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Einführung
in die Physik
Paul Wagner
Georg Reischl
Gerhard Steiner
facultas.wuv
Vorwort
5
© Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Wien Di, Okt 6th 2020, 09:33
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ................................................................... 13
1.1 Entwicklung des physikalischen Weltbildes ................................................... 13
1.2 Bedeutung der Physik in verschiedenen Wissensgebieten und
Anwendungen .................................................................................................. 16
1.3 System und Modell .......................................................................................... 17
1.4 Der Messvorgang ............................................................................................. 18
1.5 Physikalische Größen und Einheiten ............................................................... 19
1.6 Messgenauigkeit .............................................................................................. 23
2 Mechanik .................................................................... 31
2.1 Mechanik von Massenpunkten ........................................................................ 31
2.1.1 Kinematik von Massenpunkten ............................................................... 31
2.1.2 Dynamik von Massenpunkten, Erhaltungssätze ...................................... 39
2.1.3 Wechselwirkungskräfte ........................................................................... 58
2.1.3.1 Gravitationswechselwirkung, Newton’sches Gravitationsgesetz ... 59
2.1.3.2 Molekulare Wechselwirkung und harmonischer Oszillator ............ 69
2.2 Bewegte Bezugssysteme, Trägheitskräfte ....................................................... 72
2.2.1 Translation von Bezugssystemen ............................................................ 73
2.2.2 Rotation von Bezugssystemen ................................................................. 76
2.3 Streuvorgänge .................................................................................................. 82
2.4 Mechanik starrer Körper .................................................................................. 92
2.4.1 Statik starrer Körper ................................................................................ 93
2.4.2 Dynamik der Rotation starrer Körper ...................................................... 98
2.4.3 Rotation starrer Körper um feste Achsen .............................................. 103
2.4.4 Rotation starrer Körper um freie Achsen, Kreiselbewegung ................ 111
2.5 Mechanik fester Körper, Elastizitätslehre ..................................................... 118
2.5.1 Deformationen (Verzerrungen) fester Körper ....................................... 118
2.5.2 Spannungen in festen Körpern .............................................................. 120
2.5.3 Elastische Eigenschaften isotroper und anisotroper Festkörper ............ 122
2.5.4 Spezielle elastische Verformungen isotroper Festkörper ...................... 125
2.5.5 Oberflächeneigenschaften fester Körper ............................................... 128
2.5.5.1 Härte von Festkörpern ................................................................... 128
2.5.5.2 Reibung von Festkörpern .............................................................. 129
2.6 Mechanik von Flüssigkeiten und Gasen ........................................................ 132
2.6.1 Mechanik ruhender Flüssigkeiten und Gase (Hydrostatik) ................... 132
2.6.2 Oberflächeneigenschaften ruhender Flüssigkeiten ................................ 137
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12
1 Einleitung
13
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folge sich die Erde um die Sonne bewegt. Dies führte dazu, dass Galilei von der In-
quisition verfolgt wurde, seine offizielle Rehabilitation erfolgte schließlich Ende
des 20. Jh. Auf Grund der von Tycho de Brahe durchgeführten astronomischen Be-
obachtungen stellte Kepler drei Gesetze auf, die quantitative Aussagen über die
Planetenbewegung beinhalten. Im 17. Jh. führte Newton das Trägheitsprinzip und
den Kraftbegriff ein und schuf damit die Grundlage der klassischen Mechanik. Fer-
ner hat Newton die Gravitationswechselwirkung mit Hilfe des Gravitationsgesetzes
quantitativ beschrieben. Damit gelang es Newton, sowohl das Fallgesetz, als auch
die Planetenbewegung auf die Gravitationswechselwirkung zurückzuführen und
somit eine bedeutende Vereinheitlichung zu erzielen.
Ebenfalls im 17. Jh. studierte Boyle gemeinsam mit Mariotte das Verhalten idealer
Gase. Die Atomvorstellung wurde von Dalton bereits im 18. Jh. im Bereich der
Thermodynamik eingeführt. Anfang des 19. Jh. entdeckte Brown bei der Untersu-
chung von in Flüssigkeiten suspendierten Teilchen die heute nach ihm benannte
statistische Zitterbewegung kleiner Partikel. Brown schuf damit die experimentelle
Grundlage der etwa 80 Jahre später von Einstein und Smoluchowski unabhängig
voneinander erbrachten Bestätigung des molekularen Aufbaues der Materie. Mitte
des 19. Jh. wurde die Beziehung von Wärme und mechanischer Energie untersucht.
Mayer, Joule und Helmholtz stellten den Ersten Hauptsatz, Clausius den Zweiten
Hauptsatz der Thermodynamik auf. Clausius prägte in diesem Zusammenhang den
Entropiebegriff. Ende des 19. Jh. hat Boltzmann seine berühmte statistische Inter-
pretation der Entropie gegeben und damit eine Vereinheitlichung von Thermo-
dynamik und statistischer Physik erzielt. Boltzmanns Arbeiten wurden von Mach
vehement kritisiert, der die von Boltzmann vertretene atomistische Vorstellung ab-
lehnte. Avogadro erkannte, dass gleiche Volumina verschiedener idealer Gase bei
gleichem Druck und gleicher Temperatur die gleiche Anzahl von Molekülen ent-
halten. Experimente von Loschmidt erlaubten erstmals eine quantitative Bestim-
mung der Anzahl der Gasmoleküle pro Volumseinheit.
Seit Anfang des 17. Jh. rückte auch die Optik ins Zentrum des Interesses. Snellius
stellte das Brechungsgesetz auf. Newton vertrat eine Korpuskulartheorie des Lich-
tes, Fresnel beobachtete Interferenz von Lichtwellen und bestätigte damit den Wel-
lencharakter des Lichtes. Gegen Ende des 17. Jh. gelang es Rømer, durch Beobach-
tung der Bewegung eines Jupitermondes erstmals die Ausbreitungsgeschwindigkeit
des Lichtes zu ermitteln.
Im 18. Jh. leitete Coulomb aus seinen Experimenten mit der nach ihm benannten
Drehwaage das Coulomb’sche Kraftgesetz her, das die elektrostatische Wechsel-
wirkungskraft zweier Punktladungen beschreibt. Ørsted entdeckte Anfang des
19. Jh. das magnetische Feld in der Umgebung elektrischer Ströme. Diese folgen-
reiche Entdeckung führte zur Vereinheitlichung elektrischer und magnetischer Phä-
nomene. Der hervorragende Experimentator Faraday stellte nach einer Serie von
Experimenten das später nach ihm benannte Induktionsgesetz auf. Mitte des 19. Jh.
veröffentlichte Maxwell die heute nach ihm benannten Gleichungen zur Beschrei-
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messbar. In neuerer Zeit haben Fragen der Verschränkung und der Nichtlokalität
quantenmechanischer Zustände zunehmend Beachtung gefunden.
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Ein System ist ein räumlicher Bereich, der durch eine Systemgrenze von einer
Umgebung abgegrenzt ist.
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System S Beobachter B
Es ist davon auszugehen, dass durch den Messvorgang das betrachtete System S
beeinflusst wird. Falls S ein makroskopisches System ist, dann kann der Einfluss
des Beobachters B erfahrungsgemäß meistens sehr klein gemacht werden. Falls der
Beobachtungseinfluss vernachlässigt werden kann ist es sinnvoll, die Messergeb-
nisse als objektive Systemeigenschaften anzusehen und man kann eine objektive
Wirklichkeit annehmen (Realität). Eine wesentliche Voraussetzung für die Ver-
lässlichkeit makroskopischer Messungen ist deren Reproduzierbarkeit.
Falls das betrachtete System S mikroskopisch ist und somit im Rahmen der Quan-
tenmechanik beschrieben wird, ist ein wesentlicher Einfluss des Beobachtungsvor-
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0 I 2
F (1.6)
2 d
verwendet, die die Kraftwirkung zwischen zwei geradlinigen, parallelen, vom glei-
chen Strom durchflossenen Leitern beschreibt. Dabei sind d und Distanz und
Länge der Leiter, F ist die Kraft auf jeden der beiden Leiter, die magnetische
Feldkonstante 0 4 10 7 N / A 2 ist eine (willkürlich) festgelegte universelle
Konstante und die Stromstärke I die abgeleitete Basisgröße. Die abgeleitete Basis-
einheit Ampere ( A ) ist somit definiert als die Stromstärke durch jeden zweier pa-
ralleler Leiter im Abstand 1 m , die pro Meter Leiterlänge eine Kraft von 2 10 7 N
bewirkt.
Eine abgeleitete Größe wird definiert durch eine vorgegebene physikalische Defi-
nitionsrelation mit Basisgrößen. Die Definitionsrelation bestimmt ein Messverfah-
ren und eine abgeleitete Einheit. Für die Geschwindigkeit wird etwa die Defini-
tionsrelation
v (1.7)
t
verwendet. Dabei ist die Weglänge und t die Zeit und die Geschwindigkeit v die
abgeleitete Größe. Die abgeleitete Einheit m / s ist somit definiert als die Ge-
schwindigkeit, bei der in der Zeit 1 s die Wegstrecke 1 m zurückgelegt wird.
Zur Charakterisierung physikalischer Größen wird häufig die Dimension der Größe
betrachtet. Der Begriff Dimension einer Größe wird in zwei unterschiedlichen
Bedeutungen verwendet. Einerseits ergibt sich die Dimension unmittelbar aus der
Definitionsrelation, andererseits ist die Dimension einfach die entsprechende Ein-
heitenbezeichnung. Die Geschwindigkeit hat etwa die Dimension [v] [ t 1 ] oder
[v] [m s 1 ] . Durch Überprüfung der Dimensionen aller in einer physikalischen
Relation enthaltenen Größen kann die Konsistenz dieser Relation festgestellt wer-
den. Die Zentrifugalkraft (siehe Kap. 2.2.2) kann etwa durch die Relation
Fzf m 2 r (1.8)
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Darüber hinaus werden unter Anderem auch weitere inkohärente Einheiten ver-
wendet:
1 min 60 s
1 h 3 600 s
1 j 9.4605 1015 m
1 10 3 m 3
1 kcal 4 186.9 J
1 eV 1.602 10 19 J
Wie erwähnt, sind Anzahl, Auswahl und Definition von Basisgrößen willkürlich
und abhängig von praktischen Gesichtspunkten. Dementsprechend sind bei der De-
finition von Basisgrößen im Laufe der Zeit mehrfach Änderungen vorgenommen
worden. Die Wärmemenge etwa wurde ursprünglich als absolute Basisgröße defi-
niert und die absolute Basiseinheit Kilokalorie ( kcal ) wurde festgelegt als die
Wärmemenge, die zur Erwärmung von 1 Wasser um 1 C benötigt wird. Die be-
rühmten Joule’schen Experimente (siehe Kap. 4.3) zeigten, dass zugeführte Wär-
memenge Q und zugeführte mechanische Arbeit W durch die Relation
Q K W W (1.9)
miteinander in Beziehung stehen, wobei das Wärmeäquivalent stets den gleichen
Wert K w 2.3884 10 4 kcal / J hat. Das Wärmeäquivalent ist somit eine univer-
selle Konstante, die experimentell zu bestimmen ist. Dieser Umstand legt es nahe,
die Wärmemenge Q als abgeleitete Basisgröße zu definieren und dabei Gleichung
(1.9) als Definitionsrelation zu verwenden, in der die universelle Konstante
K w 2.3884 10 4 kcal / J willkürlich festgelegt wird. Damit wird die Kilokalorie
( kcal ) als abgeleitete Basiseinheit definiert. Im Rahmen der statistischen Thermody-
namik wurden Wärmemenge und mechanische Energie als gleichartige Größen er-
kannt. Damit lag es nahe, die universelle Konstante K w 1 zu setzen. Damit ergibt
sich, wie gegenwärtig üblich, dass die Wärmemenge nicht mehr als Basisgröße ange-
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1.6 Messgenauigkeit
Ergebnisse physikalischer Messungen sind stets mit Fehlern behaftet, wobei zwi-
schen zwei Arten von Fehlern unterschieden werden kann. Systematische Fehler
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16
12
Häufigkeit
0 x
x
Abb. 1.2: Histogramm zur Darstellung der Häufigkeitsverteilung der Mess-
werte xi bei einer Messserie. Auf der Messwertskala ist die
Klasseneinteilung eingetragen.
Die erwähnte Messserie kann durch einen repräsentativen Wert der Messgröße
charakterisiert werden. Dieser repräsentative Wert liefert eine Abschätzung für den
wahren Wert der Messgröße. Zur Festlegung eines solchen repräsentativen Wertes
x für die Messserie gehen wir davon aus, dass alle Einzelmesswerte xi gleicher-
maßen nach oben und unten von x abweichen und dementsprechend alle Abwei-
chungen xi x einander gerade kompensieren:
n
xi x 0 . (1.11)
i 1
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1 n
x xi . (1.12)
n i 1
Die betrachtete Messserie kann ferner durch ein Maß für die Streuung der Ein-
zelmesswerte charakterisiert werden. Wir betrachten zunächst die Abweichungen
xi x der Einzelmesswerte xi vom repräsentativen Wert x . Als Maß für die
Streuung der Einzelmesswerte könnte der arithmetische Mittelwert aller Abwei-
chungen herangezogen werden. Summe und somit auch arithmetischer Mittelwert
aller Abweichungen xi x verschwinden allerdings gemäß Gl. (1.11) durch Kom-
pensation positiver und negativer Abweichungen und sind daher als Streuungsmaß
ungeeignet.
Im Folgenden betrachten wir die Abweichungsquadrate xi x 2 . Damit wird die
oben erwähnte Kompensation vermieden, die Summe aller Abweichungsquadrate
ist positiv. Dies ermöglicht nunmehr eine alternative Festlegung des repräsentativen
Wertes x für die Messserie in der Weise, dass die Summe aller Abweichungsqua-
drate xi x 2 minimiert wird:
n
Q xi x 2 Minimum . (1.13)
i 1
Die Bestimmung von x erfolgt durch Nullsetzen der ersten Ableitung von Q :
n
dQ
2 xi x 0 .
dx i 1
Daraus erhält man als repräsentativen Wert für die Messserie in Übereinstimmung
mit Gl. (1.12) ebenfalls den arithmetischen Mittelwert aller Einzelmesswerte xi .
Es sei erwähnt, dass auch durch Betrachtung der Abweichungsbeträge xi x die
oben erwähnte Kompensation positiver und negativer Abweichungen vermieden
werden kann, die Summe aller Abweichungsbeträge ist positiv. Eine eindeutige
Festlegung des repräsentativen Wertes x durch Minimierung dieser Summe aller
Abweichungsbeträge ist jedoch im Allgemeinen nicht möglich, wie etwa am Bei-
spiel einer aus zwei Einzelmesswerten bestehenden Messserie unmittelbar ersicht-
lich ist.
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Zur Festlegung eines Maßes für die Streuung der Einzelmesswerte können wir
grundsätzlich von den Abweichungen xi xw der Einzelmesswerte xi vom wahren
Wert xw der Messgröße ausgehen und wir betrachten die Abweichungsquadrate
xi xw 2 .
Als ein Maß für die Streuung der Einzelmesswerte wählen wir den
arithmetischen Mittelwert aller Abweichungsquadrate:
1 n
Var xi xw 2 . (1.14)
n i 1
wird als Standardabweichung bezeichnet. Es ist zu beachten, dass für den Fall,
dass nur ein Einzelmesswert vorliegt ( n 1 ), die Abweichung vom arithmetischen
Mittelwert naturgemäß verschwindet. Würde in (1.15) analog zu (1.14) durch n di-
vidiert werden, dann würde dies im erwähnten Fall eine Standardabweichung
0 ergeben, obwohl bei nur einem Einzelmesswert gar keine Angabe über die
Streuung der Einzelmesswerte möglich ist. Da in (1.15) aber durch n 1 dividiert
wird, ist der Fall n 1 ausgeschlossen und das vorhin erwähnte sinnlose Ergebnis
wird vermieden. Falls eine große Anzahl von Einzelmesswerten vorliegt, sodass der
Unterschied zwischen n und n 1 vernachlässigbar ist, kann die Berechnung der
Standardabweichung in folgender Weise vereinfacht werden:
2
1 n 1 n
1 n 1
xi x 2 xi 2 2 xi x x 2 x 2 2 x xi n x 2
n i 1 n i 1 n i 1 n
x
und man erhält damit
2 x2 x 2 , (1.16)
1 n 2
wobei x 2 xi ist.
n i 1
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Als Maß für die relative Streuung der Einzelmesswerte eignet sich die relative
Standardabweichung x .
Eine konkrete quantitative Interpretation der Standardabweichung wird vom
Zentralen Grenzwertsatz geliefert:
x x 2
1 (1.17)
f x e 2 2 .
2
Auf Grund des Zentralen Grenzwertsatzes können bei einer mit statistischen Feh-
lern behafteten Messgröße die Einzelmesswerte xi stets in guter Näherung als
normalverteilt angesehen werden.
Die Verteilungsfunktion f (x) in Gl. (1.17) ist eine Wahrscheinlichkeitsdichte und
somit ist f x x die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Einzelmesswert im Inter-
vall [ x, x x] liegt. Mit Hilfe von Gl. (1.17) können Vertrauensbereiche für Ein-
zelmessungen ermittelt werden:
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R R
R x y . (1.19)
x y
Als häufig auftretenden Spezialfall betrachten wir ein Potenzprodukt in der Form
R A xa yb . (1.20)
R A a x a 1 y b x A b x a y b 1 y .
Gleichung (1.22) kann auch angewendet werden auf die Berechnung des absoluten
mittleren Fehlers x eines arithmetischen Mittelwertes x x1 x2 xn n
von n Einzelmesswerten xi . Unter der plausiblen Annahme, dass jedem Einzel-
messwert xi die gleiche Standardabweichung x zukommt, erhält man durch Ein-
setzen in (1.22) unmittelbar
x
n
1
2
x2
1
n
1
2
x2
2
n
1
2
n x2
und es ergibt sich für den absoluten mittleren Fehler des arithmetischen Mittel-
wertes
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1
x x . (1.23)
n
Die von der Anzahl der Einzelmesswerte praktisch unabhängige Standardabwei-
chung x beschreibt die Streuung der Einzelmesswerte und charakterisiert somit
die Schwankungen beim Messvorgang. Andererseits charakterisiert x den Fehler-
bereich des arithmetischen Mittelwertes x , also des Messergebnisses. Durch Erhö-
hung der Anzahl n der Einzelmesswerte kann der mittlere Fehler x des arithmeti-
schen Mittelwertes x verringert werden. Allerdings zeigt sich gemäß Gl. (1.23),
dass etwa zehnmal so viele Einzelmessungen erforderlich, um den statistischen
Fehler des arithmetischen Mittelwertes auf ein Drittel zu drücken.
Abschließend sei besonders darauf hingewiesen, dass eine Messung nur dann aus-
sagekräftig ist, wenn neben dem resultierenden Messwert auch dessen Fehlerbe-
reich angegeben wird. In graphischen Darstellungen kann der Fehlerbereich mit
Hilfe von Fehlerbalken dargestellt werden. Bei tabellarischen Daten ist darauf zu
achten, nur signifikante Stellen anzugeben.
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2 Mechanik
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r
v lim
r t 0 t
r (t ) r (t t )
O
Abb. 2.1: Zur Definition der Geschwindigkeit
v ist ein Tangentenvektor an die Bahnkurve, v v ist die zurückgelegte Wegstre-
cke pro Zeiteinheit.
Die Änderung der Geschwindigkeit eines Massenpunktes pro Zeiteinheit wird als
Beschleunigung bezeichnet:
v t t v t dv
a lim v r (2.3)
t 0 t dt
Die Dimension der Beschleunigung ist a m s 2 .
v (t ) v (t )
v
v ( t t )
v
a lim
t 0 t
a ist im Allgemeinen kein Tangentenvektor an die Bahnkurve und kann in Kom-
ponenten aufgespaltet werden in der Form
a at a n , (2.4)
wobei at die Tangentialbeschleunigung (Bahnbeschleunigung) und an die Nor-
malbeschleunigung ist. Zwecks Berechnung von at und an wird die Geschwindig-
keit dargestellt in der Form
(2.5)
v v eˆt ,
wobei êt der Tangenteneinheitsvektor an die Bahnkurve ist. Daraus erhält man die
Beschleunigung in der Form
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dv dv deˆ
a eˆt v t . (2.6)
dt dt dt
Wegen eˆt eˆt 1 und folglich d eˆt eˆt dt 2 eˆt deˆt dt 0 stehen êt und
deˆt dt aufeinander senkrecht. Damit erhält man durch Vergleich von (2.4) und
(2.6):
dv
at eˆt (2.7)
dt
deˆ
an v t . (2.8)
dt
Aus (2.7) ergibt sich für den Betrag der Tangentialbeschleungung unmittelbar:
dv
at . (2.9)
dt
v2
an , (2.10)
wobei der lokale Krümmungsradius der Bahnkurve ist.
Insbesondere ist aus (2.9) zu erkennen, dass der Betrag der Tangentialbeschleuni-
gung einfach gleich der Änderung des Geschwindigkeitsbetrages v pro Zeiteinheit
ist. Für den Fall der Bewegung eines Massenpunktes mit konstantem Geschwindig-
keitsbetrag v ist die Tangentialbeschleunigung at 0 und hat die Beschleunigung
somit nur eine Normalkomponente.
Im Folgenden betrachten wir einige spezielle Bewegungsformen.
a) Unbeschleunigte Bewegung:
Die Voraussetzung einer verschwindenden Beschleunigung führt zur Bewegungs-
gleichung
a v r 0 . (2.11)
Durch eine Integration dieser Bewegungsgleichung erhält man
v r const . (2.12)
Die in Gleichung (2.12) auftretende Konstante kann durch Festlegung einer An-
fangsbedingung
v t 0 v0 (2.13)
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zu const v0 bestimmt werden, womit die Geschwindigkeit ausgedrückt werden
kann in der Form
v r v0 . (2.14)
Eine weitere Integration liefert
r v0 t const . (2.15)
Analog wie oben kann die in Gleichung (2.15) auftretende Konstante durch Festle-
gung einer weiteren Anfangsbedingung
r t 0 r0 (2.16)
zu const r0 bestimmt werden, womit der Ortsvektor dargestellt werden kann in
der Form
r r0 v0 t . (2.17)
Dies entspricht einer gleichförmig geradlinigen Bewegung, wie in Abbildung 2.3
dargestellt.
v0 t
v0
r (t )
r0
O
Abb. 2.3: Darstellung einer gleichförmig geradlinigen Bewegung
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zu const v0 bestimmt werden, womit die Geschwindigkeit ausgedrückt werden
kann in der Form
v r v0 a0 t . (2.21)
Eine weitere Integration liefert
a0 2
r v0 t t const . (2.22)
2
Analog wie oben kann die in Gleichung (2.22) auftretende Konstante durch Festle-
gung einer weiteren Anfangsbedingung
r t 0 r0 (2.23)
zu const r0 bestimmt werden, womit der Ortsvektor dargestellt werden kann in
der Form
a0 2
r r0 v0 t t . (2.24)
2
Als Spezialfall betrachten wir Anfangsbedingungen, wie sie einem freien Fall (aus
anfänglicher Ruhe) nahe der Erdoberfläche entsprechen:
0
r0 0 , v0 0 , a0 0 (2.25)
g
Dies liefert gemäß den allgemeinen Beziehungen (2.21) und (2.24) für gleichförmig
beschleunigte Bewegung
0
v a0 t 0 (2.26)
g t
sowie das Fallgesetz
x0
a
r 0 t2 y 0 . (2.27)
2
z g t2
2
Aus dem Fallgesetz (2.27) erkennt man, dass die Fallstrecke proportional zum
Quadrat der Fallzeit ist. Diese Beziehung kann beim freien Fall nahe der Erdober-
fläche experimentell bestätigt werden (z.B. Fallschnurexperiment) und folglich ist
der freie Fall nahe der Erdoberfläche eine gleichförmig beschleunigte Bewegung.
Als weiteren Spezialfall betrachten wir die Anfangsbedingungen eines schrägen
Wurfes nahe der Erdoberfläche:
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v0 , x 0
r0 0 , v0 0 , a0 0 (2.28)
v g
0, z
Dies liefert gemäß den allgemeinen Beziehungen (2.21) und (2.24) für gleichförmig
beschleunigte Bewegung
v0, x
v v0 a 0 t 0 , (2.29)
v g t
0, z
x v0 , x t
a0 2
r v0 t t y0 . (2.30)
2 g
z v t t2
0, z
2
Elimination der Zeit t aus der Parameterdarstellung (2.30) liefert folgende Glei-
chungsdarstellung der Bahnkurve:
v0 , z g
z x 2
x2 (2.31)
v 0, x 2 v0 x
v0
v0 z
O v W x
0x
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v0 2
W sin 2 ,
g
(2.33)
2
v0
H sin 2 .
2g
Man erkennt, dass bei vorgegebenem Betrag v0 der Abwurfgeschwindigkeit für
den Abwurfwinkel 45 die größte Wurfweite erzielt wird, wobei allerdings ein
eventueller Einfluss der Luftreibung nicht berücksichtigt wurde.
c) Kreisbewegung:
Ein Massenpunkt bewege sich auf einer Kreisbahn mit Radius R und somit um ei-
ne feste Drehachse. Im Folgenden wählen wir Koordinaten, bei denen die Koordi-
natenachsen in der gleichen Reihenfolge aufeinander folgen wie die ersten drei
Finger der rechten Hand (rechtssinniges Koordinatensystem, Rechtskoordinaten-
system). Wie in Abbildung 2.5 dargestellt, wird der Koordinatenursprung O auf
der Drehachse angenommen und verbleibt unbewegt. Bei der Bewegung des Mas-
senpunktes von einem Anfangspunkt P0 nach P überstreicht der vom Kreismittel-
punkt M zum Massenpunkt gerichtete Radialstrahl den Winkel und die Länge
der Bahnkurve ist somit s R . Dabei wird der Winkel , wie in der Physik all-
gemein üblich, im Bogenmaß gemessen. Die Kreisbewegung wird durch die Winkel-
geschwindigkeit charakterisiert, die in folgender Weise definiert ist:
r
P s
an
v
P0
M
r
R
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(1) d dt
(2) ║ Drehachse
(3) weist in die Richtung, in die sich eine Rechtsschraube bewegt,
wenn sie gleichsinnig mit der Kreisbewegung gedreht wird
(Orientierungssinn von gemäß Rechtsschraubenregel).
Der Betrag ist somit der Winkel, der pro Zeiteinheit vom Radialstrahl überstri-
chen wird. Bei Wahl eines Linkskoordinatensystems ist bei der Definition der Win-
kelgeschwindigkeit die Linksschraubenregel anzuwenden und weist somit in
diesem Fall in die umgekehrte Richtung. Dementsprechend klappt bei Raum-
spiegelungen um und zeigt somit das Verhalten eines Axialvektors (Pseudovek-
tors). Die Dimension der Winkelgeschwindigkeit ist s 1 .
bezeichnet die Winkelbeschleunigung und wegen der Annahme einer festen
Drehachse gilt stets ║ . Die Dimension der Winkelbeschleunigung ist
s 2 .
Mit Hilfe der Winkelgeschwindigkeit kann nunmehr die Geschwindigkeit v
des Massenpunktes ausgedrückt werden in der Form
v r . (2.34)
Zur Überprüfung der Beziehung (2.34) bestimmen wir Betrag, Richtung und Orien-
tierungssinn von r . Gemäß Definition des vektoriellen Produktes und wegen
R r sin (siehe Abb. 2.5) gilt
r r sin R . (2.35)
Wegen s R (siehe Abb. 2.5) und d dt erhalten wir ferner
ds d
v v R R. (2.36)
dt dt
Durch Vergleich von (2.35) und (2.36) erkennt man, dass r mit v überein-
stimmt. Gemäß Definition des vektoriellen Produktes gilt ferner, dass r senk-
recht auf und auf r steht und dass , r und r in dieser Reihenfolge aufei-
nander folgen wie die Koordinatenachsen. Damit erkennt man gemäß Abbildung
2.5, dass r ein Tangentenvektor an die Bahnkurve und in Richtung der Kreis-
bewegung orientiert ist. Somit erweist sich der Ausdruck (2.34) für die Geschwin-
digkeit des Massenpunktes als gültig.
Mit Hilfe von (2.34) kann auch die Beschleunigung a berechnet werden in der
Form
a v r v r r .
(2.37)
at an
38
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Wegen ist die Komponente
at r (2.38)
parallel zu v und somit tangentiell an die Bahnkurve (Tangentialbeschleunigung,
Bahnbeschleunigung), während die Komponente
a n v r (2.39)
gemäß Abb. (2.5) senkrecht zu v und zum Kreismittelpunkt gerichtet ist (Normal-
beschleunigung, Zentripetalbeschleunigung). Für die Beträge gilt wegen
R r sin und v R
dv
at r r sin R (2.40)
dt
und
v2
an v v 2 R . (2.41)
R
Diese Ausdrücke stimmen überein mit den allgemeinen Beziehungen (2.9) und
(2.10).
Die in rotierenden Bezugssystemen auftretende Zentrifugalbeschleunigung wird in
Abschnitt 2.2.2 behandelt.
In konkreten Situationen kann die Abwesenheit von Kräften oft unmittelbar festge-
stellt werden, generell kann die Feststellung der Kräftefreiheit jedoch schwierig
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sein. Die Gültigkeit des 1. Newton’schen Axioms ist auf spezielle Bezugssysteme
eingeschränkt. Die Bezugssysteme, bezüglich derer das 1. Newton’sche Axiom gilt,
werden als Inertialsysteme bezeichnet.
Das 1. Newton’sche Axiom bezieht sich auf den Fall der Kräftefreiheit. Nunmehr
beschreiben wir die Wirkung einer Kraft auf einen Massenpunkt. Dazu definieren
wir eine neue physikalische Größe, den Impuls
p mv , (2.42)
wobei m als (träge) Masse des Massenpunktes bezeichnet wird. Damit wird die
Wirkung einer Kraft in folgender Weise beschrieben:
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nem Körper von der Masse 1 kg die Beschleunigung 1 m s 2 bewirkt. Wenn eine
Kraft als Ortsfunktion gegeben ist, dann liegt ein Kraftfeld vor.
Als wichtigen Spezialfall betrachten wir die Bewegung eines Massenpunktes unter
der Wirkung einer konstanten Kraft F0 . Auf Grund des 2. Newton’schen Axi-
oms, Gleichung (2.44), bewegt sich der Massenpunkt mit der konstanten Beschleu-
nigung a0 F0 m und man erhält gemäß den kinematischen Beziehungen (2.21)
und (2.24) für Geschwindigkeit und Ort des Massenpunktes die Ausdrücke
F0
v v0 t , (2.45)
m
F0 2
r r0 v0 t t . (2.46)
2m
Falls die Kraft F0 verschwindet, resultiert eine geradlinig gleichförmige Bewegung
in Übereinstimmung mit dem 1. Newton’schen Axiom.
Im 2. Newton’schen Axiom wird eine Kraft auf einen Massenpunkt betrachtet. Im
Folgenden untersuchen wir nunmehr das Verhalten zweier miteinander in Wechsel-
wirkung stehender Massenpunkte. Wie in Abbildung 2.6 gezeigt, üben die beiden
wechselwirkenden Massenpunkte Kräfte aufeinander aus.
m2
F12
m1 F21
Abb. 2.6: Geometrische Anordnung der Kräfte F21 , F12 , die zwei
wechselwirkende Massenpunkte m1 , m2 aufeinander ausüben
Auf Grund experimenteller Erfahrung besteht für diese Kräfte folgender Zusam-
menhang:
41
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Die drei Newton’schen Axiome können als Grundlage der Mechanik angesehen
werden und mit Hilfe dieser Axiome wird der Begriff der Kraft eingeführt. Da
räumliche Verschiebungen durch Vektoren dargestellt werden, haben auch Ge-
schwindigkeiten und Beschleunigungen vektoriellen Charakter. Gemäß Gleichung
(2.44) haben somit auch Kräfte vektoriellen Charakter und bei gleichzeitiger Wir-
kung mehrerer Kräfte können die Kräfte durch Vektoraddition zusammengesetzt
werden. Die Beschreibung von Systemen, bei denen mehrere Kräfte angreifen, die
einander in Summe kompensieren, wird als Statik bezeichnet. Insbesondere die Sta-
tik starrer Körper (siehe Kap. 2.4.1) ist von großer Bedeutung.
Ausgehend von den Newton’schen Axiomen können für mehrere physikalische
Größen Erhaltungssätze abgeleitet werden. Zunächst betrachten wir den Impuls p
eines Massenpunktes gemäß Gleichung (2.42). Aus dem 2. Newton’schen Axiom
in der Form (2.43) erhält man für den Fall verschwindender äußerer Kraft F un-
mittelbar:
Die Herleitung dieses Satzes erfolgte zunächst für nur einen Massenpunkt. Im Fol-
genden betrachten wir ein System von mehreren Massenpunkten mit Massen mi ,
Positionen ri , Geschwindigkeiten vi und Impulsen pi mi vi . Wir gehen davon
aus, dass die Massenpunkte im Allgemeinen miteinander in Wechselwirkung stehen.
Die Wechselwirkungskraft auf den Massenpunkt i , herrührend von dem Massen-
punkt j , werde mit F ji bezeichnet. Die Kräfte F ji sind die in dem betrachteten Sys-
tem wirkenden inneren Kräfte. Zusätzlich wirke auf den Massenpunkt i auch die
Kraft Fi herrührend von einer Wechselwirkung mit der Umgebung. Die Kräfte Fi
werden als äußere Kräfte bezeichnet. Die Bewegungsgleichung für den Massenpunkt
i lautet
dpi
Fi F ji .
dt j
42
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F ji 0 .
i, j
Man erkennt, dass die Summe aller inneren Kräfte verschwindet. Als Resultat
ergibt sich somit
d
dt i
pi Fi . (2.48)
i
Wenn also die gesamte äußere Kraft verschwindet, dann ist der Gesamtimpuls kon-
stant. Der Impulserhaltungssatz ist somit auch für Systeme von mehreren Massen-
punkten gültig.
Zur Beschreibung des dynamischen Verhaltens von Massenpunkten erweisen sich
auch der Drehimpuls
L rp (2.49)
und das Drehmoment
N r F (2.50)
als zweckmäßig, wobei r der Ortsvektor des Massenpunktes bezüglich eines festge-
legten Koordinatenursprungs O ist. Die Dimensionen dieser Größen lauten
L kg m 2 s 1 und N kg m 2 s 2 N m . Die weiter unten eingeführte Ar-
beit W hat ebenfalls die Dimension W N m . Diese Arbeitseinheit wird auch als
1 Joule = 1 J bezeichnet. Da N und W verschiedenartige Größen sind, wird die
Einheit des Drehmomentes nicht als 1 J bezeichnet. Analog wie die Winkelge-
schwindigkeit klappen auch L und N bei Raumspiegelungen um und zeigen so-
mit das Verhalten von Axialvektoren (Pseudovektoren).
Drehimpuls und Drehmoment haben wichtige Anwendungen bei der Beschreibung
der Dynamik der Rotation starrer Körper (siehe Kap. 2.4.2). Im Folgenden erläu-
tern wir diese Größen anhand einfacher Spezialfälle. Zunächst betrachten wir die
Bewegung eines Massenpunktes m auf einem Kreis mit Radius r um den Koor-
dinatenursprung O . Die Winkelgeschwindigkeit sei .
