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Fliedner

LiebeRana,lieberAchmed
 
LiebeRana,lieberAchmed

BriefeüberDeutschland
zurVertiefungderFragen
desEinbürgerungstests
von

Dr.OrtliebFliedner

KommunalͲundSchulͲVerlagͼWiesbaden
BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek
DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikation
inderDeutschenNationalbibliografie;detailliertebibliografische
DatensindimInternetüberhttp://dnb.ddb.deabrufbar.

©Copyright2018KommunalͲundSchulͲVerlagGmbH&Co.KGͼWiesbaden
AlleRechtevorbehalten
Satz:Kumpernatz+BromannͼSchenefeldb.Hamburg
DruckundBindung:CPIbooks
Umschlagbild:©Ƶnsplash–acͲalmelor

ISBN978Ͳ3Ͳ8293Ͳ1407Ͳ7
Inhaltsübersicht

Vorwort.................................................................................................7

Einleitung..............................................................................................9

ErsterAbschnitt
EineDemokratiebrauchteinWertefundament................................11
1. DieGrundrechtealssubjektiveAbwehrrechte
undalsobjektiveWerteordnung................................................11
2. DieWürdedesMenschen...........................................................13
3. Religionsfreiheit..........................................................................21
4. Gleichbehandlung,Nichtdiskriminierung....................................31
5. Meinungsfreiheit.........................................................................36
6. Asylrecht.....................................................................................44
7. FreieEntfaltungderPersönlichkeitundSchutzder
Persönlichkeit..............................................................................46

ZweiterAbschnitt
InstitutionenundAkteureimdemokratischenStaat........................53
1. Demokratie,Wahlen,Beteiligungsmöglichkeiten.......................53
2. Rechtsstaat..................................................................................60
3. Bundesstaat................................................................................66
4. Sozialstaat...................................................................................70
5. Gewaltenteilung..........................................................................74
6. Verwaltung..................................................................................79
7. Parlament....................................................................................84
8. Parteien.......................................................................................91
9. PolitikerinnenundPolitiker.......................................................102
10. StaatlicheSymbole....................................................................106
11. Wirtschaft..................................................................................111
12. Europa.......................................................................................115

5
BriefeüberDeutschland–Inhaltsübersicht

DritterAbschnitt
UnsereGeschichte............................................................................119
1. GeschichtederDemokratieinDeutschland..............................119
2. GeschichtederBRDundderDDRimEinbürgerungstest..........124
3. Migration...................................................................................129

VierterAbschnitt
FragenzumBundesland...................................................................133

GesamtkatalogderfürdenEinbürgerungstest
zugelassenenPrüfungsfragen..........................................................135
 


6 
Vorwort

AchmedundRanasindeinsyrischesEhepaar,dasvoreinigenJahren
nachDeutschlandkam.
LangeZeitwarensieunsereNachbarn.Wirhalfenihnenhierundda,
sich im deutschen Behördendschungel zurechtzufinden. Dabei freunͲ
detenwirunsan.
WegeneinesneuenArbeitsplatzesmusstendiebeidenineineandere
Stadtziehen.WirbliebenaberinengemKontakt.
EinesTageserhieltichvonAchmedeineMail,dasserundRanaDeutͲ
schewerdenwollten.
Dafür müssten sie noch den Nachweis von Kenntnissen der RechtsͲ
undGesellschaftsordnungundderLebensverhältnisseinDeutschland
erbringen. Mit einem Einbürgerungstest würde geprüft, ob diese
Kenntnissevorhandenseien.
Achmedfragte,obichihnenbeiderVorbereitungfürdiesenTesthelfen
könnte.BeidiesemTestwerdenauseinemFragenkatalogvoninsgeͲ
samt310Fragen33FragenperZufallsgeneratorausgewählt.Zujeder
FragegibtesvierAntworten,vondenenimmernureinerichtigist.
BestandenistderTest,wenn17Fragenrichtigbeantwortetwurden.
IchverstandAchmedsBitteso,dasssienichtnurdierichtigenAntworͲ
ten auswendig lernen wollten, sondern dass sie von mir im ZusamͲ
menhangmitdenTestfragenDeutschlanderklärtbekommenwollten.
IchschlugAchmeddahervor,ihnenbeidendieFragendesFragenkaͲ
talogs thematisch aufzubereiten und ihnen so auch HintergrundwisͲ
senüberDeutschlandzuvermitteln.
AchmedundRananahmendiesesAngebotgernean.
So entstanden die Briefe über Deutschland anhand der Fragen des
Einbürgerungstests.

