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Nicht nur die Spannungen zwi- Wer sich als Atheist bezeichnet Wer im Kanton Wallis auf dem

schen mehreren Konfessionen, und statt Religion lieber auf Um- Grundrecht der Religionsfreiheit
sondern auch die Rolle der Reli- weltschutz setzt, ist deshalb noch beharrt, muss im schlimmsten
gion an sich beschäftigt Syrien. lange nicht ungläubig. Fall mit Entlassung rechnen.
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Gott und die Welt

6 Religiös jenseits konfessioneller Kirchen? Friedhelm Hengsbach SJ

10 Vielfalt der Religionen im autoritären Staat Anna Scherer

13 Die frommen Atheisten Norbert Bolz

16 Zur ewigen Konjunktur des Antisemitismus Gerhard Hanloser

19 Zwischen Hoffnung und Vergeltung Fabian Urech

23 Klein Jemen, grosse Themen Jan Raudszus

24 Wenn Goethe Aristoteles spielt Marco Büsch

25 Für den Islam in den Ring steigen Luka Dobec

27 Gemeinsame Basis - unterschiedliche Wege Peter-Ulrich Merz-Benz

30 «Die Barriere der Angst ist durchbrochen» Sandra Boulos

Meinung
o

32 Debatte über die Trennung von Kirche und Staat Antonio Danuser

34 Wenn Verfassung und Grundrechte sich kreuzen Valentin Abgottspon

36 Der Krise ein Gesicht Melanie Pfändler

38 Schuld und Sühne im Zeitalter des Downloads Marco Büsch

40 Thoughts on Statelessness Antonio Danuser

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Auch das Nichtstun will gelernt Die frischgebackenen IPZ Profes- Das Bologna-System öffnet neue
sein. Der Weltreisende Goran soren Cheneval und Steenbergen Türen für Bachelor-Abgänger. Ori-
brauchte Monate, um sich an erzählen von ihren Plänen und entierung ist gefragt irn Dschun-
seine neue Freiheit zu gewöhnen. methodischen Ansätzen . gel der Masterprogramme.
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Kultur

42 celn die Welt gegangen, um Bücher zu schreiben» Urs Güney

45 Marrakech and the art of doing nothing Goran Saric

48 Jamaikas Hippies im Schatten der Gesellschaft Sarah Schlüter

53 Hiobs Quäntchen Glück Christian Wimplinger

55 Welche Götter, Welche Welten? Stefan Kovac

Institut

56 ceThe best political science department in Switzerland» Sarah Schlüter

59 An der Bologna-Kreuzung: Abbiegen oder geradeaus? Fabian Urech

63 «Wahrscheinlich werde ich Pfarrer» Annina Schlatter

68 Studenten beleben politischen Diskurs www.vimentis.ch

69 Digitale Vernetzung mitgestalten www.politnetz.ch

70 Talk on Mars - Gott und die Welt Simon Krüsi

71 Rot Anstreichen!

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Die frommen Atheisten
Vom Wissenschafter über den Konsumenten im Kaufrausch bis hin zum systemkri-
tischen Öko, niemand ist vor religiösem Fundamentalismus gefeit. Wer keinen Gott
hat, sucht sich eben einen neuen, zur Not in Gestalt des neuesten Nike Sneakers.

