Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Die Händler
des Zyklon B
Tesch &
Stabenow
Eine Firmen-
geschichte
zwischen
Hamburg und
Auschwitz
V
VS
Konzentrationslager,
in denen mit Giftgas
gemordet wurde
Stutthof 3
Neuengamme 3
Ravensbrück 3
Papenburg
Sachsenhausen 1 3 4
Bergen-Belsen
Che
Dora-
Nordhausen
Dessau
Buchenwald 6
Groß-Rosen 6
Theresienstadt 6
Flossenbürg Kolin
Natzweiler 5
Dachau 6 Mauthausen 3
Landsberg
Treblinka 2
lmno 1
Sobibor 2
Majdanek 3
Plasow
Belzec 2
Auschwitz 3
● Konzentrationslager, KZ Lieferanten
in denen mit Giftgas gemordet wurde
Auschwitz Tesch & Stabenow, Degesch
(siehe Kapitel 14) Majdanek Tesch & Stabenow
1 Motorabgase/Gaswagen Sachsenhausen Tesch & Stabenow, Degesch
2 Motorabgase/Gaskammer Ravensbrück Tesch & Stabenow
3 Zyklon B Stutthof Tesch & Stabenow
Neuengamme Tesch & Stabenow
4 Kohlenmonoxid aus Druckflaschen
Groß-Rosen Tesch & Stabenow
5 Blausäure aus Cyaniden und andere Gase Dachau Heerdt & Lingler, Tesch & Stabenow
● Weitere Konzentrationslager Mauthausen Heerdt & Lingler
Heerdt & Lingler
Buchenwald
6 darunter Abnehmer von Zyklon B
Theresienstadt Degesch Prag
(siehe Kapitel 15)
Dessau Hersteller Zyklon B
Grenzen 1937
Großdeutsches Reich 1942
VSA-Verlag Hamburg
−> Gesamtdarstellung der Karte im A4-Querformat siehe S. 256
Jürgen Kalthoff und Martin Werner gründeten eine Initiative für Abkürzungen
eine Erinnerungstafel am früheren Firmensitz von Tesch & Anm. Anmerkung
Stabenow und forschten sechs Jahre zur Geschichte des Unter- BNI Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten,
nehmens. (Bernhard-Nocht-Institut), Bibliothek
BA-P Bundesarchiv, Abteilung Potsdam
Peggy Parnass ist Autorin, Kolumnistin, Kommentatorin und DRP Deutsches Reichs-Patent
Schauspielerin in Hamburg. Sie erhielt den Joseph-Drexel-Preis DT Gebrauchsmuster
für »hervorragende Leistungen im Journalismus«, den Fritz- ebd., S. wie vorherige Quellenangabe,
Bauer-Preis der Humanistischen Union und 1998 die Biermann- nur andere Seite
Ratjen-Medaille. EP Europäisches Patent
f. und die nächste Seite
HStAW Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
IfZ Institut für Zeitgeschichte, München
JAG Judge Advocate General
MPG Archiv zur Geschichte der Max-Planck-
Gesellschaft
PRO Public Record Office, London
SG Irene Sagel-Grande, H.H. Fuchs, C.F. Rüter,
Justiz und NS-Verbrechen, Sammlung deut-
scher Strafurteile wegen nationalsozialistischer
Tötungsverbrechen 1945-1966, Band XIII,
Amsterdam 1975
StA HH Staatsarchiv Hamburg
Vergl. vergleiche
ZMH Zoologisches Museum Hamburg,
Bibliothek Entomologie
Besondere Schreibweisen
in ‘...‘ Aus den »Nürnberger Gesetzen« abgeleitete
statt »...« Begriffe (z.B. ‘Arier’) der »Nationalsozialisti-
schen Rassenlehre«
Navigation, Übersichten
Abhängig vom verwendeten Pdf-Programm können ange-
zeigt werden: Lesezeichen, Links im Inhaltsverzeichnis
und in der Zeittafel zur Firmengeschichte.
Dieses Buch ist eine Sensation. fekt ja nicht nur um die Firma Tesch & Stabenow,
Warum ist es eine Sensation? Eine Sensation ist es sondern kann übertragen werden auf zahllose ande-
schon, weil in Deutschland zwei junge Männer, die re Unternehmen. Auch wenn sie nicht gerade mit
mit ihrer Zeit sicher Erfreulicheres hätten anfangen Giftgas dealten, sondern sich Sklavenarbeiter zu an-
können, sechs lange Jahre hart recherchierten. Re- derem Zweck hielten. Auch wenn sie Hochschulleh-
cherchierten heißt, Fragen stellten, die Wahrheit hin- rer waren, Ärzte, Juristen – Menschen richteten auf
ter der sogenannten Wahrheit suchten. ihre Art und auf ihrem jeweiligen Gebiet das Schlimmst-
Es ging und geht um die Hamburger Handelsfirma mögliche an. Alle funktionierten – auch die Behör-
Tesch & Stabenow. Klingt sehr hanseatisch, gutbür- den.
gerlich, wie man gerne sagt. Ein angesehener Laden, Die großen Vermögen? Wer hat die? Die Erben und
im Besitz von angesehenen Kaufleuten. Was es dort Nachfolgefirmen. Und die fühlen sich in keiner Wei-
zu kaufen gab, und das nicht in geringen Mengen, se angesprochen, wenn es um die Taten ihrer Gönner
war das Blausäure-Gas Zyklon B – ein Schädlings- geht.
bekämpfungsmittel. Der Chemiker Tesch, selbster- Aber Jürgen Kalthoff und Martin Werner hat diese
nannter Pädagoge und Aufklärer, gab sein Fachwis- Geschichte nicht losgelassen. Sie wird sicher auch
sen guter Dinge in Kursen an die SS weiter. So konn- keinen Leser loslassen.
te denn das Schädlingsbekämpfungsmittel, in Form Ich danke den beiden.
von Gas, wirksam zur Beseitigung von Juden, Rus- Peggy Parnass, Hamburg, Mai 1998
sen, Widerstandskämpfern, Sinti und Roma und an-
derem »Ungeziefer« aus ganz Europa benutzt wer-
den.
Tesch war nicht dumm. Er erweiterte seinen Kun-
denstamm und somit sein Vermögen. Als die Englän-
der gleich nach dem Krieg hier noch das Sagen hat-
ten, wurde der brave Bürger Tesch hingerichtet. Zu
dumm. Nur ein kleines bißchen später, als die Ge-
richte wieder in deutscher Hand waren, wäre er ge-
nauso wie sein Geschäftspartner Peters und Tausen-
de anderer Verbrecher freigesprochen worden. Viel-
leicht ein Freispruch vierter Klasse, aber das macht
ja nichts.
Was mich jetzt glücklich macht, ist, daß diese Ha-
lunken, nach denen sonst kein Hahn kräht – nicht
damals, heute erst recht nicht – endlich deutlich vor-
gestellt werden. Und zwar so deutlich und leicht ver-
ständlich geschrieben, daß es jedem Schüler ab vier-
zehn, fünfzehn und ihren Lehrern in jeder Schule in
die Hand gedrückt werden sollte. Es geht im Endef-
Das Zyklon B-Etikett aus Hamburg
Bei einer Polenreise im Herbst 1992 sah ich in den richtet hatte, sowie die auffällig hohen Liefermen-
Gedenkstätten von Majdanek und Auschwitz zum gen nach Auschwitz führten 1946 zum Todesurteil
ersten Mal die Dosen, die das Giftgas Zyklon B ent- für Tesch und einen weiteren Geschäftsführer. Eine
halten hatten. Dabei fiel mir auf dem Etikett die Ham- »Nachfolgefirma« des nach Kriegsende aufgelösten
burger Adresse der Firma Tesch & Stabenow (Testa) Unternehmens wurde 1947 unter dem nicht ganz neu-
auf. en Namen Testa gegründet und bis 1977 unter dieser
Jürgen Kalthoff und ich bemühten uns anschlie- Bezeichnung weiterbetrieben. Aber auch damit war
ßend, in Archiven in Israel, Polen, England und die Geschichte dieser Firma noch nicht beendet.
Deutschland mehr Informationen über diese Firma Unter verändertem Namen besteht sie bis heute.
zu erhalten. Dabei fanden wir eine Vielzahl bisher In einem weiteren Kapitel nennen wir die Orte und
unveröffentlichter Dokumente. Zuerst planten wir, Konzentrationslager, in denen Menschen mit Gift-
eine Ausstellung zur Firmengeschichte zu erarbei- gas ermordet wurden, zuerst mit Kohlenmonoxid aus
ten. Jetzt ist daraus – schon wegen der Fülle des Gasflaschen, dann mit Motorabgasen, später mit dem
Materials – erst einmal ein Buch geworden. Blausäuregas. Die jeweiligen Lieferanten des Zyklon
Wir wollen dem Leser ermöglichen, sich ein eige- B werden dabei namentlich genannt.
nes Bild von Firmen und ihren Leitungspersönlich- Schließlich hat uns die Frage beschäftigt, was aus
keiten zu machen, die an entscheidender Stelle die den Blausäure-Firmen und ihren leitenden Mitarbei-
Shoah mit ihrem Wissen, ihrer Technik und ihren tern nach Kriegsende wurde.
Produkten unterstützten. Deshalb lassen wir viele Zwei Zeitzeugenberichte ergänzen diese Firmen-
Dokumente ganz oder in Auszügen für sich selbst geschichte: Ein ehemaliger Häftling schildert den
sprechen. Massenmord mit Zyklon B im Konzentrationslager
Unsere Darstellung beginnt mit der Giftgasfor- Neuengamme und seine Befehlsverweigerung, als er
schung, ihrem militärischen Nutzen im Ersten Welt- selbst von einem ›SS-Sanitäter‹ zum Töten aufge-
krieg und den Ergebnissen, die das für die Schäd- fordert wurde. Eine frühere Mitarbeiterin der Firma
lingsbekämpfung hatte. Die weiteren Kapitel schil- Tesch & Stabenow berichtet aus der Perspektive ei-
dern die Entwicklung des Blausäuregases Zyklon B ner damals als ‘Nichtarierin’ bedrohten Frau.
und die Geschichte der Hamburger Handelsfirma Um die Frage, ob Menschen »Nein« sagen konn-
Tesch & Stabenow. Der Schwerpunkt unserer Dar- ten, zu Verbrechen gezwungen wurden oder aus ei-
stellung liegt auf der Rolle dieser Schädlingsbekämp- genen Interessen am Massenmord oder dessen Vor-
fungsfirma im Geflecht anderer Unternehmen und bereitung mitwirkten, geht es in diesem Buch.
Zusammenhänge. Zum Schluß werden die Konflikte um eine Erin-
Im britischen Gerichtsprozeß 1946 wurden die nerungstafel am früheren Firmensitz von Tesch &
Aktivitäten von Firmenmitarbeitern der Testa für das Stabenow dokumentiert. Die »Vermietungsinteres-
Funktionieren der Vernichtung von Menschen in der sen« der jeweiligen Eigentümer des Gebäudes – zu-
Shoah aufgedeckt. Eine Zeugenaussage zu einem letzt der Deutschen Bank – waren wesentlicher Be-
Geschäftsreisebericht, in dem der Hamburger Fir- standteil der langjährigen Auseinandersetzung.
meninhaber, Dr. Tesch, über die beabsichtigte Ermor- Hamburg 1998 Martin Werner, Jürgen Kalthoff
dung von Menschen mit dem Giftgas Zyklon B be-
»Nutzobjekte müssen weitgehend geschont werden«1
Kampfgase zur militärischen Schädlingsbekämpfung (1914-1918)
Giftgas im Ersten Weltkrieg Auf meinen Einwand, daß diese Art der Kriegsführung gegen
die Haager Konvention verstoße, meinte er, die Franzosen hät-
Die Geschichte der systematischen Nutzung von Giftgasen zur ten – wenn auch in unzureichender Form, nämlich mit gasge-
Kriegsführung beginnt im Ersten Weltkrieg. Zum ersten Mal füllter Gewehrmunition – den Anfang hierzu gemacht. Auch seien
wurden chemische Kampfstoffe als Kriegswaffe eingesetzt. unzählige Menschenleben zu retten, wenn der Krieg auf diese
Zuvor hatte es zwar schon in kleinem Maßstab Bemühungen Weise schneller beendet werden könnte. Haber teilte mir mit,
zum militärischen Gebrauch von Gasen gegeben, diese führten daß er den Auftrag habe, eine Spezialtruppe für den Gaskampf
aber noch nicht zur Verbreitung dieser Kriegführungsmethode. aufzustellen. Außer mir wurde auch eine Reihe meiner früheren
Die deutsche Forschung zur Entwicklung von Kampfgasen Kollegen, darunter James Franck, Gustav Hertz, Wilhelm West-
wurde vom Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie phal und Erwin Madelung für diese Aufgabe abkommandiert.
und Elektrochemie betrieben. Wir bildeten nun das neue Pionierregiment 36 und erhielten in
1914 entwickelte Prof. Wal- Berlin die erste Spezialausbildung im Umgang mit Gaskampf-
ther Nernst, ein Chemiker die- stoffen.«2
ses Institutes (der ›Doktorva- Zahlreiche Chemiker und Physiker wurden als Offiziere mit
ter‹ des späteren Hamburger der Aufgabe betraut, den Gaskampf mit Chlor vorzubereiten.
Firmeninhabers Dr. Bruno Aus Tarnungsgründen stellte man sie zu sogenannten Desin-
Tesch) in Zusammenarbeit mit fektionskompanien zusammen. Technischer Adjutant von Ha-
der Firma Bayer ein Geschoß ber in der »Formation Peterson«,3 aus der dann die Pionier-Re-
mit einer unmittelbaren chemi- gimenter 35 und 36 hervorgingen, war Dr. Kerschbaum, der
schen Wirkung auf den Gegner. später im Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und
Bei seiner Zerstörung wurde Elektrochemie die Forschungsabteilung für »Gaskampfmittel«
ein als Niespulver wirkender leitete. In dieser Abteilung arbeitete ab Oktober 1915 auch der
feiner Staub, das Dianisidin- spätere Hamburger Firmeninhaber und Chemiker Dr. Bruno
salz*, freigesetzt. Über 20.000 Tesch.4
Schuß dieses »Schrapnell Ni« Im Januar 1915 ließ die Oberste Heeresleitung 6.000 Chlor-
kamen mit einem für die Mili- flaschen, die Hälfte des Bestandes der chemischen Industrie,
tärs unbefriedigenden Ergebnis im Ersten Weltkrieg zum Ein- beschlagnahmen. Schließlich warteten deutsche Militärs und
satz. Wissenschaftler an der Westfront nur noch auf Wind aus der
Der Direktor des Kaiser-Wilhelm-Institutes für physikalische richtigen Richtung, um das Chlorgas, das in Stahlflaschen in
Chemie und Elektrochemie, Prof. Fritz Haber, der gleich nach die Schützengräben gebracht worden war, ohne Gefahr für die
Kriegsbeginn mit der Leitung der chemischen Abteilung im eigene Truppe abblasen zu können.
Kriegsministerium betraut worden war, empfahl im Dezember Die deutsche Armeeführung setzte dieses Giftgas (insgesamt
1914 den deutschen Militärs den massiven Einsatz von Chlor- 180 Tonnen) an der Westfront bei Ypern in Flandern am 22. April
gas als Kriegswaffe. Nur so könne der Krieg militärisch gewon- 1915 ein. Der Schriftsteller Conan Doyle gab die Berichte von
nen werden. Augenzeugen zu diesem Angriff wieder:
Prof. Haber wurde beauftragt, einen wissenschaftlichen Be- »Die französischen Truppen beobachteten über die Brustwehr
raterstab zusammenzustellen. Ein Mitglied des zu diesem Zweck ihrer Gräben hinweg diese merkwürdige Wolke, die sie wenig-
gebildeten Pionier-Regiments war Prof. Dr. Otto Hahn, der dazu
später schrieb:
»Mitte Januar 1915 wurde ich zu Geheimrat Haber befohlen, 1
Prof. Albrecht Hase, Über die Bekämpfung von tierischen Schädlingen
der im Auftrag des Kriegsministeriums in Brüssel weilte. Er er- mit giftigen Gasen, Sonderdruck aus den Mitteilungen der Deutschen Land-
klärte mir, daß die erstarrten Fronten im Westen nur durch neue wirtschaftsgesellschaft, 1921, ZMH
2
Waffen in Bewegung zu bringen seien, wobei man in erster Linie Otto Hahn, Mein Leben, München 1968, S. 117f.
3
So benannt nach ihrem Kommandanten Oberst Peterson, Dietrich Stolt-
an aggressive und giftige Gase, vor allem Chlorgas denke, das zenberg, Fritz Haber, Weinheim 1994, S. 244, 246
aus den vordersten Stellungen auf den Gegner abgeblasen wer- 4
Siehe Lebenslauf von Dr. Tesch von 1924 (in Kap. 4.1), StA HH, 352-3
den müsse. Medizinalkollegium, II J 15a, Bd. 1, S. 66
stens für kürzere Zeit gegen das feindliche Feuer schützte; da Die einfache Truppe erhielt den »Atem- und Mundschützer
sah man plötzlich, wie sie die Arme in die Luft warfen, die Hän- Etappe Gent«. Es handelte sich um Putzwollbäusche, getränkt
de um den Hals legten und sich dann am Boden wälzten, eine in einer Natriumthiosulfatlösung, die, wenn man sie vor Mund
Beute des grausamen Erstickens.«5 und Nase hielt, nur wenig gegen das aggressive Chlor schütz-
Die Haager Landkriegsordnung6 von 1907 verbot nur Ge- ten.
schosse, deren einziger Zweck die Verbreitung erstickender oder Über die Entwicklung geeigneter Gasschutzgeräte kam es
giftiger Gase war. Dazu konnte das Blasverfahren nicht gerech- 1915 zu einer Zusammenarbeit zwischen Professor Haber und
net werden. Haber hatte es vor diesem Angriff immer wieder dem Lübecker Drägerwerk. Im August 1915 konnte die deut-
schwer gehabt, die Militärs von seiner neuen Gaswaffe zu über- sche Heeresgasmaske eingeführt werden. Später arbeiteten das
zeugen. Ein ›Unfall‹ war schließlich für einen der Generäle Drägerwerk und die Auergesellschaft in Berlin bei der Produk-
überzeugender als alle vorgetragenen Argumente: tion von Gasmasken zusammen. Als Atemfilter wurde zunächst
»Wenige Tage darauf gab es in der vordersten Stellung einen mit Alkali* behandelte Aktivkohle* verwandt.
Artillerievolltreffer in einer Gasbatterie, der auch einige der Die Engländer waren im April 1917 die ersten, die einen Gas-
Gasflaschen zerriß. Die Infanterie hatte bei diesem Unglück 20 werfer einsetzten. Als Kampfstoff verwendeten sie hauptsäch-
Tote zu beklagen. Erst von diesem Tage ab war General Deim- lich Phosgen*. Deutschland entwickelte im weiteren Verlauf des
ling von der furchtbaren Wirkung der Gaswaffe wieder über- Krieges ebenfalls Wurfgeschosse, mit denen kampfstoffgefüll-
zeugt.«7 te Gasflaschen in die Stellung des Gegners geschleudert wur-
Insgesamt führte die deutsche Armee zwischen 1915 und 1917 den, um dort durch eine Sprengladung ihr Giftgas (Phosgen
fünfzig Blasangriffe durch.8 oder Perstoff*) freizusetzen. So konnte ein Nachteil des Blas-
Später rühmte man eine angeblich deutsche Eigenart, der in verfahrens – auf den richtigen Wind warten zu müssen – um-
Ypern allerdings der »militärische Erfolg« versagt blieb: gangen werden. Der erste deutsche Einsatz erfolgte am
»Deutschem Erfindungsgeist blieb es, wie so oft vorbehal- 23.10.1917 an der italienischen Front mit 900 vom Pionierregi-
ten, dem Gaskampf alsdann die wirksame und feldmäßig er- ment 36 aufgestellten Gaswerfern und endete für Prof. Haber
folgreiche Form gegeben zu haben. Als am 22. April 1915, je- und dem an den Vorbereitungen beteiligten Otto Hahn im Ge-
nem schwarzen ›Tag von Ypern‹ von den deutschen Schützen- gensatz zum Abblasangriff bei Ypern »erfolgreich«.
gräben sich aus Tausenden von eingebauten Stahlflaschen, in Auch der Gefreite Adolf Hitler war von einem Giftgasangriff
einer Breite von 6 km abgeblasen, schwere, weißlich-gelbe Wol- im Ersten Weltkrieg betroffen. In seinem Buch »Mein Kampf«
ken von Chlorgas unter günstigem Winde gegen die feindlichen schildert er einen englischen Angriff 1918 mit dem Kampfgas
Linien wälzten, ahnte man freilich auf deutscher Seite nicht die Lost* (anderer Name: Gelbkreuz) und die Auswirkungen, die
ungeheure, durchschlagende Wirkung dieses ersten Versuches und dies auf seine Gesundheit und die anderer Soldaten hatte:
versäumte jede militärische taktische Ausnützung, die durch »In der Nacht vom 13. und 14. Oktober ging das englische
Aufreißen der Front auf viele Kilometer nach Breite und Tiefe Gasschießen auf der Südfront vor Ypern los; man verwendete
bei einem gegnerischen Verlust von rund 15 000 Mann (darun- dabei Gelbkreuz, das uns in der Wirkung noch unbekannt war,
ter 5 000 Toten) leicht möglich gewesen wäre.«9 soweit es sich um die Erprobung am eigenen Leibe handelte.
Die deutschen Pioniere, die mit den Chlorflaschen hantieren Ich sollte es noch in dieser Nacht selbst kennenlernen. Auf ei-
mußten, erhielten Sauerstoff-Schutzgeräte, die »Selbstretter- nem Hügel südlich von Wervick waren wir noch am Abend des
Dräger-Tübben«. Diese Geräte waren eigentlich für den Berg- 13. Oktober in ein mehrstündiges Trommelfeuer von Gasgrana-
bau vorgesehen und dort schon länger in Gebrauch. ten gekommen, das sich dann die ganze Nacht hindurch in mehr
5
Conan Doyle, zitiert nach Wolfgang Prinz, Der Gaskrieg im Ersten Welt-
krieg, in: Händler des Todes, Frankfurt 1989, S. 14
6
Die Haager Friedenskonferenzen kamen durch eine Initiative des russi-
schen Zaren Nikolaus II. zustande und sollten der Abrüstung dienen. Auf
der ersten Versammlung 1899 wurde der Schiedsgerichtshof zur Schlich-
tung internationaler Streitigkeiten in Den Haag gegründet. Auf einer zwei-
ten Konferenz 1907 verabschiedeten 44 Staaten die Haager Landkriegs-
ordnung. Diese Vereinbarung erwies sich später vor allem angesichts der
neu eingeführten chemischen Kriegführung als völlig unzureichend.
7
Augenzeugenbericht von Otto Lummitsch, Meine Erinnerungen an Ge-
heimrat Prof. Dr. Haber, MPG, Abt. Va, Rep. 5, 1480, zitiert nach Dietrich
Stoltzenberg, Fritz Haber, Weinheim 1994, S. 249
8
Günther W. Gellermann, Der Krieg, der nicht stattfand, Koblenz 1986, S.
28
9
Dr. med. Otto Muntsch, Leitfaden der Pathologie und Therapie der Kampf-
gaserkrankungen, Leipzig 1932, S. 11
Deutscher Selbstretter nach Dräger-Tübben 10
Adolf Hitler, Mein Kampf, München 1939, S. 220f.
»A« Berlin, Warschauerstr. 8 Prof. Dr. Herzog 1153 1. Überwachung der Fabrikation deutscher
Gasmasken
2. Ausarbeitung neuer
Gasschutzgeräte
»B« Dahlem, Faradayweg 4 Dr. Kerschbaum 60 1. Ausarbeitung deutscher
Gaskampfmittel
2. Prüfung feindl. Gaskampf- und
Gasschutzgerätes
»C« Dahlem, Boltzmannstr. Dr. Pick 91 Chemische Fragen des Gasschutzes
»D« Dahlem, Thielallee Prof. Dr. Wieland 14 Darstellung neuer Kampfstoffe
»E« Dahlem, Faradayweg 4 Prof. Dr. Flury 22 1. Tierversuche
2. Gewerbehygienische Fragen
»F« Dahlem, Faradayweg 4 Prof. Dr. Freundlich 82 Überwachung der Fabrikation
deutscher Atemeinsätze
»G« Steglitz, Königin-Luise-Str. 2 Prof. Dr. Steinkopf 16 Überwachung der Fabrikation von
Geschossen und Zündern für Gasmunition
»H« Charlottenburg, Prof. Dr. Poppenberg 7 Sprengstoffe
Fasanenstr. 87
»J« Steglitz, Königin-Luise-Str. 2 Prof. Dr. Friedländer 16 Überwachung der Fabrikation von Gaskampfstoffen
Zusammenfassung nach einer Aufstellung im Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, 1. Abt. Rep. 1A, Nr. 1158
Der Cyanofumer, wie er bei der ersten deutschen Mühlendurchgasung mittels Blausäure Verwendung gefunden hat
Entleerung der Rückstände aus den Bottichen bei der Mühlendurchgasung mittels Blausäure
Giftgaspläne und -forschungen Der Deutsche Reichstag beauftragte 1923 einen Ausschuß
nach dem Ersten Weltkrieg mit der Bewertung des völkerrechtlichen Verhaltens von Deutsch-
land im Kriege. Ein Unterausschuß befaßte sich mit dem Gas-
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde im Artikel 171 krieg. Dort wurde Professor Haber als Zeuge vernommen. Er
des Friedensvertrages von Versailles neben anderen Rüstungs- verteidigte den mit chemischen Mitteln geführten Krieg mit dem
beschränkungen ein Giftgasverbot für Deutschland festgelegt: Argument, Kampfgas sei »eine der humansten Waffen«:
»Mit Rücksicht darauf, daß der Gebrauch von erstickenden, »Während des Jahres 1918 waren 20 bis 30% aller amerika-
giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von allen entsprechenden nischen Verluste durch Gas verursacht, woraus hervorgeht, daß
Flüssigkeiten, Stoffen oder Verfahrensarten verboten ist, wird die Gaskampfstoffe eines der mächtigsten Kriegsmittel bilden.
ihre Herstellung in Deutschland und ihre Einfuhr streng unter- Die Berichte zeigen aber, daß bei Ausrüstung der Truppen
sagt. mit Masken und anderen Gasabwehrmitteln nur 3 bis 4% der
Dasselbe gilt für alles Material, das eigens für die Herstel- Gaserkrankungen zum Tode führten. Dies lehrt, daß sich die
lung, die Aufbewahrung und den Gebrauch der genannten Er- Gaswaffe nicht nur zu einer der wirksamsten, sondern zugleich
zeugnisse oder Verfahrensarten bestimmt ist.«2 zu einer der humansten Waffen ausgestalten läßt.«8
An diese Bestimmungen hatten sich Reichsregierung, Reichs- Nach einer Untersuchung des amerikanischen Oberstleutnants
wehr sowie militärische oder wissenschaftliche Forschungsein- A. M. Prentiss (siehe Darst. 3 auf S. 22) wurden im Ersten Welt-
richtungen in Deutschland zu halten. Kurz nach Abschluß des krieg 113.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe von den krieg-
Friedensvertrages wurde im November 1918 ein Reichsamt für führenden Ländern eingesetzt. Daran war Deutschland mit
wirtschaftliche Demobilmachung geschaffen. Von dessen Lei- 52.000 Tonnen – dies entspricht etwa 46% der Gesamtmenge –
ter, einem Oberst aus dem Kriegsministerium, dazu aufgefor- beteiligt. Prentiss nannte eine Zahl von 1.297.000 Giftgasop-
dert, übernahm Fritz Haber für wenige Monate die Leitung der fern und meinte damit die Menschen, die durch Giftgas gesund-
Abteilung Chemie. Der Organisator des Giftgaskrieges sollte heitlich geschädigt wurden. Andere Schätzungen gehen von
die chemische Industrie jetzt von einer Kriegs- auf eine Frie- 800.000 durch Giftgase verletzten Menschen im Ersten Welt-
denswirtschaft umstellen. krieg aus. Die Zahl der Giftgastoten wird bei Prentiss für Ruß-
»Aus gesundheitlichen Gründen« trat Haber im Februar 1919 land mit 56.000 Menschen, für die USA mit 14.000, für Frank-
von dieser Aufgabe zurück.3 Im Sommer desselben Jahres emi- reich mit 8.000, für Großbritannien mit 6.109, für Österreich-
grierte er in die Schweiz. Haber mußte befürchten, daß die Al- Ungarn mit 3.000 und für Deutschland mit 2.300 Menschen
liierten auch seinen Namen auf die Liste gesuchter Kriegsver-
brecher setzen würden. Ende 1919 wurde die Verleihung des
Nobelpreises für das Jahr 1918 an Prof. Haber bekanntgege- 1
Prof. Escherich in seinem Eröffnungsvortrag, in: Verhandlungen der Deut-
ben. Er kehrte daraufhin nach Berlin zurück.4 schen Gesellschaft für angewandte Entomologie auf der zweiten Mitglie-
Der Chemie-Nobelpreis wurde ihm für das Haber-Bosch- derversammlung zu München vom 24. bis 26.9.1918, Berlin 1919
2
Verfahren (Synthese von Ammoniak aus den Elementen Stick- Zitiert nach Dr. Ulrich Müller, Die chemische Waffe, Berlin 1932, S. 3
3
Dietrich Stoltzenberg, Fritz Haber, Weinheim 1994, S. 330
stoff und Wasserstoff) zuerkannt. Er konnte diese Auszeichnung 4
Vergl. Margit Szöllösi-Janze, Fritz Haber, München 1998, S. 428-430,
aber wegen des Krieges erst Mitte 1920 in Stockholm in Emp- und Dietrich Stoltzenberg, Fritz Haber, Weinheim 1994, S. 228
fang nehmen. Besonders erbost war die Öffentlichkeit in Frank- 5
Der Physiker und Physikochemiker Prof. Walther Hermann Nernst (1864-
reich und England über diese Preisverleihung an den deutschen 1919) entdeckte grundlegende thermo- und galvanomagnetischen Effekte
Organisator des chemischen Krieges. Auch gegen die Verleihung (in der Elektrochemie beschrieben durch die Nernst’schen Gleichungen).
1906 stellte er den ebenfalls nach ihm benannten Wärmesatz auf.
des Chemie-Nobelpreises für das Jahr 1920 an Walther Nernst,5 6
Dietrich Stoltzenberg, Fritz Haber, Weinheim 1994, S. 427
einen Mitarbeiter aus Habers Institut (und Doktorvater des spä- 7
Fritz Haber am 11.11.1920 in seinem Vortrag über die Chemie des Krie-
teren Hamburger Firmengründers Bruno Tesch), gab es scharfe ges vor Offizieren des Reichswehrministeriums, in: F. Haber, Fünf Vorträ-
Proteste.6 ge, Berlin 1924, S. 35, zitiert nach: Dietrich Stoltzenberg, Fritz Haber,
Professor Haber äußerte sich auch nach dem Ersten Welt- Weinheim 1994, S. 331
8
Prof. Haber 1923 vor dem Unterausschuß des Deutschen Reichstages, in:
krieg »in befürwortender Weise« zum Giftgaskrieg: Völkerrecht im Weltkrieg, 3. Reihe im Werk des Unterausschusses, 4. Band,
»Die Gaskampfmittel sind ganz und gar nicht grausamer als Der Gaskrieg, Berlin 1927, zitiert nach Dietrich Stoltzenberg, Fritz Haber,
die fliegenden Eisenteile.«7 Weinheim 1994, S. 311
Firmen Anteile
in Mark
»Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt« 250 000
Chemische Fabrik Taucha 5 000
Holzverkohlungsindustrie AG 250 000
Badische Anilin- und Sodafabrik 125 000
Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning 125 000
Chemische Fabrik Griesheim-Elektron 30 000
Leopold Casella & Co. 50 000
Aktiengesellschaft für Anillinfabrikate 40 000
Farbenfabriken vorm. Friedrich Bayer & Co. 125 000
Chemische Fabriken vorm. Weiler ter Meer __10 000
Summe: 1 010 000
Aufstellung nach: Gesellschafterversammlung der Degesch am 13.3.1919, StA HH, 231-7
Amtsgericht Hamburg, Handels- und Genossenschaftsregister
B 1985-164, Bd. 1, HR-Akten betr. Firma Degesch 5.1.1924-18.7.1938
Degesch-Broschüre (ca. 1920)
Tasch Degussa
Technischer Ausschuß für 1917: Deutsche Gold- und Silberscheide-
Kaiser-Wilhelm- Schädlingsbekämpfung Die Degussa anstalt Frankfurt
Institut 1917 (Ausschuß der chemischen überläßt dem Geschäftsleitung: Dr. Roessler
für physikalische Initiative Abteilung des preußischen »Tasch« die alleinige
Chemie und zur Gründung des Kriegsministeriums) Verfügungsgewalt über
Tasch Leitung: Prof. Haber Cyansalze im mit einer Cyanabteilung und ab Juni
Elektrochemie, 1916 mit einer Forschungsabteilung
in Berlin-Dahlem —— Deutschen
ab 1917 (bis 31.3.1919) Reich »Vergasung«
seit Oktober 1912
Leitung: Prof. Haber Durchführung von Durch-
—— gasungen mit der militärisch
während des organisierten »Kompanie für Degussa
Ersten Weltkrieges Schädlingsbekämpfung« (ab 1922 Alleineigentümerin
(1914-18): Leitung nach dem 1. Weltkrieg der Degesch)
Kampfgasforschung. ab 1918 bis zur Auflösung des Tasch
Chemische Fabrik Taucha
— Initiativen am 31.3.1919:
gegen Ende des zur Gründung Dr. Walter Heerdt
Krieges der Degesch Holzverkohlungsindustrie AG
und als Friedensper- Degesch (HIAG)
Deutsche Gesellschaft für 1919
spektive
Schädlingsbekämpfung m.b.H. Bereitstellung Badische Anilin- und Sodafabrik
für das Institut:
gegründet 13.3.1919 des Geschäfts- (BASF); Farbwerke vorm. Meister
Forschungen zur
zunächst Leitung durch kapitals zur Gründung Lucius & Brüning; Chemische Fa-
Schädlingsbekämpfung
Reichskommissar Professor der Degesch brik Griesheim Elektron; Leopold
Haber, ab 1920 nach Auflö- Casella und Co.; Aktiengesell-
sung des Tasch Geschäftslei- schaft für Anilinfabrikate (Agfa);
tung: Dr. Walter Heerdt Farbenfabriken vorm. Friedrich
—— Bayer & Co.; Chemische Fabriken
Wirtschaftliche Verbreitung vorm. Weiler ter Meer (alle ab Au-
der Schädlingsbekämpfungs- gust 1916 mit anderen in der »Interes-
mittel und Monopolstellung sengemeinschaft der deutschen Teer-
für deren Anwendung im gan- fabriken« zusammengeschlossen, der
zen Deutschen Reich Vorläuferorganisation der 1925 ge-
z.B. bei Durchgasungen gründeten I.G. Farben.)
Zweifel an der Sachkunde von Verfahren ist bekannt, stammt aus Amerika und wird neuer-
Schädlingsbekämpfern – der ›Fall Christlieb‹ dings auch von deutscher wissenschaftlicher Seite empfohlen.
Selbstverständlich aber ist dies das gefährlichste Verfahren,
Während im übrigen Deutschen Reich alle Fragen zur Blausäu- das sich überhaupt denken läßt. Ich bitte deshalb um Feststel-
reanwendung geregelt schienen– der Tasch war zuständig–, gab lung, ob meine Nachricht richtig ist, und zutreffendenfalls um
es in Hamburg ab 1917 Konflikte um die Nutzung des neuen Erlaß eines Verbotes des Verfahrens an Christlieb und wer es
Blausäuregases. sonst ohne besondere Erlaubnis und Sachverstand anwenden
Für die Beaufsichtigung von Schädlingsbekämpfern im Ham- will.«3
burger Hafen war wegen der besonderen Bedeutung der »Ha- Die Polizeibehörde nahm den Hinweis von Dr. Nocht zum
fenarzt im Medizinalamt« zuständig. 1917 nahm diese Aufga- Anlaß, die Firma Christlieb aufzusuchen. Das Besuchsergebnis
be Dr. Sannemann wahr. Dr. Bernhard Nocht leitete das Medi- wurde anschließend protokolliert:
zinalamt als übergeordnete Behörde.2. Zur Tätigkeit eines »Der Kammerjäger Ferdinand Christlieb, wohnhaft Berge-
Hamburger Kammerjägers kamen ihm so erhebliche Beden- dorf, Kontor Spaldingstraße 188, erklärt:
ken, daß er die Polizei um weitere Ermittlungen bat: Ich erhielt auf mein Angebot von der Führung des Werftschif-
»Dem Vernehmen nach arbeitet der Kammerjäger Christlieb fes Bosnia den Auftrag, das Schiff bezw. die Wohnräume dessel-
beim Vertilgen von Ungeziefer in Wohnungen neuerdings mit ben auszugasen zwecks Vertilgung der Wanzen, die in allen Wohn-
Cyanwasserstoffgas, das er aus Cyankalium entwickelt. Das räumen waren. Das Verfahren mit Cyanwasserstoffgas hatte ich
vorgeschlagen und es wurde von der Schiffsführung gutgehei-
ßen. Da ich in der praktischen Verwendung des Gases noch nicht
genügend Erfahrung hatte, ersuchte ich den Direktor Dr. H. Freu-
denberg von der deutschen Gold- und Silberscheideanstalt,
Frankfurt a/M. [Leiter der Cyanabteilung] das Verfahren zu über-
nehmen. Diese Anstalt lieferte auch 50 kg Cyankali und alle
sonstigen erforderlichen Mittel. Dr. Freudenberg kam zur Aus-
führung hierher und diese wurde im Beisein hoher Beamter,
Ärzte, Generale usw. vorgenommen. Die Verantwortung für die
Ausführung hatte ich. Ich wußte, daß große Gefahren mit der
Verwendung des Cyanwasserstoffgases verbunden sind, deshalb
habe ich auch Dr. Freudenberg, der Chemiker ist, herangezo-
gen, weil dieser bereits in Glückstadt eine Ausgasung in meiner
Gegenwart vorgenommen hatte. Ich beabsichtige, das Verfahren
in Hamburg einzuführen, nachdem ich bei Dr. Freudenberg ei-
nen Kursus gemacht habe. Wenn es soweit ist, werde ich mit
einem Gesuch an die Polizeibehörde herantreten. [...]
Christlieb hat sein Laboratorium in Bergedorf bei seiner
Wohnung. Trotzdem standen 2 Ballons von etwa je 100 Liter
1
Kapitelüberschrift nach einem Pressebericht »Hamburger Seuchen-
bekämpfung in Hafen und Schiffahrt« (ohne Verfasserangabe), in: Zeit-
schrift für Desinfektions- und Gesundheitswesen, 1926, Heft 12, S. 250f.
2
Dr. Bernhard Nocht (1857-1945) war Hafenarzt von 1893 bis 1906. Er
gründete 1900 das Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten, das er
bis 1930 leitete. Von 1906 bis 1920 war Nocht auch Leiter des gesam-
ten Hamburger Medizinalwesens. 1926 wurde er Rektor der Universi-
tät Hamburg.
3
Schreiben von Dr. Nocht, Medizinalamt, vom 12.6.1917, StA HH, 352-3
Dr. Bernhard Nocht Medizinalkollegium, II J 3, Bd. II, S. 178
meisten Fällen um mehr oder minder reichlich beladene Schiffe Medizinalrat Dr. Nocht nahm im März 1919 zu dieser unge-
handelte! Durch das maschinelle Einblasen hat man es völlig klärten Situation Stellung. Er ärgerte sich über die Sonderstel-
in der Hand, das CO-Gas mit Hilfe der Schlauchleitungen durch lung des Tasch und wollte das Verbot der Reichsbehörde igno-
die Raumventilatoren und anderen Oeffnungen in den Schiffen rieren. Einem Referenten des Hamburger Senats schrieb er:
zur restlosen Verbreitung zu bringen; auch hat es den Vorteil, »Ich schließe mich den Ausführungen des Hafenarztes durch-
daß es weder durch chemische Einwirkung Gegenstände beschä- aus an. Daß das Blausäureverfahren von uns nicht amtlich an-
digt, noch auch von Wasser und feuchten Gegenständen aufge- gewendet werden darf und lediglich einer einzigen Stelle für das
nommen wird, gleichzeitig aber daß es alle warmblütigen Le- ganze Reich, die noch dazu daraus ein Geschäft machen dürfte
bewesen, vor allem Ratten und Mäuse, mit Sicherheit tötet.«19 – abgesehen von wissenschaftlichen Versuchen – halte ich für
ein Unding und glaube auch nicht, daß wir uns an den angezo-
genen Erlaß des Staatssekretärs des Reichswirtschaftsamtes zu
Kompetenzstreit zwischen Hamburger Behörden kehren brauchen, da er sich wohl nicht auf Behörden bezieht.«21
und Reichsministerien Der Senatsreferent meinte daraufhin in einem Schreiben an
die Polizeibehörde, daß der Technische Ausschuß für Schädlings-
Wie wenig eindeutig 1919 Zuständigkeitsfragen zur Nutzung bekämpfung das Blausäureverfahren nicht selbst, sondern durch
der Blausäure in Hamburg geklärt waren, verdeutlicht ein Schrei- die in den größeren Städten bestehenden Desinfektionsanstal-
ben von Hafenarzt Dr. Sannemann. Widersprüchliche Verord- ten anwenden lassen wolle. Er regte Verhandlungen mit dem
nungen unterschiedlicher Reichsministerien gaben dem Hafen- Tasch an, um die Bedingungen für eine Anwendung des Blau-
arzt keine Möglichkeit, eine klare Hamburger Linie zur Geneh- säureverfahrens in Hamburg zu klären:
migung der Blausäureanwendung zu entwickeln.
»In dem Schreiben des Reichsministeriums des Innern vom
17. Februar ist auch auf das Blausäureverfahren zur Ungezie-
fervertilgung hingewiesen und hervorgehoben, daß seine An- 16
Schreiben (in Abschrift) des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, gez. Ver-
wendung von geschulten Persönlichkeiten und besonderer Ein- treter des Präsidenten, vermutlich an Dr. Nocht (aus der Abschrift nicht
richtungen abhänge, und daß die Entscheidung hierüber den genau zu erkennen) vom 25.7.1917, StA HH, 352-3 Medizinalkollegium,
II J 3, Bd. II, S.193f.
zuständigen Landesbehörden überlassen bleiben könne. 17
Dr. Wilhelm Stödter, Stadttierarzt in Hamburg in seinem Vortrag »Huma-
Im Widerspruch hierzu verbietet die Bekanntmachung des ne Tötung kleiner Haustiere mit Generatorgas« 1910 in Berlin auf der 12.
