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Dr.-Ing. Ralf Tschepetzki, ifak system GmbH, und Dr.-Ing. Ulrich Jumar, Institut für
Automation und Kommunikation e.V.
Im Mittelpunkt der Erhebung stand die Mess-, Stell- und Regelungstechnik der biologi-
schen Reinigungsstufen, da diese entscheidend zur Kostendämpfung bei der Abwasser-
beseitigung beizutragen vermag. Die Ergebnisse der Umfrage sollen dem Erfahrungs-
austausch und der Fortbildung innerhalb der ATV-DVWK Kläranlagennachbarschaften
zugute kommen. Sie besitzen zudem über die Grenzen dieser Region hinaus grundsätzli-
che Relevanz für die Planung künftiger Regelungskonzepte der biologischen Stufe.
In dem ATV-DVWK Landesverband Nord-Ost sind Kläranlagen der Bundesländer Meck-
lenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin und Sachsen-Anhalt zusammengeschlossen.
In der Landesgruppe gibt es ca. 200 Kläranlagen der Größenklasse 3 bis 5 (ab 5.000 bis
über 100.000 EW = Einwohnergleichwerte). Die Betreiber der Anlagen mit überwiegend
Belebtschlammverfahren wurden im Dezember 1999 mit einem zweiseitigen Fragebogen
angeschrieben. Bis zum März 2000 lagen von etwa einem Drittel der angeschriebenen
Kläranlagen die Daten vor. Mit 70 % war die Rücklaufquote der Kläranlagen der Größen-
klasse 5 deutlich höher als die der mittleren und kleinen Anlagen. Damit repräsentiert die
Umfrage die Kläranlagen der Größenklassen 3 bis 5 mit etwa gleichen Anteilen am Da-
tensatz.
Befragt nach Besonderheiten ihrer Kläranlage, schätzt ein Drittel des Betriebspersonals,
dass die Anlage mit schwierigen Zulaufverhältnissen belastet ist. Benannt wurden
„Mischwasserzulauf bei Regen“ oder „Fäkalien“. Für etwa 20 % der Kläranlagen werden
besondere Anforderungen an die Reinigungsleistung konstatiert wie beispielsweise eine
„zweistufige Biologie“.
Alternierende 9,7 %
Denitrifikation
Simultane 24,4 %
Denitrifikation
Intermittierende 19,5 %
Denitrifikation
Vorgeschaltete 39,1 %
Denitrifikation
0 10 20 30 40 50
Bild 1. Verbreitung der Verfahren zur Stickstoffelimination. Werte bezogen auf die Gesamtzahl der
erfassten Anlagen.
Kaskaden- 14 %
Denitrifikation
Alternierende 0%
Denitrifikation
Simultane 14 %
Denitrifikation
Intermittierende 0%
Denitrifikation
Vorgeschaltete 72 %
Denitrifikation
0 20 40 60 80
³ 100.000
Bild 2. Verbreitung der Verfahren zur Stickstoffelimination in Bezug zur Größenklasse 5 (³
EW). Werte bezogen auf die Gesamtzahl der erfassten Anlagen.
Nur für ca. 10 % der Anlagen gibt es Aussagen über die Möglichkeit zur Umstellung auf
ein anderes Reinigungsverfahren oder über das Vorhandensein einer 2. Reinigungsstufe.
Deutlich wird auch, dass Stickstoff auf großen Kläranlagen fast ausschließlich mit vorge-
schalteter Denitrifikation (72 %) bzw. in Kaskaden (14 %) eliminiert wird (Bild 2). Die bio-
logische Phosphorelimination ist in mehr als 65 % der Kläranlagen integriert und wird bei
Bedarf durch chemische Fällung im Hauptstrom (Simultanfällung) ergänzt.
