unwahrheit den Gegensatz zu
Wahrheit. „Ein Häretiker aber ist, wer unwahre und neue
Meinungen aufbringt oder sich solchen anschließt.“ Also
setzt er sich in Gegensatz zur Wahrheit, auf w elcher der
Glaube aufruht. Also ist Häresie eine Art von Unglauben.
ANTWORT: Die Bezeichnung Häresie bedeutet Wahl.
Wählen aber findet unter dem statt, w as einem Ziele dient,
wobei das Ziel [selbst] vorausgesetzt wird (I—II 13, 3:
Bd. 9). Bei den Glaubensdingen aber gibt der W ille zu
einer Wahrheit w ie zu dem ihm eigenen Gut seine Zu­
stimmung (4, 3 u. 5). Daher hat das ursprüngliche Wahre
QUAESTIO 11, l

s is est com m odum tem p orale, et m axim e p rin cip atu s et gloria,
q u od p ertin et ad vitiu m su p e rb ia e v e l cu p id itatis: dicit enim
A u gustin us in libro de u tilita te cred en d i [cap. 1 ], quod „haere- PL 42/65
tieu s est qui a lic u ju s tem p oralis com m odi et m a x im e gloriae CSEL
p rin cip atu sq u e su i gratia, fa lsa s ac novas o p in io n es v e l gign it 251/3
v e l se q u itu r “. Ergo h a e r e sis non est sp ec ies in fid elitatis, sed
m agis su p erb ia e.
3. PRAETEREA, in fid elitas, cum sit in in tellectu , n on v id etu r
ad carn em p ertin ere. S e d h a e r e sis p e r tin et ad op era carnis:
dicit enim A p ostolus ad Gal. 5 : „M anifesta su n t op era carnis,
qu ae sunt fornicatio, im m u n d itia“ ; e t in ter cetera postm odum
su bd it „d issen sion es, se c ta e “, qu ae sunt id em quod h aereses.
Ergo h a e r e sis n o n est in fid elitatis sp ec ies.
SED CONTRA est quod falsitas veritati opponitur. S ed „haere- ibid.
ticu s est qui fa lsa s v e l novas o p in io n es v e l g ig n it v e l se q u itu r “.
Ergo opp onitur veritati, cui fid e s inn ititur. Ergo su b infidelitate
continetur.
RESPONDEO dicen du m quod n om en h aeresis, sicut dictum
est, election em im portat. E lectio autem , ut su pra dictum est, est
eorum qui su nt ad finem , p raesup posito fine. In cred en d is au­
tem volun tas assen tit alicu i vero tanquam proprio bono; ut ex
su pra dictis patet. U n d e quod est p rin cip ale verum , hab et ratio-

16 15 233
11, i die Bewandtnis des letzten Zieles; was aber nur nach­
geordnet ist, hat die Bewandtnis dessen, was zum Ziele
führt. W eil aber jeder, der glaubt, dem Worte jemandes
zustimmt, so scheint bei jeglichem Glauben derjenige das
Ursprüngliche und gleichsam das Ziel zu sein, dessen
Wort man beipflichtet; als Nachgeordnetes aber gilt das,
mit dessen Festhalten man jemandem zustimmen will.
Wer also den christlichen Glauben hat, stimmt mit seinem
W illen Christus bei in dem, was wahrhaft zu Seiner Lehre
gehört. Demnach kann jemand auf zweifache W eise von
der Richtigkeit des christlichen Glaubens abweichen. Ein­
mal, indem er Christus selbst nicht beistimmen w ill, und
ein solcher hat hinsichtlich des Zieles selbst gleichsam
einen bösen W illen. Dies trifft auf die Art des Unglaubens
der Heiden und der Juden zu. Sodann, indem er zwar
Christus beizustimmen gesonnen ist, aber abweicht bei
der Wahl dessen, worin er Christus beistimmen soll,
w eil er nicht das erwählt, was wahrhaft von Christus dar­
geboten ist, sondern solches, was ihm das eigene Denken
eingibt. Demnach ist H äresie eine Art des Unglaubens,
geltend für solche, die zwar den Glauben Christi beken­
nen, aber seine Lehrsätze entstellen.
Z u l . D ie Wahl hat auf dieselbe W eise eine Beziehung
zum Unglauben w ie der W ille zum Glauben (Antwort).
Z u 2. Die Laster erhalten ihre Artbestimmtheit von
ihrem nächsten Ziel, von dem entfernteren Ziel aber ihre
Gattungsbestimmtheit und ihre Verursachung. Wenn z. B.

QOAESTIO 11, 1

n em fin is Ultim i: q u ae autem secu n d aria su nt h ab en t rationem


eoru m qu ae su nt ad finem . Q uia vero qu icu m q ue credit alicuju s
dicto assentit, p rin cip ale v id etu r esse, et qu asi finis, in unaqua-
qu e cred u litate ille cujus dicto a ssen titu r: q u asi autem se c u n ­
daria su nt ea qu ae q u is ten en d o vu lt alicu i assen tire. S ic ergo
q ui recte fidem C hristianam h a b et su a volu n tate a ssen tit Christo
in h is q u ae v e r e ad e ju s doctrinam p ertin en t. A rectitu d in e
igitu r fid ei C hristianae du p liciter a liq u is potest d eviare. U no
m odo q u ia ip se Christo non vu lt a ssen tire; et hie hab et quasi
m alam volun tatem circa ip su m finem . Et hoc p ertin et ad sp eciem
in fid elitatis paganorum et Ju d aeoru m . A lio m odo, per hoc quod
inten d it quidem Christo assen tire, se d deficit in e lig en d o ea
qu ibus Christo assen tiat: quia non elig it ea q u ae su nt v e re a
Christo tradita, sed ea q u ae sib i propria m en s su ggerit. Et id eo
h a e r esis est in fid elitatis sp e c ie s p ertin en s ad eos qui fidem
Christi profitentur, se d e ju s dogm ata corrum punt.
AD PRIM UM ergo dicendum quod hoc m odo electio pertin et
ad infidelitatfem sicut et volu n tas ad fidem , ut su pra dictum est.
AD SEC UND UM dicendum quod v itia h ab en t sp eciem e x
fine proxim o, sed e x fine rem oto habent g en u s et causam . Sicut

234
jemand Ehebruch treibt, um zu stehlen, so liegt hier dem 11, 1
nächsten Ziele und Gegenstände nach zwar die Art­
bestimmtheit des Ehebruches vor, aus dem letzten Ziele
aber ergibt sich, daß der Ehebruch aus dem Diebstahl
entsteht und unter ihm wie die Wirkung unter der Ur­
sache oder w ie die Artbestimmtheit unter der Gattung
enthalten ist; das ergibt sich aus dem, was früher (I—II
18, 7: Bd. 9) von den Akten im allgem einen dargetan wor­
den ist. Ähnlich also ist im vorliegenden Falle nächstes
Ziel der Häresie, einer falschen eigenen Ansicht anzuhän­
gen; und davon erhält sie ihre Artbestimmtheit. Aber aus
dem entfernteren Ziele zeigt sich ihre Verursachung, d. h.
daß sie aus dem Hochmut oder der Begierlichkeit stammt.
Z u 8. Wie Häresie von ,Auswahlen“, so kommt Sekte
von ,absondern“ (Isidor). Häresie und Sekte sind also
dasselbe. Und beides fällt unter die Werke des Flei­
sches, nicht zwar hinsichtlich des Aktes des Unglaubens
selbst im Hinblick auf seinen nächsten Gegenstand, son­
dern unter dem Gesichtspunkt seiner Verursachung; denn
diese besteht entweder in dem Verlangen nach einem
ungebührlichen Ziele, sofern der Ursprung im Hochmut
oder in der Begierlichkeit liegt (Zu 2), oder auch in einer
Wahnvorstellung, die, w ie auch Aristoteles sagt, Ausgangs­
punkt des Irrtums ist. Das Vorstellungsvermögen aber hat
in gew isser W eise eine Beziehung zum Fleische, insofern
seine Betätigung in Verbindung mit einem körperlichen
Organ erfolgt.

Q U A E S T I O 11, i

cum a liq u is m oechatur ut furetu r, est ib i qu idem sp ec ies m oe-


chiae e x proprio fine et objecto, se d e x fin e ultim o ostenditur
quod m oech ia e x furto oritur, et su b eo continetur sicu t effectus
su b causa, v e l sicut sp e c ie s su b g e n e re : ut patet e x h is quae
supra de actibus dicta su nt in com m uni. U n d e et sim ilite r in
proposito fin is p roxim u s h a e r esis est ad h aerere fa lsa e sen ten tia e
p rop riae: et e x hoc sp ec iem habet. S e d e x fin e rem oto osten ­
ditur causa ejus, sc ilic et quod oritur e x su p erb ia v e l eupiditate.
A D TERTIUM dicen du m quod, sicut h a eresis dicitu r ab „eli-
g e n d o “, ita secta a „sectan do“, sicut Isid oru s dicit, in lib ro PL 82/296
Etym . [lib . 8, cap. 3 ] : et id e o h a e r e sis et secta id em sunt. Et
utrum que p ertin et ad opera carnis, non qu idem quantum ad
ipsum actum in fid elitatis resp ectu p roxim i objecti, se d ratione
cau sae: q u ae est v e l ap p etitu s finis in d eb iti, secu n d u m quod
oritur e x su p erb ia v e l eupid itate, ut dictum est; v e l etiam a li­
qua ph antastica illu sio , q u ae est prin cip iu m errand i, u t etiam
P hilosoph us dicit, in 4 M etaph. [cap. 5 ] . P hantasia autem quo- ioo9a
dam m odo ad carnem p ertin et, inquantum actus e ju s est cum 22 sqq.
organo corporali.

16« 235
11, 2 2. A R T I K E L
Bezieht sich dir Häresie eigentümlich auf das, was des
Glaubens i s t ?
1. Wie es bei den Christen Häresien und Sekten gibt,
so hat es solche auch bei den Juden und Pharisäern
gegeben (Isidor). Aber ihre Gegensätzlichkeiten betrafen
nicht Glaubenssachen. Die Häresie bezieht sich also nicht
auf Glaubenssachen als den ihr eigentümlichen Inhalt.
2. Den Inhalt des Glaubens bilden die Dinge, die man
glaubt. Die H äresie aber bezieht sich nicht nur auf Dinge,
sondern auch auf Worte und auf die Auslegungen der
Hl. Schrift. So sagt Hieronymus: „Jeder, der die Schrift
anders liest, als es der Gedanke des Heiligen Geistes for­
dert, von dem sie geschrieben ist, der kann, selbst wenn
er sich von der Kirche nicht ausgesondert hat, dennoch
als Häretiker bezeichnet werden.“ Und an einer ändern
Stelle äußert er sich: „Aus ungenauen Formulierungen
entsteht H äresie.“ Also bezieht sich die Häresie nicht eigen­
tümlich auf den Inhalt des Glaubens.
3. Auch hinsichtlich dessen, was zum Bereich des Glau­
bens gehört, findet man zuweilen, daß die heiligen Lehrer
nicht gleichen Sinnes sind, w ie z. B. Hieronymus und
Augustinus über das Aufhören der Ceremonialgesetze.

QÜAESTIO u, 2
A R T I C U L U S II
Utrum h a e r e s i s sit p r o p r i e circa ea quae sunt
fidei
[4 S en t., d is t. 13, q. 2, a rt. 1 a d 5, 6; in 1 Cor., cap . 11, le c t. 4; in T it.,
cap . 3. le c t. 2]
AD SEC U N D U M sic proceditur. V id etu r quod h a e r e s is non
sit prop rie circa ea q u ae su n t fid ei. Sicut en im su n t h a ereses
et se c ta e in C hristianis, ita etiam fu eru n t in J u d a eis et P hari-
P L 82 sa e is: sicu t Isid oru s dicit in libro Etym . [lib . 8, cap. 4 ] . Sed
297 sq. eorum d issen sio n e s n o n eran t circa e a q u a e su n t fid ei. Ergo
h a e r esis n on est circa e a q u ae su nt fid ei sicu t cirea propriam
m ateriam .
2. PRAETEREA, m ateria fid ei su n t res q u ae creduntur. S ed
h a e r esis n on solu m est circa res, s e d etiam circa verb a, et circa
PL 26/417 e x p o sitio n e s sacrae S crip turae. D icit en im H ieron ym u s [Comm.
su p. Ep. ad Gal. lib 3, ad cap. 5, vers. 19 sqq.] quod „quicum ­
q u e aliter Scripturam in te llig it quam se n su s S p iritu s San cti
efflagitat, a quo scripta est, lic e t ab E cclesia non recesserit,
PL 192 tarnen haereticu s ap p ella ri p otest“ : e t a lib i dicit [G loss. Ord.
868 su p er O see cap. 2, vers. 16] qu od „ e x verb is inord in ate prolatis
fit h a e r e s is“. Ergo h a e r esis non est prop rie circa m ateriam fidei.
3. PRAETEREA, etiam circa e a q u a e ad fidem p ertin en t in-
PL 22/921 ven iu n tu r qu and oqu e sa cri D octores d issen tire: sicu t H ieron y­
33/28 L m u s et A u gu stin u s circa cessa tio n em leg a liu m . Et tarnen hoc

236
Und doch liegt hier nicht das Grundübel der Häresie vor. 11, 2
Also bezieht sich die Häresie nicht eigentümlich auf den
Inhalt des Glaubens.
ANDERSEITS sagt Augustinus: „Diejenigen, welche in
der Kirche Christi Ungesundes und Verkehrtes denken,
und, wenn sie angehalten werden, Gesundes und Richtiges
zu denken, hartnäckig widerstehen und ihre verderblichen
und tödlichen Lehrsätze nicht verbessern wollen, sondern
fortfahren, sie zu verteidigen, sind Häretiker.“ Verderb­
liche und tödliche Lehrsätze aber sind nur solche, welche
den Lehrsätzen des Glaubens, aus welchem „der Gerechte
lebt“ (Röm 1, 17), entgegengesetzt sind. Also bezieht sich
die Häresie auf Sachen des Glaubens als ihren eigentüm­
lichen Inhalt.
ANTWORT: Wir sprechen hier von Häresie, sofern sie
eine Entstellung des christlichen Glaubens besagt. Es
liegt aber keine Entstellung des christlichen Glaubens vor,
wenn jemand eine falsche Meinung hat in solchem, was
nicht unter den Glauben fällt, z. B. in Dingen der Raum­
lehre oder in anderem Derartigem, was zum Glauben über­
haupt keine Beziehung haben kann; sondern nur, wenn
jemand in solchem, w as zum Glauben gehört, eine falsche
Meinung hat. Zum Glauben nun gehört etwas auf doppelte
W eise (I 32, 4: Bd. 3; vgl. auch 1, 6 Zu 1; 2, 5; 11, 1).
Einmal, unmittelbar und ursprünglich, w ie die Glaubens­
artikel; sodann mittelbar und nachgeordnet, w ie dasjenige,

QUAESTIO 11, 2

est ab sq u e v itio h aeresis. Ergo h a e r esis non est prop rie circa
m ateriam fidei.
SED CONTRA e st quod A u gustin us dicit contra M anichaeos pl 41/613
[D e Civ. D ei, lib. 18, cap. 5 1 ]: „Qui in E cclesia Christi niorbi-
dum a liq u id pravum q ue sap iu n t, si correpti ut san um rectum que ' sq'
sapiant, resistunt contum aciter, su aq u e p estifera et m ortifera
dogm ata em en d are nolu nt, se d d e fe n d e r e persistunt, h aeretici
su n t.“ S e d p estifera et m ortifera d ogm ata non su n t n isi illa quae
opponuntur d ogm atib u s fid ei, p er quam „justus v iv it“, ut d ici­
tur Rom . 1. Ergo h a e r e sis est circa ea qu ae su nt fid ei sicut
circa propriam m ateriam .
RESPONDEO dicendum quod de h aeresi nunc loqu im u r secun-
dum quod im portat corruptionein fid ei C hristianae. Non autem
ad corrup tion em fid ei C hristianae p ertin et, s i a liq u is h ab eat
aliquam falsam o p in io n em in b is q u ae non su n t fid ei, puta in
g eom etricalib u s v e l in a liis hu jusm odi, q u ae om nino ad fidem
p e rtin ere non possu nt: se d solu m quando a liq u is h a b et falsam
op in ion em circa ea qu ae ad fidem pertin en t. A d quam a liq u id
pertin et d u p liciter, sicut su p ra dictum est: uno m odo, directe
et prin cip aliter, sicut articuli fid ei; alio m odo, ind irecte et secu u -

237
11, 2 aus dem [wenn es geleugnet w irdj die Entstellung irgend­
eines Artikels sich ergibt. Und in bezug auf beides kann
es Häresie geben, w ie auch Glaube.1
Z u l . W ie es unter Juden und Pharisäern Häresien ge­
geben hat durch bestimmte Auffassungen des Judaismus
und Pharisäismus, so beziehen sich auch die Häresien
unter den Christen auf das, was zum Glauben Christi gehört.
Z u 2. Von einem solchen sagt man, er erkläre die
Hl. Schrift anders, als der H eilige Geist es verlangt, der
die Auslegung der Hl. Schrift so verdreht, daß sie dem
widerspricht, was durch den H eiligen Geist offenbart ist.
Daher heißt es Ez 13, 6 von den falschen Propheten: „Be­
harrlich suchen sie ihr Wort zu bekräftigen“, nämlich
durch falsche Schriftauslegungen. — Ähnlich bekennt
einer durch die Worte, die er spricht, seinen eigenen Glau­
ben; das Bekenntnis ist ja ein Akt des Glaubens (3, 1).
Durch ungenaue Formulierung über Sachen des Glaubens
kann sich deshalb eine Entstellung des Glaubens ergeben.
Daher sagt Papst Leo [d. G r.]: „Weil die Feinde des
Kreuzes Christi hinter jedem unserer Worte, ja hinter jeder
Silbe her sind, w ollen wir ihnen auch nicht die geringste
Gelegenheit geben, von uns lügenhaft zu behaupten, auch
wir stimmten mit der Auffassung des Nestorius überein.“

QU A ES TI O 11, 2

dario, sic u t e a e x qu ibus seq u itu r corrup tio a lic u ju s articuli.


Et circa utraq u e potest esse h a e r esis, eo m odo quo et fides.
AD PRIM UM ergo dicen du m quod sic u t h a e r eses Jud aeorum
et P harisaeorum erant circa o p in io n e s aliq u as ad Judaism um
v e l ad P harisaism u m p ertin en tes, ita etiam C hristianorum h a e ­
reses su n t circa ea q u ae p ertin en t ad fidem Christi.
AD SE C U N D U M dicen du m quod ille dicitu r a lite r ex p o n e r e
sacram Scripturam quam S p iritu s Sanctus efflagitat qui ad hoc
ex p o sitio n em sacrae S crip turae intorquet quod contrariatur e i
quod est p er S p iritu m Sanctum revelatu m . U n d e dicitur Ezech. 13
' de fa lsis p rop h etis: „Qui p ersev era v eru n t confirm are serm o-
n e m “, sc ilic et p er fa lsa s e x p o sitio n e s S crip turae. — S im iliter
etiam p e r verb a qu ae q u is loqu itu r su am fidem profitetu r: est
en im co n fessio actus fidei, ut su p ra dictum est. Et id e o s i sit
inordinata locutio circa ea qu ae su n t fid ei, se q u i potest e x hoc
pl 54/1076 corruptio fid ei. U n d e L eo P apa, in quadam epist. ad P roterium
E piscopum A lexan d rin u m [129, cap. 2 ] , dicit: „Quod inim ici
erucis Christi om nibus factis et verb is nostris insid ian tur, ut si
u llam illis v e l ten u em occasionem dem us, n o s 2 N estoriano
sen su i etiam con gru ere m en tian tu r.“
1 V gl. A n m erk . [7],
2 L: „ Q u ia in im ic i C h ris ti c ru c is o m n ib u s e t v e rb is n o s tris In s id ia n tu r
e t sy lla b is, n u lla m illis v e l te n u e m o ccasio n em d ernus q u a nos , .

238
Z u 3. Augustinus sagt uud es steht auch iu der Gesetzes- 11, 2
Sammlung [des G ratian]: „Wenn jemand seine Meinung,
mag sie auch falsch oder verkehrt sein, nicht mit hart­
näckiger Leidenschaft verficht, sondern mit behutsamer
Sorgfalt nach der Wahrheit sucht, bereit, sich zu verbes­
sern, wenn er sie findet, so ist er keinesw egs unter die
Häretiker zu rechnen“ ; denn er trifft ja nicht seine Wahl
im Widerspruch zur Lehre der Kirche. So haben offen­
sichtlich manche [anerkannte] Lehrer verschieden ge­
dacht, teils in solchem, bei dem es für den Glauben nicht
von Belang ist, ob man es so oder anders auffaßt, teils
auch in manchem, was zum Glauben gehört, aber durch
die Kirche noch nicht festgelegt war. Wenn aber jemand,
nachdem diese Festlegung durch die Autorität der Gesamt­
kirche erfolgt ist, einer solchen Anordnung hartnäckig
widerstrebte, würde er als Häretiker angesehen. Und
zwar ruht diese Autorität in erster Linie beim Papste.
Denn es heißt: „Sooft eine Glaubensfrage erörtert wird,
so halte ich dafür, daß alle unsere Brüder und Mitbischöfe
sich ausschließlich an Petrus, d. h. den Träger seines
Namens, halten.“ In der Tat hat gegen dessen Autorität
weder Hieronymus noch Augustinus noch sonst einer der
heiligen Lehrer die eigene Meinung verteidigt. Darum sagt
Hieronymus: „Dies ist der Glaube, heiligster Vater, den wir
in der katholischen Kirche kennen gelernt haben. Wenn
quaestio 11.2
AD TERTIUM dicendum quod, sicut A u gustin us dicit [Epist. 43, p i ,33/160
cap. 1 ], et hab etu r in D ecret. 24, quaest. 3 [can. „ D ixit A p ost.“] :
„Si q u i sen ten tia m su am , qu am vis falsam atqu e p erversam , n u lla F,db. 1/998
p ertin aci an im ositate d efendu nt, q u aeru n t au tem cauta sollicitu -
d in e veritatem , corrigi parati cum in v en erin t, n equ aqu am sunt
inter h aereticos d ep u ta n d i“ : qu ia sc ilic et non h ab en t election em
contradicentem E cclesiae doctrinae. S ic ergo aliq u i D octores
v id en tu r d issen sisse v e l circa ea quorum n ih il interest ad fidem
utrum sic v e l aliter ten eatu r, v e l etiam in qu ibusdam ad fidem
p ertin en tib u s qu ae non du m eran t p e r E celesiam d eterm inata.
P ostquam au tem essen t auctoritate u n iv ersa lis E cclesiae deter­
m inata, si quis tali ordinationi p ertin aciter rep ugnaret, h aereti-
cus cen seretu r. Q uae qu id em auctoritas p rin cip aliter resid et in
Sum m o P ontifice. D icitur en im D ecret. 24, quaest. 1 [Can. „Quo- Frdb.i/97o
tie s “] : „Q uoties fidei ratio ventilatu r, arbitror om nes fratres
nostros et coep iscop os n on n isi ad P etrum , id e st su i nom inis
auctorem referre d e b e r e .“ Contra cujus auctoritatem nec H iero­
nym u s nec A u gu stin u s n ec aliq u is sacrorum D octorum su am
sen ten tia m d efen d it. U n d e dicit H ieron ym u s [P ela g iu s, E pist. PL 45
de E xpos. Sym b. ad D am as. P ap am ] 1: „H aec est fides, P apa 1718
B eatissim e, quam in Catholica d id icim u s E cclesia. In q u a si
1 B ibi, d e r Sym bole u n d G la u b en sre g e ln d e r A lien K irc h e . H sgg. von
A ug. H a h n . 8. A ufl., S. 292.

