Als Autor und Herausgeber des erfolgreichen Fachbuches »Stütze!!? – Atemtechnik für
Bläser und Sänger« ist es mir ein großes Anliegen, mein Wissen und meine Erfahrung
weiterzugeben. Im Bewusstsein, mittlerweile unzähligen Bläsern und Sängern einen
unnötig mühevollen Weg erspart zu haben, nehme ich weiterhin meine Verantwortung
wahr, das Thema »Atemtechnik« aufzubereiten.
Allzu sehr kraftbetonte Methoden sind noch immer weitverbreitet und bereiten
unzähligen Bläsern, Sängern und Sprechern Probleme, weil sie sich damit ständig
verkrampfen. Der nachstehende Artikel gibt Einblick in die Situation bezüglich der
verschiedenen Lehrmeinungen bzw. der häufigsten Fehlinterpretationen des Begriffs
»Stütze«. Das im Anschluss daran dargestellte Prinzip von »Atmung + Stütze« zeigt
anschaulich, wie eine natürliche Atemtechnik ohne jeden unnötigen Kraftaufwand
definiert ist und eine ökonomische Anwendung in der Praxis möglich wird.
Selbst wenn dieser für viele Musiker so unglücklich gewählte Begriff konkret angesprochen wird,
gibt es die kontroversiellsten Meinungen. Hier ein Auszug der häufigsten Aussagen bzw. gängigsten
Praktiken und Lehrmethoden:
— »Man muss beim Stützen die Bauchmuskulatur anspannen, um die Luft zu komprimieren.«
— »Vor allem bei hohen Tönen muss gestützt werden.«
— »Stütze ist das gleiche Gefühl, wie wenn man auf der Toilette sitzt.«
— »Das Zwerchfell muss beim Blasen / Singen / Sprechen solange wie möglich eine Einatem-
Tendenz beibehalten, damit man weniger Luft verbraucht. Um dies zu erreichen, muss die
Bauchdecke nach außen gedrückt oder gehalten werden.«
— »Die Stütze ist die Summe aller Kräfte, die dem Ausströmen der Luft während der Tongebung
entgegenwirken.«
— »Man muss den Oberkörper auf das Becken draufsetzen, um die Luft zu komprimieren.«
All diese Aussagen sind sehr problematisch. Man ist sich zwar prinzipiell darin einig, dass man die
Töne nicht forcieren darf, um eine entsprechende Klangqualität zu erreichen, die Umsetzung in die
Praxis bereitet aber die größten Probleme.
Was Atemtechnik bzw. die Auslegung des Begriffs »Stütze« betrifft,
halten sich hartnäckig drei falsche Ansichten:
Erstens die seit Generationen weitergegebene und vertretene Meinung, dass man beim »Stützen«
die Bauchdecke anspannen müsse, um die Luft zu komprimieren; also die sogenannte »Bauchpresse«.
Diese Anschauung ist grundlegend falsch und völlig veraltet!
Warum ist einfach erklärt:
Der menschliche Körper ist so konditioniert, dass bei bewusstem, kraftvollem Anspannen der
Bauchmuskulatur unweigerlich eine »schließende Kraft« auf die Stimmbänder* wirkt. Im Extremfall
wird sogar ein Stimmband-Totalverschluss hervorgerufen, wie beispielsweise auch beim Heben
eines schweren Gewichts, wobei durch die aufgestaute Luft der Körper im Moment der (größten)
Belastung stabilisiert wird, oder zum Druckausgleich, wenn man auf der Toilette sitzt.
Es darf in diesem Sinn also gar nicht »gestützt« werden, weil dadurch zuviel Druck auf die
Stimmbänder ausgeübt wird.
Zweitens die Vorstellung, dass beim aktiven Ausatmen (Blasen / Singen / Sprechen) solange wie
möglich eine »Einatem-Tendenz« des Zwerchfells erhalten werden muss.
