Entdecken Sie eBooks
Kategorien
Entdecken Sie Hörbücher
Kategorien
Entdecken Sie Zeitschriften
Kategorien
Entdecken Sie Dokumente
Kategorien
Copyright 1992 Gernot Henning, München. Copyright 2021 Gernot Henning, Wien
Vervielfältigung, Nachdruck und jegliche Form kommerzieller Nutzung verboten.
Danksagung des Autors in der Erstausgabe aus dem Jahr 1992, ergänzt 2021
Meinem lieben Bruder und väterlichem Freund Ulf, der uns Weihnachten 1955 das erste
Grammophon samt einer Bellman-Platte (von Sven-Bertil Taube) schenkte, und dank dessen
Großzügigkeit ich schon im Knabenalter einen herrlichen Sommer in Schweden verbringen durfte -
ein großes Abenteuer, das auch mein Sprachgefühl für das Schwedische sehr förderte.
Meinem Gitarre-Lehrer Josef „Beppo“ Pammer, der mir nicht nur solide Technik vermittelte,
sondern mich auch nach Vernachlässigen meiner Übungen dank pädagogischen Weitblicks nach
Hause schickte, was mich später zu meiner Eigenentwicklung als Autodidakt angespornt hat.
Andreas Büchting, der mich auf die vorzügliche deutsche Nachdichtung der „Fredmans Episteln“von
Peter Hacks, Heinz Kahlau, Hartmut Lange und Hubert Witt aufmerksam gemacht hat3.
Hannelore Greiner, die mir dieses bibliophile Buch, ausstaffiert mit den Grafiken von Werner Klemke,
geschenkt hat. Beides regte mich zur eigenen Übersetzungsarbeit an, da mich diese Lyrik zwar sehr
beeindruckte, mir jedoch oft als zu weit entfernt vom Original erschienen war.
Oben genannten Autoren, da ihnen geniale Übersetzungslösungen für manche mir schwierig
erschienene Passagen Bellmans eingefallen waren, was mich später sehr inspiriert hat.
Ingrid Henning-Loeb und Stefan Loeb, denen ich versprach, dem Groß-Neffen Olle zuliebe mein
Schwedisch zu verbessern, was meine Arbeit beim Übersetzen der Texte Bellmans erleichterte.
Peter „Peppe“ Henning, der mir Norstedts Svenska Ordbok4 verehrte, ein mir sehr
hilfreiches,ausgezeichnetes Synonyma-Wörterbuch, und der mir zwei Sommer lang Gesprächspartner
war. Meinen Freunden und Freundinnen, insbesondere den Musentöchtern unter ihnen, die mir – oft
sogar andächtig, stets aber wohlwollend und, wenn nötig, auch geduldig - gelauscht haben.
Nicht zuletzt meiner lieben Frau Susie, die nicht nur meine Vortragsübungen nachsichtig ertrug,
sondern mich auch zwecks Übersetzungsarbeit verständnisvoll vom ehelichen Pfühle beurlaubte.
Im Jahr 2021 danke ich Dr. Ingrid Henning Loeb, Stefan Loeb, Erik Andersson, Peter Oljelund
in Schweden für ihre wichtigen Anregungen zur Titelwahl und zum Feinschliff des Vorwortes,
Herrn Patrik Hadenius, Publishing Director des Norstedts Förlag, Stockholm, für die freundliche
Genehmigung, Notenblätter von Roland Bengtson aus den Büchern „Fredmans Epistlar“7
und „Fredmans Sånger“8 des PRISMA Verlags in Stockholm als Faksimile im Folgenden abzudrucken,
Herrn Klaus-Rüdiger Utschick, 1. Vorsitzender der Deutschen Bellman-Gesellschaft, sowie
Frau Uta Helmbold-Rollik, Verlegerin des UHR Verlages und Schriftführerin der Gesellschaft, für ihre
vielen hilfreichen Veröffentlichungen und die Überlassung von Bildern des Malers Elis Chiewitz 5 ,
Herrn Jürgen Thelen (alias Thelonius Dilldapp, Spielmann und Sänger) für seine Erlaubnis, einige
Daten aus seinem Vortrag 6 „Bellman auf Deutsch“ aufzunehmen, meinem Freund,
dem Maler Peter Sengl, der das Porträt „meines authentischen Bellman“ für das Titelblatt 1 zeichnete,
Herrn Dr. Gerhard Etzel für das präzise Lektorat und die Beantwortung vieler technischer Fragen,
Hannelore Greiner, Susie Henning, Andreas Büchting und Robert Konecny (min gamla kompis),
die den Entwurf dankenswerter Weise gelesen haben und mir viele wertvolle Hinweise gaben,
Frau Susanna Heilmayr für ihre kundige musikalische Beratung und die Prüfung der Noten und -
lastbut not least - meinem lieben Sohn Markus „Eliot“ Henning für die grafische Gestaltung.
Inhaltsverzeichnis
1 Titelblatt
3 Danksagung
4 Inhaltsverzeichnis
5 Vorwort
Gesänge
12 nr 7 An Liebe und Bacchus
Vorwort
Über Carl Michael Bellman, sein historisches Umfeld und die drei Aspekte
seines Werks, den literarischen, den musikalischen und den seelischen,
die untrennbar miteinander verflochten sind
Carl Michael Bellman wurde im Jahre 1740 in einer Zeit voll dramatischer Veränderungen,
politischer und gesellschaftlicher Konflikte und zahlloser Widersprüche zwischen vielen
begeisternden Visionen und grausamer Realität geboren. Diese Spannungsfelder in seiner
Umgebung hatten den heranwachsenden Carl Michael ganz wesentlich beeinflusst. Denn er
war ein Kind des gehobenen Stockholmer Bürgertums. Sein Vater war Sekretär in der
Hofkanzlei des schwedischen Königs, sein Großvater ein ehrenwerter Professor in Uppsala.
Zunächst versuchte er, den Ansprüchen seiner religiös und monarchistisch orientierten
Familie zu entsprechen – ein vergeblicher Kampf mit sich selbst im Widerspruch zu seinen
Anlagen, Talenten und seinem Innersten. Den entscheidenden Schritt für seine weitere
Entwicklung setzte er, als er das Studium nach kurzer Zeit abbrach, wodurch er seinen Vater
wohl bitter enttäuscht haben dürfte. Danach blieb er auf verschiedenen Positionen einer
bürgerlichen Karriere erfolglos, bis er zu seiner wahren Identität als „trubadur“ fand.
Dieses schwedische Wort bedeutet viel mehr, als „troubadour“ oder „Minnesänger“. Ein
„trubadur“ ist nicht nur ein Dichter und Musiker, der seine Welt kritisch betrachten und den
Freuden und Leiden, Hoffnungen und Ängsten der Mitmenschen durch seine Lieder
Ausdruck verleihen kann. Zum „trubadur“ wird nur, wer mit dem Vortrag seiner Kunst direkt
zu den Seelen seines Publikums dringen, sie berühren, sie erfreuen, begeistern und trösten
kann. Erst das Leben und Wirken des Schweden Bellman haben diesem schwedischen Wort
„trubadur“ seine ganz besondere inhaltliche und emotionale Bedeutung gegeben.
Die innige Verflechtung von Lyrik und Musik und seine musikalischen und schauspielerischen
Fähigkeiten sind das Herausragende in Bellmans Schaffen. Im Laufe der Jahre adaptierte er
im eigenen Vortrag Lyrik und Musik immer wieder aufs Neue und verwob so beides immer
kunstvoller miteinander. Wäre seine Muttersprache nicht schwedisch, sondern englisch,
französisch oder deutsch gewesen – er wäre wohl längst als einer der ganz großen Lyriker in
die europäische Kulturgeschichte eingegangen.
Bellmans Epoche nannte man „die Freiheitszeit“, die mit der Entmachtung des Königshauses
und der Stärkung des schwedischen Adels im Jahr 1721 begann. Denn als König Karl XII. in
diesem Jahr ganz überraschend starb, war Schweden ausgeblutet und finanziell ruiniert.
Zwei Jahrzehnte lang hatte dieser Kriegs-besessene Jüngling auf dem Königsthron seine
6
Armeen in wahnwitzigen Feldzügen durch Polen und Russland bis zur Krim geführt. Sein
Großer Nordischer Krieg war zu Ende, durch den die baltischen Territorien und die Stellung
Schwedens als Großmacht Schritt für Schritt verloren gegangen waren. Der internationale
Einfluss nahm gleichzeitig stetig zu. Es war höchste Zeit für den Machtwechsel gewesen.
Die Freiheitszeit war zunächst von zunehmendem Wohlstand der Gesellschaft Stockholms
und von einer allgemeinen Lockerung der Sitten geprägt. Das Vorbild war Frankreich, dessen
Lebensstil und hochentwickelte Kultur man bewunderte. Das Volk litt jedoch unter Willkür,
Missernten und Hungersnot. Russland spielte sich zur „Schutzmacht“ Schwedens auf und
besetzte wichtige Teile des Landes. Ein Volksaufstand in der Provinz Dalarna gipfelte 1743 in
einem Marsch nach Stockholm. Dort wurden tausende Söhne des Landes von den eigenen
Truppen und von russischen Soldaten niedergemetzelt. Dieses Trauma verschärfte die
Spannungen zwischen dem „ausländischem“ Königshaus und der Bevölkerung gravierend.
Daher ermöglichte die Freiheitszeit zwar die Bildung eines bürgerlichen Mittelstandes, auch
der wirtschaftliche Aufschwung wurde - durch Aufklärung und beginnende Industrialisierung
gestützt - vorangetrieben. Andererseits bewirkten jedoch die hemmungslose Gier des Adels
nach Reichtum und Macht eine Korrumpierung der neuen Eliten sowie die Verelendung
weiter Bevölkerungsschichten, vor allem des neu entstandenen Proletariats in den
unvorstellbar menschenfeindlichen Fabriken. Die Kluft zwischen aufklärerischen Idealen und
aufstrebendem Bürgertum einerseits und der brutalen Wirklichkeit wurde unerträglich.
Zweihundertfünfzig Jahre später können wir uns das Stockholm des jungen Bellman kaum
noch vorstellen. Die Stadt war ja nicht nur Zentrum eines großen Reiches, sondern auch
Drehscheibe des Nordens im Handel zwischen Ost und West. Mit 70.000 Einwohnern zählte
Stockholm zu den europäischen Großstädten. Dazu kamen Reisende aus den Provinzen und
aus aller Herren Länder, ein buntes Gewirr von Händlern, Seeleuten und fahrendem Volk.
In dieser quirligen Megalopolis des Nordens lebten auf engstem Raum Menschen aller
Schichten in einer multi-kulturellen Mischung aus Einheimischen, Ortsansässigen und
Fremden. Man ging des Tages seinen Geschäften, des Nachts jedoch in über 700 Kneipen,
zahllosen Freudenhäusern und in privaten Gesellschaften nur seinen Vergnügungen nach.
Es war eine komplexe, arbeitsteilige Gesellschaft - die es sich leisten konnten, frönten
barocker Lebensart, die anderen hausten in unvorstellbarem Elend. Maschinen gab es keine.
Alles, was der Bauer oder Fischer, der seine Produkte auf den Stadt-Märkten feilbot, da an
Bauwerken und Artefakten bestaunte, war von Hand gemacht. Das gemeine Volk nährte sich
redlich allein durch seine Arbeitskraft, von der einfachsten Dienstleistung bis hin zum
Kunsthandwerk auf höchstem Niveau. Angetrieben wurde dieses wirtschaftliche perpetuum
mobile von der gewaltigen Kluft zwischen Arm und Reich und vom Export der Bodenschätze.
Die Epistel Nr. 33 besingt eine fröhliche Menschenmenge, wie sie am Bootssteg wartet, voll
Vorfreude auf die Überfahrt zum Ausflug ins ländliche Paradies Djurgården. Da sah man
Gelehrte von europäischem Rang neben Veteranen, die auf den Schlachtfeldern ihres Königs
alle Bestialität erlitten, aber auch begangen hatten, derer der Mensch fähig ist. Mitten drin
7
stand der versoffene Stadtmusikant Movitz, eine Kunstfigur Bellmans, mit dem Kontrabass
am Rücken und seinem Waldhorn unter dem Arm – Bellmans „musikalisches alter ego“.
Nüchtern hätte dieser Virtuose durchaus im Orchester Mozarts mitspielen können.