239
11, 3 darin vielleicht etwas weniger kundig oder mit zu geringer
Vorsicht behauptet ist, so wünschen wir von dir zurecht­
gewiesen zu werden, der du den Glauben und den Stuhl
Petri innehast. Wenn aber dieses unser Bekenntnis durch
dein apostolisches Urteil gebilligt wird, so beweist jeder,
der mich anschuldigen möchte, daß er selbst unwissend,
bzw. bösw illig oder gar überhaupt nicht katholisch ist, nicht
aber, daß ich ein Häretiker bin.“

3. ARTIKEL
Sollen die Häretiker geduldet werden?
1. Der Apostel sagt 2 Tim 2, 2 4 ff: „Ein Knecht des
Herrn soll freundlich sein; mit Maß w eise er die zurecht,
die dem Glauben w iderstehen; vielleicht, daß Gott ihnen
doch Sinnesänderung zur Erkenntnis der Wahrheit schenkt,
und daß sie wieder zu Verstand kommen, heraus aus den
Schlingen des Teufels.“ Wenn man die Häretiker aber
nicht duldet, sondern dem Tode überliefert, nimmt man
ihnen die Möglichkeit zur Sinnesänderung. Also scheint
letzteres gegen das Gebot des Apostels zu sein.
2. Was in der Kirche notwendig ist, muß man dulden.
Häresien aber sind in der Kirche notwendig; sagt doch
der Apostel 1 Kor 11,19: „Es muß Häresien geben, damit
die Erprobten unter euch offenbar werden.“ Also, scheint
es, sind die Häretiker zu dulden.
Q U A E S T IO 11, 3

m in u s p e r ite aut parum cau te forte a liq u id p ositu m est, em en -


dari cu p im u s a te, q u i P etri fidem et se d e m ten es. S i autem
haec nostra confessio A p ostolatus tui jud icio com probatur, q u i­
cum que m e cu lp are voluerit, s e im p eritu m v e l m alevolu m , v e l
etiam non catholicum , non m e h aereticu m , com probabit.“

A R T I C U L U S III
Utrum haeretici sint tolerandi
[S upra 10, 8 a d 1; 4 S ent., d is t. 13, q. 2, a rt. 3; Q u o d lib . 10, q. 7, a rt. 1
i n M atth ., c a p . 13]
A D TERTIUM sic proceditur. V id etu r quod h a eretici sint
toleran d i. D ic it en im A p ostolu s 2 ad Tim . 2: „Servum D e i opor­
tet m ansuetum esse, cum m odestia corrip ien tem eos qui resistunt
veritati, n e quando det illis p oen iten tiam D e u s ad cognoscen-
dam veritatem , et resip iscan t a la q u eis d ia b o li.“ S e d s i h aeretici
n on tolerantu r, se d m orti traduntur, a u fe r tu r e is facultas p oen i-
ten d i. E rgo hoc vid etu r esse contra p raeceptu m A p ostoli.
2. PRAETEREA, illu d quod e st n ecessariu m in E cclesia est
tolerandum . S ed h a e r eses su nt n e c essa ria e in E cclesia: dicit
enim A p ostolu s 1 ad Cor. 11: „O portet h a e r eses esse , u t et qui
probati su n t m a n ifesti fiant in v o b is.“ Ergo vid etu r quod h a e r e ­
tici su n t tolerand i.

240
B. Der Herr hat Mt 13, 30 seinen Knechten anbefohlen, 11, 3
das Unkraut wachsen zu lassen his zur Ernte — und das
ist das Ende der Erdenzeit, w ie ebenda (13, 39) erklärt
wird. Mit dem Unkraut aber sind, nach der Auslegung
der Heiligen, die Häretiker gemeint. Also muß man die
Häretiker dulden.
ANDERSEITS sagt der Apostel, Tit 3, 10 f.: „Hast du
einen Häretiker einmal oder zweim al gewarnt, dann meide
ihn; du weißt ja, daß ein solcher verkehrt ist.“
ANTWORT: Hinsichtlich der Häretiker ist zw eierlei zu
beachten: eines von ihnen selbst her, das andere von der
Kirche her. Auf seiten jener liegt eine Sünde vor, durch
die sie verdient haben, nicht nur von der Kirche durch
den Bann ausgeschieden, sondern auch durch den Tod von
der W elt ausgeschlossen zu werden. Denn es ist weit
schwerwiegender, den Glauben zu entstellen, durch den
die Seele ihr Leben hat, als Geld zu fälschen, das nur dem
irdischen Leben dient. Wenn nun die Münzfälscher und
andere Übeltäter ohne w eiteres durch die weltlichen Für­
sten von Rechts wegen dem Tod überliefert werden, so
können um so mehr die Häretiker, sobald sie der Häresie
überführt sind, nicht nur aus der Gemeinschaft ausge­
schlossen, sondern auch rechtens getötet werden.
Auf seiten der Kirche aber ist Barmherzigkeit zur Be­
kehrung der Irrenden. Daher verdammt sie nicht ohne
weiteres, sondern erst, „wenn sie einmal oder zweimal

QUAESTIO U, 3

3. PRAETEREA, D om in u s m and avit, Matth. 13, se r v is su is


ut zizania sin e r e n t crescere usq u e ad m essem , q u ae e st finis
saecu li, u t ib id em exp on itu r. S ed p er zizania significan tur h a ere-
lici, secu n d u m ex p o sitio n em Sanctorum . Ergo h a eretici sunt cf.P G
tolerand i. 68/475
SED CONTRA est quod A p ostolu s dicit, a d Tit. 3: „H aereti-
cum hom inem , post prim am et secund am correp tion em , devita
seien« qu ia su b versu s est q u i hu ju sm od i est.“
RESPONDEO dicen du m quod circa haereticos duo sunt con-
sid eran d a: unum qu idem e x parte ipsorum ; aliu d vero e x parte
E cclesiae. E x parte q u id em ip soru m est peccatum p er quod
m eru eru n t n on solu m ab E cclesia p e r excom m u n ication em se -
parari, se d etiam p e r m ortem a m un do ex clu d i. M ulto enim
graviu s est corru m p ere fidem , p er quam est an im ae vita, quam
falsare p ecu n iam , p e r quam tem p orali v ita e su b ven itu r. U n de
si falsarii p ecu n iae, v e l a lii m alefactores statim p e r saecu lares
p rin cip es ju ste m orti traduntur; m ulto m agis h a eretici, statim
e x quo de h a eresi convincuntur, possunt n on solu m exeom m un i-
cari, se d et ju ste occidi.
Ex parte autem E cclesiae est m isericord ia ad errantium con-
version em . Et id e o non statim condem nat, se d „post prim am

241
11, 3 gewarnt hat“, w ie der Apostel aiiweist. Dann aber, wenn
er [der Häretiker] noch immer hartnäckig erfunden wird
und die Kirche auf seine Bekehrung keine Hoffnung mehr
haben kann, denkt sie an die Rettung der ändern, indem
sie durch Bannspruch ihn von der Kirche absondert; und
darüber hinaus überläßt sie ihn dem w eltlichen Gericht,
damit er durch den Tod von der Welt getilgt werde. Hiero­
nymus sagt nämlich und es steht in der Gesetzessamm­
lung [des Gratian]: „Faules Fleisch ist auszuschneiden
und ein räudiges Schaf aus der Hürde zu vertreiben, da­
mit nicht das ganze Haus, der ganze Teig, der ganze Leib
und alle Schafe brennen, angesteckt werden, in Fäulnis
geraten und untergehen. Arius war in Alexandria nur ein
einziger Funke; w eil er aber nicht auf der Stelle ausgetilgt
wurde, hat die von ihm ausgehende Flamme den ganzen
Erdkreis verwüstet.“
Z u l . Jener Mäßigung entspricht es, daß man ein erstes
und ein zweites Mal warnt. Ist er nicht gewillt, umzukeh­
ren, so gilt er nunmehr als verkehrt, w ie es aus der ange­
führten Stelle beim Apostel erhellt.
Z u 2. Der Vorteil, der aus den Häresien erwächst, ist
gegen die Absicht der Häretiker, indem nämlich nach dem
Ausspruch des Apostels die Standhaftigkeit der Gläubigen
erprobt wird und wir, w ie Augustinus sagt, die Trägheit
abschütteln und uns mit größerer Sorgfalt in die gött­
lichen Schriften vertiefen. Ihre Absicht aber ist, den Glau­
ben zu verderben, und dies ist von allergrößter Schädlich-
QÜAESTIO 11, 3

et secu n d am co rrep tio n em “, ut A p ostolus docet. Postm odum vero


si adhuc p ertin a x in ven iatu r, E cclesia de e ju s con version e non
sp eran s, aliorum salu ti providet, eum ab E cclesia sep aran d o per
exeom m u n ication is sen ten tia m ; et u lteriu s relin q u it eum judicio
sa ecu la ri a m undo exterm in an d u m p er m ortem . D icit enim
PL 26/403 H ieronym us [Com m . su p. Ep. ad Gal. lib. 3, ad cap. 5, vers. 9]
F rd b .i et hab etu r 24, qu. 3: „R esecan dae su n t pu tridae carnes, et sca-
995 biosa ovis a cau lis rep ellen d a , n e tota dom us, m assa, corpus et
pecora ardeant, corrum pantur, putrescant, in terean t. A riu s in
A lex a n d ria una sc in tilla fu it: se d qu oniam non statim opp ressus
est, totum orbem e ju s flam m a pop ulata est.“
A D PRIM UM ergo dicen du m quod ad m odestiam illam p e r ­
tin et ut prim o et secu n d o corripiatur. Q uod si r ed ire nolu erit,
jam pro su b verso h ab etu r: ut p atet in auctoritate A p ostoli in ­
ducta.
AD SE C U N D U M dicen du m quod u tilita s q u ae e x h a eresib u s
p roven it est praeter in ten tion em h aereticoru m : dum scilicet
constan tia fid eliu m com probatur, ut A p ostolus dicit; et ut e x -
cutiam us pigritiam , d ivin as Scrip turas so llic itiu s in tu en tes, sicut
PL 34 173 A u gustin us dicit [D e G en. cont. M anich. lib. 1, cap. 1 ] , Sed
ex in ten tion e eorum est corrum p ere fidem , quod est m axim i

‘2 42
keit. Demnach ist mehr der Blick darauf zu richten, was 11,4
an sich in ihrer Absicht liegt, auf daß sie ausgeschieden
werden, als auf das, w as außerhalb ihrer Absicht liegt,
so daß man sie etwa ertrüge.
Z u 3. „Etwas anderes ist der Bann, etwas anderes die
Ausrottung. Es wird nämlich einer, w ie der Apostel sagt
(1 Kor 5, 5), gebannt, ,damit sein Geist gerettet werde am
Tage unseres Herrn' “ (Gesetzessammlung). — Wenn aber
Häretiker durch den Tod gänzlich ausgeröttet werden,
so ist auch dies nicht gegen das Gebot des Herrn, da
dieses nur von dem Fall zu verstehen ist, wenn man das
Unkraut nicht, ohne auch den W eizen auszureißen, aus­
reißen kann, wie oben (10, 8 Zu 1) dargetan wurde, als
von den Ungläubigen im allgemeinen die Rede war.

4. ARTIKEL
Sollen solche, die von der Häresie zurückkehren, von der
Kirche w ieder aufgenommen werden?
1. Jer 3, 1 heißt es aus dem Munde des Herrn: „Du hast
mit vielen Buhlen gebuhlt; dennoch kehre zu Mir zurück,
spricht der Herr.“ Das Gericht der Kirche aber ist das
Gericht Gottes, nach Dt 1, 17: „Hört den Kleinen w ie den
Großen an, seht bei niemandem auf die Person, denn das

Q U A E S T I O 11, i
nocum enti. Et ideo m agis respicien du m est ad id quod est per
se de eorum in ten tion e ut exclu d an tu r; qu am ad hoc quod est
praeter eorum in ten tion em , ut su stineantu r.
A D TERTIUM dicendum quod, sicut hab etu r in D ecr. 24, Frdb.
qu. 3, cap. 37, „aliu d est excom m un icatio, et aliu d eradicatio. Ex- l/iuoo
com m unicatur en im ad hoc aliq u is, u t ait A postolus, ,ut Spiritus
e ju s sa lv u s fiat in d ie D om ini' “. — S i tarnen totaliter erad icen -
tur p er m ortem h a eretici, n on est etiam contra m andatum D o­
m in i, quod est in eo casu in te llig en d u m quando n on possunt
extirp ari zizania sin e e x tir p a tio n e tritici, ut su pra dictum est,
cum de in fid elib u s in com m uni ageretu r.

A R T I C U L U S IV
Utrum r e v e r t e n t e s ab h a e r e s i s i n t ab e c c l e s i a
re cip ie n d i
[10 Q u o d llb -, q. 7, art. 2]
AD QUARTUM sic proced itu r. V id etu r quod rev erten tes ab
h a eresi sin t om nino ab E cclesia recip ien d i. D icitur en im Jerem . 3,
e x person a D om in i: „F orn icata e s cum am atorib us m ultis:
tarnen rev ertere a d m e, dicit D om in u s.“ S ed E cclesiae judicium
est judicium D e i: secund um illu d D eut. 1: „Ita parvum au d ietis
ut m agnum , n eq u e accip ietis cujusquam personam : quia D ei ju-

243
11,4 Gericht ist Gottes.“ Wenn also etwelche durch Unglauben
gebuhlt haben — denn Unglaube ist geistige Buhlerei —,
so sollen sie nichts desto weniger wieder aufgenommen
werden.
2. Der Herr gibt Mt 18, 22 Petrus die W eisung, dem
sündigenden Bruder „nicht nur siebenm al, sondern bis zu
siebzigmal siebenm al“ zu vergeben. Dadurch wird nach
der Auslegung des Hieronymus zu verstehen gegeben, so­
oft einer auch sündigen möge, sei ihm zu vergeben. Sooft
also jemand auch durch Rückfall in die Häresie sündigen
mag, wird er von der Kirche aufgenommen werden
müssen.
3. H äresie ist eine Art von Unglauben. Andere Ungläu­
bige aber, die sich bekehren wollen, werden von der
Kirche aufgenommen. Also sind auch die Häretiker wieder
aufzunehmen.
ANDERSEITS sagt eine Dekretale: „Wenn etwelche,
nachdem sie dem Irrtum abgeschworen, überführt werden,
in die abgeschworene Häresie zurückgefallen zu sein, sind
sie dem weltlichen Gericht zu überlassen.“ Sie sind also
von der Kirche nicht wieder aufzunehmen.
ANTWORT: Die Kirche dehnt nach der Anordnung des
Herrn ihre Liebe auf alle aus, nicht nur auf Freunde, son­
dern auch auf Feinde und Verfolger, nach Mt 5, 44:
„Liebet eure Feinde, tuet Gutes denen, die euch hassen.“
Zur Liebe aber gehört es, daß einer das Gute des Nächsten
w ill und bewirkt. Es gibt nun aber ein zweifaches Gutes.
QUAESTIO 11, t

diciu m est.“ Ergo si aliq u i fornicati fu erin t p er in fid elitatem ,


qu ae est sp ir itu a lis fornicatio, n ih ilo m in u s su n t recip ien d i.
2. PRAETEREA, D om inu s, Matth. 18, P etro m andat ut fratri
peccanti dim ittat non solu m sep ties, „sed usqu e se p tu a g ie s sep -
PL 26/132 tie s “ : p e r q u ae in tellig itu r, secu n d u m ex p o sitio n em H ieronym i
[Com m . in M atth.], qu od qu otiescu m q u e a liq u is peccaverit, est
e i dim itten dum . Ergo qu otiescu m q u e aliq u is p eccaverit in h aere-
sim relapsus, e r it ab E cclesia su scip ien d u s.
3. PRAETEREA, h a e r e sis est q u aed am in fid elita s. S ed a lii
in fid e le s v o len tes con verti ab E cclesia su scip iu n tu r. Ergo etiam
h aeretici su n t recip ien d i.
F rd b .it SED CONTRA est quod D ecretalis [A d abolend am , D e H aere-
781 ticis] dicit, quod „si aliq ui, post abju rationem erroris, d ep reh en si
fu erin t in abjuratam h a eresim recid isse, sa ecu la ri judicio sunt
r elin q u en d i.“ N on ergo ab E cclesia su n t recip ien d i.
RESPONDEO dicen du m quod E cclesia, secund um D om in i in-
stitu tion em , caritatem su am e x ten d it ad om nes, non solu m am i-
cos, veru m etiam in im icos et p erseq u en tes: secu n d u m illud
Matth. 5: „ D ilig ite in im icos vestros, b e n e fa c ite h is q u i oderunt
vos.“ P er tin et autem ad caritatem ut a liq u is bonum p roxim i et
v e lit et operetu r. Est au tem d u p le x bonum . U n um qu id em sp iri-

244
Eines ist geistiger Art, nämlich das Heil der Seele, worauf 11,4
es die Liebe hauptsächlich absieht; dies nämlich muß jeg­
licher aus Liebe für den Nächsten wollen. Insofern also
werden Häretiker, die zurückkehren, mögen sie auch noch
so oft rückfällig gew esen sein, von der Kirche wieder­
aufgenommen zur Buße, durch die ihnen der Weg des
H eiles geöffnet wird.
Das andere aber ist das Gute, das die Liebe erst in
zweiter Linie berücksichtigt, nämlich das irdische Wohl,
z. B. leibliches Leben, weltlicher Besitz, guter Ruf, kirchliche
oder weltliche Würden. Solches nämlich für die ändern
zu wollen, sind wir durch die Liebe nur gehalten in Hin­
ordnung auf ihr und anderer ew iges Heil. Wenn nun ein
derartiges Gut, das ein einzelner besitzt, m öglicherweise
dem ewigen H eile bei einer V ielheit im W ege ist, so dür­
fen wir für ihn aus Liebe ein derartiges Gut nicht wollen,
wir müssen vielm ehr wollen, daß er es nicht habe, einer­
seits, w eil das ewige Heil einem vergänglichen Gute vorzu­
ziehen ist, anderseits, w eil das Wohl einer Vielheit dem
W ohle eines einzelnen vorgeht. Wenn nun rückkehrende
Häretiker immer wieder aufgenommen würden, um am
Leben und im Besitze anderer vergänglicher Güter erhal­
ten zu werden, so könnte dies für das H eil der ändern
zum Schaden ausschlagen; einmal, w eil sie durch ihren
Rückfall die ändern ansteckten, sodann auch, w eil die än­
dern sorgloser in Häresie verfielen, wenn jene ohne Strafe
ausgingen. So heißt es Prd 8, 11: „W eil gegen die Bösen

QUABSTIO 11, «

tuale, scilicet sa lu s an im ae, quod p rin cip aliter r esp icit caritas:
hoc enim q u ilib e t e x caritate deb et a lii v e ile . U n d e quantum
ad hoc, h aeretici reverten tes, quotiescum q ue relap si fu erin t, ab
E cclesia recip iuntu r ad poen iten tiam , p er quam im penditu r eis
v ia salutis.
A liu d autem est b on u m qu od secu n d ario resp icit caritas, sc ili­
cet bonum tem p orale: sicu t est vita corporalis, possessio m un-
dana, bon a fam a et d ign itas ecclesiastica s iv e sa ecu la ris. Hoc
en im non ten em u r e x caritate aliis v e ile n isi in o rd in e ad salu-
tem aetern am et eorum et aliorum . U n d e s i a liq u id de hujus-
m odi b o n is e x iste n s in u n o im p e d ire p ossit aetern am sa lu tem in
m ultis, non oportet quod e x caritate hu jusm odi bonum ei veli-
m us, se d p o tiu s quod v e lim u s eum illo carere: tum qu ia salu s
a etern a p r a e fer en d a est bono tem p orali; tum qu ia bonum m ul-
torum p ra efertu r bono un iu s. S i au tem h aeretici reverten tes
sem p er recip eren tu r ut con servaren tu r in vita et a liis tem p o ra li­
bus bonis, p osset in p raeju d iciu m sa lu tis a lio ru m hoc e sse : tum
qu ia, s i relab eren tu r, a lio s in fieeren t; tum etiam quia, s i sin e
p oena evad eren t, a lii sec u r iu s in h a e r esim laberentu r. D icitur
enim E ccle. 8: „E tenim qu ia non cito profertur contra m alos

245
H, 4 nicht sogleich das Urteil gesprochen wird, tun die Söhne
der Menschen ohne jede Furcht das Böse.“ Demgemäß
nun nimmt die Kirche die von einer Häresie erstmalig
Rückkehrenden nicht nur zur Buße wieder auf, sondern
erhält sie auch am Leben, ja ausnahm sweise gibt sie ihnen
zuweilen die kirchlichen Würden wieder, die sie vorher
gehabt haben, falls sie wirklich als bekehrt befunden
Werden; und man liest, daß dies zum Besten des Friedens
häufig geschehen ist. Wenn aber die W iederaufgenomme­
nen von neuem rückfällig werden, so ist dies offenbar ein
Beweis ihrer Unbeständigkeit im Glauben. Kehren sie also
dann wieder zurück, so werden sie zwar wieder aufgenom­
men zur Buße, nicht aber so, daß sie von der Verurtei­
lung zum Tode befreit werden.
Z u 1. Im Gerichte Gottes werden die Zurückkehrenden
stets wieder aufgenommen. Denn Gott erforscht die Her­
zen und erkennt die wirklich Zurückkehrenden. Das aber
kann die Kirche nicht nachahmen. Denn sie muß annehmen,
daß solche nicht wahrhaft umkehren, die, nachdem sie
wiederaufgenommen waren, wieder rückfällig geworden
sind. Daher verschließt sie ihnen zwar nicht den Weg des
Heiles, aber vor der Gefahr des Todes sichert sie sie
nicht.
Z u 2. Der Herr spricht zu Petrus von einer Sünde, die
gegen diesen begangen worden ist, und eine solche muß
immer vergeben werden, um den umkehrenden Bruder
zu schonen. Es gilt aber nicht von der Sünde gegen den
Nächsten oder gegen Gott, die „zu vergeben nicht in un-

QUAESTIO 11, 4

sen ten tia, absque tim ore u llo filii hom inu m perp etran t m ala.“
Et id eo E cclesia prim o qu idem r ev e rte n te s ab h a e r esi non solum
recip it ad p oen iten tiam , se d etiam conservat e o s in vita; et
interd um restitu it eos d isp en sa tiv e a d ecclesiasticas dign itates
quas prius habebant, si videantur v e r e conversi. Et hoc pro
b on o p acis freq u en ter leg itu r e sse factum . S ed quando recepti
iterum relabu ntur, vid etu r esse sig n u m in con stan tiae eorum
circa fidem . Et id eo u lteriu s red eu n tes recip iuntu r qu id em ad
p oen iten tiam , non tarnen ut lib eren tu r a sen ten tia m ortis.
AD PRIM UM ergo dicen du m quod in ju d icio D e i sem p er
recip iu n tu r red eu n tes: q u ia D eu s scrutator est cordium , et vere
red eu n tes cognoscit. S e d hoc E cclesia im itari n on potest. P rae-
su m it en im eos non v e r e r ev e rti qui, cum recep ti fu issen t,
iterum su n t relap si. Et id eo e is viam salu tis non d en eg a t, sed
a p ericu lo m ortis eos non tuetur.
AD SEC UND UM dicen d u m quod D om inu s loqu itu r P etro de
peccato in eum com m isso, quod est sem p er dim itten dum , ut
fratri red eu n ti parcatur. N on au tem in telligitu r d e peccato in
proxim um v e l in D eum com m isso, quod „non est nostri arbitrii

246
serm Belieben steht“ (Hieronym us); sondern darin ist 11,4
durch das Gesetz ein Maß gesetzt, je nachdem es mit der
Ehre Gottes oder dem Wohl des Nächsten übereinkommt.
Z u 3. Andere Ungläubige, die nie den Glauben ange­
nommen hatten und sich zum Glauben bekehren, zeigen
noch nicht, w ie die rückfälligen Häretiker, Zeichen der
Unbeständigkeit im Glauben. Also hat es mit beiden nicht
die nämliche Bewandtnis.

QU AE ST IO 11, 4

d im ittere“, ut H ieronym us dicit [G loss. Ord. sin e nom . in Matth. PL 26/131


cap. 18, vers. 1 5 ] ; sed etiam in hoc est le g e m odus statutus, n 4/ 148
secund um quod congruit honori D ei et utilitati proxim orum .
A D TERTIUM d icen d u m quod a lii in fid eles, q u i nunquam
fidem accep eran t, conversi ad fidem non du m ostend un t aliquod
sign u m in con stan tiae circa fidem , sicut h aeretici relap si. Et ideo
non est sim ilie ratio de utrisque.

247
12. F R A G E
DER ABFALL VOM GLAUBEN
Nuumelxr ist der Abfall vom Glauben ins Auge zu
fassen. Dazu ergeben sich zwei Einzelfragen:
1. Gehört der Abfall vom Glauben zum Unglauben?
2. Sind wegen Abfalls vom Glauben die Untertanen von
der Herrschaft der abgefallenen Obrigkeiten ent­
bunden ?
1. ARTIKEL
Gehört der Abfall zum Unglauben?
1. Etwas, was Ausgangspunkt jeglicher Sünde ist, scheint
nicht zum Unglauben zu gehören; denn es sind viele Sün­
den möglich ohne Unglauben. Abfall aber scheint der An­
fang jeglicher Sünde zu sein. Es heißt nämlich Sir 10, 14:
„Des Hochmuts Anfang ist es, wenn der Mensch von Gott
abfällt“, und anschließend: „Der Anfang jeglicher Sünde
ist Hochmut.“ Also gehört der Abfall nicht zum Unglauben.
2. Der Unglaube hat seinen Sitz im Verstand. Der Ab­
fall aber scheint mehr im äußeren Tun oder Sprechen
oder auch im innern W ollen zu liegen; es heißt nämlich
Spr 6, 12 ff.: „Ein abtrünniger Mensch ist ein wertloser
Mensch, der in der Falschheit seines Mundes wandelt, mit
dem Auge blinzelt, mit dem Fuße deutet, mit dem Finger
Zeichen gibt, Schlimmes sinnt mit verderbtem Herzen und

QUAESTIO XI I
D E APO STASIA
D e in d e considerandu m est d e apostasia.
Et circa hoc q u aerun tur duo: 1. U trum apostasia ad in fid eli-
tatem p ertin eat. — 2. U trum propter ap ostasiam a fide su b d iti
absolvan tur a dom in io p raesid en tiu m apostatarum .