Von Norbert Bolz darin, dass Aufklärung, die einmal Europa vom re-
Atheisten und Wissenschafter neigen dazu, die ligiösen Fundamentalismus befreite, selbst funda-
Gretchenfrage danach, wie man es selbst mit der mentalistisch geworden ist; man denke nur an den
Religion halte, durch die Frage zu ersetzen, warum britischen Biologen Richard Dawkins und seinen
andere Religion nötig haben. Doch nur scheinbar Kreuzzug gegen die Religion. Wie vor zweitausend
haben wir es hier mit einem Wissen zu tun, das den Jahren weckt die Offenbarung Glauben oder Wut.
Glauben hinter sich lässt. Ein kleiner Perspektiven- Der aufklärerische Furor, mit dem ein atheistischer
wechsel genügt, um zu sehen, dass der Atheismus Wissenschafter wie Dawkins heute die Bestsellerli-
selbst ein Glaube ist - nämlich der Glaube an den sten stürmt, markiert keinen Fortschritt in der Ge-
Unglauben., Die Ungläubigen brauchen den Glau- wissheit, dass Gott nicht existiert. Er ist vielmehr ein
ben an die Nichtexistenz Gottes. Der Atheist ist zur Symptom dafür, dass der zur Selbstverständlichkeit
Gottlosigkeit bekehrt, sein Unglaube eine raffinierte gewordene Säkularismus der modernen Welt heute
Form der Frömmigkeit. Der Atheist leugnet Gott von einer neuen Religiosität herausgefordert wird.
immer im Namen eines unbekannten Gottes. Zwar Immer mehr Menschen glauben nicht mehr an den
stilisiert er sich gern als unerschrockenen Aufklärer, Unglauben.
doch in Wahrheit sucht er Entlastung. Der Atheist
leugnet Gott, um sich nicht mit ihm vergleichen zu Der blinde Fleck unseres Denkens
müssen. Immerhin macht er sich noch die Mühe, Wissenschaft schafft nur noch Wissen ohne Ge-
Gott zu leugnen. Von Gott abzufallen, ist freilich ein wissheit. Es gilt heute als gesichert, dass die
Akt des Glaubens. Und hier ist aus der Perspektive Grundlagen der Wissenschaften unsicher sind. Eine
des Frommen eigentlich nur noch ein Schritt zu tun, solche Wissenschaft ist nicht mehr skandalträchtig.
denn der Glaube ist der überwundene Unglaube. Weder fühlt sich der moderne Mensch von ihren Er-
Schon Max Stirner hat den Atheismus als die hart- gebnissen betroffen, noch kann er für sie ein Mass
näckigste Form der Frömmigkeit entlarvt. Im Athe- an seiner eigenen Erfahrung finden. Mit der Expan-
ismus wird lediglich die vakant gewordene System- sion des Wissens wächst das Nichtwissen - und
steIle des christlichen Gottes durch den Menschen damit der Glaubensbedarf. Moderne Wissenschaft
umbesetzt. Den Ausweg aus diesem Dilemma weist ist so hochabstrakt, dass wir ihre Befunde und Hy- Autor
dann die "Gott ist tot»-Formel Nietzsches. Sei- pothesen nicht mehr mit der Interpretation unserer Norbert Bolz ist
ne grundlegende Einsicht besteht darin, dass der Lebenswelt vermitteln können. Diese prinzipielle Professor für Medien-
Unnachvollziehbarkeit der modernen Wissenschaft wissenschaften an der
für den Laien macht Religion in Sachen Weltan- Technischen Univer-
«Die Gläubigen bekennen ihren
schauung konkurrenzlos. Darwin war eine Gefahr sität Berlin und Autor
Glauben, die Ungläubigen sind die für die Kirche - Dawkins ist es nicht mehr. von «Das Wissen der
Sklaven ihres Glaubens.» Blanke Irreligiosität ist ein Abwehrmechanismus. Religion: Betrachtungen .
Norbert Bolz
Man meidet die Stelle, wo sich eine Frage stellt, eines religiös Unmusi-
auf die es keine Antwort gibt. Es gibt Leute, die nur kalischen» (2008) und
Atheismus gescheitert ist. Und deshalb setzt er an mit den Schultern zucken, wenn man "von Gott» «Die ungeliebte Freiheit.
die Stelle der Gottesleugnung den Gottesmord. Das spricht. Sie können noch nicht einmal wissen, Ein Lagebericht.» (2010).
lässt sich nicht mehr überbieten, und auch Freuds dass sie Ungläubige sind. Aber die Geschichte des
Aufklärung folgt noch dieser Spur Nietzsches. Atheismus mahnt auch die Gebildeten unter den
Doch mit Stirner und Nietzsche hat eben zugleich Ungläubigen zur Vorsicht. Kann man Religion erklä-
die Aufklärung 'der Aufklärung begonnen, und sie ren, ohne dass die Erklärung selbst religiös wird?
muss sich eine theologische Interpretation bieten Vor allem die Gottesleugner verfangen sich ja in der
lassen, nämlich aus der Perspektive einer Religion Paradoxie, die Religion gerade durch ihre Negation
nach der Aufklärung: Aufklärung war die Flucht des zu bestätigen. In der Regel glaubt man, was andere
Menschen vor dem allmächtigen Gott in den Athe- glauben, weil sie es glauben. Das gilt gerade auch
ismus. Und es war das Selbstmissverständnis der für Wissenschafter, die natürlich lieber von "Para-
Aufklärung, in der Religion einen Feind zu sehen. digma» sprechen. Wissen ist ein gut sondierter und
Denn Christentum ist selbst schon Aufklärung - als dann als Objektivität institutionalisierter Glaube. Um
Religion. Die Dialektik der Aufklärung besteht heute es mit einer beliebten Metapher neuerer Erkennt-

