Leitthema
Trainingsmethoden und
Trainierbarkeit
In der Rehabilitation und Prähabi- chenden Stimuli, um strukturelle und Adaptation an diesen progressiven Trai-
litation ist effektives Training für funktionelle Deadaptationen des Orga- ningsreiz, letztlich in der Lage gewesen
den Muskel- und Knochenaufbau nismus zu verhindern. Bettliegestudien sein, den ausgewachsenen Stier anzuhe-
von großer Bedeutung. Doch ist es (in 6° Kopftieflage zur Simulation der ben. Auch die Tatsache, dass die kör-
vielen Patienten beispielweise nach Blutumverteilung in Schwerelosigkeit) perliche Belastung und die Trainierbar-
Verletzungen nicht möglich, die mit einer Dauer von mehreren Wo- keit in einem engen Zusammenhang mit
Lasten zu bewältigen, die für ein ef- chen bis Monate, werden daher häufig der Ernährung steht, scheinen die Men-
fektives Training notwendig sind. verwendet, um die Effekte der Schwe- schen früher bereits erkannt zu haben.
In diesen Fällen kann auch ein er- relosigkeit auf unseren Körper auf der So wird berichtet, dass Milo Unmengen
höhter metabolischer Stress durch Erde zu untersuchen. von Fleisch, Brot und Wein verzehrte.
eine reduzierte Blutversorgung zu Auf der anderen Seite lässt sich am Obwohl diese grundlegenden Beob-
vielversprechenden Ergebnissen Beispiel von Athletinnen und Athle- achtungen schon weit in der Geschichte
führen. ten unterschiedlicher Sportarten und zurückliegen, sind viele der zugrunde-
Disziplinen erkennen, welche Effekte re- liegenden Mechanismen bis heute noch
Adaptation an verschiedene gelmäßig applizierte Trainingsreize auf nicht genau verstanden. In den folgen-
Belastungsreize und unseren Organismus haben. Insbeson- den Kapiteln werden verschiedene Reiz-
Umweltbedingungen dere die Skelettmuskulatur zeigt dabei qualitäten und Adaptationserscheinun-
eine ausgeprägte Plastizität. Die unter- gen zusammen mit verschiedenen Trai-
Der menschliche Organismus zeichnet schiedlichen Phänotypen der einzelnen ningsmethoden vorgestellt.
sich durch eine enorme Anpassungs- Sportlerinnen und Sportler machen da-
fähigkeit an verschiedene äußere Reize bei deutlich, dass die Art der Trainings- Mechanischer Stress als Stimu-
aus. Sinkt die physische Belastung über reize einen entscheidenden Einfluss lus für die Skelettmuskulatur
einen längeren Zeitraum, setzen deadap- auf die Form der Adaptation unseres
tive Mechanismen ein, die beispielsweise Körpers hat. Während hochvolumige- Es ist allgemein bekannt, dass das regel-
in einer Atrophie der Muskulatur sowie niedrigintensive Reize zu muskulären mäßige Überwinden von äußeren Wi-
in einem Verlust der Knochendich- Veränderungen führen, die sich weniger derständen zu einer Zunahme von Kraft
te münden. Derartige Veränderungen in einer Zunahme der Muskelmasse,
lassen sich eindrücklich bei Astronautin- sondern mehr in Form der aeroben Ka-
nen und Astronauten beobachten, deren pazität der Muskulatur äußern, zeigen Abkürzungen
Organismus über die durchschnittliche niedrigvolumige-hochintensive Reize
1RM Einwiederholungsmaximum
Aufenthaltsdauer von 6 Monaten auf der einen größeren Effekt auf das Muskel-
Internationalen Raumstation (ISS) der wachstum bei zeitgleicher Adaptation ACSM American College of Sports
Mikrogravitation ausgesetzt ist. Durch der anaeroben Energiebereitstellung. Medicine
den Wegfall der Stellreflexe sind musku- Die Beobachtung, dass sich unser Or- AKT Aktivierte Proteinkinase
lär insbesondere die langsamen Typ-I- ganismus an regelmäßig applizierte Trai- BFR Blood Flow Restriction
Muskelfasern der Antigravitationsmus- ningsreize anpasst, ist nicht neu. Bereits
kulatur betroffen. Ähnliche bionegative in der Antike trug Milo von Kroton, ein GH Wachstumshormon
Prozesse lassen sich jedoch auch bei griechischer Ringkämpfer, der Legende ISS Internationale Raumstation
längerer Bettlägerigkeit beobachten. So nach, regelmäßig ein Kalb auf seinen
MAPK Mitogenaktivierte Proteinkinasen
fehlt es den Patientinnen und Patien- Schultern. Durch das Wachstum des Tie-
ten, die über einen längeren Zeitraum res erhöhte sich der Trainingsreiz für Mi- mTOR „Mechanistic target of Rapamycin“
immobilisiert sind, ebenfalls an ausrei- lo kontinuierlich und so soll er, durch die PI3K Phosphoinositid-3-Kinase
