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Vorlesung Einführung

in die Arbeits- und


Organisationspsychologie II

Arbeits-, Organisations- und


Wirtschaftspsychologie
 Arbeit und Alter – 11.06.2018

Sommersemester 2018 | Prof. Dr. Thomas Rigott


Agenda

• Soziodemographischer Wandel
• Wann ist man alt?
• Leistungsvoraussetzungen und Alter
• Weiterbildungsbereitschaft
• Methodenfallen
• Übergang in den Ruhestand
• Altersheterogenität
• Arbeitsgestaltung

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Sommersemester 2018 | Prof. Dr. Thomas Rigotti
Demografischer Wandel

Sommersemester 2018 | Prof. Dr. Thomas Rigotti


Demografischer Wandel

Aktuelle Prognosen: Zahl der 55- bis 64-Jährigen wird


bis zum Jahr 2020 in Deutschland um rund 40%
zunehmen
Drei Faktoren kommt dabei eine zentrale Rolle zu:
• anhaltend niedrige Fruchtbarkeitsziffern
• eine hohe Lebenserwartung
• alternde geburtenstarke Jahrgänge
Im Jahr 2050 wird jede dritte Person 60 Jahre oder älter
sein!

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Alter ist relativ

Es herrscht keine Einigkeit:


• Wissenschaftliche Seite: Alter > 55 Jahre
(Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung, IAB)
• Praktische Seite: Alter > 45 Jahre
(Bundesagentur für Arbeit) danach schwer
vermittelbar
• Rechtliche Seite: Alter > 65 bzw. jetzt 67
Jahre (offizielles Renteneintrittsalter)
• Anstieg des durchschnittlichen
Erwerbsaustrittsalters in Deutschland von
60.6 Jahren (2001) auf 62.0 Jahre (2007)

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Defizitmodell des Alterns

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Altersstereotype

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Sommersemester 2018 | Prof. Dr. Thomas Rigotti
Alter und Arbeit

Was trifft zu?


1. Geringere Motivation
2. Weniger Qualifikationsinteresse/ Bei Selbsteinschätzungen
Karriereentwicklung (depressive mood, mental
health, physical health,
3. Geringere psychosomatic complaints,
overall health: keine Korr. zu
Veränderungsbereitschaft Alter). Aber: Ältere haben
höheren Blutdruck und
4. Schlechtere Beziehung zu schlechtere Cholesterolwerte
anderen (Risikofaktoren für spätere
Herzerkrankungen)
5. Schlechtere Gesundheit
6. Mehr work-family-conflict

Ng & Feldman (2012), Meta-Analyse: 6 Stereotype und deren Realitätsgehalt,


Datenbasis: N =208.204 8
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Defizitmodell des Alterns
Kreativität:
Kein Zusammenhang zwischen Alter und Kreativität. Jedoch:
Alter wies einen positiven Zusammenhang zu Kreativität auf,
wenn Handlungsspielraum und soziale Unterstützung gut
ausgeprägt waren! (Binnewies, Ohly & Niessen, 2008)

Veränderungsbereitschaft:
Alter zeigt eine negative Korrelation mit Widerstand gegen
Veränderungen (entgegen der stereotypen Erwartung)
Kunze, Böhm& Bruch (2013), Querschnittstudie mit fast 3.000 Beschäftigten aus verschiedenen Firmen

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Altern – konzeptionelle Zugänge

Altern

Zugrundeliegende
Biologische, psychologische, soziale und gesellschaftliche Veränderungen über die Zeit
Veränderungen

Chronologisches Funktionales Psychosoziales Organisationales Lebensphasen


Dimension
Alter Alter Alter Alter Alter

Mögliche Kalendarisches Selbst- / Fremd-


Gesundheit Berufsalter Lebenssituation
Indikatoren Alter wahrnehmung

Schalk et al. (2010);


