,,Reflexivität wurde als kritische Praxis en,pfbhlen, doch habe ich den
Verdacht, dass Rel'lexivität, wie Reflexion, bloß das Gleiche woandershin
verschiebt, und dabei Sorgen um Original und Kopie und die Suche nach
dem Authentischen und wirklich Wirklichen aufwirft. [...] Eher sollten
wir in materiell-diskursiven Apparaturen einen Unterschied rnachen und
die Strahlen der Technoscience so beugen, dass wir vielversprechendere
Interferenzmuster auf den Aufhahmefilmen unserer Leben ru.rd Körper
erhalten. Diflraktion ist eine optische Metapher für das Bernühen, einen
Unterschied in der Welt zu rrachen. [...] Diffraktionsmuster zeichnen die
Geschichte von Interaktion, Interferenz, Verstärkung und Differenz auf-.
Diffraktion handelt von heterogener Geschichte, nicht von Originalen.
Anders als Reflexionen, verschieben Diffiaktionen nicht das Gleichc in
mehr oder weniger verzerrter Fornr woandershin. [...] Vielmehr kann
Dif1iaktion eine Metapher für eine andere Art kritischen Bewusstseins arn
E,nde dieses ziernlich schmerzhaften Christlichen Millenniurns sein; eine,
die sich verschreibt, einen Unterschied zu machen, anstatt das Heilige
Ebenbild zu wiederholen. [...] Dif]iaktion ist eine narrative. graphische,
psychologische, spirituelle und politische Technologie zur Schaflung
konsequenter Bedeutungen."
Donna Haraway,
Modest Wittness(4Second_Millennium. Feu.raleMarri(t)_Meets_Onco MouserM
Das Phänomen der Diffraktion [*Anm.Üb.l] ist eine geeignete über- che der Essenz noch als fblgenlos: ,,ein Diffiaktionsmuster bildet nicht
greif'ende Trope für mein Buch l*Meeting the Universe Haffwa.vl. Dif- ab, wo Differenzen erscheinen, sondern wo die E//bkte von Diff-erenzen
fiaktion ist ein physikalisches Phänomen im Zentrum von Schlüsseldis- erscheinen" (ebd: 300). Inspiriert von ihrem Vorschlag, dieses reichhalti-
kussionen in der Physik und der Philosophie der Physik, mit tiefgreifen- ge und f-aszinierende physikalische Phänomen zu benutzen, um über Dif-
den Implikationen für viele wichtige Fragen dieses Buchs f*Meeting the f-erenzen von Gewicht [*diff'erences that matter] nachzudenken, arbeite
(Jniverse Hal.fwayl. Diffraktion ist auch eine geeignete Metapher zur Be- ich das Konzept der Diffraktion als Analysewerkzeug aus, das die Efl'ekte
schreibung meines methodologischen Ansatzes, Einsichten durch einan- von Differenz beachtet und auf sie eingeht.2
der hindurch zu lesen und dabei die Details und Besonderheiten von Dif- Selbstverständlich ist Diffraktion mehr als eine Metapher. Als Physi-
ferenzbeziehungen und deren Auswirkungen zu beachten und auf sie ein- kerin nimmt mich die Schönheit und Tief'e dieses Phänomens ein. Ich
zugehen. kann nicht anders. als es beinahe überall zu sehen. wo ich in der Welt
Wie Donna Haraway vorschlägt, kann Diffraktion als nützlicher hinschaue. Ich werde sogar argumentieren. dass wir Diffraktionsmuster
Kontrapunkt zu Reflexion dienen: Beide sind optische Phänomene, doch als Differenzmustcr, dic cinen Unterschied machen f*that make a diffe-
während die Metapher der Reflexion die Themen des Spiegelns und rencel in einem tiefbn Sinne als die wesentlichen Bestandteile verstehen
Gleichseins refl ektiert, zeichnet sich Diffiaktion durch Dift-erenzrnuster können, die die Welt konstituieren. Doch sollte die Leser_in nicht erwar-
aus. Haraway fokussiert unsere Auf'merksamkeit auf diese bildliche Un- ten, dass dieser ontologische Punkt vor dem letzten Kapitel des Buches
terscheidung, um wichtige Schwierigkeiten rnit dem Konzept der Refle- l*Meeting the Universe Ha!/wayl deutlich wird. Bevor wir dorthin gelan-
xion als verbreiteter Metapher für Wissen zu unterstreichen. Sie weist auf gen können, gibt es viele Argumentationslinien und E,insichten zu ent-
damit zusammenhängende Schwierigkeiten hin, die rnit dem parallelen wickeln und einiges über das Wesen von Difliaktion zu lernen. Bevor ich
Konzept der Reflexivität als (sozialwissenschaftlicher) Methode oder das Konzept der Diffraktion in diesem Kapitel einführe, möchte ich auf
Theorie der Selbst-Bilanzierung, des Beachtens der Auswirkung der The- die verschiedenen Ebenen eingehen, auf denen Diffraktion in meinem
orie oder der Forscher_in auf die Untersuchung, bestehen.r Haraway stellt Buch operiert.
heraus, dass die Methodologie der Reflexivität die geometrische Optik Damit Difliaktion ein ntitzliches Analysewerkzeug sein kann. ist ein
der Reflexion widerspiegelt und dass sie, trotz der derzeitigen Schwer- gründliches Verständnis ihrer Beschafl-enheit und Funktionsweise wich-
punktsetzung auf Reflexivität als kritischer Methode der Selbst- tig. So ist Diffraktion nicht nur ein interessantes Phänomen in der klas-
Positionierung, in Geometrien der Gleichheit gefangen bleibt; im Gegen- sischen Physik, ein Mittel, um einige bemerkenswerte Besonderheiten
satz dazt sind Diffraktionen auf Diff-erenzen abgestimmt - von unseren
Praktiken der Wissensproduktion gemachte Unterschiede, und die Etfek- Ihe
' ln ihrem Essay Promises of MonsterslMonströse Versprechenl (1992 t19951)
te, die sie auf die Welt haben. Wie die feministische Theoretikerin Trinh schlägt Haraway den Begriff der Diffraktion als Metapher für ein Neudenken der
Minh-ha ist Haraway daran interessieft, einen Weg zu finden, ,,,Diffe- Geometrie und Optik von Relationalität vor. ln ihrem Buch Modesf Witness (1997),
renz' als ,kritische Differenz im Innern' zu gestalten und nicht als taxo- befördert Haraway den Begriff der Diffraktion zu einer vierten semiotischen Katego-
rie. lch argumentiere hier nicht semiotisch; im vorsichtigen Erforschen der Details
nomische Markierungen, die Differenz als Apartheid zugrunde legen" von Diffraktion als physikalischem Phänomen und als Methodologie greift meine
(Haraway 1992: 299). Entscheidend ist, dass Diffraktion das relationale Ausführung eher das Konzept der Diskursanalyse auf und hilft mir, es neu zu for-
Wesen von Differenz beachtet; sie gestaltet Differenz weder als eine Sa- mulieren. Unter Beachtung der Quantenaspekte von Diffraktionsphänomenen un-
tersuche ich auch detailliert den Begriff der Verschränkung und schlage ein Neu-
1
denken von Raum, Zeit und Materie vor. Dies zeigt unter anderem die Not-
Für eine Diskussion über^ Reflexivität in der Literatur siehe beispielsweise Wool- wendigkeit, topologische sowie geometrische Rekonfigurierungen in genealogi-
gar 1988a. schen Analysen zu berücksichtigen.
28 29
Diffraktionen Karen Barad
rlt's Wcscrrs r.,on [-icht ar-rf2uzcigen. Dif]iaktion spielt eine noch grund- schließen: nichtsdestotrotz können wir rnit unserem sich verfeinernden
It'1it'ntlcrc llollc irr cler Quantenphysik, wo sie uns bei der Klärung einiger Verständnis des Phänomens diese Einsichten in weitere Verf-einerungen
rvcscrrllicher cpistcrnologischer und ontologischer Fragen helf-en kann. und Einstellungen einbringen, um unsere Untersuchungen schärf'en,
Wic ich crl<lären werdc, ist Diffraktion ein Quantenphänomen, das den ^)
und so weiter. Doch ist genau dies, wie vielleicht am Ende dieses Kapi-
Nictlcrgang klassischer Metaphysik deutlich macht. Diffraktionsexperi- tels klar sein wird, die Durchführung einer diffraktiven Methodologie,
nrcnte stehen im Mittelpunkt der ,Welle versus Teilchen'-Debatten über sozusagen auf der nächsthöheren Ebene. Die vorliegende Analyse bedarf
clas Wesen von Licht und Materie. Tatsächlich ist das sogenannte Doppel- somit eines Durchdenkens der Details von DifTraktion als physikalisches
spaltexperiment (welches ein DifTraktionsgitter mit nur zwei Spalten be- Phänomen unter Einbeziehung der Quantenverständnisse von Dilliaktion
nutzt) ernblematisch für die Geheimnisse der Quantenphysik geworden. und den wichtigen Unterschieden, die sie ausmachen, um die Diffrak-
Der Physiknobelpreisträger Richard Feynman sagte einmal über das tionsapparatur für die E,rfbrschung des betreffenden Phänomens - in die-
Doppelspaltexperiment, dass es ,,ein Phänomen [ist], das unmöglich, ab- sem Falle Diffraktion selbst - einzustellen. So kann eine neue Art des
solut unmöglich, in irgendeiner klassischen Weise zu erklären ist, und das Denkens über das Wesen von DifTerenz sowie von Raunr, Zeit, Materie,
das Herz der Quantenmechanik in sich trägt. In Wirklichkeit enthält es Kausalität und Wirkmächtigkeit [*agency; enm.Üb.Z], neben anderen
das einzige Geheimnis.' In der Tat haben neuere Studien über Diffrak- wichtigen Variablen, produziert werden.
tionsphänomene (lnterferenzphänomene) Einsichten über das Wesen der Zusammengefässt I iegt mein Interesse darin, Diffiaktionsapparaturen
Verschränkung von Quantenzuständen geboten und so Physiker_innen zur Untersuchung der verschränkten Eff'ekte von Difierenzen zu erstellen.
errröglicht, metaphysische Vorstellungen im Labor zu testen. E,inesteils Eines meiner Hauptanliegen ist die Erforschung des Wesens von Ver-
stirnmt es also, dass Diffraktionsapparaturen die Effekte von DifTerenz schränkungen und der Beschaffenheit dieser Forschungsaufgabe. Was ist
messen; überdies betonen. offenbaren und erweisen sie die verschränkte in der Untersuchung von Verschränkungen inbegriffen'? Wie können sie
Struktur der sich verändernden Ontologie der Welt, einschließlich der analysiert werden? Gibt es einen Weg, sie zu untersuchen, ohne in ihnen
Ontologie von Wissenspraktiken. Tatsächliclr bringt Diffraktion nicht nur hängen zu bleiben? Was kann über sie gesagt werden'/ Gibt es Begren-
die Realität von Verschränkungen ans Licht, sie ist selbst ein verschränktes zungen dessen, was gesagt werden kann'/ Mein Anliegen ist weder, all-
Phänornen. gemeine Aussagen zu treffen, als gäbe es etwas Universelles über alle
Es ist unmöglich, diese Argumente und ihre Relevanz ohne eine Verschränkungen zu sagen, noch analoge Ausweitungen meiner Beispiele
gründliche Untersuchung der Physik der DifTraktion zu erfässen. Doch auf andere zu ermutigen, noch will ich die Autorität der Physik wiederbe-
um an dre tief-en Bedeutungen von Verschränkungen und an das Wesen stärken. Stattdessen hoffe ich, dass meine Untersuchung deutlich macht,
von Diffraktion zu gelangen, bedarf es einer Methode philosophischen dass Verschränkungen hochspezifische Konfigurationen sind und es sehr
Fragens, die sich mit den Details der Physik befasst, während sie auch schwierig ist, Apparaturen zu ihrer Analyse zu bauen, unter anderem,
E,insichten aus der Philosophie und anderen Fachbereichen ernst nimmt. weil sie sich rnit jeder Intra-Aktion [*Anm.Üb.3] verändern. Genau ge-
Ich argumentiere, dass ein diffraktiver Analysemodus in dieser Hinsicht nommen ist es nicht so. dass sie sich von einem Moment zum nächsten
hilfieich sein kann, wenn wir unsere analytischen Instrumente (das heißt oder von einem Ort zum andern verändern, sondern dass Raum, Zeit und
unsere Dif fraktionsapparaturen) auf eine Weise abzustimmen lernen, die Materie nicht vor den Intra-Aktionen bestehen, welche Verschränkungen
aufmerksam genug für die Details der Phänomene ist, die wir verstehen rekonstituieren. Daher ist es verschränkten Relationalitäten möglich,
wollen. So werden Diffiaktionsphänomene manchmal das Untersu- Verbindungen zwischen ,Entitäten' herzustellen, die einander in Raum
chungsobjekt sein und manchmal als Untersuchungsapparatur fungieren; und Zeit nicht nahe erscheinen. (Mehr hierüber in Kapitel 7 [*von Mee-
sie können nicht beiden Zwecken zugleich dienen, da diese einander aus- ting the Universe Halfwayl.) Die Spezifität von Verschränkungen ist das
30 3l
Diffraktionen Karen Barad
t Es ist leicht, ein Diffraktionsmuster selbst herzustellen. Wenden Sie lhr Gesicht
zur Lichtquelle und halten zwei Finger sehr nah zusammen (aber ohne Berüh-
rung) vor eines lhrer Augen. Schauen Sie genau hin. Sie sollten Linien von Hell
und Dunkel zwischen lhren Fingern erkennen können. Probieren Sie, den Ab-
stand zwischen lhren Fingern zu variieren und beobachten Sie die Veränderung
des Musters. Diffraktionsmuster variieren mit der Größe des Spalts. Das Muster
variiert auch mit der Wellenlänge (Farbe) des Lichts und den Abständen zwi-
schen Spalten, wenn es mehr als einen gibt.
o
Die Lichtquelle, die für die Herstellung dieses Bildes benutzt wurde, ist mono-
chromatisch (einwellig) und kohärent (die Wellen sind phasengleich - das heißt,
im Gleichschritt miteinander).
