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personelle Strukturen auf der Grundlage des rezipierten Römischen Rechts im Heili-
gen Römischen Reich de jure geordnet, aber nicht de facto zwischen geistlichen und
weltlichen Fürstentümern. Denn die Bischöfe besitzen in Teilen ihres geistlichen
Sprengels fürstliche Macht und somit eine Doppelherrschaft. Und diese ist unter an-
derem Auslöser, dass Einfluss und Interessen der weltlichen Landesfürsten und
Stadträte mittels der Zweireichelehre Martin Luthers, das heißt durch die konsequen-
te Trennung von Religion und Politik eine neue Dimension erhalten.307

Das Bestreben, hier ordnend einzugreifen durch eine Neustrukturierung von Gesell-
schaft und kirchlicher Gemeinschaft sowie Maßstäbe zu setzen, könnte die Auswahl
der Kronleuchterfiguren „Römischer Soldat“, „Büttel“, „Landsknecht“ und „Wilder
Mann“ begünstigt haben. Assoziiert doch der römische Soldat Gesetz und Ordnung
durch Römisches Recht. Zudem ist die Präsenz dieses Motivs um die Darstellung des
Gerichtsdieners bzw. Büttels erweitert.

Da dieser mitunter auch als Landsknecht angeworben wurde, nimmt der Büttel inso-
fern unter den als potenzielle Landesdefensoren wiedergegebenen Kronleuchterfigu-
ren eine Zwischenstellung ein.

Landsknechte waren anfangs ritterlichen Orden vergleichbar und lebten nach be-
stimmten Ordnungen, so dass ihre Verbindung zum Christentum nicht abwegig ist,
aber im Zeitalter der Konfessionalisierung zur Aufsplitterung sowie zu Antagonismen
führt.

In ihrer Frühphase (1490-1530) stellen sie ein zeitgemäßes militärisches Instrument


zur Landesverteidigung dar. Dieses rekrutiert sich in diesem Zeitraum zunächst aus
freien Bürgern, später aus allen Gesellschaftsschichten, und es ersetzt so das Ritter-
tum des Mittelalters.308 Daher erklärt es sich auch, dass die Ritter in Ringelpanzer,

307
P. Graff, Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche
Deutschlands bis zum Eintritt der Aufklärung und des Rationalismus, 1921. – Weltanschauung und
Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation. Abhandlungen zur Geschichte der Philoso-
phie und Religion, 3. unveränd. Aufl. 1923, S. 46 ff. – L. Fendt, Der lutherische Gottesdienst des
16. Jahrhunderts, sein Werden und Wachsen, 1923. – H. H. Schrey, Reich Gottes und Welt. Die Leh-
re Luthers von den zwei Reichen, 1969 (Wege der Forschung, Bd. CVII), S. 48 ff. – Handbuch der
deutschen Bildungsgeschichte, 6 Bde., Bd. 1: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der
Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, o.J., S. 57 ff. – O. Brandt, Geschichte Schleswig-
Holsteins, 8. Aufl. Kiel 1981, S. 152,154 f., 158, 160, 203. – H. Diwald, Luther. Eine Biographie,
1982. – Martin Luther 1483-1546. Ausst.-Kat. Lutherhalle Wittenberg (2., verbess. und erw. Aufl.
1993), S. 92, 176, 206. – R. Friedenthal, Luther. Sein Leben und seine Zeit, 9. Aufl. 1997. – Martin
Luther und der Bergbau: aus Tischreden, Briefen und Predigten. Stiftung Luthergedenkstätten in
Sachsen-Anhalt, H. 6, 2000. - „..von daher bin ich“ Martin Luther und der Bergbau im Mansfelder
Land. Aufsätze zur Ausstellung Martin Luthers Sterbehaus Eisleben (2000/Stiftung Luthergedenkstät-
ten in Sachsen-Anhalt. H. 7). – H. Lilje, Martin Luther, 22. Aufl. 2000.
308
H. Schnitter, Volk- und Landesdefension. Volksaufgebote, Defensionswerke, Landmilizen in den deut-
schen Territorien vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, Berlin-Ost 1977, S. 36. – R. Baumann, Lands-
knechte. Von Helden und Schwartenhälsen, 1991, S. 195 insbes. – B. R. Kroener/R. Pröve (Hg.),
Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, 1996. – Brage bei der Wieden,
Niederdeutsche Söldner vor dem 30jährigen Krieg. Geistige und mentale Grenzen eines sozialen
Raums, in: R. Kroener/R. Pröve (Hg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neu-
zeit, 1996. – K. Hagemann/R. Pröve, Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär,
Krieg und Gesellschaftsordnung im historischen Wandel, 1998. – S. Kroll/K. Krüger (Hg.), Militär und
ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit. Herrschaft und soziale Systeme in der frühen Neuzeit,
Bd. 1, 2000.
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schwerer Schutz- oder eindrucksvoller Paraderüstung in der Regel auf neuzeitlichen


Schaftkronleuchter – gegenüber spätmittelalterlichen Tischleuchtern – kaum mehr
vorkommen, obschon gerade dieser Typus das Bild der tugendhaften Ideale charak-
terisiert und darin der allgemeinen Lichtsymbolik von Kronleuchtern als Kirchengerät
hätte entsprechen können. Denn die spezielle Lebensweise der Ritter fordert unter
anderem Tugenden – wie zum Beispiel Schutz der christlichen Kirche, der Witwen,
Waisen und Bedrängten. Und entgegen der anfänglichen Antagonismen ob der „mili-
tia saecularis“ ,hat der „milites Christi“ seinen festen Stellenwert im Christentum.309
Ein geharnischter Ritter als Bekrönung eines gotischen Schaftkronleuchters, dessen
Leuchterarme mit Laubwerk besetzt sind, ist für das Rathaus in Lüneburg/Nieder-
sachsen inventarisiert. Der so genannte Karls-Leuchter (1630, Aachen) mit der als
Karl der Große (747-814) beschriebenen Zentralfigur in leichter Rüstung dürfte hier
eine gewisse Ausnahme bilden. Und dies wird noch deutlicher in der Gegenüberstel-
lung zum so genannten Gustav-Adolf-Kronleuchter (1647) in der Evangelischen Pre-
digerkirche in Erfurt, der von einer Art Monopteros mit einer Reiterstatuette bekrönt
wird und auf den Leuchterarmen des unteren Lichtkranzes zusätzliche Subfiguren
trägt. Der Karls-Kronleuchter knüpft in der Doppelbesetzung mit einer Zentral- und
einer Bekrönungsfigur, die die Morphologie des Leuchters bestimmt, an die spätgoti-
schen Tabernakel- bzw. Kapellenkronleuchter – wie zum Beispiel in Waase/Ummanz
oder in Goslar an.310 Der Unterschied besteht neben stilistischen darin, dass nun an-
stelle einer Muttergottes als Zentralfigur die eines weltlichen Herrschers zu sehen ist
und eine Christus-Statuette mit den Aposteln als Subfiguren diesen Karls-Leuchter
bekrönt. Dagegen stellen die bekrönenden Statuetten der besagten spätgotischen
Tabernakel-Kronleuchter in Goslar einen Bischof und in Waase einen Löwen dar. In-
wieweit ein Kronleuchter in Werdau/Langenhessen tatsächlich auch von einer Ritter-
Figur bekrönt wird, wäre noch zu untersuchen.311

Angesichts der oben angesprochenen Reformen sowie der Organisation von Gemein-
schaften liegt es nahe, der Darstellung „Wilder Mann“/“Wilde Leute“, das heißt der
vierten Gruppe der profanen Motive unter den potentiellen Statuetten auf
Schaftkronleuchtern der Renaissance die positive Eigenschaft der Selbstbezwingung
zuzuweisen. Vornehmlich als literarische Metapher der ungezähmten Natur gelten sie
gemeinhin als außerhalb der übernatürlichen sowie der gesellschaftlichen Ordnung
Stehende. Die jüngere kunstwissenschaftliche Forschung sieht in ihnen das Menschli-
che schlechthin wiedergegeben, so dass aus dieser Perspektive die drei zuerst ge-

309
J. Bumke, Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 2 Bde., 3. Aufl. 1986, Bd.
1, S. 64 ff.
310
Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, III. Reg.bez.: Hannover, 2. und 3.: Stadt Lüneburg,
Hannover 1906, S. 130, 241, 255. – Sog. Karlskronleuchter (17. Jh.) in Aachen; s. R. A. Peltzer.
1909, S. 128. – Spätgotischer Kapellenkronleuchter; s. Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover,
T. II: Regierungsbezirk Hildesheim, Bd. 1 und 2: Stadt Goslar, 1901, S. 301. – H. G. Griep, 1961
(Goslar). – Die Baudenkmäler des Regierungs-Bezirks Stralsund, H. IV: Der Kreis Rügen, 1897,
S. 361. – Die Kunstdenkmale des Kreises Rügen. Bezirk Rostock, Bd. 1, 1963, S. 617 und Taf. 129
(Waase/Ummanz).
311
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, 12. H.:
Amtshauptmannschaft Zwickau, 1889, S. 48.
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nannten Figurengruppen „Römischer Soldat“, „Büttel“ und „Landsknecht“ die zuneh-


mende Differenzierung gesellschaftlicher Funktionen erkennen lassen.312

Jeder dieser Figurentypen verkörpert sowohl ein realitätsnahes Vorbild als auch Ge-
gensätzliches und bietet Gründe zur moralisierend-ethischen Deutung von Kron-
leuchterfiguren in Sakralräumen. Dies setzt eine ungehinderte Ausübung von Religi-
on, das heißt Glaubens- und Bekenntnisfreiheit voraus, die mit der Entstehungszeit
der Schaftkronleuchter aus Metall noch keine Selbstverständlichkeit darstellt, son-
dern im Entstehen begriffen ist. Wie erwähnt, sind nur wenige Schaftkronleuchter
aus Messing des 16. Jahrhunderts bekannt bzw. erhalten, die eindeutig christliche
Motive aufweisen.

Wird von Schaftkronleuchtern spätgotischer Formensprache in evangelischen Gottes-


häusern abgesehen – unter anderem in Dortmund, Petrikirche, Woltersdorf/Branden-
burg, Köckte-Bölsdorf/Sachsen-Anhalt, Gutskirche, Graede, Frederiksborg Amt/Dä-
nemark (Abb. 14 a bis e) – geht die Darstellung der Muttergottes auf Schaftkron-
leuchtern aus Messing der frühen Neuzeit im Norden zurück: Plan am See/Mecklen-
burg-Vorpommern, Balje (1562) und Otterndorf/Niedersachsen, Lübeck/Schleswig-
Holstein, Evangelische Kirche St. Jakobi (Abb. 89, 90) oder in Skepptuna, Uppsa-
la/Schweden. Erneut, aber vereinzelt, sind weitere Statuetten der Muttergottes auf
Schaftkronleuchtern seit der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts zu finden in Stral-
sund/Mecklenburg-Vorpommern, Evangelische Kirche St. Nikolai, ferner in Lipp-
stadt/Nordrhein-Westfalen, Marienkirche, 1652 in Wismar/Mecklenburg-Vorpom-
mern, Evangelische Kirche St. Marien oder zum Beispiel 1654 in Frösunda und 1678
in Rimbo/Uppsala in Schweden.

Als Beispiele früherer Darstellungen des Salvator mundi sind die Bekrönungen der
Schaftkronleuchter mit abschließender Löwenkopf-Maske in Stralsund, Evangelische
Kirche St. Marien (1557) und in Stade/Niedersachsen, Evangelische Kirche St. Wil-
hadi bekannt (Abb. 88, 153).

Hinsichtlich nicht erhaltener oder unbekannter Exemplare wäre weiterhin zu recher-


chieren: Braunschweig und Hildesheim/Niedersachsen, Evangelische Kirchen St. And-
reas (Abb. 91) sowie Wismar/Mecklenburg-Vorpommern, Evangelische Kirche St.
Georgen (St. Jürgen).

Dass die Statuette „Salvator mundi“ zwischen 1655 und 1661 auf Schaftkronleuch-
tern in Schleswig-Holstein häufiger vorkommt, ist auf Stiftungen bzw. Doppelstiftun-
gen sowie möglicherweise auf Werkstatttraditionen zurückzuführen (Abb. 103, 114,
115).313 Und vor diesem Hintergrund erhebt sich die Frage, ob die besagten kriegeri-

312
R. Bernheimer, 1952. – L. Möller, 1961. – Der Mensch um 1500. Werke aus Kirchen und Kunstkam-
mern, Ausst.-Kat. Skulpturengalerie Berlin SMPK (1977), S. 164 f. – T. Husband/G. Gilmore House,
The Wild Man. Medieval Myth and Symbolism, Ausst.-Kat. Metropolitan Museum of Art New York
(1980), LCI., Bd. 4, Sonderausgabe 1994, Sp. 531. – M. Elias, Über den Prozess der Zivilisation. So-
ziogenetische Untersuchungen, 2 Bde., Frankfurt/M. 1976, 2. Bd., S. 316
313
Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen. Kreis Dortmund – Stadt Münster, 1894, S. 39 und
Taf. 30. – Die Bau- und Kunstdenkmale in der DDR. Bezirk Frankfurt/Oder, Berlin, München 1980, S.
49. – Die Kunstdenkmale der Provinz Sachsen, 3. Bd.: Kreis Stendal Land, Burg 1933, Taf. 78. –
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schen Figuren unmittelbarer Ausdruck dieser Grundrechtsidee sein können und dar-
über hinaus, ob sie die verschiedenen Auffassungen zum „Priestertum der Gläubi-
gen“, das heißt die Ordnungs- und Dienstfunktionen gegenüber kirchlichen Leitungs-
ämtern widerspiegeln. Denn jedes der besagten profanen Motive assoziiert unter an-
derem entsprechende Charakteristika und Verbindlichkeiten innerhalb einer Gemein-
schaft.

Verkörpern diese Figurentypen, die in der frühen Neuzeit vermehrt zu sehen sind, die
Antithese „Gesetz und Evangelium“, die für Luther eine zentrale Frage ist und Kon-
troversen im Zeitalter der Konfessionalisierung nährt? Und erlaubt die stereotype
Gestaltung der jeweiligen Figurengruppen nicht allein Rückschlüsse auf die Ferti-
gungstechnik, sondern auch auf das Wesen reformatorischer Kunst?

Dort interessiert mit der Konzentration auf das ikonographisch Wesentliche, die
Rechtfertigung aus Glauben: die Gnade. Diese scheint im Medium Metallguss künst-
lerisch kaum eindringlicher vor Augen geführt werden zu können als in Gestalt der
besagten vier Figurentypen.

Vielfach sind die innerhalb ihrer Gruppe gleichermaßen stereotypen Bekrönungen der
neuzeitlichen Schaftkronleuchter aus Messing des 16. bis 18. Jahrhunderts bisher
deskriptiv in Wappenhalter sowie normativ als Tugenddarstellungen eingeteilt. Und
letztere werden dabei zum Teil anhand der Inschriften von Kronleuchtern mit einer
gewissen Vorbildfunktion der auf diese Weise Gewürdigten für die Zeitgenossen und
die Nachwelt in Verbindung gebracht.314 Diese Korrelation einer illuminierten figürli-
chen Darstellung und eines (posthum) verbalisierten Leistungsdenkens als Totenge-

Danmarks Kirker, Frederiksborg Amt, 4. Bd., Kopenhangen 1975, S. 2210. – Die Kunst- und Ge-
schichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, IV. Bd., 2. Aufl. Schwerin 1901,
S. 595 f. – Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen. Reg.bez. Stade. Kreis Land Hadeln und
Stadt Cuxhaven, Textbd. 1956, S. 283. – Ebd., Landkreis Stade, Textbd. 1965, S. 84. – Die Bau-
und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck, Bd. III, 1920, S. 430. – S. Beissel, Ge-
schichte der Verehrung Marias im 16. und 17. Jahrhundert, 1910. – M. Hasse, Maria und die Heili-
gen im protestantischen Lübeck, in: Nordelbingen 34 (1965), S. 72-81. – E. Hoffmann, Lübeck im
Hoch- und Spätmittelalter. Die große Zeit Lübecks, in: Lübeckische Geschichte, 1988, S. 295 (Volks-
frömmigkeit und kulturelle Verhältnisse). – Schleswig-Holsteinische Regesten und Urkunden, Bd. 15,
Urkundenbuch des Bistums Lübeck, Bd. 4, Urkunden 1510-1530 und andere Texte, 1996, S. 194,
Nr. 2359: Verzeichnis der Kleinodien des Bildes Marien Mitleid im Dom zu Lübeck, 14. August 1528.
– R. W. Scribner, Religion und Kultur in Deutschland 1400-1800, 2002 (Veröffentlichungen des Max-
Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 175), S. 82 f. – Sveriges Kyrkor. Uppland, Bd. IV, Seminghundra
Härad, 1919, S. 244. – Sveriges Kyrkor, Uppland, Bd. V, T. 1, 1953-58, Sjuhundra Härad, 1956,
S. 280 f. (Rimbo Kyrka). – Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen, Bd. V, T. 1, Regierungs-
bezirk Stade, 1956, S. 283. – Die Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Großherzogtums Mecklen-
burg-Schwerin, II. Bd., 2. Aufl. Schwerin 1899, S. 66. – Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfa-
len. Kreis Lippstadt, Münster 1912, S. 105. – Die Baudenkmäler des Reg.bez. Stralsund, H. V, Stadt-
kreis Stralsund, Stettin 1902, S. 450. – Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen. Reg.bez.
Stade. Stadt Stade, Textbd. 1960, S. 66. – R. Slawski, St. Andreas - Neustadt - Braunschweig, Hg.
Kirchenvorstand der St. Andreasgemeinde zu Braunschweig, 1996, S. 41, vgl. Die Bau- und Kunst-
denkmäler der Stadt Braunschweig, 1926, S. 23 und 25! – Ende 2004 informierte H. von Poser, Kunst-
referent der Evangelischen Landeskirche Hannovers über die Wiederauffindung eines Schaftkronleuch-
ters aus Messing mit der doppelseitigen Bekrönung des Salvator mundi und des Apostel Andreas in
Hildesheim, evangelische Kirche St. Andreas. – Die Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Großher-
zogtums Mecklenburg-Schwerin, II. Bd., 2. Aufl. Schwerin 1899, S. 117. – F. Michaelsen, Die Glück-
städter Lichterkronen, in: Steinburger Jb. 1965, S. 91-99.
314
K. Jarmuth (1967), S. 228 f.
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denken, scheint auf den ersten Blick an die Tradition von Beleuchtungsgerät und Hei-
ligenfigur im Sinne der alten Lehre aus katholischer Zeit anzuknüpfen. Etlicher Zier-
rat von Schaftkronleuchtern in Gestalt von Masken und Fabelwesen weist auf Paralle-
len zu mittelalterlichen Wandmalereien und illuminierten Handschriften hin (Abb.
146).315

Buchholz spricht in seinen Studien „Protestantismus und Kunst im 16. Jahrhundert“


unter anderem davon, dass die Reformation nichts gänzlich Neues brachte, sondern
alles auf eine andere Ebene stellte.316

Ähnlich heißt es schon in der Vorrede zur Schleswig-Holsteinischen Kirchenordnung


von 1542, wo eindeutig von der Gnade Gottes als Grundlage gesprochen wird, wobei
die Entstehung der evangelischen Landeskirchen im Zusammenhang mit machtpoliti-
schen Interessen weltlicher Herrscher zu sehen ist.

„WIR CHRISTIAN, VON GOTTES Gnaden König zu Dänemark und Norwegen, König
der Wenden und Goten, Herzog zu Schleswig, Holstein, Stormarn und Dithmarschen,
Graf zu Oldenburg und Delmenhorst. Wir preisen Gott und danken seiner Gnade in
Ewigkeit, dass wir zur Erkenntnis seines lieben Sohnes, unseres Herrn Jesus Chris-
tus, gekommen sind ... Damit wir für diese unaussprechliche Gnade Gottes nicht
undankbar sind und sich auch unsere Erblande in der Sache der christlichen Religion
nicht weiterhin so beklagenswert in unheilvoller Zerrüttung befinden mögen, haben
wir aus Gottes Gnaden in Zusammenarbeit mit unseren Räten und unserer Land-
schaft vorgenommen, eine christliche Kirchenordnung gemäß Gottes Wort und Christi
Befehl ergehen zu lassen, nicht um etwas Neues zu stiften (davon behüte uns Gott),
sondern um öffentlich mit unseren Erblanden das anzunehmen, was uns Gott, unser
lieber Herr durch seine Propheten und Apostel befohlen hat, bevor es unter soviel
Irrlehre begraben wurde, dass dadurch das Evangelium Christi seiner Helligkeit be-
raubt und unterdrückt worden ist ...“317

Dass dieses Besinnen auf Gottes Gnade auch im Kernland der Reformation keine
gängige Praxis ist, geht unter anderem aus den Schreiben Martin Luthers (Witten-
berg, 24. Mai 1540) an seinen Landesherrn Graf Albrecht von Mansfeld hervor.

„Gnade und Friede in Christo! Gnädiger Herr! Ich habe lange nicht um etwas gebe-
ten, ich muss auch einmal kommen, das die Straße der Fürbitte nicht zu gar mit Gra-
se verwachse, … , ward unter anderem gesagt, wie Euer Gnaden mit den Hütten-
meistern der Schärfe handelten ... Ich bitte nicht um Recht …, sondern um Gnade

315
Der Ornamentschatz. Sammlung historischer Ornamente aller Kunstepochen, Hg. H. Dolmetsch,
4. und verb. Aufl. 1913. – K. Kröll/H. Steger, Mein ganzer Körper ist Gesicht. Groteske Darstellungen
in der europäischen Kunst und Literatur des Mittelalters, 1994. – Kunst für das Gewerbe. Graphische
Vorlagen für Kunsthandwerker in Deutschland 18. Jahrhundert, Ausst.-Kat. Hamburger Museum für
Kunst und Gewerbe (2001), S. 8.
316
F. Buchholz, Protestantismus und Kunst im 16. Jahrhundert, 1928, S. 63 (Studien über christliche
Denkmäler, N.F., 17. H.). – T. Scharff, Die Kämpfe der Herrscher und Heiligen. Krieg und historische
Erinnerung in der Karolingerzeit. Symbolische Kommunikation in der Vormoderne, 2002, S. 211.
317
KAP II D a, Nr. 11. – O. Brandt, Geschichte Schleswig-Holsteins, 8. Aufl. Kiel 1981, S. 154 f., 158,
160. – Die Schleswig-Holsteinische Kirchenordnung von 1542, Hg. W. Göbell, 1986 (Schriften des
Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, Reihe I, Bd. 34).
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und Gunst, denn Euer Gnaden werden Gottes Gnaden und Gunst auch bedürfen, ...
Denn suchen wir unser Recht zu gestrenge an unserem Nächsten und lassen nicht
Gnade scheinen, so wird wahrlich Gott sein Recht gegen uns auch suchen und die
Gnade finster werden lassen. Ich hoffe, Euer Gnaden werden hieraus nichts anderes
verstehen, denn dass ich Euer Gnaden als meinen lieben Landesherrn lieb habe ...“318

Buchholz hebt zeitig die besondere Wahrnehmung des Reformators Martin Luther
(1483-1546) für die kirchliche Kunst als pädagogisches Mittel hervor. Die jüngere
Kunstwissenschaft hat diesen Ansatz anhand systematisch untersuchter Kunstwerke
stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt.319

So führen anhand der Schriften Martin Luthers und auch Philipp Melanchthons (1497-
1560) interdisziplinäre Forschungen zur bewahrenden Kraft des Luthertums für mit-
telalterliche Kunst in evangelischen Kirchen vor Augen, dass die Reformation infolge
eines anderen Verständnisses des Evangeliums eine Erneuerung des Glaubens in
Form eines Umdenkungsprozesses der (gläubigen) Bevölkerung sowie der Obrigkeit
und nicht ein tabula rasa – die Ausräumung von Kunst aus Kirchen – zum Ziele hat-
te.

Schon im Jahre 1921 führt P. Graff aus: „Die Reformatoren selbst standen allen Ze-
remonien ziemlich frei gegenüber. Sie hatten in Norddeutschland viele behalten, da
die Gemeinden oft darauf hielten, auch um der Schwachen willen, in Süddeutschland
dagegen nur wenig, weil die Gemeinden unter schweizerischem Einfluss stehend,
Anstoß nahmen.“320

Sofern also die vorhandenen Kunstwerke und die Schaffung neuer nicht der Vereh-
rung von Heiligen und der Abgötterei dienten, sondern der Erinnerung an Zeugen des
frühen Christentums und an (lokale) Vorbilder des Glaubens, so hatte Martin Luther
– nach einer im Umkreis Kursachsens entstandenen Ordnung – schließlich jene Aus-
stattung nicht abgelehnt, welche „... ein eusserlich Zierde und wolstand sei, dodurch
das volg zu mehrer andacht bewogen werde.“321 Ähnlich heißt es in der auf Johannes
Bugenhagen (1485-1585) zurückgehenden Kirchenordnung (1528/29), die auch in

318
Martin-Luther-Briefe 9, Nr. 3481, in: Martin Luther und der Bergbau. Aus Tischreden, Briefen und
Predigten, Gesammelt von C. Reizig und G. Müller, Hg. Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-
Anhalt, Wittenberg 2000, S. 32 ff.
319
F. Buchholz, 1928, S. 79. – Siehe u.a.: Geschichte des protestantischen Kirchenbaues. Festschrift für
Peter Poscharsky zum 60. Geburtstag, Hg. K. Raschzok/R. Sörries, 1994. – G. Kießling, Der Herr-
schaftsstand. Aspekte repräsentativer Gestaltung im evangelischen Kirchenbau, 1995 (Beiträge zur
Kunstwissenschaft. Bd. 58). – U. Mathies, 1998, S. 78. – R. Zeller, Prediger des Evangeliums. Erben
der Reformation im Spiegel der Kunst, 1998. – Vgl. demgegenüber: C. Göttler, Die Kunst des Fege-
feuers nach der Reformation. Kirchliche Schenkungen, Ablaß, Almosen in Antwerpen und Bologna um
1600, 1996 (Berliner Schriften zur Kunst, Bd. 7).
320
P. Graff, 1921, S. 17; s. dort auch Einführung und Auswirkungen des Interims. – V. Plagemann,
Kunstgeschichte der Stadt Hamburg, 1995, S. 119 ff. – J. M. Fritz (Hg.), Die bewahrende Kraft des
Luthertums. Mittelalterliche Kunstwerke in evangelischen Kirchen, 1997. – Goldschmiedekunst des
Mittelalters im Gebrauch der Gemeinden über Jahrhunderte bewahrt, Ausst.-Kat. der Evangelischen
Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und der Kirchlichen Stiftung Kunst und Kulturgut in der Kirchen-
provinz Sachsen Magdeburg (2001).
321
G. Wartenberg, Bilder in den Kirchen der Wittenberger Reformation, In: Die bewahrende Kraft des
Luthertums. Mittelalterliche Kunstwerke in evangelischen Kirchen. Hg. J. M. Fritz. 1997. S. 19-33,
insbes. S. 21.
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Lübeck Anwendung findet.322 In diesem Sinne „ad instructionem“ und „ad memoriam
sanctorum/pro memoria“ werden seit der Reformation – der Schleswig-Holsteini-
schen Kirchenordnung (1542) zufolge und laut herzoglicher Anweisung in Mecklen-
burgischen Kirchenordnung (1552/54), die damals auch in Holstein-Pinneberg gilt –
zum Beispiel Heiligenlegenden nur als Zeugnis und zur Stärkung des Glaubens einge-
setzt.323

„Am Tage Allerheiligen soll man über den Glauben und die Nachfolge der Heiligen
predigen, damit der gemeine Mann begreife, wie man die Heiligen in der richtigen
Weise verehren könne, nicht dass man sie anrufe oder ihnen wie früher eine falsche
oder heuchlerische Verehrung entgegenbringe.“ Denn auf der Grundlage des reinen
Wortes Gottes von der Erlösung der Menschheit durch Christi Opfertod und Auferste-
hung verkündigen die Reformatoren die Rechtfertigung allein aus Glauben. Und be-
zeichnenderweise greift Luther zudem aus den sieben Sakramenten der alten Kir-
chenlehre die Taufe, die Buße und das Abendmahl als wesentlich heraus.

In diesem Sinne und im aktuellen Wortschatz beschreibt der schwedische Theologe


und Religionshistoriker Nathan (Lars Olof) Söderblom (1866-1931) aus evangelischer
Sicht jene Personen als Heilige, die durch ihr gegenwärtiges Sein und Wirken für
wahr halten und verkündigen, dass Gott lebt.324

Wäre also entsprechend des Paulus-Briefes an die Gemeinde in Ephesus (Epheser,


Kapitel 6, Vers 11) und im Sinne der Haltung des Reformators Martin Luthers nicht
das antikisierende Motiv „Römischer Soldat“ auf neuzeitlichen Schaftkronleuchtern
der Renaissance als Sinnbild des Kampfes für den Glauben sowie als Zeuge des frü-
hen Christentums zu betrachten? Und stellen sie insofern ein Gegenbild zum Motiv
„Wilde Leute“ dar, die in der christlichen Ikonographie „den Kampf der niederen Welt
gegen die höhere, des Lasters gegen die Tugend“ verkörpern?325 Dann ließe sich aus
diesem Interesse an den Strukturen eines Gemeinwesens und der propagierten
Zweireichelehre auch die Darstellung von Landsknechten auf Schaftkronleuchtern
mittels der differenzierten Haltung Martin Luthers gegenüber anderen Reformatoren
und Humanisten in der Beurteilung der Landsknechte plausibel begründen. Denn Lu-
ther urteilt, „… dass der Krieg eines gerechten Fürsten auch eine gerechte Sache
sei“.326

322
Ders. a.a.O., S: 22.
323
Schleswig-Holsteinische Kirchenordnung von 1542, 1986, S. 79 f. – E. Wolgast, Die Reformation im
Herzogtum Mecklenburg und das Schicksal der Kirchenausstattungen, in: Die bewahrende Kraft des
Luthertums. Mittelalterliche Kunstwerke in evangelischen Kirchen, 1997, S. 54-70, insbes. S. 62.
324
F. Buchholz, 1928, S. 70. - A. O. Schwede, Nathan Söderblom. Ein Lebensbild, 2. Aufl. 1969.
325
Germanisches National-Museum Nürnberg, 48. Jahresbericht (1938), S. 15 ff. – R. Bernheimer, Wild
Men in the Middle Ages, 1952. – L. Möller, Die Wilden Leute des Mittelalters, Ausst.-Kat. Hamburger
Museum für Kunst und Gewerbe (1961). – Der Mensch um 1500. Werke aus Kirchen und Kunst-
kammern, Ausst.-Kat. Skulpturengalerie Berlin SMPK (1977), S. 161 ff. – T. Husband/G. Gilmore
House, The Wild Man, Medieval Myth and Symbolism, Ausst.-Kat. Metropolitan Museum of Art New
York (1980). – LCI, Bd. 4, Sonderausgabe 1994, Sp. 531.
326
R. Baumann, Landsknechte. Ihre Geschichte und Kultur vom späten Mittelalter bis zum Dreißigjähri-
gen Krieg, 1994, S. 205 f.
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Erfährt hier die weltliche Macht expressis verbis deutliche Unterstützung, fällt auf
frühneuzeitlichen Schaftkronleuchtern die zeitlich nahe Präsenz der beiden Landesde-
fensoren unterschiedlicher Epochen, das heißt „Römischer Soldat“ und „Landsknecht“
und die Ergänzung dieser Figurentypen um jene des „Büttels“ als Bekrönungen auf.
Und es ist ferner auffallend, dass diese kriegerischen Motive zwar unterschiedlich
verbreitet und doch auf religionspolitisch vergleichbare Standorte verteilt sind. Hier
kommt in der Regel jeweils nur eine dieser vier Darstellungen innerhalb eines Sakral-
oder Profangebäudes vor.

Vereinzelt erstaunt die Lokalisierung des Motivs „Wilde Leute“. Denn diese bekrönen
nicht allein Leuchter in evangelischen Gotteshäusern, sondern auch in katholischen
Kirchen.

Karikaturen reformatorischer Flugblätter aber zeigen den Papst als Oberhaupt der
römisch-katholischen Kirche in diesem Habitus eines Ungezähmten.327 So dass die
Verbreitung des Motivs „Wilder Mann“ offensichtlich beliebig ist, aber dem Ursprung
nach tatsächlich im Sinne der älteren Forschungsmeinung an bestimmte Landschaf-
ten, das heißt an waldreiche Gebiete gebunden schiene, gäbe es diese Darstellungen
des Schrats nicht auch in der Küstenregion. Aufgrund dessen bedarf die Lokalisation,
das heißt unwegbares/unzugängliches Gelände, wodurch die Wilden Leute auch cha-
rakterisiert und definiert werden, einer Präzisierung. Wesentlich sind dabei die
Grenzbereiche in jeder Hinsicht. Denn auch die nackten weiblichen Kronleuchterfigu-
ren werden trotz Hut und Halsschmuck der Gruppe „Wilde Leute“ zugeordnet.

Die Dominanz des Maskulinen – so möglicherweise auch die der Figurentypen „Römi-
scher Soldat“, „Büttel“, „Landsknecht“ im Motivschatz frühneuzeitlicher Schaftkron-
leuchter – entspricht der humanistisch geprägten Auffassung der Reformatoren. Dar-
nach ist der Glaube etwas in hohem Maße Heroisches. Schließlich zeigen die frühen
Landsknecht-Darstellungen bekannter Künstler seinerzeit – wie zum Beispiel Albrecht
Altdorfer (1480-1538) oder Albrecht Dürer (1471-1528) Bewunderung für diese Sol-
daten.328

Auf Kronleuchtern aus Metall bilden die zuvor genannten vier Figurentypen innerhalb
ihrer Gruppe klar konturierte Stereotype. Die jeweils charakteristische Gestik lenkt
dann das Augenmerk auf die Attribute und die Kostümierung der Statuetten. So er-
füllen sie als eingängige, leicht verständlich Motive einen Wiedererkennungseffekt,

327
Der Mensch um 1500. Werke aus Kirchen und Kunstkammern, Ausst.-Kat. Skulpturengalerie SMPK
Berlin (1977), S. 164 f.: Die Karikatur „Papst als Wilder Mann“ von Melchior Lorch zeigt nicht nur
den Spruch „HEBT EUCH GODT UNDT MENSCHEN FERREN ICH UNDT TEUFEL SINDT DIE HERN.“ Dia-
metral dazu – links in der oberen Ecke der Radierung, heißt es: „AL ANDER HERSCHAFT IST VON
GOT // ZUR HULF DEM MENSCHEN IN DER NOT // OH SATAN UNDT SEIN BEPSTLICH ROT // SEINDT
HERN ZU STIFTEN SUNDT UNDT TODT // DER BABST HEIST RECHT DER WILDE MAN // DER DURCH
SEIN FALSCHES SCHALCKES BAN // AL UNGLUCK HAT GERICHTET AN // DAS GOT UNDT MENSCHEN
NICHT LEIDEN KAN. 1545 MART. LUTHER. D.“
328
Meisterwerke europäischer Graphik 15.-18. Jh. aus dem Besitz des Kupferstichkabinetts Coburg,
Ausst.-Kat. Kunstsammlungen der Veste Coburg (1975), Kat.-Nr. 76. – H. Mielke, Albrecht Altdorfer
– Zeichnungen, Deckfarbenmalerei, Druckgraphik, Ausst.-Kat. Kupferstichkabinett Berlin SMPK
(1988), Kat.-Nr. 89b, 90 a.
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welcher im Sinne der Reformatoren einem pädagogischen sowie kommunikativen


Mittel entspricht, um Glaubensgrundsätze zu verbreiten und zu festigen.329

Dieser Ansatz findet sich in den Darstellungen religiöser – vornehmlich reformatori-


scher – Themen mittels einprägsamer Gestalten oder Szenen aus Genre, Historie
oder Mythologie und Bibel, die im Wesentlichen das Aufgabengebiet der deutschen
Kleinmeister charakterisieren.330 Obgleich diese insbesondere über die Gebrüder Bar-
thel (1502-1540) und Hans Sebald (1500-1550) Beham sowie Georg Pencz (1500-
1550) aus Nürnberg oder Jost Amman (1539-1591) aus Zürich definiert werden,
verbindet sich doch die Tätigkeit und Ausbreitung von Kupferstichen und Ornament-
werken etlicher Kleinmeister, die zugleich als Medailleure, Formschneider, Holz-
schneider oder Maler wirkten, auch mit diesen Künstlern – wie zum Beispiel Jakob
Binck (1500-1569) aus Köln aufgrund seiner Aufenthalte in Kopenhagen, Schweden,
Norddeutschland, Sachsen und Königsberg oder Melchior Lorichs (1527-1583) aus
Flensburg mit Stationen in den Niederlanden, in Österreich, Italien, Konstantinopel
und Hamburg, ferner Nikolaus Wilborn - wohl aus Lübeck sowie über die Parteinahme
des Heinrich Aldegrever (1502-1555/61) aus Soest für die lutherische Reformation.
Stilistisch könnten hier die Vorbilder für etliche Bekrönungen auf Schaftkronleuchtern
in Norddeutschland entstanden sein sowie den Realitätsbezug und die Mehrdeutigkeit
der Figuren erklären. Gleichwohl beschreibt die jüngere Geschichtswissenschaft eine
unterschiedliche Haltung der Landsknechte gegenüber Religiosität und Konfessio-
nen.331 Außer Motiven wie Landsknechte und Wilde Leute geben die besagten Klein-
meister unter anderem auch den Figurentyp „Römischer Soldat“ wieder.

Dass zum Beispiel die Brüder Beham mit ihren Graphiken eines römischen Soldaten
Jupiter meinen, erläutert die Bildunterschrift.332

In Zeiten, wo sich gesellschaftliche Umstrukturierungen ereignen, wo Philosophie und


Geistesgeschichte auch dem Universum Unendlichkeit zuerkennen, die bis dahin al-
lein Gott charakterisierte und die Öffnung des Weltbildes zugleich eine für andere
Religionen beinhaltet, erscheint während der Renaissance die Darstellung des Jupiter
als höchste Gottheit der Römer sowie als höchster Garant und Erhalter der kosmi-
schen und sittlich-sozialen Ordnung nahe liegend. Ob eine entsprechende Korrelation

329
In Anbetracht des erhobenen Schwertes als Attribut der Kronleuchterfigur „Römischer Soldat“ stellt
sich die Frage, inwieweit dies mit den so genannten Sendschwertern als Zeichen der Freiheit assozi-
iert wurde. s. Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, 41. Bd., 2. T.: Die Stadt Münster, 1933,
S. 364, Abb. 536 und S. 374 f. und vgl. Die Bau- und Kunstdenkmale in der DDR. Mecklenburgische
Küstenregion. Mit den Städten Rostock und Wismar, Berlin 1990, S. 217. Dort wird der hölzerne
Wandarm unterhalb eines Tafelbildes mit Kriegsschiff und Silhouette Wismars, 17. Jh. im Nordosten
der Heiligen-Geist-Kirche zu Wismar allerdings als vermutlich dazugehöriger Kerzenhalter interpre-
tiert. – Zu Kunst als pädagogisches Mittel; s. U. Mathies, 1998, S. 39.
330
K. Löcher, Barthel Beham. Ein Maler aus dem Dürerkreis, 1999 (Kunstwissenschaftliche Studien,
Bd. 81).
331
M. H. Bethink; s. Saur, Bd. 10, 1995, S. 236. – J. Binck; s. Thieme-Becker, Bd. 4, 1910, S. 36. –
H. Brosamer; s. Thieme-Becker, Bd. 5, 1911, S. 66. – H. Guldenmund; s. Thieme-Becker, Bd. 15,
1922, S. 329. – J. Ladenspelder; s. Thieme-Becker, Bd. 22, 1928, S. 189. – M. Lorichs; s. Thieme-
Becker, Bd. 23, 1929, S. 395. – N. Wilborn; s. Thieme-Becker, Bd. 35, 1942, S. 554. – Zur Religiosi-
tät der Landsknechte; s. R. Baumann, 1994, S. 35, 195.
332
K. Löcher, 1999, S. 29 ff.
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für die Topfigur „Römischer Soldat“ auf frühneuzeitlichen Schaftkronleuchtern inten-


diert wurde, ist bisher nicht bekannt. Sie wäre insofern denkbar, da die Gestaltung
neuzeitlicher Schaftkronleuchter nicht an Sakralräume gebunden, sondern in ihrer
universellen Art Ausdruck eines säkularisierten Zeitgeistes ist. Die Tatsache aber,
dass diese Leuchter mit ihren profanen Motiven verstärkt in evangelischen Gottes-
häusern und die kriegerischen Kronleuchterfiguren im Motivschatz der deutschen
Kleinmeister vorkommen, lässt auf eine besondere Verbindung zur Reformation
schließen. Ganz im Sinne der Reformatoren dürfte daher das Motiv „Jupiter“ aus der
Perspektive der Apostelgeschichte (Kapitel 14, insbesondere Verse 12f) sein, wo der
Glaube an Christus als die Grundlage der Vorbestimmung zur Herrlichkeit angesehen
wird. Ganz im Sinne der Zweireichelehre M. Luthers und realitätsnah heißt es in der
Schleswig-Holsteinischen Kirchenordnung (1542) unter Bezugnahme auf den Brief
des Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom (Römer, Kap. 13), dass die Obrigkeit
Gottes Dienerin sei und indem sie auch das Schwert führe, gute christliche Ordnung
verschaffe.
„...; hierdurch wird die christliche Kirche oder Christenheit, die leiblich auf Erden der
Obrigkeit unterstellt ist, geistlich mit Gottes Wort und zeitlich mit dem zum Leben
notwendigen Bedarf unterhalten, wie dies die heiligen Richter und Könige (wie ge-
schrieben ist) Gott zu Ehren und vielen Menschen zur Seligkeit getan haben.“333

Sind es nicht gerade diese profanen Motive – die Bewaffneten, die aufgrund ihrer
unterschiedlichen gesellschaftlichen Akzeptanz in jener Zeit der religions-politischen
Konflikte geeignet erscheinen, um eindringlich die allen Menschen geltende Botschaft
von der Erlösung der Welt durch den Opfertod Christi vor Augen zu führen? (Evange-
lium des Matthäus, Kapitel 1, Vers 21; Evangelium des Johannes, Kapitel 3, Vers 17)
Zugleich repräsentieren die Landesdefensoren unter ihnen Ordnungs- und Dienst-
funktionen. Waren nicht insbesondere die Landsknechte in diesem Sinne identitäts-
stiftend, da diese Soldaten sich anfänglich aus den freien Bürgern und später aus
allen Gesellschaftsschichten rekrutierten und die Position als Landsknecht gewisse
Freiheiten und soziale Aufstiegschancen versprach? Und wo Landsknechtrecht als
göttliches Recht beschrieben und die Gerichtsgewalt von jener Gottes sowie des Kai-
sers und des Kriegsherrn abgeleitet wird. Verkörpern nicht andererseits auch diese
Soldaten im Laufe der geschichtlichen Entwicklung die von religiöser Seite als Übel
angesehene Zustände Einzelner und der Gemeinschaft und deshalb – im Sinne der
Reformatoren – dass nicht die Leistungen des Menschen von der Sünde befreien,
sondern die Errettung, die dem Menschen allein durch die Rechtfertigung aus Glau-
ben zugewendet wird? „Simul iustus et pecator.“334

Schließlich ordnet im 20. Jahrhundert die kunstwissenschaftliche Forschung selbst


das Motiv „Wilde Leute“ als Sinnbild der Sehnsucht nach Erlösung ein.335

333
Die Schleswig-Holsteinische Kirchenordnung von 1542, 1986, S. 9, 23. – R. Baumann, 1994, S. 104.
334
Nach dem Verständnis M. Luthers und J. Calvins von der Rechtfertigung aus Glauben und Erlösung
bleibt der sündige Mensch ein solcher auch unter der Gnade Gottes.
335
LCI, Bd. 4, Sonderausgabe 1994, Sp. 531.
Bekrönungsfiguren Seite 102

Andererseits lassen sich unter den erhaltenen, inventarisierten Schaftkronleuchtern


des 16. Jahrhunderts in Norddeutschland und den Ostseeanrainerstaaten – nach bis-
heriger Kenntnis – acht Beispiele für zwei Motive benennen, die mittels entsprechen-
der christozentrischer Darstellungen ganz eindeutig auf den Opfertod Christi und
Christus als Erlöser Bezug nehmen.

Angesichts der Entstehungszeit erhalten diese Themen in ihrem spezifischen Darstel-


lungsmedium, die im Zusammenhang mit dem Stiftungswesen auch als Glaubensbe-
kenntnis auf der Grundlage der christlichen Gemeinschaft zu werten sind, eine be-
sondere Bedeutung. Es sind dies zum einen die Darstellungen (Abb. 88, 153) des
„Salvator mundi“ als Topfigur der im Folgenden genannten Hängeleuchter, die zudem
jeweils mit einer Löwenkopf-Maske als Unterhang abschließen: Büste, Kronleuchter,
26 Leuchterarme, Messing, 1557, Evangelische St. Marien-Kirche in Stralsund und
Statuette, Kronleuchter, 16 Leuchterarme, Messing, 2. Hälfte 16. Jahrhundert, Evan-
gelische St. Wilhadi-Kirche in Stade. Zum besagten Kronleuchter „Salvator mundi“
könnte es hinsichtlich der Bekrönung ein Pendant in der Evangelischen St. Georgen-
Kirche in Wismar gegeben haben: „St. Jürgen-Kirche zu Wismar. St. Jürgen besitzt
drei sechzehnarmige Kronleuchter (das heißt mit 2X8 Leuchterarmen). Die Arme des
im Chor hängenden Leuchters enden in der Form von Hundeköpfen; als Bekrönung
dient die schwere Doppelbüste eines bärtigen Mannes, der Hand und Arm wie leh-
rend erhebt.“ Es wird zwar in den entsprechenden Länderinventaren der Kunstdenk-
mäler hinsichtlich zweier Kronleuchter (Ende 16. Jahrhundert) in Stralsund und Wis-
mar aufgrund einer Rechnung des Gießers Frantz Bolte ein möglicher Bezug aufge-
zeigt, nicht aber in der Beschreibung des nach Wismar verkauften Kronleuchters prä-
zisiert.

Und es sind zum anderen die teils als oder wie Schaftkronleuchter gestalteten Tauf-
kronen, die von der Trinität in Gestalt des „Gnadenstuhls“ bekrönt werden. Ange-
sichts dessen erhebt sich die Frage, ob die Abdeckungen protestantischer Taufbecken
– über die praktische Schutzfunktion hinaus – generell tatsächlich nur „der Auswei-
tung des ikonographischen Programms“ und der würdigenden „Hervorhebung des
Taufbeckenstandortes im Kirchenraum“ dienten oder ob nicht auch diese frühen
Kompositionen gerade vor dem Hintergrund der zeitlich versetzt durchgeführten Re-
formation und der Herausforderung der Rekatholisierung ein präzises Bekenntnis
zum Glauben an Gottes Wort und die Rechtfertigung allein aus Glauben darstellen.
(Statuette, Kronleuchter als Taufkrone zu den Fünten, Bronze, von 1547 in Hildes-
heim, Evangelischen St. Andreas-Kirche, 1590 von Mante Pelkinck (gest. zwischen
1597 und 1600) gegossen für Helmstedt, Evangelischen St. Stephanie-Kirche und
Hessisch-Oldendorf, Evangelischen St. Marien-Kirche, 1592 von Mante Pelkinck ge-
gossen für Hildesheim, Katholische Heilig-Kreuz-Kirche; 1618 von Dietrich Mente
(um 1583 - nach 1632) gegossen für Hildesheim, Evangelische St. Michael-
Kirche).336 Ein weiteres Exemplar eines Kronleuchters als Taufkrone ist mit der Bron-

336
Siehe Zu Kronleuchtern in Stralsund und Wismar: Die Baudenkmäler des Regierungs-Bezirks Stral-
sund, H. II: Der Kreis Greifswald, 1885, S. 449 f. Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großher-
zogtums Mecklenburg-Schwerin, II. Bd.: Die Amtsgerichtsbezirke Wismar, Grevesmühlen, Rehna,
Bekrönungsfiguren Seite 103

zetaufe (1609) des M. Hans Bethinck (1585-1609 genannt) in der Evangelischen St.
Simeonis-Kirche sowie in der Evangelischen St. Martin-Kirche in Minden erhalten.337

Ein anderes Beispiel, das inschriftlich in das Jahr 1575 datiert ist, wird sinngemäß
wie folgt beschrieben und nachträglich so interpretiert. Es befindet sich unter den
Ausstattungsstücken der Abteikirche Marienfeld zu Freckenhorst/Nordrhein-Westfalen
im Hochchor „ein vierzehnarmiger Kronleuchter“ (!) aus Gelbguss (1575). Eine Lö-
wenkopf-Maske bildet den Unterhang und eine Engelstatuette die Bekrönung dieses
Winkelarmkronleuchters. Diese hält die Wappenschilde des Ordens und des Abtes
Hermannus Fromme (1564-1597).338
„Der Kronleuchter ... beinhaltet viele symbolische Aussagen. Der obere Kranz mit
sechs Lichtern (!) stellt das Sechstagewerk dar. Die untere Lichtkrone mit zehn Lich-
tern (!) ist Sinnbild der Vollkommenheit, der Ordnung des Universums. Kronleuchter
stellen den Lichtglanz des himmlischen Jerusalems dar.“ 339

Das Bindeglied dieser eindeutigen Beispiele für eine christliche Kunst ist ihre Entste-
hungszeit vom ausgehenden Jahrhundert der Reformation bis weit über die Zeit des
Dreißigjährigen Krieges. Entscheidend ist dabei das Selbstverständnis der aus der
Reformation hervorgegangenen Kirche, diese Umgestaltung nicht als Ereignis, son-
ders als eigenes Wesensmerkmal sowie als andauernden Prozess – und doch nicht
losgelöst von (Kirchen-)Ordnungen zu betrachten.

In Anbetracht der für die frühe Neuzeit genannten Relationen christlicher und weltli-
cher Themen mutet die Zuordnung der Topfigur eines anderen Renaissancekron-
leuchters ungewöhnlich bis fragwürdig an. Denn ein adäquates Objekt ist in den an-
deren amtlichen Länderinventaren nicht dokumentiert, wohingegen es zu den zuvor
genannten Motiven wenigstens zwei oder mehrere Pendants gibt. So heißt es zum
Inventar der Katharinenkirche in Brandenburg/Havel: „Drei Kronleuchter aus Mes-
sing, die außer Gebrauch sind, ... Der zweite ist von einem Apostelfigürchen bekrönt
und endigt unten in einem Löwenkopf, der einen aus einem Drachen gebildeten Ring
hält“.340 Apostel als Bekrönung oder Subfiguren kommen vornehmlich auf

Gadebusch und Schwerin, 2. Aufl. 1899, S. 117. – Vgl. Die St. Georgen-Kirche zu Wismar. Kirchen-
führer. Hg. Förderkreis St. Georgen in Wismar e.V. Wismar 1996, S. 7 mit Abb. von 1924. – Stade;
s. Die Kunstdenkmäler des Landes Niedersachsen. Stadt Stade, 1960, Abb. 78 und 82. – U. Mathies,
1998, S. 15 und vgl. S. 14, siehe S. 111 ff.: Katalog und S. 163: Abbildungen.
337
Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen. Kreis Minden, 1902, S. 89, Taf. 52.
338
Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Kreises Warendorf, 1886, S. 151 und Fig. 83. – Vgl. die
noch in spätgotischer Formensprache gestalteten Schaftkronleuchter in Dortmund, Kath. Propsteikir-
che sowie ein in das Jahr 1480 datiertes Exemplar im Victoria & Albert Museum in London; s. Die
Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen. Kreis Dortmund-Stadt, 1894, Taf. 38 und S. 44. – K. Jar-
muth, Lichter, Leuchter im Abendland. Zweitausend Jahre Beleuchtungskörper im Abendland.
(1967), S. 101.
339
Abteikirche Marienfeld 1185-1985, Hg. Katholische Pfarrgemeinde Marienfeld/Freckenhorst, 1985,
S. 15.
340
Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen. Der Landkreis Stade, Bildband 1961, Abb. 42. – Die
Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen. Der Landkreis Stade, Textband 1965, S. 84. – Die Bau-
und Kunstdenkmale in Mecklenburg-Vorpommern. Vorpommersche Küstenregion, mit Stralsund,
Greifswald, Rügen und Usedom, 1995, S. 137. – Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg,
Bd. II, T. 3: Stadt und Dom Brandenburg, 1912, S. 70 f. Welchen Typus die „kleine Figur“ des drit-
ten Kronleuchters der Ev. Stadtkirche verkörperte, ist bisher unbekannt und ebenso, ob die „Hand-
Bekrönungsfiguren Seite 104

Schaftkronleuchtern barocker Formensprache vor. Demgegenüber bilden die Statuet-


ten „Römischer Soldat“, „Büttel“, „Landsknecht“ und „Wilde Leute“ auf diesen jünge-
ren Kugelkronleuchtern eine Ausnahme. Andererseits ergeben die inschriftlichen Da-
tierungen der Schaftkronleuchter mit ihren profanen Bekrönungsmotiven eine Zeit-
spanne, die in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts anzusetzen ist und bis in das 18.
Jahrhundert reicht. Hier zeichnet sich ab, dass die Entstehung dieser Beleuchtungs-
geräte zwar zu Ereignissen – wie zum Beispiel Reformen, Reformation, Glaubens-
kämpfen, Konfessionalisierung bis hin zu absolutistischen Herrschaftsformen in Be-
ziehung gesetzt werden kann, tatsächlich aber den Grad der Verschmelzung oder der
Trennung von Politik und Religion, das heißt Entwicklungen, anzuzeigen scheint.