Übersetzung aus Zimber
und Rigotti (2015)
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Sommersemester 2018 | Prof. Dr. Thomas Rigotti
Alter und Leistungsfähigkeit
Wichtige physiologische Voraussetzungen der Leistungsfähigkeit
sind:
• Reaktionsgeschwindigkeit (z.B. einem gefährlichen
Gegenstand schnell auszuweichen),
• Wahrnehmungsfähigkeit (z.B. Hören und Sehen von
Gefahrensignalen),
• Kraft und Ausdauer (z.B. Heben von Lasten),
• Gleichgewichtssinn (z.B. auf eine Leiter steigen),
• Beweglichkeit (z.B. Über-Kopf-Arbeit).
 Bei Vorliegen eines "normalen" Alterungsprozesses (ohne Erkrankung,
Unfall oder Verletzung) sind sämtliche physiologischen Abbauprozesse
bis zum Alter von 60 Jahren so gering, dass sie für die meisten heutigen
Tätigkeiten vollständig ausreichen !!!
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Sommersemester 2018 | Prof. Dr. Thomas Rigotti
Alter und Leistungsfähigkeit
Wichtige kognitive Voraussetzungen der Leistungsfähigkeit sind:
• Gedächtnisleistung: eingeschränkt sind:
• Merkfähigkeit,
• Auffinden von Informationen,
• Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung
• Einbußen in fluider Intelligenz (= schnelle
Informationsverarbeitung und -verknüpfung) stehen Zunahmen
an kristalliner Intelligenz (= routinisierte wissensbasierte
Verarbeitungsprozesse) gegenüber
 Auch hier gilt: Bei einem "normalen" Alterungsprozess ist der
Funktionsverlust bis zu einem Alter von ca. 60 bis 65 Jahren nicht
bedeutsam für die Erfüllung der Arbeitsaufgaben !!!
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Alter und Leistungsfähigkeit

• Korrelationen/Zusammenhänge zwischen Alter und Arbeitsleistung


reichen von -.44 bis .66 (Metaanalysen: r = .06)
• Zusammenhang abhängig von Art der Leistungsmessung
• Objektive Kriterien (Stückzahl, angemeldete Patente)  Positiver
Zusammenhang mit Alter
• Subjektive Einschätzungen (Leistungseinschätzung durch
Führungskräfte)  negativer Zusammenhang mit Alter

Der Zusammenhang zwischen Alter und Leistung ist davon


abhängig, ob eine Aufgabe mehr "basale Fähigkeiten"
(schnelle Reaktion, Wahrnehmung) oder mehr Erfahrung
abfordert bzw. ob Erfahrungen zum Ausgleich basaler
Fähigkeiten eingesetzt werden können !
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Sommersemester 2018 | Prof. Dr. Thomas Rigotti
Alter und Emotionsarbeit

• Im Gegensatz zu kognitiven (fluiden) und körperlichen


Einschränkungen verbessert sich die Emotionsregulation
(Scheibe & Carstensen, 2010)

• Verbessertes emotionales Befinden und emotionale Stabilität


im Alltag bis in die 60er und 70er
• Ältere Erwachsene berichten, dass sie ihre Emotionen besser
kontrollieren können als jüngere
• Emotionsregulation wird im Alter leichter
• Ältere Erwachsene haben bessere Werte bei emotionaler
Intelligenz

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Sommersemester 2018 | Prof. Dr. Thomas Rigotti
Tagebuchstudien – Ein Beispiel
Level 2 (Person) Level 1 (Zeitpunkte)

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Sommersemester 2018 | Prof. Dr. Thomas Rigotti
The three-way interaction graph of the irritation–interruption relationship.

Anja Baethge, and Thomas Rigotti Work Aging Retire


2015;workar.wav014

© The Authors 2015. Published by Oxford University Press. For permissions please e-mail:
journals.permissions@oup.com
The three-way interaction graph of the irritation–multitasking relationship.

