Sie sind auf Seite 1von 11

MSR-Konzepte für Kläranlagen –

eine Bestandsaufnahme am Beispiel des ATV-


DVWK Landesverbandes Nord-Ost

Zur Ausnutzung von Automatisierungspotentialen

Dr.-Ing. Ralf Tschepetzki, ifak system GmbH, und Dr.-Ing. Ulrich Jumar, Institut für
Automation und Kommunikation e.V.

Das Spektrum an Steuerungs- und Regelungsaufgaben in der Abwassertechnik ist konti-


nuierlich angewachsen. Mit dem Einsatz moderner MSR-Technik will man den hohen
Anforderungen an die Reinigungsleistung und dem immensen Kostendruck gerecht wer-
den. Für alle relevanten Prozessgrößen stehen längst entsprechende Messgeräte zur
Verfügung. Aber kann man aus einem hohen technologischer Stand ableiten, dass alle
vorhandenen Potentiale ausgeschöpft wurden? Wie steht es um integrative Strategien
und Konzepte zur Prozessführung und Optimierung von Kläranlagen? Eine Vorreiterrolle
können die neuen Bundesländern spielen. Dort sind innerhalb sehr kurzer Frist viele Klär-
anlagen gänzlich modernisiert oder neu gebaut worden. Um Aussagen zum Stand der
MSR-Technik und ihrer Einbindung in Automatisierungskonzepte treffen zu können, wur-
de eine Umfrage an Kläranlagen in vier Bundesländern durchgeführt.

Ausgewogene Mess-, Steuerungs- und Regelungskonzepte (MSR-Konzepte) tragen ne-


ben der Überwachung der Abwasserreinigung bzw. der Absicherung der Prozessstabilität
vor allem zur Einsparung von Betriebskosten bei und rentieren sich deshalb auch bei hö-
herem Aufwand sowohl für eine sorgfältige Planung als auch bei der gerätetechnischen
Ausrüstung. Eine effektive Nutzung der vorhandenen MSR-Technik ist aber keine Selbst-
verständlichkeit. Planungsfehler können den wirtschaftlichen Anlagenbetrieb erschweren,
so dass nicht nur ältere Kläranlagen ein Verbesserungspotential besitzen [1].
Nur wenn über die spezifischen technischen Gegebenheiten und Problemstellungen von
Kläranlagen detaillierte Informationen vorliegen, kann eine Bewertung der MSR-Technik
vorgenommen werden. Der aktuelle Ausstattungsstand und insbesondere der tatsächliche
Einsatz von MSR-Technik auf neueren Kläranlagen sollten Anknüpfungspunkte für Stra-
tegien zur Betriebsoptimierung liefern können, die gegenwärtig auch auf vielen älteren
Kläranlagen eine wichtige Rolle spielt. Deshalb dürfte eine Bestandsanalyse für Planer,
Ausrüster und Betreiber gleichermaßen von Interesse sein. Eine verwandte Studie [2] be-
zieht sich auf Kläranlagen in Nordrhein-Westfalen und ist bereits mehrere Jahre alt. Das
waren Überlegungen, die Anstoß gaben für die Erstellung einer aktuellen Datenbasis und
damit für eine erneute Erhebung unter Kläranlagen.

MSR-Konzepte für Kläranlagen


Gemeinsam mit dem ATV-DVWK Landesverband Nord-Ost hat die ifak system GmbH
diese Befragung von Kläranlagen in einem ausgewählten Gebiet, in vier nord-östlichen
Bundesländern, durchgeführt. Das Unternehmen verfügt über mehrjährige Erfahrungen
mit der dynamischen Simulation von Abwasserprozessen und der Steuerung und Rege-
lung von Kläranlagen.

