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Herausgeber
Therapie er
posttraumatischen
Belastungs-
störungen
2., überarbeitete und ergänzte Auflage
Mit 20 Abbildungen
und 13 Tabellen
'Springer
Professor Dr. Andreas Maercker
Universität Zürich
Klinische Psychologie und Psychotherapie
Zürichbergstraße 43
8044 Zürich, Schweiz
e-mail: maercker@klipsy.unizh.ch
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http://www.springer.de/medizin
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Andreas Maercker
Zürich, im März 2003
Sektionsverzeichnis
Autorenverzeichnis -IX
Teil I Posttraumatische Belastungsstörungen:
Grundlagen uncj Therapiemethoden - 1
Teil II Spezifische Traumagruppen - 139
VIII Inhaltsverzeichnis
In ha ltsverzeich nis
8 Kognitive Verarbeitungstherapie
Erscheinungsbild, Erklärungsansätze für Opfer sexuellen Missbrauchs 141
und Therapieforschung . . . . ... .. . 3 P. Nishith, P. A. Resick
A. Maercker
9 Behandlung erwachsener Opfer
2 Besonderheiten bei der Behandlung sexuellen Kindesmissbrauchs 167
der posttraumatischen Belastungs- K. Wenninger, A. Boos
störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
A. Maercker 10 Notfallpsychologische Interventionen
bei akuter Belastungsstörung ... . . . 185
3 Diagnostik und Differenzial- ]. Bengel
diagnostik . . . .. .... .. . . . . . .. . 53
M. Schützwohl 11 Betreuung von Katastrophenopfern
am Beispiel der Explosionskatastrophe
4 Kognitive Verhaltenstherapie im Braunkohlebergbau Borken 205
bei posttraumatischen Belastungs- G. Pieper
störungen . . ... .. .... . .... . . . 75
B. 0. Rothbaum, E. B. Foa, E. A. Hembree 12 Folteropfer und Opfer
politischer Gewalt . . . . . . . . . . . . . 221
5 Kognitive Aspekte bei der Behandlung N. F. Gurris, M. Wenk-Ansohn
der posttraumatischen Belastungs·
störung ..... . ... . .... . . . ... . 91 13 Soldaten nach militärischen
R. Steil, A. Ehlers, D. M. Clark Einsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
K. Wothe, K. Siepmann
6 Persönlichkeitsstile
und Belastungsfolgen 107 14 Therapie posttraumatischer Stress-
M.]. Horowitz reaktionen bei Verkehrsunfall·
verletzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
7 Psychopharmakatherapie . . .. ... . . 129 E. Nyberg, U. Frommberger, M. Berger
M. Bauer, S. Priebe
15 Posttraumatische Belastungsstörungen
bei Kindern und Jugendlichen 281
R. Steil
16 Chronische posttraumatische
Belastungsstörungen im Alter 309
C. S. Hankin
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
Autorenverzeichnis IX
Autorenverzeichnis
Bauer, Michael, Priv.-Doz. Dr. Dr. Gurris, Norbert F., Prof.
Klinik für Psychiatrie, Universitätsklinikum, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin,
Medizinische Fakultät Köpenicker Allee 39-57, 10318 Berlin
der Humboldt-Universität zu Berlin,
Campus Charite Mitte, Hankin, Cheryl S., Ph. D.
Schumannstraße 20/21, 10117 Berlin DVA Edith Nourse Rogers, Memorial Hospital,
HSR & D (152),
Bengel, Jürgen, Prof. Dr. Dr. 200 Springs Road, Bedford, MA 01730, USA
Abt. für Rehabilitationspsychologie,
Institut für Psychologie, Hembree, Elizabeth A., Ph. D.
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Center for the Treatment and Study of Anxiety,
Engelbergerstraße 41, University of Pennsylvania,
79085 Freiburg 3535 Market Street, Philadelphia, PA 19104, USA
Übersetzung Kapitel 4:
OKraft, Michael, Dr.
Hartwig-Hesse-Straße 24,
20257 Harnburg
Posttraumatische
Belastungsstorungen:
Grundlagen
und
Therapiemethoden
1
A. Maercker
1.3 Erklärungsansätze - 17
1.3.1 Lerntheoretische, kognitive und biologische Ansätze - 18
1.3.2 Ein multifaktorielles Rahmenmodell - 24
14 herapieformen nd Therapieforschung - 28
1.4.1 Überblick über Therapieformen - 28
1.4.2 Empirische Erfolgskontrolle - 31
1.4.3 Multimodales therapeutisches Vorgehen - 32
Literatur - 33
4 Kapitel 1 · Erscheinungsbild, Erklärungsansatze und Therapieforschung
Menschlich verursachte Traumen Die Typ-1-Traumen sind meist durch akute Le-
(engl. »man made disasters«) bensgefahr, Plötzlichkeit und Überraschung ge-
kennzeichnet (Terr, 1989).
Sexuelle und körperliche Misshandlungen
in der Kindheit,
kriminelle und familiäre Gewalt. Längerdauernde, wiederholte Traumen
Vergewaltigungen, (Typ-11-Traumen)
Kriegserlebnisse,
Geiselhaft,
zivile Gewalterlebnisse (z. B. Geiselnahme),
mehrfache Folter,
Folter und politische Inhaftierung,
Kriegsgefangenschaft,
Massenvernichtung (KZ-, Vernichtungs-
KZ-Haft,
lagerhaft).
wiederholte sexuelle oder körperliche
Gewalt in Form von Kindesmissbrauch,
Kindesmisshandlung sowie wiederholten
Katastrophen, berufsbedingte Vergewaltigungen.
und Unfalltraumen
Naturkatastrophen,
Die Typ-li-Traumen sind durch Serien verschie-
technische Katastrophen
dener traumatischer Einzelereignisse und durch
(z. B. Giftgaskatastrophen),
geringe Vorhersagbarkeil des weiteren traumati-
berufsbedingte (z. B. Militär, Polizei,
schen Geschehens gekennzeichnet.
Feuerwehr),
Für alle genannten Traumen sind die gleichen
Arbeitsunfälle (z. B. Grubenunglück).
psychischen Symptome beschrieben worden, wie
Verkehrsunfälle.
sie in den Hauptkriterien der PTB definiert wur-
den (Intrusionen, Vermeidung, emotionale Taub-
Für weitere schwere Lebensereignisse (z. B. heit, Hyperarousal). Es hat sich allerdings ge-
Krankheiten, Suizide in der Familie), die nicht zeigt, dass einerseits die willentlich durch Men-
oder nur schlecht in diese Einteilung passen, schen verursachten Traumen und andererseits
wird diskutiert, ob sie als Traumen im Sinne die zeitlich länger andauernden Typ-II-Traumen
der Definitionen des Störungskonzepts aufgefasst in vielen Fällen zu stärker beeinträchtigenden
werden sollten. Insbesondere gilt dies für lebens- und chronischeren psychischen Folgen führen
bedrohliche Krankheiten (z. B. Krebs, Aids), da können als die anderen Formen.
diese oftmals von typischen posttraumatischen Insbesondere für die Folgen der länger an-
Symptomen begleitet werden. dauernden, wiederholten Typ-li-Traumen sind
eine Reihe zusätzlicher Symptomgruppen be-
schrieben worden, die im Abschn. 1.2.2 (»Weitere
posttraumatische Veränderungen«) dieses Kapi-
tels genauer dargestellt werden.
6 Kapitel 1 · Erscheinungsbild, Erklärungsansätze und Therapieforschung
Belastende Träume Wiederkehrende Träume, die Erinnerungen oder Erinnerungsbruchstücke des Traumas
bzw. Alpträume beinhalten. ln Alpträumen können die Erinnerungen sehr verzerrt sein. Verlaufen oft
jahrelang nach dem gleichen Muster.
I
Erinnerungsattacken Engl. •flashbacks«. Erinnerungsanacken, die durch ihre Plötzlichkeil und Lebendigkeit
gekennzeichnet sind. Sind meist nur kurzdauernd und gehen mit dem Gefühl einher,
das traumatische Ereignis noch einmal zu durchleben. Nähe zu Illusionen, Halluzina·
tionen und dissoziativen Verkennungszuständen.
Belastung durch Schlüsselreize wie gleiche Gegenstände, Geräusche, Düfte rufen regelmäßig
symbolisierende belastende Erinnerungen an das Trauma wach. Zu den Schlüsselreizen gehören
Auslöser auch Jahrestage und Darstellungen des Schicksals anderer (z. B. Im Film).
Gedanken- und Bewusstes Vermeiden von Gedanken und Gefühlen, die an das Trauma erinnern
Gefühlsvermeidung (z.B. eigene Gedankenstoppversuche bzw. Selbstkommentare: •Ich mache mich sonst
nur selbst verrückt«). Unabhängig vom Erfolg der Vermeidungsbemühungen.
I
Aktivitäts- oder Phobisches Vermeiden von Aktivitäten oder Situationen, die Erinnerungen an das
Situationsvermeidung Trauma bewirken (z. 8. Ort des Traumas umgehen; nicht mehr aus dem Haus gehen zur
Tageszeit. an dem das Trauma passierte).
I
(Teii-)Amnesien Wichtige Elemente des traumatischen Geschehens können nicht mehr erinnert werden
(z. B. von Ort x nach Ort y gekommen zu sein). Im Extremfall kann das ganze
traumatische Geschehen nicht mehr erinnert werden; es herrschen nur unscharfe
Erinnerungen oder Erinnerungsbruchstücke vor. Die Amnesien dürfen nicht durch
einfache Vergesslichkeit oder durch organische Ursachen (z. 6. Schädelhirntrau mal
erklärbar sein.
Interesse- Deutlich vermindertes Interesse an wichtigen Aktivitäten des täglichen Lebens oder an
verminderung individuell vor dem traumatischen Erlebnis gern ausgeführten Aktivitäten
(z. B. Karrierebemühungen, Hobbies).
Entfremdungsgefühl Gefühl der losgelöstheil oder Fremdheit von anderen Personen, die nicht das gleiche
traumatische Ereignis erlebt haben. Subjektiv unüberwindlich empfundene Kluft
zwischen den anderen und einem selbst (und entsprechenden Leidensgefährten).
Selbst Familienmitgliedern gegenüber herrscht das Entfremdungsgefühl vor.
Eingeschränkter Empfindung, dass das Trauma das eigene Gefühlsleben zerstört hat, z. B. die Fähigkeit
Affektspielraum jemanden zu lieben, sich zu freuen aber auch die Fähigkeit zu Trauer oder Mitleid. Die
Betroffenen fühlen sich wie erstarrt oder wie abgestumpft.
8 Kapitel 1 · Erscheinungsbild, Erklärungsansätze und Therapieforschung
Eingeschränkte Sowohl das Gefühl, dass nichts Wichtiges mehr im eigenen Leben passieren kann,
Zukunft als auch das Gefühl, das Trauma bzw. seine Verursacher haben Jahre (oder •die beste
Zeit•) des Lebens zerstört und diese können nie wieder ersetzt werden. Zukunftspläne
werden nicht mehr gemacht.
Ein- und Durch- Nach dem Trauma einsetzende Schlafstörungen beider Arten, teilweise - aber nicht
schlafschwierigkeiten notwendigerweise - im Zusammenhang mit Intrusionen bzw. belastenden Träumen
oder Alpträumen.
Erhöhte Reizbarkeit Leichtes »auf 180« kommen, oftmals Wutausbrüche, wozu vor dem Trauma noch keine
Neigung bestand. Kann oft von den Betreffenden schlecht selbst beurteilt werden und
ist nur indirekt über die Frage »Würden Ihre Angehörigen das so sehen« zu explorieren. I
Konzentrations· Ausgeprägte Schwierigkeiten, sich auf einfache Abläufe zu konzentrieren (z. B. Buch
Schwierigkeiten lesen, Film sehen, Formular ausfüllen). Den Betroffenen kann klar oder auch selbst
unklar sein, dass sie in solchen Momenten intrusive Erinnerungsschübe haben.
Übermäßige Nach dem Trauma vorhandene, sehr leichte Erschreckbarkeit, die schon durch leichte
Schreckreaktion Geräusche und Bewegungen ausgelöst werden kann.
Außerdem sollte mit diesen Untersuchungen ab- sammengefasst wurden, voneinander abzugren-
gesichert werden, dass die Störung diagnostisch zen. Faktorenanalysen von Symptomlisten bei
zuverlässig erfassbar ist und alle wesentlichen Kriminalitätsopfern haben diese Trennung nahe-
Merkmale und Symptome berücksichtigt sind. gelegt (Foa et al., 1995). Konzeptionell macht die
Bei der Untersuchung großer Gruppen von Be- Trennung der Symptome auch deshalb Sinn, da
troffenen wurde übereinstimmend bestätigt, dass die Vermeidungssymptome eher phobischen
Symptome aus den 3 Symptomgruppen bei den Charakter haben und Symptome der emotionalen
verschiedensten Traumaarten gefunden werden, Betäubung verschiedene Anzeichen negativer Af-
unabhängig davon, ob bei den Betroffenen ein fektivität zusammenfassen.
Trauma durch Naturkatastrophen, Kriminalität, Die Unterscheidung beider Symptomgruppen
Vergewaltigung oder ein anderes traumatisches ist durchaus therapierelevant Bei einem Vorherr-
Ereignis ausgelöst wurde (Davidson & Foa, 1993). schen von phobischen Vermeidungssymptomen
a Abbildung 1.1 zeigt, dass es ein ähnliches Symp- kann die direkte Konfrontationstechnik bessere
tomprofil bei verschiedenen Traumen gibt, was Ergebnisse erbringen, während beim Vorherr-
die Annahme eines einheitlichen Störungsbildes schen von emotionalen Betäubungsgefühlen eher
stützt. eine kognitive Umstrukturierung wirksam sein
Untersuchungen haben allerdings ergeben, kann (vgl. Ehlers et al., 1997).
dass es sinnvoll ist, die Vermeidungs- und Taub-
heitssymptome, die früher zu einer Gruppe zu-
~ 80
.S
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----er- Naturkatastrophe•
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····<>···· Vergewaltigung b
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'"' 60
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40
20
Kurzbezeichnung Erläuterungen
Beeinträchtigtes Ausgeprägte Überzeugung, ein beschädigtes Leben zu führen. das nicht mehr zu
Identitätsgefühl reparieren ist bzw. ausgeprägte Überzeugungen, im Leben etwas falsch gemacht
zu haben, dafür verantwortlich zu sein. Permanente Schuld· und Schamgefühle
anderen Personen gegenüber.
Angststörungen
1.2.3 Nosologie
Im DSM-System (DSM-IV; American Psychiatrie
Die Einordnung der PTB in eine übergeordnete Association, 1994) wird die PTB zu den Angst-
Gruppe psychischer Störungen ist lange kontro- störungen gerechnet (s. Übersicht). Dafür spre-
vers diskutiert worden. Die verschiedenen Alter- chen zunächst die 2 angstgetönten Bereiche der
nativen für eine Zuordnung waren die Belas- PTB-Symptomatik:
tungsstörungen, Angststörungen oder dissoziati- - Die körperlichen Reaktionen bei Konfronta-
ven Störungen. In der deutschsprachigen psychi- tionen mit Erinnerungen an das Trauma (z. B.
atrischen Tradition sind außerdem die »reaktiven Schwitzen, Atemnot, Herzbeschwerden) und
Depressionen« ein möglicher Oberbegriff. Alle - die phobische Vermeidung von Gedanken,
genannten Störungsgruppen haben bestimmte Aktionen und Situationen, die an das Trauma
Merkmale mit der PTB gemeinsam. Die Suche erinnern.
nach der Sachgerechtesten nosologischen Zuord-
nung ist ein Weg, die Forschungen über zugrun- Auf der physiologischen Ebene haben Angst-
deliegende Prozesse der Störungen zu stimulieren störungen und PTB die ausgeprägte sympathiko-
und spezifische therapeutische Wirkprinzipien tone Hyperreaktivität gemeinsam. Ein wesentli-
auch für die PTB anzuwenden. ches Gegenargument gegen die Einordnung in
die Angststörungen ist jedoch, dass bei einer
Belastungsstörungen PTB immer eine äußere Verursachung vorhanden
ist, was bei den übrigen Angststörungen eher ei-
Die PTB wird im !CD-System in die Gruppe der ne seltene Ausnahme ist (Jones & Barlow, 1991).
Belastungsstörungen eingeordnet. Andere spezi-
fische Störungen dieser Gruppe sind die akute
Belastungsreaktion und die verschiedenen An- Klassifikation der Angststörungen
passungsstörungen (z. B. mit Depressionen, (oder Angst- und Phobische Neurosen)
Störungen des Sozialverhaltens). Die Belastungs- nach dem DSM-IV
störungsgruppe ist sehr unspezifisch definiert. Panikstörung mit/ohne Agoraphobie
Da außer dem gemeinsamen Merkmal eines je- Agoraphobie ohne Panikstörung
weils auslösenden Ereignisses keine gemein- Soziale Phobie
samen pathogenetischen Prozesse beschrieben Einfache Phobie
worden sind, gibt es wenig Anhaltspunkte für Ge- Zwangsstörung
meinsamkeiten. Die Zusammenfassung in einer Posttraumatische Belastungsstörung
Störungsgruppe ist auch in Bezug auf die Zeitver- Generalisierte Angststörung
läufe und indizierten Behandlungsmöglichkeiten Angststörung NNB
sehr inhomogen und vage. Die Gruppenzuord-
nung unterstellt implizit, dass die Störungen
nur transitorisch sind und nach gewissen Zeit-
räumen spontan heilen. Solche Spontanheilungen
14 Kapitel 1 · Erscheinungsbild, Erklärungsansätze und Therapieforschung
sich dadurch das Umschalten auf die eigentliche verletzlich.« Dieses Selbstbild steht mit dem noch
Aufgabe, die Benennung der Schriftfarbe, verzö- erinnerten früheren Selbstbild: »Ich bin kompetent
gert hatte. Vergleichbare Effekte wurden bei Frau- und stabil« in Konflikt.
en mit PTB nach Vergewaltigungen gefunden
(Cassiday et al., 1992; Foa et al., 1991). Änderung von Schemata nach Traumen. Im Er-
klärungsansatz von Horowitz (1976/1997) stehen
die Veränderungen der Selbst- bzw. Rollensche-
Veränderte kognitive Schemata mata im Mittelpunkt. Das Trauma führt danach
Verschiedene Autoren stellen die Änderung von vorrangig zu einer Veränderung des Selbstbilds
Schemata nach Traumen in den Mittelpunkt ihrer bzw. des Gefüges von Rollen der betroffenen Per-
ätiologischen Konzepte (Horowitz, 1997; Janoff- son. Horowitz nimmt an, dass die traumatisch
Bulman, 1985, 1995). Die Theorien zu veränder- veränderten Schemata so lange im Gedächtnis
ten kognitiven Schemata setzen mit ihrer Erklä- aktiviert bleiben, bis sie durch weitere Informati-
rung insbesondere an folgenden PTB-Sympto- onsaufnahme und -Verarbeitung eine Passfähig-
men an: keit mit den früheren und den übrigen Schemata
- Gefühl der Fremdheit oder Losgelöstheit von erreicht haben, die neuen Schemata also inte-
anderen (Entfremdungsgefühl), griert werden können.
- Eindruck einer eingeschränkten Zukunft. Für das eben genannte Beispiel 2 heißt das,
die traumatisch veränderten Schemata bleiben
Die Modelle bieten darüber hinaus Erklärungs- solange aktiviert, bis der Betroffene akzeptieren
kraft für verschiedene Intrusions- und Vermei- kann, dass er zeitweise ein schwacher und ver-
dungssymptome. letzlicher Mensch ist.
Kognitive Schemata sind als im Gedächtnis In der Aktivierungsphase der schematischen
repräsentierte Informationsmuster definiert, die Repräsentationen und bevor diese integriert wor-
die Wahrnehmung und das Verhalten steuern den sind, kommt es zu Intrusionen und zu einer
und organisieren. Klinisch relevante Schemata starken emotionalen Belastung. Um diese Belas-
sind das Selbstschemata, das sich wiederum in tung zu mindern, wirken nach Horowitz kogniti-
verschiedene Kompartimente zerlegen lässt (mul- ve Kontroll- oder Abwehrprozesse, z. B. in Form
tiple Selbstschemata, Selbstbilder oder Rollen), von Vermeidung, Verleugnung oder emotionaler
sowie die Schemata wichtiger Bezugspersonen Taubheit. Wann immer die kognitive Kontrolle
und die globalen Welt-Schemata (oder »Welt- nicht vollständig gelingt, wird das Trauma intru-
anschauungen«). siv wiedererlebt, was wiederum zu starken emo-
tionalen Belastungen und somit zu erneuter Ver-
Q Beispiel meidung oder Verleugnung führt.
Beispiell:
Ein Mensch, der bisher ein großes Maß an Ver-
trauen in andere Menschen hatte (vertrauensvol- Eine Wiederherstellung der Gesundheit
les Welt-Schema), bildet durch einen kriminellen kommt nach Horowitz durch ein intensives
Überfall einen kompletten Vertrauensverlust an- Durcharbeiten der traumatisch veränderten
deren Menschen gegenüber aus (Welt-Schemata: kognitiven Schemata zustande.
»Die Welt ist abgrundtief schlecht, die Menschen
sind abgrundtief schlecht.«)
Beispiel 2: Dieses Durcharbeiten kann bei einem Patienten
Ein zuvor selbstbewusst agierender Mensch erlebt im Genesungsprozess selbständig und spontan
sich durch das Trauma plötzlich als schwach und passieren, wenn es nicht oder kaum durch Kon-
erschüttert. Sein Selbstbild nach dem Trauma trollprozesse gehemmt wird. Sind diese Kontroll-
bleibt für längere Zeit: »Ich bin schwach und oder Abwehrprozesse stärker ausgeprägt, kann
T nur eine Psychotherapie den Normalisierungs-
bzw. Genesungsprozess herbeiführen. Das psy-
1.3 · Erklärungsansätze 21 1
chotherapeutisch angeleitete Durcharbeiten hat Diese üblichen Bewertungsmuster werden durch
somit zwei Ansatzpunkte: ein traumatisches Ereignis verändert.
- Die veränderten kognitiven Schemata (Ein-
stellungen, überzeugungen) und
- die Kontrollprozesse (Vermeidungs- und Ab- Einstellungen traumatisierter Personen
wehrtendenzen) 1 (s. Kap. 6). Eine traumatisierte Person sieht
sich selbst als verletzt und zukünftig ver-
Empirische Belege zum Erklärungsansatz von Ho- letzbar,
rowitz. Von den Bestandteilen der Theorie von die Weit als feindlich, unverständlich und
Horowitz (Selbstschemataveränderungen, Kon- unkontrollierbar und
trollprozesse) sind bisher v. a. die Veränderungen sich selbst als beschädigt und wertlos.
der kognitiven Schemata empirisch belegt wor-
den. In verschiedenen Untersuchungen wurden
Indikatoren für typische, posttraumatisch verän- Eine Reihe von Fragebogenuntersuchungen bei
derte Selbst- und Weltkognitionen gefunden (z. B. Kriminalitäts- und Unfallopfern sowie lebens-
Krupnick & Horowitz, 1981; Resick & Schnicke, gefährlich Erkrankten fand diese Überzeugungen
1991; Roth & Lebowitz, 1987). regelmäßig stärker ausgeprägt als bei nichttrau-
In einer Untersuchung von Verkehrs- und matisierten Kontrollpersonen (zusammengefasst
Kriminalitätsopfern wurde durch Inhaltskategori- in Janoff-Bulman, 1993). Bei einigen Traumati-
sierungen von Patientenäußerungen die folgen- sierten hielten die Veränderungen noch Jahre
den selbstrelevanten Themen am häufigsten ge- nach dem Trauma an. Obwohl in der entspre-
funden (Krupnick & Horowitz, 1981): chenden Untersuchungsserie keine PTB-Diagno-
- Frustration über die eigene Verletzbarkeit, sen erhoben wurden, interpretierte die Autorin
- Selbstbeschuldigungen, ihre Befunde dahingehend, dass die Personen
- Angst vor zukünftigem Kontrollverlust über mit den langjährig nachweisbaren dysfunktiona-
die eigenen Gefühle. len Kognitionen diejenigen sind, die eine chro-
nische PTB ausgebildet haben.
Piß-spezifische dysfunktionale Kognitionen
oder verzerrende Einstellungsänderungen wur-
den von Janoff-Bulman (1985, 1995) untersucht. Kognitives Störungsmodell
Nach Janoff-Bulman sind drei miteinander ver-
Ehlers & Clark (2000) haben aufgrund der vor-
bundene kognitive Bewertungsmuster bzw. Ein-
genannten Modelle und eigener Befunde einen
stellungen bei nichttraumatisierten, gesunden
Ansatz zur Entstehung und Aufrechterhaltung
Personen typischerweise vorhanden:
der chronischen PTB entwickelt, in dessen Mittel-
punkt die Erklärung der fortbestehenden Angst-
Typische Einstellungen nicht- symptome sowie starker Emotionen wie Ärger,
traumatisierter Personen Scham oder Trauer steht (s. auch Kap. 5). Die Au-
Die Überzeugung von der eigenen toren nehmen an, dass sich eine chronische PTB
Unverletzbarkeit, nur dann entwickelt, wenn die Betroffenen das
die Wahrnehmung der Weit als bedeu- traumatische Ereignis und/oder seine Konse-
tungsvoll, verständ lich und kontrollierbar quenzen so verarbeiten, dass sie eine schwere ge-
und genwärtige Bedrohung und Beschädigung wahr-
die Wahrnehmung des Selbst als positiv nehmen. Ihr Modell besteht aus mehreren Kern-
und wertvoll. aussagen, die nachfolgend aufgeführt sind.
Die Interpretation des Traumas und seiner Kon- Die anhaltend wahrgenommene Bedrohung er-
sequenzen kann zur anhaltenden Wahrnehmung zeugt außer der typischen PTB-Symptomatik eine
der Bedrohung und Beschädigung führen. Hierzu Reihe von kognitiven Veränderungen und Verhal-
gehören nicht nur Interpretationen des Eintre- tensweisen, die wahrgenommene Bedrohung
tens des Traumas (z.B. »Ich bin nirgends si- mindern sollen, die jedoch die Störung aufrecht-
cher«), sondern auch das eigene Erleben und Ver- erhalten. Ein Beispiel für eine dysfunktionale
halten während des Traumas (z. B. »Ich verdiene kognitive Strategie, die die PTB-Symptome ver-
es, dass mir schlimme Dinge passieren«). Weiter- schlimmert, ist die Gedankenunterdrückung:
hin werden die anfänglichen Symptome negativ Wenn Patienten versuchen, ihre ungewollten Ge-
interpretiert (z. B. »Ich bin innerlich tot«) sowie danken an das Trauma und die Intrusionen mit
die Reaktionen anderer Personen nach dem Trau- aller Gewalt aus dem Kopf zu drängen, so hat dies
ma (z. B. »Niemand ist für mich da«). den paradoxen Effekt, dass die Häufigkeit der In-
trusionen zunimmt. Ein weiteres typisches Bei-
Die Spezifika des Traumagedächtnisses und seiner spiel ist das Sicherheitsverhalten und andere
Einbettung in andere autobiografische Erinnerun- übertriebene Vorsichtsmaßnahmen, die zu er-
gen führen ebenfalls zu einem anhaltenden Bedro- wartendes Unheil verhindern oder abmildern sol-
hungsgefühl. Das Traumagedächtnis ist durch len (z. B. ständiges Waffentragen). Dadurch wird
mehrere Eigenschaften gekennzeichnet: allerdings dieüberprüfungder Annahme verhin-
- Das intrusive Wiedererleben geschieht meist dert, dass die Katastrophe eintritt, wenn das Si-
in Form von sensorischen Eindrücken, die eine cherheitsverhalten nicht ausgeführt wird.
»Hier-und-Jetzt«-Qualität haben und die kein
Vergangenheitsgefühl vermitteln, wie sie norma-
Empirische Belege zum Modell
lerweise autobiographische Erinnerungen kenn-
von Ehlers & Clark
zeichnet.
- Es gibt »Emotionen ohne Erinnerungen«, in In einer Serie von Studien mit verschiedenen
denen Personen mit PTB körperliche Reaktionen Traumaopfergruppen bzw. mit Analogexperi-
oder Emotionen aus dem Trauma erleben, ohne menten konnten die Kernaussagen des Modells
dass sie dabei eine bewusste Erinnerung an das belegt werden. Die negative Interpretation der er-
Trauma haben (z. B. Ekelreaktionen bei sexuell lebten Intrusionen (z. B. »Die Bilder im Kopf ma-
traumatisierten Personen). chen mich verrückt«) wurde in Quer- und Längs-
- Das autobiographische Gedächtnis ist bei schnittstudien (3-Jahres-Follow up) als wesentli-
PTB für die Erinnerungen an das Trauma un- cher Entstehungs- und Aufrechterhaltungsfaktor
genügend elaboriert. Autobiographische Erinne- der PTB gefunden (Ehlers et al., 1998; Mayou et
rungen sind im Gedächtnis normalerweise in ei- al., 2002; Steil & Ehlers, 2000). Das intrusive Wie-
ner geordneten und abstrahierten Weise gespei- dererleben scheint als Warnsignal zu wirken, da
chert und z. B. nach persönlich relevanten The- es überwiegend Erinnerungsbruchstücke dessen
men und Zeitperioden geordnet, was extrem leb- enthält, was unmittelbar vor dem traumatischen
haftes und emotionales Wiedererleben verhin- Ereignis oder kurz vor den Erlebnissen mit der
dert. Diese ungenügende Elaboration und Inte- größten emotionalen Wirkung stattfand (Ehlers
gration der Traumaerinnerungen steht in Zusam- et al., 2002). Dies würde erklären, warum die In-
menhang mit einer leichten Abrufbarkeit von trusionen von einem anhaltenden Gefährdungs-
sensorischen Eindrücken des Traumas und damit gefühl begleitet sind.
verbundenen Emotionen. Als Merkmal des Traumagedächtnisses wurde
mit textanalytischen Methoden ein hohes Aus-
maß an Gedächtnisunorganisiertheit (z. B. Frag-
mentierung, Sprünge, Wiederholungen) gefun-
den (Halligan et al., 2003 a, b, eingereicht). Das
Ausmaß an berichteter Dissoziation der Erinne-
rungen (z. B. häufige Verwirrung, veränderter
1.3 · Erklärungsansätze 23 1
Zeitsinn) wurde ebenfalls als Beleg der veränder-
ten Gedächtnissituation herangezogen (Murray et Biochemische Veränderungen
al., 2002). Posttraumatische kognitive Verände- Unterfunktion der Hypothalamus-Hypo-
rungen wie eine verstärkt genutzte Gedanken- physen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA)
unterdrückung sowie anhaltende Überzeugungen mit erniedrigtem basalen (unstimulierten)
vom eigenen Beschädigtsein wurden bei verschie- Kortisolspiegel sowie einer unterdrückten
denen PIE-Patientengruppen gefunden (Ehlers Adrenocorticotropin (ACTH)- und Karti-
et al., 2000; Mayou et al., 2002). solreaktion nach Corticotropin-Releasing-
Über diese Einzelbefunde hinaus ist das Mo- factor (CRF)-Stimulation,
dell von Ehlers & Clark noch nicht zusammenfas- gesteigerte noradrenerge Aktivität mit
send und noch nicht im Vergleich zu anderen Er- erhöhtem Metabolitenspiegel (Katechola-
klärungsmodellen überprüft worden. mine) in Blut und Urin sowie
Dysregulationen im System endogener
Opiate (z. B. Endorphine) mit einer all-
Biologische Erklärungsansätze
gemeinen Senkung der Schmerzschwelle
Verschiedene Untersucher stellten biologische unter Ruhebedingung und Anhebung
Befunde in den Mittelpunkt ihrer Erklärungs- der Schmerzschwelle unter Stress (stress-
modelle für die posttraumatischen Belastungs- induzierte Analgesie).
störungen (Yehuda & McFarlane, 1997). Diesen
Ansätzen liegt eine Reihe von Befunden über Neuromorphologische Veränderungen
physiologische und biochemische Veränderun- bei PTB-Patienten
gen sowie der teilweisen Ansprechbarkeit von Verringerung des Hypocampusvolumens
Psychopharmaka bei Piß-Patienten zugrunde bei Langzeittraumatisierten und
(s. Übersicht; s. Kap. 7). Einige der Befunde wer- Überaktivität der Amygdala (Mandelkern),
den im Folgenden aufgelistet (aus Ehlert et al., Erhöhung des regionalen zerebralen Blut-
2001; Karl & Maercker, 2003; Stein et al., 1997). flusses in der Amygdala und dem Gyrus
cinguli.
von Stresshormonen, welche eine erneute Einprä- Die bisher beschriebenen lerntheoretischen,
gung der traumatischen Erinnerungen ins Ge- kognitiven und biologischen Erklärungsansätze
dächtnis verstärken. Dieser Teufelskreis wurde sind zum großen Teil miteinander vereinbar
durch Ergebnisse aus Tierexperimenten belegt und ergänzen sich gegenseitig. Es ist davon aus-
(Petty et al., 1997). Wenn Konditionierungsreak- zugehen, dass PTB eine multifaktorielle Genese
tionen initiiert werden, während die Ausschüt- hat, zu der neben den genannten Faktoren und
tung von Stresshormonen durch die Blockade Prozessen noch eine Reihe weiterer hinzukom-
adrenerger und cholinerger Hormone behindert men, die im folgenden Abschnitt dargestellt wer-
wird, sind diese Konditionierungsreaktionen ext- den.
rem leicht löschbar.
Frühere Traumatisierungen, insbesondere in
der Kindheit, wurden intensiv in Bezug auf die 1.3.2 Ein multifaktorielles
Folgen für die spätere physiologische, endokrine Rahmenmodell
und immunologische Stressregulation unter-
sucht. Insbesondere wurden Studien an Gruppen Das multifaktorielle Rahmenmodell setzt wiede-
von in der Kindheit sexuell und physisch trauma- rum an der Frage an, warum nur ein Teil der
tisierten Probanden durchgeführt (Heim & Ne- Traumatisierten psychische Beeinträchtigungen
meroff, 1999), bei denen sich eine persistente aufweisen und ein anderer Teil keine. Die folgen-
Sensibilisierung des CRH fand. Bei späterem de Darstellung bietet einen breiten psychosozia-
Stresserleben scheint daraus eine Dysfunktion len Rahmen der PTB-Entstehung; a Abb. 1.3 zeigt
(»down-regulation«) weiterer HHNA-Achsen-Pa- die 5 ätiologischen Faktorengruppen:
rameter (z. B. ACTH) und in der Folge eine - Risiko- bzw. Schutzfaktoren,
stressinduzierte Angst- und/oder depressive - Ereignisfaktoren,
Symptomatik zu resultieren (Heim et al., 2001). - Aufrechterhaltungsfaktoren,
Aufrechterhaltungs-
faktoren
• vermeidender Bewälti-
gungsstil
IEreignis-
• kognitive Veränderungen
Resultate
... • •
Risiko- bzw. Schutz· faktoren Störungsbllder:
faktoren •PTB
• frü here Traumata Traumaschwere • Angststörungen
• Traumadauer • depressive Störungen
• Alter zum • Dissoziative Stör.
Traumazeitpunkt • Schadensausmaß Posnraumatische Prozesse
u.a.
...
I
'
• geringere Intelligenz, J Gedächtnisveränderungen psychosoziale
Bildung Konsequenzen
Neurobiolog. Veränderungen • Ehe u. Partnerschaft
•
Initiale Reaktion
• weibl. Geschlecht • Ausbildung u. Beruf
(Risiko) • Interpretation
• Dissoziation
• Persönlichkeits· aber
I persönliche
faktoren
Gesundheitsfördernde Reifung möglich
Faktoren
• Disdosure
• soziale Anerkennung als
Opfer/Überlebender
Initiale Reaktionen. Verschiedene Formen initia- nach den Ereignisfaktoren und vor den prätrau-
ler Reaktionen sind ein wichtiger Prädiktor dafür, matischen Risikofaktoren den zweitgrößten Teil
ob eine PTB entsteht oder nicht. Maercker et al. der PTB-Störungsvarianz (King et al., 1999).
(2000) zeigten, dass Initialreaktionen in höherem
Ausmaß die PTB-Symptomatik vorhersagten als Vermeidender BewältigungsstiL Schon 1887 hat
die objektivierbare Traumaschwere. Pierre Janet den Zustand einiger Traumatisierter
als »Gedächtnisphobie« beschrieben. Die Betrof-
fenen ertragen die Konfrontation mit den Erinne-
rungen und dem Wiedererleben nicht und ver-
- wie gering auch immer vorhandenen - suchen deshalb, sie zu vermeiden und zu ver-
Spielraum an Einflussmöglichkeiten zu sehen, drängen. Im Sinne einer operanten Konditionie-
werden in der Regel die posttraumatischen rung wirkt dieses gedankliche und verhaltens-
Folgen nicht so ausgeprägt sein. mäßige Vermeiden als aufrechterhaltender Faktor
für die Belastung durch das Erinnern/Wieder-
erleben (s. Abschn. 2.4.1 »Teufelskreis« als Erklä-
Die Einschätzung (Interpretation), sich während
rungsmodell). Häufige direkte und indirekte For-
des Traumas aufzugeben oder nicht, ist bei Ver-
men des vermeidenden Bewältigungsstils sind:
gewaltigungstraumen und ehemals politisch In-
- Gedankenunterdrückung und Gefühlsvermei-
haftierten untersucht worden (Ehlers et al., 2000).
dung,
Es zeigte sich, dass PTB-Patienten, die sich wäh-
- Nicht-darüber-reden-Wollen,
rend des Traumas ein Gefühl für die eigene Auto-
- dysfunktionales Sicherheitsverhalten,
nomie bewahren konnten - selbst wenn dieses
- ablenkendes Beschäftigen mit Teilaspekten
Gefühl die Lage faktisch kaum oder nicht änderte
(z. B. »Kontrollgänge« zum Unfallort bei
- und sich nicht selbst aufgaben, bessere Ergeb-
gleichzeitiger Gefühlsvermeidung),
nisse in der psychotherapeutischen Reduktion
- exzessives Grübeln sowie exzessiver Ärger
der Symptome erzielten als eine Kontrollgruppe.
und Wut (s. Abschn. 5.1.1) sowie
Die psychische Dissoziation während des
- Selbstzufügen ablenkender Schmerzreize
Traumas (peritraumatische Dissoziation), bei
(z. B. Sich-Schneiden bei Borderline-Patien-
der es zu Derealisations- und Depersonalisations-
ten).
phänomenen kommt, ist ebenfalls ein Prädiktor
für das spätere PTB-Ausmaß (Marmar et al.,
Kognitive Veränderungen. Die im Abschn. 1.3.1
1998). Für die peritraumatische Dissoziation
bereits vorgestellten kognitiven Veränderungen
war zunächst eine schützende Wirkung ange-
- negative Gedanken zum Selbst,
nommen worden, die sich aber in keiner Studie
- negative Gedanken über die Welt sowie
bestätigen konnte (Marmar et al., 1998).
- Selbstvorwürfe
lassen sich durch einen Fragebogen gut erfassen
(»Post-Traumatic Cognitions Inventory«, Foa et
Aufrechterhaltungsfaktoren
al., 1999; dt. Ehlers, 1999).
Aufrechterhaltende und gesundheitsfördernde
Faktoren/Ressourcen lassen sich auch als post- Als negative Gedanken über die Welt können Ra-
traumatische Einflussfaktoren zusammenfassen. chegefühle, durch die versucht wird, die erschüt-
Insgesamt sind sie die einflussreichsten Faktoren terten eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit
für die Existenz chronischer Belastungsstörun- zu realisieren, besonders relevant werden. Nicht
gen. In einer methodisch sehr guten Studie an die spontanen anfänglichen Rachegefühle son-
über 1600 ehemaligen Vietnamsoldaten fand dern chronifizierte Rachegefühle verstärken die
man, dass die posttraumatischen Einflussfak- PTB-Symptomatik (Orth et al., 2003, in Druck).
toren bei Frauen den größten Teil der PTB- Bei den Selbstvorwürfen spielen unangemes-
Störungsvarianz aufklärten (vor Ereignis- und sene Schuldgefühle eine besondere Rolle. Unan-
prätraumatischen Faktoren) und bei Männern gemessene Schuldgefühle von Traumatisierten
1.3 · Erklärungsansätze 27 1
sind nachträgliche Re-Attribuierungsversuche Disdosure. Es hat sich gezeigt, dass vor allem sol-
der Betroffenen (z. B. »Ich habe eine große Mit- che Bewältigungsstile einen gesundheitsfördern-
schuld am Vorgefallenen«) im Dienste einer Illu- den Einfluss haben, die mit persönlicher Offen-
sion der Kontrollierbarkeit der Traumaverursa- heit und Offenlegung der traumatischen Erinne-
chung (z.B. »Wenn ich mich nicht so verhalten rungen einhergehen. Mittels verschiedener Un-
hätte, wäre alles nicht passiert«). Die Illusion tersuchungsanordnungen konnte die Arbeits-
der Kontrollierbarkeit durch die Verantwortungs- gruppe um Pennebaker (Pennebaker, 1985; Pen-
übernahme ist allerdings dysfunktional und führt nebaker et al., 1989) zeigen, dass das Sprechen
nicht zur Erleichterung sondern zur Verstärkung über das Trauma sowohl die subjektive Befind-
des Leidensdrucks der Betroffenen. lichkeit verbessert als auch ganz allgemein die
Häufigkeit von Arztbesuchen (gleich welchen
Fachgebietes) vermindert. Sogar Parameter der
Gesundheitsfördernde Faktoren
Immunschutzfunktionen des Körpers (z. B. An-
oder Ressourcen
zahl der Killerzellen-Lymphozyten) zeigten eine
Als gesundheitsfördernde Faktoren oder Res- Besserung des Gesundheitszustandes nach Offen-
sourcen werden diejenigen bezeichnet, die zu ei- legung traumatischer Erfahrungen. In einer Un-
ner Gesundung der Betroffenen nach einer vorü- tersuchung bei ehemals politisch Inhaftierten
bergehend symptomatischen akuten Phase wurde dieser Zusammenhang in Hinblick auf re-
führen. Der Ressourcenbegriff impliziert, dass duzierte Wiedererlebens- und Numbing-Sympto-
ein Teil dieser Faktoren als Selbstheilungskräfte me (emotionale Taubheit/Betäubtsein) der PTB
angesehen werden kann. Insgesamt versetzen gezeigt (Müller et al., 2000).
die genannten Faktoren die Betroffenen in die La-
ge, ihre traumatischen Erlebnisse besser zu inte- Soziale Anerkennung. Die soziale Anerkennung
grieren. als Opfer bzw. Überlebender kann auf verschiede-
ne Weise auf die psychische Befindlichkeit nach
Kohärenzsinn. Das psychologische Konstrukt des dem Trauma wirken und im günstigen Fall die
Kohärenzsinnes war im letzten Jahrzehnt in der psychischen Belastungen und Symptome vermin-
Psychotraumatologie sehr populär. Es sollte die dern. Gegenüber den Betroffenen wird dabei Mit-
Fähigkeit erfassen, das Geschehene geistig ein- gefühl ausgedrückt, Verständnis für die besonde-
ordnen, verstehen und ihm einen Sinn geben zu re Lage und die Besonderheiten des Erlebens und
können (Antonovsky, 1987). Personen mit einem Empfindens nach einem traumatischen Erlebnis
gut ausgebildeten Kohärenzsinn sollen aufgrund anerkannt sowie Hochachtung vor der Bewälti-
ihres Weltverständnisses gute Fähigkeiten zur gungsleistung gezollt. Dies ist sowohl im familiä-
Vorhersage selbst von schrecklichen Ereignissen ren Rahmen als auch im Freundes- und Kollegen-
haben. Die vorliegenden Maße für den Kohärenz- kreis sowie der lokalen Öffentlichkeit (z. B. Stadt
sinn sind jedoch defizitär bzw. unvalide oder Gemeinde) von Wichtigkeit.
(Schmidt-Rathjens et al., 1997). Die zugrunde lie-
gende theoretische Annahme ist damit allerdings
nicht entwertet. Beispielsweise weisen die auto- Ein Fehlen dieser Wertschätzung kann zur
biographischen Berichte einiger überlebender fortgesetzten Retraumatisierung beitragen
aus Konzentrationslagern des Dritten Reiches da- bzw. führen, wie Studien bei verschiedenen
rauf hin, dass eine aktive Geisteshaltung für die Traumagruppen zeigen (Fontana & Rosenheck,
Bewältigung hilfreich ist, so beschrieben im be- 1994; Maercker & Müller, 2003, eingereicht).
eindruckenden Report des Psychotherapeuten
Viktor E. Frankl (1973).
28 Kapitel 1 . Erscheinungsbild, Erklärungsansätze und Therapieforschung
I D Tabelle 1.5. Ergebnisse einer Metaanalyse zur Wirksamkeit von Therapien der PTB:
Gemittelte Effektstärken der Fragebogenmaße und Abbrecherraten. (Zusammengestellt aus Etten & Taylor, 1998)
• Effektstärken über 0,5 gelten als mittlere Effekte und über 0,8 als sehr gute Effekte.
b Nur für die KVT und die EMDR lagen Katamnesedaten über 4 Monate vor.
32 Kapitel 1 · Erscheinungsbild, Erklärungsansätze und Therapieforschung
se bei der Nichtzugänglichkeit von geeigneter Ist jedoch im weiteren Verlauf die Indikation
Psychotherapie ebenfalls indiziert sind. für eine Psychotherapie gegeben, so ist der Wert
andauernder Pharmakatherapie eher fraglich.
Es besteht nämlich die Gefahr, dass sonst Thera-
1.4.3 Multimodales therapeutisches pieerfolge primär auf das Medikament attribuiert
Vorgehen werden und der Patient während der Psychothe-
rapie nicht den Eindruck vermittelt bekommt,
Das psychotherapeutische Vorgehen kann davon dass er selbst durch seine Eigenaktivität die
profitieren, dass mehrere Verfahren und Techni- Symptomatik überwinden kann.
ken in einer flexiblen, patientenorientierten Ver-
gehensweise kombiniert werden. Die Ausgangs-
basis einer multimodalen Vergehensweise ist, !Errichten von Gedenkorten. Über individuelle
dass Traumen sowohl biologische und psychische Therapiemaßnahmen hinaus geht die Mitwir-
als auch soziale Veränderungen in jeweils ver- kung von Therapeuten an der Errichtung von Ge-
schiedenen Graden auslösen. Mit dem Bild eines denkstätten oder -orten für die Opfer von Trau-
in Wasser geworfenen Steins lässt sich die Aus- men. Hierbei ist es wichtig,
gangstage eines multimodalen Ansatzes ver- - die Überlebenden bzw. die trauernden überle-
anschaulichen (s. a Abb. 1.4). benden Familienangehörigen bei der Planung
Die konzentrischen Kreise (s. a Abb. 1.4) wei- des Ortes einzubeziehen sowie
sen darauf hin, dass sich die unterschiedlichen - die Opfer einzeln namentlich zu erwähnen,
Therapieformen ergänzen bzw. aufeinander auf- um dem Gerechtigkeitsgefühl beim Gedenken
bauen. In der ersten Zeit nach einem Trauma zu genügen.
(»akute Belastungsreaktion«, s. Kap. 10) kann
die Pharmakatherapie möglicherweise zu einer Beeindruckende Beispiele dieser Gedenkkultur
Beruhigung der psychischen Verfassung und sind die Gedenkstätte »Yad Vashem« in Jerusalem
zur Stabilisierung führen. Unter Umständen mit ihren Namenslisten, das »Vietnam War Me-
kommt es nach dieser Phase nicht zur Ausbil- morial« in Washington sowie das Denkmal an
dung einer vollsymptomatischen posttraumati- der Stelle des Flugzeugabsturzes in ein Hochhaus
schen Belastungsstörung bzw. verschwinden ein- in Bijlmermeer bei Amsterdam. Diese Gedenkor-
zelne Symptome nach einiger Zeit wieder (s. Kap. te werden von Überlebenden und trauernden Fa-
10). milienangehörigen häufig aufgesucht.
Psychophannaka
Verha"enstherapeutische Exposition
r_ _ _ _ _ Kognitive Therapiemethoden
' - - - - - - - Gruppentherapie. Findmg a mjssion
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2
A. Maercker
Literatur - 51
38 Kapitel 2 · Besonderheiten bei der Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung
Psychotherapie mit Traumaopfern ist ein hoch- - Menschen, die vor längerer Zeit ein Trauma
komplexer und herausfordernder Prozess. Die durchgemacht haben, an das sie sich genau erin-
Erfahrung lebensbedrohlicher und/oder über- nern können. Viele Betroffene berichten ein
wältigender Lebensereignisse hat tiefgreifende früher erlebtes Trauma (d.h. vor Jahren oder
Auswirkungen auf fast alle Bereiche der Persön- Jahrzehnten}, das sie in der Zwischenzeit zwar
lichkeit der Patienten. Der Aufbau einer tragfähi- nicht vergessen haben, dessentwegen sie aber
gen therapeutischen Beziehung von den Erstkon- früher keine psychotherapeutische Hilfe aufsuch-
takten an, ist vielleicht in noch stärkerem Maße ten. Beispiele sind: Misshandlungen oder sexuel-
als bei anderen Angststörungen die Grundlage ei- ler Missbrauch in der Kindheit, Kriegserlebnisse,
ner erfolgreichen psychotherapeutischen Inter- miterlebte dramatische Todesfälle. Die Betroffe-
vention. nen haben chronisch andauernde posttraumati-
sche Symptome ausgebildet. Die in diesem Buch
dargestellten Therapietechniken sind in der Regel
2.1 Unterschiedliche Therapie- bei ihnen indiziert (s. a. Kap. 14).
motivation bei PTB-Patienten - Menschen, die (wie in den beiden zuvor ge-
nannten Gruppen) ein Trauma vor kurzer oder
Es sind unterschiedliche traumatische Erlebnisse längerer Zeit erlebt haben, die aber in die Be-
und Behandlungsmotive, die Betroffene dazu handlung wegen anderer psychischer oder
führen, einen Therapeuten aufzusuchen. Ver- körperlicher Erkrankungen kommen. Die trau-
schiedene Patientengruppen haben unterschiedli- matischen Erlebnisse werden bei den anamnes-
che Vorstellungen (subjektive Theorien) von den tischen oder diagnostischen Erstgesprächen be-
Traumawirkungen und ihrem jetzigen Zustand. richtet. Der Therapeut sollte bei der späteren
Die am häufigsten anzutreffenden Therapiesu- Festlegung der Therapieziele im Auge haben, ob
chenden sind dabei: die PTB im Vordergrund steht und primärer Be-
- Menschen nach Traumen, die sie vor sehr handlung bedarf oder ob die anderen Erkrankun-
kurzer Zeit (d. h. vor einigen Tagen oder wenigen gen zunächst behandelt werden sollten.
Wochen) erlebt haben. Die Betroffenen suchen - Menschen, die eine psychotherapeutische Be-
primär nach einer aktuellen Betreuung und nicht handlung aufnehmen wollen, um eine Klärung
nach einer längerdauernden Psychotherapie. Die- über ein mögliches früheres Trauma zu errei-
se Betreuung soll Beruhigung und Abschalten chen, das ihnen selbst entweder gar nicht mehr
ermöglichen. Im diagnostischen Sinne stellen oder nur bruchstückhaft erinnerlich ist. Bei die-
die Symptome in der ersten Zeit nach dem Trau- ser besonders schwierigen Patientenklientel lie-
ma eine akute Belastungsreaktion (ICD: F 43.0} gen typischerweise Vermutungen über Vergewal-
dar. Ein unterstützendes und beruhigendes Vor- tigungen oder sexuellen Missbrauch in der Kind-
gehen ist hier angemessen. heit vor (Pope & Brown, 1996}. Die Betroffenen
- Menschen nach vor kurzem erlebten Trau- stellen eine Beziehung ihrer jetzigen psychischen
men. Hier sind im Zeitraum der letzten Monate Probleme mit dem Trauma her. In der folgenden
oder des letzten Jahres traumatische Ereignisse Übersicht sind einige Hinweise zum diagnosti-
vorgefallen und die Betroffenen merken, dass schen und therapeutischen Umgang mit diesem
sie über diese Ereignisse »nicht hinwegkommen«. Anliegen aufgelistet.
Sie sind bereit, sich einem Psychotherapeuten an-
zuvertrauen, um die Erschütterung durch das Er-
lebte, die Belastung durch die posttraumatischen
Symptome (s. Kap. 1) oder selbstwahrgenommene
Angstsymptome (z. B. spezifische Situations- oder
Ortsphobien) zu überwinden. Insbesondere in
dieser Gruppe sind die verschiedenen in diesem
Buch vorgestellten therapeutischen Vorgehens-
weisen indiziert.
2.2 · Besonderheiten der therapeutischen Beziehu ng mit Tra umaopfern 39 2
2.2.1 Schwierigkeiten von Trauma-
Besonderheiten in der therapeutischen opfern, die Patientenrolle
Beziehung mit Patienten, die eine zu akzeptieren
Klärung über ein mögliches früheres
Für die meisten Patienten mit traumatischen Er-
Trauma erreichen wollen
lebnissen ist es schwer, sich der professionellen
(vgl. Meichenbaum, 1994):
Hilfe eines Psychotherapeuten anzuvertrauen.
- Es ist sinnvoll, nach externen, unabhängi-
Sie haben einerseits eine ganz allgemein verbrei-
gen Belegen für das Vorliegen der Traumati-
tete Hemmung, sich psychotherapeutischer Hilfe
sierung zu suchen. Gibt es beispielsweise
anzuvertrauen. Dazu kommen andererseits eine
Aussagen anderer »g laubwürd iger« Personen,
Reihe spezifischer Gründe, die es den Betroffenen
Belege aus medizinischen oder juristischen
erschweren, sich in der Patientenrolle zu akzep-
Dokumenten oder anderen Materialien (z. B.
tieren.
Schulaktenvermerket die die Aussagen des
Patienten belegen?
- Der Therapeut kann nicht die Rolle eines
Mögliche Ursachen für Schwierigkeiten
Detektivs oder Untersuchungsrichters über-
von PTB-Patienten, therapeutische Hilfe
nehmen. Die Kontakte zu anderen Personen
aufzusuchen
sollten mit dem Patienten im Voraus abge-
sprochen werden. Juristische Befragungsstra- - Traumaopfer haben oft an sich selbst die
tegien (z. B. Konfrontation mit eigenen frühe- Erwartung, dass sie das Erlebte aus eigener
ren Aussagen) verbieten sich im therapeuti- Kraft »wegstecken« müssten. Dazu kommt,
dass sie häufig von ihrer Umgebung auf-
schen Kontext.
gefordert werden, endlich Schluss mit dem
- Ein suggestives, diagnostisches oder the-
rapeutisches Vorgehen von Seiten des Thera- Gedanken an das Geschehene zu machen.
peuten verbietet sich, z. B. die Behauptung: Hierbei fallen Äußerungen wie »Das Leben
»Bei anderen Patienten mit Ihrer Sympto- geht doch weiter« und »Du solltest einfach
nicht mehr daran denken«. Bei einigen Män-
matik lag in der Vergangenheit meist ein
nern mit einem stark ausgeprägten Männ-
Missbrauchstrauma von<.
lichkeits- und Härteideal (»Aipha-Männer«)
- Die Betroffenen sind in ihrem Leidens-
druck, der sie zum The rapeuten geführt hat, sind diese Überzeugungen besonders aus-
ernst zu nehmen und ggf. ist die Behandlung gebildet (Pieper & Maercker, 1999).
darauf auszurichten. Dies ist unabhängig von - Der eigene Leidensdruck wird (zumindest
der Wahrscheinlichkeit, dass das angegebene teilweise) externalisiert. Viele Patienten blei-
oder vermutete Trauma real stattgefunden ben bei dem Gedanken stehen, dass es für das
hat. Trauma eine äußere Ursache bzw. einen Täter
gibt (z. B. Unfallverursacher bei Verkehrsunfall,
Täter bei Sexualdelikten). Die erlebten psy-
chischen Beeinträchtigungen werden als von
außen kommende Beschädigungen erlebt, für
2.2 Besonderheiten der therapeutischen
die man selbst keine Kontroll- oder Verän-
Beziehung mit Traumaopfern
derungsmöglichkeiten besitzt. Solomon et al.
(1988) fanden, dass PTB-Patienten im psycho-
Es zeigt sich in verschiedenen Besonderheiten
logischen Vergleich mit depressiven Patienten
und Schwierigkeiten aufseiten der Patienten und
zwar viele Gemeinsamkeiten aufwiesen, dass
der Therapeuten, dass die Psychotherapie mit
sich die PTB-Patienten aber durch stabile, ex-
Traumaopfern ein hochkomplexer Prozess ist. Ei-
ternale Kontrollüberzeugungen auszeichnen.
nige dieser Schwierigkeiten sollen herausgegrif-
fen und diskutiert werden, weil sie nicht zum All-
gemeingut der therapeutischen Praxis und Aus-
bildung gehören.
40 Kapitel 2 · Besonderheiten bei der Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung
mehr gelebt.« Frau N. starb bei dem Unglück. Ihre Reaktionsformen von Therapeuten
Leiche konnte erst Tage später identifiziert werden nach Traumaberichten
(in ZDF-Sendung »Kontakte<<, Mai 1991 ).
Zwei Extrempositionen. In Erstgesprächs- oder
Frau U., eine 37-jährige Frau aus Bosnien, berich- Therapiesituationen kann es dazu kommen, mit
tet: einer von zwei Extrempositionen zu reagieren
Mai 1992, in der Heimatstadt von Frau U. Es ist (s. folgende Übersicht). Wilson & Lindy (1994)
früher Abend und sie befindet sich mit ihrem haben ein Modell für extreme Therapeutenre-
Mann und den beiden kleinen Kindern in ihrer aktionen (oder »Gegenübertragungen«) vorge-
Wohnung. Serbische Teschetniks stürmen das schlagen, in dem sie die Reaktionsformen entwe-
Haus, holen die Bewohner auf die Straße. Dort der als vermeidend oder als überidentifizierend
stehen schon viele Männer, Frauen und Kinder klassifizieren.
entlang einer Mauer aufgereiht. ln den folgenden
Stunden werden alle Männer getötet. Unter den
Teschetniks befinden sich auch zwei ca. 17-jährige
Extreme Reaktionsstile von Therapeuten
junge Frauen, die sich besonders grausam zeigen.
auf Berichte von Traumen (nach Wilson
Eine von ihnen ist die Tochter einer Arbeitskollegin & Lindy, 1994):
von Frau U. Sie haben Messer und eine Art lang-
Abwehr, Abwertung
stielige Sichel mit Drahtzug als Mordinstrument.
Abweisender Gesichtsausdruck,
Den Männern werden die Glieder abgeschnitten
Unwillen oder Unfähigkeit, die Trauma-
und auf Draht zu >>Ketten<< aufgezogen. Für diese
geschichte aufzunehmen, zu glauben
>>Beute<< bekommen die Mörder viel Geld von ihren
und zu verarbeiten,
Anführern, sagt Frau U. Den Männern werden die
Distanzierung.
Zungen herausgeschnitten, Kreuze in die Haut
eingebrannt, die Kehlen aufgeschlitzt. Viel Blut Folgen
fließt, überall ist Blut. Es sind keine Schreie des Defensivität: nicht nachfragen,
Entsetzens zu hören, kein Wimmern der Kinder. - Teilnahme an der »Verschwörung
Nur die Geräusche des Tötens und Sterbens zer- des Schweigens«.
schneiden die Stille. Frau U. versucht, ihre Kinder Überidentifizierung
vor diesem Anblick zu schützen, versteckt sie unter Unkontrollierte Affekte,
ihrem Rock. Immer wieder fällt sie in Ohnmacht. Rächer- oder Rettungsphantasien,
Am Ende des Massakers werden alle Frauen und Rolle als Leidens- oder Kampfgenosse,
Kinder abgeführt, die Toten bleiben liegen. Am »Hochspannung<< im therapeutischen
nächsten Tag folgt ein langer Fußmarsch der Setting.
gefangenen Frauen und Kinder bis zur nächsten
Folgen
Stadt. ln einer Moschee werden viele der Frauen Grenzverlust,
vergewaltigt, auch Frau U.... (Behandlungs- - Überlastungssymptome (Burnout).
zentrum für Folteropfer, 1994).
Das Zuviel an Empathie kann dazu führen, Ein Teil der Unsicherheit rührt aus einem Pein-
dass der Therapeut die Grenzen eines profes- lichkeitsgefühl der Therapeuten. Dies ist ins-
sionellen Umgangs verletzt. besondere bei sexuellen Traumen der Fall. Der
scheinbare Ausweg für Therapeuten, den be-
schriebenen Unsicherheiten zu entgehen, kann
So kann der Therapeut dem Patienten auf eine darin bestehen, sich am Zögern des Patienten
forcierte und übertriebene Weise seine Sym- »festzuhalten{{, seine traumatischen Erlebnisse
pathie zeigen oder ihn verbal idealisieren. Mögli- nicht berichten zu wollen (z. B. in der Form: Pa-
cherweise kann die Einmaligkeit des Patienten- tient: »Es fällt mir schwer, zu erzählen, was da-
schicksals dazu verleiten, dass der Patient eine mals passierte{{). Patienten sagen solche zögern-
44 Kapitel 2 · Besonderheiten bei der Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung
den Sätze oftmals aus einer ambivalenten Einstel- Die Behandlung von traumatisierten Patien-
lung heraus. Einerseits fällt es ihnen schwer, von ten fordert oft einen hohen psychischen Tribut
der Traumatisierung zu berichten. Andererseits von den Therapeuten. Es wäre auch unnatürlich,
erhoffen sie vom Therapeuten ein Nachfragen die Wucht eines Traumas einfühlsam besprechen
nach ihren Erlebnissen und Befürchtungen, die und bearbeiten zu können, ohne dabei emotional
sie oftmals niemandem bisher berichtet haben. und kognitiv berührt zu sein. Durch Patienten
Ein weiterer Grund für Unsicherheit hat mit mittelbarer Zeuge von Verbrechen, Unglücksfäl-
der eigenen Gefühlsregulation zu tun. Während len oder anderen unmenschlichen Erlebnissen
das Trauma vom Patienten erzählt wird, kann zu sein, kann für Therapeuten selbst leicht zu
man - wie beschrieben - selbst schon überwältigt PTB-ähnlichen Veränderungen führen. Dieses
sein. Man mag als Therapeut in solchen Momen- Phänomen wurde als »stellvertretende Traumati-
ten kaum noch fähig sein, einen klaren Gedanken sierung« oder »sekundäre PTB« beschrieben (Da-
zu fassen; vielleicht kommen einem selbst die nieli, 1988, 1994; Herman, 1993).
Tränen. Üblicherweise sind dann die Gedanken
nicht weit, inwiefern man in einem solchen Zu-
stand überhaupt hilfreich für den Patienten sein
Sekundäre PTB ist ein Resultat wiederholter
kann. Auf der Therapeutenseite kann dabei die
Belastungen durch traumatische Berichte der
Angst entstehen, dass der eigene Gefühlsaus-
Patienten. Sie kann auftreten in Form von
bruch den Patienten erschrecken könnte. Eine
Intrusionen, Depressionen, Hilflosigkeitsge-
weitergehende Befürchtung könnte sein, dass
fühlen, Entfremdung, Rückzug und Zynismus.
das Opfer sich in seiner Erfahrung bestärkt sieht
(»Niemand kann meine Geschichte ertragen«).
Wahrscheinlich können die meisten Patienten Emotional überlastete Therapeuten haben auch
aber einen kurzzeitigen Gefühlsausbruch des ein höheres Risiko für somatische Probleme.
Therapeuten akzeptieren, wenn dieser nicht zu Persönliche und berufliche Unausgeglichenheit
lange dauert und den Patienten in eine Tröster- äußert sich in Müdigkeit, Schlafproblemen, Über-
rolle hineinversetzt. Hier kann man sich an ei- erregung und unachtsamen, unkontrolliertem
nem Mittelweg orientieren: Ein Zuviel an emotio- emotionalem Ausdruck (Wilson & Lindy, 1994).
naler Reaktion ist ebenso schädlich wie ein Zu- Darüber hinaus gibt es die Gefahr, dass sich The-
wenig (oder gar keine Reaktion). rapeuten, die viele Traumaopfer behandeln,
selbst zunehmend isoliert, zurückgewiesen und
unverstanden von anderen Kollegen empfinden.
Ein Therapeut, der sich scheut, genau nach- Dies wurde insbesondere für Therapeuten be-
zufragen, wird Schwierigkeiten haben, einen schrieben, die gehäuft Opfer sexuellen Miss-
Zugang zur Gefühls- und Gedankenwelt des brauchs behandeln (Courtois, 1993 ). Rückzug
Patienten zu bekommen, und seine Möglich- und Zynismus können weiterhin zu einem Zu-
keiten für die spätere therapeutische Arbeit stand führen, für den Figley (1995) den Begriff
beeinträchtigen. >> Mitleidsmüdigkeit« prägte.
Trotz aller existenzieller Signifikanz, mit der
PTB-Therapie zweifellos verbunden ist, ist es
günstig, eine Grundhaltung beizubehalten, die
2.2.5 Burnout-Prophylaxe
von Danieli (1994) in der Arbeit mit Holocaust-
für Therapeuten
opfern folgendermaßen beschrieben wurde:
»Freundlich zu sich selbst zu sein und frei
Das Problem der Unsicherheit beim Hören von
dafür zu sein, Spaß und Freude zu erleben, sind
traumatischen Erlebnissen ist mit dem Problem
keine unangebrachten Frivolitäten in diesem Ar-
des »Ausgebranntsein« (Burnout) bei Therapeu-
beitsgebiet, sondern eine Notwendigkeit, ohne
ten verbunden.
die man seine beruflichen Verpflichtungen nicht
erfüllen kann« (Danieli, 1994, S. 550).
2.3 · Gestaltung der therapeutischen Beziehung 45 2
Weiterhin helfen gegen das Burnout-Syndrom 2.3 Gestaltung der therapeutischen
der Therapeuten verschiedene Techniken der Beziehung
Selbstbeobachtung und des Selbstschutzes.
Eine tragfähige therapeutische Beziehung lässt
sich durch Vertrauensaufbau und Gewährung ei-
Hilfreiche Faktoren für die Bewältigung
nes Sicherheitsgefühls gestalten. Weitere Fak-
einer stellvertretenden Traumatisierung
toren, die die therapeutische Beziehung günstig
(nach Danieli, 1994):
beeinflussen können, sind in der folgenden Über-
Erkennen der eigenen Reaktionen sicht zusammengestellt.
Selbstaufmerksamkeit für körperliche
Signale entwickeln, z. B. für Schlaflosigkeit,
Kopfschmerzen und Schwitzen, Wichtige Aspekte in der Gestaltung
Versuche, Worte für die eigenen Erfah- der therapeutischen Beziehung von
rungen und Gefühle zu finden. Traumaopfern und Therapeuten
Die eigenen Reaktionen in Schranken halten Langsamer Aufbau von Vertrauen durch
Das eigene Niveau von Behaglichkeit Respekt vor dem Vertrauensverlust der
finden, um Offenheit, Toleranz und die Patienten.
Bereitschaft, alles zu hören, zuzulassen, Erhöhte Sensibilität in Bezug auf
wissen, dass jedes Gefühl einen Anfang, »Formalitäten der Therapiedurchführung«
eine Mitte und ein Ende hat, (keine standardisierte Eingangsdiagnostik
lernen, überwältigende Gefühle zu ver- vor dem Gespräch über traumatische
mindern, ohne in Abwehr abzugleiten. Erfahrungen).
Für eigenen Reifungsprozess offen sein Schaffung sicherer Umgebungsbedingun-
Akzeptieren, dass nichts mehr so Ist wie gen fü r die Patienten (z. B. Türen offen
früher. lassen) und damit
Wenn die Gefühle verwundet sind, sich adäquates Eingehen auf Rituale, um
Zeit dafür nehmen, sie genau wahr- das Sicherheitsbedürfnis von Patienten
zunehmen, sie zu beruhigen und aus- zu achten.
heilen zu lassen, bevor man weiterarbeitet. Vor Therapiebeginn Absetzen bzw. Aus-
Vorhandene professionelle Netzwerke schleichen von Medikamenten, damit die
nutzen. Betroffenen mögliche Therapieerfolge auf
Professionelle Netzwerke von Therapeu- die psychotherapeutische Intervention
ten, die Traumatherapie durchführen, attribuieren können.
aufbauen lassen. Besprechen und Ausschalten weiter
Eigene Entspannungs- und Freizeit- bestehender Gefahrenquellen in der
möglichkeiten nutzen und weiter Wohnumwelt der Betroffenen.
ausbauen.
Der wohl beste Schutz bei der Arbeit mit den 2.3.1 Aufbau einer vertrauensvollen
komplizierten und tragischen Fällen vieler Trau- Beziehung
maopfer ist die Supervision bei kompetenten,
vertrauenswürdigen und erfahrenen Therapeu- Beim PTB-Störungsbild ist die Fähigkeit der Pa-
ten. Ich stimme Herman (1993) zu, die dafür plä- tienten herabgesetzt, Vertrauen zu empfinden
diert, dass niemand allein mit den Traumaopfern (s. Kap. 1). Dieser Vertrauensverlust ist beson-
arbeiten kann. Erst dadurch, dass wir einander ders bei Opfern interpersoneller (»man made«)
kollegiale Unterstützung geben, kann es gelingen, und/oder mehrfacher Traumen ausgeprägt (z. B.
die nötigen Kräfte für die Behandlung von trau- Kindesmissbrauch, Vergewaltigungen, Folter).
matisierten Patienten zu behalten. Aus diesem Grund kann man in der ersten Zeit
46 Kapitel 2 · Besonderheiten bei der Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung
!
->"Ich bin leicht erregbar geworden"
Missglückte Bewältigungsversuche
f
"Nicht mehr claran denken"
des Körpe rs gehören und damit eine be- Psychotherapie die Symptome stärker werden
stimmte »Weisheit des Körpers« ausdrücken. können, bevor sie sich in der Therapie bessern.
Bei der Erarbeitung eines Veränderungs- Erlebnisse zu berichten. Der Aufbau einer guten
modells steht die Sicht des Patienten im Mittel- Motivation für die Konfrontation mit den trau-
punkt, wobei er durch die Fragen des Therapeu- matischen Erinnerungen bzw. das Durcharbeiten
ten geführt wird. ist von daher eine wichtige Aufgabe des Thera-
peuten, denn es kann nicht erwartet werden, dass
f) Beispiel (zu a Abb. 2.2) der Patient ein Verständnis über das therapeuti-
Ein Patient hatte berichtet, dass >>die Bilder vom sche Vorgehen von sich aus in die Therapie mit-
Erlebnis immer wiederkommen«. »Wie reagieren bringt.
Sie in einem solchen Moment darauf, dass die Patienten fragen möglicherweise nach, wie
Bilder immer wiederkommen?«. Die Antwort des die Heilungschancen für ihre Störungen und Be-
Patienten: »Ich versuche, nicht mehr daran zu einträchtigungen sind. Diese Frage kann auf-
denken«, könnte vom Therapeuten weitergeführt grund der Psychotherapieforschung zur PTB (s.
werden mit der Frage: »Was passiert in solchen Kap. 1 und 4) durchaus optimistisch beantwortet
Momenten; sind Ihre Versuche, die Bilder zu ver- werden, ohne dass eine solche Antwort die un-
drängen, erfolgreich?« realistische Erwartung weckt, der Therapieerfolg
Auf der Suche nach einer positiven Verän- wäre im passiven Selbstlauf zu erreichen.
derungsmöglichkeit kann gefragt werden: Nicht zuletzt ist es hilfreich, schon im psycho-
»Wann geht es Ihnen besser mit der Erinnerungs- edukativen Teil der Erstkontakte die Information
flut? Gibt es Situationen, in denen die Belastung zu vermitteln, dass die Therapie nicht schnell zur
nicht so stark ist?« Auf diese Frage kann der Pa- Symptomfreiheit führen wird. Von Meichenbaum
tient möglicherweise antworten, dass es ihm (1994) stammt der Satz: »Der Heilungsprozess ist
besser geht, wenn er mit anderen darüber geredet wie ein Marathonlauf, es kommt auf die Ausdauer
hat. an.«
Der Therapeut kann abschließend den Begriff
des Durcharbeitens der Erinnerungen einführen,
der den »Teufelskreis<< von Intrusionen und Ver- 2.4.2 Vorbereiten auf das wiederholte
meidung unterbrechen hilft. Nacherleben des Traumas
Ohne die Erarbeitung eines Veränderungs- Alle Autoren der nachfolgenden Kapitel gehen
modells würden sich die Patienten nur schwer davon aus, dass die traumatischen Erlebnisse
in den folgenden Therapiestunden darauf einlas- während der Therapie einige Male bis mehrfach
sen, regelmäßig wieder über die traumatischen ganz genau besprochen bzw. imaginativ nach-
50 Kapitel 2 · Besonderheiten bei der Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung
erlebt werden sollten. Um dies zu ermöglichen, nicht den Knochen richtet oder die Wunde reinigt,
muss -wie bereits beschrieben - eine Atmosphä- der Patient viel länger Schmerzen haben wird,
re des größtmöglichen Vertrauens und der Si- dass er/sie behindert bleiben und wohl niemals
cherheit hergestellt sein. Ebenso ist es wichtig, ei- wieder richtig genesen wird. Es ist hart und
ne Motivation dafür aufzubauen, dass die Offen- schmerzhaft für den Arzt, die notwendigen Be-
legung eine heilende Wirkung hat. Es ist im Üb- handlungen durchzuführen und Schmerzen durch
rigen auch ethisch geboten, dass der Therapeut das Richten des Beins oder das Reinigen der Wun-
keine Interventionsschritte einsetzt, die nicht den auszulösen. Aber die notwendigen Handlun-
vorher mit dem Patienten abgesprochen und gen sind ein Ausdruck der Sorgfalt, die eine Hei-
von ihm gutgeheißen wurden. lung erst ermöglicht.«
Es blieb bisher eine offene Frage in der Fach-
literatur, ob man die Selbstöffnung des Patienten Wunde reinigen (Hammond, 1990, S. 346). »Auch
mehr oder weniger aktiv ermuntern sollte. Der das Wiederdurchleben der quälenden Erinnerun-
Autor bevorzugt eine betonte und nachdrückli- gen und Gefühle wird für eine kurze Zeit ein
che Ermunterung dazu. Eine Grundregel ist aller- schmerzhafter Prozess sein, genauso wie das Rei-
dings, dass das Tempo der Selbstöffnung vom Pa- nigen einer Wunde. Aber danach wird der
tienten akzeptiert wird. Eine wichtige Rolle wäh- Schmerz geringer und die Heilung wird eintreten
rend des therapeutischen Prozesses spielen die können«.
Familienmitglieder. Einige Patienten und Famili-
enmitglieder können sich demgegenüber reser- Schrankmetapher (Ehlers, 1999). »Sie können sich
viert verhalten, dass die traumatischen Geschich- das wie bei einem Schrank vorstellen, in den man
ten erneut wieder »hervorgeholt« werden. Sie viele Dinge ganz schnell hineingeworfen hat, so
sollten - wenn notwendig und möglich - über dass man die Tür nicht ganz schließen kann. Ir-
den therapeutischen Prozess informiert bzw. in gendwann wird die Tür aufgehen und etwas fällt
ihn einbezogen werden. Familienmitglieder stabi- heraus. Was muss man tun, damit die Dinge nicht
lisieren häufig das Vermeidungsverhalten von Pa- mehr herausfallen? Man muss alle Dinge heraus-
tienten. Von daher ist es notwendig, auch ihnen nehmen, ansehen, sortieren und dann geordnet
plausibel zu machen, warum von den bisher be- in den Schrank räumen. Genauso ist das mit
nutzten Alltagsstrategien (z. B. »Gras über die Sa- dem Gedächtnis für ein traumatisches Erlebnis.
che wachsen lassen«) Abstand genommen wer- Leider kann auch da die Tür nicht einfach zuge-
den soll. Ein wichtiger Schritt kann darin beste- macht werden, ohne dass man vorher alles, was
hen, dass der Patient das Erklärungs- und Verän- passiert ist, ansieht und nach der Bedeutung,
derungsmodell für die PTB-Störung seinen Be- die es für einen hat, ordnet. Damit es Vergangen-
zugspersonen weitervermittelt (Herrle, 1997). heit wird, muss es betrachtet und eingeordnet wer-
Als Vorbereitung für die wiederholte thera- den.«
peutische Konfrontation mit den traumatischen Es soll noch einmal darauf hingewiesen wer-
Erinnerungen kann es nützlich sein, eine ein- den, dass die Qualität des wiederholten Vergegen-
führende Erläuterung zu geben, um einen Patien- wärtigen des Traumas mit den Reaktionen des
ten auf die schmerzvolle Konfrontation mit den Therapeuten zusammenhängt:
traumatischen Erlebnissen vorzubereiten.