flexible O2-
Sonstiges
Konzentration
(z. B. Redox)
59%
18%
Auf nahezu allen Kläranlagen (95 %) wird die Sauerstoffkonzentration durch Steuerung
und Regelung an die variablen Anforderungen angepasst (Bilder 3 und 4). Mit einem
komprimierten Fragebogen lässt sich kaum ermitteln, ob die auf den verschiedenen Klär-
anlagen vorhandenen Steuerungen und Regelungen zur Sauerstoffzufuhr den aktuellen
Empfehlungen und Hinweisen des überarbeiteten Merkblattes ATV-DVWK-M 265 [3] ent-
sprechen. Die Befragung zeigt jedoch, dass man auf lediglich einem knappen Drittel der
Anlagen eine lastflexible Steuerung bzw. Regelung der Belüftung findet: Anpassung der
Beispielsweise wurde von den Autoren bereits 1994 auf der Kläranlage Wanzleben ein
Fuzzy-Regler nachgerüstet, der seitdem zur vollen Zufriedenheit des Betreibers die inter-
mittierende Belüftung lastflexibel betreibt [4].
3. Prozessleittechnik
Verglichen mit der zurückliegenden Studie aus Nordrhein-Westfalen zeigen die prozess-
leittechnischen Einrichtungen im befragten Gebiet ein recht hohes Niveau. Kompaktregler
werden nur in zwei Anlagen eingesetzt; speicherprogrammierbare Steuerungen und Leit-
systeme bestimmen durchgängig das Bild. Die Einhaltung des bestimmungsmäßigen Be-
triebes erfordert eine Vielzahl selbständig ablaufender Steuerungen und Regelungen, die
sich überzeugend mit SPSen für den prozessnahen Einsatz realisieren lassen. Die Auf-
gaben wie Prozessbeobachtung und Bedienung sowie Datenhaltung und -archivierung
lassen sich inzwischen reibungslos mit einem Leitsystem mit zugeschnittenen Algorith-
men ausführen. Die verbesserten technischen Möglichkeiten und die höheren betriebli-
chen Anforderungen sind in den inzwischen neu bearbeiteten und aufeinander abge-
stimmten Merkblättern ATV-DVWK-M 253 und 260 berücksichtigt [5], [6] und sollen hier
nicht weiter vertieft werden.
Obwohl in den Leitsystemen heute umfangreiche Prozessinformationen vorliegen und die
hard- und softwaretechnischen Voraussetzungen (ausreichende Rechenleistung und
Möglichkeiten zur Ankopplung eines beigestellten PCs) gegeben sind, werden nur in sehr
wenigen Kläranlagen übergeordnete Aufgaben zur Prozesssteuerung und Optimierung
(2 %) übernommen. Im Vergleich mit der chemischen Industrie sind hier noch sehr große
Reserven vorhanden.
80%
59%
60%
40%
22% 22%
20%
10%
7%
5%
2%
0% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 0%
0%
NH4-N PO4-P CSB BSB Durchfluss
Bild 5. Online-Messgrößen im Zulauf Belebung. Werte bezogen auf die Gesamtzahl der erfassten
Anlagen.
Auf allen befragten Anlagen wird Prozessmesstechnik zur besseren Überwachung der
Abwasserreinigung sowie zur Steuerung und Regelung der Prozesse eingesetzt. Die kon-
tinuierliche Messung von P- und N-Konzentrationen oder des CSB im Zulauf zur Biologie
(P: 7 %, N: 22 %, CSB: 5 %; vgl. Bild 5) muss in jedem einzelnen Fall kritisch hinterfragt
werden. Diese Messungen finden sich überwiegend in größeren Kläranlagen und werden
als zusätzliche Informationen in höherwertige Steuerungs- und Regelungskonzepte ein-
bezogen oder fließen in modellgestützte Systeme zur Unterstützung der Betriebsführung
(z.B. Online-Simulation mit Analyse- und Beratungsfunktionen) ein [8]. Solche Lösungen
bieten ein großes Potential zur Optimierung der Abwasserreinigungsprozesse. Werden
diese kostspieligen Zulaufinformationen allerdings nicht weiter genutzt und landen sie nur
auf dem "Datenfriedhof", sind sie eher überflüssiger Luxus.