ARTICULUS I
Utrum a p o s t a s i a p e r t i n e a t ad infidelitatem
AD PRIM UM sic proced itu r. V id etu r quod apostasia non
p ertin ea t ad in fid elitatem . Illu d en im quod est om n is peccati
p rin cip iu m non v id e tu r ad in fid elitatem p e r tin er e: qu ia m ulta
peccata s in e in fid e lita te existu n t. S e d apostasia vid etu r esse
om nis peccati p r in c ip iu m : d icitu r enim Eccli. 10 : „In itiu m su p e r ­
b iae h om in is apostatare a D e o “ ; et postea subd itu r: „Initium
om nis peccati su p e rb ia .“ Ergo apostasia non p e r tin et ad in fid e li­
tatem .
2. PRAETEREA, in fid elita s in in tellectu consistit. S ed aposta­
sia m agis videtur consistere in e x terio ri op ere v e l serm on e, aut
etiam in in teriori volu n tate: dicitu r enim P roverb. 6: „Homo
apostata v ir in u tilis, grad ien s ore p erverso, an n u it oculis, terit
p ed e, d ig ito loqu itu r, pravo cord e m achinatur m alum , et in

248
jederzeit Streitereien sät.“ Und wenn sich jemand be- 12, i
schneiden ließe oder das Grab Mohamets verehrte, würde
er als Abtrünniger gelten. Also gehört der Abfall nicht
unmittelbar zum Unglauben.
8. Die Häresie ist, w eil sie zum Unglauben gehört, eine
bestimmte Art von Unglauben. Gehörte also der Abfall
zum Unglauben, so wäre er folgerichtig eine bestimmte
Art von Unglauben. Dies scheint aber nach dem oben
(10, 5) Gesagten nicht der Fall zu sein. Also gehört der
Abfall nicht zum Unglauben.
ANDERSEITS heißt es Jo 6, 66: „Viele Seiner Jünger
zogen sich von da an ganz zurück“, was so viel heißt als
abfallen. Von ihnen aber hatte der Herr vorher (V. 64) ge­
sagt: „Einige sind unter euch, die nicht glauben.“ Also
gehört der Abfall zum Unglauben.
ANTWORT: Abfall bedeutet eine Flucht von Gott weg.
D ieses nun vollzieht sich verschiedenartig je nach der
W eise, in welcher der Mensch mit Gott verbunden ist.
Erstens nämlich ist der Mensch mit Gott durch den Glau­
ben verbunden; zw eitens durch die geschuldete, unter­
würfige W illensbereitschaft, seinen Geboten zu gehorchen;
drittens durch einiges Besondere, das zur Überpflichtig-
keit gehört, w ie der Ordensstand und der Klerikerstand
oder die hl. W eihe. Wird nun das Spätere entfernt, so
bleibt das Frühere, aber nicht umgekehrt. Es kommt nun
vor, daß jemand von Gott abfällt, indem er aus dem Ordens­
stand flieht, den er gelobt hat, oder dem Weihestand,
QUAESTIO 12, i

om ni tem p o re jurgia se m in a t.“ S i q u is etiam se circu m cideret,


v e l sep u lcru m M ahum eti adoraret, apostata rep utaretur. Ergo
apostasia n on p e r tin et d irecte ad in fid elitatem .
3. PRAETEREA, h aeresis, qu ia ad in fid elitatem p ertin et, est
qu aed am d eterm in ata sp e c ie s in fid elitatis. S i ergo ap ostasia ad
in fid elitatem p ertin eret, se q u eretu r quod esset qu aed am d e te r ­
m inata s p e c ie s in fid elitatis. Q uod non vid etu r secund um p ra e­
dicta. Non ergo ap ostasia ad in fid elitatem pertin et.
SED CONTRA est quod d icitu r Joan. 6: „M ulti discipu lorum
e ju s ab ieru n t retro“, quod est apostatare, d e qu ib u s su p ra di-
xera t D om inu s: „Sunt qu idam e x v ob is q u i non cred u n t.“ Ergo
apostasia p ertin et ad in fid elitatem .
RESPONDEO dicen d u m qu od apostasia im portat retrocessio-
nem quam dam a D eo. Q uae qu id em d iversim od e fit secund um
d iversos m odos qu ibus hom o D eo conjun gitu r. P rim o nam que
con ju n gitu r hom o D eo p er fidem ; secu n d o, p er d eb itam et
su bjectam volun tatem ad ob ed ien d u m p raecep tis eju s; tertio,
per aliq ua sp ec ia lia ad su p ererogation em p ertin en tia, sicut per
relig io n em et clericaturam v e l sacrum ordinem . R em oto autem
posteriori rem an et prius, se d non con vertitu r. C ontingit ergo
aliq u em ap ostatare a D eo retrocedend o a relig io n e quam pro-

249
12, i in den er eingetreten ist; dies heißt dann Abfall vom
Orden oder vom W eihestand. Es kommt auch vor, daß
jemand von Gott abfällt durch W iderspenstigkeit des Gei­
stes gegen göttliche Gebote. In diesen beiden Fällen von
Abfall kann der Mensch immer noch durch den Glauben
Gott verbunden bleiben. Gibt er aber den Glauben auf,
dann flieht er offensichtlich ganz von Gott weg. So ist
es schlechthin und ohne Einschränkung Abfall, wenn einer
den Glauben aufgibt, und ein solcher Abfall wird Abfall
in Treulosigkeit benannt. Und in diesem Sinne gehört der
Abfall, schlechthin als Abfall bezeichnet, zum Unglauben.
Z u l . Dieser Einwand geht von der zweiten Form des
Abfalls aus, die den gegen die Gebote Gottes sich auf­
lehnenden W illen meint. Sie findet sich in jeder Todsünde.
Z u 2. Zum Glauben gehört nicht nur Gläubigkeit des
Herzens, sondern auch die Bezeugung des inneren Glau­
bens durch äußere .Worte oder Handlungen; denn das
Bekenntnis ist ein Akt des Glaubens. Auch auf diese
W eise gehören gew isse äußere Worte oder Betätigungen
zum Unglauben, sofern sie Zeichen des Unglaubens sind,
so w ie ein Anzeichen von Gesundheit gesund genannt
wird. Obwohl die angeführte Stelle von jedem Abtrün­
nigen gemeint sein kann, so paßt sie jedoch in ihrer gan­
zen Bedeutung erst auf den Glaubensabfall. Denn w eil
der Glaube „Grundbestand dessen ist, was man erhofft“,
und „es ohne Glaube unmöglich ist, Gott zu gefallen“, so
bleibt im Menschen nach W egnahme des Glaubens nichts
q u a e s T 1 O 12, i
fe ssu s est, v e l ab o rd iiie qu em su sc ep it: et haec d icitu r ap osta­
sia r elig io n is se u ordinis. C ontingit etia m a liq u em apostatare
a D eo per m en tem rep u gn an tem d iv in is m andatis. Q uibus dua-
b u s ap o sta siis e x isten tib u s, adhuc potest rem an ere hom o D eo
conjunctus p e r fidem . S ed si a fide discedat, tune om nino a D eo
r etro ced ere vid etu r. Et id eo sim p licite r et ab so lu te est aposta­
sia p e r quam aliq u is disced it a fide, q u a e vocatur apostasia
p erfid iae. Et secu n d u m hunc m odum ap ostasia sim p licite r dicta
ad in fid elitatem p ertin et.
A D PRIM UM ergo dicen du m quod objectio illa proced it de
secu n d a apostasia, q u ae im portat volu n tatem a m and atis D ei
resilien tem , q u a e in v en itu r in om ni peccato m ortali.
AD SEC UND UM d icen d u m quod ad fidem p ertin et non solum
cred u litas cordis, se d etiam protestatio in terioris fidei p er ex-
teriora verb a et facta: nam confessio est actus fidei. Et p er hunc
etiam m odum q u aed am ex terio ra verb a v e l opera ad in fid e li­
tatem p ertin en t, inq uantu m su n t in fid elitatis sig n a , per m odum
quo sig n u m sa n ita tis san u m dicitur. A uctoritas au tem inducta,
etsi p ossit in te llig i de om ni ap ostata, v e rissim e tarnen convenit
in apostasia a fide. Quia enim fid es est „prim um fundam entum
rerum sp era n d a ru m “, et „ sin e fide im p ossib ile est p lacere D e o “ ;
su b lata fide, n ih il rem an et an h om in e qu od p ossit e sse u tile

250
zurück, was zu seinem ewigen H eile dienen könnte; daher 12, 1
heißt es: „Der abtrünnige Mensch ist ein wertloser
Mensch.“ Der Glaube ist ja das Leben der Seele, nach
Röm 1, 17: „Der Gerechte lebt aus dem Glauben.“ Wie
nun, nachdem das leibliche Leben hinweggenommen, alle
Glieder und Teile des Menschen aus der gehörigen Ord­
nung fallen, so tritt, nachdem das Leben der Gerechtigkeit,
das kraft des Glaubens besteht, geschwunden ist, in allen
Gliedern eine Auflösung der Ordnung zutage. Erstens im
Munde, durch den vornehmlich das Herz sich äußert;
zweitens in den Augen; drittens in den Werkzeugen der
Bewegung; viertens im W illen, der sich auf das Böse rich­
tet [51]. Daraus folgt, daß er [der Abtrünnige] Strei­
tereien sät, indem er andere vom Glauben loszureißen
sucht, w ie er sich selbst von ihm losgesagt hat.
Z u 3. Die A rtwesenheit irgendeiner Eigenschaft oder
Formbestimmtheit vermannigfaltigt sich nicht dadurch,
daß sie Ausgangspunkt oder Endpunkt einer Bewegung
ist; wohl aber richten sich umgekehrt nach den Grenz­
punkten die Arten von Bewegungen. Der Abfall nun geht
auf den Unglauben als den Endpunkt, auf den die Be­
wegung dessen gerichtet ist, der sich vom Glauben ent­
fernt. Afeo bedeutet Abfall nicht eine bestimmte Art des
Unglaubens, sondern eine gew isse erschwerende Verum­
ständung, nach 2 Petr 2, 21: „Besser wäre es für sie ge­
wesen, die Wahrheit nicht zu erkennen, als sie erkannt
zu haben und dann sich wieder abzuwenden“ [52].
Q U A ESTIO 12, 1

ad salu tem aetern am ; et propter hoc dicitur: „H om o apostata


vir in u tilis.“ F id e s enim est vita a n im a e , secu n d u m illu d Rom. 1:
„Justus e x fid e v iv it.“ S icu t ergo, su b la ta vita corporali, om nia
m em bra et partes h o m in is a d eb ita d isp osition e reced u n t; ita,
su blata vita justitiae, qu ae est per fidem , app aret in ordinatio
in om nibus m em b ris. Et prim o q u id em in ore, p er quod m axim e
m anifestatur cor; secund o, in oculis; tertio, in instru m en tis m o­
tus; quarto, in volu n tate, q u ae a d m alum tendit. Et e x his
seq u itu r quod jurgia sem dnet, a lios in ten d en s se p a r a r e a fide,
sicut e t ip se recessit.
A D TERTIUM dicen du m quod s p e c ie s a lic u ju s q u alitatis v e l
form ae non diversificantur 1 p er hoc quod est term in u s motus
a quo v e l ad q u em : s e d p otiu s e converso secu n d u m terminois
m otuum s p e c ie s atten d u n tu r. A postasia autem respiicit infideM-
tatem ut term inu m ad qu em est m otus reced en tis a fide. U n de
apostasia non im portat determ in atam sp ec iem in fid elitatis, sed
quam dam circum stantiam a g g r a v a n te m : secu n d u m illu d 2 P etr. 2:
„Meliius erat eis v eritatem non cogn oscere quam post cognitam
retroire.“
1 L: diversificatur.

251
2. A R T I K E L
Verliert ein Fürst wegen Abfalls vom Glauben die
Herrschaft über seine Untertanen, so daß sie ihm
nicht mehr zu gehorchen verpflichtet sind?
1. Ambrosius berichtet: „Obwohl Kaiser Julian ein Ab­
trünniger war, hatte er dennoch Christen als Soldaten
unter sich, und wenn er diesen gebot: ,Laßt die Truppe zur
Verteidigung des Gem einwesens ausrücken!“, so gehorch­
ten sie ihm.“ Demnach werden die Untertanen wegen Ab­
falls des Fürsten nicht von dessen Herrschaft entbunden.
2. Der Glaubensabtrünnige ist ein Ungläubiger. Man
beobachtet aber, daß etliche heilige Männer ungläubigen
Herrschern treu gedient haben, z. B. Joseph dem. Pharao,
Daniel dem Nabuchodonosor und Mardochäus dem Assu-
erus. W egen A bfalls vom Glauben also ist den Unter­
tanen der Gehorsam gegen den Fürsten nicht zu erlassen.
3. W ie man sich durch Glaubensabfall von Gott trennt,
so auch durch jegliche Sünde. Büßten also die Fürsten
durch Glaubensabfall das Herrschaftsrecht über ihre gläu­
bigen Untertanen ein, so würden sie es gleichermaßen
wegen anderer Sünde verlieren. Dies aber ist offensicht­
lich falsch. Also darf man wegen Glaubensabfalls nicht
vom Gehorsam gegen die Fürsten lassen.

QUAESTIO 12, 2
ARTICULUS II
Utrum princeps propter apostasiam a fide
a m i t t a t d o m i n i u m in s u b d i t o s , ita qu o d ei
obedire non teneantur
AD SEC U N D U M sic proceditur. V id etu r quod p rin cep s prop­
ter ap ostasiam a fide non am ittat dom iniu m in su bd itos, quin
F id b. 1/669 ei ten ean tu r obedire. D icit enim A m brosius [Cf. can. Julianu s,
PL 37/1654 caus. 11, qu. 3. — V id e A ugust, in Ps. 124, 3 ] , quod „Julianus,
Im p erator, quam vis esset apostata, hab uit tarnen su b s e Chri-
stia n o s m ilites, qu ibus cum dicebat: ,P rodu cite aciem pro d efen -
sio n e r eip u b lic a e “, ob ed ieb a n t e i.“ Ergo propter apostasiam prin-
cip is su b d iti non absolvu n tu r ab e ju s dom inio.
2. PRAETEREA, apostata a fid e in fid e lis est. S e d in fid elib u s
dom inis in v en iu n tu r a liq u i san cti v iri fid eliter se r v is se : sicu t
Josep h P haraoni, et D a n ie l N abuchodonosori, et M ardochaeus
A ssuero. Ergo propter ap ostasiam a fid e non est dim ittendum
qu in p rin cip i obediatur a su bd itis.
3. PRAETEREA, sicu t p e r apostasiam a fide reced itu r a D eo,
ita p e r qu od lib et peccatum . S i ergo propter apostasiam a fide
perd eren t p rincip e« ju s im p eran d i su b d itis fid elib u s, pari ratione
propter peccata a lia hoc am itteren t. S ed hoc p atet e sse falsum .
Non ergo propter ap ostasiam a fid e est reced en d u m ab obe­
d ien tia principum .

252
ANDERSEITS erklärt Gregor V II.: „Wir halten uns an 12, 2
die Anordnungen unserer heiligen Vorgänger und lösen
diejenigen, die durch Lehnstreue oder Eid an Gebannte
gebunden sind, kraft unserer Apostolischen Vollmacht von
ihrem Eid, und wir verbieten in aller Form, ihnen Treue
zu halten, bis sie kommen, um Genugtuung zu leisten.“
Glaubensabtrünnige aber sind, w ie eine Dekretale erklärt,
gleich den Häretikern gebannt. Also darf man glaubens­
abtrünnigen Fürsten nicht gehorchen.
ANTWORT: Unglaube an sich steht der Herrschgewalt
nicht im W ege (10, 10); denn Herrschaftsstellung ist auf­
gekommen auf Grund des bei allen Völkern maßgeblichen
Rechtes, und dieses ist menschliches Recht [53]; die Un­
terscheidung aber von Gläubigen und Ungläubigen erfolgt
nach göttlichem Recht, durch w elches das menschliche
Recht nicht aufgehoben wird. Wohl aber kann jemand,
der durch Unglauben sündigt, durch Urteilsspruch sein
Herrschaftsrecht verlieren, w ie auch bisw eilen w egen an­
derer Verschuldungen. Zwar steht es der Kirche nicht zu,
den Unglauben bei solchen zu bestrafen, die niem als den
Glauben angenommen haben, nach 1 Kor 5, 12: „Was
habe ich die Außenstehenden zu richten?“ Den Unglauben
derer jedoch, die den Glauben angenommen haben, kann
sie durch Urteilsspruch bestrafen. Und es ist angemessen,
sie damit zu bestrafen, daß sie über gläubige Untertanen
nicht gebieten können. D ieses könnte ja zu großer Ver-
q u a e s t i o 12,2

SE D CONTRA est quod G regoriu s V II d ic it [In Conc. Rom. 5; Mansi 20


D ecr., caus. 15, qu. 6, c. 4 ] : „Nos, sanctorum praedecessorum 5i4cf.506
statuta ten en tes, eos q u i excom m u n icatis fid elita te aut ju ram en ti Frdb-1 756
sacram ento su n t constricti, A p ostolica au ctoritate a sacram ento
absolvim us, et ne sib i fid elitatem observent om nibus m odis pro-
hib em us, quousque ad satisfaction em v e n ia n t.“ S e d apostatae
a fid e su n t excom m u n icati, sicu t et h a eretici, ut dicit D ecretalis F r d b .n
[Tit. de H aereticis, cap. „A d ab olen d am “] . Ergo p rin cip ib u s 780 sq.
ap ostatan tib u s a fid e non est o b ed ien d u m .
RESPONDEO d icen d u m quod, sicut su p ra dictum est, in fid e li­
tas secu n d u m se ip sa m non rep u gn at d om inio, e o quod dom i­
niu m introductum est d e ju r e gentium , quod est jus h u m a n u m ;
distin ctio a u tem fid eliu m et in fid eliu m est secu n d u m ju s d iv i­
num , per quod non tollitu r ju s hum anum . S ed a liq u is per in ­
fid elitatem peccan s p otest se n te n tia lite r jus d om in ii am ittere,
sicu t etiam q u and oqu e prop ter a lia s culpas. A d E celesiam autem
non p ertin et p u n ire in fid elitatem in illis qui nunq uam fidem
su scep eru n t: secu n d u m illu d A p ostoli 1 ad Cor. 5: „Quid m ihi
de h is q u i fo r is su n t ju d ic a r e? “ S ed in fid elitatem illoru m qui
fidem su scep eru n t potest se n te n tia lite r p u n ire. Et c o n v en ien ter
in hoc p u n iu n tu r quod su b d itis fid elib u s dom inari non possint:
hoc en im v e rg e re posset in m agnam fidei corruptionera; quia, ut

253
12, 2 derbnis des Glaubens ausschlagen; denn „ein abtrünniger
Mensch sinnt in seinem Herzen Böses und sät Streite­
reien“, in dem Streben, die Menschen vom Glauben loszu­
reißen (Art. 1, E. 2). Sobald daher einer durch Urteils­
spruch wegen Abfalls vom Glauben für gebannt erklärt
ist, sind seine Untertanen ohne weiteres von seiner Herr­
schaft und von dem Treueid, durch den sie an ihn ge­
bunden waren, entbunden.
Z n 1. Zu jener Zeit besaß die noch neue Kirche noch
nicht die Gewalt, weltliche Fürsten zurechtzuweisen. Da­
her duldete sie es, daß die Gläubigen Julian dem Ab­
trünnigen in solchem, was nicht gegen den Glauben war,
gehorchten, um größere Gefahr für den Glauben abzu­
wenden.
Z u 2. Anders verhält es sich bezüglich der anderen Un­
gläubigen, die den Glauben niemals angenommen haben
(Antwort).
Z u 3. Abfall vom Glauben trennt den Menschen gänz­
lich von Gott (Art. 1), was bei gew issen anderen Sünden
nicht der Fall ist.

QÜABSTIO 12, 2

dictum est, „hom o apostata p r a v o 1 corde m achinatur m alum


et ju rgia se m in a t“, in ten d en s h om in es sep arare a fide. Et id eo
quam cito a liq u is p er se n te n tia m d en u n tiatu r excom m un icatu s
p rop ter apostasiam a fide, ipso facto e ju s su b d iti su n t absoluti
a d o m in io e ju s e t ju ram en to fid elitatis, quo e i tenebantu r.
A D PRIM UM ergo d icen d u m quod illo tem p ore E cclesia, in
su i n ovitate, nondum hab eb at p otestatem terren os p rin cip es
eom pescend i. Et ideo toleravit fid eles Ju lian o A p ostatae obedire
in h is q u ae non eran t contra fidem , ut m ajus p ericu lu m fid ei
vitaretur.
AD SEC U N D U M dicen du m qu od a lia ratio est de in fid elib u s
a liis, q u i nu nq uam fid em su scep eru n t, u t dictum est.
A D TERTIUM dicen d u m quod ap ostasia a fide to ta liter s e p a ­
rat hom inem a D eo, ut dictum est: quod non contingit in qui-
buscum que a liis pecoatis.
l L: suo.

254
13. F R A G E 13, i
DIE SÜNDE DER GOTTESLÄSTERUNG
IM ALLGEMEINEN
Nunmehr ist die Sünde der Gotteslästerung zu behan­
deln, welche zum Bekenntnis des Glaubens im Gegensatz
steht. Und zwar erstens die Gotteslästerung im allgem ei­
nen; zweitens die Gotteslästerung, die man als Sünde ge­
gen den H eiligen Geist bezeichnet.
Zum ersten ergeben sich vier Einzelfragen.
1. Steht die Gotteslästerung im Gegensatz zum Bekennt­
nis des Glaubens?
2. Ist die Gotteslästerung stets Todsünde?
3. Ist die Gotteslästerung die größte Sünde?
4. Gibt es Gotteslästerung bei den Verdammten?

1. ARTIKEL
Steht die Gotteslästerung im Gegensatz zum Bekenntnis
des Glaubens?
1. Lästern heißt, dem Schöpfer eine Beschimpfung oder
irgendeine Schmähung zufügen, um Ihn zu beleidigen. Dies
aber läuft mehr auf Böswilligkeit gegen Gott als auf Un­
glauben hinaus. Gotteslästerung steht also nicht im Gegen­
satz zum Bekenntnis des Glaubens.
2. Zu Eph 4, 31 ,Lästern bleibe euch fern1 erklärt eine
Glosse: [Lästern,] „das gegen Gott oder die H eiligen er-

QTJAESTIO X III
DE PECCATO BL A SPH E M IA E IN GENERALI
D e in d e co n sid eran d u m est d e peccato b lasp h em iae, quod op­
pon itu r con fession i fidei. Et prim o d e b la sp h e m ia in g e n e ra li;
secund o, de b lasp h em ia q u ae dicitur peccatum in S p iritum
Sanctum .
Circa prim um q u aerun tur quatuor: 1. U trum b la sp h em ia op ­
p on atur c o n fessio n i fidei. — ‘2. U trum b la sp h e m ia se m p e r sit
peccatum m ortale. — 3. U trum b lasp h em ia sit m axim u m pecca­
tum . — 4. U tru m b lasp h em ia sit in dam natis.