Staatssekretärs des Reichswirtschaftsamtes vom 7. Februar 1919 Versammlung der Tierschutzvereine des Deutschen Reiches, BNI
18
[...] jegliche Anwendung von Blausäure zur Schädlingsbekämp- Auszug aus dem Vortrag von Dr. W. Heerdt im Institut für Schiffs- und
fung und nimmt nur die Heeres- und Marineverwaltung, die Tropenkrankheiten in Hamburg am 6.3.1923 zum Thema »Blausäure zur
Schiffsentwesung«, StA HH, 352-3 Medizinalkollegium II J 15, Bd. 1,
wissenschaftliche Forschung in staatlichen und ihnen gleich ge- Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen, S. 21-28
stellten Anstalten und den technischen Ausschuß für Schädlings- 19
Stellungnahme von Hafenarzt Prof. Dr. Sannemann am 19.2.1934, StA
bekämpfung von diesem Verbote aus. HH, 352-3 Medizinalkollegium, Hafenarzt I, 1/45, Unfälle bei Ausgasun-
Danach ist den hamburgischen Behörden die Anwendung die- gen mit Blausäure 1922-1952
20
ses Verfahrens nicht erlaubt. Wenn hier bisher bei der Ungezie- Abschrift eines innerbehördlichen Schreibens von Dr. Sannemann,
20.3.1919, StA HH, 352-3 Medizinalkollegium, II J 2, Bd. 6, Desinfekti-
fervertilgung auch noch nicht davon Gebrauch gemacht wor- onswesen, Allgemeines, S. 17
den ist, so wäre es doch im Interesse der Seuchenbekämpfung 21
Schreiben von Medizinalrat Dr. Nocht an den Senatsreferenten, Herrn
sehr erwünscht, daß uns die Möglichkeit hierzu offen bleibt.«20 Syndikus Dr. Kiesselbach, vom 20.3.1919, ebd.
3.9 Die Hamburger Degesch unter Leitung von »einspringenden« auswärtigen Akademikern 39
rigen ja vor allen Dingen die straf- und zivilrechtliche Verant- der hier mit einem ausgebildeten Arbeitertrupp ständig statio-
wortlichkeit eines Privatunternehmens sowie die Anforderun- nierte Gasmeister Geng trage. Bei Anhäufung von Durchga-
gen, welche von den Kunden an den Erfolg der Maßnahme ge- sungsanträgen würden aber auch der in Bremen tätige Durch-
stellt werden.«41 gasungsleiter Lademann und im äußersten Notfalle auch der
Die Hamburger Polizeibehörde überprüfte daraufhin die An- gewöhnlich in Süddeutschland und der Schweiz beschäftigte Fal-
gaben der Degesch. In einem Vermerk zur polizeilichen Befra- ler für hiesige Arbeiten herangezogen werden. Im Falle einer
gung vom 25.11.1923 wurden die Firmenmitarbeiter mit ihren plötzlichen Erkrankung oder in anderen unvorhergesehenen
auswärtigen und Hamburger Adressen genannt. Dabei gab De- Fällen würde auch er, Rasch, oder Dr. Heerdt als Ersatz für Geng
gesch-Mitarbeiter Dr. Rasch für sich und den Frankfurter Ge- einspringen, wie sie denn überhaupt Durchgasungen von grö-
schäftsführer, Dr. Heerdt, als Hamburger Anschrift »Am Weiher ßeren Schiffen selbst leiteten, in allen Fällen die Oberleitung
23« an. Dies war auch die Privatadresse von Dr. Tesch, der sein hätten und auch schließlich der Behörde gegenüber die Verant-
Arbeitsverhältnis mit der Degesch gerade gelöst hatte. wortung in strafrechtlicher Beziehung trügen.
Durch sein Ausscheiden hatte die Degesch in Hamburg kei- Nach gründlicher technischer Ausbildung soll späterhin Kapt.
nen Chemiker mehr, der die Leitung von Durchgasungen hätte Falkenbach für Hamburg die Leitung des Betriebes und somit
übernehmen können. Die Gesellschaft war in der Hansestadt auch die Verantwortung für die ordnungsgemäße Ausführung
auf Mitarbeiter ihrer Frankfurter Zentrale angewiesen, die je- der fraglichen Arbeiten übernehmen. Zum Schluß der Unterre-
weils zum Durchgasungstermin anreisen mußten.42 dung erklärte sich Herr Dr. Rasch doch bereit, die Gesellschaft
Nur Kapitän Falkenbach hatte einen Hamburger Wohnsitz. veranlassen zu wollen, in einem hierher zu richtenden Schrei-
Im Polizeibericht heißt es: ben das Nähere darzutun, inwieweit die einzelnen vorerwähn-
»Der hier in den Geschäftsräumen der Deutschen Gesell- ten Personen den Behörden gegenüber verantwortlich seien.«45
schaft für Schädlingsbekämpfung m.b.H., Ferdinandstr. 49 III, Im Handelsregister der Hansestadt Hamburg wurde die
angetroffene Chemiker Dr. phil. Walter Rasch gibt auf Vorhalt Degesch-Filiale Hamburg als offizielle Niederlassung am
folgendes an: 17.12.1923 eingetragen. Die Anmeldung erfolgte durch den
›Geschäftsführer der Gesellschaft ist der in Frankfurt a/M.- Geschäftsführer (Dr. Walter Heerdt) und den Prokuristen der
Eschersheim, Kirchberg 15, wohnhafte Chemiker Dr. phil. Wal- Hauptfirma, Johann Lingler.46
ter Heerdt. Dieser und ich wechseln uns in der technischen und
Sicherheitskontrolle bei der Hamburger Filiale, deren Leiter der
hier Hasselbrookstr. 156 wohnhafte Kapitän Carl Falkenbach Hamburger Weichenstellung gegen weitere
ist, ab. Einer von uns ist stets in Hamburg aufhältlich und wohnt Blausäuregenehmigungen
dann: Am Weiher 23. Mein Wohnsitz ist ebenfalls Frankfurt a/M,
Eschersheim, Lindenring 13. Zu dem Antrag des Schiffskammerjäger-Vereins auf Zulassung
Die in der anliegenden Liste unter 4-7 aufgeführten Perso- zum Blausäureverfahren vom Februar 1923 (an den Reichser-
nen (und..?)43 nährungsminister) nahm Hafenarzt Dr. Sannemann erst im Juni
Gasmeister Hermann Geng, wohnhaft Berlin, falls hier, Stellung. Er beschrieb in seinem Brief an das Gesundheitsamt
Schultzweg 7 bei Hoffmann, aufhältlich. die Argumentationslinie von Hamburger Behörden, die in den
Bürobeamter Carl Weinbacher, wohnhaft Berlin, Reichenber- nächsten Jahren immer wieder eine Rolle spielen sollte.
gerstr. 113, falls hier, Annenstr. 26 bei Frau Dr. Weiland aufhält- Ein Zusammenhang fehlt allerdings in diesem Schreiben. Dr.
lich, Sannemann erwähnte nicht, daß er selbst Ende 1922 den dama-
Durchgasungsleiter Otto Faller, wohnhaft in Lahr i/Baden und ligen Leiter der Degesch-Niederlassung in Berlin, Dr. Bruno Tesch,
Durchgasungsleiter Kurt Lademann wohnhaft in Bremen sind veranlaßte, das Blausäureverfahren in Hamburg einzuführen.
bereits seit ca. 5 Jahren bei unserer Gesellschaft praktisch tätig. »Für die Ausgasung von Schiffen mit Blausäure ist bisher
Faller und Lademann sind bereits beim Militär in diesem Ver- nur die deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung zuge-
fahren ausgebildet, während Geng und Weinbacher bei der Ge- lassen worden. Diese Gesellschaft steht unter der Leitung von
sellschaft ausgebildet wurden.«44 studierten Berufschemikern, die durch langjährige Erfahrung
Am 27.11.1923, zwei Tage nach dem polizeilichen Ortster- mit den Eigentümlichkeiten der verwendeten Mittel vertraut
min im Hamburger Degesch-Büro, fand bei der Polizei auf Ab- geworden und instandgesetzt sind, den Ausgasungsdienst so zu
teilungsleiterebene eine Unterredung statt. Erneut wurde deut- gestalten, dass die damit verbundenen Gefahren vermieden
lich, daß es bei der Hamburger Degesch aufgrund der fehlen- werden. Die Gesellschaft hat geeignetes Hilfspersonal heran-
den Qualifikation ihres neuen Leiters umfangreiche Vertretungs- gezogen und ausgebildet, auch hat sie für ihren Betrieb Arbeits-
regelungen gab. vorschriften ausgearbeitet, die bei genauer Befolgung einen
»Eine heute Vormittag bei dem Herrn Abteilungsvorstande einwandfreien Ablauf der Ausgasungen sicherstellen; diese Ar-
mit den Herren Dr. Rasch und Kapitän Falkenbach stattgefun- beitsvorschriften, die Eigentum der Gesellschaft und den betei-
dene Besprechung betraf die Verantwortlichkeit der einzelnen ligten Behörden nur vertraulich mitgeteilt sind, haben neben
Angestellten der Gesellschaft gegenüber der Polizeibehörde beim der erwähnten Organisation die Unterlagen für die Erteilung
Vorkommen etwaiger Verfehlungen. der Erlaubnis zur Ausführung der Blausäuregasungen gebildet.
Herr Dr. Rasch führte hierbei aus, daß für ordnungsmäßige Wenn nunmehr die Kammerjäger auch die Genehmigung hier-
Durchgasungen von Schiffen die Verantwortung in erster Linie zu beantragen, so wird zu prüfen sein, ob die selben Vorausset-
Gründung und Blausäure-Nutzungsantrag wicklung des Gaskampfes kennen gelernt und mitausbauen ge-
der Testa holfen hat. Seit dem 1. April 1920 ist er dann als Leiter der
Berliner Niederlassung der Deutschen Gesellschaft für Schäd-
Im Januar 1924 stellte in Hamburg ein neu gegründetes Unter- lingsbekämpfung m.b.H. tätig gewesen und hat in dieser Stel-
nehmen unter dem Namen Tesch & Stabenow einen Antrag auf lung selbst die Blausäuredurchgasungen der größten Mühlen
Genehmigung der Blausäureanwendung. Zuvor hatten acht an- geleitet. Ende des Jahres 1922 ist er dann, einer Aufforderung
dere Schädlingsbekämpfer einen ähnlichen Antrag eingereicht. des Hamburger Hafenarztes an die Deutsche Gesellschaft für
Lebensläufe der beiden Geschäftsführer des neuen Unterneh- Schädlingsbekämpfung folgend, nach Hamburg gekommen und
mens, Dr. Bruno Tesch und Paul Stabenow, sowie Zeugnisab- hat hier in Hamburg das Blausäureverfahren für die Entrattung
schriften waren dem Antrag beigefügt. Im Handelsregister Ham- von Schiffen praktisch durchgeführt. Die Durchgasung von mehr
burg findet sich die erste Eintragung zur Gründung der Firma als 100 großen Seeschiffen, die unter Oberleitung des Unter-
am 24.1.1924. zeichneten im vergangenen Jahre mittels Blausäure hier im
In seinem Antrag gab Dr. Tesch bekannt, Hamburger Hafen ausgeführt worden sind, bieten eine Garan-
»... ein Unternehmen gegründet [zu] haben, das den Zweck tie dafür, daß auch das neue, von dem Unterzeichneten geleitete
verfolgt, das bisher verhältnismäßig noch wenig durchgearbei- Unternehmen ebenfalls einwandfreie und gewissenhafte Arbeit
tete Gebiet der Schädlingsbekämpfung weiter auszubauen. Das auf diesem Gebiete leisten wird. Der Hamburger Hafenarzt Herr
Unternehmen hat sich zur Aufgabe gemacht, von den bestehen- Prof. Dr. Sannemann dürfte auch jederzeit gern bereit sein, die
den und bekannten Verfahren der Schädlingsbekämpfung nur Richtigkeit der obigen Angaben zu bezeugen. Auch sind wir be-
die anerkannt besten anzuwenden, diese Verfahren nach Mög- reit, unsere Arbeitsvorschrift jederzeit vorzulegen.«2
lichkeit noch zu verbessern, sowie andere neue brauchbare Ver- Gegen Ende seines Briefes an die Gesundheitspolizei bat Dr.
fahren herauszufinden. Tesch um eine schnelle Bearbeitung, da die neue Firma erst
Von den bisher bekannten Verfahren zur Bekämpfung von nach Erteilung der Genehmigung arbeitsfähig sein würde. Er
Schädlingen in geschlossenen Räumen nimmt z.Zt. bekanntlich schien begründete Hoffnungen zu haben, daß dem Antrag posi-
das Blausäureverfahren die erste Stelle ein. Durch Verordnung tiv entsprochen wird. Das Schreiben endet mit dem höflichen
des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft vom 17. Schlußsatz:
Juli 1922 (Reichsgesetzblatt L Seite 630) ist der allgemeine Ge- »Indem wir uns der angenehmen Hoffnung hingeben, daß
brauch der Blausäure für die Schädlingsbekämpfung einschl. unsere obige Bitte wohlwollend geprüft und zustimmend ent-
Ungezieferbekämpfung verboten. Durch Schreiben des Reichs- schieden wird, empfehlen wir uns mit vorzüglicher Hochach-
ministers für Ernährung und Landwirtschaft Nr. III /2-908 vom tung ganz ergebenst
16. Juni 1923 sind die einzelnen Landesregierungen jedoch er- Tesch & Stabenow,
mächtigt worden, Ausnahmen von diesem Verbot zuzulassen. Internationale Gesellschaft
Wir richten nun an die Gesundheitspolizei der Stadt Ham- für Schädlingsbekämpfung m.b.H.,
burg die ergebene Bitte, auch unserer neuen Firma die Erlaub- gez. Dr. Tesch«3
nis zu erteilen, Blausäuredurchgasungen von Schiffen im Ham- Dem Antrag beigefügt war ein Zeugnis von Professor Haber
burger Hafen sowie Blausäuredurchgasungen von gewerblichen, für Dr. Tesch. Darin wurde dessen Arbeit während des Ersten
nichtbewohnten Gebäuden (wie Mühlen, Lagerhäusern, Scho- Weltkrieges in den verschiedenen Abteilungen des Kaiser-Wil-
koladenfabriken usw.) im Hamburger Staatsgebiet ausführen zu helm-Institutes hervorgehoben. Nach dem Krieg hatte Tesch
dürfen.« gemeinsam mit Fritz Kerschbaum unter Mitwirkung von Prof.
In seinem Antrag hob Dr. Tesch seine vorherige Tätigkeit in
dem Institut von Prof. Haber in Berlin hervor:
»Für eine sachgemäße und gewissenhafte Ausführung garan-
tieren wir unbedingt, da die technische Leitung des Unterneh- 1
Zitat aus dem Antrag der Firma Tesch & Stabenow an die Polizeibehörde
mens dem Unterzeichneten untersteht. Wir führen nur kurz an,
Hamburg, Abteilung 1, Gesundheitspolizei, vom 26.1.1924, StA HH, 352-
daß derselbe von Oktober 1915 bis zum 31. März 1920 im Kai- 3 Medizinalkollegium, II J 15a, Bd. 1, S. 65
ser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektroche- 2
Ebd.
mie, Berlin-Dahlem tätig gewesen ist und dort die ganze Ent- 3
Ebd.
13
Schreiben von Direktor Neumann vom 12.1.1924, StA HH, 352-3 Medi-
zinalkollegium, II J 15a I, S. 61f. (Hervorhebungen wie im Original).
14
Jedenfalls gehörte das Cyannatrium im Testa-Lager nicht der Degesch
(vergl. Vertragsvereinbarungen zwischen beiden Firmen 1925).
15
= Degesch
16
Innerbehördliche Stellungnahme von Hafenarzt Sannemann vom
7.2.1924, StA HH, 352-2 Medizinalkollegium, II J 15 a, Bd. 1, Schäd-
lingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen, S. 69-74
17
Vermerk des Präsidenten des Gesundheitsamtes vom 14.2.1924 an den
Vorsitzenden der Gesundheitsbehörde, der dies mit dem Hinweis »einver-
standen« am 15.2.1924 an den Senatsreferenten Dr. Heidecker weiterlei-
Protokoll des Senats zu den Anträgen auf Blausäuregenehmigung tete, ebd., S. 80-82 (Hervorhebungen wie im Original)
58
Die Entwicklung des Blausäureverfahrens in der Schädlingsbekämp-
fung, Sonderdruck aus dem Hygiene-Sonderheft der Zeitschrift für Desin-
fektions- und Gesundheitswesen 1930, H. 5. S. 393f., (mit Stempelauf-
druck: übereicht durch Tesch & Stabenow), StA HH, 352-3 Medizinalkol-
Begasung einer Orgel, einer Klosterbücherei und eines Schiffes legium, Hafenarzt I 144
Schädlingsbekämpfer entdecken »die Eleganz«2 »Zur Vorführung einer Schiffsdurchgasung mit Zyklon B hat-
des Zyklon B-Verfahrens te die Hamburg-Amerika-Linie der Deutschen Gesellschaft für
Schädlingsbekämpfung den kleineren 750 Tonnen fassenden
Vom 16. bis 20.9.1925 fand in Hamburg die fünfte Mitglieder- Frachtdampfer ›Arabia‹ zur Verfügung gestellt. [...]
versammlung der Deutschen Gesellschaft für angewandte Die Teilnehmer an der Durchgasung waren erstaunt über die
Entomologie statt. Auch wissenschaftliche Institute und Unter- Eleganz des Verfahrens gegenüber den früheren umständlichen
nehmen mit Interessen auf dem Gebiet der Schädlingskunde Vorkehrungen mit Cyannatrium und Schwefelsäure.
tauchen in ihrem Mitgliederverzeichnis auf. Dr. Tesch von der [... und einen Tag später ...]: Herr Dr. Reh teilt mit, daß in
neugegründeten Internationalen Gesellschaft für Schädlingsbe- dem am vorhergehenden Tag vergasten Schiff im ganzen außer
kämpfung Tesch & Stabenow in Hamburg war ebenso Teilneh- den 3 Versuchsratten 47 tote Ratten gefunden wurden.«3
mer dieser Tagung wie Kapitän Falkenbach vom Hamburger
Degesch-Büro. Nach der Eröffnung durch den Vorsitzenden,
1
Prof. Escherich, und dem Rechenschaftsbericht führte Prof. Reh, Geschäftsbericht der Degesch für das Jahr 1938, HStAW, 33396 Strafver-
als Ehrenmitglied dieser Gesellschaft, im Zoologischen Muse- fahren gegen Dr. Peters, Bilanzen (Degesch)
2
Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für angewandte Entomologie
um eine Ausstellung »eingeschleppter Insekten« vor. Schließ- e.V. auf der fünften Mitgliederversammlung zu Hamburg vom 16. bis
lich erhielt die Tagung durch eine praktische Vorführung einen 20.9.1925, Berlin 1926
besonderen Akzent: 3
Ebd.
Teilnehmer am entomologischen Kongreß 1925 in Hamburg, u.a.: 1. Schwartz, 4. Reh, 5. Escherich, 31. Falkenbach, 38. Tesch
Tesch & Stabenow, Hamburg Heerdt und Lingler, Frankfurt a.M. Georg Dreyer & Co. Frankfurt a.M.
(Testa) (Heli) Generalvertretung der Abteilung
Handel mit und Anwendung von Handel mit und Anwendung von Pflanzenschutz
Degesch-Produkten Degesch-Produkten Handel mit und Anwendung von
Vertragsgebiet nordöstlich der Elbe Vertragsgebiet südwestlich der Elbe Pflanzenschutzmitteln der Degesch
mit Monopolstellung für gasförmige mit Monopolstellung für gasförmige
Schädlingsbekämpfungsmittel Schädlingbekämpfungsmittel
(u.a. Zyklon B) (u.a. Zyklon B)
Verschiedene Vorträge zu Schädlingsbekämpfungsfragen wa- Auf reichsdeutschem Gebiet war dies ein Bereich, der unge-
ren ebenfalls Bestandteil des Programms. Die Tagungsteilneh- fähr innerhalb der politischen Grenzen von Schleswig-Holstein,
mer fanden sich auch zu einer Hafenrundfahrt und zur Besich- Pommern, Ost- und Westpreußen, Brandenburg einschließlich
tigung des Dampfers »Ballin« der Hamburg-Amerika-Linie in Berlin, Schlesien, der Freistaaten Mecklenburg-Schwerin,
St. Pauli ein. Schließlich wurde das Tropeninstitut besichtigt. Mecklenburg-Strelitz, Oldenburgisch Eutin, der Freien Hanse-
städte Hamburg (einschließlich Harburg) und Lübeck lag. Die-
ses Gebiet wurde als Testa-Bezirk bezeichnet.
Die Degesch organisiert den Vertrieb Nach diesem Vertrag wurde aus dem unabhängigen Unter-
über Handelsfirmen nehmen Tesch & Stabenow eine vertraglich gebundene Han-
dels- und Anwendungsfirma für Degesch-Produkte. Auf die
Bislang hatten die Mitarbeiter von Tesch & Stabenow Schäd- Nutzung des neuen, weniger aufwendigen Zyklon B-Verfahrens
linge mit Blausäure nach dem alten Bottichverfahren bekämpft. war auch sie angewiesen, um konkurrenzfähig zu bleiben. In
Das neue Zyklon B-Verfahren konnte nur die Degesch gemein- ihrem festgelegten Vertragsgebiet (dem Testa-Bezirk) erhielt
sam mit der Degussa als Inhaber der Patente nutzen. Tesch & Stabenow das Monopol auf den Verkauf und die An-
1925 – also nach etwa einjährigem Bestehen der Firma Tesch wendung von Blausäure.
& Stabenow – gab es eine Absprache zwischen der Degesch Weitere wichtige Vertragspunkte waren:
und Dr. Tesch, daß es sinnvoller sei, zusammen statt gegenein- Die Testa vertreibt auch Gasschutzgeräte.
ander zu arbeiten.4 Daraufhin einigten sich beide Firmen auf Die Testa verpflichtet sich, der Degesch ständig Rechnungs-
eine Kooperation, die das neue Zyklon-B-Verfahren einschloß. durchschläge (sowohl zu Verkäufen wie zu Durchgasungen)
Auf Anregung von Hermann Schlosser – damals noch Leiter zuzuschicken.
der Chemikalienabteilung der Degussa5 – wurde am 8.10.1925 Die Degesch erhält jederzeit Einblick in die Bücher der Testa.
ein Vertrag zwischen den Firmen Tesch & Stabenow und der Die Testa übernimmt 40% der »Propagandakosten« (Werbung).
Degesch unterzeichnet. Er traf folgende Feststellungen:6 Völlig einvernehmlich scheinen die Vertragsverhandlungen
Die Testa ist lediglich Vertreter der Degesch. Das Zyklon- und nicht gewesen zu sein. Wie wäre sonst zu erklären, daß man für
das Bottichverfahren sind für sie verpflichtend. Die Degesch mögliche Streitigkeiten aus diesem Vertrag schon bei Vertrags-
liefert die Blausäure und das Zyklon. Alte Zyanvorräte der abschluß einen ›Schiedsrichter‹, Prof. Haber aus Berlin, ein-
Testa können aufgebraucht werden.7 Andere Verfahren zur Schäd- setzte? Unter dem Vertragspunkt »Andere Verfahren« hieß es
lingsbekämpfung können geprüft werden. dazu:
Das Verkaufs- und Arbeitsgebiet der Testa wurde festgelegt: »Können Degesch und Testa sich nicht einigen, ob überlege-
Reichsdeutsche- und Freihafengebiete, die östlich und nördlich nes Verfahren oder Präparat vorliegt, [...], werden sich beide
einer geraden Verbindungslinie zwischen Cuxhaven – Oebisfel- Parteien dem Schiedsspruch von Herrn Geheimrat Prof. Dr.
de – Plaue und der anschließenden sächsisch-brandenburgischen Haber oder eines von ihm benannten Vertreters unterwerfen.«8
und sächsisch-schlesischen Grenze liegen; sowie Dänemark, Das Anliegen der Degesch war, daß ihre Handelsgesellschaft
Freistaat Danzig, Lettland, Estland, Livland, Litauen. Tesch & Stabenow ausschließlich Degesch-Produkte verwen-
räucherung« von Schiffen eingesetzt. Damals wollte der Schiffs- »... ihre Aufgaben stets zufriedenstellend und erfreuten sich
kammerjäger F. Rasmus, daß sein Gehilfe Otto Borch, der bis- in Reeder- und Schiffsmaklerkreisen vielfachen Zuspruchs.«33
lang nur unter seiner ständigen Aufsicht arbeiten durfte, eine Hafenarzt Sannemann bat schließlich um eine Entscheidung
uneingeschränkte Zulassung für die Ausführung von Rattenver- der Gesundheitsbehörde, er würde dann dem Vorschlag folgen,
tilgungsmaßnahmen erhielt. Hafenarzt Sannemann hatte zu- Otto Borch keine Zulassung zu erteilen. Es ging dem Hafenarzt
nächst keine Bedenken gegen eine Genehmigung. Er änderte neben der Pestabwehr auch um die Stärkung der staatlichen
seine Meinung dann aber doch noch, um die Interessen der staat- Desinfektionsanstalten gegenüber den privaten Schädlingsbe-
lichen Desinfektionsanstalten in Hamburg nicht zu gefährden: kämpfern.
»In seiner Rückschrift vom 19. ds. Mts. hat der Leiter der In seiner befürwortenden Stellungnahme bei der Zulassung
Oeffentlichen Desinfektionsanstalten darum ersucht, dem Ge- der Testa zu Blausäureausgasungen nur wenige Tage später ver-
suche nicht stattzugeben, d.h. die einschränkende Bestimmung trat Prof. Sannemann eine etwas andere Auffassung:
nicht aufzuheben und zwar aus dem Wunsche heraus, die Zahl »Auch hier die ganzen Blausäureausgasungen auf den Staat
der im Hafen zur Rattenvertilgung zugelassenen Kammerjäger zu übertragen, halte ich z.Zt. wenigstens, nicht für richtig.«34
nicht größer werden zu lassen, vielmehr möglichst zu verrin-
gern, um dadurch den Oeffentlichen Desinfektionsanstalten die
Möglichkeit zu geben, die Rattenvertilgung auf den Schiffen
selbst auszuführen.
Als vor 25 Jahren die Ausbreitung der Pest durch den Schiffs- 26
Schreiben der Degesch an Dr. Tesch vom 11.11.1925, Firmenarchiv De-
verkehr ein wirksames Vorgehen gegen die Schiffsratten nötig gussa, Akte Degussa betrifft Degesch, IW 57.14/3, Nr. 2
27
machte, wurde die Ausführung dieser Arbeiten zunächst den Schreiben von Dr. Tesch an die Degesch vom 12.11.1925, Firmenarchiv
privaten Kammerjägern überlassen. Bald aber stellte sich her- Degussa, Akte Degussa betrifft Degesch, IW 57.14/3, Nr. 3
28
Kerschbaum schied im Dezember 1926 im Streit bei der Degussa aus,
aus, dass diese nicht immer einwandfrei und zuverlässig arbei-
weil er mit der Lösung der Interessengemeinschaft zwischen der Degussa,
teten. Es wurde der Ausweg getroffen, eine kleine Zahl von Kam- der Metallbank und der Metallgesellschaft nicht einverstanden war.
merjägern, die nach ihrer bisherigen Tätigkeit und ihrem Vorle- 29
Schreiben der Testa an die Degesch vom 11.11.1925, Firmenarchiv
ben als zuverlässig angesehen werden konnten, in der Weise zu Degussa, Akte Degussa betrifft Degesch, IW 57.14/3, Nr. 11
30
konzessionieren, dass nur die von ihnen unter Beachtung einer Schreiben der Degesch an die Heli vom 28.1.1926, Firmenarchiv
Degussa, Akte zu Heerdt-Lingler, Degussa IW 57.14/2
amtlichen Vorschrift ausgeführten Rattenvertilgungsmaßnahmen 31
Schreiben der staatlichen Desinfektionsanstalten, gez. Wegner, an das
als den Ansprüchen der Gesundheitsbehörde genügend aner- Gesundheitsamt vom 3.2.1925, StA HH, 352-3 Medizinalkollegium, II J
kannt wurden.« 15a, Bd. 1, Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen, S. 141
32
Der Hafenarzt und andere öffentliche Dienststellen beauf- Senatsbeschluß vom 25.2.1925, StA HH, 352-3 Medizinalkollegium II J
tragten die Desinfektionsanstalten in erheblichen Maße mit al- 15a, Bd. 1, Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen, S. 142
33
Schreiben von Hafenarzt Sannemann vom 26.1.1924, StA HH, 352-3,
len einschlägigen Arbeiten zur Schädlingsbekämpfung. Sinn die-
Medizinalkollegium. II I (i) 14, betr.: Kammerjäger, S. 38f.
ser Vorgehensweise war es, von den privaten Kammerjägern weit- 34
Hafenarzt Sannemann am 7.2.1924, StA HH, 352-3 Medizinalkollegi-
gehend unabhängig zu sein oder zu bleiben. Die staatlichen Des- um. II J 15a, Bd. 1, Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen, S. 69-
infektionsanstalten erledigten – wie der Hafenarzt schrieb – 74
55% 45%
3
Ein Beispiel für die Unternehmensstrategie der Degesch ist, in Anleh-
nung zur Degussa, der Umgang mit dem neu entwickelten T-Gas: »Herr
Stiege gibt die grundsätzliche Einstellung der Degesch zu den Konkur-
renz-Verfahren bekannt, die dahin geht, diese zunächst aufmerksam zu
verfolgen und dann zu prüfen, ob man abwarten könne, bis sich das neue
Verfahren tot gelaufen habe oder ob man es auch in den Interessenkreis
der Degesch hineinziehen soll.« Degesch-Geschäftsführer Stiege im Pro-
tokoll der Technischen Besprechung zwischen den Blausäurefirmen bei
der Degesch in Frankfurt vom 4./5.2.1938, Archiv der Biomel GmbH Des-
sau
4
Eidesstattliche Erklärung von Dr. Theo Goldschmidt am 31.12.1947,
HStAW, 36342-8 Strafverfahren gegen Dr. Peters, Ks 148, Handakte Pe-
ters I
5
Aussage von Degussa-Mitarbeiter Dr. Adalbert Fischer gegenüber dem
Staatsanwalt in Frankfurt/M. am 4.3.1948, ebd., S. 31f.
6
Erklärung zur Person von Gerhard Peters gegenüber dem Staatsanwalt in
Frankfurt/M. am 9.3.1948, ebd., S. 51
7
Ebd., S. 50f.
8
1931 wurde der Sitz der Degesch-Filiale Hamburg in die Burchardstr. 14
verlegt.
9
Erklärung von Paul H. Haeni, Civilian No. 20050 des US Departments of
the Army, Office of Chief of Councel for War Crimes vom 28.10.1947, NI-
12073, Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem (Hervorhebungen wie im Ori-
ginal)
10
Schreiben der T-Gas-Gesellschaft für Schädlingsvernichtung m.b.H. in
Essen an den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg vom 12.9.1929,
Die Firma verteilte an ihre Kunden eine Broschüre über T-Gas, in der StA HH, 352-3 Medizinalkollegium II J 18, Band I, T-Gas
dieses Verfahren erläutert wurde (siehe Abbildung nächste Seite) 11
Stellungnahme des Hygienischen Staatsinstitutes vom 10.3.1931, ebd.
»Am 4. November 1930 besuchten die Herren Dr. Tesch von ›Geschenke‹ der Testa für den Hafenarzt
der konzessionierten Blausäurefirma Tesch & Stabenow, Ham-
burg, und Direktor Bossert von der T-Gas-Gesellschaft, das Hy- In Hamburg führte die große Konkurrenz zwischen den Schäd-
gienische Staatsinstitut und erklärten, daß die Deutsche lingsbekämpfungsfirmen 1931 erneut zu einem Konflikt. Mit
Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung in Frankfurt a. M. (Ver- fast allen Mitteln versuchten Kammerjäger, sich Vorteile gegen-
treter Tesch u. Stabenow, Hamburg) und die T-Gas-Gesellschaft über den anderen Unternehmen zu verschaffen. Die Position
Essen gemeinsam arbeiteten. Da somit der T-Gas-Gesellschaft der Firma Tesch & Stabenow konnten sie dabei nicht gefähr-
das gut ausgebildete sachverständige Durchgasungspersonal der den.
Firma Tesch & Stabenow zur Verfügung stand, fiel der oben an- Der Hamburger Schiffskammerjäger Fritz Rasmus wandte sich
geführte Grund für eine praktische Durchgasung eines Über- im Juli 1931 mit einem Antrag an die Polizeibehörde. Er bat,
seeschiffes weg. [...] die gesundheitspolizeiliche Verfügung zur Rückgabe seiner
Die Äthylenoxydpräparate wurden von der T-Gas-Gesellschaft Zulassung als Schiffskammerjäger aufzuheben.
sowie von der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämp- Hintergrund dieser Auseinandersetzung war ein Gerichtsver-
fung Frankfurt a.M. (Tesch & Stabenow), – beide Gesellschaf- fahren gegen Rasmus. Sein ehemaliger Mitarbeiter, der Gehilfe
ten haben jetzt eine Interessengemeinschaft geschlossen – zur Springer, hatte ihn des Betrugs beschuldigt. Er behauptete, bei
Verfügung gestellt.«12 den Ausräucherungen dieser Firma zur Bekämpfung von Rat-
Direktor Erwin Bossert von der T-Gas-Gesellschaft, mit dem ten auf Seeschiffen sei weniger Schwefel verwendet worden,
Dr. Tesch in dieser Angelegenheit beim Hygienischen Staatsin- als der Hafenarzt angeordnet hatte. Die kontrollierenden Be-
stitut erschien, wurde 1942 für kurze Zeit stellvertretender Ge- amten seien durch falsche Gewichtsangaben getäuscht worden.
schäftsführer der Degesch.13 Überprüfungen der Firma ergaben, daß Rasmus in der Zeit von
Am 2.5.1932 erhielt die Firma Tesch & Stabenow von der 1928 bis 1930 tatsächlich 25 000 kg Schwefel weniger einge-
Polizeibehörde Hamburg die widerrufliche Erlaubnis, Äthylen- kauft hatte, als bei den Schiffsausräucherungen den amtlichen
oxyd anzuwenden. Zuvor hatten Hafenarzt Professor Dr. San- Papieren entsprechend – angeblich – verbrannt wurden. Eine
nemann, Prof. Dr. Schwarz vom Hygienischen Institut und der Waage, die bei einem Gewicht von 18 kg 20 kg anzeigte, sollte
Leiter der Hamburger Desinfektionsanstalten gemeinsam mit beim Abwiegen des Schwefels nach Aussage des früheren Ge-
11. Welche Strafen stehen auf unbefugter Ausübung der Entwesung 11. Gefängnis bis zu einem Jahre und Geldstrafe oder eine dieser Strafen.
nach dem Blausäureverfahren?
12. Welche Blausäureverfahren finden in Deutschland Anwendung? 12.
1. Das Bottichverfahren
2. Das Zyklon-B-Verfahren
3. Das Kalziumzyanid-Verfahren
13. Worin unterscheiden sich diese Verfahren? 13. Beim Bottichverfahren wird reine Blausäure in den Räumen, die durch-
gast werden sollen, an Ort und Stelle entwickelt, indem man Zyannatrium
in fester Form zu verdünnter Schwefelsäure gibt.
Zyklon B ist eine Aufsaugung von Blausäure in einem porösen neutralen
Material unter Zusatz eines Reizstoffes.
Das Kaliumzyanid ist ein durch die Feuchtigkeit der Luft Blausäuregas ab-
gebender körniger Stoff, der nur für Entwesungen in Gewächshäusern an-
gewendet werden darf.
14. Wie ist das Verfahren mit Zyklon? 14. Zyklon B wird in den Räumen, die durchgast werden sollen, ausge-
streut.
15. Wozu dient der Reizstoff? 15. Er soll ankündigen, daß sich Blausäuregas in einem Raum befindet und
soll das Betreten dieses Raumes erschweren.
16. Wodurch geschieht dies? 16. Durch Reizung der Augen und der Nase.
17. Welcher Art ist diese Reizung? 17. Stechender Geruch und Erregung von Tränenfluß.
18. Ist reine Blausäure durch Geruch wahrnehmbar? 18. Nicht von allen Menschen.
19. Hat Blausäure eine bestimmte Farbe? 19. Nein, sowohl verflüssigte als auch gasförmige Blausäure ist farblos.
20. Warum heißt sie dann Blausäure? 20. Weil sie zuerst aus dem Berliner Blau* hergestellt wurde.
21. Gibt es auch noch andere Namen für Blausäure? 21. Ja, Zyanwasserstoffsäure.
24. Kommt Blausäure in der Natur vor? 24. Ja, zum Beispiel gebunden in bitteren Mandeln, in Rangoonbohnen
und gewissen anderen Pflanzen.
25. Wie kann das Vorhandensein von Blausäure einwandfrei 25. Durch chemische Methoden.
nachgewiesen werden?
26. Ist Blausäure eine Flüssigkeit oder ein Gas? 26. Eine Flüssigkeit, die aber schon bei 26 0C siedet und deshalb sehr
leicht verdampft.
37. Warum sind Blausäure und Zyklon B für die Entwesung geeignet? 37. Weil sie sehr giftig sind, etwas leichter sind als Luft und daher überall
hindringen.
38. Wie kommt die giftige Wirkung auf Menschen und Tiere zustande? 38. Durch Einatmen des Blausäuregases oder durch die Hautatmung.
39. Worauf ist die giftige Wirkung bei Menschen und Tieren zunächst zu- 39. Das Atemzentrum im Gehirn wird gelähmt, so daß die Atmung aus-
rückzuführen? setzt.
40. Wie schützt man sich gegen das giftige Blausäuregas? 40. Vor allem durch Tragen einer Gasmaske.
41. Schützt jede Gasmaske? 41. Nein, sie muß mit einem besonderen für Blausäure oder Zyklon herge-
stellten Einsatz versehen sein.
60. Was muß bei der Durchgasung immer sofort zur Hand sein? 60. Ein Sauerstoffapparat (beachte, daß mindestens ein Druck von 100
Atm. im Apparat ist) und ein vorschriftsmäßiger Rettungskasten. Die den
Geräten beiliegenden Anleitungen muß der Durchgasungstechniker be-
herrschen.
70. Welches Verfahren dient zum Gasrestnachweis für Blausäure? 70. Die Benzidin-Kupferazetat-Reaktion nach Pertusi und Gastaldi.
85. Welches sind die ersten Anzeichen einer Vergiftung? 85. Augentränen, Blutandrang, Schwere in den Gliedern, Kratzen und Wür-
gen im Hals, Kopfschmerzen, Schwindel, Atemnot, Herzklopfen, Angst-
und Beklemmungsgefühl, schließlich Krämpfe, Atemstillstand.
86. Was tun Sie, wenn Sie eines dieser Anzeichen merken? 86. Ich versuche mit meinem Begleiter so schnell wie möglich, jedoch
ohne Überstürzung, aus dem durchgasten Raum ins Freie zu gelangen.
96. Was tun sie bei leichteren Vergiftungsfällen? 96. Ich bewege den Verunglückten möglichst ausgiebig in frischer Luft.«
Auszug aus: Prof. Dr. Otto Lentz (Obermedizinal-Rat) und Dr. Ludwig Gaßner (Degesch, Frankfurt/M.), Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen, Heft 1: Blausäure, Berlin 1934, ZMH
Sinne der Verordnung geistig und körperlich geeignet, insbe- Firmenbüro und nicht bei Durchgasungen gearbeitet zu haben.
sondere auch zur sinnlichen Wahrnehmung der Blausäure befä- In einer Verordnung vom 25.5.1931 war die Prüfung und die
higt sind.«19 körperliche Untersuchung von zukünftigen Mitarbeitern bei
Auch der spätere zweite Geschäftsführer der Testa, Karl Wein- Blausäuredurchgasungen zur gesetzlichen Pflicht gemacht wor-
bacher, war vom Hafenarzt untersucht worden. Beim Kriegs- den. Autoren in Desinfektoren-Zeitschriften wiesen immer wie-
verbrecherprozeß 1946 gab er die Auskunft, ausschließlich im der auf die gesundheitlichen Anforderungen hin, so auch Prof.
6.6 Dr. Tesch nutzt seine Stellung als Ausbilder für T-Gas 85
sen und von der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämp- »In der von mir geleiteten Abteilung sind 4-5 Chemiker, 10
fung in Frankfurt a.M. die ersten Versuche mit Äthylenoxyd in Angestellte und etwa 160 Arbeiter beschäftigt. [...] Die Zucker-
der Schädlingsbekämpfung durchgeführt.«24 raffinerie stellte als Material die Schlempe und die daraus her-
Patente der I.G. Farbenin- gestellte Blausäure zur Verfügung. Alle anderen Chemikalien
dustrie vom 25.3.192825 und und das Verpackungsmaterial kamen von der Degesch.
vom 7. März 192926 bezogen Sobald das Zyklon in Büchsen fertig verpackt hergestellt war,
sich auf Äthylenoxyd in Mi- ging es in das Lager der Degesch über. Damit war es meiner
schung mit anderen Insekti- Verfügungsgewalt entzogen. Ich habe mich lediglich als Chemi-
ziden, Verbindungen oder ker, ohne eine Verpflichtung anzuerkennen, um die allgemeine
Reizstoffen, die gleichzeitig Beachtung der Unfallmaßnahmen im Degesch-Lager geküm-
die Entflammbarkeit herab- mert, da die Angestellten der Degesch keine Chemiker waren.
setzten (z.B. Tetrachlorkoh- Mit dem Versand hatte ich nichts zu tun. Das war Angelegenheit
lenstoff). der Angestellten der Degesch, die übrigens auch ihr Gehalt von
Die Th. Goldschmidt A.G. der Degesch erhielten, allerdings über die Raffinerie, die das
in Essen an der Ruhr gab bei Gehalt jedoch mit der Degesch verrechnete. [...]
ihrem Patent eines Schäd- Ein Teil der Maschinen, die zur Herstellung dienten, sowie
lingsbekämpfungsmittels sämtliche Lagermaschinen (Etikettier-Maschinen, Kistenver-
vom 12.9.1928 eine Mi- schlussmaschinen usw.) gehörten der Degesch. [...]
schung aus Äthylenoxyd Jeder der mir unterstellten Chemiker hatte die Aufsicht über
und unter Druck verflüssig- die Fabrikation eines bestimmten Produkts. Bei Zyklon war das
tem Kohlendioxid an. In die- bis etwa 1942 Dr. Reinhold Voullième und dann Dr. Ing. Erich
ser Patentschrift wurde erläutert, daß die giftige Wirkung der Brand. [...] Es waren immer 2-3 Chemiker tätig, die sich schicht-
Kohlensäure27 auf Schädlinge eigentlich gleich Null sei. Das weise abwechselten. [...]
