HISTORISCHE
ZEITSCHRIFT
P. Blickle, A. Holenstein,
H.R. Schmidt, E-J. Sladeczek
(Hrsg)
Macht
und Ohnmacht
der Bilder
Reformatorischer Bildersturm
im Kontext
der europäischen Geschichte
OLDENBOURG
LA
Beihefte
(Neue Folge)
Band 33
Herausgegeben von
Peter Blickle, André Holenstein; Heinrich Richard Schmidt
und Franz-Josef Sladeczek
Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung
außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzu-
lässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrover-
filmungen und die Einspeicherung und die Bearbeitung in elektronischen Systemen.
Umschlaggestaltung:
Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht).
Gesamtherstellung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Druckerei GmbH, München
ISBN 3-486-64433-5
(erscheint auch gebunden mit der ISBN 3-486-56634-2)
Vorwort sVon: Beier iBlicklesrte le ste ak Co IX
Bildersturm im Elsaß.
Won Lee Palmer Wandel... urn se ee nettes Hele
.....:-.....us
VI Inhalt
ee a —
Bilderstürme im Ostseeraum.
pee a ii ocre
Von Sereiusz Michalski 204 2
Bildersturm im Täufertum.
Von Hans-Jürgen Goërtz........ 4... ceca cest nen sense nee 239
Register und dus Hom. wind ates habe sole que oa) wer antennes, ais 531
Be.
se< ee de+e ea hie
Lu Ve
ac
= "
LE a
PONTS vx
Vorwort
Valerius Anshelm zeichnet in seiner Chronik zum 27. Januar 1528 als erwäh-
nenswertes Ereignis in der Stadt Bern dies auf: „Und also wurden [...] in der
luetkilchen 25 altar und das sacramentshus geschlissen, die goetzen zerschla-
gen und in’s kilchhofs schuete vergraben“.! „Götzen zerschlagen“ nannten
schon Zeitgenossen „Bildersturm“. In Bern wurden sie im Kirchhof vergra-
ben. Bei Bauarbeiten hat man 1986 davon wieder 500 Teile gefunden, sie
restauriert, im Historischen Museum neu aufgestellt? und sie mit vielen mit-
telalterlichen Christus-, Marien- und Heiligenbildern und -figuren umstellt.
Die „Ohnmacht“ der Bilder und Figuren im Berner Münster, sich gegenüber
dem Wort der Reformatoren erfolgreich zu verteidigen, ist einer neuen
„Macht“ gewichen, die ihnen der moderne Ausstellungsmacher im Museum
wieder inszenatorisch einhaucht.
Der Kongreß „Macht und Ohnmacht der Bilder“, der vom 21. bis 24. Januar
2001 an der Universität Bern stattfand, steht insofern in einer Verbindung mit
der gleichzeitigen Ausstellung „Bildersturm“ des Bernischen Historischen
Museums, als dessen Direktor, Peter Jezler, die Abteilung Neuere Geschichte
des Historischen Instituts ersucht hat, die Ausstellung zum reformatorischen
Bildersturm durch einen Kongreß der Wissenschaften zu ergänzen. Einem sol-
chen Wunsch zu entsprechen, gehört sich unter befreundeten Institutionen des
Kantons und der Stadt, und ihm habe ich um so lieber entsprochen, als Refor-
mations-, Religions- und Frömmigkeitsgeschichte einen Forschungsschwer-
punkt des Historischen Instituts darstellt. Unter diesen Umständen lag es nahe,
einerseits meine Kollegen, die Privatdozenten Heinrich Richard Schmidt und
Andre Holenstein, als Mitveranstalter beizuziehen, die dankenswerterweise
auch das Lektorat und die Redaktion der hier vorgelegten Kongreßakten über-
nommen haben, andererseits Franz-Josef Sladeczek (Bernisches Historisches
Museum) um seinen Rat als Kunsthistoriker bei der Planung des Kongresses
zu fragen.
m aus der
1 Daniel Gutscher, Götzen als Füllschutt - Codices zur Isolierung. Der Bilderstur
Zitat 22).
Sicht der Archäologie, in: Vernissage 8, 2000, Nr. 18, 22-27 (das
kunsthisto-
2 Vgl. Franz-Josef Sladeczek, Der Berner Skulpturenfund. Die Ergebnisse der
rischen Auswertung. Bern 1999.
X Vorwort
Das Kongreßthema wurde sehr viel weiter gefaßt, als es die Vorgabe durch
die Ausstellung in Bern vorsah, die sich angesichts der gemachten Funde
naturgemäß auf die Reformationszeit in Bern beschränkt, das örtliche Material
aber durch solches aus Straßburg erweitert hat. Die Forschung im Bereich des
Mittelalters und der Frühneuzeit war in den letzten Jahren derart lebhaft und
hat durch die Ausweitung des Problemhorizonts auf die „Politischen Religio-
nen“ des 20. Jahrhunderts eine bislang unbekannte Dimension erhalten, daß es
nahe lag, ja zwingend war, das Thema Bildersturm (und korrespondierend
Bilderverehrung) ohne zeitliche Beschränkung zu behandeln und gerade von
dieser Konzeption neue Impulse zu erwarten. Zwar steht der reformatorische
Bildersturm quantitativ auch im vorliegenden Band im Vordergrund, das aller-
dings ist dem Umstand geschuldet, daß theoretische und methodische Grund-
satzdebatten in den letzten drei Jahrzehnten vornehmlich auf der Basis von
Material aus der Reformationszeit geführt wurden. Insofern erfolgte in Bern
auch eine Bilanzierung eines großen Themas, das seit dem vor 15 Jahren von
Bob Scribner und Martin Warnke durchgeführten Arbeitsgespräch in Wolfen-
büttel3 keine umfassende vergleichende Behandlung mehr erfahren hat.
Es war schwer, den Kongreß auf eine zeitliche Erstreckung zu beschränken,
die nach meiner Erfahrung noch Effektivität verbürgt, das Interesse und die
Anfragen waren überwältigend, verständlicherweise angesichts der großen
Kompetenz, über die alle beteiligten Disziplinen, Kunstwissenschaft, Ge-
schichte und Theologie, augenblicklich verfügen. Mühelos hätte die Tagung
stark ausgeweitet und mit weiteren hervorragenden Referentinnen und Refe-
renten besetzt werden können. Abgesehen davon, daß einige der von mir vor-
gesehenen Referenten wegen ihrer herausragenden politischen Ämter oder
schon früher eingegangener Verpflichtungen nicht kommen konnten, verant-
worte ich selbst die inhaltliche Ausrichtung der Tagung. Der Tagungsband
wird in der Hoffnung vorgelegt, daß er neue interpretationsleitende Fragen an
die weitere Forschung stellt.
Herrn Lothar Gall bin ich sehr dankbar, daß er in einem frühen Stadium der
Planung seine Bereitschaft zur Aufnahme der Kongreßakten in die Histori-
sche Zeitschrift erklärt hat. Der Kongreß selbst wurde durch den Max und
Elsa Beer-Brawand-Fonds in Bern finanziert, dem ich für seine großzügige
Förderung sehr danke. Die Burgergemeinde Bern hat dankenswerterweise den
Abdruck des Bildteils ermöglicht. Die Herausgeber sind Frau Andrea Schüp-
bach für ihre sachkundige Hilfe bei der Redaktion der Texte zu großem Dank
verpflichtet. |
3 Bob Scribner (Hrsg.), Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der frühen Neu-
zeit. (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 46.) Wiesbaden 1990.
LA
Von
Peter Blickle
Hier klagt kein Mönch aus einem der unzähligen im Verlauf der Reformation
gestürmten und verbrannten Klöster in Europa, hier jammert ein Schulmeister
über die Verwüstung des Klosters Einsiedeln in der Dreikönigsnacht von 1314
durch Bauern aus Schwyz.? Der Konvent wurde geschlossen nach Schwyz
verschleppt, als wollte man die Schutzherren des Klosters, die Herzöge von
Österreich, verhöhnen. Um der habsburgischen Reputation willen kam es am
15. November 1315 zur Schlacht von Morgarten. Die Medien der Zeit, die
Chroniken, konnten mit einer sensationellen Schlagzeile aufmachen — Ritter-
heer von Bauern vernichtend geschlagen.
Kircheund Kloster seien verwüstet worden, klagte 1525 der Abt von
gottes
Kempten: „kirchen- vnd altartaffeln vnd -stain zerstört [...] vnd alle
vnd vnsers säligmachers, seiner gebenedeiten mu(o)ter bild enthaupt vnd des
kindlin an irm arm entzway vnd ander lieben haylgen bildnus turckisch vnd
“, der
vnchristenlicher weys entert, zerhowen, zerworfen [und] zerrissen
zerstört. Alle Kelche und
Taufstein herausgebrochen, das Sakramentshaus
verbrannt, alle Amt-
Meßgewänder seien geraubt, alle Register und Urkunden
leute abgesetzt und die Mönche aus dem Kloster gejagt. Die Zahl der Klöster,
die im Jahr 1525 in Oberdeutschland dasselbe Schicksal ereilte, dürfte drei-
stellig sein.
Ähnliches wiederholte sich in den 1560er Jahren in Frankreich. Die zeit-
genössischen Schätzungen über die Zahl der zerstörten Kirchen schwanken
zwischen 10000 und 20 000.4 Im Zuge des Bildersturms kam es auch zu Sze-
nen wie der in Cléry, wo sich die Hugenotten einer Statue König Ludwigs XI.
bemächtigten und ihr wie im Ritual einer Hinrichtung durch den Scharfrichter
Kopf, Beine und Arme abschlugen.> Im niederländischen Den Briel wurde am
Aschermittwoch 1567 ein Prozeß gegen fünf Bilder des heiligen Rochus ein-
geleitet, das Urteil lautete auf Tod auf dem Scheiterhaufen.®
Die Französische Revolution zelebrierte auf den Altären von Notre Dame in
Paris, nachdem man die ‚Götzenbilder‘ und Herrschaftsembleme von Kirche
und Krone feierlich verbrannt hatte, Feste der Freiheit und der Vernunft.’ Die
Nationalsozialisten inszenierten ihren Bildersturm in einer Ausstellung „Ent-
artete Kunst“ in München 1937 und zwei Bilderverbrennungen in Berlin und
1945 in Paris. In Estland wurden im ersten Jahr der Sowjetherrschaft 500 Mo-
numente zerstört. Jurassier rissen mit Seil und Flaschenzug am 13. Oktober
1986 um Mitternacht die Statue vom Gerechtigkeitsbrunnen in der Stadt Bern,
ein Bekennerschreiben denunzierte den Kanton als ,,kolonialistisch“, die ,,Ber-
ner Gerechtigkeit“ liege danieder. !°
„Bildersturm“ ist ein Phänomen, das sich, wie die Beispiele zeigen sollten,
einer zeitlichen Fixierung entzieht. Er findet nicht nur in der Reformationszeit
statt und keineswegs nur in städtischen Kirchen, vielmehr ist er zeitlos und
geht mit revolutionären Umbrüchen oder zumindest bürgerkriegsähnlichen
Eruptionen einher.!! Der Bildersturm ist somit ein Stellvertreterphänomen.
4 Olivier Christin, Frankreich und die Niederlande — Der Zweite Bildersturm, in: Cécile
Dupeux/Peter Jezler/Jean Wirth (Hrsg.), Bildersturm. Wahnsinn oder Gottes Wille? Kata- -
log zur Ausstellung. Zürich 2000, 57-66, hier 61.
5 Ebd., 60. — Material ausgebreitet bei Olivier Christin, Une révolution symbolique: L’ico-
noclasme huguenot et la reconstruction catholique. Paris 1991.
6 Christin, Frankreich und die Niederlande (wie Anm. 4), 64.
7 Werner Hofmann, Die Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion, in: ders. (Hrsg.),
Luther und die Folgen für die Kunst. Katalog der Ausstellung in der Hamburger Kunst-
halle, 11. Nov. 1983-8. Jan 1984. München 1983, 64.
8 Peter-Klaus Schuster (Hrsg.), Die ,,Kunststadt“ München 1937. Nationalsozialismus und
„Entartete Kunst“. 5. Aufl. München 1998; Martin Struwe, „Nationalsozialistischer Bilder-
sturm“. Funktion eines Begriffs, in: Martin Warnke (Hrsg.), Bildersturm. Die Zerstörung
des Kunstwerks (Kunstwissenschaftliche Untersuchungen des Ulmer Vereins für Kunst-
wissenschaft, Bd. 1). München 1973, 121-140, 176-179.
9 Dario Gamboni, Zerstörte Kunst. Bildersturm und Vandalismus im 20. Jahrhundert.
Köln 1998, 59.
10 Das Ereignis mit den politischen Hintergründen beschrieben ebd., 103-108.
11 Der Zusammenhang wird insgesamt zu wenig betont. Frühe Skizze des Problems bei
Martin Warnke, Bilderstürme, in: ders. (Hrsg.), Bildersturm (wie Anm. 8), 7-13. Warnke
Bilder und ihr, gesellschaftlicher Rahmen 3
Nicht anders die „Bilderverehrung“. Jede Kultur, die immer Abdruck ihrer
Gesellschaft ist, schafft sich ihre Bilder. Einsiedeln gehörte schon wenige
Jahrzehnte nach dem Klostersturm dank seines Gnadenbildes wieder zu den
beliebtesten Wallfahrtsorten des Spätmittelalters.1?2 Am Rande des Fürststifts
Kempten blühte in Maria Steinbach eine Marienwallfahrt auf. Die hölzerne
Schmerzensmutter bewege die Augen und vergieße Tränen, berichteten Gläu-
bige 1730. 1734 erfolgte die bischöfliche Erhebung zum Wallfahrtsort in An-
wesenheit von 30000 Pilgern.!3 Die Verfassung der ersten Republik Frank-
reichs wurde 1793 mit einem Kupferstich ins Bild gesetzt, auf dem Licht die
Dunkelheit zerreißt.!* Moskau bediente sich gleichsam des Vorbilds mittel-
alterlicher Reliquien, wenn es Lenin einbalsamierte!5, und der Manier der
Ikone, wie es ihn in der Moskauer Metrostation Komsomolskaja verkultete.16
70000 Lenin-Denkmäler sollen in Rußland gestanden haben.!’ Die Bürger-
meister in Frankreich haben ihre Amtsstuben in den 1970er Jahren mit Büsten
von Brigitte Bardot als Symbol der Republik ausstaffiert.!8
Solche Beobachtungen sind der Grund, den Bildersturm als wiederkehren-
des Phänomen der europäischen Geschichte zu behandeln. Die Reformatoren,
die ihn theologisch duldeten, förderten oder unabdingbar verlangten, waren
nicht so erfolgreich, daß sie die Macht der Bilder für immer hätten brechen
können.!9 Ob sich die Bilderverehrung im Barock von der des Spätmittel-
alters unterscheidet, ist strittig.20 Die Architektur der katholischen Kirchen
mit ihren Kuppeln über den Hochaltären, die das mystische Geschehen der
setzt allerdings die Moderne des 19. und 20. Jahrhunderts stärker vom Mittelalter und der
Frühneuzeit ab. - Horst Bredekamp, Kunst als Medium sozialer Konflikte. Bilderkämpfe
von der Spätantike bis zur Hussitenrevolution. Frankfurt am Main 1974, 10-14, 330-334;
Christin, Une révolution symbolique (wie Anm. 5), 287-291. — Für eine Generalisierbar-
keit der Phänomene setzt sich ein David Freedberg, The Power of Images: Studies in the
History and Theory of Response. Chicago/London 1989. a
12 Adolf Reinle, Die Kunst der Innerschweiz von 1200 bis 1450. Ein Überblick, in: Inner-
schweiz und frühe Eidgenossenschaft. Jubiläumsschrift 700 Jahre Eidgenossenschaft.
Bd. 1. Olten 1990, 288.
13 Vgl. den Beitrag von Werner Scharrer [ohne Titel] in: Wolfgang Jahn u.a. (Hrsg.), ,,Biir-
gerfleiß und Fürstenglanz“. Reichsstadt und Fürstabtei Kempten. (Veröffentlichungen zur
Bayerischen Geschichte und Kultur, Bd. 38). Augsburg 1998, 218.
14 Hofmann, Die Geburt der Moderne (wie Anm. 7), 63. — Mehrere einschlägige Beiträge
in: Roger Bourderon (Hrsg.), Saint-Denis ou le jugement dernier des rois. Saint-Denis
1993.
15 Die Beispiele bei Hans Maier, Politische Religionen — Möglichkeiten und Grenzen
eines Begriffs, in: ders./Michael Schäfer (Hrsg.), Totalitarismus und Politische Religio-
nen. Konzepte des Diktaturvergleichs. Bd. 2. Paderborn/München/Wien/Zürich 1997,
299-310.
16 Hofmann, Die Geburt der Moderne (wie Anm. 7), 25.
17 Gamboni, Zerstörte Kunst (wie Anm. 9), 60.
18 Hofmann, Die Geburt der Moderne (wie Anm. 7), 24.
19 Ebd., 32.
Kultur-
20 Peter Hersche, Italien im Barockzeitalter (1600-1750). Eine Sozial- und
geschichte. Wien/Köln /Weimar 1999, 276ff.
4 Peter Blickle
Wandlung auf dem Altar über die herabstürzenden Fluten des Lichts mit dem
Himmel verbinden, ist nicht umsonst Transsubstantiationsarchitektur?! ge-
nannt worden. Ob die „politischen Religionen“ des 20. Jahrhunderts, wie Eric
Voegelin die Totalitarismen genannt hat, den Bildern wieder einen Kultwert
haben zuschreiben können, ist eine heute neu gestellte Frage.22
21 So sinngemäß Pierre Chaunu, La civilisation de l’Europe des lumières. Paris 1971, 396.
22 Maier, Politische Religionen (wie Anm. 15), 299-310.
23 Hofmann, Die Geburt der Moderne (wie Anm. 7), 46. - Vgl. weiter Martin Warnke,
Durchbrochene Geschichte? Die Bilderstürme der Wiedertäufer in Münster 1534/35, in:
ders. (Hrsg.), Bildersturm (wie Anm. 8), 65-98, 73 ff. :
24 Zit. bei Hofmann, Die Geburt der Moderne (wie Anm. 7), 28.
25 Ebd., 35.
26 Hans Belting, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst.
2. Aufl. Miinchen 1991, 27. :
27 Ebd., 539.
Bilder und ihr, gesellschaftlicher Rahmen ä
Kirchenvolk mit Zwang auferlegte Pflicht durch Rom erscheint. Es bleibt also
dabei, das Bild verliert seine Spiritualität an die Ästhetik.
Daß jetzt die Moderne beginne, ist nicht nur ein Urteil der modernen Wis-
senschaft. Der Erfinder des Dadaismus, Hugo Ball, hat 1916 im Cabaret Vol-
taire in Zürich den Verlust an Sinnlichkeit in den Satz gefaßt, „der Protestan-
tismus ist eine Philologie, keine Religion“.28 Unter den Gleichgesinnten fin-
det sich auch der treffliche Hegel. Mögen wir „Christus, Maria noch so wür-
dig und vollendet dargestellt sehen: es hilft nichts, unser Knie beugen wir
doch nicht mehr“.29 Das katholische Europa zeigt sich bis heute von solchen
Urteilen vergleichsweise unbeeindruckt. „Der Brauch, in den Kirchen den
Gläubigen heilige Bilder zur Verehrung darzubieten, werde nicht angeta-
stet“30, lautet die Auskunft des Zweiten Vaticanum zu diesem Thema.
28 Zit. bei Hofmann, Die Geburt der Moderne (wie Anm. 7), 69.
29 Zit. ebd., 49.
30 Konstitution über die heilige Liturgie, Art. 125, in: Das Zweite Vatikanische Konzil.
103.
Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen. T. 1. Freiburg/Basel/Wien 1966,
31 Als Prolegomena zur wünschenswerten Aufarbeitung dieses Phänomens vgl. Siegfried
der achtziger Jahre.
Bräuer, Martin Luther in marxistischer Sicht von 1945 bis zum Beginn
in der Bun-
Berlin 1983; Rainer Wohlfeil, Das wissenschaftliche Lutherbild der Gegenwart
nd und in der Deutschen Demokrati schen Republik. Ein Vergleich.
desrepublik Deutschla
lichungen
Hannover 1982; Peter Manns (Hrsg.), Zur Bilanz des Lutherjahres. (Veröffent
Claus-Jürgen
des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Beih. 19.) Stuttgart 1986;
Roepke (Hrsg.), Luther 83. Eine kritische Bilanz. München 1984.
6 4 Peter Blickle
Bauernkrieg von 1525 dort hieß, hat dem realen Sozialismus eine Tradition
unterlegt, die in der Bundesrepublik Deutschland als anmaßend und bedroh-
lich empfunden wurde, weil sie deren Selbstverständnis an einem empfind-
lichen Nerv traf. Bewußt durch Überzeugung oder unbewußt durch Sozialisa-
tion schreibt sich ein großer Teil der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland
auf die Reformation zurück, sofern weiter zurückreichende Traditionen über-
haupt gesucht werden. In der Schweiz ist das nicht anders. Es konnte gar nicht
ausbleiben, daß sich die richtige Weltdeutung auch an der Reformation be-
währen mußte. Da die Reformation jedoch, trotz Wittenberg, Zürich und
Genf, nicht den Deutschen und den Schweizern als Eigentum gehört, sondern
dank ihrer weiten Ausbreitung in Form lutherischer, calvinischer und presby-
terianischer Landeskirchen und Gemeinden der Welt, waren, pathetisch ge-
sprochen, die christliche westliche Welt und der Kommunismus das Referenz-
system für die Deutung entscheidender Epochen der Geschichte und damit
auch ihrer Kulturen. Geschichte wurde zur Politik, neben der „Außenpolitik“,
der „Wirtschaftspolitik“, der „Sozialpolitik“ und der „Kulturpolitik“ begann
sich eine Geschichtspolitik zu etablieren.
Auf die Wissenschaften hat dieser Antagonismus äußerst befruchtend ge-
wirkt. Nicht nur, daß man mit Max Weber und Karl Marx über zwei, den Sy-
stemen konforme, damit aber auch konkurrierende und komplementäre wis-
senschaftstheoretische Konzepte verfügte, die Theoriediskussion selbst, neu
wie sie war, beschleunigte sich selbstreferenziell und hat einerseits den Blick
auf andere Disziplinen und ihre Methoden, namentlich die Ethnologie und die
Linguistik, geweitet, andererseits die Gegenstände neu konstituiert. Der All-
tag normaler Leute, ihre Mentalität und Kultur, die jetzt interessant wurden,
schufen einen neuen Horizont des Fragens?2, der weit entfernt war vom Histo-
rismus der 1960er Jahre, der noch die „sittlichen Mächte“ und ihre Hervor-
bringungen, besonders den Staat als bevorzugte Gegenstände behandelt hatte.
Jetzt konnte der Bildersturm als Folge der Theologie der Reformatoren und
der Theologie einfacher Leute gedeutet werden, als Durchsetzung des früh-
modernen Staates gegenüber der Kirche und als Klassenkampf zwischen den
Ständen Geistlichkeit einerseits und Bauern und Handwerker andererseits.
Theologie, Kunstwissenschaft und Geschichtswissenschaft haben in dieser
theoretisch-methodologischen Neuorientierung ihrer Disziplinen zu einer bis-
lang beispiellosen interdisziplinären Zusammenarbeit gefunden.
Entsprechend differenziert, ja widersprüchlich sind die Beiträge, welche
die beteiligten Disziplinen zum Thema liefern.?? Aus dem Vandalismus des
32 Den Gang der Forschung beschreibt Richard van Dülmen, Historische Anthropologie.’
Entwicklung, Probleme, Aufgaben. Köln/Weimar/Wien 2000.
33 Forschungsüberblick bei Gamboni, Zerstörte Kunst (wie Anm. 9), 13-25. — Der per-
spektivische Reichtum der Frageansätze wurde auf einer Tagung zum Thema 1986 in Wol-
Bilder und ihr gesellschaftlicher Rahmen 7
Pöbels vergangener Tage ist heute eine Theologie des Volkes geworden.34
Den von Stadt zu Stadt variierenden Vorgängen sucht man durch begriffliche
Differenzierung in Bildersturm, Bilderfrevel und Bildentfernung?5 gerecht zu
werden. Je nach Umständen und Interpretationskunst der Autoren haben das
Volk oder die Jugend oder die Prediger oder der städtische Rat dafür gesorgt,
daß die Kultfiguren aus der Kirche geschafft wurden.36 Im Bildersturm prak-
tizieren Menschen ihren Widerstand gegen ungerechte Herrschaft?’ oder ent-
laden ihre Wut gegen die fiskalisch motivierten Verwirrungen der Seelen
durch die römische Kirche. Selbst die Durcharbeitung der Bilderverehrung in
einer tausendjährigen Theologiegeschichte steckt, so hat sich gezeigt, voller
Dichotomien und Widersprüche. Eine umfassende und anerkannte Interpre-
tation dafür, was beim Bildersturm vorliege, fehlt.3? Das erklärt sich aus dem
Umstand, daß jedes gesellschaftliche System mit der ihm eigenen und konge-
‚nialen Ordnung, was Historiker Verfassung nennen, seine Bilder schafft, ihre
Entfernung, Beschädigung und Zerstörung folglich in hoch komplexen Zu-
sammenhängen stehen.
fenbüttel deutlich. Vgl. Bob Scribner (Hrsg.), Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter
und in der frühen Neuzeit (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 46). Wiesbaden 1990.
34 Lee Palmer Wandel, Voracious Idols and Violent Hands: Inconoclasm in Reformation
Zurich, Strasbourg, and Basel. Cambridge 1995. — Ein frühes Beispiel für diese Interpre-
tation, bezogen auf Münster, bei Warnke, Durchbrochene Geschichte? (wie Anm. 23),
80-84.
35 Sergiusz Michalski, Das Phänomen Bildersturm. Versuch einer Übersicht, in: Scribner
(Hrsg.), Bilder und Bildersturm (wie Anm. 33), 69-124.
36 Konzepte von Ethnologie und Herrschaftssoziologie werden vielfach verarbeitet. Vgl.
Natalie Zemon Davis, Riten der Gewalt [1973], in: dies. (Hrsg.), Humanismus, Narrenherr-
schaft und die Riten der Gewalt. Gesellschaft und Kultur im frühneuzeitlichen Frankreich.
Carnival
Frankfurt am Main 1987, 171-209, 297-308. — Robert W. Scribner, Reformation,
upside-dow n [1978], in: ders. (Hrsg.), Popular Culture and Popular
and the World Turned
Movements in Reformation Germany. London/Ronceverte 1987, 71-101.
23),
37 Bildersturm als Klassenkampf bei Warnke, Durchbrochene Geschichte? (wie Anm.
- 84-90. \
Konzil von
38 Jean Wirth, Soll man die Bilder anbeten? Theorien zum Bilderkult bis zum
Trient, in: Dupeux/Jezler/Wirth (Hrsg.), Bildersturm (wie Anm. 4), 28-37.
39 Vgl. zusammenfassend die kritische Vorstellung der Forschungskonzepte von Norbert
sches
Schnitzler, Ikonoklasmus — Bildersturm. Theologischer Bilderstreit und ikonoklasti
Handeln während des 15. und 16. Jahrhunderts. München 1996, 306-325.
Im „w
ne eee |
rau vd en
paid %
ee
— mr ee epee nnn ec
E ere ee SS PUR
ring woth NN DE house EU ES LT
bid ite AR POELE UT LEabat vated a À ae
PU D 1 SAS cris."
ee u broder aol mit SEL Ny:
note dore state
HR LE er télé dede pif eu sat dif
open ets Fetal 42 malt#5 D ss
tie Ausmer Br
: a er ns awl ee
sat) Semin nee
im one beet aE v dati chier Pate ares oa
erh filtregba tesoe, pics th ROTE ER ae
rs teemé recu aren rer Yen a sicalBin
i sucht ot re “ La
HET isin ee jus +rm ea
L
6 :
aah bud pam gh 2th, im
ler
een HE ne
‘ oe a 21
L 5% aro wy AL.
ee ak
ne EA}
xa ¢ AaB à m
~ » SE &
a bre
à * a
eel
se
nn
: 7
F 1 t Hu
At ' 4, Ph
In Ta a Tans Mel NR - Andee i
M ja Bi: lity er al à
‘ aie
yo) Er LIE aa) re une chen tyeine Erbe
: ARTE iu til ab in) HAUTE NT pie x
EN ur ’ ws) à min int’ a 1
enHy BU
Fe
| sb TED dm u reverent See
‘y désir ae je ta he
ste avwersbnry ically, way a et at
à ‘ ei m
ae
bau gaurlsrsvisblié.
ra Ba =
=
a
gnunölze+195
1:
nsfstdloansaer
LA
Von
Hans Belting
Macht und Ohnmacht der Bilder sind wie die zwei Seiten einer Medaille und
beleuchten zwei verschiedene Formen der Bildpraxis, die eng aneinander ge-
bunden sind. Eigentlich sind beide Begriffe den Bildern selbst unangemessen
und weisen nur auf Rollen hin, die man mit ihnen ausgeübt und an ihnen
demonstriert hat. Im Grunde läuft diese Antithese auf einen einfachen Sach-
verhalt hinaus. Wer glaubte, daß die Bilder zuviel Macht über die Menschen
gewonnen hatten, wollte durch ihre Beschädigung oder Verhöhnung die Men-
schen, die sich davor gebeugt hatten, von der Ohnmacht der Bilder über-
zeugen (eine Art von drastischer Aufklärung). Es gibt nicht das Eingeständnis
ihrer Ohnmacht, wenn man nicht zuvor an ihre Macht geglaubt hat. Dann
wollte man Macht über sie gewinnen. Aber wen traf man damit eigentlich?
Sicher nicht die Bilder als solche, sondern immer nur jene, die mit ihrer Hilfe
Macht ausgeübt hatten, also Macht an die Bilder delegiert hatten.
Macht ist ein übler Begriff, ist ein Vorwurf, und beweist, daß in der Bilder-
frage immer die blanke Polemik geherrscht hat. Insofern lernt man wenig über
die Bilder im Kontext des Bilderstreits. Man begegnet nur dem Mißbrauch der
Bilder für eine Polemik, die nicht ihnen galt, sondern dem theologischen oder
politischen Streit zweier Parteien, die sich in der Frage der Bilder das Argu-
ment gesucht haben, über das sie sich entzweien konnten und wollten. Schon
die Begriffe sind verräterisch. Es gibt keinen /doloklasmus, denn es gilt als
gut, die Idole als die falschen Bilder zu zerstören. Und es gibt keine /konola-
trie, denn es ist unmöglich, die guten Bilder falsch und übertrieben zu vereh-
ren. Idole sind die Bilder der anderen, Ikonen die eigenen Bilder. Das muß
schon in frühen Stammeskulturen so gewesen sein, natürlich ohne diese
Begriffe. Bilder stiften Identität in einer Gemeinschaft und folglich auch das
Bedürfnis nach Ausgrenzung und Entfernung solcher Bilder, die die an ihnen
demonstrierte Identität bedrohten oder leugneten.
Die ikonoklastischen Bewegungen haben sich selten gegen alle, sondern
meist gegen bestimmte Bilder gerichtet, in Byzanz und in der Reformation ge-
gen solche Bilder, welche die Identität und die Reinheit der Religion betrafen,
während weltliche Bilder, die an diesem Anspruch unbeteiligt waren, außer
' Betracht blieben. Bilder waren nur dann wichtig, wenn sie dasjenige darstell-
entzün-
ten, was in einer Gemeinschaft wirklich wichtig war. Die Kontroverse
Bilder, sondern an dem, was wir Re-
dete sich also selten an dem Bildsein der
präsentation nennen, Repräsentation einer Idee oder eines Ideals im Medium,
12 Hans Belting
a
Te ne ee a Er
aber nicht im Namen der Bilder. Was verehrte man denn, wenn man Bilder
verehrte? Und was zerstörte man, wenn man Bilder zerstörte? Bilder sind von
Hause aus Stellvertreter, Statthalter. In ihrer physischen Präsenz tragen sie
den Ausweis einer Absenz an sich, die man mit einem Bild füllte. Hier ist
auch ein Konfliktstoff angelegt. Wenn man ein Bild brauchte, so mußte es ein
richtiges Bild sein. Was aber war richtig? Richtig war das, wofür Konsens be-
stand. Dissens zerstörte die Autorität der Bilder. Bilder setzen immer Glauben
voraus, auch heute noch den notwendigen Glauben unseres Blicks. Wir kön-
nen das auch Akzeptanz nennen. Bilder verlieren ihre Notwendigkeit, wenn
sie nicht mehr, oder nur für einen Teil der Gemeinschaft, das kollektive Ima-
ginäre darstellen. Sie können zwar durch jene, welche die Macht in einer Ge-
sellschaft ausüben, der Mehrheit aufgezwungen werden. Aber die Mehrheit
rächt sich, wenn sie dafür Gelegenheit erhält, und zwar nicht so sehr an den
Bildern als vielmehr an denen, welche die Verfügungsgewalt über die Bilder
besessen hatten. In diesem Falle werden die Bilder als Medium der Machtaus-
übung verstanden und attackiert. Beispiele aus dem 20. Jahrhundert erklären
diesen Sachverhalt leichter. Da gibt es nicht nur den Sturz der bolschewisti-
schen Denkmäler nach dem Ende der Sowjetunion. In die gleiche Richtung
weist der Sturz der Mariensäule in Prag, mit dem die Tschechen 1918 nicht
die Religion, erst recht nicht die barocke Kunst, sondern die Habsburger tref-
fen wollten.
Wenn ich behauptet habe, daß man in den Se über Bilderstreit, trotz
allen aufgewendeten Scharfsinns, wenig über Bildlichkeit und Bildwahrneh-
mung erfährt, so muß diese Behauptung in einem Punkt modifiziert werden.
Wahrscheinlich gibt es physische Bilder von Anfang an, damit sie in der Öf-
fentlichkeit aufgestellt (gemalt) werden und dort eine Praxis auf sich ziehen,
die wir z.B. Kult nennen und meist allzu oberflächlich auf kirchlichen Kult
beziehen (darin liegt auch ein Erbe der Konfessionsspaltung, das sich bis
heute identitätsstiftend in unserer Sprache und in unserem Denken überliefert °
hat). Bildzerstörung ist nur die andere Seite des Bildkults, ist Bildkult unter
umgekehrten Vorzeichen oder Gewalt gegen Bilder, an denen man Gewalt
über sich selbst erfahren hat. Die Bilder bewähren sich erst wirklich in den
symbolischen Handlungen, die man an ihnen vollzog (oder die man ihnen ver-
weigerte). Schon ihre Herstellung war eine symbolische Handlung. Aber sie
hatte nur dann einen Sinn, wenn sie die Betrachter einlud, vor ihnen ihren
Glauben zu demonstrieren oder Loyalität zu praktizieren, also ihrerseits eine
symbolische Handlung auszuführen.
In der Zerstörung, die die Wiedertäufer in Münster an einem Vesperbild
(Maria mit dem Leichnam Jesu) anrichteten, widersprachen sie der Glaubens-
ausübung, die das Bild auf sich gezogen hatte. Vor allem aber trafen sie damit
die katholische Kirche (und ihren lokalen Bischof), die von solchen Bildern
repräsentiert worden war. Subversion, Aufstand, Befreiung waren die Motive,
Macht und Ohnmacht der Bilder 13
= ye
IN
\\ IN ‚li N i
A\ In. ln M
in N
Abb. 1 Albrecht Altdorfer, Holzschnitt, 1519. Erlangen, Graphische Sammlung der Uni-
versität.
14 Hans Belting
wenn sie auch verbrämt wurden durch den Vorwurf einer falschen Religions-
ausübung mittels der Bilder oder gar durch den Vorwurf, die Bilder verführten
durch die Sinne zum Irrtum und zur Unterwerfung. Albrecht Altdorfer dage-
gen verteidigt in dem Holzschnitt, den er um 1519 schuf, den Bildkult, indem
er ihn antithetisch von dem heidnischen Götzendienst (ein Neptun mit Feuer-
topf) unterscheidet, der im Hintergrund in einer Ruine erinnert wird (Abb. Ir
Man hat hier einen Bezug zur Wallfahrt der Schönen Maria in Regensburg er-
kennen wollen, von der schon Dürer so abgestoßen war, daß er auf einem
diesbezüglichen Pilgerandenken verärgert notierte, „dieses Gespenst“ habe
sich „wider die Heilige Schrift erhoben“ und sei vom Bischof aus ökonomi-
schen Gründen wieder neu propagiert worden. Im Holzschnitt aber kniet ein
Andächtiger so versunken vor der Marienstatue, daß er sie gar nicht anzublik-
ken braucht, sondern von ihr ein inneres Bild erzeugt.
Karlstadt aber, der drei Jahre später, 1522, seine Schrift gegen die Bilder
veröffentlichte, wollte in einer solchen Bildandacht nur die „Anbetung“ der
Bilder erkennen. Das war ein böser Begriff, denn Anbetung konnte nach dem
gültigen Glaubensverständnis nur Gott selbst einfordern. Die Tabuisierung
der Bilder, in dieser Hinsicht, wurzelt im zweiten Gebot des mosaischen Ge-
setzes, desgleichen die Verwechslung Gottes mit einem Objekt aus totem
Stoff: man betete Götzen an, wenn man Gott in Bildern anbetete. Im übrigen
läßt Karlstadt, der Dekan der theologischen Fakultät in Wittenberg, das Titel-
blatt seiner Kampfschrift mit ziemlich schamlosen Bildern (den nackten Ka-
ryatyden links und rechts) schmücken, die nicht in sein Bildverständnis fielen,
und unten erinnert eine Bilderzählung aus dem Alten Testament an den Ge-
horsam, den Abraham an den Tag legte, als er auf Befehl Gottes seinen eige-
nen Sohn als Opfer darbringen wollte. Es entsteht also die Frage, was der
Autor meint, wenn er im Titel sagt, daß „unter den Christen keine Bilder sein
sollen“. Da es sie aber nun einmal gab, sollten sie mit Gewalt beseitigt wer-
den, wogegen Luther bekanntlich Einspruch erhob.
Um welche Bilder es sich handelte, geht aus einem Erhard Schön zu-
geschriebenen Holzschnitt hervor, der wohl schon vor 1530 in Nürnberg
kursierte und von einem Text aus 383 Versen begleitet wurde, in dem eine
„Klagerede der armen verfolgten Götzen und Tempelbilder“, so der Titel, er-
folgt. Im Text legen die christlichen Kultbilder, jetzt als Götzenbilder ange-
feindet, das Geständnis ab, sie hätten mit ihrem „guten Schein“ jedermanns
Bittgeschrei angehört (Abb. 2). Aber sie wehren sich mit dem Vorwurf: „Ihr
selbst habt uns ja zu Götzen gemacht.“ Die Bildpraxis, die sich gegen die
Bilder wendet, stammt von den gleichen Menschen, die jetzt so tun, als seien
die Bilder für das verantwortlich, was sie ihnen vorwerfen. Die satirische
Anklage gegen die Bildzerstörung trifft einen wichtigen Kern. Die Bilder ver-
schwinden, und doch bleiben die Sünden. Der protzige Magistrat, der im Hin-
tergrund den Bildersturm anordnet, von Geldsäcken und käuflichen Frauen
Macht und Ohnmacht der Bilder 15
Kult“ habe ich die Einleitung mit dem Titel „Die Macht der Bilder und die
Ohnmacht der Theologen“ überschrieben. Ich hätte genauso gut schreiben
können: die Macht der Theologen und die Ohnmacht der Bilder. Dann wäre
meine Position weniger mißverstanden worden. Worauf es mir ankam, war
die Asymmetrie zwischen der redenden und schreibenden Theologie einer-
seits und der unkontrollierbaren Wirkung der Bilder auf das Kirchenvolk
andererseits. Im einen Falle war die Verkündigung gesteuert und durch die
Theologie mediatisiert, im anderen Falle stand der Gläubige direkt vor Bil-
dern, von denen man nicht wußte, wie er sie verstand und wie er darauf rea-
gierte. Deshalb das Mißtrauen der Kirchen, auch der katholischen, gegen die
Bilder und deshalb der Versuch, die Bilder offiziell zu erklären und die Maler
anzuleiten. Je größer die Macht der Theologen, desto kleiner jene der Bilder —
und umgekehrt. Natürlich ließen auch die Theologen Bilder malen, und trotz-
dem behielten sie ihre Wirkung nicht verläßlich in der Hand.
Die Bilder konnten zwar die Institutionen repräsentieren, aber sich auch ge-
gen sie wenden. Bilder als Opposition des Volkes gegen die Kirchenmacht
sind ausgerechnet in Rom bezeugt, wo sich die Römer gegen den Papst An-
wälte sicherten in Gestalt wundertätiger Bilder, welche die Institution demü-
tigten. In der Reformationszeit dagegen sind die Bilder stigmatisiert als Me-
dium der „Papisten“ und folglich Gegenstand der Polemik gegen die katholi-
sche Kirche und ihr ökonomisches System der sogenannten „Werkgerechtig-
keit“, also der Heilssicherung mit Stiftungen an Bilder im Besitz der Kirche.
Allerdings treten hier andere Faktoren hinzu, die uns noch beschäftigen wer-
den. Bleiben wir also zunächst bei dem Konflikt zwischen Wort und Bild. Die
Reformatoren verstehen sich als Prediger, die die Bibel auslegen und sich da-
mit direkt an das Volk wenden, so wie sich die Bilder an das Volk gewendet
haben. Deshalb auch die Bedeutung der Bibel-Übersetzung in die Volksspra-
che. Man suchte eine Gelegenheit, dem Wort jene Unmittelbarkeit zu geben,
mit welcher sich die Bilder immer schon in der Anschauung bewährt hatten. :
Das Wort aber ist das Wort der Bibel, und damit Wort Gottes, das man im
gleichen Medium, im Wort, redend kommentiert. Im Wort waren die Kirchen
gemeint. Aber sie waren getrennt in der Auslegung des Wortes und in der Be-
deutung, die sie dem Wort einräumten.
In Luthers Umgebung entstand der problematische Versuch, Bilder zu pro-
duzieren, welche sich gegen die katholischen Bilder wandten. Man wollte die
Bilder mit den Bildern bekämpfen und dies, auf eine Weise tun, welche im
Medium des Bildes die Ohnmacht der Bilder demonstrierte. Dabei war sicher
die enge Freundschaft des Reformators mit dem angesehenen Maler Lukas
Cranach ein wesentlicher Katalysator. Sogar Altäre entstehen jetzt in Witten-
berg und Weimar, dort, wo früher katholische Altäre gestanden hatten, aber ©
sie sehen anders aus. Eine bemerkenswerte Strategie bestand darin, die aktu-
elle Gemeinde und ihre wohlbekannten Prediger reportagehaft ins Bild zu
Macht und Ohnmacht der Bilder 17
bringen, womit man das Bild so diskursiv, und realistisch, machte, daß seine
metaphysische Autorität dahinschwand. Auf der Predella des Wittenberger
Altars sehen wir Luther vor seiner Gemeinde predigen (Abb. 3). Damit war
die Hierarchie zwischen den beiden Medien gesichert: die Ohnmacht der Bil-
der stand gegen die Macht der Theologen. Luther war ein Jahr zuvor gestor-
ben, sodaß man seine Darstellung auf dem Altar auch mit der Tradition des
frommen Erinnerungsbildes rechtfertigen konnte.
Zwischen ihm und der Gemeinde steht auf dem Kirchenboden ein Kruzifix,
aber die Darstellung ist nicht wörtlich zu nehmen. Weder handelt es sich um
die Abbildung eines Kirchenbildes noch um ein Bild im primären Sinne. Viel-
mehr ist das Kruzifix das Zeichen für den Inhalt von Luthers Predigt, also ein
Bild im sekundären Sinne. Das ist also die zweite Strategie der lutherischen
ein
Kirchenmalerei, das Bild wie einen Text zu behandeln, so daß es mehr an
kognitives Verständnis als an den affektiven Eindruck appellierte. Luther
sprach nicht von ungefähr von „Merkbildern“, mit denen er die Ars Memo-
riae, die Kunst des Gedächtnistrainings ins Spiel brachte. Die Bilder lieferten
wa-
gleichsam Stichworte für die Memorierung der Inhalte der Religion. Sie
lenken, aber
ren dazu da, den Betrachter auf seine inneren Bilder zurück zu
auch diese ähnlich zu steuern, wie es das Wort in der Predigt tat.
so daß sein
Als der Weimarer Altar entstand, starb auch der Maler Cranach,
ihn mit einem Blick aus dem Bilde in das
Sohn, der das Atelier übernahm,
alle
Gemälde einfügte (Abb. 4). Aber Luther steht im Vordergrund und zieht
auf die Bibel, als wollte er sagen, das Bild
Autorität im Bilde auf sich. Er zeigt
Bibelexe-
_ veranschauliche nicht nur das Bibelwort, sondern auch seine eigene
nis, die dem Betracht er durch eige-
gese. Es illustriert Texte und ihr Verständ
geläufig waren. Er sollte es mehr
nes Bibelstudium und durch die Predigt
mußte er sich
lesend denn durch die Affekte der Sinne aufnehmen. Deshalb
des Lammes hinzuneh-
auch damit abfinden, daß er, wenn wir die Allegorie
Hans Belting
=
Leuiachan,de cu i?
Xfulphur.
ore procedit ignis
fuper Leuiachan ferpentern uetem& fuper Leuiarhanferpenté
fumus,
rorcuofum,& occidet cecum quielt minari,
m ambulabis,5¢
Xbafilifcum
"Super afpide
conculcaleonem & bis
draconem’
bus
Macht und Ohnmacht der Bilder
LVTHERVS.
Abb. 5
20 Hans Belting
men, Christus gleich dreimal im Bilde dargestellt fand, so daß er sich auf
keine einzelne Figur konzentrieren und sich mit ihr emotional identifizieren
konnte. Das Bild war diskursiv geworden, und es unterwarf sich als Medium
der Priorität des Wortes. Der intermediale Diskurs war ihm als Lesart zugeteilt
worden, und dieser Diskurs ging zugunsten des anderen Mediums aus. Damit
war zwar nicht die Ohnmacht, aber die begrenzte Macht, die Funktion des Bil-
des im Dienst der theologischen Wortverkündigung, vor aller Augen demon-
striert. Die Betrachtung war anders, und viel strikter, reguliert als jemals zu-
vor in der kirchlichen Malerei, wenn wir überhaupt dieses Werk einer kirchli-
chen Malerei zurechnen können. Luthers eigene Position zu den Bildern darf
ich als bekannt voraussetzen. Er verabscheute jede Gewalt gegen die Bilder,
nicht zuletzt deswegen, weil ihm die Bilder nicht wichtig genug waren.
Man muß sich überhaupt fragen, warum gerade die Bilder den Theologen
das Argument gaben, über das sie sich entzweiten. Sie waren die Wortführer
des Bilderstreits, aber nicht die Anführer des Bildersturms. Die Bilder boten
die Gelegenheit, um übereinander mit theologischen Waffen zu siegen, nach-
dem man sich über der Bibel nicht ganz so genußvoll entzweien konnte. Es
fällt auf, daß Bilder im Umkreis des Bilderstreits als Karikaturen eingesetzt
werden, um die Macht des Gegners zu brechen. Zur Denunziation waren Bil-
der beliebt, aber da handelte es sich nicht um jene Bilder, die den Streit er-
zeugt hatten. Papst-Karikaturen florieren seit dem Ausbruch der Reformation
mit gleicher Frequenz wie Luther-Karikaturen. In Straßburg kursiert 1521 ein
Holzschnitt, auf dem Luther in der altrömischen Siegerpose über seinem Kon-
trahenten, dem Franziskaner Thomas Murner, steht, der in Tiergestalt er-
scheint und mit dem Leviathan der Endzeit gleichgesetzt wird (Abb. 5). In
ähnlicher Pose steht im 9. Jahrhundert in einer Miniatur des griechischen
Chludov-Psalters der rehabilitierte Konstantinopler Patriarch Nikephoros auf
dem Rücken seines böse karikierten Erzrivalen aus dem Lager der Bilder-
feinde, der in der Inschrift mit dem heidnischen Zauberer Simon Magus :
gleichgesetzt wird, über den Petrus triumphiert hatte (Abb. 6). In der Hand
trägt er, als Waffe und Trophäe seines Sieges, eine Rundikone Christi, dessen
Bild ihm zu seinem Sieg verholfen hatte. Der byzantinische Ikonoklasmus
war, anders als die Reformation, in der Bilderfrage zentriert, aber auch in der
Reformation machten die Bilder mit Vorliebe anschaulich, in wessen Lager
man stand. Auch jetzt dominierte ein Theologenstreit, in dem die Bilder nicht
das wichtigste Thema waren, sondern nur passende Argumente für die Kon-
troverse lieferten. Die begleitenden Unruhen machen deutlich, daß die Kon-
flikte aus anderen und tieferen Schichten herrührten. Man verständigte sich
mit dem Volk schneller und emotionaler in der Bilderpraxis.
Auch der Austausch von Schrift und Bild diente schnell der Polemik. Das :
dreiflügelige Altarretabel, das 1537 in der Spitalkirche zu Dinkelsbühl im
Zentrum mit dem Einsetzungsbericht des Abendmahls und auf den Seiten mit
Macht und Ohnmacht der Bilder 21
pus we ST 3”
PET SEC
N rue are
à ARE F1
MESHAT OR
free MAKEN Ad
res
en, al
Roc
Lan
je
‘Abb. 6 Buchminiatur, 9. Jh. Moskau, Historisches Museum Cod. 129, fol. 51’.
22 Hans Belting
den zehn Geboten beschriftet wurde, ist nicht das, was es zu sein scheint, eine
Schrifttafel, sondern ein Antibild oder Nichtbild (Abb. 7). Es benutzt eine
Bildform, wie sie etwa in der gleichen Zeit ein Triptychon des Quentin
Massys zeigt, nur um dem Betrachter zu sagen: dort, wo Du ein Bild erwar-
test, findest Du kein Bild, sondern einen Text zum Lesen, Du sollst Dir die
Bilder in der Kirche abgewöhnen und aus dem Sinn treiben. Die Seitentafeln
erinnern passend an die Gesetzestafeln des Moses, deren erste Fassung er be-
kanntlich beim Anblick des Tanzes um das Goldene Kalb zerschmettert hatte.
Aber der Text des zweiten Gebots lautet in dieser Bibelfassung nur: „Du sollst
den Namen Deines Gottes nicht nutzlos führen.“
Wenn man die bloße Polemik einmal beiseite läßt, für welche die Bilder
herhalten mußten, dann zeigen sich aber noch ganz andere Faktoren, welche
den Bilderstreit auslösten. Im byzantinischen Bilderstreit, der im 8. Jahrhun-
dert ausbrach, drückte sich der soziale und kulturelle Wandel zwischen zwei
Epochen aus, die wir gewöhnlich als Spätantike und Mittelalter bezeichnen.
In der Auseinandersetzung mit dem Islam formierte sich eine andere Gesell-
schaft, die sich im Bilderstreit ein neues Gesicht und eine kulturelle Identität
gab. Auch in der Kontroverse mit dem karolingischen Westen, die sich an
dieser Frage entzündete, wurde die spätere Spaltung Europas in Ost und West
initiiert. In der Reformation entstand jene neue Kultur, die wir als Gutenberg- —
Ära zu bezeichnen pflegen. Die Medienwissenschaft hat der Einführung des
Drucks und einer neuen Geltung des Buches große Aufmerksamkeit gewid-
Macht und-Ohnmacht der Bilder 28
met. Aber sie hat dabei weniger Gewicht auf den Strukturwandel der Bildkul-
tur gelegt, der mit dem Umbruch in der Textkultur eng zusammen geht und
von ihm abhängig geworden ist. Die Druckmedien begannen bekanntlich in
den Bildern der Holzschnitte und Kupferstiche, lange bevor sie das Buch
erreichten. |
Die Propaganda der Gegner wurde in der Reformationszeit über Streit-
schriften und über Flugblätter ausgetragen, deren Bilder in jedermanns Hand
kamen. Bilder waren Medien der Kommunikation und Information und auch
der Kontroversen des Tages geworden. Sie produzierten und reproduzierten
Meinungen, falsche Meinungen beim Gegner, wobei sich das alte Niveau ei-
ner erhabenen und geweihten Bildlichkeit absenkte. Jeder konnte im Prinzip
Bilder verbreiten, kaufen oder vernichten. So ist es ein paradoxer Sachverhalt,
daß man über Bilder anderer Art, über Bilder in alten Medien stritt, deren
Wunderlegenden niemanden mehr überzeugten. Das Geheimnis wurde den al-
ten Bildern in diesem Medienwandel entrissen. So sahen die Bilder bereits
ziemlich altertümlich aus, denen die neuen Konfessionen trotzdem so heftig
den Garaus machten. Da waren die Katholiken unter ganz anderem Druck,
wenn sie eine obsolete Tradition des Kultbilds aktualisieren und legitimieren
wollten. Die Bilder waren demokratisiert worden, wobei sie gerade jene Aura
verloren, von denen ihr Kult gelebt hatte.
Cranachs Lutherbildnisse tragen zwar noch eine entfernte Verwandtschaft
mit den alten Heiligenbildern in sich, doch machen die klugen Inschriften das
verschämte Geständnis, daß es nicht ausreiche, Luther im Bild anzublicken,
wenn man ihn kennenlernen wolle. Man mußte ihn, um es anders zu sagen,
lesen, um ihn zu akzeptieren, aber nicht im Bilde verehren. Das Porträt er-
laubte im neuen Massenmedium, wenn es sich nicht als Losung im Konfes-
sionsstreit bewährte, allenfalls eine parteiliche Neugier oder Stellungnahme.
Erasmus von Rotterdam benutzte dagegen im Gemälde ein altes und exklusi-
ves Medium, aber er gab seine Porträts im kleinen Zirkel der Humanisten
meist als Geschenk an seine Freunde in Auftrag.
Die Porträts, die Holbein von Erasmus malte, machen ganz ungeniert eine
Aussage, die wir heute intermedial nennen würden. Erasmus blickt uns nicht
an, sondern ist ganz vom Akt des Schreibens absorbiert (Abb. 8). Er kommu-
niziert mit seinen Zeitgenossen nicht im Blick, und auch nicht im Bild, son-
dern in seinen Büchern und Briefen, weshalb er auch im Gemälde die Auffor-
derung macht: Lest mich! Oder er appelliert an einen Leser, der den Autor
gele-
Erasmus kennt, um ihm zu sagen: So sieht der Schriftsteller aus, den Du
.sen hast. Diese Bildpraxis geht wohl auf den Gedanken des Erasmus zurück,
den Empfang der „Utopia“ von Thomas Morus 1517 mit Porträts zu beant-
worten, auf denen Quinten Massys ihn (und seinen Freund Gillis) bei der lite-
rarischen Arbeit und in der Kommunikation mit dem Empfänger der Porträts
zeigen. Der gewünschte Betrachter ist ein Leser. Ihm bietet das Gemälde aber
Hans Belting
Abb.8 Hans Holbein d.J., Porträt des Erasmus von Rotterdam. Paris, Louvre.
Macht und Ohnmacht der Bilder 25
&.
}
i
i
H
{
N
I
+
|
nicht nur die Kenntnis der Physiognomie an. Vielmehr lädt hier die Malerei
zum Vergleich mit dem literarischen Stil des dargestellten Autors ein. Damit
komme ich zu meinem letzten Argument. Die Kunst der Malerei bricht oder
beerbt die alte Macht des Bildes, die man jetzt der persönlichen Erfindung
eines Künstlers gutschreibt. Sie räumt dem Bild eine neue Aura ein, über die
sich nicht mehr theologisch, sondern nur noch ästhetisch streiten ließ.
Dieser Wandel läßt sich am Thema der Lukas-Madonna ablesen, in dem
alte Bildlegenden und Ursprungs- oder Authentizitäts-Mythen eine Rolle
spielen. In seiner zweiten Darstellung des Malerpatrons Lukas, heute in Wien,
hat der niederländische Maler Jan Gossaert, der damals schon für. Kunst-
sammler in der Hocharistokratie arbeitete, um 1520 eine ganz ungewöhnliche
Formulierung gewählt (Abb. 9). Lukas kniet auf einem Betstuhl vor der über-
natürlichen Erscheinung einer Madonna, die sich ihm auf den Wolken naht,
um von ihm mit der Feder porträtiert zu werden. Er senkt dabei pflichtbewußt
den Blick, als ob ihm die Vision als inneres Bild widerführe, und beobachtet
zugleich neugierig, wie ihm ein Engel die Hand führt. Da sind sie wieder, die
alten Kultlegenden des Lukasbildes, die ich als ikonographische Quellen hier
nicht eigens belegen muß. Ebenso wie die Erscheinung aus dem Jenseits in
eine Malerstube einbricht, die dabei zu einer Kirche wird, so wächst auch dem
Produkt des Lukas, an dessen Herstellung ein Engel beteiligt ist, eine über-
natürliche Autorität zu, die seinen Kult rechtfertigt. Da ist der Moses mit den
Gesetzestafeln im Bild im doppelten Sinne in den Hintergrund gerückt. Wenn
ihm auf dem Sinai noch verwehrt worden war, Gott von Angesicht zu Ange-
sicht zu schauen, so legitimierte sich das christliche Bild theologisch mit der
erfolgten Inkarnation Jesu. Aber jeder damalige Betrachter wußte, daß ein
solches Bild jetzt die Kunst der Malerei darstellte. Wenn sich also Gossaert so
ganz in den Schutz der alten Legenden zurückzog, als gäbe es das neue Bild-
verständnis gar nicht, so kann das nur in der polemischen Absicht geschehen
sein, gegen die Bilderkritik der ersten Reformationsjahre lautstark und selbst- -
bewußt aufzutrumpfen, also die Metaphysik der Bilder zu verteidigen.
Davon kann keine Rede mehr sein, als Marten van Heemskerck, etwa eine
Generation später, das gleiche Thema malt (Abb. 10). Die Madonna posiert
wie ein lebendes Modell, das sich als antike Göttin verkleidet hat. Sie schaut
uns erwartungsvoll an, als forderte sie uns auf, das antike Zitat in ihrer Figur
wiederzuerkennen, mit dem sie ein ästhetisches Ideal vertritt, ein Ideal der
Kunst. Heemskerck hat sich, trotz der biblischen Gewandung, selber ins Bild
gesetzt, um den Patron der Malerei darzustellen: er zeigt uns ein verkleidetes
Selbstbildnis. Im Hintergrund macht sich ein Bildhauer ans Werk, um in
einem Statuenhof, dem Prototyp der Kunstsammlung, die antiken Vorbilder
herauszufordern. Das Lukas-Thema ist Vorwand und Anlaß für eine Allegorie ~
der Kunst. Es fordert zum Genuß der Kennerschaft auf. Selbst die religiösen
Bilder sind nicht mehr religiös, sondern Kunststücke. In dem, was wir Säku-
Macht und Ohnmacht der Bilder 27
Abb. 10 Marten van Heemskerck, Lukas-Madonna. Rennes, Musee des Beaux Arts.
28 } Hans Belting
larisierung nennen, entsteht ein MedienbewuBtsein, dem die neuen Bilder ent-
sprechen. Sie bezeugen die Kunst der Malerei oder, anders gesagt, fiihren den
Beweis, daß die Malerei eine Kunst sei, die man nicht am Thema maß,
sondern an einer persönlichen Erfindung des Themas. Aus dem einstigen
Bild, mit seiner Symmetrie von innerem und gemaltem Bild, wird ein Werk,
mit seiner Asymmetrie von professioneller Entstehung und laienhafter Be-
trachtung.
Der Prozeß ist abgeschlossen in der Kunstsammlung des 17. Jahrhunderts.
Als Willem van Haecht 1628 ein Bild malt, das die Kunstsammlung des Cor-
nelis van der Gheest, eines reichen Kaufmanns in Antwerpen, darstellt, zeigt
er uns nicht nur eine Ansicht dieser Kunstsammlung, sondern benutzt sie als
Beispiel für das, was man damals als Theater der Kunst bezeichnete, einer
Kunst, die durch alte und neue Meister aus verschiedenen Schulen repräsen-
tiert war (Abb. 11). Die habsburgischen Regenten statten im Bild dem Kunst-
sammler einen Besuch ab, der ihnen eines seiner kostbarsten Stücke zeigt, ein
Marienbild von der Hand des Quentin Massys. Man bewunderte in ihm einen
Archetyp aus der niederländischen Schule des vergangenen J ahrhunderts, in
dem die heimische Malerei den großen Italienern im Rang nahegekommen zu
sein schien. Das religiöse Thema spielte dabei nur eine nebengeordnete Rolle.
In der Zwischenzeit, 1566, war dennoch der Bildersturm mit großen Ver-
wüstungen über die Niederlande dahingegangen, was man andernorts, wo die-
ses Thema bereits bewältigt war, mit Schrecken registrierte. Hier war er, wie
auch in anderen Fällen, Ausdruck einer Revolte, deren Gründe in keiner Bil-
derdebatte zur Sprache kommen. Ich meine damit nicht einmal die sozialen
und politischen Konflikte im niederländischen Aufstand, der sich auch im Bil-
dersturm ausdrückte. Ich meine Aggressionen und Emotionen, die aus tiefe-
ren Schichten herrühren und aus den historischen Quellen meist ausgeblendet
werden.
In einem Epilog möchte ich deshalb den akademischen Diskurs verlassen :
und den dunklen Hintergrund meines Themas in der Schilderung andeuten,
die Joseph Roth von einem Judenpogrom geliefert hat, das in seiner galizi-
schen Heimatstadt Brody am Ende des Ersten Weltkriegs tatsächlich stattge-
funden haben soll. Die Schilderung findet sich in dem Roman vom Obersten
Tarabas, den Roth 1934, im ersten Jahr seines Exils, verfaßte: er sollte erst
Jahrzehnte später, 1977, publiziert werden. Es geht hierbei um eine Denunzia-
tion der Juden als Bilderfeinde, welche die christliche Religion durch Gewalt
an den Bildern beleidigt haben. Der geschilderte Sachverhalt, der aus vielen
Beispielen des Mittelalters und der Neuzeit wohlbekannt ist, ist gleichsam das
Gegenstück des Bildersturms. Man identifiziert den Feind nicht in jenen, die
die Bilder zerstören, sondern in den anderen, welche sich der obligatorischen
Bilderverehrung der Mehrheit entziehen und dadurch ihren Unglauben ver-
raten. Die Volkswut richtet sich gegen eine Minorität, von der man die iden-
Macht und Ohnmacht der Bilder 29
Abb. 11 Willem van Haecht, Kunstsammlung Cornelis von der Gheest (Detail). Antwer-
pen, Rubenshaus.
30 Hans Belting
schändlichen Handlungen erinnern, durch die der Jude das Bild beschmutzt
und mit blauem Kalk zugedeckt hatte.“ Dazu gesellt sich ein Gefühl der eige-
nen Schuld. Selbst die Soldaten „neigten ihre Köpfe, stießen mit den Stirnen
gegen den Boden [...]. Oben im ohnmächtigen und unbeständigen Licht der
schwachen Flammen schien das wunderbare, milde Antlitz der Madonna bald
zu weinen, bald tröstlich zu lächeln, zu leben, in einer überirdischen erhabe-
nen Wirklichkeit zu leben.“ Nun beginnt das Pogrom. Man sucht den jüdi-
schen Gastwirt und zwingt die Juden, die man im Ort aufgetrieben hat, vor
dem wiederaufgefundenen Bild kniend zu beten. Als die furchtbare Nacht
vorbei ist, zeigt das Antlitz der Madonna immer noch seine Schönheit, und die
war „wirklicher als [...] die Erinnerung an die blutigen Schrecken der vergan-
genen Nacht. Die Erinnerung an all das verschwand vor der Heiligkeit des
Bildes, und mochte auch in dem und jenem der Bauern Reue wach werden, es
war ihnen, als sei alles schon vergeben, da es ihnen nur vergönnt war, das lieb-
liche Antlitz anzuschauen.“ | |
Fünfzehn Jahre später fragt ein Fremder, in dem niemand mehr den Oberst
Tarabas erkennt, im Gasthof nach dem Ort des Geschehens. Der Knecht Fedja
antwortet ihm: „Das ist jetzt eine Kapelle. Man hat das lange nicht gewusst.
Eines Tages hat sich hier in wunderbarer Weise das Bild der Mutter Gottes ge-
zeigt. Denk dir: von selbst! Plötzlich stieg sie von der Wand herunter, breitete
die Arme aus und segnete die Soldaten, die da früher geschlafen haben. Dann
begann man die Juden zu schlagen, aber die Herren Pfarrer kamen und predig-
ten: die Juden sind nicht schuld. Mein eigener Herr, der Gastwirt hier, ist ein
Jude. Und er ist wirklich unschuldig wie der erste Schnee. Jetzt hat er sogar
aus dieser Kammer eine Kapelle machen lassen. Man liest hier am Sonntag
die heilige Messe. Und es ist auch ein Geschäft dazu. Denn die Bauern kön-
nen gar nicht das Ende der Messe abwarten, um schnell in die Schenke zu
kommen. Wir haben viel zu tun. An Sonntagen verdienen wir mehr als an den
Tagen, wo Schweinemarkt ist.“
(Joseph Roth, Tarabas. Köln 1977, Kap. XV, 94ff. und Kap. XXVI, 179).
Belege für manche der im Text genannten Werke s. Hans Belting, Bild und Kult. Eine Ge-
schichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. München 1990, 11 ff. (Macht der Bilder),
164 ff. (Byzantinischer Bilderstreit) und 510ff. (Reformationszeit mit Belegen fiir Luther
und die Kunst, Marten van Heemskerck und Cranach). — Vgl. auch Alain Besançon,
L'image interdite: Une histoire intellectuelle de l’iconoclasme. Paris 1994; Dario Gam-
Warnke, Cra-
boni, The Destruction of Art. London 1997. — Zur Lutherzeit s. auch Martin
nachs Luther. Entwürfe für ein Image. Frankfurt 1984; Martin Luther und die Reformation
Ger-
in Deutschland. Ausstellung zum 500. Geburtstag Martin Luthers, veranstaltet vom
Reformati-
manischen Nationalmuseum Nürnberg in Zusammenarbeit mit dem Verein für
Frank-
” onsgeschichte. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, 25. Juni-25. Sept. 1983.
Katalog
furt am Main 1983; Werner Hofmann (Hrsg.), Luther und die Folgen für die Kunst.
1983;
der Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle, 11. Nov. 1983-8. Jan. 1984. München
Art and the Reformation in Germany. Ohio State University 1979. —
Carl C. Christensen,
of the
Zum Bildersturm in den Niederlanden s. David Freedberg, Iconoclasm and Revolt
32 Hans Belting
a a et
Netherlands. New York 1988. - Zu W. van Haecht s. Jonathan Brown, Kings and Connois-
seurs: Collecting Art in Seventeenth-Century Europe. Princeton 1994, 153ff. und Hans
Belting, Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst. München 1998,
50f.
rd
Von
Bernd Roeck
Im folgenden soll das uferlose Thema aus der Perspektive der — noch weitge-
hend ungeschriebenen! — Geschichte der Wahrnehmung behandelt werden.
Dabei ist die soziale Dimension von Perzeptionsweisen hervorzuheben; der
„gemeine Mann“ oder der humanistisch gebildete Intellektuelle, der Theologe
oder der Bauer haben Bilder auf verschiedene Weise „gelesen“, diese Hypo-
these liegt dem Folgenden zugrunde. Eine weitere ist, daß sich zwar die bio-
logischen Voraussetzungen des Sehens zwischen Mittelalter und Neuzeit
nicht verändert haben, wohl aber die Bedingungen der Wahrnehmung; sie wa-
ren abhängig von den Strukturen der Lebenswelt, die medial ganz anders
strukturiert war als die der Moderne. Unter anderem deshalb, so die Vermu-
tung, hatten Bilder und Skulpturen auch andere Wirkungen. Der dritte Aspekt
ist, ob den Bildern ihrerseits magische Wirkungen zugebilligt wurden: die
Frage nach verzauberten Bildern im Zeitalter der Kunst.?
I. Bildersturm
Die Frage nach Macht und Ohnmacht der Bilder wird sich, namentlich, wenn
es um das 16. Jahrhundert geht, zunächst der extremen Form der Verweige-
rung gegenüber dem Bild zuwenden, nämlich dem Bildersturm. Denn die
ohn-
schlagendsten Beweise dafür, daß Bilder Macht haben und zugleich
ischen Bewegunge n.’
mächtig sind, bietet ja die Geschichte der ikonoklast
e. München 2000;
1 Robert Jütte, Geschichte der Sinne. Von der Antike bis zum Cyberspac
r la vie affective d’ autre-
Lucien Febvre, La sensibilité et l’histoire: Comment reconstitue
ngsgeschicht-
fois?, in: Annales d’histoire sociale 3, 1941, 5-20; Bernd Roeck, Wahrnehmu
des Hexenwah ns — Ein Versuch, in: Historisch es Jahrbuch 112, 1992, 72-
liche Aspekte
tesche di Gubbio, in: Patri-
103; ders., La percezione della realtà nelle chronache cinquecen
a Gubbio. Spoleto
zia Castelli/G. Pellegrini (Hrsg.), Storici, filosofi e cultura umanistica
. 1998, 171-188.
te des Bildes vor dem Zeitalter
2 Grundlegend Hans Belting, Bild und Kult. Eine Geschich
der Kunst. 2. Aufl. München 1991.