A R T IC U L U S J
Utrum blasphemia opponatur confessioni
fidei
AD PRIM UM sic proceditur. V idetur quod b la sp h e m ia non
opp onatu r co n fe ssio n i fidei. N am b lasp h em are est con tu m eliam
v e l aliq u od convicium in ferre in in ju ria m C reatoris. S e d hoc
m agis p e r tin et ad m alev o len tia m contra D eu m quam a d in fi­
d elitatem . E rgo b la sp h em ia non o p p on itu r con fession i fidei.
2. PRAETEREA, ad E ph es. 4, su p e r illu d : „B lasp h em ia tolla-
tur a v o b is“, dicit Glossa [L o m b a r d i]: „quae fit in D eum v e l PL192
208

255
13, i folgt“. Das Glaubensbekenntnis handelt aber offensichtlich
nur von solchem, was sich auf Gott, den Gegenstand des
Glaubens, bezieht. Also steht die Lästerung nicht immer im
Gegensatz zum Bekenntnis des Glaubens.
3. Von einigen wird behauptet, es gebe drei Arten von
Lästerung: deren eine ist, wenn Gott etwas beigelegt wird,
was Ihm nicht ansteht; die zweite, wenn Ihm etwas ab­
gesprochen wird, was Ihm zusteht; die dritte, wenn einem
Geschöpf zugeschrieben wird, was nur Gott eignet. Dem­
nach scheint es, Lästerung gebe es nicht nur in bezug auf
Gott, sondern auch in bezug auf die Geschöpfe. Der Glaube
aber hat Gott zum Gegenstände. Also bildet die Lästerung
nicht den Gegensatz zum Bekenntnis des Glaubens.
ANDERSEITS sagt der Apostel 1 Tim 1, 13: „Früher
war ich selbst ein Lästerer und Verfolger“, und anschlie­
ßend fügt er hinzu: „Ich handelte unwissend, im Un­
glauben.“ Daraus ersieht man, daß Lästerung auf Unglau­
ben hinausläuft.
ANTWORT: Der Ausdruck ,Lästerung“ scheint das Ab­
sprechen irgendeiner überragenden Gutheit und insbeson­
dere der göttlichen zu bedeuten. Gott aber ist die W esen­
heit wahrer Gutheit selbst (D ionysius). Was immer Gott
zukommt, bezieht sich also auf Seine Gutheit; und alles,
was nicht zu Ihm in Beziehung steht, ist weitab von der
Bewandtnis vollkommener Gutheit, die Sein W esen aus­
macht. Jeder also, der in bezug auf Gott etwas in Abrede
QUAESTIO 13, i

in san ctos.“ S ed con fessio fidei non vid etu r e sse n isi de his
q u ae p ertin en t ad D eum , q u i est fid ei objectum . Ergo b la s­
p h em ia non se m p e r o p p on itu r con fession i fidei.
3. PRAETEREA, a qu ibusdam d icitu r quod su n t tres bl
p h em iae sp ec ies: quarum una est, cum attribuitur D eo quod
ei non con ven it; secu n d a est cum ab eo rem ovetur quod ei con­
v e n it; tertia est oum attribuitur creatu rae quod D eo appro-
j i i /464 priatur [A le x . H ai., Sum m . T heol. pars 2, qu. 131, m. 2 ].
Et sic vid etu r quod b la sp h em ia non so lu m s it circa D eum , se d
etiam circa creaturas. F id e s au tem h a b et D eu m pro objecto.
Ergo b lasp h em ia non op p on itu r con fession i fidei.
SED CONTRA est qu od A p ostolus d ic it 1 ad T im .: „P rius
fui b lasp h em u s et p ersecu to r“ ; et p ostea su b d it: „Ign oran s feci
in in cred u litate m e a .“ E x quo vid etu r quod b la sp h em ia ad
in fid elitatem p ertin eat.
RESPONDEO dicen du m quod nom en b la sp h em ia e im portare
v id etu r quam dam d erogation em alicu ju s e x c e lle n tis bonitatis,
pg 3/594 1
et p ra ecip u e d iv in a e . D e u s autem , ut D io n y siu s dicit cap. de
Sol. 1/40 D iv. Nom ., est ip sa esse n tia v e ra e bon itatis. U n d e q u id q u id D eo
con ven it p ertin et a d b on itatem ip siu s; et q u id q u id ad ipsum
n on p e r tin et lo n g e est a ration e p e r fec ta e bon itatis, q u ae est
e ju s essen tia. Q uicum que ergo v e l negat aliq uid d e D eo quod ei

256
stellt, was Ihm zukommt, oder etwas in bezug auf Ihn 13, 1
behauptet, w'as Ihm nicht zukommt, tut der göttlichen
Gutheit Eintrag. Dies nun kann auf zweifache W eise der
Fall sein: einmal, lediglichjn gedanklicher Ansicht; sodann
in Verbindung mit einer willentlichen Verwünschung, wie
im Gegensatz dazu der Glaube an Gott sich vollendet durch
die Liebe zu Ihm. Ein derartiges Absprechen göttlicher
Gutheit erfolgt also entweder nur dem Verstände oder
auch der Wollung nach. Hat sie ihren Bestand nur im In­
nern, so handelt es sich um eine innerliche Lästerung.
Äußert sie sich aber in Worten, so ist es eine Lästerung
mit dem Munde. Und insofern steht sie im Gegensatz zum
Bekenntnis.
Z u l . Derjenige, der gegen Gott redet in der Absicht,
Ihm eine Schmähung zuzufügen, tut der göttlichen Gutheit
Eintrag nicht nur im Hinblick auf ein unverfälschtes Ver­
ständnis, sondern auch durch boshaften Willen, indem
dieser, so gut er kann, die göttliche Ehre herabwürdigt
und hemmt. Und dies ist Lästerung im Vollsinne.
Z u 2. W ie Gott in Seinen Heiligen gepriesen wird, so­
fern man die Werke preist, die Gott in den Heiligen wirkt,
so greift auch eine Lästerung, die gegen H eilige erfolgt,
folgerichtig auf Gott über.
Z u S. Man kann nach jenen drei Gesichtspunkten,
eigentlich zu reden, nicht drei verschiedene Arten der
Sünde der Lästerung unterscheiden. Denn Gott zuschreiben,
QUAESTIO 13. l
convenit, v e l asserit de eo quod ei non convenit, derogat divinae
bonitati. Quod qu idem potest contingere d u p liciter: uno quidem
modo, secu n d u m solam op in ion em in tellectu s; alio m odo, con-
juncta quadam affeetus detestation e, sicut e contrario fides D ei
per d ilection em perficitur ipsius. H ujusm odi ergo derogatio
d ivin ae bon itatis v e l est secund um intellectu m tantu m ; v e l
etiam secund um affectum . S i consistat tantum in corde, est cordis
blasp hem ia. S i autem e x ter iu s prodeat per locutionem , est oris
blasp hem ia. Et secund um hoc blasp hem ia con fession i opponitur.
AD PRIM UM ergo dicen du m quod ille qui contra D eu m lo-
qu itu r convicium in ferre in ten d en s, d erogat d iv in a e bon itati,
non solum secund um fa lsita te m 1 in tellectu s, se d etiam se c u n ­
dum p ravitatem volu n tatis d etesta n tis et im p ed ien tis pro posse
divinu m hon orem . Quod est blasp h em ia p erfecta.
A D SEC U N D U M dicen du m qu od sicu t D eu s in sa n ctis su is
laud atu r, inq uantu m laud antur opera q u a e D eu s in san ctis effi-
cit; ita et b lasp h em ia q u ae fit in san ctos, e x con seq u en ti in
D eu m redundat.
A D TERTIUM dicendum quod secu n d u m illa tria n on possunt,
p rop rie loqu en do, d istin gu i d iv ersa e sp e c ie s p eccati b la sp h e­
m iae. A ttrib u ere en im D eo quod ei non convenit, v e l rem overe
1 L: v e rita te m .

17 i r, 257
13, 2 was Ihm nicht zukommt, oder Ihm absprechen, was Ihm
zukommt, unterscheidet sich nur als Behauptung und Ver­
neinung. D iese Unterschiedenheit nun führt nicht zur Art­
unterscheidung eines Gehabens; denn vermöge desselben
W issens wTird die Falschheit von Behauptung und Ver­
neinung kund, und vermöge des nämlichen Nichtwissens
irrt man in beider Hinsicht; denn „die Verneinung wird
durch die Bejahung b ew iesen“ (Aristoteles). Wird aber
solches, was Gott eigen ist, den Geschöpfen beigelegt, so
gehört dies offensichtlich dahin, daß Ihm etwas zuge­
schrieben wird, was Ihm nicht zukommt. Denn alles, was
Gott eigen ist, ist Gott selbst; solches aber, was eine Eigen­
tümlichkeit Gottes ist, irgendeinem Geschöpf zuschreiben,
heißt Gott selbst einem Geschöpfe gleichsetzen.

2. ARTIKEL
Ist Gotteslästerung stets Todsünde?
1. Über die Stelle Kol 8, 8 ,Jetzt aber sollt auch ihr das
alles ablegen* usw. sagt eine Glosse: „Nach dem Wich­
tigeren verbietet er [der Apostel] das Geringfügigere.“
Und doch nennt er anschließend die Lästerung. Also wird
Gotteslästerung unter die geringfügigeren Sünden gerech­
net, und solche sind läßliche Sünden.
2. Jede Todsünde steht zu einem der Zehn Gebote im
QUAESTIO 13, 2

ab eo quod ei con ven it, non differu nt n isi secu n d u m affirm a-


tionem et n egation em . Q uae qu idem d iv ersita s habitus sp eciem
non d istin gu it: q u ia per eam dem sc ien tia m in n otescit falsitas
affirm ationu m et negation u m , e t p er eam dem ignorantiam ulro-
qu e m odo erratur, cum „n egatio p robetur p er a ffirm a tio n em “,
86b 33 sqq. ut hab etu r 1 P oster, [cap. 2 5 ]. Q uod au tem e a q u ae su nt D ei
propria creatu ris attribuantur, ad hoc p erttn ere vid etu r quod
aliq u id ei attribuatur quod e i non conveniat. Q uidquid enim
est D eo proprium est ip se D e u s: attrib u ere au tem id quod est
D e i proprium alicu i creatu rae est ip su m D eu m dicere idem
creaturae.
ARTICULUS II
Utrum blasphemia semper sit peccatum
mort al e
[Col., cap . 3, le c t. 2]
AD SEC UND UM sic proceditur. V id etu r quod b lasp h em ia non
se m p e r sit peccatu m m ortale. Q uia su p e r illu d ad Col. 3, „Nunc
PL 17 autem d ep o n ite et vos om n ia“, etc., dicit G lossa [Ord. A m br.] :
435 C „Post m ajora proh ib et m in ora.“ Et tarnen su b d it de blasp h em ia.
192/281
Ergo b lasp h em ia in ter peccata m inora com putatur, q u ae su n t
peccata v en ia lia .
2. PRAETEREA, om ne peccatum m ortale opp onitur alicui

258
Gegensatz. Lästern aber scheint keinem derselben ent- 13, 2
gegeugesetzt zu sein. Also ist Gotteslästerung keine Tod­
sünde.
3. Sünden, die man ohne Überlegung begeht, sind keine
Todsünden; darum sind erste Regungen keine Todsünden,
w eil sie der vernünftigen Überlegung vorausgehen (I—II
74, 10: Bd. 12). Eine Lästerung aber erfolgt manchmal
ohne Überlegung. Also ist sie nicht immer Todsünde.
ANDERSEITS heißt es Lv 24, 16: „Wer den Namen des
Herrn lästert, soll des Todes sterben.“ Die Todesstrafe
aber wird nur für eine Todsünde verhängt. Also ist Got­
teslästerung Todsünde.
ANTWORT: Durch eine Todsünde wird der Mensch von
dem Urgrund seines geistigen Lebens, der Liebe Gottes,
abgeschnitten (I—II 72, 5: Bd. 12). Daher ist alles, was
der Liebe widerstreitet, auf Grund seiner Gattung Tod­
sünde [54], Die Lästerung aber widerstrebt ihrer Gat­
tung nach der göttlichen Liebe; denn sie tut der göttlichen
Gutheit Eintrag (Art. 1). Demnach ist Gotteslästerung ihrer
Gattung nach Todsünde.
Z u l . Jene Glosse ist nicht so zu verstehen, als ob alles,
was angeführt wird, geringfügigere Sünden wären; son­
dern da sie [die Stelle] vorher lauter schwerere Sünden
dargestellt hatte, zählt sie anschließend auch einige gering-
QUAESTIO 13, 2

praecepto D ecalogi. S e d blasp h em ia non vid etu r alicu i eorum


opp oni. E rgo b lasp h em ia non est peccatum m ortale.
3. PRAETEREA, peccata q u ae absqu e d elib era tio n e com m it-
tuntur non su n t m ortalia: propter quod p rim i m otus non sunt
peccata m ortalia, qu ia d elib era tio n em ration is p raeced u n t, ut
e x su p ra d ictis patet. S ed b lasp h em ia qu an d oq u e absqu e d eli-
b eration e proced it. Ergo non se m p e r e st peccatu m m ortale.
SED CONTRA est quod dicitur L evit. 24: „Qui blasp hem a-
v erit n om en D om in i, m orte m oriatu r.“ S e d p oen a m ortis non
in fertu r n isi pro peceato m ortali. Ergo b lasp h em ia est peccatum
m ortale.
RESPONDEO d icen d u m quod, sicut su p ra dictum est, p ecca ­
tum m ortale est p er quod hom o sep aratu r a prim o princip io
sp ir itu a lis vita e, quod est caritas D ei. U n d e q u aecu m q u e cari-
tati repugnant, e x suo g e n e re su n t peccata m ortalia. B lasphem ia
au tem secu n d u m g en u s su u m rep u gn at caritati d iv in a e : quia
derogat d iv in a e b on itati, ut dictum est, q u a e est objectum cari­
tatis. Et id eo b la sp h e m ia est peccatu m m ortale e x su o g e n e re .
A D PRIM UM ergo d icen d u m quod G lossa illa non est sic
in te llig en d a quod om n ia q u ae su b d u n tu r, sin t peccata m or­
ta lia .1 S ed quia, cum supra non ex p ressisset n isi m ajora, post-
t L: m in o ra .

17* 259
13, 2 fügigere auf, unter denen sie nebenbei einige schwerere
nennt.
Z u 2. Da die Gotteslästerung zum Bekenntnis des Glau­
bens im Gegensatz steht (Art. 1), ist ihr Verbot als unter
dem Verbot des Unglaubens inbegriffen zu denken, das in
dem Satze: „Ich bin der Herr, dein Gott“ usw. mitver­
standen wird.
Oder sie wird damit verboten, daß es heißt: „Nenne
den Namen deines Herrn nicht eitel!“ Denn in stärkerem
Maße nennt den Namen Gottes eitel, wer etwas Falsches
von Gott behauptet, als wer mit Berufung auf den Namen
Gottes sonst etwas Falsches zu bekräftigen sucht.
Z u 3. Eine Gotteslästerung kann auf zweifache W eise
ohne Überlegung und unversehens Vorkommen. Einmal,
wenn jemand nicht beachtet, daß, was er sagt, eine Läste­
rung ist. Dies ist möglich, wenn einer plötzlich infolge
einer Aufwallung in unüberlegte Worte ausbricht, deren
Bedeutung er nicht erwägt. In diesem Falle liegt eine läß­
liche Sünde vor, die nicht eigentlich die Bewandtnis der
Lästerung hat. — Sodann, w enn er klar darüber ist, daß
es eine Lästerung ist, indem er die Bedeutung der Worte
wohl erwägt. In diesem Falle gibt es keine Entschuldi­
gung von der Todsünde, w ie auch dann nicht, wenn einer
in plötzlicher Zornesregung einen, der neben ihm sitzt,
tötet.

QUAESTIO 13, 2

m odum etia m qu aed am m inora su bd it, in ter qu ae etiam q u a e­


dam de m ajorib us ponit.
A D SEC UND UM dicen du m quod, cum b lasp h em ia opponatur
con fession i fid ei, u t dictum est, e ju s p roh ib itio red ucitu r ad
p roh ib ition em in fid elitatis, q u ae in te llig itu r in eo quod dicitur:
„Ego su m D om in u s D eu s tu u s“, etc.
V e l p roh ib etu r p e r id quod d icitu r: „N on a ssu m es nom en
D e i tu i in v a n u m .“ M agis en im in van u m assu m it n o m en D ei
qui aliq u od falsu m d e D eo a sser it quam q u i p e r n o m en D ei
aliq uod fa lsu m confirm at.
A D TERTIUM dicen du m quod b lasp h em ia p otest absque d e li-
b era tio n e e x su rr e p tio n e p ro ced ere d u p liciter. U no m odo, quod
a liq u is non ladvertat hoc quod dicit esse b lasp h em iam . Quod
potest co n tin g ere cu m a liq u is su bito e x aliq u a p a ssio n e in verb a
im agin ata prorum pit, q u oru m sign ification em non considerat.
Et tune est peccatum v e n ia le : et non h ab et p rop rie rationem
b la sp h em ia e. — A lio m odo, quando ad vertit hoc e sse b la sp h e­
m iam , considerans signdficata verb oru m . Et tune non excu satur
a peccato m o r ta li: sicut nec ille qui e x su b ito m otu ir a e aliq uem
occidit ju xta se sed en tem .

260
3. A R T I K E L
Ist die Sünde der Gotteslästerung die schwerste Sünde?
1. „Man nennt etwas böse, w eil es schadet“ (Augustinus).
Mehr aber schadet die Sünde des Menschenmordes, weil
dadurch das Leben eines Menschen ausgelöscht wird, als
die Sünde der Gotteslästerung, die Gott keinerlei Schaden
antun kann. Also ist die Sünde des Mordes schwerer als
die Sünde der Gotteslästerung.
2. Jeder, der falsch schwört, ruft Gott zum Zeugen für
eine Unwahrheit an und behauptet so offensichtlich, Gott
sei unwahr. Aber nicht jeder Lästerer geht so weit, zu
behaupten, Gott sei unwahr. Also ist Meineid eine schwe­
rere Sünde als eine Gotteslästerung.
3. Über Ps 75 (74), 6: ,Pochet nicht so hoch auf eure
Stärke“ sagt die Glosse: „Größtes Vergehen ist es, die
Sünde zu entschuldigen.“ Gotteslästerung ist also nicht
die größte Sünde.
ANDERSEITS sagt zu der Stelle Is 18, 2 ,Zu einem
Volke, furchtbar“ usw. die Glosse: „Jede Sünde ist im
Vergleich zur Gotteslästerung verhältnismäßig leicht.“
ANTWORT: Die Gotteslästerung ist dem Bekenntnis des
Glaubens entgegengesetzt (Art. 1). Daher haftet ihr die

QUAESTIO 13, 3

ARTICULUS III
Utrum peccatum blasphem iae sit maximum
peccatum
[III 80, 5; 4 S en t., d is t. 9, a rt. 3, q a 3 c o rp .; De m alo , q. 2, a rt. 10]
A D TERTIUM sic proced itu r. V id etu r quod p eccatu m blas-
p h em ia e n on sit m axim u m peccatum . „M alum en im d icitu r
quia n ocet“, secund um A ugustinum , E nchirid. [cap. 1 2 ]. Sed PL 40/237
m agis nocet peccatum h om icid ii, quod p erim it vitam hom inis, cf. 32/1346
quam peccatum b la sp h em ia e, quod D eo n u llu m nocum entu m
potest in ferre. Ergo peccatu m h o m icid ii est g raviu s peccato
b la sp h em ia e.
2. PRAETEREA, qu icum que p ejerat ind ucit D eum testem falsi-
tatis, et ita v id e tu r eum a sser er e e sse falsum . S ed non q u ilib et
b lasp h em u s u sq u e ad hoc proced it u t D eu m asserat e sse falsum .
Ergo p erju riu m est graviu s peccatu m qu am blasp h em ia.
3. PRAETEREA su p er illu d P salm [7 4 ], „N olite e x to ller e in
altum cornu vestru m “, dicit G lossa [Ord. C a s sio d ]: „M axim um PL 70
est vitiu m excu sation is peccati.“ Non ergo b lasp h em ia est m a x i­ 537 C
cf 191/700
m um peccatum .
SED CONTRA est quod Is. 18 su p er illu d : „A d pop ulum terri-
b ilem “, etc., dicit G lossa [O r d .]: „Omne peccatum , b lasp h em iae PL 24
com paratum , lev iu s est.“ 247 C
RESPONDEO dicendum quod, sicut su p ra dictum est, b la sp h e­
m ia op p on itu r con fession i fidei. Et id e o h a b et in se gravitatem

261
13, 3 Schwere des Unglaubens an. Und die Sünde wird noch
schwerer, wenn eine Verwünschung durch den Willen hin­
zukommt; und noch mehr, wenn sie in Worte ausbricht;
so w ie das Löbliche des Glaubens vermehrt wird durch
die Liebe und das Bekenntnis. Da nun der Unglaube sei­
ner Gattung nach die schwerste Sünde ist (10, 3), so ist
folgerichtig auch die Gotteslästerung die schwerste Sünde,
da sie zur nämlichen Gattung gehört und sie [d. h. die
Sünde des Unglaubens] noch erschwert.
Z u l . Vergleicht man Menschenmord und Gottesläste­
rung hinsichtlich des Gegenstandes, gegen den gesündigt
wird, so wiegt die Gotteslästerung, als unmittelbar gegen
Gott gerichtet, offensichtlich schwerer als Menschenmord,
der eine Sünde gegen den Nächsten ist. Vergleicht man
sie aber nach der Schadenwirkung, so wirkt der Men­
schenmord schwerer; denn der Mord schadet dem Näch­
sten mehr als Gott die Gotteslästerung. Da aber bei der
Schwere einer Schuld mehr die verkehrte Willensrichtung
in Betracht kommt als die Wirkung des Handelns (I—II
73, 8: Bd. 12), so sündigt der Gotteslästerer, w eil seine
Absicht dahingeht, der Ehre Gottes Schaden zu tun,
eigentlich zu sprechen, schwerer als der Menschenmörder.
Jedoch nimmt der Menschenmord bei den Sünden gegen
den Nächsten die erste Stelle unter den Sünden ein.
Z u 2. Über die Stelle Eph 4, 31 ,Lästern bleibe euch

QUAESTIO 13, s

in fid elitatis. Et aggravatur peccatum s i su p erv en ia t detestatio


vo lu n ta tis; et adhuc m agis ei prorum pat in v erb a ; sicu t e t lau s
fid ei a u g e tu r p e r d ilec tio n e m et con fession em . U n d e, cum in ­
fid elitas sit m axim u m peccatum se cu n d u m su u m genus, sicut
su p ra dictum est, co n seq u en s est qu od etiam b la sp h em ia sit
peccatum m axim um , ad id e m g e n u s p ertin en s e t ip su m aggra-
vans.
A D PRIM UM ergo dicen d u m quod h o m icid iu m et b lasp h em ia
s i com p aren tu r secu n d u m objecta in q u a e peccatu r, m an ifestu m
est quod b lasp h em ia, q u ae est d irecte peccatum in D eum , prae-
pon d erat h om ieid io, quod est peccatum in p roxim u m . S i au tem
com p aren tu r secu n d u m effectum n o cen d i, sie h om icid iu m prae-
pon d erat: plu s en im h om icid iu m n ocet p roxim o quam b la s­
p h em ia D eo. S e d q u ia in g r a v ita te c u lp a e m agis atten ditur in-
ten tio volu n tatis p e r v er sa e quam effectus operis, ut e x su pra
dictis p atet; ideo, cum b la sp h em u s in ten d at nocum entu m in-
ferre h on ori divino, sim p licite r loq u en d o, graviu s peccat quam
hom icida. H om icidium tarnen prim um locum ten et in p o e n is 1
in ter peccata in p roxim u m com m issa.
A D SEC U N D U M dicen du m quod su p e r illu d ad E phes. 4,
1 L: p eccatis.

262
fern“ sagt die Glosse: „Schlimmer ist die Gotteslästerung 13. 4
als der Meineid.“ Denn wer falsch schwört, spricht oder
denkt nicht etwas Falsches über Gott, w ie der Gottes­
lästerer, sondern er ruft Gott als Zeugen für eine Unwahr­
heit an, nicht in der Annahme, Gott sei ein mrwahrer
Zeuge, sondern in der Hoffnung, Gott werde darüber nicht
durch ein deutliches Zeichen Zeugnis geben.
Z u 3. Eine Sünde entschuldigen ist eine erschwerende
Verumständung jeder Sünde, auch gerade der Gottes­
lästerung. Und entsprechend sagt man, sie sei die schwerste
Sünde, da sie jegliche Sünde verschlimmert.

4. ARTIKEL
Lästern die Verdammten?
1. Jetzt [auf Erden] lassen sich manche Bösen durch
die Angst vor künftigen Strafen davon abhalten, Gott zu
lästern. Die Verdammten aber erleiden bereits diese Stra­
fen, daher schrecken sie noch mehr davor zurück. Noch
viel mehr also werden sie sich vor dem Lästern in acht
nehmen.
2. Da die Gotteslästerung die schwerste Sünde ist, so ist
sie im höchsten Maße mißverdienstlich. Im künftigen Leben
aber gibt es keinen Stand des Verdienstes oder Mißver­
dienstes. Also hat auch Gotteslästerung keinen Raum.