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und Muskelmasse führt. Auch die Kno- optimalen Trainingsreiz darstellen, um Kraftzuwachs ohne Muskelwachstum
chen reagieren positiv auf solche äußeren einen Muskelaufbau und Kraftzuwachs beobachten [27]. Dies weist darauf hin,
Reize in Form einer Zunahme der Mine- zu induzieren. Trainingswirksame Reiz- dass neben der mechanischen Belastung
ralisation, wodurch die Knochendichte schwellen, wie sie beispielsweise vom noch weitere Faktoren für die trainings-
verbessert wird. Welche Anteile des Be- American College of Sports Medicine induzierte Muskelhypertrophie wichtig
lastungsreizes jedoch für diese anabolen (ACSM) empfohlen werden, unterstrei- sind.
Reaktionen verantwortlich sind, ist bis- chen diese weitverbreitete Ansicht. So
lang noch weitgehend unklar. Bezogen sollen nach den Empfehlungen des Mechanischer Stress als
auf die Skelettmuskulatur sind anabo- ACSM Widerstände von mindestens Stimulus für den Knochen
le Trainingsreize solche Stimuli, welche 65 % des Einwiederholungsmaximums
in einer erhöhten Proteinsynthese mün- (1RM) eingesetzt werden, wenn es das Neben der Skelettmuskulatur profitieren
den und die Zahl der kontraktilen Prote- Ziel ist, die Muskelmasse und -kraft auch die Knochen von der regelmäßigen
ine erhöhen. Entweder werden die Reize zu erhöhen [1]. Unterstützt wird die- Applikation hoher mechanischer Belas-
dabei von Sensorproteinen wahrgenom- se Ansicht durch Übersichtsarbeiten, tungen. Bereits vor über 100 Jahren be-
men, welche über eine Aktivierung von wie die Metaanalyse von Peterson et al. schrieb Julius Wolff den Zusammenhang
Transkriptionsfaktoren die Transkripti- [20], welche eine Dosis-Wirkungs-Bezie- zwischen äußeren Belastungen und der
on und letztlich die Translation erhö- hung zwischen Trainingsintensität und Architektur der Knochen [7]. Vor etwa
hen, oder die Reize üben einen direkten, muskulärer Adaptation haben finden 60 Jahren konkretisierte Harold Frost die-
stimulierenden Einfluss auf die Transla- können. Während untrainierte Personen sen Zusammenhang in einem Modell,
tion der Muskelzellen aus. Als Ergebnis die größten Effekte bei einer Trainings- welches als Mechanostat bezeichnet wird
werden über beide Wege die Menge der intensität von 60 % des 1RM zeigten, [11]. Ähnlich wie zuvor für die Skelett-
kontraktilen Proteine der Muskelzellen lag die optimale Intensität bei Freizeit- muskelfasern beschrieben, führt die me-
erhöht, was sich nicht nur positiv auf die sportlern bei 80 % des 1RM und bei chanische Belastung auch im Knochen-
Muskelmasse, sondern auch auf die Kraft Athletinnen und Athleten bei 85 % des gewebe zu einer intrazellulären Signal-
auswirkt. 1RM. Auch die Beobachtung, dass ex- kaskade, welche letztlich in einem Kno-
zentrische Kontraktionen zur Steigerung chenwachstum mündet. In diesem Model
»stellenHoheeinen
mechanische Reize
effektiven
von Muskelkraft und -masse effektiver
sind als konzentrische Kontraktionen,
wird dem mechanischen Stress, der durch
intensive Muskelkontraktionen hervor-
wird auf die höhere mechanische Be- gerufen wird, eine entscheidende Rolle
Trainingsreiz dar, um lastung zurückgeführt, welche während beigemessen. Im Rahmen dieser Kon-
Muskelaufbau zu induzieren exzentrischen Kontraktionen generiert traktionen, so die aktuelle Vorstellung,
werden kann [24]. kommt es zu einer Verformung der Kno-
Insgesamt weisen die Daten darauf- chenmatrix und damit zu einer intra-
Dank moderner molekularer Untersu- hin, dass kontraktionsbedingter me- kanalikulären Flüssigkeitsverschiebung,
chungsverfahren konnten bereits zahlrei- chanischer Stress und die daraus re- welche von Osteozyten wahrgenommen
che Signalwege der Muskulatur identifi- sultierende Verformung der Musku- und in chemische, knochenaufbauende
ziert werden, welche der anabolen Adap- latur, ein effektiver Trainingsstimulus Signale umgewandelt werden. Während
tation zugrunde liegen. Wenngleich da- ist, um die Muskelkraft und -masse Osteozyten bei dieser Mechanotransduk-
von auszugehen ist, dass wir erst einen zu steigern. Trainingsmethoden, welche tion die Sensorzellen darstellen, sind die
Bruchteil der relevanten Signalwege ken- hohe Kontraktionsintensitäten abver- Osteoklasten und Osteoblasten die da-
nen, so scheint der PI3K-AKT-mTOR- langen, induzieren demnach über den zugehörigen Effektorzellen [16, 25].