, The Reformation and the
3 Ein gültiges Resümee der Forschung bietet Sergiusz Michalski
t Image Question in Western and Eastern Europe. London/New
Visual Arts: The Protestan
York 1993.
34 Bernd Roeck
Wenn Menschen Bilder — damit sind nicht nur Gemälde, Zeichnungen und
Graphiken, sondern auch Skulpturen gemeint — zerstören, belegt dies, daß
man ihnen Wirkungen, also in gewissem Sinne „Macht“, zutraut; daß man sie
für schädlich oder für gefährlich hält. Man fürchtet um das wichtigste, was der
Mensch in den Augen dieser Zeit hat, nämlich um das Seelenheil; indem man
Bilder zerstört, greift man zugleich die an, die sie malen oder aufstellen lie-
Ben.
Ihre Vernichtung zeigt auch, daß sie hilflos sind. Objekte, die sich mit ein
paar Axthieben oder einer Brandfackel ohne weiteres und endgültig aus der
Welt schaffen lassen. Dazu kommt die Vermutung, daß die Täter sich nicht da-
vor fürchten, die Macht, die hinter den Bildern steht - sei sie nun göttlich oder
von dieser Welt —, habe die Möglichkeit, sich zu rächen für die Zerstörung
ihres Idols oder Symbols. Höhnisch zeigen die Bilderstürmer an, daß sie ihre
Taten vollbringen können, ohne daß Blitze vom Himmel regnen oder das Fir-
mament einstürzt.
Die Eliminierung der Bilder ist daher gewöhnlich eher Folge einer geisti-
gen oder politischen Umwälzung, nicht deren Ursache, obwohl sie den Prozeß
des Umsturzes ihrerseits vorantreiben kann. Wenn verletzte Bilder sich
rächen, wenn ihre Zerstörung übernatürliche Folgen hat, ist zu fragen, in wel-
chem sozialen Raum solche Befürchtungen fortbestehen. Darauf wird noch
zurückzukommen sein.
Die Entfernung der Bilder schließlich ist spektakulär, Brief und Siegel auf
die Veränderung. Es ist, als häute sich die Gesellschaft. Der Symbolcharakter
der Bilder — Stellvertreter zu sein für etwas, dem der Angriff gilt — tritt dabei
in den Vordergrund. Man muß das Schicksal der Bilder hier in den Zusam-
menhang umfassenderer Bereinigung stellen, die Riten und andere „Bilder“,
Wappen, Embleme, Fahnen im Zusammenhang mit religiösen oder politi-
schen Veränderungen erfahren — bis sie dann durch neue Ritualsysteme und
Bilder ersetzt werden, die der neuen Macht zu Diensten sind.* Nichts zeigt -
den Erfolg einer politischen oder religiösen Veränderung besser an als dieser
Vorgang. Manchmal glauben die Menschen ja, ihre Welt hätte sich geändert —
dabei hat sich nur deren symbolische Repräsentation gewandelt.
Die Zerstörung der alten, gegnerischen Bilder demonstriert nicht nur deren
Ohnmacht und die Ohnmacht jener, denen sie gehörten. Sie ist augenfälliger
Beleg des Sieges: Herrschaft impliziert immer Herrschaft über Bilder, und die
Macht reagiert repressiv, wenn ihr diese Herrschaft streitig gemacht wird. Zu-
gleich bedeutet Verfügbarkeit über die Bilder einen ersten, wichtigen Akt der
Identitätsstiftung für die Sieger. Auch die neuen Bilder, mit denen sie sich um-
4 Zum spektakulären Fall der französischen Revolution: Mona Ozouf, La fête révolution-
naire, 1789-1799. Paris 1976; Jean Starobinski, 1789: Les emblèmes de la raison. Paris
1979.
Macht und Ohnmacht der Bilder 35
geben, stiften Identität. Sie wirken katalysierend auf den Zusammenhalt der
sich formierenden neuen Großgruppe, Gemeinschaft oder Elite; sie behauptet,
einen leeren Ort geschaffen zu haben, wo sich Neues aufbauen läßt.5 Wie an-
dere sich gegenüber den Zeichen des Neuen verhalten, ist ein Lackmustest für
ihre religiöse — oder politische — Haltung. Wenn die Christen vor dem Bild des
römischen Kaisers kein Opfer darbringen wollen, wird das Kunstwerk zum
Detektor einer religiösen Haltung, die politischer Loyalität Grenzen zieht.
Und das hat die bekannt fatalen Folgen für die Verweigerer.
Ganz ohne übernatürliche Kraft aber sind Bilder auch im „Zeitalter der
Kunst“, in der beginnenden Neuzeit, nicht. Wie ist zu erklären, daß man
Bildern gelegentlich magische Macht zutraut? Zunächst sei auf Bedingungen
hingewiesen, deren Bedeutung so selbstverständlich scheint, daß man sie
kaum einmal thematisiert findet; zugleich ist es äußerst schwer, die Konse-
quenzen für diese Fragestellungen einigermaßen differenziert darzustellen.
Damit sind die gegenüber der Moderne so grundverschiedenen Strukturen der
frühneuzeitlichen Lebenswelt gemeint, die von fundamentaler Relevanz für
die Perzeption von Kunstwerken gewesen sein müssen. Mehr noch: eine Ge-
schichte der Wahrnehmung ist bis heute nicht geschrieben.®
Das methodische Problem dabei ist, daß sich einerseits sehr wohl einige
Grundfaktoren benennen lassen, die mehr oder weniger anders waren als in
der modernen Welt. Es ist andererseits sehr schwierig, die Folgen, die sich
daraus für die Perzeption von Kunst und anderem ergeben, präzise zu benen-
nen, denn in der Regel fehlen die Quellen, die darüber Aufschluß geben könn-
ten. Einige Stichworte zu dem, was „Sensibilität in der Frühen Neuzeit“ ge-
nannt werden soll?, seien dennoch hier gegeben, da das Problem für die hier
den Ein-
5 Der Münsteraner Wiedertäufer Rothmann meint: „Und wir glauben dies, daß
fältigen nicht geringes Verständnis ermöglicht wird, wenn sie bemerken, daß, wo alle
Dinge gefallen und verwüstet sind, man umso deutlicher begreifen kann, worin die Wieder-
errichtung (Restitution) bestehen und notwendig werden muß.“ Vgl. Martin Warnke,
1534/35, in:
Durchbrochene Geschichte? Die Bilderstürme der Wiedertäufer in Münster
1977,
ders. (Hrsg.), Bildersturm. Die Zerstörung des Kunstwerks. Frankfurt am Main
65-98, hier 92f.
au seuil de la
. 6 Vgl. aber Carl Havelange, De l'œil et du monde: Une histoire du regard
modernité. Paris 1998.
(wie Anm. 1); ders.,
7 Einige Hinweise bei Roeck, Wahrnehmungsgeschichtliche Aspekte
e der Sensibili-
Sakularisierung als Desensibilisierung. Der Hexenwahn aus der Perspektiv
Bauer/Sönk e Lorenz (Hrsg.), Das Ende der Hexenverfo lgung.
tätsgeschichte, in: Dieter R.
Stuttgart 1995, 169-182.
36 Bernd Roeck
8 Ein schönes Beispiel für die andersartige Grenze zwischen „normal“ und „außergewöhn-
lich“ bietet die frühneuzeitliche Wahrnehmung des Elefanten: Stephan Oettermann, Die
Schaulust am Elefanten. Eine Elephantographia curiosa. Frankfurt am Main 1982.
9 Rudolf Wittkower, Marco Polo und die Bildtradition der ‚Wunder des Orients‘, in: ders.,
Allegorie und der Wandel der Symbole. Köln 1984, 151-185.
10 Vgl. Bernd Thum, Öffentlichkeit und Kommunikation im Mittelalter. Zur Herstellung -
von Öffentlichkeit im Bezugsfeld elementarer Kommunikationsformen im 13. Jahrhun-
dert, in: Hedda Ragotzky/Horst Wenzel (Hrsg.), Höfische Repräsentation. Das Zeremoniell
und die Zeichen. Tübingen 1990, 65-87.
Macht und Ohnmacht der Bilder 37
griff erst im 18. Jahrhundert entstehen wird!!: so wird man nicht nur auf das
gehobene Bürgertum, auf Adel und Geistlichkeit blicken müssen, um zu ver-
stehen, warum seit dem 16. Jahrhundert „Langeweile“ als Thema der gelehr-
ten Debatte zu den anderen Fragestellungen tritt, welche die „Diskursrevolu-
tion“ des Humanismus hervorgebracht hatte.!? Das bunte Bild der Feste, der
Turniere und Theaterspektakel, das die Kulturgeschichte vermittelt, darf über
das Grundfaktum, daß die beginnende Neuzeit mit viel „leerer Zeit“ zu kämp-
fen hatte, nicht hinwegtäuschen. Ich glaube, daß der Melancholiediskurs — mit
dem Höhepunkt in Burtons „An Anatomy of Melancholy“ — durchaus als Re-
flex einer Alltagsrealität gesehen werden kann.!?
Schließlich: Wo wurden die Bewohner dieser Alltagswelt denn überhaupt
mit Kunst konfrontiert? In der Kirche natürlich, in öffentlichen Gebäuden
auch; die Fassaden mancher Häuser besonders des deutschen Südens trugen
nicht selten Freskenschmuck. Die Villen und Paläste der Patrizier und des
Adels waren in der Regel nur einem kleinen Personenkreis zugänglich, jeden-
falls nicht dem „gemeinen Mann“. Die Inventarforschung legt den Schluß
im modernen Sinn sich in den we-
nahe, daß Gemälde und andere Kunstwerke
nigsten Haushalten befanden, wobei nach verschiedenen Kulturregionen zu
differenzieren ist - man denke an den Sonderfall Niederlande mit einem über-
quellenden Gemäldemarkt.!4 Billige Holzschnitte, einfache Heiligendarstel-
lungen, die eine oder andere mythologische Malerei an einer Häuserfront: das
war die karge Kost an Kunst, die dem Publikum zur Verfügung stand. Räum-
liche, zentralperspektivisch konstruierte Darstellungen, Porträts — solche
Dinge waren äußerst selten zu sehen. Die mimetische Kunst der Niederländer,
die zentralperspektivische Darstellungsart der Toskaner dürfte den Effekt
„neuer Medien“ gezeitigt haben.
Die Schriftquellen geben den Kommentar: von Uccellos Begeisterung über
die neu erfundene Kunst der Perspektive!> bis zu Bartolomeo Fazios Staunen
über die realistische Darstellungsweise van Eycks. Gerade die Malerei der
Flamen wurde im Italien der beginnenden Renaissance bekanntlich außer-
ordentlich geschätzt. Lorenzo der Prächtige bewahrte ein Gemälde Jan van
Eycks in einem Futteral, als große Kostbarkeit, auf; sicher war es nur für die
Augen ausgewählter Besucher bestimmt.!© Ein Triptychon desselben Mei-
sters war in den penetralia, dem „geheimsten Kabinett“ (Burckhardt) des Ka-
stells Alfonsos von Aragon in Neapel, aufgestellt.!7 Selbst in den bilderrei-
chen Niederlanden schützte man — wie auch anderswo — bestimmte Gemälde
durch Vorhänge vor dem Alltagsblick. Sie dürften zu besonderen Gelegenhei-
ten und vor besonderen Gästen ihre „apparitio“ erfahren haben wie manche
Tafelbilder in den Kirchen, auf die nur zu bestimmten Festen der Blick freige-
geben wurde.
Perspektivisch konstruierte Bildräume, Porträts, die eine realistische Wie-
dergabe des Dargestellten anstrebten, trafen auf Sehgewohnheiten, für die sol-
che Darstellungen absolut unüblich waren. Wie ungewohnt die neue Mal-
weise war, läßt die umständliche Beschreibung des gerade erwähnten Altar-
bilds erkennen, die Bartolomeo Fazio gibt. Es zeigte die Studierstube des hei-
ligen Hieronymus: „Trittst Du etwas vom Bild zurück, so scheint sich diese
Bibliothek in der Ferne zu vertiefen, und alle Bücher scheinen aufgeschlagen
zu sein, ihre Kapitel liegen bald vor den Augen dessen, der sich nähert. Der
Heilige war dargestellt, als lebte er wirklich.‘18
Reproduktionen von Wirklichkeit, wie sie die Kunst seit dem Quattrocento
zusehends häufiger versuchte, konnten, wie manche Quellen erkennen lassen,
geradezu sensationellen Charakter gewinnen — man lese etwa die Schilde-
rung, die Karel van Mander vom Gedränge bei der Besichtigung des Genter
Altars der Gebrüder van Eyck gibt: „Diese besprochene Tafel oder dieses her-
vorragende Werk wurde nur hie und da für hohe Herren geöffnet und gezeigt
oder wenn jemand dem Schließer ein gutes Trinkgeld gab. Auch wurde sie’
manchmal an hohen Festtagen gezeigt. Da drängten sich die Leute dann der-
maßen, daß man kaum herankommen konnte; denn die Kapelle, in der sie zu
sehen war, war den ganzen Tag voll von allerlei Volk.‘1?
15 Vgl. Giorgio Vasari, Le vite de più eccellenti pittori, scultori ed architettori, hrsg. von
Gaetano Milanesi. Florenz 1906, Ndr. Mailand 1981, 203-217, bes. 203-207, 211f.
16 Nach Jacob Burckhardt, Die Sammler, in: ders., Gesamtausgabe. Bd. 12: Beiträge zur
Kunstgeschichte von Italien, hrsg. von Heinrich Wölfflin. Berlin/Leipzig 1930, 293-496,
hier 317 Anm. 33.
17 Ebd., 316.
18 Die Übersetzung zit. nach Burckhardt, Sammler (wie Anm. 16), 317. Vgl. Bernard
Aikema/Beverly Louise Brown (Hrsg.), Renaissance Venice and the North. Mailand 1999, -
Kat. Nr. 16, 216 (B. Aikema).
19 Carel van Mander, Das Leben der niederländischen und deutschen Maler, hrsg. von
Hans Floerke. München/Leipzig 1906, Ndr. Worms 1991, 30.
Macht und Ohnmacht der Bilder 39
Wir lesen da in einem Bericht aus einer fremden Welt. Ein Altarbild zieht
die Massen an; sie kommen, wenn man van Mander glauben kann, vor allem
wegen der Kunst des Genter Altars. Er muß die Anziehungskraft gehabt ha-
ben, die im 19. Jahrhundert das Panorama, dann Film und später elektronische
Spektakel ausübten. Daß das eindrucksvolle Bild nur zu ganz bestimmten,
seltenen Gelegenheiten zu sehen war, dürfte die Wirkung nur gesteigert ha-
ben.
Welche Folgerungen ergeben sich aus diesen Beobachtungen für unsere
Frage nach der Perzeption von Kunstwerken, nach ihrer „Macht‘“? Ich meine,
daß alle diese Beobachtungen in einem Schluß konvergieren: Viele Kunst-
werke, gerade solche ersten Ranges, dürften geradezu sensationell gewirkt ha-
ben, und es läßt sich fragen, ob nicht ihre Überzeugungsmächtigkeit gerade
daraus herrührte. Manche Bilder mögen im Verdacht gestanden haben, nicht
nur Bilder zu sein, weil sie Wirklichkeit auf eine Weise wiedergaben, die ima-
ginäres Geschehen als real erscheinen ließ.
Die mimetische Kunst des 15. Jahrhunderts gewinnt daraus ihre argumen-
tative Stärke. In den Augen mancher Betrachter muß sie den Glauben an Hei-
ligkeit, an heiliges Geschehen zur Gewißheit gesteigert haben.20
Schließlich ist die Frage nicht nur nach der Weltwahrnehmung der begin-
nenden Moderne aufzuwerfen, sondern auch nach der Emotionalität, nach
dem ,,Gefiihlsleben“ der Menschen.?! Auch dies dürfte Konsequenzen für die
Macht der Bilder gehabt haben.
Der moderne Betrachter ist gelegentlich irritiert, wenn er Darstellungen
frühneuzeitlicher Europäer sieht, die in religiöser Ekstase oder in Trauer ge-
zeigt werden: man denke etwa an Niccolö dell’Arcas „Beweinung“ von 1463
(Bologna, S. Maria della Vita; Abb. 1) oder an die gerade der Reformations-
forschung bekannte Darstellung der Verehrung der „Schönen Maria“ in Re-
gensburg. Entsprechende Verhaltensweisen sind in der Gegenwart allenfalls
aus südlichen Ländern oder aus dem Orient geläufig. Schriftquellen ergänzen
solche Befunde.22 Sie entsprechen nicht dem Repertoire an Verhaltensweisen,
das uns vertraut ist; die Gesten erscheinen exaltiert, ja hysterisch oder theatra-
lisch; es sind Formen des Schmerzes, die man als „unzivilisiert“ bezeichnen
würde. Allerdings müßte eine kunst- und mentalitätsgeschichtliche Fragestel-
lungen integrierende Hermeneutik zwischen dem rhetorischen Topos und der
20 So eine mögliche Folgerung aus Erwin Panofsky, Die Perspektive als symbolische
Form, in: Vorträge der Bibliothek Warburg 1924/25. Leipzig/Berlin 1927, 258-330, auch
in: ders., Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, hrsg. von Hariolf Oberer und
Egon Verheyen. Berlin 1964, 99-167.
21 Ein bis heute kaum eingelöstes Forschungsprogramm formulieren Febvre, Sensibilité
(wie Anm. 1), und Robert Mandrou, Introduction à la France moderne, 1500-1640: Essai
de psychologie historique. Paris 1961, Ndr. Paris 1998, 76-108.
22 Vgl. als besonders eindrucksvolles Beispiel Vespasiano da Bisticci, Le Vite, hrsg. von
Aulo Greco. 2 Bde. Florenz 1970-1976, Bd. 1, 21-24.
40 Bernd Roeck
Abb. 1 Niccolö dell’Arca, Beweinung Christi, 1463. Santa Maria della Vita, Bologna.
Die Bilder hatten, das wäre die These, in der Umwelt der beginnenden Mo-
derne leichtes Spiel. Schon nach unserem Empfinden unscheinbare Kunst-
werke dürften in dieser bilderarmen Welt Wirkungen gezeitigt haben, die dem
modernen, durch die grellsten Sensationen abgestumpften Blick kaum nach-
vollziehbar sind. Die Worte der Prediger fanden in den Bildern nicht nur
glaubwürdige Illustrationen, die Bilder dürften eigenen Rang als „Texte“ in
der großen christlichen Erzählung gewonnen haben. Ihre Macht lag im Repe-
titiven, in der Redundanz, mit der sie die Menschen mit den Aussagen des
Glaubens vertraut machten.
Eine eigene Frage ergibt sich aus der Beobachtung, daß die Zeitgenossen
sich die Schönheit mancher Kunstwerke nur durch höhere Einwirkung — sei es
durch Gott oder durch den Teufel — erklären konnten. Selbst Heilige malen
Bilder; deren Kunst galt natürlich als besonders authentisch und überzeu-
gungsmächtig, wie die Schriften der von Gott inspirierten Evangelisten, und
es gibt Bilder, die förmlich vom Himmel fallen.26 Man könnte das am Fall der
„Lukas-Madonna“, der Maria Nicopeia in Venedig, zeigen: ein religiöses
Bild, das die Madonna „richtig“ wiedergab, und ein Staatsbild ersten Ranges
zugleich, das im Kult um Maria eine Rolle spielte, als wäre es eine lebendige
Person, und als besonders heilkräftig galt.27 Hier ist der Übergang zwischen
Bild und Reliquie ebenso fließend wie im noch berühmteren Fall des Turiner
Grabtuches mit dem Abbild von Christi Leichnam.
Die Vorstellung göttlicher Einwirkung auf die Entstehung von Kunstwer-
ken klingt noch an, wenn Vasari in seinem Bericht von der Bemalung der
Decke der Sixtina von den ,,divinissime mani di Michelagnolo“ schreibt und
meint, man müsse dem Himmel für dieses Kunstwerk danken.?® Das große
Kunstwerk konnte so als Gottesgabe im eigentlichen Sinn erscheinen: als Of-
fenbarung von Glaubenswahrheiten, für die sich der Herr der Hände eines
Sterblichen bedient hatte. Allerdings wird erst das 19. Jahrhundert solche Ge-
danken zur Blüte bringen.
All das heißt aber nicht, daß man das Bild selbst anbeten soll. Es darf — wie
gesagt — zur Andacht anregen, den Glauben verstärken; seine Erzählung mag
die des Lesens Unkundigen in den Glaubenswahrheiten unterweisen. Damit
sind die wesentlichen Funktionen genannt, die dem religiösen Bild in den
Augen der kirchlichen Institutionen als „legal“ zugeschrieben werden. „Zer-
streuung“ ist nicht darunter, schon gar nicht die mögliche Freude an schlüpf-
rigen oder sinnlichen Darstellungen.
Es sollte in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, daß das 16. Jahr-
hundert eben noch immer eine „verzauberte‘“ Welt war. Die skizzierten spezi-
fischen Bedingungen der Wahrnehmung dürften daran ihren Anteil gehabt
haben; Wahrnehmung und magisches Weltbild standen in einer komplizierten
Wechselbeziehung zueinander.2? Die Tendenz der beginnenden Moderne, die
Erscheinungen der Welt zu lesen, Wolkenbildungen und andere Himmels-
erscheinungen zu interpretieren, hat spezifische Wahrnehmungsformen zur
Voraussetzung0, ebenso die Konstruktion einer phantastischen Geisterwelt,
die nach der Vorstellung der Menschen jener Zeit den sublunaren Äther bevöl-
kerte und darin allerlei verrichtete, Gutes und vor allem Schlechtes.
So erscheint die Welt der beginnenden Moderne als von unsichtbaren
Kraftfeldern strukturiert. Sie war von Strahlungen durchzogen, die von Din-
gen (etwa Augen, Sternen und anderen Gegenständen) ausgingen und Wir-
kungen zeitigten.3! Nach Auffassung der Theologen waren es nicht direkt die
Gegenstände, die etwas bewirkten; vielmehr war es Gott oder, mit göttlicher
Zulassung, der Teufel. |
Kraftfelder eigener Dynamik waren die „heiligen“ Zonen, von kirchlichen
und staatlichen Gewalten mehr oder weniger eindeutig sanktionierte Orte des
Sakralen.32 Dazu konnten im Mittelalter Bäume, Quellen oder Wegkreuzun-
gen zählen. Wie abstoßende Magneten in einem Feld mit Eisenspänen hatten
diese Orte — Kirchen, Kapellen, Wegkreuze, Bildstöcke etc. — einen Hof um
sich, in dem es eine gewisse Sicherheit gab vor den Einwirkungen des Bösen;
wo es aber auch gefährlich war, sich gegen die heilige Ordnung zu vergehen.
Die Einfriedung des Kirchhofs bezeichnete eine Grenze zwischen Sakralem
und Profanem, natürlich auch das Portal oder Türme, wo steinerne Monster‘
und Heiligenfiguren einen gemeinsamen Abwehrkampf gegen die einfliegen-
den oder andrängenden Mächte der Finsternis führten — Schamanen wie den
benandanti vergleichbar, die in nächtlichem Luftkampf die Heere des Bösen
in die Schranken wiesen.33 Auf diese apotropäischen Funktionen von Bild-
werken sei hier nur hingewiesen; sie lassen sich im einzelnen aus den Quellen
des Mittelalters nur schwer nachweisen. Aber es gibt zweifellos noch in der
Frühen Neuzeit apotropäisch wirkende Kunstwerke.
In diesem Zusammenhang sollte an die Bedeutung von Kunstwerken für
die Markierung besonderer Zonen des Rechts erinnert werden. Die Räume,
die sie strukturierten, hatten ebenfalls einen in gewisser Hinsicht sakralen
Charakter. Die Symbole und Bilder, die diese Räume markierten, waren dem-
entsprechend ihrerseits liturgischer Natur.
Man denke an die Portale mittelalterlicher Kirchen, unter denen Recht
gesprochen wurde, oder an die Ausschmückung von Gerichtslauben oder Ge-
richtsstuben in Rathäusern. Hier blieben bis weit in die Neuzeit hinein Be-
stimmungen, die bereits im späten Mittelalter formuliert werden, folgenreich.
Eine Glosse zum Sächsischen Weichbildrecht (zwischen 1330 und 1386)
schrieb vor: „Wo der Richter mit Urteilen richtet, an derselben Stätte und in
derselben Stunden sitzet Gott in seinem göttlichen Gerichte über dem Richter
und über den Schöffen, und darum soll ein jeglicher Richter in dem Rathause
malen lassen das strenge Gericht unseres Herrn.“34 Das Gerichtsbild erinnerte
Richter und Delinquenten an die metaphysische Bindung der Rechtspre-
chung. Weltliche Jurisdiktion wurde „augenfällig“ als Emanation göttlicher
Gerichtsbarkeit definiert.35
„Bilder“ im Sinn von Artefakten, Kunstwerken, sind im Kontext der „ver-
zauberten Welt“ nur der Spezialfall in einer Umwelt, in der die Dinge über-
haupt zeichenhaft, verweiskräftig erscheinen; in der nichts einfach nur „ist“,
sondern wenigstens im Verdacht steht, etwas zu bedeuten.36 Nicht nur Bilder
konnten in den Verdacht magischer Kraft geraten — das hatten sie mit anderen
Dingen gemeinsam. Wie aus einer Pflanze, einem Stein, einem Knochen oder
einem Bild ein magisches Objekt werden konnte, hatte aber meist entschei-
dend mit dem Kontext zu tun: was man mit dem Objekt unternahm, in welche
rituellen Zusammenhänge es gebracht wurde (man denke an Wein und Hostie
in der Eucharistie), wer dies tat (der Priester etwa oder seine illegitimen Ge-
schwister, Schamane oder Weise Frau), und wo sich das Ding befand (in einer
Kirche etwa oder am Richtplatz).37
Der Knochen eines Heiligen war Gegenstand — erlaubter — kultischer Ver-
ehrung, der eines Gehenkten Objekt magischer Riten. Um Knochen handelte
es sich aber in beiden Fällen.
Allerdings sollte man auch darauf hinweisen, daß diese „magische Perzep-
tion“ der Dinge eine sozialhistorische Dimension hat. Es dürfte einen großen
Unterschied ausmachen, ob man sich in Kreisen humanistisch gebildeter In-
tellektueller umsieht oder unter dem Kirchenvolk, das ein wundertätiges Hei-
ligenbild aufsucht. Ein Bernhard von Clairvaux dürfte die romanischen Mon-
ster kaum für geeignete Mitstreiter gegen den Teufel gehalten haben — wie
aber verhielt es sich mit der Masse der Gläubigen?
Kaum zweifelhaft aber erscheint mir, daß die religiösen Bilder in der ver-
zauberten Welt des Mittelalters und der frühen Neuzeit ihre magische Macht
aus dem Umstand bezogen haben dürften, daß sie zu den Dingen gehören, die
sich zwischen Welt und Überwelt befanden. Sie sind Mittler, Relaisstationen
des Göttlichen auf Erden — oder stehen wenigstens im Verdacht, das zu sein.
In ihnen kann sich die imaginäre Präsenz des Heiligen materiell verdichten;
oft genug auch unterstreicht das Altarbild die Authentizität der Reliquie, als
,subscriptio“ eines Emblems gewissermaßen.
Das gilt in der beginnenden Neuzeit nicht ausschließlich für Ikonen, die _
altersschwarzen direkten Abbilder oder Kunstwerke, die direkt Gegenstand
wunderbarer Ereignisse waren. Dazu zählen Gnadenbilder im katholischen
Bereich, weinende Figuren der Gottesmutter oder blutende Christusstatuen.
Vielmehr kann es zu merkwürdigen Inversionen kommen, die allerdings noch
nicht gut erforscht sind, jedenfalls, was die Verhältnisse in katholischen Ge-
bieten anbelangt. Es gibt durchaus auch Bilder, die auf Beschädigungen
reagieren — wie Hostien, die bluten, wenn man sie schändet — oder sich gar
rachen.38
Ein bemerkenswertes Beispiel dafür, daß Bildern magische Macht zuge-
schrieben wurde — und zugleich einen Fall, in dem sich eine übernatürliche
Macht dafür rächt, daß ihrem Bild etwas angetan wird —, bietet Sicco Polento-
nes Schrift „Leben des Heiligen Antonius von Padua“, die 1476 publiziert
wurde.39 Darin wird geschildert, Papst Bonifaz VIII. habe in S. Giovanni in
Laterano eine Serie von Heiligen malen lasgen; die Minoritenbrüder, die den
Auftrag ausführten, hätten aus eigenem Antrieb Darstellungen „ihrer“ Heili-
37 Vgl. Bernd Roeck, Die Verzauberung des Fremden. Metaphysik und Außenseitertum in
der frühen Neuzeit, in: Hartmut Lehmann/Anne-Charlott Trepp (Hrsg.), Im Zeichen der -
Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts. Göttingen 1999, 319-336, hier 335.
38 Belting, Bild und Kult (wie Anm. 2), 11.
39 Vgl. Baxandall, Painting and Experience (wie Anm. 25), 61f.
Macht und Ohnmacht der Bilder 45
gen S. Francesco und S. Antonio hinzugefügt. Der Papst sei daraufhin erzürnt
gewesen und habe gesagt: „Den hl. Franziskus kann ich dulden [...], wo es
nun einmal geschehen ist. Aber ich bestehe darauf, daß der hl. Antonius ganz
entfernt wird.‘ Alle, die den Befehl des Papstes ausführen wollten, seien indes
von einem „schrecklichen, widerhallenden, gigantischen Geist“ zu Boden ge-
worfen, wild umhergestoßen und vertrieben worden. So habe der Papst das
Bild des heiligen Antonius an seinem Ort lassen müssen. Auch dieses Fresko,
so sah es jedenfalls der Chronist, war nicht nur ein Stück Materie. Die
Darstellung des heiligen Antonius wird in dieser Geschichte als ein Fetisch
beschrieben, dessen Beschädigung die Macht auf den Plan rief, die dieser Fe-
tisch symbolisierte. Denn es kann ja kaum zweifelhaft sein, daß der giganti-
sche Geist im Auftrag des mächtigen Heiligen aus Padua handelte. Zumindest
würden wir das heute so interpretieren — die große Frage ist natürlich, ob es in
den Augen der Menschen des 15. Jahrhunderts St. Antonius, der Geist oder
eben das Bild war, was da handelte. |
Vielleicht finden wir weitere Beispiele für die Furcht vor der Macht der Bil-
der auf Darstellungen von Märtyrerszenen oder von Christi Passion oder
Kreuzestod des 15. und 16. Jahrhunderts — sei es auf Tafelbildern oder in
Fresko. Gelegentlich weisen die Schergen, Teufel oder Dämonen - sie sind oft
schon durch ihre Physiognomik vom Künstler als Inkarnationen des Bösen
charakterisiert{0 — Kratzspuren in der Gesichtsregion auf, meist sind es die
Augen, die man ihnen zu vernichten versucht hat.*! Noch häufiger werden
Statuen gar enthauptet.42
Die Abbilder wurden in diesen Fällen von unbekannten Betrachtern offen-
bar auf eine sehr direkte Weise mit den abgebildeten Personen identifiziert. Es
ist offensichtlich, daß ein Bild für ein solches Publikum nicht einfach mate-
riellen Charakter hatte, nicht einfach als eine gewisse Menge Holz, Leinwand
und Farbe aufgefaßt wurde. Was ging hier eigentlich vor? Der Interpretation
der Beschädigungen ist ein weites Feld geöffnet, denn selten sind Quellen er-
halten, die uns Aufschlüsse über die Täter geben können.
40 Beispiele bieten die Geißelungsszenen auf Jörg Breus „Aggsbacher Altar‘ oder auf dem
Herrenberger Altar Jörg Ratgebs, wo die Schergen fast karikaturenhaft zu grotesken Inkar-
nationen des Bösen stilisiert werden (Lit.: Gode Krämer, Jörg Breu d. A. als Maler und
Protestant, in: Welt im Umbruch. Augsburg zwischen Renaissance und Barock. Ausstel-
lung der Stadt Augsburg in Zusammenarbeit mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskir-
che anläßlich des 450. Jubiläums der Confessio Augustana. Bd. 3: Beiträge. Augsburg
. 1981, 115-133; Wilhelm Fraenger, Jörg Ratgeb. Ein Maler und Märtyrer aus dem Bauern-
krieg. Dresden 1972).
De Zeven Werken
41 Vgl. Michalski, Reformation (wie Anm. 3), 77; C. J. de Bruyn Kops,
het Rijks-
van Barmhartigheid van de Meester van Alkmaar gerestaured, in: Bulletin van
museum 23, 1975, 203-206.
42 Michalski, Reformation (wie Anm. 3), 77.
46 Bernd Roeck
43 David Freedberg, The Power of Images: Studies in the History and Theory of Response.
Chicago/London 1989, 246-282; Gherardo Ortalli, ,...pingatur in Palatio...‘: La pittura
infamante nei secoli XIII-XVI. Rom 1979.
“Bbdy 61.0
45 Ebd., 116f.
46 Warnke vertrat bei seiner Analyse der Beschädigungen, welche die Münsteraner Täufer
an Bildwerken ihrer Stadt verübten, die These, die Beschädigung sei als symbolischer Voll-
zug einer Strafe zu interpretieren.
47 Vgl. Anne-Lott Zech, ‚Imago boni principis‘. Der Perseus-Mythos zwischen Apotheose
und Heilserwartung in der politischen Öffentlichkeit des 16. Jahrhunderts. Münster 2000, -
2 und passim.
48 Vgl. Havelange, De l'œil (wie Anm. 6), 47-74; Thomas Hauschild, Der Böse Blick.
Ideengeschichtliche und sozialgeschichtliche Untersuchungen. 2. Aufl. Berlin 1984.
Macht und Ohnmacht der Bilder 47
Bei Gesner und anderen Autoren konnte man über die Gefahren von
Blicken nachlesen.4 Den Folterern Christi, den Schergen, die Heiligen die
Gedärme aus dem Leib wanden und andere Grausamkeiten verübten, war der-
gleichen ebenso zuzutrauen wie Dämonen und dem Teufel. Die realistische
Kunst der Renaissance — mit ihrer sensationellen Wirkung auf ungeübte
Augen — muß die Furcht vor den Blicken der Bösewichter und Monster
ebenso beträchtlich verstärkt haben, wie sie neue Frömmigkeitsformen evo-
zierte. Was den einen als virtuose, der Natur nahe Kunst erschien, erschreckte
die anderen. Man versuchte, die Bilder machtlos zu machen, indem man
ihnen das Gesicht nahm — wie man Leichen gefürchteter Wiedergänger aus
dem Grab zerrte und sie pfählte, um sie an ihren nächtlichen Untaten zu hin-
dern.50
Hinter der Furcht vor den Augen der Bilder standen bis ins 17. Jahrhundert
komplexe physikalische und medizinische Vorstellungen, auf die hier nicht
eingegangen werden kann.S! Nur soviel: wieder sind die gerade angesproche-
nen unsichtbaren Kraftfelder zu bemerken, die in der Vorstellung der Epoche,
gleich magnetischen Kräften oder Radiowellen, den Äther durchziehen und
Wirkungen ausüben. Die Macht des Schrecklichen, auch wenn es nur im Bild
dargestellt ist, dürfte in den Augen der Zeitgenossen auf solchen Strahlungen
beruht haben, wenn sie sich Gedanken über diese physikalischen Fragen ge-
macht haben sollten.
Bilder der Renaissance als Fetische: das ist ein Zusammenhang, auf den
wohl als erster Aby Warburg aufmerksam gemacht hat.5? Schon Franco Sac-
chetti verspottet den Brauch als Idolatrie, „piüttosto una idolatria che fede
christiana.“53
Es ist in diesem Zusammenhang vor allem an die unzähligen, heute meist
verschwundenen Wachsfiguren zu denken, die beispielsweise Stifterpersön-
lichkeiten repräsentierten — aber auch, in anderem Zusammenhang, Herrscher.
Sie müssen, erschreckend lebensecht, zum Beispiel die Florentiner Kirchen
scharenweise bevölkert haben: Votivgaben, zugleich wohl Statthalter der rea-
len Stifterinnen und Stifter.
eius
49 Ebd., 49: „Hominem si primus viderit solo visu eum interfecit, quod radii oclorum
spiritum hominis visibilem corrumpunt, quo corrupto caeteri quoque spiritus corrumpun-
tur, qui a cerebro & via cordis descendunt, & sic homo moritur.“
50 Zum Zusammenhang künftig Peter Mario Kreuter, Der Vampirglaube in Südosteuropa.
Studien zur Genese, Bedeutung und Funktion. Berlin 2001.
51 Hauschild, Der Böse Blick (wie Anm. 48).
Ghir-
52 Aby Warburg, Bildniskunst und florentinisches Bürgertum. Bd. 1: Domenico
in Santa Trinita. Die Bildnisse des Lorenzo de’ Medici und seiner Angehörigen .
. landaio
von Schlosser, Geschichte der Porträtbildn erei in Wachs, in:
Leipzig 1902, 29-32; Julius
s 29, 1910/11,
Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhause
Effigies.
171-208; Wolfgang Brückner, Bildnis und Brauch. Studien zur Bildfunktion der
192-245.
Berlin 1966, 123-187; Freedberg, Power of Images (wie Anm. 43),
52), 27.
53 In seiner Novella 109, zit. nach Warburg, Bildniskunst (wie Anm.
48 Bernd Roeck
ee ec il ee i ers na.
54 Vgl. Bernd Roeck, Zu Kunstaufträgen des Dogen Agostino Barbarigo (1419-1501). Das
Grabmonument in der Chiesa della Caritä in Venedig und die ‚Pala Barbarigo‘ Giovanni
Bellinis, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 61/1, 1992, 1-34, auch in: ders., Aou
nage (wie Anm. 12), 60-89.
55 Vgl. Brückner, Bildnis und Brauch (wie Anm. 52), 124-126.
Macht und-Ohnmacht der Bilder 49
ca.
Abb. 2 Antonio Rizzo, Statue von Agostino Barbarigo vom Grabmal des Dogen,
1490. Santa Maria della Salute, Antisakrist ei, Venedig.
50 Bernd Roeck
In der magisch strukturierten Welt der Frühen Neuzeit konnten den Bildern
auch jenseits der Zonen sakraler Verdichtung magische Wirkungen zuge-
schrieben werden.56 Dementsprechend sollte die Analyse der politischen Wir-
kung von Bildern den gerade skizzierten Kontext nicht ignorieren: die spezi-
fische Sensibilität des Publikums; die Neigung vieler Menschen, die Dinge
metaphysisch zu verorten, ihnen womöglich Zauberkraft zuzuschreiben; zu
erschrecken vor der frappierenden Wirkung der mimetischen Kunst der Re-
naissance.
Ein weiterer Aspekt frühneuzeitlicher Kunstwahrnehmung ist in der Sensi-
bilität der Menschen gegenüber dem Material der Kunstwerke zu sehen”:
Gold, purpurrote oder ultramarinblaue Farbe etwa weckten durch ihre Kost-
barkeit entsprechende Assoziationen?®, kaum eine Madonna des 15. Jahrhun-
derts ist nicht in ein Gewand aus kostbarem Ultramarin gekleidet.
Schon die Ikonologie des Materials teilte so etwas mit über Rang und Hei-
ligkeit der Dargestellten. Die Lektüre frühneuzeitlicher Reisebeschreibungen
zeigt, daß an Bauwerken mehr als alles andere wertvolles Material - Marmor
vor allem und Gold - registriert wurde.>9 Erst die Berücksichtigung solcher
Zusammenhänge hilft, zu verstehen, was „Macht der Bilder“ vor unserer Zeit
heißen kann; übrigens auch, welche persuasive Kraft Riten — in die oft genug
Bilder integriert waren — entfaltet haben dürften. |
56 Ebd.
57 Thomas Raff, Die Sprache der Materialien. Anleitung zu einer Ikonologie der Werk-
stoffe. München 1994.
58 Baxandall, Painting and Experience (wie Anm. 25), 11-15.
59 Einige Belege bei Bernd Roeck, Die Ohnmacht des Dogen und die Macht der Kunst. -
Marco und Agostino Barbarigo (1485-1501), in: Hermann Hipp/Ernst Seidl (Hrsg.), Ar-
chitektur als politische Kultur. (Philosophia practica.) Berlin 1996, 79-92, hier 87 und
Anm. 45 und 46; Raff, Sprache (wie Anm. 57), 51-53 (über Marmor).
Macht und, Ohnmacht der Bilder 51
Malers in der
60 Vgl. Bram Kempers, Kunst, Macht und Mäzenatentum. Der Beruf des
1898, 129f., 396; John White, Duccio: Tuscan Art
italienischen Renaissance: München
and the Medieval Workshop. London 1979, 196.
32 Bernd Roeck
Jene Epoche, die wir mit Hans Belting als das „Zeitalter der Kunst“ bezeich-
nen, erlebt bekanntlich nach wie vor dramatische Auseinandersetzungen um
den Umgang mit Bildern. Im 16. und 17. Jahrhundert strebt der blutige Kampf
um das Erringen des „Magiemonopols“ seinem Höhepunkt zu. Der Begriff
soll die Antagonismen und Kontroversen des konfessionellen Zeitalters um-
schreiben.
Was heißt Magiemonopol? Es geht um die Frage, wer zwischen Welt und
Überwelt vermitteln kann: Magiemonopol meint in diesem Kontext die legi-
time Verfügungsgewalt über magische Mittel zu Erringung des Seelenheils,
zur Beeinflussung von Menschen und zur Beherrschung der Natur. Magische
Mittel, das bezeichnet die Verfügung über Riten — Gebete etwa oder Zauber-
sprüche — und Objekte — Amulette, Reliquien zum Beispiel oder Hostien -,
die zu diesen Zielen führen oder dazu beitragen, sie zu erreichen. Der Begriff
„Magiemonopol“ impliziert die Möglichkeit der inhaltlichen Bestimmung
dieser Riten und die Festlegung der Objekte, die dabei instrumentalisiert wer-
den können. |
Die Unterscheidung von „magischen“ und „religiösen“ Riten wäre so aus
der Perspektive der europäischen Geschichte des 16. Jahrhunderts ziemlich
einfach. Religiöse Riten sind durch staatliche Gewalten und kirchliche Insti-
tutionen sanktioniert®8: Sie können und sollen auch öffentlich angewandt
werden, während der magische Ritus die Öffentlichkeit scheut. Die Formen
der religiösen Praxis sind mehr oder weniger detailliert schriftlich fixiert und
zählen zu den konstitutiven Faktoren der Genese sozialer Gruppen, wie zum
Beispiel der konfessionellen Großgruppen. Entscheidend ist mithin — so Mary
Douglas in ihrem von der Reformationsforschung viel zu wenig zur Kenntnis
genommenen Buch -, daß sich die Macht des religiösen wie des magischen
Rituals aus der Legitimität des Systems ableitet, zu dessen Kommunikations-
formen es gehürt.6?
Der religiöse Kern der Reformation war, wiederum mit Douglas, „anti-
ritualistisch“: es geht um Ursprünge, um die Reinheit des Worts; um die
68 Ebd., 198: „Die Frage nach Glaube und Aberglaube [...] ist [...] eine Sache der jeweili-
gen Dogmatik und nicht der Geschichte“.
69 Mary Douglas, Natural Symbols: Explorations in Cosmology. 2. Aufl. London 1973
(dt.: Ritual, Tabu und Körpersymbolik. Sozialanthropologische Studien in Industriegesell-
schaft und Stammeskultur. Frankfurt am Main 1986, 203).
Macht und Ohnmacht der Bilder 39
Entschlackung des Glaubens von der Last der Geschichte. Das führt bekannt-
lich nicht einfach zu einer „neuen Innerlichkeit“, sondern zu ritualistischen
Gegenbewegungen — am prägnantesten durch den gegenreformatorischen Ka-
tholizismus — und zur Herausbildung neuer Riten im Bereich der reformatori-
schen Bewegung und ihrer Abspaltungen. Die alte Kirche und die reformato-
rischen Bewegungen definierten also nicht nur ihre Lehrsysteme neu und
grenzten sich voneinander ab, sondern legten auch fest, welche Ritualsysteme
sie als statthaft betrachten wollten und welche nicht. Im Zusammenhang mit
diesen Definitionsbestrebungen zogen sie die Grenzen zwischen dem Sakra-
len und dem Profanen neu und schärfer.
Das hatte die verschiedensten sichtbaren Konsequenzen. Die spektakulär-
ste war, daß man gegen alles Abweichende, „Ketzerische“ entschieden und
mit gelegentlich dramatischen Folgen vorging. Daß es gerade im 16. und
17. Jahrhundert zur Klimax der Hexenverfolgungen kam, hatte ebenso mit
den konfessionellen Antagonismen zu tun wie das nun entschiedenere Vor-
gehen gegen „weiße Magie“ und gegen alles, was nach Häresie schmeckte.
Auffällig ist weiterhin, daß man im katholischen Bereich — wie Sallmann für
Neapel zeigte — zusehends rigidere Kriterien für „Heiligkeit“ fand.70
Die Dialektik zwischen Antiritualismus und Ritualismus, offensichtlich
eine anthropologische Konstante, bestimmt seit dem 16. Jahrhundert auch das
Schicksal der Bilder. Denn Bilder gehören in diesen Kontext, da sie zentrale
Bestandteile der Symbolsysteme der sich formierenden konfessionellen
Gruppen sind, positiv wie negativ. Auch die Ablehnung von Bildern konstitu-
iert ja Identität.
Die Reformatoren gehen bekanntlich an eine mehr oder weniger radikale
Entzauberung der Bilder. Sie versuchen, ihnen die magische Macht zu neh-
men. Das geschieht, indem sie radikal aus den als sakral definierten Räumen
verbannt, ausgemerzt, zerstört werden. Nicht unbedingt heißt es, daß man ih-
nen das Existenzrecht grundsätzlich bestritte. Die Reformatoren des 16. Jahr-
hunderts und andere Erneuerer — wie etwa Bernhard von Clairvaux — argu-
mentieren nicht so sehr gegen die Bilder an sich, als gegen die falschen Bilder
am falschen — eben sakralen, heiligen — Ort. Selbst einem Christus kann man
nun die Augen auskratzen’!: Damit wird nicht die Abbildung des Gekreuzig-
ten geschändet, vielmehr ein Gemälde, in dem man ein Götzenbild zu erken-
nen meint. Das Idol wird verletzt, und damit werden implizit die angeklagt,
die es aufstellten und anbeten ließen.
70 Jean-Michel Sallmann, Naples et ses saints à l’âge baroque (1540-1750). Paris 1994.
71 Vgl. Michalski, Reformation (wie Anm. 3), 7, unter Berufung auf Maria Netter, Zur
Restaurierung zweier Holbein-Bilder im Kunstmuseum Basel, in: Werkzeitung Geigy 18,
1960, Nr. 6/7.
56 Bernd Roeck
Lh ee cen MAST somes FR
72 Freya Strecker, Augsburger Altäre zwischen Reformation (1537) und 1635. Bildkritik,
Repräsentation und Konfessionalisierung. (Kunstgeschichte, Bd. 61.) Münster 1998.
73 Vgl. etwa Rudolf Schlögl, Differenzierung und Integration: Konfessionalisierung im
frühneuzeitlichen Gesellschaftssystem. Das Beispiel der habsburgischen Vorlande, in:
Archiv für Reformationsgeschichte 91, 2000, 238-284, hier 272. eek
74 Vgl. Baxandall, Painting and Experience (wie Anm. 25); auch Arnold Gehlen, Zeit —
Bilder. Zur Soziologie und Asthetik der modernen Malerei. 3. Aufl. Frankfurt am Main
1986, 24.
Macht und,Ohnmacht der Bilder 57
Siena, das mit der Maestä das herausragende Monument eines religiös inspi-
rierten Kommunalismus hervorgebracht hat, bewahrt mit Lorenzettis Darstel-
lungen des Guten und des Schlechten Regiments ja weitere Inkunabeln einer
in die Welt wirkenden Malerei. Mit ihnen wird zum ersten Mal eine durch Bil-
der in die Öffentlichkeit wirkende kommunale Ideologie historisch greifbar.75
Frühere Fälle sind weit weniger komplex strukturiert.76
Betrachter unterschiedlicher Bildung lasen Verschiedenes aus solchen Bil-
dern heraus, und entsprechend differenziert sind ihre Argumentationsebenen
zu erschlieBen./7 Die Appelle, die Lorenzettis Fresken formulieren, waren
jedenfalls gewiß nicht einfach für den „ungebildeten Laien“ gedacht, aber sie
zielen — wie andere im weiteren Sinne politische Bilder des ausgehenden Mit-
telalters und der beginnenden Neuzeit — auch auf ihn. Bilder sind im mittel-
alterlichen Kommunkationssystem Formen „analoger“ Kommunikation,
Symbole, Bilder und Gesten, die dem Gemeinten — nach Bernd Thum —
„irgendwie ähnlich“ sind, unmittelbar durch ihre Anschaulichkeit argumen-
tieren.78 Sie können komplexe Zusammenhänge verdeutlichen, sie besser be-
greifbar machen, ja überhaupt erst Verständnis ermöglichen. Und sie haben in
der bilderarmen Welt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, wie oben aus-
geführt, besondere Überzeugungskraft.
Es war dies eine Qualität, die den Zeitgenossen nicht verborgen blieb. Der
Florentiner Notar Francesco da Barberino etwa schrieb, er traue ihnen größere
Überzeugungskraft zu als dem geschriebenen Wort.’? So sorgte er dafür, daß
seine „Documenti d’amore“ (um 1313) mit Illustrationen versehen wurden.
Ganz ähnlich wird noch im 17. Jahrhundert von der Wirkung der Bilder gere-
det.80 Die Effekte — die Macht — der Bilder lassen sich wiederum kaum mes-
sen. Wir sehen nur, daß der oder die Auftraggeber daran glauben, daß sie Wir-
kung zeitigen könnten. Im 14. Jahrhundert werden die ersten spektakulären
Fälle greifbar: der bekannteste ist der des Cola di Rienzo, der 1347 an der Fas-
sade der römischen Kirche S. Angelo in Pescheria ein Wandbild anbringen
ließ, das ein in heilsgeschichtliche Bezüge plaziertes politisches Programm
75 Hans Belting, Bilder in der Stadt - Zur Thematik des Bandes, in: ders./Dieter Blume
(Hrsg.), Malerei und Stadtkultur in der Dantezeit. Die Argumentation der Bilder. München
1989, 7-21, hier 8.
76 Maria Monica Donato, Aristoteles in Siena. Fresken eines Sienesischen Amtsgebäudes
in Asciano, in: Belting/Blume, Malerei (wie Anm. 75), 105-114.
.77 Dieter Blume, Die Argumentation der Bilder — Zur Entstehung einer städtischen Male-
rei, in: Belting/Blume, Malerei (wie Anm. 75), 1322115
78 Thum, Öffentlichkeit und Kommunikation (wie Anm. 10), 76-79.
79 Blume, Argumentation (wie Anm. 77), 14, 34f.
80 Vgl. Martin Warnke, Politische Ikonographie, in: Andreas Beyer (Hrsg.), Die Lesbarkeit
der Kunst. Berlin 1992, 23-28.
58 Bernd Roeck
Ti eect SGB er
81 Vgl. Philippe Sonnay, La politique artistique de Cola di Rienzo (1313-1354), in: Revue
de l’art 55, 1982, 35-82; Konrad Burdach (Hrsg.), Vom Mittelalter zur Reformation. Bd. 2/
1: Rienzo und die geistige Wandlung seiner Zeit. Berlin 1928, 434ff.; Gustav Seibt, Ano-
nimo romano. Geschichtsschreibung in Rom an der Schwelle zur Renaissance. Stuttgart
1902182 KR |
82 Nach Anonimo romano, Cronica, hrsg. von Giuseppe Porta. Mailand 1979, 151.
83 Roeck, Ohnmacht des Dogen (wie Anm. 59), 79-92.
84 Wolfgang Wolters, Der Bilderschmuck des Dogenpalastes. Untersuchungen zur Selbst-
darstellung der Republik Venedig im 16. Jahrhundert. Wiesbaden 1983, 78.
85 Aristoteles, Politik, 1313 b, 21ff.; 1314 b, 37f.; 1321 a, 35ff.; vgl. Dieter Metzer, Bil-
derstürme und Bilderfeindlichkeit in der Antike, in: Warnke (Hrsg.), Bildersturm (wie -
Anm. 5), 14-29, hier 25.
86 Machiavelli spricht im „Principe“ nur sehr allgemein davon, daß es für den Fürsten
sinnvoll sei, seine ,,Freigebigkeit unter Beweis zu stellen. Einige Bezüge ergeben sich bei
Macht und, Ohnmacht der Bilder 59
Es fällt auf, daß sich zuerst auf der italienischen Halbinsel eine monumen-
tale, politisch argumentierende Kunst entwickelt. Das hatte wohl mit der Kon-
kurrenz unter den sich verdichtenden Staaten zu tun und mit ihrer wirtschaft-
lichen Prosperität, die ihresgleichen suchte in der Welt. In Venedig und
Florenz ist das besonders gut zu beobachten. Die Legitimität der Eliten aber
war oft genug zweifelhaft und konnte die „Unterfütterung‘ durch Kunst wohl
gebrauchen. Von größter Bedeutung wurden antike Vorbilder. In Italien ent-
stehen — zuerst im Umkreis Friedrichs II., man denke an die Porträtbüste von
Barletta — um Naturtreue bemühte Herrscherporträts; die Reiterfiguren der
Scaliger machen nach einigen deutschen Vorläufern den Anfang einer langen
Reihe von Condottieri- und Fürstenstandbildern mit den berühmten Höhe-
punkten in Padua, Venedig und dem Mailänder Projekt Leonardos. Schon im
15. Jahrhundert haben sie sich hier von der sepulkralen Zweckbestimmung
abgelöst, Verrocchios „Colleoni“ deutlicher als Donatellos „‚Gattamelata“.
Cola di Rienzos Show vor S. Angelo läßt insofern eine typische Motivlage
erkennen: er legitimiert sein politisches Handeln und begründet seine eigene,
alles andere als gefestigte Macht. Bei anderen wird man den Verdacht nicht
los, daß der Glanz der Kunst, mit der sie sich umgeben, vor allem den Zweck
hat, das Prekäre ihrer Stellung oder reale Machtdefizite zu überstrahlen.
Kleinfürsten wie Federico da Montefeltro oder Borso d’Este beschwören
ihre legitimierende Macht; der komplizierte Fall Cosimo de’ Medicis wurde
schon erwähnt. Reiche Belege böte auch die Kunstpatronage Kaiser Maxi-
milians — des Mannes megalomaner Projekte und unerhörter Ambitionen, der
sich durch die Kunst feiern ließ wie vielleicht kein Kaiser vor ihm.87
Mit der Zunahme der medialen Möglichkeiten kommt es in der frühen Neu-
zeit an manchen Höfen — deren berühmtester der von Versailles ist — zu einem
regelrechten overkill an Inszenierungen, zu hypertrophen kulturellen Kon-
struktionen, die ersichtlich mit einer Übersättigung der Wahrnehmung rech-
nen’8 — und sich dagegen durchsetzen müssen.
Noch immer standen die Herrscherbilder wie schon in der Antike®? im
Dienst von Ruhm und Macht, sie bekräftigten Legitimität oder trugen dazu
bei, Legitimät zu behaupten. Und sie sorgen für die Präsenz des Fürsten an
Orten, wo er in Person nicht weilt, erinnern an den, in dessen Namen Recht
gesprochen oder Bürokratie exerziert wird. Man wird auch hier im Einzelfall
zu analysieren haben, inwieweit diese Herrscherbilder nur als „Abbilder“ gal-
der Beschäftigung mit der Theorie der „magnificentia“ als wichtiger Eigenschaft des Für-
.sten, vgl. Matthias Oberli, ‚Magnificentia principis‘. Das Mäzenatentum des Prinzen und
Kardinals Maurizio von Savoyen (1593-1657). Weimar 1999, 21-29. ;
87 Reiches Material bei Hermann Wiesflecker, Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich
und Europa an der Wende zur Neuzeit. 5 Bde. München 1971-1986 (vor allem Bd. 5).
88 Vgl. Peter Burke, The Fabrication of Louis XIV. New Haven/London 1992.
89 Vgl. Paul Zanker, Augustus und die Macht der Bilder. München 1987, vgl. vor allem 13.
60 Bernd Roeck
ten und ob sich mit ihnen nicht in der Vorstellung des „gemeinen Mannes“
oder der „gemeinen Frau“ eine Art Realpräsenz verbinden konnte, eine magi-
sche Anwesenheit des Dargestellten. Für die Frühe Neuzeit wird sich das je-
denfalls nicht ausschließen lassen — vor allem dann nicht, wenn ihnen durch
Wachsbossierung jene dramatische Lebensnähe verliehen wird, die wir aus
Florenz und Venedig schon kennen. Herrscherbilder dieser Art haben ihre
späten Nachkommen in den Fotografien von Staatspräsidenten und Königen,
die sich in modernen Amtsstuben finden.
Der Blick auf die religiöse und die politische Macht der Bilder täuscht darüber
hinweg, daß es immer auch Bilder im profanen Raum gegeben hat, deren Wir-
kung subtil war und die einen individuellen Bezug hatten: Bilder privater
Andacht, Bilder auch, die aus Freude am Schönen erworben wurden und zur
Zerstreuung. Einer der ersten historisch faßbaren Sammler solcher Kunst ist
der Florentiner Niccolö Niccoli im Florenz des Quattrocento?®; ein anderer ist
ebenda der Kaufmann Giovanni Rucellai, der mit Blick auf seine Kunstpatro-
nage die entwaffnende Feststellung machte, Geld ausgeben sei süßer als Geld
verdienen.°1 Die „weltliche“ Freude an Kunstwerken wurde von eifrigen Pre-
digern nicht mehr goutiert. Auch sie gerieten im Kampf um das Magiemono-
pol zwischen die Fronten. Es kommt vor, während und nach der Reformation
zu Versuchen, die Gesellschaft überhaupt zu heiligen; zu einer Eskalation des
Unternehmens, den Gottesstaat auf Erden zu verwirklichen. Diese Bestrebun-
gen führen zu dramatischen Konflikten mit der Dame Welt. Die Fundamenta-
listen inszenieren absurde Happenings.
Schon im religiös erregten 15. Jahrhunderts kommt es zu spektakulären
Aktionen gegen den „Prunk der Welt“, darunter auch gegen weltliche Kunst,
gegen Gemälde und Skulpturen. Das war konsequent, wenn die gesamte Ge-
meinde, die Bürgerschaft einer Stadt als „Heilsgemeinschaft“ begriffen wird:
eins in ihren guten Werken wie in ihrer Schuld.?? Bernardino von Siena, des-
sen Schüler Giovanni da Capistrano und — der berühmteste Fall — Girolamo
Savonarola entzündeten Scheiterhaufen der Eitelkeiten. Capistrano insze-
nierte dergleichen auch nördlich der Alpen.” In. Wien, Nürnberg, Erfurt,
Magdeburg, Breslau und Augsburg gingen Spieltische, kostbare Gewänder,
Schmuck und wohl auch Bilder in Flammen auf. Als 1423 in Bologna einige
erregte Maler bei Bernardino vorsprechen und sich beklagen, sie würden zu
Bettlern, verlören sie doch so ihre Arbeit, empfiehlt ihnen der Heilige, nur
noch religiöse Themen zu gestalten.?* Savonarolas Aktion gegen die weltli-
che Kunst der Renaissance hat eine längere Vorgeschichte; ein später, zum
Glück weniger mächtiger Nachfolger ist der sauertöpfische Augsburger Pro-
testant Hieronymus Froeschel, der am Ende des 16. Jahrhunderts gegen die
„gottlosen Wassergötzen“ auf den Brunnen seiner Vaterstadt wettert.?>
Die Kritik Froeschels und der Vandalismus der toskanischen Prediger zie-
len auf religiösen Purismus, auf eine Heiligung der Gesellschaft. Für sie wa-
ren Bilder keine „Adiaphora“; ihre Macht, die Faszination, die von ihnen aus-
ging, bedrohte in den Augen der Eiferer das Seelenheil, zog Gottes Zorn über
die Gemeinschaft, und daraus war ihre Zerstörung gerechtfertigt.
#8
96 Über ihn Karl Hefele, Der heilige Bernhard von Siena und die italienische Wanderpre- -
digt in Italien während des 15. Jahrhunderts. Freiburg im Breisgau 1912; Iris Origo, The
World of San Bernardino. London 1963 (dt. München 1989); V Facchinetti, San Bernar-
dino da Siena, mistico sole del secolo XV. Mailand 1933.
Macht und Ohnmacht der Bilder 63
i} ry =
je us 1 |
u y UN. 7/4
jr 4 (ey ir de
; BAR he Les
BERN HF ©) Ei
\ ’ Lie dae
LA
Von
Othmar Keel
Die Vorschriften des Alten oder Ersten Testaments, die sich mit Bildern und
ihrem Kult beschäftigen, werden in der Alltagssprache des Bildungsbürger-
tums als „Bilderverbot“ apostrophiert. Es gehört wie „Adam und Eva“, die
„Arche Noachs“, „Aug um Aug, Zahn um Zahn“ oder das „Goldene Kalb“
und ähnlichem zu jenen Elementen der alttestamentlichen Überlieferung, die
immer noch einen großen Bekanntheitsgrad aufweisen.!
1 Das war schon in der Antike so. Der römische Historiker P. Cornelius Tacitus stellt in
seinen zwischen 105 und 110 n. Chr. erschienenen Historien fest: „Die Ägypter verehren
eine ganze Menge von Tieren, auch zusammengesetzte Gestalten, die Juden aber haben ei-
nen rein geistigen Gottesbegriff und kennen nur ein göttliches Wesen. Als gottlos betrach-
ten sie jeden, der nach menschlichem Gleichnis Götterbilder aus irdischem Stoff gestaltet;
das ihnen vorschwebende höchste, die Zeiten überdauernde Wesen ist nach ihrer Ansicht
nicht darstellbar, auch keinem Untergang verfallen. Daher stellen sie in ihren Städten keine
Götterbilder auf, erst recht nicht in ihren Tempeln (Aegyptii pleraque animalia effigiesque
compositas venerantur, Tudaei mente sola unumque numen intellegunt: profanos, qui deum
imagines mortalibus materiis in species hominum effingant; summum illud et aeternum
neque imitabile neque interiturum. igitur nulla simulacra urbibus suis, nedum templis
Judaism.
sistunt)“ (Historien 5,4); Menahem Stern, Greek and Latin Authors on Jews and
Bd. 2: From Tacitus to Simplicius. Jerusalem 1980, 19; deutsche Ubersetzung von Joseph
(Tusculum Biicherei.) Miinchen 1959, 516-519. Als ältester
Borst, Tacitus, Historien.
Beleg dafür, daß die Bilderlosigkeit des jüdischen Kultes antiken nichtjüdischen Autoren
dessen Auße-
bekannt war, wird meist Hekataios von Abdera (um 300 v.Chr.) angeführt,
Stern,
rungen aber nur in Zitaten bei anderen antiken Autoren erhalten sind (Menahem
Greek and Latin Authors on Jews and Judaism. Bd. 1: From Herodotus to Plutarch. Jerusa-
Bar-Kochva
lem 1974, 20-44, bes. 26 und 37). Deren Authentizität ist neulich von Bezalel
Pseudo-
bestritten worden. Er möchte die Fragmente einem jüdischen Autor, einem
Hekataios, zuschreiben, der um 100 v. Chr. geschrieben haben soll (Bezalel Bar-Kochva,
Ange-
Pseudo-Hecataeus, „On the Jews‘: Legitimizing the Jewish Diaspora. Berkeley/Los
Peter Schäfer
les/London 1996). Andererseits möchte der Berliner Judaistik-Professor
darauf
schon beim Aristotelesschüler Theophrast am Ende des 4. Jh.s v.Chr. Hinweise
Bildlosigkeit des jüdischen Kultus außerhalb des Judentums bekannt war
. finden, daß die
the Jews in the
und interpretiert wurde (Peter Schäfer, Judeophobia: Attitudes toward
Keel, Warum
Ancient World. Cambridge/London 1997, 35). Zur ganzen Frage vgl. Othmar
Tempel kein anthropomorphe s Kultbild gestanden haben dürfte, in:
im Jerusalemer
2001,
Gottfried Boehm (Hrsg.), Homo Pictor. (Kolloquium Rauricum, Bd. 7.) München
224-282.
66 Othmar Keel
2 Die Originalausgabe ist 1985 in New York erschienen. Die deutsche Übersetzung er-
schien unter dem Titel: Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unter-
haltungsindustrie. Frankfurt am Main 1985.
3 Marshall McLuhan, The Medium is the Message. (Bantam Books.) New York/London -
1967.
4 Postman, Wir amüsieren uns (wie Anm. 2), 17f.
5 Ebd.
Das biblische Kultbildverbot im Judentum und im Christentum 67
Konturen. Und noch weniger scheut sie sich davor, einzelne Menschen und
Menschengrupppen mit bestimmten Charakteristiken zu versehen.
Noch weniger zielt das biblische Gebot darauf, die Menschen zu abstrak-
tem Denken anzuleiten, wie Postman meint. JHWH hat seine Gegenwart an
bestimmte Objekte (z.B. die sogenannte Bundeslade) und Orte gebunden, zu
denen hin man seine Gebete sprach (vgl. Daniel 6,11).
Nicht nur von Frisch und Postman, sondern von unzähligen anderen Auto-
ren ist das biblische Verbot immer wieder als generelles Ikonographieverbot
verstanden worden, und das nicht nur von Nicht-Fachleuten, auch von Wis-
senschaftlern, die sich professionell mit diesen Fragen beschäftigt haben.
Hans Georg Thümmel z.B. beginnt sein großes Werk über „Die Früh-
geschichte der ostkirchlichen Bilderlehre“ mit den Sätzen: „Die junge christ-
liche Gemeinde wuchs aus der bildlosen Synagoge heraus, das Alte Testament
mit dem Bilderverbot verblieb ihr als dauernder Besitz.“ Diese beiden Sätze
enthalten zwei Fehler, mindestens, wenn man sie wörtlich nimmt. Die Syn-
agoge war nicht bildlos. Das Alte Testament kennt kein Bilderverbot.
Schauen wir uns zur ersten These ein paar Synagogen aus römisch-byzantini-
scher Zeit, der formativen Phase des orthodox-rabbinischen Judentums, aus
dem Nahen Osten an.?
Eine der ältesten, gut erhaltenen Synagogen ist die von Dura Europos. Die
Stadt war seit 165 n. Chr. eine römische Grenzstadt am Eufrat, ungefähr auf
der Höhe von Palmyra. Dort ist - inschriftlich bezeugt — 244/45 n. Chr. ganz
nahe an der westlichen Stadtmauer eine Synagoge erbaut und um 250 n.Chr.
fast ganz ausgemalt worden. Fünf Jahre später ist angesichts der drohenden
Belagerung durch den Sassanidenkönig Schapur I. die Stadtmauer von Dura
verstärkt und bei dieser Gelegenheit der größte Teil der Synagoge zugeschüttet
Un-
6 Hans Georg Thümmel, Die Frühgeschichte der ostkirchlichen Bilderlehre. Texte und
Zeit vor dem Bilderstreit. (Texte und Untersuchu ngen zur Geschichte der
tersuchungen zur
altchristlichen Literatur, Bd. 139.) Berlin 1992, 23. Hervorhebungen von mir.
Art and Archae-
7 Zu Material und Interpretation vgl. Rachel Hachlili, Ancient Jewish
Kunst und
-ology in the Land of Israel. (Handbuch der Orientalistik. Siebente Abteilung:
B — Vor-
Archäologie. Bd. 1: Der Alte Vordere Orient. Zweiter Abschnitt: Die Denkmäler
et l’image. (Texte und
derasien, Lieferung 4.) Leiden 1988; Pierre Prigent, Le Judaisme
, Biblische
Studien zum Antiken Judentum, Bd. 24.) Tübingen 1990; Günter Stemberger
für Biblische
Darstellungen auf Mosaikfußböden spätantiker Synagogen, in: Jahrbuch
Theologie 13, 1998, 145-170.
68 y Othmar Keel
en PONS
ae
TEE
[fez alae WA 3
en as
= SS
Abb. 1 Schema der Anordnung der Wandbilder in der Synagoge von Dura Europos.
Syrien um 250 n. Chr. Prigent, Judaïsme et l’image (wie Anm. 7), 179 Fig. 40.
ZZ 2 LAS
TES Se
CES
A SE AR PRES
4
NE
erN Vr
Abb.2 Darstellung der sogenannten Stiftshütte in der Synagoge von Dura Europas.
Prigent, Judaisme et l’image (wie Anm. 7), 221 Fig. 52.
Das biblische Kultbildverbet im Judentum und im Christentum 69
Abb. 3 David, der in Anwesenheit seiner Brüder von Samuel zum König gesalbt wird,
Dura Europos. Prigent, Judaisme et l’image (wie Anm. 7), 235 Fig. 58.