Im Mittelpunkt der Erhebung stand die Mess-, Stell- und Regelungstechnik der biologi-
schen Reinigungsstufen, da diese entscheidend zur Kostendämpfung bei der Abwasser-
beseitigung beizutragen vermag. Die Ergebnisse der Umfrage sollen dem Erfahrungs-
austausch und der Fortbildung innerhalb der ATV-DVWK Kläranlagennachbarschaften
zugute kommen. Sie besitzen zudem über die Grenzen dieser Region hinaus grundsätzli-
che Relevanz für die Planung künftiger Regelungskonzepte der biologischen Stufe.
In dem ATV-DVWK Landesverband Nord-Ost sind Kläranlagen der Bundesländer Meck-
lenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin und Sachsen-Anhalt zusammengeschlossen.
In der Landesgruppe gibt es ca. 200 Kläranlagen der Größenklasse 3 bis 5 (ab 5.000 bis
über 100.000 EW = Einwohnergleichwerte). Die Betreiber der Anlagen mit überwiegend
Belebtschlammverfahren wurden im Dezember 1999 mit einem zweiseitigen Fragebogen
angeschrieben. Bis zum März 2000 lagen von etwa einem Drittel der angeschriebenen
Kläranlagen die Daten vor. Mit 70 % war die Rücklaufquote der Kläranlagen der Größen-
klasse 5 deutlich höher als die der mittleren und kleinen Anlagen. Damit repräsentiert die
Umfrage die Kläranlagen der Größenklassen 3 bis 5 mit etwa gleichen Anteilen am Da-
tensatz.
Befragt nach Besonderheiten ihrer Kläranlage, schätzt ein Drittel des Betriebspersonals,
dass die Anlage mit schwierigen Zulaufverhältnissen belastet ist. Benannt wurden
„Mischwasserzulauf bei Regen“ oder „Fäkalien“. Für etwa 20 % der Kläranlagen werden
besondere Anforderungen an die Reinigungsleistung konstatiert wie beispielsweise eine
„zweistufige Biologie“.

1. Verfahren zur Stickstoff- und Phosphorelimination


Die erfassten Anlagen werden fast ausschließlich mit den inzwischen schon “klassischen“
Verfahrenstechniken der weitergehenden Abwasserreinigung betrieben. Da die zu den in-
novativen Entwicklungen der Abwasserbehandlung zählende Biofilmtechnologie und die
Membrantechnik auf den Kläranlagen der ATV-Landesgruppe Nord-Ost gegenwärtig
kaum vertreten sind, wird darauf nicht näher eingegangen.

Zur Stickstoffelimination kommt in ca. 39 % der erfassten Kläranlagen die vorgeschaltete


Denitrifikation zur Anwendung. Fast gleich stark sind die Reinigungsverfahren simultane
Denitrifikation mit ca. 24 % und intermittierende Denitrifikation mit ca. 20 % verbreitet.
Relativ selten werden die alternierende Denitrifikation, die Kaskaden-Denitrifikation und
andere Verfahren zur Stickstoffelimination genutzt (Bild 1).

MSR-Konzepte auf Kläranlagen -2- gwf 11/2000, S. 780-785


ifak system GmbH Schleinufer 11 D-39104 Magdeburg rts@ifak-system.com
Kaskaden- 7,3 %
Denitrifikation

Alternierende 9,7 %
Denitrifikation

Simultane 24,4 %
Denitrifikation

Intermittierende 19,5 %
Denitrifikation

Vorgeschaltete 39,1 %
Denitrifikation

0 10 20 30 40 50

Bild 1. Verbreitung der Verfahren zur Stickstoffelimination. Werte bezogen auf die Gesamtzahl der
erfassten Anlagen.

Kaskaden- 14 %
Denitrifikation

Alternierende 0%
Denitrifikation

Simultane 14 %
Denitrifikation

Intermittierende 0%
Denitrifikation

Vorgeschaltete 72 %
Denitrifikation

0 20 40 60 80

³ 100.000
Bild 2. Verbreitung der Verfahren zur Stickstoffelimination in Bezug zur Größenklasse 5 (³
EW). Werte bezogen auf die Gesamtzahl der erfassten Anlagen.

Nur für ca. 10 % der Anlagen gibt es Aussagen über die Möglichkeit zur Umstellung auf
ein anderes Reinigungsverfahren oder über das Vorhandensein einer 2. Reinigungsstufe.
Deutlich wird auch, dass Stickstoff auf großen Kläranlagen fast ausschließlich mit vorge-
schalteter Denitrifikation (72 %) bzw. in Kaskaden (14 %) eliminiert wird (Bild 2). Die bio-
logische Phosphorelimination ist in mehr als 65 % der Kläranlagen integriert und wird bei
Bedarf durch chemische Fällung im Hauptstrom (Simultanfällung) ergänzt.