Signalweg eine entscheidende Rolle bei mechanosensitiven PI3K-AKT-mTOR- Laut dem Modell von Frost existie-
der trainingsinduzierten Muskeladapta- Signalweg die genannten biopositiven ren dabei biowirksame Schwellen für
tion zu spielen. Es konnte gezeigt werden, Adaptationen der Skelettmuskulatur. die Belastungsintensität, die über die
dass dieser Signalweg durch mechano- Das klassische Krafttraining an Kraft- Art der Knochenanpassung entschei-
sensitive molekulare Mechanismen ge- geräten oder Freihanteln, insbesondere den. Liegt die regelmäßige Belastung
steuert wird [23]. Druck- und Zugspan- unter Akzentuierung der exzentrischen zwischen 800 und 1500 μStrain, dann
nungen, welche die Muskelzelle verfor- Kontraktionsanteile, ist hierfür als Trai- ist die Bilanz zwischen Knochenab-
men, werden dabei durch spezialisierte ningsform besonders geeignet. Es ist und -aufbau ausgeglichen. Niedrigere
Sensorproteine (Integrine), die die Extra- jedoch zu berücksichtigen, dass nicht Belastungen (<800 μStrain) führen zu
zellularmatrix mit den Sarkomeren ver- alle Trainingsformen, bei denen hohe einer negativen, und höhere Belastun-
binden, wahrgenommen und in intrazel- mechanische Belastungsreize appliziert gen (>1500 μStrain) zu einer positiven
luläre chemische Signale umgewandelt. werden, auch mit einer Hypertrophie Knochenbilanz. Die Bedeutung hoher
Es ist naheliegend daraus abzuleiten, einhergehen. Nicht selten lassen sich, mechanischer Belastungen für den Kno-
dass hohe mechanische Reize, wie sie im insbesondere bei Belastungsprotokol- chenaufbau wird durch die Tatsache un-
klassischen Krafttraining auftreten, den len mit geringer Kontraktionsdauer, ein terstrichen, dass die Knochendichte von
Der Orthopäde
Zusammenfassung · Abstract
Der Orthopäde
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schetten/Bandagen appliziert wird, sollte Wenn jedoch der metabolische Stress Belastungsprotokolle mit
dabei gerade so groß sein, dass der arte- als wichtiger anaboler Reiz für die ge- niedriger Intensität und hohem
rielle Zufluss zur Muskulatur reduziert nannten Effekte des BFR-Trainings ver- Volumen als Stimulus für den
und der venöse Rückstrom unterbunden antwortlich ist, dann stellt sich die Frage, Knochen
ist. Dadurch entsteht ein sogenanntes ob nicht auch andere, niedrigintensi-
venöses Pooling. Bereits in zahlreichen ve Trainingsmethoden, die mit einem Nach dem Modell von Frost [11] bedarf
Studien konnte gezeigt werden, dass metabolischen Stress einhergehen, ver- es einer Belastung der Knochen von
sich unter diesen Bedingungen positive gleichbare Effekte auslösen können. So mindestens 1500 μStrain, um osteogene
Muskeladaptationen induzieren lassen, wäre denkbar, dass auch solche Belas- Effekte zu erzielen. Weiterhin besagt
selbst wenn der äußere Widerstand bei tungsreize zu einem Muskelkraft- und das Modell, dass diese Effekte mit zu-
gerade einmal 20–30 % des individuellen Muskelmassezuwachs führen, die oh- nehmender Belastungsintensität weiter
1RM und damit deutlich unter dem vom ne BFR bis zur muskulären Ermüdung steigen. Wie bereits weiter oben dar-
ACSM empfohlenen Mindestwiderstand ausgeführt werden. Diese Annahme gestellt, sind solche Programme jedoch