Kohlendioxid hatte den Zweck, die Brennbarkeit des Gases Ich erinnere mich, dass immer davon gesprochen wurde, dass
herabzusetzen.28 Gleichzeitig wurde aber durch die Beeinflus- wir 30 t monatlich produzierten. Die Zahlen schwankten jeden
sung des Atemreflexes die giftige Wirkung des Äthylenoxyds Monat. [...]
auf Schädlinge gesteigert. Es wurde jeder einzelne eingehende Auftrag besonders her-
»Am besten aber ist die Wirkung, wenn man eine Mischung gestellt. Es wurde also nicht serienmäßig auf Vorrat hergestellt.
von Äthylenoxyd und Kohlensäure zur Verwendung bringt. Zu- Die Aufträge waren meistens verschieden, z.B. in der Büchsen-
rückzuführen ist die günstige Wirkung dieser Mischung wohl größe u. dem Aufsaugmaterial. Immerhin ist vorgekommen, dass
darauf, daß die Kohlensäure einen die Atmung beschleunigen- wir etwas auf Vorrat produzierten, wenn Aufträge zu erwarten
den Einfluß auf die zu bekämpfenden Schädlinge ausübt, so daß waren und es sich voraussehen liess, dass die laufende Produk-
diese die für ihre Abtötung erforderliche Menge des Giftes tion zum Versand kommen würde. Dies wurde von dem Betriebs-
schneller aufnehmen.«29 chemiker mit dem Versandleiter der Degesch ohne meine Ein-
Auch die Herstellung des später als T-Gas bezeichneten Schäd- schaltung besprochen. Auch die Reihenfolge der Aufträge wur-
lingsbekämpfungsmittels war nicht besonders kompliziert. Die de so besprochen.
Patentschrift nennt ein Beispiel: Die Degesch unterhielt natürlich auch ein gewisses Lager. Das
»In eine leere druckfeste Eisenflasche mit einem Füllraum war schon deswegen erforderlich, weil die Büchsen, nachdem
für 20 kg Kohlendioxyd wird 1 kg Äthylenoxyd eingefüllt, dar- sie von uns zum ersten Mal nach Fertigstellung auf Dichtigkeit
auf läßt man 20 kg Kohlendioxyd nach und bewirkt eine gute geprüft worden waren, noch einmal vor dem Versand von der
Mischung durch mehrmaliges Umkehren der Flasche. Das Äthy- Degesch geprüft werden mußten und wurden.«32
lenoxyd löst sich in dem flüssigen Kohlendioxyd vollständig auf. Die Degesch konnte über die Degussa neben der Anlage in
Die Zusammensetzung des aus der Flasche ausströmenden Dessau noch ein zweites Herstellungswerk für Blausäurever-
Gases bleibt bis zur vollständigen Entleerung der Bombe gleich bindungen nutzen: die Kaliwerke in Kolin.
d.h. 1 Teil Äthylenoxyd auf 20 Teile Kohlendioxyd.«30 Die Bestände dieser Firma in der Tschechoslowakei an Zy-
Die Degesch ließ sich den Namen »T-Gas« für dieses Schäd- klon A waren 1925 aufgebraucht. Reine Blausäure für die Pro-
lingsbekämpfungsmittel ab 1935 als Gebrauchsmuster schüt- duktion von Zyklon B konnte dieses Chemiewerk damals noch
zen.31 nicht herstellen. Eine solche Fabrikationsanlage wurde von der
Degussa für Kolin in Aussicht gestellt.
Weiterhin nur ein Zyklon B-Hersteller Im April 1925 schrieb Dr. Kerschbaum, damals Direktor bei
Die Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung in Frank- der Degussa, dazu einen Aktenvermerk. Um im Gebiete der
furt produzierte die Blausäure bzw. das Zyklon B nicht selbst. Tschechoslowakei nicht untätig zu bleiben – so Dr. Kerschbaum,
Die Herstellung geschah im Auftrag der Degesch in den Des- »... und insbesondere, um zu verhindern, daß durch das In-
sauer Werken für Zucker und chemische Industrie. Der Abtei- teresse des Aussiger Vereins für die Schädlingsbekämpfung mit
lungsleiter in der Blausäureproduktion, Diplom-Ingenieur Al- Blausäure eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit und somit
fred Güllemann, berichtete nach 1945 über die Produktionsan- der Interessen der Kaliwerke Kolin wie der Scheideanstalt her-
lage in Dessau und die Zusammenarbeit mit der Degesch: beigeführt wird«,33
Zyklon-Produktion in Dessau, Prüfung der Dichtigkeit von Zyklon-Dosen durch Erhitzen in einem ›Prüfkanal‹
Werbemaßnahmen (1919-1932) 35
Schreiben von Dr. Tesch an Prof. Dr. Sannemann vom 2.11.1929, StA HH,
352-3 Medizinalkollegium, Hafenarzt I, 145, Unfälle bei Ausgasungen mit
Die Degesch berief sich in ihren Firmenbroschüren immer wie- Blausäure 1922-1952.
36
der auf Empfehlungsschrei- Bericht von Dr. L. Schwarz, Abteilungsvorsteher der Abteilung VI (Ge-
ben ihrer Geschäftskunden, werbe-, Bau-, Wohnungshygiene, Schädlingsbekämpfung) im Hygienischen
Staatsinstitut an den Hafenarzt vom 19.12.1929, StA HH, Medizinalkolle-
z.B. auf die Bescheinigung
gium, J 15, Bd. II, Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen, S.89
der Nahrungsmittelfabriken 37
Vermerk des Hygienischen Staatsinstitutes, Dr. Schwarz, 1929, ebd., S.
C.H. Knorr A.G, Heilbronn, 36
38
von 1919, Aufstellung nach verschiedenen Dokumenten aus dem StA HH, u.a. Prof.
»daß die im vorigen Jahr Dr. Schwarz und Dr. W. Deckert, Berichte über Blausäure-Entwesungs-
kammern, in: Zeitschrift für Desinfektion, 1929, Heft 5, S. 132f.
vorgenommene Durchga- 39
Bericht der Polizeibehörde 1932, StA HH, Medizinalkollegium, J 15,
sung unserer Lagerräume Bd. II, Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen, S. 186
von bestem Erfolg gewesen 40
Degesch Broschüre »Blausäuregas ist das einzig wirklich sichere Mittel
ist. Wir hatten bis jetzt keine zur Vertilgung der Mehlmotte in allen ihren Entwicklungsformen vom Ei
Ursache, wieder über Schäd- bis zum Falter«, Frankfurt/M., ca. 1919
41
Anm.: Das Zoologische Staatsinstitut Hamburg befand sich damals am
linge zu klagen.«40
Steintorwall, Ecke Mönckebergstraße, in: Hamburger Neueste Nachrich-
In der Werbung der De- ten vom 20.4.1928, StA HH, Medizinialkollegium, J 15, Bd. II, S. 4
gesch von 1924 war noch 42
Testa-Broschüre Zyklon B, Das Blausäuremittel zur Ratten- und Unge-
von Zyklon für die Nutzung ziefervernichtung auf Seeschiffen, S. 12, ZMH
Dr. Tesch wird 1933 NSDAP-Mitglied den vergangenen 39 Jahren seines Hochschullebens geleitet hat,
und Sie werden verstehen, daß ihm der Stolz, mit dem er seinem
Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Hindenburg Hit- deutschen Heimatlande sein Leben lang gedient hat, jetzt diese
ler zum Reichskanzler. Der Reichstagsbrand am 27. Februar Bitte um Versetzung in den Ruhestand vorschreibt.«2
wurde zum Vorwand für eine Terrorwelle gegen Regimegegner. Die Hetze gegen Wissenschaftler mit »jüdischer Abstam-
Einen Tag später erließ Hindenburg eine »Verordnung zum mung« in den vorangegangenen Jahren faßte die »Zeitschrift
Schutz von Volk und Staat«, in der die Grundrechte der Weima- für die gesamte Naturwissenschaft« 1939 so zusammen:
rer Verfassung aufgehoben wurden. Statt dessen gab es verschärf- »Die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Institute in Berlin Dah-
te Strafbestimmungen und den »Schutzhaftbefehl«. lem war der Auftakt zu einer Judenanschwemmung in der phy-
Im April 1933 begann reichsweit ein Boykott jüdischer Ge- sikalischen Wissenschaft. Die Leitung des KWI für physikali-
schäfte, initiiert von der SA. Das »Gesetz zur Wiederherstel- sche Chemie und Elektrochemie erhielt der Jude F. Haber, der
lung des Berufsbeamtentums« führte am 7. April zum Ausschluß Neffe des jüdischen Großschiebers Koppel. Das Arbeiten war
aller ‘nicht-arischen’ Beamten aus dem Staatsdienst. Professor fast auschließlich den Juden vorbehalten.«3
Haber in Berlin konnte seine Entlassung ein wenig hinauszö- Habers früherer »persönlicher Assistent«,4 Dr. Bruno Tesch,
gern. Er versuchte noch, den Mitarbeitern seines Institutes für wurde – wie er selbst 1946 in Hamburg aussagte – am 1. Mai
physikalische Chemie und Elektrochemie zu helfen, die von 1933, dem in allen Städten des Deutschen Reiches mit großen
den Rassegesetzen der Nationalsozialisten betroffen waren. Drei öffentlichen Veranstaltungen gefeierten »Tag der nationalen Ar-
Abteilungsleiter, sechs Assistenten und drei weitere Mitarbei- beit«, Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbei-
ter aus dem Forschungsinstitut in Berlin mußten aufgrund die- terpartei.
ser Gesetze sofort entlassen werden. Am 30. April 1933 reichte
Prof. Haber sein Entlassungsgesuch beim preußischen Kultus-
minister ein:
»Hierdurch bitte ich Sie, mich zum 1. Oktober 1933 hinsicht-
lich meines preussischen Hauptamtes als Direktor eines Kai-
ser-Wilhelm-Institutes wie hinsichtlich meines preussischen
Nebenamtes als ordentlicher Professor an der hiesigen Univer-
sität in den Ruhestand zu versetzen. Nach den Bestimmungen
des Reichsbeamtengesetzes vom 7. April 1933, deren Anwen-
dung auf die Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft vorge-
schrieben worden ist, steht mir der Anspruch zu, im Amte zu
verbleiben, obwohl ich von jüdischen Großeltern und Eltern
abstamme. Aber ich will von dieser Befugnis nicht länger Ge-
brauch machen, als für die geordnete Abwicklung der wissen-
schaftlichen und verwaltenden Tätigkeit notwendig ist, die mir
in meinen Ämtern obliegt. [...]
Mein Entschluß, meine Verabschiedung zu erbitten, erfließt
aus dem Gegensatze der Tradition hinsichtlich der Forschung in
der ich bisher gelebt habe, zu den veränderten Anschauungen, 1
Titel eines Werbefilms zur Schädlingsbekämpfung, der 1938 als Vorfilm
welche Sie, Herr Minister, und Ihr Ministerium als Träger der in Kinoprogrammen gezeigt wurde. »Kleinkrieg« könnte auch das gespann-
großen derzeitigen nationalen Bewegung vertreten. te Verhältnis zwischen Degesch und Testa beschreiben.
Meine Tradition verlangt von mir in einem wissenschaftli- 2
Entlassungsgesuch von Prof. Haber vom 30.4.1933, zitiert in: R. Will-
chen Amte, daß ich bei der Auswahl von Mitarbeitern nur die städter, Aus meinem Leben, Verlag Chemie, Weinheim, 1958, S. 273, zi-
fachlichen und charakterlichen Eigenschaften der Bewerber tiert ebf. in: Dietrich Stoltzenberg, Fritz Haber, Weinheim 1994, S. 581
3
Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft, Heft 5, 1939, L. Glaser,
berücksichtige, ohne nach ihrer rassenmäßigen Beschaffenheit Juden in der Physik, zitiert in: ebd., S. 576
zu fragen. Sie werden von einem Manne, der im 65. Lebensjah- 4
So beschrieb Dr. Tesch in seinem Lebenslauf von 1924 seine Position im
re steht, keine Änderung der Denkweise erwarten, die ihn in Kaiser-Wilhelm-Institut.
7.2 Vergeblicher Versuch, über die NSDAP das Blausäuremonopol der Testa aufzuheben 93
Für die Blausäuredurchgasungen gilt die Verordnung des die in jahrelangen Erfahrungen die aussergewöhnlichen Schwie-
Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft und des In- rigkeiten dieser Spezialproduktion überwunden hat und der
nern zur Ausführung der Verordnung über die Schädlingsbekämp- Degesch durch ihre geographische Lage die Möglichkeit zum
fung mit hochgiftigen Stoffen. Ich bin der Meinung, daß diese täglichen Austausch bietet, kann nicht bestritten werden.
gesetzlichen Voraussetzungen durch die Kammerjäger nicht er- Es würde technisch und kaufmännisch nicht zu verantworten
füllt werden können. Ich ersehe aus ihrem Schreiben, daß die sein, den vorhandenen Absatz willkürlich zu teilen, lediglich
Polizeibehörde als zuständige Instanz denselben Standpunkt um überhaupt eine zweite Zyklonstation betreiben zu können.
vertritt. Es liegt also schon ein sehr weitgehendes Zugeständnis darin,
Ich sehe daher leider keine Möglichkeit, den Kammerjägern wenn wir nichtsdestoweniger und ungeachtet der hinsichtlich
aus ihrer bedrängten Lage zu helfen.«15 der Degesch seit dem Jahre 1925 völlig veränderten Beteili-
Auch der von Hamburger Schädlingsbekämpfern angerufe- gungsverhältnisse an der Zusage festhalten, den Zyklonbedarf
ne NSDAP-Gauwirtschaftsberater Otte konnte die Monopolstel- für die Tschechoslowakei und die Nachfolgestaaten aus einer
lung des NSDAP-Parteigenossen Dr. Tesch im Blausäuregeschäft in Kolin zu errichtenden Station zu decken, sobald nach der
nicht ins Wanken bringen. Carlo Otte war von 1935 bis 1940 Auffassung von Kolin eine solche Station wirtschaftlich betrie-
Gauwirtschaftsberater in Hamburg.16 ben werden kann.«19
Vom Entnazifizierungsausschuß für den Regierungsbezirk Die Kali-Werke Kolin wollten – entsprechend ihrer früheren
Lüneburg wurde Otte 1949 in die Kategorie IV »Mitläufer« ein- Absprachen mit der Degussa – die Herstellung von Zyklon B
gestuft (»Hat den Nationalsozialismus unterstützt, ohne ihn je- für den Bereich der Tschechoslowakei übernehmen. Die dafür
doch wesentlich gefördert zu haben«).17 notwendige Anlage wurde aber erst 1935 geschaffen. Dr. Max
Stoecker nannte nach Kriegsende Zahlen zur Produktionskapa-
zität seines Unternehmens in Kolin:
Neuer Zyklon-Hersteller in Kolin ab 1935 »Etwa 1935 haben die Kaliwerke eine kleine Zyklonanlage
aufgestellt mit einer ursprünglichen Kapazität von etwa 8.000
Das Zyklon B wurde zunächst nur in der Fabrik in Dessau her- kg/Jahr. Im Laufe der Zeit wurde sie so ausgebaut, daß sie im
gestellt. Die Degussa hatte im Zusammenhang mit der Herstel- Kriege maximal 500 kg pro Tag herstellen konnte.«20
lung von Blausäure seit 1907 auch Geschäftsbeziehungen zu An dem Werk in Kolin, das ab 1935 auch Zyklon B produzie-
den Kaliwerken in Kolin. Mitte Juni 1933 schrieb der Direktor ren konnte, war die Degussa mit 6,7% (über ihren 51prozenti-
der Kaliwerke Kolin, Dr. Max Stoecker, an die Degussa und gen Anteil an der Chemischen Fabrik Schlempe GmbH) betei-
griff die Frage einer Zyklon-Produktion in Kolin wieder auf. ligt. An die Zyklon-Produktionszahlen aus Dessau konnte die-
In der Antwort von Degussa-Direktor Schlosser wurden die ses Werk jedoch nie anschließen.
ab 1930 geänderten Beteiligungsverhältnisse an der Degesch Die Testa, zu deren Vertragsgebiet die Tschechoslowakei ge-
erwähnt. Ohne Zustimmung der anderen Anteilseigner, also auch hörte, wollte kein Zyklon B von diesem Hersteller abnehmen.
der I.G. Farben, sei ein zweiter Zyklon-Produktionsstandort Sie vertrat hartnäckig die Auffassung, daß ihr, entsprechend ei-
nicht zu schaffen:18 ner Vereinbarung mit der Degesch, der Markt in der Tschecho-
»Ich habe inzwischen das alte Aktenmaterial einmal durch- slowakei zustehe. Die unterschiedlichen Auffassungen sollten
studiert, insbesondere das von Ihnen erwähnte Protokoll vom später zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen der
15. Januar 1925 und das Schreiben von Dr. Roessler an Sie vom Testa in Hamburg und den Werken in Kolin führen.
7. März 1925. Was die Scheideanstalt angeht, so kann ich darin Wie Degesch (siehe unten) bzw. Tesch & Stabenow (Darst. 12)
an positiven Verpflichtungen nur finden, dass wir uns bereit er- bei den Zyklon-Lieferungen mit anderen Firmen zusammenar-
klärt haben, wegen eventueller Herstellung von Zyklon für die beiteten, zeigen die Darstellungen der Firmenverflechtungen.
Tschechoslowakei und die sogenannten Nachfolgestaaten in
erster Linie mit Kolin zu verhandeln. Dieses Versprechen haben
wir treulich gehalten und betrachten uns daran auch weiterhin
als gebunden, obwohl heute die Scheideanstalt an der Degesch
neben der I.G. und Goldschmidt nur noch eine Minoritätsbetei-
ligung hat. [...]
Immerhin stimme ich mit Ihnen auch darin überein, dass nach
dem Sinne der seinerzeitigen Abmachungen Dessau keinen Ein-
wand dagegen erheben könnte, wenn wir auch in Kolin herstel-
len würden. Andererseits kann ich, wie gesagt, nirgends finden,
dass die Scheideanstalt oder die Degesch Kolin gegenüber eine
dahingehende Verpflichtung übernommen hat. Die Entscheidung
muß also seitens der Degesch, bei der die I.G. heute ein gewich-
tiges Wort mitzureden hat, ganz ausschliesslich nach sachlichen,
wirtschaftlichen und technischen Gesichtspunkten getroffen
werden. Dass diese Erwägungen heute noch ganz eindeutig für
eine zentralisierte Zyklon-Produktion bei einer Station sprechen, Organisationsformen der Degesch (1937)
Endverbraucher Endverbraucher
Auftragserledigung bei westlich der Elbe östlich der Elbe Auftragserledigung bei
Durchgasung bzw. Durchgasung bzw.
Rechnungserstellung Bestellung Bestellung Rechnungserstellung
Heli Testa
Heerdt-Lingler G.m.b.H., Frankfurt/ Tesch & Stabenow,
M., H.-Göring-Ufer 3 Hamburg, ›Meßberghof‹
Zyklon B-Verkauf und Anwendung Zyklon B-Verkauf und Anwendung
Ein Kunde wandte sich entweder direkt an die Testa bzw. die
Heli oder übermittelte der Degesch seine Wünsche, die diese 15
Stellungnahme von Dr. Peter an die Polizeibehörde vom 4.6.1936, StA
dann an eine ihrer zwei Handelsfirmen weitergab. Jede Han- HH, 352-3 Medizinalkollegium, Hafenarzt I, 152
16
delsfirma hatte in ihrem eigenen Verkaufsbezirk (hier verkürzt formal sogar bis 1945. Der kaufmännische Angestellte Carlo Otte genoß
als westlich/östlich der Elbe angegeben) eine Monopolstellung. als »fanatischer Idealist« das uneingeschränkte Vertrauen des Gauleiters
Kaufmann. Von 1940 bis 1945 amtierte er als Leiter der Hauptabteilung
Testa oder Heli schickten dann einen Lieferauftrag über die Volkswirtschaft beim Reichskommissar Norwegen. 1942 ernannte ihn
Degesch an die Dessauer Werke bzw. ab 1935 auch an die Kali- Gauleiter Kaufmann zum Hamburger Senator und Beigeordneten der Han-
Werke in Kolin. Im Regelfall lieferten diese das Zyklon B di- sestadt Hamburg, obwohl Otte dauerhaft von Hamburg abwesend war. Das
rekt an die Kunden aus. Dort konnten die Handelsfirmen die Amt des Gauwirtschaftsberaters in Hamburg war für Otte ebenso wie für
Durchgasungen durch ihre Fachkräfte durchführen lassen. seinen Vorgänger Dr. Gustav Schlotterer (von 1933 bis 1935) und seinen
kommissarischen Nachfolger Dr. Otto Wolff (ab 1940) ein Karrieresprung-
Die Degesch erhielt von jedem einzelnen Verkauf von Zy- brett. Alle waren 1933 zwischen 25 und 27 Jahren alt und schon in jungen
klon B ihrer Hamburger Handelsfirma bis Juni 1942 eine Durch- Jahren der NSDAP beigetreten (zitiert nach Frank Bajohr, »Arisierung« in
schrift. Danach konnte sie die Verkaufsmengen der Testa an den Hamburg, Hamburg 1997, S. 175).
17
Versanddispositionen der Herstellerwerke erkennen. StA HH, Senatskanzlei, Personalakten, A. 53, Bl. 26, zitiert nach Frank
Die Herstellungswerke in Dessau bezogen den Stabilisator Bajohr, »Arisierung« in Hamburg, Hamburg 1997, S. 176
18
Ob Schlosser hier die I.G. Farben nur benutzte, um die Ansprüche aus
für das Zyklon B zumindest zeitweise vom I.G. Farben-Werk in Kolin abwehren zu können, ist unklar.
Uerdingen und die Dosen von der Fa. Schmalbach aus Braun- 19
Schreiben von Degussa-Direktor Schlosser an Dr. Max Stoecker vom
schweig. Ob das Werk in Kolin möglicherweise die gleichen 23.6.1933, Firmenarchiv Degussa, Akte zu Kolin, Deg. IW 31.6./1 II
20
Zulieferer hatte, ließ sich nicht klären. Zeugenaussage von Dr. Max Stoecker gegenüber dem Staatsanwalt in
Frankfurt/M. am 19.4.96, HStAW, 36342-8 Strafverfahren gegen Dr. Pe-
ters, Ks 148, Handakte Peters I, S. 128
21
Dr. G. Peters, Materialkunde für Kammerjäger, in: Der praktische Des-
infektor, 1938, Heft 6, S. 166
22
Kammerjäger der Zukunft (ohne Verfasserangabe), in: Der praktische
Desinfektor, 1938, Heft 6
23
Dr. H. Weidner, Meister der Kammerjägerei, in: Der praktische Desin-
fektor, 1938, Heft 6, S. 170f. (DAF = Deutsche Arbeitsfront, ersetzte 1933
die verbotenen freien Gewerkschaften).
24
Bericht über die X. Technische Besprechung der Degesch in Frankfurt/
M. im Hause der Firma Heerdt-Lingler am 29. u. 30.11.1935, S. 4, Archiv
der Biomel GmbH, Dessau
25
Ebd.
26
Ebd.
27
Ebd., S. 6
»Begast unbegast begast« 28
Schreiben der Testa an das Gesundheitsamt Hamburg vom 23.6.1926,
»Frühtreiberfolge mit Blausäure an Maiglöckchen« StA HH, 352-3 Medizinalkollegium, II J 15, Bd. 1, S. 112f.
29
Dr. Bruno Tesch, Schädlingsbekämpfung in Gewächshäusern mittels
»Cyanogas«, Sonderdruck aus dem Nachrichtenblatt für den Deutschen
Pflanzenschutzdienst Nr. 5 und 6, 1928, StA HH, Medizinalkollegium II, J
15, Bd. II, Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen
30
Heinrich Mertens, Gaskrieg im Möbelwagen, Englands Kampf gegen
die Wanzenplage, in: Der praktische Desinfektor, 1938, Heft 5, S. 138f.
31
Heinrich Mertens, Die Ausrottung der Wanzen, in: 20 Jahre Schädlings-
bekämpfung 1917-1937, (Firmenschrift der Degesch), Frankfurt 1937, S.
68, Firmenarchiv Degussa.
32
Heinrich Mertens, Gaskrieg im Möbelwagen, Englands Kampf gegen
die Wanzenplage, in: Der praktische Desinfektor, 1938, Heft 5, S. 138f.
tung. In einem redaktionellen Beitrag unterstützte die Zeitschrift mit umfangreichen Wohnsiedlungen errichtet werden? In Berlin
»Der praktische Desinfektor« diese Kampagne: sollen in diesem Jahr rund 30 000 Wohnungen neu bezogen
»Müßte es bei dem heutigen Stand der Entwesungstechnik werden: mit oder ohne Ungeziefer?
nicht selbstverständlich sein, daß Fallersleben, die künftige Volks- Hamburg beseitigt die Gängeviertel: werden die bisherigen
wagenstadt, schädlingsfrei bleibt? Gilt das nicht ebenso für die Bewohner mit oder ohne Wanzen umgesiedelt? Man könnte noch
Umgebung von Salzgitter, wo die Reichswerke Hermann Göring auf München, Nürnberg, Wien, Gelsenkirchen und viele andere
Städte hinweisen, wo zurzeit großzügige Wohnbaupläne verwirk-
licht werden.«35
33
Dr. G. Peters, Die Gasschleuse am Stadtrand, in: Der praktische Desin-
fektor 1938, Heft 5, S. 138
Das englische Vorbild: 34
Heinrich Mertens, Die hygienische Musterstadt, in: ebd., Heft 7, S. 200
Begasung von Umzugsgut in Möbelwagen 35
Ebd., S. 196
Schädlingsbekämpfung im »Kulturfilm«
Die Degesch ging in der Wahl ihrer Werbemittel auch neue Wege:
Im Astor-Lichtspieltheater in Berlin (und danach in allen Städ-
ten des Reiches) wurde 1938 im Vorprogramm der Film »Klein-
krieg« gezeigt. Dieser Kurzfilm zum Thema Schädlingsbekämp-
fung war unter Beratung von Dr. Gerhard Peters (Degesch) ent-
standen. Teile des Films wurden in Hamburg mit Mitarbeitern
der Firma Tesch & Stabenow gedreht. Aufnahmen zeigen u.a.
das Abfüllen des Blausäuregases in die mit Aufsaugmaterialien »Im Vorprogramm zu ›Darf ein Mann so dumm sein‹ lief die-
gefüllten Dosen bei der Herstellung von Zyklon B. Der Film ser Kulturfilm, der mit den vielen schädlichen Insekten, die un-
erhielt die Prädikate »volksbildend, Lehrfilm und jugendfrei«. sere Gesundheit bedrohen und wertvolle Lebensmittel und Ge-
Im »Filmkurier Berlin« erschien am 10.5.1938 die folgende brauchsgüter vernichten, bekanntmacht und zeigt, wie mit Blau-
Kurzmeldung: säuredämpfen diesen Feinden zu Leibe gegangen wird. Gegen
Fliegen, Wanzen, Schaben, Mehlmotten und Kornkäfer und auch
ausländische Schädlinge, die durch Schiffs- und Flugtransport
aus tropischen Ländern in unsere Zonen gelangen, richtet sich
der Kampf. Man sieht, wie ein Mühlenbetrieb durch eine zwan-
zigstündige Blausäurevergasung von Ungeziefer gereinigt wird.
Ein aufschlußreicher Film, der mit großem Interesse aufgenom-
men wurde.«37
36
Dr. B. Tesch, Blausäure gegen den Hausbock, in: 20 Jahre Schädlingsbe-
kämpfung, (Firmenschrift der Degesch), Frankfurt/M. 1937, S. 95f.
Abfüllung beim Hersteller 37
Filmkurier Berlin, 10.5.1938, Deutsches Institut für Filmkunde, Ffm.
Die I.G. Farben »übernehmen« den Aussiger Verein Nicht nur bei den I.G. Farben wurden Juden aus ihren Stel-
lungen entfernt. Auch im »alten« Reichsgebiet brachte das Jahr
Am 12. März 1938 marschierten deutsche Truppen in Öster- 1938 für Juden weitere einschneidende Verschärfungen: Im
reich ein. Einen Tag später wurde der »Anschluß« Österreichs August 1938 wurde eine Verordnung veröffentlicht, nach der
bekanntgegeben. Am 29.9.1938 besiegelte das »Münchener Juden ab 1.1.1939 zusätzliche Zwangsvornamen (Männer: »Is-
Abkommen« zwischen Italien, Frankreich, Großbritannien und rael«; Frauen: »Sara«) tragen mußten. Diese Namen waren auch
Deutschland die »Abtretung des Sudetenlandes« an das Deut- gleich in die neuen Kennkarten mit dem eingestempelten
sche Reich. Eine Bestandsgarantie für die restliche Tschecho- roten »J« einzutragen.
slowakei war damit nicht verbunden. Am 28.10.1938 wurden 17.000 polnische Juden in das Nie-
Der Aussiger Verein (Verein für chemische und metallurgi- mandsland zwischen Polen und Deutschland deportiert, nach-
sche Produktion), von dem Dr. Tesch über Paul Stabenow das dem die polnische Regierung beschlossen hatte, polnischen Ju-
Kapital für seine Firmengründung erhalten hatte, mußte Teile den die Rückkehr aus Gebieten unter deutscher Herrschaft zu
seiner Fabrikationsstätten an deutsche Firmen verkaufen. Dazu verweigern.
gehörten die Werke in Aussig, die schon im November 1938 in Mit dem 9. November 1938, als im ganzen Deutschen Reich
den Besitz der I.G. Farben übergingen. Die Volkswirtschaftli- die Synagogen brannten3 und Juden ermordet, verhaftet oder in
che Abteilung der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhau-
schrieb dazu 1938: sen verschleppt wurden, setzte die Reichsregierung unter Adolf
»Durch die infolge der politischen Veränderungen erfolgte Hitler ein weiteres deutliches Zeichen der Verfolgung.
Ausgliederung des Werkes Aussig ist der Kurzname ›Aussiger
Verein‹ nicht mehr zutreffend. Es wird daher die Bezeichnung
»Prager Verein‹ eingeführt. [...] Die Degussa bemüht sich um Konfliktbegrenzung
Mit Wirkung vom 11. Oktober gehen die im sudetendeutschen mit der Testa
Gebiet gelegenen Anlagen des Prager Vereins, die Werke Aussig
und Falkenau und die Braunkohlenschächte ›Georgschacht‹ in Im Zuge der allgemeinen »Neuordnung« und den damit zusam-
Lanz, ›Albert‹ in Schönfeld und ›Maria-Antonia‹ in Raudnig menhängenden Spannungen mit der Testa um neugewonnene
zum Kaufpreis von rund RM 24.000.000 auf die gemeinsam von bzw. alte Absatzgebiete gab es 1939, ein halbes Jahr vor Kriegs-
der I.G. und der Chemischen Fabrik von Heyden A.G. neuge- beginn, noch einen Vergleich zwischen der Testa und der
gründete Chemische Werke Aussig-Falkenau G.m.b.H., Dresden/ Degesch. Dies belegt ein Schreiben von Hermann Schlosser,
Aussig, über. [...] dem Vorstandsmitglied der Degussa und gleichzeitigen Degesch-
Verwaltungsrat: Im März 1939 sind folgende Mitglieder (Ju- Geschäftsführer (bis März 1941) an Dr. Tesch vom Februar 1939.
den) ausgeschieden: Darin versuchte Schlosser, die von Unstimmigkeiten geprägte
Ferdinand Bloch-Bauer, Jungferbrezan bei Prag Atmosphäre zwischen der Degesch und der Testa zu bereini-
Oskar Federer, Mährisch-Ostrau gen. Die Inhalte des Vergleichs nannte Schlosser nicht:
Robert Heller, Prag »Heute morgen wird mir der gestern zwischen der Testa und
Ing. Emil Pick, Caslau der Degesch getroffene Vergleich vorgelegt, der wie mir schei-
Aleksander Schindler, Wien. nen will, in vorbildlich objektiver und fairer Weise den beider-
[...] seitigen Auffassungen Rechnung trägt.
Direktion: Nach dem 1. Oktober 1938 sind ausgeschieden:
Generaldirektor Dr. Anton Basch Jude
März 1939 ausgeschieden: 1
Vergl. Schiedsspruch des Reichsgerichtes vom 17.7.1941, Firmenarchiv
Direktor Isidor Eisenbruch Jude Degussa, Akte Degussa betr. Degesch, IW 57.14/3, Nr. 3
2
Prokurist Dr. Herbert Auerbach entlassen Bericht der Volkswirtschaftlichen Abteilung der I.G. Farbenindustrie Ak-
tiengesellschaft über den »Verein für chemische und metallurgische Pro-
Prokurist Dr. Paul Lincke Jude
duktion, Prag« (Nachtrag zur Vowi-Arbeit 3024 vom 28.7.1938), NI-1178,
Prokurist Robert Nitzschmann entlassen BA-P, S 40301
Prokurist Dr. Hans Pick Jude 3
Im »angeschlossenen« Österreich begannen die Krawalle am Morgen
Prokurist Dr. Leopold Schimetschek entlassen «2 des 10. November.
deutung.
Die günstige Geschäftsentwicklung der Degesch und ihrer
Handelsfirmen im Krieg hing auch davon ab, daß die Hersteller
Neue Zyklon-Märkte nach Kriegsbeginn der Blausäure vorrangig mit Verpackungsmaterialien beliefert
wurden. Ein ›Recycling-System‹ – so würde man dies heute
Der Krieg führte für Degesch und Testa zu einer veränderten nennen – bei den Zyklon-Dosen trug zur Einsparung von schwer
Absatzsituation: Exportmärkte in dem nun feindlichen Ausland zu beschaffenden Materialien bei:
entfielen. Die damit zusammenhängenden Umsatzeinbußen »Bemerkenswert ist, dass die Produktion bisher von Schwie-
waren nach dem Geschäftsbericht der Degesch für das Jahr 1939 rigkeiten der Material- (insbesondere Weissblech-) Beschaffung
nicht besonders hoch. Sie wurden zudem durch Wehrmachts- weitgehend verschont blieb, weil es trotz Beschlagnahmung der
aufträge in den von Deutschland besetzten Ländern mehr als wichtigsten Verpackungsmaterialien durch die Wehrmacht ge-
ausgeglichen:
»1.) Die Unterbindung des Exportes von Zyklon traf nur Län- 4
Schreiben von Degussa-Direktor Schlosser an Dr. Tesch vom 25.2.1939,
der relativ geringen Verbrauches wie Südafrika und Australien,
Firmenarchiv Degussa, Degussa betr. Degesch, IW 57.14/3, Nr. 12 (neu)
da das Empire schon im Laufe der Jahre 1938/39 weitgehend 5
Ebd.
auf britische Ware, die unter Degesch-Lizenz hergestellt wurde, 6
Hermann Schlosser war seit 1915 bei der Degussa, ab 1925 im Vorstand,
übergeleitet worden war. ab 1939 Vorstandsvorsitzender. Vergl. Mechthild Wolf (Hrsg. Degussa AG),
2.) Der Zyklon-Inlandsverbrauch stieg im Jahre 1939 durch Im Zeichen von Sonne und Mond, Frankfurt 1993, S. 131, 202, 215.
7
die Wehrmachtsanforderungen in Polen ausserordentlich an, Aussage von Dr. Stiege im Verfahren gegen Dr. G. Peters 1949, zitiert
nach Dr. Irene Sagel-Grande u.a., Justiz und NS-Verbrechen, Bd. 13, Am-
nachdem schon die Übernahme des Protektorates zu erhöhten sterdam 1975, S. 172
Wehrmachtsaufträgen geführt hatte.«12 8
Zeugenaussage von Heinrich Stiege gegenüber dem Staatsanwalt in Frank-
Von der ›Erweiterung des Geschäftsbereiches‹ auf die von furt/M. am 15.4.1948, HStAW, 36342-8 , Ks 148, Handakte Peters I, S.
Deutschland besetzten Länder profitierte die Hamburger Firma 119
9
Schreiben der Degesch, gez. Stiege, Peters, an Dr. Tesch vom 24.11.1939,
am stärksten. Der Degesch-Geschäftsbericht für 1939 vermerkt:
Firmenarchiv Degussa, Degussa betr. Degesch, IW 57.14/3, Nr. 1(neu)
»Besonders günstig hat die Firma Tesch & Stabenow abge- 10
Schreiben von Dr. Tesch an Hafenarzt Dr. Peter vom 5.4.1940, StA HH,
schnitten, der die im Zuge der Besetzung der Rumpf-Tschecho- 352-3 Medizinalkollegium, Hafenarzt I, 152
slowakei und Polens sich ergebenden Wehrmachtsaufträge zu- 11
Tesch bezog sich dabei auf den Artikel »Die Deutsche Arbeitsfront mel-
fielen.«13 det: Reichs- und Gaubereitschaften«, in: Der praktische Desinfektor, März
Allein in dem zum »Testa-Bezirk« gehörenden Polen wur- 1940, StA HH, 352-3 Medizinalkollegium, Hafenarzt I, 152
12
Degesch-Bericht für das Geschäftsjahr 1939, HStAW, 33396 Strafver-
den 1939 36 000 kg Zyklon verbraucht. 1937 hatte die Testa fahren gegen Dr. Peters, Bilanzen-Degesch
insgesamt ›nur‹ 27 400 kg Zyklon absetzen können (Heli 41 700 13
Ebd.
kg). 14
Ebd.
»T-Gas- und TRITOX-Lehrgang in Posen vom 25. bis 27. Oktober 1940«; erste Reihe 4.v.l.: Dr. Tesch
»T-Gas- und TRITOX-Lehrgang in Warschau vom 14. bis 17. November 1940«
30
DRP 679 286
31
DRP 721 778
32
Dr. G. Peters und E. Wüstinger, Sach-Entlausung in Blausäure-Kam-
mern, in: Zeitschrift für Hygienische Zoologie und Schädlingsbekämp-
fung, 1940, S. 191
33
Dr. G. Peters und E. Wüstinger, Sach-Entlausung in Blausäure-Kam-
mern, in: Zeitschrift für Hygienische Zoologie und Schädlingsbekämp-
fung, 1940, S.195
34
Fritz Steiniger/Karl Losse, Über bewegliche Luftstromführung beim
Einsatz von Lufterhitzern in der Entlausung, in: Zeitschrift für Hygieni-
»Begasungskammern einer modernen Entlausungsanlage« sche Zoologie und Schädlingsbekämpfung, 1944, S. 42f.
Die Waffen-SS erhält die generelle »Befreiung nach zusätzlichen Abnehmern für die Dienstleistungen und Pro-
von Reichsvorschriften« zur uneingeschränkten dukte seiner Firma zur Schädlingsbekämpfung zu suchen. Au-
Blausäureanwendung ßerdem konnte er seine langjährigen Fachkenntnisse als Che-
miker bei der Unterweisung von »SS-Sanitätern« im Gebrauch
Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft (RM von Giftgasen anbieten.3
fEuL.) gab 1941 in Zusammenarbeit mit dem Reichsminister
des Innern (RMdI.) einen Erlaß heraus, der der Waffen-SS »die
Anwendung der Giftgase Blausäure, Äthylenoxid und Tritox zur Führungsprobleme bei der zweiten Blausäure-
Schädlingsbekämpfung« gestattete.2 Besondere Vorschriften, z.B. Handelsfirma Heli
zur Ausbildung der Desinfektoren oder Überwachung von
Durchgasungen durch staatliche Stellen, die für alle anderen Am 22. Juni 1941 begann der deutsche Überfall auf die Sowjet-
Schädlingsbekämpfer galten, hatten für die Waffen-SS nach die- union. Dr. Peters von der Degesch mußte sich wenige Wochen
sem Erlaß keine Gültigkeit mehr. später um ein wichtiges Personalproblem in der zweiten Blau-
1941 war das Jahr, in dem zum ersten Mal Zyklon B in Ausch- säure-Handelsfirma Heerdt-Lingler (Heli) in Frankfurt küm-
witz zur Ermordung von Menschen eingesetzt wurde. mern, das mit der Wehrmacht zusammenhing.
Die Waffen-SS war nach dieser Neuregelung bei der Nutzung Anlaß für das Eingreifen von Peters war ein Schreiben des
von Zyklon B nicht mehr auf Mitarbeiter der Testa angewiesen, Gauwirtschaftsberaters der NSDAP in Hessen-Nassau4 an die
sie konnte diese Arbeiten selbständig durchführen. Dr. Tesch Degesch:
blieb danach nur noch die Möglichkeit, die Giftgase und Schäd- »Aus besonderer Veranlassung sehe ich mich gezwungen, Sie
lingsbekämpfungsmittel an die Waffen-SS zu verkaufen bzw. um die sofortige Abberufung des Geschäftsführers Heerdt zu
bitten. Die Gründe werde ich in mündlicher Besprechung dar-
legen.«5
In einem Bericht über ein Gespräch am 18.8.1941 beim Gau-
wirtschaftsberater6 wurde der Konflikt genauer beschrieben.
Dort hieß es über Dr. Walter Heerdt, er und seine Familie seien
bekannt dafür, daß jede »Berührung« mit der Partei vermieden
werde. Auch der »deutsche Gruß« werde nicht gebraucht. Die
Verhaftung seiner Ehefrau hätte die ganze Angelegenheit aus-
gelöst. In einem Brief habe sie sich wahrscheinlich der »schwe-
ren Beleidigung der deutschen Wehrmacht« schuldig gemacht,
weshalb »mindestens« eine lange Gefängnisstrafe zu erwarten
sei. Bei einer Hausdurchsuchung wurde allerlei Belastungsma-
terial gefunden. Mit einer Vorladung oder Inhaftierung von
Heerdt sei zu rechnen. Seit einem dreiviertel Jahr ermittelten
Wehrmachtsstellen, diese fordern eine einwandfreie Heli mit
einem politisch unbelasteten Geschäftsführer.