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nistheorie zu sagen: Der Glaube ist der blinde Fleck rung und ihrem wissenschaftlich-technischen Pro-
der Erkenntnis. Wir können jeden atheistischen Wis- jekt der Moderne zu widersprechen. Doch gerade
senschafter, der die Struktur der Welt bewundert, die Entzauberung der Welt durch Wissenschaft hat
als religiösen Ungläubigen verstehen. Der Wissen- überhaupt erst die Unvermeidlichkeit der Religion
schafter glaubt an die Wissenschaft, der Astrologe evident gemacht.
glaubt ans Horoskop, der Fundamentalist glaubt an Deshalb liegen Glaube und Wissen auch nicht mehr
die Heilige Schrift. Man denkt mit dem, was man im Streit. Der Religion geht es um Sein oder Nicht-
glaubt; und jeden hat ein Glaube im Griff. Die Gläu- Sein; der Wissenschaft geht es um das Anders-sein-
bigen bekennen ihren Glauben, die Ungläubigen Können von allem. Zwar wird die Wissenschaft als
sind die Sklaven ihres Glaubens. Alles Verstehen Grundlage unserer technischen Weltbeherrschung
ist nur in einer Vorurteilsstruktur möglich, und es für uns immer wichtiger; aber zugleich wird sie in
gehört deshalb zu einer Abklärung der Aufklärung, ihrer schwindelerregenden Abstraktheit für unsere
das Vorurteil zu rehabilitieren. Jede Kultur ist ein un- Alltagspraxis und Weltorientierung immer unwich-
entrinnbares Vorurteil. Und immer dann, wenn sich tiger. Gerade indem sie sich souverän behauptet
etwas von selbst versteht, hat uns ein Glaube im und jeden Zweifel an ihrer Legitimität niederschlägt,
Griff. Auch wenn man vergleicht oder beobachtet, erzeugt die Wissenschaftswelt ein Vakuum der Be-
-wie andere beobachten, kann man doch immer nur deutsamkeit.
an einem Ort sein; man hat immer nur eine Per-
spektive: «soweit ich sehe ...». Denken ist nicht das Komm, wir bauen uns einen Glauben
Gegenteil von glauben, denn man denkt immer im Moderne Wissenschaft ist zentrifugal - sie entfernt
Rahmen eines Glaubens. Nicht du hast einen Glau- sich vom Menschen und seiner Erde in astrono-
ben, sondern der Glaube hat dich. Man denkt mit mische und Nanodimensionen. Religion dagegen
dem, was man glaubt - dieses Bewusstsein haben ist zentripetal - christlich verweist sie auf das hi-
die Intelligenten unter den Frommen den aufgeklär- storische Ereignis der Inkarnation, neuheidnisch
ten Universalisten voraus. Mit anderen Worten: Der auf die kosmische Ausnahme Erde. Gerade die Er-
Glaube, der uns hat, ist der blinde Fleck unseres folge von Wissenschaft und Technik führen zu einer
Denkens. Rückwendung des humanen Interesses: man fliegt
in den Weltraum - um schliesslich den kostbaren
Wissenschaft als Religionsersatz? blauen Planeten Erde zu entdecken. Man erzieht
Wer erkennt, dass alle Erkenntnis in einem Glau- zur Multikulturalität - um schliesslich die Einzigar-
bensrahmen stattfindet und dass die letzte logische
Ebene eines Arguments das Bekenntnis des eige-
nen persönlichen Glaubens fordert, hat keine Angst
mehr vor Dogmatismus und Orthodoxie. Es geht hier
um das Bewusstsein, in jedem Akt der Erkenntnis
von unbewiesenen Glaubensüberzeugungen aus-
gehen zu müssen. Die meisten Wissenden können
aber nicht glauben, dass auch ihr Wissen auf einem
Glauben beruht. Man müsste die, die glauben zu
wissen, dazu bringen, zu wissen, dass sie glauben.
Deshalb hat die Religion heute das Problem der
Platonischen Höhle: Man kann den «wissenden»
Höhlenbewohnern nicht klarmachen , dass es ein
Draussen des Glaubens gibt. Metaphysisch ist
das Bedürfnis nach der einen Wahrheit. Man kann
nämlich kein Relativist sein. Genauer gesagt, man
kann als Intellektueller zwar einer relativistischen
Erkenntnistheorie anhängen, aber man kann nicht
relativistisch leben. So wächst auch heute wieder
das Bedürfnis nach einer transzendenten Veranke-
rung des Lebens. Um es paradox zu formulieren:
wir glauben an Gott auch ohne an ihn zu glauben,
weil wir ihn als höchsten Zeugen für die Formu-
lierung der Wahrheit brauchen. Dass Religion nur
durch Religion ersetzt werden kann, scheint heute
unstrittig. Mag auch der einzelne ohne ihren Trost
auskommen - die moderne Gesellschaft kann nicht
auf die Funktion der Religion verzichten. Das scheint
der vernunftmässigen Selbstgewissheit der Aufklä- Dem Globus geht die Luft aus - Radikale Umweltbewegungen wenden6ich