liegt. Gemäß einer aktuellen Übersichts- wird unterstützt von den Ergebnissen für manche Zielgruppen ungeeignet. So
arbeit und Metaanalyse ist sogar Walking von Burd et al. [8], welche verschie- würde man beispielsweise von einem
in Kombination mit BFR geeignet, um dene Belastungsschemata miteinander hochintensiven Krafttraining absehen,
Muskelwachstum sowie Kraftzuwächse verglichen haben. Die Autoren konn- wenn die Belastbarkeit des skelettalen
zu induzieren [9]. ten anhand von Biopsaten zeigen, dass Systems herabgesetzt ist oder kardiovas-
Die zugrundeliegenden Mechanis- einige der untersuchten anabolen Signal- kuläre Grunderkrankungen die Belast-
men der so induzierten Anpassung der moleküle infolge des niedrigintensiven barkeit einschränken. Vor diesem Hin-
Muskulatur sind bislang noch weitge- Belastungsprotokolls (30 % des 1RM), tergrund wäre es auch für das Training
hend ungeklärt. Es wird jedoch davon welches bis zur muskulären Erschöpfung zur Verbesserung der Knochendichte
ausgegangen, dass der metabolische ausgeführt wurde, stärker anstiegen, als wünschenswert, Trainingsmethoden zur
Stress, der bei dieser Trainingsmethode nach dem hochintensiven Belastungs- Verfügung zu haben, welche osteoge-
auf die Muskelzellen wirkt, eine wichtige protokoll. Zudem berichten manche ne Effekte auch bei niedrigen äußeren
Rolle spielt. So führt die verminderte Autoren über vergleichbare Effekte in Belastungen erzielen können. Inwieweit
Blutzufuhr zu einer Diskrepanz zwischen Hinblick auf Muskelkraft und Muskel- hier der metabolische Stress der Mus-
Sauerstoffbedarf und Sauerstoffangebot masse zwischen hochintensiven und kulatur beitragen kann, ist noch nicht
an der arbeitenden Muskulatur, wodurch niedrigintensiven Krafttrainingsproto- untersucht. Denkbar wäre jedoch, dass
die zunächst rekrutierten aeroben Typ- kollen, wenn beide bis zur muskulären hormonelle Veränderungen, die sich
I-Fasern ermüden. Zur Fortführung Ermüdung ausgeführt werden [14, 17]. infolge des metabolischen Stresses ein-
der Bewegung und Aufrechterhaltung Daraus lässt sich ableiten, dass auch stellen, osteogene Effekte hervorrufen.
der Leistung ist der Körper nun ge- ohne BFR-Training anabole Effekt indu- So ist bekannt, dass belastungsinduzier-
zwungen (entgegen des Henneman- ziert werden können und die reduzier- ter metabolischer Stress unter anderem
Rekrutierungsprinzips), Typ-II-Fasern te Blutzufuhr beim BFR-Training den mit einem Anstieg des Wachstumshor-
hinzuzuziehen. Durch diese Vorgänge metabolischen Stress nur nach weni- mons (GH) assoziiert ist [12], welches
kommt es letztlich zu einer Akkumulati- ger Wiederholungen hervorruft. Dafür einen entscheidenden Einfluss auf das
on von Metaboliten, wodurch Myokine, spricht auch eine aktuelle Studie, die Knochenwachstum und den Knochen-
reaktive Sauerstoffspezies und Hormone keinen Unterschied im metabolischen metabolismus ausübt [19]. Vor diesem
freigesetzt werden, die über verschie- Stress (gemessen am Laktatanstieg), dem Hintergrund ist ein osteogener Effekt
dene Signalwege das Muskelwachstum Anstieg anaboler Hormone oder in der niedrigintensiver Belastungen zumin-
fördern könnten. Ein weiterer anaboler induzierten Schwellung nach exzentri- dest denkbar.