2. Eingesetzte Belüfter und ihre Stellmöglichkeiten


Grundlegend für eine wirksame Abwasserreinigung ist eine ausreichende Sauerstoffver-
sorgung des Belebtschlamms. Weit verbreitet ist die Belüftung mit Luftsauerstoff im Bele-
bungsverfahren. Ein Großteil der anfallenden Energiekosten wird durch die Belüftung ver-

MSR-Konzepte auf Kläranlagen -3- gwf 11/2000, S. 780-785


ifak system GmbH Schleinufer 11 D-39104 Magdeburg rts@ifak-system.com
ursacht. Außerdem beeinflusst die Konzentration des mit dem Belüftungssystem einge-
tragenen bzw. des durch Strömung verschleppten Sauerstoffs die Effektivität fast aller
ablaufenden biologischen Prozesse der Abwasserreinigung erheblich.
Oft gibt es große Differenzen zwischen dem in der Planung angesetzten minimalen und
maximalen Sauerstoffeintrag und den tatsächlichen Verhältnissen im Anlagenbetrieb. Die
technischen Möglichkeiten des Belüftungssystems bestimmen jedoch die Machbarkeit von
optimierten Steuerungs- und Regelungskonzepten. Die Grenzen der Energieeinsparung
sind schnell erreicht, wenn bei schwacher Ammoniumbelastung z. B. die Gebläse nicht
weit genug heruntergefahren werden können, um die Sauerstoffkonzentration der Nitrifi-
kationsvolumen unter 2 mg/l einzustellen.
Die Oberflächenbelüftung findet sich nur in zwei Anlagen mittlerer Größe, sonst kommt
durchgehend die Druckbelüftung zum Einsatz. Die Belüftungssysteme sollten neben einer
ausreichenden Leistung vorzugsweise zusätzlich über Stellmöglichkeiten verfügen, um
die bereitgestellte Luftmenge gezielt dem jeweils relevanten Bedarf anzupassen, der auf-
grund von Veränderungen der Belastung, der Temperatur, des TS-Gehaltes und anderen
Faktoren deutlich schwankt. Meistens gibt es neben den Armaturen in den Druckleitungen
wie Schieber, Ventile und Klappen weitere Möglichkeiten, die Gebläse einzustellen (Lie-
ferkennfeld der Verdichter, Anzahl und Staffelung der in Betrieb befindlichen Anlagen).
Die eingesetzten Stellglieder verteilen sich gleichmäßig, ohne eine bevorzugte Methode
erkennen zu lassen.

flexible O2-
Sonstiges
Konzentration
(z. B. Redox)
59%
18%

Sonstiges feste O2- Zulauf-


3% Konzentration Zeitschaltuhr
Ganglinie
38% 35%
47%

Bild 3 (links). O2-Regelungskonzepte. Bild 4 (rechts). O2-Steuerungskonzepte. Werte bezogen auf


die Gesamtzahl der eingesetzten Regelungen.

Auf nahezu allen Kläranlagen (95 %) wird die Sauerstoffkonzentration durch Steuerung
und Regelung an die variablen Anforderungen angepasst (Bilder 3 und 4). Mit einem
komprimierten Fragebogen lässt sich kaum ermitteln, ob die auf den verschiedenen Klär-
anlagen vorhandenen Steuerungen und Regelungen zur Sauerstoffzufuhr den aktuellen
Empfehlungen und Hinweisen des überarbeiteten Merkblattes ATV-DVWK-M 265 [3] ent-
sprechen. Die Befragung zeigt jedoch, dass man auf lediglich einem knappen Drittel der
Anlagen eine lastflexible Steuerung bzw. Regelung der Belüftung findet: Anpassung der

MSR-Konzepte auf Kläranlagen -4- gwf 11/2000, S. 780-785


ifak system GmbH Schleinufer 11 D-39104 Magdeburg rts@ifak-system.com
O2-Sollwerte, der Dauer der Belüftung oder der Größe des belüfteten Volumens an die
Temperatur bzw. an die NH4-N-Konzentration. Dabei kann man mit einem flexiblen Ver-
fahrensregler, der die Belüftung ständig mit der jeweiligen Abwasserbelastung der Klär-
anlage abstimmt, gegenüber einem starren Regler, der nur eine oder wenige Lastsituatio-
nen kennt, bis zu 10 % Energie einsparen.