3.2 Die Topfigur „Römischer Soldat/Legionär, Infanterie“ auf Schaftkron-


leuchtern

Die athletisch wirkenden, antikisierenden Figuren (Abb. 56) einiger Kronleuchter in


Norddeutschland, die zwischen Ende des 16. und bis Mitte des 18. Jahrhunderts ent-
341
standen bzw. inschriftlich so datiert sind , tragen in Anlehnung an die Soldaten des
römischen Heeres zur Kaiserzeit (1. Jahrhundert nach Christus) einen Muskelpanzer,
die Lorica. Diese Metall-Lorica besteht aus einem hüftlangen Stück mit einem runden
Halsausschnitt und Schulterklappen mit kurzen Ärmeln, die wie der untere Rand des
Bruststücks durch die Pteryges begrenzt sind.342 Diese Lederlaschen deuten den ei-
ner römischen Lorica unterlegten, charakteristischen Lederkoller an. Auch andere
Details wie die Galea als Kopfbedeckung mit ihrem halbmondförmigen Nackenschutz,
einem quer gestellten Stirnbügel und Wangenklappen oder etwa der Schaller sind
herausmodelliert. Die Carbatina mit ihren Lederriemen an Rist und Unterschenkel als
Fußbekleidung sind angedeutet. Das Gros dieser Kronleuchterfiguren zeigt eine ste-
reotype Gestaltung; es sind dennoch gelegentlich geringfügige Unterschiede der Kos-
tümierung erkennbar, die eine unterschiedliche Provenienz vermuten lassen.

Die Mehrzahl dieser Statuetten vermittelt aus der Ponderation Standfestigkeit und
Entschlossenheit. Während der linke Arm der Figur aufgrund seiner nach vorn ausge-
streckten und in Taillenhöhe angewinkelten Haltung zum Beispiel die Handhabung
einen Schildes ermöglicht oder Abwehr vermuten lässt, spiegeln der schwach ge-
drehte Oberkörper, die erhobene Rechte sowie der – bei diesen Bekrönungsfiguren –
häufig aus der imaginären Symmetrieachse nach rechts wehende Vollbart eine ge-
wisse Dynamik wider. Die Attribute dieser Statuetten weichen – soweit vorhanden
oder nachträglich ergänzt – teils voneinander ab. Überwiegend aber halten die so

habe von 1649“ auf einen Schaftkronleuchter in Renaissanceformen oder des Barock schließen lässt.
– Vgl. G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Brandenburg, Neubearb. 2000, S. 126 ff.
341
Zum Beispiel in Bledeln/Hildesheim, Eutin/Ostholstein, Holle/Hildesheim, Goslar, Menkin/Prenzlau,
Sterup/Angeln, Helsingør/Dänemark, Ogy/Belgien, Ovansjö Kyrka/Gästrikland.
342
H. Kühnel, Bildwörterbuch der Kleidung und Rüstung. Vom Alten Orient bis zum ausgehenden Mittel-
alter, 1992, S. 158 ff.
Bekrönungsfiguren Seite 105

gezeigten Soldaten ein Schwert in ihrer erhobenen Rechten. Dabei variiert trotz glei-
cher Handhaltung, wo das Umgreifen des Gegenstandes vor dem Handteller frontal
sichtbar wird, die Ausrichtung der Waffe. Anhand etlicher Beispiele ist das Schwert
horizontal zur Standfigur und oberhalb des Hinterkopfes verhalten kampfbereit posi-
tioniert (Holle/Hildesheim, um 1650; Sterup/Angeln, datiert 1760). Vereinzelt ist das
Schwert senkrecht nach oben oder als Stichwaffe auf ein gedachtes Gegenüber ge-
richtet (Bergen/Rügen, Anfang 17. Jahrhundert; Hameln/Pyrmont, 1679). Einige die-
ser Krieger halten anstelle von Schwert und Schild eine Axt, eine Lanze, einen Speer
oder eine Handglocke in der erhobenen Rechten; das Gegenstück dazu bildet ein
Feuerlöscheimer (Eutin/Ostholstein).

Erst die systematische und nähere Betrachtung mehrerer Schaftkronleuchter aus


Messing des 16. bis 18. Jahrhunderts mit der Bekrönung „Römischer Soldat“ lässt in
der Gestaltung der Lorica stilistische Unterschiede zwischen jenen Exemplaren (Ende
16./Anfang 17. Jahrhundert) in Vorpommern (Renaissancekronleuchter „Römischer
Soldat“ in Barth und Bergen/Rügen) gegenüber jenen erkennen, die – von Vorpom-
mern aus – in den nordwestlichen Gebieten Deutschlands (Eutin, Goslar, Dinslaken)
verbreitet sind und diese ihrerseits gegenüber jenen die in Stadthagen oder in Bel-
gien (Ogy, Kirche S.S. Blaise et Martin) vorkommen.

Fällt in Stadthagen zuerst die angedeutete Rückennaht am Brustpanzer auf, so sind


es in Ogy neben der insgesamt kräftigen Gestaltung des 14-armigen Schaftkron-
leuchters mit abschließender Löwenkopf-Maske der proportional zum Kronleuchter
adäquate Habitus der Topfigur und die differenziert ausgearbeitete Kostümierung.

Ein vergleichbares Stück ist in Norddeutschland nicht bekannt.

Neben diesen kleinen – produktionstechnisch bedeutsamen – Unterschieden, die die


entsprechenden Kurzcharakteristiken zu Kronleuchtern im Rahmen amtlicher Kunst-
denkmäler-Inventare nicht ausführen können, verdienen neben morphologischen
auch ornamentale Details – wie zum Beispiel die stilisierten Blüten – der Renais-
sancekronleuchter eine Beachtung. Denn erst die Systematisierung des Motivschat-
zes in Kontingente und die Häufung bestimmter Komponenten dürften Rückschlüsse
auf die Entstehung und Verbreitungswege der Kronleuchter sowie auf die Bewandtnis
der Bekrönungsfiguren erlauben.

Während die Leuchterarme der Winkelarmkronleuchter, die im größeren Umkreis der


Hansestadt Lübeck verbreitet sind – so auch in Eutin/Ostholstein – häufig in eine Ro-
sette münden, weisen vergleichbare Kronleuchter südlich der Unter- und Niederelbe,
mitunter auch spitz zulaufende Knospenmotive auf.

Die Leuchterarme der zum lübischen Einzugsgebiet vergleichbaren Hängeleuchter in


Niedersachsen (Goslar und Holle/Hildesheim) und Dänemark (Helsingør) enden eben-
Bekrönungsfiguren Seite 106

falls als angedeutete Volute mit Blütenmotiv. Letztere kennzeichnet auch den,
inschriftlich in das Jahr 1760 datierten, Kronleuchter in Sterup/Angeln.343

Demgegenüber weisen die zu dieser Gruppe der Bekrönungsfiguren gehörenden Ex-


emplare in Mecklenburg-Vorpommern kleine Masken an den Enden der Leuchterarme
auf. Letztere sind auch stärker aufgebogen, wie auch der Leuchterarm an sich kräfti-
ger gestaltet und stärker geschwungen ist als jene Winkelarmkronleuchter, die in
westlicher Richtung verbreitet sind (Barth, Evangelische St. Marien-Kirche, Kron-
leuchter 1589 (Abb. 55); Bergen/Rügen (Abb. 62), Kronleuchter wohl Anfang des
17. Jahrhunderts).

Andere Verbindungslinien ergibt die Gegenüberstellung der Kronleuchterspindeln. In


Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein sind die aus Kugeln und Wülsten
gleichmäßig, schwach plastisch gebildeten Schaftkolonnen ein Kennzeichen dieser
Kronleuchter. Dort neigt unter den genannten Exemplaren nur in Eutin das zentrale
Schaftmodul zur Balusterform, die die Landsknechtkronleuchter damals im Nieder-
sächsischen und Obersächsischen Reichskreis, das heißt südlich der (Unter-)Elbe so-
wie zwischen Holzminden und Alt Placht/Templin, charakterisiert oder zum Beispiel
am Schaftkronleuchter „Römischer Soldat“ (1664 käuflich erworben) in Ovansjö Kyr-
ka/ Gästrikland erkennbar ist.344 Bei allen übrigen, zuvor genannten Objekten in Dä-
nemark und Niedersachsen prägt weitestgehend ein tendenziell zylindrisches bis
leicht balusterförmiges Schaftmittelstück die Morphologie der Leuchter. Alle diese
Leuchter weisen ferner eine vergleichbare Befestigungstechnik ihrer Module mittels
des Schwalbenschwanz-Zapfens sowie die doppelte Löwenkopf-Maske als Unterhang
auf. Obgleich insbesondere hier stilistische Unterschiede bestehen, wirkt dieser unte-
re Abschluss der Winkelarmkronleuchter – im Verhältnis zur Gesamtgestaltung – or-
ganisch.

Einen gegenteiligen Eindruck erwecken der Aufbau und die Proportion des Kronleuch-
ters in Dinslaken. Die Bekrönung „Römischer Soldat“ und die unvollständige, kleine
Löwenkopf-Maske am unteren Scheitelpunkt der großen Schaftkugel dürften hier ei-
ne spätere Zutat eines älteren Leuchters sein. Demgegenüber erscheinen die übrigen
Teile des Leuchters zusammen homogen durch den kontrastreichen Wechsel starker
Plastizität und deutlicher Einschnürungen des Leuchterschaftes. Die U-förmig aus-
schwingenden Leuchterarme betonen außerdem die Dynamik dieses barocken Kron-
leuchters.345

343
Zum Kronleuchter von Ogy/Belgien, s. K. Jarmuth, Lichter, Leuchten im Abendland (1967), S. 168:
Abb. 147. – Zu den genannten Kronleuchtern im Norddeutschen Tiefland, s. Die Kunstdenkmäler des
Landes Schleswig-Holstein. Landkreis Flensburg, 1952. – Die Kunstdenkmäler des Landes Schles-
wig-Holstein. Kunst-Topographie, 1979, S. 317.
344
Sveriges Kyrkor. Gästriklands Landskyrkor, o.J., S. 363.
345
Die Denkmäler des Rheinlandes. Kreis Dinslaken, 1968, S. 26 und Abb. 50. – Vgl. Sveriges Kyrkor.
Gotland, Bd. IV, Halbbd. 1, Stockholm 1959-64, S. 317, Abb. 346. Häufiger können Löwenkopf-
Masken den unteren Knauf eines barocken Kugelkronleuchters bilden wie in Dinslaken, als dass diese
Maske als typischer Unterhang eines Renaissance-Kronleuchters zu zwei Dritteln in eine Kronleuch-
terkugel geschoben ist.
Bekrönungsfiguren Seite 107

Weitere Ausnahmen dieser Gruppe „Römischer Soldat“ zeigt vor allem die Morpholo-
gie der Schaftkronleuchter in Hameln/Pyrmont, eines der beiden Exemplare in Ble-
deln/Hildesheim sowie ferner in Jever/Ostfriesland und in Stadthagen/Schaumburg
sowie in Tangermünde/Stendal.346 Gerade an diesem zuletzt genannten Exemplar fällt
auf, dass die Inschrift keinen Widmungstext im eigentlichen Sinne formuliert. Viel-
mehr scheint sie zugleich das Vorkommen der Topfigur dieses Kronleuchters zu er-
läutern.

Handelt es sich hierbei um einen regionalen Einzelfall?

In Ludwigsburg/Greifswald weicht nicht allein der Kronleuchtertyp ab, sondern auch


die kunsthandwerkliche Interpretation des Figurentyps „Römischer Soldat“ von dem
allgemein als stereotyp bezeichneten Motiv.

Im Wesentlichen an der Lorica als solcher zu erkennen, tragen sowohl der Federhelm
als auch der deutliche Kontrapost und die Lanze als Stütze für die erhobene Rechte
samt barockem Schutzschildes in der Linken zu einem anderen Erscheinungsbild die-
ser Bekrönung bei.

3.2.1 Die Verteilung und Bedeutung der Kronleuchterfigur „Römischer Soldat“

Die Entstehung des Kronleuchters „Römischer Soldat“ in der Evangelischen St. Mi-
chaelis-Kirche in Eutin/Ostholstein wird zum Beispiel anhand lokalhistorischer Ereig-
nisse erklärt.347 Da diese – wie in Bergen/Rügen mit einem vergleichbaren Kron-
leuchter oder wie vielerorts – unter anderem von Feuersbrünsten (1569,1689) ge-
prägt ist, liegt nicht nur die Annahme einer Stiftung des Kronleuchters durch die ört-
liche Brandgilde oder gefährdeter Einwohner des besagten Ortes, sondern zugleich
auch die Erwartung nahe, dass als dessen Bekrönungsfigur der Heilige Florian als
Schutzpatron dargestellt sein könnte.

Da viele Orte das gleiche Schicksal teilen, wäre nicht nur eine größere Verteilung des
Motivs „heiliger Florian“ an sich, sondern auch eine entsprechende auf Kronleuchtern
zu erwarten. Letzteres ist nicht der Fall. Eine annähernd vergleichbarer Figurentypus
mit Attributen des Feuerlöschwesens ist bisher nur aus Ogy/Belgien bekannt.

Das besagte Beleuchtungsgerät in Eutin vereint Merkmale, die dieser Zuordnung wi-
dersprechen. Der heilige Florian wird antikisierend gewandet – in Gestalt eines römi-
schen Soldaten – häufiger erst im 18. Jahrhundert und dann mit Schwert und Schild

346
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen, Niedersachsen, 1992, S. 589 f. –
H. Saebens/C. Matthias Schröder, Die Kirchen des Jeverlandes, 1956. Die Denkmale des Kreises
Greifswald, 1973, S. 190 und Taf. 110. Die Topfigur des Kronleuchters (in Ludwigsburg) ist dort als
„...Figur eines Landsknechtes mit Schild und Lanze.“ beschrieben. Obschon diese Bewaffnung für ei-
ne Darstellung jenes Söldners sprechen könnte, erfüllt dessen Kostümierung diesen Anspruch nicht.
Der dort gezeigte Halbharnisch mit Lederlaschen charakterisiert die Kronleuchterfigur „Römischer
Soldat.“ Die Kunstdenkmale der Provinz Sachsen, 3. Bd.: Kreis Stendal Land, 1933, S. 227.
347
J. v. Schröder/H. Biernatzki, Topographie der Herzogtümer Holstein und Lauenburg, des Fürsten-
tums Lübeck und des Gebiets der freien und Hansestädte Hamburg und Lübeck, Bd. 1: Oldenburg
i. H., 1855, S. 370 f.
Bekrönungsfiguren Seite 108

als christlicher Soldat widergegeben.348 Wäre dieser besagte Kronleuchter in Eutin


tatsächlich in dieser Zeit entstanden, hätte die Topfigur anstelle der derzeitigen Att-
ribute die genannten Waffen zu tragen – wie etliche adäquate Objekte in Skandina-
vien und in Norddeutschland, die typologisch jedoch zu den Renaissancekronleuch-
tern gehören. Die Tatsache, dass dieser Kronleuchter im Eutinischen Kirchenbuch des
17. Jahrhunderts nicht auch wie die beiden anderen Hängeleuchter (17. Jahrhundert)
in der Kirche gesondert erwähnt wird, könnte seine Datierung in das 18. Jahrhundert
stützen.349 Denn das inschriftliche Datum eines nahezu adäquaten Kronleuchters in
Sterup/Angeln weist ebenfalls in jenes Jahrhundert.350 Andererseits könnte der Kron-
leuchter „Römischer Soldat“ in der Evangelischen St. Michaelis-Kirche in Eutin auch
unter der allgemeinen Auflistung „Kronleuchter“ in diesem Kirchenbuch bereits er-
fasst sein.

Beide der zuvor genannten Kronleuchter sind als Winkelarmkronleuchter im Geiste


der Renaissance gestaltet und veranlassen als jüngere Exemplare zur Frage nach
weiteren und insbesondere nach älteren Beispielen. Denn unter diesen kommt das
Motiv „Römischer Soldat“ vornehmlich auf Schaftkronleuchtern der Renaissance, aber
auch auf barocken Kugelkronleuchtern vor, so dass sich die Frage nach der Authenti-
zität oder nach potenziellen Kompositen und Replikaten stellt.

Aus mehreren Gründen ist die Aufmerksamkeit auf den inschriftlich als ältestes Pen-
dant, ansonsten weniger bekannten Kronleuchter (1589/90) in der Evangelischen St.
Marien-Kirche in Barth zu richten, der weiter unten beschrieben wird.351

Im Folgenden sollen zunächst die Verteilung sowie geographische und religions-


politische Besonderheiten als mögliche Voraussetzungen für die Entstehung der
Kronleuchter „Römischer Soldat“ erläutert werden.

Eingangs wurde das Bestreben von Individuen wie von Gemeinschaften nach geisti-
ger Selbständigkeit angesprochen, das als Zeiterscheinung die Entstehung bestimm-
ter Kronleuchter-Figuren begünstigt haben könnte. Zusammen mit der Verbreitung
und Verteilung der Kronleuchter dieser Art wirft sie ein neues Licht auf die Bedeu-
tung dieser Beleuchtungsgeräte.

Mit Ausnahme des Schaftkronleuchters im Rathaus zu Goslar352, der das Motiv „Rö-
mischer Soldat“ als Bekrönung aufweist und eines weiteren Exemplars (Jeremias Hel-
lichsen, Belgien zugeschrieben) in Emden353, wo dieser Typus Krieger als mehrfache
Subfigur zum heraldischen Doppel-Adler auftritt, hängen alle weiteren dieser Art, die

348
LCI, Bd. 6, Sonderausgabe 1994, Sp. 250 ff.
349
LAS, Abt. 260, Nr. 4162, Eutinisches Kirchenbuch 1638-1716, 1773.
350
Die Kunstdenkmale des Landes Schleswig-Holstein. Landkreis Flensburg, 1952.
351
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Mecklenburg. Die Bezirke Neubrandenburg,
Rostock, Schwerin, 2. Aufl. 1980, S. 19. – N. Buske, Kirchen in Barth, 1997, S. 34 mit Abb. S. 37.
352
Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, T. II: Regierungsbezirk Hildesheim, Bd. 1 und 2: Stadt
Goslar, 1901 (H. 2 und 3 des Gesamtwerkes), S. 302.
353
Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, T. VI: Regierungsbezirk Aurich, Bd. 1 und 2: Stadt Em-
den, 1927 (H. 15 und 16 des Gesamtwerkes), S. 124. – Nähre Angaben zum Metallgießer Hellichsen
sind in den Künstlerlexika nicht enthalten.
Bekrönungsfiguren Seite 109

hier vorgestellt werden, in evangelischen Kirchen – wie es der amtlich inventarisierte


Bestand kirchlichen Kunstgutes in Skandinavien und in Norddeutschland erkennen
lässt.

Spiegeln diese Beleuchtungsgeräte morphologisch vornehmlich den technischen


Stand des Metall verarbeitenden Kunstgewerbes im ausgehenden 16. und beginnen-
den 17. Jahrhundert wider, könnten neben diesen vornehmlich wirtschaftlichen As-
pekten und der in Kapitel 2.4 angesprochenen Stiftungswirklichkeit der Ursprung und
die Verteilung der Motive in der Verteidigung lokaler oder territorialer Rechtspositio-
nen begründet sein. Denn diese spielen sowohl zwischen geistlicher und weltlicher
Macht als auch hinsichtlich der Konfessionen untereinander sowie für die daraus er-
wachsenden Konsequenzen eine Rolle. Hier wäre unter anderem die Organisation
und die Verwaltungsstrukturr von Gemeinschaften und Gemeinden zu nennen. Und
diese betrifft nicht allein Norddeutschland, sondern auch das benachbarte Ausland.

So ist auch Dänemark durch eine administrative Struktur des Landes, das heißt
durch die Einteilung in Ämter charakterisiert, wo (früh-)neuzeitliche Schaftkronleuch-
ter mit profanen Bekrönungsfiguren (Römischer Soldat) auf einzelne Verwaltungsbe-
zirke verteilt sind.354

In Norddeutschland scheinen diese spezifischen Kronleuchterfiguren die historischen


Enklaven zu kennzeichnen, die im Interesse der Mediatisierung stehen:

Neben Eutin in Ostholstein als Enklave des Fürstentums Lübeck vom Hause Olden-
burg bildet das Herzogtum Kleve (seit 1609, endgültig 1666) zur brandenburgische
Linie der Hohenzollernschen Lande ebenfalls ein fremdstaatliches Gebiet an der
Grenze zwischen den Bistümern Münster sowie Köln. In diese Enklave ist Dinslaken
und in die dortige evangelische Kirche ein Schaftkronleuchter mit der Bekrönung
„Römischer Soldat“ zu lokalisieren.

Teils sind die besagten antikisierenden Söldner als Statuetten auf Schaftkronleuch-
tern auch dort deutlich erkennbar, wo die Verbreitungsgebiete dieser neuzeitlichen
Beleuchtungsgeräte dem Status einer Enklave de jure nur annähernd entsprechen,
de facto aber zu Zweidrittel von anderen Herrschaften umgeben sind. Dies trifft zum
Beispiel auf die Altmark, die Uckermark und bedingt auf die Neumark als Teile des
Kurfürstentums Brandenburg zu.

Im Falle der Uckermark sind es im Westen das Herzogtum Mecklenburg und nach
Osten zunächst das von 1532 bis 1625 in die Herzogtümer Wolgast und Stettin ge-
teilte Pommern. Vorpommern ist nach 1648 schwedisch.355 Tatsächlich aber ver-
zeichnet das Kurfürstentum Brandenburg von 1640-1688 sowohl an dieser östlichen
als auch an der westlichen Grenze in der Altmark Gebietsgewinne. So dass zum Bei-
spiel Tangermünde (Kronleuchter „Römischer Soldat“) im heutigen Sachsen-Anhalt,
wo die Stephanskirche im 12. Jahrhundert als Dom für ein geplantes Bistum begon-

354
Siehe u.a.: Danmarks Kirker. Frederiksborg Amt, 1. Bd., 1964, S. 532 mit Abb. S. 531. – O. Brandt,
Geschichte Schleswig-Holsteins. Ein Grundriss, 1981, S. 152 ff.
355
Inventar der Bau- und Kunstdenkmäler in der Provinz Brandenburg, 1885, S. 28 ff.
Bekrönungsfiguren Seite 110

nen und dem Domstift zu Stendal unterstellt worden war, nicht mehr grenznah zum
Erzbistum Magdeburg liegt.356

Teils sind es wichtige Reichsstädte, wo die Domimmunität und weltliche Interessen,


das heißt unterschiedliche Ordnungsstrukturen, topographisch auf engstem Raum
aufeinander treffen – wie in Goslar, Halberstadt, Lübeck.

Wie die Landsknechte oder die als Landsknechte angeworbenen Büttel, repräsentie-
ren römische Soldaten Fußvolk und Nichtsteuerzahler. Als solche sind sie wehrpflich-
tig und können – wie die Landsknechte als kleine militärische Einheiten organisato-
risch einen Haufen darstellen oder wie römische Legionäre eine Kohorte in den römi-
schen Provinzen bilden – im Zeichen einer politischen Wende stehen. Provinzen
zeichnen sich unter anderem durch eine andere Verwaltungsstruktur und Besteue-
rung (als das übrige Reichsgebiet) aus. Bietet ein Kriegsherr Söldner zum Kauf an,
werden diese zu Außenseitern wie die so genannten Wilden Leute.

Werden die Kronleuchter „Römischer Soldat“ unter diesen Voraussetzungen als Zei-
chen territorial-politischer Auseinandersetzungen betrachtet, können sie nur dort
vorkommen, wo die Konfession sowie die Unterwerfung unter eine andere Landesho-
heit eine entscheidende Rolle spielt bzw. bestimmte Rechte und Freiheiten zu doku-
mentieren sind. Dies scheinen die folgenden Beispiele zu bestätigen. Gleichwohl gibt
es mehrere Kriterien – wie zum Beispiel ästhetische oder temporäre, die wider-
sprüchlich dazu erscheinen. So weist der besagte Kronleuchter (Ende 17. Jahrhun-
dert) in Tangermünde barocke Formen in Verbindung mit einem antikisierenden Mo-
tiv und einer alttestamentarischen Inschrift auf, während ein inschriftlich in das 18.
Jahrhundert datierter Schaftkronleuchter in Sterup/Angeln mit einer vergleichbaren
Bekrönungsfigur vollkommen im Geiste der Renaissance gestaltet ist.

Weitere Fragen ergeben sich aus der quasi doppelten, wohl ursprünglichen Präsenz
zweier kriegerischer Kronleuchterfiguren in der Evangelischen St. Martinikirche in
Halberstadt357, während überwiegend jeweils nur ein Exemplar dieser Art in (evan-
gelischen) Kirchen in Norddeutschland dokumentiert ist.

356
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Sachsen-Anhalt, Bd. 1: Der Bezirk Magdeburg,
2. Aufl. 1990, S. 410 f.
357
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, Bd. 28. Die
Kreise Halberstadt Land und Stadt, 1902, S. 407. Aus der Kurzcharakteristik „männliche Figur“ der
Bekrönung des Kronleuchters von 1689 der Evangelischen St. Martinikirche in Halberstadt geht nicht
hervor, dass es sich um einen römischen Soldaten handelt. Dies ist der Abbildung dort (S. 400) und
aus der Gegenüberstellung mit adäquaten Kronleuchtern zu entnehmen. Ob der zweite Kronleuchter
(1683) tatsächlich die Topfigur „Minerva“ als Herrin des Handwerks trug oder die Kriegs- und Frie-
densgöttin Athene, ist mangels aussagekräftiger Dokumentationen nicht zu überprüfen. Die Kron-
leuchter sind vor Ort nicht erhalten. – Die systematische Durchsicht der Länderinventare der Bau-
und Kunstdenkmäler ergibt, dass unter jenen detailliert inventarisierten Schaftkronleuchtern aus
Messing des 16. bis 18. Jahrhunderts mit kriegerischen Topfiguren von diesen in der Regel nicht
mehr als ein Exemplar in einer Kirche vorkommt. Es wären daher die beiden Kronleuchter „Römi-
scher Soldat“ der Evangelischen Kirchengemeinde Bledeln/Hildesheim näher zu untersuchen. Gleich-
wohl weist der Renaissancekronleuchter dort vergleichbare Leuchterarmenden zu jenen des Kron-
leuchter „Büttel“ in der Evangelischen St. Severi-Kirche in Otterndorf/Cuxhaven und eine relativ kur-
ze Spindel mit einem kugelartigen Modul oberhalb der Löwenkopf-Maske auf – ähnlich wie der Kron-
leuchter „Römischer Soldat“ (1590) in Barth/Stralsund. Die als Muscheln gestalteten Wachsschalen
Bekrönungsfiguren Seite 111

Und schließlich sind es das Vorkommen und die unterschiedliche Darstellung kriege-
rischer Motive auf frühneuzeitlichen Schaftkronleuchtern im ehemaligen Bistum Lü-
beck, die nach der geistigen Urheberschaft bzw. nach Anteilen an dieser Differenzie-
rung fragen lassen. Wirken sich hier vorrangig doch wirtschaftliche und technische
Aspekte aus, sind es Werkstatttraditionen oder ist es möglicherweise gerade die Iko-
nographie der Topfiguren auf Schaftkronleuchtern in der Korrelation zur religionspoli-
tischen Situation ihres jeweiligen Verbreitungsgebietes?

Die relativ konzentrierte Verbreitung der Statuette „Römischer Soldat“ auf entspre-
chenden Kronleuchtern zwischen Hannover und Goslar legt zuerst die Betrachtung
dieses Gebietes nahe:

Rivalisierende Herrschaften bestimmen die Welfischen Lande.358 Diese setzen sich


infolge der Erbteilung aus den Fürstentümern Lüneburg und Braunschweig-Wolfen-
büttel (Ende des 15. Jahrhunderts) zusammen, das gegen Ende des 16. Jahrhunderts
das Fürstentum Calenberg-Göttingen erbt. Zusammen mit dem Erzbistum Bremen
sowie den Herzogtümern Holstein und Mecklenburg bilden sie (seit 1512) den Nie-
dersächsischen Reichskreis.

Während das Fürstentum Lüneburg bereits die lutherische Lehre (1527) anerkennt
und Stadträte sowie Adelige evangelische Pfarrer berufen, ohne die Zustimmung der
Fürsten abzuwarten, operieren die Erben im Braunschweigischen noch mit den
Reichsständen alten Glaubens. Inmitten dieser Territorien liegt das Bistum Hildes-
heim und südöstlich von diesem die Freie Reichsstadt Goslar. Dort führt 1528 Nico-
laus von Amsdorf aus Magdeburg die Reformation ein, wo auf Drängen des Stadtra-
tes und der Gilden infolge ihres steigenden Ansehens und vermehrten Einflusses pa-
pistische Gebräuche abgeschafft werden. Doch die Zeit zwischen 1530 und 1555
steht als ein Ringen um Recht und Ordnung, um Geistesfreiheit und Anerkennung
des lauteren Gotteswortes und wo die Stadt Goslar sich noch im ersten Viertel des
17. Jahrhunderts gegen Belagerungen und Besitzergreifungen seitens Herzog Chris-
tian von Braunschweig-Wolfenbüttel (d.J., 1599-1626) sowie vor Wallensteins Trup-
pen zu wehren hat.

Zwischen Hildesheim und Goslar befinden sich auf einer imaginären Diagonale der
Ort Ringelheim/Salzgitter, dann das nach einem Ministerialgeschlecht benannte Holle
und nördlich von Hildesheim bzw. südöstlich von Hannover der Ort Bledeln.

Damit ist im Zeitalter der Reformation (um 1547) im Wesentlichen das Herzogtum
Braunschweig-Wolfenbüttel und nach dem Dreißigjährigen Krieg ein stärker katho-
lisch (Bistum Hildesheim nordwestlich, Bistum Halberstadt-südwestlich) durchsetztes
Herzogtum Wolfenbüttel repräsentiert.

in Bledeln gehören eindeutig nicht an diesen frühneuzeitlichen Kronleuchtertyp. Dass Replikate von
den frühneuzeitlichen Schaftkronleuchtern „Büttel“ der Evangelischen St. Severi-Kirche in Ottern-
dorf/Cuxhaven und „Landsknecht“ in Bad Bevensen angefertigt wurden, konnte im Rahmen der vor-
liegenden Studie festgestellt werden.
358
W. Putzger, 1970, S. 65, 66 f., 82 f.
Bekrönungsfiguren Seite 112

Die geographische Nähe und auffällig dichte Abfolge teils vergleichbarer Kronleuch-
tertypen, in jedem Falle aber stereotyper Statuetten legt die Annahme einer funktio-
nal-dekorativ motivierten, wechselseitigen Inspiration oder eine gezielte Einfluss-
nahme auf die Auswahl eines bestimmten Kronleuchtertyps nahe.

Während für Goslar und Holle je ein Schaftkronleuchter in Renaissanceformen mit


der Bekrönung „Römischer Soldat“ inventarisiert ist, erscheint unweit von Holle das
zweifache Vorkommen dieser Statuette auf Schaftkronleuchtern in der evangelischen
Kirche in Bledeln ungewöhnlich. Die Morphologie dieser Beleuchtungsgeräte lässt
unter Hinzuziehung der amtlichen Inventarisierung von 1938 an einer typologisch
korrekten Ergänzung der Leuchterarme zweifeln. Denn jene des Renaissancekron-
leuchters tragen muschelförmige Wachsschalen, die mit ihrer gewölbten Form und
der gewellten Schauseite das extreme, asymmetrische Wechselspiel konkaver und
konvexer Konturen aufweisen, die charakteristisch für die Barockzeit und daher dem
Kugelkronleuchter zuzuordnen sind. Regulär gebuckelte Wachsteller, oder schlichte
Wachsschalen gehören zu Schaftkronleuchtern der Renaissance. Und so weichen die-
se beiden Komposite in Bledeln deutlich von den anderen und untereinander ähnli-
cheren Schaftkronleuchtern „Römischer Soldat“ der oben genannten Orte ab. Ande-
rerseits findet sich zum Schaftkronleuchter „Römischer Soldat“ der zuvor erwähnten
Evangelischen Kirche in Holle zunächst nur eine gewisse Parallele im dänischen Hel-
singør. Denn dort weist der Renaissancekronleuchter nicht nur die entsprechende
Bekrönung auf, sondern neben einem längeren Schaftmittelstück auch die horizontal
ausgerichteten winkeligen Leuchterarme, die zur Spindel hin als bandartig flache Vo-
luten enden. Ähnlich flach, jedoch als Tier- resp. Vogel- oder Drachenkopf münden
die inneren Leuchterarmenden am Kronleuchter (1584) in der Evangelischen Martini-
kirche in Braunschweig oder treten so als datierte Zierelemente (1557) am Kron-
leuchter „Salvator mundi“ in der Evangelischen Kirche St. Marien in Stralsund auf
(Abb. 18).359

Die Beschreibung zum Schaftkronleuchter („gegen 1600“) der Evangelischen St. Jo-
hannes-Kirche in Ringelheim: „… bärtiger gepanzerter Mann mit Turban und erhobe-
nem Schwert ...“ beinhaltet mit Ausnahme der Kopfbedeckung Merkmale, die für ei-
ne Zuordnung zur Figurengruppe „Römischer Soldat“ sprechen könnten. Allerdings
befindet sich der Ort Ringelheim nahe der imaginären Linie, die sich aus der Vertei-
lung der zweiten Gruppe der Landsknechtkronleuchter ergibt und auch nahe zu ei-
nem der Kriegsschauplätze zwischen 1618 und 1648: Lutter am Barenberge, so dass
Bart und Panzer der Statuette hier auch für das Vorkommen eines Landsknechtkron-
leuchters sprechen. Denn zwischen 1542 und 1568 sind das (ehemalige) Benedikti-
nerkloster und der Ort Ringelheim selbst durch die wechselnde Durchsetzung von
Reformation und Katholizismus geprägt, bis Herzog Heinrich Julius von Braunschweig
(1564-1613) die lutherische Lehre endgültig einführt. Gleichwohl „blieb das 1643
wieder den Katholiken übereignete Kloster Ringelheim Patron der Pfarre bis zur Auf-

359
Vgl. Schaftkronleuchter aus Messing in Hannover, Kreuzkirche und Buxtehude, Evangelische Kirche
St. Petri.
Bekrönungsfiguren Seite 113

hebung des Klosters 1803“. Da das Herrscherhaus Braunschweig-Wolfenbüttel lange


Zeit katholisch orientiert ist und dessen Hausbesitz an das Bistum Hildesheim im
Westen sowie an das Erzbistum Magdeburg und an das Bistum Halberstadt im Osten
angrenzt, dürfte sowohl dieser als auch der folgende Aspekt von Interesse und wohl
grundlegend für die Gestaltung der (früh-)neuzeitlichen Schaftkronleuchter von Rin-
gelheim sowie Baddeckenstedt sein.

Herzog Heinrich von Braunschweig (d.J., 1489-1568) als Gegner der Reformation
charakterisiert, nimmt dort für den südwestlichen Bereich von Salzgitter, das heißt
für das Amt Wohldenberg mit Baddeckenstedt, die Patronatsrechte in Anspruch und
lässt das Kirchengut von weltlichen Beamten verwalten. Indem dieser zuletzt ge-
nannte Bezirk 1643 unter die Regierungsgewalt der Hildesheimer Fürstbischöfe fällt
und für die Evangelische Kirche von Baddeckenstedt zudem einen Kronleuchter „Wil-
der Mann“ (inschriftlich datiert 1771) dokumentiert ist, ergibt die Untersuchung des
Kronleuchters in Ringelheim. Und diese ergibt, dass diesen das Motiv „Wilder Mann“
bekrönt.360

Weiter nördlich, in den Evangelischen Kirchen von Adendorf/Lüneburg (inschriftlich


1760), Hittfeld/Harburg (inschriftlich 1620), Uelzen, Evangelische Kirche St. Marien
(inschriftlich 1607) und Hamburg-Kirchwerder (inschriftlich 1604) zieren als „Römi-
scher Soldat“ oder „Büttel“ deutbare Figürchen zu mehreren (in Adendorf ein ge-
mischtes Doppel weiblicher und männlicher antikisierender Krieger) eine der Nuten-
scheiben des jeweiligen Kronleuchters und stellen insofern Subfiguren zu dessen Be-
krönung eines ungekrönten oder gekrönten Doppel-Adlers dar.

Aufgrund dieser Quantität und untergeordneten Platzierung werden sie in der mögli-
chen Aussagekraft nicht den entsprechenden Bekrönungsfiguren gleichzusetzen, aber
gewiss eine Reminiszenz an die Lokalgeschichte sein. Denn das historisch Bemer-
kenswerte zum Beispiel an Kirchwerder als „südlichste Landschaft der Vierlande an
der Elbe …“, südöstlich von Hamburg ist die administrative Aufteilung, da es „in dem
den Städten Hamburg und Lübeck gehörigen Amte Bergedorf liegt. Und dass neben
dieser Zugehörigkeit ein kleiner Teil auch der Herrschaft des damaligen Königreiches
Hannover unterstand.“361

360
Holle: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, T. II: Regierungsbezirk Hildesheim, Bd. 3: Der
Kreis Marienburg, 1910 (H. 10 des Gesamtwerkes), S. 91. – Ringelheim: Die Kunstdenkmäler der
Provinz Hannover, T. II: Regierungsbezirk Hildesheim, Bd. 7: Landkreis Goslar, 1937 (H. 22 des Ge-
samtwerkes), S. 202. Als eine weitere Gruppe männlicher Bekrönungen, die bärtig und gepanzert
sind, kämen nur die Landsknechtfiguren auf Schaftkronleuchtern im nördlichen Niedersachsen in
Frage. Diese aber tragen einen Schlapphut mit Federn. Und die unter anderem mit einem Wams be-
kleideten Soldaten dieser Zeit können zwar eine Fetz ähnliche Kopfbedeckung tragen, kommen in
der Regel nur als Subfiguren auf Schaftkronleuchtern vor, und auch die angedeutete stoffliche Quali-
tät ihrer Kostümierung lässt eine deutliche Unterscheidung vom Brustpanzer erkennen. Herr Pfarrer
Rüthke, Alt Wallmoden und Ringelheim beschreibt als Kennzeichen der Topfigur des gegen 1600 da-
tierten Schaftkronleuchters: Gewundenes Band in den Haaren, gegürteten Fell-Overall und säbelarti-
ge Waffe. – Bledeln: Die Kunstdenkmale der Provinz Hannover, T. II: Regierungsbezirk Hildesheim,
Bd. 9: Landkreis Hildesheim, 1938 (Bd. 24 des Gesamtwerkes), S. 27.
361
J. v. Schröder/H. Biernatzki, Topographie der Herzogtümer Holstein und Lauenburg, des Fürsten-
tums Lübeck und des Gebiets der freien und Hansestädte Hamburg u. Lübeck, 1. Bd., 1855, S. 34.
Bekrönungsfiguren Seite 114

Hinsichtlich der genannten Kombination von Top- und Subfigur auf diesen Schaftkron-
leuchtern und deren Verteilung fällt auf, dass die genannten Orte nahezu die äußers-
ten Berührungspunkte der aneinander grenzenden Herzogtümer Lüneburg, Lauen-
burg und Bremen markieren.

Parallelen dazu finden sich sowohl im Nordosten als auch im Nordwesten des ehema-
ligen Heiligen Römischen Reiches und nicht nur für das Motiv „Römischer Soldat“ ,
sondern auch für die Kronleuchterfiguren „Landsknechte“.

Weitere Beispiele in der Verbindung eines bekrönenden Doppel-Adlers und unterge-


ordneter Kriegerfigürchen sind für Renaissancekronleuchter in Emden/Niedersachsen
und Czetowiče (Zettitz)/Crossen inventarisiert.

So beschreibt im Osten ein geographisch ähnlich kompliziert klingendes Gebilde der


staatsrechtlich korrekte Titel „Herzog in Schlesien zu Crossen“, den die Hohenzollern
nach 1538 mit dem Erwerb dieses Gebietes Crossen annehmen und das bald darauf
in die Neumark eingegliedert und mit der Kurmark Brandenburg vereinigt wird. In
dieser Form grenzt das besagte Gebiet im Osten an das Königreich Polen, im Süden
an das Herzogtum Schlesien sowie an Kursachsen.362 Circa 6 ½ Kilometer nördlich
von Crossen ist für die Kirche in Czetowiče/Zettitz ein ähnlicher Schaftkronleuchter
zu jenem in Hamburg-Kirchwerder mit der Bekrönung eines gekrönten heraldischen
Doppel-Adlers und den Subfiguren „Römischer Soldat“ sowie einer Löwenkopf-Maske
als Unterhang dokumentiert. Mit Ausnahme des Kronleuchterschaftes, der hier im
Wesentlichen aus einer Balusterform besteht, weisen die übrigen Elemente – wie
zum Beispiel die Bekrönung, der S-förmige Zierrat und auch die Leuchterarme deut-
liche Gemeinsamkeiten auch mit jenem Exemplar auf, das auf der Südseite des Cho-
res im Dom zu Lübeck (Abb. 102) hängt.363 So dass sich hier, wie auch bei den ver-
gleichbaren Objekten im Stile des 16. Jahrhunderts – zum Beispiel in Lübeck-Schlu-
tup (Abb. 93) oder Hameln (Abb. 155) sowie für ein jüngeres Exemplar in Munkbra-
rup (1677) – die Frage sowohl nach den Produktionsstätten dieser Objekte als nach
der tatsächlichen Gestaltung der unteren Nutenscheibe stellt. Denn alle diese Kron-
leuchter weisen keine Kriegerfigürchen, sondern verschiedenartige Steckverbindun-

362
Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, Bd. VI, T. 6: Der Kreis Crossen, 1921, S. 254. – Die
Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, Bd. VI: Regierungsbezirk Aurich, T. 1 und 2: Stadt Emden,
Hannover 1927 (Bd. 15 und 16 des Gesamtwerkes), S. 124. – Die Bau- und Kunstdenkmale der Frei-
en und Hansestadt Hamburg. Bergedorf, Vierlande, Marschlande, Hamburg 1953, S. 112. Gleichwohl
große Distanzen zwischen diesen drei Orten liegen und „dazwischen“ kongruente Kronleuchter offen-
bar nicht verbreitet sind, zeigt die annähernd adäquate Gestaltung und das Vorkommen dieser drei
Kronleuchtern (Anfang des 17. Jahrhunderts, zum Beispiel Kirchwerder Evangelische St. Severin-Kir-
che, Kronleuchter (südlich) von 1605) als Inventar von Gottes- sowie Rathäusern eine gewisse Paral-
lele zur Ausgestaltung sakraler und profaner Bauwerke in Rinteln/Weser; s. H. v. Poser und Groß
Naedlitz, Kirchenführer Stadtpfarrkirche St. Nikolai Rinteln, Rinteln o.J., S. 2. – H. v. Poser spricht
angesichts der zeitlichen Korrelation der „Kirchenneuausgestaltung“ (1581/82) infolge der Reforma-
tion (1552) und gegenüber der Gestaltung des Rathauses (1583) auf den Anteil des Adels und des
Bürgertums an der Ausstattung lutherischer Gotteshäuser als Resultat der Annäherung von Kirche
und Volk durch die Reformation an.
363
Aus der Petrikirche in Lübeck; s. Die Kunstdenkmäler des Landes Schleswig-Holstein. Kunst-Topo-
graphie Schleswig-Holstein, 1979, S. 53. - G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler.
Hamburg, Schleswig-Holstein, 2., stark erw. und veränd. Aufl. 1994, S. 450.
Bekrönungsfiguren Seite 115

gen, das heißt obeliskenartige Kolonnaden oder Urnen und Palmetten auf und erfor-
dern gezielte akribische Untersuchungen technischer und stilistischer Merkmale, um
weiterzuführen.364 Ohne diese bisher realisierbaren Forschungswege sind die gegen-
wärtigen Studien zur Verteilung und Ikonographie von Kronleuchtern zunächst nach
den historischen Rahmenbedingungen zu strukturieren.

Diametral zum Ort Czetowiče (Zettitz)/Polen ist ein vergleichbares Objekt für das
Rathaus in Emden inventarisiert. Dass dieser Kronleuchter, der in das 16. Jahrhun-
dert datiert wird, in einem Profangebäude hängt, könnte auf die starke Ausbreitung
des Kalvinismus in Emden seit 1536 und die ablehnende Haltung dieser Glaubens-
richtung zur kirchlichen Kunst zurückzuführen sein. Die formalen Parallelen zum
Kronleuchter der Kirche in Czetowiče im früheren Kreis Crossen als Teil Kurbranden-
burgs lassen im Hinblick auf die Aspekte Kronleuchterstiftung und Stiftungswirklich-
keit mögliche Zusammenhänge mit der Verlagerung (1683) des Sitzes der Admirali-
tät Kurbrandenburgs nach Emden nicht gänzlich abwegig erscheinen.

Nicht als Sub-, sondern als Topfigur kommt das Motiv „Römischer Soldat“ ferner auf
diesen Kronleuchtern vor, die typologisch der Renaissance zugeordnet werden kön-
nen – wie zum Beispiel in der Evangelischen Kirche zu Jever. Hier fällt am entspre-
chenden Kronleuchter der als Kugelkolonnade gestaltete Schaft auf, der proportional
zur Morphologie dieses Beleuchtungsgerätes ähnlich kräftig ausgebildet ist wie es die
Balusterschäfte der frühneuzeitlichen Schaftkronleuchter in und um Stade sind.

Damals ist die Herrschaft Jever ein fremdstaatliches Gebiet inmitten der Grafschaften
Ostfriesland sowie Oldenburg, nachdem es zunächst als Lehen des Herzogs von Bra-
bant im 16. Jahrhundert an die Grafschaft Oldenburg und schließlich in Erbfolge an
das Haus Anhalt-Zerbst kommt.

Als Bekrönung von Kronleuchtern ist das Motiv „Römischer Soldat“ ferner nahe der
deutschen Ostseeküste vorhanden, wo die fürstliche Teilungspolitik (königlicher An-
teil und herzoglicher/gottorfscher Anteil) sowie der Einfluss der Stände insbesondere
in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts die Geschicke Schleswigs und Holsteins bestim-
men.

Dort, in Ostholstein, bildet Eutin als Hauptstadt des zum Großherzogtum Oldenburg
gehörigen Fürstentums Lübeck – seit 1163 fürstbischhöfliche Residenz des Bistums
Lübeck – eine Enklave, wo nur beschränkt territoriale, aber keine landesherrlichen
Rechte geltend gemacht werden können. Denn Bischof Eberhard von Holle (1561-
1586) beanspruchte, nachdem er 1561 die Reformation zum Abschluss gebracht hat-
te, für sämtliche Besitzungen, welche bis dahin unter holsteinischer Landeshoheit
gestanden hatten, die Reichsunmittelbarkeit.365

364
Lübeck-Schlutup; s. Die Kunstdenkmäler des Landes Schleswig-Holstein. Kunst-Topographie Schles-
wig-Holstein, 1979, S. 171. – Munkbrarup; s. ebd., S. 304. – Hameln; s. G. Dehio, Handbuch der
deutschen Kunstdenkmäler. Bremen. Niedersachsen, Neubearb., stark erw. Aufl. 1992, S. 589 f.
365
J. v. Schröder/H. Biernatzki, Topographie der Herzogtümer Holstein und Lauenburg, des Fürsten-
tums Lübeck und des Gebiets der freien und Hansestädte Hamburg und Lübeck, 1. Bd., 1855, S. 128
ff. – H. Oldekop, Topographie des Herzogtums Holstein einschließlich Kreis Herzogtum Lauenburg,
Bekrönungsfiguren Seite 116

Für die Hansestadt Lübeck ist ebenfalls ein Schaftkronleuchter der Frührenaissance
mit einer kriegerischen Bekrönungsfigur inventarisiert ist. Doch spricht die formale
Gestaltung der Topfigur mit dem gegürteten, ausschwingenden Leibrock eher für die
Darstellung eines Büttels als für die eines antikisierenden römischen Soldaten. Ur-
sprünglich gehört der besagte Schaftkronleuchter in das Siechenhaus St. Jürgen in
Lübeck.366

Weiter in östlicher Richtung spiegeln die Uckermark und mit ihr der Ort Menkin an
der nord-östlichen Grenze des damaligen Kur-Brandenburgs das Schicksal einer En-
klave wider. Es handelt sich hierbei nicht im eigentlichen Sinne um einen Teilstaat
inmitten eines fremden Territoriums. Doch an zwei Seiten von anderen Herrschaften
umgeben und Streitfall in Erbauseinandersetzungen zwischen Kurfürst und Herzog
wird die besagte Region schließlich Gegenstand eines Tauschvertrages – ein Mittel,
dass häufig bei der Auflösung von Enklaven Anwendung findet. Zudem ist dieser
Landstrich ein konfessionelles Mischgebiet, wo Kalvinismus und Luthertum aufeinan-
der treffen.367 Hervorzuheben ist ferner, dass dort wie in der Priegnitz die Gerichts-
obrigkeiten in den Besitz des Rechts gelangt waren, die Zünfte in den Mediatstädten
mit Privilegien zu versehen. Und dies bedeutete eine Umwandlung der Gewohnheits-
rechte in Partikularrechte.368 Damit ist ein grundlegender Aspekt für die politische
Entwicklung in Teilen des alten Reiches angesprochen.

In Anbetracht solcher Rivalitäten und Umstrukturierungen wird die Präsenz dieser


Renaissance-Kronleuchter mit der Figur „Römischer Soldat“ verständlich. Diese kann
Sinnbild für den aus der Rezeption römischen Rechts erwachsenden Anspruch an ei-
ne gesetzliche Regelung sein – insbesondere bei zu entscheidenden Rechtsstreitig-
keiten. Und so scheint sich das Nebeneinander zweier Kronleuchter von besonderer
Qualität im ehemaligen Herzogtum Pommern zu erklären, das (bis 1605) innerhalb
der Grenzen des Heiligen Römischen Reiches liegt und schließlich an die schwedische
Krone fällt. Zuvor war die Pfarre Barth Gegenstand langwieriger Auseinandersetzun-
gen um Besitzungen im Rügischen Erbfolgestreit zwischen den Fürsten von Mecklen-
burg und dem Bischof von Schwerin. Die Entscheidung verläuft zugunsten der Her-
zöge von Pommern. Und seit Anfang des 16. Jahrhunderts hat der Klerus die glei-
chen Abgaben wie die Bürger zu entrichten.