L
p
m
O r
Abb. 2.7: Impuls p und Drehimpuls L bei
einer Kreisbewegung eines Massenpunktes m
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Wie in Abbildung 2.7 gezeigt, stehen Ortsvektor r und Impuls p des Massenpunk-
tes aufeinander senkrecht. Wegen v r ergibt sich für den Betrag des Drehim-
pulses L daher
L m r2 . (2.51)
Man erkennt aus Abbildung 2.7, dass in dem betrachteten Fall L und parallel
zueinander und gleichorientiert sind und folglich erhalten wir aus Gleichung (2.51)
auch den vektoriellen Zusammenhang
L m r2 . (2.52)
Somit läge die Vermutung nahe, dass zwischen L und stets eine gleichartige Re-
lation besteht wie zwischen p und v . Es zeigt sich jedoch, dass L und im All-
gemeinen nicht parallel zueinander sind, der Zusammenhang wird dementspre-
chend mit Hilfe eines Tensors 2. Stufe dargestellt (siehe Kap. 2.4.2).
Als weiteren Spezialfall betrachten wir eine unbeschleunigte (geradlinig-gleich-
förmige) Bewegung eines Massenpunktes m mit der konstanten Geschwindigkeit
v . Wie in Abbildung 2.8 gezeigt, befinde sich der Koordinatenursprung O im
Normalabstand b von der geradlinigen Bahn des Massenpunktes. b wird als Stoß-
parameter bezüglich O bezeichnet (siehe Kap. 2.3).
m
v
b r sin
r
O
Abb. 2.8: Zum Drehimpuls eines Massenpunktes m bei
geradlinig-gleichförmiger Bewegung
Man erkennt aus Abb. 2.8, dass der Betrag von L dargestellt werden kann in der
Form
L m r v m r v sin
Auch für den Drehimpuls kann ein Erhaltungssatz hergeleitet werden. Dazu diffe-
renzieren wir den Drehimpuls laut Definition (2.49) nach der Zeit und erhalten
r p r p .
dL
dt
v p 0
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Wegen p F und r F N ergibt sich
dL
N (2.54)
dt
in völliger Analogie zum 2. Newton’schen Axiom gemäß Gleichung (2.43). Daraus
erhält man für den Fall verschwindenden äußeren Drehmomentes N unmittelbar:
Als wichtigen Spezialfall betrachten wir Zentralkräfte, das sind Kräfte F , die
stets parallel zum Ortsvektor r des jeweiligen Massenpunktes angreifen. Der Ko-
ordinatenursprung O wird als Kraftzentrum des Zentralkräftefeldes bezeichnet. In
diesem Fall ist stets N r F 0 und folglich bleibt der Drehimpuls erhalten.
Die Herleitung des Drehimpulssatzes erfolgte zunächst für nur einen Massenpunkt.
Im Folgenden betrachten wir ein System von mehreren Massenpunkten mit Massen
mi , Drehimpulsen Li ri pi und äußeren Drehmomenten N i ri Fi . Es gilt:
dL i
dt
r i pi ri p i .
vi pi 0
Unter Berücksichtigung äußerer und innerer Kräfte erhält man die Bewegungsglei-
chung für den Massenpunkt i in der Form
p i Fi F ji .
j
Nunmehr werde die erfahrungsgemäß in den meisten Fällen erfüllte Annahme ge-
macht, dass die inneren Kräfte F ji stets parallel zu den Relativvektoren ri r j der
entsprechenden wechselwirkenden Massenpunkte sind. Dies erlaubt die Umfor-
mung
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ri F ji rj Fij ri
rj
F ji 0
Relativvektor || F ji
Als Resultat ergibt sich aus Gleichung (2.55) somit analog zu Gleichung (2.48)
d
dt i
Li N i . (2.56)
i
Wenn also das gesamte äußere Drehmoment verschwindet, dann ist der Gesamt-
drehimpuls konstant. Der Drehimpulserhaltungssatz ist somit auch für Systeme von
mehreren Massenpunkten gültig.
Die Beschreibung des Verhaltens eines Systems von mehreren Massenpunkten
kann vereinfacht werden durch Einführung des Massenmittelpunktes (MMP) mit
Ortsvektor
mi ri
R i . (2.57)
mi
i
Der Ortsvektor R des Massenmittelpunktes wird also definiert als arithmetischer
Mittelwert der Ortsvektoren ri , gewichtet mit den Teilchenmassen mi . Im Spezial-
fall eines Systems zweier Massenpunkte mit gleichen Massen m liegt der MMP al-
so stets in der Mitte der Verbindungsstrecke der beiden Massenpunkte. Für den Fall
eines starren Körpers wird der MMP aller Massenpunkte des starren Körpers als
Schwerpunkt bezeichnet (siehe Kap. 2.4). Oftmals wird der MMP allerdings auch
für den allgemeinen Fall eines Systems von mehreren Massenpunkten als Schwer-
punkt bezeichnet.
Auch für den Massenmittelpunkt kann ein Erhaltungssatz hergeleitet werden. Dazu
formen wir die Definition des MMP gemäß Gleichung (2.57) um
mi R mi ri
i i
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d d
mi R pi .
dt i
dt i
Durch Einsetzen von Gleichung (2.48) folgt daraus
d
mi R Fi , (2.58)
dt i
i
wobei Fi die äußeren Kräfte bezeichnen. Daraus erhält man für den Fall ver-
schwindender gesamter äußerer Kraft unmittelbar:
Als letzter der mechanischen Größen, für die ein Erhaltungssatz gilt, wenden wir
uns nun der Energie zu. Zur Einführung der mechanischen Gesamtenergie ist es
zweckmäßig, vom Begriff der mechanischen Arbeit auszugehen. Wir betrachten
gemäß Abbildung 2.9 einen Massenpunkt, der sich unter dem Einfluss einer Kraft
F auf einer Bahnkurve von einem Ausgangspunkt P0 zu einem Endpunkt Pe be-
wegt.
Pe
P r
F
r
Abb. 2.9: Zur Definition der mechani-
P0 schen Arbeit, die eine Kraft F während
der Bewegung eines Massenpunktes P
O
verrichtet
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Die Arbeit W , die von der Kraft F längs eines hinreichend kurzen Wegstückes
r verrichtet wird, ist definiert als die Wegstrecke multipliziert mit der Kraft-
komponente in Wegrichtung, also
W r F cos F r .
Die Definition der Arbeit ist eine der wichtigsten Anwendungen des Skalarproduk-
tes zweier Vektoren in der Physik. Die Dimension der Arbeit ist W N m . Die-
se Arbeitseinheit wird auch als 1 Joule = 1 J bezeichnet. Auf Grund der Definition
der Arbeit erkennt man, dass Kräfte oder Kraftkomponenten F , die senkrecht auf
die Bewegungsrichtung v stehen, keine Arbeit verrichten.
Die Arbeit, die pro Zeiteinheit verrichtet, also dem System zugeführt wird, ist die
mechanische Leistung
dW
P . (2.61)
dt
Die Dimension der Leistung ist P J s 1 . Diese Leistungseinheit wird auch als
1 Watt = 1 W bezeichnet. Durch Einsetzen von Gl. (2.60) in Gl. (2.61) erhält man
P t
d d t dr
P
dt F dr
dt dt dt
F
P t 0 t0
F v
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und fällt anschließend wieder bis zum Endpunkt Pe P0 zurück. Der Koordinaten-
ursprung O liege im Anfangspunkt P0 , die z -Achse weise senkrecht nach oben.
Ps
F0
H rs
v0
P0 Pe O Abb. 2.10: Geometrische Anordnung der Vektoren zur
F0 Beschreibung des senkrechten Wurfes eines
Massenpunktes
0 x0
, r
v 0 y0 (2.64)
F0
v0 t F
z v0 t 0 t 2
m 2m
für Geschwindigkeit und Ort des Massenpunktes als Funktionen der Zeit. Die Be-
dingungen bei den Punkten P0 , Ps und Pe lauten somit:
Anfangsposition P0 (r r0 ) :
z0 0, t0 0, v (t0 ) v0
Scheitelposition Ps (r rs ) :
m v0 m v0 2
v s 0, t s , H z s z (t s )
F0 2 F0
Endposition Pe P0 (r r0 ) :
2 m v0
ze 0, te t ze , ve v te v0 .
F0
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Nunmehr können wir die von der Kraft F0 verrichtete Arbeit berechnen.
Längs des Weges von P0 nach Ps verrichtet die Kraft F0 die Arbeit
Ps
m v0 2
W1 F0 dr F0 rs r0 F0 H . (2.65)
2
P0 hinauf
F0 führt von dem System also die Arbeit m v0 2 2 ab. Längs des Weges von Ps
nach Pe verrichtet die Kraft F0 anschließend die Arbeit
P0
m v0 2
W2 F0 dr F0 r0 rs F0 H . (2.66)
2
Ps hinunter
F0 führt dem System also wieder die Arbeit m v0 2 2 zu. Wir erkennen, dass der
betrachtete senkrechte Wurf ein reversibler Vorgang ist, bei dem insgesamt weder
Arbeit gewonnen wird noch verloren geht.
Gemäß Gleichung (2.62) berechnen wir mit Hilfe der Ausdrücke in Gl. (2.63),
(2.64) die von der Kraft F0 während des betrachteten senkrechten Wurfes erbrachte
Leistung
F0 2
P(t ) F0 v (t ) F0 v0 t. (2.67)
m
Somit ergibt sich bei der Anfangsposition P0 die Leistung
P(t 0 0) F0 v0 . (2.68)
F0 führt also von dem System pro Zeiteinheit die Arbeit F0 v0 ab. Bei der Schei-
telposition Ps erhält man die Leistung
m v0 F 2 m v0
P t s F0 v0 0 0. (2.69)
F0 m F0
F0 verrichtet also an dem System pro Zeiteinheit keine Arbeit, bei der Scheitel-
position ist ja auch v 0 . Bei der Endposition Pe ergibt sich schließlich
2 m v0 F 2 2 m v0
P t e F0 v0 0 F0 v0 . (2.70)
F0 m F0
F0 führt dem System also pro Zeiteinheit wieder die Arbeit F0 v0 zu.
Im Folgenden wenden wir uns der Definition der mechanischen Energie zu. Zu-
nächst betrachten wir einen Massenpunkt, der sich mit Geschwindigkeit v A be-
wegt.
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Wir gehen davon aus, dass diese in den Massenpunkt investierte Arbeit als kineti-
sche Energie TA dem Massenpunkt mit Geschwindigkeit v A innewohnt.
Zur konkreten Berechnung der kinetischen Energie TA wählen wir ein Bezugssys-
tem, in dem der betrachtete Massenpunkt m zum Zeitpunkt t0 an der Stelle P0 ruht.
Auf den Massenpunkt wirke eine Kraft F , die ihn auf dem Weg von P0 nach PA ,
dem Aufpunkt, auf die Geschwindigkeit v A beschleunigt. Gemäß der obigen Defini-
tion ist die kinetische Energie TA des Massenpunktes mit Geschwindigkeit v A die
Arbeit, die die Kraft F längs des Weges von P0 nach PA verrichtet:
PA
PA tA
dv dv dr
TA F dr m
dt
dr m
dt dt
dt
P0 P0 t0
v
tA tA
v A2
d v .
dv m d v2 m
2
m v dt dt
dt 2 dt 2
t0 t0 0
1 d (v v )
2 dt
Folglich erhält man für die kinetische Energie TA des Massenpunktes m mit Ge-
schwindigkeit v A den Ausdruck
m v A2
TA . (2.71)
2
Bei Wahl eines anderen Bezugssystems ergibt sich im Allgemeinen eine andere
Geschwindigkeit und somit auch eine geänderte kinetische Energie des betrachteten
Massenpunktes.
Mit Hilfe obiger Umformung ergibt sich für die Arbeit W längs des Weges von P1
nach P2 :
P2 v2
W
m 2
F dr d v 2
2 2
m v2 2 m v12
2
2
P1 v1
Folglich erhält man für die Arbeit, die die Kraft F längs des Weges von P1 nach
P2 an dem Massenpunkt verrichtet den Ausdruck
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W T2 T1 . (2.72)
Anhand des oben betrachteten senkrechten Wurfes illustrieren wir die Anwen-
dung des Begriffes der kinetischen Energie. Gemäß Gl. (2.71) kann die kinetische
Energie des Massenpunktes beim senkrechten Wurf für verschiedene Positionen
ermittelt werden:
Anfangsposition P0 :
m v0 2
T0 (2.73)
2
Scheitelposition PS :
TS 0 (2.74)
Endposition Pe :
m v0 2
Te . (2.75)
2
Damit erhält man gemäß Gl. (2.72) unmittelbar die Arbeit längs des Weges von P0
nach PS
m v0 2
W1 TS T0 , (2.76)
2
und die Arbeit längs des Weges von PS nach P0
m v0 2
W2 Te TS . (2.77)
2
Diese Ausdrücke stimmen überein mit Gl. (2.65) und (2.66), konnten jedoch mit
Hilfe der kinetischen Energie wesentlich einfacher ermittelt werden.
Als Vorbereitung zu der Einführung der potenziellen Energie betrachten wir nun-
mehr konservative Kräfte.
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C1
P2
P1
C2
Abb. 2.11: Bahnkurve in einem konservativen Kraftfeld
Wenn man, wie in Abbildung 2.11 gezeigt, zwei Punkte P1 und P2 auf einer ge-
schlossenen Bahnkurve wählt, dann kann Gl. (2.78) umgeformt werden zu
P2 P1
F dr F dr 0
P1 P2
Weg C1 Weg C 2
und dies führt zu der Beziehung
P2 P1
P2
F d r F dr F d r .
P1 P2 P1
Weg C1 Weg C 2 Weg C 2
Somit gilt:
Bei konservativen Kräften ist die Arbeit am Weg von P1 nach P2 unabhängig
vom Verlauf der Bahnkurve und nur von den Positionen der Endpunkte P1 und
P2 abhängig. Folglich ist die Arbeit bei konservativen Kräften wegunabhängig.
Nunmehr betrachten wir einen Massenpunkt, der sich in einem konservativen Kraft-
feld F an einem Ort PA , seinem Aufpunkt, befindet.
Definition der potenziellen Energie V A des Massenpunktes bezüglich eines festge-
legten Bezugspunkts P0 :
Die potenzielle Energie V A ist die Arbeit, die die konservative Kraft F verrich-
ten kann, falls sich ein Massenpunkt von seinem Aufpunkt PA nach P0 bewegt.
Wir gehen davon aus, dass diese in den Massenpunkt potenziell zu investierende
Arbeit als potenzielle Energie V A dem Massenpunkt an dem Ort PA bereits inne-
wohnt. Die Voraussetzung der Konservativität des betrachteten Kraftfeldes stellt
sicher, dass die Arbeit am Weg von PA nach P0 wegunabhängig ist und die Defini-
tion der potenziellen Energie somit auf eine eindeutige Ortsfunktion führt.
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Gemäß der Definition von V A erkennt man, dass eine Änderung des Bezugspunktes
P0 nur eine Änderung von V A um einen konstanten Betrag zur Folge hat. Abhän-
gig von der konkreten Situation wird P0 oft im Koordinatenursprung oder im Un-
endlichen angenommen. Man erkennt unmittelbar, dass am Bezugspunkt die poten-
zielle Energie verschwindet.
Gemäß der obigen Definition kann die potenzielle Energie berechnet werden mittels
P0 PA
VA F dr F dr . (2.79)
PA P0
Dieser Ausdruck führt auf eine alternative Definition der potenziellen Energie V A
des betrachteten Massenpunktes bezüglich des festgelegten Bezugspunktes P0 :
Die potenzielle Energie V A ist die Arbeit, die gegen die wirkende Kraft F von
einer gleichgroßen, aber entgegengesetzten Kraft F verrichtet werden musste,
um einen Massenpunkt quasistatisch von P0 zu seinem Aufpunkt PA zu ver-
schieben.
Im gleichen Ausmaß steigt dadurch auch die Möglichkeit (das Potenzial) der Kraft
F zu einer nachfolgenden Arbeitszuführung an das System. Eine quasistatische
Verschiebung ist eine hinreichend langsame Bewegung, sodass die kinetische
Energie des Massenpunktes im Vergleich zu V A vernachlässigbar ist. Dabei ist zu
beachten, dass der betrachtete Massenpunkt ja kräftefrei ist, wenn Kraft F und Ge-
genkraft F gleichzeitig an ihm angreifen.
Als anschauliches Beispiel betrachten wir einen Schilift. Die Talstation des Liftes
werde als Bezugspunkt P0 gewählt, ein Schifahrer hat somit dort die potenzielle
Energie V 0 . Vom Lift wird der Schifahrer nunmehr gegen die wirkende
Schwerkraft F langsam (quasistatisch) zur Bergstation, dem Aufpunkt PA , hinauf-
gezogen. Der Schilift verrichtet dabei eine positive Arbeit und folglich hat der
Schifahrer dann bei der Bergstation eine positive potenzielle Energie V A . Im glei-
chen Ausmaß steigt dadurch auch die Möglichkeit der Schwerkraft F zu einer
nachfolgenden Arbeitszuführung an das System im Fall einer Abfahrt ins Tal.
Die Arbeit, die von der Kraft F längs des Weges von P1 nach P2 an dem Massen-
punkt verrichtet wird, kann für konservative Kräfte ausgedrückt werden in der Form
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P2 P0
P2
W F dr F dr F dr .
P1 0 P1 P
V2 V1
Folglich erhält man für die Arbeit, die die Kraft F längs des Weges von P1 nach
P2 an dem Massenpunkt verrichtet den Ausdruck
W V1 V2 . (2.81)
Die große Bedeutung der potenziellen Energie V rührt unter Anderem daher, dass
zwischen F und V ein einfacher Zusammenhang besteht. Zur Herleitung dieses
Zusammenhanges betrachten wir in dem konservativen Kraftfeld F zwei nahe be-
nachbarte Punkte P1 und P2 mit Ortsvektoren r1 und r1 r . Die längs des Weges
von P1 nach P2 verrichtete Arbeit kann näherungsweise berechnet werden in der
Form
P2
W F dr F r .
P1
V V V
x y z grad V r .
x y z
Durch Vergleich dieser Ausdrücke ergibt sich für beliebige Wahl von r folgender
Zusammenhang zwischen Kraft und potenzieller Energie
F gradV . (2.82)
Die Einführung der potenziellen Energie hat also den eminenten Vorteil, dass ein
Kraftfeld F mittels nur eines Skalars V dargestellt werden kann. Diese Möglich-
keit ist allerdings auf konservative Kräfte beschränkt.
Anhand des oben betrachteten senkrechten Wurfes illustrieren wir auch die An-
wendung des Begriffes der potenziellen Energie. Als Bezugspunkt werde der An-
fangspunkt des Wurfes gewählt. Für das konstante homogene Schwerkraftfeld F0
erhält man für die potenzielle Energie den Ausdruck
P0
V P 0 dr F0 z .
F (2.83)
P
Damit ist auch der Zusammenhang F0 grad V erfüllt.
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Gemäß Gl. (2.83) kann die potenzielle Energie des Massenpunktes beim senkrech-
ten Wurf für verschiedene Positionen ermittelt werden:
Anfangsposition P0 z 0 :
V P0 0 (2.84)
m v0 2
Scheitelposition PS z S H :
2 F
0
m v0 2
V PS F0 H (2.85)
2
Endposition Pe ze 0 :
V P0 0 . (2.86)
Damit erhält man gemäß Gl. (2.81) unmittelbar die Arbeit längs des Weges von P0
nach PS
m v0 2
W1 V P0 V PS (2.87)
2
und die Arbeit längs des Weges von PS nach P0
m v0 2
W2 V PS V P0 . (2.88)
2
Diese Ausdrücke stimmen überein mit Gl. (2.65) und (2.66), konnten jedoch mit
Hilfe der potenziellen Energie wesentlich einfacher ermittelt werden.
Nachdem wir nunmehr kinetische und potenzielle Energie eingeführt haben, erfolgt
schließlich die Definition der mechanische Gesamtenergie E :
E T V . (2.89)
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Die mechanische Gesamtenergie ist nur bei konservativen Kräften erhalten. Verall-
gemeinerung des Energiebegriffes durch Einschluss thermischer Energie führt zum
1. Hauptsatz der Thermodynamik (siehe Kap. 4.8.2), wodurch der Gültigkeitsbe-
reich des Energieerhaltungssatzes erweitert wird.
Die Bedeutung des Energieerhaltungssatzes kann ebenfalls anhand des senkrech-
ten Wurfes erläutert werden. Gemäß Gl. (2.73), (2.74), (2.75), (2.84), (2.85),
(2.86) kann die mechanische Gesamtenergie des Massenpunktes beim senkrechten
Wurf für verschiedene Positionen ermittelt werden:
Anfangsposition P0 :
m v02
E0 T0 V0 0 (2.90)
2
Scheitelposition PS :
m v02
ES TS VS 0 (2.91)
2
Endposition Pe :
m v02
Ee Te Ve 0. (2.92)
2
Man erkennt, dass die Energie bei Anfangs- und Endposition kinetisch, bei der
Scheitelposition potenziell ist. Die Energie kann also im Verlauf eines mechani-
schen Vorganges zwischen kinetischer und potenzieller Energie wechseln. Die Ge-
samtenergie bleibt dabei jedoch unverändert erhalten.
Man geht davon aus, dass kinetische und potenzielle Energie dem jeweiligen Sys-
tem innewohnen, die Energie ist somit eine Systemeigenschaft. Andererseits wird
die Arbeit einem System zu- oder abgeführt, die Arbeit ist folglich ein Grenzflä-
chenkonzept.
Emmy Noether hat einen Zusammenhang zwischen den Erhaltungssätzen und ge-
wissen Invarianzeigenschaften nachgewiesen. Es gilt das Noether-Theorem:
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Isotropie des Raumes: Die Eigenschaften von Systemen sind invariant bei Rotati-
onen im Raum, sind also unabhängig von der Wahl der Richtung im Raum. Aus der
Isotropie des Raumes folgt die Erhaltung des Drehimpulses.
Homogenität der Zeit: Die Eigenschaften von Systemen sind invariant bei Zeit-
translationen, sind also unabhängig von der Wahl der Startzeit. Aus der Homogeni-
tät der Zeit folgt die Erhaltung der Energie.
2.1.3 Wechselwirkungskräfte
Nach der allgemeinen Beschreibung der Dynamik von Massenpunkten diskutieren
wir nunmehr die Eigenschaften spezieller Wechselwirkungskräfte. Ortsabhängige
Kräfte werden als Kraftfeld bezeichnet. Bei räumlich konstanten Kräften spricht
man von einem homogenen Kraftfeld, zeitunabhängige Kräfte sind statische Kräfte.
Auf einen Punkt, das Kraftzentrum, gerichtete Kräfte bilden ein Zentralkräftefeld.
Falls der Koordinatenursprung in das Kraftzentrum gelegt wird, dann sind die Zent-
ralkräfte also stets parallel zum Ortsvektor.
Man unterscheidet bei der Wechselwirkung (WW) von Massenpunkten zwischen
Fernwirkung und Nahwirkung. Bei der Fernwirkung erfolgt die WW über eine
gewisse räumliche Distanz, dementsprechend könnte eine instantane WW erwartet
werden. Andererseits ist die Nahwirkung bedingt durch den lokalen Zustand des
Raumes, der als Feld bezeichnet wird. In diesem Fall kann mit einer endlichen
Ausbreitungsgeschwindigkeit des Feldes und folglich der WW gerechnet werden.
Der Feldbegriff ist in der Physik von großer Bedeutung, insbesondere die elektro-
magnetische WW wird mit elektromagnetischen Feldern in Verbindung gebracht,
die sich mit endlicher Geschwindigkeit ausbreiten (siehe Kap. 5.7).
Alle bekannten WW können auf vier grundlegende WW-Kräfte mit unterschiedli-
chen Stärken und Reichweiten zurückgeführt werden:
Im Rahmen der Quantenfeldtheorie kann eine WW-Kraft auf den Austausch virtu-
eller Teilchen zurückgeführt werden, die aufgrund der Energieunschärfe (siehe
Kap. 8.6) entstehen können. Die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung virtueller
Teilchen kann als ein Maß für die Stärke der jeweiligen WW-Kraft angesehen wer-
den und wird durch die Kopplungskonstante angegeben. Die in Tabelle 2.1 ange-
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wichtig, den Unterschied zwischen schwerer Masse mS und Gewicht G des Körpers
zu berücksichtigen. Körper mit gleicher schwerer Masse haben in Gravitations-
feldern unterschiedlicher Gravitationsfeldstärke gemäß Gl. (2.93) auch unterschied-
liches Gewicht. In den allermeisten praktischen Situationen befinden sich Men-
schen allerdings im Gravitationsfeld nahe der Erdoberfläche mit praktisch konstan-
tem Betrag der Schwerefeldstärke. In diesem Fall sind somit schwere Masse und
Gewicht stets proportional zueinander und folglich wird in der Alltagssprache oft
zwischen diesen beiden Begriffen nicht unterschieden.
Im Zusammenhang mit der Berechnung der potenziellen Energie V in dem be-
trachteten homogenen Gravitationsfeld führen wir ein Koordinatensystem ein, bei
dem die z-Achse parallel und entgegengerichtet zur Schwerefeldstärke g gewählt
werde. In diesem Koordinatensystem gilt gemäß Gl. (2.93)
0 0
g 0 , G 0 . (2.94)
g m g
S
Entsprechend dem allgemeinen Zusammenhang lt. Gl. (2.82) gilt für das betrachte-
te Gravitationsfeld
G gradV . (2.95)
Gleichungen (2.94), (2.95) werden erfüllt durch den Ansatz
V mS g z . (2.96)
Der Bezugspunkt für V liegt bei z 0 und wird üblicherweise auf der Erdoberflä-
che angenommen.
Wir betrachten nun den freien Fall eines Massenpunktes im homogenen Gravita-
tionsfeld nahe der Erdoberfläche. Am Anfang, zum Zeitpunkt t 0 , befinde sich
der Massenpunkt bei z 0 in Ruhe, anschließend falle der Massenpunkt um eine
Strecke H , die Fallhöhe, hinunter. Gemäß dem 2. Newton‘schen Axiom lt. Gl.
(2.44) erhalten wir die Bewegungsgleichung
m r G , (2.97)
wobei m die träge Masse des Massenpunktes ist. Durch Einsetzen des allgemeinen
Ausdrucks (2.93) folgt für die z-Komponenten
d 2z
m mS g .
d t2
Daraus erhält man durch zweimalige Integration unter Berücksichtigung der An-
fangsbedingungen
mS t2
z g . (2.98)
m 2
60
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s
Gt
Gr
G ms g
Abb. 2.12: Anordnung der Kraftkomponenten beim mathematischen Pendel
61
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Wie in Abbildung 2.12 dargestellt, führen wir Polarkoordinaten ein und die Weg-
koordinate des Massenpunktes wird ausgedrückt als
s l . (2.103)
Die Gewichtskraft G wird beschrieben durch eine Tangentialkomponente Gt und
eine Radialkomponente Gr . Die Tangentialkomponente Gt kann für den Fall klei-
ner Schwingungen dargestellt werden in der Form
Gt mS g sin mS g . (2.104)
Die Radialkomponente Gr der Gewichtskraft wird durch die Wirkung einer vom
Faden hervorgerufenen Zwangskraft stets kompensiert und gemäß Gl. (1.102) ver-
bleibt die Bewegungsgleichung
d 2s
m Gt .
dt 2
Durch Einsetzen von s und Gt gemäß Gl. (2.103) und (2.104) erhalten wir daraus
die Bewegungsgleichung in der Form
d 2
ml mS g . (2.105)
dt 2
Diese gewöhnliche lineare Differenzialgleichung ist die Schwingungsgleichung
des mathematischen Pendels.
Gl. (2.105) kann mit Hilfe des Ansatzes
A sin t
gelöst werden, der eine harmonische Schwingung mit Amplitude A und Kreis-
frequenz darstellt. Durch Einsetzen dieses Lösungsansatzes in die Schwin-
gungsgleichung (2.105) erhalten wir für die Kreisfrequenz den Ausdruck
g mS
. (2.106)
l m
Die Schwingungsdauer T des mathematischen Pendels ist das Zeitintervall zwi-
schen zwei gleichen Zuständen des Pendels. Dementsprechend gilt
sin t T sin t
t T t 2
T 2
Die Schwingungsdauer T resultiert damit zu
2 l m
T 2 . (2.107)
g mS
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Experimentell zeigt sich, dass die Schwingungsperiode T unabhängig ist von der
Größe und Zusammensetzung der Pendelmasse. Auf Grund der aus Gl. (2.107) fol-
genden Beziehung
4 2 l
mS m (2.108)
g T 2
resultiert somit neuerlich die Relation (2.101). Präzisionsmessungen haben gezeigt,
dass die relativen Abweichungen von Relation (2.101) unterhalb von 1011 liegen.
Dies legt die Annahme der Gleichartigkeit von träger und schwerer Masse nahe.
Dementsprechend setzt man (siehe auch Kap. 1.5) die universelle Konstante CS 1
und damit wird das Äquivalenzprinzip postuliert:
Damit erübrigt sich die unabhängige Einführung der schweren Masse als Basisgrö-
ße mS mit Basiseinheit kg S . Das Äquivalenzprinzip geht bereits auf Überlegungen
von Galilei zurück, wurde als experimentelles Faktum akzeptiert, blieb aber zu-
nächst unerklärt. Bemerkenswerterweise kann das Äquivalenzprinzip erst im Rah-
men der allgemeinen Relativitätsmechanik verstanden werden.
Mit Hilfe von Gl. (2.109) erhält man aus Gl. (2.99) für die Fallzeit t H beim freien
Fall den vereinfachten Ausdruck
2H
tH (2.110)
g
und somit kann auch aus Messung der Schwingungsperiode T die Schwerefeld-
stärke
4 2 l
g (2.113)
T2
ermittelt werden.
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Das Äquivalenzprinzip erlaubt noch eine wichtige allgemeine Folgerung. Aus Gl.
(2.93) erhält man gemäß Gl. (2.109) für die Gewichtskraft G den Ausdruck
G m g. (2.114)
mS
Durch Einsetzen von Gl. (2.114) in das Newton‘sche Axiom, Gl. (2.44), erhält die
Bewegungsgleichung die Form
m r m
g
ms
oder
r g . (2.115)
Nach der Betrachtung homogener Gravitationsfelder wenden wir uns nun der Mas-
senanziehung zweier Massenpunkte m, M zu. Wenn sich ein Massenpunkt m
im Gravitationsfeld eines anderen Massenpunktes M befindet, dann erkennt man
aus den Gleichungen (2.93) bzw. (2.114), dass die Kraft auf den Massenpunkt m
proportional zu der Masse m des Massenpunktes ist. Auf Grund des 3.
Newton‘schen Axioms ist diese Kraft auch proportional zu M . Newton hat ge-
zeigt, dass aus Beobachtungen der Umlaufbahn des Mondes um die Erde Informa-
tionen über die Abhängigkeit der Gravitations-WW-Kraft zweier Massenpunkte
vom Abstand der Massenpunkte gewonnen werden können. Aus Bahnradius und
Winkelgeschwindigkeit des Mondes auf seiner annähernd kreisförmigen Bahn um
die Erde kann die Zentripetalbeschleunigung g M des Mondes berechnet werden
(siehe Kap. 2.1.1). Wenn wir davon ausgehen, dass die Gravitationsanziehung zur
Erde den Mond auf seiner Kreisbahn hält, dann muss die Zentripetalbeschleuni-
gung g M des Mondes gleich der Fallbeschleunigung im Gravitationsfeld der Erde
an der Stelle des Mondes sein. Andererseits kennen wir die Fallbeschleunigung g
an der Erdoberfläche. Es zeigt sich, dass g g M 3600 . Andererseits ist das Ver-
hältnis des Mondbahnradius zum Erdradius RM R 60 . Daraus erkennen wir,
dass die Fallbeschleunigung in 60-facher Distanz 1 602 mal so groß ist. Daraus
kann geschlossen werden, dass die Gravitations-WW-Kraft zweier Massenpunkte
mit Abstand r proportional zu 1 r 2 ist. Obwohl Erde und Mond keine Massen-
punkte, sondern ausgedehnte kugelförmige Massen sind, lassen Beobachtungen von
Erde und Mond Rückschlüsse auf das Verhalten von Massenpunkten zu, da man
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65
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mM
V C g (2.119)
r
als zweckmäßig. Man erkennt, dass sich das betrachtete Gravitationsfeld als Gradi-
ent einer potenziellen Energie darstellen lässt und folglich ein konservatives Kraft-
feld ist.
Die radiale Abhängigkeit von V ist in Abbildung 2.13 dargestellt, der Bezugspunkt
liegt im Unendlichen.
V (r )
0 r
Gemäß Gl. (2.119) kann das Potenzial ausgedrückt werden in der Form
M
Cg . (2.122)
r
Nunmehr betrachten wir die Dynamik der WW zweier Punktmassen, das Zweikör-
perproblem. Die geometrische Anordnung der beiden Massen ist in Abbildung 2.14
illustriert. In dem System wirken keine äußeren Kräfte, sondern nur Gravitations-
WW-Kräfte als innere Kräfte F12 und F21 .
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F12 m2
F21
r12 r1 r2
m1 r2
r1
O
Abb. 2.14: Geometrische Anordnung der Punktmassen im Zweikörperproblem
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v t
A
v t
r
O
Abb. 2.15: Zum 2. Kepler’schen Gesetz (Flächensatz)
Da r stets senkrecht auf L r p steht und L konstant ist, erfolgt die Bewegung
in einer Ebene. Die Fläche A , die vom Radiusvektor r in einem Zeitintervall t
überstrichen wird, kann näherungsweise berechnet werden als
1 1 t t
A r v t r v t rp L , (2.127)
2 2 2 2
wobei die reduzierte Masse wegen der Kleinheit des Verhältnisses von Planeten-
masse zu Sonnenmasse praktisch gleich der Planetenmasse ist. Gemäß Gl. (2.127)
erhalten wir für konstant angenommene Zeitintervalle t wegen der Konstanz des
Drehimpulses den ursprünglich auf Kepler zurückgehenden Flächensatz bzw. das
2. Kepler’sche Gesetz:
1. Kepler’sches Gesetz:
Die Planetenbahnen sind Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht.
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3. Kepler’sches Gesetz:
Für zwei verschiedene Planeten gilt, dass sich die Quadrate der Umlaufzeiten so
verhalten wie die Kuben der großen Bahnachsen.
V (r )
V 0
r0 r
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Ein durch Gl. (2.130) und (2.131) beschriebenes System wird als harmonischer
Oszillator bezeichnet. Gemäß Gl. (2.131) erkennt man:
Beim harmonischen Oszillator wirkt eine rücktreibende Kraft, die stets propor-
tional ist zur Auslenkung des Massenpunktes aus der Gleichgewichtslage.
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r r*
êz eˆ*z
eˆ*y
S*
O ê y O* eˆ*x
S êx
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r r*
O R O*
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dR
u const .
dt
Integration nach der Zeit liefert
R u t . (2.141)
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a
R u t t2. (2.145)
2
Damit ergibt Gl. (2.139) die Transformation
* a 2
r r u t t
2 (2.146)
*
t t
in der ebenfalls die in der klassischen Mechanik gemachte Annahme der universel-
len Zeit enthalten ist.
Mit Hilfe dieser Transformation kann die Geschwindigkeit eines Massenpunktes
P berechnet werden:
dr * dr
u a t
dt dt (2.147)
dr dr *
u a t
dt dt
Man erkennt:
Falls P relativ zu S * ruht, dann ist v u a t
Falls P relativ zu S ruht, dann ist vrel u a t .