Dura
Abb.4 Das Mosesknäblein wird von der Tochter Pharaos aus dem Nil gerettet,
Europos. Prigent, Judaisme et l’image (wie Anm. 7), 237 Fig. 59.
70 Othmar Keel
nn nen nen caspase A
worden. Die Wandbilder haben sich so vor allem an der Westwand wunderbar
erhalten (Abb. 1). Sie zeigen in drei Registern Szenen aus der biblischen Ge-
schichte, so z.B. die sogenannte „Stiftshütte“, ein fiktives Wiistenheiligtum,
das die Kontinuität zwischen der Sinaioffenbarung und dem nachexilischen
Tempel konkretisieren soll (Abb. 2). Das Bild in Dura Europos zeigt aber nicht
nur die äußere Mauer und das innere Heiligtum mit Altären, Siebenarmigem
Leuchter und Bundeslade, Darstellungen, die wir in der jüdischen Kunst aller
Zeiten finden, sondern auch lebende Wesen, Opfertiere und Menschen, u.a.
den Hohenpriester Aaron. Manche Bilder stellen in erster Linie lebende Wesen
dar, so z.B. das Bild, das David mit seinen Brüdern zeigt, wie er vom Prophe-
ten Samuel zum König gesalbt wird (Abb. 3). Auf dem Bild, das die Auffin-
dung des Moseknaben im Nil darstellt, ist die Pharaonentochter nackt darge-
stellt (Abb. 4).8 Zahlreiche andere Darsteilungen dieser Szene zeigen sie be-
kleidet. Nacktheit gehörte nicht, wie bei Adam und Eva, notwendig zur Szene.
Hat man hier — fernab von den damaligen Zentren des Judentums in Palä-
stina und in Babylonien — das Bilderverbot auf ketzerische Weise übertreten?
Hat man es mindestens sehr liberal ausgelegt? Oder ist das sogenannte Bilder-
verbot gar kein Bilderverbot, und war die Gemeinde der Synagoge von Dura
Europos ganz orthodox beziehungsweise orthoprax?
Schauen wir uns, bevor wir diese Frage zu beantworten versuchen, noch ein
paar Synagogen aus byzantinischer Zeit in Palästina an. Um 200 n.Chr. war in
Palästina die Mischna, die lange nur mündlich überlieferten Ausführungs-
bestimmungen zur Tora, den fünf Büchern Mose, unter der Führung des Patri-
archen Jehuda Ha-Nasi schriftlich redigiert worden. In byzantinischer Zeit
entstand ein Kommentar dazu, die Gemara, die zusammen mit der Mischna
den Palästinischen Talmud bildet. Der Schwerpunkt jüdischer Siedlungen in
Palästina lag damals nördlich des Karmel in Galiläa. Die Synagogenikonogra-
phie, die kurz vorzustellen ist, stammt also aus einer Zeit und einer Gegend, in
der ein orthodoxes Judentum fest etabliert und organisiert war. ;
Um 350 n. Chr. dürfte die Synagoge von Tiberias am See Gennesaret,
einem wichtigen Ort jüdischer Gelehrsamkeit, entstanden sein. Der teilweise
zerstörte Mosaikfußboden zeigt nächst dem Eingang zwei Löwen, die einige
Stifterinschriften flankieren. Eine weitere Stifterinschrift östlich vom Haupt-
schiff nennt einen Schüler der berühmtesten Patriarchen (Opentös Tv
Aaunporitwv narpıapy@v)?, d.h. der höchsten Autoritäten des damaligen
8 Zum Bildprogramm der Synagoge von Dura Europos vgl. Erwin R. Goodenough, Jewish
Symbols in the Greco-Roman Period. Bde. 9-11: Symbolism in the Dura Synagogue 1-3.
(Bollingen Series, Bd. 37/1-3.) New York 1964. Die genannten Bilder finden sich alle an
der Westwand und sind in Bd. 11 (37, 3) abgebildet: Pl. I (ganze Westwand), VII (David
und Samuel), IX (Mose und Tochter Pharaos) und X (Stiftshütte). Vgl. auch Hans-Peter -
Stähli, Antike Synagogenkunst. Stuttgart 1988, 83, 87, 89.
9 Moshe Dothan, Hammath Tiberias: Early Synagogues and the Hellenistic and Roman
Remains. Jerusalem 1983, 60.
Das biblische Kultbildverbot im Judentum und im Christentum PA
=”
Yy/ CN
%IKK
2V7
7 NON
INT,
Ko
2&
NZ K2
ZQ
i] 1] N
| || | | |
Abb. 5 MosaikfuBboden der Synagoge von Tiberias am See Gennesaret mit dem Sonnen-
(um 350 n. Chr). Dothan, Hammath Tiberias (wie Anm. 9),
gott im Zentrum
35 Ausschnitt.
72 I Othmar Keel
9 SU D A if
AD Neg FQ th & N i
4 =
4 RNS yy SICH 1
aa EIG: D}
ATV S id)
HE \M ASR
ASCHE
u Ned?
1 \ à | #4 LAN £ YA
SASSO
Ge
DEN ES 9 CE = in <8 4
one De A
PA. 1 4
j
4 j(A
KS ÈS VS SSSSSSSS ——
y SES
à /
Ni aA
|©
ar
;j4 A)A
AY)
i (A
ÿ
À
A Be
6
3
6A
Oss Le
PE
ah Abb. 6
Mosaikfußboden der Synagoge von Sep-
7 phoris in Galiläa mit dem Sonnenwagen
im Zentrum und Resten narrativer Szenen .
(zwischen 400 und 425 n.Chr.). Weiss/
ls Netzer, Promise and Redemption (wie
GESS SSS SRE Anm. 12), 14.
Das biblische Kultbildverbot im Judentum und im Christentum 73
Abb.7 Mosaikfußboden der Synagoge von Beth-Alpha westlich von Beth-Schean mit
dem Sonnengott im Zentrum und der versuchten Opferung Isaaks (zwischen 500
und 525 n. Chr). Sukenik, Synagogue ofBeth Alpha (wie Anm 13), Pl. XXVII Aus-
schnitt.
74 q Othmar Keel
ha nan a SRR DERE RY ee se
10 Zu den Mosaiken vgl. ebd., Pls. 10-17 und 25-34, Vgl. auch Stähli, Antike Synagogen-
kunst (wie Anm. 8), 60.
11 Das stellt den Schluß von Pierre Prigent, die palästinischen Synagogenbilder seien nie-
mals narrativ, in Frage (ders., Judaïsme et l’image [wie Anm. 7], 141).
12 Ze>ev Weiss/Ehud Netzer, Promise and Redemption: A Synagogue Mosaic from Sep-
phoris. Jerusalem 1996.
13 Eleazar L. Sukenik, The Ancient Synagogue of Beth Alpha: An Account of the Excava-
tions Conducted on Behalf of the Hebrew University, Jerusalem. Jerusalem 1932; vgl. auch
Stähli, Antike Synagogenkunst (wie Anm. 8), 55-68.
Das biblische Kultbildverbot im Judentum und im Christentum 75
Neben den in den drei Synagogen genannten Motiven finden sich noch eine
Reihe anderer, so z.B. in einer Synagoge in Gerasa in Jordanien Noach!4, in
einer Synagoge in Gaza aus den Jahren 508/09 n. Chr. David, der auf der Leier
spielt!5, und in einer Synagoge in Marus, im nördlichen Galiläa, David mit
den Waffen Goliats!6.
Kenner und Kennerinnen des antiken palästinischen Judentums zeigen und
versichern, daß wir es hier keineswegs mit häretischen oder halbhäretischen
Kreisen zu tun haben, sondern daß alle drei Synagogen mit ihren Motiven fest
in der Theologie des orthodox-rabbinischen Judentums der talmudischen Zeit
verankert sind.!7 Die in allen drei Synagogen belegte Kombination von Tora-
schrein und Zodiak mit dem Sonnengott im Zentrum geht letztlich auf Psalm
19 zurück, in dem die fast brutale Offenbarung der Herrlichkeit Gottes in der
Glut der Sonne dem milden Wirken Gottes in der Tora, dem Gesetz, gegen-
übergestellt wird. ;
Grundsätzlich beschäftigt sich einer der 64 Mischnatraktate, Avodah zarah
„Fremdkult“, mit dem sogenannten „Bilderverbot“. Er umschreibt die ortho-
doxe Position u. a. mit folgender Anekdote: „Es fragte Proklos, der Philosoph,
Rabban Gamliel zu Akko, als dieser sich im Bade der Aphrodite badete, und
sprach zu ihm: „Es steht in eurer Tora geschrieben: ‚Es soll nicht das Gering-
ste von dem Banne (an) an deiner Hand haften.‘ Warum badest du im Bade
der Aphrodite?“ Er sprach zu ihm: „Man darf im Bade nicht antworten!“18
Nachdem er herausgegangen war, antwortet er ihm: „Ich bin ja nicht in ihr
(der Aphrodite) Gebiet gekommen, sie ist vielmehr in mein Gebiet gekom-
men. Man sagt nicht: ‚Das Bad ist der Aphrodite zur Zierde (m) gemacht wor-
den‘, sondern: ‚Eine Aphrodite ist dem Bade zur Zierde gemacht worden.‘
Eine andere Antwort: ‚Wenn man dir auch viel Geld gäbe, würdest du nicht
nackt und, nachdem du einen nächtlichen Zufall gehabt, vor deine Gottheit
hintreten und vor ihr Urin lassen; diese aber steht an der Mündung des Kanals,
und alle Leute urinieren vor ihr! Es heisst aber nur ‚ihre Götter‘; d.h. nur das,
was man wie einen Gott behandelt, ist verboten; was man aber nicht wie einen
Gott behandelt, ist erlaubt‘.“!9
Die Bilder als solche sind nicht verboten. Immer wieder einmal haben rigo-
ristische Kreise auch im Hinblick auf das Verbot, Bilder kultisch zu verehren,
das errichtet, was die Mischna als „Zaun für die Tora“ bezeichnet.2° Die
mündliche Überlieferung soll verhindern, daß die schriftlich niedergelegte
Tora übertreten wird. Ein besonders wirksames Mittel dazu waren die rabbi-
nischen Vorbeugungsverordnungen. Ein bekannter Fall sind die 40 Schläge,
die vom 5. Buch Mose (Deuteronomium) 25,3 als Höchstmaß der Prügelstrafe
festgesetzt werden. Um das Gesetz keinesfalls zu übertreten, hat man sie auf
39 beschränkt (2 Korinther 11,24), so daß selbst dann, wenn jemand falsch
zählte, die 40 nicht überschritten wurden. Die Schriftgrundlage für diesen
„Zaun“ fand man in Levitikus 18,30, „Machet eine Bewachung für das mir
gegenüber zu Beobachtende.‘?! Aufgrund dieses Prinzips konnte man argu-
mentieren, daß es besser sei, gar keine Bilder zu machen oder zu besitzen,
weil dann auch die Gefahr, ihnen religiöse Verehrung zuteil werden zu lassen,
radikal gebannt sei. Ansätze dazu finden sich in dem bereits genannten Misch-
natraktat Avodah Zarah, so etwa, wenn es heißt: „Findet jemand Bruchstücke
von Bildern, so sind diese erlaubt. Findet man die Figur einer Hand oder eines
Fußes, so sind diese verboten, weil dergleichen angebetet wird.‘22 Im ersten
Falle geht es um zerbrochene Figuren, und die sind nicht kultfähig. Keine
Gottheit wohnt einer beschädigten Statue inne. Im zweiten Falle, auch wenn
es sich nur um einzelne Glieder handelt, geht es um ganze und somit kult-
fähige Gegenstände, wie z.B. die Hand des Jupiter Sabazios.° Die hier ge-
troffene Regelung ist erheblich strenger als die der Anekdote vom Bad mit der
Aphrodite-Statue. Hier ist nicht die tatsächliche Verehrung bzw. Nichtvereh-
rung entscheidend, sondern die Möglichkeit einer Verehrung. So wurde aus
dem Verbot, Bilder kultisch zu verehren, ein Bilderverbot.24
Ein Streifzug durch die einschlägigen Überlieferungen des Alten bzw. Ersten
Testaments wird zeigen, daß auch dieses nie ein Bilder-, sondern immer nur
Bilderkultverbote kannte.
Der israelitische Kult war ursprünglich nicht bilderlos. Das Hauptheiligtum,
das David nach Jerusalem brachte, war zwar anikonisch: eine Holzkiste, die
Lade.25 Wir können sie uns in Analogie zur heiligen Kiste vorstellen,
die von ägyptischen Priestern auf einem Relief aus der Zeit Ramses III.
(1187-1156 v. Chr.) aus Medinet Habu in Oberägypten getragen wird (Abb. 8).
Nach 1 Könige 2,26 wurde die Lade auch in Israel von einem einzelnen Prie-
ster getragen. In ihr dürften zwei Steinplatten aufbewahrt worden sein.26 Sie
war aber nicht der einzige Kultgegenstand im Allerheiligsten des salomoni-
schen Tempels. Nach 1 Könige 6,23-28 (vgl. 8,6f.) standen dort noch zwei
Keruben, die wir als Mischwesen aus Löwenleib, Menschenkopf und Geier-
flügeln zu verstehen haben, also als geflügelte Sphingen. Archäologische Par-
allelen und das Epitheton „der auf den Keruben thront‘? suggerieren, daß die
25 Das mit Lade übersetzte hebräische Wort >aron bezeichnet eine Kiste (Genesis 50,26;
2 Könige 12,10f.), in der Regel den Kultgegenstand, der als „die Lade“ (47mal; z.B.
2 Samuel 11,11), „Lade Gottes“ (34mal, z.B. 2 Samuel 15,25 und 29), „Lade Jahwes“
(31mal; z.B. 1 Samuel 4,5f.), „die Lade des Bundes Jahwes“ (27mal) und noch anders be-
zeichnet wird. Angaben über das genauere Aussehen der Kiste besitzen wir erst aus der
Zeit nach ihrer Zerstörung im Jahre 587 v.Chr. (Deuteronomium 10,3; Exodus 25,10).
26 Nach Deuteronomium 10,1-5 enthielt die Lade die zwei Steintafeln mit den zehn Ge-
boten, „nichts anderes“, wie 1 Könige 8,9 (ca. 6. Jh. v.Chr.) etwas apologetisch betont
(vgl. dazu Oswald Loretz, Die steinernen Gesetzestafeln in der Lade, in: Ugarit-Forschun-
gen 9, 1977, 159-161). Vielleicht enthielt sie ursprünglich einmal einen oder zwei un-
bis
gravierte heilige Steine, wie ähnliche arabisch-beduinische Heiligtümer. Im einzigen
heute ziemlich eindeutig archäologisch nachgewiesenen Jahwe-Tempel, dem von Arad im
nördlichen Negev, wurde die Gottheit im 9.-8. Ih. v.Chr. durch eine anikonische Stele
(Massebe) repräsentiert. Wie der archäologische Befund ebenfalls zeigt, wurde vor diesem
Kultsymbol geräuchert und wurden Opfer dargebracht (Abb. 9; Wolfgang Zwickel, Der
Tempelkult in Kanaan und Israel. [Forschungen zum Alten Testament, Bd. 10.] Tübingen
1994, 266-275). Historisch tritt die Lade vor allem in der Zeit der Eliden (Schilo, Abjatar)
und Davids als Kriegspalladium in Erscheinung. Von den vielen Wanderungen, die ihr
ihre
zugeschrieben werden (vom Sinai nach Kanaan, bei den Philistern), scheint einzig
Davids auf seiner Flucht vor Saul historisch zu sein (1 Könige 2,26). Die Lade-
Begleitung
legenden in 1Samuel 4-6 zeigen aber deutlich, daß mit der Lade eine Realpräsenz Jahwes
6,13; 15,24).
gegeben war. Von Opfern vor der Lade ist wiederholt die Rede (z.B. 2 Samuel
In Jerusalem findet sie ihren endgültigen Platz im salomonischen Tempel. Die unschein-
bare Kiste wurde dort der Länge nach unter die Flügel der parallel stehenden Keruben
t
gestellt. Nach ihrer Zerstörung im Jahre 587 ist sie offensichtlich nicht wiederhergestell
worden (vgl. Jeremia 3,16).
80,2; 99,1; 1 Chronik
27 1 Samuel 4,4; 2 Samuel 6,2; 2 Könige 19,15; Jesaja 37,16; Psalm
13,6.
78 Othmar Keel
Abb.8 Ein ägyptischer Priester trägt eine heilige Kiste von der Art der „Bundeslade“
(zwischen 1180 und 1160 v. Chr.). Othmar Keel, Die Welt der altorientalischen
Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen. 5. Aufl. Göttin-
gen 1996, 302 Abb. 434.
Abb. 9
Das Allerheiligste im Tem-
pel von Arad im nördlichen
Negev (9.-8. Jahrhundert
v. Chr). In diesem einzigen
archäologisch nachgewie-
senen Jahwe-Tempel in Pa-
lästina wurde die Gottheit
durch eine anikonische
Steinstele (Massebe) reprä-
sentiert. Keel, Welt der alt-
orientalischen Bildsymbolik
(wie Abb. 8), 162 Abb. 248.
Das biblische Kultbildverbot im Judentum und im Christentum 79
beiden parallel gestellten Keruben eine Art Thron bildeten (Abb. 10a-b).28 Ob
darauf einmal ein Bild Jahwes gethront hatte oder ob der Thron zu allen Zeiten
als leerer Gottesthron die Präsenz Jahwes symbolisierte, ist umstritten.?? Die
Innenwände des Tempels waren mit Schnitzereien versehen, die von Palmen
flankierte Keruben zeigten.30 Keruben waren nebst Löwen und Rindern (Stie-
ren?) auch auf den zehn Kesselwagen zu sehen.?! Das große Bronzebecken im
Vorhof des Tempels, das sogenannte „Eherne Meer“, stand auf zwölf Rindern
oder Stieren (Abb. 11).32 Der Stier war das Tier des Wettergottes (Abb. 12).
Die figurativen Elemente an den Kesselwagen und am Ehernen Meer wurden
von König Ahas, der in der 2. Hälfte des 8. Jh.s v. Chr. regierte, entfernt.3° Wir
wissen nicht aus welchen Gründen. Vielleicht benötigte er ganz einfach das
Metall. Vielleicht wollte er jede Ähnlichkeit seines Kults mit dem seiner
Feinde, dem Nordreich und den Aramäern beseitigen, bei denen der Wettergott
und sein Stier sehr wichtig waren. Die Keruben im Allerheiligsten und die
Schnitzereien blieben anscheinend bis zur Zerstörung des Jerusalemer Tem-
pels im Jahre 587 v.Chr. bestehen
Als sich im letzten Drittel des 10. Jh.s v.Chr. nach dem Tode Salomos die
nördlichen Stämme von der Daviddynastie lossagten und unter Jerobeam I.
ein eigenes Königtum mit eigenen Kultstätten errichteten, waren auch diese
nicht bilderlos. Jerobeam ließ nach 1 Könige 12,26-33 in Bet-El und in Dan,
an den Grenzen des Reiches, je ein vergoldetes Stierbild aufstellen, das Jahwe
repräsentierte.3* Kulte mit Stierbildern sind für das Gebiet des Nordreichs
schon für die Spätbronzezeit und die Eisenzeit I, also die vorhergehenden
28 Othmar Keel, Jahwe-Visionen und Siegelkunst. Eine neue Deutung der Majestätsschil-
derungen in Jes 1, Ez 1 und 10 und Sach 4. (Stuttgarter Bibel-Studien, Bd. 84/85.) Stuttgart
1977, 15-45; Martin Metzger, Königsthron und Gottesthron. Thronformen und Throndar-
stellungen in Ägypten und im Vorderen Orient im dritten und zweiten Jahrtausend vor
Christus und deren Bedeutung für das Verständnis von Aussagen über den Thron im Alten
Testament. (Alter Orient und Altes Testament, Bd. 15/1-2.) Neukirchen-Vluyn 1985 (ab-
geschlossen 1971), 309-351; Othmar Keel, „Mit Cherubim und Serafim“. Ein Exegeten-
streit und seine theologischen Hintergründe, in: Bibel heute 28, 1992, 171-174.
29 Vgi. Herbert Niehr, In Search of YHWH’s Cult Statue in the First Temple, und Chri-
stoph Uehlinger, Anthropomorphic Cult Statuary in Iron Age Palestine and the Search for
Yahweh’s Cult Images, beide in: Karel van der Toorn (Hrsg.), The Image and the Book:
Ancient Near
Iconic Cults, Aniconism, and the Rise of Book Religion in Israel and the
73-95 bzw. 97-155; Keel, Kein anthropomorph es Kultbild (wie
East. Leuven 1997,
Anm. 1); Nadav Na?aman, No Anthropomorphic Graven Image: Notes on the Assumed
Uga-
Anthropomorphic Cult Statues in the Temples of YHWH in the Pre-Exilic Period, in:
rit-Forschungen 31, 1999, 391-415.
30 1 Könige 6,29-32.35; Ezechiel 41,18.20.25; 2 Chronik 3,7.
. 31 1 Könige 7,29 und 36.
32 | Könige 7,25.
33 2 Könige 16,17.
34 Manche halten das Stierbild in Dan für nicht historisch; vgl. z.B. Christoph Dohmen,
Bd. 2.
Art. „Jerobeam“, in: Manfred Görg/Bernhard Lang (Hrsg.), Neues Bibel-Lexikon.
Ziirich/Diisseldorf 1995, 293f.; vgl. aber unten Abb. 14.
80 Othmar Keel
Abb. 10a Elfenbeinritzerei aus Megiddo (12. Jahrhundert v. Chr.). Der Stadtkönig sitzt auf
einem Thron, der von zwei geflügelten Sphingen (Keruben) gebildet wird. Keel,
Jahwe-Visionen (wie Anm. 28), 20 Abb. 5.
D
.
.
0 PETE
erie
eee
0000066608?
00000
tt,
ner
00e
0
2.0
Ellen
BET EU E
. =
DLELERLEECLELE EEE TT ES)
n n
sheetÀ
LT
‘
n
ne
Bm 10 Ellen 1 ——— |
Abb. 10b Rekonstruktion des Jerusalemer Kerubenthrons aufgrund von 1 Könige 6,23-28
und altorientalischer Bildwerke. Keel, Jahwe-Visionen (wie Anm. 28), 26
Abb. 10.
Das biblische Kultbildverbot im Judentum und im Christentum 81
Abb. 11 Rekonstruktion des großen, auf zwölf Rindern ruhenden Bronzebeckens im Tem-
pelvorhof von Jerusalem. Wolfgang Zwickel, Der salomonische Tempel. (Kultur-
geschichte der antiken Welt, Bd. 83.) Mainz 1 999, Taf. 11b Zeichnung aufgrund
der Texte.
ES
schen
Abb. 12 Auf einem ruhenden Stier stehender Wettergott von einem neuassyri
Jahrhund ert v. Chr.). Unveröffe ntlichte gravierte Achatperl e,
Rollsiegel (Ende 8.
„Bibel + Orient“ des
20 mm hoch, neuassyrisch, 850-700 v. Chr. Sammlungen
Inventar
Departements für Biblische Studien der Universität Freiburg, Schweiz;
Nr. VS 1981. 109; Zeichnung Hildi Keel-Leu.
82 Othmar Keel
Epochen, belegt (Abb. 13).35 1998 ist in Dan eine Bronzeplakette aus dem
9. Jh. v.Chr. gefunden worden, die die Verehrung einer Gottheit auf einem
Stier zeigt (Abb. 14).36 Die berühmte Geschichte vom „goldenen Kalb“
(Exodus 32) — eigentlich redet der Text von einem jungen Stier — war
ursprünglich wohl die Gründungslegende dieses Kults. Immerhin ist es der
Prototyp des Hohenpriesters, Aaron, der das Bild herstellt. Der Text dürfte
erst sekundär zu einer Antistierbildlegende umgedeutet worden sein.3’ Das
Stierbild bestand bis zur Zerstörung des Heiligtums im Jahre 722/21 durch die
Assyrer.
In Zusammenhang mit diesem Stierbild hören wir zum ersten Mal Kritik
nicht an einem Kultbild, aber am Kult eines Bildes. Der Prophet Hosea und
seine Anhänger, die in der 2. Hälfte des 8. Jh.s v. Chr. aktiv waren, denunzier-
ten ihn mit den Worten: „Sie fertigten sich ein Gußbild, aus ihrem Silber
Götterbilder nach eigenem Geschmack, durch und durch Handwerkerarbeit.
‚Ihnen‘, fordern sie auf, ‚opfert!‘ Menschen küssen Kälber!“38
Aus einer kurzen, allgemein als historisch zuverlässig gewerteten Notiz er-
fahren wir, daß im Tempel von Jerusalem nebst den Keruben noch das Bron-
zebild einer Schlange verehrt wurde (2 Könige 18,4). Da im 8. Jh. v.Chr. ge-
flügelte Kobras, die in der ägyptischen Literatur als Uräen, in der hebräischen
als Serafim erscheinen, beim Propheten Jesaja?? und auf hebräischen Siegeln
(Abb. 15a-b)4 eine große Rolle spielen, dürfte auch das Schlangenbild im
Tempel eine Kobra dargestellt haben (Abb. 16), zumal die entsprechende
Kultlegende die Schlange auch als Seraf bezeichnet.*! Die Anfertigung des
Bildes wird in 2 Könige 18,4 auf Mose zurückgeführt. Die Kultlegende, die
den Heilcharakter des Bildes begründet, findet sich in Numeri 21,4-9. Die
35 Zwickel, Tempelkult (wie Anm. 26), 212-215; Othmar Keel, Das Recht der Bilder gese-
hen zu werden. Drei Fallstudien zur Methode der Interpretation altorientalischer Bilder.
(Orbis Biblicus et Orientalis, Bd. 122.) Freiburg, Schweiz/Göttingen 1992, 169-193.
36 Avraham Biran, Two Bronze Plaques and the Hussot of Dan, in: Israel Exploration Jour-
nal 49, 1999, 43-54, bes. 53f.
37 Karl Jaros, Die Stellung des Elohisten zur kanaanäischen Religion. (Orbis Biblicus et
Orientalis, Bd. 4.) 2. Aufl. Freiburg, Schweiz/Göttingen 1982, 211-235; Joachim Hann,
Das „Goldene Kalb“. Die Jahwe-Verehrung bei Stierbildern in der Geschichte Israels. (Eu-
ropäische Hochschulschriften, Rh. 23, Bd. 154.) Frankfurt am Main/Bern 1981.
38 Übersetzung und Kommentar: Jörg Jeremias, Der Prophet Hosea. (Altes. Testament
Deutsch, Bd. 24/1.) Göttingen 1983, 159.
39 Jesaja 6,2.8; 14,29; 30,6.
40 Benjamin Sass, The Preexilic Hebrew Seals: Iconism vs. Aniconism, in: ders./Christoph
Uehlinger (Hrsg.), Studies in the Iconography of Northwest Semitic Inscribed Seals. (Orbis
Biblicus et Orientalis, Bd. 125.) Freiburg, Schweiz/Göttingen 1993, 212f. und 215; Nah-
man Avigad/Benjamin Sass, Corpus of West Semitic Stamp Seals. Jerusalem 1997, Nr. 29,
46, 385 (zweiflüglig); Nr. 11, 82, 104, 127, 194, 206, 381 (vierflüglig).
41 Numeri 21,6 und 8. Zum Schlangenkult des 8. Jahrhunderts v.Chr. in Jerusalem vgl.
Othmar Keel, „Das Land der Kanaanäer mit der Seele suchend“, in: Theologische Zeit-:
schrift 57, 2001, 245-261, bes. 250-261.
Das biblische Kultbildverbot im Judentum und im Christentum 83
Abb. 13 Bronzefigur eines Stiers aus der Gegend nördlich von Samaria, die wahrschein-
lich in der Spätbronzezeit (14.13. Jahrhundert v. Chr.) geschaffen, aber in der
folgenden Eisenzeit I (12.-11. Jahrhundert v.Chr.) weiter verwendet wurde.
Amihai Mazar, A Cultic Site from the Period of the Judges in the Northern
Samaria Hills, in: Eretz Israel 16, 1982, 138 Fig. 3.
Abb. 14 Bronzeplakette aus Dan im Norden Israels, die einen Verehrer vor einer Gottheit
Two Bronze
zeigt, die auf einem Stier steht (9. Jahrhundert v. Chr.). Biran,
Plaques (wie Anm. 36), 54 Fig. 14.
84 ; Othmar Keel
Abb. 16
Stabaufsatz mit einer bekrönten Kobra; so oder. jedenfalls
ähnlich können wir uns die „Eherne Schlange“ vorstellen
(9.-8. Jahrhundert v.Chr). Unveröffentlichte ägyptische
Bronze, 175 mm hoch, wahrscheinlich 22. Dynastie (945-713
v. Chr.), evtl. später. Sammlungen „Bibel + Orient“ des Depar-
tements für Biblische Studien der Universität Freiburg,
Schweiz; Inventar Nr. ÄFig 2000.9; Zeichnung Hildi Keel-
Leu.
Das biblische Kultbildverbot im Judentum und im Christentum 85
Abb. 17
Ascherafigur aus Ton, wie sie im 8./7. Jahrhundert
v. Chr. in fast jedem judäischen Haushalt zu finden
war. Unveröffentlichte judäische Terrakotta, 160 mm
hoch, 750-650 v. Chr. Sammlungen „Bibel + Orient“
des Departemenis für Biblische Studien der Univer-
sität Freiburg, Schweiz; Inventar Nr. VFig 1998.3.
Koenen, Eherne
42 Jaros, Stellung des Elohisten (wie Anm. 37), 151-165. Zuletzt Klaus
für Alt-
Schlangen und goldenes Kalb. Ein Vergleich der Überlieferungen, in: Zeitschrift
. testamentliche Wissenschaft 111, 1999, 353-372.
(BAR Interna-
43 Raz Kletter, The Judean Pillar-Figurines and the Archaeology of Ashera.
Götter
tional Series, Bd. 636.) Oxford 1996; Othmar Keel/Christoph Uehlinger, Göttinnen,
Gottessym bole. Neue Erkenntnis se zur Religionsg eschichte Kanaans und Israels auf-
und
es Disputatae,
grund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen. (Quaestion
Bd. 134.) 5. Aufl. Freiburg im Breisgau 2001, 370-390.
86 Othmar Keel
Mit dem Ende der Assyrerherrschaft wurde unter König Joschija (641-609
v. Chr.) eine Reform eingeleitet, die einige Kulte beseitigte, die mit dem Auf-
hören der Assyrerherrschaft obsolet geworden waren oder sich nicht streng
auf Jahwe beziehen ließen, und generell den ganzen judäischen Kult in Jeru-
salem zentralisierte.** In diesem Zusammenhang scheinen die Ascherafigur
im Tempel wie auch ihre kleinen Kopien in den Privathäusern beseitigt wor-
den zu sein (2 Könige 23,4.7).
In diese Zeit scheinen auch die ersten Formulierungen eines grundsätz-
lichen Kultbilderverbots zurück zu reichen, wie wir sie in den beiden Fassun-
gen des Dekalogs finden: „Es soll für dich keine anderen Götter geben mir zum
Trotz. Du sollst dir keine Skulptur irgendeiner Gestalt am Himmel droben, auf
der Erde unten oder im Wasser unter der Erde machen. Du sollst dich nicht vor
ihnen niederwerfen und sie verehren“ (Deuteronomium 5,8-9a; vgl. Exodus
20,3-5a).45
Das Verbot, sich um andere Gottheiten als Jahwe zu kümmern, und das Ver-
bot, sich irgendwelche Bilder zu machen, sind so eng miteinander verbunden,
daß gar nicht so klar ist, ob das Reflexivpronomen im dritten Verbot, jenem,
sie zu verehren, sich auf die Götter oder die Bilder bezieht. Dem Sinn nach
wahrscheinlich auf beide. Und die beiden vorangehenden Verbote erreichen
ihr Ziel eigentlich erst im Verbot, sie zu verehren. Es wird offensichtlich vor-
ausgesetzt, die Bilder würden nur zu diesem Zweck hergestellt.
Das gilt auch für die Texte in Jesaja 40-55, dem sogenannten Deuterojesaja.
Sie stammen aus der Exilszeit zwischen 580 und 540 v. Chr. und polemisieren
angesichts der in Babylonien üblichen Kultbilder nicht einfach gegen die Her-
stellung von Bildern, sondern gegen ihre Verehrung. „Den einen Teil des Hol-
zes wirft man ins Feuer und röstet Fleisch in der Glut [...] Aus dem Rest des
Holzes aber macht man sich einen Gott, ein Götterbild, vor das man sich hin-
kniet, zu dem man betet und sagt: Rette mich, du bist doch mein Gott!“46
Trotz solcher Polemiken wurde im Hinblick auf den Wiederaufbau des 587 :
zerstörten Tempels die Frage diskutiert, durch welche Symbole Jahwe im wie-
dererrichteten Tempel repräsentiert werden soll. Ein Text, der vorgibt, ein
„Macht euch deshalb keine Skulptur, die irgendetwas darstellt, keine Statue, kein Ab-
bild irgendeines männlichen oder weiblichen Wesens, kein Abbild irgendeines Tiers, das
auf der Erde lebt, kein Abbild irgendeines geflügelten Vogels, der am Himmel fliegt, kein
Abbild irgendeines Tiers, das am Boden kriecht, und kein Abbild irgendeines Meerestieres
im Wasser unter der Erde. Wenn du die Augen zum Himmel erhebst und das ganze
Himmelsheer siehst, die Sonne, den Mond und die Sterne, dann laß dich nicht verführen.
Du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen und ihnen nicht dienen. Jahwe, dein Gott, hat
sie allen anderen Völkern überall unter dem Himmel zugewiesen“ (Deuteronomium
4,16-19).
Der Text beginnt zwar mit dem Verbot, sich von Jahwe eine Skulptur in
Form irgendeines Lebewesens anzufertigen. Das Ende des zitierten Ab-
schnitts aber läuft wieder auf das Verbot hinaus, andere Gottheiten neben
‘ Jahwe anzubeten. Die Gestirne, aber auch die Lebewesen, die man als Bilder
Abb. 18a Ägyptisierendes Elfenbein aus Samaria, das Isis und Nephtys (?) zeigt, die das
Symbol des Osiris schützend flankieren (9. Jahrhundert v. Chr.). Keel/Uehlinger,
Géttinnen, Götter und Gottessymbole (wie Anm. 43), 285 Abb. 243.
Abb. 18b Rekonstruktion der „Bundeslade“ aufgrund von Exodus 25,18-20 und 37,7-9
und altorientalischen Parallelen. Hugo Gressmann, Altorientalische Bilder zum
Alten Testament. Berlin/Leipzig 1927, 149 Abb. 513 und Taf. CCVII Abb. 513.
Das biblische Kultbildverbot im Judentum und im Christentum 89
Jahwes anzubeten versucht sein könnte, sind eben keine Bilder und Offen-
barungen Jahwes, denn seine Gestalt ist unbekannt. Nach Deuteronomium 4
hat niemand eine solche gesehen. Und die als Jahwe-Bilder gemeinten Bil-
der müssen so notwendig zu Bildern fremder Gottheiten geraten, die zwar den
verschiedensten Völkern der Erde zur Verehrung überlassen sind, mit denen
Jahwe aber nichts zu tun haben soll.
Das jüngste Buch des Alten Testaments, die um 50 v.Chr. entstandene,
griechisch geschriebene pseudoepigraphische „Weisheit Salomos“ entwickelt
eine Theorie der Götterbilder aus dem Bedürfnis, Abwesendes gegenwärtig zu
setzen. Eltern setzen ein zu früh verstorbenes Kind, Untertanen einen ab-
wesenden König durch ein Bild gegenwärtig. Das ist nicht das Problem. Das
Problem ist, daß diesen Bildern mit der Zeit göttliche Ehren erwiesen worden
sind.5!
Das normative Judentum der römisch-byzantinischen Zeit, das in der
Mischna und dann im Talmud nicht Bilder schlechthin, sondern die kultische
Verehrung von Bildern untersagte, befand sich also ganz und gar auf dem Weg
der biblischen Tradition. 5
Warum es zum Kultbilderverbot gekommen ist und was seine ursprüng-
liche Intention war, ist schwer zu sagen. Ein Blick auf die Quellen zeigt, daß
es nicht die Bilder an sich, sondern ihr Kult war, an dem sich die Kritik ent-
zündete. Vielleicht muß man so die Bilderkultkritik als Teil der prophetischen
Kultkritik sehen. Es scheinen jedenfalls nicht die Bilder an und für sich, son-
dern die intensiven kultischen Praktiken, die sich an die Bilder hefteten, ge-
wesen zu sein, die die Kritik der Propheten hervorriefen und die dadurch ein
tieferes Wissen um Gott, die Sorge um Recht und Gerechtigkeit und anderes
gefährdet sahen. Die Argumentation von Deuteronomium 4, die besagt, daß
bei der Uroffenbarung am Sinai keinerlei Gestalt Jahwes sichtbar geworden
sei, und der man entnehmen muß, daß es folglich keine genuine Jahwebild-
tradition geben könne, stellt vielleicht eine zweite Wurzel des folgenreichen
Tabus dar. Die Kultbildlosigkeit wurde zu einem Charakteristikum, zu einem
signum distinctivum des jüdischen Glaubens.
Das Christentum hat sich bis ins Hochmittelalter an das Verbot, Gott darzu-
stellen, gehalten. Der später so populäre Vatergott mit dem weißen Bart, der
sich auf eine einzige biblische Stelle stützen kann (Daniel 7,9), kann, ohne die
Fundamente im geringsten zu berühren, wieder aus dem Symbolsystem ent-
fernt werden.
50 Vol. dagegen die ältere Überlieferung in Exodus 24,9-11: „Danach stiegen Mose,
hinauf und
Aaron, Nadab, Abihu und die siebzig von den Altesten Israels (auf den Sinai)
sie sahen den Gott Israels“.
51 Weisheit 13,15-21.
90 à Othmar Keel
52 Ernst H. Gombrich, Art and Illusion: A Study in the Psychology of Pictorial Represen-
tation. 5. Aufl. Oxford 1977.
53 Ders., Image and Code: Scope and Limits of Conventionalism in Pictorial Represen-
tation, in: Wendi Steiner (Hrsg.), Image and Code. (Michigan Studies in the Humanities,
Bd. 2.) Michigan 1981, 11-42, hier 21.
Das biblische Kultbildverbot im Judentum und im Christentum 91
Bilder (oder Schriftzüge als Mittelding zwischen Bild und Wort) repräsen-
tieren oder präsentieren ein System viel unübersehbarer und beständiger als
Worte. Es ist naheliegend, daß die Ablehnung eines Systems sich zuerst gegen
diese als herausfordernd und provozierend empfundene Gegenwart des Sy-
stems richtet.
Theologisch gesehen ist Bild oder Nicht-Bild die Frage nach der Gegen-
wart oder Nicht-Gegenwart Gottes in der Welt bzw. nach der Art dieser Ge-
genwart oder Nicht-Gegenwart.
Christusbilder rechtfertigte man mit der Menschheit Christi. Ihr Kult wurde
im Osten mit dem Hinweis darauf verteidigt, daß er nicht der Darstellung,
sondern dem Dargestellten gelte. Der wahrscheinlich wichtigste Vertreter der
Ikonodulie war Johannes von Damaskus (ca. 650-750), der aus der christli-
chen Elite am Kalifenhof in Damaskus stammte, aber einen großen Teil seines
Lebens als Mönch im Kloster Mar Saba bei Jerusalem verbrachte. In seiner
Verteidigung der Bilder geht er von der Unterscheidung von Gottes Wesen
(ovoia) und seiner Energie (Evepyeıa oder XApız) aus, wobei letztere abge-
stuft gegenwärtig ist und schließlich auch in den Ikonen wirkt. Anbetung
(Aatpeia) gebührt allein dem Sein Gottes, abgestufte Schätzung, Ehre, Ver-
ehrung (tun) den graduell verschiedenen Vergegenwärtigungen der Energie.
Am vollkommensten ist sie im Menschen Jesus. Für Johannes von Damaskus
ist die Bilderverehrung eine Konsequenz der Inkarnation. Dieses Theologou-
menon hatte schon im 4. Jh. n. Chr. Geltung. Für Johannes von Damaskus
lehnte, wer die Bilderverehrung ablehnt, letztlich die Inkarnation ab.54
Im Westen55 sah man seit der Auseinandersetzung Gregors des Großen mit
Bischof Serenus um 600 in den Bildern ein didaktisch-pädagogisches Hilfs-
mittel, ein Zeichensystem, das auch Analphabeten zugänglich war. Gregor be-
tont, daß nicht die Bilder an und für sich, nur ihre Anbetung verboten sei.56
Diese Unterscheidung wird durch die Jahrhunderte von verschiedensten Bil-
54 Vgl. Thümmel, Die Frühgeschichte der ostkirchlichen Bilderlehre (wie Anm. 6); ders.,
Die theologische Auseinandersetzung um die Ikone, in: Jahrbuch für Biblische Theologie
13, 1998, 197-208. Zu Johannes von Damaskus und der Bedeutung des Inkarnations-
begriffs vgl. speziell Johannes Rauchenberger, Biblische Bildlichkeit. Paderborn 1999,
145-160.
55 Vgl. dazu das sorgfältig recherchierte und spannend geschriebene Werk von Helmut
Feld, Der Ikonoklasmus des Westens. (Studies in the History of Christian Thought,
Bd. 41.) Leiden u.a. 1990. Man kann dem Werk vorwerfen, daß es sich zu exklusiv auf die
theologische Argumentation konzentriere und andere Aspekte wie machtpolitische, gesell-
schaftliche und wirtschaftliche ausblende. Aber bei aller Bedeutung einer Vielzahl von
Faktoren scheint es mir bei einem so großen Thema erlaubt, sich auf einen Aspekt zu
. konzentrieren. Bei aller Vernetztheit bewahren die einzelnen Aspekte doch eine gewisse
Eigenständigkeit, und es ist beeindruckend zu sehen, wie bestimmte Argumentationen, die
bereits im Alten Testament auftauchen, sich wörtlich wiederholen, so wenn in der Refor-
mation bestimmte Bilder in Anlehnung an die oben zitierten Jesajaverse (Anm. 46) osten-
tativ zu Brennholz gemacht werden.
56 Feld, Ikonoklasmus (wie Anm. 55), 12.
92 : Othmar Keel
og ON LA A lg ol PRIMER WEN CLES
derkritikern wiederholt. Das gilt fiir die zwischen 790 und 794 entstandenen
„Libri Carolini“, für Erzbischof Agobard von Lyon (769-840), für John
Wyclif (+ 1384), für Martin Luther, der sich in den Predigten der Fastenzeit
des Jahres 1522 gegen die Bilderzerstérer wendet und in der Schrift „Wider
die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament“ von 1525 den
Bilderstürmern entgegenhält, „daß nach dem gesetz Mose keyn ander bilde
verbotten ist denn Gottes bilde, das man anbettet“. Selbst der große Bilder-
stürmer Zwingli stellt in seiner Schrift „De vera et falsa religione commenta-
rius“ vom März 1525 im letzten Kapitel „‚De statuis et imaginibus“ fest, daß
Statuen und Bilder nur dort abgeschafft werden sollten, wo sie als Kult-
gegenstände in Gebrauch sind.>7
Eigentlich ist da von der Hebräischen Bibel über das Frühjudentum bis zu
den Reformatoren ziemlich konsequent die gleiche Linie verfolgt worden.
Nicht die Bilder an und für sich, sondern ihre als abgöttisch empfundene Ver-
ehrung wird bekämpft.
Manche in den verschiedenen Bilderkonflikten verwendeten Argumente
hatten mit den Bildern als solchen wenig zu tun. So wenn die Kritik an den
Bildern als Sozialkritik formuliert wurde, wie z.B. in der zisterziensischen
Bilderkritik und bei Karlstadt. Man erinnere sich an den Titel seiner Schrift,
die ein wesentlicher Auslöser für den reformatorischen Ikonoklasmus war:
„Von abthuhung der Bylder / und das keyn Betdler unther den Christen seyn
sollen“.58 Es ging besonders bei der zisterziensischen Bilderkritik eigentlich
gar nicht um die Bilder als solche, sondern um die Einsetzung der vorhande-
nen Mittel. Sie sollten weniger für den Kult als für die Bedürfnisse der Ar-
men, die wahren Bilder Gottes, ausgegeben werden.°?
Wenig mit dem biblischen Bilderverbot zu tun hat auch der bei den Huma-
nisten, bei Erasmus von Rotterdam und dann bei Zwingli und besonders bei
Calvin so stark betonte Gegensatz zwischen Materie und Geist. Die stereotyp
wiederholten Stellen Johannes 4,24 (,,Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, :
müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten“) und 6,63 (,,Der Geist ist es, der
lebendig macht; das Fleisch nützt nichts“)60 haben von Haus aus nichts mit
dem ihnen unterstellten anthropologischen Dualismus und einer gnostisieren-
den Abwertung des Leibes gegenüber dem Geistigen zu tun, und schon gar
nichts mit der humanistischen Vorliebe für die Philologie, sondern eher mit Lu-
thers Alternative von menschlichem Werk und dem Wirken der Gnade Gottes.°!
n Cult of
62 Karel van der Toorn, The Iconic Book: Analogies between the Babylonia Iconic
and the Book:
Images and the Veneration of the Torah, in: ders. (Hrsg.), The Image
and the Ancient Near East.
Cults, Aniconism, and the Rise of Book Religion in Israel
Leuven 1997, 229-248. .
1973.
63 Hans Walter Wolff, Anthropologie des Alten Testaments. München
94 Othmar Keel
hat ihn nicht nur gesehen, sondern beschreibt ihn auch (Ezechiel 1). Man ging
in den Tempel, um Gott zu sehen.64
Das Neue Testament insistiert zwar: „Der Glaube koramt von der Predigt
(bzw. vom Hören)“.65 Aber die Predigt, das Wort, die den Glauben wecken,
gehen auf die Apostel zurück, und Apostel oder Apostolin wurde man da-
durch, daß man den Auferstandenen nicht bloß gehört, sondern gesehen
hatte.66 Der Glaube kommt vom Hören, das Hören aber basiert auf einem
Sehen. So steht am Anfang des Glaubens das Sehen der Augenzeugen.
Dem kann man entgegenhalten, daß es im Prolog des Johannesevangeliums
aber heiße: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war
das Wort. [...] Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde
nichts, was geworden ist“ (Johannes 1,1-3). Ein berühmter Kunstwissen-
schaftler hat in einem Essay zur Bild- und Textkultur®’ darauf hingewiesen,
daß die Übersetzung des griechischen Aöyos“ durch den deutschen Begriff
„Wort“ schon früh Unbehagen ausgelöst habe. Er hat auf Fausts Überlegun-
gen im gleichnamigen Drama von Goethe hingewiesen: „Ich kann das Wort so
hoch unmöglich schätzen. Ich muß es anders übersetzen.“ „Es ist jedoch
blanke Ketzerei“, so Hans Belting, „mit einer anderen Übersetzung des
Johannes-Textes zu spielen: ‚Im Anfang war das Bild‘ “. Ich verstehe Beltings
Räsonnement nicht und auch nicht, warum das ketzerisch sein soll. In 2 Ko-
rinther 4,4 ist zu lesen: „Der Gott dieser Weltzeit hat das Denken der Ungläu-
bigen verblendet (d.h. ihren Sehvorgang behindert). So strahlt ihnen der
Glanz der Heilsbotschaft nicht auf, der Botschaft von der Herrlichkeit Christi,
der Gottes Bild ist (eikwv tot 0eoû).“ Eine Stelle im Kolosserbrief sagt in
Analogie zum berühmten Anfang des Johannesevangeliums: „Er ist das Bild
des unsichtbaren Gottes (cik@v tov Oeot Kopatov), der Erstgeborene der
ganzen Schöpfung [...] alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen“ (Kolos-
ser 1,15f.).68 Aufgrund dieser Stelle könnte der berühmte Passus in Johannes
1,1-3 auch lauten: „Im Anfang war das Bild und das Bild war bei Gott und -
Gott war das Bild [...] Alles ist durch das Bild geworden, und ohne das Bild
wurde nichts, was geworden ist“ (Ev a&pyij hv à eikwv, kalt) eikav Av
npôs TOV eöv, Kai Heög Hv N eik@v). „Wort“ wie „Bild Gottes“ sind in die-
64 Friedrich Nötscher, „Das Angesicht Gottes schauen“ nach biblischer und babylonischer
Auffassung. 2. Aufl. Darmstadt 1969; Joseph Reindl, Das Angesicht Gottes im Sprach-
gebrauch des Alten Testaments. (Erfurter Theologische Studien, Bd. 25.) Leipzig 1970.
65 Vgl. Röm 10,17 in der Übersetzung Martin Luthers.
66 Vgl. Paulus in 1 Kor 9,1: „Bin ich nicht Apostel? Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn,
gesehen?“; vgl. auch 1 Kor 15,8.
67 Hans Belting, Bildkultur und Textkultur, in: Hans-Georg Gadamer (Hrsg.), Die Mo-
derne und die Grenze der Vergegenständlichung. München 1996, 73-91, hier 771.
68 Vgl. auch Johannes 14,9: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“; zum Ganzen
Helmut Merklein, Christus als Bild Gottes im Neuen Testament, in: Jahrbuch für Biblische.
Theologie 13, 1998, 53-75.
Das biblische Kultbildverbot im Judentum und im Christentum 95
sen Texten vom Platonischen her als rein noetische Größen zu verstehen. We-
der ist mit Logos ein Wort gemeint, das wie ein beliebiges Wort zu hören,
noch mit Bild ein Bild, das wie ein beliebiges Bild zu sehen ist. Aber die
Ikone kann von diesem Konzept her als legitime Abschattung der eik@v tot
0800 verstanden werden, wie die lutherische Predigt als eine Abschattung des
Aöoyog TOU Beod.
Dennoch besteht ein wesentlicher Unterschied, und hier muß eine zweite
Eigenheit des Mediums figuratives Bild kurz beachtet werden. Das Bild, inso-
fern es Abbild der Realität ist, bewahrt stets etwas von der Komplexität und
Uneindeutigkeit der Realität. Das Wort, insofern es ein freies Konstrukt ist,
läßt sich viel leichter manipulieren. Das Bild zeigt uns eine Frau mit Kind.
Das Wort belehrt uns, das sei Maria bzw. Isis.6? Je nachdem, von wem dieses
Urteil gehört wird, wird ein Götzenbild oder ein verehrenswertes Bild gese-
hen. Ein anderes Bild zeigt uns ein geflügeltes Wesen, das eine Schlange oder
einen Drachen bekämpft. Je nach Deuter handelt es sich um Baal oder den
Erzengel Michael.’ Die Sprache differenziert, urteilt, verurteilt, zerstört Zu-
sammenhänge, stiftet Gegensätze, verbindet, verallgemeinert, spricht Gnade
zu und spricht Gnade ab.
Goebbels’ Propagandaministerium soll, um die These von den Juden als
Untermenschen zu dokumentieren, im Warschauer Ghetto Filmaufnahmen
gemacht haben. Die Aufnahmen seien schließlich nicht verwendet worden.
Was man sah, waren ausgehungerte armselige Menschen, keine Untermen-
schen. Die Bilder sträubten sich gegen den Mißbrauch. Natürlich können auch
Bilder manipuliert werden. Aber in ihrer Komplexität und Konkretheit wird
bei Bildern in der Regel schneller klar, daß es sich z.B. um Karikaturen han-
delt. Während des Golfkriegs konnte im Leitartikel einer angesehenen Zei-
tung gesagt werden, es sei einem Diplomaten gelungen, den Klauen Saddam
Husseins mehrere Geiseln zu entreißen. In ein Bild umgesetzt hätte diese Aus-
sage ihren Platz unter den Karikaturen. Das Wort gibt sich in seiner ungeheu-
ren Wendigkeit viel leichter dazu her, Karikaturen zu verschleiern und Unter-
menschen zu produzieren, ohne daß man des Karikierenden der Darstellung
gewahr wird. Das figurative Bild bleibt dank seiner Nähe zum Abgebildeten
komplex. Das Wort gibt dem Menschen Macht, Eindeutigkeiten herbeizu-
wo nichts
reden (Jude, Nicht-Jude), wo keine sind, und zu verallgemeinern,
Medica Nord-
69 Hans Wolfgang Müller, Die stillende Gottesmutter in Ägypten. (Materia
— Maria lactans. Untersu-
mark, 2. Sonderh.) Hamburg 1963; Lucia Langener, Isis lactans
Agypten,
chungen zur koptischen Ikonographie. (Arbeiten zum spätantiken und koptischen
. Bd. 9.) Altenberge 1996.
der Bibel, in:
70 Christoph Uehlinger, Drachenkämpfe im alten Vorderen Orient und in
Vossen (Hrsg.), Auf Drachensp uren. Bonn 1995, 55-101; Engel-
Bernd Schmelz/Rüdiger
Erzengel“,
bert Kirschbaum/Günter Bandmann/Wolfgang Braunfels u.a., Art. „Michael,
/Wien
in: dies. (Hrsg.), Lexikon der christlichen Ikonographie. Bd. 3. Rom/Freiburg/Basel
1971, 255-265.
96 Othmar Keel
Allgemeines ist (Menschen statt Männer oder Frauen). Ein Bild kann nie in
dem Maße differenzieren wie Worte, und es kann nie verallgemeinern wie
Worte. Ein „Mensch“ ist im Bild immer stehend oder liegend, bekleidet oder
nackt, Erwachsene/r oder Kind, meistens auch Mann oder Frau. Bilder zeigen,
was sie zeigen, immer in einem minimalen Kontext, in Zusammenhänge ein-
gebettet. Der Welt in ihrem ganzen Elend und in ihrer ganzen Undurchsichtig-
keit wird das Bild, z.B. des Gekreuzigten (vgl. Galater 3,1), eher gerecht als
das Wort: Ecce homo! Auch die Hoffnung, die sich mit dieser Ikone Gottes
verbindet, wurde zuerst gesehen, ehe sie verkündet werden konnte.
Bilderverehrung und Bildersturm haben im christlichen System eine rela-
tive Berechtigung. Erstere betont die Gegenwart, die Immanenz Gottes in der
Schöpfung und in der Geschichte mit der Gefahr, das Geschöpf für den
Schöpfer, das Kunstwerk für den Künstler, die Wirkung für die Ursache, das
Zeichen für das Bezeichnete zu halten und so die Gegenwart überzubeto-
nen.’! Letzterer betont seine Unsichtbarkeit, seine Transzendenz, seine Ab-
wesenheit, mit der Gefahr, in Agnostizismus zu enden und etwas Vorletztes
nicht zu verehren, aber mit etwas Vorletztem als Letztem vorliebzunehmen.
Die Geschichte vom Goldenen Kalb beginnt mit der Bitte an Aaron: „Komm,
mach uns Götter, die vor uns herziehen. Denn dieser Mose, der Mann, der uns
aus Ägypten heraufgebracht hat — wir wissen nicht, was mit ihm geschehen
ist“. Ob das Goldene Kalb als Götze oder als bloße Metapher für Mammon
wahrgenommen wird, in beiden Fällen wird die Spannung zwischen Anwe-
senheit und Abwesenheit aufgehoben, in der der Glaube lebt. Die Frage, ob
die Zerstörung der Bilder Wahnsinn oder Wille Gottes war, kann dementspre-
chend dahin beantwortet werden, daß es weder Wahnsinn noch Wille Gottes
war, bzw. teilweise Wahnsinn, teilweise Wille Gottes.
71 Vel. die schwankende Position der Weisheit Salomos 13,1-9 und Römer 1,19-32.
Bilder, Reformation und
Bildersturm
= elim eed LE
u PAPER PTE de di
Le
LA
Von
Gudrun Litz
Neben den bekannten Beispielen Wittenberg, Zürich oder Münster greifen die
Forschungen zum Bildersturm immer wieder gerne auf die Beispiele aus dem
schweizerisch-oberdeutschen Raum zurück. Durch die Anfang der 1960er
Jahre aufgestellte These Bernd Moellers, daß sich in allen oberdeutschen
Städten die Einführung der Reformation jeweils regelrecht auf den Tag datie-
ren lasse, an dem in aller Form Bilder und Messe abgeschafft wurden!, ange-
regt, rückte die Bilderfrage verstärkt in das Interesse der lokalen Reformati-
onsgeschichtsforschung. Auf diese Thematik eingehende Untersuchungen
liegen bereits für Zürich, Straßburg, Basel, Bern oder Augsburg vor; unter-
schiedlich gut erforscht sind jedoch auch in diesem Raum noch die Ereignisse
in den vielen anderen, v.a. den kleineren Städten, nur selten werden die dazu-
gehörigen Territorien in die Betrachtung mit einbezogen, und es fehlen wei-
terhin vergleichende Studien mit systematischen und methodischen Fragestel-
lungen.?
lands
1 Vgl. Bernd Moeller, Die Kirche in den evangelischen freien Städten Oberdeutsch
im Zeitalter der Reformation, in: ZGO 112, 1964, 151.
Bilder-
2 Zu Zürich, Straßburg und Bern vgl. zuletzt die Beiträge von Peter Jezler, Der
(Hrsg.), Bilder-
sturm in Zürich 1523-1530, in: Cécile Dupeux/Peter Jezler/Jean Wirth
2000, 75-83 (Lit.);
sturm. Wahnsinn oder Gottes Wille? Katalog zur Ausstellung. Zürich
84-89 (Lit.) und Franz-
Frank Muller, Der Bildersturm in Strassburg 1524-1530, in: ebd.,
1528 — zwischen Zerstörung und Erhaltung, in: ebd., 97-103 (Lit.);
Josef Sladeczek, Bern
in Reformation
Lee Palmer Wandel, Voracious Idols and Violent Hands: Iconoclasm
m und Restau-
Zurich, Strasbourg, and Basel. Cambridge 1995; Jörg Rasmussen, Bilderstur
im Umbruch. Augsburg zwischen Renaissanc e und Barock. Bd. 3. Augsburg
ratio, in: Welt
1981, 95-114.
reformatorischen
3 Zum Forschungsstand vgl. Sergiusz Michalski, Die Ausbreitung des
Bildersturm (wie Anm. 2),
. Bildersturms 1521-1537, in: Dupeux/Jezler/Wirth (Hrsg.),
Phänomen Bilderstur m. Versuch einer Übersicht, in: Bob
48-50 (Abb. 3 und 4); ders., Das
der frühen Neuzeit.
Scribner (Hrsg.), Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in
bes. 72-85; Peter Jezler,
(Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 46.) Wiesbaden 1990, 69-124,
Differenzierung ikono-
Etappen des Zürcher Bildersturms. Ein Beitrag zur soziologischen
klastischer Vorgänge in der Reformation, in: ebd., 143.
100 Gudrun Litz
4 Für eine ausführliche Darlegung wird auf die an der Universität Göttingen entstehende
Dissertation der Verfasserin mit dem Arbeitstitel ,, Verlaufsformen reichsstädtischer ,Bil-
derstürme‘ in Schwaben“ verwiesen; die Anmerkungen beschränken sich daher hier auf
knappe Quellen- und Literaturangaben.
> Vgl. Jezler, Bildersturm in Zürich (wie Anm. 2); ders., Etappen (wie Anm. 3), reas 174;
ders./Elke Jezler/Christine Göttler, Warum ein Bilderstreit? Der Kampf gegen die „Göt-
zen“ in Zürich als Beispiel, in: Hans-Dietrich Altendorf/Peter Jezler (Hrsg.), Bilderstreit.
Kulturwandel in Zwinglis Reformation. Zürich 1984, 83-102.
6 Michalski, Phänomen Bildersturm (wie Anm. 3), 69.
7 Georg W. Zapf, Sämtliche Reformations Urkunden des Hl. Römischen Reichs Stadt
Aalen. Bd. 1. Ulm 1770, 206.
8 Vgl. Helmut Enßlin (Hrsg.), Bopfingen. Freie Reichsstadt — Mittelpunkt des württember-
gischen Rieses. Stuttgart/Aalen 1971, 90f., 107-125.
Die reformatorische Bilderfrage in den schwäbischen Reichsstädten 101
Dinkelsbühl
Nördlingen
Aalen
Weil der Stadt Gmünd 33 Zaren, Donauwörth
Biberach
Memmingen
#
Pfullendorf
Buchau Kaufbeuren
Ravensburg
© ge
:
Kempten
St. Bla-
mit dem Kloster Kirchheim über das Patronatsrecht an der Pfarrkirche
hen Aktionen überliefe rt sind und so
sius stritt, aber keine bilderstürmerisc
h Herlin (1472) unangeta stet blieb. Viel-
u.a. auch der Hochaltar von Friedric
n eines Reformat ors wie Johannes Brenz
leicht rettete das gemäßigte Verhalte
n, vielleicht
in Schwäbisch Hall den religiösen Kunstwerken das Überlebe
Quellenü berliefe rung wie in Donau-
. liegt es aber auch nur an der schlechten
ürmerische Ak-
wörth, Weil der Stadt oder Wimpfen, daß nichts über bilderst
uns aber
tionen bekannt ist. Mit Dinkelsbühl und Giengen an der Brenz stehen
des großen Einsatzes
auch Städte vor Augen, wo sich der Rat der Stadt trotz
Bilderentfer-
der jeweiligen Prediger im Kampf gegen die Götzen gegen eine
102 Gudrun Litz
9 In Dinkelsbühl, wo Blasius Hofmann als Kaplan an der Georgskirche gegen die Bilder
predigte, aber keine Aktionen überliefert sind, ließ der Rat sogar 1537 sowohl in der Ge-
orgs- als auch in der Spitalkirche Abendmahlsaltäre errichten, welche neben den bereits
vorhandenen Kunstwerken, die erst im 18./19. Jahrhundert größeren Schaden erlitten, auf-
gestellt wurden; vgl. Christian Burckstürmer, Geschichte der Reformation und Gegen-
reformation in der ehemaligen Freien Reichsstadt Dinkelsbühl 1524-1648. Bd. 1. Leipzig
1914, bes. 65-68; Josef Seubert, Untersuchungen zur Geschichte der Reformation in der
ehemaligen freien Reichsstadt Dinkelsbühl. (Historische Studien, Bd. 421.) Lübeck/Ham-
burg 1971; Paul Warmbrunn, Zwei Konfessionen in einer Stadt. Das Zusammenleben von
Katholiken und Protestanten in den paritätischen Reichsstädten Augsburg, Biberach,
Ravensburg und Dinkelsbühl von 1548 bis 1648. (Veröffentlichungen des Instituts für
Europäische Geschichte, Abt. für Abendländische Religionsgeschichte, Bd. 111.) Wiesba-
den 1983, 47-49, 63-65. Zu Giengen an der Brenz vgl. unten, 114.
10 Zum Frevel und Schicksal des Vesperbildes „Maria von den Nesseln“ in Heilbronn vgl.
unten, 116. Zu dem Vorfall in Nördlingen vgl. unten, 105 mit Anm. 23. — Nur der Vollstän-
digkeit halber seien die schwäbischen Reichsstädte Buchau, Pfullendorf, Überlingen, Wan-
gen, Buchhorn (das heutige Friedrichshafen), Rottweil und Schwäbisch Gmünd genannt
(Abb. 1), in denen die evangelische Lehre keinen Eingang fand bzw. sich nicht durchsetzen
konnte und die so für die Fragestellung keine Rolle spielen.
11 Vgl. StadtA Memmingen A, Ratsprotokoll vom 9. Februar 1523.
12 Rudolph Roth, Geschichte der ehemaligen Reichsstadt Leutkirch und der Leutkircher
Haide [...]. Bd. 2. Leutkirch 1872, 146.
13 Über die häufige Beteiligung von Jugendlichen an Aktionen gegen sakrale Kunstwerke
vgl. Michalski, Phänomen Bildersturm (wie Anm. 3), 79; Norbert Schnitzler, Ikono- ~
klasmus — Bildersturm. Theologischer Bilderstreit und ikonoklastisches Handeln während
des 15. und 16. Jahrhunderts. München 1996, 180f., 203f., 208, 216, 267, 315.
14 Vgl. Barbara Kroemer, Die Einführung der Reformation in Memmingen. Über die
Die reformatorische Bilderfrage in den schwäbischen Reichsstädten 103
Ge-
- Bedeutung ihrer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren, in: Memminger
schichtsblätter, Jahresheft 1980 (1981), 156.
15 Michalski, Phänomen Bildersturm (wie Anm. 3), 69.
16 Ebd.
17 Vgl. Peter Jezler, Von den Guten Werken zum reformatorischen Bildersturm — eine Ein-
20-27, bes. 26f.
führung, in: Dupeux/Jezler/Wirth (Hrsg.), Bildersturm (wie Anm. 2),
104 } Gudrun Litz
meist mit Unverständnis auf die Vorgänge zurückblickten, viele davon mit
einem konfessionspolemischen Ansatz: Lutheraner wetterten gegen Zwinglia-
ner, Katholiken gegen Protestanten. Viele der Taten wurden dadurch dramati-
siert, wie folgendes Beispiel deutlich macht: So berichtet der Chronist Alex-
ander Mair anläßlich der Belagerung Memmingens im Frühjahr 1525 durch
die aufständischen Bauern, daß „ein rott all altar“ in der ganzen Stadt abgebro-
chen habe, „daß man kein meß mer haben kinde, man erscheittet etliche bild
und verbrent etliche“.18 In Wirklichkeit war die Stadt jedoch fest in den Hän-
den des Schwäbischen Bundes, so daß schon allein dadurch eine völlige Ver-
wüstung unmöglich war!9; in der reichsstädtischen Überlieferung ist vermut-
lich deshalb kein Hinweis auf solche Zerstörungen zu finden, und schließlich,
warum hätte der Rat sechs Jahre später eine Bilderentfernung aus den Kirchen
anordnen und durchführen lassen sollen2°, wenn bereits 1525 alles zerstört
worden wäre?
Wenn man auf die Aktionen gegen religiöse Kunstwerke im Verlauf des
Bauernkrieges in Memmingen oder in Kempten, wo das reichsunmittelbare
Stift St. Lorenz am 3. bzw. 14. April 1525 geplündert worden war, die oben
genannten Kriterien streng anlegt, bleibt fraglich, ob sie unter dem ,,reforma-
torischen Bildersturm“ zu subsumieren sind, zumal eine religiöse Motivation
der Bauern schwer zu belegen ist. Anders als etwa in den „Artikeln der
Schaffhausener Rebleute“ oder der Schrift „An die Versammlung gemeiner
Bauernschaft“ wird in den Programmen der oberschwäbischen und Allgäuer
Bauern (i.e. Allgäuer Artikel, Memminger Bundesordnung, Zwölf Artikel)
die Bilderfrage nicht problematisiert.2! Es spricht daher einiges für die Fest-
stellung Guy Marchals, die bäuerlichen Kirchen- und Klosterplünderungen
im schwäbischen Raum nicht mit dem Tatbestand des Bildersturms in Verbin-
dung zu bringen, sondern bei den Aktionen eher auf eine Anknüpfung an mit-
telalterliche Handlungsmuster zu schließen, die dem gegnerischen Heiltum
gelten.22
Aktionen einzelner Personen oder sehr kleiner Gruppen, die sich auf ein
Bildwerk beschränkten und als Bilderfrevel bezeichnet werden, finden sich
etwa in Lindau, wo ein gewisser Othmar Maurer nachts ein Kreuz zersägte,
welches am Weg zum Dorf Straß stand, oder in Ulm zur Fastenzeit 1529, wo
eine Gruppe von zwei Frauen und zwei Männern die Christusfigur des Öl-
bergs entfernte, diese verspottete, auf die Probe stellte und nach nicht bestan-
dener Prüfung die kaputte Statue wieder zurückbrachte.?7 In Biberach ließ der
Bader Michel Rocher 1531 den Palmesel mit der Christusfigur in sein Haus
bringen, „trib sin gespet da mit und set, man sete comen, er wete ain guotzs,
warms bad da mit macho“.28 In Isny ließ 1532 der Kaufmann Peter Buffler die
erst 1521 von ihm errichtete Familienkapelle auf dem neuen Gottesacker
abreiBen.2° Dies ist nicht der einzige Beleg für Heimpels These, daß aus den
Bilderstiftern auch Bilderstürmer werden konnten. Der Memminger Bürger
Eberhart Zangmeister ließ die Meßgeräte aus der von ihm gestifteten Kapelle
in der Pfarrkirche St. Martin wegbringen und gleichzeitig die Spruchbänder
der Heiligen in den Wandmalereien übertünchen und mit Zitaten aus der lu-
therischen Bibelübersetzung ausfüllen.30 Die Bilderfrevel fanden meistens in
den Jahren vor der obrigkeitlichen Bilderentfernung (s. unten) statt, einige
jedoch auch unmittelbar vor und während der entscheidenden Phasen der vom
Rat angeordneten Maßnahmen; in wenigen Ausnahmen bildeten sie sogar die
einzigen quellenmäßig belegten Aktionen gegen religiöse Bilder in den ge-
nannten Städten.