M. Schützwohl
3.2 Differenzialdiagnostik - 67
Literatur - 71
54 Kapitel 3 · Diagnostik und Differenzialdiagnostik
Diagnostisches Interview bei Psychischen regrad können also nicht unabhängig voneinan-
Störungen (DIPS für DSM-IV) und der beurteilt werden. Die Sektion endet mit der
Diagnostisches Interview bei Psychischen Erfassung der erlebten Beeinträchtigung sowie
Störungen - Forschungsversion detaillierten Fragen zur zeitlichen Einordnung
(F-DIPS für DSM-IV) der Symptomatik. Die Fragen der Sektion zur
akuten Belastungsstörung (ABS) gliedern sich
Das Diagnostische Interview bei Psychischen
in Fragen zu einer aktuellen ABS und zu einer
Störungen (DIPS) liegt aktuell nur in einer die
früheren ABS. Die Symptombeurteilungen sind
Kriterien der DSM-III-R erfassenden Version
wiederum auf der beschriebenen 9-stufigen Skala
vor (Margraf et al., 1994). Es soll hier kurz er-
abzugeben.
wähnt werden, weil dieses Verfahren, das die
Die Beurteilungsregel im diagnostischen Al-
Zielstellung der kategorialen Diagnostik mit der
gorithmus sieht sowohl für die PTB als auch für
Erhebung therapierelevanter Information kom-
die ABS vor, dass ein Symptom dann in diagnos-
biniert, vor allem für den Bereich der Angst-
tisch relevanter Ausprägung vorliegt, wenn es auf
störungen von Relevanz ist.
der Skala Häufigkeit/Schweregrad mindestens
mit 4 (=mäßig/gelegentlich) beurteilt ist. Zur
Brauchbarkeit dieser Regel in verschiedenen Po-
Die Publikation einer an die Kriterien der
pulationen gibt es leider keinerlei Angaben, wie
DSM-IV angepassten Version ist derzeit in
überhaupt aktuell Informationen zu den Gütekri-
Vorbereitung (Schneider & Margraf, 2003, in
terien der PTB-Sektion und der ABS-Sektion lei-
Druck). Diese Version wird bei einer Durch- der nicht vorliegen.
führungsdauer von etwa 30- 4S Minuten die
Erfassung der wichtigsten Störungskatego- DIA-X-Interview
rien, einschließlich der akuten Belastungs-
störung, ermöglichen und es zudem erlauben, Das DIA-X-Interview (Wittchen & Pfister, 1997)
die DSM-IV-Diagnosen in ICD-10-Diagnosen zu ist als Weiterentwicklung des »Composite Inter-
überführen. Zur DSM-111-R-Version belegen national Diagnostic Interview« (CIDI) ein modu-
Untersuchungen die Reliabilität und Va lidität lares und flexibles diagnostisches Beurteilungs-
des DIPS nach einem systematischen Training system, das die Diagnosestellung entsprechend
als zumindest zufriedenstellend (Schneider & ICD-10 und DSM-IV ermöglicht. Dabei kann es
Margraf, 2003, in Druck). je nach Fragestellung in einer Lebenszeit-Version
oder einer zeitlich weniger aufwendigen Quer-
schnittsfassung (12 Monate) eingesetzt werden.
Das DIPS liegt auch in einer erweiterten For- Es liegt in einer Papier-Bleistift- und einer Pe-
schungsversion vor (F-DIPS; Margraf et al., 1996). Version vor, deren Anwendung von den Heraus-
Die Erfassung posttraumatischer Belastungsreak- gebern nachdrücklich empfohlen wird, da die Pa-
tionen beginnt hier mit einer ausführlichen Er- pier-Bleistift-Version nicht per Handauszählung
fassung der Traumatisierung und mit Screening- auswertbar ist. Es ist ein standardisiertes Inter-
Fragen view, das die Erfassung der diagnostischen Krite-
- zur aktuellen Symptomatik, rien einer PTB erlaubt, nicht aber die der ABS.
- zur Lebenszeitprävalenz posttraumatischer Der Interviewteil zur PTB beginnt mit der Er-
Belastungsreaktionen und kundung nach einem traumatischen Lebensereig-
- zur Symptomdauer. nis. Hierzu steht dem Interviewer mit der Liste
N1 aus dem Ergänzungsheft ein Hilfsmittel zur
Im Rahmen der anschließenden Erfassung der Verfügung, das 8 Fragen nach konkreten trauma-
Kernsymptomatik einer PTB ist für jedes Symp- tischen Erlebnissen umfasst (z. B. »Sie wurden
tom ein Rating auf einer 9-stufigen Skala abzuge- ernsthaft körperlich bedroht (z. B. mit einer Waf-
ben, die in ihren Ankerpunkten Häufigkeit und fe), angegriffen, verletzt oder gequält«) und mit
Schweregrad verbindet - Häufigkeit und Schwe- der offenen Fragestellung nach anderen schreck-
3.1 · Erhebungsverfahren zur Diagnostik der posttraumatischen Belastungsstörung
59
3
liehen Ereignissen endet. Anschließend ist ggf. Schedules for Clinical Assessment
abzuklären, ob das A-Kriterium vollständig in Neuropsychiatry (SCAN)
erfüllt ist und das Ereignis mit Angst, Hilflosig-
Die Schedules for Clinical Assessment in Neuro-
keit oder Schrecken verbunden war.
psychiatry, kurz SCAN-System genannt, ist ein
Hat der Patient ein traumatisches Ereignis er-
von der WHO herausgegebener Instrumentensatz
lebt, ermittelt der Interviewer zunächst unter Ver-
zur umfangreichen Erfassung von psychepatho-
wendung der vollständig vorformulierten und ge-
logischen Symptomen sowie zur Klassifikation
nerell wörtlich vorzulesenden Fragen, ob die
der wichtigsten psychiatrischen Störungsbilder
Kennzeichen der posttraumatischen Belastungs-
(World Health Organization, 1999). Beurteilungs-
störung nach dem traumatischen Ereignis (Le-
zeitraum ist der Monat vor dem Untersuchungs-
benszeit-Version) bzw. in den letzten 12 Monaten
datum ())Present State Erhebung«) oder ein zu
(Querschnittsfassung) vorlagen. Dann werden
definierender früherer Zeitraum mit klinisch re-
Zeitpunkt und Dauer der Symptomatik genauer
abgeklärt. Um Informationen über den Schwere- levanten Symptomen.
grad der posttraumatischen Belastungsreaktion
zu erhalten, werden abschließend das Bewälti-
gungsverhalten sowie die Beeinträchtigung all- Inzwischen liegt das SCAN-System in seiner
täglicher Aktivitäten ermittelt. neuesten Version in deutscher Übersetzung
vor (Maurer et al., 2003, in Druck). Es erlaubt
die Erfassung der PTB als auch der ABS, wobei
Das DIA-X erfordert sowohl bei Verwendung Algorithmen zur Diagnostik nach DSM-IV und
der PC-Version wie auch der Papier-Bleistift- nach ICD-10 definiert sind. Die Erfassung aller
Version ein ausführliches Training, kann aber zur PTB-Diagnostik erforderlichen Informatio-
nach Ansicht der Herausgeber auch bei feh- nen erfolgt in einer einzigen Sektion, wohin-
lender klinischer Erfahrung durchgeführt gegen der Interviewer zur Erfassung aller zur
werden - wobei die Interpretation der ermit- ASS-Diagnostik erforderlichen Informationen
telten DIA-X-Diagnosen allerdings klinisch er- Fragen aus einer Vielzahl anderer Sektionen
fahrenen Diagnostikern vorbehalten bleiben stellen muss. Der Einsatz des 5CAN-Systems,
muss (Wittchen & Pfister, 1997). Die Durch- das von erfahrenen Klinikern durchgeführt
führungsdauer wird mit 75 Minuten bei An- werden sollte, ist angesichts einer Durch-
wendung der Lebenszeit-Version und 55 Mi- führungszeit von ca. 60 Minuten allein für die
nuten bei Anwendung der Querschnittsfas- »Present State Erhebung<< nur im Rahmen ei-
sung angegeben; die Durchführungsdauer für ner umfangreichen allgemeinen Diagnostik
die Fragen zur PTB ist bei traumatisierten Pa- empfehlenswert. Das SCAN-System liefert nur
tienten mit 15-20 Minuten anzusetzen. Daten dichotomer Ausprägung; Angaben zur
teststatistischen Qualität liegen leider nicht
vor.
Reliabilität und Validität haben sich nach Anga-
ben der Autoren in epidemiologischen und klini-
schen Studien als fast durchgängig sehr hoch er- Clinician-Administered PTSD Scale (CAPS)
wiesen. Das DIA-X liefert allerdings nur dichoto-
Die Clinician-Administered PTSD Scale (CAPS;
me Aussagen über das Vorhandensein von PTB-
Blake et al., 1990; 1995, dt. Nyberg & Frommber-
Symptomen und das Vorliegen einer PTB. Die In-
ger, 1998), ein von Klinikern entwickeltes Verfah-
tensität der Belastungsreaktionen lässt sich nicht
ren, bietet nicht nur die Möglichkeit zur Erfas-
in kontinuierlichen Daten ausdrücken.
sung diagnostisch relevanter Informationen, son-
dern erlaubt darüber hinaus die Erhebung inte-
ressanter Zusatzinformationen. Es ist eines der
zur PTB-Diagnostik am häufigsten eingesetzten
Verfahren, dessen Anwendung in wissenschaftli-
60 Kapitel 3 · Diagnostik und Differenzialdiagnostik
eben Studien von einer Expertenkommission aus- - der Beginn der Symptomatik und deren Dau-
drücklich empfohlen wird (Charney et al., 1998). er (vgl. Kriterium E),
Der Interviewer erfasst zunächst Angaben - die Auswirkungen der Symptombelastung
zum traumatischen Ereignis, um dann anband (vgl. Kriterium F) und
definierter Kriterien beurteilen zu können, ob - Angaben zur globalen Beurteilung der Ge-
das A-Kriterium der PTB nach DSM-IVerfüllt ist. samtintensität der Symptomatik sowie zur
Unter Verwendung von vorformulierten Fragen Validität der Ratings
zur Symptomatik wird anschließend erfragt, in erhoben, bevor der Interviewer dann in einen
welcher Häufigkeit und mit welcher Intensität entsprechenden Dokumentationsbogen die diag-
die 17 diagnostisch relevanten Kennzeichen einer nostisch relevanten Ratings einträgt, um darüber
PTB nach DSM-IV (vgl. Kriterien B, C, und D) im entscheiden zu können, ob die DSM-IV-Kriterien
letzten Monat auftraten. Um ein möglichst ge- einer PTB erfüllt sind.
naues Rating der Häufigkeit und der Intensität Dabei gilt, dass ein Symptom dann verlässlich
auf den getrennten Likert-Skalen zu erhalten, in diagnostisch relevanter Ausprägung vorliegt,
können dem Patienten die Anker beider Skalen wenn die Häufigkeit mindestens mit 1 und der
- die Skala der Schweregradbeurteilung ist je- Schweregrad mindestens mit 2 beurteilt wird.
weils spezifisch auf Verhaltensebene definiert Den Abschluss der CAPS bilden Fragen zum
(s. a Abb. 3.1) - vorgelesen werden. In weiteren Vorliegen von »assoziierten und hypothetischen
Sektionen werden Merkmalen« einer PTB, z. B. Hoffnungslosigkeit,
Depression oder Gemeingefährlichkeit.
Häufigkeit:
Haben Sie jemals ungewollte Erinnerungen an das Ereign is gehabt, ohne mit etwas konfrontiert gewesen zu sein, das
Sie daran erinnert hat? Traten diese Erinnerungen im Wachzustand auf, oder nur in Träumen? [Ausschließen, falls nur in
Träumen! Wie oft kam das im letzten Monat vor?
0 Nie
Ein- oder zweimal
2 Ein· oder zweimal pro Woche
3 Mehrere Male pro Woche
4 Täg lich oder fast täglich
Intensität:
Alsesam schlimmsten war, wie belastend waren diese Erinnerungen für Sie? Führten diese Erinnerungen dazu, dass Sie
Ihre Tätigkeit unterbrechen mussten? Waren Sie in der Lage diese Erinnerungen wegzuschieben, wenn Sie es versuch-
ten?
o Nie
1 Geringe Belastung
2 Mäßig, Belastung deutlich vorhanden, aber kontrollierbar, mitunter Unterbrechung der Aktivität
3 Schwer. erhebliche Belastung mit Unterbrechung von Aktivitäten und Schwierigkeiten,
die Erinnerungen wegzuschieben
4 Extrem, lähmendes Unbehagen, das Sie unfähig macht, Ihre Aktivitäten fortzusetzen
und die Erinnerungen wegzuschieben
U Abb. 3.1. Beispielitern aus der Clinician Administered PTSD Skala (CAPS)
3.1 · Erhebungsverfahren zur Diagnostik der posttraumatischen Belastungsstörung 61 3
Denken Sie bitte an das Ereignis. Geben Sie im Folgenden an, wie Sie in der vergangeneo Woche zu diesem Ereignis
gestanden haben, indem Sie für jede der folgenden Reaktionen ankreuzen, wie häufig diese bei Ihnen aufgetreten ist.
Subskala Intrusion
1. Immer wenn ich an das Ereignis erinnert wurde, kehrten die Gefühle wieder.
3. Andere Dinge erinnerten mich immer wieder daran.
6. Auch ohne es zu beabsichtigen, musste ich daran denken.
9. Bilder, die mit dem Ereignis zu tun hatten, kamen mir plötzlich in den Sinn.
14. Ich stellte fest. dass ich handelte oder fühlte, als ob ich in die Zeit des Ereignisses zurückversetzt sei.
16. Es kam vor, dass die Gefühle, die mit dem Ereignis zusammenhingen, plötzlich für kurze Zeit viel heftiger
wurden.
20. Ich träumte davon.
Subskala Vermeidung
5. Ich versuchte mich nicht aufzuregen, wenn ich daran dachte oder daran erinnert wurde.
7. Es kam mir so vor, als ob es gar nicht geschehen wäre oder irgendwie unwirklich war.
8. Ich versuchte, Erinnerungen daran aus dem Weg zu gehen.
11 . Ich versuchte, nicht daran zu denken.
12. Ich merkte zwar, dass meine Gefühle durch das Ereignis noch sehr aufgewühlt waren,
aber ich beschäftigte mich nicht mit ihnen.
13. Die Gefühle, die das Ereignis in mir auslösten, waren ein bisschen wie abgestumpft.
17. Ich versuchte, das Ereignis aus meiner Erinnerung zu streichen.
22. Ich versuchte, nicht darüber zu sprechen.
Subskala Übererregung
2. Ich hatte Schwierigkeiten, nachts durchzuschlafen.
4. Ich fühlte mich reizbar und ärgerlich.
10. Ich war leicht reizba r und schreckhaft.
15. Ich konnte nicht einsch lafen, weil ich immer dieses Ereignis vor mir sah.
18. Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren.
19. Die Erinneru ngen daran lösten bei mir körperliche Reaktionen aus, wie Schwitzen, Atemnot, Schwindel
oder Herzklopfen.
21. Ich empfand mich selber als sehr vorsichtig, aufmerksam oder hellhörig.
D Abb. 3.2. Instruktion und ltems der Impact of Event·Skala - Revised (IES·Rl
64 Kapitel 3 · Diagnostik und Differenzialdiagnostik
Im Folgenden finden Sie eine Reihe von Erfahrungen, die Menschen manchmal nach traumatischen Erlebnissen haben.
Bitte lesen Sie jede Aussage durch und bestimmen Sie anschließend wie häufig bzw. wie stark die Beschreibung wäh·
rend des letzten Monats auf Sie zutraf. (.. .)
Dabei bedeutet
0 =überhaupt nicht/nie
1 =einmal oder seltener pro Woche/ein bisschen
2 = 2· bis 4mal pro Woche/stark
3= 5mal pro Woche oder öfter/sehr stark
Wenn ja: Wie häufig erlebten Sie dies? Wenn ja: Wie sehr litten Sie darunter?
nie Smal pro Woche überhaupt sehr
oder öfter nicht stark
0 2 3 0 2 3
D Abb. 3.3. Anleitung und Beispielitern aus der PTSD Symptom Skala - Self Report (PSS·SR)
in der Version von Steil & Ehlers (1992)
IES entsprechend auf 4-stufigen Skalen erfasst Der Schweregrad der Störung wird über den
und verrechnet. 2 Summenwert der Antworten bestimmt. Die Sum-
Reliabilität und Validität der deutschen Adap- menwertbildung ist darüber hinaus aus den 5 Er-
tation sind belegt (Maercker & Schützwohl, innerungssymptomen, den 7 Vermeidungssymp-
1998). Trotz der Erweiterung um die Subskala tomen und den 5 Übererregungssymptomen
Übererregung ist eine zuverlässige individual- möglich. Zur diagnostischen Klassifikation nach
diagnostische Zuordnung durch die IES-R nicht DSM werden Antworten mit einem Punktwert
möglich, da die 22 Items nicht mit den DSM-IV- von mindestens 1 als diagnostisch relevant be-
Symptomen korrespondieren. wertet. Die PSS-SR ist damit ein Verfahren, das
Informationen sowohl in dichotomer als auch
in kontinuierlicher Ausprägung liefert. Es ist in-
PTSD Symptom Skala - Self Report (PSS-SR) zwischen auch in der deutschen Version teststa-
Die PTSD Symptom Skala - Self Report (PSS-SR; tistisch überprüft, wobei es sich als reliables
Foa et aL, 1993; dt. Winteret al., 1992) besteht aus und valides Instrument erwiesen hat (Stieglitz
17 Aussagen, die direkt mit den Symptomen des et aL, 2001).
DSM korrespondieren. Die Symptomhäufigkeit Steil & Ehlers (1992) modifizierten die PSS-
wird - bezogen auf den letzten Monat - auf einer SR und legten einen Fragebogen vor, mit dem ne-
4-stufigen Skala dokumentiert: 0 =»überhaupt ben der Symptomhäufigkeit auch die Symptom-
nicht/nie«, 1 =»einmal oder seltener pro Woche/ belastung erfasst werden kann (s. a Abb. 3.3). Da-
manchmal«, 2 = »2- bis 4mal pro Woche/die Hälf- zu wird auf 2 unabhängig voneinander zu beur-
te der Zeit« und 3 = »5mal oder öfter pro Woche/ teilenden 4-stufigen Skalen die Häufigkeit eines
fast immer«. Symptoms erhoben (O =»überhaupt nicht/nie«
bis 3 = »5mal oder öfter pro Woche/fast immer«)
bzw. wie sehr die Betroffenen unter diesem
Symptom litten (0 =»überhaupt nicht«, 1 =»ein
2 Die Autoren der amerikanischen Version schlugen allerdings
bisschen«, 2 =»stark« und 3 =»sehr stark«). Die
vor, das Ausmaß der aus den Symptomen resultierenden Belas-
Reliabilität dieser modifizierten Version der PSS-
tung zu erfassen, die Antworten auf einer 5-stufigen Skala zu
SR ist belegt (Steil & Ehlers, 1992).
kodieren und mit den Werten 0, 1, 2, 3 und 4 zu verrechnen
(Weiss & Marmar, 1996).
3.1 · Erhebungsverfahren zur Diagnostik der posttraumatischen Belastungsstörung 65 3
Modified PTSD Symptom Scale (MPSS) dungeiner 4-stufigen Skalierung (0 = ))überhaupt
nicht« bis 3 = ))Oft«) einen Schwellenwert von 12,5
Im amerikanischen Raum wurde die Modified
berichtet.
PTSD Symptom Scale (MPSS) vorgelegt, die ne-
Die PTSS-10 ist in ihrer Anwendung bei einer
ben der Symptomhäufigkeit auch die Symptom-
Durchführungszeit von ca. 3 Minuten sehr öko-
intensität auf einer 5-stufigen Skala (O =»über-
nomisch und hinsichtlich interner Konsistenz
haupt nicht belastend« bis 4 = »extrem belas-
sowie konvergenter und divergenter Validität
tend«) abbildet (Falsetti et al., 1992). Dieses In-
auch in der vorliegenden deutschen Übersetzung
strument liegt inzwischen ebenfalls in deutscher
(Maercker, 1998, unveröffentlicht) positiv evalu-
Übersetzung vor (Spitzer et al., 2001). Die Auto-
iert (Maercker, 2003).
ren der deutschen Version haben dabei den kate-
gorialen Auswertungsmodus in Anlehnung an die
CAPS verändert und fordern neben einem Min- Posttraumatic Diagnostic Scale (PDS)
destwert von 1 für die Symptomhäufigkeit auch
einen Mindestwert von 2 für den Schweregrad. Mit der Posttraumatic Diagnostic Scale (PDS)
Im Rahmen einer teststatistischen Überprüfung entwickelten Foa et al. (1997; dt. Ehlers et al.,
hat sich das Verfahren zur Anwendung qualifi- 1996; Steil & Ehlers, 2003, in Vorbereitung) ein
ziert (vgl. Spitzer et al., 2001). Selbstbeurteilungsverfahren, das neben den
Symptomen der PTB auch die Reaktion der Be-
troffenen auf das Ereignis und das Vorliegen
Posttraumatische Stress Skala-1 0 (PTSS-1 0) von durch die Störung verursachten Beeinträchti-
gungen in sozialen und beruflichen Funktions-
Die Posttraumatische Stress Skala-10 (PTSS-10}
bereichen erfasst. Damit ermöglicht die PDS,
ist ursprünglich von Holen et al. (1983) als In-
die ebenfalls als Weiterentwicklung der PSS-SR
strument zur Erfassung posttraumatischer Belas-
gilt, explizit die Diagnostik nach den Kriterien
tungsreaktionen entwickelt und in modifizierter
der DSM-IV.
Form zunehmend als Screeninginstrument zur
Die Beurteilungen der Patienten, wie häufig
Identifizierung von PTB verwendet worden (z. B.
sie im letzten Monat von den Symptomen betrof-
Weisreth, 1989). Die Instruktion fragt nach dem
fen waren, erfolgen auf einer 4-stufigen Skala, de-
Vorliegen von 10 Symptomen in den letzten 7 Ta-
ren Skalenbeschreibung und Verrechnung weit-
gen, z. B. nach ))Schlafstörungen«, ))Alpträumen
gehend der Originalversion der PSS-SR ent-
über die Ereignisse« oder ))Stimmungsschwan-
spricht (s. D Abb. 3.4). Der Schweregrad der
kungen«. Die PTSS-10 erfasst weder die diagnos-
posttraumatischen Belastung wird mit der PDS
tischen Kriterien der PTB nach dem DSM noch
durch das Aufsummieren der ltemantworten er-
nach der ICD-10, weswegen Screeningkriterien
mittelt.
zur Identifikation von PTB definiert wurden.
Untersuchungen mit der Originalversion
Thulesius & Häkansson (1999) wählten hierfür
konnten die Reliabilität und Validität der PDS
5 Fragen der PTSS-10 aus, deren Beantwortung
als außergewöhnlich hoch bestätigen (Foa et al.,
auf einer ?-stufigen Skala (1 =))keine Probleme«
1997; vgl. Keane et al., 2000). Untersuchungen
bis 7 =))sehr schwere Probleme«) erfolgt. Bei ei-
zu den Gütekriterien der deutschsprachigen Über-
nem Mittelwert der Antworten von mindestens
setzung der PDS stehen noch aus.
4,5 gehen die Autoren davon aus, dass eine PTB
vorliegt. Alternativ hierzu definierten sie in ihrer
Untersuchung an bosnischen Kriegsflüchtlingen
Symptom-Checklist (SCL-90-R)
aufgrund klinischer Beobachtungen einen
und Minnesota Multiphasic Personality
Schwellenwert von 45. In einer empirischen Un-
lnventory (MMPI)
tersuchung an Patienten mit akutem Lungenver-
sagen berechneten Stoll et al. (1999) dagegen ei- Kurz erwähnt werden soll abschließend, dass zur
nen optimalen Schwellenwert von 35, während Erfassung posttraumatischer Belastungsreaktio-
Maercker (1998, unveröffentlicht) unter Verwen- nen auch Verfahren eingesetzt werden können,
66 Kapitel 3 · Diagnostik und Differenzialdiagnostik
Im Folgenden finden Sie eine Reihe von Problemen, die Menschen manchmal nach traumatischen Erlebnissen haben.
Bitte lesen Sie sich jedes der Probleme sorgfältig durch. Wählen Sie diejenige Antwortmöglichkeit (0-3), die am besten
beschreibt, wie häufig Sie IM LETZTEN MONAT (d.h. in den letzten vier Wochen bis einschließlich heute) von diesem
Problem betroffen waren. ( ...)
Dabei bedeutet
D Abb. 3.4. Anleitung und Beispielitern aus Teil 3 der Posttraumalle Diagnostic Scale (POS)
die ursprünglich für die Beurteilung anderer und 90 der SCL-90-R. Der Summenwert, der di-
Störungen entwickelt worden waren (vgl. Mei- agnostisch am Besten trennt, wird mit WZ-
chenbaum, 1995). Zu den wichtigsten dieser Ver- PTSD= 1,3 angegeben (Weathers et al., 1996).
fahren zählen die Symptom-Checklist (SCL-90-R; Im Rahmen eigener Untersuchungen an in der
Derogatis, 1977; dt. Franke, 1995) und das Minne- DDR aus politischen Gründen Inhaftierten
sofa Multiphasic Personality Inventory (MMPI; (Maercker & Schützwohl, 1997) konnten unter
Hathaway & McKinley, 1951; dt. Hathaway & Kin- Verwendung dieses Grenzwertes knapp 80o/o der
ley, 1963). untersuchten Personen diagnostisch richtig, d. h.
in Obereinstimmung mit dem DIPS, zugeordnet
werden (Sensitivität= 0,71, Spezifität = 0,8, Kap-
Crime-Related Posttraumatic pa=0,48).
Stress Disorder Scale (CR-PTSD Skala)
ten, dass sich die diagnostischen Kriterien in auch die Kriterien einer depressiven Störung
ICD-10 und DSM-IV zum Teil sehr deutlich un- erfüllt. In diesem Fall sind die Diagnosen unab-
terscheiden, so dass sich je nach verwendetem hängig voneinander zu vergeben.
Klassifikationssystem die Formulierung unter-
schiedlicher Diagnosen ergeben kann.
Borderlinestörung
Die Kriterien der komplexen posttraumatischen
Anpassungsstörungen Belastungsstörung, aber auch die primären und
Anpassungsstörungen sind in der Regel dann zu häufig zu beobachtenden sekundären Störungen
diagnostizieren, wenn die posttraumatischen Be- einer PTB, überschneiden sich deutlich mit den
lastungsreaktionen in ihrer typischen Form auf- Kriterien einer Borderlinestörung, z. B. Impuls-
treten, die Symptomanzahl aber nicht den diag- kontrollstörungen, Ärgerreaktionen, Suizidalität
nostischen Kriterien der PTB genügt oder die Be- oder Affektinstabilität (Driessen et al., 2002). Zu-
lastungsreaktionen nach einem Ereignis auftre- dem ist es ein allgemein bekannter Befund, dass
ten, das nicht als ein traumatisches bezeichnet Personen mit einer Borderlinestörung häufig in
werden kann (z. B. Kündigung oder Arbeitslosig- ihrer frühen Kindheit traumatisiert wurden. Den-
keit). In der Forschungsliteratur werden Erschei- noch ist festzuhalten, dass Traumatisierungen
nungsbilder dieser Art häufig als partielle oder nicht kausal mit Borderlinestörung in Verbin-
Subsyndromale PTB bezeichnet. In einer eigenen dung stehen. Daher sollte - wenn die Kriterien
empirischen Untersuchung hat sich die Nützlich- beider Störungsbilder erfüllt sind - dies auch
keit dieser Kategorienbildung - bei Verwendung im Sinne einer Komorbidität dokumentiert wer-
der strengeren DSM-IV-Kriterien der PTB - be- den. Zur Diagnostik der Borderlinestörung sei
stätigt (Schützwohl & Maercker, 1999). z. B. auf das Diagnostische Interview für Border-
Hne-Patienten in seiner revidierten Fassung
(DIB-R; Baum-Dill et al., 1983) verwiesen.
Angststörungen
Die typischen körperlichen Begleiterscheinungen Artifizielles Vortäuschen
von Angststörungen (z. B. Atemnot, Herzrasen Die Unterscheidung zwischen artifiziellen, d. h. in
oder Hitzewallungen) erleben Patienten, die un- der Regel mit unklarer Motivation vorgetäuschten
ter den Folgen traumatischer Erfahrungen leiden, Belastungsreaktionen und dem Vorliegen »echter«
häufig bei Konfrontation mit an das Trauma erin- posttraumatischer Belastungsreaktionen ist
nernden Ereignissen. Das Vorliegen posttrauma- schwierig und erfordert ein diagnostisches Vor-
tischer Belastungsreaktionen ist von den anderen gehen auf mehreren Ebenen. Ein differenzialdiag-
Angststörungen dadurch zu unterscheiden, dass nostisches Kriterium ist, dass Patienten mit einer
die Symptomatik eindeutig inhaltlich in Zusam- artifiziellen Störung der Regel Symptome anderer
menhang mit der Traumatisierung steht. Persönlichkeitsstörungen aufweisen. Der Einsatz
von Verfahren zur Persönlichkeitsdiagnostik- et-
wa des SKID-II (Fydrich et al., 1997) oder des
Depressionen
Persönlichkeits-Stil- und Störungs-Inventar (Kuhl
In der klinischen Praxis klagen Patienten häufig & Kazen, 1997) - ist daher zu empfehlen, wenn ein
zunächst darüber, dass sie sich depressiv und Verdacht auf artifizielles Vortäuschen besteht.
hoffnungslos fühlen und an ihnen früher wichti-
gen Aktivitäten nicht mehr interessiert seien. Simulation
Dies kann Kennzeichen einer depressiven
Störung oder aber Ausdruck einer emotionalen Die Möglichkeit der Simulation ist dann in Erwä-
Erstarrung nach einer traumatischen Erfahrung gung zu ziehen, wenn aus dem Vorliegen post-
sein. Tatsächlich sind bei traumatisierten Patien- traumatischer Belastungsreaktionen ein (z. B. fi-
ten häufig sowohl die Kriterien einer PTB als nanzieller oder forensischer) Vorteil erwartet
3.3 · Ergänzende Diagnostik
69 3
werden kann. Verhaltensweisen, die auf Simulati- Zur differenzierten Erfassung eignen sich Verfah-
on hinweisen, sind z. B. unkooperatives oder aus- ren wie die Groningen Social Disability Schedules
weichendes Verhalten als Reaktion auf die Bitte (GSDS-11, Wiersma et al., 1990), der Fragebogen
um eine ausführliche Beschreibung der Sympto- zur Partnerschaftsdiagnostik (FPD; Hahlweg,
matik sowie die Idealisierung der prätraumati- 1996) oder auch der Fragebogen zur sozialen Un-
schen gesundheitlichen und sozialen Situation. terstützung (F-SOZU; Sommer & Fydrich, 1989).
Simulation in Form der Präsentation nicht vor- Die meisten Schwierigkeiten und Problemstel-
handener Beschwerden ist sehr selten; es kommt lungen sind nach dem DSM mit einer sog. »V-Ko-
eher zur Übertreibung tatsächlich bestehender dierung«, nach ICD-10 mit einer Kategorie aus
Symptomatik (Birck, 2002). Kapitel 21 (»Z-Kodierung«) zu verschlüsseln.
Neben Problemen und Beschwerden sollten im Es ist sinnvoll, die Durchführung therapeutischer
Verlauf des diagnostischen Prozesses auch die Maßnahmen durch die Erfassung von Informa-
Ressourcen und Kompetenzen des Patienten er- tionen über deren Verlauf (Prozess- und Behand-
fasst werden. Der Therapeut kann sich so Verhal- lungsevaluation) und deren Wirkung (Ergebnise-
tensweisen, Interessen und Fähigkeiten des Pa- valuation) zu ergänzen.
tienten zu Nutze machen und durch die Hervor-
hebung von Ressourcen und Kompetenzen das
Selbstwertgefühl des Patienten stärken. Patienten Prozess- und Behandlungsevaluation
mit posttraumatischen Belastungsreaktionen
verfügen aufgrund ihrer peri- und posttraumati- Die Prozess- und Behandlungsevaluation dient
schen Erfahrungen vielfach über neue Kompeten- der Erfassung der Prozessqualität der diagnosti-
zen und Ressourcen, z. B. über verbesserte Bewäl- schen und therapeutischen Maßnahmen. Nach
tigungsstrategien oder eine allgemeine Persön- Schulte (1996) kann die Prozessqualität ökono-
lichkeitsreifung. Zur Erfassung situations- misch erfasst werden, indem der Therapeut nach
unabhängiger, überdauernder Bewältigungsmodi jeder Sitzung ein Rating zum Patientenverhalten
kann der Stressverarbeitungsfragebogen (SVF; vornimmt, wobei auf Skalen von -3 bis +3 Thera-
Janke et al., 1985) eingesetzt werden. Der psycho- pienachfrage, Mitarbeit, Selbstöffnung und Er-
metrischen Erfassung der persönlichen Reifung proben bewertet werden. Grawe & Braun (1994)
nach einem belastenden Lebensereignis dienen schlagen vor, zur Erfassung der Prozessqualität
die Stress-Related Growth Scale (SRGS; Parket al., Stundenbögen einzusetzen, auf denen Patient
1996) sowie das Post-Traumatic Growth Inventory und Therapeut unabhängig voneinander die Qua-
(PGI; Tedeschi & Calhoun, 1996; s. Maercker & lität jeder einzelnen Therapiesitzung einschätzen.
Langner, 2001). Da der Therapieerfolg mit der Zufriedenheit der
Patienten in engem Zusammenhang steht (vgl.
Grawe & Braun, 1994), erlaubt ein kontinuierli-
Erfassung aufrechterhaltender Faktoren ches Erfassen der Patientenbewertungen ein
frühzeitiges Erkennen von Schwierigkeiten.
Die PTB remittiert häufig im ersten Jahr nach der
Traumatisierung und nimmt nur bei manchen
Betroffenen einen chronischen Verlauf. Zur Auf-
rechterhaltung tragen vermutlich Interpretatio- Zur individuellen Therapieplanung ist die Er-
nen, überzeugungen und Einstellungen bei, die fassung weiterer Informationen unerlässlich.
das Ausmaß der Belastung beim wiederholten Er- Fragebogen können sich auch in diesem Zu-
leben des Traumas steigern und dadurch Flucht- sammenhang als nützlich erweisen. Die Er-
und Vermeidungstendenzen auslösen, so dass fassung der Prozessqualität und der Thera-
Habituation nicht stattfinden kann (Ehlers & piewirkungen sollten die diagnostischen
Steil, 1995). Um ein großes Spektrum solcher Maßnahmen im Therapieverlauf vervollstän-
Faktoren zu erfassen, eignen sich - in Ergänzung digen.
zu offenen explorativen Fragen - der Fragebogen
zu Gedanken nach traumatischen Ereignissen ( dt.
Übersetzung des Posttraumatic Cognitions In- Ergebnisevaluation
ventory; Ehlers, 1999) und der Fragebogen zum Die Erfassung der Therapiewirkungen im Be-
Umgang mit traumatischen Erlebnissen (Ehlers, handlungsverlauf dient dazu, den erzielten The-
1999). rapieerfolg abzuschätzen und den ausbleibenden
Behandlungserfolg zu erkennen. Prä-Post-Mes-
sungen mit den zur Erfassung posttraumatischer
psychischer Störungen entwickelten Verfahren (s.
Abschn. 3.1, 3.2, 3.3) bieten sich hierzu an. Mit
Literatur
71
3
der Treatment Outcome PTSD Scale (TOP-8; Con- Connor, K.M. & Davidson, J. R. (1999). Further psychometric as-
nor & Davidson, 1999) liegt zudem ein speziell sessment of the TOP-8: A brief interview-based measure
of PTSD. Depression and Anxiety, 9, 135-137.
zur Ergebnisevaluation entwickeltes Verfahren Denis, D., Kummer, P. & Priebe, S. (2000). Entschädigung und
vor. 3 Begutachtung psychischer Störungen nach politischer
Zur Ergebnisevaluation hat sich auch die Be- Haft in der SBZ/DDR. Eine Bestandsaufnahme aus medi-
urteilung durch den Patienten und den Thera- zinischer und juristischer Sicht. Der medizinische Sachver-
peuten bewährt. Beide geben dabei auf einer ständige, 96, 77-83.
Denny, N.R., Robinowitz, R. & Penk, W.E. (1987). Conducting
?-stufigen Skala an, wie stark sich der Zustand applied research on Vietnam combat-related post-trau-
des Patienten im Vergleich zum Therapiebeginn matic stress disorder. Journal of Clinical Psychology, 43,
verbessert bzw. verschlechtert hat (Schneider & 56-66.
Margraf, 1996). Mit der Zielerreichungsskalierung Derogatis, L.R. (1977). SCL-90-R. Administration, scoring and
(Roecken, 1994; Schulte, 1996) kann das Errei- procedures manual-1 for the R(evised) Version. Baltimore:
John Hopkins University, School of Medicine.
chen von im Rahmen der Therapieplanung fest- Driessen, M., Beblo, T., Reddemann, L., Rau, H., Lange, W., Silva,
gelegten, konkreten Behandlungszielen beurteilt A., Berea, R.C., Wulff, H. & Ratzka, S. (2002). Ist die Border-
werden. line-Persönlichkeitsstörung eine komplexe posttrauma-
Interessant ist zudem die Überprüfung, ob tische Störung? Zum Stand der Forschung. Nervenarzt,
sich die im Therapieverlauf erreichten Verän- 73, 820-829.
Ehlers, A. (1999). Posttraumatische Belastungsstörung. Göttin-
derungen auch in Maßen der Lebenszufrieden- gen: Hogrefe.
heit widerspiegeln. Mit dem Fragebogen zur Le- Ehlers, A. & Steil, R. (1995). Maintenance of intrusive memories
benszufriedenheit (FLZ; Schumacher et al., 1995) in posttraumatic stress disorder: A cognitive approach.
oder dem ManchesterShort Assessment of Quality Behavioral and Cognitive Psychotherapy, 23, 217-249.
ofLife (MANSA; Priebe et al., 1999) liegen hierzu Ehlers, A., Steil, R., Winter, H. & Foa, E.B. (1996). Deutsche Über-
setzung der Posttraumatic Stress Diagnostic Scale (PDS).
Erhebungsverfahren vor, die sich bereits in zahl- Oxford: University, Warneford Hospital.
reichen Anwendungen bewährt haben. Falsetti, S. A., Resnick, H. S., Resick, P. A. & Kilpatrick, D. G. (1993).
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3 Der Einsatz der TOP-8 auch in wissenschaftlichen Unter-
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72 Kapitel 3 • Diagnostik und Differenzialdiagnostik
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4
4.3 Therapieverfahren - 78
4.3.1 Konfrontationstherapie - 78
4.3.2 Angstbewältigungstraining - 79
4.3.3 Kognitive Therapie - 79
4.3.4 Augenbewegungstherapie - 80
4.3.5 Kombinationsprogramme mit kognitiver Therapie - 80
4.4 Wirksamkeit - 80
4.4.1 Wirksamkeit von Konfrontationsverfahren - 80
4.4.2 Wirksamkeit von Augenbewegungstherapie - 82
4.4.3 Wirksamkeit der Kombinationsprogramme
mit kognitiver Therapie - 83
4.4.4 Zusammenfassende Bewertung - 85
4.6 Frühinterventionen - 88
Literatur - 89
Epidemiologische Studien lassen erkennen, dass reduziert werden kann, übernahmen Foa & Ko-
die posttraumatische Belastungsstörung (PTB) zak (1986) die Theorie von Lang (1977). Diese
zu einem ernsthaften Problem in der westlichen sieht Angst als eine kognitive Struktur an, die Re-
Welt geworden ist. Bedenkt man die große An- präsentationen der gefürchteten Reize, Repräsen-
zahl von Personen, die gewalttätigen Angriffen, tationen der Reaktionen auf Furcht und der mit
Naturkatastrophen, Unfällen, Krieg und anderen diesen Reizen und Reaktionen verbundenen Be-
starken Belastungsfaktoren ausgesetzt sind, wird deutung enthält. Foa & Kozak (1986) waren der
deutlich, wie extrem weit verbreitet traumatische Auffassung, die Furchtstrukturen angstgestörter
Erfahrungen sind. Angesichts des Ausmaßes von Personen könnten pathologische Elemente ent-
PTB, seiner Chronizität und den oftmals schwe- halten; eine Behandlung sollte daher eine Modifi-
ren Beeinträchtigungen des täglichen Lebens ist zierung dieser Elemente anstreben.
es von größter Bedeutung, effektive und effiziente Dieser Theorie zufolge müssen 2 Bedingun-
Behandlungsmethoden zur Verfügung zu haben. gen erfüllt sein, um die Angst reduzieren zu kön-
Darin besteht eine der wichtigsten Herausforde- nen:
rungen an das Gesundheitssystem. - Als erstes muss die Erinnerung an die Angst
Im Laufe der letzten 2 Jahrzehnte sind in zahl- während der Opfererfahrung aktiviert wer-
reichen Artikeln verschiedene psychosoziale Ver- den.
fahren zur Behandlung von PTB diskutiert wor- - Zweitens gilt es, neue Informationen zur
den, darunter die Gruppentherapie, die psyche- Verfügung zu stellen, die mit den bereits in
dynamische Einzeltherapie und die kognitive der Struktur enthaltenen pathologischen Ele-
Verhaltenstherapie. Einen umfassenden Über- menten nicht vereinbar sind. Auf diese Weise
blick hierzu geben Foa & Meadows (1997). kann eine neue Erinnerung gebildet werden.
Die kognitiv-verhaltenstherapeutischen Tech-
niken stellen innerhalb der psychosozialen Ver-
fahren die am besten untersuchten Behandlungs- 4.1.1 Furchtstruktur
programme dar. Es wurden zahlreiche, gut kon-
trollierte Studien durchgeführt, die ihre Wirk- Konfrontationsverfahren aktivieren die Furcht-
samkeit belegt haben . Zurzeit werden diese Be- struktur - sie lösen Angst aus. Somit bieten sie
handlungsprogramme in vielen psychiatrischen eine Möglichkeit, korrigierende Informationen
und therapeutischen Einrichtungen für Trauma- zu integrieren, wodurch die Furchtstruktur mo-
opfer eingesetzt. Im Folgenden werden nur die difiziert wird. Als Ergebnis dieser Modifizierung
kognitiv-verhaltenstherapeutischen Interventio- kommt es zu einer Abnahme der Symptomatik.
nen behandelt, die in gut kontrollierten Studien Foa & Kozak (1986) haben vorgeschlagen, die
geprüft worden sind. Angstreduktion (Habituation), die sich innerhalb
einer Sitzung und im Laufe mehrerer Konfronta-
tionssitzungen ergibt, sowie die Veränderungen
4.1 Wirkmechanismen der kognitiven bei der Beurteilung von Bedrohungen als Indika-
Verhaltenstherapie toren für Veränderungen in der Furchtstruktur
aufzufassen. Mehrere Studien unterstützen diese
Die Überlegungen zur Entstehung von PTB bein- Hypothese. Von besonderer Bedeutung sind in
halten, dass es den Betroffenen nicht möglich ist, diesem Zusammenhang 3 Untersuchungen, die
ein Trauma adäquat zu verarbeiten (Foa et al., verdeutlichen, dass eine Angstaktivierung im
1989). Wenn die PTB-Symptome das Ergebnis ei- Rahmen der Behandlung dem Therapieerfolg
ner inadäquaten emotionalen Verarbeitung dar- förderlich ist (Brom et al., 1989; Foa et al., 1995 c;
stellen, so kann eine auf die Reduzierung dieser Jaycox et al., 1998).
Symptome abzielende Behandlung als Hilfe für Es ist davon auszugehen, dass eine wiederhol-
eine bessere Verarbeitung aufgefasst werden. te Konfrontation mit den traumatischen Erinne-
Bei ihrem Erklärungsversuch, warum mithilfe rungen zu einer Habituation führt, so dass die
der Konfrontationstherapie pathologische Angst Traumaopfer sich an das Erlebte erinnern kön-
4.1 · Wirkmechanismen der kognitiven Verhaltenstherapie 77 4
nen, ohne dabei starke Angstreaktionen zu erfah- schreibung des Traumas, wobei diese Abnahme
ren. Mithilfe von langdauernden Konfrontationen mit einer Verbesserung des Zustands korrelierte.
kann erreicht werden, dass Situationen, die ur- Die Behandlung mittels Wiedererleben des
sprünglich starke Angst hervorgerufen haben, Traumas richtet sich nicht direkt an die Welt
dies nicht mehr tun. Wenn die Angstelemente des Opfers und sein Selbstschema. Ist die Erinne-
in der Struktur schwächer werden, lösen viele an- rung an das Trauma jedoch erst einmal emotional
dere Reize, die durch Angstgeneralisierung mit verarbeitet worden, so ist das Opfer dennoch im-
den traumatischen Reizen verknüpft waren, keine stande, die Vergewaltigung als ein separates Er-
Angst mehr aus. eignis und nicht als repräsentativ für die Gesamt-
heit der Welt anzusehen. Es kann somit zwischen
Gefahr und Sicherheit unterscheiden. Des Wei-
4 .1.2 Gefahrenrepräsentationen teren führt die erfolgreiche Verarbeitung der
traumatischen Erinnerungen zu einer Abnahme
Basierend auf einer Arbeit von Foa et al. (1989) der PTB-Symptome, insbesondere von Intrusion
haben Foa & Riggs (1993) die Vermutung geäu- und Vermeidungsverhalten. Diese Symptomre-
ßert, die Traumaerinnerung der an PTB-Er- duktion trägt zu einer Änderung der Selbstwahr-
krankten sei durch Repräsentationen gekenn- nehmung des Opfers bei, das sich nun imstande
zeichnet, die die Welt als ausnahmslos gefährlich sieht, die Belastungen zu bewältigen. Indirekt
ansehen. Gleichzeitig würde die eigene Person als kann eine Konfrontationsbehandlung außerdem
nicht imstande angesehen, damit fertig zu wer- positive soziale Interaktionen fördern: Wenn
den. Die Beobachtung, dass es bei Traumaopfern das Opfer die Welt nicht mehr als ausschließlich
mit PTB zur Entwicklung einer dichotomen (z. B. gefährlich empfindet und sich selbst als dieser
gefährlich vs. ungefahrlich) Denkweise kommt, Welt gewachsen ansieht, ist es auch eher bereit,
wurde in einer Arbeit von Alford et al. (1988) be- soziale Unterstützung zu suchen.
handelt. Foa & Riggs (1993) waren außerdem der
Ansicht, die Furchtstrukturen seien stärker des-
organisiert als andere Erinnerungen und es sei 4.1.3 Kontrollüberzeugung
schwieriger, desorganisierte Erinnerungen zu und kognitive Umstrukturierung
modifizieren. Träfe dies zu, so sollte eine Behand-
lung sowohl auf die Organisation der Erinnerung Das Angstbewältigungstraining zählt zu den un-
als auch auf die Berichtigung der nicht angemes- tersuchten Interventionsformen der kognitiven
senen Überzeugungen abzielen. Verhaltenstherapie in der Behandlung von PTB.
Foa & Riggs (1993) nahmen an, dass die im Seine Techniken scheinen direkt auf das Selbst-
Rahmen von Konfrontationsbehandlungen ab- schema der Opfer einzuwirken, beeinflussen aber
nehmende Angst, die mit den Erinnerungen an nicht direkt die Organisation der traumatischen
eine Vergewaltigung verbunden ist, eine Neube- Erinnerungen. Erlernt das Traumaopfer Techni-
wertung der Bedeutungsrepräsentationen ermög- ken zur Bewältigung von Stress und Angst -
lichen würde. Das mehrmalige Wiedererleben wie Entspannung und kognitive Umstrukturie-
während der Konfrontationsbehandlung, so lau- rung -, so wird auf diese Weise das Selbstbild ge-
tete ihre Vermutung, würde eine besser organi- stärkt, Belastungen erfolgreich bewältigen zu
sierte Erinnerungsaufzeichnung zur Folge haben, können. Dadurch kann die Wahrnehmung des
die leichter in bereits bestehende Schemata inte- Traumaopfers von der Welt auf 2 Arten indirekt
griert werden könne. Diese Behauptung wird beeinflusst werden:
durch eine Studie unterstützt, in der die Schil- - Zum einen könnte die stärkere Wahrnehmung
derungen von Traumaopfern während der Kon- von Kontrolle dem Opfer erlauben, die Traumaer-
frontation analysiert wurden (Foa et al., 1995b). innerungen längere Zeit auszuhalten. Dies könnte
Die Anzeichen für eine Desorganisation, wie un- wie eine selbst gesteuerte anhaltende Konfronta-
vollendete Gedanken und Wiederholungen, ver- tion wirken.
ringerten sich von der ersten bis zur letzten Be-
78 Kapitel 4 · Kognitive Verhaltenstherapie bei posttraumatischen Belastungsstörungen
- Wenn das Opfer sich selbst als Person wahr- tionen stellen zu können. Im Rahmen des Angst-
nehmen kann, die imstande ist, Stress zu bewäl- bewältigungstrainings (ABT) lernt der Betroffene,
tigen, könnte dies zum anderen den negativen wie er starke Angst kontrollieren und reduzieren
Wert potentieller zukünftiger Bedrohungen redu- kann, indem er spezifische Fertigkeiten anwendet.
zieren. Das Opfer wird dann davon ausgehen, Bei der kognitiven Umstrukturierung oder kogni-
mögliche Gefahren besser abwenden zu können. tiven Therapie soll der Patient lernen, nicht-hilf-
Auch in diesem Fall ist es wahrscheinlich, dass reiche oder irrationale Gedanken und Überzeu-
diese schematischen Veränderungen positive so- gungen, die zu übermäßig starken negativen Ge-
ziale Interaktionen erleichtern, welche dann im fühlen führen, zu erkennen und in Frage zu stel-
Gegenzug eine Stärkung der funktionellen Sche- len.
mata zur Folge haben. Die Konfrontationstherapie ist bei spezifi-
schen phobischen Ängsten im Allgemeinen die ef-
Zusammenfassend meinten Foa & Riggs (1993), fektivste Intervention; ABT und kognitive Verfah-
dass ein mehrmaliges Wiedererleben des Trau- ren werden sehr häufig bei chronischen Ängsten
mas, wie es bei der anhaltenden Konfrontation ge- wie der generalisierten Angststörung eingesetzt.
schieht, direkt die Organisation der traumatischen Da definitionsgemäß sowohl spezifische Ängste
Erinnerungen und die sich daraus ergebende Ver- als auch eine generelle chronische Erregung
änderung des Weltschemas ansprechen würde. Symptome der PTB sind, waren Konfrontations-
Das Angstbewältigungstraining hingegen hat ei- therapie und ABT die ersten kognitiv-verhaltens-
nen direkten Einfluss auf das Selbstschema. Es wä- therapeutischen Interventionen, die bei dieser
re daher zu erwarten, dass eine Kombination aus Störung Anwendung fanden. Da es zudem einen
beiden Behandlungsformen durch die Änderung deutlichen Zusammenhang zwischen dem langen
von Selbst- und Weltschema eine deutlich stärkere Bestehen der posttraumatischen Reaktionen und
Reduzierung der PTB-Symptome zur Folge haben dem Vorhandensein dysfunktionaler oder nicht-
würde, als jedes der beiden Behandlungsverfahren hilfreicher Überzeugungen in Bezug auf das
für sich allein genommen. Dies war jedenfalls un- Selbst und die Welt gibt (Foa & Rothbaum, 1998;
sere Erwartung, als wir vor knapp zehn Jahren die Ehlers & Clark, 2000), setzte sich schnell die An-
erste Fassung dieses Kapitels niederschrieben. In- sicht durch, die kognitive Umstrukturierung
teressanterweise haben die Ergebnisse der Evalua- selbst sei eine nützliche Intervention. In den letz-
tionsforschung der letzten 10 Jahre diese Voraus- ten Jahren wurde in zahlreichen Studien die
sage nicht bestätigen können. Wirksamkeit dieses Verfahrens bei der Behand-
lung der chronischen PTB untersucht.
4.2 Definition
der Behandlungsmodalitäten 4.3 Therapieverfahren
Ein anderes Vorgehen bei der kognitiven Um- vorgestellt (s. auch Foa & Rothbaum, 1998; Roth-
strukturierung schlugen Ehlers & Clark (2000) baum et al., 2000). Im Anschluss werden Studien
vor, das in Kap. 5 ausführlich beschrieben wird. besprochen, in denen die relativ neue EMDR-
Technik zur Behandlung von Traumaopfern un-
tersucht wird.
4.3.4 Augenbewegungstherapie
Therapieformen behandelt wurden, zu einer 173 Patientinnen randomisiert einer reinen Kon-
deutlichen Reduktion des Schweregrads der frontationstherapie, einer Konfrontationstherapie
PTB und der Depression kam, während sich für plus kognitiver Umstrukturierung sowie einer
die Kontrollgruppe keine Verbesserungen erga- Wartelisten-Kontrollgruppe zugeteilt. Das Trau-
ben. makriterium wurde in dieser Studie erweitert,
Bei der Beurteilung am Behandlungsende be- so dass auch erwachsene Frauen aufgenommen
hielten die Diagnose PTB nur noch 35% der Pa- wurden, deren PTB aus sexuellem Missbrauch
tientinnen mit Konfrontationsbehandlung, 42% in der Kindheit sowie Vergewaltigung und nicht-
der SIT-Patientinnen und 46% der Kombinati- sexuellen Übergriffen im Erwachsenenalter
onsgruppe. Hingegen hatte bei allen Patientinnen herrührte. Die Behandlungsdauer stieg von 5,5
der Kontrollgruppe die Diagnose PTB nach der auf mindestens 9 Wochen, da die Sitzungen nur
5-wöchigen Wartezeit noch Bestand. Die Dauer- einmal wöchentlich stattfanden. Außerdem wur-
haftigkeit der Behandlungserfolge erwies sich de die Behandlung bei denjenigen Patientinnen
12 Monate später: Eine PTB hatten nur noch auf 12 Sitzungen ausgedehnt, die nach der achten
35% der Gruppe langdauernde Konfrontations- Sitzung nicht wenigstens eine Verbesserung der
behandlung, 32% der Gruppe SIT und 32% der selbst eingeschätzten PTB-Schwere um 70% er-
Gruppe Kombinationstherapie. reicht hatten.
Foa et al. (1999) verglichen außerdem den Vorläufige Ergebnisse, die auf der Auswer-
Prozentanteil der Patientinnen, welche die jewei- tung der Daten von 123 Frauen beruhen, die die
lige Behandlung regulär beendeten und bei Be- Therapie beendet haben, ergaben erneut, dass ei-
handlungsende einen guten Zustand aufwiesen. ne alleinige Behandlung mit 9-12 Sitzungen Kon-
Dieser war definiert als eine Verbesserung der frontationstherapie die gleiche Wirksamkeit auf-
PTB-Schwere um wenigstens SO% und dem Errei- weist wie eine Kombinationsbehandlung aus
chen von Werten im Normalbereich beim Selbst- Konfrontationstherapie und kognitiver Umstruk-
Rating für Depression und Angst. Unmittelbar turierung. Festgestellt wurde dies anhand von
nach Behandlungsende erwiesen sich 57% der Messungen zur PTB-Symptomatik und Depressi-
mit Konfrontationstherapie Behandelten, 42% on. Unmittelbar nach Abschluss der Behandlung
der mit SIT Behandelten und 36% der mit einer bestand nur noch bei durchschnittlich 30% der
Kombinationstherapie Behandelten als Respon- Teilnehmerinnen die Diagnose PTB. Interessan-
der. Im Allgemeinen konnten diese Patientinnen terweise stellte sich die Konfrontationstherapie
ihren Behandlungserfolg während des 12-mona- als das effizientere Behandlungsprogramm im
tigen Nachuntersuchungszeitraums aufrechter- Vergleich zur Kombinationstherapie heraus:
halten. - 51% der Frauen, die nur mit Konfrontations-
Entgegen den Erwartungen der Untersucher therapie behandelt wurden, konnten die The-
ergab sich bei den Patientinnen mit Kombinati- rapie nach 9 Sitzungen beenden, da sie das
onstherapie kein größerer Behandlungserfolg als Erfolgskriterium einer 70%igen Verbesserung
bei den mit Monotherapie behandelten Frauen. der PTB-Symptomatik erfüllten.
Stattdessen erwies sich die alleinige Konfrontati- - Im Gegensatz dazu erreichten dies lediglich
onstherapie einer Behandlung mit SIT oder der 30% der Frauen, die mit der Kombination
Kombinationstherapie bei mehreren Parametern von Konfrontation und kognitiver Umstruk-
für den Behandlungserfolg als überlegen. turierung behandelt wurden.
In ihrer dritten umfangreichen Studie unter-
suchte Foa (2001) erneut, ob der Behandlungs-
erfolg, der bei einer langdauernden Konfrontati- 4.4.2 Wirksamkeit
onstherapie erreicht wird, durch die Ergänzung von Augenbewegungstherapie
um andere Behandlungskomponenten vergrößert
werden kann. Unter der Annahme, die kognitive Die Wirksamkeit von EMDR ist in einer Reihe
Umstrukturierung sei die wirksamste Kom- von Studien bewertet worden, von denen viele al-
ponente des Stressimpfungstrainings, wurden lerdings nicht gut kontrolliert waren. Insgesamt
4.4 . Wirksamkeit 83 4
zeigte sich in Studien mit weiblichen Opfern se- tienten Rückfälle bei verschiedenen Messungen
xueller oder körperlicher Misshandlung und zeigten. EMDR und TBP wurden als gleicherma-
Stichproben von Patienten mit verschiedenen ßen belastend (»mäßig«) eingestuft, während
Traumata, dass EMDR im Vergleich mit einer TBP als glaubwürdiger und geeigneter, eine Än-
Wartelisten-Kontrollgruppe PTB-Symptome re- derung herbeiführen zu können, angesehen wur-
duzieren kann. In einer kleinen aber gut kontrol- de.
lierten Studie zu EMDR wurden Vergewalti- Im Gegensatz dazu erbrachte eine kleine kon-
gungsopfer mit PTB untersucht. Es zeigte sich, trollierte Studie gleichwertige Reduktionen der
dass 90% der Patientinnen, die mit 4 Sitzungen Symptome von PTB und Depression bei der Beur-
EMDR behandelt wurden, die Kriterien für eine teilung am Behandlungsende (Ironson et al.,
PTB-Diagnose nicht länger erfüllten; in der War- 2002). In dieser Studie wurden etwa 6 Sitzungen
telisten-Kontrollgruppe waren es dagegen nur langdauernder Konfrontation mit etwa 6 Sitzun-
12%. Der Behandlungserfolg blieb während des gen EMDR verglichen. Die ersten 3 Sitzungen
3-monatigen Nachuntersuchungszeitraums be- verliefen jeweils nach dem gleichen »vorbereiten-
stehen (Rothbaum, 1997). In einer ähnlichen, den« Protokoll, das unter anderem die Anweisun-
aber wesentlich umfangreicheren Studie wurden gen für die Konfrontation in vivo beinhaltete. Ab
80 Traumaopfer, von denen nur etwa die Hälfte der vierten Sitzung verliefen die beiden Behand-
die diagnostischen Kriterien für eine PTB erfüll- lungsformen dann unterschiedlich. Der Behand-
ten, mithilfe von Selbst-Rating-Instrumenten un- lungserfolg wurde in beiden Gruppen während
tersucht (Wilson et al., 1995). Es zeigte sich, dass des 3-monatigen Nachuntersuchungszeitraums
durch 3 EMDR-Sitzungen PTB-Schweregrad, aufrechterhalten. Ironson et al. (2002) schlussfol-
Angst und allgemeines Unbehagen im Vergleich gerten, dass EMDR schnellere Verbesserungen
mit einer Wartelisten-Kontrollgruppe signifikant hervorruft und besser vertragen wird als die
reduziert werden konnten. Bei den Patienten, Konfrontationstherapie.
die mit EMDR behandelt wurden, konnte der Be- Abschließend ist anzumerken, dass mehrere
handlungserfolg während des 15-monatigen Studien darauf hindeuten, dass die schnellen Au-
Nachuntersuchungszeitraums aufrechterhalten genbewegungen für ein Ansprechen auf die Be-
werden (Wilson et al., 1997). handlung nicht von entscheidender Bedeutung
Die erste Studie, in der EMDR mit einer aner- sind (vgl. Cahill et al., 1999). Dies legt nahe, dass
kannt wirksamen Methode zur Behandlung von es sich bei EMDR um eine Variante der Konfron-
PTB verglichen wurde, veröffentlichten Devilly tationstherapie handeln könnte, deren Wirksam-
& Spence (1999); mittlerweile stehen jedoch wei- keit auf den Anweisungen an den Patienten be-
tere Studien kurz vor der Veröffentlichung. In der ruht, an das traumatische Ereignis zu denken
Studie von Devilly & Spence (1999) wurden Pa- und sich dieses vorzustellen.
tienten mit einer PTB randomisiert einer Be-
handlung über 9 Sitzungen mit EMDR oder ei-
nem Traumabehandlungsprotokoll (TBP) zuge- 4.4.3 Wirksamkeit der Kombinations-
teilt. Beim TBP handelt es sich um ein Therapie- programme mit kognitiver Therapie
konzept, das aus einer langdauernden imaginati-
ven und in-vivo-Konfrontation, SIT und kogniti- Die Wirksamkeit von Konfrontationsbehandlung
ver Therapie besteht. Bei der Beurteilung mithilfe und kognitiver Therapie bei weiblichen Opfern
von Selbst-Rating-Instrumenten zeigten die TBP- einer sexuellen oder körperlichen Misshandlung,
Patienten signifikant größere Verbesserungen als die an einer PTB leiden, wurde in 3 anderen Stu-
die EMDR-Patienten - sowohl bei Behandlungs- dien untersucht.
abschluss als auch zum Katamnesezeitpunkt Au- Resick & Schnicke (1992) behandelten in ei-
ßerdem hatte der Behandlungserfolg bei den nem Quasi-Versuchsdesign weibliche Vergewalti-
TBP-Patienten auch bei der Beurteilung am gungsopfer in 12 wöchentlich stattfindenden
Nachuntersuchungszeitpunkt noch Bestand, Gruppensitzungen mit CPT. Behandelte Patientin-
während sich bei den mit EMDR behandelten Pa- nen wurden mit Patientinnen einer Wartelisten-
84 Kapitel 4 · Kognitive Verhaltenstherapie bei posttraumatischen Belastungsstörungen
Kontrollgruppe verglichen, die nicht behandelt handlung von PTB durchgeführt wurden. Bei die-
wurden. Die Zuweisung zu den Gruppen erfolgte sen Studien wurden nicht nur Opfer von Krieg
nicht randomisiert; bei den Patientinnen der War- und sexuellen oder körperlichen Misshandlungen
teliste-Kontrollgruppe wurden zudem nicht die sondern Opfer einer Vielzahl traumatischer Er-
gleichen Messungen wie bei den behandelten Pa- eignisse untersucht, wie z. B. Verkehrsunfälle,
tientinnen durchgeführt. Außerdem wurden viele Verbrechen, Katastrophen, traumatischer Tod ei-
der Beurteilungen von den Therapeuten selbst ner nahestehenden Person etc. In einer Studie
ausgeführt, doch führte dies anscheinend nicht von Markset al. (1998) wurden Patienten mit un-
zu Verzerrungen bei den Einschätzungen. Bei terschiedlichen Traumata, bei denen sich eine
den CPT-Patientinnen kam es nach der Behand- chronische PTB entwickelt hatte, auf eine der fol-
lung zu einer signifikanten Verbesserung der PTB- genden Weisen behandelt:
und Depressionswerte. Diese Verbesserungen - mit einer reinen langdauernden Konfrontati-
konnten auch während des 6-monatigen Nach- on,
untersuchungszeitraums aufrechterhalten wer- - mit einer reinen kognitiven Umstrukturie-
den. Keine der behandelten Patientinnen erfüllte rung,
unmittelbar nach Behandlungsende mehr die - mit einer Kombination aus Konfrontation und
PTB-Kriterien. Zum Katamnesezeitpunkt erhöhte kognitiver Umstrukturierung oder
sich die Zahl jedoch auf 12,5%. - mit einem Entspannungstraining.
In einer anschließenden, randomisierten kon-
trollierten Studie verglichen Resick et al. (2000) Dabei zeigte es sich, dass Konfrontationstherapie,
12 in Einzeltherapie durchgeführte Sitzungen kognitive Umstrukturierung und Kombinations-
CPT mit 9 Sitzungen langdauernder Konfrontati- therapie eine deutliche und ähnliche Wirksam-
onstherapie (in sensu und in vivo). Die vorläufi- keit aufwiesen und der Entspannung überlegen
gen Ergebnisse dieser jüngst abgeschlossenen waren. Beurteilungen, die 3 und 6 Monate nach
Studie, die auf den Daten einer Teilgruppe basie- Behandlungsende durchgeführt wurden, ergaben,
ren, zeigen, dass beide Behandlungsformen eine dass Patienten, die mit der Konfrontationsthera-
hohe und ähnliche Wirksamkeit bei der Verbes- pie behandelt worden waren - sei es als Monothe-
serung der PTB-Symptome aufweisen. Dabei rapie oder in Kombination mit kognitiver Um-
konnte der Behandlungserfolg über einen 9-mo- strukturierung -, im Zeitverlauf eine größere Ab-
natigen Nachuntersuchungszeitraum aufrecht- nahme der PTB-Symptome zeigten als Patienten,
erhalten werden. die nur mit kognitiver Umstrukturierung behan-
Auch in der Studie von Echeburua et al. delt wurden.
(1997) wurden Opfer von sexuellen Misshandlun- Eine weitere Studie verglich die relative Wirk-
gen untersucht, wobei 2 Behandlungsformen mit- samkeit der kognitiven Therapie und der imagi-
einander verglichen wurden: 6 Sitzungen gradu- nativen Konfrontation (d. h. nicht in vivo) bei ei-
elle Konfrontationstherapie bzw. kognitive Um- ner Gruppe von Patienten, deren chronische PTB
strukturierung, die jeweils mit progressivem Ent- in erster Linie von einem Verbrechen oder einem
spannungstraining kombiniert wurden. Es zeigte Verkehrsunfall herrührte (Tarrier et al., 1999).
sich zwar bei beiden Gruppen eine signifikante Insgesamt ergab sich, dass die imaginative Kon-
Verbesserung bei den Messungen für PTB, Angst frontation und die kognitive Therapie eine ähnli-
und Depression, doch waren die Verbesserungen che, signifikante Wirksamkeit bei der Verbesse-
in der Konfrontationsgruppe signifikant größer. rung der PTB-Schwere aufwiesen. Zwar fand sich
Dieser Gruppenunterschied konnte bei jedem nach Behandlungsende in der Konfrontations-
der verschiedenen Beurteilungen während des gruppe eine höhere Anzahl von Patienten, bei de-
12-monatigen Nachuntersuchungszeitraums fest- nen es zu einer Symptomverschlechterung ge-
gestellt werden. kommen war (9 von 12), doch verschwand dieser
Die zuvor beschriebenen positiven Ergebnis- Unterschied beim Nachuntersuchungszeitpunkt
se wurden auch durch Studien bestätigt (vgl. nach 6 Monaten. Bei den übrigen Messungen
Markset al. 1988), die in anderen Zentren zur Be- zur klinischen Verbesserung, wie z. B. Prozent-
4.5 · Therapeutische Überlegungen 85 4
anteil mit PTB-Diagnose, fehlende klinische Der Nachuntersuchungszeitraum in Studien zur
Probleme und Rückkehr an den Arbeitsplatz, er- Bewertung des Behandlungserfolgs von Techni-
gaben sich keine signifikanten Unterschiede zwi- ken der kognitiven Verhaltenstherapie reicht
schen den Gruppen. Dabei zeigten im Vergleich von 3 bis zu 12 Monaten. Dabei zeigte es sich,
mit der kognitiven Therapie tendenziell mehr Pa- dass der Behandlungserfolg aufrechterhalten
tienten in der Konfrontationsbedingung eine Ver- wird und in einigen Fällen im Zeitverlauf sogar
besserung. noch zunimmt. Dies trifft insbesondere auf Be-
Blanchard et al. (2003) untersuchten in ihrer handlungsverfahren zu, bei denen die Konfronta-
kontrollierten Studie Opfer von Verkehrsunfällen, tion angewandt wird - sei es ausschließlich oder
die an einer chronischen PTB litten. Die Patien- in Kombination mit anderen Techniken. Einige
ten, die mit einer Kombination aus imaginativer Belege deuten darauf hin, dass eine reine Kon-
und in-vivo-Konfrontation, kognitiver Therapie frontationstherapie die effizientere Behandlungs-
und Entspannung behandelt wurden, zeigten methode ist. Patienten, die mit langdauernder
größere Verringerungen von PTB-Schweregrad, Konfrontation behandelt wurden, wiesen signifi-
Depression und generalisierter Angst als die Pa- kante Verringerungen der PTB-Symptome nach
tienten, die randomisiert einer unterstützenden weniger Sitzungen auf als Patienten, die mit Kon-
Psychotherapie oder einer Wartelisten-Kontroll- frontation plus kognitiver Therapie behandelt
gruppe zugeordnet waren. wurden.
Vor 10 Jahren hatten wir noch erwartet, dass
Kombinationstherapien aus Konfrontation und
4.4.4 Zusammenfassende Bewertung Angstbewältigungsverfahren am wirksamsten
sein würden. Diese Erwartung konnte jedoch
Outcomestudien, in denen verschiedene Formen durch die Ergebnisse aus zahlreichen Studien
der kognitiven Verhaltenstherapie bei der Be- nicht erhärtet werden. Eine Aufgabe zukünftiger
handlung der chronischen PTB untersucht wur- Forschung besteht darin festzustellen, ob die Be-
den, haben eindeutig die Wirksamkeit mehrerer handlungserfolge der langdauernden Konfronta-
Interventionsformen belegt, PTB-Symptome, De- tionstherapie wirklich von größerer Dauer und
pression und Angst zu verbessern. Studien, in de- Wirksamkeit sind, so wie es die Ergebnisse meh-
nen Konfrontation, kognitive Therapie, Stress- rerer Studien nahe legen.
impfungstraining und Kombinationen dieser In-
terventionen verglichen wurden, erbrachten im
Allgemeinen deutliche und gleichwertige Be- 4.5 Therapeutische Überlegungen
handlungserfolge. Dies konnte bei verschiedenen
Gruppen von Traumaopfern - weibliche Opfer se- Die kognitiv-verhaltenstherapeutischen Techni-
xueller oder körperlicher Misshandlungen, Ver- ken sind sehr wirksam in der Verringerung der
brechensopfer, Opfer von Verkehrsunfällen und Schwere von PTB - auch wenn einige Patienten
Kriegsveteranen - gezeigt werden. Dabei ergaben keinen Nutzen aus der Behandlung ziehen und
sich folgende Einschränkungen: bei anderen einige Symptome bestehen bleiben.