Ermöglicht wurde ein geordnetes Miteinander dieser brisanten sozialen und kulturellen
Mischung nur durch eine strenge, hierarchische Ordnung. Sie wurde von der Macht der
Kirche, die auf einer großen Volksfrömmigkeit aufbaute, sowie von der gnadenlosen
Sanktionierung aller Normabweichungen durch die Obrigkeit durchgesetzt. Die letzten
Strophen von Epistel Nr. 36 besingen die Verhaftung von Bellmans Haupt-Protagonistin Ulla
Winblad wegen des unzulässigen Tragens von Luxusstoffen. Ein seidenes Brusttuch war bei
einer Arbeiterin ein „Vergehen“, das mit längerem Arrest im Arbeitshaus bestraft wurde.
Heute würde man Bellman wohl als sozialkritischen Liedermacher sowie als hervorragenden
Entertainer bezeichnen. Bellmans zunehmend kritische Haltung zur herrschenden
Gesellschaftsordnung und sein Versagen in ihr haben sich gegenseitig bedingt und verstärkt.
Die Anregungen zu seinen Texten holte er sich aus dem wirklichen Leben. Mit beißendem
Spott begann er als Dichter, die Schwächen seiner Klasse anzuprangern. Der Gesang Nr. 21
„Nun bummeln wir gemütlich fort“ ist fast schon ein „schwedischer Jedermann“. Bellmans
Interesse und seine Liebe galt den Außenseitern, den Gescheiterten und Verstoßenen. Deren
Zahl wuchs wegen der Schattenseiten der Freiheitszeit stetig an. Repression und Inflation,
Konkurse und unternehmerische wie private Katastrophen sorgten für reichlich Nachschub.
Jean Fredman, einst ein ehrenwerter Uhrmacher, war ein stadtbekannter Trinker ohne Uhr,
Werkzeug und Geschäft. Sein Name sagt schon, dass er der politischen Fraktion der „Hüte“
angehörte, die sich an Frankreich orientierte, im Gegensatz zu den Russland-freundlichen
„Mützen“. Bellman machte Fredman zur Kunstfigur mit autobiografischen Zügen, also zu
seinem „lyrischen alter ego“. In den Episteln erhöhte er ihn zum Bacchuspriester, nach dem
Schönen und nach Liebe dürstend. Epistel Nr. 23 „Ach, meine Mutter“, Fredmans Monolog
im Rinnstein, ist eine der bewegendsten Schilderungen eines Säufers in der Weltliteratur.
Bellmans Biografien sind voll von Widersprüchen. Sein Biograf Atterbom 10 beschrieb
Bellman als im Privatleben scheuen und zurückhaltenden Menschen. Er konnte einen ganzen
Abend lang in einer Kneipe im Hintergrund sitzend bei einem einzigen Bier zubringen, dabei
jedoch die Menschen aufmerksam beobachtend. Es ist jedoch erwiesen, dass Bellman die
Schattenseiten des Alkohols in ihren tiefsten Tiefen sein Leben lang oft und oft selbst erlebt
hat. Dies bezeugen die Lieder Nr. 15 „Kellernymphen“, Nr. 16 „Auf die Welt kam ich“ und Nr.
7 „Liebe und Bacchus“. Sie erweisen sich bei genauem Lesen jedoch als höchst selbstkritisch
und an sich selbst verzweifelnd. Gräfin Rålamb, die den alternden Bellman zum Vortrag in
privatem Kreise einlud, empfahl man, für reichlich Wein vom besten sorgen, weil dann
Bellman, animiert und enthemmt, eher zum Citrinchen, seiner kleinen Laute, greifen würde.
Mit Geld konnte Bellman überhaupt nicht umgehen. Er gab stets mehr aus, als er hatte und
er machte hemmungslos Schulden. Daher litt er Zeit seines Lebens unter aller Art von
Geldverleihern, Wucherern und Geldeintreibern, für deren Repressalien er sich in seinen
8
Liedern revanchierte. Im Gesang Nr. 11 träumt Fredman, er würde als mächtiger König über
seine Peiniger triumphieren. Wie eine tröstliche Vorahnung wirken Bellmans Gesänge Nr. 19
„Gläubiger Tod“ und Nr. 20 „Meine Bürgen“. In beiden entflieht Fredman seinen Gläubigern
in die Ewigkeit – genau so, wie es Bellman selbst am Ende seines Lebens getan hat.
Ganz im Sinne von Humanismus und Aufklärung identifizierten sich Bellmans Zeitgenossen
einerseits gerne mit den lebensfrohen und trinkfesten Gestalten der griechischen
Mythologie und machten sich andererseits über die strengen Figuren der Bibel lustig. Die
Gesänge Nr. 41 vom „Joachim aus Babylon“ und Nr. 35 über den „Alten Noah“ sind typische
Vertreter dieser Bibelparodien. Das Skurrile, der Witz und die Ironie dieser fröhlichen Texte
sind jedoch stets ambivalent und entgleisen auch bei erotischen Anspielungen nie ins Zotige.
Mannigfach besungen hat Bellman auch die zahlreichen Wirtshaushuren Stockholms, die er
zu Nymphen verklärte, die jedoch in Wahrheit zwischen Suff und Syphilis die kurze Blüte
ihrer Jugend verlebten. Sehr viele Lieder hat er Ulla Winblad gewidmet, der Schönsten der
Schönen, die er zärtlich in der Epistel Nr. 3 „Vater Berg stößt in das Horn“ oder in Nr. 36 „Lag
Ulla einst im Bett allein“ beschreibt. Auch sie war eine reale Figur, in ihrem Wesen wohl
Bellmans weibliches Pendant: Beide waren von der Natur mit größten Talenten beschenkt,
aber schon in der Jugend durch Familie und Umwelt aus der Bahn geworfen worden, an sich
selbst und an den Zwängen der Gesellschaft verzweifelnd und zuletzt dem Alkohol verfallen.
In seinen Liedern gelingt es Bellman, die Seelentiefe dieser Menschen, ihre - trotz Not,
Krankheit und Missgeschick - unstillbare Sehnsucht nach dem Schönen, und ihre Liebe
zueinander zu erfühlen und zu besingen. Besonders beeindruckend sind diese Schilderungen,
wenn sie sich mit Bellmans begeistertem Naturerleben verbinden, etwa in der Epistel Nr. 48
„Heimreise von Hessingen“, Nr. 82 „Raste an dieser Quelle“, in Lied Nr. 32 „Abendgesang“,
Nr. 64, der Huldigung an das Schloss „Haga“ und Nr. 31, sein Liebeslied an „Amaryllis“.
Musikanten sind neben den Nymphen die Hauptakteure in Bellmans Liedern. Höhen und
Tiefen des Musikantenlebens finden sich in den Episteln Nr. 2, eine Huldigung an den
Meistergeiger Fader Berg. Nr. 12 besingt den Selbigen als Flötisten, nach dem unglückseligen
Konzert im „Gröna Lund“, das in einer wüsten Schlägerei endete. Dem Harfenisten Mollberg
ist Epistel Nr. 45 gewidmet, als er durch das Spielen einer Polka im Wirtshaus „Råstock“ in
einen politischen Streit für und wider Polen verwickelt wurde. Gänzlich unschuldig wird er
dabei nicht nur schwer verletzt, sondern zum bitteren Ende des Dramoletts schlägt ihm die
betrunkene Wirtshaus-Kupplerin, genannt „Madam“, auch noch seine Harfe entzwei.
Der Tod ist in Bellmans Schaffen allgegenwärtig. Vielleicht ahnte er - als ungemein sensibler
und hellsichtiger Mensch - am Vorabend der großen Revolutionen den Untergang seiner
Gesellschaft voraus. König Gustav III., sein wichtigster Förderer und Gönner, wurde auf
einem Maskenball 1792 aus politischen Gründen ermordet, für Bellman eine persönliche
Katastrophe. Wenig später wurde Ludwig XVI. abgesetzt und endete im folgenden Jahr unter
der Guillotine. Ganz Europa versank in Aufruhr, Gewalt und Elend, eine sinnenfrohe Epoche
ging zu Ende. In Frankreich ertrank diese dramatisch in einem Meer von Blut, in Schweden
9
wurde der Schlussstrich - weniger spektakulär - nur durch einen langsamen Abstieg in die
wirtschaftliche wie politische Bedeutungslosigkeit auf europäischer Bühne gezogen.
Vielleicht waren es aber auch nur die Widersprüche der Gegenwart und die Angst vor der
unsicheren Zukunft, die Bellman Verhältnis zum Tod inspirierten. Das Stockholm der
Bellman-Zeit war bei Tag und bei Nacht geprägt von der Suche nach Erleben, Spaß und Lust
in einem ebenso überschäumenden, wie vergeblichen Wettlauf mit dem Tod. Die
hygienischen Verhältnisse im Stockholm waren katastrophal. Je ärmer, desto niedriger die
Lebenserwartung. Tuberkulose, Syphilis und Ruhr waren Volksseuchen, Krankheit, Tod und
Begräbnis guter Freunde waren „normal“ - eine immer wiederkehrende Erfahrung im Alltag
von Bellmans Zeitgenossen. Epistel 81 „Sieh unsre Schatten“ beschreibt, wie Fredman und
Movitz, die beiden „alter egos“ Bellmans, eine einst so lebenslustige Wirtin begraben. Lied
Nr. 6 macht sich über die Beerdigung eines zum „Bacchus-Ritter“ erhöhten Kumpans lustig -
in Wahrheit ein Branntweinbrenner, dessen Atemluft alleine sein Weib betrunken machte.
Die Überwindung der Todesfurcht ist die stärkste Triebfeder seiner Dichtung. Dazu nutzt
Bellman einerseits Parodie und andererseits mystische Überhöhung. In der grausamen
Realität von Epistel 79 „Charon ins Horn gestoßen“ sitzt Fredman in einer miesen
Kaschemme und stillt seinen Hunger mit elendem Fraß auf Pump. Seine Todesahnungen
ertränkt er im Alkohol und lässt der Verachtung der Welt und seiner selbst freien Lauf.
Gleichzeitig steht seine Seele am Styx und durchleidet alle Ängste des Sterbenden auf dem
letzten Wege in die mythologische Unterwelt. Das Lied endet abrupt mit einem zugleich
zynischem, wie auch tröstlichem „Gut Nacht, Madam“ an die Schankwirtin Maja Myra, was
jede Deutung und jedes Ende dieses bewegenden „Dramoletts auf zwei Ebenen“ zulässt.
Drei Jahre nach seines königlichen Gönners Tod war Bellman nach vielen bitteren
Erfahrungen völlig verarmt, vereinsamt und krank. Wie sein „alter ego“, der Stadtmusikant
Movitz, starb Bellman im Jahr 1795 in Stockholm an der Tuberkulose, nach einer
demütigenden Haft im Schuldturm wegen einer Bagatelle. Kaum ein Lied drückt Bellmans
ambivalente Lebenserfahrungen treffender aus, als der Gesang Nr. 56 „Nota bene“. Ich
denke, Bellman schrieb einen Dialog zwischen seinen beiden „alter ego“: Fredman, dem
Optimisten, und Movitz, dem Realisten. Movitz relativiert Fredmans überschwängliche
Begeisterung für Schönheit und Wein mit seinen trockenen Kommentaren „nota bene“.
Es ist völlig unmöglich, Bellman allein durch Lesen ganz zu erfahren. Seine Lyrik ist zwar
aussagestark und metrisch kunstvoll gebaut, aber zum vollen Leben erweckt wird sie erst
durch die Musik. Nur gemeinsam erreichen beide die geplante Wirkung. Bellman bediente
sich dabei ungeniert aus Kammermusik, Opernarien, beliebten Lieder sowie populärer Tanz-
musik bekannter Komponisten aus verschiedenen Ländern, woran niemand Anstoß nahm.
Dass Bellman im deutschen Sprachraum so wenig bekannt geworden ist, liegt auch in dieser
engen Verflechtung von Sprache und Musik begründet. Wegen gravierender Unterschiede
zwischen schwedisch und deutsch galt Bellmans Lyrik daher lange als „unübersetzbar“. Viele
ins Deutsche übertragene Bellman-Texte entgleisen daher stellenweise zu allzu freien
10
„Nachdichtungen“, die sich aus meiner Sicht zu sehr vom Original Bellman entfernen. Die
„der Werk-Treue verpflichteten“ Übersetzer kann man an den Fingern einer Hand abzählen.
Nähere Erläuterungen zur Übersetzung Bellmans ins Deutsche finden sich im Nachwort.