Sonst wäre der Entzug von Wehrmachtsaufträgen binnen kur-
zem verfügt worden. Der Gauwirtschaftsberater erklärte, die
Partei sei »... aber auch davon überzeugt, daß die Einzigartig-
keit der Firma ihre Boykottierung unmöglich macht.«7
Am 20.8.41 machte sich Dr. Peters Notizen über den Besuch
von Heerdts Sohn im Frankfurter Degesch-Gebäude. Wolfgang
Heerdt berichtete dort, sein Vater liege wegen eines schweren
Herzfehlers im Krankenhaus. Außerdem zeigte er Peters einen
Brief von Degussa-Direktor und NSDAP-Mitglied Hermann
Schlosser, in dem dieser es ablehnte, sich für Dr. Heerdt, den
9.3 Die Degesch will Dr. Tesch als Geschäftsführer absetzen 115
Aus der Personalakte von Prof. Dr. Carl Leopold Schwarz im »Dr. Tesch muß es ablehnen, sich durch Drohungen mit der
Hamburger Staatsarchiv geht hervor, daß man ihm als »Misch- Abberufung hinsichtlich seiner Entscheidung unter Druck set-
ling 2. Grades«, so die Einstufung nach den »Nürnberger Ras- zen zu lassen.«24
segesetzen«, 1937 seine Professur an der Hamburger Universi- Als Dr. Crain schließlich die Abberufung des Geschäftsfüh-
tät streitig machen wollte. Von Wintersemester 1934/35 an hatte rers beantragte, gab Anwalt Zippel der Versammlung Kenntnis
er dort einen »Gasschutz-Kurs (mit praktischen Übungen unter von einem Schreiben mit dem Briefkopf:
der Maske)« angeboten. 1937 war die Universität der Auffas- »Der Reichsstatthalter in Hamburg
sung, er sei als »Jugenderzieher« (ungeachtet seiner NSDAP- Staatsverwaltung
Mitgliedschaft) nicht tragbar. Einer möglichen Absetzung kam Landeswirtschaftsamt«
Prof. Schwarz zuvor. Mit Schreiben vom 1.4.1938 ersuchte er In dem Brief bestätigte der Reichsstatthalter bzw. das ihm
um »Entbindung vom Vorlesungsbetrieb wegen starker dienstli- unterstellte Landeswirtschaftsamt, daß die Testa ein sogenann-
cher Inanspruchnahme«. Im Juni 1945 wurde er wieder in den ter »W-Betrieb« war, der besonderen Bestimmungen unterlag:
alten akademischen Status eingesetzt.22 »Ihre Firma wird als W-Betrieb bei der Industrie- und Han-
Anfang 1942 war Dr. Tesch trotz gegenteiliger Bemühungen delskammer Hamburg geführt. Sie haben in erster Linie Aufträ-
der Degesch immer noch Geschäftsführer der Testa. Zu einer ge der Wehrmacht, des Reichsarbeitsdienstes und anderer be-
neuen Gesellschafterversammlung am 30.5.1942 erschienen für hördlichen Organisationen zu erfüllen. Als verpflichtete Vertrau-
die Testa Dr.Tesch und sein Anwalt Zippel, für die Degesch Dr. ensperson lege ich Wert darauf, weiterhin persönlich mit Ihnen
Peters und Dr. Crain. Notar Dr. Martin aus Hamburg führte auch zusammenzuarbeiten. Jede Umänderung in der geschäftlichen
diesmal das Protokoll. Organisation halte ich daher für untragbar.«25
Eine Aussprache über unterschiedliche neue Vertragsentwür- Die Einstufung als W-Betrieb mußte normalerweise geheim
fe zur Schlichtung der Konflikte brachte keine Einigung. gehalten werden. In anderen Schriftstücken wurden solche
Schließlich informierte Dr. Peters die Anwesenden: Unternehmen auch als »kriegs- und lebenswichtige Betriebe«
»Die Gesellschafterversammlung ist verpflichtet, sich über bezeichnet. Sie hatten damit eine Sonderstellung. Ohne Zustim-
die Folgen, die sich aus der ablehnenden Haltung des Herrn mung staatlicher Stellen durfte in diesen Betrieben niemand
Tesch und einer sich daraus ergebenden Beschlußfassung über kündigen oder gekündigt werden.
die Abberufung des Geschäftsführers im Klaren zu sein. Das Schreiben des Landeswirtschaftsamtes zur Zusammen-
Ich gebe der Gesellschafterversammlung daher vertraulich arbeit mit dem Testa-Geschäftsführer schien die Degesch-Ver-
zur Kenntnis, daß die Rücksprachen, die Dr. Tesch zur Siche- treter zu überraschen.
rung seiner Person bei maßgebenden Stellen der Wehrmacht Aufgabe der Wirtschaftsämter (in Hamburg: Hauptwirt-
geführt hat, dort den Gedanken haben aufkommen lassen, ihn schaftsamt) war die Versorgung der Bevölkerung mit lebens-
im Falle seiner Abberufung zur Wehrmacht zu verpflichten, um wichtigen Gütern der gewerblichen Wirtschaft. Den Landeswirt-
ihn – etwa als Kriegsverwaltungsrat – an die Spitze einer im schaftsämtern oblag die Sicherstellung der Betriebe, vor allem
Osten einzusetzenden militärischen Durchgasungsorganisation ihre Versorgung mit Arbeitskräften, Transport- und Produkti-
zu stellen. onsmitteln, Energie sowie die Vorratshaltung. Später scheint eine
So sehr eine solche Aufgabe für Herrn Dr. Tesch reizvoll sein Vereinigung von Landeswirtschafts- und Hauptwirtschaftsamt
könnte, so ist doch zu beachten, daß dann ein erheblicher Teil unter dem Reichsstatthalter erfolgt zu sein.26
der jetzt von der Testa im besetzten Ostgebiete durchgeführten Der Reichsstatthalter in Hamburg27 leitete damals die Lan-
Arbeiten von wehrmachtseigenem Personal erledigt werden und desregierung. Diese Position besetzte seit 1936 der NSDAP-
die Testa an diesen Arbeiten nur mit Materiallieferungen betei- Gauleiter Karl Kaufmann. Eine Ablösung von Tesch sei unzu-
ligt und damit ihrer eigentlichen Aufgabe weitgehend entzogen lässig, so hieß es in der an Dr. Tesch gerichteten Bescheinigung.
wird.«23 Das Schreiben veränderte die Vorgehensweise der Degesch
Nach weiterer Diskussion stellten die Gesellschafter schließ- auf dieser Gesellschafterversammlung. Gegen Vorschriften, die
lich einstimmig fest, daß die verschiedenen Vertragsentwürfe mit der Kriegswirtschaft zusammenhingen, konnte auch sie nicht
von Tesch und der Degesch eingehend durchgesprochen und verstoßen. Dr. Peters erklärte daraufhin zum Antrag auf Abbe-
Änderungen mit Bleistift notiert wurden. Nur eine redaktionel- rufung Teschs als Geschäftsführer:
le Überprüfung sollte noch erfolgen. »Es ist lediglich die Abberufung vom Geschäftsführerposten
An Rande der Versammlung spielte aber auch die vor dem beabsichtigt. Er soll dadurch in seiner kriegswichtigen Tätig-
Reichsgericht ausgetragene Auseinandersetzung zwischen der keit als Degesch-Durchgasungsfachmann und Organisator der
Testa und den Kali-Werken Kolin eine Rolle. In diesem Kon- Durchgasungsarbeiten in keiner Weise eingeschränkt werden.
flikt hatte sich die Testa geweigert, Zyklon B aus Kolin für Es kommt nur darauf an, seinen ungünstigen Einfluß auf die
Durchgasungen in der Tschechoslowakei abzunehmen. Gebarung der Firma auszuschalten. Sein Nachfolger wird an-
Dr. Peters erklärte dazu, daß die Degesch die Haltung der gewiesen werden, ihm auf seinem praktischen Betätigungsge-
Testa gegenüber den Kaliwerken Kolin keinesfalls dulden dür- biet alle Freiheiten zu lassen.«28
fe. Es bliebe die Notwendigkeit für die Degesch, entweder aus Schließlich zog Dr. Crain seinen Antrag auf Abberufung des
der Testa auszutreten, um dafür keine Verantwortung tragen zu Geschäftsführers zurück. Tesch hatte zuvor erklärt, er habe nur
müssen oder die Abberufung des Geschäftsführers zu fordern. einen Anstellungsvertrag als Geschäftsführer und sei auch nur
Anwalt Zippel erwiderte: zu dieser Tätigkeit verpflichtet.
22
Anm.: Er starb am 5.11.1962, Personalakte Dr. Schwarz, StA HH, vergl.
auch: Eckart Krause, Ludwig Huber, Holger Fischer (Hrsg.), Hochschul-
Er hatte seine Stellung nicht nur mit Hilfe der Hamburger alltag im »Dritten Reich«, Die Hamburger Universität 1933-1945, Berlin/
Staatsverwaltung trotz heftiger Angriffe der Degesch sichern Hamburg 1991, S. 1480
23
können. Seine guten Kontakte zur Wehrmacht und zur Hambur- Protokoll der Gesellschafterversammlung am 30.5.1942, erstellt von
Notar Dr. Martin, Firmenarchiv Degussa, Akte Degussa betr. Degesch, IW
ger Verwaltung waren für diesen Ausgang des Konfliktes ent- 57.14/3. Nr. 8
scheidend. Die starke Position von Dr. Tesch hing am Ende die- 24
Ebd.
ses Konfliktes aber auch damit zusammen, daß er der einzige in 25
Schreiben des Landeswirtschaftsamtes (Moorweidenstr. 18), gez. Hey-
Hamburg war, dem Hamburger Behörden eine Genehmigung dorn an Dr. Tesch vom 27.5.1942, (»Betr. Sicherstellung von W-Betrie-
für Blausäureausgasungen erteilt hatten. Ohne diese auf die ben«), als Anhang zum Protokoll der Gesellschafterversammlung der Te-
sta am 30.5.1942, ebd.
Person von Dr. Tesch ausgestellte Konzession hätte die Degesch 26
Lt. Erlaß vom 30.8.1939 des Reichsministers für Ernährung und Land-
ihre Schädlingsbekämpfungsmittel für Durchgasungen im Ham- wirtschaft und des Reichswirtschaftsministers bestand eine Sonderrege-
burger Hafen nicht mehr absetzen können. lung für die Großstädte Berlin, Hamburg und Wien, die zur Errichtung von
Das Spannungsverhältnis zwischen Dr. Tesch und Dr. Peters Hauptwirtschaftsämtern führte. Durch Erlaß des Reichswirtschaftsmini-
erreichte mit dieser Gesellschafterversammlung seinen Höhe- sters vom 26.2.1941 wurden die Bezirkswirtschaftsämter in Landeswirt-
schaftsämter umgewandelt. (StA HH, 371-1 I, Behörde für Wirtschaft und
punkt. Beide mußten trotz einer langen Geschichte von Kon- Verkehr, Vorbemerkung zum Bestandsverzeichnis, S. III)
flikten geschäftlich miteinander auskommen, wenn sie das Wohl 27
Zum Reichsstatthalter in Hamburg war am 16.5.1933 der NSDAP-Gau-
ihrer Firmen im Krieg nicht gefährden wollten. leiter Karl Kaufmann berufen worden, der sich im Juli 1936 formal zum
Dr. Gerhard Peters hatte bei der Degesch Karriere gemacht: »Führer« der Hamburger Landesregierung ernennen ließ. (vergl. Frank
1931 war er zunächst als »Handlungsbevollmächtigter« zusam- Bajohr, Arisierung in Hamburg, Hamburg 1997, S. 65)
28
Protokoll der Gesellschafterversammlung am 30.5.1942 von Notar Dr.
men mit einem Geschäftsführer oder Prokuristen zeichnungs- Martin, Firmenarchiv Degussa, Akte Degussa betr. Degesch, IW 57.14/3.
berechtigt. 1932 wurde er zum Prokuristen bestellt. Am 7.1.1939 Nr. 8
nannte man ihn zusammen mit den damaligen Degesch-Ge- 29
Wilhelm Rudolph Mann war 1931-1941 der Vertreter von I.G. Farben,
schäftsführern, dem Fabrikdirektor Wilhelm Rudolf Mann,29 Werk Leverkusen, bei den Gesellschafterversammlungen der Degesch,
Hermann Schlosser (beide bis März 1941) und Heinrich Stiege StA HH, Bestands-Nr. 231-7, Amtsgericht Hamburg, Handels- und Ge-
nossenschaftsregister B 1985-164, Bd. 1, Akte betr. Firma Degesch (120/
im Handelsregister als Geschäftsführer. Alle vier Leitungskräf- 121)
te in dem von Prof. Haber gegründeten Unternehmen unter- 30
Anm.: bis zum 21.11.1946; ebd., ohne Seitenangabe. Nach seinen eige-
schrieben an diesem Datum, daß sie keine Juden seien. nen Angaben (siehe Lebenslauf, S. 170) bis zum Herbst 1945.
9.3 Die Degesch will Dr. Tesch als Geschäftsführer absetzen 117
Einigungsvertrag zwischen Degesch
und Dr. Tesch 1942
Am 27.6.1942 einigten sich Dr. Tesch und die Degesch schließ-
lich auf einen neuen Vertrag, der die vorherigen Vereinbarungen
aufheben sollte. Danach wurden alle Geschäftsanteile der
Degesch an der Testa dem neuen Alleineigentümer, Dr. Tesch,
zum Nennwert verkauft (letzte Zahlung zum Ende des Ge-
schäftsjahres 1942). Für das noch verbleibende Jahr 1942 soll-
te die Degesch einen Gewinnanteil von 40 000 Reichsmark von
Tesch & Stabenow erhalten. Nach einer späteren Statistik des Änderung des Etiketts in »Alleinanwendungsberechtigt«
Testa-Chefbuchhalters Zaun erwirtschaftete die Hamburger Fir-
ma 1942 einen »Jahresreingewinn« von 174 230 RM.31 Das war
ihr bestes Ergebnis in den 40er Jahren. gebiet und zur Slowakei gefallenen Gebiete der ehemaligen
In dem neuen Vertrag bestätigte die Degesch der Testa in ih- polnischen Republik« ausgedehnt worden. Auch eine Erweite-
rem Vertragsgebiet die Lizenz auf Alleinanwendung und Allein- rung – je nach Kriegsverlauf – ließ der Vertrag zu. So hätte bei
vertrieb aller Blausäureprodukte. Die Frage, ob auch für die einem möglichen weiteren deutschen ›Kriegsgewinn‹ der Ver-
Nicht-Blausäureprodukte der Degesch die Firma Tesch & Stabe- trag nicht mehr geändert zu werden brauchen:
now das Alleinverkaufsrecht gegenüber der Wehrmacht und »Eine endgültige Regulierung der östlichen Grenzen des
Reichsarbeitsdienst behalten sollte, blieb zunächst offen. Eine Testa-Bezirks soll nach erfolgter politischer Neuordnung ver-
Entscheidung darüber wurde der Wehrmacht und dem Reichs- einbart werden.«32
arbeitsdienst überlassen. Wichtig war auch folgende Vertrags- Wie wichtig für die Degesch diese vertragliche Einigung war,
bestimmung: Die Hamburger Firma mußte über die Degesch macht ihr später verfaßter Geschäftsbericht über das Jahr 1941
auch Zyklon aus Kolin beziehen. deutlich. Darin war noch von Prozessen die Rede gewesen, mit
Nach diesem Vertrag war der Testa-Bezirk in Europa auf die denen sich Dr. Tesch gegen seine Abberufung als Geschäftsfüh-
Länder Dänemark, Norwegen, Finnland, »die ehemaligen Staa- rer gewehrt hatte:
ten Estland, Lettland und Litauen« sowie »die nicht zum Reichs- »Dagegen verschärften sich die seit langem bestehenden Span-
nungen zu der Firma Tesch & Stabenow, Hamburg so weit, daß
von der Degesch als deren Mehrheitsgesellschafter zweimal die
Abberufung des Geschäftsführers Dr. Tesch verlangt werden
mußte, dies führte zu Prozessen und damit zu einer unverträgli-
chen Situation, die erst kürzlich durch grundlegende Neuord-
nung der beiderseitigen Verpflichtungen beseitigt werden konn-
te.«33
Ende 1942 war dann wieder Ordnung hergestellt: Wehrmacht
und Reichsarbeitsdienst hatten sich nur für die Testa als Liefe-
rantin entschieden. Die Waffen-SS schloß sich dem an. Aus dem
Geschäftsbericht der Degesch geht außerdem hervor, daß sich
durch den Vertragsabschluß mit der Testa auch das Aufgabenge-
biet der Heli veränderte:
»Noch während des Berichtsjahres, und zwar mit Wirkung
vom 1. Juli 1942, wurde nämlich das infolge grundsätzlicher
Meinungsverschiedenheiten nicht mehr tragbare Verhältnis mit
der Firma Tesch & Stabenow, Hamburg, auf eine neue Grundla-
ge gestellt. Danach ist diese Firma in ihrem bisherigen Vertre-
tungsgebiet lediglich noch Hauptvertreterin der DEGESCH für
deren sämtliche Blausäureprodukte sowie für den Verkauf der
Nicht-Blausäureprodukte an Wehrmacht, RAD und Waffen-SS.
Die Bearbeitung aller Nicht-Blausäureprodukte (T-GAS, TRI-
TOX, VENTOX* usw.) des privaten und zivilbehördlichen Kun-
denkreises ging mit dem gleichen Zeitpunkt auf die Firma Heerdt-
Lingler über. Finanziell wurde ein befriedigender Entschädi-
gungsausgleich festgelegt. Die Auswirkungen dieser Neurege-
lung haben sich bereits in der zweiten Jahreshälfte als günstig
erwiesen.«34
Öffnen einer Zyklon-Dose (Dosenetikett vor Vertragsabschluß 1942 mit Am 18. Januar 1943 protokollierte ein Notar die Abtretung
der Aufschrift »Hauptvertretung für ...«) des letzten Geschäftsanteils an den neuen Alleininhaber des
Bestellung
Lieferung von
Heli Zivile Endverbraucher Zyklon B im
Rechnung
Geschäftsführung: im Heli-Bezirk Auftrag der
Dr. Peters (westlich der Elbe) Degesch
»Etwa ab Mitte 1943 wurde die Verteilung durch den Haupt- behalten, genötigt, seine guten Kontakte zur Wehrmacht und
sanitätspark HSP zentral gesteuert, da es immer wieder vorge- zur SS weiter auszubauen.
kommen war, dass besonders die SS infolge verstärkten Druk- Während des Krieges hatte die Testa neben ihrer Geschäfts-
kes und dadurch, dass sie in manchen Dingen einen längeren verbindung zur Degesch mit staatlichen Verteilungs- und Über-
Arm hatte, bezügl. bestimmter Mittel, sich Vorzugsrechte ver- wachungsgremien zu tun. Die gleichen Handelsbedingungen
schafft hatte.«45 galten für die Heli.
1944 erhielt Dr. Peters den Vorsitz in einem weiteren Vertei-
lungs-Ausschuß:
»Der Produktionsausschuss Pflanzenschutz- und Schädlings- Chemisch-technische Entwicklungen
bekämpfungsmittel in der Wirtschaftsgruppe Chemische Indu-
strie unterstand mir seit seiner Gründung im Febr. oder März Zyklon-Produktion erreicht »Rekordhöhe«
1944. Ihm oblag die Überwachung und Unterstützung und da- Das Jahr 1942 war für die Degesch in Bezug auf die Zyklon-
mit auch die Rohstoffzuteilung für alle Herstellungsbetriebe der Absätze ein Jubeljahr:
Fachgruppe.«46 »Die Zyklon-Absätze erreichten im Berichtsjahr die Rekord-
Peters hatte mit diesen Aufgaben eine zentrale Machtstellung höhe von RM 1 664 000 (RM 1 014 000); der Umsatz hat sich
im Bereich der Schädlingsbekämpfung erreicht. Gleichzeitig somit gegenüber dem Vorjahre um 64% erhöht.«47
blieb er Geschäftsführer von Degesch und Heli. Dr. Tesch in Um dieses Ergebnis erzielen zu können, hatten die Herstel-
Hamburg sah sich, um ein Gegengewicht zu dieser Position zu lerwerke für Zyklon B in Dessau ihre Arbeit neu organisiert.
45
Protokoll der Vernehmung von Dr. Gerhard Peters durch den Staatsan-
walt am 9.3.1948, HStAW, 36342-8 Strafverfahren gegen Dr. Peters, Ks
148, Handakte Peters I, S. 50f.
46
Ebd., S. 201
47
Degesch, Bericht über das Geschäftsjahr 1942, HStAW, 33396 Strafver-
fahren gegen Dr. Peters, Bilanzen-Degesch
48
Ebd.
49
Ebd.
50
Aufsaugmaterialien (Erco, Diagries, Discoids) Ebd.
Rückgang der Aufträge für Schiffsdurchgasungen An erster Stelle wurde dort – ganz selbstverständlich – die Fir-
ma Tesch & Stabenow genannt. Auch von Geschäftsübernah-
Während des Krieges fehlten in deutschen Häfen die Handels- men war in der Zusammenstellung die Rede, bei denen die Ab-
schiffe aus den Ländern, mit denen Deutschland im Krieg stand. stammung der vorherigen Besitzer eine wichtige Rolle spielte:
Damit war den Hamburger Schädlingsbekämpfern der Kunden- »Kasten & Jolles haben sich 1934 getrennt. Kasten hat spä-
kreis zu einem großen Teil abhanden gekommen. Eine Ham- ter die jüdische Firma Hesse übernommen. Jolles war zunächst
burger Behörde erstellte dazu eine Tabelle, in der die Arbeits- selbständig; 1938 hat er, da er Jude war, sein Geschäft an v.
auslastung der Firma Tesch & Stabenow mit anderen Schäd- Roden verkauft.«3
lingsbekämpfungsfirmen in Hamburg verglichen wurde. Die einzelnen Hintergründe dieser ›Geschäftsübernahmen‹
Von 1938 bis 1941 waren die Durchgasungsaufträge der Te- durch ‘arische’ oder ‘deutsche Firmen’ konnten wir nicht klä-
sta im Hamburger Hafen um 57% zurückgegangen. Bei den ren. Bei ‘Arisierungen’ mußten die jüdischen Vorbesitzer ihre
anderen Hamburger Schädlingsbekämpfern war der Rückgang Unternehmen weit unter dem tatsächlichen Wert verkaufen. Der
noch dramatischer. Innerhalb von vier Jahren hatten sich ihre Gauwirtschaftsberater der NSDAP in Hamburg hatte den Kauf
Aufträge um 66% reduziert. zu genehmigen, er trug häufig dazu bei, den niedrigen Kauf-
Bei dieser Berechnung blieben die umfangreichen Zyklon- preis noch weiter zu senken. Als ›Erwerber‹ wurden von ihm
Aufträge der Wehrmacht für die Testa im besetzten Polen oder bei den ‘Arisierungen’ oft besonders ›verdiente‹ Parteigenossen
in der Tschechoslowakei unberücksichtigt. Dr. Tesch hatte sich ausgewählt.
mit seinen langjährigen Beziehungen zur Wehrmacht einen Ab-
satzmarkt erschlossen, den andere Hamburger Firmen nicht in
diesem Ausmaß nutzen konnten. Er hatte rechtzeitig Abnehmer
bei der Wehrmacht und der SS gesucht und gefunden, die seiner 1
Auszug aus dem einleitenden Referat von Dr. Peters auf der Blausäureta-
Firma mit ihren Aufträgen jetzt – als seinen Konkurrenten in gung am 27./28.1.1944, NI-11097, S. 15f., IfZ
2
Hamburg die Kunden abhanden kamen – ein ›Überleben‹ si- Rundschreiben des Hygiene-Instituts der Waffen-SS, gez. Dr. Mrugowsky,
vom 24.8.1943, HStAW, 36342-5
cherten. 3
Hafenärztlicher Dienst, »Liste der als zuverlässig anerkannten Schiffs-
Im Jahr 1942 mußte der Hafenärztliche Dienst eine »Liste kammerjäger«, 1942, StA HH, 352-3 Medizinalkollegium, Hafenarzt I,
der als zuverlässig anerkannten Schiffskammerjäger« erstellen. 152
Blau- T- Tritox Cyklon Schwe- Schwef.- Clayton Fanal Salfork. Fa- Gift Zusammen
säure Gas fel Salfork. Kamm. kammern nal- gelegt
1940 22 36 – – 16 3 – – 9 13 27 136
1941 33 6 34 2 37 – – 3 43 30 24 212
Statistik, erstellt von der Liegenschaftsverwaltung in Hamburg 1942, StA HH, 352-3 Medizinalkollegium, Hafenarzt I, 152
Ungeziefer »als unabänderliches Geschick«?2 die, wie man den Juden kennt, nur zwei Motiven entspringen
kann: entweder der Absicht, ein ›Geschäftche‹ zu machen oder
»Der praktische Desinfektor« war die führende Zeitschrift auf eine möglichst unverdient schonungsvolle Beurteilung zu erfah-
dem Gebiet der Schädlingsbekämpfung.3 Im Juni 1941 erschien ren. Dies allein, schließlich auch die Furcht, es könnte den ei-
dort unter der Überschrift »Gesundheitsverhältnisse und Seu- genen Kopf kosten, läßt sie so lammfromm tun und ihrer trieb-
chenbekämpfung im Generalgouvernement« ein Artikel eines haften Verbrecherneigung, die ihnen förmlich ins Gesicht ge-
Arztes, der im besetzten Polen für das Gesundheitswesen zu- schrieben ist, Schranken auferlegen.
ständig war. Seine Schilderung verdeutlicht, von welchen Denk- Immer wieder wünsche ich mir im Stillen, es möchten all die
mustern manche Schädlingsbekämpfer in dieser Zeit ausgin- mich begleiten können, die manchmal noch von irgendwelchen
gen. deplacierten Humanitätsanwandlungen befallen werden. Hier
»Die früheren unzulänglichen hygienischen Verhältnisse im werden sie garantiert schlagartig geheilt!«4
heutigen Generalgouvernement waren immer schon in aller Welt Der Leiter der entomologischen Abteilung im Zoologischen
bekannt. Man bezog sich auf sie im Volksmund sprichwörtlich, Institut Hamburg, Dr. Herbert Weidner, äußerte sich im April
wenn man Unsauberkeit oder Unordnung zu beanstanden hat- 1942 zu den hygienischen Verhältnissen in Weißruthenien:
te. Unter ›polnischer Wirtschaft‹ wußte jeder zu verstehen, was »Gegen das Fleckfieber, eine ansteckende, in Osteuropa weit
diese Redewendung kennzeichnen sollte. [...] verbreitete Krankheit, die ausschließlich von Läusen übertra-
Von dem Judenmilieu, wie man es in seiner unverfälschten gen wird, ist die Entlausung der ganzen einheimischen Bevöl-
›Urform‹ hier antrifft, gar nicht erst zu reden! Wer die in den kerung die wirksamste Vorbeuge- und Bekämpfungsmaßnahme.
illustrierten Zeitungen bisweilen veröffentlichten ›Kostproben‹ Wird die Kleiderlaus soweit zurückgedrängt, wie dies in Deutsch-
für gestellte Photomontagen zu halten geneigt war, der wird hier land der Fall ist, so wird auch in den osteuropäischen Ländern
allerorts in jüdischen Wohnungen die Wirklichkeitsnähe solcher das Fleckfieber keine Gefahr mehr bedeuten. In den von der
zur Veröffentlichung gekommener Reproduktionen festzustellen Sowjetherrschaft befreiten Gebieten wurden daher auch sofort
Gelegenheit haben. Da herrschen Verhältnisse, die vor allem von der deutschen Wehrmacht und dann von der Zivilverwal-
darüber Bewunderung erregen, daß Menschen hier in diesen tung entsprechende Maßnahmen eingeleitet. [...]
probatesten Brutstätten für Ungeziefer und Schmutzkrankhei- Das Hauptkommissariat Baranowitsche, das ich im Februar
ten überhaupt vegetieren können. 1942 bereist habe, umfaßt denjenigen Teil Weißrutheniens, der
In den Häusern manchmal ein Labyrinth von niedrigen ge- vor dem Kriege zu Polen gehört hatte. Seine Bewohner sind au-
wölbeartigen Gängen, wo hin und wieder verwahrloste bärtige ßer Weißruthenen und Polen sehr viele Juden. Der Volkscharak-
Kaftangestalten vorbeigehen oder ausgesprochene Verbrecher- ter der Weißruthenen ist gekennzeichnet durch eine ausgepräg-
typen, denen man einfach alles zutrauen kann, mauschelnd in
Winkeln herumstehend, daß man unwillkürlich nach der Pisto-
le greift, um sie jederzeit schußbereit zu haben. Durch das Dun- 1
Zitat aus: Joseph Ruppert, Gesundheitsverhältnisse und Seuchenbekämp-
kel tastend sucht man nach den Wohnungstüren, hinter denen
fung im Generalgouvernement, in: Der praktische Desinfektor, 1941, Heft
sich neue Bilder offenbaren. In einer halbdämmrigen Stube, in 6, S. 61-75. Dr. med. J. Ruppert wird als »Chefreferent der Abt. Gesund-
der der Staub im einfallenden Lichtschein wirbelt, wenn man heitswesen der Regierung des Generalgouvernements und II J.-Gebiets-
festen Fußes auftritt, finden sich als ganze Einrichtung ein rum- arzt, Krakau« vorgestellt.
2
peliger Ofen, eine vorsintflutliche Kommode, aus der alte Lum- Zitat aus: Dr. Herbert Weidner, Die Organisation der Läusebekämpfung
im Hauptkommissariat in Baranowitsche, Weißruthenien, in: »Der prakti-
penfetzen hervorquellen, und ein Tisch mit ganz zur übrigen
sche Desinfektor«, April 1942, Heft 4, S. 35f.
Aufmachung passenden Stühlen. Der Raum wird ›belebt‹ durch 3
Die Fachzeitschrift »Der praktische Desinfektor« wurde herausgegeben
eine Anzahl von typischen Gestalten, – der Hut im Nacken sit- vom »Hygiene-Verlag Erich Deleiter, Berlin-Lichtenberg in Verbindung
zend – wie ich sie weiter oben schon beschrieb. Da wird in Wort mit dem Hauptamt für Volksgesundheit in der Reichsleitung der NSDAP
und Ton noch das Original ›Jiddisch‹ gesprochen, wie wir es unter Mitarbeit des Fachamtes Freie Berufe in der Deutschen Arbeitsfront.«
4
Joseph Ruppert, Gesundheitsverhältnisse und Seuchenbekämpfung im
von unseren früheren mosaischen Viehhändlern und sonstigen
Generalgouvernement, in: Der praktische Desinfektor, Heft 6, S. 61-75.
Handelsjuden auf dem flachen Land selber sattsam kennen. Der Verfasser benutzte in seinem Artikel das aus dem Jiddischen stammen-
Mischpoke in reinster Züchtung! Das Verhalten kriecherisch- de Wort für Familie »Mischpoche« (verächtlich bzw. umgangssprachlich:
devot, von süßlich triefender und widerlicher Freundlichkeit, Mischpoke; hebräisch: mischpachah).
5
Dr. Herbert Weidner, Die Organisation der Läusebekämpfung im Haupt-
kommissariat in Baranowitsche, Weißruthenien, in: Der praktische Desin-
fektor, 1942, Heft 4, S. 35f.
6
Rickettsien sind kleine, bakterienähnliche Mikroorganismen. Auf den
Menschen wird der Erreger durch den Biß infizierter Kleiderläuse über-
tragen. Rickettsia prowazeki wurde 1916 durch da Rocha-Lima, Mitarbei-
ter von Dr. Nocht im Tropeninstitut in Hamburg, erstmals beschrieben. Zu
Die »Arbeitsgemeinschaft Schuppen 43« gab in weiteren Ehren von zwei Forschern, die an Rickettsieninfektionen gestorben waren
Schreiben an den Hafenarzt mehrfach »Entwesungen von Ost- (Ricketts und Prowazek) erhielt der Erreger seinen Namen. Prowazek war
arbeitern« bekannt. ebenfalls Mitarbeiter des Tropeninstitutes, siehe Herbert Weidner, Geschich-
te der Entomologie in Hamburg, Hamburg 1967, sowie Stefan Wulf, Das
Der Gesundheitsbeamte Weinreich erstattete 1943 einen Be-
Hamburger Tropeninstitut 1919-1945, Berlin/Hamburg 1994, S. 2
richt zur Situation am »Schuppen 43«: 7
Anm.: Auf die Art der »Bestrafung« ging Dr. Weidner nicht ein. Zum
»Die Entwesungsanlage der dortigen Arbeitsgemeinschaft ist Massenmord findet sich in seiner »Geschichte der Entomologie« von 1967
nicht in Betrieb, da die Leute fortgelaufen sind. Der Inbetrieb- kein einziger Hinweis. Zu seiner NSDAP-Mitgliedschaft siehe Eckart Krau-
nahme für Personen und für Bekleidung steht nichts im Wege, se, Ludwig Huber, Holger Fischer (Hrsg.), Hochschulalltag im »Dritten
Reich«, Die Hamburger Universität 1933-1945, Berlin/Hamburg 1991, S.
wenn das nötige Personal und täglich 6 cbm Kondenswasser
1198
gestellt werden. Auch Elbwasser kann für kurze Zeit aushilfs- 8
Brief der Arbeitsgemeinschaft Schuppen 43 (Blohm & Voß) an das Poli-
weise benutzt werden, falls der dafür notwendige Zusatz zur zeipräsidium Abt. 5 I, vom 29.12.1942, betr: »Entwesungsanlage«, StA HH,
Verfügung gestellt wird. Wasser läuft noch nicht am Schuppen. 352-3 Medizinalkollegium, Hafenarzt I, 144
9
Trinkwasser wird mit Wasserwagen angefahren. Dr. med. C.M.Hasselmann, Zur Frage der Überwachung von Blausäure-
und Zyklondurchgasungen durch den beamteten Arzt, StA HH, Medizi-
An Personal wären für jede Schicht 3 Mann, darunter ein
nalkollegium, II J 15, Bd.I, Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen Stof-
Sanitäter, erforderlich. fen, S. 9
Der Betrieb als solcher arbeitet z.Zt. mit etwa 50 Deutschen 10
»Genehmigungsbescheid Nr. 916« des Baupolizeiamts Bezirk Mitte, Az
und 350 Russen. Diese sind in der einen Hälfte des Schuppens M/11938 vom 28.8.1942, StA HH, 352-3 Medizinalkollegium, Hafenarzt
44 untergebracht. Sie wurden bisher von Dr. Nielsen, Veddeler I, 144.
11
Schreiben der Arbeitsgemeinschaft Schuppen 43 vom 19.3.1943 an das
Brückenstr. 78, betreut. Seit dem 27. Juli hat sich dieser aber
Tropenhygienische Institut, z.Hd. Herrn Direktor Dr. Peter, ebd.
nicht wieder eingefunden. Später hat man einen russischen Arzt 12
»Tagesbericht des Gesundheitsbeamten Weinreich vom Hafenärztlichen
aus einem Lager geholt, der sich dahin gehend geäußert haben Dienst über die am 9. August 1943 ausgeführten Besichtigungen, Schup-
soll, daß nichts Ernsthaftes vorliege. pen 43. Kontrolle«, vom 9.8.1943, ebd.
Schädlingsbekämpfung in Zwangsarbeiterlagern
Dr. Peters schilderte 1943 eine Schädlingsbekämpfungsmaß-
nahme in einem Zwangsarbeiterlager, dessen Namen er nicht
nannte. Die Aufgabenstellung war der im Hamburger Lager
»Schuppen 43« ähnlich. Auffallend ist, wieviel Vertrauen Peters
nun angesichts der Mangellage in mechanische Verfahren bzw.
in ›erprobte‹ Hausmittel‹ setzte, die früher von Schädlingsbe-
kämpfungsfirmen als völlig nutzlos eingeschätzt wurden.
»Die am 1. August dieses Jahres in Kraft gesetzte Verordnung
des Reichsarbeitsministers über die lagermäßige Unterbringung
von Arbeitskräften während der Dauer des Krieges (Lagerver-
ordnung vom 14.7.43) gibt Veranlassung das Problem der Ver-
hinderung oder Verminderung von Ungezieferbefall in Arbeits-
lagern kurz zu besprechen. [...]
Nachfolgend seien diese Verhältnisse an dem Beispiel der erst
kürzlich erfolgten Gesamtentwesung eines mittelgroßen Barak-
Planskizze der »Entwesungsanlage« Schuppen 43 kenlagers verdeutlicht [...]:
Kriegsende und Verhaftung von Mitarbeitern ger Prozeß war der erste international besetzte Gerichtshof in
der Testa der Geschichte zur Ahndung von Kriegsverbrechen. Er hatte
weitere Prozesse zur Folge.
Die Gestapo hatte am 30.4.1945 gemeldet, in Hamburg würden Am 20. Dezember 1945 erließ der Alliierte Kontrollrat der
noch 647 Juden leben.1 Für diese Menschen – soweit die Infor- vier Siegermächte in Berlin das Gesetz Nr. 10. Er gab damit
mation der Gestapo zutraf – war der 3. Mai 1945 mit dem Ein- den Befehlshabern in den Besatzungszonen das Recht, Straf-
marsch britischer Truppen in die Hansestadt ein »Tag der Be- prozesse wegen Verletzung des Kriegsrechts, kriegerischer Ag-
freiung«. Nur sehr wenige der aus Hamburg deportierten Men- gression oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit durchzu-
schen wurden in den Konzentrations- oder Vernichtungslagern führen. Mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren die
befreit, die meisten waren nicht mehr am Leben. politische, religiöse und rassische Verfolgung von Angehörigen
Das Jahr 1938 hatte mit dem Beginn der Deportationen und kriegführender und nicht kriegführender Staaten gemeint.
der Pogromnacht zu einer weiteren Radikalisierung der staatli- Für die Firma Tesch & Stabenow in Hamburg änderte sich
chen Verfolgung von Juden geführt. Im Juni 1938 waren im nach Kriegsende zunächst nicht viel. Erst im September 1945
Rahmen der Aktion »Arbeitsscheu Reich« vorbestrafte2 Juden wurde Dr. Tesch – nach einer Anzeige von einem ehemaligen
verhaftet und in Konzentrationslager abtransportiert worden. Mitarbeiter – festgenommen. In seiner Firma mußte er sich dem
Mindestens 41 Hamburger Juden kamen während dieser Aktion Vorwurf stellen, er habe gewußt, daß das Zyklon B zur Ermor-
oder durch spätere Vernichtungsmaßnahmen ums Leben.3 De- dung von Menschen genutzt wurde.
portationen in weit größerem Ausmaß begannen in Hamburg In Gegenwart des Vernehmungsoffiziers der britischen Be-
am 28.10.1938, als etwa 1 000 Hamburger Juden polnischer Ab- satzungstruppen bestritt Tesch dies »in toto«.5 Daraufhin wurde
stammung nach einer plötzlichen Verhaftungsaktion per Bahn Dr. Tesch verhaftet und am 3. September erneut vernommen.
in die Nähe der polnischen Stadt Zbasyn verbracht wurden. Dort Vom 1. bis 6. Oktober 1945 durfte er noch einmal in seine Fir-
trieb man sie brutal über die deutsch-polnische Grenze. Minde- ma zurückkehren, blieb danach aber in Haft.
stens 355 von ihnen starben infolge dieser Maßnahme oder Auch der zweite Geschäftsführer Karl Weinbacher und Joa-
wurden später ermordet. Einige der Ausgewiesenen konnten chim Drosihn, der für praktische Durchgasungsarbeiten bei der
Anfang 1939 nach Hamburg zurückkehren, mußten aber inner- Testa zuständig war, wurden im Herbst 1945 verhaftet.
halb kurzer Zeit auswandern.
Weitere Transporte von Hamburger Juden gingen von Okto-
ber 1941 bis Februar 1945 nach Lodz, Minsk, Riga, Auschwitz Unfalltod eines Mitarbeiters der Testa
und Theresienstadt. Bei den insgesamt 17 Transporten wurden kurz vor Prozeßbeginn
5 848 Menschen aus Hamburg deportiert. 5 296 von ihnen star-
ben auf den Transporten oder in den Konzentrations- oder Ver- Am 5. Januar 1946, etwa zwei Monate vor dem Prozeßbeginn,
nichtungslagern.4 kam es zu einem Unfall. Bei der Blausäurebegasung des Fisch-
Am 5. Juni 1945 unterzeichneten die vier alliierten Befehls- dampfers »Posen« im Hamburger Hafen wurde ein Durchga-
haber in Berlin mehrere Deklarationen. Deutschland wurde – sungsmeister der Testa, Franz Neumann, getötet. Zu diesem
in den Grenzen von 1937 – in vier Zonen aufgeteilt, in denen Zeitpunkt lag die Geschäftsführung der Firma bei dem von der
die Alliierten die Regierungsgewalt übernahmen. Groß-Berlin britischen Besatzungsbehörde als Treuhänder eingesetzten Ham-
war von Streitkräften aller vier Siegermächte besetzt. In einem burger Chemiefabrikanten Dr. Hugo Stoltzenberg.6
Kontrollrat sollten die Besatzungsmächte zusammenarbeiten. Der Dampfer »Posen« war bei diesem Unfall nicht mit Zy-
Im Oktober 1945 nahm das Internationale Militärtribunal in klon B, sondern nach dem alten »Bottichverfahren« mit Cyan-
Nürnberg mit Richtern aus den Vereinigten Staaten, der Sowjet- natrium durchgast worden. Durchgasungsmeister Neumann
union, Großbritannien und Frankreich seine Arbeit auf. 24 mut- hatte dabei in »Abweichung von den bestehenden Vorschriften«
maßlichen Kriegsverbrechern wurde der Bruch internationaler ein »MMK-Gerät«, eine sogenannte »Schnuller-Gasmaske«
Abmachungen, militärische Aggression, Massentötungen, De- getragen, die nicht das ganze Gesicht bedeckte.
portationen und andere Verbrechen vorgeworfen. Zwölf Todes- Durchgasungsmeister Kock, Durchgasungsobermeister Holst,
urteile sowie lebenslange und andere Zuchthausstrafen wurden Buchhalter Zaun und Durchgasungsleiter Dr. Deckert (vorher
am 30. September und 1. Oktober 1946 verhängt. Der Nürnber- Hygienisches Staatsinstitut in Hamburg) mußten jeweils Un-
bei Ausgasungen
A) Auf Schiffen:
Hafen von Hamburg 1) dt. D. »Scheer« 1 Person 1927
2) dt. D. »Altmark« 1 “ 1928
3) dt. F.D. »Posen« 1 “ 5.1.1946
Hafen von Bremerhafen 1) dt. D. »Ariadne« 1 “ 1922
2) dt. D . »York« 1 “ 2.2.1930
Hafen von Antwerpen 1) dt. D. »Deike Rickmers« 1 “ 5.2.1929
2) dt. D. »Johannes Bernhardt« 1 “ 23.3.1924
Hafen von Cardiff 1) jugosl. D. »Prince Andrey« 1 “ 2.10.1933
(Stowaway)
Hafen von Amsterdam 1) holl. D. »Marnix v, Aldegonde« 1 “ 12.6.1932
Hafen von Baltimore 1) bras. D. [?] 7 “ Sept. 1928
(Stowaways)
12.2 Unfalltod eines Mitarbeiters der Testa kurz vor Prozeßbeginn 145
fall. Das Unfallopfer, Durchgasungsmeister Franz Neumann,
habe seit mehr als 20 Jahren bei der Testa gearbeitet und fort-
laufend Durchgasungen mit »Cyaniden« durchgeführt.9
Testa-Buchhalter Zaun schildert in seinem eigenen Unfall-
bericht die »schonende« Benachrichtigung der Ehefrau des Un-
fallopfers:
»Vom Hafenkrankenhaus rief ich nun erstens den Polizeipo-
sten in Bramfeld, Ruf 28 60 80 an und veranlaßte ihn, Frau
Neumann von dem Unfall schonend in Kenntnis zu setzen, ohne
ihr schon von dem Ableben ihres Gatten Mitteilung zu machen.
Frau Neumann gab ich bei ihrem Anruf bei mir im Hause später
ebenfalls erst eine Teilauskunft, um sie zur Nachtzeit nicht zu
sehr zu beunruhigen. Auf ihre Anfrage bestätigte ich ihr kurz,
daß es sich um einen Gasunfall handele.«10
In Zusammenhang mit diesem Unfall stellte Hafenarzt Dr.
