Die folgenden Kapitel beschäftigen sich mit den an sich bereits sehr komplexen
Feldern Sprache', ,Linguistik' und ,Fremdspracherndidaktik' und ihrer noch kom-
plexeren Interaktion. Das, was jeweils als Konzept von Sprache das gerade vor
herrschende Paradigma ist, beeinflusst natürlich ganz entscheidend, wie man sich
dem Gegenstand nähert, also die Linguistik, und natürlich auch, wie man sich die
Vermittlung sinnvoll vorstellen kann.
Dabei ist keineswegs beabsichtigt, einen umfassenden Überblick zu geben,
sondern nur, bestinmmte eher grundsätzliche und immer wiederkehrende Prob-
leme aufzuzeigen.
1.1 Sprache?
Das Fragezeichen in der Kapitelüberschrift deutet es an: Hier wird etwas proble-
matisiert. Wir sind ständig von Sprache umgeben, benutzen sie, ohne groß da-
rüber nachzudenken, was wir da genau tun. Ja, selbst wenn wir dazu auf-
gefordert werden, haben wir Schwierigkeiten, uns dem Sachverhalt zu nähern.
Sprache ist eben da und sie funktioniert in aller Regel auch, ohne dass man sich
tiefer mit ihr beschäftigt. Dass das Wesen der Sprache, was sie ist, woher sie
kommt und was man mit ihr machen kann, aber schon seit geraumer Zeit immer
wieder zu tiefgründigen Uberlegungen Anlass geboten hat und als ein nicht
unproblematisches Phänomen der menschlichen Existenz gesehen wurde, zeigt
bereits ein Blick in die Bibel.
Denn Sprache wird gerade in der Bibel als eine zutiefst menschliche Errungen-
schaft betrachtet. Der Mensch darf den Geschöpfen Namen geben, sie sind nicht
von Gott schon im Vorgriff festgelegt worden (vgl. Genesis 2, 19). Damit wird
eine ausgesprochen wichtige Funktion der Sprache thematisiert: das Verweisen
auf Objekte unserer Umwelt (in Adams Fall die des Paradieses). Interessant ist,
dass zu diesem Zeitpunkt der Mensch noch allein und ohne Gefährtin ist, also
eigentlich auch keine Namen für die Dinge bräuchte. Mit wem sollte er darüber
sprechen? Womit eine weitere wichtige Funktion der Sprache angedeutet wird:
die des Mit-anderen-über-etwas-Sprechens. Aber auch dies geschieht in der Bibel,
allerdings mit schwerwiegenden, bis heute spürbaren Folgen. Der erste
kommunikative Akt im Paradies findet nämlich zwischen Eva und der Schlange
statt und stellt den Anfang einer Verschwörung gegen die von Gott gewollte
Ordnung dar (vgl. Genesis 3, 1f). Danach kommuniziert Eva mit ihrem Mann
und das Drama nimmt unaufhaltsam seinen Lauf.
12 Einleitende Bemerkungen zur Sprache, Linguistik und Fremdsprachendidaktik
Durch Kommunikation wird also etwas in Gang gebracht, das der Mensch
ganz allein zu verantworten hat, was in diesem Falle schrecklich ist, was den
Menschen aber auch in eine, man könnte fast sagen, emanzipierte Position bringt.
Das Versprechen der Schlange war ja auch, dass sie würden wie Gott.
Ein weiteres kommunikativ geprägtes biblisches Menschheitserlebnis ist der
Turmbau zu Babel. Das gewagte Unternehmen, einen Turm bis in den Himmel zu
bauen und dadurch Gott sein Territorium streitig zu machen, konnte ja nur in
Angriff genommen werden, weil die Menschen sich in der Lage sahen, mithilfe
der kommunikativen Funktion der Sprache (bis zu diesem Zeitpunkt gab es nur
die eine Sprache) die gewaltigen logistischen Probleme, die ein solcher Bau mit
sich bringt, erfolgreich in den Griff zu bekommen.
Bekanntermafßen setzt Gott ja auch genau hier an und verwirrt die Sprachen,
Kommunikation findet entweder gar nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten
statt, das Projekt wird aufgegeben (vgl. Trabant 2003: 16-24).
Seit dieser Zeit also müssen Fremdsprachen gelernt werden. Weit wichtiger
aber ist, dass die Bibel hier überhaupt die Existenz verschiedener Sprachen
Kenntnis nimmt. Ein Position, die über einen langen Zeitraum hinweg eine eher
untergeordnete Rolle spielte.
Die griechische und im Anschluss daran - die römische Tradition hat mit
Fremdsprachen wenig zu schaffen. Einerseits wurden diese kaum als ,Sprachen
angesehen, denn diejenigen, die nicht Griechisch sprachen, wurden als barbaroi
angesehen, also als solche, die einfach nur Laute (bababa) von sich gaben,
während die Römer politisch in der Lage waren, das Latein als verbindliche
Verkehrssprache zu etablieren.
Hinzu kommt, dass nach der aristotelischen Auffassung die Verschiedenheit
der Sprachen eher oberflächlicher Natur, aber das, was jedem menschlichen Spre-
chen zu Grunde liegt, jedoch gleich ist.
Nun sind die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme ein Symbol für das, was
(beim Sprechen) unserer Seele widerfährt, und das, was wir schriftlich äußern, (ist
wiederum ein Symbol) für die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme. Und
wie nicht alle (Menschen) mit denselben Buchstaben schreiben, so sprechen sie
auch nicht alle dieselbe Sprache. Die seelischen Widerfahrnisse aber, für welche
dieses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle ein Zeichen ist, sind bei
allen (Menschen) dieselben; und uberdies sind auch schon die Dinge, von denen
diese (seelischen) Widerfahrnisse Abbildungen sind, (für alle) dieselben.