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tigkeit der europäischen Kultur zu entdecken. Man priestern, die uns weg von Gott Vater und hin zu
startet ein Jahrhundertexperiment des Atheismus Mutter Erde führen . Dieser Kult der Natur, der den
- um schliesslich die Unvermeidlichkeit der Religi- Verlust der Gnade kompensiert, gipfelt in der lie-
on zu entdecken. Aber nicht nur in der abstrakten be zum Lebendigen an sich. Die Öko-Religion hat
Welt der Wissenschaft, sondern auch in der ganz durchaus ihre Priester, ihre Pilgerfahrten und ihren
handfesten Realität unseres konsumistischen All- Heiligen Gral. Nur dass die jungen Glaubenshelden
tags zeigt sich, dass man nicht nicht-religiös sein heute Ölplattformen besetzen und die «Rainbow
kann . Längst sind die alten Götter des Heidentums Warrior» gegen finstere Atommächte in See geht.
wiedergekehrt. Man ist grün und vergöttert die Na- Greenpeace - das sind die Kreuzritter der heilen
tur; man gewinnt das Design des neuen Mikrochips Welt. Sie stehen deutlicher als andere Nicht-Regie-
in buddhistischer Meditation; man ist Holist und rungsorganisationen für eine neue Religiosität, die
glaubt an die sc.höpferische Macht des Chaos. Der auf den Namen «Umweltbewusstsein» getauft ist.
Aberglaube erweist sich hier als die Wahl der Eigen-
formel. Heute wird tatsächlich jeder nach seiner ei- Vom Proletariat zum grünen Rosenkranz
genen Fasson selig. Und deshalb leben wir in einem Umwelt heisst der erniedrigte Gott, dem Sorge
POlytheismus der Marken und Moden . Die Götter, und Heilserwartung gelten. Die Heilssorge unserer
die aus dem Himmel der Religionen verdrängt wur- Zeit artikuliert sich als Sorge um das ökologische
den, kehren als Idole des Marktes wieder. Werbung Gleichgewicht. Und das bedeutet im Klartext: Für
und Marketing besetzen die vakantgewordenen die fundamentalistischen Grünen ist Natur selbst
Stellen des Ideenreiches. Düfte heissen «Ewigkeit» die Übernatur. So funktioniert das Umweltbewusst-
und «Himmel», Zigaretten versprechen Freiheit und sein als Quelle einer neuen Religiosität. Dieses grü-
Abenteuer, Autos sichern Glück und Selbstfindung. ne Glaubenssystem ist natürlich viel stabiler als das
Mit einem Wort: Marken besetzen Werte, um sie rote , das es ablöst. Die Natur ersetzt das Proletariat
schliesslich zu ersetzen. So entfaltet sich heute der - unterdrückt, beleidigt, ausgebeutet. Die Enttäu-
Konsumismus als die Religion der Gottunfähigen. schung des linken Heilsversprechens hat apoka-
Doch nicht nur der Konsumismus , sondern auch lyptische Visionen provoziert, nämlich solche vom
seine grünen Feinde zeigen religiöse Züge. Schon Untergang der Umwelt. Man sieht hier deutlich, wer
heute ist die Religion des Sorgens und Schützens vom Niedergang der christlichen Kirchen profitiert.
die eigentliche Zivilreligion der westlichen Wohl- Es sind vor allem diejenigen Organisationen, die
standswelt. Wir folgen dabei den grünen Hohe- den unverändert starken religiösen Impuls in ein
neues Glaubenssc~ema umleiten können . Wir er-
innern uns an die RAF, denken aber auch an den
fundamentalistischen Terror und die selbsternann-
ten Retter von Flora und Fauna. Sie alle entfesseln
mit dem Gesetz des Herzens den Wahnsinn des
Eigendünkels. Die Öko-Religion ist der neue Glau-
be für die gebildete Mittelklasse, in dem man Tech-
nikfeindlichkeit, Antikapitalismus und Aktionismus
unterbringen kann. Diejenigen, die sich mit religi-
öser Inbrunst der Natur zuwenden, sind von der
Geschichte enttäuscht. Und weil sie sich nicht mehr
in die Arme der Kirche zu werfen wagen, beten sie
grüne Rosenkränze. Die Natur ersetzt Gott als ex-
terne Instanz des Urteils über die Gesellschaft. So
hat sich das Devotionsbedürfnis auf die Natur ver-
schoben: die Umwelt als Übernatur. Diejenigen, die
es entrüstet als Zumutung von sich weisen , Gott-
vater anzubeten, huldigen ganz selbstverständlich
einem Kult der Mutter Erde. Und der hat alle Evi-
denzen der modernen Medienwelt auf seiner Seite;
das Foto vom blauen Planeten ist wohl das am häu-
figsten reproduzierte. Die ikonische Qualität der aus
dem Weltraum gesehenen Erde hat der Öko-Reli-
gion eine unvergleichliche Aura verschafft. Dieses
Bild steht für die Sakralisierung der Erde und die
grosse Rückwendung des menschlichen Interes-
ses von der Vermessung des Unermesslichen zur
Sorge um die eigene Endlichkeit. Bild
gegen das System und fun ktionieren doch nach religiösen Mustern. flickr.com

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Debatte über die Trennung
von Kirche und Staat
Die Hochschulgruppe «frei denken» hat am 10. Dezember 2010 Vertreter aller Jungpar-
teien zu einer Diskussion an der Uni Zürich eingeladen. Die Debatte um Religionsfreiheit
und taditionelle Werte verlief wie erwartet turbulent.

Von Antonio Danuser zu keiner Benachteiligung anderer Gruppen führen.