32 JJ
Diffraktionen Karen Barad
t'irrc rlil'lirse l.ichtcluelle oder eine, die ein Spektrutr von Wellenlängen Es ist wichtig, im Kopf zu behalten, dass Wellen eine ganz andere
rrrrsstr.rrlrll, wic cinc Glühbirne, viele verschiedene einander überlagernde Art von Phänomen sind als Teilchen. Klassisch gesprochen sind Teilchen
l)il'li'aktionsnruster entstehen lässt, die einander verbergen.) Wenn Sie materielle Entitäten, und jedes Teilchen besetzt einen Punkt im Raum zu
tlas []ild sorgftiltig betrachten, werden Sie sehen, dass der von der Rasier- einem gegebenen Zeitpunkt. Wellen, andererseits, sind nicht per se Din-
l<linge geworf'ene Schatten nicht das scharf abgegrenzte geometrische ge; eher sind sie Störungen Ixdisturbances; Anm.Üb.4] (die ntcht aLrf ei-
Bild ist, dass Sie erwartet haben mögen. So gibt es nicht einen einzelnen, nen Punkt lokalisiert werden können), die sich in einem Medium (wie
durchgehend dunklen Bereich in Form der Klinge, der auf allen Seiten Wasser) oder als schwingende Felder ausbreiten (wie elektromagnetische
von eitrem einheitlich hellen Hintergrund umgeben wird. Eher offenbart Wellen, wovon das bekannteste Beispiel Licht ist). Anders als Teilchen
eine sorgl?iltige Betrachtung eine unbestimmte Außenlinie urn jede der können Wellen einander am gleichen Punkt im Raum überlagern. Wenn
Kanten: entlang der Innen- und Außenkanten gibt es abwechselnde Lini- das passiert, kornbinieren sich ihre Amplituden und fbrmen eine zusam-
en von Dunkel und Hell, die die Bestimmung einer ,wirklichen' Grenze mengesetzte Welle. Wenn sich beispielsweise zwei Wasserwellen überla-
recht schwierig werden lassen. Vielleicht noch überraschender sind die gern, kann die resultierende Welle größer oder kleiner sein als jede der
Linien von abwechselndem Dunkel und Hell sogar ganz im Zentrum, das Einzelwellen. Wenn zum Beispiel der Berg einer Welle den Berg einer
mit dem ausgestanzten Teil der Klinge korrespondiert. Sollte dieser ganze anderen Welle überlagert, ist die resultierende Wellenfbrm gröfJer als dre
Bereich nicht eigentlich hell sein'J Wie können dort überhaupt dunkle Li- Einzelwellen. Wenn hingegen der Berg einer Welle das Tal einer anderen
nien sein? Wie können wir dieses entstandene Muster verstehen'/ überlagert, können die Störungen einander teils oder in manchen Fällen
gänzlich auslöschen, was in einen Bereich relativer Ruhe resultiert. Somit
ist die resultierende Welle eine Summe der Effbkte jeder Einzelwelle; das
heißt, sie ist eine Kombination der Störungen, die jede Welle einzeln pro-
Abb. 2 - Fotografie des unmittelbaren
Schattens einer Rasierklinge, die von duziert hat. Diese Art des Kornbinierens von Effekten wird Superposition
einer monochromatischen Lichtquelle genannt. Das Konzept der Superposition ist zentral, um zu verstehen, was
beleuchtet wird. Beachten Sie die Dif- eine Welle ist.5 Betrachten wir ein geläufiges Beispiel. Wenn zwei Steine
fraktionsstreifen - die Existenz dunkler gleichzeitig in einen ruhigen Teich fällengelassen werden, breiten sich
Linien in hellen Regionen und heller Li-
nien in dunklen Regionen, die durch die von jedem Stein hervorgeruf-enen Störungen im Wasser nach außen
die Diffraktion von Wellen um die lnnen- hin aus und überlagern einander, wobei sie ein Muster produzieren, das
und Außenkanten der Klinge entstehen. aus den relativen Dif'fbrenzen (in Amplitude und Phase) zwischen den
Aus Francis W. Sears, Mark W. Zeman- überlagernden Wellenteilen resultiert (siehe Abbildung 31.t' Es wird hier
sky und Hugh D. Young, University
Physics, 6. Ausgabe O1 982 bei Addi-
son-Wesley Publishing Company, lnc. 5
Superposition wird in Kapitel 3 und 7 l.in Meeting the lJniverse Hatfwayl delall-
Nachdruck mit Genehmigung durch lierter diskutiert. Wie wir sehen werden, haben Superpositionen in der Quanten-
Pearson Education, lnc.
mechanik weitreichende lmplikationen.
6
Eine Welle hat zwei wichtige Charakteristika: Amplitude und Wellenlänge. Die
Wellenamplitude ist ihre Höhe (d.h. die relative Größe der Störung). Die Wellen-
länge ist die Distanz zwischen den Wellenbergen. Die Amplitude einer Welle ist
ventuandt mit ihrer lntensität (oder Helligkeit im Falle von Lichtwellen). Die relative
Phase von Komponentenwellen in einer Wellenform setzt gleichartige Eigen-
schaften zueinander in Verhältnis (2.8. kann von der relativen Phase der Berge
34 35
Diffraktionen Karen Barad
davon l'('sl)r()clrcn. rlass clie Wellen rniteinander interferieren, und das Ein ähnliches Muster kann beobachtet werden, wenn in einem Was-
entstclrcr rtlc M rrslcl' w ird I nterferenzmuster genannt.T serbrecher zwei ÖfTnungen vorhanden sind (siehe Abbildung 4). Die
ringförmigen Wellen, die aus jeder der Öffnungen im Hindernis hervor-
treten. kombinieren sich und bilden ein Interferenz- oder Diffrak-
tionsmuster. (Das resultierende Muster sieht genauso aus wie eine Hälfte
jenes Interferenzmusters, das von den zwei in den Teich fallenden Stei-
nen produziert wurde.)
Abb. 4 - Zeichnung eines Wasserbre-
f §§&.l
chers mit zwei gleichgroßen Öffnun-
:!l gen, der als Diffraktionsgitter für ein-
r* laufende Wellen fungiert; aus der Vo-
gelperspektive. Die parallelen Linien,
rt.. § die sich dem Wasserbrecher nähern,
Abb. 3 - Zwei Bilder von Diffraktions- oder lnterferenzmustern, die von Wasser- !, ,§
und die konzentrischen Kreise, die
lth
wellen produziert werden. Das linke Bild (a) zeigt das Muster, das von mehreren aus ihm hervortreten, stellen die Wel-
einander überlagernden Störungen in einem Teich produziert wurde. Das rechte ,,;
F,' &r lenfronten oder -berge dar. Ein Dock,
. .{a.
Bild (b) zeigt ein Muster, das in einem Wellentank durch wiederholte periodische lr.
;
't u.. rechts positioniert, misst die Amplitude
Störungen an zwei Punkten entstanden ist. Wellentanks sind ein beliebtes Gerät i .. *:. der einlaufenden Wellen: Sowie die
zur Demonstration von Wellenphänomenen. Dieses Bild zeigt deutlich distinkte Re- Wellen auf das Dock treffen, bewegen
": ,§
gionen von Verstärkung (konstruktive lnterferenz) und Abschwächung (destruktive
lnterferenz), die von den einander überlagernden Wellen hervorgerufen wurden.
r*r. sie die einzelnen Bretter auf und ab;
1 wie sehr jedes Brett sich auf oder ab
(Die Kegelformen, die nach außen zu strahlen scheinen, sind Orte, an denen die [*
!il
bewegt, hängt von der Amplitude der
Einzelwellen einander auslöschen.) Fotografie 3a von Karen Barad. Fotografie 3b t.
,ä
&, Gesamtwelle an jedem einzelnen
aus Berenice Abbott, ,,The Science Pictures: Water Pattern", Nachdruck mit Ge-
nehmigung von Mount Holyoke College Art Museum, South Hadley, Massachu-
:,f
t &.,
Punkt entlang des Docks ab. lllustrati-
on von Nicolle Rager Fuller für die Au-
setts. &s, torin. Nachdruck mit Genehmigung
Liefen Sie entlang des Docks, würden Sie spüren, wie sich die Bret-
der Komponentenwellen gesprochen werden). Wenn die Komponentenwellen ei- ter des Docks mit den einlaufenden Wellen auf und ab bewegen. Wie sehr
ner Wellenform miteinander ausgerichtet sind, wird gesagt, sie sind ,in Phase'. sich jedes Brett auf oder ab bewegt, hängt von der Amplitude der Ge-
' Es ist vielleicht sinnvoll anzumerken, dass ,lnterferenz' ein irreführender Begriff
samtwelle an jedem einzelnen Punkt entlang des Docks ab. Wenn Sie am
für Neulinge sein kann, da das Verb ,interferieren' Konnotationen von Unter-
brechung, Hinderung oder Blockierung trägt. Wenn sich Wellen treffen, unter- Dock auf und ab liefen. würden Sie das wechselnde Muster von Berei-
brechen oder blockieren sie einander nicht, es passiert kein Aufprall oder Zusam- chen mit zunehmenden und abnehmenden lntensitäten (d.h. der Höhe
menstoß, wie im Falle von zwei Teilchen. lm Gegenteil ist es so, dass die Wellen oder Amplitude) der Gesamtwelle erfähren. Beispielsweise ist die Intensi-
ungehindert von der Präsenz der je anderen koexistieren können; sie können ein- tät der Gesamtwellenform an Punkt A (der Punkt auf dem Dock, der sich
ander in einem gemeinsamen räumlichen Bereich überlagern - sogar an einem
einzelnen Punkt. Es gibt wunderbare interaktive Möglichkeiten, online etwas über
direkt gegenüber dem Mittelpunkt zwischen den Spalten in der Wand bc-
Diffraktion und lnterferenz zu lernen. Siehe beispielsweise die Physics Java Ap- findet) groß, und auf den Brettern dort würden Sie die starken Schwin-
p/efs-Seite von Chiu-king Ng, einem Physiklehrer in Hong Kong: http://ngsir. net- gungen spüren. Bewegten Sie sich zu einer der Seiten von Punkt A, wür-
firms.comienglishhtm/Diffraction.htm. Siehe Fußnote 20 des ersten Kapitels [-in den Sie eine Abnahme der Amplitude oder Intensität der Gesamt-
Meeting the Universe Halfwayl.