7
Einleitung

6. WieheißtdiedeutscheVerfassung?
o Volksgesetz
o Bundesgesetz
o DeutschesGesetz
o Grundgesetz

LiebeRana,lieberAchmed,
die Gründung der Bundesrepublik Deutschland begann als ProvisoriͲ
um,danurdiedreiWestzonendesnachdemZweitenWeltkriegvon
den Siegermächten in vier Zonen aufgeteilten Deutschlands sich zu
einemStaatzusammenschlossen.AuchdieHauptstadtBonnsolltenur
ein Provisorium sein, bis Berlin diese Funktion wieder übernehmen
könnte.
Dementsprechend scheute man sich, dem neuen Staat eine richtige
Verfassung zu geben, sondern brachte mit dem Namen Grundgesetz
auchhierdasProvisorischezumAusdruck.
Heute steht der Name Grundgesetz für eine besonders gute VerfasͲ
sung,dieVorbildfürvieleandereVerfassungengewordenist.
AuchunsereDemokratiescheintnach70JahrenihresBestehensstabil
undinguterVerfassung.DochdieserScheinkönntetrügerischsein.
IchgehörezueinerGeneration,dieintensivgefragthat,wieesdazu
kommenkonnte,dassdieersteDemokratieinDeutschland,dieWeiͲ
marer Republik (1918 bis 1933), sich selbst abschaffte und zu einer
Diktatur wurde, die unermessliches Leid über Deutschland und die
ganzWeltbrachte.
Die Antwort, die ich mir auf Grund meiner intensiven Beschäftigung
mitdieserFrageerarbeitethabe,lautet:
EsgabdamalszuwenigeDemokraten.Ganzrechts,ganzlinksundin
weiten Teilen der alten Eliten des Deutschen Reiches wurde die DeͲ
mokratieabgelehnt.MeinetiefeÜberzeugungist,dasseineDemokratie

9
BriefeüberDeutschland–Einleitung

nur bestehen kann, wenn sie von genügend Demokraten getragen


und gestützt wird. Das setzt aber voraus, dass verstanden wird, wie
eineDemokratiefunktioniert,dassmanihreStärkenundihreSchwäͲ
chenkennt.
Indem ich Euch die Stärken, die Schwächen und die Gefährdungen
unserer Demokratie darstelle, möchte ich meinen Beitrag dazu leisͲ
ten, dass Ihr beide Euch als deutsche Staatbürger für unsere DemoͲ
kratieengagierenkönnt,sodasssiestabilundlebenswertbleibt.

10 
ErsterAbschnitt
EineDemokratiebrauchteinWertefundament

1. DieGrundrechtealssubjektiveAbwehrrechte
undalsobjektiveWerteordnung


LiebeRana,lieberAchmed,

beginnen möchte ich mit den Grundwerten unserer Verfassung, die


die Basis und den Rahmen für das gesamte staatliche und gesellͲ
schaftlicheLebeninunseremLandbilden.SiesindindenGrundrechͲ
tenenthalten,diezuRechtganzamAnfangunsererVerfassung,dem
Grundgesetz(GG),stehen.
10 % der Fragen des Fragenkatalogs befassen sich mit diesen GrundͲ


rechten,diezumgrößtenTeilmitdenallgemeinenMenschenrechten
identischsind,wiesieinderMenschenrechtsdeklarationderVereinͲ
tenNationenvom10. 12. 1948kurznachEndedesZweitenWeltkrieͲ
 

gesformuliertwurden.
DieseMenschenrechtemusstenimLaufederMenschheitsgeschichte
gegenüberdenHerrschendenmühsamerkämpftwerden,dadieHerrͲ
scher nur sehr zögerlich den Untertanen eigene Rechte zubilligen
wollten, die sie zu beachten hatten und die damit die eigene Macht
einschränkten.AuchheutegibtesnochzahlreicheStaaten,indenen
die Menschenrechte nicht gelten, weil die Herrschenden ihre Macht
nichtbeschränkenwollen.
In den demokratischen Staaten gehören die Menschenrechte aber
zumwesentlichenBestandteilderRechtsordnung.