Q U A E S T I O 13, 4

„B lasp hem ia tollatur a v o b is“, dicit G lossa [Ord. A u g u s t.]: PL40


„ P eju s est b lasp h em are quam p e je r a r e .“ Qui en im p ejera t n on 545 D
dicit au t se n tit a liq u id falsu m de D eo, sic u t b lasp h em u s: sed
D eu m a d h ib et testem falsitatis, non tan q u am aestim an s D eum
e sse falsum testem , se d tanquam sp er a n s quod D eu s su p e r hoc
non testificetu r p er aliq uod ev id en s signu m .
A D TERTIUM dicen du m quod excu satio peccati est quaedam
circum stantia aggravans om ne peccatum , etiam ipsam blasp he-
m iam . Et pro tanto dicitur e sse m axim um peccatum , quia quod-
lib et facit m ajus.
ARTICULUS IV
Ut rum damnat i b l a s p h e me n t
AD QUARTUM sic proceditur. V id etu r quod dam nati non
blasp hem en t. D e te r r e n tu r 1 enim nunc a liq u i m ali a blasphe-
m and o propter tim orem futu rarum poen aru m . S ed dam nati has
p oen as exp eriu n tu r, u n d e m a g is e a s abhorrent. Ergo m ulto
m agis a blasp h em an d o com pescuntur.
2. PRAETEREA, b lasp h em ia. cum sit gravissim um peccatum ,
est m a x im e dem eritoriu m . S ed in futura v ita non est statu s
m eren d i n eq u e d em eren d i. Ergo n u llu s erit locus b lasp h ein iae.
I L: d e tin e n tu r.

263
13,4 3. Prd 11, 3 heißt es: „An dem Ort, wohin der Baum
fällt, da bleibt er liegen.“ Daraus ergibt sich, daß dem
Menschen nach diesem Leben weder ein Verdienst noch
eine Siindenschuld zuwächst, die er nicht schon in diesem
Leben gehabt hat. V iele aber werden verdammt werden,
die in diesem Leben keine Lästerer gew esen sind. Also
werden sie auch im künftigen Leben nicht lästern.
ANDERSEITS heißt es Öffb 16, 9: „Die Menschen wur­
den mit großer Glut versengt, und sie lästerten den Namen
Gottes, der Macht hat über solche Plagen.“ Dazu sagt die
Glosse: „Obwohl die in der H ölle w issen, daß sie nach
Verdienst bestraft werden, so werden sie doch darüber
in Wut sein, daß Gott solche Macht hat, Plagen über sie
zu verhängen.“ In diesem Leben nun wäre dies Gottes­
lästerung. Also auch im künftigen.
ANTWORT: Zum W esen der Gotteslästerung gehört die
Verwünschung der göttlichen Gutheit. Die in der Hölle
nun behalten ihren verkehrten, der Gerechtigkeit Gottes
abgewandten W illen, indem sie das bevorzugen, wofür sie
bestraft werden, und sie möchten es verwirklichen, wofern
sie könnten. Auch verabscheuen sie die Strafen, die ihnen
für solche Sünden auferlegt sind. Allerdings sind sie auch
ärgerlich über die Sünden, die sie begangen haben, nicht
als ob sie sie verabscheuten, sondern w eil sie dafür Strafe
erleiden. Solche Verwünschung der göttlichen Gerechtig­
keit ist also in ihnen eine innerliche Lästerung. Und es
ist glaubhaft, daß es nach der Auferstehung bei ihnen auch
Q U A E S T I O 13, 4
3. PRAETEREA, Eceles. 11 d icitu r quod „in quocum que loco
lign u m cecid erit, ib i e r it“ : e x quo p atet quod p ost han c vitam
hom ini non accrescit n e e m eritum n ec peccatum quod non habuit
in hac vita. Sed m ulti dam nahuntur qui in hac vita non fuerunt
b lasphem i. Ergo n ec in futura vita blasphem ahunt.
SED CONTRA est quod dicitur Apoc. 16: „A estu averu n t ho-
m in es ae.stu m agno, et b lasp h em averu n t n om en D om in i h a b en tis
PL 114 p otestatem su p e r h a s p la g a s“ ; uibi dicit G lossa [Ord. in vers. 21]
739 B quod „in in fern o positi, q u am vis scia n t se pro m eritis p u niri,
d olebu nt tarnen, quod D eu s tantam p oten tiam h ab eat quod p la­
gas e is in fe rä t.“ Hoc au tem esset b lasp h em ia in p ra esen ti. Ergo
et in futuro.
RESPONDEO dicen du m quod, sicut dictum est, ad rationem
b lasp h em iae p e r tin et d etesta tio d iv in a e bon itatis. Illi autem
qui su n t in infern o retin eb u n t p erversam volu n tatem . aversam
a D e i ju stitia, in hoc quod d iligu n t ea pro qu ib u s pu niun tur,
et v e lle n t e is uti s i possent, et od iu n t poena,s q u ae pro h u jus-
m odi peccatis infiigu ntu r; dolent tarnen etiam de peccatis quae
com m iserun t, non q u ia ip sa odian t, se d quia pro e is pu niun tur.
S ic ergo ta lis d etesta tio d iv in a e ju stitia e est in eis in terior
cordis blasp h em ia. Et cred ib ile est quod post resu rrectionem

264
Lästerung in Worten geben wird, so w ie bei den Heiligen 13 4
das Lob Gottes in Worten.
Z u l . Wohl lassen sich die Menschen im gegenwärtigen
Leben von der Lästerung durch die Angst vor Strafen ab-
schrecken, denen sie zu entgehen glauben. Die Verdamm­
ten in der H ölle aber haben keine Hoffnung mehr, der
Strafe zu entgehen. Und so lassen sie sich, als Verzwei­
felte, zu allem hinreißen, wozu sie der verkehrte Wille
treibt.
Z u 2. Verdienst und Mißverdienst erwerben gehört
zum Stande der Pilgerschaft. Daher ist für die auf der
Pilgerschaft das Gute verdienstlich, das Böse mißverdienst­
lich. Bei den Seligen aber ist das Gute nicht mehr ver­
dienstlich, sondern gehört zum Lohne der Seligkeit. Auf
gleiche W eise ist das Böse bei den Verdammten nicht
mehr mißverdienstlich, sondern gehört zur Strafe der Ver­
dammnis.
Z u 3. Jeder, der in einer Todsünde stirbt, nimmt den
W illen mit sich, die göttliche Gerechtigkeit in Hinsicht
auf irgend etwas zu verwünschen. Und insofern kann es
in ihm Gotteslästerung geben.

QUAESTIO 13, 4
erit in e is etiam voca lis b la sp h em ia , sicu t in sa n ctis vocalis
la u s D ei.
A D PRIM UM ergo d icen d u m quod h o m in es d eterren tu r in
p ra esen ti a b la sp h em ia propter tim orem p oen aru m , quas se
pu tant ev a d ere. S ed d am n ati in in fe rn o n on sp era n t s e posse
evad ere. Et ideo, tanquam desp erati, feru ntur ad om ne ad quod
e is p erversa volu n tas su ggerit.
AD SEC UND UM dicen du m quod m ereri et d em ereri pertin en t
ad statum v ia e. U n d e bona in viatorib u s su n t m eritoria, m ala
vero dem eritoria. In b ea lis autem bona non sunt m eritoria, sed
p er tin en tia ad eoru m b ea titu d in is p raem iu m . Et sim ilite r m ala
in dam n atis non su n t d em eritoria, se d p ertin en t ad d am n ation is
p oenam .
AD TERTIUM dicendum quod q u ilib et in peccato m ortali
decedems fert seeu m volu n tatem d etestan tem divin am justitiam
quantum ad aliq u id . Et secu n d u m hoc p oterit ei m esse b la s­
ph em ia.

18 15 265
14, i 14. F R A G E
DIE LÄSTERUNG GEGEN DEN HEILIGEN GEIST
Anschließend muß im besonderen die Lästerung gegen
den Heiligen Geist ins Auge gefaßt werden.
Dazu ergeben sich vier Einzelfragen:
1. Ist die Lästerung oder die Sünde gegen den Heiligen
Geist dasselbe w ie die Sünde aus vorsätzlicher Bos­
heit ?
2. Die Arten dieser Sünde.
3. Ist sie unvergebbar?
4. Kann einer gegen den Heiligen Geist zuallererst sün­
digen, ehe er andere Sünden begeht?
1. A R T I K E L
Ist die Sünde gegen den Heiligen Geist dasselbe wie die
Sünde aus vorsätzlicher Bosheit?
1. Die Sünde gegen den H eiligen Geist ist eine Läste­
rungssünde (Mt 12, 31). Aber nicht jede Sünde aus
vorsätzlicher Bosheit ist Lästerungssünde; denn viele an­
dere Sündenarten können aus vorsätzlicher Bosheit be­
gangen werden. Also ist die Sünde gegen den Heiligen
Geist nicht dasselbe w ie die Sünde aus vorsätzlicher Bos­
heit.
2. Die Sünde aus vorsätzlicher Bosheit wird abgegrenzt
gegen die Sünde aus Unkenntnis und gegen die Sünde aus
QUAESTIO X IV
DE BLA SPH EM IA IN SP IR IT U M SANCTUM
D e in d e considerandu m est in sp e c ia li de b lasp h em ia in S p ir i­
tuni Sanctum .
Et circa hoc qu aeru n tu r qu atuor: 1. Utrum b la sp h em ia v el
peccatum in S p iritu m Sanctum sit id em quod peccatum e x certa
m alitia. — 2. D e sp e c ie b u s h u ju s peccati. — 3. U trum sit irre-
m issib ile. — 4. U trum a liq u is peccare p o ssit in S p iritum Sanctum
a p rin cip io, an teq u am a lia peccata com m ittat.
ARTICULUS I
U t r u m p e c c a t u m in S p i r i t u m S a n c t u m sit
idem quod pe cca tu m ex certa malitia
[2 S en t., d is t. 43, a rt. 1, 2; De m a lo , q. 2, a rt. 8; q. 3, a rt. 14; Q uo d lib . 2,
q. 8, a r t. 1; in M atth ., cap . 12; in R om ., c ap . 2, le c t. 1]
AD PRIM UM sic p roced itu r. V id e tu r quod peccatu m in S p ir i­
tum Sanctum non sit id em quod peccatu m e x certa m alitia.
P eccatum en im in S p iritu m Sanctum est peccatum b lasp h em iae:
ut p a tet M atth. 12. S e d non om n e peccatum e x certa m alitia
est peccatum b la sp h em ia e: con tin git enim m ulta a lia peccatorum
gen era e x certa m alitia com m itti. Ergo peccatum in Sp iritum
Sanctum non est idem quod peccatum e x certa m alitia.
2. PRAETEREA, peccatum e x certa m a litia d iv id itu r contra
peccatum ex ignorantia et contra peccatum e x infirm itate. Sed

266
Schwäche. Dagegen wird die Sünde wider den Heiligen 14, i
Geist abgegrenzt gegen die Sünde wider den Menschen­
sohn (Mt 12, 32). Also ist Sünde gegen den Heiligen
Geist nicht dasselbe wie Sünde aus vorsätzlicher Bosheit;
denn Dinge, deren Gegensätze verschieden sind, sind auch
unter sich selbst verschieden.
3. Die Sünde gegen den H eiligen Geist ist eine beson­
dere Sündengattung, der bestimmte Arten zugeschrieben
werden. D ie Sünde aus vorsätzlicher Bosheit aber ist nicht
eine besondere Sündengattung, sondern eine bestimmte
Beschaffenheit oder allgem eine Verumständung, die auf
alle Sündengattungen zutreffen kann. Die Sünde gegen
den Heiligen Geist ist also nicht dasselbe w ie Sünde aus
vorsätzlicher Bosheit.
ANDERSEITS sagt der [Sentenzen- ] Meister 1: Der
sündigt gegen den H eiligen Geist, „der an der Bosheit an
sich Gefallen hat“. Dies aber heißt sündigen aus vorsätz­
licher Bosheit. Also scheint die Sünde aus vorsätzlicher
Bosheit dasselbe zu sein w ie die Sünde gegen den H eili­
gen Geist.
ANTWORT: Von Sünde oder Lästerung gegen den
Heiligen Geist sprechen manche in dreifachem Sinne. Die
alten Lehrer, wie Athanasius, Hilarius, Ambrosius, Hie­
ronymus und Chrysostomus, behaupten, es sei Sünde gegen
den Heiligen Geist, wenn man buchstäblich etwas Läster-

QUAESTIO 14, i

p eccatu m in S p iritu m Sanctum d ivid itu r contra peccatum in


F iliu m h om in is; ut p a tet M atth. 12. Ergo peccatum in S p iritum
Sanctum non est id em quod peccatum e x certa m alitia : quia
q uorum op p osita su n t d iversa, ip sa q u o q u e su n t diversa.
3. PRAETEREA, peccatum in S p iritu m Sanctum est quoddam
g e n u s p eccati cui d eterm in atae sp e c ie s assign an tu r. S e d p ecca­
tum e x certa m a litia non est sp e c ia le g e n u s peccati, s e d est
q u aed am con d itio v e l circu m stan tia g e n e ra lis q u ae potest esse
circa om nia peccatorum g e n e ra . E rgo peccatu m in Spiritum
Sanctum non est id em quod peccatum e x certa m alitia.
SED CONTRA est quod M agister dicit, 43 dist. 2 lib. Sent., PL 192
quod ille p eccat in S p iritu m Sanctum „cui m alitia prop ter se 754 B
p la cet“. H oc a u te m est p ecca re e x certa m alitia. E rgo id em
v id e tu r e sse p eccatu m e x certa m alitia quod peccatum in S p iri­
tum Sanctum .
RESPONDEO dicen du m quod de peccato se u b lasp h em ia in
Spiritum Sanctum trip liciter aliq u i loquuntur. A ntiqui enim doc- PG 27
tores, sc ilic et A th anasiu s, H ilariu s, A m brosius, H ieronym us et 57/449 I38ö
C hrysostom us [A than., H ilar., H ieron. in M atth. 1 2 ,3 2 ; Am br. in PL 9/989
Luc., lib. 7, ad 12, 10; Chrys. Hom. 41 in M atth.], dicunt esse 15/1729
peccatum in Sp iritum Sanctum quando, ad litteram , aliq uid blas- CSEL 32
IV 332 sq.
PL 26/81
i P e tru s L o m b ard u s.

18* 267
14, i liches gegen den H eiligen Geist sage, sei es, daß „Heiliger
Geist“ verstanden wird als Wesensbezeichnung, die der
Dreieinigkeit insgesamt zukommt, innerhalb welcher jede
Person sowohl Geist als heilig ist; oder als Personbezeich­
nung für eine bestimmte Person in der Dreieinigkeit. Im
letzteren Sinne wird bei Mt 12, 32 unterschieden zwischen
Lästerung gegen den H eiligen Geist und Lästerung gegen
den Menschensohn. Denn Christus tat einiges vermöge
Seiner Menschheit: Essen, Trinken und anderes Derartiges;
und einiges vermöge Seiner Gottheit, z. B. Geisteraustrei­
bungen, Totenerweckungen usw. Und dieses zweite tat Er
sowohl kraft Seiner eigenen Gottheit als auch durch die
Wirksamkeit des H eiligen Geistes, von dem Er Seiner
Menschheit nach erfüllt war. Die Juden hatten nun zu­
nächst eine Lästerung gegen den Menschensohn ausge­
sprochen, indem sie Ihn als Schlemmer und Trinker und
Freund der Zöllner bezeichneten (Mt 11, 19). Darauf
lästerten sie den H eiligen Geist, indem sie die Werke, die
Er kraft der eigenen Gottheit und durch das Wirken des
Heiligen Geistes vollbrachte, dem obersten der Teufel zu­
schrieben. Und deshalb heißt es, sie hätten gegen den
Heiligen Geist gelästert.
Augustinus jedoch behauptet, die Lästerung oder Sünde
gegen den H eiligen Geist sei die endgültige Unbußfertig­
keit, wenn einer nämlich bis zu seinem Tode in der Tod­
sünde verharrt. Und das letztere geschieht nicht nur mit
Q U A E S T I O 14, i
ph em u m dicitu r contra S p iritu m S an ctu m : siv e „S p iritu s S an c­
tu s“ accip iatu r secu n d u m quod e st n om en e sse n tia le con ven ien s
toti T rin itati, cujus q u a elib e t p erson a et sp iritu s est et san ctu s;
s iv e prout est n o m en p erso n a le u n iu s in T rin itate p erson ae.
Et secu n d u m hoc d istin gu itu r, M atth. 12, blasp h em ia in S p iritum
Sanctum contra b lasp h em iam in F iliu m hom inis. Christus enim
operabatur q u aed am h u m an itu s, com ed en do, b ib en d o et alia
h u jusm odi facien d o; et qu aed am d ivin itu s, sc ilic et d aem on es
ejicien d o, m ortuos su scitan do, et a lia h u ju sm od i; qu ae quidem
agebat et p e r virtu tem p rop riae d ivin itatis, et p er o p eration em
S p iritu s San cti, quo secu n d u m h u m anitatem erat rep letu s. J u ­
daei autem prim o qu idem d ixeran t blasp hem iam in F ilium ho­
m inis, cum dicebant eu m „voracem , potatorem v in i et pu b li-
canorum am atorem “, u t hab etu r Matth. 11. P ostm odum autem
blasp h em averu n t in S p iritu m Sanctum , dum opera q u ae ipse
operabatur virtu te p rop riae d iv in ita tis et p e r o p eration em S p iri­
tus San cti, attrib uebant p rin cip i d aem on ioru m . Et prop ter hoc
dicun tu r in S p iritu m San ctu m b lasp h em asse.
PL 38 A u gu stin u s autem , in lib. de V erb is D om ini [serm . 71, cap. 12
455sqq. sq q .], blasp hem iam v e l peccatum in S p iritum Sanctum dicit
e sse fin alem im p o en iten tia m , quando sc ilic et aliq u is p erseverat
in peccato m ortali u sq u e ad m ortem . Q uod q u id em non solum

268
dem Worte des Mundes, sondern auch mit dem Worte 14, 1
des Herzens und des Tuns, und nicht nur mit einem,
sondern mit vielen. Von diesem Wort nun, so verstanden,
heißt es, es sei gegen den Heiligen Geist, w eil es gegen
die Sündenvergebung ist, die durch den H eiligen Geist er­
folgt, der die Liebe des Vaters und des Sohnes ist. Auch
hat der Herr den Juden dieses nicht gesagt, als hätten eie
[bereits] gegen den H eiligen Geist gesündigt; denn noch
waren sie nicht endgültig unbußfertig. Vielmehr wollte
Er sie nur davor warnen, durch derartiges Reden dahin zu
kommen, daß sie gegen den H eiligen Geist sündigten. In
diesem Sinne ist Mk 3, 29 zu verstehen, wo der Evangelist
nach den Worten „Wer aber gegen den H eiligen Geist
lästert“ usw. sofort hinzufügt: „Sie sagten nämlich: Er hat
einen unreinen Geist.“
Andere haben w ieder eine andere Auffassung, indem
sie erklären, es sei Sünde oder Lästerung gegen den H eili­
gen Geist, wenn einer gegen die dem H eiligen Geist zu­
geeignete Gutheit sündigt; denn dem Heiligen Geist wird
in der W eise die Gutheit zugeeignet w ie dem Vater die
Macht und dem Sohne die W eisheit. Sie sagen also, es
sei Sünde gegen den Vater, wenn man aus Schwäche sün­
digt; Sünde gegen den Sohn, wenn aus U nwissenheit;
Sünde aber gegen den H eiligen Geist, wenn man aus vor­
sätzlicher Bosheit sündigt, d. h. auf Grund bewußter Wahl
des Bösen (I—II 78, 1. 3: Bd. 12). Dies letztere ist auf
zweifache W eise möglich. Einmal aus dem Hange eines
Q U A E S T I O 14, i
verb o oris fit, sed etiam verb o cordis et operis, non uno, sed
m ultis. H oc autem verbum , sic acceptum , dicitur esse contra
Sp iritum Sanctum , quia est contra rem ission em peccatorum , quae
fit per S p iritum Sanctum , q u i est caritas et Patris et F ilii. Nec
hoc D om inus d ix it J u d a eis qu asi ip si peccaren t in S p iritu m Sanc­
tum : nondum en im eran t fin aliter im p oen iten tes. S ed adm onuit
eos, n e ta liter loqu en tes, ad hoc p erv en iren t quod in Spiritum
Sanctum peccarent. Et sic in tellig en d u m est quod dicitur Marc. 3,
ubi, postquam d ix e r a t: „Qui au tem b lasp h em averit in Sp iritum
S an ctu m “, etc., su b ju n g it E van gelista: „Q uoniam d iceb ant: S p i
ritum im m undum h ab et.“
A l i i 1 vero aliter accipiunt, d ic en tes peccatum v e l b lasp he-
m iam in S p iritu m San ctu m e sse quando a liq u is peceat contra
appropriatum bonum S p iritu i Sancto; sic enim S p iritu i Sancto
app rop riatur bon itas, sicut et P atri app rop riatur p oten tia et
F ilio sap ien tia. U n d e peccatum in P atrem dicunt esse quando
peccatu r e x in firm itate; peccatu m au tem in F iliu m , quando
p eccatur e x ign o ra n tia ; peccatu m au tem in S p iritu m Sanctum ,
quando peccatur e x certa m alitia, id est e x ip sa electio n e m ali,
ut su pra exp ositu m est. Quod qu idem contingit dupliciter. U no
i Cf. Rio. a S. V iet.: De S p irit. B lasp h em . [PL 196/1187, 1192.]

269
14, i lasterhaften Gehabens, das man Bosheit nennt; und so
verstanden, ist Sündigen aus Bosheit nicht dasselbe w ie
Sündigen gegen den H eiligen Geist. Sodann ist es in der
W eise möglich, daß das, was die Entscheidung für die
Sünde hätte verhindern können, durch Mißachtung ver­
worfen und ausgeschaltet wird, z. B. die Hoffnung durch
Verzweiflung, die Furcht durch Verm essenheit, und man­
ches andere dieser Art, w ie unten (Art. 2) dargelegt wer­
den wird. All das nun, was die Entscheidung für die Sünde
verhindert, sind Wirkungen des Heiligen Geistes in uns.
In dieser W eise aus Bosheit sündigen bedeutet also sün­
digen gegen den Heiligen Geist.
Z u l . W ie das Bekenntnis des Glaubens nicht nur in
der Beteuerung mit dem Munde besteht, sondern auch in
der Bezeugung durch das Tun, so ist auch die Lästerung
des H eiligen Geistes denkbar [als Lästerung] mit dem
Munde, im Herzen und im Tun.
Z u 2. Nach der dritten Annahme unterscheidet man
Lästerung gegen den H eiligen Geist von Lästerung gegen
den Menschensohn, sofern der Menschensohn auch Sohn
Gottes ist, d. h. „Gottes Kraft und Gottes W eisheit“ [1 Kor
1, 24], Daher ist unter diesem Gesichtspunkt Sünde
gegen den Menschensohn Sünde aus Unkenntnis oder aus
Schwäche.
Z u 3. Sünde aus vorsätzlicher Bosheit ist, sofern sie
aus dem Hang des Gehabens stammt, keine besonders-

QUAESTIO 14, l

m odo e x in c lin a tio n e h a b itu s v itio si, q u i m a litia dicitur: et


sic non est id em p eccare e x m a litia quod peccare in Sp iritum
Sanctum . A lio m odo eontingit e x eo qu od p e r contem p tum
ab jicitu r et rem ovetur id quod e lectio n em p eccati poterat im -
p e d ir e : sicu t sp e s p er d esp era tio n em , et tim or p er praesum p-
tion em , et q u aed am a lia eju sm od i, ut infra dicetu r. H aec autem
om n ia q u a e peccati electio n em im p ed iu n t, su n t effectus S p ir i­
tus San cti in nob is. Et id eo sic e x m alitia peccare est peccare
in S p iritu m Sanctum .
A D PRIM UM ergo dicen d u m qu od sicu t co n fessio fidei non
solu m co n sistit in p rotestation e oris, se d etiam in protestation e
o p eris; ita etiam b la sp h em ia S p iritu s San cti potest considerari
et in ore et in cord e et in op ere.
A D SEC U N D U M dicen du m qu od secu n d u m tertiam accep-
tion em b lasp h em ia in S p iritu m San ctu m d istin g u itu r contra
blasp h em iam in F iliu m h o m in is secu n d u m quod F iliu s h o m in is
est etiam F iliu s D e i, id est, „ D ei virtu s et D e i sa p ie n tia “. U n d e
secu n d u m hoc, peccatum in F iliu m h o m in is erit peccatum ex
ign oran tia v e l ex infirm itate.
AD TERTIUM dicen du m quod peccatum e x certa m alitia
secu n d u m quod p roven it e x in clin a tio n e habitus, non est sp e-

270
artige Sünde, sondern eine gew isse allgem eine Beschaffen- 14, 2
heit der Sünde. Sofern sie aber auf einer besondersartigen
Mißachtung der W irksamkeit des H eiligen Geistes in uns
beruht, hat sie die Bewandtnis einer besondersartigen
Sünde. Und in diesem Verstände ist Sünde gegen den
Heiligen Geist eine besondere Sündengattung. — Gleicher­
maßen im Sinne der ersten Erklärung. Im Sinne der
zweiten Erklärung aber handelt es sich um keine beson­
dere Sündengattung; denn endgültige Unbußfertigkeil
kann die Verumständung jeglicher Sündengattung sein.

