Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Vektor-Impfstoffe?
25. Februar 2021 Klaus-Dieter Kolenda
Kritische Sichtung der bisher publizierten Daten über die AstraZeneca- und Sputnik V-
Vakzine sowie ein Vergleich mit den zugelassenen mRNA-Impfstoffen
In meinem letzten Telepolis-Beitrag zu den Corona-Impfungen habe ich mich mit der
Wirksamkeit und Sicherheit der beiden mRNA-Impfstoffe - das Kürzel steht für
Messenger-Ribonukleinsäure - von Biontech-Pfizer und Moderna beschäftigt, die bisher
in Deutschland zugelassen worden sind.
Angesicht der bestehenden Impfstoff-Knappheit hatte ich mich in dem Artikel für eine
schnelle Zulassung und Verfügbarkeit von weiteren wirksamen und sicheren Impfstoffen
ausgesprochen und vorgeschlagen, dass dabei auch der russische Sputnik V-Impfstoff
berücksichtigt werden sollte, der in Dessau offensichtlich auch per Lizenz produziert
werden könnte. Damit könnten in den nächsten Monaten in Deutschland wahrscheinlich
viele Menschenleben gerettet werden.
Deshalb beschäftige ich mich im vorliegenden Beitrag mit den vorliegenden Daten über
Wirksamkeit und Sicherheit der neuen Vektor-Impfstoffe, zu denen auch Sputnik V
gehört. Ich stütze ich mich dabei vor allem auf einen aktuellen Artikel in der Februar-
Ausgabe der pharmakritischen wissenschaftlichen Zeitschrift Der Arzneimittelbrief, der
sich vor allem mit dem Vektor-Impfstoff von AstraZeneca befasst.1Die Daten über
Sputnik V habe ich den jüngst erschienenen Publikationen der renommierten
Wissenschaftszeitschrift The Lancet entnommen.
Ergebnisse aus Phase-I/II-Studien mit diesen Vakzinen haben gezeigt, dass die Induktion
von neutralisierenden Antikörpern und CD4-/CD8-vermittelter T-Zell-Immunität ähnlich
stark ist wie bei den beiden bereits zugelassenen mRNA-Impfstoffen von Biontech-Pfizer
und Moderna.
Die AstraZenica-Vakzine wurde als erster Vektorimpfstoff gegen Covid-19 von der
Europäischen Kommission (EC) am 29.1.2021 für Menschen ab 18 Jahren bedingt
zugelassen. Dieser Impfstoff hatte bereits einen Monat zuvor eine Notfallzulassung in
Großbritannien erhalten und es wurden schon mehrere Millionen Briten damit geimpft.
Wirksamkeit
Im Arzneimittelbrief wird berichtet, dass der primäre Studienendpunkt in zwei der vier
vorliegenden Phase-III-Studien des Astrazeneca-Impfstoffs die Verhinderung eines
bestätigten, symptomatischen Auftretens von Covid-19 vierzehn Tage nach der zweiten
Impfung war. Ein Krankheitsfall war definiert über einen positiven PCR-Test und das
Vorhandensein von mindestens einem der nachfolgenden Symptome: Fieber ≥ 37,8°C,
Husten, Kurzatmigkeit, Geruchs- oder Geschmacksverlust. Jeder Fall musste von einem
verblindeten "Endpoint Review Commitee" bestätigt werden.
Die Daten aus zwei der vier Studien fehlen in dieser ersten, vorab am 8.12.2020
publizierten Zwischenanalyse, weil die prädefinierte Mindestfallzahl von Covid-19-
Fällen in diesen Studien noch nicht erreicht war. Der primären Analyse zur Wirksamkeit
liegen somit nur die Daten von 11.636 Probanden aus Großbritannien und Brasilien zu
Grunde, die beide Impfungen erhalten hatten. Davon waren 86,7 Prozent im Alter von 18
bis 55 Jahren (mittleres Alter 40 Jahre) und 60,5 Prozent Frauen. Die mediane
Nachbeobachtungszeit beträgt 3,4 Monate.
Insgesamt wurden in dieser Zeit 131 Fälle von Covid-19 diagnostiziert, 30 im Arm der
AstraZeneca-Vakzine (0,5 Prozent) und 101 im Arm der Kontrollgruppe (1,7 Prozent),
bei der ein Meningokokken-Impfstoff als Placebo eingesetzt wurde. Hieraus errechnet
sich eine relative Wirksamkeit der Impfung von insgesamt 70,4 Prozent.
