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7 lß82
98 V ölkerrechtliche P rob lem e im R h ein geb iet
entscheiden, ob das Saargebiet ganz oder teilw eise unter die deutsche
Staatshoheit zurückkehrt, zu Frankreich kommt oder der gegenwärtige
Zustand dauernd wird. H ierbei sind m ehrere Besonderheiten der vertrag
lichen Regelung wohl zu beachten, die ein ungerechtfertigter Optimismus
oft übersieht: erstens ist die F ortdauer des heutigen Zustandes als eine
Möglichkeit vorgesehen; zweitens ist es form ell nicht die Volksabstimmung,
sondern der V ölkerbund, der unter Berücksichtigung des W u n s c h e s
(voeu) der B evölkerung entscheidet; und drittens ist eine T e i l u n g des
Saargebietes möglich, so daß sich hier die Ä hnlichkeit m it der für O ber
schlesien getroffenen Regelung und die E rinnerung an die Teilung O ber
schlesiens sofort aufdrängt. D ie K o rrek tu r jenes unmoralischen und uner
träglichen Zustandes, welche darin liegt, daß die Frem dherrschaft im Saar
gebiet eben n u r 15 Jah re dauern soll, w irk t also leider nicht so eindeutig und
beruhigend, wie es auf den ersten Blick selbstverständlich sein sollte.
Was die D auer der R heinlandbesetzung angeht, so ist sie ebenfalls für
eine beispiellos lange Zeit (nämlich 15 Jah re für die dritte Zone, also
besonders auch für den m ilitärisch und politisch besonders wichtigen P unkt
Mainz) vorgesehen, aber im m erhin befristet. Auch hier sind zahlreiche
Auslegungsfragen entstanden, welche den deutschen Anspruch auf eine
vorzeitige Räum ung, ja, selbst den Anspruch auf Räum ung nach A blauf
jener F risten gefährden und enttäuschen. Die Verbindung der Räum ungs
frage mit der F rage der Sicherheit Frankreichs einerseits und mit der
Reparationsfrage andererseits läßt hier so viele M einungsverschiedenheiten
und Differenzen entstehen, daß fast jedes W ort der vertraglichen Regelung
(Art. 428f VV) problem atisch w ird. H ier zeigt sich dann in k la re r Weise,
wie sehr die W orte einer rechtlichen N orm ierung ihren Inhalt ändern,
sobald sie in den Kam pf politischer Gegner hineingezogen werden. An
Begriffen wie A brüstung, Angriffskrieg, Sicherheit, M inderheit, haben w ir
diese E rfahrung handgreiflich machen müssen und gesehen, daß eine rechte
liehe N orm ierung als bloße N orm ierung hilflos und unsicher und die
Behauptung eines entpolitisierten Völkerrechts ein offenbarer, höchst poli
tischer Betrug ist.
W ährend die beiden ersten Teile des rheinischen Komplexes, Saar
regierung und R heinlandbesetzung, als wenigstens grundsätzlich vorüber
gehende Erscheinungen gekennzeichnet sind, sollen die beiden anderen,
E ntm ilitarisierung und Investigation, von unbegrenzter Zeitdauer sein. Im
Vergleich zu den sichtbaren und fühlbaren Einw irkungen, wie sie die
Saarregierung und die R heinlandbesetzung mit sich bringen, besonders im
Vergleich zur A nw esenheit einer großen feindlichen Armee, können diese
beiden anderen Teile vielleicht unbedeutend und nebensächlich erscheinen.