Faktor könnte in der durch BFR-Training schen Kontraktionen mit oder ohne BFR Tatsächlich gibt es erste Hinweise
vermittelten Schwellung der Muskulatur finden konnte [3]. Diese Daten weisen darauf, dass sich ein niedrigintensives
bestehen. So wird vermutet, dass der da- darauf hin, dass das BFR-Training als Krafttraining mit BFR positiv auf die
durch entstehende intrazelluläre Druck Trainingsmethode primär dazu dient, Knochenstruktur auswirkt. So berichten
von integrinassoziierten Osmosensoren den metabolischen Stress vorzeitig her- Bittar et al. [6] in einer aktuellen Über-
wahrgenommen und in chemische Si- vorzurufen. Ob darüber hinaus noch sichtsarbeit über vereinzelte Studien, die
gnale umgewandelt wird. Es wird davon weitere BFR-vermittelte Effekte (z. B. eine erhöhte Expression von Knochen-
ausgegangen, dass der so angestoßene durch das venöse Pooling) induziert bildungsmarkern und eine verminderte
Signalweg unabhängig von mTOR ab- werden, ist noch nicht klar. Expression von Knochenresorptions-
läuft und stattdessen mitogenaktivierte markern nach einem BFR-Training fin-
Proteinkinasen (MAPK) involviert sind den konnten. Als zugrundeliegenden
[26]. Der genaue Ablauf der schwel- osteogenen Mechanismus vermuten die
lungsinduzierten Mechanotransduktion Autoren der Übersichtsarbeit einen er-
ist jedoch noch unklar [28]. höhten intramedullären Druck und ein
Der Orthopäde
erhöhtes interstitielles Flüssigkeitsvo- galt z. B. als gesichert, dass ein Krafttrai- lebenslange Gesundheit des Skeletts dar-
lumen im Knochen, welche durch das ning im Kindes- und Jugendalter, auf- stellt [29], ist diese Trainierbarkeit der
BFR-induzierte, venöse Pooling hervor- grund der geringeren Serumkonzentra- Knochenstruktur von großer klinischer
gerufen werden. Aber auch ohne BFR tionen anaboler Hormone, als nicht ef- Bedeutung.
scheinen niedrigintensive Belastungen fektiv einzustufen sei. Auch die Knochen Hervorzuheben ist jedoch auch, dass
in der Lage zu sein, die Knochendichte seien in diesen Altersstufen im Rahmen die Trainierbarkeit der Muskelkraft und
positiv zu beeinflussen. So berichten eines Krafttrainings besonders gefähr- -masse auch im höheren Lebensalter er-
beispielsweise Nicholson et al. [18], dass det. Es konnte inzwischen in zahlreichen halten bleibt. So konnten Peterson et al.
niedrigintensive Belastungen bei sehr Studien und Übersichtsarbeiten gezeigt [22] in einer umfangreichen Metaanaly-
hohen Wiederholungszahlen dazu bei- werden, dass ein Krafttraining im Kin- se über 49 Studien, mit insgesamt 1328
tragen, den Knochenabbau in der Len- des- und Jugendalter effektiv und sicher Probanden im Alter von 65,5 ± 6,5 Jah-
denwirbelsäule bei postmenopausalen ist [10]. Zudem zeigt sich keine beson- ren, zeigen, dass Krafttraining die „Lean
Frauen zu verhindern. Interessanterwei- dere Trainierbarkeit der Muskelkraft in Body Mass“ signifikant (P < 0,001) um
se zeigen niedrigintensive (40 % 1RM) der Pubertät, wo die Konzentrationen der 1,1 kg (95 % CI = 0,9–1,2 kg) erhöhte. In
und hochintensive Trainingsprotokolle anabolen Hormone insbesondere bei den einer weiteren Metaanalyse, über 47 Stu-
(80 % 1RM) vergleichbare Effekte auf die Jungen enorm ansteigen [2]. Vielmehr dien, mit insgesamt 1079 Probanden
Knochendichte, wenn das Trainingsvolu- zeigt die Trainierbarkeit der Kraft im Kin- im Alter von 67,4 ± 6,3 Jahren, zeigten
men vergleichbar ist [4]. Insgesamt muss des- und Jugendalter eine nur geringe Zu- Peterson et al. [21], dass Krafttraining
jedoch gesagt werden, dass die Datenlage nahme mit dem chronologischen Alter. auch die Kraft signifikant verbesserte. So
zum Einfluss niedrigintensiver Belastun- In Bezug auf die Trainierbarkeit der Mus- stieg beispielsweise die äußere Last, die
