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Religion und Kosmologie der Chiquitanos

Die Chiquitanos sind seit der Zeit der Reduktionen eigentlich katholisch mit jesuitischen Ursprung.
Dennoch haben sie viele Elemente ihres traditionellen Glaubens beibehalten. Viele der Elemente
des Katholischen Glaubens wurden von den Chiquitanos adaptiert und in Sinne ihrer Kosmologie
transformiert. So ist der Katholische Glaube jenseits orientiert, also auf das Leben nach dem Tod
ausgerichtet. In ihrem Alltagsleben und ihrer Verbindung mit ihrer Umwelt herrschen jedoch immer
noch die alten Glaubensvorstellungen und die Chiquitanos richten ihr leben nach diesen aus.

Der Kosmos und die Erde


In der Weltsicht der Chiquitanos existieren sieben Himmel und sieben Erden. Die Erde ist eine
runde Scheibe, um die sich sechs andere Welten konzentrisch anordnen. In der ersten Welt leben die
sichtbaren Wesen, also wir. Unter unserer Welt leben kleine Menschen, von den Chiquitanos
„enanos“ genannt. Diese haben ihre Welt niemals verlassen und keiner von ihnen war jemals auf
unserer Erde. Über unserer Welt gibt es sieben Himmel, die in der gleichen Form wie die anderen
Welten angeordnet sind. In den unterschiedlichen Himmeln sind die Seelen von verstorbenen je
nach der Ursache ihres Todes. In dem Ersten sind die Seelen derer, die durch Krankheit gestorben
sind, in der Zweiten diejenigen, die erstickt sind. In dem letzten Himmel lebt Tupax, der von den
Jesuiten als das Pendant zu Gott gesehen wurde. In jedem dieser Himmel leben die Seelen der
Verstorbenen in Paradies ähnlichen Zuständen. (Arrien, 2007: S. 62).

Die zyklische Erschaffung und Zerstörung der Erde


Nach der Mythologie der Chiquitanos ist die Erde wie wir sie kennen in einen Zyklus aus Entstehen
und Vergehen begriffen. Am Ende eines Zyklus wird die Erde durch Naturkatastrophen zerstört und
jegliches Leben auf ihr vernichtet. Danach beginnt ein neuer Zyklus und ein neuer Menschenstamm
wird geboren. Nach dieser Vorstellung sind die heute lebenden Chiquitanos Nachkommen der
Menschen, die im vorigen Zyklus über die Erde wanderten. Nach der letzten Zerstörung der Erde
bildeten sich die Gebirge, um die Erde zu stabilisieren. Dennoch wird sich nach der Mythologischen
Vorstellung der Chiquitanos die Erde nach Ablauf diese Zyklus wieder zerstören, um danach wieder
neues Leben zu erschaffen. Nach ihrer Vorstellung lebten die Menschen des letzten Zyklus in
paradiesischen Zuständen voller Überfluss (Arrien, 2007: S. 62f).

Die Vorstellung von Zeit und Raum


Die Raumvorstellung der Chiquitanos ist Dual und Konzentrisch. Die sieben Himmel und Erden
formen eine Konzentrische Einheit mit sich selbst. Unsere Welt steht dabei im Mittelpunkt und die
anderen sechs gruppieren sich konzentrisch um sie herum. Dieses konzentrische Weltbild zeigt sich
auch in Ihren Ritualen und Tänzen. Beim traditionellen Kreistanz drehen sich die Musikanten im
Zentrum, während sich die Tänzerinnen in einem größeren Kreis um diese drehen. Des weiteren
können wir diese zyklische Weltbild auch in der Form ihrer Subsistenzwirtschaft wiedererkennen,
die nach den Zyklen der Jahreszeiten ausgerichtet ist (Arrien, 2007: S. 63f; Cestari, 2004: S. 24f,
S.57ff).