Der in den schwäbischen Reichsstädten am häufigsten zu beobachtende
Phänotyp war die vom Rat, der gemäß der jeweiligen Zunftverfassung ge-
wählten städtischen Obrigkeit, ver- und geordnete Bilderentfernung. Charak-
teristisch war zunächst eine längere Phase des Abwartens im Kampf gegen die
„Vergötzung des Kreatürlichen“, in welcher allerdings gelegentlich auch Bil-
derfrevel stattfinden konnten. Zum Zeitpunkt der obrigkeitlichen Bilder-
entfernung war der reformatorische Prozeß meist weit vorangeschritten, die
27 Zu Lindau vgl. K. Wolfart (Hrsg.), Geschichte der Stadt Lindau am Bodensee. Bd. 1.
Lindau 1909, 270; zu Ulm Robert W. Scribner, Volkskultur und Volksreligion. Zur Rezep-
tion evangelischer Ideen, in: Peter Blickle/Andreas Lindt/Alfred Schindler (Hrsg.),
Zwingli und Europa. Zürich 1985, 151. ;
28 A. Schilling, Beiträge zur Geschichte der Einführung der Reformation in Biberach. T. 1:
Zeitgenössische Aufzeichnungen des Weltpriesters Heinrich von Pflummern, in: Freibur-
ger Diözesanarchiv 9, 1875, 203. Zu den Vorfällen um die Palmesel vgl. Christian von
Burg, „Das bildt vnsers Herren ab dem esel geschlagen“. Der Palmesel in den Riten der
Zerstörung, in diesem Band.
29 Vgl. A. P. Vincenz (Hrsg.), Chronik der Stadt Isny im Allgäu und Umgegend vom Jahr
200 bis 1854. Isny 1854, 35.
30 Vgl. Ascan Westermann, Eberhart Zangmeister. Ein Lebensbild aus der Memminger ~
Reformationszeit. Memmingen 1932, 10-12; Gertrud Otto, Die freigelegten Fresken in der
Zangmeisterkapelle der St. Martinskirche, in: Memminger Geschichtsblätter, Jahresheft
1963 (1964), 17-21.
Die reformatorische Bilderfrage in den schwäbischen Reichsstädten 107
31 Zu den Ulmer Ereignissen vgl. Hans Eugen Specker/Gebhard Weig, Die Einführung der
Reformation in Ulm. Geschichte eines Bürgerentscheids. (Forschungen zur Geschichte der
Stadt Ulm, Rh. Dokumentation, Bd. 2.) Ulm 1981; Gerhard Weilandt, Wider. die Gottes-
lästerung und Götzerei. Der ‚Bildersturm‘ des Jahres 1531, in: Meisterwerke — Massenhaft.
Die Bildhauerwerkstatt des Nikolaus Weckmann und die Malerei in Ulm um 1500, hrsg.
vom Württembergischen Landesmuseum. Stuttgart 1993, 421-428.
32 Vgl. StadtA Ulm G 1/1536: Weissenhornische Chronik des Nicolaus Thoman, fol. 421.
Nach Thomans Schilderung wurde die kahle Stelle an diesem Stadttor zugemauert und mit -
einer alttestamentlichen Szene (Abraham opfert Isaak) bemalt. Tatsächlich aber war die
Neubemalung des 1828/29 abgebrochenen Stadttores mit reichsstädtischer Symbolik (Kai-
ser, Kurfürsten, Reichsstadtwappen etc.) erfolgt; Hans Koepf, Ulmer Profanbauten. Ein
Die reformatorische Bilderfrage in den schwäbischen Reichsstädten 109
Entscheidendes war also bis Mai 1531 nicht passiert. Als Bucer, Oekolam-
pad und Blarer eintrafen, bemängelten sie die vorgefundene Situation und
übten Kritik an denjenigen, die die Abgötterei duldeten und die Bilder in den
Kirchen verteidigten.
Am 19. Juni wurde auf Drängen Bucers die Bilderfrage in der Ratssitzung
erneut aufgegriffen und entschieden: Man räumte den Stiftern die Möglich-
keit ein, ihre Bilder aus dem Münster zu holen, danach sollte sich der Polizei-
diener an den Eingang der Kirche stellen, damit niemand mehr die bestellten
Handwerker dabei stören konnte, die — wie es im Ratsprotokoll heißt — „bilder
in der pfarrkirchen hinwegzuthun“.33
Über die Dauer der Ausräumung gibt es unterschiedliche Angaben, als letz-
ter Termin wird der 22. Juni 1531 genannt; selbst wenn die Handwerker sofort
am 19. Juni angefangen hatten, waren ihnen also nur dreieinhalb Tage ge-
blieben, um die sakrale Kunst im Münster zu entsorgen. Allein schon der
Abbruch des Hochaltars war eine recht aufwendige Angelegenheit, von den
restlichen 50 Altären und den weiteren Kirchenzierden ganz zu schweigen.
Das Holz, das bei der Zerschlagung des Höchaltares anfıel, sollte als Brenn-
holz unter die Armen verteilt werden. Der aus Holz geschaffene Dreisitz und
das Chorgestühl blieben vor der Verwertung als Brennmaterial allerdings ver-
schont, vermutlich, weil es sich um Stiftungen des Rates handelte.
Heute noch sichtbares Zeichen der destruktiven Elemente bei der Bilder-
entfernung 1531 ist der Rest des steinernen Hall-Karg-Retabels. Dieses Reta-
bel des Altares der Familien Hall und Karg ist in die Ostwand des Südseiten-
schiffes eingetieft. Trotz der Verstiimmelungen kann man Reste der alten
Bemalung und die Künstlerinschrift des Hans Multscher mit der Jahreszahl
1433 erkennen. Vor der von fünf Engeln gehaltenen Draperie hat man sich
Fen-
drei Figuren vorzustellen. In der Mitte stand sicher eine Maria, aus den
stern zu den Seiten lehnten die Brustbilder der Heiligen Konrad und Diepold
vor. Weitaus häufiger als die Zerstörung war aber das Wegräumen der nicht
der
mehr benötigten Kunstwerke. Dies konnte sich einerseits in der Mitnahme
ausdrück-
Werke durch die Stifter, wie dies der Rat mehrmals im Jahre 1531
anderen Aufent-
lich wiederholt hatte, oder aber in der Verbringung an einen
Neit-
haltsort äußern.34 So notierte etwa ein Angehöriger der Patrizierfamilie
hart die Kosten, die für den Abbau und den Transport der gestifteten Bilder in
das Privatanwesen angefallen waren.3 Unversehrt konnten daher im 19. Jahr-
hundert drei Altarretabel, Gemälde und Heiligenfiguren in die Neithartkapelle
im Münster an ihren ursprünglichen Standort zurückkehren.
Der heute im Chor aufgestellte Hutzaltar von 1521 war in seiner künstleri-
schen Gestaltung das modernste Retabel. Laux Hutz, einer der reichsten
Ulmer Kaufleute, hatte in seinem Testament den Familienaltar noch einmal
bedacht, indem er eine große Summe für ein neues Altarbild stiftete, das Mar-
tin Schaffner malen sollte. Dieser porträtierte darauf in der Predella nicht nur
die Hutzfamilie als HI. Sippe, sondern selbstbewußt auch sich selbst.3%6 Der
Erbe des Stifters, Matthäus Laupin, handelte 1531 mit dem ausdrücklichen
Einverständnis des Rates, der ihm gestattete, „der hutzen tafel zu seinen hen-
den zu nemen“.37
Von den anderen Kunstwerken, die ebenfalls nicht zerstört, sondern einfach
von den beiden Handwerkern in die Abstellkammern der Münsterbauhütte ge-
bracht wurden, sollen hier nur wenige kunsthistorisch bedeutsame Beispiele
genannt werden, wie etwa das sich heute in der katholischen Pfarrkirche St.
Martin in Wiblingen befindende spätgotische Kruzifix aus dem Umkreis von
Michel Erhart, das einstmals den Triumphbogen des Münsters schmückte,
oder der Palmesel von Hans Multscher von 1464, der von 1531 bis 1817 in der
Rothschen Kapelle im Münster stand und 1844 ins Ulmer Museum kam, oder
der Georgsaltar in der evangelischen Pfarrkirche St. Laurentius in Scharen-
stetten, der 1760 von dem Münsterbaupflegamt den Scharenstettenern ge-
schenkt wurde, wie die im Stadtarchiv Ulm befindlichen Dankesschreiben des
Pfarrers und des Amtmannes?® berichten. Hinsichtlich der Totenschilde konn-
ten sich Bucer, Oekolampad und Blarer, die in einem Anhang zu den 18 Arti-
keln deren Entfernung gefordert hatten, nicht gegen die einflußreichen Vertre-
ter der Patrizierfamilien im Rat durchsetzen.
Nach der Ausräumung des Münsters waren gemäß dem Ratsbeschluß vom -
19. Juli 1531 im Herbst die anderen Ulmer Kirchen an der Reihe; dagegen
wurde mehr (Dominikaner, Deutschordenskirche) oder weniger (Barfüßerkir-
che, Wengenkirche) Widerstand geleistet.%? Der Rat bemühte sich auch um
35 Vgl. Weilandt, Gotteslästerung (wie Anm. 31), 426f. mit Anm. 33.
36 Vgl. ebd., 570-572, Abb. 315.
37 StadtA Ulm, A 3530, Bd. 11, fol. 99" (Ratsprotokoll vom 21. Juni 1531).
38 Vgl. StadtA Ulm, A [1696]. 2
39 Auch aus diesen Kirchen sind bemerkenswert viele Altäre, Statuen oder sonstige sakrale
Kunst erhalten; erwähnt werden sollen beispielhaft die Teile des Hochaltares aus der Kir-
che des Augustinerchorherrenstiftes St. Michael zu den Wengen oder der ebenfalls aus der
Wengenkirche stammende Marienaltar sowie der Altar der Lukasbruderschaft aus der Zeit-
blom-Werkstatt um 1510, der bis 1803 in der Wengenkirche stand, dann zerteilt wurde und
in englischen Privatbesitz gelangte. Im Jahre 1966 konnte das Ulmer Museum Teile davon
zurückholen. Aus der Deutschordenskirche stammt der Marientod aus der Werkstatt Niko-
Die reformatorische Bilderfrage in den schwäbischen Reichsstädten fil}
an einen Landwirt
laus Weckmanns von 1520, den man erst 1818 beim Abbruch der Kirche
aus Böttingen verkaufte.
liche und
40 Vgl. Paul Hofer, Die Reformation im Ulmer Landgebiet. Religiöse, wirtschaft
1977; Julius Endriß, Die Ulmer Synoden und Visita-
soziale Aspekte. Diss. phil. Tübingen
1935; ders., Die
tionen der Jahre 1531-47. Ein Stück Kirchen- und Kulturgeschichte. Ulm
Ulmer Kirchenvisitationen der Jahre 1557-1615. Ulm 1937.
Reforma-
41 Zu ihm vel. Albert Schuhholz, Dr. Georg Oßwald. Ein Pfarrer während der
144-204.
‚tionszeit in Geislingen, in: Ulm und Oberschwaben 47/48, 1991,
42 Endriß, Synoden (wie Anm. 40), 186f.
Daniel Mauch.
43 Vgl. ebd., 89. Zu Mauch vgl. Sabine Wagini, Der Ulmer Bildschnitzer Maier-
Stuttgart 1996; Barbara
(Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm, Bd. 24.)
Ulmer Kunst in aller Welt. Plastisch e Bildwerk e des 15. und 16. Jahrhunderts.
Lörcher,
Ulm 1996, 129-151, bes. 140f. (Abb.).
I Gudrun Litz ei
EnRE
hinweggenommen, die Bilder und
und was Guts bei der Kirche gewesen,
des
Götzen aber haben sie in der Kirche stehen lassen“.4 Der Aufforderung
nicht nach, so daß die
Rates, diese wegzuschaffen, kam man aber offenbar
beiden Retabel an ihrem ursprünglichen Aufenthal tsort überdaue rn konn-
ten.45 Wie lange das Problem der Bilderentfernung im Territorium die Ulmer
Verantwortlichen beschäftigte, zeigt der Eintrag in die Visitationsakten von
1579 (!), wonach in der Kirche zu Schalkstetten auf dem Altar eine Tafel
stand. ..daran anders nichts denn eines Papst und etlicher Kardinäle Bild-
ala
In Kempten machte der Rat die Bilderfrage erst relativ spät zu seiner Sache,
nämlich am Ende des Reformationsprozesses, nachdem er bereits seit 1525
die Reliquien- und Heiligenverehrung eingeschränkt, 1527 den ersten evange-
lischen Prediger in St. Mang eingesetzt und vor der Annahmne der Confessio
Augustana den Meßgottesdienst abgeschafft hatte.47 Am Dreikönigstag des
Jahres 1533 „hielt man Rath [...], ob man die Bilder in den kirchen dulden
solle oder nit, jeder Bürger wurde absonderlich gefragt und befanden sich in
174, die vermainten, man solle lenger steen lassen, aber die mehrern, man
solle hinwegraumen. Darauf sein die Bilder allenthalben von Altaren aus der
kirchen gethan, wo sie aber hingekommen, ist unbewuft*.48 Um ihr Vorgehen
zusätzlich zu legitimieren, hatte die Obrigkeit ein Plebiszit in den Zünften
anberaumt, das mit 500 Ja- und 174 Nein-Stimmen ein klares Votum für die
Abschaffung der Bilder erbrachte. Das Ergebnis machte das Übergewicht der
zwinglianisch gesinnten Gruppe um den wortgewaltigen Prediger Jakob Hay-
stung auf dem Höhepunkt des innerreformatorischen Machtkampfes zwi-
schen den Zwinglianern und den Lutheranern Rottach und Seeger sehr an-
schaulich. In Anlehnung an den Zürcher Reformator Huldrych Zwingli hatte
Haystung in seinen Predigten die Verehrung von Bildern in den Kirchen als
eine Verletzung der ersten beiden Gebote des Dekalogs und damit als eine von.
Gott verbotene Abgötterei verurteilt und die Ratsmitglieder an ihre Aufgabe
erinnert, aus Rücksicht auf die „Kleinen Gottes“ (Mk 9,12), d.h. die im Glau-
ben Schwachen, für deren Abschaffung zu sorgen.
Bestärkt durch das eindeutige Plebiszit kam so der Kemptener Rat seiner
Pflicht nach. Bis zur Durchführung des Ratsbeschlusses am 11. Januar 1533
hatten die Stifter auch in Kempten die Möglichkeit, ihre Stiftungen aus St.
Mang und den Kapellen zu holen. Anders als in Ulm sind aber keine schrift-
lichen Überlieferungen darüber erhalten, so daß nur bei einigen, heute in we-
nigen Museen befindlichen Kunstwerken die mögliche Provenienz aus Kemp-
tener Kirchen vermutet werden kann.*? Da insgesamt allerdings von der vor-
reformatorischen Sakralkunst kaum etwas erhalten ist, kann man annehmen,
daß man bei der Entfernung der Bilder nicht so vorsichtig vorgegangen ist wie
in Ulm. Ob die aus dem Sakralraum entfernten Bilder allerdings wirklich
öffentlich verbrannt wurden, bleibt unklar.5° Anders aber als in Ulm ging man
hier offenbar sehr gründlich vor. Dies läßt sich besonders an der Behandlung
der Wandmalereien in der Pfarrkirche St. Mang verdeutlichen: Auf den Vor-
schlag des wohlhabenden Bürgers Hans Gufe, die wertvollen spätgotischen
Fresken auf seine Kosten mit weißem Leinen abdecken zu lassen, damit sie
kein Ärgernis mehr darstellten, gleichzeitig aber vor der Zerstörung bewahrt
werden konnten, ging der Rat nicht ein. Statt dessen wurden die Wandmale-
reien übertüncht, Teile davon vorher sogar zerstért.5! Auch die Aktion des
Kemptener Bürgermeisters Michael Flach,.der sich den abgesägten Kopf des
Palmesels der Pfarrkirche bringen ließ und bei einem Essen seinen Spott
damit trieb, demonstriert die öffentliche, bilderfeindliche Gesinnung der poli-
tisch Verantwortlichen. Allerdings verliefen aber auch in Kempten die gesam-
ten Entfernungsarbeiten in geordneten Bahnen. Lediglich die Orgel, welche
1480 von der Familie Vogt, die eine einflußreiche Position am kaiserlichen
Hofe innehatte, gestiftet worden war, überstand die Kemptener Bilderentfer-
nung 1533 unbeschadet.>? Persönliche Konsequenzen brachte die Haltung des
Rates für Altbürgermeister Gordian Seuter, der sich in den 1520er Jahren
große Verdienste für seine Heimatstadt erworben hatte, aber aus Protest über
49 Vgl. Ludwig Dorn, Der Bildersturm in der Pfarrkirche St. Mang in Kempten im Januar
1533, in: Allgäuer Geschichtsfreund 78, 1978, 114f.
Chro-
50 Die eben schon zitierte, Anfang des 17. Jahrhunderts entstandene Schwartzsche
Schicksal der
nik (wie Anm. 48) berichtet nichts von einer Verbrennung, sondern läßt das
„wo sie [= die Bilder] aber hingekomme n, ist unbewußt“. Erst spätere
Bilder offen:
g im Hof
Darstellungen berichten — ohne Angaben weiterer Quellen — von der Verbrennun
der Illerbrücke, wie
des Spitals, so z.B. Erhard, Reformation (wie Anm. 47), 37, oder an
zuletzt Immenkötter, Stadt und Stift (wie Anm. 47), 177.
Reste verschie-
51 Bei der Restaurierung der Pfarrkirchen den Jahren 1911 bis 1913 kamen
wieder
dener Ausmalungen zum Vorschein, die nach Aufnahme des Befundes allerdings
d des Kir-
zugedeckt wurden; eine Freilegung der Wandmalereien scheiterte am Widerstan
und das gotische
chenvorstandes. Auch 1970 legte man nur die Apostelkreuze, einen Engel
nz“ war 1998 ein
Rankenwerk frei. Aus Anlaß der Ausstellung „Bürgerfleiß und Fürstengla
und Papst Sixtus
auf den Vorlagen von 1913 rekonstruiertes Fresko mit dem HI. Laurentius
zu sehen, um einen Eindruck von der ehemalige n Bemalung zu bekommen.
“I. in St. Mang
keinen Schub hinsichtlic h einer Freilegung der Fresken.
Aber auch diese Aktion brachte
gefürsteten Grafschaft
52 Vgl. Johannes Haggenmiiller, Geschichte der Stadt und der
baierischen Staat. Bd. 2.
Kempten von den ältesten Zeiten bis zu ihrer Vereinigung mit dem
Kempten 1847, 6.
114 Gudrun Litz ORD
ul SEEN EISEN EEE AAA
das Vorgehen in der Bilderfrage Kempten endgültig den Rücken kehrte und
sich im Kloster Ottobeuren niederließ, und für die beiden Prediger Rottach
und Seeger, die Ende Januar vom Rat entlassen wurden, nachdem sie nach der
Niederlage in der Bilderfrage ihre Einwilligung in den Kompromiß um die
Abendmahlsfrage zurückgezogen hatten. Ihre gemäßigten Ansichten konnten
sich gegen die radikale Haltung des zu diesem Zeitpunkt mehrheitlich mit
Zwingli-Anhängern besetzten Rats nicht durchsetzen.
Als letztes Beispiel soll noch kurz auf die Vorgänge in der kleinen nieder-
schwäbischen Reichsstadt Giengen an der Brenz, nordöstlich von Ulm, einge-
gangen werden. Über den Einzug der evangelischen Lehre finden sich erst
1529 gesicherte Nachrichten, als vier Bürger Giengens dem Rat eine Petition
übergaben und die Berufung eines evangelischen Prädikanten forderten.>?
Der überaus vorsichtig agierende Rat kam dieser Forderung nur zögernd nach
und berief Martin Rauber>*, einen in Esslingen als Kaplan tätigen Anhänger
der neuen Lehre auf das Predigtamt an der Pfarrkirche St. Marien, die zu
dieser Zeit immer noch dem Augustiner-Chorherrenstift Herbrechtingen in-
korporiert war. Über Raubers Aktivitäten ist wenig bekannt, aber das ange-
spannte Verhältnis zu dem weiterhin tätigen altgläubigen Pfarrer der Marien-
kirche und dem unentschlossenen Rat werden wohl dazu beigetragen haben,
daß er bereits zwei Jahre später Giengen verließ und als Prädikant in Nellin-
gen, einem Dorf im Ulmer Territorium, und danach in Ulm selbst auftauchte.
Trotzdem bemühte sich der Giengener Rat 1534 wieder um Rauber, der dann
in den nächsten Jahren zur bestimmenden Persönlichkeit für die Umbrüche im
Kirchenwesen werden sollte. Der Bilderfrage kam dabei eine wichtige Rolle
zu. In Nellingen und Ulm hatte Rauber erlebt, wie der Ulmer Rat die ärgerli-
chen Götzen aus den Gotteshäusern hatte räumen lassen. Nachdem nun die
Messe abgeschafft worden war, ermahnte Rauber die Verantwortlichen in im-
mer eindringlicherem Ton, auch ihrer Pflicht hinsichtlich der Bilder nachzu- .
kommen. Welche Bedeutung diese Frage für den Prädikanten hatte, zeigt sich
u.a. in seinem Gesuch an den Rat, die Predigerstelle zu verlängern; dort
formulierte er in einem Katalog von elf Forderungen zur Verbesserung des re-
ligiösen Lebens in der Reichsstadt, die er offenbar mit seinem Weiterwirken
in Giengen verknüpfte, als erste und wichtigste Forderung, „die ergerlichen
bilder und alle bilder, so in gfar der vererung stond, mitsampt den alteren in-
ner- und ausserhalb der statt“ abzutun.S5
Aber aller Einsatz Raubers nützte nichts, der Rat blieb bei seiner abwarten-
den Gesinnung, hielt die Gefahr einer falschen Verehrung offenbar für nicht ge-
geben und damit eine Entfernung der Kunstwerke für überflüssig. Auch als
Martin Bucer im Juli 1537 in Giengen weilte und für die Annahme der
württembergischen Kirchenordnung plädierte, behielt sich der Rat vor, die
Ausräumung der Kirchen und den Abbruch der Altäre erst noch zu verschie-
ben. Im November 1537 wurden der altgläubige Pfarrer und Rauber ,,ire[r]
zwiespalte halben der pilder“ vor den Rat zitiert und angewiesen, „dass sy sol-
lischs streits halben an der canzel stillstonden“.56 Dafür, daß die unterschied-
lichen Meinungen zum Zerwürfnis zwischen Rauber und dem Rat führten,
spricht einiges. Da sich der Prediger in einer für ihn fundamentalen Frage nicht
durchsetzen konnte, wuchs in ihm der Gedanke, Giengen wieder zu verlassen.
Im Juni 1538 befahl man dem Prädikanten, den Rat künftig nicht mehr von der
Kanzel herab zu schmähen. Anfang Februar 1539 verließ Rauber Giengen, wo-
bei nicht geklärt ist, ob er dies freiwillig tat oder ob der Rat seinen befristeten
Arbeitsvertrag nicht mehr verlängerte. Kurze Zeit später tauchte er als Prädi-
kant in Weidenstetten, 1543 sogar als Münsterprediger in Ulm auf. Die Macht
des Rates verhinderte also in diesem Falle eine Bilderentfernung; daß sich in
Giengen trotzdem kaum etwas von der vorreformatorischen Kunsterhalten hat,
liegt in der Tatsache begründet, daß der Stadtbrand im Jahre 1634 die ganze
Stadt in Mitleidenschaft zog und auch die religiösen Kunstwerke vernichtete.
IV. Zusammenfassung
57 Vgl. dazu Moriz von Rauch (Bearb.), Urkundenbuch der Stadt Heilbronn. Bd. 4: Von
1525 bis zum Nürnberger Religionsfrieden im Jahr 1532. (Württembergische Geschichts-
quellen, Bd. 20.) Stuttgart 1922, 726f.; Hubert Weckbach, Die „Nesselmutter“ aus Heil-
bronn, in: Jahrbuch für schwäbisch-fränkische Geschichte 32, 1992, 65f. (dort auch die
folgenden Zitate).
58 Vgl. Jezler, Einführung (wie Anm. 17), 25,27. |
59 Zu diesen durch den Band Johann Michael Fritz (Hrsg.), Die bewahrende Kraft des Lu-
thertums. Mittelalterliche Kunstwerke in evangelischen Kirchen. Regensburg 1997, in die
Diskussion eingebrachten Termini vgl. die Beiträge von dems., Die bewahrende Kraft des
Luthertums. Mittelalterliche Kunstwerke in evangelischen Kirchen, in: ebd., 9-18, bes.
10f., 13, und Frank Schmidt, Die Fülle der erhaltenen Denkmäler. Ein kurzer Überblick, -
in: ebd., 71-78.
60 Vgl. Bob Scribner, Das Visuelle in der Volksfrömmigkeit, in: ders. (Hrsg.), Bilder und
Bildersturm (wie Anm. 3), 9-20.
Ca
Von
Der Palmesel aus Kreuzlingen am Bodensee ist noch heute auf dem Wägelchen
montiert, aufdemer an Palmsonntag an Seilen durch die Straßen gezogen wurde
(Abb. 1). Die Figur des Herrn auf dem Esel macht einen ruhigen, sanftmütigen
Eindruck. Die rechte Hand zum Segensgestus erhoben, in der linken ehemals
die Zügel oder einen Palmzweig haltend, scheint Christus den Esel allein durch
seine Würde zu beherrschen. Alle Evangelien erzählen, mit kleineren Unter-
schieden, vom Einritt Jesu in Jerusalem.® Sie berichten vom Herbeischaffen des
Reittiers, bei dem es sich eigentlich um eine Eselin handelte, von den Kleidern,
die dem Einziehenden auf den Weg gebreitet, und von den Palmzweigen, die
ihm als Ehrenbezeugung auf den Weg gestreut wurden. Im Spätmittelalter
5 Zu einem Fall während der Hussitenstiirme um 1421 in Prag vgl. Norbert Schnitzler,
Ikonoklasmus — Bildersturm. Theologischer Bilderstreit und ikonoklastisches Handeln
während des 15. und 16. Jahrhunderts. München 1996, 90-91. Zur Weiterverwendung
eines Palmeselkopfes als Tafelschmuck des Bürgermeisters in Kempten vgl. Otto Erhard,
Die Reformation der Kirche in Kempten. Kempten 1917, 37. Zur ehrenrührigen Rückfüh-
rung des Kemptener Fürstabts am Tag nach Palmsonntag auf einem Esel vgl. Franz Ludwig
Baumann (Hrsg.), Akten zur Geschichte des deutschen Bauernkrieges aus Oberschwaben. °
Freiburg im Breisgau 1877, 266, Nr. 365.
ae: 21,11-21; Markus 11,7-10; Lukas 19,35-40; Johannes 12,12-18; Zacharias
Der Palmesel in den Riten der Zerstörung 119
Abb. 1 Palmesel aus Kreuzlingen (Ende 15. Jahrhundert). Basel, Historisches Museum,
Inv. 1898.275. (Photo: Maurice Babey).
120 ‚ Christian von Burg
Abb.2 Palmesel aus Steinen (Ende 12. Jahrhundert). Zürich, Schweizerisches Landes-
museum.
123
oe ‘
AE Christian von Burg ME
CL NASER OEE ree ETO ET
die Prozes-
schloß den Ritus. Ein Vergleich mehrerer Ritenbücher zeigt, daß
war. Die Wahl
sion in Einzelheiten von Ort zu Ort unterschiedlich ausgeprägt
an. In Zürich
der Prozessionsroute paßte sich den örtlichen Gegebenheiten
zum Beispiel soll jede der drei Pfarreien einen eigenen Paimesel vom Linden-
hof, der ehemaligen Kaiserpfalz, in ihre Kirche gezogen haben.!?
Ein Kaplan aus Biberach hat die Reihenfolge der Teilnehmenden beim Aus-
zug aus der Stadt am Vortag der eigentlichen Prozession schriftlich festgehal-
ten. Man darf annehmen, daß der Einzug auf die gleiche oder ähnliche Art von-
statten ging: „Das ist ain andechtig process gesein, seindt aller Zünfften Stan-
gen [= Prozessionsstangen] vorhergangen und unnserm Herrgott vorgangen.
Darnach so seindt die Schuoler Gangen und vor Ihnen Zway Schuolerlin haben
Stönglin Tragen und darnach ein Schuolerlin mit dem Creüz und nach den
Schuoler die prüesster. Darnach Unnser Herrgott uff dem Essel uff eim körrlin
[= kleiner Karren], hat ein blawen Chormandtel angehabt, haben in die Mezger
zogen, seindt die zwen Mezger Zunfftmaisster neben Im Gangen, und vor
Unnserm Herrgott Zwo Mezger Stangen und darnach die Zwo Burger Stangen,
und vor Unnserem Herrgott und darnach Zwen Mezger mit zwo brennenden
Kherzen. Der Herrgott ist der Mezger gesein [= gehörte den Metzgern]. Ittem.
Nach Unnserm Herrgott ist Gangen der Burgermaister und der Allt Burgermai-
ster; uff sie die Burger, darnach der gemain Mann, darnach die Frauen. Sendt
allso Unnserm Herrgott mit andacht und Betten nachgefolgt.“13
Im Mittelpunkt stand also der mit einem blauen Chormantel bekleidete Herr-
gott auf dem Esel. Unmittelbar darum herum schritten die Metzger, deren Zunft
den Palmesel finanziert hatte und die, vermutlich als Fastenprivileg, den Esel
ziehen durften. Dem Esel folgten, mit abnehmendem sozialen Prestige, die Be-
völkerungsgruppen der Stadt: Bürgermeister, Bürger, der gemeine Mann und
zuletzt die Frauen. Vor dem Palmesel gingen der Klerus und die Chorknaben.
Zuvorderst — und somit auch wieder an prominenter Stelle — wurden die Pro-
zessionsstangen der einzelnen Zünfte getragen. Die Plätze in unmittelbarer |
Nähe des Esels waren begehrt. Sie dienten einerseits der Repräsentation der do-
minierenden Gesellschaftsschichten und galten andererseits als besonders heil-
bringend.l4 Je nach Ort variierte die Zunft oder Gruppe, die den Esel ziehen
durfte.15
Die Figur des Palmesels war nicht nur ein Prozessions-, sondern auch ein
Andachtsbild. Die Palmsonntagsprozession steht im Kirchenjahr gegen Ende
der Fastenzeit. Der Hochaltar in der Kirche war während der Fastenzeit zum
Zeichen der Buße durch das Hungertuch verdeckt, und auch die übrigen Bilder
waren mit Tüchern verhüllt. Der Palmesel, in dieser bilderarmen Zeit, nur ein-
mal im Jahr hervorgeholt und zurechtgemacht, wurde vor und nach dem Pro-
zessionsgebrauch in privater Andacht verehrt. Der bereits zitierte Kaplan aus
Biberach berichtet: „Es sind auch vil Allter Menschen daher zue Unserem
Herrgott Khommen, mit andacht da Nider Kniet und bettet und sonderlich die
Frawen.“16 Kleine Palmeselfigürchen (Abb. 3) bezeugen, daß das Bild auch in
der stillen Kammer, in klösterlichem oder weltlichem Besitz verehrt wurde.
„Wiltu leychterweyse und heylsam das leyden christi zu Hierusalem betrach-
ten / so befleysse dich jn in deinem leyb und sele entpfindlichen gen Hierusa-
lem zu tragen“ !7,empfahl Wenzeslaus Linck den Laien. Der ehemalige Prior
des Wittenberger Augustinerkonvents verbreitete diese Predigt 1519 in Form
einer Flugschrift mit dem Titel „wie der grobe mensch unsers herren Esel sein
sol“. Die Schrift fand große Verbreitung. Bei der Empfehlung, sich in die Figur
des Esels hineinzudenken, bediente sich Linck der geläufigen theologischen
Interpretation des Esels als Zeichen der Demut. Er macht das Tier in dessen
Hingabe und Unterwürfigkeit zum Vorbild. Dabei spielt Linck mit einem kri-
tischen Seitenblick auf die Palmsonntagsprozession an und erklärt den Gläu-
bigen, daß im Pomp der Prozession auch Eitelkeiten und andere Laster zutage
treten würden. Wenn sie Jesus aber in ihrer Andacht trügen, seien sie ihm nä-
her, und niemand würde zusammen mit Jesus so verehrt wie der Esel. Linck
empfahl das Bild somit eher als Andachts- denn als Prozessionsbild.
Eine nächtliche Aktion in Zürich um 1416/17 wirft ein Licht auf die Popu-
larität und die Verehrung, die dem Palmesel zuteil wurden.!8 Das Zürcher
Rats- und Richtbuch berichtet folgendes davon: Um zwei Uhr morgens be-
schloß eine Gruppe von Handwerkern, den Palmesel für eine eigene Prozes-
sion aus dem Fraumünster zu holen. Die zum Gebet versammelten Nonnen
wollten den Esel aber nicht hergeben. Die vermutlich angetrunkenen Männer
setzten sich schließlich durch und veranstalteten ihre eigene, nächtliche Pro-
Der Palm-
14 Vgl. den protestantischen Spott bei Naogeorgus, zit. bei Richard von Strele,
esel. Eine culturhistorische Skizze, in: Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen
Alpenvereins 28, 1897, 135-154, hier 146.
1903, 7.
15 Vgl. Eduard Wiepen, Palmsonntagsprozession und Palmesel. Bonn
16 Schilling (Hrsg.), Biberach (wie Anm. 13), 120.
Esel sein sol [...]“, gedruckt
17 Wenzeslaus Linck, „wie der grobe mensch unsers herren
Nürnberg 1519.
von Jobst Gutknecht. (Flugschriftensammlung Gustav Freytag, Nr. 2792.)
, in: Anzeiger für
18 ‚Heinrich Zeller-Werdmüller, Nächtliche Spazierfahrt eines Palmesels
Schweizerische Altertumskunde NF. 1, 1899,.67.
124 É Christian von Burg
cdi ie ge ER EEE
Abb. 3. Kleiner, nur 30 cm hoher Palmesel aus Zinn (um 1400). Straßburg, Musée de
l’Euvre Notre-Dame, Inv. MAD 6527. :
Der Palmesel in den Riten der Zerstörung 125
zession unter dem Gesang eines bekannten Wallfahrtsliedes.!9 Als es auf dem
Lindenhof, dem Ort der Huldigung und Verehrung, zu regnen begann, bauten
sie dem Esel zum Schutz ein Dach. Für die Entführung des Esels wurden die
Handwerker mit einer Geldbuße bestraft. Ihre Tat war aber kein Bilderfrevel,
für den sie weit schwerer gebüßt worden wären. Die Handwerker bemächtig-
ten sich eines kirchlichen Bildrituals, an dem sie normalerweise nur im dritten
Glied teilhaben konnten.
Ebenso begehrt wie die Teilnahme an der Palmsonntagsprozession waren die
sogenannten Palmen, die als Sakramentalien mit nach Hause getragen wurden.
Nördlich der Alpen ersetzten Zweige immergrüner Sträucher wie Buchsbaum,
Wacholder, Stechpalme oder auch Weidenzweige mit jungen Blütenkätzchen
die Palmblätter.20 Diesen benedizierten Zweigen wurde eine starke apotropäi-
sche Wirkung zugeschrieben. Johannes Kessler aus St. Gallen beschrieb nach
der Reformation in seinen „Sabbata“ ihren ehemaligen Gebrauch: „Die Palm-
studen, so an dem Palmtag gesegnet, sind nit allein kreftig für tüfelsche ge-
spenst, sunder och alle ungewitter, donder, hagel, platzregen zu vertriben, so die
angezündt und der roch dem wetter entgegen schlacht. Umb solicher tugend
willen sind die durch jare behalten.“2! Die Kraft des Palmzweigs ergab sich
nach der Vorstellung der Gläubigen nicht allein durch die priesterliche Bene-
diktion, sondern auch durch den direkten Kontakt mit dem Bild. Deshalb wur-
den die Palmen oft nicht auf den Weg, sondern auf den Palmesel selbst gewor-
fen, wobei dem erstgeworfenen Palmzweig die stärkste Kraft zugeschrieben
wurde.22 An verschiedenen Orten segneten die Priester am Palmsonntag auch
die neu ausgeschlagenen Bäume und Pflanzenstöcke in den Gärten.
Daß die Segnung der Palmen für die Gläubigen integraler Bestandteil des
palmsonntäglichen Bilderkults war, zeigen die Quellen, die von der Abschaf-
fung des Rituals berichten. Die altgläubigen Chronisten beklagen neben der
Abschaffung der Prozession immer auch den Verlust der geweihten Palmen.24
den
Auf der anderen Seite kritisieren die Refomatoren die Palmenweihe und
meist heftiger als den Palm-
Gebrauch der Palmen zu zauberischen Zwecken
an
esel selbst. Martin Luther zum Beispiel bezeichnete in seiner „Vermanung
ande-
die gantze geistligkeit zu Augsburg versamlet auff den Reichstag‘ unter
ren folgende vier Punkte als Mißbräuch e der römischen Kirche: „Palmen
Er verwarf
Esel, Palmen schiessen, Palmen schlucken, Palmen Creutzlin“.25
also den Kult mit dem Bild und verwehrte sich gegen die „abergläubische“
Verwendung der Palmen: den Berührungszauber mit dem Bild, den Heilmit-
telgebrauch durch Schlucken geweihter Weidenkätzlein sowie das Schützen
der Ackerfrucht durch Anbringen kleiner Kreuze aus Palmzweigen. Von der
generellen Verdammung des Palmesels distanzierte sich Luther später wieder.
Er sah im Spiel mit beweglichen Christusbildern2®, wie dem weihnächtlichen
Jesuskindlein, dem Palmesel oder dem Himmelfahrtschristus?27, die Möglich-
keit, die Aufmerksamkeit der Kinder zu erregen. Er räumte ein, man könne
die Prozession auch weiterführen, solange die Geistlichkeit selbst den Brauch
nicht zu ernst nehme und den Esel nicht anbete.?®
Der Titelholzschnitt einer 1524 vom Nürnberger Hans Freiermut in Zü-
rich geschriebenen Flugschrift zeigt den Triumphzug des neuen Glaubens
(Abb. 4). Der personifizierte alte Glauben wird in Ketten abgeführt. In vielen
Punkten erinnert die Darstellung an eine Palmsonntagsprozession??: Das ge-
meine Volk wartet mit Palmzweigen in der Hand unter dem Stadttor auf den
Einzug des Herrn. Kleider werden zur Verehrung auf den Boden gebreitet und
Blumen gestreut. An der Spitze des Zuges tragen Patriarchen, Propheten und
Apostel das Grab der Heiligen Schrift, deren Niedergang gemäß zugehörigem
Text der Papst zu verantworten hat. An zweiter Stelle führt Ulrich von Hutten
Papst, Kardinal und die mit Tiermasken versehenen Gegner Luthers als
Gefangene. Schließlich folgt der Wagen mit dem Erlöser, gezogen von den
Evangelisten. Luther und Karlstadt nehmen die prominentesten Plätze ein.
Der Salvator sitzt nicht mehr auf seinem Reittier, sondern auf dem Evan-
gelium. Wenn man weiter ins Detail geht, erweist sich das Bildprogramm die-
ses Holzschnitts mit verschiedenen Anspielungen als recht komplex.30 Die
25 Martin Luther, Vermahnung an die Geistlichen, versammelt auf den Reichstag zu Augs-
burg, Anno 1530, in: ders., Werke. Kritische Gesamtausgabe. (Weimarer Ausgabe.)
Bd. 30, Abt. 2. Weimar 1909, 237-356, bes. 350.
26 Peter Jezler, Das „handelnde Christusbild“ und seine Verwendung in der städtischen
Zelebration der Herrenfeste im spätmittelalterlichen Deutschland, in: Irvin Lavin (Hrsg.),
World Art: Themes of Unity in Diversity. 3 Bde. London 1989, Bd. 3, 619-622; Tripps,
Bildwerk (wie Anm. 8). \
27 Zum Gebrauch und zur Zerstörung einer Himmelfahrtschristusfigur von Anton Fugger in
Augsburg vgl. Christian von Burg, Zechpfleger Max Ehem stürmt mit Waffengewalt die St.
Moritzkirche und lässt Anton Fuggers Bild des Himmelfahrts-Christus auf dem Kirchboden
zerschellen, in: Cécile Dupeux/Peter Jezler/Jean Wirth (Hrsg.), Bildersturm. Wahnsinn oder
Gottes Wille? Katalog zur Ausstellung. Zürich 2000, 132f., und Johannes Tripps, Christi
Himmelfahrt: Eine Christusfigur wird ins Kirchengewölbe aufgezogen, in: ebd., 240f.
28 Luther, Werke (wie Anm. 25), 352f.
29 Robert W. Scribner, For the Sake of Simple Folk: Popular Propaganda for the German
Reformation. London 1981, 63-65. ‘
30 Martin Luther und die Reformation in Deutschland. Ausstellung zum 500. Geburtstag
Der Palmesel in den Riten der Zerstörung 127
va&vita,
veries
Ego
| fun
LS lohan,
9910,
N
%
Éabominaig,qu®
&is,
(ui,
oris
inois,
virga
a
ies
ER:
Ë pe,
10931.
HB
Nationalmuseum,
Germanisches
Nürnberg,
1524.
(?)
Zürich
Flugschrift,
wahrheyt“.
der
Sick
Veritatis.
„Triumphus
Freiermut,
4Hans
Abb.
128 6 Christian von Burg nn
ET an ae a En a
Holzschnitt
Anlehnung an die vertraute Palmsonntagsprozession macht den
jedoch einem breiten Publikum zugänglic h.
Glau-
Die Ablehnung des Palmesels war unter den Anhängern des neuen
verbreite t als die Toleranz , die Luther an den Tag legte. Der
bens aber weiter
Dummheit, die
Esel schwankte zwischen der Konnotation von Demut und
stand
ihm damals wie heute zugeschrieben wurden. Der Einritt auf dem Esel
mittelal terliche n Herrsch ereinzu g, und gleichze itig war der
in der Nähe zum
Esel ein durchwe gs einfache s, bäuerlic hes Tier. Die neugläu bigen Kritiker
sahen überdies eine Parallele zur Anbetung des goldenen Kalbes: „Impia
Wer-
nonne haec sunt? ita non idola coluntur?“ — „Ist das nicht Gotteslästerei?
den so nicht die Götzen verehrt?“, fragt Naogeorgus 1553 rhetorisch in sei-
nem „Regnum Papisticum“.3! Weil man sich vor ihm niederwarf, weil man
das Bild ostentativ verehrte, wurde der Palmesel im Einflußbereich des
Zwinglianismus, das heißt im Süden des Reichs und im neugläubigen Teil der
Eidgenossenschaft, zum Inbegriff des Götzenbildes. Hier finden sich auch die
meisten Quellen zu seiner Zerstörung.
Bereits bei einer der ersten ikonoklastischen Aktionen, die in der Eidgenos-
senschaft aus der ersten Hälfte des Jahres 1523 nachgewiesen ist, stand der
Palmesel im Zentrum: Jakob Kaiser, der äbtische Vikar der Insel Ufenau im
Zürichsee, tauschte den hölzernen Palmesel bei den Bauern von Feusisberg ge-
gen Tannenholz ein.3? Der Kleriker demonstrierte damit der Öffentlichkeit,
daß ihm das Kultbild nicht mehr wert war als eben der Brennwert des Holzes.
Die Geschichte bezeugt gleichzeitig die Wertschätzung, die dem Palmesel von
seiten der Bauern noch entgegengebracht wurde, indem sie das Bild in ihren .
Besitz nahmen. Diese erste Aktion fällt im Vergleich zu den folgenden aus der
Reihe. Der Kleriker, der später hingerichtet und zum Märtyrer des neuen Glau-
bens wurde, bezeugte demonstrativ seine ikonoklastische Einstellung.33 Auf
der Insel Ufenau war es aber nicht zur Zerstörung des Bildes gekommen.
Anders verlief der folgende Vorfall, der sich ebenfalls am Zürichsee, dies-
mal in unmittelbarer Nähe zur Stadt, abspielte. In Zollikon, einem späteren
t Baden, im Klett-
_ 41 Heinrich von Küssenberg, Chronik der Reformation in der Grafschaf
in: Archiv für schweizerische
gau und auf dem Schwarzwalde, hrsg. von Johannes Huber,
1868-1876, Bd. 3;
Reformationsgeschichte. 3 Bde. Freiburg im Breisgau/Solothurn
418 ff., bes. 423.
e. 8 Bde. (verschiedene
42 Amtliche Sammlung der älteren Eidgenössischen Abschied
Orte) 1856-1886, Bd. 4, 615 p.
Nordostschweiz,
43 Zur gegenseitigen Unterstützung der Bauern vgl. Peter Kamber, Die
132 { Christian von Burg
hen und
Mitte Juni war ihm ein Brief der „Hauptleute und räte der Hegauisc
die
Schwarzwäldischen versammlung vor Zell“ in die Hände geraten, der an
Gemeinde Weinfelden gerichtet war. Darin baten die Bauern ihre Nachbarn
ihnen
dringlich, ihnen zu Hilfe zu eilen. Als Gegenleistung würden auch sie
trang
bei einem allfälligen Konflikt beistehen: „dann so euch not, zwang und
hel-
anläg, weltend wir on allen zweifel zuo euch setzen leib und gut und euch
fen in euwer not.“ Diese oder ähnliche Botschaften waren an alle größeren
Ortschaften im Thurgau verschickt worden.*> In einem verzweifelten Brief
schrieb der Landvogt in der Nacht vom 12. Juni 1525 an Zürich, mehrmals
seien schon Knechte vom Untersee und von Märstetten zu den Aufständi-
schen gezogen. Zum Teil seien sie wieder heimgekehrt, zum Teil dort geblie-
ben. Nun habe er eben erfahren, daß Knechte aus Weinfelden und Sommeri
den Aufständischen zugezogen seien.4 Er berichtete weiter, daß in Weinfel-
den ohne seine Einwilligung eine Landsgemeinde einberufen worden sei und
er nicht einmal wisse, worüber dort beraten würde. Er schloß mit dem bitteren
Bekenntnis, daß er „diser zit das volk nit waiß zuo maistern“.
Knapp zwei Monate vor diesem Schreiben an Zürich meldete er seinem
Heimatort Schwyz drei Vorkommnisse, die den Palmesel und die Prozession
betrafen: Die Leute von Weinfelden hätten „den Esel samt dem Bildniß Got-
tes“47 über die Kirchenmauer hinausgeworfen, daß er zerfallen sei, und ihrem
Gerichtsherrn, Sebastian Muntprat, hätten sie mit Gewalt einen Zaun nieder-
gerissen. In Frauenfeld habe man ebenfalls einen Anschlag auf den Palmesel
geplant, der dann jedoch nicht durchgeführt worden sei. Er habe in Frauenfeld
aber einen Knaben gefangen genommen, der Junker Balthasar von Landen-
berg einen ,,Balmen“ aus der Hand gerissen habe. Einige Frauen hätten ihm
nun gedroht, den Knaben wieder zu befreien. Er schloß seinen Bericht mit der
Bemerkung, daß er noch andere festnehmen könnte, die um Frauenfeld herum
Bilder beseitigt hätten, was aber einen Sturm verursachen wiirde.48 :
In diesem Gesamtbild des bedrängten Landvogts wird offensichtlich, wie eng
ikonoklastisches Handeln mit Herrschaftskritik verknüpft war. In der Gemei-
nen Herrschaft Thurgau kämpfte der größte Teil der Bevölkerung gegen die
mehrheitlich altgläubige Obrigkeit. Am Palmsonntag, an dem die Herrschafts-
verhältnisse im Prozessionszug normalerweise bekräftigt wurden, schien den
Leuten der Zeitpunkt gekommen, diese Herrschaft mit symbolhaftem Handeln
in: Elmar L. Kuhn (Hrsg.), Der Bauernkrieg in Oberschwaben. Tübingen 2000, 387-409,
bes. 404-408.
44 Johannes Strickler (Hrsg.), Actensammlung zur Schweizerischen Reformationsge-
schichte in den Jahren 1521-1532, im Anschluss an die gleichzeitigen eidgenössischen
Abschiede bearbeitet. 5 Bde. Zürich 1878-1884, Bd. 1, 386, Nr. 1154.
45 Ebd., 380, Nr. 1131.
46 Ebd., Nr. 1134.
47 Eidgenössische Abschiede (wie Anm. 42), Bd. 4, 629, r. 2.
48 Ebd.
Der Palmesel in den Riten der Zerstörung 133
zu untergraben. Die Weinfelder kippten den Esel mit dem Reiter über die Kirch-
hofmauer aus dem geweihten Bezirk und rissen ihrem Gerichtsherrn einen
Zaun, ein Zeichen der festen Besitzstruktur, nieder. In Frauenfeld richtete sich
der Entreißakt des Knaben vermutlich gegen einen Verwandten des Konstanzer
Bischofs, gegen den jungen adligen Balthasar von Landenberg oder Hohen-
landenberg.4° Mit vergleichsweise geringem Aufwand wurde das Ritual nach-
haltig gestört und dabei eine breite Öffentlichkeit erreicht. Mit der Unterbin-
dung des liturgischen Herrscherzeremoniells zum Einritt Jesu wurde auch der
ungeliebten kirchlichen und weltlichen Obrigkeit die Huldigung verweigert.
Einen öffentlichen Anschlag auf ihren Pfarrer verübte auch die Gemeinde
von Sommeri während der Palmsonntagsprozession. Vadian berichtet: „uf
sontag den palmtag 1528, wie der pfarrer zuo Someri im Turgöw nach altem
bruch den esel ziechen und zuo im das volk palmen schiessen liess, begab es
sich, dass er vor sinem kaplon nider uf ain tuoch lag und über sich singen
liess, wie man an diesem fest gewon was. Scriptum est enim: percutiam pasto-
rem. Do schussend die puren mit den palmen zuo dem esel. Ainer aber, wie er
den pfaffen liggend sach, warf mit ainem stain zuo im und traf in mitten uf den
kopf und warf im ain gross pülen uf. Wie der pfaff ufwuscht und sich des be-
klagt, wolt es niemand gethon han.“0 Der Thurgauer Landvogt berichtete
ebenfalls über den Fall. Die Quellen widersprechen sich in zwei Punkten: Der
Landvogt meldet den Vorfall im April 1526 weiter und spricht von mehreren
Leuten, die statt Palmen Steine geworfen haben sollen. Später ist dann aller-
dings nur noch von einem Täter die Rede, so daß ich, was den Vorgang
betrifft, eher Vadian Glauben schenke, bezüglich der Datierung dagegen dem
Bericht des Landvogts.
Der Pfarrer, gegen den sich diese antiklerikale Aktion richtete, war dem
Dorf aufgedrängt worden.5! Im März 1524 hatte die altgläubige innerschwei-
zerische Obrigkeit den beliebten, zum neuen Glauben gewechselten Pfarrer
aus Sommeri verjagen und durch den altgläubigen Johannes Brack ersetzen
lassen. Seither kämpfte die Gemeinde Sommeri gegen den neuen Pfarrer. Die
Einwohner ließen sogar eigens ein diffamierendes Flugblatt gegen ihn druk-
verlassen.>2
ken und forderten ihn mit einem Ultimatum auf, die Pfarrei zu
Der altgläubige Pfarrer scheint jedoch fünf Jahre in Sommeri ausgeharrt zu
haben.53 Der Palmsonntag war — aus der Sicht der Täter — der ideale Zeitpunkt
Ge-
für die Bestrafung und Demütigung des ungeliebten Priesters. Die ganze
Staatsarchiv
49 Für die biographischen Nachforschungen möchte ich Frau Stöckly vom
_ Thurgau herzlich danken.
von Ernst Götzinger.
50 Joachim von Watt (Vadian), Deutsche Historische Schriften, hrsg.
3 Bde. St. Gallen 1875-1879, Bd. 3, 244.
1519-1538. Tübingen
51 Jürg Vögeli (Hrsg.), Schriften zur Reformation in Konstanz
1972/73, Halbbd. 1, 216 sowie Anm. 455.
52 Ebd., 398, Nr. 1212.
2, 44, Nr. 92 sowie 567, Nr. 1417.
53 Strickler (Hrsg.), Actensammlung (wie Anm. 44), Bd.
Augen-
meinde war an der Prozession anwesend und der Stein traf ihn in dem
konnte. Es
blick, da er den Kopf zum Boden gewandt hatte und nichts sehen
Tat
war dies der Moment — und hier kommt der bilderfeindliche Aspekt der
halbes J ahr später, an
zum Vorschein —, in dem er dem Bild huldigte. Ein gutes
Weihnachten, kam es in Sommeri zum Bildersturm.54
bei
In Mellingen, zwischen Zürich und Bern, kam es, wie bereits erwähnt,
der Verhöhnung des Palmesels zu karnevalesken Szenen: Die Jesusfigur
wurde vom Esel genommen und auf einen Brunnen gesetzt. Dort drückte man
der Skulptur statt des Palmzweigs eine Fischerrute in die Hand und rief spöt-
tisch, sie solle doch ein wenig fischen.55 Robert Scribner hat für die Riten der
Zerstörung im Bildersturm zwei wichtige Punkte benannt, die sich auch in
diesem und im folgenden Fall finden lassen6: Erstens wurden die Bilder zur
Verhöhnung meist an einen anderen, fremden Ort gebracht und zweitens wur-
den sie dort auf die Probe gestellt. Die Bilderstürmer erprobten die reale Prä-
senz des Heiligen im Bild. Reagierte dieses auf seine Verspottungen nicht,
wurde es verbrannt. Scribner verglich auch den dritten Schritt der „Rites de
Passage“, die Reintegration in den Alltag, mit ikonoklastischen Handlungen.
Aber hier geht der Vergleich nach meiner Meinung nicht mehr auf, denn wäh-
rend der Mensch als Abschluß der „Rites de Passage“ einen (neuen) Platz im
Alltag fand, wurden die Bilder anschließend meistens zerstört.
In Mellingen wählte der Bilderstürmer als fremden, öffentlichen Ort den
Brunnen mitten im Städtchen. Hier wurde die Figur vor den Zuschauern ver-
spottet. Eine mögliche Interpretation der Verkehrung vom Herrgott zum Fi-
scherkönig ist, daß die Figur der Seelenfischerei bezichtigt werden sollte: Das
Symbol des Fisches für den gläubigen Menschen war bekannt und wurde auch
in der reformierten Polemik gebraucht.°’ Auf einem undatierten, vermutlich
frühreformatorischen Flugblatt sieht man vier mit altgläubigen Klerikern
überladene Kirchenschiffe (Abb. 5). Sie fischen mit großen Netzen im Meer.
der Gläubigen. Am Bug des vordersten Schiffes ist ein Mönch mit der Angel
zu sehen.58 Vielleicht wurde das „Götzenbild“ in Anlehnung an diese oder
ähnliche Polemik der Seelenfischerei bezichtigt.
In einem alltäglicheren Sinn gelesen fischte die Brunnenfigur schlicht am
falschen Ort. Fische fängt man in der Reuss, dem nahen Fluß, nicht aber im
54 Hermann Miles, Chronik, hrsg. von Traugott Schiess, in: Mitteilungen zur vaterländi-
schen Geschichte (des Historischen Vereins St. Gallen) 28, 1902, 275 ff., bes. 311.
55 Cysat, Chronica (wie Anm. 1), 747.
56 Robert W. Scribner, Volkskultur und Volksreligion. Zur Rezeption evangelischer Ideen,
in: Peter Blickle/Andreas Lindt/Alfred Schindler (Hrsg.), Zwingli und Europa. Zürich
1985, 154. -
57 J, Engemann, Art. „Fisch. Religionsgeschichtlich — symbolisch — kunsthistorisch“, in:
Robert-Henri Bautier u.a. (Hrsg.), Lexikon des Mittelalters. Bd. 4. München/Zürich 1989,
494f., hier 495; vgl. auch die entsprechende Stelle bei Matthäus 4,19.
58 Scribner, Sake of Simple Folk (wie Anm. 29), 110-112.
Der Palmesel in den Riten der Zerstörung leis)
bs
&iDEN
14;E *
ESS
D un
EIG
À
; |
L fl
raEX
==
= ~Ve“:
AEL
,: ei
Eee
Se
liothek.
"Abb. 5 Holzschnitt aus der „Wickiana“ (um 1520). Zürich, Zentralbib
136 i Christian von Burg
hatte ihre
Brunnen. Das Handeln der Figur wurde somit sinnlos — die Figur
Funktion verloren und war wertlos.
ha-
Aus Biberach, von wo wir den genauen Prozessionszug kennengelernt
ben, ist ein vergleichbarer Verhöhnu ngsfall überliefe rt. Heinrich von Pflum-
der hergot
mern beschreibt das Ende des Palmesels: „Item der balm essel und
der bader verbrent; tet in vor [= zuvor]
dar uff haut [= hat] der Michel Rocher,
laden, lus [= liess] den essel und unsern
uff sin corenhus [= Kornhaus] an ain
hergot, wie er die finger use bot, lang usher luogen, trib sin gespet da mit und
da mit
set [= sagte], man sete [= solle] comen, er wete ain guots, warms bad
bruoder Jocham wolt der metzger zunft,
macho; verprant in hinden naich. Min
den her got und essel hun geben 2 fl. [= Gul-
dan er was iro [gehörte ihr], umb
den]; aber sy woltent im in nit geben.“?
Auch in Biberach wurde das Bild an einen fremden, profanen Ort entführt —
warum gerade in ein Kornhaus, ist nicht klar. Häufig wurden unehrenhafte
Orte wie das Bad, die Spinnstube oder das Wirtshaus gewählt, die in der zeit-
genössischen Vorstellung dem sakralen Ort diametral entgegenstanden.60 Da
das Kornhaus dem Bader gehörte, mag im Fall von Biberach dieser Zusam-
menhang eine Rolle gespielt haben. Die Spottworte, die der Bader anschlie-
Bend an die Jesusfigur richtete, die zum Fenster hinaus schaute und die Rechte
zum Segensgestus erhoben hielt, sind leider nicht genauer überliefert. Eine
Ahnung, in welche Richtung sie gingen, vermittelt ein Ausschnitt aus einem
altgläubigen Spottgedicht über die Bilderstürmer:
„Der heylgen bild zu stuck gehawen
Die mutter gots und zart junckfrawen
Gotslesterlich und unbeschayden
Vergleicht den alten badmayden“.6!
Schicksal zu retten. Diese schien aber mit der Zerstörung ihres Besitzes ein-
verstanden zu sein.
Der populäre Palmesel blieb auch nach seinem Verschwinden aus neu-
gläubigen Gebieten ein Schmelzpunkt konfessioneller Streitigkeiten. Valentin
Tschudi berichtet, daß den Altgläubigen neben Tannenästen und Kreuzen,
die sie sich an den Hut steckten, manchmal auch Palmzweige als Partei-
zeichen im Kampf um den richtigen Glauben dienten.® In Zürich kursierte
ein populäres Spottlied über das katholische Baden. Der Text erzählte die Ge-
schichte, wie die Badener bei einem Bildschnitzer in Augsburg einen neuen
Palmesel in Auftrag gaben. Der Handwerker hatte den Esel bereits angefertigt
und war nun gerade an der Figur des Reiters, als ihm ein Holzspan in den
Mund sprang und er daran jämmerlich erstickte. Dieses Spottlied muß sehr
populär gewesen sein; es ist in drei verschiedenen Handschriften überliefert.
Die Badener dichteten eine Antwort, in der der Palmesel selbst zu Wort
kommt: „Nun will ich also heben an und reimen auch so gut ich kann von
einem Esel [z’] Zürich.“64 Gemeint war Huldrych Zwingli, dessen vorzeitiges
Ende in der Schlacht bei Kappel wortreich besungen wurde. Der Palmesel war
damit zum Streit- und Spottobjekt zwischen den beiden Glaubensrichtungen
geworden.65
67 Ebd., 69.
68 Carlos M. N. Eire, War against the Idols: The Reformation of Worship from Erasmus to~
Calvin. Cambridge u.a. 1986, 105-165.
69 Schnitzler, Ikonoklasmus (wie Anm. 5), 180.
70 Eire, War against the Idols (wie Anm. 68), 163.
71 Egli (Hrsg.), Aktensammlung (wie Anm. 34), 491-511, Nr. 1050.
Der Palmesel in den Riten der Zerstörung 139
Mellingen war ein Zentrum der Söldnerwerbung’?, und von Weinfelden und
Sommeri wurde berichtet, daß mehrere Knechte aus diesen Dörfern bewaffnet
über den See gezogen waren. Dies sind Indizien, aber natürlich keine Beweise
für eine überdurchschnittlich hohe Beteiligung von Söldnern am ikonoklasti-
schen Handeln des 16. Jahrhunderts.’3 In seinen Ausführungen zum Ikono-
klasmus im Spätmittelalter zeigt Guy P. Marchal, daß die Zerstörung von
Kultbildern nicht erst mit der Reformation aufkam. Solche Zerstörungen rich-
teten sich aber im Spätmittelalter nicht gegen die Bilder allgemein, sondern
gegen die Kultbilder des Gegners, und die Krieger waren dabei die eigent-
lichen Träger des Ikonoklasmus.74 Diesbezüglich scheint sich im 16. Jahrhun-
dert eine Traditionslinie fortzusetzen. Die Krieger, deren Aufgabe unter ande-
rem das Zerhauen von Menschenleibern war und zu deren Kultur auch die
Zerstörung von gegnerischen Bildern gehörte, spielten vermutlich auch später
in der Praxis des Ikonoklasmus eine wichtigere Rolle, als bisher angenommen
wurde. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang der Ritus der Leichen-
schändung, wie er zum Beispiel gemäß Johannes Stumpf mit Zwinglis Körper
auf dem Schlachtfeld getrieben wurde. Der erstarrte Leichnam wurde auf-
gerichtet und dann angesprochen: „Bistu ein biderman und guoter christ, so
stand! Bistu aber ein verraetter und ketzer, so fall nider!“75 Darauf ließen die
Sieger den Toten zu Boden fallen. Es würde sich lohnen, den Zusammen-
hang von Kriegertum und Ikonoklasmus im 16. Jahrhundert weiterzuverfol-
gen.
Verschiedene Aspekte der bilderstürmerischen Zerstörungsriten, die Scrib-
ner untersucht hat, zeigen sich auch in den Vorfällen mit den Palmeseln wie-
der, so etwa in den karnevalesken Riten von Mellingen und Biberach. Durch
das Aufstellen der Figur an einem fremden Ort und durch die funktionale
Verfremdung wurde eine „verkehrte Welt“ geschaffen, die schließlich zur
Profanierung der Skulptur führte. Darin impliziert war die Prüfung der realen
Präsenz des Bildes. Wie wichtig es den Ikonoklasten war, die angebliche
Wirkkraft der Bilder zu widerlegen, zeigt beispielsweise auch die Predigt
Zwinglis nach der tumultuarischen Ausräumung des Berner Münsters. Vor
den zerstörten Bildern sagte der Reformator in seiner Predigt, man würde jetzt
tetschend
sehen, daß die Bilder ,,niitzid [= nichts] heyligs habend, sondern
und
und bochsßlend [= geräuschvoll zu Boden fallen] wie ein ander holtz
76 Huldreich Zwingli, Sämtliche Werke, hrsg. von Emil Egli/Georg Finster. 14 Bde. (Cor-
pus Reformatorum, Bde. 88-101.) Berlin/Leipzig/Zürich 1905-1959, Bd. 6/1, 497.
77 Strickler (Hrsg.), Actensammlung (wie Anm. 44), Bd. 1, 355, Nr. 1051.
78 Robert W. Scribner, The Image and the Reformation, in: James Obelkevich u.a. (Hrsg.),
Disciplines of Faith: Studies in Religion, Politics and Patriarchy. London 1987, 539-550,
bes. 542.
Der Palmesel inden Riten der Zerstörung 141
Herrschaft. Der Angriff konnte sich damit sowohl gegen den Bilderkult, ge-
gen den alten Glauben wie auch gegen die Obrigkeit richten.
Der überwiegende Teil der hier vorgestellten Fälle fand im ländlichen Ge-
biet statt. Mit diesem Befund stehe ich im Gegensatz zu den Resultaten von
Norbert Schnitzler, der aufgrund seiner Untersuchungen im nord- und ost-
deutschen Raum zum Schluß gelangte, „bilderfeindliche Missetäter“ seien
vor allem im städtischen Bereich aktiv geworden.’? Der Schwerpunkt der
Bildersturmforschung lag auch im süddeutschen und eidgenössischen Raum
bisher auf den Städten. Das Quellenmaterial dazu ist reichhaltiger und das Ge-
biet überblickbarer. Wie schwierig es sein kann, die lückenhaften Quellen aus
verschiedenen Gemeinden zu kontextualisieren, hat sich in den besprochenen
Fällen gezeigt. Doch es würde sich lohnen, die Entwicklung des Bildersturms
auf dem Land genauer zu untersuchen.
= À ‘ u rm
7 : CRUE
nic en E Re eee, « 0 0 aes ne sro
= Seaton er # . —
ere M
ge … ‘
.
un ihren bein
Ÿ
NER à Les
-
a A en
{ Eu
= ii à “een net SAT A sus - Br x A
Tai lai: / od ¢ "3 0 Lu PRÉ
“fi ine Vi is À i L
7 : L 5
am cor u aA
KR en 1 ea Fr
ve (We 5
: = x
7 . ee =
usa dee| ;
Schäalung des Pecan: Meee ; ei) oes
| he de . -
M den % uhr r ae
5 nie er
" FR
à 4 us
lé
À
it By > Cat.
Bu
M re
; 27
,
nier Ohm her rh
‘ As AT UE te Man wt, rau RER “AN a"
bd wire T
ae IE IN ER DEAD, | 2; 4
ne BEN F7 gs
.
=
ne
7
rue
we
58
Sd. Cu ,
ae
a
Er, Er
a #4
ET
*
es
en
u
YA e
»yu
i
Niklaus Manuel
und der Berner Bildersturm 1528
Von
Historischen
1 Valerius Anshelm, Die Berner Chronik des Valerius Anshelm, hrsg. vom
Verein des Kantons Bern. 6 Bde. Bern 1884-1901, Bd. 5, 245.
or-
2 Rudolf Steck/Gustav Tobler (Hrsg.), Aktensammlung zur Geschichte der Berner-Ref
Bern 1923,
mation 1521-1532, hrsg. mit Unterstützung der bernischen Kirchensynode.
611, Nr. 1487.
3 Anshelm, Chronik (wie Anm. 1), Bd. 5, 245.
Übersicht, in: Bob Scrib-
4 Sergiusz Michalski, Das Phänomen Bildersturm. Versuch einer
Bilder und Bilderstur m im Spätmittel alter und in der frühen Neuzeit. (Wolfen-
ner (Hrsg.),
bütteler Forschungen, Bd. 46.) Wiesbaden 1990, 76.
Bilder als ‚Zeichen Gottes‘.
5 Die Extrempositionen der Debatte bilden: Martin Körner,
Oberman (Hrsg.),
Bilderverehrung und Bildersturm in der Reformation, in: Heiko A.
für Gottfried W. Locher zu seinem 80. Geburtstag . Bd. 1. Zürich
Reformiertes Erbe. Fschr.
fernung sei in Bern weitgehend
1992, 233-244, zu Bern 243, geht davon aus, die Bilderent
herren chilchen sind
ruhig verlaufen, während F'ranz-Josef Sladeczek, ‚Die goetze in miner
ge der Berner Reformati on und ihren Folgen für das Münster
. gerumpt‘! Von der Bilderfra
in: Theologische
und sein Hauptportal. Ein Beitrag zur Berner Reformationsgeschichte,
„Da ligend die altar und götzen im
Zeitschrift 44, 1988, 289-311, sowie ders., Bildersturm.
Beer/Norberto Gramaccini/
tempel“. Zwingli und der Bildersturm in Bern, in: Ellen J.
Schwinge s (Hrsg.), Berns grosse Zeit. Das 15. Jahr-
Charlotte Gutscher-Schmid/Rainer C.
daß die Bilderentfernung z.T.
hundert neu entdeckt. Bern 1999, 588-604, zeigen konnte,
von „heftigen Tumulten“ begleitet war. :
144 Lucas Marco Gisi
nn
a
uktion
des Berner Bildersturms gestellt, um davon ausgehend dessen Rekonstr
zu ermöglichen.
Die anhand des Dolches und des ligierten „NMD“ Niklaus Manuel Deutsch
zugeschriebene und auf dem Blatt mit 1527 datierte, lavierte und kolorierte
Federzeichnung König Josia läßt die Götzen zerstören (Abb. 1) hat, wie
Bernd Moeller konstatierte, in ihrer Deutung zu einem „Streit unter Berner
Historikern“ geführt.6 Im Scheibenriß, der mit Modifikationen von nicht ge-
klärter Hand als Glasgemälde die Kirche Jegenstorf zierte, sei, so die These,
Niklaus Manuels „Haltung“ zum Bildersturm dargestellt. Obwohl Manuels
Beteiligung an der Reformation in Bern durch seine Schriften wie durch seine
Aktivitäten als Politiker und Gesandter hinlänglich belegt ist, scheint in seiner
Person der Konflikt zwischen Maler und Bilderstürmer angelegt.’ Entspre-
chend fand die Verlagerung von Manuels Tätigkeit von der bildenden Kunst
auf die literarische und schließlich politische Arbeit ihre Explikation in seiner
Rezeption der reformatorischen Theologie.® Für den Künstler, der die Zeichen
6 Bernd Moeller, Niklaus Manuel Deutsch — ein Maler als Bilderstürmer, in: Zwingliana
23, 1996, 83-104, hier 90.