Aber dafür sind sie eben dauernd und auch im übrigen nichts weniger als
harmlos. Das Investigationsrecht, durch welches die Entwaffnung Deutsch
lands k o n trolliert w ird, soll nach Art. 213 VV durch einen M ehrheits
beschluß des V ölkerbundsrates ausgeübt werden. Es besteht für ganz
Deutschland. Seinen eigentlichen Inhalt und seine politische Bedeutung
7*
100 Völkerrechtliche P rob lem e im R hein geb iet
dürfte es erst durch die P raxis des V ölkerbundsrates erhalten, so daß sich
vorläufig hier noch nicht viel K onkretes aussagen läßt. D er V ölkerbundsrat
hatte am 27. Septem ber 1924 ein sogenanntes Investigationsprotokoll geneh
migt, in welchem für die entm ilitarisierten G ebiete die Einrichtung „stän
diger Elem ente“ (éléments stables) vorgesehen w ar. D ie deutsche Regierung
hat es erreicht, daß diese außerordentlich gefährlichen und unabsehbaren
ständigen Elemente zunächst auf gegeben w urden. Ein Beschluß des Völker
bundrates vom 11. Dezem ber 1926, betreffend das Investigationsrecht, sagt
ausdrücklich: „Es besteht Einverständnis darüber, daß die Bestimmungen
des Art. 213 des F riedensvertrages mit D eutschland über die Investi
gationen auf die entm ilitarisierte Rheinlandzone in gleicher W eise wie auf
die übrigen Teile Deutschlands anw endbar sind. Diese Bestimmungen
sehen für diese Zone ebensowenig w ie fü r andere G ebiete die Einrichtung
einer besonderen K ontrolle durch ständige oder dauernde lokale Elemente
vor. ln der entm ilitarisierten R heinlandzone können d erartige besondere,
nicht im A rtikel 213 vorgesehene Elem ente n u r durch ein Abkommen
zwischen den beteiligten R egierungen eingerichtet w erden.“ D as klingt
beruhigend, weil damit die ständigen lokalen Elem ente auch für die ent
m ilitarisierte Zone zurückgewiesen sind, und w ir w ollen hoffen, daß nicht
eine schikanöse Silbenstecherei behauptet, dadurch seien n u r die ständigen
lokalen, nicht andere ständige Elem ente ausgeschlossen. Zugleich aber kann
in diesem Beschluß ein A nerkenntnis gefunden w erden, durch welches der
Inhalt der Investigation sich ausdehnt, indem nämlich der Zweck und Maß
stab für die Untersuchung sich ausdehnen: A r t.213 sieht eine Investi
gation nu r zur D urchführung der allgem einen Entw affnung vor, w ährend
der unter M itw irkung Deutschlands gefaßte Beschluß vom 11. D ezem ber
1926 Investigationen auch zur K ontrolle der D urchführung der speziellen
Entm ilitarisierungsbestim m ungen anerkennt. Mit Recht ist auf das Bedenk
liche dieser Abmachung hingew iesen w orden1.
Es ist daher die E ntm ilitarisierung, die hier am m eisten interessiert.
Selbst wenn einm al wirklich das Problem der Besetzung und des Saar
gebiets gelöst sein sollte, wenn die stark e französische A rm ee m it ihrem
großen K riegsm aterial aus Mainz abm arschiert ist und das deutsche Gebiet
vollständig geräum t hat, w enn auch im Saargebiet w ieder deutsche Be
hörden tätig sind, so bleibt dieses Problem der E ntm ilitarisierung als das
eigentliche Problem der R heinlande und der französisch-deutschen Bezie
hungen w eiter bestehen.
Umfang und Inhalt der E ntm ilitarisierung sind öfters dargestellt w orden
und vor allem in dem Buch von K. Linnebach12 m it gutem M aterial ein
drucksvoll auseinandergesetzt. Es genügt hier, d aran zu erinnern, daß ein
geschlossenes deutsches G ebiet von insgesam t über 55 000 qkm, nämlich das
ganze deutsche linke R heinufer und ein G ebietsstreifen von 50 km B reite
1 Wolf V . Dewall, „Frankfurter Zeitung“, 23. September 1928, 1. Morgenblatt.
2 Die Entmilitarisierung der Rheinlande und der Vertrag von Locarno, eine
völkerreditliclie Untersuchung; Rheinisdie Schicksalsfragen, Sdirift 18/20, Berlin 1927.