36 31
Diffraktionen Karen Barad
wellenfbrm erlähren. An Punkten wie B I und 82, wo die Berge der Wel-
len, die sich aus der eineu Öttnurrg in der Wand ausbreiten, die Täler der
anderen trefl-en, gäbe es relative Ruhe, und Sie würden kaum eine Bewe-
gung der Bretter fühlen. Doch weiter weg am Dock, an Punkten wie C I
oder C2, wo sich die Berge und ebenso die Täler - der Wellen aus bei-
den Öffnungen treff-en, zieht die Cesamtwellenamplitude wieder an und
die Bretter an dicsen Stellen würden ziemlich nach oben und unten
schwanken (edoch r-richt so stark wie an Punkt A). Dieses abwechselnde
Muster der Wellenintensität ist charakteristisch für Interf-erenz- oder Dil'-
fraktionsmuster.8
Abbildung 5 zeigt die analoge Situation für Lichtwellen. Zwei Spalte
sind in einen Schirr.n oder cin anderes lichtundurchlässiges Hindcrnis ge-
schnitten. Ein Zielschirm wird parallel hinter dem Hindernisschirm plat- Abb. 5 - Zeichnung der Seitenansicht eines Doppelspaltexperiments mit kohä-
ziert. Wenn die Spalten von einer Lichtquelle beleuchtet werden, er- renter monochromatischer Lichtquelle. Auf dem Zielschirm zeigt sich das charak-
scheint ein Diffraktions- oder Interf-erenzmuster auf dem Zielschirnt. Das teristische lnterferenz- oder Diffraktionsmuster mit abwechselnden Streifen heller
(d.h. Stellen, an denen die Lichtwellen phasengleich sind und konstruktiv mitein-
heißt, es gibt ein Muster. das sich durch Streif-en heller und dr"rnkler Be-
ander interferieren) und dunkler (d.h. Stellen, an denen die Lichtwellen phasen-
reiche auszeichnet: hclle Stellen erscheinen an Orten. wo die Wellen ein- verschoben sind und destruktiv miteinander lnterferieren) Gebiete. Der Graph auf
ander verstärken das heiflt, wo es ,konstruktive Interf'erenz' gibt - und der rechten Seite zeigt, wie die lntensität des Lichts mit dessen Distanz entlang
dunkle Stellen erscheinen dort. wo die Wellen einander auslöschen das des Zielschirms variiert. lllustration von Nicolle Rager Fuller für die Autorin. Nach-
heiflt. wo es ,destruktive Interf-erenz' glbt. druck mit Genehmigung.
Jetzt sind wir in der Lage, das von einer Rasierklinge geschaf-fbne
Diffraktionsmusler zu verstehen, das uns Abbildung 2 zeigt. Physiker in-
nen verstehen Diffraktion als Resultat der Superposition oder lnterfbrenz
von Wellen." So ka,l, im Fall der Rasierklinge das Diffraktionsmr,rster als
Resultat des Kombinierens (d.h. der Superposition) einzelner Wellen-
komponenten verstanden werden, wenn diese um die vielen Kanten der
Rasierklinge herum hervortreten. Betrachter, wir beispielsweise den hel-
len Fleck, der an der Stelle des Schirms erscheint, die genau mit dem
Zentrum des kreisförmigen Teils der Öffnung in der Klinge korres-
pondiert (in der Mitte des Bildes). Wie können wir die Existenz dieses
B
Das eigentliche Muster hängt von spezifischen Eigenschaften ab, darunter die hellen Flecks verstehen. oder noch überraschender, die Existenz von
Wellenlänge der Wellen, die Breite der Spalte (Öffnungen;, und der Abstand zwi- dr-rnklen Linien in der Lücke'7 Wo kommt der Wechsel von hellen und
schen ihnen. lnsbesondere werden bei einem gegebenen Diffraktionsgitter (Was-
serbrecher) verschiedene Wellenlängen an verschiedenen Stellen auf dem e
Schirm (dem Ufer oder einer anderen Oberfläche) konstruktiv und destruktiv inter- Physikalisch gesprochen sind Diffraktion und lnterferenz ein und dasselbe. Sie
ferieren. Dies erklärt, warum Diffraktionsgitter weißes Licht in verschiedene Teil- haben beide mit der Tatsache zu tun, dass sich ihre Amplituden kombinieren,
farben auftrennen (und so praktisch wie ein Prisma fungieren). wenn Wellen einander überlagern.
38 39
Diffraktionen Karen Barad
dunklen Linien her? Das Diffraktionsmuster in der Öftnung ist durch die dass sie die Diffraktionsmuster nutzen können, die von vor der Küste
Superposition der von den Kanten der Klinge kommenden Lichtwellen herausragenden Felsen oder Landstücken geschaffen werden. Diese Sur-
entstanden. Wo die Wellen einander verstärken. erscheint ein heller f-er_innen reiten das Diffraktionsmuster im wahrsten Sinne des Wortes.
Fleck. Die dunklen Stellen sind Orte. an denen die Wellen einander aus- Es gibt viele weitere Gelegenheiten, Diffraktions- bzw. Interferen-
löschen. Das erscheinende Muster hat mit der präzisen Geometrie der Ra- zphänomene im Alltagsleben zu beobachten. Beispielsweise ist der Re-
sierklinge zutun, in diesem Fall besonders mit ihren Symmetrien.r0 genbogeneffekt, der üblicherweise auf CDs zu sehen ist, ein Diffrakti-
E,s mag ein wenig herausfordernd sein, die eher komplexe Geometrie onsphänomen. Die konzentrischen Ringe der Spiralspur, die die digitale
einer Rasierklinge zu durchdenken. Es könnte hilfieich sein, über einen Inlormation enthält, lungieren als Diffraktionsgitter, welches das weiße
einfächeren Fall nachzudenken. Betrachten wir, was passiert, wenn eine Licht (Sonnenlicht) in ein Spektrum von Farben aufspaltet.12 Der Wirbel
Lichtquelle ein kleines lichtundurchlässiges Objekt wie eine kleine Blei- von Farben auf einer Seifenblase oder einem dünnen Ötntm auf einer
Geschosskugel beleuchtet. Eine r könnte einen runden Schatten erwarten, Pfütze sind ebenso Beispiele für Diffraktions- bzw. Interf-erenzphä-
der auf die Wand hinter der Kugel geworfen wird. Doch wird bci näherer nomene.13 Auch das Schillern von Pfäuenfedern oder von Flügeln be-
Betrachtung deutlich, dass es einen hellen Fleck im Zentrum des Schat- stimmter Libellen, Falter und Schmetterlinge - also die Art wie die Farb-
tens gibt.'r Wie ist dies möglich? Die Antwort ist, dass er Teil des Dif- nuancierung sich mit dem Blickwinkel der Beobachter_in verändert ist
fraktionsmusters ist, das aus der Superposition von Komponentenwellen ein Diffraktionseffekt. Aus Sicht der klassischen Physik sind Dif--
resultiert, wenn sie auf der anderen Seite der Kugel hervortreten. Ebenso fiaktionsmuster schlicht das Ergebnis von Differenzen (der relativen Pha-
wie in Abbildung 4, wo sich die Wellen a1s Resultat ihres phasengleichen se und Amplitude) sich überlagernder Wellen.
Einlaufens zu einer Welle mit großer Amplitude an Punkt A (gegenüber Einige Physiker_innen bestehen darau{, die historische Unter-
dem zentralen Punkt zwischen den Ötfnungen im Wasserbrecher) kornbi- scheidung zwischen Interf'erenz- und Diffraktionsphänomenen beizu-
nieren, trefl'en sich die Wellen, die die Kanten der Geschosskugel passie- behalten: sie reservieren den Begriff ,Diffraktion' für das offenbare Beu-
ren, miteinander phasengleich im Zentrum des Schattens. Surfer_innen gen und Ausbreiten von Wellen nach ihrer Begegnung mit einem Hinder-
kennen dieses Phänomen gut, da sie manchmal sehr gute Wellen auf der nis und verwenden ,lnterferenz' in Bezug auf das, was passiert, wenn
anderen Seite eines großen Felsen vor der Küste reiten können. Das heil}t,
10
Auch ein Einzelspalt-Diffraktionsmuster zeigt Streifen konstruktiver und de-
" Wenn Sonnenlicht, das das volle Spektrum an Farben aus dem sichtbaren Teil
des elektromagnetischen Spektrums enthält, ein Diffraktionsgitter durchquert,
struktiver lnterferenz. Eine Erklärung von Einzelspalt-Diffraktion in Form der lnter- führt die Überlagerung von Lichtwellen zur Verstärkung einiger Farben in einigen
ferenz von ,Elementaruuellen' (unter Verwendung des Huygens'schen Prinzips) ist Regionen der Scheibe und zur Verringerung (oder Eliminierung) anderer. Welche
in einführenden Lehrbüchern zur Optik zu finden. Farben in bestimmten Regionen verstärkt und welche verringert werden, hängt
" Dieser Fleck wird Poisson-Fleck genannt. Dieses Phänomen spielte eine wich- von der Wellenlänge der Lichtwelle ab, das heißt von ihrer Farbe. Daher sind ver-
tige historische Rolle in Debatten über die Welle-versus-Teilchen-Natur von Licht. schiedene Regionen unterschiedlich gefärbt.
ln der Hoffnung, die absurde Vermutung zu widerlegen, Licht sei eine Welle, " Die vielen Farben, aus denen sich weißes Licht zusammensetzt, werden hier
reichte Simöon Poisson 1818 eine Arbeit bei einem von der Französischen Aka- aufgespalten, weil die Lichtwellen von jeder Seite des dünnen Films miteinander in-
demie der Wissenschaften gesponserten wissenschaftlichen Wettbewerb ein, in terferieren bzw. einander überlagern, was die lntensität mancher Farben an man-
der er die ,aberwitzige' Schlussfolgerung zog, dass es, wenn Licht eine Welle wä- chen Orten verstärkt und anderer verringert oder sogar eliminiert. Anmerkung: Die
re, einen hellen Fleck im Zentrum des Schattens eines runden, lichtundurch- Färbung von Seifenblasen und anderen dünnen Filmen wird üblicherweise auf ln-
lässigen Objekts geben müsste. Sehr zu seinem Verdruss, führte einer der Preis- terferenz - in Gegenüberstellung zu Diffraktion - zurückgeführt. Wieder mache ich
richter, Dominique Aargo, kurzerhand das Experiment durch und beobachtete diese Unterscheidung zwischen den Konzepten nicht, da sie letztendlich auf der
den resultierenden hellen Fleck im Zentrum des Diffraktionsmusters. gleichen Physik basieren.
40 4t
F-f
Diff raktionen Karen Barad
\\ r'llr'rr :;rr'lr iilrcrlrrgcrrr. l)cr.u-roch ist die Physik hinter Phänomenen der Oberf'lächen abprallt), verdeutlicht Diffraktion also das wellenarlige Ver-
l)rllr:rl. lrorr/llctrgtrrrg uncl hinter Phänomenen der [nterf-erenz dieselbe: halten des Lichts (d.h. es kann nur unter Verwendung der vollen Theorie
I't ttlt t(',\'ul/ict'L,tt trtr,s der Superposition von Wellen. Wie der Physiker ,physikalischer Optik' [*dt. auch: Wellenoptik] beschrieben werden).
llt lrrrrtl lreynrnun in seinen berühmten Skripten (1964) herausstellt, ist die Diesem Überblick eines klassischen Verständnisses von Diffiak-
I lrrlcrschcidung zwischen Interf-erenz und Diffraktion/Beugung bloß ein tionsphänomenen folgend, wäre nun ein passender Moment, mit der Dis-
historisches Artefakt ohne physikalische Relevanz. Und wie die Au- kussion e ines quantenphysikali schen Verständnisses von Diffiaktion forl-
tor innen eines bekannten Physiktextes aufzeigen: zufähren. ln gewissem Sinne bedarf dieses Vorhaben des gesamten Rests
dieses Buchs l*Meeting the Unive.rse Hal.fway). Es ist wichtig, langsam
,,Diffraktion wird manchmal als ,das Beugen von Licht um ein Hindernis' und sorgfältig vorzugehen. An diesern Punkt mtissen wir uns damit zufne-
beschrieben. Aber der Prozess, der Diffraktion bedingt, ist in der Ausbrei-
den geben, einiges anzuschneiden, was später weiter ausgeführt wird.
tung.jeder Welle zugegen. Wenn ein Teil der Welle durch ein Hindernis
E,s ist an der Zeit, ein Diagramm eines Experiments einzuführen, das
abgeschnitten wird, beobachten wrr DiffraktionselTekte, die aus der Inter-
f-erenz der verbleibenden Teile der Wellenfionten resultieren. [...] Somit
durch dieses Buch l*Meeting the Universe Hal/wayl hindurch von grolJer
spielt Diffraktion in beinahe allen optischen Phänomenen eine Rolle" Bedeutsamkeit ist (siehe Abbildung 6). Dieses Diagramm, basierend au{'
(Young und Freedman 2004: 1369). Zeichnungen des Physikers Niels Bohr, ist emblematisch für die Art von
Experimenten, die sich als historisch wichtig für die Entwicklung der
lch verwende die Begrifl-e ,Difliaktion' und ,lnterferenz' synonym, ohne Quantentheorie erwiesen haben und die noch entscheidender grund-
den historischen Kontingenzen Bedeutsamkeit zu gewähren, durch die legend Iür ein Verständnis der tief-en und weitreichenden Einsichten die-
ihnen verschiedene Narnen zugewiesen wurden. ser äufJerst kontraintuitiven Tl-reorie waren und weiterhin sind.