An der sehr gut und von Menschen jeden Alters Hiestand wies darauf hin, dass man in Zürich zu
besuchten Veranstaltung diskutierten nach einem Recht den Kopf schüttle, das Wallis aber eben völ-
einführenden Referat von Valentin Abgottspon, lig anders sei. Sie sprach sich zwar grundsätzlich
welches uns der Referent freundlicherweise in auch für die Religionsfreiheit aus, betrachtet aber
schriftlicher Form zur Verfügung gestellt hat, Ced- eine gewisse Privilegierung einer Religion als ver-
ric Wermuth (Präsident der Jungsozialisten JUSO), tretbar, wenn sie einen grossen Teil der Geschichte
Brenda Mäder (Präsidentin Jungfreisinnige), Cesar und Identität des betreffenden Landes prägt. Auch
Andres (Vizepräsident Junge CVP), Jonas Landolt sie sprach sich gegen die Zwangsbesteuerung von
(CO-Präsident Junge Grüne Stadt Zürich), Eliane juristischen Personen aus.
Hiestand (Junge SVP Kanton Zürich) und Roman
Rutz (Co-Präsident Junge EVP) über aktuelle Fra- Dann wandte sich die Diskussion der Frage nach
gen zum Verhältnis zwischen Religionsgemein- der christlichen Prägung der Schweiz zu. SP, Frei-
schaften und Staat. denker und Grüne sehen die Schweiz eher von der
Aufklärung geprägt. In der Folge entbrannte eine
Zum Einstieg bezogen die Jungpolitiker zur von Ab- hitzige Debatte darüber, ob Werte wie Solidarität,
gottsponn aufgeworfenen Frage nach der Berechti- gegenseitiger Respekt und ähnliches auf die christ-
gung des Kruzifix' im Schulzimmer Stellung. Landolt liche Tradition oder die Aufklärung und Menschen-
sprach sich klar für die Trennung von Kirche und rechte zurückzuführen seien. Auf der einen Seite
Staat aus, welche, wie man schon an der Präambel
der neuen Bundesverfassung sehen könne, jedoch
noch nicht ganz verwirklicht sei. Er betonte zudem,
dass in der Grünen Partei noch kein Positions papier
zu diesen Fragen existiere.
Wermuth sagte, die SP sei für einen strikten Lai-
zismus mit pragmatischer Note. Er sei überzeugter
Atheist und finde es komplett absurd, was in der
«Affäre Abgottsponn» gelaufen sei. Auch Mäder ist
der Ansicht, dass das Kruzifix in der Schule nichts
verloren habe.Sie gab zu bedenken, dass Politiker
in dieser Frage oft nicht Stellung beziehen würden,
aus Angst sie könnten Wählerstimmen verlieren. Die
FDP setze sich klar für Meinungs- und Religionsfrei-
heit, sowie für die Abschaffung der Kirchensteuer
für juristische Personen ein.
Gemäss Andres habe das Bundesgericht in der
Kruzifixfrage nicht eindeutig entschieden und er
tendiert zur Meinung, dass religiöse Fragen nicht
auf Bundes-, sondern auf kantonaler Ebene gelöst
werden sollten. Er spricht sich zudem gegen eine
strikte Trennung von Religion und Staat aus, da die
Religion nicht an den Rand gedrängt werden sollte.
Auch Rutz zeigte sich schockiert von den Zustän-
den im Wallis und sieht die Religionsfreiheit als ei-
nen zentralen Punkt des liberalen Staates. Dieser
dürfe aber bestimmten Gruppen Sonderrechte ge-
währen, wenn es um Traditionen wie von der Bevöl-
kerung akzeptierte Feiertage gehe. Dies dürfe aber Eine weisse Wand ohne Kruzifix?: Podiumsdiskussion um Religionsfreitl 3i l.