V ölkerredltliche P roblem e im R heingebiet 101
auf der rechten Seite des Rheins von Basel bis zur holländischen Grenze
davon erfaßt ist, ein wirtschaftlich hochentwickeltes Gebiet mit großen und
wichtigen Städten, wie K arlsruhe, Mannheim, F ran k fu rt, Köln, Düsseldorf
und Essen, vielleicht der reichste Teil Deutschlands. Die Entm ilitarisierung
besteht nach A rt. 42 , 4 3 VV darin, daß es Deutschland untersagt ist, in
diesem Gebiet Befestigungen beizubehalten oder zu errichten, daß w eder
ständig noch zeitweilig deutsche T ruppen hier unterhalten oder angesam
melt w erden dürfen, daß m ilitärische Übungen jed e r A rt und schließlich
alle „m ateriellen“ (im englischen Text: „ständigen“) „V orkehrungen für
eine Mobilmachung“ verboten sind. Jede dieser Bestimmungen eröffnet
Möglichkeiten ausdehnender Auslegung, die bei einer politischen Zweck
interpretation unverm eidlich ist. Insbesondere legt ein Begriff wie „Vor
kehrungen fü r eine Mobilmachung“ grenzenlose Interpretationen nahe,
nach welchen schließlich jed er Straßenbau, jed er Bahnhof, jed er T u rn
verein, jed er Schutz der B evölkerung durch Gasm asken als V orkehrung
für eine Mobilmachung hingestellt w erden kann. Diese Entm ilitarisierung
bedeutet nach ihrem Inhalt, nach ihrem territo rialen Umfang, nach ih re r
D auer und vor allem auch wegen der Einseitigkeit, mit der sie nu r dem
Deutschen Reich auferlegt ist, etwas völlig anderes als die bisherigen, in
der Geschichte bekannten, älteren oder neueren F älle von Entm ilitarisie
rung1. Es handelt sich nicht etw a um eine N eutralisierung des Gebietes, die
zur Folge hätte, daß das Gebiet nicht Kriegsschauplatz w erden darf. Im
Gegenteil, diese A rt der Regelung hat den Sinn, alle Möglichkeiten der
V erteidigung zu beseitigen und dadurch ein prädestiniertes Kriegsgebiet
zu schaffen, das in voller W ehrlosigkeit und H ilflosigkeit dem Einmarsch
französischer T ruppen und ih re r m ilitärischen A ktionen für alle Zeiten
öffen liegt, eine A rt Glacis zwischen Frankreich und Deutschland, aus
schließlich auf Kosten Deutschlands eingerichtet und dazu bestimmt,
14 Millionen Deutsche zu O pfern etw aiger Kriegsm aßnahm en und einer
ungeheuerlichen A rt von Geiseln zu machen.
D ieser weitgehende Zustand der E ntm ilitarisierung w ar zunächst n u r
dadurch garantiert, daß jed e r Verstoß Deutschlands gegen diese dehnbaren
Bestimmungen als „eine Störung des W eltfriedens und eine feindselige
Handlung gegen jede Signatarm acht des V ersailler V ertrages gilt“ (Art. 44
VV). D er politische Sinn dieser W orte liegt darin, daß Deutschland wegen
irgendeiner Bagatelle als A ngreifer fingiert w erden kann und nun das
ganze System der völkerrechtlichen Scheinjurisprudenz, das echte und
falsche K riegsverhütungs- und Kriegsächtungsrecht mit voller Wucht zu
ungunsten Deutschlands funktioniert. D er E ntm ilitarisierte w ird eo ipso
als A ngreifer fingiert und Deutschland erscheint gerade wegen seiner
W ehrlosigkeit und Entm ilitarisierung automatisch als Störer des W elt
friedens — eine w underbare Illustration zu der berühm ten Fabel von dem
Wolf und dem Lamm oder zu der Geschichte von dem Kaninchen, dessen
hilfloses Mümmeln der Wolf, unter dem Beifall seiner Freunde, als freche
1 So mit Recht Linnebach, a. a. O. S. 76.
102 Völkerrechtliche P rob lem e im R h ein geb iet
frage stattfinden sollen und für das entm ilitarisierte G ebiet eine Fest-
stellungs- und Vergleidhskommission (commission de conciliation et de
constatation) eingesetzt w erden soll. Diese letzte Abmachung, die sich auf
das entm ilitarisierte G ebiet bezieht, ist fü r unseren Zusamm enhang von
besonderem Interesse. Welches Ergebnis die w eiteren V erhandlungen
haben w erden, läßt sich natürlich nicht Voraussagen. Bisher h at die deutsche
Regierung jede Bindung wenigstens über das Ja h r 1935 hinaus entschieden
abgelehnt. G egenüber den zahlreichen V erm utungen und Vorschlägen, die
hier auf tauchen, muß aber immer w ieder die grundsätzliche F rage im Auge
behalten w erden, ohne deren K lärung eine Einigung u n ter den deutschen
Meinungen nicht möglich ist. D enn es gibt Deutsche, die jene geplante
Vergleichskommission, sogar w enn sie über das Ja h r 1935 hinaus fungieren
soll, für etw as Harmloses und im Vergleich zu einer Besatzungsarm ee sehr
Vorteilhaftes halten, und außerdem in ihr eine brauchbare, die Entschei
dung des V ölkerbundsrates vorbereitende, der V erständigung und dem
Frieden dienende Instanz erblicken.