2. A RT IKE L
Ist es richtig, sechs Arten der Sünde gegen den Heiligen
Geist zu zählen?
1. Es scheint unrichtig, sechs Arten der Sünde gegen
den Heiligen Geist zu zählen, nämlich Verzweiflung, Ver­
m essenheit, Unbußfertigkeit, Verhärtung, W iderstand ge­
gen die erkannte Wahrheit und Mißgunst auf die brüder­
liche Gnade, w ie der [Sentenzen-] M eister1 diese Arten
bestimmt. Denn die göttliche Gerechtigkeit und Barmher­
zigkeit leugnen gehört zum Unglauben. Durch Verzweif­
lung aber verwirft einer die göttliche Barmherzigkeit,
durch Verm essenheit die göttliche Gerechtigkeit. Demnach
QUAESTIO 14, 2
c ia le peccatum , s e d q u aed am g e n e r a lis conditio peccati. P rout
vero est e x sp e c ia li contem p tu effectus S p iritu s San cti in nobis,
h ab et ration em sp e c ia lis peccati. Et secu n d u m hoc etiam pecca­
tum in S p iritu m Sanctum est sp ec ia le gen u s peccati. — Et sim i­
liter secu n d u m prim am ex p o sitio n em . Secund um au tem se-
cundam e x p o sitio n e m , non est sp e c ia le g e n u s p eccati: nam
fin alis im p o en iten tia potest e sse circum stantia c u ju slib et g en eris
peccati.

A R T I C U L U S II
Utrum convenienter assignentur sex species
p e c c a t i in S p i r i t u m S a n c t u m
[In fra 36, 4 a d 2; 2 S en t., d ist. 43, a rt. 3: in M atth ., cap . 12; in R om .,
cap . 2, le c t. 1]
AD SEC U N D U M sic proceditur. V id etu r quod in con ven ien ter
a ssign en tu r s e x sp e c ie s p eccati in S p iritu m San ctu m : scilicet
desp eratio, praesum p tio, im p oen iten tia, obstinatio, im pugnatio
veritatis agn itae et in v id en tia fratern ae gratiae; quas sp ecies
ponit M agister [43 dist. 2 lib. S e n t.]. N egare enim divinam p l 192
justitiam v e l m iserieordiam ad in fid elitatem pertin et. S ed 754 a
per d esp eration em a liq u is rejicit d ivin am m iserieordiam , per
p raesum p tion em autem divinam justitiam . Ergo unum quodque
1 P e tru s I.o m b a rd u s,

271
14, 2 sind beides eher Arten des Unglaubens als der Sünde
gegen den Heiligen Geist.
2. Unbußfertigkeit bezieht sich offensichtlich auf eine
vergangene Sünde, Verhärtung auf eine künftige. Vergan­
gen oder künftig begründen aber nicht verschiedene Arten
einer Tugend oder eines Lasters; denn vermöge des
nämlichen Glaubens, auf Grund dessen wir glauben, daß
Christus geboren worden ist, haben die Alten geglaubt,
daß er geboren werden wird. Verhärtung und Unbuß­
fertigkeit dürfen also nicht als zwei Arten der Sünde gegen
den H eiligen Geist gezählt werden.
3. „Gnade und Wahrheit sind durch Jesus Christus ge­
kommen“ (Jo 1 ,17). Widerstand gegen die erkannte Wahr­
heit und Mißgunst auf die Gnade des Bruders fallen also
mehr unter die Lästerung gegen den Sohn als unter die
Lästerung gegen den H eiligen Geist.
4. Bernhard [von Clairvaux] sagt: „Nicht gehorchen
wollen, heißt dem Heiligen Geist widerstreben.“ Ebenso
sagt eine Glosse zu Lv 10, 16: „Geheuchelte Büßfertigkeit
ist Lästerung des H eiligen G eistes.“ Auch Spaltung scheint
unmittelbar im Widerspruch zum Heiligen Geist zu stehen,
durch w elchen die Kirche geeint ist. Demnach scheinen
die Arten der Sünde gegen den H eiligen Geist nicht voll­
ständig angegeben zu sein.
ANDERSEITS sagt A u gustinus1, daß jene, die an der
QUAESTI O 14, 2
eorum p o tiu s est sp ec ies in fid elita tis quam peccati in Sp iritum
Sanctum .
2. PRAETEREA, im p o en iten tia vid etu r resp icere peccatum
p raeteritu m , obstin atio au tem peccatum futurum . S e d p raeteri-
tum v e l futurum non diversificant sp ec iem virtu tis v e l v itii:
secu n d u m en im eam d em fidem qua credim us Christum natum ,
an tiq u i credideru nt eum nasciturum . Ergo obstinatio et im p o e n i­
ten tia non deb en t pon i d u ae sp e c ie s p eccati in S p iritu m S an c­
tum .
3. PRAETEREA, „gratia et v e rita s p er Jesu m C hristum facta
e st“, u t h ab etu r Joan . 1. Ergo v id e tu r qu od im pugn atio v e r i­
tatis a g n ita e et in v id e n tia fratern ae gratiae m agis p ertin ean t
ad b lasp hem iam in F iliu m quam ad b lasp hem iam in Spiritum
Sanctum .
PL 182/876 4. PRAETEREA, B ernardus dicit in libro de D isp en s, et P rae-
cept. [cap. 1 1 ], quod „ n o lle obedire est resistere S p iritu i San cto“.
PL 113 G lossa etiam [Ord. H esych. ad vers. 16] dicit, L ev. 10, quod
327 B
PG 93 „sim ulata p oen iten tia est b lasp h em ia S p iritu s S a n cti“. Schism a
901 etiam vid etu r d irecte op p on i S p iritu i Sancto, p e r qu em Ecclesia
unitur. Et ita vid etu r quod non su fficien ter tradantu r sp ec ies
peccati in S p iritu m Sanctum .
PL 40/766 SED CONTRA est quod A u gu stin u s dicit, in lib. de fide ad
* Die S te lle is t a u s F u lg e n tiu s v o n B u sp e, n ic h t a u s A u g u stin u s.

272
Nachlassung der Sünden verzweifeln oder ohne Verdienst 14, 2
vermessentlich auf die Barmherzigkeit Gottes hauen, ge­
gen den H eiligen Geist sündigen. Und er erklärt im Enchi-
ridion: „Wer in Verhärtung des Geistes seinen letzten
Tag beschließt, ist der Sünde gegen den Heiligen Geist
schuldig.“ Und im Buche über die Worte Gottes sagt er,
Unbußfertigkeit sei Sündigen gegen den Heiligen Geist, und
im Buche über die Bergpredigt des Herrn, „mit der Glut
des Neides die Brüderlichkeit bekäm pfen“ sei Sündigen
gegen den Heiligen Geist, und im Buche über die Eine
Taufe: „Wer die Wahrheit mißachtet, ist entweder miß­
günstig gegen seine Brüder, denen die Wahrheit enthüllt
wird, oder undankbar gegen Gott, durch dessen Eingebung
die Kirche belehrt wird“ ; und so sündigt er offensichtlich
gegen den H eiligen Geist.
ANTWORT: Sofern die Sünde gegen den Heiligen Geist
im dritten Sinn [vgl. Art. 1] genommen wird, ist es rich­
tig, ihr die oben genannten Arten beizuzählen. Denn sie
unterscheiden sich gemäß der Zurückweisung oder Miß­
achtung dessen, wodurch der Mensch an der Entscheidung
für die Sünde gehindert werden kann. D iese Hemmungen
nun liegen entweder auf seiten des göttlichen Gerichts
oder auf seiten der göttlichen Gaben oder auf seiten der
Sünde selbst. Denn der Mensch wird im Gedanken an
das göttliche Gericht (welches Gerechtigkeit mit Barm­
herzigkeit verbindet) von der Entscheidung für die Sünde
QUAESTIO 14, 3

P etrum [cap. 3, F u lg e n t.], quod illi qui desp erant de in d u lgen tia PL 65/690
p eccatorum , v e l qui s in e m eritis d e m isericord ia D e i prae-
su m un t, peccan t in S p iritu m Sanctum . Et in E nchirid [cap. 83] p l 40/272
dicit quod „qui in obstin ation e m en tis diem clau dit extrem um ,
reu s est peccati in Sp iritum San ctu m “. Et in lib ro d e V erb is
D om ini [serm . 71, cap. 12, 13, 21] d icit quod im p o en iten tia p l 38/455
est peccare in Sp iritum Sanctum . Et in libro de Serm . D om . 456,464
in M onte [cap. 22] d ic it quod „ in v id ia e facib u s fratern itatem p l 34/1266
im p u g n a re“ est peccare in S p iritu m Sanctum . Et in lib. de
U n ico Bapt. [D e B aptism o cont. D onatist., lib. 6, cap. 35] dicit PL 43/219
quod „qui v eritatem contem n it, aut circa fratres m align u s est, CSEL
quibus v e rita s rev ela tu r; aut circa D eu m ingratus, cu ju s in- ' sq'
sp ir a tio n e E cclesia in stru itu r“ ; et sic vid etu r quod p eccet in
S p iritu m Sanctum .
RESPONDEO dicen d u m quod, secu n d u m quod peccatu m in
S p iritu m Sanctum tertio m odo accip itu r, con ven ien ter praedie-
tae sp ec ies e i assign antu r. Q uae d istin guun tur secund um rem o-
tionem v e l contem ptum eorum p er qu ae potest hom o ab election e
peecati im p ed iri. Q u ae q u id em su n t v e l e x p arte d iv in i jud icii,
v e l e x p arte donorum ip siu s; v e l etiam e x p arte ip siu s peccati.
A vertitur en im hom o ab e le ctio n e peccati e x con sid eration e
d ivin i ju d icii (quod (habet justitiam cum m isericordia) et per

273
14, 2 abgehalten einerseits durch die Hoffnung, welche sich aus
dem Gedanken an die die Sünden vergebende und das
Gute belohnende Barmherzigkeit ergibt; und sie [die Hoff­
nung] wird durch die Verzweiflung aus dem W ege ge­
räumt; anderseits durch die Furcht, die auf dem Gedanken
an die die Sünden strafende Gerechtigkeit gründet, und
sie [die Furchtl wird durch die V erm essenheit verdrängt,
indem sich einer nämlich vermißt, die Herrlichkeit ohne
Verdienst oder Vergebung ohne Büßfertigkeit erlangen zu
können.
Der Gaben Gottes aber, durch die wir von der Sünde
zurückgerissen werden, sind zwei. Die eine davon ist die
Erkenntnis der Wahrheit; und gegen diese steht das
Widerstreben gegen die erkannte Wahrheit, indem näm­
lich einer sich der erkannten Glaubenswahrheit wider­
setzt, um leichtfertiger sündigen zu können. — Die an­
dere ist die H ilfe der inneren Gnade, und gegen diese steht
die Mißgunst auf die brüderliche Gnade, indem einer näm­
lich nicht nur Neid hegt gegen die Person des Bruders,
sondern auch neidisch ist auf die in der W elt wachsende
Gnade Gottes.
Von der Sünde her gesehen, kommt ein Zweifaches in
Betracht, um Menschen von der Sünde zurückzureißen.
Das eine ist die Ordnungswidrigkeit und Häßlichkeit des
Aktes, dessen Erwägung im Menschen Reue über die be­
gangene Sünde zu wecken pflegt. Im Gegensatz dazu steht
die Unbußfertigkeit, nicht zwar in dem Sinne, in dem sie
Verharren in der Sünde bis zum Tode besagt, w ie oben
(Art. 1) Unbußfertigkeit genommen wurde (denn auf diese
QUAESTIO 14, 2
sp em , q u a e consu rgit e x con sid eration e m iserico rd ia e rem it-
ten tis peccata et p raem ian tis bona, et h a ec tollitur p e r despera-
tio n em : et iteru m p e r tim orem , qui consu rgit ex co n sid era tio n e
d iv in a e ju stitia e p u n ie n tis peccata; et hic tollitu r p er p raesu m p -
tionem , dum sc ilic et a liq u is praesu m it se gloriam p osse ad ip isci
sin e m eritis, v e l v e n ia m s in e p oen iten tia.
D ona autem D e i qu ib u s retrahim ur a peccato sunt duo. Quo­
rum un um est agn itio verita tis: contra quod pon itu r im p u gn a­
tio v e rita tis agn itae, dum sc ilic et aliq u is verita tem fidei agni-
tam im pugnat, ut licen tiu s peccet. •— A liu d est a u x iliu m interio-
ris g ratiae: contra quod pon itu r in vid en tia fratern ae gratiae,
dum scilicet aliq uis non solum in vid et p erson ae fratris, sed
etiam in v id e t gratiae D ei crescen ti in m undo.
E x parte vero p eccati duo su n t q u a e h om in em a peccato
retrah ere possunt. Q uorum un um est in ord in atio et turpitudo
actus, cujus co n sid era tio in d u cere so le t in h o m in e p oen iten tiam
d e peccato com m isso. Et contra hoc p on itu r im p o e n iten tia : non
q u id em eo m odo quo dicit p erm an en tiam in peccato u sq u e ad
m ortem , sicut su pra im p o en iten tia accip ieb atu r (sic enim non

274
Weise wäre sie keine besondere Sünde, sondern nur eine 14,
gew isse Verumständung einer Sünde); vielmehr wird hier
Unbußfertigkeit genommen, sofern sie den Vorsatz be­
sagt, nicht zu bereuen. — Das andere aber ist die Er­
bärmlichkeit und kurze Dauer des Gutes, das einer in der
Sünde sucht, nach Röm 6, 21: „Was habt ihr von den
Dingen geerntet, um deretwillen ihr euch jetzt schämt?“
Diese Erwägung pflegt den Menschen dahin zu bringen,
daß sein W ille sich nicht in der Sünde verfestigt. Und diese
Hemmung wird durch die Verhärtung ertötet, wenn näm­
lich der Mensch seinen Vorsatz, der Sünde anzuhängen,
verstärkt. — Über dieses Zweifache heißt es Jer 8, 6:
„Keiner empfindet Reue über seine Sünde, so daß er
spräche: Was habe ich getan?“, hinsichtlich des ersten;
„Sie verharren insgesam t bei ihrem Lauf, dem Rosse
gleich, das sich in den Kampf stürzt“, hinsichtlich des
zweiten.
Z u l . Die Sünde der Verzweiflung oder die der Ver­
messenheit besteht nicht darin, daß man nicht an die
Gerechtigkeit Gottes oder seine Barmherzigkeit glaubt,
sondern darin, daß man sie mißachtet.
Z u 2. Verhärtung und Unbußfertigkeit unterscheiden
sich nicht nur nach vergangen oder künftig, sondern nach
gew issen formgebenden Gesichtspunkten auf Grund ver­
schiedener Erwägung dessen, was bei der Sünde in Be­
tracht gezogen werden kann (Antwort).
QUAESTIO 14, 2

esset sp e c ia le peccatum , se d quaedatn peccati c ir cu m sta n tia );


se d accipitur hic im p o en iten tia secund um quod im portat pro-
positum non p oen iten d i. — A liu d au tem est p arvitas et brevi-
tas boni quod qu is in peccato q u aerit, secu n d u m illu d Rom . 6:
„Quem ergo fructum h a b u is tis 1 in qu ibus nunc eru b e sc itis? “
Cujus con sid eratio in d u c er e so let h om in em ad hoc quod e ju s
volu n tas in peccato non firm etur. Et hoc to llitu r per obstin atio-
nem : q u and o sc ilic et h om o firm at su u m propositu m in hoc
quod peccato in h aereat. — Et de h is duobus dicitur Jerem . 8:
„N u llu s est q u i ag a t p o en iten tia m su p e r peccato suo, dicen s:
Q uid fe c i? “ quantum ad p rim um ; „O m nes con versi su n t ad cur-
su m q u asi equus im petu v a d en s ad p r a e liu m “, quantum ad
secundum .
A D PRIM UM ergo dicen du m quod peccatum d esp erationis
v e l p raesu m p tion is n o n co n sistit in hoc qu od ju stitia D e i v el
m isericord ia non credatu r: se d in hoc quod contem natur.
AD SEC U N D U M dicen du m quod obstin atio et im p oen iten tia
non solu m d ifleru n t secu n d u m p raeteritu m et fu tu ru m : sed
secund um quasdam fo r m a le s ra tio n es e x d iversa con sid eration e
eorum q u ae in peccato considerari possunt, ut dictum est.
1 P a d d . tu n e in illis.

275
14, 3 Z u 3. Gnade und Wahrheit hat Christus gestiftet durch
die Gaben des H eiligen Geistes, die er den Menschen
geschenkt hat.
Z u 4. Nicht gehorchen w ollen fällt unter die Verhär­
tung, heuchlerische Reue unter die Unbußfertigkeit; Spal­
tung unter die Mißgunst gegen die brüderliche Gnade,
durch welche die Glieder der Kirche geeint werden.

3. A R T I K E L
Ist die Sünde gegen den Heiligen Geist unvergebbar?
1. Augustinus sagt: „An keinem darf man verzweifeln,
solange die Langmut des Herrn ihn zur Reue zuläßt.“
Wäre aber irgendeine Sünde unvergebbar, so müßte man
an manchem Sünder verzweifeln. Die Sünde gegen den
Heiligen Geist ist also nicht unvergebbar.
2. Die Sünde wird nur dadurch vergeben, daß die Seele
von Gott geheilt wird. Aber „vor dem allmächtigen Arzt
gibt es kein unheilbares Leiden“, w ie die Glosse sagt über
Ps 103 (102), 3: ,Er, der all dein Gebrechen heilt.“ Also
ist die Sünde gegen den Heiligen Geist nicht unvergebbar.
3. Der freie W illensentscheid geht auf Gutes und Böses.
QUAESTIO 14, 3

AD TERTIUM dicen du m quod gratiam et v eritatem Christus


fe cit p er dona S p iritu s San cti, q u a e h o m in ib u s dedit.
A D QUARTUM dicen du m quod n o lle o b ed ire p e r tin et ad
ob stin a tio n em ; sim u la tio p o e n ite n tia e ad im p o e n ite n tia m ; Schis­
ma ad in v id en tia m g ratiae fratern ae, p e r quam m em b ra E ccle­
sia e u n iuntu r.

A R T I C U L U S III
Utrum p e c c a t u m in S p i r i t u m Sanctum sit
irrem issibile
[III 86, 1 a d 2, 3; 2 S en t., d is t. 43, a rt. 4; De v e rit., q. 24, a r t. 11 a d 7;
De m alo , q. 3, a rt. 15; Q u o d lib . 2, q. 8, a rt. 1; in M atth ., e ap . 12; in R om .,
cap . 2, le c t. 1]
A D TERTIUM sic proceditur. V id etu r quod peccatum in S p iri-
tum San ctu m n on sit irr em issib ile . D icit en im A u gu stin u s in
PL 38/456 libro de V erb is D om in i [serm . 71, cap. 1 3 ]: „D e n u llo d esp eran -
dum est qu am diu p a tien tia D om ini ad p o en iten tia m eum ad-
du cit.“ S e d si aliq u o d peccatum e sset irr em issib ile , esse t de
aliq u o peccatore d esp era n d u m . E rgo peccatu m in S p iritum
San ctu m n on est irr em issib ile .
2. PRAETEREA n u llu m peccatu m rem ittitu r n isi p er hoc quod
anim a san atu r a D eo . S e d „om n ip oten ti m ed ico n u llu s insan a-
PL 37 ibilis lan gu or occurrit“, sicu t dicit G lossa [L om bard, e x A ug.]
191/920 suPer iOu(l P salm . [102] : „Qui san at om n es infirm itates tuas.“
Ergo peccatum in Sp iritum Sanctum non est irrem issib ile.
3. PRAETEREA, lib eru m arb itriu m s e h ab et ad bon um et

276
Solange aber der Stand der Pilgerschaft dauert, kann 14, 3
einer aus jeglicher Tugend fallen, w ie ja auch der
Engel aus dem Himmel gestürzt ist, weshalb es Job 4,
18 f. heißt: „Unter Seinen Engeln findet Er Bosheit; wie
viel mehr unter denen, die in Lehmgehäusen w ohnen?“
Auf gleiche W eise nun kann einer von jeder Sünde zum
Zustand der Gerechtigkeit zurückkehren. Also ist die
Sünde gegen den H eiligen Geist nicht unvergebbar.
ANDERSEITS heißt es Mt 12, 32: „Wer dem Heiligen
Geist widerspricht, dem wird nicht vergeben werden,
weder in dieser Welt noch in der künftigen.“ Und Augu­
stinus sagt: „So groß ist das Verderben dieser Sünde,
daß sie die demütige Bitte um Vergebung nicht erträgt.“
ANTWORT: Je nach den verschiedenen Auffassungen
der Sünde gegen den H eiligen Geist wird sie in verschie­
denem Sinne als unvergebbar bezeichnet. Wird die end­
gültige Unbußfertigkeit Sünde gegen den H eiligen Geist
genannt, so heißt sie unvergebbar, w eil sie auf keine
W eise vergeben wird. Denn eine Todsünde, in welcher der
Mensch bis zu seinem Tode verharrt, wird, da sie in die­
sem Leben nicht auf dem W ege der Buße erlassen wird,
auch künftig nicht erlassen werden.
Nach den beiden anderen Auffassungen aber wird sie
als unvergebbar bezeichnet, nicht als ob sie auf keine
W eise vergeben würde, sondern w eil sie ihrer eigent­
lichen Größe nach verdient, nicht erlassen zu werden, und
zwar in zweifacher Hinsicht. Einmal hinsichtlich ihrer
QUAESTIO 14, 3
m alum . S ed qu am diu durat Status v ia e, potest aliq u is a qua-
cum que virtu te e x cid e re , cum etiam a n g e lu s de co elo cecid erit:
unde dicitur Job 4: „In a n g e lis su is rep erit p ravitatem : quanto
m agis qui h ab itan t dom os lu te a s? “ Ergo pari ration e potest
a liq u is a qu ocu m qu e peccato ad statu m ju stitia e redir'e. Ergo
peccatum in S p iritu m San ctu m non est irrem issib ile.
SED CONTRA est quod d icitu r Matth. 12: „Qui d ix e r it ver­
bum contra S p iritu m Sanctum , non rem ittetu r e i n eq u e in hoc
saecu lo n eq u e in fu tu ro.“ Et A u gu stin u s dicit in lib ro de Serm . P L 34/1266
D om . in M onte [lib . 1, cap. 2 2 ], quod „tanta est lab es hujus
peccati quod h u m ilitatem dep recan d i su b ire non potest“.
RESPONDEO dicen d u m quod secu n d u m d iversas accep tion es
peccati in S p iritu m Sanctum , d iversim od e irr em issib ile dicitur.
Si enim dicatur peccatum in Spiritum Sanctum finalis im p o en i­
tentia, sic dicitur ir r em issib ile q u ia n u llo m odo rem ittitu r. P ec­
catum en im m ortale in quo hom o p e rsev era t u squ e ad m ortem ,
qu ia in hac vita non rem ittitu r p e r p oen iten tiam , n ec etiam
in futu ro dim ittetur.
S ecu n d u m au tem a lia s duas ac ce p tio n e s dicitu r irrem issib ile,
non quod n u llo m odo rem ittatur: se d qu ia, quantum est de se,
hab et m eritum ut non rem ittatur. Et hoc d u p liciter. U n o m odo,