Diese Auslegung des Begriffs »Stütze« ist in der Vorstellung begründet, dass man durch ein Fixieren
der Bauchdecke in Einatem-Stellung oder ein »nach außen Drücken / Halten« der Bauchdecke quasi
eine Balance der Luftsäule erreicht und in der Praxis weniger Luft verbraucht.
Das Zwerchfell soll hierbei eine Zügelfunktion erfüllen. Je mehr das Zwerchfell beim Blasen / bei
der Stimmtätigkeit dem Ausströmen der Luft entgegenwirkt, desto ökonomischer soll der Luftverbrauch
sein.
*) Um nicht näher auf die Anatomie des Stimmapparats eingehen zu müssen, wird hier und im Folgenden
vereinfacht der umgangssprachliche Begriff »Stimmbänder« verwendet.
Fachbüchern zu diesem Thema fast eins zu eins übernommen, ohne meines Erachtens die
Funktionalität wirklich zu hinterfragen.
Drittens die Ansicht, beim »Stützen« das gesamte Gewicht des Oberkörpers auf das Becken
»draufsetzen«, nach unten drücken zu müssen.
Zwar ist es mit dieser Methode kein Problem die Luft zu komprimieren, allerdings wird durch dieses
Verengen des Körpers die Muskulatur im gesamten Rumpfbereich immer wieder verkrampfen, was
wiederum große Probleme nach sich ziehen kann.
Ständige Stimmbandverschlüsse während dem Blasen, Luftstau, roter Kopf, hervortretende Adern,
Probleme mit der Tonansprache, der Artikulation, Intonationsschwierigkeiten (zu hoch oder zu tief),
verminderte Klangqualität bzw. Tragfähigkeit der Töne, zu scharf klingende forcierte Töne, Kickser,
fehlende Geläufigkeit, speziell beim Sänger lineare Töne, Tremolo, übermäßig »ausgeleiertes«
Vibrato, Heiserkeit, Stimmbandknötchen und so weiter: All diese Probleme u.v.m. sind immer
wieder hervorgerufene negative Auswirkungen dieser kraftbetonten Atem- bzw. Stütztechniken,
sind also in einer schlechten Atemführung begründet und auf eine verkrampfte Atemtechnik
zurückzuführen.
Das WICHTIGSTE ist prinzipiell die ständige Beweglichkeit, die Möglichkeit der Bewegung an sich,
weil nur so ein Verkrampfen der Muskulatur verhindert werden kann. Eine große Beweglichkeit
bedeutet auch, dass viel Luft bewegt werden kann, dass man mehr Reserven hat und nicht so schnell
an seine Grenzen gelangt.
Deshalb sollte man sich drei Schlagwörter immer wieder ins Gedächtnis rufen:
I OFFENHEIT
I BEWEGLICHKEIT
I LOCKERHEIT
In der Praxis sind eine offene Körpersprache und Beweglichkeit im gesamten Rumpfbereich
Voraussetzung, um sich eine gewisse Lockerheit zu bewahren!
Eine vollständige Atmung ist eine Kombination aus Zwerchfellatmung und Brustatmung. Man
spricht von »kombinierter Atmung« oder Vollatmung.
Die Zwerchfellatmung schließt automatisch Bauch-, Flanken- und Rückenatmung ein, allerdings
in einem ausgewogenen Verhältnis, wobei aus anatomischen Gründen die größte Bewegung im
Bauchbereich und die geringste am Rücken festzustellen ist. Als Teilbereich der Brustatmung
ist die Schlüsselbeinatmung zu sehen.
In der Praxis sind diese Teilbereiche der Atmung natürlich nicht voneinander zu trennen, sondern
gehen fließend ineinander über.
Als wichtigste Voraussetzungen für einen problemlosen und natürlichen Atmungsprozess im Sinne
eines bewegungstechnisch korrekten Ablaufs sind eine aufrechte Körperhaltung und die Basis in
der Zwerchfellatmung, mit dem Zwerchfell als zentralen Atemmuskel zu sehen, d. h. die Atmung
muss vom Zwerchfell ausgehen!