Bellmans Musik ist, dank guter Überlieferung, zwar genau bekannt, aber dennoch schwer zu
reproduzieren. Augenzeugen zufolge hat sich Bellman bei seinen Vorträgen meist selbst auf
seinem Citrinchen begleitet. Dieses trug er stets am Gürtel unter seinem Überrock. Daher
wird zur Begleitung meist die ähnliche Gitarre bevorzugt. Der in den Büchern des Prisma
Verlages Stockholm, Copyright 1962, publizierte Gitarresatz von Roland Bengtson stützte
sich nach eigenen Angaben weitgehend auf die Erstausgabe Olaf Åhlströms von 1791.
Wenn Bellman spielte und sang, waren oft kunstfertige Instrumentalisten zugegen, die sich
ihm - gemäß barocker Musiktradition, mit ihrer großen Freiheit zur Improvisation - in einer
Art „Jam Session“ zugesellten. Wenn man Bellman’sche Musik authentisch spielen will,
sollten daher Fader Bergs Flöte und Geige, Movitz’ Waldhorn und Kontrabass, Mollbergs
Harfe, sowie Oboe, Fagott oder Klarinette mit dabei sein. Bellmann konnte alle diese
Instrumente, ja sogar die Orgel, ganz ausgezeichnet mit dem Munde imitieren. Er führte die
Zwischenspiele also selbst aus, wenn gerade keiner seiner Musikerfreunde zur Hand war.
Zum Abschluss folgt der Tagebucheintrag des jungen Dichters Johan Gabriel Oxenstierna,
Spross einer bedeutenden schwedischen Adelsfamilie, über einen Auftritt Bellmans: 10
„Ich habe nun wahrhaftig in meinem ganzen Leben noch nie so gelacht wie heute Abend.
Bellman hat einen Orden gegründet zu Ehren des Bacchus, worin keiner aufgenommen
werden darf, der nicht mindestens zweimal öffentlich im Rinnstein gelegen hat. Er hält
bisweilen Versammlungen ab, schlägt Ritter, und diesen Abend hielt er eine Gedenkrede über
einen verstorbenen Ritter; alles in Versform gesetzt nach einer Opernmelodie. Er singt selbst
und spielt die Zithera. Seine Gestik, seine Stimme, sein Spiel, welche unvergleichlich sind,
steigern nochmals das Vergnügen, das die Verse selbst bereiten, die immer schön sind und
Gedanken enthalten, die teils lächerlich, teils erhaben, aber immer neu, immer stark, immer
unerwartet sind, über die man nicht umhin kann zu staunen, und entweder ganz außer sich
gerät vor Verwunderung oder Gelächter“. 10
Diese Beschreibung kommt nach meinem Empfinden der Wahrheit sehr nahe. Sowohl
Bellmans Lyrik, als auch die Emotionen seines Publikums waren geprägt vom ausweglosen
Konflikt ihrer Epoche zwischen Idee und Wirklichkeit. Bellman konnte, getrieben von diesem
11
Elias Martin: Porträt seines Jugendfreundes Carl Michael, vermutlich vor 1867 gemalt11
12
Gesang nr 7
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans sånger“ S. 39, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
14
Gesang nr 16
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans sånger“ S. 59, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
16
Auf die Welt kam ich, will leben drum auf allerbeste Weis 13
17
Gesang nr 6
(Choral)
Nie schien die Morgensonn dir klar, dein Mittag bloß ein Dämmern war 14
18
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans sånger“ S. 38, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
20
Gesang nr 11
Portugal, Spanien
Gesang nr 15
Ihr Nymphen aus dem Keller
Kellergesang
(Allegro ma non troppo)
Ihr Nymphen aus dem Keller Will nie mehr nüchtern werden,
tripp trapp, tripp trapp, denn alles hier
springt flink herbei, ist ja so toll;
an Spund und Hahn bedrückt lebt man
dreht schneller, auf Erden,
los geht die Sauferei; wankt man dahin nicht voll.
durstig bin ich, Drum mein Befund:
fürchterlich, off‘ner Schlund
schwach und siech; macht gesund,
noch mehr Wein, ich bitte dich. labt mich bis zur letzten Stund‘.
Trink aus Dein‘ Glas, der Tod18 schon auf Dich wartet,
schleift nun sein Schwert und steht auf deiner Schwell‘.
28
Gesang nr 19
Gläubiger Tod
(Andante)
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans sånger“ S. 65, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
30
Gesang nr 20
Meine Bürgen
(Andantino)
Fredmans Begräbnis 19
32
Gesang nr 21
Nun bummeln wir gemütlich fort Du mit dem kecken Hut beim Krug,
von Bacchus’ Lärm und Treiben toll, rotwangig, aufgeschwemmt vom Wein;
da ruft der Tod: Du, Nachbar dort, bald zieht vorbei dein Leichenzug
dein Stundenglas ist voll. in dichten, schwarzen Reih‘n;
Du, Alter, wirf die Krücken hin, ja du, du Großmaul, sprich nur schlau,
du, Jüngling, folge dem Gebot, wähnst dich mit bunten Orden stark;
die Nymph‘ im Arm, Lieb‘ noch im Sinn, schon hobelt eifrig passgenau
nimm mit dir in den Tod. der Tischler deinen Sarg.
Meinst du…etc. Meinst du…etc.
Meinst du, dass dein Grab zu tief Dir sei, na, dann hast noch einen Schluck du frei
und dann dito noch einen, noch zwei und noch drei,
dann stirbst vergnügt du, und bist froh dabei.
33
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans sånger“ S. 69, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
34
Doch du, griesgrämig, geizig, bloß Und du, mit ehrlichem Gesicht,
verliebt in deinem Pfennigschrein, schmähst hinterrücks die Freunde gleich,
hockst hinter Riegeln, Gittern, Schloss: verleumdest sie und schämst dich nicht
marsch, in die Kiste rein! und bist an Ränken reich;
Du, eifersüchtig ohne Maß, und du, der sie nicht nimmt in Schutz,
zerschlägst die Flaschen, den Pokal; obschon aus ihren Flaschen du
sag „Gute Nacht“, trink aus dein Glas, gesoffen hast voll Eigennutz,
und grüß deinen Rival. was sagst du jetzt dazu?
Meinst du …etc. Meinst du…etc.
Und du, der mit der Titel Klang Jedoch dich, der du wieder nicht
vergoldet seinen Bettelstab, bezahlst an deinen Wirt, der flink
nicht einen Schilling ist dein Rang dir alles bestens angericht’
mehr wert, liegst du im Grab; ruft zu der Tod nun: Trink!
Du Nörgler, der du, feig und dumm, Verjagt sodann von Wein und Schmaus
verdammst die Wiege, die dich trug, dich böse samt dem Anhang und
bloß stockbesoffen lungerst rum: schmeißt euch unhöflich alle raus,
leer deinen letzten Krug. reißt dir das Glas vom Mund.
Meinst du …etc. Meinst du ...etc.
Du, der bei schmetternder Trompet‘ Sag, bist du froh jetzt, Nachbar mein,
marschiert‘ in blutdurchtränktem Kleid, dann preis die Welt mit mir zum Schluss;
und du, der sich im Himmelbett schlägst Du den gleichen Weg mit ein?
vertreibt zu zweit die Zeit; Dann trink aus, mit Genuss.
du, der ans heil’ge Buch fest glaubt, Doch erst verneig Dich und Hut ab
führst wider Lust und Sünde Krieg, vor unsrer Wirtin und dem Wein,
im Tempel wiegst dein weises Haupt; dann rutschen wir ins frische Grab
nicht ihr erringt den Sieg. im Abendsternenschein.
Meinst du, dass dein Grab zu tief Dir sei, na, dann hast noch einen Schluck du frei
und dann dito noch einen, noch zwei und noch drei,
dann stirbst vergnügt du, und bist froh dabei.
35
Gesang nr 31
Amaryllis
Der Fischfang
(Menuetto)
………..
Fiskarnas torp 21
36
Amaryllis
37
Gesang nr 32
(gekürzte Vortragsfassung)
Abendlied
(Andante)
Der heil’ge Hain liegt still, nichts rührt sich an der Quelle,
im Wasser klar und tief Timanthes spiegelt helle
des vollen Mondes Rund.
Alexis Leier hängt im Eich an ihrer Stelle,
er schläft im Wiesengrund.
40
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans sånger“ S. 91, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
41
Nun stellt sich Friede ein, schon schwinden mir die Sinne,
leg weg die Flöte, Pan! Alexis‘ Spiel beginne,
im Wald die Lyra klingt.
Zyklopen, Faune, still! Windgeister, haltet inne!
Apollo selbst nun singt.
Gesang nr 35
Vater Noah
(Andantino)
.
Vater Noah, Vater Noah Noah rudert, Noah rudert
war ein Ehrenmann: aus der Arch‘ mit Geld,
aus der Arche ging er, schnell sah man ihn laufen
pflanzen gleich anfing er Flaschen einzukaufen,
gar viel Wein, ja, gar viel Wein, um zu trinken, um zu trinken
ja, so hat er’s getan auf die neue Welt.
43
44
Auch Frau Noah, auch Frau Noah Nach der Sintflut, da war’s lustig
ehrenwert wie er. alles neu und frisch;
Sie bracht‘ ihm zu trinken. durstig blieb wohl keiner
Tät sie nach mir winken voll war bald manch einer
Nähm ich gerne sie, alle schmausten,
nähm ich gern sie alle schmausten
mir zur Frau gleich her. an gedecktem Tisch.
Niemals sagt sie, niemals sagt sie: Kein Gelage, kein Gelage
Liebster Vater, nein. machte da Beschwer,
Setzt dem frohen Zecher jeder trank auf jeden
vor den vollen Becher; wie im Garten Eden
Rausch um Rausch um bis zum Grunde,
Rausch um Rausch schenkt bis zum Grunde
sie geduldig ein. so sein Glas gleich leer.
45
Gesang nr 41
Andante
Joachim Joachim,
freite einst in Babylon der war ein grundehrlicher Mann;
ein aber
schönes Weib, die Susanna. noch ehrenwerter war die
Frau Susann‘;
Unsere Joachim,
Damen sind gleich tugendhaft, der war mit Dukaten bestückt;
die er
soll‘n alle hoch jetzt leben! wusste zu dienen den Gästen;
Lasst uns heben saft‘ge Reben, mit dem Besten sie zu mästen
das gibt neue Kraft! ist ihm stets geglückt;
Klingt mit den Gläsern, auch Frau Susanna
singt jetzt mit mir im Chor, niemals Trübsal dann blies;
ihr denn
Burschen und Mädchen; Alter, hungrige Freier sie nicht
komm, sing uns vor! hungrig entließ;
Von Susanna, wie Susanna manch ein Alter, noch nicht Kalter
fast ihr Herz verlor. zum Gelage stieß!
Joachims
Park, der war ein Kleinod schier;
im
Lusthaus Tapeten von Seide.
Heiß wars heute, voller Freude
war Susanna hier.
Hoch ragten
alte Bäume rund um den Teich;
da
drin schwamm Susanna
froh im Schatten der Eich,
wie sie planschte, wie sie planschte,
schimmernd liliengleich.
47
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans sånger“ S. 115, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
48
Movitz
Virtuoser Stadtmusikant auf vielen Instrumenten. Er besaß nicht
nur eine Bassgeige und eine Leier, ein Waldhorn, mehrere Flöten,
Klarinetten und Oboen, er spielte auch Harfe, Fagott und Pauke. 25
50
Gesang nr 56
Nota bene
Welchen man auch verstehen könnte als ein Soliloquium Bellmans,
das er geführt als Zwiegespräch seiner beiden alter egos,
dem Optimisten Fredman und dem Realisten Movitz
Gesang nr 64
Haga
(Andante)
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans sånger“ S. 171, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
54
Seht am Brunnen, die Najaden Wandeln wir voll Lust und Freude
heben hoch ihr gülden Horn, in dem Park so lieblich schön,
sprühen kühlende Kaskaden grüßen heiter alle Leute,
auf den Solna Turm dort vorn; kann uns gar der König sehn!
auf dem Baum-bestand‘nen Pfade Gütig seine Augen blicken,
rollt ein Wagen, mein Monarch,
schnaubt das Ross. wir danken Dir.
Hufschlag dröhnt, Selbst der Griesgram
Staub wallt vom Rade, voll Entzücken
lacht der Bauer hin zum Schloss. wird gerührt und fröhlich hier.