Beispielsweise wurde von den Autoren bereits 1994 auf der Kläranlage Wanzleben ein
Fuzzy-Regler nachgerüstet, der seitdem zur vollen Zufriedenheit des Betreibers die inter-
mittierende Belüftung lastflexibel betreibt [4].

3. Prozessleittechnik
Verglichen mit der zurückliegenden Studie aus Nordrhein-Westfalen zeigen die prozess-
leittechnischen Einrichtungen im befragten Gebiet ein recht hohes Niveau. Kompaktregler
werden nur in zwei Anlagen eingesetzt; speicherprogrammierbare Steuerungen und Leit-
systeme bestimmen durchgängig das Bild. Die Einhaltung des bestimmungsmäßigen Be-
triebes erfordert eine Vielzahl selbständig ablaufender Steuerungen und Regelungen, die
sich überzeugend mit SPSen für den prozessnahen Einsatz realisieren lassen. Die Auf-
gaben wie Prozessbeobachtung und Bedienung sowie Datenhaltung und -archivierung
lassen sich inzwischen reibungslos mit einem Leitsystem mit zugeschnittenen Algorith-
men ausführen. Die verbesserten technischen Möglichkeiten und die höheren betriebli-
chen Anforderungen sind in den inzwischen neu bearbeiteten und aufeinander abge-
stimmten Merkblättern ATV-DVWK-M 253 und 260 berücksichtigt [5], [6] und sollen hier
nicht weiter vertieft werden.
Obwohl in den Leitsystemen heute umfangreiche Prozessinformationen vorliegen und die
hard- und softwaretechnischen Voraussetzungen (ausreichende Rechenleistung und
Möglichkeiten zur Ankopplung eines beigestellten PCs) gegeben sind, werden nur in sehr
wenigen Kläranlagen übergeordnete Aufgaben zur Prozesssteuerung und Optimierung
(2 %) übernommen. Im Vergleich mit der chemischen Industrie sind hier noch sehr große
Reserven vorhanden.

MSR-Konzepte auf Kläranlagen -5- gwf 11/2000, S. 780-785


ifak system GmbH Schleinufer 11 D-39104 Magdeburg rts@ifak-system.com
4. Online-Messgrößen in den einzelnen Reinigungsstufen
Prozessanalysentechnik und Messgeräte zur kontinuierlichen Erfassung der Abwasserpa-
rameter wurden in den letzten Jahren ständig technisch weiterentwickelt. Die zunehmen-
de Verbreitung von Online-Daten und die gewachsenen Erfahrungen insbesondere beim
Einsatz in Steuerungen und Regelungen haben zur Überarbeitung und Ergänzung des
ATV Merkblattes ATV-DVWK-M 269 geführt [7]. Auch auf den mit dem Fragebogen er-
fassten Anlagen stehen heute mehr und z.T. zuverlässigere Messdaten online zur Verfü-
gung. Der Grad der Automatisierung und des ausgeschöpften Potentials zeigt sich aber
gerade darin, ob die eingelesenen Messdaten nur in Statistiken einfließen oder auch zur
Steuerung oder Regelung genutzt werden.

80%

59%
60%

40%

22% 22%
20%
10%
7%
5%
2%
0% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 0%
0%
NH4-N PO4-P CSB BSB Durchfluss

Online-Messung Steuerung Regelung

Bild 5. Online-Messgrößen im Zulauf Belebung. Werte bezogen auf die Gesamtzahl der erfassten
Anlagen.

Auf allen befragten Anlagen wird Prozessmesstechnik zur besseren Überwachung der
Abwasserreinigung sowie zur Steuerung und Regelung der Prozesse eingesetzt. Die kon-
tinuierliche Messung von P- und N-Konzentrationen oder des CSB im Zulauf zur Biologie
(P: 7 %, N: 22 %, CSB: 5 %; vgl. Bild 5) muss in jedem einzelnen Fall kritisch hinterfragt
werden. Diese Messungen finden sich überwiegend in größeren Kläranlagen und werden
als zusätzliche Informationen in höherwertige Steuerungs- und Regelungskonzepte ein-
bezogen oder fließen in modellgestützte Systeme zur Unterstützung der Betriebsführung
(z.B. Online-Simulation mit Analyse- und Beratungsfunktionen) ein [8]. Solche Lösungen
bieten ein großes Potential zur Optimierung der Abwasserreinigungsprozesse. Werden
diese kostspieligen Zulaufinformationen allerdings nicht weiter genutzt und landen sie nur
auf dem "Datenfriedhof", sind sie eher überflüssiger Luxus.
Mit den Online-Messgeräten zur Bestimmung von Phosphor- und Stickstoffverbindungen
in der Biologie können wichtige Informationen über den Reinigungsprozess bereitgestellt