Zusammengefässt sind Diffraktionsmuster ein charakteristisches
Verhalten, das Wellen unter den richtigen Bedingungen aufweisen. Ent-
scheidend ist, dass Diffraktionsmuster einen wichtigen Unterschied zwi-
schen Wellen und Teilchen kennzeichnen: klassischer Physik zufblge
p ro dtt z i ere n au s s h l i e/3 l ic' h tr4/ e l l e n D i llra kt i o n s mu.\ t e r ; Te i l c h e n n i h t (da
c: c:
sie nicht zur gleichen Zeit den gleichen Ort besetzen können). Tatsächlich
ist ein Diffraktionsgitter einfach eine Apparatur oder materielle Konfigu-
ration, die eine Superposition von Wellen hervorruft. Im Gegensatz-zure-
flektierenden Apparaturen, wie Spiegeln, die - rnehr oder weniger treue
Abbilder von Objekten produzieren, die in einem gewissen Abstand zum
Spiegel platziert sind, sind DifTraktionsgitter Instrumente, die Muster
produzieren, welche Differenzen in den relativen Eigenschaften (d.h. Abb. 6 - lllustration des berühmten Doppelspalt-lnterferenz- bzw. -Diffraktions-
experiments, basierend auf originalen, von Niels Bohr skizzierten Diagrammen. ln
Amplitude und Phase) einzelner Wellen markieren, wenn sie sich kornbi-
diesem modifizierten Doppelspaltexperiment ist der obere Spalt mit Federn an
nieren. der Halterung befestigt. Der untere Spalt ist am Rahmen angebracht. Die Bedeut-
Anders als das Phänomen der Reflexion, das ohne Berücksichtigung samkeit dieser Modifikation wird später [*in Meeting the Universe Halfway] erklärt.
des wellenarligen Verhaltens von Licht erklärt werden kann (d.h. es kann (Die Existenz der ersten Barriere mit einem einzigen Spalt indizie(, dass eine kohä-
rente Lichtquelle verwendet wird.) Aus P. Bertet et al., ,,4 Complementarity Experi-
unter Verwendung eines Näherungsschemas namens,geometrische Optik'
ment with an lnterferometer at the Quantum-Classical Boundary". Nature 411
erklärt werden, demzufolge Licht auch ein Teilchen sein könnte, das an (2001): 167, Abb. 1 . Abgedruckt mit Genehmigung von Macmillan Publishers Ltd.
42 43
[)if lr;rktiorrcn Karen Barad
\lrlrrlrlrrrrr, (r zt.itll cin nroclillziertes Doppelspalt-lnterferenz- bzw. absichtigter Vakuumbruch ereignete. Nachdem sie das Vakuum reparieft
l)rllr:rl, lronsr'\l)e rinrcltt. [)ic rTrittlere Scheidewand mit den zwei Spalten hatten, wärmten sie die Nickelprobe nach, um den Schaden am Ziel zu
,IrcrrI rls I)oppclsltalt-Dilliaktionsgitter, während der Schirm zur Rechten reparieren, und nahmen ihr Experiment wieder auf. Dieses Mal sahen sie
rl:rs I)rllr.ltli.tiorrsrnnstcr (abwechselnde Streifen von Intensität) anzeigt. ein bemerkenswertes Muster in ihren Ergebnissen: Die angesammelten
(l)rc crstr: Schcidewand mit einem einzelnen Spalt ist aus technischen E,lektronen bildeten ein Diffraktionsmuster. Sie hatten versehentlich ei-
(iriinrlon clort).ra Die Bedeutsamkeit der Modifikation - die Tatsache. nen direkten Beweis für das Wellenverhalten von Materie entdeckt. So
tlass dcr obere Spalt an zwei Sprungf-edern angebracht ist - wird später war das Nickel-Kristallziel beim Nachwärmen in einen größeren Kristall
l*in Meeting the (Jniyerse Halfway) erklärt. fusioniert, der ein perf'ektes Diffiaktionsgitter für E,lektronen bildete.r5
Einer der bemerkenswertesten empirischen Befunde dieses Experi- Das Davisson-Germer-Experiment zeigte, dass Materie (in diesenr
ments wurde zentraler Teil jenes Beweises, der zur Entwicklung der Fall Elektronen) unter manchen Bedingungen wellenartiges Verhalten
Quantenphysik führte: Materie (allgemein gedacht als aus Teilchen beste- aufweist. Seit dem Davisson-Gerrner-Experiment haben viele weitere
hend) produziert unter bestimmten Bedingungen Diffrakti onsmuster! Das Experimente dieses Ergebnis auch Iür andere Arten von Materie bestätigt.
heißt, dass wir abwechselnd Bereiche finden, in denen eine erhebliche Das heißt, es gibt direkte empirische Beweise, dass Materie - nicht nur
Anzahl von Teilchen auf den Schirm treffen, und Bereiche, in denen Licht - unter den richtigen experimentellen Bedingungen Wellen-
kaum Teilchen anf den Schirm trefl'en. Aber dies ist überhaupt nicht, was verhalten aufiareist. Doch scheint dies im Widerspruch zu anderen ebenso
wir vom Verhalten von Teilchen erwarten: Wir würden erwarten. dass der überzeugenden Befunden zu stehen, dass Elektronen sich manchmal wie
Großteil der Teilchen gegenüber dem einen oder dem anderen Spalt lan- Teilchen verhalten. So ist die umgekehrte Aussage bezeichnenderweise
det (d.h. kein abwechselndes Streifenmuster). Und doch wurden Dif-- genauso wahr: Separate Experimente haben däs ebenso kontraintuitive
fraktionseffekte bei E,lektronen, Neutronen, Atomen und anderen Formen E,rgebnis bestätigt, dass Licht unter bestimmten Bedingungen Teilchen-
von Materie beobachtet. Noch verwunderlicher ist. dass dieses Diffrak- verhalten aufweist (und unter anderen Bedingungen Wellenverhalten).
tionsmuster auch produziert wird, wenn die Teilchen einzeln und nach- Wie wir gesehen haben, belegen Di/lraktionsmuster Superltositionen.
einander das Diffraktionsgitter durchqueren (das heißt, wenn quasi nichts Doch wie können wir dann dieses Ergebnis verstehen? Bei Wellen lässt
anderes da ist, rnit dem die jeweiligen Teilchen interferieren könnten, was sich von Superposition sprechen, nicht aber bei Teilchen. Dieses Ergebnis
immer das bedeuten mag). ist paradox. Physiker_innen haben es das ,Paradox des Welle-Teilchen-
Sehr zu ihrer Überraschung bestätigten Clinton Davisson und Lester Dualismus' der Quantentheorie genannt, und das modiflzierte Doppel-
Germer 1921 zutälligerweise dieses Ergebnis für Elektronen. Sie schos-
sen langsame Elektronen auf einen Nickel-Einkristall, als sich ein unbe- t' Viele einführende Texte zur Quantenphysik besprechen dieses wichtige Experi-
ment, siehe zum Beispiel Eisberg und Resnick 1974. Es ist eine interessante hi-
storische Tatsache, dass sich die Struktur des Kristalls infolge des (glücklichen)
1a
Der erste Schirm zur Linken mit einem einzelnen Spalt ist aus technischen Vakuumbruchs und Nachwärmens der Kristallprobe verändert hat, was gewis-
Gründen dort: nämlich um sicherzustellen, dass das Licht, das das Diffrak- sermaßen zufällig das ursprüngliche Experiment von Davisson und Germer von
tionsgitter durchquert, ,kohärent' ist; das heißt, dass die Wellen, die durch die Dif- einem frustrierenden Fehlschlag in eine definitive experimentelle Bestätigung von
fraktionsspalte laufen, eine feste Phasenrelation haben. Es wird auch voraus- De Broglies Materiewellen-Hypothese wandelte. Siehe Physics Today 32, Nr.1
gesetzt, dass eine monochromatische (d.h. einwellige) Lichtquelle verwendet (1978): 34-41 . G.P. Thomson, der in den frühen Tagen der Quantenphysik ei-ne
wird. Die Bedeutsamkeit der Tatsache, dass das Diffraktionsgitter aus zwei Teilen andere Diffraktionstechnik verwendete, um die Wellen-Natur von Elektronen zu be-
besteht, dass also ein Spalt an der Plattform befestigt ist und der andere von zwei weisen, teilte den Nobelpreis mit Davisson. G.P. Thomson war der Sohn von J.J.
Sprungfedern gehalten wird, wird später aufgegriffen (siehe Kapitel 3 und 7 [.in Thomson, der für die Entdeckung des Elektrons einen Nobelpreis in Physik erhielt,
Meeting the Universe Halfwayl). das heißt für den Nachweis, dass es ein neues Elementarfe/chen war.
44 45
Diffraktionen Karen Barad
spaltexperiment spielt eine Schlüsselrolle bei der Klärung der beteiligten Wellenlänge der Röntgenstrahlen im Vorhinein bekannt ist, ist es mög-
epistemologischen und ontologischen Fragen.r6 Wie ich detaillierter disku- lich, vom Diffraktionsmuster aus ,rückwärts zu arbeiten', um Eigen-
tieren werde, bedarf das Verstehen der kontraintuitiven Ergebnisse von schaften des Diffraktionsgitters abzuleiten (wie den Abstand zwischen
Experimenten wie dem in Abbildung 6 skizzierten eines entscheidenclen ,Spalten', in diesem Fall zwischen Molekülen oder auch Atomen), und
I'leudenkens grofJer Teile der Westlichen Epistemologie ttnd Ontologie. auf diese Weise die Struktur der betreffenden Substanz zu bestimmen.
Diese Experimente beleuchten auf bedeutsame Weise eben die Natur von Diese Technik wurde von Rosalind Franklin verwendet, um die Struktur
Superpositionen und ihre Beziehung zur sogenannten Verschränkung von von DNS zu bestimmen. Somit können wir Diffraktionsexperimente ent-
Zuständen, die Physiker_innen nun im Zentrum aller Quantenphänomene weder nutzen, um etwas über die Objekte zu erfahren, die durch das Dif--
und vieler,Quanten-Seltsamkeiten' [*,quantum weirdness'] verorten. Es fraktionsgitter geschickt werden, oder aber über das Citter selbst.rT
gibt tiber diese Fragen viel zu sagen und ich diskutiere sie detailliert in Physiker innen haben auf eine interessante Analogie zwischen den
späteren Kapiteln f*in Meeting the Universe Haffway]. Fürs Erste bitte Feldem der Mechanik und der Optik hingewiesen. Diese Analogie bedingt
ich dic Lcser_in bloß darum, die Komplexität und Tiefe von Diflaktions- cinc mathematische Korrespondenz zwischen optischen und mechani-
phänomenen im Kopf zu behalten, wann irnmer dieses Konzept aufgeru- schen Variablen. Physiker_innen haben sich auf diese Analogie berufen,
fen wird, ob bildlich, methodologisch oder in Bezug auf ein physikali- um sowohl in der Mechanik als auch in der Optik Einsichten zu gewin-
sches Phänomen. nen. Ich möchte die Beschaff-enheit der Parallele aufzeigen und bei dieser
Es ist mittlerweile Routine geworden, Diffraktionsexperimente zu Gelegenheit einige wichtige Punkte über Optik erklären sowie etwas über
nutzen, um verschiedene Eigenschaflen von Materie zu bestimmen. All- die wichtige Frage der Beziehung zwischen klassischer Newton'scher
gemein funktioniert das auf eine von zwei komplementären Weisen: Physik und Quantenphysik sager.'t
Manchmal ist das Ziel von Diftraktionsexperimenten, etwas über die Be- Ein bisschen einleitender Hintergrund über Optik mag hilfieich sein.
schaffbnheit der Substanz herauszufinden, die das Diffraktionsgitter Ich beginne mit einem wichtigen allgemeinen Punkt über die Art und
durchquert, und manchmal ist das Ziel, etwas über das Diffraktionsgitter Weise, wie Physiker_innen Optik studieren. Zunächst ist die Erforschung
selbst zu erfähren. Betrachten wir zu jeder Situation ein Beispiel. Das von Optik in zwei Kategorien unterteilt: einerseits klassische Optik (Op-
Davisson-Germer-E,xperiment ist ein Beispiel für die erste Technik: Ein
Kristall wird als Diffraktionsgitter verwendet, und ein Elektronenstrahl
wird durch das Kristallgitter geschickt. Dieses Experiment zeigt uns et- " Es ist wichtig, dies im Kopf zu behalten, wenn wir uns den methodologischen
Fragen zuwenden" Wenn es das Ziel von Reflexivität ist, das ,lnstrument' (2.8. die
was Wichtiges über das Wesen von E,lektronen: nämlich, dass sie unter be- Rolle der Beobachter_in in der Konstitution von Befunden) ebenso wie die Daten
stimmten Bedingungen Wellenverhalten aufweisen. Die zweite Situation zu analysieren, dann ist Reflexion die falsche Metapher. Während Diffraktion ge-
liegt vor, wenn ein_e Wissenschaftler_in Röntgen-Diffiaktionstechniken nutzt werden kann, um sowohl das lnstrument als auch das Objekt auf eine Wei-
nutzt, um die Struktur einer Substanz zu erkennen: In diesem Fall ist die se durch einander hindurch zu lesen, in der die ldentifizierungen von ,Subjekt'
und ,Oblekt' nicht fixiert sind, hat Reflexion einen asymmetrischen Fokus, der ei-
untersuchte Substanz selbst das Diffraktionsgitter. Zum Beispiel funk-
nes als Standard setzt (d.h. ein fixierter Spiegel), gegen den das andere gelesen
tioniert Röntgendiffiaktion üblicherweise so, dass Röntgenstrahlen (einer wird. (Den Unterschied zwischen geometrischer und physikalischer Optik - die im
bekannten Wellenlänge) auf die Probe (d.h. den Kristall oder andere Sub- nächsten Absatz diskutiert wird - zu begreifen, wird helfen, diesen Punkt wirklich
stanzen, die als Diffiaktionsgitter dienen) geschossen werden. Da die deutlich zu machen.) Den Spiegel gleichsam umzukehren, ist eine schlechte Me-
thode, wenn es um den Versuch geht, den Spiegel ins Bild zu bekommen.