277
14, 3 Strafwürdigkeit. Denn wer aus Unw issenheit oder
Schwäche sündigt, verdient eine geringere Strafe; wer aber
aus vorsätzlicher Bosheit sündigt, hat keinerlei Entschul­
digung, weshalb seine Strafe gemindert werden könnte.
Auf solche W eise konnte auch, wer gegen den Menschen­
sohn lästerte, ehe Seine Gottheit offenbar geworden war,
eine gew isse Entschuldigung haben wegen der H infällig­
keit des Fleisches, die er an Ihm bemerkte, und so ver­
diente er eine geringere Strafe. Wer aber gegen die Gott­
heit selbst lästerte, indem er die Werke des Heiligen
Geistes dem Teufel zuschrieb, hatte keine Entschuldigung,
weshalb seine Strafe hätte gemindert werden sollen. Da­
her, so heißt es in der Auslegung des Chrysostomus, wird
diese Sünde den Juden nicht vergeben, weder in dieser
noch in der künftigen Welt, und sie haben dafür Strafe
erlitten: in diesem Leben durch die Römer, im künftigen
in Form der Höllenstrafe. So führt auch Athanasius das
Beispiel ihrer Voreltern an: diese stritten zuerst gegen
Moses w egen des Fehlens von W asser und Brot, und dies
hat der Herr langmütig ertragen; sie hatten nämlich eine
Entschuldigung in der Schwachheit des Fleisches; nachher
aber sündigten sie schwerer gleichsam als Lästerer gegen
den Heiligen Geist, indem sie die Wohltaten Gottes, der
sie aus Ägypten herausgeführt hatte, einem Götzen zu­
schrieben, mit den Worten: „Das sind, Israel, deine Göt­
ter, die dich aus dem Lande Ägypten herausgeführt
haben.“ Daher ließ sie der Herr einerseits zeitlich strafen,
QUAESTIO 14, 3

quantuin ad poen am . Qui en im e x ign oran tia v e l inflrm itate


peccat, m in orem p oen am m eretu r: q u i a u te m e x certa m alitia
peccat, n on h ab et aliq u am ex cu sa tio n em u n d e e ju s p o e n a m i-
nuatur. S im ilite r etiam q u i b la sp h em a b a t in F iliu m hom inis,
e ju s d iv in ita te non du m rev ela ta , poterat h a b er e aliq u am e x ­
cusationem propter infirm itatem carnis, quam in eo aspiciebat,
et sic m in orem p oen am m ereb atu r: s e d qui in ipsam d iv in i­
tatem blasp hem abat, op era S p iritu s S an cti d iab olo attribuens,
n u llam excu sation em h ab eb at u n d e e ju s p oen a d im in u eretu r.
PO 57/449 Et id eo dicitur, secu n d u m e x p o sitio n e in C hrysostom i [ H o m . 41
in M atth.], hoc peccatu m J u d a eis non rem itti n eq u e in hoc
sa ecu lo n e q u e in futu ro, qu ia pro eo p assi su n t p oen am et
in p ra esen ti vita p er R om anos, et in futu ra v ita in p oen a in-
pg 26/682 fern i. S icu t etiam A th an asiu s [Ep. a d S erap . 4] in d u cit e x em -
plum de eoru m p a ren tib u s, q u i prim o q u id em contra M oysen
c o n ten d eru n t propter defectu m a q u a e et p a n is: et hoc D om in u s
su stin u it p atien ter, h ab eb an t en im e xcu sation em e x inflrm itate
carnis. S ed postm odum graviu s peccaveru n t q u asi b lasp hem an-
te s in S p iritu m Sanctum , b en eflcia D e i, qui e o s de A egyp to
ed u xerat, id olo a ttrib u en tes, cum d ix e ru n t: „H i su n t dii tu i,
Israel, qui te ed u xeru n t de terra Aeigypti.“ Et id eo D om inu s

278
denn „es fielen an jenem Tage an die dreitausend Men- 14, 3
sehen“, anderseits droht Er ihnen für die Zukunft Strafen
an, mit den Worten: „Am Tage Meiner Vergeltung w ill Ich
ihre Sünde ahnden“ [Ex 32, 4. 28. 34].
Sodann kann sie verstanden werden hinsichtlich ihrer
Schuld, so w ie eine Krankheit unheilbar genannt wird
gemäß der Natur der Krankheit, wodurch dasjenige er­
tötet ist, durch das die Krankheit geheilt werden könnte,
z. B. wenn eine Krankheit die [Widerstands-] Kraft der
Natur bricht oder W iderwillen gegen Nahrung und H eil­
mittel mit sich bringt; freilich kann Gott auch eine solche
Krankheit heilen. So bezeichnet man auch die Sünde ge­
gen den H eiligen Geist als unvergebbar gemäß ihrer
eigenen Natur, sofern sie das ausschließt, wodurch die
Vergebung der Sünden bewirkt wird. Jedoch wird da­
durch der Allmacht und der Barmherzigkeit Gottes der
Weg der Vergebung und Heilung nicht abgeschnitten;
denn durch sie werden bisw eilen auch solche [Sünder]
gleichsam auf wTunderbare W eise übernatürlich geheilt.
Z u l . Niemandes wegen soll man in diesem Leben ver­
zweifeln in Anbetracht der Allmacht und der Barmherzig­
keit Gottes. Aber in Anbetracht der Beschaffenheit der
Sünde heißen einige „Kinder des Zornes“ (Eph 2, 2).
Z u 2. Jene Erwägung geht von der Allmacht Gottes aus,
nicht von der Beschaffenheit der Sünde.
Z u 3. Die freie W illensentscheidung bleibt zwar in die-
Q U A E S T I O 14,3

et tem p oraliter fecit e o s p u n iri, q u ia „eecid erun t in d ie illo


q u asi v ig in ti tria m illia 1 h om in u m “ ; et in futuro eis poenam
com m inatur, d icen s: „Ego au tem in d ie u ltio n is visitab o hoc
peccatum eoru m .“
A lio m odo potest in te llig i qu antu m ad culpam : sicut a liq u is
dicitur m orbus in cu ra b ilis secu n d u m naturam m orbi, p er quem
tollitu r id p er quod m orbus potest curari, puta cu m m orbus
tollit virtu tem n atu rae, v e l ind ucit fastid iu in cibi et m ed icin a e;
lic e t talem m orbum D eu s p ossit curare. Ita etiam peccatu m in
S p iritu m Sanctum dicitu r irr em issib ile secu n d u m su am n atu ­
ram , inquantum ex clu d it ea p er q u a e fit rem issio peccatorum .
P e r hoc tarnen non praeclud itu r via rem itten d i et sa n a n d i om -
n ip o te n tia e et m iserico rd ia e D ei, p er quam aliq u an d o tales
q u asi m iracu lose sp ir itu a lite r san antu r.
AD PRIM UM ergo dicen du m quod de n e m in e d esp erand um
est in hac vita, considerata om n ip oten tia et m isericord ia D ei.
S ed considerata conditione peccati, dicuntur aliq u i „filii diffi-
d e n tia e “, ut h ab etu r ad E phes. 2.
A D SEC U N D U M dicen du m quod ratio illa procedit e x parte
om n ip oten tiae D e i: n on secu n d u m con d ition em peccati.
A D TERTIUM d icen d u m qu od lib eru m arbitrium rem an et
1 L: tria m illia .

279
14, 4 sein Leben stets wandelbar; bisw eilen jedoch entledigt sie
sich, soweit es an ihr liegt, desjenigen, wodurch sie zum
Guten gewendet w erden könnte. Daher ist die Sünde von
ihrer Seite unvergebbar, obwohl Gott sie vergeben kann.

4. ARTIKEL
Kann der Mensch erstmalig, ohne daß andere Sünden
vorausgegangen, gegen den Heiligen Geist sündigen?
1. Der natürlichen Ordnung entsprechend bewegt man
sich vom Unvollendeten zum Vollendeten. Und zwar ist
dies offensichtlich bei den Guten, nach Spr 4, 18: „Der
Pfad der Gerechten ist wie die H elle des Morgenlichtes,
welches immer glänzender wird, bis zum vollen Tag.“ Bei
den Bösen aber heißt vollendet der höchste Grad des Bösen
(Aristoteles). Da nun die Sünde gegen den Heiligen Geist
die schwerste Sünde ist, so scheint es, daß der Mensch erst
auf dem Wege über mindere Sünden bis zu dieser Sünde
kommt.
2. Gegen den Heiligen Geist sündigen ist sündigen aus
vorsätzlicher Bosheit oder auf Grund von [bewußter]
Wahl. Dies aber kann der Mensch nicht ohne weiteres,
ehe er viele Male gesündigt hat. Aristoteles sagt nämlich:
Wenn der Mensch auch Unrechtes tun kann, so kann er
doch nicht sofort als ungerechter Mensch handeln, d. h.
QUAESTIO 14, t

q u id em se m p e r in hac vita v e rtib ile : tarnen qu and oqu e abjicit


a se id p e r quod v erti potest a d bonum , quantum in ip so est.
U n d e e x parte su a peccatum est irrem issib ile, lic e t D eu s rem it­
ie r e possit.
A R T I C U L U S IV
U tr u m ho m o p o s sit p r i m o p e c c a r e in S p i r i t u m
S a n c t u m , n o n p r a es u p p os i t is a l i i s p e c c a t i s
[2 Sent. d is t. 43, a rt. 5; De c h a rit., a rt. 13 a d 1]
A D QUARTUM sic p roced itu r. V id etu r quod hom o n on p ossit
prim o peccare in S p iritu m Sanctum , n on p raesu p p ositis a liis
p eccatis. N atu ralis en im ordo est ut ab im p erfecto ad perfectum
q u is m oveatu r. Et hoc qu id em in b on is ap p aret, secu n d u m illud
P roverb . 4: „Justorum se m ita q u asi lu x sp le n d en s crescit et
proflcit usq u e ad perfectu m d iem .“ S ed perfectum dicitur in
m alis quod est m axim um m alum : ut patet p er P hilosoph um
1021 b in 5 M etaphys. [cap. 1 6 ]. Cum ergo peccatum in S p iritu m
17 sqq. Sanctum sit gravissim um , vid etu r quod hom o ad hoc peccatum
p erv en ia t p e r a lia peccata m inora.
2. PRAETEREA, peccare in S p iritu m Sanctum est pecca
e x certa m alitia ; s iv e e x e lectio n e. S e d hoc non statim potest
hom o, antequ am m u ltoties p eccaverit: dicit en im P hilosoph us
1134a in 5 Ethic. [cap. 1 0 ], quod etsi hom o possit injusta facere, non
i7 sqq. tarnen potest statim op erari sicut injustus, sc ilic et e x election e.

280
aut Grund von [bewußter] Wahl. Es scheint also, man 14, 4
könne eine Sünde gegen den H eiligen Geist erst nach an­
deren Sünden begehen.
3. Buße und Unbußfertigkeit betreffen den nämlichen
Gegenstand. Buße nun gibt es nur über vergangene Sün­
den. Also auch Unbußfertigkeit, welche eine Art unter den
Sünden gegen den H eiligen Geist ist. Demnach setzt eine
Sünde gegen den H eiligen Geist andere Sünden voraus.
ANDERSEITS heißt es Sir 11, 23: „Es ist leicht in den
Augen Gottes, einen Armen alsogleich zu Ehren zu brin­
gen.“ 1 Also ist es umgekehrt, vermöge der Bosheit des ver­
führenden bösen Geistes, möglich, daß jemand alsogleich
zur schwersten Sünde veranlaßt wird, wie es die Sünde
gegen den H eiligen Geist ist.
ANTWORT: Gegen den Heiligen Geist sündigen besagt
nach der einen Auffassung sündigen aus vorsätzlicher Bos­
heit (Art. 1). Aus vorsätzlicher Bosheit nun kann man auf
zweifache W eise sündigen. Einmal aus dem Hang eines Ge­
habens, was nicht im eigentlichen Sinn Sünde gegen den
Heiligen Geist ist. In dieser W eise aus vorsätzlicher Bos­
heit sündigen ist von Anfang an nicht möglich; denn es
muß sündhaftes Tun vorausgehen, aus dem erst zur Sünde
neigendes Gehaben entsteht.
Sodann kann jemand aus vorsätzlicher Bosheit sündigen,
QUAESTIO 14, 4

Ergo vid etu r quod peccatu m in S p iritu m San ctu m non p ossit
com m itti n isi post a lia peccata.
3. PRAETEREA, p oen iten tia et im p oen iten tia su nt circa idem .
S e d p o e n ite n tia non est n isi de peccatis p raeteritis. E rgo etiam
n eq u e im p oen iten tia, q u ae est sp e c ie s peccati in S p iritu m San c­
tum . Peccatum ergo in S p iritum S a n c tu m 2 p raesup pon it alia
peccata.
SED CONTRA est quod „facile est in consp ectu D e i subito
hon estare p a u p e re m “, ut dicitu r Eccli. 11. Ergo e contrario pos­
s ib ile est, secu n d u m m alitiam d aem on is su ggeren tis, u t statim
a liq u is ind ucatu r in peccatum gravissim um , quod est peccatum
in S p iritu m Sanctum .
RESPONDEO d icen d u m quod, sicu t d ictum est, p eccare in
S p iritum San ctu m uno m odo est p eccare e x certa m alitia. E x
certa autem m alitia d u p liciter peccare contingit, sicu t dictum
est. U no m odo, e x in clin a tio n e h ab itu s: quod n o n est proprie
p eccare in S p iritu m Sanctum . Et hoc m odo p ecca re e x certa
m alitia non contingit a p rin cip io: op ortet en im actu s pecca­
torum p ra eced ere e x q u ib u s cau setu r hab itu s ad peccan dum
inclinans.
A lio m odo p otest aliq u is peccare e x certa m a litia ab jicien d o
1 H e b rä isc h : re ic h zu m a c h en .
2 P a d d : s c ilic e t q u o d d ic tu m e st im p o e n ite n tia .

281
14, 4 indem er sich über dasjenige, wodurch der Mensch von
der Sünde zurückgehalten wird, verächtlich hinwegsetzt,
was im eigentlichen Sinne Sünde gegen den H eiligen Geist
ist (Art. 1). Freilich auch dies setzt zumeist andere Sün­
den voraus; denn „der Gottlose, der tief in Sünden geraten
ist, wird zum Verächter“ (Spr 18, 8). Jedoch kann es Vor­
kommen, daß einer schon beim ersten sündhaften Tun durch
Verachtung gegen den H eiligen Geist sündigt; bald einfach
vermöge seines freien W illensentscheids, bald auch ver­
möge vieler vorausgehender Ansätze, oder auch infolge
irgendeines heftigen Antriebs zum Bösen und schwacher
Zuneigung zum Guten. Darum auch kann es bei voll­
kommenen Menschen kaum oder niem als geschehen, daß
sie gleich im Anfang gegen den H eiligen Geist sündigen.
Daher sagt Origenes: „Ich bin nicht der Auffassung, daß
einer von denen, die auf der Stufe höchster Vollendung
stehen, plötzlich versagt oder abstürzt; vielm ehr sinkt er
notwendig nur allmählich und Stufe um Stufe ab.“ —
Und dieselbe Bewandtnis hat es, wenn man die Sünde
gegen den Heiligen Geist im Wortsinne als Lästerung des
Heiligen Geistes versteht. Denn eine solche Lästerung, w ie
der Herr von ihr spricht, kommt stets aus böswilliger Ver­
achtung.
Versteht man schließlich unter der Sünde gegen den
Heiligen Geist nach der Auffassung Augustins die end-

QUAESTIO 14, 4

per contemptum ea per quae homo retrahitur a peccato: quod


proprie est peccare in Spiritum Sanctum, sicut dictum est. Et hoc
etiam plerumque praesupponit alia peccata: quia sicut dicitur
Proverb. 18, „impius, cum in profundum peccatorum venerit,
contemnit“. Potest tarnen contingere quod aliquis in primo actu
peccati in Spiritum Sanctum peccet per contemptum: tum prop­
ter libertatem arbitrii; tum etiam propter multas dispositiones
praecedentes; vel etiam propter aliquod vehemens motivum
ad malum et debilem affectum hominis ad bonum. Et ideo in
viris perfectis hoc vix aut nuinquam accidere potest quod statim
pg 11/155 a principio peocent in Spiritum Sanctum. Unde dicit Origene«
in 1 Periarch. [cap. 3]: „Non arbitror quod aliquis ex his qui
in summo perfectionis1 gradu constiterint, ad subitum evacue-
tur aut decidat: sed paulatim ac per partes eum decidere, ne-
cesse est.“ — Et eadem ratio est si peccatum in Spiritum Sanc­
tum accipiatur ad litteram pro blasphemia Spiritus Sancti. Talis
enim blasphemia de qua Dominus loquitur, semper ex malitiae
contemptu procedit.
Si vero per peccatum in Spiritum Sanctum intelligatur fina-
lis impoenitentia, secundum intellectum Augustini, quaestionem
1 L: perfectoque.

282
gültige Unbußfertigkeit, so besteht die Frage überhaupt 14,4
nicht; denn dann ist zur Sünde gegen den H eiligen Geist
ein fortgesetztes Sündigen bis zum Lebensende erfordert.
Z u l . Im Guten w ie im Bösen schreitet man gewöhn­
lich vom Unvollendeten zum Vollendeten voran, je nach­
dem der Mensch im Guten oder im Bösen Fortschritte
macht. Dennoch kann beide Male der eine mit Größerem
beginnen als der andere. Und so kann das, womit einer
beginnt, der Gattung nach im Guten oder im Bösen voll­
endet sein, mag es auch in der Wachstumsordnung, in
welcher der Mensch zum Besseren und Schlimmeren fort­
schreitet, noch unvollendet sein.
Z u 2. Jene Erwägung geht von der Bosheitssünde aus,
die aus dem Hang eines Gehabens entsteht.
Z u 3. Nimmt man Unbußfertigkeit im Sinne Augustins,
wonach sie ein Verharren in der Sünde bis zum Ende
besagt, so ist es klar, daß die Unbußfertigkeit Sünden
voraussetzt, w ie auch die Büßfertigkeit. Meint man je­
doch die Unbußfertigkeit als [eigenes] Gehaben, w ie sie
als Art der Sünde gegen den H eiligen Geist angenommen
wird, so ist es eindeutig, daß Unbußfertigkeit bereits vor
dem Sündigen möglich ist; es kann nämlich, wer noch nie
gesündigt hat, den Vorsatz haben, Buße zu tun oder nicht
zu tun, falls er sündigen sollte.

Q U A ESTIO 14, 4

n on h ab et: q u ia ad peccatu m in S p iritu m San ctu m req uiritur


continuatio peccatorum u squ e in finem v ita e.
A D PRIM UM ergo d icen d u m quod tarn in bono quam in
m alo, ut in p lu ribu s, p roced itu r ab im p erfecto ad perfectum ,
prout hom o proficit v e l in b on o v e l in m alo. Et tarnen in utro-
que un us p otest in c ip er e a m ajori quam a liu s. Et ita illu d a
quo a liq u id 1 incip it, potest e sse perfectum in bono v e l in
m alo secu n d u m g e n u s su u m ; lic e t sit im p erfectu m secu n d u m
se r ie m p rocessus h om in is in m eliu s v e l in p eju s proficientis.
A D SEC U N D U M d icen d u m quod ratio illa proced it de peccato
com m isso e x m alitia quando est e x in clin a tio n e hab itu s.
A D TERTIUM dicen du m quod, s i accipiatur im p oen iten tia
secu n d u m in ten tio n em A u gu stin i, secu n d u m quod im portat per-
m anentiam in peccato u sq u e in finem , sic plan um est quod im ­
p o en iten tia p ra esu p p o n it peccata, sicu t et p o en iten tia . S ed si
loqu am u r d e im p o e n iten tia h ab itu ali, secu n d u m qu od pon itu r
sp e c ie s p eccati in S p iritu m San ctu m , sic m an ifestu m est quod
im p o e n iten tia potest esse etia m an te peccata: potest en im ille
qui nunquam peccavit h ab ere propositum v e l p o en iten d i v e l non
p o e n ite n d i, si con tin geret eum peccare.
i L: a liq u is.

283
15, 1 15. F J t A G E
DIE BLINDHEIT DES GEISTES UND DIE STUMPF­
HEIT DES SINNES
Nunmehr ist eine Betrachtung anzustellen über die der
Wissenschaft und der Einsicht entgegengesetzten Laster.
Da aber das Nichtwissen, als dem Wissen entgegengesetzt,
bereits früher (I—II 76: Bd. 12) behandelt wurde, als es
sich um die Ursachen der Sünde handelte, so ist an dieser
Stelle nur noch zu fragen nach der Blindheit des Geistes
und der Stumpfheit des Sinnes, die der Gabe der Einsicht
entgegengesetzt sind.
Dazu ergeben sich drei Einzelfragen:
1. Ist Geistesblindheit Sünde?
2. Ist Stumpfheit des Sinnes eine andere Sünde als
die Blindheit des Geistes?
3. Gehen diese Fehler auf Fleischessünden zurück?

1. ARTIKEL
Ist Geistesblindheit Sünde?
1. Was von der Sünde entschuldigt, ist offensichtlich
nicht Sünde. Geistesblindheit aber entschuldigt von der
Sünde. Denn es heißt Jo 9, 41: „Wäret ihr blind, so hättet
ihr keine Sünde.“ Also ist G eistesblindheit keine Sünde.
2. Strafe ist etwas anderes als Schuld. Geistesblindheit
aber ist eine Strafe, w ie sich daraus ergibt, daß es Is 6, 10

QUAESTIO xv
DE CAECITATE M ENTIS ET HEBETU D IN E SEN SU S
D e in d e considerandu m est de v itiis op p ositis sc ien tia e et
in tellectu i. Et q u ia de ignorantia, q u a e opp onitur scien tia e,
dictum e st su pra, cum de oausis peccatorum a g e r e tu r ; q u aeren-
dum est nunc de caecitate m entis et h eb etu d in e sen su s, quae
op p onu ntur dono in tellectu s.
Et c irca hoc q u aeru n tu r tria: 1. U trum eaecitas m e n tis sit
peccatu m . -— 2. U trum h eb etu d o se n s u s s it a liu d peccatu m a
caecitate m entis. — 3 . U trum h aec v itia a peccatis carnalibus
oriantur.
ARTICULUSI
Utrum caecitas m entis sit peccatum
[I—II, q. 79, a rt. 3 e t 4]
A D PRIM UM sic proceditur. V id etu r quod caecitas m entis
n on sit peccatum . Illu d en im quod excu sat a peccato non v id e ­
tur e sse peccatu m . S ed caecitas m en tis e xcu sat a peccato: d ic i­
tur en im Joan. 9: „Si caeci essetis, n on h a b er e tis p eccatu m .“
Ergo ca ecita s m e n tis n on est peccatum .
2. PRAETEREA, p o e n a d iffert a culpa. S e d caecitas m entis
est q u aed am p oen a, u t p a tet p er illu d quod h ab etu r Is. 6:

284
heißt: „Mache blind das Herz dieses Volkes.“ Denn da 15 , 1
es sich um ein Übel handelt, wäre es nicht von Gott,
wenn es nicht eine Strafe wäre. Also ist Geistesblindheit
keine Sünde.
3. Jede Sünde ist nach Augustinus willentlich. Geistes­
blindheit aber ist nicht willentlich, denn, so sagt Augu­
stinus, „alle lieben die Erkenntnis der leuchtenden Wahr­
heit“. Und Prd 11, 7 heißt es: „Süß ist das Licht, und es
tut dem Auge wohl, das Sonnenlicht zu schauen.“ Also
ist Geistesblindheit keine Sünde.
ANDERSEITS rechnet Gregorius die Geistesblindheit
unter die durch die Unkeuschheit verursachten Laster.
ANTWORT: W ie leibliche Blindheit den Verlust dessen
bedeutet, was dem leiblichen Sehen zugrunde liegt, so ist
auch Geistesblindheit der Verlust dessen, was Grundlage
des geistigen oder des verstandhaften Schauens ist. Diese
Grundlage nun ist eine dreifache. Die eine ist die Leuchte
der natürlichen Vernunft. Und da diese Leuchte zur Art­
wesenheit der vernünftigen Seele gehört, so wird sie der
Seele niem als entzogen. Sie wird freilich bisw eilen in der
ihr eigenen Betätigung beeinträchtigt durch Hemmungen
der untergeordneten Kräfte, deren der m enschliche Ver­
stand zur Einsicht bedarf, w ie es bei W ahnsinnigen und
Tobsüchtigen offensichtlich ist (I 84, 7. 8: Bd. 6).
Die zweite Grundlage verstandhaften Schauens ist ein
als Gehaben zur natürlichen Leuchte der Vernunft hinzu-
0 U A E S T I O 15, l

„E xcaeca cor p o p u li h u ju s“ ; non en im esset a D eo, cum sit


m alum , n isi p oen a e sse t. Ergo caecitas m e n tis non est peccatum .
3. PRAETEREA, om n e peccatu m est volun tarium , u t A u gu - PL34
stin u s dicit [D e v e ra r elig . cap. 1 4 ]. S ed caecitas m en tis n on 133 sq.
est vo lu n ta ria : q u ia u t A u g u stin u s d ic it 10 C onfess. [cap. 2 3 ], PL 32/794
„cogn oscere v erita tem lu cen tem om n es am an t“ ; et E ccle. 11 c s e l
d icitu r: „D u lce lu m en , et d e lec ta b ile ocu lis v id e r e so le m .“ Ergo ' sq’
caecitas m en tis non est peccatum .
SED CONTRA est quod G regorius 31 M oral, [cap. 4 5 ], cae- PL 76/621
citatem m en tis ponit in ter v itia quae causantur e x lu xu ria.
RESPONDEO dicendum quod sicut caecitas corporalis est pri-
vatio e ju s quod est p rin cip iu m corp oralis v isio n is, ita etiam
caecitas m e n tis est p rivatio e ju s quod est prin cip iu m m en talis
s iv e in te lle ctu a lis v isio n is. Cujus qu id em p rin cip iu m est trip lex.
U n um q u id em est lu m en natu ralis ration is. Et hoc lu m en , cum
p ertin ea t ad sp ec iem a n im ae ration alis, nu nq uam privatur ab
anim a. Im p ed itu r tarnen qu an d oq u e a proprio actu p e r im -
p ed im en ta v iriu m in ferio ru m , q u ib u s in d ig e t in te lle ctu s h u -
m anu s ad in tellig en d u m , sicu t p a tet in am en tib u s et fu riosis,
ut in P rim o dictum est.
A liu d autem p rin cip iu m in te lle c tu a lis v isio n is est aliquod
lu m en h ab itu ale n atu rali lu m in i ration is su perad ditum . Et hoc