Peter eine Liste der ihm bekannt gewordenen »Todesfälle durch
Blausäurevergiftung bei Ausgasungen« ab 1922 zusammen. An
allen Hamburger Unfällen und bei dem Unglück in Polen war
die Firma Tesch & Stabenow als Durchgasungsfirma beteiligt
gewesen (siehe Darstellung auf S. 145).
Zum Unfall der Firma Tesch & Stabenow in Polen sind keine »Schwarze Tafel« am Curio-Haus in Hamburg. Der Testa-Prozeß wird
nicht erwähnt.
Dokumente erhalten.
Dem Unternehmen gelang es bei jedem Unfall, nachzuwei-
sen, daß die Blausäure für den Tod entweder nicht ursächlich
war oder die Firma aus anderen Gründen (z.B. Fahrlässigkeit now statt. Das britische Militärgericht verhandelte gegen die
anderer) kein Verschulden traf. Angeklagten wegen der Giftgasmorde durch Zyklon B in den
Hafenarzt Kurt Peter hatte seine Doktorarbeit 1922 zum The- Konzentrationslagern.
ma »Rassebildung bei Pneumokokken« geschrieben. Er war Das Militärgericht bestand aus dem Präsidenten, Brigadier
Facharzt für Nervenkrankheiten. Das Thema seiner Physikus- Persse, und zwei weiteren hohen Militärs, dem Lt. Col. Sir
Arbeit von 1928 lautete »Simulation von Geisteskrankheit und Geoffrey Palmer und Major S. M. Johnstone. Captain Marshall
die Frage, ob diese nach dem Krieg häufiger geworden ist«. Als war als »Ersatz-Richter« diesem Gerichtsverfahren zugeordnet
37jähriger erhielt er 1934 die Stelle eines Hamburger Hafen- worden. Diese Militärs wurden von einem Anwalt, dem »judge
arztes. In einem Festvortrag 1943 zum 50jährigen Jubiläum des advocate«, C.L. Stirling, als einzigem nicht-militärischem Ju-
Hafenärztlichen Dienstes äußerte Peter seine Auffassung, daß risten beraten. Stirling selbst hatte kein Stimmrecht bei der Ur-
»in den Zeiten nach Nocht« nichts »wesentlich Neues« erreicht teilsfindung. Die Anklage war durch Major Draper vertreten.
worden sei. Erst mit dem »politischen Umbruch in Deutsch- Die Öffentlichkeit konnte am Verfahren teilnehmen und dazu
land« und seinem Diensteintritt sei »grundlegend Wandel« ge- auf der linken Empore im Saal des Curiohauses Platz nehmen.
schaffen worden. Seinen Vortrag über das »Aufgabengebiet der Journalisten wurden Plätze auf der rechten Empore zugewie-
Schiffshygiene« ließ er über die Schiffahrts-Zeitschrift »Han- sen. In Hamburg gab es nach Kriegsende zunächst nur die von
sa« verbreiten. 1946 wurde er wegen seiner NSDAP-Mitglied- der »Britischen Militärregierung für Groß-Hamburg und Um-
schaft entlassen. Am 16.8.1946 berichtete die »Hamburger All- gebung« herausgegebene Zeitung »Neue Hamburger Presse«,
gemeine« über ihn unter der Überschrift »Entlassener Hafen- deren Ausgaben auf wenige Seiten beschränkt waren. Sie be-
arzt beging Selbstmord«. richtete fast täglich vom Prozeß.11
Die Gerichtsverhandlung begann mit einer Eröffnungsrede
der Anklage. Dann wurden die Zeugen und die Angeklagten
Das britische Militärgerichtsverfahren vernommen. Schließlich plädierten der Ankläger und die Ver-
teidiger. Der »judge advocate« faßte die Argumentation in sei-
Der sogenannte königliche Auftrag vom 14. Juni 1945 war die nem »summing up« zusammen, und zum Schluß erging das
Grundlage für die britischen Militärgerichtsprozesse gegen deut- Urteil. In den britischen Gerichtsprozessen wurden nur Todes-
sche Kriegsverbrecher. Angesichts des besonderen Charakters oder Haftstrafen, jedoch keine Geldstrafen ausgesprochen.
der NS-Verbrechen war in diesen Verfahren auch eine Beweis- Gegen die Entscheidung der Richter konnte keine Berufung
führung nach Hörensagen möglich. Mit dieser wichtigen Fest- eingelegt werden, die Verurteilten hatten jedoch die Möglich-
legung wurde berücksichtigt, daß nur wenige Zeugen der NS- keit, ein Gnadengesuch einzureichen. Über ein solches Gesuch
Verbrechen überlebt hatten. Wie das Gericht das »Hörensa- entschied der britische Kriegsminister bzw. ein von ihm beauf-
gen« würdigte, blieb jedoch allein ihm überlassen. tragter hoher Offizier. Dieser mußte mindestens den Rang eines
Vom 1. bis zum 8. März 1946 fand im Hamburger Curio- Generalmajors haben und konnte eine Strafe abmildern oder
haus der Prozeß gegen Mitarbeiter der Firma Tesch & Stabe- sie erlassen.
Ravensbrück 351
Gross-Rosen 429
Die Anwendung der Blausäure war nach den gesetzlichen Be- Tesch & Stabenow
stimmungen nur besonders ausgebildetem Personal gestattet.
gez.: Geschäftsführer
Dem Gericht gegenüber bestätigte Dr. Tesch, Kurse für Polizei
und SS-Angehörige zum Gebrauch von Zyklon B in Riga und NI- 11389
Sachsenhausen durchgeführt zu haben. In Sachsenhausen hat-
ten jährlich Schulungslehrgänge für SS-Sanitätsdienstgrade
stattgefunden. Das Gericht befragte am 2.3.1946 den Kursteil- In der Prozeßakte befand sich als »Beweisstück MA« eine
nehmer und SS-Sanitäter Wilhelm Bahr: Abschrift einer der von Bahr erwähnten Bescheinigungen aus
»Frage: Erinnern Sie sich daran, daß Sie 1942 zu einem Kurs dem KZ Sachsenhausen.
nach Oranienburg geschickt wurden? Aus dem weiteren Text des Dokumentes geht hervor, daß im
Antwort: Ja. Januar 1941 an diesem Lehrgang 16 SS-Männer teilgenommen
Frage: Um welche Art von Kurs handelte es sich dabei? hatten.
Antwort: Um einen Blausäurekurs. Im Gerichtsprozeß wurde Dr. Tesch gefragt, ob er einen Grund
Frage: Wer gab den Kurs? gehabt hätte, die Schulungskurse für die SS geheim zu halten.
Antwort: Dr. Tesch. Er antwortete:
Frage: Ist Dr. Tesch heute hier anwesend? »Nein, im Gegenteil, wir haben sie für unsere Firmenwer-
Antwort: Der Mann links ist Dr. Tesch. bung benutzt.«30
Frage: Wo genau in Oranienburg fand der Kurs statt, im Kon- Bahr konnte das erworbene Fachwissen im September und
zentrationslager oder in den SS-Gebäuden? November 1942 bei der Ermordung von russischen Kriegsge-
Antwort: Im SS-Krankenhaus. fangenen mit Zyklon B im Konzentrationslager Neuengamme
Frage: Innerhalb des Lagers? anwenden.
Antwort: Nein, außerhalb des Lagers, wo die Kasernen wa- Aus einer Rechnung der Degesch an die SS-Desinfektoren-
ren. schule in Oranienburg von 1943 (siehe Dokument S. 153) geht
Frage: Wie lange dauerte der Kurs? hervor, daß Tesch & Stabenow die SS auch bei »Lehrdurchga-
Antwort: Drei Tage lang. sungen« mit Zyklon B versorgte. Dieses Dokument und der Be-
Frage: Was wurde ihnen über das Blausäuregas gesagt? richt eines Desinfektors aus dem KZ Sachsenhausen/Oranien-
Antwort: Ich kann dazu nicht viel sagen, weil es schon sehr burg lagen dem Gericht in Hamburg31 nicht vor.
lange her ist und sehr schnell vorbei war, alles in drei Tagen. Im Peters-Prozeß von 1948 erinnerte sich der Desinfektor
Frage: Wie lautete der Name des Blausäuregases? Heinrich Lefrère an die Desinfektorenschule Oranienburg. Als
Antwort: Zyklon B. Häftling war er im KZ Sachsenhausen/Oranienburg für die Ent-
Frage: Wurde ihnen gesagt, ob es für Menschen gefährlich ist lausung von Kleidung zuständig gewesen, die waggonweise aus
oder nicht? den Vernichtungslagern zur weiteren Verarbeitung herangeschafft
Antwort: Ja, er sagte uns, es sei sehr gefährlich und einige worden war.
Arbeiter, die mit ihm zusammen mit diesem Gas gearbeitet hat- »Ich war im KZ Oranienburg vom Jan. 1939 bis zum Schluß,
ten, waren bereits daran gestorben. d.h. April 1945. Etwa 6-7 Wochen nach meiner Einlieferung in
Frage: Wer hat ihnen das gesagt? Oranienburg wurde ich angestellt in der Entlausung, die da-
Antwort: Dr. Tesch, der den Kurs gehalten hat. mals neu angelegt wurde, und wurde nach etwa 1 Jahr Vorarbei-
Frage: Haben Sie, als der Kurs vorbei war, eine Bescheini- ter oder Leiter der Entlausung. Das war ich bis zum Schluss. In
gung bekommen, daß Sie daran teilgenommen hatten? dieser Eigenschaft unterstand mir die ganze Entlausung im
Antwort: Ja, es war eine kleine Bescheinigung, die von Tesch Lager. Das Zyklon befand sich in einem Bunker unter der Erde,
unterschrieben war.«29 zu dem ich allein den Schlüssel hatte. In dem Zyklon-Lager hat-
8. Mai 1943
28
Entscheidungskompetenzen Eidesstattliche Erklärung von Alfred Zaun am 24.10.1945, NI-11396
29
Übersetzung des englischen Gerichtsprotokolls, S. 219f., PRO, JAG No.
über Giftgas-Lieferungen 71
30
Ebd., S. 294
In der Gerichtsverhandlung im Curiohaus spielte eine wichtige 31
In der englischen Prozeßakte im Public Record Office finden sich dazu
Rolle, wer in der Firma Tesch & Stabenow Entscheidungen z.B. keine Belege.
32
über Zyklon B-Verkäufe fällen durfte. Dr. Drosihn hatte diese Aussage von Heinrich Lefrère am 18.8.1948 vor dem Staatsanwalt in
Frankfurt/M., HStAW, 36342-8 Strafverfahren gegen Dr. Peters, Handakte
Macht auch nach Auffassung des Gerichtes nicht. Peters I, S. 245
Karl Weinbacher war mit 1% des Umsatzes an den Zyklon 33
Siehe Befragung von Weinbacher, englisches Gerichtsprotokoll, S. 317,
B-Verkäufen beteiligt. Er konnte, wenn Dr. Tesch verreist war PRO, JAG No. 71
Die Degesch lieferte Zyklon B zur Tötung nienburg geliefert, von Gerstein selbst oder dem Hygiene-Insti-
von Menschen (Gerstein-Auftrag) tut der Waffen-SS aber nie bezahlt. Das Schwurgericht in Frank-
furt am Main faßte den Sachverhalt 1955 zusammen:
Deutschen Gerichten war es nach den im Jahre 1945 ergange- »Der Angeklagte hatte [...] häufig in Berlin zu tun und gele-
nen Gesetzen Nr. 4 und Nr. 10 des Alliierten Kontrollrats nur gentlich eines dieser Besuche wurde ihm von Prof. Mrugowski
gestattet, mit Zustimmung der regionalen Militärregierung die gesagt, dass Gerstein ihn sprechen wolle. Der Angeklagte such-
NS-Verbrechen zu verfolgen, die von Deutschen an Deutschen te daraufhin Gerstein in dessen Dienststelle in Berlin auf.
oder an Staatenlosen begangen worden waren. Damit waren z.B. Es gibt nur eine Person, die den Inhalt der nun folgenden
die an Polen begangenen Verbrechen der Strafverfolgung durch Unterredung kennt, das ist der Angeklagte selbst. Er hat ihn in
deutsche Gerichte entzogen. 1950 entfielen diese Einschrän- der Hauptverhandlung folgendermassen dargestellt: Gerstein
kungen in der kurz zuvor gegründeten Bundesrepublik Deutsch- sei allein gewesen und habe die Unterhaltung damit begonnen,
land. dass er ihn zu strengstem Stillschweigen verpflichten müsse, da
Auf den früheren Geschäftsführer der Degesch, Dr. Gerhard es sich um eine ›Geheime Reichssache‹ handele. Diese Verpflich-
Peters, waren deutsche Strafverfolgungsbehörden deshalb auf- tung sei durch Handschlag erfolgt. Gerstein habe ihm dann er-
merksam geworden, weil er im Nürnberger I.G.-Farben-Prozeß klärt, er habe den geheimen Auftrag, Blausäure zur Tötung von
(1948) als Zeuge ausgesagt hatte. Menschen zu verschaffen, und er müsse von dem Angeklagten
Dabei hatte er die Vertreter der I.G. Farben bei der Degesch, Ratschläge dafür erbitten.
unter ihnen auch den zeitweiligen Geschäftsführer Wilhelm Der Angeklagte habe zunächst geglaubt, es handele sich um
Mann, entlastet. Der Anklagepunkt »mißbräuchliche Verwen- das gleiche Problem, das er gerade zu dieser Zeit für die Wehr-
dung des Zyklon B« wurde bei ihnen fallengelassen. Keiner macht bearbeite, nämlich die Anwendung von Blausäure als
von ihnen habe Kenntnis von der ›bestimmungswidrigen Ver- Kampfstoff, z.B. in Ampullen. Er habe daher Gerstein gesagt,
wendung‹ von Zyklon B gehabt. Peters erklärte, er habe sich an dass er dieses Problem bereits geheim bearbeite und auf Ger-
seine Verpflichtung zu strengster Geheimhaltung gehalten. Da- steins Frage ihm seine Versuche für die Wehrmacht ohne Beden-
mit hatte er allerdings seine eigene Kenntnis eingestanden. ken geschildert, da es sich ja bei Gersteins Auftrag um eine ›Ge-
Daraufhin wurde Peters in einem ersten Gerichtsverfahren heime Reichssache‹ gehandelt habe.
vor dem Schwurgericht Frankfurt 1949, in dem es um die Lie- Gerstein habe ihm dann erklärt, dass es sich nicht darum
ferungen von Zyklon-B zur Tötung ‘Minderwertiger’ in den Kon- handele, sondern dass auf Anordnung Himmlers Blausäure2 zu
zentrationslagern ging, wegen Beihilfe zum Mord zu fünf Jah- Hinrichtungen gebraucht werden solle. Er habe das Verfahren
ren Zuchthaus verurteilt. In weiteren Prozessen – jeweils nach zu überwachen und das Material zu beschaffen. Er halte jedoch
Revision der Staatsanwaltschaft – setzte man das Strafmaß zu- die Anwendung von Zyklon B für zu grausam, da es wegen des
erst wiederum auf fünf, dann auf viereinhalb und schließlich zugesetzten Warnstoffes unnütze Qualen bereite, und die Verwen-
auf sechs Jahre Haft fest. Dieses vorerst letzte Urteil wurde im dung von flüssiger Blausäure für zweckmäßiger.«3
Oktober 1953 rechtskräftig.
1955 kam es zu einem Wiederaufnahmeverfahren. Anlaß war
eine kurz zuvor beschlossene Gesetzesänderung, nach der »er- 1
Begriff aus der Urteilsbegründung vom 27.5.1955, Prozeß gegen Dr. Ger-
folglose Beihilfe« auch zum Mord nicht mehr strafrechtlich ver- hard Peters, Schwurgericht/Landgericht in Frankfurt/M., HStAW, 33395
folgt wurde. Das Schwurgericht in Frankfurt/Main sprach Dr. Strafverfahren gegen Dr. Peters, 4a Ks 1/55, Abt. 461
2
Peters schließlich von der Anklage wegen Beihilfe zum Mord frei. Hier drückt sich das Gericht mißverständlich aus. Gerstein meinte aufge-
saugte flüssige Blausäure (= Zyklon B), jedoch ohne Warnstoff. Ein Reiz-
In den Prozessen gegen Gerhard Peters spielte eine wichtige stoffzusatz ist auch im eigentlichen Zyklon-Patent (D.R.P. 438818) nicht
Rolle, daß SS-Obersturmführer Kurt Gerstein (1905-1945), lei- gefordert.
tender Entseuchungsoffizier beim Hygiene-Chef der Waffen-SS, 3
Urteil vom 27.5.1955, Prozeß gegen Dr. Gerhard Peters, Schwurgericht/
Dr. Joachim Mrugowsky, Zyklon B direkt über Dr. Peters bei Landgericht in Frankfurt/M., HStAW, 333395 Strafverfahren gegen Dr.
der Degesch bestellt hatte. Ihn hatte er auch über den Verwen- Peters , 4a Ks 1/55, Abt. 461, ohne Seitenangaben, vergleiche deshalb:
Irene Sagel-Grande, H.H. Fuchs, C.F. Rüter, Justiz und NS-Verbrechen,
dungszweck, die Tötung von Menschen informiert. Insgesamt Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungs-
wurden aus diesem Auftrag 3 790 kg Zyklon »ohne Warnstoff« verbrechen 1945-1966, Band XIII, Amsterdam 1975, S. 113 (Kürzel in
an die Konzentrationslager Auschwitz und Sachsenhausen/Ora- den folgenden Fußnoten: SG)
13.1 Die Degesch lieferte Zyklon B zur Tötung von Menschen (Gerstein-Auftrag) 161
Das Gespräch zwischen Gerstein und Peters fand im Juni 1943 den Eindruck gehabt, dass jetzt der ›Mensch‹ Gerstein zum Vor-
statt. Gerstein arbeitete damals im Hygiene-Institut der Waffen- schein komme. Er habe darauf seine Entscheidung getroffen und
SS in der Berliner Knesebeckstraße 43/44. Dort gab es For- die Frage Gersteins bejaht.
schungsabteilungen für Chemie, Parasitologie, Bakteriologie Es sei dann darüber gesprochen worden, welche Mengen von
(dort arbeitete Dr. Dötzer, der für seine Veröffentlichungen die reizstofflosem Zyklon B Gerstein benötige. Gerstein habe ge-
Zusammenarbeit mit Dr. Bruno Tesch nutzte), für Klimatolo- sagt, dass er monatlich nach Bedarf einige Dosen benötige, und
gie, Zoologie und Wasserhygiene. In der Abteilung für Wasser- habe ausdrücklich 500 g-Dosen verlangt. Er habe darauf be-
hygiene hatte sich Gerstein mit der Erfindung einer Entlausungs- standen, dass der Auftrag durch den Angeklagten persönlich ohne
einrichtung für Uniformen und Wäsche, die mit Wasserdampf Zwischenschaltung Dritter gehen solle. Der Angeklagte habe
arbeitete, einen Namen gemacht und die Anerkennung seines ihm bedeutet, dass dies technisch unmöglich sei, und vorgeschla-
Vorgesetzten, Joachim Mrugowski, gefunden. gen, Gerstein solle auch im Interesse der Geheimhaltung einen
In dem Gespräch zwischen Gerstein und Dr. Peters wurden Dauerauftrag für die monatliche Lieferung eines grösseren
schließlich regelmäßige monatliche Liefermengen festgelegt.4 Quantums Zyklon B geben.
»Gerstein habe dann gefragt, ob Zyklon ohne Reizstoff gelie- Gerstein habe ihn dann gefragt, ob reizstoffloses Zyklon B
fert werden könne, und habe, als er die ablehnende Haltung des für Entwesungen verwendbar sei, was der Angeklagte bejaht
Angeklagten bemerkte, er- habe. Daraufhin habe Gerstein erklärt, er wolle mehr bestel-
klärt, dass es sich um ›lega- len, um sich eine Reserve für den Fall einer Fleckfieberepide-
le Hinrichtungen‹, in einzel- mie anzulegen. Man habe sich dann auf die Lieferung von mo-
nen Fällen um Sterbehilfe natlich 200 kg geeinigt. Die Lieferungen sollten an die Dienst-
handele. Gerstein habe ihm stelle Gersteins ›Abteilung für Entwesung und Entseuchung‹
gesagt: ›Sie müssen helfen‹, in Oranienburg gehen, die Rechnungen an Gerstein persönlich
und der Angeklagte habe gesandt und über ein Konto ›Gerstein‹ verbucht werden. Der
Lieferbuch Dessau März 1944 (Lieferungen im Rahmen des »Gerstein-Auftrages«: Kisten Nr. 50093/106 und Nr. 50079/92)
13.1 Die Degesch lieferte Zyklon B zur Tötung von Menschen (Gerstein-Auftrag) 163
Seit 1925 war Gerstein aktives Mitglied der evangelischen
Jugend und der Bibelkreise an höheren Schulen. Im Mai 1933
trat er in die NSDAP ein. Trotzdem spielte er eine führende
Rolle bei der Auseinandersetzung der christlichen Jugend mit
der Hitlerjugend. Mitte 1936 versandte er nazi-feindliche Bro-
schüren, die er auf eigene Kosten hatte drucken lassen, zu Tau-
senden an hohe Ministerial- und Justizbeamte. Daraufhin wur-
de er Ende September 1936 verhaftet und im Oktober 1936 aus
der NSDAP ausgeschlossen. Dieser Ausschluß wurde durch das
Oberste Parteigericht auf seine Berufung in ›Entlassung‹ aus
der Partei umgewandelt. Nach seiner im Zusammenhang damit
erfolgten Entlassung aus dem Staatsdienst studierte Gerstein
Medizin an dem Deutschen Institut für Ärztliche Mission in
Tübingen, ohne dieses Studium zu einem Abschluß zu bringen.
Am 14. Juli 1938 wurde Gerstein wegen staatsfeindlicher
Betätigung wieder verhaftet – der Schutzhaftbefehl datiert vom
23. Juli 1938 – und in das Konzentrationslager Welzheim ge-
bracht, aus dem er nach einigen Wochen wieder entlassen wur-
de. Von Ende 1939 bis Spätsommer 1940 arbeitete er als Be-
triebsleiter in der Rhön. In dieser Zeit meldete er sich freiwillig
zur SS. Im März 1941 wurde er zur SS einberufen. Er erhielt
zunächst eine Grundausbildung und wurde dann aufgrund sei-
ner Kenntnisse auf technischem und medizinischem Gebiet in
den technisch-ärztlichen Dienst übernommen und dem SS-Füh-
rungshauptamt, Amtsgruppe D, Sanitätswesen der Waffen-SS,
Abteilung Hygiene, zugeteilt. Sein dortiger Chef war Dr. Mru- Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.5.1955
gowsky. Kurt Gerstein betätigte sich hauptsächlich auf dem
Gebiete der Desinfektion, war schnell erfolgreich und wurde
im Januar 1942 als Sturmführer Leiter der Abteilung Gesund- das Geringste passieren! Ihr braucht nur tüchtig zu atmen, die-
heitstechnik. Dort unterstand ihm der ganze technische Desin- ses Inhalieren stärkt die Lungen, es ist nötig gegen ansteckende
fektionsdienst einschließlich der Desinfektion mit hochgiftigen Krankheiten, es ist eine schöne Desinfizierung! – Auf die Frage,
Gasen.12 was ihr Schicksal sein würde, sagt er ihnen: Wirklich, die Män-
Kurt Gerstein verfaßte nach dem Ende des Krieges drei Be- ner müssen arbeiten, Straßen und Häuser bauen. Aber die Frau-
richte zu den Giftgasmorden in den Vernichtungslagern und sei- en sind dazu nicht verpflichtet. Nur wenn sie wollen, können sie
ner Tätigkeit. Das Gericht benutzte die deutsche Übersetzung im Haushalt oder in der Küche helfen. – Für einige dieser ar-
einer ersten französischen Fassung vom 26.4.1945. Die Urteils- men Leute nochmals eine kleine Hoffnung, genug um sie wider-
begründung faßte die Berichte zusammen: standslos in die Todeskammern ziehen zu lassen. –
»In allen drei Dokumenten beginnt Gerstein mit einer Schil- Die meisten wissen alles, der Gestank kündet ihnen ihr Schick-
derung seiner Person, seines Lebenslaufes und seiner politischen sal! Dann steigen sie das Treppchen hinauf und sehen die Wahr-
Betätigung. Er gibt dann, wie bereits früher erwähnt, als Grund heit! Stillende Mütter mit Kindern an der Brust: nackt; viele
für seinen Eintritt in die SS die Tötung seiner Verwandten in Kinder in jedem Alter: nackt. Sie zögern, aber sie betreten die
Hadamar an und berichtet über seine Ausbildung und seine Todeskammern, die meisten, ohne ein Wort zu sagen, geschoben
Tätigkeit in der SS. Es folgt dann die grauenhafte und erschüt- von den anderen hinter ihnen, angetrieben von den Peitschen
ternde Schilderung seines ebenfalls bereits erwähnten Besuches der SS. Eine etwa vierzigjährige Jüdin mit Augen wie Fackeln
in Belcec im August 1942 und der Unterhaltung mit dem schwe- ruft das Blut ihrer Kinder auf ihre Mörder herab. Von Polizei-
dischen Diplomaten von Otter im Zuge Warschau-Berlin.«13 hauptmann Wirth selber erhält sie fünf Peitschenhiebe ins Ge-
In seinem Bericht schilderte Gerstein die Ermordung von sicht und verschwindet in der Gaskammer. Viele beten, andere
Menschen mit Motorabgasen in den Gaskammern von Belzec sagen: Wer gibt uns Wasser für den Tod? (Jüdischer Ritus?) – In
im besetzten Polen. In dem Vernichtungslager wurde er von dem den Kammern preßt die SS die Leute zusammen. ›Gut füllen‹,
Inspekteur des Sonderkommandos der »Aktion Reinhard« und hat Hauptmann Wirth befohlen. Die nackten Menschen stehen
früheren ›Euthanasie‹-Mitarbeiter der Tötungsanstalt Branden- einander auf den Füßen. 700 bis 800 auf 25 Quadratmeter, zu
burg, Christian Wirth, begleitet. 45 Kubikmeter! – Die Türen schließen sich. Inzwischen wartet
»Ich und der Polizeihauptmann Wirth befinden uns vor den der Rest des Zuges nackt. Man sagt mir: Nackt auch im Winter!
Todeskammern. Vollständig nackt die Männer, die Frauen, die – Aber sie können sich doch den Tod holen! – Dazu sind sie ja
jungen Mädchen, die Kinder, die Babys, die Einbeinigen – alle hier! Das war die Antwort! In diesem Augenblick verstehe ich,
ziehen nackt vorüber. An der Ecke ein kräftiger SS-Mann, der warum ›Heckenholt-Stiftung‹ – Heckenholt ist der Chauffeur
den Armen mit lauter salbadernder Simme sagt: Euch wird nicht des Dieselmotors, dessen Abgase dazu bestimmt sind, die Ar-
Etikett einer 500g-Dose, aufgefunden in Auschwitz (links befindet sich der Aufdruck: »Vorsicht, ohne Warnstoff!«)
30
Schreiben der chemischen Fabrik Wesseling A.G. an den »Herrn Hessi- ters, 4a Ks 1/55, Abt. 461
32
schen Ministerpräsidenten und Justizminister« vom 9.6.54, HStAW, 36342- Ebd.
33
6 Strafverfahren gegen Dr. Peters, Vollstreckungsheft Dr. Peters, S. 45 (Her- Ebd.
34
vorhebungen wie im Original) Ebd.
31 35
Urteil vom 27.5.1955, Prozeß gegen Dr. Gerhard Peters, Schwurgericht/ Mechthild Wolf (Hrsg. Degussa AG), Im Zeichen von Sonne und Mond,
Landgericht in Frankfurt/M., HStAW, 33395 Strafverfahren gegen Dr. Pe- Frankfurt 1993, S. 149
13. Der Freispruch »dritter Klasse« vor einem deutschen Gericht 169
Gerhard Peters starb am 2.5.1974. Da die Peters-Prozesse in Nach dem Zusammenbruch schied ich im Herbst 1945 aus
diesem Buch keinen ihrer Bedeutung entsprechenden Platz ein- der Degesch aus mit dem Ziel, ein freies Mitarbeiterverhältnis
nehmen können, sei hier nur aus seinem Lebenslauf zitiert, wie zu ihr beizubehalten, das vertraglich zwar vorbereitet, wegen
er ihn am 9.3.1948 dem Staatsanwalt zur Kenntnis gab. des Befr. Ges. aber nicht mehr zu verwirklichen war. Stattdessen
»[...] Person: Dr. Gerhard Friedrich P e t e r s, geb. 16.3.00 in arbeite ich als Fachmann beim Ausbau des Allgemeinen Entwe-
Brüssel, [...] Beruf: Chemiker, unbestraft, ev., Spruchkammer- sungsdienstes Friedberg mit, dessen Angestellter ich bis heute
verfahren noch nicht durchgeführt, Mitglied der Partei seit 1937, bin.«36
kein Amt, SA seit Nov. 33, Rottenführer, NS Altherrenschaftsfüh- 1958, nach Prozeßende, blieb der Staatsanwaltschaft ein Pro-
rer. blem erhalten. Was sollte mit den im Peters-Prozeß als Beweis-
Nach Abschluß des Kaiser Friedrich Gymnasiums Ffm. mit mittel vorgelegten, noch gefüllten Zyklon B-Dosen geschehen?
(...-)abitur im April 1918, nahm ich bis zum 24.11.1918 als Fah- Dazu gab es einen kurzen Schriftwechsel, der hier nur am Ran-
nenjunker im Gardepionierregiment [...] 3 am Kriege teil, da- de vermerkt werden soll.
nach liess ich mich in der naturwissenschaftlichen Fakultät der Am 17.7.1958 beantwortete der Leiter der Sprengaktion Hes-
Ffm. Universität immatrikulieren, studierte vorwiegend Chemie sen der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt a.M. eine
und Physik. Schon im Herbst 1921 wurde ich von einem Freund entsprechende Anfrage:
zur Mitwirkung als Werkstudent an der ersten kleinen Blausäu- »Ich bitte zu entschuldigen, dass Ihr Schreiben vom 28. Janu-
reerzeugung der Degesch herangezogen, deren Leitung mir nach ar 1958 noch nicht beantwortet wurde. Bisher bestand im Rah-
wenigen Wochen vom damaligen Geschäftsführer der Degesch, men der Tätigkeit des Sprengkommandos keine Möglichkeit zur
Dr. Heerdt, übertragen wurde. Als Ergebnis dieser Werkstuden- Vernichtung von Cyklon B.
tentätigkeit wurde mir Anfang 1924 angeboten, den damals neu Ich hoffe, dass sich in Kürze eine Möglichkeit zur Vernichtung
eingerichteten Blausäurefabrikationsbetrieb der Dessauer Werke bietet und erhalten Sie in den nächsten Tagen weitere Nach-
für Zucker und chemische Industrie, Dessau zu übernehmen. richt.
Da ich gerade mein Studium mit dem Staatsexamen für das hö- Der Leiter der Sprengaktion in Hessen «37
here Lehrfach abgeschlossen hatte, (Physik, Chemie, Philoso- Bürokratisch wurde das Problem mit den Zyklon B-Dosen
phie) trat ich am 1.4.24 die Stelle in Dessau an. Neben dem im September 1958 »erledigt«:
Ausbau des rasch wachsenden Betriebes bereitete ich in Des- »Die bezeichneten Gegenstände wurden am 11.9.1958 zwecks
sau mich um meine Doktorarbeit vor und promovierte am Vernichtung durch den Sprengmeister Hildebrandt abgeholt.
5.3.1925 in Ffm. als Dr. phil. nat. Nach Erreichung einer Nor- DAS ASSERVAT IST ERLEDIGT.«
mal-Kapazität in Dessau suchte ich mich dem drohenden Still- Unterschrift
stand meiner Entwicklung durch Rückversetzung zur Degesch Justizobersekretär
nach Ffm. zu entziehen. Hier erhielt ich im Dez. 1928 die Lei- Asservatenverwalter. «38
tung des Labors, dessen Ausbau ich mir in den nächsten Jahren
angelegen sein liess.
Zwischendurch brachte mich der Vorschlag, eine in Ägypten
der Vernichtung ausgesetzte große Zyklonpartie an Ort und Stelle
zu regenerieren nach Ägypten und damit in Verbindung mit Ci-
trusbaumbegasung mit Blausäure. Es gelang, das neue Verfah-
ren der Degesch dort zu verbessern und anschliessend auch in
Sizilien und Spanien auszubauen.
Dies brachte mir die Handlungsvollmacht und später, nach
einer erfolgreichen Reise nach Südafrika, Prokura. Meine La-
bortätigkeit, die inzwischen in mehreren Buchveröffentlichun-
gen und wissenschaftlichen Arbeiten ihren Niederschlag gefun-
den hatte, verlagerte sich damit allmählich auf eine organisa-
torische Tätigkeit, in deren Verfolg mir Anfang 1939 die stell-
vertretende Geschäftsführung und, nach Kriegsausbruch, bei Letzte Testa-Lieferungen 1945 (aus dem Dessauer Zyklon-Versandbuch)
Weggang des Geschäftsführers Stiege die ordentliche Geschäfts-
führung übertragen wurde. Als Leiter der Degesch kam ich wäh- 36
Erklärung zur Person von Gerhard Peters gegenüber dem Staatsanwalt
rend des Krieges mit den vordringlichen Problemen der Entwe- in Frankfurt/M. am 9.3.1948, HStAW, 36342-8 Strafverfahren gegen Dr.
sung und Seuchenabwehr in Berührung, sodass mir im Mai 41 Peters, Handakte Peters I, S. 50f.
37
die Leitung des Arbeitsausschusses Raumentwesungen und Seu- Schreiben des Leiters der Sprengaktion Hessen in Wiesbaden, »Betr.:
chenabwehr und Anfang 1944 die Leitung des Produktionsaus- Strafsache Dr. Peters«, an die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frank-
furt/M. vom 17.7.1958, HStAW, 36341-1 Strafverfahren gegen Dr. Peters,
schusses Pflanzenschutz-und Schädlingsbekämpfungsmittel eh- 4a KS 3/48-4/55
renamtlich übertragen wurde. Im Zuge dieser Tätigkeit verlor 38
Asservat = amtlich aufbewahrter Gegenstand für eine Gerichtsverhand-
ich in vielen Einzelheiten den Kontakt zur Degesch, besonders lung. Schreiben der Asservatenabteilung der Staatsanwaltschaft an die
als ich nach deren Verlagerung nach Friedberg für die Ausschus- Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft Frankfurt a.M. vom 9.9.1985,
sarbeiten ein getrenntes Büro unterhielt. HStAW, 36341-1 Strafverfahren gegen Dr. Peters, 4a KS 3/48-4/55, S. 1653
Lieferwege in die Konzentrationslager ab Juni 1940, Bernburg an der Saale, Hadamar bei Limburg
jeweils ab Dezember 1940). Dazu benutzte man Kohlenmonoxid
Zyklon B-Lieferungen bzw. die Lieferung von Gaskammerzu- aus Gasflaschen. Hitler hatte im Oktober 1939 mit einem auf
behör durch Testa, Heli oder Degesch lassen sich an folgende den 1. September 1939 zurückdatierten Schreiben Reichsleiter
Konzentrationslager nachweisen (siehe auch die Karte auf Sei- Bouhler, den Leiter der Kanzlei des »Führers«, und seinen Leib-
te 2 und 3): arzt Dr. Brandt beauftragt, »unheilbar Kranken bei kritischster
KZ Lieferanten: Beurteilung ihres Krankheitszustandes« den Gnadentod zu ge-
währen.
Auschwitz Tesch & Stabenow, Degesch1 Die Nutzung des Giftgases Kohlenmonoxid beim Massen-
Majdanek Tesch & Stabenow mord an psychisch Kranken und Behinderten war – nach einer
Sachsenhausen Tesch & Stabenow, Degesch Aussage des medizinischen Leiters der ›Euthanasiemaßnah-
Ravensbrück Tesch & Stabenow
Stutthof Tesch & Stabenow
men‹, des SS-Arztes Dr. Werner Heyde – u.a. von dem Leiter
Neuengamme Tesch & Stabenow des Pharmakologischen Instituts der Universität Würzburg, Prof.
Groß-Rosen Tesch & Stabenow2 Ferdinand Flury, vorgeschlagen worden. Flury hatte während
Dachau Heerdt-Lingler3 und Tesch & Stabenow4 des Ersten Weltkriegs wie Dr. Tesch im Institut von Prof. Haber
Mauthausen Heerdt-Lingler, Slupetzki Wien5 in Berlin gearbeitet:
Buchenwald Heerdt-Lingler6 »Von Bouhler und Brack1 wurden wir gefragt, welches Tö-
Theresienstadt Degesch Prag7 tungsmittel am besten zu verwenden sei. Dabei kam zum Aus-
1
Zuerst lieferte die Testa Zyklon B zur Schädlingsbekämpfung: Vom 5. bis 11.6.1940 druck, es müsse rasch, unfehlbar und schmerzlos wirken. Wir
wurden Unterkünfte der SS-Wachmannschaften von Mitarbeitern der Testa durch- erklärten daraufhin, daß wir kein solches Mittel aus der ge-
gast. Die Degesch lieferte Zyklon B im Rahmen des Gerstein-Auftrages. bräuchlichen Pharmakologie wüßten und machten den Vor-
2
1941 war beabsichtigt, daß die Firma Tesch & Stabenow eine Entlausungskammer
in Groß-Rosen aufbaute (siehe Kapitel 15.4). schlag, es möchten Pharmakologen hierzu befragt werden. Ich
3
zumindest Lieferung von Geräten für Entlausungskammern räume ohne weiteres ein, daß ich hierfür Professor Flury, Ordi-
4
Lieferung von Zyklon B in zwei Sendungen 1943 an das »SS-Bekl. Werk Dachau« narius in Würzburg und gleichzeitig Lehrer an der Militärärzt-
(NI-11880)
5
Inbetriebnahme einer Degesch-Kreislaufkammer 1943, Lieferung von Zyklon B und lichen Akademie in Berlin, in Vorschlag gebracht habe. Es sind
Areginal und Unterrichtung von SS-Männern und Häftlingen im Gebrauch der Anlage aber außer diesem noch zwei weitere Pharmakologen um eine
durch die Heli Stellungnahme angegangen worden. Ich weiß nicht, ob diese
6
Nach einem Schreiben der Degesch von 1944 diente das Zyklon B in Theresienstadt
zur »Gebäudeentwesung«. beiden noch am Leben sind und möchte deshalb ihre Namen
nicht nennen. Alle drei Pharmakologen kamen zum Ergebnis, es
Die Lager der »Aktion Reinhard«, Belzec, Treblinka und So- komme nur ein Mittel in Frage, das diesen Ansprüchen genüge,
bibor, in denen der Massenmord mit Motorabgasen betrieben nämlich Kohlenoxyd.«2
wurde, erhielten keine Lieferungen von Zyklon B. Nur über Kohlenoxid war schon lange als Schädlingsbekämpfungsmit-
eine Ausnahme berichtete SS-Obersturmführer Kurt Gerstein tel (z.B. beim Nocht-Giemsa-Verfahren) im Gebrauch. Auch zur
in seinem Bericht vom 4.5.1945. Er hatte selbst 1942 100 kg Tötung von Tieren wurde es genutzt (wie schon der Hamburger
Blausäure in Kolin abgeholt, die er nach seiner Ankunft in Bel- Stadttierarzt 1904 berichtet hatte, s. Seite 34). Es hätte keiner
zec »zu Zwecken der Desinfizierung«, wie er schrieb, verschwin- »Versuche« bedurft, um die Wirkung von Kohlenoxid auf den
den ließ. Menschen zu klären. Doch genau dies geschah im Januar 1940
in der Tötungsanstalt Brandenburg bei Berlin, wie der SS-Arzt
und Führer im SS-Sanitätsamt Werner Heyde 1961 berichtete:
Beginn der Massenmorde mit Giftgas
in den ›Euthanasie‹-Anstalten 1
Reichsamtsleiter Brack war Untergebener von Bouhler in der Kanzlei
Die Ermordung von Menschen in Gaskammern wurde zuerst in des Führers.
2
Aussage von Dr. Werner Heyde, Beglaubigte Abschrift von Photokopie,
den ›Euthanasie‹-Anstalten durchgeführt (Grafeneck in Würt- Bestandtteil des Heyde-Verfahrens, Original beim Staatsarchiv Nürnberg,
temberg ab Februar 1940, Brandenburg an der Havel ab Febru- Nr. 2380, zitiert nach Ernst Klee, Was sie taten – was sie wurden, Frank-
ar 1940, Hartheim bei Linz ab Mai 1940, Sonnenstein bei Pirna furt, 1995, S. 279
14
Eidesstattliche Erklärung von Rudolf Höß, Nürnberg, 20.5.1946, NI –
034, S. 2a, Yad Vashem
Stammlager Auschwitz, Exekutionswand zwischen Block 10 (links) und 15
So berichtet Jean-Claude Pressac in seinem Buch: Die Krematorien von
Block 11 (rechts), Foto 1992 Auschwitz, München 1994, S. 151
16
Dr. G. Peters und E. Wüstinger: Sach-Entlausung in Blausäure-Kam-
mern, in: Zeitschrift für Hygienische Zoologie und Schädlingsbekämp-
fung, 1940, S. 191f.