Mit Hilfe von Gl. (2.147) berechnen wir nun die Beschleunigung des Massen-
punktes P :
d 2r * d 2r
a
dt 2 dt 2 (2.148)
d 2r d 2r *
a
dt 2 dt 2
Es ergibt sich folgende physikalische Interpretation:
Falls P relativ zum Inertialsystem S unbeschleunigt ist, dann wirken keine (einge-
prägten) Kräfte. In diesem Fall gilt gemäß Gl (2.148)
d 2r *
2
a. (2.149)
dt
Ein Beobachter in S beobachtet in diesem Fall keine Kraft. Andererseits beobach-
tet ein Beobachter in S * jedoch eine Beschleunigung a und macht dafür die
Trägheitskraft
FT m a (2.150)
verantwortlich.
Falls P jedoch relativ zum System S * unbeschleunigt ist, dann gilt gemäß Gl.
(2.148)
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d 2r
2
a. (2.151)
dt
Ein Beobachter in S * beobachtet in diesem Fall keine Gesamtkraft. Um den Mas-
senpunkt bezüglich S * unbeschleunigt zu halten, ist die Führungskraft
FF m a FT (2.152)
erforderlich. Diese Führungskraft ist eine eingeprägte Kraft und kompensiert die
Trägheitskraft. Andererseits beobachtet ein Beobachter im Inertialsystem S die
soeben erwähnte eingeprägte Führungskraft, jedoch keine Trägheitskraft.
Wir illustrieren die obige physikalische Interpretation anhand des folgenden Bei-
spieles. Ein Eisenbahnzug (Bezugssystem S * ) fahre aus einer Station ab, bewege
sich also beschleunigt relativ zum Bahnsteig (Inertialsystem S ). In dem beschleu-
nigten Eisenbahnzug befinde sich ein Koffer mit reibungsfreien Rollen (Massen-
punkt P ). Wegen der Reibungsfreiheit der Kofferrollen wirken auf den Koffer kei-
ne eingeprägten Kräfte und er verbleibt unbeschleunigt (bzw. in Ruhe) relativ zum
Bahnsteig. Ein im beschleunigten Eisenbahnzug mitfahrender Beobachter bemerkt
jedoch, dass der Koffer beschleunigt nach hinten wegrollt und macht dafür eine auf
den Koffer wirkende Kraft (Trägheitskraft) verantwortlich. Will der mitfahrende
Beobachter den Koffer allerdings unbeschleunigt (in Ruhe) relativ zum Eisenbahn-
zug halten, dann muss er eine Führungskraft (eingeprägte Kraft) auf den Koffer
ausüben, mit der er die obige Trägheitskraft kompensiert und somit den Koffer mit
dem Eisenbahnzug mitführt. Aus der Sicht des mitfahrenden Beobachters ver-
schwindet in diesem Fall somit die Gesamtkraft auf den Koffer. Andererseits be-
obachtet man vom Bahnsteig aus eine beschleunigte Bewegung des Koffers auf
Grund der vom mitfahrenden Beobachter ausgeübten eingeprägten Führungskraft.
deˆ*x
P
dt
r r*
eˆ*x
O* O
Abb. 2.19: Geometrische Anordnung von Vektoren bei
rotierenden Bezugssystemen
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Dabei ist zu beachten, dass êx , ê y , êz relativ zu System S konstant sind und folg-
lich deˆ x dt deˆ y dt deˆz dt 0 . Analog gilt, dass eˆ*x , eˆ*y , eˆ*z relativ zu System
S * konstant sind und folglich d *eˆ*x dt d *eˆ*y dt d *eˆ*z dt 0 .
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und damit erhalten wir einen allgemeinen Zusammenhang zwischen den zeitlichen
Änderungen des Vektors A relativ zu S und relativ zu S * .
Zwecks Berechnung der Geschwindigkeit des Massenpunktes P wählen wir
A r . Aus Gl. (2.158) ergibt sich unmittelbar
v vrel r , (2.159)
wobei
dr
v : Geschwindigkeit von P relativ zu System S
dt (2.160)
d r
vrel : Geschwindigkeit von P relativ zu System S
dt
Man erkennt:
Falls P relativ zu S * ruht, dann ist v r (Übereinstimmung mit Gl. (2.34))
Falls P relativ zu S ruht, dann ist vrel r .
Zwecks Berechnung der Beschleunigung des Massenpunktes P wählen wir A v .
Aus Gl. (2.158) ergibt sich mit Hilfe von Gl. (2.159) sowie unter Berücksichtigung
der Konstanz von relativ zu S und zu S *
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d 2r d v d *v
v
dt 2 dt
dt
dA
dt
d * d *r d *r
r r
dt dt
dt
v v
d *2 r d r d r
2 r .
dt d t d t
verantwortlich. Man erkennt, dass die Zentrifugalkraft senkrecht auf die Drehachse
radial nach außen gerichtet ist, während die Corioliskraft senkrecht auf Geschwin-
digkeit vrel des Massenpunktes P relativ zum rotierenden System S steht. Wir
weisen darauf hin, dass die Zentrifugalkraft unabhängig von vrel ist und somit in
einem rotierenden Bezugssystem stets beobachtet wird. Die Corioliskraft ist ande-
rerseits abhängig von vrel und wird nur beobachtet, falls der Massenpunkt P sich
relativ zum rotierenden System S bewegt.
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Falls P jedoch relativ zum System S * unbeschleunigt ist, dann gilt gemäß Gl.
(2.161):
d 2r
2
2 vrel r . (2.165)
dt
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2.3 Streuvorgänge
In diesem Kapitel betrachten wir Systeme ohne äußere Kräfte, in denen Teilchen
sich geradlinig gleichförmig auf ein Zielobjekt hinbewegen und nach Wechselwir-
kung mit diesem Zielobjekt sich wieder geradlinig gleichförmig davon wegbe-
wegen. Die Wechselwirkung der Teilchen mit dem Zielobjekt wird als Streuung
bezeichnet. Experimentelle Beobachtungen von Streuvorgängen können wesentlich
zur Aufklärung von Strukturen und Wechselwirkungen in mikroskopischen Syste-
men beitragen. Beispielsweise liefert die Streuung von Photonen im sichtbaren
Licht Informationen über die Partikelgröße in dispersen Systemen, wie Hydrosolen,
Mikroemulsionen, Aerosolen und Wolken. Andererseits ermöglicht Photonenstreu-
ung im Bereich der Röntgenstrahlung quantitative Aussagen über kristalline Struk-
turen und Gitterkonstanten. Durch Streuung von α-Teilchen oder von Neutronen
erhält man Informationen über atomare Strukturen und Wirkungsquerschnitte.
Im Folgenden betrachten wir Streuvorgänge bei Geschwindigkeiten, die eine Be-
schreibung mit Hilfe der klassischen Mechanik ermöglichen. Bei höheren Energien
und somit Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit treten relativistische
Stöße auf, zu deren Beschreibung die relativistische Mechanik (siehe Kap. 7) erfor-
derlich ist.
Wir betrachten ein System von zwei Massenpunkten, in dem keine äußeren Kräfte
wirken. Einer der beiden Massenpunkte werde als einfallendes Teilchen (Teilchen 1),
der andere als Target-Teilchen (Teilchen 2) bezeichnet. Wir nehmen an, dass nen-
nenswerte Wechselwirkungskräfte zwischen diesen beiden Teilchen nur in einem
lokalen Wechselwirkungsbereich für begrenzte Distanzen zwischen den beiden
Teilchen auftreten. Wie in Abbildung 2.20 gezeigt, bewegen sich beide Teilchen
folglich außerhalb des Wechselwirkungsbereichs geradlinig gleichförmig.
v1 v1
m1 , r1 , v1
einfallendes
Teilchen m1 W.W. - Bereich
r12 1
Target- m2
Teilchen
m2 , r2 , v2
v2
v2
Abb. 2.20: Streuvorgang in einem beliebig gewählten Bezugssystem
mi , ri und vi ri sind Massen, Ortsvektoren und Geschwindigkeiten der beiden
Teilchen.
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m r m2 r2
R 1 1 (2.173)
m1 m2
ist der Ortsvektor des Massenmittelpunktes der beiden Teilchen (siehe Glei-
chung (2.57)). Der Massenmittelpunkt wird bei der Beschreibung von Streuvorgän-
gen oft auch unpräzise als Schwerpunkt bezeichnet.
m v m2 v2
V R 1 1 (2.174)
m1 m2
ist die Geschwindigkeit des Schwerpunktes. Wegen der vorausgesetzten Abwe-
senheit äußerer Kräfte ist stets V const . r12 r1 r2 ist der Relativvektor und
v12 v1 v 2 die Relativgeschwindigkeit der beiden Teilchen.
m1 m2
(2.175)
m1 m2
ist die reduzierte Masse (siehe Gleichung (2.124)). vi , vi bezeichnen die (kon-
stanten) Geschwindigkeiten der beiden Teilchen vor bzw. nach dem Streuvorgang.
Eine für die Beschreibung von Streuvorgängen besonders wichtige Größe ist der
Streuwinkel 1 , der den Winkel zwischen v1 und v1 bezeichnet:
Der Streuwinkel ist der Winkel zwischen den Bewegungsrichtungen des einfal-
lenden Teilchens (Teilchen 1) vor und nach der Streuung.
Zur konkreten Beschreibung des Streuvorganges erweist sich die Darstellung be-
züglich spezieller Bezugssysteme als zweckmäßig. Ein vielen experimentellen Si-
tuationen angepasstes Bezugssystem ist das Laborsystem, das dadurch charakteri-
siert ist, dass v2 L 0 :
Abbildung 2.21 zeigt den Ablauf des Streuvorganges bezüglich des Laborsystems.
(v1) L
(v1 ) L m1 (1 ) L
b r12
m2
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Die Darstellung des Streuvorganges bezüglich des Laborsystems erlaubt die Defini-
tion einer weiteren wichtigen Beschreibungsgröße, des Stoßparameters b :
Falls der Stoßparameter verschwindet, dann zielt das einfallende Teilchen vor der
Streuung genau auf das ruhende Target-Teilchen.
Wegen v2 L 0 erkennt man gemäß Gl. (2.174), dass
v1 L || V L . (2.176)
Abbildung 2.22 zeigt den Ablauf des Streuvorganges bezüglich des Schwerpunkt-
systems.
(v1) S
m1
(v1 ) S (1 ) S
b r12 O
m2 (v2 ) S
(v2 ) S
S 0 , dass stets
Gemäß Gl. (2.174) ergibt sich wegen V
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Somit sind die Geschwindigkeiten des einfallenden Teilchens und des Target-
Teilchens im Schwerpunktsystem stets parallel zueinander. Mit Hilfe von Abbil-
dung 2.22 erkennt man, dass der Relativvektor r12 lange vor der Streuung weitge-
hend parallel zu v1 S und v2 S , lange nach der Streuung dagegen weitgehend pa-
rallel zu v1S und v2 S liegt. Somit folgt mit Hilfe der Beziehung (2.177)
v1 S ist die Geschwindigkeit des einfallenden Teilchens relativ zum Schwerpunkt
und somit gilt
v1 S v1 L V L .
(2.179)
Die Geschwindigkeit des einfallenden Teilchens vor der Streuung hat also bezüg-
lich des Labor- und des Schwerpunktsystems die gleiche Richtung. Folglich er-
kennt man aus Abbildung 2.22, dass der Stoßparameter b im Labor- und im
Schwerpunktsystem den gleichen Wert hat.
Wir wollen im Folgenden den Zusammenhang der Streuwinkel 1 im Labor- und
im Schwerpunktsystem untersuchen. Zunächst betrachten wir die Richtung der Ge-
schwindigkeit des einfallenden Teilchens vor der Streuung. Gemäß Beziehung
(2.176), (2.180), (2.178) gilt
V L || v1 L || v1 S || v2 S . (2.181)
Diese Beziehung wird durch Abbildung 2.23 illustriert. Wie in dieser Abbildung
gezeigt, ergibt sich aus den obigen Zusammenhängen, dass die Richtungen des ein-
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fallenden Teilchens nach der Streuung und somit auch die Streuwinkel bezüglich
des Labor- und des Schwerpunktsystems im allgemeinen unterschiedlich sind.
Konkret erkennt man aus Abbildung 2.23 die Relation
1 L 1 S (2.183)
(V ) L
(v1) L
(v1) S
(1 ) L
(1 ) S
Richtung von (V ) L || (v1) L || (v1) S || (v2 ) S
Gemäß Abbildung 2.23 erhält man für den Streuwinkel 1 L den Ausdruck
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m2
v1S
.
v12 (2.185)
m1 m2
Weiters berechnen wir nunmehr R L . Gemäß Gl. (2.174) gilt im Laborsystem vor
der Streuung
0
m v m2 v2 L
R L 1 1 L
m1 m2
und somit folgt für die Beträge
R L m1
.
v12 (2.186)
m1 m2
Schließlich ermöglichen Gl. (2.186) und (2.185) die Ermittlung des Ausdruckes
R L
m1
v1S m2
und folglich kann aus Gl. (2.184) die bekannte Transformationsformel für Streu-
winkel
sin 1 S
tan 1 L (2.187)
m1
cos1 S
m2
gewonnen werden. Für die Herleitung der Transformationsformel ist die Annahme
konservativer Wechselwirkungskräfte erforderlich und somit ist die Gültigkeit
der Transformationsformel auf konservative Wechselwirkungskräfte beschränkt.
Abbildung 2.24 zeigt den Zusammenhang der Streuwinkel im Labor- und im
Schwerpunktsystem. Sichtlich ist der Zusammenhang durch das Verhältnis
m1 m2 der Teilchenmassen bestimmt. Im Allgemeinen sind die beiden Streuwinkel
durchaus unterschiedlich, nur für den Fall m1 m2 stimmen sie weitgehend über-
ein. In diesem Fall befindet sich der gemeinsame Schwerpunkt der beiden Teilchen
praktisch an der Stelle des Target-Teilchens und somit stimmen Laborsystem und
Schwerpunktsystem weitgehend überein.
87
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180
150 m1
0
m2
120
0 .2
(θ1)L [°]
90 0 .75
1
60
1 .5
30
5
0
0 30 60 90 120 150 180
(θ1)S [°]
Abb. 2.24: Zusammenhang der Streuwinkel im Labor- und
im Schwerpunktsystem. m1 , m2 sind die Massen des
einfallenden Teilchens und des Target-Teilchens
88
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89
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v12
v12 (1 ) S
b r12
O
Abb. 2.25: Darstellung des Streuvorganges mit Hilfe der Bewegung der
reduzierten Masse im Kraftfeld der WW-Kräfte
ermittelt und von Rutherford experimentell bestätigt, wobei e die elektrische Ele-
mentarladung, Z die Kernladungszahl und 0 die elektrische Feldkonstante ist (sie-
he Abschnitt 5). Die Experimente von Rutherford haben zur Aufklärung der atoma-
ren Struktur geführt und zählen zu den folgenschwersten Experimenten der Physik.
Bei Streu-Experimenten wird üblicherweise ein Strahl von Teilchen betrachtet,
die auf mehrere Target-Teilchen einfallen:
Die einfallende Intensität I ist die Anzahl der pro (normale) Flächeneinheit
und Zeiteinheit einfallenden Teilchen.
Im Allgemeinen wird ein gewisser Anteil der einfallenden Teilchen an den Target-
Teilchen gestreut werden:
90
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Der totale gestreute Fluss Φtot ist die Gesamtanzahl der pro Zeiteinheit an
einem einzelnen betrachteten Target-Teilchen gestreuten Teilchen.
Als Beispiel betrachten wir die Streuung von harten Kugeln mit Radius a an
ebensolchen Target-Kugeln. Gemäß Abbildung 2.26 erkennt man, dass in diesem
Fall der totale Wirkungsquerschnitt einer Kugel gegeben ist durch
tot 2 a 2 4 a 2 . (2.193)
a
2a
2a
91
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92
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Zur konkreten Beschreibung eines starren Körpers werde angenommen, dass der
Körper aus N Teilchen bestehe, die relativ zueinander starr angeordnet sind. ri und
mi sind Position und Masse eines Teilchens, Vi ist das dem Teilchen zugeordnete
Volumen und somit ist
m
ri i (2.194)
Vi
die Dichte des Körpers an der Stelle ri . Damit ergibt sich das Gesamtvolumen des
Körpers zu
N
V Vi dV (2.195)
i 1 V
und die Gesamtmasse zu
N
M mi dV dm . (2.196)
i 1 V V
Zunächst betrachten wir die Wirkungen äußerer Kräfte auf einen beliebigen starren
Körper, wobei der Körper keine Bewegung ausführt. Durch Kompensation mehre-
rer äußerer Kräfte ergeben sich Gleichgewichtszustände. Anschließend erfolgt die
Beschreibung der Bewegungen starrer Körper.
F
P
r RB
B
r
RB
O
Abb. 2.27: Zur Wirkung einer einzelnen Kraft F auf einen starren Körper
93
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Bei der Beschreibung der Wirkung der angreifenden Kraft muss neben der Kraft
auch das entsprechende Drehmoment berücksichtigt werden:
Die Wirkung einer auf einen starren Körper angreifenden Kraft F
kann charakterisiert werden durch die
(2.197)
Kraft F
und das
Drehmoment N B r RB F (2.198)
bezüglich eines fest gewählten Bezugspunktes B .
Anhand von Abbildung 2.27 erkennt man, dass F und N B unverändert bleiben, wenn
der Angriffspunkt der Kraft F längs der Angriffsgeraden von F verschoben wird.
Somit ergibt sich die Regel von der Linienflüchtigkeit der Kräfte:
Die Wirkung einer Kraft F auf einen starren Körper bleibt unverändert, wenn die
Kraft längs ihrer Angriffsgeraden parallelverschoben wird.
Falls eine Kraft derart parallel verschoben wird, dass der Angriffspunkt nicht mehr
auf der ursprünglichen Angriffsgeraden liegt, ergibt sich eine Änderung des Dreh-
moments N B und somit ist die parallel verschobene Kraft nicht gleichwertig zur
ursprünglichen Kraft.
Nunmehr betrachten wir ein System von mehreren Kräften Fi , die in den Punkten
Pi mit Ortsvektoren ri gemeinsam an dem betrachteten ruhenden starren Körper an-
greifen. Diese Kräfte Fi sind nur dann gleichwertig zur Gesamtkraft F Fi , falls
sie im gleichen Punkt angreifend gedacht werden können. Sollten die Angriffsgera-
den aller Kräfte Fi sich in einem einzigen Punkt schneiden, dann können die Kräfte
gemäß der oben erwähnten Regel von der Linienflüchtigkeit der Kräfte alle in die-
sem einen Punkt angreifend gedacht werden. Im Folgenden wird jedoch gezeigt,
dass die betrachteten Kräfte Fi auch unter etwas allgemeineren Voraussetzungen
gleichwertig sind zu der in einem bestimmten Punkt angreifenden Gesamtkraft
F Fi .
Bei der Beschreibung der Wirkung der angreifenden Kräfte muss neben der Ge-
samtkraft auch das entsprechende Gesamtdrehmoment berücksichtigt werden:
94
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Die gemeinsame Wirkung aller Kräfte Fi auf den betrachteten
starren Körper kann charakterisiert werden durch die
Gesamtkraft F angreifend an einem fest gewählten Bezugspunkt B
F Fi (2.199)
i
und durch das Gesamtdrehmoment N B bezüglich des
fest gewählten Bezugspunkts B
N B ri RB Fi ri Fi R B F . (2.200)
i i
Im Fall verschwindender Gesamtkraft F erkennt man aus Gl. (2.200), dass das Ge-
samtdrehmoment N B von der Wahl des Ortes RB des Bezugspunktes B unabhän-
gig ist. Damit ergibt sich folgende Gleichgewichtsbedingung für starre Körper:
Ein starrer Körper unter der gemeinsamen Wirkung von Kräften Fi befindet sich
im Gleichgewicht, falls sowohl die Gesamtkraft F als auch das Gesamtdreh-
moment N B verschwinden, wobei N B von der Wahl von B unabhängig ist.
Hinsichtlich der Wirkung von Kräften Fi , die gemeinsam an einem starren Körper
angreifen, ist zwischen zwei Fällen zu unterscheiden:
Fall A: Gesamtkraft F Fi 0 :
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In diesem Fall kann der Ort RB des Bezugspunktes B derart gewählt werden, dass
gemäß Gl. (2.200) das Gesamtdrehmoment N B bezüglich dieses Bezugspunktes B
verschwindet. Somit ist dann das System der Kräfte Fi völlig gleichwertig zu der
Gesamtkraft F , die in diesem Bezugspunkt B angreift. Folglich kann die gemein-
same Wirkung aller Kräfte Fi auch durch eine im Bezugspunkt B angreifende Ge-
genkraft F völlig kompensiert werden.
Ein wichtiger Spezialfall ist die an einem starren Körper angreifende Schwerkraft.
An jedem Teilchen (Massenelement) mi des starren Körpers greife die Schwerkraft
Fi mi g an. Damit ergibt sich das Gesamtdrehmoment N B bezüglich eines Be-
zugspunktes B mit Ortsvektor RB gemäß Gl. (2.200) zu
N B ri mi g RB mi g . (2.201)
Fi F
Man erkennt, dass das Gesamtdrehmoment N B verschwindet, falls
mi ri g RB
mi g .
M
96
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N B r1 RB F1 r2 RB F2 . (2.203)
( F1 F2 )
B
P1 P2
r1 RB r2 RB
F1
F2
Abb. 2.28: Zur Wirkung zweier paralleler und gleichorientierter Kräfte F1 , F2
auf einen starren Körper
Man erkennt, dass das Gesamtdrehmoment N B verschwindet, falls
r1 RB F1 r2 RB F2 .
Daraus erhält man für die Beträge der Vektoren das Hebelgesetz
F1 r1 RB F2 r2 RB , (2.204)
dessen anschauliche Bedeutung beschrieben werden kann durch die bekannte Be-
ziehung
Kraft × Kraftarm = Last × Lastarm.
Gemäß Obigem ergibt sich, dass die Wirkung der Kräfte F1 und F2 auf den starren
Körper der im Bezugspunkt B angreifenden Gesamtkraft F F1 F2 völlig gleich-
wertig ist und somit auch durch eine im Bezugspunkt B angreifende Gegenkraft
F1 F2 vollständig kompensiert werden kann.
Fall B: Gesamtkraft F Fi 0 :
In diesem Fall ist es unmöglich, den Ort RB des Bezugspunktes B derart zu wäh-
len, dass gemäß Gl. (2.200) das Gesamtdrehmoment N B bezüglich dieses Bezugs-
punktes B verschwindet. Vielmehr gilt gemäß Gl. (2.200) stets
N B ri Fi (2.205)
i
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unabhängig von der Wahl des Bezugspunktes B . Diese Unabhängigkeit von der
Wahl von B ist dadurch begründet, dass es ja sichtlich gleichgültig ist, in welchem
Punkt B die verschwindende Gesamtkraft F Fi 0 angreift.
Insbesondere betrachten wir zwei parallele, gleichgroße und entgegengesetzt orien-
tierte Kräfte F1 F p und F2 F p . Diese beiden an einem starren Körper angrei-
fenden Kräfte bilden, wie in Abbildung 2.29 gezeigt, ein Kräftepaar.
Fp
r1 r2
r1
r2
Fp O
Abb. 2.29: Zur Wirkung eines Kräftepaares F p , F p auf einen starren Körper
Während die Gesamtkraft F für das Kräftepaar definitionsgemäß verschwindet, ist
das auf den starren Körper ausgeübte Gesamtdrehmoment N B des Kräftepaares
gemäß Gl. (2.205) gegeben durch
N B r1 F p r2 F p r1 r2 F p (2.206)
ter wird es sich als zweckmäßig erweisen, zusätzlich ein zweites, unterschiedliches
Koordinatensystem einzuführen (siehe Kap. 2.4.4).
Wir betrachten ein Massenelement dm des starren Körpers, das sich am Ort r be-
findet. Gemäß Gl. (2.34) gilt für die Geschwindigkeit dieses Massenelementes
r r . (2.207)
Der rotierende starre Körper kann als System von (vielen) Massenelementen dm
mit Gesamtdrehimpuls L aufgefasst werden, auf das ein gesamtes äußeres Dreh-
moment N ausgeübt wird. Als Bezugspunkt werde der Koordinatenursprung O
gewählt. Gemäß Gl. (2.56) gilt für den rotierenden starren Körper die Bewegungs-
gleichung
dL
N . (2.208)
dt
Analog dazu ist gemäß Gl. (2.48)
dp
F
dt
die Bewegungsgleichung für Translationsbewegungen eines starren Körpers.
Zur Lösung der Bewegungsgleichung für Translationsbewegungen ist es nützlich,
den bekannten Zusammenhang von Impuls p und Geschwindigkeit v zu verwen-
den. In analoger Weise erweist es sich als zweckmäßig, zur Lösung der Bewe-
gungsgleichung (2.208) für den rotierenden starren Körper einen Zusammenhang
des Drehimpulses L mit der Winkelgeschwindigkeit herzustellen.
Im Folgenden berechnen wir den Gesamtdrehimpuls L des rotierenden starren
Körpers durch Integration über alle Massenelemente dm des starren Körpers. Da-
bei ist zu beachten, dass der Winkelgeschwindigkeitsvektor ortsunabhängig ist.
Gemäß Definition des Drehimpulses erhält man mit Hilfe von Gl. (2.207)
dm r r dm .
L r r (2.209)
V Impuls V
99
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x1 1
r x2 , 2 .
x
3 3
L3 x3 x1 dm 1
V
x3 x2 dm 2 (2.213)
V
r 2 x3 x3 dm 3
V 2 2
x1 x2
100
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oder in Tensorschreibweise
Li I ij j (2.216)
~
formuliert werden, wobei der Tensor zweiter Stufe I ij bzw. I als Trägheitstensor
des betrachteten starren Körpers bezeichnet wird. Die Komponenten des Träg-
heitstensors werden als Trägheitsmomente ( I11, I 22 , I 33 ) bzw. als Trägheits-
produkte ( I12 , I13 , I 23 , I 21, I 31, I 32 ) bezeichnet. Bei der Tensor- bzw. Index-
schreibweise gemäß Gl. (2.216) ist zu beachten, dass über Indizes, die in einem
Produkt doppelt vorkommen, von 1 bis zur Dimensionszahl zu summieren ist
(Summationskonvention). Die Gleichungen (2.214), (2.215), (2.216) beschreiben
den Zusammenhang zwischen Drehimpuls L und Winkelgeschwindigkeit . Ana-
log dazu stellt die Gleichung
p mv
den Zusammenhang zwischen Impuls p und Geschwindigkeit v her. Während p
und v stets parallel zueinander sind, erkennt man gemäß Gleichungen (2.214),
(2.215), (2.216), dass L im Allgemeinen nicht parallel zu ist. Dieser Umstand
hat zur Folge, dass eine Beschreibung der Dynamik starrer Körper im Allgemeinen
die Anwendung des Tensorformalismus erfordert.
Durch Vergleich der Matrizengleichung (2.214) mit den Ausdrücken (2.211),
(2.212), (2.213) für die Komponenten des Drehimpulsvektors L erhält man konkre-
te Ausdrücke für die Trägheitsmomente des starren Körpers
I11 x22 x32 dm
I 22 x12 x32 dm
V
(2.217)
I 33 x12 x22 dm
V
I12 I 21 x1 x2 dm
V
I13 I 31 x1 x3 dm (2.218)
V
I 23 I 32 x2 x3 dm
V
Gemäß Gl. (2.218) erkennt man, dass der Trägheitstensor I ij ein symmetrischer
Tensor ist.
101
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Zur Beschreibung der Dynamik des rotierenden starren Körpers ist es auch wesent-
lich, seine gesamte kinetische Energie T zu berechnen. Durch Integration über
alle Massenelemente dm des starren Körpers erhält man mit Hilfe von Gl. (2.207)
1 2 1
r
2
T r dm dm . (2.219)
2 2
V V
2
A B A B A2 B 2 A B
kann der Integrand in Gl. (2.219) umgeformt werden und wir erhalten unter
Berücksichtigung der Ortsunabhängigkeit von
1 2 2
T r dm r 2 dm . (2.220)
2
V V
Durch Übergang zur Komponentenschreibweise ergibt sich mit Hilfe von Gl.
(2.217), (2.218) nacheinander
1 2
T
1 22 32 x12 x22 x32 dm 1 x1 2 x2 3 x3 2 dm ,
2
V V
1 2
T 1 x12 dm 12 x22 dm 12 x32 dm
2
V V V
V V V
12 x12 dm 22 x22 dm 32 x3 dm
2
V V V
2 1 2 x1 x2 dm 2 1 3 x1 x3 dm 2 2 3 x2 x3 dm ,
V V V
1
T I11 1 I 22 2 I 33 3 2 I12 1 2 2 I13 1 3 2 I 23 2 3 .
2 2 2
2
I121 2 I131 3 I 23 2 3
I 21 21 I 31 31 I 32 3 2
102
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Dieser Ausdruck für die kinetische Energie eines rotierenden starren Körpers
kann durch Anwendung der Tensorschreibweise in der übersichtlichen Form
1
T I ij i j (2.221)
2
dargestellt werden, wobei über die Indizes i und j von 1 bis zur Dimensionszahl
zu summieren ist (Summationskonvention). Analog dazu kann mittels der Glei-
chung
1
T m v2
2
die kinetische Energie bei Translationsbewegung berechnet werden. Man erkennt
aus Gl. (2.221), dass bei allgemeiner Lage der Drehachse alle Komponenten des
Trägheitstensors zur kinetischen Rotationsenergie beitragen.
103
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net werden. Da die x3 -Achse in der Drehachse liegt, gilt für den Normalabstand rn
eines Massenelementes dm des starren Körpers von der Drehachse (siehe Abb. 2.30)
rn x12 x22 .
x3
rn dm
x2
x1
Abb. 2.30: Zur Berechnung des Trägheitsmoments I 33 eines starren Körpers
bezüglich Rotation um die feste x3 -Achse
Daher resultiert gemäß Gl. (2.217) für das Trägheitsmoment bezüglich der festen
Drehachse
I 33 rn2 dm . (2.226)
V
Man erkennt anhand von Abbildung 2.30, dass I 33 während der Rotation des star-
ren Körpers um die raumfeste x3 -Achse unverändert bleibt. Folglich gilt:
Das Trägheitsmoment I 33 ist für die Rotation des betrachteten starren Körpers
um die gewählte feste Drehachse ( x3 -Achse) charakteristisch.
Gl. (2.226) zeigt, dass I 33 umso kleiner ist, je näher die Massenelemente dm des
Körpers an der Drehachse liegen. Bei einer Pirouette etwa bewirkt eine Eiskunst-
läuferin durch geeignete Veränderung ihrer Körperhaltung eine Verringerung ihres
Trägheitsmomentes I 33 bezüglich ihrer Drehachse. Bei Abwesenheit äußerer Dreh-
momente und daher konstantem Drehimpuls L führt beispielsweise eine Halbie-
rung von I 33 dann gemäß Gl. (2.223) zu einer Verdopplung der Winkelgeschwin-
digkeit . Gl. (2.225) ergibt für diesen Fall dann eine Verdopplung der kinetischen
Energie T . Dieses Beispiel zeigt:
104
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z
dr
R r h
Wie in Abbildung 2.31 gezeigt ist, wird der betrachtete Zylinder in konzentrische
Hohlzylinder mit Radius r , Schichtdicke dr , Volumen dV 2 r h dr und
Masse dm dV zerlegt. Damit liefert Gl. (2.226)
R
I z r 2 dm r 2 dV 2 h r 3 dr h R4
2
V V 0
und somit erhalten wir für das Trägheitsmoment eines homogenen Vollzylinders
1
Iz M R2 . (2.227)
2
Wir weisen darauf hin, dass diese Beziehung auch für eine homogene Kreisscheibe
gültig ist.
Für den Fall des Trägheitsmomentes eines dünnwandigen Hohlzylinders mit
Radius R und Masse M gilt sichtlich
I z M R2 . (2.228)
105
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Für das Trägheitsmoment einer homogenen Kugel mit Radius R und Masse M
liefert entsprechende Integration das Trägheitsmoment
2
Iz M R2 . (2.229)
5
Nunmehr betrachten wir die Rotation um eine parallele Drehachse durch einen
neuen Bezugspunkt B an der Position a im Normalabstand A von der parallelen
Schwerpunktsachse (siehe Abb. 2.32). Wir betrachten dazu ein parallelverschobe-
nes Koordinatensystem xi xi ai mit Ursprung in B . Die x3 -Achse fällt sichtlich
mit der parallelverschobenen Drehachse durch B zusammen.
x3 x3
B
a
S
A
Damit erhält man gemäß Gl. (2.217) für das Trägheitsmoment bezüglich der paral-
lelen Drehachse durch den Bezugspunkt B
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I 33 x12 x22 dm x1 a1 x2 a 2 dm
2 2
V V
I 33 x12 x22 dm a12 a22 dm
V
2 v
A
I 33 S M
und wir erhalten als Resultat den Satz von Steiner
I 33 I 33 S M A2 . (2.231)
107
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A S
x x
Q
x
2 2
Abb. 2.33: Zur Berechnung des Trägheitsmoments eines dünnen Stabes be-
züglich Rotation um Schwerpunktsachse S und um dazu parallele Achse A
108
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Nunmehr können wir uns der konkreten Beschreibung der Dynamik der Rotation
eines starren Körpers um die raumfeste x3 -Achse zuwenden. Die Bewegungs-
gleichung lautet (siehe Gl. (2.208))
dL
N . (2.234)
dt
Da wir eine Rotation um die feste x3 -Achse betrachten, wird von dem äußeren
Drehmoment N nur die Komponente N 3 bzw. die Parallelkomponente N|| in
Richtung der Drehachse wirksam. Damit erhalten wir unter Benützung der Gl.
(2.223) aus Gl. (2.234) für die x3 -Komponenten die Bewegungsgleichung
dL3 d
N3 I 33 . (2.235)
dt dt
Diese Gleichung kann unter Benützung von Gl. (2.224) sichtlich auch in der fol-
genden vektoriellen Form
dL|| d
N || I 33 (2.236)
dt dt
dargestellt werden, wobei L|| die Parallelkomponente des Drehimpulsvektors in
Richtung der Drehachse ist. Dabei bezeichnet I 33 das (konstante) Trägheitsmoment
bezüglich der raumfesten x3 -Achse, das für den jeweils betrachteten starren Körper
gemäß Gl. (2.226) ermittelt werden kann. I 33 kann für den betrachteten Körper
auch experimentell bestimmt werden (etwa durch Untersuchung von Drehschwin-
gungen, siehe unten).