Fürstentum Lübeck, Enklaven der freien und Hansestadt Lübeck, Enklaven der freien und Hansestadt
Hamburg, 2. Bd., Kiel 1908, S. 28 ff. und XVI, S. 3 ff. – O. Brandt, Geschichte Schleswig-Holsteins,
8. Aufl. Kiel 1981, S. 334.
366
A. Graßmann, Lübeck im 17. Jahrhundert: Wahrung des Erreichten. Europäische Konflikte und lübe-
ckische Unruhen, in: Lübeckische Geschichte, Hg. A. Graßmann, 2. überarb. Aufl. Lübeck 1989,
S. 445.
367
Inventar der Bau- und Kunstdenkmäler in der Provinz Brandenburg, Berlin 1885, S. 28 ff. – Die
Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, Bd. III, T. 1: Prenzlau, Berlin 1921, S. XXIX ff. – Die
Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, Bd. III, T. 3: Kreis Angermünde, Berlin 1934, S. XL ff.
368
O. Brandt, Geschichte Schleswig-Holsteins, 8. Aufl. 1981, S. 138 ff., 152, 158. – Lübeckische Ge-
schichte, 2. überarb. Aufl. 1989, S. 388 ff. – 30 Jahre Staatskirchenvertrag – 10 Jahre Evangelisch-
Lutherische Nordelbische Kirche. Eine Dokumentation, 1992 (Schriften des Vereins für Schleswig-
Holsteinische Kirchengeschichte, Reihe I, Bd. 38), S. 86.
Bekrönungsfiguren Seite 117

Die beiden hier vorzustellenden Kronleuchter in der Evangelischen St. Marien-Kirche


zu Barth (Abb. 53-55) gelten als Stiftungen Herzog Bogislaws XIII. aus dem Greifen-
hause und als Auftragsarbeiten der Jahre 1589 und 1590 des Dominicus Slodt.369
Beide Kronleuchter sind nahezu identisch aufgebaut aus einem jeweils gleichmäßig
profilierten Schaft mit gestauchter Kugel und einer doppelten Löwenkopf-Maske als
Unterhang. Diese ist in ihrer malerischen Plastizität unter diversen figürlichen Kron-
leuchter-Modulen bisher einzigartig und findet eher unter den naturalistischen Lö-
wen(kopf)-Studien Albrecht Dürers vergleichbare Vorbilder als unter den materialäs-
thetisch verwandten, älteren Löwenkopf-Türziehern aus Bronze.370 Die Masken ande-
rer frühneuzeitlicher Kronleuchter weisen dagegen gewisse Parallelen zu diesen ver-
breiteten Objekten des Mittelalters auf und werden im folgenden Kapitel thematisiert.

Ähnlich verhält es sich mit der Bekrönungsfigur „Greif“ (östliches Kirchenmittelschiff)


des unter anderem mit den Jahreszahlen „1589“ an der Aufhängeöse und „1590“ auf
den Schilden signierten Kronleuchters, der laut Schild-Inschriften den Töchtern Her-
zog Bogislaws XIII. gewidmet ist.371

Die Schilde sind wie jene für die Söhne des Herzogs an den Zierkränzen des Leuch-
ters befestigt, wo sich Nix und Nixe hervorbiegen. Der heraldische Greif dokumen-
tiert die adelige Herkunft der inschriftlich genannten Töchter; die künsterische Ges-
taltung dieses Wappentiers entspricht jender des Unterhanges. Die erhobene vordere
rechte Löwentatze des Greifen weist eine Gewindebohrung auf und lässt auf die e-
hemalige Befestigung einen Wappenschildes schließen. Dass ein Goldschmied damit
beauftragt wurde, das „Wappen der Herzoginnen“ zu stechen, geht aus der Rech-
nungs-Abschrift hervor.372

369
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Mecklenburg. Neubrandenburg. Rostock. Schwe-
rin, 2., unveränd. Aufl. 1980, S. 19. – Recherchen im Rahmen dieser Studie zur Biographie des Gie-
ßers Dominikus Slodt sind nahezu erfolglos. Unter der Schreibweise Dominicus Schlott erscheint er
als Mitsiegler einer Urkunde des 18. Dezember 1594 der St. Marien-Kirche zu Stralsund. (HSTA Nr.
157, Urkunde St. Marien Stralsund). – Im „Barthischen Pfarr-Kirchen-Register pro Anno 1734“ steht
unter 614, Kopie der Rechnung D. Slodt, aus: „Kirchen-Register zu Bartte von der Einnahme und
Außgabe Anno Christi 1588 auff Martini Anfahendt. Endigt sich auff Martini Ao 89. Berechnet durch
Henricum v. Wirtzmann Oeconomium Deus Auxilium meum.“; s. Anhang. – Zu den Herzögen von
Pommern; s. Die Kunst- und Kulturdenkmäler der Provinz Pommern. Kreis Kammin Land, 1939,
S. 56 f. – Die Greifen. Pommersche Herzöge 12. bis 17. Jahrhundert, Ausst.-Kat. Stiftung Pommern
Schloss Rantzaubau Kiel (1996), S. 20 ff., 40, 42 ff., 63 (Abb. der Söhne Herzog Bogislaw XIII,),
154 f.
370
C. Dodgson, Albrecht Dürer. Engravings and Etchings, New York 1967, S. 42. – U. Mende, Die Tür-
zieher des Mittelalters, 1981 (Bronzegeräte des Mittelalters, Bd. 2).
371
Die Namensschilde an den Kronleuchtern des Dominicus Slodt: Topfigur „Greif“ (DOMINICVS SLODT
ME FECIT/ANNO DOMINE 1589): SOPHIA HEDEWIEG FILIA BOG XIII ANO 1590 (südlich), ERDTM-
VEDT SOPHIA FILIA BOG XIII ANNO 1590 (südöstlich), CLARA MARIA FILIA BOGIS XIII ANNO 1590.
2.) Topfigur „Römischer Soldat“ (wohl 1590): BVGISLAVS 14. FILIVS BVGISLAVS 13, VLRICVS FI-
LIVS BVGISLAVS 13. – Vgl. M. Wehrmann, Baltische Studien, N.F. 1906, S. 33-66. – Die Greifen.
Pommersche Herzöge 12. bis 17. Jahrhundert, Ausst.-Kat. Stiftung Pommern Schloss Rantzaubau
Kiel, 1996, S. 154 f.
372
Siehe Fußnote 369.
Bekrönungsfiguren Seite 118

Ein Pendant zu dieser Bekrönungsfigur hat es gemäß der amtlichen Länderinventare


der Kunstdenkmäler nur in Hörde/Dortmund gegeben haben.373 Doch ist dessen Aus-
führung im Sinne der spätgotischen Schaftkronleuchter schablonenhaft, aber nicht
malerisch.

Im Gegensatz zu der malerischen Topfigur „Greif“ des besagten Schaftkronleuchters


(1589/90) in Barth bekrönt die Statuette des Typs „Römischer Soldat“ den annä-
hernd vergleichbaren Kronleuchter der Söhne des Herzogs von Pommern. Dort kon-
trastieren nicht nur die – im Vergleich zu den oben genannten Kronleuchtern der Re-
naissance – stereotype Kriegerfigur und der pittoreske Unterhang. Letzterer er-
scheint seinerseits kopiert und stereotyp, indem eine derartige Maske nicht nur diese
potenziellen Stiftungen des Herzogs, sondern auch noch einen weiteren Kronleuchter
im Chor dieser Kirche ziert. Zugleich erstaunt auch die Tatsache der Wiederholungen
an sich. Warum wurde die Bekrönung „Römischer Soldat“ als Motiv für die Stiftung
eines Herrscherhauses gewählt, das weitere Kronleuchter der Renaissance im Norden
zieren kann? Es bestehen stilistische Unterschiede.

Hätte die Kongruenz beider Kronleuchter – mit Ausnahme der Widmungen – durch
die identische Bekrönung des Wappentieres einer deutlichen Repräsentanz dieses
Adelsgeschlechtes in Barth und Pommern entgegengewirkt? Oder finden hier kunst-
handwerkliche Traditionen und ästhetisches Empfinden des ausführenden Kunst-
handwerkers Dominicus Slodt ihren Niederschlag?

Die Darstellung eines römischen Soldaten in Gebäuden und an Plätzen, die der Öf-
fentlichkeit zugänglich sind – so auch die entsprechende Bekrönung des Kronleuch-
ters der Evangelischen Kirche St. Marien in Barth dürften kaum ausschließlich deko-
rativ begründet sein. Die Komposition zweier Bedeutungsträger, das heißt Statue
und Versammlungs- und Rechtsraum oder Kronleuchter mit Bekrönungsfigur in Kir-
chen ergibt in der Regel ein Bildprogramm und hat ästhetische Erwartungen (der
Auftraggeber, der Künstler und/oder der Betrachter) zu erfüllen.374

373
Für Schmiedeberg/Dippoldiswalde ist ein „Kronleuchter, Messing, mit von Greifen getragenem Wap-
penschilde; bez. 1590“ inventarisiert, aber weder ausführlich beschrieben noch abgebildet; s. Be-
schreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, 2. H.:
Amtshauptmannschaft Dippoldiswalde, 1883, S. 77. Demgegenüber ist heute in der Evangelischen
Dreifaltigkeits-Kirche von Schmiedeberg ein barocker Kugelkronleuchter bekannt, den ein sitzender
Bär bekrönt. Die Höhe des Wappenschildes zum Abstand der Beine sind nicht passgenau. – Die Bau-
und Kunstdenkmäler von Westfalen. Kreis Hörde, 1895, Taf. 12 und S. 20.
374
Zu Bildprogrammen in Sakralgebäuden; s. u.a. O. F. A. Meinardus, Zur Ersten Lutherischen Iko-
nographie in St. Johannis, Eppendorf, in: Schr. d. Vereins f. Schleswig-Holsteinische Kirchenge-
schichte, II. Reihe (Beiträge und Mitteilungen), 43. Bd., 1987, S. 163-166 und ebd., S. 167-174.:
Die „Erschaffung Evas“ in der Ikonographie Schleswig-Holsteins. – C. Göttler, Die Kunst des Fege-
feuers nach der Reformation. Kirchliche Schenkungen, Ablaß und Almosen in Antwerpen und Bologna
um 1600, Mainz 1996 (Berliner Schriften zur Kunst, Bd. 7) und R. W. Scribner, Religion und Kultur in
Deutschland 1400-1800, Göttingen 2002 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschich-
te, Bd. 175). – Zu Kunst in Rechtsräumen; s. zum Beispiel Stadtrechtszeichen „Rolande“; vgl. u.a.:
D. Kremers, Der „Rasende Roland“ des Ludovico Ariosto, Habil. 1973 (Studien zur Poetik und Ge-
schichte der Literatur, Bd. 26), S. 12, 18 f., 28, 32 ff., 40, 66 ff. – H. Rempel, Die Rolandstatuen,
1989, S. 105. – Siehe ferner: Recht und Gerechtigkeit im Spiegel der europäischen Kunst, W.
Pleister/W. Schild, Köln 1988.
Bekrönungsfiguren Seite 119

Nur der Kronleuchter „Greif“ (1589/90) in der Evangelischen St. Marien-Kirche in


Barth lässt in der Akzentuierung der Leuchterarmmitte sowie in den Voluten und Ro-
setten der Leuchterarmenden Anklänge an die Winkelarmkronleuchter erkennen. Die
Leuchterarme des Kronleuchters „Römischer Soldat“ dort zeigen bei annähernd glei-
cher Grundform zum vorstehenden Exemplar hingegen die am inneren Ende aufge-
bogenen und mit Maskarons besetzten Leuchterarme, die in der frühen Neuzeit häu-
figer in den östlichen Gebieten des alten Reiches (Heiliges Römisches Reich Deut-
scher Nation), so auch an dem wesentlich zierlicheren Kronleuchter mit der Bekrö-
nung einer Muttergottes in der Evangelischen Stadtkirche in Plau am See oder einem
vergleichbaren Exemplar in der Evangelischen St. Jakobikirche in Lübeck anzutreffen
sind.375 Zum Teil vermitteln insbesondere die Konturen des Schafts der besagten
Kronleuchter in Barth bereits Übergangsphasen zum barocken Kugelkronleuchter.
Diese dokumentieren mittels dieser Verbindung von Morphologie und potenzieller
Ikonographie, was die historische Forschung in anderen Zusammenhängen als
Durchsetzung einer „Sozialdisziplinierung durch Gewährleistung überpersonaler
Rechtssicherheit“ sowie Recht und Ordnung als wichtigste Herrschaftslegitimation
beschreibt, indem entsprechende Herrschaftszeichen die tendenziell differierende
Morphologie dieser Kronleuchter bekrönen.376

Es liegt nahe, dass die Topfigur „Römischer Soldat“ auf Kronleuchtern verfassungs-
rechtliche Inhalte zu vermitteln hat, die sich am römischen Recht orientieren. „Sei-
nen Platz in der (…) Gesellschaft erhielt der für Sold dienende Soldat durch klar for-
mulierte soziale und juristische Aussagen zugewiesen.“377 Obschon ein Soldat in der
Regel keine liegenden Güter, sondern nur Eigentum aus fahrender, persönlich erbeu-
teter Habe besitzt, verliert er nicht das Erbrecht. Er ist frei von Steuern und Feudal-
lasten jeder Art sowie von Zöllen. Auch das Tragen von Waffen, das allgemein verbo-
ten ist, bedeutet einen sozialen Vorzug für Soldaten wie bei Städtebürgern. Bürgerli-
che Handlungen sind ihm hingegen untersagt.

In diesem Zusammenhang erscheinen zwei Kronleuchter des Typs „Römischer Sol-


dat“ aufschlussreich, die inschriftlich in das 17. und 18. Jahrhundert datiert sind.

Auf dem Kronleuchter (1760) der Kirche zu Sterup/Angeln lautet der Text:: „Zur
Zierde unsers Gottes Hauses verehret / Von den Participanten des adeligen Hofes
Kleingrünholtz: NJCOLAI HENNINGSEN, könig(licher) Rechensmann, PETER PAUL-
SEN, PETER CLAUSSEN und FRIEDRICH NJSSEN Anno 1760“.378 Es handelt sich hier

375
Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, IV. Bd.: Die
Amtsgerichtsbezirke Schwaan, Bützow, Sternberg, Güstrow, Krakow, Goldberg, Parchim, Lübz, Plau,
2. Aufl. 1901, S. 518 ff. mit Abb. – Die Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck,
Bd. III: Kirche zu Alt-Lübeck, Dom, Jakobikirche, Ägidienkirche, 1920, S. 430 f.
376
Brage bei der Wieden, Niederdeutsche Söldner vor dem 30jährigen Krieg. Geistige und mentale
Grenzen eines sozialen Raums, in: B. R. Kroener/R. Pröve, Krieg und Frieden. Militär und Gesell-
schaft in der frühen Neuzeit, 1996, S. 85-107, insbes. S. 93.
377
H. Langer, Kulturgeschichte des 30jährigen Krieges, Leipzig 1978, S. 61 f.
378
Die Kunstdenkmäler des Landes Schleswig-Holstein. Kreis Flensburg, 1952. – Die Kunstdenkmäler
des Landes Schleswig-Holstein, Kunst-Topographie, 1979, S. 317. – G. Dehio, Handbuch der deut-
schen Kunstdenkmäler. Hamburg, Schleswig-Holstein, 2., stark erw. und veränd. Aufl. 1994, S. 850.
Bekrönungsfiguren Seite 120

vermutlich um die „… vier Interessenten mit gleichen Rechten und Freiheiten …“;
zwischen ihnen wird das adelige Gut im Jahre 1738 geteilt.379

Die zuvor erwähnte Inschrift eines anderen Kronleuchters mit einer vergleichbaren
Bekrönung in Tangermünde besteht aus der Quellenangabe eines Bibelverses im
5. Buch Mose im Alten Testament.380 Sie ist in dieser Verbindung – nach bisheriger
Kenntnis – singulär und angesichts der topographischen und historischen Vorausset-
zungen Tangermündes interessant. Diese Hansestadt an der Elbe in der Altmark
Brandenburg ist von der Wiedervereinigung der märkischen Länder sowie von der
Einbeziehung der Bistümer Havelbergs und Lebus während der Herrschaft des Kur-
fürsten Johann Georg (1571-1586, Sohn von Joachim II, reg. 1505-1571) betroffen,
ferner von der grenznahen Lage zum Bistum Magdeburg.381 So zwingt nicht nur die
wirtschaftliche Situation Kurfürst Joachim II. dazu, die Steuererhebung den Ständen
zu überlassen. Er operiert auch – trotz seiner Konversion zum Protestantismus – ge-
gen diese im Schmalkaldischen Bund.

Andererseits ist im Interesse einer objektiven Betrachtungsweise und aufgrund der


zuvor dargelegten Beurteilungskriterien in Betracht zu ziehen sein, dass auch dieser
Kronleuchter – wie das oben beschriebene Exemplar in Dinslaken – mit Motiven der
Renaissance und barocker Morphologie keine homogene Komposition darstellt.

Die Inschrift (datiert 1630) des besagten Kronleuchters in Tangermünde bezieht sich
gemäß der dort angegebenen Ziffernfolge auf das Deuteronomium, 23. Kapitel,
Vers 21 und hinsichtlich des Geldes – offensichtlich zugleich auf (aktuelle) Verhal-
tensregeln. In diesem Buch Mose, das Wiederholungen von Gesetzesverordnungen
enthält, sind die im Rahmen der sozialen und kultischen Gesetze bestehenden Unter-
schiede der Zinsnahme gegenüber Fremden und christlichen Brüdern thematisiert.382
Hier wie dort scheint somit das zentrale Anliegen verbalisiert und fixiert, die Grund-
sätze (des Bundes) und die Pflichten des Volkes (Gottes) im Hinblick auf die entstan-
dene geistliche Gemeinschaft in ihren Lebenssituationen und Zielen darzustellen und
auf ihre übertragbare Gültigkeit hinzuweisen.383

379
J. v. Schröder, Topographie Schleswig, 2. neu bearb. Aufl. 1854, S. 509 f. und vgl. S. 191 f.
380
Die Kunstdenkmale der Provinz Sachsen, 3. Bd.: Kreis Stendal Land, 1933, S. 227. Und zum
inschriftlichen Bibeltext des Kronleuchters (1670); s. Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung
mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel, Neu bearb. und erw. Ausg. 1985, S. 244, 5. Buch Mose,
23. Kapitel, Vers 21 ff. (Soziale und kultische Gesetze).
381
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Sachsen-Anhalt, Bd. I.: Bezirk Magdeburg, 2.
Aufl. 1990, S. 410 f. – Zur Politik der Kurfürsten Joachim I. und Joachim II. von Brandenburg; s.
u.a.: Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, Bd. II., T. 1: Kreis Westhavelland, 1913,
S. IX ff.
382
Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel, Neu bearb.
und erw. Ausg. 1985, S. 244.
383
Die Verwendung von Klammern im Zitat aus dem 5. Buch Mose, 23. Kapitel, Vers 21 ff. dient hier
der Unterscheidung des Volk Gottes. Diese Textstelle im Alten Testament bezieht sich ursprünglich
auf Israel bzw. die Israelstämme als Volk Gottes. Indem Jesus den Neuen Bund stiftet, gilt die Be-
zeichnung „Volk Gottes“ all jenen, die an Jesus als Heilbringer glauben und so Gottes Reich unter
den Völkern vermitteln; s. Das große Bibellexikon, Bd. 3, Hg. H. Burkhardt/F. Grünzweig/F. Lau-
bach/G. Maier, Wuppertal 1989, S. 1647.
Bekrönungsfiguren Seite 121

Gleichwohl Martin Luther von der Gnade Gottes spricht und das reine Evangelium
gegen eine Vergesetzlichung des Glaubens fordert, hat dennoch das göttliche Urteil
eine bleibende Bedeutung. Denn Jesus Christus hat durch seinen vollkommenen Ge-
horsam gegenüber Gottvater das alttestamentarische Gesetz erfüllt und selbst Gebo-
te gegeben, die ein Christ auch in der Kraft der Gnade Gottes zu beachten hat. Diese
Verbindung ermöglicht eine Loslösung vom Gesetz, aber keinen grundsätzlichen Ver-
zicht darauf. Das heißt, die Kirche ist berufen, dieses zu verkündigen, rechtsgestal-
tende Akte hingegen darf sie – M. Luther zufolge – nur im Bereich der menschlichen
Kirchenordnung auf der Grundlage des „consensus fratrum“ schaffen und verwal-
ten.384 Das heißt, dass mit der Herausbildung des Landeskirchentums eigene Ord-
nungen in Korrelation zum Staatswesen entwickelt werden. Diese aber haben ihren
Ursprung im Glauben, damit die Menschen darin weiter wachsen.

Schließlich gesteht die politische Anerkennung des Protestantismus als eigene Kon-
fession im Augsburger Religionsfrieden (1555) den Landesherren das „Jus reforman-
di“ zu. Es wird im Westfälischen Frieden von 1648 bekräftigt und1660 im Religions-
bann zum Zwecke der territorialen Glaubenseinheit prägnant beschrieben: „Cuius
regio, eius religio“.385

Die Einführung des landesherrlichen Kirchenregiments, das nicht nur in lutherisch


gewordenen Gebieten vorkommt, sondern auch dort zu finden ist, wo die weltliche
386
Obrigkeit fest zum alten Glauben steht bringt durch die zunehmende Säkularisie-
rung des Kirchengutes nicht nur materiellen Gewinn, sondern auch erheblichen
Machtzuwachs ein. Dazu gehören im Zuge der Säkularisierung die mögliche Besteue-
rung des Kirchengutes sowie eine Reihe anderer Maßnahmen: Die Durchsetzung der
Aufsichtsrechte gegenüber Bischöfen, die Ein- und Durchführung von Kirchenvisitati-
onen in der Herausbildung evangelischer Landeskirchen sind an sich zur Verbesse-
rung der weltlichen Macht und ihres Fiskus gedacht. Zugleich entstehen mit der Ein-
ziehung der Klöster die Ämter als landesherrliche Verwaltung. Tatsächlich führt die-
ses Vorgehen den Ständen, deren Hauptmacht im Steuerbewilligungsrecht und in der
Freiheit von Steuern und Zöllen liegt, einen wachsenden Anteil an der Landesregie-
rung zu. So kann zum Beispiel die Ritterschaft in Schleswig-Holstein als weiterhin
„wichtigste politisch-soziale Macht“ ihr eigenes Reich in den „gemeinsam regierten“

384
Die Schleswig-Holsteinische Kirchenordnung von 1542, Hg. W. Göbell, 1986, Einleitung. – Vgl. sämt-
liche Beiträge „Orthodoxie und Pietismus“, in: Schr. d. Vereins f. Schleswig-Holsteinische Kirchenge-
schichte, Reihe I, Bd. 29, 1984. – J. Beyer, Bischof Palladius und das Selbstverständnis Lutherischer
Pastoren um die Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Schr. d. Vereins f. Schleswig-Holsteinische Kirchen-
geschichte, II. Reihe (Beiträge und Mitteilungen), 45. Bd, 1992, S. 25-41. – S. Pettke, Des Lübecker
Superintendenten Hermann Bonnus Behelfskirchenordnung für Rostock (1533), in: Schr. d. Vereins f.
Schleswig-Holsteinische Kirchenordnung, II. Reihe (Beiträge und Mitteilungen), 43. Bd., 1987, S. 13-
43. – Vgl. E. Sehling, Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Bde. 1-5, 1904/09.
385
F. Seibt, Karl V. Der Kaiser und die Reformation, 2. Aufl. 1998, S. 203 ff., insbes. S. 210 ff. –
A. Kohler, Karl V. 1500-1558. Eine Biographie, 1999, S. 347 ff. – M. Salewski, Geschichte Europas,
Staaten und Nationen von der Antike bis zur Gegenwart (1999), S. 644.
386
U. Lange, Landtag und Ausschuss. Zum Problem der Handlungsfähigkeit landständischer Versamm-
lungen im Zeitalter der Entstehung des frühmodernen Staates. Die welfischen Territorien als Beispiel
(1500-1629), Hildesheim 1986, S. 169, 181.
Bekrönungsfiguren Seite 122

Teilen des Landes aufbauen.387 Die Landesherren sind infolgedessen bestrebt, diese
schwindenden Machtanteile wieder an sich zu ziehen und zu festigen, indem sie die
Privilegien der Ritterschaft bestätigen.388 Der ständische Beamte wird zum königli-
chen Beamten. Er rekrutiert sich noch immer aus dem kreissässigen Adel und ist
nach wie vor Organ der ritterlichen Selbstverwaltung, aber nun auch für die Medi-
atstädte zuständig. Etliche Landesherren haben somit eine gewisse Anzahl von – ei-
gentlich dem Kaiser vorbehaltenen – Rechten an sich gebracht und sind von ur-
sprünglichen Reichsämtern zu einer nahezu mit allen Attributen der Staatsgewalt
ausgestatteten Herrschaft und Besitzungen gelangt. So stehen diese Herrschaftsge-
biete der Landesherren und Städte als Territorien im Gegensatz zum Heiligen Römi-
schen Reich und zur Macht des Kaisers als Träger der staatsrechtlichen Souveränität.

Im Rahmen der reichsständischen Landeshoheit können sich evangelische Kirchen


mit ihrem eigenen Bekenntnisstand als Landeskirche und mit einer regionalen, staat-
lich gebundenen Kirchenorganisation herausbilden. Die seit dem 2. Drittel des 16.
Jahrhunderts gültigen Kirchenordnungen legen davon Zeugnis ab.389 Sie haben den
Charakter von Landesgesetzen, welchen der Landesherr Rechtskraft verleiht und die
somit als Grundrechte staats- und kirchenrechtlich verankert sind. Damit wird der
seit den Religionskriegen geforderten Religionsfreiheit, das heißt der Glaubens-, Ge-
wissens- und Bekenntnisfreiheit Rechnung getragen. Sie gewährt das Recht des ein-
zelnen, religiöse, weltanschauliche und moralische Überzeugungen zu bilden, zu äu-
ßern und zu praktizieren.

(Früh-)neuzeitliche Schaftkronleuchter mit der Bekrönung „Römischer Soldat“ sind


daher auch in Ländern wie Dänemark (Blistrup und Helsingør/Frederiksborg Amt,
Evangelische Kirche, Renaissancekronleuchter oder Hoestrup/Tonder Amt, Evangeli-
sche Kirche, Kronleuchter, 1713 gestiftet oder Jegindo und Vester Vaned/Tisted Amt,
Evangelische Kirche, Kronleuchter, 2. Hälfte 16. Jahrhundert) verbreitet bzw. auf
bestimmte Ämter verteilt.390 Denn auch dort wird die Regierungstätigkeit der frühen
Neuzeit durch die Einführung der Reformation (zum Beispiel 1536 in Dänemark durch
König Christian III.) unter dem Einfluss der Landesaristokratie geprägt und verbindet
sich mit der Neuordnung der Landesverteidigung, der Staatsfinanzen und der Ver-
waltung.

In Helsingør kommen zum Beispiel beide Ufer des Sundes und damit Dänemark die
Zolleinnahmen dieser Wasserstraße zu, bis die östlichen Provinzen 1658 infolge krie-
gerischer Auseinandersetzungen an Schweden fallen.

387
O. Brandt, Geschichte Schleswig-Holsteins, 8. Aufl. 1981, S. 134 f. – A. Scharff/M. Jessen-Klingen-
berg, Schleswig-Holsteinische Geschichte, 1982. S. 44.
388
F. C. Jensen/D. H. Hegewisch, Privilegien der Schleswig-Holsteinischen Ritterschaft von den in der
Privilegienlade befindlichen Originalen genau abgeschrieben und mit denselben verglichen, Kiel 1797.
389
E. Sehling, Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Bde. 1-5, Leipzig 1904/09. – Die
Schleswig-Holsteinische Kirchenordnung von 1542, Hg. W. Göbell, 1986 (Schr. d. Vereins für Schles-
wig-Holsteinische Kirchengeschichte, Reihe I, Bd. 34).
390
Danmarks Kirker. Frederiksborg Amt, 1. Bd., 1964, S. 531 f. – Danmarks Kirker. Frederiksborg Amt,
2. Bd., 1967, S. 1274. – Danmarks Kirker. Tisted Amt, 1. Halbbd. 1940, S. 280 f. – Danmarks Kir-
ker. Tisted Amt, 2. Halbbd. 1942, S. 790 f. – Danmarks Kirker. Tonder Amt, 1957, S. 1557, 1564.
Bekrönungsfiguren Seite 123

Der oben genannte Ort Hoestrup erscheint anschaulich, da dieser bis 1576 an die
Grenze der Bistümer Ribe und Schleswig zu lokalisieren und mit der Stiftung des
Kronleuchters (1713) dort in die Zeit des 3. bzw. Großen Nordischen Krieges (1700-
1721) einzuordnen ist.

Dänemark darum bestrebt, in der militärischen Auseinandersetzung um die Hegemo-


nie im Ostseeraum die Gottorfer Frage zum eigenen Vorteil zu entscheiden, gelingt
dies unter anderem mit der dänischen Okkupation Schleswigs im Jahre 1713, was
schließlich zur Inkorporation des herzoglichen Anteils an Schleswig in die königlich-
dänische Regierung führt.

Unter den mehr als 700 inventarisierten Messingkronleuchtern in Schweden kann


bisher ein einziger Kugelkronleuchter (1740 gestiftet) mit einer als „Krieger mit
Schwert“ bezeichneten Topfigur in Högby/Öland (Neue Kirche) möglicherweise der
Gruppe „Römischer Soldat, Infanterie“ zugeordnet werden. Es wären jedoch die als
„männliche Figur“ bezeichneten Bekrönungen zahlreicher älterer Schaftkronleuchter
mit Löwenkopf-Maske – wie zum Beispiel in Ovansjö/Gästrikland daraufhin näher zu
untersuchen.391

Die Gründung der evangelischen Landeskirchen ist offenbar Anlass, dass die
Schaftkronleuchter aus Metall mit ihren spezifischen Bekrönungsfiguren, den „Be-
waffneten“, entstehen und seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts den Höhepunkt
ihrer Verbreitung in Skandinavien und Norddeutschland erreichen. Neu ist die ver-
stärkte Nutzung erheblich komprimierter Bildprogramme für komplexe profane
Strukturen und sakrale Kontexte mittels des Mediums christlicher Lichtsymbolik. Die-
se ergeben sich aus der Überwindung wechselnder Zuständigkeiten in Rechtsfragen
und fehlender Exekutionsmöglichkeiten sowie aus der Manifestation neuer Herr-
schaftsformen. Im Interesse ihrer Legitimation bedarf es daher allgemein verständli-
cher Zeichen, die durch stereotype Figuren mit klaren Konturen charakterisiert sind.

Es kommt der antikisierend gekleidete Soldat nicht nur auf (früh-)neuzeitlichen


Schaftkronleuchtern aus Messing vor. Er erscheint auch als Gestaltungselement am
Gerichtsszepter (1588/89) des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig (1564-
1613).392 Dieser ist seit 1578 Bischof von Halberstadt, das unter seiner Herrschaft
als protestantischer Fürst (1589) endgültig lutherisch wird, aber noch bis 1662 unter
bischöflicher Herrschaft steht. Es ist daher bezeichnend, dass sowohl in die dortige

391
Sveriges Kyrkor. Gästrikland. Gästriklands Landskyrkor, o.J., S. 361 und 363 mit Abb. 367. Die Be-
krönungsfigur des Kronleuchters in der Kirche von Ovansjö/Schweden ist nicht weiter beschrieben.
Die Konturen der Figur und Morphologie des Leuchters erlauben eine Eingrenzung. Letzterer weist
sowohl mit der dominierenden Balusterform im Aufbau der Kronleuchterspindel als auch anhand der
tendenziell winkeligen Leuchterarme Parallelen zum Schaftkronleuchter „Büttel“ (1572) des Peter
van Minden in der Evangelischen St. Severi-Kirche in Otterndorf/Cuxhaven auf. Die Gestaltung der
Bekrönung wirft in der „Ferndiagnose“ Fragen auf. Während der kurze Leibrock mit den seitlich aus-
gestellten Rockschößen auf einen Gerichtsdiener als adäquates Motiv hindeuten könnte, widerspricht
der aus der Mittelachachse, ins Dreiviertelprofil gedrehte Kopf mit Spitzbart der bekannten Modellie-
rung eines Büttels und scheint zusammen mit den Merkmalen der Gewandung eine Verbindung zu
den neuzeitlichen Schaftkronleuchtern „Römischer Soldat“ in Vorpommern anzudeuten.
392
Renaissance im Weserraum, Bd. I, Ausst.-Kat. Schloss Brake/Lemgo, 1989, S. 114 f. Kat.-Nr. 154
mit Abb.
Bekrönungsfiguren Seite 124

Evangelische Pfarr- und Marktkirche St. Martini ein Kronleuchter mit der Topfigur
„Römischer Soldat“ (1689) als auch in die Kirche des dortigen St. Johannis-Klosters
im Jahre 1692 zwei Kronleuchter aus Messing gestiftet werden, davon einer durch
einen berittenen römischen Krieger bekrönt wird. Und dass seit 1521 die Ausbreitung
der Reformation durch dieses Kloster erfolgte.393

3.2.2 Exkurs

Insofern erhebt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob eben dort, in Hal-
berstadt, der als römischer Soldat gekleidete und mit Löwenkopf-Epauletten
(Abb. 104) ausstaffierte Kanzelträger des Predigtstuhles (1595) in der Evangelischen
St. Martini-Kirche allein die zwei Eigenschaften des alttestamentarischen Helden
Simson repräsentiert. Oder ob er neben seiner Symbolik zur Auferstehung Christi
und der übernatürlichen Stärke mittels der antikisierenden Gewandung eines Feld-
herrn nicht auch seine ursprüngliche Funktion als Richter im Alten Testament der
Bibel und zugleich die des Führers einer Gemeinschaft darstellt. Wo andernorts Mo-
ses als bedeutendste Gestalt des Alten Testaments, als Anführer und Gesetzesgeber,
widergegeben ist.394 Wie bei den zuvor genannten Beispielen sind wiederum Standor-
te und Zuständigkeiten von Belang.

Die St. Martini-Kirche ist als Pfarrkirche der Marktsiedlung Halberstadt und mit der
Rolandssäule außerhalb des Immunitätsbezirkes der dortigen Domburg gelegen. Und
die St. Martini-Kirche besaß einen weiteren Kronleuchter (datiert 1686), der mit ei-
ner als „Minerva“ beschriebenen Bekrönung dem Handwerk gewidmet war.395

Der Typ „Römischer Soldat“ kommt ferner in Gestalt erneuerter Rolands-Standbilder


– wie 1643 in (Bad) Bramstedt – als gebräuchliches und bekanntes Sinnbild für Markt-
gerechtigkeit und Gerichtsbarkeit vor.396 Und er ist häufig Bestandteil des Willkomm
der Ämter/Zünfte, die ihre eigenen Statuten haben397 sowie unter dem Motto „Valore
De Prencipe“398 als Statue in Adelshäusern zu finden.

393
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, XXXIII. H.:
Die Kreise Halberstadt Land und Stadt, 1902, S. 201 ff.
394
Zu Moses; s. LCI, Bd. 3, Sonderausgabe 1994, Sp. 282 ff. – Zu Samson (Simson); s. LCI, Bd. 4,
Sonderausgabe 1994, Sp. 30ff.
395
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler, XXIII. H.: Der Kreis Halberstadt
Land und Stadt, 1902, S. 407.
396
H. Rempel, Die Rolandstatuen: Herkunft und geschichtliche Wandlung, 1989. – Zum Roland (als
römischer Krieger) von Bad Bramstedt/Segeberg; s. G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenk-
mäler. Hamburg, Schleswig-Holstein, 2. stark erw. und veränd. Aufl. 1994, S. 153.
397
Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, 48. Bd., T. I: Stadt Detmold, 1968, S. 424. Ein figürliches
Schild an der Schützenkette, A. 17. Jh. zeigt in der Mitte einen römischen Krieger, „der einen Schild
mit lippischer Rose hält und auf einem Löwenkopf steht.“ – Museum für Kunst und Gewerbe Ham-
burg, Handbuch, 1980, S. 97, Nr. 190 (Deckelpokal, 1602). – I. und H. Engling, Altes Handwerk im
Kreis Plön. Von der ersten schriftlichen Überlieferung bis zum Jahr 1867, 1990, S. 110 f.
398
Die Kunstdenkmäler des Landes Schleswig-Holstein. Kreis Flensburg, 1952. – Die Kunstdenkmäler
des Landes Schleswig-Holstein, Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 290. – G. Dehio,
Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg, Schleswig-Holstein, 2. stark erw. und veränd.
Aufl. 1994, S. 282; s. u.a. H. v. Rumohr/C. A. v. Rumohr, Schlösser und Herrenhäuser in Schleswig.
Bekrönungsfiguren Seite 125

Fokussiert die Gestalt des antikisierenden römischen Soldaten die Historie als Samm-
lung nachahmenswerter Exempel auf der Grundlage des römischen Rechts und als
ein „Idealbild römischer Tugend aus heroischer Zeit“, wo das Wohl des Staates resp.
der Allgemeinheit und Gemeinschaft über persönliche Interessen gestellt wird?399

Insofern würde dieser Blickwinkel die Interpretationsansätze früherer Forschungen


zu Schaftkronleuchtern aus Messing bestätigen, die vereinzelt Bekrönungsfiguren als
Vorbild für tugendhaftes Verhalten vorstellen. Wäre allein das Ideal des Einzelkämp-
fers, die Trennung in Gut oder Böse und eine Erfolgsethik das eigentliche Anliegen,
hätten im Wesentlichen die bekannten Motive des bewaffneten und die Seelen wä-
genden Erzengels Michael oder das tatkräftige Vorgehen des heiligen Georgs ihre
Funktion weiterhin erfüllt. Die Mehrdeutigkeit der Darstellung „Römischer Soldat“,
dass dieser als ein Beispiel der so genannten Wappenhalter über die dienende Funk-
tion hinaus als Krieger Gegenstand eines Bildprogramms sein kann, das auf Ord-
nungsstrukturen hinweist. Zugleich repräsentiert sie die Gesinnung derer, dessen
Zeichen oder Namen sie im Schilde führen.

Es erscheint nahe liegend, dass die bewaffneten profanen Topfiguren – hier: Römi-
scher Soldat bzw. Jupiter als Garant für Ordnung im Sinne der oben genannten Gra-
fik deutscher Kleinmeister – auf (früh-)neuzeitlichen Schaftkronleuchtern unter-
schiedliche Phasen und lokale Stationen auf dem Weg zur Glaubens-, Bekenntnis-
und Religionsfreiheit verkörpern. Zunächst begünstigt durch das landesherrliche Kir-
chenregiment führte dessen ausschließlich säkulare, obrigkeitsstaatliche Form zu-
sammen mit dem Absolutismus zu weit reichenden Einflüssen staatlicher Macht.

Frappierend sind hier die Parallelen zur dritten Epoche der römischen Religion in der
Antike, wo unter dem Einfluss der griechischen Aufklärung die alte Religion zerfällt
und der Vergöttlichung der Herrscher den Weg bahnt. Diese charakterisiert auch den
Absolutismus, der nach Phasen des Früh-Absolutismus in Westeuropa und infolge des
Dreißigjährigen Krieges entsteht. Insofern stellt sich auch die Frage, ob die auf ei-
nem Adler reitende, nackte Bekrönungsfigur von „ausgeprägten männlichen Formen
und als Blitzeschwinger“ barocker Kugelkronleuchter Jupiter oder auch Apollon dar-
stellt.400 Dessen mögliche Deutung als Sonnengott beinhaltet staats-allegorischen
Charakter und entspricht darin der Barockzeit.

3. überarb. Aufl. 1987, S. 55-71. – In der Kunst-Topographie Schleswig-Holstein als „Cäsarenfigur“


bezeichnet, lässt die künstlerische Gestaltung sowie die „grandeur“ der antikisierenden Marmorsta-
tue im Herrenhaus Gelting tendenziell stärkere Parallelen zur klassischen Herrscherfigur und zu zeit-
genössischen Darstellungen römischer Feldherren – wie zum Beispiel „Gaius Julius Caesar“
(1700/10), Bronze des Nicolas Coustou (1658-1733) – erkennen, als die Kronleuchter-Bekrönungen
„Römischer Soldat“ des 16. bis 18. Jahrhunderts in Nordeuropa diese Erhabenheit je vermitteln
könnten und sollten. Das Motiv der Herrscherlegitimation per se erscheint bedeutsamer, vgl. Muse-
um für Kunst und Gewerbe Hamburg, Handbuch, 1980, S. 117, Nr. 236.
399
F. Büttner, Schätze der Kunst. Europäische Malerei aus sieben Jahrhunderten, 1988, S. 126 f.
400
Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin, I. Bd.: Die Amtsge-
richtsbezirke: Rostock, Ribnitz (...) 2. verb. und verm. Aufl. 1898, S. 65. – H. Hunger, Lexikon der
griechischen und römischen Mythologie, 1984, S. 48 ff., 203 f. – E. Simon, Die Götter der Römer,
1990, vgl. S. 27-34, insbes. S. 31 und S. 107-118.
Bekrönungsfiguren Seite 126

3.3 Die Topfigur „Römischer Soldat, Cavallerie“ auf Kronleuchtern

Als Alternative zur Bekrönung „Römischer Soldat der Infanterie“ auf Kronleuchtern
aus Metall des 16. bis 18. Jahrhunderts401 gibt es – nach bisheriger Kenntnis – we-
nigstens fünf Exemplare der Cavallerie. Davon haben zwei Kronleuchter eine Löwen-
kopf-Maske als Unterhang. Die antikisierende Kleidung der Reiterfiguren entspricht
derjenigen der zuvor genannten Soldaten – mit Ausnahme des Helmes, der unüber-
sehbar mit Straußenfedern dekoriert ist.

Dass diese Reiter den heiligen Georg darstellen, kann nur anhand eines Beispieles
bestätigt werden. Denn nur auf einem der Kronleuchter (Ende 16. Jahrhundert) in
Stadthagen (Abb. 64) kämpft der Krieger zu Pferde gegen einen Drachen.

Im Schutze seines über dem Ungeheuer sich aufbäumenden Pferdes sticht der Uni-
formierte mittels einer Lanze und durch die rechtsseitige Drehung von Oberkörper
und Armen auf den Lindwurm ein. Die Lanze ist senkrecht zur Haltung des Rosses
und parallel zu dessen agierender Vorderhand ausgerichtet. Die ganze Kraft des (To-
des-)Stoßes entwickelt sich aus der Achse, die aus der Gewichtsverlagerung des
Pferdes auf dessen Hinterhand und aus der Position des Reiters aufgebaut
ist (Abb. 65).

Weniger dramatisch, aber ausgesprochen dynamisch wirkt die berittenen Bekrö-


nungsfigur auf einem barocken Kronleuchter (1681) in Estebrügge – südlich der Nie-
derelbe. Die Sitzhaltung, Gestik und Mimik dieser Topfigur entsprechen einer von
drei Gruppen, welche den indogermanischen Licht- und Himmelsgott Jupiter auf ei-
nem Adler reitend darstellen und als Motiv seit Mitte des 17. Jahrhunderts verbreitet
ist.

Beim besagten Kronleuchter in Estebrügge baut sich aus der leicht diagonalen Kar-
riere des Pferdes und der oberhalb des Kammes erhobenen, bewaffneten Rechten
des Reiters eine Spannung auf, die eine besondere Dynamik vermittelt – vermutlich
den Moment der Attacke. Auf welches Ziel diese gerichtet sein könnte, ist aus der
Gestaltung dieses Kronleuchters nicht zu beantworten. Möglicherweise bestehen Ver-
bindungen zur Topfigur „Springendes Pferd“ eines Kronleuchters (1655) in der Dom-
kirche zu Hadersleben/Dänemark.402

401
Die Bau- und Kunstdenkmäler des Regierungsbezirk Stettin. Der Kreis Usedom-Wollin, 1900, S. 380.
Als Schaftkronleuchter mit 16 Kerzen, bekrönendem Ritter zu Pferde (St. Georg) und abschließender
Löwenkopf-Maske beschrieben, lässt die inschriftlich datierte Widmung (1653) dennoch Fragen zur
Gestaltung dieses Kronleuchters offen. – Die Kunst- und Kulturdenkmäler der Provinz Pommern.
Kreis Kammin Land, 1939, S. 139 und S. 170 mit Abb. 10610. – G. Dehio, Handbuch der deutschen
Kunstdenkmäler. Bremen. Niedersachsen, Neubearb., stark erw. Aufl. 1992, S. 459 (Estebrügge,
Kronleuchter 1681), S. 1232 (Stadthagen, Kronleuchter, wohl E. 16. Jh.). – Im Zusammenhang mit
diesen Reiterfiguren auf Schaftkronleuchtern der Renaissance wäre u.a. ein Exemplar (2. H. 16. Jh.)
in der Heiliggeistkirche in Tallinn zu untersuchen. – Vgl. demgegenüber: Danmarks Kirker. Arhus
Amt, 3. Bd., 1976, S. 1177 und Abb. 124 -126 auf S. 1178, 1180 (Frauenkirche, Kronleuchter „St.
Jürgen“). – Zu überprüfen wäre auch im Folgenden, ob der Ritter gerüstet und ein Reiter ist; s. Bau-
und Kunstdenkmäler Thüringens. Herzogtum Sachsen-Altenburg. Amtsgerichtsbezirke Altenburg,
Ronneburg und Schmölln, 1895, S. 148.
402
Danmarks Kirker. Sønderjylland. Haderslev Amt, 1954, S. 156, Nr. 3 und S. 44 f.
Bekrönungsfiguren Seite 127

Stilistische Parallelen zum Wandleuchter „St. Jürgen“ (1655) in der Evangeli-


schen St. Nikolai-Kirche in Kiel könnten darauf hindeuten, dass auch die berittene
Kronleuchter-Figur in Estebrügge diesen Heiligen darstellen soll. Der zuvor beschrie-
bene Kronleuchter in Stadthagen sowie ein anderer Leuchter in der Evangeli-
schen St. Wilhadi-Kirche in Stade mit der Topfigur des kämpfenden Erzengel Michael
(16./17. Jahrhundert) zeigen andererseits, dass die Konzeption einer Figurengruppe
als Bekrönung – zum Beispiel hier die zusätzliche Darstellung eines Drachen oder im
Falle eines anderen Beispiels die Kinder der Caritas (17./18. Jahrhundert in Wer-
dum/Niedersachsen, Keitum/Sylt und Rendsburg, Christkirche/Schleswig-Holstein)
nichts Ungewöhnliches sind. Hätte also die Bekrönung des Kronleuchters in
Estebrügge den heiligen Georg darstellen sollen, wäre angesichts der genannten Bei-
spiele eine komplette Figurengruppe als Motiv produktionstechnisch möglich. Ob-
schon insofern Unterschiede bestehen, als die Statuetten der exemplarischen
Schaftkronleuchter auf die Vertikale ausgerichtet und noch mehrfigurig als Einheit
wahrnehmbar sind. Die Kontur der Topfiguren ist in der Regel proportional zur Plasti-
zität des Kronleuchters.

In Estebrügge scheint die Morphologie des Schaftkronleuchters weniger ineinander


zu greifen und subtil als vom Gros barocker Kugelkronleuchter bekannt. Entschei-
denden Anteil daran hat eine kronenartiger Zierkranz am oberen Schaftdrittel des
Leuchters. Dort sind vertikale Voluten aus Messingblech mit angeschraubten Kugeln
unterschiedlicher Größe verziert, was als Gestaltungsmittel zum Beispiel an einem
der Messingkronleuchter („heraldischer Doppel-Adler“, um 1613/20) in der nahe ge-
legenen Stadt Stade sowie am so genannten Siggelow-Kronleuchter mit Engel (1661)
in Lübeck vorkommt.

Der Kronleuchter in Estebrügge baut sich pyramidal über einem ausladenden Licht-
kranz und der darüber ansetzenden Zierkranz zur expressiven Figurengruppe hin
auf. Für eine Zuordnung zum Figurentyp „Römischer Soldat“ spräche über die antiki-
sierende Gewandung hinaus die Tatsache, dass Estebrügge ursprünglich im Erzbis-
tum Bremen gelegen ist und erst unter schwedischer Herrschaft seit 1648 endgültig
lutherisch wird.

Ebenfalls von außen gefördert und ähnlich langwierig vollzieht sich dieser Prozess im
Bistum Halberstadt, wo ein vergleichbares Motiv auf einem Schaftkronleuchter (da-
tiert 1692) vorkommt.

Und auch das oben erwähnte Beispiel aus Hadersieben/Dänemark könnte im Zu-
sammenhang mit der administrativen Neuordnung der Bistümer Ribe sowie Schles-
wig infolge der Reformation stehen.403

403
Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen. Regierungsbezirk Stade. Stadt Stade, Textband,
1960, S. 4 ff. (zur Historie), S. 112 (zu Kronleuchter Nr. 174). – Die Kunstdenkmale des Landes Nie-
dersachsen. Regierungsbezirk Stade. Landkreis Stade, Textband, 1965, S. 292 f. – M. Schütz, Die
Landesherrschaft der Bremer Erzbischöfe und die Rolle Stades als Landstand, in: Stade. Von den
Siedlungsanfängen bis zur Gegenwart, 1994, S. 153-169. – Ebd., S. 171-204: 13. C. Fiedler, Der
Wandel Stades in der Schwedenzeit 1645-1715.
Bekrönungsfiguren Seite 128

Ganz im Gegensatz zu den dynamischen Reiterfiguren in Estebrügge und Stadthagen


– wie häufig andere Medien den heiligen Georg als unerschrockenen Schutzpatron
des Adels im Kampf zwischen Gut und Böse darstellen404, repräsentieren die folgen-
den Bekrönungen den Wortsinn „Statuette“ ebenso wie die oben vorgestellte Infante-
rie. Weder die Topfigur des Schaftkronleuchters in der Heiliggeist-Kirche in Tallinn/
Estland (2. Hälfte 16. Jahrhundert) noch jene des Kronleuchters in der Evangeli-
schen St. Johannis-Kirche in Halberstadt (1692) sind derartig expressiv. Es wäre
eingehender zu untersuchen, ob diese Figuren – zum Beispiel in Anlehnung an die
Farbholzschnitte (um 1508) des Hans Burgkmair (1473-1531) – die Tradition von
Darstellungen irdischer Anführer der christlichen Streiter fortführen.405

3.4 Der Büttel oder Gerichtsdiener

Annähernd die gleiche Statur und Körperhaltung wie die Bekrönungsfigur „Römischer
Soldat, Infanterie“ der in Kapitel 3.2 genannten Schaftkronleuchter weisen die männ-
lichen Topfiguren „Büttel“ (Gerichtsdienster, Fronbote) auf frühneuzeitlichen Schaft-
kronleuchtern aus Messing auf.

Dazu dürfte jenes Exemplar mit hoch geschlossenem Leibrock sowie mit Schwert und
Renaissance-Rundschild (Rondache) gehören, das für das Siechenhaus St. Jürgen in
Lübeck inventarisiert ist.406 Und es sind insbesondere die Winkelarmkronleuchter in
der Evangelischen St. Severi-Kirche in Otterndorf (Abb. 66, 67) zu nennen.407 Davon
trägt der eine Leuchter an der Nutenscheibe die Inschrift „PETER VAN MINDEN
ANNO 1572“ und darüber auf dem Baluster der Spindel eine Hausmarke. Die Bekrö-
nungsfigur – bekleidet mit einem schlichten, gegürteten Rock – hält als Attribut eine
Art Hirtenstab in der Linken. Dieser dürfte nicht ursprünglich sein. Bildzeugnisse zur
Rechtsgeschichte lassen etliche Parallelen in der Kostümierung der Gerichtsdiener
dort zu den besagten Kronleuchterfiguren erkennen. Der Stab des Büttels besitzt
tendenziell das Format eines Stadtrichtstabes, gegebenenfalls das einer Lanze und
endet hier wie dort nicht als Krümme. Der Stab weist den Gerichtsdiener als Amts-
person aus. Das entsprechende Pendant des anderen Leuchters hält keinerlei Zei-
chen.408

404
Vgl. heiliger Michael als Drachenkämpfer und Sinnbild des Kampfes zwischen Gut und Böse; s. Die
Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen. Regierungsbezirk Stade. Stadt Stade. Textband 1960,
S. 112 f. – Vgl. H. W. Hegemann, Der Engel in der deutschen Kunst, 1950. – LCI, Bd. 1, Son-
derausgabe 1994, Sp. 674-681. – LCI, Bd. 3, Sonderausgabe 1994, Sp. 255-265. – LCI, Bd. 6, Son-
derausgabe 1994, Sp. 365-390.
405
S. Braunfels-Esche, St. Georg. Legende, Verehrung, Symbol, 1976, S. 100, 119 f., 197, 200, 213.
406
Die Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck, II. Bd., 2. T.: Die Marienkirche,
1906, S. 404 mit Abb.
407
Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen, Bd. V, T. 1: Regierungsbezirk Stade, 1956, S. 283.
408
Inventare und Rechnungsbücher in Archiv der Evangelischen Kirchengemeinde in Otterndorf/Cuxha-
ven geben keinen Aufschluss über die Kronleuchter der Evangelischen St. Severi-Kirche.
Bekrönungsfiguren Seite 129

Amtlichen Länderinventaren zufolge kommt unter den inventarisierten frühneuzeitli-


chen Schaftkronleuchtern mit einer profanen Kriegerfigur jeweils nur ein Exemplar in
Kirchen vor. Hier treten neben geringfügige Größenunterschiede der Kronleuchter
weitere Differenzierungsmerkmale, aber auch Verwechselungsmöglichkeiten:

An der Topfigur „Büttel“ dieses besagten Pendants zum Beispiel zeigen sie sich dar-
an, wie die Saumkanten graviert sind oder darin, dass der Leibriemen eine Kordel
und kein glatter Gurt ist. Der Duktus der Gravuren führt zu der Annahme, dass diese
Topfigur wohl auf jenen Kronleuchter gehören dürfte, der die Inschrift (s.o.) trägt
und dessen Löwenkopf-Maske stärker ziseliert ist. Demgegenüber weist der unbe-
zeichnete Winkelarmkronleuchter an den Nutenscheiben weder Gussnähte noch Un-
regelmäßigkeiten in der Kennzeichnung der Nuten mittels Punzierung auf und unter-
scheidet sich darin von den vergleichbaren Schaftkronleuchtern „Muttergottes“ und
„Büttel“ (1572) in jener Kirche. Und die Gegenüberstellung zeigt ferner, dass die
winkeligen Leuchterarme auch angesichts unterschiedlicher Endungen nicht entspre-
chend zugeordnet sein dürften. Es ist anzunehmen, dass der obere Lichtkranz des
einen Kronleuchters „Büttel“, dessen Leuchterarme in Rosetten münden, zum Kron-
leuchter „Muttergottes“ gehört. Denn dort besitzt der untere Lichtkranz adäquate
Blütenformen. Dass diese in Kombination mit den spitzen Blütenknospen vorkom-
men, erscheint angesichts anderer zeitlich und geographisch naher Schaftkronleuch-
ter eher untypisch. Das Vorkommen dieses lanzettförmigen Pflanzenmotivs an na-
hen, vergleichbaren Schaftkronleuchtern mit bekrönendem Landsknecht oder heral-
dischem Doppel-Adler könnte den Rückschluss erlauben, dass auch der beschriebene
Kronleuchter „Büttel“ ursprünglich damit ausgestattet war.