(Aristoteles, De interpretatione 16a, 4-8. Übersetztvon H. Weidemann 1994: 3).
Diese Stelle bei Aristoteles hat das Sprachdenken über Jahrhunderte grundlegend
geprägt und die dort vertretene Auffassung ist für die Wahrnehmung von
Fremdsprachen von entscheidender Bedeutung, denn es wird ja eine ldentität des
Denkens und Erfahrens bei allen Menschen postuliert, wobei der Sprache ledig-
lich die Funktion zugeschrieben wird, das Erfahrene und Gedachte hörbar und
sichtbar zu machen.
Eine andere, ja geradezu entgegengesetzte, Auffassung ist von Wilhelm von
Humboldt vertreten worden. Nicht nur von ihm, aber er ist sicherlich einer ihrer
prominentesten Verfechter. Eine zentrale und immer wieder zitierte Aussage fin-
Sprache? 13
det sich in seinem ersten Vortrag in der Preußischen Akademie der Wissenschaf-
ten mit dem Titel lIeber das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die ver-
schiedenen Epochen der Sprachentwicklung und dort lesen wir:
Durch die gegenseitige Abhängigkeit des Gedankens und des Wortes von
einander leuchtet es klar ein, dass die Sprachen nicht eigentlich Mittel sind, die
schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr, die vorher unerkannte
zu entdecken. Ihre Verschiedenheit ist nicht eine von Schällen und Zeichen,
sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst (Humboldt IV: 27).
Und einige Seiten zuvor schreibt Humboldt:
Das Denken ist aber nicht bloß abhängig von der Sprache überhaupt, sondern, bis
auf einen gewissen Grad, auch von jeder einzelnen bestimmten (Humboldt IV: 21).
Auf Fremdsprachen bezogen bedeutet dies natürlich, dass wir nicht, wie im ers-
ten Fall nur neue Schälle und Zeichen lernen müssen, um das, was wir ohnehin
bereits sehr gut denken können, auszudrücken, sondern hier geht es um eine
neue Weise, zu denken, zumindest, bis auf einen gewissen Grad".1
grundlegend
Die folgenden Graphiken illustrieren noch einmal die Unterschiede zwis
der universalistischen und der relativistischen Auffassung.
Conceptus
(Kognition)
--
(Kommunikation)
conceptuus
res
VOX
I I ~Darstellunng
ii iiii
Ausdruck Appell
Sender Empfänger
Abbildung 1.3: Das Organonmodell von Karl Bühler (aus Bühler 1999: 28)
Alle drei Funktionen sind im Prinzip ständig präsent, wenn auch nicht immer mit
gleicher Gewichtung. Bezüglich des Lernens und Lehrens von Fremdsprachen
stellt sich nun die wichtige Frage, welcher der drei Funktionen der Vorrang
eingeräumt wird. In seinem einflussreichen, wenn auch hin und wieder scharf
kritisierten, Artikel Linguistik und Poetik, in dem das Bühlersche Modell erweitert
und mit eigener Terminologie versehen wird, nimmt Roman Jakobson (1971)
noch weitere Funktion an, zu denen auch die phatische gehört. Deren Aufgabe ist
es, die Kommunikation aufrechtzuerhalten, ohne dass dabei substantielle In-
formationen ausgetauscht werden. Nach Malinowski, bei dem sie als,phatic com-
munion' bezeichnet wird, nimmt diese Funktion der Sprache schon rein quan-
titativ gesehen einen enormen Raum ein. Mit anderen Worten, vieles, wenn nicht
sogar das meiste, was wir so über den Tag von uns geben, hat mit Informations-
austausch und -übermittlung herzlich wenig zu tun. Es dient einzig und allein
dem Erhalt des sozialen Klimas.
Wie verhalt es sich nun mit dieser Funktion und ihrem Stellenwert in der
Fremdsprachendidaktik? Oder entzieht sie sich einer Formalisierung und Opera-
tionalisierung? Auf diese Fragen und auch auf die oben kurz angerissenen
werden wir im weiteren Verlauf immer wieder zuriückkommen müssen, ohne
dass unbedingt eine Antwort erwartet werden kann. Der Zweck dieses Kapitels
16 Einleitende Bemerkungen zur Sprache, Linguistik und Fremdsprachendidaktik
Literaturtipps
bar. Gibt, wie der Titel verspricht, einen ausgezeichneten Überblick über die
Sprachphilosophie. Besonders Kapitel 6., das die Beschäftigung mit Sprache vom
19. Jahrhundert bis zur Gegenwart nachzeichnet.
Pinker, Stephen (1996), Der Sprachinstinkt. Wie der Geist die Sprache bildet. München:
Kindler. (Engl. Original (1994), The Language Instinet. The New Science of Language
and Mind. New York: Morrow.
Sehr lesenswert. Gibt eine ausgezeichnete Verortung der nativistischen Sicht auf
Sprache.
Zum Organonmodell
Bei Hadumod Bußman (2002), findet sich im Lexikon der Sprachwissenschaft eine
knappe, aber sehr informative Darstellung mit einer Reihe von Querverweisen.
Wer genauer wissen will, sollte bei Buühler, Karl (1999 [1934]),
es
Sprachtheorie.
Stuttgart: Lucius & Lucius, vor allem (24-33) nachschauen.
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