MSR-Konzepte auf Kläranlagen -6- gwf 11/2000, S. 780-785


ifak system GmbH Schleinufer 11 D-39104 Magdeburg rts@ifak-system.com
werden (Bild 6). Durch Einbeziehung dieser Informationen in das Steuerungs- und Rege-
lungskonzept können die Prozessstabilität bzw. die Ablaufwerte verbessert oder Betriebs-
kosten eingespart werden.

100%

80%
80%

60%
49%
44% 44%
40% 32%
27%
15% 20%
17% 17% 17% 15%
20%
15% 12% 15% 10%
5%
2%
0%
O2 NH4-N NO3-N PO4-P TS Redox

Online-Messung Steuerung Regelung

Bild 6. Online-Messgrößen in der Belebung. Werte bezogen auf die Gesamtzahl der erfassten An-
lagen.

Bei kleinen und auch bei einigen mittleren Anlagen findet man kaum Online-Messtechnik
zur Bestimmung dieser Verbindungen. Mancherorts wird dafür auf unspezifische Größen,
wie z.B. Redox (17 %), zurückgegriffen. Die damit aufgebauten Steuerungen arbeiten
zum Teil nicht effektiv. Ein Austausch scheitert häufig aus wirtschaftlichen Gesichtspunk-
ten. Die Investitions- sowie Betriebskosten für z. B. Probenvorbehandlung, Reagenzien
bzw. Verbrauchsmaterial und Wartung von Online-Analysatoren sind relativ hoch. Diesen
Kosten werden in der Regel nur die möglichen Betriebskosteneinsparungen bei Regelung
der Fällmittelzugabe oder der Sauerstoffzufuhr gegenübergestellt.
Beziffern lässt sich der Gewinn aus einer besseren Überwachung des Abwasserreini-
gungsprozesses durch direkte Online-Messung von Phosphor- und Stickstoffverbindun-
gen und einer möglichen höheren Prozessstabilität oder von zeitweise verbesserten Ab-
laufwerten bei Einbeziehung dieser Informationen in die Betriebsführung kaum. Denn
diese positiven Faktoren führen nicht automatisch zur Reduzierung der Betriebskosten,
zur Verringerung der Abwasserabgabe oder zur Einsparung an Personal.
Betrachtet man den dritten Standort von Online-Messung, den Ablauf der Nachklärung,
verschiebt sich die Verteilung deutlich. Werden die erfassten Messdaten in der Belebung
bei mehr als der Hälfte aller Anlagen zur Steuerung oder Regelung eingesetzt, besitzen
sie hier lediglich eine statistische Relevanz für Datenhaltung oder periodische Auswertun-
gen. Bis auf wenige Ausnahmen (rund 2-5 %) werden die Daten regelmäßig nur erfasst.

Dass an die Zuverlässigkeit der eingesetzten MSR-Gerätetechnik, insbesondere an On-


line-Messungen, höchste Anforderungen gestellt werden, sei hier nur am Rande erwähnt
MSR-Konzepte auf Kläranlagen -7- gwf 11/2000, S. 780-785
ifak system GmbH Schleinufer 11 D-39104 Magdeburg rts@ifak-system.com
[7]. Neben der regelmäßigen Wartung und Kalibrierung der Geräte müssen die Messwerte
mit Plausibilitätskontrollen überprüft werden. Bei Problemen müssen Ersatzwertkonzepte
oder ein Sicherheitsregime greifen, damit die Reinigungsprozesse nicht konterkariert wer-
den.