11
BriefeüberDeutschland–Grundrechte

Dementsprechend geben die Grundrechte unseres Grundgesetzes


Euch eine Rechtsstellung, die von allen staatlichen Stellen beachtet
werden muss. Sie garantieren Euch zum Beispiel, dass staatliche BeͲ
hörden nicht willkürlich Eure Freiheit beschränken oder einfach in
EureWohnungeindringenkönnen.NurunterklargesetzlichgeregelͲ
ten Voraussetzungen kann Eure Freiheit eingeschränkt werden, z.B.
wenn Ihr eine Straftat begangen habt und ein Gericht Euch dafür zu
einer Gefängnisstrafe verurteilt hat. UnterwelchenVoraussetzungen
GesprächeinEurerWohnungabgehörtwerdendürfen,istsogarinder
Verfassungselbstgeregelt.
DieseBedeutungderGrundrechtebezeichnendieJuristenalssubjekͲ
tive Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat. Oder anders
ausgedrückt: Jeder staatliche Eingriff in die Freiheit, die Privatsphäre
oder sein Eigentum bedarf einer Rechtfertigung, die in der Regel
durcheinGesetzerfolgenmuss.
DieGrundrechtehabenabernocheineweitereBedeutung.Siebilden
zugleicheineobjektiveWerteordnung,diederStaatmitallenseinen
drei Gewalten, der Gesetzgebung,der vollziehenden Gewalt und der
Rechtsprechung,achtenundschützenmuss.Beispielsweisebeinhaltet
dasRechtaufkörperlicheUnversehrtheit,Art.2Abs.2GG,nichtnur
denSchutzvorstaatlichenEingriffen,sondernauchdieVerpflichtung
des Staates, dieses Recht vor rechtswidrigen Eingriffen von anderer
Seite zu bewahren. Ein Beispiel hierfür ist, dass gegen Fluglärm, der
diekörperlicheUnversehrtheitbeeinträchtigt,staatlicheMaßnahmen
ergriffen werden müssen. Die gesetzlichen Diskriminierungsverbote
sindeinweiteresBeispiel.
Auch die Gerichte müssen alle einfachen Gesetze im Sinne dieser
objektivenWerteordnungauslegen.Boykottaufrufekönnennachdem
Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) eine verbotene Handlung darstellen.
Im Einzelfall muss aber eine Abwägung mit dem im Grundgesetz geͲ
schützten Recht auf Meinungsfreiheit erfolgen, das auch Bestandteil
derobjektivenWerteordnungist.

12 
Wertefundament–BriefeüberDeutschland

2. DieWürdedesMenschen


18. WelchesGrundrechtistinArtikel1desGrundgesetzesderBundesͲ
republikDeutschlandgarantiert?
o dieUnantastbarkeitderMenschenwürde
o dasRechtaufLeben
o Religionsfreiheit
o Meinungsfreiheit

LiebeRana,lieberAchmed,
GesetzesvorschriftenmussmaninallerRegelnichtimWortlautkennen.
Esgenügt,dassmandemSinnenachweiß,obeinbestimmtesHandeln
oder Unterlassen erlaubt oder unrechtmäßig ist. Für die Details sind
danndieJuristenzuständig.
EineVorschriftsolltejedochjedermannundjedefrauunbedingtauch
imWortlautkennen,Art.1Absatz1GG:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu
schützenistVerpflichtungallerstaatlichenGewalt.“

DerStaatistumderMenschenwillenda,
nichtderMenschumdesStaateswillen.
Mit diesem Beginn des Grundgesetzes wird unmissverständlich zum
Ausdruck gebracht, dass im Mittelpunkt staatlichen Handelns der
Mensch steht. Art. 1 GG gilt für alle Menschen, gleich welchen GeͲ
schlechts, welcher Hautfarbe oder Herkunft und nicht nur für MenͲ
schen deutscher Abstammung. Leider muss heute deutlich daran