7 Einen Überblick gibt Hans Rudolf Lavater, Niklaus Manuel Deutsch - Themen und Ten-
denzen, in: 450 Jahre Berner Reformation. Beiträge zur Geschichte der Berner Reforma-
tion und zu Niklaus Manuel. (Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, Bd. 64/
65.) Bern 1980/81, 289-312. Zeitgenössische Dokumente sind publiziert von Hugo Wag-
ner, Niklaus Manuel in den Dokumenten, in: Niklaus Manuel Deutsch. Maler, Dichter,
Staatsmann. Katalog der Ausstellung vom 22. 9.-2. 12. 1979 im Kunstmuseum Bern. Bern
1979, 121-137. Vgl. Manuels „Inventar des vermünzten Silbergeschirrs“ während der :
Konfiszierung der Gegenstände aus Edelmetall in Kirchen und Klöstern 1528, s. Franz-Jo-
sef Sladeczek, Rund zehn Jahre später, nach Aufgabe seines Künstlerberufs, konfisziert Ni-
klaus Manuel Kelche und Monstranzen, aus denen Münzen hergestellt werden, in: Cécile
Dupeux/Peter Jezler/Jean Wirth (Hrsg.), Bildersturm. Wahnsinn oder Gottes Wille? Kata-
log zur Ausstellung. Zürich 2000, 363. Nach Sandor Kuthy, Die Präsenz des Kunstmalers
Niclaus Manuel in Bern seit dem Bildersturm 1528, in: ders. (Hrsg.), Niclaus Manuel im
Kunstmuseum Bern. (Schriftenreihe des Kunstmuseums Bern, Nr. 2.) Bern. 1999, 9-18,
hier 10, war Niklaus Manuel für die Räumung der Berner Kirchen mitverantwortlich und
überbrachte im Juni 1528 persönlich den Säkularisationsbefehl des Klosters St. Johansen
bei Erlach und überwachte die Entfernung von Bildern und Altären.
8 Nach Norberto Gramaccini, Niklaus Manuel Deutsch — „Ut pictura poesis“, in: Beer u.a.
(Hrsg.), Berns grosse Zeit (wie Anm. 5), 523-534, hier 533f., habe sich Manuels ,,welt-
anschaulicher Pessimismus“ mit dem „Geist der Reformbewegung“ berührt, mit der Kon-
sequenz, daß er „fortan die Feder mit dem Pinsel vertauscht‘ habe. Nach Hans Christoph -
von Tavel, Niklaus Manuel als Maler und Zeichner, in: 450 Jahre Berner Reformation (wie
Anm. 7), 313-332, hier 332, trat in den zwanziger Jahren „das bildnerische Schaffen hinter
dem dichterischen, politischen und reformatorischen Schaffen zurück“. Eine Parzellierung
von Manuels Schaffen prägt verschiedentlich die Manuel-Forschung.
Niklaus Manuel und der Berner Bildersturm 1528 145
: oe as |
ee caysttrl ;
{ ER
v
be
7ot “:
te
(?). Öffent-
Abb. 1 Niklaus Manuel, König Josia läßt die Götzenbilder zerstören, 1527
liche Kunstsam mlung Basel. Kupfersti chkabinet t, Inv. UI
146 | Lucas Marco Gisi
mm mt
Scheibenriß
der Zeit erkennt und sich zum Bilderstürmer wandelt, steht der
des
für Conrad André Beerli.? Dagegen hält Max Huggler: „Die Deutung
schwerli ch hal-
Blattes als Manifest und Aufruf zum Bildersturm dürfte sich
in der
ten lassen“; dennoch entspreche die Darstellung der Position Zwinglis
Bilderfrage.! Ulrich Im Hof interpretiert den Scheibenriß als eine „Darstel-
lung des in geordneten Republiken üblichen Vorgangs der amtlich verordne-
ten Entfernung der Heiligenbilder“.!! Zweifel an dieser Interpretation zeigt
Franz-Josef Sladeczek, da der Berner Bildersturm nicht so geordnet verlaufen
sei, wie der Riß glauben mache; folglich bleibe die Zeichnung „der persön-
lichen Vorstellungskraft Manuels behaftet“ bzw. sei Appell an ein „maßvolles
Vorgehen“.!? Bernd Moeller schließlich hält die Frage, ob Manuel mit der
Zeichnung zum Bildersturm aufgerufen habe oder nicht, „für müßig“, zumal
Manuel als Bilderstürmer ‚in Bern und anderswo durchaus zu den Haupt-
akteuren“ gehört habe: Der Maler propagiere mit einem Bild die Zerstörung
der Bilder mittels des „unschuldigen Mediums des Fensters“.!3
Die bisherigen Deutungen konvergieren — wie entgegengesetzt auch ihre
Folgerungen - in verschiedenen Punkten: Erstens stelle der Scheibenriß eine
Szene des Alten Testaments dar, zweitens bringe er Niklaus Manuels Haltung
zum reformatorischen Bildersturm zum Ausdruck, womit drittens der Bezug
zwischen alttestamentarischer Szene und reformatorischer Bilderfrage offen
bleibt. Demgegenüber ist es das Ziel der folgenden Bildinterpretation, eine
„Lesart‘ des Scheibenrisses zu entwickeln, die durch das Aufzeigen konkreter
Referenzen den zeitgenössischen Bedeutungs- und Deutungszusammenhang
abzustecken vermag, in dem der Scheibenriß steht und in dem er in der Zeit
hätte gelesen werden können.
Der Scheibenriß bezieht sich zunächst auf die Tempelreinigung nach den
Angaben des vom Priester Hilkija wiedergefundenen Gesetzbuches, wie die
von fremder Hand über der Darstellung angebrachte Kompilation aus dem
zweiten Buch der Könige angibt. „Josia der küng zuo Jerusalem, dett das dem
herren wol gefiel, det ab die altar der abgötter verbrannt sy zerstört die
9 Conrad André Beerli, Le peintre poète Nicolas Manuel et l’évolution sociale des son
temps. (Travaux d’Humanisme et Renaissance, Bd. 4.) Genf 1953, 275f. Ähnlich Lucie
Stumm, Niklaus Manuel Deutsch von Bern als bildender Künstler. Bern 1925,.82: Die zwei
Scheibenrisse aus dem Jahr 1527, „König Josias zertriimmert die Götzenbilder“ und „Chri-
stus und die Ehebrecherin“ gehörten „vermutlich zu einer Serie von Glasbildentwürfen mit
biblischen Themen‘ und seien ,,Tendenzbilder, die dem reformatorisch-kämpferischen
Geist des Künstlers entsprechen“. Das erste Blatt (Basel) bringe „vorahnend die kunst-
feindlichen Ereignisse des drohenden Bildersturmes zur Darstellung“.
10 Max Huggler, Niklaus Manuel und die Reformatoren, in: Niklaus Manuel Deutsch (wie
Anm. 7), 100-113, hier 112.
11 Ulrich Im Hof, Niklaus Manuel und die reformatorische Götzenzerstörung, in: Zeit-
schrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 37, 1980, 297-300, hier 297.
12 Sladeczek, Die goetze in miner herren chilchen (wie Anm. 5), 297.
13 Moeller, Niklaus Manuel Deutsch (wie Anm. 6), 90f.
Niklaus Manuel und der Berner Bildersturm 1528 147
höchinen, veget vB alle Warsager, vnnd Zeichen dütter Billder vnnd götzen,
mitt für, vnd druog den Staub in den Bach Kidron, am andren Buoch der künig
am XXIII Cap“.!4 Die Bibelstelle ermöglicht eine erste Identifizierung von
Figuren im Bild: König Josia, der Priester Hilkija, der bereits gespaltene
»BA[AJLS ALTAR“.
Die Bibelstelle, mit der auch die Landpriester 1525 ihre Eingabe für die
Priesterehe an den Berner Rat legitimiert hatten), findet sich als Beleg in zwei
zentralen Schriften zur reformatorischen Bilderfrage: Karlstadts „Von der Ab-
tuung der Bilder“ und Ludwig Hätzers 1523 in Zürich erschienene Flugschrift
„Ein Urtheil Gottes [...], wie man es mit allen Götzen und Bildnissen halten
soll“. Beide leiten aus der Josia-Stelle eine Anordnung ab: „Der künig Josias
hat dem obersten bischoff und den andren pfaffen gebotten, daz sy alle gschirr
des goetzen Baal uß dem tempel wurffend, und er verbrant sy ußwendig der
statt Hierusalem. Hie merck, die pfaffen sollend den künigen oder obren
ghorsam sin.“16 Damit ergibt sich ein erster Bezug zwischen Scheibenriß und
Bilderfrage: Die reformatorische „Tempelfeinigung“ ist folglich — in Karl-
stadts Worten — eine Maßnahme der „magistraten“ gegenüber den „pfaffen“.
Eine der Hauptschwierigkeiten des Scheibenrisses stellt die Identifizierung
der Götzen im Feuer dar, da sich die Bibelstelle einer Zuordnung von Attribu-
ten verschließt. Die „Figur mit Fuchsohren und Sichel“ soll nach von Tavel
ursprünglich auf der zerschmetterten Steintafel gestanden haben, wäre also
Ziel der Hacke gewesen, sei jedoch nicht identifiziert. 17 _ Tatsächlich wird die
14 Eine weitere Hand ergänzte: „regum im fierden buoch der Küngen am XXIII capittel“,
vgl. Hans Christoph von Tavel, König Josia lässt die Götzenbilder zerstören, in: Niklaus
Manuel Deutsch (wie Anm. 7), 461-463, hier 461.
gewaltig
15 Steck/Tobler (Hrsg.), Aktensammlung (wie Anm. 2), 203, Nr. 629: „Es ist der
das buoch
küng Josias hoch in der gschrift geruempt, der nachdem Helchias der priester
fandt, nach inhalt
des gsatzis, das ist das buoch der tröwung, so lang verloren war, widerum
handel, nach
desselbigen handlet. Nit minders lobs, sunder meres ü. g. ist, welche in diserm
mit menschen
dem das heilig evangelium, das ist das buoch des trosts und heils, lang zytt
handlent,
lerungen verduncklet, widerumb an den hellen lichten tag ist komen, darnach
alle menschen leren und allein anzehangen dem claren gotteswort, ouch
hinweg ze thuont
alles das dem zewider ergernuss bringende usszeriitten und hinweg ze thuont.“
und Bildnissen
16 Ludwig Hätzer, Ein Urteil Gottes [...] wie man es mit allen Götzen
soll, in: Adolf Laube/An nerose Schneider /Sigrid Looß (Hrsg.), Flugschriften der
halten
Helmut Claus. Bd. I
frühen Reformationszeit. Erläuterungen zur Druckgeschichte von
Abtuung der Bilder, in: ebd.,
Vaduz 1983, 271-283, hier 277. Bei Andreas Karlstadt, Von
III. Reg. XXIII
105-127, hier 122, lautet die entsprechende Stelle: „Das sihet yderman
n, nämlich alßo: Der konig Josias hat dem obirste pontifex und
[2 Könige 23, 4] geschribe
der gleichen baal auß wurf-
- den andern pfaffen geboten, auff das sie alle vaß, linden, und mercken,
m. Darauß sal yderman
fen, und er verbrandt sie außwendig der statt Hierusale
gotlichem rechten. Derwegen
wie die pfaffen den konigen untherdenig sollen sein, auß
biß die pfaffen Baal ire geveß, klotzer und verhin-
solten unßere magistraten nit erwarten, weltliche
mher anfahen. Die obirste
dernis anfahen außtzufueren. Dan sie werden niemer
hand soll gebieten und schaffen.“ Hervorhebungen des Vf.s.
17 Von Tavel, König Josia (wie Anm. 14), 461.
148 Lucas Marco Gisi
pe ue De me i > oo gig
DU
,
in den Flammen liegende Figur in den genannten Interpretationen übersehen
scheint nicht
und eine Identifizierung anhand des zweiten Buchs der Könige
môglich.18 Der Versuch jedoch, die Figur innerhalb der Ikonographie der re-
formatorischen Polemik zu bestimmen, führt zu einer aus den Darstellungen
der Flugschriften wohlbekannten Figur: Thomas Murner, dessen Namen „mit
“19 umgestaltet
Anklang an volkstümliche Katerbenennungen in Murrnarr‘
wird, der seinen Spottnamen in seiner antireformatorischen Propaganda selbst
annimmt und sich in seiner Streitschrift „Von dem großen Lutherischen Nar-
—
ren“ mehrfach als Katze darstellt (Abb. 2).20 Niklaus Manuel war Murner
als Gegner wie in der Darstellung als Katze — wohlbekannt, tritt dieser doch in
seiner Schrift „Krankheit und Testament der Messe“ als „Doctor Thoman
Katzenlied“ und „Doctor Murnar“ auf.2! Mit der Murner-Katze in der typi-
schen Andachtshaltung wird die altgläubige Devotion den Flammen überge-
ben.22 Die Sichel, welche die in den Flammen liegende Katze in Manuels Riß
hält, entspricht in Murners Selbstdarstellung dem gewundenen Spruchband,
mit dem er auf seinen Gegner, den lutherischen Narren, losgeht. In Manuels
Darstellung allerdings bleibt das zur kleinen Sichel verkümmerte Spruchband
wirkungslos gegen die Hacke des Knechts. Auch im „Testament der Messe“
18 Eine Ausnahme bildet Huggler, Niklaus Manuel (wie Anm. 10), 112, der in der Figur
einen „gestürzten“ Saturn erkennt.
19 Paul Zinsli, Manuel und Murner. Die Begegnung zweier doppelt begabter Glaubens-
streiter in der Reformationszeit, in: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 50,
1988, 165-196, hier 168.
20 Dabei schwingt in der Darstellung der Katze auch das Signifikat des Ketzers mit;
freundlicher Hinweis von Dr. Norbert Schnitzler. Dieser Aspekt findet sich in der einleiten-
den Diskussion um Murners Katzenhaftigkeit im „Karsthans“ (1521), hrsg. von Herbert
Burckhardt, in: Otto Clemen (Hrsg.), Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation.
Bd. 4. Nieuwkoop 1967, Ndr. der Ausgabe Halle 1907-1911, 76f.
21 Niklaus Manuel, Werke und Briefe. Vollständige Neuedition, hrsg. von Paul Zinsli und
Thomas Hengartner. Bern 1999, 463 und 468. Der Text dürfte im zeitlichen Kontext der
Berner Disputation entstanden sein, entsprechend treten Figuren auf, deren Namen auf
Disputations-Teilnehmer verweisen. Das ,,Motiv des spöttischen Redens um ein Kranken-
bett in den variierten Farcen des Narrenschneidens“ findet sich ebenfalls in Murners ,,Gro-
ßem Lutherischen Narren“; dieser antwortete seinerseits auf die persönlichen Anspielun-
gen in Manuels „schimpflich“ Gedicht in seinem Sammeldruck „Ein send brieff der acht
Christlichen ort einer loblichen Eidtgnoschafft“, vgl. Einleitung, in: ebd., 430-439. Die ge-
genseitige Kenntnis der jeweiligen Polemik der andern Seite hat Zinsli, Manuel und Mur-
ner (wie Anm. 19), nachgewiesen. 5
22 Vgl. Manuel, Werke und Briefe (wie Anm. 21), 466: Die Messe klagt in ihrem Testa-
ment: „Ein yede pflantzung / die nit gepflanzet hat min him™lischer vatter / wirt vBgerüt /
vnd in das fhür geworffen / vnnd das man jm vergeben dienet / mit gebott vnd satzungen der
menschen.“ Möglicherweise zielt Manuels Darstellung nebst dem Angriff auf die altgläu-
bige Bilderverehrung und Andachtspraxis auch auf die Vorstellung des Fegefeuers, wie der :
Vergleich mit Manuels Schrift „Krankheit und Testament der Messe“ nahelegt: „Die puren
hand das wichwasser drin geschütt / vnd das Faegfhür erloeschen / vnnd sitzen münch /
bettler / vnd nunnen im rauch / [...]. Das ist der Meß ein schaedlicher todtstich / dann vom
Faegfeür hat sy gelebt / wie der fisch vom wasser /“ (ebd., 459).
Niklaus Manuel und der Berner Bildersturm 1528 149
oneruide
Tauth m gr ol le n
chen‘Aarren wie ın
doctor WDurner Befthwozen Bat.zc,
doctor Murner
Abb.2 Thomas Murner, Von dem grossen lutherischen Narren wie in
chnitt. Germa-
beschworen hat. Straßburg: Johann Grüninger 1 522, Titelholzs
nisches Nationalmuseum Nürnberg, Bibl. Post-Inc. L 1 967.
150 Lucas Marco Gisi
Eee ee
die Dar-
wird Murner berücksichtigt, wobei sich Niklaus Manuel explizit auf
Narrenwies e
stellung Murners als mit einer Sichel ausgerüsteter Mäher der
ich das dem
bzw. der lutherischen Narren auf dieser bezieht: „denn so will
Doctor Murnar werde das wyB Tischtuoch vff der altar / dz er sinen maedre”
daruff zeessen gebe / we™ sy jm die gouchmatte” maeyent.“23
aus
Eine polemische Darstellung Murners diirfte Niklaus Manuel bereits
der 1521 erstmals erschienenen Flugschrift „Karsthans“, in der Gegenübe r-
stellung der Schriften Murners und Luthers, gekannt haben. Zunächst muß ge-
klärt werden, wer die Katze ist:
„Studens: O vatter, was grülichen thier! es ist nit recht eyn katz, sicht doch
einer glich vnd würt ye groesser vnd groesser, ist graufarb, hat einen selt-
zamen kopff, dan so schmuckt es sich, dan thut es sich vff, kum sich von wun-
Gta, oc ;
Karsthans: was vngehüren seltzsamen thier! hiher bald den pflegel! [...]
Studens: nit nit, vatter, es ist eyn mensch! |
Karsthans: es ist der tüfel, das gesicht felt nit. [...] Ach gott, es ist eyn geist-
lich man“.4
Karsthans, überzeugt von Luthers Lehre, verabschiedet Murner mit folgen-
dem „Urteil“:
„Studens: Noch ist er [sc. Murner] nymmer ein katz.
Karsthans: Hey, wilt mich lieb haben mit der katzen, an galgen mit der katzen!
Studens: Ja mitt der katzen, aber nitt mit dem Murner.
Karsthans: Hey, es sy katz, murmaw oder roelling, lassen mich wyters mitt
den dingen vnbekümmert“.?
Die Kombination von biblischen Figuren und Zeitgenossen findet sich auch
in andern Werken Manuels, etwa in „Salomons Götzendienst‘“ oder den Fast-
nachtsspielen.26
Durch die Identifizierung Murners in Manuels Scheibenriß kann die Zeich--
nung von der alttestamentarischen Folie losgelöst und eindeutig auf die re-
formatorische Bilderfrage und die Polemik um den neuen Glauben bezogen
23 Bbd., 468. Manuel bezieht sich hier zudem wörtlich auf Thomas Murners Liebesnarren-
satire „Geuchmatt“, erschienen 1519 in Basel bei Adam Petri, vgl. Thomas Murner, Deut-
sche Schriften. Bd. 5: Die Geuchmatt, hrsg. von Eduard Fuchs. Berlin/Leipzig 1931.
24 Karsthans (wie Anm. 20), 78f.
25 Ebd., 118. ’
26 Etwa in Manuels 1523 aufgeführtem Fastnachtsspiel „Vom Papst und seiner Priester-
schaft“, in: Manuel, Werke und Briefe (wie Anm. 21), 101-253. Vgl. Glenn Ellis Ehrstine,
From Iconoclasm to Iconography: Reformation Drama in Sixteenth-Century Bern. Diss.
phil. Ann Arbor 1995, 105-112. Zu Salomons Götzendienst (1518) vgl. Cäsar Menz, Salo-
mons Götzendienst, in: Niklaus Manuel Deutsch (wie Anm. 7), 293-296. Die Deutung des :
Bildes ist umstritten: Sandor Kuthy, Anthoni Noll, ein Auftraggeber von Niclaus Manuel,
in: ders. (Hrsg.), Niclaus Manuel (wie Anm. 7), 85-89, hier 87, postuliert eine politisch-
religiöse Intention als „beinerkenswerter Widerhall der Hammerschläge von Wittenberg“;
allerdings bleibt eine derart frühe Luther-Rezeption zweifelhaft.
Niklaus Manuel und der Berner Bildersturm 1528 151
werden. Damit bietet sich eine Möglichkeit der Bestimmung weiterer Bild-
elemente aus dem zeitlichen Kontext: etwa durch Hinzuziehen von Murners
1527 als Antwort auf den „Evangelischen Kalender“ des Joannes Copp pu-
blizierte Schmähschrift „Der Lutherischen Evangelischen Kirchendieb und
Ketzerkalender“, in der die Neugläubigen des Kirchendiebstahls beschuldigt
werden.27 Dort findet sich eine Anleitung „Wie man die Zeichen verston
sol“28: Hacke, zerbrochenes Zepter, brennender Scheiterhaufen und ein Ge-
sicht mit ausgestreckter Zunge erhalten bei Manuel eine genau entgegen-
gesetzte, gegen die Altgläubigen gerichtete Bedeutung.
Zwei weitere Figuren im Bild lassen eine Kontextualisierung zu: das neben
der mit dem Attribut des Geldsacks bezeichneten Mammonfigur von einer
weiblichen Figur gehaltene vogel- oder drachenähnliche Wesen gehört zu den
Dämonen im Gefolge der zeitgenössischen Darstellungen des Antichrist, wie
wir sie etwa bei Lucas Cranach d.Ä. finden. Die rechte Figur weist als Attri-
bute eine Tiara und den Fisch als Sinnbild der Eucharistie auf; das Papsttum??
und die altgläubige Abendmahlsvorstellung werden als Götzen verbrannt. In
den Flammen finden sich somit Mammon, Papsttum und Antichrist, eine Kom-
bination, die in der reformatorischen Polemik durchaus häufig war, wie etwa
Lucas Cranachs „Passional Christi und Antichristi‘ oder mit Bezug auf Murner
Matthias Gnidius’ ,,Murnarus Leviathan vulgo dictus Geltnarr“ belegen.3° Die
bisher geleisteten Zuweisungen und die Fixierung von Referenzen auf den vor-
nehmlich in Flugschriften polemisch geführten Glaubensstreit mögen nun als
Grundlage für eine Beschreibung und Interpretation des Scheibenrisses dienen:
Der Blick des Betrachters tritt über das Zentrum des Bildes ein, die bereits
entzweigeschlagene Säule, die (aufgerichtet) das Bild teilt: in einen Vorder-
grund mit der Dreiergruppe König, Priester und Knecht und einen Hinter-
grund mit der Statuendreiergruppe, der Götzenverbrennung. In der linken
Bildhälfte, deren Mitte das Gesetzbuch bildet, richtet sich der Blick der Zu-
schauer3!, des Königs, des Priesters und des Knechts auf die Säule und — da
27 Murners Kalender erregte über die Eidgenossenschaft hinaus Empörung bei den Neu-
gläubigen, was zu Einsprachen der Berner und Zürcher gegen Luzern, wo sich Murner auf-
hielt, und schließlich zum Verbot des Luzerner Rats an Murner, weitere polemische Schrif-
ist daher
ten zu publizieren, führte. Vgl. Zinsli, Manuel und Murner (wie Anm. 19), 174. Es
daß die Schrift Manuel bekannt war, vgl. die Belege ebd., 191 f. Anm. 13.
anzunehmen,
r, in:
28 Thomas Murner, Der Lutherischen Evangelischen Kirchendieb und Ketzerkalende
Ernst Götzinger (Hrsg.), Zwei Kalender vom Jahre 1527. D. Joannes Copp evangelischer
1865,
Kalender und D. Thomas Murner Kirchendieb und Ketzerkalender. Schaffhausen
-37-Al.
“ auf, vgl.
29 In Niklaus Manuels ,,Fastnachtspiel“ tritt der Papst als ,,Papst. Entcristelo
Manuel, Werke und Briefe (wie Anm. 21), 128.
heidni-
30 Als ikonographische Vorbilder sind zudem die griechisch-römischen Statuen
Hera, Neptun und
scher Gottheiten präsent; allerdings dürfte die Zuweisung auf Athene,
die Huggler, Niklaus Manuel (wie Anm. 10), 112, vornimmt, kaum weiterführen.
Saturn,
31 Auffallend die Schriftgelehrtenmützen der Zuschauer, die auch der Pharisäer auf
152 Lucas Marco Gisi
die Murner-Figur.
diese bereits weggeschlagen ist — in der Verlängerung auf
vom Buch
Jeweils im rechten Winkel zueinander wird das Betrachterauge
n) Säule ge-
über das Zepter zur Hacke und schließlich zur (bereits gefällte
im Feuer der
führt. Der abgebrochene Teil der Säule lenkt zur ersten Figur
an Dämone n
hinteren Bildebene: eine Figur mit ausgestreckter Zunge, die
und der
oder Teufel aus Fegefeuerdarstellungen erinnert. Folgt man der Zunge
talen an-
Blickrichtung dieser Figur, gelangt man zu der auf einer Horizon
e, in sich
geordneten Dreiergruppe der Götzenstatuen. Es ergibt sich folgend
mit dem
abgeschlossene Reihe: Die Teufelsfigur blickt zur Mammonfigur
eich-
Geldsack hinauf. Diese lenkt ihren Blick auf den mit der Tiara gekennz
neten Papst, welcher zu der weiblichen Figur bzw. der Göttin der Hurerei
blickt32, die den Antichrist hält, und diese selbst auf den liegenden Murner-
ten
Kater. Die Verbindung zwischen den durch hell und dunkel klar getrenn
Bildhälften stellt die Hacke des Knechts her. Von den Zuschauern am äußeren
linken Rand zur Murner-Figur am rechten Rand des Bildes führt somit eine
dynamische Bewegung, die Zeichnung wird zum Handlungsablauf: Mit dem
Rückhalt seiner Söldner und der Legitimation durch die Schrift überwacht der
König den Angriff auf die Götzen, der letztlich auf die Altgläubigen, den
Kater Murner und deren, von der reformatorischen Polemik zugeschriebene
Attribute: Antichrist, Mammon und Papsttum, zielt. Im Zentrum steht der
ikonoklastische Akt, dieser hat im „Rückhalt“ der Schrift und Obrigkeit sei-
nen Ausgangspunkt und in den Altgläubigen sein Ziel.
Der „Schrift“, dem Gesetzbuch des Priesters und der Bibelstelle über der
Bildmitte, auf die das Zepter in der Verlängerung weist, kommt in Manuels
Riß eine zentrale Bedeutung zu: Bild und Schrift illustrieren sich gegen-
seitig.33 „König Josia läßt die Götzenbilder zerstören”, „Krankheit und Testa-
ment der Messe“, Beteiligung an der Durchsetzung der Reformation und der
Bilderentfernung: (noch) 1527/28 war Niklaus Manuel Maler, Schriftsteller,
Reformator und Bilderstürmer in einer Person.
Der Befund, daß Niklaus Manuels Scheibenriß „König Josia läßt die Göt-
zenbilder zerstören“ im Kontext einer (polemischen) Auseinandersetzung
dem ebenfalls 1527 entstandenen Scheibenriß „Christus und die Ehebrecherin“ trägt, vgl.
Niklaus Manuel Deutsch (wie Anm. 7), 458f., oder Stumm, Niklaus Manuel Deutsch von
Bern (wie Anm. 9), 82f. -
32 Von Tavel, König Josia (wie Anm. 14), 461. Vgl. die Nähe in der Darstellung zu Manu-
els „Törichter Jungfrau“ in: Hans Koegler (Hrsg.), Beschreibendes Verzeichnis der Basler
Handzeichnungen des Niklaus Manuel Deutsch. Nebst einem Katalog der Basler Niklaus
Manuel-Ausstellung im Kupferstichkabinett Mitte Februar bis Ende April 1930. Basel
1930, 22, Nr. 7. ae
33 Die Wandlung vom „Bild zum Wort“ charakterisiert nach Hans Christoph von Tavel,
Niklaus Manuel. Zur Kunst eines Eidgenossen der Dürerzeit. Bern 1979, 28, Manuels
„künstlerische Entwicklung“. Einen graduellen Übergang vom Bild zum Text — antizipiert
in den Bildern selbst — postuliert Ehrstine, Iconoclasm (wie Anm. 26), 88-95.
Niklaus Manuel und der Berner Bildersturm 1528 153
welt, Handschrift
Abb.3 Thomas Murner, M. A. Sabellici Hystory von anbeschaffener
ulen zerstören. Badische
K 15, fol. 55", König Ezechias (Hiskija) läßt die Götzensä
Landesbibliothek Karlsruhe.
154 | Lucas Marco Gisi ng
em
h auf diese Weise
zwischen Alt- und Neugläubigen zu „lesen“ ist und lediglic
kann, läßt sich erweitern,
als reformatorisches Programm entschlüsselt werden
progra mms“ gesucht
wenn nach einem Pendant etwa in Form eines „Gegen
seinem Alterswerk, an
wird. In Murners deutscher Sabellius-Nachdichtung,
dem er nach seiner Flucht aus Luzern 1529 arbeitet e, findet sich ein Holz-
3).* Die
schnitt, der Ähnlichkeit mit dem Scheibenriß von Manuel zeigt (Abb.
m durch König Eze-
Illustration zeigt die Reinigung des Tempels von Jerusale
Verdeutschungs-
chias. In der Sabellius-Nachdichtung als „ziemlich freiem
uff-
werk“35findet sich im Kapitel „Wie Ezechias den alten gots dienst wyder
nitt illustrie rt, folgend er
richt und alle abgötterey ab redt“, welches der Holzsch
vnd
Kommentar: „welche bösen ding sonst stetes nacheinander fallen handt
sey
oft ouch kein hoffnung gewesen das sich disse ding besseren wuerden / es
empfan gen werde vnd
den sach das er [Ezechias] alt glouben wyder in die statt
vnd
vff gmacht und wyder sine gerechtigkeit empfahl dorum so waher
gantzen volk wol vnd
gebuethe das / das es im sind sinen burgerens vnd dem
zuo glueck komme / das man den tempel wyder vff dedte / reiniget noch alten
Ceremonien vnd bruch / priester vnd diener des gotz dienstes wyder verord-
nete das volk den lesterlichen dienst der tuffel von im lege vnd noch altem
bruch opffrete vnd wyder empfangent die alten feiren vnd vetterlichen bruch
der bredigen gots dienstes vnd vff das alle ding rechtlichen vnd mit grösseren
bewilligung beschehen/“.36
Manuel und Murner geben beide, da stimmen die Zeichnungen nebst der
gestalterischen Ähnlichkeit überein, eine bildliche Interpretation eines altte-
stamentarischen Schlages gegen die Abgötterei. In beiden Darstellungen wird
dieser Vorgang von einem König überwacht, wobei Murners König mit erho-
benem Zeigefinger mahnt, während sich Manuels König auf die Kontrolle des
Vorgangs beschränkt. Ausgehend von einer Aktualisierung alttestamentari-
scher Gebote führen die beiden Darstellungen einer Götzenzerstörung in die-
Auseinandersetzung um die Reformation, indem sich zwei Bildprogramme
diametral gegenüberstehen: die Erneuerung des Glaubens mittels der Durch-
34 In der Literatur wird auf die Nähe von Manuels Riß zu Illustrationen der Zerstörung der
Götzenbilder durch Hiskia/Ezechias (2. Kön. 18,4) in Ausgaben der Lutherbibel hinge-
wiesen, vgl. Huggler, Niklaus Manuel (wie Anm. 10), 112. Obwohl die Autorschaft der
Sabellicus-Zeichnungen, da sie nicht signiert sind, nicht ganz geklärt ist, werden die Illu-
strationen im allgemeinen Murner selbst zugeschrieben, vgl. Zinsli, Manuel und Murner
(wie Anm. 19), 195f. Anm. 52.
35 Ebd., 186.
#6 Transkription nach Thomas Murner, M.A. Sabellici Hystory von anbeschafftener welt.
Übersetzung der Enneades des Marcus Antonius Sabellicus. Vollst. Faksimile-Ausgabe der -
Handschriften K 15 und K 3117 der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe sowie der
Handschrift Ms. 268 der Humanistenbibliothek in Schlettstadt. Einführung, Übersichtsta-
feln und Synoptische Zeittafeln Hedwig Heger. Kodikologische Beschreibung Gerhard
Stamm. Bd. 1. Karlsruhe 1987, fol. 55".
Niklaus Manuel und der Berner Bildersturm 1528 155
setzung vergessener Gesetze bei Manuel und die Wiederherstellung der alten
Ordnung bzw. des alten Glaubens bei Murner.
Stellt Niklaus Manuels Scheibenriß „König Josias läßt die Götzenbilder
zerstören“ in einem dynamischen Handlungsablauf ein reformatorisches Pro-
gramm der Bilderentfernung dar, impliziert dies die Frage nach dem Auftrag-
geber sowie nach den Möglichkeiten medialer Vermittlung. Bei der Stifterin
des Scheibenrisses, einer Auftragsarbeit, wie der Vermerk „Stattschriberin“
im unausgeführten Wappenschild belegt, dürfte es sich um die Witwe des
Stadtschreibers Schaller, Barbara Hübschi, handeln, womit der Riß in den
Einflußbereich bernischer Amtstätigkeit gerät.?’ Ein von anderer Hand spie-
gelschriftlich angebrachter Vermerk: „yosep goesler glaser“, gab — als Besitz-
vermerk — Anlaß zu einer Zuschreibung des Glasgemäldes für die Kirche
Jegenstorf.38 Eindeutig verweisen hier allerdings das Allianzwappen und die
Figur des Stifters auf Hans-Rudolf von Erlach und seine Gemahlin Dorothea
Felga als Auftraggeber und damit auf eine der reichsten und einflußreichsten
Berner Familien. Die Problematik der Propagierung eines reformatorischen
Programms mittels eines Bildes führt, da die Zeichnung als Riß für ein Glas-
gemälde entstand, zur Position Zwinglis in der Bilderfrage. Dieser machte die
Verehrung (adoratio, cultus) zum Kriterium für die Zulässigkeit bildlicher
Darstellung und schloß davon das Kirchenfenster explizit aus: „Sed et hoc ad-
dimus, quod, quandoquidem certum imminet periculum deminutionis fidei,
ubicunque imagines in templis prostant, imminet adorationis et cultus peri-
37 Vgl. Carl Grüneisen, Niklaus Manuel. Leben und Werke eines Malers und Dichters,
Kriegers, Staatsmannes und Reformators im sechszehnten J ahrhundert. Stuttgart/Tübingen
1837, 185, gibt an: „Diess [sc. Wappenschild] mag der Gattin des Stadtschreibers Cyro von
Freiburg, mit welchem Manuel in vielfacher Berufsverbindung stand, gegolten haben.“
Demgegenüber hält H. Lehmann, Die Glasmalerei in Bern am Ende des 15. und Anfang
des 16. Jahrhunderts (Fortsetzung), in: Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde NF.
17, 1915, 45-65, 136-159, 217-240, 305-329, hier 318-320, fest, daß die Frau von Peter
Cyro (Stadtschreiber 1525-1561) als Stifterin eher unwahrscheinlich ist, da sich das Wap-
pen der Frau üblicherweise vereint oder als Gegenstück zu dem des Gatten findet. Daher
dürfte die Witwe des 1524 verstorbenen Stadtschreibers Schaller, Barbara Hübschi, Toch-
ter des Seckelmeisters Lienhard Hübschi, die später den Sohn des Schultheißen, Wilhelm
von Diesbach, heiratete, als Stifterin gelten; dies, zumal die Wappen der Familien Hübschi
und Schaller Übereinstimmungen zeigen. Das Verschmelzen heraldischer Symbole von
zwei Familien in Allianzwappen ist im 15. Jahrhundert durchaus üblich, vgl. Simon Teu-
um
scher, Bekannte — Klienten — Verwandte. Soziabilität und Politik in der Stadt Bern
(Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit,
1500.
und Hüb-
Bd. 9.) Köln/Weimar/Wien 1998, 65. Die Wappen der Schaller (beim Astronom)
schi (beim Juristen) finden sich auch in Manuels „Totentanz“. Da jedoch der Geschlechts-
. name von Cyros Frau Anna unbekannt ist, zudem Manuel mit Cyro zusammenarbeitete
und mit ihm eine Geschichte des Oberländeraufstandes schreiben sollte (vgl. Matthias
Reformation.
Sulser, Der Stadtschreiber Peter Cyro und die Bernische Kanzlei zur Zeit der
Bern 1922, 64), läßt sich die Stifterfrage nicht eindeutig klären.
Josia
38 So Lehmann, Glasmalerei (wie Anm. 37), 321. Dagegen läßt Heinz Matile, König
Anm. 7), 463 f., die Zu-
lässt die Götzenbilder zerstören, in: Niklaus Manuel Deutsch (wie
schreibung offen. ‘
156 f Lucas Marco Gisi
À ON ALLER TT Pe
URSroue lautet quiertogr Cx Pompe erLoc que
gobo amont facterbru kisoo Mgr (trlaut
lapanolleg sic dur opt deanquatriior D
N (18 AU Cl pires
Abb.4 Berner Maler (Joseph Gösler?), König Josia läßt die Götzenbilder zerstören.
Reformierte Kirche Jegenstorf.
39 Huldreich Zwingli, De vera et falsa religione commentarius. März 1525, in: ders., Sämt-
liche Werke, hrsg. von Emil Egli/Georg Finsler. 14 Bde. (Corpus Reformatorum, Bde. 88—
101.) Berlin/Leipzig/Zürich 1905-1959, Bd. 3, 905. Kursiv vom Vf. Vgl. auch Huldreich
Zwingli, Eine Antwort, Valentin Compar gegeben, in: ebd., Bd. 4, 95. Nach Brigitte Kur-
mann-Schwarz, Die Glasmalereien des 15. bis 18. Jahrhunderts im Berner Münster. (Cor-
pus vitrearum Medii Aevi, Schweiz, Bd. 4.) Bern 1998, 52ff., wurde die Unterscheidung -
Zwinglis zwischen Götzen und Bildern nicht umgesetzt, da Bilder zerstört werden, die
nicht verehrt wurden, gleichzeitig aber auch Glasfenstern Verehrung zukommen konnte.
Zudem sei — etwa in Basel — die Zerstörung von Glasscheiben belegt. Allerdings lasse sich
die Hypothese, daß auch im Berner Münster Glasscheiben zerstört wurden, nicht belegen.
Niklaus Manuel und der Berner Bildersturm 1528 PSY
chen Dif-
Nach Peter Jezler, Etappen des Zürcher Bildersturms. Ein Beitrag zur soziologis
ischer Vorgänge in der Reformatio n, in: Scribner (Hrsg.), Bilder
ferenzierung ikonoklast
„Neuverglasung weder in
und Bildersturm (wie Anm. 4), 143-174, hier 155, hätte eine
kurzer Zeit noch zu vertretbaren Kosten“ erfolgen können.
in Glasgemälden
40 Die Integration reformatorischer und gegenreformatorischer Polemik
e dar, vgl. Johann Rudolf Rahn, Konfessionell-
stellt im 16. Jahrhundert keine Ausnalim
355-361. [Samuel Scheurer,] Le-
Polemisches auf Glasgemälden, in: Zwingliana 14, 1903,
Verrichtu ngen Niclaus Manuels [...], in: [ders.,] Bernerisches Mauso-
ben und Wichtige
lde mit dem Wappen
leum [...]. Bd. 2. Bern 1742, 205-396, hier 231, führt ein Glasgemä uten und
Manuels in einem Haus in Zollikofen (bei Bern) an, „da zwey Priester in Wolfs-Hä
die Schilthalter sind, mit Umschrifft
. Ohren, mit ihren Kräulen den Rosen-Krantz haltend,
der Worten Christi. Inwendig sind sie reissende Wolff.“
ürme der Wiedertäufer in
41 Martin Warnke, Durchbrochene Geschichte? Die Bilderst
1534/153 5, in: ders. (Hrsg.), Bilderst urm. Die Zerstöru ng des Kunstwerks. Mün-
Münster
chen 1973, 65-98, hier 93-96.
4), 78, bezeichnet die vorsichtige Steue-
42 Michalski, Phänomen Bildersturm (wie Anm. des Ventil“.
herrschaftsstabilisieren
rung der Bilderstürme durch die Obrigkeit als eine „Art
158 \ Lucas Marco Gisi
als
Gerichtsprozeß und insbesondere dessen Ritualisierung und Inszenierung
verwende n.# In symbolis chen
Deutungsmodell für den Berner Bildersturm
in der Glau-
Handlungen wird das Urteil über die „Götzen“, die Entscheidung
bensfrage in verdichteter Form erkennbar und für die Gläubigen „lesbar“ ge-
macht.
Zwischen 1523 und 1527 führt der Rat von Bern mehrere Ämterbefragun-
gen durch, bei deren letzten mehrheitlich für die neue Lehre votiert wird.
Die Wahlen von 1527 führen zu Sitzverschiebungen zugunsten der Reforma-
tionsbefürworter. In Form einer Einladung zu einer Disputation im Januar
1528 wird die Entscheidung zugunsten der Reformation vorbereitet, was nicht
zuletzt in der Sistierung anstehender Entscheidungen den Kultus betreffend
bis zur Disputation zum Ausdruck kommt.*5 Theologen sollen mit der Schrift
als einzigem „richtschit, schnuor, grundveste und einiger richter der waren
christenlichen gloubens‘46 zur Wahrheit in Glaubensfragen gelangen. Der
„rechtlichen Funktion“ der Disputation — wie sie Bernd Moeller charakteri-
sierte — entsprechend, kommt den Schlußthesen der Disputation in der Form
der unbeschränkten Geltung Rechtscharakter zu.47 Die Disputation war nicht
frei von Inszenierungen, die ihren Ausgang vorwegnehmen sollten: In neun
Predigten im Münster wurde der neue Glaube verkündet“, und die Annahme
der Schlußthesen mußte öffentlich bestätigt werden.4 Die 8. Schlußthese der
Disputation gilt den Bildern und entspricht der Position Zwinglis: „VIH. Bil-
der machen ze vererung, ist wider gotts wort, nüws und als [!] testaments;
43 Dabei bilden die Arbeiten von Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt
des Gefängnisses, übersetzt von Walter Seitter. Frankfurt am Main 1976, und Richard
van Dülmen, Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafritual in der frühen Neuzeit.
4., durchges. Aufl. München 1995, zum peinlichen Strafprozeß in der frühen Neuzeit die
interpretatorische Folie.
44 Zum Berner Bildersturm s. Ernst Walder, Reformation und moderner Staat, in: 450°
Jahre Berner Reformation (wie Anm. 7), 441-583; Heinrich Richard Schmidt, Stadtrefor-
mation in Bern und Nürnberg — ein Vergleich, in: Rudolf Endres (Hrsg.), Nürnberg und
Bern. Zwei Reichsstädte und ihre Landgebiete, Neun Beiträge. Erlangen 1990, 81-119,
sowie die Arbeiten von Sladeczek (s. Anm. 5).
45 Bern an die Prädikanten in Köniz, Steck/Tobler (Hrsg.), Aktensammlung (wie Anm. 2),
528, Nr. 1382.
46 Ebd., 520, Nr. 1371.
47 Bernd Moeller, Die Ursprünge der reformierten Kirche, in: ders., Die Reformation und
das Mittelalter. Kirchenhistorische Aufsätze, hrsg. von Johannes Schilling. Göttingen
1991, 138-150, hier 139 und 146.
48 Eine Liste der neun Predigten gibt Heinrich Bullinger, Reformationsgeschichte, hrsg.
von Johann Jakob Hottinger/Hans Heinrich Vögeli. Bd. 1. Unveränderter Ndr. der Aus-
gabe Frauenfeld 1838, Zürich 1984, 436f.
49 Kurt Guggisberg, Bernische Kirchengeschichte. Bern 1958, 112ff. Vgl. Moeller, Ur- -
sprünge (wie Anm. 47), 145: „Diese Disputationen waren demnach in den allermeisten
Fällen keine offenen Diskussionen, keine geistigen Feldschlachten; sie waren vielmehr
theologische und politische Kampfmittel im Dienst der Durchsetzung der neuen, und wie
man überzeugt war, wahren Lehre.“
Niklaus Manuel und der Berner Bildersturm 1528 159
56 Foucault, Überwachen und Strafen (wie Anm. 43), 60; van Dülmen, Theater des
Schreckens (wie Anm. 43), 68.
57 Eine Auswertung der Funde hat Franz-Josef Sladeczek, Der Berner Skulpturenfund. Die
Ergebnisse der Kunsthistorischen Auswertung, hrsg. von der Gesellschaft für Schweizeri-
sche Kunstgeschichte u.a. Bern 1999, vorgelegt. ;
58 Solche „Gottesurteile“ gegen die Bilderstürmer sind bei Renward Cysat, Collectanea
Chronica und denkwürdige Sachen pro chronica Lucernensi et Helvetiae, bearb. von Josef
Schmid. Bd. 2/2. (Quellen und Forschungen zur Kulturgeschichte von Luzern und der In-
nerschweiz, Bd. 5/2.) Luzern 1977, 519 ff., gesammelt. Häufig ist auch das Versenken von
Figuren und Bildern in Seen, Flüssen oder Brunnen durch Bilderstürmer als eine Form des
Gottesurteils, s. Michalski, Phänomen Bildersturm (wie Anm. 4), 90.
59 Steck/Tobler (Hrsg.), Aktensammlung (wie Anm. 2), 613, Nr. 1490. Diese Quelle macht
deutlich, daß die Steinskulpturen von diesem Beschluß ausgeschlossen waren und — wie
die Chroniken und der Berner Skulpturenfund belegen — alle zerschlagen und verschüttet
werden sollten.
60 Yan Dülmen, Theater des Schreckens (wie Anm. 43), 174: „Die Verweigerung eines
christlichen Begräbnisses zählte zu der verhängten Strafe oder ergab sich aus einer ‚mit der
Ehrlosigkeit behafteten That‘.“
61 Ebd., 173: „Mit der Tötung des Armen Sünders war das Hinrichtungszeremoniell noch -
nicht beendet. Erst wenn der Scharfrichter den Richter um die Bestätigung der richtigen
Ausführung seines Amtes gebeten hatte, schloß die offizielle Strafhandlung.“
62 Ebd., 61f.: „Hatte der Angeklagte das Urteil vernommen, brach der Richter vor ihm
bzw. dem umstehenden Volk seinen Stab [...]. Das Stabbrechen bedeutete nicht den Tod
Niklaus Manuel und der Berner Bildersturm 1528 161
rung wird verbrannt. Der Priester belegt mit dem Buch, der Schrift, die Geset-
zeskonformität der Urteilsvollstreckung. Der König überwacht die Vollstrek-
kung des Urteils, sein Zepter vermittelt (im Bild) zwischen Gesetz(buch) und
Strafe. Die Zuschauer, wohlgeordnet gereiht, verfolgen das „Schauspiel“.
Aber: Überlagern sich im Bildersturm Elemente der Theologie, der Volks-
frömmigkeit und des obrigkeitlichen Handelns, die sich zum Gesamtbild
eines Prozesses als Schauspiel verdichten lassen, so bleibt doch die Unsicher-
heit über das Moment des Umschlagens des Schauspiels in Tumult und Auf-
ruhr. Dieser Grenze nähert sich zuweilen auch der Berner Bildersturm; die
Bilderentfernung wird zum „gruelichen sturm“64, Die Zuschauer beteiligen
sich, übernehmen ihre aktive Rolle im Schauspiel: „mit tratz und boch / jubel /
gschrey / und tiranisiern der nüw sectern / alls waerend nun alle wind jn segell
gericht“65, wird das Urteil vollzogen, die Kirche geräumt, nach Luther singen
Knaben auf dem Platz66, die verurteilten ,,G6tzen“ werden verhöhnt67. Die
Räumung der Bilder führt zu Auseinandersetzungen zwischen Zunftmitglie-
dern sowie mit den Verwaltern der Räumüng.68 Es kommt zu symbolisch
für den Delinquenten, sondern symbolisierte das Urteil, den ewigen Ausschluß des Armen
Siinders aus der Rechtsgemeinschaft.“ Für den Basler Bildersturm 1529 ist die Teil-
nahme des Scharfrichters belegt, vgl. Sergiusz Michalski, The Reformation and the Visual
Arts: The Protestant Image Question in Western and Eastern Europe. London/New York
1993,91.
63 Yan Dülmen, Theater des Schreckens (wie Anm. 43), 161: „die rituelle Tötung wurde
eingebunden in ein umfassendes Zeremoniell, das den Charakter einer religiösen Opfer-
aufgenommen
feier annehmen konnte, die nicht minder als erbaulich sakrale Handlung
Vorstellungen ver-
wurde wie ein kirchliches Fest, in dem christliche und abergläubische
schmolzen.“
64 Anshelm, Chronik (wie Anm. 1), Bd. 5, 245.
Ruth Jörg. (Quellen zur
65 Johannes Salat, Reformationschronik 1517-1534, bearb. von
455.
Schweizer Geschichte, NF., 1. Abt.: Chroniken, Bd. 8/2.) Bern 1986,
wurde der Zug
66 Yan Dülmen, Theater des Schreckens (wie Anm. 43), 162: „Nicht selten
zur Hinrichtungs stätte] im 18. Jahrhundert von Schuljugend begleitet,
[des Armen Sünders
Charakter eines christlichen
die eindrucksvoll Sterbe-Lieder sang, um dem Ganzen den
belegt durch eine Brief-
Begräbniszugs zu geben.“ Der Gesang der Jungen in Bern wird
an Gabriel Zwilling in Torgau vom 7. März 1528: Martin Luther, Werke.
stelle von Luther
Bd. 4. Weimar 1933, 404 f.,
Kritische Gesamtausgabe. (Weimarer Ausgabe.) Briefwechsel.
factum, nisi quod Missa abrogata,
Nr. 1236: „Bernae in Helvetiis finita disputatio est; nihil „Lu-
ebd., 405 f. Anm. 13:
et pueri in plateis cantent, se esse a Deo pisto liberatos.“ Dazu
derselben Quelle wie Joachim Helm in Augsburg, der an dem-
ther schöpft hier wohl aus in
„Die Sweyczer haben ein consilium
selben 7. März an Seb. Weiss in Zerbst schreibt [...]:
Zürich mit tausend Sweyczern
Bern gehalten mit yhren pfaffen, und ist der Zwingel von
worden, und haben beslossen, das sei k ... went Sweizern sthet, das
bis gen Bern [geleitet]
geben, und do sie ... gezcogen, haben sie gesun-
- Sacrament ... noch in’zcweierley gestalt seindt.‘“
herregodt erloßet wurden
gen und godt [gelobt, daß sie von] dem brettern
ist für viele reformatorische Bil-
67 Die Verhöhnung der Bilder bis hin zu Schandritualen
Bildersturm (wie Anm. 4), 88-96.
derstürme belegt, vgl. Michalski, Phänomen war bzw. Ziel
beteiligt
68 Daß der „kilchmeier“ Antoni Noll an den Auseinandersetzungenin: Steck/Tobler (Hrsg.),
verbaler Angriffe wurde, belegt das Ratsmanual vom 29. Januar
Rat scheint den Spielraum für die Bil-
Aktensammlung (wie Anm. 2), 613, Nr. 1490. Der
162 À Lucas Marco Gisi
or ae ae
derräumung relativ eng gezogen und Widerstände bei der Durchführung einer Meldepflicht
unterlegt zu haben, wie Anton Nolls Antwort auf die Kritik an der Bilderräumung durch
Bitius Wisshan belegt: „Hat Noll geantwurt: ‚Pitius luog was du redest, dan es muoss m. h.
anzöigt und fürbracht‘“ (ebd.).
6 Vgl. die Ansätze bei Lee Palmer Wandel, Voracious Idols and Violent Hands: Icono-
clasm in Reformation Zurich, Strasbourg, and Basel. Cambridge 1995, 11f.: Da Ikonokla-
sten durch den ikonoklastischen Akt „sprechen“, geht es darum, „to set the acts within
broader frames of reference, within their cultural context, in order to illumine the theologi-
cal content of the acting“. |
70 Anshelm, Chronik (wie Anm. 1), Bd. 5, 245. Der Vorfall wird verdeutlicht durch die im
Ratsmanual vermerkten Zeugenaussagen, vgl. Steck/Tobler (Hrsg.), Aktensammlung (wie
Anm. 2), 612, Nr. 1490: , Die red, so Zender gebrucht: hat Gilgian Tremp gezügt, wie Hans
Zender mit dem esell in die kilchen geriten und geluogt, wie man die bilder hinssussgethan,
habe zuo dem zügen gesprochen: ‚ist es nit ein gots erbermd, das man also husshalt und die
bilder zerbricht?‘ Antwort der züg: ‚es ist gots will‘. Zender: ‚es ists des düffels will; bist
du by got gsin und vernomen, das ess sin will sig? Ich wellt, das allen denen die hend ab-
fielen, so darmit umbgangen und darzuo rhat und that gethan.““
71 Foucault, Überwachen und Strafen (wie Anm. 43), 82.
72 Huldreich Zwingli, Die beiden Predigten Zwinglis in Bern, in: ders., Werke (wie
Anm. 39), Bd. 6/1, 495: „Als nun üwer eersam wyßheyt und lieb die götzenzier, der mäß
rychtag und andre ding mit der thatt angriffend, dörffend ir keines radts noch hebysens baß
unnd mee weder der standhaffte.“
73 Bullinger, Reformationsgeschichte (wie Anm. 48), 438: „So huob man ouch an in dem -
muenster, und allenthalben, that die goetzen hinwaeg, und reyß die alltaer yn. Soemlichs
that man mitt grossem yfer. Herwiderumm was es vilen ein bittere ungeschmackte sach.
Doch zergieng es alles one schlahen uffruor und bluot. Dann wie vil unwillens und troe-
wens under ettlichen Burgern was, schied doch Gott gnaediklich.“
Niklaus Manuel und der Berner Bildersturm 1528 163
Du
ino! fe el ET ie ne
UNS RS CN ee Dek erg
HidetowiryER tere ER “u net 4
Preah Ut, brides re er ER a ir
ee en #4 m eral
Mona ram rt LE pattes ah FE LC wor@
DREIER ee PUS ZEglial oles Pr pins
| te rar toi a
Wrath urn. SHEET
Rens 2 AAD ea
147 ils [heàser ini te
,
oe
Von
Im Zentrum der bilderstürmerischen Tat stehen eine Hand und ein Objekt, die
Hand bewegt sich gegen das Objekt.? So evident das ist, es gehört normaler-
weise nicht zu unserem Diskurs über Bildersturm. Normalerweise denken wir
an etwas Zerstörendes, etwas Negatives. Wir vergessen, daß im Zentrum des
Akts ein Objekt und nicht nur ein Opfer steht. Ich möchte auf den Akt in seiner
Gesamtheit — die Bewegung einer Hand gegen ein Objekt — aufmerksam ma-
chen, um die Einzigartigkeit jedes Akts „Bildersturm“ zu unterstreichen.
Wenn wir jeden Akt als individuellen betrachten, ist es vielleicht eher möglich,
die eigenartige Bedeutung jedes bestimmten Objekts in der Andachtspraxis zu
verstehen. Und wenn wir über die individuellen Bedeutungen verschiedener
Objekte nachdenken, finden wir, daß die Bilderstürmer des 16. Jahrhunderts
eine ganz andere Konzeption von „Bild“ hatten, als wir heute.
Der Begriff Bildersturm wird benutzt, um viele unterschiedliche Akte zu
beschreiben. Die sogenannten „Bilder“ — die Zielscheibe des Akts — können
Fenster oder Predigtstühle, Skulpturen oder Bildhauerei und Wandmalerei,
Retabeln oder Altäre sein. Diese können aus Marmor oder Stein oder Holz
oder Leinwand gemacht sein. Sie können mit Öl oder Blei oder Tinte oder
Schwärze oder Tempera oder mit Nichts gestrichen sein. Sie können kostbar
aus importiertem Marmor gefertigt oder vergoldet oder mit kostbaren Farben
gemalt sein — oder billig: von einem Jungen gehauen.
Die meisten Bilderstürmer waren Männer — nur von wenigen Frauen wird
oder Händ-
berichtet —, aber sie können Bauern oder Kaufleute, Zimmerleute
r oder Fischer, Arm oder Reich, Stadtbürg er oder Dorf-
ler, Gärtner, Holzhaue
oder allein sein. Jeder Bilderst ürmer hat eine Familie — Vater,
bewohner, viele
in einem
Mutter, vielleicht seine eigenen Kinder und seine Frau — und wohnt
hatten eine Stelle,
bestimmten Dorf oder einer bestimmten Stadt. Die meisten
et, ge-
mit ihrer Geschicklichkeit, ein Gewerbe. Ihre Hände waren ausgebild
war auf bestimmt e Weise einzigarti g, mit seiner
schult. Jeder Bilderstürmer
Geistigke it, seinem Glauben. Er konnte mit sei-
eigenen Erfahrung, Bildung,
Axt oder einem Hammer das Objekt behauen oder
‚nen Händen, mit einer
en
schlagen oder zerreißen oder zerspalten oder aufknacken oder zerbrech
oder zerstören — er konnte das Objekt so zerstören, wie es ihm bedeutun gsvoll
gewesen war.
en
Und jeder Akt findet statt. Die meisten Akte finden in einer bestimmt
ung, Stiftun-
Kirche statt, mit einer eigenen Geschichte von Bau und Erweiter
gen und Patronen, von Liturgie und Andachtspraxis. Die meisten finden in ei-
nem Kontext bestimmter und bekannter Bedeutungen und Mitbezeichnungen
statt. Andere Akte, wie einer in New York im März 2000, finden auf einem
ein
Kirchhof statt.3 Wieder andere finden im Zentrum eines Dorfes statt, als
Objekt unbekannter Herkunft zerrissen zu einem gemeinen Platz gezogen
oder getragen worden war. Noch andere finden auf einer Straßenkreuzung
oder auf einem Weg statt, vielleicht auf einer Handelsstraße oder einer Pilger-
straße. Und einige finden auf einem Feld statt, wo in der Vergangenheit ein
Wunder stattgefunden hatte und ein Bild aufgerichtet worden war, das Wun-
der zu erzählen oder einfach zu bezeichnen. Jeder Akt hat einen Standort, mit
dessen eigener Geschichte, eigener Gemeinschaft von Menschen, eigener An-
dachtspraxis, eigener Bedeutung.*
Mehr als das griechische Wort „iconoclasmus“ hat das deutsche Wort „Bil-
dersturm“ den Beiklang von Gewalt. „Iconoclasmus“ signalisiert erstens
Widerstand, womit Worte oder Handlungen bezeichnet sein können. Beide
Begriffe unterstreichen Gewalt, aber vergessen das bestimmte Ziel der Ge-
walt. Wenn wir von „Bildersturm“ sprechen, denken wir nicht an den denken-
den oder Bedeutung zuweisenden Menschen, oder an ein bestimmtes Objekt,
das ein Mensch — vielleicht derselbe, wiewohl meist nicht — mit seinen
Händen und viel Geschicklichkeit gemacht hatte. Wir denken, zum Beispiel,
an die Zerstörung der Renaissancekunst in Florenz wegen Savonarola — aber
nicht an das, was in den „Bildern“ dargestellt war. Wir denken an Zerstörung,
aber nicht daran, was zerstört wurde. -
David Freedberg hat von der „Macht der Bilder“ gesprochen, aber wenn wir
vom Bildersturm reden, sprechen wir nicht von Widerstand oder von Gewalt.
Wir sagen nicht, daß ein heiliger Raum von verführender Kraft befreit wurde.
Es bedeutet etwas, wer das Werk gemacht hat und wer es gestiftet hat. Doch
mehr bedeutet es, was das Werk darstellt, ob einen Heiligen oder Jesus Chri-
stus oder Gott selbst, ob eine heilige Geschichte oder Person. Aber von größter
Bedeutung ist die Andachtspraxis, die das Bild angeregt hat. Verschiedene
Bilder haben unterschiedliche Arten von Macht. Und es braucht verschieden-
artige Gewalt, um die unterschiedlichen Arten dieser Macht zu brechen.
Ich war eingeladen, über das Elsaß zu schreiben. Es ist zehn Jahre her, daß
ich das Kapitel über Straßburg in meinem Buch ,,Voracious Idols“ geschrie-
ben habe.> Heute möchte ich über einige Fälle des Bildersturms in Straßburg
nachdenken, um der Bedeutung individueller Gewaltakte nachzugehen. Da-
mit hoffe ich eine neue Konzeption von historischem Prozeß anzudeuten, in
dem die Gewaltakte der Bilderstürmer uns die zeitgenössischen Bedeutungen
des Materiellen sehen lassen. Alle Akte fanden in der Stadt Straßburg statt.
Von den Elementen im Ensemble eines Bildersturms sind uns die Bilder-
stürmer am wenigsten bekannt. In einigen Städten war Bildersturm Gottes-
lästerung und damit ein Kapitalverbrechen. Wir wissen, daß viele Zeugen
keine Namen nennen wollten. In Straßburg zum Beispiel entfernte „ein gros-
ser ufflauf [...] von den lautterischen“ die Retabeln, Gemälde und Reliquien
vom Münster und der Sankt-Aurelien-Kirche am Samstag und Montag, dem
29. und 31. Oktober 1524. Die Bilderstürmer beließen ein Retabel auf dem
Altar des Münsters.$ Weder die Imlinsche Familienchronik noch Johannes
Stedel nennen einen der Bilderstürmer; alle bleiben namenlos. Stedel schrieb
einfach über die Bilder, man habe „sie [...] hinweggethan.‘7 Wir wissen nicht,
wer es tat, noch wie viele es waren. Am 1. April 1525 tat man ein Marienbild
„by nacht hinweg.“ Zwei Wochen später wurden eine Vorhalle und ein Altar
im Eingang des Münsters in Stücke geschlagen und weggenommen.? Ein Jahr
später, am Montag, dem 3. Dezember, war ein Kreuz aus dem Münster ver-
schwunden.!0 Schließlich, während des Jahres 1530, wurde ein Retabel in
Stücke gehauen. Nach Sebald Büheler fingen „sie“ in diesem Jahr an, die Al-
täre in den Kirchen Jung St. Peter und St. Thomas und die Retabeln zu zer-
schlagen, und im Münster die Retabeln und andere Objekte die ganze Nacht
hindurch zu zerschmettern und total zu zerschlagen.!!
Alle Geschichten von bilderstürmerischen Taten sagen nichts über die
Identität der Bilderstürmer aus: wo sie herkamen, ob es Männer oder Frauen
in Reformation
5 Lee Palmer Wandel, Voracious Idols and Violent Hands: Iconoclasm
3.
Zurich, Strasbourg, and Basel. New York/Cambridge 1995, Paperback 1999, Kapitel
6 Strassburg im sechzehnten Jahrhundert , 1500-1591. Auszug aus der Imlin’schen Famili-
als
enchronik, hrsg. von Rudolphe Reuss, in: Alsatia 10, 1873/74, 401 [im folgenden
Imlin’sche Familienchronik wiedergegeben].
hrsg. von Paul Fritsch.
7 Johannes Stedel, Die Strassburger Chronik des Johannes Stedel,
Straßburg 1934, 95.
s d’Alsace, Bde.
8 Les annales de Sébastien Brant. (Fragments des anciennes chronique
3-4.) Straßburg 1892/1901, Nr. 4600. Auch La petite chronique de la cathédrale (Die
Bd. 1.) Straßburg
kleine Münsterchronik). (Fragments des anciennes chroniques d’Alsace,
‘1887, 19; Imlin’sche Familienchronik (wie Anm. 6), 403; Stedel, Strassburger Chronik
(wie Anm. 7), 97.
9 Brant, Annales (wie Anm. 8), Nr. 4604.
chroniques d’Alsace,
10 Sebald Büheler, Strassburger Chronik. (Fragments des anciennes
8), 20; Imlin’sche Familien-
Bd. 1.) Straßburg 1887, 76; La petite chronique (wie Anm.
chronik (wie Anm. 6), 407.
11 Büheler, Strassburger Chronik (wie Anm. 10), 79.
168 Lee Palmer Wandel le Een
EN eu RL te le
unbekannt. Des-
waren, wie alt sie waren. Die Bilderstürmer bleiben absolut
mer
wegen können wir auch nicht sagen, was es bedeutet, ob ein Bilderstür
oder Zimmermann,
reich oder arm war, männlich oder weiblich, Kaufmann
und was an-
Stadtbewohner oder Dorfbewohner. Die Chroniken sagen nur, wo
Bilderstür mer kennen wir, darauf kommen
gegriffen wurde. Die Wirkung der
wir zurück.
Gartner
Es gibt aber auch Bilderstürmer in Straßburg, die bekannt sind: die
wohnten im Pfarrbez irk St. Aurelien und
unter den Wagnern. Diese Gartner
Am 22. Novembe r 1524 öffneten sie
wählten Martin Bucer zu ihrem Prediger.
Am 23. Ja-
das Grab von Sankt Aurelia, um zu sehen, „ob sie darin liegt“.12
nuar 1525 nahmen die Gartner ein Wegkreuz hinweg, das vor dem Weißen Tor
ungefähr 200 m von ihrer Kirche entfernt stand.!3 Die Gartner waren tätige
Reformatoren: Sie hatten schon mit den mächtigen Chorherren von St. Tho-
mas gestritten, um das Recht zu gewinnen, Martin Bucer als ihren Prediger zu
wählen. Ihre Pfarrkirche war oft ein Ort des Bildersturms. Am 29. und 31. Ok-
tober 1524 entfernten unbekannte Bilderstürmer die Retabeln, die Gemälde
und andere Reliquien. Am 8. Februar 1525 zerschlugen unbekannte Bilder-
stürmer die Altäre der Sankt-Aurelien-Kirche.!* Vor Fastnacht 1525 waren
keine Retabeln, keine Altäre, keine Bilder mehr in der Sankt-Aurelien-Kirche
zu finden.
Obwohl es schwierig ist, genaueres über die einzelnen Bilderstürmer zu
erfahren, können wir ihre Wirkung rekonstruieren. In Straßburg gab es zwei
verschiedene Arten von Angriffen: solche auf einzelne Objekte an bestimm-
ten Stellen und solche auf alle Objekte in einer Kirche wie am 29. und 31. Ok-
tober 1524. Dieser Unterschied in den bilderstürmischen Akten zeigt uns zwei
verschiedene Bedeutungen dieser Objekte in der Andachtspraxis. Die An-
griffe auf einzelne Objekte verweisen auf ihre besonderen Bedeutungen. Ein
Angriff auf viele verschiedene Objekte dagegen weist auf etwas anderes hin
und vertieft die Deutung des Worts „Bild“, was ich später besprechen möchte.
Zuerst untersuche ich die einzelnen Opfer der bilderstürmerischen Gewalt.
Als die Gartner unter den Wagnern das Grab der Heiligen Aurelia öffneten,
fanden sie nur zwei Gebeine. Diese warfen sie ins Leichenhaus. Die Pfarrge-
meinde der Sankt-Aurelien-Kirche hatte diese Reliquien für besonders mäch-
tig gehalten. Im Juli 1199 war ein Soldat Philipps von Schwabenin das Grab
eingebrochen. Sofort danach war er von einem bösen Geist besessen worden
und hatte seine Hände und Füße mit seinen eigenen Zähnen zerrissen.!> Im
14. Jahrhundert versuchten die Chorherren von St. Thomas der Kirche einen
12 Stedel, Strassburger Chronik (wie Anm. 7), 95; La petite chronique (wie Anm. 8), 19;°
Büheler, Strassburger Chronik (wie Anm. 10), 73.
13 Brant, Annales (wie Anm. 8), Nr. 4571.
14 Ebd., Nr. 4584.
15 Luzian Pfleger, Kirchengeschichte der Stadt Straßburg im Mittelalter. Colmar 1941, 41.
+
neuen Patron zu verleihen, nämlich St. Mauritius, den sie in ihrer eigenen Kir-
che verehrten. Die Pfarrgemeinde Sankt Aurelien erkannte den neuen Patron
nie an und nannte die Kirche weiterhin Sankt Aurelia, was bis heute ihr Name
geblieben ist.l6
Reliquien sind nicht „Bilder“ in unserem Sinn, aber sie stellen etwas dar.
Reliquien sind erstens materielle Reste der Person eines Heiligen oder einer
Heiligen. Reliquien konnten die Kleider oder Haare oder Nägel sein, aber nor-
malerweise waren Reliquien Knochen: Tibulae, Fingerknochen, Armkno-
chen, Schädelknochen. Selten hatte eine Kirchgemeinde das ganze Knochen-
gerüst. Normalerweise verblieben nur einige wenige Knochen. Es war nicht
das Gerippe der Person des Heiligen, sondern Stücke davon. Überbleibsel,
Reste — weiß, fleischlos, hart. Die Reliquien waren das, was nach dem Tod
und nach dem Verfall des Körpers überlebte. h
Sie waren keine gewöhnlichen Knochen, sondern die eines Heiligen. Das
prägte die Andachtspraxis. Das scheint logisch und einfach zu sein und ist es
wiederum nicht. Präziser hat es damit zu tun, daß die Knochen die materiellen
Reste einer Person waren, die ein Leben des Geistes — ein geistvolles Leben,
sollte man sagen — geführt hatte. Die Knochen waren Bild eines Paradoxons:
die materiellen Reste eines Menschen, der seine eigene Fleischlichkeit über-
wunden hatte, so weit es möglich war, riefen ihn ins Gedächtnis der nach ihm
lebenden Christen zurück.