Hinsichtlich der Ikonographie können allein die Kopfbedeckung und Gewandung der
Figuren ihrer Deutung und Zuordnung als „Büttel“ dienlich sein409 die unter den Be-
krönungen frühneuzeitlicher Schaftkronleuchter aus Metall optisch dem Motiv „Römi-
scher Soldat“ ähnelt. Insgesamt aber wirken erstere weder dynamisch noch athle-
tisch und weisen auf unterschiedlichen Darstellungen zur Rechtsgeschichte keine uni-
forme Kleidung auf. Denn letztere sowie auch die soziale Stellung richten sich nach
dem Tätigkeitsbereich.

Da diese Statuetten „Büttel“ auffallend schlicht modelliert sind, unterscheidet sie auf
den ersten Blick nur der gegürtete und etwas ausgestellte Rock mit seinen verbräm-
ten Saumrändern. Wobei diese mittels vertikaler Gravuren verziert sind und so an
die Schulzenarmbinde erinnern.410 Ansonsten entspricht das oberschenkellange Ober-
gewand mit seinen kurzen Ärmeln annähernd jenen, die städtische Amtsträger, teils
Wachtmeister und Botenläufer bekleiden, und wie sie als Beispiel einer Handschrift
aus Stuttgart (1467) im Zusammenhang einer volkskundlichen Darstellung „Bauern,

409
G. Kocher, Zeichen und Symbole des Rechts. Eine historische Ikonographie, 1992, S. 143 und vgl.
S. 161 mit Abb. 249 f.
410
Vgl. Schulzenarmbinde und Schulzenstock in Stresow, in: Die Kunst- und Kulturdenkmäler der Pro-
vinz Pommern. Kreis Kammin Land, 1939, Taf. 6 Abb. 5615.
Bekrönungsfiguren Seite 130

Handwerker und Bürger im Schachzabelbuch. Mittelalterliche Ständegliederung nach


Jacobus de Cessolis“ wiedergegeben sind.411

Stellen die Bekrönungsfiguren der Leuchter in Lübeck und Otterndorf einen Büttel
(Gerichtsdiener) und damit einen Ordnungshüter dar, ergibt ihre ikonographische
Korrelation zum Motiv „Römischer Soldat“ und damit zur adäquaten Darstellung der
mythologischen Gottheit „Jupiter“ als Garant höchster Ordnung in Gestalt eines römi-
schen Soldaten auf Graphiken der Kleinmeister einen Sinn.412

Der Gerichtsdiener bzw. -schreiber hat als „Beamter der Justizverwaltung“413 im We-
sentlichen diese Aufgabe inne: Die Überwachung des Gerichtsfriedens, das Laden
von Parteien vor Gericht, die Abnahme des Zeugeneides, das heißt gerichtliche Vor-
gänge zu beurkunden – also in der Hauptsache zivil- und strafrechtliche Vorführ- und
Exekutionsmaßnahmen. Bezüglich ihres Inhalts ist er unabhängig jeglicher Weisun-
gen des Richters. Und indem der Büttel bei privaten Rechtsgeschäften vor Gericht
mitwirken kann, verkörpert er die freiwillige, nicht streitige Gerichtsbarkeit. Die Tat-
sache, dass der Gerichtsschreiber auch an der Rechtsfindung beteiligt ist und selbst-
ständige, wichtige Verrichtungen – wie zum Beispiel die Ausfertigung von Beschlüs-
sen und Urteilen – zu seinem Amt gehören, verbindet ihn über die optischen Aspekte
hinaus mit den Gestalten „Römischer Soldat“. Ob in der Rolle als Landesdefensoren
oder als Darstellung des Jupiter im Sinne der proreformatorischen deutschen Klein-
meister assoziieren diese Figurentypen unter anderem Recht und Ordnung.

Die Kriterien „Unabhängigkeit/Freiheit“ und „Mitspracherecht“ stellen auch in Gestalt


der Kronleuchterfiguren „Büttel“ (1572) in Otterndorf einen Gegenstand der kommu-
nikativen Ebene dar. So bindet diese als auch jene Tatsache, dass Gerichtsdiener
vielfach zu militärischen Diensten als Landsknechte angeworben wurden noch stärker
an die ohnehin geographisch bestehende Nähe zu den eindeutigen Landsknechtkron-
leuchtern entlang der Elbe.414

Die Stadt Otterndorf gehört zum Verwaltungsbezirk Hadeln. Dieser bildet vom aus-
gehenden 15. bis zum 17. Jahrhundert einen Bestandteil des Herzogtums Sachsen-
Lauenburg und hat seit dem Ableben der Herzöge (1689) eine demokratische Ge-
meindeverfassung, da der Adel vor der Reformation vertrieben worden war. Damit
sind antikisierende Motive wie der römische Soldat auf Renaissance-Kronleuchtern
zur Herrschaftslegitimation wie in anderen Gebieten auch angesichts des politischen
Charakters einer Enklave nicht erforderlich. Doch es wird davon auszugehen sein,
dass in dieser Bekrönungsfigur „Büttel“ der Schaftkronleuchter in Otterndorf eine
gemäße Form gefunden wurde, die die Neustrukturierung der Gesellschaft und Ver-
waltung entsprechend anzeigt.

411
Wie Anm. 409, S. 131 und vgl. Martin Luther, 1483-1546, Ausst.-Kat., Lutherhalle Wittenberg, 2.
verb. und erw. Aufl. 1993, S. 162, Nr. 4 mit Abb. 142. – K.-S. Kramer, 1995 (Abb.), S. 46, 110,
119; (Text) S. 107 ff.
412
H. W. Singer, Die Kleinmeister, 1908.
413
G. Kocher, 1992, S. 140 ff.
414
Siehe folgende Seiten
Bekrönungsfiguren Seite 131

Dieser Interpretationsansatz behält auch für das genannte Beispiel des Siechenhau-
ses St. Jürgen in Lübeck seine Gültigkeit. Denn Hospitäler werden nach der Reforma-
tion und mit dem Wachstum der Städte vielfach weiterhin im kirchlichen Sinne be-
trieben – wie dies aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang mit Klöstern und Stif-
tern bekannt ist. Doch tritt als neues Element hinzu, dass sie vermögensrechtlich
und administrativ als weltliches Bürgerspital geleitet werden.415

3.5 Landsknecht-Kronleuchter – Zeugnis historischer Ereignisse oder be-


stimmter Werkstätten?

Basierend auf der erforschten Typologie für Kronleuchter aus Metall416 repräsentieren
die so genannten Landsknecht-Kronleuchter in Norddeutschland als Winkelarmkron-
leuchter selbst angesichts der Gruppen ihrer unterschiedlich gestalteten Bekrönungs-
figuren sowohl regional als auch überregional für zwei dieser vier Gruppen
(Abb. 68-79) einen einheitlichen, frühneuzeitlichen Typ der Schaftkronleuchter.417

Für die Leuchter der Gruppen I bis III ist die geringe Höhe der Spindel, die zwischen
0,70 und 1,10 Meter liegen kann sowie die gleichmäßige Abfolge ihrer Gliederungs-
elemente charakteristisch. Diese bestehen am unteren Ende aus einer konisch profi-
lierten, konsolartig auslaufenden, kräftigen Nutenscheibe mit einer doppelten Löwen-
kopf-Maske als Unterhang. Darüber erhebt sich zwischen den rhythmisch wechseln-
den Wülsten und Kehlen ein Baluster der den Schaftaufbau wesentlich bestimmt.
Und während sowohl die Morphologie dieser Leuchter als auch die Topfiguren einer
Gruppe weitestgehend identisch sind, können sowohl die inneren Enden der als lie-
gende S-Form gebildeten Leuchterarme in unterschiedliche Blütenmotive münden als
auch die Unterhänge dieser Kronleuchter stilistisch divergieren.

Die Exemplare der Gruppe IV sind barocke Kugelkronleuchter, die neben ihrer plasti-
schen und verschleifenden Morphologie eine Höhe aufweisen, die in der Regel deut-
lich über einem Meter liegt.

415
A. Graßmann, Lübeck im 17. Jahrhundert: Wahrung des Erreichten. Europäische Konflikte und lübe-
ckische Unruhen, in: Lübeckische Geschichte, 2. überarb. Aufl. 1989, S. 434-488, insbes. S. 445. –
Zum Vorkommen von Schaftkronleuchtern „Büttel“: Ein weiteres Exemplar wird im Zusammenhang
mit der Anfertigung von Kronleuchter-Replikaten im Katalog (1996) der Firma Paul Oehlmann &
Sohn, Bielefeld für die Ev. Kirche zu Müden/Aller genannt. Der Bestimmungsort eines adäquaten
Stückes, das Ende der 1990er Jahre u.a. in Bielefeld entstand, blieb unbekannt. Seit E. 20. Jh./A.
21. Jh. besteht dieser Betrieb nicht mehr.
416
Im Wesentlichen S. Erixon, 1943 und K. Jarmuth (1967); hinsichtlich der Landsknechtkronleuchter:
W. Stengel, Nürnberger Messinggerät, in: Kunst und Handwerk, 21. Jg. 1918.
417
K. Jarmuth (1967), S. 160 ff., bezeichnet die Winkelarmkrone unter Vorbehalt „Lübecker Krone“
(s. S. 164). Die Varianten, die er dort vorstellt beziehen sich in erster Linie auf Exemplare mit heral-
dischen Doppel-Adler, antikisierendem Soldat und Wilder Mann. Das Vorkommen weiterer Winkel-
armkronleuchter mit den Figuren „Büttel“ und „Landsknecht“ könnte die diesbezüglichen Ausführun-
gen Jarmuths stützen, bedarf aber noch weiterer Untersuchungen. s. auch: K. Jarmuth, Lübecker
Leuchten van Meeresgrund, in: Lichttechnik, Jge. 21-23, 1969-71, Nr. 3, S. 72 ff.; Nr. 5, S. 250 ff.;
Nr. 10, S. 342 f.
Bekrönungsfiguren Seite 132

Die Landsknecht-Statuetten dieser Schaftkronleuchter beeindrucken zunächst weni-


ger durch ihre Haltung, sondern gemäß des realen Images dieser Soldaten durch ein
auffälliges Äußeres, das von der bestehenden Kleiderordnung für regelmäßige Stände
und Berufsgruppen abweicht. Die Gründe für diese Freizügigkeit wurden bisher nicht
untersucht.

Das Vorkommen und die formalen Veränderungen der Bekrönungsfiguren ergeben


auf der hier vorgelegten digitalen Übersichts- bzw. der im Ausdruck (Bildband) ange-
fertigten Verbreitungskarte aufgrund ihrer Bewaffnung und extremen Kleiderformen
jeweils mindestens zwei Punkte, und korrespondierend führen sie insgesamt vier i-
maginäre und diametral verlaufende Verbindungslinien.418

Diese entsprechen den militär-strategischen Routen wie sie im Zeitalter des Dreißig-
jährigen Krieges (1618-1648) während des Deutsch-Dänischen Krieges 1625 bis
1629 von den Oberbefehlshabern der Söldnertrupps eingeschlagen werden.419 Denn
entgegen des kaiserlichen Verbots wurde im alten Reich (Heiliges Römisches Reich
Deutscher Nation) seit dem Jahre 1526 die lutherische Glaubenslehre in Nord-
deutschland eingeführt.420 Und so besteht fortan ein großes Interesse daran, die ver-
lorenen Territorien zurückzuerobern und zu rekatholisieren. Und dies insbesondere
dort, wo die Grenzen und Größe zusammenhängender geistlicher Gebiete entschei-
dend veränderbar erscheinen – wie zum Beispiel in den hier relevanten Regionen des
ehemaligen Erzbistums Bremen, der Bistümer Minden sowie Paderborn, Hildesheim
sowie Halberstadt und des Erzbistums Magdeburg.421

Inwieweit das Vorkommen von Landsknecht-Darstellungen auf Winkelarmkronleuch-


tern tatsächlich auf die immensen Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges hindeu-
ten könnte, bleibt zunächst eine Vermutung. Denn auch andere Orte (in Nord-
deutschland) – wie zum Beispiel Lütjenburg – waren ebenfalls davon betroffen, ver-
fügen aber über keine Landsknecht-Kronleuchter.

Die Verteilung der Landsknecht-Kronleuchter südlich der Nieder- und Unterelbe sowie
zwischen Oberweser und Ostseeküste Vorpommerns deutet stark auf religionspoliti-

418
Die Wahrnehmung von Bekrönungen auf Schaftkronleuchtern aus Metall des 16. bis 18. Jahrhun-
derts als potenzielles ikonographisches Programm wäre weiterhin systematisch zu erforschen, um
diese Methode gegebenenfalls zum Prinzip erheben zu können. Die relativ homogene Verteilung der
unterschiedlichen Darstellungen von Landsknechten auf Schaftkronleuchtern sowie die Datierung ih-
rer Kostüme legen eine derartige Einordnung nahe.
419
Die Kunstdenkmäler des Landes Schleswig-Holstein, Bd. 7: Stadt Flensburg, 1955, S. 188 (Kron-
leuchter 1588/1629). – Siehe u.a.: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums Braunschweig, 4.
Bd.: Kreis Holzminden, 1907, S. 57. – Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, Bd. VI, T. 1:
Kreis Lebus, 1909, S. 71. – Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, Bd. III, T. 1: Prenzlau,
1921, S. XXXIII, 147. – Kunstdenkmale Bezirk Magdeburg. Kreis Haldensleben, 1961, S. 60 ff. – A.
Graßmann, Lübeck im 17. Jahrhundert: Wahrung des Erreichten. Europäische Konflikte und lübecki-
sche Unruhen, in: Lübeckische Geschichte. 2. überarb. Aufl. 1989, S. 435-490, insbes. S. 446-453. –
J. Bohmbach, Stade als selbstständige Stadt, in: Stade. Von den Siedlungsanfängen bis zur Gegen-
wart, 1994, S. 109-143, insbes. S. 141. – Königin Christina von Schweden, Gesammelte Werke, Au-
tobiographie, Aphorismen, Historische Schriften, 1995 (Reprint), S. 19, 29 f. – G. Mann, Wallenstein,
1997, S. 321, 333, 384 f., 485, 509, 514 ff.
420
O. Brandt, Geschichte Schleswig-Holsteins, 8. Aufl. 1981, S. 154 ff., 190 ff.
421
Großer Atlas zur Weltgeschichte, 1997, S. 104, Karte 2
Bekrönungsfiguren Seite 133

sche Ursachen hinzudeuten. Dafür sprechen andere Zeitdokumente, unter anderem


die Gestaltung und Entstehung einer Grabplatte in der Evangelischen Stadtkirche St.
Maria in Hessisch-Oldendorf, obschon die Rüstung mit Federhelm und Armkacheln
weniger, dafür der Knebelbart/Wallensteiner, ein breiter Schulterkragen von eckiger
Fasson (A-la-mode-Kleidung/Schwedenkragen) und die Knobelbecher übliche Merk-
male eines unter mehreren möglichen Zeitkostümen der Landsknechte aufweisen.
Die Inschrift dieses Reliefs lautet:

„DER WOL EDLE GESTRENGE PETER WEBER DES FVRSTL(ICH).LVNEB(URGI-


SCHEN):LEIBREG(IMENTS). ZV FVES BESTALTER OBRIST:LEVTENANT WELCHER
DEN 24 MARTIIA:MDCXXXIII VOR HAMMELN IN LAVFGRABBEN DVRCH EINEN
SCHVSS TODES VERBLICHEN AETAT SVAE: 37“422

Die Darstellung und Inschrift diese Flachreliefs (1633) dokumentieren Zusammen-


hänge zwischen Truppenstandort/-zugehörigkeit und Kostümierung der Söldner, wie
sie im Rahmen dieser Studie für die Verteilung der unterschiedlichen Landsknecht-
Kronleuchter resp. ihrer Bekrönungen als überkommnes Kulturgut angenommen
wird.

Ob und welcher dieser Gruppen Landsknechte die als „männliche Gestalt in Zeitkos-
tüm“ beschriebene Bekrönung eines Kronleuchters (16. Jahrhundert) aus der Evan-
gelischen Kirche zu Danstedt/Halberstadt zuzuordnen ist, kann hier nicht beantwor-
tet werden. Denn dieser Kronleuchter ist vor Ort nicht mehr erhalten und kaum do-
kumentiert. Die potentielle Korrelation zwischen der Umschreibung „Zeitkostüm“ und
der Datierung lassen die Darstellung einer Landsknechtfigur annehmen. (s. Folling-
bø/Lummelunda in Schweden, Kronleuchter 1766 gestiftet mit „Krieger in Kostüm
des 16. Jahrhunderts“).423 Ursprünglich gehörte das besagte Beleuchtungsgerät der
Evangelischen Kirche in Danstedt in die St. Servatii-Kirche in Quedlinburg.424 „Im
Jahre 1539 wurde die traditionsreiche Stiftung auf dem Burgberg in ein Evangeli-
sches „Freies weltliches Stift“ umgewandelt. „… von 1617 bis 1645 …, litt die Stadt
(Quedlinburg) sehr viel durch den Dreißigjährigen Krieg“. Und mit der Regierungszeit
(1684-1704) der Äbtissin Anna-Dorothea, Herzogin zu Sachsen-Weimar geht die
Schutzgerechtigkeit des Stifts von Sachsen an Brandenburg über.

Die erste imaginäre Verbindungslinie, die sich aus der Verteilung gleichartiger Lands-
knecht-Kronleuchter ergibt, verläuft südlich der Unter- und Niederelbe und könnte

422
Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Kassel, Bd. III: Grafschaft Schaumburg, 1907,
S. 94. – G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen. Niedersachsen. Neubearb.,
stark erw. Aufl. 1992, S. 693 und vgl. S. 754 (das heißt Holzminden, Evangelische Lutherkirche, Epi-
taph für Wulbrand von Gulich Johansen, gest. 1604).
423
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, XXIII. H.,
Kreis Halberstadt Land und Stadt, 1902, S. 27. – Sveriges Kyrkor. Gotland I. Lummelunda Ting, o.J.,
S. 529.
424
Der Harz mit seinen Merkwürdigkeiten, Volkssagen und Legenden (…). Auswahl aus „Thüringen und
der Harz“, 8 Bde., Hg. F. v. Sydow, 1839-1844 (1999 Reprint, Hg. R. Schulze). – Beschreibende
Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, 33.‚ 1. T.: Kreis Stadt Qued-
linburg, 1922, S. 9. – Der Quedlinburger Domschatz, Ausst.-Kat. Kunstgewerbemuseum Berlin
SMPK, Hg. D. Kötzsche, 1993, S. 16.
Bekrönungsfiguren Seite 134

unter Berücksichtigung der historischen Forschung somit Wendepunkte lokalge-


schichtlicher Entwicklungen markieren bzw. demonstrieren.425

Auf einer gedachten Diagonale zwischen Bad Bevensen (Abb. 68) im Lüneburgischen
und Oederquart (Abb. 72) über Steinkirchen (Abb. 71), die beide zum Kreis Stade
gehören wie die Stadt Stade heute zum Regierungsbezirk Lüneburg, tragen alle drei
Topfiguren der dort erhaltenen Winkelarmkronleuchter eine adäquate Kostümierung.
Es ist eine Schlitzmode wie sie der oben erwähnte Obrist des Lüneburgischen Leibre-
giments 1633 trägt, ferner wie sie das Epitaph zum Tode eines fürstlich Braun-
schweigischen Obristen im Jahre 1604 (Abb. 69, 70) und nicht zuletzt die Drucke
bekannter Graphiker zeigen. Hier sind die Radierungen (um 1530) des Daniel Hopfer
(1470-1536) aus Augsburg oder zum Beispiel die Holzschnitte mit Landsknechten
aus dem Werk des Peter Flötner (1490-1546) in Nürnberg zu nennen.426 Während
die Bruststücke dieser Landsknecht-Darstellungen auf Schaftkronleuchtern ganz plan
und klar konturiert gearbeitet sind, vermittelt die wulstig modellierte und entspre-
chend gravierte Oberfläche der angedeuteten Textilien an den Extremitäten der Figu-
ren deutlich den Eindruck von ausgepolsterten und geschlitzten Hemdsärmeln und
Beinkleidern. Letztere sind Pump- oder Oberschenkelhosen mit Knieband, Scham-
kapsel und Gürtel.427 Dazu tragen die Gestalten auf Winkelarmkronleuchtern südlich
der Elbe einen Schlapphut, dessen Garnitur – in Form einer Pfauenfeder – durch Gra-
vuren an der Unterseite der Krempe angedeutet ist. Ein weiteres Kennzeichen sind
der Knebel- und Spitzbart bzw. Wallensteiner. Als Infanterie sind diese Figuren mit
einer kurzen Wehr, das heißt teils mit einem Spieß (Steinkirchen/Elbe) oder mit einer
Hellebarde (Bad Bevensen und Oederquart) in ihrer Rechten ausgerüstet. Die Linke
ist leicht angewinkelt und seitlich voraus ausgerichtet, so dass sie einen Gegenstand
(zur Verteidigung) tragen, halten oder stützen könnte. Möglicherweise handelt es
sich bei diesen Kronleuchterfiguren um die Darstellung des Furier, der unter anderem
für die Quartierzuteilung zuständig ist.

Eine ähnlich geschlitzte und ausgepolsterte Kostümierung weisen zwei weitere Topfi-
guren auf Winkelarmkronleuchtern nördlich der Elbe, das heißt in Kosel/Eckernförde
(Ende 16./Anfang 17. Jahrhundert) und 1550/1600 in Hadersleben/Dänemark, Alte
Kirche auf.428 In Anbetracht der Tatsache, dass Unterschiede im Detail – wie zum
Beispiel der ballonartigen, kurzen Hosen sowie der fehlenden Kopfbedeckung – sowie
in der Art der Modellierung und Ziselierung bestehen, bilden diese Figuren eine eige-

425
U. Lange, Stände, Landesheer und große Politik – Vom Konsens des 16. zu den Konflikten des 17.
Jahrhunderts. Konflikte und Kriege im 17. Jahrhundert, in: Geschichte Schleswig-Holsteins. Von den
Anfängen bis zur Gegenwart, Hg. U. Lange, 1996, insbes. S. 231-240
426
E. F. Bange, Peter Flötner, Meister der Graphik, Bd. XIV, 1926, S.15. – R. Baumann, 1994, S. 74
(Holzschnitt, 1540 von Hans S. Beham), S. 100 (Holzschnitt, 1540 von Hans Döring). – B. R. Kroe-
ner/R. Pröve (Hg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, 1996, S. 160.
– K. Hagemann/R. Pröve (Hg.), Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und
Geschlechtsordnung im historischen Wandel, 1998, S. 57, 59.
427
G. Kocher, Zeichen und Symbole des Rechts, 1992, S. 108, Abb. 162.
428
Danmarks Kirker. Sønderjylland. Haderslev Amt, 4. T., 1954, S. 229. – Kunst-Topographie Schles-
wig-Holstein, 1979, S. 203. – Vgl. R. Baumann, 1994, S. 96 (Holzschnitt, 1513 von Hans Schäufe-
lein, Augsburg).
Bekrönungsfiguren Seite 135

ne Gruppe (III). Insgesamt wirken die Gravuren des Leuchters in Kosel gröber; dazu
tragen nicht zuletzt die verbliebenen Putzmittelreste bei (Abb. 74).

Das Charakteristische der Topfigur hier ist die fehlende Kopfbedeckung. Es sei denn,
dass die Barhäuptigkeit im Sinne älterer Graphiken als eng anliegende Lederkappe
zu interpretieren ist. Und es fällt ferner die Halskrause auf. Dieser waagerecht abste-
hende, im Nacken etwas ansteigende Kragen über dem Bruststück oder Wams ist bis
zum Jahre 1630 in Mode. Dieser kennzeichnet auch die Landsknechte als Subfiguren
der Kugelkronleuchter der Evangelischen Kirchen in Valløby/Dänemark (1620/1625),
Arhus/Dänemark sowie in Zirkow/Rügen (1630) (Abb. 77). Jedoch tragen diese un-
tergeordneten Figürchen eine ähnlich hohe Kopfbedeckung wie die Bekrönungen der
zweiten Gruppe und weisen auch eine entsprechende Gestik auf. Aber sie unter-
scheiden sich von dieser zweiten Gruppe darin, dass ihre Beinkleider nicht als wa-
denlange Schlumperhosen modelliert sind. Die Kleidung dieser Subfiguren ist weitaus
gemäßigter als jene der Landsknechte auf den Schaftkronleuchtern von Gruppe I und
II und lässt vielmehr deutliche Parallelen zum Erscheinungsbild von Amtleuten und
Landräten um 1588 in Norddeutschland erkennen. Aus dieser Perspektive könnte den
besagten Subfiguren gerade in der Verbindung zur Bekrönung „gekrönter heraldi-
scher Doppel-Adler“ auf Schaftkronleuchtern eine andere, im weitesten Sinne politi-
sche, Dimension zukommen.429

Die Kronleuchter-Bekrönungen der zweiten und vierten Gruppe sind zwar ähnlich
bewaffnet wie die andere Einheit, doch ist die Körperhaltung anders.

Die Linke dieser Landsknechte ist leger auf der Hüfte abgestützt. Eine Pose, die so-
wohl Darstellungen geharnischter Doppelsöldner als auch dem Fähnrich der Bürger-
schützen zu eigen sein kann. Charakteristisch sind vor allem die ausmodellierten
Schlumperhosen. Diese werden etwa in der Zeit von 1550 bis circa 1630 „… als Mit-
telding zwischen Spanischer Hose und Pluderhose getragen …“ und an das Wams
genestelt. (s. auch Helsingør/Dänemark, Evangelische St. Marien-Kirche, Wandleuch-
ter). Diese textil üppigen Beinkleider sind nicht minder phallusbetont wie die körper-
nahen Oberschenkelhosen der ersten Gruppe.430

Des Weiteren bildet eine Art Birnhelm die typische Kopfbedeckung dieser Soldaten
mit ihrem rauschenden Zwirbelbart.431 So erscheint in der ersten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts dieser Typ Landsknecht auf einem Holzschnitt von Hans Guldenmund

429
Danmarks Kirker. Praesto Amt, 1. T., 1933-1935, S. 309. – Danmarks Kirker. Arhus Amt, 3. Bd.,
1976, S. 1181, Abb. 127. – Die Kunstdenkmale des Kreises Rügen, Bd. 1, 1963, S. 652. – Vgl. Lan-
desausstellung Niedersachsen 1985. Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Nord-
deutschland 1150-1650, Bd. 1, Ausst.-Kat. Braunschweigisches Landesmuseum, 1985, Bd. 1, S. 296
ff. – U. Lange (Hg.), Geschichte Schleswig-Holsteins. Von den Anfangen bis zur Gegenwart, 1996,
S. 181 (Abb.).
430
M. Hasse, Zunft und Gewerbe in Lübeck, Lübecker Museumshefte Nr. 10, S. 91. – Danmakrs Kirker.
Frederiksborg Amt, 1. Bd., 1964, S. 532
431
Danmarks Kirker. Frederiksborg Amt, 1. Bd., 1964, S. 162, Nr. 1. – Sveriges Kyrkor. Uppland, Bd.
IV: Kyrkor 1: Erlinghundra Härad (1912), S. 156.
Bekrönungsfiguren Seite 136

(1490-1560) und auf einem anonymen Flugblatt, das der Formschneider Wolffgang
Serauch in Nürnberg gedruckt hat.432

Die Verteilung dieser zweiten Gruppe markiert die südöstliche und die südwestliche
Grenze des Niedersächsischen Reichskreises, sofern die Bekrönung des ursprünglich
nach Quedlinburg zu lokalisierenden, potenziellen Landsknecht-Kronleuchters jenem
in Holzminden ähnelte. Bei letzterem nimmt heute eine Kreuzesfahne den Platz ein,
der „… einst mit einer Lanze in der Rechten …“ des Landsknechts besetzt war433
(Abb. 73 f.).

Das Vorkommen entsprechender Topfiguren mit den dazugehörigen Winkelarmkron-


leuchten auf einer Linie zwischen Bremen, Holzminden, Grafelde/Alfeld, – eventuell –
Quedlinburg, ferner Alt Placht/Templin und Stralsund könnte in Entsprechung zu je-
nen südlich der Elbe die strategische Arbeitsteilung des kaiserlichen Feldherrn Jo-
hannes Graf von Tilly (1559-1631) zwischen Weser und Elbe und des kaisertreuen
Generalissimus Albrecht von Wallenstein, Herzog von Friedland (1583-1634) und
Herzog von Mecklenburg (1627/29) mit seinem konfessionell ungebundenen Heer an
der Elbe andeuten. Gemeinsam drängen sie König Christian IV. von Dänemark als
Protektor des Protestantismus und des Niedersächsischen Reichskreises nach Jütland
(um 1625) zurück.434

Die drei Beispiele der vierten Gruppe Landsknechte, die darauf hinweisen könnten,
kommen auf Kugelkronleuchtern in Tondern/Dänemark (datiert 1651) (Abb. 78) und
in Messenkamp/Springe (1660) ebenfalls als vollplastisch gegossene Figur sowie als
mäßig differenziertes Relief in der St. Clemens-Kirche auf Rømø/Dänemark vor.435
Die gesamte Ausstaffierung der Söldner mit seitlich durchgeknöpften Oberschenkel-
hosen bis hin zum Baudrier und Schwert – mit Ausnahme der zwischen 1620 und
1650 üblichen Becherstiefel – dokumentieren auch die Graphiken bei Fleming oder
zum Beispiel als Titelkupfer zum „Processus indiciarius“, Dresden 1655 des Johann
Kaspar Höckner.436 Der uniforme, kastige Schnitt des oberschenkellangen Leibrockes
kommt mittels minimalistischer, aber akzentuierender Details – wie zum Beispiel ei-
ne dichte Knöpfung sowie die Zierde des Spitzenkragens – deutlich zur Geltung. Ein
so genannter Rubens- oder Rembrandthut mit niedrigem zylindrischen Hutkopf (nach

432
R. Kroenen/R. Pröve (Hg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, 1996,
S. 59, Abb. 4. – K. Hagemann/R. Pröve (Hg.), Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger.
Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel, 1998.
433
Die Bau- und Kunstdenkmale des Herzogtums Braunschweig, 4. Bd.: Kreis Holzminden, 1907, S. 68.
434
Zu den Kronleuchtern; s. vorst. Anm., ferner: E. Meyer, Mittelalterliche Bronzen, 1960, Kat.-Nr. 39
(Text und Abb.). – Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover. II: Regierungsbezirk Hildesheim, 6:
Kreis Alfeld, 1929, S. 150. – Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg. Kreis Templin, 1937,
S. 48 und Abb. 37. – Stralsund, ehem. Dominikanerkloster St. Katharinen, Klausurgebäude (Kultur-
historisches Museum, vgl. Landsknecht-Kronleuchter (16. Jh.) der Ratskirche auf Bornholm;
s. C. Waagepetersen, Lysekroner i Skandinavien fra Gotik tu Klunketig, 1969, Fig. 9. – Zur politi-
schen Situation; s. U. Lange (Hg.), Geschichte Schleswig-Holsteins, 1996, S. 231 f.
435
Danmarks Kirker. Sønderjylland. Tønder Amt, 1957, S. 984, Nr. 4. – F. J. Falk, Lysekroner i Rømøs
Sct. Clemens kirke (1989), Abb. 12 f. – Die Kunstdenkmale der Provinz Hannover. 1: Regierungsbe-
zirk Hannover. 3: Kreis Springe, 1941 (Bd. 29 des Denkmalwerkes), S. 200.
436
H. F. v. Fleming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, welcher die gantze Kriegs-Wissenschaft (…), 2
Bde., Leipzig 1726. – G. Kocher, Zeichen des Rechts, 1992, S. 161, Abb. 249.
Bekrönungsfiguren Seite 137

1620) und einer breiten, flachen Krempe komplettiert das strenge Erscheinungsbild.
Die gesamte Ausstaffierung entspricht den um 1630 üblichen Reitkostümen, die Bo-
ten auf zeitgenössischen Darstellungen tragen.437

So können anhand frühneuzeitlicher Schaftkronleuchter resp. ihrer Topfiguren nicht


allein über thematisch bereits bekannte Graphiken hinaus kostümkundliche Details
und Waffen vor Augen geführt und unterschieden werden. Vielmehr scheinen daran
sowie an der Verteilung dieser Landsknecht-Kronleuchter Aussagen zum soldatischen
Selbstverständnis ablesbar und implizierte politische Bildaussagen verstärkt.438

Es wird wohl kaum zu klären sein, ob der oben beschriebene kahlköpfige Lands-
knecht als Topfigur des Kronleuchters in Kosel/Eckernförde eine eng anliegende Le-
derkappe trägt wie es der „Heimkehrende Landsknecht“ (1519) von Urs Graf de-
monstriert.439 Zweifelsohne erfüllen die Landsknecht-Kronleuchter über die kostüm-
geschichtlich interessanten Extremformen ihrer Kleidung hinaus den Anspruch des
ikonographischen Bildprogramms des frühen 16. Jahrhunderts.

So ließe sich nicht allein nach Art und Ausrichtung der Feder an der Kopfbedeckung
der Reisläufer vom Landsknecht unterscheiden (siehe Gruppe I). Auch ihre Bewaff-
nung kann zu differenzierten Ergebnissen führen. Dann aber ist häufig infolge verlo-
rener Attribute die Differenzierung weniger deutlich als es die extraordinäre Kostü-
mierung gegenüber bestehender Kleiderordnungen vermittelt.

Erlauben die unterschiedlichen Landsknecht-Kronleuchter Rückschlüsse auf die Inha-


berschaft der kurzen Wehren als Konsequenz, die sich aus einem möglichen Aufga-
bengebiet eines Landsknechts ergibt: Das Gemeinamt und das Mitspracherecht? „Auf
den ersten Blick scheint die Bedeutung dieser Gemeinämter gering zu sein. Geht
man aber vom Alltag der Knechte aus, so sind die Aufgaben dieser Wahlämter von
erheblicher Bedeutung: „… legitime und institutionalisierte Interessenvertretung ge-
genüber der Obrigkeit und Mitsprache bei Gericht waren wichtige Bereiche des tägli-
chen Lebens, die so von den einfachen Knechten mitbestimmt werden konnten.“440

Während „Die Autoren bedeutender Kriegslehrbücher wie Herzog Philip von Kleve,
Graf Reinhart von Solms, Heinrich Treusch von Buttlar, Conrad von Bemelberg und
Lazarus von Schwendi sie (die Gemeinämter) als selbstverständliche Einrichtung (des
Landknechtswesens) erwähnen“, kann die jüngere geschichtswissenschaftliche For-
schung nicht eindeutig bestätigen, ob die Etablierung dieser Rechte nicht erst im
Laufe der Zeit „von der Obrigkeit ertrotzt wurden“.441 Und obschon politischen, wirt-
schaftlichen, sozialen und psychologischen Faktoren maßgeblicher Anteil am Phäno-
men „Landsknechtwesen“ zugewiesen wird, ist dabei nicht eindeutig zu klären, „…

437
Ebd.
438
M. Rogg, „Zerhauen und Zerschnitten nach adelichen Sitten.“ Herkunft, Entwicklung und Funktion
soldatischer Tracht des 16. Jahrhunderts im Spiegel zeitgenössischer Kunst, in: B. R. Kroener/R. Prö-
ve (Hg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, 1996, S. 109-135.
439
R. Baumann, 1994. – B. R. Kroener/R. Pröve, 1996. – K. Hagemann/R. Pröve, 1998. – S. Kroll/K.
Krüger, 2000.
440
R. Baumann, 1994, S. 98 ff.
441
Ders., a.a.O., S. 101.
Bekrönungsfiguren Seite 138

inwieweit diese Organisationsform auf Traditionen des bündischen, spätmittelalterli-


chen Kriegertums zurückgehen oder inwieweit sie Ausdruck frühkapitalistisch-
neuzeitlicher Arbeitsformen sind“.442

Anhand der Verteilung der überwiegend frühneuzeitlichen Schaftkronleuchter aus


Metall mit ihren Soldaten als eine Form charakteristischer Bekrönungen – wie zum
Beispiel Landsknecht oder Römischer Soldat – zeichnet sich ab, dass diese Typen
eine negativ charakterisierte Freiheit verkörpern können: Die Unabhängigkeit von
Zwängen und Bindungen. Denn sie kämpfen zwar als Landesdefensoren nach be-
stimmten Normen, aber unabhängig von lehnsrechtlichen Verhältnissen und vollbür-
tig innerhalb einer Gemeinschaft ausschließlich für Sold, dessen Höhe verhandelbar
ist. Zugleich bedeutet dies vor dem Hintergrund der Reformation und der daraus un-
ter anderem resultierenden Säkularisierung von Kirchenbesitz, dass das Kirchenwe-
sen nicht länger als wirtschaftliche Versorgungseinrichtung zu betrachten ist – wie es
die Darstellungen von Rittern nahe legen würden.

Mit der Platzierung der besagten Renaissance-Kronleuchter und ihren bekrönenden


Söldnerfiguren sind – unter Berücksichtigung ihrer geographischen Verbreitung –
mehrere Bezugspunkte gegeben, die offenbar im Wesentlichen den Aspekt Freiheit
vor Augen zu führen, damit die neue Kirchenordnung Geltung und Bestand behält.443

Indem zwei Typen an Söldnern unterschiedlicher Epochen gleichermaßen und vor-


nehmlich in evangelischen Kirchen die dort vorhandenen Schaftkronleuchter aus
Messing des 16. bis 18. Jahrhunderts bekrönen, scheinen darin die jüngeren histori-
schen Forschungen zum Wesen des Dreißigjährigen Krieges bestätigt. Nicht das
Strafgericht Gottes, sondern der Kampf um die Bekenntnisfreiheit und verlorene
Rechtspositionen sind eine wesentliche Ursache jenes Krieges – wie die Untersu-
chung von Kondominaten konfessionsverschiedener Herrschaften als Schauplätze der
Konfessionskriege ergeben.444

Garantiert – der Schleswig-Holsteinischen Kirchenordnung (1542) des Johannes Bu-


genhagen zufolge – allein die (Bekenntnis-) Freiheit ihre Wirkung, dokumentiert der
Motivschatz der Schaftkronleuchter jener Zeit weniger den vermittelnden Kampf an
sich als vielmehr die Grundlagen und Phasen der Auseinandersetzungen und Ent-
scheidungsfindungen und insofern eine Verankerung von Kronleuchterstiftungen in
der Stiftungswirklichkeit.

442
Ebd., S. 103.
443
Die Schleswig-Holsteinische Kirchenordnung von 1542, Hg. W. Göbell, 1986, S. 255 (Schr. d. V. f. S.-H
Kirchengeschichte, Reihe 1, 3d. 34).
444
G. Schormann, 1985. – La guerre de Trente ans, 1989, S. 136 ff. – H. Sacchi, La guerre de Trente
ans, Tafle 2. L’empire supplicié. L’edit de Restitution, 1991, S. 166, 205, 257 ff. – P. D. Lockhart,
Denmark in the Thirty Years’ War 1618-1648. King Christian IV. and the Decline of the Oldenburg
State, 1996. – J. P. Findeisen, Der Dreißigjährige Krieg. Eine Epoche in Lebensbildern, 1998. – B. v.
Krusenstjern/Medick (Hg.), Zwischen Alltag und Katastrophe, 1999 (Veröff. d. Max Planck Inst. f.
Gesch., 148). – A. Schindling, Kriegserfahrung und Religion im Reich, in: Das Strafgericht Gottes.
Kriegserfahrung und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Drei-
ßigjährigen Krieges. Hg. M. Asche/A. Schindling, 2. durchges. Aufl. 2002, S. 11-53.
Bekrönungsfiguren Seite 139

Mit der Polarisierung zwischen Schaftkronleuchtern als Basis und Bekrönungsfigur als
bedingt variablem Bildprogramm spiegelt dieses Kompositionsschema die je nach
Zeitgeist unterschiedlich interpretierte Formensprache und Lichtsymbolik des Leuch-
ters, das heißt die religiöse Lebenswelt und im entsprechend wechselnden Motiv-
schatz die Schwerpunkte der alltäglichen Lebensbewältigung wider.

Unter dem Einfluss des humanistischen Gedankenguts gründet sich die Freiheit auf
die Rechtfertigung aus Glauben an das reine Wort Gottes, wo die Gnade Gottes das
Leben und Sterben gestaltet.

3.6 „Wilde Leute“?

Repräsentieren die zuvor genannten Figurentypen „Römischer Soldat“, „Büttel“,


„Landsknecht“ à 15 Stück je Einheit in Norddeutschland Charakteristika im Zivilisati-
onsprozess der Menschheit, so scheint das Motiv „Wilder Mann“ (Abb. 80-87) unmit-
telbar an die Verwendung als Bildthema im Kunsthandwerk des Mittelalters anzu-
knüpfen.

Der Ursprung des Motivs „Wilder Mann“ gilt als vornehmlich literarische Metapher für
waldreiche Regionen, das heißt Hügel- und Gebirgslandschaften, nicht aber für Nord-
deutschland. Dennoch sind für dieses Gebiet bis zu 10 Exemplare der Schaftkron-
leuchter „Wilder Mann“ inventarisiert und zum Teil erhalten.

Zwei vergleichbare Objekte sind für Mildenau sowie für Weissenborn/Zwickau in


Sachsen bekannt. Und diese veranschaulichen exemplarisch für den Südosten des
alten Reiches in ihrer ursprünglich grenznahen Lage zum Bistum Meißen - wie auch
die Verteilung der anderen dieser Gruppe auf Grenzgebiete, dass diese Trennungsli-
nien zwischen Herrschaftsbereichen hinterfragt werden bzw. neu zu definieren sind,
sobald sich ein Strukturwandel abzeichnet. Das Motiv „Wilde Männer“, kann Außen-
seiter jeglicher Ordnung versinnbildlichen.445

445
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, 12. H.:
Amtshauptmannschaft Zwickau, 1889, S. 69. – Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg. Kreis
Sorau, 1939, S. 328 mit Abb. – Exemplarisch wären für Norddeutschland die Statuetten „Wilder
Mann“ der Kronleuchter zu nennen in: Grube/Oldenburg i. H.; 5.: Eine Ausstellung kirchlicher Geräte
im Thaulow-Museum, Ausst.-Kat., Kiel, 1902, S. 43, Nr. 175 und vgl. LDSH b 479 und b 480 (Aufn.
1905). – Eine adäquate Bekrönungsfigur (Wappenschild inschr. datiert 1643) ist auf einen
Schaftkronleuchter mit abschließender Löwenkopf-Maske in der Evangelischen St. Michaeliskirche in
Lütjenburg/Kreis Plön erhalten; 5.: G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg.
Schleswig-Holstein. 2. stark erw. und veränd. Aufl. 1994, S. 614. – Und eine vergleichbare Topfigur
auf einen Winkelarmkronleuchter mit Löwenkopf-Maske ist für die Dominikanerkirche in Prenzlau do-
kumentiert; 5.: Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, Bd. III, T. 1, Prenzlau, 1921, S. 232
mit Zeichnung und vgl. Fotodokumentation des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege,
Wünsdorf/Berlin. Weitere Recherchen wären u.a. auch erforderlich zu diesen Kronleuchtern in: Im-
sen/Kreis Alfeld; s. Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover. II. Regierungsbezirk Hildesheim. 6.
Kreis Alfeld, 1929, S. 173 oder zum Beispiel zum Kronleuchter in Salzgitter-Ringelheim; 5.: Die
Kunstdenkmäler der Provinz Hannover. II. Regierungsbezirk Hildesheim. Landkreis Hildesheim,
1937, S. 202.
Bekrönungsfiguren Seite 140

Weiterhin fällt auf, dass es zum Motiv „Wilder Mann“ möglicherweise ein weibliches
Pendant als Statuette, allerdings von beiden keine Subfiguren gibt. Als solche können
die zuvor beschriebenen Darstellungen „Römischer Soldat“ und „Landsknecht“ eine
der anderen Kronleuchter-Bekrönungen, das heißt den gekrönten heraldischen Dop-
pel-Adler ergänzen.

Unter den Bekrönungen „Wilde Leute“ auf Schaftkronleuchtern aus Messing können
die Darstellungen „Wilder Mann“ formal bisher in zwei Gruppen eingeteilt werden – in
stehende und kniende Gestalten. Diese können ihrerseits stilistisch anhand der End-
bearbeitung in Form der nahezu den ganzen Körper überziehenden, ziselierten Be-
haarung beziehungsweise deren Aussparung (kreisförmig) an Brust und Gesäß sowie
nahe der Gelenke, sowie nach Art des Leibriemens und Stirnbandes unterschieden,
aber infolge häufig unzureichender Dokumentationen vorläufig kaum zu mehreren
zusammengefasst oder gegenwärtig Werkstätten zugeordnet werden. Gegenüber
anderen (früh-)neuzeitlichen Bekrönungen erreicht der Bestand dieser Kronleuchter-
Figuren – nach bisherigen Kenntnissen – kaum mehr als zehn Stück in Norddeutsch-
land und ist ausschließlich auf die Grenzregionen verteilt.446 Das Motiv „Wilder Mann“
kommt dort hauptsächlich, aber nicht nur auf Winkelarmkronleuchtern mit ausge-
prägt horizontalen Leuchterarmen vor, sondern auch auf jenem mit den aufgeboge-
nen S-förmigen Leuchterarmen, der als Renaissance-Kronleuchter stärker im Osten
Norddeutschlands verbreitet ist. Als Bekrönung auf barocken Kugelkronleuchtern
erscheinen „Wilde Leute“ proportional und ikonographisch deplatziert, sind aber in
dieser Kombination kein Einzelfall – wie Beispiele aus Norddeutschland (Bip-
pen/Osnabrück) und zumindest die eindeutig zugeordneten Kronleuchter in Schwe-
den belegen.447

Am Bestand dieser Schaftkronleuchter in Schweden fällt gegenüber vergleichbaren


Kronleuchtern aus Messing in Dänemark sowie in Norddeutschland auf, dass mit elf
Bekrönungen „Wilder Mann“ für (gut 770) Schaftkronleuchter in Schweden dieses
Bildthema qualitativ das Motiv „Soldaten“ überwiegt.

In Dänemark und in Norddeutschland sind diese Proportionen genau umgekehrt.

Gleichwohl bedarf eine große Anzahl der in den amtlichen Länderinventaren schlicht
als weiblich oder männlich bezeichneten Bekrönungsfiguren noch einer eindeutigen

446
Siehe vorliegende Kronleuchterstudie „Lux ad illuminandas gentes“, Bildband mit digitalisierter Über-
sichts- oder gedruckt mit Verbreitungskarte der Schaftkronleuchter aus Messing des 16. bis 18. Jahr-
hunderts in Norddeutschland.
447
Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover. IV. Regierungsbezirk Osnabrück. 3. Die Kreise Wittlage
und Bersenbrück, 1915, S. 92. – G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen. Nie-
dersachsen, Neubearb., stark erw. Aufl. 1992, S. 224. Die Angaben in beiden amtlichen Länderin-
ventaren der Bau- und Kunstdenkmäler zu den Kronleuchtern führen kaum weiter. Hilfreich ist die
Dokumentation kirchlichen Kunstgutes, die Herr Dr. H. v. Poser, Referat für Bau- und Kunstpflege im
Auftrag des Kirchenamtes der Ev. Landeskirche Hannovers durchführt.
Bekrönungsfiguren Seite 141

Charakterisierung, so dass die bisherige Zählung nur einen ersten Anhaltspunkt bie-
ten kann.448

Die folgenden Beispiele aus Schweden sind zugeordnet und im Wesentlichen in das
17. Jahrhundert datiert: Hosjø/Dalarne, Vaddö/Uppland, Vaddö/Akers Skeppslag,
Östra/Danderyd, Karlskrona/Blekinge (Königliche Admiralitätskirche, Kronleuchter
1686) sowie Elleholm/Blekinge, 17./18. Jahrhundert.449

Wenige Exemplare des 16. Jahrhunderts mit einer Löwenkopf-Maske als Unterhang
sind auf die Orte Avaskärs/Kristianopel und Alskog/Gotland verteilt. Wobei der Kron-
leuchter in Ramdala aufgrund dieser Datierung und Morphologie eines Kugelkron-
leuchters ebenso zu untersuchen wäre wie jener Kronleuchter in Vassunda/Uppland.
Datiert in das Jahr 1638 könnte dessen Löwenkopf-Maske als Unterhang auch für das
16. Jahrhundert sprechen.

In ihrer Verteilung auf Orte an Küsten und Landesgrenzen entsprechen sie jenen Ex-
emplaren in Norddeutschland.

Demgegenüber ist unter circa 225 inventarisierten Kronleuchtern in den evangeli-


schen Kirchen Dänemarks bisher nur einmal das Motiv „Wilder Mann“ auf einem Kron-
leuchter (1550/1600) in der Evangelischen Kirche in Vetterslev/Sørø Amt, Seeland
verzeichnet.450

Die gemeinsamen Merkmale der Kronleuchterfiguren „Wilde Leute“ in Norddeutsch-


land mit den zuerst beschriebenen Motiven „Römischer Soldat“ und „Büttel“ bestehen
formal in der Körperhaltung, die durch eine erhobene Rechte und eine seitlich des
Körpers und voraus angewinkelte Linke gekennzeichnet ist.

Obschon sowohl Soldat als auch Waldmensch mit Nahkampfwaffen in Kampfeshal-


tung präsentiert werden, unterscheiden sich die „Wilden Leute“ von ersteren als
Sinnbild der rohen Natur des in die Wildnis Verbannten und im christlichen Kontext
als Kain (1. Buch Mose, Kapitel 4, Verse 11 und 14).451

Die Natürlichkeit als Charakteristikum des Motivs „Wilder Mann“ selbst besteht neben
jenem der Nacktheit überwiegend in einem Fell- oder Haarkleid. Dieses ist häufig in
Taillenhöhe mittels einer Kordel gegürtet, dessen breiten Enden vielfach zugleich die
Aufgabe eines Lendenschurzes erfüllen. Ein Stirnband hält das lange Haupthaar aus
dem Gesicht mit Vollbart und maskenhafter Mimik zurück. Neben der unterschiedli-
chen Material- und Gussqualität sind diese Figuren nur anhand der Nachbearbeitung,
das heißt ihrer Gravuren zu differenzieren. So können letztere in gleichmäßigen Hori-

448
Diese Statistik basiert auf Erfassungen der amtlichen Länderinventare der Bau- und Kunstdenkmäler
seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart und bezieht sich auf Schaftkronleuchter aus Mes-
sing des 16. bis 18. Jahrhunderts.
449
Sveriges Kyrkor. Västergötland, Bd. 1, 0.3, S. 324; Uppland, Bd. II, T. 1, 1918-1945, S. 91 f. mit
Abb.; Uppland, Bd. IV (1920), S. 180; Dalarna, Βd. 1 (1913-1914), S. 228; Akers Skeppslag, 1950,
S. 92; Blekinge, Bd. 1, Östra Härad, o. J., S. 30; Gästrikland, o. J., S. 136, 361; Håbo Härad, 1962,
S. 257.
450
Danmarks Kirker. Sorø Amt, 2. T., 1938, S. 1256 f. mit Abb.
451
Neue Jerusalemer Bibel, Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel, 1985,
S. 19.
Bekrönungsfiguren Seite 142

zontalen (Kronleuchter, Anfang 17. Jahrhundert, Jüri/bei Tallinn, Estland) oder als
diffuse Strichelungen die Behaarung andeuten (Kronleuchter, Rühle/Solling oder
Mönchehof/Harz).452 Diese endet häufig in Höhe der Ellenbogen und Knie oder Unter-
schenkel dieser Ungezähmten. Und indem sie mit den bisweilen nackten Füßen und
Unterarmen kontrastiert, vermittelt die so begrenzte Behaarung den Eindruck einer
Gewandung. Dagegen wird bei jenen Figuren von einem Fell auszugehen sein, wo
Brust und Gesäß freiliegen: Kronleuchter-Figuren in Lütjenburg/Plön (Evangelische
St. Michaelis-Kirche), Kronleuchter, inschriftlich 1645 datiert, Grube/Oldenburg in
Holstein oder Prenzlau/Brandenburg (Abb. 80 ff.).