Die Herren und Geister der Natur


Am deutlichsten tritt das Mythologische Weltbild der Chiquitanos im Umgang mit ihrer Umwelt
hervor. Nach ihrer Vorstellung waren alle Elemente ihres Kosmos Menschen, die sich aus
unterschiedlichen Gründen in Tiere, Pflanzen und Naturphänomene verwandelt wurden, ihre Seele
dabei jedoch behalten haben. Der Grund für ihre Verwandlung war meistens, dass sie die Natur
nicht geachtet haben und diese sich gegen sie wehren musste. So kommt es, dass keine wirkliche
Trennung zwischen den Menschen und denen sie umgebenden Lebewesen und Phänomenen gibt.
Sie teilen sich auch eine spirituelle Essenz, die in allem vorhanden ist. Also lässt sich bei den
Chiquitanos keine wirkliche Trennung von Natur und Kultur vollziehen, wie sie in unserer
westlichen Welt vorhanden ist. Die Welt besteht aus einem Netz von Beziehungen zwischen den
Menschen und denen sie umgebenden Dingen. Diese Beziehungen unterliegen auch bestimmten
Regeln und Normen, nach denen sich die Chiquitanos zu verhalten haben. Diese Regeln und
Normen prägen einen respektvollen und nachhaltigen Umgang mit der Umwelt. Es gibt Wesen die
über diesen Umgang mit der Natur wachen und vergehen gegen die Selbige bestrafen. Dies sind die
Naturgeister oder Jichis. (Arrien, 2007: S. 64f; Cestari, 2004: S. 24f)
Diese Jichis sind Schutzgeister, welche die Flora und Fauna beschützen. Es gibt viele verschiedene
Jichis für die verschiedenen Sphären der Natur. So existieren der Jichi del agua, die dueños de los
animales, el Jichi del Bosque, el Jichi del cerro und el Jichi de la pampa. Es gibt nicht nur einen
Jichi für jede dieser Sphären, sondern jeder Berg hat seinen Jichi del cerro und jeder Fluss und jede
Lagune ihren Jichi del agua. Das gleich gilt auch für die dueños de los animales. Diese Geister
erscheinen den Menschen in unterschiedlichen Formen, in der eines anderen Menschen, eines
großen Tieres, oder in einer Hybridform zwischen Mensch und Tier. Das Verhältnis zwischen dem
Menschen und den Geistern ist sehr ambivalent und die Jichis können gut oder böse sein und den
Menschen helfen, oder diese bestrafen. Die Jichis können Menschen verzaubern, sie entführen oder
sie in Jichis verwandeln. Die weiblichen Geister versuchen Männer zu verführen und entführen,
während die männlichen dies mit Frauen versuchen. So kommt es auch zu Kindern zwischen
Menschen und Geistern, die man daran erkennt, dass sie den Schwanz einer Schlange haben, oder
halb Mensch halb Fisch sind (Arrien, 2007: S. 65f; Cestari, 2004: S. 30ff).
Die Nutzung der natürlichen Ressourcen spielt eine wichtige Rolle im Leben der Chiquitanos. Diese
Nutzung ist durch die Naturgeister reguliert und bewacht. Diejenigen, die die Ressourcen der Natur
respektvoll und in einem sinnvollen Maße nutzen lässt er gewähren, während er jene bestraft, die
die Natur ausbeuten und missachten. Einer der wichtigsten Geister ist der Herr der Tiere (Arrien,
2007: S. 66).

Der Dueño de los Animales


Der Herr der Tiere wird in der Region um Ñuflo de Chávez auch el negro oder el gigante genannt.
Er ist der Herr aller wilden Tiere mit Ausnahme der Fische und der Bienen, die ihren eigenen jichi
haben. Er hat unterschiedliche Erscheinungsformen, z.B. die eines großen, schlanken, schwarz
angezogenen Mannes, der ein Loch in seinem Rücken hat. Manche reden von ihm auch als großer,
bärtiger Mann, dessen Körper mit Haaren bedeckt ist. Er lebt in einem großen Stein, oder unter
einem Berg und dort hält er auch die wilden Tiere. Er ist für die Vermehrung von Tieren
verantwortlich und er ist es auch, der darauf achtet, dass die Jäger die Tiere mit Respekt jagen. So
ist es zum Beispiel tabu, ein zu junges Tier zu töten, oder mehr zu jagen, als man verbrauchen kann.
Der Herr der Tiere gibt dem Jäger seine Beute. Wenn ein Jäger die Regeln verletzt, verärgert er den
Herren der Tiere und dieser hört auf, dem Jäger Tiere zu schicken. Auch kann er den Jäger oder
seine Familienmitglieder mit Krankheit bestrafen. Er wird auch wütend, wenn man ein Tier nicht
richtig tötet, oder verletzt zurücklässt. Um den Geist gnädig zu stimmen, sollte der Jäger ihm ein
Opfer in Form eines charuto1, oder eines Teils der Beute darbieten (Arrien, 2007: S. 66f).