Anja Baethge, and Thomas Rigotti Work Aging Retire


2015;workar.wav014

© The Authors 2015. Published by Oxford University Press. For permissions please e-mail:
journals.permissions@oup.com
Das SOK-Modell (Baltes & Baltes)
Selektion Optimierung Kompensation
Ziele/Präferenzen Zielbezogene Mittel Mittel zur Entgegenwirkung des
Verlustes zielbezogener Mittel
Elektive Sektion  Erwerb neuer Fertigkei-  Einsatz substitutiver Fertig-
 Bildung von Zie- ten/Ressourcen keiten und Ressourcen
len  Übung  Mobilisierung latenter Re-
 Ausbildung ei-  Anstrengung serven
nes Zielsystems  Investieren von Zeit  Vermehrte Übung
 Auswahl von  Aufmerksamkeitsfokussie-  Vermehrtes Investieren von
Zielen rung Zeit
 Kontextualisie-  Modellierung erfolgreicher  Aufmerksamkeitsfokussie-
rung von Zielen anderer rung
 Zielverpflichtet-  Gebrauch externer Hil-  Modellierung anderer, die
heit fe/Ressourcen erfolgreich kompensieren
 Selbst-Motivierung  Gebrauch externer Hilfen
Verlustbasierte Se-  Orchestrierung von Fertig-  Therapeutische Intervention
lektion keiten  Aufgaben der Optimierung
 Rekonstruktion  Ergreifen des richtigen Au- zielrelevanter Mit-
des Zielsystems genblicks tel/Ressourcen
 Bildung neuer
Ziele
 Anpassung des
Zielstandards
 Fokussierung
auf wichtigstes Ziel
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Weiterbildungsbereitschaft

• während fast ein Drittel (31%) der 35-49-Jährigen sich


weiterbildet, trifft dies nur auf weniger als ein Fünftel
(17%) der Gruppe der 50-65-Jährigen zu (Ebert et al., 2007)
• Ältere bevorzugen andere
Ausbildungsinhalte
• Fehlende Motivation oder
fehlende Angebote?

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Methodenfallen der Alter(n)sforschung
Selektionsfalle
 Leistungsgeminderte sind bereits in Frührente
(Healthy Worker Effekt)
Generalisierungsfalle
 Aufgrund von Untersuchungen an Älteren heute trifft
man Prognosen über die Leistungsfähigkeit von Älteren
in der Zukunft (andere Lebens- und
Umweltbedingungen)
Kriterienfalle
 z.B. Schreiben von Briefen – Ältere schneiden bei
Anschlägen / Minute schlechter ab / aber bei der
Gesamtleistung besser
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Sommersemester 2018 | Prof. Dr. Thomas Rigotti
Altersheterogenität in Teams

Wegge et al. (2012)


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Empirische Befunde

• Altersdiverse Teams zeigen bessere Leistungen bei komplexen


Aufgaben
• Ausgeglichenes Geschlechtsverhältnis: bessere Leistungen
• Sonstige Diversitätsdimensionen: Gemischte Befunde – abhängig
von Kontext, Aufgaben, Kriterien
• Empfehlungen:
• Komplexe Aufgaben ohne Zeitdruck
• Reduktion der Salienz von Altersunterschieden und Konflikten
• Förderung der Wertschätzung von Diversität
• Förderung eines positiven Teamklimas
• Alterdiskriminierung reduzieren
• Altersdifferenzierte Führung

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Sommersemester 2018 | Prof. Dr. Thomas Rigotti
Übergang in den Ruhestand

Ungünstige Bedingungen
• Übergang in den Ruhestand aus der Erwerbslosigkeit
• Zwang zum Austritt (Zwangs-Frühverrentung)
• hohe Bindung an die Arbeit, protestantische Arbeitsethik,
hohe Zentralität der Erwerbsarbeit, eingeschränktes
(Sozial-)Leben
• Eintritt in den Ruhestand aus einer gering qualifizierten
Position (schlechtere finanzielle Lage, geringere
Aktivitätenvielfalt und Bewältigungskompetenz)

(vgl. Lang von Wins, Mohr & von Rosenstiel, 2004)