Arzneimittelbrief 2/2021
Weiter heißt es dort, dass die berechneten Ergebnisse für die AstraZeneca-Vakzine eine
deutlich geringere Wirksamkeit, verglichen mit den mRNA-Impfstoffen (mehr als 90
Prozent), suggerieren. Ein derartiger indirekter Vergleich sei jedoch nicht zulässig, unter
anderem, weil die Studien unterschiedliche Probanden in unterschiedlichen Regionen der
Welt eingeschlossen haben, in denen teilweise auch schon stärker ansteckende
Virusvarianten kursierten. Zudem würden sich die einzelnen Studien mit dem Antra-
Zeneca-Impfstoff in ihrer Durchführung deutlich unterscheiden (Einschlusskriterien,
verwendete Impfdosis, Impfabstand, Vergleichstherapie), was externe Vergleiche
erschwere.
Aus dieser Auswertung ergeben sich laut Arzneimittelbrief auch schwache Hinweise
darauf, dass die Impfung mit der AstraZeneca-Vakzine zum Teil auch vor
asymptomatischen Infektionen schützen könnte.
Der Artikel im Arzneimittelbrief weist darauf hin, dass eine weitere post-hoc-Auswertung
der Daten der älteren Studienteilnehmer sich auf die Frage konzentrierte, ob der
AstraZeneca-Impfstoff auch bei Älteren eine ausreichende Immunität induziert.
Insgesamt drei Alterskohorten wurden in diese Analyse eingeschlossen, 160 im Alter von
18 bis 55 Jahre, 160 im Alter von 56 bis 69 Jahren und 240 im Alter von 70 Jahren und
älter. Die Titer der gegen das Spike-Glykoprotein von SARS-CoV-2 gerichteten
neutralisierenden Antikörper waren 28 Tage nach der zweiten Impfung in allen Gruppen
ähnlich hoch, genauso wie die Ergebnisse der gegen das Spike-Glykoprotein gerichteten
T-Lymphozyten. Dies weist darauf hin, dass der Impfstoff möglicherweise auch bei
älteren Personen ausreichend wirksam ist.
In das bisherige Impfprogramm von AstraZeneca wurden nur relativ wenige Probanden
über 65 Jahre eingeschlossen. Deshalb ist die Schutzwirkung bei älteren Menschen
derzeit nicht ausreichend zu beurteilen, sodass weitere Auswertungen abgewartet werden
müssen. Das ist der Grund dafür, dass die Ständige Impfkommission (Stiko) in
Deutschland die Impfung mit der AstraZeneca-Vakzine aktuell nur für Personen
zwischen 18 und 64 Jahren empfiehlt.
Das gilt auch für die Wirksamkeit gegen neue Virusmutationen sowie für die
Beobachtung, dass die Wirksamkeit möglicherweise höher ist bei niedrigerer Erstdosis
und/oder einem längeren Intervall zwischen der ersten und zweiten Impfung. Weiterhin
ist unklar - wie auch bei den mRNA-Impfstoffen -, ob durch die Impfung eine "sterile
Immunität" erzeugt wird, das heißt, ob die Transmission von SARS-CoV-2 im Falle einer
Infektion verhindert oder vermindert wird.
Arzneimittelbrief 2/2021
Ein Proband in der Kontrollgruppe entwickelte eine hämolytische Anämie, ein Patient
mit der Vakzine 14 Tage nach der Zweitimpfung eine transverse Myelitis
(neuroimmunologische Erkrankung des zentralen Nervensystems). Zwei weitere Fälle
von transverser Myelitis (zehn Tage nach der ersten Impfung und 68 Tage nach der Gabe
der Kontroll-Vakzine) wurden durch ein unabhängiges neurologisches Expertengremium
nicht im Zusammenhang mit der Impfung gegen SARS-CoV-2 interpretiert.
Es gab zudem auch noch eine weitere Diagnose von Multipler Sklerose im Arm mit dem
AstraZeneca-Impfstoff, wobei die MRT-Befunde darauf hinwiesen, dass diese
Erkrankung schon zuvor bestanden hatte. Insgesamt wurden mehr neurologische UAE
mit den Vakzinen beobachtet als in der Kontrollgruppe (11,7 Prozent vs. 7,8 Prozent);
meist handelte es sich dabei um Kopfschmerzen (9,3 Prozent vs. 6,1 Prozent).
Vier Probanden starben, einer in der Vakzine-Gruppe und drei in der Kontrollgruppe. Als
Todesursachen wurden Verkehrsunfall, stumpfes Gewalttrauma, Tötungsdelikt und eine
Pilzpneumonie genannt.