Die Gartner unter den Wagnern behandelten die Gebeine der heiligen
Aurelia, als ob es einfach Knochen wären. Als sie die Beinknochen ins Lei-
chenhaus warfen, zeigten sie, daß sie keine Beziehung zwischen der Heilig-
keit der Aurelia und ihren Resten anerkannten. Die Knochen waren nämlich
kein Bild der Spiritualität der Sankt Aurelia mehr.
Am 1. April 1525, zwei Wochen vor Ostern, wurde ein Bild der Jungfrau
Maria vom Hochaltar im Münster entfernt.!7 Dieses Bild kennen wir besser
als die meisten. Von vielen „Bildern“ des „Sturms“ wissen wir nicht, ob sie
aus Holz oder Marmor oder Stein oder Leinwand waren, ob sie geschnitzt
oder gemalt waren, ob sie zwei oder drei Dimensionen hatten. Für spätmittel-
Re-
alterliche Christen waren alle verschiedenen Skulpturen, Wandmalereien,
kommen wir zurück. Das Bild
tabeln, Kruzifixe, und Kreuze „Bilder“. Darauf
der Jungfrau hatte eine Geschichte. Es wurde 1404 in Prag hergestellt. Als das
Bild in Straßburg ankam, wurde es in einem kunstvoll geschnitzten Taber-
nakel in der Marienkapelle auf der Nordseite des Hauptschiffs des Münsters
sein Taber-
aufgestellt. 1483 wurde ein neuer Altar gestiftet und das Bild und
sowohl geschnitten wie
nakel darauf gestellt. Das Bild der Jungfrau scheint
16 Ebd., 49.
Anm. 8), 19;
17 Imlin’sche Familienchronik (wie Anm. 6), 403; La petite chronique (wie
Stedel, Strassburger Chronik (wie Anm. 7,97.
170 Lee Palmer Wandel
MM a a eee
che Geschick-
gemalt gewesen zu sein. Die Chronisten rühmen die künstleris
.!8 Beide waren auch kostbar. Allein der Ta-
lichkeit bei Bild und Tabernakel
bernakel kostete mehr als 60 Straßburge r Pfund.
ein blotafeln
Sebastian Brant schrieb: „Das Bild by nacht hinweg thun und
und daruff mit guldene n buchsta ben schriben : Alleın
für die kapffs machen
in excelsis Deo.“!9 Die Bilders türmer nahmen das
Gott die Er, oder Gloria
Sie taten viel mehr. Damit sagten sie etwas aus über
Bild nicht einfach weg.
en. Sie
ihr Verständnis der Andachtspraxis. Maria war nicht als Person anzubet
Mensch en geopfert . Aber das Bild war nicht das einzige
hat sich nicht für alle
Maria im Münster . Der Akt dieses Bilders turms hat nicht
Bildnis der Jungfrau
nur damit zu tun, daß dieses Objekt ein Bild der Maria war.
Das Münster insgesamt war der Jungfrau Maria geweiht. Ihr Bild auf dem
Altar in der ihr geweihten Kapelle war das einzige Bild, welches so stark Opfer
bilderstürmerischer Gewalt wurde. Es gab viele andere Bilder der Jungfrau —
n-
im Buntglas in den Fenstern des Münsters, als Skulpturen auf den Außenwä
den des Münsters und überall innerhalb des Münsters. Sie alle wurden nicht an-
gegriffen. Es kann deshalb sein, daß die Darstellung Mariens nicht der Grund
für den Angriff war. Es kann sein, daß vielmehr der Ort des Bilds ein Grund
war. Der Marienaltar war einer der Hauptaltäre des Münsters. Im Mittelalter
war der Altar im Lettner des Chors aufgestellt, der selber der Jungfrau geweiht
war. Es könnte auch sein, daß eine bestimmte Andachtspraxis bei dem Bild der
Grund des Angriffs war. 1264 stellten die Baumeister des Münsters in einer
Nische des Lettners einen Altar für die Bruderschaft Unsere Frau auf. Die Bru-
derschaft stiftete Messen auf dem Altar, und die Frommen beteten ein Vater-
unser und ein Ave Maria für jeden, dessen Namen auf der Stifterliste stand.
1306 zogen die Messen und Gebete zusammen in die Kapelle auf der Nordseite
des Hauptschiffs um. Nachdem der neue Altar gestiftet und aufgebaut worden
war, wurden die Messen dort nicht nur weiter gefeiert, sondern weitere Messen
wurden gestiftet, um die Todestage einzelner Stifter zu feiern.20
Das Bild war somit der Mittelpunkt der Andachtspraxis einer Gemein-
schaft, die reich genug war, einzelne Messen auf Ewigkeit zu stiften. Sie war
möglicherweise geschlossen oder zumindest gespalten zwischen denen, die
eine Messe stiften konnten, und denen, die es nicht konnten. Die Messen wa-
ren privat. Die einzelnen Messen waren geschlossen, exklusiv: die Namen
waren bestimmt. Die Stiftungen ermöglichten einige Messen, die nicht allen
Christen galten, sondern privat für Bürger, die eine Menge Geld hatten.
Das Bild der Jungfrau Maria besaß viele Bedeutungen. Ein Aspekt war die
Darstellung der Mutter Gottes, ein anderer seine Geschichte, dann sein beson-
Zeremonie im
tert. Die Glocke war nicht alt, sie war erst 1521 mit großer
Glockenturm aufgehängt worden.??
integraler Be-
Wie der Altar und das goldene Kreuz war die Glocke ein
en, der Kelch und
standteil der Liturgie. Die Messe wird vor dem Altar vollzog
der Priester viel-
die Patene liegen auf dem Altar. Während der Messe macht
seinem Körper ein
mal das Zeichen des Kreuzes, er hebt seine Arme, um mit
vor dem Kreuz
Zeichen des Kreuzes zu machen, und er macht dieses Zeichen
ung. Die
auf dem Altar. In der Messe spricht der Priester von der Kreuzig
Messe tönen die
Glocken rufen die Christen zu der Messe, während der
markierten
Glocken, um die Transsubstantiation zu bezeichnen. Die Glocken
Terz, Sext und
die liturgischen Stunden: Vesper, Komplet, Matutin, Laudes,
Symbol der
Nones. Die Altäre waren Ort der Messe, das Kreuz, das zentrale
Kreuzigung, die die Messe wiederherstellt. Und die Glocken bezeichnen die
liturgische Zeit, die Zeit des heiligsten Aktes der christlichen Verehrung ihres
Gottes. Für die Bilderstürmer waren der Altar, das Kreuz und die Glocke „Bil-
der“, sie zerstörten in ihnen Symbole des falschen Glaubens.
In Straßburg fanden zwei verschiedene Sorten bilderstürmerischer Taten
statt. Einmal wurden einzelne Objekte angegriffen. Der anderen Sorte bilder-
stürmischer Akte war gemeinsam, daß viele verschiedene Objekte angegrif-
fen wurden. Ich möchte somit den Unterschied unterstreichen, nicht zwischen
der Anzahl der Bilderstürmer — ob wenige oder viele —, sondern zwischen den
Akten, die ein oder zwei Opfer hatten, und den Akten, die viele verschiedene
Objekte angriffen. Damit hoffe ich, die Objekte selbst in den Mittelpunkt un-
serer Untersuchung zu stellen.
Besonders diese zweite Sorte bilderstürmischer Akte nannten viele Chroni-
ken und moderne Geschichtswissenschaftler ,,Aufruhr.“23 Sie sehen keine
Vernunft walten, wenn so viele verschiedene Objekte zerstört werden. Im
Gegenteil meinen sie, daß solche Gewalt irgendwie ,,unverniinftig™ ist oder
andere Motive hat — politische, ökonomische, soziale. Diese Einstellung be-
sagt viel über ihre Vorurteile: Viele Objekte seien nicht „‚Bilder‘, die Lettner,
Altäre und Kerzenstangen stellen nichts dar, oder: So vielen Objekten in der
Kirche eignet keine Wichtigkeit, keine Macht, keine Bedeutung. Aber sie se-
hen nicht, wie wichtig, wie mächtig, wie bedeutungsvoll in den Augen der
29.
24 Archives du Chapitre de St. Thomas de Strasbourg, 87, Nr.
ist auch
spätmittelalterlichen Theorie des Sehens.25 Die „Macht“ der Bilder
Jahr-
durch die Art menschlicher Natur bedingt, wie sie die Menschen des 16.
hunderts konstruierten.26 Jeder Mensch war, von Natur aus, zu dem Körper-
daß
lichen hingezogen. Schließlich glaubten viele spätmittelalterliche Denker,
der Mensch nur bildlich denken könne — das bedeutet, der Mensch braucht
Bilder, um abstrakte Ideen zu erfassen und zu begreifen.?’ In diesen Dimen-
sionen hatte das, was wir jetzt Objekte nennen, eine größere Wirkung, als wir
heute meinen. Alles Materielle hatte eine Macht: Es konnte die Augen angrei-
fen, die Seele aufregen, den Menschen bewegen. |
Seit langem haben wir anerkannt, daß die Bilderstür mer Gewalt ausübten.
Seit den Arbeiten von Hans Belting und David Freedberg haben wir einigen
Bildern Macht zuerkannt. Aber wir haben noch nicht die Macht oder die
Gewalt anderer Sorten von Objekten anerkannt. Oder, besser gesagt: Wir an-
erkennen als „Bilder“ nur die Objekte, die eine bestimmte Art von Gewalt
ausüben wie z.B. die Altäre: sie machten die Feier der Messe möglich, was
eine Gotteslästerung, ein Angriff auf Gott war. Die Altäre boten nicht nur
Platz, um die Messe zu feiern, sondern insofern als sie einen Sarkophag dar-
stellten, nahmen sie in der Bedeutung der Messe einen besonderen Platz ein.
Die Glocken hatten Gewalt: Sie läuteten die liturgischen Stunden ein, ob ein
Mensch einverstanden war oder nicht. Ein Ton ist, wie andere Bilderstürmer
sagten, aggressiv.28 Die Lettner spalteten die Gemeinschaft aller Christen in
Laien und Klerus und schlossen die Laien vom heiligsten Teil der Kirche aus.
Für einige Christen waren viele verschiedene „Objekte“ „Bilder“: Sie stellten
verschiedene Dimensionen einer falschen Konzeption von Gott und wie man
ihn ehrt dar. Für einige Christen waren viele verschiedene „Objekte“ gewaltig
_ was sie darstellten, war ein Angriff auf Gottes Willen oder Pietät oder
Glaube. Für einige Christen war Gewalt notwendig, um den Platz, von dem
aus man Gott ehrt, nicht nur zu reinigen, sondern zu beruhigen, frei von.
aggressiven und feindlichen Bildern zu machen. Nach dem Bildersturm be-
merkten viele evangelische Christen, die Kirchen seien nicht leer, sondern
„schön“ oder pur oder still.
Zum Schluß komme ich zu Straßburg, der Stadt, wo die bilderstürmischen
Akte stattfanden. Es ist von Bedeutung, wo die Bilderstürmer die Bilder an-
greifen. Jede Reichsstadt hat eigene Gerichtshoheit. Jede Stadt behandelt den
an we
re MR Dell: à
àa eset 3a —
| po
ii 4
EUR MONT taleieare a EU nb er
va ein: LÉ 2 va. sir df ho aid Le an
ge a vw}|morts ce
Zr a ee
: ‘ ee
7 prety vets ee"
initpat afeb, pitty
tee ’ ee
eek sia
abet Ados
4 fs kill, iti i ha ng ate se oye y RR ho ifTres Meveif
ini} nas . x
ty et 4 Poti) ct lots) 7
19aRBs pare un. At
AU vit € rary es ae
won :
2! (ty) LAansk er
à an a antye
x ré gti goign pete ATi ER de #1 pb
D ' LR ,
Latogetarée Hair ti ah. ee ov
Thy 4
aye à 2
dut
{ PAS nes | aeny bar Ir ba!
a
1
ne
;
4 aa
fi .
2 =
„Das crutzsyfix,
so im munster uff dem letner stund“
Von
Lucas Burkart
„Also mornist an der eschenmittwuchen machten sy ein uszschutz, namlich uff 400 man
wol gerust, und zugent nach mittag den nechsten uff Burg in das munster. Und zoch meister
Jacob der henchker vor innen allen, und zerschlugent im munster alle bylder und altar und
daffelen, und was sy funden, und trugentz uff den Musterplatz und machten 5 fur und
verbranten alle getzen. Und das crutzsyfix, so im munster uff dem letner stund, ward ab-
brochen, und zochens ein grosse zal junger kinden uff den Kornmarck und sangen den
psalmen ‚in exitu Ysrahel‘ darzu. Das ward am Kornmerck verbrant, und warmten sych die
wechter darby.“?
Die Schilderung ist typisch für die Chronistik der Reformationszeit. Veralige-
meinernd berichtet sie von der „Abthuung der Goetzen“ im Münster, der in
den nächsten Tagen die radikale Säuberung aller Kirchen der Stadt folgen
1 Ulrich Kopf, Die Bilderfrage in der Reformationszeit, in: Blätter für württembergische
Kirchengeschichte 90, 1990, 38-64; Sergiusz Michalski, The Reformation and the Visual
Arts: The Protestant Image Question in Western and Eastern Europe. London 1993, 2f.
2 August Bernoulli (Hrsg.), Chronik des Konrad Schnitt, in: Basler Chroniken, hrsg. von
der Historischen und Antiquarischen Gesellschaft in Basel. Bd. 6. Leipzig 1902, 116; Wil-
helm Vischer (Hrsg.), Chronik des Fridolin Ryff, in: ebd., Bd. 1. Leipzig 1872, 86f.; ders.,
Aufzeichnungen eines Basler Kartäusers aus der Reformationszeit, in: ebd., 446f.; Paul
Roth (Hrsg.), Aktensammlung zur Geschichte der Basler Reformation in den Jahren 1519
bis 1534. 6 Bde. Basel 1921-1950, hier Bd. 3, 279. In einem Brief an Willibald Pirckhei- -
mer vom 9. Mai 1529 schildert Erasmus die Geschehnisse des Bildersturms. Opus Episto-
larum Des. Erasmi Roterodami, hrsg. von Percy Stafford Allen. Bd. 8. Oxford 1934, 161-
164; Ernst Staehelin (Hrsg.), Briefe und Akten zum Leben Oekolampads. Bd. 2. Leipzig
1934, 280 ff.
Bildersturm als Mediengeschichte 179
sollte. Nur ein einziges Bild schien dem Chronisten spezieller Erwähnung
wert: „das crutzsyfix, so im munster uff dem letner stund“. Dabei handelte es
sich um die „magna crux cum salvatore“, die 1385 auf dem neu errichteten
Lettner aufgestellt und deren Länge auf dem Fußboden des Münsters markiert
worden war.3 Soviel, aber auch nicht mehr läßt sich über das zerstörte Kruzi-
fix selbst in Erfahrung bringen.* Verstehen wir jedoch das Kruzifix nicht nur
als Kunstwerk, für sich gesondert, sondern als Medium und blicken wir auf
dessen Funktionszusammenhänge und Verweise, in welchen es sich 1529 im
Kirchenraum befand, werden die Quellen wieder gesprächiger. Am Fuß des
großen Kruzifixes befand sich nämlich die Bitt (,,locus petitionis“), also die-
jenige Stelle, an der die Opfergaben für den Münsterbau abgeliefert werden
mußten. Damit erscheint das Kruzifix jedoch nicht nur als allgemeingültiges
Zeichen für die Passion und die Auferstehung Christi und somit als das
zentrale Symbol des christlichen Glaubens schlechthin, sondern auch als ein
Zeichen einer kirchlichen Ökonomie, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts
schwer in die Kritik geraten war. In diesem Sinne ließe sich das Interpre-
tament reformatorischer Bildkritik noch anwenden, denn die Funktion von
Bildern, nicht nur selbst Geld zu kosten, sondern Geld anzuziehen, gehört
zum Kanon kritischer und polemischer Äußerungen gegenüber der religiösen
Bildverehrung. Es scheint daher nur konsequent, daß das Basler Kruzifix vom
Lettner gerissen, mit besonderem Spott bedacht und auf dem Marktplatz ver-
brannt worden ist.
Doch geht man den Verweisen weiter nach, muß das hier angelegte Inter-
pretament reformatorischer Bildkritik — kaum ist es angelegt — gleich wieder
das sich in
relativiert werden. Denn das Kruzifix war nicht das einzige Bild,
der Nähe der Bitt befand; im Kontext der kritisierten kirchlichen Ökonomie
s
stand es mit anderen Worten keineswegs alleine. Der Klerus der Hochstift
eines der wertvolls ten
pflegte nämlich jeden Montag und jeden Mittwoch
kreuz
Stücke aus dem Münsterschatz zur Bitt zu stellen: das Heinrichs
sich bereits ein Splitter
(Abb. 1). Zu diesem Anlaß wurde dem Kreuz, in dem
e Heilig-
vom Kreuz Christi befand, jeweils die seit 1149 in Basel befindlich
noch ge-
blutreliquie angehängt, das Heilsversprechen mit anderen Worten
spendete, „so dick und
steigert. Wer all dies verehrte und an den Münsterbau
Mehr noch
vil“ er konnte, dem wurde ein Ablaß von vierzig Tagen gewährt.5
kreuz zum Ziel
als das Kruzifix auf dem Lettner hätte demnach das Heinrichs
6 Die Eigenschaft, Geld anzuziehen, kann gleichsam als Charakteristikum von mittelalter-
lichen Reliquiarien gelten. Nicht zuletzt diesen Mechanismus, der sich aus der theolo-
gischen Konzeption des Kirchenschatzes als des von der Kirche autoritativ verwalteten
Gnadenschatzes ergab, prangerte Luther in seinem Thesenanschlag von 1517 an; die Kritik
am Ablaßwesen als einer Ökonomie stellte also den eigentlichen „Ausbruch“ der Reforma-
tion dar. Kurt Aland (Hrsg.), Martin Luthers 95 Thesen. Mit den dazugehörigen Dokumen-
ten aus der Geschichte der Reformation. Hamburg 1965, 53f. Zum Ablaß im allgemeinen
vgl. Nikolaus Paulus, Geschichte des Ablaß im Mittelalter. Vom Ursprung bis zur Mitte des
14. Jahrhunderts. Paderborn 1922. Die Bitt im Münster bezeichnete nun aber genau den-
jenigen Ort, an dem der Zusammenhang von Kirchenausstattung, kirchlicher Spendenöko-
nomie und Ablaß faßbar wurde. Gegen eine Abgabe an den Münsterbau war das ganze Jahr ~
hindurch Ablaß zu erlangen. S. Carl Pfaff, Kaiser Heinrich I. Sein Nachleben und sein
Kult im mittelalterlichen Basel. Basel 1963, 85. Vgl. auch Peter Habicht, Mit Ablassprivi-
legien finanziert der Berner Rat den Bau des Münsters, in: Cécile Dupeux/Peter Jezler/Jean
Wirth (Hrsg.), Bildersturm. Wahnsinn oder Gottes Wille? Katalog zur Ausstellung. Zürich
2000, 209.
7 Vischer (Hrsg.), Chronik des Fridolin Ryff (wie Anm. 2), 86. Die Präzisierung Ryffs ver-
dankt sich, wie angedeutet, nicht einem genuinen Interesse am Schatz selbst, sondern ver-
sucht vielmehr papistischer Kritik und Propaganda zuvorzukommen. Der obrigkeitliche
sowie tumultuarische, auf alle Fälle weltliche Zugriff auf die Kirchenschätze war so ver-
breitet, daß er ausreichte, die neugläubige Partei als Diebesbande zu brandmarken. Mit sei-
nem Einblattdruck „Der Lutherischen, Evangelischen Kirchendieb und Ketzer Kalender“
bezichtigte der Straßburger Franziskaner Thomas Murner — in Abwandlung einer Darstel-
lung Holbeins — die Erneuerer des Glaubens weniger der Bildzerstörung, sondern des
schlichten Diebstahls kirchlicher Güter. Vgl. Peter Jezler, Thomas Murner beschimpft die
Reformationsanhänger als Kirchendiebe, die gegen das Gebot „Du sollst nicht stehlen“
verstossen, in: Dupeux/Jezler/Wirth (Hrsg.), Bildersturm (wie Anm. 6), 302f.
8 Ehemaliger Bischof (zwischen 1519-1527 im Amt, dann zurückgetreten, + 1550).
Bildersturm als Mediengeschichte 181
sowie die ebenfalls wertvollen Bücher veräußert.!3 Die aus Edelmetall gefer-
tigten Gegenstände des Münsterschatzes wurden nicht eingeschmolzen, son-
dern mitsamt den darin beschlossenen Reliquien bis kurz vor der Kantons-
trennung 1833 sorgsam in der Sakristei des Münsters verwahrt.
Dieses Vorgehen hat nun aber keineswegs mit einem anderen theologischen
Bildverständnis der Basler Reformation oder größerer Nachsicht dem Klerus
gegenüber zu tun. Für eine derartige regionale Prägung reformatorischer
Ideen haben sich keinerlei Hinweise erhalten — weder in den reformatorischen
Schriften und Predigten noch in der Durchsetzung der Reformationsordnung
durch die städtische Obrigkeit. Die Inspektion des Münsterschatzes durch die
städtischen Räte führte diesen, wenn es ihnen nicht ohnehin bewußt war,
zudem vor Augen, daß sich im Zentrum des Schatzes ebenfalls ein Kruzifix
befand: auf der Rückseite des Heinrichskreuzes (Abb. 2). Aber offensichtlich
war Schatz nicht gleich Schatz, oder Bild nicht gleich Bild. Um die von der
städtischen Obrigkeit geübten Distinktionskriterien zu verstehen, ist es not-
wendig, sich nochmals auf die Bilder einzulassen; hierzu muß die Aufmerk-
samkeit erneut auf das Vorher der Bilder gerichtet werden, um nach deren
Bedeutung vor der Reformation zu fragen.
Die Handveste des Bischofs Heinrich von Neuenburg aus dem Jahr 1260
stellte — abgesehen von geringfügigen Veränderungen - bis zur Proklamation
der vom städtischen Rat verabschiedeten Ordnung von 1521 die verfassungs-
rechtliche Grundlage Basels dar; diese wurde von jedem Bischof beim Amts-
antritt bestätigt. Darin versprach der Bischof unter anderem, für die jährliche
Einsetzung eines städtischen Rates zu garantieren, und kodifizierte somit eine
bereits bestehende Praxis.!* Während sich das komplizierte Wahlverfahren
mit der schwindenden Macht des bischöflichen Stadtherren bereits im
14. Jahrhundert zu wandeln begonnen hatte, blieb das Zeremoniell der Einset-
zung des Rats bis 1521 unverändert. Dieses hat sich als Kodifikation im Zere-
monienbuch des Domkaplans Hieronimus Brilinger überliefert. Nachdem
sich Domkapitel und Ratsherren vor dem Münster versammelt hatten, nahm
der Bischof auf einem dort aufgebauten Sessel Platz. Während nun die Hand-
veste verlesen wurde, trug der Subkustos auf einem seidenen Kissen das gol-
dene Evangeliar Kaiser Heinrichs II. herbei und legte es vor den Bischof auf
einen mit einem goldenen Tuch bedeckten Stein. Auf das Evangeliar hatten
13 Die Bedeutung liturgischer Gewänder sowie ihr materieller Wert wurden in der bisheri-
gen Forschung zu Kirchenschätzen gewaltig unterschätzt. Nicht zuletzt hat das auch mit
den weniger dauerhaften Materialien der Gegenstände zu tun. Erhaltene Exemplare
. verweisen jedoch nicht nur auf die Funktion in der kirchlichen Liturgie, sondern auch auf
Vgl.
Repräsentationsmöglichkeiten sowie den materiellen Wert von Kirchengewändern.
Susan Marti, Kirchliche Macht und Objekte des Kults, in: Dupeux/Jezler/Wirth (Hrsg.),
Bildersturm (wie Anm. 6), 150-159.
14 Andreas Heusler, Verfassungsgeschichte der Stadt Basel im Mittelalter. Basel 1860,
127-131.
184 - Lucas Burkart
nun die Kieser ihren Eid zu schwören. Danach begab sich der Bischof ge-
meinsam mit den Wahlmännern in das Haus der Münsterfabrik, um den neuen
Rat zu wählen. Nach der Wahl kehrten sie wieder auf den Münsterplatz zu-
rück. ,, Wenn der Bischof und die anderen Wahlmänner und die anderen Wäh-
ler heraustreten, schreitet ihnen der Schultheiss mir seiner Begleitung wie-
derum voraus bis zum Bischofsstuhl. Dann kommt, unter Vorantritt des Dor-
mentarius und eines Ministranten im Chormantel, der die brennende Kerze
der Schenkwirte hält, der Subkustos heran; er trägt, angetan mit dem Chor-
mantel, auf seidenem Kissen das goldene Kreuz und legt nun beides auf dem
oben erwähnten Stein so nieder, dass der Fuss des Kreuzes den Herren vom
Rat zugekehrt ist. Jetzt verliest der Ratsschreiber die Namen der für das kom-
mende Jahr neugewählten Ratsherren. [...] Dann werden alle in den neuen
Rat Gewählten aufgerufen und leisten miteinander dem Bischof den Eid.“15
Die Einsetzung des städtischen Rates und damit verbunden der Amtseid als
die juristische Geste, die städtische Herrschaft überhaupt konstituierte!©, wa-
ren mit anderen Worten aufs engste an die heilsversprechenden Stiftungen des
Heiligen Kaisers geknüpft; damit verband sich das weltliche Regiment mit der
jenseitigen Herrschaft, was uns für eine mittelalterliche Stadt nicht erstaunt,
zumal deren Stadtherr ein Bischof war. Ein Blick von den verfassungsrechtli-
chen Normen und zeremoniellen Kodifikationen auf die soziale und politische
Praxis in der Stadt zeigt, daß um 1500 vom Zeremoniell wesentlich nur zwei
Dinge blieben: der Eid sowie das Heinrichskreuz als magisches, legitimations-
stiftendes Zeichen; diese beiden schienen nun aber um so stärker, gleichsam
untrennbar zusammenzugehören. Denn als Stadtherren waren die Bischöfe
faktisch längst entmachtet; sie residierten seit gut 150 J ahren mehrheitlich
nicht mehr in der Stadt, sondern in ihren Bischofspalästen in Porrentruy, De-
lémont und St. Ursanne. 1506 schließlich sah die revidierte Wahlordnung gar
vor, daß die Wahl der Kieser allein durch den abtretenden Rat und ohne den
Bischof stattfinden sollte.!7 Der Bischof wurde mit anderen Worten von den’
politischen Prozessen ausgeschlossen, während er in der symbolischen Prä-
sentation dieser Prozesse weiterhin als das zentrale Referenzsystem galt.!®
Auch das Kapitel vermochte sich der wachsenden Macht der Stadt nicht zu
t
Abb.2 Heinrichskreuz (Rückseite). Diathek des Historischen Seminars der Universitä
Basel.
186 ; Lucas Burkart
Re RE CE
19 Rudolf Wackernagel, Geschichte der Stadt Basel. 3 Bde. in 4 Teilen. Basel 1907-1924,
Bd. 2/1, 19.
20 Zum exemplarischen Fall der „souveränitätsstiftenden Funktion des Eides in der Eid-
genossenschaft“ vgl. Prodi, Sakrament (wie Anm. 16), 181.
21 Heusler, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 14), 414. Diese Distanz zeichnete sich be-
reits im Schwaben- oder Schweizerkrieg des Jahres 1499 ab, als die Stadt sich nicht gegen
die Eidgenossen auf die Seite des Reiches schlug, sondern neutral blieb und somit dem
Kaiser letztlich den Gehorsam verweigerte. Zur Einschätzung der Basler Politik des ,,Tur-
ning Swiss“ vgl. Claudius Sieber-Lehmann, Neue Verhältnisse. Das eidgenössische Basel
zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in: Marco Bellabarba/Reinhard Stauber (Hrsg.), Territo-
riale Identität und politische Kultur in der Frühen Neuzeit. Berlin 1998, 271-299.
22 Dieselbe Inszenierung, mit der man den Bund mit der Eidgenossenschaft erneuerte und
bekräftigte, fand bereits 1507 und 1514 statt und sollte auch 1526 nochmals wiederholt
werden. Vgl. Wackernagel, Geschichte (wie Anm. 19), Bd. 3, 4.
Bildersturm als Mediengeschichte 187
* Abb.3 Luzerner Chronik des Diebold Schilling, Basel schwört den Bund mit den Eid-
Basel.
genossen (fol. 211"). Diathek des Historischen Seminars der Universität
188 ; Lucas Burkart
Abb. 4 Basler Antependium (11. Jh.). Diathek des Historischen Seminars der Universität
Basel.
als Adressaten der heiligen Sendung.* Spätestens seit diesem Zeitpunkt fand
das Kaiserpaar endgültig Aufnahme in den Katalog symbolischer Güter des
patrizischen Regiments. Damit verlagerte sich die Partizipation an diesen Gü-
tern aus dem exklusiven Kontrollbereich von Bischof und Domkapitel; der
Heinrichskult erlangte auch für die Bürger als Projektionsfläche symbolischer
Repräsentation Relevanz.?>
Wie sehr sich die Stadt um diese Partizipation bemühte, zeigt ein weiteres
Beispiel. Im März 1373 verpfändete Bischof Johann von Vienne dem Basler
Rat das Münzregal für 4000 Florentiner Gulden; seitdem unterlag die Münz-
produktion vollständig städtischer Kontrolle. Trugen Basler Münzen bisher
als Hoheitszeichen in der Regel den Baslerstab, bischöfliche Insignien, Bi-
schofsporträts oder Mariendarstellungen, und verwiesen sie somit stets auf
den formalen Stadtherren, griff der Rat in der ersten Hälfte des 15. Jahrhun-
derts auch in die Ikonographie der städtischen Währung ein. Um 1425 wurde
in Basel eine neue Münze geschlagen, der Plappart (Abb. 5a und 5b).26 Dar-
auf erschien nun erstmals das Bildnis Kaiser Heinrichs II. Die Funktion des
ikonographischen Wandels ist offensichtlich. Der Stadtpatron präsentierte
sich als Legitimationsfigur von Herrschaft schlechthin. Die neue Prägung ist
aber trotz des Porträts des heiligen Kaisers nicht als Verweis auf kaiserliche,
geschweige denn bischöfliche Herrschaft zu verstehen. Denn nicht der Bildin-
halt an sich, sondern dessen kommunikativer Kontext entscheidet über den im
Bild repräsentierten Herrschaftsanspruch sowie dessen Träger; der ikonogra-
phische Wandel der Basler Münzprägung um 1425 ist demnach als Verweis
auf das städtische Regiment zu deuten.
An der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert verwies das Bildnis des heili-
gen Kaisers, des Wohltäters der Stiftskirche und des Begründers des Münster-
schatzes, in Basel stärker auf das städtische Regiment als auf die bischöfliche
Herrschaft.
Der politische Prozeß, den Basel zwischen der Mitte des 13. und dem be-
ginnenden 16. Jahrhundert erlebte und der die realen Machtverhältnisse in der
Stadt allmählich veränderte, war von einer Kontinuität in der Zeichensprache
symbolischer Herrschaftslegitimierung begleitet. So ist es auch nicht als
dauerhafter Einfluß bischöflicher Herrschaft zu verstehen, wenn der Rat den
Bund mit den Eidgenossen am Heinrichstag mit dem Eid bekräftigte. Viel-
mehr erklärt es sich aus der schwachen Stellung des Rates, einer Schwäche,
die sich weniger in der Durchsetzung realer Herrschaftsrechte — etwa ge-
gen Randgruppen?? — manifestierte, sondern in einer Schwäche, die das Zen-
trum ebendieser Herrschaft zu gefährden drohte: die Schwäche ihrer Legiti-
mation.
In der allmählichen Aneignung des Bildes und der Bilder des städtischen
Patrons zu einer gültigen Projektionsfläche für die Herrschaft des städtischen
Rats und der Bürgerschaft lag das wichtigste Medium zur Legitimation eben-
dieser Herrschaft.28 Doch integraler Bestandteil dieser Aneignung zwischen
13. und 16. Jahrhundert mußte eine Umdeutung der Bildbedeutung sein. Von -
Jezler/Wirth (Hrsg.), Bildersturm (wie Anm. 6), 194f. Zur Münzprägung im Kontext städ-
tischer Verfassungsgeschichte vgl. Heusler, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 14), 228 ff.
27 Katharina Simon-Muscheid, Randgruppen, Bürgerschaft und Obrigkeit. Der Basler
Kohlenberg 14.-16. Jahrhundert, in: Susanna Burghartz u.a. (Hrsg.), Spannungen und
Widersprüche. Gedenkschrift für FrantiSek Graus. Sigmaringen 1992, 203-225. Speziell
zur Durchsetzung von männlicher Herrschaft in der Ehe vgl. Susanna Burghartz, Zeiten
der Reinheit — Orte der Unzucht. Ehe und Sexualität in Basel während der frühen Neuzeit.
Paderborn 1999.
28 Die Forschungen zu den Stadtstaaten der italienischen Renaissance haben gezeigt, daß
in der Aneignung und Inanspruchnahme bestehender — oftmals magischer — Bilder durch
die aufstrebenden ‚neuen Klassen‘ Herrschaft begründet und Identität gestiftet wurde.
S. Richard C. Trexler, Public Life in Renaissance Florence. New York/London/Toronto/
Sydney/San Francisco 1980, 240-263; ders., Florentine Religious Experience: The Sacred
Image, in: ders., Church and Community 1200-1600: Studies in the History of Florence
and New Spain. Rom 1987, 37-74.
Bildersturm als Mediengeschichte 191
den Bildern und Versprechen des Heils, welche die Heinrichsbilder und
-gaben ursprünglich ja waren, wandelten sie sich gewissermaßen zu Zeichen
zweiter Ordnung, zur Garantie legitimer Herrschaft in der Stadt schlechthin.
Die Schonung des Münsterschatzes im Bildersturm und in der bis in die
1540er Jahre anhaltenden Säkularisierung des Kirchen- und Klosterbesitzes
unterstreicht die endgültige Durchsetzung dieser zweiten Ordnung der Zei-
chen über ihre ursprüngliche Bedeutung. Nur diese Bedeutungsverschiebung,
dieser Zeichenwandel erklären, weshalb der Münsterschatz weiterhin als das -
zentrale ikonische Referenzsystem Gültigkeit beanspruchen konnte und wes-
halb er selbst das Ende seiner eigentlichen Bedeutung als liturgisches Instru-
ment und als heilsversprechende Sammlung altgläubiger Devotion zu über-
dauern vermochte. Nur so, als scheinbares Paradox von bildlicher Kontinuität
und zeichenhaftem Wandel, überdauerte der Münsterschatz auch die zerstöre-
rischen Kräfte der Reformation.?? x
Ein solcher Wandel war jedoch nicht für alle Bilder denkbar. „Das crutzsy-
fix, so im munster uff dem letner stund“, wurde, wie eingangs geschildert,
nicht geschont30, obwohl sich gerade um die Beseitigung der Kruzifixe eine
lebhafte Debatte unter den Reformatoren entspann. Luther etwa hielt Kruzi-
fixe nicht nur für tolerierbar, sondern gar für wünschenswert, während die
radikale Position Karlstadts bekanntlich alle bildlichen Darstellungen miß-
billigte, auch das Kruzifix.?! Die Untersuchungen zu Basel unterstreichen
nochmals, daß die reformatorische Bildkritik alleine den Bildersturm nicht
schlüssig zu deuten vermag. Bilder waren mit anderen Worten auch zur Zeit
der reformatorischen Bilderstürme weniger festgeschriebene Zeichen theolo-
gischen und religiösen Inhalts als Kommunikationsmedien, deren Bedeutung
wandel- und verhandelbar war.
Ihre Medialität ist die Macht, aber zugleich auch die Ohnmacht der Bilder.
Ihrer Funktion, Medien zu sein, können sie sich nicht entziehen, und verwei-
gern läßt sich der Verweis auf ein wie auch immer geartetes außerbildliches
Referenzsystem ebensowenig, wie sich dessen Wandel voraussagen läßt. Die
Verweisordnungen sowie deren historischer Wandel bilden den gesellschaftli-
dem sie
chen Kontext, in welchem Bilder und Bildpraktiken stehen und in
sich deuten lassen.
neuralgischer
29 Figuren des Kaiserpaares blieben auch an anderer, politisch nicht weniger
kmäler (wie
Stelle erhalten: am Uhrgehäuse des Rathauses. Vgl. Baer (Hrsg.), Kunstden
Anm. 26), 376 ff.
r war die
30 Gleichermaßen überdeterminiert wie das Kruzifix, aber dennoch wandelba
Kind an der Rathaus-
Figur der Stadtpatronin Maria. Die Skulptur einer Muttergottes mit
der Reformat ionszeit kurzerha nd in eine Justitia umgewand elt und somit
fassade wurde in
als für das gerechte Regiment der Stadt program-
als eine konfessionell unverdächtige und
matische Personifikation präsentiert. Vgl. ebd., 376.
31 Michalski, Reformation (wie Anm. 1), 27.
192 ; Lucas Burkart
ag AEE, se ED SAMEEREN ee
Teil dieses Kontextes war auch am Beginn des 16. Jahrhunderts die Mate-
rialität der Bilder. Heilige Bilder, Reliquiare und Devotionalien waren seit
dem Mittelalter zum größten Teil auch materiell wertvoll; im Vergleich zu den
ökonomischen Verhältnissen der Betrachter stellten sie einen unvorstellbaren
Kontrast dar; pointiert formuliert, sah ein Gläubiger, wenn er das Heinrichs-
kreuz verehrte, auch den mehrfachen Konsumtionswert seiner eigenen Le-
benszeit.32 Der Kirchenschatz als Akkumulation solcher Wertgegenstände
war die prägnanteste Form dieses Sachverhalts. Damit soll jedoch nicht durch
die Hintertür das Argument der „Entzauberung der Welt“ eingeführt werden,
denn gerade der Basler Bildersturm zeigt ja, daß solche Akkumulationen wäh-
rend der Reformation nicht zwangsläufig in die (rationale) Form klingender
Münze verwandelt wurden — ganz im Gegenteil; der Münsterschatz blieb in-
takt. Selbst die Reliquien, von denen man sich gemeinhin in den reformierten
Orten diskussionslos ebenso rasch wie endgültig getrennt hatte und die bei
den Neugläubigen keine Rolle mehr spielten, blieben als Teil des Ensembles
erhalten.
Eine über den heutigen Forschungsstand hinausweisende Interpretation des
reformatorischen Bildersturms verlangt danach, den Blick nicht nur in die
Bücher und Schriften der Theologen zu richten, sondern auch die Bilder selbst
und die Bildpraktiken zu untersuchen. Doch dabei interessieren die Bilder
weniger in ihrer Funktion als Kunstwerke denn als Medien. „Das crutzsyfix,
so im munster uff dem letner stund“, verweist mit anderen Worten auf Bilder,
die den Bildersturm unbeschädigt überdauert haben; auch das zerstörte Bild
ist Medium. Diese Medien haben ihre Geschichte, die vor dem Bildersturm
einsetzt, und diesen auch überdauert.
Die Gültigkeit des ikonischen Referenzsystems als herrschaftslegitimieren-
des Medium reichte in Basel nämlich nicht nur bis in die Reformation hinein,
sondern weit darüber hinaus. So wurde bereits zur Mitte des 16. Jahrhunderts
die Erinnerung an den Stadtpatron wieder aufgefrischt. Seit 1545, so der Be- :
richt des Johannes Gast in seinem Tagebuch, wurde der Heinrichstag in der
Stadt wieder begangen, und „alle Ratsherren samt den Zunftvorgesetzten und
den Dienern der Kirchen und anderen Beamten der Republik [wurden] ins
Rathaus zu einem reichen Mittagsmahl eingeladen.“# Die Erinnerung an den
Stadtpatron wurde hochgehalten, doch nicht mehr eingebunden in die Liturgie
der Stiftskirche, sondern begangen als ein einem Zunftessen vergleichbares
Moment kollektiver Identitätsstiftung.
Vergleichbar war der Umgang mit dem physischen Zentrum des Referenz-
systems dieser Identitätsbildung. Der um die Heinrichsgaben gewachsene
Münsterschatz war zwar nicht mehr sichtbar, doch die Sorge des städtischen
Rats, die sich bereits unmittelbar nach Ausbruch des Bildersturms manife-
stierte, ließ keineswegs nach. Bis zur Kantonstrennung im Jahre 1833 wurden
die Bestände des in der Sakristei verborgenen Schatzes in nicht weniger als
vier Inventaren und ebenso vielen Revisionen gesichert und somit für ein aus-
gewähltes Segment des städtischen Rats sichtbar gemacht. Das gesicherte
Wissen gesellschaftlicher Eliten um die Anwesenheit und Unversehrtheit des
Schatzes scheint die stadtweite Visualisierung abgelöst zu haben.
Und heute? Selbst unter den vollständig veränderten kulturellen Vorausset-
zungen des anbrechenden 21. Jahrhunderts scheinen die Medien vormoderner
städtischer Herrschaft noch Attraktivität auszustrahlen. Das Programm des
vergangenen Sommers führte dies der Öffentlichkeit nur allzu deutlich vor
Augen. Die Feierlichkeiten anläßlich der 500-Jahr-Feier des Bundes zwischen
Basel und der Eidgenossenschaft sahen nach einem Festakt im Münster fol-
also
gende Aktivitäten vor: In einem Historienspiel wurde am 13. Juli 2001,
am Heinrichstag, auf dem Münsterplatz, nicht auf dem Marktplatz, der
Schwur von 1501 szenisch aufgeführt; die Anknüpfungspunkte waren offen-
sichtlich und ebenso offensichtlich auch inkorrekt.3* Doch beachtlicher noch
als die Inszenierung des Schwurs auf den Bund mit den Eidgenossen war der
in
Beitrag des Historischen Museums anläßlich des Jubiläums: Er bestand
nichts weniger als einer Schau des Münsterschat zes.
Von
Christian Rümelin
€ brat
Grid Bsiechifchen waarhene
nachautte aller cis
cBeft Herseiisfchere
WITZ
Vor der Genesis war eine umfassende Ermahnung anstelle eines eigent-
lichen Vorworts eingeschoben, in welcher Leo Jud, der wahrscheinliche
Autor‘, die Intention dieses Unterfangens und der Bibellektiire>, die Haltung
der Ziircher Reformatoren zu Verboten®, Biicherverbrennungen und Druck-
fehlern? sowie der Übersetzungsproblematik erläuterte. Gerade der Überset-
zung wurde, durchaus in der Nachfolge von Erasmus und in Abgrenzung von
Luther, eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet, da diese ursächlich für die
gute Verständlichkeit verantwortlich ist und erst dadurch zusammen mit der
Buchausstattung eine weite Verbreitung garantieren würde.® Die eigentliche
Gestaltung wird von Jud erstaunlich ausführlich charakterisiert: „Zü disem
werck habend wir einen schönen lieblichen büchstaben gegossen / der sich al-
ten vnnd jungen wol fügt / vnnd damit wir der gedächtnuß etwas hulffind / vnd
den läser lustig machtind / habend wir die figuren nach einer yetlichen ge-
schicht gelägenheit hinzü getruckt / verhoffend es werde lustig vnd angenäm
sein. Einem yetlichen capitel habend wir die sum[m] / so darinn begriffen / in
kurtzen worten arguments weyß fürgestelt / vnnd näbend dem text con-
cordantzen angehefftet / welches alles in anderen / die vormals getruckt sind/
Biblien / nit so eigentlich obseruiert ist.“ 9
Die Buchillustration wird dabei in die gesamte Buchgestaltung eingebun-
den und erhält einen der Typographie oder der Register ähnlichen Stellenwert.
Es ist ein Ausstattungsmerkmal, das primär dem Leser dienen und ihm die
Freude an der Lektüre vergrößern soll.
Der andere Text stammt vom Straßburger Verleger Wendelin Rihel. Dieser
gab 1540 eine Laien-Bibel heraus, nachdem er zuvor bereits einige andere
Bibeln und vor allem theologische Schriften publiziert hatte.!° Diese „Leien-
Bibel“ umfaßte Holzschnitte von Baldung Grien und dessen Umkreis sowie
von Heinrich Vogtherr!! und seiner Werkstatt und wurde von Rihel 1542
nochmals aufgelegt.!? Rihel verwendete dabei die Schnitte, die er bereits in
seiner Gesamtbibel 1535 benutzt hatte, und doch unterscheidet sich die Laien-
Bibel von 1540 in einigen Punkten fundamental von seiner vorherigen Bibel-
ausgabe.!3 Im Vorwort seiner „Leien-Bibel“ erläutert Rihel ausführlich wie
sonst kein anderer oberrheinischer Verleger die Intentionen seiner Publika-
tion: „Man saget / wie fil güthertziger beschwere / das wir trucker allen Bibeln
gemeinlich figuren vnd bilder einmischen / als ob solichs vrsach geben newer
abgötterei / Welcher etliche liebe / from[m]e / gots förchtige vnd fast eiferige
mensche[n] sein / aber ohne rechte[n] verstand Christlicher freiheit / wie ich
sie der vrsach halte. Dan[n] zwar den reine[n] sind alle ding rein / Vnd Chri-
sten leut sind Herren aller ding / also das sie frei mögen aller creaturen Gottes
sich gebrauchen zur auffbawung an Got vnd des nehisten besserung / one was
an jm selbs böse od von Got verbotte[n] ist. Wer weisse aber nicht / das malen
vnd bilder machen an jhm selbs nicht böse / sonder ist ein edle gabe Gottes /
vnd nicht alleweg übel gebrauchet / Sunst würde der Allmechtig alle figuren
vnd bilder verbotten haben / die verehret oder da durch er verehret vnd ange-
rüffen werde / Weil er durch sein wort vnd Sacrament allein will angebetten
sein. “14
Rihel reagierte damit auf die Vorwürfe gegen die Drucker, sie leisteten der
neuen Abgötterei Vorschub. Dies stimme nicht, da alle Dinge, die von Gott
gegeben seien, an sich gut seien und nur das verboten sei, was Gott explizit
auch verboten habe.
Nicht die Anbetung oder Anrufung der Bilder erzeuge aber den Kontakt
zu Gott, sondern nur das Gebet, die Kenntnis der Bibel und die Sakramente.
Sowohl Leo Jud wie Wendelin Rihel faßten in ihren kurzen Vorworten die
Diskussion zwischen Martin Bucer, Andreas Bodenstein von Karlstadt, Mar-
tin Luther, Ludwig Hätzer und Huldrych Zwingli zusammen, die sich nicht
allein mit der generellen Frage nach Verwendung und Zulässigkeit von Bil-
dern beschäftigte, sondern durchaus die Verwendung und Funktion beachtete,
teilweise unter Berücksichtigung spezifischer Einschränkungen und Môglich-
keiten der Buchillustration bzw. deren Legitimation.!® Dies war gerade für die
Verleger in Basel, Straßburg und Zürich von zentralem Interesse. Erst vor die-
sem Hintergrund wird denn auch verständlich, warum gerade in diesen Orten
einerseits künstlerisch hochstehende, illustrierte Bücher und neue Buchtypen
entstehen konnten und andererseits diese Diskussion zu einer tiefgreifenden
Umwälzung in der Buchproduktion führte.
Illustrierte Bücher müssen aus theologisch-reformatorischer Sicht, wie es Ri-
hel auch andeutet, anders legitimiert werden als Bilder im Kirchenraum. Rihel
selbst bezieht sich explizt auf die Vorrede Luthers aus dem Betbüchlein von
1529, in der Luther selbst die Verwendung gedruckter Bilder billigt und die
Grenzen ihrer Verwendung aufzeigt. Bereits 1522 hatte er eine erste Bearbei-
tung seines Betbüchleins herausgegeben!9, das nach zahlreichen weiteren Auf-
lagen und Nachdrucken 1529 nochmals überarbeitet erschien und dem er
schließlich ein Passional anschloß und die Verwendung der Holzschnitte aus-
führlich begründete.20 Luther verwies dabei auf das Markus-Evangelium und
die dort von Christus erlaubte Verwendung von Gleichnissen, um Kindern und
„Einfältigen‘“ das Evangelium und den Glauben näher zu bringen. Genau dies
bezweckt er durch die Verwendung der Holzschnitte, „allermeist um der kinder
und einfeltigen willen, welche durch bildnis und gleichnis besser bewegt wer-
den, die Göttlichen geschicht zu behalten, denn durch blosse wort oder lere.“21
18 Die Literatur zur Bilderfrage kann hier nicht vollständig wiedergeben werden. S. aber
generell zu dieser Frage die in Anm. 1 angegebene Literatur sowie u.a. Margarete Stirm,
Die Bilderfrage in der Reformation. (Quellen und Forschungen zur Reformationsge-
schichte, Bd. 45.) Gütersloh 1977; Sergiusz Michalski, Aspekte der protestantischen Bil-
Gassen, Rihel
derfrage, in: Idea. Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle 3, 1984, 65-85, und
(wie Anm. 10), 168-179.
19 Zur Druckgeschichte dieser Schrift und den inhaltlichen Unterschieden der jeweiligen
Gesamtausgabe.
Ausgaben hier die Zusammenfassung in Martin Luther, Werke. Kritische
(Weimarer Ausgabe.Bd.) 1 ff. Weimar 1883 ff., hier Bd. 10, Abt. 2, 334-344, eine Zusam-
van der
“ menstellung der Ausgaben s. ebd., 355-365; s. auch zusammenfassend zuletzt
Coelen, De Schrift verbeeld (wie Anm. 12), 19-32.
| Pas-
20 Diese Ausgabe erschien unter dem Titel: Ein bet=!büchlin / mit eym Calender vnd
[Kolophon: Ge-
sional / hübsch zu gericht. | Marti. Luther | Wittemberg. | M. D. XXIX.
drückt zu Wittenberg / | durch Hans Lufft. | M. D. XXIX.].
Abt. 2, 458.
21 Betbüchlein 1529, zit. nach Luther, Werke (wie Anm. 19), Bd. 10,
202 ‘ Christian Riimelin
22 Ebd.
23 Ebd. ;
24 Vgl. zu den Vorläufern von Rihels Leienbibel: Gassen, Rihel (wie Anm. 10), 30-40;
Erika Michael, The Iconographic History of Hans Holbein the Younger’s Icones and
their Reception in the Later Sixteenth Century, in: Harvard Library Bulletin 3, 1992, Nr. 3,
28-47; Rümelin, Holbeins ‚Icones‘ (wie Anm. 2), 55, und van der Coelen, De Schrift _
verbeeld (wie Anm. 12), 60-68. Zur ikonographischen Tradition von Holbeins Icones als
einem der direkten Vorläufer s. auch Manfred Kästner, Die Icones Hans Holbeins des Jün-
geren. Ein Beitrag zum graphischen Werk des Künstlers und zur Bibelillustration Ende des
15. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. 2 Bde. Heidelberg 1985.
Bildverwendung im-Spannungsfeld der Reformation 203
misbrauch ist, habe ich ymer lassen und heissen bleiben und halten, also das
mans zu nützlichem und seligem brauch bringe.‘25
Mit dieser Aussage präzisierte Luther nicht nur seine eigene Haltung zu ge-
druckten Bildern oder illustrierten Bibelausgaben, sondern auch seine gene-
relle Position zur Bilderfrage, die er an anderer Stelle schon niedergelegt hatte.
Dabei hatte er mehrmals die richtige Verwendung der Bilder gefordert, d.h.
eine Funktion proklamiert, die sich analog zur Bibel auf eine Memorialfunk-
tion beschränkte und sich zudem auf die wichtigen Historien des Alten Testa-
ments und der Offenbarung konzentrierte.26 Er stellt sich zudem in eine deut-
liche Opposition zu Andreas Bodenstein von Karlstadt?’, Ludwig Hätzer?8,
Martin Bucer2? und diesen moderat nachfolgend auch Huldrych Zwingli.
Zwingli nimmt dabei eine Mittlerposition ein, indem er die grundsätzlich
bildbefürwortende Haltung Luthers und die grundsätzlich ablehnende Hal-
tung von Karlstadt, Hätzer und Bucer zu vereinen sucht. Wie Luther unter-
scheidet auch Zwingli bei der Verwendung von Bildern ihren Standort und
ihre Funktion. Er entwickelte seine Ideen bekanntlich im März und April
1525, also nur wenige Monate nach dem Zürcher Bildersturm in zwei Schrif-
ten, zum einen in „De vera et falsa religione“ und zum anderen in seiner
Antwort an den Urner Altlandschreiber Valentin Compar. Die Schrift zum
Verständnis des Glaubens erschien innerhalb von nur zwei Jahren in vier
Auflagen, zwei lateinischen Ausgaben 1525 (Abb. 2) und in einer von Leo Jud
besorgten Übersetzung ins Deutsche 1525 und 1526 (Abb. 3).30
25 Betbüchlein 1529, zit. nach Luther, Werke (wie Anm. 19), Bd. 10, Abt. 2, 459.
26 Diesen Gedanken entwickelte Luther bereits in seinen Invocavit-Predigten, speziell der
dritten und vierten Predigt (ebd., Bd. 10, Abt. 3, 21-40), und führte es in seiner Schrift
18,
„Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament“ (ebd., Bd.
37-214) sowie in seinem Passional von 1529 (ebd., Bd. 10, Abt. 2, 331-501) nochmals
weiter aus.
27 Von abthuhung der Bylder / | Vnd das keyn Betdler | vnther den Chri=Isten seyn soll, |
Carolstatt. in der Christliche[n] | statt Wittenberg. [Kolophon: Gedruckt tzu Wittenberg
Nickell Schyr=llentz / nach Christi geburt Tausen=Ifunffhundert vn[d] tzway vnd tzwent-
An-
zigsten Jar.]. - Der sogenannte Abendmahlsstreit, in den hauptsächlich Thomas Wolff,
dreas Cratander und Christoph Froschauer als Drucker bzw. Verleger in Basel und Zürich
und
involviert waren, muß hierbei außer acht bleiben. Interessant ist aber, daß gerade Wolff
Cratander nach ihrem Engagement für Karlstadt die Verwendung religiöser Buchillustra-
tion offenbar vollständig aufgaben und ihre entsprechenden Stöcke verkauften.
vnnd bildnüssen
28 Eyn vrteyl Gottes vnsers eelgemachels / wie man sich mit allen götzen |
1524].
halten sol / vB der | heiligen grschifft gezoge[n] durch Ludwig | Hätzer. [s.1.
Lese.
29 Martin Bucer wird zugeschrieben: Gesprech-biechlin neüw | Karstthans. | Zi dem ich
Edlen bin
| Ein neüwer Karsthans kom[m] ich her | vol gütter manung / rechter ler. |Mit
Henden greyffen zu |
* worden eins |Als was ich weiß / do schweyg ich keins. |Vnd würd mit
Bucer und der Neu-
Ein ander auch sein bestes tha [s.l. s.d.]. - S. hierzu Siegfried Bräuer,
Bucer and Sixteenth Cen-
karsthans, in: Christian Krieger/Marc Lienhard (Hrsg.), Martin
2 Bde. (Studies in
tury Europe. Actes du colloque de Strasbourg, 28.-31. August 1991.
Bd. 1, 103-127.
Medieval and Reformation Thought, Bde. 52/53.) Leiden u.a. 1993,
ET FALSA RELIGIONE,
30 Die lateinische Ausgabe erschien unter dem Titel: DE VEIRA
204 à Christian Rümelin
RA ET FALSA RELIGIONE,
Huldrychi Zuingly Com=
“mentarius.
Abb. 2 Meister CV nach Hans Holbein, Titeleinfassung mit Christus als gutem Hirten, ~
Titelmetallschnitt von: Huldrych Zwingli, De vera et falsa religione, Froschauer-
Ausgabe von 1525. Wiirttembergische Landesbibliothek Stuttgart. (Photo:
Joachim Siener).
Bildverwendung im-Spannungsfeld der Reformation 205
assung
Abb. 3 Meister CV (zugeschrieben) nach Hans Holbein, Kopie der Titeleinf
der Fünftaus end, Titelmeta llschnitt von: Huldrych Zwingli,
mit der Speisung
1526. Würt-
Vom wahren und falschen Glauben, F roschauer-Ausgabe von
sche Landesbi bliothek Stuttgart. (Photo: Joachim Siener).
tembergi
206 z Christian Rümelin
EEE
Gemäß diesem Traktat sind Bilder grundsätzlich erlaubt, wenn sie nicht an-
gebetet und verehrt werden. Wenn Bilder lediglich der Zier dienen, wie
Zwingli im Anschluß an Luther anhand des Tempels Salomonis nachzuwei-
sen versucht, und ihnen damit keine mißbräuchliche Verwendung zukomme,
seien sie durchaus erlaubt.3! Zwingli nimmt damit in nuce die Trennung
Luthers auf, der ebenfalls funktional differenziert hatte und Bilder zuließ, so-
lange sie nicht angebetet würden. Der Hauptunterschied zwischen Luther und
Zwingli, und das wurde ja in der Forschung zur Bilderfrage immer auch be-
tont, liegt aber darin, daß Zwingli eine obrigkeitlich gesteuerte und geordnete
Entfernung der Bilder forderte.32 Dies hatte Luther zwar 1522 in seinen Invo-
cavit-Predigten durchaus ebenfalls als Möglichkeit in Erwägung gezogen,
aber nur für den Fall, daß es zu mißbräuchlicher Verwendung von Bildern in
Kirchen käme, also zu anhaltender Bilderverehrung, und das Vorhandensein
der Bilder zu Aufruhr führen sollte.33 Luther reagierte damit bekanntlich auf
die turbulenten Entwicklungen in Wittenberg im Herbst und Winter 1521/22
und auf Karlstadts Predigten gegen die Bilder, die schließlich zur Flugschrift
„Von der Abthuung der Bylder“ führte.%4 Nur in den genannten Fällen, aber
nicht grundsätzlich, wollte Luther die Bilder entfernt wissen, ansonsten sollte
lediglich die Bildproduktion eingeschränkt werden, die vorhandenen Werke
aber in den Kirchen bleiben, wenn sie dem Gedächtnis oder der Erinnerung
dienten und eben nicht angebetet würden.35
Auffällig ist, daß sich alle Autoren in der Bilderfrage größtenteils auf das
Bild im Kirchenraum oder allenfalls ein anbetungsfähiges Bild bezogen, nur
in Ausnahmefällen aber auch Bücher oder gedruckte Bilder erwähnten. Meist
wurden Gemälde oder Skulpturen in den Texten genannt, mitunter aber auch
gedruckte Gnadenbilder oder gedruckte Wallfahrtsbildchen. Doch auch diese
Werke wurden nur mittelbar genannt, nicht als Objekt per se kritisiert, son-
dern die Voraussetzungen ihrer Produktion angegriffen. Sie waren für die Pil-
ger bestimmt, die an diese scheinbar wundertätigen Orte kamen. Die Kritik
richtete sich dementsprechend gegen die Wallfahrt an sich oder allenfalls ge-
gen die Mißstände dieser Wallfahrten, nicht aber gegen die daraus resultie-
rende Bildproduktion.
Zu einer grundlegenden Kritik oder Auseinandersetzung mit gedruckten
Bildern oder illustrierten Büchern kam es weder bei Zwingli noch bei Karl-
stadt, Bucer oder Hätzer. Im Gegenteil, Buchillustrationen oder theologische
Druckgraphiken werden an keiner Stelle der programmatischen Schriften the-
matisiert, im Gegensatz zu Luthers bereits genannten Äußerungen im Vorwort
des Passional von 1529. Analog aber zu den Glasgemälden, die Zwingli im-
merhin erwähnt und deren Erhaltung er ausdrücklich einfordert, kann davon
ausgegangen werden, daß lediglich diejenigen Bereiche tatsächlich angespro-
chen wurden, die auch im Verständnis der oberrheinischen Reformatoren zum
Problem wurden.36 Lediglich an einer Stelle wird in einer Zürcher Publikation
wenigstens die Druckgraphik erwähnt, konkret im bereits genannten Vorwort
von Leo Jud für die Zürcher Foliobibel von 1531.37 Die Buchgestaltung, also
die Typographie und die Ausstattung, werden dabei als so wichtig erachtet,
daß ihnen immerhin ein ganzer Absatz gewidmet wird.38 Diese Passage ist
neben Luthers Schrift „Wider die himmlischen Propheten“ 39, dem Vorwort
zu seinem Passional von 1529 und zu Rihels Bilderbibel die einzige Text-
stelle, in der die Funktion der theologischen Buchillustration überhaupt ange-
sprochen wird.
1. Bibelillustrationen
Obwohl sich Zwingli, Karlstadt, Bucer und Hätzer immer gegen die weitere
Verwendung der Bilder im Kirchenraum ausgesprochen und dabei sogar die
Funktion der Erinnerung negiert hatten, wird genau dieser Aufgabe in der Pra-
xis eine zentrale Bedeutung zuerkannt. Die Buchillustration ist dabei nicht nur
eine reine Ausstattungsfrage, die dem Verleger zur Absatzsteigerung frei
stünde, sondern der Buchillustration wird programmatisch eine didaktische
Aufgabe zugewiesen, indem sie als Erinnerungshilfe den Inhalt der einzeinen
Bücher stärker im Gedächtnis verankern soll. Es ist erstaunlich, daß sich die
Zürcher Reformatoren gerade in der Frage der Buchillustration in ihrer illu-
strierten Foliobibel von 1531, in der ja Juds Erläuterungen erschienen, in die-
sem Fall an den Forderungen aus Luthers Passional oder seiner Schrift „Wider
die himmlischen Propheten“ orientierten.
Diese Bibelausgabe ist in mehrfacher Hinsicht besonders bemerkenswert.
Sie ist die erste vollständige und in zwei Teilen zusammenhängend herausge-
gebene illustrierte deutsche Gesamtausgabe der Bibel. Vorher waren entweder
das Alte oder das Neue Testament separat erschienen oder nichtillustrierte
Gesamtausgaben publiziert worden. Das Resultat von Froschauers Bemühun-
gen war beachtlich. Die Bibel umfaßt insgesamt zwei illustrierte Titelblätter .
(Abb. 1), einen Kopfholzschnitt, 198 Abbildungen, wovon 58 Holzstöcke aus
anderen Buchprojekten wiederverwendet wurden, sowie 5 verschiedene Figu-
renalphabete. Nicht alles war ausschließlich für diese Bibel gemacht, vieles
war entweder für Ausgaben anderer Verleger geschnitten worden wie die
21 Holzschnitte zur Apokalypse nach Entwürfen von Hans Holbein (Abb. 8
und 9), war von Froschauer selbst in anderen Buchprojekten schon mal ver-
wendet worden, darunter alle Initialen, oder es waren Kopien nach Holz-
schnitten, deren Entwürfe Hans Holbein, möglicherweise für eine Basler illu-
strierte Bibel in der Nachfolge der beiden Testamente von Petri, gezeichnet
hatte. Das Bildprogramm der Foliobibel orientierte sich an diesen Entwürfen,
denn das man sonst yrgent welltlich unverschampt ding malet, Ja wollt Gott, ich kund die
herrn und die reychen da hyn bereden, das sie die gantze Bibel ynnwendig und auswendig
an den heusern fur yedermans augen malen liessen, das were eyn Christlich werck.“
Bildverwendung imSpannungsfeld der Reformation 209
denn von den 140 neu geschnittenen Stöcken waren 76 Kopien nach den Ico-
nes von Holbein. Und diese wiederum lehnten sich in ihrer Auswahl eng an
katholische Vulgaten, vornehmlich Lyoneser, Nürnberger und Augsburger
Bibeln, an. Es war diesbezüglich ein relativ konventionelles Programm, das
keineswegs ausschließlich protestantisch war. Wie üblich waren auch bei
Froschauer nur das Alte Testament und die Apokalypse illustriert. Die Bücher
der Propheten und die Evangelien wiesen als einzigen Schmuck Initialen und
Darstellungen des jeweiligen Evangelisten oder Apostels auf. Die Gestaltung
selbst ist, wie bei Froschauer durchaus üblich, äußerst sorgfältig, nimmt aber
durch die Stellung der Bilder am Kapitelanfang und die Begrenzung der mei-
sten Bilder auf Spaltenbreite (Abb. 4) Bezug zu einer Folioausgabe des Alten
Testaments, die 1523 bei Petri in Basel erschienen war (Abb. 5).
Adam Petri hatte zwischen Dezember 1523 und Dezember 1524 eine Folio-
ausgabe des Alten Testaments gedruckt, die mit drei Titeleinfassungen, drei
Kopfleisten und vor allem 84 Holzschnitten ausgestattet war.*0 Das Titelblatt
(Abb. 6), bestehend aus vier Einzelleisten, stammt von Urs Graf und zeigt eine
Phantasiearchitektur aus verschiedenen Säulenmotiven, Postamenten und ei-
nem abschließenden Bogen, die von Putten, einem Satyr, einer Nymphe und
verschiedenen menschlichen Figuren bevölkert wird und mit einigen Orna-
menten dekoriert ist.*!
Die Holzschnitte entstanden dabei nicht für diese Bibelausgabe, sondern
waren mehrheitlich wohl für eine Gesamtbibel gedacht. Hieronymus geht da-
von aus, daß Petri um 1518 die Herausgabe einer Gesamtbibel plante, dieses
Projekt aber nicht weiter verfolgte, als ihm Sylvan Otmar in Augsburg zuvor-
von
kam und seinen 1507 bereits erschienenen Nachdruck der Koberger Bibel
1483 in diesem Jahr nochmals auflegte.*? Im Bildprogramm folgte Petri nun
auch im
nicht einer humanistischen oder wissenschaftlichen Tradition, wie sie
ee ee ai
re RD ge a en AR Re frsco abermochte) fo
afer fy
Abe
sc
CT
Di flbeng/ond
Peter
DieEgypt been fermi ae erfo verbmandi
mifferhat unsdenDienercu DeoBottes Dci
Bet nee eu ben,
Do: tumig von
von EgypteDeu hebu
Bee = en poen:YDycutend ehr
N Sr NEHM fetna/dg
jrdieFinsLibanLffenor Die bebe
a
Phare
pees it DPOI
runde jt nider/vad| ee
bieid i
Treg
i
aenmoranteurrcend Pharao : Diesony
serbes mag noieDie fees
on fpechend The vatehates find wirdeine
LeyD vonmegerefien/ on gefagr: Si dt. Sokefp tw Baafy fhartewcyber:
cede bebamianzü
Denen, Hanna diet er
Cyan dire
nn a
graben momie Fon. Pharao
mb y sermeer
zz ne role.Ge ff -
me erlag,
mo Saul)Juda) _wertdichebs
Di?
us
ee cowerkinder.Dale fyombr | er res A top
feDiba larve ‘darlerrdinen Ja à ins waffer:vor aletächter
pononeJp syptetmiep D) FE
5 I Saale tas
/ Pr kt hunde PL rare fibenefg-
CaboForiienmoardo/Deren
ba, Duin
ee) fins eovai
Enon berijac/voDa
fach EphanmoFuberbifine aberwas vorbinim2£gypten,
Do I“ig
Ba
Sarl Se lon
eh ni
Jene NDS glean
na fan beer
gebaun fe
audEne ss mia aceon) cnalé
legen 4
sé ner TE RENOUES
Eling
at
lieffeu>fy
inlandGoa “0 B ‘ vb md) terrains HER,
Ferencnn afigen EE petiNeoneli lr te Mots = char
Sons2
Dot nuinc ce Ala BE Of a fein LenDazu, er (pod Saul.Daniodasweyd
Be ae a RL a enà us:
memevnbob pd Bald nf
Dabbof (oaeue16
Seenen: mente Eee nerx
über feynenvatıeeleyfibentag, Dimbbo bin LE FAT bon Das ait u Fra datymonar,
À 9 a
nee m mage som rm
SRSHen aly
HR
rs
MS DR Ten tonne Re ind
ten co RD. Dam mauDauer a
Folbenhat rk jommolar anes
bese opie cllttle . eirodo0 erahnen, ibefem FyD0 a
Umkreis von Luther gepflegt und von Cranach umgesetzt wurde, sondern er
orientierte sich an den Kölner Bibeln, wie sie durch die Ausgaben von Kober-
ger und Otmar greifbar waren, offensichtlich um die beabsichtigte Volksnähe
einfacher realisieren zu können. Die Schnitte selbst sind mehrheitlich vom
Meister GZ, daneben von Hans Herbst und Hans Franck, lediglich vier
Schnitte können Hans Lützelburger nach einem Entwurf von Hans Holbein*? .
und einer Conrad Schnitt zugewiesen werden.** Dabei bleibt aber die Illustra-
tion insgesamt in ihrer Entstehung und künstlerischen Ausformung sehr hete-
rogen (Abb. 5), auch wenn die Bemühung erkennbar ist, die Schnitte stili-
stisch anzupassen und die Seitengestaltung zu vereinheitlichen. Hierfür setzte
Petri die Abbildungen an den jeweiligen Kapitelanfang und begrenzte sie auf
43 Es sind dies die erste Seite mit der Darstellung der Erschaffung Evas, die ihrerseits auf
ein Vorbild von Erhard Schön und Hans Springinklee zurückgeht und später Lukas Cra-
nach als Anregung zu seiner Darstellung der Schöpfungsgeschichte dienen wird, zudem
„Drei Engel vor Abraham“, das „Passahmahl“ (Abb. 5) und „Der Tod von Aarons Söhnen
Nadab und Abihu“. - S. hierzu zuletzt Christian Müller, Hans Holbein d. J. Die Druckgra-
phik im Kupferstichkabinett Basel. Ausstellung im Kunstmuseum Basel, 14. Mai-7. Sep.