Daß selbst sympathische und vertrauenerw eckende Nam en w ie V er
gleich, Verständigung und Versöhnung und auch ein W ort w ie „con
ciliation“ wenig über die Sache zum Ausdruck bringen, sollte nach den
bisherigen politischen E rfahrungen selbstverständlich sein. Die politische
W irklichkeit richtet sich leider wenig nach solchen A ushängeschildern und
wir wissen, daß schöne und sogar heilige W orte im politischen Kam pf
gebraucht werden, um den G egner durch moralische Suggestionen zu
lähmen, wie die persischen Soldaten im K rieg gegen die Ä gypter K atzen
unter den Arm nahmen, weil die Ä g ypter es nicht w agten, in der Richtung
dieser heiligen T iere zu schießen. Eine Vergleichs- und V erständigungs
politik kann trotz ihres Namens sehr einseitigen politischen Zwecken
dienen. Es frag t sich deshalb, was eine eigens fü r das entm ilitarisierte
Gebiet eingesetzte, der Entscheidung des V ölkerbundsrates auf jed en Fall
vorgreifende Vergleichskommission in concreto bedeutet. Sie ist auf jeden
Fall zunächst eine internationale Instanz, die als solche fü r einen abgegrenz
ten Teil des Deutschen Reiches zuständig ist. Sie brin g t dadurch in die
territoriale Einheit und Geschlossenheit des Deutschen Reiches von außen
her eine gefährliche Unterscheidung, indem sie die bisher n u r norm ative
Sonderbehandlung dieses Gebietes nun auch instanzenm äßig organisiert.
Mit andern W orten: das entm ilitarisierte G ebiet ist bei einer solchen
Kommission nicht n u r der im V ersailler V ertrag vorgesehenen Sonder
r e g e l u n g , sondern auch einer Sonder o r g a n i s a t i ο n unterw orfen.
Das ist rechtlich und politisch ein fundam entaler Unterschied und fü h rt
weit über den V ersailler V ertrag hinaus. D enn dam it ist erreicht, daß
ein bestim m ter Teil des Deutschen Reiches, und zw ar gerade die R hein
lande, geradezu eine besondere Verfassung erhalten. Wichtige staatliche
Funktionen, sowohl der Gesetzgebung als auch der R egierung und Ver
waltung, unterstehen einer beständigen ausländischen, international
gemischten K ontrolle und einem beständigen Vetorecht, und zw ar nicht wie
104 Völkerrechtliche P rob lem e im R hein geb iet
I
III.
Es m üßte auffallen, daß überhaupt von völkerrechtlichen Problem en
der R heinlande oder im R heinlande gesprochen w erden kann. Denn im
allgemeinen ist es doch heute noch so, daß nur Staaten oder staatenähnliche
Gebilde als solche eine völkerrechtliche Stellung haben und T räger selb
ständiger völkerrechtlicher Problem e sind, nicht aber Gebietsteile unabhän
giger Staaten. Niem and w ird es wagen, von einem völkerrechtlichen P ro
blem des Elsasses oder Irlands zu sprechen. Selbst das völkerrechtliche
Problem Ä gyptens ist von der englischen Regierung mit restlosem Erfolg
als solches negiert w orden. Um so bedenklicher, daß eine Redewendung,
wie die vom „völkerrechtlichen Problem der R heinlande“ in ih rer poli
tischen Tragw eite großen Teilen des deutschen Volkes kaum bew ußt wird.
Solange die E ntm ilitarisierung der R heinlande nur auf einer Sonder
norm ierung b e ru h t und ih re D urchführung der L oyalität der deutschen
Regierung überlassen w ird, ist dieser Zustand vielleicht noch erträglich.
Sobald aber an die Stelle der Sondernorm ierung darüber hinaus noch eine
Sonderorganisation tritt und innerhalb des Deutschen Reiches eine te rri
toriale A bgrenzung entsteht, liegt es allerdings nahe, eine Internationale
sierüng der R heinlande zu befürchten, durch welche die Rheinlande aus
einer staatsrechtlichen in eine völkerrechtliche Situation kommen.