- Der Behandlungserfolg bei den mit Konfron- Zwar sind sowohl die langdauernde Konfrontati-
tationstherapie behandelten Kriegsveteranen fiel on als auch die Angstbewältigungsverfahren hilf-
im Vergleich zu anderen Traumagruppen im All- reich, doch darf man dabei nicht übersehen, dass
gemeinen eher bescheiden aus. alle aufgeführten Studien von erfahrenen Thera-
- Die meisten Belege für das Stressimpfungs- peuten durchgeführt wurden, welche die Gefah-
training (SIT) stammen aus Studien mit weibli- ren einer Therapie erkennen und imstande sind,
chen Opfer sexueller oder körperlicher Miss- diese zu überwinden. Einige dieser Fallstricke
handlung, so dass unklar ist, ob sich die Ergeb- und Gegenmaßnahmen werden im Folgenden
nisse auf Männer oder andere Traumapopulatio- diskutiert.
nen übertragen lassen. Bei einer Konfrontationsbehandlung lassen
sich PTB-Patienten verständlicherweise oftmals
86 Kapitel 4 · Kognitive Verhaltenstherapie bei posttraumatischen Belastungsstörungen
nur widerstrebend auf das Wiedererleben ihres davon überzeugt ist, dass kurzzeitiges Leiden
Traumas ein. Schließlich besteht ein wesentliches langanhaltenden Nutzen nach sich zieht. Diese
Merkmal dieser Störung in der mühsamen Ver- Überzeugung muss er dem Patient vermitteln.
meidung und Betäubung, also der Tendenz, einer Es ist außerdem unumgänglich, dass der Thera-
Beschäftigung mit der traumatischen Erinnerung peut gewillt ist, sich die schrecklichen Begeben-
auszuweichen. Nach unserer Erfahrung brachen heiten anzuhören, die der Patient ihm bei der
Patienten, die der langdauernden Konfrontation Schilderung seines traumatischen Erlebnisses
randomisiert zugeteilt waren, die Behandlung vermitteln wird. Manchmal ist es für den Thera-
nicht häufiger ab als Patienten, die dem Angst- peuten hilfreich, sich mit Kollegen aus anderen
bewältigungsprogramm zugewiesen wurden. psychosozialen Berufen auszutauschen, um diese
Möglicherweise lag dies daran, dass wir ihnen ei- Informationen verarbeiten zu können (s. Kap. 2;
ne sorgfältig ausgearbeitete Begründung (Thera- Hembree et al., 2003, im Druck).
pierationale) anboten, warum sie sich auf dieses Einige Patienten lassen sich nur widerstre-
zeitlich begrenzte Leiden einlassen sollten. Im bend auf das Wiedererleben ihres Traumas ein,
Folgenden wird die Therapierationale zusam- auch wenn sie von der Notwendigkeit überzeugt
mengefasst. sind. Dies dürfte insbesondere dann zutreffen,
wenn Dissoziation ein Problem darstellt. Mehrere
f) Beispiel Sitzungen des Angstbewältigungstrainings
»Es ist nicht leicht. schmerzhafte Erfahrungen zu können dabei helfen, diesen Widerwillen zu
verdauen. Wenn Sie an das Trauma denken oder überwinden. In dieser Hinsicht bietet die Korn-
daran erinnert werden, verspüren Sie vielleicht binationstherapie aus Konfrontation und dem Er-
starke Angst oder andere negative Gefühle, die lernen von Bewältigungstechniken den Leiden-
damit verbunden sind. Es ist unangenehm, so zu den die besten Möglichkeiten, die starke Belas-
empfinden; daher neigen die meisten Menschen tung und Angst zu bewältigen, während sie
dazu, Angst erregende, schmerzliche Erinnerun- gleichzeitig lernen, die gefürchteten Erinnerun-
gen von sich zu schieben oder zu ignorieren. An- gen und Angstreize zu konfrontieren. Es könnte
dere Personen beeinflussen Sie vielleicht dahin- sich für den Therapeuten außerdem als erforder-
gehend, nicht darüber zu reden oder daran zu lich erweisen, Konfrontationstechniken kreativ
denken. Leider bewirkt das Ignorieren eines trau- anzuwenden, z. B. den Patienten aufzufordern,
matischen Ereignisses nicht dessen Verschwinden. das Erlebnis wiederzugeben, als wäre es in Zeitlu-
Häufig kehrt das Ereignis zurück und quält Sie in pe abgelaufen oder nur auf innere Empfindungen
Alpträumen, Rückblenden, Phobien oder auf an- und Gedanken zu achten.
dere Weise, weil es eine >unvollendete Angele- Bei der Durchführung der Konfrontation soll-
genheit<ist. ln dieser Behandlung werden wir das te es der Therapeut dem Patienten gestatten, sich
Gegenteil von unserer Tendenz zur Vermeidung der traumatischen Erinnerung allmählich zu nä-
tun. Wir werden Ihnen helfen, die Erfahrung zu hern, wenn dieser zum ersten Mal versucht, diese
verarbeiten, indem wir Sie dazu veranlassen, sich erneut zu durchleben. Es ist wichtig, dass der Pa-
an das Geschehene zu erinnern und so lange tient das Gefühl erlebt, den Vorgang des Erin-
dabei zu verweilen, bis Sie sich stärker daran nerns der mit dem Trauma verbundenen Empfin-
gewöhnt haben. Das Ziel ist es, Sie in die Lage zu dungen kontrollieren zu können. Während der
versetzen, diese Gedanken zuzulassen, über das ersten imaginativen Konfrontation sollte es dem
Trauma zu sprechen oder damit verbundene Hin- Patienten erlaubt sein, die Genauigkeit, mit der
weise betrachten zu können, ohne jene intensive er das Erlebte schildert, selbst zu bestimmen. In
Angst zu erleben, die Ihr Leben stört.«
den nachfolgenden Sitzungen ist der Patient zu
ermutigen, das Ereignis detaillierter zu erzählen,
Oftmals fühlen sich Therapeuten unwohl dabei, um die emotionalen und körperlichen Reaktio-
eine Behandlungsmethode anzuwenden, die beim nen zu prüfen, die mit dem Trauma verbunden
Patienten intensiven emotionalen Schmerz sind.
auslöst. Es ist daher wichtig, dass der Therapeut
4.5 · Therapeutische Überlegungen 87 4
Hause nehmen können und sie sich dort als
Der Therapeut sollte die Sitzung nach der Hausaufgabe anhören können. Während Sie das
imaginativen Konfrontation nicht beenden, wenn Trauma wieder erleben, werde ich Sie von Zeit zu
der Patient unter starker Angst leidet. Die Thera- Zeit nach der Stärke Ihrer Angst fragen und Sie
piesitzungen sind so zu planen, dass am Ende bitten, diese auf der SUDS-Skala (Subjective Units
ausreichend Zeit bleibt, das Ausmaß des Unbe- of Distress) von 0- 100 einzuordnen. Dabei be-
hagens beim Patienten beurteilen zu können. Es deutet >0< keine Angst oder Unbehagen zu haben
ist überaus wichtig, den Patienten zu ermutigen, und >100< bedeutet panikartige Angst zu spüren.
seine Reaktionen auf das Wiedererleben des Bitte antworten Sie schnell und ohne das Bild zu
Traumas zu verarbeiten und neue Einzelheiten verlassen. Haben Sie noch Fragen, bevor wir be-
und Assoziationen, die dabei auftreten, zu be- ginnen?«
sprechen. Atemübungen nach der imaginativen
Konfrontation können hilfreich sein, den
Schmerz zu reduzieren. Möglicherweise sollte Wir empfehlen, die gesamten 60 Minuten für die
der Therapeut telefonisch verfügbar sein, um imaginative Konfrontation zu nutzen. Wenn der
mit dem Patienten zwischen den Sitzungen spre- Patient 15 Minuten benötigt, um sein traumati-
chen zu können, falls sich die imaginativen oder sches Ereignis wiederzugeben, dann sollte er
in-vivo-Konfrontationsübungen als extrem belas- oder sie gebeten werden, das Erlebnis erneut
tend erweisen. Die Patienten sind dahingehend von Anfang bis Ende zu schildern und es ins-
zu informieren, dass es normal ist, am Anfang gesamt 4 Mal zu erzählen. Werden 20 Minuten
das Gefühl zu haben, es würde ihnen schlechter benötigt, so soll das Trauma 3 Mal geschildert
gehen - womöglich denken sie häufiger an das werden, und so weiter. Die folgenden Aussagen
Trauma und erleben mehr Symptome. Die nach- helfen dabei, den Patienten während der Kon-
folgende Erklärung wird den Patienten vor der frontation zu ermutigen:
imaginativen Konfrontation gegeben.
f) Beispiel Beispiele für die Patienten ermutigende
»Ich werde Sie auffordern, sich an das traumati- Aussagen
sche Ereignis zu erinnern. Für Sie ist es dabei am
»Sie machen das sehr gut, bleiben Sie bei
besten, die Augen zu schließen, so dass Sie nicht dem Bild.«
abgelenkt sind und sich diese Ereignisse vor Ihrem
»Das haben Sie sehr gut gemacht. Es hat
inneren Auge vorstellen können. Ich werde Sie einigen Mut gebraucht, dies durchzuhal-
bitten, sich an diese schmerzlichen Erinnerungen
ten, obwohl Sie starke Angst hatten.«
so deutlich wie möglich zu erinnern. Wir nennen
»Ich weiß, es ist schwierig. Sie machen es
dies Wiedererleben. Ich möchte nicht, dass Sie mir
sehr gut.«
eine Geschichte über das Trauma in der Vergan -
»Bleiben Sie bei dem Bild, Sie sind hier
genheitsform erzählen. Was ich von Ihnen möchte,
sicher.«
ist, dass Sie das Trauma in der Gegenwartsform
»Fühlen Sie sich sicher und lassen Sie sich
schildern, als würde es gerade jetzt und genau hier
gehen.«
geschehen. Ich möchte, dass Sie die Augen
schließen und mir erzählen, so genau wie Sie sich
erinnern können, was während des traumatischen
Ereignisses geschah. Wir werden dies gemeinsam
bearbeiten. Wenn Sie beginnen, sich zu unbe-
haglich zu fühlen, und weglaufen möchten oder
dem Trauma ausweichen möchten, indem Sie das
Bild verlassen, werde ich Ihnen helfen, dabei zu
bleiben. Wir werden die Schilderung auf Band
aufnehmen, so dass Sie die Kassette mit nach
...
88 Kapitel 4 · Kognitive Verhaltenstherapie bei posttraumatischen Belastungsstörungen
Die folgenden Fragen können eine Konfrontation an den stinkenden Kern kommen - und dann
mit Angst auslösenden Reizen während der ima- würde es nicht mehr stinken.
ginativen Exposition erleichtern:
4.6 Frühinterventionen
Fragebeispiele, die die Konfrontation
mit der Angst erleichtern können In den meisten Studien, die die Wirksamkeit der
»Was empfinden Sie gerade?« kognitiven Verhaltenstherapie untersuchten, wur-
»Was denken Sie im Moment?<< den Opfer behandelt, deren Trauma mindestens 3
»Spüren Sie irgendwelche körperlichen Monate zurücklag. Dadurch sollte sichergestellt
Reaktionen? Beschreiben Sie sie.« werden, dass nach der Behandlung auftretende
»Was empfinden Sie mit Ihrem Kö rper?« Veränderungen durch die Intervention und nicht
»Was sehen/riechen/machen Sie jetzt?« durch spontane Heilung im Laufe der Zeit ver-
»Wo spüren Sie das in Ihrem Körper?« ursacht wurden.
Im klinischen Bereich muss eine Behandlung
nicht aufgeschoben werden; es ist normal, dass
Nach etwa 60 Minuten imaginativer Konfrontati- Traumaopfer gleich in den ersten Wochen nach
on beendet der Therapeut die Übung, indem er dem traumatischen Ereignis Störungen aufwei-
den Patienten auffordert, die Augen zu öffnen sen. In manchen Fällen haben Gespräche über
und mehrere Atemzüge zu machen. Es wird über die Normalität dieser Reaktionen therapeuti-
die Erfahrung, das Trauma wiederzuerleben, ge- schen Nutzen. Einige Therapiesitzungen können
sprochen: dafür schon ausreichend sein. Ausgehend von
- Sind dem Patienten Dinge in den Sinn gekom- Studien zur Frühintervention bei frischem Trau-
men, an die er sich zuvor nicht erinnern ma empfehlen wir jedoch ausdrücklich die Opfer
konnte? zu ermutigen, unmittelbar nach dem traumati-
- War es leichter oder schwieriger, als der Pa- schen Ereignis auf das ihnen vertraute unter-
tient es sich vorgestellt hatte? stützende Umfeld und ihre natürlichen Ressour-
- Gab es etwas, was der Therapeut hätte tun cen zurückzugreifen. Wenn aufgrund der Schwe-
können, um zu helfen? re der Reaktion innerhalb der ersten beiden Mo-
nate nach dem traumatischen Ereignis eine the-
Der Therapeut muss das Vertrauen vermitteln in rapeutische Intervention angezeigt ist, sollte
der Lage zu sein, mit allen möglicherweise auf- mehr als eine Sitzung erfolgen; empfohlen wer-
tretenden Schwierigkeiten fertig zu werden und den 3-5 Sitzungen. In einer Studie zur Frühinter-
dem Patienten dabei zu helfen. In vielen Fällen vention nach dem traumatischen Erlebnis einer
haben die Patienten Angst vor den Erinnerungen, Vergewaltigung zeigte es sich im Vergleich mit ei-
die sich während der imaginativen Konfrontation ner Kontrollgruppe, dass 4 Sitzungen - bestehend
einstellen, und benötigen das Gefühl der Sicher- aus Informationen über posttraumatische Reak-
heit. Es ist hilfreich ihnen zu sagen, dass - unab- tionen, Entspannung, dem Wiedererleben des
hängig davon, an was sie sich erinnern - dies Traumas und kognitiver Umstrukturierung -
nichts an dem ändert, was geschehen ist. Die Pa- von großem Nutzen dabei waren, die Entstehung
tienten haben überlebt, und daher offensichtlich einer chronischen PTB und einer Depression zu
das zum Überleben Richtige getan. verhindern (Foa et al., 1995a).
Wir haben bisher noch keinen Patienten be-
handelt, der die Einzelheiten, an die er sich wäh-
rend der imaginativen Konfrontation erinnert
hat, nicht bewältigen konnte. Einer unserer Pa-
tienten beschrieb die Sitzungen der Konfrontati-
onstherapie, als würde man eine Schicht von ei-
ner Zwiebel schälen und nach einigen Sitzungen
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5
Literatur - 104
92 Kapitel 5 · Kognitive Aspekte bei der Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung
Nach einem traumatischen Erlebnis entwickeln Symptome fand man, dass in den ersten Tagen
die meisten Personen für einige Zeit Symptome und Wochen nach einem Trauma generell sehr
der posttraumatischen Belastungsstörung, je- viele Gedanken und Erinnerungen daran auftra-
doch gesunden viele im Laufe der nächsten Mo- ten (vgl. z. B. Rothbaum et al., 1992; Winter,
nate auch ohne professionelle Hilfe. Bei einer Un- 1996).
tergruppe kommt es zu einem chronischen Ver-
lauf. In diesem Kapitel soll ein kognitives Modell
der Aufrechterhaltung posttraumatischer Symp-
Das Auftreten von Intrusionen kurz nach der
tome beschrieben werden, das als Grundlage kog-
Traumatisierung ist also Teil des normalen
nitiver Interventionen dienen soll.
Verarbeitungsprozesses und kann nicht als
Ergebnisse zur Rolle einer negativen persön- pathologisches Phänomen gewertet werden.
lichen Bedeutung des Traumas und seiner Kon- Wichtig ist die Beobachtung, dass manche
sequenzen sowie kognitiver Formen der Vermei- Personen nach einem Trauma unter stark be-
dung von Erinnerungen und Gedanken an das lastenden Erinnerungen oder Gedanken an
Trauma bei der Aufrechterhaltung posttraumati- das Trauma leiden, während andere zwar Er-
scher Symptomatik lassen eine spezifisch zuge- innerungen an das Trauma haben, diese aber
schnittene kognitive Behandlung der PTB erfolg- als nicht belastend erleben (Shalev, Schreiber
versprechend erscheinen. Im Zentrum unseres & Galai, 1993; Steil, 1996).
kognitiven Modells der Aufrechterhaltung post-
traumatischer Symptome stehen Interpretationen
und die persönliche Bedeutung des Traumas und Erlebt ein Betroffener nach einem Trauma seine
seiner Folgen für die Betroffenen, die zusammen Erinnerungen oder Gedanken daran als sehr be-
mit Erinnerungen an das Trauma (posttraumati- lastend, so ist zu erwarten, dass er versucht, die-
sche Intrusionen) aktiviert werden sowie Strate- sem Zustand zu entkommen, d. h. aktiv zur Been-
gien kognitiver Vermeidung. digung der Gedanken und Erinnerungen bei-
Verschiedene Forschergruppen konnten be- zutragen. Nur wenn ein Betroffener Intrusionen
reits zeigen (so z. B. Foa et al., 1991; Resick & als belastend erlebt, ist das Entstehen einer PTB
Schnicke, 1992), dass eine kognitiv-verhaltens- zu erwarten. Dies ist konsistent mit der Beobach-
therapeutisch orientierte Behandlung der PTB er- tung, dass z. B. bei Verkehrsunfallbeteiligten das
folgreich ist. Die hier vorgestellten Ideen sollten initiale Ausmaß sehr belastender Intrusionen
daher als Vorschläge zur Ergänzung dieser schon die Schwere der PTB-Symptomatik nach 12 Mona-
bestehenden und evaluierten Behandlungspro- ten vorhersagen konnte (Mayou, Bryant & Duthie,
gramme verstanden werden. Neu an unseren In- 1993).
terventionsvorschlägen ist, dass eine mögliche Obwohl es die unterschiedlichsten theoreti-
dysfunktionale Bedeutung und Interpretation schen Modelle zur Entstehung der PTB gibt, sind
der intrusiven Erinnerungen an das Trauma so- sich die Autoren jeweils darin einig, dass der Ver-
wie aufrechterhaltende Mechanismen kognitiver meidung von traumabezogenen Reizen eine zen-
Vermeidung genauestens erfasst und modifiziert trale Rolle bei der Aufrechterhaltung der Störung
werden. zukommt (vgl. Chembtob et al., 1988; Foa, Steke-
tee & Rothbaum, 1989; Horowitz, 1976; Jones &
Barlow, 1990; Keane, Zirnering & Caddell, 1985;
5.1 Ein kognitives Modell van der Kolk & van der Hart, 1991). Die Vermei-
der Aufrechterhaltung dung verhindert eine angemessene emotionale
posttraumatischer Symptomatik Verarbeitung der traumatischen Erlebnisse sowie
eine Habituation an die traumatischen Erinne-
Intrusive Erinnerungen an das traumatische Er- rungen. Die Überprüfung und/oder Veränderung
eignis sind ein prominentes Symptom der PTB kritischer Kognitionen in Bezug auf das Trauma
- sie unterscheiden sie von allen anderen Angst- wird erschwert oder unmöglich gemacht. Ver-
störungen. In Studien zum Verlauf der PTB- meidung kann auf der Ebene der Kognitionen
5.1 · Ein kognitives Modell der Aufrechterhaltung posttraumatischer Symptomatik 93 5
und der Ebene des Verhaltens beobachtet werden. die es sich bezieht, führt. Grübeln verknüpft die
Aktivitäten, die auf die Vermeidung oder Beendi- damit verbundenen Gedanken mit einer Vielzahl
gung von bestimmten kognitiven Inhalten zielen, von Reizen und erleichtert so deren Abrutbarkeit.
wurden in Studien zu intrusiven Phänomenen bei
anderen Angststörungen (wie z. B. der Zwangs- Wirkung kognitiver Vermeidung. Möglicherweise
störung) untersucht. Sie zeigen eine paradoxe erlebt das Individuum die paradoxen Effekte
Wirkung, indem sie die Wahrscheinlichkeit, dass der kognitiven Vermeidung als beängstigend.
der Zielgedanke auftritt, erhöhen statt ernied- Auf diese Weise können diese Strategien zur Auf-
rigen (vgl. z. B. Salkovskis & Kirk, 1989). In expe- rechterhaltung der Belastung durch die posttrau-
rimentellen Studien konnte gezeigt werden, dass matischen Intrusionen beitragen (im Sinne von
z. B. bei dem Versuch, bestimmte Gedanken zu »Obwohl ich alles tue, um diese belastenden Er-
unterdrücken, diese um so häufiger unwillentlich innerungen loszuwerden, kommen sie immer
auftreten (Salkovskis & Campbell, 1994; Lavy & und immer wieder!«).
van den Hout, 1994).
5.1.2 Die Rolle der persönlichen Strategien zur Folge (>>Wenn ich nachallder Zeit
Bedeutung und Interpretation immer noch so heftig auf diese Erinnerungen
posttraumatischer Intrusionen reagiere, dann kann doch etwas mit mir ernsthaft
nicht stimmen!«).
Welche Faktoren bestimmen den Grad der Belas- Bisher wurde hauptsächlich die Rolle der In-
tung durch Erinnerungen und Gedanken an das terpretation von Symptomen der Erregung dis-
Trauma? Studien zeigten, dass die Schwere der kutiert. Wir stellen bei der Betrachtung PTB-spe-
Exposition im Sinne der Verletzungsschwere, zifischer Kognitionen die Bedeutung und Inter-
Zeugenschaft von grausamem Tod oder Verlet- pretation der Intrusionen in den Mittelpunkt.
zung und die Lebensbedrohlichkeil des Ereignis-
ses die Entwicklung von posttraumatischer
Symptomatik beeinflussten (vgl. z. B. Creamer,
Es ist zu erwarten, dass bei der PTB die ne-
Burgess & Pattison, 1992; Yehuda, Southwick & gative Bedeutung posttraumatischer Intrusio-
Giller, 1992). Inwieweit diese Faktoren auch für nen die subjektive Belastung vermittelt und so
die langfristige Aufrechterhaltung der Sympto- den Grad der Vermeidung bestimmt, mit der
matik von Bedeutung sind, ist noch nicht geklärt. das Individuum auf Erinnerungen oder Ge-
danken an das Trauma reagiert. Mit dem
Trauma verknüpfte und beim Auftreten von
Intrusionen aktivierte negative Bedeutungen
Es ist wahrscheinlich, dass posttraumatische
Intrusionen als um so belastender wahr- wie »Mein Leben ist ruiniert« oder »Es ist alles
meine Schuld« erhöhen die Belastung, die die
genommen werden, je dramatischer ihr Inhalt
ist. Unwahrscheinlich ist jedoch, dass allein die Betroffenen beim Auftreten traumatischer Er-
innerungen empfinden. Die negative Bedeu-
Schwere eines Traumas verantwortlich ist für
tung der Erinnerungen erhöht möglicherweise
die Entwicklung einer chronischen PTB.
die Aufmerksamkeit für deren Auftreten und
so die Wahrscheinlichkeit, dass genau diese
Autoren kognitiver Modelle der Aufrechterhal- Erinnerungen sich wieder und wieder einstel-
tung anderer Angststörungen, wie z. B. der Panik- len (vgl. Salkovskis & Campbell, 1994).
störung oder der Zwangsstörung, postulieren,
dass für das Ausmaß der Belastung der Betroffe-
Die Belastung durch posttraumatische Intrusio-
nen durch spezifische Symptome deren Interpre-
nen sollte mit einer Reihe von körperlichen
tation von zentraler Bedeutung ist. Katastrophi-
Symptomen, wie einer Erhöhung der Erregung,
sierende Interpretationen oder negative persön-
verknüpft sein. Diese wiederum kann u. U. als in-
liche Bedeutungen der Symptome vermitteln
nerer Auslöser für das Auftreten weiterer Intru-
den Grad der Vermeidung, mit dem das Individu-
sionen wirken und so zur kurzfristigen Aufrecht-
um auf die Symptome reagiert. Auf diese Weise,
erhaltung der Intrusionen beitragen.
so wird angenommen, tragen sie zur Aufrecht-
Zusammenfassend postulieren wir, dass die
·erhaltung der Störung bei (Clark, 1986; Ehlers,
negative Bedeutung der Intrusionen und des
Margraf & Roth, 1988; Salkovskis & Kirk, 1989;
Traumas das Ausmaß der mit den Intrusionen
Wells, 1995). Analog hierzu haben verschiedene
verknüpften Belastung bestimmt sowie das Aus-
Autoren vorgeschlagen, eine möglicherweise dys-
maß der Vermeidung, mit der das Individuum
funktionale Interpretation der PTB-Symptome zu
auf die Intrusionen reagiert. Ferner nehmen wir
beachten (vgl. Foa et al., 1989; Foa & Riggs, 1993;
an, dass die Bedeutung der Intrusionen mit
Jones & Barlow, 1990; Peterson et al., 1991). So
Symptomen körperlicher Erregung verknüpft ist.
erhöht möglicherweise eine katastrophisierende
a Abbildung 5.1 verdeutlicht die Rolle der negati-
Interpretation des üblicherweise mit den Intru-
ven Bedeutung der Intrusionen für die langfristi-
sionen einhergehenden Anstiegs der körperli-
ge Aufrechterhaltung der PTB.
chen Erregung die Belastung durch die Intrusio-
nen und hat den Einsatz kognitiver Vermeidungs-
5.2 · Ansatzpunkte einer kognitiven Behandlung 95 5
Posttraumatische
Intrusionen
.--------------,
Kognitive und
behaviorale
II ~ .--------------.
Belastung durch
lnt•·usioncn,
Vermeidung Erregung
Gestützt wird das Modell durch eine Reihe 5.2 Ansatzpunkte einer kognitiven
von empirischen Ergebnissen aus verschiedenen Behandlung der posttraumatischen
Studien. So konnten Ehlers & Steil (1995) in Stu- Belastungsstörung
dien an Unfallbeteiligten zeigen, dass das Aus-
maß im Kontext posttraumatischer Erinnerungen 5.2.1 Behandlungsziele
auftretender dysfunktionaler Kognitionen be-
deutsam positiv mit der PTB-Symptomatik asso-
ziiert war. Bedeutsam waren z. B. eine katastro-
Ziel einer Behandlung der PTB, die auf dem
phisierende Interpretation der Intrusionen im
oben beschriebenen Modell fußt, ist die Ve-
Sinne von »Jetzt werde ich auch noch verrückt«
ränderung negativer Bedeutung des Traumas
sowie allgemein katastrophisierende Interpreta-
und seiner Folgen hin zu einer realistischeren
tionen des Ereignisses wie »Mein Leben ist rui-
bzw. hilfreicheren Einstellung zu dem Erlebten
niert« oder »Ich werde nie darüber hinwegkom-
sowie der Abbau des vermeidenden Umgangs
men«. Das Ausmaß kognitiver Formen der Ver-
der Betroffenen mit traumabezogenen Reizen
meidung, wie z. B. das Wegdrängen von un-
und den Intrusionen.
erwünschten Gedanken, und das Ausmaß des
Grübeins war ebenfalls bedeutsam positiv mit
der PTB-Symptomatik verknüpft (Ehlers & Steil, Hierzu ist zunächst eine detaillierte und ausführ-
1995; Morgan et al., 1995). Eine ausführliche Dar- liche Erhebung der Zusammenhänge zwischen
stellung der empirischen Ergebnisse findet sich dem Auftreten von Intrusionen, damit verbunde-
bei Steil ( 1996). nen Kognitionen und Gefühlen und der Reaktion
der Betroffenen auf diese Kognitionen und
Gefühle notwendig. Zusammen mit dem Patien-
ten werden Verknüpfungen zwischen verschiede-
nen Aspekten intrusiver Erfahrung und den Re-
96 Kapitel 5 · Kognitive Aspekte bei der Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung
aktionen des Patienten erarbeitet, um zu de- Vielleicht hat der Patient am Ende der Behand-
monstrieren, wie Gedanken zur Bedeutung des lung genauso häufig Erinnerungen an das Trau-
Traumas und seiner Folgen und das Ausmaß ver- ma wie zu Beginn. Angestrebt wird, dass er sie
meidender Handlungen zur Aufrechterhaltung aber nicht mehr als aversiv erlebt und nicht mehr
der posttraumatischen Symptome beitragen. mit Vermeidung auf sie reagiert. Um die Verän-
derung der Belastung durch die Intrusionen zu
erfassen, empfiehlt es sich, zu Beginn jeder Sit-
5.2.2 Wichtige Aspekte zu Beginn zung den Grad der Belastung während der letzten
der Behandlung Woche mit Hilfe einer Einschätzung auf einer
Skala, z.B. von 0 = gar keine Belastung bis 100
Auch wenn der Schwerpunkt der vorgeschlage- =extreme Belastung, zu erheben. Diese Einschät-
nen Intervention auf kognitiver Ebene liegt, so zung kann als Erfolgsmaß dienen, um den Ver-
ist dennoch eine imaginale Konfrontation der Pa- lauf der Therapie zu beurteilen. Zusätzlich kann
tienten mit dem traumatischen Geschehen und die vom Patienten geschätzte durchschnittliche
seinen Folgen die Voraussetzung und Basis für tägliche Anzahl der Intrusionen erfasst werden.
die Diagnostik der Bedeutung der Intrusionen
und des Traumas. Der Patient muss bereit sein,
sich umfassend und detailliert an die Vorgänge 5.2.3 Diagnostik der Bedingungen,
während des Traumas zu erinnern. Dies muss die die posttraumatische
bisweilen wiederholt geschehen, ehe alle relevan- Symptomatik aufrechterhalten
ten Interpretationen und Bedeutungen erkannt
und erfasst werden können. Wie bei der klas- Diese spezifische Form der Diagnostik geht über
sisch-verhaltenstherapeutischen Behandlung die natürlich ebenfalls zu Beginn der Behandlung
durch Exposition erlebt der Patient dies u. U. als notwendige Diagnose allgemeiner posttraumati-
sehr belastend. scher Symptomatik bzw. mit der PTB einher-
gehender Störungen oder Probleme hinaus. Pa-
tient und Therapeut benutzen ein Schema wie
Daher ist es unabdingbar, vor Beginn der Be- das in a Abbildung 5.2 gezeigte, um die Verbindun-
handlung den Patienten auf die Gefahr einer gen der einzelnen Aspekte traumatischen Erle-
zumindest kurzfristig erhöhten Belastung bens miteinander graphisch zu veranschaulichen.
hinzuweisen und seine Bereitschaft zu über- Wir empfehlen, die Informationen, die beide ge-
prüfen, dies mit dem Ziel einer langfristigen meinsam sammeln, nach und nach in dieses
Besserung der Symptome in Kauf zu nehmen. Schema einzutragen und Verbindungen durch
Pfeile darzustellen. Eine solche graphische Dar-
stellung ist für Therapeut und Patient sehr hilf-
Bei den üblichen Instrumenten zur Erfassung
reich.
posttraumatischer Symptomatik lassen sich oft
Die folgenden Faktoren sollten ausführlich er-
im Nachhinein die Häufigkeit des Symptoms
fasst werden, wozu die beispielhaften Fragen und
und die durch das Symptom ausgelöste subjektive
Instruktionen hilfreich sein können.
Belastung nicht trennen.
l
Traumatische Erinnerungen damit verbundene Geilihle
Die Sekrmdm vor dem Alt/prall, Hilflosigkeit, ich kann nichts tun .
eingeklemmt sein im Auto, panische Angst, Todesfurcht.
meine Frau verletzt neben mir sehen großes Schuldgefilhl
••
Gedanken, die mit den traumatischen Erinnerungen auftreten
ich bin schuld an allem
Mein Leben ist ruiniert
Ich h(ll/e es verhindem ko11nen
Es gesduehlm11· rech/, daß mir .1'0 etwas Schlimme.\· pa.1·sier11:~t
nach liegen. Sehr wichtig sind die Teile des Ge- gieren. Wir haben festgestellt, dass Menschen, die
schehens, die für den Patienten am schlimmsten ein sehr belastendes Erlebnis hatten, bestimmte
waren. Gefühle und Gedanken, die durch die Erinnerun-
gen daran ausgelöst werden, als besonders be-
f) Beispiel lastend empfinden. Deshalb versuchen sie, nicht
Therapeut: »Damit wir zusammen daran arbeiten mehr an das Erlebte zu denken und können sich
können, dass Sie in Zukunft weniger unter diesen den Erinnerungen nicht stellen. Wenn wir genau
traumatischen Erinnerungen leiden, ist es zu- wissen, welche Gedanken und Gefühle bei Ihnen
nächst notwendig, dass wir uns ein genaues Bi ld durch die Erinnerung ausgelöst werden, können
von Ihren belastenden Erinnerungen und Gedan- wir daran gehen, sie genau zu betrachten und zu
ken machen. Dazu ist es wichtig, genau zu wissen, besprechen. Oft werden sie dadurch weniger be-
was während und nach dem Trauma passierte, lastend.
welche Gefühle und Gedanken mit Ihren Erinne- Ich bitte Sie zunächst, mir das Geschehen von
rungen verknüpft sind und wie Sie dann übli- der Zeit kurz vor dem Ereignis bis zu seinem En-
cherweise auf diese Gefühle und Gedanken rea- de/ zum Ende der Zeit im Krankenhaus zu schil-
" "
98 Kapitel 5 · Kognitive Aspekte bei der Behandlung der posttraumatischen Belastu ngsstörung
dern. Das kann für Sie vielleicht sehr belastend Mit den Intrusionen verbundene
sein. Ich werde Sie dabei unterstützen. Sind Sie Kognitionen und Emotionen
bereit dazu? Haben Sie Bedenken oder Befürch-
tungen?« Hiernach werden Kognitionen und Emotionen,
die durch die traumatischen Erinnerungen her-
vorgerufen werden, exploriert. Die Frage lautet
Wachrufen der am meisten belastenden
dabei jeweils, was der Patient denkt, wenn er Er-
Erinnerung
innerungen an das Trauma hat und wie er sich
Der Patient wird gebeten, die am meisten belas- infolge dieser Gedanken fühlt. Dabei hat der The-
tenden Erinnerungen an das Trauma wachzuru- rapeut die Chance, Verbindungen zwischen be-
fen und zu verbalisieren. Er soll sie in der Ich- stimmten mit den Erinnerungen auftretenden
Form detailliert schildern, so, wie er die Erinne- Gedanken und Gefühlen genau herauszuarbeiten
rung im Alltag auch erlebt. Der Therapeut instru- und graphisch zu verdeutlichen.
iert hierzu den Patienten, die Augen zu schließen
und in seiner Vorstellung zurückzugehen bis zu f) Beispiel
einem Zeitpunkt kurz vor dem traumatischen
Therapeut: »Wenn Sie diese Erinnerung haben,
Geschehen. was denken Sie dann, was ist dann in Ihrem Kopf?
ln welcher Weise beeinflusst dieser Gedanke, wie
f) Beispiel Sie sich dann fühlen? Bewirkt dieser Gedanke, dass
Therapeut: »Es ist völlig normal, wenn man be- es Ihnen dann besser oder schlechter geht? Den-
lastende Erinnerungen oder Gedanken an ein ken Sie manchmal auch etwas anderes? Fühlen Sie
solch schlimmes Ereignis hat. Das beschreiben alle sich dann auch anders? Was sind die schlimmsten
Menschen, die einmal in einer ähnlichen Situation Gedanken, was sind die, die bewirken, dass Sie
waren. Nun ist es hilfreich, wenn wir uns die Er- sich sehr schlecht fühlen? Gibt es auch Gedanken,
innerungen, die Sie als am meisten belastend die bewirken, dass Sie sich ein wenig besser
empfinden, etwas genauer anschauen. Wir haben fühlen?«
die Erfahrung gemacht, dass ein guter Weg dazu
ist, die Augen zu schließen und sich so lebhaft wie
Erfasst werden sollte, ob der Patient bestimmte
möglich zu erinnern. Ich bitte Sie, dass Sie die
Befürchtungen damit verbindet, sich den Erinne-
Augen schließen und in Gedanken zu dem Zeit-
rungen an das Trauma auszusetzen. Häufig
punkt zurückzugehen, an dem das passierte, was
fürchten Patienten z. B., sie könnten völlig die
Sie heute noch am meisten quält. Bitte schildern
Kontrolle über ihre Gefühle verlieren und nicht
Sie mir diese Ereignisse so, wie Sie sie im Alltag
mehr aufhören zu weinen oder so wütend wer-
üblicherweise auch erleben.«
den, dass sie den Therapeuten oder andere Men-
schen gefährden würden. Diese Befürchtungen
Auslöser von Intrusionen
sind insofern von großer Wichtigkeit, als sie die
Typische Auslöser von Erinnerungen und Gedan- notwendige Exposition an die traumatischen Er-
ken an das Trauma werden gesammelt. innerungen behindern können. Sie sollten daher
vorrangig Gegenstand der Diskussion sein, der
f) Beispiel Abwägung der Argumente dafür und dagegen,
Therapeut: »Was kann bei Ihnen Erinnerungen und dass die Befürchtung sich bewahrheiten wird.
Gedanken an das belastende Ereignis auslösen? Ebenfalls von Bedeutung sind Befürchtungen
Haben Sie schon einmal bemerkt, dass sie in be- zu negativen und ablehnenden Reaktionen ande-
stimmten Situationen häufiger auftreten als in rer Personen, wenn der Patient über seine Erleb-
anderen? Welche Situationen sind das genau?« nisse offen spräche (im Sinne von »Wenn ich of-
fen berichte, was ich erlebt habe, werden die an-
deren mich als abstoßend empfinden, sich von
mir zurückziehen«). Solche negativen Erwartun-
gen können auch im Zusammenhang mit einer
5.2 · Ansatzpunkte einer kognitiven Behandlung 99 5
katastrophisierenden oder selbstbeschuldigenden trusionen dazu befragt, ob der betreffende Be-
Interpretation der PTB-Symptome auftreten (»Et- wältigungsversuch in seinen Augen sich bisher
was stimmt ernsthaft nicht mit mir, was denken als hilfreich oder weniger hilfreich erwiesen hat.
die anderen, wenn sie erfahren, dass ich immer Bei der Gedankenunterdrückung und dem
noch so sehr leide?«). Sie beeinträchtigen die Be- Grübeln z. B. kann der Patient herausfinden, dass
reitschaft des Betroffenen, mit anderen über sei- diese Reaktionen die Häufigkeit der Intrusionen
ne traumatischen Erinnerungen zu sprechen. Ge- weniger gesenkt als vielmehr erhöht haben. Eine
nau dies jedoch stellt eine sehr hilfreiche Form solche Erkenntnis des Patienten lässt sich als
der Konfrontation dar und birgt die Chance, au- rückkoppelnder Pfeil im dargestellten Schema
ßerhalb der Therapie die eigenen Einstellungen von a Abb. 5.2 graphisch verdeutlichen und fest-
(z. B. zu Schuld und Verantwortung für das Ge- halten.
schehene) mit der Meinung anderer zu verglei- Auch die bisherigen Bewältigungsversuche
chen und u.U. zum Positiven zu verändern. des Patienten können mit Hilfe eines Fragebo-
gens erfasst werden. Wie der Fragebogen zur
persönlichen Bedeutung der Intrusionen kann
Daher sollten Kognitionen, die sich auf die auch dieser zur Erfolgskontrolle im Verlauf der
Reaktionen anderer beziehen, sehr sorgfältig Therapie dienen, um zu überprüfen, ob das Aus-
erhoben und bearbeitet werden. Der Partner maß kognitiver Vermeidung sinkt (ein Beispiel
oder Familienmitglieder können an solchen für einen solchen Fragebogen kann bei der Erst-
Punkten in die Behandlung mit einbezogen autoein angefordert werden).
werden.
f) Beispiel
Erhoben wird auch die Vermeidung von Auslö- Gegen Ende der ersten Sitzung sollte das Rational
sern von Intrusionen. Wenn der Patient es schwer der Behandlung ausführlich und verständlich er-
findet, entsprechende Informationen zu geben, läutert werden.
kann man fragen, welche Bereiche des Lebens
sich seit dem Trauma verändert haben. Der Pa-
tient wird dazu befragt, ob er die Vermeidung
Im Mittelpunkt der Beratung steht, die
dieser Situationen oder Dinge bisher als langfris-
persönliche Bedeutung des Traumas für den
tig hilfreich oder weniger hilfreich erlebt hat. Patienten gemeinsam zu diskutieren und
Bezogen auf das spezifische Trauma kann
positiv zu verändern sowie neue, hilfreichere
man dem Patienten auch Listen mit Situationen
Wege zu finden , mit den belastenden Erinne-
oder Verhaltensweisen vorgeben, die PTB-Patien-
rungen und Gedanken an das Trauma umzu-
ten nach einem solchen Trauma üblicherweise gehen.
vermeiden (ein beispielhafter Fragebogen für
Personen, die einen Verkehrsunfall erlebten, kann
bei der Erstautorio angefordert werden). Der Patient sollte Informationen erhalten über
normale Reaktionen von Menschen auf extrem
f) Beispiel belastende Ereignisse. Dies kann dem Patienten
Therapeut: »Gibt es Dinge, die Sie vermeiden, weil helfen, die Wahrnehmung seiner Symptome zu
sie Sie an das Trauma erinnern? Vermeiden Sie sie dekatastrophisieren. So bedeuten z. B. die immer
immer oder nur unter bestimmten Umständen? und immer wieder auftretenden Erinnerungen an
Warum, glauben Sie, umgehen Sie diese Situatio- das Trauma keinesfalls, dass er verrückt wird,
nen? Ist Ihr Eindruck, dass das Vermeiden auf sondern sie sind Teil eines ganz normalen Ver-
Dauer hilfreich ist oder weniger hilfreich? Hat die arbeitungsprozesses traumatischer Erlebnisse.
Anzahl der Dinge, die Sie umgehen oder vermei- Auch die Reaktion des Patienten ist sehr ver-
den, mit der Zeit zu- oder abgenommen?« ständlich: Es ist nur normal, dass Menschen ver-
suchen, sich vor sehr unangenehmen Erfahrun-
Hausaufgabe gen zu schützen. Wenn der Patient das Auftreten
der Intrusionen und der dazugehörigen Bedeu-
Als Hausaufgabe erhält der Patient über eine Wo- tungen als belastend erlebt, so ist es sehr gut
che hinweg ein ausführliches Tagebuch zum Auf- nachvollziehbar, dass er alles daran setzt, diese
treten von Intrusionen, den mit ihnen verbunde- unangenehmen Gedanken und Erinnerungen los-
nen Gefühlen und Gedanken, der Belastung zuwerden. Der Patient soll erkennen, dass er mit
durch die Intrusion und seinen Reaktionen da- seinen Beschwerden und Problemen keinesfalls
rauf zu führen. Mit dessen Hilfe kann überprüft alleine steht.
werden, ob vielleicht wichtige Aspekte des Erle-
bens der Intrusionen und des Umgangs mit ihnen
in der therapiespezifischen Diagnostik vergessen
Tenor dieses Teils der ersten Sitzung könnte
oder falsch eingeschätzt worden sind. a rabelle 5.1
sein, dass es den Therapeuten eher wundern
zeigt ein Beispiel für ein solches Tagebuch. Auch
würde, wenn der Patient angesichts der be-
das Tagebuch kann zum Ende oder im Verlauf der lastenden Dinge, die er erlebt hat, keine
Behandlung zur Erfolgskontrolle eingesetzt wer- Probleme haben würde.
den. Als hilfreich hat es sich ferner erwiesen, dass
der Patient eine Audiokassette mit der Aufzeich-
nung der Sitzung zu Hause erneut anhört, sich Als hilfreich hat sich erwiesen, am Ende jeder Sit-
Fragen und Bemerkungen hierzu notiert und zung den Patienten zu fragen, ob es etwas gibt,
zur nächsten Sitzung mitbringt. was ihn daran hindern könnte, wiederzukom-
men. Diese abschließende Frage soll dem Patien-
Vl
D Tabelle 5.1. Tagebuch zu Erinnerungen und Gedanken an das belastende Ereignis iv
)>
::>
Zelt Inhalt der Erinnerung Was haben Sie Wie haben Sie sich gefühlt? Was haben Sie Was haben Sie ge-
oder des Gedankens gedacht? Wie belastend war die Erinnerung für Sie? getan, als die tan, um die Erinne-
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'0
Erinnerung auftrat? rung zu beenden7
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(O = überhaupt nicht. lOO=sehr belastend) ::>
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Gab es Auslöser? War das hilfreich? n;
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0 .. 10 .. 20 . . 30 .. 40 .. 50 .. 60 .. 70 . . 80 .. 90 .. 100 ~
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0 .. 10 .. 20 .. 30 .. 40 .. 50 . . 60 .. 70 . . 80 .. 90 .. 100
0 .. 10 .. 20 .. 30 .. 40 .. 50 . . 60 .. 70 .. 80 .. 90 .. 100
I -
U1
102 Kapitel 5 · Kognitive Aspekte bei der Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung
ten die Gelegenheit geben, negative Erfahrungen bei äußern, was er empfindet und denkt. Wichtig
in der Therapiesitzung zu äußern. Nur wenn ist zu erfassen, ob sich am Erleben des Patienten,
der Patient diese offenlegt, hat der Therapeut an seinen Gefühlen oder Gedanken, die mit die-
die Chance, sie zu bearbeiten, dem Patienten spe- ser Schilderung auftreten, etwas verändert hat.
zifische Hilfen oder Lösungen anzubieten. Bei- Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass die Gefühle,
spielsweise hat der Patient vielleicht die imagina- die Interpretation und Bedeutung, die durch die
tive Konfrontation mit dem Trauma und das Ge- Imagination aktiviert werden, sich im Laufe der
spräch über seine Folgen doch als belastender er- Zeit sehr verändern können. Möglicherweise tre-
lebt, als er erwartet hat. Hilfreich erscheint es ten auch noch nach einigen Sitzungen völlig neue
auch, wenn man dem Patienten nach Ende der kritische Bewertungen und Bedeutungen des
Sitzung die Gelegenheit geben kann, in einem traumatischen Erlebens zutage, die dann Gegen-
geschützten Raum so lange zu verweilen, bis die stand der Diskussion werden sollten. Möglich
durch die Konfrontation ausgelöste Erregung ab- ist auch, dass der Patient sich an neue Aspekte
geklungen ist. des Traumas erinnert, die ihm vorher noch nicht
zugänglich waren.
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Unsere Erfahrung zeigt, dass bei der Behand- 8eck, A. T. & Emery, G. (1985}. Anxiety disorders and phobias: A
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5.3 Abschließende Bemerkungen H. U. Wittchen (Hg.}, Panic and Phobias (S. 129-148}. 8er-
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Eine überprüfung der differentiellen Wirksam- Ehlers, A. & Steil, R. (1995}. Maintenance of intrusive memories
keit des hier geschilderten Vorgehens im Ver- in Posttraumatic Stress Disorder: A cognitive approach.
gleich mit den schon überprüften klassischen 8ehavioural and Cognitive Psychotherapy, 23, 217-249.
Foa, E. 8. & Riggs, D. S. (1993}. Post-traumatic stress disorder in
Methoden steht noch aus. Vor dem Hintergrund
rape victims. American Psychiatrie Press Review of Psy-
erster Erfahrungen erwarten wir einen Vorteil chiatry 12. Washington DC: Author.
für den Verlauf der Behandlung, wenn man das Foa, E. B., Steketee, G. & Rothbaum, 8. 0 . (1989} . 8ehavioral/
verhaltenstherapeutische Vorgehen mit den spe- cognitive conceptualizations of post-traumatic stress dis-
order. 8ehavior Therapy, 20, 155-176.
zifisch kognitiven Methoden ergänzt: Beim klas-
Foa, E.8., Rothbaum, 8.0., Riggs, D.S. & Murdock, T. (1991}.
sischen Vorgehen stehen Exposition und Habi- Treatment of posttraumatic stress disorder in rape-vic-
tuation an die traumatischen Erinnerungen im tims: A comparison between cognitive-behavioral proce-
Vordergrund. Man erwartet natürlich auch eine dures and counseling . Journal of Consulting and Clinical
Veränderung der Einstellungen und Gedanken Psychology, 59, 715-723.
des Patienten zum Trauma und seinen Folgen, Foa, E. 8., Riggs, D.S., Massie, E.D. & Yarczower, M. (1995}. The
impact of fear activation and anger on the efficacy of ex-
die sich durch die neuen Erfahrungen, die der Pa- posure treatment for Posttraumatic Stress Disorder. 8e-
tient während der Konfrontation macht, ergeben havior Therapy, 25, 487-499.
sollen. Mit Hilfe kognitiver Methoden kann man Horowitz, M.J. (1976}. Stress response syndromes. New York:
eine überprüfung und Veränderung kritischer Aronson.
Jones, J. C. & 8arlow, D. H. (1990}. The etiology of posttrau-
Einstellungen und Erwartungen ganz gezielt pla-
matic stress disorder. Clinical Psychology Review, 10,
nen und herbeiführen und so u.U. schneller zu ei-
299-328.
ner Verringerung der Belastung des Patienten Keane, T. M., Zimering, R. T. & Caddell, R. T. (1985}. A behavioral
durch die posttraumatische Symptomatik beitra- formulation of PTSD in Vietnam Veterans. 8ehavior Thera-
gen. Sobald Befürchtungen und Erwartungen des pist, 8, 9-12.
Lavy, E. H. & Van den Hout, M. (1994}. Cognitive avoidance and
Patienten, was geschieht, wenn er sich den Erin-
attentional bias: Causa! relationships. Cognitive Therapy
nerungen aussetzt, verändert werden konnten, and Research, 18, 179-191.
wird möglicherweise die Exposition für den Pa- Mayou, R., 8ryant, B. & Duthie, R. (1993}. Psychiatrie conse-
tienten weniger belastend und einfacher. quences of road traffic accidents. 8ritish Medical Journal,
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personality as predictors of post-traumatic intrusions,
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chotherapy, 23, 251-264.
Literatur 105
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6
M.J. Horowitz
Literatur - 128
1 Basierend auf einem klassischen Artikel in Archives of General Psychiatry (Horowitz, 1974) mit Über-
arbeitungen des Autors.
108 Kapitel 6 · Persönlichkeitsstile und Belastungsfolgen
Ein Zugangsweg zur psychotherapeutischen Ar- bestätigt wurde (vgl. Horowitz, 1976, 1986 für ei-
beit besteht darin, das eigene Wissen zu struktu- ne Übersicht).
rieren und einzugrenzen. Mein seit mehreren Eine zweite Beobachtung war die der gedank-
Jahrzehnten verfolgter Ansatz beschränkt sich in- lichen Verleugnung und emotionalen Erstarrung.
nerhalb der Störungen auf die Belastungsfolge- Diese Symptome scheinen im Gegensatz zur
syndrome2 und innerhalb der verschiedenen zwanghaften Wiederholung zu wirken und
Persönlichkeitsstile auf den zwanghaften, den können als Schutzreaktion betrachtet werden.
histrionischen sowie den narzisstischen Typ.
Der integrative psychodynamisch-kognitive An-
Phasen posttraumatischer Belastungen
satz beruht auf einer Informationsverarbeitungs-
theorie, in deren Mittelpunkt die Verarbeitung Sowohl die intrusive Wiederholung als auch die
konflikthafter Gedanken und Gefühle und die Verleugnung und emotionale Erstarrung können
Veränderung von persönlichen Schemata stehen. entweder gleichzeitig oder in Phasen nacheinan-
Aufgrund dieses theoretischen Bezugssystems der bei einer Person auftreten. Eine allgemeine
ist es möglich, eine Reihe von Vermutungen über Zusammenfassung dieser Prozesse gibt D Abbil-
beobachtbares Verhalten aufzustellen und daraus dung 6.1 .
spezifische therapeutische Techniken abzuleiten Eine Extrembelastung, besonders wenn sie
(Horowitz spricht im Originalartikel von »Nuan- plötzlich und unvorhersehbar auftritt, erzeugt
cen der Therapie«, was in der vorliegenden Fas- heftige Gefühlsreaktionen, z. B. einen »Aufschrei«
sung zugunsten einer leichteren Lesbarkeit in oder eine gefühlsmäßige Erstarrung. Nach Ab-
den meisten Fällen mit »therapeutischen Techni- klingen dieser ersten emotionalen und körperli-
ken« übersetzt wurde; Anm. des Hrsg.). chen Reaktionen durchleben die Personen unter-
Als prototypisches Fallbeispiel einer Extrem- schiedliche Verläufe:
belastung soll in den folgenden Abschnitten ein - Diese können mit einer Phase intensiver Ver-
Patient mit einem Autounfall dienen. Variationen leugnung oder dem »Gefühl der Gefühllosig-
dieses prototypischen Beispiels sollen die jeweili- keit« beginnen,
gen theoretischen überlegungen veranschauli- - gefolgt von Episoden sich aufdrängender Vor-
chen. stellungen (Intrusionen),
- Anstürmen intensiver Gefühle oder zwang-
hafter Verhaltensweisen.
6.1 Der natürliche Verlauf - Darauf können wiederum Phasen anhaltender
von Belastungsfolgesyndromen Vermeidung, Gefühllosigkeit und anderer Ab-
wehrversuche der heftigen Gefühle folgen.
Freud & Breuer (1895/1970} entdeckten, dass
traumatische Ereignisse abgewehrt werden, sich Bei einigen Personen treten frühzeitig einsetzen-
aber gleichzeitig ungewollt in Form hysterischer de, übermäßige Turbulenzen auf (akute Belas-
Symptome wieder aufdrängen. Obwohl bei eini- tungsreaktionen), bei denen die Intrusionen im
gen der Freudschen Patienten manche traumati- Vordergrund stehen (Creamer et al., 1992}. Es
schen Erinnerungen mehr der Phantasie als der kann auch zu Kommunikationsformen kommen,
Realität entsprangen, wurden schon damals zent- bei der die erlebte Geschichte ständig wiederholt
rale Beobachtungen gemacht. wird. Das Erzählen kann später nachlassen, aber
Eine Beobachtung betraf die zwanghafte Wie- die Intrusionen halten während dieser Phase der
derholung des Traumas, die in zahlreichen späte- Kommunikationshemmung an (Pennebaker &
ren klinischen, experimentellen und Feldstudien Harber, 1993).
Schließlich kann ein Abschnitt des »Durch-
2 Der Autor wählt in diesem Kapitel den allgemeinen Begriff arbeitens« auftreten, in dem es weniger intrusive
der Belastungsfolgesyndrome (vgl. !CD-Klassifikation, F43), Gedanken und weniger unkontrollierte emotio-
zu denen als eine Form die posttraumatischen Belastungs- nale Reaktionen gibt. Diese Phase ist durch stär-
störungen gehören (Anm. des Hrsg.). kere kognitive Verarbeitung, Gefühlsstabilität
6.1 · Der natürliche Verlauf von Belastungsfolgesyndromen
109 6
dern verknüpft waren. Die auftauchenden Kon- denz zu wiederheiter Repräsentation zur Fol-
ge. Diese Tendenz verursacht so lange unge-
fliktthemen umfassten
wollte Erinnerungen, bis die Verarbeitung ab-
- Schuldgefühle, den Tod der Frau verursacht zu
geschlossen ist. Mit Abschluss der Verarbei-
haben,
tung werden die gespeicherten Bilder aus dem
- Schuldgefühle über die sexuellen Phantasien,
aktiven Gedächtnis gelöscht (Horowitz, 1976,
die er über sie vor dem Unfall hatte,
1986; Horawitz & Becker, 1972).
- Schuldgefühle, dass er froh war, noch am Le-
ben zu sein, während sie gestorben war,
- und Angst und Ärger, dass er in einen Unfall Die Intrusionen können adaptiv sein, wenn sie ei-
und ihren Tod verwickelt worden war. ne Fortsetzung der Verarbeitung bewirken. Sie
T können aber auch maladaptiv sein, wenn sie
von anderen Gedanken ablenken, sehr schmerzli-
112 Kapitel 6 · Persönlichkeitsstile und Belastung sfolgen
ehe Erinnerungen hervorrufen sowie Angst vor Alle 6 Themen können durch den Unfall akti-
einem Verlust der geistigen Kontrolle und patho- viert werden. Bei verschiedenen »Harrys« mit
logische Abwehrmechanismen verursachen. verschiedenen Persönlichkeitsstilen werden eini-
Manchmal kann die Vermeidung allerdings auch ge Themen besonders wichtig bzw. konflikthaft.
die Anpassung fördern, da sie eine dosierte Inte-
gration der Traumainhalte erlaubt. Sie behindert
dagegen eine Anpassung, wenn sie ein Durch- Wichtige Problemthemen in
arbeiten verhindert, zu unrealistischen Kognitio- Abhängigkeit vom Persönlichkeitsstil
nen führt oder weitere Probleme verursacht, wie Bei einem histrionischen Harry kann das
etwa Harrys Alkoholismus. Thema der sexuellen Schuld vorherrschen
(T3).
Bei einem zwanghaften Harry dominiert
Problemthemen möglicherweise das Thema der Schuld
Sechs Problemthemen aus Harrys späterer Psy- wegen aggressiver Impulse (T2), der Sor-
chotherapie sollen als kognitiv-emotionale Struk- gen um die Pflichtverletzung (01) und das
Bild von sich selbst als unschuldigem
turen in schematischer Form betrachtet werden.
Opfer (03).
In D Tabelle 6.1 ist jedes Thema einem Konflikt-
Bei einem narzisstischen Harry überwiegt
bereich und einem resultierenden Gefühl gegenü-
vielleicht das Thema der Erleichterung,
bergestellt.
dass er selbst am Leben blieb und die Frau
Die 3 ersten Themen (»Täterthemen«: Tl-T3)
das Opfer war (Tl).
lassen sich dadurch zusammenfassen, dass sich
Harry selbst als Täter und die Frau als Opfer
sieht. In den folgenden 3 Themen (»Opferthe-
men«: 01-03) betrachtet sich Harry selbst als
das Opfer.
I
Thema Im Konflikt mit ..• Resultiert in ...
(Momentane Vorstellung}
01 Ihre Körperverletzung hätte ihm Vorstellung vom unver- Angst (vor Tod
widerfahren können wundbaren Selbst und Verletzung)
Anhaltende Belastung durch das traumatische Ereignis Beendigung des Ereignisses oder Entfernung
des Patienten aus seinem Umkreis
Aufbau einer temporären Beziehung
Hilfe bei Entscheidungen, Plänen oder beim
Abstand finden
Erstarrung in Oberkontrolliertem Zustand Dem Patienten Hilfe geben und begleiten fOr
der Vermeidung und Betäubtheil begrenztes Wiedererleben des Traumas und
seiner Folgen; ihm helfen, sich für eine Zeitlang zu
erinnern, eine Zeitlang die Erinnerung weg·
zuschieben, eine Zeitlang sich zu erinnern usw.
Während der Erinnerungsphasen dem Patienten
helfen, seine Erfahrungen zu organisieren und
auszudrücken; wachsende Sicherheit in der
therapeutischen Beziehung ermöglicht die
weitere Verarbeitung des Traumas
Fähigkeit, Phasen der Erinnerung und Gefühls- Dem Patienten Hilfe geben, die Assoziationen und
erregung wahrzunehmen und auszuhalten lmplikationen (kognitive, emotionale, relationale
und selbstbildbezogene) zu verarbeiten
Dem Patienten Hilfe geben, das Trauma mit frühe-
ren Bedrohungen, Beziehungsmustern, Selbst-
konzepten und Zukunftsplänen in Beziehung zu
setzen
Ziel der eingesetzten Techniken ist es zu einer 6.4 Der histrionische Persönlichkeitsstil
kognitiven und emotionalen Integration von unter Belastung
Schemata zu gelangen und damit den Belastungs-
zustand zu reduzieren. Es ist nicht das Ziel, um- Das Konzept des hysterischen oder histrioni-
fassende Änderungen der Persönlichkeit herbei- schen Charakters wurde im Kontext psychoana-
zuführen. Allerdings zeigen Personen mit unter- lytischer Studien zu hysterischen Neurosen ent-
schiedlicher Persönlichkeitsstruktur verschiede- wickelt. Die Hauptsymptome hysterischer Neuro-
ne Arten von Widerstand und Beziehungsgestal- sen galten entweder Konversions- oder dissoziati-
tung während dieser Prozesse. ven Episoden (Freud, 1893/1975; Janet, 1965).
Die allgemeinen Techniken werden deshalb, Heute wird die histrionische Persönlichkeit als ei-
abhängig von den Persönlichkeitsdispositionen ne Konstellation gesehen, die für Konversions-,
des Patienten, in verschiedenen technischen Nu- Angst- und dissoziative Störungen prädisponiert
ancen abgewandelt und eingesetzt. Welche Unter- oder die eigenständig mit bestimmten Mustern
schiede finden sich bei histrionischen, zwanghaf- an Impuls-Vermeidungs-Strategien und verschie-
ten und narzisstischen Patienten unter Belastung? denen Verhaltensbesonderheiten auftritt. Die his-
6.4 · Der histrionische Persönlichkeitsstil unter Belastung
115 6
trionische Persönlichkeit lässt sich als besonders Diese unsachliche Weltsicht fördert auf der
lebhaft, dramatisch, extravertiert, stimmungs- Verhaltensebene dramatische Liebesverhältnisse,
labil und mit erregbaren emotionalen Zügen be- ein Leben in Phantasmen und »la belle indiffe-
schreiben. rence« (angenehmer Gleichgültigkeit). Zum Bei-
Klinische Untersuchungen legen nahe, dass spiel kann ein histrionischer Mensch sehr schnell
histrionische Personen aufgrund ihres Hangs mit einem emotionalen Ausbruch reagieren und
zum Dramatisieren besonders anfällig für Belas- dabei gleichzeitig unfähig sein, diesen Vorgang
tungsfolgesyndrome sind (Horowitz, 1991). Dies und seine Gründe dafür zu benennen und zu er-
tritt in besonderem Maße auf nach klären. Nach Abschluss eines Gefühlsausbruchs
- sexuellen Träumen, erinnert er sich u.U. nur undeutlich an seine eige-
- Verlust von Personen oder Positionen, die di- nen emotionalen Empfindungen und betrachtet
rekt oder symbolisch Aufmerksamkeit oder sie so, als seien sie fremderzeugt gewesen und
Liebe zur Verfügung stellen, nicht von ihm selbst hervorgerufen worden.
- Verlust von Körperteilen, Die beschriebenen Stile der Wahrnehmun-
- Ereignissen, die mit Schuld über persönliches gen, Gedanken und Emotionen führen zu Verhal-
Handeln zusammenhängen. tensmustern, die sich auf zwischenmenschliche
Beziehungen, Persönlichkeitseigenschaften und
Außerdem kann jedes Ereignis, das starke Emo- Kommunikationsformen auswirken. Die folgende
tionen wie Erregung, Ärger, Angst, Schuld oder Übersicht fasst systematisch zusammen, was die
Scham hervorruft, verstärkt belasten. einzelnen Komponenten des histrionischen Stils
Klinische Studien geben auch einen Hinweis bedeuten und wie sie zu beobachten sind.
darauf, welche Art von Reaktionen bei histrio-
nischen Patienten während und nach Extrembe-
lastungen häufiger auftreten können (Horowitz, Informationsverarbeitungsstil
1991). Unter Belastung wird der histrionische Pa- bei histrionischen Personen
tient emotional, impulsiv, labil, lebhaft, drama- Gefühle und Gedankenfluss (beobachtbar in
tisch und möglicherweise in Motorik, Wahrneh- kurzen Zeitausschnitten)
mung und Denkvorgängen verändert. Global gestreute Aufmerksamkeit,
Die kognitiven und emotionalen Muster wur- verschwommene oder unvol lständige
den schon von Shapiro (1965) beschrieben. Er Repräsentationen von Gedanken und
hob die Bedeutung von Impressionismus (d. h. Gefühlen, oft mit mangelnden Details
dem Nebeneinander von unverbundenen Ideen) oder vagen Begriffsbezeichnungen; non-
und Ausblenden (Informationsunterdrückung) verbale Kommun ikation korrespondiert
als Teil des histrionischen Stils hervor. Das be- nicht mit Worten oder bewussten Aus-
deutet, dass dem prototypischen histrionischen drücken,
Patienten eine deutliche Aufmerksamkeitsfokus- Gedankenfolgen (Assoziationen) sind
sierung fehlt und er sehr schnell zu einer globa- unvollständig oder einseitig,
len aber oberflächlichen Einschätzung der Bedeu- Kurzschlüsse beim Lösen von Problemen
tung von Wahrnehmungen, Erinnerungen, Phan- oder mehrdeutige Lösungen.
tasien und eigenen Gefühlen gelangt. Damit kor- Persönlichkeitseigenschaften (beobachtbar
respondiert ein Mangel an sachlichen Details und in mittelfristigen Zeitausschnitten, z. B. Ge-
Definitionen in der Wahrnehmung sowie leichte sprächen)
Ablenkbarkeil und Unfähigkeit zu anhaltender Aufsehen-suchendes Verhalten, z. B. For-
oder intensiver Konzentration. Die überdauernde derungen nach Aufmerksamkeit und/oder
Kontinuität solcher Wahrnehmungs- und Vorstel- Einsatz von Charme, Vita lität, sexuel ler
lungsstile führt zu einer relativ unsachlichen Anziehung, Kindlichkeit,
Weitsicht, in der die wesentlichen Selbst-, Bezie-
hungs- und Weltschemata eine oberflächliche
Qualität aufweisen.
116 Kapitel 6 · Persönlichkeitsstile und Belastungsfolgen
sen vorzuziehen, bei dem man z. B. sagen würde: Auf der anderen Seite:
»Sie haben ein schlechtes Gewissen aufgrund eines - Verharrt der Therapeut in der Näheposition,
Gedankens, den jeder in einer solchen Situation so wird ein Durcharbeiten der Gedanken
haben würde.« zwar beginnen, aber bald durch die An-
spruchshaltungen im Patient-Therapeut-Ver-
hältnis (Übertragung) behindert werden.
6.4.3 Beziehungsaspekte
bei histrionischen Patienten
6.5 Der zwanghafte Persönlichkeitsstil
Nach einem Extremereignis reagiert der histrio- unter Belastung
nische Patient häufig mit extremen Gefühls-
schwankungen. Durch diese Schwankungen kann Theoretische Annahmen
der Therapeut selbst zwischen Nähe und Distanz Die heutige Theorie vom zwanghaften Stil ent-
gegenüber dem Patienten hin und her gerissen wickelte sich aus der Analyse von neurotischen
sein. Der histrionische Patient kann versuchen Zwangsgedanken, Zwangshandlungen, Grübeln
zu erzwingen, Fürsorge und Aufmerksamkeit zu und irrationalen Ängsten. Abraham (1942) und
erhalten. Besonders nach einer Extrembelastung Freud (1909/1971) glaubten, dass die zwanghafte
braucht er die Wärme und menschliche Unter- Neurose sekundär aus der Regression oder Fixa-
stützung des Therapeuten. Ohne diese wird die tion auf die anal-sadistische Phase der psycho-
therapeutische Beziehung zerbrechen und der sexuellen Entwicklung hervorgeht. Der haupt-
Patient weitere psychische Störungen entwickeln. sächliche Konflikt ergibt sich aus dem Neben-
Während dieser Anfangsphase sollte der Thera- einanderbestehen bzw. dem Kampf zwischen Do-
peut dem Patienten auf pragmatische Weise nä- minanz- und Unterordnungsbestrebungen.
her kommen: gerade nahe genug, um die notwen- Eine Fixierung auf eine der beiden Positionen
dige Unterstützung zu geben, aber nicht so nah, (Dominanz oder Unterordnung) wird dadurch
wie es der Patient scheinbar wünscht. verhindert, dass der Zwanghafte sehr schnell zwi-
Wenn sich der Patient später besser fühlt, kann schen beiden wechselt. Dieser Wechsel verhindert
ihn das Ausmaß der Vertrautheit, die in der the- zwar Entscheidung und Entschlossenheit, resul-
rapeutischen Beziehung erreicht wurde, auf ein- tiert beim Zwanghaften aber in einem Gefühl
mal ängstigen, weil er fürchtet, vom Therapeuten von Kontrolle und der Vermeidung unangeneh-
vereinnahmt zu werden. An diesem Punkt begibt mer Gefühlszustände. Der schnelle Wechsel ver-
sich der Therapeut zurück in eine stärker distan- hindert, dass Gefühle voll ins Bewusstsein ein-
zierte oder »kühlere« Haltung. Damit schwingt dringen können. Trotzdem gelingt es nicht, die
der Therapeut hin und her, um den Patienten in- Gefühle vollständig auszuschalten. Einige Zwang-
nerhalb eines Sicherheitsbereiches zu halten, in- hafte erleben Intrusionen von Gefühlen in Form
dem er sensibel die Art und Weise seiner Bezie- von Wutanfällen.
hung zum Patienten modifiziert. Diese Sicherheit
erlaubt es dem Patienten, sich in Richtung einer Kognitive Stile bei zwanghaften Personen. Salz-
größeren Klarheit seiner Gedanken zu bewegen man (1968) beschrieb »verbales Jonglieren« der
(Sandler, 1960; Weiss, 1971). zwanghaften Patienten zur Aufrechterhaltung
Die Schwingungsbewegung des Therapeuten des eigenen Kontrollgefühls. Die Bemühungen,
vermeidet beide Extreme: Kontrolle aufrechtzuerhalten, schließen Bedeu-
- Wenn der Therapeut in einer distanzierten tungsveränderungen, den Einsatz von Patent-
Position verharrt, während der Patient gerade rezepten, Wechsel von einer über- zu einer Un-
einer Stabilisierung seines Selbst durch eine terschätzung und - in einigen Fällen - die Zu-
Beziehungsaufnahme bedarf, so wird der Pa- schreibung magischer Eigenschaften für be-
tient diesen Konflikt so schmerzhaft erleben, stimmte Worte ein.
dass er seine inneren Probleme nicht weiter Shapiro (1965) hat den eingeengten Fokus der
offenlegt Aufmerksamkeit von zwanghaften Personen be-
6.5 · Der zwanghafte Persönlichkeitsstil unter Belastung
119 6
schrieben. Bestimmte Aspekte der Welt blendet
er aus, während er sich mit anderen detailliert Informationsverarbeitungsstil
beschäftigt. Normalerweise besteht die Aufmerk- bei zwanghaften Patienten
samkeit in einer idealen Flexibilität zwischen eng Gefühle und Gedankenfluss
gerichteter Aufmerksamkeit und mehr impressio- (beobachtbar in kurzen Zeitausschnitten)
nistischen Formen der Kognition. Dem Zwang- Detailreicher, enger Fokus der Aufmerk-
haften fehlt eine derartige Flüssigkeit. Shapiro samkeit.
beschreibt ebenfalls, wie der Zwanghafte in sei- klare Repräsentation von Gedanken,
nen Gedankengängen, Emotionen und in seinem schwache Repräsentation von Gefühlen,
Verhalten durch »sollte« und ))müsste« getrieben Wechsel in gedanklicher Organisation und
wird, die von seinem Pflichtbewusstsein, seinen Ausrichtung, Gedankenfolgen (Assoziatio-
Ängsten vor Kontrollverlust und von seinem nen) werden nicht bis zu Schlussfolge-
Bedürfnis diktiert werden, die Wahrnehmung rungen geführt, die der ursprünglichen
seiner Wünsche abzuwehren. Absicht oder ihren intrinsischen Bedeu-
Trotz allgemeiner Fähigkeiten zu harter Ar- tungen entsprechen,
beit, Produktivität und ))Willenskraft« kann die vermeidet Abschluss oder Entscheidung
zwanghafte Person Schwierigkeiten und Unwohl- eines vorliegenden Problems, statt dessen
sein empfinden, wenn eine Entscheidung zu tref- wird zwischen verschiedenen Einstellun-
fen ist. Statt auf der Grundlage von Wünschen gen hin- und hergewechselt
und Befürchtungen zu entscheiden, muss der Persönlichkeitseigenschaften
Zwanghafte ein Gefühl der Allmacht aufrecht- (beobachtbar in mittelfristigen Zeitausschnit-
erhalten und deshalb die gefährlichen Fehler ver- ten, z. B. Gesprächen)
meiden, die einer Welt des Versuch-und-Irrtum Zweifeln, Grübeln, Zögern,
innewohnen. Die Entscheidung zwischen ver- einseitig, schwer zu beeinflussen,
schiedenen Wahlmöglichkeiten stützt sich häufig lntellektualisierer,
auf eine Regel, die zur Sicherung einer ))fichti- angespannt, bedächtig, wenig begeiste-
gen« Entscheidung herangezogen wurde, oder rungsfähig,
wird ansonsten impulsiv getroffen, um die Angst rigide, zu Ritualen neigend.
zu beenden. Das Ergebnis dieser kognitiven Stile
Zwischenmenschliche Beziehungen
ist die subjektiv erlebte Distanz gegenüber den ei-
(beobachtbar in Langzeitmustern
genen Gefühlen. Die Ausnahme bildet ein Gefühl
der Patientenbiografie)
ängstlicher Selbstzweifel, eine Stimmung, die
Entwickelt reglementierte, routinemäßige
durch das Fehlen eines kognitiven Zu-Ende-kom-
und beständige zwischenmenschliche
men-Könnens verursacht wird.
Beziehungen, mit wenig Lebendigkeit
Diese Diskussion hat Aspekte des kognitiven
oder Freude; ein Zusammensein kann sich
Stils in den Mittelpunkt gestellt. Diese Aspekte
oft frustrierend gestalten,
sind nachfolgend zusammen mit allgemeinen
anfällig für Dominanz-Unterordnungs-
Persönlichkeitsmerkmalen und Verhaltensmus-
Themen,
tern überblicksmäßig dargestellt.
Pflichterfüller, hart Arbeitender; sucht für
sich selbst oder versucht bei anderen
Belastung und Druck; tut eher was man
tun »sollte« als das, wofür er sich selbst
entscheiden würde,
Selbstwahrnehmung als distanziert von
emotionalen Bindungen, obwohl ein
inneres Verpflichtungsgefühl besteht,
mit anderen in Kontakt zu sein.
120 Kapitel 6 · Persönlichkeitsstile und Belastungsfolgen
6.5.1 Besonderheiten der Gedanken- von einem Aspekt eines Themas zu einem ande-
und Gefühlskontrolle ren die gefühlsauslösenden Wirkungen vermie-
den werden, die durch die Themen impliziert
Anfänglich kann im Erleben von Personen mit werden.
histrionischem und zwanghaftem Stil kaum ein In der Diskussion eines histrionischen Harrys
Unterschied bestehen. Allerdings bleibt die wurde das Thema der Überlebensschuld (Tl) als
zwanghafte Person, abgesehen von äußerst extre- Beispiel genutzt. Ein zwanghafter Harry kann die
men Belastungen, im Unterschied zu den emotio- Dominanz für das Auftreten des gleichen Themas
nalen Ausbrüchen des histrionischen Patienten teilen, der Bedrohung durch dieses Thema jedoch
möglicherweise in ihrem Verhalten ruhig und mit einem Stil begegnen, der eher durch Positi-
emotionslos. (Diese Abhandlung erfordert der- onswechsel (»shifts«) als durch Vagheit und Ab-
artige Generalisierungen, es sollte jedoch beach- schwächung gekennzeichnet ist (z. B. »shift« zwi-
tet werden, dass bei manchen Ereignissen Zwang- schen Tl und 01, s. a rabelle 6.1).
hafte recht emotional reagieren und histrionische
Patienten ruhig bleiben können. Der Unterschied 8 Beispiel
besteht in der Qualität des bewussten Erlebens Ein zwanghafter Harry
der einzelnen Personen. Die histrionische Person ln der Psychotherapie beginnt Harry von den in-
kann eine »histrionische Ruhe« erfahren, die auf trusiven Vorstellungsbildern des tot daliegenden
einer Hemmung verschiedener Aspekte potentiel- Frauenkörpers zu berichten. Er kommt dann auf
len Wissens beruht. Es treten dann deshalb keine sein Gefühl zu sprechen, dass er erleichtert war,
Emotionen auf, weil die Implikationen unbekannt noch zu leben. Idealerweise würde er jetzt das
sind. Falls und wenn sich der Zwanghafte emotio- Überlebensschuldgefühl benennen. Ein zwang-
nal verhält, kann es von ihm als ein Kontrollver- hafter Harry wechselt allerdings auf einen anderen
lust erlebt werden. Dieser muss dann durch ret- Inhalt, um den belastenden Gefühlen auszuwei-
rospektive Bedeutungsveränderungen, Rituale, chen.
Entschuldigungen oder Selbstbeschuldigungen Das Thema, auf das er wechselt, ist assoziativ
»ungeschehen« gemacht werden.) ebenfalls mit den Vorstellungsbildern des Frau-
Nach einem belastenden Ereignis weist der enkörpers verbunden. Der Ansatzpunkt zum
Zwanghafte wie der histrionische Patient die all- Wechsel ist die Vorstellung der Körperverletzung,
gemeinen Belastungsfolgen auf, d.h. sowohl Pha- die ihm hätte zustoßen können (01 ). Da dies aber
sen der Abwehr, emotionalen Betäubung als auch seinem Wunsch nach Unverletzbarkeit entgegen-
der Intrusion. Jedoch kann der Zwanghafte in der steht, resultiert aus dieser Vorstellung Angst. Ob-
Lage sein, die Phase der emotionalen Betäubung wohl die Angst als unangenehm und bedrohlich
mit größerer Stabilität aufrecht zu erhalten. Wäh- erlebt wird, ermöglicht der Wechsel von Tl zu 01
rend der Oszillationsphase zwischen Vermeidung ein Vermeiden von Schuldgefühlen. Erst wenn das
und Intrusionen kann der Zwanghafte bei der Be- zweite Thema (01) zu deutlich wird, kann die
schreibung der aufdringlichen Bilder genau und Angst möglicherweise zu stark werden. Der Pro-
klar sein, sich dabei aber auf Details konzentrie- zess kann mit einer Rückkehr zu Tl umgekehrt
ren, die z. B. mit »Pflicht« zusammenhängen, und werden. Harry kann zwischen Tl und 01 hin- und
sich von einfachen, Gefühle auslösenden Teilen herpendeln, ohne dass eine der beiden Mengen
des Erinnerungsgesamtbildes abwenden. Auf die gefährlicher Gedanken und Gefühle voll erlebt
bedrohlichen Intrusionen während der Oszillati- wird. Harry muss seine kognitiven Wechsel nicht
onsphase reagiert der Zwanghafte mit kognitiven auf die zwei Themen, die mit Körperverletzung
Manövern wie Positionswechseln (»shifts«). Der einhergehen, beschränken. Er kann zwischen allen
Zwanghafte kann durch einen »shift« auf etwas Themen wechseln. Er kann Schuld in Angst oder
anderes die kognitiven Prozesse blockieren und Wut verwandeln, umkehren oder Schuld durch
damit verhindern, dass vermiedene Inhalte stän- Angst oder Wut ungeschehen machen. Er kann
sich selbst als Opfer, dann als Täter, dann wieder
dig wieder auftreten. Das heißt, dass durch ein
Umschalten von einem Thema zum anderen oder ,.
6.5 · Der zwanghafte Persönlichkeitsstil unter Belastung
121 6
als Opfer betrachten usw. Diese »shifts« dämpfen die für ein bestimmtes Thema relevant waren,
die gefühlsmäßige Belastung, aber vermindern entwickelt und aufrechterhält. Während dieses
gleichzeitig auch die kognitive Verarbeitung der Vorgehens empfinden zwanghafte Patienten in-
Themen. tensive Gefühle.
Das Umschalten kann inmitten eines Gedan-
kenganges geschehen, zwischen seiner eigenen
Aussage und einer Antwort des Therapeuten oder
langsamere Wechsel
sogar als quasi simultaner Gedankengang. Manchmal gelingt es nicht, den Patienten an ein
Thema zu binden und der Therapeut muss das
Diese abrupten Umschaltvorgänge können The- Thema wechseln. Er sollte dies seltener und lang-
rapeuten, die bei Zwanghaften um Klärung samer tun als der Patient - so wie ein Schlepp-
bemüht sind, einen Strich durch die Rechnung anker die Fahrt abbremst. Bei jedem Wechsel
machen. Angenommen, der Therapeut unter- wird der Patient dann etwas mehr Zeit haben,
nimmt einen Klärungsversuch über Tl, das The- sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, bevor
ma der Überlebensschuld. Der zwanghafte Harry ihn die Gedanken daran erschrecken und er das
hat aber bereits zu Ol umgeschaltet, seiner Angst Thema wieder verlassen will.
vor Körperverletzung, und hört die Bemerkun-
gen des Therapeuten somit in einem inkongruen-
ten Zustand. Der Klärungsprozess funktioniert Wiederholungen
darin vielleicht deshalb nicht, weil Harry nicht Der Therapeut kann Wiederholungen einsetzen,
aus seiner ursprünglichen Position heraus zuhört um den zwanghaften Patienten zu binden oder
und die Interventionsversuche des Therapeuten das Themenwechseln zu verlangsamen. Beim
durch weitere Wechsel erschwert werden. Zwanghaften sind längere Frageformulierungen
von Seiten des Therapeuten notwendig, um den
spezifischen Inhalt darzustellen, der vermieden
6.5.2 Therapietechnik: wird. Wenn Harry z. B. über Körperverletzung
An ein Thema binden spricht und vom Kontext der Überlebensschuld
(Tl) zu seinen Ängsten vor Verletzung (Ol)
wechselt, so muss der Therapeut beim Wieder-
holen das Körperverletzungsthema ganz spezi-
fisch mit dem Überlebensschuldthema verbin-
Häufigkeit von Themenwechseln zu vermin-
den.
dern, sodass der Patient mit der Bearbeitung
eines gegebenen Gedankens vorankommen Rückkehr zum Anfang
kann.