1997. Basel 1997, Nr. 96-96c.
44 Eine genaue Händescheidung bei Hieronymus, Oberrheinische Buchillustration (wie
Anm. 40), 272f.
Bildverwendung imSpannungsfeld der Reformation 211
TEE RE
Das erdach murdifers code von mir weg neme/
ee
Dud er gi von
à Eee ben
= beiten
: © wirebév geBe vorden
gradolcE 3
» ERRe
Pharao berts/da ex dieEirider Aie
AE verftocEt vordi
inn2gypten land
een
secbex fpsach 35 dine band gen sad fof fegman
: (Bas.xi.Lapite A,
on
eben. Sage
front
berga
u
nd fprecht/
hee = | tementpesecn -
Abb.5 Meister GZ (links) und Hans Lützelburger nach Hans Holbein (rechts), Doppel-
von 1523.
seite mit Textholzschnitten aus dem Alten Testament, Petri-Ausgabe
Universitätsbibliothek Basel.
en.
den einspaltigen Satzspiegel, doch ohne sie bewußt in den Text einzubind
Sie verbleibe n als separate Ausstatt ungsmerk male seltsam isoliert.
Aus diesem Zyklus verwendete Petri 1523 schließlich noch einige Schnitte
September-
zur Apokalypse. Für diesen ersten Basler Nachdruck von Luthers
wesentlich
testament ließ Petri von Holbein ein Titelblatt entwerfen, das
des Buchs
enger als dasjenige zum Alten Testament (Abb. 6) auf den Inhalt
hier Petrus und Paulus als Assisten zfiguren verwen-
einging, indem Holbein
die Bedeutu ng der Apostel für die Reformat ion manife-
dete und damit
selbst wird dieser Bezug zumindes t bildlich kaum erkenn-
stierte.45 Im Buch
Apokalypse nach-
bar. Petri ließ nicht Cranachs freie Kopien nach Dürers
Schnitte des Meisters GZ
schneiden, sondern verwendete die entsprechenden
hatte 1523 zu seinem
für das ältere Gesamtbibelprojekt. Erst Thomas Wolff
Dezembertestament
Nachdruck von Luthers September- beziehungsweise
lassen, der sich an Lukas
“schließlich einen Zyklus zur Offenbarung anfertigen
anlehnte, ohne ihn aller-
Cranachs Illustrationen zum Septembertestament
Asdauti
5 an Trlta
Altech Ber DY
fchenerle:
befinber | fehwerenorten alle :
gangenvad> exElerisng/
DieFeyr
Éeyrrander
drückha»
ben
# (ZüBafelber Adammpently
\ im Che
riftinondes AD. D rriij-jars-
Abb.6 Urs Graf Titelholzschnitt fiir das Alte Tassoment, Petri-Ausgabe von 1523. Uni-
versitätsbibliothek Basel.
Bildverwendung im Spannungsfeld der Reformation
Das
met
æ |
Fa wetElärlefichfa
à ee. ee ee
SE STE a
ASE ELSE We =.
3 ny 3 y ST
i LINE
Christi und
Abb.7 Hans Lützelburger nach Hans Holbein, Titeleinfassung mit der Taufe
für das Neue Testament , Wolff-
Szenen aus der Apostelgeschichte, Titelholzschnitt
Ausgabe von 1523. Zentralb ibliothe k Zürich.
214 ‘ Christian Riimelin
oannis.
SE:
TAA, a
NU PAIE
AR Di ein
) an N annder
BONN Kengell
UN Igienge:
nt auf ie
Nieempell
im by?
= RSET mel/der
Sy =
SS co ie Sade
SYS +
ch einfcharpfefichel/viteinander engel gieng ang
de a bettemachtwBer ds few2/vit cime :
groffem gefchzey sitd¢ der diefcharpffefichelbeter
pwnd fprach/[chlaganmirdeiner fcharpffenfichel/:
wd fchneidedierebenanfcrden/dennire draußen:
Abb.8 Hans Lützelburger nach Hans Holbein, Zwei Engel schneiden das Getreide und
den Wein, Holzschnitt, Seite aus dem Neuen Testament, Wolff-Ausgabe von 1523.
Zentralbibliothek Zürich.
Bildverwendung imSpannungsfeld der Reformation 215
dings zu kopieren.4 Die Entwürfe stammten von Hans Holbein, die Schnitte
wurden von Hans Lützelburger und Hans Hermann ausgeführt (Abb. 8 und 9).
Zwar bleibt der Zyklus wegen der Beteiligung zweier Formschneider in sich
formal und schnittechnisch etwas heterogen, doch zeigt er sich trotzdem
programmatisch in einer erstaunlichen Einheitlichkeit, die sich ihrerseits auf
Cranach zurückführen läßt. Es wurde derjenige Zyklus aus Basel, der wohl
am meisten ausgeliehen oder weiterverkauft wurde.47 Die Unterschiede von
Wolffs Ausgabe im Vergleich zum Septembertestament sind in den Bildern
besonders signifikant. Zwar ist das Bildformat bedingt durch das Buchformat
notgedrungen deutlich kleiner, doch versucht Holbein durch eine Reduktion
des Bildpersonals und eine klarere Räumlichkeit die Verständlichkeit der Bil-
der zu erhöhen und insgesamt die Kompositionen zu beruhigen. Dies hindert
allerdings nicht daran, trotzdem eine massive Kritik am Papsttum vorzubrin-
gen, in einigen Schnitten besonders deutlich durch die Verwendung der
Tiara.48
In der Seitengestaltung folgte Wolff aber, wie auch im Titelblatt (Abb. 74,
der oberrheinischen Tradition. Diese kannte fiir die Integration der Bilder in
Oktavausgaben zwei verschiedene Systeme, die Wolff in diesem Neuen
Testament, wenn auch in verschiedenen Ausgaben, verwendete. Im einen
System, das beispielsweise auch Johannes Froben in der 1523 gedruckten
„Precatio Dominica in septem portiones“ von Erasmus verwendete, ist der
46 Das ne=lwe Testame[n]t | yetz klarlich auß dem re=Ichten grundt Teütscht. | Mit garge-
lerten Vorre=lden / Vnd kurtzer etlicher | schwerer ôrtter auß=/legung. | Auch die Offenba-
rung | Joannis mit hübsche[n] Fi=!guren / auß welchen man | das schwerest leichtlich | ver-
ston kan |Zü Basel. M. D. Xxiij. [Kolophon: Zü Basel durch Thoman Wolff. | Im Jar. M. D.
XX. iij. mit Druckermarke]. — Die zweite Ausgabe erschien unter dem Titel: Das ganltzs
neuw Testament | yetz klärlich außdem rechlten grundt teuscht/ Mit gargelerten | Vorre-
de[n] / welche eingang vn[d] vnder-Irichtu[n]g in diese bücher klärlich antzeiglen. Darzü
kurtze vnnd gütte etlicher schwerer ortter außlegung. | Auch die Offenbarung Ioannis mitt |
hiipschen figuren / auB welche[n] man | das schwerest leichtlich verston kann[n] | Zü Basel.
M. D. XXIII. [Kolophon: Getruckt zi Basel durch Tholman Wolff / im jar als man zalt |
nach Christus gebürt | M. D. XXIII.].
47 Eine Zusammenstellung der Druckgeschichte bei dieser Bibelausgabe bei Hieronymus,
-
Oberrheinische Buchillustration (wie Anm. 40), 421-425, Nr. 399. — Zur Formschneider
problematik bei Holbein s. zuletzt Christian Riimelin, Holbeins Formschneider, in:
Schweizerische Zeitschrift für Archäologie und Kunstgeschichte 55, 1998, 2-4, 305-322,
zu diesem Zyklus speziell 315f.
48 Dies betrifft speziell die beiden Stöcke mit den sieben Engeln, die die Schalen des Zorns
ausgießen (Müller, Holbein Druckgraphik [wie Anm. 43], Nr. 94.16) sowie die Verehrung
der babylonischen Hure (ebd., Nr. 94.17).
49 Wolff verwendete hierfür die exzellent geschnittenen vier kleinen Leisten von Hans Lüt-
n-
“ zelburger nach Hans Holbein mit der Taufe Christi, flankiert von den vier Evangeliste
symbolen, und Szenen aus der Apostelgesc hichte. S. hierzu zuletzt Müller, Holbein Druck-
graphik (wie Anm. 43), Nr. 61.
Rote=|
50 PRECATIO | DOMINICA IN SEPTEM | portiones distributa per | D. Erasmum
non Calend. Nou-
rodamum. | BASILEAE APVD IO. BEB. [im Vorwort datiert: Basileae,
emb. An. M.D.XXIII.].
216 ; Christian Rümelin
Abb.9 Hans Hermann nach Hans Holbein, Die vier apokalyptischen Reiter, Holzschnitt,
Doppelseite aus dem Neuen Testament, Petri-Ausgabe von 1523. Württembergi-
sche Landesbibliothek Stuttgart. (Photo: Joachim Siener).
Stock isoliert auf eine leere Seite gedruckt (Abb. 9). Dies weist dem Bild zwar
einen starken Eigencharakter zu, doch konnten sich durch die sich mitunter
ergebende Nichtkongruenz von Textlauf und Bildstellung verwirrende Diffe-
renzen ergeben. Dies war zwar bei der zweiten Möglichkeit (Abb. 8), der In-
tegration des Bildes in den Lauftext, nicht gleichermaßen problematisch, doch
ergab sich hier durch den nur noch schmalen Streifen Text neben dem Bild ein
anderes gestalterisches Problem. Zwar wirkte das Bild dadurch, wie auch in
den Foliobibeln, sehr stark in den Text eingebettet, doch war diese Lösung
insgesamt typographisch eher unbefriedigend. Wahrscheinlich wurde sie des-
halb in theologischen Drucken auch nur so selten angewandt.
Diese wenigen Drucke initiierten eine rege illustrative Beschäftigung mit
der Bibel und anderen theologischen Werken, die gerade in Straßburg und
später in Zürich eine Fortführung fand. Johann Knoblouch übernahm den
Zyklus nach den Entwürfen Holbeins für ein Neues Testament, das er 1524
druckte, ohne allerdings über Wolffs Bestrebungen hinauszugehen, und im
folgenden Jahr dann nochmals, diesmal allerdings mit Nachschnitten erschei-
Bildverwendung im Spannungsfeld der Reformation QE
nen ließ.5! Erst mit Wolfgang Köpfl und Wendelin Rihel ergaben sich dann
auch in Straßburg Bestrebungen, illustrierte Gesamtbibeln herauszugeben.
Allerdings verfolgten diese beiden Drucker unterschiedliche Möglichkeiten
der Buchillustration und damit auch differierende Intentionen. Beide hatten
1535 illustrierte Gesamtbibeln vollendet, die unterschiedlicher nicht sein
könnten.
Köpfl hatte dieses Unterfangen bereits 1532 zuerst mit dem Druck eines
Neuen Testaments begonnen, dem er dann drei Jahre später das Alte Testa-
ment folgen ließ. In beiden druckte er die Vorrede Luthers zu dessen Septem-
bertestament nochmals ab, soweit es zumindest für diese Bibelausgaben rele-
vant war, und berief sich damit explizit auf Luthers Text.5? Die Ausstattung
folgt demgegenüber nicht den Lutherbibeln, sondern ist in ihrer Programma-
tik erstaunlich unkonventionell. Zwar ist auch hier das Neue Testament, abge-
sehen von einigen Darstellungen der Evangelisten, Apostel und einigen Initia-
len nicht illustriert, was durchaus der auch reformierten Praxis entspricht,
doch ist die Ikonographie des Alten Testaments dafür um so ungewöhnlicher.
Neben durchaus üblichen Darstellungen finden sich zahlreiche Holzschnitte
nach den Historienbüchern des Alten Testaments, die üblicherweise nicht in
den katholisch geprägten Illustrationszyklen verwendet worden waren und
die dieser Ausgabe ein spezifisches und dabei durchaus reformatorisches Ge-
präge geben.
Erst Rihel aber entwickelte dann in seiner Gesamtbibel von 1535 eine spe-
zifisch reformatorische Illustrationsabfolge.53 Zwar bezieht er sich direkt auf
Luthers Übersetzung, einen Umstand, den er nicht nur im Titelblatt kenntlich
macht, sondern auch im Vorwort mehrmals betont, doch folgt er in der Aus-
wahl der Abbildungen nicht den Intentionen Luthers.5* Nun war, nach ver-
51 Die Nachschnitte in: DAs neüw | Testament /| Recht gründtlich | teutscht.IMit schönen
Register /wo
vorreden /| vnd der schweresten örterem kurtz /| aber guot / außlegung. | Wnd
| vnd Euangelien des Igantzen jars | in disem Testa=Imen t finden soll. |
man Idie Epistelen
teutsch anzeygung. | Getruckt zi Straßburg durch
Das zü der vBledingen Iwörter auff vnser
bei Hierony-
| Johann Knoblouch. | Im Jar. M. D. XXv. - S. hierzu die knappe Bemerkung
mus, Oberrheinische Buchillustration (wie Anm. 40), 422.
52 Biblia | Das ist: die gantz | Heylige Schrifft | Deütsch. | Doctor Martin Luther | Register |
weyset alle Histo=Irien vnd fürnem[m]ste sprüch / über beyde |Alt vnnd Neüw Testament.
Item auch mitt | Zweyhundert Figuren mehr dan vorhien nie /jm Truck außgangen seind. |
Getruckt zü Straßburg bei Wolff Köphl. | An. M. D. XXXV. — Volget Das | Neüw Te-
stalment. | Straßburg | bey Wolff Köphl. | Truckt im jar nach Christi gepurt. | M.D.xxxii. —
Zu dieser Bibelausgabe und der Beteiligung von Vogtherr s. Muller, Vogtherr (wie
Anm. 11), Nr. 197.
| M. D. XXXV.
+ 53 Biblia | Das ist die gantze | Heilige Schrifft | Deudsch | Mart. Luth. Ersten | tag des
[Kolophon: Gedruckt zü Straßburg bey Wendel Rihel / Vnd volendet am
Herbstmonats/ Im Jar M. D. XXX V].
zu Luther
54 Der Bezug zwischen Rihel bzw. anderen Straßburger und Basler Druckern
Schriften erkennbar. S. hierzu
wird schon durch den häufigen Nachdruck von Luthers Die einzelnen
Anm. 40), XXI-XXIII.
Hieronymus, Oberrheinische Buchillustration (wie
218 e Christian Rümelin
ne
FOR
einzelten vorherigen Versuchen, erstmals das Neue Testament fast vollständig
illustriert worden, wobei sich dieser Zyklus nicht primär auf die Apokalypse
beschränkte, sondern auch die Evangelien und damit das Leben Christi
umfaßte.55 Während Rihel aber 1535 diesen Zyklus noch im Rahmen einer
Gesamtbibel verwendet hatte, setzte er ihn 1540 dann in durchaus lutherisch-
didaktischem Sinne für eine Bilderbibel ein, die er dann auch durch den Ver-
weis auf Luthers Passional zu legitimieren suchte.
Drucke sind im Katalog von Hieronymus nachgewiesen, weshalb hier auf einen Einzel-
nachweis verzichtet wird. — Zum direkten Bezug von Rihel auf Luther s. Gassen, Rihel
(wie Anm. 10), 36f., 104-106, 124f. und 179-181, sowie van der Coelen, De Schrift ver-
beeld (wie Anm. 12), 255. — Der Hinweis Rihels, daß er die spezifisch sächsischen Aus-
drücke durch einen entsprechenden oberrheinischen Sprachgebrauch ersetzt habe, findet
sich auch in den Vorworten zahlreicher Basler oder Zürcher Bibeln. ;
55 Eine Würdigung dieses Teils der Illustrationen bei Gassen, Rihel (wie Anm. 10),
104-117.
56 Vgl. Hieronymus, Oberrheinische Buchillustration (wie Anm. 40), XXII-XX VII.
Bildverwendung im Spannungsfeld der Reformation 219
57 Dieses Alte Testament erschien unter dem Titel: Das Alt | Testament zü | teütsch / der
vrsprünlglichen Ebreischen waar=lheyt nach / auff das al=I ler treüwlichst verldeütschet. |
Getruckt zi Zürich. // Bey Christoffel Frosch=louer. [Kolophon: Getruckt zi Zürich | durch
Christoffel Froschouer: |jm M. D. XXVIL jar.]. — Auffällig ist dabei, daß von den vier Lei-
sten nur die Kopf- und die Sockelleiste tatsächlich inhaltlich zu dieser Bibel passen, die
vier Evangelistensymbole links und rechts aber hier in keinem Bezug stehen. Geburt und
Kreuzestod Christi entsprechen immerhin typologisch der Vorstellung der Überwindung
: des Sündenfalls durch den Opfertod Christi.
58 Dieses Titelblatt wurde zuerst 1523 für Froschauers zweite Auflage der Paraphrases zu
Teutsch von Petri verwendet, dann 1524 nochmals für die Ausgabe des Neuen Testaments.
Buch-
S. hierzu Leemann-van Elck, Froschauer (wie Anm. 2), 55f.; ders., Die zürcherische
illustration von den Anfängen bis um 1850. Zürich 1952, 26f., mit der Zuschreibung an
Asper, dieser folgend: Zürcher Kunst nach der Reformation (wie Anm. 2), Nr. 159.
220 - Christian Rümelin
Das Hl
5
Teftament su
5 Q \
der 5000 als Sockelzone zeigt.5? Dieses Thema nahm Froschauer auf, indem
er für die deutsche Auflage von Zwinglis Schrift ebenfalls die Speisung der
5000 als Sockelzone, diesmal aber seitenverkehrt zum Schnitt des Meisters
CV nach Holbein für Petri, präsentierte, dafür dann aber den oberen Teil des
Titelblatts als reichgestalteten Doppelsäulenportikus ausbilden ließ (Abb. 3).
Froschauer reagierte damit auf Zwinglis bevorzugte und auf allen Schriften
bis 1529 auch abgedruckte Bibelstelle aus Matthäus 11. Auch in anderen Fäl-
len, so beispielsweise in Zwinglis „Der Hirt“ von 1524, im Titelholzschnitt
der 1525 publizierten Schrift „Welche ursach gebind ze ufrühren“, in der
nochmals Jesus als guter Hirte vorgestellt wird, oder in den Titelholzschnitten
zur „Action oder Bruch des Nachtmals Christi“ bzw. „Ejn klare vnderrichtung
vom nachtmal Christi“ von 1525 bzw. 1526 wird auf den Inhalt der Schrift
konkret Bezug genommen. Daß dies nicht nur eine rein verlegerische Ent-
scheidung gewesen sein kann, zeigt sich am letztgenannten Titelblatt, denn
diese Schrift erschien nicht bei Froschauer, sondern bei Hans Hager, aller-
dings ebenfalls in Zürich. Sie kombiniert außerdem je zwei Szenen des Alten
und des Neuen Testaments und führt damit die theologische Bedeutung vor
Augen, indem das Passahmahl mit dem letzten Abendmahl, die Mannalese
mit der Speisung der 5000 parallelisiert wird. Diese Kohärenz von Titelblatt
und Buchinhalt ist insofern beachtenswert, als durch die Buchausstattung
wichtige reformatorische Ideen und Anliegen entweder durch die Auswahl
der Titelmotive oder durch die spezifische Verwendung der Buchillustration
im Sinne Luthers oder Zwinglis beziehungsweise Leo Juds verdeutlicht wer-
den.
V. Zusammenfassung
t
Die Bedeutung reformatorischer Buchillustration am Oberrhein reflektier
Debatte. In nur
sich nur bedingt in einer theologischen oder theoretischen
1529, Leo
wenigen Texten, vor allem den Vorworten zu Luthers Passional von
Vorwort zu sei-
Juds Vorwort zu Froschauers Foliobibel und Wendelin Rihels
eiten dieser Form
ner „Leien-Bibel“, werden die Funktionen und Möglichk
Bildern, die im
künstlerischer Produktion thematisiert. Im Gegensatz zu
Anbetung in sich
Kirchenraum aufgestellt waren und damit die Gefahr der
tration eher
bargen, waren die Druckgraphik und dabei gerade die Buchillus
Luther, Zwingli und
unproblematisch. Diesen Bildern wurde, zumindest von
ung der Bibel-
- Bucer, eine pädagogisch-didaktische Aufgabe bei der Vermittl
Medium zu er-
inhalte zugewiesen, die in dieser Form von keinem anderen
grad ein Instru-
bringen war. Damit sollte Personen mit nur geringem Bildungs
ment an die Hand gegeben werden, die Bibel besser im Gedächtnis zu behal-
ten. Dabei übernahmen die Reformatoren bzw. ihre Drucker die katholische
Praxis, lediglich die Historienbücher und die Apokalypse zu illustrieren, die
Evangelien und Epistel blieben ohne Illustration. In der Folge der regen Über-
setzungstätigkeit und der zahlreichen Bibelausgaben sowie weiterer theologi-
scher Literatur, speziell in Zürich und am Oberrhein, wurden zwar die ur-
sprünglichen katholischen, ikonographischen Modelle übernommen, durch
ihre andere Legitimation wandelte sich aber ihre Bedeutung. Erst dadurch war
auch der Ausgangspunkt für die geänderten Formen künstlerischer Produk-
tion oder die Adaption an die gewandelte Funktion geschaffen, die sich
gerade auch in der Gestaltung und dem Bezug von Titelblatt und Buchinhalt
manifestieren.
La
Bilderstürme im Ostseeraum
Von
Sergiusz Michalski
Im Frühsommer des Jahres 1521 ist durch eine Gruppe von Einwohnern der
pommerschen Stadt Treptow (Trzebiatöw) die Ausstattung der dortigen Hei-
lig Geist-Kapelle zerstört und in den Brunnen geworfen worden. Mit dieser
Tat wurde — wie mir scheint — zum ersten Mal im aufkommenden reformato-
rischen Europa die Grenze, die den Bilderfrevel vom Bildersturm trennt,
überschritten.! Einige Monate früher, am 14. April 1521, hat sich in der zwei-
hundert Kilometer südöstlich gelegenen pommerellschen Handelsstadt Thorn
(Toruñ) an der Weichsel ein symbolischer Bilderkampf in effigie abgespielt,
der in chronologischer Hinsicht ähnliche Begebenheiten der deutschen und
schweizerischen Reformation vorwegnahm. Nach einem feierlichen Gottes-
dienst in der Johanneskirche, in dessen Verlauf eine gegen Luther gerichtete
Predigt gehalten wurde, verbrannte der päpstliche Legat Ferreri auf dem an-
liegenden Kirchfriedhof lutherische Schriften. Anschließend versuchte der
Legat eine als Teufel charakterisierte Lutherpuppe dem Scheiterhaufen zu
übergeben. In diesem Augenblick bewarfen Thorner Bürger den Legaten mit
Steinen, die den ketzerischen Mönch darstellende Puppe fiel entgegen dessen
Absichten neben das Feuer. Zwei polnische Bischöfe versuchten daraufhin
die Puppe erneut auf den Scheiterhaufen zu verbringen, doch auch dieser Ver-
such wurde durch Steinwürfe vereitelt, was die Geistlichen letztendlich zum
fluchtartigen Rückzug vom Kirchhof veranlaßte.?
Der Verlauf dieser mißglückten in effigie-Handlung (die als solche offen-
sichtliche strukturelle Bezüge zu bilderstürmerischen Ritualen besaß) war im
Vergleich zu den wenig späteren mitteleuropäischen und schweizerischen
Verbrennungsritualen doch ein sehr besonderer. Trotzdem ist diese sehr auf-
fallende Thorner Episode von der reformationsgeschichtlichen Forschung
übersehen oder nicht beachtet worden. Mit der Anführung dieser zwei Ereig-
sein —
nisse — auf den Bildersturm in Treptow wird noch zurückzukommen
der allgemein en Forschung s-
habe ich gleichzeitig eine Art Charakterisierung
. Obwohl sie durch
lage zu den Bilderstürmen im Ostseebereich angestrebt
gewesen zu sein, und anscheinend sind ihr nur einige Bilder sowie Statuen auf
Friedhöfen zum Opfer gefallen. Am Dienstag nach Invocavit 1524 hat im Kö-
nigsberger Dom eine Menschenmenge („Herr Omnes“) die Seitenaltäre abge-
rissen.5 Diese besondere Selbstbeschränkung der Bilderstürmer erhielt post
factum die Sanktion der Obrigkeit, die in dieser — an sich vielleicht sogar als
lutherisch zu wertenden — Maßnahme eine willkommene Vergrößerung des
Predigtraumes gesehen hat. Am 15. März 1524 wurde jedoch das Franzis-
kanerkloster im Königsberger Stadtteil Löbenicht gestürmt und eine dortige
hölzerne Franziskusstatue an den Pranger gestellt und verbrannt.®
Zum wichtigsten Jahr des Bildersturmes an der südlichen Küste zwischen
Königsberg und Lübeck wurde jedoch das nächste Jahr — 1525, das Jahr des
Bauernkrieges.
Ende Januar 1525 kam es erneut zu einem Bildersturm in der Danziger Ka-
tharinenkirche, wo Nebenaltäre zerstört und das Tabernakel profaniert wur-
den. Am 10. April 1525 brach der große Bildersturm in Stralsund aus.’ Im
Sommer oder Frühherbst 1525 kam es dann in Stolp zu einem durch den iko-
noklastischen Wanderprediger Johannes Amandus inspirierten Bildersturm in
hören wir
der Marienkirche und im Dominikanerkloster’, im September 1525
wiederum von bilderstiirmerischen Aktionen im Claren-Nonnenkloster in
Ribnitz.? Am 14. November eskalierte in Stettin der Streit einiger reformato-
risch gesinnter Bürger mit dem Vikar von St. Jakobi — im Zuge der handgreif-
Und
lichen Auseinandersetzungen kam es dann auch zum „Altarbrechen“.!0
ter Rabe und einige
schließlich drangen Weihnachten 1525 der Bürgermeis
ein, warfen
Gefolgsleute während der Messe in die Braunsberger Pfarrkirche
Sztuka Gdañska
fentlichung Katarzyna Cieslak, Miedzy Rzymem, Wittenberga a Genewa.
mit weiteren Literatur- und
jako miasta podzielonego wyznaniowo. Wroctaw 2000, 50-59,
immer die beste Darstellung
Quellenangaben. Für die frühe Danziger Reformation noch 4, hier zit.
6. Danzig 1918-192
Paul Simson, Geschichte der Stadt Danzig. Bd. 2: 1517-162
nach Reprint Aalen 1967, 1-101.
hichte des Herzogtums
5 Paul Tschackert (Hrsg.), Urkundenbuch zur Reformationsgesc
Preußens. Bd. 2. Leipzig 1890, 62, Nr. 208.
6 Ebd.
Der Stralsunder Kirchensturm
7 Zum Stralsunder Bildersturm s. Johannes Schildhauer,
ift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität
des Jahres 1525, in: Wissenschaftliche Zeitschr
sprachw issensc haftlic he Reihe 8, 1958/59, H. 1/2, 113-
Greifswald, Gesellschafts- und
‚lose Rotten‘. Gewalt, Recht und Reformation
119; Norbert Schnitzler, ,Kirchenbruch‘ und tion.
ky (Hrsg.), Kulturelle Reforma
(Stralsund 1525), in: Bernhard Jussen/Craig Koslofs
h 1400-16 00. Götting en 1999, 285-315.
Sinnformationen im Umbruc
Kulturgeschichtliche Beiträge zur Kir-
8 Walter Bartholdy, ,,O Stolpa du bist ehrenreich“.
chen- und Stadtgeschichte von Stolp. Stolp 1910, 104.
. Bd. 2. Schwerin 1935, 36f.
9 Karl Schmaltz, Kirchengeschichte Mecklenburgs Jh.
bewegung im Anfang des 16.
10 Alfred Uckeley, Der Werdegang der kirchlichen Reform 1-109, bes.
in den Stadtgemeinden Pommerns, in: Pommersche Jahrbücher 17, 1917,
90-93.
226 ‚ Sergiusz Michalski
Bilder herunter und zerstörten sie.!! Es ist auch anzunehmen, daß es irgend-
wann 1525 in der franziskanischen Marienkirche in Thorn zu bilderstürmeri-
schen Handlungen gekommen ist — eine nicht mit einem konkreten Jahres-
datum versehene Nachricht aus einer altgläubigen Chronik läßt sich wahr-
scheinlich auf die tumultuarischen Ereignisse dieses Jahres in der Weichsel-
stadt beziehen.!2 Damit würde aber auch — einige spätere Bilderfrevel sind
hier übergangen worden — die unmittelbare Sequenz der bilderstürmerischen
Ereignisse an der südlichen Küste zwischen Königsberg und Lübeck ihr Ende
finden.
Den zentralen Platz in unserem Panorama nehmen jedoch die livländischen
Bilderstürme der Jahre 1524-1526 ein. Sie fanden zwischen März 1524 und
März 1526 in den wichtigsten Städten Livlands (eine in der frühen Neuzeit
übliche Sammelbezeichnung für die Gebiete Kur-, Liv- und des heutigen
Estlands) Riga, Reval und Dorpat sowie in einigen kleineren Städten statt. Es
lassen sich — ich bediene mich hier der Zusammenstellung von Otto Pohrt —
folgende Bilderstürme nachweisen:
1. Riga (10. März 1524) St. Peter
. Riga (11. März 1524) St. Peter und St. Jakob
. Riga (16. März 1524) St. Peter und St. Jakob
. Riga (8. August 1524) Dom
. Reval (14. September 1524) Dominikanerkirche, Hoiliandist; St. Olai
. Dorpat/Tartu (7. Januar 1525) St. Marien, St. Johannes, Klosterkirchen
. Dorpat/Tartu (10. Januar 1525) Dom
. Wenden/Viljandi 1524 oder 1525
. Fellin/Cesis 1. November 1525
© . Pernau/Pärnu
—OA
BR
LU
D
I
© 15. März 1526
Danach haben die Bilderstürme auf die nördliche Küste der Ostsee überge-
griffen. Um 1526/27 fand ein Bildersturm in Stockholm statt.!3 Im November
1529 wurde die Peterskirche in Malmö durch vom Prediger Claus Mortensen
angeführte Bilderstürmer verwüstet, ein Jahr später wurde kurz vor Weih-
nachten die Marienkirche in Kopenhagen in Anwesenheit von Vertretern des
Stadtrates und der Gilden in demonstrativer Weise von Bildern gesäubert. Mit
dem Bildersturm 1530 in Kopenhagen endet die chronologisch gesicherte
Sequenz der ikonoklastischen Ereignisse im Ostseeraum.!4
gen zur
15Rainer Postel, „Dath wy nycht moghenn byldenstormer synn“. Bemerkun
in: Werner Hofmann (Hrsg.),
‘ Bilderfrage in der norddeutschen Reformationsgeschichte,
und die Folgen für die Kunst. Katalog der Ausstellu ng in der Hamburger Kunst-
Luther
halle, 11. Nov. 1983-8. Jan. 1984. München 1983, 267-271.
16 Arbusow, Einführung der Reformation (wie Anm. 3), 382.
— Klaus Deppermann, Soziale
17 Zur Rolle Hoffmans in Livland s. — mit Einschränkungen
Visionen im Zeitalter der Reformat ion. Göttingen 1979, 46 ff.
Unruhen und apokalyptische
228 + Sergiusz Michalski
von ihm selbst arrangierte Disputation mit zwei Mönchen im Sommer 1525,
die natürlich mit seinem Sieg endete, hat er angeblich benutzt, um die Menge
zum Bildersturm aufzuwiegeln. Jedenfalls wurden damals durch den aufge-
brachten Haufen die Marienkirche und das Dominikanerkloster gestürmt, die
Altäre zerbrochen und die Bilder der Heiligen auf die Straße geschleppt. Im
November 1525 kam der pommersche Herzog Georg I. in die Stadt. Der Fürst
versuchte den reformatorischen Prozeß zu stoppen, doch mußte er — nach Pro-
testen der Bürgerschaft — auf eine Rückkehr zur alten Ordnung verzichten.??
Dafür ließ Georg I. als Hauptschuldigen den Amandus ins Gefängnis werfen,
von wo ihn einige Monate später ausgerechnet eine Intervention Luthers
befreien sollte. Über Stettin landete Amandus schließlich in der wichtigen
Harzstadt Goslar. Hier war er zusammen mit einem anderen Goslarer Prediger
namens Antonius Corvinus in den dritten Bildersturm seiner Karriere verwik-
kelt, dem um Ostern 1528 drei Kirchen und fünf Statuen auf dem Kirchplatz
bei St. Stephani zum Opfer fallen sollten. Wieder einmal wurde Amandus der
Schwärmerei und nunmehr auch des Zwinglianismus bezichtigt, doch scheint
es ihm gelungen zu sein, diese Vorwürfe — vor allem diejenigen, die sein Ver-
hältnis zu Luther betrafen — zu entkräften. 1530 ist er in Goslar als Lutheraner
gestorben, obwohl er anscheinend in seinen letzten Monaten einen Anhänger
der zwinglianischen Abendmahlsauffassung protegiert hatte. Es war dies
zweifellos eine merkwürdige, diffus-widersprüchliche reformatorische Ent-
wicklungslinie, die Reformationsforschung tut sich mit der Einordnung von
Amandus noch immer schwer. Seine Zeitgenossen und die nachfolgende Ge-
neration assoziierten dagegen Amandus mit einem einzigen, dafür aber höchst
— also
konkreten Sachverhalt. In seiner berühmten Autobiographie, die 1595
siebzig Jahre nach den Ereignissen — niedergeschrieben wurde, stellte Bartho-
et-
lomäus Sastrow knapp und prägnant fest, daß damals „in Hinterpommern
Amantius
liche Schwarmgeister ins Land [kamen], deren vornehmster Doktor
war. Sie reizten ihre Zuhörer zum Bilderstürmen“.2*
ein-
Mit diesem Aspekt der praktischen Tätigkeit der Prediger hing wahrsch
ürmerei
lich auch die gesteigerte Sensibilität Luthers bezüglich der Bilderst
demselb en Krisenja hr 1525, in welchem er den Amandu s
zusammen. Aus
konnte sich in
Karlstadtscher Einstellungen bezichtigte (und dieser Vorwurf
besitzen wir sein
der konkreten Situation nur auf die Bilderfrage beziehen),
r Rat, in dem es heißt: „Ist etwas zu ändern oder zu
Schreiben an den Danzige
durch den gemeinen
brechen, es sei Bilder oder was es sei, daß solches nicht
Der Kritik
Mann, sondern durch ordentliche Gewalt des Rates geschehe“.24
hat zweifellos hier
- an den Bilderstürmen an der Ostseeküste — denn Luther
a
22 Tschackert, Johannes Amandus (wie Anm. 20), 33.
Lauf meines Lebens, hrsg. von Christfr ied Coler. Berlin 1956, 64.
23 Bartholomäus Sastrow,
(Brief. vom 7. Mai 1525).
24 Luther, Werke (wie Anm. 21), 484f.
230 : Sergiusz Michalski
ee i ice tic ES EB |
nicht nur die Vorkommnisse in Danzig, sondern vor allem die in Livland ge-
meint — wurde auch somit eine geradezu klassische Definition der Aufgaben
des reformatorischen Stadtregimentes beigefügt.
Vor allem ist es jedoch die einzigartige Verbindung politischer Ereignisse mit
symbolisch-rituellen Begleitumständen, die den Bilderstürmen an der Ostsee
einen wichtigen Platz im Tableau der europäischen Bilderstürme zuweist.
Der vielleicht bekannteste von ihnen, der große Stralsunder Bildersturm
vom 10. April 1525, bietet für diese Behauptung ein sehr überzeugendes An-
schauungsbild.25 Er brach infolge einer vorbeugenden Maßnahme (Entfer-
nung der Kirchenspinde) aus, übrigens einen ähnlich gelagerten Fall bilder-
stürmerischer Panik durch vorbeugende Entfernung von Ikonen (Moskau
1654) um mehr als ein Jahrhundert vorwegnehmend. In den Stralsunder Ereig-
nissen besticht die Vielzahl der Verhöhnungsrituale und symbolischer Hand-
lungen oder als solcher zu interpretierender Umstände. Dazu gehört die Tat-
sache, daß der Bildersturm in der vorösterlichen Zeit ausbrach, Parodien von
Elementen des Gottesdienstes beinhaltete, aber auch solche Handlungen wie
das Vergraben beschädigter Bildwerke in einer Grube im Klostergarten. Aus
dem dramatischen Bild der Stralsunder Apriltage ragt jedoch das im europäi-
schen Maßstab gewiß komplizierteste, mehrstufige Verhöhnungsritual des
wundertätigen Standbildes der Maria der Sieben Schmerzen aus der Stralsun-
der Johanniskirche hervor. Am Anfang wurde die Plastik ihres Schmuckes be-
raubt und entzwei geschlagen. Dann wurde der Rumpf in einem triumphalen
Zug in eine „unehrliche“ Stätte — in ein Wirtshaus — verbracht. Nun folgte die
spöttische Aufforderung, „Marie do nu Mirackel let tho seen efte do ock konst.
vorbarnen“. Am Ende wurde die Holzstatue im Wirtshaus — als wäre man be-
strebt, den Bibelvers Jesaia 44 zu veranschaulichen — verbrannt.26
Dagegen waren die bilderstürmerischen Exzesse im ermländischen Brauns-
berg, die in der für viele Bilderstürme typischen Weihnachtszeit des Jahres
1525 stattfanden, einfacher gestrickt. Der Bürgermeister Rabe und andere
Mitglieder der Braunsberger Elite hatten im Herbst 1525 mehrmals mit paro-
distischen Einlagen Messen unterbrochen. Am 24. 12. 1525 drangen sie,
verkleidet in Bärenfelle, in die Weihnachtsmette in der Pfarrkirche ein, ris-
sen einige Bilder von den Wänden und beschädigten sie. Der Bezug zu den
- vor allem im slawischen Osteuropa populären — Neujahrsumzügen mit dem
Bärenfell (sog. ,, Turonziige“) drängt sich sofort auf, er wurde noch durch wei- -
25 S. Anm. 7.
26 Zit. nach Uckeley, Werdegang der kirchlichen Reformbewegung (wie Anm. 10), 69.
Bilderstifrme im Ostseeraum 231
tere parodistische Handlungen Rabes und seiner Kumpane wie der einige
Tage später erfolgten Anbringung einer aus schmutzigen Lappen zusammen-
geflickten „Kirchenfahne“ in der Kirche amplifiziert.27
Von dem interessanten, doch letztlich sehr differenzierten Bild der pom-
merschen Bilderstürme heben sich die zehn livländischen Bilderstürme der
Jahre 1524-1526 deutlich ab. Sie spielten sich größtenteils in den drei wich-
tigsten Städten — Riga, Reval und Dorpat — innerhalb eines Zeitraumes von
acht Monaten ab. Beinahe alle altgläubigen Quellen und Dokumente dieser
Zeit, die sich auf die livländischen Ereignisse beziehen, bezeichnen den Iko-
noklasmus als das wichtigste Charakteristikum der neuen Lehre.?8
Die Sequenz der Ereignisse begann in den Märztagen 1524 in Riga. Um
den 6. März herum kam es dort zu Ausschreitungen gegen das Minoritenklo-
ster, womit gleichsam eine aus anderen Gebieten bekannte Gesetzmäßigkeit,
daß sich die ersten Angriffe des neuen Glaubens sehr oft gegen die Franziska-
nerklöster wandten, bestätigt wurde.29 Obwohl die führenden Erforscher der
livländischen Reformation Leonid Arbusow und Otto Pohrt eine andere An-
sicht vertraten, bin ich selbst überzeugt, daß damals durch die Plünderung der
franziskanischen Kirchenschätze eine vorikonoklastische Psychose erzeugt
wurde. Der hiermit zwangslos versuchte Hinweis auf den neun Tage späteren
Königsberger Bildersturm im Franziskanerkloster des Stadtteiles Löbenicht
könnte sogar im Sinne einer direkten Inspiration gesehen werden, wenngleich
die Entfernung zwischen beiden Städten beträchtlich war.
Am 10. März 1524, also vier Tage nach den Vorkommnissen im Minoriten-
kloster, kam es zum Bildersturm in der St. Peterskirche in Riga. Die Kompa-
gnie der sogenannten Schwarzhäupter besaß hier eine reich ausgestattete
Kapelle mit Altar. An diesem Tag beschlossen die Schwarzhäupter in einer
feierlichen Vollversammlung, alle Ausstattungsstücke dieses Altars aus der
Kirche zu entfernen und in das Schwarzhäupterhaus zu überführen, weil sich
die bisherige Form des Gottesdienstes als „ein lästerlicher Mißbrauch des hei-
ligen Testamentes Jesu Christi erwiesen habe“.30 Doch plötzlich brachen im
Laufe der Versammlung die jungen Schwarzhäupter los, rannten in die Kirche
Bur-
und rissen den Altar nieder. Bezeichnenderweise haben diese jungen
Kompagnie gehörenden Ausstattung sstücke aufgegriffen ,
schen nur die ihrer
so daß man eigentlich von einer — halbwegs in bilderstürm erischen Formen
Rück-
erfolgten — Rücknahme des Stiftungsgutes sprechen könnte, einer
in anderen Territorien des reformatori schen Europas
nahme, die später auch
verhinderte
stattfinden sollte. Das Einschreiten der älteren Schwarzhäupter
31 Ebd., 357.
Bilderstüfme im Ostseeraum 233
fern, gleichzeitig aber wurde von ihm die Wegschaffung der Stiftungsaltäre in
der vom Bildersturm noch unberührten Nikolaikirche angeordnet.
In Dorpat waren es die tiefen Gegensätze zwischen der Stadt und dem dort
residierenden Erzbischof Blankenfeld sowie der unbedachte Versuch des letz-
teren, den radikalen Reformator Hoffman zu verhaften, die zu den bilderstür-
merischen Explosionen im Januar 1525 führten. Die Bilderstürmer zerstörten
am 7.1. die Ausstattung der städtischen Kirchen und am 10.1. — nach einem
kurzen Kampf mit den Truppen des Erzbischofs — die Ausstattung des Domes.
Den ersten Dorpater Bildersturm beendete eine rituelle Verbrennung der
Bilder und Statuen auf einem städtischen Scheiterhaufen, beim Bildersturm
im Dom sollte man besonders die Zerstörung des Baptisteriums und seiner
Statuen erwähnen.
Zum Charakteristikum der livländischen Bilderstürme gehört die erstaun-
liche Anzahl symbolischer Bezüge und Praktiken. Im Dorpater Dom wurde
ein Kruzifix mit Speeren traktiert. Es ist dies vielleicht einer der ersten Fälle
— wenn nicht überhaupt der erste Fall —, in denen im bilderstürmerischen Eu-
ropa der Reformationszeit diese besondere Prozedur angewendet wurde.
Doch noch interessanter erscheint der an sich unikate Umstand, daß in Riga
die Marienstatue vom Hochaltar des Domes als „Giftmischerin“ bezeichnet,
rituell verhöhnt und dann - in einer Parodie der berüchtigten „Hexenprobe“ —
in die Düna geworfen wurde. Das Denigrationsritual endete folgerichtig mit
der Verbrennung der Statue auf dem Kubsberg — dem traditionellen Ort rigai-
scher Hexenverbrennungen.#2
Es war keineswegs zufällig, daß der Bildersturm mehrere Male an solchen
Tagen ausbrach, an denen feierliche Kirchenprozessionen stattzufinden pfleg-
ten. Auffallend ist, daß in Reval ein drastisches antireformatorisches Edikt
vom 10. September 1524 zunächst noch keine Wirkung entfaltete, der aber
zweifellos als Gegenmaßnahme konzipierte Bildersturm erst am 14. Septem-
ber ausbrach — am Fest der Kreuzeserhöhung, das in Livland wegen des am
selben Tage 1502 errungenen großen Sieges über die Russen auch als eine Art
nationaler Feiertag begangen wurde. Ein besonders heftiger Bildersturm
brach in Fellin am Allerheiligentage des Jahres 1525 los.
des
Daß die zwei rigaischen Bilderstürme an Tagen des Heiligen Cyriakus
März und 8. August) ausbrache n, war nicht zufäl-
Dämonenbezwingers (16.
ger
lig, ein ähnlicher schrecklicher symbolischer Bezug, diesmal von altgläubi
Seite vorgebracht, steht meines Erachten s übrigens auch hinter der Bezeich-
auch der heilige
nung der „Nacht des Heiligen Bartholomäus“ (1572), denn
ch der
Bartholomäus war ein gefürchteter Dämonenbezwinger. Im Brüderbu
32 Ebd., 350.
Feder von Leonid Arbusow,
33 Dazu s. auch die Besprechung des Buches von Pohrt aus der
in: Baltische Monatsschrift 59, 1928, 752f.
234 6 Sergiusz Michalski ER
om
rigaischen Bierträgergilde ist eine seltsame, scheinbar von apokalyptischen
Stimmungen gefärbte Eintragung überliefert. Dieser Text, den wahrscheinlich
der der Reformation nahestehende Priester Johannes Steffens verfaßt hat, er-
zählt, wie die „blinden sehend“ und die „stummen sprechend“ wurden und
wie dann der Bildersturm im März 1524 durchgeführt wurde. Am Ende dieses
gottesfürchtigen Werkes wurde aber — noch elf Tage vor Ostern — das Gster-
in
liche Graduale „Haec dies“ abgesungen, dabei steht unmittelbar vor ihm
der Messe die für diesen bilderstürmerischen Akt geradezu das theologische
Leitmotiv abgebende Lectio (1.Kor. 5,7-8) „Expurgate vetus fermentum“. Es
folgte dann eine Predigt, die den Bildersturm guthieß.3*
Die Rigaer Geschehnisse bilden vielleicht den deutlichsten Hinweis, daß
den vielen Bilderstürmen in der Osterzeit die Idee eines „Sieges über die
Larven des Teufels“ zugrunde lag. Doch bei den bilderstürmerischen Aktio-
nen gab es auch bezeichnende Ausnahmen: Obwohl die ganze Ausstattung
des Rigaer Domes zerstört wurde, ist das Grab des livländischen National-
heiligen, des Apostels Meinhard, nicht angetastet worden.
IV. Fazit
Die Bilderstürme an der Ostsee waren, wie schon gesagt, nicht mit beson-
deren Radikalisierungsprozessen verbunden und verliefen in Wellen, die von
ruhigeren Abschnitten getrennt wurden. Sie fanden in einem großen geogra-
phischen Raum statt, in dem die Reformation stärker — so vor allem in Skan-
dinavien — durch machtpolitische Erwägungen und Strukturen geprägt war, es
fehlten hier auch die für die Reformation in vielen Teilen des deutschen Rau-
mes und der Schweiz so charakteristischen großen theologischen Debatten.
Die religionspolitischen Auswirkungen der Bilderstürme waren zwar nicht
immer positiv — so bewirkten sie in Stolp eine gewisse Unterbrechung und in
Danzig infolge der strengen, von Todesurteilen begleiteten Intervention der
polnischen Krone 1526 einen empfindlichen Rückschlag für die reformatori-
sche causa.35 Der verzweifelte Versuch des Breslauer Stadtregimentes 1527,
durch den Hinweis auf den „Verbleib von Bildern in den Kirchen“ einer Inter-
vention der habsburgischen Behörden zuvorzukommen, war gewiß auch
durch die ein Jahr früher gemachten Danziger Erfahrungen bedingt.36 Doch in
es in
42 Lionel Rothkrug, Religious Practices and Collective Perceptions: Hidden Homologi
1980.
Bd. 7.) Waterloo, Can.
the Renaissance and Reformation. (Historical Reflections,
w Rzeczypospoli-
43 Marceli Kosman, Protestanci i Kontrreformacja. Z dziejow tolerancji
tej XVI-XVII wieku. Warschau 1978, 48.
TEE | tu a ee
m Bw er -
a —— FPT —
3
nia PrWon giang arınutzeebl 4 endif ai seater nat
sateen asie ‘bisur down 25
sy
ei i2 inserer qe fut sq ee ae en ét
| neo ifFr tué in needa tet urahbui nase
OBEN assis) she mie ran “em: ok kasi droit
‘rota, purBased rennt pbs:Dieting +24 we
due nonidite diva’ sorting Sender
lt credomitla
c= agi dr f likeBoe Barliert a4 1437 ab mi aod un itraurie ir 4 pi
ob tin YurzızCETTE eh ai
| Niort zu + Bin den ue dire gehen a
oul dann a. nr ek svat wi, eigen
d
lachej E sifée PER F
zs wer:
|
— y - ca
= - t 7 FIIM
oo 1 ’ ; ae
. 5, = ne Br
-
A =:
|
Bis … o LL" LME À LE,
- * ur
2 2 ur Br KL
f 7
m A e )
: ‘ à wai 2 ur
. ru Pi A 5 ri
+ Ben
‘3 a
j , ou NE ig
er
7 à
u . to mig ee
: ' nt.
\ Let «
> À a L &
ET.
> À =_ Li vo 1 7 Seas
os
- | D Le
ae arts erin crete: hart Lorna een
rt tthe RA ie
| AVES STE wei > rt
. 4
—,
+
Bildersturm im Täufertum
Von
Hans-Jürgen Goertz
I. Bildersturm im Täufertum?
Über die Jahrhunderte hinweg verbanden sich mit der Erinnerung an die
Schwärmer und Rottengeister, an die himmlischen Propheten, Enthusiasten
und Wiedertäufer zahlreiche Berichte von Tumult und Bildersturm. Radikale
Religiosität wurde nicht nur mit Blasphemie und Häresie, sondern vor allem
auch mit Frevel an den Kulturgütern des christlichen Abendlandes gleichge-
setzt, mit Vandalismus und Barbarei. Bilderstürme waren Exzesse am Rande
der Reformation, nicht Ausdruck der Reformation selbst. Wären die Inspira-
tionen Müntzers, die sozialistischen Experimente der Wiedertäufer und die
Theorien eines Paracelsus zum Zuge gekommen, schrieb Leopold von Ranke,
hätten sie den „großen welthistorischen Gang der Kultur unterbrochen“!. Der
Bildersturm gehörte also nicht zur Kultur des Protestantismus, er war, wenn
überhaupt, nur ihre kritische Zäsur.
Inzwischen ist diese Sicht revidiert worden. Bilderstürme sind nicht mehr
Randerscheinungen des reformatorischen Geschehens, sie gehören vielmehr
zum Charakter der Reformation selbst. Ob diese Reformation nun lutherisch,
Man
reformiert oder täuferisch ausgerichtet war, spielt dabei keine Rolle.
Begriff die
spricht vom „reformatorischen Bildersturm“ und will mit diesem
on
Beobachtung erfassen, daß Bilderstürme dort auftraten, wo die Reformati
die einen
sich durchzusetzen begann.? Daraus ergeben sich fünf Aspekte,
neuen Zugang zum Thema des Bildersturms im Täufertum eröffnen.
on. Gesamtausgabe der Deut-
! Leopold von Ranke, Geschichte im Zeitalter der Reformati
6. München 1925/26,
schen Akademie. Historisch-kritisch hrsg. von Paul Joachimsen. Bd.
Zur älteren kulturges chichtlic hen Deutung des Zusamme nhangs von Radikalen und
381. —
s Norbert Schnitzler , Ikonokla smus — Bilderstu rm. Theologischer
Bildersturm s. neuerding
16. Jahrhunderts. München
Bilderstreit und ikonoklastisches Handeln während des 15. und
gkeit, mit der sich die
1996, 9ff. Interessant ist der Hinweis Schnitzlers auf die Hartnäcki
Bilderstu rm und den Radikale n der Reformati onszeit gehalten hat (z.B. bei
Zuordnung von
Heinz Schilling, Aufbruch und Krise. Berlin 1988, 174f.).
g Carl C. Christensen, Art and the
.2 Vom „reformatorischen Bildersturm“ spricht durchwe
in Germany . Athens, Ohio 1979, 13 u.ö., auch Schnitzler, Ikonoklasmus (wie
Reformation
spricht davon, „daß die Bilderfr age am Kern einer wichti-
Anm. 1), 10 u.ö. — Bob Scribner
der frühen Neuzeit liegt“ und
gen ontologischen Verschiebung des Spätmittelalters und
„Kernfr age der reforma torisch en Geschic htsfors chung“ sei: Bob Scribner,
deshalb eine
ömmigke it, in: ders. (Hrsg.), Bilder und Bildersturm im Spät-
Das Visuelle in der Volksfr
240 Hans-Jürgen Goertz
ee
mittelalter und in der frühen Neuzeit. (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 46.) Wiesbaden
1990, 20.
3 Sergiusz Michalski, Das Phänomen Bildersturm. Versuch einer Übersicht, in: Scribner
(Hrsg.), Bilder und Bildersturm (wie Anm. 2), 69-124.
4 Christensen, Art and the Reformation (wie Anm. 2), 66-109.
5 Martin Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe. (Weimarer Ausgabe.) Bd. 15. Weimar
1899, 395; s. den Hinweis auf Stralsunder Prediger bei Schnitzler, Ikonoklasmus (wie
Anm. 1), 291 Anm. 11. Vgl. zu diesem Problem auch Michalski, Phänomen Bildersturm
(wie Anm. 3), 76f.
6 Lee Palmer Wandel, Iconoclasts in Zurich, in: Scribner (Hrsg.), Bilder und Bildersturm -
(wie Anm. 2), 125-142; dies., Voracious Idols and Violent Hands: Iconoclasm in Reforma-
tion Zurich, Strasbourg, and Basel. Cambridge 1995, 53-102.
7 James M. Stayer, Die Anfänge des schweizerischen Täufertums im reformierten Kon ondt
Bildersturm im Täufertum 241
Täufer, die hier und da ein Wegkreuz niederrissen, ein „Götzenhauslin“ schän-
deten, gelegentlich auch ein Weihwasserbecken oder einen Taufstein demo-
lierten. Auch die Programmschriften Karlstadts (1522) und Ludwig Haetzers
(1523), die oft mit dem Täufertum in Verbindung gebracht wurden, gehören
zum allgemeinen reformatorischen Aufbruch und sind nur indirekt für das Täu-
ferthema relevant. Programmatisch hat sich im Täufertum sonst niemand zur
Bilderfrage geäußert, auch wenn die „bildlichen Zeremonien“ immer wieder
einmal erwähnt werden, sofern es gilt, sich von der „Kirche des Antichrist“ ab-
zusetzen. In der „Encyclopedia of the Reformation“ heißt es, daß die Täufer
„vehement iconophobes“ gewesen seien, aber „their pacifism and their sepa-
ratist beliefs prevented the majority from becoming iconoclasts“.15 Bis auf
diejenigen, die zu revolutionärer Gewalt neigten, besonders im Bauernkrieg
und in Münster, ist im Täufertum nicht viel für das Thema des Bildersturms zu
holen. Im Bauernkrieg war das Täufertum aber noch nicht entwickelt, und in
Münster war der Übergang von einer reformatorischen Bewegung zu einer in-
stitutionalisierten Täuferreformation bereits vollzogen, der nachmünsterische
Vandalismus und die Mordbrennerei der Grüppe um Jan van Batenburg gehören
eher in die Kriminalgeschichte als in die Geschichte des Bildersturms. Der
Bildersturm im mährischen Nikolsburg 1526/27 ging auf klerikale Anordnung
zurück — ein täuferisches Unikat zwar, aber nichts besonders Täuferisches.!®
und
In der ,Mennonite Encyclopedia“ tauchen die Stichwörter „iconoclasm‘
„images“ überhaupt nicht auf.
Wie läßt sich dieser Befund erklären, und welche Konsequenzen sind daraus
gehören
für das Thema des Bildersturms im Täufertum zu ziehen? Die Bilder
seien auch die
einer Kirche an, die nicht mehr die Kirche der Täufer ist. „Es
aus
bildnus in der kirichen lautter götzenweriche“, heißt es in einer Urgicht
und Verehrun gs-
Tirol.17 Die Bilder in dieser Kirche sind Kultgegenstände
objekte eines Ritus, den schon der Kreis um Konrad Grebel in Zürich 1524
zu den „ceremonischen endkristlichen brüchen“ zählte und dem Tauf- und
Abendmahlsgottesdienst des römischen Klerus genauso wie der „evangeli-
schen Prediger‘ zuordnete.!8 Die Einsetzungsworte des Abendmahls bei-
spielsweise sind „wort daß uftgesetzten malß der vereinbarung, nicht der con-
secrierung. [...] EB sol ouch ein gmein brot sin, on götzen und zusatz“. Alle
Attribute einer „falschen andacht“ sollten beseitigt werden.!? Die Zürcher
Prototäufer hatten die Hoffnung auf eine Säuberung der allgemeinen Kirche,
auf einen „purus cultus“, selbst nach den negativen Erfahrungen mit dem
Ausgang der Zweiten Disputation im Oktober 1523 und in desolater Situation
im Sommer 1524 noch nicht aufgegeben. Das geschah erst, als sie nach dem
Vollzug der Glaubenstaufe im Januar 1525 verfolgt wurden und nur noch in
abgesonderten Gemeinschaften überleben konnten. Jetzt waren die „anti-
christlichen Gebräuche“ nicht mehr Mißstände, die es mit Reformeifer zu
beseitigen galt. Jetzt wurden sie zum Grund, die offiziellen Gottesdienste zu
meiden. Mit diesen Gebräuchen sind ,,vermeint alle bäpstlich und widerbäp-
stich werck und gottesdienst, versamlung, kilchgang, winhuser, burgschaften
und verpflichten des ungloubens und andere mer derglichen, die dan die welt
für hoch halt und doch straks wider den befelch gotzs gehandlet werden, nach
der mass aller ungerechtickeit, die in der welt ist“.20 Die Meidung wiederum
findet ihren Grund in dem Gegensatz von Christus und Belial, so heißt es in
der Brüderlichen Vereinigung von Schleitheim 1527, aus der eben zitiert
wurde. Jetzt nahmen die Gottesdienste einen anderen Charakter an: Die
Messe wurde abgeschafft, die Gewänder waren verschwunden, güldene Kel-
che und silberne Monstranzen wurden durch hölzerne Becher ersetzt, aus
denen der Abendmahlswein getrunken wurde, der Brotlaib, der gebrochen
wurde, ersetzte die gepreßten Oblaten, der Taufstein wurde, wie in Waldshut,
gegen den großen Milchzuber ausgetauscht und im Rhein versenkt. Getauft
wurde auch in Flüssen und Seen, zu Gottesdiensten versammelten sich die ~
Täufer an heimlichem Ort, in Scheunen, Wäldern und Höhlen, statt einer Pre-
digt zuzuhören, wurde aus der Heiligen Schrift gelesen und darüber gespro-
chen: in Bauernstuben, in Wirtshäusern, am Küchenherd, in Gefängnissen.
Der Alltag wurde nicht nur zum Bewährungsfeld des Glaubens, er lieferte
auch die Formen, in denen der Glaube allmählich Gestalt annahm. Das kulti-
sche Zeremoniell war als bloßer Schein durchschaut worden, fiel vom Leben
der Laien wie ein böser Zauber ab, so empfand man es, und auf neue Weise
war ein Zusammenhang zwischen Religion und Alltag hergestellt, ein Zusam-
18 Leonhard von Muralt/Walter Schmid (Hrsg.), Quellen zur Geschichte der Täufer in der
Schweiz. Bd. 1: Zürich. Zürich 1952, 13f.
19 Ebd., 15.
20 Heinold Fast (Hrsg.), Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz. Bd. 2: Ost-
schweiz. Zürich 1973, 30 [fortan: TQ Ostschweiz].
Bildersturm im Täufertum 245
soll jemand 1524 gesagt haben, ,,och die gotzen wer katwerck“ (Kot). In Stral-
sund beispielsweise klagten die altgläubigen Priester darüber, daß die Bilder
der Heiligen angegriffen und ihnen „‚Nasen und Ohren voll Dreck geschmiert“
wurden.26 In Zwickau wurde ein altgläubiger Priester aus dem Nachbarort, als
er nach einer Predigt Thomas Müntzers am Stephanstag über den Friedhof
schritt, nicht nur mit Steinen beworfen, wie der Märtyrer einst, sondern auch
mit Kot.27 Norbert Schnitzler hat darauf hingewiesen, daß der „gemeine
Mann“ für seine Attacken auf die Bilder gewöhnlich die Organisationsformen
nutzte, die sich im späten Mittelalter ausgebildet hatten, um sich politisch Ge-
hör zu verschaffen und sein gesellschaftliches Ansehen zu sichern, oft auch
eigene Agitationsziele durchzusetzen.28 Ein gutes Beispiel ist der Basler Bil-
dersturm 1529, hinter dem einige Zünfte standen. Die Formen eines kollektiv
organisierten Bildersturms, z.B. Bürgerausschüsse, Kirchspielversammlun-
gen, standen den Täufern jedoch nicht mehr zur Verfügung. Um diese Agita-
tionsmittel hatten sie sich mit ihrem separatistischen Nonkonformismus ge-
bracht. Allenfalls mit Beistand und Nachbarschaftshilfe in Verfolgungssitua-
tionen konnten sie rechnen. Vielleicht war auch das ein Grund dafür, daß der
Bildersturm im Täufertum eine Episode blieb. Eine Ausnahme wird, wie be-
reits erwähnt, wohl der große Bildersturm im Täuferreich zu Münster 1534
gewesen sein. Diese Ausschreitungen waren keine spontanen Akte eines apo-
kalyptisch aufgeladenen Volkszornes, wie einst behauptet wurde, sondern ob-
rigkeitlich angeordnete symbolisch-ritualisierte Entweihungen und Bestra-
fungen von Bildern, Statuen und klerikalen Herrschaftszeichen aller Art - un-
ter dem militärischen Druck der Belagerung besonders engagiert, zornig und
gründlich: eine Beseitigung der letzten Reste des altgläubigen Kultus und kle-
rikaler Herrschaftssymbole im bisher von ikonoklastischen Aktivitäten ausge-
sparten Dombezirk.2? Im Prinzip war daran nichts typisch Täuferisches. Es
handelte sich dabei wohl eher um eine Fortsetzung der Bilderstürme, die
schon 1533 unter einem evangelischen Rat stattgefunden hatten und noch Be-
wegungscharakter trugen, nur daß sie sich mehr als zuvor auf die Herrschafts-
symbole geistlich-weltlicher Bischofsmacht konzentrierten und von der
neuen städtischen Obrigkeit nicht nur geduldet, sondern befohlen, konzipiert
und organisiert wurden.
26 TQ Ostschweiz (wie Anm. 20), 359; Schnitzler, Kirchenbruch (wie Anm. 12), 292.
27 Günter Vogler, Thomas Müntzer. Berlin 1989, 83f.
28 Schnitzler, Ikonoklasmus (wie Anm. 1), 145-149, 163-235; wichtig ist der Begriff der
„spezifischen Formen der Selbstinszenierung einer mittelalterlichen Gesellschaft“ als dr
aussetzung für den Ablauf der Bilderstürme: ebd., 166.
29 Klötzer, Täuferherrschaft (wie Anm. 16), 77.
Bildersturm im Täufertum 247
Die kultisch-numinose Bedeutung der Bilder steht nicht für sich, sondern ist
Bestandteil des Heiligenkults. Daß Bilder verehrt und angebetet wurden, hat
sich aus der Auffassung von den Heiligen entwickelt, die als Helfer in der Not
und als Vermittler des Heils angerufen wurden. Die numinose Kraft der
Heiligen fand ihren anschaulichen Ausdruck im Bild und verband sich in der
Anbetung der Gläubigen allmählich auch mit dem Bild selbst. Sie ging sozu-
sagen in die Materie des Bildes ein und verlieh ihm gelegentlich sogar Fähig-
keiten, Wunder zu vollbringen. Das war offensichtlich das Problem, das in der
Reformation mancherlei Anstoß erregte und zu Massenprotesten führte.
Die Täufer haben sich daran erinnert, wie intensiv Luther und Zwingli in
den frühen Jahren ihres reformatorischen Wirkens gegen die Verehrung der
Heiligen gepredigt haben. Zwingli war sogar tätlich geworden und hatte eine
Predigt des durchreisenden Franz Lambert von Avignon rigoros unterbro-
chen, als dieser sich anschickte, die Angriffe auf die Verehrung der Heiligen
zurückzuweisen.30 Erinnert haben wird sich auch Balthasar Hubmaier an die
wundertätige „Schöne Maria“ zu Regensburg, an deren Wirkung auf die Pil-
ger er als Wallfahrtsprediger mit seinem wortgewaltigen Charisma beteiligt
war; und dann hat er Regensburg plötzlich verlassen und sich Zwingli bezie-
hungsweise den Täufern zugewandt. Der Bilderkult gehörte seiner sündhaften
Vergangenheit an, die er bitter beklagte und bereute: „als ich noch wol inge-
denck byn, daß ich vil vnnützen tanndt von dem kinder tauff, Vygilien, Jartä-
gen, Fegfeür, Messen, Götzen, glogken, leüten, orgelen, pfeyffen, ablaß,
kirchfarten, bruderschafften, von opfferen, syngen vnd brumlen gesagt
hab.“3! In Waldshut war statt der Bildverehrung der Bildersturm angesagt.
Mühelos ließ sich der Angriff auf die Heiligenverehrung mit einer Agitation
gegen die Bilder und Götzen verbinden. Das war ein und derselbe Komplex.
Die künstliche, religiös abgehobene Kommunikation mit Heiligen, Bildern,
auch mit Priestern, die sich mit einer besonderen Aura des Numinosen umga-
ben, mußte einer Kommunikation der Laien untereinander weichen. Dieser
Kommunikationswechsel zeigt sich sehr deutlich in einem Auszug aus
Urgichten gefangener und bestrafter Täufer in Österreich (Wien 1527). Dort
heißt es, daß ihnen von ihrer Bruderschaft verboten worden sei, „in die
auch „auf
kirchen zugeen, meß, predig oder andere ämbter darine zu hören“,
Be-
pildnussen sei nichts zu halten“; und schließlich folgt eine überraschende
gründung: „die todten heiligen mugen nit fürpitter sein noch uns erschießen
55.
30 Ulrich Gäbler, Huldrych Zwingli. Leben und Werk. München 1983,
der Herausge-
31 Hubmaier, Schriften (wie Anm. 9), 110; vgl. auch ebd., 108 (Einführung
in wölchen er vil wunder-
ber). „Die lieben Heiligen eere ich in Got als seinen werckzeüg,
vnser mitler gegen
zaichen gewürckt, als Paulus schreibt, Gal 1. c. Das sy aber sollen für
(ebd., 273).
gott vnd als unser nothelffer angeruefft werden, vernayne ich“
248 x Hans-Jürgen Goertz
(d.h. helfen) bei Gott; die lebendigen heiligen seien die brueder und schwe-
ster irer bruederschafft und cristenlichen gemaind, die sollen und mügen woll
für einander bitten und gnad erwarten“.??
Zweierlei ist hier bemerkenswert: Erstens verlassen die Täufer den numi-
nos aufgeladenen Kultus der Kirche und verankern den eigenen Gottesdienst
in ihrem Alltag. Ein spätes Zeugnis, das diesen Tatbestand besonders deutlich
zum Ausdruck bringt, findet sich in einem Sendbrief von Andreas Ehrenpreis
aus Mähren (um 1650): „Weil nun die abgötterei eine abfüerung von Gott ist
und sie Gott mit ernst hasset und anfeindet, und alle die, so dazu helfen, nicht
Gott, sondern dem teufel dienen, so ist auch offenbar und am tag, das die apo-
stel keine, es seien hölzerne, steinerne, goldene oder silberne götzen gemacht
haben, noch machen lassen, auch kein tempel von steinen oder holz, silber
oder gold, sondern vilmer darwider geredt und gezeugt, daß Gott kein gefallen
dran hat und auch nicht darinnen wone, noch das ihm damit gedient werde.‘
Das ist ein Akt der Desakralisierung der religiösen Praxis. Die Erinnerung an
die Problematik des Bildersturms sitzt tief und dient dazu, den Abschied vom
altgläubigen Kult zu rechtfertigen und eine neue Form des Gottesdienstes zu
begründen. Und zweitens verlegen die Täufer den Akzent von der Glaubens-
lehre auf die Bewährung des Glaubens im alltäglichen Leben. Einander zu
helfen und füreinander einzustehen, von der heilsegoistischen Anbetung der
Heiligen abzulassen und sich in Liebe dem Nächsten zuzuwenden, ist der
Dienst, den Gott erwartet.