5. Die eingesetzte MSR-Technik im Urteil des Betriebspersonals


Der Fragebogen gab abschließend viel Raum zu einer persönlichen Beurteilung des ein-
gesetzten MSR-Konzeptes. Sollen technische Vorgaben erfolgreich sein, erfordern sie
doch immer eine spezifische Anpassung zwischen dem theoretisch Machbaren und dem
in der Praxis Vertretbaren und sind auf die Akzeptanz des Betriebspersonals angewiesen.
Umsetzung des geplanten Konzeptes, Änderungen, Probleme und Wartungsaufwand
sollten bezogen auf „Belüftung“ und „Rücklaufschlamm“ bewertet werden.
Die gegebenen Antworten zeigen ein heterogenes Bild. Es bestehen bei einigen neuen
bzw. erweiterten Kläranlagen Differenzen zwischen dem in der Planung angestrebten
Automatisierungsgrad und dem tatsächlich umgesetzten Stand. Deutlich wird dieses vor
allem bei der Beurteilung des MSR-Konzeptes für Rücklaufschlamm: 27 % der Konzepte
wurden nicht umgesetzt (Bild 7).

100

80 73 % 93 % 87 % 87 %

60

40 27 % 7% 13 % 13 %

20

0
Konzept ohne Änderungen keine Probleme kleiner
umgesetzt Wartungsaufwand

Ja Nein

Bild 7: Beurteilung des MSR-Konzepts bezogen auf den Rücklaufschlamm aller erfassten Anlagen.

Als Ursachen für das Auseinanderdriften von Konzept und Umsetzung sind zu nennen:
· eine mangelnde Abstimmung zwischen eingesetzter Messtechnik und den zu regeln-
den bzw. zu steuernden Aggregaten [1],
· eine unzureichende Beachtung der dynamischen Zulaufverhältnisse (Schwankungen
der Menge, Konzentration und Zusammensetzung des zufließenden Abwassers) bei
der Bemessung durch den „Sicherheitsfaktor“,
· eine Nichterfüllung der in der Planung angesetzten Auslastung der Kläranlage,
· eine ungenügende Verständigung zwischen Planer und Betreiber.

MSR-Konzepte auf Kläranlagen -8- gwf 11/2000, S. 780-785


ifak system GmbH Schleinufer 11 D-39104 Magdeburg rts@ifak-system.com
Im Einzelfall zeigen sich Probleme bei der Umsetzung des geplanten MSR-Konzeptes,
wobei die konkreten Randbedingungen ursächlich sein können. So führt z. B. die ungenü-
gende Berücksichtigung des statischen und dynamischen Verhaltens der Regelstrecke
(Nitrifikationsbecken) bei der Auswahl der Stellarmatur oder der Einstellung des Stellan-
triebes sowie der Reglerparameter zu schlecht funktionierenden O2-Regelungen. [9] Der
Wartungsaufwand insbesondere der Online-Analysatoren wurde oftmals unterschätzt und
im Extremfall erst nach dem Totalausfall registriert.

6. Optimierung des MSR-Konzeptes


Zuletzt konnten bei der Beantwortung des Fragebogens Verbesserungen zum MSR-
Konzept der eigenen Anlage formuliert werden. Konkrete Verbesserungsvorschläge
machte ein Drittel der Befragten. Neben wenigen allgemeinen Aussagen, z. B. der "Pro-
zess der Belebung sollte verbessert werden", gab es viele objektbezogene Anregungen.
Die Antworten zeigen, dass es prinzipiell auf allen Kläranlagen Potential für die Optimie-
rung der Abwasserreinigungsprozesse gibt. Entsprechend der unterschiedlichen Ziele
(bessere Überwachung, höhere Prozessstabilität, geringere Betriebskosten) und für jeden
Lastfall lassen sich für eine konkrete Anlage optimale Betriebseinstellungen bzw. Kon-
zepte der Betriebsführung finden. In einigen Fällen wird auch die Einbeziehung zusätzli-
cher Online-Messtechnik gewünscht.
Mit Hilfe der dynamischen Simulation kann das Optimierungspotential einer Kläranlage
fundiert bestimmt werden [10]. Am Simulationsmodell lassen sich überzeugend Verbesse-
rungsvorschläge in einem Variantenvergleich gegenüberstellen. Darüber hinaus können
am Simulationsmodell auch neue Steuerungs- und Regelungskonzepte im Vorfeld einer
Realisierung für beliebige Lastsituationen erprobt werden.
Wie die Erhebung zeigt, gibt es sowohl auf älteren gut ausgelasteten Kläranlagen als
auch auf neu gebauten und modernisierten Anlagen Verbesserungsmöglichkeiten im
MSR-Konzept. Verständlicherweise möchte der Betreiber gerade an neuen und aus sei-
ner Sicht gut funktionierenden Anlagen keine Veränderungen. Außerdem sind Aussagen
zum Verhältnis von Aufwand und Nutzen von "Optimierungsmaßnahmen" immer mit Un-
sicherheiten verbunden. Vor dem Hintergrund des engen finanziellen Spielraumes vieler
Abwasserverbände können ihnen keine großen Chancen auf Verwirklichung eingeräumt
werden. Änderungen des MSR-Konzeptes erfordern aber nicht in jedem Fall zusätzliche
Online-Messtechnik.