Manchmal schließt die umfangreichere Wieder-
holung beim Zwanghaften die Technik des
Der Patient benötigt dabei Hilfe, die Gefühle zu
Rückkehrens zum Anfang eines Gedankenaus-
ertragen, die er erfährt, wenn seine Erinnerungen
tauschs ein, wobei der Gedankenfluss sorgfältig
und die damit verbundenen Vorstellungen ins Be-
nachvollzogen und dabei aufgezeigt wird, an wel-
wusstsein dringen.
chen Stellen belanglose oder nur wenig relevante
Details vom Patienten eingebracht wurden. Re-
Ein Thema wählen konstruktionen können vermiedene Details hin-
zufügen.
In Harrys Fall kann der Therapeut den Patienten
einfach an eines der beiden Themen (Tl oder Ol)
binden. Der Therapeut darf »binden« nicht mit
»zwingen« verwechseln. Man kann z. B. darauf
hinwirken, dass der Patient visuelle Phantasien,
122 Kapitel 6 · Persönlichkeitsstile und Belastungsfolgen
Mehr Zeit, die auf ein Thema verwandt wird, ge- Zum Schutz des Selbstwertgefühls des Patienten
stattet mehr Verarbeitungsmöglichkeit und setzt der Therapeut eine weitere Technik ein. Er
bringt den Patienten damit einer abschließenden verzichtet auf Interpretationen und verwendet
Integration des Themas näher. Gefühle, die durch die Fragetechnik, um Klärung zu erzielen und
den Gedankenfluss hervorgerufen werden, sind das Thema zu vertiefen. Die Fragen lenken den
innerhalb der therapeutischen Beziehung leichter Patienten auf Antworten, in denen wichtige, bis-
zu ertragen, als wenn der Patient allein ist. Au- her vermiedene Gedanken enthalten sind. Der
ßerdem erlaubt Zeit, die auf ein Thema und mit zwanghafte Patient kann dann erstmals diese Ge-
dem Therapeuten verwandt wird, eine anhaltende danken ausdrücken und die Gefühle erleben.
Verarbeitung in einem dialogischen Rahmen. Da- Beim Durcharbeiten der Themen spielt bei
mit kann die Realität und das Problemlösen be- Zwanghaften der Zeitablauf eine wichtige Rolle.
tont werden, anstelle Phantasie und magischen Nachdem der Therapeut einige Erfahrung im
Glaubenssystemen Raum zu geben. Umgang mit einem bestimmten Patienten gesam-
melt hat, weiß er vielleicht intuitiv, wann der
nächste Themenwechsel ansteht. Zu eben diesem
Konzentration auf Details
Zeitpunkt oder kurz vorher stellt der Therapeut
Die Konzentration auf Details schreckt beim seine Fragen. Dadurch wird das Umschalten un-
Zwanghaften teilweise das Themenwechseln ab. terbrochen und »Zeit und Raum« für ein Thema
Das Ziel besteht darin, sich von abstrakten Ebe- können sich vergrößern, das gerade vermieden
nen, auf denen Umschaltvorgänge einfach sind, werden sollte.
zu einem konkreten Inhalt zu bewegen. Details
fungieren als »Bedeutungspflöcke« in konkreten
Themen und machen Wechsel schwieriger. Dieses 6.5.3 Beziehungsaspekte
Manöver nutzt die Prädisposition des Zwanghaf- bei zwanghaften Patienten
ten für Details. Hier ist die Technik hilfreich, kon-
krete Details zu erbitten. Der Therapeut schafft dem Patienten eine sichere
Situation, indem er stetig innerhalb seiner eige-
Komplexes Vergegenwärtigen nen Beziehungsgrundsätze (freundlich-unter-
stützend, neutral-hart oder anderweitig) bleibt.
Wenn Wechselvorgänge so schnell geschehen, Der Patient gewinnt Vertrauen, dass der The-
dass sie einfache Wiederholung oder Befragung rapeut weder aggressiv noch verführerisch rea-
ausschließen, kann der Therapeut eine komplexe- gieren wird. Dieses Vertrauen erhöht die Bereit-
re Form der Wiederholung einsetzen. Der Thera- schaft des Patienten, z. B. aggressive Vorstellun-
peut wiederholt das Ereignis, z. B. Harrys auf- gen auszudrücken. Der Therapeut wird auf die
dringliche Vorstellung des Frauenkörpers, und Probe gestellt, die Wechsel des Patienten mit-
wiederholt im selben Atemzug die verschiedenen zuvollziehen. Die Neigung des Patienten zu Posi-
Kognitionen, zwischen denen der Patient hin- tionswechseln führt allerdings nicht dazu, dass er
und herschwingt Der Therapeut kann Harry z. B. Veränderungen in der Art der therapeutischen
sagen, dass das Bild des Frauenkörpers vermut- Beziehung ertragen kann. Eine gleichbleibende
lich zu zwei Themen geführt hat. Ein Thema Einstellung, ob sie nun freundlich-unterstützend,
war der Gedanke von Erleichterung, vom Tod neutral-hart, oder anderweitig ausgeprägt vor-
verschont geblieben zu sein, der aber andererseits liegt, ist am wenigsten gefährlich. Trotz der An-
Gefühle von Angst und Schuld hervorgerufen hat. strengung des Therapeuten, eine therapeutische
Das andere Thema war die Vorstellung von Beziehung aufrecht zu erhalten, werden Wider-
körperlichem Schaden, der ihm selbst zugefügt stände auftreten. Das kann dazu führen, dass In-
werden könnte. terventionen, falls erforderlich, in einer entgegen-
gesetzten Form ausgedrückt werden können.
6.6 · Der narzisstische Persönlichkeitsstil unter Belastung
123 6
Angenommen, Harry sprach davon, die Frau 6.6 Der narzisstische Persönlichkeitsstil
mitgenommen zu haben, und der Therapeut unter Belastung
wusste, dass er für Schuldgefühle anfällig war,
diese jedoch vermied. Bei einem kooperativen Bei den narzisstischen Persönlichkeitsstörungen
Harry mag er sagen: »Brauchen Sie sich wirklich wird eine große Selbstliebe, Grandiosität oder
Vorwürfe zu machen, dass Sie die Frau mitgenom- Idealisierung anderer Personen beobachtet, der
men haben?« Bei einem Zwanghaften, der eine eine extreme Verletzlichkeit des eigenen Selbst-
Widerstandshaltung eingenommen hat, mag er konzepts zugrundeliegt In psychoanalytischen
dagegen sagen: »Es macht Ihnen also gar nichts Theorien wurde die Verletzlichkeit des Selbst
aus, dass Sie die Frau mitgenommen haben.« auf Schwierigkeiten während der Phase der Diffe-
Der widerständige Harry widerspricht vielleicht renzierung des Selbstkonzepts in Rollenbezie-
und redet über seine Schuldgefühle. hungen mit der Mutter oder anderen frühen Be-
Wenn der Kontext im Grunde genommen ei- zugspersonen zurückgeführt (Kernberg, 1975;
ne stabile therapeutische Beziehung ist, in der Kohut, 1971). Das Vorherrschen narzisstischer
der Patient ein Bild des Therapeuten als objektiv, Charaktereigenschaften in einem oder beiden El-
freundlich und dauerhaft kompetent hat, muss ternteilen kann ein Kind für Schwierigkeiten bei
der Umgangston nicht unbedingt so aufrichtig, der Entwicklung eines stabilen und unabhängi-
neutral und ernst sein (wie dies bei einem hist- gen Selbstkonzepts anfällig machen, da die Eltern
rionischen Patienten hilfreich ist). Leichter Sar- das Kind möglicherweise so behandeln, als wäre
kasmus oder gelinder Humor können dem es eine ihrer eigenen Funktionen und nicht eine
zwanghaften Harry helfen, eine harte Position selbständige Existenz.
zu bewahren, während er seine eigenen weichen Wenn die habituellen narzisstischen Befriedi-
Vorstellungen ausprobiert (Salzman, 1968). gungen, die daraus gezogen werden, geliebt zu
Durch Strenge kann, wie die obigen Ausfüh- werden, besondere Behandlung zu erfahren und
rungen nahelegten, der Therapeut den Effekt er- das Selbst zu bewundern, zerstört sind, können
zielen, dem Zwanghaften das Nachdenken über daraus Depression, Hypochondrie, Angst, Scham,
vermiedene Vorstellungen zu »verordnen«. Diese Selbstzerstörung oder Wut gegenüber jeder ande-
scheinbare Unfreundlichkeit ist insofern freund- ren Person, die für die schlechte Situation verant-
schaftlich, als dass sie dem Patienten Verantwor- wortlich gemacht werden kann, resultieren.
tung abnimmt und ihm erlaubt, bisher Undenk- Kohut (1971) hat drei nebeneinander existie-
bares zu denken. Aber diese Strenge, der leichte rende, aber gespaltene Selbstkonzepte beschrie-
Sarkasmus oder gelinder Humor müssen ein rela- ben, die häufig bei narzisstischen Persönlichkei-
tiv beständiges Merkmal des Therapeuten blei- ten vorliegen. Diese sind:
ben. - Das grandiose Selbst, das aus einem aufgebla-
Das ist nicht so schwierig, wie es klingen senen, übertriebenen, exhibitionistischen
mag, da diese spezifischen Techniken das mit Selbstbild besteht,
sich bringen, was sich der Therapeut als natürli- - das geringgeschätzte, beschämte und schutz-
che Reaktion auf die Situation erlaubt. Die Inter- lose Selbstbild,
ventionen werden nicht vorgetäuscht oder - das gefährlich chaotische, zerstörte, unstim-
künstlich angewendet. Für einige Therapeuten mige Selbstbild.
sind allerdings Freundlichkeit, Offenheit, Milde
und eine urteilsfreie Atmosphäre bevorzugte Be- Es werden Ersatzbilder für (imaginierte) Eltern
ziehungsstile gegenüber jeglicher Härte, Strenge, aufrechterhalten, die das eigene Selbstbild unter-
Sarkasmus oder Humor, und können dem selben stützen, den Selbstwert anheben, Zurückweisun-
Zweck dienen. gen verhindern und als ein Spiegel dienen, indem
sich das grandiose Selbst bewundern kann. Die
Selbst- und Objektrepräsentationen sind stark
egozentrisch und zwischenmenschliche Bezie-
hungen finden sich mehr in Form von »Ich-Es«-
124 Kapitel 6 · Persönlichkeitsstile und Belastungsfolgen
als von »lch-Du«-Beziehungen, die Buher (1959) Ebenso kann ein Verlangen nach sekundären Ge-
beschrieb. winnen wie Sympathie auftreten oder das Spielen
Themen von Macht und Kontrolle treten in einer Rolle als »verletzter Held«.
zwischenmenschlichen Beziehungen in den Vor- Diese verschiedenen Aspekte einer prototypi-
dergrund (auf andere Weise als bei zwanghaften schen narzisstischen Persönlichkeit werden in
Persönlichkeiten). Der narzisstischen Persönlich- der folgenden Übersicht dargestellt, je nachdem,
keit geht es um den Besitz von Macht zur Steige- ob sie Eigenschaften des Informationsverarbei-
rung ihres eigenen Gefühls von Kompetenz und tungsstils, Persönlichkeitseigenschaften oder
Kontrolle bzw. die Selbsterhöhung durch An- überdauernde Muster zwischenmenschlicher Be-
schluss an eine mächtige Person. Kern dieses ziehungen sind.
Wunsches ist die Verwendung der Bewunderung
oder Nähe für die Erhaltung des Selbstwertes.
Informationsverarbeitungsstil
von narzisstischen Patienten
Gefühle und Gedankenfluss
6.6.1 Besonderheiten der
(beobachtbar in kurzen Zeitausschnitten)
Gedanken- und Gefühlskontrolle
Verschiebt Bedeutungen von Informatio-
nen, die das Selbstkonzept beschädigen
Tritt ein belastendes Ereignis von größerer Be-
könnten,
deutung ein, soll ein Abweichen von der Kenntnis
setzt Verleugnung, Entwertung und Ne-
der Realität den potentiell katastrophalen Zu-
gierung zum Schutz des Selbstkonzepts
stand verhindern. Dieser potentielle Verlust des
ein,
Selbstgefühls würde aus intensiv erlebten Emo-
Aufmerksamkeit wird auf Quellen von Lob
tionen und einem qualvoll erlebten Gefühl der
und Kritik gerichtet,
Hilflosigkeit und Desorientierung stammen. Um
Externalisierung schlechter Eigenschaften,
diesen Zustand zu verhindern, verschiebt die nar-
Internalisierung guter Eigenschaften,
zisstische Persönlichkeit die Bedeutungen von Er-
zeitweilige Aufrechterhaltung miteinander
eignissen, um das Selbst in einem besseren Licht
unvereinbarer psychischer Einstellungen
erscheinen zu lassen. Jene Qualitäten, die gut
in separaten Clustern (multiple Selbstbil-
sind, werden dem Selbst zugeordnet (Internali-
der).
sierung). Jene, die unerwünscht sind, werden
vom Selbst durch Verleugnen ihrer Existenz, Ab- Persönlichkeitseigenschaften
werten damit verbundener Eigenschaften, Exter- (beobachtbar in mittelfristigen Zeitausschnit-
nalisierung und Negieren früherer Selbstdarstel- ten, z. B. Gesprächen)
lungen ausgeschlossen (Externalisierung). Selbstzentriert,
Solche Formen fließender Bedeutungsver- Überhöhung oder Unterschätzung des
schiebungen erlauben es der narzisstischen Selbst und anderer,
Persönlichkeit, eine scheinbare Konsistenz auf- Selbsterhöhung (oder Pseudo-Demut): bei
realen oder phantasierten Leistungen, in
rechtzuerhalten. Die verzerrten Bedeutungen er-
der Art sich zu kleiden oder im Auftreten,
zwingen jedoch weitere Verzerrungen, um beste-
Vermeidung selbsterniedrigender Situa-
hen zu können. Die daraus resultierenden Schwie-
tionen,
rigkeiten verleihen den kognitiv-emotionalen
variabler Einsatz von Verhaltensweisen
Strukturen eine subjektiv erlebte Unsicherheit.
in Abhängigkeit vom Zustand des Selbst-
Während Belastungszuständen können Lücken
wertes und dem Kontext in Form von:
in der Vermeidung bedrohlicher Vorstellungen
Charme, Verführungsqualitäten,
auftreten. Dadurch können Wut oder paranoide
Bemühungen um Kontrolle oder
Zustände genauso wie Episoden von Panik, Scham Charisma
oder Depersonalisierung vorkommen. Selbstzer-
störerische Handlungen können motiviert sein
durch Wünsche, solche Belastungen zu beenden.
6.6 · Der narzisstische Persönlichkeitsstil unter Belastung
125 6
Diese »doppelte Gefährdung« der narzisstischen
Überlegenheit, Überheblichkeit, Kälte Persönlichkeit gestaltet die Therapie besonders
oder Rückzug schwierig.
Schamgefühle, Panik, Hilflosigkeit, Beide Ängste motivieren Abwehrmanöver.
hypochondrisches Verhalten, De- Die Vorstellung, dass »jemand stirbt«, ist dabei
personalisierung oder Selbstdestrukti- ein weniger beängstigendes Konzept, als dass
vität man selbst umkommt. Das Thema »Sterben
Neid, Wut, Paranoia oder Forderungen. müssen« wird nun von seiner Bedeutung, selbst
Zwischenmenschliche Beziehungen sterben zu müssen, zur persönlichen Unsterb-
(beobachtbar in Langzeitmustern der Patien- lichkeit verschoben. Statt Angst ermöglicht die
tenbiograflei Bedeutungsverschiebung nun ein Gefühl des Tri-
Verarmte Zwischenmenschlichkeit, umphes. Dasselbe Bild, welches zuvor Angst her-
Machtorientierung oder Kontroll- vorrief, führt nun, aufgrund einer leichten Irra-
intentionen über andere, die nur Zubehör tionalisierung, zu einem eher positiven emotio-
darstellen, nalen Erlebnis. Durch seine Abwehrnatur ist die-
Abwesenheit von »lch-Du«-Gefühlen, ser Zustand allerdings instabil, und Harry wird
Sozialer Aufstieg oder Benutzung anderer dazu tendieren, seinen Angstzustand wiederholt
Menschen zur positiven Spiegelung, zu erleben. Dieses Leugnen der eigenen Sterblich-
Vermeidung von Selbstkritik durch keit verdient nähere Beachtung. Der narzisstische
Anstachelung anderer zu unfairer Kritik, Harry befreit sich selbst von den Gegebenheiten
Fallenlassen und Abwertung von des Menschseins, indem er denkt: »Sie ist Vertre-
Personen, die nicht mehr nützlich sind. terin der Art, die stirbt. Ich bin von anderer Art.«
Unter Verwendung dieser Form der narziss-
tischen Abwehr klassifiziert sich Harry als Aus-
f) Beispiel nahme. Das bedeutet weiterhin, dass er als Aus-
Ein narzisstischer Harry nahme etwas Besonderes ist.
Für den Fall eines narzisstischen Harry soll im fol- Diese Art der Bedeutungsverschiebung ist mit
genden das Thema 01 betrachtet werden, in dem einem positiven Affekt verbunden: die Dinge sind
Harry von seinen aufdringlichen Bildern des besser als angenommen. Indem Bedeutungen
Frauenkörpers in Verbindung mit Vorstellungen verschoben und ungeschehen gemacht und tödli-
von seiner eigenen Anfälligkeit für den Tod be- che Gefahren wie Sterben müssen und Verletz-
richtet. Die Vorstellung von seinem möglichen Tod lichkeit externalisiert wurden, konnte eine kom-
ist unvereinbar mit Harrys Wunschvorstellung von plette Umkehrung der Emotionen erreicht wer-
Unverletzbarkeit. Die Gefahr, die diese unverein- den. Dieses Manöver der Bedeutungsverschie-
baren Vorstellungen mit sich bringen, ist für eine bung ähnelt der Methode des Wechsels (»shifts«)
narzisstische Persönlichkeit besonders groß, da sie bei Zwanghaften, bei der ein Gedankengang dazu
ein empfindlich-zerbrechliches, aber unversehrtes eingesetzt wird, einen anderen zu blockieren. Je-
ideales Selbstbild aufrechterhalten will. doch empfindet ein narzisstischer Harry, im Un-
Um zu verhindern, dass diese unerträglichen terschied zu einem zwanghaften, verschiedene
Emotionen andauern, werden Kontrollen ein- Gefühle, zu denen möglicherweise sowohl Angst
geführt. Für diese Kontrollen bestehen zwei als auch Triumph gehören. Die narzisstische
Gründe: Persönlichkeit wird den Triumph nicht durch
Verhinderung der bedrohlichen Angst- ein Angstgefühl rückgängig machen. Wenn sie
gefühlszustände und trotzdem weiterhin für Angst anfällig bleibt, wird
Vermeidung der Angstkognitionen, denn zu- sie die Bedeutungsverschiebungen immer dann
zugeben, dass er Angst hat, wäre für Harry wiederholen, bis die jeweilige Angst reduziert ist.
ebenfalls eine »narzisstische Kränkung«.
126 Kapitel 6 · Persönlichkeitsstile und Belastungsfolgen
Realistische Situationserfassung
Bei der narzisstischen Persönlichkeit liegt ein Während der Umstrukturierung sollte der Thera-
doppeltes Problem vor, wie weiter oben dar- peut besonderen Wert darauf legen, Harry in sei-
gestellt wurde. Es liegt sowohl die Bedrohung nen Opfer- und seinen Tätererfahrungen zu be-
durch vermiedene Vorstellungen und Erleb- stätigen. Sowohl Therapeut als auch Patient soll-
nisse als auch die Vemeidung des Zugebens, ten versuchen zu klären, wie stark der Patient bei
dass etwas vermieden wird, vor. jedem Aspekt der Handlung beteiligt war, d. h.
was wirklich seine Tat war und was durch äußere
Umstände hervorgerufen wurde. Diese Klärung
6.6.2 Therapietechnik: Umstrukturierung beinhaltet, zwischen Realem, Wahrscheinlichem
und Stabilisierung und Phantasien zu unterscheiden.
Beim Klären und Umstrukturieren werden ei-
Wie kann ein Psychotherapeut mit solchen flie- nige der Externalisierungen wieder rückgängig
ßenden Bedeutungsverschiebungen umgehen? gemacht. Angenommen, ein narzisstischer Harry
Hinsichtlich der kognitiv-emotionalen Verarbei- drückt z. B. Wut auf den anderen Fahrer aus, der
tung ist eine neubewertende Umstrukturierung ihn dazu zwang, die Straße zu verlassen. Diese
ein nützliches Mittel in der Therapie. Externalisierung der Verantwortung stellt einen
Versuch dar, das Verschulden nicht bei sich
selbst, sondern beim Fahrer der Gegenrichtung
Langsames Vorgehen zu suchen. Dem liegen nicht nur ängstliche Vor-
Der therapeutische Prozess sollte langsam durch- stellungen von eigenen Fehlern zugrunde, son-
geführt werden; so langsam wie notwendig, um dern auch unrealistische Anschuldigungen.
Harry zu helfen, sich einer Bedrohung zu öffnen,
die stark genug wäre, ihn in einen Zustand der
Selbstzersplitterung zu werfen. Während dieses Verantwortungen herausarbeiten
langsamen Prozesses werden dann die Anstren- Die Umstrukturierung bezieht jedes mögliche
gungen unternommen, die Ereignisse und ihre Element der Verantwortung ein:
verschiedenen Deutungsmöglichkeiten neu zu - seine Verantwortung, die Frau mitgenommen
bewerten. zu haben,
- seine Verantwortung für die anderen Autos,
Taktgefühl die fast zusammengestoßen wären,
- dafür, das Auto auf seine Weise von der Stra-
Hinsichtlich der therapeutischen Beziehung ße heruntergelenkt zu haben,
spielt das Taktgefühl eine wichtige Rolle. Takt- - seine Verantwortung für seine Handlungen
gefühl ist unerlässlich, da die narzisstische nach dem Unfall.
Persönlichkeit stärker auf den Therapeuten als
auf die thematischen Bedeutungen konzentriert Das alles muss jetzt neu bewertet werden. Für je-
ist. Der Therapeut stellt eine wichtige aktuelle des Thema wird bei der Umstrukturierung ein
Quelle für Lob oder Kritik dar. Die realistischen Endpunkt erreicht, an dem eine realistische Ent-
oder verzerrten Beobachtungen des Patienten, scheidung über die Bewertung des Themas er-
wie stark das Interesse oder Desinteresse des folgt, die Harry von unrealistischen Schuldkom-
Therapeuten ausgeprägt ist, beeinflussen das all- ponenten befreit.
gemeine Gleichgewicht des Patienten. Die Überprüfung und Neubewertung durch
den Therapeuten ermöglicht es Harry, eine be-
wusste Entscheidung über sein Ausmaß an Straf-
barkeit zu erzielen. Außerdem kann er die Erfah-
rung machen, vom Therapeuten nicht mit Kritik
angegriffen zu werden. Der Therapeut vermeidet
6.6 · Der narzisstische Persönlichkeitsstil unter Belastung
127 6
solche Angriffe, obgleich er durch die krassen artigkeit, verbunden mit der Erwartung, bewun-
Externalisierungen des Patienten dazu angesta- dert zu werden, charakterisiert. Die andere be-
chelt werden kann. steht in der Idealisierung des Therapeuten, des-
sen »Licht« wiederum auf den Patienten zurück-
fällt.
Eingehen auf Persönlichkeitsentwicklung
Die großartige Quasi-Beziehung tritt meist
Umstrukturierungen und Überprüfungen schlie- entweder zu Beginn einer Behandlung auf oder
ßen das angstauslösende Thema, z. B. der Sterb- in der Genesungsphase direkt nach einem erfolg-
lichkeit (01), mit ein. Für den narzisstischen reich überwundenen anfänglichen Belastungs-
Harry ist es besonders schwierig, dieses Thema zustand nach einer Extrembelastung. Prahlerei
durchzuarbeiten. Realistische Bedrohungen sei- und Selbstlob treten in subtilen oder stärkeren
nes Selbstbildes stellen seine Achillesferse dar, Formen auf und bewirken, dass die Therapiezeit
die aus der narzisstischen Persönlichkeitsent- von belastungsrelevanten Themen abgezogen
wicklung herrührt. Wird ersichtlich, dass frühere wird.
Erinnerungen und Phantasien wachgerufen wur- Das Taktgefühl, wie an früherer Stelle betont
den, benötigen diese ebenfalls eine Umstruktu- wurde, lässt diese Bemühungen auch zu, um
rierung im Licht der Gegenwart. Diese Umstruk- das Selbstwertgefühl wiederherzustellen, anstatt
turierungen bei narzisstischen Patienten erfor- darauf zu bestehen, bei zentralen Konflikten zu
dern besonders ausgedehnte Anstrengungen, in bleiben, oder die großartigen Bemühungen als
der Unterscheidung von Selbst und Anderen hin- Kompensation zu interpretieren.
sichtlich ihrer Motive, Handlungen und Empfin- Dieses Taktgefühl oder diese Zurückhaltung
dungen geklärt werden. können für solche Therapeuten besonders schwer
sein, die es gewöhnt sind, sich auf die positive
therapeutische Beziehung zu verlassen, um dem
6.6.3 Beziehungsaspekte Patienten über Perioden harter Arbeit an bedroh-
bei narzisstischen Patienten lichen Vorstellungen hinwegzuhelfen. Es ist
schwierig, daran zu denken, dass die Beziehung
Die Behandlung narzisstischer Persönlichkeiten mit narzisstischen Patienten nicht stabil ist und
ist für den Therapeuten häufig schwierig, da dass ihr Bedürfnis oft gebieterisch und nicht
der narzisstische Patient den Therapeuten eher mit der üblichen Anteilnahme verbunden ist.
benutzt, als dass er eine Beziehung mit ihm ein- Bei der zweiten Form von Quasi-Beziehung,
geht. Obwohl sich der Therapeut als wirkliche der Idealisierung des Therapeuten, wird die Wie-
Person unwichtig vorkommt und als Reaktion dergutmachung des Schadens dadurch erreicht,
darauf z. B. selbst Desinteresse empfinden kann, dass der Patient sich einbildet, er werde erneut
muss er verstehen, was gerade abläuft, und dem durch eine mächtige oder attraktive Bezugsper-
Patienten sachlich näherkommen. Der Therapeut son beschützt und als wertvoll erachtet. Das Be-
muss eine Zeitlang unterstützend wirken. Beim lastungsreaktionssyndrom wird zur Eintrittskarte
narzisstischen Patienten können Unterstützung für diese Art der Selbstwertverbesserung. Aber-
und Nähe weniger eine Frage der Wärme als mals ist zu Beginn der Behandlung, wenn der Pa-
der Akzeptanz seiner Externalisierungen sein. tient noch teilweise vom Belastungsfolgesyndrom
Dies geschieht jedoch nicht ohne Konsequenzen, überwältigt ist, taktvolle Toleranz erforderlich.
da es zu einem späteren Therapiezeitpunkt not- Die glorifizierenden Aussagen über den Thera-
wendig sein kann, solche Externalisierungen zu peuten weisen auf Idealisierung hin, die den
entmutigen. Die narzisstische Persönlichkeit ver- Schaden, der dem Selbst zugefügt wurde, vorü-
schafft sich durch zwei Formen einer »Quasi-Be- bergehend wiedergutmacht. In diesem Fall muss
ziehung« das Sicherheitsgefühl, das notwendig auf sicherere Zeitabschnitte gewartet werden, in
ist, um ihre normalerweise vermiedenen Vorstel- denen an der Umstrukturierung und Integration
lungen und Gefühle zu erleben und auszu- der belastenden Ereignisse gearbeitet werden
drücken. Eine Form ist durch persönliche Groß- kann.
128 Kapi tel 6 · Persönlichkeitsstile und Belastungsfolgen
M. Bauer, S. Priebe
Literatur - 137
130 Kapitel 7 · Psychopharmakatherapie
Bei Patienten, die keine spezielle psychiatrische Es gibt eine Reihe von offenen unkontrollierten
Komorbidität (z. B. psychotische Erkrankung) Studien über den Einsatz verschiedener psycho-
aufweisen, ist zunächst ein Therapieversuch mit troper Substanzen bei Patienten mit PTB, die
einem Antidepressivum indiziert. Dies gilt auch über zumeist gute Therapieerfolge berichten (vgl.
für PTB-Patienten, bei denen keine depressive Kolk, 1987; Davidson, 1992; Yehuda, 2002). Die
Symptomatik besteht. Welches Medikament aus Zahl systematischer, kontrollierter pharmakolo-
der großen Gruppe der Antidepressiva gewählt gischer Studien ist angesichts der relativ hohen
wird, kann im Einzelfall von zahlreichen Fak- Prävalenz dieses Krankheitsbildes jedoch ver-
toren abhängen, zu denen auch die Erfahrung gleichsweise gering (Solomon et al., 1992). So
des verantwortlichen Arztes in der Behandlung existieren bislang nur weniger als 10 plazebokon-
132 Kapitel 7 · Psychopharmakatherapie
a rabelle 7.1 . Leitlinien für den Einsatz von Psychopharmaka bei posttraumatischen Storungen
Antidepressiva
I 6-8 Wochen
I Neuroleptika
trollierte Doppelblindstudien mit PTB-Patienten, dass sich die Patienten der Plazebogruppe prak-
die überwiegend bei amerikanischen Vietnam- tisch nicht besserten; dies wird als ein Hinweis
kriegsveteranen durchgeführt wurden. auf die Beteiligung biologischer Prozesse bei
Bei den kontrollierten Studien wurden fast PTB gewertet (Davidson, 1992}.
ausschließlich Antidepressiva verschiedener Sub-
stanzgruppen (trizyklische Antidepressiva,
MAO-Hemmer, SSRI) geprüft. Die teilweise nega- 7 .3.1 Antidepressiva
tiven Studienergebnisse mit Antidepressiva ha-
ben möglicherweise ihre Ursache in zu niedrigen Die Medikamentengruppe der Antidepressiva ist
Dosierungen und in zu kurzen Untersuchungs- zur Behandlung vieler unterschiedlicher psychi-
dauern, da die Studien mit längerer Prüfzeit atrischer Störungen von Nutzen. Die Behandlung
günstigere Ergebnisse zeigten. Von einigen Auto- depressiver Störungen ist jedoch die Hauptindi-
ren wird deshalb eine mehrmonatige Therapie kation für Antidepressiva, wo sie sich seit nun-
mit einem Antidepressivum in einer Dosis emp- mehr über 40 Jahren bewährt haben. Andere In-
fohlen, wie sie bei der Behandlung depressiver dikationen für den Einsatz von Antidepressiva
Erkrankungen üblich ist (s. Abschn. 7.3.1). Allen sind z. B. Angst- und Paniksyndrome, Zwangs-
plazebokontrollierten Studien war gemeinsam, störungen und Schmerzsyndrome.
7.3 · Empirische Evidenz 133 7
Selektive adäquater Dosierung (Tagesdosis 150 mg) und
Serotonin-Wiederaufnahmehemmer adäquater Therapiedauer (8-12 Wochen) sollte
und andere serotonerge Antidepressiva auch in der Behandlung der posttraumatischen
Störungen beibehalten werden, bevor der Thera-
Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehem-
pieerfolg beurteilt werden kann. Kommt es d~
mer (SSRI) sind eine Gruppe von Antidepressiva,
runter zu keiner Besserung, kann der Versuch ei-
die in den vergangenen Jahren große Bedeutung ner Höherdosierung (Tagesdosis bis 300 mg) un-
in der Behandlung depressiver Erkrankungen er-
ternommen werden. Dabei ist dann mit einer
langt haben und mittlerweile weltweit die am
Zunahme der typischen Nebenwirkungen der
häufigsten verordneten Antidepressiva darstellen
trizyklischen Antidepressiva zu rechnen (z. B.
(Bauer et al., 2002a). Darüber hinaus werden
Mundtrockenheit, Verstopfung, Blasenentlee-
SSRI auch bei Zwangs- und Angststörungen mit
rungsstörungen, Verschwommensehen). Zum
Erfolg eingesetzt, insbesondere bei Vorliegen
weiteren Vorgehen bei Vorliegen einer begleiten-
von Komorbidität von Depression und Angst
den schweren Depression bzw. bei Therapieresis-
bzw. Zwang. Ihre weite Verbreitung verdanken
tenz auf die antidepressive Therapie sei auf die wei-
die SSRI auch der Tasache, dass sie weniger Ne-
terführende Literatur verwiesen (Bauer & Berg-
benwirkungen als trizyklische Antidepressiva
höfer, 1997; Bauer et al., 2002a).
und MAO-Hemmer besitzen (Bauer et al., 2002 a).
Bei Patienten mit PTB wurden bislang 2 ran-
Was das Indikationsspektrum und die Verträg-
domisierte plazebokontrollierte Doppelblindstu-
lichkeit angeht, sind weitere - relativ neue - An-
dien mit trizyklischen Antidepressiva publiziert.
tidepressiva (Mirtazapin, Nefazodon, Venlafaxin)
In einer 4-wöchigen Studie verglichen Reist et
zu nennen, die wie die SSRI ebenfalls primär »se-
al. (1989) Desipramin (mittlere Tagesdosis
rotonerg« wirksam sind.
165 mg) mit Plazebo bei 18 Vietnamkriegsvetera-
Heute werden daher in erster Linie SSRI und
nen. Dabei zeigte sich in der Desipramingruppe
andere, »serotonerg« wirksame Antidepressiva
nur bei einigen Depressionssymptomen eine
zur Behandlung der PTB eingesetzt (Gorman et
leichte Verbesserung; ansonsten hatte das Antide-
al., 2002; Yehuda, 2002). Eine Umfrage unter 57
pressivum keinen Einfluss auf die PTB-Sympto-
amerikanischen Pharmakotherapieexperten, die
matik. Patienten der Plazebogruppe zeigten
auch Erfahrung in der Behandlung der PTB besit-
ebenfalls keine Besserung. Davidson et al. (1990)
zen, bestätigte, dass SSRI und andere »serotonerg«
fanden in ihrer 8-wöchigen Studie bei 46 ame-
wirksame Antidepressiva zu den am häufigsten
rikanischen Kriegsveteranen (2. Weltkrieg, Korea,
verordneten Medikamenten in der Behandlung
Vietnam), dass die Werte auf den Hamilton-De-
der PTB gehören (Foa et al., 1999). Tatsächlich
pressions- und Angstskalen bereits nach 4 Wo-
wurde die Wirksamkeit von SSRI (Fluoxetin, Pa-
chen in der Amitriptylingruppe (Dosis bis zu
roxetin, Sertralin) bei PTB in den vergangenen
300 mg!Tag je nach individueller Verträglichkeit)
Jahren wiederholt in großen, plazebokontrollier-
signifikant gesenkt wurden. Darüber hinaus
ten Doppelblindstudien mit Erfolg geprüft (Kolk
wurden nach 8 Wochen auch solche PTB-Symp-
et al., 1994; Connor et al., 1999; Brady et al., 2000 b;
tome verbessert, die der anhaltenden Vermei-
Davidson et al., 2001 a; Davidson et al., 2001 b;
dung von Stimuli dienen, die mit dem Trauma
Marshallet al., 2001; Zohar et al., 2002). In diesen
in Verbindung stehen (Vermeidungssymptome;
Studien besserte sich die PTB-Symptomatik in al-
s. Kap. I). Keinen Effekt zeigte Amitriptylin hin-
len Symptomkategorien; die Verträglichkeit der
gegen auf die Symptome des Wiedererlebens
SSRI war in diesen Studien gut.
des Traumas (intrusive Symptome). Auch hier er-
gab sich für Patienten der Plazebogruppe auf kei-
ner Skala eine Symptomverbesserung.
Trizyklische Antidepressiva
Trizyklische Antidepressiva (s. D Tabelle 7.1 ) gehö-
ren zu den bewährtesten Medikamenten in der
Depressionsbehandlung. Das generelle Prinzip
134 Kapitel 7 · Psychopharmakatherapie
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Spezifische
Traumagruppen
8
Literatur - 150
Arbeitsblätter - 151
142 Kapitel 8 · Kognitive Verarbeitungstherapie für Opfer sexuellen Missbrauchs
Sexueller Missbrauch ist ein Problem von großer 8.1 Das Erklärungsmodell der
individueller und sozialer Bedeutung. Nach re- kognitiven Verarbeitungstherapie
präsentativen Untersuchungen der Bevölkerung
lässt sich die Häufigkeit (Lebenszeitprävalenz) Die Entwicklung und Aufrechterhaltung von
von sexuellem Missbrauch bei Frauen zwischen posttraumatischen Belastungsstörungen ist in-
13,5% und 44o/o schätzen (Kilpatrick et al., 1985, nerhalb des Rahmens der Informationsverarbei-
1992; Koss et al., 1987). Sexueller Missbrauch be- tungstheorie konzeptualisiert worden (eherntob
einflusst sowohl das körperliche als auch das psy- et al., 1988; Foa et al., 1989; Horowitz, 1976; Jones
chische Gleichgewicht von Opfern, wie man an & Barlow, 1990; McCann et al., 1988, 1990; s. auch
der nachfolgend erhöhten Nutzung von medizini- Kap. 1 und Kap. 4). Diese Theorie erklärt die Or-
schen und psychiatrischen Diensten ablesen kann ganisation und Verarbeitung von Information
(Golding et al., 1988; Koss et al., 1988). durch die Entwicklung von Schemata. Ein Sche-
In einer retrospektiven Untersuchung fanden ma ist definiert als ein allgemein gespeicherter
Kilpatrick et al. (1992) heraus, dass 31 o/o aller be- Wissenskörper, der mit der neu aufgenommenen
fragten Vergewaltigungsopfer irgendwann in ih- Information so interagiert, dass er beeinflusst,
rem Leben posttraumatische Belastungsstörun- wie die Information aufgenommen, verstanden
gen (PTB) entwickelten, und dass 11 o/o zum Zeit- und verarbeitet wird.
punkt der Befragung noch PTB hatten. Sie In der sozialpsychologischen Literatur wur-
schätzten, dass 3,8 Mio. erwachsene US-ameri- den eine Reihe von Belegen für die Neigung
kanische Frauen vergewaltigungsbedingte PTB von Menschen gewonnen, zu glauben, dass die
gehabt haben, und 1,3 Mio. zu einem Stichtags- Welt gerecht ist, dass guten Menschen gute Dinge
datum (Punktprävalenz) vergewaltigungsbeding- und schlechten Menschen schlimme Dinge pas-
te PTB haben. In einer retrospektiven Studie fan- sieren (Lerner & Miller, 1978). Dieser Glaube
den Rothbaum et al. (1992) mit Hilfe strukturier- dient wahrscheinlich einer Abwehrfunktion, so-
ter diagnostischer Interviews, dass 94o/o der un- dass sich die Menschen weniger verletzlich ge-
tersuchten Vergewaltigungsopfer die Symptom- genüber zufällig auftretenden negativen Ereignis-
kriterien für PTB eine Woche nach der Vergewal- sen fühlen. Das Auftreten eines besonders negati-
tigung erreichten (das Zeitkriterium von einem ven Ereignisses, so wie eine Vergewaltigung,
Monat, das für die Diagnose vorausgesetzt wird, weicht vom Glauben an ein »Schema der gerech-
wurde hier nicht benutzt). 3 Monate nach der ten Welt« ab. Holion & Garher (1988) schlagen
Vergewaltigung erreichten 47o/o der Frauen noch vor, die Reaktionen, die auftreten, wenn eine Per-
immer die Kriterien für PTB. Die Frauen, die son neuer und nicht schema- oder überzeu-
schließlich wieder gesundeten, zeigten eine zu- gungskonformer Information begegnet, Assimila-
nehmende Verbesserung über die 3 erfassten Mo- tion oder Akkommodation zu nennen:
nate. Hingegen berichteten die Frauen, die eine - Assimilation bezeichnet die Prozesse, bei de-
längeranhaltende PTB entwickelten, sowohl an- nen Information verändert oder verzerrt
fänglich größeres Leid als auch wenig Verbes- wird, um in ein vorhandenes Schema hinein-
serungen nach dem Ablauf des ersten Monats zupassen (assimiliert zu werden),
auf den verschiedenen Symptomskalen. Ähnlich - Akkommodation bezeichnet andererseits die
berichteten Mechanic et al. (1994) in einer Studie Veränderungen bestehender Schemata, um
des natürlichen Verlaufes der Genesung von vor neue, unvereinbare Information akzeptieren
kurzem vergewaltigten Frauen, dass 2 Wochen zu können.
nach der Vergewaltigung 72o/o ihrer Stichprobe
die vollen Symptomkriterien für die Diagnose ei-
Rolle früher bestehender Überzeugungen
ner PTB (s. Kap. 1) erreichten. Nach 3 Monaten
erreichten 44o/o noch immer die vollen Kriterien Es hat sich gezeigt, dass vor der Vergewaltigung
für PTB. vorhandene Oberzeugungen und Erlebnisse ei-
nen wichtigen Einfluss darauf haben, wie das
traumatische Ereignis verarbeitet wird. Frühere
8.1 · Das Erklärungsmodell der kognitiven Verarbeitungstherapie
143 8
Verluste und Traumen können zu negativen Sche- durch einen Bekannten etwas schemaabweichen-
mata führen (z. B. »Mir passieren immer schlim- des (schema-inkongruentes) ist; die eigenen Er-
me Dinge«), die durch die Vergewaltigung lebnisse passen nicht zu der vorherrschenden
scheinbar bestätigt werden. Im Kontrast dazu Oberzeugung von Vergewaltigungen, die Verge-
kann eine allzu behütete Kindheit zu einem un- waltigungen als etwas von Fremden ausgeführtes
realistischen Schema der gerechten Welt führen definieren.
(z. B. »Solange ich mich gut benehme, wird mir Eine Akkommodation wie »Manchmal
niemals etwas Schlimmes passieren«), was im können schlimme Dinge guten Menschen passie-
Angesicht eines traumatischen Erlebnisses eben- ren« ist zwar notwendig für eine erfolgreiche Ver-
falls zerstört werden mag. arbeitung des Ereignisses, gleichzeitig kann sie
aber eine Symptomverminderung dann verhin-
dern, wenn das Opfer seine Weltsicht vollständig
PTB-Symptom-Prozessmodell
dahingehend ändert, dass Vertrauen oder Intimi-
Wenn die Information nicht angemessen ver- tät nicht möglich sind und allgemeine Furcht vor-
arbeitet wird, treten mit hoher Wahrscheinlich- herrscht. Dieser Prozess wird als Überakkom-
keit die Symptome der PTB, wie intrusives Wie- modation bezeichnet, bei dem das Opfer zu
dererleben, Flashbacks und Alpträume auf. Diese Schlüssen kommt wie »Es kann niemandem ver-
Intrusionssymptome werden von starken traut werden« oder »Ich bin nirgendwo sicher«.
Gefühlsreaktionen wie Furcht, Ekel, Schuld und 5 Bereiche ließen sich identifizieren, in denen
Ärger begleitet. Diese führen wiederum zu traumatische Erlebnisse zu gestörten Selbstkon-
Flucht- und Vermeidungsverhalten, z. B. dem Ver- zepten (durch Assimilation) und Konzepten von
meiden von Situationen, die die Betroffenen an anderen Menschen (Fremdkonzepten, durch
das Ereignis erinnern. Die Vermeidung der Ge- überakkommodation) führten (McCann et al.,
danken, dass etwas Schlimmes passiert ist oder 1988, 1990; s. auch Kap. 1). Diese 5 Bereiche sind:
das Erlebte in die eigene Lebenserfahrung ein- - Sicherheit,
zuordnen, verhindert allerdings die Löschung - Vertrauen,
der starken Gefühlsreaktionen von Furcht, - Macht/Einfluss,
Schuld, Ekel und Ärger. Im weiteren Verlauf - Selbstachtung und
können starke Gefühlsreaktionen jederzeit durch - Intimität.
Umgebungsreize hervorgerufen werden, solange
die detailreichen Erinnerungen an das traumati- PTB wird als Ereignis einer Unfähigkeit gesehen,
sche Ereignis weiterhin von den Schemata abwei- die traumatischen Erfahrungen und die früheren
chen (Hollon & Garber, 1988). Diese Angstreize Überzeugungen und Einstellungen miteinander
können insbesondere die Symptome der chroni- zu integrieren. Dadurch kommt es zu »Verfesti-
schen Erregung und Hyperaktivität verursachen gungen« (Resick & Schnicke, 1990, 1992a) in
und allgemein werden lassen. den Bereichen von Sicherheit, Vertrauen, Ein-
fluss, Selbstachtung und Intimität.
Beispiel für Assimilation
und Überakkommodation Kognitive Verarbeitungstherapie
Assimilation wird häufig bei Opfern von Ver- Resick & Schnicke (1992a; 1993) haben die
gewaltigungen durch Bekannte (z. B. Familien- kognitive Verarbeitungstherapie (KVT; eng!.:
mitglieder) beobachtet. Das Opfer gibt sich selbst »Cognitive Processing Therapy«, CPT) ent-
die Schuld für das Überfallenwerden oder den wickelt, um den Patienten zu helfen, die durch
nicht erfolgreichen Widerstand, indem es sich das Trauma verursachten Gefühle zu verarbeiten
fragt, ob das Ereignis wirklich eine Vergewalti- und ihre Verfestigungen zu identifizieren. (Wei-
gung war. Es kann auch Amnesien für Teile oder tere Literatur zur KVT siehe Calhoun & Resick,
für das gesamte Ereignis ausbilden. Diese Phäno- 1993; Ellis, Black & Resick, 1992; Resick, 1992;
mene rühren daher, weil die Vergewaltigung Resick, 1994; Resick & Gerth Markaway, 1991).
144 Kapitel 8 · Kognitive Verarbeitungstherapie für Opfer sexuellen Missbrauchs
In der Therapie werden die Verfestigungen ange- Veränderung des Leidens, welche sie dazu führte,
sprochen und auf systematische Weise i n Frage erneut eine Therapie aufzusuchen.
gestellt. Dabei werden Patientenedukation (s.
Testdiagnostik
Kap. 2), Konfrontationsverfahren (s. Kap. 4)
Auf der »PTSD Symptom Scale« (PSS, s. Kap. 3)
und kognitive Komponenten (s. Kap. 5) einge-
wurde ein Wert von 29 (mittelstarke bis starke
setzt, um den Patienten zu helfen, das Trauma
PTB), im Beck Depressions Inventar (BDI, Beck et
in ihre vorbestehenden Schemata zu integrieren.
al., 1961) ein Wert von 14 (milde Depression) und
auf der Beck-Hoffnungslosigkeits-Skala (BHS,
Beck et al., 1974) ein Wert von 4 (keine bis milde
Das Ziel der KVT ist es, den Patienten bei der
Hoffnungslosigkeit) angezeigt. Die diagnostische
Integration des Ereignisses dadurch zu helfen,
Beurteilung mit strukturierten klinischen Inter-
dass die Gefühle vollständig verarbeitet wer-
views zeigte, dass die Patientin die diagnostischen
den und die Schemata so zu verändern, dass
Kriterien für die PTB erfüllte.
die Patienten eine ausgeglichene Weltsicht
beibehalten (d.h. die Überakkommodation Biographische Entwicklung
wird verringert). und gegenwärtige Lage
Die Patientin wurde in einer stark traditionell und
religiös geprägten, katholischen Familie groß-
gezogen, wo sie das jüngste von 6 Kindern war. Sie
8.2 Falldarstellung erinnerte sich, Gott als einen häufigen >>Spielge-
fährten<< gehabt zu haben, wenn sie sich als Kind
Im folgenden Abschnitt wird das Vorgehen der
mit Phantasiespielen beschäftigte. Was gut und
kognitiven Verarbeitungstherapie anband einer
was schlecht war, wurde durch den religiösen
Fallstudie erläutert.
Kontext streng definiert. Zum Beispiel galt Ho-
mosexualität als Unrecht, und sie erinnert sich,
f) Beispiel
dass ihr Vater und Brüder erklärten, dass Homo-
Die Patientin war eine 23-jährige, alleinstehende,
sexuelle in die Hölle kommen müssten. Dies legte
katholische Frau weißer Hautfarbe mit einem All-
das Fundament für den Glauben an eine gerechte
gemeinschulabschluss. Sie arbeitete als Frisöse in
Welt, in der guten Menschen gute Dinge und
einem Salon und wohnte bei ihren Eitern zu
schlechten Menschen schlechte Dinge passieren.
Hause. Sie wurde in unsere Einrichtung von ihrer
ln ihrer Beschreibung war die Beziehung mit
Mutter vermittelt, die von dem Behandlungs-
ihrem Freund, den sie mit 15 Jahren in der Schule
angebot in der lokalen Zeitung las.
hatte, schwierig. Er hatte mit Drogen zu tun und
Problemdarstellung sie versuchte, ihn zu veranlassen, einen Thera-
Die Patientin kam zur Behandlung mit Sympto- peuten aufzusuchen, um ihn zu retten. Als sich die
men der Intrusion, Vermeidung und chronischen Beziehung verschlechterte, begann sie sich
Übererregung (s. Kap. 1 und 3). Diese Symptome zurückzuziehen. Sie berichtete, dass er daraufhin
hatten sich nach einer traumatisch erlebten Ver- beleidigend wurde und Sex mit ihr erzwingen
gewaltigung im Alter von 15 Jahren durch ihren wollte. Letztendlich beendete sie die Beziehung
damaligen Freund herausgebildet. 8 Monate nach mit ihm.
dem traumatischen Ereignis hatte sie eine Thera- Eines frühen Morgens, als sie noch schlief,
pie (unterstützende Therapie) aufgesucht, die 2 schlich sich der junge Mann durch ihr Schlafzim·
Jahre dauerte, ohne dass sie zu einer bedeut- merfenster und vergewaltigte sie. Sie berichtete,
samen Reduktion ihrer Symptome führte. Sie litt dass sie anfangs extrem verwirrt war. Sie war noch
unter mittelschweren Symptomen der posttrau- in einem Traum, in dem Gott ihr ein Zeichen ge-
matischen Belastungsstörung für die nächsten 4 geben hatte, mit ihm in seinen wunderschönen
bis 5 Jahre. Während ihrer Verlobungszeit wurde Garten zu gehen. Als sie an diesem Punkt im
die Intensität ihrer Symptome stärker. Es war diese Traum war, bemerkte sie auf einmal die Be-
T T
8.3 · Behandlungsablauf
145 8
ckenstöße des Vergewaltigers. Sie beschrieb, wie dungen für sie treffen würden. Sie berichtete, dass
sie »wegtrieb<< und wieder nach Gott suchte, der sie manchmal wütend mit ihnen sei, aber Angst
sie retten sollte. Nur war sie plötzlich in einem habe, ihre Wut zu zeigen oder sich ihnen ge-
dunklen, kalten Zimmer und Gott war nirgendwo genüber durchzusetzen, denn es könne ja sein,
zu finden. Als sie zu sich kam, hatte der Ver- dass beide grundsätzlich Recht hätten.
gewaltiger sich gerade fertig angezogen und sie
sah ihn durch das Fenster herausschleichen.
Während dieser ganzen Zeit wurde kein Wort ge- 8.3 Behandlungsablauf
wechselt. Aufgrund ihrer vorherrschenden frühe-
ren Überzeugungen von einer gerechten Weit,
Die kognitive Verarbeitungstherapie umfasst 12
versuchte die Patientin via Assimilation aus dem Sitzungen innerhalb von 6 oder 12 Wochen, wo-
Ereignis Sinn zu machen. Wenn es gilt, dass bei sie Patientenedukation, Konfrontationstech-
schlechte Dinge schlechten Menschen passieren niken und kognitive Komponenten einschließt.
und ihr etwas Schlechtes passiert war, so hieß das, Die folgende Übersicht fasst die Themen der ein-
dass sie ein schlechter Mensch war, der dies ver- zelnen Sitzungen zusammen.
diente. Sie gab sich selbst die Schuld dafür, das
Fenster nicht verschlossen zu haben, und dafür,
Zentrale Themenbereiche
sich während der Vergewaltigung nicht gewehrt
in den 1 2 KVT -Sitzungen
zu haben. Sie interpretierte den zweiten Teil ihres
Einführung und Edukation,
im Dissoziationszustand erlebten Traumes dahin-
Herausarbeiten der Bedeutung
gehend, dass Gott sie verlassen habe, weil sie et-
des traumatischen Ereignisses,
was Schlechtes getan hatte.
Identifikation von Gedanken und Gefühlen,
Diese Selbstbeschuldigung war so stark, dass
Erinnerung an die Vergewaltigung,
sie 8 Monate brauchte, ihren Eitern von der Ver-
Identifikation der Verfestigungspunkte,
gewaltigung zu erzählen. Sie lehnte es ab, auf ei-
herausfordernde Fragen,
ner Anklage zu bestehen und den Vergewaltiger
fehlerhafte Denkmuster,
vor Gericht zu bringen.
Probleme des Sicherheitsgefühls,
Die Selbstbeschuldigungen verursachten wei-
Vertrauensprobleme,
terhin auch Beschädigungen ihrer Überzeugungen
Probleme mit Macht und Einfluss,
(aus den Bereichen) von Sicherheit, Vertrauen,
Selbstachtungsprobleme,
Macht/Einfluss, Selbstachtung und Intimität. Sie
lntimitätsprobleme.
hatte Schwierigkeiten, ihrer eigenen Urteilskraft
und Stärke zu vertrauen, um sich in Beziehungen
sicher zu fühlen. Ein Resultat war, dass sie in ihren
1. Sitzung: Einführung und Edukationsphase
Beziehungen mit nachfolgenden Freunden Inti-
~ Der Patientin wurde ein Überblick von der Be-
mitäten vermied und sich für alle alltäglichen
handlung gegeben.
Entscheidungen Ratschläge und Rückversiche-
rungen holte.
~ Die Patientin wurde über PTB im Kontext der ln-
Dies verfestigte einen zirkulären Gedanken,
formationsverarbeitungstheorie aufgeklärt.
dass ihre Freunde sie leiten und kontrollieren
würden, was ihr implizit den Verlust des Vertrau- ~ Der Patientin wurde eine Hausaufgabe gege-
ens in ihre eigene Urteilskraft bestätigte und was ben, in der sie gebeten wurde aufzuschreiben,
nachfolgend ihr Selbstbewusstsein weiter unter- welche Auswirkungen die Vergewaltigung hatte.
grub. Insbesondere hatte die Patientin eine Reihe Hierbei ging es um Auswirkungen auf sie selbst,
von Schwierigkeiten in der gegenwärtigen Bezie- auf ihre Überzeugungen von anderen Menschen
hung mit ihrem Verlobten und ihrer Freundin auf und die Weit insgesamt und zwar in den Bereichen
der Arbeit. Beide beschrieb sie als extrem beherr- von Sicherheit, Vertrauen, Einflussmöglichkeiten,
schend, und dass beide alle alltäglichen Entschei- Selbstachtung und Intimität.
T
146 Kapitel 8 · Kognitive Verarbeitungstherapie für Opfer sexuellen Missbrauchs
2. Sitzung: Die Bedeutung des Ereignisses >>Hatten Sie einen Grund zu vermuten, dass diese
.,. Die Patientin las die Hausaufgabe vor und die besondere Nacht anders sein würde?« .
Bedeutung der Vergewaltigung für die Patientin (Der sokratische Dialog ist eine Methode der Ge-
wurde diskutiert (s. Arbeitsblatt 1 im Anhang). sprächsführung in der kognitiven Therapie, die v.a.
von Ellis (z. B. Ellis, 1977) eingeführt wurde. Der Be-
.,. Verfestigte Sichtweisen (d. h. unangebrachte An- griff leitet sich aus der Form der Gespräche zwi-
nahmen), die mit der Vergewaltigung in Verbin- schen Sokrates und Platon ab. Durch gezieltes Hin-
dung standen, wurden identifiziert (z. B. »Ich hätte terfragen werden Annahmen identifiziert, über-
mein Sch lafzimmerfenster verschließen sollen«). prüft und ggf. verändert. Dabei liefert der Thera-
peut keine fertigen Antworten, sondern leitet
.,. Der Patientin wurde geholfen, einige Verbin- den Patienten durch seine Fragen dahin, neue Er-
dungen zwischen unangebrachten Gedanken kenntnisse selbst zu gewinnen; Anm. des Hrsg.).
und negativen Gefühlen zu sehen.
.,. Als Hausaufgabe wurde die Patientin gebeten,
.,. Der Patientin wurde eine Hausaufgabe gege- noch einmal einen Bericht über den gesamten Vor-
ben, in der sie gebeten wurde, ihre Gedanken fall mit viel mehr sensorischen Einzelheiten zu
und Gefühle auf >>ABC-Blättern« einzutragen (s. Ar- schreiben, da die erste Version meist wie ein Poli-
beitsblatt 2 im Anhang). zeibericht abgefasst wird.
.,. Die >>ABC-Blätter« der Patientin wurden bespro- .,. Die Therapeutin konzentrierte die Patientin auf
chen und die Verbindungen zwischen Gedanken das Verarbeiten der Gefühle während des Lesens
und Gefühlen weiter diskutiert. des zweiten Vergewaltigungsberichtes. Sie nutzte
»ABC-Blätter<<, um die Verbindung zwischen unan-
.,. Die Patientin wurde gebeten, einen detaillierten gebrachten Gedanken und Gefühlen weiter zu klä-
Bericht von der Vergewaltigung zu geben und alle ren.
sensorischen Einzelheiten (Anblicke, Geräusche,
.,. Die Therapeutin stellt weitere Selbstbeschuldi-
Gerüche etc.), Gedanken und Gefühle einzuschlie-
gungen in den Mittelpunkt des Gesprächs (z. B.
ßen, um die Gefühle und anderen Verfestigungen
>>Wenn Sie gekämpft hätten, könnte das Ereignis
bearbeiten zu können.
viel schli mmer gewesen sein?<<, »Könnte nicht zu
sch reien ein Beweis für gutes Urteilsvermöge n ge-
4. Sitzung: Erinnerung an wesen sein, anstelle von schlechtem?«).
die Vergewalt igung
.,. Ein weiteres Arbeitsblatt wurde vorgestellt, das
.,. Die Patientin las ihren Bericht von der Vergewal- dazu helfen sollte, unangemessene Gedanken in
tigung vor (s. Arbeitsblatt 3 im Anhang). Dabei Frage zu stellen (s. Arbeitsblatt 4 im Anhang).
wurden die Gefühle, die sie während der Verge-
waltigung erlebt hatte, wieder präsent. .,. Als Hausaufgabe wurde die Patientin gebeten,
ihre Probleme (Verfestigungspunkte) unter Ver-
.,. Die Therapeutin konzentrierte sich darauf, Ver-
wendung des Arbeitsblattes >>ln Frage stellen un-
festigungen zu identifizieren, indem sie weitere
angemessener Überzeugungen<< zu beleuchten.
>>ABC-Blätter« nutzte. Vorsichtig wurden die Selbst-
beschuldigungen der Patientin in den Mittelpunkt
gestellt, wobei die Fragemethode des sokratischen
Dialogs zum Einsatz kam (z. B. >>Hatten Sie jemals
das Fenster in der Vergangenheit verschlossen?«,
T
8.3 · Behandlungsablauf 147 8
6. Sitzung: Herausfordernde Fragen .,. Als Hausaufgabe wurde die Patientin gebeten,
.,. Die Hausaufgabe, die sich auf das lnfrage stellen ihre Verfestigungspunkte lnfrage zu stellen, wo-
[ bei sie das vorgestellte Arbeitsblatt benutzen soll-
des Verfestigungspunkts »Ich hätte mein Fenster
schließen sollen« bezog, wurde besprochen (Ar- te.
beitsblatt 4).
.,. Die Therapeutin erläuterte, was man sich unter 8. Sitzung: Probleme des Sicherheitsgefühls
»fehlerhaften Denkmustern« vorstellt (vgl. Beck & .,. Die Therapeutin half der Patientin, ihre Hausauf-
Emery, 1985), um zu zeigen, wie sich Verallgemei- gabe zu besprechen und ihre Probleme des Sicher-
nerungen über verschiedene Verfestigungspunkte heitsgefühls zu bearbeiten.
ausbreiten können (z. B. »Sie missachteten wichti-
ge Aspekte der Situation, als Sie sich selbst die .,. Das Behandlungsmodul zum Vertrauen wurde
Schuld dafür gaben, da sie nicht das Fenster ge- eingeführt und der Patientin wurde geholfen, ihre
schlossen hatten; Sie hatten niemals in Ihrem ge- Vertrauensprobleme zu beschreiben (z. B. »Ihr Ver-
samten Leben das Fenster geschlossen, und waren trauen in Gott wurde zerstört, weil Sie den letzten
nicht vergewaltigt worden«). Teil Ihres dissoziativen Traumes während der Ver-
gewaltigung als Beweis interpretierten, dass Gott
.,. Als Hausaufgabe wurde die Patientin aufgefor- Sie verlassen hatte, weil Sie vergewaltigt worden
dert, noch einmal alle ihre »ABC-Blätter« durch- waren«.
zugehen und die gemeinsamen fehlerhaften
.,. Die Patientin wurde gebeten, ihre Vertrauens-
Denkmuster aller ihrer Verfestigungspunkte he-
probleme unter Benutzung des Arbeitsblattes 7
rauszufinden.
>>lnfrage stellen von inneren Annahmen, Themen-
bereich: Vertrauen<< zu bearbeiten.
7. Sitzung: Fehlerhafte Denkmuster
.,. Die Therapeutin besprach mit der Patientin die
Hausaufgabe über fehlerhafte Denkmuster (s. Ar- 9. Sitzung: Vertrauensprobleme
beitsblatt 5). .,. Die Hausaufgabe der Patientin bezüglich der
Vertrauensprobleme wurde besprochen (Arbeits-
.,. Die Therapeutin führte dann das Behandlungs- blatt 7), und der Patientin wurde geholfen, ihre
modul zur Sicherheit ein und half der Patientin, die Verfestigungspunkte im Vertrauensbereich durch-
Probleme im Bereich ihres Sicherheitsgefühls zu zuarbeiten.
beschreiben (z. B. alles über einen neuen Ort wis-
.,. Die Therapeutin stellte das Behandlungsmodul
sen zu müssen, bevor sie dort hin geht). Das wur-
zu Macht und Einfluss vor und half der Patientin,
de getan, indem der Patientin gezeigt wurde, wie
bei sich selbst zu bemerken, wie sehr ihr Sinn
sich ihre Lebensgewohnheiten seit der Vergewalti-
für Eigenständigkeit (z. B. selbst etwas zu können)
gung verändert hatten.
seit der Vergewaltigung reduziert worden war. Die
.,. Der Patientin wurde geholfen, zwischen ihren Patientin gab sich selbst die Schuld, keine bessere
übergeneralisierten Gedanken, sich nicht sicher Wahl in ihren Beziehungen getroffen zu haben,
zu sein, sich ängstlich zu fühlen und verschiedene was sie in zunehmende Abhängigkeiten von ihren
Situationen zu vermeiden, eine Verbindung zu er- Freunden geführt habe, die ihr letztlich alle Ent-
kennen. scheidungen abgenommen hätten .
.,. Die Therapeutin stellte das Arbeitsblatt >>lnfrage .,. Als Hausaufgabe wurde ihr die Aufgabe zuge-
stellen von inneren Annahmen, Themenbereich: wiesen, den Verfestigungspunkt lnfrage zu stellen,
Sicherheit« vor, um der Patientin zu helfen, ihre un- durch den sie glaubt, dass sie nicht in der Lage ist,
angebrachten Überzeugungen lnfrage zu stellen den Verlauf ihrer Beziehung mit ihrem Freund zu
und adäquatere, veränderte Sichtweisen zu ent- gestalten und zu beeinflussen.
wickeln (s. Arbeitsblatt 6).
148 Kapitel 8 · Kognitive Verarbeitungstherapie fü r Opfer sexuellen Missbrauchs
10. Sitzung: Probleme mit Macht .,. Die Patientin wurde gebeten, ihre Probleme mit
und Einfluss der Intimität infrage zu stellen und dabei das Ar-
.,. Die Therapeutin besprach die Hausaufgabe zu beitsblatt 10 »lnfragestellen von inneren Annah-
Macht- und Einflussproblemen mit der Patientin men, Themenbereich: Intimität« zu verwenden.
(Arbeitsblatt 8).
.,. Für eine weitere Hausaufgabe wurde sie gebe-
.,. Danach wurde das Behandlungsmodul zur ten, die erste Aufgabe in der ersten Stunde, in
Selbstachtung vorgestellt, und die Überzeugun- der es um die Auswirkungen der Vergewaltigung
gen der Patientin in Bezug auf Akzeptanz und ging, noch einmal zu beantworten. Dabei ging
Kompetenz besprochen. es darum, festzustellen, wie sich ihre Überzeugun-
gen seit dem Beginn der Behandlung verändert
.,. Der Patientin wurde geholfen, die Verbindung hatten.
zwischen ihrem Verlust an Vertrauen in ihre eigene
Urteilsfähigkeit, die zunehmende Abhängigkeit
von anderen und dem gesunkenen Selbstwert-
12. Sitzung: Intimitätsprobleme
gefühl zu sehen. .,. Die Therapeutin und die Patientin besprachen
die Hausaufgabe bezogen auf Intimitätsprobleme
.,. Die Patientin wurde gebeten, ihre Probleme in (Arbeitsblatt 10).
bezug auf ihren Selbstwert lnfrage zu stellen
und dabei das Arbeitsblatt 9 »lnfragestellen von .,. Danach wurde die Patientin gebeten, ihre Ant-
inneren Annahmen, Themenbereich: Selbstach- wort zur Frage nach der Auswirkung des Traumas
tung« zu benutzen. zu lesen (Arbeitsblatt 11 ). Sie wurde ermutigt,
selbst zu beschreiben, wie sich ihre Annahmen
als ein Ergebnis ihrer Arbeit in der Therapie verän-
11. Sitzung: Selbstachtungsprobleme dert hatten .
.,. Die Therapeutin und die Patientin besprachen
die Hausaufgabe zu Selbstachtungsproblemen .,. Die Antwort zu den Auswirkungen reflektierte
(Arbeitsblatt 9). Der Patientin wurde geholfen, eine das wachsende Verständnis der Patientin für sich
Verbindung zu erkennen zwischen der Selbst- selbst und den Fortschritt, den sie hinsichtlich ih-
beschuldigung für die Vergewaltigung, der darauf- rer Selbstbeschuldigungen gemacht hatte. Die Er-
folgenden Zerstörung ihres Gefühls, für ihre eige- klärung zeigte weiterhin, dass sie in der Lage war,
ne Sicherheit sorgen zu können, Vertrauen in ihr das Ereignis der Vergewaltigung als etwas Vergan-
eigenes Urteilsvermögen zu haben sowie sich genes zu akzeptieren, was nicht dazu führen sollte,
kraftvoll und kompetent zu fühlen . Die Verbin- dass der Rest ihres Lebens nicht mehr zu verän-
dung wurde weiterhin hergestellt zur eigenen Be- dern sei.
einflussungsmöglichkeit ihrer derzeitigen Partner-
.,. Das Ende der Sitzung befasste sich mit einem
beziehungen und dazu, Entscheidungen für sich
Überblick über alle Gedanken und Fähigkeiten,
selbst treffen zu können, ohne ständig das Bedürf-
die sie in der Therapie gelernt hatte. Es wurde be-
nis zu fühlen, alle anderen müssten dies jederzeit
tont, dass die Patientin weiterhin die in der Thera-
akzeptieren.
pie gelernten Fähigkeiten als Rückfallprophylaxe
.,. Die Therapeutin führte das Behandlungsmodul üben muss. Weitere, verbleibende Probleme wur-
zur Intimität ein, und der Patientin wurde gehol- den identifiziert. Als therapeutisches Ziel für die
fen, die Verbindung zwischen ihrer zunehmenden Zukunft wurde die Patientin gebeten, weiterhin
Abhängigkeit von Freunden beim Treffen von Ent- an diesen Problemen zu arbeiten.
scheidungen und der Vermeidung von Konflikten
in Freundschaften zu erkennen.
T
8.5 · Abschließende Bemerkungen 149 8
8.4 Behandlungsergebnisse 8.5 Abschließende Bemerkungen
Da die Patientin sowohl ihre durch die Vergewal- Die kognitive Verarbeitungstherapie ist sowohl
tigung bedingten als auch ihre gegenwärtigen, si- im gruppentherapeutischen Setting als auch in
tuationsspezifischen Annahmen und Überzeu- der Einzeltherapie effektiv. Bei der Mehrheit der
gungen in jedem der 5 Behandlungsmodule (Si- Patienten lassen sowohl Symptome der posttrau-
cherheit, Vertrauen, Macht/Einfluss, Selbstach- matischen Belastungsstörungen als auch komor-
tung und Intimität) bearbeitete, war sie in der La- bide Depressionssymptome nach. Die Therapie-
ge, gleichzeitig ihre vergewaltigungsbedingten abbruchraten sind bei der KPT mit etwa 10-12%
Schemata und ihre gegenwärtigen Verhaltens- gering (Resick & Schnicke, 1993) im Vergleich zu
muster zu verändern. Das kognitive Umstruktu- anderen Behandlungsprogrammen bei sexuellem
rieren in den aufeinanderfolgenden Sitzungen Missbrauch, wo die Abbrecherquoten auf etwa
setzte sich in Veränderungen des Verhaltens fort. 28% geschätzt werden {Foa et al., 1991).
Die Patientin wurde durchsetzungsfähiger in ih- Ein weiterer Vorteil der KPT ist die kurze und
ren Beziehungen und es gelang ihr besser, ihre zielorientierte Durchführung der Therapie. Auch
Meinungen auszudrücken. In ihrer Beziehung ist die KPT für verschiedene Gruppen von sexu-
zu ihrem Verlobten legte sie erst einmal eine Pau- ellen Missbrauchsopfern geeignet, was neuere Er-
se ein und handelte dabei einige Bedingungen der kenntnisse in der Anwendung der KPT bei er-
Beziehung neu aus, bevor sie ihn später endgültig wachsenen Opfern sexuellen Kindesmissbrauchs
heiratete. Ihr Verlobter respektierte ihre Bedürf- zeigen (Chard, Weaver & Resick, 1997).
nisse, und war in der Lage, sie zu unterstützen. Da sich die psychischen Reaktionen von Ver-
Sie sah einige Ereignisse in ihrem Leben als »An- gewaltigungsopfern und erwachsenen Opfern se-
zeichen« dafür, dass Gott sich um sie kümmerte xuellen Kindesmissbrauchs ähneln, kann die KPT
(z. B. die Therapie in der Universität gefunden als Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Be-
zu haben; die Tür zu einer Kirche offen zu finden, handlungsmodelle angesehen werden, die sich
während einer Zeit, in der sie gewöhnlich ge- angesichts vieler weder theoretisch noch empi-
schlossen war, und drinnen den Chor singen zu risch fundierter Therapieprogramme bewährt
hören; Finden eines Hochzeitrings, den sie in ih- hat.
rem Zimmer verloren hatte etc.). Weitere Forschungsschwerpunkte sind die
Sie war -was für sie wichtig war- in der La- Probleme im Zusammenhang mit Vergewaltigung
ge, mit Gott Frieden zu schließen, indem sie sag- in der Ehe. Es konnte gezeigt werden, dass Frau-
te, dass er sie nicht betrogen hatte, sondern sie en, die in der Ehe sowohl vergewaltigt als auch
dafür bestimmt hatte, aus der Erfahrung etwas geschlagen wurden, über signifikant mehr Prob-
zu lernen. In ihrem Fall bedeutete das, dass sie leme berichteten als Frauen, die nur geschlagen
stärker wurde und für andere Menschen da sein wurden (Shields, Resick & Hanneke, 1990). Ver-
würde, die sie brauchen könnten. Sie berichtete, mutlich benötigen verheiratete Vergewaltigungs-
nicht mehr nur Gefühle der Fremdheit oder des opfer aufgrund der Anzahl an Vergewaltigungen
Ärgers zu verspüren, sondern auch fähig zu sein, und der sich daraus ergebenden Probleme eine
Glücks- und Ruhegefühle zu verspüren (d.h. der ausführlichere Behandlung als die 12 KPT-Sit-
Affektbereich war nicht länger eingeschränkt). zungen (Resick & Schnicke, 1993).
Das kommende Jahrzehnt wird viele neue
Therapieevaluation. Die Punktwerte der Patientin und interessante Ergebnisse für eine verbesserte
bei Therapieende waren für den PSS 2, für den Behandlung posttraumatischer Belastungs-
BDI 2 und für den BHS 0. Die diagnostischen störungen mit der KPT bringen, was eine Viel-
Kriterien für die PTB, die mit einem strukturier- zahl von Anwendungsmöglichkeiten bei den ver-
ten klinischen Interview untersucht wurden, tra- schiedensten Patientengruppen betrifft.
fen nicht mehr zu. Diese Verbesserungen zeigten
sich auch bei weiteren Katamneseuntersuchun-
gen nach 3 Monaten.
150 Kapitel 8 • Kognitive Verarbeitungstherapie für Opfer sexuellen Missbrauchs
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Arbeitsblätter 151 8
Arbeitsblatt 1
Arbeitsblatt 2
»ABC-Blatt«
Datum: - - - - - - -
Patient-Nr.: _ _ _ __ _
Ich kann mich an einen Ich habe diese kleine Person, Traurig
ganzen Abschnitt meines die ich wirklich mochte,
Lebens nicht erinnern. verloren.
Was können Sie sich selbst bei solchen Gelegenheiten in der Zukunft sagen?
----------------
152 Kapitel 8 • Kognitive Verarbeitungstherapie für Opfer sexuellen Missbrau chs
Arbeitsblatt 3
Arbeitsblatt 4
Überzeugung:
Ich verschloss mein Fenster nicht. Es war meine Schuld. Ich bin ein schlechter Mensch.
Fragen: Ja, nur weil ich mein Fenster nicht verschloss und
etwas Schlimmes passierte, bedeutet nicht, dass
1. Was ist der Beweis für und gegen ich es verursachte.
diese Ansicht?
7. Machen Sie Entschuldigungen? (z. B.lch ha-
Dafür: Ich sollte mein Fenster geschlossen haben. be keine Angst. Ich möchte nur ausgehen.
Dagegen: Ich hatte vorher keinen Grund mein Andere Leute erwarten von mir, vollkom-
Fenster zu verschließen oder daran zu glauben, men zu sein, oder ich möchte nichts
dass jemand, dem ich vertraute, mich vergewal- aufwühlen, weil ich keine Zeit dazu habe)
tigen würde. Ich hatte Jack nicht eingeladen.
Ja, ich gebe mir selbst die Schuld anstatt Jack.
dann habe ich nicht mit dem Vertrauensverlust
2. Verwechseln Sie eine Gewohnheit umzugehen. Wenn ich mir selbst die Schuld ge-
mit einer Tatsache? be, kann ich noch vertrauen.
3. Sind Ihre Interpretationen der Situation zu Nein, Jack belog andere und mich.
weit entfernt von der Realität, um genau
zu sein? 9. Denken Sie in Bestimmtheitsbegriffen an-
stelle von Wahrscheinlichkeiten?
Ja, ich konnte physisch nicht kämpfen oder
wegrennen. Ja, schlimmere Dinge hätten passieren können,
wenn manches anders gewesen wäre.
6. Nehmen Sie ein einzelnes Detail aus einer 12. Achten Sie eher auf unwichtige Faktoren?
Gesamtsituation heraus?
Ja, das Fenster.
Arbeitsblätter 155 8
Arbeitsblatt 5
Fehlerhafte Denkmuster
Im Folgenden sind verschiedene Arten fehlerhafter Denkmuster aufgeführt, die Menschen in verschie-
denen Lebenssituationen benutzen. Diese Muster werden oft zu automatischen, gewohnheitsmäßigen
Gedanken, die uns zu selbstzerstörerischem Verhalten veranlassen können.