55
Epistel nr 2
(Andante)
V.cello
So klingt’s richtig, dein Spiel ist wichtig
und ein Ohr- und Augenschmaus.
56
bist du der rechte Mann; doch - ich lieb‘ auch den Wein;
wenn ein junges Herz sich bindet. Ich kann mich nicht entscheiden.
von deiner Weisen Klang Die Qual der Wahl kann bald
verführt, nicht mehr
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans epistllar“ S. 25, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
58
Epistel nr 3
An die eine oder andere der Schwestern, aber insbesondere an Ulla Winblad 18
Horn--- Horn---
Vater Berg, ins Waldhorn stoße!
. Seht den Jergen Puckel trapsen
Seht, die Nymph, mit süßer Pose Vater Berg nach Luft schon japsen
tanzt sie sich jetzt in Trance! gleich bläst er die Cadence.
Horn--- Horn---
Waldhornklang braucht man Wie der Satan selbst
zum Balle, musst‘ blasen
Waffeln, Nymphen und Pokale; aus dem Fenster in die Gassen,
perfekte Violine. hereinspaziert, ihr Herrn.
Horn--- Horn---
Ihre Händchen schicken Busserl Sieh, wie Grafen und Barone
weiße Beinchen, rote Fusserl, kümmern sich um die Matrone.
hellblau die Krinoline! Ein Gläschen? Aber gern!
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans epistlar“ S. 28, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
62
Horn---
Waldhorn lässt die Luft erbeben
und Sirenen um mich schweben
Gott Apoll, singt laut.
Horn---
Ulla Winblad, bist mir teuer
du bist munter und voll Feuer,
machst jede Nacht die Braut.
Epistel nr 12
(Lamentabile)
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans epistlar“ S. 49, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
66
Epistel nr 23
(Menuetto)
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans epistlar“ S. 81, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
71
Epistel nr 27
Letzte Gedanken
(Allegretto)
Alt ist der Greis, das Uhrwerk sich dreht, stumm zeigt der Zeiger: Stunde eile18
75
76
Ulla Winblad
Die schönste unter all den Nymphen, anmutig, zärtlich und voll Liebreiz.
Sie kann wunderschön singen, speziell „Filsers Duette“, sie tanzt graziös.
Sie ist stets von einer Schar glühender Verehrer umgeben, die sie jedoch
nur mit Bedacht erhört. Ihr Favorit Fredman nennt jene „Amaranten“ 31.
77
Epistel nr 36
(Allegretto)
Schlief Ulla einst im Bett ganz allein, Auf den Zehen schlich der Greis
die Händchen auf den Wangen, ums Bett vergnügt zu wandern,
und keinen ließ der Wirt zu ihr herein, lupft die Decke, lachte leis‘,
nicht mal die Tür anlangen. ging wispernd zu den andern.
In der Wirtsstub‘, glaubt es mir, Schnarcht‘ die Kleine, fror alleine,
da herrschte Stille und Kühle; über‘n Kopf zog sie die Deck‘.
weder gab es Wein noch Bier, Wie sie lachte, als es krachte
nur Wasser aus der Spüle. unter dem Versteck.
78
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans epistlar“ S. 123, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
Ein Regenbogen glühte hell und bunt Hin und her wirft wild sie sich,
auf trüben Butzenscheiben; die Arme rudern wüste;
der Hänfling in der Morgenstund‘ weint auf einmal bitterlich
hob an sein zwitschernd‘ Treiben. und kratzt sich dann die Brüste.
Zephyr einen Windstoß schickt, Doch dann lacht sie, dann erwacht sie
lässt Fensterscheiben klirren. greift den Stuhl, hüpft aus dem Bett
Ulla aus dem Schlafe schrickt, holt die Schuhe, knöpft in Ruhe
die Träume sich verwirren. sich den Rock adrett.
79
Besprengt sich dann den Busen so warm Ein Engelskind mit lächelndem Mund,
mit Wein und Rosendüften; ihr Busen blank lässt werden,
knüpft sich die Perlen fest um ihren Arm, ach Himmel, ach, zu jedweder Stund‘
und gürtet sich die Hüften. das Paradies auf Erden.
Wie auf Paphos Eiland, wenn Doch, von all der holden Pracht,
Venus, die Göttin erwachte, wohl höchste Lust und auch Qualen
alles wollt vor Lust vergeh‘n ruft hervor die zwiefach Macht:
und an nichts Ernstes dachte, der Augen lohend‘ Strahlen.
geht es heut dem alten Wirt, Sieht sie auf, verzaubert sie,
die Brunst bloß Jahre hemmen; senkt sie die Blicke züchtig,
Ulla sitzt ganz ungeniert wird uns heiß und kalt wie nie,
die Locken sich zu kämmen. und macht uns nach ihr süchtig.
Kunden, Preise, Schank und Speise Engelszungen sind erklungen
sind dem Alten jetzt egal, in der Stimme rein und klar;
Debitoren, Kreditoren, solche Lieder gibt’s nie wieder
Bräuhaus und Fiskal. sagt der Wirt, fürwahr.
Um Ullas Stirn, gepudert galant Sah jemals man den Wirt so bewegt,
drei Grazien nun schweben; verliebt, vergnügt und glücklich;
Cithera singt, in Liebe heiß entbrannt als er ums Bein sorgfältig ihr legt
die Löckchen leis erbeben. das Strumpfband zart und schicklich.
Ein Zephyr vom Spiegel schwirrt Nahm den Schuh, poliert‘ voll Fleiß
zupft ihr den Ohrring grade, mit Bürstenstrich‘ das Leder.
seinen Wohlduft kräftig stirrt Wenn sie gähnt, gähnt er auch leis‘,
ein and‘rer zur Pomade. wie stolz er ist, sieht jeder.
Dort Cupido mit der Zang‘ Großkariert den Hals schmückt reich
im Ofen werkt voll Mühe, die Seidenweb‘ rotgolden;
hieß den Zweiten blasen lang schützt den Busen weiß und weich
auf dass die Kohle glühe. vor lüsternen Unholden.
Spaß und Scherzen, Lust und Schmerzen, Haare schlängeln, wie bei Engeln
in des Wirtes Kopf sich dreh‘n; von dem Haupt ihr sanft und leis‘;
wie er blinzelt, noch mehr winselt, spannt das Jäckchen auf den Bäckchen
ist‘s um ihn gescheh‘n. streifig rot und weiß.
80
Sie nimmt das blaue Cape sodann, Doch Himmel, ach, wie wendet sich‘s!
den Kragen hochgeschlagen; Sieh, Ulla, auf der Schwelle
hüpft flink, füllt sich ein Gläschen an steh‘n vier Gendarm in vollem Wichs -
Likör für ihren Magen. die Häscher sind zur Stelle:
Zuckerkekse zu dem Schluck der droht mit dem Degen keck,
Ulla, die Schönste, sieht man schmausen; der bindet sie gleich mit dem Seile,
Bacchus glüht tief drin im Krug, und die arme Nymph‘ führt weg
und Amor brennt von außen. der andre blind in Eile.
Alle leben auf und neu Himmel ach, welch Jammer schrei‘n!
Lust, Freiheit sie beglücken Wie Ullas Klagen brennen;
von dem Protz mit Geld wie Heu Leichenblass schaut jeder drein,
zum Bettler hin auf Krücken. den Wirt hört laut man flennen.
Ullas Schänke, die Getränke, Auf der Hausbank vor der Ausschank
spenden uns Glückseligkeit! liegt noch Ullas Glas, oh Graus,
Bessre Läden gibt‘s in Schweden leer, in Scherben, welch Verderben.
nirgends weit und breit. Unser Fest ist aus.
Korporal Mollberg
Ehemals Reiter im Leibregiment. Jetzt Tanzmeister, Weiberheld sowie
Virtuose auf verschiedenen Instrumenten, insbesondere der Harfe 32.
82
Epistel nr 45
Servus Mollberg
An Vater Mollberg, 47 betreffend seine Harfe, und zugleich eine Art Anmerkung,
dass Mollberg unschuldig im Wirtshaus Råstock leiden musste
(Allegretto)
83
Ah, Servus, Mollberg, geht’s dir nicht gut? Ich saß und spielte nüchtern und stur
Wo ist die Harfe, wo ist dein Hut? Königinpolka, polnisch, G-Dur;
Ach, deine Lippe, dick und zerfetzt! rund um mich Leut', verständig und klug
Wo warst du, Bruder, sag es mir jetzt! tranken ihr Bier da aus gläsernem Krug.
Zum „Råstock“, dem Krug, Ganz plötzlich schlug irr
die Harfe ich trug; den Hut vom Kopf mir
da gab es Tumult der Schuster, sagt dann
die Polka war schuld; was, Teufel, geht an
ich spielte lieblich, dich Polens Sache?
pling plingeli plang Pling plingeli plang.
da kam ein Schuster, so Spiel keine Polka mehr,
krumm war sein Gang, dein Leben lang; und
haut mir aufs Maul drauf. halt dein Maul jetzt.
Pling plingeling plang. Pling plingeli plang
Sag, Hör,
wie sah er aus? mein Maecenas,
Na, triefäugig, fett; hör, was geschah:
Korporal Mollberg bezieht eine Tracht Prügel, weil er eine Polka spielte 33
Epistel nr 48
(gekürzte Vortragsfassung)
(Allegretto)
Segel flattert, Wind treibt an, Schau, die Marjo zieht vorbei,
gegen Eichenplanken dann, sie führt Streu und Milch und Heu,
freut sich, wie der Kutter geht. singt ein Liebeslied zum Spaß,
He, was kost‘ der Stier da vorn? löse Nadeln, Band, mein Kind!
Sag‘, von wo kommt ihr denn her? Gähne nicht, komm, sing und lach!
Na, von Lovön, bitte sehr; Niest Du? Gut, jetzt bist Du wach!
führen Grünzeug und noch mehr Schau, dort ist das Kirchendach,
Jergen Puckel
Einer der vielen nach Stockholm eingewanderten Deutschen, des Schwedischen nur
leidlich mächtig. Sein Buckel hinderte ihn nicht daran, ein sehr guter Tänzer zu sein. 44
Manche Saufkumpane sagten dem Jergen nach, er habe sich dem Teufel verschrieben.
Vielleicht hatte er bloß zu viel Glück im Spiel?
92
Epistel nr 73
Teufelskrawall
Betreffend Jergen Puckel, der sich dem Teufel verschrieb
(Allegro)
Teufelskrawall! Alle Stühle, sie fallen, Eile dich, Lotta, die Wege, sie fege,
laut schallend die Hallentür‘n knallen! du Träge, die Latschen bewege!
Funken sprüh‘n Geigen, Die Kerzen ein sammle,
welch polternder Reigen! schließ‘ Fenster, verrammle
Satan kommt heut Nacht zu dir. die Läden mit eisernem Stab!
Tannreis im Gässchen; Schnauf‘ nicht, du Drachen,
He! Bist du irr? marsch, marsch, komm in Trab!
Voll ist das Fässchen Rostig im Rachen?
und leer dein Geschirr. Na, schneuz den Rotz ab.
Jergen, er zittert Fort jetzt den Staub kehr‘,
und bebt und zerknittert den Movitz hol mir her,
sein Vertragspapier: dass er die Fiedel schab‘!
Ach, ich bin voll elend sinden Mit min roten plut ich schrib
min contract zu end ist gar dass ich ein für alle mal
heert’s einmal, muss mich verbinden mich dem teyffl ibergib -
noch zwey jahr. ganz fatal! -
Ich soll alle mägdlin kränken dass ich nie mehr seyn will nichtern
im spielhuse seyen flink selten in die kirchen gahn
niemals an mein weyb nicht denken trei erfille meine pflichten
an Catrink. dir, Satan.
Scheen die fiedeln klingen Stockholm, den Novemper,
losst die feder bringen Jergen Puckel semper
freylich, ich geheer dir, Teyffl manu mea propria,
nun beim ersten wink. im Wirtshaus Rosenthal.
93
Begleitung aus dem Buch „Fredmans epistlar“ S. 253, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
94
95
96
Epistel nr 79
(Menuetto)
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans epistlar“ S. 271, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
98
Mein Testament ich schreibe, Doch, wenn den Humpen ich hebe,
sitze beim Krug am Tresen. schmecke ich Würze und lebe!