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vertrat Hiestand die Ansicht, die ganze Schweizer Argument an, dass die Abschaffung der Kirchen-
Gesetzgebung sei von christlichen Werten geprägt steuer nicht zu einer weiteren Steuersenkung für
und unterscheide sich dadurch von der Gesetz- Unternehmen werden soll. Mäder machte in diesem
gebung islamischer oder hinduistischer Länder, · Zusammenhang darauf aufmerksam, dass Neuen-
während Wermuth auf die universellen Werte der burg und Genf keine Kirchensteuer kennen und die
Aufklärung als wichtiges normatives Element der sozialen Dienstleistungen trotzdem erbracht wür-
Gesetzgebung verwies. In diesen - stark durch das den. Zum Erstaunen des Publikums wies der Mo-
jeweilige Weltbild geprägten - Fragen ergab sich derator darauf hin, dass im Kanton Bern die Pfarrer-
erwartungsgemäss keine Übereinstimmung unter löhne vom Staat (also durch die normalen Steuern)
den Jungpolitikern. Desweiteren wurde der kul- bezahlt würden, weil die Kirche ihre Ländereien und
turelle Hintergrund als Faktor der Diskriminierung andere Besitztümer vor Urzeiten gegen die bezah-
bestimmter Gruppen diskutiert. Hier befürwortete lung der Priesterlöhne auf Lebzeiten der Kirche an
Rutz von der JEVP das Recht, Privilegien an grosse den Kanton abgegeben hat.
eingesessene Gruppen zu vergeben, solange die
Grundrechte respektiert würden. Es folgte die bildungspolitische Frage, ob an theo-
logischen Fakultäten auch Imame ausgebildet wer-
Als nächstes wurde die Frage nach der öffentlich- den sollen. Wermuth war dagegen, weil er fand, es
rechtlichen Anerkennung des Islams im Kanton müssten dann auch atheistische Prediger ausgebil-
Luzern und die dadurch entstehende Privilegierung det werden, und Rutz sprach sich gegen die Tätig-
gegenüber anderen Vereinen erörtert. Hier befür- keit im Ausland ausgebildeter Imame aus.
wortete Andres von der JCVP auch eine Kirchen- Mäder war der Ansicht, dass es Realität werden
steuer für andere Religionen, da religiöse Vereine wird, dass man Imame ausbilden muss.
auch für das Allgemeinwohl tätig seien. Die JUSO Andres sieht auch Vorteile bei der staatlichen Aus-
hingegen will sich für eine schrittweise Übernahme bildung von Priestern, weil sonst zu viele Fanatiker
der Sozialarbeit der Kirchen durch die öffentliche diese Posten übernehmen würden, wie man es bei-
Hand einsetzen. Landolt befürwortet eine Beibehal- spielweise in den USA sehe.
tung der Steuer, welche für soziale Dienste verwen-
det werden soll, aber nicht unbedingt an die Kirche In der Frage, ob auch islamischer Religionsunter-
gebunden zu sein braucht. Wermuth schloss sich richt zuzulassen sei, oder eher ein Fach Ethik ge-
dieser Argumentation mit dem weiterführenden schaffen werden sollte, in welchem neutrale Werte
vermittelt werden, herrschte wiederum Uneinigkeit
zwischen den Jungpolitikern. Mäder war sich da-
bei nicht sicher, ob das überhaupt praktizierbar sei,
denn in diesem Fall würde alles von den Werthal-
tungen der Lehrer abhängen. Andres sprach sich
für einen allgemeinen Pflichtreligionsunterricht aus,
während Landolt ihm widersprach: Die Grünen
seien da total dagegen. Jugendliche sollen lernen,
kritisch zu denken, und sie sollen das Recht haben,
ohne religiösen Einfluss aufzuwachsen. Das fand
wiederum Hiestand von der Jungen SVP einen sehr
interessanten Ansatz. Kindern das Recht zu geben,
nicht religiös aufzuwachsen, würde dann ja auch
heissen, ihnen das Recht zu geben, nicht politisch
geprägt aufzuwachsen, also ganz ohne Einstel-
lungen und Werte, was nicht praktizierbar sei. Sie Autor
betonte, dass das Christentum in der Schweiz auch Redaktor Antonio
Teil der Geschichte sei und die Kinder aller Kon- Danuser (30) studierte
fessionsrichtungen Reformation und Christentum Politikwissenschaft,
kennen sollten. Mäder pflichtete ihr bei, will diese Völkerrecht sowie
Bildung jedoch auf freiwilliger Basis und ausserhalb Wirtschafts- und
der Schule ansiedeln . Sozialgeschichte an
An den vielen Voten aus dem Publikum nach der der Universität Zürich.
Podiumsdiskussion war klar zu erkennen, dass die
Beziehung zwischen Religion und Staat noch immer Bild
- oder seit dem Bedeutungszuwachs der Islamde- Theo Zierock
batte wider vermehrt - ein Thema ist, welches die
Meinungen spaltet und zu hitzigen Debatten unter
:.und die Rolle des Staates in religiösen Fragen. Bürgern und somit auch unter Politikern führt.

33
Wenn Verfassung und
Grundrechte sich kreuzen
Im Wallis sind Staat und Kirche immernoch stark verknüpft, was ein Lehrer letztes
Jahr an der eigenen Haut zu spüren bekam. Seine Darstellung der Geschehnisse.