Tag, als der Keller in Block 11 geöffnet worden war und man 17
SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, geb. 1906 in Solingen, war
festgestellt hatte, daß nicht alle Opfer tot waren, weiteres Zy- Leiter des sog. Referats »Judenangelegenheiten, Räumungsangelegenhei-
klon B in die Zellen. Neben Palitzsch waren bei der ersten Ver- ten« (Abteilung IV B4) im Reichssicherheitshauptamt. Nach 1945 war er
gasung von Menschen mit Zyklon B Schutzhaftlagerführer Karl zunächst unter falschem Namen in Kriegsgefangenschaft, floh und lebte
Fritzsch, der Stellvertreter von Höß, Walter Quakernak25 von später in Argentinien. Im Mai 1960 wurde er dort in einer spektakulären
Aktion verhaftet und nach Israel gebracht. Der Prozeß 1961 in Jerusalem
der politischen Abteilung, SS-Apotheker und Untersturmfüh-
führte zum Todesurteil. Eichmann wurde 1962 hingerichtet.
rer Henry Storch und der SS-Arzt Dr. Siegfried Schwela anwe- 18
Aufzeichnungen von Rudolf Höß im November 1946 aus dem Untersu-
send. Ehemalige Häftlinge erwähnten noch weitere SS-Män- chungsgefängnis Krakau, zitiert nach Martin Broszat (Hrsg.), Komman-
ner. Über SS-Oberscharführer Palitzsch äußerte sich Höß an dant in Auschwitz, Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß,
anderer Stelle: München 1994, S.238
19
Der Vater von Avner Less, ein Berliner Fabrikant, wurde in einer Gas-
»Palitzsch war die gerissenste und verschlagenste Kreatur,
kammer in Auschwitz ermordet.
die ich während meiner langen, vielseitigen Dienstzeit bei den 20
Jochen von Lang, Das Eichmann-Protokoll, Tonbandaufzeichnungen der
verschiedenen KL kennengelernt und erlebt habe. Er ging buch- israelischen Verhöre, Berlin 1982, S. 79
stäblich über Leichen um seine Machtgelüste zu befriedigen.«26 21
Unterschiedliche Zeitangaben von Zeugen; Jean Claude Pressac datiert
Die Tatsache, daß der Siedepunkt von Blausäure bei +26 0 C die erste Tötung auf den Zeitraum 5. Dezember bis Ende Dezember 1941
22
Karl Fritzsch, geb. 10.7.1903, SS-Hauptsturmführer, war bis Ende 1941
liegt und die Morde im späten Herbst in einem ungeheizten
Schutzhaftlagerführer in Auschwitz, danach Kommandant im KZ Flos-
Kellergeschoß stattfanden, erklärt die lange Dauer dieser »Ver- senbürg. Er soll im Mai 1945 gestorben sein.
gasung«. Möglicherweise kannten die Täter zudem die für so- 23
Aufzeichnungen von Rudolf Höß aus dem Untersuchungsgefängnis Kra-
viele Menschen tödliche Dosierung des Blausäuregases noch kau im November 1946, zitiert nach: Martin Broszat (Hrsg.), Komman-
nicht genau. Die Opfer wurden im Krematorium des Stammla- dant in Auschwitz, Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß,
München 1994, S. 240f.
gers eingeäschert. Dafür war ein Zeitraum von ein bis zwei 24
SS-Hauptscharführer Gerhard Palitzsch brachte den ersten Häftlings-
Wochen erforderlich. transport aus Sachsenhausen im Mai 1940 nach Auschwitz. Dort wurde er
Höß berichtet, daß Schutzhaftlagerführer Karl Fritzsch ihn Rapportführer. 1943 erhielt er eine Aufgabe als Kommandoführer des Au-
nach seiner Rückkehr über die Ermordungen in Kenntnis setz- ßenlagers in Brünn. Wegen eines Verhältnisses mit einer Jüdin, die als Häft-
te: ling im Lager war, wurde er von der SS verhaftet, erhielt ›Frontbewäh-
rung‹ und soll im Dezember 1944 in Ungarn gefallen sein (vergl. Adler/
»Nach meiner Rückkehr meldete er mir dies, und beim näch-
Langbein, Auschwitz, Hamburg 1994, S. 312)
sten Transport wurde wiederum dies Gas benutzt. Die Verga- 25
Walter Quakernak, geb. 1907 bei Bielefeld, war SS-Hauptscharführer
sung wurde in den Arrestzellen des Block 11 durchgeführt. Ich der politischen Abteilung in Auschwitz. Von einem britischen Militärge-
habe mir die Tötung durch eine Gasmaske geschützt, angese- richt in Celle wurde er im Mai 1946 zum Tod verurteilt und hingerichtet.
26
hen.«27 Zitiert nach: Martin Broszat (Hrsg.), Kommandant in Auschwitz, Auto-
biographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß, München 1994, S. 137
Karl Fritzsch hielt sich offenbar selbst für den Urheber der 27
Aufzeichnungen von Rudolf Höß im November 1946 aus dem Untersu-
Einführung von Zyklon B bei der Vergasung von Menschen.28 chungsgefängnis Krakau, zitiert nach: Martin Broszat (Hrsg.), Komman-
Bald nach dem ersten Massenmord mit Zyklon B in Block dant in Auschwitz, Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß,
11 wurde ein Raum (16,8 m mal 4,6 m) von etwa 77 Quadrat- München 1994, S. 188
28
metern im an das Krematorium angrenzenden Gebäude als Gas- Dies geht aus dem Zeugnis des ehem. SS-Hauptsturmführers Kahr her-
vor (Nürnberger Dokument NO-1948), der als Lagerarzt in den Konzen-
kammer eingerichtet (mit gasdichten Türen, Luken zum Ein-
trationslagern Buchenwald und Dora mit Fritzsch zu tun hatte. (vergl.
wurf von Zyklon B und einer Lüftungsanlage). Diese erste zur Broszat, a.a.O, S. 240). Nach der Zeugenaussage von Buchhalter Sehm im
Ermordung von Menschen installierte Gaskammer wurde vom Prozeß gegen Dr. Tesch 1946 in Hamburg kam laut einem Geschäftsreise-
Herbst 1941 bis zum Oktober 1942 betrieben. Höß berichtete: bericht der Vorschlag zur Nutzung von Zyklon B von Tesch selbst.
29
Aufzeichnungen von Rudolf Höß im November 1946 aus dem Untersu-
chungsgefängnis Krakau, zitiert nach: Martin Broszat (Hrsg.), Komman-
dant in Auschwitz, Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß,
München 1994, S. 189
30
Bzw. der Zeitangabe von Pressac folgend, im Winter 1941/42
31
Aufzeichnungen von Rudolf Höß im November 1946 aus dem Untersu-
chungsgefängnis Krakau, zitiert nach Martin Broszat (Hrsg.), Komman-
dant in Auschwitz, Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß,
München 1994, S. 189f.
32
Ebd., S. 190
Häftlingsbaracke in Auschwitz-Birkenau (Foto 1992) 33
Eidesstattliche Erklärung von Rudolf Höß, Nürnberg, 20.5.1946, NI-
034, S. 2
34
Übersetzung aus dem englischen Gerichtsprotokoll, PRO, JAG No. 71,
S. 284, Dr. Tesch: »Ich hatte nie irgendwelche persönlichen Beziehungen
Auschwitz-Birkenau, drei Kilometer vom Stammlager entfernt, zur SS, mit Ausnahme Oberführer Mrugowsky.«
war ab 1942 Vernichtungslager. Im Januar dieses Jahres waren 35
Eidesstattliche Erklärung von Rudolf Höß, Nürnberg, 20.5.1946, NI –
in einem Bauernhaus in Auschwitz-Birkenau zwei Gaskammern 034, S. 3f.
36
gebaut und in Betrieb genommen worden. Diese Anlage erhielt Übersetzung aus dem englischen Gerichtsprotokoll, S. 293, PRO, JAG
71
die Bezeichnung »Bunker 1«. Über der Eingangstür befand sich 37
Der erste, der den Begriff »Sonderbehandlung« mit Blick auf die Juden
die Aufschrift »Zum Bad«, an der Innenseite einer Tür, die nach verwendete, war offensichtlich Reichspräsident Paul von Hindenburg. Er
außen führte, stand »Zur Desinfektion«. Die in zwei Räume hatte Hitler im April 1933 gebeten, die diskriminierenden Gesetze nicht
unterteilte Gaskammer konnte gleichzeitig etwa 800 Personen auf jüdische Staatsbedienstete, die oder deren Angehörige im Ersten Welt-
fassen. krieg verwundet worden waren, auszudehnen – von den Personen abgese-
hen, bei denen es »Grund für eine Sonderbehandlung« gebe. (vergl. Israel
»Es kamen nun im Frühjahr 1942 die ersten Judentransporte
Gutmann, Enzyklopädie des Holocaust, Jerusalem 1989, Bd. III, S. 1362).
aus Oberschlesien, die alle zu vernichten waren. Sie wurden Neben dem Begriff der »Sonderbehandlung« gab es weitere, den wirkli-
nach dem Bauerngehöft – Bunker I – von der Rampe über die chen Sachverhalt verschleiernde Ausdrücke im NS-Spachgebrauch, z.B.
Wiesen des späteren Bauabschnitts II geführt.«40 »Umsiedlung«, »Abwanderung« oder »Aktion«.
38
Ab Juni 1942 wurde ein zweites Bauernhaus, der »Bunker Document NO-2363
39
Document NO-2362
II« mit vier Gaskammerräumen zur Ermordung von Menschen 40
Aufzeichnungen von Rudolf Höß im November 1946 aus dem Untersu-
umgebaut. Dabei orientierte man sich an den Entlausungsanla- chungsgefängnis Krakau, zitiert nach Martin Broszat (Hrsg.), Komman-
gen der Degesch, deren Kammern parallel zueinander angeord- dant in Auschwitz, Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß,
net waren. Die Gaskammern hatten eine Gesamtfläche von München 1994, S. 191
69
Bericht von Feliks Siejwa, Häftling des Feldes III in Majdanek, Lublin
1964, aus: Anna Wisnieska und Czeslaw Rajca, Das Konzentrationslager
Majdanek, Lublin 1988, S. 71f.
70
Das Lager war in fünf »Felder« aufgeteilt, in denen unterschiedliche
Gruppen von Häftlingen getrennt untergebracht waren.
71
Mitteilung der Testa zur Beantragung der Eisenzuteilung Jozef Marszalek, Majdanek, Konzentrationslager Lublin, Warszawa 1984,
S. 139
72
StA Düsseldorf AZ: 8 Ks 1/75- Urteil vom 30.6.1981, S. 81 (ZSL: Sam-
Um die Abwicklung eines anderen Auftrages aus Majdanek melakte 577), zitiert nach E. Kogon u.a., Nationalsozialistische Massentö-
kümmerte sich Dr. Tesch angesichts der schwierigen Versor- tungen durch Giftgas, Frankfurt 1989, S. 245
73
Eidesstattliche Erklärung von Testa-Buchhalter Alfred Zaun vom
gungslage auch persönlich (siehe Dokument auf S. 184). 24.10.1945, NI-11 396
Während des Krieges war es wichtig, den Materialverbrauch 74
Eugen Kogon u.a. Nationalsozialistische Massentötungen durch Gift-
so gering wie möglich zu halten. Deshalb bot Tesch seinen Kun- gas, Frankfurt/M. 1986, S. 248
ZYKLON-B
Wir schreiben Ihnen hiermit gut für von unserem Lieferwerk Dessau als
wiederverwendungsfähig befundenes ZYKLON-Packmaterial:
99
Übersetzung aus dem englischen Gerichtsprotokoll, Seite 220-222, PRO,
JAG 71
100
Ebd.
101
Zeitungsbericht im Hamburger Echo, 24.4.1946
102
Schreiben des Staatssekretärs für das Gesundheitswesen an den Reichs-
führer SS, Heinrich Himmler, vom 1.10.1943; BA-P, S 713 P
103
Schreiben der Feld-Kommandostelle, SS-Obersturmbannführer (Un-
terschrift unleserlich, Kürzel Bra/Bn), an den Gesundheitsführer SS-Grup-
penführer Conti, vom 8.10.1943, gekennzeichnet als »Geheime Reichssa-
che«, ebd.
Fernschreiben von Dr. Grawitz an Dr. Brandt; trotz der erfolgreichen 104
Grawitz beging im April 1945 Selbstmord.
Erprobung des Verfahrens wurden die Versuchsreihen besonders auf 105
Rudolf Brandt wurde im Nürnberger Ärzteprozeß (25.10.1946-
Drängen von Dr. Poppendick bis Anfang 1945 fortgesetzt 20.8.1947) zum Tod verurteilt.
106
Schreiben des Reichsarztes, Dr. Helmuth Poppendick, betr. »Kampf-
stoffentgiftung von Wasserreservoiren«, gekennzeichnet als »Geheime
Reichssache« an den Persönlichen Stab des Reichsführers SS, z. Hd. SS-
Standartenführer Brandt, vom 23.11.1944; BA-P, S 713 P
107
Anm.: K-Stoff=Kampfstoff, W-Säure=Wirksäure, Schreiben von SS-
Oberführer Poppendick an den Persönlichen Stab des Reichsführers SS, z.
Hd. SS-Standartenführer Brandt, Betr. »Kampfstoffentgiftung von Was-
serreservoiren«, gekennzeichnet als »Geheime Reichssache«, vom
20.12.1944, ebd.
108
Schreiben der Feld-Kommandostelle des Reichsführers SS (Standar-
tenführer Brandt), an SS-Oberführer Poppendick, vom 31.12.1944; ebd.
109
Schreiben von SS-Oberführer Poppendick an den Persönlichen Stab
des Reichsführers SS, z. Hd. SS-Standartenführer Brandt, Betr. »Kampf-
stoffentgiftung von Wasserreservoiren«, gekennzeichnet. als »Geheime
Reichssache«, vom 8.2.1945; ebd. (Hervorhebungen wie im Original)
110
Schreiben der Feldkommandostelle an SS-Oberführer Dr. Poppendick,
Betr. »Kampfstoffentgiftung von Wasserreservoiren«, vom 14.2.1945; BA-
Schreiben von Dr. Poppendick an Dr. Brandt vom 8.2.1945 P, S 713 P (Hervorhebungen wie im Original)
Dachau (Lieferanten: Heli und Testa) tung, daß es sich beim Bau der »Baracke X« um eine Gaskam-
mer mit Krematorium handelte. Ich erklärte meinen Kamera-
Ob in dem schon 1933 – vor den Toren Münchens – errichteten den, daß ich nicht bereit sei, dieses Vorhaben zu bauen. Meine
Konzentrationslager Dachau Tötungen durch Giftgas vorgenom- Kameraden machten mir im Verlauf der Diskussion klar, daß die
men wurden, konnte bisher nicht durch Dokumente eindeutig SS sich von keinem Häftling daran hindern lassen werde, ihren
belegt werden. Es gibt dazu widersprüchliche Aussagen. In Film- Plan zu realisieren. also stehe für mich nicht die Frage der Ab-
aufnahmen nach der Befreiung zeigte ein amerikanischer Kriegs- lehnung, sondern der Verhinderung des Baus! Sabotage also!«3
berichterstatter die Innenräume des Krematoriums, den Raum Wagner war anscheinend erfolgreich: Der Beton band falsch,
mit den vier Verbrennungsöfen und eine Gaskammer, einen fen- die Fundamente erwiesen sich als zu schwach, der Mörtel im
sterlosen Raum, in dessen Betondecke runde durchlöcherte Mauerwerk zerkrümelte, so daß ganze Bauteile wieder abgeris-
Metallkappen eingelassen waren. sen werden mußten. Unter dem neuen Lagerkommandanten
Der Stabsarzt der Luftwaffe, Dr. Sigmund Rascher, der in Gottfried Weiß wurde Baukapo Wagner abgelöst. Trotz aller
Dachau medizinische Versuche an Menschen durchführte, Sabotageanstrengungen war die Fertigstellung der Gaskammer
schrieb am 9.8.1942 an Heinrich Himmler eine Begründung schließlich doch nicht aufzuhalten. Nach dem bisherigen Er-
für geplante Versuche in der Dachauer Gaskammer: kenntnisstand wurde die Gaskammer im großen Krematorium
»Wie Sie wissen, wird im KL Dachau dieselbe Einrichtung nicht mehr in Betrieb genommen. Der Grund dafür ist unklar.4
wie in Linz gebaut. Nachdem die ›Invalidentransporte‹ sowieso Nach dem Krieg erinnerte sich die Sekretärin von Dr. Heerdt
in bestimmten Kammern enden, frage ich, ob nicht in diesen und spätere Prokuristin der Firma Heerdt-Lingler H.E. an Lie-
Kammern an den sowieso dazu bestimmten Personen die Wir- ferungen für Gaskammern in Dachau:
kung unserer verschiedenen Kampfgase erprobt werden kann? »Ich weiss aber von Dachau, welches in unserem Gebiet lag,
Bis jetzt liegen nur Tierversuche bez. Berichte über Unfälle bei dass dort 4 Kammern vorgesehen oder im Bau waren, für die
Herstellung dieser Gase vor. Wegen dieses Absatzes schicke ich wir auch die Geräte geliefert hatten, die aber nie funktioniert
den Brief als ›Geheimsache‹.«1 haben.«5
Im Prozeß des amerikanischen Militärgerichtes 1945 sagte Nachweisbar ist außerdem, daß die Firma Tesch & Stabenow
als Zeuge der tschechische Häftlingsarzt Dr. Frantisek Blaha 1943 Zyklon B in zwei Sendungen an das »SS-Bekl. Werk,
aus, der in Dachau zum Obduzieren eingesetzt wurde. Er er- Dachau« lieferte, obwohl Dachau zum Einzugsgebiet der Heli
klärte, in der Gaskammer von Dachau seien »Versuchsverga- gehörte.6
sungen« durchgeführt worden. Er habe selbst Häftlinge in der
Gaskammer untersuchen müssen. 1946, als Zeuge vor dem In-
ternationalen Militärgerichtshof, erklärte er: Buchenwald (Lieferant: Heli)
»Viele Gefangene wurden später auf diese Art und Weise ge-
tötet.«2 Durchgasungen von Räumlichkeiten und Gebäuden mit Zyklon
Hans Günter Richardi berichtete von dem Dachauer Häftling B hatten den Zweck, den Menschen u.a. vor Fleckfieber zu schüt-
Karl Wagner, der im Frühjahr 1942 vom Lagerkommandanten, zen. Der Erreger (Rickettsia Prowazeki) wurde von der Klei-
SS Obersturmbannführer Alex Piorkowski, die Anweisung er-
hielt, mit einem Arbeitskommando, das hauptsächlich aus Pfar-
1
rern bestand, eine geplante neue Anlage mit der Tarnbezeich- Schreiben von Dr. Sigmund Rascher an Heinrich Himmler vom 9.8.1942,
Bundesarchiv, Signatur NS 19/589, BA-P
nung »Gebäude X« bzw. »X-Baracke« zu bauen. Der zum Bau- 2
Aussage von Frantisek Blaha vor dem Internationalen Militärgerichtshof
kapo ernannte Wagner erkannte an der Bauzeichnung, daß für 1946, NI 3249-PS, zitiert nach E. Kogon u.a., Nationalsozialistische Mas-
das geplante Krematorium auch eine als Brausebad getarnte sentötungen durch Giftgas, S. 280
Gaskammer vorgesehen war. Zuerst überlegte er, das Gebäude 3
Schreiben von Karl Wagner an das Comité International de Dachau vom
in die Luft zu sprengen oder Gasleitungen in den Raum der SS 19.6.1997, zitiert nach: Hans-Günter Richardi, Der gerade Weg, Dachauer
Hefte 7, Solidarität und Widerstand, München 1995, S. 72
zu legen. 4
Ebd., S. 74
»Nachdem ich den Plan eingesehen hatte und mir zunächst 5
Befragung der Zeugin H. E. durch den Staatsanwalt am 13.4.1948, HStAW,
allerlei tollkühne Gedanken durch den Kopf gegangen waren, 36342-8 Strafverfahren gegen Dr. Peters, Handakte Peters I, S. 107
informierte ich meine Kameraden der illegalen Widerstandslei- 6
NI-11880 cont‘d
B direkt an Kolin gewandt. Diese mußten sich nun den Auftrag derlich geworden, auch den Einsatz zu steuern. Dies konnte im
von der Degesch in Prag bestätigen lassen. zivilen Verbrauch durch Herabsetzung der Gasstärke gesche-
»Theresienstadt ist an uns am 26. ds. telefonisch mit der Bit- hen, teilweise auch dadurch, daß mehr als bisher andere – auch
te um ausserordentliche Zuteilung von 400 kg Zyklon B heran-
getreten. Wir haben diese Menge ausnahmsweise zugesagt und 7
SS-Sturmbannführer Dr. Ding-Schuler wurde mit der Durchführung be-
ersuchen Sie, uns ordnungshalber Ihren schriftlichen Abruf ein- auftragt.
zusenden.«14 8
David A. Hackett, Der Buchenwald-Report, München 1996, S. 99
Die Kaliwerke sandten das Zyklon B für Theresienstadt an 9
Ebd., S. 266
10
folgende Adresse: Schreiben der Heerdt-Lingler GmbH an die Bauleitung der Waffen-SS
»Der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und Polizei, Weimar Buchenwald, betr. »K.L. Buchenwald – Inbetriebset-
zung der Degesch-Kreislauf-Enlausungskammer«, vom 21.09.1943; NI-
und des SD, 7962, -1-, BA-P, S 40303
Zentralamt für die Regelung der Judenfrage 11
»Reisebericht über den Besuch in Münster und Buchenwald vom 13. bis
in Böhmen und Mähren, einschl. 14.6.44« von Richard Irmscher, Frankfurt/M., 19.06.1944; NI –
Dienststelle in Theresienstadt«15 14351, BA-P, S 40307 (Hervorhebungen wie im Original)
12
1944 schrieb die Degesch in Frankfurt an den »obersten Hy- Befragung von Erich Wüstinger durch den Staatsanwalt am 14.4.1948,
HStAW, 36342-8 Strafverfahren gegen Dr. Peters, Handakte Peters I, S.
gieniker« (Dr. Mrugowsky, Hygiene-Institut der Waffen-SS, 112
Berlin) wegen der Einschränkung der Zyklon-Lieferungen an 13
Ebd.
das KZ Theresienstadt. Sie kündigte auch den Besuch ihres 14
Schreiben der Kaliwerke Aktiengesellschaft Kolin, Protektorat Böhmen
Mitarbeiters Dr. Rasch im Konzentrationslager an: und Mähren, an die Degesch Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung m.b.
»Die SS in Theresienstadt verbraucht erhebliche Mengen von H. Prag II. Wenzelplatz 11, vom 30.5.1944, betr. »Befehlshaber der Si-
cherheitspolizei und des SD, Theresienstadt«, NI-11903, BA-P, S 40307
ZYKLON für Gebäudeentwesungen, die sie mit eigenem Perso- 15
Schreiben der Kaliwerke Aktiengesellschaft vom 27.5.1944 zur Liefe-
nal ausführt. Da nun in der letzten Zeit die Erzeugung von rung von 10 Kisten Blausäure Zyklon B nach Theresienstadt im Auftrag
ZYKLON erheblich eingeschränkt werden mußte, ist es erfor- der Degesch in Prag, NI-4904-I-, BA-P, S 40307
Ein Häftling verweigert einen Mordbefehl:1 beitszeit etwas aß. Sein Verhalten wurde mit einer Stunde »Pfahl-
Phenolinjektionen und Blausäuretötungen in hängen« geahndet. Bei dieser Tortur wurde der Häftling an sei-
Neuengamme nen auf dem Rücken zusammengebundenen Händen aufgehängt.
Anschließend kam er in die Strafkompanie. Hierzu sagte Fritz
Fritz Bringmann wurde 1918 als sechster Sohn einer Arbeiter- Bringmann:
familie in Lübeck geboren. Er war, wie er es ausdrückte, im »Wenn man in Sachsenhausen oder überhaupt in einem Kon-
politischen Bereich »familiär vorbelastet« – Vater und Großva- zentrationslager einmal aufgefallen war, dann war das so, als
ter waren Mitglieder der SPD. Seine Brüder gehörten zunächst wenn man eine rote Lampe über dem Kopf hatte. Man war bei
der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), dem Jugendverband den SS-Leuten bekannt, und das konnte dazu führen, daß man
der SPD, und später dem kommunistischen Jugendverband an. bei der geringsten Geschichte eine erneute Meldung bekam.«
Fritz Bringmann besuchte den Literaturzirkel in der SAJ. Als Fritz Bringmann war deshalb daran interessiert, in ein ande-
15jähriger wurde er 1933 zum ersten Mal von der Polizei abge- res Lager verbracht zu werden. Dies gelang ihm durch seine
holt und verhört, die eigentlich einen seiner Brüder aufgrund Kontakte zu Häftlingen in der Schreibstube. Dort wurde er als
politischer Aktivitäten suchte. Drei seiner Geschwister verhaf- Handwerker geführt, und solche Arbeitskräfte benötigte man
tete man deshalb später. beim Aufbau weiterer Konzentrationslager.
Die Firma, bei der Fritz Bringmann als Klempnerlehrling Im September 1940 überstellte man ihn in das KZ Neuen-
arbeitete, hatte Reparaturarbeiten im Lübecker Gefängnis aus- gamme. Die hygienischen Verhältnisse in Neuengamme waren
zuführen. Bei dieser Gelegenheit gelang es ihm, vorbereitete mit denen von Sachsenhausen nicht vergleichbar, es war dort
Fluchtpläne mit seinem dort inhaftierten Bruder zu besprechen. viel primitiver. Anfangs mußten sich die Häftlinge im Freien
Die Flucht scheiterte jedoch, als der Gefangene in eine Gemein- waschen, und ein »Donnerbalken« diente als Toilette. Fritz
schaftszelle verlegt wurde. Bringmann wurde zunächst wenige Tage bei Aushebungsarbei-
Die Enttäuschung darüber war einer der Gründe für die anti- ten eingesetzt und sollte dann als Vorarbeiter in der Strafkom-
faschistischen Aktivitäten von Fritz Bringmann. In der Nacht panie von Neuengamme unter einem Kapo arbeiten, der »nur
vor dem ersten Mai 1935 wollte er mit Freunden auf das Dach mit dem Knüppel herumlief und auf die Mithäftlinge eingedro-
der Firma »Marmor-Rother«, das gut von der Marienbrücke in schen hat«.
Lübeck einsehbar war, eine Parole gegen Hitler malen. Von ihm erwartete der Kapo das gleiche Verhalten:
Sie kamen nur bis »Nieder mit ...«, dann wurden sie gestört »Ich bin dann gleich am ersten Tag mit ihm zusammengerakt,
und mußten fliehen. Bei einer Hausdurchsuchung entdeckte die erstens, weil ich keinen Stock in die Hand nahm und zweitens,
Polizei später farbverschmierte Kleidungsstücke. Fritz Bring- weil ich beim Schieben der Loren mitgeholfen habe.«
mann wurde verhaftet und vom Hanseatischen Oberlandesge- Wenig später versetzte man ihn zur Abladekolonne, in der
richt zu zwei Jahren Gefängnis wegen Vorbereitung zum Hoch- die Häftlinge Zement und auch schweren Kies transportieren
verrat verurteilt. Ein Jahr der Untersuchungshaft wurde bei der mußten. Dort blieb er bis Februar oder März 1941.
Strafe angerechnet und der Rest zur Bewährung ausgesetzt. Aber Bald erhöhte sich in Neuengamme die Belegungszahl und
gleich nach Prozeßende 1936 verhaftete ihn die Gestapo erneut. damit auch der Krankenstand. Man stellte Fritz Bringmann dem
Er hatte im Gerichtsverfahren auch über Gestapo-Mißhandlun- Lagerarzt Dr. Jäger vor, der zustimmte, ihn künftig als Sanitäter
gen berichtet. einzusetzen.
Man verschleppte ihn in das Konzentrationslager Sachsen- Am 22.6.1941 überfielen deutsche Truppen die Sowjetunion.
hausen, wo er in den ersten drei Monaten Planierungsarbeiten Im Oktober 1941 kamen eintausend sowjetische Kriegsgefan-
mit Schaufel und Lore ausführte. Nach einem Jahr wurde er als gene in ein abgetrenntes Sonderlager, das innerhalb des KZ Neu-
Läufer im Revier eingesetzt. Er mußte Unterlagen zwischen Arzt engamme errichtet worden war. In diesem Lager arbeitete der
und Kommandantur hin- und zurücktransportieren. Als es dort Häftling Bringmann unter dem SS-Sanitäter Bahr. Als deutscher
im Winter die ersten Erfrierungen, aber zu wenig Sanitäter gab,
wurde er unter Anleitung eines medizinisch erfahrenen Häft- 1
Der Bericht ist die Zusammenfassung eines Gesprächs mit Fritz Bring-
lings zur Wundbehandlung mit herangezogen. In Sachsenhau- mann vom 13.5.1996 und eines anschließenden Schriftwechsels. Diese
sen geriet er 1940 ins besondere Blickfeld der Wachmannschaf- Fassung mit wörtlichen Zitaten von Fritz Bringmann wurde von ihm 1996
ten, als er einmal dabei angetroffen wurde, daß er in der Ar- autorisiert.
Bei einer zweiten Aktion im November 1942 wurden 251 lassen wurde, mußte er englischen und amerikanischen Offi-
sowjetische Kriegsgefangene im Arrestbunker mit dem Blau- zieren in Bremen von seinen Erfahrungen in den Konzentrati-
säuregas ermordet. onslagern berichten.
Mitte Oktober 1942 brachte man Fritz Bringmann in ein »Bremen wurde – ich glaube, es war am 26. April – besetzt.
Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme nach Als sich Anfang Mai noch nichts getan hatte, habe ich mich zum
Osnabrück. Als das Lager dort aufgelöst wurde, verlegte man Direktor vorgemeldet, und nicht nur ich, sondern einige andere,
ihn nach Bremen, wo er bei Aufräumungsarbeiten in den durch Politische auch. Es hat dann keine zwei Tage gedauert, bis ich
Bomben zerstörten Stadtteilen eingesetzt wurde. zu einem amerikanischen Offizier gebracht wurde. Der ließ mir
»Ich bin dann geflohen und wieder ergriffen worden. Im No- durch einen Dolmetscher erklären, daß eine Überprüfung statt-
vember 1944 wurde ich wegen Diebstahl vom Sondergericht in finden und danach die Entlassung erfolgen würde. Wenige Tage
Bremen zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Als entflo- darauf kam dann die Vorstellung bei der Kommission. Dort waren
hener Häftling war ich vorher – um meinen Lebensunterhalt zu drei Offiziere, von beiden Mächten. Die haben mich über das
ermöglichen – auf Diebstahl angewiesen. Vielleicht ist die Ver- KZ befragt. Dann hat es noch zwei Tage gedauert, bis ich im
haftung meine Lebensrettung gewesen. Mai entlassen wurde.«
Nachdem ich die Gerichtsverhandlung hinter mir hatte und Fritz Bringmann sagte 1946 im Neuengamme-Prozeß der
in das Zuchthaus Oslebshausen überführt worden war, kamen britischen Militärregierung auch zu seiner Befehlsverweigerung
mir die Verhältnisse gegenüber der Massenunterbringung in den gegenüber SS-Sanitäter Bahr aus. Der Richter fragte zweimal
Baracken des Konzentrationslagers fast wie eine Erholung vor. nach. Eine Befehlsverweigerung durch einen Häftling war ihm
Die Unterbringung in einer Einzelzelle leitete eine ruhige Zeit sonst nicht bekannt. Der Angeklagte Bahr bestätigte später bei
ein, ohne den willkürlichen Terror der SS-Schergen. Wenn es auch seiner Vernehmung im Hamburger Curiohaus die Angaben sei-
vereinzelt Justizbeamte gegeben hat, die uns gegenüber schäbig nes früheren Untergebenen.
waren, ging dort alles geregelter zu. Aufgrund meiner Lebens- 50 Jahre später verglich Fritz Bringmann die Gerichtsverfah-
erfahrungen im KZ habe ich mir im Zuchthaus nichts gefallen ren gegen ihn vor 1945 mit der Verhandlungsführung des briti-
gelassen. Einzige Belastung war die Gefahr durch die Bombar- schen Militärgerichtes 1946:
dierungen Bremens.« »So eine faire Verhandlung hätte ich mir damals vor dem
Nach Kriegsende verzögerte sich die Befreiung für den Straf- Hanseatischen Oberlandesgericht in Lübeck oder vor dem Son-
gefangenen Fritz Bringmann. Bevor er aus dem Gefängnis ent- dergericht in Bremen auch gewünscht.«
2
Während unserer Arbeit an dieser Dokumentation hatte ich die Möglich-
keit, eine ehemalige Mitarbeiterin der Firma Tesch & Stabenow zu ihren
Lebenserfahrungen zu befragen. Das Ergebnis dieser Gespräche (1993 und
1996) wird im folgenden Text zusammengefaßt. Dabei konnte ich aus dem
handschriftlichen Bericht der Zeitzeugin zitieren. Diese Fassung wurde
von ihr autorisiert. Sie selbst möchte nicht namentlich erwähnt werden.
Deshalb wurde im Text und in den abgebildeten Dokumenten ihr Name
unkenntlich gemacht.
3
Zeugnis der Firma Wiko, Hamburg, den 30. Juni 1938, gez. Behr, Privat-
besitz.
4
Schriftlicher Bericht von Frau F., 1996
5
Ebd.
17.1 Die Abwicklung von Tesch & Stabenow und die »neue Testa« 209
Hamburg, zum Treuhänder bestellt worden und hat dadurch auch »Schiffsentwesungen mittels T-GAS/Aethylenoxyd vornehm-
die Eigenschaft als Abwickler erworben.«8 lich in Einzelräumen werden nach wie vor von unserer Firma
Vom Kriegsende bis Ende 1949 beschäftigte die Testa drei ausgeführt. In früheren Jahren hatte die Firma Tesch & Stabe-
Verwalter mit ihrer Auflösung: Dr. Hugo Stoltzenberg, Alfred now allein die Möglichkeit, T-Gasungen im Hamburger Hafen
Lohmann und schließlich Anton von Below. Der neue Abwick- auszuführen. [...]
ler benötigte etwa ein dreiviertel Jahr für seine Arbeit. Am 21. Z. Zt. besteht jedoch das Hauptvertreterverhältnis zwischen
Dezember 1949 wurde im Handelsregister das Erlöschen der der T-Gasproduzentin, nämlich der DEGESCH (Deutsche Ge-
Firma Tesch & Stabenow festgestellt: sellschaft für Schädlingsbekämpfung m.b.H., Frankfurt/Main)
»Die Gesellschaft ist aufgrund § 2 des Löschungsgesetzes und Tesch & Stabenow nicht in vollem Umfange, so daß T-GAS
vom 9. Oktober 1934 gelöscht worden.«9 – bezw. Aethylenoxyd-Lieferungen in dem Hamburger Gebiet
Im Jahre 1978 gibt es einen letzten Bearbeitungshinweis im nicht über unsere Firma gelaufen sind. Es ist uns bekannt ge-
Handelsregister Hamburg zur Testa. Der Vermerk besteht aus worden, daß Bestrebungen im Gange sind, das wegen seiner
zwei Stempeln mit folgendem Text: Explosibilität so gefährliche T-GAS jetzt auch in die Hände un-
»Akten vernichtet bedeutenderer Firmen zu geben, womit das Gefahrenmoment
15. SEP. 1978«10 nicht unerheblich wächst. [...]
1947 wurde eine neue Schädlingsbekämpfungsfirma in Ham- Die DEGESCH wird nämlich nach jetzt erfolgter Klärung
burg gegründet. Im Gesellschaftervertrag war ihr Name festgelegt: unserer Verhältnisse der aus der Firma Tesch & Stabenow er-
»§1 wachsenden Firma TESTA wieder ihre Hauptvertretung in sämt-
1) Die Firma der Gesellschaft lautet: ›Testa‹ lichen DEGESCH-Verfahren übertragen, so daß die TESTA von
Internationale Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mit sich aus in den mit den einzelnen T-GAS-Beziehern einzugehen-
beschränkter Haftung. den Lieferungsverträgen die Handhabe erhält, ihre Wünsche in
Hierbei ist der Zusatz ›Testa‹ eine Abkürzung von ›Techni- jeder Hinsicht nach eigenem Ermessen zu berücksichtigen. In
sche Entwesungsstation‹«.11 diesem Falle werden Hamburger Schädlingsbekämpfungsfirmen
Die Kunden der alten Testa mußten sich für ihre Zusammen- im Hamburger Hafen nicht die Möglichkeit haben, mittels T-
arbeit mit dem neu gegründeten – und bis Ende 1949 parallel GAS auf Schiffen Einzelraumentwesungen auszuführen.
zu der bisherigen Firma existierenden Unternehmen – keinen Es ist hiernach unser Wunsch, daß die in früheren Jahren
neuen Namen merken. zwischen dem Hafenärztlichen Dienst und Tesch & Stabenow
Das Stammkapital der neuen Testa von 20.000 Mark brach- getroffenen Abmachungen auch von Ihnen in Zukunft gebilligt
ten je zur Hälfte Dr. Karl Joachimhans Drosihn und Dr. Speet- werden, wenn auch in der Zwischenzeit immerhin die Möglich-
zen in das Unternehmen ein. Der frühere Durchgasungsfach- keit bestanden haben mag, daß andere Firmen im Hafen mittels
mann und Zoologe der alten Testa, Dr. Drosihn, wurde als Ge- T-GAS bezw. Aethylenoxyd arbeiteten.«12
schäftsführer der neuen Testa in das Handelsregister (HRB 4642) Am 27.11.1947 unterzeichneten Dr. Drosihn für die Testa und
eingetragen. Direktor Stiege für die Degesch in Frankfurt einen Vertrag, der
Dr. Drosihn konnte an die gute Zusammenarbeit zwischen die »neue Testa« zur Hauptvertretung der Degesch machte. Ein-
Tesch & Stabenow und Hamburger Behörden anknüpfen. In ei- zige Voraussetzung war, daß die Testa für alle in ihrem Bezirk
nem Schreiben an den Direktor des Hafenärztlichen Dienstes, befindlichen Gebiete die behördliche Genehmigung für die
Dr. Boch, erwähnte er im September 1947, noch auf dem Brief- Ausführung von Durchgasungen erhalten mußte. Für die Zu-
papier der alten Firma, daß die neue »aus der Firma Tesch & lassungsfragen waren zunächst die jeweiligen Besatzungsmäch-
Stabenow erwachsende Testa« wieder Hauptvertreterin der De- te, später die Länderregierungen zuständig. Die Testa sollte –
gesch würde. Andere, »unbedeutendere« Firmen sollten – wie so sicherte die Degesch zu – immer zu gleichen Preisen wie die
vor dem Krieg – die Degesch-Verfahren nicht nutzen dürfen. westelbische Hauptvertretung Heerdt-Lingler beliefert werden.
17.1 Die Abwicklung von Tesch & Stabenow und die »neue Testa« 211
Der Geschäftsbericht der »neuen Testa« von 1953 beschreibt
das Verhältnis zwischen »neuer« und »alter« Testa ausführlich
und spricht von einer Wiederaufnahme der Tesch & Stabenow-
Tätigkeit:
»Die TESTA wurde im Jahr 1947 von den Herren Dr. Drosihn
und Dr. Speetzen als Gesellschafter mit je RM 10.000,— Stamm-
einlage gegründet, um den technischen Betrieb der seinerzeit in
Liquidation befindlichen, seit 1924 bestehenden Firma Tesch &
Stabenow aufzufangen und unter neuer Firma weiterzuführen.
Die Neugründung der Testa erfolgte am 29.8.1947 [...] in en-
gem Einvernehmen mit der DEGESCH. Es konnten insbeson-
dere dank dem Interesse und dem persönlichen Eingreifen von
Herrn Direktor Stiege die gesunden Voraussetzungen für eine
aussichtsreiche Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit der Fir-
ma Tesch & Stabenow geschaffen werden.«18
Nach diesem Geschäftsbericht hätte die »neue Testa« den
Betrieb der »alten Testa« mit Hilfestellung von Degesch-Direk-
tor Stiege nur »aufgefangen« und »weitergeführt«. Allein der
Name und die Eintragungen im Handelsregister scheinen sich
bei dieser Firma 1947 geändert zu haben, um »gesunde Voraus-
setzungen« für einen Weiterbetrieb zu schaffen.
Wenn das neue Unternehmen »Rechtsnachfolgerin« der Fir-
ma Tesch & Stabenow war, dann hieße dies, daß sich die Ge-
schichte der Firma, die das Giftgas Zyklon B nach Auschwitz
und in andere Vernichtungslager lieferte, bis in die jüngste Zeit
weiterverfolgen läßt.
Im Geschäftsbericht der neuen, »jungen« Testa von 1953
wurde bedauert, daß der Testa-Bezirk nach dem Krieg kleiner Vorbereitung zur Schiffsbegasung im Hamburger Hafen (Foto nach 1945)
geworden war:
»Die junge 1947 gegründete neue TESTA konnte sich trotz Damit hatte die Degesch ab 1952 einen Anteil von 30% am
ihres als Kriegsfolge sehr zusammengeschrumpften Tätigkeits- Stammkapital der neuen Testa. Die anderen beiden Gesellschaf-
gebietes und zahlreicher widriger Umstände gut behaupten (es ter waren jeweils mit 35% am Unternehmen beteiligt.
verblieben vom früheren ostelbischen Gebiet abgesehen vom Die »neue Testa« arbeitete nach dem Krieg – wie ihr Vorgän-
nördlichen Teil der sowjetischen Besatzungszone nur West-Ber- ger-Unternehmen – eng mit Hamburger Behörden zusammen.
lin, das Gebiet Hamburg, Schleswig-Holstein sowie ein nördli- Dafür lassen sich mehrere Beispiele nennen:
cher Zipfel von Niedersachsen). Zur Einweihung der Desinfektionsanstalt in der Großmann-
Im Jahre 1952 trat die DEGESCH wieder – wie früher bei straße am 19.1.1965 (mit einer Begasungskammer, die der An-
Tesch & Stabenow – als Gesellschafterin mit in die Firma ein. wendung von Zyklon B, Methylbromid und Phosphorwasser-
Das Stammkapital wurde von DM 20.000,- auf DM 30.000,- stoff diente) wurden als einzige Vertreter einer Firma Dr. Dro-
erhöht, wovon auf die Altgesellschafter Dr. Drosihn DM 10.500,-, sihn und Dr. Speetzen von der »neuen Testa« eingeladen.20
Dr. Speetzen DM 10.500,- und die DEGESCH DM 9.000,- ent- Am 4.8.1965 waren Hamburger Behördenvertreter auf den
fallen.«19 Freihafenlagerplatz der Testa eingeladen, um sich eine Degesch-
Vakuum-Begasungsanlage anzusehen, die der »Entwesung, Pilz-
bekämpfung und Entkeimung von Lebensmitteln« dienen soll-
te. Die Gäste wurden im Rahmen der »Ausspracheabende über
Fragen der Schädlingskunde und Schädlingsbekämpfung« vom
Institut für Wasser-, Boden und Lufthygiene aus Berlin-Dah-
lem, das jetzt zum Bundesgesundheitsamt gehörte, zu dieser
Besichtigung gebeten.
Als letztes Beispiel soll hier die 75-Jahr-Feier der Desinfek-
tionsanstalten am 9.6.1969 in Hamburg erwähnt werden. Auf
einer Teilnehmerliste der Gesundheitsbehörde wurde die Testa
mit dem Hinweis »ständige Zusammenarbeit in Schädlingsbe-
kämpfungsfragen« als einziges Schädlingsbekämpfungsunter-
nehmen angegeben. Auch andere bekannte Namen, z.B. der des
Abteilungsleiters am Zoologischen Staatsinstituts in Hamburg,
Briefkopf der Testa (1974, mit Ähnlichkeit zu früheren Anschreiben) Dr. Weidner, oder der von Artur Christlieb als Vertreter der Lan-
17.1 Die Abwicklung von Tesch & Stabenow und die »neue Testa« 213
Veränderungen bei der Degesch
Degussa
mit Anteil an der Degesch von 100% (im Jahr 1986)
17.2 Die Umwandlung der »neuen Testa« zur Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (DGS) 215
Die Degesch läßt sich »verloren gegangenes
Zyklon« als Kriegsschaden ersetzen27
Die Degesch in Frankfurt stellte ihrem Geschäftsbericht von
1945 eine Bemerkung voran, die keinerlei Hinweise auf die mit
ihrem Produkt Zyklon B begangenen Verbrechen enthielt:
»Das Berichtsjahr stand vollkommen unter dem Zeichen des
durch das Kriegsende herbeigeführten wirtschaftlichen Zusam-
menbruches.«28
Auch über Personalveränderungen informierte dieser Ge-
schäftsbericht der Degesch:
»Die Herren Dr. Peters, Dr. Gassner und Kaufmann schieden
aus der Geschäftsführung aus, die beiden an letzter Stelle ge-
nannten wurden zum 1.10.1945 bzw. 1.1.1946 in den Ruhestand
versetzt. Die Prokura von Herrn Dr. Rasch, der aus der Heli
ausschied, ist erloschen.