 13
BriefeüberDeutschland–WürdedesMenschen

erinnertwerden,danationalistischeundrassistischeTöneinDeutschͲ
land wieder verstärkt hörbar sind. So möchte ein FraktionsvorsitzenͲ
derimDeutschenBundestagkeinenfarbigendeutschenFußballnatioͲ
nalspieler als Nachbarn haben oder eine deutsche Staatsministerin
mittürkischenWurzeln„nachAnatolienentsorgen“.
DassderdemokratischeStaatfürdieMenschendaistundnichtumͲ
gekehrt, ist einer der wesentlichen Unterschiede zu anderen StaatsͲ
formen.
DerStaatbinich,sollderfranzösischeSonnenkönigLudwigXIVgesagt
haben.AbsoluteHerrscher,Könige,KaiseroderDiktatorenstellensich
in das Zentrum ihres Staates und leiten ihre Macht nicht von den
Menschen,sondernvonGöttern,GottoderderVorsehungab.
DieMenschensinddazuda,denHerrschernzudienenoderzuhuldigen.
In der Demokratie ist dagegen der Staat dazu da, den Menschen zu
dienen.
IneinemderEntwürfe,dievordemendgültigverabschiedetenGrundͲ
gesetzdiskutiertwurden,demsog.HerrenchiemseeͲEntwurf,hießes
sogarinArt.1Abs.1ausdrücklich:
„DerStaatistumderMenschenwillenda,nichtderMenschumdes
Staateswillen“.

Der berühmte Satz des amerikanischen Präsidenten Kennedy, „Frage


nicht,wasderStaatfürDichtunkann,sondernfrage,wasDufürden
Staat tun kannst“, ist deshalb nicht ganz unproblematisch. Mit dem
demokratischen Verständnis vom dienenden Staat ist er nur dann
vereinbar,wenneralsmoralischerAppellverstandenwird,sichinder
DemokratiezuengagierenundnichtnurdemeigenenPrivatinteresse
zufrönen.DenneinefunktionierendeundstabileDemokratiebraucht
politischesEngagementvonmöglichstvielenMenschen.
DieVerpflichtungdesStaates,dieMenschenwürdezuachtenundzu
schützen, ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Viele andere
Grundrechte, die das GG formuliert und die staatliches Handeln imͲ

14 
Wertefundament–BriefeüberDeutschland

mer beachten muss, können als spezielle Konkretisierungen des GeͲ


botsderAchtungderMenschenwürdeverstandenwerden.

DerStaatmusssicherstellen,
dassdieMenschenwürdegeschütztwird.
Vor allem gesetzliche Regelungen sollen den Schutz der MenschenͲ
würdesicherstellen.UnserStrafrechthathiereinewichtigeAufgabe.
Straftatbestände wie Beleidigung, Verleumdung oder Aufstachelung
zu Hass oder Gewalt sollen gewährleisten, dass solche Verletzungen
derMenschenwürdemöglichstunterbleiben.
Gesetzliche Regelungen zum Schutz der Menschenwürde finden sich
auchinRegelungenfürFernsehsendungen.
Soistesu.a.verboten,grausameodersonstunmenschlicheGewaltͲ
tätigkeiten gegen Menschen in einer Art zu schildern, die eine VerͲ
herrlichungoderVerharmlosungsolcherGewalttätigkeitenausdrückt
oderdiedasGrausameoderUnmenschlichedesVorgangsineinerdie
MenschwürdeverletzendenWeisedarstellt.
Eine herausragende Rolle spielt in diesem Zusammenhang das BunͲ
desverfassungsgericht.
Nach den furchtbaren Terroranschlägen am 11. 9. 2001 in New York,
 

alszweivonTerroristengekaperteFlugzeugeindieTwinTowersfloͲ
gen und diese zum Einsturz brachten, wurde auch in Deutschland
überlegt und diskutiert, wie man sich vor solchen Terroranschlägen
schützenkönne.AlsErgebniswurdeimLuftsicherheitsgesetzdieMögͲ
lichkeit vorgesehen, ein Flugzeug abzuschießen, wenn Terroristen es
in ihre Gewalt gebracht hätten, um es zu einer Angriffswaffe umzuͲ
funktionieren.
DasBundesverfassungsgerichterklärtediesegesetzlicheRegelungfür
verfassungswidrig, weil sie gegen das Gebot der Achtung der MenͲ
schenwürdeverstoße.
Einem gezielten Abschuss eines solchen gekaperten Flugzeugs, der
ihren sicheren Tod zur Folge hätte, seien die Passagiere wehrͲ und
hilflosausgeliefert.