1B
Newton'sche Physik (manchmal auch ,klassische Physik' genannt) war ein sehr
16
Das Paradox des Welle-Teilchen-Dualismus wird in Kapitel 3 und 7 [.in Meeting erfolgreiches Paradigma, das vor dem Aufkommen der Quantenphysik im frühen
the U n ive rse H a lfw ay) d eta il iert d iskutiert.
I 20. Jahrhundert die Physik über Jahrhunderte bestimmte.
46 47
Diffraktionen Karen Barad
tik, die aus der Sichtweise klassischer Physik studiert wird) und anderer- gleich zur Spaltgröße klein ist, sind Difliaktionseft-ekte wie die Beugung
seits Quantenoptik (bei der Quantenmechanik verwendet wird, um Phä- von Licht zu klein, um wahrnehmbar zu sein. Wenn die Wellenlänge ie-
nomene zu verstehen. an denen Licht und dessen Interaktionen mit Mate- doch annähernd die gleiche Größe hat wie der Spalt oder größer ist, dann
rie beteiligt sind). Auch gibt es zwei primäre Untersuchungsmodi der können Diffraktionsefl'ekte (d.h. die Wellennatur von Licht) nicht igno-
klassischen Optik: geometrische Optik tndphysikalische Optik [*dt. auch riert werden. Wenn die Wellenlänge des Lichts annähernd gleich groß
IltellenoptikJ. Während Reflexion anhand von geometrischer Optik er- oder größer ist als das Objekt, dem es begegnet (sie z.B. im Vergleich zur
klärt werden kann, kann Diffraktion durch diese Technik nicht ver- Breite des Spalts beträchtlich ist), müssen daher die Techniken der physi-
standen werden. Um Difliaktion zu verstehen, nutzen Physiker_innen die kalischen Optik also die volle mathematische Maschineric, die sich der
physikalische Optik. Wellennatur von Licht widmet verwendet werden. um das Phänomen
Geometrische Optik ist im Wesentlichen ein Näherungswerkzeug zur akkurat zu beschreiben. Folglich ist geometrische Optik somit blofJ ein
Untersuchung verschiedener optischer lnstrumente (2.8. verschiedener verkürztes Verfähren zr-rm Ableiten der korrekten E,rgebnisse, wenn die
Konfigurationen von Linsen, Spiegeln, Prismen, Lichtleitkabeln, etc.). Wellenlänge verglichen mit anderen relevanten Größen des Experiments
Geometrische Optik fokussiert primär darauf-, wohin Licht geht oder zu zufällig klein genug ist.
was es veranlasst werden kann. wenn es auf eine Anzahl verschiedener Zurück zur Analogie zwischen Optik und Mechanik. Die Analogie
optischer Geräte stößt oder diese durchquert. Die verwendete Näherung liegt zwischen geometrischer Optik und klassischer Newton'scher Mecha-
liegt darin, dass Licht einf-ach als ,Strahl'behandelt wird (was schlicht nik einerseits sowie zwischen physikalischer Optik und Quanten-
ein Indikator der Ausbreitungsrichtung des Lichts ist, ohne jegliche onto- mechanik andererseits. Die Crux der Analogie ist fblgende: Wenn irn Falle
logische Aussage über das Wesen von Licht). Das heißt, dass in der E,r- eines einzelnen Experiments die Wellennatur von Licht oder Materie nicht
forschung geometrischer Optik die Natur von Licht als unerheblich erach- signifikant ist (d.h. wenn die Wellenlänge im Verhältnis zu anderen wich-
tet wird. Insbesondere bietet geometrische Optik keine Methode, um zwi- tigen Größen klein ist), ist es möglich, die klassische Mechanik (geome-
schen Wellen- und Teilchenverhalten zu unterscheiden; die gesamte trische Optik) als NäherLrng zur rigoroseren Analyse zu nutzen, die die
Frage cles Wesens von Licht wird ausgeklammert.re Im Cegensatz dazu
Quantenmechanik (physikalischc Optik) bietet.20 Während also klassische
ist die physikalische Optik am Wesen von Licht selbst interessiert und Mechanik und geometrische Optik (heute) als Näherungsschcmata ver-
verfligt über Techniken zu dessen Untersuchung. Das heißt, Licht ist standen werden, die unter bestimmten Bedingungen rTützlich sind, werden
nicht bloß ein Werkzeug, sondern auch ein Forschungsobjekt. Das Dop- Quantenmechanik und physikalische Optik als Formalismen gesehen, die
pelspalt-Dif lraktions- bzw. Interfbrenzexperiment war unentbehrlich für die volle Theorie repräsentieren und Phänomene aller Längenmaßc be-
die Versuche, die Natur des Lichts (und der Natur) zu erkennen. schreiben können. Bezeichnenderweise ist Quantenmechanik hier kcine
Die Strahlennäherung der geometrischen Optik funktioniert gut. Theorie, die nur auf kleine Objekte anwendbar ist; eher wird Quantenme-
wenn die Wellenlänge des Lichts klein ist irn Vergleich zu den physikali- chanik als die korrekte Theorie der Natur gedacht, die für alle Größen-
schen Ma[Jen der Objekte, rnit denen es interagiert, wie etwa zur Größe ordnungen gilt. Soweit wir wissen, ist das Universum nicht in zwei ge-
eines Spalts, den das Licht durchquert. Wenn die Wellenlänge im Ver- trennte Bereiche aufgeteilt (d.h. den mikroskopischen und den makrosko-
'n Das Konzept eines Licht,strahls' reduziert alle Überlegungen über Licht auf 20
Was diese Analogie mathematisch streng macht, ist das Konzept, dass jedem
dessen Pfad oder Bahn. ln der geometrischen Optik ist diese Anrufung weder Masseteilchen eine De-Broglie-Wellenlänge [-dt. auch Materiewelle] beigeordnet
epistemologisch noch ontologisch intendiert; ,Strahl' dient schlicht als nützliche werden kann. Eisberg und Resnick (1974) diskutieren diese Analogie detailliert in
Heuristik. ihrem gängig verwendeten Lehrtext.
48 49
rro
l)rf frirktiorten Karen Barad
pr',, lrr'rr) tlrt' r orr vclse lriccle nen LängenmalSen je verschiedelter Sets von Methodologien beträchtliche Aufherksanrkeit geschenkt. Berspielsrveise
1,ln..rl,:rlrst'lre rr ( icsctzcn
bcstimmt werden. hat es in der wissenschaftsforschung [*Anm.üb.5] erhebliclre Diskussio-
Iclr u,errtlc nriclt nuu Fragen der Methodologie zu. In Diskussioner.l nen über Reflexivität gegeben. Einige wissenschaftler innen haberr ihr
(ilrt'r 1"111gg11 rlcr h,pistcmologie und Methodologie wet'den außerordentlich gehuldigt, einige haben sie als elernentaren Grundrut, ung",,.,mmen,
lrrirrlig optische Metaphern verwendet. Keller und Grontkowski spüren den scheiterten aber an der umsetzung dieses Bemtihens; andere argunrenticr-
Vcrllcchtungcn zwisclren Sehen und Wissen irn westlichem Denken nach ten heftig gegen ihre vermeintlichen Tugenden, und wieder andere Grup-
lurrd argumentieren, dass ,,die Tradition, unsere epistemologischen Prä- pen behaupteten, sich gänzlich über die Bedingungen der Debatten hinaus
rnissen auf visuellen Analogien zu begrtinden, bis zu clen Criechen zu- bewegt zu haben.22 Zum Beispiel nutzten manche wissenschaflsfbr-
riickreicht' (1983: 208). Es ist also kaum überrascheud, dass methodo- scher innen die Methoden der Ref'lexivität. um den sozralrealismus eini-
logische Diskussionen diese Praktik reflektieren. Repräsentationalismus - ger Kolleg innen aus dem eigenen Feld zLr kritisieren. Insbcsonder-e zeig-
der Glaube, dass Worte. Konzepte, Ideen und Ahnliches aul akkurate te reflerive Kritik, dass einige eben jener sozialwissenschaftler._innen,
Weise die Dinge, auf die sie Bezug nehmen, reflektieren oder spiegeln - die w'aclrsarn den bekannten rrutttt'ttiss,en.scha/ilic.hen Reqli,snttt,; lhrer
gibt dieser ganzen Angelegenheit noch ihren Feinschlifl. Auch hat der studienobjekte nämlich Laborwisserrschaftler innen hinterfragten,
Repräsentationalismus derr Glauben befördert, dass es möglich sei, den selbst unref'lektiert sozialen Reali.vmus betrieben. uncl zwar in der Reifika-
Spiegel gewissermaßen auf sich zurückzuwenden, und somit allerlei tion wichtiger Kategorien des ,Sozialen' und deren priviregierung gegen-
Kandidatinncn für,reflexive' Methodologien hervorgebracht.2I übcr dem ,Nati.irlichen' als erklärende Faktoren. während sie cliese wich-
Spiegel reflektieren. E,trvas zu spiegeln heißt, ein akkurates Bild oder tige Kritik an Ansätzen der sSK (Sociology of' Scientific Knorvledge,
eine Repräsentation zu bieten, die getreu das kopiert, rvas gespiegelt wird. insbesondere deren ,strong programme') anerkannten, waren andere wis-
Daher sind Spiegel eine of1 verwendete Metapher in Repräsentationa- senschafisfbrsclrer'_innen weniger an den Debatten über Reflexivität in-
lismus und veruandten Fragen der Reflexivität. Zum Beispiel glaubt eine teressiert. weil sie bereits andere Ansätze entrvickelt uncl aufgenonnren
naturwissenschaftliche Realist in, dass naturuvissenschaftliches Wissen hatten (2.8. Akteur-Netzwerk-Theorie. Ansätze der |eministisclren w is-
physikalische Realitat akkurat reflektiert, während eine starke Sozial- senschaftsfbrschr.rng), welche die Rolle von sowohl natürlichen als auch
konstruktivist in argumentieren würde, dass Wissen akkurater als eine sozialen Faktoren in naturwissenschatilichen praktrken zu berücksichti-
Iteflexion von Kultur, denn von Natur. zu verstehen ist. gen suchen.