In gleicher Weise sind die Gestaltung der Haar- und Barttracht sowie in der Links-
oder Rechtsdrehung des Stirnbandes und der Bauchbinde zu differenzieren. Demzu-
folge können die Figuren „Wilder Mann“ von Kronleuchtern wie sie aus Antwerpen,
Mehr/Rees, Bramsche am Mittellandkanal, Esens/Ostfriesland, Lütjenburg, Grube,
Prenzlau/Brandenburg und Jüri/Estland bekannt sind, qualitativ – jedoch noch nicht
stilistisch – jenem Figurentyp zugeordnet werden, den E. Meyer als Dinanderie aus
der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts vorstellt. Die Übereinstimmungen der Bekrö-
nungsfiguren „Wilder Mann“ der Schaftkronleuchter in Grube und Lütjenburg lassen
ein- und dieselbe Provenienz annehmen.453

Ihre Bewaffnung besteht – sofern noch erhalten – in der Regel aus einer Keule. Die
Ausrüstung mit einem Schwert oder einer Kettenkugel, die zum Beispiel den unter-
schiedlichen militärtechnischen Entwicklungsstand von Nahkampf- oder Fernwaffen,
von Hieb- oder Stichwaffen anzeigen, entsprechen nicht dem Image des Waldmen-
schen oder Wildemann und dürften später ergänzt sein.454

Davon wird auch im Folgenden auszugehen sein.

Vom Kronleuchter „Wildemann“ der Evangelisch-lutherischen Kirche in Imsen/Alfeld


sind nach bisheriger Kenntnis nur eine Skizze und diese Beschreibung bekannt: Sie
charakterisiert das besagte Objekt als sechsarmigen Kronleuchter aus Bronze von
1545 mit Sinnbildern des Schlosser-, Schmiede- und Gürtlerhandwerks im Schilde.
Die Fahne in der erhobenen Rechten trägt die Initialen J.H.M.-J.D.P.R. und die Jah-
reszahl 1763.455 Die Position dieses angedeuteten Tuchs in Verbindung mit dem
Wappenschild in der Linken könnten dieses Zeichen in der Rechten als nachträgliche
Zutat ausweisen. Denn eine Fahne kommt als Zubehör unter den Topfiguren auf
Schaftkronleuchtern bisher nur bei nackten weiblichen Figuren vor, die häufig dem
Motiv „Wilde Leute“ zugeordnet werden.456 An der Deutung der Figur und der Sym-

452
Die Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums Braunschweig, 4. Bd. Kreis Holzminden, 1907, S. 99.
453
E. Meyer, Mittelalterliche Bronzen, 1960, Abb. 38.
454
Siehe u.a. Landesausstellung Niedersachsen 1985. Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürger-
tums in Norddeutschland 1150-1650, Bd. 2, Ausst.-Kat. Braunschweigisches Landesmuseum, 1985,
S. 757 ff.
455
Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover. II. Regierungsbezirk Hildesheim. 6. Kreis Alfeld, 1929,
S. 173.
456
Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover. II. Regierungsbezirk Hildesheim. 3. Kreis Marienburg,
1910, S. 60.
Bekrönungsfiguren Seite 143

bole orientierte sich vermutlich die Ergänzung von Attributen bei einer vergleichba-
ren Kronleuchter-Bekrönung in der Kirche zu Eldagsen, südlich von Springe.457 Hier
hält der „Wildemann“ ein Hufeisen in seiner erhobenen Rechten und einen Schlüssel
in der angewinkelten Linken. Beide Gegenstände dort in Eldagsen entsprechen nicht
der Proportion ihrer Trägerfigur und letztere als Bekrönung ästhetisch nicht der Ges-
taltung eines barocken Kugelkronleuchters.

Es erhebt sich daher die Frage, ob Habitus, Gestik oder Attribute jeweils allein aus-
reichen, um die Ikonographie der Topfiguren auf Schaftkronleuchtern zu bestimmen.

In das Jahr 1582 wird der Schild-Inschrift zufolge ein Kronleuchter in der Evange-
lisch-lutherischen Stadtkirche zu Gadebusch/Mecklenburg-Vorpommern (Abb. 85)
datiert, dessen Bekrönungsfigur aufgrund der Attribute als Schmied beschrieben
wird.458 Diese Statuette ist mit der gleichen Gestik und Schrittstellung, der gleichen
sorgfältig frisierten Haar- und Barttracht sowie mit einem vergleichbaren Stirnband
und Leibriemen dargestellt wie die zuvor erwähnten Beispiele. Doch deuten auf dem
Corpus dieser Figur keine Gravuren eine Körperbehaarung entsprechend der bekann-
ten Darstellung „Wilder Mann“ an. Hier wie dort findet sich ein ringartig abgesetzter
Übergang zwischen Fußrücken und Unterschenkel, was eine Saumkante von Hosen-
beinen vermuten lässt. Und es kommt der lendenschurzartig endende Gurt in Tail-
lenhöhe vor. Dieser ist nicht als Halterung diverser Werkzeuge kenntlich - wie die
Darstellungen von Handwerkern des ausgehenden 15. und im Laufe des 16. Jahr-
hunderts die andere Nutzung eines derartigen Leibriemens zeigen.459 Ein seitliches
Futteral erscheint ziemlich unvermittelt am Oberschenkel der Figur platziert. Der
Hammer in der erhobenen Rechten dieser Bekrönungsfigur entspricht dem aktiven
Werkzeug eines Kupferschmieds zur Bearbeitung von kaltem Metall - zum Beispiel
für Treibarbeiten. Mit seiner Linken stützt die Statuette einen Schild. Die dreieckige
Grundform erscheint mittels Einschnitt an den Eckpunkten und Rollwerk an der O-
berkante in Auflösung. Inschriftlich sind 10 Personennamen und die Jahreszahl 1582
verzeichnet. Der nachstehenden Jahreszahl (1582) zufolge, fällt die Entstehung die-
ses Kronleuchters in Gadebusch in die Regierungszeit des Herzogs Christoph von
Mecklenburg († 1592). Ihm wird ein besonderes Interesse an der Gewinnung von
Erzen sowie ein bedeutender Anteil an der glänzendsten Zeit Gadebuschs zuge-
schrieben.460

Die Attribute der besagten Kronleuchterfigur sowie die inschriftliche Datierung des
Leuchters in einer Zeit der gesellschaftlichen Umstrukturierungen könnten für eine
Darstellung und Würdigung des Handwerkerstandes resp. der Metallverarbeitung und
damit für die Beschreibung „Schmied“ im amtlichen Länderinventar der Kunstdenk-

457
Die Kunstdenkmale der Provinz Hannover. 1. Regierungsbezirk Hannover. 3. Kreis Springe. 1941,
S. 52 f.
458
Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, II. Bd: Die Amts-
gerichtsbezirke Wismar, Grevesmühlen, Rehna, Gadebusch und Schwerin, 2. Aufl. 1899, S. 479.
459
K.-S. Kramer, 1995, Abb. S. 18 ff.
460
Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, II. Bd.: Die Amts-
gerichtsbezirke Wismar, Grevesmühlen, Rehna, Gadebusch und Schwerin, 2. Aufl. 1899, S. 461.
Bekrönungsfiguren Seite 144

mäler sprechen. Es fällt auf, dass das Motiv „Wilder Mann“ im Verhältnis häufiger
verbreitet und dementsprechend inventarisiert ist, als zum Beispiel das der Kupfer-
schmiede. Denn dafür hätten zum Beispiel das Erzgebirge, das Mansfelder Land,
Stolberg/Aachen oder der Harz und die dort vorkommenden Kronleuchter etliche Be-
zugspunkte geboten.

Die Morphologie des Kronleuchters in Gadebusch findet mit der gleichmäßigen


Schaftkolonne, der abschließenden, gestauchten Kugel und der Löwenkopf-Maske als
Unterhang eine Entsprechung in Schaftkronleuchtern aus Messing mit anderen Be-
krönungen – wie zum Beispiel im Kronleuchter (wohl um 1584) der Evangeli-
schen St. Martini-Kirche in Braunschweig und in den fünf bis sechs Jahre jüngeren
Kronleuchtern in der Evangelischen St. Marien-Kirche zu Barth. Doch sind die Propor-
tionen des Kronleuchters in Gadebusch gedrungener.

Diese Beispiele des Motivs „Wilder Mann“ und annähernd vergleichbarer maskuliner
Statuetten auf Kronleuchtern werfen die Frage auf: Wurde das Angebot eines
scheinbar universellen Figurentyps nach kunsthandwerklich-ökonomischen Gesichts-
punkten und dessen jeweilige Endfassung entsprechend der Nachfrage ziseliert? O-
der spiegeln sich darin unterschiedliche Auffassungen zur künstlerischen Gestaltung
e i n e s Bedeutungsgehaltes und einer potentiellen Mehrdeutigkeit mit der Zielset-
zung eines Bildprogramms wider? Denn die Bekrönungen der erwähnten Schaftkron-
leuchter in Eldagsen und Immsen stellen formal Wilde Männer dar, werden deskriptiv
aufgrund ihrer Attribute auf das Schmiedehandwerk bezogen.

Von der verbreiteten Darstellung „Wilde Leute“ auf Schaftkronleuchtern ausgehend


und angesichts ihrer allgemein vielfältigen Verwendungszusammenhänge, ergäbe
sich für diesen Figurentyp gegenüber der Ikonographie der zuvor genannten Solda-
ten auf Renaissance-Kronleuchtern dieser Interpretationsansatz:

Wilde Leute – als allegorischer Kampf der Selbstbezwingung betrachtet – würden


nicht allein eine moralisierende Anspielung auf das Gegenüber von Tugend und Las-
ter bedeuten. Vielmehr könnte dadurch auch eine positive Freiheit skizziert sein, die
dem eigenen Wollen eine Richtung gibt. Diese Willensfreiheit bedeutet an sich, unab-
hängig von einer Fremdbestimmung eigene Handlungsziele frei setzen zu können.
Dies wäre bedingt auf das Handwerk übertragbar, da dieser Berufsstand seine eige-
nen und doch einschränkenden Regeln hatte. Wie auch in der Theologie der Refor-
matoren die Haltung zur Willensfreiheit abhängig ist von der Interpretation der
Rechtfertigungslehre und in letzter Konsequenz gewisse Bindungen an Grundsätze
und ethischen Prinzipien auch hier nicht völlig ausgeschlossen sind. Der Unterschied
besteht darin, ob diese oktroyiert werden oder je nach Erkenntnisstand Raum zur
Entfaltung und eine Basis zum Wohle einer Entwicklung erhalten.

Schewe beschreibt die Wilden Leute als „Kampf der niederen Welt gegen die höhe-
re“.461 Und er begründet ihre Knechtschaft anhand ihrer Verwendung als Lichthalter
und Misericordien, wo die Wilden Leute „in Rankenwerk verstrickt“ das Harren auf

461
LCI, Bd. 4, Sonderausgabe 1994, Sp. 531.
Bekrönungsfiguren Seite 145

Erlösung versinnbildlichen. Denn gemäß des Apostel Paulus in seinem Brief an die
Römer (Kapitel 8, Verse 20ff) „Vom Heilsplan ausgeschlossen stehen sie außerhalb
der übernatürlichen Ordnung als Wesen der Schöpfung, die der Nichtigkeit nicht mit
freiem Willen unterworfen ist, ...“462

Der Kontext der ersten Verse dieser Epistel, wo als Grundlage der weiteren Verse ein
Leben in der Gewissheit um die Gnade Gottes beschrieben wird, bietet einen ande-
ren Blickwinkel: Gottes Gnade befähigt zu einer inneren Freiheit. Nicht die erfüllte
Erwartung oder Sehnsucht nach Erlösung, vielmehr ein bedingungsloses Angenom-
mensein im Sinne der biblischen Gerechtigkeit, wo vor Gott alle Menschen gleich
sind, erhöht einen Menschen. Und diese scheinen Wilde Leute in ihrer erhabenen Po-
sition als Bekrönung (gegebenenfalls als Zentralfigur) neuzeitlicher Kronleuchter zu
dokumentieren.

In diesem Sinne der idealen Vervollkommnung am Scheideweg zwischen gut und


schlecht der chaotischen Unnatur ließe sich der bisher singuläre so genannte Herku-
les-Kronleuchter (um 1650) im westfälischen Münster thematisch in einen größeren
Zusammenhang stellen, wo die Ambivalenz, aber auch eine Entscheidungsfreiheit im
Typ deutlich wird.463 Denn formal entspricht die muskulöse, bärtige Gestalt, die mit
einer Keule in der erhobenen Rechten bewaffnet ist, dem Motiv „Wilder Mann“. Als
nackte, männliche Sitzfigur auf einem Löwen zeigt die Darstellung des Herkules Pa-
rallelen zur Kronleuchterfigur „Jupiter auf Adler“, die insbesondere im 17. und Anfang
des 18. Jahrhunderts stark verbreitet ist.

Morphologisch weicht dieser Schaftkronleuchter von den zuvor genannten Schaft-


kronleuchtern ab, da mittels filigranem Rankenwerk dessen zwei Lichtkränze deutlich
voneinander getrennt wirken, aber zugleich wie eine mittelalterliche Korbkrone eine
Laube für die Zentralfigur des Herkules bilden, so dass in dieser Gestaltung die Wür-
digung des antikisierenden Heros als Siegeszeichen zu sehen sein dürfte.

Ursprünglich war dieser Leuchter inmitten des Bistums Münster zu lokalisieren, wo


das Gebiet nördlich der Stadt Münster von der Ems gegen das Bistum Osnabrück und
die Grafschaften Lingen (Herrschaft Oranien) und Ravensberg (1614/66 zum Kur-
fürstentum Brandenburg) und südlich von der Lippe unter anderem gegen die
Reichsstadt Dortmund oder die Grafschaft Mark (1614/66 zum Kurfürstentum Bran-
denburg) abgegrenzt ist.464 Insofern entspricht dieser Leuchter der grenznahen Ver-
teilung der oben aufgezählten Exemplare.

Dies trifft auch auf jene Winkelarmkronleuchter des 16. Jahrhunderts zu – wie zum
Beispiel in Niedersachsen: Holtrop bei Aurich, Groß Heere/Hildesheim (Abb. 87) oder
Brandenburg: Schönerlinde/Berlin (letztere Kronleuchter werden aufgrund der Fah-

462
Neue Jerusalemer Bibel, Einheitsübersetzung, 1985, S. 1638 f.
463
Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, 41. Bd., 6. T.: Die Stadt Münster, 1941, S. 126 ff. mit
Abb. – Siehe zur Thematik „Herkules/Herakles“ u.a.: E. Panofsky, Herkules am Scheidewege, 1930.
– G. H. Zuchold, Luther=Herkules. Der antike Heros als Siegessymbol für Humanismus und Refor-
mation (Idea Jb. der Hamburger Kunsthalle 3, 1984).
464
W. Putzger, 1970, S. 66, 82.
Bekrönungsfiguren Seite 146

nen-Inschrift ins 18. Jahrhundert datiert) oder Håbo Härad, Håtuna Kyrka in Schwe-
den (1676), die von einer nackten weiblichen Figur bekrönt werden.465 In Anbetracht
ihrer Blöße werden diese Figuren dem Motiv „Wilde Leute“ zugeordnet, obschon Hals-
schmuck und modische Kopfbedeckung im Widerspruch dazu stehen. Die Schmuck-
kette kontrastiert zum nackten Körper der Figur, in Groß Heere trägt die Statuette
überdies einen Schlapphut mit Straußenfedern.

Die künstlerische Gestaltung dieser Kronleuchterfiguren scheint an der Federzeich-


nung „Allegorie der Vergänglichkeit“ (1517) des Hans Leu (1460-1507) orientiert.466

Sind die besagten Topfiguren auf Kronleuchtern aus Messing ohne eindeutige Attri-
bute der Vanitas erhalten, dürften Hut und Halsschmuck hier als Anspielung auf die
Eitelkeit und damit als Kennzeichnung irdischer Laster zu betrachten sein. Mit ihrem
nach oben angewinkelten linken Arm stützen sie etwas Stabähnliches, eine Lanze (in
Schönerlinde/Berlin), die Rechte greift in Taillenhöhe vor den Körper – ursprünglich
wohl einen Wappenschild haltend. Das Sujet „Nacktheit“ kann in Verbindung mit dem
in Renaissanceformen gestalteten Schaftkronleuchter als Orientierung an Graphiken
seit 1506, das heißt am Holzschnitt „Venus Cupido mäßigend“ von Lucas Cranach d.
Ä. (1472-1553) betrachtet und als Stellungnahme zu Freizügigkeit und Liebe in der
Renaissance gedeutet werden.

Die Modellierung dieser entblößt dargestellten weiblichen Statuetten vermittelt kaum


eine sinnliche Wirkung; der Bedeutungsgehalt ergibt sich im zeitlichen und räumli-
chen Verwendungszusammenhang.

Das Thema „Nacktheit“ spielt dann bei Darstellungen der römischen Gottheiten „Jupi-
ter auf Adler“ und Fortuna als Bekrönungen barocker Schaftkronleuchter wieder eine
Rolle und bietet andere Interpretationsansätze als die figurbetonte Bekleidung und
spezielle Kostümierung anderer Kronleuchterfiguren.467

Es bleibt festzuhalten, dass seit der Renaissance und der Reformation unter dem Ein-
fluss des Humanismus die Morphologie der Kronleuchter nicht mehr als Rahmen für
das Gestalten der kultischen Verehrung dient.

Mit der klaren und betont horizontal ausgerichteten Gestaltung frühneuzeitlicher


Schaftkronleuchter und mit ihrer jeweiligen Bekrönung ist ein Beleuchtungsgerät ge-
schaffen, dass im Sinne des Zeitgeistes als stereotypes Kleinkunstwerk in seiner
Mehrdeutigkeit sowohl die Anliegen Einzelner aus bestimmten Gesellschaftsschichten

465
Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover. II. Regierungsbezirk Hildesheim. 3. Kreis Marienburg,
1910, S. 60 (Groß Heere). – Die Kunstdenkmäler der Provinz Mark Brandenburg. Kreis Niederbar-
nim, 1939, S. 387, Abb. 604 (Schönerlinde). – Die Kunstdenkmäler der Provinz Mark Brandenburg.
Kreis Teltow, 1941, S. 126 (Königs Wusterhausen). – Vgl. u.a. Die Bau- und Kunstdenkmäler von
Westfalen. Kreis Lippstadt, 1912, S. 105. – Sveriges Kyrkor, Bd. 1, Habo Härad, 1962, S. 266.
466
H. Mielke, Albrecht Altdorfer – Zeichnungen, Deckfarbenmalerei, Druckgraphik. Eine Ausstellung zum
450. Todestag von Albrecht Altdorfer, Ausst.-Kat. Kupferstichkabinett Berlin SMPK und der Museen
der Stadt Regensburg (1988), Abb. 193.
467
Um 1939 fehlt das Attribut in der linken Hand der Kronleuchterfigur „Wilde Frau“ in Schönerlin-
de/Berlin. – Siehe Die Kunstdenkmäler der Provinz Mark Brandenburg. Kreis Niederbarnim, 1939,
S. 387, Abb. 604. – H. Gagel, Venus, in: Der Mensch um 1500. Werke aus Kirchen und Kunstkam-
mern, Ausst.-Kat. Skulpturengalerie Berlin, SMPK 1977, S. 127-134.
Bekrönungsfiguren Seite 147

oder -gruppen als auch die Voraussetzungen für Gemeinschaft und Gemeinde reprä-
sentieren kann. Zweifelsohne wird somit die für die Renaissance typische Entfaltung
einer freien, unabhängigen Persönlichkeit dokumentiert, die das theozentrische Welt-
bild des Mittelalters verlassen hat und die Subjektivität des Menschen in den Mittel-
punkt stellt. Dieses erlaubt, individuelle Erfahrungen mit Gott zu sammeln, die wie-
derum nicht Selbstzweck sind, sondern im Interesse des Gemeinwohls der jeweiligen
Selbstreflexion dienen. Wo beginnt und wo endet die Freiheit des Einzelnen?

In „Protestantismus und Kunst im 16. Jahrhundert“468 beschreibt Buchholz den Zu-


sammenschluss von Menschen zu einer Gemeinschaft in jener Zeit als etwas, das
äußerlich rechtlich nicht greifbar sei, aber in den Herzen der Menschen. Demgegen-
über greifbar scheinen die Bekrönungen der Schaftkronleuchter des 16. und begin-
nenden 17. Jahrhunderts bis ins 18. Jahrhundert hinein gerade als Einzelfigur und
ikonographisch nicht nur einen Denkanstoß zum Aspekt „Gemeinschaftssinn“ geben,
sondern vor allem ein wesentliches Moment der reformatorischen und nachreforma-
torischen Kunst als pädagogisches Mittel ansprechen zu können: Es sind dies religi-
ons-politisch die Konfessionalisierung, theologisch die Gnade Gottes, rechtshistorisch
das Stiftungswesen und kunsthistorisch die Popularisierung von Kunsthandwerk.469

Eingriffe in die Morphologie der Schaftkronleuchter aus Messing, Veränderungen oder


die Herauslösung von Details aus ihrem eigentlichen Kontext bewirken eine entschei-
dende Minderung ihrer Bedeutung. Denn diese liegt in der Beziehung zum humanisti-
schen Gedankengut.470

3.7 Eine Kurzcharakteristik potenzieller Bekrönungen auf Kugelkronleuch-


tern des Barock

Sowohl während der Renaissance als auch im Barock erscheint der Bestand an unge-
krönten oder gekrönten heraldischen Doppel-Adlern und anderen Wappentieren als
Bekrönungen von Schaftkronleuchtern aus Messing gegenüber anderen Statuetten
(Abb. 120 ff.) relativ gleich bleibend. Sowohl die künstlerische Gestaltung als auch
die Ikonographie dieses Motivs wird als Reichsadler im Einzelnen an anderer Stelle
noch zu untersuchen sein. Unter diesen mehreren hundert Darstellungen sind bisher
vier bekannt, die ein Wappen auf dem Corpus tragen. Bei älteren Interpretationsan-
sätzen bleibt die Tatsache unberücksichtigt, dass das Motiv sowohl in einer gekrön-
ten als auch in einer ungekrönten Version zeitgleich und zugleich innerhalb eines
Raumes vorkommen kann. Es wird dort ebenfalls nicht in Betracht gezogen, dass
über diesen wesentlichen Unterschied im Detail hinaus die formale Gestalt insgesamt
(insbesondere Schnabel sowie Corpus und Schwanzfedern) und die stilistische End-

468
F. Buchholz, 1928 S. 76.
469
A. Moraht-Fromm, 1991, S. 9
470
Die Kultur des Humanismus. Reden, Briefe, Traktate, Gespräche von Petrarca bis Kepler, Hg.
N. Mout, 1998, S. 108 ff., 336 ff., 339 ff.
Bekrönungsfiguren Seite 148

bearbeitung dieses Vogels, das heißt des Federkleides, voneinander abweichen kön-
nen. Damit ist zwar nicht der Wiedererkennungseffekt des Motivs, aber dieses im
Sinne eines Markenzeichens verfremdet und erscheint aus heutiger Sicht als solches
hinfällig – gerade gegenüber der vielfachen Verwendung und stereotypen Gestaltung
dieses Motivs wie zum Beispiel für die Erzeugnisse der Beckenschläger.

Zweifelhaft mutet die religiös gedeutete und nicht weiter belegte Symbolik des he-
raldischen Doppel-Adlers auf Kronleuchtern als zwiefältiger Geist Gottes an.471
Gleichwohl der Adler an sich mit der Lichtsymbolik und über diese mit der christli-
chen Ikonographie in Verbindung gebracht werden kann.472 Die Frage nach der Be-
deutung des heraldischen Doppel-Adlers stellt sich um so mehr, als dessen Mehrdeu-
tigkeit im Zusammenhang mit Schaftkronleuchtern bisher nicht explizit nachgewie-
sen und Stilmerkmale nicht beschreiben werden (Abb. 127, 129).

Deutliche Unterschiede zeigen die Flügel. Hier variieren die Form und Breite des
Armteils sowie jene der Handschwingen. Die Flügelpaare, die mittels Führungsschie-
ne seitlich am Corpus des Doppel-Adlers eingehängt oder genietet sein können, sind
überwiegend aus Messingblech ausgestanzt und stilisiert. So fällt an einigen bekrö-
nenden Doppel-Adlern auf Metallkronleuchtern in Mecklenburg-Vorpommern (Plau am
See, Evangelische Stadtkirche, Kronleuchter, 1728) und in Brandenburg (Falkenha-
gen, Evangelische Kirche, Kronleuchter 1734) die für das 18. Jahrhundert charakte-
ristische, aber für das Motiv seltene, Gestaltung in Durchbrucharbeit auf. Diese ist
ein Gestaltungsmittel, das an Messingkronleuchtern nur noch an der abschließenden
Kugel des Schaftes begegnet – wie zum Beispiel wie zum Beispiel an einem Kron-
leuchter (1704) auf Rømø/Jütland und in Skandinavien häufiger verbreitet ist als in
Deutschland.

Eine vergleichbare ornamentale Gestaltung einer Kronleuchterkugel – allerdings nicht


in Durchbrucharbeit wie an den Kronleuchtern im Dom St. Peter in Bautzen oder in
der Evangelischen Kirche in Hollern/Stade – weist der Kronleuchter mit der Bekrö-
nung einer Fortuna in der Evangelischen St. Johannis-Kirche in Flensburg auf.

Während die Datierung des letzteren Exemplars unterschiedlich ausfällt, da voll-


kommen verzierte – mit Ausnahme von Inschriften – Kronleuchterkugeln in Nord-
deutschland nicht weiter bekannt sind, die Anhaltspunkte einer Zuordnung bieten
könnten, gehören die inventarisierten Schaftkronleuchter mit Durchbrucharbeit dem
ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert an. Diesem Zeitraum sind
gleichfalls seltene im Detail plastisch modellierte heraldische Doppel-Adler zuzuord-
nen (Richtenberg/Vorpommern, 1747).473

471
K. Grunsky-Peper, Sakrale Kunst in Nordfriesland, Hg. Stiftung Nordfriesland, Schloss vor Husum,
1982, S. 127. – Vgl. J. E. Korn, Adler und Doppel-Adler. Dissertation Göttingen 1969.
472
R. Wittkower, Allegorie und der Wandel der Symbole in Antike und Renaissance, 1983, S. 45 f.,
51 f., 56 ff. – LCI, Bd. 1, Sonderausgabe 1994, Sp. 70 ff.
473
Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, IV. Bd.: Die
Amtsgerichtsbezirke Schwaan, Bützow, Güstrow, Krakow, Goldberg, Parchim, Lübz und Plau, 2. Aufl.
1901, S. 594 (Abb.), 596. – Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des
Königreichs Sachsen, 33. H. Bautzen (Stadt), 1909, S. 43 f. – Die Kunstdenkmäler der Provinz Bran-
Bekrönungsfiguren Seite 149

Auch der Corpus und das Federkleid des heraldischen Doppel-Adlers bilden regional
und überregional über die technische Ausführung hinaus weitere Unterscheidungskri-
terien, so dass weitere Forschungen möglicherweise Aufschluss geben, wo die cha-
rakteristisch eingezogene Körperform und das extrem stilisierte Federkleid des Dop-
pel-Adlers auf dem frühneuzeitlichen Kronleuchter (um 1600) im Dom zu Lübeck
weitere Verbreitung fanden. Oder ob die einzelne Feder auf dem Corpus nur die Dop-
pel-Adler der Kronleuchter in Preetz (Evangelische Stadtkirche, Kronleuchter 1649,
gestiftet von Dorothea Wensin), in Mölln (1689) oder in Lütjenburg (1674) ziert.474
Und welche weiteren Doppel-Adler auf Schaftkronleuchtern stilistisch vergleichbare
Federn zur Gestaltung des Deckelpokals „Eule“ (2. Drittel 16. Jahrhundert) des Amb-
rosius Worms aufweisen.475

Andere, potenzielle Wappentiere mit nicht immer passgenauen Schilden kommen in


dieser Gestalt vor: Bär (Kronleuchter des 17. Jahrhunderts der Evangelischen Kir-
chen in Lungby/Dänemark 1664 und Dessau/Sachsen-Anhalt oder Schmiedeberg/
Sachsen, Evangelische Dreifaltigkeitskirche, Kronleuchter, datiert 1590) oder Greif
(Dortmund-Hörde, Ende 15. Jahrhundert; Barth/Mecklenburg-Vorpommern, 1590;
und ursprünglich wohl Schmiedeberg/Sachsen, Evangelische Dreifaltigkeitskirche,
1590) oder Löwe (unter anderem in Lüneburg, Rathaus, Fürstensaal; Rössing, Evan-
gelische Kirche; Waase, Evangelische Kirche).476

Demgegenüber stellt der ursprünglich in den Hirschsaal von Schloss Gottorf gehö-
rende Kronleuchter mit der auffallend großen Bekrönung eines springenden Hirschen
ein Stück der Innenraumdekoration und somit ein Teil des Bildprogramms dar.477

denburg, Bd. III, T. 1: Prenzlau, 1921, S. 51. – F. J. Falk (1989), Nr. 4 ff. – Vgl. S. Erixon, Mässing,
1943, S. 89 (Abb. 63, Kronleuchter von 1677). – Die Kunstdenkmäler des Landes Schleswig-
Holstein, Stadt Flensburg, 1955, S. 228. – Die Kunstdenkmäler des Landes Niedersachsen. Regie-
rungsbezirk Stade. Landkreis Stade, Bildband, 1961, Abb. 404 f. – G. Dehio, Handbuch der deut-
schen Kunstdenkmäler. Mecklenburg. Die Bezirke Neubrandenburg, Rostock, Schwerin, 2. Aufl.
1980, S. 311. – Ostsee-Zeitung und Stralsunder-Zeitung (Richtenberg/Vorpommern) vom 29. De-
zember 2004, S. 17 und vom 29. April 2005, S. 17. – W. Fiedler, Die Rinderpest in Schwedisch-
Pommern – ein Anlass zur Stiftung barocken Kircheninventars in Richtenberg bei Stralsund und in
Trent auf Rügen, in: Tierärztliche Umschau, 60. Jg., Nr. 3, Hg. E. Heizmann, Konstanz 2005, S. 150-
156. – Die Fotodokumentation (Ende der 1990er Jahre) der Verfasserin in Vorbereitung auf die vor-
liegende Kronleuchterstudie veranlasste die Evangelische Kirchengemeinde Richtenberg zur Restau-
rierung des Kronleuchters (1747) und zu weiteren Forschungen s. Die Pommersche Zeitung, F. 20,
21. Mai 2005.
474
Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 53, 361, 584, 594.
475
Landesausstellung Niedersachsen 1985. Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Nord-
deutschland 1150-1650, Ausst.-Kat. Braunschweigisches Landesmuseum, 1985, Bd. 1, S. 277 f.,
Nr. 217.
476
Danmarks Kirker. Københavns Amt. 1. Bd. 1944. S. 426. - Die Kunstdenkmale des Landes Anhalt.
Die Stadt Dessau. o.J. S. 28. - Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des
Königreichs Sachsen. 2. H.: Amtshauptmannschaft Dippoldiswalde. 1883. S. 77. - Die Bau- und
Kunstdenkmäler von Westfalen. Kreis Hörde. 1895. S. 20. - Die Bau- und Kunstdenkmale in der
DDR. Mecklenburgische Küstenregion. 1990. S. 449. - Die Bau- und Kunstdenkmale in Mecklenburg-
Vorpommern. Vorpommersche Küstenregion. 1995. S. 624. - Die Kunstdenkmäler der Provinz Han-
nover. III. Regierungsbezirk Lüneburg. 2. und 3.: Stadt Lüneburg. 1906. S. 255. - Die Kunstdenk-
male der Provinz Hannover. 1. Regierungsbezirk Hannover. 3.: Kreis Springe. 1941. S. 177.
477
Die Tierskulptur ist aus beschnitztem Holz und ursprünglich mit Blattkupfer überzogen. – E. Schlee,
Der Bildhauer Hans Ochs, in: Nordelbingen 46, 1977, S. 36-48. – U. Kuhl, Bildhauer und Bildschnit-
zer im Dienst der Gottorfer Herzöge, in: Gottorf im Glanz des Barock. Kunst und Kultur am Schleswi-
Bekrönungsfiguren Seite 150

Des Weiteren kommen vollplastische Vögel auf Schaftkronleuchtern aus Messing vor.
Jene, die nicht den sich atzenden Pelikan oder den Adler des Jupiter darstellen, wer-
den mitunter als Schwan oder Taube beschrieben (Abb. 91, 116-119, 120-124).478
Diese Gefiederten halten allesamt kein Wappenschild. Es besteht hinsichtlich der Au-
thentizität dieser Bekrönungen noch Forschungsbedarf. Denn es lässt sich gegen-
wärtig nicht sagen, ob der vollplastische Vogel als Kronleuchterbekrönung einen Ad-
ler, das heißt üblicherweise Licht und Macht oder eine Taube, das heißt den Heiligen
Geist symbolisieren soll. Unbekannt ist es, ob der massiv gegossene Vogel mit aus-
gebreiteten Flügeln als Adler ursprünglich eine Darstellung des Jupiter trug oder
hielt. Der Habitus des Tiers spricht für die erste Version, doch kommt auch die ande-
re Variante vor. Weist der Reitsitz des Jupiter auf dem Kronleuchter (1671) in Ne-
bel/Schleswig-Holstein auf das Fehlen des Adlers hin wie eben jene Haltung des Jupi-
ters auf dem Kronleuchter (1724) in Gelting an eine Umkehrung der Ende der 1990er
Jahre bestehenden Konstellation nahe legt, ist die Authentizität der Doppelbesetzun-
gen bei den folgenden Kronleuchterbekrönungen nicht nachgewiesen. Es sind dies
die Kronleuchter der Evangelischen St. Ägidienkirche in Hannover: „Engel auf Adler“
(1688) und „Adler über Bischof“ (1753) von Meister Hinrich Meier. sowie in Nie-
büll/Schleswig-Holstein die Statuetten „Gekrönter heraldischer Doppel-Adler über
(Sitz-)Löwen“ (1750).479

Konnte im Rahmen dieser Studie anhand der oben vorgestellten bewaffneten, profa-
nen Topfiguren auf Schaftkronleuchtern der Renaissance festgestellt werden, dass
diese aufgrund der Positionierung ihrer Waffen eine verhaltene Kampfbereitschaft,
das heißt einen – im Bedarfsfall – zielorientierten Willen der Konfrontation und Aus-
einandersetzung vermutlich in Fragen der Konfessionalisierung erkennen lassen –
nicht jedoch im Sinne eines tödlichen Angriffes – so stellen die in jener Zeit er- und
umkämpften Errungenschaften: die Glaubens-, Bekenntnis- und Religionsfreiheit auf
der Basis der Zweireichelehre des Martin Luther in gewisser Weise die Voraussetzun-
gen des Figurenkanons und der Inschriften barocker Kugelkronleuchter dar. Die Be-
krönungen der Schaftkronleuchter beider Epochen kennzeichnen indes kaum eine
Darstellung narrativer Momente oder die Wiedergabe verschiedener Charaktere. Viel-
mehr sind es Motive, die als Fokus typischer Merkmale, das heißt für die Existenz

ger Hof 1544-1713, Bd. 1: Die Herzöge und ihre Sammlungen, Ausst.-Kat. zum 50-jährigen Beste-
hen des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums auf Schloss Gottorf und zum 400. Geburtstag
Herzog Friedrich III., 1997, S. 192-209.
478
Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 289 (Gelting, Kronleuchter, 1724), 931 (Niebüll,
Kronleuchter, 1750), 919, 921 (Abb. 2507; Nebel, Kronleuchter, 1671). – Die Kunstdenkmäler der
Provinz Hannover. 1. Regierungsbezirk Hannover. Stadt Hannover, 1932, S. 122 f. (H. 19. des Ge-
samtwerkes). – Allgemein zur Darstellung des Jupiter; s. H. Hunger, Lexikon der griechischen und
römischen Mythologie, 1984, S. 203 f. und vgl. S. 48 ff., 140 f. – E. Simon, Die Götter der Römer,
1990, S. 27 ff., 107 ff.
479
Siehe u.a. Danmarks Kirker. Arhus Amt, 3. Bd. 1976, S. 1178, 1180 (Detailaufn.), 1307, Nr. 2. –
K. Jarmuth, Lichter, Leuchten im Abendland (1967), S. 179, Abs. 167 (Kronleuchter des Hamburger
Schiffbaueramtes, 17. Jh., Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. – R. Slawski, St. Andreas -
Neustadt - Braunschweig, 1996, S. 41. Heute trägt der gleiche Kronleuchtertyp (inschr.. 1584) einen
tauben- oder wachtelartigen Vogel und über der Löwenkopf-Maske eine Kugel.
Bekrönungsfiguren Seite 151

und Formen eines Gemeinwesens (und seine Verbindung zur bzw. als Kirche) wichti-
gen Gestalt, geeignet erscheinen.

Die Bekrönungen der Kugelkronleuchter (in evangelischen Kirchen) mit christlich-


moralisierenden Tendenzen stehen im Sinne des Barock ganz im Zeichen der Reprä-
sentation und beziehen sich auf Zuwendung als auch auf Herrschaft. Die darin ent-
haltenen Nuancen erschließt erst eine eingehende Betrachtung der möglichen Kron-
leuchterfiguren:

Hierzu gehört die Gruppe der Engel (Abb. 130-142). Sie sind in Erz- und Friedensen-
gel zu unterteilen.480

Im Gegensatz zu den Friedensengeln wirken die Erzengel in ihrer Tunika – gegebe-


nenfalls Peplos – und mit ihren hohen Kronen (im Stile nordeuropäischer oder nord-
deutscher Adelskronen) stattlich. Wie die oben vorgestellten profanen Bewaffneten
können sie in ihrer Rechten ein Schwert führen. Und in der Verbindung mit einer
Waage in der Linken sind dies die Attribute des Erzengels Michael in der ihm zuge-
schriebenen Funktion des Seelenwägers. Dort – wie auch als Darstellung des Dra-
chenkämpfers mit der Lanze – tritt er mit einer Art Loros oder gekreuzten Brustrie-
men auf.

Vergleichbare Statuetten bekrönten Schaftkronleuchter der Evangelischen Kirchen


Buttforde (1650) und Brevörde/Niedersachsen, doch hält die Kronleuchterfigur in
Brevörde außer dem Schwert in der Rechten den Kopf eines Enthaupteten in der Lin-
ken. In dieser Verbindung und als kirchliches Kunstgut liegt die Interpretation der
Darstellung als biblische Gestalt „Judith“ mit dem Haupt des Holofernes nahe.481 An-
gesichts des bisher ermittelten Motivschatzes auf Schaftkronleuchtern des 16. bis
18. Jahrhunderts wäre die Authentizität des Beigefügten zu untersuchen.

Die potenziellen Attribute, das heißt Schwert und Waage, des Erzengel Michael kenn-
zeichnen auch Justitia, die auf Schaftkronleuchtern in Norddeutschland ohne die cha-
rakteristische Augenbinde und stattdessen als geflügelte, betont feminine Gestalt in
Kontrapost die himmlische bzw. göttliche Gerechtigkeit personifiziert.482

Fragen zur künstlerischen Freiheit sowie zur Ikonographie der Figuren und mögli-
cherweise später durchgeführten Veränderungen stellem sich unter anderem ange-
sichts der annähernd adäquater Bekrönungen der Schaftkronleuchter in Borstel/Nie-
dersachsen (1656) und Hemme/Schleswig-Holstein (1668) aufgrund des einerseits
vorhandenen, andererseits fehlenden Rangzeichens. Und gegenüber diesem mäd-
chenhaften Figurentyp wären des Weiteren die im Sinne des Barock üppiger propor-

480
H. W. Hegemann, Der Engel in der deutschen Kunst, Brünn, München, Wien 1943. – A. Rosenberg,
Engel und Dämonen, 1967. – LCI, Bd. 1, Sonderausgabe 1994, Sp. 626 ff., 674 ff.
481
A. Straten, Das Judith-Thema in Deutschland im 16. Jahrhundert. Studien zur Ikonographie, 1983. –
LCI, Bd. 2, Sonderausgabe 1994, Sp. 454 ff. – Vgl. Altes Testament, Buch Judit, in: Neue Jerusale-
mer Bibel, 1985, S. 593 ff. und 609 ff.
482
E. v. Moeller, Die Augenbinde der Justitia, in: Ztschr. f. christl. Kunst, 8. Jg. 1905, Nr. 4, Sp. 107-
122 und Nr. 5, Sp. 141-152. – Ders., Die Wage der, in: Ztschr. f. christl. Kunst, 20. Jg. 1907. Nr. 9,
Sp. 269-280; Nr. 10, Sp. 292-304 und Nr. 11, Sp. 345-350. – LCI, Bd. 2, Sonderausgabe 1994,
Sp. 466 ff. - Im Allgemeinen s. Recht und Gerechtigkeit im Spiegel der europäischen Kunst, 1988.
Bekrönungsfiguren Seite 152

tionierten, geflügelten Gerechtigkeitsdarstellungen – unter anderem in Ze-


ven/Niedersachsen (1660) oder die Kronleuchterfigur (Abb. 139) im Adeligen Kloster
Preetz (1738) – in Betracht zu ziehen.483 Letztere weist den gleichen Habitus auf wie
die Statuetten der Schaftkronleuchter in Seester/Schleswig-Holstein oder Zeven,
trägt aber keine Krone und anstelle dessen vermutlich fehlplatzierte Rosetten ober-
halb des Kopfes sowie zu Füßen. Tugendfiguren als maßstäblich untergeordnetes
Gestaltungsmittel des Schaftkronleuchters in Preetz/Schleswig-Holstein bilden – wie
die im Zusammenhang mit älteren Schaftkronleuchtern und profanen Motiven bereits
thematisierten Subfiguren – gemeinsam mit der Topfigur das ikonographische Pro-
gramm.

Von diesen ikonographisch vergleichbaren Bekrönungen unterscheidet sich die Grup-


pe der Friedensengel. Vielfach ist es das mittels Körpergröße, hemdartiger Gewan-
dung und Lockenkopf oder Haarlocken geprägte juvenile, bisweilen infantile Erschei-
nungsbild (Hamburg-Kirchwerder, Evangelische Kirche St. Severin).484 Dieses kann
allerdings je nach Provenienz der Statuetten auch in der Modellierung des Erzengels
Michael in seiner Funktion als Drachenkämpfer auftreten (Stade, Evangelische St.
Wilhadi-Kirche).485 Ihre Gestik ermöglicht eine eindeutige Unterscheidung zwischen
beiden. Die in der Regel seitlich des Körpers ausgestreckten Arme des Friedensen-
gels lassen weder auf eine Kampfes- noch Abwehrhaltung, sondern auf das Über-
bringen oder – Beispielen von 1696486 zufolge – die Präsentation besonderer Gaben
schließen – das heißt die Attribute der Friedensengel sind üblicherweise Palmwedel
und Lorbeerkranz (Kronleuchter des 17. Jahrhunderts in Bielefeld, Evangelische St.

483
Zu den genannten Orten: Fotografie des Kronleuchters in Brevörde von der Firma Paul Oehlmann,
Bielefeld. – Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen. Regierungsbezirk Stade. Landkreis Stade.
Textband 1965, S. 115. – Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 465. – Die Kunstdenkma-
le des Landes Niedersachsen, Bd. 42. Die Kreise Rotenburg, Verden und Zeven. Neudruck des ge-
samten Werkes 1889-1976, S. 227. – Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 600. – Weite-
re Schaftkronleuchter u.a. in Bielefeld/Nordrhein-Westfalen, Evangelische St. Nikolai-Kirche, 1637;
Hamburg-Harburg, 1645; Rotenburg, 1646 und Norden 1650 und Haseldorf/Schleswig-Holstein, Bar-
dowick/Niedersachsen, 1664; Oberndorf und Hessisch-Oldendorf/Niedersachsen, 17. Jh.; Höx-
ter/Nordrhein-Westfalen, 1699; Zellerfeld, 1705 in Niedersachsen; Itzehoe/Schleswig-Holstein,
1716.
484
Die Bau- und Kunstdenkmale der Freien und Hansestadt Hamburg. Bergedorf. Vierlande. Marschlan-
de, 1953, S. 112. – Vgl. Lauenburg, Evangelische St. Maria-Magdalenen-Kirche, Kronleuchter von
1644; s. Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 350. – Zum Kronleuchter „Engel“ in der
Evangelischen St. Maria-Magdalenen-Kirche variieren die Datierungen zwischen 1700, 1732 und
1750; s. Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 540 und vgl. G. Dehio, Handbuch der
deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg. Schleswig-Holstein, 2. stark erw. und veränd. Aufl. 1994,
S. 152.
485
Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen. Regierungsbezirk Stade. Stadt Stade, Textband,
1960, S. 67, Nr. 60 und S. 112, Nr. 74.
486
Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen. Kreis Bielefeld-Stadt. 1906. S. 13, 18 und Taf. 13. –
A. G. Kamm, Bielefeld erforscht neuzeitliche Schaftkronleuchter aus Metall in Nordrhein-Westfalen. –
Die Kunstdenkmale Hannovers. III. Regierungsbezirk Lüneburg. 2 und 3: Stadt Lüneburg, 1906, S.
116 (Kronleuchter 1662/67). – Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 260, 594. Die Be-
schreibung der Kronleuchterfigur (1684) in der Evangelischen St. Michaeliskirche trifft auf den Be-
stand dieses Inventarstückes zu. Doch die Haltung und Gestik der Statuette widersprechen einer Be-
waffnung wie der gegenwärtigen. – Vgl. u.a. Friedensengel in Preetz, wie vorstehend S. 594, ferner:
Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, IV. Bd.: Die
Amtsgerichtsbezirke Schwaan, Bützow, Sternberg, Güstrow, Krakow, Goldberg, Parchim, Lübz und
Plau, 2. Aufl. 1901, S. 247, 249.
Bekrönungsfiguren Seite 153

Nikolai-Kirche; Eutin, Evangelische St. Michaelis-Kirche; Güstrow, Evangelische St.


Marien-Kirche; Preetz, Evangelische Stadtkirche St. Lotharii). Weitere Beispiele –
unter anderem in Schleswig-Holstein: Barmstedt, Heide oder in Brandenburg: Bees-
kow und Wittstock a. D. wären hinsichtlich Habitus, Haartracht, Gewandung und Att-
ribute zu untersuchen.

Der Friedensengel als ikonographische Lichtgestalt kann zusammen mit der Inschrift
eines Kronleuchters (s. Jork/Stade, Evangelische Kirche St. Matthias, Kronleuchter,
inschriftlich datiert 1667) deutlich auf die Gnade Gottes Bezug nehmen, die über die
Erwartung eines tugendhaften Lebens gestellt und zur Grundlage allen Seins und
Handelns deklariert ist. So erläutert die Inschrift gemäß 2. Petrus, Kapitel 1 im Neu-
en Testament der Bibel:

„Gottes Freigebigkeit: Alles, was für unser Leben und Frömmigkeit gut ist, hat seine
göttliche Macht uns geschenkt; … Darum setzt allen Eifer daran, mit eurem Glauben
die Tugend zu verbinden …“ Und weiter heißt es: „Das prophetische Wort: Dadurch
ist das Wort des Propheten für uns noch sicherer geworden, und ihr tut gut daran, es
zu beachten, denn es ist ein Licht, das an einem finsteren Ort scheint“.487

Auf einem anderen Kronleuchter bekennt dessen Stifter: „Christi Blut und Gerechtig-
keit dat is mein smught (Schmuck) und Ehrenkleit. Darmit will ich vor Govt (Gott)
Besten (bestehen) wen ich will in den Hemmel (Himmel) gehn“.488

Hinsichtlich weiterer Bekrönungen auf Schaftkronleuchtern aus Messing des 17. und
18. Jahrhunderts (Glückstadt, Evangelische Stadtkirche, 1652-1655; Minden, Evan-
gelische St. Martini-Kirche, 1652; Schleswig, Dom, 1661) ist auf das oben Gesagte
zu verweisen, dass diese kaum mehr aus einem zeitlichen (nicht räumlichen!) Ne-
beneinander der Motive „Muttergottes“, „Gnadenstuhl“ und „Salvator mundi“ wie in
der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts bestehen, das zum Teil die frühneuzeitlichen
Schaftkronleuchter prägt.

Außer der nun stärker verbreiteten Statuette des Heilandes – realitätsnah und ohne
Strahlenkranz (Abb. 113, 114) – kommen des Weiteren die – auf anderen kunst-
handwerklichen Medien lange gebräuchliche – symbolische Figur des Pelikans als Be-
krönung von Schaftkronleuchtern vor (Kiel, Evangelische St. Nikolaikirche, Kron-
leuchter 1638; Stralsund, Evangelische St. Marienkirche, Kronleuchter von Jochim
Ebe(r)ling ausgeführt, 1649; Reepsholt, Evangelische Kirche St. Mauritius, Kron-
leuchter 1665; Leck, Evangelische Kirche St. Willehard, Kronleuchter 1678: Keitum
(1683); Norden (1689); Buttforde, Evangelische Kirche St. Marien, Kronleuchter
1693; Kopenhagen, Heiliggeistkirche sowie Karlum, Evangelische Kirche, Kronleuch-

487
750 Jahre Jork-Borstel 1221-1971, Bd. 1. Hg. C. Röper, 1971, S. 70, 164. – Laut Bestandsaufnahme
1986 durch H. v. Poser, Referat für kirchliche Kunst, Landeskirchenamt der Evangelischen Landeskir-
che Hannovers. – Zur Inschrift; s. Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung, 1985, S. 1768 f.
488
Inschrift des Kronleuchters (gekrönter heraldischer Doppel-Adler/Kugel, 1666 mit Wappen von Sa-
lomo Wissels und Christian Buske in der Evangelischen St. Johannes-Kirche Lüneburg. – Die Wid-
mung des zwei Jahre jüngeren Kugelkronleuchters „Engel“ in Hemme/Schleswig-Holstein beginnt mit
einem Zitat aus Philipper 3, 8; s. Neue Jerusalemer Bibel, Einheitsübersetzung, 1985, S. 1707.
Bekrönungsfiguren Seite 154

ter 17. Jahrhundert; Morsum/Sylt, Evangelische Kirche St. Martin, Kronleuchter 1713
Hamburg-Ottensen/1738) (Abb. 116-119).489

Der sich atzende Pelikan, der mit seinem Blut seine Jungtiere nährt, symbolisiert in
dieser Zuwendung die Liebe Gottes zu den Menschen. Diese zeigt sich in der Erlö-
sung durch den Opfertod und die Auferstehung Christi.

Sowohl zur Topfigur „Salvator mundi“ (Mitte des 17. Jahrhunderts in Aachen sowie in
Schleswig) als auch zu jener des Pelikans (Kiel, Evangelische St. Nikolai, Kronleuch-
ter 1638) können die Apostel als modellierte Subfiguren hinzutreten.

Dass Subfiguren ergänzend zur Bekrönung eines Schaftkronleuchters früher, das


heißt sowohl Mitte des 16. Jahrhunderts als auch während der Spätgotik vorkommen
können, zeigen diese Exemplare:

1. „Salvator mundi“ (1557) in der Evangelischen St. Marien-Kirche in Stralsund. Hier


schmückt das Motiv „Kluge (und törichte) Jungfrauen“ das Bildprogramm aus. (Evan-
gelium des Matthäus, Kapitel 25, Verse 1-13) Als stereotype Darstellung an den äuße-
ren Enden der Leuchterarme scheinen sie entsprechend der Masken an Kronleuch-
tern der Renaissance in Ostdeutschland die Aufgabe eines typischen Gestaltungsmit-
tel zu erfüllen. Indem die behelmten Figuren mit angedeuteter Lorica und Blätterrock
wie eine Herme aus den Leuchterarmen hervortreten und jeweils eine Wachsschale
des unteren Lichtkranzes tragen, nehmen sie den Charakter einer Subfigur an.