 15
BriefeüberDeutschland–WürdedesMenschen

„EinesolcheBehandlungmissachtetdieBetroffenenalsSubjektmit
WürdeundunveräußerlichenRechten.Siewerdendadurch,dassihͲ
reTötungalsMittelzurRettungandererbenutztwird,verdinglicht
undzugleichentrechtlicht;indemüberihrLebenvonStaatswegen
einseitigverfügtwird,wirddenalsOpfernselbstschutzbedürftigen
Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um
seinerselbstwillenzukommt.“(BVerfGE115,118)
Mit anderen Worten: Die Menschenwürde lässt es nicht zu, dass
Menschenlebengegeneinanderabgewogenwerden.
Auch staatliches Unterlassen kann die Menschenwürde verletzen. So
erklärte das Bundesverfassungsgerichteine Regelung des AsylbewerͲ
berleistungsgesetzesfürverfassungswidrig,weildiedortvorgesehenen
staatlichenLeistungenseitachtJahrennichtmehrerhöhtwordenwaͲ
ren, obwohl das allgemeine Preisniveau um mehr als 30 % gestiegen


war.DasGerichtkamdeshalbzudemSchluss,dassdiegesetzlichvorgeͲ
sehen Leistungen „evident unzureichend seien, um das menschenͲ
würdige Existenzminimum zu gewährleisten“. Das Gebot der MenͲ
schenwürde in Art. 1 GG verpflichte den Staat aber, ein menschenͲ
würdigesExistenzminimumzugewährleisten(BVerfGE132,134).
Die beiden folgenden konkreten Sachverhalte beleuchten weitere
AspektederMenschenwürdeundihresSchutzesdurchdenStaat:
Endeder1980erJahrekaminverschiedenenLändernder„ZwergenͲ
weitwurf“als Volksbelustigung auf. Auf Kirmessen oder Volksfesten
wurden junge, starke Männer aufgefordert, einen kleinwüchsigen
Menschensoweitwiemöglichzuwerfen.DerkleinwüchsigeMensch
wurde gewissermaßen wie das Sportgerät bei Sportarten wie z.B.
Speerwerfen, Kugelstoßen oder Hammerwerfen zu einem bloßen
Objekt degradiert. Solche Wettbewerbe wurden deshalb verboten,
obwohlderBetroffeneselbstfreiwilligmitgemachthatte,alsogewisͲ
sermaßenaufdenGrundrechtsschutzverzichtethatte.DerStaatmuss
auch den objektiven Wert der Menschenwürde schützen und darf
nichtzulassen,dassMenschenöffentlichalsreineObjekte,mitdenen
mantunundlassenkann,wasmanwill,behandeltwerden.

16 
Wertefundament–BriefeüberDeutschland

VerbotenwurdendeshalbauchLaserspiele,beidenenmitLaserpistoͲ
lendiesimulierteTötungvonMenschenerfolgte.