Reflexivität wird als kritische akademische Praxis vorgeschlagen, die Bemerkenswerterweise haben feministische wissenschaftslbrsche-
darauf abzielt, die Rolle der Beobachter_in als ein Instrumer-rt in der Kon- r innen von Anfäng an scharf-e Kritiken an Relativrsmus und Ref'lexivität
stitLrtion von Befunden zu reflektieren und systenratisch zu berück- geübt. (Zweilelsohne hat die Tatsache. dass viele t'eministische wis-
sichtigen. Reflexivitat zielt auf die Anerkennung des clreiteiligen Arran- senschaftsfbrscher innen Naturwissenschafller innen sind, eine wiclrtige
gements der Wissensprocluktion zwischen Objekten, Repräsentationen Rolle tiir ihr nachlraltiges und r-rnnachgiebiges Engagerrent gespielt, Na-
und Wissenden. Dies steht weniger reflexiven Untersuchungsmodi ge- tur, objektivität und die wirksarrkeit von Naturwisseuschaft ernst zu
genüber, die die Wissende_n aus der Gleichung auslassen und ihre Auf-- nehmen. ALrch sind diese Bernülrungen in einem wichtigen Sinne klar
merksamkeit eng auf die Beziehung zwischen Objekten und ihren Reprä-
sentationen fokussieren. Viele empirische Studienf'elder haben reflexiven " Das ,strong programme' in der Sociology of Scientific Knowledge (SSK)
[-anglophone Wissenschaftssoziologie] hat Reflexivität als einen ihrer vier Grund-
sätze aufgenommen. Für eine tiefergehende Diskussion und Befürwortung von Re-
" Siehe Kapitel 1 f*in Meeting the lJniverse Hatfwayl für eine detaillierte Diskus- flexivität in wissenschaftsforschung, siehe besonders woolgar 1gg8a, 1öggb. sie-
sion von Repräsentationalismus. he auch die Diskussionen der,epistemological chicken debat,es' in pickering 1g92.
50 5t
Diffraktionen Karen Barad
f-eministisch.) Insbesondere haben feministische wissenschaftsforsche- rvurde, noch darüber, dass die Beachtung der von ihnen aufgeworfenen
r innen argumentiert, dass Ref]exivität sich aus zwei Gflinden als unzu- l'robleme ein integraler Bestandteil des Hinterfiagens der Konstitution
reichend erwiesen hat.2r Zunächst einrnal hat der Großteil cler wis- rler Natur-Kultur-Dichotonrie und deren Wirkw'eisen ist: nicht nur, dass
senschafisforschung (in all ihren unterschiedlichen Inkarnationen) ent- sie von Bedeutung ist, sondern wie sie von Bedeutung ist uncl f.rr wen.
scheidende soziale Faktoren wie ceschlecht, Rasse, Klasse, Ethnizität. Eine zweite wichtige Schwierigkeit ist die Tatsache, dass Reflexi-
Religion und Nationalität ignoriert [*Anm.üb.6]. Die lronie ist, dass cliese r.,ität auf Repräsentationalismus gründet. Reflexivität unterstellt die Idee
wissenschaftsfirrscher innen. während sie auf der wichtigkeit beharren, als gegeben. dass Repräsentationen (soziale oder natürliche) Realität re-
,(Natur-)wissenschaft-in-ihrer-Herstellung' [*,science-in-the-making'] tlektieren. Das heißt, Reflexivität basiert auf der Überzeugung. dass Re-
durch die Beachtung spezifischer Praktiken im Labor nachzuspüren, zu- präsentationspraktiken keinen Effekt auf die Untersuchungsobjekte haben
meist soziale Variablen wie Geschlecht weiterhin als vorgefbrmte Kate- und dass wir eine Art von Zugang zu Repräsentationen haben, die wir
gorien des sozialen behandeln. Das heißt, sie versäunren es, ,Geschlecht- nicht zu den Objekten selbst haben. Reflexivität. rvie Reflexion. hält die
in-der-Herstellung' [*,gender-in-the-making'] die procluktion von Ge- Welt auf Abstand. Sie kann keinen Weg über die sozialkon-
schlecht und anderen sozialen variablen in ihrer Konstitution durch na- struktivistische, vermeintlich unüberbrückbare epistemologische Kluft
tur- und technikwissenschaftliche praktiken - zu beachten." ob_nleich zwischen Wissenden und Gewusstem bieten, da Reflexivität nicht mehr
l'eministische wissenschaftsforscher innen von Anfäng an für ein ver- ist als iterative Mimese: Sogar in ihren Versuchen, das untersuchende
ständnis von Geschlecht-uncl-lNatui-;wissenschafi-in-ihrer-Herstellung Subjekt rvieder ins Bild zu rücken, tut Reflexivität nicht nrehr, als das
[*gender-and-science-in-the-nraking] argumentierten, vernachlässigten Spiegeln zu spiegeln. Zur n-ten Potenz erhoben, unterbricht Reprä-
Erzählungen der dominanten wissenschaftsforschung diesen entschei- sentation nicht jene Geometrie, die Objekt und Subjekt auf Distanz hält,
denden Punkt. ln dem Maße. in dem die wissenschaftsforschung ver- als eben die Bedingung fiir des Wissens Möglichkeit. Spiegel iiber Spie-
säur.rrt, diese Tatsache anzuerkennen, unterschätzt sie tlie wechselseitige gel beinhaltet Reflexivität die gleiche alte geometrische Optik der Refle-
Konstitution des .sozialen' und des ,(NatLrr-)wissenschaftlichen' uncl un- xionen.
terhöhlt sornit ihr eigenes Projekt. Im Zusammenhang clamit steht, dass Diffraktion hingegen ist nicht zu höherer Potenz erhobene Reflexi-
sich etablierte wissenschaftsfbrscher innen ofTenbar u,eder darüber im on." Sie ist kein selbstreferenzieller f1üchtiger Blick zurück auf sich
KIaren sind, class clic' Natur-Kultur-Dichotonrie aus nrehreren Gründen
von f-eministischen, poststrukturalistischen, postkolonialen, queeren und
weiteren kritischen Gesellschaftstheoretiker innen heftig angetbchten
" Wenn Diffraktion als wichtige Metapher für bedeutsame Differenzen dienen soll,
müssen wir den Arten von Differenzen Aufmerksamkeit schenken, die von ver-
schiedenen Verständnissen von Diffraktion hervorgerufen werden, so dass wir nicht
f3_91ene
zum Beispiel Diskussionen in Harding 1991, Traweek 1gg2, Haraway Probleme der Verantwortlichkeit für Differenzen von Gewicht mit postmodernen Ze-
1997 und Rouse 1996. lebrierungen von Differenzen um der Differenz willen vermischen. ln dieser Hinsicht
2a
siehe zu diesem Punkt insbesondere Haraway 1gg7: 35. ln der feministischen ist beachtenswert: Obwohl Thomas Young, der erstmals das berühmte Doppel-
wissenschaftsforschungs-Literatur finden sich viele Beispiele, wie Geschlecht spaltexperiment vorschlug, Diffraktion als etwas theoretisierte, das von Differenzen
zusammen mit Natur- und rechnikwlssenschaft hergestellt wird. Keller (1985), handelte, liegt seinem Konzept von Differenz als eine primäre Kate-gorie Gleichheit
hat diesen Punkt vor mehr als zwei Jahrzehnten in einem grundlegenden werk zugrunde, ebenso wie die Beständigkeit von Ort: ,,Damit sich die Effekte zweier
der feministischen wissenschaftsforschung deuflich gemacht: Geschlecht und Lichtmengen somit kombinieren können, ist es nötig, dass sie aus dem gleichen
Naturwissenschaft sind ko-konstituiert; es geht nicht um Frauen in/und (Natur-)wis- Ursprung entstammen, und dass sie über verschiedene Wege am gleichen Punkt
senschaft, oder Geschlecht in/und (Natur)wissenschaft, sondern um Geschlech! ankommen, in Richtungen, die nicht sehr voneinander abweichen" (zitiert in Kipnis
und-(Natur-)Wissenschaft-in-ihrer-Herstellung. 1991:88; Hervorhebung Barad). Es ist anzunehmen, dass ein_e,,mutierte_r an-
52 53
l)rllruktionen Karen Barad
sclbst. Während Ref'lexion als methodologisches Werkzeug von Wis- (tatsächlich, bis es als ein materiell-diskursives Phänomen verstanden
senschaftler_innen verwendet wurde, die sich auf Repräsentationalisrnus rvird. das <Iie Efl'ekte verschiedener Dif'ferenzen ofTenbar macht). Doch
stützten. gibt es -uute Gründe, Diftraktion für ein produktives Modell zu lrottentlich wircl sie schorr an dieser Stelle als nützliche Heuristik ciienen,
halten, das dazu dienen kann, über nicht-repräsentationalistische metho- um clie Arten von Verschiebungen zu kennzeichnen, die in der Bewegung
dologische Ansätze nachzudenken. weg votl den bekannten Gewohnheiten und Verführungen des Repräsen-
Als nächstes wencle ich meine Aufhrerksanrkeit darauf, einige wich- tationalistnus (votl ar.rßen liber clie Welt reflektieren) hin zr-r einer Art des
tige Aspekte von Diffiaktion herauszuarbeiten, die diese zum besonders Verstehens von welt von innen het'aus und als Teil von ihr wie von ei-
ef}'ektivcn Werkzeug machen. um in einem perf'ormativen statt in einem ner diftraktiven Methodologie bedingt zur Debatte stehen'
repräsentationalistischen Modus tiber sozialnattirliche Praktiken nachzu-
denkeu. E,rst möchte rch jedoch auf einen wichtigen Punkt hinweiseu. ln Diffraktion Reflexion
der Einleitung habe ich betont, dass meine Methode keine analogische
Diffraktionsmuster Spiegelbild
Argumentation beinhalten wird. Mir liegt sehr daran, diesem Versprcchen
gerecht zu werden. DiesbczLiglich ist es rvichtig, die Tatsache, dass ich Markieren von Differenzen von innen i Reflexion von Objekten, die auf Dis-
meine Inspiration zur E,ntwicklung bestimmter Aspekte meines methodo- und als Teil eines verschränkten Zu- tanz gehalten werden
logischen Ansatzes auf ein optisches Phänomen stritze (was, wie zuvor standes
aufgezeigt. seinen Platz in einer langen und geehrten Tradition der Ver-
wendung visuellel Metaphem als Denkwerkzeug hat), nicht mit der Be- Differenzen, Relationalitriten Mimese
1o,","nn",,,
schaffenheit der Methode selbst zu verwechseln. Insbesondere impliziert bei Objektivitllt handelt es sich um das bei Objektivität handelt es sich um
das Benennen einer Methode als ,diffraktiv' in Analogie mit dem physi- Beachten von Markierungen auf Kär- Reflexionen, also KoPien, die homo-
kalischen Phänomen der Difliaktiot't nicht. dass clie Methode selbst ana- pern, also von materialisierten Diffe- log zu Originalen sind, authentisch,
log ist.r('Vielmehr ist es mein Ziel, den wcit verbreiteten Verlass auf eine renzen, Differenzen von Gewicht frei von Verzerrung
bestehende optische Metapher - nämlich Ret'lexion - zu unterbrechen,
clie für das Suchen nach Homologien und Analogien zwischen separaten Oifruttiu" Methodologie Reflexivitat
Entitäten cingesetzt wird. Meiner Algumentation fblgencJ bezieht sich
Diffiaktion hingegcn nicht auf Homologien, sondern befässl sich rnit spe- Performativitllt Repräsentationalismus
zifi schen rnateriellerr Verschränkungen. präexistierende, festgelegte Grenze
Subjekt und Objekt Präexistieren
Die l'abelle lasst eini-ge cler Hauptunterschiede zusarnnlcn, clie einc nicht als solche, sondern treten zwischen Subjekt und Objekt
Verschiebung unseres Denkens weg von Fragen der Reflexion hin zLr je- durch lntra-Aktionen hervor
nen der DilTiaktion mit sich bringt. An dieser Stelle mögen einige der
Punkte in der Tabelle nicht klar sein. Sie rverden erst deutlich, wenn vic- separate Entitäten
lverschr:inkte Ontologie
les mehr über Difliaktion als physikalisches Phänomen erklärt rvurde Worte und Dinge
materiell-diskursive Phänomene
.rl', Ir:rl rlr:r Wcll tn iltrern differenziel- einer Distanz Lesen durch (das Diffraktionsgitter) Lesen gegen (ein fixiertes ZiellSpiegel)
l|[ W{:r(lctl Dualismus Wissende_r I Gewusstes Privilegieren einer DisziPlin
transd iszi plinäre Ausei nandersetzung
Sehen/Beobachten/Wissenvon Wei-
Beachten, dass die Grenzziehung (eine) andere dagegen lesen
tem
zwischen Disziplinen selbst eine ma-
teriell-diskursive Praktik ist;
lrrtra-Agieren im lnnen und als Teil vonJlnteragieren separater Entitäten
wie sind diese Praktiken von Bedeu-
Welt
tung?