489
Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen. Regierungsbezirk Stade. Landkreis Stade, Textband,
1965, S. 84, Nr. 9 (Balje, Kronleuchter mit Muttergottes, 1562, nicht mehr erhalten). – G. Dehio,
Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen. Niedersachsen, Neubearb., stark erw. Aufl.
1992, S. 678 f. (Helmstedt „Ev. Kirche St. Stephani, Taufkrone mit Trinitätsgruppe zum Taufbecken,
Messingguss, 1590 von Mante Pelkinck, Hildesheim und Verbindungen nach Peine). – Siehe auch
U. Mathies, 1998. – Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen. Regierungsbezirk Stade. Stadt
Stade, Textband 1960, S. 66, Nr. 58 und ebd., Bildband 1961, Nr. 78, 81. – Die Baudenkmäler des
Regierungsbezirks Stralsund. H. IV: Der Kreis Rügen, 1897, S. 449 f. – Die Kunst- und Geschichts-
denkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin. II. Bd.: Die Amtsgerichtsbezirke Wismar,
Grevesmühlen, Rehna, Gadebusch und Schwerin, 2. Aufl. 1899, S. 117, Nr. 17. – G. Dehio, Hand-
buch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg. Schleswig-Holstein. 2. stark erw. und veränd. Aufl.
1994, S. 293, 369, 378, 425, 637, 783. – G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler Bre-
men. Niedersachsen. Neubearb., stark erw. Aufl. 1992, S. 1110. – R. A. Peltzer‚ Geschichte der Mes-
singindustrie, 1909, S. 128 ff. und Taf. 8. – RDK, Bd. IV, 1958, Sp. 4. – Berichte des Landesamtes
für Denkmalpflege Schleswig-Holstein, in: Nordelbingen 28/29, 1960, S. 297 f., Abb. 8. – Kunst-
Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 32 und Abb. 81. – Vgl. Die Bau- und Kunstdenkmale der
Freien und Hansestadt Hamburg, Bd. II: Altona. Elbvororte, 1959, S. 71 und Abb. 43. – Die Bau-
denkmäler des Regierungsbezirks Stralsund, H. V: Stadtkreis Stralsund, 1902. S. 450 f. – G. Dehio,
Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Mecklenburg. Neubrandenburg. Rostock. Schwerin, 1980,
S. 392. – Die Bau- und Kunstdenkmale in Mecklenburg-Vorpommern. Vorpommersche Küstenregion,
1995, S. 144. – In keinen dieser amtlichen Länderinventare und auch nicht bei N. Zaske, Die goti-
schen Kirchen Stralsunds und ihre Kunstwerke, 1964, S. 202, und aktuellen Kunstführer zur Evange-
lischen St. Marien-Kirche Stralsund wird die Inschrift auf der unteren Rosette des Pelikan-
Kronleuchters (1649) ME FECIT JOCHIM EBERLING erwähnt. – Danmarks Kirker. København, 1. Bd.:
1945-1958, S. 693 ff. – Siehe zu Pelikan-Kronleuchtern ferner: S. Erixon, 1943. S. 85 (Kronleuchter,
1690) und s. Danmarks Kirker. Frederiksborg Amt, 4. Bd., 1975, S. 2273 (Kronleuchter 1682). –
Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 403 (Kronleuchter 1780), 909. – C. Waagepetersen,
a.a.O. – Zur Tierssymbolik s. u.a. S. Beissel, Zur Geschichte der Tiersymbolik in der Kunst des Abend-
landes, in: Ztschr. f. christl. Kunst, 14. und 15. Jg., 1901/03, Sp. 275-286, 51-62. – LCI, Bd. 3, Son-
derausgabe 1994, Sp. 390 ff. – Ebd., Bd. 4, Sp. 315 ff. – Zu Gottesbildern; s. u.a. A. Krücke, Der
Protestantismus und die bildliche Darstellung Gottes, in: Ztschr. f. Kunstwiss. 13, 1959, S. 59-90.
Bekrönungsfiguren Seite 155

2. Die Subfiguren des Tabernakelkronleuchters von s’Hertogenbosch/Niederlande


(1424) sowie der zuvor genannten, jüngeren Kronleuchter sind vollplastische Statu-
etten und befinden sich in der Regel mittig auf den Armen eines Licht- oder Zierkran-
zes.

Diese Komposition aus bekrönender Christusfigur oder Pelikan als christliches Sym-
bol mit biblischen Gestalten erscheint in der Einzelbetrachtung plausibel, wirft aber in
der Gegenüberstellung der vergleichbaren Kronleuchter Fragen auf. Angesichts der
zuvor genannten Exemplare (insbesondere Schleswig, Dom, Kronleuchter 1661 von
Johann Adolf Kielmann von Kielmannsegg gestiftet) sowie des anderen Kronleuchters
(1661) in der Evangelischen St. Nikolai-Kirche in Kiel mit der als Heiliger Nikolaus
gedeuteten Topfigur handelt es sich auch hier um einen universellen Figurentyp.
Denn die so gedeutete Statuette trägt keine Bischofsmütze, so dass sie den Darstel-
lungen des Salvator mundi der besagten Kronleuchter vergleichbar erscheint. Über
die im Kunstdenkmälerinventar angedeuteten Parallelen hinaus490 weist in der Evan-
gelischen Stadtkirche Glückstadt ein weiterer Schaftkronleuchter (1655) mit der Be-
krönung des „Salvator mundi“ vergleichbare stilistische Merkmale auf und zeitigt
zugleich Qualitätsunterschiede.

In diesem Zusammenhang sei noch einmal auf das Beispiel aus der Heiliggeistkirche
in Kopenhagen/Dänemark hingewiesen, dass mit der Bekrönung des sich atzenden
Pelikans gegenüber anderen Metallkronleuchtern thematisch vergleichbar und doch
in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich erscheint (Abb. 116-119). Zum einen ist es die
Kombination des Pelikans mit den untergeordneten, musizierenden Satyrn, obschon
auch diese im christlichen Sinne eine moralisierende Anspielung erfüllen können.
Zum anderen ist es die säulenartig gestreckte Morphologie des zum Teil aus Edelme-
tall gefertigten Schaftkronleuchters und eingebauter Uhr mit Räderwerk. Dass dieses
bei Metallkronleuchtern des 17. Jahrhunderts kein Einzelfall, indes eine Besonderheit
gewesen sein dürfte, lassen die Reisebeschreibungen des Adam Olearius als Angehö-
riger der holsteinischen Gesandtschaft von Schloss Gottorf in Schleswig an der Auf-
listung der nach Moskau und Persien mitgeführten Gastgeschenke erkennen.491 Die
Messbarkeit und Vergänglichkeit der Zeit stehen dabei außer Frage – im Gegensatz
zur „propagatio fidei per scientias“.

Neben Pelikan und Salvator mundi befinden sich unter den potenziellen Motiven auf
Schaftkronleuchtern aus Messing des 17. und 18. Jahrhunderts in Norddeutschland
vier Darstellungen der Caritas als Inbegriff der Tugend. Drei dieser vier Leuchter, das
heißt jene in Werdum (1692 bezeichnet), Keitum/Sylt und Rendsburg-Neuwerk (17.
Jahrhundert) – mithin auf die Nordseeküste Niedersachsens und Schleswig-Holsteins

490
Die Kunstdenkmäler des Landes Schleswig-Holstein. Stadt Schleswig, 2. Bd., 1966, S. 494 ff., ins-
bes. S. 495 f.
491
A. Olearius, Moskowitische und Persische Reise. Die Holsteinische Gesandtschaft beim Schah, 1633-
1639, Hg. D. Haberland, 1986, S. 251. – Siehe auch Kap. 1.3.1 der vorliegenden Studie „Lux ad il-
luminandas gentes“. – Schlanke, hohe Schaftkronleuchter mit drei Lichtkränzen aus Messing des 17.
Jahrhunderts, aber jeweils anderen Bekrönungen sind erhalten in: Bielefeld, Evangelische Nikolaikir-
che/Nordrhein-Westfalen; Rostock, Evangelische Kirche St. Marien/Mecklenburg-Vorpommern.
Bekrönungsfiguren Seite 156

verteilt – sind nahezu identisch und unterscheiden sich von dem vierten Exemplar
(18. Jahrhundert) in Nordhorn/Niedersachsen (Abb. 149-151).

Die zuerst genannten Beispiele zeigen Caritas als jugendliche Frau mit lieblichem
Gesicht, wallenden Haarlängen und zwei bis drei Kindern auf den Armen und zur Sei-
te. Es sind darin Parallelen zu Darstellungen der Muttergottes und den spielenden
Knaben Jesus und Johannes (der Täufer) erkennbar.

Diese Personifikation der Liebe, der Liebe zu Gott und zum Nächsten ist der deutliche
Gegenpol zur Lasterhaftigkeit und lässt sich insofern im Sinne der einleitend erwähn-
ten Lichtsymbolik interpretieren. Wie die Kronleuchter „Salvator mundi“ und „Peli-
kan“ weisen auch die Caritas-Leuchter Subfiguren auf den Leuchterarmen auf. Dabei
vermitteln die Putti mit ihren Sinnsprüchen am Kronleuchter in Rendsburg (Christkir-
che) das vollständigste Bild(programm) unter diesen vier Exemplaren.

Die Verse lauten:


Die Welt ist ein Leuchter ohn Licht
wan Lieb und Freud drin scheinet nicht

Das Gemach in dem Lieb und Fried brennt


wird ein Tempel des Geistes genannt

Die Liebesflamme das Mutterherz entzündet


dass es fühlet Freud und Schmerz

O Herz erleucht die Christenheit


Mit Lieb und Freudt zu aller Zeit

Der Fried der gülden Leuchter ist


Den frage bey uns Jesu Christ

Ein Leuchter ist ein christlich Hertz


drin stekt die Lieb und brint aufwärts

Ein Leuchter ziert ein schön Gemach


die Lieb desgleich das Glaubensfach

Wan der Fried leucht und die Lieb flammt


So wirdts wolgehn uns allensampt.

Prozentual zum Gesamtbestand an Kronleuchtern aus Messing des 17. und 18. Jahr-
hunderts in Norddeutschland ist die ikonographisch eindeutig zu identifizierende Sta-
tuette der Caritas selten vertreten. Und erst die Zusammenschau mit den beiden
zuvor beschriebenen Bekrönungen erlaubt eine andere Gewichtung und Aussage zum
ikonographischen Programm von Kronleuchtern.492

Als weitere Einzelfiguren christlicher Ikonographie auf Kugelkronleuchtern des Barock


können die Apostel Paulus (Breklum/1694) und Johannes (Steinkirchen/Elbe, Kron-

492
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen. Niedersachsen, Neubearb., stark erw.
Aufl. 1992, S. 995, 1344. – Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 642, 909. Die Quellen-
studien zu Kronleuchtern in den Archiven der evangelischen Kirchengemeinden in Rendsburg und
Werdum führten zu keinen neuen Erkenntnissen. – Vgl. I. Kaiser, Die Tugend- und Lasterdarstellun-
gen im 16. Jahrhundert, Dissertation Salzburg, 1974 S. 2. – LCI, Bd. 1, Sonderausgabe 1994,
Sp. 349 ff.
Bekrönungsfiguren Seite 157

leuchter, (1779), Johann Nikolaus Biber aus Hamburg zugeschrieben) vertreten


sein.493

Der radikale Lebenswandel vom Christenverfolger zum bekennenden Christen prä-


destinieren Paulus für diese Position wie den Apostel Johannes als treuen Gläubigen
und so genannten Lieblingsjünger Jesu. Es stellt sich allerdings auch hier die Frage,
ob beide Apostel vornehmlich im Sinne der älteren kunstwissenschaftlichen For-
schung und in erster Linie als Vorbilder einer tugendhaften Lebensführung zu sehen
sind. Ist nicht vielmehr ihr Bekenntnis zum Glauben, sowie die darin sichtbare Tradi-
tion des Christentums und die als Grundrecht erkämpfte Religionsfreiheit das we-
sentliche Kriterium, um Schaftkronleuchter aus Metall zu betrachten und ihre Bedeu-
tung zu ermessen? Bilden nicht erst die hier dargelegten Korrelationen, die auf die
Gnade Gottes hinweisen d a s Fundament? Oder stehen sie tatsächlich im Interesse
einer Sozialdisziplinierung, um moralisierend-ethische Ansprüche zugunsten neuer
Formen der Herrschaft darauf aufbauen zu können?

Im Gegensatz zum Motivschatz spätgotischer und frühneuzeitlicher Schaftkronleuch-


ter sind Darstellungen der Muttergottes oder Heiligenfiguren als Bekrönungen neu-
zeitlicher Beleuchtungsgeräte kaum noch zu finden (Stralsund, Evangelische St. Ni-
kolaikirche, Kronleuchter mit Madonna auf Kogge, 17./18. Jahrhundert und Husum,
Evangelische Marktkirche, Kronleuchter mit heiliger Elisabeth, 1650 (nicht erhal-
ten)).494

Schließlich bilden einige mythologische Gottheiten der Römer weitere Gruppen mög-
licher Statuetten auf Schaftkronleuchtern aus Metall des 17. und 18. Jahrhunderts.

Die Gestalt des Jupiter, der auf einem Adler reitet, ist als Kronleuchterfigur weit und
häufig verbreitet (Abb. 120-124). Mit jeweils circa 20 Exemplaren in den norddeut-
schen Bundesländern: Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Hol-
stein sind dort – nach bisheriger Kenntnis – mehr als das Doppelte an Schaftkron-
leuchtern mit Jupiter auf Adler erhalten als in den übrigen Bundesländern insgesamt.
Demgegenüber ist der Bestand an heraldischen Doppel-Adlern als Kronleuchterbe-
krönung hier wie dort mit circa 200 Exemplaren etwa gleich groß. Geringfügige Un-
terschiede in der Darstellung des Jupiter sind anhand der Haartracht, der Armhaltung
sowie an der Draperie des Tuches festzustellen (unter anderem in Bad Oldesloe, E-
vangelische St. Peter-und-Paul-Kirche, Kronleuchter 1634 und vgl. Kronleuchter von
1644 der Evangelischen St. Maria-Magdalena-Kirche in Lauenburg gegenüber Fried-
richstadt, Evangelisch-lutherische Kirche, Kronleuchter 1698 und Hamburg-

493
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg. Schleswig-Holstein. 2. stark erw. und
veränd. Aufl. 1994, S. 192 und LDSH JI.FA 45/9 und JI.FA 44/44. – Die Kunstdenkmale des Landes
Niedersachsen. Regierungsbezirk Stade. Landkreis Stade, 1965, S. 591, Nr. 22. – Siehe auch die
Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck.
494
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Mecklenburg. Neubrandenburg. Rostock.
Schwerin, 1980, S. 386. – C. Beccau, Versuch einer urkundlichen Darstellung der Geschichte Hu-
sums bis zur Erteilung des Stadtrechts, 1854, S. 170. – Die Kunstdenkmäler der Provinz Schleswig-
Holstein. Kreis Husum, 1939, S. 112. – Die Kunstdenkmale der Provinz Hannover. I. Regierungsbe-
zirk Hannover. Stadt Hannover, 1932, S. 190. – Vgl. Doppelstatuette Salvator mundi/Apostel Andre-
as in Hildesheim, Kirche St. Andreas.
Bekrönungsfiguren Seite 158

Kirchwerder (1656), ferner zum Beispiel Kotzenbüll (1752), Preetz/Schleswig-Hol-


stein, Adeliges Kloster; Rendsburg, Evangelische Christkirche oder Wilster Stel-
lau/Wrist (1700), Schobüll (1701), Grömitz sowie Gelting (1724) sowie Grimmen
oder Rostock (1686)/Mecklenburg-Vorpommern). Erst die Systematisierung des um-
fangreichen Bestandes an Schaftkronleuchtern aus Messing des 16. bis 18. Jahrhun-
derts und die Gruppierung ikonographisch vergleibarer Bekrönungsfiguren erlauben
eine Aussage zur Ästhetik dieser Beleuchtungsgeräte. Dies lässt sich an der Statuette
„Jupiter“ exemplifizieren: Nach der Durchsicht von bis zu 2000 Einträgen zu
Schaftkronleuchtern und der Besichtigung von etwa 200 Exemplaren an ihren Be-
stimmungsorten kommt gerade die „nackte Gestalt des Jupiter, auf einem Adler rei-
tend, die Blitze in der erhobenen Hand“ als Bekrönung eines Renaissance- bzw. Win-
kelarmkronleuchters aufgrund der Proportionen und Ikonographie in der Regel nicht
vor (Abb. 120)! Dort kann diese römische Gottheit als antikisierender römischer Sol-
dat gestaltet sein. Denn als solcher ist Jupiter als Garant für Recht und Ordnung auf
Graphiken der deutschen Kleinmeister des 16. Jahrhunderts dargestellt. Gleichwohl
tritt der Figurentyp „Römischer Soldat“ vereinzelt noch auf Kugelkronleuchtern des
Barock auf. 64 erhaltenen Leuchtertypen und Bekrönungen jener Zeit in Nord-
deutschland zufolge ist dies an sich der übliche Platz für das Motiv „Jupiter auf Adler“
als eines unter mehreren barocken – und hier kurz charakterisierten – Kronleuchter-
bekrönungen.495

Des Weiteren kommen zwei Beispiele der römischen Jagd- und Lichtgöttin „Diana“
vor (Evangelische Kirche St. Jacobi in Stralsund, Kronleuchter 1671 gestiftet und
Evangelische Stadtkirche Glückstadt, Kronleuchter 1684 – beide wohl von A. Leh-
meyer gefertigt (Abb. 111, 112).496

Die Statuette der Fortuna bekrönt einen Kronleuchter (Anfang 17. Jahrhundert) in
der Evangelischen St. Johannis-Kirche in Flensburg (Abb. 152)497 und mit „Minerva“

495
Die Bau- und Kunstdenkmale der Freien und Hansestadt Hamburg. Bergedorf, Vierlande, Marschlan-
de, 1953, S. 112. – Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 844, 668, 224, 350, 600, 642,
831, 823, 443, 502, 289. – Die Bau- und Kunstdenkmale in Mecklenburg-Vorpommern. Vorpommer-
sche Küstenregion. Mit Stralsund, Greifswald, Rügen und Usedom, 1995, S. 44. – Die Bau- und
Kunstdenkmale in der DDR. Mecklenburgische Küstenregion. Mit den Städten Rostock und Wismar,
1990, S. 392 (Die Jahreszahl 1686 ist Teil der Inschrift des Kronleuchters Jupiter auf Adler im Chor
der Evangelischen St. Marienkirche in Rostock).
496
Die Baudenkmäler des Regierungsbezirks Stralsund, H. IV: Kreis Rügen, 1897, S. 403. – N. Zaske,
Die gotischen Kirchen Stralsunds und ihre Kunstwerke, 1964, S. 231. – F. Michaelsen, Die Glück-
städter Lichterkronen, in: Steinburger Jb., 1965, S. 91-99, insbes. S. 95. – G. Köhn, Zur Geschichte
der Glückstädter Handwerksämter, in: Glückstadt im Wandel der Zeiten, 1966 S. 118 – Kunst-
Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 785 und Abb. 2123, 2125. – G. Dehio, Handbuch der
deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg. Schleswig-Holstein. 2. stark erw. und veränd. Aufl. 1994, S.
293 und s. Kap. 6 der vorliegenden Studie „Lux ad illuminandas gentes“.
497
Die Kunstdenkmäler des Landes Schleswig-Holstein. Stadt Flensburg, 1955, S. 228. – Vgl. S. Erixon,
Mässing, 1943, S. 89, Abb. 64 (Kronleuchter 1688). – Der Mensch um 1500. Werke aus Kirchen und
Kunstkammern, Ausst.-Kat. Skulpturengalerie Berlin, SMPK 1977 (Zum 17. Deutschen Evangelischen
Kirchentag), S. 115-122, insbes. S. 118, Abb. 86.
Bekrönungsfiguren Seite 159

wird die Topfigur eines nicht mehr erhaltenen Kronleuchters (1686) der Evangeli-
schen St. Martini-Kirche in Halberstadt beschrieben.498

Häufig als nackte Frauenfigur in Kontrapost mit sinnlicher Wirkung wiedergegeben,


stellt die römische Göttin Fortuna (griechisch: Tyche) das Schicksal dar, das heißt
das, was Menschen trifft. Aufgrund der Nacktheit weicht sie – wie die Motive „Wilde
Leute“ und „Jupiter auf Adler“ von anderen Kronleuchterbekrönungen ab – nicht je-
doch von verbreiteten Zierspangen, das heißt von entblößten Mädchenleibern der
Sirenen an Schaftkronleuchtern oder allgemeinen Themen der Renaissancezeit.499

Die bekrönende Statuette des Kronleuchters in Flensburg steht in einem Tempietto.


Sie hält zwischen den seitlich des Körpers diametral ausgestreckten Armen ein (vom
Wind) aufgeblähtes Ra-Segel. Dieses weist wie das Steuerrad (der Tyche) und ange-
sichts des Kontrapost sowohl auf Unbeständigkeit als auch auf die Lenkerin des
Schicksals hin. Die Morphologie und Proportionen des Schaftkronleuchters „Fortuna“
vermitteln diesen Bezug zwischen Topfigur und Kugel. Es bestehen Parallelen zum
Plakettenmodell (1530/40) Joachim Forsters. Morphologische Details (muschelförmi-
ge Wachsschalen) sind jünger.500

Der christlichen Glaubenslehre zufolge erscheint das Motiv „Fortuna“ im kirchlichen


Verwendungszusammenhang, das heißt angesichts der Lichtsymbolik von Leuchtern
ungewöhnlich und nur als Antithese zur göttlichen Gerechtigkeit verständlich.501

Ethymologisch von ferre, das heißt: Tragen, Bringen, Schutz für Transporte502 und
geographisch betrachtet, das heißt: Flensburg – Hafen und Handel, Neustadt – E-
vangelische Kirche St. Johannis503 dokumentiert dieser Schaftkronleuchter eine be-
sondere Verbindung zum Bestimmungsort; hinsichtlich untergeordneter, plastischer
Details: Vögel (vgl. Kronleuchter, 1666 der Evangelischen Kirche in Rehna/Mecklen-
burg-Vorpommern) oder Masken (vgl. Kronleuchter, 17. Jahrhundert, Evangelische
Kirche in Oberndorf bei Cuxhaven) wäre dieser Kronleuchter einer unter vielen. Die
ziselierte Kugel als Auflager ist ein weiteres, kunsthandwerkliches Qualitätsmerkmal.

498
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, XXIII. H.,
Kreis Halberstadt Land und Stadt, 1902.
499
Vgl. vasa sacra des 17. Jahrhunderts – unter anderem die Henkel der Humpen (1631 datiert) in
Lütjenburg, Evangelische St. Michaeliskirche und (1688 datiert) in Petersdorf/Fehmarn, Evangelische
Kirche. – Siehe Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 5. Aufl. 1982, S. 533, 583. – H. Hunger,
1958, S. 377 f.
500
Ebd., S. 415. – Deutsche Kleinplastik der Renaissance und des Barock. Bearb. von J. Rasmussen.
Mus.-Kat., Hamburg 1975, S. 86 f.; Abb. 8 (Bilderhefte des Museums für Kunst und Gewerbe Ham-
burg, 12).
501
LCI, Sonderausgabe 1994, Sp. 53 f.
502
E. Simon, Die Götter der Römer, 1990, S. 65.
503
J. v. Schröder, Topographie des Herzogtums Schleswig, 2. Aufl. 1854, S. 142 ff.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 160

4. Unterhänge an Kronleuchtern des 16. und 17. Jahrhunderts aus


Metall

Die (doppelseitige) Löwenkopf-Maske mit Ring im Fang


Die Darstellung von Löwen und Löwenkopf-Masken kommt in der bildenden Kunst
häufig vor. Das Motiv hat eine lange Tradition.504

Dementsprechend vielschichtig ist die Ikonographie dieser Tierdarstellung. Sie kann


in der profanen Kunst bevorzugt Eigenschaften und Ideale - wie zum Beispiel Macht
und Stärke beschreiben oder innerhalb der kirchlichen Kunst in diesem Sinne sowohl
den Tod als auch die Überwindung desselben und die Auferstehung (in) Christi sym-
bolisieren.505

Auffallend oft kommen vollplastische Löwenkopf-Masken oder reliefierte Maskarons


mit Ring im Fang an diversen – vornehmlich repräsentativen – Objekten vor, die im
Zeichen von Rechtszusammenhängen, Herrschaft und Macht stehen (Abb. 104). Und
in der Regel sind sie dort vorhanden, wo Rechtsbereiche bzw. -räume, das heißt die
Immunität, wechseln.

So greift Mende anhand der kunstwissenschaftlichen Forschungen Meyers zum Lö-


wenkopf-Türzieher mit Ring im Fang, die häufig an Portalen exponierter Gotteshäu-
ser vorkommen, die Verbindungen zum Asylrecht, auf. Ein weiterer Aspekt ist die
apotropäische Bedeutung.506

Kocher zeigt aus rechtshistorischer Perspektive die Rechtsikonographie des Türringes


am Beispiel einer Miniatur auf, die die Zwangsvollstreckung an einem Haus dar-
stellt.507

Es erhebt sich die Frage, inwieweit vergleichbare Spezifizierungen für das Vorkom-
men von Löwenkopf-Masken mit Ring an kirchlichem Kunstgut möglich sind. Wäre
dort über die Akzeptanz der Herrschaft Gottes und den Wechsel vom Leben durch
den Tod zum Ewigen Leben hinaus der Appell an die Verantwortung für Rechtsberei-
che – unter anderem für Stiftungen – ablesbar?

Im Zusammenhang mit Leuchtern im Allgemeinen und Kronleuchtern aus Messing im


Besonderen, die häufig in Kirchen gestiftet werden, gibt es bisher keine ikonographi-
schen Untersuchungen zu daran vorkommenden Löwenmotiven (Abb. 13, 14, 92).

504
Siehe u.a. Kultbecken mit Reliefdarstellungen von Kriegern und Löwenköpfen aus Ebla, 2. Jt. v. Chr.,
Damaskus Museum. – Darstellungen des Löwen von Uruk (Palast Sargons II, 722-704 in Dur Schar-
rukin, jetzt im Louvre in Paris), zum Gilgamesch-Epos, 28.127. Jh. – Löwenkopf-Maske, E, 7. Jh. v.
Chr., Korfu Museum. – Sarkophag mit Gutem Hirten und Löwenköpfen, 4. Jh. (römisch), Paris, Louv-
re. – Pompeji, wiederentdeckter Ausst.-Kat., Hg. L. Franchi dell’Orto/A. Varone, 5. Aufl. 1993,
S. 173, Nr. 58.
505
S. Beissel, Zur Geschichte der Tiersymbolik in der Kunst des Abendlandes, in: Ztschr. f. christl.
Kunst, Jg. 24 und 25, 1901/03, Sp. 275-286, 51-62. – M. Lurker, Symbol, Mythos und Legende in
der Kunst. Die symbolische Aussage in Malerei, Plastik und Architektur, 1958. – LCI, Bd. 3, Sonder-
ausgabe 1994, Sp. 112 ff.
506
U. Mende, Die Türzieher des Mittelalters, 1981, S. 161 ff.
507
G. Kocher, Zeichen und Symbole des Rechts, 1992, S. 62, Abb. 87.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 161

Als Unterhang (ca. 80 Exemplare) der frühneuzeitlichen Schaftkronleuchter des 16.


bis 18. Jahrhunderts (ca. 980) in Norddeutschland mit ihren Bekrönungsfiguren in
Gestalt der Muttergottes, des Salvator mundi, der Söldner, Gerichtsdiener, der Wil-
den Leute sowie der gekrönten und ungekrönten heraldischen Doppel-Adler oder an-
derer Wappentiere (sitzender Löwe) kommt der Ikonographie dieser figürlichen Dar-
stellungen weniger Aufmerksamkeit zu als der Bedeutung des Rings im Fang. Dessen
hauptsächliche Einordnung als Zugvorrichtung zum praktischen Gebrauch von Kron-
leuchtern erscheint angesichts des Gewichts (Winkelarmkronleuchter aus Messing:
circa zwei Zentner) plausibel. Da allerdings die ausladenden, üppigen Kugelkron-
leuchter des Barock selten eine derartige Handhabe508 aufweisen, mutet die Definiti-
on fragwürdig an, solange keine Studien zur Hängung und Zugvorrichtung dieser
Objekte vorliegen (Abb. 48-50).

Sind es ästhetische Kriterien oder jene der barocken Inszenierung von Feiern, die
dazu führen, dass kaum noch ein Ring als vielmehr ein Knauf in Gestalt eines Bie-
nenkorbes, Zapfens oder einer Traube an der großen abschließenden Kugel barocker
Kronleuchter vorkommen?

Gegen die bisher ausschließlich funktional begründete Zweckbestimmung des Ringes


zur manuellen Bedienung und Höhenregulierung der Kronleuchter sprechen die feh-
lenden Gebrauchsspuren daran sowie eine Hängung am eisernen Gestänge (Abb. 53,
55). Gleichwohl sind nicht alle Unterhänge komplett erhalten oder sind nachträglich
ergänzt. Zudem erscheint die Löwenkopf-Maske mit Ring im Fang auch an vielen an-
deren Kunstgegenständen und Stellen, wo der Ring kaum aus praktischem Nutzen zu
begründen ist – wie zum Beispiel an Dalmatiken (wo dieses Detail offensichtlich kei-
nen Verschluss darstellt; 2. Hälfte 15. Jahrhundert, Brandenburg), an Predigtstühlen
(1591, Ribe/Dänemark, St. Katharinen -Kirche), ferner am Sockel von Gestühlskäs-
ten (Køge/Dänemark, St. Nikolai-Kirche), an Postamenten von Portalumrahmungen
(Wolfenbüttel, Evangelische Hauptkirche Beatae Mariae Virginis, Nordportal, datiert
1613; Hann.-Münden, Rathaus, datiert 1603-1605/09; Lübeck, Zeughaus, datiert
1594; Fulda, ehemalige Abtsburg, Ainbau 1607/12 sowie an Herrensitzen des 16./17.
Jahrhunderts wie zum Beispiel in Ampfurth/Sachsen-Anhalt oder Waldenburg-Glau-
chau/Thüringen), des Weiteren an Brunnenbecken, an Konsolen und Gesimsen von
Altären (Süderstapel 1609; Dassow, 1632; Boel 1649) sowie an (Prunk-)Epitaphien
(Schwerin, Dom, 1552; Arnstadt, Liebfrauenkirche, 1590) (Abb. 105-110).509

508
Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, Bd. II, T. 3: Stadt und Dom Brandenburg, Berlin
1912, S. 71.
509
Die Bau- und Kunstdenkmale in der DDR. Bezirk Potsdam, 1979, S. 74 f. – Danmarks Kirker. Ribe
Amt, 2. Bd., 1974, S. 75 ff. und Abb. 63. – Danmarks Kirker. København Amt, Bd. 1, 1945-58,
S. 214 ff. – G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen. Niedersachsen‚ stark er-
weiterte Aufl. 1992, S. 1387 f., 643. – Die Bau- und Kunstdenkmäler der Hansestadt Lübeck, Bd. 1,
2. T.: Rathaus und öffentliche Gebäude der Stadt, 1974, S. 311 f. – G. Dehio, Handbuch der deut-
schen Kunstdenkmäler. Hessen, 2. bearb. Aufl., 1982, S. 303. – G. Dehio, Handbuch der deutschen
Kunstdenkmäler. Sachsen-Anhalt. 1. Bezirk Magdeburg, 1990 (Nachdruck der Ausg. 1974), S. 9. –
Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, 13. H.:
Amtshauptmannschaft Glauchau, 1890, S. 34 ff. und T. 1. – Die Tatsache, dass Löwenkopf-Masken
überwiegend an Portalen der Renaissance vorkommen und dort nicht nur im Zusammenhang mit öf-
Kronleuchter-Unterhänge Seite 162

Insbesondere an den Predigtstühlen und Gestühlskästen des 16. und 17. Jahrhun-
derts erscheint die Deutung des Löwen als domestizierte Bestie offensichtlich. Dies
lässt sich an Kanzeln in der Landschaft Angeln exemplifizieren, wo die Reihung von
Fratzen in Metamorphose bis hin zum Löwenkopf mit Ring im Fang gegeben ist.510
Sie gelten als Werk des Heinrich Ringeringk/Ringeling (= 1629) aus Flensburg.511 Der
Name dieses Bildschnitzers ist dort auch in Zusammenhang mit einem Leuchter ak-
tenkundlich und weist in dieser Hinsicht Parallelen zu Kooperationen verschiedener
Gewerke in Hamburg auf (Hamburg, St. Katharinen-Kirche).512

Wo aber im Einzelnen die Urheberschaft und die Vorbilder dieses Tiermotivs für
Kronleuchter tatsächlich begründet sind, ist bisher noch unbekannt.

Neben biblischen und moralisierenden Aspekten im Dienste der Verkündigung des


Evangeliums, könnten die Löwenkopf-Masken an Predigtstühlen auch machtpolitisch
durch die Amtseinsetzung des Geistlichen begründet sein. Denn es wird lokal diffe-

fentlichen Gebäuden oder herrschaftlichen Anwesen, sondern auch an Bürgerhäusern spräche für ein
reines Gestaltungsmittel, vgl. G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg.
Schleswig-Holstein, 2. stark erw. und veränd. Aufl. 1994, S. 21 (Hamburg, Evangelisches St. Katha-
rinen-Portal, 1642). – Die Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Schleswig-Holstein, Bd. 1, 1887, S.
574. – U. Mende hebt im Zusammenhang mit Löwenkopf-Türziehern des Mittelalters 1981 die viel-
schichtige Bedeutung des Löwen als Motiv hervor. – Eine Auswahl anderer Beispiele: G. Dehio,
Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg. Schleswig-Holstein. 2. stark erw. und veränd.
Aufl. 1994, S. 867 (Tönning, Marktbrunnen, 1613), 855. – G. Dehio, Handbuch der deutschen
Kunstdenkmäler. Mecklenburg. Neubrandenburg. Rostock. Schwerin, 1980, S. 359, 55. – G. Dehio,
Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Thüringen, 1998, S. 51. – Zum Ring an Unterhängen von
Kronleuchtern; s. u.a. Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, Bd. II, T. 3: Stadt und Dom
Brandenburg, 1912, S. 71. – Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover. II. Regierungsbezirk Hildes-
heim. 3. Der Kreis Marienburg, 1910, S. 192. – Das folgende Beispiel wird kaum in unmittelbaren
Bezug zur Gestaltung von Schaftkronleuchtern aus Messing in Norddeutschland zu betrachten sein,
doch scheint der programmatische Anspruch an Aussagen zur Herrschaftsauffassung – wie A. Kohler
es in der Biographie zu Karl V. formuliert – bedingt auch auf das Bildprogramm frühneuzeitlicher
Schaftkronleuchter mit heraldischem Doppel-Adler und Löwenkopf-Maske zuzutreffen. Das zwei-
felsohne repräsentative Beispiel für Löwendarstellungen mit Ring im Fang und für Adlermotive ist der
Palast (1533 begonnen) Kaiser Karls V. auf der Alhambra in Granada. – R. Wohlfeil weist auf 53 der-
artiger Tier-Ring-Kompositionen seit 1542 hin, s. E. Rosenthal, The Palace of Charles V., 1985. – R.
Wohlfeil, Kriegsheld oder Friedensfürst (…)‚ in: FS für Horst Rabe, 1996, S. 57-96, insbes. S. 74. –
A. Kohler, Karl V., 1500-1558. Eine Biographie, 1999, S. 109 f. – Im Zusammenhang mit
Schaftkronleuchtern wäre die Bezeichnung des Ringes als Zugvorrichtung sowohl anhand der Auf-
hängung im Kirchenraum als auch oberhalb der Gewölbekappen bzw. auf dem Kirchendachboden zu
exemplifizieren.
510
Zum Ringeringk-Umkreis werden die Kanzeln der Evangelischen Kirchen zugeordnet in: Översee (A.
17. Jh.), Fahrenstedt (Böklund; 1604), Grundhof (1606), Satrup (1607), Munkbrarup (1600/10),
Groß Solt (1614), Boel (1649), Toik (17. Jh.), Quern (1762). – Weitere Predigtstühle mit Lö-
wenköpfen in Schleswig-Holstein, die wie die zuvor genannten Exemplare oftmals Stiftungen der
Kirchgeschworenen oder Kirchspielvögte sind, kommen vor in: Mildstedt (1568 von Johann von Gro-
ningen), Gettorf (1598 von H. Gudewerdt d. Ä.), Bodelum (1633), Jörl (1634), Erfde (1635 von
J. Heidtmann d. Ä.), Kahleby (1637); s. dazu G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler.
Hamburg. Schleswig-Holstein, 2. stark erw. und veränd. Aufl. 1994, S. 172 f., 228, 283, 307, 309,
363, 626, 638, 671, 706, 760 f., 864 f.
511
C. Meier, Heinrich Ringerink und sein Kreis, Dissertation Kiel 1983, S. 165, Nr. 18.
512
Die Bau- und Kunstdenkmale der Freien und Hansestadt Hamburg, Bd. III: Hauptkirche St. Petri. St.
Katharinen. St. Jacobi, 1968, S. 132. – Hans von Damme 1589 eine neue Krone (Heilige Katharina
für Evangelische St. Katharinen-Kirche in Hamburg) und Jost Rogge, Bildschnitzer. Für die Ev. St. Ja-
kobi-Kirche in Hamburg erscheinen im Rechnungsbuch 1549-51 zeitgleich die Namen der Gießer
Poppe und Gardingk sowie die der Bildschnitzer Markus, Hans Sner und Claus Hannemann für ver-
schiedene Arbeiten.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 163

renziert, wo der König den Prediger ernennt oder die Kirchgeschworenen und Vögte
ihn präsentieren und die Gemeinde wählt.513

Mehrdeutig dürfte auch die Ikonographie der Löwenkopf-Masken als Unterhang früh-
neuzeitlicher Schaftkronleuchter sein. Sind sie sowohl konstruktiv als auch ideell das
Auflager der Kronleuchter-Komposition oder bilden sie als solches sowohl technisch
als auch proportional einen Gegenpol zur Bekrönung des Kronleuchters?

Die natürliche Stärke und majestätische Erscheinung des Löwen(männchens) – mit-


hin die führende Position in einer Hierarchie – eignen sich, einerseits gebündelt als
erhabene Schönheit dargestellt zu werden. Ihre unkritische Überbewertung und die
daraus resultierenden negativen Eigenschaften und Verzerrungen provozieren die
Karikatur.

Die darin sichtbare Polarisierung von – möglicherweise ästhetischen oder mentalen –


Extremen wäre ebenso wenig eine vorübergehende Zeiterscheinung wie es Hierar-
chie und Ordnung sind.

Insofern ist die Löwenkopf-Maske nicht nur der Renaissance zuzuordnen, sondern im
Rückgriff auf die Antike natürlich dort und doch auch weit bis in die Barockzeit als
Maskaron an Schaftkronleuchtern zu finden.

Das Motiv an sich bleibt erhalten. Der Wechsel von plastischem Formguss mit seinen
unterschiedlichen Ansprüchen an die Modellierung und Ziselierung bis hin zum relief-
artigen Maskaron – wie auch die Umplatzierung des Motivs vom Unterhang an den
Hals der Aufhängeöse bei neuzeitlichen Schaftkronleuchtern – weisen auf Umstruktu-
rierungen infolge von Neubewertungen hin (Abb. 41 f., 53 ff.). Der axiale Bezug zum
Leuchterstamm bleibt allerdings bestehen. Wurde in Kapitel 2 der vorliegenden Stu-
die die Gestaltung der hier thematisierten Beleuchtungsgeräte in ihrer Verbindung
zur Architektur wahrgenommen, so ist diese sowohl auf die Rezeption bestimmter
Details als auch auf die Berücksichtigung entsprechender Gesetzmäßigkeiten in der
Gestaltung zurückzuführen – wie aus der Korrelation von Architektur und Möbeln
bekannt.514

Unter diesen Gesichtspunkten erweist sich die auf den ersten Blick beliebige und be-
liebte Verwendung von Löwenkopf-Masken nicht allein als praktisch, vielmehr auch
ikonographisch begründet.

Unstrittig sind die Löwenkopf-Masken mit Ring im Fang bevorzugt dort zu finden, wo
konstruktive Kraft und Stärke anzuzeigen sind – wie zum Beispiel an Kohlebecken
oder an Schubkästen repräsentativer Verwahrmöbel. Inwieweit die Lokalisierung der
ausdrucksstarken Löwenkopf-Masken bedeutender Bauwerke und die folgende Sys-
tematisierung aufrechtzuerhalten sind, bedarf der weiteren Untersuchung:

513
J. v. Schröder, Topographie des Herzogtums Schleswig, 2. neu bearb. Aufl. 1854 (Neudruck 1984),
S. 446, 540 (exemplarisch für die zuvor genannten Orte, wo der König den Prediger ernennt).
514
J. Morley, Möbel Europas. Von der Antike bis zur Moderne. 2001. S. 123ff.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 164

Es zieren namentlich an architektonischen Portalumrahmungen die Löwenkopf-


Masken den Schlussstein im Entlastungsbogen profaner Architektur sowie die Posta-
mente entsprechender Aediculamotive von Sakralbauten oder adäquaten Residenzen
in Kirchenbesitz (Abb. 105-110).515

Hinsichtlich der Löwenkopf-Maske als Unterhang frühneuzeitlicher Kronleuchter aus


Messing oder Bronze ist offensichtlich, dass sich die einst knopfgroße Maske unter-
halb der Konsole spätgotischer Kronleuchter proportional zu der sich wandelnden
Morphologie frühneuzeitlicher Schaftkronleuchter vergrößert sowie formal und stilis-
tisch verändert hat (Abb. 12, 13). Eine Beeinflussung durch die Geweihleuchter er-
scheint nahe liegend, da im Falle ihrer vertikalen Komposition der Tierschädel die
Basis bildet.

Der Bestand an Löwenkopf-Masken frühneuzeitlicher Schaftkronleuchter aus Messing


ermöglicht es, die Tendenzen kunstgeographischer Strömungen für Messingerzeug-
nisse in Norddeutschland darzustellen, die Parallelen zu den Gestaltungskriterien mit-
telalterlicher Bronzeplastiken und kirchlicher Gerätschaften aus Gelbguss erkennen
lassen. Dazu gehören Erztaufen, Türzieher/Türklopfer, Aquamanile, Lesepulte und
Standleuchter (Oster-, Tisch- und Siebenarmiger Leuchter/Menorah).516

Für die Gestaltung der frühneuzeitlichen Kronleuchter-Unterhänge zeichnet sich in


Norddeutschland diese geographische Drittelung mit fließenden Grenzen ab:

515
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg. Schleswig-Holstein, 2. stark erw. und
veränd. Aufl 1994, S. 416. – Für die Evangelische St. Katharinenkirche in Hamburg ist diese These
insofern zutreffend, da die vorgelagerten Portalumrahmungen von 1640 an der Süd- und von 1642
an der Nordseite des Gebäudes ursprünglich von Bürgerhäusern stammen, s. dazu Die Bau- und
Kunstdenkmale der Freien und Hansestadt Hamburg. Bd. III: Hauptkirche St. Petri. St. Katharinen.
St. Jakobi, 1968, Abb. 128 f. – G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg.
Schleswig-Holstein, 2. stark erw. und veränd. Aufl. 1994, S. 21. – Niedersachsen, Monatsschr. f.
Kultur- und Heimatpflege in Niedersachsen, Jg. 44, 1939, S. 289 (Abb.). – Weitere Beispiele s.o.
516
Zu Geweihleuchtern, s. K. Jarmuth, Lichter, Leuchter im Abendland (1967), S. 179 ff. – Zu Löwen-
darstellungen, s. G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Nordrhein-Westfalen. II:
Westfalen, 1986, S. 318. – Ders., Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg. Schleswig-
Holstein. 2. stark erw. und veränd. Aufl. 1994, S. 378. – Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des
Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, 2. Aufl. 1899, S. 156. – K. Jarmuth (1967), S. 61 ff. – P.
Seiler, Braunschweiger Burglöwe, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentati-
on der Welfen 1125-1235, Bd. 1, Ausst.-Kat. des Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, 1995,
S. 176 ff., Nr. D 20. – Ebenso sind im Rahmen stilkritischer Analysen die Löwendarstellungen als
Topfiguren auf Kronleuchtern zu berücksichtigen: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover. III.
Regierungsbezirk Lüneburg. 2. und 3. Stadt Lüneburg, 1906, S. 241. – Die Bau- und Kunstdenkmä-
ler der Freien und Hansestadt Lübeck. Bd. III: Kirchen zu Alt-Lübeck. Dom. Jakobikirche. Ägidienkir-
che, 1920, S. 430 f. mit Abb. – Die Kunstdenkmale der Provinz Hannover. 1. Regierungsbezirk Han-
nover. 3. Kreis Springe, 1941, S. 177. – E. Meyer, Der gotische Kronleuchter in Stans. Ein Beitrag
zur Geschichte der Dinanderie, in: FS H. R. Hahnloser zum 60. Geburtstag, 1959, Hg. E. Beer, 1961,
S. 151-184, insbes. S. 160 ff. mit Abb. – I. Schlosser, Evangelische Pfarrkirche zu Waase auf Um-
manz. (Kunst-/Kirchenführer), 1995, S. 20. – Diesbezügliche Abbildungen, die Herr J. Kilumets, Tal-
linn übersandte, zeigen, dass Estland stärker in die Forschungen einzubeziehen ist! – Angesichts der
vergleichbaren Löwendarstellungen auf den Kronleuchtern in Lübeck, Lüneburg und Rössing, Waa-
se/Ummanz (gestiftet 1632) sowie in Jüri/Tallinn und erkennbarer Parallelen zu Aquamanilen; s. U.
Mende, Niedersächsischer Bronzeguss – Transfer zwischen Zentren, in: Heinrich der Löwe und seine
Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125-1235, Bd. 1, Ausst.-Kat. des Herzog Anton Ul-
rich-Museum Braunschweig, 1995, S. 502 ff., G 25-29 und vgl. S. 612 f., G 109.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 165

Das Gros der Löwenkopf-Masken an Schaftkronleuchtern der Renaissance ist doppel-


seitig en face gestaltet. Unter diesen Hängeleuchtern in Norddeutschland, die in-
schriftlich datiert sind, können regionale Gliederungen nach bestimmten Grundfor-
men und Gravuren vorerst eine grobe Orientierungshilfe sein. Einige der unten vor-
gestellten Masken gehören als Unterhänge zu den in Kapitel 3 dieser Studie be-
schriebenen Kronleuchtern. Im Wesentlichen kann so beschrieben und unterschieden
werden, dass die Grundform der Maske als Unterhang eines Kronleuchters der Glie-
derung und Proportion der Spindel entspricht, die ebenfalls regionale Stilmerkmale
widerspiegeln kann.

In den westlichen Gebieten kennzeichnen eine konische Kopfform über einer gerade
abschließenden Grundfläche, eine subtile Modellierung sowie eine entsprechende sti-
lisierte Ziselierung die besagten Löwenkopf-Masken. Der Schwerpunkt der Gestal-
tung ist auf die obere Gesichtshälfte konzentriert, wo leicht diagonal ausgerichtete
Details – wie zum Beispiel die Augenform – zur konischen Grundform der Maske kor-
respondieren. Der Form und Größe nach entsprechen die Masken damit den zierli-
chen Winkelarmkronleuchtern mit dem balusterartigen Schaft. In den östlichen Lan-
desteilen fallen die tendenziell kastige Kopfform, die ausgeprägte Plastizität der Lef-
zen und Backentaschen sowie die auf einen Kranz oder stirnbandartig flachen Reifen
begrenzte Mähne auf. Der Schwerpunkt dieser horizontal ausgerichteten und orna-
mental aufgefassten Gestaltung konzentriert sich auf die Vorpommersche Küstenre-
gion. Um so mehr fallen dort die in malerischer Plastizität naturalistisch gehaltenen
Löwenkopf-Masken an den Kronleuchtern (1589/90) des Dominicus Slodt (aus Stral-
sund) in Barth auf.517

Im Binnenland zwischen Nord- und Ostsee entstehen komposite Formen, wo aus der
Verbindung dieser west- und östlichen Gestaltungsmerkmale der Löwenkopf-Masken
eine doppelkonische Maske wird. In der teils länglichen Form erinnert diese an den
Braunschweiger Burglöwen (um 1166), doch ist der Fang der Löwenkopf-Masken dort
tendenziell nicht stumpf abschließend, sondern leicht plastisch wie auch jener der
mittelalterlichen Aquamanile lüneburgischer Provenienz.518

Die Endbearbeitung der vollplastischen oder doppelseitigen Löwenkopf-Masken der


Renaissance-Kronleuchter wirkt im Duktus individuell und ist doch von Gussqualitä-
ten und vorgegebenen Grundformen beeinflusst. Neben der konischen, länglichen
oder breiten Kopfform, die subtil modelliert oder sehr plastisch sein kann, bilden die
modellierten und/oder ziselierten physiognomischen Details weitere stilistische Un-
terscheidungskriterien: Die Stellung der Augen und der Grad ihrer stilisierten bis na-
turalistischen Gestaltung je nach Art der Lidfalten, der Wimpern sowie der mehr oder

517
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Mecklenburg. Neubrandenburg. Rostock.
Schwerin. 1980, S. 19.
518
Allgemein s. O. v. Falke/E. Meyer, Romanische Leuchter und Gefäße. Gießgefäße der Gotik (1983),
S. 38 ff. – U. Mende, Produkte aus Metall, in: Landesausstellung Niedersachsen 1985, Stadt im Wan-
del. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150-1650, Bd. 2, Ausst.-Kat., Braun-
schweigisches Landesmuseum, 1985, S. 852-861. – J. Barfod, Kirchliche Kunst in Schleswig-
Holstein. Kat. d. Slg. des Städtischen Museums Flensburg, 1986, S. 119 f., Nr. 190.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 166

weniger buschigen Augenbrauen bzw. Tasthaare. Im gegenteiligen Falle der orna-


mental-dekorativen Auffassung können diese aus Blattwerk gebildet sein. Weitere
Merkmale sind: Die Länge und Breite sowie die herzförmige, spitze oder knollige
Form der Schnauze. Die Betonung der Lefzen – in Unter- oder Aufsicht – durch an-
gedeutete Barthaare mittels diffuser Punzierungen oder unterschiedlich ausgeführter
Wellenlinien. Der Fang als breite Zahnfront, schmale Linie oder rhombusartig weite
Öffnung. Die Form und Position der Ohren. Nicht zuletzt prägt die flächige bis kranz-
artige Gestaltung des Mähnenkragens das Erscheinungsbild der Löwenkopf-Maske
entscheidend.

Dazu einige Beispiele, die die Vielfalt der Masken und die Tendenzen ihrer Verbrei-
tung verdeutlichen, um auf dieser Grundlage zeit- und regionalspezifische bzw. stilis-
tische Charakteristika einzugrenzen.