Im Einvernehmen mit unseren Gesellschaftern wurde Herr
Dr. Walter Heerdt zum Geschäftsführer der Degesch bestellt.«29
Im Dezember 1942 waren Dr. Gerhard Peters zum ordentli-
chen Geschäftsführer, Dr. Ludwig Gassner und Hans Ulrich
Kaufmann zu stellvertretenden Geschäftsführern der Degesch
ernannt worden. Dr. Walter Rasch erhielt damals die Stellung
eines Prokuristen der Degesch. Diese Herren waren für die
Nachkriegs-Degesch nicht mehr von Nutzen.
Mit seinem zur Zeit des Nationalsozialismus nach damaliger
Auffassung ›nicht staatstragenden Verhalten‹ konnte dagegen
Dr. Heerdt der Degesch in der Nachkriegszeit nützlich sein:
Einem vor 1945 zeitweise inhaftierten Geschäftsführer30 wür-
den sich eher die Türen der Besatzungsmächte öffnen. Ab
22.11.1946 ist der Chemiker Dr. Heerdt wieder als Geschäfts-
führer der Degesch im Handelsregister eingetragen. Dieses Amt
hatte er schon einmal 1920 von Prof. Haber übernommen und
bis Januar 1926 ausgeübt. Dr. Heerdt starb am 2.2.1957.
Nach Kriegsende machte die Degesch »Kriegsschäden« er-
folgreich gegenüber Behörden geltend. Sie sprach dabei neben
den Schäden durch Bombardierungen auch von »verlorenge-
gangenem Zyklon« und meinte damit das Giftgas, das zwar ge-
liefert, aber vor Kriegsende nicht mehr bezahlt worden war. Die-
ses traf z.B. auf den Gerstein-Auftrag zur Lieferung von Zy-
klon B zu. Davon, daß durch das Giftgas viele Menschen ihr
Leben ›verloren‹ hatten, war im Zusammenhang mit der »Ver-
buchung der Kriegsschäden« nicht die Rede:
»Wie Sie ganz richtig zum Ausdruck bringen, haben diese
Schäden unser Bilanz-Ergebnis im Jahre 1945 bereits effektiv
verschlechtert. Ein Schaden für verloren gegangenes Zyklon in
Höhe von RM. 29.222.63 ist daher auch schon im Jahre 1945
dem Kriegsschädenamt Frankfurt a.M. belastet und unserem
Erlöskonto gutgeschrieben worden.
Die Forderung an das Kriegsschädenamt Frankfurt a.M., die
von demselben vor Aufstellung unserer Bilanz für 1945 aner-
kannt wurde, ist in den sonstigen Forderungen in Höhe von RM.
248.938.63 enthalten.«31
Auch zur Zyklon-Produktion äußerte sich der Geschäftsbe-
richt von 1945 und nannte dabei die zwei Handelsfirmen der
Degesch als »Grossraum-Durchgasungsorganisationen«:
»Dessau ist [wegen] Fliegerschäden nicht mehr produktions-
Anzeige der Degesch 1922, Anzeigen der Testa/DGS 1949-1998 fähig. Auch ist mit einer Wiederingangsetzung der Anlage auf
17.3 Die Degesch läßt sich »verloren gegangenes Zyklon« als Kriegsschaden ersetzen 217
Aktionäre der Dessauer Werke waren vor allem drei Banken, jüdischen Großvaters entstand, in der Nazizeit Cyklon B produ-
zwei Nachkommen der Gründerfamilien der Zuckerraffinerie ziert wurde, mit dem Juden massenhaft ermordet wurden.«38
und Führungskräfte der Dessauer Werke bzw. der Raffinerie.36 In der Nachkriegsgeschichte der Dessauer Werke gab es nur
An die Zeit, als die Amerikaner in Dessau einmarschierten kurze Unterbrechungen der Produktion:
und ehemalige Zwangsarbeiter sich bewaffneten, erinnerte sich »Den zunächst auch verhafteten leitenden Mitarbeitern der
1948 Alfred Güllemann, der vor dem Ende des Krieges ein lei- Dessauer Produktionsabteilung konnte man eine Mitwisser- bzw.
tender Mitarbeiter der Dessauer Werke gewesen war: Mittäterschaft nicht nachweisen. Sie wurden deshalb wieder auf
»Als die amerikanischen Truppen bereits einmarschiert wa- freien Fuß gesetzt. Auch die im Mai 1946 als ›Kriegsverbre-
ren, kamen Übergriffe der ausländischen Arbeiter vor, die sich cherbetrieb‹ enteignete ›Dessauer Zuckerfabrik GmbH‹ wurde
bewaffnet hatten. Mein Nachbar, ein Direktor Lutz von den Des- aus dem gleichen Grund im September 1946 an die Gesellschaft
sauer Werken, wurde niedergeschlagen und mit dem Bajonett zurückgegeben.
gestochen. In dieser Zeit erfuhren wir durch den Rundfunk und Die Produktion des Schädlingsbekämpfungsmittels wurde
durch ein Plakat, das von Amerikanern an den Litfass-Säulen 1952 wieder aufgenommen und vom nunmehr als ›VEB Gä-
angeschlagen wurde, dass das Zyklon für die Menschenvernich- rungschemie Dessau‹ firmierenden Betrieb noch bis Ende der
tung verwendet worden war. Ich bekam es mit der Angst, dass sechziger Jahre betrieben.«39
man in meinem Büro unsere Verbindung mit der Degesch und Das Archiv der Dessauer Werke ist heute im Besitz der Me-
die Tatsache, dass bei uns Zyklon hergestellt wurde, entdecken lassebrennerei Biomel GmbH, Dessau.
könnte und deshalb habe ich meine Degesch-Versandkopien ver-
brannt. Zur Verbrennung der anderen Akten sah ich keinen An-
lass. Irgendeine Vereinbarung mit der Degussa oder einer ande- Kali-Werke Kolin AG
ren Firma über die Vernichtung der Akten hat nicht bestanden.«37
Mit Urkunde der Landesregierung Sachsen-Anhalt vom Zur Geschichte der Kaliwerke in Kolin nach 1945 fanden wir
4.9.1948 bzw. aufgrund eines vorangegangenen Befehls der so- nur einen Hinweis. 1948 berichtete deren früherer Direktor Dr.
wjetischen Militärregierung wurden die Dessauer Werke ent- Max Stoecker:
eignet. Über mehrere Zwischenstufen entstand aus den Des- »Am 11.5.1945 bin ich von den Tschechen verhaftet worden
sauer Werken 1950 der »Volkseigene Betrieb Gärungschemie und habe mich bis zum 13.9.1946 in Haft befunden. [...] Das
Dessau«. Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten Verfahren gegen mich vor den tschechischen Behörden ist ein-
übernahm zuerst die Treuhandanstalt den Komplex. Sie verkaufte gestellt worden. Ich bin dann mit amerikanischem Permit aus
Betriebsteile an neun verschiedene Firmen. der Tschechoslowakei ausgereist und habe mich nach Hamburg
Alfred Güllemann, Abteilungsleiter der Dessauer Werke, er- begeben. [...] Am 15.4.1945 ist das Büro stark bombengeschä-
stellte am 27.7.1948 eine Übersicht über die Zyklon-Produkti- digt worden, wie auch das übrige Werk. [...] Von dem Missbrauch
on dieses wichtigsten Blausäure-Herstellers. Das untenstehen- von Zyklon zur Tötung von Menschen in Konzentrationslagern
de Diagramm beruht auf seinen Angaben während des ersten habe ich erst nach meiner Haftentlassung im Sept. 1946 erfah-
Prozesses von Dr. Peters. ren. [...]
Werner Grossert berichtet von einem Besuch der Enkelin des Ich war nicht Mitglied der NSDAP oder ihrer Gliederungen.
Firmengründers Max Fleischer in Dessau 1995: Ich habe eine jüdische Großmutter.«40
»Im vorigen Jahre wandte sich eine Urenkelin des Max Flei-
scher, die in Amsterdam lebt, an uns, um evtl. über ihren Vorfah-
ren und sein Werk Näheres zu erfahren. Sie war entsetzt, daß auf Degussa
dem Gelände dieses Betriebes, der durch die Erfindung ihres
1873 hatte Hector Roessler die Aktiengesellschaft Deutsche
Gold- und Silber-Scheideanstalt gegründet. Das Ziel des Un-
Jahresproduktion an Zyklon der Dessauer Zuckerraffinerie
Geschäftsjahr jeweils vom 1.September bis zum 31. August
ternehmens bestand zunächst in der Bearbeitung von Edelme-
Nach Aussage von Alfred Güllemann vom 27.7.1948 tallen.
400 000 Die Degussa war über Jahrzehnte Haupt- oder Alleingesell-
kg
schafterin der Degesch, mit deren Produkt Zyklon B der Mas-
350 000
senmord in den Vernichtungslagern betrieben wurde. Sie hatte
300 000 – anders als es häufig dargestellt wird – einen weit größeren
250 000
Einfluß auf die Degesch und ihre Geschäftspolitik als der spä-
tere Mitgesellschafter I.G. Farben. Außerdem war die Degussa
200 000
»Arbeitgeber« für Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge – z.B. für
150 000 Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen, die im Ora-
nienburger Hauptwerk der 100prozentigen Degussa-Tochter Au-
100 000
ergesellschaft AG eingesetzt wurden. Die Auergesellschaft hat-
50 000 te die SS-Bedienungsmannschaften mit Gasmasken für den si-
cheren Gebrauch von Zyklon B versorgt.41 Sie war führend am
1925 1926 1927
Geschäftsjahre
1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945
Atombombenprogramm des »Dritten Reiches« beteiligt. An das
51
Die Tätigkeit von Dr. Hugo Stoltzenberg als Verwalter der Testa wird im
Kapitel zur Nachkriegsgeschichte dieser Firma erwähnt.
52
Vergl. Zusammenfassung in der Hamburger Rundschau, Verf. Bernhard
Bauske, 11.2.1991
53
Diese Worte wählte Bürgermeister Hans-Ulrich Klose vor dem Parla-
mentarischen Untersuchungsausschuß (siehe dazu Sammlung von Zei-
tungsartikeln zur Firma Stoltzenberg im StA HH).
54
Aufträge für die Fa. Stoltzenberg: »Vollsicht-Gasmasken« (vor 1945) Die Welt, 4.5.1998, S. 25
Bei den Nachforschungen zur Geschichte der Firma Tesch & Am 30.5.1933, also wenige Monate nach der Machtüberga-
Stabenow stießen wir immer wieder auf deren über etwa 50 be an Hitler, »schied« der Hamburger Bankier Max Warburg als
Jahre (1929-1979) bestehenden Firmensitz, den ›Meßberghof‹. stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates der Aktienge-
Eine Erinnerungstafel an diesem Gebäude sollte unserer Auf- sellschaft, zu deren Besitz das Ballinhaus gehörte, »auf eige-
fassung nach deutlich machen, daß die Mordmaschinerie in nen Wunsch« aus. Andere Aufsichtsratsmitglieder trafen glei-
Auschwitz und anderen Vernichtungslagern hier eine wichtige che Entscheidungen.6
Schaltstelle, eine Anschrift, einen Vertragspartner hatte. 1938 schloß die Gesellschaft, deren Aufsichtsrat inzwischen
mit ‘arischen’ Menschen besetzt war, zum ersten Mal mit ei-
nem Verlust ab. Am 11.10.1939 erschien im Hamburger Tage-
Zur Geschichte des ›Meßberghofes‹ blatt eine Anzeige, in der die Auflösung der Aktiengesellschaft
für In- und Auslandsunternehmungen bekannt gegeben wurde.7
Ein Jahr zuvor war Max Warburg, dessen Bank im gleichen
Jahr ‘arisiert’ wurde, in die USA emigriert. Der gezahlte Betrag
entsprach ungefähr einem Viertel des tatsächlichen Wertes; der
Verkauf kam so einer Enteignung sehr nahe.8
Das Ballinhaus wurde 1938 im Zusammenhang mit der Ent-
fernung jüdischer Straßennamen in ›Meßberghof‹ umbenannt.
Die Straße »Meßberg«, auf die dieser Name verweist, erhielt
ihren Namen schon 1916 unter Wiederverwendung einer aus
dem 16. Jahrhundert nachweisbaren Bezeichnung. Sie bedeu-
1
Zitat aus Jizchak Katzenelson/Wolf Biermann, Großer Gesang vom aus-
gerotteten jüdischen Volk (Dos lied vunem ojsgehargetn jidischn volk),
Köln 1994, S.167
2
Hans Gerson (1881-1931), Oskar Gerson (1886-1966)
Chilehaus und Meßberghof auf einer historischen Postkarte 3
Der Firmensitz lag in der Ferdinandstraße 75, im Gebäude der Warburg
Bank, Zweck der Gesellschaft war die »Förderung und der Betrieb von in-
und ausländischen Unternehmungen«, StA HH, HRB zur AG für In- und
Auch an der Geschichte des Gebäudes ›Meßberghof‹, einer zen- Auslandsunternehmungen
tralen, eher vornehmen Adresse in der Hansestadt, läßt sich die 4
Im Auftrag der Brüder Gerson entworfen von dem Architekten Hans Blu-
Ausgrenzung von Juden aus dem gesellschaftlichen Leben des menfeld
5
»Dritten Reiches« und die Vertreibung aus ihrer deutschen Hei- Für die Zollbehörden mußten dabei in seinem Besitz befindliche Gemäl-
mat beschreiben. de von Nolde und Corinth durch die Gemäldegalerie Karl Heumann be-
gutachtet werden – mit dem Ergebnis: »Immerhin handelt es sich nicht
Das Gebäude wurde von den Architekten Hans und Oskar um Gegenstände, deren Verbringung in das Ausland einen wesentlichen
Gerson2 in den Jahren 1922-1924 für ein Anlagekonsortium, Verlust für den deutschen nationalen Kunstbesitz bedeuten würde.« Eben-
die 1918 gegründete Aktiengesellschaft für In- und Auslands- falls in dieser Akte enthalten: die Karlsruher Lebensversicherung AG ver-
unternehmungen, errichtet.3 Das neue Kontorhaus erhielt den weigerte Oskar Gerson die Auszahlung mit der Begründung, er habe sei-
Namen Ballinhaus. Zur Eröffnung lud die Aktiengesellschaft nen Wohnsitz ins Ausland verlegt (Akte zu Oskar Gerson R 1938/1773;
StA HH, 314-15 Bestand Oberfinanzpräsident, Devisenstelle und Vermö-
»zur Besichtigung des Neubaus und der gleichzeitigen Enthül- gensverwertungsstelle)
lung eines Albert-Ballin-Reliefs« am 29.3.1924 ein. 6
Unter ihnen war der Hamburger Unternehmer Carl Vorwerk, bis 1932
Das Geschäftshaus brachte den Architekten wegen seiner Vorsitzender des Aufsichtsrats der Anlagegesellschaft. Im Bericht des Vor-
»amerikanischen Dimensionen« Ruhm und Ansehen. Beson- standes zur Aktionärsversammlung wurde 1933 festgestellt, daß er seinen
ders eindrucksvoll waren (und sind) die Wendeltreppen im In- Wohnsitz »nach Übersee« verlegt hatte.
7
Hintergrund der negativen Geschäftsentwicklung war schließlich der
nern.4 Oskar Gerson wurde von den Nazis später mit Berufs- Kriegsbeginn und seine wirtschaftlichen Folgen.
verbot belegt. Er verließ Deutschland am 2.1.1939 in Richtung 8
Ron Chernow, Die Warburgs, Odyssee einer Familie, Brooklyn 1993, S.
USA.5 561
Dokumentation: Rede von Bürgermeister Dr. Voscherau anläßlich der Enthüllung einer Gedenktafel am Meßberghof 224
rungstafeln versehen werden sollen. Das Gebäude ›Meßberg-
hof‹ ist dabei ausdrücklich einbezogen worden.«
Die Kultursenatorin wurde vom Senat gebeten, »wegen der
Einwände des Grundstückseigentümers nunmehr persönlich das
Gespräch mit ihm zu suchen.«19
Dokumentation: Rede von Bürgermeister Dr. Voscherau anläßlich der Enthüllung einer Gedenktafel am Meßberghof 226
Mit einer Abbildung des Dosenetiketts und dem dazugehöri-
gen Tafeltext könnten alle Verständnisschwierigkeiten vermie-
den werden.«28
Erst im Februar 1997 erhielten wir das Schreiben an das Denkmal-
schutzamt zur Kenntnis. Im Aufsichtsrat der »Deutsche Grundbesitz«
Siegfried Gutermann bat daraufhin um ein Gespräch. In sei-
GmbH saß 1995 Dr. Rolf E. Breuer, der 1997 Vorstandssprecher der nem Schreiben verglich er die Tafel in Hamburg mit dem ge-
»Deutsche Bank AG« wurde. planten großen Denkmal in Berlin für die in der Shoah ermor-
deten Juden.
»Vor allem aber möchte ich vermeiden, daß wir uns in eine
Debatte begeben, an deren Ende Ratlosigkeit steht und die glei-
Die Zyklon B-Dose – ein »Kunstgegenstand«? che Entschlußlosigkeit wie im Falle des Denkmals in Berlin.«29
Am 23.7.1996 trafen wir uns mit Herrn Guterman und Herrn
Im März 1996 entschlossen wir uns, die Deutsche Bank direkt Wundrack, dem Geschäftsführer der Deutschen Grundbesitz
über unsere Bedenken zu ihrem Vorschlag für den Tafeltext und Investmentgesellschaft mbH, der eigentlichen Eigentümerin des
über unseren eigenen Textentwurf zu informieren. ›Meßberghofes‹. Auf Einladung von Herrn Guterman nahm auch
Einen Monat später antwortete uns Siegfried Guterman, der Frankfurter Autor Arno Lustiger an dem Gespräch in Ham-
Senior-Vize-Präsident der Deutschen Bank.
Am stärksten schien die Bank unsere Vorstellung zu stören,
auf der Tafel eine Zyklon B-Dose abzubilden: 21
»Mittels literarischer Zitate lassen Mahnmaltextautoren nicht selten an-
»Ihr Vorschlag, die Zyklon B-Dose auf der Gedenktafel abzu- dere für sich sprechen. Zitate werden nie zu Zwecken der Information
bilden, hat etwas Makabres an sich. Allein bei dem Gedanken, eingesetzt, sondern mit ihnen werden überindividuelle Werte ausgedrückt
daß nun überlegt werden muß, wie diese Dose auf der Tafel zu und dem Leser zur Identifikation angeboten.«, Ulrike Haß, Mahnmaltexte
gestalten sei, fühle ich mich nicht sonderlich wohl. Sie könnte 1945 bis 1988, Annäherung an eine schwierige Textsorte, Dachauer Hefte
6, München 1994, S. 150
fast, verzeihen Sie mir diese Übertreibung, dazu führen, dieses 22
Arno Lustiger, Zum Kampf auf Leben und Tod, Köln 1994, S. 88f.
Objekt zu einem Kunstgegenstand zu erheben.«27 23
Ebd., S. 89
Auf diesen Brief erwiderten wir im April 1996: 24
Nach Anlage zum Schreiben der Antragsteller an den Ersten Bürgermei-
»Die Abbildung einer Zyklon-Dose mit dem Firmenetikett ist ster, 28.12.1995
25
nach unserem Empfinden nicht ›makaber‹. Schreiben der Antragsteller an den Ersten Bürgermeister, 28.12.1995
26
Auf den Brief an Dr. Voscherau antwortete uns am 5.3.1996 die Kultur-
Entsetzlich war das, was mit dem Inhalt dieser Dosen an behörde und teilte »nach längeren Verhandlungen mit der Deutschen Bank
Menschen geschah. Dies Schreckliche schlechthin (= Shoah) ein Ergebnis« für den Tafeltext mit: Das Katzenelson-Biermann-Zitat war
übersteigt die Darstellungsmöglichkeiten jeder Erinnerungsta- einfach um eine Zeile verkürzt worden, ohne daß dies kenntlich gemacht
fel. worden wäre:
Unser Vorschlag, auf der Tafel die Dose oder zumindest das »›Vernichtet all die Schlechten nicht auf dieser Erde!
Sie selber werden sich vernichten.‹« Zu diesem ›Zitat‹ hieß es:
Firmenetikett abzubilden, soll den Anlaß ohne viele Worte (mit »Was nun die Auswahl des Zitats, das wir noch etwas verändern konnten,
Begriffen wie Holocaust oder Shoah, die man oft erst überset- anbetrifft, so handelt es sich dabei wiederum um ein Essential der Deut-
zen muß) dokumentieren. schen Bank. Es ist in unseren Kompromiß eingegangen.« Bei der Nen-
An dem Firmenetikett mit der Adresse haben wir begriffen, nung der Konzentrationslager, in denen mit Zyklon B gemordet wurde,
daß ›das Schreckliche‹ auch in Hamburg einen Ursprung hatte. wurde Stutthof durch »u.a.« ersetzt. Dieses Ergebnis überzeugte uns nicht.
27
Schreiben der Deutschen Bank, 15.4.1996
Darauf aufmerksam zu machen, ist die Funktion einer Erinne- 28
Schreiben der Antragsteller an den Vorstand der Deutschen Bank in Frank-
rungstafel. furt, 23.4.1996
Zum ›Kunstgegenstand‹ wollen wir nichts erheben. 29
Schreiben der Deutschen Bank an die Antragsteller, 23.5.1996
18.4 »Laßt sie machen«? – Die »Essentials« der Deutschen Bank 227
burg teil. Schnell war klar, daß die Deutsche Bank einer Abbil- Stabenow verbunden werden könne. Schließlich schlugen wir
dung der Zyklon B-Dose oder auch nur des Firmenetiketts auf der Deutschen Bank – trotz Bedenken – einen Kompromiß zwi-
der Erinnerungstafel weiterhin ablehnend gegenüberstand. Diese schen den unterschiedlichen Positionen vor, der zwei Tafeln am
Dose gehöre nach Auschwitz. ›Meßberghof‹ vorsah.
Arno Lustiger, der selbst Häftling in Auschwitz gewesen war, Die erste Tafel bezog das von der Deutschen Bank zum »Es-
betonte die große Bedeutung des Katzenelson-Gesanges. sential« erklärte Katzenelson-Zitat ein. Die zweite Tafel nahm
Uns ging es darum, das Werk des Dichters nicht sinnentstel- die Abbildung der Zyklon-Dose bzw. des Dosenetiketts zum
lend zu verkürzen. Außerdem legten wir großen Wert auf einen Ausgangspunkt.30
allgemein verständlichen, nicht geheimnisvoll wirkenden Ta- Anfang August schickte uns die Deutsche Bank ihre Vorstel-
feltext. lungen zum Tafeltext:
Schließlich verabredeten wir, daß alle Gesprächsteilnehmer »Es wird Sie nicht überraschen, daß wir uns Ihrer Idee, Zy-
noch einmal über den Tafeltext nachdenken sollten. Die Ergeb- klon-B-Büchsen abzubilden, auch heute nicht anschließen kön-
nisse würden wir uns dann schriftlich mitteilen. nen. Neben dem in dieser Sache bereits Gesagten hat uns insbe-
Nach diesem Gespräch überlegten wir, wie das von der Deut- sondere die Assoziation von Arno Lustiger mit ›Warholschen
schen Bank ausgewählte Katzenelson-Zitat sinnvoll eingeleitet Campbell-Büchsen‹ davon überzeugt, daß – bei aller Eindeu-
und mit dem dokumentierenden Tafeltext zur Firma Tesch & tigkeit des Gegenstandes – hier Reaktionen hervorgerufen wer-
den könnten, die dem Ziel des Mahnens und des Nachdenkens
über die Vergangenheit nicht dienlich sind.
Der Vorschlag für die erste Tafel:
Ihren Anregungen zum Text der Gedenktafel wollen wir teil-
weise folgen. So werden wir der Kulturbehörde vorschlagen,
Mitten im Aufstand retteten die Kämpfer aus dem Warschau- die Original-Transkription nach Biermann aufzunehmen. Au-
er Ghetto den Dichter Jizchak Katzenelson. Sie wollten, daß ßerdem sollte dem deutschen Text die jiddische Originalversion
er als Überlebender der Nachwelt berichte. zur Seite gestellt werden (in lateinischen Buchstaben). Schließ-
lich wollen wir in der Unterzeile die von Ihnen vorgebrachten
Sein Werk, der ›große Gesang vom ausgerotteten jüdischen Ergänzungen einfügen.
Volk‹, endet voll Zorn und Verzweiflung über die Deutschen als
ärgste Feinde seines Volkes:
Weiterhin wird in der Deutschen Bank überlegt, ob das Ge-
bäude seinen ursprünglichen Namen ›Ballinhaus‹ wieder zu-
›un nit vernicht rückerhalten sollte.«31
die schlechte ojf der erd, Am 9.9.1996 erfuhren wir von Herrn Gutermann, daß die
soln sej varnichtn sich aleyn!‹ Deutsche Bank ihre aktualisierten Vorschläge für die Erinne-
rungstafel der Kulturbehörde vorgelegt habe. Sofern sie dort
Jizchak Katzenelson wurde am 1. Mai 1944 in Auschwitz mit Zustimmung fänden, werde die Deutsche Bank mit der Reali-
Zyklon B ermordet.
sierung beginnen. Dem Standpunkt der Bank sei auch nach der
Lektüre unseres Schreibens nichts hinzuzufügen.32
Von dem Tenor dieses Schreibens wurden wir überrascht. Nach
Der Vorschlag für die zweite Tafel: dem Gespräch in Hamburg waren wir davon ausgegangen, jede
Seite würde ihre Position noch einmal überdenken, und der
Deutschen Bank läge daran, einen Tafeltext im Einvernehmen
Abbildung/Dose bzw. Etikett festzulegen. Davon konnte nach diesem Brief nicht mehr die
Rede sein.
Die Hamburger Firma Tesch & Stabenow Nachdem die Deutsche Bank von uns beim Gespräch in Ham-
lieferte das Giftgas Zyklon B an die burg über den Senatsbeschluß zur Tafel und die grundsätzlich
Konzentrationslager Auschwitz, Majdanek, öffentlich sichtbare Anbringung einer Erinnerungstafel im Rah-
Sachsenhausen, Ravensbrück, Stutthof und Neuengamme. men des »Schwarze Tafelprogramms« informiert worden war,
ließ sie sich anscheinend sofort danach den von ihr gewählten
Ihr Firmensitz befand sich in diesem Kontorhaus. Tafelstandort und Text von der Kulturbehörde genehmigen.
Menschen aus ganz Europa – sowjetische
Kriegsgefangene, Juden, Sinti, Roma -
Der Vorschlag der Bank an die Kulturbehörde lag dem Brief
wurden mit dem Blausäuregas ermordet. selbst nicht bei. So hatten wir kaum eine Chance, rechtzeitig
Deutsche hatten sie aus ihrer Heimat – auch aus gegen diesen von der Bank festgelegten Tafeltext beim Ham-
Hamburg – mit Gewalt in die Vernichtungslager burger Senat zu protestieren.33
verschleppt. Im September schickte uns die Deutsche Bank schließlich
auf unsere Bitte hin die Kopie des Briefes, den sie bereits am
Inhaber und Geschäftsführer des Hamburger 6. August an die Hamburger Kulturbehörde geschrieben hatte:
Unternehmens sind 1946 von einem britischen
Militärgericht verurteilt und hingerichtet worden.
»... mit dem Denkmalschutzamt haben wir eine Einigung über
den Standort der Erinnerungstafel Meßberghof erzielt. Zwi-
schenzeitlich meldete sich – wie Ihnen am 23. April bereits mit-
geteilt – bei uns eine Bürgerinitiative ›Erinnerungstafel Tesch
Dokumentation: Rede von Bürgermeister Dr. Voscherau anläßlich der Enthüllung einer Gedenktafel am Meßberghof 228
& Stabenow‹, die alternative Vorschläge – so z.B. die Abbil- hof‹ oder direkt an der Stirnwand des Kontorhauses« angebracht
dung einer Zyklon B-Büchse – für die Erinnerungstafel formu- werden. Dies entsprach unseren Vorstellungen von einer stän-
liert hat. Wir haben mit der Bürgerinitiative – den Herren Wer- dig öffentlich sichtbaren Tafel.43
ner und Kalthoff – ein ausführliches Gespräch gehabt. Dabei Inzwischen hatten wir erfahren, daß die Bank die von ihr fi-
konnten uns die Herren zwar nicht von ihrer Grundidee über- nanzierte Tafel im Beisein des Ersten Bürgermeisters am ersten
zeugen; allerdings halten wir ihre Anregungen zum Text der Er- Juni 1997 der Öffentlichkeit vorstellen wollte. Die Zeit, um noch
innerungstafel für sehr nachdenkenswert. Auch Herr Arno Lu- Veränderungen am Tafeltext bewirken zu können, war jetzt äu-
stiger, der für die Idee zu dem Biermann-Buch verantwortlich ßerst knapp. Ende April begrüßten wir in einem Schreiben an
ist (aus dem der Gedenktafeltext stammt), stützt nachdrücklich den Senat die Einigung über den Tafelstandort. Zum Textvor-
die beigefügte Textversion. Dabei geht es nicht zuletzt um die schlag der Deutschen Bank äußerten wir erneut Kritik:
Frage, inwieweit man überhaupt eine Gedichttranskription ver- »Wir können uns nicht vorstellen, daß die Bürgerschaft der
ändern darf. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Ihr Haus diesem Freien und Hansestadt Hamburg mit ihrem einstimmigen Be-
aktuellen Vorschlag – ergänzt um die jiddische Originalversion schluß vom 23.4.1997 zur Tafel am Meßberghof einen Tafeltext
des Gedichts – zustimmen könnte.«34
Die Bank erweckte so den Eindruck, alle Beteiligten würden
ihre Vorschläge unterstützen.
30
Beide Tafeltextvorschläge begründeten wir:
»Das Katzenelson-Zitat sollte – um Verständnisprobleme möglichst ge-
Das »verschämte Gedenken im Nebeneingang«35 ring zu halten – durch einen erläuternden Satz eingeleitet werden. Wir
sind bei der Formulierung dem Hinweis von Herrn Lustiger gefolgt,
Katzenelson gebe zum Schluß seines Gesanges seinem Zorn und seiner
Ein Anruf beim Denkmalschutzamt ergab, daß mit dem geplan- Verzweiflung über die Deutschen Ausdruck. Wichtig ist uns, daß auf der
ten Standort der Erinnerungstafel der an der vielbefahrenen Ost- Tafel deutlich wird, daß Katzenelson mit ›die Schlechten‹ nicht eine an-
West-Straße liegende Nebeneingang des ›Meßberghofes‹ ge- onyme Gruppe meinte. Als ›der Juden ärgster Feind‹ nennt er in seinem
meint war. Außerhalb der Öffnungszeiten des Gebäudes wäre Gesang – wenige Zeilen zuvor – die Deutschen«.
Zur zweiten Tafel:
dieser Bereich mit einem Scherengitter verschlossen und damit »Unser bisheriger Tafeltextentwurf mit der Abbildung der Zyklon B-Dose
überhaupt nicht öffentlich zugänglich gewesen.36 ist für jeden Betrachter auch ohne Vorkenntnisse gut zu verstehen. Ihren
Wir entschlossen uns deshalb zu einem Protestbrief an den Vergleich zwischen der Zyklon-Dose und der Campbell-Dose von Andy
Ersten Bürgermeister und baten ihn »und den Hamburger Warhol halten wir nicht für zutreffend. Uns geht es darum, mit der Abbil-
Senat, einer Tafel auf öffentlichem Grund vor dem Gebäude (z.B. dung eine Andeutung von dem weder mit Begriffen noch Bildern umfas-
send darstellbaren Verbrechen zu zeigen.
in der Nähe des U-Bahn-Einganges) zuzustimmen«, zumal Dr. Beide Tafeln erinnern an die Opfer. Katzenelson erhält aber – wir denken,
Voscherau eine »solche Lösungsmöglichkeit« in seinem Schrei- dies entspricht seiner Bedeutung – einen eigenen Platz. Sein Text ist so
ben vom 19.10.1994 an uns angedeutet hatte.37 nicht nur die Einleitung zur Tesch & Stabenow-Tafel.«
Der Erste Bürgermeister setzte sich für einen Tafelstandort (Schreiben der Antragsteller an die Deutsche Bank, an die Deutsche Grund-
außen am Gebäude und für einen Verzicht auf das schwer ver- besitz Investment Gesellschaft mbH. und an Arno Lustiger, 6.8.1996)
31
Schreiben der Deutschen Bank und der Deutschen Grundbesitz-Invest-
ständliche Katzenelson-Zitat ein. In seinem Bemühen wurde er mentgesellschaft mbH an die Antragsteller, 6.8.1996
durch zahlreiche Presseartikel unterstützt, die vor allem den von 32
Schreiben der Deutschen Bank an die Antragsteller, 9.9.1996
der Deutschen Bank geplanten versteckten Standort kritisier- 33
Daraufhin teilten wir dem Ersten Bürgermeister unseren Wunsch mit,
ten.38 Dabei zeigten die Presseveröffentlichungen mehrfach die daß wir gern vor einer Entscheidung des Hamburger Senats zu einem sol-
Abbildung einer Zyklon B-Dose, um das Anliegen der Tafel für chen Entwurf Stellung nehmen würden. (Schreiben der Antragsteller an
Dr. Voscherau, 16.9.1996)
jeden Leser zu verdeutlichen. Schließlich gab es im April 1997 34
Schreiben der Deutschen Bank, gez. Wundrack u. Guterman, an die
einen einstimmigen Beschluß der Hamburger Bürgerschaft: Kulturbehörde, 6.8.1996
»Die Bürgerschaft ersucht den Senat, der Opfer mit einer 35
Unter dem Titel »Diskussion um Gedenktafel« berichtete die Tageszei-
Erinnerungstafel zu gedenken, die das Geschehen öffentlich tung »Die Welt« über das – wie sie es nannte – »verschämte Gedenken im
sichtbar dokumentiert.«39 Nebeneingang«, 7.3.1997
36
Jürgen Wundrack von der Investmentgesellschaft der Deutschen Bank
Zuvor hatten wir durch die Antwort des Senates auf die An- wollte hier unmittelbar neben der mehrspurigen Hauptverkehrsstraße »ei-
frage eines Bürgerschaftsabgeordneten erfahren,40 daß auch die nen würdevollen Rahmen schaffen, einen Ort des Gedenkens und der Stil-
Deutsche Bank bzw. ihre Investmentgesellschaft als neue Ei- le«. (Die Zeit, »Tafelrunden«, 22.11.1996)
37
gentümerin ursprünglich eine Tafel »unter Hinweis auf mögli- Schreiben der Antragsteller an Dr. Voscherau, 25.9.1996
38
che negative Auswirkungen auf die Vermietbarkeit des Objekts« Übersicht der Presseartikel siehe im Literaturverzeichnis
39
Drucksache 15/7318, Beschluß der Hamburger Bürgerschaft, 3.4.1997.
abgelehnt hatte. Das Schreiben mit dieser ablehnenden Fest- 40
Drucksache 15/6875, »Kleine Anfrage« von Dr. Friedrich Hansen, Bür-
stellung (siehe S. 226f.), das wir zur Kenntnis erhielten, gaben gerschaftsabgeordneter der GAL
wir zunächst nicht an die Presse weiter. Wir hofften immer noch 41
Arno Lustiger (6.8.1996) und Wolf Biermann (9.2.1997) wurden von uns
auf eine einvernehmliche Lösung.41 schriftlich informiert und darum gebeten, ihre Auffassung mitzuteilen. Eine
Im April 1997 berichtete das Hamburger Abendblatt42 – eben- Antwort erhielten wir nicht.
42
Hamburger Abendblatt, 19.4.1997
falls mit einer Abbildung der Zyklon-Dose – von einer Eini- 43
Siegfried Gutermann: »Die Politik hat uns nie direkt gesagt, wo die Stadt
gung über den Tafelstandort: Die Tafel sollte jetzt »freistehend die Tafel hinhaben möchte«, in: Hamburger Morgenpost »Zyklon B:
zwischen dem U-Bahn-Aufgang Meßberg und dem ›Meßberg- Voscherau schlichtet Streit um Gedenktafel«, 21.4.1997
Dokumentation: Rede von Bürgermeister Dr. Voscherau anläßlich der Enthüllung einer Gedenktafel am Meßberghof 230
sten Lieferungen von Raubgold. Die Banker haben
akzeptiert, daß Juden aus Vorstand und Mitarbeiter-
schar entfernt wurden, und sie haben sich am Ge-
schäft mit der Arisierung jüdischen Vermögens betei-
ligt. Deutsche und Dresdner Bank konkurrierten auf
diesem Feld.«
Der Bericht der Historiker beruft sich auf Fakten
zu dem sogenannten Totengold, das von dem SS-
Mann Bruno Melmer bei der Reichsbank abgeliefert
und von der Degussa eingeschmolzen worden war.
Nach diesem Bericht ist erwiesen, daß 63 Goldbar-
ren, die aus Melmer-Einlieferungen hervorgegangen
waren, mit einem Gesamtgewicht von 744 Kilo-
gramm an die Deutsche Bank verkauft wurden. So-
mit erhielt die Deutsche Bank 29% des Melmer-Gol-
des, das neben den geraubten Schmuckstücken auch
das Zahngold der Ermordeten umfaßte.
Abschließend stellt die Kommission zur Deutschen
Bank fest:
»... wir haben zwar keinen eindeutigen Beweis da-
für gefunden, daß sie [Hermann J. Abs und Alfred
Kurzmeyer] genau wußten, daß sie mit Opfergold
handelten. Ihr Nichtwissen darüber läßt sich aller-
dings ebensowenig beweisen. Uns fällt es schwer zu
glauben, daß sie nicht zumindest ahnten, daß ein Teil
des Goldes in ihrem Besitz von Opfern des Regimes
stammte, und, wichtiger noch, es gibt keinen Grund
anzunehmen, sie hätten sich anders verhalten, wenn
es ihnen bekannt gewesen wäre.«49
44
Schreiben der Antragsteller an den Ersten Bürgermeister,
30.4.1997
45
Schreiben der Antragsteller an den neuen Vorstandssprecher
der Deutschen Bank, Rolf E. Breuer, vom 22.5.1997. Der Er-
ste Bürgermeister erhielt eine Kopie dieses Schreibens.
46
Schreiben der Deutschen Bank an die Antragsteller, 23.5.1997.
Welche Vertreter der Bürgerschaft und des Senates dem Tafel-
text der Bank zugestimmt haben sollten, erfuhren wir nicht.
47
Antwort des Senats auf die ›Schriftliche Kleine Anfrage‹ des
Abgeordneten Dr. Friedrich Hansen (Drs. 15/6875), 14.2.1997.
Dort heißt es, daß sich der Eigentümer bereit erklärt hatte,
»eine in Eigenregie hergestellte Erinnerungstafel anzubrin-
gen. [...] Die für das Tafelprogramm ›Stätten der Verfolgung
und des Widerstandes 1933-1945‹ gewählten Gestaltungsprin-
zipien kommen deshalb in diesem Fall nicht zur Anwendung.«
48
Dr. Voscherau äußerte später zum Verfahren der Tafelanbrin-
gung: »Wie Sie sich denken können, habe ich die einzelnen
Etappen im Prozeß der Durchsetzung der Gedenktafel als
schmerzlich empfunden.« (Schreiben an Brigitte Decker, die
unser Anliegen in einem Brief an den Ersten Bürgermeister
unterstützt hatte, 9.6.1997)
49
Anm.: Hermann J. Abs war ab 1938 im Vorstand der Deut-
schen Bank verantwortlich für die Auslandsgeschäfte, Alfred
Kurzmeyer war Generalbevollmächtigter, als Schweizer Staats-
bürger zuständig für die Auslandsguthaben und beim Transfer
des Raubgoldes beteiligt. Historical Commission Appointed
to Examine the History of Deutsche Bank in the Period of
National Socialism, The Deutsche Bank and Its Gold Tran-
sactions during The Second World War, C.H. Beck Verlag [On-
line-Dokument], 1998
Liebe Frau Fenyes, Filip Müller, Überlebender aus dem KZ Auschwitz: »Das Ster-
liebe Frau Bejerano, ben durch Gas dauerte etwa zehn bis fünfzehn Minuten. Als die
sehr geehrter Herr von Heydebreck, Gaskammern aufgemacht wurden, standen die Menschen ange-
meine Damen und Herren, preßt wie Basalt, sie sind herausgefallen wie Steine.«
Heute wissen wir: Durch das Gas Zyklon B sind während der
das Gebäude Meßberghof gehört zu den eindrucksvollen Back- Nazi-Zeit mehr Menschen ermordet worden, als die Schweiz
steinburgen der Hamburger City. Jetzt ist es restauriert. Ich freue Einwohner hat.
mich darüber und wünsche den Investoren Glück und Erfolg. Die Händler des Todesgifts Zyklon B, der Firmeninhaber Tesch
Dieses unter Denkmalschutz stehende Kontorhaus bündelt und sein Prokurist Weinbacher wurden im März 1946 durch den
deutsche Geschichte wie in einem Brennglas. Erbaut wurde es Britischen Militärgerichtshof in Hamburg zum Tode verurteilt
zwischen 1922 und 1924 nach Plänen der international bekann- und hingerichtet.
ten Architekten Hans und Oskar Gerson. Mitgewirkt hat der Heute, mehr als 50 Jahre, zwei Generationen später, stehen
später in der amerikanischen Friedensbewegung sehr aktive wir vor diesem denkmalgerecht restaurierten Haus. Häuser
Stadtplaner Hans Blumenfeld. machen sich nicht schuldig. Kontorhäuser tragen nicht Verant-
Menschen unseres Landes, unserer Stadt und Menschen, die wortung für das, was die Menschen in ihnen tun. Aber die Last
in diesem Gebäude wirkten, haben sich während der NS-Zeit in des Erinnerns verbindet sich mit ihnen. Es ist gut, daß wir ge-
schlimmster Weise schuldig gemacht. meinsam diese Pflicht hier heute auf uns nehmen können.
Es war das Gift der antijüdischen Propaganda, das im Nazi- Es brauchte einige Zeit, bis sich die Stadt – angeregt durch
System eine Dynamik und Radikalisierung erfuhr, die gerade- zwei Bürger – der lokalen Geschichte des Handels mit Zyklon B
wegs zur Ermordung von Millionen europäischer Juden führte. wieder bewußt wurde und mit den heutigen Eigentümern des
Es war die Vorstellung von den »lebensunwerten Zigeunern« Meßberghofs eine Verständigung über die geeignete Form des
die zur Ermordung von etwa 500.000 Roma und Sinti in den Erinnerns gelang.