ProblematischegesellschaftlicheEntwicklungen
DieWürdedesMenschenkannabernichtalleindurchdenStaatgeͲ
schütztwerden.AuchdieGesellschaftmussdieWürdedesMenschen
achten.
Ich möchte Euch deshalb auf einige gesellschaftliche Entwicklungen
aufmerksammachen,dieichfürproblematischhalte.
Seitetwa15JahrenwerdenimFernsehenProgrammegemacht,indeͲ
nen Menschen nach bestimmten Versuchsanordnungen aufeinander
losgelassenwerdenmitdemerklärtenZiel,möglichstvieleZuschaueͲ
rinnenundZuschauervordenBildschirmzubekommen.
Es begann mit dem Big BrotherͲHaus. Hier bilden in einem Casting
ausgesuchte Menschen eine Wohngemeinschaft, in der sie eine Zeit
lang zusammen leben müssen. Dabei werden sie Tag und Nacht mit
Kamerasbeobachtet.InteressanteBegebenheitenwerdenzusammenͲ
gefasstundindenAbendstundengesendet.DasHausistabgeschlosͲ
sen.Kommunikationvonundnachaußenistnichtmöglich,Zeitungen,
Radio und Fernsehen, Internet gibt es nicht. Zur Unterhaltung der
Zuschauer müssen die Teilnehmer Aufgaben lösen oder sich PrüfunͲ
genunterziehen.
DiesesProgrammwirdinimmerneuenVariationengesendet.
DieAssoziationzueinemZoo,indemmanTierebeobachtenkann,ist
sichernichtallzuweithergeholt.
Besonderer Beliebtheit bei den Zuschauern erfreut sich das jährlich
einmal stattfindende Dschungelcamp. Dort werden ehemals promiͲ
nente Menschen zusammengeführt und müssen Straußenhintern
oderWürmeressenodersichinBehältnissenvollerKakerlakenlegen.
Zwargeschiehtdiesalles„freiwillig“undwirdfinanziellhonoriert.Von
einer Achtung der Würde des Menschen kann aber kaum noch geͲ
sprochenwerden,dadieTeilnehmervondenProgrammmachernzum
ObjektlustvollenVoyeurismusderZuschauerdegradiertwerden.

 17
BriefeüberDeutschland–WürdedesMenschen

WieeineGesellschaftihreKinderundihrealtenMenschenbehandelt,
so sagt man, mache ihren kulturellen und menschlichen Zustand
sichtbar.
HiermöchteichEuchzweiSachverhalteschildern,dieunsnachdenkͲ
lichmachensollten.
ZunächstzudenKindern:
In einer mehrteiligen Serie eines privaten Fernsehsenders sollten
jungeunverheiratetePaareimAltervon17bis19Jahrenproben,wie
sie als mögliche Eltern mit Babys umgehen würden. In einem dafür
bereitgestelltenHaussolltensiesichrundumdieUhrumechteBabys
kümmern,diediewahrenElternzurVerfügunggestellthatten.
In den ausgestrahlten Sequenzen zeigten sich die Probeeltern mit
ihrer Elternrolle völlig überfordert: Die Babys schrien, weinten oder
ließensichnichtfüttern.
Für die Zuschauer entstand somit der Eindruck, dass hier Babys als
VersuchskaninchenfürunreifeTeenagerpaarevondeneigenenEltern
zur Verfügung gestellt wurden. Klar war auch, dass sie dafür vom
Senderbezahltwurden.
Eine unterschwellige Botschaft dieser Serie „Eltern auf Probe“ war
daher,dassBabysfürGeldweggebenwerdenkönnenundihnenauch
zumindest seelische Qualen, wie das Schreien und Weinen deutlich
machte,zugefügtwerdenkönnen.
Wenn eine Gesellschaft es zulässt, beziehungsweise sich in Teilen
sogar daran ergötzt, dass wehrlose Babys zu reinen Objekten degraͲ
diertwerden,umdieInteressenanderer,desSenders,derZuschauer
undderTeenagerpaarezubedienen;wieweitistesdannnochbiszu
denEltern,dieihrKindimInternetalsSexobjektanbieten?
Und auch bei alten,pflegebedürftigenMenschengibt es einenSachͲ
verhalt,dermeinesErachtensihreWürdenichtausreichendachtet.
WeraufGrundseinerPflegebedürftigkeitseineeigeneWohnungaufͲ
geben muss, sucht sich zusammen mit seinen Angehörigen in der
RegeleinPflegeheimnachganzbestimmtenGesichtspunktenaus:die
Nähe zu den Kindern, Enkeln, Freunden und Bekannten, die ErreichͲ

18 
Wertefundament–BriefeüberDeutschland

barkeit des bisherigen Wohnumfeldes, die pflegerischen Angebote.