Das Zwerchfell ist ein Muskel, der die Brusthöhle von der Bauchhöhle trennt. Beim EINATMEN
bewegt es sich nach UNTEN , was zur Folge hat, dass die Eingeweide verdrängt werden. Daraus
resultiert wiederum eine Bewegung von Bauch-, Flanken- und Rückenmuskulatur nach AUSSEN .
Beim Ausatmen kehrt sich diese Bewegung um.
Die grundlegende Atembewegung ist vereinfacht formuliert also nach folgendem Prinzip auszuführen:
— Beim EINATMEN bewegt sich die Bauchdecke nach AUSSEN .
— Beim AUSATMEN bewegt sich die Bauchdecke nach INNEN .
Das größte Potential an Beweglichkeit ist hier im Vergleich zu den kraftbetonten, verengenden
Methoden tatsächlich im Bauchbereich zu sehen.
Um in der Praxis einen »langen Atem« für lange Phrasen zu haben, ist eine flexible Bauchdecke von
grundlegender Bedeutung, weil erst dadurch eine tiefe, vom Zwerchfell ausgehende Atmung
möglich wird; und nur wenn die Atmung vom Zwerchfell ausgeht, kann auch das maximale
Lungenvolumen mit all seinen Teilbereichen genutzt werden. Beim Einatmen muss die Bauchdecke
also völlig freigelassen werden, beim Ausatmen darf sie nicht fixiert werden.
So banal diese Beschreibung auch klingen mag, nahezu die Hälfte aller Bläser und Sänger haben
schon Mühe, diese grundlegende Atembewegung zu finden, weil einerseits durch eine schlechte,
gebückte Körperhaltung die Atemmuskulatur im unteren Rumpfbereich nicht mehr frei beweglich
ist, und andererseits durch übermäßige Spannungen im Bauchbereich ein Einatmen mit dem
Zwerchfell oft kaum mehr möglich ist.
Die Auswirkungen sind fatal: Wenn sich die Bauchdecke nicht bewegt bzw. bewegen kann, kehrt
sich die Atembewegung um. Aus diesen Gründen atmen so viele Leute zu flach und schränken damit
drastisch ihr Atemvolumen ein.
WICHTIG ist in diesem Zusammenhang, die atemtechnischen Bewegungsabläufe in der Praxis nur
ÜBER DIE LUFT zu steuern, d.h. also nicht durch willentlichen, kraftvollen Einsatz der Muskulatur!
Das übermäßige Forcieren eines bestimmten Teilbereichs der Atmung – wie z. B. eine über-
triebene Flankenatmung – ist zu vermeiden, weil dies zumeist durch einen bewussten Kraftakt
wie ein Hinausdrücken der Flanken über längere Zeit hindurch »anerzogen« wird.
»Reflektorische Atmung«
Unmittelbar nach dem Blasen / Singen / Sprechen müssen sich Bauch-, Flanken- und Rückenmus-
kulatur wieder völlig entspannen. Durch dieses sofortige Entspannen bewegt sich das Zwerchfell
REFLEXARTIG nach UNTEN, es entsteht ein SOG und die Luft wird bei geöffneten Atemwegen
innerhalb kürzester Zeit »REFLEKTORISCH« ANGESAUGT.
Diese »Reflektorik« kann natürlich auch nur dann funktionieren, wenn eine gewisse Flexibilität
durch ein vorheriges Öffnen des Brustkorbs beim aktiven Ausatmen gegeben ist. Bei optimaler
Ausführung ist sogar eine »REFLEKTORISCHE VOLLATMUNG« möglich! Umgekehrt geht aber die
Möglichkeit, reflektorisch Luft zu bekommen, völlig verloren, sobald man zuviel Spannung in der
Bauchdecke und im Rumpfbereich hat.