Von Valentin Abgottspon einen säkularen Staat pes 21. Jahrhundert passen
Vor mittlerweile bald zwei Jahren habe ich das Kru- wollen. Im Artikel 3 heisst es: «Die allgemeine Aufga-
zifix aus meinem Klassenzimmer entfernt und damit be der Walliser Schule besteht darin, die Familie bei
einen Prozess losgetreten, der zu meiner fristlosen der Erziehung und Ausbildung der Jugend:w unter-
Entlassung geführt hat. Es entbrannte ein «Streit stützen. Zu diesem Zwecke erstrebt sie die Zusam-
ums Kruzifix». menarbeit mit den öffentlich-rechtlich anerkannten
Am 11. August 2010 fand zwischen zwei Vertretern Kirchen (nachfolgend Kirchen genannt). Sie bemüht
der Dienststelle für Unterrichtswesen des Kantons sich, die sittlichen, geistigen und körperlichen Anla-
Wallis und mir ein Gespräch statt. Diese Unterre- gen des Schülers zur Entfaltung zu bringen und ihn
dung führte ich - und das habe ich klar so ausge- auf seine Aufgabe als Mensch und Christ vorzube-
drückt - als Präsident der Freidenker-Sektion, als reiten.» Eine jüdische Lehrperson in Sitten müsste
Staatsbürger also, und nicht etwa als Lehrer. Inhalte demnach also beispielsweise ein Mädchen buddhi-
der Unterhaltung waren unter anderem Reglemente stischer Eltern auf ihre Aufgabe als Christ vorberei-
und Verordnungen zum Schulmessbesuch, die ten! Im besagten Gespräch wurde immer wieder auf
ich in der heutigen Zeit als nicht mehr angemes- diesen Artikel zurückgegriffen. Mein Einwand, dass
sen betrachte. So stellt beispielsweise die enge
Einbindung von Religion in den Schulunterricht
viele konfessionsfreie Eltern vor Schwierigkeiten .
Da Vorbereitungen für katholische Rituale wie die
Erstkommunion oder Konfirmation an vielen Pri-
marschulen während den Unterrichtszeiten stattfin- Freidenker.
den - ja es existiert tatsächlich noch ein solches Die Freidenker Vereinigung Schweiz (FVS) ist die
Schulsystem in der Schweiz -, müssen die Eltern wichtigste Interessenvertretung der Konfessions-
sich überlegen, ob sie ihre Kinder für diese Zeit von freien in der Schweiz und wurde im Jahre 1908
gegründet. Sie vertritt eine empirische, naturali-
der Schule dispensieren wollen. Doch würden die
stische Weltanschauung. die ohne Spekulationen
Kinder bei einem allfälligen Fernbleiben des Unter-
über nicht Beweisbares auskommt. Sie setzt sich
richts drei bis vier Wochen des Stoffes verpassen. für die Anerkennung und Durchsetzung der Men-
Die Dienststelle sah jedoch keinerlei Bedarf, die Si- schenrechte ein, sowie für die strikte Trennung von
tuation zu ändern, nicht einmal die Schulen bezüg- Staat und Religion (Laizismus). Sie kämpft dafür,
lich dieser Problematik zu sensibilisieren. Zusätzlich dass keine religiöse Gemeinschaft Sonderrechte
machte ich auch auf den Bundesgerichtsentscheid gegenüber der restliche Gesellschaft für sich be-
aufmerksam, dass religiöse Symbole aus Schulräu- anspruchen kann. Die FVS bietet auch weltliche
men anstandslos zu entfernen seien, wenn Eltern, (d.h. religionsfreie) Rituale an. Am häufigsten sind
Lehrpersonen oder religionsmündige Schülerinnen die Dienste für religionsfreie Abdankungsfeiem ge-
oder Schüler dies verlangen würden. Mir wurde mit- fragt. Anfangs Mai 2010 wurde die Sektion Wallis
des FVS gegründet und Valentin Abgottspon zum
geteilt, dass im Wallis auf eine Professionalisierung
Präsidenten gewählt.
Autor der SChulleitungen hin gearbeitet werde, ich solle
Eine weitere humanistische Vereinigung stellt die
Valentin Abgottspon.(31) mir keine Sorgen machen, die Schulleitungen und
Giordano Bruno Stiftung dar, eine Denkfabrik. be-
aus Staldenried (Wallis) Schulbehörden würden bestimmt angemessen re- stehend aus zahlreichEm Wissenschaftlern, Philo-
studierte Germanistik agieren. sophen und Künstlern. zur Förderung des evoluti-
und Philosophie und Der Beamte, ein Jurist der Dienststelle für Unter- onären Humanismus.
arbeitete in den letzten richtswesen, vermochte nicht professionell zu argu- Der Veranstalter der Podiumsdiskussion. die Hoch-
4 Jahren als Oberstu- mentieren und seine privaten Ansichten zum Chri- schulgruppe «Freidenken» vertritt das Denken der
fenlehrer an der Orien- stentum von allgemeinen Überlegungen zu trennen. FVS und der Giordano Bruno Stiftung an den Hoch-
tierungsschule Stalden, Es sind aber nicht nur Politiker, Beamte und ein schulen.
bis er aufgrund seiner beträchtlicher Teil der Bevölkerung, denen laizis-
Forderung nach säku- tische Ideen fremd sind. Auch das Gesetz über das o
Q.
lären staatlichen Schu- öffentliche Unterrichtswesen aus dem Jahre 1962 c
o
len entlassen wurde. beinhaltet Bestimmungen, welche nicht so recht in ~