Der Jichi del Agua


Viele Menschen die in Bolivien leben kennen den Jichi, jedoch verbinden sie diesen nur mit dem
einen Jichi del Agua, der die Form einer gigantischen Schlange hat. Dieser ist der Herr der Fische,
Flüssen und Lagunen. Er ist es, der diesen Plätzen ihr Wasser gibt und dem Fischer die Fische. Wie
beim Herren der Tiere darf der Fischer nicht mehr fangen, als seine Familie essen kann und auch
ihm sollte man als Gegenleistung Tabakblätter darbieten. Auch sollte man darauf achten, das Wasser
nicht zu verschmutzen, da der Jichi diesen Ort sonst verlässt und dieser austrocknet (Arrien, 2007:
S. 68).

Der Schamanismus bei den Chiquitanos


Der Schamane ist bei den Chiquitanos das Bindeglied zwischen unserer Welt und der Welt der
Naturgeister, von diesen erhält er seine Macht und er kann sie zum Wohle der Gemeinschaft
einsetzen. Es werden zwei Arten von Schamanen unterschieden, zum Einen der cheseruxi und zum

1 Eine traditionelle Zigarre aus Tabakblättern


Anderen der oboixh oder picharero. Der cheseruxi ist, gut, er heilt die Kranken und kann den
Menschen mit Ritualen helfen. Das Gegenstück ist der oboixh, er ist der Hexer der Menschen
verzaubert und ihnen schaden zufügt. Der picharero arbeitet mit Giften, die er aus der Natur
gewinnt. Diese Gifte werden durch Nahrung aufgenommen, bereiten große Schmerzen oder können
gar töten. In San Antonio de Lomerío werden so auch die genannt, die mit Hilfe von Pflanzen
heilen. In vielen Regionen kann ein Schamane ein cheseruxi für seine Gruppe und ein oboixh für
die Feinde seiner Gruppe sein.
In der Chiquitania gibt es die Vorstellung, dass alle Krankheiten ihren Ursprung außerhalb des
Körpers haben. Dies kann Nahrung sein, oder dass man sich auf einen heißen Stuhl gesetzt hat. Der
Schamane nutzt zwei Techniken um diese Krankheiten zu heilen, die Massage und das Aussaugen.
Diese beiden Techniken werden durch Tabakrauch und die Anwendung von natürlicher Medizin2
ergänzt. Die Heilung wird mit der Hilfe der Naturgeister durchgeführt, die dem Schamanen die
Kraft geben, die Krankheit zu heilen. Normalerweise wird ein cheseruxi gerufen, wenn sich die
kranken und verletzten nicht selber heilen können. In letzter Zeit unterscheiden die cheseruxi auch
zwischen Krankheiten, die sie heilen können und diesen, zu deren Heilung ein moderner Arzt von
Nöten ist.
Im Rahmen des Synkretismus von katholischem Glauben und den traditionellen Vorstellungen der
Chiquitanos glaubt man, dass der oboixh mit dem Teufel im Bunde steht. Dieser will vom oboixh
Seelen als Gegenleistung für die Macht, die er ihm gibt. Dieser praktiziert die dunkle Magie, indem
er Insekten, kleine Tiere oder Steine in den Körper seines Opfers einführt. Er hat auch Macht über
die Tiere und kann sich selbst in ein Tier verwandeln (Arrien, 2007: S. 72ff; Cestari, 2004: S. 42ff).
Die Kosmovision der Chiquitanos ist die Basis ihres Handelns, ihrer Kultur. Durch sie achten die
Chiquitanos auf einen respektvollen Umgang mit ihrer Umwelt, sorgen für biologische Vielfalt,
begründen ihre Solidarität und ihr reziprokes Verhalten. Wie bereits erwähnt, kennt das Weltbild der
Chiquitanos keine Trennung von Natur und Kultur und so sind das Soziale, die Natur und ihre
Spiritualität miteinander verbunden und stehen in einem reziproken Austausch miteinander. Ihre
Umwelt ist heilig und belebt und die Jichis wachen mit Normen und Regeln darüber, dass mit ihr
respektvoll umgegangen wird. Dies ist auch heute noch so und so ist z.B. die Nachhaltigkeit bei
ökonomischen Projekten nicht nur ein Aspekt unter vielen, sondern eine Grundvoraussetzung, um
diese Projekte durchzuführen (Arrien, 2007: S. 74f).

2 Dies können Heilpflanzen oder auch Tierische Produkte sein.

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