Vielfach sind bereits ausreichende mess- und stelltechnische Voraussetzungen für besse-
re Steuerungs- und Regelungskonzepte vorhanden. Die Probleme liegen dort in der Unsi-
cherheit von Online-Messtechnik oder in der unzureichenden Ausnutzung der MSR-
Technik. Das Vorhandensein von Automatisierungstechnologie impliziert eben nicht einen
hohen Ausschöpfungsgrad.

MSR-Konzepte auf Kläranlagen -9- gwf 11/2000, S. 780-785


ifak system GmbH Schleinufer 11 D-39104 Magdeburg rts@ifak-system.com
Das vorhandene Potential sollte systematisch analysiert werden, wofür die dynamische
Simulation eine etablierte Verfahrensweise darstellt [11], [12]. Erst dann empfiehlt sich,
die Anschaffung weiterer Messtechnik in Betracht zu ziehen.

7. Ausblick: Entwicklungstendenzen in MSR-Konzepten


Auf modernen Kläranlagen werden trotz der unterschiedlichen Bauausführungen sowie
dem Einsatz von PC- und Gerätetechnik verschiedener Hersteller zunehmend Standard-
lösungen eingesetzt, die lediglich an die speziellen Gegebenheiten angepasst werden.
Folgende Tendenzen sind erkennbar [12], [13]:
· Höherer Automatisierungsgrad (mehr und zuverlässigere MSR-Technik) auch auf klei-
neren Kläranlagen
· Leistungsfähigere Leitsysteme, meistens PC-basiert, zu günstigen Kosten
· Erweiterte Möglichkeiten der grafischen Bedienoberfläche der Leitsysteme
· Zusammenwachsen der traditionellen Prozessdatenverarbeitung mit den komfortablen
Büro-Programmen innerhalb der Betriebssystemplattform Windows NT
· TCP/IP als Kommunikationsprotokoll im Netzwerk (Ethernet)
· Standardisierte Kommunikationsschnittstellen wie OPC und OLE für Automatisie-
rungsgeräte unterschiedlicher Hersteller in heterogenen Netzen
· Automatisierungsgeräte und Leittechnik mit Webserver-Funktionalität, um Daten im
Intranet/Internet systemübergreifend bereitzustellen
· Informationsdarstellung im HTML-Format und Datenzugriff durch Internet-Browser
· Umfassendere (qualitativ und quantitativ) Informationen zum Reinigungsprozess durch
zusätzliche Online-Messtechnik und Einbeziehung von Online-Simulationen
· Wachsende Bedeutung optimaler Steuerungs- und Regelungskonzepte
An der Wende zum Jahr 2000 kann bei aller Verschiedenheit der Kläranlagen und der
umgesetzten Automatisierungskonzepte der Stand der MSR-Technik in den Kläranlagen
des ATV-DVWK Landesverbandes Nord-Ost insgesamt als gut eingeschätzt werden. Hin-
sichtlich der Anforderungen und der realisierten Bauvorhaben gab es in den letzten Jah-
ren eine enorme Entwicklung, die sich auch in der zunehmenden Verbreitung der Pro-
zessanalysentechnik, in verbesserten Steuerungs- und Regelungsstrategien und in der
technischen Weiterentwicklung der Automatisierungstechnik wiederfinden läßt. Diese ver-
besserten technischen Möglichkeiten werden auch in dem ständig fortgeschriebenen Re-
gelwerk der ATV zu diesem Thema berücksichtigt.