Bitte finden Sie, wenn Sie an Ihre »Verfestigungspunkte« denken, Beispiele für jedes dieser Muster.
Schreiben Sie den »Verfestigungspunkt« unter das zugehörige Muster und beschreiben Sie, wie er in
dieses Muster passt. Denken Sie darüber nach, wie Sie dieses Muster beeinflusst.
...;.;
-g.
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s
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Arbeitsblatt 6 a-
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Infragestellen von inneren Annahmen. Themenbereich: Sicherheit "'Ql
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Spalte A Spalte B Spalte C Spalte D Spalte E Spalte F
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Situation Automatischer ln Frage stellen Fehlerhafte Alternative Entkatastrophisieren 0
'0
Gedanke des automatischen Denkmuster Gedanken ~
Gedankens "'X
"'c
~
Beschreiben Sie die Schreiben Sie Benutzen Sie das Benutzen Sie das Was kann ich anstelle Was ist das Schlimmste, iD
;;;)
Ereignisse, Gedanken automatische Arbeitsblatt »lnfrage- Arbeitsblatt »Fehler- von Spalte B sagen? das sich jemals wirklich
oder Überzeugungen, Gedanken auf, die stellen unangemesse- hafte Denkmuster«, ereignen könnte?
~
"'CT
ner Überzeugungen«, um Ihre automatischen Wie kann ich das Ql
die zu unangenehmen den Gefühlen in c
n
Spalte A voraus- um Ihre automatischen Gedanken von Spalte B Ereignis anstelle Ich könnte verletzt ::T
Gefühlen führen.
"'
gehen. Gedanken von Spalte B zu überprüfen. von Spalte B werden.
zu überprüfen. interpretieren?
Schätzen Sie Ihren Selbst wenn das passiert,
Glauben an jeden der Schätzen Sie Ihren was könnte ich tun?
automatischen Gedan- Glauben an die
ken unten von 0-1 00% alternativen Gedanken
ein. von o-1 00% ein.
T Arbeitsblatt 6 {Fortsetzung) )>
a-
11>
;:;·
Einen Ort kennen zu Wenn eine schlimme Beweis dafür: Keiner Übergeneralisierung: Einen neuen Ort Schreien, kämpfen, CT
"'
müssen, bevor ich Situation auftreten Die Tatsache, dass ich auszuprobieren kann wegrennen, meine i:iT:
Beweis dagegen: :::1
dahin gehe (z. B. was würde, wäre ich Spaß machen, und ich Selbstverteidigungs- ~
Ich gehe an ziemlich zu Hause vergewaltigt
für Leute, wie das vorbereitet oder sichere Orte und gehe worden bin, bedeutet gehe immer mit einer fähigkeiten benutzen.
Gebäude angelegt ist, könnte ich verhindern, nicht zu Orten, über nicht, dass jeder Ort Gruppe.
was anzuziehen ist). dass mir etwas die ich noch nichts unsicher ist.
zustößt? von meinen Freunden Emotionale Argumen-
85% gehört habe. tation: Wenn ich mich
Ich bin vielleicht nicht Gewohnheit: vor bereitet füh le,
in der Lage, mich zu Ich bin niemals ver- dann wird meine
letzt worden, wenn ich Angst weniger.
schützen.
zu neuen Orten Schlussfolgerungen
Ich bin hilflos und
gegangen bin. ziehen: Die Tatsache,
verletzlich, und
dass ich vergewaltigt
könnte verletzt Entschuldigungen:
Vorbereitet zu sein, als worden bin, bedeutet
werden.
nicht, dass ich
ich vergewaltigt
Ich mache mich wie anfälliger bin als
wurde, hätte es auch
der selbst runter. andere.
nicht verhindert.
Gefühl(e) Ergebnis
Welches Gefühl tritt Bestimmen Sie Ihren
auf? Schätzen Sie die Glauben an die
Stärke des Gefühls von automat ischen Gedanken
0-100% ein. von Spalte B von 0- 100%
erneut.
Angst 85%
40% VI
......
Welches Gefühl tritt auf?
Schätzen Sie die Stärke
des Gefühls von 0- 100%
ein.
Angst 40%
00
VI
CO
-
...;.;
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Arbeitsblatt 7 "'2"
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Infragestellen von inneren Annahmen: Themenbereich: Vertrauen rii"
Gefühlen führen. vorausgehen. um Ihre automatischen Gedanken von Spalte B Ereignis anstelle von Wenn »B« wahr wäre
"'
Schätzen Sie Ihren Gedanken von Spalte B zu überprüfen. Spalte B interpretieren?
Glauben an jeden der zu überprüfen.
automatischen Gedan- Schätzen Sie Ihren
ken unten von Q-1 00% Glauben an die
ein. alternativen Gedanken
von 0-1 00% ein.
)>
~ Arbeitsblatt 7 (Fortsetzung) a-
11>
;:;·
CT
"'
Gott ließ mich allein, Gott mag nur gute Tatsache: Übertreibung: Gott verließ mich nie. Selbst wenn das passiert, i:iT:
:::1
als ich vergewaltigt Menschen. Guten Gott macht Dinge in Gute und schlimme Ich konnte ihn nur was könnte ich tun? ~
wurde. Menschen passieren meinem täglichen Dinge passieren allen nicht sehen.
gute Dinge. Eine Leben, also verließ er Menschen, nicht nur Etwas machen, damit
schlimme Sache pas- mich nicht. mir. Gott beschützt mich schlimme Dinge gut
sierte mir, also muss vor schlimmeren werden, um anderen zu
ich schlecht sein. Verletzungen. helfen.
00
...
g:
...;.;
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Arbeitsblatt 8 a-
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Infragestellen von inneren Annahmen: Themenbereich: Macht und Einfluss "'Ql
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Spalte A Spalte B Spalte C Spalte D Spalte E Spalte F
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Situation Automatischer Infragestellen Fehlerhafte Alternative Entkatastrophisieren 0
"0
Gedanke des automatischen Denkmuster Gedanken ~
Gedankens "'X
"'c
~
Beschreiben Sie die Schreiben Sie Benutzen Sie das »lnfrage Benutzen Sie das Was kann ich anstelle Was ist das Schlimmste, iD
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Ereignisse, Gedanken automatische Ge- stellen unangemessener Arbeitsblatt »Fehlerhafte von Spalte B sagen? das sich jemals wirklich
~
oder Überzeugun- danken auf, die den Überzeugungen«, um Ihre Denkmuster«, ereignen könnte? "'CT
Ql
gen, die zu Gefühlen in Spalte A Gedanken von Spalte B zu um Ihre automatischen Wie kann ich das c
n
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unangenehmen vorausgehen. überprüfen. Gedanken von Spalte B zu Ereignis anstelle von Ich hätte schlimm
"'
Gefühlen führen. überprüfen. Spalte B verletzt werden
Schätzen Sie Ihren interpretieren? können.
Glauben an jeden
der automatischen Schätzen Sie Ihren
Gedanken unten von Glauben an die
0- 100% ein. alternativen Gedan-
ken von 0- 100% ein.
)>
't' Arbeitsblatt 8 (Fortsetzung)
a-
11>
;:;·
Überzeugung: Ich dachte, ich wäre Beweis dafür: keiner Übervereinfachung: Nur Ich bin immer noch Selbst wenn das CT
"'
i:iT:
Es war meine eigentlich ein guter weil ich ein guter ein guter Mensch. passiert. was könnte :::1
Beweis dagegen: Jack war ~
Schuld, dass ich ver- Mensch, der Jack Mensch war, bedeutet ich machen?
mein Freund vor der Ich konnte nicht
gewaltigt wurde. hilft. das nicht, dass ich nach
Vergewaltigung. Kein kämpfen oder weg- Hilfe suchen und mich
der Vergewaltigung kein
80% Verbrechen wurde in meiner rennen. erholen.
guter Mensch mehr bin.
Nachbarschaft verübt. Ich
Ich hätte wissen Ich habe vertraute
hatte andere vertraute Nichtbeachten: Jack gab
müssen, dass man Freunde jetzt, die
Menschen in meinem Leben, mir keinen Grund, ihm
Jack nicht trauen mir nicht weh getan
die mir niemals weh taten. vor der Vergewaltigung
konnte. Ich hatte ein haben.
nicht zu vertrauen,
schlechtes Urteils- Gewohnheit: Es war meine
deshalb war es nicht Ich war verliebt, und
vermögen . Es war Schuld.
mein Urteilsvermögen ich glaubte an ihn,
meine Schuld.
Tatsache: Ich kann die Hand- oder meine Schuld .. . aber es war seine
lungen anderer Menschen Schuld, das auszu-
nicht steuern, also ist es nicht nutzen.
meine Schuld.
Gefühl(e) Ergebnis
Welches Gefühl tritt Schätzen Sie den
auf? Schätzen Sie die Glauben an automa-
Stärke des Gefüh ls tische Gedanken in
von 0- 100% ein. Spalte B erneut von
0- 100% ein.
Traurig - 80%
Wütend- 85% 30%
30% ....
~
Welches Gefühl tritt
auf? Schätzen Sie die
Stärke des Gefüh ls von
0-100% ein.
Traurig - 25%
Wütend- 30%
00
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Arbeitsblatt 9 "'2"
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Infragestellen von inneren Annahmen: Themenbereich: Selbstachtung rii"
0- 100% ein.
Traurig - 40%
00
~
...;.;
-g.
~
00
s
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Arbeitsblatt 10 "'2"
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'g
::T
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Infragestellen von inneren Annahmen: Themenbereich: Intimität rii.
~
Spalte A Spalte B Spalte C Spalte D Spalte E Spalte F 0
'0
Situation Automatischer Infragestellen des Fehlerhafte Alternative Entkatastrophisieren ~
Gedanke automatischen Gedankens Denkmuster Gedanken "'X
"'c
~
Beschreiben Sie die Schreiben Sie Benutzen Sie das Arbeitsblatt Benutzen Sie das Was kann ich anstelle Was ist das Schlimmste, iD
;;;)
Ereignisse, Gedanken automatische Ge- »lnfragestellen unangemesse- Arbeitsblatt >>Fehlerhafte von Spalte B sagen? das sich jemals wirklich
oder Oberzeugun- danken auf, die den ner Überzeugungen«, um Ihre Denkmuster«, um Ihre ereignen könnte?
~
"'CT
gen, die zu Gefühlen in Spalte A automatischen Gedanken von automatischen Gedanken Wie kann Ich das Ql
c
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unangenehmen vorausgehen. Spalte B zu überprüfen. von Spalte B zu Ereignis anstelle von Ich könnte sie ::T
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Gefühlen führen. überprüfen. Spalte B verlieren.
Schätzen Sie Ihren interpretieren?
Glauben an jeden
der automatischen Schätzen Sie Ihren
Gedanken unten von Glauben an die
0-100% ein. alternativen Gedan-
ken von 0-100% ein.
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~ Arbeitsblatt 10 (Fortsetzung) a-
11>
;:;·
Micheile und ich Sie ist nicht meine Beweis dafür: Sie sagte, sie Missachten von Es gibt Menschen, Selbst wenn das CT
"'
i:iT:
gerieten in einen Freundin, sie mag wolle keinen Teil davon. Beweisen: Nur weil wir die mich lieben. passiert, was könnte :::1
~
großen Streit auf mich nicht. uns streiten heißt nicht, ich machen?
Beweis dagegen: Sie redet Ich bin nicht allein.
der Arbeit. dass wir keine Freunde
90% ohne zu denken. Wir haben Fragen warum, und
mehr sein werden. Ich brauche ihren
uns vorher gestritten, und wir weiter machen.
Sie hat mich nicht Respekt nicht, um
sind noch immer Freunde. Schlussfolgerungen zie-
respektiert. mich zu
hen: Nur weil Micheile
respektieren.
85% und ich uns vielleicht
streiten, bedeutet nicht,
Ich bin ganz allein,
dass ich ganz alleine bin.
und keinen interes-
siert das.
97%
Gefühle Ergebnis
Welches Gefühl t ritt Schätzen Sie den
auf? Schätzen Sie die Glauben an automa-
Stärke des Gefühls tische Gedanken in
von 1- 100% ein. Spalte B erneut von
0-100% ein.
Traurig - 95%
Wütend - 90% 50%
Ängstlich - 95%
Welches Gefühl tritt
auf? Schätzen Sie die
Stärke des Gefühls von
0- 100% ein.
0\
U1
Traurig - 40%
Wütend- SO%
Ängstlich - 40%
00
166 Kapitel 8 · Kognitive Verarbeitungstherapie für Opfer sexuellen Missbrauchs
Arbeitsblatt 11
K. Wenninger, A. Boos
Literatur - 182
168 Kapitel 9 · Behandlung erwachsener Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs
oder sexuelle Funktionsstörungen (z. B. Finkel- Aus diesen Gründen ist es wichtig, dass jede Ein-
hor et al., 1989; Tsai et al., 1979). gangsdiagnostik anamnestische Fragen zu einem
sexuellen Kindesmissbrauch einschließt. Eine
einzelne Überblicksfrage ist hierbei häufig nicht
9.3.3 Einfluss der Traumamerkmale ausreichend. Die Formulierung der Fragen sollte
auf die Symptomatik nichtsuggestiv und möglichst konkret sein. Im
Folgenden werden einige Beispiele gegeben:
Studien berichten über folgende Zusammenhän-
ge zwischen Traumamerkmalen und der Sympto-
matik: Beispiele für diagnostische Fragen
- Der Ausprägungsgrad der Symptomatik kor- bezüglich sexuellen Kindesmissbrauchs
reliert positiv mit der Anzahl der Miss- Hatten Sie vor Ihrem 16. Lebensjahr jemals
brauchsverfälle und der Länge des Zeitraums, sexuellen Kontakt mit einer Person, die
über den sich der Missbrauch erstreckte mindestens 5 Jahre älter war als Sie? Unter
(Briere, 1988; Briere & Runtz, 1988; Tsai et al., sexuellem Kontakt verstehe ich z. B.
1979). Berührungen an den Genitalien oder den
- Eine engere Beziehung zwischen Opfer und Brüsten, Geschlechtsverkehr oder ver-
Täter ist mit stärkerer posttraumatischer suchten Geschlechtsverkehr.
Symptomatik assoziiert (Wyatt & Newcomb, Hatten Sie vor Ihrem 16. Lebensjahr jemals
1990). sexuellen Kontakt, zu dem Sie sich ge-
- Versuchter oder vollendeter Geschlechtsver- drängt oder gezwungen gefühlt haben?
kehr zieht stärkere psychische Auswirkungen Hatten Sie vor Ihrem 16. Lebensjahr jemals
nach sich als sexuelle Kontakte ohne Ge- oralen oder analen sexuellen Kontakt?
schlechtsverkehr (Briere, 1988; Wyatt & Damit meine ich z. B., dass jemand seinen
Newcomb, 1990). Penis in Ihren Mund gesteckt hat oder
seinen Penis, einen Finger oder Gegen-
Unklar ist, ob ein Zusammenhang zwischen dem stände in Ihren Anus eingeführt hat bzw.
Alter des Kindes bei Beginn des Missbrauchs und dies versucht hat?
dem Schweregrad der späteren Symptomatik be- Waren Sie vor Ihrem 16. Lebensjahr jemals
steht (vgl. Beitchman et al., 1992). Insgesamt han- an sexuellen Handlungen beteiligt oder
delt es sich bei den gefundenen Zusammenhän- wu rden mit solchen konfrontiert, ohne
gen um eher niedrige Korrelationen (r=0,2-0,3). dass es zu Körperkontakt kam? Hiermit
meine ich z. B., dass jemand seine Genita-
lien vor Ihnen entblößt hat oder in Ihrer
Anwesenheit masturbierte.
9.4 Diagnostik
ter sich wiederholenden Intrusionen und Flash- erleben zu unterstützen und durch behutsames
backs leiden. Nachfragen Gedanken und Gefühle der Patientin
zu elaborieren.
8 Beispiel
wendig, dass die Therapeutin die Patientin
sokratisch begleitet und auf das Führen oder
Was würden Sie, die ERWACHSENE, gerne für
gar das Suggerieren von Bewältigungsbildern
das Kind tun oder ihm sagen?
verzichtet, da davon ausgegangen wird, dass
Können Sie sich dies tun oder sagen sehen?
selbst aufgebaute Bewältigungs- und Selbst-
Wie reagiert das Kind? Wie reagieren Sie, die
besänftigungsbilder wirkungsvoller sind als
Erwachsene, auf die Reaktion des Kindes? Gibt
suggerierte Bilder.
es noch etwas, das Sie als Erwachsene für das
Kind tun oder ihm sagen möchten, bevor Sie
diese Imagination abschließen? Falls die Patientin nicht in der Lage ist selbst den
Abschlussfragen: Was nehmen Sie mit? Wie Täter zu konfrontieren oder das Kind zu befreien,
war das für Sie, wie fühlen Sie sich jetzt? kann die Therapeutin fragen, ob die Patientin an-
dere Menschen zu Hilfe holen möchte. Auch hier-
In der Regel beginnen die Patientinnen in dieser bei ist erforderlich, dass die Patientin diese Ent-
Phase, das Kind zu umarmen, zu liebkosen oder scheidung selbst trifft.
auf andere Art und Weise ihre Unterstützung und Hat eine Patientin mehrere Traumen erlebt,
Zuneigung auszudrücken. Manche Patientinnen wird zu Beginn eine Hierarchie dieser Erlebnisse
reden mit dem Kind und versichern ihm, dass nach ihrer aktuellen Belastung erstellt. Um einen
es in Sicherheit ist. Anderen Patientinnen scheint möglichst hohen Grad an Generalisierung zu er-
die liebevolle nonverbale Beschäftigung mit dem reichen kann es sinnvoll sein, mit der schlimms-
Kind wichtiger zu sein. ten oder einer der schlimmsten Erinnerungen zu
beginnen. Bei sehr instabilen Patientinnen kann
ein behutsameres, graduiertes Vorgehen sinnvoll
Sollte die Patientin nicht in der Lage sein, sein.
positive Gefühle gegenüber dem Kind zu er- Als Hausaufgabe zwischen den Sitzungen
leben und diese auszudrücken, ist es wichtig, werden die Patientinnen instruiert, sich den Kas-
dass sie die vorhandenen negativen Gefühle settenmitschnitt der Sitzungen täglich anzuhö-
(Ärger, Hass, Schuldvorwürfel gegenüber dem ren. Dabei ist es sinnvoll den Patientinnen zu er-
Kind aus nächster Nähe ausdrücken kann. läutern, dass der Fortschritt und der Erfolg der
Hilfreich kann dabei sein, die Patientin zu fra- Therapie von ihrer Bereitschaft abhängt, sich
gen, ob sie dem Kind direkt in die Augen se- über einen begrenzten Zeitraum den schmerzli-
hen kann, wenn sie die negativen Gefühle chen Erinnerungen zu stellen.
erlebt und gegenüber dem Kind ausdrückt. Ein weiterer Bestandteil der Behandlung ist
Dies leitet in der Regel eine von starken es, mit der Patientin neue Möglichkeiten des Um-
Gefühlen begleitete Neubewertung des Kin- gangs mit schwierigen Emotionen, die in der Zeit
des und seiner Situation ein. zwischen den Sitzungen zu erwarten sind, zu er-
arbeiten und zu erproben. Besonders bei Patien-
tinnen mit selbstverletzenden Verhaltensweisen
Sobald deutlich wird, dass die Erwachsene das
oder Suizidalität sind solche Strategien notwen-
Kind hinreichend unterstützt hat, wird diese Ima-
dig.
gination beendet. Danach wird die Bedeutung der
Das imaginierte Konfrontieren und Um-
Imagination besprochen und verarbeitet.
schreiben einer traumatischen Erinnerung wird
solange fortgesetzt, bis entweder die intrusiven
Erinnerungen bzw. Albträume verschwunden
sind oder diese Symptome nur noch in einem er-
träglichen Maße vorhanden sind. Bei mehrfach
180 Kapitel 9 · Behandlung erwachsener Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs
traumatisierten Patientinnen wird das Vorgehen struktur festgelegt werden. Unterschieden wird
für jedes weitere traumatische Erlebnis wieder- zwischen offenen und geschlossenen Gruppen,
holt, bis eine deutliche Verbesserung der Sympto- die themenzentriert oder prozessorientiert arbei-
matik eingetreten ist. Vorhandene Generalisie- ten können.
rungserfahrungen bzw. funktionale Neubewer- Üblicherweise können 3 Phasen in der grup-
tungen sollten dabei exploriert und für das wei- pentherapeutischen Arbeit mit Opfern sexuellen
tere Vorgehen genutzt werden. Als weitere Metho- Kindesmissbrauchs unterschieden werden.
den bei der Verarbeitung des Missbrauchs wer-
den die Patientinnen angehalten, einen therapeu-
Durchführung der Gruppentherapie
tischen Brief an den Täter zu schreiben, ein trau-
matisches Erlebnis niederzuschreiben und gegen In der Einführungsphase liegt der Schwerpunkt
Ende der Behandlung einen »Followup-Brief« an auf der Schaffung einer sicheren und unter-
den Täter oder eine andere involvierte Person zu stützenden Umgebung sowie der Förderung von
verfassen. Vertrauen und Kohäsion innerhalb der Gruppe.
Hierzu werden von der Therapeutin bzw. dem
Therapeutenteam bestimmte Grundregeln vor-
gegeben (z. B. die Vertraulichkeit von allem, was
9.6.4 Gruppentherapie in der Gruppe gesagt wird) und positives Verhal-
ten durch Verstärkung und Modelllernen geför-
Es gibt eine Vielzahl von gruppentherapeutischen
dert. Weiter werden Informationen über sexuel-
Ansätzen für die Behandlung der Langzeitfolgen
len Kindesmissbrauch und seine langfristigen
sexuellen Kindesmissbrauchs (z. B. Abbott, 1995;
Auswirkungen auf die Opfer mit dem Ziel der
Knight, 1990; Sindair et al., 1995; Tsai & Wagner,
Normalisierung bzw. Depathologisierung der
1978).
Symptome und der Entkräftung allgemeiner My-
then über Missbrauch gegeben (vgl. Kap. 2).
Schließlich erzählt jede Teilnehmerio in der
Der wesentliche Vorteil einer Gruppentherapie Gruppe von ihrem Missbrauch, wobei sie dazu
gegenüber der Einzeltherapie besteht darin, ermutigt wird, Details einzuschließen und auch
dass durch den Erfahrungsaustausch mit Be- über ihre subjektiven Reaktionen zu sprechen.
troffenen an einem sicheren Ort und in einer Eine bestätigende Reaktion der anderen Grup-
unterstützenden Atmosphäre insbesondere penteilnehmerinnen ist hierbei besonders wich-
die Gefühle der Isolation, Stigmatisierung, des tig.
Andersseins und der Scham abgebaut werden In der mittleren Therapiephase steht zumeist
können. die themenzentrierte Arbeit im Vordergrund.
Hierbei werden die Auswirkungen des Miss-
Eine Reihe von Autoren empfehlen die parallele brauchs auf die Teilnehmerinnen und ihr Um-
Durchführung einer Einzeltherapie, da die gang mit den jeweiligen Problembereichen the-
Möglichkeiten in der Gruppentherapie begrenzt matisiert. Bearbeitete Themengebiete sind bei-
sind, mit einzelnen Teilnehmerinnen die für sie spielsweise Selbstwert, Sexualität, sexuelle Identi-
besonders relevanten Themen zu vertiefen (Ab- tät, Schuldgefühle, adäquate Maßnahmen sich zu
bott, 1995). schützen, die ambivalente Beziehung zum Täter
Vor Therapiebeginn muss die Therapeutin und der Herkunftsfamilie oder der Umgang mit
oder das Therapeutenteam eine Reihe von Ent- Ärger.
scheidungen treffen (vgl. Briere, 1989). Diese be- In der Abschlussphase werden Probleme und
treffen die Gruppenzusammensetzung, Aus- Ängste thematisiert, die in Zusammenhang mit
schlusskriterienund die Gruppengröße. Empfeh- dem Therapieende stehen, wie beispielsweise
lenswert ist eine Gruppengröße zwischen 5 und Ängste vor einer Symptomverschlimmerung nach
10 Teilnehmerinnen. Weiter muss die Anzahl Therapieende. Mit jeder Teilnehmerio wird ein
und Dauer der Sitzungen sowie die Gruppen- individueller Plan aufgestellt, ob und in welcher
9.7 · Die Borderline-Persönlichkeitsstörung 18 1 9
Form sie nach Beendigung der Gruppentherapie so zu der späteren Entwicklung eines solchen
an ihren Problemen weiterarbeiten möchte, wo- Störungsbildes beitragen.
hin sie sich im Krisenfall wenden kann etc. übli- Entsprechend geht Linehan (1994) in ihrer
cherweise beinhaltet die letzte Sitzung neben ei- biosozialen Verhaltenstheorie zur Entstehung
ner rückblickenden Bewertung des Therapiege- der Borderline-Persönlichkeitsstörung von einem
winns der einzelnen Teilnehmerinnen auch eine mehrfaktoriellen Ansatz im Sinne eines Diathese-
Form des zeremoniellen Abschlusses der gemein- Stress-Modells aus. Linehan zufolge werden Bor-
samen Arbeit. In manchen Gruppen werden in derline-Merkmale entwickelt, wenn Personen, de-
der letzten Sitzung auf Wunsch der Teilnehmerin- ren Vulnerabilität in einer biologisch begründe-
nen Telefonnummern ausgetauscht. ten defizitären Affektregulation besteht, auf eine
sog. invalidierende Umgebung treffen. Eine sol-
che Umgebung ist dadurch gekennzeichnet, dass
sie
9.7 Die Borderline-Persönlichkeits-
- emotionale - und hierbei besonders negative
störung
- Erfahrungen des vulnerablen Individuums
missachtet und
Das Hauptmerkmal der Borderline-Persönlich-
- Schwierigkeiten bei der Lösung von Proble-
keitsstörung ist ein durchgängiges Muster von
men herunterspielt.
Instabilität hinsichtlich des Selbstbildes, der zwi-
schenmenschlichen Beziehungen und der Stim-
Diese nichtunterstützenden Ursprungsfamilien
mung sowie eine starke Impulsivität, u. a. bezo-
tragen zu einer weiteren Entwicklung emotiona-
gen auf selbstschädigende Verhaltensweisen.
ler Fehlregulationen bei und versäumen es dem
Wiederholte Suiziddrohungen, Suizidversuche
Kind beizubringen, sich auf seine eigenen emo-
und Automutilation sind markante Symptome
tionalen Reaktionen als gültig und angemessen
des Störungsbildes. Sie können als Signale der
zu verlassen. Familien, in denen es zu sexuellem
Verzweiflung verstanden werden und als Reakti-
Kindesmissbrauch kommt, sind ein Beispiel für
on auf reales oder eingebildetes Verlassenwerden
invalidierende Ursprungsfamilien.
bzw. Zurückgewiesenwerden durch andere, was
als stark bedrohlich erlebt wird.
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10
J. Bengel
Literatur - 200
186 Kapitel 10 · Notfallpsychologische Interventionen bei akuter Belastungsstörung
Das Erleben eines Notfalls, einer Katastrophe, ei- nahmen zur Verhinderung der Exposition (s.
ner Gewalttat oder eines Anschlags ist immer mit Abschn. 10.3), während die sekundäre Prävention
einer psychischen Belastung, in vielen Fällen mit - oder Frühintervention - unmittelbar nach der
einer psychischen Traumatisierung verbunden. Exposition ansetzt und eine Verschlechterung
Diese Belastung oder Traumatisierung kann sich oder ein Wiederauftreten der Symptome verhin-
in einer akuten Belastungsstörung sowie mittel- dern soll. Die tertiäre Prävention überschneidet
und langfristig in einer chronischen Belastungs- sich mit therapeutischen Maßnahmen bei chro-
störung äußern. Die Prävalenz posttraumatischer nischen Beschwerden (Neria & Solomon, 1999)
Belastungsstörungen (PTB) bei Notfall- und Ka- und soll hier nicht weiter betrachtet werden.
tastrophenopfern, die Erfahrungen bei Großscha- Mit »psychologischen Frühinterventionen«
densereignissen sowie das zunehmende Wissen werden psychologisch fundierte Maßnahmen be-
über die Risikofaktoren einer posttraumatischen zeichnet, die jedoch nicht notwendigerweise von
Belastungsstörung und ihren Verlauf haben die Psychologen und Psychiatern durchgeführt wer-
Aufmerksamkeit auf früh einsetzende psycho- den. Derzeit wird die notfallpsychologische Ver-
logische Versorgungsangebote bei potenziell sorgung zu einem erheblichen Anteil von ver-
traumatischen Ereignissen gerichtet (Bengel, schiedenen Berufsgruppen mit unterschiedlich
1997; Hobfoll & Vries, 1995). Dabei wird davon fundierten Aus- und Weiterbildungen angeboten
ausgegangen, dass eine frühe psychologische Hil- (vgl. z.B. Fertig & Wietersheim, 1997).
feleistung die langfristigen psychischen Folgen
einer Traumatisierung mildern oder verhindern
kann (Peterson et al., 1991).
Die Frage nach der notwendigen Kompetenz
Die Terminologie für diese Interventionen ist
zur Durchführung einer Frühintervention kann
uneinheitlich und verwirrend: Begriffe wie se-
nur in Abhängigkeit von der Zielgruppe und
kundäre Prävention, Frühintervention, notfall-
den spezifischen Methoden beantwortet
psychologische Maßnahmen, psychologische
werden; sie besitzt zentrale Bedeutung für die
Nachsorge, psychologische Nachbereitung, psy-
Qualitätssicherung der psychotraumatologi-
chosoziale Versorgung und Psychische Erste Hilfe
schen Versorgung.
werden verwendet. Die Bezeichnung »psychologi-
sche Interventionen bei Personen nach traumati-
schen Erfahrungen« erreicht keine Abgrenzung Der Forschungsstand zu Frühinterventionen ist
von mittel- und langfristigen Maßnahmen. noch gering. Lehrbücher der Psychotraumatolo-
gie, der Klinischen Psychologie, der Psychothera-
pie sowie der Psychiatrie gehen kaum oder nur
am Rande auf die Frage einer Prävention bzw. ei-
Im Folgenden wird von psychologischen
ner frühen Intervention nach einer Traumaerfah-
Frühinterventionen oder gleichbedeutend von
rung ein. Für die wenigen existierenden Konzepte
notfallpsychologischen Interventionen ge-
liegen keine Indikationskriterien vor und sie sind
sprochen. Zur Abgrenzung gegenüber mittel-
hinsichtlich ihrer Wirksamkeit nicht ausrei-
und langfristigen Maßnahmen bietet sich das
chend, teilweise auch negativ evaluiert (s.
Zeitkriterium bei der Diagnose der Belas-
Abschn. 10.5; vgl. Schützwohl, 2000; Litz et al.,
tungsstörungen an: Alle Maßnahmen, die in-
nerhalb der ersten 4 Wochen nach dem trau- 2003, in Druck). Dieser hohe Forschungsbedarf
matischen Ereignis erfolgen, sind danach geht einher mit einem hohen Handlungsdruck
Frühinterventionen. bei Katastrophen auf Seiten der verantwortlichen
staatlichen Einrichtungen und Hilfsorganisatio-
nen. Nicht nur die Öffentlichkeit und die Medien
Der Begriff Frühintervention passt zu der von sind für das Thema der frühen und unmittel-
Caplan {1964) eingeführten Systematik der pri- baren Versorgung der Opfer sensibilisiert, auch
mären, sekundären und tertiären Prävention. die Frage der Krankheitskosten und der Fürsor-
Die primäre Prävention bezeichnet dabei Maß- gepflicht für spezifische Personengruppen, wie
10.1 · Akute Belastungsstö rung 1B7 10
z. B. Risikogruppen oder Einsatzkräfte, hat zu ei-
griff der Störung und spricht von einer akuten
ner wachsenden Bedeutung von psychologischen
Belastungsreaktion (F 43.0), die innerhalb we-
Hilfeleistungen insgesamt und Frühinterventio-
niger Minuten auftritt und bei einem psy-
nen im Besonderen geführt.
chisch nicht manifest gestörten Menschen in-
Dieses Kapitel geht auf verschiedene Aspekte
nerha lb von Stunden oder Tagen abklingt
der Diagnostik und Behandlung einer akuten Be-
(Dilling et al., 1993).
lastungsstörung ein:
- Zunächst werden die Merkmale einer akuten
Belastungsstörung beschrieben (Abschn. Die Bezeichnung »Reaktion« im ICD-10 soll da-
10.1); rauf hinweisen, dass es sich (zunächst noch)
- es folgen überlegungen zur psychologischen um eine normale physiologische bzw. psychologi-
Diagnostik und zu den Indikationskriterien sche Reaktion auf das traumatische Ereignis han-
für eine frühe Intervention (Abschn. 10.2); delt. Umgangssprachlich benutzte Bezeichnungen
- im Anschluss daran wird auf das noch nicht sind psychischer Schockzustand, Krisenzustand
ausgeschöpfte Potenzial einer primären Prä- oder akute Krisenreaktion.
vention von posttraumatischen Belastungs- Für die Diagnose einer akuten Belastungs-
störungen und psychischen Traumafolgen störung sind neben dem Zeitkriterium das Krite-
hingewiesen (Abschn. 10.3); rium des Stressors und die Symptome des Wie-
- Ansätze und Strategien notfallpsychologi- dererlebens, der Vermeidung und der Angst bzw.
scher Interventionen werden in allgemeine des erhöhten Arousals notwendig (s. Kriterien für
Maßnahmen (Abschn. 10.4) und spezifische die posttraumatische Belastungsstörung, Kap. 1).
Konzepte (Abschn. 10.5) unterteilt; Zusätzlich wird für die akute Belastungsstörung
- in Abschn. 10.6 wird auf die Notwendigkeit, gefordert, dass die Person während oder nach
die einzelnen Maßnahmen in ein Gesamtkon- dem extrem belastenden Ereignis mindestens 3
zept der Versorgung von Traumaopfern zu in- dissoziative Symptome zeigt (s. Übersicht).
tegrieren, hingewiesen;
zum Ende wird ein Ausblick auf notwendige
Forschungsaktivitäten und den unmittelbaren Dissoziative Symptome, von denen
Handlungsbedarf gegeben (Abschn. 10.7). mindestens 3 bei einer akuten Belas-
tungsstörung auftreten müssen
Subjektives Gefühl von emotionaler
10.1 Akute Belastungsstörung Taubheit, von Losgelöstsein oder Fehlen
emotionaler Reaktionsfähigkeit,
Die Diagnoseeinheit »Akute Belastungsstörung« Beeinträchtigung der bewussten Wahr-
(»Acute Stress Disorder«, ASD, dt. ABS) wurde nehmung der Umwelt (z. B. »wie betäubt
1994 in das amerikanische Klassifikationssystem sein«),
psychischer Störungen aufgenommen (DSM-IV, Derealisationserleben,
American Psychiatrie Association, 1994). Depersonalisationserieben oder
dissoziative Amnesie (z. B. Unfähigkeit, sich
an einen wichtigen Aspekt des Traumas zu
erinnern).
Nach DSM-IV wird eine akute Belastungs-
störung diagnostiziert, wenn nach einer Dauer
von mindestens 2 Tagen und höchstens 4
Wochen nach einem traumatischen Ereignis Ausgeschlossen werden muss, dass die Symptome
Symptome einer Belastungsstörung auftreten. auf die Wirkung einer Substanz (z. B. Droge, Me-
Das Klassifikationssystem der Weltgesund- dikament) oder auf einen medizinischen Krank-
heitsorganisation (ICD-1 0) vermeidet den Be- heitsfaktor zurückgehen. Ebenso dürfen die
Symptome nicht besser durch eine kurze psycho-
tische Störung erklärt werden und sich nicht auf
188 Kapitel 10 · Notfall psychologische Interventionen bei akuter Belastungsstörung
die Verschlechterung einer bereits vorher beste- Kap. 3) erfassen zwar Anpassungs- und Belas-
henden Achse I- oder Achse II-Störung (vgl. tungsstörungen, konzentrieren sich jedoch auf
DSM-IV; American Psychiatrie Association, die posttraumatische Belastungsstörung. Eine ak-
1994) beschränken. tuelle Übersicht über die Erhebungsinstrumente
findet sich bei Antony & Barlow (2002). Zu er-
wähnen ist, dass aufgrund der hohen Zahl von
Diagnostisch abzugrenzen sind neben den Betroffenen bei Großschadenslagen eine umfas-
posttraumatischen Belastungsstörungen sende und fachlich adäquate Diagnostik in der
(chronisch, Zeitdauer): Regel nur sehr schwer zu realisieren ist. Inzwi-
Anpassungsstörungen: Auftreten von schen gibt es Bemühungen zur Entwicklung von
Symptomen nach einem kritischen Screeninginstrumenten zur Identifizierung von
Lebensereignis oder nach einer Lebens- Risikopatienten (z. B. Stieglitz et al., 2002).
veränderung, Beginn nicht notwendiger-
weise direkt nach dem Ereignis, depressive
Symptome im Vordergrund und
Die akute Belastungsstörung gilt als Risiko-
kurzdauernde depressive Reaktionen.
faktor für die Entwicklung einer posttrauma-
tischen Belastungsstörung (Bremner et al.,
Nach dem Schweregrad lässt sich eine leichte von 1992; Harvey & Bryant, 1999; Marmar et al.,
einer schweren akuten Belastungsstörung unter- 1994). Daher ist ihre Diagnose wichtig für die
scheiden. differenzielle Zuweisung von therapeutischen
Die Einführung der Kategorie einer akuten Maßnahmen.
Belastungsstörung war vor allem auch wegen
der Assoziation zur posttraumatischen Belas- Für jede psychologische Intervention ist eine em-
tungsstörung klinisch sinnvoll. Es sind jedoch pirisch fundierte und fachlich begründete Indi-
noch viele Fragen zum Störungsbild insgesamt, kationsstellung notwendig. Für die psychologi-
zu den diagnostischen Kriterien und zur zeitli- sche Versorgung von Traumaopfern stellen sich
chen Dauer offen (s. Bryant & Harvey, 1997). folgende Fragen:
- Welche Art von psychologischer Intervention
10.2 Diagnostik und Indikation soll bei welchen Schadenslagen für welche
Personen vorgehalten werden?
Die Diagnostik einer akuten Belastungsstörung - Lassen sich Indikatoren für eine frühe psy-
kann über Anamnese und Exploration, Fragebo- chologische Versorgung benennen?
genverfahren und standardisierte klinische Inter- - Sind negative Auswirkungen einer Frühinter-
views erfolgen. Der Stanford Acute Stress Reac- vention zu befürchten?
tion Questionnaire (SASRQ; Cardena et al., 2000)
wurde speziell zur Erfassung der frühen Belas- Der derzeitige Forschungsstand lässt eine Beant-
tungsfolgen entwickelt. Auch die Impact of Event- wortung dieser Fragen kaum zu. Die Orientie-
Skala (dt. Ferring & Filipp, 1994; revidierte dt. rung am Vorliegen einer akuten Belastungs-
Form Maercker & Schützwohl, 1998; vgl. Kap. störung ist schwierig, da ihre Variabilität im zeit-
3) gibt diagnostische Hinweise, erfasst allerdings lichen Verlauf sehr groß ist. Die meisten Trauma-
nicht die dissoziativen Symptome. Weitere Ver- opfer entwickeln in den ersten Tagen und Wo-
fahren wie die SCL-90-R (Franke, 1995) können chen Symptome einer Belastungsstörung, die
ebenfalls Hinweise über das allgemeine Belas- sich jedoch bei den meisten Personen innerhalb
tungsausmaß geben. Die gängigen Interviewleit- der ersten 2-3 Monate zurückbilden. Mittel-
faden wie das Strukturierte Klinische Interview und langfristige Traumafolgen sind auch ohne
für DSM-IV (SKID; Wittchen et al., 1997; vgl. Kap. vorhergehende klinische Symptome denkbar.
3) und das Diagnostische Interview bei psychi- Möglicherweise bilden auch die derzeitigen
schen Störungen (DIPS; Margraf et al., 1994; vgl. Diagnosekriterien nicht die Vielfalt und die inter-
10.3 · Primäre Prävention 189 10
individuelle Varianz der Reaktionen während Neben den Symptomen einer akuten Belastungs-
und nach einem kritischen bzw. traumatischen störung sind
Ereignis ab: Die akute Belastungsstörung ist auf - vermeidende Bewältigungsstrategien,
dissoziative Symptome ausgerichtet und vernach- - frühere traumatische Erfahrungen und
lässigt u. a. Angstsymptome, depressive Reaktio- - geringe soziale Unterstützung
nen und Probleme im Sozialkontakt. Auch Sub-
stanzmissbrauch, aggressives Verhalten und ver- wichtige Indikationskriterien für eine frühe In-
schiedene funktionelle Beschwerden können eine tervention. Die aktuelle kognitive Verarbeitung
frühe Traumafolge sein. Aus diesen Gründen (Traumainterpretation), z. B. die Schwere der
müssen neben der akuten Belastungsstörung wahrgenommenen Bedrohung und Schuld-
mögliche weitere Indikationskriterien für eine zuschreibung auf die eigene Person, ist ebenso
Frühintervention diskutiert werden: zu berücksichtigen.
Grundsätzlich kann gelten, dass direkte Betrof- Psychologische Maßnahmen zur Vorbereitung
fenheit und schwere Traumen immer eine Indika- auf das Erleben traumatischer Situationen sind
tion für eine frühe Intervention darstellen. Je- insbesondere für Berufsgruppen mit erhöhtem
doch darf nicht von einer direkten Proportionali- Risiko wie z. B. Soldaten, Polizisten, Feuerwehr-
tät zwischen Traumaschwere und Interventions- leute, Rettungsassistenten oder Lokführer sinn-
bedarf ausgegangen werden. voll. Zu den vorbereitenden Maßnahmen zählen:
- Die kognitive Vorbereitung auf bestimmte
Einsätze,
Eine akute Belastungsstörung führt nicht - die Simulation von Gefahren- und Notfall-
notwendigerweise zu einer posttraumatischen situationen,
Belastungsstörung, erhöht jedoch deren - die Automatisierung von Abläufen und
Wahrscheinlichkeit. - Stressbewältigungstrainings.
190 Kapitel 10 · Notfallpsychologische Interventionen bei akuter Belastungsstörung
und nicht spezifisch für die Prävention von post- lung bzw. Nichtversorgung traumatisierter Per-
traumatischen Belastungsstörungen. sonen ethisch sehr problematisch ist. Dies ist
Psychische Erste Hilfe und Psychoedukation ein Grund, warum bisher erst wenige methodisch
sollten Einzelpersonen sowie kleineren und adäquate Studien vorliegen. Hinzu kommt, dass
größeren Gruppen unabhängig von der wahr- sich die meisten Effektstudien nicht auf eine
genommenen oder diagnostizierten Belastung Frühintervention, sondern auf die Behandlung
nach einem traumatischen Ereignis angeboten der posttraumatischen Belastungsstörung kon-
werden. Da dies jedoch entscheidend von den zentrieren, und dass die Traumen oft mehrere
personellen Kapazitäten abhängt, ist gerade bei Jahre zurück liegen.
Großschadensereignissen die Identifizierung
von Hochrisikopersonen sinnvoll und notwendig.
Auch wenn der Forschungsstand noch keine ein-
10.5.1 Psychologisches Debriefing
deutigen Kriterien vorschlägt, so sind neben der
Diagnose einer akuten Belastungsstörung die ge-
Das psychologische Debriefing (PD, im Folgen-
nannten Risikofaktoren (s. Abschn. 10.2) zu
den auch als Debriefing bezeichnet) hat seinen
berücksichtigen. Im Falle von personellen Eng-
Ursprung im militärischen Bereich. Soldaten im
pässen sind vorrangig diejenigen Personen zu
ersten und zweiten Weltkrieg wurden zeitnah
versorgen, die nicht in ein stabiles soziales Netz
psychologisch beraten, um ihre Gefechtsbereit-
entlassen werden können.
schaft zu erhalten (vgl. Kap. 13).
Die in diesem Abschnitt vorgestellten Prinzi-
Gegenstand des Debriefings ist das belastende
pien und Empfehlungen sind - wie erwähnt -
Ereignis, die traumatische Erfahrung. Die Teil-
nicht empirisch validiert. Es ist jedoch anzuneh-
nehmer werden ermutigt und angeleitet, über ih-
men, dass sie dazu beitragen können, die Bewäl-
re persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen zu
tigungsmöglichkeiten der Betroffenen zu verbes-
berichten (vgl. Abschn. 10.5.2; s. a. Kap. 13).
sern und eine soziale Unterstützung zu aktivie-
Das ursprünglich für Gruppen entwickelte Kon-
ren. Im Kontext von Großschadenslagen kommt
zept ist auch im Einzelsetting möglich (Conlon
solchen Maßnahmen eine wesentliche Bedeutung
et al., 1999; Hobbs & Adheads, 1997). PD ist heute
zu, da sie zu einem großen Teil auch von psycho-
eine häufig angewandte Intervention nach kriti-
logischen Laienhelfern durchgeführt werden
schen und traumatischen Ereignissen (Dyregrov,
können.
1989; Mitchell & Everly, 2001; Raphael, 1986; Ra-
phael & Wilson, 2000).
ziell für Einsatzkräfte der Feuerwehr und des verwendeten Effektmaße (s. Deahl et al., 2001;
Rettungsdienstes entwickelt und ist Teil des Criti- Gist & Woodall, 2000; Litz et al., 2003, in Druck).
cal Incident Stress Managements (CISM; Mitchell, Verschiedene Autoren weisen auf das Risiko einer
1998; Everly & Mitchell, 2000; Mitchell & Everly, Re- oder Sekundärtraumatisierung durch zu
2001). Das CISM enthält mehrere Komponenten frühe Intervention, durch Fokussierung auf die
für Interventionen, die je nach Bedarf vor, wäh- Symptome oder durch inadäquaten Umgang mit
rend und nach dem kritischen Ereignis eingesetzt Reaktionen der Teilnehmer und Gruppenprozes-
werden (Vor-Ort-Präsenz, Krisenintervention, sen hin (Bolwig, 1998; Busuttil, 1995; Raphael et
soziale Unterstützung, Nachsorge). Es sieht Inter- al., 1995). Eine Pathologisierung der normalen
ventionen für Individuen und Gruppen, aber Reaktion auf ein kritisches Ereignis wird ebenso
auch für spezielle Personengruppen (»communi- befürchtet wie eine potenzielle Verzögerung der
ties«) vor. Weitere Formen des Debriefings wer- Diagnostik und der Therapie von Symptomen ei-
den, ebenso wie die Anwendung bei verschiede- ner posttraumatischen Belastungsstörung (Bis-
nen Zielgruppen wie Polizisten, Soldaten, Ver- san & Deahl, 1994; Bolwig, 1998). Hinzu kommt,
kehrsunfallopfern, traumatisierten Kindern so- dass unter psychologischem Debriefing sehr un-
wie Personen nach kritischen Lebensereignissen terschiedliche Konzepte und Vorgehensweisen
und Gewalterfahrungen, in Raphael & Wilson subsummiert werden und sich die Interventionen
(2000) besprochen. auch danach unterscheiden, inwieweit eine Nach-
betreuung der Betroffenen vorgesehen ist.
Zentrales Problem für eine Effektivitäts-
Evaluation
bewertung sind die methodischen Einschränkun-
Die Mehrheit der Autoren von Reviews und Me- gen und Mängel der meisten Studien. Ferner sind
taanalysen schlussfolgert, dass psychologisches die Studien aufgrund ihrer Heterogenität kaum
Debriefing klinisch bedeutsame Belastungsfolgen zu vergleichen, da sie sich hinsichtlich Trauma-
nicht verhindern kann (Emmerik et al., 2002; Gist definition, Art und Schwere des Traumas (z. B.
& Woodall, 2000; Litz et al., 2003, in Druck). Rose Waldbrand, Erdbeben, Gewalterfahrung, Geburt),
et al. (2002) kommen in ihrer Metaanalyse, in der zu Grunde liegender Symptomatologie, Form des
11 Studien berücksichtigt wurden, zu dem Ergeb- Debriefings bzw. der Durchführungsbedingun-
nis, dass Debriefings weder die psychische Belas- gen, Messzeitpunkte und Erfolgskriterien (meist
tung verringern, noch zur Verhinderung von PTB-Diagnose) unterscheiden. Häufig liegen kei-
posttraumatischen Belastungsstörungen beitra- ne Informationen zu vorbestehenden Belastun-
gen. Von den 11 Studien zeigt eine sogar ein sig- gen und Risikofaktoren vor, es fehlen Angaben
nifikant höheres PTB-Risiko 1 Jahr nach der In- zum Debriefingprozess, zur Qualifikation der De-
tervention (s. Bisson et al., 1997). Auch Steil briefer, zum zwischenzeitliehen Geschehen und
(2001) zeigt in einer Metaanalyse mit 16 einge- zur Selektion in den Stichproben in Abhängigkeit
schlossenen Effektstudien kurz- und langfristig vom Befragungszeitpunkt
keinen von Null verschiedenen Effekt. Die Wirk-
samkeit von Einzel- und Gruppensettings unter-
scheidet sich dabei nicht. Everly et al. (2000) so- Debriefings sind eine eingeführte und häufig
wie Robinson & Mitchell {1993) hingegen berich- angewandte Frühintervention nach belasten-
ten in ihren Reviews, die allerdings überwiegend den Ereignissen. Sie werden von verschie-
auf unkontrollierten Studien basieren, von einer densten Personen mit unterschiedlicher psy-
deutlichen Stressreduktion, die zu einem erhebli- chotraumatologischer Kompetenz bei ver-
chen Teil auf die psychologische Nachbereitung schiedenen Notfallsituationen und Schadens-
zurückgeführt wird. lagen zur psychologischen Erstversorgung von
Die Diskussion um die Effektivität von De- Traumaopfern eingesetzt. Einzelne Kompo-
briefings dreht sich um die Frage des Zeitpunkts nenten des Konzepts sind unbestritten und
der Intervention, der standardisierten Vorgehens-
weise, der nur einmaligen Intervention und der
10.5 · Psychologische Frühinterventionen 195 10
vergleichbar mit Elementen anderer Frühin- die unvorbereitet auf das Ereignis sind und
terventionen (s. Abschn. 1 0.4, 10.5.2). Das keine Vorerfahrung mit psychologischer Bera-
formalisierte Vorgehen mit einer zeitnahen tung haben (s. Clemens & Lüdke, 2000).
Rekonstruktion der Erfahrungen und die Be-
grenzung auf nur eine Sitzung muss jedoch In welcher Art und Weise das Debriefing durch-
kritisch beurteilt werden . geführt wird, ist somit zusätzlich abhängig von
der vorbestehenden Gruppenstruktur, dem Pro-
Die subjektive Akzeptanz durch die Teilnehmer fessionalitätsgrad der Gruppe und dem Grad
ist in der Regel groß, die Bewertung positiv: Oe- der Vorbereitung (s. Übersicht).
briefings werden überwiegend als hilfreich und
entlastend erlebt (Rehli, 1998, unveröffentlichte
Diplomarbeit; Wilson et al., 2000). Aus Rückmel- Determinanten psychologischer
dungen von Einsatzkräften, die bei dem Zug- Debriefings
unglück in Eschede vor Ort waren, ist zu schlie-
Ein Debriefing sollte nicht in der Einwir-
ßen, dass das Debriefing vor allem deshalb ange- kungszeit und auch nicht zeitnah zum Er-
nommen werden konnte, weil bei diesen Nach- eignis in den ersten Tagen nach dem
besprechungen grundsätzlich speziell geschulte Trauma durchgeführt werden.
Kollegen als ))Peers« eingesetzt wurden (Koor- Es ist sehr wahrscheinlich nicht geeignet
dinierungsstelle Einsatznachsorge, 2002; Mit- für Personen mit hoher prätraumatischer
chell, 1998). Die Zufriedenheit hängt dabei vom Belastung und Risikofaktoren sowie für
kompetenten Auftreten des Teams, einem Personen mit dissoziativen Symptomen.
großzügigen Zeitrahmen und einem engen zeitli- In jedem Fall muss eine niederschwellige
chen Bezug zu dem Ereignis ab. Die Zufrieden- weiterführende Versorgung sichergestellt
heit der Teilnehmer korreliert jedoch nicht und erreichbar sein.
zwangsläufig mit Maßen der psychischen Ge- Debriefings können nicht bei Typ 11-Trau-
sundheit; Aussagen zur Zufriedenheit der Teil- men (s. Kap. 1) eingesetzt werden.
nehmer können dementsprechend nicht als pri- Wird die Indikation auf sekundär Betrof-
märes Erfolgskriterium verwendet werden. fene wie z. B. Einsatzkräfte eingeschränkt,
Am besten untersucht ist das Debriefing bei so ist nach der Zielsetzung der Interven-
Einsatzkräften der Feuerwehr und des Rettungs- tion zu fragen: Wenn sie primär die
dienstes, wo es vor allem die Funktion eines Ein- Gruppenkohäsion und die Einsatzbereit-
satzabschlusses und einer psychologischen Ein- schaft fördert, ist sie nicht automatisch
satznachbesprechung übernimmt; gerade diese präventiv im Hinblick auf posttraumati-
Funktion der Debriefings wird in der Regel von sche Belastungsstörungen.
den Teilnehmern positiv beurteilt. Reduktionen Für die Durchführung in der Gruppe sind
der psychischen Belastung werden in verschiede- besondere Risiken zu bedenken: Der
nen Maßen berichtet (Everly et al., 1999; Mitchell Gruppendruck kann zu zusätzlichen Be-
& Everly, 2000). lastungen bei den Teilnehmern führen,
besonders stark belastete Teilnehmer
werden nicht identifiziert und/oder nicht
Ein Debriefing sollte nach Weisaeth (1995) nur ausreichend betreut.
dann durchgeführt werden, wenn eine psy-
chologische Einsatzvo rbereitung stattgefun-
den hat, d. h. die Teilnehmer für eine psycho-
logische Bearbeitung von kritischen Ereignis- Die relativ hohe Standardisierung insbesondere
sen trainiert sind. Debriefings sind diesem des Critical Incident Stress Debriefing nach Mit-
Ansatz zufolge nicht geeignet für Personen, eheil (1983, 1998) macht diese Methode auch für
Nicht-Psychologen interessant und (scheinbar)
schnell erlernbar.
196 Kapitel 10 · Notfallpsychologische Interventionen bei akuter Belastungsstörung
10.5.2 Kognitiv-behaviorale
Frühintervention
Personen ohne fundierte klinisch-psychologi-
sche und psychotraumatologische Kenntnisse Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist eine
und ohne Erfahrungen mit psychotherapeuti- bewährte Intervention zur Behandlung von post-
schen Gruppenprozessen sollten jedoch keine traumatischen Belastungsstörungen. Sie wurde
Debriefings durchführen. auch auf den Bereich der Prävention bzw. Frühin-
tervention übertragen (Foa et al., 1995). Im Fol-
Ein abschließendes Urteil über die Indikation genden wird nur kurz auf die Elemente der Inter-
und die Wirksamkeit des psychologischen Oe- vention eingegangen, da sie sich nicht prinzipiell
briefings ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht von denen der kognitiven Verhaltenstherapie bei
möglich. Der künftige Stellenwert psychologi- posttraumatischen Belastungsstörungen unter-
scher Debriefings in der Akutversorgung trauma- scheidet (s. a. Kap. 4).
tisierter Personen ist gegenwärtig Gegenstand in-
tensiver wissenschaftlicher Diskussionen und
Kontroversen (Ursano et al., 2000; Gist & Woo-
Konzept und Vorgehen
dall, 2000; Litz et al., 2003, in Druck). Der aktuel-
le Forschungsstand liefert keinen Beleg für die Die Kurzzeitintervention mit kognitiver Verhal-
Prävention einer posttraumatischen Belastungs- tenstherapie wurde von Foa et al. (1995) für Per-
störung (Bisson & Deahl, 1994; Raphael & Wil- sonen mit akuten Belastungsstörungen nach Ge-
son, 2000; Rose et al., 2002). Aufgrund der inhalt- walterfahrungen bzw. Vergewaltigung entwickelt.
lichen Differenzen und methodischen Probleme Das Programm kombiniert Psychoedukation, Re-
der vorliegenden Wirksamkeitsstudien kann je- konstruktion und Imagination sowie Entspan-
doch nicht abschließend beurteilt werden, ob be- nung und umfasst 4-5 Sitzungen mit dem jewei-
stimmte Formen eines Debriefings für bestimmte ligen Schwerpunkt:
Ziel- bzw. Betroffenengruppen zu empfehlen - Informationen über Belastungsfolgen,
sind. Darüber hinaus könnten Debriefings positi- - progressive Muskelentspannung,
ve Effekte auf weitere psychische Symptome, Dro- - Exposition in sensu,
genkonsum, Arbeitsfähigkeit und soziale Integra- - Angstbewältigung und kognitive Umstruktu-
tion haben - was jedoch nicht ausreichend unter- rierung,
sucht bzw. berücksichtigt wurde. - graduierte Exposition in vivo und
Psychologische Debriefings stellen eine öko- - Reduktion des Vermeidungsverhaltens.
nomische Kurzzeitintervention dar, die prinzi-
pielle Beherrschbarkeit von Schadenslagen und Ergänzende Hausaufgaben beziehen sich auf die
ihrer psychischen Folgen unterstellt. Die weite erneute Konfrontation mit belastenden Situatio-
Verbreitung der Debriefings resultiert u. a. aus nen und eine Dokumentation mittels Tagebuch.
der Notwendigkeit einer frühen Intervention Die KVT wurde bei Foa et al. (1995) und Bryant
und dem Mangel an evaluierten und für große et al. (1998) frühestens 10 Tage nach dem Ereig-
Betroffenengruppen einsetzbaren Konzepten nis begonnen. Die wöchentlichen Sitzungen wer-
und Methoden, aber auch daraus, dass keine um- den von klinischen Psychologen bzw. Psychothe-
fassende klinisch-psychologische Ausbildung zu rapeuten geleitet und dauern 1,5-2 Stunden.
ihrer Durchführung erforderlich sei. Debriefings
bedienen das Hilfeleistungsmotiv und scheinen
Evaluation
unter dem Handlungsdruck auch ethisch gerecht-
fertigt (s. Raphael, 2000; Wilson et al., 2000). Die Wirksamkeit des Programms ist für Personen
mit Gewalterfahrungen und Personen nach Un-
fällen gut belegt und auch über Halbjahreskatam-
nesen abgesichert (Foa et al., 1991, 1995; Bryant
et al., 1998, 1999). Für die genannten Patienten-
10.5 · Psychologische Frühinterventionen 197 10
gruppen muss die kognitive Verhaltenstherapie 10.5.3 ))Eye Movement Desensitization
als die z. Z. wirksamste Frühintervention gelten. and Reprocessing«
Es besteht die Hoffnung, dass sie auch bei ande- als Frühintervention
ren Stressoren und Traumen wirksam ist.
Die KVT findet ihre Begrenzung in der Er- Eye Movement Desensitization and Reprocessing
reichbarkeit bzw. Behandlungsbereitschaft der (EMDR) ist eine Methode zur Behandlung von
Betroffenen. Für eine wissenschaftliche Evaluati- traumatisierten Personen, die 1989 von Francirre
on der Effektivität ist eine Standardisierung auf Shapiro vorgestellt wurde (1995, 1999). Die Me-
4-5 Sitzungen sicher günstig. Aus klinischer Per- thode wird sowohl für die Behandlung der post-
spektive zeigt sich in der Regel jedoch erst im Be- traumatischen Belastungsstörung als auch für die
handlungsverlauf, ob diese Stundenzahl aus- Frühintervention nach Traumaerfahrungen emp-
reicht. Es ist anzunehmen, dass die Intervention fohlen bzw. eingesetzt (Hofmann, 1999).
zumindest am Schweregrad und am Verlauf der
Symptomatik, an dem Ausmaß der Komorbidität
und an den Umfeldbedingungen orientiert wer- Konzept und Vorgehen
den muss (s. Übersicht). Bei Großschadensereig- Das Grundprinzip der Methode besteht darin, die
nissen mit vielen Betroffenen reicht - unabhän- Aufmerksamkeit der Patienten auf einen äußeren
gig von der Organisation einer Versorgung - Reiz zu lenken, während sie sich gleichzeitig auf
die Zahl der verfügbaren und qualifizierten The- den Auslöser der Belastung und die Belastungs-
rapeuten in der Regel für eine einzeltherapeuti- folgen konzentrieren (s. Übersicht). Ziel ist es,
sche Frühintervention mit mehreren Sitzungen die fragmentierten Erinnerungen zusammenzu-
nicht aus. führen und durchzuarbeiten. Eine Analyse und
Beeinflussung der selbstbezogenen Kognitionen
soll zu einer Neubewertung und einer Integration
Vergleich psychologisches Debriefing der Erfahrungen führen (Shapiro, 1999).
und kognitive Verhaltenstherapie
Das psychologische Debriefing (PD) und
die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) Die 8 Phasen des EMDR
unterscheiden sich in der Dosis und dem {Hofmann, 1999; Eschenröder, 1997)
Beginn der Intervention.
Anamnese, Diagnostik und Behandlungs-
Wesentliches Element der KVT ist die
planung,
kognitive Umstrukturierung.
Stabilisierung und Vorbereitung auf die
Die KVT betont stärker das Durcharbeiten
Exposition,
der traumatischen Erfahrung und die
Bewertung, Neubewertung und Einschät-
wiederholte Exposition.
zung des Traumas bzw. der Erinnerung,
Sowohl KVT als auch PD beinhalten psy-
Desensibilisierung und Prozessieren:
choedukative Elemente und trainieren
Abschwächen der Belastung durch die
Bewältigungstechniken.
Erinnerung,
Möglicherweise besteht bei nur einmali-
Assoziation der belastenden Ereignisse mit
gen Sitzungen w ie beim psychologischen
positiven Kognitionen,
Debriefing die Gefahr, dass die psychische
Suche nach sensorischen Fragmenten,
Belastung und die vegetative Erregung
Abschluss der Behandlung,
gesteigert werden, ohne dass ausreichend
Nachbefragung, Überprüfung oder Neu-
Zeit für eine Löschung zur Verfügung
bewertung.
steht (Bisson et al., 2000).
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G. Pieper
11 4 Therapeutisches Vorgehen 2 4
11.4.1 Konfrontationsverfahren bei Katastrophenopfern - 215
11.4.2 Lebensperspektiven nach der Traumabewältigung - 218
11.4.3 Symbolisieren der Katastrophe - 218
Literatur - 219
206 Kapitel 11 · Betreuung von Katastrophenopfern
Ihm oblag während der gesamten Betreuungszeit berichten. Die Gruppengespräche finden
Zum besseren Verständnis der multikulturel- Tage) nach dem traumatischen Ereignis
len Probleme von Türken in der Emigration wur- statt. Es liegen verschiedene Debriefing-
Programme vor (z. B. Armstrong et al.,
de zur Projektsupervision eine türkische Psychi-
1991; Mitehe II & Everly, 1996. Für eine
aterin vierteljährlich aus Istanbul eingeladen.
ausführlichere Darstellung der Durchfüh-
rung von Debriefing-Gruppen s. auch Kap.
Klinische Psychologen 12; Anm. d. Hrsg.),
regelmäßige Kontaktaufnahme durch
Der Autor selbst war als klinischer Psychologe
Hausbesuche von regionalen Helfern,
mit Erfahrung in der Therapie traumatisierter
Angebot von Gruppentherapie für
Patienten für die Betreuung und Therapie aller
verschiedene Gruppen von Betroffenen,
von der Katastrophe betroffenen Gruppen zu-
Einzelbehandlungen für Personen mit
ständig. Die Betreuung der türkischen Witwen der Diagnose PTB.
übernahm eine türkische Psychologin.
Arbeitskreis Stolzenbachhilfe
11.2.1 Wichtige Faktoren bei der Organi-
Alle genannten Helfer schlossen sich im Arbeits- sation eines HUfsprogramms
kreis Stolzenbachhilfe zusammen und formulier-
ten das »Hilfsprogramm zur gesundheitlichen Finanzierung
Betreuung der Betroffenen des Grubenunglücks
in Stolzenbach bei Borken« mit folgender Ziel- Um die notwendigen finanziellen Hilfsmittel für
bestimmung: »Für die Betroffenen des Gruben- ein Hilfsprogramm zu schaffen ist zu prüfen, ob
unglücks in Stolzenbach werden Hilfen angebo- ein an der Katastrophe beteiligtes bzw. betroffe-
ten, die der Entstehung von Krankheiten und/ nes Unternehmen bereit und in der Lage ist,
oder Befindensstörungen sowie psychosozialer dafür aufzukommen.
Dekompensation entgegenwirken« (Arbeitskreis Weiterhin ist es sinnvoll, die Spendenbereit-
Stolzenbachhilfe, 1994}. schaft der Bevölkerung nach einer Katastrophe
für die Finanzierung eines Hilfsprogramms zu
nutzen.
11.2 Organisation eines HUfsprogramms In Borken wurden Spendenbeiträge aus aller
Welt und ein Millionenbetrag des Unternehmens
In einem Hilfsprogramm sollen folgende Ange- Preussen Elektra in ein Hilfswerk eingebracht,
bote für die Betroffenen definiert werden. aus dem die Kosten des Hilfsprogramms getragen
wurden.
11.2 . Organisation eines Hilfsprogramms 209 11
Bündelung der Hilfskräfte 11.2.2 Notwendige psychotherapeutische
Kenntnisse und Fähigkeiten
Im anfänglichen Chaos nach einer Katastrophe
muss von einem Organisator eine Richtlinie auf- Die Betreuung von Katastrophenopfern erfordert
gezeigt werden, an der sich freiwillige Helfer ori- vom Psychotherapeuten ein hohes Maß an eige-
entieren können und nach dem sich die Auf- ner Stabilität und psychischer Gesundheit.
gabengebiete der professionellen Fachleute kon- Er/sie muss die Bereitschaft haben, sich auf
kretisieren lassen. sehr belastende Schilderungen von erlebtem Leid,
Dieser »rote Faden« ist durch folgende Leit- Schmerz und Verlust einzulassen, auf Bilder von
fragen zu bestimmen: Gewalt, Zerstörung, Verletzung und Tod, die
- Wer sind die von der Katastrophe Betroffe- Gefühle von Faszination bis Abscheu beim The-
nen, die Hilfe benötigen? rapeuten hervorrufen. Dabei wird ein extremer
- Welche Möglichkeiten gibt es, auf diese Leute Leidensdruck von den Betroffenen an ihn heran-
zuzugehen bzw. welche Vertrauenspersonen getragen, der in dieser Intensität bei kaum einem
der Betroffenen stehen zur Verfügung? anderen Störungsbild zu finden ist und der sich
- Wer ist geeignet, um kurz-, mittel- und lang- durch die Häufung vieler Menschen, die von ei-
fristige Hilfestellungen zu geben? ner Katastrophe betroffen sind, zu einer Belas-
tung potenzieren kann, die für manche Helfer
zur Überforderung werden kann.
Kurzfristige Hilfestellungen
Er/sie braucht von daher einerseits die Fähig-
Medizinische/psychologische Erste Hilfe keit zur mitfühlenden Anteilnahme, andererseits
(Ärzte, Psychologen, Pfarrer, Sozialarbei- die Fähigkeit sich zu distanzieren, sich nicht voll-
ter), kommen gefangen nehmen zu lassen von all dem
Organisation von Trauerformalitäten Leid und Grauen. Auf diese Weise kann er von
(Sozialarbeiter), Anfang an als Modell für die Betroffenen wirken,
Debriefing-Gruppen mit Einsatzpersonal mit der Botschaft, dass es möglich ist, sich mit
(Psychologen). dem psychischen Leid einer Katastrophe intensiv
Mittelfristige Hilfestellungen zu beschäftigen, es dann aber auch wieder beisei-
Hilfe bei finanziellen Problemen, Anträgen te zu stellen, um sich anderen Aufgaben zu wid-
bei Behörden etc. (Sozialarbeiter, Werks- men.
fürsorge, Betriebsrat), Es müssen solide Kenntnisse in Notfallpsy-
Debriefing-Gruppen mit Betroffenen chologie und in der Therapie traumatischer
(Psychologen). Störungen vorhanden sein, insbesondere breite
Erfahrung im therapeutischen Umgang mit Mei-
Langfristige Hilfestellungen dungsverhalten.
Gruppentherapien (Psychologen).
Einzeltherapie (Psychologen),
Möglichkeiten für kollektive Trauer schaf-
Zu warnen ist davor, junge, unerfahrene und
fen (Pfarrer, Lehrer, Sozialarbeiter, Psycho-
hochmotivierte Therapeuten mit der Betreu-
logen, engagierte Persönlichkeiten aus
ung von Katastrophenopfern zu beauftragen,
dem Betrieb und der Gemeinde).
die Gefahr laufen, nach einer Phase des
Überengagements selber unter den Belastun-
gen zu dekompensieren und somit den Be-
Welche zentralen Ansprechpersonen lassen sich
troffenen die Metabotschaft zu geben, dass
benennen für einzelne relevante Untergruppen,
auch bei höchstem persönlichen Einsatz eine
(z. B. für die Ärzte, die Pfarrer, die Betriebslei-
solche Katastrophe offensichtlich nicht zu
tung, den Betriebsrat, die Lehrer, evtl. für auslän-
bewältigen ist.
dische betroffene Gruppen usw.)?
210 Kapitel 11 · Betreuung von Katastrophenopfern
--
traumatische Erlebnisse während des tagelangen Wartens auf dem Grubengelände
die eigene Trauer
-
die Trauer der Kinder
Erziehungsprobleme
MütterNäter - Traumatische Erlebnisse während und nach dem Unglück (Beispiel: Eine alleinstehende
Mutter verlor ihren einzigen Sohn, einen Abiturienten, der sich vor Beginn des Studiums
durch die Arbeit in der Grube etwas Geld verdienen wollte. Der Tag des Unglücks war sein
erster Arbeitstag gewesen. Er wurde durch die Explosion so zerfetzt, dass sie ihn nur noch
anhand von Einzelteilen identifizieren konnte)
Kinder - Der Verlust des Vaters und oft die Unfähigkeit, die Trauer vor der Mutter zu zeigen
Verletzte - Der Explosionsschock und die Feuerwelle, die sie aus unmittelbarer Nähe miterlebt hatten
direkt betroffen durch Verbrennungen und eigene Verletzungen
z. T. noch zusätzlich betroffen durch den Tod der Söhne
der Verlust der vielen Freunde und Kollegen
Grubenwehr und Die schrecklichen Bilder der ersten Stunde über und unter Tage
andere Helfer das Bergen ihrer toten und z. T. bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Kumpel
das Leid der Angehörigen
der Einsatz des eigenen Lebens
die eigene Trauer (Beispiel: Ein sehr erfahrener Feuer- und Grubenwehrmann drückte die
Betroffenheit folgendermaßen aus: • Ich habe in den letzten 30 Jahren als Feuerwehr-
mann bei Unfällen viele schlimme Sachen gesehen, aber seit ich im Juni in
Stolzenbach war, kann ich nachts nicht mehr schlafen. <~
ln Borken schrieb der Arbeitskreis Stolzenbachhilfe gung der Hinterbliebenenrenten zu helfen, die
zu Beginn der Betreuungsphase einen Brief an alle Verletzten im Krankenhaus zu besuchen. Gleich-
Betroffenen, in dem auf zu erwartende Probleme zeitig wiesen sie auf Elternabende hin, in denen
und Symptome hingewiesen wurde. die Mütter über ihre Situation als nunmehr Al-
leinerziehende mit einem Fachmann sprechen
Ansprechen durch die Werksfürsorge
konnten, und sie empfahlen den Betroffenen, an
Alle Betroffenen wurden zunächst von den Frauen
den psychologisch geleiteten Gruppen teilzuneh-
der Werksfürsorge angesprochen und in psycho-
men.
sozialer Hinsicht basisversorgt Diese erste Hilfe-
212 Kapitel 11 · Betreuung von Katastrophenopfern
11.3 Behandlung
von Katastrophenopfern hypnotherapeutische Ich-stärkende
Suggestionen (Gill igan & Ken nedy,
11.3.1 Therapieziele 1991).
und therapeutische Strategien Das Unnormale normalisieren:
in der Einzeltherapie Der Therapeut muss die Patienten aufklä-
ren, dass die Reaktionen und Symptome
Allgemeine Therapieziele unter den gegebenen Umständen normal
sind. Dadurch kann eine weitere Trauma-
Als generelles Ziel soll der Patient lernen, dass er
t isierung der Patienten durch die Symp-
die Erinnerungen ertragen kann. Er soll sein Bild
tome vermieden werden.
von sich als passives Opfer des Unglücks ändern
Vermeidungsverhalten abbauen:
hin zu dem eines aktiven überlebenden.
Vermeidung tritt auf bei Gefühlen, Erin-
nerungen an das Unglück, bestimmten
Orten und Gesprächen über das Unglück.
Wichtige therapeutische Ziele in der
Dem Geschehenen einen neuen Sinn
Einzeltherapie von Katastrophenopfern
verleihen:
Mit der Erinnerung leben lernen,
Es gibt verschiedene Techniken, den Pa-
Vermeidungsverha lten aufgeben,
tienten zu helfen, neue Erklärungen für
das Trauma in den Lebenslauf integrieren,
das Erlebte zu finden:
die Opferrolle verlassen und sich als akti-
Interpretationen (Horowitz, 1986),
ven Überlebenden begreifen,
Reframing (Figley, 1985),
Loslassen können von der Vergangenheit
kognitive Umstrukturierung
und Aufbau einer neuen Zukunftsper-
(Meichenbaum & Cameron, 1983),
spektive.
Aufmerksamkeitsfokussierung weg
von der Vergangenheit auf die Zu -
kunft hin (Gilligan & Kennedy, 1991 ).
Therapeutische Ansatzpunkte
Debriefing-Gruppen
Generelle therapeutische Strategien
in der Einzeltherapie In Borken wurde schnell deutlich, dass reine
Eigene Bewältigungsstrategien unter- Selbsthilfegruppen allein von den Betroffenen
stützen (sog. Ich-stützende Interventio- nicht organisiert werden konnten, da die meisten
nen): sich in einer Phase der Erstarrung und des inne-
Grundlegend wichtig ist eine positive Pa- ren wie äußeren Rückzugs befanden. Vorbild für
tient-Therapeut-Beziehung (s. Kap. 2). Zur die Gruppen sind die Debriefing-Gruppen (vgl.
Anwendung kommen spezielle Techniken: Holen, 1985).
Entspannu ngstraining,
systematische Desensibi lisierung,
positive Selbstgespräche (Meichen- Ziel dieser Gruppen ist es, mit den von einer
baum & Cameron, 1983), Katastrophe Betroffenen die traumatischen
hypnotherapeutisches Wiederherstel- Erlebnisse möglichst bald danach gemeinsam
len von Ressourcen, zu besprechen, um zu verhindern, dass sich
der Einzelne mit der psychischen Verarbeitung
überfordert fühlt.