Die spätgotischen Schaftkronleuchter in Dortmund und in Woltersdorf/Uckermark


oder der Tabernakelkronleuchter in Waase/Ummanz weisen einen protomähnlichen,
aber proportional unauffälligen Tierkopf als unteren Abschluss auf. Dort ist der Mäh-
nenkragen flach als Zackenkranz oder -krone zu sehen (Abb. 12).519

Der in die gleiche Zeit datierte Kapellenkronleuchter im Rathaus zu Goslar dagegen


besitzt wie ein Schaftkronleuchter (1480) aus Messing im Victoria & Albert Museum
in London eine vollplastische Löwenkopf-Maske als Unterhang. Eine weitere Maske
von ähnlicher Gestalt wie in Goslar und in Verbindung mit einer Muttergottes-
Statuette befindet sich an einem Schaftkronleuchter in Graese/Dänemark. An der
Löwenkopf-Maske fallen neben der Tatsache, dass diese Maske nicht als Doppelkopf
gestaltet ist, die längliche Kopfform, das Profil sowie die Modellierung der Mähne auf.
Letztere wird durch den rhythmischen Wechsel von zwei kurzen und einer langen
kehlenartigen Vertiefung dargestellt. Diese endet als Volute. Die kurzen Strichelun-
gen dazwischen scheinen Fell anzudeuten (Abb. 13, 14).520

519
Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen. Kreis Dortmund Stadt, 1894, S. 39 und Taf. 30. –
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Brandenburg, 2000, S. 1134. – Vgl. die jünge-
ren Kronleuchter in Lübeck, Evangelische St. Jakobikirche oder zum Beispiel in Plau am See; s. Die
Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck, Bd. III: Kirchen zu Alt-Lübeck. Dom.
Jakobikirche. Ägidienkirche, 1920, S. 430 f. mit Abb. – Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des
Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, IV. Bd.: Schwaan, Bützow, Sternberg, Güstrow, Krakow,
Goldberg, Parchim, Lübz und Plau, 2. Aufl. 1901, S. 595 (Abb.), 596. – S. Bock/T. Helms, Mecklen-
burg-Vorpommern: Kirchen in Städten, o.J., S. 50 f. (Abb.).
520
H.-G. Griep, Ein Goslarer Kronleuchter in Münnerstadt, in: Harz-Ztschr., Jg. 13, 1961, S. 103-117,
Taf. XXII-XXV. – G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen. Niedersachsen, Neu-
bearb., stark erw. Aufl. 1992, S. 547. – Vgl. diesen Kapellenkronleuchter und den unteren Abschluss
der Korbkronleuchter – wie zum Beispiel in der Pfarrkirche zu Braunsberg; s. Die Bau- und Kunst-
denkmäler der Provinz Ostpreußen. H. IV: Das Ermland, 1894, S. 54, Abb. 48. – Zum Größenunter-
schied der Löwenköpfe an spätgotischen und frühneuzeitlichen Schaftkronleuchtern vgl. mit dem an-
gegebenen Exemplar in London einen Leuchter der Coll. Dressmann, Amsterdam, sowie ferner die
bei K. Jarmuth abgebildeten Objekte unter Nr. 91 f.; s. K. Jarmuth, Lichter, Leuchten im Abendland
(1967), S. 101 (Abb. 87), 102 (Abb. 88), 107 (Abb. 91), 108 (Abb. 92). Der zuletzt genannte
Schaftkronleuchter mit einer bekrönenden Muttergottes-Statuette im Strahlenkranz in Aachen, St.
Jakob-Kirche, weist wie der Kapellenkronleuchter in Goslar einen vollplastischen Löwenkopf auf. –
Siehe auch Danmarks Kirker. Frederiksborg Amt, 4. Bd., 1975, S. 2210 f. (Abb.). – Zu Unterschei-
dungskriterien von Löwenköpfen im Metallguss; s. U. Mende, Die Türzieher des Mittelalters, 1981,
S. 104 f.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 167

Die stilistischen Parallelen der Unterhänge an den Schaftkronleuchtern „Wilder Mann“


in Rühle/Solling-Vogler (Abb. 86), „gekrönter Doppel-Adler“ in Spenge/Herford und
in der Simeon-Kirche in Minden am Kronleuchter „Salvator mundi“ (17. Jahrhundert)
scheinen regionale Merkmale und niederländische Einflüsse zu dokumentieren. Denn
diese sind auch anhand der vergleichbaren gekrönten Doppel-Adler als Topfiguren
der Kronleuchter in Spenge/Herford und Hameln erkennbar.

Während die Löwenkopf-Maske in Minden stilistisch jener in Goslar ähnelt, bilden die
teils horizontalen und teils vertikalen Gravuren am Unterhang des Kronleuchters in
Rühle eine Mischung östlicher und westlicher Gestaltungselemente. Doch hier sind
die Lefzen nicht plastisch abgerundet. Eine dichte Strichelung betont den vorgeform-
ten Mähnenkragen. In Spenge wird dieser durch Blattmotive angedeutet.521

Eine weitere einseitige Löwenkopf-Maske kommt in der Frauenkirche in Oden-


se/Dänemark vor. Dieses Exempar ist breiter als die zuvor genannten Beispiele. Die
ornamentalen Gravuren konzentrieren sich auf die fast segelartig ausschwingenden
Augenbrauen und die fontänenartig gestaltete Stirnwulst. Am Kronleuchter sprechen
zwar die kurze Spindel, die winkeligen Leuchterarme und die Figurenkombination von
bekrönendem ungekröntem heraldischen Doppel-Adler und der Löwenkopf-Maske als
Unterhang für einen Kronleuchter der Renaissance. Ungewöhnlich im Verhältnis zu
jenen datierten Kronleuchtern erscheint der wie ein Kandelaber reich ornamentierte
und in Kegel und in Baluster unterteilte, stark gegliederte Schaft des Hängeleuchters
in Odense, der zwischen der untersten Nutenscheibe und der Löwenkopf-Maske nicht
gestuft, sondern kelchförmig endet.522

Deutliche Unterschiede bestehen in Deutschland überregional zwischen den Tierkopf-


Unterhängen der Schaftkronleuchter verschiedener Jahrzehnte: „Salvator mundi“
(1557) in der Evangelischen St. Marien-Kirche in Stralsund (Abb. 88 a-h)523, „Mut-
tergottes“ (Abb. 89) und „Büttel“ von 1572 (Abb. 66, 67 f.) in der Evangeli-
schen St. Severi-Kirche in Otterndorf,524 ferner ein Messingkronleuchter mit einer
männlichen Topfigur (Abb. 85 f.) in der Evangelischen Stadtkirche in Gadebusch/
Schwerin,525 als ein weiteres Beispiel ist ein Kronleuchter in der Evangeli-
schen St. Martini-Kirche in Braunschweig zu nennen. Dieser wird innerhalb des nie-
dersächsischen Inventars der Bau- und Kunstdenkmäler nicht beschrieben, jedoch in

521
Die Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums Braunschweig. 4. Bd.: Kreis Holzminden, 1907,
S. 99. – Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen. Kreis Herford, 1908, S. 83 und Taf. 72. –
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen. Niedersachsen, Neubearb., stark erw.
Aufl. 1992, S. 589 f.
522
Danmarks Kirker. Odense Amt, 1938-84.
523
Die Bau- und Kunstdenkmale in Mecklenburg-Vorpommern. Vorpommersche Küstenregion. Mit Stral-
sund, Greifswald, Rügen und Usedom, 1995, S. 144.
524
Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen. Regierungsbezirk Stade. Land Hadeln und Stadt Cux-
haven, Textband, 1965, S. 283.
525
Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin. II. Bd.: Die Amts-
gerichtsbezirke Wismar, Grevesmühlen, Rehna, Gadebusch und Schwerin, 2. Aufl. 1899, S. 479. –
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Mecklenburg. Neubrandenburg. Rostock.
Schwerin, 1980, S. 92.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 168

das Jahr 1584 datiert.526 Dieser Kronleuchter ist inschriftlich dem „Borgemester Kale
alher“ gewidmet. Eine Grabplatte in der Evangelischen St. Martini-Kirche in Braun-
schweig erlaubt den Rückschluss, dass es sich hierbei um den Bürgermeister Jobst
Kale handeln dürfte, der im Jahre 1584 verstarb (Abb. 91);527 denn etliche Kron-
leuchter aus Metall sind Memorial-Stiftungen.

In Wittenburg/Schwerin kommt in der Evangelischen Stadtkirche unter anderem ein


Kronleuchter vor (Abb. 92), der inschriftlich in das Jahr 1586 datiert ist und den ein
gekrönter Doppel-Adler ziert.528 Der hier zusammengestellten Chronologie der In-
schriften auf Kronleuchtern folgend, stammt der nächste erhaltene von 1587. Dieses
Exemplar trägt das gleiche Motiv wie der zuvor genannte und hängt in der Evangeli-
schen Stadtkirche von Lübeck-Schlutup (Abb. 93), der ehemaligen Filialkirche der St.
Jakobi-Kirche Lübeck. Und auch ein vergleichbarer Schaftkronleuchter mit zwölf
Leuchterarmen und diesem Bildprogramm im Dom zu Lübeck dürfte in dieser Zeit
entstanden sein (Abb. 102). Ein weiteres Exemplar ist für Stade inventarisiert, be-
sitzt allerdings keinen Unterhang (mehr).529

Ein gekrönter, heraldischer Doppel-Adler bekrönt auch einen Kronleuchter mit einer
Löwenkopf-Maske als Unterhang in der Evangelischen St. Petri-Kirche in Buxtehude.
Dieser wurde im Jahre 1589 von Hans Bars gegossen.530 Schließlich wären noch die-
se vier Kronleuchter in Norddeutschland zu nennen, die ebenfalls nachweislich im
ausgehenden 16. Jahrhundert entstanden sind. Dazu gehören die beiden Kronleuch-
ter von 1589/90 des Dominicus Slodt in der Evangelischen St. Marien-Kirche in Barth
bei Stralsund.

526
Die Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Braunschweig, 2. erw. und mit 158 Abb. versehene Aufl.,
1926, S. 23, 30. (Neben Kunze Behme werden ferner Arend Greten und Hans Meißner im Zusam-
menhang mit Leuchtern erwähnt. Gegenüber diesem älteren amtlichen Kunstdenkmäler-Inventar ist
in G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen. Niedersachsen. 2. stark erw. Aufl.
1992, S. 277 nur für die Evangelische St. Martinikirche in Braunschweig ein Kronleuchter mit der Da-
tierung 1584 verzeichnet. Offensichtlich handelt es sich hier um jenen Kronleuchter der im älteren
amtlichen Länderinventar der Bau- und Kunstdenkmäler (1926, S. 23) „um 1600“ bezeichnet ist. Ei-
ner historischen Fotografie des Innenraumes von St. Andreas in Braunschweig zufolge bildet der dort
wiedergegebene Kronleuchter, der in das Jahr 1584 datiert und Kunze Behme zugeschrieben wird
(s. Inv. 1926, S. 30), annähernd ein Pendant zu jenem Exemplar in der Evangelischen St. Mar-
tinikirche, das dann wohl gleichfalls aus der Werkstatt Behmes stammen dürfte; s. R. Slawski, St.
Andreas - Neustadt - Braunschweig, 1996, S. 41. – Unter Berufung auf die 27 Jahre zurückliegende
Restaurierung des besagten Leuchters in St. Martini (mit Erneuerung der Aufhängung, Ergänzung
der Leuchterarme und Elektrifizierung) und die Aufzeichnungen „Mittelalterliche Kirchen in Braun-
schweig“ seines Amtsvorgängers Dorn beschreibt Herr Koch, Dezernat für Bauwesen der Landeskir-
che Braunschweig dieses Beleuchtungsgerät als Flämischen Kronleuchter mit Doppel-Adler als Zei-
chen der Reichsfreiheit.
527
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen. Niedersachsen. Neubearb., stark erw.
Aufl. 1992, S. 277.
528
Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Mecklenburg. Neubrandenburg. Rostock. Schwerin, 1980,
S. 459.
529
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg. Schleswig-Holstein, 2. stark erw. und
veränd. Aufl. 1994, S. 450, 476, 604. Vgl. zu S. 604: Die Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und
Hansestadt Lübeck, Bd. IV, 1928, S. 554.
530
Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen. Regierungsbezirk Stade. Landkreis Stade, 1965,
S. 198 f.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 169

Wohl um 1594 entstand einer der insgesamt vier Kronleuchter in der Kirche des Ade-
ligen Klosters Preetz/Schleswig-Holstein.531 Diesen sechsarmigen Kronleuchter mit
der doppelten Löwenkopf-Maske ziert ein gekrönter heraldischer Doppel-Adler, der
als Motiv auch den zwei Jahre jüngeren, zehnarmigen Leuchter der Evangeli-
schen St. Johannis-Kirche in Hamburg-Neuengamme bekrönt.

Anhand der oben chronologisch genannten Kronleuchter werden im Folgenden stilis-


tische Gemeinsamkeiten und Unterschiede unter den Löwenkopf-Masken exemplifi-
ziert:

Der Unterhang des Kronleuchters „Salvator mundi“ (1557) in der Evangeli-


schen St. Marien-Kirche Stralsund wirkt nahezu quadratisch.532 Dabei ist – insbeson-
dere in den östlichen Gebieten des alten Reiches – die stirnbandartig begrenzte Mäh-
ne typisch. Am besagten Leuchter in Stralsund wird diese aus einem Kranz stilisierter
Locken aufgebaut. Die Enden der gleichmäßig breiten, gravierten Haarstränge liegen
über Kreuz und bilden paarweise gegenläufige Schlaufen. Nach bisheriger Kenntnis
kommt diese Form an den bedeutend jüngeren Löwenkopf-Masken der Kronleuchter
533
in Flensburg, Evangelische St. Nikolaikirche , Hohenaspe, Evangelische Kirche und
534
in Sterup, Evangelische St. Laurentius-Kirche wieder vor , obschon letztere ihrer
länglichen Grundform nach und mit kaum ausgeprägten Lefzen der westlichen Tradi-
tion entsprechen.535 Am zuvor genannten Leuchter in Stralsund steht die enorme
Plastizität der Schnauze im Zeichen des breiten Grundformats der Maske. Ferner un-
terstreicht die horizontale Stellung der mandelförmigen Augen, die mittels gestrichel-
ter Wimpernbogen akzentuiert sind und mittig weite Pupillen aufweisen, diesen Ein-
druck. Vergleichbare Löwenkopf-Masken, die in der oberen Gesichtshälfte den teils
starren Blick und maskenhafte Züge aufweisen, aber aufgrund der Ausformung des
Fanges naturalistisch wirken, kommen an Kronleuchtern in der Heilig-Geist-Kirche
sowie im Museum in Wismar vor. Demgegenüber stellen die Löwenkopf-Masken der
Kronleuchter (1589/90) im nahe der Hansestadt Stralsund gelegenen Barth (Evange-
lische St. Marien-Kirche) den absoluten Höhepunkt der malerischen Modellierung
dar.536 Hier ist die naturalistische Plastizität soweit vorangetrieben, dass der Fang
nicht mehr aus der Untersicht, sondern frontal sichtbar ist. Die Augenform erscheint
als Mischung östlich und westlich geprägter Stilmittel. Während das Oberlid sowohl
horizontal ausgerichtet als auch durch Wimpern und auffällig lange, geschwungene
Augenbrauen bzw. Tasthaare begrenzt ist, entsprechen der diagonale Verlauf des
unteren Lidrandes und die dezentrale Position der Pupillen der westlichen Tradition,
Löwenkopf-Masken zu gestalten. Es entspricht diese Form zum Beispiel auch der na-

531
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Mecklenburg. Neubrandenburg. Rostock.
Schwerin, 1980, S. 19. – Ders., Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg. Schleswig-
Holstein. 2. stark erw. und veränd. Aufl. 1994, S. 699, 90.
532
Die Bau- und Kunstdenkmale in Mecklenburg-Vorpommern. Vorpommersche Küstenregion. Mit Stral-
sund, Greifswald, Rügen und Usedom, 1995, S. 144.
533
Die Kunstdenkmäler des Landes Schleswig-Holstein, Stadt Flensburg, 1955, S. 188.
534
Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 797.
535
Ebd., S. 317.
536
N. Buske, Kirchen in Barth, 1997, S. 34, 37 (Abb.)
Kronleuchter-Unterhänge Seite 170

turnahen Darstellung eines Löwen (1521) von Albrecht Dürer (1471-1528).537 Beid-
seitig des Gesichts deuten symmetrische Wellenlinien die Mähne an. Das in Haar-
stränge und -locken geteilte Haupthaar weicht von der seitlich ornamentalen Rhyth-
misierung ab. Eine vergleichbare Löwenkopf-Maske (1591) kommt als Konsole (Abb.
108) am Kanzelkorb in der Evangelischen St. Katharinen-Kirche in Ribe/Dänemark
vor.538

Jüngere Kronleuchter respektive Löwenkopf-Masken dieser Region – wie ein Beispiel


im Westeingang der Evangelischen St. Marien-Kirche in Bergen/Rügen539 – scheinen
dagegen formal am älteren Kronleuchter-Bestand in Mecklenburg-Vorpommern, das
heißt am Kronleuchter „Salvator mundi“ (1557) in Stralsund, orientiert. Letzterer ist
allerdings bedeutend aufwändiger gestaltet. In Bergen deutet nur ein Reif aus schab-
lonenartigen S-Formen die Mähne des Löwenkopfes an. Auch Feinheiten in Gestalt
von Wimpern oder die differenzierte Bearbeitung des Ringes im Fang fehlen dort
(Abb. 62, 63).

In Richtung Nordwesten kommt unter den Schaftkronleuchtern aus Messing des aus-
gehenden 16. Jahrhunderts die breitformatige Löwenkopf-Maske (Abb. 153) wohl nur
in Bremen und in der Evangelischen St. Wilhadi-Kirche in Stade vor.540 Dort, in Sta-
de, fällt eine subtile Modellierung der Maske auf, die für westlich geprägte Unterhän-
ge an Schaftkronleuchtern typisch sind – weniger dagegen die grobe Skizzierung der
Physiognomie. Denn etliche sind teils reich, teils phantasievoll ziseliert. Die kompak-
te Morphologie des Kronleuchters „Herrscherfigur“ in Stade (Ende 16. Jahrhundert)
dagegen entspricht dem nicht mehr erhaltenen Schaftkronleuchter mit einer Mutter-
gottes in der Mandorla (1562) im nahe gelegenen Balje.541 Dieser wiederum besaß
die S-förmigen Leuchterarme, die mit ihren aufgebogenen inneren Enden verstärkt in
Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg verbreitet sind und in dieser Gestaltung
an einem Kronleuchter „Muttergottes“ in Plau am See vorkommen (Abb. 90). Stilisti-
sche Parallelen ergeben sich für den Kronleuchter „Herrscherfigur“ in Stade zu den
ältesten Kronleuchtern (inschriftlich datiert 1572) der Evangelischen St. Severi-
Kirche im nahen Otterndorf.542 Über den Typus des Winkelarmkronleuchters hinaus
bestehen diese insbesondere im Habitus der Statuetten und in der Modellierung der
Gewänder. In Otterndorf entspricht die auffallend konische, aber fein modellierte Lö-
wenkopf-Maske der Kronleuchter „Muttergottes“ (Abb. 89) und „Büttel“ der Komposi-
tion dieser Beleuchtungsgeräte insgesamt.

537
C. Dodgson, Albrecht Dürer. Engravings and Etchings, 1967, S. 41, Nr. 31.
538
Danmarks Kirker. Ribe Amt, 2. Bd., 1984, S. 752 f.
539
Die Bau- und Kunstdenkmale in Mecklenburg-Vorpommern. Vorpommersche Küstenregion. Mit Stral-
sund, Greifswald, Rügen und Usedom, 1995, S. 470.
540
R. Stein, Romanische, Gotische und Renaissance-Baukunst in Bremen, 1962, Abb. 36. – Die Kunst-
denkmale des Landes Niedersachsen. Regierungsbezirk Stade. Stadt Stade, Textband, 1960, S. 66,
Nr. 58 und s. ebd., Bildband, 1965, Abb. 78, 82.
541
Ebd. (Textband), S. 84, (Bildband) Nr. 49.
542
S. Bock/T. Helms, Mecklenburg-Vorpommern. Kirchen in Städten. o.J., S. 50 f. – Die Kunstdenkmale
des Landes Niedersachsen. Regierungsbezirk Stade. Land Hadeln und Stadt Cuxhaven, Textband,
1956, S. 283.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 171

Der Unterhang des Leuchters mit der Bekrönung eines Gerichtsdieners sieht folgen-
dermaßen aus: Die schmale Schnauze geht in den annähernd parabelförmigen Stirn-
wulst über, die als polierte Fläche mit den Details Augen und Mähne kontrastiert.
Dadurch sind die schrägen Katzenaugen noch markanter, die durch das axial-sym-
metrische Lineament der schwach segmentbogenförmig modellierten Mähne zusätz-
lich betont wird. Darin sind Anklänge an die Löwenkopf-Türzieher des Mittelalters
rheinischer Provenienz erkennbar.543

Anders als bei den im Binnenland und nach Osten Norddeutschlands verbreiteten
Löwenkopf-Masken an Kronleuchtern aus Metall sind die Ohren nicht in die – teils
ornamentalen – Gravuren und Gestaltung der Mähne integriert, sondern sitzen trop-
fenförmig oberhalb der Kandare. Davon weicht die Löwenkopf-Maske des Kronleuch-
ters „Muttergottes“ in Otterndorf ab. Die schwach plastischen Lefzen und die
Schnauze des Tierkopfes weisen auf die doppelkonischen Masken an Kronleuchtern
im norddeutschen Binnenland hin. Wie die Unterhänge der Kronleuchter in der Evan-
gelischen St. Johannis-Kirche in Hamburg-Neuengamme (1596, „Gekrönter, heraldi-
scher Doppel-Adler“) (Abb. 75) und der Landsknechtkronleuchter in der Evangeli-
schen St. Laurentius-Kirche in Kosel/Eckernförde bieten vermehrte Gravuren das Bild
eines Horror vacui, was aufgrund eingetrockneter, weißlicher Putzmittelreste in den
Vertiefungen noch auffälliger ist.544 Auf die Löwenkopf-Maske in Otterndorf, Evan-
gelische Kirche St. Severi, sind lanzettliche Blätter graviert, in Hamburg-Neuengam-
me sind es dichte Wimpern und in Kosel überziehen dicht aneinander gereihte
Schrägstriche als Augenbrauen die Stirnwulst. Und in allen drei Fällen sind auf den
Lefzen durch gedoppelte Wellenlinien die Schnurrhaare angedeutet.

Eine derartige Betonung der Lefzen zeigen auch die Löwenkopf-Türzieher rheinischen
Einflusses. Am Kronleuchter „Muttergottes“ in Otterndorf ist der Fang der Löwenkopf-
Maske zusätzlich durch Punzierungen betont (Abb. 89). Diese Bearbeitung der Ober-
fläche kommt auch gegen Ende des 16. Jahrhunderts und Anfang des 17. Jahrhun-
derts an den breiteren und plastischen Löwenköpfen der Kronleuchter in Lübeck-
Schlutup (inschriftlich datiert 1587), Tondern/Dänemark (inschriftlich datiert
1594/95), Adeliges Kloster Preetz (Kronleuchter, wohl um 1594), Hamburg-Kirch-
werder (inschriftlich datiert 1602), Welt/Eiderstedt (17. Jahrhundert) sowie in Nordha-
stedt/Heide in Schleswig-Holstein und Aurich/Ostfriesland (18. Jahrhundert) vor (Abb.
93, 98, 101, 125).545 Ein weiteres Merkmal ist die Gestaltung der Zahnfront. An der
Maske in Hamburg-Neuengamme sind diese durch eine Zickzacklinie bzw. mittels
Dreiecke dargestellt (Abb. 75). Diese Unterscheidungskriterien, die schon die Löwen-
Aquamanile niedersächsischer Provenienz in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts kenn-
zeichnen, gelten demnach auch noch für die Löwenkopf-Masken an Kronleuchtern

543
U. Mende, Die Türzieher des Mittelalters, 1981.
544
Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 203.
545
Danmarks Kirker. Sønderjylland. Tønder Amt, 1957, S. 58. – Kunst-Topographie Schleswig-Holstein,
1979, S. 243 (Abb. 566), 244, 599 f., 885. – Die Bau- und Kunstdenkmale der Freien und Hanse-
stadt Hamburg. Bergedorf. Vierlande. Marschlande, 1953, S. 104-112 und Abb. 137-140, vgl. ebd.,
Abb. 205.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 172

des ausgehenden 16. Jahrhunderts und der Folgejahre. Auf welche Werkstätten der
Duktus der Gravuren schließen lässt, der an den Löwenkopf-Masken mit Ring im
Fang offensichtlicher voneinander abweicht als an den anderen Details der Kron-
leuchter, wäre eingehender zu untersuchen. Zweifelsohne beinhaltet die manuelle
Bearbeitung schon an ein und demselben Objekt gewisse Schwankungen. Der ästhe-
tische Anspruch an eine kongruente Ausführung gleicher Motive ist von der techni-
schen Handhabung der Werkzeuge zu trennen.

Als jüngeres Beispiel, das in der Nachfolge der anderen subtil modellierten Löwen-
kopf-Maske des Kronleuchters „Büttel“ (inschriftlich datiert 1572) in Otterndorf ste-
hen könnte, ist ein Kronleuchter in der Evangelischen Kirche in Munkbrarup/Angeln
zu nennen. Diese Stiftung von 1677 des Hans Friedrich August von Worgwitz, Hof-
meister, Geheimrat und Amtmann des Herzogs Christian (reg. 1663-1698) von
Glücksburg weist Merkmale der so genannten frühneuzeitlichen Winkelarmkrone
auf.546 Wie die in Kapitel 3 beschriebenen Leuchter zwischen Nieder- und Unterelbe
im nördlichen Niedersachsen – mit Ausnahme des Kronleuchters (1596) in Hamburg-
Neuengamme – zieren auch am Kronleuchter in Munkbrarup flache, getrenntblättrige
Blüten die inneren Leuchterarmenden.

Die Schaftkolonne des Leuchters folgt im Wesentlichen dem Aufbau der Kronleuchter
in nordöstlicher Richtung des alten Reiches und weist mit der gestauchten Kugel ober-
halb des Löwenkopfes auf die Formen des Barock hin. Die nahezu identischen Bekrö-
nungen des gekrönten, heraldischen Doppel-Adlers und die gleiche Aufhängevorrich-
tung verbinden andererseits diesen Kronleuchter mit dem zuvor erwähnten in Ham-
burg-Neuengamme (1596); ein zwei Jahre älterer Kronleuchter im Adeligen Kloster
Preetz/Schleswig-Holstein trägt eine derartige Topfigur weicht aber in Details der
Leuchterarme und der Löwenkopf-Maske von den anderen Beispielen ab.

Gegenüber diesen zuvor genannten gegensätzlichen Exemplaren von Löwenkopf-


Masken an Metallkronleuchtern der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts im Osten und im
Westen Norddeutschlands stellen derartige Unterhänge im Binnenland häufig eine
Mischform beider Stilrichtungen dar. So besitzt der Löwenkopf am Kronleuchter (in-
schriftlich datiert 1584) in der Evangelischen St. Martini-Kirche in Braunschweig wie
die kaum älteren Kronleuchter in westlicher Richtung des Niedersächsischen Reichs-
kreises (16. Jahrhundert) en face ein längliches und breites Format. Gravierte Wel-
lenlinien deuten Schnurrhaare an und betonen so den Fang. Besonders einprägsam
sind dort ebenfalls die Blattformen, die die Augenbrauen und Stirnfalte beschreiben –
wie sie an den jüngeren Kronleuchtern im Adeligen Kloster Preetz (um 1594) und in
der Evangelischen Kirche in Wilster (17. Jahrhundert) auftreten. Und es fallen ande-
rerseits die plastischen Lefzen und die als Haarkranz gestaltete Mähne auf – wie sie
am Kronleuchter „Salvator mundi“ (1557) in der Evangelischen St. Marien-Kirche in
Stralsund vorkommen. Auch der Ring im Fang, der mit menschlichen Köpfen durch-
setzt ist, spricht für eine Orientierung an Gestaltungsmitteln, die im Osten verbreitet

546
Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 304.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 173

sind (Abb. 55, 88, 91).547 Sowohl morphologische als auch dekorative Details – wie
die Gliederung der Spindel und die Form der Leuchterarme mit ihrer großen Innenvo-
lute, die in Tierköpfen münden – lassen Parallelen der Kronleuchter (1584) in Braun-
schweig, Evangelische St. Martini und Hannover, Kreuzkirche, östlicher Kronleuchter
mit Löwenkopf-Maske andererseits eine gewisse Vorbildfunktion für den mittleren
Kronleuchter in der Evangelischen St. Petri-Kirche in Buxtehude erkennen.548

Obschon die schwach doppelkonische Löwenkopf-Maske des zuvor erwähnten Re-


naissance-Kronleuchters im Adeligen Kloster Preetz eine Verbindung östlicher und
westlicher Stilelemente in der Messingverarbeitung erkennen lässt, weist die Morpho-
logie des Leuchters insgesamt Richtung Osten. Dafür sprechen sowohl die Schaftko-
lonne als auch die dort zur Spindel hin aufgebogenen Leuchterarme, die in männli-
chen Masken enden (Abb. 19). Sowohl die S-förmigen Zierbänder als auch die for-
male Gestaltung des gekrönten Doppel-Adlers erscheinen an einem messingnen
Kronleuchter in Danzig, der in das beginnende 17. Jahrhundert datiert wird. Und an
diesen beiden Kronleuchtern fallen zudem die Flügel des heraldischen Vogels auf;
denn sie scheinen in dieser Ausprägung eher selten, wo der Armteil mittels eines
schmalen Wellenbandes angedeutet ist und die Armschwingen aus angedeuteten ein-
zelnen, langen Federn bestehen, die zur Handschwinge hin nur wenig verkürzt sind.

Im Gegensatz zu dem besagten Kronleuchter in Preetz repräsentiert die Gestaltung


des Exemplars in Hamburg-Neuengamme mit dem Balusterschaft und den eingestell-
ten Pflanzenknospen am inneren Ende der zehn Leuchterarme die Winkelarmkrone
als Kronleuchtertyp, der südlich der Elbe in Nordniedersachsen verbreitet ist. Eine
verhältnismäßig kurze Waagerechte der Leuchterarme unterscheidet diese beiden
Schaftkronleuchter in Hamburg-Neuengamme (1596) und Preetz (um 1594) von je-
nen in Lübeck-Schlutup (1587) und Lübeck (16. Jahrhundert, Dom) mit ihren raum-
greifenden Leuchterarmen (Abb. 75, 93, 98, 102).549 Diese weisen zwar das gleiche
ikonographische Programm mit einer Löwenkopf-Maske als Unterhang und der Topfi-
gur eines gekrönten Doppel-Adlers auf, lassen aber zugleich stilistische Unterschiede
des Figurenschmucks erkennen: Schaftkronleuchter mit formal vergleichbaren Be-
krönungsfiguren und einer annähernd adäquaten oder auch unterschiedlichen Mor-
phologie haben nicht zwangsläufig stilistisch identische Unterhänge. Demgegenüber
können Schaftkronleuchter mit verschiedenartigen Topfiguren wider Erwarten mit
sehr ähnlichen Löwenkopf-Masken nach unten abschließen. Wie zum Beispiel in Ot-

547
Ebd. S. 831. – Zu dieser Gestaltung des Ringes im Fang der Löwenkopf-Masken an Schaftkronleuchtern
des 16. Jh.; s. u.a. Barth/Vorpommern, Evangelische St. Marien-Kirche, Kronleuchter (1589/90). –
Vgl. mittelalterliche Aquamanile und Türzieher, dort sind die Menschenköpfe direkt im Fang der Tiere
dargestellt; s. u.a. U. Mende, Die Türzieher des Mittelalters, 1981, Abb. 114, 146 f., 150.
548
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen. Niedersachsen. Neubearb., stark erw.
Aufl. 1992, S. 277, 334.
549
Zu den Flügeln des Doppel-Adlers; s. u.a. Bau- und Kunstdenkmäler des deutschen Ostens. Stadt
Danzig, Reihe A, Bd. 3, Sankt Nikolai, St. Joseph, Königliche Kapelle Heiliger Leichnam, St. Salvator.
1959, S. 259 f. mit Abb. 191. – Zu den Leuchterarmen; s. u.a. Verzeichnis der Kunstdenkmäler der
Provinz Posen. III.: Landkreise des Regierungsbezirks Posen, 1896, S. 184 (Abb. 125), 185. – Die
Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen. Regierungsbezirk Stade. Landkreis Stade, Textband,
1965, S. 198 f.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 174

terndorf (Schaftkronleuchter „Büttel“, 1572) und in Hamburg-Neuengamme


(Schaftkronleuchter „Doppel-Adler, gekrönt“, 1596) (Abb. 66, 67, 74, 75).

So, wie die Kronleuchter respektive Unterhänge verschiedener Jahrzehnte diese zu-
vor erwähnten Orte und teils Hansestädte überregionale Unterschiede erkennen las-
sen, treten spezifische Stilmerkmale auch an den kleineren Messingkronleuchtern
eines Jahrzehnts auf.

Geographisch und chronologisch liegen die inschriftlich datierten Kronleuchter der


Evangelischen Stadtkirchen in Gadebusch (1582), Wittenburg (1586) und Lübeck-
Schlutup (1587) nahe zusammen. Sehr unterschiedlich sind die Löwenkopf-Masken
als Unterhänge – insbesondere jener Schaftkronleuchter der damaligen Residenz-
städte Gadebusch und Wittenburg (Abb. 66, 67, 85, 92).

In Gadebusch besteht die besagte Maske aus der länglichen, konischen Form wie sie
im Westen des Niedersächsischen Reichskreises (Anfang 16. Jahrhundert) überwie-
gend gebräuchlich ist. Zudem weist sie die subtile, kaum dekorierte Modellierung
auf, die anhand des acht Jahre älteren Kronleuchters „Büttel“ in Otterndorf zuerst
vorgestellt wurde. Proportional zur geringen Höhe der Leuchter finden sich vergleich-
bar komprimierte Masken an den Messingkronleuchtern der Evangelischen Kirchen in
Flegessen/Bad Münder am Deister und in Minden.550 Am Kronleuchter in Gadebusch
sind an der Löwenkopf-Maske die Gravuren auf den wulstigen Haarkranz und – in
Bogen- und Blattform – auf die Augenbrauen beschränkt. Ähnlich vegetabile Orna-
mente am Stirnwulst der Löwenkopf-Masken kommen an den oben erwähnten Kron-
leuchtern der Evangelischen Kirchen in Braunschweig (1584, Evangeli-
sche St. Martini-Kirche), Meldorf (1600, Dom), Hamburg-Kirchwerder (1602, Evan-
gelische St. Severin-Kirche), Uelzen (1607, Evangelische St. Marien-Kirche), Bad
Oldesloe (1616, Evangelische St. Peter-und-Paul-Kirche), Drelsdorf (1685) sowie in
Tondern/Dänemark (1594, Kristkirche), Flensburg (Evangelische St. Johannis-Kirche
sowie Evangelische St. Nikolai-Kirche), in Schleswig (seit 1848 im Dom, vormals in
Schloss Reinbek) sowie in den Evangelischen Kirchen in Hohenaspe, Wilster und Rin-
teln (Abb. 91, 96, 97, 125, 155) vor. Inwieweit die dort erhaltenen Masken in weite-
ren Details kongruent sind oder divergieren, wäre im Zusammenhang mit der unter-
schiedlichen Gestaltung der gekrönten und ungekrönten heraldischen Doppel-Adler
als hauptsächliche Bekrönung dieser Kronleuchter näher zu untersuchen. Nicht alle
dieser Masken tragen zum Beispiel eine kranzartige Mähne wie in Tondern 1594, Ga-
debusch 1582 oder Hameln 16. Jahrhundert (Evangelische St. Bonifatius-Kirche)
(Abb. 156, 157). Formal und stilistisch vergleichbare Löwenkopf-Masken zu jener in
Gadebusch sind erhalten an einem Kronleuchter in der Evangelischen St. Michaelis-
Kirche in Lütjenburg/Ostholstein (inschriftlich 1645), der auch mit seiner Bekrönung
„Wilder Mann“ formal an die männliche Topfigur des besagten Schaftkronleuchters in
Gadebusch anknüpft (Abb. 84), ferner in der Evangelischen St. Jacobi-Kirche in

550
Die Kunstdenkmale der Provinz Hannover. 1. Regierungsbezirk Hannover. 3. Kreis Springe, 1941
S. 63. – Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen. Kreis Minden, 1902, S. 92.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 175

Stralsund (Schaftkronleuchter, 2. Hälfte 16./Anfang 17. Jahrhundert) und an dem


1632 gestifteten Kronleuchter in Waase/Ummanz.551

Bei den zuletzt genannten Exemplaren überspielen flüchtig skizziertes Blattwerk bzw.
dichte vertikale Gravuren diesen vormodellierten Mähnenkragen. Alle diese Masken
haben die schwach doppelkonische, längliche Form. Charakteristisch sind ferner die
lange, schmale Schnauze und die breite Zahnfront sowie insbesondere der Kontrast
zwischen den vorherrschend polierten Partien und der Akzentuierung mittels weniger
Gravuren. Besonders markant ist die seitlich lang ausschwingende Linie des doppel-
ten Lidstriches (mit oder ohne Wimpernzeichnung).

Die Morphologie der Kronleuchter samt ihrer Bekrönungsfiguren weicht voneinander


ab. Obgleich inschriftlich in das Jahr 1582 datiert, erscheint die gesamte Komposition
des Leuchters in Gadebusch jünger gegenüber jener in Waase. Dort fällt nicht nur die
frühneuzeitliche Morphologie der Spindel ohne gestauchte Kugel auf, sondern auch
die scheibenartigen Leuchterarme (wie in Schladen/Niedersachsen) mit ihren zylind-
rischen Kerzentüllen. Der Schaft des besagten Exemplars in Stralsund weist morpho-
logisch eher in die Richtung des Kronleuchters von Gadebusch, besitzt aber die innen
aufgebogenen Leuchterarme wie die Kronleuchter des Dominicus Slodt in der Evan-
gelischen St. Marien-Kirche in Barth oder wie jener Schaftkronleuchter „Muttergot-
tes“ im Plau am See/Mecklenburg-Vorpommern (Abb. 54, 84, 90). Der Lütjenburger
Kronleuchter (1645, „Wilder Mann“) bildet mit einem Schaft – wie jenem des Kron-
leuchters in Waase – und Leuchterarmen wie der besagte Stralsunder Leuchter eine
Synthese. Die Bekrönung dieses Kronleuchters in Stralsund entspricht formal exakt
und stilistisch bedingt jenem gekrönten heraldischen Doppel-Adler, der den Kron-
leuchter mit Löwenkopf-Maske (16. Jahrhundert) im Dom zu Lübeck ziert. Der Un-
terhang in Lübeck und die Grundform der Masken von Gadebusch und Stralsund ent-
sprechen einander. Die Schnauze des Löwen ist an diesen Schaftkronleuchtern in
Lübeck wie auch in Schwerin (Dom, Schaftkronleuchter mit gekröntem heraldischen
Doppel-Adler, inschriftlich datiert 1641/42) bedeutend plastischer und wirkt zusam-
men mit der lebhaften Gestaltung der Augenpartie äußerst ausdrucksstark (Abb.
102, 103). Denn dort betonen schwungvolle Gravuren als wellenförmige Augenbrau-
en, die direkt in die lockige Mähne übergehen, den lebhaften Blick des Löwen. Eine
weitere Löwenkopf-Maske dieser Art kommt an einem Kronleuchter der Evangeli-
schen Kirche in Nakskov/Dänemark (1610) vor.552 Annähernd vergleichbare Winkel-
armkronleuchter mit einem gekrönten heraldischen Doppel-Adler als Bekrönung und
ähnlich doppelkonischen Löwenkopf-Masken als Unterhang wie die der Dome zu Lü-

551
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen. Niedersachsen, Neubearb., stark erw.
Aufl. 1992, S. 277. – Ders., Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg. Schleswig-
Holstein. 2. stark erw. und veränd. Aufl. 1994, S. 625, 84, 154, 213, 254, 783, 337, 90 ff., 614. –
Ders., Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen. Niedersachsen, Neubearb., stark erw.
Aufl. 1992, S. 1280, 1135, 589 f. – Ders., Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Mecklenburg.
Neubrandenburg. Rostock. Schwerin, 1980, S. 92. – Die Bau- und Kunstdenkmale in Mecklenburg-
Vorpommern. Vorpommersche Küstenregion mit Stralsund, Greifswald, Rügen und Usedom, 1995,
S. 149, 624. – Danmarks Kirker. Sønderjylland. Tønder Amt, 1957, S. 58.
552
Danmarks Kirker. Maribo Amt. 1. T., 1968. S. 118.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 176

beck (2. Hälfte 16. Jahrhundert) und Schwerin (1641) sind in den Evangelischen Kir-
chen in Welt (Ende 16./Anfang 17. Jahrhundert), Norderbrarup (1721) und Hameln
(Evangelische St. Bonifatius-Kirche) zu finden (Abb. 156).553

Demgegenüber besitzt die Löwenkopf-Maske des inschriftlich in das Jahr 1586 datier-
ten Kronleuchters (Abb. 92) zu Wittenburg/Schwerin und südöstlich von Gadebusch
neben der eindeutig geraden Grundfläche des Fanges und der mittels Wellenlinien
angedeuteten Schnurrhaare – wie der oben beschriebene Unterhang des Kronleuch-
ters „Muttergottes“ in Otterndorf (Abb. 89) – auch die flächige Gestaltung der Mäh-
ne. Diese ist an der Maske in Wittenburg nicht segmentbogenartig, gescheitelt dar-
gestellt. Vergleichbare Masken zieren sowohl die Messingkronleuchter in Richtung
Nord-Nordwest (Bad Bevensen, Ende 16./Anfang 17. Jahrhundert, Hamburg-
Kirchwerder, 1607 (Abb. 101), Nordstrand, Anfang 17. Jahrhundert, Schleswig (vor-
mals Reinbek), 17. Jahrhundert, Cleverens/Ostfriesland, 17. Jahrhundert, Bredstedt,
1670, Hürup, Anfang 18. Jahrhundert, Neugalmsbüll, 1706) als auch im Nordosten
Norddeutschlands (Volksdorf/Nossendorf, 17. Jahrhundert).554

Im Gegensatz zu den Kronleuchtern in Gadebusch (1582) und Lübeck-Schlutup


(1587), deren Schaftkolonnen morphologisch jenen Exemplaren entsprechen, die
vornehmlich im Ostseeküstengebiet verbreitet sind, weist der Kronleuchter in Wit-
tenburg – wie auch jene in Bad Bevensen oder Cleverens – die Balusterform als
Schaftmittelstück auf, welches insbesondere die (Landsknecht-)Kronleuchter südlich
der Elbe im nördlichen Niedersachsen kennzeichnet (Abb. 68, 71, 72).555 Dagegen

553
Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 686 und Abb. 1867, S. 243 (Abb. 566), 244.
554
Zum Kronleuchter (Mitte/2. Hälfte 16. Jahrhundert) in der Evangelischen Kirche Bad Bevensen heißt
es 1982 in der Kurzbeschreibung der Firma Paul Oehlmann – Leuchten, Kunsthandwerk, Bielefeld
zum Erhaltungszustand des Leuchters: „Rotguss, 12-armiger Kerzenkronleuchter, oberer Armkranz:
4 Leuchterarme und 4 Ziervoluten, unterer Lichtkranz: 8 Arme. Abschlussknopf: Doppelkopf mit
Ring. Bekrönung: männliche Figur mit Hellebarde; H 108 cm, Dm 105 cm.“ Auf dem Schaft des
Kronleuchters – soweit erkennbar – ein nach oben gerichteter Pfeil und „heraldisch rechts“, seitlich
der unteren Hälfte ein „G“ (Werkstattzeichen/Hausmarke?). 1 Ziervolute fehlt, Ziermotiv an einem
Arm unvollständig, stark verschmutzt und oxidiert, Kerzentüllen an den Armen vernietet. Fehlende
Ziermotive durch Nachguss ergänzt, Leuchter gereinigt, poliert und zaponiert. Nietung der Kerzentül-
len durch Gewinde ersetzt. Anhand des Replikats (Messing-Guss, 19./20. Jh.) des vorhandenen
Kronleuchters wird ein geringfügiger Größenunterschied festgestellt (H 100 cm, Dm 104 cm) und es
heißt „Säulenteile haben eine ca. 3-5 % geringere Größe als der Originalleuchter, bedingt durch
Schwund beim Guss und durch Nachbearbeitung.“ – Zur Metall-Restaurierung; s. u.a. P. Heinrich
(Hg.), Metall-Restaurierung. Beiträge zur Analyse, Konzeption und Technologie. 1994, S. 194, 212
(zu Acrylharzlösungen (Paraloid B 72), mikrokristallinen Wachsen und Acrylharzen). – Siehe Restau-
rierungsberichte von Herrn Wolfgang Hofmann – Werkstatt für Metallgestaltung und Restaurierung,
Wolgast sowie von Frau Dipl.-Designerin Betina Roß – Betina Roß GmbH Restaurierungen, Hamburg.
– Kunst-Topographie Schleswig-Holstein, 1979, S. 450 mit Abb. 1197 (Süden/Insel Nordstrand), 405
mit Abb. 1045 (Bredstedt/Husum), 299 (Hürup/ Kreis Flensburg), 922 (Neugalmsbüll/ Kreis Südtøn-
dern). – Die Bau- und Kunstdenkmale in der DDR. Bezirk Neubrandenburg, 1982. Dieser Kronleuch-
ter in Nossendorf/Ortsteil Volksdorf weist im unteren Lichtkranz an den inneren Leuchterarmenden
die lang gezogenen und in Rosetten mündenden Voluten auf wie sie aus Holle/Niedersachsen oder
zum Beispiel am Kronleuchter (1760) in Sterup/Schleswig-Holstein in Verbindung mit der Bekrönung
des antikisierenden Soldaten vorkommen. Die offenen Leuchterarme im oberen Lichtkranz mit den
kleinen Maskarons entsprechen der Gestaltung wie sie zwischen Wismar und der Insel Rügen an
Schaftkronleuchtern aus Metall zu finden ist. Die Zierelemente korrespondieren zu jenen am
Schaftkronleuchter in Menkin, südlich zwischen Pasewalk und Stettin, vgl. Die Bau- und Kunst-
denkmale in der DDR. Bezirk Neubrandenburg, 1982.
555
Fotodokumentation (2. Hälfte 20. Jh.) der Firma Paul Oehlmann, Bielefeld.
Kronleuchter-Unterhänge Seite 177

verbindet das Motiv des gekrönten heraldischen Doppel-Adlers die Kronleuchter von
Wittenburg und Lübeck-Schlutup miteinander.

Die Inschrift dieses dritten Beispiels eines in das ausgehende 16. Jahrhundert datier-
ten Kronleuchters zwischen den Bistümern Schwerin, Ratzeburg und Lübeck lautet:

„AO 1587 HEFT // HER IOHAN // SPANGENBERC // H: DISSE KRON // DER KERKEN
// TO SLVCKVP VOREHRET // WICHT 9 LISPV“ (Abb. 93).556

Die morphologischen und ikonographischen Parallelen dieses Leuchters in Lübeck-


Schlutup zum Kronleuchter (ohne inschriftliche Datierung, wohl 2. Hälfte 16. Jahr-
hundert) im Dom zu Lübeck (Chor, Südseite) sind deutlich zu erkennen. Es ist be-
merkenswert, dass die formal nahezu identischen Doppel-Adler – von den verlorenen
Kronen und dem fehlenden Flügelpaar abgesehen – aufgrund ihrer divergierenden
Binnenzeichnungen ein unterschiedliches Erscheinungsbild bieten. Dazu trägt auch
die Gestaltung der Löwenkopf-Masken bei. Der Maske in Lübeck-Schlutup verleiht
gegenüber jener im Dom zu Lübeck (Abb. 102) nicht zuletzt das Blattmotiv an der
Stirn sowie mittels der flach-runden und punzierten Schnauze einen ruhigen Aus-
druck. Und dieser begegnet – beim rhombusartigen Fang angefangen bis zur sträh-
nigen Mähne – auch an den älteren der vier Kronleuchter (1602 und 1607) in der
Evangelischen St. Severin-Kirche in Hamburg-Kirchwerder (Abb. 93, 101).

Neben diesen wesentlichen Grundformen von Löwenkopf-Masken an Kronleuchtern


aus Messing in Norddeutschland mit ihren stilistischen Feinheiten verdient der Ring
im Fang dieser Löwen eine entsprechende Beachtung und Differenzierung.

Im Allgemeinen beschreibt dieser Ring eine annähernd gestauchte Hufeisenform,


indem er sich von der kaum sichtbaren Kandare im Fang der Löwenkopf-Maske im
Verlauf zum unteren Scheitelpunkt stromlinienförmig verdickt. Dieser Symmetrie-
punkt ist häufig durch eine Kugel, eine stilisierte Frucht oder einen menschenähnli-
chen Kopf akzentuiert. Die darauf zustrebenden Ringe werden aufgrund ihrer Form
oftmals mit Delphinen verglichen. Ihre langgezogene Schnauze ist mehr oder weni-
ger ornamental zu einer Volute eingerollt. Dieses Kreismotiv setzt sich an den Au-
ßen- und Innenseiten des Ringes wechselseitig und axialsymmetrisch paarweise fort.
Es deutet dabei die Bauch- und Schwanzflossen des Delphins an. Zuweilen sind diese
auch nur als kleine Zacken sichtbar. Die Gravuren auf derartigen Ringen der Kron-
leuchter-Unterhänge wirken überwiegend vegetabil-dekorativ. Dieses Renaissance-
Motiv kommt zum Beispiel auch am Löwenkopf-Türzieher in Bündheim/Bad Harzburg
vor und wird von Mende niedersächsischer Provenienz zugeordnet.557

556
Die Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck, Bd. IV, 1928, S. 554. Der Name
Johann Spangenberg erscheint auch 1576 im Zusammenhang mit einer Stiftung in die St. Jakobikir-
che in Lübeck; s. Die Bau- und Kunstdenkmale der Freien und Hansestadt Lübeck. Bd. III: Kirche zu
Alt-Lübeck. Dom. Jakobikirche. Ägidienkirche, 1920, S. 394, Lt. StA HL, Familienkartei 309 war Jo-
hann Spangenbergk seit 1573 Ratmann und verstarb am 11. Januar 1597. 1585 wird er als einer der
verordneten Weddeherren beim Erwerb des Hauses Breitestraße 941 (durch Prozess) genannt.
557
Danmarks Kirker. Sønderjylland. Tønder Amt, 1957, S. 58, Nr. 1. – L. Wehrhahn-Stauch. – Christli-
che Fischsymbolik von den Anfängen bis zum hohen Mittelalter, 1958, S. 1-51, LCI, Bd. 1, Sonder-
ausgabe 1994, Sp. 503 f. – U. Mende, Die Türzieher des Mittelalters, 1981, S. 282, Nr. 1693 und
Kronleuchter-Unterhänge Seite 178

Über die kunstgeographische Verbreitung hinaus beschäftigt die Frage nach der Iko-
nographie der Löwenkopf-Masken mit dem Delphin-Ring im Fang an Schaftkron-
leuchtern aus Messing insbesondere in Gotteshäusern.

Hauptsächlich als Ring an Unterhängen (Abb. 53-103) und/oder als Aufhängeöse


(Abb. 43-45) von Schaftkronleuchtern der Renaissance erklärt sich die neue Verwen-
dung des Delphins im Zusammenhang mit der Dotation von Kronleuchtern. Es wird
der für diese Epoche charakteristischen, das heißt erstmaligen Rückbesinnung auf die
Antike und der Rezeption antiker Formensprache Rechnung getragen. Aber es wird
mittels der traditionellen Bedeutung des Motivs auch dem Stiftungszweck von Kron-
leuchtern entsprochen: Der Delphin kann sowohl die Liebe zu den Menschen versinn-
bildlichen als auch als Meeresbewohner eine imaginäre Führung ins Jenseits. Beide
Gedanken drücken bestimmte Vorstellungen von Gemeinschaft aus.
558
Der Delphin kommt expressis verbis in der Bibel nicht vor ; ikonographisch gilt er
als Christuszeichen. Es ist bisher nicht bekannt, ob an Kronleuchtern die dekorativen
Eigenschaften des Delphins im Vordergrund stehen oder ob dieser als Mittel dient,
um den biblisch mehrfach genannten Fisch, das heißt, den Ichthys besonders hervor-
zuheben. Die schmückende Funktion des Delphins erscheint nahe liegend. Es fällt
auf, dass die Kombination der Motive „Löwenkopf-Maske“ und „Delphin-Ring“ im
Fang nur an Kronleuchtern aus Metall und vereinzelt an Türziehern aus Bronze vor-
kommt. Im Nebeneinander dieser Darstellungen kann der Delphin die Rad- und Lun-
tenschlösser der Pistolen und Büchsen zieren, wie auch der Löwenkopf als Maskaron
am Gewehrlauf oder -kolben auftritt.559 An etlichen anderen Objekten der Renais-
sance tragen die Löwenkopf-Masken einen einfachen Ring im Fang.

Schöpfte demgegenüber der Geschütz- oder Stückgießer resp. Büchsenmacher, der


bekanntermaßen auch Kronleuchter fertigen konnte, hier wahllos aus seinem For-
menrepertoire? Dagegen spricht die Kombination der Motive „Löwenkopf-Maske und
Delphinring“ als Unterhang frühneuzeitlicher Kronleuchter sowie das proportionale
Verhältnis zur Bekrönungsfigur. Obschon dieses nicht zuletzt konstruktiv und ästhe-
tisch begründet ist, erklären nicht allein Konstruktion und Morphologie der Leuchter
die Bevorzugung dieser speziellen Tierdarstellung. Die zuvor beschriebene Auswahl
der Löwenkopf-Masken an Kronleuchtern aus Messing des 16. und frühen 17. Jahr-
hunderts in Norddeutschland führt noch stärker als die Quantität an Bekrönungen,
die größtenteils Stereotype darstellen, eine stilistische Vielfalt vor Augen. Die Gestal-
tung des Löwenkopfes mittels angedeuteter Behaarung an Augenpartie und Fang
zeigen, dass diese zuerst ornamental-dekorative Ansprüche erfüllt, aber darüber hin-
aus von der Interpretation animalischer bis hin zu metaphorischen Qualitäten reicht.