Zeig‘ es dem Küchenweibe, Blumig erfrischend
Maja, zeuge du! schäumend und zischend,
Fort aus der Welt ich treibe, köstlichstes Nass
bitter ist sie gewesen, frisch aus dem Fass.
und meinem müden Leibe Das tut mir gut, das ist ein Bier
dürstet es nach Ruh‘. allerfeinster Art.
Seitwärts sein Kopf sich legt, Nun steh ich drin im Nachen,
gleich kippt der Leib vornüber, schrill Charons Pfeifen tönen.
schlingernd der Hals sich regt, Schemen seh ich und Drachen,
weh, ihr Götter, weh! Unterwelt erwacht.
Auf er die Augen schlägt, Gott, wie die Ruder krachen!
glotzt zu dem Boot hinüber, Äol erstickt mein Stöhnen.
das sich im Sturm bewegt Hilfe! Im Höllenrachen
schon ganz in der Näh. lärmt die finstre Macht.
Doch, schau die Kleider bloß an; Blitz, Nordlicht, Donner, Entsetzen
sind die nicht niedlich, o Mann? reißen die Wolken in Fetzen,
Speckig die West Großer Bär oben
lumpig der Rest, bäumt sich im Toben,
Strümpfe zerrissen, Sterne verglimmen,
alles verschlissen, Strände verschwimmen,
und dieses teure Hemd war einst, bis in den schwarzen Schatten ich
Mutter Maja merk‘, keinen Himmel find.
|: Hofschneiders Werk :| |: Die Qual beginnt :|
im Jahre Schnee. Gut Nacht, Madam!
101
Epistel nr 81
* Movitz, den Fredman hier auf Französisch anspricht, schaufelt nachts mit ihm das Grab für die plötzlich
verstorbene Frau des Radaubruders Löfberg, eine Wirtin, bei der es viele lustige Saufgelage gegeben hatte
102
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans epistlar“ S. 277, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
103
Epistel nr 82
(Andante)
Faksimile Abdruck aus dem Buch „Fredmans epistlar“ S. 279, Stockholm: Bokförlaget PRISMA, 1962
107
Das 47 war Fredman, als er unvermutet Abschied nahm, nachdem er gespürt hatte,
dass seine Kräfte merklich schwinden, und Clotho und Charon sich nähern.
Er verkündete ihn bei Ulla Winblads Frühstück eines Sommermorgens
im Grünen, gerade dann, als das Leben am schönsten war!
109
Carl Michael Bellman weint über die Nachricht von der verlorenen Seeschlacht 42
110
Gesang 7
Zu Beginn zwei Beispiele der sprachlich oft recht schlichten Trinklieder: Gesang nr 7 ist die
Quintessenz dessen, was Bellman parodierend „Die Lehren des Heiligen Fredman“ nennt:
Es gilt, den Göttern der Liebe und des Weines, Venus und Bacchus, zeitlebens willigst zu
dienen! Obwohl diese Alkohol-Apotheosen nur einen sehr kleinen Teil von Bellmans Poesie
ausmachen, haben sie - schon zu Lebzeiten - zur Bildung des unzutreffenden Klischees vom
„Schwedischen Anakreon“ beigetragen, das leider viele Interessierte von ihm abschreckte.
Gesang 16
Das Lied schmückt diese „Lehren Fredmans“ zum Bild eines fröhlich-unbekümmerten,
weinseligen Schlaraffenlandes aus. In der letzten Strophe weist Bellman aber auf das
unvermeidliche Ende aller seiner Saufkumpane in einem bitteren Hinweg-Dämmern hin.
Gesang 6
Bellman beginnt in der ersten Strophe mit einem würdevollen Grabgesang für den
ehrwürdigen Bacchus-Ritter Lundholm. Daraus wird plötzlich in der zweiten Strophe ein
zynisches Schlafliedchen für einen in Wahrheit elenden Erzeuger billigen Fusels, der sich
gerade zu Tode gesoffen hat. Bellman prophezeit damit allen dem Alkohol Verfallenen in
schonungsloser Offenheit, welches unrühmliches Ende sie einmal nehmen werden. Der Sarg
senkt sich ins Grab, der Zapfenstreich ertönt. „Blast, ihr Trompeter“ habe ich (dem Reim
zuliebe) mit „garde a vous“ übersetzt – das passt zu einem Anhänger Frankreichs mit Hut.
Anmerkung zu der „Renaissance der Geheimbünde“ in ganz Europa und auch in Schweden in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Sie war vordergründig nur zur Belustigung für die
aufklärerische Oberschichte gedacht und war zumeist keine ernsthafte Wiederbelebung
alter Geheimlehren. Neugründungen der Freimaurer, Rosenkreuzer, Illuminaten etc. hatten
zwar auch im Schweden der Bellman-Zeit regen Zulauf. Bellman machte sich über diese
Geheimgesellschaften mit seinem „Bacchus-Orden“ jedoch lustig. Diesem gehörten ja nur
stadtbekannte Trunkenbolde an. „Feierliche“ Initiationen und Begräbnisfeiern dieses
„Ordens“ waren also vom Publikum vielbelachte Persiflagen Bellmans in öffentlichen
Veranstaltungen. Bellman und König Gustav III. (wie auch Schikaneder und Mozart) waren
allerdings „echte“ Logenmitglieder. Der König richtete sogar ein Schreiben an den Deutschen
Kaiser Joseph II., in dem er um Förderung der Freimaurergesellschaft bat – cui bono?
Gesang 11
Geldnöte und die Repressalien seiner Gläubiger haben Bellman ein Leben lang begleitet. Hier
träumt Fredman, er wäre der mächtige König vieler Länder und genösse höchsten Luxus mit
einer Prinzessin inmitten seines fröhlichen Hofstaats. Doch der Rausch verfliegt, und er
schleicht zurück in sein Elendsviertel, um in einer billigen Kneipe auf Pump seinen Hunger
mit einem Kotelett zu stillen. Obwohl die zeitgenössische Karikatur aus England lediglich
politischen Inhalts ist, passt sie allzu gut als Illustration zu diesem Traum Fredmans!
111
Gesang 15
Was zunächst wie ein typisches Trinklied klingt, ist bei näherer Betrachtung vielmehr eine
verzweifelte Klage über die Ausweglosigkeit der Trunksucht. Am bitteren Ende folgt die
zynische Feststellung an die dahindämmernden Saufkumpane: „Nun haben wir alles
bekommen, was unser Herz ersehnt hat“.
Gesang 19
Bellman vergleicht den Tod mit einem schrecklichen Gläubiger, der jede Stunde den
gewährten Kredit, nämlich das Leben selbst, sich zurückholen kann. Alle müssen sich diesem
Naturgesetz beugen. Dennoch lächelt Fredman trotzig, bevor er die letzte Reise antritt, hebt
noch einmal das Glas und fordert seine Gläubiger auf, nun alle herbeizueilen und seine
Bahre zu tragen. Ein letzter Triumph! Typisch ist für Bellman, dass er diesen traurigen Inhalt
mit besonders fröhlicher Musik hinterlegt. Pimpinella war ein Gewürz zur geschmacklichen
Aufbesserung billigen Weins. „Björn“ war ein Schimpfwort für Zinswucherer und Gläubiger.
Gesang 20
Fredman macht sich über seine Gläubiger lustig, die frustriert, doch ganz korrekt in Schwarz
mit weißen Handschuhen, aber „im Maul eine Zitrone“, an seiner Bahre erscheinen. Er
nimmt Abschied vom Leben und verspottet zuletzt noch einen berüchtigten Geldverleiher
namens Grimm, der seinen Leichenzug anführen soll (da erklärungsbedürftig, weggelassen).
Gesang 21
Dieses Lied ist für mich fast schon ein „schwedischer Jedermann“. Da wird die ganze
Hohlheit, Niedertracht, Grausamkeit und Doppelmoral der Gesellschaft seiner Zeit
angeprangert, jedoch gut getarnt durch fröhliche Marschmusik und den ins Lächerliche
ziehenden Refrain: „Glaubst du, dass das Grab zu tief wäre, na wohlan, dann nimm Dir da
einen Schluck, und noch zwei, drei, dann stirbst du viel erfreuter“.
Gesang 31
Das Lied vom Fischfang früh morgens nach dem Regen ist ein Vertreter der lichten Seite
Bellmans. Voll seligen Entzückens weckt Bellman seine große Liebe, um mit ihr zum Fischen
auszufahren. Wahrscheinlich endet der Ausflug auf die schaukelnden Wellen wieder in der
Blumenwiese – „ja, spottet nur, ihr Sirenen, ich werde sie dennoch ewig lieben!“ Diese
Episode ist authentisch, Bellman erlebte in ähnlichem Szenario eine seiner großen Lieben.
Gesang 32
Die nicht enden wollenden Strophen hat Bellmann aus verschiedenen Fragmenten
zusammen gesetzt. Im Mittelpunkt (des von mir stark gekürzten Liedes) steht der Dichter,
dem kurz vor dem Einschlafen der Gott der Nacht, Apoll, und andere Gestalten durch den
Kopf gehen, während er gleichzeitig schildert, wie die Natur, genauso wie er, des Abends zur
Ruhe kommt bis zum Schluss-Vers „…und jetzt, jetzt schlafe ich“.
Es treten auch einige weniger bekannte Figuren der griechischen Mythologie auf: Timanthes
war ein berühmter Maler, Alexis der beste sterbliche Lyraspieler, Arachne die begnadete,
112
aber frevlerische Weberin, die durch ihre überlegene Kunst Athene demütigte, und von der
rachsüchtigen Göttin zur Strafe in eine ewig webende Spinne verwandelt wurde.
Gesang 35
Neben den mythologischen Gestalten der alten Griechen, die zwar respektvoll, gleichzeitig
aber augenzwinkernd besungen werden, macht sich Bellman gerne über biblische Gestalten
lustig, natürlich besonders dann, wenn sie sich in Bellmans Hauptthemen, Liebe und Wein,
verstricken. Es ist wirklich zum Lachen, dass aus dem Spottlied auf den alten Noah und seine
Frau ein derart populäres Kinderlied geworden ist, dass es heute fast jeder Schwede schon
im Vorschulalter auswendig kann.
Gesang 41
Ein Lied zur „Ehrenrettung“ von Susanna im Bade: Natürlich hat sie sich NICHT mit den
beiden Alten eingelassen! Jedoch - das enthusiastische Hoch auf die treue Susanna und
zugleich auf die Damen (Nymphen?) der Sängerrunde lässt vermuten, dass man
augenzwinkernd vom Gegenteil des Gesungenen überzeugt war.
Gesang Nr. 56
Dies ist die Essenz von Bellmans Kritik an den „Lehren des Heiligen Fredman“: Das könnte als
ein Dialog zwischen seinen beiden „alter ego“ interpretiert werden: Fredman, der Optimist,
lobpreist mit überschwänglicher Begeisterung Schönheit und Wein. Aber Movitz, der Realist,
relativiert „Fredmans Lehren“ sogleich mit seinen trockenen Kommentaren „nota bene“.
Gesang 64
Eine Huldigung für Gustav III., den wichtigen Förderer und Gönner Bellmans. Das von ihm
erbaute Schloss Haga, obschon wesentlich bescheidener angelegt, als Versailles, Schönbrunn
oder Sanssouci, sollte dennoch die Macht und Kultur des schwedischen Königshauses und
Schwedens demonstrieren. Eine letzte Hommage an die einstigen Großmacht Schweden.
Epistel 2
Fader Berg ist in den älteren Episteln Symbolfigur und Repräsentant der nicht honorigen
Musikanten Stockholms, zwar alle virtuos auf vielen Instrumenten, aber meist in anderen
Berufen gescheitert, nun nur mehr engagiert als Kneipenmusiker und auf Bällen, alle dem
Alkohol verfallen. In den späteren Episteln übernimmt Movitz diese Rolle und wird Bellmans
„musikalisches alter ego“. Fader Berg, gelernter Tapetenmaler, spielt Violine, Flöte und
Waldhorn. In diesem Dramolett wird nicht nur seine Kunst auf der Violine, sondern auch die
Wertschätzung besungen, derer er sich bei den Nymphen (nur dank seines Spiels?) erfreut.
Die letzte Strophe bringt den von Bellman oft thematisierten Konflikt, welcher Gottheit man
heute Nacht huldigen sollte: Venus oder Bacchus? Fader Berg trifft diese Entscheidung ganz
getreu den Lehren des „heiligen Fredman“: Saufen, trinken UND sein Mädchen haben!