11.3 · Behandlung von Katastrophenopfern 213 11
Die Möglichkeit, an den psychologischen Grup- »Was war das Schlimmste für Sie bei dem ge-
pen teilzunehmen, wurde von ca. 2/3 der Witwen samten Unglück?«
und Eltern, von allen Geretteten, von fast allen
Verletzten und Mitgliedern der Grubenwehr, Auf diese Weise wurde den Gruppenteilnehmern
von allen Betriebsangehörigen, denen das Ange- zunächst einmal deutlich, dass sie als Katastro-
bot gemacht worden war, in Anspruch genommen. phenopfer in einer kleinen Gemeinde das ent-
Das anfangliehe Misstrauen einem fremden Psy- standene Leid in potenzierter Form erleben, dass
chologen gegenüber löste sich allmählich auf, sie nicht nur unter dem eigenen Trauma leiden,
nachdem unmissverständlich klargemacht wurde, sondern auch noch unter dem Verlust und Trau-
dass die in den Gruppen besprochenen Inhalte we- ma des Freundes, der Freundin, der Nachbarin,
der an die Unternehmensleitung noch an die Öf- des Arbeitskollegen usw. Im Unterschied zu an-
fentlichkeit weitergeleitet werden (durch die nega- deren Traumaopfern wird die Trauer, das Leid,
tiven Erfahrungen mit der Presse waren viele Be- der Verlust, die Verletzung und Zerstörung von
troffene nachhaltig beeinflusst und verunsichert). Katastrophenopfern nochmal erheblich stärker
empfunden. Bei erfolgreicher therapeutischer Ar-
beit kann diese schwere Anfangshypothek jedoch
Inhalte der Gruppensitzungen
zum Motor werden, sich selbst und die anderen
Die Gruppenteilnehmer erhielten immer wieder zu motivieren, aus der Opferrolle herauszutreten
die Möglichkeit, frei über Probleme zu sprechen, und die des aktiv Bewältigenden auszuprobieren.
die sie im Moment besonders belasteten. Die fol- Die gemeinsam erlebte Katastrophe erzeugt
gende Struktur stellte sich dabei als sinnvoll he- ein Solidaritätsgefühl, das es ermöglicht, der
raus: Gruppe gegenüber soviel Vertrauen zu ent-
_ Faktenebene wickeln, dass man auch das individuell am
Anfangs wurden die Betroffenen aufgefordert schlimmsten Erlebte vor der Gruppe erzählen
zu berichten, was sie während des Unglücks kann. Diese Offenheit wiederum motiviert die
erlebt hatten. Jeder Teilnehmer erzählte aus Gruppe dazu, nach Lösungen für Einzelne und
seiner Perspektive den Verlauf der Katastro- die Gruppe zu suchen.
phe: Ein wechselseitiger Prozess kommt in Gang,
»Ich war gerade da und da und erfuhr von in dem der Einzelne von der Gruppe und die
dem Unglück durch ..., fuhr zum Zechengelän- Gruppe vom Einzelnen profitieren kann.
de und sah das und das ... «. Im Gegensatz zu Traumaopfern, die ein indi-
- Emotionsebene viduelles Trauma erlebt haben, und sich mit ih-
Die Betroffenen wurden ermutigt, ihre dama- ren Symptomen lange als unnormal empfinden,
ligen Gefühle zu äußern und deutlich zu ma- haben Katastrophenopfer die Möglichkeit, durch
chen, wie es ihnen heute geht. diese Gruppenprozesse schneller aus der Rolle
- Symptomebene des passiv leidenden Opfers herauszutreten.
Sammeln der körperlichen und psychischen Besonders wirksam ist dabei ein dauernder
Beschwerden. Wechsel zwischen der Gesprächsebene und der
- Verhaltensebene Verhaltensebene: z. B. nachdem eine Witwe er-
Welche neuen Verhaltensweisen sind bei den zählt hat, wo sie in ihrem Garten gestanden hat,
Gruppenmitgliedern nach der Katastrophe als sie die Explosion hörte, wurde mit der Gruppe
aufgetreten, insbesondere welche Vermei- dorthin gefahren. Die Gruppe ließ sich den Ort
dungsstrategien (bezüglich Situationen, Or- zeigen, dann wurde weiter zur Unglücksstelle ge-
ten, Gedanken, Gefühlen etc.) haben sie ent- fahren. Dort ließ sich die Gruppe erzählen, was
wickelt, um der Auseinandersetzung mit der die Witwe am Unglückstag dort erlebt hat und
Katastrophe zu entgehen. gemeinsam konnte erlebt und bearbeitet werden,
- Bewertungsebene was die gedankliche Auseinandersetzung und die
Herausarbeiten des individuellen Trauma- reale Konfrontation mit dem Unglück heute noch
erlebnisses: auslöst.
214 Kapitel 11 · Betreuung von Katastrophenopfern
innenflächen waren naß geschwitzt. Er hatte Unglücksstelle und das Treffen von Witwen seiner
Herzstiche und fühlte sich elend (physiologische toten Kumpel) selbständig aufzusuchen.
Ebene). Auf der kognitiven Ebene beschäftigte er
T
11 .4 · Therapeutisches Vorgehen 217 11
Konfrontation in vivo Er war nach einer langen Odyssee durch ver-
schiedene Arztpraxen und Kuren, in denen er
Verschiedene Verhaltensübungen und Konfronta- vorwiegend medikamentös gegen seine Ängste
tionsbehandlungen in vivo wurden mit Erfolg in und Depressionen behandelt worden war,
Borken angewendet. Erfolgskriterium war dabei schließlich grubenuntauglich geschrieben wor-
jeweils einerseits die vom Betroffenen selbst ein- den. Nirgendwo hatte er die Diagnose PTB be-
geschätzte Angst und andererseits seine Fähig- kommen; eine bekannte psychosomatische Fach-
keit, sich in Situationen zu begeben, die früher klinik entließ ihn mit der Diagnose >>Hyperventi-
von ihm extrem vermieden wurden. lationssyndrom«, obwohl er selbst immer wieder
auf einen von ihm vermuteten Zusammenhang
f) Beispiel
mit seinem Grubenwehreinsatz in Borken hinge-
Fallbeschreibung eines Grubenwehrmannes
wiesen hatte. Er bekam eine Arbeit über Tage als
Herr H. war zum Zeitpunkt des Grubenunglücks 25
Kauenwärter angeboten (in der Realität bedeutete
Jahre alt und arbeitete als Maurer unter Tage in
das, die Toiletten zu putzen und den Hof zu fegen)
einem Salzbergwerk.
und sollte im Alter von 29 Jahren verrentet wer-
Belastungen den.
Er kam als Grubenwehrmann in den ersten Stun-
den nach der Explosion nach Borken und fuhr in Behandlung
die Grube ein. Es handelte sich um einen sehr Die erste Therapiephase bestand darin, seine
gefährlichen Einsatz, ein Atemzug bei einer ver- Symptome zu »normalisieren«, d. h. sie in Verbin-
rutschten Maske wäre bei der hohen COrKon- dung mit den traumatischen Erlebnissen zu brin-
zentration tödlich gewesen. Er war mit der Absicht gen und sie den gegebenen Umständen entspre-
zu retten gekommen, konnte aber tatsächlich nur chend als angemessen zu interpretieren.
noch viele Tote bergen, die z. B. bis zur Unkennt- Anschließend ging es um sein Männerbild. Mit
lichkeit verstümmelt und zerfetzt waren. Er musste einem gewissen Retter-Ethos und dem Selbstbild
in der Bergungsgondel jeweils mit einem in einen des starken Mannes, dem so etwas nichts aus-
Plastiksack eingepackten Toten in engem Körper- macht, versuchte er nach dem emotional extrem
kontakt ausfahren. Er bekam den Auftrag, einzelne belastenden Einsatz weiterzuleben, als sei nichts
Körperteile zu suchen und zu bergen und war passiert. Er schloss sich keiner der Gruppen an,
dauernd mit dem Leid der Angehörigen konfron- weil er der Meinung war, er habe so etwas nicht
tiert. nötig, versuchte alle mit dem Unglück zusam-
Symptomatik menhängenden Gedanken und Erinnerungen zu
Er litt unter Panikattacken, die erstmals 15 Monate vermeiden - er schaltete z. B. immer sofort den
nach dem Unglück auftraten, als er auf der »Hän- Fernseher aus, wenn ein Bericht über Borken ge-
gebank« saß, um einzufahren. Vorher hatte er sendet wurde - und unterstützte diese Verdrän-
unter Tage bei heftigen Angstanfällen hyperven- gungsversuche durch starken Alkoholkonsum.
tiliert und war deswegen krank geschrieben wor- ln der Therapie lernte er, seine körperlichen
den. Symptome als Ausdruck dessen zu verstehen, dass
Er zeigte deutliches Vermeidungsverhalten im er als verletzlicher Mensch daran arbeitete, das
beruflichen wie privaten Bereich - er traute sich Trauma in seine psychologische Realität zu inte-
z. B. nicht mehr in Gesellschaft, ging nicht mehr grieren bzw. seine internale Struktur so zu verän-
allein einkaufen und hatte Schwierigkeiten bei dern, dass eine Anpassung möglich ist (Janoff-
Feuerwehreinsätzen. Nachts träumte er oft von Bulman, 1985). Die Behandlung der Angstproble-
Borken, besonders von den weinenden Frauen, er me in seinem Privatbereich (z. B. wieder einkaufen
litt unter Schlaflosigkeit, innerer Unruhe, Kribbeln gehen, allein in den Wald gehen können) war re-
und Taubheit in den Extremitäten und weichen lativ schnell erfolgreich.
Knien. Mit hypnotherapeutischen Verfahren wurde
T ihm die Gelegenheit gegeben, den für ihn
T
218 Kapitel 11 · Betreuung von Katastrophenopfern
setzung mit dem Thema Tod ungeahnte neue ward a general paradigm for training in coping skills. ln D.
Meichenbaum & M. Jaremko (eds.), Stress reduction and
Kräfte und Perspektiven entstehen können. Das prevention. New York: Plenum.
Bewusstsein, dass eine Katastrophe jederzeit je- Mitchell, J. T. & Everly, G. 5. (1996). Critical lncident Stress Oe-
den treffen kann, macht das Erleben eines nor- briefing. An operations manual for the prevention of trau-
malen Alltags wertvoll und lässt früher als wich- matic stress among emergency service and desaster
tig erachtete »Probleme« oft als unwichtig er- workers (2nd ed.). Elliott City, MD: Chevron.
N. F. Gurris, M. Wenk-Ansohn
Literatur - 244
222 Kapitel 12 · Folteropfer und Opfer politischer Gewalt
ieren und Vermeiden zum dauerhaften Bewälti- verknüpft sind, sowie imaginative Methoden auf
gungsversuch. Dieser verhindert nun aber die der Grundlage der Hypnotherapie (nach Erick-
Aufarbeitung und Integration der Ereignisse. son) und/oder des NLP (nach Bandler & Grin-
Der traumatische Stress bleibt so aufrechterhal- der).
ten und wird als Reaktionskreis (Gurris, 1996a) Weitere sinnvolle Komponenten einer kom-
um so stabiler, je länger und intensiver das Ver- plexen Traumatherapie sind der Erfahrung nach
meiden anhält. z. B. körperorientierte Psychotherapien, wie z. B.
konzentrative Bewegungstherapie (z. B. Karcher,
2000), Musiktherapie (Zharinova-Sanderson,
12.6 Psychotherapie mit Folteropfern 2002) oder Kunst- und Gestaltungstherapie (Kar-
eher & Tschiesche-Zimmermann, 2002).
Therapiekonzepte verschiedenster Herkunft beto-
nen die Kompliziertheit der psychotherapeuti-
schen Behandlung von Folteropfern. Von beson- Die enge Kooperation mit medizinischen Kol-
derer Bedeutung sind legen wird empfohlen, denn die Wechselwir-
- die schwierige Therapeut-Patient-Beziehung, kungen von psychischem Leid und körperli-
- die ausgeprägte Chronifizierung und Komple- chen Beschwerden bzw. Beschädigungen er-
xität der Folgen, fordern ein integratives Vorgehen- sowohl im
- die Einflüsse der Belastungen der Exilsituati- Bereich der Diagnostik als auch im Bereich der
on auf den therapeutischen Prozess (Haenel, Therapie.
2002) und
- die zumeist interkulturelle Begegnung unter
Sprachvermittlung (Haenel, 2001).
12.6.1 Therapeut-Patient-Beziehung
Die Mehrzahl der Behandlungen wird in Trauma- Unabhängig von der Therapiemethode ist die Er-
zentren, in psychosozialen Zentren für Flüchtlin- arbeitung einer vertrauensvollen und gleichzeitig
ge bzw. in Behandlungseinrichtungen für Folter- für den Patienten kontrollierbaren therapeuti-
opfer durchgeführt. Aufgrund der anhaltend be- schen Arbeitsbeziehung unter Beachtung der
lastenden psychosozialen Situation von traumati- Übertragungs- und Gegenübertragungssituation
sierten Flüchtlingen muss die klinische Sozial- Voraussetzung für einen erfolgreichen Behand-
arbeit (Mühlum, 2000) einen besonderen Schwer- lungsprozess.
punkt darstellen, denn die Mehrheit der als In der Therapie mit Folteropfern und Kriegs-
Flüchtlinge aufgenommenen Klienten (z. B. 95% traumatisierten kommt es auffallig häufig zu ext-
in 1999, Behandlungszentrum für Folteropfer rem gegensätzlichen Einstellungen und Gegenü-
Berlin, 1999) hat keinen langfristig gesicherten bertragungen. Einerseits kann eine zu große Dis-
Aufenthalt. tanz des Therapeuten mit fehlender Empathie
In der Regel arbeiten die Traumazentren zum Therapieabbruch führen. Andererseits wer-
mehrprofessionell, interdisziplinär und hinsicht- den häufig fehlende Distanz und zu große Empa-
lich der Methoden eklektisch bis integrativ. Eini- thie mit Überidentifizierung bis hin zur persön-
ge Therapieformen scheinen gut aufeinander ab- lichen Verstrickung (vgl. Wilson et al., 1994; Hae-
stimmbar zu sein. In ihrer Kompatibilität und nel, 1998) beobachtet. Der Erfahrung nach ist für
Komplementarität gewährleisten sie ein variables tiefenpsychologisch arbeitende Therapeuten in
und lebendiges Setting und erlauben das Wech- der Therapie mit traumatisierten und von Scham
seln von Ausdrucks- und Darstellungsformen erfüllten Menschen ein Abrücken von der sonst
auf verschiedenen Ebenen. In der praktischen Ar- üblichen therapeutischen Abstinenz zu empfeh-
beit finden sich z. B. oft kognitiv-behaviorale, len.
systemische und psychedynamische Elemente,
die mit Methoden des Psychodrama (nach More-
no) oder der Gestalttherapie (nach Pearls)
12.6 · Psychotherapie mit Folteropfern
227 12
Traumas blockiert. Auf Seiten der Therapeuten
von Folteropfern besteht die Gefahr der »stellver-
Der Patient muss eine grundsätzlich anneh-
tretenden Traumatisierung« mit hohem Burnout-
mende Haltung erkennen können, ohne dass
Risiko (McCann & Pearlman, 1990; Hafkenscheid
der Therapeut konfluiert, mitleidet, >>bemut-
& Lansen, 1993; Lansen, 1996).
tert<< oder durch stellvertretendes Kämpfen
Aus diesem Grund ist eine fundierte thera-
agiert. Es ist unbedingt erforderlich, dass Au-
peutische Selbsterfahrung und eine den Arbeits-
tonomie und Selbstkontrolle der Patienten
prozess begleitende regelmäßige Team- und Pali-
gestärkt werden.
supervision unabdingbare Voraussetzung der Ar-
beit. Folglich sollte auch nach Möglichkeit die The-
Es entsteht eine Begegnung, in der der Patient rapie mit Folterüberlebenden in einer Einzelpraxis
sich als gleichberechtigter Mensch in seiner ohne kollegialen Austausch vermieden werden.
grundsätzlichen menschlichen Würde erkennen
kann, die für ihn selbst nach dem Trauma oft zu-
nächst nicht mehr spürbar ist. Fischer & Riedes- 12.6.2 Paradigma eines trauma-
ser (1999, S. 192) beschreiben die übertragung in therapeutischen Prozesses
der Traumatherapie als einen »Prozess der Wie-
deraufnahme von Beziehungen (»re-bonding«)«. Eingangsphase
Bei Traumen durch Menschenhand ist hier vor al- Die meisten traumatisierten Flüchtlinge haben
lem die überwindung von Misstrauen und das bei Aufnahme in eine Behandlungseinrichtung
Wiederfinden der Fundamente des kommunikati- noch keinen gesicherten Aufenthalt. Traumati-
ven Realitätsprinzips erforderlich. Unseres Er- sierte Flüchtlinge sind aufgrund ihrer Symptoma-
achtens gilt dies insbesondere für die Eingangs- tik häufig nicht fähig, ihr Verfolgungsschicksal
phase der Therapie und die Ressourcenarbeit »lückenlos, widerspruchsfrei, detailliert und plas-
Für die traumazentrierte therapeutische Arbeit tisch«, wie im Asylverfahren seitens der
empfehlen Reddemann & Sachsse (1998, S. 106) Behörden gefordert, darzulegen (s. Übersicht).
jedoch, dass die therapeutische Arbeitsbeziehung Aus diesem Grunde ist die Erarbeitung einer Stel-
»methodisch klar und unzweideutig abgegrenzt lungnahme im Auftrag der Patienten oft Bestand-
ist gegen den intermediären therapeutischen Er- teil der Eingangsphase. Neben der klinischen Di-
lebnis- und Erfahrungsraum«. agnostik ist die Rekonstruktion der historischen
Realität einschließlich der Verfolgungsbiographie
für eine Stellungnahme notwendig. Das bedeutet,
dass der Patient seine traumatischen Erlebnisse
Allein das Setting in Diagnostik und Therapie
zumeist zum ersten Mal fragmentarisch verbali-
kann aus der Erfahrung der klinischen Arbeit
mit Folteropfern heftige Reaktualisierungen
sieren muss und einem anderen Menschen mit-
teilt. Er muss somit vorher bestehende Vermei-
der Traumen, Flashbacks oder dissoziative
Zustände auslösen. Es kann sogar zu einer
dungsreaktionen überwinden. Insofern ist der di-
Retraumatisierung kommen. Leicht entsteht
agnostische Prozess (im Allgemeinen etwa 5 Sit-
eine assoziative Verknüpfung mit erlebten zungen) mit therapeutischem Sachverstand und
Verhörsituationen oder psychischen Torturen. achtsamem Umgang mit Gefühlen der Scham
zu führen (Wenk-Ansohn, 2002). Der Druck, par-
teiliche Stellungnahmen zur Vorlage bei
Menschen, die in der Hand von Folterern waren, Behörden fertigen zu müssen, ist für die Erst-
tendieren dazu, Täteraspekte auf die soziale Um- begegnung und die therapeutische Beziehung
welt zu übertragen, die beim Gegenüber Gegen- insgesamt kontraproduktiv. Damit verbunden
reaktionen auslösen (Comas-Diaz & Padilla, sind fachliche und ethische Probleme (Gurris,
1991; Lansen, 1991; Wilson & Lindy, 1994). Wird 2003). Das Erreichen einer sicheren Lebenssitua-
dies vom Therapeuten nicht wahrgenommen und tion ist jedoch Voraussetzung für eine psychische
bearbeitet, so ist die weitere Bearbeitung des Stabilisierung nach traumatischen Erlebnissen.
228 Kapitel 12 · Folteropfer und Opfer politischer Gewalt
tungen, soweit wie im jeweiligen Fall möglich, bereiten. Der Aufbau einer Psychodramabühne
aufgelöst werden sollten zugunsten der allmähli- durch den Klienten kann kreative Phantasie in
chen Befähigung, sich den traumatischen Bildern Bewegung setzen. Der Wechsel der Ebene bedeu-
und Erinnerungen bewusst und kontrolliert aus- tet auch Erlösung aus Erstarrung und zumeist
zusetzen sowie dazugehörige Empfindungen in auch Reduktion der Erregung, einhergehend
erträglicher Form zuzulassen und im geschützten mit größerer Kontrolle des Klienten über die Si-
therapeutischen Raum zu verbalisieren. tuation.
Je nach therapeutischem Hintergrund werden Anders als in der Behandlung von anderen
unterschiedliche Formen der traumafokussieren- Angsterkrankungen in der kognitiven Verhaltens-
den Arbeit eingesetzt, die z. B. als Traumasynthe- therapie wird empfohlen, zum Schutze der Klien-
se, Traumaexposition oder Traumakonfrontation ten und zur Verbesserung ihrer Kontrollfähigkeit
bezeichnet werden. »Medien« zur Distanzierung zwischenzuschalten.
Von der einfachen konfrontativen Annäherung (in
sensu) an die traumatischen Ereignisse wird abge-
Traumafokussierende Techniken raten. Diese Art der Annäherung ohne protektiven
Kognitiv-behaviorale Verfahren abgeleitet und ressourcenorientierten Vorlauf wird von trau-
aus Angstbewältigungstherapien, matisierten Patienten als sofortige unkontrollier-
imaginative Verfahren (z. B. Screentechnik, bare Überflutung mit überwältigenden emotiona-
Eye Movement Desensitization and len Schmerzen erlebt und erstickt ein Narrativ
Reprocessing, EMDR 1; Shapiro, 1999), (bedeutungssuchende Erzählung) im Ansatz. Es
gestalttherapeutische oder psychedrama- wird also eine therapeutisch induzierte Retrauma-
tische Bearbeitung traumatischer Szenen, tisierung riskiert (Gurris, 1995). Der notwendige
tiefenpsychologisch fundierte Arbeit mit Abbruch des Vorgehens bedeutet eine Verstär-
Träumen (Durcharbeiten traumatischer kung der Vermeidung und wirkt entmutigend
Inhalte und Unterstützung helfender auf Patienten und Therapeuten.
Anteile der Psyche),
Kunst- und Gestaltungstherapie sowie
Imaginative Verfahren
körperorientierte Verfahren
in der traumazentrierten Arbeit
(z. B. konzentrative Bewegungstherapie).
Verfahren, die Nähe und Distanz zu den schmerz-
haften Ereignissen und Bildern für die Patienten
selbst regulierbar und damit kontrollierbar ma-
Allgemeine Anmerkungen
chen, ermöglichen ihnen eine vorsichtige, vom
Wenn das klassische Setting, in dem zumeist Pa- Therapeuten unterstützte Rekonstruktion der Er-
tient und Therapeut einander »Auge in Auge« ge- innerung. Diese Arbeit wird jedoch erst dann be-
genübersitzen, zu Blockaden der Patienten führt, gonnen, wenn Patient und Therapeut sicher sind,
bietet sich für den Therapeuten ein Wechsel der dass hinreichend starke Ressourcen für den Pa-
Ebene an. Zum Beispiel kann der Therapeut sich tienten »geankert« wurden und damit die Stabili-
neben den Klienten setzen und vorschlagen, ge- sierungsarbeit eine »Insel der Sicherheit« er-
meinsam eine Szene auf einer gedachten Lein- schaffen hat. Dieser implementierte Ort kann z. B.
wand zu imaginieren, oder eine Entspannungs- eine mentale und/oder körperliche Erfahrung
bzw. Trancereise zu angenehmen Orten der Kind- sein, die so stark und stabil ist, dass sie im Ver-
heit und Jugend (»ein sicherer Ort der Ruhe und lauf des schmerzhaften Durcharbeitens der trau-
der Kraft«) zu unternehmen. Der Therapeut kann matischen Ereignisse sofort innerlich aufgesucht
z. B. Psychodramaszenen durch Wandern im werden kann. Sie stellt eine neue Form bewusster
Raum und Schweifenlassen der Gedanken vor- und heilender »Dissoziation« dar, die als Boll-
werk gegen zu schmerzhafte traumatische Erin-
1 EMDR wird unseres Wissens bisher in Traumazentren für nerungen benötigt wird, um vorübergehend Er-
Folterüberlebende wenig eingesetzt. leichterung und Abstand zu gewinnen.
12.6 · Psychotherapie mit Folteropfern
231 12
Imaginative Verfahren, die bereits in der Sta-
bilisierungsphase eingesetzt werden, haben sich Ein oszillierender schneller Wechsel vom
auch in der Exposition als vorteilhaft erwiesen, Naherleben zur Distanzierung kann vom
da die traumatischen Erfahrungen vor allem sen- Patienten gesteuert werden: Verkleinern -
somotorisch und ikonisch (rechtshemisphärisch, vergrößern, schnell - langsam, vor - zurück
bildhaft) engraviert sind (vgl. Kolk & Fisler, der Szenen.
1995). Sie sind dem logisch-rationalen Denken Der Therapeut verlässt während dieser
und Sprechen zumeist nicht oder nur fragmenta- Arbeit das frontale Blickfeld des Betroffenen
risch zugänglich. Damit entfalten bildhafte Vor- und sitzt »assistierend« an dessen Seite.
stellungen und sensornotorischer Ausdruck eine
mediierende Funktion für eine allmähliche se-
mantische Rekonstruktion der traumatischen Er- In diesem Verfahren würde die gegenübersitzen-
fahrungen. de Person des Therapeuten stören; es wird also
Als Beispiel wird hier die Screentechnik be- ein traditionelles Setting verlassen und die beste-
schrieben. Sie ist mit verschiedenen Therapie- hende Übertragungssituation bewusst abge-
methoden kompatibel (z. B. Verhaltenstherapie, schwächt. Der veränderte Standort des Therapeu-
tiefenpsychologisch fundierte Therapie, Psycho- ten ist in seiner Wirkung dem protagonistenzent-
drama und Gestalttherapie). rierten Psychodrama ähnlich. Klienten berichten
oft große Erleichterung darüber, dass sie so ei-
nerseits weniger Angst vor dem Therapeuten-
Die Bildschirmarbeit (Screentechnik) blick empfinden, sich andererseits nicht um ihr
- Die Klienten werden ermutigt, das Erlebte Gegenüber (Therapeut) kümmern oder sorgen
an einer gedachten Leinwand zu visualisieren müssen. Es geht also im Wesentlichen um Auflö-
und gleichzeitig mit Hilfe des Therapeuten als sung von Blockaden und um die sehr flexible suk-
Narrativ zu formulieren. Es entsteht für die zessive Annäherung an die gefürchteten Situatio-
Klienten eine angstreduzierende Kontrollier- nen.
barkeit des »Films« durch den Abstand zur
Leinwand.
- Die horizontale bis leicht nach oben ge-
richtete Kopfhaltung des Klienten fördert die Wenn es während der Annäherung zu über-
Visualisierung. Diese Kopf- und Blickhaltung flutenden assoziierten Emotionen kommt, hilft
ist in der Regel mit Flashbacks unvereinbar der Therapeut dem Patienten, wieder ein er-
(Gurris, 2003). trägliches Maß der Distanz zu seinem »Trau-
- Die hohe Regulationsfähigkeit des Pro- mafilm« zu finden. in der Regel wird der Pa-
zesses kann Annäherung und gleichzeitig tient dazu angehalten, die Vorstellung zu
Distanz dissoziativ herstellen: verkleinern oder sogar zu schließen. Gleich-
Einerseits wird eine Verdichtung des Erle- zeitig wird er angewiesen, den Kopf wieder in
bens erreicht, indem die Klienten ermutigt eine horizontale bis leicht nach oben gerich-
werden, ihren »Film« im Präsens in Worte zu tete Position zu bringen.
fassen. Andererseits werden sie gebeten, dies
zunächst nur in der dritten Person Singular zu
tun, um eine andere, erträgliche Distanzie- An dieser Stelle werden gemeinsam die starken
rungsebene zu schaffen. Emotionen gewürdigt und besprochen. Das Feed-
back über Schwellen der Erträglichkeit durch den
Patienten ist sehr eindeutig und angstreduzie-
rend. Durch Wiederholungen des Verfahrens
kann die Schwelle allmählich angehoben werden,
bis ein vollständiges Narrativ und ein Durchleben
möglich ist. Gleichzeitig sinkt das Niveau der Er-
regung und des Leidempfindens durch stetige
232 Kapitel 12 · Folteropfer und Opfer politischer Gewalt
Habituation. Im Allgemeinen bilden sich zur rung der Patienten überhaupt riskieren. Anderer-
Überraschung der Patienten traumatische Dis- seits sind diese Patienten zumeist aufgrund der
soziationen und psychosomatische Symptome zu hohen Exilbelastungen ohnehin nur in der La-
deutlich zurück. ge, sich auf die Stabilisierung und Ressourcen-
Ein interessantes Phänomen tritt fast immer arbeit einzulassen.
auf: Mit zunehmender Fähigkeit, in dieser Weise
über die traumatische Ereignisse zu sprechen,
wird das Narrativ mit jeder Wiederholung umfas- Traumazentrierte Arbeit ist in vielen Fällen
sender und es werden mit jeder Wiederholung nicht als Durcharbeiten der gesamten trau-
mehr Details wiedererinnert Es formt sich quasi matischen Erinnerungen möglich. Oftmals
ein erkennbares Mosaik aus einer größer werden- lassen sich jedoch Elemente und verschiedene
den Anzahl von Bausteinen. Es scheint, als würde Ebenen der traumatischen Sequenz zu ver-
sich im Sinne von Amati {1977) ein Prozess der schiedenen Zeitpunkten des therapeutischen
»Vergeschichtlichung« der Traumen bahnen. Prozesses fokussieren. Die bisherige Erfahrung
Insgesamt wird durch traumazentriertes Vor- ist, dass bei der Behandlung von Folteropfern
gehen die Stärke und Dominanz der traumati- die Mehrzahl der therapeutischen Prozesse
schen Erinnerung allmählich herabgesetzt. vorwiegend ressourcenorientiert bleibt.
Nach der traumazentrierten Arbeit beginnt das Die Beendigung der Therapie sollte gut vor-
Einbauen des Erlebten in das Selbstkonzept bereitet werden, da mit dem Foltertrauma
durch Sinn- und Bedeutungstindung im Dialog. häufig Beziehungsabbrüche verbunden wa-
Die Gesprächsform kann klientzentriert, kogni- ren . Daher ist auch der Abschiedsprozess von
tiv-behavioral im Sokratischen Dialog oder tie- besonderer Bedeutung.
fenpsychologisch fundiert sein.
ln der Phase, in der die Folgen des Traumas Bei chronifizierter, komplexer PTB sind erneute
ihre Dominanz verlieren, ist nicht nur Erleich- stützende oder fokale Interventionen, besonders
terung spürbar, sondern bei einigen Patienten in Belastungsphasen, angezeigt. Auch sind »imp-
tritt eine innere Leere und Einsamkeit ein, so fende« Kurzwiederholungen von Expositions-
dass in dieser Therapiephase Trauerarbeit und behandlungen (Exposition in sensu VT/Screen-
Verlustgefühle im Vordergrund stehen. Be- arbeit) zu empfehlen.
sonders achtsam sollte eine mögliche latente Häufig sind in der traumatherapeutischen
Suizidalität erkannt und bearbeitet werden. Arbeit mit Folterüberlebenden aufeinander abge-
stimmte Therapiephasen nicht planbar. Ins-
Anhand der Arbeit an Konflikten der gegenwärti- besondere bei Patienten in Asylverfahren kann
gen Lebens- und Beziehungsrealität geht es dann es immer wieder zu Unterbrechungen bis hin
weiterhin um Auswirkungen des Traumas auf die zum Zusammenbruch des therapeutischen Pro-
Persönlichkeit, die Erarbeitung neuer Perspekti- zesses kommen. Wichtig ist jedoch, dass die The-
ven sowie Handlungs- und Beziehungsfahigkeit. rapeuten methodisch flexibel die Fokussierung
Der therapeutische Raum der Einzel- und Grup- der Foltererlebnisse im Auge behalten und sich
pentherapie dient hier als Ort, neuen Handlungs- nicht dem Vermeidungsverhalten der Patienten
spielraum zu gewinnen und zu erproben. ergeben. Die Therapeuten selbst können ange-
Es ist hilfreich, wenn Therapeuten über Psy- sichts der oft unfassbaren menschlichen Grau-
chodramakompetenzen oder gestalttherapeuti- samkeiten einer Vermeidungstendenz erliegen;
sche Mittel verfügen, um den Betroffenen han- hier ist der Vorteil der Teamarbeit, mit den
delndes Erleben zu ermöglichen. Das aktive Möglichkeiten der kollegialen Supervision (»In-
körperlich-psychische wieder »ln-Bewegung- tervision«) und kurzfristigen Entlastung durch
Kommen« wirkt traumabedingten Erstarrungen Kollegen nach Therapiestunden in Form eines in-
und vor allem den oft begleitenden Depressionen stitutionalisierten Therapeutendebriefings, her-
entgegen. Räumlich-körperliche Perspektivände- vorzuheben (Lansen, 1996). Auf die Notwendig-
rungen bewirken auch differenziertere Kognitio- keit von Fall- und Teamsupervision (durch exter-
nen und beweglichere innere Zustände mit deut- ne Supervisoren) wurde bereits hingewiesen.
licher Reduktion depressiver Stimmungen.
Sehr hilfreich sind auch parallele oder inte-
grierte gestaltungs- und kunsttherapeutische so-
wie tanz-, musik- und bewegungstherapeutische
Angebote (vgl. Kareher & Tschiesche-Zimmer-
mann, 2002). Die Ermutigung zu kreativer und
emotionaler Expressivität (Traue, 1998) ist für
die Klienten hilfreich; die familientherapeutische
Arbeit (analytisch oder systemisch) mit den Be-
zugspersonen ist oft sinnvoll.
234 Kapitel 12 · Folteropfer und Opfer politischer Gewalt
Zu Beginn der Sitzungen werden dem Klienten Ortes zu geben, wird die Aufmerksamkeit auf
Informationen über den psychobiologischen Zu- Gegenstände des Raumes gelenkt, auf die Bilder
sammenhang seiner Schmerzempfindungen mit an der Wand, das große helle Fenster und die
Vermeidung, Schmerzerwartung, Anspannung jederzeit bestehende Möglichkeit, den Raum
und kognitiver Bewertung nach der »Gate con- zu verlassen. Angenehme Fixpunkte für Trance-
troi«-Theorie (Melzack & Wall, 1983; Flor, 1991) induktionen können somit im Raum lokalisiert
vermittelt. Es folgen entspannende und desensi- werden; ebenso wird die >>Rückkehr<< aus den
bilisierende Übungen im »Hier und Jetzt<< (Reise Entspannungsreisen an den >>gewohnten und
durch die Körperorgane, progressive Muskelent- sicheren Gegenständen in diesem schon be-
spannung, Tiefenatmung, kurze Tranceübungen kannten sicheren Raum<< orientiert.
und Aspekte des Autogenen Trainings). Da Herrn Nach diesen übenden Verfahren werden
Z. während vieler Foltersituationen die Augen gemeinsam mit dem Klienten immer wieder
verbunden waren, verbot sich die Suggestion ge- Schmerzempfindungen und Unruhezustände
schlossener Augen. Die gegenteilige Suggestion >>gemessen<<, z. B. auf einer subjektiven Skala von
(»Während die Muskeln nun mehr und mehr ent- 0-10 oder, differenzierter, von 0-100 im Sinne der
spannen können, können die Augenlider auf- Subjective Units of Distress (SUD, vgl. Foy, 1992).
geklappt bleiben; die Augen können all das sehen, Herr Z. ist, wie die meisten Klienten, überrascht,
was hier im Raum geschieht, und sie können Sie dass er noch Unterschiede im Schmerz- und Un-
beschützen, so lange es notwendig ist, während ruheempfinden erleben kann; besonders ermuti-
gleichzeitig die Füße und Beine ein bisschen gend ist es für ihn, dass er sich nicht immer hilflos
schlafen gehen können. Dabei kann der Kopf küh l seinen Symptomen ausgeliefert fühlen muss. Die
und wach bleiben, die Ohren können alles hören, kognitiv-behavioralen Dialoge mit restrukturie-
während die Entspannung allmählich fortschreiten renden Kognitionen helfen Herrn Z., erste Ansätze
kann.«) war für Herrn Z. hilfreich, um sein Gefühl von neuem Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl
der Kontrolle über die Situation zu stärken. Ähnlich zu entwickeln.
verboten sich Entspannungsinduktionen mit Als Herr Z. in der 4. Sitzung verzweifelt über
Wärmeempfindungen, da Herr Z. infolge der Fa- die Schlaflosigkeit der vorangegangenen Nacht
langa (heftige Schläge auf die Fußsohlen) unter klagt, wird er vom Therapeuten eingeladen, hier in
dem >>burning feet«-Syndrom litt. So wurden spä- der Sitzung ein wenig zu >>dösen<<. Er lernt die
tere geleitete Imaginationen mit Empfindungen automatischen Gedanken zu identifizieren, die die
von Kühle (z. B. >>die Füße können im kühlen verzweifelten Einschlafversuche zunichte machen.
Wasser des Baches hängen ... oder baumeln .. .<<) Sodann wird ihm die Selbstinstruktion vorge-
gekoppelt. schlagen, gar nicht richtig schlafen zu müssen,
Zur kauernden Haltung des Klienten auf dem sondern einfach nur zu >>dösen<<. Die Instruktion
Sessel werden ihm Alternativen angeboten, z. B. wird angereichert mit positiven dissoziativen Ge-
eine Atemübung im Gehen, Fortsetzung der Ent- danken, Techniken der Selbstkonfusion und mit
spannung auf dem Boden des Raumes oder eine Entspannungsreisen. Der unmittelbar herbeige-
geleitete Imagination, stehend am offenen Fenster führte Erfolg, sich erholt und au sgeruht zu fühlen,
des Raumes, dabei Assoziationen mit den Bäumen ermutigt Herrn Z., die Übungen zwischen den
des Klinikgeländes entwickeln (z. B. >> .. der Rhyth- Sitzungen zu Hause zu wiederholen. Er lässt sich
mus des Atems wie das Wiegen der Blätter im auf den Vorschlag ein, ein Schlaftagebuch zu
leichten kühlen Wind, der Stamm des Baumes, fest führen mit Identifizieren und Benennen von quä-
mit der Erde verwurzelt, das Nachspüren der Beine lenden Gedanken und dem Versuch, alternative,
und Füße, die fest mit dem Boden verwurzelt sein beruhigende oder dissoziative Gedanken aus-
können wie der Stamm des Baumes ...<<). zumachen und zu verstärken.
Folter findet zumeist in geschlossenen Räu-
men statt. Um dem Therapieraum allmählich die
Bedeutung eines sicheren und ungefährlichen
"'
12.6 · Psychotherapie mit Folteropfern 237 12
Verfahren zur Stabilisierung uneingeladene<< Fragmente der traumatischen Si-
tuationen evoziert werden können.
In der hypnotherapeutischen Trancearbeit nach Das therapeutische Erleben des Selbst vor den
Erickson werden starke und lebenserhaltende Foltertraumen kann z. B. mit Mitteln der Hypno-
Ressourcen aus der Zeit vor dem Trauma freige- therapie erleichtert und ausgestaltet werden. Sie
legt und mit Sinneswahrnehmungen verankert. ermöglicht kontrollierten Zugang zu Erinnerun-
Es entsteht eine vor- bzw. nichtsprachliche psy- gen, die sonst vom Bewusstsein ferngehalten
chophysiologische Verstärkung positiver Innen- werden. Sie ist ein strukturiertes, sogar strategi-
bilder, die als Bewältigungspotenziale helfen, die sches therapeutisches Werkzeug (Spiegel & Car-
folgende Auseinandersetzung mit dem Trauma dena, 1990), um positive dissoziative Phänomene
zu erleichtern. Die »innere Welt« kann ohne kog- zu erzeugen und den Klienten zu helfen, größere
nitive Zensur erstehen und Grundannahmen bzw. Kontrolle über diese ausüben zu können. Durch
Aspekte des Selbst können als »Teile« interagie- den Zustand der Trance wird ein veränderter Be-
ren. Es können so erste Umdeutungen und Re- wusstseinszustand erreicht. Therapeuten sind da-
strukturierungen erreicht werden. Anschließende bei nur »Agenten << für die Klienten und helfen ih-
kognitiv-behaviorale Restrukturierungen im Dia- nen, deren vorhandene innere Welt zu entdecken,
log mit dem Therapeuten sind mit der voran- zu öffnen und zu erweitern. Therapeuten müssen
gegangenen Trancearbeit sehr gut kompatibel nur den Spuren, den in der Trance entstehenden
und eignen sich gut zur Stabilisierung von Verän- inneren Bildern, der Patienten folgen und helfen,
derungen. die Szenarien des »Weisen Unbewussten<< (eine Art
psychebiologisches Konstrukt der Hypnotherapie)
f) Beispiel
zu arrangieren, Teile des Selbst zu identifizieren
»Wiederbeleben<< der prätraumatischen
und zu ermutigen, die im Menschen miteinander
Persönlichkeit (4 Sitzungen)
arbeiten. Die Ressourcen haben grundsätzlich
Es hat sich bewährt, einige Aufmerksamkeit den
»gute Absichten<<; sie sind lebenserhaltend, un-
Ressourcen des prätraumatischen Lebens der
terstützend und hilfreich.
Klienten zu widmen. Die Veränderung der Kogni-
Zunächst ist es sinnvoll, nach der Trancein-
tionen durch das Foltertrauma lässt auch die vor
duktion auf »Entdeckungsreise<< zu gehen, den
dem Trauma erworbenen und gelebten biopsy-
»inneren Suchscheinwerfer<< auf die Zeit vor dem
chosozialen Erfahrungen zusammenschrumpfen
Trauma zu lenken, das »jüngere Selbst<< zu besu-
als allenfalls Trümmer oder Fragmente eines an-
chen und Szenen vor dem »inneren Auge<<erste-
deren, glücklicheren Lebens. Gedanken an diese
hen zu lassen, die psychebiologisch wichtige
Fragmente führen oft zu sofortigen schmerzhaften
Ressourcen bergen.
Verlustgefühlen und zur Kopplung mit dem Fol-
Herr Z. gelangt zu einem Lieblingsplatz auf
tertrauma, bei Herrn Z. etwa in der Weise: »Durch
dem Hof seiner Eitern: Ein abseits gelegener alter
das Schreckliche ist auch alles Frühere nichts mehr
Brunnen. ln der Vorstellung ist er etwa 9 Jahre alt.
wert<<oder »Es tut nur weh, also denk ich lieber
Er sitzt dort manchmal allein und manchmal mit
nicht daran<<oder »Die Folter ist eher Wahrheit, das
seinem Großvater, der ihm viele Dinge erzählt und
Leben davor eine Illusion<<.
erklärt. Verschiedene Szenen werden nun auf allen
Eine nur kognitive Bearbeitung und Stärkung
Repräsentationsebenen der Wahrnehmung ge-
dieser Vergangenheit vor der Folter (im Sinne von
ankert: Die Imagination der Farben, der ange-
Würdigung und Wiederbelebung) ist selten vor
nehmen Geräusche, der typischen Gerüche, des
einer therapeutischen Erlebensphase sinnvoll, da
Empfindens auf der Haut.
überwältigender Schmerz und Trauer über das
Zum Schluss werden diese Innenbilder ver-
»verlorene Leben<< die Ressourcen dieses Lebens
stärkt: "wann immer es Ihnen gut tut, können Sie,
verdecken und darüber hinaus in der therapeuti-
kann Ihr Unbewusstes, vielleicht schon in den
schen Situation Flashbacks als >>marodierende,
nächsten Stunden oder Tagen oder Wochen,
T
dieses Bild in sich wachrufen und es kann Ihnen
T
238 Kapitel 12 · Folteropfer und Opfer politischer Gewalt
helfen, eine Zeitlang angenehme Empfindungen lassen, um dann auf die positiven Ressourcenbil-
zu genießen ...«. der >>umzuschalten<<. Auch lernen sie, die positiven
Bei gefolterten Menschen erscheinen die Bilder eine Weile zu >>halten<< und sie gegenüber
Ressourcen zumeist als verschüttet; Teile des der ungewollten Invasion traumatischer Bilder
Selbst, des Unbewussten (nach Erickson), sind abzugrenzen, zu >>rahmen<<.
durch Demütigungen, Todesangst, unerträgliche
Schmerzen und grausame Misshandlungen immer
wieder angegriffen und verletzt worden. Starke
Therapeutische Exposition
der Foltererfahrungen
Ressourcen wie das Innenbild der Brunnenszene,
können als »wiederbelebte Teile<< andere verletzte Mit der vorsichtig geleiteten Exposition, die
Teile »umsorgen<<, >>schützen<<, >>Unterstützen<< und Traumaereignisse detailliert zu imaginieren und
>>ein wenig heilen<<. Der selbstheilende Prozess unter therapeutischer Hilfe in eine narrative Per-
entsteht insbesondere durch die >>Zusammen- spektive zu überführen, wird der Teufelskreis der
arbeit<< der Teile. Bei Herrn Z. nimmt z. B. der Teil Vermeidung durchbrochen und die traumati-
der Scham (Verletzung von Stolz und Würde, ver- schen Fragmente können allmählich fortschrei-
letzte Scham durch sexuelle Folterungen) großen tend zu einem ganzheitlichen Abbild des Erlebten
Raum in seiner inneren Welt ein. ln der Trance zusammengesetzt werden. Mit Hilfe von Restruk-
entstehen Fragen, wie z. B.: turierungen und bedeutungsfindenden Reflexio-
Was braucht die Scham der verletzten nen kann dieses dann in das Selbst des Klienten
Sexualität? integriert werden. Der Prozess zielt auf die verän-
Welche anderen Teile können der Scham derte Haltung des Patienten, mit der er sagen
helfen? kann: »Ja, das habe ich wirklich erlebt, ich kann
Ist es möglich, die Scham umzudeuten als in einer geschützten Situation über meine Erleb-
Schutz vor neuen Verletzungen? nisse sprechen - es gibt Möglichkeiten, trotz der
Welche Teile können der Scham Signale verbliebenen Beschädigungen mit den Foltererfah-
geben, ob eine Gefahr besteht oder nicht? rungen zu überleben; ich bin nicht verdammt, für
Welche Ressourcen aus der vortraumatischen alle Zeit ein Opfer zu bleiben. Es kann, darf und
Geschichte können der Scham helfen, sich muss nicht vergessen werden - aber es ist dennoch
sicherer zu fühlen? Geschichte.<<
Mit fortschreitender Integration der Folter-
Mit dieser Arbeit werden erste Restrukturierungen
erfahrungen verringern sich der klinischen Er-
möglich. So war für Herrn Z. auch hilfreich, die
fahrung nach auch die Symptome der PTB, ins-
durch die Folter zerstörten Grundannahmen
besondere die quälende intrusive Symptomatik
(>>Teile<<) rituell zu begraben. Zerstört waren seine
und auch psychosomatische Schmerzzustände.
Unbekümmertheit und die Annahme, unverletz-
lich zu sein. ln der Vorstellung wurde ein würdiges
Begräbnis inszeniert und zelebriert, mit Nachrufen
8 Beispiel
Therapeutische Exposition der Folter-
und einer Trauerzeit. Danach war es für ihn leich-
erfahrungen (8 Sitzungen; Doppelstunden)
ter, anstelle der verlorenen Teile (Annahmen) neue,
Das therapeutische Wiedererleben der Verfol-
weisere und differenziertere erstehen zu lassen.
gungs- und Foltersituationen ist eine gestufte
Die Imagination positiver Ressourceninnen-
Konfrontation auf der Vorstellungsebene, die im-
bilder erleichtert verdecktes Gegenkonditionieren.
mer durch den Klienten geleitet und kontrolliert
Durch das >>Umschalten<< (als spätere Selbst-
wird. Erforderlich ist die uneingeschränkte Com-
instruktion) auf diese angenehmen Innenbilder
pliance des Patienten und seine Überzeugung,
können Vermeidungsreaktionen in Bezug auf die
jeden der vorgenommenen Schritte bestimmen,
traumatischen Bilder gehemmt werden. Klienten
also auch unterbrechen oder abbrechen zu
lernen so, Bilder, Erinnerungen und Gedanken an
können. Die uneingeschränkte Zustimmung sowie
die traumatischen Situationen kontrolliert zuzu-
T
...
12.6 · Psychotherapie mit Folteropfern 239 12
das wiederholte Erbitten von Feedback durch den ist am Anfang nicht ganz einfach, aber ich werde
Therapeuten stabilisieren das SicherheitsgefühL Ihnen dabei helfen.«
Herr Z. wird durch ein auf ihn zugeschnittenes Herr Z. beginnt stockend mit der Beschrei-
Rational vorbereitet. ln den vorangegangenen bung seiner ersten Verhöre in einem Büro des
Sitzungen hat er Vertrauen in die Therapie ent- Geheimdienstes. Der Therapeut wiederholt an
wickelt; Selbstkontrolle und Selbstvertrauen sind seiner Seite prägnante Ereignisse und reflektiert
etwas gewachsen. Vor allem über die kleinen Er- Gefühle der Erwartungsangst, Verunsicherung
folge -weniger Schmerzen zu empfinden bzw. auf oder von Versuchen der Selbstbehauptung des
das Schmerzempfinden mehr Einfluss nehmen zu Herrn Z. in dieser Situation. Analogien wie >>Mut
können, Abnahme der inneren Unruhe - fühlt Herr der Verzweiflung« oder >>Poker um Macht und
Z. sich nicht mehr so hilf- und hoffnungslos. Im Ohnmacht<< helfen ihm, seine Reaktionen in der
Dialog erklärt Herr Z. überzeugend seine Bereit- Bedrängnis zu akzeptieren und zu würdigen. Hin-
schaft für das vorgeschlagene Vorgehen. geworfene Äußerungen von Sarkasmus und Gal-
Der Therapeut verändert nun das Setting, in genhumor werden in ihrer Bedeutung in dieser
dem er sich neben seinen Klienten setzt und er- Situation gewürdigt und als >>normale Über-
klärt: »Wenn wir gleich gemeinsam zurückgehen lebenstechnik<< in einer >>unnormalen Situation<<
zu der Zeit, als Sie als Student in Ihrer Stadt poli- umgedeutet.
tisch tätig waren, dann werde ich Sie bitten, die Die Erzählung von Herrn Z. verdichtet sich, als
Szenen, die vor Ihrem inneren Auge erstehen, in er zu seiner Inhaftierung und den Folterungen
Worte zu fassen. Stellen Sie sich vor, die gegenü- gelangt: Während die vorangegangenen Umstän-
berliegende Wand hier im Raum wäre eine Lein- de von zwischenzeitlicher Flucht und politischer
wand, auf der Sie die Szenen sehen können; dabei Aktivität im Untergrund noch flüssig und detail-
werde auch ich mich bemühen, mir die Szenen reich geschildert werden, fällt es ihm nun sichtbar
vorzustellen. Es ist so, als würden wir gemeinsam schwer, Worte um das Erlebte zu formen. Seine
diesen »Film« ansehen. Diese Vorstellung hat den Stimme vibriert und bricht ab bei nun gesteigerter
Vorteil, dass Sie die Größe der Leinwand einstellen Blutzufuhr im Gesicht und einhergehendem
können, dass Sie den Film schnell, normal oder Schweißausbruch, er beginnt zu hyperventilieren.
langsam laufen lassen können. Sie können ihn vor- Die Annäherung an das imaginierte Szenario
und zurücklaufen lassen. Sie können ihn sogar macht eine Zäsur durch den Therapeuten in Form
ganz abstellen. Wir werden auch gleich ein Zei- einer beruhigenden und distanzierenden Inter-
chen Ihrer Hand vereinbaren, wenn Sie den Film vention erforderlich: »Nehmen Sie jetzt 2 oder 3
abstellen wollen, und Sie es allein nicht schaffen. tiefe Atemzüge und versuchen Sie, den Film an-
Nach jedem Durchgang können Sie ein bisschen zuhalten und die Leinwand zu verkleinern. Wenn
entspannen, vielleicht einen Ausflug zu »Ihrem Sie möchten, können Sie sich einen Moment von
Brunnen« unternehmen. Lassen Sie uns bespre- der Leinwand abwenden und den Baum gegenü-
chen, wie viele Durchgänge Sie heute glauben ber dem Fenster betrachten, diesen Baum hier, der
schaffen zu können. Es sollten aber nicht mehr als Ihnen schon vertraut ist ... oder Sie können für
3 sein. Für die weiteren Durchgänge haben wir in einen Moment die angenehme Szene aus Ihrer
den nächsten Sitzungen Zeit..«. Kindheit einschalten, z. B. wie Sie dort am Brunnen
Später: »Der Tag, an dem Sie beim Offizier des liegen und sich etwas ausruhen und Kraft
Geheimdienstes vorgeladen waren, wo dann alles schöpfen können. Schalten Sie einfach das Bi ld ein
begann, können Sie sich diesen Tag vorstellen? und drücken Sie mit dem Zeigefinger auf die
Welche Jahreszeit war es, welcher Monat? Wo Stuhllehne wie auf den Knopf einer Fernbedie-
waren Sie in den Stunden davor? Waren Sie an der nung für einen Fernseher. Geht das .... ? Entspan-
Uni oder in der Stadt. ..? Wenn jetzt Bilder dieses nen und genießen Sie das Bild so lange, bis es
Tages vor Ihrem inneren Auge erstehen, bitte ich
Sie, diese in der Gegenwartsform zu schildern. Das .,
wieder erträglich ist.«
~
240 Kapitel 12 · Folteropfer und Opfer politischer Gewalt
Als Herr Z. SUD 20 rückmeldet fährt der The- Herr Z. zittert jetzt am ganzen Körper und
rapeut fort: »Kehren Sie nun zurück hierher in bricht dann in Tränen aus. Der Therapeut un-
diesen Raum, in einer Zeit, die für Sie angemessen terstützt das Weinen und konnotiert die span-
ist... Wenn es für Sie geht, können wir uns nun nungs- und angstlösende Kraft der Tränen. Das
wieder der gedachten Leinwand zuwenden, die traumatische Innenbild verbindet sich für Herrn Z.
Sie sich noch immer verkleinert dort drüben vor- mit Gedanken an Stimuli, die im Alltag eine ähn-
stellen können. Geht das? Wenn Sie nun dafür liche Reaktion bzw. Erinnerungen an die Elektro-
bereit sind, dass wir uns gemeinsam wieder dem folter auslösen. Er schildert, wie er metallene Ge-
Bild nähern, dort in der Folterzelle, alleingelassen genstände, elektrische Geräte und ähnliches ver-
von den Folterern, nachdem Sie vorher so auf- meidet. Auch bestimmte schrille Geräusche lösen
gehängt und dabei geschlagen wurden (die letzte Flashbacks der Elektrofolter aus. Diese Hinweise
vorangegangene Schilderung von Herrn Z.), werden in späteren Sitzungen wieder aufgenom-
können Sie die Leinwand etwas größer werden men und es werden dann verhaltenstherapeutisch
lassen. Vielleicht kann Ihr Mund, können Ihre Lip- sukzessive Konfrontationen in vivo mit den ver-
pen jetzt wieder beginnen, Worte zu formen. miedenen Stimuli durchgeführt.
Manchmal werde ich Sie fragen: >Und was ge- Nach der Unterbrechung ist es Herrn Z. wieder
schi eht jetzt?<, damit wir im Fluss bleiben. Wenn möglich, gemeinsam mit dem Therapeuten in die
Sie das Bild nicht mehr aushalten, geben Sie mir traumatischen Bilder einzusteigen und diese er-
einfach wieder ein Signal.« zählend-bedeutungsfindend mit Unterstützung
Herr z.: »Ja, ich liege auf dem Betonboden, ich des Innenbilderlebens allmählich zu verarbeiten.
merke nur, wie ich voll Blut bin und dass alle Szene für Szene wird so im therapeutischen
vorderen Zähne fehlen .« Kontext »Wiedererlebt« und, soweit möglich,
Therapeut: »Wie spüren Sie das?« schon jetzt in einen Bedeutungs- und Sinn-
»Ich bin wie taub, nur das Blut ist zusammenhang gestellt. Diejenigen Ereignisse, die
warm, im Mund hab ich ein Gefühl wie nach dem durch extremen Schmerz und Schrecken als nicht
Zahnarzt, nein, anders noch, als wäre mein ganzer mehr bedeutungsvoll im menschlichen Sinne ak-
Mund ein großes Loch mit spitzen Knochen. Der zeptiert werden können, werden auch ebenso als
ganze Schmerz kommt erst später.« Sinnlosigkeit und Unmenschlichkeit hervorgeho-
Therapeut: »Denken Sie etwas?« ben. Entsprechend verlieren die Reaktionen des
Herr Z.: »Ja, ich denke jetzt: Die werden mich Opfers während dieser Ereignisse ihre anfängliche
umbringen. Ich weiß nicht. ob ich es aushalten Unverständlichkeit und die Annahme des Krank-
kann, aber ich will nicht, dass sie mich klein krie- oder Verrücktseins: Reaktionen der vollkommenen
gen. Das Schlimmste ist. dass niemand da ist, das Hilflosigkeit und Abhängigkeit, das Empfinden,
schlimmste ist die Zeit, und Du weißt nicht, wann wie ein kleines Kind zu erleben und zu reagieren,
Sie wiederkommen.« kann mit Hilfe des therapeutischen Dialogs als
Therapeut: »Und was geschieht jetzt?« »normal« und angemessen angenommen werden.
Herr Z.: »Ich weiß nicht, wann sie mich wieder Der Therapeut und Beispiele anderer Menschen
geholt haben. Sie wollten, dass ich mich nackt werden zum Modell dafür, dass dies kein Mensch
ausziehe, aber ich hab mich geweigert.« aushalten kann und muss.
»Versuchen Sie, in der Gegen- Entlastend und hilfreich für die Bedeutungs-
wartsform zu bleiben. Was geschieht jetzt?« findung sind Diskurse über die Absichten von
Herr Z.: »Sie ziehen mich mit Gewalt aus und Folterern, über deren Ausbildung zu systemati-
schlagen mich wieder überall. Dabei drücken sie schen Menschenquälern. Der Versuch, die Ziele
auch Zigaretten auf meinen Beinen aus. Aber das der Folter nachzuvollziehen, entlastet von
ist noch nicht schlimm. Ich habe große Angst, wie Schuldgefühlen - von den Gefühlen, überlebt,
sie mir elektrische Drähte an meinen Ohren, versagt oder verloren zu haben.
meiner Zunge und dann an meinen Geschlechts- ...
organen befestigen .. .«
...
12.6 · Psychotherapie mit Folteropfern 241 12
Während des Durchwanderns der vielen ext- Therapeut: »Die Angst kann nur geringer
rem schmerzhaften Ereignisse sind 2 Situationen werden, wenn sie gewürdigt und beruhigt wird,
in späteren Sitzungen besonders hervorzuheben: und wenn sie immer wieder überzeugt wird, dass
jetzt keine wirkliche Gefahr droht. Können Sie sich
8 Beispiel vorstellen, dass die Angst dies auch allmählich mit
1. Situation Ihrer Hilfe wieder lernen kann?«
Während des qualvollen Wartens auf die Hinrich- Das von Herrn Z. eingebrachte nachträgliche
tung wurde mit Herrn Z. eine Scheinhinrichtung Empfinden der Surrealität wird vom Therapeuten
durchgeführt. Die Erinnerung an diese Momente aufgegriffen und in eine Art philosophisch-thera-
ist besonders mit Todesangst einerseits und peutischen Dialog überführt, in dem das Empfin-
emotionaler Erstarrung andererseits erfüllt. Herr Z. den, einmal mit dem Leben abgeschlossen zu
wird in einem japanischen »Pick-up« zur Hinrich- haben, in eine Bedeutung für ein bewussteres und
tungsstelle gefahren (solche Autos lösen auch weiseres Leben mündet. Herr Z. kann sich mit Hilfe
heute noch Angstanfälle aus). ln den Sekunden vor des Therapeuten auch erlauben, positive, radikal
der vermeintlichen Hinrichtung kann Herr Z. in lebensverändernde Aspekte des Schreckens der
einem nie zuvor gekannten Zustand der Todes- Scheinhinrichtung zuzulassen und zu würdigen.
angst Kot und Urin nicht halten. Im Nachhinein
2. Situation
beschreibt er den Zustand als >>surreal«. Fas-
Herr Z. erlebt die Befreiung einer Stadt von den
sungslos nimmt er sich als noch lebend wahr,
Besatzungstruppen. Seine Frau lebt mit den Kin-
nachdem er einen Schuss hörte. Erst später beim
dern in der Nachbarstadt. Herr Z. entscheidet sich,
Abtransport bemerkt er, dass er am Bein blutet
die Befreiung mit seinen Freunden ausgiebig zu
und gewärtigt, dass die Kugel ihn im Unter-
feiern und erst am Tag darauf nach Hause
schenkel getroffen hat. Aufgrund der Ausschüt-
zurückzukehren. Als er dann in seinem Haus an-
tung von Endorphinen - eine körperliche Reaktion
kommt, muss er erfahren, dass seine Frau und
auf extremen Stress- verspürt er keine Schmerzen
seine Kinder am Tag zuvor noch von den feindli-
(sog. Stressanalgesie). Die Erinnerung an die
chen Truppen deportiert wurden. Dies war
Scheinhinrichtung löst in ihm Erstickungsgefühle
möglich, da diese Stadt erst einen Tag später be-
aus, nachts schreckt er schweißgebadet aus Alb-
freit wurde. Seine Familie gilt seither (seit 5 Jahren)
träumen auf. Bedeutung und Auswirkungen der
als verschwunden.
Todesangst werden vom Therapeuten gemeinsam
Dieses Ereignis deutet Herr Z. subjektiv so,
mit dem Klienten erarbeitet und umstrukturiert:
dass er heftige Selbstvorwürfe und Schuldgefühle
Therapeut: >>Sie stehen in diesem Moment am
gegen sich erhebt. Diese halten depressive
Abgrund. Jeder Mensch, jedes Lebewesen hat in
Gefühle und Selbsttötungsgedanken aufrecht. Die
diesem Augenblick Todesangst. Können Sie sich
Möglichkeit verändernder therapeutischer Beein-
vorstellen, dass diese Angst auch etwas Gutes will,
flussung ist hier sehr begrenzt; gelegentlich ent-
dass sie Sie am Leben erhalten und schützen will?
stehen auch beim Therapeuten Gefühle der Hilf-
Und wenn j etzt diese Angst immer wieder auftritt,
losigkeit und Ohnmacht. Dem Therapeuten bleibt
ist es nicht so, dass sie in der extremen Situation
überwiegend nur die Anteilnahme an den Ge-
damals natürlich gelernt hat, Sie zu alarmieren?«
danken und Gefühlen des Klienten sowie geringe
Herr Z.: >>Ja, wenn ich es so betrachte, hat diese
kognitive Entlastungen und empathische Unter-
Angst natürlich einen Sinn.«
stützung. Die Interventionen orientieren sich vor
Therapeut: >>Wenn Sie also einen Sinn hat,
allem an der Aufdeckung von Suizidgedanken und
können Sie sich vorstellen, sich auch bei dieser
dem Sokratischen Dialog darüber. Das Oszillieren
Angst zu bedanken und sie zu würdigen?«
der Gedanken des Klienten zwischen Hoffnung,
Herr Z.: >>Ja, das wäre ein ganz neuer Gedanke.
dass die Familie noch irgendwo in einem Lager
Ich wollte die Angst immer von mir weghaben, so
lebt und dem Gedanken, dass alle ermordet wor-
als wäre sie etwas Krankes und Fremdes. Sie
den sind, kann der Therapeut nur jeweils beglei-
glauben also, dass die Angst nie weggeht?«
" "
242 Kapitel 12 · Folteropfer und Opfer politischer Gewalt
ten, da auch ihm die Evidenz für das eine oder Die am Schluss dieser Arbeit erreichte Reduk-
andere vorenthalten bleibt. tion von subjektivem Stress- und Leidempfinden
Nach dem Ende des ersten Durchgangs der um 80% (SUD=20) spiegelt wider, dass Herr Z.
Traumakonfrontation gibt Herr Z. seine SUDs mit begonnen hat, die extrem traumatischen Erleb-
70 an. Er bemerkt dazu, dass diese aber während nisse in sein Selbstkonzept zu integrieren. Das
der ersten Minuten des ersten Durchgangs emotionale, kognitive und behaviorale Vermeiden
»schlimmer als 100<< gewesen seien. Ermutigt ist stark vermindert: Herr Z. kann das Erlebte in
durch diese Erfahrung wünscht er von sich aus Worte fassen, es mitteilen, Gefühle zuordnen und
weitere Durchgänge. ln dieser Sitzung erfolgt Restrukturierungen von zerschlagenen Grund-
noch ein Durchgang, an dessen Ende er SUDs von annahmen vornehmen. Das Ausmaß nicht geleb-
50 angibt. Die Schilderung ist beim 2. Mal jedoch ter Trauer um die verschwundenen Familien-
weitaus detailreicher. Es fallen dem Klienten mit angehörigen bestimmt jedoch die Persistenz von
der Verringerung von Angst- und Stressblockie- Ohnmachts-, Hilflosigkeits- und Schuldgefühlen.
rungen weit mehr Einzelheiten ein. Weitere Mit der »Vergeschichtlichung<< (Amati, 1977)
Durchgänge in den nächsten Sitzungen vervoll- der Foltererlebnisse durch den narrativen Prozess
ständigen allmählich ein ganzheitliches Abbild der verringern sich bei Herrn Z. vor allem die Häufig-
Traumawirklichkeit Die Verlaufskurve der SUDs keit der überfallartigen Flashbacks und die Stärke
kann so auch als Gradient der stetigen Habituation der somataformen Schmerzzustände. Als nach 3
angesehen werden (s. a Abb. 12.1). Monaten erneut 4 Durchgänge der Traumaexpo-
T T
- - SUDmax.
SUD!
100 ··-· SUDmin.
90
80
70 \
60
' ' , __
50
40
30
...
... ...
20 .,
10
...
0 ~~1-.~2~.~3~.--~4-
. ~5~.--~6-
. ~7-
. --8~.--~9-.~,0~.~D~u-~~h-ga_n_g_
p.Sitzungljii.Sitzung lj tii. Sitzung
• • • -
I
•
ltv.Sitzungj -Sitzung .
&.._ ___._._ Konfrontation"
SUD
100 Wiederholung 3 Monate nach dem 10. Durchgang
90
80
70
60~
:: '--,, __ _
50 ~
10
0 ~~1.~2~.~3~.~-4~.~D~u-~~h-ga_n__
g
II
j1. Sitzung II. Sitzungj
D Abb. 12.1. Verlauf der »Subjective Units of Distress« (SUD} in der Therapie von Herrn Z.
12.6 · Psychotherapie mit Folteropfern 243 12
sition vorgenommen werden, ist der SUD-Wert selbst dort liegend sehen, indem er dort einen
nach dem 1. Durchgang erhöht (60), jedoch schon Gegenstand oder eine Decke hinlegt, die ihn
beim 2. Durchgang wird der Wert von 20 wieder selbst symbolisiert. Herr Z. als Protagonist kann
erreicht und liegt beim 4. Durchgang sogar da- sich selbst die Rolle des überlebenden älteren
runter (10). Es scheint also sinnvoll zu sein, die Selbst zuweisen und dem jüngeren gefolterten
Exposition im Sinne einer >>Impfung« in Abständen Selbst Mut, Trost und Verständnis zusprechen. ln
zu wiederholen. einer Szene stellt er die Folterer mit schwarzen
Tüchern dar (da ihm fast immer die Augen ver-
bunden waren, hat er sie nicht zu Gesicht be-
Handlungs- und körperorientierte Verfahren
kommen). ln dieser Situation dürfen Gefühle von
Das bisherige Vorgehen ist weitgehend mit der Wut und Hass, aber auch von Abhängigkeit und
inneren Welt (Imaginationen) des Klienten ver- Hilflosigkeit aufsteigen, die dann symbolisch -
bunden. Selbst wenn diese Innenbilder, Gefühle soweit möglich - ausgelebt werden können. Der
und Kognitionen mitgeteilt und zwischenzeitlich Therapeut befindet sich in diesen Situationen et-
immer wieder Dialoge geführt werden, so ist wa einen halben Schritt seitlich hinter dem Klien-
doch das Körpererleben reduziert bzw. ohne eine ten und kann von dort dessen innere Dialoge sti-
weitergehende spannungslösende Übersetzung in mulieren und Gefühle doppeln, den Atem modu-
Bewegung und Ausdruck geblieben. Ähnlich wie lieren und Änderungen der Perspektiven, der Be-
Innenbilder im Klienten entstehen und eine inne- wegungen im Raum anregen.
re Erlebniswelt offenbaren, können auch Szenen Viele der Situationen und Ereignisse, die Herr Z.
im Raum mit aktiver körperlicher Beteiligung zuvor nicht einmal denken konnte, kann er nun
des Klienten entstehen. So eröffnen z. B. Metho- gegenständlich aufbauen und, wenn angemessen,
den des Psychodrama Möglichkeiten, Erlebnisse verändern, z. T. neue Sichtweisen und Lösungen
und innere Bilder plastisch auf eine äußere finden sowie Gefühlen und Empfindungen sym-
Bühne (z. B. den Therapieraum) zu überführen. bolische Ausdruckskraft verleihen. Die körperliche
Veränderungen können nachhaltiger und ganz- Aktion und Erfahrung wirkt der psychisch-soma-
heitlicher wirken, wenn auch das (körperliche, tischen Erstarrung entgegen. Nach bzw. zwischen
sich bewegende, darstellende) Handeln des Men- den Szenen ist häufig wieder die kognitiv-beha-
schen einbezogen wird. So wie unter der Folter viorale Bearbeitung sinnvoll und dient der Verän-
der verletzende Angriff gegen den Körper geführt derung bzw. der Neugestaltung von Grund-
wurde, um Psyche und Identität zu beschädigen, annahmen, der Unterscheidung von Bedrohung
so sollte der gefolterte Mensch in der späteren und Sicherheit sowie der Beeinflussung von
Therapie seine körperliche Bewegung und Be- Übererregung und Angst.
weglichkeit handelnd wiedererfahren können. Es wird ausdrücklich an dieser Stelle darauf
Das Umsetzen von Gefühlen und Kognitionen hingewiesen, dass die Methoden der Rollenüber-
in Körpererleben kann so eine heilende Kraft nahme und des Rollentauschs im Psychodrama
werden. nicht eingesetzt werden, um Folterer als Personen
darzustellen (s. Dhawan, 1993). Das Unmensch-
f) Beispiel liche kann in der Therapie keine Rolle durch einen
Weitergehende Traumabearbeitung Menschen erhalten.
(17.-25. Sitzung)
ln den folgenden Sitzungen kann der Klient
schmerzhafte Erfahrungen psychodramatisch
nachempfinden und aus verschiedenen räumli-
chen Perspektiven erleben. Gegenstände können
als Symbolisierung von Erinnerungen dienen. So
baut Herr Z. in einer Sitzung eine Zelle auf, in der
er alleingelassen auf dem Boden liegt. Er kann sich
T
244 Kapitel 12 · Folteropfer und Opfer politischer Gewalt
12.6.4 Abschließende Bemerkungen ihrem Überdauern die Bedeutung von kaum heil-
zum therapeutischen Vorgehen barer Krankheit. Die oben beschriebenen thera-
peutischen Schritte können aber als quasi
Manche therapeutischen Vorgehensweisen kön- »homöopathische« Dosierungen der körperlich-
nen wie eine Miniatur dessen erscheinen, was seelischen chronischen Überreaktionen angese-
psychisch während und nach der Folter ge- hen werden. Entscheidend ist die therapeutische
schieht: Ethik, mit der in offener und aufklärender Weise
- Dissoziationen entstehen unter der Folter als die Zusammenarbeit mit den Klienten kreiert
überlebenstechnik bzw. als adäquate psycho- wird und alle Schritte des Vorgehens nur mit des-
physiologische Reaktionen. Posttraumatisch sen überzeugtem Einverständnis gegangen wer-
wird den überdauernden Dissoziationen oft den.
Krankheitswert zugemessen. Die Hypnothe- Für Kritiker mag es nahe liegen, mit dem ge-
rapie aber arbeitet insbesondere mit thera- schilderten Ansatz einer Traumatherapie mit Fol-
peutisch induzierten Dissoziationen, um an- teropfern eine Art psychologisch induzierter Re-
genehmere und erweiternde Bewusstseins- traumatisierung zu vermuten oder gar die Thera-
zustände zu erreichen, um z. B. gelernte Mus- pie selbst als eine Art Folter anzusehen. In der
ter von Schmerzempfinden zu verändern. Praxis aber führt solche Zurückhaltung und eine
- Wiedererleben von Foltersituationen ist für eher erschrocken zudeckende Haltung nicht nur
die Betroffenen eine wiederholte und zumeist zu einer Stabilisierung der Folterfolgen und da-
unkontrollierbare leidvolle Erfahrung. Frag- mit der Viktimisierung, sondern sie kann auch
mente der Foltersituationen brechen »unein- Gefühle des Verlassenseins, der Bindungslosig-
geladen« in das Bewusstsein ein und rufen keit und des Misstrauens der Betroffenen verstär-
Angst, Schmerz und Flucht hervor. Therapeu- ken. So wirkt auch die Erfahrung, dass sich Men-
tisches Wiedererleben hingegen ist die be- schen überfürsorglich und vermeidend-schonend
wusste und »eingeladene« Begegnung mit verhalten, eben nicht als heilende Zuwendung,
den leid- und stressvollen Ereignissen, mit sondern als Abwendung von der Wirklichkeit
dem Ziel, diese in das Selbstkonzept des des Erlittenen.
Überlebenden zu integrieren und damit leben Bruno Bettelheim (1984), überlebender des
zu können. Holocaust, schreibt:
- Angst, Panik und Schmerzen entstehen, wenn
ein Folteropfer im Exil plötzlich Reizen oder 8 »Das, worüber nicht gesprochen werden kann,
komplexen Ereignissen begegnet, die in ir- kann auch nicht ad acta gelegt werden. Die
gendeiner Weise den Foltersituationen ähn- Wunden eitern damit weiter, von Generation zu
lich sind. Generation«.
(Übersetzung der Verf.).
Im Psychodrama gestaltet der Patient bewusst
und im therapeutischen Schutzraum gegenständ-
liche Symbole, Handlungen und Ereignisse in Literatur
a Abbildung bzw. Näherung der Foltererfahrun-
gen. Die Erinnerungen und Bilder der Folter- Amati, S. (1977). Reflexionen über die Folter. Psyche, 31 , 228-
245.
situationen vagabundieren ohnehin - ohne thera-
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13
K. Wothe, K. Siepmann
Literatur - 266
248 Kapitel 13 · Soldaten nach militärischen Einsätzen
nem Vorgehen nach eindeutig festgelegten Regeln ne seltenen Ereignisse für Soldaten im UN-Ein-
(»rules of engagement«) streben die UN-Kräfte satz bedeuten. Der Dienst im UN-Einsatz erfor-
den Status einer zwischen Konfliktparteien ver- dert vom Soldaten Fähigkeiten, die teils gegen-
mittelnden, neutralen dritten Instanz an. Frie- sätzlich, teils zusätzlich zu traditionellen militäri-
denerhaltende Missionen können sich unter be- schen Anforderungen zu leisten sind.
stimmten Umständen zu friedenschaffenden Mis-
sionen entwickeln.
Hilfseinsätze bei Katastrophen
Zur Beendigung einer aggressiven Aktion
kann der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Im Rahmen nationaler gesetzlicher Regelungen
als friedenschaffende Mission den militärischen können Soldaten zu Hilfseinsätzen in Katastro-
Einsatz von Soldaten beschließen (z. B. Operation phenfällen herangezogen werden. Sie unter-
»Desert Storm«, 1991). Ein derartiger Einsatz un- stützen in diesen Einsatzfällen die staatlichen
terscheidet sich nicht von einem Einsatz in einem Hilfsorganisationen personell und materiell.
»herkömmlichen« Krieg. Ähnlich wie das Personal aller beteiligten Hilfs-
organisationen sind Soldaten im Katastrophenfall
starken psychischen und physischen Belastungen
Spezifische Stressoren von Soldaten ausgesetzt und unterliegen der gleichen Gefähr-
im UN-Einsatz dung in Bezug auf die Entwicklung einer Belas-
tungsstörung wie dieses Personal.
Auf den ersten Blick scheinen die durch die Ab-
wesenheit heftiger Kampfhandlungen charakteri-
sierten UN-Missionen auf den Soldaten weniger
13.1.3 Belastungsfaktoren
traumatisierend zu wirken als das traditionelle
in militärischen Einsätzen
Kriegsgeschehen, doch sind UN-Soldaten in allen
Einsatzformen spezifischen Stressoren ausge-
Für alle oben dargestellten militärischen Einsatz-
setzt. Zusätzlich zu der für alle Soldaten belasten-
formen sind übergreifend eine Reihe von »uni-
den Antizipation von Verwundung oder Tod
versalen« Belastungsfaktoren empirisch nach-
können aus der besonderen Rolle des UN-Sol-
gewiesen. Belastungsfaktoren lösen in Abhängig-
daten weitere Stressoren entstehen:
keit von Stärke, Anzahl, Dauer und in Abhängig-
- Einsatzgrundsätze, die keine angemessene
keit von Charakteristika der Person, auf die sie
Lösung der aktuellen Situation zulassen,
wirken, unterschiedliche Reaktionen aus. So
- Zeitdruck, können biologische, situative, inter- und intra-
- mangelhafte Informationen,
personale Faktoren die militärische Leistungs-
- Unsicherheit,
fähigkeit eines Soldaten positiv oder negativ be-
- schnell wechselnde Lagen,
einflussen. Der empirische Nachweis derartiger
- hohes Fehlerrisiko,
Belastungsfaktoren - ein spezielles Aufgaben-
- sich widersprechende Aufträge,
gebiet der Wehrpsychologie und -psychiatrie -
- Ungeschütztheit,
stellt einen erheblichen Fortschritt für die Prä-
- Unerwünschtheit,
vention, Diagnose und Behandlung posttrauma-
- erforderte Passivität,
tischer Belastungsstörungen nicht nur für das
- unklare Rollenzuweisung oder
militärische Umfeld dar.