Man muß diese U nterw erfung eines großen deutschen Gebietsteiles
unter eine internationale Sonderregelung oder sogar Sonderorganisation
im Zusamm enhang der m odernen M ethoden im perialistischer U nterw erfung
und A usbeutung frem der Staaten betrachten, um die ganze politische Trag
weite eines solchen Zustandes richtig zu verstehen. D enn heute w ird nicht
m ehr mit den v eralteten M ethoden offener G ebietsannexion gearbeitet,
sondern m it „K ontrollen“ und m it einem System von V erträgen, und zwar
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unserer Zeit. D enn es drängt sich jedem auf, wie sehr die Entwicklung der
m odernen Technik manche politischen G ruppierungen und Grenzen der
früheren Zeit illusorisch macht und den überlieferten status quo beseitigt,
wie sehr „die E rde k lein e r“ w ird und infolgedessen die Staaten und
Staatensystem e größer w erden müssen. In diesem gewaltigen Umwand
lungsprozeß gehen wahrscheinlich viele schwache Staaten unter. Einige
Riesenkom plexe w erden übrigbleiben und vielleicht die nach menschlicher
Berechnung zu erw artende Zeit eines ungeahnten, auf völlig neuen tech
nischen M öglichkeiten beruhenden Menschenglücks genießen. Manche
kleineren G ebilde w erden sich im Schatten irgendeines wohlwollenden
Riesen in Sicherheit bringen. Soviel ich beobachten kann, gibt es Deutsche,
die glauben, das letzte sei auch für Deutschland die richtige Methode, um
der politischen Entscheidung zu entwischen und sich in ein problemloses,
wehrloses, geschichtsloses Glück hineinzulavieren, etw a mit Hilfe der „Poli
tik des toten K äfers“, dessen Schutz in seiner W ehrlosigkeit liegt. Das
w äre allerdings eine bequem e und gem ütvolle Lösung und enthöbe uns
scheinbar alles w eiteren polnischen Nachdenkens und jedes Risikos. N ur
fürchte ich, daß dieser Weg, so wie die Dinge nun einm al liegen, hoffnungs
los v e rsp e rrt ist und der sich tot stellende K äfer einfach zertreten wird.
Das Deutsche Reich m it seinem verhältnism äßig kleinen in der Mitte
Europas liegenden T errito riu m und seinen über 60 Millionen Menschen ist
nicht groß genug, um ohne w eiteres eine der überlebenden Weltmächte zu
sein, andrerseits aber nicht klein und p eripher genug, um wie ein kleines
Volk in dem politischen System eines andern unterzukom m en oder sich
einfach aus der W eltgeschichte zu verdrücken. Seine Dimensionen sind zu
klein, als daß es durch das bloße stabile Gewicht seiner Masse geschützt
w äre, w ie das bei R ußland der F all ist; und sein Gewicht ist doch w ieder
zu groß, als daß es in einer schnellen und beweglichen Politik wechselnder
Bündnisse einen labilen Bestand w ahren könnte. In dieser Zwischen
stellung hängt alles am politischen Bewußtsein, an der Selbstbeherrschung
und der Entschlossenheit der deutschen Politik und kom mt es darauf an,
ob das deutsche Volk seinen W illen zur politischen Existenz bew ahrt oder
ob es sich psychisch und moralisch zerm ürben läßt, so daß es damit ein
verstanden w äre, aus seinem eigenen Fleisch und Blut die frem den
L eviathane zu sättigen.
Das ist die furchtbare G esam tlage Deutschlands, in deren Zentrum die
Frage der E ntm ilitarisierung der R heinlande steht. Ein großes und ent
schlossenes Volk braucht nicht zu verzw eifeln, und es w äre Feigheit, die
Hoffnung aufzugeben. A ber es w äre ein Verbrechen, sich der k laren poli
tischen B ew ußtheit zu entziehen und vor den schlimmsten Möglichkeiten,
auch w enn sie hoffentlich n u r Möglichkeiten bleiben, die Augen zu ver
schließen. Insbesondere w äre es eine unverantw ortliche Selbsttäuschung,
anzunehm en, daß heute die zwischenstaatlichen Beziehungen im wesent
lichen bereits m oralisiert und verrechtlicht seien, und daß man theoretisch
und praktisch behaupten könne, das D enken und Fühlen der Völker sei
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