Im Folgenden untersuchen wir spezielle Rotationsbewegungen eines starren
Körpers um die raumfeste x3 -Achse. Zunächst betrachten wir eine beschleunigte
Rotation unter der Wirkung eines konstanten äußeren Drehmomentes N 0 mit
x3 -Komponente
N0 3 N0 . (2.237)
Damit erhalten wir gemäß Gl. (2.235) unter Benützung von d dt die folgende
Bewegungsgleichung für die x3 -Komponenten:
d 2
I 33 N0 (2.238)
dt 2
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N0
0 t
I 33
N0 2
0 0 t t
2 I 33
x3
0 r
F
N r F
Aus Gl. (2.235) erhalten wir mit Hilfe von Gl. (2.239) und unter Benützung von
d dt die folgende Bewegungsgleichung für die x3 -Komponenten:
d 2
I 33 k (2.240)
d t2
Diese Schwingungsgleichung für die Drehschwingung kann mit Hilfe des kom-
plexen Lösungsansatzes
~
A e i t A cos~ t i sin ~ t
gelöst werden. Nach Einsetzen in die Schwingungsgleichung (2.240) erhält man die
Kreisfrequenz ~ der Drehschwingung und damit die Schwingungsdauer
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2 I 33
T ~ 2 . (2.241)
k
Analog dazu ist die Schwingungsdauer des linearen harmonischen Oszillators ge-
mäß Gl. (2.137) gegeben durch
m
T 2 .
k
Bei bekannter Richtkonstante k kann gemäß Gl. (2.241) aus Messungen der
Schwingungsdauer T das Trägheitsmoment I 33 bezüglich der festen x3 -Achse be-
stimmt werden. Zur experimentellen Bestimmung des Trägheitsmomentes eines
starren Körpers kann ein Drehtisch verwendet werden, bei dem mit Hilfe einer
Spiralfeder eine bestimmte Richtkonstante k festgelegt ist. Der Körper mit unbe-
kanntem Trägheitsmoment I wird auf diesen Drehtisch aufgelegt und die Schwin-
gungsdauer T kann gemessen werden. Um sowohl das Trägheitsmoment I 0 des
leeren Drehtisches als auch die Richtkonstante k ermitteln zu können, sind jedoch
zusätzlich Messungen der Schwingungsdauern T0 und Tcal bei leerem Drehtisch
und bei Auflegen eines Kalibrierungskörpers mit bekanntem Trägheitsmoment I cal
erforderlich. Unter Verwendung der Beziehung (2.241) und durch Elimination der
Größen I 0 und k erhält man nach einfachen Umformungen den Ausdruck
T 2 T02
I I cal 2
(2.242)
Tcal T02
für das zu bestimmende Trägheitsmoment I des betrachteten starren Körpers. Mit
Hilfe des Satzes von Steiner kann eventuell noch auf eine Schwerpunktsachse um-
gerechnet werden.
111
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~
von L , und I im Allgemeinen sämtlich zeitabhängig sein, was zu einer äußerst
unübersichtlichen Darstellung führt. In dieser Situation hat es sich als zweckmäßig
erwiesen, zu einem Bezugssystem überzugehen, das mit dem rotierenden starren
Körper fest verbunden ist. Dieses Bezugssystem wird als körperfestes Bezugssys-
tem bezeichnet, es ist naturgemäß im Allgemeinen kein Inertialsystem. In diesem
Bezugssystem wird ein kartesisches Koordinatensystem eingeführt, das als körper-
festes Koordinatensystem bezeichnet wird. Richtung und Länge der Vektoren L
und bleiben natürlich bei dieser Koordinatentransformation unverändert, L und
beziehen sich also weiterhin auf die Rotation des starren Körpers relativ zum
raumfesten Koordinatensystem. Die Komponenten der Vektoren L und werden
sich beim Übergang zum körperfesten Koordinatensystem jedoch im Allgemeinen
ändern und weiterhin zeitabhängig sein. Der Vorteil der Transformation auf das
körperfeste Koordinatensystem liegt jedoch darin, dass der starre Körper sich rela-
tiv zum körperfesten Koordinatensystem definitionsgemäß stets in Ruhe befindet.
~
Daher sind alle Komponenten I ij des Trägheitstensors I bezüglich eines kör-
perfesten Koordinatensystems während der Rotation stets zeitunabhängig,
womit eine entscheidende Vereinfachung erreicht wird. Da der Trägheitstensor I ij
reell und symmetrisch ist, ist eine Transformation (Hauptachsentransformation) auf
ein spezielles körperfestes kartesisches Koordinatensystem (Hauptachsensystem
x A , xB , xC ) möglich, bezüglich dessen der Trägheitstensor nur Diagonalelemente
hat:
IA 0 0
I ij 0 I B 0 (2.244)
0 0 IC
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L I
A ~ A A
L LB I I B B (2.246)
L I
C C C
und man erkennt, dass L im Allgemeinen nicht parallel zu ist. Gemäß Gl.
(2.221) erhalten wir für die kinetische Energie den Ausdruck
T
1
2
I A A2 I B B2 I C C2 , (2.247)
der mit Hilfe von Gl. (2.246) umgeformt werden kann in die Form
L2A L2 L2
T B C . (2.248)
2 I A 2 I B 2 IC
Als wichtigen Spezialfall betrachten wir die Rotation des starren Körpers um
eine seiner drei Hauptträgheitsachsen und ohne Beschränkung der Allgemeinheit
wählen wir die Hauptträgheitsachse x A . Somit ist der Winkelgeschwindigkeits-
vektor A gegeben in der Form
A
A 0 (2.249)
0
und wir erhalten damit für den Drehimpuls L
I A A LA
~
L I A 0 0 I A A . (2.250)
0 0
~
Man erkennt, dass Multiplikation des Trägheitstensors I mit A auf ein Vielfaches
von A führt. Dementsprechend ist A ein Eigenvektor und I A der zugehörige
~
Eigenwert von I . Im Fall der Rotation um eine Hauptträgheitsachse ist also ge-
mäß Gl. (2.250) L A .
Mit Hilfe von Gl. (2.250) erhalten wir die Bewegungsgleichung (siehe Gl. (2.208))
für Rotation um eine Hauptträgheitsachse in der vereinfachten Form
dL d A
N IA . (2.251)
dt dt
113
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Somit wird für einen bestimmten Drehimpulsbetrag L bei Rotation um die Achse
des größten Trägheitsmomentes I C die kinetische Rotationsenergie T minimal.
Folglich gilt:
Bei Abwesenheit äußerer Drehmomente N und somit raumfestem konstantem
Drehimpuls L wird sich eine stabile Rotation des starren Körpers um eine
raumfeste freie Achse des größten Trägheitsmomentes einstellen.
Die gemäß Gl. (2.252) bei vorgegebenem Drehimpuls erfolgende Vergrößerung der
kinetischen Rotationsenergie T bei Verkleinerung des Hauptträgheitsmomentes ist
konsistent mit der im vorangegangenen Kapitel erwähnten Bewegung einer Eis-
kunstläuferin bei einer Pirouette. Dabei führt eine Verringerung ihres Trägheits-
momentes ja gleichfalls zu einer Erhöhung der kinetischen Rotationsenergie.
Besonders einfach liegen die Verhältnisse beim Kugelkreisel, bei dem die drei
Hauptträgheitsmomente übereinstimmend den Wert I haben. Der Trägheitstensor
~
I ist in diesem Fall ein Vielfaches der Einheitsmatrix, wir erhalten daher für den
Drehimpuls
~
L I I (2.253)
und somit ist stets L . Mit Hilfe von Gl. (2.253) ergibt sich unmittelbar die Be-
wegungsgleichung des Kugelkreisels
dL d
N I (2.254)
dt dt
und für die kinetische Energie gilt
1 2 L2
T I . (2.255)
2 2I
Für die Beschreibung der Dynamik des Kugelkreisels ist somit der Tensorforma-
lismus nicht erforderlich.
Nunmehr wenden wir uns der Dynamik der Rotation starrer Körper um belie-
bige freie Achsen zu. Aus der Bewegungsgleichung (2.208) können im körperfes-
ten Hauptachsensystem die Euler’schen Gleichungen hergeleitet werden. Die
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Lösung dieser Gleichungen ist im allgemeinen Fall kompliziert. Wir werden uns im
Folgenden auf einige wesentliche Aspekte der Dynamik symmetrischer Kreisel
beschränken. Dabei ist es zweckmäßig, die folgenden drei Achsen zu betrachten:
Drehimpulsachse ( L )
(momentane) Drehachse ( )
Figurenachse (Symmetrieachse, Hauptträgheitsachse).
L
Nutationskegel
Figuren-
(raumfest)
achse
Rastpolkegel Gangpolkegel
(raumfest) S (körperfest)
Abb. 2.35: Darstellung der Nutation eines kräftefreien symmetrischen Kreisels
durch Abrollen eines Gangpolkegels an einem raumfesten Rastpolkegel
Folglich kann die Bewegung eines kräftefreien symmetrischen Kreisels, wie in Ab-
bildung 2.35 gezeigt, durch Abrollen eines körperfesten Gangpolkegels an einem
raumfesten Rastpolkegel dargestellt werden. Die Figurenachse bewegt sich dabei
auf dem raumfesten Nutationskegel. Gangpolkegel und Rastpolkegel berühren ei-
nander längs der momentanen Drehachse, die sich somit auf dem raumfesten Rast-
polkegel bewegt und zusätzlich relativ zum Kreiselkörper wandert.
115
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d
dL
L
S
N
r
A
m g
Die Spitze des Drehimpulsvektors L bewegt sich somit auf einem waagrechten
Kreis mit Radius L sin . Damit ergibt sich der Winkel d , den der Radiusvektor
im Zeitintervall dt überstreicht zu
116
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N dt
d .
L sin
Wegen der (geringfügigen) Abplattung der Erde ergibt sich auf Grund der Wirkung
von Sonnenanziehung und Zentrifugalkraft ein Kräftepaar und somit ein auf die ro-
tierende Erde wirkendes äußeres Drehmoment. Dies führt zu einer Präzessions-
bewegung der Erdachse mit einer Umlaufzeit von etwa 26000 Jahren. Bei genaue-
ren Berechnungen müssen allerdings auch Störungen durch die anderen Planeten
und den Mond berücksichtigt werden.
Bei der Untersuchung von Atomkernen in äußeren Magnetfeldern hat sich gezeigt,
dass auf Grund des vom Magnetfeld ausgeübten äußeren Moments eine Präzession
des Kernspins auftritt, wobei eine Präzessionsfrequenz, die sogenannte Larmor-
frequenz, beobachtet werden kann.
118
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Ausmaß einer allseitigen Kompression oder Expansion wird durch die relative
Volumsänderung
V
(2.257)
V0
Scherwinkel (2.258)
F V F
F
Abb. 2.38: Allseitige Kompression Abb. 2.39: Scherung
Eine häufig auftretende Deformation fester Körper ist die einseitige Dehnung oder
Stauchung eines Drahtes oder Stabes. Dabei ändern sich im Allgemeinen sowohl
Form als auch Volumen des betrachteten Körpers. Das Ausmaß einer einseitigen
Dehnung oder Stauchung wird durch die relative Längenänderung
L
(2.259)
L0
angegeben, wobei L L L0 die Differenz der Länge L des deformierten und der
Länge L0 des undeformierten Körpers bezeichnet (siehe Abb. 2.40). Als Folge der
Längenänderung tritt im Allgemeinen auch eine Änderung der Querdimension
des Körpers auf, die durch die relative Querkontraktion
d
q (2.260)
d0
119
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F
d0 d
L0 L
L
Abb. 2.40: Einseitige Dehnung
der den Zusammenhang von relativer Volums- und Längenänderung beschreibt. Gl.
(2.262) erlaubt eine Abschätzung für die Poissonzahl : Sichtlich sind und
bei Dehnung beide positiv, bei Stauchung beide negativ, und daher erkennt man aus
Gl. (2.262), dass die Poissonzahl < 0.5 ist.
120
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Oberflächenkraft jedoch parallel zur Oberfläche gerichtet ist, liegt eine Tangen-
tialspannung (Scherspannung) vor. Die Dimension dieser Spannungen ist [ ]
= [ p ] = [ ] = [ N m 2 ].
Zunächst betrachten wir die einseitige Dehnung eines Stabes oder Drahtes als Folge
einer angreifenden Zugspannung. Der Zusammenhang von Zugspannung und re-
lativer Längenänderung wird oftmals in Form eines Spannungs-Dehnungs-
Diagramms dargestellt. Auf Grund experimenteller Erfahrung zeigt das Spannungs-
Dehnungs-Diagramm in vielen Fällen näherungsweise den in Abbildung 2.41 ge-
zeigten Verlauf: Im Bereich kleiner Dehnungen bis zur Proportionalitätsgrenze P
sind und annähernd proportional zueinander (Proportionalitätsbereich). Bis
zur Fließgrenze F verbleiben die Deformationen noch reversibel (Elastizitäts-
bereich), jenseits von F treten jedoch dauerhafte Deformationen auf (plastischer
Bereich). Bei der Bruchgrenze B schließlich zerreißt der Körper. Es sei darauf hin-
gewiesen, dass Abbildung 2.41 einen grundsätzlichen Zusammenhang zeigt, die tat-
sächliche Abhängigkeit von und kann für verschiedene konkrete Festkörper
durchaus von dem in Abbildung 2.41 gezeigten Verlauf abweichen.
O P F B
prop. plastischer
Bereich Bereich
Abb. 2.41: Grundsätzlicher Verlauf eines Spannungs-Dehnungs-Diagramms
121
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1
q . (2.264)
E
Auch für andersartige Deformationen gelten analog zum Hooke’schen Gesetz line-
are Zusammenhänge, solange diese Deformationen hinreichend klein sind. Insbe-
sondere gilt für allseitige Kompression eines Festkörpers
1
p , (2.265)
K
wobei die relative Volumsänderung und p die allseitige Druckspannung ist. K
wird als Kompressionsmodul und 1 K als Kompressibilität bezeichnet. Für
Scherung eines Festkörpers gilt
1
, (2.266)
G
wobei der Scherwinkel und die Tangentialspannung (Scherspannung) ist. G
wird als Schermodul (Schubmodul, Torsionsmodul) bezeichnet (der Zusammen-
hang von Scherung und Torsion wird in Kapitel 2.5.4 erläutert). Die Moduln E , K
und G sind empirische Parameter, die experimentell ermittelt werden können. Die
Dimensionen sind [ E ] = [ K ] = [G ] = [ N m 2 ]. Werte der elastischen Konstanten
für einige Materialien sind in Tabelle 2.1 angegeben.
10 9 N m 2
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netem molekularem Aufbau und somit kristalliner Struktur kann jedoch erwartet
werden, dass die elastischen Eigenschaften richtungsabhängig sind (anisotrope
Festkörper) und dementsprechend eine höhere Anzahl elastischer Konstanten zur
Beschreibung benötigt wird.
Wir wollen uns zunächst der Frage zuwenden, wie viele elastische Konstanten zur
Beschreibung aller elastischen Eigenschaften eines isotropen Festkörpers erfor-
derlich sind. Wir betrachten dazu zwei unterschiedliche Deformationen eines
isotropen elastischen Würfels. Zuerst betrachten wir eine Scherung eines isotro-
pen elastischen Würfels unter dem Einfluss von parallel zu den Würfelseiten-
flächen wirkenden Scherkräften F und F (siehe Abb. 2.42).
F F||
F
D C
A B
F
F|| F
123
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E
1 . (2.267)
2G
Dies erlaubt eine Abschätzung für G : Da 0 < < 0.5, muss G zwischen E 3 und
E 2 liegen. Aus experimentell ermittelten Werten für E und G kann mit Hilfe von
Gl. (2.267) das experimentell schwerer zugängliche bestimmt werden.
Weiters betrachten wir eine Kompression eines isotropen elastischen Würfels unter
dem Einfluss von senkrecht auf die Würfelseitenflächen allseitig wirkenden Druck-
kräften. Aus dieser Kompression resultiert eine entsprechende Verringerung des
Würfelvolumens. In einer unterschiedlichen Betrachtungsweise können wir die
obige Kompression jedoch auch auffassen als Kombination simultaner Stauchun-
gen des Würfels in den drei Kantenrichtungen. Für jede Kantenrichtung resultiert
einerseits aus der parallel dazu erfolgenden Stauchung unmittelbar eine Verkürzung
der entsprechenden Würfelkante. Andererseits resultiert aus jeder der beiden senk-
recht dazu erfolgenden Stauchungen eine zugehörige Querexpansion längs der be-
trachteten Würfelkante und somit wieder eine gewisse Verlängerung dieser Würfel-
kante. Aus den insgesamt resultierenden Verkürzungen aller Würfelkanten ergibt
sich eine entsprechende Verringerung des Würfelvolumens. Wegen der vorausge-
setzten Isotropie des betrachteten Festkörpers können die Deformationen gemäß
den beiden obigen Betrachtungsweisen mit Hilfe richtungsunabhängiger konsisten-
ter Werte der elastischen Konstanten beschrieben werden. Ein Vergleich der Er-
gebnisse beider Betrachtungsweisen liefert somit eine Beziehung von K mit E
und , konkrete Berechnung ergibt den Zusammenhang
E
1 2 . (2.268)
3K
Nachdem aus experimentell ermittelten Werten für E und G mit Hilfe von Gl.
(2.267) bestimmt wurde, erlaubt nun Gl. (2.268) auch die Bestimmung von K .
Zusammenfassend ergibt sich, dass für isotrope Festkörper zwischen den vier elas-
tischen Konstanten E , , K und G die zwei Beziehungen (2.267), (2.268) gelten.
Daraus folgt:
Das elastische Verhalten von Festkörpern mit amorpher Struktur (isotrope Fest-
körper) wird durch zwei Konstanten vollständig charakterisiert.
Eine anfänglich vertretene Meinung, derzufolge für alle isotropen Festkörper stets
1 4 gilt wurde auf Grund experimenteller Ergebnisse widerlegt.
Die elastischen Eigenschaften anisotroper Festkörper können unter Verwendung
des Tensorformalismus übersichtlich beschrieben werden. Verzerrungen und Span-
nungen werden bei anisotropen Körpern jeweils durch einen symmetrischen Tensor
zweiter Stufe, den Verzerrungstensor U ij und den Spannungstensor Tij , charak-
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terisiert. Analog zum Hooke’schen Gesetz (2.263) besteht für anisotrope Festkörper
bei hinreichend kleinen Deformationen ein linearer Zusammenhang dieser beiden
Tensoren in der Form des (verallgemeinerten) Hooke’schen Gesetzes
Tkl ijkl U ij , (2.269)
wobei der Tensor vierter Stufe ijkl als Tensor der E-Moduln bezeichnet wird.
Der Tensor der E -Moduln weist mehrere Symmetrien auf. Unter Berücksichtigung
dieser Symmetrien kann man abzählen, dass der Tensor der E -Moduln höchstens
21 unabhängige Komponenten hat. Dementsprechend gilt:
Die Anzahl der unabhängigen elastischen Konstanten für Festkörper mit kristalliner
Struktur ist für verschiedene Kristallsysteme in Tabelle 2.2 angegeben.
Festkörper mit amorpher Struktur werden, wie oben erläutert, durch zwei unabhän-
gige elastische Konstanten vollständig charakterisiert, für Flüssigkeiten ist nur eine
einzige Konstante, die Kompressibilität, erforderlich.
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L0 F
L . (2.270)
q E
Mit Hilfe dieser Beziehung kann aus Dehnungsexperimenten der Dehnungsmodul
E mit hoher Genauigkeit ermittelt werden.
Weiters betrachten wir die Durchbiegung eines elastischen Balkens mit Länge L ,
Querschnittsbreite b und Querschnittshöhe (Dicke) d . Der Balken sei waagrecht
angeordnet und einseitig eingeklemmt. Am freien Ende des Balkens greife eine
senkrecht gerichtete Kraft F an, wodurch sich das Balkenende um die Strecke s ,
den sogenannten Biegungspfeil, absenkt (siehe Abb. 2.43).
neutrale Faser
s Biegungspfeil
F
Abb. 2.43: Einseitig eingeklemmter elastischer Balken
Auf Grund dieser Deformation tritt oberhalb einer neutralen Faser Dehnung, unter-
halb davon Stauchung des Körpers ein. Die Beschreibung dieser Deformation kann
daher mit Hilfe des Dehnungsmoduls E erfolgen. Detaillierte Rechnung liefert für
den Biegungspfeil s bei einseitig eingeklemmtem Balken den Ausdruck
L3 F
s 4 3
. (2.271)
bd E
Falls der Balken beidseitig aufliegt, ergibt sich der Biegungspfeil zu
1 L3 F
s . (2.272)
4 bd3 E
Der Biegungspfeil ist somit bei einseitig eingeklemmtem Balken 16-mal so groß
wie bei beidseitig aufliegendem Balken. Man erkennt, dass sowohl bei Dehnung als
auch bei Durchbiegung die Größe der Verformung proportional zu F E ist, was
auf die Anwendung des Hooke’schen Gesetzes zurückzuführen ist.
Schließlich wenden wir uns der Torsion eines zylindrischen elastischen Stabes
mit Länge L und Radius R zu. In der Achse dieses Stabes liege die z -Achse eines
kartesischen Koordinatensystems. Auf Grund eines angreifenden Torsionsdrehmo-
mentes N erfolgt eine Torsion des Stabes um den Torsionswinkel . Wir denken
uns den Stab zusammengesetzt aus vielen konzentrischen dünnen Hohlzylindern.
Ein solcher Hohlzylinder habe den Radius r und die Dicke dr . Jeden dieser Hohl-
zylinder denken wir uns wieder zusammengesetzt aus vielen schmalen prismati-
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schen Säulen (siehe Abb. 2.44). Die Scherung dieses Holzylinders erfolgt auf
Grund einer Torionskraft Fr bzw. des entsprechenden Torsionsdrehmoments
N r r Fr .
z
dr r
Fr
L prismatische
Säule
Man erkennt aus Abbildung 2.44, dass die Torsion des Stabes um den Torsionswinkel
einer Scherung aller prismatischen Säulen um den Scherwinkel entspricht. Für
kleine Torsionen erkennt man gemäß Abbildung 2.44, dass L r und somit
r
.
L
Die Scherung einer einzelnen prismatischen Säule erfolgt gemäß Gl. (2.266) auf
Grund der Scherspannung
r
G G .
L
Die Scherung des ganzen Hohlzylinders erfolgt daher durch die Torsionskraft
2 r 2 dr G
Fr 2 r dr
L
bzw. durch das entsprechende Torsionsdrehmoment
2 r 3 dr G
N r r Fr .
L
Die Scherung des gesamten zylindrischen Stabes erfolgt somit auf Grund des ge-
samten angreifenden Torsionsdrehmomentes
R
2 G G R4
N r 3 dr .
L 2 L
0
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128
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Reibungskraft Anpressdruck,
Reibungskraft Berührungsfläche.
Die Reibungskraft zwischen zwei Festkörpern ist proportional zum Betrag der
Normalkraft FN , mit der die beiden Körper aneinander gedrückt werden.
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HG
FN
m g
Abb. 2.45: Zur experimentellen Bestimmung von Haft- bzw.
Gleitreibungskoeffizienten mit Hilfe einer schiefen Ebene
Die Beträge der Normalkraft FN und der Haft- bzw. Gleitreibungskraft FH bzw.
FG sind gegeben durch
FN m g cos H , G
FH , G m g sin H , G
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r
R
R
FN
m g
Abb. 2.46: Zur experimentellen Bestimmung von Rollreibungs-
koeffizienten mit Hilfe einer schiefen Ebene
Die Beträge der Normalkraft FN und des Rollreibungsdrehmoments N R sind ge-
geben durch
FN m g cos R
N R r m g sin R
wobei r den Radius der Rolle bezeichnet. Durch Einsetzen in Gl. ((2.276) erhält
man
r m g sin R R m g cos R ,
woraus sich für den Rollreibungskoeffizienten der Ausdruck
R r tan R (2.278)
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H G R r
Stahl/Stahl 0.7 0.4 0.05
Aluminium/Aluminium 1.1 0.9
Diamant/Diamant 0.1 0.08
Gummi/Asphalt 1.2 1.05 0.3
Die äußere Kraft pro Oberflächeneinheit wird als statischer Druck p bezeichnet.
Die Dimension des Druckes ist [ p ] = [ N m 2 ]. Diese Druckeinheit wird auch als
1 Pascal = 1 Pa bezeichnet.
Im statischen Gleichgewicht gilt:
Falls der Einfluss der Schwerkraft vernachlässigt werden kann, dann ist in einem
ruhenden Fluid die Druckverteilung stets homogen und isotrop.
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Diese Tatsache ist wesentlich für Anwendungen bei hydraulischen Pressen und An-
trieben.
Wir betrachten nun den Einfluss der Schwerkraft auf den Druck in Fluiden im
Gleichgewicht. Zunächst betrachten wir den Schweredruck in Flüssigkeiten. Da
Flüssigkeiten weitgehend inkompressibel sind, ist die Dichte der Flüssigkeit im
gesamten Flüssigkeitsvolumen konstant. Zur Berechnung des Druckes in der Flüs-
sigkeit betrachten wir eine Flüssigkeitssäule mit Querschnittsfläche A innerhalb
der Flüssigkeit (siehe Abb. 2.47), die sich von der Flüssigkeitsoberfläche aus senk-
recht nach unten erstreckt. In der Tiefe t herrsche der Druck p , der Druck an der
Flüssigkeitsoberfläche ( t 0 ) sei p0 .
0 p0
t p
dv A dt
t dt p dp
A
t
Abb. 2.47: Zur Berechnung des Schweredrucks in Flüssigkeiten
In der Tiefe t betrachten wir ein Volumselement dv der Flüssigkeitssäule mit Di-
cke dt . Das Gewicht dieses Volumselementes beträgt g dv g A dt und
bewirkt eine Druckzunahme
dp g dt .
dp
g dt ,
p0 0 const
erhält man für den hydrostatischen Flüssigkeitsdruck p in der Tiefe t den Aus-
druck
p p0 g t . (2.279)
Die Abhängigkeit des Flüssigkeitsdruckes p von der Tiefe t ist in Abbildung 2.48
graphisch dargestellt.
133
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p0 p
t 0
t
Abb. 2.48: Grundsätzlicher Verlauf des Schweredrucks in Flüssigkeiten
in Abhängigkeit von der Eintauchtiefe t
Aus Gl. (2.279) erkennt man, dass der Druck p ausschließlich von der Tiefe t ab-
hängig ist. Eine unmittelbare Folgerung daraus ist das hydrostatische Paradoxon:
Der Flüssigkeitsdruck am Boden von Gefäßen ist bei gleicher Füllhöhe unab-
hängig von der Gefäßform.
Dieser Sachverhalt ist in Abbildung 2.49 illustriert. Daraus resultiert für kommuni-
zierende Gefäße eine stets gleich große Füllhöhe.
Nunmehr wenden wir uns dem Schweredruck in Gasen zu. Auf Grund ihrer
Kompressibilität erhält man, im Vergleich zu Flüssigkeiten, für Gase einen unter-
schiedlichen Einfluss der Schwerkraft auf den Druck. Gemäß der im Rahmen der
Thermodynamik näher erläuterten Zustandsgleichung idealer Gase (siehe Kap.
4.2.2) gilt für eine vorgegebene Masse eines Gases bei konstanter Temperatur das
Boyle-Mariotte’sche Gesetz
p V const ,
wobei p und V Druck und Volumen der betrachteten Gasmasse bezeichnen. We-
gen 1 V erhält man daraus unmittelbar
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p
const
oder unter Bezugnahme auf einen gewissen Referenzzustand
p p0
,
0
und es resultiert für die Gasdichte bei konstanter Temperatur der Ausdruck
0
p, (2.280)
p0
wobei 0 und p0 sich auf einen bestimmten Referenzzustand des Gases beziehen.
Im Gegensatz zu Flüssigkeiten ist also bei Gasen die Dichte druckabhängig. Ähn-
lich wie bei Flüssigkeiten betrachten wir nun zur Berechnung des Gasdruckes eine
Gassäule mit Querschnittsfläche A innerhalb des Gases (siehe Abb. 2.50), die sich
von einer Bodenfläche aus senkrecht nach oben erstreckt. In der Höhe h herrsche
der Druck p , Druck und Gasdichte an der Bodenfläche ( h 0 ) seien p0 und 0 .
h dh p dp
dv A dh
h p
A
0 p0
In der Höhe h betrachten wir ein Volumselement dv der Gassäule mit Dicke dh .
Das Gewicht dieses Volumselementes beträgt g dv g A dh und bewirkt
eine Druckänderung
dp g dh ,
die mit Hilfe von Gl. (2.280) ausgedrückt werden kann in der Form
0
dp p g dh .
p0
Durch Integration dieser Gleichung,
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p h
dp
p p00 g dh ,
p0 0
const
erhält man
p
ln 0 g h,
p0 p0
und für den statischen Gasdruck p in der Höhe h bei konstanter Temperatur re-
sultiert die sogenannte barometrische Höhenformel
g h
p p0 exp 0 . (2.281)
p0
Die Abhängigkeit des Gasdruckes p von der Höhe h ist in Abbildung 2.51 gra-
phisch dargestellt.
h0
0 p0 p
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Gleichgewicht befindliche Fluid. Bei diesem Fluid befindet sich insbesondere jedes
beliebige Teilvolumen im Gleichgewicht, es erfährt somit seitens seiner Umgebung
eine Auftriebskraft, die seine Gewichtskraft gerade kompensiert. Diese Auftriebs-
kraft bleibt unverändert, wenn ein solches Teilvolumen des Fluids durch einen an-
deren, in das Fluid eingetauchten Körper ersetzt wird. Daher erfährt dieser einge-
tauchte Körper die gleiche Auftriebskraft wie das Fluidvolumen, das sich vor dem
Eintauchen an der Stelle des Körpers befunden hatte. Damit resultiert das Archi-
medische Prinzip:
Auf einen in ein Fluid eingetauchten Körper wirkt eine Auftriebskraft, die be-
tragsmäßig mit dem Gewicht des vom Körper verdrängten Fluids übereinstimmt.
Das Archimedische Prinzip gilt für Körper beliebiger Form. Körper, deren Dichte
geringer ist als die Fluiddichte, steigen in dem Fluid auf. Im Fall von Flüssigkeiten
tauchen solche Körper also teilweise aus der Oberfläche auf und schwimmen somit
in der Flüssigkeit. Ein solches Verhalten kann etwa bei schwimmenden Eisbergen
beobachtet werden.
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Die Oberflächenspannung von Flüssigkeiten hat auch Kraftwirkungen auf die Rän-
der von Flüssigkeitsoberflächen zur Folge. Zur Erläuterung dieses Sachverhaltes
betrachten wir eine Flüssigkeitslamelle, die über einem rechteckigen Drahtrahmen
mit Seitenlängen L und S aufgespannt ist (siehe Abb. 2.52).
S S
L F
doppelte Oberfläche
Abb. 2.52: Illustration zur Kraftwirkung auf den Rand einer
Flüssigkeitsoberfläche bzw. Flüssigkeitslamelle
Bei dem Drahtrahmen sei eine Seite mit der Länge L beweglich angeordnet.
Wenn diese bewegliche Seite des Drahtrahmens auf Grund der Wirkung einer an-
greifenden Kraft F um die Strecke S verschoben wird, dann wird von dieser
Kraft die Arbeit
W1 F S (2.283)
verrichtet. Da die Flüssigkeitslamelle Ober- und Unterseite aufweist, erfolgt dabei
eine Vergrößerung der gesamten Flüssigkeitsoberfläche um A 2 L S . Gemäß
Gl. (2.282) ist hierzu die Arbeit
W2 2 L S (2.284)
A
nötig. Im Gleichgewicht müssen W1 und W2 übereinstimmen. Vergleich von
Gl. (2.283) und (2.284) liefert somit für die Kraft, die an der beweglichen Seite des
Drahtrahmens angreift, den Ausdruck
F 2 L . (2.285)
Längs der beweglichen Seite des Drahtrahmens verläuft ein Rand der Flüssigkeits-
oberfläche mit einer Länge von insgesamt 2 L . Folglich gilt gemäß Gl. (2.285):
Die Oberflächenspannung einer Flüssigkeit kann als Kraft pro Einheit der Rand-
länge der Flüssigkeitsoberfläche aufgefasst werden.
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2r
h
Falls eine kleine weitere Hebung um h erfolgt, dann resultiert einerseits eine Ver-
ringerung der benetzten Oberfläche um A 2 r h und somit wird eine Arbeit
W1 A 2 r h (2.286)
A
erforderlich, wobei die Dichte der Flüssigkeit und g die Fallbeschleunigung be-
zeichnen. Im Gleichgewicht müssen W1 und W2 übereinstimmen. Vergleich
von Gl. (2.286) und (2.287) liefert somit für die Steighöhe der Flüssigkeit in der
Kapillare den Ausdruck
2
h . (2.288)
g r
Man erkennt, dass die Steighöhe der Flüssigkeit proportional zur Oberflächenspan-
nung ist und mit abnehmendem Kapillarradius zunimmt. In Kapillaren pflanzlicher
Gewebe können beträchtliche Steighöhen auftreten.
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Durch Messung der Kraft längs des Randes einer Flüssigkeitsoberfläche kann ge-
mäß Gl. (2.285) die Oberflächenspannung bestimmt werden (Tensiometer). Ande-
rerseits erlaubt auch die Messung der Steighöhe in einer Kapillare gemäß Gl.
(2.288) eine Bestimmung der Oberflächenspannung (Steighöhenmethode). Die
Steighöhenmethode ist jedoch auf Flüssigkeiten beschränkt, die die Innenfläche der
Kapillare benetzen. Werte der Oberflächenspannung für einige Flüssigkeiten sind
in Tabelle 2.5 angegeben.
N m 1
Quecksilber 0.471
Wasser 0.0729
Benzol 0.029
Ethyläther 0.017
2.6.3.1 Grundbegriffe
Die Beschreibung des Strömungszustandes eines Fluids erfolgt mit Hilfe ver-
schiedener physikalischer Größen, die als Ortsfunktionen angegeben werden. Die
Geschwindigkeiten der Fluidelemente bilden das vektorielle Geschwindigkeitsfeld
v , Drücke und Dichten im Strömungsfeld bilden das skalare Druckfeld p und das
skalare Dichtefeld . Da wir uns im Folgenden auf isotherme Strömungen be-
schränken, kann eine spezielle Betrachtung des Temperaturfeldes entfallen.
Zur anschaulichen Beschreibung eines Strömungsfeldes eignen sich Stromlinien,
die als Tangentiallinien an die Geschwindigkeitsvektoren definiert sind. Davon zu
unterscheiden sind die Bahnkurven von Fluidelementen, die im Allgemeinen
140
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141
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über die Fläche A berechnet werden und wir erhalten für den Volumsfluss den
Ausdruck
ΦV v df . (2.289)
A
Mit Hilfe der Fluidmassendichte ergibt sich daraus der zugehörige Massefluss
ΦM v df . (2.290)
A
Daraus erkennt man, dass der Massefluss pro (senkrechte) Flächeneinheit ge-
geben ist durch den Ausdruck
j v , (2.291)
der als Fluidstromdichte bezeichnet wird. Es sei darauf hingewiesen, dass die Be-
rechnung von Volums- und Massefluss eine nützliche Anwendung des Skalar-
produktes zweier Vektoren in der Physik darstellt.
Zur Charakterisierung der Erhaltung der Fluidmasse in einem Strömungsfeld be-
trachten wir ein Volumen V in der Strömung. Die Masse des Fluids innerhalb des
Volumens V ist gegeben durch
M d V . (2.292)
V
Andererseits kann die Fluidmasse, die pro Zeiteinheit aus dem Volumen V (durch
dessen Oberfläche Rd V ) herausfließt, berechnet und unter Benützung des
Gauß’schen Integralsatzes umgeformt werden zu
ΦM v d f div
v dV .