Zum Problem des Auftretens von schweren allergischen Reaktionen nach Corona-
Impfungen hatte ich in meinem Dezember-Artikel in Telepolis berichtet, dass in
Großbritannien am ersten Tag der Impfung mit der Biontech-Pfizer-Vakzine zwei Fälle
von schweren allergischen, anaphylaktischen Reaktionen bei Mitarbeitern des National-
Health-Service aufgetreten waren, die deshalb behandelt werden mussten.
Wirksamkeit
Im Unterschied zum Impfstoff von AstraZeneca verwendet Sputnik V für die erste und
zweite Impfung zwei verschiedene adenovirale Vektoren (rAd26 und rAd5). Damit soll
verhindert werden, dass die bei der ersten Impfung gegen den ersten Vektor gebildeten
Antikörper die Immunogenität der zweiten Impfung abschwächen. Das Lancet berichtet
darüber, dass mit Sputnik V eine randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte
Phase-III-Studie in 25 Krankenhäusern und Polikliniken in Moskau durchgeführt worden
ist.
In die Studie eingeschlossen waren Teilnehmer im Alter von mindestens 18 Jahren mit
negativen SARS-CoV-2 PCR- und IgG- und IgM-Tests, die keine Infektionskrankheiten
in den 14 Tagen vor der Einschreibung und keine anderen Impfungen in den 30 Tagen
zuvor durchgemacht hatten. Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip (drei zu
ein) zugewiesen, um Impfstoff oder Placebo zu erhalten, wobei eine Schichtung nach
Altersgruppen erfolgte.
Für die Untersucher, Probanden und alle Studienmitarbeiter war die Studie verblindet.
Der Impfstoff wurde intramuskulär in einem Prime-Boost-Regime verabreicht (0,5
ml/Dosis): Ein 21-Tage-Intervall bestand zwischen der ersten Dosis (rAd26) und der
zweiten Dosis (rAd5), wobei beide Vektoren das Gen für das SARS-CoV-2-Glykoprotein
S in voller Länge trugen.
Der primäre Endpunkt war der Anteil der Teilnehmer mit einer PCR-bestätigten Covid-
19 ab Tag 21 nach Erhalt der ersten Dosis. Alle Analysen schlossen Teilnehmer mit
Protokollverletzungen aus: Der primäre Endpunkt wurde nur bei Teilnehmern bewertet,
die zwei Dosen Impfstoff oder Placebo erhalten hatten.
Zwischen dem 7. September und dem 24. November 2020 wurden 21.977 Erwachsene
nach dem Zufallsprinzip der Impfstoffgruppe (n=16.501) oder der Placebogruppe
(n=5476) zugeordnet. 19.866 erhielten zwei Dosen Impfstoff oder Placebo und wurden in
die primäre Ergebnisanalyse einbezogen. Ab 21 Tagen nach der ersten Impfstoffdosis
(Tag der Dosis 2) wurden bei 16 (0, 1 Prozent) von 14.964 Teilnehmern in der
Impfstoffgruppe) und 62 (1,3%) von 4902 in der Placebo-Gruppe Covid-19 bestätigt und
daraus eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent errechnet.
Denis Logunow und Mitarbeiter im Lancet
Sicherheit
Die meisten gemeldeten unerwünschten Ereignisse wurden als Grad ein (7485
entsprechend 94 Prozent von 7966 Gesamtereignissen) eingestuft. 45 entsprechend 0,3
Prozent von 16.427 Teilnehmern in der Impfstoffgruppe und 23 entsprechend 0,4 Prozent
von 5435 Teilnehmern in der Placebo-Gruppe hatten schwerwiegende Nebenwirkungen.
Keine dieser UAW wurde ursächlich mit der Impfung in Verbindung gebracht, was durch
einen unabhängigen Ausschuss für Datenüberwachung bestätigt wurde.
Während der Studie wurden vier Todesfälle gemeldet (drei entsprechend weniger als 0,3
Prozent von 16.427 Teilnehmern in der Impfstoffgruppe und einer entsprechend weniger
als 0,1 Prozent von 5435 Teilnehmern in der Placebo-Gruppe, von denen keiner mit dem
Impfstoff in Zusammenhang gebracht wurde.
Somit zeigte diese Zwischenanalyse der Phase-III-Studie mit dem Impfstoff Sputnik V
(Gam-Covid-Vac ) eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent gegen Covid-19, wobei dieser
Impfstoff in einer großen Kohorte von den Probanden gut vertragen wurde.