Mit den Online-Messgeräten zur Bestimmung von Phosphor- und Stickstoffverbindungen
in der Biologie können wichtige Informationen über den Reinigungsprozess bereitgestellt
100%
80%
80%
60%
49%
44% 44%
40% 32%
27%
15% 20%
17% 17% 17% 15%
20%
15% 12% 15% 10%
5%
2%
0%
O2 NH4-N NO3-N PO4-P TS Redox
Bild 6. Online-Messgrößen in der Belebung. Werte bezogen auf die Gesamtzahl der erfassten An-
lagen.
Bei kleinen und auch bei einigen mittleren Anlagen findet man kaum Online-Messtechnik
zur Bestimmung dieser Verbindungen. Mancherorts wird dafür auf unspezifische Größen,
wie z.B. Redox (17 %), zurückgegriffen. Die damit aufgebauten Steuerungen arbeiten
zum Teil nicht effektiv. Ein Austausch scheitert häufig aus wirtschaftlichen Gesichtspunk-
ten. Die Investitions- sowie Betriebskosten für z. B. Probenvorbehandlung, Reagenzien
bzw. Verbrauchsmaterial und Wartung von Online-Analysatoren sind relativ hoch. Diesen
Kosten werden in der Regel nur die möglichen Betriebskosteneinsparungen bei Regelung
der Fällmittelzugabe oder der Sauerstoffzufuhr gegenübergestellt.
Beziffern lässt sich der Gewinn aus einer besseren Überwachung des Abwasserreini-
gungsprozesses durch direkte Online-Messung von Phosphor- und Stickstoffverbindun-
gen und einer möglichen höheren Prozessstabilität oder von zeitweise verbesserten Ab-
laufwerten bei Einbeziehung dieser Informationen in die Betriebsführung kaum. Denn
diese positiven Faktoren führen nicht automatisch zur Reduzierung der Betriebskosten,
zur Verringerung der Abwasserabgabe oder zur Einsparung an Personal.
Betrachtet man den dritten Standort von Online-Messung, den Ablauf der Nachklärung,
verschiebt sich die Verteilung deutlich. Werden die erfassten Messdaten in der Belebung
bei mehr als der Hälfte aller Anlagen zur Steuerung oder Regelung eingesetzt, besitzen
sie hier lediglich eine statistische Relevanz für Datenhaltung oder periodische Auswertun-
gen. Bis auf wenige Ausnahmen (rund 2-5 %) werden die Daten regelmäßig nur erfasst.
100
80 73 % 93 % 87 % 87 %
60
40 27 % 7% 13 % 13 %
20
0
Konzept ohne Änderungen keine Probleme kleiner
umgesetzt Wartungsaufwand
Ja Nein
Bild 7: Beurteilung des MSR-Konzepts bezogen auf den Rücklaufschlamm aller erfassten Anlagen.
Als Ursachen für das Auseinanderdriften von Konzept und Umsetzung sind zu nennen:
· eine mangelnde Abstimmung zwischen eingesetzter Messtechnik und den zu regeln-
den bzw. zu steuernden Aggregaten [1],
· eine unzureichende Beachtung der dynamischen Zulaufverhältnisse (Schwankungen
der Menge, Konzentration und Zusammensetzung des zufließenden Abwassers) bei
der Bemessung durch den „Sicherheitsfaktor“,
· eine Nichterfüllung der in der Planung angesetzten Auslastung der Kläranlage,
· eine ungenügende Verständigung zwischen Planer und Betreiber.
Vielfach sind bereits ausreichende mess- und stelltechnische Voraussetzungen für besse-
re Steuerungs- und Regelungskonzepte vorhanden. Die Probleme liegen dort in der Unsi-
cherheit von Online-Messtechnik oder in der unzureichenden Ausnutzung der MSR-
Technik. Das Vorhandensein von Automatisierungstechnologie impliziert eben nicht einen
hohen Ausschöpfungsgrad.