Dieses gesamte Prinzip »Atmung + Stütze« gilt gleichermaßen für alle Bläser (egal ob Holz- oder
Blechbläser), für jeden Sänger (ob gänzlich ohne Stimmausbildung oder mit professioneller
klassischer Stimmtechnik) und natürlich auch für sämtliche Sprechberufe.
Ich wiederhole: Das grundlegende Prinzip ist für alle Bereiche dasselbe, der Unterschied liegt
lediglich in der Intensität!
Vor allem ein hoher Blechbläser muss einen ungleich höheren Luftdruck erzeugen als ein Sänger,
was allerdings mit dieser lockeren Atemtechnik völlig problemlos umsetzbar ist bzw. sich auto-
matisch ergibt, weil durch den jeweiligen Ansatz (Lippen / Zunge) und das jeweilige Instrument
(Mundstück / -rohr) ein viel größerer Luftwiderstand gegeben ist.
Abschließend kann man sagen: Für jeden Bläser, Sänger und Sprecher ist eine gute Atemtechnik
unerlässlich.
Wer aber mit den Grundprinzipien von »Atmung und Stütze« nicht vertraut ist, wird über kurz oder
lang Probleme bekommen und sich künstlerisch nicht frei entfalten können.
Angesichts dessen, dass zu viele Musiker durch kraftbetonte Techniken und falsche Bewegungs-
abläufe immer wieder zum Verkrampfen neigen, ist es prinzipiell sehr begrüßenswert, dass in der
Ausbildung immer mehr Methoden zur Anwendung kommen, die dieser Problematik entgegenwirken.
Beginnend von der Alexander-Technik über Feldenkrais bis hin zu Qi-Gong und Yoga gibt es
hervorragende Möglichkeiten, übermäßige Spannungen zu lösen, elementare Bewegungsabläufe
zu schulen und sich bewusst zu machen.
Trotzdem muss darauf hingewiesen werden, dass auch die besten Entspannungsmethoden nichts
nützen, wenn die grundlegenden Voraussetzungen für eine natürliche Anwendung der Atem- und
Stütztechnik in der Praxis nicht gegeben sind. Denn keine dieser Methoden erklärt wirklich um-
fassend die Zusammenhänge der Atemstütze. Genau das ist aber ein ganz entscheidender Aspekt,
der eben speziell Bläser, Sänger und Sprecher betrifft, weswegen immer hinterfragt werden muss,
ob die entsprechenden Übungen auch wirklich praxisbezogen sind.
Was nützt eine Entspannungstechnik, wenn sich in der Praxis am »Instrument« bei den ersten
Phrasen aufgrund falscher Bewegungsabläufe und kraftbetonten Einsatzes die Muskulatur schon
wieder verkrampft?
Um diese lästigen Fehlspannungen und deren negative Begleiterscheinungen nicht nur symptomatisch
zu behandeln, muss die Ursache des Verkrampfens in der Praxis analysiert und behoben werden.
Ansonsten werden solche sehr hilfreiche Praktiken eben nur kurzfristig Besserung bringen und die
Probleme in kürzester Zeit wieder auftreten.
Es gibt sicher viele Wege, die zum Ziel führen. Geht man jedoch davon aus, dass wir alle über die
gleichen anatomischen Anlagen verfügen, muss es auch ein einfaches, allgemein gültiges atem-
technisches Prinzip geben, das jeder erlernen kann.
Ich selbst lehre und praktiziere eine Atemtechnik, die auf natürlichen Grundlagen basiert und somit
der uns von der Natur mitgegebenen Funktionalität des menschlichen Körpers nicht widerspricht:
eine Atemtechnik ohne jeden unnötigen Kraftaufwand.
I BUCHTIPP
Robert Kreutzer »Stütze!!? – Atemtechnik für Bläser und Sänger. Theoretische Analyse und
praktische Anwendung« Eigenverlag, 1996. – Erscheint bereits in 5. Auflage (2004)
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