Epistel 3
Ein erotischer Solotanz zur Belustigung der Ballbesucher war in den Tanzpausen eines Balles
üblich – hier betörend ausgeführt von Ulla Winblad, begleitet von Fader Berg am Waldhorn.
113
Fredman ist von Ullas Darbietung ekstatisch begeistert und freut sich darauf, dass sie auch
heute wieder seine Braut werden wird. Doch dazu ist er schon zu betrunken, und plötzlich
überfällt ihn die Todesangst. Der Schluss ist dann eine überraschende kalte Dusche, ein von
Bellman in vielen Liedern angewandtes Stilmittel: „Memento mortis!“ Fredman steht
plötzlich in Charons Boot, das ihn gleich über den Fluss Styx in die Unterwelt bringen wird.
Epistel 12
Blasinstrumente waren auf den Bällen unentbehrlich, man streckte sie zum Fenster hinaus
und betrieb so lautstarke Werbung für die Veranstaltung. Auch der Ball im Etablissement
„Gröna Lund“ begann in bester Stimmung. Doch das Zusammenleben auf engstem Raum im
Stockholm der Barockzeit führte häufig zu schweren Konflikten. Tätliche Auseinander-
setzungen über Politik, gesellschaftliche Rivalitäten oder vermeintliche Ehrenbeleidigungen
waren häufig und endeten oft dramatisch. Denn die Periode der Freiheitszeit hatte dem
Bürgertum Rechte eröffnet, die früher nur dem Adel offen standen. Viele Bürger führten zur
Selbstverteidigung eine Waffe, meist Degen oder Dolch. Der Anlass war oft nichtig - da
spannt einer einem anderen die Tänzerin aus oder trinkt aus einem fremden Glas. Dann
beginnen die beiden zu streiten, die Umstehenden ergreifen Partei, und schon eskalierte die
Situation – auch dieser fröhliche Ball endete in einer Massenschlägerei. Mitten drin die nicht
ganz unschuldigen Musikanten, die am Ende traurig, verprügelt und ohne Honorar in dem
nun menschenleeren, devastierten Saal ihr Unglück beklagen und die Lehren aus ihm ziehen:
Was muss man in Zukunft vermeiden, damit man statt einer Tracht Prügel Honorar erhält?
Epistel 23
Fredman liegt frühmorgens im Rinnstein, ein Jammerbild eines Alkoholikers mit allen
denkbaren Entzugserscheinungen nach einem Vollrausch. Einerseits betrachtet er
selbstkritisch seinen Zustand, andererseits verwünscht er seinen Vater und dessen Liebe zu
seiner Mutter. Er klagt diese an, weil sie sich dem Vater hingegeben hat. Ach, wäre ich doch
niemals gezeugt worden! Die Rettung naht, die Tür zur Schänke „Kriech herein“ öffnet, die
ersten Schlucke heben den Alkoholpegel, und plötzlich sieht der gerade noch zitternde
Fredman wieder alles in rosigstem Licht, fühlt sich stark und mächtig, preist das Brautbett
und lobt des Vaters Potenz, mit dem er gerne einen saufen würde, täte der noch leben.
Epistel 27
Musikalisch wunderbar untermalt wird sich Fredman der unerbittlich verrinnenden Zeit und
seines baldigen Endes bewusst, während Movitz am Cello traurige Weisen spielt. Wie so oft
wirft Bellman auch hier dem Vater vor, er habe ihn in egoistischer Lust gezeugt, ohne zu
Bedenken, was er damit dem Sohn antut. Ich bin kein Psychologe, aber dieses mehrfach
vorkommende Kernmotiv hängt vielleicht mit den Vorwürfen des Vaters an den jungen Carl
Michael zusammen, so, als wollte er seinem Vater diese Tadel nun posthum zurückgeben?
Die Zeichnung stammt von Johan Tobias Sergel, geschaffen kurz vor Bellmans Tod. Neben die
flüchtige, aber prägnante Skizze hat Sergel geschrieben: „Bellman, verdrossen und müde“.
114
Epistel 36
Das bemerkenswerte Dramolett beginnt früh morgens im Wirtshaus. Heimlich betrachtet
der in Ulla verliebte Wirt die schlafende Schöne durchs Schlüsselloch. Die entzückende Szene
folgt, bei der winzige Cupidos und Windgottheiten der schönen Ulla beim Ankleiden und
Zurechtmachen helfen. Wie Venus auf der Insel Paphos erscheint sie dann den beglückten
Gästen in der Wirtsstube. Doch ach – vier Greifer der Sittenpolizei erscheinen, verhaften sie
und führen sie ins Zuchthaus ab, wo sie bei Zwangsarbeit und Erbauungsbüchern einem
Umerziehungsprogramm zwecks Rehabilitierung unterzogen werden wird.
Epistel 48
Dies ist eine der längsten Liedtexte, aus zwei älteren Liedern zusammengefasst, ein schönes
Beispiel für Bellmans Liebe zur Natur und zu seinen Protagonisten. Meine gekürzte
Übersetzung beschreibt nur die Heimreise einer Musiker-Gesellschaft von der kleinen Insel
Hessingen auf dem Heuboot des Schiffers Olle. Früh morgens segelten zahlreiche Schiffe aus
den Inseln im Mälarsee mit ablandigem Westwind auf Stockholm zu, um die Märkte dort mit
Gütern und Lebensmitteln zu versorgen. Es kommt zu fröhlichen Begegnungen der Schiffer,
die sich gegenseitig necken. Auch die unglücklich verliebte Magd Marjo ist mit ihrer Jolle zur
Stadt unterwegs. Ulla, sichtlich übernächtig, wird von Fredman, dem Erzähler, hofiert. Die
Aufforderung, ihr Haar zu lösen, ist eine für Bellman typische Anspielung auf die erotischen
Beziehungen der Protagonisten. Vielsagend ist der Zuruf Fredmans an den „kleinen
Norström“: Dieser reale Zeitgenosse war später tatsächlich Gatte der realen „Ulla Winblad“,
die zumindest ab und zu Geliebte Bellmans war. Diese „Rehabilitierungs-Ehe“, dank derer
Ulla wieder ins bürgerliche Leben zurück durfte, hat wohl Bellman selbst eingefädelt („Meine
sei die deine!“). Norström wird an anderer Stelle von Bellman als Langweiler verspottet, „er
hat keine Stimme und spielt nicht einmal ein Instrument“. Das Lied endet im Himmelbett, in
das die seekranke Ulla breitbeinig mit dem Verlobten und mit Movitz „samt Posaune“ (sic!)
krabbelt. Movitz richtet das Schlusswort an Norström: „Die Frau gehört uns allen!“
Epistel 73
Jergen Puckel ist einer der vielen nach Stockholm eingewanderten deutschen Handwerker,
ein Gastarbeiter, für den nicht das Zunftrecht, sondern nur das Recht eines Lohnarbeiters
galt. Des Schwedischen nur leidlich mächtig, spricht er ein Kauderwelsch aus Plattdeutsch
und verballhorntem Schwedisch, von mir etwas verständlicher dem Hochdeutschen
angeglichen. Sein Buckel hinderte ihn nicht daran, ein sehr guter Tänzer zu sein. Manche
Saufkumpane sagten Jergen nach (vielleicht neidisch auf Glück im Spiel?), er hätte sich dem
Teufel verschrieben. Satan kommt dann auch wirklich ins Gasthaus Rosenthal, zwecks
Verlängerung des Vertrags, den Jergen dann eigenhändig mit seinem Blut unterschreibt.
Wir wissen, dass die Reihenfolge der Lieder und Episteln im Zuge der Drucklegung oft
verändert und umgestellt worden ist. Dies mag auch drucktechnische Gründe gehabt haben.
Die letzten drei Epistel Bellmans befassen sich mit dem Abschied vom Leben. Ein Zufall?
115
Epistel 79
Fredman sitzt in einer anrüchigen Kaschemme des Sonnengässchens beim Großen Platz und
stillt auf Pump seinen Hunger mit elendem Fraß. Seine Todesahnungen ertränkt er im
Alkohol und lässt der Verachtung der Welt und seiner selbst freien Lauf. Gleichzeitig steht
jedoch seine Seele am Styx und durchleidet alle Ängste des Sterbenden auf dem letzten
Wege in die mythologische Unterwelt. Noch einmal weckt jedoch ein Humpen besten Biers
Fredmans Lebensgeister. Wieder volltrunken geht es über den Styx. Das Lied endet abrupt
mit einem sowohl zynischem, wie auch tröstlichem „Gut Nacht, Madam“ an die Wirtin, was
jede Deutung und jedes Ende dieses „Dramoletts auf zwei Ebenen“ zulässt.
Epistel 81
Fredman und Movitz, die beiden „alter egos“ Bellmans, schaufeln bei Fackellicht die Grube
für eine lebenslustige Wirtin, die Frau des Löfberg. Schaudernd betrachten die beiden den
Grabesschutt und sehen schon Charon und den Totengräber der Toten winken. Es folgen
einige philosophische Betrachtungen über die Ambivalenz des Grabes, das zwar Ruhe und
Frieden, aber auch Tod und Verwesung beherbergt, an dem daher das Glück niemals
verweilt. Bellman beschreibt dann die Respektlosigkeit und Heuchelei der Trauernden im
Leichenzug, die heulend über zerbrochene Särge und Rosen trampeln. Der Raufbold Löfberg
wird direkt angesprochen mit einer Andeutung auf einen Ball und eine Schlägerei – war der
plötzliche Tod seiner stets durstigen Frau etwa ein gewaltsamer? Zum Schluss stellt Fredman
die selbstsüchtige Frage: „Wer soll sich jetzt um die Flaschen (für uns Durstige) kümmern?“
Epistel 82
Bellman hat diese Epistel wohl mit Bedacht als letzte in seinem wichtigsten Werk platziert.
Sie beschreibt mit berührender Innigkeit alle Freuden, aber auch alle Konflikte des Lebens,
die Bellman wichtig waren: Die wunderbare Schönheit der Natur, das vergnügte Schmausen,
Trinken, Musizieren und Feiern mit den lieben Freunden, bedient von den entzückend
eifrigen Nymphen, mit hüpfenden Brüstchen, in süßer Aufgeregtheit schwitzend. Aber auch
das Nörgeln der alten Tanten aus der besseren Gesellschaft und der geldgierige Wirt fehlen
nicht. Doch Fredman spürt dann, dass seine Kräfte merklich schwinden, und Charon schon
auf ihn wartet. Von hinten schnippelt Clotho an seinem Lebensfaden, aber trennt zum Glück
beim ersten Versuch nur einen Knopf von seinem Gehrock ab (ein für Bellman typischer
kleiner Spaß mitten in der feierlichen Schilderung dramatischen Geschehens). So nimmt
Fredman, gänzlich unerwartet, Abschied von Ulla, die ihm - das muss noch sein! - letztmals
Braut wird. Das Ende seines Lebens und auch seines Buches kommt, wenn es am schönsten
ist. Es wundert nicht, dass fast alle Übersetzer Bellmans dieses Lied bearbeitet haben.
116
Bellman – unübersetzbar?
Ein Nachwort des Autors
(geschrieben für die zweite Ausgabe zu Ostern 2021)
Am 4. März 2021 fand eine sehr vergnügliche Videokonferenz der „Deutschen Bellman-
Gesellschaft“ anlässlich des 281. Geburtstages von Carl Michael Bellman statt. Danach habe
ich meine Übersetzungen von 1992 wieder zur Hand genommen - um drei Jahrzehnte
gereifter und auch wesentlich belesener, einschließlich der Kenntnis neuerer Übersetzungen.
Erwartungsgemäß fielen mir dabei viele Schwächen meiner Texte von damals auf - und
bessere Lösungen ein. Aber ich erkannte gleich hocherfreut „meinen Bellman“ wieder!
So beschloss ich, meine angefangene Arbeit von anno dazumal doch noch zu vollenden ...
Was mir während dieser „Retroperspektive“ bewusst wurde, möchte ich nun mit allen, die
Bellman lieben, teilen. Das soll dazu ermutigen, sich seinen „deutsch sprechenden, aber
dennoch authentischen und ganz persönlichen Bellmann“ selbst zum Leben zu erwecken.
Nun werden viele einwenden: „Selbst übersetzen? Das ist doch angeblich nicht einmal den
Spezialisten möglich! Es heißt ja immer wieder, Bellman wäre unübersetzbar! Wie soll ich mit
meinen armseligen Schwedisch-Kenntnissen das schaffen – ich bin ja gar kein Dichter!“
Ja, zugegeben, das ernsthafte Übersetzen von Bellman kann wirklich Schwerstarbeit sein.