In diese Richtung hatte bereits Ludwig Haetzer in seinem „Urteil Gottes
[...], wie man es mit allen Götzen und Bildnissen halten soll“ (1523) gewie-
sen, als er fragte: „Warrumb vergült man die götzen dann, warrumb bekleidt
man sy offt mit syden, warumb zücht man das paret vor inen ab? Warumb
krümpt man sich vor ihnen? In summa, sag waz du wilt, so thut man den
schebigen götzen eer an, die allein Gott zimpt.“%4 Der wahre Gottesdienst ist
anders: „Wil jeman hie noch ein tempel zieren, so thug er den armen flyBliche
stür (d.h. bringe ihm ein Geldopfer), die ein lebendiger tempel sind, so wer-
dend wir ewige freud besitzen.‘ Daß Haetzer diese Aussage besonders
wichtig ist, zeigt das „Amen“, mit dem er sie bekräftigt. Möglicherweise
wirkt hier ein Gedanke nach, den schon Karlstadt in seiner Bilderschrift vor-
getragen hatte, in der signifikanterweise die Bilderfrage mit dem Problem des
Bettels verknüpft wurde: „Von abtuung der Bylder und das keyn Betdler
vnther den Christen seyn soll“ (1522). Ähnlich hatte sich auch Hubmaier in
den „Achtzehn SchluBreden“ (1524) geäußert: „Bilder sind zu nichten gut,
deshalb soll solcher kosten fürthhin nit mer an holtz und steyn, sunder an die
lebendigen dürfftigen bylder Gottes gelegt werden.“3%6 Beide Themen, Bilder
und Bettel, sind Varianten ein und desselben Problems. Es geht nicht nur
darum, das Geld, das man für die Aufstellung der Heiligenbilder und die An-
fertigung des kostbaren Kirchengeräts aufwendet, den Bettlern zu geben, es
geht vor allem und zuerst darum, in aller Deutlichkeit zu erkennen, daß die
Bilder das Bild Gottes im Menschen verdecken und die christliche Gemeinde
einen solchen blasphemischen Schandfleck nicht dulden darf. Für Karlstadt
ist ausgemacht, daß „bilderpreißer Gotis glorien stelen‘“37, Wird Gottes Ehre
wiederhergestellt, kommt das den Notleidenden zugute, und es verbessern
sich die sozialen Verhältnisse. Von der „Abtuung“ der Bilder zur Hinwendung
zum Nächsten - hier hat Karlstadt der Desakralisierung einen ethisch-sozialen
Sinn gegeben. Im Täufertum hat dieser Sinn seinen verbalen Ausdruck vor
allem in den sich häufenden Begriffen Reinigung, Säuberung und Besserung
des Lebens gefunden. Die „unrainen Geister“, sagt Jakob Huter in einem
Sendschreiben, „wollten sich noch lieber ein Zeitlang in irer unrainigkait
umbwalzen, denn dz sie sich irer unrainigkait seubren“ und sich von der „bes-
serung iren lebens“ verkündigen ließen.38 In der Anfangszeit war der Bilder-
sturm ein Kampfmittel, das eingesetzt wurde, um die Voraussetzungen für ein
besseres Leben zu schaffen. Später war der Bildersturm nicht mehr aktuell,
aber die Rede- und Handlungsstruktur des Ikonoklasmus hatte sich im Täufer-
tum erhalten und andere Ausdrucksformen gesucht: Absonderung, Meidung,
Säuberung der Gemeinschaft durch die Anwendung des Banns nach Matth.
18, Nachfolge Christi in den Anfechtungen des Alltags.
the
Bob Scribner hat die Reformation allgemein als einen Übergang „from
sacramental world to moralised universe“ beschrieben.?? Nirgendwo wurde
dieser Übergang unter den frühreformatorischen Bewegungen jedoch augen-
chen und
fälliger vollzogen als im Täufertum. Das soll noch einmal unterstri
vertieft werden.
-sozia-
1. Der Bildersturm im Täufertum hat seine Wurzeln in den religiös
hs beziehungs-
len, antiklerikalen Bewegungen des reformatorischen Aufbruc
weise in den prototäuferischen Aktivitäten auf dem Land und in der Stadt.
Das gilt für Zürich genauso wie für St. Gallen, Straßburg, Augsburg und
Mühlhausen am Harz, für das Erhebungsgebiet der Bauern in der Schweiz, im
Elsaß, in Thüringen und Franken. Dieser Bildersturm ist keine radikale, extre-
mistische Randerscheinung der Reformation, sondern erhält seine theologi-
sche Orientierung, agitatorische Stoßrichtung, die Variabilität seines Aus-
drucks aus dem ,reformatorischen“ Bildersturm, ja, er trägt selbst dazu bei,
daß dieser Bildersturm zwischen Bilderfeindlichkeit und Bildervernichtung
oszilliert und eine noch nicht eindeutig festgelegte Aktionsform reforma-
torischer Auseinandersetzung mit dem sakramentalen Kultus der römischen
Kirche ist, in dem die Bilder, wie die auf ihnen dargestellten Heiligen selbst,
heilsvermittelnde Dignität erlangt hatten. So gesehen ist der täuferische Bil-
dersturm nicht radikaler als jeder Bildersturm in den frühen Jahren der Refor-
mation sonst, und im Grunde genommen ist auch er „vorreformatorischer“
und nicht reformatorischer Bildersturm. Er trägt dazu bei, in immer wieder
neuen Anläufen herauszufinden, welchen Inhalt und welche Gestalt die
Reformation annehmen könnte. Der täuferische Bildersturm gehört zum Ur-
gestein frühreformatorischer Bewegungs- und Ausdrucksvielfalt. Am Bilder-
sturm der frühen Täufer ist also nichts spezifisch Täuferisches festzustellen.
2. Gewöhnlich ließen die Bilderstürme nach, sobald die reformatorischen
Bewegungen ihr Ziel erreicht hatten und die Reformation offiziell eingeführt
worden war. Hier und da flackerten noch spontane oder obrigkeitlich angeord-
nete Entrümpelungen der Kirchen auf, wie in Münster zur Zeit der Täufer-
herrschaft, im Grunde aber war die Zeit der Bilderstürme vorüber. Je stärker
der Verfolgungsdruck wurde, um so mehr mußten die Täufer sich aus der
Öffentlichkeit zurückziehen und Schutz in separatistischen Gemeinschaften
suchen. Die „Tempel aus Stein“ wurden verlassen und gemieden. Mit Heili-
gen, mit Maria, Bildern und Kirchengerät kamen die Täufer nicht mehr unmit-
telbar in Berührung. Nur en passant wurde ein Hut ins Taufbecken geworfen,
und gelegentlich fragte eine Frau in einem Buchladen nach einem Neuen
Testament ohne reformierte Vorrede und ohne Heiligenbilder. Sie habe alle
Götzen aus ihrem Testament „gehowen“, wird berichtet, oder mit Tinte
geschwärzt. Das sind nur gelegentliche Äußerungen, hier aus dem unver-
öffentlichten Täuferaktenband zu Bern.4 Die Täufer haben die ,,sakramentale
Welt“ weit hinter sich gelassen.
3. Es dürfte kaum möglich sein, im Täufertum einen besonderen konzeptio-
nellen Beitrag zum Bildersturm in der Reformationszeit zu entdecken. Dafür
sind die Quellen zu sporadisch, zu knapp und zu stereotyp, vor allem die
Nachrichten aus den Gerichtsakten oder den obrigkeitlichen Instruktionen —
ganz abgesehen davon, daß sich die Bilderfrage für die Täufer erledigt hatte.
Wohl aber war es so: Die Täufer knüpften grundsätzlich an die frühreforma-
torische bzw. vorreformatorische Rhetorik des Angriffs auf die Heiligen ge-
nauso wie auf die Priester an, also die Argumentations- und Agitationsvielfalt
des Antiklerikalismus, und fanden in der dualistischen Rhetorik von Bild und
Gegenbild, Typ (Priester) und Gegentyp (Laie) den Ausdruck, der ihnen half,
zur Religiosität der frühen Christenheit in der Apostelgeschichte zurückzufin-
den und sich über die Anfangszeit hinaus das Milieu zu schaffen, das dem
Priestertum aller Gläubigen am meisten entsprach. Bilderfeindlichkeit und
Bildersturm, die Verachtung der sogenannten Götzen ebenso wie der beiläu-
fige Handstreich, dem ein Kultobjekt zum Opfer fiel, sie trugen dazu bei, die
„sacramental world“ aufzulösen und das „moralised universe“ herauf-
zuführen. Der Bildersturm ist eine Agitationsform eines desakralisierenden
Säuberungsakts. Reinigen, säubern, ausreißen, entwurzeln, vernichten, aus-
rotten: dieses purifikatorische Vokabular wird oft gebraucht, auch über die
Zeit der Bilderstürme hinaus, und paradoxerweise unterstreichen die bereits
erwähnten unflätigen Verbalinjurien und Aktionen mit Fäkalien gerade diese
Reinigungsabsicht. Es soll deutlich gemacht werden, wie widerlich der Göt-
zenkult ist, welch ein „Gestank“ mit der Messe zum Himmel steigt und welch
ein „verflucht sudlpad“ die Kindertaufe, wie „unrein“ Maria ist, wenn sie als
„Hure“ beschimpft wird.*! In diesem Zusammenhang ist eine Begebenheit
aus dem Jahre 1598 interessant, die John S. Oyer aus den Esslinger Täufer-
akten mitgeteilt hat. Walter Lichtenstein, der über die höchstwahrscheinlich
erzwungene Taufe seines kleinen Sohnes verärgert war, warf nach der Tauf-
handlung das Gevattergeld voller Zorn aus dem Fenster und wusch seinen
Sohn, wie es heißt, in einem „Wasserbad“ noch einmal ab. Interessant ist auch
der Kommentar, mit dem Oyer diese Begebenheit versieht: „We are not told
what this fresh washing meant to this man who refused even to believe in the
most sacred sacrament of all, the blood and wine of the Lord’s Supper. Did he
revert to some folk religious mentalité in the expectation that a ritual, cere-
monial rebath could wash away any tincture of evil that might have enveloped
his son in the act of infant baptism?‘“*2 Es dürfte nicht abwegig sein, die Wur-
zeln dieses Reinigungsrituals, abgesehen vom biblischen Säuberungsmotiv,
tief in der Volkskultur zu vermuten. Ethnologen wissen, daß solche Verwen-
dung der Exkremente und solche Denunziation der Unreinheit auf Reini-
gungsriten verweisen, die noch in der Volkskultur lebendig waren, genauer
auf die Ablösung eines unreinen von einem reinen Kult. In Fruchtbarkeitsriten
einer
wurde die Geburt einer neuen Welt aus dem Ekel erregenden Schmutz
‚alten beschworen.*
20), 363 (1524).
41 TQ Österreich (wie Anm. 14), III, 301; TQ Ostschweiz (wie Anm.
Persecution,
42 John S. Oyer, „They Harry the Good People out of the Land“: Essays on the
2000, 301.
Survival and Flourishing of Anabaptists and Mennonites. Goshen, Ind.
ur und Kultur der Eliten im
43 Piero Camporesi, Bauern, Priester, Possenreißer. Volkskult
252 ; Hans-Jürgen Goertz
Für die Täufer ging es nicht nur darum, diesen Übergang herbeizuführen,
sondern ihn auch auf Permanenz zu stellen. So erklärt sich — vielleicht ein
wenig spekulativ — der Übergang von frühreformatorisch-bewegten Säube-
rungen der bestehenden Kirchen und des ,,unreinen“ Klerus zur Säuberung
der eigenen Gemeinschaften, um eine Gemeinde „ohne Flecken und Runzel“
(Eph. 5, 27) zu errichten und zu erhalten. Um Säuberung ging es in beiden
Fällen. Alles wurde daran gesetzt, die Verehrung der Heiligen (sakramental)
durch die Bemühung um Heiligung (moralisch) zu ersetzen.
Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Frankfurt am Main/New York 1994, 97-139, bes.
121. Weitere Beispiele für den Zusammenhang von Fäkalien und Bildersturm s. Christian
von Burg, „Ich schisse in das heiligkrüz“ — Wie Ikonoklasten mit Fäkalien Bilder und
Altäre schänden, in: Cécile Dupeux/Peter Jezler/Jean Wirth (Hrsg.), Bildersturm. Wahn-
sinn oder Gottes Wille? Katalog zur Ausstellung. Zürich 2000, 120.
+
By
Margaret Aston
The Iconoclasm that accompanied the Reformation in England has its own
insular peculiarity, one aspect of which was its long duration. Objectives that
had been tabled by some at the very start of the reforming process were only
accomplished more than a century later.
The story of what happened to cross and crucifix presents a central illus-
tration of that process, and my aim here is to sketch the essentials from the
beginnings until the mid-seventeenth century. A prolonged contest over the
proprieties of imagery in Christian worship then effectively established that
the mere sight of a cross in a church was thereafter to arouse , indescribable
horror“ in Anglican breasts.! This is then an account of the growth of horror
and its effects.
Wycliffe’s followers provided antecedents which cannot be left out of
account. Lollards who opposed church images and sometimes physically
attacked them, were divided in their views about image-reform, and even if
their opponents got so far as to ask what it would be like to enter a church and
find no images in it, the objectives of the heretics themselves were more spe-
the
cific and necessarily limited in effect. They had, however, clearly seen that
since the
cross was at the heart of contemporary idolatry (as they saw it),
church explicitly endorsed the theology of St Thomas Aquinas in teaching
of
that both crucifix and cross should be worshipped with the highest worship
and their
„latria“. Lollards were suspected of denying worship of the cross?
king. One
occasional iconoclastic exploits included instances of cross-brea
with having
such rare report tells of a Norfolk chaplain charged in the 1420s
local parishione r
„cast the cross of Broomholm“ which he had taken from a
famous for its
into the fire. Broomholm was a neighbouring pilgrimage centre,
A A
Le x [2
Fe Ve
ca D.
at
Fig. la
Devotional picture of the Cross of Broom-
holm, Norfolk, in a fifteenth-century Book of
Hours. Lambeth Palace, London, MS 545, f.
186.
relic of the True Cross, and the form of this miracle-working patriarchal cross
is known from contemporary devotional pictures and the ampullae for pro-
phylactic water made for pilgrims. (Figs. 1 a and b). It was presumably an
object of this kind that was burned as an act of symbolic destruction, for the
relic itself was not under threat at this time.?
Cross-breaking assumed more serious proportions after the arrival of re- -
forming thought from the Continent. There was a spate of demonstrative ico-
noclasm of this kind. The Reformation parliament specifically exempted from
its general pardon in 1529 people who had been pulling down crosses on high-
ways, and one incident of 1532 earned lasting fame by being recorded and
depicted in John Foxe’s „Book of Martyrs“. The nighttime theft and burning
in 1532 of a rood that stood inside the church at Dovercourt in Essex,to which
miraculous powers were attributed, was followed by the arrest and execution
of some of the culprits (Fig. 2). This daring, attention-seeking act, was very
possibly inspired as a gesture of revenge for the recent burning of Thomas
3 Francis Wormald, The Rood of Broomholm, in: Journal of the Warburg Institute 1, 1937,
31-45; Margaret Aston, England’s Iconoclasts: Laws Against Images. Oxford 1988, rep.
2000, 138; Brian Spencer, Pilgrim Souvenirs and Secular Badges. London 1998, 161-165.
Cross and Crucifix in the English Reformation 253
Bilney, who himself had been highly critical of church imagery. This event
tells something of the mixed motivations of image destruction.4
Although Henry VIII was himself to sponsor destruction of exactly this
kind a few years later, the worship of cross and crucifix was not abolished dur-
some-
ing his reign. Yet roods that were regarded as idols were destroyed —
m met its
times with the utmost publicity. In 1536 the Holy Cross of Broomhol
it. There was
end with the suppression of the Cluniac house that had housed
from
reported to be „much superstition" surrounding the relic, and it vanished
Another pil-
view after being impounded by Thomas Cromwell’s officials.
The Rood of
grimage cross was dealt with in much more public fashion.
abbey
Grace at Boxley (Fig. 3) was removed from its home in the Cistercian
a ceremonial
of that name in Kent, to be exposed, denigrated and broken up at
Crom-
preaching event in London.5 Henry VIII’s management team (Thomas
ME
En
ë S à NY PE WE RTS: NS 5
Fig.2 The hanging of three men for burning the Rood of Dovercourt. Woodcut in edi-
tions of John Foxe’s ‚Book of Martyrs‘ from 1 563 onwards.
6 Phyllis M. Hembry, The Bishops of Bath and Wells, 1540-1640: Social and Economic
Problems. London 1967, 77f.; Peter Clark/Paul Slack (Eds.), Crisis and Order in English
Towns 1500-1700. London 1972, 26.
Cross and Crucifix in the English Reformation 237
ship the cross? and it was about thee when thou were christened, and must be
laid on thee when thou art dead“.’ But for William and others the question
was: how could worship of the cross possibly consort with true obedience to
the laws of the decalogue?
William Turner — who went to Zurich in the 1540s — put this conundrum to
Henry VIII in his „Hunting and finding out of the romishe fox“, published in
1543 under cover of the pseudonym of William Wraughton. „Either condemn
and scrape out the second commandment, or else leave off the creeping of the
cross and the worshipping of the crucifix in bowing to it and in kneeling to it.
For the creeping of the cross and the second commandment of God can no
longer agree together.“8
Evangelicals, particularly those with informed knowledge or direct experi-
ence of continental reform, already believed that the crucifix, as much as any
other image of saint or martyr, could induce idolatry in places of worship.
Archbishop Cranmer seems to have shared this viewpoint and to have had
plans in 1546 (which were frustrated) for ending the Easter ceremony of
creeping to the cross.? Cross-breaking had been going on in Cranmer’s own
diocese, where his brother (Archdeacon Edmund Cranmer) was said to have
violently broken the arms and legs of the rood of a Canterbury church. But
whatever hope or encouragement Cranmer gave of further reform on this
matter had to be put on hold as long as Henry VII was alive. And it was a
whole century before the end logic of this situation was endorsed as official
policy.
Reforming prayers for the implementation of full parochial iconoclasm, at
which Henry VIII had jibbed, seemed to be answered at the accession of his
successor, the Young Josiah, Edward VI. The English church now appeared
fully to endorse Zwingli’s dictum; „I have never seen a cross displayed in
church without someone making it into an idol“.10 The policy of complete
clearance of church images endorsed by the young king’s government in
1547/8 took in its stride the downing of the roods that stood at the centre of
church buildings and parochial devotion. An early start was made in some
7 John Gough Nichols (Ed.), Narratives of the Days of the Reformation. (Camden Society,
Vol. 77.) London 1859, 349f.
8 William Turner, The huntyng and fyndyng out of the Romishe fox. [Bonn] 1543, sig. C6r;
Aston, England’s Iconoclasts (as in n. 3), 244f.
9 John E. Cox (Ed.), Miscellaneous Writings and Letters of Thomas Cranmer. (Parker So-
ciety.) Cambridge 1846, 414-416; John Foxe, Acts and Monuments. London 1583, 1244f.;
Diarmaid MacCulloch, Thomas Cranmer: A Life. New Haven/London 1996, 351f.;
Eamon Duffy, The Stripping of the Altars: Traditional Religion in England c. 1400-<. 1580.
New Haven/London 1992, 443.
10 Huldreich Zwingli, Sämtliche Werke, ed. by Emil Egli/Georg Finsler. 14 Vols. (Corpus
Reformatorum, Vols. 88-101.) Berlin/Leipzig/Ziirich 1905-1959, Vol. 4, 120; Margarete
Stirm, Die Bilderfrage in der Reformation. Heidelberg 1977, 146f.; Charles Garside,
Zwingli and the Arts. New Haven/London 1966, 171 f.
Cross and Crucifixin the English Reformation 259
we have the carvings from Mochdre and Kemeys Inferior (Victorian finds in
these churches, now in the National Museum of Wales in Cardiff) (Figs. 4 a
and b): from Cartmel Fell in Lancashire the Christ, lacking burned-off feet, of
the great rood, and from Gloucestershire the powerful head and foot found at
South Cerney in 1913.14 But, despite this achieved destruction on such a
sweeping scale and the replacement of roods by royal arms, purifying reform-
ers regarded reform of the cross as being still far from complete.
Much attention came to focus thereafter on the use of the sign of the cross
in baptism, a dispute that rumbled on through the later sixteenth into the
seventeenth century. Historians have tended to centre attention on Puritan ob-
jections to the sign of the cross in baptism as a free-standing issue, but it was
in fact closely related to ongoing iconoclastic arguments. The repeated de-
fences of the gestured sign of the cross had to make clear that the English
church was firmly opposed to the presence of physical representations of the
crucifixion, including crosses standing in churchyards and highways, as pres-
enting a danger of idolatry which never attached to the aerial sign. This
amounted to an acknowledgment that further iconoclastic reform was called
for. Andit was indeed undertaken, but piecemeal and unsatisfactorily in the
eyes of those purists who favoured a clean sweep.
The crosses that still remained featured in Elizabethan controversy. James
Calfhill, in dispute with John Martiall, denied the charge that crosses standing
beside highways had been beaten down and miserably abused. Yet he fully
endorsed the lawful removal of roods and believed that ,,crosses in market-
places, and not in churches, are, (as by good proof we find,) great stumbling
stones, not only to the simple, but also to such as will seem to be wiser“.!>
John Whitgift -future archbishop of Canterbury— firmly upheld the baptismal
signing with the cross by a Church of England that had safely distanced itself
from papists. As he saw it there was all the difference in the world between
crossing a child’s forehead at baptism, and placing crosses in churches or on -
streets and highways. ,,The crossing of the child’s forehead is but for a mo-
ment; the cross of wood and stone remaineth and continueth: the cross in the
child’s forehead is not made to be adored and worshipped, neither was ever
any man so mad as to imagine any such thing of it; but the crosses in churches,
streets, and highways, of metal and wood, were erected to be worshipped, and
14 Aymer Vallance, English Church Screens. London 1936, 12 and figs. 14; Mark
Redknap, The Medieval Wooden Crucifix Figure from Kemeys Inferior, and its Church, in:
The Monmouthshire Antiquary 16, 2000, 11-43. 4
15 James Calfhill, An Answer to John Martiall’s Treatise of the Cross (1565), ed. by
Richard Gibbings. (Parker Society.) Cambridge 1846, 8, 25; John Martiall, A Treatyse of
the Crosse. Antwerp 1564, ff. 7°, 34V.
Cross and Crucifix in the English Reformation 261
ROOD
que FIGURE
À one tre rl ms
KENES INFERIOR CHURCH
MONMOLTHSHI
Fig. 4a Fig. 4b
Wooden rood figures from Mochdre, Wooden rood figure from Kemeys
Montgomeryshire. National Museum of Wales, Inferior, Monmouthshire. National
Cardiff. Museum of Wales, Cardiff.
as there is in
were so accordingly; and therefore there is no like peril in the one
the other.“16
learned that the
The English church, learning to eschew physical crosses,
with the corruption
sign of the cross in baptism, although it had been abused
ntal churches.
of popery, was lawfully retained, with the authority of contine
ing ,,the lawful use
This was expounded at length in Canon 30 of 1604, explain
that might trouble the
of the cross in baptism‘, in order to remove all scruples
had been ,,purged
consciences of the ,,rightly religious“. The sign of the cross
part of the substan ce of
from all popish superstition and error“ and was not
this sacrament.!7
there was a con-
It is important to realise that behind this ongoing dispute
and crucifixes that still
tinuing ground base of opposition to medieval crosses
churches. These survivals
remained in many places — both inside and outside
cluding in his diocesan articles of 1583 orders for the defacing of „the image of
the crucifix and the two Marys in the chancel windows“.21 Efforts to remove
the images of painted glass continued (sometimes by unauthorized private
initiative), but much too slowly and piecemeal to satisfy the precise. They did
not get their way until the 1640s. The story is similar with standing crosses, to
which I now turn. There are two kinds of monuments to consider here.
Freestanding crosses were of course extremely common monuments, but
those to be found in parish churchyards differed from wayside or civic crosses
in being housed on consecrated ground. Attention was given by diligent di-
ocesans of a certain cast of mind, specially it seems from circa 1570 on, to
nullifying the dangers of churchyard crosses. Bishop Cox of Ely saw to it that
a stone cross, carved with images, which he found in the village churchyard at
Horseheath and to which it was thought that some of the locals did great
reverence, was completely defaced.22 Anxiety that „no relics of crosses re-
main in any church or chapel yard“ seems by 1580 to have reduced many such
monuments to mere stumps or sets of steps for sitting on.23 Some parishes still
retain their churchyard crosses in the state-the reformers left them in (Figs. 5
and 6). Others have fared better and enjoyed a degree of recovery. There was
certainly opposition to such destruction. Two men in Yorkshire, charged in
1571 with having buried their undefaced cross stones, claimed (rather uncon-
vincingly) that they had intended to make them into a bridge.*4 It seems very
likely that two Gloucestershire parish crosses (now both intact, having had
their heads restored) were saved by such means. The canopied head of Amp-
ney Crucis cross in Gloucestershire (Fig. 7), which includes the crucifixion,
was found in 1854 deposited in the entrance to the rood stair; and that of
Ashleworth (in the same county) was likewise discovered in the nineteenth
century, in this case buried in a cottage hearth.”
Fig. 5
Fifteenth-century churchyard
cross at Iron Acton, Glouces-
tershire. (Photo: James Aus-
tin).
Reforming concern was also directed towards civic crosses such as the
High Cross in Worcester which in 1563 was taken down to the „sitting place“,
or the famous crosses at Banbury, pulled to the ground in 1600.26
Hostility to the use of cross and crucifix grew with anti-papal fears, helped
by the legislation that followed Queen Elizabeth’s excommunication in 1570
through which the mere possession of crosses (along with pictures, beads and
„Agnus Dei“) came to be seen as evidence of allegiance to Rome.?? Actual or
supposed false worship was the spur to immediate destruction. It was cruci-
fixes which attracted or suggested worship that were dealt with in Oxford and
Cambridge colleges in the 1570s. For an individual to take off his hat beside a
cross or to kneel before a crucifix was enough to condemn a sculpted monu-
ment or even a plain cross to perdition. Hence John Large’s complaint against
the high cross of Chichester in 1586. „There are“, he alleged, petitioning the
26 Diarmaid MacCulloch/Pat Hughes, A Bailiff’s List and Chronicle from Worcester, in:
Antiquaries Journal 75, 1995, 243 n. 45, and 251 for the taking down of the Worcester
grass cross in 1578. P. D. A. Harvey, Where was Banbury Cross?, in: Oxoniensia 31,.1966,
83-106.
27 The 1571 „Act against the bringing in and putting in execution of bulls and other instru-
ments from the see of Rome“ specified all these objects. Statutes of the Realm. London, ©
Record Commission 1810-1828, Vol. 4, 528-531; G. R. Elton, The Tudor Constitution.
Cambridge 1960, 421.
Cross and Crucifix in the English Reformation 265
Fig. 6 Fig. 7
Churchyard cross at Mileham, Norfolk. Churchyard cross at Ampney Crucis, Glou-
Photo National Monuments Record. cestershire (head restored). Photo National
Monuments Record.
28 Albert Peel (Ed.), The Seconde Part of a Register. Vol. 2. Cambridge 1915, 190f.
225
29 Kennedy (Ed.), Episcopal Administration (as in n. 21), Vol. 3, 143 (34), 149 (20),
Community
(15); Duffy, Stripping (as in n. 9), 577 f. See John Bossy, The English Catholic
to the Cath-
1570-1850. London 1975, 143, for gravestones with crosses used ,,according
266 Margaret Aston
i nh nt
were not obliterated with their disappearance. In 1607 Tobie Matthew, Arch-
bishop of York, wanted to know whether parishioners had been praying for
the dead at crosses or places where crosses have been, in the way to the church,
or any other superstitious use of crosses [...] or other memories of idolatry at
burials“.30 Memory control was one of the iconoclasts’ problems.
Apart from this were the old gestures of reverence that still seemed to pro-
claim false trust in some God of matter. „Item“, ran an article of enquiry at
Darlington in 1576-7, „whether there be any that use to make curtesy and do
reverence to any crosses of wood or stone or to bow their knees to such, or in
passing by to leave them on their right hands of purpose and for reverence
sake“.31 Force of habit (which kept old oaths and old gestures in use long after
they had lost their meaningful significance) was no excuse to godly comba-
tants. Better by far to remove the source of error than to risk souls; that mind-
set explains the many parish churchyards and other places where a few steps
and a stump are all that remains to us of the old cross.
There are still plenty of remains of standing crosses in various English
counties that witness to the iconoclasts’ fidelity to the second commandment.
The simplest method of accomplishing this piece of reform was to cut the
cross off the top of the monument, leaving the truncated shaft and the base and
steps. Like so many other forms of Reformationione -breaking, the signs of
this work of an hour has lasted for centuries.
The following lines were written about Banbury (notorious home of Puri-
tans) about 1620.
„The crosses also, like old stumps of trees,
Are stools for horsemen that have feeble knees;
Carry no heads above ground: They which tell
That Christ hath nere descended into Hell,
But to the grave, his picture buried have,
In a far deeper dungeon than a grave.“?
Even after the activity of Victorian restorers, beheaded crosses are visible
today, though their message is less evident than it was when Richard Corbett
described them. Others defensively proclaim their reformed status by para-
ding a ball, or some innocuous replacement.
Fears of Rome profoundly affected the final part of this story, thanks to the
change of attitude towards religious art that arrived with the Stuart court in the
early seventeenth century. After the accession of James I in 1603 there was an
artistic revival that included new churches, new chapels, and new images — as
well as the restoration of old ones. These works demonstrated the divided
counsels of the time. They reflect divergent convictions about the proprieties
of reformed buildings: on one side an opposition to all forms of religious
imagery, cross included; on the other a belief that the reformed Church of
England had passed beyond danger of popish idolatry and could be visually
informed by scriptural imagery.
The purifiers did succeed in various places in their desire to neutralise
the religious content of public crosses. At Coventry the figure of Christ was re-
placed in 1608/9 by that of Lady Godiva. Carved imagery remained, as we can
see in the engraving in Dugdale’s ,,Warwickshire“ (1656), and this included
angels as well as kings and queens.?3 Royals could (at least until the interreg-
num) safely stand where Christ and saints could not. So when the Bristol High
Cross was taken down and repaired in 1633, the new statues that were added
were of Henry VI, Queen Elizabeth, James-I and Charles I.34 Such alterations
allowed these civil monuments to pass muster as „reformed“. As Thomas
Fuller put it, describing the Coventry cross: „A reformed cross, (or standard
rather), without any cross thereon, being a master-piece, all for ornament, no-
thing for superstition; so that the most curious hath just cause to commend, the
most conscientious to allow, none to condemn it“.25 Hence the anomaly of the
term ,,market cross“ which is still in English use to describe monuments that
characteristically may have anything except a cross. An example of such a cor-
rectly non-committal monument was erected in Leicester in 1577, eight years
after the demolition of the large cross in St Martin’s church. The new „High
Cross“ has now also gone, but it was described in the eighteenth century as a
„light handsome building“ and seems to have had no ornament or symbolism
of any kind (Fig. 8).36 It represents a kind of halfway house between the two
extremes of „contrasted crosses“, illustrated in Pugin’s 1841 „Contrasts“.37
But, even while some were thus working towards a cross-free world, others
were doing the opposite. At Windsor in the 1630s, Bishop Goodman of Glou-
| Fig. 8
à Leicester High Cross, built in 1577,
demolished in the late eighteenth
century.
ee
Fig. 9 Procession passing Cheapside Cross at visit of Marie de Medici, 1638. Photo
from Jean Puget de la Serre, ‚Histoire de l’entree de la reyne mere’, 1639, Folger
Shakespeare Library, Washington DC.
de Medici (Fig. 9). The latter proved to be the last such regal occasion for the
celebrated Eleanor Cross.39 By the 1630s Cheapside Cross had effectively
been on trial for over fifty years. It was repeatedly attacked and damaged and
the City authorities wanted to „reform“ the monument by replacing the cross
at its summit by an obelisk. Queen Elizabeth stood up firmly for „the antiquity
and continuance“ of this city landmark, ordering the repair of the cross and
rebuking those who took offence ,,at the historical and civil use of such an
ancient ensign of Christianity“.40 It was exactly the same defence as was used
in 1629 by Abraham van Linge, who warned off critics (or breakers) of his
glass panel of the Deposition (based on Rogier van der Weyden’s painting)
with the words: ,,The truth hereof is historical divine, and not superstitious“.*!
It was the same story with church glass. The early seventeenth century re-
naissance of English ecclesiastical painted glass included windows of differ-
taigne.
39 Jean Puget de la Serre, Histoire de l’entree de la reyne mere dans la Grande-Bre
The visit took place in October 1638. For a section of the print that repro-
‘ London 1639.
procession see Margaret Aston, The King’s Bedpost:
duced a lost painting of Edward VI’s
1993, 109.
Reformation and Iconography in a Tudor Group Portrait. Cambridge
40 Ibd., 110.
41 Thd.; Marks, Stained Glass (as in n. 19), 236.
270 Margaret Aston
ent kinds. While some sponsored armorial and decorative windows, others
promoted a revival of figures of prophets and apostles and medieval matching
of type and antitype, or took special care over their placing of New Testament
imagery (as was perhaps the case at Hatfield, where the east window of Robert
Cecil’s chapel contained Old Testament subjects). But here too there was a
school of thought that took comfort from still standing medieval windows,
deeming it permissible to build on these (now arguably harmless) precedents.
Such patrons believed that to see „our saviour’s picture in the church“ and
„saints in every light or window“ could be regarded as „comely“ and „de-
cent“.42 So William Laud set his glaziers to work to repair the crucifixion in
his chapel at Lambeth. Laud’s enemy, Bishop Williams of Lincoln, had the
crucifixion, with the Virgin and St John, set in the east window of his chapel at
Buckden (Hunts.) which does not survive, and in the fully glazed new chapel
he gave to Lincoln College in Oxford. The chapel of Peterhouse in Cambridge
still has the grand transposition into glass of Rubens’ Antwerp painting ,,Le
Coup de Lance“, given to the new chapel by Luke Skippon, a fellow of the
college.*3
By 1640 two worlds co-existed with increasing degrees of unease. On one
hand were those like John Donne who believed, as Queen Elizabeth had
believed, that there was no cause for Christians to deny the image of the cross,
to take offence at the ancient emblem of Christianity. To them it seemed per-
fectly appropriate that material crosses and images of Christ should be found
both inside and outside places of worship. On the other hand were those who
were convinced that new stained glass windows showing Christ on the cross
were „diabolical, and the father of darkness was the inventer of them, being
the chief patron to damnable pride“. Word and book had to drive out all super-
stitions of the power of the cross.** The extremism of this case had long been
brewing and was a predictable outgrowth of maturing puritanism. In 1641
„The sinfulness and unlawfulness of having or making the picture of Christ’s _
humanity“ was published by John Vicars, in the hope of spurring the House of
Commons into perfecting „a long and strong-desired Reformation“. Vicars
and his co-author William Prynne had no time for defences of images of
Christ. „No pictures can so lively represent / Christ’s death and passion as the
sacrament, / And word; the only Crucifixes he / Hath left his Church, his death
to mind and see“. The only remedy as both men saw it, was to root out this sin
42 J. E. B. Mayor (Ed.), Nicholas Ferrar: Two Lives by his Brother John and by Doctor
Jebb. Cambridge 1855, 78 f.; W. Sparrow Simpson, Gleanings from Old S. Paul’s. London
1889, 73.
43 Cooper (Ed.), William Dowsing (as in n. 19), 156, 464.
44 The Petition of the Weamen of Middlesex. London 1641, sig. A 2"; Patrick Collinson/ +
John Craig (Eds.), The Reformation in English Towns, 1500-1640. Basingstoke 1998,
23% |
Cross and Crucifix in the English Reformation 271
The 2 ofMay,1643."
Cy e in Cheapefide was
goon a Troopipeey
sue &2 Co Soap uewa,
ere
PER de ut ni T4
eeBe:Rz re tes oetric:
blew. % mu th er i;
CupOS Ww eee
Fe ras & a2greate Skoute
J 4 kecite of
Pop
was en
the fh
po
bo
burnt, in the pla
der ad x. fe was aeLead
:ce where tt
seen
wee,
aa: c of Belly, a. reate be ont
10 kurt dons in all these. actions.
n of
Fig. 10 Contemporary print, attributed to Wenceslaus Hollar, of the destructio
Cheapside Cross, 1643.
212. Margaret Aston
and abuse of picturing Christ by destruction. They called for holy zeal „to
destroy and utterly ruinate all the pictures or images of the Lord Christ [...]
since we see them so constantly and commonly abused to popish idolatry and
protestantine superstition“.*
The last act in this century-old drama took place in the 1640s. The legis-
lation which then, for the first time since the start of the English Reformation
officially proscribed all crucifixes and crosses (together with imagery of the
Trinity, the Virgin Mary and all other saints) throughout the land, was revol-
utionary in several respects. This was the first time that idolatry and supersti-
tion were legislated against by parliament, as opposed to the church author-
ities or the crown. It was also the first time that such iconoclastic clearance
was explicitly applied not only to church buildings, but also to other open
places. Public monuments, as well as private gentry chapels and places of
worship of all kinds, were no longer permitted to display emblems of cross or
crucifix (Fig. 10).
Parliament’s call to destroy was very effectively answered. These years
produced what we can genuinely call an explosion of iconoclastic destruction
that vented itself particularly on cross and crucifix in the two media I have
been describing. Very many parish churches lost stained glass windows at this
time. Collegiate and private chapels were not exempt, and prudent owners
took down their threatened glass before it was broken down for them. In the
case of monumental crosses we can combine visual evidence with the written
record, since action against the celebrated Cheapside and Charing Crosses in
London produced a small library of polemical pamphlets.*° There was still
resentment and opposition to the iconoclasts’ intransigence, but action spoke
louder than words. The day was won by the breakers. And the English church
was marked for generations by this onslaught on the cross.
45 John Vicars, The Sinfulness and Unlawfulness, of Having or Making the Picture of
Christ’s Humanity. London 1641, sig. A 6", 38f., 69. ;
46 On this last phase see David Cressy, Travesties and Transgressions in Tudor and Stuart
England. Oxford 2000, 234-250. ;
La
Von
Franz-Josef Sladeczek
Im Jahre 1535 brachte der Nürnberger Drucker und Verleger Nicolaus Melde-
man einen Einblattholzschnitt mit Versen von Hans Sachs und illustriert mit
einem Holzschnitt von Georg Pencz (Abb. 1), einem der sogenannten Drei
gottlosen Maler von Nürnberg, heraus. In der „Clagred der Neün Muse oder
künst vber Teütschland“! erzählt Hans Sachs, wie er selbst während einer
Hirschjagd im Januar des Jahres 1535 im Schwarzwald auf die neun Musen
trifft, die ihn in ein Gespräch verwickeln und ihm eröffnen, daß sie gedenken,
Deutschland zu verlassen. In Deutschland würden die Künste schon seit eini-
ger Zeit nicht mehr geschätzt, ja geradezu geächtet, denn an die Stelle der
Kunst, die nicht viel Ertrag abwerfe, seien Wucher und Betrügerei, Wollust,
Gewalt und Prunksucht getreten. Um nicht Hungers zu sterben, beschließen
die neun Musen wieder in ihre griechische Heimat, auf den Parnass, „zuo
vnserem Gott Apollini / Vnd unser Göttin Palidi“ zu ziehen. Der Dichter aber
bleibt allein zurück, wobei er sich zu der Hoffnung und dem Wunsche durch-
ringt, daß es mit der gegenwärtig so in Verruf geratenen Kunst in Deutschland
besser werden möge.
Herbert Zschelletzschky,
1 Gotha, Museum der Stadt, Schloßmuseum, Inv. Nr. 37, 10. Vgl.
und Georg
Die „drei gottlosen Maler“ von Nürnberg. Sebald Beham, Barthel Beham
zu Reformati-
Pencz. Historische Grundlagen und ikonologisché Probleme ihrer Graphik
der Reformationszeit.
ons- und Bauernkriegszeit. Leipzig 1975, 100-106, Abb. 38; Kunst
Altes Museum.
Ausstellungskatalog, Staatliche Museen zu Berlin, Hauptstadt der DDR,
Hans Sachs. Schuh-
Berlin (West) 1983, 228, Kat. Nr. C 57; Wilhelm Richard Berger,
t der Reformationszeit
macher und Poet. Ulm 1994, 76f., Abb. 13; Der deutsche Holzschnit
The National Museum
aus dem Besitz des Schloßmuseums/Museen der Stadt Gotha.
1995, Kat. Nr. 64,
of Western Art, Tokio 14.1.-15.3.1995. Ausstellungskatalog. Tokio
und Abb. 72-73 (mit weiterer Literatur), sowie Christian Meyer, Le chagrin des
142-143
germanique au XVIe
“Muses, in: Frank Muller (Hrsg.), Art, religion, société dans l’espace
Faculté de Théologie Protestant e - GRENEP et le
siècle: Actes du colloque organisé par la
de Recherche Musique et Société dans les pays germaniqu es à l’aube des temps
Groupe
21-22 mai 1993. Strasbourg
modernes. Université des Sciences Humaines de Strasbourg,
1997, 105-115.
274 Franz-Josef Sladeczek
Abb. 1 Georg Pencz, Klagrede der neun Musen über Deutschland, 1535. Kolorierter
Holzschnitt mit typographischem Text von Hans Sachs. Gotha, Schloßmuseum,
Inv. Nr. 37, 10.
Der Einblattdruck verkörpert eine Form der Künstlerklage, auf die wir in
der Zeit der Reformation immer wieder stoßen, sei es in Quellenberichten .
oder in Form sogenannter Künstlerbücher wie z.B. Albrecht Dürers Unter-
weisung der Messung? von 1525 oder das Kunstbüchlein des Heinrich Vogt-
herr, das 1538 in Straßburg erschien. Mit diesen Künstlertraktaten, zu denen
wir ebenfalls das Ro&biichlein* (1528) des Sebald Beham sowie das Kunst-
2 Die „Unterweisung der Messung“ hatte Dürer Willibald Pirckheimer gewidmet. In dem
Widmungsschreiben führt der Künstler u.a. aus, daß „bey vns vnd in vnseren zeyten die
künst der malerey durch etliche seer veracht vnd gesagt will werden, die diene zü abgötte-
rei. Dann eyn yeglich christenmensch wirdet durch gemel oder byldnüß als wenig zü einem
affterglauben getzogen als ein frümer mann zü eynem mord, darumb das er ein waffen an
seiner seyten tregt. Must warlich eyn vnuerstendig mensch seyn, der gemel, holtz, oder
steyn anbetten wôlt.“ Zit. nach Albrecht Dürer, Schriftlicher Nachlaß, hrsg. von Hans Rup-
prich. Bd. 1. Berlin 1956, Nr. 58, 114-116, insbes. 115. Vgl. auch ders., Unterweisung der
Messung, Ndr. nach dem Original der Bayerischen Staatsbibliothek München. Nördlingen
1983.
3 Vgl. zuletzt Frank Muller, Vogtherr beklagt das Versiegen der deutschen Kunst und hofft,
mit neuen ornamentalen Vorlagen im Geist der‘Renaissance zu ihrem erneuten Auf-
schwung beizutragen, in: Cécile Dupeux/Peter Jezler/Jean Wirth (Hrsg.), Bildersturm.
Wahnsinn oder Gottes Wille? Katalog zur Ausstellung. Zürich 2000, 368 (mit weiteren
Literaturangaben).
4 Sebald Beham hatte das Buch von der Proportion der Rosse trotz Verbotes des Nürnber- _
ger Rates im Herbst 1528 publiziert, worauf er verhaftet werden sollte. Der Künstler ent-
zog sich aber mittels Flucht dem drohenden Arrest. Vgl. Zschelletzschky, Maler (wie
Anm. 1), 80ff.
Künstlerschicksale zur Zeit der Reformation 272
buch des Peter Flétner> (1549) hinzurechnen können, suchten die Künstler
selbst deutlich Position zugunsten der infolge des Bilderstreites in Mißkredit
geratenen Künste zu beziehen.® Es handelte sich - wenn wir so wollen — um
konzeptionelle Entwürfe, in der Absicht, der Kunst und ihren Vertretern, den
Künstlern, wieder auf die Sprünge zu helfen und nicht in jener Weise zu resi-
gnieren, wie es die Neun Musen im obigen Versgedicht des Hans Sachs vor
Augen führen.
Diese einleitenden Ausführungen machen deutlich, daß mit der Reforma-
tion auch große Umwälzungen im Bereich der Kunst einhergingen, die über
die Läuterung bisheriger Bildthemen zu einer Neubewertung der Kunst und
ihrer Gattungen geführt hatten.’
Der Erneuerungsprozeß der Kunst in der frühen Neuzeit, also vom Beginn der
Bildkritik über die Bildzerstörung bis hin zur Bilderneuerung, vollzog sich —
wie wir heute wissen — innerhalb nur weniger Jahrzehnte, bezogen auf die
deutschsprachigen Gebiete lutherischen Glaubensbekenntnisses, etwa Zwi-
schen 1520 und 1580. Zu den neuen Kunstformen zählen zunächst die bereits
zu Anfang der 20er Jahre aufkommenden Reformatoren-Porträts (Abb. 2), in
denen der alte Typus des Heiligenbildes auf den Reformator übertragen und
fast zur Ikonenhaftigkeit übersteigert wurde. Unwesentlich später entstanden
auch die ersten Altarbilder nach lutherischem Verständnis, darunter die The-
5 Das Kunstbuch des Peter Flötner. Zürich 1549, Ndr. Schuster Berlin 1882.
daß die
6 Christian Rümelin machte mich in dankenswerter Weise darauf aufmerksam,
für die Künstler, die „Krisen geschüttelte Kunst“ mittels selbst verfaßter Traktate
Motivation
reformieren zu wollen, durchaus keine reformationsspezifische Angelegenheit darstellen
Ser-
muß. Derartige Auffassungen finden sich schon in den Künstlertraktaten von Alberti und
lio in ganz ähnlicher Weise ausformuliert . Es dürfte sich somit hier um einen Topos handeln,
weitere
der von den Künstlern der Reformationszeit übernommenen wurde und von dort
Frankfurt
Kreise zog (vgl. z.B. „Das Kunst vnd Lerbüehlin Sebalden Behems“ [Erstdruck
Frank-
1546] oder das „Kunst / vnd Lehrbüchlein“ des „Jos Aman / von Züriych“ [Erstdruck
hier nicht der Ort, diese Zusammenhä nge weiter zu vertiefen.
furt 1578]). Es ist allerdings
Katalog der
7 Vgl. hierzu Werner Hofmann (Hrsg.), Luther und die Folgen für die Kunst.
11. Nov. 1983-8. Jan. 1984. München 1983,
Ausstellung in der Hamburger Kunsthalie,
46-51.
und die Folgen
8 Die nachstehenden Ausführungen beziehen sich auf: Hofmann, Luther
(Luther als Heiliger), 97-83 (Protestantische Porträts);
(wie Anm. 7), Kat. Nr. 27-32
Main 1984; Robert
Martin Warnke, Cranachs Luther. Entwürfe für ein Image. Frankfurt am
ganda, in: Brigitte Tolkemitt /Rainer Wohlfeil
W. Scribner, Reformatorische Bildpropa
(ZHF, Beih. 12.) Berlin
(Hrsg.), Historische Bildkunde. Probleme — Wege - Beispiele.
und Städte. Kunst und
1991, 83-106; ferner Thomas Da Costa Kaufmann, Höfe, Klöster
Peter Poscharsky, Das lutherische
Kultur in Mitteleuropa 1450-1800. Köln 1998, 42-153;
Kirchen. Ikonographische
Bildprogramm, in: ders. (Hrsg.), Die Bilder in den lutherischen
Studien. München 1998, 21-39.
276 Franz-Josef Sladeczek
TD a tt 7
men „Christus und die Ehebrecherin“, „Lasset die Kindlein zu mir kommen“
und das „Letzte Abendmahl“. Das Letzte Abendmahl, neben der Taufe von
Luther als zweites Sakrament beibehalten und 1528 in einer Bekenntnisschrift
ausdrücklich verteidigt, wurde fortan auch zu einem der bevorzugten Themen
der neuen protestantischen Bildprogrammatik.
Neben dem Reformationsaltar?, dem Epitaph!0 und der Kanzel!! als den
zentralen Ausstattungsobjekten gehörten ferner zur lutherischen Kirchenaus-
stattung: der Taufstein!?, die Orgel!3 und der Beichtstuhl!#, in dem bis zum
Ende des Pietismus die Ohrenbeichte abgenommen wurde.
All diese Ausstattungsstücke, zu denen ferner noch die Emporen- und Dek-
ken- sowie Wandgemälde hinzukommen, bildeten die integralen Bestandteile
des neuen protestantischen Kirchenbaus, der sich nach der Mitte des 16. Jahr-
hunderts neu formierte.!5 In ihnen folgte „die gesamte Innenausstattung der
lutherischen Kirchen einem einheitlichen Prinzip [...], so daß man von dem
lutherischen Bildprogramm sprechen kann. Dieses Programm bildet sich nach
einer Phase des Experimentierens und Suchens etwa ab 1580 heraus.“16
Die rasche Neufindung der reformatorischen Bildprogrammatik läßt fast
vergessen, daß dieser Prozeß eine große Anzahl von Künstlern nicht erreicht
hatte — Künstler, die in dieser Phase des Übergangs und der Neuorientierung,
in der die Kunstaufträge ausblieben!’, in eine elementare Krise gestürzt wur-
den, mit geradezu verheerenden Folgen für Berufsstand und Familie.
Wie vermochten die Künstler auf die durch das Bilderverbot in Stillstand
geratende Kunstproduktion zu reagieren? Welche Möglichkeiten boten sich
ihnen auszuweichen? Und: Welche Kunstgattungen erfuhren in der Krisenzeit
Hochkonjunktur, bildeten sich also zu einem blühenden Kunstzweig heraus?
9 Den Vorstellungen Luthers zufolge sollte ursprünglich nur ein freistehender Tisch die
Altarfunktion erfüllen, jedoch übernahm die lutherische Kirche weitgehend die Tradition
des mittelalterlichen Retabels (allerdings unter Verzicht auf den Wandelaltar) und kombi-
nierte es mit dem Abendmahlstisch. Vgl. ebd., 22f.
10 Die Epitaphien wurden in der Regel mit Namen- und Todesangaben des Verts
versehen, konnten darüber hinaus aber auch durch gemalte oder skulpturale Objekte zu-
sätzlich ergänzt werden. Vgl. ebd., 23f.
11 Die Kanzeln zeigten vielfach „Die vier Evangelisten“, die nach 1577 durch weitere’
Bildthemen (Sündenfall, Jüngstes Gericht, Szenen aus dem Leben Jesu) ergänzt wurden.
Vgl. ebd., 24f.
12 Zum Bildprogramm der Taufsteine gehörten neben der Taufe Jesu durch Johannes auch
die Sintflut und der Durchzug des Volkes Israel durch das Rote Meer. Vgl. ebd., 25f.
13 Das Bildprogramm der Orgeln mit musizierenden Engeln unterschied sich wenig von
Orgelprospekten katholischer Prägung. Vgl. ebd., 26f.
14 Vgl. ebd., 26.
15 Vgl. da Costa Kaufmann, Höfe, Klöster und Städte (wie Anm. 8), 149 ff.
16 Poscharsky, Bildprogramm (wie Anm. 8), 21.
17 Vel. Christine Göttler/Peter Jezler, Das Erlöschen des Fegefeuers und der Zusammen- .
bruch der Auftraggeberschaft für sakrale Kunst, in: Christoph Dohmen/Thomas Sternberg
(Hrsg.), ,,-.. kein Bildnis machen“. Kunst und Theologie im Gespräch. 2. Aufl. Würzburg
1987, 119-148.
Kiinstlerschicksale zur Zeit der Re formation
La
277
NS
.N
RR A
KO
PNB
NS
17, WR
ARE;
RN
UC
e
NN
7
pM
fi
Ww
Wy
IBURG a:
N
LLUY;
DEI
N \ : :
VIEL
C72,Pi
jur
PR OE
Wil
pb
N i"
RE
DE
AL,
D
{l
ty
An),
!
|
NINE
RI
WH
I;
1)
&
A
a
4 YW Oh
YN
|
FEN, UK
WENN
FINAL:
Hi;
\\
4.
OIE
Sf ;
7 7A
od
6
a
WR
MM
j Jf
|
Een
mae
M
(a
EN>
{
Wi
eof,
Abb.2 Hans Baldung gen. Grien , Luther als Heilige %.1921.2H0 Izschnitt. Aus: Martin
Luther, Acta et res gestae ... in comitiis principum Vuormaciae, Anno MDXXI
(StraBburg, Joh. Schott 1521).
278 Franz-Josef Sladeczek
EEE: cm ti EL nn LS AOA ALA
om
von Kleve heraus, daß sich selbst in reformierten Gebieten ein blühendes
Kunstklima „gegen den Strom“ herausbilden konnte.22 Ursächlich verant-
wortlich für dieses bilderfreundliche Klima war, ohne dies hier weiter vertie-
fen zu wollen, die ausgeprägte Bildtoleranz Luthers, die von der generellen
Erkenntnis getragen war, daß „Bilder ebenso wie Texte didaktische Qualitäten
haben können.“23 Und Luther knüpfte mit dieser Auffassung bekanntlich an
eine jahrhundertealte Bildtradition in der Kirche an.24
22 In der gut 4000 Einwohner fassenden Stadt Kalkar, dem Zentrum der Kunstproduktion
am Niederrhein, gab es in den 30er und 40er Jahren des 16. Jahrhunderts insgesamt drei
blühende Bildhauerwerkstätten: diejenigen Hendrik Douvermans, Hendrick van Holts und
Arnt von Trichts.
23 Da Costa Kaufmann, Höfe, Klöster und Städte (wie Anm. 8), 143.
24 Zur Haltung Luthers in der Bilderfrage vgl. u.a. Helmut Feld, Der Ikonoklasmus des
Westens. (Studies in the History of Christian Thought, Bd. 41.) Leiden u.a. 1990, 122 ff.;
Sergiusz Michalski, The Reformation and the Visual Arts: The Protestant Image Question
in Western and Eastern Europe. London/New York 1993; ferner zuletzt Johann Michael
Fritz (Hrsg.), Die bewahrende Kraft des Luthertums. Mittelalterliche Kunstwerke in evan-
gelischen Kirchen. Regensburg 1997; Poscharsky, Bilder in den lutherischen Kirchen (wie
Anm. 8).
25 Eine globale Darstellung zum „Sterben“ der Kunst und ihrer Neuorientierung in den re-
formierten Gebieten der Eidgenossenschaft fehlt bis heute (vgl. auch Anm. 26). Im Bereich
der Architektur ist die verdienstvolle Arbeit Georg Germanns, Der protestantische Kir-
chenbau in der Schweiz von der Reformation bis zur Romantik. Zürich 1963, zu nennen.
26 Oskar Bätschmann, Malerei der Neuzeit. (Ars Helvetica, Bd. 6.) Disentis 1989, 1-14. Im
Gegensatz dazu nehmen sich die Ausführungen von Paul-Andre Jaccard, Skulptur. (Ars Hel-
vetica, Bd. 7.) Disentis 1992, in bezug auf das Schicksal der Skulptur respektive des Bild-
hauerhandwerks in der Reformationszeit sehr bescheiden aus. So liest sich in bezug auf Bern
die befremdliche Aussage, daß sich dort (neben dem katholischen Freiburg) „künstlerisches
Schaffen halten“ konnte: „Obwohl protestantisch, investierte die Stadt weiter in Kunstwerke.
Nach der Reformation bestellte der Rat für das Münster ein Chorgestühl (1522-1524)“ (ebd.,
93f.). Richtig dagegen ist: Das Chorgestühl entstand gute fünf Jahre vor der Berner Refor-
mation (1528), seit deren Einführung sich allenfalls noch der Kunstzweig der Glasmalerei
33).
(Kabinettscheiben) einer stärkeren Kunstproduktion erfreuen konnte (vgl. hier die Anm.
280 Franz-Josef Sladeczek
27 Bätschmann, Malerei der Neuzeit (wie Anm. 26), 13; ders./Pascal Griener, Hans Holbein
d.J.: Die Solothurner Madonna. Eine ‚Sacra Conversazione‘ im Norden. Basel 1998, 97.
28 Bätschmann, Malerei der Neuzeit (wie Anm. 26), 43-46.
29 Göttler/Jezler, Erlöschen des Fegefeuers (wie Anm. 17), 119-148.
30 Vgl. hierzu u.a. Zschelletzschky, Maler (wie Anm. 1), 100; Yasukazu Morita, Der deut-
sche Holzschnitt und die Reformation, in: Holzschnitt der Reformationszeit (wie Anm. 1),
104-113.
31 Wirth, L'art d’Eglise (wie Anm. 20), 133-158.
32 Dies bestätigen zumindest die Untersuchungen von Wirth, L’art d’Eglise (wie Anm. 20),
Künstlerschicksale zur Zeit der Reformation 281
und Brigitte Kurmann-Schwarz, Die Glasmalereien des 15. bis 18. Jahrhunderts im Berner
Münster. (Corpus vitrearum Medii Aevi, Schweiz, Bd. 4.) Bern 1998, allerdings sollten
hier noch weitere umfassende Untersuchungen bezüglich der Kunstentwicklung in anderen
oberdeutschen Städten nachziehen, um so ein möglichst repräsentatives Bild hinsichtlich
einer Gesamtbeurteilung zu erhalten.
33 Ebd., 41 f. und 53f.
34 Ebd., 42.
35 Ebd.
vom
36 So in seinem Briefwechsel mit Valentin Compar, Alt Landschreiber von Uri,
Kri-
27. April 1525. Vgl. hierzu zuletzt Peter Jezler, Mit seinem Antwortschreiben auf die
tik von Valentin Compar will Zwingli den reformwilligen Gemeinwesen einen Leitfaden
Bil-
für den geordneten Bildersturm in die Hand geben, in: Dupeux/Jezler/Wirth (Hrsg.),
u.a.
dersturm (wie Anm. 3), 299. In bezug auf die Einstellung Zwinglis zu den Bildern vgl.
Garside, Jr, Zwingli and the Arts. New Haven/London 1966; Matthias Senn, Bil-
Charles
Kunst nach der Re-
der und Götzen. Die Zürcher Reformatoren zur Bilderfrage, in: Zürcher
Franz-Josef
formation. Hans Asper und seine Zeit. Zürich 1981, 33-38, insbes. 35-37;
der Bildersturm
Sladeczek, „Da ligend die altär und götzen im tempel“. Zwingli und
Gramaccini/Charlotte Gutscher-Schmid/Rainer C.
in Bern, in: Ellen J. Beer/Norberto
588-604, ins-
Schwinges, Berns grosse Zeit. Das 15. Jahrhundert neu entdeckt. Bern 1999,
"bes. 601-604. , of
Angaben aus: Brief des Konrad Wirz (?) an Heinrich Bullinger Zürich
37 Nachstehende
von Hans Ulrich
(nach Mitte April 15367), in: Heinrich Bullinger, Briefwechsel, bearb.
6. (Briefe des Jahres
Bächtold und Rainer Henrich, hrsg. vom Zwingliverein Zürich. Bd.
auf die Quelle danke
1536.) Zürich 1995, 227-234. Für die freundliche Mitteilung in bezug
282 Franz-Josef Sladeczek
ich Dr. Rainer Henrich, Universität Zürich, Institut für Schweizerische Reformations-
geschichte, recht herzlich.
38 Schätzungen zufolge sind von dem einstigen mittelalterlichen Sakralbestand in
Deutschland nur gut 1-2 % auf uns gekommen (vgl. Gert von der Osten, Vermutungen
über die Anzahl Altkölner Tafel- und Leinwandbilder, in: Vor Stefan Lochner. Die Kölner‘
Maler von 1300 bis 1430. Köln 1974, 26). Allerdings ist das Zustandekommen dieses Er-
gebnisses empirisch völlig undurchsichtig.
Künstlerschicksale zur Zeit der Reformation 283
zz
Eee
hernd das auffangen konnte (und sicherlich auch nicht beabsichtigte), was
noch Jahrzehnte zuvor das Auftragsvolumen der spätmittelalterlichen Bildne-
rei umfaßt hatte. Vor dem Hintergrund dieser ehedem reichen Auftragserfah-
rungen sind die mit Annahme der neuen Lehre vermehrt auftretenden Klagen
denn auch zu sehen, vorgetragen von Künstlern, die bis anhin einen ganz an-
deren Beschäftigungsgrad gewohnt gewesen waren. Bereits in den 20er Jah-
ren des 16. Jahrhunderts — also zeitgleich mit der vielerorts erfolgten Einfüh-
rung der Reformation — hören wir von ersten Künstlerklagen, in denen sehr
deutlich auf die durch das Bilderverbot radikal sich verändernden Arbeitsbe-
dingungen für die Kunstschaffenden Bezug genommen wurde. Am 3. Februar
1525 kommt es zu einer solchen Supplikation der Maler und Bildhauer vor
dem Straßburger? (Abb. 3), nur ein Jahr später zu einer ebensolchen vor dem
Basler Rat# (Abb. 4). In den Bittschriften bekennen sich die Künstler zwar
ausdrücklich zum neuen Glauben, beklagen gleichzeitig aber auch den deut-
lichen Rückgang der Auftragslage, durch den ihr „handwerck yetz gantz un-
bruchlich“ und sie selbst „entlichs verderbens und des bettelstabs“ geworden
seien. Sie geben zu verstehen, daß sie nichts anderes können als das, zu dem
sie ausgebildet worden seien, und ersuchen daher angesichts ihrer Not um
eine Anstellung bei der Stadt, bei der „solche hantwercker ouch in andern stet-
ten, do das evangelium statt hat, versehen werden“.
In der Tat war die mit dem Rückgang der Auftragslage sich abzeichnende
Mittellosigkeit die größte Sorge für die Künstler. Über den 1527 im hohen
Alter von 80 Jahren in Konstanz verstorbenen Maler Rudolf Stahel verneh-
men wir in diesem Zusammenhang, dieser habe in den Zeiten, da „dass maler-
handwerck böse gewesen und [...] darnider gelegen sye“, nicht nur sein eige-
nes Hauptgut, sondern auch das seiner Frau restlos aufgezehrt.*! Der Basler
Maler Gabriel Zehender mußte sogar wegen Zahlungsunfähigkeit betrieben
werden, worauf er die Rheinstadt verlieB.42 Ähnlich erging es dem Nürnber-
ger Maler und Holzschneider Georg Pencz, der, aus Mangel an Auftragslage
mittellos geworden, 1530 seine Heimatstadt verließ, um sich am Hofe Herzog
Albrechts von Preußen als Konterfeier und Hofmaler zu verdingen.*
Wie stark sich infolge der Reformation die Besitzstände der Künstler mini-
mierten, läßt sich sehr gut anhand der Besteuerung des Konstanzer Malers
Christoph Bockstorfer aufzeigen, dessen Vermögen zwischen 1523 und 1543
39 Vol. Rott 1936/1 (wie Anm. 18), 304f. Vgl. Franz-Josef Sladeczek, Im Jahre 1525 kla-
gen Maler und Bildhauer vor dem Strassburger Rat, sie seien wegen des Bilderverbots in
ihrer Existenz ernsthaft bedroht, in: Dupuex/Jezler/Wirth (Hrsg.), Bildersturm (wie
Anm. 3), 360 mit Kat. Nr. 184.
40 Vgl. Rott 1936/II (wie Anm. 18), 131f.; Rott 1938 (wie Anm. 18), 161.
41 Vgl. Rott 1933/II (wie Anm. 18), 58.
42 Vgl. Rott 1936/II (wie Anm. 18), 64f.
43 Pencz verstarb jedoch auf dem Weg dorthin zwischen dem 11. und 13. Oktober 1530 in
Leipzig. Vgl. Zschelletzschky, Maler (wie Anm. 1), 98.
284 Franz-Josef Sladeczek
Abb. 3 Petitionsschrift der Straßburger Künstler, 1525. Supplikation an den Rat u. XXI,
o. J. (Freit. post. purific. 1525). Straßburg, Archives Municipales, Inv. V 1, Nr. 12
(1412-1537).
Künstlerschicksale zur Zeit der Reformation 285
PD
4 J
: Te Sn I>
20, %
ih 6&4, Sa rae Nor. be CAE 220
F Se Sab:
ch Mn,
a.Rewe À nn: nr
rg Sr o> ae I Nos ees Vane Pas
pe
LETTRE
Si
Crave, oe +04
a)
he $
RE ON FE er
| Rz + IgM Max os
LORS og = fe Lino à 7 + ern ey egaeàoe
pore ok oggui ist Per ida
fags à g ar
RT x8 my Durs SL Ei
cv
; 5 eo
ee
gr ten Meee Sf sees
|
Oye re
‘eee vr Ve aE Ne
rd + WE:
DRS Less aus er an SY
ns frsy St pe Te
Ph. Le
> Be
as zn Dar
zur Re
gr pan CH
ere er ERA.Ne eerE an SE.
a» vr ++ Lord mx ih + wy vfbee
rt dr Le ER Gs >gins he
Sont Coffs 65 team mf > BL
Re eeShiva A en ;
ms kr Ge. ~ “isrPp
Le.sr TAC TR ; % on ki
ae er
{
\
Ria
ey 4
re ee NE er
Dobel an den
‚Abb. 4 Petitionsschrift der Basler Bildhauer Martin Hoffmann und Hans
Gewerbe, R. R.,
Rat der Stadt Basel, 1526. Basel, Stadtarchiv, Inv. Nr. Handel und
nr. 10, 1526.
286 Franz-Josef Sladeczek
auf ein Zehntel, nämlich von 300 auf 30 Ib gesunken war. Seinem ebenso vor
Ort tätigen Malerkollegen Andreas Haider erging es nicht viel besser: Entrich-
tete er noch 1522 für 192 Ib Vermögenssteuer an die Stadt Konstanz, so war er
sieben Jahre später, 1529, nur noch für ganze 40 Ib Vermögen steuerpflich-
tig.44
Die mit dem Rückgang der Auftragslage verbundenen finanziellen Einbu-
Ben veranlaßten die Künstler oft dazu — trotz ihres neuen Glaubensbekennt-
nisses —, ebenfalls für die Gegenseite, also für katholische Auftraggeber, zu
arbeiten. Nicht nur Lucas Cranach“S oder Heinrich Vogtherr*, deren katholi-
sches Engagement erst kürzlich herausgestellt wurde, praktizierten in dieser
Weise, sondern auch andere weniger bekannte Künstler wie z.B. der in St.
Gallen tätige Maler Jörg Buchmaier von Eichstätt suchten sich hierdurch in
dieser Krisenzeit ihr Auskommen zu sichern. Buchmaier, der noch 1534 für
die Dorfkirche zu Tal bei Reineck einen Altar gemalt hatte, wurde hierfür vom
St. Galler Magistrat zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und darüber hinaus
auch dazu angehalten, die restlichen noch in seinem Atelier befindlichen
Altartafeln eigenhändig „ze zerschlagen“.*7
Eine Reflexion dieser mit einem Mal veränderten Produktions- und Le-
bensbedingungen für die Künstler findet sich auch in dem bekannten von
Hans Sebald Beham illustrierten und von Hans Sachs kommentierten Flug-
blatt „Ein neuwer Spruch wie die Geystlichkeit und etlich handwerker über
den Luther clagen“, wieder (Abb. 5).48 Unter den Anwesenden, die vor Chri-
stus klagen, Luther habe ihnen den Nährboden für ihre Existenz entzogen, fin-
den sich u.a. ein Meßpfaffe mit Kelch, ein Maler mit Malstock, ein Gießer mit
Glocke sowie Illuminatoren, Goldschläger, Goldschmiede, Bildhauer und Pa-
ramentensticker. Dem in Begleitung des Karsthans angeklagten Luther wird
jedoch durch Christus der Rücken gestärkt, indem dieser allen Anwesenden
die Richtigkeit der neuen Lehre bestätigt. Der Gottessohn ermahnt die Geist-
lichkeit dazu, das Evangelium „rain und pur“ zu verkünden, und hält den
Handwerkerstand dazu an, er solle es nicht den Heiden gleichtun und das zeit-
liche, d.h. diesseitige Gut suchen, sondern das „Reich gots mit freuden“.
„Sunst wert jr in der hellen qualln, das ist mein urteil zu euch alln“.#?
Ein solches Urteil konnte wohl nur schwerlich befriedigen. Denn es ent-
sprach kaum den Erwartungen und Hoffnungen der Künstler, die auf eine
praktikable Lösung zur Bewältigung ihrer existentiellen Krise drängten.
44 Vgl. Christensen, Art and the Reformation (wie Anm. 19), 244 Anm. 30, 31.
45 Vgl. Tacke, Cranach (wie Anm. 20).
46 Vgl. Frank Muller, Wendehals: Vogtherr nimmt auch Aufträge von der Gegenseite an,
in: Dupeux/Jezler/Wirth (Hrsg.), Bildersturm (wie Anm. 3), 369.
47 Vgl. Rott 1933/1 (wie Anm. 18), 232f.; Rott 1933/II (wie Anm. 18), 191.
48 Vgl. Hofmann (Hrsg.), Luther und die Folgen (wie Anm. 7), 129f., Nr. 3.
49 Zitiert nach Stuhlfauth, Künstlerstimmen (wie Anm. 19), 503.
Künstlerschicksale zur Zeit der Reformation 287
Das Direil£brifti,
Dismetvantain te dde glad.
Was icheuch fel6 Beuolben ban/
Dao jrindie gan wee folegan.
aller Creatas!
a8 Be und par.
eee
ae ovni yalpate,
5. Dearidbod
Pain 2
ore
Setar fo kat.
20 pees falfchen 1
Dickenwort vracht ei