(2.293)
Rd(V ) j V j
Wegen der Massenerhaltung entspricht die Fluidmasse, die pro Zeiteinheit aus dem
Volumen V herausfließt (Massefluss M ) einer gleichgroßen Abnahme pro Zeit-
einheit dM dt der Fluidmasse innerhalb des Volumens V :
dM
ΦM (2.294)
dt
Nach Einsetzen von Gl. (2.292), (2.293) erkennt man, dass Gl. (2.294) jedenfalls
erfüllt ist, falls die Kontinuitätsgleichung
div v 0 (2.295)
t
gilt, wobei v j die Fluidstromdichte ist. Für inkompressible Fluide ist die
Dichte const und aus der Kontinuitätsgleichung ergibt sich
142
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div v 0 . (2.296)
Daraus folgt für einen Stromfaden mit Volumen V und Endflächen A1 , A2 (siehe
Abb. 2.54) durch Integration über das Volumen V des Stromfadens und Umfor-
mung unter Benützung des Gauß’schen Integralsatzes
div v dV v d f 0 .
V Rd V
v2 A2
V
v1
A1
Abb. 2.54: Darstellung eines Stromfadens zur Illustration
der Durchflussgleichung
Um die anschauliche Bedeutung des Ausdrucks div j zu illustrieren, wenden wir
Gl. (2.293) auf ein hinreichend kleines Fluidvolumen V an und es ergibt sich für
die Fluidmasse, die pro Zeiteinheit aus dem (kleinen) Volumen V herausfließt
ΦM j df div j dV V div j .
Rd V V
143
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z
dV dx dy dz
p2
x
dz
p1
dy
dx
y
Abb. 2.55: Zur Berechnung der Druckkraft auf ein quaderförmiges
Fluidelement in einem strömenden Fluid
Zur Berechnung der x -Komponente F px der Druckkraft betrachten wir den Druck
p1 p auf das Flächenelement dy dz und den Druck p2 p p x dx auf die
Gegenfläche. Damit resultiert die Druckkraftkomponente
F px p1 p 2 dy dz p x dV . Analoge Ausdrücke gelten für Fpy , Fpz
und somit ergibt sich für die gesamte Druckkraft
F p grad p dV .
Durch Einsetzen dieser Druckkraft in Gl. (2.298) erhalten wir unter Berücksichti-
gung von dm dV die Euler’sche Gleichung
dv 1
grad p g . (2.299)
dt
Es ist zu beachten, dass die in der Euler’schen Gleichung auftretende zeitliche Ab-
leitung eine totale Ableitung ist. Mit der Euler’schen Gleichung, der Kontinuitäts-
gleichung und einer thermodynamischen Relation (siehe etwa Kap. 4.7.3) erhält
man 5 Gleichungen für die 5 Beschreibungsgrößen v x , v y , v z , p, .
144
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p1 A1
v1
ds2
a b A2
h1 a
v2
h2 b p2
In dem betrachteten inkompressiblen Fluid ist die Dichte const , demnach ist
Volumen a b Volumen a b dV und somit
A1 ds1 A2 ds2 dV .
Gemäß Abbildung 2.56 erkennt man, dass während der Verschiebung des betrach-
teten Teilvolumens a a des Stromfadens nach b b seitens der Fluiddrücke p1, p2
insgesamt die Druckarbeit
Kraft
1 2 Kraft
p A1 ds1 p2 A2 ds 2 p1 p2 dV
1
Kraft und Kraft und
Verschiebung Verschiebung
gleichsinnig gegensinnig
dV v22 dV v12
2 2
sowie eine Zunahme der potenziellen Energie um
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dV g h2 dV g h1 .
Auf Grund der vorausgesetzten Reibungsfreiheit des Fluids erfolgt kein Übergang
in thermische Energie oder andere Energieformen. Folglich wird die zugeführte
Druckarbeit zur Gänze in die Zunahme der kinetischen und potenziellen Energie
umgesetzt und wir erhalten die Beziehung
2
v22 v12 dV g h2 h1 dV p1 p2 dV
v22 v12
g h2 p2 g h1 p1 .
2 2
Als Resultat ergibt sich die Bernoulli’sche Gleichung
v2
g h p const (2.300)
2
für stationäre Strömungen inkompressibler, reibungsfreier Fluide unter dem Ein-
fluss der Schwerkraft. Im Fall eines ruhenden inkompressiblen Fluids ( v 0 ) redu-
ziert sich die Bernoulli’sche Gleichung auf die Gleichung (2.279) für den hydro-
statischen Schweredruck ( h t ), die im gesamten Fluidbereich gültig ist. Die
Gültigkeit der Bernoulli’schen Gleichung (2.300) ist gemäß ihrer Herleitung einge-
schränkt auf den Bereich längs eines Stromfadens, für wirbelfreie Strömungen er-
streckt sich ihre Gültigkeit jedoch ebenfalls auf den gesamten Fluidbereich.
Eine unmittelbare Folgerung aus der Bernoulli’schen Gleichung ist das hydro-
dynamische Paradoxon:
146
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B S
( p0 , v0 ) ( p , v 0)
Abb. 2.57: Schematische Darstellung der Umströmung eines
angeströmten Körpers
v02
p p0
2
und wir erhalten die Ausdrücke
2 p v02
v0 bzw. p (2.302)
2
für die Anströmgeschwindigkeit v0 bzw. den Staudruck p . Messung des Stau-
druckes p , etwa mit Hilfe des sogenannten Prandtl-Rohres, erlaubt somit die
Bestimmung der Anströmgeschwindigkeit.
Im Folgenden untersuchen wir Wirbelströmungen reibungsfreier Fluide. Zur
Beschreibung von Wirbelströmungen betrachten wir die Zirkulation
Z v ds (2.303)
Rd A
des Geschwindigkeitsfeldes v längs des geschlossenen Randes einer Fläche A in-
nerhalb des Fluidbereiches. Eine Strömung wird als wirbelfrei bezeichnet, falls die
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Zirkulation Z längs des Randes jeder beliebigen Fläche innerhalb des Strömungs-
bereiches verschwindet. Es sei darauf hingewiesen, dass die Berechnung der Zirku-
lation eine weitere nützliche Anwendung des Skalarproduktes zweier Vektoren in
der Physik darstellt.
Das Geschwindigkeitsfeld v einer Wirbelströmung kann mit Hilfe des Vektorfel-
des rot v charakterisiert werden. Um die anschauliche Bedeutung des Ausdrucks
rot v zu illustrieren, betrachten wir zunächst die Zirkulation Z längs des Randes
einer hinreichend kleinen Fläche A . Gemäß der Definition der Zirkulation (Gl.
(2.303)) und durch Umformung mit Hilfe des Stokes’schen Integralsatzes erhalten
wir
Z v ds rot v df A rot v .
Rd A A
Wenn man die (kleine) Fläche A also derart wählt, dass sie senkrecht auf den
Vektor rot v steht ( A ║ rot v ), dann ist die Zirkulation Z längs des Randes von
A maximal. Dementsprechend steht der Vektor rot v senkrecht auf die Fläche A
der maximalen Zirkulation von v . Für die Fläche der maximalen Zirkulation erhält
man somit
Z
rot v (2.304)
A
Folglich ist rot v die maximale Zirkulation von v pro Flächeneinheit. Diese Grö-
ße wird als Wirbeldichte von v bezeichnet.
Die Tangentiallinien des Vektorfeldes rot v nennt man Wirbellinien. Das Vek-
torfeld rot v und die Wirbellinien eignen sich zur Charakterisierung der räumlichen
Anordnung von Wirbeln in Fluidströmungen. Da rot v senkrecht zur Fläche der
maximalen Zirkulation steht, geben die Wirbellinien gewissermaßen die Achsen-
richtung des betrachteten Wirbels an (siehe Abb. 2.58).
v
v
rot v
148
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Auf Grund der Identität div rot v 0 ist das Vektorfeld rot v quellfrei und es folgt
der 1. Helmholtz’sche Wirbelsatz:
Nunmehr betrachten wir die zeitliche Änderung der Zirkulation längs der mit-
schwimmenden geschlossenen Randkurve einer Fläche A . Totale Zeitableitung der
Zirkulation und Umformung mit Hilfe des Stokes’schen Integralsatzes ergibt
d
dt
v ds
dv
dt
dv 1
ds v dv rot df
dt 2 d v2 .
Rd A Rd A Rd A A Rd A
Das Integral eines Skalars über einen geschlossenen Weg entspricht einem be-
stimmten Integral, bei dem Untergrenze und Obergrenze übereinstimmen. Folglich
erhalten wir
d v 0 .
2
Rd A
Ferner erkennt man auf Grund der Euler’schen Gleichung (2.299) für reibungsfreie
Fluide
dv
rot 0 .
dt
Damit ergibt sich als Resultat
d
dt v ds 0 . (2.305)
Rd A
Auf Grund dieses Satzes kann etwa die Stabilität von Tornados erklärt werden.
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z
v0 F
h v
x
Abb. 2.59: Zur Definition der Zähigkeit von Fluiden
Die Reibungskraft F wird proportional sein zur Plattenfläche A und zum Ge-
schwindigkeitsgefälle dv dz und daher gilt
dv
F A , (2.306)
dz
wobei die (dynamische) Zähigkeit bezeichnet. Die Dimension ergibt sich zu
N m 2 s Pa s . Aus Gl. (2.306) erhält man bei linearem Geschwindig-
keitsprofil näherungsweise
v
F A 0 . (2.307)
h
Werte der Zähigkeit für verschiedene Fluide sind in Tabelle 2.6 angegeben.
mPa s
Wasser 1.002
Benzol 0.65
Glyzerin 1480
Luft (1 bar) 0.017
Wasserstoff (1 bar) 0.0086
Bei zunehmender Temperatur nimmt die Zähigkeit bei Flüssigkeiten ab, bei Gasen
jedoch nimmt sie wegen des intensiveren Impulstransports seitens der Gasmoleküle
zu.
Wir betrachten ein zähes strömendes Fluid unter dem Einfluss der Schwerkraft. Die
Bewegungsgleichung für ein Fluidelement mit Masse dm lautet auf Grund des
zweiten Newton’schen Axioms
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dv
dm
Fp Fr dm g , (2.308)
dt
wobei Fp die Druckkraft und Fr die Reibungskraft auf das (quaderförmige) Fluid-
element mit Volumen dV dx dy dz und g die Fallbeschleunigung bezeichnen
(siehe Abb. 2.60).
y
v
dy
v
dx x
Abb. 2.60: Zur Berechnung der Reibungskraft auf ein
quaderförmiges Fluidelement in einem strömenden Fluid
Die Druckkraft Fp wurde bereits im Zusammenhang mit der Herleitung der Eu-
ler’schen Gleichung (2.299) berechnet:
F p grad p dV .
Zur Berechnung der y -Komponente Fry der Reibungskraft betrachten wir zu-
nächst den Anteil Fry x , der durch den Einfluss eines Geschwindigkeitsgefälles ║
x -Achse hervorgerufen wird (siehe Abb. 2.60). Wir berechnen die Reibungskraft
r1 v y x dy dz auf das Flächenelement dy dz und die Reibungskraft
r2 v y x v
2
y
x 2 dx dy dz auf die Gegenfläche. Damit resultiert
der Anteil Fry x r1 r2 2v y x 2 dV . Analoge Ausdrücke gelten für die
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dv 1
grad p v g . (2.309)
dt
Es ist zu beachten, dass die in der Navier-Stokes’schen Gleichung auftretende zeit-
liche Ableitung eine totale Ableitung ist. Gl. (2.309) ist eine partielle Differenzial-
gleichung 2. Ordnung, daher können die Randbedingungen zum Unterschied zur
Euler’schen Gleichung so gewählt werden, dass das Fluid am Rand haftet. Das in
der Navier-Stokes’schen Gleichung auftretende Verhältnis
(2.310)
wird als kinematische Zähigkeit bezeichnet.
Im Folgenden betrachten wir zwei häufig auftretende Strömungsvorgänge zäher
Fluide mit einfacher Strömungsgeometrie. Zunächst wenden wir uns der laminaren
Durchströmung eines zylindrischen Rohres mit Länge L und Radius R zu. Auf
Grund einer Druckdifferenz p an den Enden des Rohres entsteht im Inneren des
Rohres ein parabolisches Geschwindigkeitsprofil
vr
p
4 L
R2 r 2 (2.311)
und für den Volumsdurchsatz durch das Rohr erhält man das Hagen-
Poisseuille’sche Gesetz
R 4 p
Q . (2.312)
8 L
Dieses Gesetz ist unter Anderem im Zusammenhang mit der Beschreibung des
menschlichen Blutkreislaufs von großer Bedeutung. Wegen der starken Abhängig-
keit des Volumsdurchsatzes vom Radius des Rohres können bereits verhältnismä-
ßig geringfügige Verengungen der Arterien zu gefährlichen Erkrankungen führen.
Weiters betrachten wir die laminare Umströmung einer Kugel mit Radius R , die
mit Geschwindigkeit v0 angeströmt wird. Durch Lösung der Navier-Stokes’schen
Gleichung erhält man nach verhältnismäßig umfangreicher Rechnung in guter Nä-
herung für die Reibungskraft das Stokes’sche Gesetz
FR 6 R v0 . (2.313)
Dieses Gesetz kann zur experimentellen Bestimmung der Zähigkeit angewendet
werden. Außerdem kann mit Hilfe des Stokes’schen Gesetzes die Beweglichkeit
von Aerosolpartikeln ermittelt werden, wobei aber bei kleinen Teilchen Non-
Kontinuum-Effekte zu berücksichtigen sind.
Die Untersuchung von realen Strömungsvorgängen mit komplizierterer Geometrie
ist oft nur mit Hilfe von Experimenten an maßstabsgetreuen Modellen oder mittels
numerischer Simulationen möglich. Die Charakterisierung des betrachteten Strö-
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Somit werden bei größeren Werten von Re die Trägheitskräfte überwiegen, was zu
Strömungsablösung und Turbulenz führt. Dementsprechend gilt:
Die Reynoldszahl charakterisiert das Auftreten von Turbulenz. Bei Kugeln und
ähnlichen umströmten Körpern tritt Turbulenz typischerweise bei Re > 1 auf, bei
der Durchströmung eines Zylinders wird Turbulenz erst für Re > 2300 beobachtet.
v2
FW cW A , (2.316)
2
wobei cW als Widerstandsbeiwert bezeichnet wird. Widerstandsbeiwerte sind di-
mensionslose empirische Parameter, die vor Allem von der Form des angeströmten
Hindernisses abhängig sind und unter Anderem mit Hilfe von Experimenten in
Strömungskanälen ermittelt werden können. Analog wie bei der Widerstandskraft
macht man auch für die Auftriebskraft den Ansatz
v2
FA c A A , (2.317)
2
wobei c A als Auftriebsbeiwert bezeichnet wird.
153
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3.1 Grundbegriffe
Wir wenden uns nunmehr Systemen zu, bei denen in gleichmäßigen Intervallen
immer wieder gleiche Zustände durchlaufen werden. Derartige Vorgänge werden
als periodische Vorgänge bezeichnet. Als Schwingungen bezeichnen wir lokale,
zeitlich periodische Vorgänge, Wellen hingegen sind räumlich ausgedehnte zeitlich
und räumlich periodische Vorgänge. In etwas umfassenderer Form können Wellen
auch definiert werden als Vorgänge, die durch Lösungen der Wellengleichung be-
schrieben werden (siehe Kap. 3.3.3).
Periodische Vorgänge sind in zahlreichen Gebieten der Physik von Bedeutung. Bei-
spiele für Schwingungsvorgänge sind mechanische Schwingungen, wie sie etwa
beim Pendel (siehe Kap. 2.1.3.1) und bei der Schwingung elastischer Körper (Metall-
federn, Quarzkristalle) auftreten. Im Zusammenhang mit der Stabilität von Gebäuden
oder technischen Anlagen sind mechanische Schwingungen von großer praktischer
Bedeutung. Elektromagnetische Schwingungen (siehe Kap. 5.6) sind die Grundlage
der Wechselstrom- und Drehstromtechnik. Das Verhalten von Körpern wird maßgeb-
lich durch atomare und molekulare Schwingungen beeinflusst (siehe Kap. 2.1.3.2),
die insbesondere im Bereich der Thermodynamik (siehe Kap. 4.5) und der Festkör-
perphysik von großer Bedeutung sind. Die Zeitmessung beruht auf der Abzählung
aufeinanderfolgender mechanischer oder elektromagnetischer Schwingungen.
Beispiele für Wellenvorgänge sind mechanische Wellen in ausgedehnten Kör-
pern. Insbesondere beruht der Schall auf der Ausbreitung mechanischer Wellen, die
als Schallwellen bezeichnet werden. Damit werden im Bereich der physikalischen
und musikalischen Akustik zahlreiche Beobachtungen erklärt. Auf See- und Mee-
resoberflächen treten häufig mechanische Oberflächenwellen auf, die eine unmit-
telbare anschauliche Beobachtung von Wellenvorgängen ermöglichen. Ausgehend
etwa von schwingenden elektrischen Dipolen erfolgt eine Ausbreitung elektro-
magnetischer Wellen (siehe Kap. 5.7), die eminente Bedeutung, insbesondere bei
der Informationsübertragung haben. Das Licht kann mit Hilfe elektromagnetischer
Wellen beschrieben werden, die auch als Lichtwellen bezeichnet werden. Damit
wird im Bereich der Optik eine Vielzahl experimenteller Beobachtungen, insbeson-
dere Interferenz-, Beugungs- und Polarisationsphänomene, erklärt (siehe Kap. 6.5).
Im Rahmen der Quantenmechanik können die Aufenthaltswahrscheinlichkeiten
mikroskopischer Teilchen mit Hilfe quantenmechanischer Wellenfunktionen be-
schrieben werden (siehe Kap. 8). Es zeigt sich, dass Schwingungen und Wellen un-
abhängig von der konkreten physikalischen Interpretation stets in gleichartiger
Weise beschrieben werden können.
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3.2 Schwingungen
Schwingungsfähige Systeme bezeichnet man als Oszillatoren. Als einfaches Bei-
spiel für einen Oszillator betrachten wir einen Massenpunkt mit Masse m . In einer
bestimmten Gleichgewichtslage wird keine Kraft auf diesen Massenpunkt ausge-
übt, entfernt sich der Massenpunkt jedoch aus dieser Gleichgewichtslage, dann tritt
eine Kraft auf, die den Massenpunkt in seine Gleichgewichtslage zurücktreibt. Bei
molekularen Wechselwirkungen (siehe Kap. 2.1.3.2), sowie in zahlreichen anderen
Fällen, ist der Betrag dieser rücktreibenden Kraft in guter Näherung proportional
zum Abstand des Massenpunktes von seiner Gleichgewichtslage. Wir betrachten im
Folgenden ausschließlich Oszillatoren, bei denen der Betrag der rücktreibenden
Kraft proportional zum Abstand des Massenpunktes von seiner Gleichgewichtslage
ist.
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Die Beziehung zwischen der komplexen Lösung x und dem physikalisch relevan-
ten Realteil Re x kann in Form der sogenannten Zeigerdarstellung (Abb. 3.1)
veranschaulicht werden. In dieser Darstellung wird in der komplexen Ebene ein
vom Nullpunkt zur komplexen Zahl x gerichteter Zeiger mit Länge a betrachtet.
Im Verlauf des Schwingungsvorganges rotiert dieser Zeiger in der komplexen
Ebene.
Im
a
t Re
t
Abb. 3.1: Beschreibung einer harmonischen Schwingung
mit Hilfe der Zeigerdarstellung
157
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1
. (3.7)
T 2
Aus Gl. (3.6) folgt 2 T und somit erkennen wir, dass die Kreisfrequenz
die Winkelgeschwindigkeit des Zeigers bei seiner Rotation in der komplexen Ebene
angibt.
Re
t
Abb. 3.2: Zeigerdarstellung der Überlagerung zweier harmonischer
Schwingungen gleicher Frequenz
Weiters betrachten wir den Fall der Überlagerung von zwei Einzelschwingungen
mit geringem relativem Frequenzunterschied. Im Fall unterschiedlicher Fre-
quenzen der Einzelschwingungen ist die komplexe Darstellung nicht vorteilhaft,
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weil sich die Zeiger der Einzelschwingungen in der komplexen Ebene mit unter-
schiedlichen Winkelgeschwindigkeiten drehen. Die beiden Einzelschwingungen
seien gegeben in der Form
x1 a cos 1 t
x2 a cos 2 t
und durch Superposition ergibt sich mit Hilfe eines Additionstheorems für trigo-
nometrische Funktionen
2 2
x x1 x2 2 a cos 1 t cos 1 t . (3.8)
2 2
Amplitude
Wir erhalten also eine zusammengesetzte Schwingung mit Mitten-Kreisfrequenz
1 2 2 , deren Amplitude sich wegen des geringen relativen Frequenz-
unterschiedes der beiden Einzelschwingungen verhältnismäßig langsam zeitlich
ändert. Man beobachtet also sogenannte Schwebungen in Abhängigkeit von der
Zeit t (siehe Abb. 3.3).
x(t )
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Um die Bahnkurve zu ermitteln ist es zweckmäßig, aus den Gl. (3.10) die Zeit t zu
eliminieren. Unter Verwendung eines Additionstheorems für trigonometrische
Funktionen erhält man nach einfachen Umformungen
x2 y2 x y
2
2
2 cos sin 2 . (3.11)
a b a b
Im Fall 0 ergibt sich aus Gl. (3.11) die Gerade y b a x , und für 2
erhält man eine Ellipse in achsenparalleler Lage mit Achsenlängen a und b . Für an-
dere Werte der Phasenverschiebung resultieren Ellipsen in gedrehter Lage. Abbil-
dung 3.4 ( 1 : 2 1 : 1 ) zeigt Bahnkurven für Schwingungen mit übereinstimmen-
den Amplituden und mit mehreren unterschiedlichen Phasenverschiebungen.
Nunmehr betrachten wir zwei senkrecht aufeinander stehende harmonische
Schwingungen mit verschiedenen Kreisfrequenzen 1 , 2 und mit Phasenver-
schiebung . Falls diese Kreisfrequenzen in einem rationalen Verhältnis zueinan-
der stehen, dann erhält man im Allgemeinen komplizierte, aber geschlossene Bahn-
kurven, die als Lissajous’sche Figuren bezeichnet werden. Abbildung 3.4 zeigt
Lissajous’sche Figuren für Schwingungen mit übereinstimmenden Amplituden, und
mit mehreren unterschiedlichen Frequenzverhältnissen und Phasenverschiebungen.
Falls die beiden Kreisfrequenzen in einem irrationalen Verhältnis zueinander ste-
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hen, dann füllt die Bahnkurve die gesamte durch die Schwingungsamplituden a, b
bestimmte Rechteckfläche in der Schwingungsebene aus.
1 : 2 0 4 2
1:1
1:2
1:3
2:3
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m x r x k x 0 . (3.12)
Diese Gleichung wird als Schwingungsgleichung der gedämpften Schwingung
bezeichnet. Mit Hilfe des komplexen Lösungsansatzes gemäß Gl. (3.2) erhält man
durch Einsetzen in die Schwingungsgleichung (3.12) die quadratische Gleichung
ir k
2 0
m m
für die Kreisfrequenz . Bei verschwindender Dämpfung ergibt sich in Überein-
stimmung mit Gl. (3.3) unmittelbar die Kreisfrequenz des ungedämpften Oszilla-
tors
k
0 . (3.13)
m
Im Fall des gedämpften Oszillators erhalten wir für die Kreisfrequenz die Lösungen
r r2
i 2
02 . (3.14)
2m 4m
Bei der Beschreibung der gedämpften Schwingungsvorgänge ist es zweckmäßig,
drei Fälle zu unterscheiden:
r r2
i 02 . (3.15)
2m 4 m2
Durch Einsetzen in den komplexen Lösungsansatz gemäß Gl. (3.2) erhalten wir
x a e t e i d t (3.16)
bzw.
Re x a e t cos d t , (3.17)
0 2 2 d (3.19)
Wie in Abbildung 3.5 dargestellt erhalten wir gemäß Gl. (3.17) eine harmonische
Schwingung, deren Amplitude exponentiell mit der Zeit abnimmt.
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x
a
a e t
T 2 / d
x(t T )
x(t )
0
t
a/e
a 1/
Die Kreisfrequenz d der gedämpften Schwingung ist somit kleiner als die Kreis-
frequenz 0 des ungedämpften Oszillators, die Schwingungsdauer beträgt
T 2 d . Die Einhüllende der gedämpften Schwingung geht nach Ablauf der
Zeit 1 mit dem Faktor 1 e zurück. Für das Verhältnis xt xt T aufeinander
folgender Maxima gilt
xt
ln T , (3.20)
xt T
wobei als logarithmisches Dekrement bezeichnet wird.
r r2
i i 2
02 . (3.21)
2m 4m
Durch Einsetzen in den komplexen Lösungsansatz gemäß Gl. (3.2) und geeignete
Superposition der beiden resultierenden Lösungen erhalten wir
x a e t
2
1 t
e e t , (3.22)
2 02 (3.23)
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Es ergibt sich gemäß Gl. (3.22) ein aperiodisches Kriechen gegen die Gleichge-
wichtslage.
c) Aperiodischer Grenzfall: r 2 m 0 :
In diesem Fall erhalten wir gemäß Gl. (3.14) für die Kreisfrequenz nur eine einzige
Lösung i . Außerdem gilt in diesem Fall sichtlich d 0 . Aus Gl. (3.2),
sowie auch aus Gl. (3.16) bzw. (3.22) erhalten wir somit
x a e t . (3.24)
m x r x k x F ei t . (3.25)
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Zur Lösung der inhomogenen Gleichung verwenden wir wieder den komplexen
Lösungsansatz gemäß Gl. (3.2), allerdings ist in diesem Ansatz die Kreisfrequenz
nunmehr durch die vorgegebene Kreisfrequenz der periodischen äußeren Kraft
bestimmt und somit nicht frei verfügbar. Mit Hilfe dieses komplexen Lösungsan-
satzes erhält man durch Einsetzen in die Schwingungsgleichung (3.25) bei vorge-
gebener Kreisfrequenz eine Gleichung für die Amplitude a und nach einfachen
Umformungen ergibt sich
a a e i , (3.26)
und somit durch Einsetzen in den Lösungsansatz gemäß Gl. (3.2)
x a e i t , (3.27)
wobei
F m
a (3.28)
02
2 2
2 2
und
2
tan . (3.29)
02 2
Die Amplitude a ist also im Allgemeinen komplex, was eine Phasenverschiebung
zwischen anregender Kraft und resultierender erzwungener Schwingung zur Folge
hat. Die gemäß Gl. (3.29) auftretende Phasenverschiebung ist in Abbildung 3.6
in Abhängigkeit von der Erreger-Kreisfrequenz für verschieden starke Dämp-
fungen dargestellt. Man erkennt, dass 0 und der Schwingungsvorgang somit
der Erregung stets nachhinkt.
0
0
2
165
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Die gemäß Gl. (3.28) auftretende Amplitude | a | der erzwungenen Schwingung ist
in Abbildung 3.7 in Abhängigkeit von der Erreger-Kreisfrequenz für verschie-
den starke Dämpfungen dargestellt. Es zeigt sich, dass für hinreichend schwache
Dämpfungen bei einer bestimmten Erregerfrequenz ein ausgeprägtes Amplituden-
maximum auftritt. Dieses wichtige Phänomen wird als Resonanz bezeichnet.
0
Abb. 3.7: Amplitude einer erzwungenen Schwingung als Funktion
der Erregerfrequenz bei verschieden starken Dämpfungen.
Resonanz im Bereich der Kreisfrequenz 0 des ungedämpften Oszillators.
Hellere Kurven entsprechen stärkeren Dämpfungen.
Durch Bestimmung des Minimums des Nenners im Ausdruck für | a | gemäß Gl.
(3.28) kann die Erreger-Kreisfrequenz ermittelt werden, bei der Resonanz auftritt:
02 2 2 r (3.30)
Man erkennt, dass diese Resonanz-Kreisfrequenz r etwas kleiner ist als die
Kreisfrequenz d des freien gedämpften Oszillators und dass die Lage der Reso-
nanzstelle von der Stärke der Dämpfung abhängig ist.
Für den Fall eines ungedämpften Oszillators wächst gemäß Gl. (3.28) bei Annä-
herung der Erregerfrequenz an die Eigenfrequenz des Oszillators die Schwingungs-
amplitude über alle Grenzen. Dieses Verhalten wird als Resonanzkatastrophe be-
zeichnet. Die Begründung dafür liegt darin, dass in diesem Fall die äußere Kraft
dem Oszillator laufend Energie zuführt, wobei sich wegen des Fehlens der Reibung
kein stationärer Zustand einstellen kann. Dies widerspricht aber der anfangs in die-
sem Kapitel gemachten Voraussetzung eines stationären Schwingungsvorganges.
Das Eintreten von Resonanzkatastrophen bei weitgehend ungedämpften erzwunge-
nen Schwingungen kann zu beträchtlichen Zerstörungen des betreffenden oszillie-
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k1 k12 k2
m1 m2
x1 x2
Abb. 3.8: Schematische Darstellung zweier eindimensionaler
gekoppelter harmonischer Oszillatoren mit Rückstell-
konstanten k1 , k 2 und Kopplungskonstante k12
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erhält man als Ergebnis, dass im Zuge des gekoppelten Schwingungsvorganges die
Schwingungsenergie periodisch von einem Massenpunkt auf den anderen übertra-
gen wird und somit zwischen den beiden Massenpunkten hin und her wechselt.
Im Fall einer Kette gekoppelter harmonischer Oszillatoren wird im Zuge des ge-
koppelten Schwingungsvorganges die Schwingungsenergie längs der Kette über-
tragen und es resultiert ein zeitlich und räumlich periodischer Vorgang und somit
eine Wellenausbreitung.
3.3 Wellen
3.3.1 Grundbegriffe
Ausgedehnte Körper können im Allgemeinen als Systeme von schwingungsfähigen
Massenpunkten (Atome, Moleküle) aufgefasst werden. Auf Grund von Wechsel-
wirkungen zwischen benachbarten Massenpunkten bilden die Massenpunkte eines
ausgedehnten Körpers ein System gekoppelter Oszillatoren. Schwingungen von
Massenpunkten werden somit auf benachbarte Massenpunkte übertragen und dem-
entsprechend kommt es in ausgedehnten Körpern zur Ausbreitung mechanischer
Wellen. Die Geschwindigkeit der Wellenausbreitung ist abhängig von der Masse
der schwingenden Teilchen und von der Kopplungsstärke benachbarter Massen-
punkte. Beispiele für mechanische Wellen sind Oberflächenwellen auf Flüssig-
keitsoberflächen und Schallwellen. Als schwingende Größen kommen bei mecha-
nischen Wellen mechanische Auslenkung, Druck, Dichte oder Temperatur in Be-
tracht.
Während mechanische Wellen an ein Trägermedium gebunden sind und sich relativ
zu diesem ausbreiten, haben die Experimente von Michelson und Morley zu der
Schlussfolgerung geführt, dass für den Fall von Lichtwellen (und anderen elektro-
magnetischen Wellen) die Annahme eines materiellen Trägermediums zu Wider-
sprüchen führt (siehe Kapitel 7.2). Die Lichtausbreitung erfolgt somit ohne Trä-
germedium. Dennoch kann Licht als Wellenvorgang aufgefasst werden, wobei die
elektromagnetischen Feldvektoren E und B die schwingenden Größen sind.
168
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Wellen längs einer gespannten Saite sind ein Beispiel für Transversalwellen. Bei
elektromagnetischen Wellen sind die Feldvektoren E und B senkrecht zur Wel-
lenausbreitung orientiert und somit handelt es sich dabei ebenfalls um Transversal-
wellen. Transversalwellen können hinsichtlich ihres Polarisationszustandes unter-
schieden werden. Bei linear polarisierten Transversalwellen erfolgt die Auslen-
kung stets in einer festen Ebene, der Polarisationsebene. Bei Überlagerung zweier
gleichartiger linear polarisierter Wellen mit aufeinander senkrecht stehenden Pola-
risationsebenen ergibt sich in jeder zur Wellenausbreitungsrichtung senkrechten
Ebene eine zweidimensionale Überlagerung zweier senkrecht aufeinander stehen-
der harmonischer Schwingungen gleicher Frequenz (siehe Kapitel 3.2.2). Damit
ergibt sich im Allgemeinen eine elliptisch polarisierte Transversalwelle. Anderer-
seits kann durch Überlagerung einer rechts-zirkular polarisierten mit einer links-
zirkular polarisierten Welle wieder eine linear polarisierte Welle erzeugt werden.
Es sei darauf hingewiesen, dass auf Grund der Polarisierbarkeit einer Welle ihr
transversaler Charakter festgestellt werden kann.
Wir betrachten im Allgemeinen laufende Wellen, die sich im Raum mit einer ge-
wissen Geschwindigkeit ausbreiten. Durch geeignete Überlagerung mehrerer lau-
fender Wellen kann eine räumlich stationäre Schwingungsform entstehen, die keine
räumliche Ausbreitungsrichtung aufweist. Im Schwingungsbereich derartiger ste-
hender Wellen treten gewisse feste Punkte auf, sogenannte Schwingungsknoten,
bei denen keine Auslenkung und somit keine Schwingung erfolgt. Bei einer ge-
spannten Saite etwa können sich stehende Wellen ausbilden, wobei an den einge-
spannten Enden der Saite, sowie an mehreren weiteren Punkten längs der Saite,
Schwingungsknoten auftreten. Diese stehenden Wellen können als Überlagerung
entgegengesetzt laufender Wellen aufgefasst werden. In zwei- und dreidimensiona-
len Bereichen können in Abhängigkeit von gewissen vorgegebenen Randbedingun-
gen verhältnismäßig komplizierte stehende Wellen auftreten, die auch als Eigen-
schwingungen bezeichnet werden.
169
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Ferner berechnen wir die Wellenlänge zu einem festen Zeitpunkt während der
Wellenausbreitung (ohne Beschränkung der Allgemeinheit sei der Zeitpunkt t 0
gewählt). Die Wellenlänge ist die räumliche Distanz zwischen zwei gleichen Zu-
ständen. Dementsprechend gilt unter Berücksichtigung von cos cos
cos k x cos k x
k x k x 2
k 2
Die Anzahl der Wellen pro Längeneinheit hat keine eigene Bezeichnung, wir er-
halten
1 k
. (3.36)
2
Durch Verallgemeinerung von Gl. (3.32) erhält man zur Beschreibung der Ausbrei-
tung einer ebenen harmonischen Welle in einem dreidimensionalen Bereich für
die Auslenkung u r , t den folgenden Ausdruck:
u r , t u0 cos t k r .
Dabei ist r der Ortsvektor, k wird als Wellenzahlvektor bezeichnet. Zu einem fes-
ten Zeitpunkt t gilt für Punkte gleicher Phase t k r sichtlich k r const .
Folglich ist die Länge der Normalprojektion von r auf k konstant und die Punkte
170
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gleicher Phase liegen somit auf einer Ebene k . Dementsprechend beschreibt die
obige Gleichung eine ebene Welle, deren Ausbreitungsrichtung durch den Wellen-
zahlvektor k angegeben wird.
a) Phasengeschwindigkeit:
Wir betrachten eine harmonische Welle mit festgelegter Frequenz und Wellenlän-
ge, die sich unter stationären Bedingungen ausbreitet. In dieser Welle betrachten
wir Punkte konstanter Phase (z.B. Wellenberge).
171
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Bei der Ausbreitung des Lichtes in einem durchsichtigen materiellen Medium (sie-
he Kap. 6.4.4) ist die Phasengeschwindigkeit im Allgemeinen von der Lichtwellen-
länge abhängig, das Licht zeigt also Dispersion. Dementsprechend ist auch die
Lichtbrechung an Grenzflächen von der Wellenlänge abhängig und es erfolgt eine
wellenlängenabhängige Aufspaltung des betrachteten Lichtstrahls. Bei Lichtaus-
breitung im Vakuum tritt jedoch keine Dispersion auf.
b) Gruppengeschwindigkeit:
Um mit Hilfe der Ausbreitung von Wellen Signale übermitteln zu können, werden
räumlich und zeitlich begrenzte Wellenbereiche, sogenannte Wellenpakete (Pulse)
benötigt.