Gaskammern von Auschwitz-Birkenau führte. Es war das Feind- Der Rückhalt der Bürgerschaft, die Bemühungen um eine öf-
bild der »bolschewistischen Untermenschen«, das 1942 die fentlich sichtbare Form des Erinnerns, haben dabei deutlich
heimtückische Ermordung sowjetischer Kriegsgefangener im KZ gemacht, wie sehr würdiges Gedenken inzwischen zur politi-
Neuengamme zu erlauben schien. schen Kultur dieser Stadt gehört. Deshalb auch das »Schwar-
Die Spuren der »Vernichtung«, des millionenfachen Mordens ze-Tafel«-Programm unserer Stadt.
in der NS-Diktatur finden sich in unserer Stadt. Senat und Bür- Ich bedanke mich bei Herrn Martin Werner und Herrn Jür-
gerschaft wollen sie sichtbar machen, mit dem Programm gen Kalthoff, die das Tafelvorhaben initiiert und von Anfang an
»Schwarze Tafeln zur Kennzeichnung von Stätten der Verfolgung mit großem Engagement begleitet haben. Ich bedanke mich bei
und des Widerstandes 1933-1945«, Spuren des »Ungeistes« füh- Herrn von Heydebreck und dem Vorstand der Deutschen Bank
ren auch zu diesem Haus, vor dem wir uns heute versammelt für die Bereitschaft, berechtigte Wünsche und Einwände aufzu-
haben. nehmen und in der Tafelgestaltung zu berücksichtigen.
Wie war das im Falle des Meßberghofs? Die Hamburgerinnen und Hamburger, die Besucher und die
Seine jüdischen Eigentümer mußten das Haus im Zuge der in diesem Gebäude Arbeitenden werden durch diese Tafel an
sogenannten »Arisierung« für einen Spottpreis abgeben. Von hier eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte erin-
aus betrieb, als eines unter zahlreichen hier ansässigen Unter- nert. Und daran, daß die gängige Formel »Geschäft ist Geschäft«
nehmen, die Firma Tesch & Stabenow ihre Geschäfte. eine untaugliche Ausrede ist, wo es um die Vernichtung mensch-
Mit dem Vertriebsmonopol für das, wie es hieß, »ostelbische lichen Lebens geht.
Reichsgebiet«, für das Sudetenland, das GeneraIgouvernement Ich wünsche diesem Denkmal, dem restaurierten Meßberg-
(Polen) und das Reichskommissariat Ostland wurde aus dem hof, aus Anlaß des heutigen Tages, daß in aller Zukunft Frieden
anfänglichen Handel mit Schädlingsbekämpfungsmitteln die und Menschenwürde und Menschenrecht seinen und unseren Weg
Zulieferung des Mordgases Zyklon B an die Konzentrationsla- begleiten und ihm und unserer Stadt so Glück und Erfolg be-
ger: Auschwitz, Majdanek, Sachsenhausen, Stutthof und Ravens- schieden sind.
brück.
Dokumentation: Rede von Bürgermeister Dr. Voscherau anläßlich der Enthüllung einer Gedenktafel am Meßberghof 232
Anhang
Zeittafel zur Geschichte der Firma Tesch & Stabenow (Zeitangaben sind verlinkt)
14.8.1890 Bruno Emil Tesch wird in Berlin geboren. weise auf eine Patentstreitigkeit oder auf langwie-
ab 1910 Studium in Göttingen und Berlin (Mathematik und rige Untersuchungen zur Abgrenzung gegenüber an-
Physik) deren Patent-Anmeldungen hin.
1914 Promotion zum Dr. phil. mit einer Arbeit Ȇber das 1926 Dr. Tesch stellt in einer Fachzeitschrift Zyklon C
Atomgewicht des Tellurs« als neues Schädlingsbekämpfungsmittel vor, dem
1914 Kriegsfreiwilliger im 1. Garde-Feld-Artillerieregiment als Reizstoff das aus dem Ersten Weltkrieg als
1915 Rückkehr nach Berlin nach Anforderung durch Prof. Kampfgas bekannte Chlorpikrin beigemengt ist.
Haber Dieses Produkt kann sich jedoch nicht durchset-
ab Okt. 1915 Assistent von Prof. Haber im Kaiser-Wilhelm-Insti- zen, weil das Chlorpikrin die Korrosion der Gift-
tut für physikalische Chemie und Elektrochemie, gasverpackung fördert.
dort Arbeiten zur Entwicklung und zum Ausbau des 1927 Bei Unfällen im Zusammenhang mit der Durchga-
Gaskampfes sung von Schiffen durch Tesch & Stabenow werden
bis 31.3.1920 Leitung der Abwicklungsarbeiten im Kriegsinstitut zwei Menschen getötet. Der Hamburger Senat be-
1.4.1920 Mitarbeiter der Degesch in Berlin, bald darauf Lei- schäftigt sich mit den Unglücksfällen, ohne daß dies
ter der Berliner Niederlassung Auswirkungen für die Firma Tesch & Stabenow hat.
9.4.1920 Die Degesch und Ferdinand Flury erhalten eine Pa- 1927 Paul Stabenow scheidet aus der Firma aus, Karl Wein-
tentschrift für Zyklon A (D.R.P. Nr. 351894), paten- bacher wird Prokurist.
tiert ab 9.4.1920, ausgegeben am 18.4.1922). 27.7.1927 Vertrag mit der Degesch: Dr. Tesch wird durch einen
ab Ende 1922 nach Aufforderung des Hamburger Hafenarztes San- Kredit der Degesch Inhaber von 45% der Geschäfts-
nemann Einführung des Blausäureverfahrens und anteile an der Testa, die Degesch besitzt 55% des
Aufbau des Hamburger Degesch-Büros durch Dr. Tesch Geschäftskapitals.
1922-1924 Entwicklung, Kleinfabrikation des Zyklon B »im 1928 Die Firma Tesch & Stabenow verlegt ihren Fir-
Pferdestall« mensitz in den ersten Stock des Hamburger Ballin-
31.12.1923 Dr. Tesch beendet sein Arbeitsverhältnis bei der hauses.
Degesch. 1930 Tesch & Stabenow wird nach der Übernahme der
24.1.1924 Gründungseintrag der neuen Firma Tesch & Stabe- T-Gas-Gesellschaft durch die Degesch auch Handels-
now im Handelsregister Hamburg firma für T-Gas (Äthylenoxyd).
26.1.1924 Antrag der »in Gründung stehenden« Firma Tesch 1932 Die Hamburger Polizeibehörde erteilt Tesch & Stabe-
& Stabenow bei der Gesundheitspolizei Hamburg now die Genehmigung zur Anwendung von T-Gas.
um die Genehmigung zur Anwendung des Blau- 1.5.1933 Dr. Tesch wird am »Tag der nationalen Arbeit« Mit-
säureverfahrens glied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbei-
22.2.1924 Tesch & Stabenow erhält als einzige von acht an- terpartei.
tragstellenden Firmen eine Genehmigung für die An- 1936 Der Gauwirtschaftsberater der NSDAP Hamburg
wendung des Blausäureverfahrens durch den Ham- hinterfragt erfolglos die Monopolstellung von Tesch
burger Senat. & Stabenow.
1.3.1924 Die neue Firma gibt ihre Gründung als Tesch & 1938 Umbennung des Ballinhauses in ›Meßberghof‹. Ge-
Stabenow, Internationale Gesellschaft für Schäd- bäude und Straßen in Hamburg durften nicht mehr
lingsbekämpfung, bekannt. Das Firmenkapital wird die Namen von Juden tragen.
vom Aussiger Verein für chemische und metallur- 1.9.1939 Kriegsbeginn mit dem deutschen Überfall auf Po-
gische Produktion gestellt. len: Die Testa kann ihren Vertragsbezirk auf die be-
18.1.1924 Erste Versuche zur industriellen Produktion von rei- setzten Staaten im Osten ausweiten und verdient an
ner Blausäure nach dem Schlempeverfahren zur Wehrmachtsaufträgen in den besetzten Ländern.
Zyklon B-Herstellung in Dessau durch Dr. Peters 5. -11.6.1940 Im Konzentrationslager Auschwitz werden Baracken
8.10.1925 Vertrag mit der Degesch: Tesch & Stabenow wird mit Zyklon B durchgast, das die Firma Tesch &
zur Handelsgesellschaft der Degesch und erhält in Stabenow liefert. Sie führt auch die Durchgasungsar-
einem festgelegten Vertragsgebiet eine Monopolstel- beiten aus. In Auschwitz wird ein Vorratslager für
lung für die Anwendung und den Verkauf von Blau- Zyklon B eingerichtet.
säureprodukten. Sie kann jetzt auch das Degesch- 8.-10.1.1941 Dr. Tesch schult SS-Angehörige im KZ Sachsen-
Produkt Zyklon B nutzen. Die Degesch übernimmt hausen/Oranienburg im Gebrauch des Giftgases.
50% der Testa-Anteile vom Aussiger Verein. Gleich 1941 Prozeß vor dem Reichsgericht zwischen der Testa
nach Vertragsabschluß gibt es Spannungen zwischen und den Kaliwerken Kolin, da Dr. Tesch sich wei-
Degesch und Testa. gert, für seine Durchgasungsgeschäfte in der Tsche-
27.12.1926 Ausgabe des Zyklon B-Patentes durch das Reichs- choslowakei Zyklon B aus Kolin abzunehmen.
patentamt an die Degesch. »Von dem Patentsucher 1941 ›Führungsprobleme‹ bei der zweiten Degesch-Han-
ist als der Erfinder angegeben worden: Dr. Walter delsgesellschaft Heerdt und Lingler (Heli). De-
Heerdt« (D.R.P. 438818). Das Patent wird rück- gesch-Geschäftsführer Dr. Peters wird in Per-
wirkend zum 20.6.1922 erteilt. Statt wie in diesem sonalunion auch Geschäftsführer der Heli. Seinen
Fall über 4 Jahre waren in der Regel nur ca. zwei Machtzuwachs erklärt er Dr. Tesch mit Wünschen
Jahre zur Prüfung üblich. Dies deutet möglicher- der NSDAP
Kursive Verfassernamen, Jahreszahl: siehe Gefahrstoff eingeordnet und ist nicht mehr Fabrikation ›Agfa‹, Berlin (gehörte zur I.G.
eigene Literaturliste am Ende des Glossars. zugelassen (außer in geschlossenen Gassterili- Farbenindustrie), später auch Agfa-Filmfabrik,
satoren für medizinische Instrumente und Ge- Wolfen, I.G. Farben Werk Wolfen (Kr. Bitter-
Abfallschwefelsäure räte). feld),
eine 78%ige Schwefelsäure wird als Ab- I.G. Farben, 1927: Leicht vergasendes, nicht
fallschwefelsäure bezeichnet. Dies entspricht Aktivkohle brennbares und nicht explosives Tetrachlor-
60 °Baumégrad (°Bé). poröse Kohle mit großer Oberfläche, die eine kohlenstoffpräparat CCl4 . Es diente als Ersatz
physikalische Anlagerung (Adsorption) von für den feuergefährlichen Schwefelkohlen-
Acetylen Giftstoffen ermöglicht (Anwendung z.B. in stoff CS2, dabei war jedoch die doppelte Men-
Ethin, C2H2. Unter Druck bzw. Sauerstoffüber- Gasmaskenfiltern). ge erforderlich.
schuß erfolgt die vollständige Verbrennung mit Herstellung: aus Holz und anderen organi- Tetrachlorkohlenstoff CCl4 wurde häufig als
einer Temperaturentwicklung bis 3000 °C schen Materialien durch Erhitzen unter Luft- organisches Lösungsmittel gebraucht. Wegen
(Anwendung z.B. beim autogenen Schwei- abschluß. seiner stark toxischen Wirkung besonders auf
ßen). Aktivkohle wird auch als Mittel gegen Durch- die Leber und da unter Einfluß des Luftsauer-
Prof. Haber wollte Acetylen als Ersatztreib- fall gebraucht. Es wirkt dann durch die Ent- stoffs und Lichteinwirkung das lungenschä-
stoff für Kraftfahrzeuge nutzen. Es sollte wäh- giftung von Magen und Darm. digende Phosgen abgespalten werden kann,
rend der Fahrt auf dem Fahrzeug aus Cal- wird es kaum noch verwendet. Es ist außer-
ciumcarbid und Wasser in einem sog. Naßent- Alkali dem als krebserzeugend eingestuft.
wickler erzeugt werden: erzeugen alkalische Reaktion = basische Re- StA HH ab 1949: Ein dem Areginal ähnliches
CaC2 + 2 H2O ⇒ C2H2 + Ca(OH)2 aktion; Gegensatz zu einer sauren Reaktion. oder gleiches ›Ventox-Gemisch-Verfahren‹
In Gasmaskenfiltern oder als Alkalipatrone bei (V.G.) der Degesch bezeichnete eine Mischung
Acrylnitril Sauerstoff-Kreislaufgeräten erfolgte die An- zur Getreidebegasung aus 95% Tetrachlorkoh-
Acrylsäurenitril,Vinylcyanid, H2C-CH-CN wendung auf Aktivkohle; zur Luftregene- lenstoff als Trägersubstanz und 5% Ven-
Zacher: Wirkstoff in Ventox ration durch chemische Absorption des aus- tox als eigentliches Gift (zu diesem Zeitpunkt
Siedepunkt 77,5 °C, Herstellungsverfahren geatmeten Kohlendioxids CO2: bestand der Inhaltsstoff aus Acrylnitril). Das
u.a.: Addition von Blausäure HCN an Acety- NaOH + CO2 ⇒ Na2CO3 + H2O nur allmählich verdunstende CCl4 sollte eine
len C2H2 oder auch Reaktion von Äthylen- längere Gifteinwirkung und so eine erhöhte
oxyd mit Blausäure. Acrylnitril ist außerdem Andere Verfahren zur Schädlingsbekämpfung Lagerfähigkeit ermöglichen.
Ausgangsmaterial zur Herstellung von Kunst- Alternativen zur Anwendung von Giftstoffen: Die Testa führte 1949 mit diesem ›neuen‹ Ver-
fasern (PAN: Polyacrylnitril) und ein Bestand- Mechanisch: Scheuerdesinfektion, Aushun- fahren, zu dem es noch keine Vorschriften gab,
teil des synthetischen Kautschuks (dessen gern von Schädlingen; über ein halbes Jahr nicht angemeldete Ver-
Herstellung vor 1945 durch die I.G. Farben- Hitze: Heißluft, u.a. in Druckkammern (Auto- suchsdurchgasungen durch. Ca. 23 000 Ton-
industrie erfolgte Areginal). klaven); nen Getreide in Nordeutschland sowie der
Elektrisch: Mikrowellen, nach Patenten von: größte Teil der damaligen »bizonalen Getrei-
Äthylenoxyd AEG, Siemens (740 274, 895 667), dereserve« von 900 000 Tonnen wurden be-
Ethylenoxid, Oxiran, 1,2 Epoxyethan C2H4O In Auschwitz fanden Versuche zu diesen Ver- gast. Dies führte zu einem nie bekanntgewor-
bzw. als Strukturformel: O fahren statt. denen Lebensmittelskandal, das Getreide
H2C CH2 mußte als verdorben erklärt und über einen
Handelsnamen: Cartox, Etox, Etoxiat, T-Gas. Areginal langen Zeitraum zum Auslüften zurückgehal-
Sein Geruch ist ähnlich dem Chloroform, es Schädlingsbekämpfungsmittel, Vertrieb durch ten werden. Presse und Öffentlichkeit wurden
hat ebenfalls narkotische Wirkung. Siedepunkt I.G. Farbenindustrie, Abteilung für Schäd- auch von den Behörden nicht informiert, um
+10 °C, 1,52 mal schwerer als Luft (1,52 : 1), lingsbekämpfung, Leverkusen. keine Beunruhigung auszulösen. Mäuse wa-
leicht brennbar, explosiv. Zacher, 1964: ältestes Mittel für »Gaszellen ren nach 4 Wochen Fütterung mit diesem Korn
Zur Anwendung in der Schädlingsbekämpfung mit Kreislaufapparatur«, das als Flüssiggas in wohlauf, es wurden jedoch die für CCl4 typi-
wurde es daher mit Kohlendioxid CO2 ge- den Handel kam. Zur Anwendung wurde es schen Leberschädigungen festgestellt.
mischt. In Stahlflaschen unter Druck verflüs- auf einer Heizfläche entwickelt. Fraglich blieb, in welchem Zeitraum sich der
sigt kam es dann je nach Mischungsverhält- Andere Bezeichnung: Tetrafin 21, zur Reini- Tetrachlorkohlenstoff, der sich in den Fett-
nis als T-Gas oder als Cartox in den Han- gung, Entfettung bei der Nachbearbeitung ei- schichten des Getreidekorns löst, beim Mah-
del. nes Filmnegativs. len und Backen restlos verflüchtigt. Wieviel
Ethylenoxid wird heute als krebserregender Herstellung ab 1925 durch A.G. für Anilin- Getreide seit erster Anwendung des Areginals
Bei der Suche nach Dokumenten haben uns viele Einzelpersonen und Adler, Hermann/Jizchak Katzenelson, Dos lid funm ojsgehargetn
Mitarbeiter von Einrichtungen, Museen, Gerichten, Behörden und Ar- jidischn folk, Das Lied vom letzten Juden, Zürich 1951
chiven geholfen. Stellvertretend nennen wir hier nur die Einrichtun- Adler H.G, Langbein, Herrmann, Lingens-Reiner, Ella, Auschwitz,
gen: Zeugnisse und Berichte, Hamburg 1994
Benz, Wolfgang (Hrsg.), Dimensionen des Völkermords, München 1996
Amt für Wiedergutmachung Hamburg Bergendorff, Hanslian, Der chemische Krieg, Berlin 1925
Amtsgerichte in Hamburg, Berlin und Frankfurt (Handelsregister) Bajohr, Frank, »Arisierung« in Hamburg, Die Verdrängung der jüdi-
Archiv des Museums Auschwitz, Pañstwowe Muzeum Oświecim Brze- schen Unternehmer 1933-45, Hamburg 1997
zínka Bauche, Ulrich, Brüdigam, Heinz, Eiber, Ludwig, Wiedey, Wolfgang
Archiv des Museums Majdanek, Archivum Pañstwowego Muzeum Na (Hrsg.), Arbeit und Vernichtung, Das Konzentrationslager Neuen-
Majdanku gamme 1938 bis 1945, Hamburg 1986
Archiv des Museums Stutthof, Muzeum w Sztutowie Biermann, Wolf/Jizchak Katzenelson, Großer Gesang vom ausgerotte-
Archiv des Spiegel, Hamburg ten jüdischen Volk, Köln 1994
Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem Broszat, Martin (Hrsg.), Kommandant in Auschwitz, Autobiographi-
Bernhard-Nocht-Institut, Hamburg sche Aufzeichnungen des Rudolf Höß, München 1994
Biomel GmbH, Dessau Brauch, Hans Günther, Müller, Rolf Dieter, Günther, Hans (Hrsg.),
Bundesarchiv mit den Abteilungen Potsdam, dem Berlin Document Chemische Kriegsführung – Chemische Abrüstung, Dokumente und
Center und dem Filmarchiv Kommentare, Berlin 1985
Degussa AG – Dokumentation – Frankfurt/Main Chernow, Ron, Die Warburgs, Odyssee einer Familie, Brooklyn 1993
Deutsches Institut für Filmkunde (DIF), Frankfurt/Main Commerzbank AG (Hrsg.), »Wer gehört zu wem« (Stand 1997)
Deutsches Patentamt, München Czech, Danuta, Konzentrationslager Auschwitz – Abriß der Geschich-
Patentinformationsstelle Hamburg te, Warszawa 1988
Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus, Hamburg Dachauer Hefte 7, Solidarität und Widerstand, München 1995
Fried. Krupp AG Hoesch-Krupp, Essen Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung, 20 Jahre Schädlings-
Führungsakademie der Bundeswehr, Bibliothek, Hamburg bekämpfung (Firmenschrift der Degesch), Frankfurt/M. 1937
Gedenkstätte Mauthausen, Österreich Dötzer, Walter, Dr. med. habil., SS-Hauptsturmführer d. Res., Entkei-
Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts mung, Entseuchung und Entwesung, Heft 3 der Arbeitsanweisun-
Handelskammer Hamburg gen für Klinik und Laboratorium des Hygiene-Institutes der Waf-
Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden fen-SS, Berlin 1944
Hessisches Wirtschaftsarchiv, Darmstadt Friedrich, Jörg, Die kalte Amnestie, NS-Täter in der Bundesrepublik,
Historisches Archiv Krupp, Essen München 1994
Hygienisches Institut Hamburg, Bibliothek Frickhinger, Hans Walter, Gase in der Schädlingsbekämpfung, Flug-
Institut für Zeitgeschichte, München schriften der Deutschen Gesellschaft für angewandte Entomologie,
KZ-Gedenkstätte Neuengamme Berlin 1933
Metallgesellschaft AG, Frankfurt/Main. Frickhinger, Hans Walter, Leitfaden der Schädlingsbekämpfung für
Museum des Kibbuz Lochamei Hagettaot, Israel Apotheker, Drogisten, Biologen und Chemiker, Stuttgart 1939
National Archives, Washington Gellermann, W. Günther, Der Krieg, der nicht stattfand, Koblenz 1986
Public Record Office, Kew Richmond Surrey, Great Britain Götz, Aly, Endlösung, Völkerverschiebung und der Mord an den euro-
Staatsarchiv Hamburg päischen Juden, Frankfurt/M. 1995
Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Carl von Ossietzky Groehler, Olaf, Der lautlose Tod, Einsatz und Entwicklung deutscher
Stadtarchiv Frankfurt a.M. Giftgase von 1914 bis 1945, Hamburg 1989
Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Gedenkstätte und Museum Hackett, David A. (Hrsg.), Der Buchenwald-Report, München 1996
Sachsenhausen Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Die Auschwitz-Hefte,
Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Mahn- und Gedenkstätte Hamburg 1995
Ravensbrück Harnack, Adolf von (Hrsg), Handbuch der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft
Universität Hamburg, Zoologisches Institut und Zoologisches Museum, zur Förderung der Wissenschaften, Berlin 1928
Bibliothek Entomologie Haß, Ulrike, Mahnmaltexte 1945 bis 1988, Annäherung an eine schwie-
Yad Vashem, Jerusalem rige Textsorte, Dachauer Hefte 6, München 1994
Zentrum für Hafenärztliche Dienste und Schiffahrtsmedizin Hamburg Herzig, Arno, Rohde, Saskia (Hrsg.), Die Juden in Hamburg 1590 bis
1990, Hamburg, 1991
Den Zeitzeugen danken wir für ihre Bereitschaft, uns aus ihrem Leben Hilberg, Raul, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 1-3, Ber-
zu berichten. Auch allen anderen, die uns immer wieder bei den Aus- lin 1982
einandersetzungen um die Erinnerungstafel oder bei inhaltlichen Fra- Homfeld, Helmut/Jizchak Katzenelson, Das Lied vom ausgemordeten
gen dieser Arbeit beraten oder durch Hinweise unterstützt haben, möch- jüdischen Volk, Rendsburg 1996
ten wir unseren Dank aussprechen. Dies gilt auch für die Dolmetsche- Hahn, Otto, Mein Leben, München 1968
rin Hilde Benz-Werner, die die Übersetzungen aus der englischen Ge- Initiative »Über die Zukunft der Gedenkstätte Neuengamme«, Indu-
richtsakte der Testa anfertigte. strie, Behörden und Konzentrationslager 1938-1945, Reaktionen
Umschlag: Titelbild: Foto aus dem Museum des Kibbuz Lohamei Ha- S.60/5: Foto aus dem Museum des Kibbuz Lohamei Hagettaot, Israel
gettaot, Israel, M. Werner; Rücktitel: Foto aus der Gedenkstätte Maj- Kapitel 5: S. 61: Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für ange-
danek, M. Werner. Übersichtskarte: S. 2f., S. 256: unter Verwendung einer wandte Entomologie e.V. auf der fünften Mitgliederversammlung in
Karte aus: Gerhard Schoenberner, Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung Hamburg vom 16. bis 20.9.1925, Berlin 1926; S. 63: Mitteilungen der
in Europa 1933-1945. München 1978, S. 214 deutschen Gesellschaft für Vorratsschutz, Jan. 1929, S.19; S. 64: Ham-
Kapitel 1: S. 11: D. Martinetz, G. Rippen, Rüstungsaltlasten II -2.6, in: burger Adreßbuch 1925, StA HH; S. 65/1: Testa-Broschüre mit dem
Rippen, Handbuch Umweltchemikalien, Stand 1996; S. 12/1: Bildun- Titel: Calcid, Das behördlich zugelassene Blausäure-Verfahren zur
terschrift: Vorführungsübung aus der Kriegszeit, in: Büscher, Hermann, Decksentrattung von Seeschiffen; S. 65/2: 352-3 Medizinalkollegium,
Giftgas! Und Wir?, Die Welt der Giftgase, S. 25; S. 12/2: Wirth, Dr. II J 10, Bd. II, StA HH; S. 66: 352-3 Medizinalkollegium, II J 15a, Bd.
Fritz, Muntsch, Otto, Die Gefahren der Luft und ihre Bekämpfung, II, Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen, S. 142, StA HH;
Berlin 1935, S.92; S. 13: Bergendorff, Hanslian, Der chemische Krieg, S. 67: Artikel von Amtmann Wegener, Die Desinfektionsanstalten, Hrsg.
Berlin 1925, S. 203; S. 14/1: Einband, Harnack, Adolf von, Handbuch Gesundheitsbehörde Hamburg, Hygiene und soziale Hygiene in Ham-
der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wisenschaften, Ber- burg, 1928, S. 498; S. 68: Beilage zur Arbeitsvorschrift der Testa 1927,
lin 1928; S. 14/2: Ebd., S. 48; S. 16: Peters, Dr. Gerhard, Die hoch- 352-3 Medizinalkollegium, II J 15a, Bd. I, Schädlingsbekämpfung mit
wirksamen Gase und Dämpfe in der Schädlingsbekämpfung, in: Samm- hochgiftigen Stoffen, S. 10c, StA HH; S. 69: Hrsg. Auer Werke, Die
lung chemischer und chemisch-technischer Vorträge, Stuttgart 1942, Gasmaske, 1929-35, Bd. 1-7, S. 36; S. 70 1/2: Peters, Dr. Gerhard,
S. 31; S. 18: Frickhinger, Dr. H. W., Gase in der Schädlingsbekämp- Die hochwirksamen Gase und Dämpfe in der Schädlingsbekämpfung,
fung, Flugschriften der Deutschen Gesellschaft für angewandte Ento- Stuttgart 1942, S. 15; S. 71: Hamburger Adreßbuch 1927, StA HH;
mologie, Berlin 1933, S. 24; S. 19: Ebd., S. 26 S. 73/1: 371-8 II Deputation für Handel, Schiffahrt und Gewerbe, S.
Kapitel 2: S. 23: Skizze in: DRP 413352, Patentschrift vom 20.1.1924 197, StA HH; S. 73/2: 352-3 Medizinalkollegium, II J 15a, Bd. I,
auf Dr. Hugo Stoltzenberg, Verfahren zur Bekämpfung von Schädlings- Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen, S. 159, StA HH; S.
schwärmen mit Hilfe von Flugzeugen und Flammenwerfern; S. 24: 74/1: Anzeige in der Chemikerzeitung vom 29.12.28, auch in: Ham-
Foto 1931, ZMH; S. 26: Ausrisse aus einer Degesch-Broschüre, ohne burger Volkszeitung Nr. 33, 28.2.1929, StA HH I Ac 22; S. 74/2:
Seitenangaben, BNI; S. 28: Titelseite, Degesch-Broschüre 1921, BNI Artikelüberschrift: Hamburger Phosgentage, in: Die Gasmaske, Hrsg.
Kapitel 3: S. 31: Foto BNI; S. 32/1: Telegramm des Tasch an Prof. Reh Auer Werke, 1929-35, Bd. 1-7, S. 53; S. 75/1: Ebd., S. 52; S. 75/2:
vom 28.6.1917, ZMH; S. 32/2: Hygienisches Institut Hamburg, Bi- Hamburger Adreßbuch 1929, StA HH; S. 75/3: Bildunterschrift: Ham-
bliothek; S. 33/1: Privatbesitz; S. 33/2: StA HH, Adreßbuch 1917; S. 34: burgs Wolkenkratzer, Chile-Haus, Ballin-Haus, Historische Postkar-
Aus dem Vortrag von Dr. Wilhelm Stödter, Stadttierarzt in Hamburg, te, StA HH; S. 76/1: Werbekarte der Testa 1941, 352-3 Medizinal-
»Humane Tötung kleiner Haustiere mit Generatorgas« 1910 in Berlin kollegium, II J 10 , Bd. I, Prospekte über Desinfektionsmittel, StA
auf der 12. Versammlung der Tierschutzvereine des Deutschen Reiches, HH; S. 76/2: 352-3 Medizinalkollegium, II J 15a, Bd. II, Schädlings-
S. 12, BNI; S. 35: Ebd., S. 7; S. 37: Hamburger Adreßbuch 1924 (Stand bekämpfung mit hochgiftigen Stoffen, S. 15, StA HH; S. 77: Sonder-
Okt. 1923); S. 42: Zwei Anzeigen aus: Ebd., 1922; S. 43: Ebd., 1924 druck der Testa, BNI; S. 78: Ebd.
Kapitel 4: S. 46: Österreichische Chemiker Zeitung Nr. 24, 1918, BNI; Kapitel 6: S. 79: Zeitschrift für Desinfektion und Gesundheitswesen,
S. 47: Hamburger Adreßbuch 1927, StA HH; S. 49: 352-3 Medizinal- Dresden 1930, Heft 3; S. 81: Titelseite, T-Gas-Broschüre (Ende 1930),
kollegium, II J 15a, Bd. 1, Schädlingsbekämpfung mit hochgiftigen 352-3 Medizinalkollegium, I 18, Bd. I, Schädlingsbekämpfung mit T-
Stoffen, S. 83, StA HH; S. 50/1: Ebd., S. 95; S. 50/2: Ebd., S. 96; S. 52/ Gas, S. 162, StA HH; S. 82/1: T-Gas-Broschüre, Seite 2, Ebd., S. 162f.,
1: 352-3 Medizinalkollegium, Hafenarzt I 144, StA HH; S. 52/2: 352- StA HH; S. 82/2: Sondernummer »Schädlingsbekämpfung« der Zeit-
3 Medizinalkollegium, II J 15a, Bd. II, Schädlingsbekämpfung mit schrift für Gesundheitstechnik und Städtehygiene, Berlin, Juni 1933;
hochgiftigen Stoffen, S. 72, StA HH; S. 54: Seite 1 + 2: Ebd., S. 189f.; S. 83: 352-3 Medizinalkollegium, III H 19, Fleckfieber Allgemein
S. 55/1: Titelseite, Testa-Broschüre 1924, ZMH; S. 55/2: Ebd., S.10; 19441-46, StA HH; S. 86: Koller, Raphael, Das Rattenbuch, S. 165,
S. 56: Auer Werke (Hrsg.), Die Gasmaske, Heft 1, Febr. 1930, S. 15; Hannover 1932; S. 87: Archiv der Biomel GmbH, Dessau; S. 88: Trapp-
S. 57/1: Seite 1 von 2, Patentschrift der Degesch; S. 57/2: Dr. Friedrich mann, Walther: Schädlingsbekämpfung (Chemie und Technik der Ge-
Zacher, Die Vorrats-, Speicher- und Materialschädlinge und ihre Be- genwart) Leipzig 1927; S. 358; S. 89/1: Beilage zur Arbeitsvorschrift
kämpfung, Berlin 1927, S. 346; S. 58/1: Foto aus dem Museum des der Testa 1924, 352-3 Medizinalkollegium, II J 15a, Bd. I, Schädlings-
Kibbuz Lohamei Hagettaot, Israel; S. 58/2: Peters, Dr. Gerhard, Die bekämpfung mit hochgiftigen Stoffen, S. 7, StA HH; S. 89/2: Zeit-
hochwirksamen Gase und Dämpfe in der Schädlingsbekämpfung, in: schrift für Desinfektions- und Gesundheitswesen, Heft 8, 1924, S. 117;
Sammlung chemischer und chemisch-technischer Vorträge, Stuttgart S. 89/3: Titelseite, Testa-Broschüre, Zyklon B, Das Blausäuremittel zur
1942, S. 21; S. 59/1: 352-3 Medizinalkollegium, II J 15a, Bd. II, Schäd- Ratten- und Ungeziefervernichtung auf Seeschiffen, 1931, ZMH; S. 89/
lingsbekämpfung mit hochgiftigen Stoffen, S. 120, StA HH; S. 59/2: 4: Rückseite, ebd.; S. 90: Titel und Inhaltsverzeichnis der Testa-Bro-
Dr. Friedrich Zacher, Die Vorrats-, Speicher- und Materialschädlinge schüre zu Zyklon-Durchgasungen von Mühlen, April 1928, 352-3 Me-
und ihre Bekämpfung, Berlin 1927, S. 344; S. 60/1: Peters, Dr. Ger- dizinalkollegium, II J 15, Bd. II, Schädlingsbekämpfung mit hochgif-
hard, Die hochwirksamen Gase und Dämpfe in der Schädlingsbekämp- tigen Stoffen, StA HH
fung, Stuttgart 1942, S.28; S. 60/2: Ebd.; S. 60/3: Testa-Broschüre, Kapitel 7: S. 91: BA-Potsdam, Film Nr. 40307; S. 94: S. 129 und Rück-
Zyklon B, Das Blausäuremittel zur Ratten- und Ungeziefervernich- seite: 20 Jahre Schädlingsbekämpfung (Firmenschrift der Degesch),
tung auf Seeschiffen, 1931, ZMH, S. 10; S. 60/4: Bildunterschrift: Die Frankfurt/M.1937, Firmenarchiv Degussa; S. 97/1: Frickhinger, Dr. H.
»Albert Ballin« läuft am 4.7.1923 zur Jungfernreise nach New York W., Gase in der Schädlingsbekämpfung, Flugschriften der Deutschen
aus, in: 1848-1997, Unser Feld ist die Welt, 150 Jahre Hapag-Lloyd; Gesellschaft für angewandte Entomologie, Berlin 1933, S. 52; S. 97/
Die mit * gekennzeichneten Seitenzahlen Ballin, Albert 224 Fortsetzung zu: Blausäure
beziehen sich auf das Chemische Glossar Ballin, Albert, Fa. 75 Hersteller, Herstellung 16, 20, 32, 54,
im Anhang (S. 236-242). Ballinhaus 75f., 92, 223f., 228, 234. 56, 74, 86, 94, 105-107, 118, 122,
Siehe auch ›Meßberghof‹, Hamburg 124, 126, 128, 168, 170, 218f.
A Barackenentwesung 140f., 157 Herstellung
Abfallschwefelsäure 56, 236* Baranowitsche 137f. Schlempe-Verfahren 20
Abs, Hermann Josef 231 Basch, Anton 103 Kammern 16, 67, 88, 129f., 133, 139,
Abteilung »Vergasung« (Degussa) 18, 27 Baumbegasung. Siehe Blausäure: 143
Acetylen 47, 236* Baumbegasung Kampfstoff 13, 161
Acrylnitril 236* Bayer AG 11, 79, 128, 217, 220 Kampfstoff-Versuche 108f.
Adlershof 134 Bè 237* Kühlhausdurchgasungen 65, 128
Agfa 27, 129 Behlmer, Hinnerk 230 Mangellage 120, 124, 128, 140-143
Ägypten 15, 63, 170 Bejarano, Esther 230f. Möbeldurchgasung 99f.
Aktiengesellschaft für Anillinfabrikate 26 Belgien 82, 127 Mühlendurchgasung 18-20, 25, 45, 55,
Aktiengesellschaft für In- und Auslands- Below, Anton von 209f. 70, 122
unternehmungen 223 Belzec 171 Reizstoffzusatz 51, 77, 84, 136, 239*
Aktion »Das Ahnenerbe« 196 Bendel, C.S. 159 Schiffsdurchgasungen 17, 32f., 36, 38,
Aktion »Erntefest« 184 Bergmann, von 191 40, 42f., 45f., 51f., 54f., 68f., 71f.,
»Aktion Reinhard« 164f., 171, 173 Berlin 11-14, 16, 21, 26, 28, 33, 38, 40, 76, 81, 83, 88f., 92f., 144f., 147
Aktivkohle 12, 236* 42, 45-47, 62, 64, 70f., 83, 85, 91f., Tierversuche 15f.
Alkali 12, 236* 101f., 119, 129, 143f., 147f., 150, Unfälle mit Blausäure 29f., 43f., 50f.,
Allenstein 221 156, 164f., 171, 177, 182, 208, 211- 70-72, 77f., 144-146, 168, 178,
Allgemeiner Entwesungs-Dienst (AED), Fa. 215, 224, 227 202, 234
167, 170, 198 Berliner Blau 237* Verbot 30, 32, 36, 38, 43, 74
Alliierter Kontrollrat 144, 161 Berliner Walzmühle 70 Verfahren 15f. 18f., 24-27, 29-37, 40f.,
Amend, Karl 80, 125, 135 Bernau 80 43-46, 48, 50f., 53, 55f., 59, 62,
American Cyanid Company 79 Bernburg a.d. S. 171f. 66f., 69, 71-73, 77, 79-81, 83-85,
Anatomisches Institut der Universität Bertelmann, Anna 70 88, 92-95, 102, 106, 110f., 123,
Straßburg 196 Berufsgenossenschaft 50f. 125, 127, 136, 138, 140, 142f.,
Andere Verfahren (statt Blausäure) 236* Biagini, Erna 150 167, 200, 219, 221, 234
Andres 16 Biebl & Söhne 125 Wirkung auf den Menschen 13, 15, 20,
Antwerpen 51 Biebl, A. jun. 125 30, 71, 77, 84f., 176, 178
Arbeitsausschuß Raumentwesung und Biermann, Wolf 225f., 228, 230 Wirkung auf Lebensmittel, Backversuche
Seuchenabwehr 119f., 124, 142f., 170 Biologische Reichsanstalt, Berlin-Dahlem 19, 38
Arbeitsgemeinschaft Schuppen 43 138-140 28 Wirkung auf Materialien 17, 20, 97,
Arbeitslager 126 Biomel GmbH 218 108
Areginal 111, 125, 128-130, 133, 189f., Bischof von Winchester 98 Wirkung auf Tiere 15, 17, 25, 29f.
198, 236* Blaha, Frantisek 197 Wohnraumdurchgasung 17, 30, 33, 38,
‘Arisierungen’ 93, 113, 123, 204, 223 Blausäure 89
Arsentrichlorid 13, 237* Anwendung in ›Lagern‹ 124, 126, 135, Zulassung zum Verfahren 35f., 38, 40-
Äthylenoxyd 81f., 85f. 110, 112, 124, 171, 202 45, 47-49, 54f., 66, 68, 71f., 83,
210f., 234f., 236* Anwendung zum Massenmord 150, 166, 85, 92-94, 104, 112, 117f., 124,
Auerbach, Herbert 103 196, 201, 203 152, 211, 221, 234f.
Auergesellschaft 12, 14, 30, 218f., 221 Anwendungsvorschriften 35, 39 Bloch-Bauer, Ferdinand 103
Auerwerke AG 136, 219 Arbeitsvorschriften 50-53, 68, 71f. Blohm & Voss 140
Auschwitz. Siehe Konzentrationslager: Aufsaugmaterialien 96, 102, 121, 136 Blumenfeld, Hans 223
Auschwitz Ausbildung zum Verfahren 39, 48, 66, Boch, Dr. 210
Auschwitz-Birkenau. Siehe Konzentrations- 88, 149 Böhm 189
lager: Auschwitz-Birkenau Baumbegasung 18, 97, 170 Bonn-Kardorf 215
Ausräucherungen 36, 72, 82, 237* Bottichverfahren 19, 30, 39, 56, 59, Boos, Fa. 179f.
Aussig 46, 63f., 68, 103, 106, 125, 148 62, 65, 84, 87, 136, 144, 217, 237* Borch, Otto 67
Aussiger Verein. Siehe Österreicherischer chemische Eigenschaften 175. Siehe Bossert, Erwin 82
Verein für chemische und metallurgische auch Cyanwasserstoff Böttcher 125
Produktion Export 127 Bottichverfahren. Siehe Blausäure:
»feste« Blausäure 54f. Bottichverfahren
B flüssige Blausäure 19, 54-56, 60, 77, Bouhler 171f.
Badische Anilin- und Sodafabrik (BASF) 108, 161, 163, 167 Brack 171
26f., 79, 217, 220 Gasrestnachweis 84, 88 Brand, Erich 86
Bahr, Wilhelm 152, 191-193, 201-203 Gehalt 24, 68, 88 Brandenburg 62
Balkan 63, 82, 127 Gewächshaus-Durchgasung 97f.
Neuengamme 3
Ravensbrück 3
Papenburg
Sachsenhausen 1 3 4
Bergen-Belsen
Treblinka 2
Chelmno 1
Dora-
Nordhausen
Dessau Sobibor 2
Buchenwald 6
Majdanek 3
Groß-Rosen 6
Plasow
Theresienstadt 6
Belzec 2
Auschwitz 3
Flossenbürg Kolin
O Konzentrationslager, KZ Lieferanten
in denen mit Giftgas gemordet wurde
Auschwitz Tesch & Stabenow, Degesch
(siehe Kapitel 14) Majdanek Tesch & Stabenow
Natzweiler 5
1 Motorabgase/Gaswagen Sachsenhausen Tesch & Stabenow, Degesch
Dachau 6 Mauthausen 3
2 Motorabgase/Gaskammer Ravensbrück Tesch & Stabenow
3 Zyklon B Stutthof Tesch & Stabenow
Neuengamme Tesch & Stabenow
4 Kohlenmonoxid aus Druckflaschen
Landsberg Groß-Rosen Tesch & Stabenow
5 Blausäure aus Cyaniden und andere Gase Dachau Heerdt & Lingler, Tesch & Stabenow
O Weitere Konzentrationslager Mauthausen Heerdt & Lingler
Buchenwald Heerdt & Lingler
6 darunter Abnehmer von Zyklon B
Theresienstadt Degesch Prag
(siehe Kapitel 15)
Dessau Hersteller Zyklon B
Grenzen 1937
Großdeutsches Reich 1942
VSA-Verlag Hamburg
Nicht auf alle Fragen gibt es einfache Antworten. Aber dieses Buch erlaubt es, sich
anhand vieler bisher unveröffentlichter Fotos und Dokumente ein eigenes Bild von den Firmen
und Leitungspersönlichkeiten zu machen, die die Shoah mit ihrem Wissen, ihrer Technik und
ihren Produkten in diesem Ausmaß erst ermöglichten.
»Was mich glücklich macht, ist, daß diese Halunken, nach denen sonst kein Hahn kräht –
nicht damals, heute erst recht nicht – endlich deutlich vorgestellt werden. Und zwar so
deutlich und leicht verständlich geschrieben, daß es jedem Schüler ab vierzehn, fünfzehn und
ihren Lehrern in jeder Schule in die Hand gedrückt werden sollte.« (Peggy Parnass)
ISBN 3-87975-713-5