Auch ich wollte als Sänger mir anfangs ja lediglich eine „holperige“ Stelle einer Übersetzung
im Originaltext ansehen. Doch dann machte es mir Spaß, mich weiter vorzuarbeiten - auch
wenn ich nicht gut Schwedisch konnte und kein Dichter bin. Die Freude über meine erste
deutsche Strophe war groß! Klar, dass mir mein erster „eigener“ Text besser gefiel, als alles
bisher Bekannte. Es war ja „mein Bellman“! Also machte ich mich an die ernsthafte
Übersetzungsarbeit. Ich begann bewusst mit jenem Lied, dessen damals verfügbare
Übersetzungen mir am allerwenigsten gefallen hatten: Nota bene! Alles, was ich anfangs
dazu benötigte, waren das ausgezeichnete schwedische Synonyma-Wörterbuch des
Norstedts Verlags 4 und ein Wörterbuch von Langenscheidt.
Zuerst stellte ich fest, dass die phonetische Ähnlichkeit vieler gleichbedeutender Begriffe der
beiden Sprachen die Übersetzung sehr erleichtert. Erschwert wird das Übersetzen aber
leider wegen der stetigen „Verarmung“ des Neuhochdeutschen, sowohl durch den
Dreißigjährigen Krieg, als auch wegen der anschließenden Dominanz des Französischen als
Kultursprache. Dadurch gingen in der Folge viele ein-silbige Worte des „Ur-Germanischen“,
die das Schwedische auch heute noch kennt, in unserer Muttersprache inzwischen verloren.
Im 17. Jahrhundert sprach das Volk im römischen Reich deutscher Nation eine Vielfalt von
einander ähnlichen Stammes-Dialekten, zum Beispiel Fränkisch, Sächsisch und Schwäbisch,
die der Staufferkaiser Friedrich II. sogar noch als eigenständige Sprachen ansah. Die
deutschen Sprachkommissionen wurden daher zu Beginn der Aufklärung gegründet, um
Hochdeutsch als die „lingua franca“ für das Kaiserreich wieder zu beleben und mit fehlenden
117
Für Bellman war es daher relativ leicht, beim Stegreifdichten kurze schwedische Worte zu
finden, die sich sowohl reimen, als auch rhythmisch zur Melodie passen. Dahingegen lässt
sich die Sprachmelodie einer Übersetzung ins Deutsche an Bellmans Musik wegen der
höheren Redundanz (also größerer Silbenzahl) ohne Inhaltsverlust oft gar nicht anpassen.
Dies gilt besonders für einen allegro voraneilenden 2-er Takt, mit der für Bellman typischen
Dynamik. Ich meine aber, es wäre in dieser häufigen Klemme für den Übersetzer die Sünde
Nr. 1, die Flinte ins Korn und zwei Bellman’sche Zeilen samt einer zündenden Pointe
wegzuwerfen, nur, um sie des deutschen Reimens willen durch etwas Beliebiges zu ersetzen.
Zum anderen bräuchte man im Deutschen wegen dieser höheren Redundanz oft ein Drittel
mehr Silben für eine sinnrichtige Übersetzung - aber die Musik lässt das ja nicht zu. Hier hilft
zum Glück Bellman selbst: Ich denke, es ist durchaus zulässig, eine schwedische Silbe, die
Bellman als Viertelnote sang, im Deutschen nicht originalgetreu, sondern zweisilbig als je
eine Achtel zu singen. Das machte ja Bellmann oft ganz genauso. Beispiel: „När jag har en
plot att drik-ka” singt sich flüssig als: ”Wenn ich hab‘ ein Glas von al-ler-bes-tem Wei-ne”.
Statt acht schwedischen passen dann zwölf deutsche Silben prima zur Musik. Es wäre ja
lediglich ein „akademischer Ehrgeiz“, wenn es der Übersetzer anstrebte, Silben exakt so, wie
Bellman selbst, musikalisch zu trennen. Aber eines ist unabdingbar: Hebung und Senkung
müssen auch im Deutschen präzise dem Takt folgen! Denn die „Verwobenheit von Sprache
und Musik“ ist es, die Bellmans Dichtung so einzigartig in der Weltliteratur macht.
Diese im Deutschen zu missachten, erschiene mir als die Übersetzer-Sünde Nr. 2 zu sein!
Viel wichtiger, als perfekte Sprachkenntnisse und ein Riesen-Wortschatz zur Überwindung
dieser linguistischen Hindernisse ist jedoch das Verständnis für den Menschen Bellman, für
seinen Lebensraum und seine Protagonisten. Denn meiner Überzeugung nach ist die Qualität
einer Übersetzung ins Deutsche in erster Linie davon abhängig, ob die Einheit von Sprache,
Musik und Emotion möglichst genau so gelingt, wie Bellman selbst. Die imaginären Bilder,
die ein schwedischer Vers Bellmans beim schwedischen Publikum evoziert, sollten auch im
Geiste der Zuhörer oder Leser einer deutschen Übersetzung wach werden. Ein „Über-Setzer“
rudert sozusagen im Schweiße seines Angesichts den erhabenen Bellmann über einen
reißenden Fluss voller Klippen und Untiefen vom schwedischen Ufer zum deutschen Ufer.
Es wäre die Sünde Nr. 3, wenn Bellman dabei unbemerkt „über Bord“ gehen würde!
Ein „Nachdichter“ ist dem Original weit weniger verpflichtet, als ein Übersetzer. Mir kommt
das „Nachdichten“ von Lyrik wie das „Übermalen“ eines Bildes vor. Bei beiden bleibt zwar
die Komposition gleich, aber Farben und Strukturen werden wesentlich verändert. Beides
sind zwar kreative Vorgänge und können durchaus „Kunst“ sein. Das Etikett „Nachdichtung“
darf jedoch nie dazu dienen, Eigenes werbewirksam unter „ruhmreicher Flagge segeln“ zu
lassen. In einem Rokoko-Gemälde die Konturen mit Filzstift nachzuziehen, die Farben mit
118
Acryl aufzufrischen, aber die Originalunterschrift zu belassen, das erschiene wohl jedem als
Frevel. Nachdichter, welche die „Märkte des Zeitgeschmacks“ beliefern wollen, sollten das
daher mit ihrer eigenen Kunst tun, und dabei keinen „Etikettenschwindel“ begehen!
(nota bene: Arnulf Rainer hat auch nur eigene Bilder übermalt).
Häufig bedienen die „Nachdichter Bellmans“ auch das anscheinend unausrottbare Klischee,
Bellman wäre der „schwedische Anakreon“ gewesen. Dieses Missverständnis wird weder
dem großen Anakreon, noch der Seelentiefe Bellmans, seiner Ernsthaftigkeit und seiner
Genialität als Dichter und als Musiker gerecht. Die Anpassung an den Wunsch des Publikums
nach „noch skurriler, noch witziger, noch erotischer, als der originale Bellman“ führte in der
Vergangenheit allzu oft nur zu Deftigem, Zotigem, Misogynem. Vielen Nachdichtern ist
jedoch vorzügliche deutsche Lyrik gelungen, auch wenn diese für mein Empfinden allzu
„Bellman-ferne“ ist. Bei manch einer Nachdichtung drängte sich mir allerdings die Frage auf:
Ist dieser „Nachdichter“ vielleicht anfangs ein gescheiterter Übersetzer gewesen?
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die Übersetzungen ein und desselben Gedichts von
zwei unterschiedlichen Übersetzern an vielen Stellen stark ähneln, insbesondere dann, wenn
der Text sowohl gereimt als auch an Musik gebunden ist. Denn, wenn zwei kluge Leute über
ein und dasselbe Problem voneinander unabhängig nachdenken, dann kommen sie
naturgemäß oft zu gleichen Lösungen. Das ist beim Übersetzen genauso, wie in der
Mathematik. Wie schützt man sich daher als „braver Übersetzer“ gegen Plagiatsvorwürfe?
Anfangs vermied ich es, während der Arbeit nach „Vor“-Bildern zu schielen. Das halte ich
auch heute noch so, aber jetzt nur aus dem Grund, um die eigene Fantasie nicht zu lähmen.
Ein Übersetzer, den ich sehr schätze, machte einmal das freimütige Geständnis, er habe sich
nicht gescheut, eine Anleihe bei einem seiner Vorgänger genommen zu haben, weil diesem
für ein ihm unlösbar erscheinendes Übersetzungs-Problem eine geniale Lösung eingefallen
war. Seither mache ich es bisweilen auch so, aber erst dann, wenn mir trotz faustisch
„heißen Bemühens“ das Eigene missfiel. Denn es sollte beim Übersetzen ja nur um die
Qualität der Übersetzung, nicht aber um den eigenen „unbefleckten Dichterlorbeer“ gehen!
Doch selbstredend muss man seine Vorbilder dann auch nennen.
Ich hatte damals bei meiner Arbeit in den achtziger Jahren die Nachdichtungen von Hans-
Jürgen Hube 45 sowie von Hacks, Kahlau, Lange und Witt, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, 3
1983, als lyrisch hochwertig sehr geschätzt. Als besonders witzig und einfallsreich erschienen
mir die von Hartmut Lange, obwohl ich vieles davon als (leider) allzu stark abweichend vom
Original Bellmans empfand. Wirklich gute, aus meiner Sicht „Bellman-kongeniale deutsche
Übersetzungen“ gab es damals noch keine, ausgenommen einiges von Niedner 41, dessen
ideologische Denkweise für mein Empfinden aber allzu oft den wahren Bellman übertünchte.
Heute wäre es meiner Meinung nach eine durchaus zulässige Hilfe beim eigenen Übersetzen,
sich eine „ständige Referenz“ zu suchen. Dieser „virtuelle Übersetzer-Coach“ sollte aber drei
Bedingungen erfüllen: perfekte Schwedisch-Kenntnisse, als Ziel für seine Arbeit eine
größtmögliche Nähe zum Original sowie eine sehr große Erfahrung, speziell in der
119
Übersetzung von Bellman. Jürgen Thelen, Mitglied der Deutschen Bellman-Gesellschaft, hat
im Jahr 2016 eine vorzüglich zusammengestellte Auflistung aller Übersetzer Bellmans ins
Deutsche veröffentlicht. Eine Zusammenfassung ist in der Anlage 6 abgebildet. Ich möchte
aus dieser Liste nur einen einzigen Namen herausgreifen: Klaus-Rüdiger Utschick ist wohl
derjenige Zeitgenosse, der die meisten Werke Bellmans übersetzt hat, so auch sämtliche
Gesänge und Episteln 40 Bellmans. Diese große Leistung können nur diejenigen gebührend
würdigen, die sich selbst an Übersetzungen von Bellman versucht haben. Chapeau bas!
Ich erlaube mir, Klaus-Rüdiger Utschicks „Strategie“, die er in seinem Vorwort zur neuen
Auflage 40 seiner „Epistel-Übersetzung“ von 2010 sehr klar formulierte, zusammen zu fassen:
Utschicks oberstes Gebot ist „Werktreue“. Das bedeutet, dass die Übersetzung „weder
Variation noch Parodie des Originals sein darf“. Jegliche Konzession an den Zeitgeschmack
verfälscht nur und tut Bellman und seinem Werk einen schlechten Dienst. Das vom Dichter
Verhüllte, Angedeutete, Zweideutige darf niemals „enthüllt“ werden. Denn Bellman hat es ja
so meisterhaft beherrscht, auf dem schmalen Grat zwischen strengen Regeln des Anstands
sowie der Moral seiner Zeit einerseits und der augenzwinkernden Andeutung des
Verbotenen andererseits zu balancieren, ohne dabei in die „Frivolität abzustürzen“. Dies
gelang ihm, so schrieb Kellgren in seinem Vorwort zu den Episteln nur, weil er „die flüchtige
Leichtigkeit und vor allem die Fröhlichkeit hatte, die einem keine Zeit ließ zu erröten, weil
man lachen musste, und dann war es schon zu spät dazu.“ (siehe Zitat 40 auf S. 20)
Was aber tun mit Bellmanschen Pointen, die uns heute unverständlich sind, weil sie nur
dann „zünden“, wenn das nötige Hintergrundwissen vorhanden ist? Und wie vermittelt man
einen Witz auf der Basis einer Doppelbedeutung, die heute keiner mehr kennt? Ein Beispiel:
Selbst gebildete Schweden wundern sich über die Zeile „mina björner samlen eder“ (also:
„meine Bären, versammelt euch“). Nur wenige wissen, dass „björn“ zur Bellmanzeit auch ein
Schimpfwort für skrupellose Gläubiger und Schuldeneintreiber war. „Wenn der Text“,
schrieb Utschick, „Kenntnisse voraussetzte, die heute nicht mehr ein allgemeines
Bildungsgut sind“, dann habe er „am Inhalt festgehalten und die notwendigen Zusatz-
Informationen im Register bereitgestellt“. Er ergänzte jedoch später: „Der übersetzte Text
muss aber auch ohne das Register lesbar und verständlich sein. Für den Übersetzer gilt es,
aus einer unverständlichen Textstelle eine verständliche zu machen oder sie wegzulassen“.
