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Der Bernoulli-Effekt Um die Schwingungen der Stimmbander und der Lippen eines Trompeters zu verstehen, miissen wir den Bernoulli-Effekt kennen. Dieser beschaftigt sich mit den Druckanderungen an verschiedenen Stellen einer Strémung; er findet zahlreiche Anwendungen wie z. B. bei Flugzeugfligeln, Saugpumpen, Geschwindigkeitsmessgeriiten, Magnetspeicherscheiben fiir Computer-Festplatten usw. Zum Vokal- Die Masse M stellt die physikalische Entsprechung fiir ein Stimmband dar; physikalisch spielt es keine Rolle, ob es sich um ein Paar Stimmbander oder nur ein Stimmband handelt. Bei ausreichend starkem Luftstrom wird M gleichmafiige Schwingungen vollfilhren und so den Luftstrom periodisch beeinflussen, also mit anderen Worten: Schallwellen erzeugen. (Aus Arthur H. Benade: Fundamentals of Musical Acoustics, 1976 Oxford University Press) Betrachten wir den Luftstrom in der vorangegangenen Abbildung. Damit ein gleichbleibendes Luftvolumen kontinuierlich durch den ganzen Kanal strémen kann, muss die Geschwindigkeit an der VerengungB grdffer sein als an der Stelle A oder C.Wenn der Luftstrom aber auf dem Weg von A nach B schneller wird, muss ihn irgendeine Kraft nach rechts beschleunigen, d. h: DerStrémungsdruck bei A muss gréfier sein als beiB. Entsprechend muss auch auf der anderenSeite, wenn der Luftstrom wieder langsamer werden soll, der Druck bei C gréfier sein als bei B. Allgemein ausgedriickt: Der Druck entlang einer Strémungslinie wird umso kleiner, je gréfer die Strémungsgeschwindigkeit wird. Dies wird als Bernoulli-Effekt bezeichnet (benannt nach dem Schweizer Gelehrten und Begriinder der Hydrodynamik Daniel Bernoulli1700-1782). Betrachten wir nun die hypothetischen Schwingungen einer Lippe oder eines Stimmbandes (Abbildung a). {a) (b) Foam p et ie 4 () Faom A zeit = j (@) a) Die Offnungsweite in einem Strémungskanal wahrend periodischen Schwingungen. Alle gestrichelten diinnen Linien geben die Durchschnittswerte ber der Zeitachse an. b) Gegenkraft der Feder: beachten Sie, dass diese abwarts wirkt, wenn die Position der Masse oben ist und umgekehrt. c) Bernoulli-Kraft: immer abwarts gerichtet, aber mehr als durchschnittlich, solange die Massenposition oben ist, und weniger, wennletztere unten ist. Der wechselnde Teil dieser Kraft (Abweichung zum Durchschnittswert) ist negativ fir die obere Massenposition und positiv fur die untere. d) Bernoulli-Kraft mit einer hypothetischen 1/8-Zyklus-Verzégerungder Strémung gegentiber den Druckveranderungen. In diesem Fall wirkt die Bernoulli- Kraft drei Viertel der Zeit (dicke waagrechte Striche) anstatt nur zwei Viertel in die gleiche Richtung und liefert in dieser Zeit Energie an das System. Die federahnliche Spannungskraft und Elastizitat des Gewebes bewirkt eine Kraft zum Ruhepunkt des Gewebes zuriick (Abbildung b). Die Bernoullikraft als Ergebnis der Druckminderung unter dem atmospharischen Druck bei B driickt die Gewebemasse abwarts; ihre Starke verandert sich jedoch wahrend der Bewegung. Wenn die Verengung sich dem vélligen Schlieflen nahert, reduzieren sich die Geschwindigkeit und der Abwartsdruck: erweitert sich dadurch die Verengung wieder, nehmen beide zu (Abbildung c). Die durchschnittliche Bernoulli-Kraft driickt den Gleichgewichtspunkt etwas nach unten; es sind die Anderungen iiber und unter diesen Durchschnittswert, die effektiv manchmal nach unten und manchmal nach oben driicken. Der Bernoulli-Effekt hat also scheinbar die gleichen Auswirkung, als wenn die Feder steifer werden wiirde. Die Masse wiirde nur zu schwingen anfangen, wenn sie .angestofien* wirrde, und diese Schwingung wiirde allmahlich durch die Reibungsverluste abgedampft werden. Wie kann die Schwingung dann zu grofien Amplituden anwachsen und beliebig lange beibehalten werden? Sie muss irgendeine standige Energiezufuhr erhalten, was dadurch geschieht, dass die Tragheit der Luftmasse eine Verzégerung bewirkt, bis eine Druckénderung sich auf die Geschwindigkeit ausgewirkt hat. Deswegen treten die geringsten und gréften Geschwindigkeiten, und damit auch die kleinsten und gréfiten Bernoulli-Krafte, etwas spater auf als genau zu den Zeiten der gréften und kleinsten Offnung (Abbildung a). Genau das wird benatigt, um den Schwingungsanteil der Bernoulli-Kraft wahrend des gréfieren Teils der Abwartsbewegung nach unten wirken zu lassen und bei der Aufwartsbewegung nach oben; dadurch wird mehr Energie an die Bewegung geliefert als ihr entzogen. Diese zusaitzliche Energie gleicht die Reibungsverluste aus, so dass die Schwingung auch bei grofen Amplituden lange aufrechterhalten werden kann Die Lippen und Stimmbander unterliegen auBerdem auch Kraften, die parallel zur Strémung wirken und in den meisten Fallen starker sind als die Bernoulli-Krafte; zusammen ergeben sich daraus rollende Bewegungen, so dass eine vollstandige Darstellung etwas komplizierter wiirde. Aber auch hier ist die Zeitdifferenz zwischen wirksamer Kraft und einsetzender Bewegung das wesentliche Element zur Erzeugung selbststabilisierender Schwingungen. Der Bernoulli-Effekt muss bei Einfach-Rohrblattern der Orgel und Holzblaser relativ klein bleiben, so dass der gréfite Teil der Rohrblattflache nur einem fast statischen Druck ausgesetzt ist. Nur ein schmaler Streifen entlang der Rohrblattkante ist nahe genug an derKehle bzw. dem Mundstiick, um einer signifikanten Druckreduzierung ausgesetzt zu sein. Der Bernoulli-Effekt tragt nur einige wenige Prozent zu den wirksamen Kréften an einem Klarinetten-Rohrblatt bei. ieskann aber durchaus von Bedeutung sein, wenn es auf die Art und Weise Einfluss hat, wie das Rohrblatt gegen das Mundstiick bzw. die Kehle schlieft. Bei den Doppetrohrblattern der Oboenfamilie spielt der Bernoulli-Effekt eineetwas gréfiere Rolle.

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