Die Ausbreitungsgeschwindigkeit eines Wellenpakets (genau genommen des
Maximums der Einhüllkurve eines Wellenpakets) wird als Gruppengeschwin-
digkeit v gr bezeichnet.
u ( x, t )
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Durch Einsetzen von Gl. (3.37) in Gl. (3.39) erhalten wir einen einfachen Zusam-
menhang zwischen Gruppen- und Phasengeschwindigkeit:
v gr
d k v ph .
dk
Damit ergibt sich unmittelbar:
dv ph
v gr v ph k . (3.40)
dk
Diese Beziehung kann mit Hilfe von Gl. (3.35) nach einfachen Umformungen in
die anschauliche Form
dv ph
v gr v ph (3.41)
d
gebracht werden.
Bei der Bestimmung der Gruppengeschwindigkeit einer Welle ist also gemäß
Gl. (3.41) eine eventuelle Dispersion bei dem betrachteten Wellenausbreitungsvor-
gang zu berücksichtigen. Dies kann in folgender Weise physikalisch interpretiert
werden:
Falls keine Dispersion vorliegt, dann ist die Phasengeschwindigkeit von der Wel-
lenlänge unabhängig. In diesem Fall schreiten die Wellenberge der beiden harmo-
nischen Wellen der Wellengruppe mit der gleichen Geschwindigkeit fort und die
beiden harmonischen Wellen bleiben somit starr aneinander gebunden. Folglich
schreiten auch die durch Superposition der beiden harmonischen Wellen resultie-
renden Wellenpakete mit der gleichen Geschwindigkeit fort. In diesem Fall stim-
173
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3.3.3 Wellengleichung
Um Wellenvorgänge für verschiedenartige Systeme und bei unterschiedlichen
Rand- und Anfangsbedingungen beschreiben zu können ist es wesentlich, eine Dif-
ferenzialgleichung anzugeben, der die zugehörige orts- und zeitabhängige Auslen-
kungsfunktion genügt. Um zu einer solchen Differenzialgleichung zu gelangen, ge-
hen wir von der räumlich und zeitlich periodischen harmonischen Auslenkungs-
funktion u x, t gemäß Gl. (3.32) aus. Doppelte partielle Differenziation dieser
Auslenkungsfunktion nach der Zeit t und nach der Ortskoordinate x liefert
2u
2
u0 2 cos t k x ,
t
2u
2
u0 k 2 cos t k x .
x
174
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1 2u 2u
0
v 2ph t 2 x 2
und durch Verallgemeinerung auf die drei Raumdimensionen erhalten wir die
Wellengleichung
1 2u
u 0 , (3.42)
v 2ph t 2
wobei der Laplace-Operator definiert ist als
2u 2u 2u
u .
x 2 y 2 z 2
Dies schließt insbesondere auch Vorgänge ein, die nicht notwendigerweise perio-
disch ablaufen.
175
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In enger Beziehung zu diesem Prinzip steht als weiteres grundlegendes Prinzip das
Fermat’sche Prinzip:
Eine Welle läuft zwischen zwei Punkten stets längs eines solchen Weges, bei
dem die Laufzeit der Welle ein Extremwert (in vielen Fällen ein Minimum) ist.
Im Fall von homogenen isotropen Medien führen beide Prinzipe auf geradlinige
Wellenausbreitung. Es zeigt sich, dass bei Ausbreitung in anderen Raumrichtungen
stets destruktive Interferenz zweier kugelförmiger Sekundärwellen auftritt, sodass
die geradlinige Ausbreitung als einzige Möglichkeit verbleibt.
Bei Anwesenheit von Inhomogenitäten, Grenzflächen oder Hindernissen verschie-
dener Art im Bereich des Wellenfeldes kann eine Vielzahl unterschiedlicher Phä-
nomene auftreten, wie etwa Reflexion, Brechung, Beugung oder Streuung der be-
trachteten Wellen. Diese Vorgänge sind vor allem bei der Lichtausbreitung von be-
sonderer Bedeutung, daher erfolgt eine ausführlichere Darstellung im Rahmen der
Optik (Kap. 6).
3.3.5 Dopplereffekt
In den vorangehenden Kapiteln haben wir Wellen betrachtet unter der Annahme,
dass die Quelle Q der Wellenausbreitung sowie ein Beobachter B unbewegt sind
relativ zum Trägermedium der Welle. Nunmehr wird diese Voraussetzung fallenge-
lassen.
Im Folgenden wird eine mechanische Welle mit Wellenlänge , Schwingungs-
dauer T und Frequenz 1 T betrachtet. Die Phasengeschwindigkeit der Welle
beträgt gemäß Gl. (3.38) v ph T . Wir betrachten zunächst die Situation,
bei der eine bewegte Quelle Q sich mit der Geschwindigkeit vQ v ph relativ zum
Trägermedium der Welle auf einen ruhenden Beobachter B zu bewegt. Gemäß
Abbildung 3.10 erkennt man, dass der Abstand zweier benachbarter Wellenfronten,
die auf B mit Geschwindigkeit v ph zulaufen, gegeben ist durch vQ T .
Somit erhält man für die Schwingungsdauer T und die Frequenz der vom Be-
obachter B beobachteten Welle nacheinander
T
v ph
1 v ph v ph v ph
T vQ T v ph vQ T
und es ergibt sich schließlich die erhöhte Frequenz
176
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1
. (3.43)
vQ
1
v ph
v ph T
Q B
vQ T (ruhend )
Für den Fall, dass sich die Quelle Q vom ruhenden Beobachter wegbewegt ergibt
sich in analoger Weise die verringerte Frequenz
1
. (3.44)
vQ
1
v ph
Nunmehr betrachten wir die Situation, bei der ein bewegter Beobachter B sich
mit der Geschwindigkeit v B v ph relativ zum Trägermedium der Welle auf eine
ruhende Quelle Q zu bewegt. Gemäß Abbildung 3.11 erkennt man, dass der Be-
obachter B sich mit der Relativgeschwindigkeit v B v ph auf die ihm mit gegensei-
tigem Abstand entgegenlaufenden Wellenfronten zubewegt. Somit erhält man
für die Schwingungsdauer T und die Frequenz der vom Beobachter B be-
obachteten Welle nacheinander
T
v ph v B
1 v ph v B v ph v B
T v ph T
und es ergibt sich schließlich die erhöhte Frequenz
v B
1 . (3.45)
v ph
177
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v ph T
v ph vB
Q B
(ruhend )
Für den Fall, dass sich der Beobachter B von der ruhenden Quelle wegbewegt
ergibt sich in analoger Weise die verringerte Frequenz
v B
1 . (3.46)
v ph
Man erkennt, dass die obigen Ausdrücke für die Frequenzänderungen auf Grund
des Dopplereffektes unterschiedlich sind je nachdem, ob sich die Quelle oder der
Beobachter relativ zum Trägermedium bewegt.
Auch bei Lichtwellen können Frequenzverschiebungen auf Grund des Doppleref-
fektes beobachtet werden. Da die Lichtausbreitung ohne Trägermedium erfolgt
(siehe Kap. 7.2), sind für den Dopplereffekt bei Lichtwellen nur Relativgeschwin-
digkeiten von Bedeutung. Wenn sich Lichtquelle Q und Beobachter B mit Rela-
tivgeschwindigkeit v aufeinander zubewegen und der Beobachter sich somit anti-
parallel zur Richtung der Lichtausbreitung bewegt, ergibt sich unter Berücksichti-
gung der Zeitdilatation (siehe Kap. 7.4) ein longitudinaler Dopplereffekt mit der
erhöhten Frequenz
v
1
v ph
v v . (3.47)
v
1
v ph
178
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Hilfe des Dopplereffektes bei Lichtwellen erklärt werden. Damit erhält man den
Hinweis auf eine Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien, die mit der Entfernung der
Galaxien zunimmt. Diese Beobachtung ist eine experimentelle Grundlage für die
Urknallhypothese.
Quantitative Beobachtung des Dopplereffektes bei Lichtwellen erlaubt präzise und
berührungsfreie Messungen der Strömungsgeschwindigkeit in Flüssigkeiten und
Gasen über große Geschwindigkeitsbereiche. Diese Messmethode wird als Laser-
Doppler-Velocimetrie bezeichnet und ist von großer praktischer Bedeutung.
u
u du
O d A
z
z dz
z
Abb. 3.12: Zur Ausbreitung longitudinaler mechanischer Wellen
längs eines stabförmigen elastischen Festkörpers
179
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Andererseits kann gemäß zweitem Newton‘schem Axiom die Gesamtkraft auf das
Volumselement mit Masse dm dV A dz auch ausgedrückt werden in der
Form
2u 2u
dF dm A dz (3.50)
t 2 t 2
und Gleichsetzen von Gl. (3.49), (3.50) ergibt
2u 2u
0. (3.51)
E t 2 z 2
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und 1 K als Kompressibilität des Gases bezeichnet. Aus Gl. (3.55) erhalten wir für
die Kompressibilität den Ausdruck
1 1 V 1 dV
. (3.56)
K V p V dp
Zur Berechnung der isothermen Kompressibilität des Gases benützen wir das für
isotherme Zustandsänderungen idealer Gase geltende Boyle-Mariotte‘sche Gesetz,
Gl. (4.113):
p V const . (3.57)
const
Wegen V erhalten wir gemäß Gl. (3.56) für die isotherme Kompressibilität
p
den Ausdruck
1 1 dV 1 d 1 1
const
(3.58)
KT V dp T V pV dp p p
Zur Berechnung der adiabatischen Kompressibilität des Gases benützen wir die für
adiabatische Zustandsänderungen idealer Gase geltende Poisson-Gleichung, Gl.
(4.119) in der Form
p1 V const , (3.60)
const
wobei den Adiabatenindex bezeichnet. Wegen V erhalten wir gemäß
p1
Gl. (3.56) für die adiabatische Kompressibilität den Ausdruck
1 1 dV 1 d 1 1
const
1 (3.61)
K ad V dp ad
V 1 dp p p
p V
Damit erhält man gemäß Gl. (3.54) für die Phasengeschwindigkeit einer longitu-
dinalen Welle in einem Gas bei normalen Schallfrequenzen 1 kHz den Aus-
druck
p
v ph , (3.63)
wobei p den Gasdruck, den Adiabatenindex und die Gasdichte bezeichnet.
Für Stickstoff hat der Adiabatenindex den Wert 1.4 .
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3.4.1 Lautstärke
Schallausbreitung ist mit Energietransport verbunden. Zur quantitativen Beschrei-
bung betrachten wir eine (senkrecht zur Schallausbreitungsrichtung liegende) Flä-
che A in dem betrachteten Schallfeld. Im Verlauf der Zeit t wird auf diese Fläche
eine Schall-Strahlungsenergie W eingestrahlt. Der Schall-Strahlungsfluss
durch die Fläche A ist gegeben durch
dW
. (3.64)
dt
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den der Obertöne relativ zum Grundton sind eindeutig bestimmt durch die Wellen-
form des betrachteten Tones. Mit zunehmender Anzahl von Obertönen kann die be-
trachtete Wellenform immer besser angenähert werden. Das Obertonspektrum ist
also charakteristisch für die jeweilige Wellenform des betrachteten musikalischen
Tones und bestimmt damit die Klangfarbe des Tones.
Nunmehr betrachten wir zwei unterschiedliche Töne mit Grundfrequenzen 1 und
2 1 . Der Abstand der Tonhöhen dieser beiden Töne wird als Intervall bezeich-
net. Die Größe des Intervalls zweier Töne kann durch das Verhältnis der Grundfre-
quenzen der beiden Töne, die Proportion
2
p (3.68)
1
charakterisiert werden. Es zeigt sich, dass ein Intervall zweier Töne mit bestimmter
Proportion p unabhängig von der Tonhöhe dieser Töne weitgehend als gleich emp-
funden wird.
Zur übersichtlichen Beschreibung von Intervallgrößen und insbesondere von klei-
nen Unterschieden verschiedener Intervalle ist es sinnvoll, die Größe von Interval-
len durch ein logarithmisches Maß zu charakterisieren. Zu diesem Zweck wählt
man ein Einheitsintervall Cent, mit Hilfe dessen eine Oktave (Intervall mit der Pro-
portion p 2 , siehe Tab. 3.1) in 1200 gleiche Teile geteilt wird. Die Wahl dieses
Einheitsintervalls orientiert sich an den 12 Halbtonstufen der Tonleitern (siehe Kap.
3.4.3). Bei gleichstufiger Einteilung einer Oktave in 12 Halbtonstufen hat somit je-
de Halbtonstufe 100 Cent. Gemäß der obigen Definition hat das Einheitsintervall 1
Cent die Proportion p0 2 1 1200 1.00057779 . Die Größe eines beliebigen Inter-
valles kann nunmehr charakterisiert werden durch die Anzahl i von Einheitsinter-
vallen Cent, aus denen das betrachtete Intervall besteht. i wird als Intervallmaß
bezeichnet und in der Einheit Cent angegeben. Für ein Intervall mit Proportion p
gilt somit p p0i und man erhält somit für die Proportion p den Ausdruck
i 1200
p2 . (3.69)
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Frequenzen n2 1 und n1 2 der Fall. Für dissonante Intervalle treten hingegen bei
den beiden betrachteten Tönen zahlreiche Obertöne mit nahe benachbarten, jedoch
nicht übereinstimmenden Frequenzen auf. Dies verursacht störende Schwebungen
(siehe Kap. 3.2.2) und es entsteht die Empfindung, dass sich die beiden betrachte-
ten Töne aneinander „reiben“.
Konsonante Intervalle, deren Proportion p ein Verhältnis natürlicher Zahlen < 7 ist,
werden als harmonisch (rein) bezeichnet. In Tabelle 3.1 sind Bezeichnungen, so-
wie Proportionen p und Intervallmaße i aller harmonischen Intervalle bis zu einer
Oktave (Proportionen p 2 ) angegeben. Die Bezeichnungen der harmonischen In-
tervalle orientieren sich an den Hauptstufen der heptatonischen Tonleitern (siehe
Kap. 3.4.3). Neben der gr. Sext ist auch die kl. Sext gebräuchlich. Die kl. Sext hat
die Proportion p 8 5 , ist daher gemäß dem oben angeführten Kriterium kein
harmonisches Intervall, wird jedoch als konsonant angesehen.
Schließlich betrachten wir zwei Intervalle. Bei Relationen zwischen Intervallen
verwenden wir im Folgenden eine Schreibweise, bei der die Bezeichnung eines In-
tervalles gleichzeitig auch dessen Proportion p bedeutet. Differenzen zweier har-
monischer Intervalle können neuerlich auf harmonische Intervalle führen:
Oktave Oktave
Quart kl. Terz
Quint gr. Sext
gr. Sext Quint
gr. Terz kl. Terz .
Quart gr. Terz
Harmonisch Gleichstufig
Intervall
p i p i
Oktave 2 1200 2 1200
3
Quint 702 1.4983 700
2
4
Quart 498 1.3348 500
3
5
gr. Sext 884 1.6818 900
3
5
gr. Terz 386 1.2599 400
4
6
kl. Terz 316 1.1892 300
5
186
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Harmonisch Gleichstufig
Intervall
p i p i
Quint 9
gr. Ganzton 203.91
Quart 8
1.1225 200
Quart 10
kl. Ganzton 182.404
kl. Terz 9
Quart 16
gr. Halbton 111.73
gr. Terz 15
1.0595 100
gr. Terz 25
kl. Halbton 70.672
kl. Terz 24
gr. Ganzton 81
syntonisches Komma 21.506 - -
kl. Ganzton 80
3.4.3 Tonsysteme
Die Erfahrung zeigt, dass eine gewisse minimale Dauer eines Tones erforderlich ist,
damit die Tonhöhe des Tones physiologisch registriert werden kann. Daher werden
in der Musik im Wesentlichen nur Töne mit konstanten Tonhöhen aus vorgegebenen
diskreten Tonskalen verwendet. Folglich ist es notwendig, Tonskalen festzulegen.
Töne, die sich um eine Oktave (Intervall mit Proportion p 2 , siehe Tab. 3.1) unter-
scheiden, werden generell als gleichartig empfunden und somit auch gleich bezeich-
net. Daher ist es bei der Festlegung einer Tonskala ausreichend, die Tonskala über
den Bereich von einer Oktave zu definieren. Die Tonskala kann dann problemlos in
Oktavenschritten auf beliebig viele weitere Oktaven ausgeweitet werden. Um konso-
nante mehrstimmige Musik zu ermöglichen ist es wünschenswert, dass in der ge-
wählten Tonskala möglichst viele harmonische Intervalle auftreten. Schließlich ist es
wichtig, dass aufbauend auf unterschiedlichen Ausgangstönen in etwa gleicher Wei-
se musiziert werden kann. Es zeigt sich, dass keine Tonskala alle diese Bedingungen
simultan erfüllt und daher sind Kompromisse erforderlich.
Zunächst ist die Anzahl der Tonstufen innerhalb einer Oktave festzulegen. Diese
Festlegung ist etwa 500 v. Chr. erfolgt, als (nach einer Überlieferung) Pythagoras
entdeckte, dass 12 aneinandergereihte Quinten in guter Näherung ein Intervall von
187
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3 2 12 1.013643...
74
7
(3.71)
2 73
größeres Intervall als die 7 Oktaven. Dem pythagoräischen Komma entspricht das
Intervallmaß i 23.46 Cent , es ist geringfügig größer als das syntonische Komma
(siehe Tab. 3.2) und kann bei geschultem Gehör deutlich wahrgenommen werden.
Daher ist das pythagoräische Komma bei der Festlegung von Tonleitern zu berück-
sichtigen. Um den Einfluss des pythagoräischen Kommas möglichst gering zu hal-
ten, werden jeweils 6 benachbarte Quintenintervalle in einem Abschnitt des Quin-
tenzirkels betrachtet (siehe Abb. 3.13). Im pentatonischen System werden damit 5
Tonstufen (schwarze Symbole), im heptatonischen System 7 Tonstufen (weiße
Symbole) festgelegt. Es sei darauf hingewiesen, dass die Tastatur eines Klavieres
(im Wesentlichen) 7 Oktaven bzw. 12 Quinten umfasst und dass es innerhalb einer
Oktave 5 schwarze und 7 weiße Tasten gibt. Dies entspricht dem in Abbildung 3.13
gezeigten Quintenzirkel.
Im Folgenden betrachten wir die Tonleitern im heptatonischen System. Es wer-
den 7 Hauptstufen (Stammtöne) in einem Abschnitt des Quintenzirkels gewählt.
Die Hauptstufe c wird als Ausgangston bestimmt. Zusätzlich zu den 7 Hauptstufen
werden noch 5 Nebenstufen (erhöhte oder erniedrigte Stammtöne) verwendet, die
je nach Umlaufsinn im Quintenzirkel (aufsteigend oder absteigend) im Allgemei-
nen etwas unterschiedliche Frequenzen aufweisen und unterschiedlich bezeichnet
werden (siehe Abb. 3.13). Diese Doppelbezeichnungen nennt man enharmonische
Verwechslungen. Somit werden insgesamt 12 Stufen innerhalb einer Oktave fest-
gelegt. Zwecks Festlegung der absoluten Tonhöhen wird die Hauptstufe a als
Normalstimmton mit Frequenz 440 Hz bestimmt.
188
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Abb. 3.14:
Pythagoräische c-Dur
Tonleiter
189
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Analog wie bei der pythagoräischen Tonleiter erhält man durch geeignete Schritte
im modifizierten Quintenzirkel die Hauptstufen der natürlichen c-Dur Tonleiter
(siehe Abb. 3.15). Diese Tonleiter enthält eine größere Anzahl harmonischer Inter-
valle und ist daher besonders für mehrstimmige Musik (z.B. evangelische Kir-
chenmusik, weltliche Musik) geeignet.
An den Hauptstufen der natürlichen c-Dur Tonleiter orientieren sich die bereits frü-
her erwähnten Bezeichnungen für die harmonischen Intervalle (siehe Tab. 3.1):
3. Stufe (e): gr. Terz
4. Stufe (f): Quart
5. Stufe (g): Quint
6. Stufe (a): gr. Sext
8. Stufe = folgende 1. Stufe (c): Oktave.
190
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Auch die Nebenstufen werden analog wie bei der pythagoräischen Tonleiter nach
dem modifizierten Quintenzirkel bestimmt. Man erhält damit die Nebenstufen und
deren Relationen zu den entsprechenden Hauptstufen: Innerhalb eines kl.
Ganztonintervalls = 16/15 x 25/24 Erhöhung oder Erniedrigung um jeweils einen
kl. Halbton 25 24 , innerhalb eines gr. Ganztonintervalls 16 15 25 24 81 80
Erhöhung oder Erniedrigung um jeweils einen kl. Halbton x 81/80
25 24 81 80 135 128 . Damit ergibt sich für den Unterschied der enharmonisch
verwechselten Nebenstufen 41.06 Cent bzw. 19.55 Cent.
Unter Verwendung der Haupt- und Nebenstufen der natürlichen c-Dur Tonleiter
können auch auf anderen Ausgangstönen entsprechende Tonleitern aufgebaut wer-
den. Dabei sind dann allerdings die reinen Intervalle der natürlichen c-Dur Tonlei-
ter nur zum Teil enthalten. Die verschiedenen Tonarten haben dementsprechend
unterschiedliche Charakteristiken. f, c, g und d-Dur gelten als rein, strahlend und
festlich. Wenn sich der Ausgangston entlang des Quintenzirkels weiter von c ent-
fernt, klingen die Tonarten zunehmend schärfer (oder düsterer) und werden teilwei-
se auch als unbrauchbar angesehen.
Um auch bei auf anderen Ausgangstönen aufgebauten Tonleitern reine Intervalle zu
erreichen wären zusätzliche Tonstufen erforderlich. Reines Musizieren in beliebi-
gen Tonarten würde im Bereich einer Oktave insgesamt zumindest 26 Stufen erfor-
dern, Tasteninstrumente mit bis zu 53 Stufen pro Oktave (Mercator-Stimmung)
wurden entwickelt. Derartig viele Tonstufen pro Oktave haben sich für das Musi-
zieren mit Tasteninstrumenten als ungeeignet erwiesen.
Gleichstufige Tonleiter:
Um das Musizieren in beliebigen Tonarten ohne zusätzliche Stufen zu ermöglichen,
wurden unter Anderem von Werckmeister diverse weitere Modifikationen (Tempe-
rierungen) des Quintenzirkels vorgeschlagen. Bei einer häufig verwendeten Modi-
fikation des Quintenzirkels wird das pythagoräische Komma gleichmäßig auf alle
12 Quinten aufgeteilt. Damit erhält man die gleichstufige Tonleiter, bei der die Ok-
tave in 12 gleiche Halbtonintervalle mit der Proportion
p 12 2 1.059463... (3.76)
aufgeteilt wird. Einem solchen Halbtonintervall entspricht das Intervallmaß
i 100 Cent (siehe Tab. 3.2). Diese Tonleiter enthält abgesehen von der Oktave
kein (exaktes) harmonisches Intervall. Mit dieser Tonleiter kann in allen Tonarten
gleichermaßen musiziert werden. In Tabelle 3.3 können die Hauptstufen von py-
thagoräischer, natürlicher und gleichstufiger c-Dur Tonleiter miteinander vergli-
chen werden.
Bei der gleichstufigen Tonleiter gehen die Charakteristiken spezieller Tonarten zur
Gänze verloren. Zahlreiche Komponisten haben allerdings die speziellen Charakte-
ristiken verschiedener Tonarten als musikalisches Ausdrucksmittel verwendet. Da-
191
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kann für jede Tonstufe einer temperierten Tonleiter die Frequenz temp bestimmt
werden, wobei gl und nat die Frequenzen der entsprechenden Tonstufen der
gleichstufigen und der natürlichen Tonleiter sind. Für die Nebenstufen der natürli-
chen Tonleiter werden dabei die geometrischen Mittelwerte der enharmonisch ver-
wechselten Frequenzen verwendet. Abhängig von der Wahl des Gewichtungs-
parameters X im Bereich zwischen 0 und 1 erhält man unterschiedliche Temperie-
rungen.
192
4 Thermodynamik
4.1 Grundlagen
In den vorangehenden Kapiteln haben wir hauptsächlich einfache geordnete Sys-
teme betrachtet. Die Eigenschaften eines solchen Systems bzw. seiner Teilsysteme
können grundsätzlich vollständig angegeben werden. Die zeitliche Entwicklung
solcher Systeme kann durch Lösung der entsprechenden dynamischen Gleichungen
beschrieben werden. Eine Umkehrung der Zeitrichtung bei einem physikalischen
Vorgang führt im Fall einfacher geordneter Systeme auf Grund der Zeitumkehr-
invarianz der Grundgleichungen zu einem gleichermaßen möglichen physikali-
schen Vorgang.
In der Thermodynamik wenden wir uns nunmehr großen ungeordneten Systemen
zu, die aus vielen Teilsystemen (Atome, Moleküle) bestehen. Die detaillierten
„mikroskopischen“ Eigenschaften eines solchen Systems bzw. aller seiner Teil-
systeme bestimmen den mikroskopischen Zustand des Systems, können aber in der
Praxis nicht vollständig angegeben werden. So ist es im Allgemeinen unmöglich,
die Bewegungen aller Atome bzw. Moleküle eines makroskopischen Körpers
gleichzeitig quantitativ zu beschreiben. Durch Mittelwertbildung über die genann-
ten „mikroskopischen“ Systemeigenschaften können allerdings „makroskopische“
Eigenschaften des betrachteten großen ungeordneten Systems erhalten werden, die
einer direkten Beobachtung zugänglich sind. Diese Mittelwertbildung kann auf
zwei Arten erfolgen: Einerseits können die Eigenschaften eines Teilsystems (Mole-
küls) über ein gewisses Zeitintervall gemittelt werden (Zeitmittel), andererseits
können die Eigenschaften aller Teilsysteme (Moleküle) zu einem bestimmten Zeit-
punkt gemittelt werden (Scharmittel). Durch die makroskopischen Eigenschaften
eines großen ungeordneten Systems wird ein thermodynamischer Zustand dieses
Systems bestimmt. Ein solcher thermodynamischer Zustand kann im Allgemeinen
durch mehrere, oft sehr viele unterschiedliche mikroskopische Zustände realisiert
werden.
Zur konkreten Beschreibung großer ungeordneter Systeme erweist es sich als
zweckmäßig, von verschiedenen Annahmen auszugehen. Eine dieser Annahmen ist
die Ergodenhypothese:
193
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Eine Umkehrung der Zeitrichtung bei einem physikalischen Vorgang führt auch im
Fall großer ungeordneter Systeme auf Grund der Zeitumkehrinvarianz der Grund-
gleichungen zu einem grundsätzlich ebenfalls möglichen physikalischen Vorgang.
Allerdings zeigt sich oft, dass die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines sol-
chen Vorganges praktisch verschwindet. Für große ungeordnete Systeme ergibt
sich daher in der Praxis eine einseitig gerichtete zeitliche Entwicklung (Irreversi-
bilität). Beispiele für irreversible physikalische Vorgänge sind die Durchmischung
zweier unterschiedlicher Gase auf Grund der Diffusion der Gasmoleküle, sowie der
Temperaturausgleich zwischen zwei Körpern unterschiedlicher Temperatur auf
Grund der Wärmeleitung.
Dies gilt auch für den Fall, dass die beiden Körper unterschiedliche Massen besit-
zen. Die Temperatur ist somit unabhängig von der Masse der betrachteten Körper.
Über die physikalische Interpretation des Begriffes Temperatur wird zunächst keine
konkrete Aussage gemacht.
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195
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ptC p0 1 p tC (4.4)
196
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197
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T
F m g
h
198
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1 kcal 4185.8 J .
Folglich wird nun die Wärme als eine Energieform betrachtet. Dies führt zu einer
Erweiterung der Gültigkeit des Energieerhaltungssatzes in Form des 1. Hauptsatzes
der Thermodynamik (siehe Kap. 4.7.2).
Im Gleichgewicht ist die Energie der Moleküle im Mittel auf alle ihre Freiheits-
grade gleichmäßig verteilt.
Wie erwähnt nehmen Gase hinsichtlich ihrer thermischen Eigenschaften eine Son-
derstellung ein. Es hat sich gezeigt, dass das Verhalten von Edelgasen sowie zahl-
reicher anderer Gase über weite Temperaturbereiche in guter Näherung durch die
Zustandsgleichung (4.9) beschrieben wird. Gase, die diese Eigenschaft aufweisen,
werden als ideale Gase bezeichnet (siehe Kap. 4.2). Wir werden nun die Eigen-
schaften idealer Gase auf Grund der Kinetik der Molekularbewegung beschreiben.
Dazu machen wir mehrere idealisierende Voraussetzungen. Um zu einer realisti-
scheren Beschreibung von Gasen zu gelangen, werden wir in weiterer Folge einige
dieser Voraussetzungen schrittweise fallen lassen.
199
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(3) Die Größe der Moleküle ist vernachlässigbar gegen den mittleren Abstand der
Moleküle
(4) Das Eigenvolumen der Moleküle ist vernachlässigbar gegen das Volumen des
betrachteten Systems.
Unter diesen Voraussetzungen können die Gasmoleküle als Massenpunkte ohne
innere Struktur angesehen werden, und jedes Molekül besitzt somit lediglich 3
Freiheitsgrade der Translation.
Wenn ein Gasmolekül an einer ebenen Gefäßwand elastisch reflektiert wird, dann
wird sich sein Impuls p ändern, wobei die Impulsänderung p senkrecht auf die
Wand gerichtet ist. Auf Grund der Impulserhaltung wird somit auch eine gleich
große und entgegengerichtete Impulsänderung der Gefäßwand hervorgerufen und
es erfolgt damit eine Impulsübertragung auf die Gefäßwand. Während des laufen-
den Auftreffens von Gasmolekülen auf die Gefäßwand wird dementsprechend lau-
fend Impuls auf die Wand übertragen, und der insgesamt zur Wand transportierte
Impuls ptrans wird somit laufend zunehmen. Gemäß dem 2. Newton’schen Axiom
entspricht diese Zunahme von ptrans einer auf die Gefäßwand wirkenden Kraft
dp
F trans (4.14)
dt
(Impulsfluss). Für den senkrecht auf die Gefäßwand wirkenden Druck erhalten wir
folglich
1 dp
p trans (4.15)
A dt
(Impulsflussdichte), wobei ptrans den Betrag des insgesamt während der Zeit t zur
Gefäßwand transportierten Impulses und A die Wandfläche bezeichnet.
v
A
v t
x
Abb. 4.2: Zur Berechnung des Gasdruckes auf eine ebene Gefäßwand
200
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Zur konkreten Berechnung des Druckes p , der senkrecht auf die ebene Gefäßwand
mit Fläche A wirkt, ist es erforderlich, den während der Zeit t zur Wand übertra-
genen Impuls ptrans zu ermitteln. Dazu wählen wir ein kartesisches Koordinaten-
system derart, dass eine Koordinatenebene parallel zu der betrachteten Gefäßwand
liegt. Wir gehen davon aus, dass näherungsweise je ein Drittel aller Gasmoleküle
sich parallel zu einer der drei Koordinatenachsen bewegen. Somit bewegen sich in
dieser Näherung ein Sechstel aller Gasmoleküle senkrecht in Richtung auf die be-
trachtete Gefäßwand hin. Wenn wir annehmen, dass die Moleküle sich mit der Ge-
schwindigkeit v auf die Gefäßwand hin bewegen, dann werden in der Zeit t ein
Sechstel aller Moleküle auf der Gefäßwand mit Fläche A auftreffen, die sich in
dem in Abbildung 4.2 gezeigten Quader mit Volumen v t A befinden.
Somit kann die gesamte Stoßzahl auf die Fläche A während der Zeit t näherungs-
weise ausgedrückt werden in der Form
1 N
Z v t A (4.16)
6 V
wobei N die Molekülanzahl im betrachteten System und V das Systemvolumen
bezeichnet. n N V ist die Molekülanzahldichte. Beim senkrechten Auftreffen ei-
nes einzelnen Gasmoleküls mit Masse m auf die betrachtete Gefäßwand wird der
Impuls 2 m v auf die Gefäßwand übertragen. Somit ergibt sich der insgesamt wäh-
rend der Zeit t an die Wand übertragene Impuls zu
ptrans 2 m v Z . (4.17)
Nunmehr erhalten wir den instantanen Druck p aus Gl. (4.15) durch Einsetzen
gemäß Gl. (4.17), (4.16):
1
p n m v2 . (4.18)
3
201
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2 m v2
p V N . (4.20)
3 2
Wegen der für die Gültigkeit der Grundgleichung von Bernoulli vorausgesetzten
Abwesenheit von Rotations- und Schwingungsfreiheitsgraden teilt sich die gesamte
kinetische Energie eines Gasmoleküls lediglich auf die 3 Translationsfreiheitsgrade
auf, und somit gilt für die gesamte mittlere kinetische Energie eines Gasmoleküls
m v2
Ekin . (4.21)
2
Diese Gleichung stimmt überein mit der Zustandsgleichung idealer Gase, Gl.
(4.10), wobei sich die folgende Beziehung der verschiedenen auftretenden Kon-
stanten ergibt:
R
k . (4.25)
NL
202
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Erste Verallgemeinerung:
Der Ansatz (4.23) wurde unter der Voraussetzung gemacht, dass die Moleküle des
betrachteten Gases lediglich 3 Freiheitsgrade der Translation besitzen. Wie erwähnt
verteilt sich im Gleichgewicht die Energie jedes Moleküls im Mittel gleichmäßig
auf alle seine Freiheitsgrade. Die mittlere kinetische Energie eines Moleküls pro
1
Freiheitsgrad beträgt somit k T . Damit gelangen wir zur folgenden molekular-
2
kinetischen Definition der absoluten Temperatur T :
1
k T mittlere kinetische Energie eines Moleküls pro Freiheitsgrad. (4.26)
2
Zweite Verallgemeinerung:
Wir haben bisher den Ansatz (4.23) und entsprechend die Definition der absoluten
Temperatur (4.26) nur auf den Fall idealer Gase angewendet. In der Thermodyna-
mik wird jedoch die Gültigkeit der Temperaturdefinition (4.26) auf beliebige Kör-
per erweitert.
203
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Die Beweglichkeit des betrachteten Teilchens mit dem Radius a in einer Flüssig-
keit ist gemäß dem Stokes’schen Gesetz in guter Näherung gegeben durch
1
B (4.30)
6 a
und somit resultiert aus Gl. (4.29) für das mittlere Verschiebungsquadrat der
Ausdruck
k T
r2 t . (4.31)
a
204
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Diese berühmte Gleichung zeigt, dass das mittlere Verschiebungsquadrat nur linear
mit der Beobachtungszeit zunimmt. Dieses Verhalten wird durch Experimente bestä-
tigt. Außerdem erlauben experimentelle Beobachtungen der Brown’schen Bewegung
eine quantitative Bestimmung der Boltzmannkonstanten k 1.38 10 23 J K . Mit
Hilfe von Gl. (4.25) erhält man damit auch den Wert der Loschmidtkonstanten
N L 6.022 1026 kmol 1 .