Konnte ich also keine „Bellman-getreue“ deutsche Lösung“ finden, dann habe ich dieses „mir
Un-Übersetzbare“ weggelassen und danach die Metrik durch Auffüllen berichtigt.
„Über-setzen“ soll also helfen, dass durch Verschmelzen der Ideen des toten Dichters mit
den aus Seelentiefen kommenden Gefühlen der Lebenden der „wahre Bellman“ mitsamt
seinem unverlierbaren Werk auch für das deutschsprachige Publikum wieder aufersteht!
Ich bedanke mich bei allen Leserinnen und Lesern für ihr Interesse und ihre Zuwendung!
Gernot Henning, Wien, im Mai 2021
120
FN 5 : Helmbold-Rollik, Uta: Bellman-Kalender 2021: Mit Nachdruck der Bilder von Elis
Chiewitz, Bellmans-Galleri, Stockholm: P. B. Eklund, 1874. Kaarst: UHR-Verlag, 2020.
FN 6 : Thelen, Jürgen: Bellman auf Deutsch – Ein Überblick über die Übersetzungen und
Übersetzer, Mainz: Jürgen Thelen, 2016
FN 10 : Paul Britten Austin: Carl Michael Bellman. Sein Leben und seine Lieder. Übersetzt
und neu bearbeitet von Ursula Menn-Utschick, München: Anacreon Verlag, 1998. Bericht
von Johan Gabriel Oxenstierna auf Seiten 48 – 50. Originalausgabe: Britten Austin, Paul:
The Life and Songs of Carl Michael Bellman: Genius of the Swedish Roccoco, 1967.
FN 18 : Deutsche Bellman-Gesellschaft e.V.: Bellman Postille Nr. 4, Berlin, 2014. S. 10 – S. 11
Löjliga Spel Kort: Abdruck des Spiels Nr. 1989/72 aus dem Deutschen Spielkarten-Museum
in Leinfelden-Echterdingen.
FN 39 : Möckel, Dieter: C. M. Bellman 12 Episteln und Lieder, Hanau: CoCon Verlag, 1997.
Hoop, Hein: Carl Michael Bellman. Der Tod ist doch ein böser Bär, Celle – Göttingen: davids
drucke, 2. Verbesserte Auflage, 1988.
Landen, Leif: Carl Michael Bellman: En biografi, Leif Landen, 2008.
Gitarristen tun sich oft schwer mit dem Transponieren. Falls die Bass-Stimme mehrstimmig
ausgeführt wird, hilft ein Trick: Man spielt die Bass-Stimme so, als hätte sie Violinschlüssel,
aber in der Tonart eine kleine Terz tiefer. Beispiel: Epistel 3 ist in Es-Dur. Also muss man die
Bass-Stimme „als wäre es Violinschlüssel“, aber ohne Vorzeichen spielen und mit C-Dur
Harmonien begleiten. Auf diese Weise kann ein Gitarrist ohne Erfahrung im Transponieren
die Original-Harmonien leicht ermitteln.
Ich möchte allen Gitarristen die Sätze von Roland Bengtson, die in den leider vergriffenen
Büchern 7 und 8 des Prisma Verlags Stockholm veröffentlicht wurden, sehr empfehlen. Diese
Begleitungen habe ich daher - mit Zustimmung des Norstedt Verlages Stockholm - für die
meisten Lieder und Episteln in dieses Buch übernommen. Die Vorworte in beiden Büchern
erläutern, dass sich Bengtson bei Komposition seiner Begleitungen weitgehend an das
Original von Åhlström gehalten hat. Für einige Lieder habe ich meine Skizzen zum Vorspielen
samt Begleitungen auf der Gitarre, mit Fingersätzen und Harmonien ergänzt, in das Buch
aufgenommen, teilweise für Bariton etwas tiefer transponiert. Ich hoffe, meine Graffiti sind
einigermaßen lesbar und bieten Anregungen für die sich selbst begleitenden Sänger-
Gitarristen. Zu diesem Layout inspirierte mich das liebenswerte Buch von Dieter Möckel 39.
123
FN 1 : Gezeichnet von Peter Sengl am 7.7.2021, Tusche auf Papier, koloriert, nach
einem Ölgemälde von Elias Martin, offiziell datiert als „um 1780 gemalt“ – stimmt das?
Elias Martin war ein großartiger Landschaftsmaler und berühmter Porträtist. In seinem Ölbild des
jugendlichen Bellman mit in die Hand gestütztem Kopf stimmen Nase und Mund mit den anderen
zeitgenössischen Porträts überein. Auffallend ist das linke Auge, das leicht nach außen schielt. Das
sieht man sonst nirgendwo – war diese Fehlstellung bei allen anderen zeitgenössischen Porträts etwa
absichtlich durch Profildarstellung oder durch halb geschlossene Augen „camoufliert“, da Bellmans
Augenstellung nicht dem barocken Schönheitsideal entsprach? Vermutlich sah der junge Bellman
wohl genau so aus, wie ihn der präzise Zeichner Elias Martin malte – lediglich die Augen hat Martin
entsprechend dem barocken Zeitgeschmack etwas vergrößert, wie in vielen anderen seiner Porträts.
Elias Martin war fast gleich alt wie Bellman, geboren in Stockholm, wo er bis 1766 gelebt hat. Das
Nordiska Museet bezeichnet sie als Freunde. Beide waren junge Künstler, der eine ein begabter und
fleißiger Maler, der sich als Zeichner bei einer Schiffswerft sein (schmales?) Gehalt verdiente, der
andere ein - schon damals in seinen Kreisen - beliebter Entertainer und Stehgreifdichter, der einen
lockeren Lebenswandel führte und mit geborgtem Geld um sich warf. Im sehr umfangreichen Oeuvre
Martins gibt es erstaunlicher Weise kein weiteres Porträt Bellmans. Martin kehrte erst 1780 als
gefeierter Hofmaler aus Polen nach Schweden zurück, wo er ein Jahr später Mitglied der
Kunstakademie wurde und von Gustav III. viele Aufträge erhielt. In späteren Jahren wurden Martins
Arbeiten immer religiöser. Dahingegen war der Ruf des 40-jährigen Bellman in der gehobenen
Gesellschaft schon völlig ramponiert. Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass die beiden ihre
Jugendfreundschaft nach 1780 fortgesetzt haben. Entstand also dieses Ölbild des jungen Bellman
schon als „Übungsarbeit“ vor 1766, bevor Martin Schweden verließ, und nicht erst „um 1780“?
Johan Tobias Sergels letztes Porträt Bellmans entstand nur etwa 15 Jahre später. Bellman wirkt da
aber schon als sehr alter Mann. Mit klarem Blick betrachtet er skeptisch die Welt, desillusioniert,
enttäuscht und melancholisch nach Gicht- und Tuberkuloseanfällen, aber noch immer ganz aufrecht.
Sergel schrieb dazu „müde und verdrossen“. Die Zeichnung gibt zwar Bellmans kritische Haltung, sein
bewegtes Leben, seine Ambivalenz wieder, genau passend zur Epistel 27 „Letzte Gedanken“. Aber
dies alles ist nur ein Teilaspekt seiner Persönlichkeit: Auf Sergels Skizze fehlen die Begeisterung, die
Leichtigkeit seiner Dichtung, seine Liebe zur Schönheit, sein kritischer Geist, sein Charme und Witz.
Der österreichische Maler Peter Sengl hat ein Porträt „meines Bellman“ gezeichnet, das alle Aspekte
dieses „trubadurs“ wiedergibt: Bellman zwischen Jugend und Alter, am Zenit seiner Kraft und seines
Ruhms. Peter Sengl entschied sich für Martins Sicht auf Bellman. Aber mit dem hoch geschlagenen
Kragen zitiert er auch Sergels Porträt eines „alten Mannes“, der in Peter Sengls Vision von Bellman
ebenso enthalten ist, wie der „Jugendfreund“ von Elias Martin. Sengl hielt es dabei für wichtig, auch
„Geist und Seele“ Bellmans darstellen, seine Ambivalenz und seine Skurrilität. Mit beißendem Spott
„bellte“ Bellman seine Gesellschaftskritik heraus. Doch er verpackte sie in bunte Noten, camouflierte
die Botschaft mit Witz und Charme und brachte so sein Publikum zum Lachen, ohne es zu beleidigen.
Treu schaut das Hündchen oben zu seinem Herrn – erst zum Himmelvater, dann zu Gustav III. – hoch.
124
Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen nur jene Quellen gewählt, die ohne Verletzung
von Urheberrechten genutzt werden dürfen. Für viele ältere Werke bestehen jedoch durch
neuere Bearbeitungen oder durch längeren Besitz erworbene Rechte. Sollte ich irrtümlich
eine solche Abbildung anstatt der frei Nutzbaren aufgenommen haben, bitte ich dies zu
entschuldigen. Ich habe keinerlei kommerzielle Interessen, meine Arbeit dient nur der
Verbreitung des Werkes eines außergewöhnlichen Dichters, Musikers und Interpreten!
FN 11 : S.11 Porträt des jungen Bellman Elias Martin: (im Nationalmuseum, NB 209389),
vermutlich schon vor 1766 entstanden
FN 12 : Gesang 7 Liebe und Bacchus Abraham Janssens: Ceres, Bacchus and Venus
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?search=Venus+and+Bacchus&title=Special:MediaSearch&go=Go&type=image
FN 18 : Gesang 19, Episteln 2, 3, 23, 27, 30, 36, 69, 79 ”Löjliga spelcort” (wikicommons)
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:L%C3%B6jliga_spel_kort_med_scener_utur_Fredmans_epistlar.pdf
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/15/L%C3%B6jliga_spel_kort_med_scener_utur_Fredmans_epistlar.pdf
FN 43 : Epistel nr 12 Blas Vater Berg Elis Chiewitz: Vater Berg. Aus Kalender FN 5.
FN 29 : Epistel nr 23 Ach, meine Mutter Elis Chiewitz: Fredman vid krogen „Kryp in“
. Aus dem Bellman-Kalender FN 5.
FN 30 : Epistel nr 27 Letzte Gedanken Johan Tobias Sergel: Zeichnung von CMB 1795
https://encrypted-tbn0.gstatic.com/images?q=tbn:ANd9GcQNMydnSOkdDEKOzyoYAAj6LY6LHo8LzcfgFw-
Q3_DT_FgAnSuustr0j_N_q6NFhx-0wcY&usqp=CAU
FN 31 : Epistel nr 36 Schlief Ulla einst Elis Chiewitz: Ulla Winblad. Aus Kalender FN 5.
Ulla Winblad singt Filsers Duette beim Konzert im Wirtshaus „Tre byttor“ (Drei Butten) 46
127
Thelen hat alle ihm zugänglichen 1057 Übertragungen ins Deutsche der Episteln und Lieder
Bellmans von 30 Autoren analysiert, ohne sie jedoch hinsichtlich „Werktreue“ oder
„Qualität“ zu bewerten. Daraus ergibt sich das Chart, geordnet nach absteigender Anzahl der
übertragenen Werke Bellmans je Autor. Von den 30 Autoren haben lediglich drei sämtliche
Lieder und Episteln übertragen (zusammen sind dies 147 Texte Bellmans!). Am meisten
beachtet wurde die Epistel nr 82, von der es 16 Übersetzungs-Varianten gibt – vermutlich
der Bekanntheit von Zuckmayer und der „Bellman-Ferne“ seiner „Übersetzung“ geschuldet.
Sehr hilfreich sind die Biographien aller Autoren, die Thelen sehr sorgfältig
zusammengetragen und zum Teil kommentiert hat.