285
15, i gegebenes Licht. D ieses nun wird der Seele zuweilen ent­
zogen. Und eine derartige Entziehung ist Blindheit als
Strafe, sofern die Entziehung des Gnadenlichtes als Strafe
erfolgt. Daher wird W eish 2, 21 von gew issen Menschen
gesagt: „Ihre Bosheit hat sie blind gemacht.“
Die dritte Grundlage verstandhaften Schauens ist irgend­
ein verstandesmäßig erfaßbarer Ursatz, vermöge dessen
der Mensch anderes einsieht. Diesem verstandesmäßig
erfaßbaren Ursatz kann der Mensch sich zuwenden oder
auch nicht. Daß er es nicht tut, ist auf zweifache W eise der
Fall. Bisweilen, w eil sein W ollen sich geflissentlich von
der Erwägung des betreffenden Ursatzes abkehrt; nach
Ps 36 (35), 4: „Er wollte nicht verstehen, damit er nicht
etwa gut handle.“ Auf die andere W eise, indem der
Geist sich mit anderen Dingen befaßt, die er bevorzugt
und durch die der Geist von der Betrachtung jenes
Ursatzes abgelenkt wird; nach Ps 58 (57), 9: „Es überfiel
sie das Feuer“, nämlich der Begierlichkeit, „und so sahen
sie das Sonnenlicht nicht“. Auf jede dieser beiden W eisen
nun ist G eistesblindheit Sünde.
Z u l . Die Blindheit, die von der Sünde entschuldigt,
ist jene Blindheit, die aus natürlichem Gebrechen in dem
vorliegt, der nicht sehen kann.
Z u 2. Jene Erwägung geht von der zweiten Blindheit
aus, w elche eine Strafe ist.
Z u 3. W ahrheitseinsicht ist an sich jedem Menschen

Q U A E S T I O 15, i

q u id em lu m en interd um p rivatur ab anim a. Et ta lis p rivatio


est c a ec ita s q u ae e st p oen a, secu n d u m quod p rivatio lu m in is
gratiae qu aed am p oen a ponitur. U n d e dicitur de quibusdam ,
S ap . 2: „E xcaecavit illo s m alitia eoru m .“
T ertium prin cip iu m v isio n is in te lle ctu a lis est aliq u od in te lli-
g ib ile p rin cip iu m p er qu od hom o in te llig it alia. Cui qu id em
p rin cip io in te llig ib ili m en s h o m in is potest in te n d e r e v e l non
in te n d e r e. Et q u o d e i non in ten d a t con tin g it d u p liciter. Q uando­
q u e qu id em e x hoc quod h a b et volu n tatem sp o n ta n ee se aver-
tentem a con sid eration e ta lis p rin cip ii: secund um illu d Psalm .
[3 5 ]: „N oluit in te llig er e ut b en e a g e re t.“ A lio m odo per occu-
pationem m en tis circa a lia qu ae m agis d ilig it, qu ibus ab insp ee-
tio n e h u ju s p rin cip ii m en s avertitur: secund um illu d P salm .
[5 7 ]: „Su percecidit ig n is“, scilicet concupiscentiae, „et non vi-
derunt so le m .“ Et utroque m odo caecitas m entis est peccatum .
AD PRIM UM ergo dicen du m quod caecitas q u a e excu sat a
peccato est q u ae con tin git e x n atu rali d efectu n on p o ten tis vi-
d ere.
A D SEC U N D U M dicen du m quod ratio illa proced it d e se-
cund a eaecitate, q u ae est poena.
A D TERTIUM dicen d u m quod in te llig e r e v eritatem cu ilib et

286
liebenswert. Tatsächlich jedoch kann sie jemandem has- 15. 2
senswert sein, sofern nämlich der Mensch dadurch von
anderem abgelialten wird, das er mehr liebt.

2. A R T I K E L
Ist Stumpfheit des Sinnes eine andere Sünde als Geistes­
blindheit?
1. Zu einem steht nur eines im Gegensatz. Der Gabe
der Einsicht aber steht, w ie durch Gregorius erhellt, die
Stumpfheit entgegen; und zu ihr stellt auch die Geistes­
blindheit im Gegensatz, denn Einsicht ( = Verstand) be­
sagt eine bestimmte Sehkraft. Also ist die Stumpfheit des
Sinnes das nämliche w ie Blindheit des Geistes.
2. Indem Gregorius von der Stumpfheit spricht, nennt
er sie „Stumpfheit des Sinnes gegenüber der Verstandes­
einsicht“. Stumpfsein gegenüber Verstandeseinsicht scheint
aber nichts anderes zu sein als im Verstehen versagen,
und dies gehört zur Geistesblindheit. Also ist Stumpfheit
des Sinnes das nämliche w ie Blindheit des Geistes.
3. Wenn sie sich in irgend etwas unterscheiden, dann
scheinen sie sich vornehmlich darin zu unterscheiden, daß
Geistesblindheit w illentlich (Art. 1), Stumpfheit des Sin­
nes aber ein natürlicher Mangel ist. Ein natürlicher Man­
gel aber ist nicht Sünde. Demnach wäre Stumpfheit des

QUAESTIO 15, 2
est secu n d u m se a m ab ile. P otest tarnen p er a ccid en s e sse alicui
o d ib ile, inq uantu m sc ilic et per hoc hom o im p ed itu r ab aliis
q u ae m agis am at.
A R T I C U L U S II
Utrum h eb e tu d o s e n s u s sit aliu d peccatum a
caecitate mentis
AD SEC UND UM sic proced itu r. V id etu r quod h eb etu d o sen -
su s non sit aliu d a caecitate m entis. U n u m en im u n i est contra-
rium . S e d d o n o in te lle ctu s opp onitur h eb etu d o, ut patet p er
G regorium in 2 M oral, [cap. 4 9 ] ; cui etiam opponitur caecitas p l 75/592
m entis, eo quod in te lle ctu s p rin cip iu m qu odd am v isiv u m desi-
gnat. Ergo h eb etu d o se n su s est idem quod ca ecita s m entis.
2. PRAETEREA, G regoriu s in 31 M oral [cap. 4 5 ], de heb etu - p l 76/621
d in e loquens, n om inat eam „ h eb etu d in em se n su s circa in telli-
g e n tia m “. S e d h eb eta ri se n su circa in te llig en tia m n ih il aliu d
e sse vid etu r quam in te liig en d o d eficere, quod p e r tin et a d m e n ­
tis eaecitatem . Ergo h eb etu d o se n su s id em est quod caecitas
m entis.
3. PRAETEREA, si in aliq u o differu nt, m a x im e vid en tu r in '
hoc d iilerre quod caecitas m en tis est volun taria, ut su pra dictum
est, h eb etu d o au tem se n s u s est n atu ralis d efectus. S e d d efectu s
n atu ralis non est peccatum . Ergo secu n d u m hoc h eb etu d o sen -

287
15, 2 Sinnes keine Sünde. Dies aber steht im Widerspruch zu
Gregorius, der sie unter die Laster rechnet, die auf die
Gaumenlust zurückzuführen sind.
ANDERSEITS haben verschiedene Ursachen verschie­
dene Wirkungen. Gregorius aber sagt, Stumpfheit des Sin­
nes gehe auf die Gaumenlust zurück, Blindheit des Geistes
auf die Unkeuschheit; dies aber sind verschiedenartige
Laster. Also sind sie auch selbst verschiedene Laster.
ANTWORT: Das Stumpfe ist der Gegensatz zum Schar­
fen. Scharf aber heißt etwas, w eil es durchdringend ist.
Also heißt etwas stumpf, w eil es abgestoßen ist und nicht
mehr durchzudringen vermag. Vom leiblichen Sinne nun
sagt man gleichnishaft, er durchdringe den Zwischenraum,
insofern er aus der Ferne seinen Gegenstand erfaßt, oder
insofern er gleichsam mit durchstoßender Kraft das In­
nerste eines Dinges zu erfassen vermag. Daher sagt man
für den Bereich des Körperlichen von einem, er sei
scharfen Sinnes, wenn er irgend etwas sinnlich Erfaßbares
sehend oder hörend oder riechend aus der Ferne zu er­
fassen vermag. Und entgegengesetzt sagt man, er sei abge­
stumpft, wenn er nur aus der Nähe und nur große sinnen­
fällige Gegenstände wahrnimmt.
Ähnlich dem leiblichen Sinn nun spricht man auch hin­
sichtlich der Verstandeseinsicht von einem Sinne, der
irgendwelche „Erstheiten und Letztheiten“ (Aristoteles)

QUAESTIO 15, •

ibid su s non esset peccatum . Quod est contra G regorium , qui con-
num erat eam in ter v itia qu ae e x gu la oriuntur.
SED CONTRA est quod d iversaru m causarum su nt d iversi
PL 76/621 eflectu s. S ed G regorius, 31 M oral., d icit quod heb etu d o se n su s
oritur e x gula, caecitas autem m entis e x lu x u ria ; h aec autem
su n t d iv ersa vitia. Ergo et ip sa su n t d iv ersa v itia .1
RESPONDEO dicen du m quod h e b e s acuto opp onitur. Acutum
autem dicitur a liq u id e x hoc quod est p en etrativu m . U n d e et
h eb es dicitu r a liq u id e x hoc quod est obtusum , p en etrare non
v alen s. S e n su s au tem corp oralis p er quam dam sim ilitu d in em
p en etrare dicitur m edium inquantum e x aliq ua distantia suum
objectum p ercip it; v e l inquantum potest q u asi p en etran d o m i­
nim a v e l 2 intim a rei p ercip ere. U n d e in corp oralibus dicitur
a liq u is esse acuti se n su s q u i potest p ercip ere se n sib ile aliquod
e x rem otis, v e l v id e n d o v e l au d ien d o v e l olfa cien d o ; et e co n ­
trario dicitu r se n su h eb eta ri qui n on p ercip it n isi e x propin-
quo et m agna se n sib ilia .
A d sim ilitu d in em au tem corp oralis se n su s dicitur etiam circa
in te llig e n tia m e s s e a liq u is sen su s, q u i est aliq u oru m „prim orum
1143a et extrernorum “, u t d icitu r in 6 Ethic. [cap. 12] : sicu t etiam
35 sqq. -----------------
1 L: lu x u ria , E rg o s u n t d iv e rs a v itia .
2 L om . m in im a v el.

288
erfaßt, w ie auch die Sinneserkenntnis Sinnfälliges gleich- 15, 2
sam als Urgründe ihres Erkennens erfaßt. Dieser Sinn
nun, welcher der Verstandeseinsicht zugehört, erfaßt sei­
nen Gegenstand nicht durch einen Zwischenraum in kör­
perlichem Abstand, sondern durch gew isse andere Zwi­
schenglieder; z. B. wenn er durch das Merkmal eines
Dinges dessen W esenheit erfaßt, und durch die Wirkung
die Ursache. So nennt man einen hinsichtlich seiner Ver­
standeseinsicht scharfsinnig, wenn er ohne w eiteres mit
der Wahrnehmung eines Merkmals oder auch einer Wir­
kung die Natur des Dinges erfaßt und bis zur Anschau­
ung der geringfügigsten Befindlichkeiten eines Dinges
durchdringt. Der aber heißt in seiner Verstandeseinsicht
stumpf, der nur durch vielerlei, das ihm auseinandergesetzt
wird, zur Erkenntnis der Wahrheit eines Dinges gelangt
und auch dann nicht bis zur vollkommenen Anschauung
alles dessen hindurchdringt, was zum W esensbild des Din­
ges gehört.
So besagt also Stumpfheit des Sinnes hinsichtlich der
Verstandeseinsicht eine gew isse Schwäche des Geistes in
der Erfassung geistiger Güter; Blindheit des Geistes aber
den völligen Verlust ihrer Erkenntnis. B eides nun steht
im Gegensatz zur Gabe der Einsicht, vermöge derer der
Mensch die geistigen Güter erfassend erkennt und mit
scharfem Verstände in ihr Innerstes eindringt. Es hat aber
die Stumpfheit w ie auch Geistesblindheit die Bewandtnis
der Sünde, sofern sie nämlich willentlich sind, w ie dies

QUAESTIO IS, 2

se n s u s est cogn oscitivu s se n sib iliu m q u asi quorum dam p rin ci­
piorum cognition is. H ic autem se n su s q u i est circa in telligen tiam
non p ercip it su u m objectu m p er m ed iu m d istan tiae corp oralis,
s e d p er q u aed am a lia m ed ia : sicu t cum p er p rop rietatem rei
p ercip it e ju s essen tiam , et p er efiectu m p ercip it causam . Ille
ergo dicitu r esse acuti se n su s circa in te llig en tia m qui statim
ad a p p reh en sio n em p rop rietatis rei, v e l etiam effectus, naturam
rei com p reh en d it, et inq uantu m u sq u e a d m in im as co n d ition es
rei con sid eran d as p ertin git. Ille au tem d icitu r h e b e s circa in ­
tellig en tia m q u i ad cognoscendam veritatem rei p ertin gere
non potest n isi p er m ulta ei ex p o sita , et tune etiam non potest
p e rtin g ere ad p er fec te con sid eran d u m om nia q u ae p ertin en t
ad rei ration em .
Sic igitu r h eb etu d o se n su s circa in te llig en tia m im portat quam -
dam deb ilitatem m entis circa consideration em sp iritu aliu m bo­
norum : caecitas au tem m en tis im portat om nim odam privation em
cogn ition is ipsorum . Et u trum q ue op p on itu r dono in tellectu s,
per q u em h om o sp ir itu a lia bona ap p reh en d en d o cognoscit et
ad eoru m in tim a su b tiliter p en etrat. H ab et autem heb etu d o
ration em peccati sicu t et caecitas m en tis: inquantum sc ilic et est

19 15 289
15, 3 offensichtlich der Fall ist bei einem solchen, der, einge­
stellt auf Fleischliches, gegen scharfsinnige Beschäftigung
mit Geistigem W iderwillen hat oder Gleichgültigkeit zeigt.
Daraus ergibt sich die Antwort auf die Einwände.

8. A R T I K E L
Gehen Geistesblindheit und Stumpfheit des Sinnes auf
Fleischessünden zurück ?
1. Indem Augustinus die Stelle in den Selbstgesprächen:
„Gott, der Du w illst, daß nur die Reinen die Wahrheit
erkennen“, widerruft, sagt er: „Man kann erwidern, daß
auch viele Unreine manches Wahre erkennen.“ Unrein
werden die Menschen aber vornehmlich durch Fleisches­
sünden. Demnach werden Geistesblindheit und Stumpfheit
des Sinnes nicht durch Fleischessünden verursacht.
2. G eistesblindheit und Stumpfheit des Sinnes sind
Fehler des verstandhaften Teiles der Seele. Fleischessünden
hingegen fallen unter die Verderbnis des Fleisches. Nun
wirkt aber das Fleisch nicht auf die Seele, sondern viel­
mehr umgekehrt. Also verursachen nicht Fleischessünden
die Blindheit des G eistes und die Stumpfheit des Sinnes.
3. Ein jegliches untersteht dem Einfluß eines Näheren
mehr als dem eines Entfernteren. Näher aber liegen

QUAESTIO 15, 3

ivoluntaria, ut .patet in eo qui, affectus circa carnalia, de spiri-


tualibus subtiliter discutere fastidit vel negligit.
Et per hoc patet responsio ad objecta.

ARTICULUS III
Utrum c a e c i t a s m e n t i s et hebetudo sensus
oriant ur ex p e c c a t i s carnalibus
[In lra 153, 5]
AD TERTIUM sic proceditur. Videtur quod caecitas mentis
PL 32/589 et hebetudo sensus non oriantur ex vitiis carnalibus. Augusti­
CSEL nus enim, in libro Retract. [lib. 1, cap. 4 ], retractans illud quod
36/22 sq.
PL 32/870 dixerat in Soliloquiis [lib. 1, cap. 1 ], „Deus, qui nonnisi mun-
idos scire verum voluisti“, dicit quod: „Responderi potest mul-
tos etiam immundos multa vera scire.“ Sed hom ines m axim e
efficiuntur immundi per vitia carnalia. Ergo caecitas mentis et
hebetudo sensus non causantur a vitiis carnalibus.
2. PRAETEREA, caecitas mentis et hebetudo sensus sunt
defectus quidam circa partem anim ae in tellectivam ; vitia autem
carnalia pertinent ad corruptionem carnis. Sed caro non agit
in animam, sed potius in converso. Ergo vitia carnalia non
causant caecitatem m entis et hebetudinem sensus.
3. PRAETEREA, unumquodque m agis patitur a propinquiori
quam a remotiori. Sed propinquiora sunt menti vitia spiritualia

290
dem Geiste die geistigen als die fleischlichen Laster. 15, 3
Geistesblindheit und Stumpfheit des Sinnes werden also
mehr von geistigen als von fleischlichen Lastern verur­
sacht.
ANDERSEITS sagt Gregorius, Stumpfheit des Sinnes
hinsichtlich der Verstandeseinsicht gehe auf die Gaumen­
lust zurück, Geistesblindheit auf die Unkeuschheit.
ANTWORT: Die Vollkommenheit verstandhafter Betäti­
gung besteht im Menschen in einer gew issen Loslösung
von den sinnlichen Vorstellungen. Je mehr sich also die
Verstandeseinsicht des Menschen von derartigen Vorstel­
lungen freimacht, desto mehr vermag er übersinnliche
Dinge zu betrachten und alles sinnlich Wahrnehmbare in
das rechte Verhältnis zu setzen. So hat auch Anaxagoras
gesagt, die Verstandeseinsicht m üsse unvermischt sein, um
zu gebieten, und das W irkende m üsse Herr sein über den
Stoff, um ihn bewegen zu können. Es ist nun offensichtlich,
daß die Lustempfindung die Aufmerksamkeit auf solches
einstellt, worin einer Lust empfindet. Daher sagt der Philo­
soph, ein jeder betreibe das am besten, worin er Lust
empfinde, das Entgegengesetzte aber gar nicht oder nur
schwächlich [55]. D ie fleischlichen Laster aber, nämlich
Gaumenlust und Unkeuschheit, bestehen in Lustempfin­
dungen des Tastsinnes, nämlich an den Speisen und im
Geschlechtlichen, welche die stärksten unter allen körper-

QUAESTIO 15, 3

quam carnalia. Ergo caecitas m entis et hebetudo sensus magis


causantur ex vitiis spiritualibus quam ex vitiis carnalibus.
SED CONTRA est quod G regorius, 31 M oral, [cap. 4 5 ], dicit pl 76/621
quod h eb etu d o se n su s circa in te llig en tia m oritur e x gula, cae­
citas a u tem m e n tis e x lu xu ria.
RESPONDEO dicendum quod perfectio intellectualis opera-
tionis in homine consistit in quadam abstractione a sensibilium
phantasmatibus. Et ideo quanto intellectus hom inis m agis fuerit
über ab hujusm odi phantasmatibus, tanto potius considerare
intelligihilia poterit et ordinäre omnia sensibilia: sicut et Ana­
xagoras dixit quod oportet intellectum esse immixtum ad hoc
quod im peret, et agens oportet quod dom inetur super materiam
ad hoc quod possit eam m overe, ut narrat Philosophus in 256b
8 Physic. [cap. 511, Manifestum est autem quod delectatio 24 sqq.
applicat intentionem ad ea in quibus aliquis delectatur: unde
Philosophus dicit in 10 Ethic. [cap. 5] quod unusquisque ea in 1175 a
quibus delectatur optime operatur, contraria vero nequaquam 30 sw
vel debiliter. V itia autem carnalia, scilicet gula et luxuria,
consistunt circa delectationes tactus, ciborum scilicet et vene-
reorum, quae sunt vehem entissim ae inter omnes corporales
1 L o m .: u t n a r r a t P h ilo so p h u s etc.

19* 291
15, 3 liehen Lustempflndungen sind. Daher wird durch diese
Laster die Einstellung des Menschen am meisten den
körperlichen Dingen zugewendet, und in ihrem Gefolge
erfährt die geistige Betätigung des Menschen eine Schwä­
chung, mehr aber noch durch die Unkeuschheit als durch
die Gaumenlust, in dem Maße, w ie die Lust am Ge­
schlechtlichen jene an den Speisen an Stärke übersteigt.
Und so erwächst aus der Unkeuschheit Blindheit des Gei­
stes, welche die Erkenntnis geistiger Güter sozusagen
gänzlich ausschließt; aus der Gaumenlust aber Stumpfheit
des Sinnes, welche den Menschen für derartige Erkennt­
nisgegenstände schwächt. Umgekehrt befähigen die ent­
gegengesetzten Tugenden, Enthaltsamkeit und Keuschheit,
den Menschen am m eisten zu vollkommener geistiger Be­
tätigung. Darum heißt es Dan 1, 17: „D iesen Knaben“,
d. h. den enthaltsamen und beherrschten, „verlieh Gott
W issen und Verständnis für jegliche Schrift und W issen­
schaft.“
Z u l . Mögen auch einige, die fleischlichen Lastern ver­
fallen sind, bisw eilen dies und das aus der Erkenntnis­
welt scharfsinnig erschauen, dank ihrer trefflichen natür­
lichen Begabung oder eines darüber hinaus verliehenen
Gehabens, so ist doch unvermeidlich, daß ihre Einstellung
durch körperliche Lustempfindung gewöhnlich von dieser
ihrer scharfsinnigen Beschauung abgelenkt wird. Und so
können wohl Unreine einiges Wahre wissen, aber infolge
ihrer Unreinheit erfahren sie darin eine Hemmung.

Q U A E S T I O 15, 3

delectationes. Et ideo per haec vitia intentio hom inis maxim e


applicatur ad corporalia, et per consequens debilitatur operatio
hominis circa intelligib ilia: magis autem per luxuriam quam
per gulam, quanto delectationes venereorum sunt vehem entiores
quam ciborum. Et ideo ex luxuria oritur caecitas m entis, quae
quasi totaliter spiritualium bonorum eognitionem excludit: ex
gula autem hebetudo sensus, quae reddit 'hominem debilem
circa hujusmodi intelligibilia. Et e converso oppositae virtutes,
scilicet abstinentia et castitas, m axim e disponunt hominem ad
perfeictionem intellectualis operationis. Unde dicitur Dan. 1,
quod „pueris ihis“, scilicet abstinentibus et continentibus, „dedit
D eus scientiam et disciplinam in omni libro et sap ien tia“.
AD PRIMUM ergo dicendum quod, quamvis aliqui vitiis car­
nalibus subditi possint quandoque subtiliter speculari aliqua
circa intelligibilia, propter bonitatem ingenii naturalis v el habi­
tus superadditi; tarnen necesse est ut ab hac subtilitate con-
tem plationis eorum intentio plerum que retrahatur propter de­
lectationes corporales. Et ita immundi possunt aliqua vera scire,
sed ex sua immundita circa hoc im pediuntur.

292
Z u 2. Das Fleisch wirkt nicht in der W eise auf den 15, 3
vei standhaften Teil, daß es ihn beschaffenheitlich ändert,
wohl aber, indem es auf die genannte W eise seine Betäti­
gung hemmt.
Z u 3. Je entfernter die fleischlichen Laster vom Geiste
sind, desto mehr ziehen sie seine Absicht auf Entlegeneres
ab. Daher hemmen sie in höherem Grade die Beschauung
des Geistes.
QU A ESTIO 15, 3

AD SECUNDUM dicendum quod caro non agit in partem in-


tellectivam alterando ipsani: sed im pediendo operationem ipsius
per modum praedictum.
AD TERTIUM dicendum quod vitia carnalia, quo magis sunt
remota a m ente, eo m agis ejus intentionem ad remotiora distra-
hunt. Unde magis im pediunt mentis contem plationem.

293
1 6 ,1 16. F R A G E
DIE GEBOTE BEZÜGLICH DES GLAUBENS, DER
WISSENSCHAFT UND DER EINSICHT
Nunmehr hat sich die Überlegung den Geboten zuzu­
wenden, die sich auf das oben Behandelte beziehen.
Dazu ergeben sich zwei Einzelfragen:
1. Die Gebote hinsichtlich des Glaubens.
2. Die Gebote hinsichtlich der Gaben der W issenschaft
und der Einsicht.
1. ARTIKEL
Mußten im Alten Gesetz Gebote bezüglich des Glaubens
gegeben werden?
1. Ein Gebot gibt es über