Abb. 270. Füllhörner stellen ein weiteres und verbreitetes Gestaltungsmittel für den Ring im Fang
des Löwen dar; s. Die Kunstdenkmäler des Landes Schleswig-Holstein. Kreis Eckernförde, 1950,
S. 221 f.
558
LCI, Bd. 1, Sonderausgabe 1994, Sp. 503 f.
559
Siehe u.a. Landesausstellung Niedersachsen 1985. Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürger-
tums in Norddeutschland 1150-1650, R1, 2. Ausst.-Kat. des Braunschweigischen Landesmuseums
(1985), S. 762, Nr. 674 (Löwenkopf-Masken).
Kronleuchter-Unterhänge Seite 179

Charaktereigenschaften – von griesgrämig bis erhaben – werden in der Gegenüber-


stellung etlicher Masken deutlich.

Es wurde schon am Beispiel der Figuren auf neuzeitlichen Schaftkronleuchtern aus


Messing festgestellt (s. Kapitel 3), dass einfache und wenige Grundformen ausrei-
chen und vorherrschen, um sie mit geringen Aufwand wirkungsvoll zu verändern, das
heißt marktorientiert zu arbeiten und neue Motive zu schaffen.

Möglicherweise sind untergeordnete Details eines Kronleuchters – so auch der Ring


im Fang der Löwenmaske – unter ökonomischen und bedarfsorientierten Aspekten
entstanden. Indem diese Unterhänge hauptsächlich an Schaftkronleuchtern der Re-
naissance vorkommen, liegt es nahe, dass auch Details in Entsprechung zum Ge-
staltungsprinzip, das heißt bewusst anpassungsfähig geformt sind.

Die wenigen Veränderungen an der für Delphin und Füllhorn gleichermaßen koni-
schen, stromlinienförmigen Kontur sind möglich, indem das geöffnete, breite Ende zu
einer asymmetrischen Lippe umgebördelt wird und so das Füllhorn darstellt. Oder es
wird schnauzenartig lang gezogen und weist aufgrund der gegossenen oder ziselier-
ten Flossen auf den Delphin hin.

Symbolisiert das Füllhorn Reichtum, so wird im Delphinmotiv der ideelle Ansatz deut-
lich. Die Menschenfreundlichkeit ist eine der häufig zugeschriebenen Eigenschaften.
Und wird die Löwenkopf-Maske, die den Ring hält, nicht in der möglichen Version des
Diabolischen wahrgenommen, sondern als Zeichen der Todesüberwindung und Auf-
erstehungshoffnung, so entspricht dies der neuen Glaubenslehre.

Auch barocke Kugelkronleuchter weisen zum Teil noch den Löwenkopf als Motiv, das
heißt als Maskaron auf: Typ I oder II. Die Tendenzen, die daran ablesbar sind, er-
scheinen hilfreich, um die größere Vielfalt und Verbreitung der Löwenkopf-Masken an
Schaftkronleuchtern der Renaissance zu ermessen (Abb. 41, 42) sowie den großen
Bestand der Schaftkronleuchter aus Messing des 17. und 18. Jahrhunderts zu struk-
turieren.

Der Maskaron barocker Kugelkronleuchter kommt – wie die Löwenkopf-Maske an


Schaftkronleuchtern der Renaissance – unabhängig vom Typus der Bekrönungsfigur
vor – sei es der gekrönte heraldische Doppel-Adler (Bremen, Dom oder Rendsburg,
Evangelische St. Marien-Kirche, Kronleuchter 1687, Typ II), sei es die Darstellung
des sich atzenden Pelikans (Kiel, Evangelische St. Nikolai-Kirche, Kronleuchter,
inschriftlich datiert 1638 (Abb. 116 ff.), Reepsholt/Wittmund, Evangelische St. Mau-
ritius-Kirche, Kronleuchter 1663/65 und Hamburg-Ottensen, Evangelische Christkir-
che, Kronleuchter 1738, alle Typ I) oder eines vollplastischen Adlers (des Jupiter ?)
(Lauenburg, Evangelische St. Maria-Magdalenen-Kirche, Kronleuchter, inschriftlich
datiert 1658, Typ I), seien es die Kronleuchter mit den Topfiguren des Erzengels Mi-
chael oder der Justitia (Oberndorf/Cuxhaven Evangelische St. Georg-Kirche, Kron-
leuchter Mitte des 17. Jahrhunderts oder Hamburg-Harburg (Abb. 136), zurzeit Rat-
haus, Kronleuchter 1645, alle Typ I), seien es die Bekrönungen des Salvator mundi
(Glückstadt, Evangelische Stadtkirche, Kronleuchter 1655, Rinteln, Evangeli-
Kronleuchter-Unterhänge Seite 180

sche Marktkirche St. Nikolai, Kronleuchter inschriftlich datiert 1655, beide Typ I), des
Apostel Johannes (Meldorf/Dithmarschen, Dom, Kronleuchter inschriftlich datiert
1694, Typ I) oder die vergleichbaren Kronleuchter mit der Figur des Jupiter auf dem
Adler (Preetz, Adeliges Kloster, Kronleuchter von Qualen, Mitte 17. Jahrhundert
(Abb. 121) und Rostock, Evangelische St. Marienkirche, Kronleuchter 1686 sowie St.
Annen/Kreis Norderdithmarschen, Evangelische Kirche und Wilster/Kreis Steinburg,
Evangelische St. Bartholomäus-Kirche, 17. Jahrhundert (Abb. 123), alle Typ I).

Demgegenüber weist der im Jahre 1634 in die Evangelische St.-Peter-und-Paul-


Kirche in Bad Oldesloe gestiftete Kronleuchter die Löwenkopf-Maske „Typ II“ auf wie
der oben erwähnte Kronleuchter (1687) in Rendsburg.

Diese Maskarons sind als Relief am unteren Scheitelpunkt bei zwei Arten (Typ I und
Typ II) der Aufhängeösen an Kronleuchtern der Jahre 1638 bis 1745 eher versteckt
platziert. Und doch scheinen sie angesichts ihrer axialen Platzierung am Kugelkron-
leuchter an das Motiv des plastischen Unterhangs der Renaissance-Kronleuchter an-
zuknüpfen. Diese Masken an Kronleuchtern beider Epochen werden im folgenden
charakterisiert – zunächst die Maskarons der Kugelkronleuchter:

Typ I:
Unter den vielfältigen Formen der Aufhängeösen von Schaftkronleuchtern aus Mes-
sing des 16. bis 18. Jahrhunderts in Norddeutschland ist die eine Art dieser Ösen
dreipassförmig. Ihr links- und rechtsseitiges Kreissegment wird aus je einer Sirene
gebildet. Dazwischen sitzt beidseitig ein kreisrunder, plastisch modellierter Löwen-
kopf. Diese Gestaltung ist stärker an barocken Kronleuchtern im westlichen Nord-
deutschland verbreitet (Abb. 41).

Typ II:
Die zweite Sorte dieser Aufhängeringe mit einer Löwenkopf-Maske ist annähernd
hufeisenförmig, wo die Enden als Pferdeköpfe gestaltet sind und das Mittelstück aus
gegenständigen Delphinen gebildet sein kann. Letzteres Motiv ist von den Unterhän-
gen der Renaissance-Kronleuchter bekannt.

Die Masken dieser Aufhängung sind flächiger gearbeitet. Es ist nicht immer ganz ein-
deutig erkennbar, ob sie tatsächlich immer Löwenköpfe mit Ring im Fang (Flensburg,
Evangelische St. Nikolai-Kirche) oder mit ihren behaarten, menschlichen Gesichtszü-
gen nicht doch Dämonen darstellen (Stralsund, Evangelische St. Nikolai-Kirche).560

560
Vom Kronleuchter im Dom zu Bremen vermittelt die Fotodokumentation der Firma Paul Oehlmann –
Leuchten, Kunsthandwerk, Bielefeld einen ersten Eindruck. – Kunst-Topographie Schleswig-Holstein,
1979. S. 639 (Rendsburg, St. Marien-Kirche). – G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler.
Hamburg. Schleswig-Holstein. 2. stark erw. und veränd. Aufl. 1994, S. 378. – Ders., Handbuch der
deutschen Kunstdenkmäler. Bremen. Niedersachsen. Neubearb., stark erw. Aufl. 1992, S. 1110. –
Die Bau- und Kunstdenkmale der Freien und Hansestadt Hamburg. Bd. II. Altona. Elbvororte, 1959,
S. 71 und Abb. 42 f. – G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg. Schleswig-
Holstein. 2. stark erw. und veränd. Aufl. 1994, S. 420. – Der Messingkronleuchter im Treppenauf-
gang des Rathauses trägt auf der Kugel die Inschrift * H * NICOLAVS RICHERS BVRGM * F *
GERDRVT BEHREN ANNO 1645 und hat einen Durchmesser von circa 160 cm bei einer Höhe von cir-
ca 220 cm. – G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg. Schleswig-Holstein, 2.
stark erw. und veränd. Aufl. 1994, S. 293. – Ders., Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bre-
men. Niedersachsen. Neubearb., stark erw. Aufl. 1992, S. 1135. – Vgl. H. v. Poser und Gross-
Kronleuchter-Unterhänge Seite 181

Diese Hängevorrichtungen kommen überwiegend an barocken Kronleuchtern im Os-


ten Norddeutschlands vor (Abb. 42).561

Naedlitz, Die Stadtpfarrkirche St. Nikolais zu Rinteln (Kunst-/Kirchenführer), o. J., S. 21. Die Datie-
rung in der Bildunterschrift wäre entsprechend der inschriftlich genannten Jahreszahl 1655 und ob
des Kronleuchtertyps zu korrigieren – wie ebd. auf S. 23. – Kunst-Topographie Schleswig-Holstein,
1979, S. 880 (Meldorf), 599 (Preetz), 475 (St. Annen), 831 (Wilster), 844 (Bad Oldesloe), 8 (Flens-
burg, Evangelische St. Nikolai-Kirche). – G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Meck-
lenburg. Neubrandenburg. Rostock. Schwerin, 1980, S. 386.
561
Die Mehrzahl der Schaftkronleuchter aus Messing des 16. bis 18. Jahrhunderts ist selten so detailliert
dokumentiert, dass aus den amtlichen Länderinventaren der Bau- und Kunstdenkmäler entsprechend
Aufschluss zu gewinnen wäre.
Kronleuchter als Stiftungen Seite 182

5. Kronleuchter als Stiftungen

Motivation und Inschriften


Schaftkronleuchter aus Messing des 16. bis 18. Jahrhunderts in evangelischen Kir-
chen Norddeutschlands sind in der Regel Stiftungen aus unterschiedlichen Gesell-
schaftsschichten und Anlässen. Darauf weisen zum Teil die Inschriften der Kron-
leuchter und – seltener – erhaltene Urkunden oder Schriftwechsel hin. Vereinzelt
sind die Wege der kunstgeographischen Verbreitung bekannt.562

Inhaltlich können die Inschriften im Wesentlichen aus bis zu neun Komponenten be-
stehen, die selten komplett berücksichtigt sind: Die Benennung und Zweckbestim-
mung der Stiftung, das heißt des Gegenstandes (Objektname, teils Erwähnung von
Material und Gewicht – sowie die jährliche Nutzung)563 unter Angabe des/der Stifter-
namen(s) mit/ oder ohne Hausmarke bzw. Wappen und des Stiftungsjahres, das in
Verbindung zu den persönlichen Lebensdaten des Donators/der Donatoren oder be-
sonderen historischen Ereignissen stehen kann. Ergänzend zu den Personennamen
können der Verwandtschaftsgrad und/oder der soziale sowie berufliche Stand be-
zeichnet sein. Ferner kann die Inschrift allein oder ergänzend aus einem Sinnspruch,
aus der Textstelle eines Bibelverses oder dessen Zitat bestehen.564 Der für diese In-
schriften gebräuchlichste Schrifttyp ist der Kapitalbuchstabe.

562
J. Kinder, Plön. Beiträge zur Stadtgeschichte, Plön 1904, S. 36. – Stiftungen neuzeitlicher Kronleuch-
ter aus Messing sind unterschiedlich motiviert. Eine der wenigen Inschriften, die den Eindruck einer
Opfer- oder Votivgabe vermittelt, bedeckt die Kugel des Kronleuchters mit gekrönten heraldischen
Doppel-Adler in Richtenberg/Vorpommern. „BIN GESCHENCKT: GOTT ZU EHREN DER KIRCHEN ZUR
ZIERDE WIE DER ALLMÄCHTIGE GOTT FAST DIE GANTZE WELT MIT EINER SCHWEREN RIND:VIEH-
SEUCHE GESTRAFFT: MAGDALENA CHRISTINA HOPPENRATHEN VERWITTWETE MENICKEN U: DES-
SEN SOHN HENIG DIEDE: RICH MENICKE PENSIONARIUS … ZU BÄRENHAGEN UND DÜRSCHAW:
M(e) F(ecit) JOHANN GOTTFR. WOSAECK STRALSUND 1747. – Zum Glockengießer Wosaeck; s. Die
Bau- und Kunstdenkmäler in der DDR. Bezirk Neubrandenburg, 1982. (Klein Plasten/Landkreis Wa-
ren). – W. Fiedler, Die Rinderpest in Schwedisch-Pommern – ein Anlass zur Stiftung barocken Kir-
cheninventars in Richtenberg bei Stralsund und in Trent auf Rügen, in: Tierärztliche Umschau, 60.
Jg., H. 3, 2005, S. 150-156. – KiA Lauenburg/Elbe 5133 Beleuchtung Nr. 959/768 Urkunde btr.
Schenkung Kronleuchter Dochtermann (1651). – Bemerkenswert sind Stiftungen von Kronleuchtern
während des Dreißigjährigen Krieges – wie zum Beispiel 1623 in Wittenburg/Schwerin, 1646 in Pe-
tersdorf/Minden, 1647 in Rendsburg, Evangelische St. Marien-Kirche. – Siehe u.a. Die Kunstdenkmä-
ler der Provinz Brandenburg, Kreis Sorau und Stadt Forst, Berlin 1939, S. 145.
563
Die Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck, Bd. IV, 1928, S. 554. – Lt. In-
schrift des Kronleuchters (1647) in der Evangelischen St. Marien-Kirche in Rendsburg: WICHT 343
PVNDT. – Siehe Schaftkronleuchter (1587) der evangelischen Kirche in Lübeck-Schlutup: 9
Li(e)sp(f)und. 1 Liespfund = 14 Pfund im Seehandel, 16 Pfund als Landfracht
564
Siehe dazu insbesondere die frühen amtlichen Länderinventare und dort in der Regel Kronleuchter-
Inschriften des 18. Jh. – wie z.B. Backemoor/Ostfriesland, Kronleuchter, 1790: „ICH BIN EIN TOD-
TES ERZ. DOCH DIEN ICH WIE ICH KANN MIT EINER WEIHNACHTSKERTZ IM TEMPEL IEDERMANN. 0
CHRIST LASS AUCH DEIN LICHT IN CHRISTO AUFGEGANGEN IN DIR UND DANN NACH PFLICHT ZUM
BEYSPIEL ANDERN PRANGEN. GEMACHT IN EMDEN BEY G. FRANKEN. 1790.“ Bei einem älteren
Kronleuchter (1786) in Hatshausen/ Ostfriesland bildet dieser zuvor zitierte Vers den zweiten Teil der
Inschrift, die so beginnt: ANNO 1786 HABEN DIE INTERESSENTEN VND EINWOHNER ZV HATTETS-
HAUSEN DIESEN KRONLEVCHTER ZVM SCHMVCK DES HAVSES GOTTES VND AVS LIEBE ZV SEINEM
WORT VEREHRET … 1. B. HAGIVS PAST HATTETSH. – Diese Informationen sind ein Teil der Inventa-
risierung, die Herr Dr. H. v. Poser, Referat für kirchliche Kunst, Kirchenamt der evangelisch-
lutherischen Landeskirche Hannovers durchführt(e).
Kronleuchter als Stiftungen Seite 183

Etliche frühneuzeitliche, aber zum Teil auch barocke Schaftkronleuchter tragen keine
und wenige dieser Exemplare nur kurze Inschriften, die einen (Personen-)Namen
und/oder eine Hausmarke, ein Wappen sowie ein Datum enthalten können. Mitunter
sind attributiv platzierte Wappenschilde als Inschriftenträger nicht mehr erhalten.
Aus einer derartig kurzen Inschrift ist die Zweckbestimmung des Leuchters heutzu-
tage kaum mehr eindeutig ersichtlich. Diese wird überwiegend aus der Funktion im
(kultischen) Verwendungszusammenhang des Beleuchtungsgerätes abgeleitet, ohne
die tatsächlichen Entstehungshintergründe zu benennen.

Einige der in Kapitel 3 und 4 vorgestellten frühneuzeitlichen Schaftkronleuchter kön-


nen entweder den Namen des Metallgießers – wie zum Beispiel in Buxtehude, Evan-
gelische St. Petri-Kirche: 1587 HANS BARS (Abb. 39) – oder sowohl den Namen des
Kunsthandwerkers als auch des Stifters bzw. jene der indirekt Zugeeigneten tragen,
so dass in Verbindung mit der Bekrönungsfigur die Provenienz und/oder der Bestim-
mungsort des Leuchters zu lokalisieren sind - wie in Barth, Evangelische St. Marien-
Kirche: 1590 DOMINICUS SLODT (Name des Gießers) sowie die Vornamen der Töch-
ter Herzog Bogislaw XIII.: SOPHIA HEDEWIEG, CLARA MARIA, ERDTMVEDT SOPHIA,
CATHARINA (Abb. 43).

Ein anderes Exemplar wie der Landsknechtkronleuchter in Steinkirchen/Elbe, der ty-


pologisch und ikonographisch der Renaissance zuzuordnen ist, trägt auf dem Ba-
luster der Spindel eine Inschrift, wie sie an sich auf barocken Kugelkronleuchtern
üblicher ist.

„ZVR.EHRE.GOTTES.V.DER.KIRCHEN. ZIERATH. TIES. KÖNINGH.T.S./DISSE KRON.


FVEHRET.HAT.1654.“ Die Verwendung dieser kriegerischen Kronleuchterfigur er-
schließt sich aus lokalhistorischen Prozessen.565

In Schriftstücken, die den Kronleuchter betreffen, kann der Gebrauch des Kronleuch-
ters und der Kerzen dagegen präzise formuliert sein, indem zum Beispiel deren Nut-
zung an die Erhaltung der Kirche als Stiftungsort und an bestimmte Feiertage im Kir-
chenjahr bindet oder die dazu erforderlichen Geldbeträge festlegt.566 Dazu einige
Beispiele:

In einer Urkunde aus dem Jahre 1594 im Adeligen Kloster Preetz heißt es zu einer
Stiftung, die auf die Unterhaltung des dortigen zierlichen Renaissance-Kronleuchters
bezogen ist:
„DE FUNDATION DER DORTEIN RIKESDALER; WELCHER JUNFER ELLSEBE SESTE-
DENN (Sehestedt), YWANUS DOCHTER, IN DE KERKEN THO PRE(E)TZE GEGEVEN
UND VORORDNET; VON DER RENTE JARLICHES LICHTE THO MAKEN UP SELIG ANNA
BROCKTORPEN KRONE. MARTINI 1594.“

565
Die Kunstdenkmale des Landes Niedersachsen. Regierungsbezirk Stade. Landkreis Stade. Textband.
1965. S. 8 f., 591. – B.-C. Fiedler, Der Wandel Stades in der Schwedenzeit 1645-1715. Stade als
Provinzhauptstadt unter schwedischer und dänischer Herrschaft 1645-1715. Allgemeine politische
Entwicklung, in: Stade (1994), S. 171-204, insbesondere S. 171 f.
566
A. Jessien, Diplomatarium des Klosters Preetz (1838), S. 187 f., CLXXI.
Kronleuchter als Stiftungen Seite 184

„…, dath wy itzu nomeden und gesettede Kerckswaren der Kaspell-Kerckenn tho
Pretze (Kirchgeschworenen der Kirchspiel-Kirche zu Preetz), …, vann … Ellsebe
Sestedenn, … empfangen unnd inn ganckbarem Gelde bekamenn hebbenn dorteinn
Stuckede gude Rikesdaler, jeder Daler tho dre unnd druttich Schilling Lüb(sch), de se
uth Christlicher Lewe (Liebe) unnd allße eine milde Gave in de Kaspell-Kerckenn tho
Pretze friwillich gegevenn unnd vorordnet, dat men jarliches Renthe so vell Wasses
(Wachs) kopen schall, alls sych de Renthe streckett, unnd dar Lichte vonn maken,
welche schallenn gesettet werdenn in Gottes Ehr tho vorberurden selige Junnfer An-
na Brocktorpenn Krone, de de hierbevorenn inn de Kerckenn tho Pretze gegevenn
unnd vorehrett hefft, unnd schall ock sulcher gedachter Hovettstoll unnd jarliche
Renthe tho keinem anderen Dinge gewendett oder angelechtt werdenn, dhenn allene
tho denn Lichtenn up der gemellten Kronenn, vann nu ahn beth so lannge de Kercke
steidt. Sulches is ehr ernstlicher Bevell unnd Wille, unnd wy haven genomedenn
Kerckswarenn samptt unsem havenn gemellthenn Pastorenn lavenn unnd redenn vor
unns, Alles wath minschlich unnd mogelich is, hieby tho dhon, alls wy willenn vor
Godt unnd unser gelefften Overicheitt, ock unnsen Caspelluden vorantwerdenn. Bid-
denn unnd begeren derwegen vann unnsenn Nakamelingen (Nachkommen) sullches
im gelichen Fall getreulich zu bestellenn unnd der Mathenn richtich tho holdenn. Da-
rinne geschudt der gedachten Junnfernn eyn besunderinger Wolgefallenn unnd ahn-
genemer Dennst, unnd unnser Her Godt wertt idt ock hir tidtlich unnd ewich tho be-
lonenn wethenn (…)“.

Aber auch zu barocken Kugelkronleuchtern, die morphologisch mehr Raum für unter-
schiedlich lange Inschriften bieten, kann es aktenkundliche Verfügungen geben:
„Register der Kerckenn Renthe tho Hatsted (Hattstett) angefangen nar der grothen
Waterflodt Anno 1634.
Anno 1644 den 19. Arilis (Aprilis) is der Ehrbar .. Harre Paings in der Marsch Wanhaf-
tig tho Lindtbargum sehl(ig) im H(errn) entschlapen, und heftt vor seinen .. Gott tho
Ehre und der Kerken thom Zierath eine Krone in de Kerken vorehret, und darby ver-
ordnet, Dat ß deme Krone mit 16 Waßlichte alletage underholden werde, und de
Lichter Jarliches de 3 hoge festdage alß Pasches (Ostern), Pinxten (Pfingsten) und
Christdach (Weihnachten) under des Vormiddags Predige brennen, bith der Gottes-
dienst verrichtet is. ...“567

Etliche Stiftungen barocker Kugelkronleuchter weisen ausführlich formulierte Wid-


mungen oder Zweckbindungen auf. Der häufig wiederkehrende, standardisierte
Wortlaut: „GOTT ZUR EHRE UND DER KIRCHE ZUR ZIERDE HABEN DIESE KRONE
GEGEBEN (und/oder) ZUM ANDENKEN AN (DIE/DEN SELIG ENTSCHLAFENE(N)/(Na-
men und Datum)) kann sprachlich aufgrund regionaler Dialekte variieren. Die zweite
Satzhälfte erscheint aufgrund persönlicher Daten aufschlussreich. Genannt werden
Angehörige unterschiedlicher Adelshäuser und ebenso der beruflich nicht näher be-
zeichnete Geselle. Weitaus häufiger treten die zur See fahrenden Kompanien oder
die unterschiedlichen Handwerksämter sowie Eheleute als Stifter von Kronleuchtern
auf. Einzelne Bezeichnungen der Donatoren kommen vor: Der fürstliche Amtmann,
Konventualinnen adeliger Klöster, Bürgermeister, „Ratsverwandte“, der Notarius des
Landgerichts, Vögte, königliche „Bestalte“ und Bedienstete – der Rechensmann, der
Kornschreiber, der Pastetenbäcker, ferner Pastoren, ein evangelischer Provisor sowie
Reepschläger, Witwen, Gelbgießer oder Kupferschmiede oder die Ämter unterschied-

567
KKrs.A. H.-B., Akte Hattstedt 245, Register 1634, S. 99.
Kronleuchter als Stiftungen Seite 185

licher Gewerke.568 Dieser zweite Teil der Inschrift dokumentiert mitunter Kosenamen
der Genannten – wie zum Beispiel „Eheliebste(r)“ oder „Ehephlentzelein“ – und mu-
tet damit nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes blumig an wie die ehrerbietenden
zeittypischen Anreden „hochwohlgeboren“, „vieltugendsam“, „wohledel“, sondern
benennt die individuellen Positionen innerhalb der Gemeinschaft.569

Einige Kronleuchter haben einen Bezug zum Funeralwesen und zur Sepulkralkultur.
Die Inschrift eines Schaftkronleuchters (1637) der Evangelischen St. Nikolai-Kirche
zu Bielefeld lautet:
„Anno 1637 den 23 octobris ist der Ehrenfest und wohlgelahrte Jobst Christian Wet-
ter, Osnab.(rück) Medicinae Candidatus in Godt dem Herrn Sahl. (selig) Entschlaffen
und auf dessen Verord.(nung) hat sein nachgelassene Wittib Anna Brünger diesen
Leuchter i.d. Kirch auf der alten Stadt Bielef.(eld) zu S.(ankt) Nicol.(ai) verehret.“570

Das Vorkommen von Inschriften auf Kronleuchtern bedeutet nicht unweigerlich eine
authentische Korrelation dieser Dotation zum ursprünglichen Bestimmungsort – e-
benso wenig belegt ihr Fehlen wie auch die Tatsache profaner Bekrönungsfiguren auf
Schaftkronleuchtern die angenommene Provenienz aus Privatbesitz.571 Über die Bei-
spiele hinaus, die diese Kronleuchter aus Messing des 16. bis 18. Jahrhunderts in
Norddeutschland als Gegenstand des Totengedenkens572 oder der Fabrica und Orna-
menta ecclesiae vorstellen, gibt es andere, die sowohl auf die erforderliche Spezifi-
zierung der Entstehung als auf jene der Verbreitung und Verteilung von Kronleuch-
tern hinweisen können. Dazu gehören das Brauchtum – wie zum Beispiel der Hand-
werksämter – im Wechsel vom Alltags-/Geschäftsleben und an Feiertagen wie auch
die politisch, wirtschaftlich und rechtlich begründbare Tatsache an sich, dass das
Wachs als Zahlungsmittel – wie zum Beispiel für Lohn, Gebühren, Bußgelder - diente.
Die Einnahmen und Ausgaben an bzw. für Wachs werden in den Kirchenrechnungs-

568
Siehe u.a. Kronleuchter-Inschriften in Schleswig, Dom (1661); Bredstedt, Evangelische Kirche
(1670).
569
„Eheliebste“ ist laut Inschrift des Kronleuchters der Evangelischen Kirche St. Servatius in Se-
lent/Schleswig-Holstein: Anna Margaretha Rantzow, verheiratet mit Christian Hanns Rantzow. Und
auch das Widmungsdaturn (Mai) 1660 geht aus der Inschrift auf der oberen Kugelkalotte hervor.
Vgl. G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg. Schleswig-Holstein. 2. stark erw.
und veränd. Aufl. 1994, S. 839. – Zu „Ehephlentzelein“; s. Die Bau- und Kunstdenkmäler des Regie-
rungsbezirks Stettin, H. IV: Der Kreis Usedom-Wollin, 1900, S. 380 (Kronleuchter, 1653).
570
Der Toten und Erinnerungskult ist seit der römischen Antike ein treibendes Motiv für die Herausbil-
dung des Stiftungswesens, der Begriff „Stiftung“ ist erst seit dem 19. Jahrhundert gebräuchlich,
s. M. Borgolte, Die Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialgeschichtlicher Sicht, in: ZRG
Kann Abt. 74, 1988, S. 71-94-1. – Ders., Stiftungen des Mittelalters im Spannungsfeld von Herr-
schaft und Genossenschaft, in: Manoria in der Gesellschaft des Mittelalters, 1994, S. 267-285. – Fo-
todokumentation (2. Hälfte 20. Jahrhundert) der Firma Paul Oehlmann & Sohn, Bielefeld. Zur Kron-
leuchterbekrönung „Justitia“, s. Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen. Kreis Bielefeld – Stadt,
1906, S. 18. – Zu Kronleuchter und Begräbnis s. u.a. Danmarks Kirker Maribo Amt, 1. Halbbd.,
1948, S. 168. – Ebd., Ribe Amt, 2. Bd. 1984, S. 924 f.
571
F. Michaelsen, Die Glückstädter Lichterkronen, in: Steinburger Jb., 9. Jg. 1965, S. 91-99 mit Abb.,
insbes. S. 94 f. – Danmarks Kirker. Praestø Amt, 2. Halbbd., 1933-35, S. 1098.
572
Hennstedt/Norderdithmarschen, Kronleuchter 1705 mit ausführlicher Inschrift; s. Kunst-Topographie
Schleswig-Holstein, 1979, S. 466 (Kurzbeschreibung!) mit Abb. 1247. – H. Ewe, Das alte Stralsund,
1995, S. 61.
Kronleuchter als Stiftungen Seite 186

büchern sehr detailliert notiert, teils sind auch die Kommentare zu Bezugsquellen
und Verbrauch des Wachses aktenkundlich.573

Nicht zuletzt ist neben jenen sozialkreativen Aspekten, die in Kapitel 2 verhandelt
werden, die rechtliche Komponente der Stiftung zu berücksichtigen. Indem das Kapi-
tal für einen Kronleuchter oder dieses Objekt selbst in Form einer gemeinnützigen
Stiftung als eine besonders zu verwaltende Masse von jeder persönlichen Inhaber-
schaft abgesondert ist, kann der Verwalter dieses Gutes zum Beispiel Eigentum oder
Forderungsrechte daran erwerben und darüber ausüben – solange wie auch der Stif-
tungszweck besteht. Es sei denn, dass der Donator die dauerhafte Ausführung einer
unantastbaren Zweckbestimmung der Stiftung verfügte. Die Frage nach dem Vollzug
der Stiftung zeigt, dass das Stiftungsrecht den Machtbereich des individuellen Willens
weit über seine natürlichen Grenzen hinaus erweitert, indem es dem letzten Willen
der Verstorbenen die Herrschaft über den Willen der Lebenden sichert. In diesem
Zusammenhang ist es interessant, dass aus dem 17. und 18. Jahrhundert Schreiben
zu Kronleuchtern in Kirchen erhalten sind, wo zum Beispiel die wirtschaftliche Situa-
tion des Vermächtnisnehmers berücksichtigt wird oder in anderen Fällen die Witwen
der Stifter gegenüber der lokalen evangelischen Kirchengemeinde – in persona der
Kirchgeschworenen – eine Rechtspositionen ansprechen und vertreten, die aus der
vollzogenen Stiftung ihrer Ehegatten abgeleitet ist. So ist eine Witwe in ihrem Brief
zunächst weniger um die Erinnerung an das Ableben ihres Ehemannes als Stifterper-
son bemüht als um die Vergegenwärtigung seines Wesens und Willens, um so die
postum zu deklarierende Zweckbestimmung des gestifteten Geldbetrages zu beein-
flussen.
„Hoch und WohlEdle, Veste, .., Hoch und Wohlgelahrte, Hoch und Wohlweise Hoch-
geehrte Herren,
Es ist denenselben vielleicht annoch erinnerlich, waß gestalt mein Seel(ig). Ehe-
l(iebster) in Seinem letzten Willen an hießiege St. Nicolai Kirche 100 R(eichstaler)
vermachet:
Wann ich dann nun Bedenke, daß mein Seel(ig) Ehel(iebster) zum öfftern bey seinem
Leben sowohl gegen mier als andern beglaubte Leute auch zu einigen H(erren) Provi-
sorum (Provisoren) selbst erwahnet, daß Er, falß Er ohne Kinder sterben solte, wohl
gesonnen wäre eine dergleichen schöne Krohne, wie Er sie in denen Hamburgischen
Kirchen gesehen, an die Kirche zu vermachen, dahero aber glaublich ist, daß Er diese
der Kirchen vermachte 100 R dazu emploiret wissen wollen, so habe A:V hidurch sol-
ches gehorsahmst eröffnen, und vernehmen wollen, ob Ich diese 100 R wohl dazu
emploiren könne, … ich versichere auch was mittelst quitungen hiernechst H. Provito-
ribus zu belegen verspreche, daß ich ohn mehr oder weniger hievonn verwandt habe,
versehe mir hierinnen geneigter declaration und verharre mit aller Ergebenheit

Strahls(und)
d(en) 8. Febr(uar) 1714 EE und hW Rahts
gantz verbundenste
Seel. C. S. Thoma Nachgelaßne Wittwe“574

573
KAP V A XI 18 (1793). – Urkundenbuch zur Chronik der Stadt Plön. Urkunden und Akten gesammelt
und mit Erläuterungen versehen von Bürgermeister Kinder, Plön 1890. – J. Kinder, Plön. Beiträge zur
Stadtgeschichte, Plön 1904, S. 36. – M. Berwing, Preetzer Schuhmacher und ihre Gesellen 1750-
1900. Aufschlüsse aus Archivalien, Kiel, Dissertation 1981, S. 67 f.
Kronleuchter als Stiftungen Seite 187

In der Evangelischen St. Nikolai-Kirche zu Stralsund tragen mit Ausnahme des mitt-
leren Kronleuchters „Muttergottes in Mandorla auf Kogge“ die übrigen Kronleuchter
einen heraldischen Doppel-Adler als Bekrönung. Wie im 18. Jahrhundert die Kron-
leuchter in den Kirchen Hamburgs aussahen, die gemäß Bezugnahme dieser Korres-
pondenz möglicherweise als Vorbild dienten, kann aufgrund der Auswirkungen des
Ersten und Zweiten Weltkrieges sowie bisher fehlender oder unbekannter Bilddoku-
mentationen gegenwärtig nicht konkretisiert werden.

Das zweite Beispiel der oben erwähnten Schreiben bezieht sich auf einen Kronleuch-
ter mit der Topfigur „Jupiter auf Adler“ in der Evangelischen Kirche St. Pankratius in
Hamburg-Ochsenwerder. Dort begründet die Witwe Catharina Stange unter Bezug-
nahme auf die erfolgte Stiftung eines Kronleuchters ihres verstorbenen Ehemannes
den fortbestehenden Anspruch an das Erb-Begräbnis „… deswegen sie beyderseits
die Crone dafür verehret, dass sie herunter wollen ruhen …“.575

Und zum zweiten Kronleuchter von Osten in der Evangelischen St. Michaeliskirche in
Eutin heißt es:
„Anno 1684 … vor Ostern hat der wohlehrenfeste H(er)r Henning Meier, alter und
wohlverdienter fürstlicher Haußvoigt hieselbst aus freywilligem christlichen Hertzen
zu Gottes ehren und kirchlicher Zierde eine schöne Messingskrone in hiesiger Haus-
kirchen lassen aufrichten. Und hat dabey fünffzig Reichsthaler legieret und vermacht,
auch selbige den ietzigen Structurario und vornehmste Kirchenjuraten … (von den
Zinsen sollen vier Wachslichter auf der Krone gehalten und ihre Reinigung durch den
Küster bezahlt werden). Als haben auch wohlgedachte Herren Testamentary solches
den 28. Septr. ao 1687 werckstellig gemacht und so … obligation … unterschrieben
in Gegenwart aller mit Interessenten … samt allen dazu gehörigen pertinentien ein-
gehändiget …, daß die obigen 800 Rthl. (Reichstaler) solten folgendermaßen genos-
sen werden. Namlich die 500 Rthl. so der Kirchen in perpetuum legieret, die sollten
so lange Zinsbar bleiben und nicht in Capitali angewiesen werden, so lange wie die
Kirche nicht aufs höchste zu der Structur selbiger benöthiget wäre, alsdan solte die
Kirche macht haben, solches Capital zu bedienen. Die übrigen 300 Rthl. aber möch-
ten zwar die Legatary nach bleiben aufkündigen … – Zu wissen, welcher gestalt der
weyland Edle großachtbarr und wohlfürnehme H. Henning Meier, hieselbst zu Eutin
viel Jahr hochfürstl. bischöfl. Haußvoigt, und der anno 1687 den 10. Juli seelig ver-
storben längst bey gesunden Tagen ein Testament seiner recht Gott selbst erworbe-
nen freyen güter gemacht, und in den selben unteranderem aus christl. Herzen ein
rühmliches Legatum von 800 Rthl.“

Deutlich vermittelt die prägnante Formulierung der „freiwilligen Stiftung“ den Prozess
der Individuation.576 Das Individuum entfaltet sich mit den Errungenschaften seiner
geistigen Befreiung und Selbständigkeit sowie mit Wissen um die Gnade Gottes nur
innerhalb der Gemeinschaft.

574
HSTA Rep. 28 Nr. 588 (1714).
575
HH St A 514-4, 1619 (1758).
576
G. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg. Schleswig-Holstein, 2. stark erw. und
veränd. Aufl. 1994, S. 791 (Schleswig-Friedrichsberg, Evangelische Dreifaltigkeitskirche, Kronleuch-
ter (1656). – Die Denkmäler des Rheinlandes. Kreis Kleve, o. J., (Hohkeppel/Gummersbach-Wipper-
fürth, Kronleuchter (1782).
Kronleuchter als Stiftungen Seite 188

Ein abschließendes Beispiel mag verdeutlichen, dass mit der Reformation das Stif-
tungswesen kaum zum Einsturz gebracht, vielmehr in anderen Dimensionen und un-
ter neuem Vorzeichen noch eine Rolle spielte.577
„Zur Bestreitung der Kosten der Erleuchtung der großen Kirchenkrone legierte der
Oldesloer Johann Daniel Fischer 1736 der Oldesloer Kirche eine jährliche Rente von
11 Mk (Mark) 12 ß (Schilling), welche in einer, jetzt dem Bürger Johann Friedrich
Schultz gehörigen, Koppel radiciert ist. - Für die Erleuchtung der kleinen Kirchenkro-
ne findet sich ein Legat des Jahres 1697, dessen Stifter unbekannt ist. Die jährliche
Rente beträgt 3 Mk, und ist in einem Garten vor dem Hamburger Thore radiciert, der
jetzt den Postmeister und Rathsverwandten wandten Schyte gehört.“578

Diese Auswahl an Inschriften ließe sich um jene Beispiele erweitern, die Bibelverse
und Sinnsprüche zum Inhalt haben. Bei aller Individualität, die auch schon im For-
menrepertoire und Motivschatz der Schaftkronleuchter zum Ausdruck kommt, zeich-
nen sich neue Vorstellungen von Ordnung, Gerechtigkeit und Gnade ab.579 Aus dieser
Perspektive, Teil eines Ganzen zu sein, ist die Kronleuchterstiftung mittels unter-
schiedlicher Zeichen mit in der Umgebung verankert.

die Inschrift eines Schaftkronleuchters mit bekrönender Engel-Statuette lautet:


„Ihneke Hayen ErbGesessen … Had zu Gottes Ehren und Dieser Kirchen … (diese)
Messinge Krone aus Freyen Willen verehret. Für Falschen Lehren Behüt Herr Jesu
Christ durch Deine Güt Hilf Dasz wir in der Unschuld seyn ohn Ketzerey In Deiner
Gemein Anno 1700“ (Wappen).

577
A. Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, 1997, S. 716. – C. Göttler, Die Kunst des
Fegefeuers nach der Reformation. Kirchliche Schenkungen, Ablass und Almosen in Antwerpen und
Bologna um 1600 (1996), s. 24, Anm. 6. – H. Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, 1. Geschich-
te des Stiftungsrechts (1963), S. 134, 141, 159, 160 f.
578
F. Seestern-Pauly, Aktenmäßiger Bericht über die in dem Herzogtume Holstein vorhandenen milden
Stiftungen, 2. T., 1.-6. H., 1831, S. 280. – H. v. Poschinger, Das Eigentum am Kirchenvermögen mit
Einschluss der heiligen und geweihten Sachen dargestellt auf Grund der Geschichte des Kirchenguts
und des katholischen und protestantischen Kirchenrechts, 1871, S. 235, 305. – M. Borgolte, a.a.O.,
1988. – Ders., a.a.O., 1994. – Kleinplastiken jeglicher Art gehören seit dem 16. Jahrhundert erneut
zu den favorisierten Kunstgegenständen. – Die Beschwörung des Kosmos. Europäische Bronzen der
Renaissance, Ausst.-Kat. Wilhelm Lehmbruck, Duisburg (1994/95), S. 10. – W. Paatz hatte darauf
hingewiesen, dass sich das revolutionäre Weltbild am treffendsten in kleinformatigen Bronzewerken
ablesen lasse. – Es stellt sich die Frage, ob dieser Gedanke auf bestimmte Figurentypen als Motive
neuzeitlicher Schaftkronleuchter aus Metall übertragbar wäre.
579
Danmarks Kirker. Søro Amt, 1. Halbbd., 1936, S. 210.
Metallgießer und Werkstätten Seite 189

6. Metallgießer und Werkstätten

Lokalisierung – Aspekte einer Zuordnung von Kronleuchtern


Die Methoden, um die Provenienz von Kronleuchtern zu ermitteln sind – im Rahmen
des jeweils Möglichen – naturgemäß sehr unterschiedlich und oftmals um neue As-
pekte zu ergänzen oder zu variieren.

Eine Vorgehensweise besteht in der Wahrnehmung und Verknüpfung der Informatio-


nen, welche die Objekte und Archivalien selbst bieten. Bisher sind nur wenige sig-
nierte oder annähernd vergleichbare Schaftkronleuchter aus Messing des 16. bis 18.
Jahrhunderts wie auch Werkstätten bekannt, um gegenwärtig Verbindungslinien her-
ausarbeiten zu können.

Sie führt am Beispiel der Kronleuchter in der Evangelischen Stadtkirche Glückstadt


zu der Erwägung, dass einer der für Glückstadt aktenkundlichen Metallgießer die be-
sagten Leuchter angefertigt haben könnte.

Dies ergibt eine Eingrenzung auf die in Glückstadt ansässigen und über die Stadt-
grenzen hinaus tätigen Bürger Berthold Eckhorst aus Rostock (Bürgereid Glück-
stadt 1661), Levin Lindemann (gest. 1678) und seinen Nachfolger Johann Lehmeyer
aus Stralsund (Bürgereid und Hochzeit mit Witwe Lindemann, 1678).580

Eines der besagten Objekte ist der Diana-Kronleuchter (2. Hälfte 17. Jahrhundert) in
der Evangelischen Stadtkirche zu Glückstadt (Abb. 112).

Die ausschließlich lokale Orientierung hinsichtlich der Provenienz des Leuchters und
Annahme, dass das Fehlen einer Inschrift und die „ungewöhnliche“ Topfigur auf eine
Stiftung aus einem Privathaushalt hinweisen könnte, ist nur so lange aufrechtzuer-
halten, wie keine anderen Beispiele einbezogen werden (können).581

Doch es gibt ein Pendant dazu in der Evangelischen Kirche St. Jakobi in Stralsund,
das inschriftlich in das Jahr 1671 datiert ist (Abb. 111).

Die nähere Betrachtung beider Exemplare zeigt eine annähernd adäquate Morpholo-
gie. Geringfügige Abweichungen bestehen in der Höhe des Kronleuchterschaftes –
deutliche Unterschiede in der Anzahl an Lichtkränzen, in der Gestaltung von Aufhän-
geöse und abschließendem Zapfen, sowie in der Platzierung der Urnen.

Letztere wechselt mit den Leuchterarmen der zwei Lichtkränze am besagten Kron-
leuchter in Stralsund und verdeckt so – in der Untersicht – einen Teil der Topfigur.

Zugleich stellt sich die Frage, welche Zierelemente zum mittleren Nutenmodul des
Kronleuchterschaftes gehörten.

580
Es ist unbekannt, ob Heinrich Lehmeyer, 1670 Glockengießer in Søllerød Kirche/Dänemark blutsver-
wandt oder Namensvetter ist, s. Danmarks Kirker. Københavns Amt, 1. Bd., 1944, S. 443.
581
F. Michaelsen, Die Glückstädter Lichterkronen, in: Steinburger Jb., 9. Jg., Hg. Heimatverband für den
Kreis Steinburg, Itzehoe 1965, S. 91-99.
Metallgießer und Werkstätten Seite 190

Insgesamt aber bieten die beiden Diana-Kronleuchter genug Anhaltspunkte e i n e r


Provenienz. In beiden Fällen ist die Statuette mit einem Chiton bekleidet und im seit-
lichen Damensitz auf behände springendem Rehwild dargestellt. Die Armhaltung der
Bekrönungen ist nicht identisch, folgt dennoch der Bewegungsrichtung des „Reittie-
res“. Weitere Attribute sind nicht erhalten.

Neben zahlreichen Zuordnungen der Diana – unter anderem als Göttin des Lichts –
ist sie durch Tintorettos „Diana und die Horen“ (um 1580) erneut Bildthema. Als eine
unter mehreren möglichen Bekrönungen und Teil des ikonographischen Bildpro-
gramms neuzeitlicher Schaftkronleuchter aus Messing in Norddeutschland, die im
Zeichen religionspolitischer Entwicklung betrachtet wurden, liegt die Deutung dieser
römischen Göttin als Göttin der Ordnung und des Rechts nahe.582

Und auch das Motiv der Diana, die stärker als mythologische Göttin der Jagd, denn
als Schwester Appolos und Göttin des Lichts bekannt ist, widerspricht der Anferti-
gung und Stiftung des Kronleuchters in einen sakralen Verwendungszusammenhang
nicht!

Gleichwohl ist ihr Name nicht mit der biblischen Göttin von Ephesus (Apostelge-
schichte 19, 24) zu verwechseln.

Die annähernd adäquate Morphologie der Leuchter, die inschriftliche Datierung 1671
des Kronleuchters in Stralsund und die persönlichen Daten des Johann Lehmeyer aus
Stralsund könnten dafür sprechen, dass er die Leuchter anfertigte oder möglicher-
weise im Zusammenhang mit Adam Lehmeyer in Stralsund zu sehen sind. Er ist dort
für das Jahr 1663 aktenkundlich (Abb. 158).583

Sowohl hinsichtlich dieser beiden, nahezu identischen Exemplare als auch für die
drei vergleichbaren Caritas-Kronleuchter in Keitum/Sylt und Rendsburg/Schles-
wig-Holstein sowie Werdum/Niedersachsen stellt sich die Frage, ob die jeweils
geringe Stückzahl auf eine Verbindung zur Ausbildung und Bewerbung als Meis-
ter zurückzuführen ist. Denn die Herstellung eines Kronleuchters bildete im Rah-
men der Meisterprüfung der Metallgießer eine der ersten Aufgaben. Die Zusam-
menhänge, die Hüseler anhand von Tätigkeitsbereichen, Bestimmungsorten der
Objekte und Schaffenszeit der Metallgießer vorstellt, sind häufig infolge kriegs-
bedingter Verluste von Kronleuchtern und fehlender Dokumentationen, kaum
formal noch stilistisch zu definieren.584

Die Gegenüberstellung der Abbildungen von Schaftkronleuchtern und/oder Be-


krönungen und Unterhänge im Bildband der vorliegenden Kronleuchterstudie
zeigt, dass es weiterer kunstwissenschaftlicher Forschungen bedarf, um die Pro-

582
E. Simon, Die Götter der Römer, 1990, S. 51-58. – H. Hunger, Lexikon der griechischen und römi-
schen Mythologie, 6. erw. u. erg. Aufl. 1974, S. 106 f. – K. Hoenn, Artemis, Gestaltwandel einer Göt-
tin, Zürich 1946, S. 133, 134, 155 ff., 168 f.
583
Die Bau- und Kunstdenkmale in Mecklenburg-Vorpommern. Vorpommersche Küstenregion. Mit Stral-
sund, Greifswald, Rügen und Usedom, Hg. Landesamt für Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern,
Berlin 1995, S. 149. – HSTA Rep 3 Nr. 5920 (1663); HSTA L 10 (1725). – LAS Abt. 133, Nr. 138.
584
K. Hüseler, a.a.O., 1922. S. 8, 50.
Metallgießer und Werkstätten Seite 191

venienz der erhaltenen Leuchter und ihres ikonographischen Programms im Nor-


den annähernd zu ermitteln.

Die stilkritische Betrachtung morphologischer Details scheint regional – wie am Bei-


spiel von Subfiguren und Unterhang des Kronleuchters (1638) der Evangelischen St.
Nikolaikirche in Kiel und jenes von 1661 im Dom zu Schleswig sowie exemplarisch an
Leuchterarmen und Zierelementen (Lübeck, Dom sowie Evangelischen St. Jakobikir-
che, 1678) – eine lineare, das heißt direkte Verbreitung bestimmter Formen anzuzei-
gen.585

Diese Darstellung ist auszuweiten, indem der Kronleuchter mit Doppel-Adler


(17. Jahrhundert) im Mittelschiff der Evangelischen Christkirche in Rendsburg sowohl
aufgrund der Schaftgliederung als auch hinsichtlich des Unterhanges aus Zapfen und
sirenenartigen Zierspangen Gemeinsamkeiten mit den zuvor genannten Kronleuch-
tern aufweist.

Die Daten weiterer Recherchen legen nahe, dass es sich hierbei, das heißt zuerst für
den Kieler Kronleuchter (1638), vermutlich um Werke des Rotgießers Fried-
rich Schreck handeln könnte.

Die Qualität des Kronleuchters und die Tätigkeitsbereiche dieses Kunsthandwerkers


als auch jene der Zeitgenossen Hans Gass von Rotum oder Hans Kronengeter im
Schloss/-garten und Rathaus zu Kiel lassen die Provenienz der Kronleuchter dort
vermuten.586

Eine ähnliche Gestaltung und offensichtliche Orientierung – erkennbar an Aufhängeö-


se, Bekrönungsmotiv und unterem Abschluss zeigt der Kronleuchter (1738) der Evan-
gelischen Christuskirche in Hamburg-Ottensen.587

Auch die folgenden zwei Schaftkronleuchter in Renaissanceformen mit bekrönendem,


gekrönten heraldischen Doppel-Adler und herabhängender Löwenkopf-Maske auf
Rømø/Dänemark (inschriftlich datiert 18. Jahrhundert) und in Hameln/Niedersach-
sen, Evangelische Kirche St. Bonifatius (Abb. 155, 156) bilden aufgrund stilistischer
Gemeinsamkeiten weitere Beispiele länderübergreifender Verbreitungswege und Ent-
wicklungen des Kundhandwerks.588

585
Die Kunstdenkmäler des Landes Schleswig-Holstein. Stadt Schleswig, 2. Bd.: Der Dom und der ehe-
malige Dombezirk, Bearb. D. Ellger, Hg. H. Beseler, München 1966, S. 494 f.
586
Kieler Schloßrechnungen des 17. Jahrhunderts, II. Das Inventar des Fürstlichen Hauses zu Kiel,
1654. Hg. J. Biernatzki, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, 22. H., Kiel
1906, S. 93, 97, 102. – F. Schreck wird die Anfertigung eines Hirschen (wohl um 1654) aus Messing
zugeschrieben. Potenzielle Zusammenhänge zum Hirschkronleuchter (1623, ursprünglich auf Schloss
Gottorf in Schleswig) des Rotgießers Lorenz Carstensen in Kooperation mit dem Bildhauer Hans Ochs
wären weiter zu untersuchen; s. u.a. E. Schlee, Der Bildhauer Hans Ochs, in: Nordelbingen (46),
Heide/H. 1977, S. 36-48.
587
Die Bau- und Kunstdenkmale der Freien und Hansestadt Hamburg. Bd. II: Altona. Elbvororte. Bearb.
R. Klee-Gobert. Hg. G. Grundmann, Hamburg 1959, S. 71 und Abb. 42, 43.
588
Danmarks Kirker. Københavns Amt, 4. Bd., 1951, S. 2288. – Ebd., Maribo Amt, 1. Halbbd., 1948,
S. 228. – Ebd., Sønderjylland. Konsthistorisk oversigt og registre, o. J., S. 316. – KiA Berdum KR I a
3 1762 ff. – Die im Rahmen der vorliegenden Kronleuchterstudie begonnenen Listen mit ortsalpha-
betisch und chronologisch verzeichneten Personennamen von Metallgießern waren zurückzustellen.

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