Differenzen emergieren in Phänomenen innen/außen Subjekt, Objekt kontingent, nicht fixiert Subjekt I Objekt fixiert
Phänomene sind objektive Referenten Dinge sind objektive Referenten Auseinandersetzung [*engagement], keine distanz-lernende Praxis des
Reflektierens von Weitetn. Der agentiell realistische Ansatz, den ich anbie-
Verantwortlichkeit ftir Markierungen Verantwortlichkeit besteht darin, eine
te, meidet Repräsentationalismus und fördert ein pertbrmatives Verständnis
auf Körpern authentische Spiegelrepräsentation
technisch-naturwissenschaftlicher utld anderer natürlichkultureller Prakti-
Verantwottlichkeit und Verantwortung separater Dinge zu finden
ken, einschließlich verschiedener Arten von Praktikerr der Wissensproduk-
Beachten von Differenzen von Gewicht
tion. Agentiellem Realismus zufolge sind Wissen, Denken, Messen, Theo-
Ethisch-Onto-Epistem-ologie
1
Ethik I Ontologie I Epistemologie retisierän und Beobachten nraterielle Praktikerr des Intra-Agierens inner-
halb von und als Teil der welt. was lernen wir durch die Beteiligung an
Ethik, Ontologie und Epistemologie getrennteForschungsfelder solchen Praktiken? Wir decken keine präexistierenden Fakten über unab-
sind untrennbar hängig existierende Dinge auf, die in der Zeit eingefroren existieren wie
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m
Diffraktionen
Karen Barad
in die welt gestellte kleine Statuen. Stattdessen lernen rvir etrvas über
von Dunkel und Hell im Difliaktionsrnuster einer Rasierklinge (Abbil-
Plränomene über spezitische materielle Konfigurationen des werclens
tlung 2). Bedenkerr Sie auch die Tatsache, dass die Details vorr Diffrak-
der welt. Der Punkt ist hier nicht bloß, ciie Beobachter in wieder in
die tionsmustern von den Details der Apparatur abhängen: zum Beispiel von
welt zu holen (als ob die welt ein Behälter u,äre und *,. ulon u,sere Si_
iler Anzahl der Spalte (es spielt eine Rolle, ob es drei anstelle von zwei
tuiertheit in ihr anerkennen müssten), sonder.n die Tatsache zu verstehen
Spalte gibt; rnanche Drffraktionsgitter haben tausende von parallelen ,Li-
und zu berücksichti-een, dass auch wir Teil des differentiellen werderrs
nien'- schmale Spalte - pro Zoll), vom Abstand zwischen Spalten, von
der welt si,d. Außerder. geht es nicht bloß daruur, dass wissersprakti_
der Größe der Spalte und von der Wellenlänge der Lichtquelle. Wenn ei-
ken materielle Konsequenzen haben, s.ndern d,ass rrissen,sprakriken spc-
rrer dieser Parameter geündert wird, kann das Dif1iaktionsmustcr ein
zi/i,sche muterielle Auseinetneler:;etntngen
[*engctgementsj sintt, die qn cleutlich anc'lercs sein. Zudem können Dilh'aktionsgitter verwendet lr,er-
der (Re)Kon/igurierung von welt teilhaben. welche praktiken wir umset-
clen, um kleinste Details der Natur sichtbar zu machen (zumindest die
zen, ist von Bedeutung und Materie
[*in beiclen Bedeutungen cles wortes kleinsten Ebenen. die rvir erfblgreich erkundet haben). Zum Beispiel
materl. Bei der Produktion von wissen handelt es sich ,.liiht .infä.h ,,,
können Difliaktionsgitter genutzt werden, um das Lichtspektrum zu mes-
das Herstellen von Fakte,, sondern unr das Machen von welten, ocler
sen, das fiir jede Art von Atom charakteristisch ist. Jedes Atom des Peri-
eher, um das Machen bestimmter welthafter Konfigurationen nicht
in odensystems hat eine charakteristische Rerhe von Energiezuständen (ver-
dem sinne, sie ex nihilo oder aus Sprache, üt,erreL,gungen oder rcleen
zu schiedene ,Bahnen'. in denen sich das Elektron bewegen kann), und
erschafren, sondern im sinne einer materiellen Beteilig,ng daran,
als Teil wenn ein Elektron von einem höheren Energienir,'ear.r in ein rriedrigeres
der welt, der welt eine spezifische materielle Form g.u"n. uncl doch
^ .springt', sendet es Licht einer korrespondierenden Wellenlänge aus (2.B.
bedeLrtet die Tatsache, dass wir wissen nicht von außerhalb,
sondern als hat das sichtbare Spektrr"rm von Wasserstoff eine rote Linie, eine blauc
Teil der welt herstellen, nicht, class wissen notwencligerweise subjektiv
Linie und zwei vioiette Linien). Daher indiziert das Lichtspektnrm eines
ist (ein Begrifl, der die präexistierencre unterscheiclung zrvischen
objekt Atoms dessen mögliche Energierriveaus. Die Unterschiede in Energie-
und sLrbjekt schon voraussetzt, von der sich repräientationalistisches
niveaus sind winzig (wir sprechen hier über Veräntlerungen innerhalb ei-
Denken nährt). Bei objektivität kann es sich zugleich nicht danrn
ha,_ nes Atoms). Und doch kijnnen rvir bei genauerer Untersuchung noch fei-
deln, von weitem unverzerrte Repräsentationen zu produzieren; eher geht
ncre Details sehen. Es ist möglich, atomare Spektren in etwas zu zerle-
es bei objektivität darum, verantwortlich f-ür clie spezifischen Materiali_
gen, das ,Feinstruktur' und sogar ,Hypert-eirrstruktur' genannt rvird (im
sierurrgen zu sein, c{eren Teil wir sind. Und clas beclarf ei,er Methodolo-
Falle letzterer kann eine einzelne Farblinie in zwei oder rnehr Farblinien
gie, die die Spezifität materieller verschränkungen in ihrem agentiellen
weiter zerlegt werden, was wirklich sehr f'eine Unterschiede indiziert).
werden beachtet, auf sie eingeht und ihnen gegentiber verantwtirtlich ist.
Darüber hinaus konnten Willis Lamb und Robert Retheford 1947 eine ex-
Das physikalische Phänonren der Diffraktion offenbart die außerordentli-
trem winzige Verschiebung im Wasserstoffspektrum ausmachen, die auf
che Lebendigkeit der Welr.rT
eine Besonderheit der Theorie der Quantenelektrodynamik (d.h. cler
Auf entscheidende weise beachteu D i fliaktionseffekte feine Deta i s.
Betrachten Sie beispielsweise die wichtigkeit der cjetaillierten Streif'en
I
Quantentheorie des E,lektromagnetisrnus) zurückzuführen ist, die eher
nach einern Märchen klingt, das sich Physiker_innen erzählen, als nach
etwas Messbarem. Der Quantenelektrodynarnik zufblge ist das ,Vakuum'
" Die Unterscheidung zwischen unbelebt und belebt ist vielleicht einer
der bestän- (welches klassisch gesprochen auf die Leere referiert) ein Zustand, in
digsten Dualismen wesflicher phirosophie und ihrer Kritiken; sogar einige
der
schlagkräftigsten Kritiken der Natur-Kultur-Dichotomie belassen die tlnbelebt-belebt dem alles, was rnöglicherweise existieren kann. in einer potentiellen
Unterscheidung an ihrem platz. Es bedarf eines radikalen Neudenkens Forrn existiert. Die lebendige Potenzialität des Vakuums erschaflt ,Vaku-
von wirk_
mächtigkeit [-agency], um anzuerkennen, wie tebhaft sogar,tote Materie, umf'luktuationen'. die die Lamb-Verschieburrg im Wasserstofl'spektrurn
sein kann.
5B
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Diffraktionen Karen Barad
produzieren. Dass Lamb und Retheford in der Lage waren, diese u,inzige
ander in Konversation bringen.2e Das heillt, meine Methode ist, Aspekte
verschiebung zu messen, ist bemerkenswert; dass es eine Möglichkeit
einer jeden dynarnisch aufbinander zu beziehen und dabei auf die iterati-
gibt, die Efl'ekte nicht realisierter Möglichkeiten zu messen, ist nichts ve Produktion von Grenzen. die materiell-diskursive Beschaffenheit von
weniger als erstaunlich. In der Tat stellt die Lamb-verschiebung eine cler Praktiken der Grenzziehuug, die vollzogenen konstitutiven Ausschlüsse
akkuratesten Überprütulgen dar, die wir von der Theorie der euanten- sowie Fragen der Verantwortlichkeit und Verantwortung für die Rekon-
elektrodynamik haben.2' wir haben tatsächliclr eine empirische Bestäti- figurierungen zu achten, deren Teil wir sind. Das heißt, die diffraktive
gung dieser siedenden Potenzialität! Kleine Details können grundlegende
Methodologie, die ich verwende, um Einsichten aus verschiedenen Diszi-
U nlerscltiede rlachen. plinen (und interdisziplinären Ansätzen) clurch cinander hindurch zu den-
Aufmerksamkeit für f-eine Details ist ein wesentliches Element dieser ken, beachtet die relationale Ontologie, die im Kern von agentiellem Rea-
Methodologie. Die dilfraktive Methodologie, die ich im Durch-einander- lismus liegt. Sie nimmt die Grenzen jeglicher Objekte und Subjekte die-
hindurch-Denken von Einsichten aus naturwissenschaftlicheu und sozialen
ser Studien rricht als gegeben hin, sondern untersucht clie nrateriell-
Theorien verwende, unterscheidet sich von einigen der gängigeren Ansätze
diskursiven Praktiken der Grenzziehung, die aus einer unbcständigen Re-
auf signifikante weise. Mein Interesse ist nicht, sagen wir mal. physik lationalitat heraus und auf sie bezogen ,Objekte' und ,SLrbjekte' sowie
und poststrukturalistische Theorie gegeneinander zu lesen und dabei eine weitere Difl-erenzen produzieren. Wenn ein transdisziplinärer Ansatz, an-
der beiden in einem statischen geometrischen verhältnis zur anderen zu ders als multidisziplinäre oder interdisziplinäre Ansätze. ,,siclr nicht bloß
positionieren oder die eine als unbewegliches und unnachgiebiges Ge-
auf eine Reihe von Disziplincn stüttzt, sondern die Geschichten der Orga-
genstück der anderen zu setzen. Noch bin ich an bidirektionalen Ansätzen
nisation von Wissen und ihre Funktion iu der Fonnation vorr Subjektivi-
interessiert, die die Ergebnisse dessen addieren, was passiert, wenn jede
täten urrtersucht [...] und dabei die strukturellen Verknüptungen zwi-
Theorie ma1 an der Reihe ist, das Gegenstück zu spieren. Mein Herange- schen der Disziplinierung von Wissen und größeren gesellschaftlichen
hen unterscheidet sich von den allzu geläufigen Ansätzen, die bemüht
Ordnungen sichtbar nracht und in Krise versetzt' (Hennessy 1993: l2),
sind, unilateral die Lehren der Physik für gesellschafiliche und politische
dann beinhaltet dieses Herangehen einige der notwencligen Elementc.r(' In
Theorien zu erfbrschen und die dabei verwerten, was als größerer episte- der Verrvendung einer diffraktiven Methodologie ist die Au{merksarnkeit
rnologischer Nutzeu der Naturwissenschaften über die Humanwissen- I
für die fbinen Details verschiedeuer disziplinärer Ansätze entscheidend.
schaften angesehen wird; oder um ein gegensätzliches Beispiel anzu- ii Es bedarf respektvoller Auseinandersetzungen mit verschiedenen diszi-
tühren - Versuche von wissenschaftler innen. die der überzogenen Au-
torität «ler Naturwissenschaft entgegentreten, indem sie eine umkehr
'u'orschlagen. bei der die Gesellschaftswissenschaften ein Modell ftir die
" Ein Teil der Gender- sowie der Wissenschaftsforschung war auf wichtige Wei-
sen durch ihre vornehmlich unidirektionale Methode der Hinterfragung begrenzt.
Naturwissenschaflen wären. Ich hingegen möchte die aus verschiedenen
Und auch mit Bidirektionalität ist es hier nicht getan - dies ist nicht einfach eine
(inter)disziplinären Praktikerr hervorgehenden verstehensweisen mitein- Zweibahnstraße (obwohl zusätzliche Untersuchungen darüber, wie Frauen- und
Geschlechterforschung mehr Naturwissenschaft in ihr Curriculum einbringen
28 könnte, eine schöne Beifügung zu den gängigen Überlegungen wäre). Wie ich
Quantenelektrodynamik ist eine der erfolgreichsten Theorien, die in der physik
je entwickelt wurden. lhr gelingen Beschreibungen gemessener phänomene, die argumentiert habe, geht es darum, dass ein diffraktives Aufeinanderzugehen von
Feminismus und Naturwissenschaft sehr viel mehr bietet als unidirektionale oder
sich über 25 Größenordnungen erstrecken, von subnuklearen Dimensionen (10-16
sogar multidirektionale Ansätze.
cm) bis hin zu so großen Distanzen wie 10e cm (die unter Verwendung von satel- 30
litenmessungen bestätigt werden). Der Grad der übereinstimmung zwischen ,Transdisziplinarität' hat etwas von jener Perspektive, die mich interessiert.