- Handeln in einem unbekannten kulturellen
Die in der folgenden Übersicht aufgelisteten
Umfeld
Belastungsfaktoren sind in Abhängigkeit von Per-
sind Belastungsfaktoren, die einzeln oder additiv son und Situation mehr oder weniger bedeutsam,
traumatisierend wirken können. Beispiele aus der sie können sich z. T. überlappen, sie können zu-
jüngeren Vergangenheit zeigen, dass Geiselnah- sammenwirken oder sich gegenseitig verstärken.
me von UN-Soldaten, Gefährdung durch unmar-
kierte Minen oder der Zwang, passiv Greueltaten
an der Zivilbevölkerung ansehen zu müssen, kei-
13.1 · Militärische Einsätze
251 13
Milltaerische
Belastungssituation
adaptives, funktionales I I
I
nicht adaptives, dysfunktionales
Verhalten Verhallen
I
Andauernde
[__·-·-··-· Perseen lieh keitsaend eru ng
nach Extrembelastung
D Abb. 13.1. Potenzielle kurz-, mittel- und langfristige Verhaltensreaktionen in und nach militärischen Belastungssituationen
(Nach Leaders' Manual for Combat Stress Control. 1994)
252 Kapitel 13 · Soldaten nach militä rischen Einsätzen
Positive Belastungsreaktion
Beispiele für abweichendes Verhalten
Die meisten Soldaten entwickeln in militärischen im militärischen Bereich
Belastungssituationen ein an die äußeren Bedin- Brutalität, Folterungen,
gungen angepasstes, funktionales Bewältigungs- Vergewaltigungen,
verhalten. Obwohl die positive Belastungsreak- Töten von Nichtkombatanten,
tion (positiv im Sinne militärischer Aufgabenbe- Gefangenen,
wältigung) das am häufigsten gezeigte Reaktions- Verstümmelungen toter Feinde,
muster in militärischen Belastungssituationen Plünderungen, Diebstahl, Raub,
darstellt, ist sie in der wissenschaftlichen Litera- Alkohol- und Drogenmissbrauch,
tur eher unterrepräsentiert beschrieben. So wie Rücksichtslosigkeit, Undiszipliniertheit,
es wichtig ist zu untersuchen, welche Soldaten häufiges Krankmelden, Simulation von
unter welchen Bedingungen den Belastungen Erkrankungen, Selbstverstümmelung,
nicht standhalten können, wäre es ebenso be- Angriff auf Vorgesetzte,
deutsam herauszuarbeiten, welche Faktoren zur Gehorsamsverweigerung, eigenmächtige
Entwicklung einer erfolgreichen Copingstrategie Abwesenheit, Fahnenflucht.
beitragen.
Behandlungsprinzip Maßnahmen
Erwartung Erklärtes Behandlungsziel ist die Rückkehr des Soldaten in seine Einheit
13.2 Prävention vor der Therapie Untersuchungen zeigen, dass die Bedeutung
prädisponierender Faktoren mit der Stärke des
Mit dieser Überschrift soll die Bedeutung präven- traumatischen Ereignisses gekoppelt ist: Je weni-
tiver Maßnahmen für die Verhinderung posttrau- ger stark das traumatische Ereignis, desto mehr
matischer Störungen im militärischen Kontext spielen personale Faktoren bei der Bewältigung
unterstrichen werden. der Erlebnisse eine Rolle.
Soldaten sind häufig physisch und psychisch
stark belastenden Anforderungssituationen aus-
gesetzt. Diese Situationen sind vorhersehbar, sie Belastende Lebensereignisse vor der Trauma-
sind für den Soldaten unvermeidbar. Der Einsatz exposition, Neurotizismus, psychische Vor-
präventiver Maßnahmen ist häufig die einzige erkrankungen und ein kognitiver Stil, der
Möglichkeit, die psychischen Folgen der Belas- durch Problemvermeidung gekennzeichnet
tungen zu reduzieren und somit die Zahl der the- ist, sind empirisch nachgewiesene Prädiktaren
rapeutischen Interventionen zu senken. Begrenz- für posttraumatische Störungen. Personen mit
te personelle und materielle Ressourcen kommen hoher internaler Kontrollüberzeugung, mit
so den Soldaten zu Gute, die trotz vorangegange- Glauben an ihr Können sowie Personen, die
ner Präventionsmaßnahmen eine Störung ent- sich gerne Herausforderungen stellen, schei-
wickeln. Die Prävention posttraumatischer nen mit den Folgen traumatischer Ereignisse
Störungen dient in erster Linie der Vermeidung besser fertig zu werden, als Personen, die
menschlichen Leidens, sie hilft in zweiter Linie, diese Eigenschaften nicht besitzen.
institutionelle Ressourcen zu schonen.
Da die Anwendung primärer Prävention (Ver-
Insgesamt gesehen muss die wissenschaftliche
meidung der traumatischen Situation) im militä-
Grundlage für den Einsatz von Personalauswahl-
rischen Bereich in vielen Fällen nicht möglich ist,
verfahren als Präventionsstrategie zur Vermei-
kommen vor allem sekundäre Präventionsmaß-
dung posttraumatischer Störungen nach militäri-
nahmen zum Einsatz. Es sind dies
schen Einsätzen noch detaillierter und intensiver
die Auswahl geeigneten Personals,
untersucht werden.
- hinreichende Ausbildung und Training,
- Förderung der Gruppenkohäsion,
- adäquates Führungsverhalten,
13.2.2 Ausbildung, Training,
- Hilfe durch soziale Unterstützung und
Einsatzvorbereitung
- Debriefingverfahren (s. Kap. 10).
Ausbildung, Training und spezielle, auf den Ein-
satz bezogene Vorbereitung sind Faktoren, die
13.2.1 Personalauswahl das Verhalten in und nach einer Belastungssitua-
tion in mehreren Dimensionen bedeutsam beein-
Personalausleseverfahren haben im militärischen flussen. Mit zunehmendem technischen Können,
Bereich eine lange Tradition. Nahezu alle Armeen verbesserter Stärke und Ausdauer wachsen
der Welt wählen ihre Offiziere, Unteroffiziere und Selbstvertrauen und Zuversicht in die eigene
Soldaten für Spezialverwendungen nach medizi- Leistungsfähigkeit. Dies wiederum hat positive
nisch und psychologisch begründeten Entschei- Wirkungen auf die Gruppenkohäsion und auf
dungsregeln aus. Für unser Thema ist die Frage die Bereitschaft, Belastungen zu ertragen.
bedeutsam, ob sich durch geeignete Auswahlver- In einer realistischen Ausbildung können Be-
fahren die Zahl der Personalausfälle mit posttrau- wältigungsstrategien für militärische Belastungs-
matischen Störungen reduzieren lässt. situationen ohne die bedrohlichen Folgen der
Welche biologischen, psychologischen oder Realität geübt und habituiert werden.
sozialen Faktoren lassen sich als Prädiktoren
für die Prognose posttraumatischer Störungen
isolieren?
13.2 · Prävention vor der Therapie
255 13
- Fördern der Gruppenkohäsion,
- Personalrotation bei längeren Missionen,
Training reduziert die Wahrscheinlichkeit
- Management von Schlaf und Erholung für die
nichtadaptiven Verhaltens in einer Belas-
Soldaten und sich selbst,
tungssituation und verringert die negativen
- weitgehende Informationsweitergabe,
psychischen Auswirkungen traumatischer Er-
- gerechte Verteilung des Kampfrisikos,
lebnisse.
- Förderung von Moral und Zuversicht,
- Angebot bestmöglicher medizinischer Hilfe
13.2.3 Gruppenkohäsion und, nicht zuletzt,
- eigenes vorbildhaftes Verhalten.
Zahlreiche Studien belegen die Bedeutung des
Gruppenzusammenhalts für die Prävention psy-
chisch bedingter Kampfausfälle. Einheiten mit Vertrauen in die Führung ist ein bedeutender
hoher Gruppenkohäsion haben unter gleichen Faktor zur Minimierung posttraumatischer
Kampfbedingungen geringere belastungsbeding- Störungen. Führer, deren fachliche Kom-
te Ausfälle als Einheiten mit niedriger Gruppen- petenz, Glaubwürdigkeit und Fürsorgeverhal-
kohäsion. Soldaten in Einheiten mit engem Zu- ten hoch eingeschätzt wird, verbessern die
sammenhalt (z. B. Spezialeinheiten) sind militä- Bereitschaft ihrer Soldaten, Belastungen zu
risch leistungsfähiger, sie sind eher bereit, Belas- ertragen.
tungen zu ertragen und weniger anfällig für die
Entwicklung nichtadaptiven Kampfverhaltens.
Ein Beispiel effektiver Führung ist die Bewälti-
gung der Folgen des Flugzeugabsturzes von Gan-
Die Identifikation mit der Gruppe scheint den der (Neufundland) im Dezember 1985. 248 An-
Soldaten mit einem »Puffer« gegen die nega- gehörige einer US-Eliteeinheit, die von einer UN-
tiven Wirkungen militärischer Belastungs- Mission im Mittleren Osten zurückkehrten, star-
situationen auszustatten. Die Gruppe bietet ben beim Absturz ihres Flugzeuges. Angefangen
Struktur und Schutz in Situationen, die sich für beim Präsidenten der Vereinigten Staaten über
den Einzelnen bedrohlich, überwältigend, Divisions-, Brigade- und Bataillonskommandeur
chaotisch oder anderweitig überfordernd zeigten alle Beteiligten beispielhaftes Führungs-
darstellen. Als anerkanntes Mitglied einer verhalten:
starken Gruppe kämpfen Soldaten nicht für - Intensive, nach außen gezeigte gemeinsame
militärische Systeme, Gott oder Vaterland, Anteilnahme und Trauer betonte die »Norma-
sondern für ihr eigenes Ansehen bei Kamera- lität« von Trauerreaktionen,
den und Führern. - ein multidisziplinär zusammengesetztes
»Mental Health Team« organisierte die indivi-
Maßnahmen, die den Zusammenhalt in militäri- duelle Hilfe für die Hinterbliebenen, für die
schen Einheiten fördern, kommt eine hohe Be- überlebenden Angehörigen der Einheit, für
deutung für die Prävention posttraumatischer das Personal, das die schwierige Aufgabe
Störungen zu. der Bergung und Identifikation der Toten zu
bewältigen hatte und »überwachte« den Ein-
satz des Personals und der Führer hinsichtlich
13.2.4 Führungsverhalten der Dauer der Belastungsexposition, Schlaf
und Erholung,
Militärische Führer beeinflussen durch ihr - eine offene Kommunikation untereinander
Führungsverhalten die Auftretenswahrscheinlich- neutralisierte die Unsicherheit von Gerüchten,
keit posttraumatischer Belastungsstörungen. An- - der Einsatz eines umfangreichen Familien-
gemessenes, traumaverhinderndes Verhalten in unterstützungsprogramms erhöhte die soziale
diesem Zusammenhang beinhaltet u. a.: Sicherheit,
256 Kapitel 13 · Soldaten nach militä rischen Einsätzen
Einsatzbegleitung
--
I
+
Im Einsatz
+
Nach dem Einsatz
ZlnFü1 ) Prävention: örtliche ENG 2l
- -Vorbereitung - PEERS - Reintegrationsseminare BwKrHs 3l
- Ausbildung Psychol. Selbst- Recreation Center
- ggf. Psychotherapie
u. -- CISM
Kameradenhilfe ~ Präventivkuren
t
Truppenarzt
Psychologe +
Militärpfarrer
t
Psychiater
Psychologische
Psychotherapeuten
3 Kriseninterventionsteams KIT
des psychologischen Dienstes der BW
ln Planung :
Zwei Kriseninterventionsteams
- Unfälle im ln-
und Ausland ggf. I (für Psychetraumata befähigte Debriefer)
- 1 Psychiater/Psychotherapeut
Katastrophen im
ln- und Ausland - 1 Psychologe
- 2 kompetente Helfer (Uffz)
gaben den Teilnehmern positives Feedback. Rela- Erste Analysen zur Motivation der Soldaten,
tiv gering war die Unterstützung durch Vor- sich zum Dienst in Kambodscha zu melden, ha-
gesetzte: Etwa 1/4 der Untersuchungsteilnehmer ben ergeben, dass den Motivkomplexen Abenteu-
erfuhr überhaupt keine Unterstützung durch Vor- erlust und Selbstbestätigung eine statistisch rele-
gesetzte. vante Bedeutung zukommt. Es wurde weiter der
1/4 der Befragten gaben an, sich während des Umgang mit Stressbelastungen im Einsatz erfragt.
Einsatzes häufiger oder sogar sehr häufig mit der Mehr als die Hälfte der Untersuchungsteilnehmer
Möglichkeit einer Verletzung oder gar des Todes wandten sich erfolgreich an andere, um über
zu beschäftigen. 1/4 der Befragten nahmen vor Probleme zu reden oder um Gefühle zu äußern,
Ort die Unterstützung durch Militärgeistliche in was als ein wichtiger stressreduzierender Aspekt
Anspruch. Etwa 50% der Teilnehmer beurteilten angesehen wurde. Diejenigen, die sich nicht er-
die Möglichkeit zum privaten Rückzug vor Ort folgreich an andere wandten, zeigen deutlich
oder zum Abschalten als zu gering. Die Hälfte mehr Stresssymptome, wobei es sich aber nur
der Teilnehmer äußerte sich zufrieden mit Unter- um einen sehr geringen Anteil der Stichprobe
bringung, Verpflegung, den sanitären Verhältnis- handelt.
sen, der Ausrüstung und dem Informationsfluss, Die Einstellung der Soldaten der Stichprobe
etwas mehr als 1/3 waren eher unzufrieden. zum Einsatz war überwiegend positiv: Mehr als
Es wurde als eine weitere Belastung erfragt, 3/4 der Untersuchungsteilnehmer äußerten sich
inwieweit der Tod von Menschen miterlebt wur- jeweils eindeutig positiv auf die Frage nach dem
de. Lediglich ein Soldat war nicht mit Tod und Sinn des Einsatzes, knapp 60% würden jederzeit
Sterben konfrontiert. Etwa 3/4 gaben an, Tod wieder in einen solchen Einsatz gehen. 45% der
und Sterben von Menschen miterlebt zu haben, Untersuchungsteilnehmer stimmten der Aussage
die ihnen gefühlsmäßig nicht nahe standen. »Wir konnten unserem Auftrag gerecht werden«
Knapp 1/4 gaben an, dass die Toten ihnen eindeutig zu. Etwas mehr als 1/4 konnten nicht
gefühlsmäßig nahe standen bzw. viel bedeuteten; ganz zustimmen.
hier handelte es sich in aller Regel um Kinder.
Bundeswehr im Einsatz
263 13
Sie ist für Soldaten, die sich im Einsatz befinden, ihre Fa-
milienangehörigen und andere naheste hende Person en
geschrieben worden.
~
T
Bundeswehr
Zu verstehen ist unter .Critical lncident" ein Ereignis, das Such- und Rettungspersona l
außerhalb des Bereic hs gewöhnlic her Erfahrungen liegt Mitarbeiter von Katastrophenschutz
plötzlich und unerwartet ei ntritt, die Handlungsmöglich- und humanitären Hilfsorganisationen
keiten bee inträchtigt, die Wa hrne hmung einer Lebens- Beobachter und Kontrolleure internationaler
bedrohung umfasst und mög licherweise körperliche, ins- Organisationen (z. B. VN, OSZE)
besondere seelische Schäden mit sic h bringen kann. Soldaten
Beispiele für besonders belastende Ereignisse sind: Welcher Stress kann während und nach einem
Naturkatastrophen, belastenden Ereignis auftreten?
Unfälle mit Verletzten und/ oder Toten, Grundsätzlich: Stress ist eine normale Reaktion auf ein au-
sexuelle Belästigung, sexueller Missbrauch, ßergewöhnliches Ereignis.
Er äußert sich in starken körperl ichen, geistig -seelischen
Tod eines Kindes, Todesfall in der Familie,
Reaktionen. Diese können die Fähigkeit beeinträchtigen,
Geiselnahme, während oder nach dem Ereignis die Aufgaben (wie ge-
wohnt) zu erfüllen.
2 3
264 Kapitel 13 · Anhang
Hyperventilation (zu schnelles, zu starkes Atmen) • Flashbacks• (Rückblende n); das Ereig nis w ird
noch einmal erlebt
Normale körperliche verzögerte Reaktionen:
Normale seelische Sofort-Reaktionen :
Ermüdung
Übertriebene Schreck-Reaktion Angst
4 5
6 7
Bundeswehr im Einsatz
265 13
Was können Sie tun, wenn Stress auftritt? Üben Sie Verfahren zur Stressbewältigung, wie z. B.:
Critical lncident Stress Debriefing (CISD) Bei den meisten Menschen nehmen die Belastungsreaktio-
Diese Maßnahme dient der Linderung von Auswir- nen an Stärke und Häufigkeit innerhalb weniger Tage oder
kungen eines besonders belastenden Ereignisses. Es Wochen ab. Dieser Vorgang wird durch ein CISD und durch
handelt sich um Vorbeugung (• Prävention«), nicht das Erörtern von Sorgen mit vertrauten Personen, Freun-
um eine psychotherapeutische Behandlung! den, Kameraden, Vorgesetzten und - wenn es gewünscht
wird - mit einem ausgebildeten Berater wesentlich un-
Sie ist eine besonders vorbereitete Maßnahme durch
speziell ausgebildete Mitglieder eines CISD-Teams. terstützt.
10 11
266 Kapitel 13 · A n hang
Rechnen Sie damit, dass das Ereignis Ihnen Sorgen Denken, dass Sie die einzige von dem Vorfall betrof-
bereitet. fene Person sind.
Verbringen Sie möglichst viel Ihrer Freizeit mit Ihren Übermäßig Alkohol trinken.
Kameraden.
Unrealistische Erwartungen an die Erholung haben -
Sprechen Sie mit Vertrauten. alles braucht seine Zeit!
Nehmen Sie sich Zeit für Freizeitaktivitäten.
Machen Sie tägliche, aber nicht übertriebene Fitness- Anregungen für Freunde, Kameraden,
Übungen. Vorgesetzte, Mitarbeiter
Achten Sie auf die Ernährung; wenig Koffein
Hören Sie sorgfältig zu.
und Zucker.
Verbringen Sie Zeit mit der betroffenen Person.
Schränken Sie den Gebrauch von Alkohol und Nikotin
l
Bieten Sie Unterstützung durch Hilfe und Zuhören an.
ein, meiden Sie illegale Drogen.
Versichern Sie den betroffenen Personen, dass sie in
Gehen Sie besonders gut mit sich selbst um - Sicherheit und normal sind.
Sie haben es verdient.
Helfen Sie durch die Vergabe von Routineaufgaben.
Folgendes sollten Sie nicht tun: Geben Sie der betroffenen Person Zeit für sich selbst.
Davon ausgehen, dass Sie • verrückt« sind (Sie sind es Nehmen Sie deren Ärger (oder andere Gefühle) nicht
nicht!). persönlich.
Wiederkehrenden Gedanken, Träumen oder Rück- Drücken Sie ihr Mitgefühl über den Vorfall aus und
blenden aus dem Weg gehen (also nicht • verdrän- bieten Sie Verständnis und Hilfe an.
gen•). Holen Sie Hilfe oder Unterstützung, sobald Sie diese
Sich von Freunden, Kameraden, Vorgesetzten, Mit- benötigen.
arbeitern zurückziehen.
12 13
Literatur
Informationen und Unterstützung
erhalten Sie durch: American Psychiatrie Association (1994). Diagnostic and Statis-
tkai Manual of Mental Disorders (4th ed.). Washington:
Vorgesetzte des Betroffenen
American Psychiatrie Association.
Militärpfarrer
Bundesministerium der Verteidigung, FÜSI 3 (2000). Rahmen-
Truppenpsychologe konzept zur Bewältigung psychischer Belastungen bei
Truppenam Soldaten. Bonn.
14
14
Literatur - 278
268 Kapitel 14 · Therapie posttraumatischer Stressreaktionen bei Verkehrsunfall verletzten
Autofahren (v.a. auf Wegstrecken, die an den Un- 14.2.2 lnzidenz und Verlauf
fall erinnern) und vermeiden wenn möglich das
Autofahren, indem sie das Fahren anderen Per- lnzidenz. In den meisten Studien werden bedeut-
sonen überlassen. Sie berichten über Schuld- same Raten von voll ausgebildeter und subsyn-
gefühle, beklagen, zum Unfallzeitpunkt nicht dromaler PTB nach Verkehrsurrfallen gefunden.
genügend aufgepasst zu haben und fragen immer Kessler et al. (1995) erfassten mittels strukturier-
wieder, warum sie gerade zu diesem Zeitpunkt ten Interviews bei fast 6000 Erwachsenen die
Auto gefahren seien. Eine häufig gestellte Frage Häufigkeit und Auswirkung von potenziellen
ist >>Warum musste gerade mir dieses Unglück Traumen in ihrer Biographie. Das zweithäufigste
zustoßen«. An psychephysiologischer Sympto- Trauma der befragten Personen waren Unfalle,
matik ist eine größere Wachsamkeit im Verkehr die 19,4% der Befragten erlebt hatten. Bei 7,6%
vorhanden, weniger Zutrauen zu den eigenen der befragten Unfallopfer war zu irgendeinem
fahrerischen Fähigkeiten, stärkere Irritierbarkeit Zeitpunkt eine PTB vorhanden gewesen.
und verminderte Frustrationstoleranz, wenn der Mayou et al. (1993, 1997) untersuchten 188
Verkehr nicht komplikationslos läuft sowie eine Patienten prospektiv nach einem Verkehrsunfall.
ausgeprägte Schreckhaftigkeit bei unerwarteten Die Inzidenzrate einer PTB betrug 3 Monate, 1
Vorkommnissen im Straßenverkehr. Jahr und 5 Jahre nach dem Unfall 8%. Die PTB
unterlag einem fluktuierenden Verlauf, sodass
nur wenige Patienten zu allen 3 Katamnesezeit-
Die Subsyndromale posttraumatische punkten das Vollbild einer PTB aufwiesen. Als
Belastungsstörung Gründe für diesen fluktuierenden Verlauf gaben
Häufig erfüllen Unfallopfer nicht alle DSM-Krite- die Unfallopfer v. a. persistierende medizinische
rien, die für die Diagnose einer PTB erforderlich Probleme und chronische Schmerzen an.
sind. Diese Patienten leiden unter einer subsynd- Frommherger et al. (1997) fanden bei schwer-
romalen Form der PTB. Dazu liegen unterschied- verletzten Verkehrsunfallopfern innerhalb eines
liche Definitionen vor: Von einigen Autoren wird halben Jahres nach dem Unfall in 18,4% der Fälle
das Vorhandensein von 2 der 3 DSM-Diagnose- eine PTB. Prädiktaren für die Entstehung einer
kriterien gefordert, andere sehen eines der 3 Kri- PTB waren v. a. das Erleben von Angst und Hilf-
terien als ausreichend an. Meist erfüllen die Pa- losigkeit während des Unfalls sowie bereits in den
tienten das Mindestkriterium einer PTB im Be- ersten Tagen nach dem Unfall vorhandene de-
reich der wiederkehrenden Erinnerungen und pressive Symptome, Angstsymptome und Symp-
erfüllen die Kriterien entweder im Bereich der tome der PTB.
Vermeidung/emotionalen Abstumpfung oder
der erhöhten psychephysiologischen Erregung Verlauf. Der Verlauf einer PTB variiert stark.
(Blanchard et al., 1996). Beispielsweise sind Pa-
tienten in der Lage, Auto zu fahren und auch
an der Unfallstelle vorbeizufahren, haben aber Die Symptomatik bildet sich bei vielen Pa-
trotzdem wiederkehrende Erinnerungen an den tienten in den ersten 6 Monaten nach dem
Unfall und leiden unter einer gesteigerten psy- Unfall auch ohne Behandlung zurück. ln ca.
chephysiologischen Erregung mit gesteigerter Ir- 10-30% der Fälle nimmt die Symptomatik
ritierbarkeit, Wachsamkeit und Schreckhaftig- einen chronischen Verlauf oder eine subsyn-
keit. Der Symptombereich Vermeidung/emotio- dromale PTB geht in ein Vollbild über
nale Abstumpfung scheint in den ersten 6 Mona- (Taylor & Koch, 1995).
ten nach dem Unfall rascher zu remittieren als
die psychephysiologischen Symptome (Blanchard
et al., 1995). Tritt keine Remission des Vermei-
dungsverhaltens ein, so können einschneidende
Folgen im beruflichen und psychosozialen Be-
reich auftreten.
14.2 · Posttraumatische Belastungsstörung nach einem Verkehrsunfall 271 14
14.2.3 Verhaltenstherapeutische Die Grundzüge der Behandlung und der Ab-
Behandlung lauf werden mit dem Patienten ausführlich be-
sprochen. Der Therapeut macht deutlich, dass
Es liegen bisher nur wenige kontrollierte Studien der Fokus der Therapie die Symptomatik der
zur Psychotherapie der PTB nach Verkehrsunfäl- posttraumatischen Belastungsstörung ist, dass
len vor. In der Literatur wird von mehreren Fällen die Dauer der Therapie auf 12 Sitzungen a 1,5 h
berichtet, die erfolgreich mit verhaltenstherapeu- begrenzt ist und dass die aktive Mitarbeit des Pa-
tischen Techniken wie Entspannungsverfahren, tienten in Form von Hausaufgaben erforderlich
systematischer Desensibilisierung, kognitiver ist. Es wird auch besprochen, dass die Therapie
Umstrukturierung und Exposition in sensu oder mitunter sehr anstrengend sein kann und vorü-
in vivo behandelt wurden (McCaffrey & Fairbank, bergehend am Anfang zu einer Zunahme der Be-
1985; Kuch et al., 1985; Muse, 1986; McMillan, schwerden führen kann. Wenn der Patient sein
1991; Horne, 1993; Horton, 1993). Einverständnis gibt, wird mit der Verhaltensthe-
Nach diesen Fallberichten kommt es sowohl rapie begonnen.
bei posttraumatischen Belastungsstörungen auf-
grund kürzlich zurückliegender Verkehrsunfälle
Ablaufschema für eine Verhaltenstherapie
als auch bei chronifizierten Formen in wenigen
nach einem Verkehrsunfall
Monaten zu einer deutlichen Symptomreduktion.
Auch bei einer komorbiden depressiven Störung, Zu Beginn jeder Sitzung werden die Hausauf-
einem chronifizierten Schmerzsyndrom oder gaben der letzten Woche besprochen und am En-
neuropsychologischen Beeinträchtigungen sei de jeder Sitzung die Hausaufgaben für die kom-
diese Behandlung erfolgversprechend. mende Woche geplant.
Therapeutische Interventionen waren auch
bei Patienten erfolgreich, deren Schadenersatz- Erste Therapiesitzung. In der 1. Sitzung liegt der
prozess noch nicht abgeschlossen war. Schwerpunkt auf psychoedukativen Techniken,
Im Folgenden wird ein verhaltenstherapeuti- d. h. auf der Vermittlung eines Krankheitsmodells
sches Programm vorgestellt, das im Wesentlichen der PTB. Ausgehend von der Symptomatik des
aus Entspannungstechniken, Exposition in sensu Patienten wird anhand der »2-Faktoren-Theorie
oder in vivo und aus kognitiven Techniken be- der Angst« von Mowrer (1947) und dem »Modell
steht. Das Therapieschema ist aus den Behand- der chronischen PTB« von Ehlers & Clark (1999)
lungsprogrammen von Foa & Rothbaum (1998) ein individuelles Krankheitsmodell der PTB erar-
sowie Blanchard & Hickling (1998) abgeleitet. beitet. Ziele der Psychoedukation sind die Ent-
Das Programm von Foa & Rothbaum (1998) ist wicklung eines individuellen Bedingungsmodells
für die Behandlung von vergewaltigten Frauen der PTB und die Normalisierung der Reaktionen
entwickelt worden (s. Kap. 4), das Konzept von auf den Unfall (»eine normale Reaktion auf eine
Blanchard & Hickling (1998) für Verkehrsunfall- unnormale Situation«). Am Ende der ersten Sit-
opfer. Beide wurden in kontrollierten Studien zung erhält der Patient eine Einführung in die
überprüft. Zwerchfellatmung als Entspannungsübung und
Vor dem Beginn der Verhaltenstherapie fin- wird aufgefordert, diese übung bis zur nächsten
den 2-5 diagnostische Sitzungen statt. In diesen Sitzung mehrmals täglich zu üben. Als weitere
Sitzungen werden neben Selbstbeurteilungsska- Hausaufgabe soll der Patient in Form eines thera-
len die klinischen Interviews »Clinician-Admin- peutischen Tagebuchs in der kommenden Woche
istered PTSD Scale« (CAPS; Blake et al., 1990; wiederkehrende Erinnerungen und Gedanken an
dt. Nyberg & Frommberger, 2001) zu Art und den Unfall sowie auslösende Reize und Konse-
Ausmaß der Symptomatik der posttraumatischen quenzen seines Verhaltens im Umgang mit den
Belastungsstörung und »Strukturiertes Klini- belastenden Erinnerungen notieren. Zur Vor-
sches Interview für DSM-IV« (SKID; Wittchen bereitung auf die Exposition wird der Patient ge-
et al., 1997) zur Abklärung einer komorbiden beten, den Unfallhergang in Form eines schriftli-
Störung durchgeführt. chen Berichts festzuhalten. Es soll ein »emotiona-
272 Kapitel 14 · Therapie posttraumatischer Stressreaktionen bei Verkehrsunfallverletzten
ler« Bericht des Unfallgeschehens erstellt werden, zu beginnen. Je nach Länge der Unfallszene sind
bei dem es wichtig ist, möglichst viele Gedanken, 2-5 Durchgänge in der vorgegebenen Zeit
Gefühle und Sinneseindrücke festzuhalten. möglich.
Zweite Therapiesitzung. Zu Beginn der 2. Sitzung Leidet der Patient unter starken Schuldgefühlen
liest der Patient seinen schriftlichen Bericht vom (z. B. Tod von anderen Verkehrsteilnehmern) ,
Unfall vor und es werden, wenn notwendig, die Schamgefühlen (z. B. bei bleibenden Behinderun-
festgehaltenen Kognitionen und Gefühle differen- gen) oder Wut (z. B. auf den Unfallverursacher)
ziert. Anband der Aufzeichnungen des Patienten und sind dysfunktionale kognitive Schemata er-
zu den wiederkehrenden Erinnerungen an den kennbar, werden diese Problembereiche vor der
Unfall wird das individuelle Krankheitsmodell Exposition in sensu und in vivo anband der kog-
der PTB weiter ausgearbeitet. Der Patient soll nitiven Therapie nach Becket al. (1994) bearbeitet.
die Entstehung und Aufrechterhaltung seiner
Symptome nachvollziehen können. Anschließend Vierte Therapiesitzung. In der 4. Sitzung wird die
bekommt der Patient eine ausführliche Einfüh- Exposition in sensu wiederholt. Anschließend
rung in die Technik der progressiven Muskelrela- wird die Hierarchie für die Exposition in vivo er-
xation nach Jacobson. Es wird besprochen, wie stellt.
die Technik zur Reduktion der psychophysiologi- Die Exposition in vivo findet je nach Ausprä-
schen Anspannung eingesetzt werden kann. gung des Vermeidungsverhalten s parallel als
Hausaufgabe oder nach Abschluss der Exposition
Dritte Therapiesitzung. In der 3. Sitzung beginnt in sensu statt. Unserer Erfahrung nach ist der Pa-
die Exposition in sensu, die das Kernstück der tient meist in der Lage, eigenständig oder in Be-
Therapie darstellt. Das Rational für die Expositi- gleitung eines Familienmitglieds, die Übungen
onsübungen wird dem Patienten ausführlich er- durchzuführen, da es meist durch die Exposition
läutert. in sensu zu einer deutlichen Reduktion der Belas-
tung bei der Konfrontation mit den Auslösereizen
8 Beispiel gekommen ist. Häufiger Inhalt der Exposition in
Ablauf der Exposition in sensu vivo ist das Aufsuchen der Unfallstelle und Auto-
Bei dieser Form der Exposition wird der Patient fahrübungen, ggf. bei einer Fahrschule.
aufgefordert, sich den Unfall nochmals ins Ge-
dächtnis zu rufen. Bei geschlossenen Augen soll Weitere Therapiesitzungen. In der s. bis 10. Sit-
der Ablauf des Unfalls so umfassend und detailliert zung wird die Exposition in sensu und in vivo,
(auch Gefühle, Körperempfindungen, Geräusche wie in der 3. und 4. Sitzung beschrieben, wieder-
und Gerüche) wie möglich berichtet werden. Die holt. Die kognitive Therapie wird fortgesetzt.
Schilderung soll so lebhaft sein, dass ein SUD In den Sitzungen 11 und 12 werden die ge-
(»Subjective Units of Distress«; Angstskala von lernten Copingstrategien zusammengefasst, evtl.
0-1 00) von mindestens 50-70 erreicht wird. Alle in der Zukunft auftretende schwierige Situatio-
5-10 min bittet der Therapeut den Patienten, sei- nen werden besprochen und die Therapie wird
nen Angstpegel (SUD) auf der Skala von 0-100 beendet. Bei Bedarf werden »Boostersessions«
einzustufen. Wichtig ist, dass der Patient nicht die angeboten.
dritte Person beim Erzählen benutzt, sondern in
Ich-Form im Hier und Jetzt spricht, als ob der
Unfall gerade noch mal passieren würde. Die
Zusammenfassend kann aufgrund der Ergeb-
Übung wird nach 45-60 min beendet. Wenn ein
nisse einzelner Fallstudien zur verhaltensthe-
Durchgang der Unfallszene weniger als 45 min
rapeutischen Behandlung der PTB nach Ver-
beansprucht, wird der Patient sofort nach Been- kehrsunfällen oder eigener Erfahrung fest-
digung des ersten Durchgangs aufgefordert, gehalten werden, dass eine kurze Behandlung
nochmals von vorne mit dem Erzählen der Szene
...
14.3 · Phobisches Vermeidungsverhalten nach einem Verkehrsunfall 273 14
- Die Kriterien für eine einfache bzw. spezifi-
über ca. 3-6 Monate mit systematischer De-
sche Phobie sind erfüllt,
sensibilisierung, Exposition in vivo und in
- Beginn und Inhalt der phobischen Ängste
sensu sowie kognitiver Umstrukturierung ef-
sind auf einen Unfall bezogen,
fektiv die PTB-Symptomatik reduzieren kann.
- die Angstsymptome und das Vermeidungsver-
Sogar bei einer Komorbidität mit chronischen
halten beziehen sich im Wesentlichen auf die
Schmerzsyndromen und neuropsychologi-
Befürchtung, erneut einen Unfall zu erleiden.
schen Beeinträchtigungen ist sie erfolgver-
sprechend. Selbst wenn chronische Schmerz-
Beim phobischen Vermeidungsverhalten im Stra-
syndrome bei Beginn der Behandlung im
ßenverkehr wird, wie bei der PTB, die 2-Fak-
Vordergrund stehen, kann bei entsprechender
toren-Theorie der Angst nach Mowrer (1947)
Motivation des Patienten zunächst die PTB
zur vereinfachten Erklärung der Entstehung
behandelt werden. Dadurch reduziert sich das
und Aufrechterhaltung des Vermeidungsverhal-
Ausmaß der Beeinträchtigung des Patienten
im Alltag und dadurch kann es ebenfalls zu tens herangezogen.
einer Reduktion der Schmerzen bzw. zu einer Das phobische Vermeidungsverhalten kann
Veränderung der schmerzbezogenen Kogni- bei der Teilnahme am Straßenverkehr auftreten,
tionen kommen. wobei es unwichtig ist, ob als Fußgänger oder
als Autofahrer. Intensive körperliche Reaktionen
können bereits bei dem Gedanken auftreten, sich
z. B. in ein Auto zu setzen. Für manche Patienten
14.3 Phobisches Vermeidungsverhalten reduziert sich die Angst, wenn sie selbst das Steu-
nach einem Verkehrsunfall er übernehmen können und damit die Kontrolle
über das Fahrzeug gewinnen.
14.3.1 Symptomatik Das Vermeidungsverhalten kann sich in einer
Reihe von Verhaltensweisen zeigen:
In der Literatur werden verschiedene Begriffe ver- - Sehr vorsichtige Fahrweise (Patienten fahren
wendet, um Phobien, die nach einem Verkehrs- sehr langsam, halten z. T. vor grünen Ampeln
unfall entstehen, zu beschreiben. Im englischspra- oder auf der Kreuzung, auch wenn sie Vor-
chigen Raum werden häufig die Begriffe »driving fahrt haben),
phobia« und »travel phobia« benutzt, die aller- - Fahrten werden nur unternommen, wenn es
dings auch bei der Beschreibung einer sekun- unbedingt notwendig ist, und die Patienten
dären Phobie im Rahmen einer Panikstörung Ver- vermeiden Freizeitaktivitäten, die mit der
wendung finden (Ehlers et al., 1994}. Kuch et al. Teilnahme am Straßenverkehr verbunden
(1991, 1994} sowie Taylor & Koch (1995) haben sind,
den Terminus »accident phobia« eingeführt, um - Vermeiden von Fahrten unter bestimmten Be-
auch Störungen bei nichtmotorisierten Verkehrs- dingungen (z. B. bei Nässe, Nacht, Schnee),
teilnehmern (Fahrradfahrern und Fußgängern), - Versuch, sich während der Fahrt abzulenken
die in einen Verkehrsunfall verwickelt waren, zu (Patienten schließen z. B. die Augen oder
erfassen. Um auch die im deutschen Sprachraum hören laut Musik},
gebrauchten Begriffe »Autofahrphobie« und - in abgeschwächter Form führt das beständige
»phobische Reiseängste« zu erweitern, benutzen Ermahnen und Warnen des Fahrers ebenfalls
wir den umfassenderen Terminus »phobisches zu einer Angstreduktion.
Vermeidungsverhalten im Straßenverkehr«. Den
Begriff» Unfallphobie« vermeiden wir inzwischen,
da die angstauslösende Komponente, d. h. der 14.3.2 lnzidenz und Verlauf
Straßenverkehr, nicht zum Ausdruck kommt.
Nach Kuch et al. (1994) ist phobisches Ver- Die Forschungsergebnisse zu Inzidenz und Ver-
meidungsverhalten im Straßenverkehr durch 3 lauf sind widersprüchlich. In der bereits erwähn-
Merkmale gekennzeichnet: ten Studie von Mayou et al. (1993, 1997} konnte
274 Kapitel 14 . Therapie posttraumatischer Stressreaktionen bei Verkehrsunfall verletzten
Im Straßenverkehr habe sie ständig die Befürch- des Hyperarousals begonnen. Die Patientin wurde
tung, es könne nochmals zu einem Unfall kom- angeleitet, jeden Abend zu Hause die progressive
men. Des Weiteren sei sie seit dem Unfall sehr Muskelentspannung zur Reduktion der Über-
schreckhaft und leicht irritierbar. Sie habe das In- erregbarkeit einzusetzen.
teresse an früher für sie bedeutsamen Aktivitäten Anhand eines Tagebuchs sollte sie täglich ihre
(z. B. Kegeln, Sport, Freunde besuchen) fast voll- wiederkehrenden Erinnerungen und deren Auslö-
ständig verloren. sesituationen protokollieren. Die Erinnerungen
Familie und Freunde können nicht begreifen, und die auslösenden Reize wurden in der nächs-
dass sie den Unfall nicht verarbeiten könne. Sie ten Therapiesitzung besprochen.
hätte doch so viel Glück gehabt.
Expositionsbehandlung
Zu ihrer Biographie berichtet sie, dass sie vor
Bei der Exposition des Unfalls in sensu wurde die
dem Unfall sehr aktiv gewesen sei, in ihrem Leben
Patientin gebeten, sich ihre Erinnerungen an den
nie größere Schwierigkeiten gehabt habe und sie
Unfall wieder ins Gedächtnis zu rufen, ihre Augen
immer sehr belastbar gewesen sei.
zu schließen und den Unfallhergang sehr detail-
Diagnostik liert zu erzählen, als ob er gerade hier und jetzt
Die psychiatrische Diagnostik in strukturierten stattfinden würde. Alle S min gab die Patientin
Interviews ergab eine PTB und ein schweres Rückmeldung über ihren Angstpegel auf einer
depressives Syndrom. Selbstbeurteilungsskalen Skala von 0-100. Die Exposition wurde nach
zeigten eine erhebliche Ausprägung der Be- 4S min und 3 Durchgängen beendet. ln den fol-
schwerden. genden Wochen wurde diese Exposition in sensu
mehrmals wiederholt, bis sie einen stabilen
Verhaltenstherapie
Angstpegel von 20-30 bei der Erinnerung an den
Die verhaltenstherapeutische Behandlung be-
Unfall erreicht hatte.
stand aus dem oben ausgeführten Therapieansatz.
Da die Patientin ebenfalls unter einem pho-
Zu Beginn waren zusätzlich Tagesstrukturierung
bischen Vermeidungsverhalten im Straßenverkehr
und Aktivitätsaufbau wichtig. Obwohl die Patien-
litt, wurde sie zur Expositionsbehandlung in vivo
tin am stärksten unter den Schmerzen im Nacken-
angeleitet, nachdem eine Hierarchie angstauslö-
und Schulterbereich litt, behandelten wir mit ih-
sender Situationen erstellt worden war. Für die
rem Einverständnis als erstes die PTB.
Übung zum Abbau des Vermeidungsverhaltens
Therapieablauf wurde die schrittweise Annäherung an die Un-
ln den ersten 4 diagnostischen Sitzungen wurden fallstelle ausgewählt, da dies die am stärksten
das CAPS, das DIPS und Selbstbeurteilungsver- belastende Vermeidungssituation darstellte. Die
fahren angewandt. Anschließend fanden 13 the- Therapeutin begleitete sie bei dieser Übung. Die
rapeutische Sitzungen a 90 min statt. Hierarchie wurde in 3 Stunden durchgearbeitet.
Die Patientin wurde gründlich über die Be- Die Erregung konnte nach Konfrontation mit der
handlung und deren Ablauf aufgeklärt. Sie erhielt am stärksten angstauslösenden Situation deutlich
ein Informationsblatt zur Symptomatik der post- gesenkt werden. Die Patientin wurde angeleitet, in
traumatischen Belastungsstörung. ln der ersten nächster Zeit beim Fahren der Unfallstrecke an der
Sitzung stand die Psychoedukation mit der Ver- Unfallstelle anzuhalten und stehenzubleiben, bis
mittlung eines Krankheitsmodells der PTB im Anspannung und Erregung deutlich nachließen.
Vordergrund. Die Reaktion der Patientin auf den Zu einer Verstärkung der Symptomatik der PTB
Unfall wurde als eine normale Reaktion auf eine und einer vermehrten Erwartung eines Unfalls kam
anormale Situation eingestuft. Die Patientin war es in der Zeit um den ersten Jahrestag. Am Jah-
sehr erleichtert, als sie erfuhr, dass ihre Be- restag sei sie gar nicht aus dem Haus gegangen, da
schwerden normal sind und sie nicht »verrückt« ist. sie überzeugt gewesen sei, ihr werde erneut etwas
ln der ersten Sitzung wurde mit dem Einüben der zustoßen. Es fanden noch 2 Sitzungen statt, die
progressiven Muskelentspannung zur Reduktion zum Inhalt hatten, die selbständig durchge-
T
"
14.6 · Pharmakotherapie 277 14
führte Exposition in vivo zu besprechen und Co- flussten nach seinen Erfahrungen den Verlauf
pingstrategien für die Zukunft zu entwickeln. der PTB nicht.
Eigene Erfahrungen in unserer Spezialambu-
Therapieevaluation
lanz für posttraumatische Belastungsstörungen
Die Testdiagnostik am Ende der Therapie zeigte
der Universitätsklinik in Freiburg beruhen v. a.
eine deutliche Reduktion der Intrusionen, des
auf dem systematischen Einsatz von Paroxetin
Vermeidungsverhaltens und der psychophysiolo-
(Frommberger et al., 1997). Dieses einzige für
gischen Beschwerden. Die Patientin litt lediglich
die Indikation PTB in Deutschland zugelassene
noch an einer gesteigerten Wachsamkeit im Stra-
Medikament reduzierte bei einer Dosis von 40 mg
ßenverkehr und leichten lrritierbarkeit. Das
die depressive Symptomatik. Wenn Unruhe auf-
schwere depressive Syndrom bestand nicht mehr.
trat, konnte zu Beginn der Behandlung eine ge-
Die Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich,
ringe Dosis, z. B. 10-20 mg Promethazin die Erre-
die zu Beginn der Behandlung im Vordergrund
gung dämpfen und den Schlaf fördern. Eine be-
standen, besserten sich auch ohne gezielte Be-
gleitende Psychoedukation und ein Stressbewälti-
handlung deutlich.
gungstraining stützte die Patienten.
Vor Beginn der Verhaltenstherapie war auf ein
Absetzen der Benzodiazepinmedikation verzichtet
worden, um nicht zusätzliche Absetzsymptome
und eine weitere Labilisierung der Patientin her- Die Psychopharmakotherapie der PTB nimmt
vorzurufen. Nach Abschluss der Verhaltensthera- nach den bisherigen Erfahrungen einen Zeit-
pie wurde in Rücksprache mit der Hausärztin die raum von mindestens 3 Monaten bis zur er-
Benzodiazepinmedikation innerhalb von 10 Wo- folgreichen Reduktion der Symptomatik in
chen schrittweise abgesetzt. Auch nach dem Ab- Anspruch. Die Medikation sollte weitere 6-24
senken der Medikation war der Therapieerfolg voll Monate beibehalten werden, um einen
erhalten. Rückfall zu vermeiden (Ballenger et al., 2000).
Das Absetzen sollte langsam und schritt-
weise erfolgen mit engmaschiger Betreuung
14.6 Pharmakotherapie
des Patienten bei wiederkehrender Sympto-
matik.
Kontrollierte Studien zur Wirksamkeit von Psy-
ln der akuten Krisenintervention, wenn der
chopharmaka bei PTB nach Verkehrsunfällen
Patient nach dem Erlebnis verwirrt, äußerst
fehlen.
beunruhigt und psychomotorisch sehr ange-
In psychotherapeutischen Fallbeschreibungen
spannt ist, kann die auf wenige Tage be-
wurde ein Teil der Patienten mit Anxiolytika oder
grenzte Gabe von Benzodiazepinen (z. B. Lo-
Antidepressiva behandelt. Eine langsame, schritt-
razepam oder Alprazolam) zu einer schnellen
weise Reduktion der Psychopharmaka habe die
Entlastung führen.
Compliance während der Expositionsbehandlung
Ausgeprägte Schlafstörungen bessern sich
gefördert (Kuch et al., 1985). Burstein (1989) be-
unter der Einnahme von Trimipramin
richtete über seine Erfahrungen mit 70 Verkehrs- (25- 100 mg zur Nacht).
unfallpatienten, denen er bis zu 260 mg Imipra- Das gleichzeitige Vorliegen einer Persön-
min verschrieb und eine Reduktion von Intrusio- lichkeitsstörung kann die Wirksamkeit ein-
nen und Schlafstörungen beobachtete, nicht je- schränken und verzögern.
doch des Vermeidungsverhaltens. Zusätzlich zur Auch zur Verhinderung einer Retraumati-
Verschreibung von trizyklischen Antidepressiva sierung durch einen Unfal l sollten die Patien-
empfahl er die Expositionstherapie für die Be- ten zu Beginn einer Psychopharmakotherapie
handlung des Vermeidungsverhaltens. Im Lang- über die Gefahr der Einschränkung ihrer Leis-
zeitverlauf hielt er eine Kombination aus Psycho- tungsfähigkeit Im Straßenverkehr und auf In-
pharmaka und kognitiver Therapie für erfolg- teraktionen, z. B. mit Alkohol, aufgeklärt wer-
reich. Gleichzeitig ablaufende Auseinanderset- den.
zungen um Schadenersatzforderungen beein-
278 Kapitel 14 ·Therapie posttraumatischer Stressreaktionen bei Verkehrsunfallverletzten
Möglichkeit eines Missbrauchs von Analgetika vehicle accidents? Behavior Research and Therapy, 34, 1-
10.
beachtet werden. Es ist auch zu beachten und
Blanchard, E. B., Buckley, T. C., Hickling, E. H. & Taylor, A. E.
der Patient ist darauf hinzuweisen, dass der (1998). Posttraumatic stress disorder and comorbid major
Missbrauch von diesen Medikamenten die depression: \s the correlation an Illusion? Journal of Anxi-
Fahrtauglichkeit beeinträchtigt und dadurch ety Disorders, 12, 21-37.
das Risiko eines erneuten Unfalls und damit Burstein, A. (1989). Posttraumatic stress disorder in victims of
motor vehicle accidents. Hospital Community Psychiatry,
einer Retraumatisierung erhöht ist.
40, 295-297.
Ehlers, A. & Clark, D. M. (2000). A cognitive model of posttrau-
Weitere erschwerende Faktoren können prämor- matic stress disorder. Behavior Research and Therapy, 38,
319-345.
bide psychische Störungen und persistierende
Ehlers, A., Hofmann, S.G., Herda, C.A. & Rot, W.T. (1994). Clin-
körperliche Beeinträchtigungen sein. ical characteristics of driving phobia. Journal of Anxiety
Disorders, 8, 323-339.
Foa, E. B. & Rothbaum, B. 0. (1998). Treating the trauma of rape:
Cognitive-behavioral therapy for PTSD. New York: Guil-
Nach einem schweren Unfall kann es zu blei-
ford.
benden körperlichen Behinderungen kom- Foa, E. B., Riggs, D. S. & Gershuny, B. S. (1995). Arousal, numb-
men. ln diesem Fall muss über die Behandlung ing, and intrusion: Symptom Structure of PTSD following
der PTB und anderer psychischer Beschwerden assault. American Journal of Psychiatry, 152, 116-120.
hinaus der Krankheitsbewältigung und Adap- Frommberger, U., Nyberg, E., Stieglitz, R.-D. & Berger, M. (1997).
tation genügend Zeit eingeräumt werden. Psychotherapie und Psychopharmakatherapie in der Be-
handlung posttraumatischer Belastungsstörungen. ln C.
Mundt, M. Linden, W. Barnett (Hrsg.), Psychotherapie in
Letztlich können auch sich über Jahre hinziehen- der Psychiatrie. Wien, New York: Springer.
Hickling, E.J. & Blanchard, E.B. (1992). Post-traumatic stress
de juristische Auseinandersetzungen psychische
disorder and motor vehicle accidents. Journal of Anxiety
Störungen aufrechterhalten und somit die Be- Disorders, 6, 285-291 .
handlung von Unfallopfern erschweren. Hickling, E.J., Blanchard, E.B., Silverman, D.J . & Schwarz, S.P.
(1992). Motor vehicle accidents, headaches and posttrau-
Lit eratur 279 14
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15
R. Steil
Literatur - 303
282 Kapitel 15 · Posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen
Obwohl die Forschung zeigt, dass die Folgen von Giaconia et al., 1995; Nader et al., 1993; Saigh,
Traumata um so stärker sind, je jünger der 1991). Vermutet wird, dass Kinder ab 3-4 Jahren
Mensch ist, der sie erlebt, gibt es wesentlich mehr von PTB betroffen sein können (Drell et al., 1993;
Studien zur posttraumatischen Belastungs- Scheeringa et al., 1995). Zu den grundlegenden
störung (PTB) bei Erwachsenen als solche bei Dimensionen der Symptomatik und den einzel-
Kindern. Posttraumatische Symptomatik äußert nen Symptomen wird an dieser Stelle auf Kap. 1
sich bei Kindern in anderer Weise als bei Erwach- dieses Buches verwiesen.
senen. Bei der Diagnostik und bei der Interventi-
on müssen die entwicklungsmäßigen Besonder-
heiten des Kindes- und Jugendalters bedacht wer- Besonderheiten der PTB-Symptomatik
den. Als beeindruckend wirksam hat sich bei bei Kindern und Jugendlichen
Kindern ein kognitiv-behaviorales Behandlungs-
Intrusionen äußern sich bei Kindern in einem
konzept erwiesen. Auch die in der Regel sehr
wenig lustvollen und wiederholten Nachspie-
schweren Folgen interpersoneller Gewalt können
len der traumatischen Situationen,
bei Kindern mit diesen Interventionen dauerhaft
somataforme Symptome wie Bauch- oder
gelindert bzw. geheilt werden.
Kopfschmerzen scheinen häufig aufzutre-
Das vorliegende Kapitel fasst den Wissens-
ten,
stand zu Diagnostik, Epidemiologie, Komorbidi-
das Kind entwickelt möglicherweise er-
tätsmustern und Risikofaktoren in Bezug auf eine
neut Angst vor der Dunkelheit, Monstern
PTB im Kindes- und Jugendalter auf der Basis
oder dem Alleinsein,
neuester empirischer Ergebnisse zusammen und neu auftretendes aggressives bzw. re-
thematisiert die zugrundeliegende Entwicklungs- gressives Verhalten (Verlust prätrauma-
psychopathologie. Im zweiten Teil wird ein kog- tisch schon erworbener Fähigkeiten in den
nitiv-behaviorales Konzept der Behandlung der Bereichen Sprache oder Kontinenz) wird
PTB im Kindes- und Jugendalter im Überblick beobachtet,
dargestellt, welches auf seine Wirksamkeit hin selbstschädigendes Verhalten wie z. B.
überprüft wurde und als empirisch wohlfundiert Drogenmissbrauch oder auch Automuti-
gelten kann. Die empirischen Ergebnisse der lation kann im Sinne einer Selbstmedika-
Wirksamkeitsforschung zur kognitiv-behaviora- tion bzw. im Sinne eines Spannungs-
len Therapie (KBT) der PTB werden kurz zusam- abbaus ähnlich wie bei der Borderline-
mengefasst und diskutiert. Persönlichkeitsstörung auftreten,
möglicherweise zeigt das Kind eine ver-
kürzte Zukunftsperspektive (»Ich werde
15.1 Besonderheiten der Symptomatik sowieso nie die Schu le beenden, nie eine
der PTB bei Kindern Partnerschaft haben, nie heiraten, nie
und Jugendlichen Kinder bekommen ... « etc.).
Alter. Das Erkrankungsrisiko nahm sowohl bei Multiple Traumatisierung erhöht bei Kindern
Studien an Erwachsenen als auch bei Studien das Risiko der Ausbildung einer PTB (Deykin &
an Jugendlichen und Kindern mit steigendem Le- Buka, 1997); auch mit der Intensität der Trau-
bensalter zum Zeitpunkt der Traumatisierung ab matisierung steigt das Risiko, an PTB zu er-
(Ellis et al., 1998; Essau et al., 1999; Kessler et al., kranken (vgl. Nader et al., 1990). Die »Dosis«
1995; Shannon et al., 1994; Duhner & Motta, des traumatischen Stressors, z. B. bei Pynoos et
1999). Systematische Studien bei Kindern unter al. (1987) die Nähe des Kindes in einem
6 Jahren stehen jedoch noch aus. Schulgebäude zu dem Raum, in dem ein
schweres Attentat geschah, zeigt üblicher-
weise bedeutsame, aber meist moderate
Art der Traumatisierung. Das Erleben sexueller Assoziationen mit der PTB.
Gewalt birgt generell ein gegenüber anderen For-
men der Traumatisierung 6-7fach höheres PTB-
Risiko: 80o/o bzw. 50o/o aller betroffenen älteren 15.1.5 Komorbide Störungen
Jugendlichen oder jungen Erwachsenen erkrank-
ten nach dem Erleben sexueller Gewalt an PTB Komorbid tritt eine PTB bei Kindern mit interna-
(Breslau et al., 1991; Giaconia et al., 1995; vgl. lisierenden und externalisierenden Verhaltens-
auch Cuffe et al., 1998). Auch in einer prospekti- problemen, schlechterer schulischer Leistung,
ven Studie an einer repräsentativen amerikani- Suizidgedanken und Suizidversuchen, interper-
schen Stichprobe von 1433 Kindern im Alter zwi- sonellen Schwierigkeiten und körperlichen Be-
286 Kapitel 15 · Posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen
schwerden auf (Giaconia et al., 1995; Goenjian et Vertrauen etc.) eine Traumatisierung möglicher-
al., 1995). Depression, Drogenmissbrauch und weise besonders maligne Folgen (vgl. Pynoos et
somataforme Störungen bestehen bei ca. 20% al., 1995, 1996). Dies könnte die hohe Vulnerabi-
der betroffenen Kinder und Jugendlichen komor- lität im Kindes- und Jugendalter für die Entwick-
bid zur PTB und verursachen ihrerseits eine er- lung einer PTB erklären. Die mit den Intrusionen
hebliche Belastung (Essau et al., 1999). Die PTB- auftretende Belastung beantworten die Patienten
Symptome können als Symptome anderer üblicherweise mit dem Einsatz von Strategien
Störungen imponieren, z. B. chronische über- zur Beendigung oder Kontrolle der Erinnerungen
erregtheit als motorische Hyperaktivität oder ge- wie z. B. Gedankenunterdrückung oder Grübeln,
ringe Impulskontrolle und Aggression als opposi- welche ihrerseits wiederum in einer Art Teufels-
tionelles Trotzverhalten (vgl. Perrin et al., 2000). kreis zur Aufrechterhaltung der Symptomatik
Giaconia et al. (1995) fanden retrospektiv, beitragen (s. Kap. 5). Diese kognitiven Faktoren
dass 30% der Jugendlichen mit der Lebenszeit- prädizieren auch bei Kindern die Schwere der
diagnose PTB im letzten Jahr vor der Befragung PTB-Symptomatik (vgl. Pynoos et al., 1987;
an einer Major Depression, 38% an einer Alko- Schwarz & Kowalski, 1991; Wolfe et al., 1994; Yule
holabhängigkeit litten. Die Befunde implizieren, & Williams, 1990). Steilet al. (2001) fanden z.B.
dass Drogenmissbrauch sowohl eine Risikovari- in einer prospektiven Untersuchung an 24 Kin-
able für Traumatisierung und Entwicklung einer dern, die einen Verkehrsunfall erlitten hatten,
PTB darstellt als auch infolge einer Traumatisie- dass 2 Monate post Trauma die Ratings der Kin-
rung als Selbstmedikation auftritt. Eine Major der zu ihrem Einsatz von Strategien kognitiver
Depression entwickelte sich in einer Längs- Kontrolle der Intrusionen (z. B. Gedankenunter-
schnittstudie an kindlichen Erdbebenopfern in drückung, Grübeln) und zum Ausmaß dysfunk-
der Mehrheit der Fälle (70%) zeitgleich mit der tionaler Kognitionen zum Unfall und seinen Fol-
bzw. folgend auf die PTB (Giaconia et al., 1995). gen 50% der Varianz der PTB-Schwere erklärten
Die PTB wurde als Risikofaktor für das Einsetzen und somit hohen Vorhersagewert hatten.
einer sekundären Depression identifiziert (Goen- Ehlers & Clark (2000) vermuten, dass eine
jian et al., 1995). persistierende PTB entsteht, wenn die traumati-
sche Erinnerung nur ungenügend elaboriert
und ungenügend in einen autobiographischen
15.2 Psychologische Modelle und Kontext eingeordnet wird. Eine unangemessene
Hypothesen zu den Besonderheiten Verarbeitung ist um so wahrscheinlicher, je weni-
einer Traumatisierung im ger der Betroffene in der Lage ist, zu konzeptua-
frühen Lebensalter lisieren und zu verstehen, was passiert (vgl. Usher
& Neisser, 1993; Brewin et al., 1993).
Generelle Modelle der Psychopathologie der PTB
wurden bereits in Kap. 1 dieses Buches ausführ-
lich beschrieben. In behavioralen Modellen wird
Auf diese Weise lässt sich möglicherweise die
die PTB als klassisch konditionierte emotionale
negative Assoziation zwischen Alter und Risiko
Reaktion betrachtet, welche durch negative Ver-
der Entwicklung einer PTB nach Traumatisie-
stärkung (Vermeidung) aufrechterhalten bleibt.
rung erklären: Die Fähigkeit, vollständige und
In kognitiven Modellen wird die Bedeutung und akkurate Narrationen über positive oder ne-
Interpretation der traumatischen Geschehnisse gative Ereignisse zu geben, deren Grundlage
in den Mittelpunkt gestellt. Dysfunktionale Sche- eine angemessene, konzeptgesteuerte Daten-
mata bilden sich durch das Trauma aus bzw. prä- verarbeitung ist, wächst ja erst mit der Ent-
traumatisch existierende unangemessene Sche- wicklung von Sprache, kausalem und zeitli-
mata werden konsolidiert. chem Verständnis, Wahrnehmung und
Bei Kindern und Jugendlichen hat in der Pha- Selbstwahrnehmung (vgl. Pillemer, 1998).
se der Bildung wichtiger kognitiver Schemata
(über persönliche Sicherheit, interpersonelles
15.2 · Psychologische Modelle und Hypothesen 287 15
15.2.1 Psychobiologische und Modellen der PTB nicht genügend Beachtung fin-
neuroendokrinalogische Modelle det. Sie bedenken in einem entwicklungspsycho-
logischen Modell (Pynoos et al., 1995} eine Fülle
Psychobiologische und neuroendokrinologische von Vulnerabilitäts- und Schutzfaktoren bezüg-
Modelle (vgl. Southwick et al., 1997} beruhen lich posttraumatischer Symptomatik bei Heran-
auf Befunden zu Dysregulationen in glutamater- wachsenden (s. Übersicht).
gen, noradrenergen, Serotonergen und neuroen-
dokrinen Systemen. Diese biologischen Verän-
derungen führen zu strukturellen und funktiona- Mögliche Vulnerabilitäts- und Schutz-
len Abnormalitäten, welche sich in den Sympto- faktoren posttraumatischer Symptome
men der PTB manifestieren. Zusammenfassend (nach Pynoos et al., 1995)
lässt sich zu den biologischen Befunden sagen, Die Interaktion zwischen intrinsischen
dass die PTB gekennzeichnet ist durch eine Inter- (Alter, Geschlecht, Persönlichkeit) und
aktion aus erniedrigtem Kortisolspiegel, erhöh- extrinsischen Faktoren (z. B. elterliche Psy-
tem Noradrenalinspiegel und erhöhten Spiegeln chopathologie, elterliche Traumatisierung
der Schilddrüsenhormone. Mit Hilfe dieses Mus- und posttraumatische Symptomatik, Er-
ters konnte man empirisch zu 100% zwischen Pa- ziehungsstil, Familienklima, Peers, sozio-
tienten mit und ohne PTB diskriminieren (Yehu- ökonomischer Status), die zu verschiede-
da, 1998}. nen Zeiten der Entwicklung ein hohes
In welcher Weise die besondere neuroendo- oder niedriges Traumatisierungsrisiko des
krinologische Situation während und infolge Kindes bedingt wie auch die Anpassung
von Traumatisierung sich auf die kindliche biolo- des Heranwachsenden nach singulärer
gische Entwicklung auswirken kann, wurde bis- Traumatisierung beeinflussen kann. So
lang nur in wenigen Studien untersucht (vgl. De- kommen Rind et al. (1998) in einer viel
Bellis et al., 1994; Lipschitz et al., 1998). Das sich diskutierten Metaanalyse zu den Folgen
entwickelnde Gehirn ist vulnerabel bezüglich sexuellen Kindesmissbrauches bei
Umwelteinflüssen. Zwar erreicht das Hirn mit 3 Collegestudierenden zu der Schlussfolge-
Jahren 90% seiner endgültigen Größe, der größte rung, dass das jeweilige Familienklima ei-
Teil seiner Differenzierung (Formation, Stabilisa- nen großen Teil der Varianz psychischer
tion oder auch Eliminierung von Synapsen) fin- Symptomatik in der Folge des Missbrau-
det jedoch in Kindheit und Jugend statt. ches erklärt.
In einer Humanstudie fanden sich Hinweise Die Interaktion zwischen verschiedenen
darauf, dass lebensgeschichtlich frühe Traumati- Stadien der kognitiven und emotionalen
sierung (wie z. B. durch sexuellen Missbrauch) Entwicklung, der Entwicklung der Moral
durch persistierende Sensibilisierung zentraler sowie der interpersonellen Beziehungen
CRH-ausschüttender Neuronen zu einer in der des Heranwachsenden und der Wahrneh-
Folge erhöhten Vulnerabilität für stressabhängige mung und Interpretation traumatischer
Erkrankungen führt (vgl. Heimet al., 1997). Glu- Geschehnisse.
kokortikoide sind wichtig für die Interaktion Sekundäre Stressoren gesellschaftlicher,
zwischen Genen und Umwelt. Wiederholte oder familiärer oder individueller Art, welche
sich aus der Traumatisierung ergeben.
anhaltende Traumatisierung könnte die Gen-
expression beeinflussen, die die Verbindungen
zwischen Neuronen und deren Wachstum steuert.
Auf diese Weise könnte sich eine lebensgeschicht- Detailliert wird die Bedeutung dieser Faktoren in
lich frühe Traumatisierung ganz besonders malig- verschiedenen Entwicklungsstadien ausgeführt.
ne auf die Entwicklung eines Kindes auswirken. Wiederum integrieren die Autoren aber nicht
Pynoos et al. (1995, 1996) kritisieren zu die allgemeinen Hypothesen und Befunde zur
Recht, dass die Interaktion zwischen Entwicklung PTB - umfassende entwicklungspsychopatholo-
und Traumatisierung bislang in den allgemeinen gische Modelle stehen noch aus.
288 Kapitel 15 · Posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen
15.2.2 Die Rolle der Eltern & Ehlers, 2000) die Symptome der PTB direkt
verschlimmern kann bzw. die Auseinanderset-
Eltern und Pflegepersonen spielen als wichtige zung mit dem Trauma unterbindet: So erhöht Ge-
Interaktionspartner und Modelle für adaptives dankenunterdrückung z. B. die Auftretenswahr-
oder dysfunktionales Coping bei der posttrauma- scheinlichkeit der unerwünschten Gedanken. Zu
tischen Anpassung Heranwachsender eine ent- erwarten ist, dass dysfunktionale Kognitionen
scheidende Rolle. der Eltern zum Trauma, zu seinen Folgen und
zu seiner Bewältigung für die Entwicklung post-
traumatischer Symptomatik beim Heranwach-
senden von Bedeutung sind. Ellis et al. (1998)
So leiten Kinder z.B. die Interpretation des
fanden bei 40% der von ihnen untersuchten 45
traumatischen Geschehens und seiner Folgen
Kinder nach einem Verkehrsunfall, dass die El-
auch aus den Reaktionen der nahen Bezugs-
tern eine erhöhte Protektivität gegenüber dem
personen ab. Die Eitern vermitteln dem Kind
Kind zeigten. Wollen die Eltern z. B. das Kind
emotiona le Sicherheit und strukturelle Stabi-
vor den belastenden Erinnerungen oder auf über-
lität. Sind z. B. die Eitern eines Kindes, welches
steigerte Weise vor erneuter Gefahrdung
sexuellen Missbrauch erlebt hat, nicht in der
schützen, tragen sie u. U. zur Aufrechterhaltung
Lage, mit dem Kind darüber zu kommunizie-
der dysfunktionalen Vermeidung traumarelevan-
ren, fühlt sich das Kind mög licherweise ab-
ter Reize bei (vgl. Deblinger et al., 1990). Bei 7-
gelehnt und herabgewürdigt. Kompensieren
bis 15-jährigen Opfern eines Verkehrsunfalls trug
die Eitern dagegen nach einem Verkehrsunfall
ihr eigenes Schuldgefühl dadurch, dass sie das
das Ausmaß des durch das Kind bzw. den Jugend-
Kind verwöhnen, so fühlt das Kind sich
lichen wahrgenommenen angstfördernden elter-
möglicherweise inkompetent und »krank«,
lichen Verhaltens wie das Ausmaß dysfunktiona-
obwohl es eine gute Anpassung an das Trau-
ler Kognitionen beim befragten Elternteil wesent-
ma zeigt. lich zur Aufklärung der Varianz der Schwere der
posttraumatischen Symptomatik bei (Steil, 2001).
Ähnliche Befunde berichten Deblinger et al.
Eltern können hilfreiche und schädliche Strate- {1999b) bei Kindern nach sexuellem Missbrauch.
gien des Kindes im Umgang mit der traumati- Auch in anderen Studien war elterliches Vermei-
schen Erinnerung zudem systematisch verstär- dungsverhalten in Bezug auf das Trauma mit ei-
ken. Über ungünstiges Modelllernen bzw. andere ner erhöhten PTB-Symptomatik beim Kind asso-
von den Eltern ausgehende ungünstige Lernstra- ziiert (vgl. Bat-Zion & Levy-Shiff, 1993; Laor et
tegien können z. T. (neben genetischen Hypothe- al., 1997; Stuber et al., 1991).
sen) Befunde zur Assoziation elterlicher und Haben Eltern und Kinder gemeinsam eine
kindlicher Psychopathologie nach einem Trauma Traumatisierung erlebt, scheinen die Eltern, die
erklärt werden. Deblinger et al. (1997 a, 1999 b) selbst eine PTB entwickeln, weniger erfolgreich
fanden z. B. bei Kindern, die sexuellen Miss- ihre Kinder bei der Bewältigung der Folgen un-
brauch erlebt hatten, dass mütterliche Ratings terstützen zu können (vgl. McFarlane, 1987; Laor
zu externalisierenden Symptomen des Kindes et al., 1997; Rossman et al., 1997; Sack et al.,
und die kindliche PTB-Symptomatik um so 1994). Das Alter des Kindes könnte dabei den Zu-
höher waren, je stärker die Mütter eigene all- sammenhang zwischen mütterlicher und kindli-
gemeine psychopathalogische Symptome (beson- cher Psychopathologie in der Folge einer Trau-
ders Depressivität) erlebten. Vom Kind erlebte matisierung moderieren. Wolmer et al. (2000)
mütterliche Zurückweisung war mit der Schwere fanden bei einer prospektiven Studie zu den Fol-
depressiver Symptome beim Kind verknüpft. gen von Angriffen mit SCUD-Raketen auf die is-
Hinreichend empirisch gesichert ist, dass der raelische Bevölkerung während des Golfkriegs ei-
Einsatz von Strategien zur Kontrolle der Intrusio- ne Assoziation zwischen der kindlichen PTB-
nen wie z. B. Grübeln oder Gedankenunter- Symptomatik und der mütterlichen Psychopatho-
drückung (Ehlers & Steil, 1995; Steil, 1997; Steil logie, welche besonders hoch bei 6-jährigen, ge-
15.3 · Diagnostik der PTB im Kindes- und Jugendalter 289 15
ringer bei ?-jährigen und nicht mehr statistisch sich für die Risikofaktoren einer PTB im Kindes-
bedeutsam bei 8-jährigen Kindern war. und Jugendalter. Als bedeutsam erwiesen sich z. B
Möglicherweise nimmt der Kommunikations- - die vom Kind subjektiv empfundene Lebens-
stil der Eltern mit dem Kind Einfluss auf das bedrohlichkeit (Steilet al., 2001; Aaron et al.,
kindliche autobiographische Gedächtnis (vgl. 1999; Schwarz & Kowalski, 1991 b),
Tessler & Nelson, 1994): So könnten - sobald - das Ausmaß akuter Belastungsstörung (vgl.
das Kind die dafür notwendigen sprachlichen Fä- Daviss et al., 2000) sowie
higkeiten erworben hat - ein elterlicher elabora- - kognitive Faktoren wie die peritraumatisch
tiver Kommunikationsstil und aktive Anstren- subjektiv wahrgenommene Lebensbedrohung
gungen, das traumatische Geschehen für das oder die Attribution eigener Schuld (Aaron et
Kind verstehbar zu machen, die Einbettung al., 1999; Steil, 2001; Schwarz & Kowalski,
stressvoller Ereignisse in das autobiographische 1991 b; Wolfe et al., 1994).
Gedächtnis bzw. eine konzeptgesteuerte Daten-
verarbeitung fördern.
15.3 Diagnostik der PTB
im Kindes- und Jugendalter
se(n) des Kindes nach DSM oder ICD Erhebungen bei Kind und Eltern/Pflege-
(einschließlich PTB), personen
gegenwärtige allgemeine psycho- Zentrale Aspekte:
pathalogische Symptomatologie, Veränderungen in motorischen, kog-
Bestimmung des Schweregrades nitiven oder sonstigen Leistungen seit
durch Selbsteinschätzung des Kindes. der Traumatisierung,
objektive/subjektive Merkmale des Funktionsniveau des Kindes (Schule,
Traumas, Familie, Sozialkontakte),
- Trauer über Familienmitglieder/Freun- frühere Traumatisierung bei Kind und
de, Eltern/Pflegepersonen,
kognitives Leistungsniveau. Stimuli, die Erinnerungen an das
Periphere Aspekte: Trauma auslösen können,
Selbstbild, mit dem Trauma und seinen Folgen
Interessen, assoziierte sekundäre Emotionen und
soziale Fertigkeiten. dysfunktionale Kognitionen,
Erhebungen ausschließlich bei Eltern/Pflege- Strategien kognitiver Vermeidung der
personen traumatischen Erinnerungen,
Zentrale Aspekte: selbstschädigendes Verhalten beim
gegenwärtige und frühere Diagno- Kind, Drogenkonsum, Suizidalität,
se(n) des Kindes und der Eitern nach elterliche Reaktionen auf die Sympto-
DSM oder ICD, matik des Kindes.
15.4 · Interventionen 291 15
15.4 Interventionen
Periphere Aspekte:
- wichtige Lebensereignisse vor und 15.4.1 Wirksamkeit
nach der Traumatisierung,
Erziehungsstil der Eitern und soziale Aus den ätiologischen Modellen der PTB wurden
Unterstützung, die das Kind erhält. Empfehlungen zur Behandlung abgeleitet. Diese
beinhalten als 2 wichtige Säulen die Konfrontati-
Erhebungen bei Eltern/Pflegepersonen und
on in sensu mit den traumatischen Erinnerungen,
anderen Quellen
die als Ziele die Habituation an die bedrohlichen
Zentrale Aspekte:
Erinnerungen, die bessere Elaboration der trau-
- objektive Merkmale des Traumas (Ab-
matischen Geschehnisse und die Integration neu-
lauf der Geschehnisse, Verletzungen
etc.). er, korrigierender Erfahrungen hat, sowie kogni-
tive Interventionstechniken, die dem Ziel der
Identifikation und gezielten Veränderung negati-
a Tabelle 15.1 zeigt Interviews und Selbstbeurtei- ver Kognitionen zum Trauma und seinen Folgen
lungsinstrumente zur Diagnosestellung bzw. Er- dienen (vgl. Steil, 2000). Diese kognitiv-behavio-
fassung des Schweregrades der PTB bei Kindern rale Therapie (KBT) gilt bei Erwachsenen als Be-
und Jugendlichen im überblick. Die Diagnostik handlung der Wahl, ihre Wirksamkeit ist empi-
möglicher komorbider Störungen kann mit ein- risch nachgewiesen (vgl. Kap. 4). Auch bei Kin-
schlägigen Instrumenten erfolgen. dern und Jugendlichen erzielte sie in kontrollier-
Bei der Darstellung der traumatischen Ereig- ten und randomisierten Studien sehr erfolgver-
nisse sollte das Kind zunächst Gelegenheit haben, sprechende Ergebnisse und kann nach heutigem
selbst zu erzählen, bevor die Therapeutin detail- Erkenntnisstand als Methode der Wahl gelten.
lierte Fragen zu den Geschehnissen stellt. Bei King et al. (1999) geben eine detaillierte über-
jüngeren Kindern können die traumatischen Er- sieht über die Literatur bis 1999.
fahrungen erfasst werden, indem man das Kind Insgesamt liegen bislang zahlreiche Falldar-
bittet, ein Bild zu malen, zu dem es eine Ge- stellungen, 2 Multiple-Baseline-Studien (Farrell
schichte erzählen kann, oder die Geschehnisse et al., 1998; March et al., 1998) sowie 6 kontrol-
mit Puppen nachzuspielen (Perrin et al., 2000; lierte und randomisierte Studien zur KBT bei
Thornton, 2000). Diagramme, Pläne oder Zeich- den Folgen von Traumatisierung im Kindesalter
nungen können hilfreich sein (z. B. bei Traumati- vor. Besonders aussagekräftig sind natürlich die
sierung im Klassenzimmer ein Plan, wer wo saß Studien der dritten Kategorie, über die a Tabelle
etc.). Während das Kind erzählt, sollte die Thera- 15.2 einen Überblick gibt.
peutirr verbale »Prompts« benutzen, z. B. »Was ist In allen Studien wurden Opfer der - wie epi-
als nächstes passiert?«, »Wie fühltest Du Dich da- demiologische Studien zeigen - schwersten Form
bei?«, »Was kam dann?«. Therapierelevant ist ne- von Traumatisierung, nämlich des sexuellen
ben der Erfassung der Psychopathologie auch die Missbrauchs, behandelt. Nicht alle behandelten
Erhebung möglicher dysfunktionaler Kognitio- Kinder litten auch an einer PTB. In nur einer
nen und kognitiver Vermeidung. Instrumente der 6 Studien war das Vorliegen der Störung Ein-
und Vorgehensweisen hierzu werden in Abschn. gangskriterium (s. D Tabelle 15.2), in den anderen
15.4 dargestellt. Studien war das Vorliegen sexuellen Missbrauchs
allein Indikationskriterium, z. T. wurden hier all-
gemeine Maße der Psychopathologie und keine
gezielten Maße der PTB-Symptomatik als Er-
folgsmaße gewählt.