Die quantitativen Beobachtungen der Brown’schen Bewegung zusammen mit deren
konkreter molekularkinetischer Deutung haben wesentlich zur Akzeptanz der
Molekularhypothese beigetragen.
f (u ) du 1 . (4.34)
205
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f (v z )
100 K
300 K
206
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Falls sich das betrachtete Gas in einem abgeschlossenen Volumen befindet und die
Wirkung äußerer Kräfte vernachlässigbar ist, dann ist das System isotrop. In die-
sem Fall sind die Verteilungsfunktionen für die drei Geschwindigkeitskomponenten
vx , v y , vz gleich, und das Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten für vx , v y , vz lie-
fert die Verteilungsfunktion für den Geschwindigkeitsvektor v in der Form
3
m 2 mv 2
f (v ) dv x dv y dv z exp kT dv x dv y dv z , (4.39)
2 kT 2
wobei v 2 vx2 v 2y vz2 . Häufig wird lediglich die Verteilungsfunktion für den Be-
trag v der Molekülgeschwindigkeiten benötigt. In diesem Fall muss über eine Ku-
gelschale mit Volumen 4 v 2 dv im Geschwindigkeitsraum integriert werden,
und wir erhalten die Maxwell-Boltzmann’sche Geschwindigkeitsverteilung
3
m 2 mv 2
f v dv 4 v 2 exp kT dv . (4.40)
2 kT 2
f (v )
100 K
300 K
1000 K
Man erkennt aus Gl. (4.40), dass für sehr kleine Werte des Geschwindigkeitsbetra-
ges v die Verteilungsfunktion f v vom Faktor v 2 bestimmt wird, während für
große Werte von v die Exponentialfunktion dominiert.
207
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Für f v gemäß Gl. (4.40) können die folgenden speziellen Geschwindigkeiten be-
rechnet werden:
Wahrscheinlichste Geschwindigkeit:
2 k T
vW (4.41)
m
Mittlere Geschwindigkeit:
8 k T 2
v vW (4.42)
m
Mittleres Geschwindigkeitsquadrat:
3 k T 3
v2 vW . (4.43)
m 2
f (v)
v
vW v2
Aus dem Ausdruck (4.43) für das mittlere Geschwindigkeitsquadrat ergibt sich
unmittelbar die Beziehung m v 2 2 3 2 kT in Übereinstimmung mit Gl. (4.23).
Die Maxwell-Boltzmann’sche Geschwindigkeitsverteilung erlaubt Aussagen dar-
über, wie viele Moleküle mit Geschwindigkeiten im Schwanzbereich der Vertei-
lungsfunktion oberhalb der Geschwindigkeitsmittelwerte in dem betrachteten Gas
208
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anzutreffen sind (siehe Abb. 4.5). Damit kann abgeschätzt werden, bei wie vielen
Molekülen die Möglichkeit besteht, beispielsweise
durch Herausschlagen von Elektronen Stoßionisation auszulösen,
durch Nukleation Molekülcluster zu bilden,
durch Fluktuationen chemische Reaktionen hervorzurufen.
Bei der Untersuchung dieser Frage ist die Voraussetzung wichtig, dass die betrach-
teten Gasmoleküle sich wie harte elastische Kugeln mit Radien ri verhalten. Für
den Stoß zweier Kugeln mit Radien r1 und r2 ist der Stoßquerschnitt gegeben
durch (siehe Abb. 4.6)
r1 r2 2 (4.44)
Stoßquerschnitt
r1
r2
Wir nehmen zunächst an, dass sich ein einzelnes Gasmolekül durch eine ruhende
Population von Gasmolekülen mit Teilchenzahldichte n hindurchbewegt. An die-
sem bewegten Gasmolekül sei die Stoßquerschnittsfläche angeheftet gedacht.
Die ruhenden Gasmoleküle werden punktförmig angenommen. Wenn das bewegte
Gasmolekül die Strecke x zurücklegt, dann überstreicht der angeheftete Stoßquer-
schnitt einen zylindrischen Kanal mit Volumen x . Falls 1 ruhendes punktförmi-
ges Gasmolekül in diesem zylindrischen Kanal liegt, dann hat ein Stoß stattgefunden.
Das bewegte Gasmolekül hat dann gerade die mittlere freie Weglänge zurückge-
legt. Somit gilt n 1 und folglich
209
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1
(4.45)
n
Berücksichtigt man die Bewegung der bisher als ruhend gedachten punktförmigen
Moleküle, erhält man aus Gl. (4.45) einen genaueren Ausdruck für die mittlere
freie Weglänge:
1
(4.46)
2 n
Für Luft bei einer Temperatur von 273 K und einem Druck von 1 bar liegt die
mittlere freie Weglänge bei etwa 60 nm .
Im Fall von Gasmolekülen, die nicht wie harte elastische Kugeln beschrieben wer-
den können, sondern deren Wechselwirkung durch ein anderes Wechselwirkungs-
potenzial charakterisiert wird, ist die präzise Definition der mittleren freien Weg-
länge komplizierter.
4.5 Wärmekapazität
Im Folgenden betrachten wir die gesamte kinetische und potenzielle Energie der Mo-
leküle eines Körpers bei ihrer ungeordneten Molekularbewegung. Diese Gesamt-
energie wird als innere Energie U des Körpers bezeichnet. Die im vorigen Kapitel
beschriebene molekularkinetische Interpretation der absoluten Temperatur eines
Körpers erlaubt grundsätzlich die Bestimmung der inneren Energie dieses Körpers.
Wir wenden uns der Frage zu, welche Wärmemenge Q einem Körper zugeführt
werden muss, um eine bestimmte Temperaturänderung T zu bewirken. Der be-
trachtete Körper habe N Moleküle der Masse , sein Molekulargewicht ist
M N L , wobei N L die Loschmidt-Konstante bezeichnet. Der Körper hat die
Masse m N und die Molzahl n N N L m M . Für die dem Körper zuge-
führte Wärmemenge Q machen wir die Ansätze
Q m c T , (4.47)
Q n C T , (4.48)
210
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Bei kosmischen Körpern, die von der Gravitation dominiert sind, zeigt sich aller-
dings, dass Energieabgabe im Allgemeinen zu einer Erhöhung der Temperatur
führt und demnach zeigen solche Körper negative spezifische Wärme. Bei Sternen,
die stark von Gravitation dominiert sind, führt dieses Verhalten zu katastrophalen
Instabilitäten. W. Thirring hat in einem speziellen Modell für einen gewissen Ener-
giebereich die Existenz negativer spezifischer Wärme nachgewiesen. Mit Hilfe von
Computersimulationen wurde später für von Gravitation dominierte Körper das
Auftreten negativer spezifischer Wärme bestätigt.
Im Folgenden beschränken wir uns auf die thermischen Eigenschaften normaler
Materie. Auf Grund der unterschiedlichen Bewegungsformen der Moleküle zeigen
Gase und Festkörper unterschiedliches Verhalten und werden daher getrennt be-
handelt.
Aus Gl. (4.49), (4.50) erkennt man, dass für eine vorgegebene Menge eines be-
stimmten idealen Gases die innere Energie U ausschließlich von der Temperatur T
abhängig ist. Bei realen Gasen (siehe Kap. 4.8) haben die Gasmoleküle allerdings
auf Grund ihrer gegenseitigen Anziehungskraft neben ihrer kinetischen auch eine
potenzielle Energie, und somit ist die innere Energie realer Gase zusätzlich auch
vom Gasvolumen abhängig.
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CV
N2
4R
3R
2R
0
0 200 400 600 800 1000 T [K ]
Abb. 4.7: Molwärme eines idealen Gases (Stickstoff) bei konstantem Volumen
212
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richtete Arbeit W und zum anderen Teil in eine Zunahme U der inneren
Energie verwandelt. Folglich erhalten wir mit Hilfe von Gl. (4.50)
f
Q U W R n T W . (4.53)
2
Die auf Grund der Volumszunahme V bei konstantem Druck p von dem Gas ver-
richtete Arbeit W kann gemäß Abbildung 4.8 durch die Bewegung eines Kol-
bens mit Fläche A um eine Strecke s unter dem Einfluss der Kraft F p A dar-
gestellt werden in der Form
W F s p A s p V . (4.54)
A s
p F
Abb. 4.8: Zur Berechnung der von einem Gas verrichteten Arbeit
auf Grund einer Volumszunahme bei konstantem Druck
Gemäß der Zustandsgleichung für ideale Gase (4.9) erhalten wir bei konstantem
Druck p für die Volumsänderung V bei Temperaturänderung T die Beziehung
p V n R T . (4.55)
Aus Gl. (4.54) und (4.55) erhalten wir
W n R T (4.56)
und durch Einsetzen in Gl. (4.53) folgt
f
Q n R R T . (4.57)
2
Vergleich mit der Definition der Molwärme gemäß Gl. (4.48) liefert den Ausdruck
f 2
Cp R (4.58)
2
für die Molwärme eines idealen Gases mit f Freiheitsgraden bei konstantem
Druck. Mit Hilfe von Gl. (4.52) und (4.58) erhalten wir die wichtigen Relationen
C p CV R , (4.59)
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Cp f 2
. (4.60)
CV f
Mit Hilfe von Gl. (4.60) kann aus Messungen von C p und CV die Anzahl f der
Freiheitsgrade ermittelt werden. Der Adiabatenindex C p CV ist auch bei der
Beschreibung adiabatischer Prozesse von Bedeutung (siehe Kap. 4.7.3.4).
Im Allgemeinen können bei mehratomigen Gasmolekülen zusätzlich zu den Frei-
heitsgraden der Translation und Rotation auch Freiheitsgrade von inneren Schwin-
gungen der Gasmoleküle auftreten. Bei Molekülschwingungen treten neben kine-
tischen auch potenzielle Energien auf, die bei der Ermittlung der gesamten inneren
Energie des Gases berücksichtigt werden müssen. Bei den üblicherweise betrachte-
ten Labortemperaturen werden Freiheitsgrade innerer Molekülschwingungen kaum
angeregt, im vorliegenden Kapitel wurden innere Molekülschwingungen daher
außer Acht gelassen.
214
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U 3 R T n . (4.62)
Wir betrachten im Folgenden eine Wärmezufuhr Q zu dem betrachteten festen
Körper und die daraus resultierende Temperaturerhöhung T . Während der Wär-
mezufuhr wird das Volumen V des festen Körpers praktisch unverändert bleiben. In
diesem Fall wird keine mechanische Arbeit verrichtet, und somit wird gemäß Ener-
gieerhaltungssatz die zugeführte Wärmemenge Q zur Gänze in eine Zunahme U
der inneren Energie verwandelt. Folglich erhalten wir mit Hilfe von Gl. (4.62)
Q U 3 R n T . (4.63)
Vergleich mit der Definition der Molwärme gemäß Gl. (4.48) liefert den als
Dulong-Petit’sche Regel bezeichneten Ausdruck
CV 3 R (4.64)
für die Molwärme eines einatomigen festen Körpers mit 6 Freiheitsgraden bei
konstantem Volumen.
Für mehratomige feste Körper ergibt sich als Folgerung aus der Dulong-Petit’schen
Regel die Neumann-Kopp’sche Regel:
Die Molwärme eines mehratomigen Festkörpers ist die Summe der Molwärmen
der Einzelkomponenten.
Die Dulong-Petit’sche Regel gilt nur näherungsweise und nur für hinreichend hohe
Temperaturen. Experimente zeigen, dass CV im Allgemeinen mit geringer werden-
der Temperatur abnimmt (siehe Abb. 4.9). Dieser Umstand kann darauf zurückge-
führt werden, dass einige Freiheitsgrade bei niedrigeren Temperaturen nicht mehr
angeregt und somit „eingefroren“ werden. Bei Annäherung an den absoluten Null-
punkt nimmt die Molwärme gemäß dem Debye’schen Gesetz ab:
CV T 3 . (4.65)
CV
3R
2R Pb Cu
R
Abb. 4.9: Molwärmen
einatomiger Festkörper
als Funktionen der
0
0 100 200 T [K ] Temperatur
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4.6 Transportvorgänge
Bisher haben wir hauptsächlich Systeme im thermodynamischen Gleichgewicht be-
trachtet. Nunmehr wenden wir uns Systemen zu, bei denen auf Grund der räumli-
chen Inhomogenität einer Größe irreversible Nichtgleichgewichtsvorgänge auftre-
ten, die den Transport dieser oder einer anderen Größe bewirken. Die Berechnung
der Stromdichte der jeweils transportierten Größe kann mit Hilfe phänomenologi-
scher Gleichungen unter Verwendung entsprechender Transportkoeffizienten erfol-
gen. Wir betrachten den Transport von Impuls, Masse (Moleküle, Teilchen) und
Wärme (kinetische Energie) in festen Körpern, Flüssigkeiten und Gasen. Für die
Transportkoeffizienten liegen bezüglich einer Vielzahl unterschiedlicher Stoffe ex-
perimentelle Werte vor. Bei Gasen können für die Transportkoeffizienten auch nä-
herungsweise theoretische Ausdrücke angegeben werden, deren Gültigkeit jedoch
auf Systeme mit Lineardimension >> mittlere freie Weglänge der Gasmoleküle
(Kontinuumsbereich) eingeschränkt ist. Im Fall des Wärmetransportes betrachten
wir neben der Wärmeleitung auf Grund einer räumlichen Inhomogenität der Tem-
peratur zusätzlich auch konvektiven Wärmetransport und Wärmestrahlung.
4.6.1 Impulstransport
Wir betrachten ein zähes Fluid zwischen zwei waagrechten parallelen ebenen Plat-
ten mit festem Abstand (siehe Abb. 4.10). Die untere Platte ruht, die obere Platte
bewegt sich relativ zur unteren Platte in waagrechter Richtung mit der konstanten
Geschwindigkeit v0 . Senkrecht auf die Platten wählen wir die z -Achse eines karte-
sischen Koordinatensystems. Zwischen den beiden Platten bildet sich eine Fluid-
strömung aus, bei der die Strömungsgeschwindigkeit v in Richtung der z -Achse
zunimmt. Damit besteht eine räumliche Inhomogenität der Strömungsgeschwindig-
keit v , die einen Transport des Impulses in der Richtung bewirkt, in der die Strö-
mungsgeschwindigkeit abnimmt.
z
v0
v
jp jp
216
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Der Impulstransport kann durch die Impulsstromdichte j p charakterisiert werden,
deren Betrag den Impuls angibt, der pro Zeiteinheit durch eine (auf j p senkrechte)
Flächeneinheit hindurchtritt. Der Betrag der Impulsstromdichte j p auf Grund der
räumlichen Inhomogenität der Strömungsgeschwindigkeit v kann ausgedrückt
werden mit Hilfe der phänomenologischen Gleichung
v
jp , (4.66)
z
wobei der Transportkoeffizient als Zähigkeit bezeichnet wird. Die Dimension
von ergibt sich zu [ ] = [ kg m 1 s 1 ]. Durch den Impulstransport wird eine Kraft
F auf die Platten ausgeübt, deren Betrag gegeben ist durch
v
F A , (4.67)
z
wobei A die Plattenfläche bezeichnet (siehe auch Gl. (2.306)). Die Zähigkeit
von Gasen kann näherungsweise ausgedrückt werden durch
1
nmv , (4.68)
3
wobei m die Masse eines Gasmoleküls, n die Teilchenzahldichte, v die mittlere
Geschwindigkeit und die mittlere freie Weglänge der Gasmoleküle bezeichnet.
Gemäß Gl. (4.45), (4.46) erkennt man, dass n const und somit ist die Gas-
zähigkeit unabhängig vom Gasdruck. Da andererseits v mit der Temperatur zu-
nimmt, wächst auch die Gaszähigkeit mit steigender Temperatur. Die Zähigkeit
von Flüssigkeiten hingegen sinkt mit steigender Temperatur.
4.6.2 Massetransport
Wir betrachten ein Fluid, das in einer ruhenden Mischung mit anderen Fluiden in
verschiedenen räumlichen Bereichen unterschiedliche Konzentrationen aufweist.
Es besteht somit eine räumliche Inhomogenität der Molekülanzahldichte n des be-
trachteten Fluides, die einen Transport der Moleküle in der Richtung bewirkt, in der
die Anzahldichte der betrachteten Fluidmoleküle abnimmt. Dieser Transportvor-
gang wird als Diffusion bezeichnet. Diffusion kann durch die Teilchenstromdichte
jn charakterisiert werden, deren Betrag die Anzahl der Teilchen (Moleküle) angibt,
die pro Zeiteinheit durch eine (auf jn senkrechte) Flächeneinheit hindurchtreten.
Die Teilchenstromdichte jn auf Grund der räumlichen Inhomogenität der Mole-
külanzahldichte n kann ausgedrückt werden mit Hilfe einer phänomenologischen
Gleichung, dem Fick’schen Gesetz
217
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jn D grad n , (4.69)
wobei der Transportkoeffizient D als Diffusionskoeffizient bezeichnet wird. Die
Dimension von D ergibt sich zu [ D ] = [ m2 s 1 ]. Der Diffusionskoeffizient D von
Gasen kann näherungsweise ausgedrückt werden durch
1
D v , (4.70)
3
wobei v die mittlere Geschwindigkeit und die mittlere freie Weglänge der Gas-
moleküle bezeichnet.
Falls die Teilchenzahl erhalten ist, gilt die Kontinuitätsgleichung
n
div jn . (4.71)
t
Daraus erhalten wir mit Hilfe des Fick’schen Gesetzes (4.69) die Diffusions-
gleichung
n
D n , (4.72)
t
die sich im stationären Fall auf die Potenzialgleichung
n 0 (4.73)
reduziert.
Wir betrachten jetzt den Fall, dass Teilchen (Moleküle), etwa auf Grund chemi-
scher Reaktionen, in das betrachtete System gelangen, ohne durch die Systemober-
fläche hineinzudiffundieren. Die Ergiebigkeit der Quellen derartiger externer Teil-
chen wird durch die Teilchenquelldichte
next
(4.74)
t
charakterisiert, wobei next die Anzahldichte der externen Teilchen ist. Die Konti-
nuitätsgleichung (4.71) ist in diesem Fall um einen Quellterm zu ergänzen und es
ergibt sich
n
div jn . (4.75)
t
Daraus erhalten wir mit Hilfe des Fick’schen Gesetzes (4.69) die Diffusions-
gleichung mit Quellterm
n
D n , (4.76)
t
die sich im stationären Fall auf die Gleichung
218
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n (4.77)
D
reduziert.
Im Folgenden betrachten wir als spezielles Beispiel Lösungen eines Stoffes in ei-
nem flüssigen Lösungsmittel. Die oben beschriebenen Gesetzmäßigkeiten sind
auch auf den Massetransport durch Diffusion von Molekülen in den erwähnten
flüssigen Lösungen anwendbar. Es zeigt sich, dass es poröse Wände gibt, die für
die (kleineren) Moleküle des flüssigen Lösungsmittels durchlässig, für die (größe-
ren) Moleküle des gelösten Stoffes jedoch undurchlässig sind. Solche Wände bzw.
Membranen werden als semipermeable Membranen bezeichnet. Interessante
Verhältnisse liegen vor, wenn ein Behälter mit semipermeablen Wänden betrach-
tet wird, der mit einer flüssigen Lösung gefüllt und von reinem Lösungsmittel
umgeben ist (siehe Abb. 4.11). In diesem Fall besteht sichtlich im Bereich der
semipermeablen Wände ein Gradient der Molekülanzahldichte des gelösten Stof-
fes und folglich auch ein entsprechender entgegengesetzt orientierter Konzentrati-
onsgradient des Lösungsmittels. Diese Gradienten geben Anlass zu Diffusions-
vorgängen. Einerseits wird reines Lösungsmittel in den Innenraum des Behälters
hinein diffundieren. Andererseits würden die Moleküle des gelösten Stoffes aus
dem Innenraum des Behälters heraus diffundieren, auf Grund der semipermeablen
Eigenschaften der Behälterwände ist dies jedoch nicht möglich. Somit erfolgt eine
Nettodiffusion des Lösungsmittels aus dem Außenraum durch die semipermeab-
len Behälterwände in den Innenraum des Behälters. Diesen Vorgang bezeichnet
man als Osmose.
reines Lösungsmittel
Lösung
semipermeable Membran
Abb. 4.11: Zum osmotischen Druck auf Grund der Diffusion
durch eine semipermeable Membran
219
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4.6.3 Wärmetransport
Wärme kann in ruhenden Medien durch Wärmeleitung auf Grund molekularer
Stöße transportiert werden. In bewegten Medien wird Wärme durch Konvektion
übertragen. Auch bei Abwesenheit materieller Medien kann durch Strahlung
Transport von Wärmeenergie erfolgen.
4.6.3.1 Wärmeleitung
Wir betrachten einen ruhenden Körper, der in verschiedenen räumlichen Bereichen
unterschiedliche Temperaturen aufweist. Es besteht somit eine räumliche Inhomo-
genität der Temperatur T des betrachteten Körpers, die auf Grund molekularer
Stöße einen Transport von Wärme in der Richtung bewirkt, in der die Temperatur
des Körpers abnimmt. Dieser Transportvorgang wird als Wärmeleitung bezeich-
net. Wärmeleitung kann durch die Wärmestromdichte j charakterisiert werden,
deren Betrag die Wärmemenge angibt, die pro Zeiteinheit durch eine (auf j senk-
rechte) Flächeneinheit hindurchtritt. Die Wärmestromdichte j auf Grund der räum-
lichen Inhomogenität der Temperatur T kann ausgedrückt werden mit Hilfe einer
phänomenologischen Gleichung, dem Fourier’schen Gesetz
j grad T , (4.79)
220
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Daraus erhalten wir mit Hilfe des Fourier’schen Gesetzes (4.79) die Wärme-
leitungsgleichung
T
T , (4.85)
t c
die sich im stationären Fall auf die Potenzialgleichung
T 0 (4.86)
reduziert. Der Faktor c in Gleichung (4.85) wird als Temperaturleitwert be-
zeichnet und hat die Dimension [ m 2 s 1 ].
221
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Wir betrachten jetzt den Fall, dass Wärmeenergie, etwa mit Hilfe eines elektrischen
Heizdrahtes, in das betrachtete System gelangt, ohne mittels Wärmeleitung durch
die Systemoberfläche hineinzufließen. Die Ergiebigkeit derartiger externer Wärme-
quellen wird durch die Wärmequelldichte
1 dQext
(4.87)
V dt
charakterisiert, wobei Qext der von externen Wärmequellen verursachte Wärmein-
halt des Volumens V ist. Gl. (4.84) ist in diesem Fall durch einen Quellterm zu
ergänzen und es ergibt sich
T
c div j . (4.88)
t
Daraus erhalten wir mit Hilfe des Fourier’schen Gesetzes (4.79) die Wärme-
leitungsgleichung mit Quellterm
T
T , (4.89)
t c c
222
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4.6.3.3 Wärmestrahlung
Wärmeleitung und konvektiver Wärmetransport sind an materielle Medien gebun-
den. Wärmetransport kann jedoch auch bei Abwesenheit materieller Medien durch
elektromagnetische Strahlung erfolgen.
Jeder Körper sendet auf Grund der thermischen Molekularbewegung elektromagne-
tische Strahlung aus, die auch als Wärmestrahlung bezeichnet wird. Wenn diese
Strahlung auf einen anderen Körper einfällt, so kann an der Oberfläche dieses Kör-
pers ein gewisser Anteil der einfallenden Strahlung absorbiert werden. Dieser An-
teil wird als Absorptionsgrad des Körpers bezeichnet.
Wir betrachten einen Körper im thermischen Strahlungsgleichgewicht mit seiner
Umgebung. Je höher der Absorptionsgrad dieses Körpers ist, desto stärker muss
folglich auch die Strahlungsemission dieses Körpers sein, damit das thermische
Strahlungsgleichgewicht aufrechterhalten werden kann. Somit ergibt sich das
Kirchhoff’sche Strahlungsgesetz:
223
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Es zeigt sich, dass dieses Gesetz für große Wellenlängen und entsprechend kleine
Frequenzen gut mit den experimentellen Befunden übereinstimmt. Die Voraussage
einer mit zunehmender Frequenz stets quadratisch zunehmenden Energiedichte er-
weist sich jedoch als falsch und führt zu einer unendlich großen totalen Energie-
dichte der Hohlraumstrahlung („Ultraviolett-Katastrophe“). Dies ist darauf zu-
rückzuführen, dass im Modell von Rayleigh-Jeans über alle Frequenzen integriert
unendlich viele Schwingungszustände möglich sind und auch angeregt werden.
Um zu einer brauchbaren Beschreibung der spektralen Energiedichte der Hohl-
raumstrahlung zu gelangen, machte Planck eine Annahme, die als Planck’sche
Quantenhypothese bezeichnet wird:
Ein elektromagnetischer Oszillator der Frequenz kann nur mit einer Mindest-
energie h oder mit ganzzahligen Vielfachen davon angeregt werden.
Die von Planck als „Hilfskonstante“ eingeführte Größe h hat die Dimension Ener-
gie Zeit = Wirkung, sie ist eine universelle Konstante und wird als Planck’sches
Wirkungsquantum bezeichnet. Auf Grund der Planck’schen Quantenhypothese
können Schwingungszustände, deren Mindestenergie h deutlich über der ther-
misch zur Verfügung gestellten Energie k T liegt, nicht angeregt werden und blei-
ben somit „eingefroren“. Lediglich Schwingungszustände mit niedrigerer Mindest-
energie h , also kleineren Frequenzen, können die angebotene thermische Energie
aufnehmen und werden dadurch angeregt. Eine solche Beschränkung kann im
Rahmen der klassischen Elektrodynamik nicht begründet werden, die Rechtferti-
gung erfolgt ausschließlich auf Grund des Erfolges bei der Beschreibung experi-
menteller Daten. Die Planck’sche Quantenhypothese wird als Ausgangspunkt der
Quantenmechanik angesehen (siehe Kap. 8.1).
Ausgehend von der Quantenhypothese hat Planck unter Anwendung der statisti-
schen Mechanik für die Energiedichte der Hohlraumstrahlung im Frequenzintervall
[ , d ] das Planck’sche Strahlungsgesetz
224
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8 1
, T d 3
h 3 h
d (4.92)
c
e kT 1
abgeleitet. Die Energiedichte der Hohlraumstrahlung gemäß dem Planck’schen
Strahlungsgesetz ist in Abhängigkeit von der Wellenlänge in Abbildung 4.12 für
verschiedene Temperaturen dargestellt. Zum Vergleich ist auch die Energiedichte
gemäß dem Rayleigh-Jeans-Gesetz gezeigt.
sichtbarer
Spektrale Energiedichte [105 Jm-3µm-1]
12 Wellenlängenbereich
Planck
Rayleigh-Jeans
8 5777 K
4000 K
4
3000 K
0
0 1 2 3 [ m]
Abb. 4.12: Spektrale Energiedichte der Hohlraumstrahlung als Funktion
der Wellenlänge bei verschiedenen Temperaturen
Das Planck’sche Strahlungsgesetz gibt die experimentellen Ergebnisse über den ge-
samten beobachteten Wellenlängenbereich präzise wieder. Im Gegensatz zum Ra-
yleigh-Jeans-Gesetz durchläuft die spektrale Energiedichte der Hohlraumstrahlung
gemäß dem Planck’schen Strahlungsgesetz bei abnehmender Wellenlänge bzw. zu-
nehmender Frequenz ein Maximum und geht anschließend gegen 0. Die Ultravio-
lett-Katastrophe wird dadurch vermieden, dass die höherfrequenten elektromagneti-
schen Schwingungszustände, die grundsätzlich im Hohlraum existieren könnten,
wegen ihrer hohen Anregungsschwelle durch die verfügbare thermische Energie
nicht angeregt werden können und daher nicht zur Energiedichte der Hohlraum-
strahlung beitragen. Dies verursacht zu höheren Frequenzen hin wieder eine Ab-
nahme der spektralen Energiedichte, und die Gesamtenergiedichte bleibt endlich.
Erst durch die Planck’sche Quantenhypothese ist somit eine brauchbare Darstellung
der Energiedichte der Hohlraumstrahlung möglich. Quantitativer Vergleich mit
225
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226
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schen Strahlungsgesetzes über alle Frequenzen berechnet werden. Damit ergibt sich
das Stefan-Boltzmann-Gesetz
2 5 k 4
P A T 4 , wobei 5.67 10 8 W m 2 K 4 . (4.95)
15 c 2 h 3
4.7.1 Grundbegriffe
Ein thermodynamischer Zustand eines Systems wird durch eine Anzahl von Zu-
standsgrößen festgelegt. Unter Zustandsgrößen versteht man makroskopische Be-
schreibungsgrößen des betrachteten Systems, die nicht davon abhängen, auf wel-
chem Weg der jeweilige Zustand erreicht wurde. Beispiele für Zustandsgrößen sind
Druck p , Volumen V , Temperatur T und innere Energie U . Die Wärme ist jedoch
keine Zustandsgröße, weil die Zufuhr einer bestimmten Wärmemenge Q bei-
spielsweise zu einer Änderung der inneren Energie U oder des Volumens V und
somit zu unterschiedlichen Zuständen des betrachteten Systems führen kann.
Die Erfahrung zeigt, dass Zustandsgrößen entweder proportional zur Systemmasse
oder unabhängig davon sind. Extensive Zustandsgrößen sind proportional zur
Systemmasse, intensive Zustandsgrößen sind unabhängig von der Systemmasse.
Beispiele für extensive Größen sind Volumen V und innere Energie U , Beispiele
für intensive Größen sind Druck p und Temperatur T .
Ein System befindet sich im thermodynamischen Gleichgewicht, wenn die Zu-
standsgrößen dieses Systems zeitlich invariant sind. Unter einer Zustandsglei-
chung versteht man eine Relation f ( p, V , T , ...) 0 von Zustandsgrößen im Gleich-
gewicht. Ein Beispiel ist die Zustandsgleichung (4.9) idealer Gase.
Man unterscheidet zwischen mehreren unterschiedlichen Arten von Zustandsände-
rungen eines Systems. Unter quasistatischen Zustandsänderungen versteht man
227
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Zustandsänderungen, die so langsam erfolgen, dass das System sich während der
Zustandsänderung stets nahezu im thermodynamischen Gleichgewicht befindet.
Reversible Zustandsänderungen erfolgen auf Grund von Änderungen von äuße-
ren Bedingungen, wobei eine zeitliche Umkehr der Änderung der Bedingungen
auch zu einer zeitlichen Umkehr der Zustandsänderung führt. Andernfalls spricht
man von einer irreversiblen Zustandsänderung. Reversible Zustandsänderungen
sind stets auch quasistatisch, quasistatische Zustandsänderungen sind jedoch nicht
notwendigerweise reversibel. Beispielsweise ist die Volumsvergrößerung eines
Gases auf Grund einer hinreichend langsamen Bewegung eines Kolbens reversibel
und quasistatisch. Andererseits erfährt ein Gas, welches sich nach und nach in infi-
nitesimale Volumselemente ausdehnt, eine Volumsvergrößerung, die zwar eben-
falls quasistatisch, jedoch sichtlich nicht reversibel ist.
Unter einem Wärmespeicher verstehen wir ein System, dessen Temperaturände-
rung bei Wärmezufuhr oder Wärmeabfuhr vernachlässigbar ist. Ein mechanisch
isoliertes System ist ein System, bei dem keine Volumsänderungen und somit kei-
ne Zufuhr oder Abfuhr von mechanischer Arbeit möglich ist. Bei einem thermisch
isolierten System hingegen ist keine Wärmezufuhr oder Wärmeabfuhr möglich.
Adiabatische Zustandsänderungen sind Zustandsänderungen eines thermisch iso-
lierten Systems.
Y
Die Änderung U dU der inneren Energie U ist unabhängig vom Weg
X
X Y und somit ist die innere Energie U eine Zustandsgröße, also eine System-
eigenschaft. Andererseits sind die zugeführte Wärme Q und die zugeführte
Arbeit W Grenzflächenkonzepte und können somit nicht als Änderungen von
Zustandsgrößen bzw. Systemeigenschaften aufgefasst werden.
Wir definieren nun den Begriff des Perpetuum mobile 1. Art:
Unter einem Perpetuum mobile 1. Art versteht man eine Maschine, die Arbeit
verrichtet, ohne dass ihr von außen Energie zugeführt wird und ohne Verringe-
rung ihrer inneren Energie.
228
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Mit Hilfe dieses Begriffes ergibt sich eine alternative Formulierung des
1. Hauptsatzes der Thermodynamik:
Aus dem 1. Hauptsatz resultiert eine Erweiterung des Gültigkeitsbereichs des Ener-
gieerhaltungssatzes auf das gesamte Gebiet der Thermodynamik.
229
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Man erkennt:
230
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p dV Q . (4.112)
Man erkennt:
Die zugeführte Wärmemenge Q wird vollständig in die Arbeit W p dV
umgewandelt, die vom System verrichtet wird.
Wegen T const erhalten wir aus der Zustandsgleichung für ideale Gase unmittel-
bar
p V const . (4.113)
Isothermen gemäß Gl. (4.113) sind in Abbildung 4.13 dargestellt.
p [Pa ]
1 mol
1200
800
1000 K
500 K
400 100 K
0 3
0 5 10 15 20 25 V [m ]
Abb. 4.13: Isothermen eines idealen Gases im p-V-Diagramm
Die Berechnung von dU kann mit Hilfe von Gl. (4.50) erfolgen, wobei wir benüt-
f
zen, dass gemäß Gl. (4.52) R CV . Damit ergibt sich
2
dU n CV dT . (4.115)
231
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Bei der Umformung dieser Gleichung benützen wir, dass gemäß Gl. (4.59)
R CP CV und gemäß Gl. (4.60) C P CV . Damit ergibt sich
T V 1 const . (4.117)
Aus Gl. (4.117) erhält man mittels V nRT p nach einfachen Umformungen
1
1
T p const . (4.118)
p V const . (4.119)
p [Pa]
1200 1 mol Luft
Isotherme
Adiabate
800
1000 K
500 K
400
100 K
0 3
0 5 10 15 20 25 V [m ]
Abb. 4.14: Isothermen und Adiabaten eines idealen Gases im p-V-Diagramm
232
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Mit Hilfe einfacher indirekter Schlussweise kann gezeigt werden, dass die Clausius’
sche und die Kelvin’sche Aussage äquivalent sind.
Unter einem Perpetuum mobile zweiter Art versteht man eine periodisch arbei-
tende Maschine, deren einzige Wirkung darin besteht, einem Wärmespeicher
Wärme zu entziehen und diese vollständig in mechanische Arbeit umzusetzen.
Mit Hilfe dieses Begriffes ergibt sich eine alternative Formulierung des
2. Hauptsatzes der Thermodynamik:
233
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p
1 Isotherme
QW
2
Adiabate
4
3
QK
V
Abb. 4.15: Schematische Darstellung eines Carnot’schen
Kreisprozesses im p-V-Diagramm
Als idealisiertes Beispiel für einen reversibel geführten Kreisprozess betrachten wir
einen Carnot’schen Kreisprozess. Abbildung 4.15 zeigt den grundsätzlichen Ver-
lauf eines Carnot’schen Kreisprozesses, dargestellt in einem p V -Diagramm.
Dieser Kreisprozess verläuft zwischen zwei Wärmespeichern W und K mit Tem-
peraturen TW und TK TW . Im Verlauf des Kreisprozesses erfolgen in vier Schrit-
ten abwechselnd isotherme und adiabatische Zustandsänderungen eines idealen
Gases. Bei den isothermen Zustandsänderungen wird einerseits aus dem Speicher
234
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W die Wärme QW entnommen und dem System zugeführt, andererseits wird die
Wärme QK von dem System abgeführt und an den Speicher K abgegeben. Im
Verlauf einer Periode des Carnot’schen Kreisprozesses wird von dem System ins-
gesamt die mechanische Arbeit W verrichtet. Während des Kreisprozesses legt
das System im p V -Diagramm (siehe Abb. 4.15) einen geschlossenen Weg zurück.