MSR-Konzepte auf Kläranlagen - 10 - gwf 11/2000, S. 780-785


ifak system GmbH Schleinufer 11 D-39104 Magdeburg rts@ifak-system.com
8. Literatur
[1] Baumann, P.: Planungsfehler bei MSR- VDI Berichte 1516, Düsseldorf 1999, S.
Systemen auf Kläranlagen. In: VDI/VDE- 13-27.
GMA Fachtagung Mess- und Regelungs-
[10] Freund, M.: Leistungsnachweis kommu-
technik in abwassertechnischen Anlagen.
naler Kläranlagen des Lippeverbandes
Langen, 22.-23.11.1999, VDI Berichte
mit dynamischer Simulation. In:
1516, Düsseldorf 1999, S. 1-12.
7. SIMBA-Anwendertreffen, Magdeburg,
[2] Zoll, St.; Köhne, M.: Stand der MSR- 17.-18.5.2000, Institut für Automation und
Technik auf Kläranlagen in Nordrhein- Kommunikation e.V. Magdeburg, Vor-
Westfalen. In: Praxis der Abwasserbe- tragsunterlagen, S. 23-32.
handlung. Teil 1. Angewandte Prozess- +
[11] SIMBA 3.4 – Simulation der biologischen
Messtechnik Nr. 14, Siegen: Dr. Lange
Abwasserreinigung. Institut für Automati-
1996, S. 69-80.
on und Kommunikation e. V. Magdeburg.
[3] ATV-DVWK-M 265: Regelung der Sauer- Benutzerhandbuch. 1999.
stoffzufuhr beim Belebungsverfahren,
[12] Simulation kommunaler Kläranlagen –
2000.
Hinweise zur Anwendung der dynami-
[4] Jumar, U.; Alex, J.; Tschepetzki, R.: A schen Simulation am Beispiel von SIMBA.
Fuzzy Control Application to Waste Water Merkblatt Landesumweltamt Nordrhein-
Treatment Plants. 3rd IEEE Conference Westfalen Nr. 15. Essen 1998.
on Control Applications. Glasgow, U. K:,
[13] Arnold, J. U.: Das Internet als Medium für
August 24-26, 1994. Proceedings, Vol. 1,
den Datenaustausch in heterogenen Net-
pp. 665-670.
zen. In: VDI/VDE-GMA Fachtagung
[5] ATV-DVWK-M 253: Automatisierungs- Mess- und Regelungstechnik in abwas-
und Leittechnik auf Kläranlagen, 2000. sertechnischen Anlagen. Langen, 22.-
23.11.1999, VDI Berichte 1516, Düssel-
[6] ATV-DVWK-M 260: Erfassen, Darstellen,
dorf 1999, S. 73-82.
Auswerten und Dokumentieren der Be-
triebsdaten von Abwasserbehandlungs- [14] Gassen, M.: Informationssysteme für ab-
anlagen mit Hilfe der Prozeßdatenverar- wassertechnische Anlagen und die Aus-
beitung, 2000. wirkungen der Internettechnik auf die Ak-
quisition und die Bereitstellung von
[7] ATV-DVWK-M 269: Prozeßanalysenge-
Informationen im Bereich der Siedlungs-
räte für N, P und C in Abwasseranlagen,
wasserwirtschaft. In: VDI/VDE-GMA
2000.
Fachtagung Mess- und Regelungstechnik
[8] Alex, J.; Obenaus, F.; Tschepetzki, R.; in abwassertechnischen Anlagen. Lan-
Rosenwinkel, K.-H.; Jumar, U.: Modellba- gen, 22.-23.11.1999, VDI Berichte 1516,
sierte Zustandserfassung biologischer Düsseldorf 1999, S. 139-148.
Kläranlagen. In: Korrespondenz Abwas-
ser 45 (1998), Nr. 11, S. 2090-2103.

[9] Hertlein, K.: Alles ganz einfach – oder


doch nicht? Zur Umsetzung von Rege-
lungskonzepten für den Sauerstoffeintrag.
In: VDI/VDE-GMA Fachtagung Mess- und
Regelungstechnik in abwassertechni-
schen Anlagen. Langen, 22.-23.11.1999,

MSR-Konzepte auf Kläranlagen - 11 - gwf 11/2000, S. 780-785


ifak system GmbH Schleinufer 11 D-39104 Magdeburg rts@ifak-system.com

Das könnte Ihnen auch gefallen