Die Untersuchung der an der Behandlung be-
teiligten Eltern zeigt, dass auch hier eine Reduk-
tion von Belastung, von depressiver und ängst-
licher Symptomatik zu beobachten ist. Die lang-
292 Kapitel 15 · Posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen
ursprünglich ein
Selbstbeurteilungs-
instrument, kann
aber auch als Inter-
view gegeben wer-
den; dt. Version als
Interview untersucht
Steil et al. (1998, Clinician 8 Jahren Reliabilität der dt. An DSM-IV orientiert,
unveröffentlichtes Administered Version: Cronbach's Diagnosestellung und
Manuskript; Original PTSD Scale for a= 0,88 für Häufigkeit Schweregraderfassung
von Nader et al., Children and und Intensität der von Häufigkeit und In-
1994) Adolescents Symptomatik tensität der Symptome,
(CA PS-CA) Erfassung des Einflusses
der Symptomatik auf
verschiedene Entwick-
lungsbereiche
Costello et al. (1998) Child and Ado· 9- 17 Jahren Gut bis sehr gut An DSM-IV angelehnt,
lescent Psychia- Vorliegen einer Trauma-
trie Assessment tisierung wird nicht vor-
(CAPA) ausgesetzt sondern
detailliert erfasst
keine deutsche
Übersetzung
keine deutsche
Übersetzung
15.4 • Interventionen 293 15
fristige Wirksamkeit der Interventionen scheint Erhebungszeitpunkt der Studien fanden sich für
gesichert zu sein bei Katamnesen bis zu 24 Mona- das Manual von Deblinger & Helfin (1996), hier
ten (Deblinger et al., 1999 a). Die in a Tabelle 15.2 lagen mit je 24 Monaten die längsten Katamnesen
zusammengefassten Studien folgen im Wesentli- vor, und für das Vorgehen von Cohen & Manna-
chen 2 Manualen: rino (1998), hier wurde jedoch keine Katamnese-
- Das bislang einflussreichste Therapiemanual untersuchung durchgeführt.
der Arbeitsgruppe um Deblinger (z. B. Deb- Auch die klinische Signifikanz der KBT bei
linger & Helfin, 1996) zeigt exzellente Wirk- PTB ist mit den bislang vorliegenden Studien
samkeit bei der überpüfung durch 2 verschie- zu belegen. In einer Untersuchung der KBT mit
dene Arbeitsgruppen (King et al., 2000; Deb- dem Kind alleine bzw. mit Kind und Familie
linger et al., 1996, 1999 a). bei kindlichen PTB-Patienten nach sexuellem
An unabhängiger Replikation mangelt es bei Missbrauch erfüllten im Follow up nach 12 Wo-
dem von Cohen & Mannarino (1996a) unter- chen 67% der Kinder in den beiden behandelten
suchten Manual noch. Gruppen nicht mehr die Diagnose einer PTB; in
einer Wartelistenkontrollgruppe waren es nur
20% der Kinder (King et al., 2000). Empirische
Studien zeigen, dass sexuelle Gewalt schwerwie-
Die Einbindung der Eitern bzw. eines Eitern-
teils in die Behandlung ist aus den oben schon gendere und umfangreichere Folgen hat als ande-
ausgeführten Gründen vorteilhaft. Die Be- re Formen der Traumatisierung, daher ist davon
deutung der Teilnahme eines Elternteils an der auszugehen, dass KBT auch bei anderen Auslö-
Behandlung untersuchten auf eindrucksvolle sern einer PTB wirkungsvoll ist.
Weise in einer großen Studie Deblinger et al. Cohen & Mannarino (1998, 2000) fanden,
(1 996, 1999 a). Ihren Ergebnissen zufolge er- dass der Behandlungserfolg bei 7- bis 14-jährigen
scheint die Einbindung der Eitern bzw. eines Kindern, welche sexuellen Missbrauch erlebt hat-
Elterntrainings in die Behandlung als absolut ten, negativ mit ungünstigen Attributionen zum
empfehlenswert. Konsistent hiermit sind die Missbrauch, aber positiv mit dem Ausmaß elter-
oben dargestellten Befunde zur Prädiktion des licher Unterstützung assoziiert war. In einer an-
Therapieerfolgs durch elterliche Faktoren. Be- deren Studie derselben Autoren an Kindern im
merkenswert war, dass ein Elterntraining al- Vorschulalter nach sexuellem Missbrauch prädi-
leine ohne Behandlung des Kindes in der Ka- zierte das Ausmaß elterlicher Psychopathologie
tamnese 24 Monate nach Therapieende einen den Behandlungserfolg - er war um so geringer,
vergleichbaren Effekt hatte wie die Behand- je depressiver und emotional belasteter die Eltern
lung von Kind und Elternteil (vgl. a Tabel- sich fühlten (Cohen & Mannarino, 1996b).
le 15.2, beide Effekte waren statistisch be- Neben der KBT wurde auch eine Behand-
deutsam). lungsform angewandt, die verwandte Elemente
besitzt: »Eye Movement Desensitization and Re-
processing« (EMDR; vgl. Greenwald, 1998; Muris
Zum Vergleich der Wirksamkeit der Interventio- & Merckelbach, 1999). Diese Intervention wurde
nen wurden jeweils die Effektstärken als Hedge's g in der Anwendung bei Kindern und Jugendlichen
(Mittelwert der Kontrollgruppe minus Mittelwert allerdings noch nicht in kontrollierten und ran-
der Experimentalgruppe dividiert durch die ge- domisierten Designs untersucht.
poolte Standardabweichung) berechnet und auf Es ist nicht bekannt, ob eine zusätzliche psy-
ihre statistische Bedeutsamkeit hin überprüft. chopharmakologische Behandlung gegenüber der
Die Effekte der unterschiedlichen Interventionen rein psychotherapeutischen Behandlung einen
sind demnach als gut bis sehr gut zu bezeichnen Gewinn erbringt. Bestimmte Psychopharmaka
(z.B. g=0,98 bei King et al., 2000) und durchaus scheinen bei Kindern und Jugendlichen die zu-
mit den in der Behandlung von erwachsenen Pa- nächst mangelnde Wirksamkeit einer Psychothe-
tienten erzielten vergleichbar (vgl. Etten & Taylor, rapie im stationären Setting positiv beeinflussen
1998). Signifikante Effekte für den jeweils letzten zu können (Harmon & Riggs, 1996), kontrollierte
D Tabelle 15.2. Übersicht über Effektivitätsstudien zur KBT bei posttraumatischer Symptomatik im Kindes· und Jugendalter 10
_j .1:>
""
Autoren, lnklusions· Geschlecht, N Behandlungsbedingungen (n), Instrument zur Diagnostik der Effektstärken und Ergebnisse
Publika· kriterium, Durchschnitts· Anzahl der Sitzungen, posttraumatischen Symptomatik, bezüglich der PTB·Symptomatlk "0
"'...
tionsjahr Zeit seit Trauma alter, Range Drop-outs Messzeitpunkte [
1.11
-
"C
Berliner & Sex. Missbrauch 11% Jungen, A: Gruppentherapie mit Stress- Fear Survey Schedule for Children Verbesserung von A und 8 über 0
Saunders impfungstraining und graduierter - Revised (FSSC -R); prä. post, f.u. die Messzeitpunkte; ~
Ql
(1996) Exposition (n=48), mind. 8, nach 12, 24 Mo. c
3
höchstens 10 Sitzungen über ~
;;;·
10 Wochen; I ('\
:r
tD
Deblinger Sex. Missbrauch, 17% Jungen, A: KBT Elternteil alleine (n =22), Schedule for Affective Disorders A: f.u. 24 Mo.: g=0,77*
"'5 '
Q.
11>
et al. (1996, mind. 3 PTB- 12 Sitzungen, 2 Dropouts; and Schizophrenia for Schooi-Age 3
c
1999) Symptome, Children - PTSD-Score (K-SAD5-E) :::l
Q.
71% litten an '-
c
PTB nach \0
11>
DSM·III· R; :::l
9:
r;·
:r
z. Z. seit Trauma N = 90, B: KBT Elternteil und Kind (n = 22), prä, post, f. u. nach 3, 6, 12, 8: f. u. 24 Mo.: g = 0,65* 11>
:::l
keine Angabe 12 Sitzungen, 2 Dropouts; 24 Mo.
M=l O,SJ.
Cohen & Sexueller Miss- 42% Jungen, A: KBT Kind und Elternteil (n 39),
= Child 8ehavior Checklist (C8CL)- Externalisierende Störungen:
Mannarino brauch; nicht 12 Sitzungen (n = 28 bei f.u. Eltern-Version;
(1996a, länger als nach 12 Mo.)
1997) 6 Monate seit
Traumaende
N = 67 8: Nondirektive unterstützende prä, post, f.u. nach 6 und 12 Mo. A: f. u. 12 Mo.: g=0,53
Behandlung (n=28), 12 Sitzungen
(n = 15 bei f.u. nach 12 Mo.)
M = 4,7J. "-J
\0
111
(f. u.-Studie:
4-8 J .•
M = 5.9J.)
.....
U'l
IV
\0
D Tabelle 15.2 (Fortsetzung) 0\
. -
Autoren, lnklusions- Geschlecht, N Behandlungsbedingungen (n), Instrument zur Diagnostik der Effektstärken und Ergebnisse
Publikations- kriterium, Durchschnitts· Anzahl der Sitzungen, posttraumatischen Symptomatik, bezüglich der PTB-Symptomatik "0
"'...
jahr Zeit seit Trauma alter, Range Drop-outs Messzeitpunkte [
1.11
-
-c
Cohen & Sexueller Miss- 31% Jungen, A: KBT speziell für sexuellen Children's Depression lnventory CD I: 0
Mannarino brauch; Innerhalb Missbrauch mit Kind und Eitern (CDI), State-Trait Anxiety lnventory ~
Ql
(1998) von 6 Monaten (n = 30), 12 Sitzungen über for Chlldren (STAIC); c
3
nach letzter Miss- 12 Wochen ~
;;;·
brauchserfahrung ("\
:r
tD
(n = ll); N=36; B: KBT mit Kind und Mutter prä, post, f.u. nach 12 Wochen B: f. u.: g = 0,98 •
(n = 12), 20 Sitzungen, 3 Dropout5
M= ll ,SJ.
g=Hedge's g (M der Kontrollgruppe-Mder Experimentalgruppe/ gepoolte Standardabweichung). M=Mittelwert, J.=Jahre, Mo.=Monate, f.u.=Follow up.
15.4 · Interventionen 297 15
und randomisierte Studien stehen jedoch noch grund der Intervention. Besteht selbstschädigen-
aus. In den »Practice Parameters« der American des Verhalten, so sollte die therapeutische Auf-
Academy of Child and Adolescent Psychiatry merksamkeit zunächst dieser Symptomatik gel-
(1998) wird der Einsatz von Psychopharmaka ten und auf geeignete Weise interveniert werden,
eher adjunktiv und zur Behandlung komorbider bevor die Behandlung der PTB-Symptomatik be-
depressiver Symptomatik oder einer komorbiden ginnt.
Panikstörung empfohlen. Auch andere Experten-
richtlinien empfehlen, Kinder und Jugendliche,
die an einer PTB leiden, zunächst psychothera- Ziele der kognitiv-behavioralen Thera-
peutisch zu behandeln (vgl. Foa et al., 1999). pie für Kinder und Jugendliche mit PTB
Vermittlung von Wissen über die üblichen
Folgen einer Traumatisierung und die
Verbesserung der innerfamiliären Kom·
15.4.2 Indikation, Ziele und Struktur munikation über das Trauma und seine
der KBT Folgen,
Ausbildung der Eitern zu Kotherapeuten
Eine KBT ist indiziert, der Behandlung im Rahmen eines Eltern-
- wenn die Diagnose der PTB bzw. einer subkli- trainings,
nischen PTB gesichert ist, angemessene Einordnung und Interpre-
- bei akuter und chronischer posttraumatischer tation des Geschehenen für das Kind
Symptomatik, ermöglichen,
- im Gruppen- wie auch im individuellen Set- Veränderung dysfunktionaler Einstellun-
ting und gen und Interpretationen zum Trauma
- im ambulanten wie im stationären Setting. und seinen Folgen bei Eitern und Kind,
Erarbeiten einer hilfreichen bzw. realisti-
Steht für das Kind selbst eine andere Symptoma- schen Einstellung und der Abbau kogniti-
tik (z. B. Schmerz) im Vordergrund oder befürch- ver und behavioraler Vermeidung trau-
tet das Kind zu Beginn z. B. katastrophale Kon- marelevanter Stimuli zusammen mit Eitern
sequenzen einer Beschäftigung mit der Traumati- und Kind,
sierung, so kann mit einer erfolgreichen psycho- Stärkung der Fähigkeit des Kindes, Intru-
therapeutischen Intervention zur Verbesserung sionen mit geringer subjektiver Belastung
der Lebensqualität die Motivation für eine Be- zu erleben, nicht die »Beseitigung« intru-
handlung der PTB-Symptomatik geschaffen wer- siven Wiedererlebens (welche von vielen
den. Kindern zunächst gewünscht wird im Sin-
ne von »Ich möchte alles vergessen!«).
sondern die Fähigkeit des Kindes, Intru-
Eine Kontraindikation besteht bei akuter sionen mit geringer subjektiver Belastung
psychotischer Symptomatik und akuter zu erleben,
Suizidalität. mögliche negative Effekte des Traumas
und seiner Folgen auf die weitere Ent-
wicklung des Kindes in allen Lebens-
Während der Behandlung sollte der Patient nicht
bereichen minimieren.
mehr in akuter Gefahr sein. Dies ist z. B. bei Asyl-
suchenden oder Flüchtlingen (s. Kap.l2), aber
auch bei Kindern, bei denen der Kontakt zu einer
das Kind missbrauchenden Person noch nicht Die Behandlung besteht aus 3 Teilbereichen: Der
unterbunden ist, nicht gegeben. Hier stehen zu- Intervention mit dem Kind, der Intervention mit
nächst die Veränderung der äußeren Umgebung dem Elternteil und gemeinsamen Sitzungsteilen.
des Kindes und die zur Herstellung von Sicher- Zu Beginn der Intervention werden Eltern und
heit notwendigen praktischen Schritte im Vorder- Kind separat behandelt, die Inhalte der Sitzungen
298 Kapitel 15 · Posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen
Das Erstgespräch
Gesprächsführung mit Kind und Elternteil
Neben dem Beziehungsautbau beinhaltet das
Die Konfrontation mit den traumatischen Erin- Erstgespräch eine Exploration zur Traumatisie-
nerungen ist bei Kind und Eltern gefürchtet, aber rung. Zunächst sollte man das Kind - ohne schon
für die Diagnostik und die Behandlung unerläss- konkrete Fragen zu stellen - sein Erleben der
lich. Der Aufbau einer vertrauensvollen therapeu- traumatischen Ereignisse berichten lassen. Dabei
tischen Beziehung ist besonders wichtig. kann es hilfreich sein, dem Kind seine äußere Si-
tuation damals (das Wetter, der Ort etc.) in das
Gedächtnis zu rufen. Die Therapeutin bittet das
15.4 · Interventionen 299 15
Kind zu erzählen, was es erlebt hat, ein Bild da- Zunächst werden Emotionsausdruck und -regu-
von zu malen, eine Geschichte davon zu erzählen lation anband wenig belastender Situationen dis-
oder das Geschehene mit Puppen nachzuspielen. kutiert und geübt. Im Zentrum der therapeuti-
Es folgt die Psychoedukation über die übli- schen Aufmerksamkeit stehen danach dann die
chen Folgen einer Traumatisierung zur Entlas- Emotionen, die mit dem Trauma in Verbindung
tung des Kindes und zur Entpathologisierung stehen (Furcht, Angst, Hilflosigkeit, Ekel, Wut).
der Symptomatik, z. B. »Die Symptome bedeuten Das Kind soll lernen, dass es hilfreich ist, negati-
nicht, dass Du verrückt wirst oder etwas mit Dir ve Emotionen zu zeigen und über sie mit anderen
nicht stimmt, das geht den meisten Kindern so, Menschen zu sprechen. Je nach Bedarf sind z. B.
die etwas ähnliches erlebt haben. Die meisten ha- auch Interventionen, welche die sozialen Fertig-
ben mir erzählt, dass sie auch .. . hatten«. keiten des Kindes verbessern, indiziert.
Es folgt eine ausführliche therapiebezogene
Eingangsdiagnostik und die Entwicklung eines
persönlichen Modells der Störung. Den Ab-
Kognitive Interventionen
schluss des Erstgesprächs bildet ein Element zu
den Ressourcen des Kindes (unterstützende Per- Zunächst lernt das Kind, wie Emotionen, Gedan-
sonen, Hobbys, Dinge, die das Kind genießen ken und Verhalten sich jeweils gegenseitig beein-
kann). flussen. Auch hier beginnt die Therapeutin, zu-
nächst neutrale und dann wenig belastende Si-
tuationen zu bearbeiten und wendet das Erlernte
dann auf Überzeugungen und Einstellungen zum
Die Therapeutin drückt ihren Respekt für die
Trauma und seinen Folgen an. Das Kind lernt,
Gefühle des Kindes aus und macht deutlich,
dass seine Gedanken zu den traumatisierenden
dass sie es als Privileg erachtet, die Erfahrun-
Ereignissen einen Einfluss darauf haben, wie es
gen des Kindes mit ihm zu teilen, und lobt es
sich fühlt (z. B. »Ich bin schuld an allem, was pas-
für seinen Mut, vom Geschehen zu berichten.
siert ist«:=::> »>ch fühle mich schlecht und schäme
mich«).
Im nächsten Schritt werden dysfunktionale
Training hilfreicher Bewältigungsstrategien
Einstellungen und Überzeugungen zum Trauma
mit Hilfe des sokratischen Dialogs disputiert.
Hierzu zählen Interventionen, welche den ange- Das Kind soll lernen, dass negative Gedanken
messenen Ausdruck von Emotionen beim Kind veränderbar sind und wie man sie einer Überprü-
bzw. das Erkennen von Emotionen fördern und fung unterziehen kann. Geduldig lässt die Thera-
die Regulation der Emotionen verbessern. Man peutin das Kind prüfen, ob seine Einstellungen,
kann z. B. eine Liste von Empfindungen zusam- Überzeugungen und Interpretationen zum Trau-
menstellen, welche das Kind Bildern von Kindern ma und seinen Folgen angemessen und hilfreich
und Erwachsenen zuordnen soll. Rollenspiele oder wenig angemessen und dysfunktional sind.
können durchgeführt werden (Wie schaut je- Häufig schreiben sich PTB-Patienten in sehr
mand aus, der fröhlich, traurig, ängstlich, ärger- unangemessener Weise selbst die Verantwortung
lich etc. ist?). Am Beispiel des Ärgers erlernt das für weite Teile des traumatischen Geschehens
Kind, Emotionen anderen Menschen gegenüber zu. So sind z. B. Opfer sexuellen Missbrauchs
angemessen zum Ausdruck zu bringen. häufig der Ansicht, durch ihr Verhalten/ihre
Persönlichkeit die sexuelle Gewalt verursacht zu
haben. Zunächst muss das Ausmaß der eigenen
Verantwortungszuschreibung erfasst werden.
Zentrales Ziel ist hierbei, dass das Kind nega-
Hierzu sammeln Kind und Therapeutin, wer bzw.
tive Emotionen nicht bekämpft oder versteckt,
welche Umstände Anteil an der Verantwortung
sondern angemessene Wege findet, sie zu
zeigen. für die Traumatisierung bzw. für bedeutende Ele-
mente daraus haben könnte. Zunächst analysie-
300 Kapitel 15 · Posttraumatische Belast ungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen
ren Therapeutin und Patient gemeinsam die Vor- Graduierte Exposition und ein Nachholen
gänge und Handlungen während des traumati- der kognitiven und affektiven Verarbeitung
schen Geschehens wie auch die wahrscheinlichen des Traumas
Konsequenzen alternativer Verhaltensweisen.
Zentral für die Durchführung von konfrontativen
Eingesetzt werden bei einem unangemessenen
Elementen in der Intervention ist die Erarbeitung
Gefühl der Verantwortung für das Geschehene
des Rationals hierfür. Mehrere Möglichkeiten ste-
beim Kind z. B. die »Advocatus diaboli«-Technik,
hen der Therapeutin zur Verfügung:
bei der das Kind angeleitet wird, alle Gründe zu
- Ein direktives, psychoedukatives Vorgehen,
suchen, warum es sich in der traumatischen Si-
- das Zurückgreifen auf Erfahrungen, die das
tuation so und nicht anders verhalten hat.
Kind bereits in anderen Lebensbereichen
mit der Habituation an negative Emotionen
f) Beispiel
oder der Veränderung von Einstellungen ge-
Fragebeispiele der »Advocatus diaboli«-Technik
macht hat (»Hast Du schon einmal erlebt
Du sagst, Du hättest Dich mehr wehren
dass etwas, was am Anfang sehr schwieri~
müssen gegen Deinen Vater. Warum hast Du
war, mit der Zeit immer leichter für Dich ge-
Dich nicht gewehrt? Was dachtest Du, würde
worden ist?«),
passieren, wenn Du Dich wehren würdest?
- das Benutzen von Analogien und Bildern
Du denkst darüber nach, warum Du Dich da-
(»Deine Erinnerungen sind vergleichbar mit
mals so und nicht anders verhalten hast. Lass
einem Puzzle, das in seine Teile zerfallen ist.
uns die Zeit zurückdrehen bis kurz vor dem
Wir wollen alles wieder zu einem Ganzen zu-
Ereignis und lass uns genau überlegen, was Du
sammensetzen, dazu müssen wir uns jedoch
damals empfunden und gedacht hast. Hast Du
jedes Teil genau anschauen«) oder
erwartet, dass so etwas passieren würde? Was
- der Einsatz kognitiver Methoden, um die bis-
hättest Du getan, wenn Du gewusst hättest,
herigen Strategien zur Bewältigung der
was passieren würde?
Symptomatik (behaviorale und kognitive Ver-
meidung) gemeinsam auf ihre Wirksamkeit
Wo dem Kind Informationen zur Beurteilung
zu prüfen und alternative Bewältigungsmög-
fehlen, gibt oder vermittelt die Therapeutin sie.
lichkeiten zu sammeln (»Wie bist Du bislang
In einem zweiten Schritt werden im Sinne der
mit den Erinnerungen umgegangen? Wie hilf-
Spaltentechnik hilfreiche Kognitionen gesucht,
reich war diese Strategie? Wie lange hat es ge-
mit denen das Kind die maladaptiven Kognitio-
holfen? Welche anderen Möglichkeiten haben
nen in kritischen Situationen ersetzen kann
wir noch?«).
(»Wie würde ich mich fühlen, wenn ich so
darüber denken würde?«). In der Imagination
Exposition in sensu. Zu Beginn jeder Sitzung wird
kann die Implementierung der neuen hilfreichen
das Kind gebeten, die jeweils am stärksten belas-
Kognition geübt werden.
tenden Teile der Erinnerung an die Traumatisie-
Die aufrechterhaltende Bedeutung der Gedan-
rung nachzuerleben, so erfolgt die Exposition
kenunterdrückung, des Grübeins oder anderer
immer mit den Teilen der Erinnerung, die für
Strategien kognitiver Vermeidung wird mit dem
das Kind aktuell von größter Bedeutung sind.
Kind unter anderem auch mit Hilfe von Verhal-
Das Kind imaginiert - möglichst mit geschlosse-
tensexperimenten (z. B. »Versuche, 2 Minuten
nen Augen - Teile des traumatischen Geschehens,
nicht an rosa Elefanten zu denken ... «) erarbeitet.
als ob sie wieder stattfinden würden und berich-
Im Rahmen von Hausaufgaben wird die Redukti-
tet dabei über sein Erleben in der Ich- und der
on dieses Verhaltens geübt.
Gegenwartsform. Auch alle anderen Formen der
Konfrontation sind hier denkbar (Malen, Zeich-
nen, Schreiben, Spielen).
15.4 · Interventionen 301 15
Kindern und Jugendlichen muss im Rahmen
der Behandlung der PTB Gelegenheit gegeben
Wichtig ist, dem Kind die Kontrolle über den
werden, angemessene Schemata von persönlicher
Ausstieg aus dem Nacherleben zu lassen,
Sicherheit, von Kontrolle und unter Umständen
vorher vielleicht ein Zeichen zu erarbeiten, bei
von moralischem Verhalten zu lernen und zu ent-
dem die Therapeutin die Exposition abbricht.
wickeln. Nach der Traumatisierung durch inter-
Beendet das Kind das Nacherleben vorzeitig,
personelle Gewalt erscheint es z. B. sinnvoll,
so kann dies als beispielhafte Situation zur
dem Kind klare Strukturen zur Beurteilung von
weiteren Diagnostik besonders kritischer
angemessenem (z. B. Wut empfinden und zeigen)
Emotionen und Kognitionen genutzt werden
bzw. unangemessenem sozialen Verhalten (z. B.
(»Was hat es Dir eben so schwer gemacht, Dich
weiter zu erinnern?«).
Gewaltanwendung) zu bieten. Diese beinhaltet
das gerraue Erarbeiten, was wann aus welchem
Grund passiert ist, wer Verantwortung für das
Exposition in vivo. Im Verlauf der Behandlung ge- Geschehene trägt, welches Verhalten moralisch
winnt die Exposition in vivo an Bedeutung. Typi- richtig oder falsch ist etc. So wird z. B. ein Mäd-
sche Inhalte sind das Aufsuchen des Ortes der chen, das sexuellen Missbrauch erlitten hat,
Traumatisierung bzw. einer ähnlichen, natürlich darüber informiert, dass dies ein Verbrechen ist,
immer objektiv ungefährlichen, Situation, das dass kein Mensch das Recht hat, über seinen
Anschauen von Bildern etc. Je nach Ausmaß der Körper und seine Sexualität zu verfügen.
Belastung kann ein hierarchisches Vorgehen ge-
wählt oder mit stark angstauslösenden Situatio-
Verhinderung erneuter Viktimisierung
nen begonnen werden. Die Therapeutin und
dann auch die Eltern begleiten das Kind dabei. Ist das Kind Opfer von interpersoneller Gewalt
Vor Beginn der Exposition werden die oder eines Unfalls geworden, so sind Interventio-
Befürchtungen des Kindes, was geschehen nen angezeigt, die das Risiko erneuter Viktimi-
könnte, genauestens erhoben und mit Hilfe typi- sierung senken können. Im Bereich sexueller Ge-
scher kognitiver Methoden einer Überprüfung walt sind dies z. B. ein Training zur Identifikation
unterzogen. Die Konfrontationsphase beginnt von angenehmen und unangenehmen Berührun-
erst dann, wenn das Kind es möchte. gen, ein Training zur Durchsetzung eigener
Wünsche und im Nein-Sagen etc. Hier sind Rol-
lenspiele bzw. das Spiel mit Puppen sehr hilfreich.
Während der Exposition in sensu wie in vivo Gemeinsam mit dem Kind wird eine angemesse-
sollte die Therapeutin ein zugewandtes Ver- ne Risikoeinschätzung verschiedener Situationen
halten zeigen, nonverbale und paraverbale und Verhaltensweisen erarbeitet.
Zeichen aktiven Zuhörens geben und viel Lob
spenden. Zeigt das Kind dissoziative Symp-
tome, so fokussiert die Therapeutin auf sein
gegenwärtiges körperliches Befinden (z. B. »Du 15.4.4 Interventionen im Rahmen
fühlst, wie Du im Sessel sitzt, wie Deine Füße des Elterntrainings
den Boden berühren«).
Das Elterntraining folgt in seinen Inhalten den
Interventionen mit dem Kind. Die zentralen Ele-
Nach Beendigung der Exposition erfolgt eine mente wie Erlernen von Bewältigungsstrategien,
Analyse der befürchteten im Vergleich zu den Training im Ausdruck und Erkennen von Emo-
eingetretenen emotionalen, kognitiven und phy- tionen, Erarbeitung des Störungsmodells und
sischen (bzw. bei der Exposition in vivo mögli- des Konfrontationsrationals, Informationen über
cherweise auch sozialen) Konsequenzen. Die vor- das Trauma und seine Folgen, Veränderung dys-
her geäußerten Befürchtungen werden so einer funktionaler Kognitionen, Psychoedukation etc.
Realitätstestung unterzogen. sind alle auch im Elterntraining enthalten. Gene-
302 Kapitel 15 · Posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen
rell sollen die Erziehungskompetenzen der Eltern Im Besonderen werden die Kommunikationsfer-
gestärkt werden. tigkeiten der Eltern gefördert und trainiert. Die
Therapeutin fungiert sowohl im Rollenspiel als
auch in den gemeinsamen Sitzungen mit dem
Kind als Modell für die Eltern. Um offene und
Die Eltern werden in besonderer Weise darin
hilfreiche Kommunikation zwischen Kind und
trainiert, dem Kind bei der Elaboration des
Elternteil zu fördern, werden spezielle Tageszei-
Geschehenen Partner zu sein, mit ihm offen
ten vereinbart, die beiden »gehören« - d.h., zu
und frei über das Trauma kommunizieren zu
denen der Elternteil verlässlich da ist und Zeit
können.
für das Kind hat. Die Eltern lernen, Gelegenhei-
ten zu erkennen und zu nutzen, mit dem Kind
Diese offene Kommunikation wird in den ge- über das Trauma und seine Folgen zu sprechen
meinsamen Sitzungen bzw. Teilen der Sitzungen (z. B. ein Fernsehbericht über ein ähnliches Ereig-
mit Hilfe der Therapeutin geübt. Die Eltern ler- nis etc.). Man ermutigt die Eltern, dem Kind ak-
nen, welchen bedeutenden Einfluss ihre eigenen tiv zuzuhören, mit ihm über das Erlebte zu spre-
Einstellungen und Überzeugungen auf das Kind chen und zu spielen, die Fragen des Kindes offen
und seine posttraumatische Adaptation haben und ehrlich zu beantworten.
können und wie sie diesen Einfluss so positiv Über die oben anhand der Interventionen
wie möglich nutzen können. beim Kind dargestellten Elemente hinaus werden
Die Traumatisierung eines Kindes erschüttert die Eltern besonders in prinzipiellen Techniken
auch Konzepte der Eltern über Sicherheit, Kon- der Verhaltenssteuerung (Kontingenzmanage-
trolle, interpersonelles Vertrauen und eigene Er- ment) geschult. Diese Techniken lernen die Eltern
ziehungskompetenz. Die Belastung der Eltern einzusetzen, um unerwünschtes, d. h. die PTB
bei Konfrontation mit den Erinnerungen an das aufrechterhaltendes Verhalten des Kindes zu
Trauma erschwert oft den Behandlungsbeginn - löschen und erwünschtes, mit den Zielen der Be-
die Eltern selbst vermeiden. Dies gilt natürlich handlung übereinstimmendes und funktionales
in besonderer Weise, wenn die Eltern direkt von Verhalten gezielt zu verstärken sowie selbst Mo-
der Traumatisierung betroffen waren oder gar dell für funktionales Verhalten zu sein. Die kom-
selbst eine PTB entwickelt haben, aber auch, munikativen Fertigkeiten der Eltern werden z. B.
wenn die Eltern nicht direkt zugegen waren. gestärkt, indem sie darin trainiert werden, ihr
Mögliche ungünstige Interpretationen und Ein- Kind für Fragen zu schwierigen Situationen bzw.
stellungen werden im Elterntraining bearbeitet zum Trauma und seinen Folgen oder für das
und verändert. Wird bei den Eltern eine psy- Sprechen über negative Emotionen allgemein
chische Störung - in Folge des Traumas oder und das Trauma im Spezifischen gezielt zu ver-
auch unabhängig davon - diagnostiziert, so sollte stärken. Dies wird anhand konkreter Situationen
eine angemessene Behandlung eingeleitet wer- aus dem Alltag der Eltern geübt. Oft muss in die-
den. sem Rahmen auch das Selbstbewusstsein der El-
tern bezüglich ihrer eigenen Erziehungskom-
petenzen gestärkt werden. Inhalte des Trainings
in Erziehungsverhalten sind die Prinzipien sozia-
Wurde das Kind Opfer von interpersoneller
len Lernens (Beobachtung, Konsequenzen, die
Gewalt, so werden mit den Eltern deren eigene
das Verhalten des Kindes steuern etc.). Die Eltern
Beziehung zum Täter, die Verhinderung er-
lernen, Lob und Aufmerksamkeit für erwünsch-
neuter Viktimisierung des Kindes bzw. eine
tes Verhalten und Löschung bzw. die Technik
Änderung des Lebensumfeldes von Kind und
des »time out« bei negativem Verhalten einzuset-
Eltern zur Risikominimierung erörtert. Leidet
zen. Sie lernen ferner, angemessene und eindeu-
das Kind unter den Folgen sexueller Gewalt, ist
es hilfreich, die Eitern in einer altersangemes-
tige Instruktionen zu geben. Hilfreich kann die
senen Sexualerziehung zu unterweisen.
Empfehlung von allgemeinen Materialien zu po-
sitivem Erziehungsverhalten sein.
Literatur 15
Exemplarisch wird das Zusammenwirken der Zeitspanne wird in kleinen Schritten immer länger,
verschiedenen Interventionen mit den Eltern und bis das Kind einschläft. Diese Prozedur wird über 2
dem Kind von Deblinger & Heflin {1996) am Bei- Wochen durchgehalten, bis es für das Kind keine
spiel von Schlafstörungen beim Kind dargestellt Schwierigkeit mehr darstellt, alleine im Zimmer zu
(s. Beispiel). bleiben.
dafür, dass es in seinem Bett geblieben ist. Nun American Academy of Child and Adolescent Psychiatry (1998).
Practice parameters for the assessment and treatment of
wird mit dem Jungen vereinbart, dass die Eltern in
children and adolescents with posttraumatic stress disor-
10 Minuten wieder nach ihm sehen werden. Diese
... der. Journal of American Academy of Child and Adoles-
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304 Kapitel 15 · Posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen
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16
C.S. Hankin
Literatur - 323
Arbeitsblätter - 324
310 Kapitel 16 ·Chronische posttraumatische Belastungsstörungen im Alter
"
16.2 · Diagnostische Beurteilung 315 16
Georg: »Ja, natürlich. Ich kann kaum durchs 16.2.3 Abschätzung des Suizidrisikos
Zimmer laufen. Und niemand möchte einen alten
Mann besuchen, der an Sauerstoff angeschlos- Da ältere Menschen ein sehr hohes Risiko haben,
sen ist.« Selbstmord zu verüben, ist es unbedingt erfor-
Therapeut: »Wann begannen Sie sich so zu derlich, jeden Patienten daraufhin zu unter-
fühlen?« suchen und diesen Aspekt während des gesamten
Georg: »Na, ich weiß nicht genau.« Behandlungsverlaufs im Auge zu behalten (vgl.
Therapeut: »Fühlten Sie sich von anderen Mclntosh, 1992). Manchmal sind Therapeuten
Menschen entfernt oder entfremdet als ein Er- zu zögerlich, um offen Selbstmordabsichten zu
gebnis der Kriegsverletzung?« erfragen, da sie annehmen, damit den Patienten
Georg: »Ich weiß nicht genau. Ich mochte erst auf diese Idee zu bringen. Sicher ist, dass je-
immer Leute, aber jetzt, keiner besucht mich. Ich der denkende Mensch, der ein hohes Alter er-
bin ganz allein ... « reicht und insbesondere jemand, der ein Trauma
Thera peut: »Gab es Zeiten, in denen Sie überlebt hat, mindestens einmal im Leben an
fühlten, dass es keine Notwendigkeit gab, für die Selbstmord gedacht hat.
Zukunft zu planen oder dass Ihre Zukunft bald zu Wenn ein Nachfragen aktive Selbstmord-
Ende sein wird?« absichten aufzeigt, sollte der Therapeut ermit-
Georg: »Naja, ich bin 75 Jahre alt. Und ich bin teln, ob der Patient bereits einen spezifischen
ein kranker Mann. Ich wäre ein Dummkopf, wenn Selbstmordplan hat und ob der Patient die Mittel
ich glaubte, ich hätte noch viel mehr Zeit übrig dazu hat, um einen solchen Plan zu verwirk-
... «. lichen (z. B. Zugang zu Waffen, Tabletten, Giften) .
Es muss abgeschätzt werden, ob eine Krankeu-
Wie dieses Beispiel demonstriert, beinhaltet die hausbehandlung eingeleitet werden muss. Eine
Beurteilung von PTB bei Älteren viele Schwierig- Konsultation mit einem kompetenten Kollegen
keiten. Dazu gehören die Unwilligkeit, psychi- sollte durchgeführt werden, selbst wenn nur ein
sches Leid zuzugeben, die Vermengung von mittleres Risiko besteht (Bongar, 1994). Der The-
körperlichen und psychischen Symptomen und rapeut wird behutsam mit dem Patienten arbei-
die Schwierigkeit, den PTB-Symptombeginn ei- ten müssen, um Unterstützungsmaßnahmen für
nem spezifischen traumatischen Ereignis zuzu- den Notfall zur Verfügung zu haben, bevor die
schreiben. Selbstmordimpulse des Patienten zu einer akuten
Krise führen.
tienten gefunden werden: Beispielsweise sind die indiziert sein, da sie tiefgreifende physiologische
Unsteten (z. B. mehrfach Umgezogenen, mehr- Effekte, wie z. B. erhöhte Herz- und Atmungsfre-
fach Berufswechselden) oft sehr einfallsreich quenzraten erzeugen kann und weil die Gesund-
und einem früher Arbeitssüchtigen gelingen oft heit älterer Patienten mit PTB oft eingeschränkt
viele Dinge. Das Wissen um die Stärken des Pa- ist.
tienten verschafft dem Therapeut wichtige Infor-
mationen, die dabei helfen können, den Behand-
lungsablauf auszugestalten. f) Beispiel
Anna ist eine 72-jährige verheiratete Frau mit
Diabetes mellitus, degenerativer Gelenkerkran-
16.3 Behandlung kung und Bluthochdruck. Da die Patientin in
letzter Zeit mehrmals hingefallen war, wurde ihr
Das Behandlungsziel von chronischen posttrau- geraten, ein Gehgestell zu benutzen. Sie lehnte
matischen Belastungsstörungen im Alter ist es, diesen medizinischen Ratschlag jedoch wiederholt
die belastenden Symptome zu mildern. Dieses ab. Sie schien auch die Einnahme von Medika-
Ziel kann mit einer Form der kognitiven Verhal- menten für Diabetes und Bluthochdruck nicht zu
tenstherapie erreicht werden, die bereits seit län- befolgen. Die Ärzte überlegten, ob ihre Verwei-
gerem erfolgreich mit depressiven älteren Patien- gerung ein Symptom basaler kognitiver (AI-
ten genutzt wird (vgl. Beck et al., 1979; Thomp- ters-)Defizite war. Die Patientin wurde zu einer
son et al., 1991). neurologischen Untersuchung überwiesen, aber
die Befunde waren nicht signifikant pathologisch.
Während ihrer ersten Psychotherapiesitzung
16.3.1 Allgemeine Bemerkungen sagte Anna: »Mein Geist arbeitet normal. Ich weiß
nicht, warum ich zu Ihnen geschickt wurde.
Der kognitive Fokus der Behandlung zielt auf die Wenn Sie meine Rückenschmerzen wegmachen
basalen, durch das Trauma erzeugten Schemata könnten und diese Alpträume stoppen, dann
ab und hilft bei der Formulierung von neuen, hätten wir vielleicht einen Grund, miteinander zu
funktionalen Schemata. Die kognitiven Metho- reden.«Trotz ihrer Widerstände machte Anna die
den schließen Härten einer psychologischen Untersuchung mit.
- die Technik des Herausfilterns, Die psychosoziale Anamnese und das strukturierte
- die Diskussion fehlerhafter Denkmuster und klinische Interview erbrachten die folgenden In-
- das »Re-storying« (s. unten) ein. formationen. Anna war von einem Familienmit-
glied sexuell und körperlich während der Kindheit
Die verhaltenstherpeutischen Aspekte der Be- missbraucht worden. Im Alter von 32 Jahren litt sie
handlung sind darauf ausgerichtet, das Bewälti- unter einer 2-jährigen Phase eines schweren de-
gungsverhalten zu verbessern. Verhaltensthera- pressiven Syndroms. Sie erhielt keinerlei Behand-
peutische Techniken, die hier genutzt werden, lung für ihre Depression und schrieb ihre Gene-
sind tägliches Tagebuch führen und der tägliche sung der Liebe ihres Ehemannes und ihrer Kinder
Einsatz von Selbstbeurteilungsskalen sowie posi- zu. Die Patientin berichtete, dass sie sich über eine
tive Aktivitätspläne für ältere Menschen (Galla- sehr erfolgreiche Berufskarriere, eine glückliche
gher & Thompson, 1981). Diese kognitiven und Ehe und hingebungsvolle Kinder und Enkel er-
verhaltenstherapeutischen Techniken werden un- freuen könne. ln den ungefähr 60 Jahren seit ihren
ten detaillierter beschrieben. traumatischen Kindheitserlebnissen hatte sie nie-
Die kognitiv-verhaltenstherapeutisch e Be- mals Kontakt zu Psychotherapeuten gesucht und
handlung von PTB bei älteren Menschen kann nötig gehabt. Anna ist einfallsreich, intelligent,
manchmal eine zusätzliche Technik beinhalten, willensstark, mit guten zwischenmenschlichen
die als Konfrontationstherapie bekannt ist (s. Fähigkeiten sowie einem festen Netz an sozialer
auch Kap. 4). Die Konfrontationstechnik kann al- Unterstützung.
lerdings bei betroffenen älteren Patienten kontra- ...
16.3 · Behandlung 317 16
Anna erfüllte die Kriterien für eine aktuelle Behandlung für spezifische Probleme in Erwä-
PTB-Diagnose teilweise. (Sie wies nicht das Krite- gung gezogen werden.
rium C »Vermeidung und emotionale Taubheit<<
auf.) Ihre spezifischen PTB-Symptome waren u.a.:
Zielfestlegung
Häufige intrusive Erinnerungen, Alpträume und
Flashbacks sowie ausgeprägte Schlaflosigkeit, Ge- Für Anna standen ihre Schlaflosigkeit, die mit
reiztheit und übermäßige Wachsamkeit. den traumabezogenen Alpträumen zusammen-
hing, und ihre Rückenschmerzen im Mittelpunkt
Nach einer kurzen theoretischen Diskussion des der ersten therapeutischen Sitzungen. In der 1.
anfänglichen Therapieverlaufes wird weiter auf Sitzung schilderte Anna ihre Rückenschmerzen
den geschilderten Fall Bezug genommen werden. im Detail. Während sie das machte, schrieb die
Therapeutin einige von Annas anschaulichsten
Ausdrücken an eine Tafel, die im Therapiezim-
16.3.2 Therapieziele der Sitzungen 1-3 mer stand.
Die Therapeutin erklärte: »Ich möchte ein
Die ersten Ziele der Therapie sind: vollständiges Bild davon bekommen, was die
- Eine therapeutische Beziehung aufbauen, Schmerzen für Sie sind. Deshalb schreibe ich die
- Ziele für die Behandlung festlegen. Schlüsselwörter auf, die Ihre Erfahrung beschrei-
ben.«
Die Therapeutin erarbeitete mit Anna eine
Therapeutische Beziehung
»Schmerzskala«, die in a Abbildung 16.3 gezeigt
Die therapeutische Beziehung wird durch eine wird.
große positive Achtung und Wärme auf der Seite Anna legte fest, dass ein Wert von »0« auf der
des Therapeuten gestärkt (s. Kap. 2). Sie wird Skala »kein Schmerz<< und ein Wert von »10<< auf
weiterhin gestärkt, wenn der Therapeut die auf- der Skala »unerträglicher Schmerz« bedeuten
tretenden Beschwerden des Patienten erkennt sollte. Ein Wert von »5<< bedeutete »merklicher,
und beachtet. Wie oben erwähnt, erscheinen älte- aber auszuhaltender Schmerz<<.
re Patienten mit PTB häufiger mit somatischen Anna stimmte zu, eine Art Wochentagebuch
als mit psychologischen Symptomen. Solch ein zwischen der 1. und der 2. Sitzung zu führen. Je-
somatischer Fokus darf vom Therapeuten nicht de Zeile des Tagebuchs steht dabei für einen Tag
als »fehlende Motivation« oder »Widerstand« be- der Woche (s. Arbeitsblatt 1 im Anhang).
wertet werden. Vielmehr sollten, wenn somati- Anna wurde nun gebeten, eine zusammenfas-
sche Beschwerden vorherrschen, der Patient sende Schmerzeinschätzung für jeden Tag in der
und der Therapeut sich zunächst auf diese Be- Spalte »Schmerzniveau<< einzutragen, wobei sie
schwerden konzentrieren. Das vermittelt dem Pa- die Schmerzskala als Maß verwenden sollte. Anna
tienten, dass der Therapeut ernsthaft das Leiden erschien zur 2. Therapiesitzung mit ihrer vervoll-
des Patienten achtet. Weiterhin kann, wenn der ständigten Hausaufgabe. Sie stellte zu ihrer eige-
Therapeut mehr über diese somatischen Be- nen überraschung fest, dass ihr Schmerzniveau
schwerden erfährt, eine parallele medizinische große Schwankungen von Tag zu Tag zeigte. Die
Schmerz- Skala
lo 5 10 I
kein merklicher
Schmerz aber unerträglicher
auszuhaltender Schmerz
Schmerz
Therapeutin schlug vor, die Schmerzskala durch Therapeutin: »Sie sagten in der letzten Sit-
zusätzliche Informationen zu ergänzen, um ein zung, dass Ihre Schmerzen und Alpträume sich
vollständiges Bild über ihre Rückenschmerzen dann zu verringern scheinen und sich Ihr Schlaf
zu bekommen. verbessert, wenn Ihr Tagesablauf angenehme Tä-
Im Arbeitsblatt 2 (s. Anhang) wird darge- tigkeiten beinhaltet?«
stellt, welche Eintragungen Anna als Hausaufgabe Anna: »]a, aber ich bin dabei von anderen ab-
zwischen der 3. und der 4. Sitzung machte. Sie hängig, mir angenehme Aktivitäten zu organisie-
sollte in dieses Arbeitsblatt ihre täglichen Aktivi- ren, weil ich den ganzen Tag im Haus festsitze.«
täten eintragen und zuletzt die gesamte Stunden- Therapeutin: »Welche Art von Aktivitäten ma-
zahl an Schlaf in der vorherigen Nacht. Zusätzlich chen Ihnen Spaß?«
wurde sie gebeten, ihre täglichen Schmerzniveaus Anna: »Ich habe immer daran Spaß gehabt,
zu notieren, genau so, wie sie es in der vorheri- spazieren zu gehen und die Nachbarn zu besu-
gen Woche getan hatte. Anna füllte dieses Formu- chen. Aber ich kann nicht mehr so leicht rumlau-
lar jeden Abend vor dem Zubettgehen aus, und fen wie früher. Und ich werde nicht diesen ver-
gab das vollständige Formular bei ihrer 3. Sitzung dammten hässlichen Apparat benutzen, den sie
ab. mir laufend empfehlen. Das nächste Mal, wenn
In der 3. Sitzung besprachen Anna und die ich zum Arzt gehe, werde ich diese Gehhilfe
Therapeutin gründlich die Angaben. Wieder zurückbringen und sie können das einem anderen
drückte Anna ihre überraschung aus, dass ihre Oldtimer geben, der nicht den Mut hat, das Ding
Schmerzniveaus von Tag zu Tag variierten: »Ich abzulehnen.«
dachte immer, dass die Schmerzen immer bei un- Therapeutin: >>Ich kann verstehen, dass Sie
gefähr 9 bis 10 blieben. Aber es sieht so aus, als diese Gehhilfe nicht leiden können und wir wer-
seien die Schmerzen davon beeinflusst, was ich den dieses Thema jetzt nicht weiter verfolgen.
während des Tages mache.« Anna fuhr fort: »Ich Lassen Sie uns zum Thema der angenehmen Tä-
schätze, wenn ich erfreuliche Ablenkungen wäh- tigkeiten zurückkehren. Es scheint so, dass Sie
rend meines Tages habe, machen mir die Schmer- bei vielen angenehmen Aktivitäten auch weniger
zen nicht mehr so zu schaffen. Und es sieht so aus, Alpträume haben, auch eine gute Nachtruhe und
als seien mein Schlaf und die Alpträume von mei- dass Ihre Schmerzen geringer sind.«
nen Aktivitäten während des Tages beeinflusst.« Anna: >>]a, das ist richtig. Aber ich weiß nicht,
Als ein Ergebnis dieser Hausaufgabe stimmten was ich sonst noch gern mache. Ich bin immer
Anna und ihre Therapeutin überein, dass das ers- körperlich sehr aktiv gewesen und nun kann ich
te Therapieziel wäre, die Häufigkeit der Aktivitä- nichts dergleichen machen.«
ten zu erhöhen, an denen Anna sich erfreut. Therapeutin: >>]a, lassen sie uns das genauer
ergründen .... «
Anna wurde eine Übersicht angenehmer Er-
eignisse für ältere Menschen (Gallagher et al.,
16.3.3 Therapieziele der Sitzungen 4-1 S
1981) gegeben. Diese Übersicht fragt nach ver-
schiedenen Aktivitätsarten, an denen sich Ältere
Die Ziele des mittleren Teils der Behandlung sind:
am meisten erfreuen. Die Übersicht erfasst gleich-
- Bewältigungskompetenz verbessern,
zeitig die Häufigkeit, mit der ein Patient tatsäch-
- Veränderung der durch das Trauma erzeugten
lich eine solche Aktivität ausführt. Die Ergebnisse
Schemata.
zeigten, dass Anna zwar am liebsten Aktivitäten
ausführt, die soziale Interaktion und Naturbegeg-
nungen beinhalteten, dass sie aber sehr selten so
Verbesserung der Bewältigungskompetenz
etwas machte. In der 5. Sitzung wurde gemeinsam
In der 4. Sitzung besprach die Therapeutin noch eine Liste angenehmer Aktivitäten aufgestellt, die
einmal die Verbindungen zwischen Annas leicht für Anna zu erreichende soziale Interaktio-
Schmerzniveau, dem Schlaf und den angenehmen nen und Naturerlebnisse umfasste. Diese Liste ist
Aktivitäten. im Anhang als Arbeitsblatt 3 aufgeführt.
16.3 · Behandlung 319 16
Die Häufigkeit, mit der Anna diese Aktivitä-
ten ausführte, wurde in ihrem Tagebuch fest-
Jeder wird mich bemitleiden
gehalten. Während der nächsten Wochen verbes-
serte sich ihr Schlaf und ihre Alpträume wurden
spürbar seltener. Anna fühlte, dass ihre Schmer-
zen erträglicher geworden waren. Ich stelle meine Gebrechlichkeit
zu sehr heraus
Therapeutin: »Lassen Sie uns genau und vor- de. Und das möchte ich nicht tun! Ich muss ihre
urteilsfrei diese Oberzeugungen ansehen. Ist es Erinnerungen nahe bei mir festhalten, weil ich das
z. B. wahr, dass Sie jedem leid tun würden, wenn Ganze überlebte und sie niemals vergessen darf.«
Sie eine Gehhilfe benutzten?« Hier ermöglicht die Metapher des »Buffets« mit
(Hier beginnt die Therapeutin einen sokrati- einer Anzahl von Wahlmöglichkeiten die Bestäti-
schen (oder rationalen) Dialog (s. Kap. 8) über gung, dass die alten Verhaltensweisen vermehrt
ein traumabedingtes Schema.) werden, anstelle sie aufgeben zu müssen.
Anna: »Gut, vielleicht nicht jedem. Aber eini- Über den Verlauf von 6 Sitzungen wurden die
gen.« Überzeugungen und die ihnen zugrundeliegen-
Therapeutin: »Das ist richtig. Ich würde das den, durch das Trauma erzeugten Schemata ratio-
gern an die Tafel schreiben. Und es ist wahr, dass nal diskutiert (s. Arbeitsblatt 5 im Anhang). Es
Sie Ihre Gebrechlichkeit herausstellen würden? Die wurden die vielen Formen besprochen, durch
Gehhilfe wäre dann so etwas wie eine große An- die dieses Schema Annas Freude am Leben über-
zeigetafel, die sagt: >Anna ist gebrechlich, schaut lagerte und verdeckte.
her?< Und jedermann wird an der Anzeigetafel In der 12. Sitzung stimmte Anna zu, die Geh-
vorbeigehen und seinen Freunden erzählen, die hilfe zu benutzen.
erzählen es dann ihren Freunden, die es wiederum Anna: »Aber nur einmal. Ich habe nicht die
ihren Freunden erzählen? Ziemlich bald werde ich Absicht, daraus eine Gewohnheit zu machen, sie
in Zeitschriften und im Fernsehen sehen >Anna ist zu benutzen.«
gebrechlich<? Vielleicht sogar in den Abendnach- Therapeutin: »Natürlich nicht. Die Gehhilfe
richten? Das alles, weil Sie eine Gehhilfe benutz- könnte nicht richtig funktionieren. Wenn dies
ten?« (Therapeutin und Anna lachen). der Fall ist, vergessen wir es. Aber es freut mich
Anna: »Gut, wenn Sie es so sagen, klingt es sehr, dass Sie die Gehhilfe wenigstens einmal pro-
verrückt. Ich denke sogar nicht wirklich, dass es bieren wollen.«
irgend jemanden interessiert. Die Wahrheit bei An diesem Punkt muss eine Unterscheidung
der Sache ist, dass ich an die frische Luft kommen zwischen dem Zweck der Therapie, den Thera-
würde, und ich werde bestimmt nicht stärker da- piezielen und therapeutischen Interventionen ge-
von werden, mich im Haus zu verstecken.« macht werden. Der Zweck der Therapie älterer
Anna muss dabei nahegebracht werden, dass Menschen mit PTB ist es, die belastenden Symp-
sie nicht aufgefordert wird, das durch das Trau- tome zu verringern.
ma erzeugte Schema aufzugeben, denn dieses Therapieziele können die Verbesserung des
hat ihr in der Vergangenheit gut gedient. Sie wird Bewältigungsverhaltens (z. B. das Beschäftigen
lediglich dazu ermuntert werden, ihren Möglich- mit angenehmen Tätigkeiten) oder den Aufbau
keiten etwas hinzuzufügen. Patienten sind oft ge- funktionalerer Schemata beinhalten.
willt, neue Gedanken und Verhaltensweisen auf- Therapeutische Interventionen sind die Mit-
zunehmen, wenn sie merken, dass sie die alten tel, durch die die Therapieziele erreicht werden
nicht verwerfen müssen. können. Wenn eine besondere Intervention nicht
Es passiert manchmal, dass -bevor das nicht- erfolgreich ist, dann gibt es unzählige andere, die
funktionale Verhalten aufgegeben wird - der Pa- versucht werden können. Der Therapeut ist nur
tient Angst davor bekommt, seine traumatischen durch die eigene Kreativität eingeschränkt. Dem-
Erlebnisse »ungültig« zu machen. Diese Angst zufolge kann der Therapeut wirklich flexibel in
kann durch Bestätigtwerden, Zuversicht und Res- den Fällen sein, wenn der Patient Teilziele nicht
pekt vor dem Erlebten gemildert werden. erreicht. Er kann den Patienten trotzdem weiter
Beispielsweise behauptete ein älterer ehemali- positiv achten und den Geist der gemeinsamen
ger Soldat: »Wenn ich mich an all diesen unange- Anstrengungen weiter pflegen.
nehmen Aktivitäten beteilige, werde ich mich si- In der nächsten Sitzung berichtete die Patien-
cher meines Lebens mehr erfreuen, und das ist gut tin Folgendes:
so. Aber ich befürchte, dass ich, wenn es mir zu Anna: »Gut, ich wusste, dass ich heute zu Ih-
gut geht, meine Kriegskameraden vergessen wer- nen kommen würde, also ging ich gestern raus
16.3 · Behandlung 321 16
für einen kurzen Spaziergang mit meinem Mann. Entwicklung neuer Schemata. Die Entwicklung
Ich benutzte die Gehhilfe, aber ich ging nur einmal neuer Schemata benötigt Aufmerksamkeit und
um den Block.« Arbeit. Dies führt zu einer Art »kognitiver Dis-
sonanz«, in der die älteren, durch das Trauma er-
zeugten Schemata, und die neuen miteinander
konkurrieren.
»Re-storying« Die Therapeutirr besprach sehr detailliert An-
(»erzählendes Wiederherstellen«): nas Gedanken und Verhaltensweisen, die zur Be-
Ausweitung und Integration nutzung der Gehhilfe führten. Diese Ausführlich-
Oft ist es für den Therapeuten schwierig, die The- keit diente dazu, Annas Überzeugung, dass sie
rapieerfolge festzustellen. Es ist deshalb wichtig »bereit ist, neue Dinge auszuprobieren« noch ein-
für den Therapeuten, aufmerksam für »verdeck- mal zu bekräftigen. Die Therapeutin verstärkte
te« therapeutische Erfolge zu sein. Diese Erfolge Annas neue Einsicht durch weitere Erklärungen:
verdienen Anerkennung. Die Anerkennung dient »Das ist die Definition von Courage haben.«
verschiedenen Funktionen. Erstens bedeutet sie,
dass therapeutische Erfolge überhaupt so etwas Integrieren durch »Re-storying<< (»erzählendes
Wiederherstellen«). Der letzte Schritt bei der He-
wie eine Würdigung verdienen. Zweitens ist die
Anerkennung, wenn die therapeutische Bezie- rausbildung eines neuen Schemas nutzt die
hung zum Therapeuten stark ist, eine Quelle für natürliche Neigung der Älteren aus, die Erinne-
Zufriedenheit und Stolz für den Patienten. Aber rungen zu erzählen und mitzuteilen (Jansari &
v. a. bereitet die Anerkennung von therapeuti- Parkin, 1996).
schen Erfolgen eine Möglichkeit zur In Annas Fall fragte die Therapeutin: »Welche
- Festigung therapeutischer Gewinne, Worte der Ermutigung würden Sie jemandem an-
- zur Entwicklung neuer Schemata und bieten, der ähnliche Sorgen hat? Was würden Sie
- für die Integration dieser neuen Schemata ihm erzählen?«
mit den ursprünglich durch das Trauma Anna antwortete: »Ich würde ihnen sagen, es
erzeugten Schemata. einfach auszuprobieren. Das Ergebnis wird ihnen
vielleicht nützen. Und am Ende können sie sich
selbst froh darüber fühlen, dass sie den Mut hat-
Festigung therapeutischer Gewinne. Die eben ten, etwas Neues auszuprobieren.«
vorgestellte Schemaarbeit kann als ein Prozess
aufgefasst werden, bei dem neue Verhaltenswei-
sen und Kognitionen »wiederhergestellt« und in Zusammenfassend: Die Sitzungen 4-1 5 be-
einem neu gestalteten Lebenslauf eingebettet wer- stehen daraus, einzelne Therapieziele zu set-
den. Hier sind die Theorie und die Techniken von zen, Interventionen durchzuführen, die auf das
der Erzähltherapie (»narrative therapy«, White & Denken und Verhalten ausgerichtet sind sowie
Epston, 1990) geliehen, bei der das Hauptaugen- das Wiedererzählen der einzigartigen eigenen
merk auf den Sinnzuschreibungen liegt, die die Erfahrungen zu praktizieren.
Patienten ihren Erlebnissen zuordnen. Die Tech-
nik des »Re-storying« wird durch strategisch ge-
stellte Fragen des Therapeuten erleichtert.
Annas Therapeutirr fragte: »Was sagt Ihre Be- 16.3.4 Abschluss: Sitzungen 16-20
reitschaft, die Gehhilfe zu benutzen, über Sie als
Mensch aus?« (Diese Frage erlaubt es den Älteren, In unkomplizierten Fällen ist das Ziel der Sitzun-
über sich selbst in globalen Begriffen nachzuden- gen 16-20 der Therapieabschluss. Während die-
ken. Dadurch wird die Grundlage für eine neue ser letzten Sitzungen der Behandlung betrachten
Schemabildung gelegt). Patient und Therapeut den Behandlungsverlauf
Anna antwortete: »Gut, ich denke, es besagt, noch einmal und versuchen, sich potentielle
dass ich bereit bin, neue Sachen auszuprobieren.« Schwierigkeiten vorzustellen, denen der Patient
322 Kapitel 16 ·Chronische posttraumatische Belastungsstörungen im Alter
in Zukunft begegnen könnte. Ich habe festgestellt, Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass The-
dass es hilfreich für Patienten ist, ein vorausbli- rapeuten flexibel in Bezug auf ihre Interaktionen
ckendes Szenario in einem Heftehen mit dem Ti- mit behinderten alten Menschen sein sollten.
tel »Überlebensführer« niederzuschreiben. Der
Überlebensführer kann andere nützliche Infor- f) Beispiel
mationen enthalten, wie z. B. Telefonnummern Karl ist ein 82-jähriger, Kriegsversehrter (Amputa-
und bereits fertige Hausaufgaben. tion im 2. Weltkrieg) mit Demenz, bei dem sich
Die letzten Sitzungen können mit längeren eine PTB in einer sehr eigenen und unvergleichli-
Unterbrechungen zwischen den Treffen geplant chen Art zeigt. Der Patient hat bereits seit 3 Jahren
sein. »Auffrischungssitzungen« können 1, 3 und in einem Langzeitpflegeheim ohne Zwischenfälle
6 Monate nach dem Abschluss der Behandlung gelebt. Kürzlich jedoch wurde das Personal
geplant werden, um Behandlungserfolge zu festi- beunruhigt, als Karl versuchte, andere Patienten
gen. Der Therapeut kann den älteren Patienten anzugreifen, indem er sich auf andere Patienten
auch bitten, ungezwungen anzurufen, wenn sich warf. Dies war eine beachtliche körperliche Leis-
Fragen oder Gesprächsbedarf ergeben. tung für Karl, wenn man seine körperlichen Ein-
schränkungen bedenkt. Das Personal machte sich
Sorgen über die Selbst- und Fremdgefährdung des
Patienten. Eine psychologische Untersuchung
16.4 Spezifische Bemerkungen wurde eingeleitet.
Während seines Interviews mit dem Psycho-
Wenn ältere PTB-Patienten kognitiv und körper- logen zeigte Karl kein psychiatrisches Leiden. Er
lich sehr schwer eingeschränkt sind, fordert das erschien ruhig, sozial angemessen und aktiv, ob-
den Therapeuten dazu heraus, sehr kreativ zu wohl sein Kurzzeitgedächtnis stark eingeschränkt
sein. Trotz dieser Schwierigkeiten bleibt die Be- war. Der Psychologe erfuhr, dass der Patient im
handlung oft sehr effektiv und lohnend. 2. Weltkrieg Sanitäter gewesen war. Während einer
- Beispielsweise sollte ein Therapeut, der mit besonders schrecklichen Serie von Bomben-
geistig eingeschränkten Älteren arbeitet, die- angriffen auf dem Gefechtsfeld, als er sich um
se ermutigen, sich auf die Benutzung des Verwundete kümmerte, entschied er sich dafür, die
»Merkbuches« zu verlassen, das wichtige In- verwundeten Soldaten mit seinem eigenen Körper
formationen (wie z.B. Telefonnummern, The- abzudecken. Dies war ein verzweifelter Versuch,
rapieaufgaben und einen Plan täglicher Akti- die Verwundeten möglichst frei von Splittern zu
vitäten) enthält. Das Merkbuch wird dann ein halten.
wichtiger Zusatz in der Therapie. Das Langzeitpflegeheim wurde z. Z. renoviert,
- Im Fall, dass der ältere Mensch gehörgeschä- wobei die Bauarbeiten ziemlich laut waren. Es gab
digt ist, kann die Benutzung einer tragbaren gelegentliche explosive Geräusche, die an Bom-
elektronischen Hörhilfe nützlich sein. beneinschläge erinnerten. Was dem Pflegeper-
- Wenn das Sehvermögen eingeschränkt ist, sonal als Angriffsverhalten erschien, war tatsäch-
können Aufgaben in großer Druckschrift lich das erneute Nachspielen seines heldenhaften
oder Tonbandaufnahmen der Sitzungen Altruismus. Der Psychologe arbeitete daraufhin
nützlich für die Patienten sein. mit dem Pflegepersonal, um Karls durch Erinne-
- Falls die Mobilität des älteren Menschen ein- rungen ausgelöste Ängste zu verringern, die durch
geschränkt ist, kann der Therapeut auch be- das Rekonstruktionsprojekt wieder aufgetreten
reit sein, Hausbesuche oder Telefonberatun- waren.
gen zu machen.
- Wenn der ältere Patient von der Pflege durch Anmerkung der Autorin:
Familienmitglieder oder Andere abhängig ist, Dieses Kapitel beruht auf der klinischen Erfah-
ist es nützlich, diese Pflegepersonen in die Be- rung, die Cheryl Hankin als Assistenz-Psycho-
handlung einzubeziehen - vorausgesetzt al- login und Doktorandin an der Geriatrisch-Medi-
lerdings, der Patient stimmt zu. zinischen Klinik, Abteilung für ältere Erwachsene
Literatur 323 16
~ -
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324 Kapitel 16 · Chronische posttraumatische Belastungsstörungen im Alter
Arbeitsblatt 1
Schmerztagebuch
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Samstag
Sonntag
Arbeitsblatt 2
Mittwoch Ruhiger Tag. Freunde kamen zum 3 eingeschlafen um 23 Uhr, auf um 8 Uhr,
Besuch rüber insgesamt 8 h
Donnerstag Beunruhigendes Telefonat mit der 9 von Mitternacht bis 7 Uhr, insgesamt 7 h
Tochter, ausgeruht
Liste angenehmer Aktivitäten, die von Anna in Vorteile und Nachteile von Annas innerer Über-
der 5. Stunde angefertigt wurde zeugung: »Ich muss mein Leben meistern, ohne
Schwächen zu zeigen, sonst bin ich wertlos«
Dinge aus der Natur, Geselligkeiten,
die mir gefallen die mir gefallen Vorteile Nachteile
- Vögel singen hören - Telefonieren mit den Ich war in der Lage mein Ich kann mich nicht
Kindern oder Freunden Leben durchzustehen schutzlos zeigen
- Dem Zug der Wolken
zuschauen Kaffeetrinken mit Ich wurde in meinem Ich muss immer stark sein
Freunden Beruf erfolgreich
- Blumen arrangieren Ich kann es mir nicht
Stilles Zusammensein Ich habe eine gute Ehe erlauben, krank zu sein
- Den Sternenhimmel mit meinem Mann
und den Mond Ich habe Kinder, die Ich zwinge mich manch-
beobachten mich schätzen mal zu etwas
Arbeitsblatt S
Rationale Diskussion von Annas traumabedingten Schemata (7.-12. Stunde). Vgl. a Abb.l6.4
Traumabedingte Überzeugungen Rationale Diskussion
(Schemata)
Jeder wird mich bemitleiden Es kann sein, dass einige so denken und andere auch nicht.
Ich weiß es nicht
Ich stelle meine Gebrechlichkeit zu sehr heraus Wen stört das? Ich gehe halt an die frische Luft. Es wird sicher
nicht besser, wenn ich den ganzen Tag zu Hause bleibe
Jeder wird merken, dass ich schwach bin Noch einmal: ich weiß nicht, was die anderen denken. Deswegen
bringt es nichts, zu überlegen, was die anderen denken könnten
Jeder wird merken, dass ich ein Opfer bin Ja, Ich war ein Opfer. Ich wurde um meine Kindheit betrogen.
Aber die Leute werden wegen meiner Gehhilfe nicht an meine
Kindheit denken
Ich bin ein gebrochener Mensch Mich schmerzt das, was damals passiert ist. Immer noch sehr.
Aber ich bin sicherlich kein gebrochener Mensch
Ich bin wertlos Ich denke, das ist auch nicht zutreffend. Ich bin mit Kindem
und Enkeln gesegnet, die mich lieben. Mein Mann liebt mich.
Das macht mein Leben lebenswert
Sachverzeichnis 327 A-C
Sachverzeichnis
Augenbewegungstherapie (s. Eye Movement Desensitization
A and Reprocessing, EMDR)
Auslösesituation 276
autobiographisches Gedächtnis 22, 289
Autofahrphobie 273
Abhängigkeitsentwicklung 131, 134, 135
autogenes Training 260
ABS (s. auch akute Belastungsstörung)
automatische Gedanken (s. Gedanken)
Abwehr 42
Automutilation 170, 181
Accident phobia (s. Phobia)
Azapirone 132
Affektdurchbruch 224
Affektregulation 181
aggressives Verhalten 282
Akkommodation 142
Aktivierung, psychephysiologische 269
Aktivität 318
B
- Aufbau 276
- psychologische 269 Bedrohung, anhaltende Wahrnehmung der 22
- Plan 316 Befürchtungen und Erwartungen, Betrachtung von 102
akute Belastungsreaktion (auch akute Belastungsstörung, Belastungsfaktor 250, 251
ABS) 58 Belastungsreaktion
- Diagnostik 188 - akute 32, 38, 108, 252, 253
- dissoziative Symptome 187 - positive 252
- Risikofaktoren 189 Belastungsstörung, akute (s. akute Belastungsstörung)
Albtraum 40, 131, 143, 169, 179, 234, 269, 317 Benzodiazepin 131, 132, 134, 135, 260, 277 .
Alkohol 130, 277 Betäubung 6, 120
- Konsum 217 Betrachtung von Befürchtungen und Erwartungen 102
- Missbrauch 16 Betroffener 209, 210
Alprazolam 260 Bewältigungsstrategie 272, 276, 311
Alterungsprozess 314 - Bewältigungskompetenz 318
Amitriptylin 133 - Bewältigungsressource 315
Amnesie 7, 143, 170 - Bewältigungsverhalten 312
Amygdala 23 - Eitern als Modelle 288
Analgesie 225 Beziehung, therapeutische (s. therapeutische Beziehung)
Analgetika, Missbrauch 278 Bild malen als Diagnostik 291
Anamnese 172, 173 Bildschirmtechnik 175
Angstbewältigungstraining 78, 81, 175 biochemische Veränderungen 23
Angstskala 272 Boostersession (s. Auffrischungssitzung)
Angststörung 68, 92, 133, 175, 224, 268 Borderline-Persönlichkeitsstörung 67, 68, 181
Angstsymptom 38 Brofaromin 134
Angstzustände 131 Burning feet-Syndrom 236
Anpassung 312 Burnout-Prophylaxe 37, 44
Anpassungsstörung 68, 188 Buspiron 135
Antidepressiva 131, 132
- serotonerge 133
- trizyklische 132, 133, 260, 277
Antikonvulsivum 135, 136
Anxiolytika 132, 135 c
- Missbrauch 278
Ärger 12, 29, 299
Ärgermanagement-Strategie 174 CAPS (Ciinician-Administered PTSD Scale) 59, 60
Assimilation 142 Carbamazepin 13S
Atemkontrolltechnik 175 CISD (Critical lncident Stress Debriefing, s. auch ereignis-
Aufarbeitung (s. auch Integration) 226 bezogene lnterventionsmaßnahmen) 257
Auffrischungssitzung 72, 322 CISD (Critical lncident Stress Debriefing, s. Debriefing)
aufrechterhaltende Faktoren, Erfassung von 70 Clinician-Administered PTSD Scale (CAPS) 59, 60
Auftragsklärung 228 Cognitive Processing Therapy 143
328 Sachverzeichnis
Eigenmedikation 130
Einordnung in autobiographischen Kontext 286
Einsatzdurchführung 257
Debriefing (CISD) 192, 256 - Einsatzbegleitung 256
- Critical lncident Stress Debriefing (CISD) 193, 257 - Einsatzvorbereitung 254, 257
- Determinanten psychologischer 195 Einsatznachbereitung 256, 257, 259
- Diskussion um Effektivität 194 Eitern
- Durchführung in der Gruppe 195 - Einbindung in die Behandlung 293
- Phasen des Debriefingprozesses 193 - Kommunikationsstil 289
- subjektive Akzeptanz 195 - als Kotherapeuten 297
- Vergleich mit kognitiver Verhaltenstherapie 197 - als Modelle für Coping 288
- weitere Verfahren 199 - Training 301
Debriefing-Gruppen 208, 209, 212 EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocess-
Defensivität (s. auch conspiracy of silence) 43 ing) 29, 31, 80, 82, 197, 230, 260, 293
Denkmuster emotionale Erstarrung (s. Erstarrung)
- Diskussion fehlerhafter 316 emotionale Reagibilität 269
- fehlerhaftes 147, 155 emotionale Taubheit 317
Depathologisierung 174, 180 emotionaler Ausdruck 298
Depersonalisation 170, 175 Empathie 43, 226
Depression 68, 131, 172, 224, 274 Entfremdungsgefühl 7, 20, 40, 223, 253
- reaktive 13, 14 Entspannungstraining 84, 212, 271, 274
Depressive Störung 170, 271 Epidemiologie 168, 268
Deprivation 228, 251 - lnzidenz 270
Derealisation 170, 175 ereignisbezogene Interventionsmaßnahme 257
Desensibilisierung, systematische 212, 271 , 273, 274 Erinnerung 146, 269, 271
Desipramin 133 - Attacken 314
DESNOS (Störungen durch Extrembelastungen) 11 - intrusive 92
Diagnoseprotokoll 313 - Störungen 234
Diagnostik 96, 111, 167, 172, 276, 314 Erstarrung 228
- Eingangsdiagnostik 45, 46 - emotionale 108
dialektische Verhaltenstherapie (s. Verhaltenstherapie) Erste Hilfe, psychische 191
Dialog Erstgespräch 38, 47
- konstruktiv-narrativer 229, 235 Erwartung, negative (s. negative Erwartung)
- sokratischer (s. auch sokratischer Dialog) 103 Erwartungsangst 239
Differenzierung zwischen den Betroffenengruppen 199 Erzähltherapie (narrative therapy) 321
Disclosure (siehe auch Offenlegung der traumatischen Essstörung 224
Erinnerungen) 27 Ethik, therapeutische 244
Dissoziation 169, 170, 175, 225, 230, 244 Exposition (s. auch prolonged exposure, s. auch Trauma-
- peritraumatische 26 exposition, Konfrontation) 96, 176, 232, 233, 238, 271,
dissoziative Störung 14, 114, 224 273
dissoziative Tendenzen 12 - graduierte 274
Down-arrowing 319 Exposition in sensu 178, 272, 274
Driving phobia (s. Phobia) Exposition in vivo 272, 274, 301
Sachverzeichnis
329 D-1
Expositionsbehandlung 276, 278 - Zusammenhang 102
Eye Movement Desensitization and Reprocessing gedankliche Verleugnung (s. Verleugnung)
(Augenbewegungstherapie, EMDR) 29, 31, 80, 82, 197, Gedenkort 32
230, 260, 293 Gefühle der Stigmatisierung (s. Stigmatisierung)
- Phasen 197 Gefühlskontrolle 116, 120, 124
- Rückfälle bei 83 Gefühlsregulation 44
- Wirksamkeit als Frühintervention 198 Gegenkonditionieren 229, 238
Gegenübertragung 42
Generalisierung 179
Genexpression 287