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Sommersemester 2018 | Prof. Dr. Thomas Rigotti
Arbeitsgestaltung für Ältere
Arbeitstätigkeiten so gestalten, dass sie für alle Altersstufen
zumutbar sind:
1. Tätigkeitsspielräume gestalten
2. Planende, disponierende Aktivitäten übertragen
3. Inhaltliche Flexibilität sichern
4. Soziale Integration
Flexiblere Arbeitszeitstrukturen:
1. Häufigere, individuell nutzbare Kurzpausen
2. Arbeitszeitverkürzungen
3. Flexiblere Ruhestandsregelungen
4. Teilzeitarbeitsverhältnisse

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Sommersemester 2018 | Prof. Dr. Thomas Rigotti
Arbeitsgestaltung für Ältere

Kontraindizierte Arbeitsbedingungen für ältere


Arbeitnehmer:

1. Arbeit unter Zeitdruck


2. Zwang zu hoher Bewegungsgeschwindigkeit
3. Steuer- und Kontrollaufgaben mit hohen
Vigilanzanforderungen
4. Mehrschichtarbeit
5. Hohe Akkommodationsanforderungen an die visuelle
Wahrnehmung

(Quelle: Richter, Schmidt-Lerm & Krenkel, 1996, S. 163)

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Lernfragen

1. Welche physiologischen Leistungsvoraussetzungen nehmen mit dem


Alter ab? Sind diese Verminderungen durch Training kompensierbar?
2. Welche kognitiven Leistungsvoraussetzungen nehmen mit dem Alter ab,
welche nehmen zu?
3. Was ist über den Zusammenhang von Alter und Leistung bekannt?
4. Sie sollen eine Untersuchung machen, bei der die Leistungen von jungen
und alten Beschäftigten verglichen werden. Worauf achten Sie?
5. Was tun Sie zum Erhalt der (lebenslangen) Leistungsfähigkeit älterer
Menschen?
6. Bei welcher Art von Leistungsanforderung können die Jüngeren den
Älteren überlegen sein, bei welchen ist es umgekehrt?

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Literatur
Baltes, P. B., & Baltes, M. B. (1989). Optimierung durch Selektion und Kompensation. Ein psychologisches
Modell erfolgreichen Alterns. Zeitschrift für Pädagogik, 35, 85–105.
Frese, M., & Zapf, D. (1994). Action as the core of Work Psychology: A German approach. In H. C. Triandis
& M. D. Dunnette (Eds.), Handbook of industrial and organizational psychology. Palo Alto/Califonia.
Hedden, T., & Gabrieli, J. D. E. (2004). Insights into the Ageing Mind: A View from Cognitive Neuroscience.
Nature Reviews - Neuroscience, 5, 87–96.
McEvoy, G. M., & Cascio, W. F. (1989). Cumulative Evidence of the Relationship Between Employee Age
and Job Performance. Journal of Applied Psychology, 74(1), 11–17.
Otto, K. & Mohr, G. (2011). Arbeit und Alter. In C. Busch, E. Bamberg & G. Mohr (Hrsg.), Arbeitspsychologie.
Göttingen: Hogrefe.
De Norre (2009). Population and social conditions. Statistics in focus (Eurostat 63/2009). European
Commission.
Ebert, A., Kistler, E. & Staudinger, T. (2007). Rente mit 67 – Probleme am Arbeitsmarkt. Aus Politik und
Zeitgeschichte, 4-5, 25-31.
Lang von Wins, T., Mohr, G. & Rosenstiel, L. von (2004). Kritische Laufbahnübergänge: Erwerbslosigkeit,
Wiedereingliederung und Eintritt in den Ruhestand. In H. Schuler (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie,
Band 3 Organisationspsychologie – Grundlagen der Personalpsychologie (S. 1113-1189). Göttingen:
Hogrefe.
Richter, P., Schmidt-Lerm, S. & Krenkel, C. (1996). Altern, Berufsbiographie und Arbeitsinhalt. In W. Hacker
(Hrsg.), Erwerbsarbeit der Zukunft – auch für Ältere? (S. 161-174). Zürich: vdf Hochschulverlag.
Watrinet, C. (2007). Indikatoren einer diversity-gerechten Unternehmenskultur. Kit Scientific Publishing.

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