UmindiesesHeimaufgenommenzuwerden,müssenoftlangeWarͲ
tezeiteninKaufgenommenwerden.
Dieses selbstbestimmte „letzte Zuhause“ kann dem Heimbewohner
jedoch vom Heimbetreiber kurzfristig genommen werden. Denn der
Heimbetreiber kann das Heim z.B. wegen mangelnder Rendite einͲ
fachschließen,sodassderHeimbewohnerineinneuesHeimziehen
muss.DadieKündigungsfristwenigeralszweiMonatebeträgt,hater
dann kaum noch die Möglichkeit, sich ein Heim nach den oben geͲ
nanntenKriterienzusuchen,sondernmussdorthinziehen,wogerade
einPlatzfreiist.
DerUmzugineinneuesHeimistfüralteundpflegebedürftigeMenͲ
schendabeieinebesonderephysischeundpsychischeBelastung,die
zudem mit hohen gesundheitlichen Risiken verbunden ist. Dies gilt
insbesondere für alte Menschen mit Demenz, die feste Strukturen
benötigen und für die jeder Ortswechsel mit Orientierungslosigkeit
undgroßerAngstverbundenist.EinsehrgroßerAnteilderBewohner
von AltenͲ und Pflegeheimen ist aber gerade dementiell verändert
unddaherbesondersschutzbedürftig.
WährendMieter,selbstbeiEigenbedarfskündigunginihrerWohnung
bleibenkönnen,wennderUmzugfürsiemithohengesundheitlichen
Risiken verbunden sein würde, müssen alte und pflegebedürftige
Menschen das Pflegeheim wechseln, wenn der Betreiber des Heims
dasHeimeinfachschließt.
Die Würde dieser alten und pflegebedürftigen Menschen wird hier
nichtausreichendgeachtetundgeschützt,daihrselbstausgewähltes
letztes Zuhause den einseitigen Interessen, wie z.B. den RenditeerͲ
wartungen eines Heimbetreibers, zum Opfer fallen kann und sie
fremdbestimmtineinneuesHeimgehenmüssen.
Die geschilderten problematischen Entwicklungen, die eine schleiͲ
chendeEntwertungderPersönlichkeitundderWürdedesMenschen
inunsererGesellschaftsignalisieren,machenmirgroßeSorgen.

 19
BriefeüberDeutschland–WürdedesMenschen

Dazukommt,dassz.B.imInternetvielfachHassbotschaftenundLüͲ
genverbreitetwerden,denenkaumetwasentgegengesetztwird.BeͲ
leidigungen und Bedrohungen z.B. von Politikern werden nicht ausͲ
reichend verfolgt. Polizisten, ja sogar Sanitäter und Feuerwehrleute
werdenangepöbeltodersogarangegriffen.
Ichdenke,wirmüssensehrwachsamsein,dassdieAchtungundder
Schutz der personalen Würde des Menschen in unserer Gesellschaft
nichtunterdieRäderkommen.

20 
GesamtkatalogderfürdenEinbürgerungstest
zugelassenenPrüfungsfragen

(Fundstellen:
Einbürgerungstestverordnungvom5. 8. 2008(BGBl.IS.1649,geändert
 

durchArt.1derVerordnungvom18. 3. 2013,BGBl.IS.585.
 

Auf der WebͲSeite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge


(BaMF)istderaktuelleFragenkatalogebenfallsabrufbar:
http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/
Integrationskurse/Kurstraeger/Testverfahren/gesamtfragenkatalogͲ
lebenindeutschland.pdf?__blob=publicationFile
Der Fragenkatalog giltgemäß § 3Abs. 2der IntegrationskurstestverͲ
ordnungauchfürdenTest,dendieTeilnehmereinesIntegrationskurͲ
sesabsolvierenmüssen.
ZumBestehendesTestsmüssen15der33Fragenrichtigbeantwortet
werden.WerdenwiebeimerfolgreichenBestehendesEinbürgerungsͲ
tests mindestens 17Fragenrichtigbeantwortet,brauchtbeieinerspäͲ
terenEinbürgerungderEinbürgerungstestnichtmehrgemachtwerden.)