34
Kolumnistin dieser wohl verfassungswidrig sei, zumindest aber
Melanie Pfändler (22) im Einzelfall nicht angewendet werden dürfe, war
studiert im 5. Semester den Beamten ziemlich egal. Statt weitere Bestim-
Politikwissenschaften , mungen, Reglemente oder Verordnungen aufzuzei-
Psychologie und Po- gen, wurde infrage gestellt, ob ich denn überhaupt
puläre Kulturen an der noch weiter unterrichten könne. Mir war zu diesem Der Krise ein Gesicht
Universität Zürich. Sie Zeitpunkt nicht wirklich klar, ob ich die Ankündigung Wegrationalisieren, freistellen, human resources
hat 3.5 Jahre als freie einer entsprechenden Überprüfung als Drohung dezimieren, seinen Posten verlieren, auf der Strasse
Mitarbeiterin für den Ta- und/oder als Anweisung zu Schweigen auffassen landen, gefeuert, gespickt oder gegangen werden
ges Anzeiger gearbeitet. sollte. Einigermassen frustriert jedenfalls beendete - man kann es drehen wie man will, meinen Job
ich dieses Gespräch. bekomme ich nicht wieder.
Die Schulleitung sollte von mir aus ruhig Auskunft Vergangenen Herbst wurden beim Tages-Anzeiger
37 Stellen gestrichen. Siebenunddreissig. Klingt
über meine Arbeitsleistung geben, aber sie sollte
~ nach wenig in diesen Tagen. Klingt nach mehr,
auch guten Gewissens sagen dürfen, dass ich
wenn man die Leute kennt, die auf diesen 37 Bü-
nicht dabei mithelfe, die Schülerinnen und Schüler
rostühlen sassen: Die Redaktorin mit dem gefräs-
auf ihre Aufgabe als Christen vorzubereiten. Daher sigen Pausbackenkind, der tätowierte Witzbold,
stellte ich der Schulleitung und der Schulpräsidentin der in seiner Freizeit in einer Hardrockband spielt,
einen Brief zu, in welchem ich forderte, das Kruzi- der Weltenbummler, der immerzu Kolumnen über
fix aus dem Lehrerzimmer zu entfernen, mich von Hühner schrieb.
sämtlichen religiösen Anlässen zu dispensieren und Laut dem SECO gab es in der Schweiz Ende 2010
ich kündigte zudem an, dass ich nicht mehr be- rund 50'000 Arbeitslose mehr, als vor dem realwirt-
stimmen wolle, wer von meinen Schülerinnen und schaftlichen Ausbruch der Krise. Und ich? Ich bin
Schülern in den Messen Lektoren und Messdiener nicht mal drin in der Statistik. All die freien Mitar-
beiter, die sich mit Artikeln und Redaktionsaushilfen
sein sollten. Es erreichte mich daraufhin ein Brief mit
ihre WG-Zimmer und Skiferien finanzierten, tauchen
sieben Forderungen, der von allen Gemeindeprä-
in keiner Wertung auf. Rechnet man die grosszü-
sidenten der Schulregion und auch von fast allen
gigerweise dazu, fielen allein im Zürcher Oberland
Mitgliedern der Schulkommission unterschrieben 56 Schreiberlinge dem Tamedia-Krisenmanagment
worden war (sh. S. 35). Gefehlt hat einzig die Un- zum Opfer; hochgerechnet also rund 250 Mitarbei-
terschrift des Priesters. In Stalden ist der römisch- ter, wenn man alle Lokalredaktionen in die Rech-
katholische Priester von Amtes wegen Mitglied der nung miteinbezieht.
regionalen Schulkommission. Ich antwortete dann, Im Zuge der Finanzkrise wurde in der Chefetage das
dass es nicht in Frage komme, in meinem Schul- Steuer radikal herumgerissen. Eine bessere Zeitung
zimmer ein Kruzifix aufzuhängen oder hängen zu sollte her. Mehr Qualität mit weniger Geld. Schlan-
lassen würde. Ich kündigte auch an, dass ich auf ker sollte er werden, der Tagi -«urbaner»! Konkret:
In sechs Regionalredaktionen ging Ende Dezember
mein Grundrecht nicht verzichten und, sollte die
das Licht aus; die Lokalnachrichten werden fortan
Schulbehörde diese Forderung aufrecht erhalten,
vom Zürcher Oberländer, dem Zürcher Unterländer
eine beschwerdefähige Anordnung mit Rechtsmit-
und anderen Blättem (denen wohlgemerkt nicht
telbelehrung verlangen würde. gerade der Ruf schlanker Urbanität vorauseilt) ein-
Statt einer beschwerdefähigen Anordnung er- gekauft.
hielt ich dann während der letzten Lektion vor den Über die Auswirkungen, die der stetige Spardruck
Herbstferien eine fristlose Kündigung ausgehändigt. auf die Vielfalt und die Unabhängigkeit in der
Mittlerweile ist ein ReChtsgutachten von Prof. Mar- Schweizer Medienlandschaft hat, lässt sich strei-
kus Schefer (Universität Basel) erschienen, welches ten. Die Betroffenen spüren die Konsequenzen am
nachweist, dass sowohl die Kündigung als auch eigenen Leib. Das muss nicht zwingend tragisch
Teile des Unterrichtsgesetzes und der Praktiken sein. Unser Hausfotograf hat sich seinen Traum der
Selbstständigkeit erfüllt, eine Redaktorin ist nun
an öffentlichen Schulen im Wallis verfassungswid-
glückliche Bibliothekarin, eine andere arbeitet in
rig sind. Gerade dieser Fall macht für mich klar, wie
einem Nationalpark und eine dritte als Reiseleite-
nötig es ist, dass sich auch säkulare Leute in Ver-
rin auf den Lofoten. Krise als Chance, wenn man
einigungen organisieren. An den Hochschulen hat so will. Doch auch wenn nicht jeder Entlassene ein
sich mittlerweile eine Gruppierung gebildet, die mit verzweifelter Familienvater ist: Solche Geschichten
der FVS und der Giordano Bruno Stiftung zusam- erinnem uns daran, die persönlichen Schicksale
menarbeitet. Die religiösen Vereinigungen verfügen hinter den Prozenten zu sehen. Für mich gaben di-
über enorm viel Lobby-Einfluss und geniessen auch ese 37 Joumalisten der Krise ein Gesicht. Oder um
in vielen Bereichen eine Art Gratis- und Vorschuss- den guten Herm Frisch zu bemühen: «Wir entlies-
respekt. Meine Erfahrungen liefern ein sehr kon- sen Arbeitskräfte und es gingen Menschen.»
kretes, anschauliches Beispiel, wo die Trennung von
Staat und Kirche noch immer nicht funktioniert.

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