Die von dem System während einer Periode verrichtete Arbeit W erscheint in
dem p V -Diagramm als die Fläche, die von dem geschlossenen Weg einge-
schlossen wird.
Zur konkreten Berechnung betrachten wir zunächst die adiabatischen Schritte des
Kreisprozesses. Gemäß Gl. (4.117) gilt für Schritt 2 → 3
TW V2 1 TK V3 1
und für Schritt 4 → 1
TW V1 1 TK V4 1 .
Nunmehr erfolgt mit Hilfe des 1. Hauptsatzes die Berechnung der während jedes
einzelnen Schrittes zugeführten Wärme und Arbeit.
235
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Als Bilanz eines Zyklus des Carnot’schen Kreisprozesses erhalten wir wegen
W23 W41 0 für die von dem System insgesamt verrichtete Arbeit W den
Ausdruck
V
W W12 W34 n R TW TK ln 2 0 . (4.125)
V1
Während eines Zyklus wird aus dem Wärmespeicher W insgesamt die Wärme
V
QW n R TW ln 2 0 (4.126)
V1
entnommen, und ferner wird dem Wärmespeicher K die Wärme
V
QK n R TK ln 2 0 (4.127)
V1
zugeführt. In Übereinstimmung mit dem 1. Hauptsatz ergibt sich folglich
QW QK W . (4.128)
Während eines Zyklus des Carnot’schen Kreisprozesses wird somit aus dem vom
Wärmespeicher W zum Speicher K fließenden Wärmestrom die vom System ver-
richtete Arbeit W abgezweigt.
Die Effizienz eines Kreisprozesses kann mit Hilfe seines Wirkungsgrades
W
(4.129)
QW
charakterisiert werden. Mit Hilfe von Gl. (4.128) kann der Wirkungsgrad des Car-
not’schen Kreisprozesses dargestellt werden in der Form
QW QK QK
1 . (4.130)
QW QW
236
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TK
1 1 . (4.132)
TW
Die Begründung erfolgt indirekt: Wir nehmen an, dass zwischen den Wärmespei-
chern W und K eine Carnot-Maschine als Wärmepumpe läuft, betrieben von einer
Maschine mit höherem Wirkungsgrad. In diesem Fall ergibt sich netto ein Wärme-
fluss vom kälteren Wärmespeicher K zum wärmeren Speicher W im Widerspruch
zur Clausius’schen Aussage.
Gemäß Gl. (4.132) nimmt der Wirkungsgrad einer Carnot-Maschine mit abneh-
mender Temperatur TK des kälteren Wärmespeichers K zu. Im Fall TK 0 ist der
Wirkungsgrad 1 und die Carnot-Maschine ist ein Perpetuum mobile zweiter Art
im Widerspruch zum 2. Hauptsatz. Auf Grund des 2. Hauptsatzes gibt es daher kei-
ne Carnot-Maschine, deren kälterer Wärmespeicher sich am absoluten Nullpunkt
befindet.
In Übereinstimmung mit dem 2. Hauptsatz erhalten wir folgende allgemeine
Schlussfolgerung:
Bei zyklisch ablaufenden Prozessen kann zwar mechanische Arbeit (etwa durch
Reibung) vollständig in Wärme umgesetzt werden, umgekehrt kann jedoch nur ein
gewisser Teil der zugeführten Wärme in mechanische Arbeit umgesetzt werden.
Der Carnot’sche Kreisprozess wird reversibel geführt und hat dabei gemäß dem
Carnot’schen Satz den maximal möglichen Wirkungsgrad. Im Fall einer irreversi-
bel arbeitenden Maschine ist mit einem geringeren Wirkungsgrad zu rechnen. Das
237
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Q
T
0 , Gleichheitszeichen für reversible Prozesse. (4.137)
Y
Q
Für reversible Prozesse folgt aus dem Satz von Clausius, dass T
unabhängig vom
X
Weg X Y ist (siehe Abb. 4.16). Daher können wir nach Clausius die Entropie
A
Q
SA (4.138)
T
0
p
Y
X
Abb. 4.16: Zur Darstellung der Weg-
unabhängigkeit reversibler
V Prozesse im p-V-Diagramm
238
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Die Entropie eines Systems am absoluten Nullpunkt ist eine universelle Kon-
stante, deren Wert mit Null festgelegt wird.
239
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Dieser Ausdruck ist analog zu Gl. (4.97) für die dem System zugeführte infinitesi-
male Arbeit W .
Nunmehr wenden wir uns der Entropieänderung S S B S A bei einer Zustands-
änderung A B zu, wobei A und B beliebige Gleichgewichtszustände sind. Wir
wählen einen reversiblen Weg R und einen beliebigen Weg C zwischen A und B
(siehe Abb. 4.17).
p
R: reversibel
C: beliebig B
R
A
V
Abb. 4.17: Zur Entropieänderung bei Zustandsänderungen längs
eines reversiblen und eines beliebigen Weges im p-V-Diagramm
240
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Für den Fall eines thermisch isolierten Systems ( Q 0 ) resultiert folgender Satz:
In thermisch isolierten Systemen ist das Gleichgewicht durch ein Maximum der
Entropie charakterisiert.
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V1 V A V
2
V1 V2 VE
Experimentell zeigt sich, dass die Temperatur T des idealen Gases bei dieser freien
Expansion unverändert bleibt. Dies ist dadurch begründet, dass die kinetische
Energie der Gasmoleküle während der freien Expansion unverändert bleibt und fer-
ner keine gegenseitige Wechselwirkung und somit auch keine potenzielle Energie
der Gasmoleküle besteht. Folglich bleibt die gesamte innere Energie des idealen
Gases während der freien Expansion unverändert. Da gemäß Gl. (4.49) die innere
Energie U eines idealen Gases ausschließlich von der Temperatur T abhängig ist,
bleibt somit auch die Temperatur T unverändert.
Um die Entropieänderung während der irreversiblen freien Expansion des idealen
Gases vom Anfangszustand A zum Endzustand E zu berechnen, betrachten wir
eine reversible isotherme Expansion des betrachteten idealen Gases vom Anfangs-
zustand A zum Endzustand E . Anfangs- und Endzustand dieser reversiblen iso-
thermen Expansion stimmen sichtlich mit Anfangs- und Endzustand der irreversib-
len freien Expansion beim Joule’schen Expansionsversuch überein. Da die Entropie
eine Zustandsgröße ist, sind die Entropien S A und S E bei den Zuständen A und E
eindeutig bestimmt, und somit ergibt sich bei reversibler isothermer und bei irre-
versibler freier Expansion die gleiche Entropieänderung S S E S A . Für die bei
reversibler isothermer Expansion zugeführte Wärme erhalten wir gemäß (4.112)
unter Verwendung des Ausdrucks p nRT V
E VE
V
Q Q p dV nRT ln VEA 0 . (4.146)
A VA
Folglich ergibt sich bei der reversiblen isothermen und somit auch bei der irrever-
siblen freien Expansion für die Entropieänderung der Ausdruck
E E
Q 1 Q V
S S E S A Q nR ln E 0 . (4.147)
T T T VA
A A
242
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V
Für ein System mit nur 1 Molekül gilt W V A A , (4.149)
VE
2
V
für ein System von 2 Molekülen ist W V A A , (4.150)
VE
N
V
und bei Systemen mit N Molekülen erhalten wir W V A A . (4.151)
VE
Als typische Molekülanzahl für ein Gas unter Normalbedingungen sei N 61023
angenommen. Damit erhalten wir für die Wahrscheinlichkeit des Aufenthaltes aller
Moleküle in einem Volumen V A VE 2 die außerordentlich kleine Zahl
N
V 23 23
W VA A 2610 101.810 .
VE
Die Wahrscheinlichkeit, dass alle Moleküle wieder zufällig in das Volumen VA zu-
rückkehren, ist somit völlig vernachlässigbar, die freie Expansion ist tatsächlich ir-
reversibel und der zweite Hauptsatz ist nicht verletzt.
Zur Berechnung der Entropie verwenden wir nunmehr den berühmten statistischen
Ansatz für die Entropie gemäß der Boltzmann’schen Gleichung
S k ln W . (4.152)
Damit erhalten wir für die oben erwähnten Wahrscheinlichkeiten beim Joule’schen
Expansionsversuch gemäß Gl. (4.148), (4.151)
S VE k ln W VE 0 , (4.153)
243
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V
S V A k ln W V A k N ln A 0 . (4.154)
VE
Für die Änderung der Entropie im Verlauf der irreversiblen freien Expansion im
Joule’schen Expansionsversuch resultiert somit
V V
S S VE S V A k N ln E n R ln E 0 . (4.155)
VA VA
in Übereinstimmung mit der thermodynamisch berechneten Entropiezunahme laut
Gl. (4.147). Der statistische Ansatz gemäß der Boltzmann’schen Gleichung (4.152)
bewährt sich also und liefert konsistente Ergebnisse.
Auf Grund der Form der Boltzmann’schen Gleichung (4.152) zeigt sich, dass ein
konstanter Faktor bei der Wahrscheinlichkeit W lediglich eine additive Konstante
bei der Entropie S zur Folge hat und somit die Entropieänderungen S unverändert
lässt. Dementsprechend beschreibt die Größe W in der Boltzmann’schen Gleichung
(4.152) zwar die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des jeweils betrachteten mak-
roskopischen Zustandes, W braucht jedoch nicht auf 1 normiert zu sein.
Wie in Kapitel 4.1 erläutert, kann ein Makrozustand im Allgemeinen durch mehrere,
oft sehr viele Mikrozustände realisiert werden. Gemäß dem Postulat der gleichen
a-priori-Wahrscheinlichkeit (siehe Kap. 4.1) treten alle unterschiedlichen mikrosko-
pischen Realisierungsmöglichkeiten des jeweils betrachteten Makrozustandes mit
gleicher Wahrscheinlichkeit ein. Unter der Voraussetzung der Gültigkeit dieses Pos-
tulats kann daher die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Makrozustandes mit
Hilfe der thermodynamischen Wahrscheinlichkeit charakterisiert werden:
244
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dass die resultierende statistische Interpretation der Entropie nicht nur Entropiedif-
ferenzen S , sondern sogar die Absolutwerte der Entropie S korrekt wiedergibt.
Die von Boltzmann eingeführte statistische Deutung der Entropie gemäß Gl.
(4.152) erlaubt auch eine statistische Interpretation des 2. Hauptsatzes. Am Ende
des vorangehenden Kapitels haben wir eine Formulierung des 2. Hauptsatzes ange-
geben, derzufolge in einem thermisch isolierten System die Entropie nie kleiner
wird. Auf Grund der statistischen Interpretation mit Hilfe der Boltzmann’schen
Gleichung (4.152) ergibt sich daraus eine statistische Formulierung des
2. Hauptsatzes:
Das Gibbs’sche Potenzial pro kmol wird auch als chemisches Potenzial bezeichnet.
245
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Systeme mit konstantem p und T werden unter anderem bei chemischen Untersu-
chungen betrachtet.
246
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247
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1000 K
griert wird. An einem beliebigen Punkt auf dem horizontalen Abschnitt der Iso-
thermen besteht ein Flüssigkeits-Gas-Gemisch, wobei die Flüssigkeit im gleichen
Zustand wie bei 1 und das Gas im gleichen Zustand wie bei 2 existiert. Somit ist die
Kenntnis der Eigenschaften der Zustände 1 und 2 ausreichend, um eine vollständige
Beschreibung des Phasenüberganges zu erhalten. Der Gasdruck im Koexistenz-
Bereich von Gasphase und flüssiger Phase im horizontalen Abschnitt der Isothermen
ist nur von der Temperatur T abhängig und wird als Sättigungsdampfdruck pS (T )
bezeichnet. Im kritischen Punkt C verschwinden die Dichteunterschiede von Gas-
phase und flüssiger Phase, oberhalb der kritischen Temperatur TC existiert kein
Unterschied zwischen Gasphase und flüssiger Phase, das System ist somit homogen
und einphasig.
p
TC
pC C
B
1 A
2
zwei Phasen Gebiet
V
Abb. 4.20: Van der Waals-Isothermen eines realen Gases im p-V-Diagramm
ergänzt durch die geradlinigen horizontalen Abschnitte im Zwei-Phasen-Gebiet
QW
1 T dT 2
pS dpS
pS
4 T 3
QK
VFL VD V
Abb. 4.21: Zur Beschreibung eines Überganges erster Ordnung
mit Hilfe eines Carnot’schen Kreisprozesses
249
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Auf Grund der allgemeinen Beziehung (4.132) ergibt sich für den Wirkungsgrad
des Carnot’schen Kreisprozesses
T dT
1 . (4.162)
T dT T
Vergleich der Gl. (4.161) und (4.162) ergibt unmittelbar die Clausius-
Clapeyron’sche Gleichung
dpS
, (4.163)
dT T VD VFL
die den Sättigungsdampfdruck eines beliebigen Phasenüberganges erster Ord-
nung bestimmt. Durch Umstellung dieser Gleichung erhalten wir für die molare
Verdampfungswärme (molare latente Umwandlungswärme) den Ausdruck
dp S
T VD VFL , (4.164)
dT
wobei VD und VFL die Molvolumina des Dampfes und der Flüssigkeit bezeichnen.
Die Verdampfungswärme ist einerseits für die Arbeit zur Expansion von VFL auf
VD erforderlich. Der wesentlich größere Anteil der Verdampfungswärme dient
250
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pS (T )
T
Abb. 4.22: Temperaturabhängigkeit des Sättigungsdampfdruckes
bei einem Phasenübergang erster Ordnung
Die Bereiche, in denen gasförmige, flüssige und feste Phasen eines Stoffes existie-
ren, können in Phasendiagrammen dargestellt werden. Der konkrete Verlauf der
Phasendiagramme ist von dem jeweils betrachteten Stoff abhängig. Abbildung 4.23
zeigt ein typisches p T -Diagramm, in Abbildung 4.24 ist ein dreidimensionales
p V T -Diagramm dargestellt. In diesen Phasendiagrammen sind insbesondere
251
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der kritische Punkt C sowie der Tripelpunkt TP eingezeichnet, bei dem gasför-
mige, flüssige und feste Phase koexistieren. Tripelpunkte und Gefrierpunkte ver-
schiedener Substanzen eignen sich zur Festlegung von Fixpunkten der Temperatur-
skala (siehe Kap. 4.2.1).
p H 2O CO2
C
pC
flüssig
fest
pS (T )
TP
gasförmig
TC T
Abb. 4.23: Schematische Darstellung eines p-T-Phasendiagrammes
f. – fl.
T
p
T
ü s s ig C
f l C Isotherme
fest
fl.
–g
. g
Tr i r mi
pe sfö
f. – llinie ga
g.
V
Abb. 4.24: Schematische Darstellung eines p-V-T-Phasendiagrammes
252
5 Elektrodynamik
5.1 Grundbegriffe
Die elektromagnetische Kraftwirkung auf einen Körper wird mit einer auf diesem
Körper befindlichen elektrischen Ladung in Verbindung gebracht. Ehrenhaft und
Millikan haben unabhängig voneinander experimentell festgestellt, dass die be-
obachteten elektrischen Ladungen stets ganzzahlige Vielfache eines elektrischen
Elementarquantums sind.
Elektromagnetische Kräfte können als Nahwirkungskräfte aufgefasst werden und es
gibt keine instantane Kraftwirkung zwischen geladenen Körpern. Vielmehr geht
man davon aus, dass durch die Anwesenheit einer elektrischen Ladung ein „Erre-
gungszustand“ des umgebenden Raumes hervorgerufen wird, der sich mit endlicher
Geschwindigkeit im Raum ausbreitet. Der erwähnte „Erregungszustand“ wurde zu-
nächst mit einem materiellen Medium in Verbindung gebracht, das auch als
„Äther“ bezeichnet wurde. Der berühmte Versuch von Michelson und Morley, mit
Hilfe eines von Michelson entwickelten optischen Interferometers den Bewegungs-
zustand dieses „Äthers“ experimentell festzustellen, ist jedoch fehlgeschlagen. Ein-
stein hat erkannt, dass die Einführung eines materiellen „Äthers“ nicht erforderlich
ist und zu Widersprüchen führt.
Nach der gegenwärtigen Betrachtungsweise bewirken elektrisch geladene Körper in
ihrer Umgebung die Ausbildung eines elektromagnetischen Feldes, welches mit
253
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5.2 Elektrostatik
In der Elektrostatik betrachten wir Felder und Wechselwirkungen ruhender elek-
trisch geladener Körper.
Experimentell zeigt sich, dass die Wechselwirkungskraft auf die Ladung q ausge-
drückt werden kann mit Hilfe des Coulomb’schen Kraftgesetzes
1 Qq
F rˆ , (5.1)
4 0 r 2
wobei r den Ortsvektor der Ladung q bezeichnet. rˆ r r ist ein Einheitsvektor in
Richtung r längs der Verbindungsgeraden der Ladungen Q und q . Aus Gl. (5.1)
erkennt man unmittelbar, dass der Betrag der Wechselwirkungskraft F proportional
254
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255
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E
Analog zur Definition des Volumsflusses in der Hydrodynamik definieren wir den
elektrischen Fluss E :
E E df . (5.4)
A
Wie in Abbildung 5.3 gezeigt, beschreibt der elektrische Fluss das Hindurchtreten
eines elektrischen Feldes durch eine Fläche A .
A
E
Gemäß Gl. (5.4) und (5.3) kann der elektrische Fluss E berechnet werden, der
aus einer um eine Punktladung Q konzentrisch angeordneten Kugelfläche A mit
Radius R heraustritt:
E E df lim E f lim f E .
A A
E f A 1 Q
A 4 R 2 4 0 R 2
256
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Dieses Gesetz gilt auch allgemein für eine Gesamtladung Q , die von einer beliebi-
gen geschlossenen Fläche A eingeschlossen wird. E ist der durch die geschlos-
sene Fläche A nach außen tretende elektrische Fluss (siehe Abb. 5.4).
E
E A
E E
Das Gauß’sche Gesetz ist ein integrales Gesetz. Um daraus ein entsprechendes
differenzielles Gesetz herzuleiten, betrachten wir eine räumlich ausgedehnte
Ladungsverteilung (Raumladung) in einem Volumen V . Die Ladungsdichte
dieser Ladungsverteilung ist gegeben durch
Q
, (5.6)
v
wobei Q die Ladungsmenge in einem Volumselement v ist. Damit kann die
Gesamtladung Q im Volumen V ausgedrückt werden in der Form
Q dv (5.7)
V
Der durch die geschlossene Oberfläche Rd (V ) des Volumens V hindurch nach au-
ßen tretende elektrische Fluss E ist definitionsgemäß gegeben durch
E E df (5.8)
Rd V
257
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E div E dv (5.10)
V
Durch Einsetzen von Gl. (5.10) und (5.7) in das Gaußsche Gesetz (5.5) erhalten wir
1
div E dv 0 dv (5.11)
V V
Gl. (5.12) ist eine der vier Maxwell’schen Gleichungen. Die physikalische Inter-
pretation dieser Gleichung kann mit Hilfe des Gauß’schen Integralsatzes (5.9) er-
folgen. Dazu betrachten wir ein Volumselement V , das hinreichend klein gewählt
wird, sodass sich div E im Bereich von V nicht wesentlich ändert. Durch An-
wendung des Gauß’schen Integralsatzes (5.9) auf das Volumselement V erhalten
wir
V div E E df
Rd ( V )
beziehungsweise
1
div E
V df .
E
Rd ( V )
Folglich ist div E gleich dem aus dem Volumselement V austretenden Fluss des
Vektorfeldes E pro Volumseinheit. Diese Größe wird als Quelldichte des Vek-
torfeldes E bezeichnet. Damit ergibt sich die physikalische Interpretation der
Maxwell’schen Gleichung (5.12):
Die Ladungsdichte (dividiert durch 0 ) ist die Quelldichte des E -Feldes.
Es zeigt sich, dass elektrostatische Felder stets konservativ sind. Eine übersichtliche
Beschreibung elektrostatischer Felder kann daher durch Betrachtung der potenziel-
len Energie einer Probeladung q in einem Punkt P erfolgen:
P
V P F dr . (5.13)
P0
Der Bezugspunkt P0 kann beliebig gewählt werden. Manchmal erweist es sich als
zweckmäßig, P0 im anzunehmen.
258
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Gemäß Gl. (5.13) und (5.1) erhalten wir folgenden Ausdruck für die potenzielle
Energie einer Probeladung q in der Umgebung einer Punktladung Q :
R
1 Qq 1 Qq
V R dr , (5.14)
4 0 r 2 4 0 R
wobei der Bezugspunkt P0 sich im befindet. Man erkennt, dass das Integral in
Gl. (5.14) wegunabhängig und somit das elektrostatische Feld einer Punktladung
konservativ ist.
Zur Charakterisierung des jeweils betrachteten elektrostatischen Feldes wird die
potenzielle Energie auf die (positive) Ladungseinheit bezogen und man erhält aus
Gl. (5.13) mittels Gl. (5.2) das elektrische Potenzial
P
P E dr , (5.15)
P0
Die von einem elektrischen Feld längs eines Weges von P1 nach P2 verrichtete
Arbeit bezogen auf die (positive) Ladungseinheit bezeichnet man als elektrische
Spannung U12 .
und somit erhält man einen Ausdruck für die elektrische Spannung als Potenzial-
differenz:
U12 1 2 . (5.17)
Die Einheit des elektrischen Potenzials und der elektrischen Spannung lautet
U J C V und wird als Volt bezeichnet.
259
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Ausgehend vom bekannten mechanischen Zusammenhang F grad V (siehe Gl.
(2.82)) erhält man bezogen auf die (positive) Ladungseinheit den analogen Zu-
sammenhang
E grad . (5.18)
Diese Beziehung zeigt, dass die elektrische Feldstärke E eines statischen elektri-
schen Feldes ausgedrückt werden kann als Gradient des skalaren Potenzials . Da-
rin liegt eine wesentliche Bedeutung des elektrischen Potenzials . Gemäß Gl.
(5.18) lautet die Einheit der elektrischen Feldstärke E V m.
Aus Gl. (5.14) erhalten wir folgenden Ausdruck für das elektrische Potenzial in
der Umgebung einer Punktladung Q :
R
1 Q 1 Q
R dr , (5.19)
4 0 r 2 4 0 R
wobei der Bezugspunkt P0 sich im befindet. Gemäß Gl. (5.17) erhalten wir
somit die Spannung zwischen zwei Punkten in der Umgebung einer Punkt-
ladung Q :
1 1 1
U12 Q . (5.20)
4 0 R1 R2
Gemäß Gl. (5.19) ist das Potenzial in der Umgebung einer Punktladung Q nur ab-
hängig vom Abstand R von der Punktladung. Die Äquipotenzialflächen sind somit
konzentrische Kugeln um die Punktladung Q .
R
0
1
R
1
R
0
R
Abstoßung Q 0 Anziehung Q 0
Abb. 5.5: Elektrisches Potenzial in der Umgebung einer Punktladung Q
260
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In Abbildung 5.5 ist das elektrische Potenzial in der Umgebung der Punktladung
Q für positive und für negative Ladung Q in Abhängigkeit vom Abstand R darge-
stellt.
Der Potenzialansatz (5.18) eröffnet die Möglichkeit, elektrostatische Felder belie-
biger Ladungsverteilungen zu berechnen. Dazu setzen wir den Potenzialansatz
(5.18) in die Maxwell’sche Gleichung (5.12) ein und erhalten die berühmte
Poisson’sche Gleichung
(5.21)
0
0 (5.22)
reduziert. Gl. (5.21) und (5.22) sind die Grundgleichungen der Elektrostatik.
Durch Lösung dieser Gleichungen unter Berücksichtigung entsprechender Rand-
bedingungen können elektrostatische Felder vorgegebener Ladungsverteilungen
bestimmt werden. Lösungsmethoden und Lösungen dieser Differenzialgleichun-
gen wurden eingehend mathematisch untersucht. Insbesondere gilt der Satz, dass
bei Randbedingungen, die auf einer geschlossenen Fläche vorgegeben sind, die
Lösung der Poisson’schen Gleichung im Innenraum dieser Fläche eindeutig be-
stimmt ist. Bei Randbedingungen, die auf einer geschlossenen Fläche vorgegeben
sind, genügt es daher, irgendeine Lösung der Poisson’schen Gleichung zu finden,
um bereits die eindeutige Lösung für dieses Problem im Innenraum dieser Fläche
zu erhalten. Ferner gilt wegen der Linearität der Poisson’schen Gleichung, dass
lineare Superposition von Lösungen der Poisson’schen Gleichung wiederum auf
Lösungen dieser Gleichung führt.
1 Q
r i . (5.23)
4 0 V r Ri
261
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V
Qi
Ri
O
r Ri
r
P ( x1, x2 , x3 )
Abb. 5.6: Zur Berechnung des elektrischen Feldes einer diskreten
Verteilung von Punktladungen Qi
V dv
R
O
r R
r
P ( x1, x2 , x3 )
Abb. 5.7: Zur Berechnung des elektrischen Feldes einer
kontinuierlichen Ladungsverteilung
Falls R r , dann spricht man von einer lokalisierten Ladungsverteilung. In die-
1
sem Fall kann bei der Berechnung von r gemäß Gl. (5.24) der Ausdruck
rR
in eine Reihe entwickelt werden und man erhält damit eine sogenannte Multipol-
entwicklung.
Ausgehend von Gl. (5.24) erhalten wir mit Hilfe des Potenzialansatzes (5.18) die
elektrische Feldstärke
262
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1 ( R )
grad dv .
4 0
E (r ) (5.25)
r R
V
Durch konkrete Berechnung, wobei die Differenziation nach den Koordinaten von
r erfolgt, erhält man
1
r R
grad . (5.26)
r R 3
r R
Damit ergibt sich aus Gl. (5.25) für die elektrische Feldstärke einer beliebigen stati-
schen Ladungsverteilung ( R ) der Ausdruck
1 ( R) (r R)
4 0 r R 3
E (r ) dv . (5.27)
V
Für den Spezialfall einer Punktladung an der Stelle R erhalten wir damit
1 r R
E (r ) Q (5.28)
4 0 3
r R
Durch Einsetzen in das Gauß’sche Gesetz (5.5) erhalten wir für den Betrag der
elektrischen Feldstärke im Abstand r vom Zentrum den Ausdruck
1 Q
E r r R . (5.30)
4 0 r2
Damit ergibt sich gemäß Gl. (5.15) für das Potenzial im Abstand r vom Zentrum
der Ausdruck
r
1 Q 1 Q
(r) dr ' r R , (5.31)
4 0 r' 2
4 0 r
263
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wobei der Bezugspunkt P0 sich im befindet. Vergleich von Gl. (5.30) und (5.31)
mit Gl. (5.3) und (5.19) zeigt:
Das Außenfeld einer geladenen Hohlkugel stimmt mit dem Feld einer Punkt-
ladung überein.
Auf Grund des Potenzialansatzes (5.18) erhält man daher im Innenraum der Hohl-
kugel:
r const r R . (5.33)
Der Innenraum ist folglich gegen elektrische Felder abgeschirmt, die leitende
Hohlkugel wirkt damit als sogenannter Faraday‘scher Käfig.
Das Potenzial und die Feldstärke E des elektrostatischen Feldes im Bereich ei-
ner geladenen leitenden Hohlkugel sind in Abbildung 5.8 als Funktionen der radia-
len Koordinate r dargestellt. Man erkennt, dass die elektrische Feldstärke bei die-
ser kugelsymmetrischen Anordnung mit zunehmendem r proportional zu 1 r 2 ab-
nimmt.
264
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1
r
0
R r
E
1
r2
E 0
R r
Abb. 5.8: Elektrisches Potenzial und Feldstärke E im Bereich einer
geladenen leitenden Hohlkugel mit Radius R
Als weitere statische Ladungsverteilung betrachten wir einen unendlich langen ge-
ladenen leitenden Hohlzylinder mit Radius R und Ladung pro Längeneinheit.
Der gesamte Innenraum des Hohlzylinders sei ladungsfrei. Zur Berechnung des
Außenfeldes betrachten wir eine konzentrische Zylinderfläche Z mit Radius r R .
Der elektrische Fluss durch diese Zylinderfläche beträgt für eine Zylinderlänge
definitionsgemäß
E E df 2r E . (5.34)
Z
Durch Einsetzen von Gl. (5.34) und (5.35) in das Gauß’sche Gesetz (5.5) erhalten
wir für den Betrag der elektrischen Feldstärke im Abstand r von der Achse den
Ausdruck
1
E r r R . (5.36)
2 0 r
265
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Damit ergibt sich gemäß Gl. (5.15) für das Potenzial im Abstand r von der Achse
der Ausdruck
r
1 1 r
r dr ln r R , (5.37)
R
2 0 r 2 0 R
266
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R r
0
r
( ln )
R
1
r
E 0
R r
Insbesondere im Fall der Anwesenheit äußerer elektrischer Felder erhalten wir da-
mit als Folgerung:
Bei einem (geladenen) leitenden Hohlkörper mit ladungsfreiem Innenraum treten
an der Oberfläche auf Grund von äußeren elektrischen Feldern Ladungsverschie-
bungen derart auf, dass damit die Wirkung der äußeren Felder im Innenraum des
Hohlkörpers kompensiert wird und der Innenraum somit feldfrei bleibt. Die Ver-
schiebung von Ladungen in leitenden Körpern aufgrund äußerer elektrischer
Felder wird als Influenz bezeichnet.
5.2.3 Kondensatoren
Wenn elektrische Ladungen in einem System gespeichert werden, treten im Allge-
meinen äußere elektrische Felder auf. Oftmals ist es jedoch wünschenswert, das
Auftreten solcher äußeren elektrischen Felder möglichst zu vermeiden. Zu diesem
Zweck werden Kondensatoren verwendet, in denen zwei gleich große, aber entgegen-
gesetzte Ladungen gespeichert werden.
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1 2 3
0 0 Q Q Q Q
U0 U
0
268
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Die Einheit der Kapazität lautet somit C C V F und wird als Farad bezeich-
net. Die Kapazität eines Kondensators charakterisiert die Möglichkeit, eine große
Ladungsmenge bei kleiner Spannung zu speichern.
Im Folgenden betrachten wir drei wichtige Typen von Kondensatoren: Kugelkon-
densator, Zylinderkondensator und Plattenkondensator. Ein Kugelkondensator be-
steht aus zwei konzentrischen leitenden Hohlkugeln mit den Radien ri ra . Auf
der inneren Hohlkugel befindet sich die Ladung Q , auf der äußeren die Ladung
Q (siehe Abb. 5.11). Die Spannung zwischen den beiden Elektroden ist
U i a . (5.41)
Q a
Q
i
Die Gesamtladung des Systems ist gleich null und gemäß dem Gauß’schen Gesetz
ist der Außenraum daher feldfrei. Die Ladung Q erzeugt im Inneren der äußeren
Hohlkugel kein Feld. Das Feld zwischen den beiden Hohlkugelflächen wird somit
ausschließlich von der Ladung Q auf der inneren Hohlkugel erzeugt. Der Innen-
raum der inneren Hohlkugel ist feldfrei. Gemäß Gl. (5.31) gilt somit für das Poten-
zial im Kugelkondensator
1 Q
i const 0 r ri
4 0 ri
1 Q
r ri r ra (5.42)
4 0 r
1 Q
a const r ra
4 0 ra
269
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i 1
r
a
0
ri ra r
E
1
r2
E 0
ri ra r
Abb. 5.12: Elektrisches Potenzial und Feldstärke E im Bereich eines
Kugelkondensators mit Radien ri und ra
Gemäß Gl. (5.41) und (5.42) erhalten wir für die Spannung U zwischen den kon-
zentrischen Hohlkugeln
1 1 1
U i a Q . (5.43)
4 0 ri ra
Damit ergibt sich für die Kapazität des Kugelkondensators der Ausdruck
Q r r
C 4 0 a i . (5.44)
U ra ri
Für die Kapazität einer Kugel mit Radius ri R gegen eine weit entfernte Ge-
genelektrode ra erhält man im Grenzwert
C R 4 0 R . (5.45)
270
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Für die Kapazität der Erdkugel ergibt sich ein Wert von etwa 0.7 mF.
U i a . (5.46)
Q a
Q
i
Die Gesamtladung des Systems ist gleich null und gemäß dem Gauß’schen Gesetz
ist der Außenraum daher feldfrei. Die Ladung Q erzeugt im Inneren des äußeren
Hohlzylinders kein Feld. Das Feld zwischen den beiden Hohlzylinderflächen wird
somit ausschließlich von der Ladung Q auf dem inneren Hohlzylinder erzeugt.
Der Innenraum des inneren Hohlzylinders ist feldfrei. Gemäß Gl. (5.37) gilt somit
für das Potenzial im Zylinderkondensator
i 0 0 r ri
1 r
r ln ri r ra (5.47)
2 0 ri
1 ra
a ln const r ra
2 0 ri
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ri ra r
i 0
r
( ln )
ri
a
1
r
E0
ri ra r
Abb. 5.14: Elektrisches Potenzial und Feldstärke E im Bereich eines
Zylinderkondensators mit Radien ri und ra
Gemäß Gl. (5.46) und (5.47) erhalten wir für die Spannung U zwischen den kon-
zentrischen Hohlzylindern
1 ra
U i a ln . (5.48)
2 0 ri
Damit ergibt sich für die Kapazität des Zylinderkondensators für eine Zylinder-
länge der Ausdruck
Q 2 0
C . (5.49)
U ln ra ri
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Q Q
1 2
x
x0 xd
Abb. 5.15: Schematische Darstellung eines Plattenkondensators
Die Gesamtladung des Systems ist gleich null und gemäß dem Gauß’schen Gesetz
ist der Außenraum daher feldfrei. Das Feld im Innenraum wird gleichermaßen von
den Ladungen auf beiden Kondensatorplatten erzeugt. Der Innenraum des Platten-
kondensators ist ladungsfrei. Das Potenzial im Innenraum kann somit ermittelt
werden durch Lösung der eindimensionalen Laplace’schen Gleichung
2
0 0 x d . (5.51)
x 2
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Gemäß Gl. (5.18) erhalten wir daraus die elektrische Feldstärke im Plattenkon-
densator
U
E 0 x d . (5.54)
x d
1
2
0
0 d x
U
E
d
E0
0 d x
Abb. 5.16: Elektrisches Potenzial und Feldstärke E im Bereich eines
Plattenkondensators mit Plattenabstand d
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Q
E , (5.56)
0 A
sowie einen Ausdruck für die Kapazität des Plattenkondensators
Q A
C 0 . (5.57)
U d
Gemäß Gl. (5.56) erkennt man eine wichtige Eigenschaft des Plattenkondensators:
U0 C1 C2 C3
Definitionsgemäß gilt: Qi Ci U 0 , Q C U 0 .
Damit erhalten wir durch Einsetzen in Gl. (5.58) die Regel für die Parallelschal-
tung von Kondensatoren:
C Ci . (5.59)
i
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Das Schaltbild für eine Serienschaltung von Kondensatoren ist in Abbildung 5.18
dargestellt. In allen Kondensatoren erfolgt die gleiche Ladungstrennung und folg-
lich tragen alle Kondensatoren die gleiche Ladung Q .