Doch ist sie, so wie sie üblicherweise erklärt wird, nicht robust genug. Dies wird
Theorie und Experiment ist äquivalent zur haargenauen Bestimmung äer Distanz
mit den weiteren Ausführungen von agentiellem Realismus deutlicher werden.
zwischen New York City und Los Angeles.
Siehe auch Barad 2000 für eine Diskussion der pädagogischen lmplikationen.
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Diffraktionen Karen Barad
plinären Praktiken, nicht gritfiger Darstellungen, die von einer außenste- ein Verständnis der tief-eren philosophischen Fragen, die zur Diskussion
henden Position aus Karikaturen einer anderen Disziplin zeiclrnen. Mit stehel, ,,venn r,vir lernen, ,,clie Strahlen der Technoscietrce [und anderer
der Entwicklung einer diffraktiven Methodologie ziele ich auf den Ver- sozialer Praktiken] so zu beugen, dass wir vielversprechendere lnterf-e-
such, für wichtige Details fächlicher Argumente innerhalb eines vorlie- renzntuster auf den Aufnahmefllmen unserer Leben und Körper erhalten"
genden Felds rigoros auf'merksam zu bleiben. ohne ihrren unkritisch bei- (Hararvay 1997: l6). Diese cliftl'aktive Methodologie errnöglicht es mir,
zupflichten oder bedingungslos einen (inter)disziplinären Ansatz einern wichtige philosophische Fragen, wie die Bedingungen fIr die Möglich-
anderen vorzuziehen.rl keit von objektivität, clie Beschaffenheit von Messungen, das wesen der
Die von mir vorgeschlagene difliaktive Methodologie errnöglicht Herstellun.u vort Natur uncl Bedeutung, die Bedingtrlgen für Intclli-
somit ein kritisches Neudenken von (Natur-)Wissenschaft und Sozialem gibilität, das wesen von Kausalität und ldentität und die Beziehung zwi-
in ihrer Relationalität. Was oft als separate Entitäten (oder separate Reihe schen diskursiven Praktiken und der materiellen Welt detailliert zu unter-
von Anliegen) mit scharfbn Kanten erscheint, bedingt eigentlich über- strchetr.
haupt kein Verhältrris absoluter Exteriorität. Ebenso wie die Diffiak- Bereits crwähnt und wichtig ist, dass meine diffraktrve Methodologie
tionsmuster das unbestitnmte Wesen von Grenzen beleuchten indem sie einen Standard von Rigorosität beibehält, der es mir ermöglicht, zu mei-
Schatten in ,hellen' Regionen und helle Stellen in .dunklen' Regionen nem Auiangspunkt zrtrückzukehren und erneut ungeklärte Fragerr in den
aufieigen ist das Verhältnis zwischen dern Sozialen und dem (Na- Grundlagen der Quantenphysik anzugehen. Insbesondere argumentiere
tur)Wissenschaftlichen ein Verhältnis der ,Exteriorität im Innenr' (siehe ich, class agentieller Realismus tatsächlich als eine legitime Interpretation
beispielsweise Abbildung 2). der Quantennrechanik verstanden werden kann, die sich mit entscheiden-
Als solche steht meine diffiaktive Methodologie in deutlichem Wider- den Fragen beschäftigt, die Bohrs Rahmen der Kornplementarität nicht
spruch zu einigen der üblicheren Methoden wissenschaftlicher Aus- zufriedenstellend klärt. Ebenso demonstriere ich anhand mehrerer ver-
einaudersetzullgen, die darauf abzielen, die Geistesr.vissenschaften und Na- schiedeuer Fallstutlien die Ntitzlichkeit eines agentiell realistisclten An-
turwissenschaften zu ,überbrücken'. Zudem hat ein diffraktiver Ansatz satzes für das Verhandeln von Schwierigkeiten in einigen der anderen
keine Geduld für Tricks mit Spiegeln, wo zum Beispiel das Makro- Bereiche. auf die ich rnich beziehe, wie f'eministische Theorie, poststruk-
skopische das Mikroskopische spiegelrr soll. oder die soziale Welt als Re- turalistiscl-re Theorie und Wissenschaftsforsclrung. Des Weiterert zeige
flexion der in Atomrnodellen perf'ektionierten Metaphysik des Indi- ich, dass agentieller Realismus interessante Eirsichten bezüglich des We-
vidualismus behandelt wird. und so weiter. Es kann sehr interessant sein. sens clieser verschränkten Überlegungen bietet: Es geht nicht um bloße
Analogien zu ziehen, wie zurn Beispiel jene zwischen spezieller Rela- Homologien zwischen verschietlenen Gegenständen verscltiedener Diszi-
tivität und der kubistischen Schule der Malerei; oder das ,Einf'luss- plinen, sondern eher um die spezifischen materiellen Verflechtungen und
modell' als Modus der Untersuchung. bei dem spezifische kausale Ver- wie diese Intra-Aktionen von Bedeutung sind. obwohl die Arten von
bindungen für die Analogien angenomlren werden, u,ie beispielsweise in Schlvierigkeiten, die diese diversen Bereiche plagen, zrveifellos substan-
der Sammlung historischer Beweise für die Hypothese, dass die Ku- ziell verschiedene Probleme involvieren, sind sie weder analytisch und
bist_innen direkt von Einstein beeint'lusst waren. Doch sind diese gängi- epistemologisch noch ontologisch gänzlich getrennt. Agentiellem Rea-
gen Arralysenrethoden nur von begrenztem Wert r.rnd unzureichend für lismus zufolge bedarf die Analyse verschränkter Praktiken tatsächlich ei-
nes nicht-adclitiven Ansatzes, der die Intra-Aktion multipler Apparaturen
31
körperlicher Produktion beachtet. Schließlich biete ich in den nachfol-
lch setze als selbstverständlich voraus, dass nicht alle disziplinären, multidis- genclerr Kapiteln lxi|t N{eeting tl'te universe Halfii'cr.t'l eine detaillierte
ziplinären oder transdisziplinären Wissensfelder auf akademisches Lernen be-
schränkt sind. biskussion der Quantenphysik und des wesens des Phänomens der Dif-
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m
Diffraktionen Karen Barad
fi'aktion. Dabei erweitere ich unser Verständnis tiber die Sicht cler klassi- zur üblichen ,lnteraktion', die separate Wirkmächtigkeiten als ihrer lnteraktion vor-
schen Physik hinaus und vertiefe somit auf bedeutsame weise. wie wir gängig voraussetzt, erkennt der Begriff der lntra-Aktion an, dass distinkte Wirk-
Diffraktion verstehen können, sowohl als materiell-diskursive praxis wie mächtigkeiten ihrer lntra-Aktion nicht vorgängig sind, sondern durch ihre lntra-
Aktion hervortreten. Es ist wichtig, anzumerken, dass die ,distinkten' Wirkmäch-
als kritische Praxis.
tigkeiten nur in einem relationalen, nicht in ernem absoluten, Sinne distinkt sind; das
helß|, Wirkmächtigkeiten sind nur in Relation zu ihrer wechselseitigen Verschrän-
kung distinkt: sie existieren nicht als einzelne Elemente." (2007, S.33, Hervor-
Ühersetzrrng ctus clem atnerikanischett Englisch; JetrnifLr sophia Theodor hebungen Barad). ln der zugehörigen Fußnote besteht Barad auf der allgemeinen
Gültigkeit dieses Konzepts, über die mikroskopische Welt hinaus, für die die Quan-
tenphysik lntra-Aktion (nicht lnteraktion) empirisch nachgewiesen hat.
Anmerkungen der Übersetzerin - vereinzelt auch als Hinzufü- [.Anm.Üb.4] lch verwende hier nach Absprache mit der Autorin Störung tür distur-
gungen im Text, durch [*...] markiert: bance. ln der deutschsprachigen Physik wird in diesem Kontext auch von Zu-
standsändertLng gesprochen (change of state), was jedoch ein deutlich breiterer
Begriff ist und durch den Bezug auf einen 'Zustand' nicht mit Barads Konzept zu-
[-Anm.Üb.1] Diffraction wird in der deutschsprachigen physik und Alltagssprache sammengeht. Die alltagssprachlichen Konnotationen von Störung sind im Engli-
zumeist als Beugung übersetzt. lch bleibe hier beim auch im Deutschen existie_
-
renden - Begriff der Diffraktion, da Barad dessen Unterscheidung (als Beugung)
schen ähnlich (siehe auch disorder). Auch verwies Barad auf einen Bezug zur per-
turbation, die wiederum als Störung übersetzt wird.
von lnterferenz ablehnt und dieser Aspekt des Textes durch eiÄe übersetzung
des Begriffs als Beugung überschrieben würde. Das bedeutet allerdings auch, [-Anm.Üb.5J lch übersetze Science Studies als Wissenschaftsforschung, außer
dass ich konventionelle physikalische Begriffe wie z.B. Beugungsgitter in diesem wenn es explizit um bestimmte Strömungen geht. Bitte behalten Sie aber die sehr
Sinne umbenenne. Das inhaltliche Spiel des gemeinsamen prat1es in Diffraktion, unterschiedlichen Einbettungen und Schwerpunktsetzungen dieses Bereichs im
Differenz und making a difference ist leider kaum übersetzbar, kann aber zumin- Kopf. Science Studies im US-Kontext sind in sich divers und unterscheiden sich
dest angedeutet erhalten bleiben. deutlich von Bereichen wie beispielsweise Techniksoziologie oder feministischer
Naturwissenschafts- und Technikkritik im deutschsprachigen Kontext.
[-Anm.Üb.2j Der englischsprachige Begriff der agency erinnert mich regelmäßig an
die unmöglichkeit äquivalenter übersetzung. Agency hat es in diveÄe deutsch_ [.Anm.Üb.6] Die hier genannten Kategorien sind auch im deutschsprachigen Kon-
sprachige akademische Diskussionen geschafft, da es keinen konzeptuell korres_ text strukturell wirkmächtig und in Analysen vernachlässigt. Dennoch möchte ich
pondierenden Begriff gibt. Handtungsfähigkel ist im Kontext queer-fbministischer auf die zeitliche und räumliche Spezifität von Machtverhältnissen hinweisen. Das
Performativität im sinne. von subversionen hegemonialer Diskurse vorgeschlagen heißt, dass beispielsweise Rassismus, Sexismus oder Klassismus, und die Art und
worden, doch beschränkt sich die damit assoziierte und produzierte §ubleftirlitat Weisen, wie sie (natur- und technik-)wissenschaftliches Wissen strukturieren, sich
dieser Handlungsfähigkeit auf ein menschliches subjekt. Da Barad für posthuma- je nach historischem, sozio-politischem Kontext unterscheiden.
nistische Performativität argumentiert (siehe auch ,,posthumanist periormativity:
Toward an Understanding of How Matter comes to Mattel' 2003 in srgns 2gl3), wä-
re dies eine zu beschneidende Verschiebung ihres Ansatzesl. Um nicht_
menschliche agency einzubeziehen, verwende ich meist den Begriff der wirk_ Literatur
mächtigkeit, verstehe agency also in Barads sinne als ,Vermögen, ei-n" wirkung zu
haben'. Auf wunsch der Herausgeber_innen dieses Bandes ünd in Entsprechung
mit dem Titel Agentieller Realismus, den Jürgen schröder für die edition unseld bei Barad, Karen (1997):,,A dilfiactive Reading of Dittraction: On Donna
suhrkamp ins Deutsche übersetzt hal (2012), übertrage ich agentiatin adjektivischer Haraway's Modest Witness." Ptrper presentecl fbr the author-
Form als agentiell. Es gibt auch Argumente für eine üuärsetzuig als agentisch. nreet-critic session on Haraway's Motle,st Witness at the Society
[-Anm.Üb.3] Barad schreibt in ihrem Einleitungskapitel zu Meeting the lJniverse for the Social Studies of Science annual meeting. San Diego, Ca.
Halfway:,,Der Begriff der lntra-Aktion ist ein Schlüsselelement meine.-s agentiell rea_
listischen Rahmens. Der Neologismus ,lntra-Aktion' steht ,für die weöhsetseitige
Konstitution verschränkter wirkmächtigkeiten [*agencr'es/. Das heißt, im Gegensalz
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