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Dirk Braunstein

„Gleich ist zugleich nicht gleich“


Adornos rettende Kritik des Tausches

Für Viola

Wenn es regnet, wird die Straße naß.


„Mit politischer Ökonomie hat sich Adorno nie befaßt.“1 Denn: „Aus seiner
Abneigung gegen die Befassung mit der Ökonomie hat Adorno im privaten Ge-
spräch nie ein Hehl gemacht.“2 Woraus folgt: „Die Wirtschaftswissenschaften wa-
ren sicherlich seine Sache nicht!“3 –
– die von Marx übrigens auch nicht, der ebenfalls aus seiner Abneigung, sich
mit der „ökonomischen Scheiße“4 zu befassen, im Privaten nie ein Hehl gemacht
hat. Aber „gerade darin, daß er von Ekel erfaßt genau das angepackt hat, wovor er
sich geekelt, die Ökonomie“, erblickt Adorno die „Genialität von Marx.“5

I.

Weil nun, wie man zu wissen meint, der Tausch als ökonomische Kategorie für
Adorno zentral ist, wird dieser kurzerhand und blindlings als einer der „Grün-
dungsväter des Zirkulationsmarxismus“6 deklariert. Daß es so einfach um Adornos
Tauschbegriff allerdings nicht bestellt ist, läßt sich anhand einer Passage aus der
Negativen Dialektik zeigen, die zugleich auf den ökonomiekritischen wie auf den
utopischen Gehalt von Adornos Philosophie verweist. Es heißt dort: „Kritik am

 1 Jürgen Habermas, Philosophisch-politische Profile, Frankfurt a.M., 1987, S. 178.


 2 Helmut Reichelt, „Die Marxsche Kritik ökonomischer Kategorien. Überlegungen zum Problem
der Geltung in der dialektischen Darstellungsmethode im ‚Kapital‘“, in: Emanzipation als Versöh-
nung. Zu Adornos Kritik der „Warentausch“-Gesellschaft und Perspektiven der Transformation, hg. v.
Iring Fetscher u. Alfred Schmidt, Frankfurt a. M., 2002, S. 142.
 3 Jürgen Ritsert, „Realabstraktion. Ein zu recht abgewertetes Thema der kritischen Theorie?“, in:
Kein Staat zu machen. Zur Kritik der Sozialwissenschaften, hg. v. Christoph Görg u. Roland Roth,
Münster, 1998, S. 331.
 4 Karl Marx an Friedrich Engels, 2. April 1851, MEW 27, S. 228.
 5 Theodor W. Adorno, „Theodor W. Adorno über Marx und die Grundbegriffe der soziologischen
Theorie“, in: Hans-Georg Backhaus, Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur marxschen Öko-
nomiekritik, Freiburg i.Br., 1997, S. 513.
 6 Gerhard Hanloser, Karl Reitter, Der bewegte Marx. Eine einführende Kritik des Zirkulationsmarxis-
mus, Münster, 2008, S. 14.
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Tauschprinzip als dem identifizierenden des Denkens will, daß das Ideal freien und
gerechten Tauschs, bis heute bloß Vorwand, verwirklicht werde. Das allein trans-
zendierte den Tausch.“7 Adorno legt seinem Tauschbegriff hier den Tausch zu-
grunde, der erst ermöglicht, daß die Konsumtion auf die Produktion übergreift. Es
ist die eine „entscheidende[…] Stelle, […] wo es sich um die Ware Arbeitskraft
handelt“, an der es, „indem es mit rechten Dingen zugeht, zugleich nicht mit rech-
ten Dingen zugeht.“8 Da beim Tausch „etwas gleich und zugleich nicht gleich“9
ist, liege der „Schein im Tauschvorgang […] im Begriff des Mehrwerts“10, dem die
reale Aneignung der Mehrarbeit durch den Käufer der Arbeitskraft unter Einhal-
tung des Äquivalententauschs zugrunde liegt.
Die Offenlegung dieses Prinzips durch Marx bezeugt für Adorno, daß jener
„die Dialektik ernst[nimmt]“ und „nicht einfach bloß mit ihrer Terminologie
[kokettiert].“11 Die dialektische Pointe, die Adorno von Marx erkannt sieht, ist die,
daß die „Behauptung der Äquivalenz des Getauschten, Basis allen Tausches“ gera-
de „von dessen Konsequenz desavouiert“ wird. „Indem das Tauschprinzip kraft
seiner immanenten Dynamik auf die lebendige Arbeit von Menschen sich aus-
dehnt, verkehrt es sich zwangvoll in objektive Ungleichheit, die der Klassen.“12
Alex Demirović bemerkt skeptisch, eine solche Interpretation sei mit der Marx-
schen Theorie „nur eingeschränkt vereinbar, da Marx ja die Ansicht vertritt, dass
mit der kapitalistischen Form des Äquivalententauschs kein Betrug stattfindet: Die
Arbeitskraft wird im Durchschnitt zu ihrem vollen Wert entgolten; Gleichheit ist
damit schon verwirklicht.“13 Genau das meint aber auch Adorno, der jedoch zu-
gleich erkennt, daß sich durch die Verwirklichung der Gleichheit im Tausch die
Ungleichheit der Klassen sowie der Individuen reproduziert. Während Demirović
sagt, Marx mache „in seinen Analysen deutlich, wie durch die marktvermittelte
Herausbildung eines Durchschnitts gesellschaftlich notwendiger Arbeit das Prob-
lem des Maßstabs für Gleichheit gelöst wird“14, so hält Adorno ebenso wie Marx
fest, daß sich dieser Maßstab gerade durch seine Anwendung im Tausch selbst
negiert. „Das ist die entscheidende Wendung bei Marx, daß er nicht einfach […]
sagt: Das ist alles nicht wahr. Sondern er sagt: Wir wollen, um überhaupt diesen
ungeheuren Apparat zu verändern, ihn aus seiner eigenen Kraft heraus in Bewegung
setzen. […] Anstatt den Anspruch der bürgerlichen Gesellschaft, Harmonie zu

 7 Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, in: Ders., Gesammelte Schriften, hg. v. Rolf Tiedemann
(unter Mitwirkung v. Gretel Adorno, Susan Buck-Morss u. Klaus Schultz), Frankfurt a. M., 1970
ff. [im folgenden zitiert als AGS], Bd. 6, S. 150.
 8 Theodor W. Adorno, Philosophische Terminologie. Zur Einleitung. Band 2, Frankfurt a. M., 1974,
S. 261 f.
 9 Adorno, „Theodor W. Adorno über Marx …“, S. 506.
10 Ebd., S. 508.
11 Ebd., S. 506.
12 Adorno, „Einleitung zum ‚Positivismusstreit in der deutschen Soziologie‘“, in: AGS, Bd. 8, S. 307.
13 Alex Demirović, „Freiheit und Menschheit“, in: Vereinigung freier Individuen. Kritik der Tauschge-
sellschaft und gesellschaftliches Gesamtsubjekt bei Theodor W. Adorno, hg. v. Jens Becker, Heinz Bra-
kemeier, Hamburg, 2004, S. 22 f.
14 Ebd., S. 23.

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