Vorbemerkung:
Eshandeltsichuminsgesamt310Fragen,davon300allgemeineFragen
(TeilI):
aus den Themenfelderndes Rahmencurriculums zum EinbürgerungsͲ
kurs
• „LebeninderDemokratie“,
• „GeschichteundVerantwortung“,
• „MenschundGesellschaft,
und
10landesbezogeneFragen(TeilII),
dienurfürdasjeweiligeBundeslandzubeantwortensind.

135
Anhang–GesamtkatalogEinbürgerungstest

TeilI
AllgemeineFragen
1. In Deutschland dürfen Menschen offen etwas gegen die RegieͲ
rungsagen,weil…
ප hierReligionsfreiheitgilt.
ප dieMenschenSteuernzahlen.
ප dieMenschendasWahlrechthaben.
ප hierMeinungsfreiheitgilt.
2. InDeutschlandkönnenElternbiszum14.LebensjahrihresKindes
entscheiden,obesinderSchuleam…
ප Geschichtsunterrichtteilnimmt.
ප Religionsunterrichtteilnimmt.
ප Politikunterrichtteilnimmt.
ප Sprachunterrichtteilnimmt.
3. DeutschlandisteinRechtsstaat.Wasistdamitgemeint?
ප AlleEinwohner/EinwohnerinnenundderStaatmüssensich
andieGesetzehalten.
ප DerStaatmusssichnichtandieGesetzehalten.
ප NurDeutschemüssendieGesetzebefolgen.
ප DieGerichtemachendieGesetze.
4. WelchesRechtgehörtzudenGrundrechteninDeutschland?
ප Waffenbesitz
ප Faustrecht
ප Meinungsfreiheit
ප Selbstjustiz

136 
GesamtkatalogEinbürgerungstest–Anhang

5. WahleninDeutschlandsindfrei.Wasbedeutetdas?
ප Man darf Geld annehmen, wenn man dafür einen bestimmͲ
tenKandidaten/einebestimmteKandidatinwählt.
ප Nur Personen, die noch nie im Gefängnis waren, dürfen wähͲ
len.
ප DerWählerdarfbeiderWahlwederbeeinflusstnochzueiner
bestimmten Stimmabgabe gezwungen werden und keine
NachteiledurchdieWahlhaben.
ප AllewahlberechtigtenPersonenmüssenwählen.
6. WieheißtdiedeutscheVerfassung?
ප Volksgesetz
ප Bundesgesetz
ප DeutschesGesetz
ප Grundgesetz
7. Welches Recht gehört zuden Grundrechten, die nachder deutͲ
schenVerfassunggarantiertwerden?DasRechtauf…
ප GlaubensͲundGewissensfreiheit
ප Unterhaltung
ප Arbeit
ප Wohnung
8. WasstehtnichtimGrundgesetzvonDeutschland?
ප DieWürdedesMenschenistunantastbar.
ප AllesollengleichvielGeldhaben.
ප JederMenschdarfseineMeinungsagen.
ප AllesindvordemGesetzgleich.

137
Anhang–GesamtkatalogEinbürgerungstest

9. WelchesGrundrechtgiltinDeutschlandnurfürAusländer/AusͲ
länderinnen?DasGrundrechtauf…
ප SchutzderFamilie
ප Menschenwürde
ප Asyl
ප Meinungsfreiheit
10. WasistmitdemdeutschenGrundgesetzvereinbar?
ප diePrügelstrafe
ප dieFolter
ප dieTodesstrafe
ප dieGeldstrafe
11. Wie wird die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geͲ
nannt?
ප Grundgesetz
ප Bundesverfassung
ප Gesetzbuch
ප Verfassungsvertrag
12. Eine Partei im Deutschen Bundestag will die Pressefreiheit abͲ
schaffen.Istdasmöglich?
ප Ja,wennmehralsdieHälftederAbgeordnetenimBundestag
dafürsind.
ප Ja,aberdazumüssenzweiDrittelderAbgeordnetenimBunͲ
destagdafürsein.
ප Nein, denn die Pressefreiheit ist ein Grundrecht. Sie kann
nichtabgeschafftwerden.
ප Nein,dennnurderBundesratkanndiePressefreiheitabschafͲ
fen.

138 

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