Es wird auf den zentralen Aspekt der Entwicklung von Sputnik V hingewiesen, dass die
Verwendung von zwei verschiedenen Serotypen von Adenoviren, die im Abstand von 21
Tagen appliziert werden, eine eventuell bereits bestehende Adenovirus-Immunität in der
Bevölkerung überwinden soll.
Von den bisher wichtigsten Covid-19-Impfstoffen habe bisher nur Sputnik V (Gam-
Covid-Vac) diesen Ansatz verwendet. Bei anderen, wie beim Impfstoff von AstraZeneca,
wird für beide Dosen das gleiche Vektormaterial verwendet. Der frühere Impfstoff gegen
Ebola, der auch am Gamaleya-Institut in Moskau entwickelt wurde, war ähnlich
aufgebaut, mit einem Adenovirus und einem vesikulären Stomatitis-Virus als
Trägerviren.
Die Entwicklung der Sputnik V-Vakzine wurde international dafür stark kritisiert,
überhastet und nicht transparent genug gewesen zu sein. Aber das Ergebnis, das jetzt hier
veröffentlicht wird, ist eindeutig, und das wissenschaftliche Prinzip der Impfung konnte
demonstriert werden. Das bedeutet, dass ein weiteres Vakzin jetzt zur Verfügung steht,
um die Inzidenz von Covid-19 einzudämmen.
Sputnik V ist inzwischen außer in Russland auch in einer Reihe anderer Länder
zugelassen. Dazu zählen Serbien, Kasachstan und Turkmenistan, aber auch Argentinien,
Bolivien, Brasilien, Venezuela und Iran. Auch das EU-Land Ungarn setzt trotz fehlender
Zulassung in der Europäischen Union diese Vakzine ein.
In einem Artikel in der Online-Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts vom 3.2.2021 wird
darüber berichtet, dass laut Kanzlerin Merkel und Gesundheitsminister Spahn Sputnik V
in Deutschland willkommen sei. Aus dem Büro des sachsen-anhaltinischen
Ministerpräsidenten sei zuletzt zu vernehmen gewesen, dass eine mittelständische Firma
in Dessau eventuell Sputnik V in Lizenz produzieren könne.
Fazit
Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin- Gastroenterologie,
Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin- Sozialmedizin, war von 1985 bis
2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems,
der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als
medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig.
Er ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Nikotin-Tabakforschung
e.V. (DGNTF) und arbeitet in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale
Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale
Verantwortung) mit. Email: klaus-dieter.kolenda@gmx.de
Anzeige
Auto Abo: Nur noch Tanken – alles andere ist inklusive. Care by Volvo
heise-
Angebot 3x iX als Heft oder digital + Prämie zur Wahl @heiseonline
Citroën
Ami im Test heise online
Illegale
Rodungen in Schleswig-Holstein Telepolis
Trump am
Ende: Kommt jetzt der Staatsstreich? Telepolis
empfohlen von
Telepolis ist Teilnehmer am amazon.de Partnerprogramm Anzeige
Hellwach mit Telepolis
Revolutionskaffee
Anzeige
Wird Werbung wahrgenommen und bleibt sie im Gedächtnis haften?
Ihre Meinung ist uns wichtig!
KI und Digitalisierung: Herausforderung und Chancen
BWI: Die wichtigsten (IT-)Trends 2021
Sicher im Homeoffice: Cloud-Daten verschlüsseln!
Expertendebatte zu Big Data und Machine Learning
Datenschutz verbessern, Strafen vermeiden
Sie sind IT-Experte? Finden Sie Ihren Traumjob auf heise jobs!
Zukunftssichere IT für KMU
Singapur - die smarteste Stadt der Welt
Meistkommentiert
Kommt jetzt die dritte Welle? Oder ist sie schon da?
Wo Initiatoren und Kritiker von #ZeroCovid richtig liegen - und wo nicht
Corona-Tests: Zu viele offene Fragen
Katholische Gruppen an Bischöfe: "Verspielen Sie die letzte Chance nicht"
Impfung: Arztpraxen wollen in der ersten Hälfte des zweiten Quartals
übernehmen
Meistgelesen
Der Corona-Impfpass kommt – via Israel
Vermieterlobby wird unruhig
"Potentially Disastrous"
Wo Initiatoren und Kritiker von #ZeroCovid richtig liegen - und wo nicht
Corona: Menschenopfer zur Rettung der Industrie?
Telepolis-eBooks
Stephan Schleim
eBook 7,99 €