gen und des metabolischen Stresses auf kelmasse weist die Datenlage jedoch auf auf der Beinpresse bewegt werden konn-
das Knochenwachstum bislang sehr ein- eine geringere Trainierbarkeit vor der Pu- te, um 31,6 kg (95 % CI = 27,6–35,7 kg;
geschränkt ist. Daher können bislang bertät hin. Während viele der frühen Stu- p < 0,001) an. Vergleichsweise wenige
noch keine gesicherten Aussagen zu den dien zu diesem Thema aufgrund unge- Studien haben jedoch den direkten Ver-
osteogenen Effekten solcher Trainings- eigneter Messmethoden (Umfangsmes- gleich in der Trainierbarkeit der Mus-
methoden getroffen werden, welche über sungen mithilfe von Maßbändern) kriti- kelkraft und -masse zwischen älteren
diese Reize auf das Knochengewebe ein- siert wurden, zeigen auch neuere Studi- und jüngeren Erwachsenen angestellt
wirken. en mit hochpräzisen Methoden Nachteile und die Ergebnisse sind zum Teil wider-
im Hinblick auf die trainingsinduzierte sprüchlich. Insgesamt weist die Mehrheit
Trainierbarkeit Hypertrophie für präpubertäre Kinder. der Studien jedoch darauf hin, dass die
So konnten Granacher et al. [13] nach ei- Trainierbarkeit der Kraft zwischen bei-
Die Trainierbarkeit unseres Körpers ist nem intensiven Krafttraining über einen den Altersstufen vergleichbar und die
von zahlreichen Faktoren abhängig, de- Zeitraum von 10 Wochen selbst mithilfe Trainierbarkeit der Muskelmasse bei äl-
ren isolierte Betrachtung den Rahmen von MRT-Messungen bei präpubertären teren Erwachsenen niedriger ist als bei
dieses Artikels sprengen würde. Hier Kindernkeine Hypertrophie nachweisen. jüngeren Erwachsenen.
spielen neben der Genetik, der Ernäh-
rung, dem Alter, dem Geschlecht noch
zahlreiche andere Faktoren eine Rolle. »Muskelkraft
Die Trainierbarkeit der
und -masse bleibt
Fazit für die Praxis
Viele dieser Faktoren lassen sich je- 4 Regelmäßig applizierter mecha-
doch nach dem Modell von Toigo und auch im höheren Lebensalter nischer Stress ist ein geeigneter
Boutellier [30] als Response-Matrix zu- erhalten Trainingsreiz zur Steigerung von
sammenfassen. Diese Response-Matrix Muskelkraft und -masse sowie zur
lässt sich als Gesamtheit aller indivi- Verbesserung der Knochendichte.
dueller Faktoren verstehen, auf welche Im Gegensatz dazu konnte in Bezug auf 4 Neuere Untersuchungen weisen da-
ein applizierter Trainingsreiz trifft. Erst die Trainierbarkeit der Knochen gezeigt rauf hin, dass auch der metabolische
die genaue Definition der Response- werden, dass insbesondere Kindervorder Stress als Trainingsreiz dazu geeignet
Matrix sowie des Trainingsreizes selbst, Pubertät von einem Krafttraining profi- ist, die Muskelkraft und -masse zu
erlaubt eine Interpretation der Trai- tieren. So konnte in einer Übersichtsar- steigern.
nierbarkeit. Leider mangelt es jedoch beit zu diesem Thema gezeigt werden, 4 Das klassische Krafttraining, mit
vielen publizierten Studien an genau dass Krafttraining oder andere „lasttra- Belastungen über 65 % des Ein-
diesen präzisen Beschreibungen, sodass gende Tätigkeiten“ nur im präpubertä- wiederholungsmaximums, ist eine
eine Interpretation der Trainierbarkeit ren Alter mit einem signifikanten An- geeignete Trainingsmethode, um die
in vielen Bereichen eingeschränkt ist. stieg der Knochenmineralisation einher- mechanische Belastung zu applizie-
Exemplarisch soll an dieser Stelle das gingen. Da die Knochenmasse, die wäh- ren.
Alter als Einflussfaktor herausgegriffen rend der Kindheit erreicht wird, mögli- 4 Das Blood-Flow-Restriction-Training
und näher beleuchtet werden. Lange Zeit cherweise der wichtigste Faktor für eine mit niedrigen Intensitäten ist ge-
Der Orthopäde
Leitthema
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